Kulturübersetzung als interaktive Praxis: Die frühe deutsche Ethnologie im Amazonasgebiet (1884-1914) 9783839452585

Zwischen der kulturellen Praxis ethnographischer Repräsentation und der postkolonialen Metapher einer Aushandlung mit »d

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German Pages 406 Year 2021

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Inhalt
Danksagung
Einleitung
1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung
1.1. ›Kulturübersetzung‹ und die Kolonialität des Wissens
1.2. Lokale Bedingungen und Akteure der ethnografischen Praxis
2. Sprachvermittlung und Textproduktion
2.1. Die Figur des Dritten in der Feldforschung
2.2. Praktiken der ethnografischen Objektivierung: Benennen, Klassifizieren, Übersetzen
2.3. Textproduktion: Sinngebung und Wertzuschreibung
3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung
3.1. Kulturelle Aneignung
3.2. Tauschhandel
3.3. Kommodifizierung
Schlussbetrachtungen
Abbildungen
Literatur
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Kulturübersetzung als interaktive Praxis: Die frühe deutsche Ethnologie im Amazonasgebiet (1884-1914)
 9783839452585

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Johanna Fernández Castro Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Edition Kulturwissenschaft  | Band 233

Para Frieda

Johanna Fernández Castro, geb. 1982, lehrt Kulturwissenschaft Lateinamerikas und Spanisch im Arbeitsbereich Spanische und Portugiesische Kultur- und Translationswissenschaft (SPKT) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie promovierte mit einem Stipendium des International Graduate Center for the Study of Culture (GCSC) an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Translation und Wissensproduktion über außereuropäische Kulturen, lateinamerikanische Kulturtheorien und Wissenschaftsgeschichte.

Johanna Fernández Castro

Kulturübersetzung als interaktive Praxis Die frühe deutsche Ethnologie im Amazonasgebiet (1884–1914)

Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie im Fachbereich 05: Sprache, Literatur, Kultur an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Diese Forschungsarbeit wurde durch ein Promotionsstipendium des International Graduate Center for the Study of Culture der Justus-Liebig-Universität Gießen gefördert und mit dem Originaltitel der Dissertation »Kulturübersetzung in der ethnografischen Praxis. Das Beispiel der frühen deutschen Ethnologie im Amazonasgebiet (1884-1914)« im November 2019 abgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Interlineare Übersetzung der Taulipang Erzählung »Jaguar und Regen«. Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur BV. 3. Notizbuch Taulipang Mythen. Ethnologische Sammlung der Phillips-Universität Marburg (im Hintergrund). »Peré und Theodor Koch-Grünberg.« Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-X, AIV, 14a. Ethnologische Sammlung der Philipps-Universität Marburg (im Vordergrund). Lektorat: Dr. Alexander Matschi, Gießen Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5258-1 PDF-ISBN 978-3-8394-5258-5 https://doi.org/10.14361/9783839452585 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Danksagung .............................................................................. 9 Einleitung ................................................................................ 11 Forschungsstand .................................................................... 19 Zentrale kulturwissenschaftliche Konzepte .......................................... 29 Methodischer Ansatz ............................................................... 39 Korpus der Arbeit................................................................... 43 Amazonas-Ethnologen und ihre Expeditionen........................................ 53 Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung ........................ 61 ›Kulturübersetzung‹ und die Kolonialität des Wissens ............................... 62 Die deutschen Amazonasethnografien als Palimpseste .............................. 63 »Ein ethnologisches El dorado«: Ethnologie als Entdeckung ......................... 73 Ethnografie als ›Kulturübersetzung‹ und Kolonialität des Wissens ................... 87 Wissenschaftliche Positionierung zwischen ›Natur‹, ›Kultur‹ und ›Rasse‹ ............ 97 1.2. Lokale Bedingungen und Akteure der ethnografischen Praxis ........................ 112 Die Amazonasregion als Kontaktzone ............................................... 113 Kautschukgewinnung und Kautschukhandel ......................................... 118 Interner Kolonialismus und kolonialistisches Denken während der Feldforschung.... 123 Ethnologie als (nicht) neutrale Wissenschaft: Der Fall Albert Fričs ................... 136 »María, vollblut, ein Urbild der Hässlichkeit […]«: Ethnografische Repräsentation und Praxis ... .... .................................. 140 Zwischenfazit ..................................................................... 152

1. 1.1.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion ........................................... 155 2.1. Die Figur des Dritten in der Feldforschung.......................................... 156 Erste Vermittler am Beispiel der Expeditionen Theodor Koch-Grünbergs ............ 160 Der Dritte als Dolmetscher ......................................................... 169 Relaisdolmetscher .................................................................. 177 Impresario-Dolmetscher ............................................................ 181 Instabile Machtbeziehungen ....................................................... 189

2.2. Praktiken der ethnografischen Objektivierung: Benennen, Klassifizieren, Übersetzen................................................197 Benennen als Objektivierung der ›Anderen‹ ........................................ 198 Sprachkontakt und Sprachaufnahmen.............................................. 202 Textuelle Artefakte .................................................................214 Völkerkarten ...................................................................... 226 2.3. Textproduktion: Sinngebung und Wertzuschreibung................................. 230 Sinngebung: Erzählen und Übersetzen.............................................. 232 (Selbst-)Dolmetschen: Objektivierung der Muttersprache ........................... 236 Wertzuschreibung: Mythen als objektivierte Übersetzungen ......................... 242 Kollaboratives Übersetzen ......................................................... 250 Kollaborative Urheberschaft ....................................................... 259 Zwischenfazit II ................................................................... 268 3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung ................... 271 3.1. Kulturelle Aneignung .............................................................. 274 Travestie und kulturelle Anthropophagie: Die Einverleibung von Dingen des ›Anderen‹ . ...... ................................. 275 Haarproben und die gegenseitige Objektivierung des Körpers ....................... 290 ›Weißer‹, ›Doktor‹ und ›Pajé‹: Namen als übersetzte und angeeignete Dinge ....... 296 3.2. Tauschhandel ..................................................................... 307 Die Relevanz von Artefakten für die ethnologische Forschung....................... 308 Der Tauschhandel und Machtasymmetrien.......................................... 316 Der Dritte im Tauschhandel ........................................................ 322 3.3. Kommodifizierung ................................................................. 328 Kommodifizierung durch Übersetzung.............................................. 328 Desubjektivierung ................................................................. 337 Zwischenfazit III ................................................................... 349 Schlussbetrachtungen.................................................................. 351 Abbildungen ............................................................................ 361 Literatur ............................................................................... 363

»Nichts ist bedeutender in jedem Zustande, als die Dazwischenkunft eines Dritten.« Johann Wolfgang von Goethe. Die Wahlverwandschaften.

Danksagung

Dieser Band ist das Ergebnis einer durch ein Stipendium des International Graduate Center for the Study of Culture und des International PhD Programme Literary and Cultural Studies der Justus-Liebig-Universität Gießen geförderten Dissertation. Dank der engagierten Betreuung von Prof. Dr. Katharina Stornig gelang es mir dieses Projekt erfolgreich zu beenden. Besonders im letzten Jahr hatte ich zudem die außerordentlich wertvolle Unterstützung von Prof. Dr. Michaela Wolf, die mir mit ihrem fachlichen und freundlichen Rat stets zur Seite stand. Bedeutsam war ebenso die herzliche und fachkundige Beratung von Doris Bachmann Medick. Durch die kollegiale Kritik von Michael Kraus konnte ich über meinen Standpunkt reflektieren und ihn zugleich bekräftigen. Diesen Wissenschaftler/innen möchte ich ganz herzlich für ihre offene Haltung zum Dialog und wissenschaftlichen Austausch danken. Jede/r von ihnen trug aus ihren jeweiligen Fächer zur interdisziplinären Gestaltung dieser Studie bei. Dr. Dagmar Schweizer de Palacios, von der ethnologischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg, gilt mein aufrichtiger Dank für ihre stetige Bereitschaft und ihr Vertrauen. Die Unterstützung meiner Freundinnen und Kolleginnen Theresa Heyer, Cathrin Rieger, Kathrin Link und Corinne Geering, die sich mit meinen Texten befassten und die mich in den unterschiedlichen Phasen dieses Schreibprozesses in einer Fremdsprache begleiteten, war essentiell für die Entwicklung dieses Buches. Für ihre Zeit, Geduld und liebevolle Rückmeldungen bin ich ihnen enorm dankbar. All die Dankbarkeit gegenüber meiner Familie lässt sich kaum in ein paar Zeilen ausdrücken. Ich danke Frederic für seine Freundschaft und für seine Geduld insbesondere in den kritischsten Momenten. Friedas Präsenz und ihre Nähe, auch ohne die Bedeutung dieser Arbeit für ihre Mutter ganz zu verstehen, machen aus diesem Buch etwas besonders Erfreuliches.                                                                                                                   ¡A todas y todos ustedes muchas gracias!

Karte 1: Reisewege der deutschen Amazonasexpeditionen, überlagert auf der Karte der Kautschukgewinnungsgebiete von Bartholomew, J.G. »India Rubber.« Atlas of the World’s Commerce. London: George Newnes, 1907. S. 154. »India Rubber« ist die englische Bezeichnung für Naturkautschuk.

Einleitung

Das Wort ›Amazonas‹ – als gemeinsamer Nenner eines Flusses, einer Region und eines imaginären Ortes – trägt in sich gewisse Konnotationen des Exotischen, der Ferne und des Fremden, vor allem für jene, die das Wort, den Fluss und die Region nicht als etwas ihnen Eigenes empfinden. Im Sinne eines imaginären Ortes strahlt es auch den Hauch exotischer Seltsamkeit aus, der durch Romane wie Der Strudel, Der Traum des Kelten oder Der Geschichtenerzähler 1 und Filme wie Fitzcarraldo oder Der Schamane und die Schlange vermittelt wird. Romane, Geschichten, Filme und andere, etwa auch wissenschaftlicher Texte über den Amazonas teilen einen gemeinsamen Standpunkt der Äußerung: der eines Schriftstellers, Zuschauers oder Zeugen der Geschichte und der eines Lesers anderer Geschichten und Erzählungen. Mit anderen Worten, Vorstellungen des Amazonas bzw. der Amazonasregion2 kommen normalerweise aus zweiter Hand zu uns, sind also bereits von anderen ›verdaut‹ und angeeignet worden. Sie erreichen uns als ausgearbeitete aber immer auch fragmenthafte Artrikulationen einer Realität, deren gelebte Wahrhaftigkeit von den Rezipienten im Grunde ignoriert wird.3 Der Standpunkt der Äußerung der vorliegenden Studie unterscheidet sich in gewisser Hinsicht nicht von dem der anderen Amazonaserzählungen, denn diese Arbeit stützt sich auf meine Lektüre und Interpretation von Texten einer Gruppe deutscher Ethnologen, die zwischen 1884 und 1914 an unterschiedlichen Orten der Amazonasregion als Forscher tätig waren. Dennoch ist meine Beziehung zum Amazonas nicht beliebig. In meiner Wahrnehmung des Amazonas (als FlussRegion-Imagination), die bisher von Kindheitserinnerungen und vom familiären 1

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Rivera, José Eustasio: Der Strudel, Berlin; Weimar: Aufbau-Verl. 1972; Vargas Llosa, Mario: Der Traum des Kelten, Berlin: Suhrkamp 2011; Vargas Llosa, Mario: Der Geschichtenerzähler: Roman, Suhrkamp Verlag 2014. Im Folgenden beziehe ich mich auf die Amazonasregion als jenes Gebiet, in dem die Grenzen Kolumbiens, Brasiliens, Perus und Venezuelas zusammentreffen. Die kolumbianisch-venezolanische Produktion von Der Schamane und die Schlange (El abrazo de la serpiente) des Regisseurs Ciro Guerra mit den Indigenen Antonio Bolivar (Ocaina) und Nilbio Torres (Cubeo) hatte den Anspruch, die bislang dominierende Perspektive der Forscher zu überwinden. Vgl. Páramo, Carlos: »Un debil Abrazo«, in: El malpensante 163 (2015), S. 34-37.

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Bezug zu diesem Ort bestimmt wurde, gehören die grüne Landschaft, die Feuchtigkeit, die Hitze, der Fluss und die Flussfahrten zu jenem Alltag, in dem Menschen aus unterschiedlichen Regionen Kolumbiens sowie Brasilianer, Peruaner, und – mit diversen Identifikationen – Indigene und colonos (Einwanderer) in asymmetrischen Verhältnissen koexistieren. Die Tatsache, dass ein Teil der Bevölkerung für die übrigen Menschen ›Andere‹ sowie ein Objekt der Bewunderung und der Forschung waren, wurde mir zum ersten Mal klar, als ich das Museo del Indio Amazónico4 in der kleinen kolumbianischen Stadt Leticia besuchte. Das ethnologische Museum ist, wie bereits sein Name verrät, ein Ort der Verehrung der indigenen Bevölkerung der Region; eine Verehrung, die im Kontrast steht zur Realität in dieser Stadt, wo gerade die Menschen, die als Indios oder Indigene identifiziert werden und die sich auch selbst als solche identifizieren, um ihren Lebensunterhalt kämpfen müssen, in der sie kein Ansehen genießen und in der in beleidigender und rassistischer Manier mit Ausdrücken wie ›Indio‹ über sie im alltäglichen Diskurs gesprochen wird.5 Dieser Widerspruch zwischen der Verehrung und der gleichzeitigen Verachtung indigener Bevölkerungsgruppen entspricht dem ambivalenten Bild, das ich im Laufe der vorliegenden Untersuchung z.B. in ethnografischen Repräsentationen von ›Indianern‹ der Amazonasregion zu Beginn des 20. Jahrhunderts feststellen konnte.6 Ethnografische Repräsentationen der indigenen Bevölkerung des Amazonas in Reiseberichten und Monografien, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfasst wurden, können aus einer kulturanthropologischen und kulturwissenschaftlichen Perspektive in Anlehnung an Doris

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Seit 2012 Museo Etnográfico del Indio Amazónico. Das vom Museum vermittelte Bild entspricht der Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung Kolumbiens, in der aufgrund der neuen Verfassung Kolumbiens von 1991 die indigene Bevölkerung als kulturell und ethnisch different anerkannt wird. Diese »neue normative Ordnung« nutzt die früher verleugnete kulturelle Diversität Kolumbiens nun als »konstitutives Element« der Nation. Vgl. Gros, Christian: »Ser diferente por (para) ser moderno o las paradojas de la identidad«, in: Análisis Político 36 (1999), S. 3-20, hier S. 6ff. Diese Tendenz einer ›positiven‹ indigenen Politik verbreitete sich in fast allen südamerikanischen Ländern, deren Verfassungen in den 1990er Jahren neu entworfen wurden. Vgl. dazu Peña Jumpa, Antonio, Vicente Cabedo Mallol und Francisco López Bárcenas: Constituciones, derecho y justicia en los pueblos indígenas de América Latina: análisis constitucional, Justicia y derecho oaxaqueño (México), Justicia y derecho aymara (Perú), Lima: Pontificia Universidad Católica del Perú 2002, S. 27-46. Über den durchaus ambivalenten Charakter wissenschaftlicher aber auch populärer Repräsentationen von Südamerika und ihren Bewohnern vgl. Onken, Hinnerk: Ambivalente Bilder. Fotografien und Bildpostkarten aus Südamerika im Deutschen Reich (1880-1930), Bielefeld: transcript 2019. Hier insbesondere das Kapitel »Der wissenschaftliche Blick«, S. 59ff.

Einleitung

Bachmann-Medick auf eine »spezifische Kulturpraxis« zurückgeführt werden7 , die als ›Kulturübersetzung‹ definiert wird. Ausgehend von der Übersetzung als bestimmendes Element der ethnografischen Praxis hat Doris BachmannMedick den Zusammenhang zwischen Übersetzung und Kulturanthropologie programmatisch erklärt. Während sie sich auf die grundlegende These beruft, dass Kulturanthropologie bzw. Ethnologie8 eine »Wissenschaft der Übersetzung«9 ist, identifiziert Bachmann-Medick drei Ebenen, die in einer Diskussion der Übersetzung in ethnologischen Forschungen zu berücksichtigen sind. Auf der ersten Ebene ist die Übersetzung das konstitutive Element der Sprachvermittlung. Auf der zweiten Ebene wird Übersetzung als ein Prozess betrachtet, durch den ein spezifischer kultureller Kontext in die Sprache und Konventionen der Leserschaft übersetzt wird. Das Ergebnis dieses Prozesses ist der monografische Text. Auf einer dritten Ebene wird die ethnologische Übersetzung als eine kulturelle Praxis verstanden, die in einem bestimmten epistemologischen und diskursiven Bereich verankert ist.10 Diese Praxis kristallisiert sich durch Texte, Fotografien, museale Ausstellungen usw. als ethnografische Repräsentation heraus. In der vorliegenden Untersuchung verstehe ich diese Praxis in Anlehnung an Bachmann-Medick als ›Kulturübersetzung‹. Übersetzung erfolgt Martin Fuchs zufolge an der Schnittstelle zwischen »Interpretation und Repräsentation« sowie sprachlicher »Vermittlung«11 . Einerseits operierte diese Kulturpraxis unter einer Prämisse der Übertragbarkeit, nach der eine außereuropäische Gemeinschaft das Bezeichnete und der eurozentrische Repräsentationsdiskurs das Bezeichnende bildeten; letzteres sollte den Zugang zum Bezeichneten ermöglichen.12 ›Kulturübersetzung‹ zeichnete sich hier durch die Annahme der Ähnlichkeit zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem und die Präsenz eines transzendentalen Signifikats (d.h. eines tertium comparationis) aus. Eine solche Übersetzung war zum Scheitern verurteilt, was bereits in verschiedenste philosophische, kulturwissenschaftliche und translationswissenschaftliche Studien gezeigt haben, die sowohl die Unmöglichkeit der ›Übertragung‹ herausgearbei7

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Bachmann-Medick, Doris: »Kulturanthropologie und Übersetzung«, in: Kittel, Harald u.a. (Hg.): Übersetzung, Translation, Traduction, Bd. 1, Berlin/New York: de Gruyter 2004, S. 155-165, hier S. 155f. Kulturanthropologie versteht sich analog zu Ethnologie. Vgl. Girtler, Roland: Kulturanthropologie: Eine Einführung, Münster: Lit-Verlag 2006, S. 49. Bachmann-Medick: »Kulturanthropologie und Übersetzung«, S. 155. Ebd., S. 155f. Fuchs, Martin: »Übersetzen und Übersetzt-Werden: Plädoyer für eine interaktionsanalytische Reflexion«, in: Bachmann-Medick, Doris (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, Berlin: Erich Schmidt 1997, S. 308-328, hier S. 318. Vgl. Dizdar, Dilek: Translation, Um- und Irrwege, Berlin: Frank & Timme Verl.f. Wiss. Literatur 2006, S. 53f. Dilek Dizdar veranschaulicht die Dekonstruktion des Translationsbegriffes anhand von Jaques Derridas Überlegungen zur Metapher und Translation.

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tet als auch die Präsenz und mithin die Gültigkeit eines transzendentalen Signifikats in Frage gestellt und dekonstruiert haben.13 Andererseits lag diese Praxis nicht nur im Interpretationsprozess eines spezifischen »epistemologische[n] Umfeld[s]« der westlichen Wissenschaft begründet,14 sondern bereits in den Interaktionen und Beziehungen zwischen Ethnologen und lokalen Akteuren15 während der Feldforschung, insbesondere durch sprachliche Vermittlungs- und diverse Austauschprozesse, die die gegenseitige Aushandlung von Bedeutungen und vor allem die Handlungen ermöglichten, welche die Akteure durchführten. So bringen beispielsweise Praktiken der Sprachvermittlung – wie das Dolmetschen und das Übersetzen – diesen interaktiven Charakter der Kulturübersetzung zum Vorschein. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen untersuche ich Kulturübersetzung in der vorliegenden Studie nicht nur als ethnografische Repräsentation, sondern vor allem als ein für die ethnologische Feldforschung charakteristisches »interaktives soziales Geschehen«16 , durch welches die Akteure der ethnologischen Forschung dem ›Anderen‹ und seiner Kultur einen Sinn gaben.17 Es sollen dabei folgende Fragen beantwortet werden: Wie erfolgte Kulturübersetzung nicht nur als Praxis der ethnografischen Repräsentation des ›Anderen‹, sondern vor allem als eine interaktive Praxis im Rahmen der frühen deutschen ethnologischen Amazonasforschung? Unter welchen Bedingungen geschah dies? Durch welche Praktiken und Austauschprozesse zeichnete sich Kulturübersetzung aus und welche Akteure waren daran beteiligt? Die grundlegende These dieser Analyse ist, dass Kulturübersetzung eine für die Feldforschung – als erste Phase der Wissensproduktion über einen Teil der lokalen Bevölkerung der Amazonasregion – konstitutive interaktive Praxis war, die ihrerseits aus anderen Praktiken bestand, welche von den an den ethnologischen Expeditionen beteiligten Akteuren durchgeführt worden sind. Kulturübersetzung

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Vgl. Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972; Niranjana, Tejaswini: Siting Translation. History, Post-Structuralism, and the Colonial Context, Himatyatnagar: Orient Longman 1995; Arrojo, Rosemary: »Pierre Menard und eine neue Definition des ›Originals‹«, in: Wolf, Michaela (Hg.): Übersetzungswissenschaft in Brasilien: Beiträge zum Status von »Original« und Übersetzung, Tübingen: Stauffenburg 1997, S. 25-34. Bachmann-Medick: »Kulturanthropologie und Übersetzung«, S. 156. Obwohl die Präsenz von Frauen in Szenen der ethnologischen Feldforschung, die in dieser Arbeit analysiert werden, unbestreitbar ist, werde ich in den folgenden Ausführungen von Akteuren sprechen und nur in bestimmten Fällen eine Geschlechterdifferenzierung vornehmen. Diese Entscheidung basiert im Wesentlichen auf der Erleichterung der Lesbarkeit, da, wie man sehen wird, das Vorhandensein verschiedener Sprachen – darunter mehrere indigene Sprachen des Amazonas – bereits die Lektüre des Textes beeinträchtigen. Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 319. Diese Konzeptualisierung stützt sich zum Teil auf Shirley Ann Jordans Definition von cultural translation als »[…] a holistic process of provisional sense making«. Jordan, Shirley Ann: »Ethnographic encounters: The processes of cultural translation«, in: Language and Intercultural Communication 2/2 (2002), S. 96-110, hier S. 101.

Einleitung

im Rahmen der ethnologischen Forschung ist in der Folge als eine Art Metapraxis zu begreifen, deren konstituierende Elemente in historischen Quellen zugänglich sind und sich zum Teil rekonstruieren lassen. Sie wurden im Rahmen dieser Untersuchung in den Texten sowie durch die Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren identifiziert. Hierzu gehören: Praktiken der Wissensproduktion wie Benennen, Klassifizieren, Texte verfassen; Praktiken der Sprachvermittlung wie Dolmetschen und Übersetzen, und Praktiken der materiell-kulturellen Aneignung wie Tauschhandel und Kommodifizierung. Die Quellengrundlage der vorliegenden Arbeit bilden veröffentlichte (Monografien, Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften und Zeitungen) und unveröffentlichte Materialien (Forschungstagebücher, Briefe und weitere Materialien wie Vorlesungsmanuskripte) – unter ihnen auch Fotografien, Skizzen oder Landkarten –, die während und nach den ethnologischen Expeditionen in der Amazonasregion entstanden sind. An der Schnittstelle zwischen Reisebericht, Chronik dieser Zeit und wissenschaftlicher Arbeit ermöglichen diese historischen Materialien eine »interaktionsanalytische Betrachtung«18 von Kulturübersetzung, in der die Beziehungen und Interaktionen zwischen den Akteuren im Fokus stehen. Ich betrachte diese Materialien als Bestandteile einer Geschichte, die − wie jede andere auch − von indigenen Akteuren gemacht wird; sie wird ihnen nicht nur zugeschrieben19 . Die Quellen berichten im Wesentlichen von einer wissenschaftlichen Aktivität im Rahmen der Expeditionen, die aus heutiger Sicht als Feldforschung zu begreifen ist. Zwar erkannten die hier zitierten Amazonas-Ethnologen ihre Tätigkeit nicht ausdrücklich als Feldforschung an, sie sahen sich jedoch als Forschungsreisende und bezogen sich dabei auf ein »Forschungsfeld«20 , ein »Arbeitsfeld«21 oder auf ein »Forschungsgebiet«22 . Sie schrieben auch nicht spezifisch über die Methode der ethnologischen Untersuchung als Feldforschung. Es handelt sich vielmehr um eine Phase der frühen Völkerkunde, in der die von den Amazonas-Ethnologen betriebene Feldforschung eine wissenschaftliche Aktivität darstellte, die als Methode noch nicht vollständig systematisiert war, deren Konturen jedoch bereits deutlich 18 19

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Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 324. Salomon, Frank: »Testimonies: The Making and Reading of Native South American Historical Sources«, in: Salomon, Frank und Stuart B. Schwartz (Hg.): The Cambridge History of the Native Peoples of the Americas: South America, Bd. 3, Cambridge: Cambridge University Press 1999, S. 19-95, hier S. 88. Steinen, Karl von den: Durch Central-Brasilien: Expedition zur Erforschung des Schingú im Jahre 1884, Leipzig: Brockhaus 1886, S. 327. Schmidt, Max: Indianerstudien in Zentralbrasilien: Erlebnisse und ethnologische Ergebnisse einer Reise in den Jahren 1900 bis 1901, Berlin: Reimer 1905, S. 125, 131. Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens: Reiseschilderung und Ergebnisse der zweiten Schingú-Expedition 1887 – 1888, Berlin: Reimer 1894, S. 53; Koch-Grünberg, Theodor: Zwei Jahre unter den Indianern: Reisen in Nordwest-Brasilien 1903/1905, Bd. 2, Berlin: Ernst Wasmuth A.-G. 1910, S. 150.

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wurden.23 Auch wenn sie keine sehr langen Aufenthalte bei einer einzigen Gemeinschaft verbrachten, ähnelte vor allem ihre empirische Herangehensweise jener der später als Feldforschung bezeichneten Methode. Neben der teilnehmenden Beobachtung wird die Feldforschung als Methode der Ethnologie par excellence betrachtet. Dabei wird angenommen, dass sie zuerst von Bronislaw Malinowski eingesetzt worden ist,24 denn er war der erste, der sie explizit als Forschungsmethode definierte. Dennoch gab es bereits vor Malinowski zahlreiche Forscher, wie z.B. Lewis Henry Morgan, Frank Cusching oder Franz Boas, die empirische Forschungen mit längerfristigen Feldaufenthalten durchführten und dabei über Formen der teilnehmenden Beobachtung die Lebensrealitäten der Anderen zu ergründen, nur bezeichneten sie ihre Arbeitsweise nicht als Feldforschung.25 Im Anschluss an Bruno Latours Ansatz der Wissenschaftsforschung kann die Feldforschung als die erste von fünf wissenschaftlichen Tätigkeiten begriffen werden, nämlich als die »Mobilisierung der Welt«. Diese fünf Tätigkeiten bestimmen Latour zufolge den »Kreislauf wissenschaftlicher Tatsachen«, hierzu gehören neben der Mobilisierung (Expeditionen, Feldforschungen, Laborarbeit) die Autonomisierung (Kollegen/Netzwerk), die Allianzen (Institutionen), die öffentliche Repräsentation (Medien) sowie die Bindeglieder und Knoten (begrifflicher Inhalt)26 . Die geschilderte Feldforschung in den hier behandelten Texten begreife ich als eine wissenschaftliche Tätigkeit und auch als einen Moment, der die Begegnung, den Kontakt, die Wechselbeziehungen und die Praktiken zwischen den Akteuren provozierte und wiederum kontextualisierte. Diese Praktiken fanden in eimem Ort statt, den ich im Anschluss an Mary Louise Pratt als contact zone27 auffasse. Das 23

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Einer der ersten Versuche zur Systematisierung der ethnologischen Feldforschung stammt aus der Feder von Neumayer, Georg von: Dr. Neumayers Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Berlin: Verlag von Robert Oppenheim 1888. Ein Exemplar dieses Buches befindet sich im Nachlass des Ethnologen Theodor Koch-Grünberg. Die Tatsache, dass KochGrünberg die dritte Auflage dieser Anleitung verwendete, belegt den Einfluss der in dieser Publikation empfohlenen Methoden und Vorgehensweisen auf seine Forschung. Eine später zusammengefasste und spezifisch auf die Völkerkunde ausgerichtete Publikation ist Preuss, Konrad Theodor: Lehrbuch der Völkerkunde, Stuttgart: Enke 1937. Malinowski, Bronislaw: Argonauts of the Western Pacific: An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes of Melanesian New Guinea, London: Routledge 2002 [1922]. Vgl. Berger, Peter u.a. (Hg.): »Feldforschung: Berliner Perspektiven auf eine ethnologische Methode«, in Dies. (Hg.): Feldforschung. Ethnologische Zugänge zu sozialen Wirklichkeiten, Berlin: Weißensee Verlag 2009, S. 7-39. Vgl. auch Fischer, Hans: »Einleitung: über Feldforschungen«, in: Ders. (Hg.): Feldforschungen. Erfahrungsberichte zur Einführung, Berlin: Reimer 2002, S. 9-24. Latour, Bruno: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 119ff. Pratt, Mary Louise: Imperial Eyes: Travel Writing and Transculturation, London; New York: Routledge 1992, S. 6.

Einleitung

heißt als jenen Raum der kolonialen Begegnung und interkulturellen Auseinandersetzung, der von politischen, ökonomischen und sozialen Asymmetrien bestimmt wird, welche ihrerseits die Beziehungen zwischen ungleich machtvollen Akteuren beeinflussen und von diesen beeinflusst werden. Was die Identifikation der Akteure dieser Praktiken betrifft, so beziehe ich mich zunächst auf die Verfasser der Quellen als Ethnologen. Diese Männer reisten in ihrer Rolle als Ethnologen in das Amazonasgebiet. Ethnologe war eine Selbstbezeichnung, die ihren Ursprung in einer Strategie zur Konsolidierung der aufkommenden Disziplin der Ethnologie hatte. Mein eigener Standpunkt hat weiterhin die Entscheidung beeinflusst, bestimmte an den Expeditionen beteiligte lokale Akteure als Indigene zu bezeichnen. Diese Entscheidung geht auf meine Übersetzung ins Spanische des Artikels »Von der Theorie zum Indianer«28 über den Ethnologen Theodor Koch-Grünberg zurück. Die Schwierigkeiten der Übersetzung des Wortes ›Indianer‹ ins Spanische lösten Überlegungen über die Bedeutung der Wörter Indianer, Indigene, Indios und Indígenas aus, um einen Teil der Bevölkerung des Amazonasgebiets sowohl auf Deutsch als auch auf Spanisch zu benennen. Es stellte sich dabei die Frage, woher diese Bezeichnungen überhaupt kamen? Wurden sie schon immer in der Region eingesetzt oder hatten lokale Akteure sie aus dem politischen und ethnologischen Diskurs als Form der Selbstbezeichnung übernommen? Als Resultat einer kritischen Reflexion entschied ich mich für die Übersetzung von Indianer als Indio. Meine Absicht war die Verhältnisse der ethnologischen Forschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu verdeutlichen29 , weil beide Begriffe bestimmte historische Zusammenhänge widerspiegeln. Hierbei ist anzumerken, dass beispielsweise die Bezeichnung ›Indianer‹ im deutschsprachigen Raum30 starke Konnotationen des Exotismus enthält, auch wenn sie ohne diskriminierende Absicht verwendet wird.31 Diese im deutschen ethnologischen Diskurs noch heute gängige Bezeichnung ist auf die Faszination für die eingeborene Bevöl-

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Kraus, Michael: »Von der Theorie zum Indianer. Forschungserfahrungen bei Theodor KochGrünberg«, in: Museum, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Ethnologisches (Hg.): Deutsche am Amazonas – Forscher oder Abenteurer? Expeditionen in Brasilien 1800 bis 1914., Münster/Berlin u.a.: LIT 2002, S. 86-105; Kraus, Michael: »De la teoría al indio. Experiencias de investigación de Theodor Koch-Grünberg«, in: Maguaré 24 (2010), S. 13-36. Kraus: »De la teoría al indio«. Anmerkung der Übersetzerin. S. 13. Vgl. die Dokumentation Die Indianer kommen! Indigene Völker im Berliner Humboldtforum von 2015. URL:https://www.zdf.de/dokumentation/jahrhundertprojekt-museumsinsel/ die-indianer-kommen-berliner-schloss-humboldtforum-soll-ein-100.html. Zuletzt aufgerufen am 27.5.2019. Zur Bezeichnung außereuropäischer Gruppen im deutschsprachigen Raum vgl. Kohl, KarlHeinz: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung, 3. Aufl., München: C.H. Beck 2012, S. 24ff.

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kerung Nordamerikas zurückzuführen.32 Bezeichnungen wie Indígena oder Indigene für den spezifischen Fall der Bevölkerung des Amazonasraums unterscheiden sich demzufolge von ›Indianer‹. Die verschiedenen Übersetzungen deuten auf Bedeutungsverschiebungen hin, die sich auf bestimmte historische Momente gründen und die sich aus den asymmetrischen Beziehungen zwischen demjenigen, der benennt, und demjenigen, der benannt wird, ergeben. Das Problem der ethnografischen Repräsentation indigener Gemeinschaften und Kulturen des Amazonas lässt sich daher als ein Übersetzungsproblem begreifen. Viele der indigenen Akteure der Feldforschung werden in dieser Studie, soweit möglich, mit ihren eigenen Namen zitiert bzw. mit den Namen, mit denen sie sich vor den Ethnologen identifiziert haben. In anderen Fällen fehlt es an denjenigen Informationen in den Quellen, die eine konkrete Identifizierung der jeweiligen Individuen ermöglichen würden. Bei den Namen der verschiedenen Gemeinschaften ist ferner die Verwendung von Selbstbezeichnungen problematisch, da viele der Namen der in der Region lebenden Gruppen von anderen Gruppen und nicht zuletzt von Ethnologen festgelegt wurden. Meine Entscheidung für die Bezeichnung Indigene entspricht in erster Linie persönlichen Überzeugungen, die nicht zuletzt auf der Verwendung dieser Bezeichnung in Kolumbien beruhen. Sie basiert außerdem auf dem Gebrauch des Wortes Indígena oder Indigene als Analysekategorie, die sich auf die historischen Bedingungen bezieht, unter denen sie entstanden ist, aber auch auf den aktuellen Kontext, in dem sie als gemeinsamer Nenner für verschiedenen Gruppen dient. Die Bezeichnung »Indigener« steht einerseits als Erinnerung und Erbe der kolonialen Erfahrung und impliziert die Vorstellung von Alterität in Bezug zum Nicht-Indigenen. Um mit Mary Louise Pratt zu sprechen, »social groups become indigenous or aboriginal or native by virtue of the recognition that someone else arrived in a place and found them or their ancestors ›already‹ there«33 . Es handelt sich also um eine Identität, die sich aus dem Äußerungsort der Kolonisatoren ergibt, und nicht um eine Selbstbezeichnung. Während diese unter kolonialen Bedingungen entstandene Identität eine Homogenität der Bevölkerung Südamerikas suggeriert, ist andererseits die heutige Verwendung der Bezeichnung ›Indigener‹ ein in den 1950er Jahren gebildetes Konzept, das in erster Linie dem spanischen indígena bzw. den pueblos indígenas entspricht, einer Selbstbezeichnung vieler indigener Gemeinschaften der Region. Es handelt sich hier nicht um eine homogene Bezeichnung, sondern vielmehr um eine Art globaler und transnationaler Selbst-Identifikation, die Gemeinsamkeiten

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Vgl. Penny, H. Glenn: »Elusive Authenticity: The Quest for the Authentic Indian in German Public Culture«, in: Comparative Studies in Society and History 48/4 (2006), S. 798-819. Pratt, Mary Louise: »Afterword: Indigeneity Today«, in: Cadena, Marisol de la und Orin Starn (Hg.): Indigenous Experience Today, Oxford/New York: Berg 2007, S. 397-404, hier S. 398.

Einleitung

mit anderen unterdrückten Gruppen impliziert.34 Es geht dabei um eine politische Strategie der Ermächtigung bestimmter Gruppen von Individuen, die sozial, ökonomisch und politisch diskriminiert werden. Indigene suggeriert in dieser Studie demzufolge keine Homogenität zwischen Gruppen oder Akteuren und wird auch nicht als feste und unveränderliche Identität verstanden, sondern als Identifikation, d.h. als ein dynamischer Prozess der Identifizierung mit und durch die Anderen.35 Das Verständnis der Kategorie Indígena als Identifikation impliziert, dass es sich bei Indigenen – wie bei allen anderen Bevölkerungsgruppen der Region – um soziale Gruppen handelt, deren kulturelle und politische Identifikation sich in einer ständiger Konstruktion befindet, insofern Elemente und Praktiken der hegemonialen Gruppen von den indigenen Gruppen angeeignet, angepasst und verarbeitet wurden. Meine Verwendung dieser Bezeichnung entspricht nicht zuletzt einem bewussten respektvollen Umgang mit den potenziellen Lesern dieser Studie die sich selbst als Indigene identifizieren.

Forschungsstand Ein erweitertes Verständnis von Übersetzung nicht lediglich als textuelles Produkt, sondern auch als kulturelle Praxis hat seit den 1980er Jahren Anwendung vor allem in den verschiedenen Forschungsfeldern der Kulturanthropologie36 , Kulturwissenschaft37 und Translationswissenschaft38 gefunden. In der Kulturanthropolo34

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Es geht hier um »political solidarities between minorities or special interest groups«, deren Verknüpfung durch eine vorherige Identifikation mit der Kategorie der Klasse möglich wird. In Homi Bhabhas Worten: »the making of the political group for it-self as an effective consciousness could only occur through the mediation of the category of class.« Bhabha, Homi K.: The Location of Culture, London: Routledge 1994, S. 317. Rutherford, Jonathan: »The Third Space: Interview with Homi Bhabha«, in: Rutherford, Jonathan (Hg.): Identity. Community, Culture, Difference, London: Lawrence & Wishart 1990, S. 207-221, hier S. 211. Vgl. Rubel, Paula G. und Abraham Rosman (Hg.): Translating Cultures: Perspectives on Translation and Anthropology, Oxford/New York: Berg 2003; Maranhão, Tullio: »Translation and Ethnography: the Anthropological Challenge of Intercultural Understanding«, in: Maranhão, Tullio und Bernhard Streck (Hg.): The Politics of Translation and the Anthropological Nation of the Ethnography of South America, Tucson: University of Arizona Press 2003, S. 64-84; Asad, Talal und Dixon John: »Translating Europe’s Others«, in: Barker, Francis u.a. (Hg.): Europe and its Others, Colchester: University of Essex 1985, S. 170-177. Buden, Boris: »Cultural Translation: Why It Is Important and Where to Start with It?«, in: Transversal (2014), URL: http://eipcp.net/transversal/0606/buden/en. Letzter Zugriff am 5.6.2019.Vgl. Keinz, Anika, Klaus Schönberger und Vera Wolff (Hg.): Kulturelle Übersetzungen, Berlin: Reimer 2012; Bachmann-Medick, Doris (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, Berlin: Schmidt 1997; Niranjana: Siting Translation. Vgl. Martín Ruano, M. Rosario: »Issues in Cultural Translation. Sensitivity, Politeness, Taboo, Censorship«, in: Harding, Sue-Ann und Ovidi Carbonell Cortés (Hg.): The Routledge Hand-

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gie werden Ethnologen als Übersetzer von Kulturen betrachtet; Kulturübersetzung wird hier als heuristisches Instrument zum Verständnis der Repräsentation anderer Gesellschaften verstanden39 . Aus einer translationswissenschaftlichen Sicht schlägt beispielsweise Kate Sturge vor, ethnologische Museen als cultural translations zu betrachten, und zwar einerseits aus einer Perspektive von Übersetzung im weiten Sinne, insofern bestimmte Interpretationen von materiellen Artefakten zur Repräsentation von Kulturen werden. Andererseits konzentriert sich ihre Analyse auf den textuellen Diskurs des ethnologischen Museums – z B. in Erklärungen über die ausgestellten Objekte – und hinterfragt dabei die Art und Weise, wie außereuropäische Kulturen repräsentiert werden.40 Sturges Ansätze zur Kulturübersetzung ergänzt die vorliegende Studie, insofern Kulturübersetzung nicht nur als Repräsentation, sondern auch als interaktive Praxis aufgefasst wird, welche bereits während der Feldforschung Transformationsprozesse verursacht. Eine andere Bedeutung hat das Konzept der Kulturübersetzung in den Kulturwissenschaften, wo es für die Hybridisierung der Kulturen oder die Aushandlung der Identität von Individuen steht, die sich zwischen den Kulturen befinden41 . Innerhalb der Kulturwissenschaft führte Homi Bhabha den »dritten Raum« als Konzept der Kulturübersetzung ein.42 Obwohl in Konkordanz zu dieser Auffassung Kulturübersetzung als »practice of everyday life«43 zu verstehen wäre, gibt

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book of Translation and Culture, London/New York: Routledge 2018, S. 258-278; Heller, Lavinia: »Eulen nach Athen? Provokation und Reflexionsanstöße des translational turn der Kulturwissenschaft für die Translationstheorie«, in: Dies. (Hg.): Kultur und Übersetzung: Studien zu einem begrifflichen Verhältnis, Bielefeld: transcript 2017; Conway, Kyle: »Cultural Translation: Two Modes«, in: TTR: Traduction, terminologie, rédaction 26/1 (2013), S. 15-36; Wolf, Michaela: Die vielsprachige Seele Kakaniens. Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918, Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2012; Vorderobermeier, Gisella und Michaela Wolf (Hg.): »Meine Sprache grenzt mich ab …«: Transkulturalität und kulturelle Übersetzung im Kontext von Migration, Wien: Lit 2008; Sturge: Representing Others; Hermans, Theo: »Cross-Cultural Translation Studies as Thick Translation.«, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 66/3 (2003), S. 380-389. Vgl. Geertz, Clifford: »Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur«, in: Borgards, Roland (Hg.): Texte zur Kulturtheorie und Kulturwissenschaft, Stuttgart: Reclam 2010, S. 210-219; Sturge, Kate: »Translation Strategies in Ethnography«, in: The Translator 3/1 (1997), S. 21-38; Asad, Talal: »The Concept of Cultural Translation in British Social Anthropology«, in: Baker, Mona (Hg.): Critical Readings in Translation Studies, London/New York: Routledge 2009, S. 223-247. Vgl. Sturge, Kate: Representing Others: Translation, Ethnography and the Museum, Manchester: St. Jerome. 2007. Vgl. Conway, Kyle: »Cultural Translation«, in: Gambier, Yves und Luc van Doorslaer (Hg.): Handbook of Translation Studies, Bd. 3, Amsterdam: John Benjamins 2012, S. 21-25. Bhabha: The Location of Culture. Longinovic, Tomislav Z.: »Fearful Asymmetries: A Manifesto of Cultural Translation«, in: The Journal of the Midwest Modern Language Association 35/2 (2002), S. 5-12, hier S. 7.

Einleitung

es bis dato kaum Studien, die sie als soziale und interaktive Praxis im Kontext ethnologischer Feldforschungen untersuchen.44 In den Kulturwissenschaften im deutschsprachigen Raum haben vor allem Doris Bachmann-Medicks Arbeiten dazu beigetragen, das Konzept der Kulturübersetzung als Analysekategorie zu etablieren.45 Das großangelegte multilinguale Forschungsprojekt »Translate. Beyond Culture: The Politics of Translation« hat das Konzept aus unterschiedlichen Perspektiven wie der Kulturtheorie, der Übersetzungswissenschaft, der Philosophie und der Politik untersucht.46 Die Relevanz des bereits in der Translationswissenschaft angesiedelten Konzepts der Kulturübersetzung wurde mit dem translational turn47 jenseits der Kulturwissenschaft bestätigt. Somit wurde seine Anwendung als Metapher in anderen Disziplinen gefördert, wodurch ein wesentlicher Beitrag zu seiner Etablierung als kulturwissenschaftliches Paradigma geleistet wurde.48 In der kulturwissenschaftlichen Forschung verspricht Bachmann-Medick zufolge eine »translatorische Untersuchungslinse«49 eine andere Herangehensweise an das Verständnis translokaler und transkultureller Phänomene, wie zum Beispiel Migration50 , Menschenrechte51 und Identitäten-in-Übersetzung.52 Aufgrund seiner Flexibilität und Anpassungsfähigkeit wurde der Begriff in der Folge inflationär gebraucht. Daran wird vor allem die Unschärfe kritisiert, mit der die Kategorie der

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Eine Ausnahme ist Shirley Ann Jordans Aufsatz, in dem Kulturübersetzung von Studierenden in ethnografischen Begegnungen durchgeführt wird. Vgl. Jordan: »Ethnographic Encounters«. Vgl. Bachmann-Medick, Doris (Hg.): The Trans/National Study of Culture: A Translational Perspective, Bd. 4, Berlin/Boston: De Gruyter 2014; Bachmann-Medick, Doris (Hg.): Special issue: The Translation Turn, London u.a.: Routledge 2009 (Translation studies, 2,1); BachmannMedick, Doris (Hg.): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, 2. Aufl., Tübingen u.a.: Francke 2004; Bachmann-Medick: »Kulturanthropologie und Übersetzung«; Bachmann-Medick (Hg.): Übersetzung als Repräsentation. Die Resultate dieses Projekts, das u.a. vom Europäischen Institut für progressive Kulturpolitik (eipcp) gefördert wurde, erschienen in Buden, Boris und Stefan Nowotny (Hg.): Übersetzung: Das Versprechen eines Begriffs, Wien: Turia + Kant 2008. Vgl. Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns: Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek: Rowohlt 2009; Snell-Hornby, Mary: The Turns of Translation Studies: New Paradigms or Shifting Viewpoints?, Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins 2006. Vgl. Bachmann-Medick, Doris: »Cultural Turns«, in: Docupedia-Zeitgeschichte (2010), URL: http://docupedia.de/zg/bachmann_cultural_turns_v1_de_2010. Letzter Zugriff am 5.6. 2019. Ebd. Vgl. Wolf, Michaela: »Cultural Translation as a Model of Migration?«, in: Italiano, Federico und Michael Rössner (Hg.): Translatio/n, Bielefeld: transcript 2012, S. 69-88; Polezzi, Loredana: »Translation, Travel, Migration«, in: The Translator 12/2 (2006), S. 169-188. Vgl. Bachmann-Medick, Doris: »Menschenrechte als Übersetzungsproblem«, in: Geschichte und Gesellschaft 38/2 (2012), S. 331-359. Longinovic: »Fearful Asymmetries«, S. 7.

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Kulturübersetzung angewandt wird.53 Trotz der zunehmenden Kritik hat sich die Analysekategorie der Kulturübersetzung als attraktiv für weitere Forschungsfelder weiter erwiesen, so z.B. in der Geschichtsschreibung, wie die Historikerin Simone Lässig in ihrem Beitrag zum Verhältnis von Übersetzung und Geschichte ausführlich darlegt.54 Insbesondere mangelt es jedoch an kulturwissenschaftlichen Arbeiten, die Kulturübersetzung und ethnografische Forschung anhand empirischer Analysen als Forschungsgegenstand untersuchen.55 Die vorliegende Arbeit trägt in diesem Sinne zu einem Austausch zwischen den Disziplinen bei, in dem einerseits Übersetzungsansätze den Interpretationshorizont der ethnologischen Feldforschung erweitern, während andererseits kulturanthropologische Ansätze zur Entwicklung des Konzepts der Kulturübersetzung als interaktive Praxis beitragen. Wegweisende Impulse hat der interdisziplinäre Austausch im Umfeld der kulturwissenschaftlichen Studien zu Übersetzung und kultureller Begegnung durch das Konzept der Kontaktzone erhalten. Seit Mary Louise Pratt in ihrer Studie über Reiseberichte des 18. und 19. Jahrhunderts, die insbesondere die darin beschriebenen kolonialen Begegnungen fokussiert, das Konzept der Kontaktzone eingeführt hat56 , ist letzteres als paradigmatische Kategorie zur Erklärung von Machtbezie-

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Vgl. Pratt, Mary Louise: »Response«, in: Translation Studies 3/1 (2010), S. 94-97; Wagner, Birgit: »Ein Muttermal, so schön wie ein Amberstückchen. Das Verhältnis von sprachlicher und kultureller Übersetzung, diskutiert am Beispiel von Antoine Gallands Mille et une nuits«, in: Heller, Lavinia (Hg.): Kultur und Übersetzung: Studien zu einem begrifflichen Verhältnis, Bielefeld: transcript 2017, S. 261-274. Vgl. Lässig, Simone: »Übersetzungen in der Geschichte – Geschichte als Übersetzung? Überlegungen zu einem analytischen Konzept und Forschungsgegenstand für die Geschichtswissenschaft«, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 189-216. Vgl. auch Goldfajn, Tal, Ori Preuss und Rosalie Sitman: »Introduction or Why Should Historians of Modern Latin America Take Translation Seriously?«, in: Estudios Interdisciplinarios de America Latina y el Caribe 21/1 (2010), S. 9-16; Burke, Peter: »Lost (and Found) in Translation: A Cultural History of Translators and Translating in Early Modern Europe.« in: European Review, 15/1 (2005), S. 83-94. An der Schnittstelle zwischen Kultur- und Translationswissenschaft haben die Arbeiten Kate Sturges zur Schließung dieser Forschungslücke beigetragen. Vgl. Sturge: Representing Others; Sturge: »Translation Strategies in Ethnography«. Vgl. auch Jordan: »Ethnographic Encounters«. Pratt, Mary Louise: »Arts of the Contact Zone«, in: Profession (1991), S. 33-40; Pratt: Imperial Eyes.

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hungen aus kulturwissenschaftlicher57 , literarischer58 und ethnologischer59 Sicht auf vielfältige Art und Weise angewandt worden. Die Relevanz des Konzeptes der Kontaktzone als theoretisch-methodologisches Instrument belegen kulturwissenschaftliche Arbeiten, deren Quellengrundlage zum Teil auch von ethnologischen Texten gebildet wird und die Fragen der Machtverhältnisse, Repräsentation und Wissensproduktion in kulturellen Begegnungen aus historischer Sicht beantworten.60 Auffallend ist jedoch, dass, obwohl das Konzept der Kontaktzone auf den Sprachkontakt oder, genauer gesagt, auf die Rolle von Sprachvermittlung in der kolonialen Begegnung zurückgeht, die Verbindung zwischen Übersetzung bzw. Kulturübersetzung und Kontaktzone aus kulturwissenschaftlicher Sicht empirisch nur ungenügend untersucht worden ist.61 Dies lässt sich möglicherweise dadurch

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Beer, Andreas und Gesa Mackenthum (Hg.): Fugitive Knowledge. The Loss and Preservation of Knowledge in Cultural Contact Zones, Münster: Waxmann 2015; Wulf, Christoph: Kontaktzonen. Dynamik und Performativität kultureller Begegnungen, Berlin: Akademie-Verlag 2010; Klein, Bernhard und Gesa Mackenthum (Hg.): Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Räume, Reisende, Repräsentationen, Bd. 7, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2003. Reichl, Susanne: Cultures in the Contact Zone. Ethnic Semiosis in Black British Literature, Trier: WVT 2002; Riese, Utz: Kontaktzone Amerika. Literarische Verkehrsformen kultureller Übersetzung, Heidelberg: Winter 2000; Herlinghaus, Hermann und Utz Riese (Hg.): Heterotopien der Identität. Literatur in interamerikanischen Kontaktzonen, Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 1999. Spezifisch im Fall der Missionsforschung hat das Konzept erneut an Aufmerksamkeit gewonnen. Vgl. Becker, Judith (Hg.): European Missions in Contact Zones: Transformation through Interaction in a (post-)Colonial World, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015; Engel, Elisabeth: Encountering empire: African American Missionaries in Colonial Africa, 1900 – 1939, Stuttgart: Steiner 2015. Auch in der außereuropäischen historischen Forschung erweist sich die Kontaktzone als ein hochaktuelles Konzept. Vgl. Viehbeck, Markus (Hg.): Transcultural Encounters in the Himalayan Borderlands: Kalimpong as a »Contact Zone«, Heidelberg: Heidelberg University Publishing 2017. Beebee, Thomas O.: »Cultural Entanglements and Ethnographic Refractions: Theodor KochGrünberg in Brazil«, in: Finger, Anke, Gabi Kathöfer und Christopher Larkosh (Hg.): KulturConfusão – On German-Brazilian Interculturalities, Berlin/Boston: De Gruyter 2015, S. 95-115; Gómez, Leila: »Pathfinders in Latinamerica: The Travelogues of Lucio V. Mansilla and Désiré Charnay«, in Dies. (Hg.): Travel, Agency, and the Circulation of Knowledge, Münster/New York: Waxmann 2017, S. 121-137; Juterczenka, Sünne und Gesa Mackenthum (Hg.): The Fuzzy Logic of Encounter: New Perspectives on Cultural Contact, Münster: Waxmann 2009; Jobs, Sebastian und Gesa Mackenthum (Hg.): Agents of Transculturation: Border-Crossers, Mediators, GoBetweens, Münster u.a.: Waxmann 2013; Mackenthum, Gesa, Andrea Nicolas und Stephanie Wodianka (Hg.): Travel, Agency, and the Circulation of Knowledge, Münster/New York: Waxmann 2017. Ausnahmen hierin sind Lehmkuhl, Ursula, Hans-Jürgen Lüsebrink und Laurence McFalls (Hg.): Of ›Contact Zones‹ and ›Liminal Spaces‹: Mapping the Everyday Life of Cultural Translation, Münster: Waxmann 2015; Apter, Emily: The Translation Zone, Princeton/Oxford: Princeton University Press 2006.

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erklären, dass nach Pratts Theorie ein Übersetzungsparadigma zur Aufrechterhaltung der Differenz dienen würde, anstatt die neuen Subjektivitäten und Schnittstellen, die sich mit der Zeit aus dem Kontakt ergeben, zu untersuchen62 . Die Tatsache, dass neue, durch Hybridisierung, Kreolisierung oder Transkulturation entstandene Subjektivitäten auch das Resultat von Übersetzungsprozessen sind, wird im Forschungsfeld der postkolonialen Übersetzung anerkannt. Dabei ist die Kontaktzone – nach Pratts Verwendung des Konzepts – sowohl als ein textueller als auch als ein geografischer Raum betrachtet worden, in dem die Bandbreite der Übersetzungspraxis in der kulturellen Begegnung unter asymmetrischen Machtverhältnissen von ihrer konkretesten Form, der interlingualen Übersetzung, bis hin zur abstraktesten, der Kulturübersetzung, reicht.63 Dementsprechend formuliert die Translationswissenschaftlerin Mirella Agorni folgende Erkenntnis: »[I]t is in places like ›contact zones‹ […] that the complex materialistic character of translation phenomena can be best observed«64 . Darüber hinaus wird im Forschungsfeld der Soziologie der Übersetzung das soziale Feld, in dem Übersetzung stattfindet, ebenfalls als Kontaktzone betrachtet.65 Die Rolle von Übersetzung als eine der kulturellen Begegnung innewohnende Praxis wird beispielsweise in der Literatur aus dem Umfeld der Geschichte der Ethnologie thematisiert, auch wenn sie nicht das Zentrum der Analyse bildet. Johannes Fabians Publikation Im Tropenfieber bietet in dieser Hinsicht eine reflektierte Auseinandersetzung mit spezifischen und umstrittenen Aspekten von europäischen Expeditionen des 19. Jahrhunderts in Zentralafrika und ihren Auswirkungen im Prozess der Wissensproduktion.66 Seine gelungene Analyse steht exemplarisch für historisch orientierte Arbeiten, die sich hauptsächlich auf veröffentlichte Quellen

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Vgl. Pratt, Mary Louise: »The Traffic in Meaning: Translation, Contagion, Infiltration«, in: Profession. Modern Language Association (2002), S. 25-36, hier S. 34. Vgl. Dobie, Madeleine: »Translation in the Contact Zone: Antoine Galland’s Mille et une nuits: contes arabes«, in: Makdisi, Saree und Felicity Nussbaum (Hg.): The Arabian Nights in Historical Context: Between East and West, Oxford: Oxford University Press 2008, S. 25-50; Simon, Sherry: »Translating and interlingual creation in the contact zone: borderwriting in Quebec«, in: Bassnett, Susan und Harish Trivedi (Hg.): Post-Colonial Translation. Theory and Practice, London/New York: Routledge 1999, S. 58-74. Vgl. dazu Snell-Hornby: The Turns of Translation Studies, S. 91. Agorni, Mirella: »Locating Systems and Individuals in Translations Studies«, in: Wolf, Michaela und Alexandra Fukari (Hg.): Constructing a Sociology of Translation, Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins 2007, S. 123-134, hier S. 132. Wolf, Michaela: »The Location of the ›Translation Field‹. Negotiating Borderlines between Pierre Bourdieu and Homi Bhabha«, in: Wolf, Michaela und Alexandra Fukari (Hg.): Constructing a Sociology of Translation, Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins 2007, S. 109-119, hier S. 113. Fabian, Johannes: Im Tropenfieber: Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas, München: Beck 2001.

Einleitung

stützen und trotzdem eine Geschichte der Wissensproduktion aus kritischer Sicht darlegen können. Fabian versuchte dabei eine »Perspektive ›von unten‹ […] zu eröffnen«, indem er die in den Quellen registrierten Stimmen – von Forschern und lokalen Akteuren – als »verstreute Mosaiksteine zusammensetzte« und dadurch ein Bild der Situationen vor Ort zeigen konnte.67 Arbeiten mit einem ähnlichen Ansatz in Bezug auf die deutsche ethnologische Forschung der Amazonasregion sind mir nicht bekannt. Wenig Resonanz erlangte in der ethnologischen Amazonasforschung bisher weder das Thema der Kulturübersetzung als soziale Praxis noch die damit verbundene Idee der Kontaktzone als Raum der ethnologischen Forschung – mit Ausnahme derjenigen Arbeiten, die die Kontaktzone als Metapher für das ethnologische Museum und die dort stattfindenden Begegnungen zwischen Kulturen verwenden.68 Die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte, die mikrohistorische Untersuchungen wieder aufnehmen und so die Rolle kolonisierter oder indigener Akteure bei den Expeditionen europäischer Reisender sowie den Austausch von Wissen und die Praktiken ihrer Produktion hervorheben,69 haben ebenfalls kaum einen nennenswerten Einfluss auf die Geschichte der deutschen ethnologischen Amazonasforschung ausgeübt. Im Forschungsfeld der Geschichte der deutschen Ethnologie sind vor allem Beiträge entstanden, die die Etablierung und Institutionalisierung der Disziplin im Fokus haben.70 Dennoch 67 68

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Ebd., S. 80. Förster, Larissa: »Öffentliche Kulturinstitution, internationale Forschungsstätte und postkoloniale Kontaktzone. Was ist ethno am ethnologischen Museum?«, in: Bierschenk, Thomas, Matthias Krings und Carola Lentz (Hg.): Ethnologie im 21. Jahrhundert, Berlin: Reimer 2013, S. 189-211; Boast, Robin: »Neocolonial Collaboration: Museum as Contact Zone Revisited«, in: Museum Anthropology 34/1 (2011), S. 56-70; Clifford, James: Routes: Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge, MA: Harvard University Press 1997. Habermas, Rebekka und Alexandra Przyrembel (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013; Lawrance, Benjamin N., Emily Lynn Osborn und Richard L. Roberts: Intermediaries, Interpreters, and Clerks: African Employees in the Making of Colonial Africa, Madison, WI: University of Wisconsin Press 2006; O’Hanlon, Michael und Robert L. Welsch: Hunting the Gatherers: Ethnographic Collectors, Agents, and Agency in Melanesia 1870s-1930s, New York/Oxford: Berghahn Books 2001. Bezüglich der Erwerbung und Aneignung indigener materieller Kultur seitens deutscher Forscher im Amazonasgebiet vgl. insbesondere Herrera Vargas, Carolina: »Coleccionando el Amazonas. Museos, caucho y el viaje de Schmidt y Weiss por el Alto río Negro«, in : Baukara. Bitácoras de antropología e historia de la antropología en América Latina 6 (2014), S. 9-35. Haller, Dieter : Die Suche nach dem Fremden : Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945-1990, Frankfurt a.M./New York : Campus Verlag 2012; Fischer, Manuela, Peter Bolz und Susan Kamel: Adolf Bastian and his Universal Archive of Humanity : The Origins of German Anthropology, Hildesheim/Zürich/New York : Olms 2007; Rebok, Sandra : »La constitución de la investigación antropológica alemana a finales del siglo XIX : Actores y lugares del saber americanista«, in : López-Ocón, Leoncio, Jean-Pierre Chaumeil und Ana Verde Casanova

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haben insbesondere historiografische und an postkolonialen Ansätzen ausgerichtete Arbeiten das wachsende Interesse an den Zusammenhängen zwischen kolonialem Kaiserreich und der wissenschaftlichen Praxis der Ethnologie weiter beflügelt. Hierbei sind diejenigen Arbeiten von Bedeutung, die den Zusammenhang zwischen Wissensproduktion und globalen/lokalen Verhältnissen unter die Lupe nehmen.71 Der Schwerpunkt von Studien über die ethnologische Amazonasforschung um die Wende zum 20. Jahrhundert bleibt jedoch die wissenschaftliche Tätigkeit der Ethnologen, während ihre Vernetzung mit dem lokalen gesellschaftspolitischen Kontext in der Amazonasregion, die Machtverhältnisse zwischen Akteuren der Feldforschungen und die Folgen der lokalen Bedingungen für ihre Forschungen keine zentrale Fragen bilden.72 Die Ethnologinnen Annita Hermannstädter73

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(Hg.) : Los americanistas del siglo XIX. La construcción de una comunidad científica internacional, Madrid/Frankfurt a.M. : Iberoamericana-Vervuert 2005, S. 213-244; Penny, H. Glenn und Matti Bunzl: Worldly Provincialism : German Anthropology in the Age of Empire, Ann Arbor : University of Michigan Press 2003. Buschmann, Reiner F.: Anthropology’s Global Histories: The Ethnographic Frontier in German New Guinea, 1870-1935, Honolulu: University of Hawaiʻi Press 2009; Bunzl, Matti und H. Glenn Penny: »Introduction: Rethinking German Anthropology, Colonialism and Race«, in: Dies. (Hg.): Worldly Provincialism: German Anthropology in the Age of Empire, Ann Arbor: University of Michigan Press 2003. S. 1-30. Petschelies, Erik: »Karl von den Steinen’s Ethnography in the Context of the Brazilian Empire«, in: Sociologia & Antropologia 8/2 (2018), S. 543-569; Steinen, Ulrich von den: Expeditionsreisen am Amazonas: der Ethnologe Karl von den Steinen (1855 – 1929), hg. v. Mark Münzel, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2010; Coelho, Vera Penteado: Karl von den Steinen: um século de antropologia no Xingu, Sao Paulo: Editora da Univerisade de São Paulo 1993; Welper, Elena: »A aventura etnográfica de Curt Nimuendajú. The ethnographic adventure of Curt Nimuendajú«, in: Tellus 13/24 (2013), S. 99-120. Eine Ausnahme ist Glenn Pennys kritischer Beitrag, vgl. Penny, H. Glenn: »The Politics of Anthropology in the Age of Empire: German Colonists, Brazilian Indians, and the Case of Alberto Vojtěch Frič«, in: Comparative Studies in Society and History 45/2 (2003), S. 249-280. Zum Fall Frič vgl. auch Ritz-Deutch, Ute: »Germans and Indians in Brazil: The Transatlantic Construction of Ethnic Identity in the Discourse of Indian Protection«, in: Finger, Anke, Gabi Kathöfer und Christopher Larkosh (Hg.): KulturConfusão – On German-Brazilian Interculturalities, Berlin/Boston: De Gruyter 2015, S. 21-42; RitzDeutch, Ute: »Alberto Vojtěch Frič, The German Diaspora, and Indian Protection in Southern Brazil, 1900-1920: A Transatlantic Ethno-Historical Case Study«, unv. Diss., New York: Graduate School of Binghamton University 2008. Hermannstädter, Anita: »Karl von den Steinen und die Xingú-Bevölkerung. Zur Wahrnehmung und Darstellung fremder Kulturen in der Ethnographie des 19. Jahrhunderts«, in: Baessler-Archiv XLIV (1996), S. 211-241.

Einleitung

und Sandra Rebok74 unterzogen ausnahmsweise Aspekte der Machtbeziehungen einem kritischeren Blick, wobei sie den Schwerpunkt auf Ethnologen bzw. auf die Institutionalisierung der deutschen Ethnologie setzten. Einer der produktivsten Autoren in diesem Forschungsfeld ist der Ethnologe Michael Kraus, dessen Beiträge sich hauptsächlich mit den Repräsentanten der deutschen Amazonasforschung und ihren Expeditionen beschäftigen, die zum Teil in der vorliegenden Studie auch behandelt werden. Kraus führte eine deskriptive Analyse der deutschen ethnologischen Forschung (1884-1929) durch, deren Schwerpunkt auf den Bedingungen, der Entwicklung und den Folgen von Expeditionen sowie auf den Ethnologen als Hauptakteure mit spezifischen Interessen, Verhaltenswesien, Motivationen, Ideen und Arbeitsbedingungen liegt. Kraus beschreibt die Machtverhältnisse75 und Netzwerke und bezieht sich auf die lokalen Bedingungen – unter ihnen den internen Kolonialismus76 und die Kautschukgewinnung – der deutschen ethnologischen Forschung in Amazonas. Dabei identifiziert er die Präsenz eines »koloniale[n] Rahmen[s]«, der »von den Wissenschaftler auch für ihre eigene Zwecke instrumentalisiert werden [konnte]«77 . Diese Merkmale des Kontexts der ethnologischen Expeditionen werden in einer späteren Publikation als charakteristisch für eine »Kontaktzone« identifiziert.78 Ebenfalls hat Kraus in einem kürzlich erschienenen ergänzenden Beitrag den Fokus auf das lokale Netzwerk des Ethnologen Theodor Koch-Grünbergs am oberen Rio Negro verschoben, dieses Mal unter besonderer Berücksichtigung seiner Beziehungen zu Kautschukhändlern, die Kraus als eine Situation »zwischen Abhängigkeit, Kritik und Kooperation« definiert79 . Diese für die ethnologische Erforschung indigener Gemeinschaften der Amazonasregion bestimmenden Faktoren 74

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Rebok: »La constitución de la investigación antropológica alemana«. Vgl. auch Taylor, AnneChristine: »Génesis de un arcaísmo: la Amazonia y su antropología«, in: Bernand, Carmen (Hg.): Descubrimiento, conquista y colonización de Amèrica a quinientos años, México: Consejo Nacional para la Cultura y las Artes 1994, S. 91-126. Im Unterkapitel »Wissenschaftliche Verflechtung zwischen Abhängigkeiten und Macht« thematisiert Kraus konkret die Natur der Machtbeziehungen zwischen Ethnologen und der indigenen Bevölkerung. Vgl. Kraus, Michael: Bildungsbürger im Urwald: die deutsche ethnologische Amazonienforschung (1884-1929), Marburg/Lahn: Curupira 2004, S. 189-197. Ebd., S. 177 und 313. Ebd., S. 189. Kraus, Michael : »Perspectivas múltiples. El intercambio de objetos entre etnólogos e indígenas en las tierras bajas de América del Sur«, in : Nuevo Mundo Mundos Nuevos (2014), URL: http://journals.openedition.org/nuevomundo/67209. Letzter Zugriff am 31.5.2019. Kraus, Michael : »Testigos de la época del caucho : experiencias de Theodor Koch-Grünberg y Hermann Schmidt en el alto río Negro«, in : Halbmayer, Ernst u.a. (Hg.) : Objetos como testigos del contacto cultural. Perspectivas interculturales de la historia y del presente de las poblaciones indígenas del alto río Negro (Brasil/Colombia), Berlin : Gebr. Mann Verlag 2018, S. 97-134, hier S. 106ff. Vgl. dazu Fernández Castro, Johanna: »Translation, Austausch und Handel in der ethnographischen Forschung: Zugänge zu einer Kulturgeschichte der Begegnung zwischen Ethnolo-

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

werden in letzter Zeit immer relevanter für die Fachgeschichte der Ethnologie. Die vorliegende Studie bringt aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive neue Impulse für die Wissenschaftsforschung der deutschen Amazonas-Ethnologie, insofern die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung dieser erwähnten lokalen Faktoren für die Kulturübersetzung als interaktive Praxis der ethnologischen Feldforschung gelenkt wird. Im Mittelpunkt stehen hier nicht nur die Ethnologen, sondern auch die verschiedenen lokalen Akteure, die an den Expeditionen beteiligt waren und ohne deren Mitwirkung die Expeditionen nicht so durchgeführt worden wären, wie sie es getan haben. Eine bemerkenswerte Tendenz in historisch orientierten Arbeiten der deutschen Ethnologie ist die Verschiebung des Fokus auf die Geschichte der ethnologischen Sammlungen80 sowie auf die ethnologische Fotografie.81 Insbesondere die Rolle von Dingen bzw. Artefakten, die einerseits nach dem Glauben bestimmter indigener Gemeinschaften der Amazonasregion subjektivierte Wesen sein können und andererseits nach dem Latourschen Ansatz als Aktante in sozialen Beziehun-

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gen und Indigenen in der Amazonasregion«, in: Brendel, Benjamin, Corinne Geering und Sebastian Zylinski (Hg.): Perspektiven der Kulturgeschichte, Trier: VWT 2018, S. 95-111. Siehe dazu Kraus, Michael, Ernst Halbmayer und Ingrid Kummels (Hg.): Objetos como testigos del contacto cultural. Perspectivas interculturales de la historia y del presente de las poblaciones indígenas del alto río Negro (Brasil/Colombia), Berlin : Gebr. Mann Verlag 2018; Reyes Gavilán, Aura Lisette : »Ensamblando una colección. Trayectos biográficos de sujetos, objetos y conocimientos antropológicos en Konrad Theodor Preuss a partir de su expedición a Colombia (1913-1919)«, unv. Diss., Berlin: Freie Universität Berlin 2016; Kraus, Michael und Karoline Noack (Hg.): Quo vadis, Völkerkundemuseum? Aktuelle Debatten zu ethnologischen Sammlungen in Museen und Universitäten, Bielefeld: transcript 2015; Herrera Vargas: »Coleccionando el Amazonas«; Brust, Alexander: »Amazonas-Indianer und ihre Blicke auf Museumssammlungen«, in: Museumskunde 78/2 (2013), S. 62-68. Unter Berücksichtigung der Analysen von Elizabeth Edwards und Barbara Pole sind in jüngster Vergangenheit mehrere Studien zur ethnografischen Fotografie in Südamerika bzw. im Amazonasgebiet entstanden. Vgl. Canépa Koch, Gisela und Ingrid Kummels (Hg.): Photography in Latin America. Images and Identities Across Time and Space, Bielefeld: transcript 2016; Kohl, Frank Stephan: »Commercial Photography from the Upper Amazon and Early Anthropology«, in: Fischer, Manuela und Michael Kraus (Hg.): Exploring the Archive: Historical Photography from Latin America. The Collection of the Ethnologisches Museum Berlin, Köln: Böhlau 2015, S. 175192; Hempel, Paul: »Theodor Koch-Grünberg and Visual Anthropology in Early TwentiethCentury German Anthropology«, in: Morton, Christopher und Elisabeth Edwards (Hg.): Photography, Anthropology and History. Expanding the Frame, Surrey: Ashgate 2009, S. 193-222. Vgl. auch Edwards, Elizabeth: »Tracing Photography«, in: Banks, Marcus und Jay Ruby (Hg.): Made to be Seen. Perspectives on the History of Visual Anthropology, Chicago/London: University of Chicago Press 2011, S. 159-189; Poole, Debora: »An Excess of Description: Ethnography, Race, and Visual Technologies«, in: Annual Review of Anthropology 34 (2005), S. 159-179; Edwards, Elizabeth: »Photographic »types«: The pursuit of Method«, in: Visual Anthropology 3 (1990), S. 235-258.

Einleitung

gen verstanden werden können und Teil von Netzwerken sind82 , gewinnt immer mehr Aufmerksamkeit. Sammelbände wie The Occult Life of Things83 und Analysen, in denen indigene Wissenschaftler die Problematik von indigenen Dingen/Artefakten behandeln, bieten hier neue Zugänge zur Rolle von Objekten als Akteure des sozialen Lebens.84 Arbeiten, welche spezifisch Dinge/Artefakte als Akteure der ethnologischen Feldforschung und der Wissensproduktion aus einer Übersetzungsperspektive behandeln, sind mir nicht bekannt. In Übereinstimmung mit diesem erneuten Interesse an der materiellen Kultur der Indigenen des Amazonasgebietes im Rahmen der zeitgenössischen ethnologischen Amazonasforschung85 und durch einen empirischen Ansatz zur Kulturübersetzung leistet die vorliegende Studie einen Beitrag zur Schließung der erwähnten Forschungslücke und bietet dadurch eine alternative Perspektive auf die Geschichte der Amazonasforschung.

Zentrale kulturwissenschaftliche Konzepte Konzepte der Kultur- und Translationswissenschaft, der Ethnologie und der Soziologie bilden in dieser Studie ein interdisziplinäres Ensemble, in dem das zentrale Konzept der Kulturübersetzung aus kultur- und translationswissenschaftlicher Perspektive im Zusammenhang mit dem praxeologischen Ansatz als interaktive Praxis definiert wird. Konzepte wie »Kontaktzone« und »Kolonialität« ermöglichen es dabei diese Praxis und ihre Komplexitäten genauer zu verorten. Als eine Schlüsselfigur bezüglich der in einer Kontaktzone stattfindenden Interaktionen möchte ich im Folgenden die in der Soziologie konzeptualisierte Figur des Dritten einführen, insofern sie zur Destabilisierung von dichotomischen Verhältnissen zwischen ungleich machtvollen Akteuren dient. Schließlich stützt sich die Analyse auf Auffassungen zur Rolle von Dingen/Artefakten als Akteure (oder Aktanten) aus der Soziologie und Kulturanthropologie – wies sie insbesondere von Bruno Latour und Arjun Appadurai herausgearbeitet worden sind – ebenso wie auf indigene Vorstel-

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Scholz, Andrea und Jimmy Mans: »Menschen und Dinge aus der Guayana-Region- als Netzwerk gedacht«, in: Herzog-Schröder, Gabriele (Hg.): Von der Leidenschaft zu finden. Die Amazonien-Sammlung Fittkau, München: Museum Fünf Kontinente 2014, S. 64-75. Santos-Granero, Fernando (Hg.): The Occult Life of Things. Native Amazonian Theories of Materiality and Personhood, Tucson: University of Arizona Press 2009. Lima Barreto, João Paulo: »Im Palast der Toten«, in: Herzog-Schröder, Gabriele (Hg.): Von der Leidenschaft zu finden. Die Amazonien-Sammlung Fittkau, München: Museum Fünf Kontinente 2014, S. 51-63. Schien, Stefanie und Ernst Halbmayer: »The Return of Things to Amazonian Anthropology: A Review«, in: Indiana 31 (2014), S. 421-437; Hugh-Jones, Stephen: »The Fabricated Body. Objects and Ancestors in Northwest-Amazonia«, in: Santos-Granero, Fernando (Hg.): The Occult Life of Things. Native Amazonian Theories of Materiality and Personhood, Tucson: University of Arizona Press 2009, S. 33-59.

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lungen von Materialität, durch welche ein materialistischer Ansatz zur Kulturübersetzung möglich wird. Kultur kann einerseits als ein Diskurs über die ›Anderen‹ definiert werden86 , welcher z.B. zur Konstruktion einer ethnischen Identität beitragen kann. Diese Auffassung entspricht der ethnologischen Repräsentation anderer Kulturen und versteht sich hier als eine Art ethnologischer Übersetzung. Im Anschluss an Martin Fuchs kann Kultur andererseits als ein Prozess begriffen werden, »den man aktiv betreibt – Interpretation – wie man ihn auf der Handlungsebene auch rezeptiv ›erfährt (erleidet)‹«87 . Bei diesen beiden Auffassungen von Kultur tritt eine Spannung zwischen Repräsentation und Praxis deutlich zutage. Diese Spannung ist ein Charakteristikum der Übersetzung, wenn sie als Produkt, also als Repräsentation, betrachtet wird, aber gleichzeitig auch als »Handlung«, nämlich »als soziale Praxis […], also pragmatisch und nicht nur als Vorgang im Reich der Semantik«88 . Der paradoxe Charakter von Übersetzung manifestiert sich hier ebenso deutlich, denn einerseits dient sie als Mittel der sprachlichen Kommunikation, andererseits fungiert sie – mit der Translationswissenschaftlerin Maria Tymoczko gesprochen – aber auch als »the means by which difference is perceived, preserved, projected, and proscribed. Translation stands as one of the most significant means by which one culture represents another«89 . Diese Ambivalenz von Übersetzung erweist sich als fruchtbar, wenn es darum geht, ethnografische Texte über andere Kulturen nicht nur als Repräsentationen zu begreifen, sondern diese als Konstruktionen und als Resultat der Interaktionen zwischen Akteuren zu erfassen. Auf diese Weise ermöglicht die geschärfte Aufmerksamkeit für die von der sprachlichen Vermittlung bestimmten Übersetzungsphänomene methodologische Zugänge, die die Konstruktion von Kulturen als einen Akt von Übersetzung im ›metaphorischen Sinne‹ konzeptualisieren.90 Somit bewegt sich die vorliegende Studie

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Diskurs wird hier definiert als »eine Weise, Bedeutungen zu konstruieren, die sowohl unsere Handlungen als auch unsere Auffassungen von uns selbst beeinflußt [sic!] und organisiert«. Hall, Stuart: »Die Frage der kulturellen Identität«, in: Mehlem, Ulrich, Britta Grell und Dominique John (Hg.): Rassismus und kulturelle Identität, Hamburg: Argument-Verlag 1994. S. 201. Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 315. Ebd. Tymoczko, Maria: Translation in a Postcolonial Context: Early Irish Literature in English Translation, New York: Routledge 1999, S. 17. Die Art und Weise, wie eine – zumeist privilegierte – Kultur eine andere (subalterne) repräsentiert, ist Gegenstand der reflexiven Wendung der Ethnologie und ist darüber hinaus vor allem aus postkolonialer Sicht stark kritisiert worden. Diese Annahme wird in Kreisen der deutschsprachigen Translationswissenschaft als problematisch empfunden, denn sie deutet zum einen auf ein Verständnis von Kultur, das diese als von Sprache zu trennende Entität begreift. Dies erklärt sich aus der Tendenz kulturwissenschaftlicher Überlegungen zur Kulturübersetzung, in welchen die Rolle von sprachlichen Praktiken zwar angesprochen, aber nicht zum Objekt der Analyse gemacht wird. Vgl.

Einleitung

zwischen einem engen und einem weiten Konzept von Übersetzung, nämlich als einer »diskursive[n] und als eine[r] nicht-diskursive[n] Praxis«91 . Übersetzung im weiten oder ›metaphorischen Sinn‹ wird hier, um mit Dilek Dizdar zu sprechen, unter »ständige[r] kritische[r] Reflexion« verwendet, womit »ein strategischer Essentialismus [im Sinne Spivaks]« einhergeht.92 Dieses Verständnis von Übersetzung gegen den Strich, ermöglicht eine Lesart von Kulturübersetzung, in welcher Sprache von Kultur nicht zu trennen ist. ›Kulturübersetzung‹ als eine in einem bestimmten diskursiven und erkenntnistheoretischen Feld verankerte spezifische kulturelle Praxis hat ihren Ursprung in asymmetrischen Machtverhältnissen. Geschichtlich betrachtet erfolgte ›Kulturübersetzung‹, um mit Utz Riese zu sprechen, »[…] nach den Maßgaben der evolutionär denkenden Moderne […]«93 . Missionare, Kolonisatoren, Forscher oder Ethnologen u a. Akteure erwarteten, dass »alle vorausgegangene[n] Naturzustände der Menschen« – vor allem außereuropäische Gemeinschaften und deren Kulturen – in ihren Sprachen und Diskursen »problemlos zu übersetzen« wären.94 Dieser Standpunkt diente als Bezugspunkt und Modell, d.h. als tertium comparationis, der für eine vergleichende Matrix im Sinne einer übergeordneten und universellen konzeptuellen Welt stand. ›Kulturübersetzung‹ als kulturelle Praxis wäre demzufolge und aus einer Perspektive der Praxis-Theorie95 als ein »kulturell geformte[s] Mus-

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Keinz/Schönberger/Wolff (Hg.): Kulturelle Übersetzungen; Buden, Boris: »Kulturelle Übersetzung. Einige Worte zur Einführung in das Problem«, in: Buden, Boris und Stefan Nowotny (Hg.): Übersetzung: Das Versprechen eines Begriffs, Wien: Turia + Kant 2008, S. 9-28; BachmannMedick, Doris: »Kultur als Text? Literatur- und Kulturwissenschaften jenseits des Textmodells«, in: Nünning, Ansgar und Roy Sommer (Hg.): Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft. Disziplinäre Ansätze – Theoretische Positionen – Transdisziplinäre Perspektiven, Tübingen: Narr 2004, S. 147-159. Zur Kritik solcher Ansätze vgl. Heller, Lavinia (Hg.): Kultur und Übersetzung: Studien zu einem begrifflichen Verhältnis, Bielefeld: transcript 2017. Asad: »The Concept of Cultural Translation in British Social Anthropology«, hier S. 245. Dizdar: Translation, Um- und Irrwege, S. 133. Vgl. dazu Spivak, Gayatri Chakravorty: »Subaltern Studies. Deconstructing Historiography«, in: Guha, Ranajit und Gayatri Chakravorty Spivak (Hg.): Selected Subaltern Studies, New York: Oxford University Press 1988, S. 3-32, hier S. 13ff. Vgl. Riese, Utz: »Zonen kultureller Übersetzung in Amerika. Emergenz/Emanzipation/ Chicano-Literatur«, in: Ders. (Hg.): Kontaktzone Amerika. Literarische Verkehrsformen kultureller Übersetzung, Heidelberg: Winter 2000, S. 233-284, hier S. 262. Vgl. Ebd. Zur historischen Praxeologie vgl. Reichardt, Sven: »Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung«, in: Sozial Geschichte 22/3 (2007), S. 43-65; Alkemeyer, Thomas, Gunilla Budde und Dagmar Freist (Hg.): Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, Bielefeld: transcript 2013. Mit besonderen Schwerpunkt auf die Geschichte der frühen Neuzeit vgl. Freist, Dagmar: Diskurse – Körper – Artefakte: Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung., Bielefeld: transcript 2015. Brendecke, Arndt: Praktiken der frühen Neuzeit. Akteure – Handlungen – Artefakte, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2015.

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ter identifizierbarer Einheiten«96 zu begreifen. Die ethnografische Repräsentation außereuropäischer Kulturen konstituiert hier eine Art kulturelle und wissenschaftliche Praxis. Dagegen kann Kulturübersetzung aufgrund der oft spontanen Bedingungen der Feldforschung auch als interaktive Praxis während der ethnologischen Feldforschung aufgefasst werden, d.h. im Sinne einer »Verrichtung […], in deren Vollzügen sich fortlaufend eine je besondere Gegenwart entfaltet, die sich vollständiger Berechenbarkeit entzieht«97 . Während der Feldforschung sind Praktiken der Sprachvermittlung und der Textproduktion, ebenso wie Austauschprozesse, als spezifische Bestandteile der Kulturübersetzung zu betrachten. Die Analyse derselben macht es möglich, mit den Worten der Translationswissenschaftlerin Mirella Agorni gesprochen, die Dichotomie zwischen »the metaphorical and practical dimensions of translation phenomena« zu überwinden und »to consider translation as a set of symbolic and materialist practices, each side of the coin giving substance and weight to the other, and both united in the effort of performing a fundamental cultural activity«98 . Diese Beziehung lässt sich am besten in Momenten des Übersetzens untersuchen, d.h., wenn Übersetzung als soziale Praxis begriffen wird. Martin Fuchs unterstreicht die Notwendigkeit, sich nicht auf die Dichotomie zweier unzusammenhängender Kontexte zu konzentrieren, sondern auf den Kontakt zwischen ihnen, auf die Interpenetration verschiedener Kontexte, Diskurse und sozialer Felder99 und auf die Gründe, warum ein solcher Kontakt entsteht. Mit diesem sozialen Fokus auf Übersetzung wird betont, dass Übersetzung ein wesentlicher Aspekt des täglichen Lebens ist, der Verhandlungen und Gegenseitig96

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Alkemeyer, Thomas und Nikolaus Buschmann: »Praktiken der Subjektivierung – Subjektivierung als Praxis«, in: Schäfer, Hilmar (Hg.): Praxistheorie. Ein soziologisches Forschungsprogramm, Bielefeld: transcript 2016, S. 115-136, hier S. 119. Vgl. Auch Haasis u.a.: »Was ist und was kann die Historische Praxeologie?«, S. 209. Andreas Reckwitz definiert eine Praktik als »a routinized type of behavior which consists of several elements, interconnected to one another: forms of bodily activities, forms of mental activities, ›things‹ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotion and motivational knowledge«. Reckwitz, Andreas: »Toward a Theory of social Practices. A Development in Culturalist Theorizing«, in: European Journal of Social Theory 5/2 (2002), S. 243-263, hier S. 249. Alkemeyer/Buschmann: »Praktiken der Subjektivierung – Subjektivierung als Praxis«, S. 119. Eine analytische Unterscheidung zwischen Praktik und Praxis macht ebenso Nikolaus Buschmann in Anlehnung an die amerikanische soziologische Praxeologie. Buschmann bezieht sich hier auf die Unterscheidung zwischen »Practice-as-entity« (Praktik) und »practiceas-performance« (Praxis) von Shove, Elizabeth, Mika Pantzar und Matt Watson: The Dynamics of Social Practice: Everyday Life and How It Changes, London u.a.: SAGE Publications 2012. S. 7 und 97ff. Agorni: »Locating Systems and Individuals«, S. 129. Hervorhebung im Original. Fuchs, Martin: »Reaching out; or, Nobody exists in one context only: Society as translation«, in: Translation Studies 2/1 (2009), S. 21-40, hier S. 27.

Einleitung

keit impliziert, denn »[t]he different institutions, systems and milieus, discourses or social fields would not coexist and intersect, and interactions between them would not occur, if not through the mediation of translations«100 . Auch wenn die Spannung zwischen der Repräsentation ›des Anderen‹ und der im ethnografischen Text beschriebenen Praxis mit ›dem Anderen‹ im Laufe der folgenden Untersuchung immer wieder durchscheinen wird, steht doch die Praxis im Vordergrund. Ein Fokus auf Übersetzung ermöglicht es somit, konkrete Situationen der Interaktion und kleinere Einheiten der Kommunikation zu beleuchten.101 Konkrete Situationen der Interaktion erfolgten durch Praktiken der Sprachvermittlung und Textproduktion, wie Dolmetschen und Übersetzen, ebenso wie durch Austauschprozesse, welche während der ethnologischen Feldforschung zwischen lokalen Akteuren und Forschern stattfanden. Diese Praktiken wurden von bestimmten Akteuren in einem bestimmten geografischen Raum durchgeführt und konstituierten gleichzeitig das bestimmte Feld, in dem sie stattfanden. Dieses Feld möchte ich im Anschluss an Mary Louise Pratt als contact zone102 konzeptualisieren. Bei der Amazonas-Kontaktzone handelt es sich dabei um jenen Raum der kolonialen Begegnung und interkulturellen Auseinandersetzung, der von dynamischen politischen, ökonomischen und sozialen Asymmetrien bestimmt wurde und bis heute wird, welche ihrerseits die Beziehungen zwischen Akteuren beeinflusst haben. Als konzeptuelles Werkzeug eignet sich die Kontaktzone insofern hervorragend für diese Untersuchung, als sie mit einer Art »koloniale[r] Illusion« von indigenen Gemeinschaften als ein Gebiet mit »›abgeschlossene[n]‹ Räume[n] – ethnisch rein, kulturell traditionell, bis gestern noch nicht von den Brüchen der Moderne aufgewühlt«103 – bricht. Die Kontaktzone ist, wie bereits erwähnt, als abstrakter oder textueller Raum der Begegnung zwischen Kulturen, aber auch als geografischer Raum, in dem Akteure interagieren, aufgefasst worden. Besonders letztere Auffassung soll in der vorliegenden Studie untersucht werden. Das Konzept der Kontaktzone ermöglicht dabei die Beschreibung der Dynamiken eines geografischen Raumes und lässt sich ferner aus praxeologischer Sicht als ein »Ort des Sozialen« identifizieren104 , in dem bestimmte Praktiken 100 Ebd., S. 29. 101 Bachmann-Medick, Doris: »The Trans/National Study of Culture: A Translational Perspective«, in: Dies. (Hg.): The Trans/National Study of Culture: A Translational Perspective, Bd. 4, Berlin/Boston: De Gruyter 2014 (Concepts for the study of culture), S. 1-22, hier S. 17. 102 Pratt erklärt den Begriff der Kontaktzone folgenderweise: »[…] the term »contact zone,« which I use to refer to the space of colonial encounters, [is] the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and establish ongoing relations, usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict«. Pratt: Imperial Eyes, S. 6. 103 Hall: »Die Frage der kulturellen Identität«, S. 214. 104 Reckwitz, Andreas: »Die Reproduktion und die Subversion sozialer Praktiken. Zugleich ein Kommentar zu Pierre Bourdieu und Judith Butler«, in: Hörning, Karl H. und Julia Reuter

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durchgesetzt werden. Die Konzeptualisierung des Amazonasraums als Kontaktzone erlaubt es demzufolge, sich sowohl auf die Entwicklungen als auch auf die Ergebnisse der Begegnung zwischen Akteuren zu fokussieren105 . In der Amazonas-Kontaktzone interagierten Akteure, die im Folgenden nicht gemäß der Dichotomie Forscher versus ›Forschungsobjekt‹ behandelt werden, denn sowohl lokale Akteure als auch Ethnologen waren Menschen »suspended in webs of meaning that structure the possibilities of their action«106 . Der Fokus auf die Interaktionen zwischen ihnen zeigt jedoch die für die Kontaktzone charakteristischen »unequal forms of transcultural exchange«107 . Ein wesentliches Merkmal der contact zone ist, dass es sich dabei um einen »space of colonial encounter«108 handelt, was bei der Amazonas-Kontaktzone zutrifft. Bereits die Bezeichnung Indianer, wie viele Akteure von den Ethnologen genannt werden, deutet auf die Position bestimmter Akteure innerhalb dieser »webs of meaning« hin, die im Anschluss an einen nach wie vor aktuellen Beitrag von Guillermo Bonfil Batallas als Unterdrückte in einer kolonialen Beziehung zu begreifen sind. Somit soll die lokale koloniale Situation als Prozess und nicht als statisches Ereignis verstanden werden.109 Überdies gilt die Amazonasregion immer noch als eine kolonisierte Frontier110 , in der die indigenen Einwohner, insbesondere zur Zeit der hier untersuchten Expeditionen (1884-1914), ökonomisch und politisch unterdrückt wurden. Sie wurden Objekt von rassistischer Diskriminierung und als Kinder, Heiden, Primitive oder Wilde bezeichnet, um nur einige der Hauptvorurteile zu nennen.111 Dementsprechend ist in Bezug auf die damalige indigene Bevölkerung

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(Hg.): Doing Culture. Zum Begriff der Praxis in der gegenwärtigen soziologischen Theorie, Bielefeld: transcript 2004, S. 40-53, hier S. 43. Becker, Judith: »Introduction«, in: Dies. (Hg.): European Missions in Contact Zones: Transformation through Interaction in a (Post-)Colonial World, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, S. 7-26, hier S. 11. Hess, David J.: Science Studies: An Advanced Introduction, New York: New York University Press 1997, S. 83. Meine Hervorhebung. Liu, Lydia H. (Hg.): Tokens of Exchange: The Problem of Translation in Global Circulations, Durham, NC: Duke University Press 1999, S. 2. Pratt: Imperial Eyes, S. 6. Bonfil Batalla, Guillermo : »El concepto de Indio en América : Una categoría de la situación colonial«, in : Anales de Antropología IX (1972), S. 105-124, hier S. 122. Vgl. Hemming, John: Amazon Frontier. The Defeat of the Brazilian Indians, London: Papermac 1995; Weber, David J. und Jane M. Rausch (Hg.): Where Cultures Meet: Frontiers in Latin American History, Wilmington: SR Books 1994; Margolis, Mac: The Last New World: The Conquest of the Amazon Frontier, New York: W.W. Norton 1992; Ramos, Alcida Rita: »Frontier Expansion and Indian Peoples in the Brazilian Amazon«, in: Schmink, Marianne und Charles H. Wood (Hg.): Frontier Expansion in Amazonia, Gainesville: University of Florida Press 1984, S. 83-104. Diese »keywords for prejudice« sind von Alcida Ramos vorgeschlagen worden, sie »have contributed to a specific ›formation of meaning‹ in the field of Indigenism«. Vgl. Ramos, Alcida Rita: Indigenism. Ethnic Politics in Brazil, Madison: The University of Wisconsin Press 1998, S. 13.

Einleitung

von Einwohnern und nicht von Bürgern die Rede. Als Einwohner hatten sie keine bürgerlichen oder politischen Rechte112 ; daher wurden ihre Wohnorte (auch gewaltsam) expropriiert, ihre Gemeinschaften verfolgt und allmählich exterminiert.113 Als nicht anerkannter Teil der Nation wurden sie mit Stereotypen belegt; dabei beeinflussten die europäischen wissenschaftlichen Strömungen, wie z.B. der Evolutionismus, die Konstruktion solcher Stereotypen. Diese Bedingungen können als komplementär zu denjenigen betrachtet werden, die zum kolonialistischen Denken gehören. Im Fall der ethnografischen Forschung in der Amazonasregion im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es, genau genommen, kein koloniales Regime in Form von Inbesitznahme des Landes und Unterdrückung der Eingeborenen durch eine fremde Kolonialherrschaft. Dennoch waren die Begegnungen in der ethnologischen Forschung von »internem Kolonialismus«114 und »kolonialistischem Denken«115 gekennzeichnet. Die Stellung der Forscher in der Amazonas-Kontaktzone war keineswegs neutral, obwohl sie keine kolonialen Ansprüche hatten. Denn um 112

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Vgl. Carneiro da Cunha, Manuela: História dos índios no Brasil, São Paulo: Companhia das Letras/Secretaria Municipal da Cultura: FAPESP 1992; Viveiros de Castro, Eduardo Batalha, Manuela Carneiro da Cunha und Simone Dreyfus (Hg.): Amazônia: Etnologia e história indígena, São Paulo: Núcleo de História Indígena e do Indigenismo. 1993. So ging laut Sebastian Conrad »[d]ie Etablierung bäuerlicher Siedlungen durch deutsche Migranten […] mit der meist gewaltsamen Expropriation der indianischen Bevölkerung einher«. Conrad, Sebastian: Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, München: C.H. Beck 2010, S. 259. Deutsche Siedler beauftragten ›Bugreros‹, um die ›Bugres‹, nämlich die Indigenen, aus ihren Wohnorten zu vertreiben. Zur Geschichte der deutschen Auswanderung nach Brasilien im 19. Jahrhundert und zur äußerst negativen Behandlung der indigenen Bevölkerung durch die deutschen Kolonisten vgl. Ritz-Deutch: »Alberto Vojtěch Frič, The German Diaspora«. Zur Beziehung zwischen Indigenen und herrschender Klasse, zu der besonders im Südosten Brasiliens auch deutsche Kolonisten oder Siedler gehörten vgl. Penny: »The Politics of Anthropology«; Frič, Alberto: »Völkerwanderungen, Ethnographie und Geschichte der Konquista in Südbrasilien«, in: Verhandlungen des XVI. Internationalen Amerikanisten Kongresses: Wien 9. bis 14. September 1908 (Nendeln, Liechtenstein: Kraus Reprint, 1968) (1908), S. 63-67; Frič, Vojtěch: »Sambaqui-Forschungen im Hafen von Antonina (Paraná)«, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 41/8 (1907), S. 117-122. Frič veröffentlichte unter Adalbert Frič, Albert Frič, Alberto Frič und Vojtěch Frič. Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen, München: C.H. Beck 2006, S. 21f. Osterhammel zufolge handelt es sich dabei um eine spezifische Form des Kolonialismus, die des »Kolonialismus ohne Kolonien«, der durch »Abhängigkeiten ›kolonialistischer Art‹ nicht zwischen ›Mutterland‹ und räumlich entfernter Kolonie, sondern zwischen dominanten ›Zentren‹ und abhängigen ›Peripherien‹ innerhalb von Nationalstaaten oder territorial zusammenhängenden Landimperien« gekennzeichnet war. Ebd., S. 115f. Aus postkolonialer Sicht spricht beispielsweise Tejaswini Niranjana von kolonialem Diskurs, »the body of knowledge, modes of representation, strategies of power, law discipline, and so on, that are employed in the construction and domination of ›colonial subjects‹«. Niranjana: Siting Translation, S. 7.

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ihre Expeditionen durchführen zu können, benötigten sie beispielsweise die Unterstützung bzw. Genehmigung der herrschenden Klasse in der Region. Darüber hinaus bestimmten das kolonialistische Denken bzw. die Kolonialität des Wissens die Einstellung der Ethnologen gegenüber der indigenen Bevölkerung und die sich daraus ergebenden textuellen und visuellen Repräsentationen. Das Adjektiv ›kolonial‹ bezieht sich in dieser Studie also vornehmlich nicht auf den von europäischen Staaten betriebenen politischen Kolonialismus, sondern auf eine Art der Machtbeziehung, die auch in der frühen deutschen ethnologischen Amazonasforschung zu beobachten ist. Denn das Ende des politischen Kolonialismus in Südamerika, aber auch in anderen Teilen der Welt, bedeutete nicht »the end of political colonialism […] as a social relationship associated with specific forms of knowledge and power, the coloniality of power and knowledge«116 . Der Begriff der Kolonialität wird in dieser Studie in Anlehnung an Autoren der lateinamerikanischen Gruppe modernidad/colonialidad mit Anibal Quijano, Walter Mignolo oder Santiago Castro-Gómez u.a. verwendet.117 Kolonialität bezieht sich hier auf ein für das moderne/kapitalistische Weltsystem charakteristisches globales Herrschaftsmuster. Es handelt sich also um eine Logik, die gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen gleichen Ausmaßes operiert und sowohl politische wie wirtschaftliche Macht als auch das gesamte Spektrum von ethnischen bis zu sexuellen Subjektivitäten umfasst. Möglich wird dies durch die Kolonialität des Wissens in der konkreten Form des kolonialistischen Denkens. Die ethnologische Übersetzung, definiert als der Prozess der Selektion von Informationen, der Anpassung derselben an Vorkenntnisse und deren Trans-

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Santos, Boaventura de Sousa, João Arriscado Nunes und María Paula Meneses: »Introduction: Opening Up the Canon of Knowledge and Recognition of Difference«, in: Santos, Boaventura de Sousa (Hg.): Another Knowledge is Possible: Beyond Northern Epistemologies, London u.a.: Verso 2008, S. xvix–lxii, hier S. xxxivff. Vgl. Quijano, Aníbal: Kolonialität der Macht, Eurozentrismus und Lateinamerika, Wien: Turia + Kant 2016. Mignolo, Walter: »Kolonialität. Die dunkle Seite der Moderne«, in: Exner, Isabel und Gudrun Rath (Hg.): Lateinamerikanische Kulturtheorien: Grundlagentexte, Konstanz: Konstanz University Press 2015, S. 367-386; Mignolo, Walter: The Darker Side of Western Modernity: Global Futures, Decolonial Options, Durham: Duke University Press 2011; Mignolo, Walter: »Delinking. The Rhetoric of Modernity, the Logic of Coloniality and the Grammar of DeColoniality«, in: Cultural Studies 21/2 (2007), S. 449-514; Castro-Gómez, Santiago: La Hybris del Punto Cero. Ciencia, Raza e Ilustración en la Nueva Granada (1750-1816), Bogotá: Pontificia Universidad Javeriana/Instituto Pensar 2004.

Einleitung

formation im akademischen Diskurs der frühen Ethnologie, kann demzufolge als koloniale Übersetzung verstanden werden.118 Auch wenn die Kolonialität das strukturierende System der AmazonasKontaktzone im Rahmen der hier untersuchten Expeditionen war und dabei die Dichotomie ›Ethnologe versus Indigene‹ aufrechtzuerhalten scheint, zeigt die interaktive Praxis der Kulturübersetzung, dass diese Dichotomie durch die Handlungen mehrerer Akteure destabilisiert werden konnte. Insbesondere erweist sich in dieser Hinsicht die Figur des Dritten als analytische Kategorie als hilfreich, um jene Schlüsselindividuen in den Interaktionen zu identifizieren, die bei ihrer Vermittlung zwischen Ethnologen und lokaler Bevölkerung die Veranschaulichung von instabilen Identitäten ermöglichten.119 Aus soziologischer Sicht ist die Figur des Dritten relevant, weil ihre Präsenz für die Existenz verschiedener Formen der Vergesellschaftung essentiell ist.120 Die Figur des Dritten bezeichnet Joachim Fischer, der sich dabei auf Jean Paul Sartres Theorie der gesellschaftlichen Praxis stützt, als »die synthetische Macht gegenüber der wechselseitigen Beziehung, aber genuin gibt es hier ›noch keine apriorische Hierarchie, weil ja alle drei Glieder der Dreierbeziehung gegenüber den beiden Anderen zum Dritten werden können«121 . Wenn in dieser Untersuchung von den ›Anderen‹ oder den Dritten die Rede ist, bezieht sich dies auf jeden der Akteure in der Begegnung und nicht unbedingt nur auf jene Individuen, die hauptsächlich den Status des ›Anderen‹ (Alter) – z.B. die ›Indianer‹ – in Bezug auf das Ich (Ego) – also den Ethnologe – erhalten haben.122 Mit dem Dritten ist hier eine ambivalente Figur gemeint, welche z.B. in ihrer 118

Der Soziologe Rolando Vázquez untersucht die epistemische Übersetzung im Lateinamerika der Kolonialzeit als »Translation as Erasure«, die Übersetzung des kolonisierten Anderen in die Sprache der Kolonisatoren. Eine andere Auffassung schlägt er mit den Konzepten von »Translation as Struggle« oder als »plurality« vor. Beide Konzepte haben meinen Ansatz inspiriert. Vgl. Vázquez, Rolando: »Translation as Erasure: Thoughts on Modernity’s Epistemic Violence«, in: Journal of Historical Sociology 24/1 (2011), S. 27-44. 119 An dieser Stelle möchte ich mich bei Doris Bachmann-Medick dafür bedanken, dass sie meine Aufmerksamkeit für dieses Konzept geweckt hat. Vgl. dazu Breger, Claudia und Tobias Döring (Hg.): Figuren der/des Dritten. Erkundungen kultureller Zwischenräume, Amsterdam: Rodopi 1998. 120 Vgl. Fischer, Joachim: »Der Dritte als Scharnierfigur. Die Funktion des Dritten in sozialphilosophischer und ethischer Perspektive«, in: Esslinger, Eva (Hg.): Die Figur des Dritten: Ein Kulturwissenschaftliches Paradigma, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2010, S. 125-136; Fischer, Joachim: »Der Dritte. Zur Anthropologie der Intersubjektivität«, in: Eßbach, Wolfgang. (Hg.): wir/ihr/sie. Identität und Alterität in Theorie und Methode, Würzburg: Ergon 2000, S. 103-136; Breger/Döring (Hg.): Figuren der/des Dritten; Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin: Duncker & Humblot 1908. 121 Sartre, Jean-Paul: Kritik der dialektischen Vernunft. Theorie der gesellschaftlichen Praxis, Bd. I, Hamburg: Rowohlt 1967, S. 126. Zit. n. Fischer: »Der Dritte«, S. 120. 122 Vgl. Todorov, Tzvetan: Die Eroberung Amerikas: das Problem des Anderen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1985.

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Funktion als Vermittler einerseits die Differenz zwischen Akteuren vorübergehend zu verringern scheint, im selben Moment diese Differenz aber auch hervorhebt123 . Zudem ist die Differenz Teil dieser Figur selbst, welche in der Person des Dolmetschers ein zwischen den Sprachen und Kulturen verortetes Subjekt ist. Die Analyse von Interaktionen innerhalb der Feldforschung profitiert insofern von der Konzeptualisierung kultureller Begegnungen als Triade, als die Dichotomie Ich/der Andere aufgelöst und die Perspektive des Dritten miteinbezogen wird. Aufgrund der Relevanz ethnografischer Gegenstände, aber auch europäischer Waren für die hier untersuchten Expeditionen regt die Analyse von Kulturübersetzung als interaktive Praxis weiterhin dazu an, die Rolle von Aktivitäten der Feldforschung, wie beispielsweise den Tauschhandel, zu berücksichtigen. Dieser war das konstitutive Element der frühen deutschen ethnografischen Feldforschung, die im Allgemeinen als »Tauschprozess«124 verstanden werden kann. Zu diesem Prozess gehörte eine gegenseitige Kommodifizierung von Dingen/Artefakten in Waren, die unter Berücksichtigung von Arjun Appadurais125 materialistischem Ansatz untersucht wird. Auf diese Weise werden Prozesse des interethnischen Austausches zwischen Ethnologen und lokalen Akteuren und die Einstufung indigener Artefakte als Ethnographica veranschaulicht. Da der Tauschhandel von Dingen/Artefakten ein wesentlicher Bestandteil sozialer Interaktionen zwischen indigenen Gemeinschaften war und daher nicht ausschließlich während der ethnologischen Feldforschung stattfand, stützt sich die Untersuchung auf die analytischen Kategorien der Objektivierung und Subjektivierung, um den Tauschprozess nachzuvollziehen. Beide Kategorien ergänzen Appadurais Ansatz und ermöglichen es in der vorliegenden Untersuchung, auch eine materielle und mithin konkrete Seite der Kulturübersetzung zu veranschaulichen. Um die erhebliche Rolle von Dingen/Artefakten – als nicht-menschlicher Akteure – bei der Feldforschung zu untersuchen, erweisen sich zwei theoretische Ansätze als hilfreich. Eine erste Perspektive kommt aus ethnologischen Arbeiten über die indigene materielle Kultur des Amazonas, in der bestimmte Dinge/Artefakte als anerkannte Wesen mit Subjektivitäten gelten, die mit anderen Wesen interagieren können.126 Es wird angenommen, dass, genau wie Menschen, Dinge/Artefakte ei-

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Fischer, Joachim: »Tertiarität/Der Dritte. Soziologie als Schlüsseldisziplin«, in: Bedorf, Thomas, Joachim Fischer und Gesa Lindemann (Hg.): Theorien des Dritten. Innovationen in Soziologie und Sozialphilosophie, München: Wilhelm Fink 2010, S. 131-160, hier S. 132. 124 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 334. 125 Appadurai, Arjun: »Introduction: Commodities and the Politics of Value«, in: Ders. (Hg.): The Social Life of Things: Commodities in Cultural Perspective, Cambridge: Cambridge University Press 1986, S. 3-63. 126 Vgl. Santos-Granero, Fernando: »Introduction. Amerindian Constructional Views of the World«, in: Ders. (Hg.): The Occult Life of Things. Native Amazonian Theories of Materiality and Personhood, Tucson: University of Arizona Press 2009, S. 1-29.

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nen bestimmten Lebenszyklus haben und folglich auch eine Biografie.127 Für indigene Gemeinschaften in der Region können Dinge/Artefakte folglich soziale Wesen sein, und zwar schon bevor sie durch den Austausch und die persönlichen Beziehungen zwischen menschlichen Akteuren zu Waren werden und als solche zirkulieren. Eine weitere und ergänzende Perspektive besteht darin, Dinge/Artefakte im Sinne von Bruno Latours Actor-Network-Theory (ANT) als Akteure bzw. Aktanten in Prozessen der Wissensproduktion zu betrachten. Zwar führe ich in dieser Studie keine ANT-Analyse durch, stütze ich mich jedoch auf einige der damit verbundenen Konzepte, um Prozesse, Orte und Akteure der Wissensproduktion genauer zu erklären. Dass bestimmte Dinge/Artefakte auch Teilnehmer einer Handlung – im Fall dieser Untersuchung an der ethnologischen Feldforschung – waren, ist einer der Auffassungen der ANT, die hier berücksichtigt werden. Damit ist nicht gemeint, dass »objects do things ›instead‹ of human actors«, sondern dass sie entscheidend für die Aktionen anderer Akteure waren. In der Folge konnten sie »authorize, allow, afford, encourage, permit, suggest, influence, block, render possible, forbid, and so on«128 . Beide Perspektiven zur Bedeutung von Dingen/Artefkaten bringen neue Impulse, um Kulturübersetzung anhand des reziproken Austauschs von Gegenständen auch als materielle Praxis nachvollziehen zu können.

Methodischer Ansatz Aus heuristischen Gründen ist die Unterscheidung zwischen ›Kulturübersetzung‹ als der Repräsentation bestimmter Gemeinschaften des Amazonasgebiets und Kulturübersetzung als interaktiver Praxis zwischen Akteuren im methodischen Ansatz dieser Studie zu berücksichtigen. ›Kulturübersetzung‹ wird als eine Metapher für die fragmentarische, brüchige und nichtvollendete Erklärung anderer Kulturen betrachtet. Wie bei jeder Übersetzung, die versucht, dem Original treu zu bleiben, scheitert sie beim Versuch, das Original wiederzugeben und konstruiert stattdessen ein Original, das sie als Übersetzung (Resultat) präsentiert. Bei diesen Repräsentationen handelt es sich im Grunde um Übersetzungsprozesse, deren Resultate in ihrer Eigenschaft als Konstruktionen indigene Kulturen als ein vermeintliches ›Original‹ darstellen.129 Eine »interaktionsanalytische Betrachtung«130 von Kulturübersetzung, ist möglich, wenn sie als eine Praxis begriffen wird, die in einem spezifischen Kontext durchgeführt wurde. Dieser Kontext ist die Feldforschung, die im Rahmen 127 128

Vgl. Ebd., S. 19. Latour, Bruno: Reassembling the Social: An Introduction to Actor-Network-Theory, New York: Oxford University Press 2005, S. 72. 129 Zur Rolle der Übersetzung bei der Konstruktion von Kulturen vgl. Wolf: Die vielsprachige Seele Kakaniens, S. 40f. 130 Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 324.

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der frühen deutschen Amazonas-Ethnologie stattfand. Es handelt sich dabei um eine spezifische wissenschaftliche und soziale Praxis zwischen den Ethnologen und der Amazonasbevölkerung. Ihre Analyse in dieser Studie erfolgt aus einer kontextorientierten Perspektive der translationswissenschaftlichen Forschung, in der die Aufmerksamkeit auf »the complex social, political, cultural and ideological forces which shape translation practices«131 gelenkt wird. Dieser vorwiegend kulturwissenschaftliche Ansatz wird mit dem bereits erläuterten Konzept der Kontaktzone untermauert. Um interaktives Geschehen zwischen Akteuren während der Feldforschung aus historischer Sicht beobachten zu können, wende ich ferner den Lokalismus als eine Strategie aus der Translationswissenschaft an, bei der es darum geht, spezifische Übersetzungsphänomene in historischen Materialien zu untersuchen. Der Fokus des Lokalismus liegt auf »local, circumscribed aspects of cultural phenomena, and aims at mapping the details of the historical, social and linguistic context of translation activities«132 . Zur Identifizierung spezifischer Übersetzungsaktivitäten betrachte ich die Feldforschung als eine Analyseeinheit, die eine Art Mikrolabor bietet, um die kulturelle Begegnung, aus der die Kulturübersetzung entsteht, im Detail zu beobachten. Die Untersuchung dieses Mikrolabors stützt sich zum Teil auf einen translationssoziologischen Ansatz. Hierbei ist, um mit Michaela Wolf zu sprechen, die »übersetzerische Tätigkeit unter der Perspektive ihrer ProtagonistInnen als individuelle Figuren und als Mitglieder spezifischer Netzwerke« zu beobachten.133 Diese »übersetzerische Tätigkeit« wird nachverfolgt, indem die Aufmerksamkeit auf die Praktiken der Übersetzung und auf die Akteure dieser Praktiken gelenkt wird. Diese Akteure müssen, wie vorher erwähnt, nicht unbedingt menschlicher Natur sein. Denn Praktiken bestehen, so Andreas Reckwitz, aus »routinized relations between several agents (body/minds) and objects. At any rate, the social is also to be located in practices in which single agents deal with objects […] and in this sense also the objects […] are the place of the social insofar as they are necessary components of social practices«134 . Wenn Kulturübersetzung als interaktive Praxis begriffen wird, ist sie, um mit Alkemeyer und Buschmann weiter zu sprechen, in Konsequenz »[…] ein immer nur gegenwärtiges und somit kontingentes Vollzugsgeschehen […], das ausschließlich im Rückblick und vom Standpunkt eines Beobachters zweiter Ordnung […] rekonstruierbar ist«135 . Akteure wie indigene Dolmetscher und andere

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Marco, Josep: »Training Translation Researches: An Approach Based on Models and Best Practice«, in: The Interpreter and Translation Trainer 3/1 (2009), S. 13-35, hier S. 15. Agorni: »Locating systems and individuals«, S. 129f. Wolf: Die vielsprachige Seele Kakaniens, S. 22. Reckwitz: »Toward a Theory of social Practices«, S. 253. Alkemeyer/Buschmann: »Praktiken der Subjektivierung – Subjektivierung als Praxis«, S. 119.

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Vermittler, Ethnologen und auch die Verfasserin dieser Studie können als Beobachter zweiter Ordnung betrachtet werden. Diese Überlegung steht in unmittelbarer Verbindung zur Frage, wie mit dem Problem umgegangen wird, dass es im strengen Sinne keine Selbstzeugnisse von indigenen Akteuren gibt, da diese keine schriftlichen Texte hinterlassen haben.136 Im Zuge der Analyse der Quellen bestand die Herausforderung darin, Stimmen dieser Akteure zu finden, und zwar unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese stets durch den Diskurs der Ethnologen gefiltert vorkommen. Ihre schriftlichen Spuren, wenn es denn welche gibt, sind infolge ihrer marginalisierten Existenz am Rande der kolonialen Gemeinschaften »fragmentary and thin«137 . Diese Schwierigkeit könnte auch der Grund dafür sein, dass es in der Geschichte der deutschen Ethnologie kaum Arbeiten gibt, die sich dezidiert mit der Frage nach der Rolle anderer Akteure in der Wissensproduktion im Kontext der ethnologischen Amazonasforschung auseinandersetzen. Die Mehrheit der hier berücksichtigten Quellen enthält keine unmittelbaren Aufzeichnungen der beteiligten Akteure, außer derjenigen des Ethnologen. Deshalb geht es vornehmlich darum, diese »hegemonialen Quellen planmäßig gegen den Strich zu lesen und einen indigenen Subtext zu identifizieren«138 . Eine Perspektive der identifizierten lokalen Akteure kann in diesem Fall untersucht werden, wenn die Aufmerksamkeit insbesondere auf die Beziehungen zwischen Indigenen und Ethnologen gelenkt wird. Wenn keine schriftlichen Selbstzeugnisse von marginalisierten Akteuren vorhanden sind, bleibt einem nur die Untersuchung der Beziehungen zwischen den Akteuren. Es handelt sich hierbei um eine Strategie, die von der Translationswissenschaftlerin Gertrudis Payàs in historischen Studien über indigene Dolmetscher angewandt wird. Um mit Payàs zu sprechen »[…] the only way to understand those who played secondary roles in history is to observe their interactions with those who seized the leading roles for themselves and wrote the script«139 . Das Problem, keine direkte indigene Stimme finden zu können, resultiert ferner von vornherein schon aus der Tatsache, dass die Quellen zum großen Teil Übersetzungen sind. Es handelt sich dabei um Konstrukte, in denen weder die Stimme der Indigenen oder anderer Akteure noch die 136

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In dieser Hinsicht können Indigene und andere lokale Akteure in Anlehnung an postkoloniale Ansätze als Subalterne betrachtet werden, die – ebenso wie die von Ranajit Gunha untersuchten peasants der subaltern studies in Indien – keine Dokumente hinterlassen haben.Vgl. Chakrabarty, Dipesh: »Subaltern Studies and Postcolonial Historiography«, in: Nepantla: Views from South 1/1 (2000), S. 9-32, hier S. 22. Jobs/Mackenthum (Hg.): Agents of Transculturation, S. 8. Fuchs, Martin, Antje Linkenbach und Wolfgang Reinhard: »Einleitung. Individualisierung«, in: Dies. (Hg.): Individualisierung durch christliche Mission?, Wiesbaden: Harrassowitz 2015, S. 13-37, hier S. 17. Payàs, Gertrudis, José Manuel Zavala und Mario Samaniego: »Translation and Interpretation on the Araucanian Frontier (seventeenth-nineteenth c.): An interdisciplinary View«, in: Perspectives 20/4 (2012), S. 433-450, hier S. 435.

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Stimme der Ethnologen unvermittelt ist. In diesem Fall zeigt eine Übersetzungsperspektive nicht nur die vermeintlich direkten Stimmen der Autoren der Quellen, sondern weist auch darauf hin, dass es sich auch in diesem Fall um Ausdrücke handelt, die durch sprachliche und kulturelle Vermittlung entstanden sind. Als Beispiele hierfür lassen sich die indirekte und gedolmetschte Rede der Indigenen, Sprachaufnahmen oder übersetzte Erzählungen anführen. Die daraus resultierende Herausforderung wird in der vorliegenden Studie jedoch als – durchaus nicht negativ zu wertendes – Charakteristikum des gesamten Quellenbestands betrachtet. Denn veröffentlichte wie unveröffentlichte Texte gelten nicht als unvermittelte Quellen, weil sie bereits einem Prozess der intralingualen Übersetzung unterzogen worden sind, in dem sie bearbeitet, zerlegt und (auto)zensiert wurden. Eine weitere methodologische Strategie dieser Studie stützt sich auf die Herangehensweise der Ethnohistorie der Amazonasregion, in der eine Annäherung an die Geschichte spezifischer indigener Gruppen in der Region verfolgt wird.140 Hierbei wird die Rolle von europäischen Forschern lediglich als informative Randquelle berücksichtigt. Die grundlegende Intention dieser Methode zielt darauf ab, einen Zugriff auf die Geschichte der Indigenen der Region zu erlangen und damit die Indigenen »as agents of their history«141 zu positionieren. Obwohl die Quellen dieser Studie sich von denen der Ethnohistorie insofern unterscheiden, als ich keine Interviews vor Ort durchgeführt habe, zeigt die Präsenz der indigenen Akteure in den Ethnografien und unveröffentlichten Dokumenten, wie auch sie zur Geschichtsschreibung der Region beigetragen haben. Das durch Erzählungen und Mythen vermittelte indigene Wissen, das in ethnohistorischen Arbeiten auch zugänglich ist, wird hier als historisches Material berücksichtigt. Mythische Erzählungen, so der Ethnologe und Mitglied der indigenen Gemeinschaft der Tukano João Paulo Lima Barreto, dienen als »Grundlage allen indigenen Wissens […], [denn] es sind Mythen auf die die Menschen zurückgreifen, um ihren Lebensraum zu verstehen und zu ordnen, um mit ihrer sozialen Umwelt in Beziehung zu treten […].«142 Die Berücksichtigung von indigenen Mythen bringt weiterhin Spuren von lokalen und bisher ignorierten Akteuren ans Licht, die im Zusammenhang mit Informationen beispielsweise aus Feldforschungstagebüchern identifiziert werden konnten. Zusammen mit der Einbeziehung von Amazonas-Ontologien ermöglicht es diese

140 In der Ethnohistorie des Amazonas konzentriert man sich auf die lokalen Geschichten individueller Gruppen, indem ihre kulturelle Zugehörigkeit, die Machtverhältnisse zwischen Indigenen und Siedlern, Missionaren und Kautschukhändlern analysiert werden. Vgl. Wright, Robin M.: Historia do indígena e do indigenismo no alto Rio Negro, Sâo Paulo: Instituto Socioambiental 2005; Wright, Robin M.: Cosmos, Self, and History in Baniwa Religion: For Those Unborn, University of Texas Press 1998. 141 Wright: Cosmos, Self, and History, S. 103. 142 Lima Barreto: »Im Palast der Toten«, S. 51.

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Herangehensweise, die Präsenz anderer Akteure neben den Ethnologen deutlicher sichtbar zu machen und ihre Perspektiven stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

Korpus der Arbeit Die Namen Karl von den Steinen, Max Schmidt, Theodor Koch-Grünberg, Fritz Krause, Konrad Theodor Preuss und Wilhelm Kissenberth sind, ebenso wie die Texte, die sie über ihre Amazonas-Expeditionen verfasst haben,143 in Deutschland außerhalb der Ethnologie kaum bekannt. Diese Gruppe von Forschern, die im Amazonasgebiet zwischen 1884 und 1914 Expeditionen durchführten,144 verkörperte den »germanic approach«145 in der südamerikanischen ethnologischen Forschung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ihre veröffentlichten Monografien, ebenso wie Artikel in wissenschaftliche Zeitschriften und Zeitungen sowie die unveröffentlichten Forschungstagebücher, Briefe und weitere Materialien wie Vorlesungsmanuskripte Theodeor Koch-Grünbergs bilden die Quellengrundlage dieser Studie. Ihre Texte habe ich in erster Linie ausgewählt, weil sie ausführliche Szenen anbieten, in denen die Praxis der Kulturübersetzung deutlich zutage kommt. Zudem sind diese Texte repräsentativ für die ersten systematischen ethnologischen Untersuchungen der Region und dabei für die ersten ethnologischen Repräsentationen indigener Kulturen des Amazonas. In Südamerika, besonders in Brasilien, Monografien: Steinen, Karl von den: Durch Central-Brasilien: Expedition zur Erforschung des Schingú im Jahre 1884, Leipzig: Brockhaus 1886; Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens: Reiseschilderung und Ergebnisse der zweiten Schingú-Expedition 1887 – 1888, Berlin: Reimer 1894; Schmidt, Max: Indianerstudien in Zentralbrasilien: Erlebnisse und ethnologische Ergebnisse einer Reise in den Jahren 1900 bis 1901, Berlin: Reimer 1905; Koch-Grünberg, Theodor: Zwei Jahre unter den Indianern: Reisen in Nordwest-Brasilien 1903/1905 2 Bde., Berlin: Ernst Wasmuth 1909/1910; Krause, Fritz: In den Wildnissen Brasiliens: Bericht und Ergebnisse der Leipziger Araguaya-Expedition 1908, Leipzig: Voigtländer 1911; Koch-Grünberg, Theodor: Vom Roroima zum Orinoco: Ergebnisse einer Reise in Nordbrasilien und Venezuela in den Jahren 1911 – 1913. 5 Bde. Band 1 und 2 Berlin: Reimer 1916/1917. Band 3-5 Stuttgart: Strecker und Schröder 1923/1924/1928; Preuss, Konrad Theodor: Religion und Mythologie der Uitoto. Textaufnahmen und Beobachtungen bei einem Indianerstamm in Kolumbien, Südamerika, 2 Bde., Göttingen u.a.: Vandenhoeck & Ruprecht u.a. 1921. 144 Unter den Reisenden jener Zeit ist Prinzessin Therese von Bayern die einzige Frau, die Erkundungen in Südamerika und insbesondere im brasilianischen Gebiet durchführte. Ihre Publikationen sind, ebenso wie die der oben erwähnten Ethnologen, neu verlegt worden. Vgl. Bayern, Therese von: Meine Reise in den brasilianischen Tropen, Berlin: Reimer 1897. 145 Lowrey, Kathleen: »South America«, in: Fardon, Richard u.a. (Hg.): The SAGE Handbook of Social Anthropology, Bd. 1, Los Angeles [u.a.]: SAGE 2012, S. 472-486, hier S. 474. Der deutschen ethnologischen Tradition in Südamerika folgen Lowrey zufolge chronologisch die französische, die amerikanische und die britische. Inländische ethnologische Arbeiten sind – gleichzeitig zu oder motiviert von den ausländischen – bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden. 143

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Venezuela und Kolumbien, gelten diese Ethnologen als Pioniere der ethnologischen Forschung im Amazonasgebiet.146 Die veröffentlichten Quellen setzen sich aus Texten von Karl von den Steinen, Max Schmidt, Theodor Koch-Grünberg, Fritz Krause und, in geringerem Ausmaß, von Konrad Theodor Preuss und Wilhelm Kissenberth zusammen. Die Monografien dieser Autoren beeinflussten damalige und zukünftige Forschungsarbeiten in der Region.147 Sie sind ins Portugiesische, Spanische und Englische übersetzt worden, sodass sie ein größeres Publikum erreichten.148 Diese übersetzten Versionen der Monografien dienen noch heute als Referenztexte über die indigenen Kulturen des Amazonas, was ihre Relevanz für die vorliegende Arbeit untermauert. Mehr

146 Dass die deutschen Amazonas-Ethnologen einige der ersten Kenner der Region und ihrer indigenen Bevölkerung waren, hob der General Candido Rondón, Vorsitzender der Telegraphen-Kommission und Hauptgründer des SPI (Indigener Schutzdienst) hervor: »Als die Kommission für das Hinterland charterte, waren wir Brasilianer genau diejenigen, die am wenigsten befugt waren, über die indigene Bevölkerung von Mato Grosso zu sprechen, von der wir wenig oder gar nichts über ihr eigenes Wissen wussten; die einzigen ethnografischen Studien, in denen wir Vorstellungen von diesen Wilden hatten, wurden von Ausländern unterzeichnet, darunter Dr. Karl von den Steinen, Paul Ehrenreich und Max Schmidt.« [»Quando a Comissão frechou para os sertões, nós, os brasileiros, eramos exatamente quem tinha menos autoridade para dizer dos indígenas de Mato Grosso, a respeito dos quais pouco o quase nada sabíamos de conhecimento próprio; os únicos estudos etnográficos em que hauriamos noções sôbre êsses selvícolas eram subscritos por estrangeiros, entre os quais os Drs. Karl von den Steinen, Paul Ehrenreich e Max Schmidt«]. Meine Übersetzung. Rondon, Cándido M. S. und João Barbosa de Faria: Glossário Geral das tribos silvícolas de Mato-Grosso e outras da Amazônia e do Norte do Brasil, Bd. 1, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional 1948, S. 8. Vgl. auch Gomes Soares, A.: »Esboço da etnografia amazônica«, Almanaque Brasileiro Garnier, Rio de Janeiro 1909, S. 245-251; Schaden, Egon: »Karl von den Steinens Beitrag zur Brasilkunde«, in: Staden-Jahrbuch 4 (1956), S. 271-283. 147 Die Ergebnisse der Expeditionen von Karl von den Steinen und Paul Ehrenreich sowie die ihrer Nachfolger Max Schmidt und Theodor Koch, ein »brillantes Plädoyer moderner Reisender« [»brilhanten Pleiade de viajantes modernos«], wurden als unbestreitbarer Spielraum für die brasilianische Ethnografie geschätzt. Vgl. Gomes Soares: »Esboço da etnografia amazônica«. 148 Krause, Fritz: In the Wilderness of Brazil: Report and Results of the Leipzig Araguaia Expedition of 1908, New Haven, Conn.: Human Relations Area Files 1911; Steinen, Karl von den: Entre os aborígenes do Brasil central, São Paulo: Departamento de Cultura 1940; Steinen, Karl von den: O Brasil Central, São Paulo: Companhia Editorial Nacional 1942; Schmidt, Max: Estudos de etnologia brasileira: peripécias de uma viagem entre 1900 e 1901; seus resultados etnológicos, São Paulo: Ed. Nacional 1942; Koch-Grünberg, Theodor: Am Roroima: Bei meinen Freunden, den Indianern vom rosigen Fels, Leipzig: F. A. Brockhaus 1934; Koch Grünberg, Theodor: Del Roraima al Orinoco, Caracas: Ediciones del Banco Central de Venezuela 1979; Koch-Grünberg, Theodor: Dos años entre los indios. Viajes por el noroeste brasileño 1903 – 1905, Bd. 1-2, Bogotá: EUN Ed. Univ. Nacional de Colombia 1995.

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als einhundert Jahre sind seit den ersten deutschen Amazonas-Expeditionen vergangen und einige der Bücher, die aus diesen Unternehmen hervorgegangen sind, werden weiterhin verlegt.149 Sowohl Publikationen als auch unveröffentlichtes Material – einschließlich der Forschungstagebücher – richteten sich an bestimmte Leser. Die Rezeption der in dieser Studie zitierten Monografien kann nicht eingehend analysiert werden, denn dies würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Einige Aspekte der Texte selbst helfen jedoch im Folgenden, die Zielgruppe an die sie gerichtet waren, zu klären.150 Die hier untersuchten ethnologischen Monografien sind exemplarisch für die »charakteristische kanonische Gattung des wissenschaftlichen Schreibens«151 , die aus europäischen Expeditionen entstanden ist. Sie bestehen aus zwei Hauptteilen; der erste Teil ist der Reisebericht, der nicht nur den Kontext und die Bedingungen der Expedition aufzeigt, sondern auch Szenen während der Forschung schildert, und zwar in einem Stil, der in vielerlei Hinsicht an Abenteuerromane erinnert. Die Reiseschilderung diente auch als Vorlage für eine später veröffentlichte Version der Monografie, die hauptsächlich an Laien gerichtet war. So basiert z.B. die Laienversion Unter Indianern Südamerikas (1924) auf der Monografie Indianerstudien in Zentralbrasilien (1905) des Ethnologen Max Schmidt.152 Ähnlich ist es bei Karl von den Steinen oder Theodor Koch-Grünberg, auf deren Monografien populäre Ausgaben folgten.153 Mit der Reiseschilderung versuchten die Ethnologen, ein breiteres Publikum zu erreichen, jenes von Laien, die sich in Zeiten der kolonialen Expansion für Reisen außerhalb Europas und für die teilweise außergewöhnlichen Erfahrungen der abenteuerlustigen Ethnologen interessierten. Der zweite Teil der Monografien ist die Ethnografie selbst, d.h. die wissenschaftliche Beschreibung der erforschten indigenen Gruppen. Hier werden sowohl ein spezialisiertes Vokabular (botanische und zoologische Namen) als auch Referenzen zu anderen Autoren verwendet. Mit Abschnitten über indigene Sprachen mit ihren linguistischen Analysen, ebenso wie 149 Steinen, Karl von den: Durch Central-Brasilien: Expedition zur Erforschung des Schingú im Jahre 1884, Cambridge: Cambridge University Press 2010; Steinen: Expeditionsreisen am Amazonas; Koch-Grünberg, Theodor: Vom Roroima Zum Orinoco, Paderborn: Salzwasser Verlag 2012; Koch-Grünberg, Theodor: Zwei Jahre bei den Indianern Nordwest-Brasiliens, Paderborn: Salzwasser Verlag 2011. 150 Eine ausführliche Analyse der Form und Struktur der Monografien befindet sich im Kapitel 1.1.1. 151 Fabian: Im Tropenfieber, S. 323. 152 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien; Schmidt, Max: Unter Indianern Südamerikas, Berlin: Ullstein 1924. 153 Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens: Reiseschilderung und Ergebnisse der zweiten Schingú-Expedition 1887 – 1888, 2. Auflage als Volksausgabe, Berlin: Reimer 1897; Koch-Grünberg, Theodor: Zwei Jahre bei den Indianern Nordwest-Brasiliens, Stuttgart: Strecker und Schröder 1921.

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über Religion, Rituale, Glauben und Mythologie wurde versucht, eine möglichst holistische Darstellung von indigenen Kulturen zu bieten. Eine Ausnahme dieser Teilung zwischen Reiseschilderung und Ethnografie in ein und demselben Buch bilden die Publikationen von Theodor Koch-Grünberg. In seiner ersten Monografie kombinierte er die Schilderung der Reise mit ethnografischen Erkenntnissen. Im Anhang fügte er z.B. Tabellen mit meteorologischen und geologischen Informationen, ebenso wie über Botanik und Zoologie hinzu. In seiner zweiten Abhandlung, die aus fünf Bänden bestand, veröffentlichte er eine Reiseschilderung und eine wissenschaftliche Monografie in separaten Bänden.154 Die Ethnografie richtete sich an Wissenschaftler, darunter die Vorgesetzten der Ethnologen, denen die Veröffentlichungen gewidmet wurden, aber auch an Kollegen und nicht zuletzt die Sponsoren der Expeditionen. Auf diese Weise bildeten diese Adressaten der ethnografischen Monografien ein hybrides Zielpublikum. Die aus den Expeditionen gewonnenen Informationen wurden so übersetzt, dass sie sowohl ein breiteres als auch ein fachliches Publikum erreichen konnten. Dass ethnologische Texte an ein hybrides Zielpublikum gerichtet waren, lässt sich anhand weiterer Veröffentlichungsformen der Forschungsergebnisse konstatieren. Ethnologen erreichten ein wissenschaftliches Publikum durch Artikel in wichtigen ethnologischen Zeitschriften, wie der Zeitschrift für Ethnologie und Anthropos. Außerhalb der wissenschaftlichen Sphäre erreichten sie aber auch ein breiteres Publikum durch Artikel in Publikationen wie dem populärwissenschaftlichen Magazin Globus.155 Gerade bei Theodor Koch-Grünberg und Konrad Theodor Preuss wird deutlich, dass die Ergebnisse der ethnologischen Expeditionen nicht nur einem wissenschaftlichen Publikum vorbehalten waren, sondern durch die öffentlichen Vorträge auch ein breiteres Publikum erreichten. Diese wurden von Menschen aus unter-

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Unter seinen Publikationen finden sich zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften wie: Zeitschrift für Ethnologie, Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft, Internationales Archiv für Anthropologie, Petermanns Geographische Mittheilungen, ebenso wie in populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie Globus und Kosmos. Beiträge in internationalen Publikationen und Zeitschriften sind ebenfalls zu seinen Veröffentlichungen zu zählen. Seine erste Monografie Zwei Jahre unter den Indianern wurde 1967 neu aufgelegt, 1995 ins Spanische und 2005 ins Portugiesische übersetzt. Der zweite Band seiner fünfbändigen Monografie Vom Roroima zum Orinoco, der die Mythen der Taulipáng und Arekuná enthält, wurde 7 Jahre nach der ersten Auflage erneut aufgelegt. 1979 wurde er ins Spanische und 2006 ins Portugiesische übersetzt. Koch-Grünberg, Theodor: »Kreuz und quer durch Nordwestbrasilien«, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 89/11 (1906), S. 165-169; Schmidt, Max: »Aus den Ergebnissen meiner Expedition in das Schingúquellgebiet«, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 86 (1904), S. 119-125; Steinen, Karl von den: »›Plejaden‹ und ›Jahr‹ bei Indianern des nordöstlichen Südamerika«, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 65 (1894), S. 243-246.

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schiedlichen sozialen Schichten besucht.156 Somit positionierte sich der ethnologische Diskurs über die Amazonasbevölkerung an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und einer breiteren Öffentlichkeit. Exemplarisch für diese Verbindung sind Publikationen, die an Laien gerichtet waren, wie zum Beispiel eine Märchensammlung157 und Beiträge in populärwissenschaftlichen Publikationen, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern rezipiert wurden.158 Ethnologische Texte dienen als historische Quellen, weil sie vom wissenschaftlichen und ethnologischen Diskurs der Zeit zeugen. Sie berichten darüber hinaus vom Stand der damaligen frühen Ethnologie als Disziplin, deren fachliche Grenzen nicht ganz klar waren, zumal die Autoren der Texte keine ausgebildeten Ethnologen waren und eine Wissenschaft durch learning by doing betrieben. Inhalt und Struktur der ethnologischen Monografien ermöglichen es in erster Linie, diese Texte zum Teil als Abenteuerberichte mit wissenschaftlichem Anspruch einzuordnen. Dies war charakteristisch für ethnologische Texte der Zeit, wie Kate Sturges Analyse britischer Ethnografien zeigt. Das war der Fall bei den eigentlichen Ethnografien – »cleansed of the subjective and intersubjective components of the research institution« – und für die Reiseberichten – »a memoir of travel narrative which takes care of the personal side of things«159 . Es ist gerade aufgrund des persönlichen und abenteuerlichen Charakters des Reiseberichts möglich, zahlreiche Szenen zu finden, die soziale Interaktionen beobachten lassen und die von den Beziehungen mit lokalen Akteuren zeugen. Im Unterschied zu kontemporären Texten der britischen Ethnologie160 findet man hier zahlreiche indirekte Zitate von indigenen Akteuren, oft mit Namen und Fotografien, und sogar von ihnen erstellte Zeichnungen oder Karten.

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Nach der Rückkehr von seinen beiden Expeditionen hielt Theodor Koch-Grünberg an diversen Institutionen Vorträge über seine Reisen und wurde von Menschen, z.B. aus Vereinen, die seine Vorträge gehört hatten, um weitere Vorträge gebeten. Unter den Institutionen sind zu erwähnen: Verein Junger Kaufleute von Berlin, Geographische Gesellschaft in Bremen, Verein der Bankbeamten, Bernburger Kaufmännische Vereinigung, Kaufmännischer Verein zu Magdeburg, Gewerbeverein zu Dresden, Verein für Erdkunde zu Dresden, Versammlung Naturforscher und Ärzte in Dresden, Verein für Naturkunde in München u.a. Vgl. ES Mr A.2, A.3, A.4, A.14, A.15. 157 Koch-Grünberg, Theodor: Südamerikanische Indianermärchen, Jena: Diederichs 1921. 158 Koch-Grünberg, Theodor: »South America«, in: Athol Joyce, Thomas und Northcote Whitridge Thomas (Hg.): Women of all Nations, London u.a.: Cassell and Company 1908, S. 360-392. 159 Sturge: Representing Others, S. 42. 160 Unter den weiteren Merkmalen der britischen Ethnologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts identifizierte Kate Sturge Folgendes: »[…] the explanations given by the people being studied are not quoted – not reproduced as parts of specific exchanges between specific participants.« Ebd., S. 43.

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Zwar bedient sich dieser Studie vieler der Quellen, die in der bisherigen Geschichtsschreibung der deutschen ethnologischen Amazonasforschung verwendet wurden, doch führe ich keine top-down Lektüre durch, sondern strebe vielmehr eine Geschichte von unten an. Das heißt, dass die Aufmerksamkeit auf bisher ignorierte Akteure, ihre Praktiken und ihre Beziehungen zu den Ethnologen gelenkt wird, sodass sie auf diese Weise historisiert werden können, mit der Absicht, ihre Stimmen in der Geschichte zu versprachlichen.161 Es versteht sich von selbst, dass diese Quellen keine transparenten Fakten über die Erfahrungen der Subjekte der Expeditionen sind. Es handelt sich um Texte, die ja an einen bestimmten Diskurs angepasst und an eine bestimmte Öffentlichkeit gerichtet wurden. Dennoch erlauben diese Texte durch zahlreiche Schilderungen der Beziehungen zwischen Forschern und lokalen Akteuren eine alternative Darstellung der Geschichte ihrer Praktiken während der ethnologischen Forschung. Die hier analysierten veröffentlichten Materialien werden als Übersetzungen wahrgenommen, die sich auf verschiedenen Ebenen manifestieren. In erster Linie sind diese Quellen als eine Komposition aus Übersetzungen zu betrachten, die Fragmente in indigenen Sprachen mit deutscher Übersetzung bieten, sowie Informationen über den Prozess der sprachlichen Vermittlung selbst bereithalten, z.B. durch die Präsenz von Dolmetschern. Darüber hinaus sind diese Texte als Übersetzungen gelebter Erfahrungen zu begreifen. Die Übersetzungen implizieren eine Anpassung der Fakten – an denen verschiedene Personen und Sprachen teilnahmen – sowohl an das schriftliche Medium als auch an den vom Ethnologen autorisierten wissenschaftlichen Diskurs. Die Monografien haben, wie zuvor gezeigt, einen hybriden Charakter – der zwischen der Abenteuergeschichte und wissenschaftlicher Repräsentation oszilliert – und sie zeigen gerade deswegen bestimmte Einstellungen und Vorurteile der Autoren gegenüber der lokalen Bevölkerung, die damals keinen Mangel an wissenschaftlicher Qualität darstellten und auch nicht als problematische Aspekte angesehen wurden. Auf diese Weise bieten sie reichhaltige Beschreibungen der Beziehungen zu den lokalen Akteuren, die − obwohl adaptiert und vermittelt − einen wertvollen Beitrag zur Analyse der Praktiken der Akteure der ethnologischen Forschung markieren. Studien wie die vorliegende Arbeit, aber auch jene Untersuchungen, die als Inspiration dieser Arbeit gedient haben – wie z.B. Johannes Fabians Analyse Im Tropenfieber –, stehen vor dem Problem, eine bestimmte Textgattung als Quellengrundlage auswählen zu müssen; in diesem Fall habe ich mich aus praktischen Gründen, zu denen vor allem der Mangel an unveröffentlichten Quellen zählt, für

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Deines, Stefan, Stephan Jaeger und Ansgar Nünning: »Subjektivierung von Geschichte(n) – Historisierung von Subjekten. Ein Spannungsverhältnis im gegenwärtigen Theoriediskurs«, in: Dies. (Hg.): Historisierte Subjekte – Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte, Berlin/New York: De Gruyter 2003, S. 1-22, hier S. 10.

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veröffentlichte Ethnografien entschieden.162 Wie Fabian darlegt, entspricht dies zwar nicht ganz den historiografischen Standards, lässt sich aber mit der Spezifizität der Quellen begründen, die beispielweise trotz Zensurfilter zahlreiche Informationen zuließen. Zwar stützt sich diese Analyse hauptsächlich auf publizierte Monografien und wissenschaftliche Aufsätze, es werden aber im hier ausgewählten Korpus auch unveröffentlichte Quellen berücksichtigt. Sie setzen sich hauptsächlich aus Materialien aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass – seinen Forschungstagebüchern, seinen Briefwechseln mit anderen Kollegen und den Sammlungsakten des Völkerkundemuseums zu Berlin – zusammen. Weiteres unveröffentlichtes Material aus Konrad Theodor Preuss’ Nachlass wird ebenso verwendet.163 Die Relevanz der unveröffentlichten Materialien für die vorliegende Untersuchung liegt darin, dass sie einen tieferen Einblick in Szenen von Interaktionen und Praktiken ermöglichen, die in den Monografien manchmal ausgespart oder nur verkürzt dargestellt wurden. Insbesondere bestimmte Informationen über lokale Akteure und ihre Rolle in Dolmetsch-Situationen oder während des Tauschhandels sind z.B. in Koch-Grünbergs Forschungstagebüchern detaillierter ausgeführt worden. Sie ermöglichen darüber hinaus eine bessere Einordnung persönlicher Einstellungen des Ethnologen gegenüber seinen Gesprächspartnern, womit die Rolle anderer Individuen in ihren Beziehungen zu den Ethnologen nachvollziehbar wird. Des Weiteren bieten Forschungstagebücher zahlreiche Informationen über den Kontext und die Bedingungen der Expeditionen sowie über Netzwerke und Kontakte, die in den Publikationen nicht ganz ersichtlich sind. Während bei der Mehrheit der Quellen der Amazonasforscher die Konstruktion von ethnografischen Texten verborgen bleibt, ermöglichen Forschungstagebücher und andere unveröffentlichte Materialien aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass darüber hinaus eine Rekonstruktion des Prozesses, durch den ethnografische Übersetzungen, die aus den Erfahrungen und Interaktionen während der Feldforschungen resultierten, entstanden sind. Koch-Grünbergs Nachlass umfasst Materialien aus den circa 24 Jahren seiner Tätigkeit als Forscher in der Amazonasregion. Andere deutsche Ethnologen aus dieser Zeit waren entweder nur einmal in der Region oder ihr Interesse verlagerte

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Fabian: Im Tropenfieber, S. 30f. Preuss’ Nachlass verschwand zum Großteil während der Zweiten Weltkriegs, sodass aus seiner Zeit in Kolumbien nur drei Hefte erhalten sind, von denen zwei Sprachaufnahmen der Uitoto enthalten, während das letzte aus Reisevorbereitungen und Notizen besteht. Der übrig gebliebene Nachlass befindet sich im Ibero-Amerikanischen Institut – Berlin. Bestand: Notizbücher K. Th. Preuss, 3 Hefte. Kolumbien 1914, 1, 3, 10. Die Hefte mit Sprachaufnahmen bieten einige für das Erkenntnisinteresse dieser Studie relevante Informationen über Übersetzungsprozesse bei Uitoto-Indigenen.

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sich dann bald auf andere Regionen oder andere Tätigkeiten.164 Koch-Grünberg kann als einziger und im eigentlichen Sinne als konstanter Amazonasforscher betrachtet werden. Seine akribischen und ausführlichen Arbeiten sowie seine weltweite soziale und wissenschaftliche Vernetzung innerhalb der damaligen Amazonasforschung machen seinen Nachlass zu einer Quelle von unvergleichlichem Wert, wenn es darum geht, die Präsenz von anderen Akteuren (außer ihm) in den Expeditionen und insbesondere von seinen indigenen Gesprächspartnern nachzuverfolgen und die sozialen Verknüpfungen zwischen ihnen während der Feldforschung zu rekonstruieren.165 Diese herausragende Bedeutung seiner Arbeit begründet somit die Auswahl von Koch-Grünbergs Expeditionen als Haupt-Untersuchungsobjekt für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie. Während der von ihm selbst geleiteten Expeditionen nach Südamerika verfasste Koch-Grünberg Hunderte von Seiten in seinen 24 Tagebuchheften.166 Er schrieb täglich und notierte mit Bleistift Einträge zu seinen Reisen und Aufenthalten in der Region. In kurzen Einträgen berichtet er über das Wetter, die Landschaft sowie über die (vorgefundenen, gejagten und auch verspeisten) Tiere und über die dortige Pflanzenwelt. In längeren Einträgen schrieb er seine persönlichen Eindrücke, Meinungen, Überlegungen sowie seine Gefühle und Stimmungen auf. Dafür

164 Obwohl Karl von den Steinen zwei Expeditionen im Xingú-Gebiet durchführte und zwei entsprechende Bände veröffentlichte, beschäftigte er sich später hauptsächlich mit Ozeanien. Max Schmidt unternahm auch zwei Expeditionen nach Zentralbrasilien, konzentrierte aber seine Forschung später auf indigene Gemeinschaften in Paraguay. Fritz Krause führte 1908 die Araguaya-Expedition in Brasilien durch, interessierte sich danach jedoch hauptsächlich für die nordamerikanische Ethnologie. 165 Der Nachlass wurde im Jahr 1999 von seiner Familie der Philipps-Universität Marburg für Forschungszwecke übergeben und befindet sich in der Völkerkundlichen Sammlung dieser Universität. Für die vorliegende Studie habe ich seine Feldtagebücher (24 Hefte), seinen Briefwechsel (37 Aktenordner von 1898 bis 1924), Manuskripte von Vorlesungen und Vorträgen ebenso wie zahlreiche unveröffentlichte und noch nicht inventarisierte Materialien, inklusive Fotografien, ausgewertet. 166 Michael Kraus gab 2004 Koch-Grünbergs Tagebücher (6 Hefte) seiner ersten Reise nach Südamerika als Teilnehmer der Xingú-Expedition von Herrmann Meyer heraus. Dies gehört zum Trend der selbstreflexiven Wendung der Ethnologie in den letzten drei Jahrzehnten, im Zuge derer Tagebücher von Ethnologen auch als Quelle der Fachgeschichte der Ethnologie miteinbezogen wurden. Vgl. Koch-Grünberg, Theodor: Die Xingu-Expedition (1898-1900): Ein Forschungstagebuch, hg. v. Michael Kraus, Köln: Böhlau 2004. Diese Publikation schließt sich ähnlichen Publikationen an, welche der Veröffentlichung von Bronislaw Malinowskis Tagebücher folgten. Vgl. dazu Snethlage, Emil Heinrich: Die Guaporé-Expedition (1933-1935): Ein Forschungstagebuch, hg. v. Rotger M. Snethlage, Alhard-Mauritz Snethlage und G. Mere, Köln: Böhlau 2016; Müller-Wille, Ludger (Hg.): Franz Boas Among the Inuit of Baffin Island, 1883-1884: Journals and Letters, Toronto: University of Toronto Press 1998; Lewis, A. B: An American Anthropologist in Melanesia: A. B. Lewis and the Joseph N. Field South Pacific Expedition, 1909-1913, Honolulu: University of Hawai’i Press 1998.

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hatte er jedoch keinen festen Schreibtisch zur Verfügung, sodass er auf Schiffen, auf Booten und in den improvisierten Aufenthaltslagern seine Notizen machte. Es lässt sich nicht mit Genauigkeit feststellen, ob die Tagebücher absichtlich so verfasst wurden, dass sie zur Vorbereitung der Ethnografien und anderer Publikationen dienen konnten, oder ob umgekehrt die Publikationen an die Form und Darstellungsmodi der Tagebücher angepasst wurden. Auch wenn man annimmt, dass die Tagebücher hauptsächlich an ihren eigenen Autor gerichtet waren, deuten dennoch mehrere Aspekte darauf hin, dass sie auch an andere mögliche Leser gerichtet waren und daher nicht nur als Zeugnis und Nachweis der persönlichen Erfahrung, sondern auch als Entwurf für eine zukünftige Monografie geschrieben wurden. Diese Annahme lässt sich vor allem durch einen Vergleich der Monografien Theodor Koch-Grünbergs mit seinen Feldforschungstagebüchern überprüfen. Somit lässt sich annehmen, dass seine Reisetagebücher später als Vorlage für die Publikationen dienten. Sie können in der Folge als »Selbstreflexionen und Weltdeutungen«167 aber auch als Forschungstagebücher behandelt werden. Eine andere Funktion dieser Hefte bestand darin, dass sie als eine Art Brieftagebücher konzipiert wurden, die an seine Verlobte Elsa Wasmuth gerichtet waren. Da sie keine persönlichen Tagebücher im strengen Sinne waren, sondern bereits an eine zweite Person gerichtet wurden, weisen die Tagebücher eine gewisse (Selbst)Zensur auf, mittels derer sie an seine zukünftige Leserin angepasst wurden. Dieses zum Teil unveröffentlichte Material beinhaltet bedeutende Einträge über seine Beziehung zu den Indigenen und ermöglicht daher in vielerlei Hinsicht einen tieferen Einblick in die Begegnung und Interaktion mit ihnen. Nicht zuletzt dienen ethnografische Tagebücher zur Identifikation und Verstärkung indigener Stimmen, die im wissenschaftlichen Diskurs für gewöhnlich unsichtbar blieben.168 Dennoch bleibt der autoritative Charakter des persönlichen Nachlasses in all seinen Texten, Bildern und Objekten präsent. So ist es offensichtlich, dass Koch-Grünberg bereits während der Expedition an die möglichen Leser seiner wissenschaftlichen Arbeit gedacht hat. Es handelt sich hierbei um Übersetzungen ihrer Erfahrungen, die durch das Medium (Schrift, Zeitschriftenformat), den Diskurs (akademisch, ethnologisch) und durch die potentiellen Adressaten/Leser, an welche die Texte gerichtet waren (persönliche Kontakte, Kollegen) vorbestimmt wurden.

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Vgl. Steuwer, Janosch und Rüdiger Graf: »Selbstkonstitution und Welterzeugung in Tagebüchern des 20. Jahrhunderts«, in: Dies. (Hg.): Selbstreflexionen und Weltdeutungen. Tagebücher in der Geschichte und der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts, Göttingen: Wallstein 2015, S. 7-36. 168 Stefansson, Vilhjalmur und Gísli Pálsson: Writing on Ice: The Ethnographic Notebooks of Vilhjalmur Stefansson, Hannover/London: University Press of New England 2001, S. 25.

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Weitere unveröffentlichte Materialen sind ausgewählte Sammlungsakten169 aus dem damaligen Königlichen Völkerkunde-Museum zu Berlin. Sie geben Informationen über die Interaktionen mit den unterschiedlichen Vermittlern bei den Expeditionen, über die Präsenz von Dolmetschern und über ihre Überlegungen bezüglich der Notwendigkeit von Übersetzung und daraus resultierenden Problemen. Jeder Forscher besaß seine eigenen Akten, in der die Korrespondenz mit seinen Vorgesetzten, Nachweise über Transport, Erhalt und Bezahlung der ethnologischen Sammlungen ebenso wie in einigen Fällen Manuskripte oder Briefwechsel mit Verlagen archiviert wurden. Die Korrespondenz mit den Vorgesetzten enthält außer dem Verlauf der Reise und Details über den Aufenthalt auch viele persönliche Eindrücke und ermöglicht somit Einblicke in die Beziehungen der Forscher mit der lokalen Bevölkerung. Einige Briefe aus dem unveröffentlichten Briefwechsel Theodor Koch-Grünbergs der Jahre 1903 bis 1924, welche die Zeitspanne seiner ethnologischen Karriere bilden, zeigen seine transnationale Vernetzung und verdeutlichen die Relevanz seiner wissenschaftlichen und persönlichen Positionierung im wissenschaftlichen Diskurs. Koch-Grünberg korrespondierte nicht nur mit deutschen Ethnologen, sondern auch mit anderen, rund um den Globus verstreuten Kollegen.170 In Südamerika pflegte er wissenschaftliche Kontakte171 und freundschaftliche Beziehungen z.B. mit Schlüsselpersonen,172 deren Präsenz es ermöglicht, z.B.die Abhängigkeit seiner Forschungen von den herrschenden Kautschukhandelsstrukturen in der Region zu verdeutlichen. Nach der ersten Expedition korrespondierte Koch-Grünberg zudem unter anderem mit Verlagshäusern, Zeitschriftenredaktionen und Institutionen in Deutschland, um in öffentlichen Vorträgen über seine Reise zu sprechen.173 Diese

169 Diese befinden sich zum Teil im Archiv des Ethnologisches Museum in Berlin. Archivbestand SMB-PK, EM. Zu von den Steinen: I B. Litt: K; zu Koch-Grünberg: I B. 44 und 44a; zu Preuss: I B. 92 Band I; zu Schmidt: I B.83 Band I. 170 Neben Karl von den Steinen, Fritz Krause, Konrad Theodor Preuss und Wilhelm Kissenberth und korrespondierte er auch mit Curt Unckel Nimuendajú sowie mit den Botaniker Ernst Ule. Unter seinen internationalen Kollegen waren Ethnologen wie der Tscheche Albert Frič, die schwedische Erland Nordeskiöd und Gustaf Bolinder, der Franzose Paul Rivet oder der britischen Kapitän Thomas Whiffen. 171 Unter seinen wissenschaftlichen Kontakten stand z.B. der venezolanische Bauingenieur und Botaniker Alfredo Jahn. 172 Unter seinen Freunden in der Amazonas-Region war von Bedeutung insbesondere für seine Expeditionen der Kontakt zu dem deutschen Missionar Pater Adalbert Kaufmehl, dem britischen (Kautschuk-)Händler Alfredo Stockmann, dem spanischen Kautschukhändler Germano Garrido y Otero sowie zu dessen Sohn Salvador Garrido und dem Syrer (und Kautschukhändler) Miguel Pecil. 173 Von diesen Institutionen sind zu erwähnen: Verein der Bankbeamten in Berlin, Gewerbeverein zu Dresden, Bernburger Kaufmännische Vereinigung, Kaufmännischer Verein zu Magdeburg, Verein für Erdkunde zu Dresden. ES Mr A.1.1

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Vorträge waren an ein breiteres Publikum gerichtet und die entsprechenden Anfragen legen nahe, dass Koch-Grünberg eine gewisse Bekanntheit erlangt hatte und mit der öffentlichen Verwertung seiner Expeditionen auch symbolisches Kapital erwerben konnte. Anfragen kamen auch von Interessierten außerhalb des ethnologischen Kreises, wie beispielsweise einem Bäcker, der im Jahr 1906 an der Zubereitung von Brot im Amazonasgebiet interessiert war.174 Aus der Art der Institutionen und der Art der Mitglieder der Vereine lässt sich erahnen, dass das Publikum der Vorträge vielfältig war und unter anderem aus Juristen, Ärzten, Lehrern, Kaufmännern und Apothekern bestand. Die Existenz von Vorträgen dieser Art verdeutlicht die populäre Darstellung der erforschten indigenen Gruppen.175 Die Vorträge dienten neben vielen anderen damaligen Formen der Repräsentation fremder Kulturen – wie Weltausstellungen, Völkerschauen oder Missionsausstellungen – als Mittel zur Verbreitung der damaligen Wissenschaftsdiskurse in anderen gesellschaftlichen Milieus.176 Darüber hinaus geben öffentliche Vorträge wertvolle Hinweise auf Koch-Grünbergs Rolle als transkultureller Vermittler, denn er bewegte sich nicht nur zwischen den Amazonaskulturen und seiner eigenen Kultur, sondern auch zwischen der Wissenschafts- und Populärkultur seiner Zeit. Seine Positionierung zwischen unterschiedlichen sozialen und kulturellen Feldern kann im Gegensatz zu anderen Amazonasforschern jener Zeit aufgrund der umfangreichen Archivmaterialien rekonstruiert werden und erweist sich somit als ein weiterer triftiger Grund dafür, Koch-Grünbergs Nachlass ins Zentrum der vorliegenden Untersuchung zu stellen.

Amazonas-Ethnologen und ihre Expeditionen Die Amazonas-Ethnologen zeichneten sich durch ihren praktischen Ansatz aus; durch eine umfassende Sammlung von Sprachen, Mythen und Objekten. Gerade weil sie einen ganzen Fundus an Daten von unschätzbarem Wert bieten, haben ihre Arbeiten ihre Gültigkeit in der Amazonasforschung bis heute nicht verloren und 174

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Brief von Wilhelm Hartmann an Koch-Grünberg. Hartmann sammelte Informationen für eine Publikation »Bäckereiwerk Theorien und Praxis«. Besonders interessiert war er an der Zubereitung eines »Heuschreckenkuchens«. Koch-Grünberg hatte darüber in einem Vortrag gesprochen. 2.4.1906. ES Mr A.1.1. Vgl. Daum, Andreas: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert: Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848-1914, 2. Aufl., München: Oldenbourg 2002. Zur Völkerschauen vgl. Thode-Arora, Hilke: »Hagenbeck: Tierpark und Völkerschau«, in: Zimmerer, Jürgen (Hg.): Kein Platz an der Sonne: Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt a.M.: Campus 2013, S. 244-257; Dreesbach, Anne: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung »exotischer« Menschen in Deutschland 1870 – 1940, Frankfurt a.M./New York: Campus 2005; Thode-Arora, Hilke: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen, Frankfurt a.M.: Campus 1989.

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dienen weiterhin als Bezugspunkt. Diese Gruppe von Ethnologen ist aufgrund ihrer Positionierung in bestimmten »Orten des Wissens« der Ethnologie für die Wissensforschung über die Amazonasregion innerhalb der entstehenden Disziplin von besonderer Relevanz.177 Sie alle standen mit dem Königlichen Museum für Völkerkunde zu Berlin oder, im Fall von Fritz Krause, mit dem Leipziger Museum für Völkerkunde in Verbindung. Es handelte sich dabei um Institutionen, die für die Finanzierung der Expeditionen und für die museale Ausstellung materieller Kultur der indigenen Gemeinschaften eine wesentliche Rolle spielten. Im Folgenden möchte ich einen kurzen Überblick über die bedeutendsten deutschen Expeditionen und die dazugehörigen Forscher im Amazonasgebiet geben.178 Die zwei Expeditionen von Karl von den Steinen nach Zentralbrasilien können als die ersten Versuche, die Amazonasregion systematisch zu erkunden, betrachtet werden. Sie gelten als die Anfänge der deutschen ethnologischen Amazonasforschung und sind hier von Bedeutung, weil sie die Methoden und Vorgehensweisen der zukünftigen Forscher zum Teil beeinflussten. Eine frühe ethnologische Erkundung der Region begann mit den Xingú-Expeditionen, die der ausgebildete Arzt Karl von den Steinen ebenso wie der Geograf Herrmann Meyer zwischen 1884 und 1899 im Alto-Xingú-Gebiet in Zentralbrasilien unternahmen.179 Von den Steinens erste Expedition war eine Zusammenarbeit, in der sein Vetter, der Maler Wilhelm von den Steinen, und der Physiker Otto Claus mitwirkten. Die Expedition wurde zum Teil von der brasilianischen Reichsregierung finanziert. Sie stellte nicht nur Diener und Lasttiere, sondern auch Soldaten zur Verfügung. Die Aufgabe eines Offiziers war es, bei seiner Rückkehr u.a. über die Natur und die Bedingungen für Landbesitz Rechenschaft abzugeben. Die Aufgabe eines anderen Offiziers bestand darin, geografische Informationen zu sammeln.180 Gemeinsam sammelten die Forscher auf systematische Weise ethnografisches, linguistisches und vor allem geografisches Material. Dabei verwendeten sie die modernsten Technologien ihrer Zeit, wie zum Beispiel Fotoapparate und diverse Messgeräte. Diese neue Arbeitsmethode markierte eine Wende in der ethnologischen Forschung, in der bis zu diesem Zeitpunkt Reisende und Forscher Materialien gesammelt hatten, die

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Rebok: »La constitución de la investigación antropológica alemana«, S. 238. Zu ihren detaillierten Biografien und ausführlichen Schilderungen ihrer Expeditionen vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald. 179 Vgl. Meyer, Herrmann: Meine Reise nach den deutschen Kolonien in Rio Grande do Sul 1898-1899. Gedruckt als »Reisebriefe« für seine Freunde, Leipzig: Meyers Graph. Inst. 1899; Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens; Steinen: Durch Central-Brasilien. In Brasilien wird von den Steinen als »Vater der brasilianischen Ethnologie« bezeichnet, womit unterstellt wird, dass erst mit ihm die ethnologische Forschung im Lande begann. Vgl. dazu Schaden: »Karl von den Steinens Beitrag zur Brasilkunde«; Coelho: Karl von den Steinen. 180 Petschelies: »Karl von den Steinen’s Ethnography«, S. 552f.

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später von »Lehrstuhlgelehrten« ausgewertet wurden.181 1887 unternahm von den Steinen seine zweite Xingú-Expedition, an der auch der Arzt Paul Ehrenreich und der Mathematiker Peter Vogel teilnahmen. Nach diesen Expeditionen folgten weitere Unternehmungen im Amazonasgebiet, deren Ziel sowohl die ethnologische und zum Teil auch anthropologische Erforschung der indigenen Gemeinschaften der Region darstellte als auch die Sammlung von Objekten zur Erforschung der indigenen Kulturen. Der promovierte Jurist und Mitarbeiter der von Karl von den Steinen geleiteten Amerika-Abteilung des Museums für Völkerkunde zu Berlin182 , Max Schmidt, forschte zwischen 1900 und 1901 im Quellgebiet des Xingú-Flusses. Seine Expedition lässt sich mit jenen seines Vorgesetzten aus folgenden Gründen nicht vergleichen: Im Gegensatz zu ihnen reiste er mit nur zwei Begleitern und hatte Schwierigkeiten, eine größere Mannschaft zu finden, weil die Leute, die er brauchte, zeitgleich an einer anderen Expedition teilnahmen183 ; außerdem hatte er nur sehr knappe finanzielle Ressourcen und wurde mehrmals krank. Schmidt unternahm 1910 eine weitere Reise in die Region.184 Aufgrund der Schwierigkeiten, die Schmidt immer wieder bewältigen musste, wurde seine zweite Reise von seinen Kollegen als nicht erfolgreich bewertet.185 Mehr Glück hatte dagegen Theodor Koch-Grünberg. Der in klassischer Philologie, Deutsch, Geschichte und Geografie ausgebildete Forscher nahm zwischen 1898 und 1900, vermutlich durch Vermittlung des Professors für Geografie Wilhelm Sievers186 in Giessen, an der Xingú-Expedition Hermann Meyers teil, wo er für fotografische Aufnahmen und Zeichnungen zuständig 181 182

Hermannstädter: »Karl von den Steinen und die Xingú-Bevölkerung«, S. 211. Vgl. Schmidt, Max: »Autobiografia de Max Schmidt«, in: Revista de Antropologia 3/2 (1955), S. 115-124. Baldus, Herbert: »Max Schmidt 1874 -1950«, in: Revista do Museu Paulista V (1951), S. 253-260. 183 »Unglücklicherweise wurde zu gleicher Zeit von Cuyaba aus eine grosse Expedition von einem Cuyabaner Kaufhause ausgerüstet, die unter der Leitung eines Deutschen, namens Bodstein, zum Rio Verde und Rio Arinos in das Gebiet der Kayabi vordringen sollte, um das dortige Gebiet für die Kautschukgewinnung zugänglich zu machen und die feindlichen Indianer durch Einnahme ihres Hauptdorfes an der Baranca des Rio Verde zur Einstellung ihres dem Unternehmen entgegengebrachten Widerstandes zu zwingen«. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 23. 184 Vgl. Schmidt, Max: »Reisen in Matto Grosso im Jahre 1910«, in: Zeitschrift für Ethnologie 44/1 (1912), S. 130-174; Schmidt, Max: »Die Paressi-Kabisi. Ethnologische Ergebnisse der Expedition zu den Quellen des Jauru und Juruena im Jahre 1910«, in: Baessler-Archiv 4 (1914), S. 167-250; Schmidt, Max: »Die Guató und ihr Gebiet. Ethnologische und archäologische Ergebnisse der Expedition zum Caracara-Fluss in Matto-Grosso«, in: Baessler-Archiv 4 (1914), S. 251-283. 185 Koch-Grünberg schrieb über Schmidts Reise, dass diese »nach Nachrichten, die [er] aus Berlin habe, leider wieder mit einem Fiasko geendet zu haben [schien]«. Tagebucheintrag 15.2.1912. ES Mr B.I.3. Heft 7. 186 Kraus, Michael: »Am Anfang war das Scheitern. Theodor Koch-Grünberg und die ›zweite Meyer’sche Schingú-Expedition‹«, in: Kraus, Michael (Hg.): Theodor Koch-Grünberg. Die Xingu-

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war.187 Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums für Völkerkunde zu Berlin.188 Von 1903 bis 1905 erfolgte im Auftrag des Berliner Museums für Völkerkunde und Adolf Bastians189 sowie mit der finanziellen Unterstützung des Ethnologischen Hilfskomitees seine erste Expedition zum oberen Rio Negro (zwischen Brasilien und Kolumbien)190 , deren Ergebnisse in der Monografie Zwei Jahre unter den Indianern191 veröffentlicht wurden. Die Ziele der Expedition bestanden im Erwerb einer ethnografischen Sammlung und in der Erforschung der dort lebenden indigenen Gemeinschaften. Aufgrund des Erfolges dieser Expedition konnte sich Koch-Grünberg im Kreis der Ethnologen etablieren und führte von 1911 bis Expedition (1898-1900). Ein Forschungstagebuch, Köln/Weimar: Böhlau 2004, S. 453-496, hier S. 455. 187 Herrmann Meyer folgte dem Beispiel Kar von den Steinens und reiste zwischen 1895 und 1897 nach Zentralbrasilien in das Xingú-Gebiet. Ein Jahr später brach Meyer erneut in dieselbe Region auf, diesmal jedoch ohne Erfolg. Vgl. Krusche, Rolf: »Unpublished Material on the Ethnography of the Upper Xingú-Region (Mato Grosso Brazil)«, Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig, Bd. XXXI, Berlin: Akademie-Verlag 1977, S. 177-184; Meyer, Herrmann: Bogen und Pfeil in Central-Brasilien, Leipzig: Bibl. Institut 1895; Meyer: Meine Reise nach den deutschen Kolonien in Rio Grande do Sul 1898-1899. Gedruckt als »Reisebriefe« für seine Freunde. Leipizig: Meyers Graph. Int. 1899. Das Material dieser Expedition befindet sich im Archiv des Museums für Völkerkunde zu Leipzig. Diese wissenschaftliche Unternehmung sollte die letzte für Meyer sein, der seine Karriere als Brasilienforscher relativ früh abbrach und sich für die Gründung privater deutscher Kolonien in der Region von Rio Grande do Sul entschied. Vgl. Meyer, Herrmann: Die Privatkolonien von Dr. Herrmann Meyer in Rio Grande do Sul (Südbrasilien), Leipzig: Bibl. Institut 1901; Schulze, Frederik: Auswanderung als nationalistisches Projekt: ,Deutschtum‹ und Kolonialdiskurse im südlichen Brasilien (1824-1941), Köln/Weimar: Böhlau 2016. 188 Vgl. Gusinde, Martin: »Th. Koch-Grünberg und sein Lebenswerk«, in: Anthropos 20/3/4 (1925), S. 702-717, hier S. 703. Vgl. auch Kraus, Michael: »›… und wann ich endlich weiterkomme, das wissen die Götter…‹ – Theodor Koch-Grünberg und die Erforschung des oberen Rio Negro«, in: Kurella, Doris und Neitzke, Dietmar (Hg.): Amazonas-Indianer. LebensRäume. LebensRituale. LebensRechte, Berlin: Reimer 2002, S. 113-128. 189 Auf Bastian geht die Institutionalisierung der Ethnologie in Deutschland zurück. Vgl. Fischer/Bolz/Kamel: Adolf Bastian and his Universal Archive of Humanity; Koepping, Klaus-Peter: Adolf Bastian and the Psychic Unity of Mankind: the Foundations of Anthropology in Nineteenth Century Germany, St Lucia: University of Queensland Press 1983. 190 Ursprünglich war das Ziel dieser Expedition eine »Sammelreise« für ein Jahr im zentralwestlichen Amazonasgebiet in den Regionen der Ucayalis- und Purus-Flüsse gewesen. KochGrünberg entschied sich jedoch für ein anderes Forschungsgebiet – den oberen Rio Negro. Aufgrund des niedrigen Wasserstandes der Flüsse war eine Reise dahin nicht möglich. Dazu bekam er einen Fieberanfall, der die Reise um einige Wochen verschob. Die wegen der Kautschukgewinnung unsicheren Verhältnisse in dieser Gegend waren ein wesentlicher Grund, dieses Gebiet nicht zu besuchen. Vgl. dazu Kraus: »›… und wann ich endlich weiterkomme, das wissen die Götter…‹«, S. 116. 191 Koch-Grünberg, Theodor: Zwei Jahre unter den Indianern: Reisen in Nordwest-Brasilien 1903/1905 Bd. 1, Berlin: Ernst Wasmuth A.-G. 1909; Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2.

Einleitung

1913 seine zweite Expedition in der brasilianischen Roraima-Region an der Grenze zwischen Venezuela und dem damaligen Britisch-Guayana durch. Am oberen Rio Negro konnte Koch-Grünberg wichtige Kontakte knüpfen und bildete somit ein Netzwerk, das ihm die Erforschung der Roraima-Region erleichterte.192 Die daraus entstandene fünfbändige Monografie Vom Roroima zum Orinoco193 umfasst neben einem ethnografischen Bericht die bisher ausführlichste Sammlung von Mythen und Legenden der Taulipan- und Arekuna-Indigenen. Koch-Grünberg war zwischen 1913 und 1915 außerordentlicher Professor für Völkerkunde an der Universität Freiburg, woraufhin er bis 1924 die Leitung des Linden-Museums in Stuttgart übernahm.194 Seine ethnologische Forschung ist umfangreicher als die der anderen zeitgenössischen deutschen Amazonasethnologen; die Anzahl seiner Publikationen und ihre Rezeption zeugen von seiner Bedeutung in der ethnologischen Amazonasforschung jener Zeit.195 Als Direktorialassistent des Museums für Völkerkunde zu Leipzig unternahm Fritz Krause seine Expedition zum Fluss Araguaya in Zentralbrasilien. Innerhalb der Gruppe der deutschen Amerikanisten hatte Krause, neben Geografie und Geologie, als einziger auch Völkerkunde studiert.196 Zur gleichen Zeit wie Krause reiste der promovierte Literaturwissenschaftler Wilhelm Kissenberth im Auftrag des Berliner Völkerkunde-Museums ebenfalls in die Araguaya-Region.197 Die beiden Forscher standen daher in Konkurrenz zueinander; während Krause die Resultate seiner Expedition in relativ kurzer Zeit präsentieren konnte, verbrachte Kissenberth etwa zwei Jahre auf Reisen in Südamerika und kam mit nur wenigen konkreten Ergebnissen zurück.198 Die letzte Expedition dieser ersten Phase der deutschen Amazonasforschung unternahm Konrad Theodor Preuss, der beinahe zufällig in

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Koch-Grünbergs Kontakte und sein Netzwerk vor Ort werden im Kapitel 1 dieser Dissertation ausführlich behandelt. 193 Koch-Grünberg, Theodor: Vom Roroima zum Orinoco: Ergebnisse einer Reise in Nordbrasilien und Venezuela in den Jahren 1911-1913, Schilderung der Reise, Bd. I, Berlin: Reimer 1917. Die korrekte Schreibweise des Namens der Region lautet heutzutage Roraima und nicht Roroima. 194 Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald. 195 Ein Zeichen seiner Bedeutung in Deutschland ist die Dauerausstellung »Die Forschungsreisen von Theodor Koch-Grünberg nach Brasilien« im Museum im Spital der Stadt Grünberg. 1956 erhielt die Volksschule der Stadt Grünberg den Namen Theo-Koch Schule. URL: https://www.theokoch.schule/schulgemeinde/ehemalige/schulgeschichte/. Letzter Zugriff am 22.5.2019. 196 Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 38. 197 Vgl. Kissenberth, Wilhelm: »Über die hauptsächlichsten Ergebnisse der Araguaya-Reise«, in: Zeitschrift für Ethnologie 44 (1912), S. 36-59. 198 Vgl. Hermannstädter, Anita: »Eine vergessene Expedition. Wilhelm Kissenberth am Rio Araguaya 1908-1910«, in: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Hg.): Deutsche am Amazonas – Forscher oder Abenteurer? Expeditionen in Brasilien 1800 bis 1914, Berlin/Münster: LIT/SMPK 2002, S. 106-131.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

die Orteguaza-Region im kolumbianischen Amazonasgebiet kam, wo er seine Forschung bei den Uitoto-Indigenen durchführte. Während Karl von den Steinen, Max Schmidt, Theodor Koch-Grünberg und Fritz Krause den gezielten Plan hatten, ethnografische Gegenstände zu sammeln, kam Konrad Theodor Preuss im Gegensatz dazu eher zufällig in die Region seiner Amazonasforschung. Seine Reise nach Südamerika war eigentlich darauf ausgerichtet, die prähistorischen Statuen von San Agustín in Zentral-Kolumbien archäologisch zu untersuchen, wobei er sie nicht nur analysierte, sondern auch auf illegale Weise mehrere Stücke davon nach Deutschland schickte.199 Mit dem Einsetzen der Regenzeit musste Preuss seine archäologischen Ausgrabungen einstellen. Während dieser Zeit wollte er mit den Andaquí-Indigenen in Kontakt kommen, von denen er glaubte, dass sie Nachkommen derjenigen Indigenen sein könnten, welche die Statuen von San Agustín angefertigt hatten. Davon erhoffte er sich Informationen über die Bedeutung der Statuen. Da er jedoch von den Andaquí keine Informationen erhalten hatte, entschied er sich, nach Indigenen aus der nahegelegenen Region Caquetá zu suchen, die wenig oder gar keinen Kontakt zu den ›Weißen‹ hatten, um ihre Sprache zu studieren. So entschied er sich, die Uitoto-Indigenen der Orteguaza-Region aufzusuchen, mit deren Hilfe er hoffte, das Innere ihrer spirituellen Kultur entschlüsseln zu können. Die Einbettung der mündlichen Traditionen der Uitoto in die westliche Kategorie der Religion durch die Publikation Religion und Mythologie der Uitoto ebenso wie die Übersetzung, die er mit Hilfe seiner Uitoto-Gesprächspartnern erstellte, steht für eine exemplarische Form der Kulturübersetzung. Die Entstehung dieses Zweiges der Ethnologie erfolgte damals mit der Unterstützung und Förderung der Protagonisten der deutschen Ethnologie. Hierbei war die Rolle des Mediziners Adolf Bastian von großer Bedeutung. Als Förderer der Institutionalisierung der Ethnologie in Deutschland gründete er 1869 zusammen mit Rudolf Virchow die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Zwischen 1873 und 1905 war er Leiter des Königlichen Museums für Völkerkunde.200 Als Wegbereiter der deutschen Ethnologie sollte Bastian einen großen Einfluss auf die zukünftige Ethnologengeneration im Amazonasgebiet ausüben, deren primäres Interesse nicht den Fragen der ›Rasse‹ und Evolution galt.201 Diese wissenschaftliche Einstellung trug vermutlich zu der kaum fortgeführten Verbreitung ihrer Methoden und Gedanken über die Indigenen bei, insbesondere in Zeiten, in 199 Vgl. Reyes Gavilán: »Ensamblando una colección«; Lleras Pérez, Roberto: »Konrad Theodor Preuss, un alemán que excavó en San Agustín«, in: Boletín de Historia y Angüedades C/857 (2013), S. 431-448. 200 Penny, H. Glenn: »The Civic Uses of Science: Ethnology and Civil Society in Imperial Germany«, in: Osiris 17 (2002), S. 228-252, hier S. 232. 201 Bunzl/Penny: »Introduction: Rethinking German Anthropology, Colonialism and Race«, S. 14.

Einleitung

denen die Ethnologie stark vom Evolutionismus und weiteren rassenbildungsorientierten Überlegungen geprägt wurde. Unter den Gründen, welche weitere Expeditionen deutscher Ethnologen in die Amazonasregion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verhinderten, stehen an erster Stelle die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Deutschlands seit Beginn des Ersten Weltkrieges bis in die Nachkriegsjahre nach dem Zweiten Weltkrieg.202 Ferner könnte die gegen die Theoriebildung gerichtete Präferenz für empirische Arbeit ein weiterer Grund für die minimale Verbreitung der damaligen deutschen Amazonasforschung im herrschenden ethnologischen Diskurs sein. Was die Auswahl und Behandlung von Quellen betrifft, so möchte ich abschließend hinzufügen, dass es sich in erster Linie um eine zwangsläufig subjektive Auswahl handelt. Die Auswahl der genannten Beispiele ist aber auch und vor allem auf das Erkenntnisinteresse der von mir gestellten Forschungsfragen zurückzuführen. Spezifische Szenen von Übersetzungsmomenten erlauben die Beobachtung der Art und Weise, wie Kulturübersetzung stattfand. In diesen Szenen werden auch die Beziehungen zwischen den Akteuren offenkundig; aufgrund ihrer Eigenschaft als intersubjektive Beziehungen spielen dabei sowohl dynamische Machtbeziehungen als auch Asymmetrien eine wesentliche Rolle. Daher erscheinen die Ethnologen in einigen Teilen der vorliegenden Studie in einem äußerst negativen Licht. Dies ist nicht nur auf eine subjektive Beurteilung oder eine ausschließlich willkürliche Auswahl von Negativbeispielen zurückzuführen. Denn gerade beim Zitieren von Passagen, in denen sich Ethnologen negativ äußern und eine zum Teil überhebliche Haltung gegenüber bestimmten Akteuren zeigten, zum Beispiel in Bezug auf ›Mischlinge‹ oder körperliche Bestrafung, habe ich berücksichtigt, dass in vorherigen Analysen eine weitgehend positive Darstellung der Forscher und ihrer Beziehungen zu lokalen Akteuren erfolgte. Ich habe bewusst einige ›negative‹ Passagen zitiert, um einerseits zu zeigen, dass z.B. Gewalt gegenüber diskriminierten Individuen – großenteils jene von der kolonialen Erfahrung geprägten außereuropäischen Gruppen – in damaligen kaiserlichen Zeiten akzeptiert wurde. So waren damals bestimmte Äußerungen oder Einstellungen von Ethnologen, die aus heutiger Sicht äußerst kritikwürdig sind, in gewisser Weise gerechtfertigt. Das Zitieren solcher Passagen soll einen Diskussionsraum eröffnen und dabei zeigen, dass die Machtverhältnisse in der ethnologischen Forschung die Beobachtung eines komplexen Panoramas dieses Moments der Produktion wissenschaftlichen Wissens in der Geschichte des Amazonasgebiets ermöglichen. Die vorliegende Studie gliedert sich in drei Teile. Im ersten Kapitel werden ethnografische Repräsentationen von Amazonas-Indigenen als ›Kulturübersetzung‹ analysiert. Hier wird ein Bogen von der ethnografischen Repräsentation zur Kulturübersetzung als interaktiver Praxis geschlagen, indem der Ort und die sozialen 202 Ebd., S. 6f.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Konditionen der Kulturübersetzung im konkreten geografischen und sozialen Feld, d.h. in der Amazonas-Kontaktzone, erläutert werden. Im zweiten Kapitel wird Kulturübersetzung als interaktive Praxis anhand der Sprachvermittlung und Textproduktion unter Beteiligung lokaler Akteure untersucht. Die Rolle von Dolmetschern bei der Durchführung von Praktiken wie Sprachaufnahmen, Erzählen, Dolmetschen und kollaborativem Übersetzen wird mittels der Figur des Dritten in sozialen Interaktionen analysiert. Das dritte Kapitel fokussiert Austauschprozesse der kulturellen Aneignung, des Tauschhandels und der Kommodifizierung von Dingen/Artefakten zwischen Indigenen und Ethnologen. Mittels ihrer Analyse wird ein materieller Ansatz zur Untersuchung von Kulturübersetzung erprobt, in dem nicht nur Menschen, sondern auch Gegenstände eine wesentliche Rolle spielen. Es handelt sich bei der vorliegenden Untersuchung um eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem der Translations- und Kulturwissenschaft zugehörigen Phänomen – der Kulturübersetzung –, das aber aus der Kulturanthropologie stammt und das die Beziehung zwischen Ethnologen und den von ihnen erforschten Kulturen aus historischer Sicht gekennzeichnet hat. Unter den hier untersuchten Quellen wurden auch Mythen und andere Narrative sowie das Wissen, das sie vermitteln, berücksichtigt. Diese Quellen wurden als Produkt der Übersetzung betrachtet, d.h. sie sprechen uns wie viele andere historische Quellen nicht direkt aus der Feder (oder dem Mund) ihrer Sprecher an, sondern im Gegenteil, sie werden durch die Sprache und den Diskurs der ethno-historischen Studien vermittelt. Dies delegitimiert sie nicht, denn sie dienten zur Erweiterung des epistemologischen Rahmens der vorliegenden Untersuchung. Mit anderen Worten wird durch ihre Einbeziehung gezeigt, dass parallel zu den ›westlichen‹ Epistemologien auch andere existieren und dass diese in der Produktion von Wissen auch berücksichtigt werden sollten. Diese Position spiegelt die Dringlichkeit wider, unsere eigenen epistemischen Systeme zu dekolonisieren,203 nicht nur interdisziplinär zu arbeiten und hegemonialen Quellen »gegen den Strich« zu lesen, sondern auch andere Kenntnisse und Wege des Weltverständnisses einzubeziehen, die bisher marginal geblieben sind.

203 Mackenthum, Gesa und Andreas Beer: »Introduction«, in: Beer, Andreas und Gesa Mackenthum (Hg.): Fugitive Knowledge. The Loss and Preservation of Knowledge in Cultural Contact Zones, Münster: Waxmann 2015, S. 7-26, hier S. 15.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Die ethnografische Feldforschung, wie sie in Reiseberichten von frühen deutschen Amazonasforschern dokumentiert worden ist, ermöglicht es, Kulturübersetzung sowohl als »Vermittlung zwischen verschiedenen Akteuren« als auch als die dafür erforderliche »Interpretationsarbeit«1 zu untersuchen. Im ersten Teil dieses Kapitels wird diese charakteristische Eigenschaft des ethnologischen Diskurses anhand der Quellen untersucht. Ein Blick auf die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Ethnologie wird dabei zeigen, dass die ethnografische Repräsentation sich durch die hegemoniale epistemische Dimension der Wissensproduktion – die Kolonialität des Wissens – auszeichnete und somit eine gewisse Komplizenschaft zwischen ›Kulturübersetzung‹, als Beschreibung und Repräsentation des ›Anderen‹, und Kolonialität entstand. Im zweiten Teil des Kapitels wird der Bogen von ›Kulturübersetzung‹ als Repräsentation zur Kulturübersetzung als interaktiver Praxis gespannt, die durch die Feldforschung beobachtbar wird. Hier ermöglichen es Reiseberichte über Amazonas-Expeditionen als historische Quellen, die Frage nach »dem Ort und den sozialen Konditionen des Übersetzens« – in seiner Rolle als sprachliche, aber auch als kulturelle Vermittlung – zu beantworten.2 Kulturübersetzung – zwischen Repräsentation und Praxis im Rahmen der frühen deutschen Amazonasforschung situiert – fand in einem konkreten geografischen und sozialen Feld statt, das ich mithilfe des Konzeptes der Kontaktzone untersuche. Hierbei spielten Faktoren wie die Kolonialität und der interne Kolonialismus eine entscheidende Rolle. Die soziopolitische Lage der Region, die Rolle der Akteure und der interpersonellen Beziehungen, die die Feldforschung ermöglichten, bieten ferner die Chance, die materielle Seite dieser Praxis herauszuarbeiten und sowohl die Rolle der Wissenschaftler als auch ihre Forschungen zu historisieren.

1 2

Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 318. Ebd., S. 317.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

1.1.

›Kulturübersetzung‹ und die Kolonialität des Wissens

Ethnografische Repräsentation als ›Kulturübersetzung‹ wird im Folgenden anhand der Konstruktion und Produktion von Amazonas-Reiseberichten und Ethnografien untersucht, die meistens zusammen als Monografie publiziert wurden. Einerseits sind diese Monografien als Übersetzungen zu verstehen, insofern sie, im Sinne Kyle Conways Konzeptualisierung von Kulturübersetzung, einen Fall von »translation as rewriting« darstellen.3 Diese Art der Übersetzung ist als Erklärung eines fremden Interpretationshorizonts zu verstehen, oder darüber, wie Mitglieder einer anderen Gemeinschaft ein Objekt oder Ereignis interpretieren, wie z.B. die Mythologie einer Gemeinschaft.4 Unter Berücksichtigung ihrer Bestandteile lassen sich diese Monografien zweitens als Übersetzungen behandeln, insofern sie als intertextuelle Produkte letzten Endes aus Übersetzungen bestehen. Die Übertragung und Bearbeitung der Feldforschungsnotizen und -tagebücher der Ethnologen in den Reiseberichten wird in dieser Analyse als intralinguale Übersetzung verstanden. Diese besteht ihrerseits aus interlingualen Übersetzungen, die aus den Interaktionen mit der indigenen Bevölkerung entstanden. Aus diesen Gründen werden Reiseberichte im Folgenden als Palimpseste betrachtet, d.h. als Texte, in denen die Spuren anderer Texte zu finden sind. Als wissenschaftliche Texte sind sie innerhalb eines bestimmten Feldes entstanden, nämlich in jenem der frühen deutschen ethnologischen Amazonasforschung. Als Zweig der Ethnologie beruhte die ethnologische Amazonasforschung auf den erkenntnistheoretischen Prämissen dieser Disziplin. Das Fundament der Ethnologie wird in diesem Abschnitt analysiert und als ein von der Kolonialität des Wissens bestimmtes Feld konzeptualisiert. Der Frage, wie sich bestimmte Aspekte der Kolonialität des Wissens in der ethnologischen Amazonasforschung manifestierten, wird mittels der Konzeptualisierung der ethnografischen Praxis als einer Form der ›Entdeckung‹ und Eroberung nachgegangen. Die Metapher eines ethnologischen ›El Dorado‹ wird hierbei auf konkrete Weise den Einfluss der zeitgenössischen kolonialen Diskurse auch in der Amazonasforschung zeigen. Aus dieser Sicht erfolgte eine ›Kulturübersetzung‹, in der das Interesse der Forscher ohnehin zunehmend auf das Sammeln von Objekten, Sprachen und Menschenbildern konzentriert war, die ein ethnologisches ›El Dorado‹ in Deutschland zeigen würden. Anhand des hier identifizierten konzeptuellen Instrumentariums der Ethnologie, das Kategorien wie ›Natur‹, ›Kultur‹ und ›Rasse‹ umfasst, lässt sich weiterhin erklären, wie in der Erforschung der ›Kultur‹ der indigenen Gruppen im Amazonas

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Vgl. Conway, Kyle: »A Conceptual and Empirical Approach to Cultural Translation«, in: Translation Studies 5/3 (2012), S. 264-279, hier S. 267. Ebd.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

ein darwinistischer Ansatz zum Tragen kam und dabei Fragen der ›Rasse‹ bei der Erklärung von ›Kultur‹ eine Rolle spielten.5

Die deutschen Amazonasethnografien als Palimpseste ›Kulturübersetzung‹ als Repräsentation – zur Erklärung der kulturellen Begegnung und zur Konstruktion von Alterität aus der Perspektive der Ethnologen – ist insbesondere anhand von Texten der britischen social anthropology untersucht worden.6 ›Kulturübersetzung‹ existiert jedoch, seitdem die Frage der Repräsentation erstmals aufgeworfen wurde. In der Begegnung mit dem ›Anderen‹ (hier z.B. südamerikanische Indigene), der fremdartig gegenüber dem Selbst (hier z.B. deutsche Ethnologen) ist, stellte sich die Frage nach dem Anderssein, seinen Ursachen und Bedeutungen, seinen Formen und Transformationen; es handelt sich dabei um einen Versuch, die Begegnung mit den anderen zu begreifen.7 Als Antwort auf die Problematik, die der kulturelle Kontakt zwischen Europa und den Amerikas auslöste, entstand der ›Indio‹ als eine der Figuren bei kulturellen Begegnungen, die die koloniale Alterität par excellence repräsentierten. Mit der Invasion Amerikas entstand ein Konstrukt, mit dem die kulturellen Unterschiede zwischen den einzelnen präkolumbianischen Gruppen verschwanden.

Abbildung 1: Umschläge der Monografien von Karl von den Steinen, Fritz Krause und Theodor Koch-Grünberg.

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Vgl. Hermannstädter, Anita: »Karl von den Steinen und die Xingú-Bevölkerung«, hier S. 211. Vgl. auch Laukötter, Anja: Von der »Kultur« zur »Rasse« – vom Objekt zum Körper?. Völkerkundemuseen und ihre Wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Bielefeld: transcript 2007. Vgl. Sturge: Representing Others; Niranjana: Siting Translation; Asad: »The Concept of Cultural Translation in British Social Anthropology«. Krotz, Stefan: »Alteridad y pregunta antropológica«, in: ALTERIDADES 4/8 (1994), S. 5-11, hier S. 7.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Die Titel der hier untersuchten Amazonas-Reiseberichte – wie »Indianerstudien«8 , »Zwei Jahre unter den Indianern«9 , »In den Wildnissen Brasiliens«10 – sind – wie auch Gravuren mit ›Indianer‹-Figuren auf den Buchdeckeln (Abb. 1)11 – paratextuelle Informationen, die auf einen im deutschsprachigen Raum bereits bekannten Referenten verwiesen. Das Wissen über die ›Indianer‹ der Amazonasregion war ambivalent, wurde durch Chroniken und Berichte geprägt und zeichnete sich durch diverse Formen der Identifikation der Indigenen durch Nicht-Indigene aus. Die Präsenz von Indigenen in Europa, die kurz nach der Eroberung Amerikas nach Spanien verschleppt worden waren, um später oftmals verkauft zu werden, sorgte für die Konstruktion des ›edlen Wilden‹12 als ein »exotische[s] Kuriosum«13 an den europäischen Höfen. Im Gegensatz zum ›edlen Wilden‹ wurde der ›Indianer‹ auch als Kannibale dargestellt.14 Beide Charakterisierungen, entweder positiv als

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Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1. Krause, Fritz: In den Wildnissen Brasiliens: Bericht und Ergebnisse der Leipziger AraguayaExpedition 1908, Leipzig: Voigtländer 1911. Vgl. Steinen: Durch Central-Brasilien. Zur Idee des ›edlen Wilden‹ in Chroniken der spanischen Kolonisatoren vgl. Schelp, Claudia: Der spanische Humanismus und die Kolonialethik. Die Antike Welt in der Neuen Welt. Pedro Martir de Angleria und seine Nachfolger, Trier: Universitätsbibliothek Trier 2005, S. 87. Vgl. auch Bitterli, Urs: Die Entdeckung Amerikas: von Kolumbus bis Alexander von Humboldt, München: C.H. Beck 2006, S. 94. Bitterli, Urs: Die »Wilden« und die »Zivilisierten«. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, 3. Aufl., München: C.H. Beck 2004, S. 180. Das Interesse, das Montaigne für die indigenen Besucher in Frankreich zeigte, trug zusammen mit den Chroniken von Bartolomé de las Casas zur weiteren Verbreitung der Idee des ›edlen Wilden‹ bei. Diese Idee findet sich wiederum in Rousseaus Discours und in Herders humanitären und idealisierenden Auffassungen über die Überseebewohner. Vgl. Herder, Johann Gottfried: Herder. Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Bd. 6. Werke, hg. v. Martin Bollacher, Frankfurt a.M.: Dt. Klassiker Verl. 1989. Zur Analogie der außereuropäischen indigenen Bevölkerung zum Motiv des ›edlen Wilden‹ in Herders Schriften siehe Löchte, Anne: Johann Gottfried Herder: Kulturtheorie und Humanitätsidee der Ideen, Humanitätsbriefe und Adrastea, Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. Im konkreten Fall des Amazonas ist es angebracht, an die Chronik des deutschen Hans Staden aus dem 16. Jahrhundert zu erinnern, durch welche sich der berüchtigte Mythos von den Kannibalen-Indianern herauskristallisierte. Vgl. Staden, Hans: Wahrhaftige Historia und Beschreibung einer Landschaft der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresser, in der Neuen Welt Amerika gelegen, Originalgetreuer Faks.-Dr. [d. Ausg.] Marburg 1557, Kassel-Wilhelmshöhe: Thiele und Schwarz 1978.Vgl. auch Bremer, Georg: Unter Kannibalen: die unerhörten Abenteuer der deutschen Konquistadoren Hans Staden und Ulrich Schmidel, Zürich: Schweizer Verlagshaus 1996. Zusammen mit Ulrich Schmidels Reiseberichten aus den La Plata-Ländern gilt Stadens Text als »[i]n völkerkundlicher Sicht interessanter und in manchen Passagen von bleibendem dokumentarischem Wert« für die deutsche Reiseliteratur. Bitterli: Die »Wilden« und die »Zivilisierten«, S. 255.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

der ›edle Wilde‹ oder negativ als der ›Kannibale‹, sind bis ins 19. Jahrhundert hinein typische Repräsentationen von Indigenen durch die Europäer. Insbesondere die Amazonasregion hat eine unwiderstehliche Faszination auf Abenteurer, Missionare und Forscher ausgeübt.15 Obwohl die indigene Bevölkerung in Alexander von Humboldts und Aimé Bonplands Expeditionen16 keine besondere Rolle spielte und der ›Indio‹ sich als koloniale Alterität eher durch Abwesenheit auszeichnete17 , setzten weitere Wissenschaftler die Erforschung dieses weiten Gebietes nach dem Vorbild von Humboldts systematischer Untersuchung der Region fort.18 Im Laufe des 19. Jahrhunderts war Südamerika neben Afrika das Hauptziel deutscher Forscher19 , die sich mit botanischen, geografischen und zoologischen Erkundungen beschäftigten.20 Ihre Reiseberichte hatten vermutlich einen be15

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Fritz, Samuel: Journal of the Travels and Labours of Father Samuel Fritz in the River of the Amazons between 1686 and 1723, London: Hakluyt Society 1922; Bates, Henry Walter: The Naturalist on the River Amazonas: A Record of Adventures, Habits of Animals, Sketches of Brazilian and Indian Life, and Aspects of Nature under the Equator, during Eleven Years of Travel, London: Murray 1863; Wallace, Alfred Russel: A Narrative of Travels on the Amazon and Rio Negro: With an Account of the Native Tribes, and Observations on the Climate, Geology, and Natural History of the Amazon Valley, London: Reeve & Co. 1853. Zur Erfindung der Amazonia in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts vgl. Gondim, Neide: A invenção da Amazônia, São Paulo: Marco Zero 1994. 1800 erkundeten sie für etwa vier Monate das Amazonasgebiet vom Rio Negro bis zum Orinoco. Vgl. Humboldt, Alexander von. Vom Orinoko zum Amazonas: Reise in die ÄquinoktialGegenden des neuen Kontinents. Hg. Adalbert Plott and Adolf Meyer-Abich. Wiesbaden: Brockhaus, 1958. Vgl. Pratt, Mary Louise: »Alexander von Humboldt and the Reinvention of America 1992«, in: Clark, Rex und Oliver Lubrich (Hg.): Cosmos and Colonialism: Alexander Von Humboldt in Cultural Criticism, New York: Berghahn Books 2012, S. 240-257. Vgl. Bujok, Elke und Jörg Helbig: »Die ›Brasilianisch-Bayerische Expedition‹ von Spix und Martius 1817-1820«, in: Münchner Beiträge zur Völkerkunde 15 (2012), S. 42-71; Schmutzer, Kurt: »›[…] jene Begierde zu reisen und zu sammeln […].‹ Johann Natterer: 18 Jahre im Urwald Brasiliens.«, in: Seipel, Wilfried (Hg.): Die Entdeckung der Welt. Die Welt der Entdeckungen. Österreichische Forscher, Sammler, Abenteurer, Wien: Kunsthistorisches Museum 2002, S. 209-215; Preußen, Adalbert von: Reise seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Adalbert von Preußen nach Brasilien, Berlin: Hasselberg 1857. Vgl. Brenner, Peter J.: Der Reisebericht in der deutschen Literatur: Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte, Tübingen: Max Niemeyer 1990, S. 486. Unter ihnen waren der Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius und der Naturwissenschaftler Johann Baptist Spix, die von 1817 bis 1820 im Auftrag Königs Maximilian I. Joseph von Bayern eine Forschungsreise nach Brasilien durchführten. Vgl. Bujok/Helbig: »Die ›Brasilianisch-Bayerische Expedition‹ von Spix und Martius 1817-1820«. Zwischen 1817 und 1836 forschte der Österreicher Johann Natterer im brasilianischen Gebiet, aus dem er zahlreiche Tiersammlungen für das Wiener Naturalienkabinett mitbrachte. Der Deutsche Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied bereiste zwischen 1815 und 1817 die Ostküste Brasiliens. Für eine Analyse der Bilder dieser Reise und ihrer »Übersetzung« in den »damalige[n] romantische[n] Zeitgeist in Deutschland« siehe De Sa Porto De Simone, Eliana: »Das Brasilienbild in den künstlerischen Darstellungen des Prinzen Maximilian Wied zu Neuwied«, in: Berne-

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deutenden Einfluss auf die Konstruktion einer Idee der ›Indianer‹ der Region.21 Reiseberichte trugen zur Konstitution eines prä-ethnologischen Wissens bei, das an der Schnittstelle zwischen fachlichem und popularisiertem Wissen angesiedelt war.22 In Reiseberichten vermischten sich »wissenschaftliche Aneignung zoologischer und ethnologischer Resultate und der Reiz des exotischen auf eine meist unerfreuliche Weise«23 . Sie inspirierten eine beliebte Gattung, die vor allem in Form von Abenteuerromanen ein breites Publikum erreichte. Populäre Publikationen waren demzufolge Medien der Vermittlung von Wissen über ›Indianer‹, die auf ein Publikum abzielten, zu dem auch die zukünftigen Amazonasethnologen gehörten.24 Obwohl mit dem Begriff ›Indianer‹ vor allem die nord- und mittelamerikanische indigene Bevölkerung bezeichnet wurde25 , schloss er zumindest in den Medien der Wissenschaftspopularisierung26 die südamerikanische indigene

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cker, Walther L. und Gertrut Krömer (Hg.): Die Wiederentdeckung Lateinamerikas. Die Erfahrung des Subkontinents in Reiseberichten des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a.M.: Vervuert Verlag 1997, S. 377-389. 1842 versuchte Adalbert Prinz von Preußen den Xingú stromaufwärts zu befahren, was aber aufgrund der schwierigen Navigationsbedingungen nicht gelang. In von Martius’ Reise in Brasilien, wurden die Indigenen als »indolent, faul und träumerisch, stumpf für den Antrieb anderer als der niedrigsten Leidenschaften« dargestellt. Martius, Carl Friedrich Philipp von und Johann Baptist Spix: Reise in Brasilien in den Jahren 1817-1820, Stuttgart: Brockhaus 1823, S. 615. Diese Auffassung steht im Widerspruch zum ›edlen Wilden‹, deshalb werden Indigene auch als »unedle Wilde« bezeichnet. Vgl. Dürbeck, Gabriele: Stereotype Paradiese. Ozeanismus in der deutschen Südseeliteratur 1815-1914, Tübingen: Max Niemeyer 2007, S. 50. Dürbeck bestätigt, dass beide Topoi, der des ›edlen‹ und des ›unedlen Wilden‹ für den Fall der Südseeinsulaner »um 1900 kopräsent sind«. Darin zeigt sich die ambivalente Auffassung der Zeit über außereuropäischen Kulturen, die ebenso für den Fall der Darstellung der indigenen Amazonasbevölkerung angenommen werden kann. Gabriele Dürbeck hat ausführlich die populärwissenschaftliche Zeitschrift Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde besprochen und dabei populäre Topoi der SüdseeDarstellungen thematisiert. Eine Untersuchung der Darstellung des Amazonasgebiets in dieser Zeitschrift ist mir nicht bekannt. Vgl. Dürbeck: Stereotype Paradiese, S. 208ff. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur, S. 484. Zum Einfluss von Autoren wie Karl May und George Catlin auf die Text des deutschen Ethnologen Curt Nimuendajús siehe Welper, Elena: »A aventura etnográfica de Curt Nimuendajú. The ethnographic adventure of Curt Nimuendajú«, in: Tellus 13/24 (2013), S. 99-120. Ein gegenseitiger Einfluss kann im Fall der ethnografischen Berichte von Karl von den Steinen zur Region des Alto Xingú beobachtet werden, welche die Rolle des »Profesors Sturmfels« im Abenteuerroman von Reinhard Roehle inspiriert haben sollen. Vgl. Münzel, Mark: »Zum Geleit. Das Weiterleben Karl von den Steinens«, in: Steinen, Ulrich von den: Expeditionsreisen am Amazonas: der Ethnologe Karl von den Steinen (1855 – 1929), Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2010, S. IX–XXI, hier S. XI. und Roehle, Reinhard: Durch Urwald und Sertao, Bd. 25, Berlin/Leipzig 1916. Zur Faszination für die amerikanischen ›Indianer‹ in Deutschland vgl. Penny: »Elusive Authenticity«; Friedrichsmeyer, Sara, Sara Lennox und Susanne Zantop (Hg.): The Imperialist Imagination: German Colonialism and its Legacy, Ann Arbor: University of Michigan Press 1998. Zum Forschungsbereich der Popularisierung von Wissen, z.B. durch Nachschlagewerke wie Konversationslexika, siehe Kretschmann, Carsten: Wissenspopularisierung: Konzepte der Wis-

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Bevölkerung mit ein.27 Die Monografien, die das Korpus dieser Arbeit bilden, haben insofern eine ambivalente Funktion erfüllt, als sie sich einerseits als wissenschaftliche Texte präsentierten, die zur Professionalisierung der Ethnologie beitrugen. Trotz ihrer wissenschaftlichen Positionierung ließ sich andererseits ein »unsichtbares Gepäck«28 in den Texten der Ethnologen herausarbeiten, das in Form von überaus romantisierten, aber auch verächtlichen Bildern des ›edlen Wilden‹ zutage tritt. Obwohl die Amazonas-Ethnologen nach empirischen Beweisen strebten und mit der systematischen ethnologischen Forschung den Mythos des Menschenfressers bzw. des edlen Wilden als solchen zu entlarven versuchten29 , beeinflussten ihre Texte eben auch die Laien-Literatur um 1900, die eine exotische und klischeebehaftete Vorstellung von ›Amazonasindianern‹ vermittelte. Die Autorisierung der von Ärzten, Geografen oder Philologen verfassten Monografien, die sich selbst als Ethnologen bezeichneten, erfolgte ferner durch die Patronage renommierter Persönlichkeiten – wie z.B. Adolf Bastian, Förderer der Institutionalisierung der Ethnologie in Deutschland – und die Verwendung empirischer Methoden, wie Sprachaufnahmen, Fotografien, Körpervermessungen, das Sammeln von Objekten usw. Diese Monografien bilden die Anfänge der neuen Gattung der Ethnografie in der deutschen Ethnologie.30 Die Ethnografie vermischt typische Darstellungstraditionen der Reiseliteratur mit neuen und nicht mehr ganz

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sensverbreitung im Wandel, Berlin: Akademie Verlag 2003; Boden, Petra und Dorit Müller (Hg.): Populäres Wissen im medialen Wandel seit 1850, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2009; Oesterle, Günter: »Wissenspopularisierung«, in: Frietsch, Ute und Jörg Rogge (Hg.): Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens: Ein Handwörterbuch, Bielefeld: transcript 2013, S. 473-479. Die Frage, wie z.B. auch Kunst zur Vermittlung des Fremden diente, behandelt der Sammelband Wanken, Christiane und Ursel Berger (Hg.): Wilde Welten. Aneignung des Fremden in der Moderne, Berlin: Koehler & Amelang 2010. »Trotz großer Verschiedenheit in der körperlichen und geistigen Entwicklung werden sie, mit Einschluß der Eskimo, einer Rasse, der amerikanischen, zugerechnet […]. Ihre Hautfarbe ist ein helles Braun mit einem rötlichen Unterton […], das Haar ist schwarz, dick und straff, der Barwuchs spärlich. Die Backenknochen sind vorstehend, die Augen klein und etwas schief gestellt […]«. Meyer, Bd. 9: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Leipzig/Wien: Bibliographisches Institut 1905, S. 791. Die Bezeichnung »unsichtbares Gepäck« entlehne ich aus einer Studie des Historikers Leo Spitzer. Er verwendet sie, um die »Interpretationen, die auf Spekulationen über Natur und Kultur beruhten, auf Gedankengut«, das jüdische Flüchtlinge nach Südamerika in den 30er Jahren mitbrachten, zu beschreiben. Spitzer, Leo: Hotel Bolivia, Wien: Picus 2003, S. 148f. Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 432-436; Steinen: Unter den Naturvölkern ZentralBrasiliens, S. 74. Positive und negative Bewertungen finden sich zahlreich in den Texten der hier behandelten Ethnologen und werden dieses Argument im Laufe der Arbeit bestätigen. In Bezug auf Wilhelms Kissenberths Beschreibungen der indigenen Bevölkerung vgl. Hermannstädter: »Eine vergessene Expedition«, S. 116. Zum ethnografischen Schreiben vgl. Geertz, Clifford: Works and Lives. The Anthropologist as Author, Standford, CA: Standford University Press 1988.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

so neuen Methoden der wissenschaftlichen Repräsentation wie geografischen, meteorologischen, zoologischen und botanischen Informationen, anthropologischen Fotografien und Objektfotografien sowie sprachlichen Studien. Der Stil der Amazonasethnografien von Karl von den Steinen oder Theodor Koch-Grünberg bildet innerhalb der deutschen Ethnologie keine Ausnahme. Der 1907 von Leo Frobenius veröffentlichte Band Im Schatten des Kongostaates31 bot in ähnlicher Weise eine für die damalige Zeit »attraktive Kombination« aus empirischer Datenerhebung und Reisebericht, in der die Rollenwechselwirkung des Reisenden »als Sammler, Forscher, Abenteurer, Fotograf und Schriftsteller, […] zugunsten einer Popularisierung des Fremden«32 beigetragen haben. Frobenius’ Stil ist insbesondere in Koch-Grünbergs Ethnografien wiederzufinden. Sein Einfluss auf Koch-Grünbergs Publikationen lässt sich an mehreren Stellen identifizieren. Exemplarisch lässt sich hier beispielsweise der Artikel »Durch das dunkle Brasilien«33 in der Deutschen Zeitung in Rio de Janeiro anführen, dessen Titel man als Anspielung auf Im Schatten des Kongostaates interpretieren kann. Ebenso ahmte Koch-Grünberg mit einem Bild aus seiner Expedition im Roraima die Werbung für »Dr. Mampes bittere Tropfen« nach, die Frobenius bereits vor ihm veröffentlicht hatte. Frobenius’ Werbung trägt den Titel »Mampe im Urwald« und zeigt ihn auf einem von ihm selbst erlegten Elefanten sitzend; in einer Ecke des Bildes steht eine Flasche von Dr. Mampes Tropfen. Koch-Grünberg fügte seiner Reiseschilderung eine Aufnahme bei, in der zwei Indigene »die letzte Flasche Mampes Bittere Tropfen« halten.34 Daraus lässt sich nicht nur auf einen offensichtlichen Einfluss, sondern auch auf einen gewissen Drang Koch-Grünbergs, eine Art Leo Frobenius des Amazonas zu werden, schließen. Der in Frobenius’ Texten zu konstatierende Mangel an einem »strikt wissenschaftlichen Vorgehen«35 ist zum Teil analog zum Fehlen theoretischer Reflexionen, das als charakteristisches Merkmal der Amazonas-Ethnografien betrachtet werden kann.36 Die Texte dieser ersten Phase der deutschen ethnologischen Forschung im Amazonasgebiet blieben dem Genre der Reiseliteratur zum Teil treu. Der wissenschaftliche Charakter wurde durch die reichlich vorhandenen Daten gewonnen, die in einem oder mehreren Bänden komprimiert wurden. Gemeinsam haben diese Texte, dass sie den Fokus auf die 31 32

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Frobenius, Leo: Im Schatten des Kongostaates, Berlin: Georg Reimer 1907. Joch, Markus: »Der Ethnologe als Geschichtenerzähler. Frühjahr 1907: Leo Frobenius berichtet vom Kongo-Kassai«, in: Honold, Alexander und Klaus R. Scherpe (Hg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2004, S. 357-366, hier S. 357. Koch-Grünberg, Theodor: »Durch das Dunkle Brasilien«, in: Deutsche Zeitung. Rio de Janeiro. 6. August 1913. URL: https://bibdig.biblioteca.unesp.br/bitstream/handle/10/24360/DZ_Jul_ Set_1913_0179.pdf?sequence=2&isAllowed=y. Letzter Zugriff am 14.6.2018. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 288. Joch: »Der Ethnologe als Geschichtenerzähler«, S. 357. Kraus: Bildungsbürger im Urwald.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Reise lenken und die Feldforschung detailliert beschreiben. Die Autoren kommen darin als jene Reisenden vor, die die Expeditionen in der Ferne durchführten und zurückkehren konnten, um darüber zu berichten. Aufgrund ihrer Form lassen sich die hier behandelten Monografien dem Modell der klassischen Ethnografie des frühen 20. Jahrhunderts, in dem in einer ahistorischen Gegenwart, der so genannten ethnografischen Präsenz, geschrieben wurde, nicht vollständig zuordnen. Diese Art der Ethnografie wird als »Paradoxon« bezeichnet, weil die damit von den Ethnologen verfolgte Intention darin lag, ethnografische Daten über indigene Gruppen zu vermitteln, während sie die »historischen, ökonomischen und politischen Zusammenhänge ausblende[ten]«, die das Leben dieser Gemeinschaften und damit die gesammelten Daten bestimmte.37 Obgleich die Texte, die in dieser Untersuchung behandelt werden, wertvolle Informationen über die lokalen sozialen Bedingungen der Orte, in denen die Expeditionen durchgeführt wurden, liefern, bilden diese Aspekte lediglich eine Art ›Kulisse‹ für ihre Reise, von der die ethnologische Forschung und die gesammelten Daten unabhängig zu sein scheinen. Anders ausgedrückt bieten die Autoren meist keine konkreten Reflexionen über die Rolle, die diese lokalen Bedingungen in ihrer Feldforschung gespielt haben, auch nicht über die daraus gewonnenen Ergebnisse, wobei die wenigen vorhandenen Reflexionen in diese Richtung als relativ distanziert einzustufen sind. Die Ethnografien von Karl von den Steinen, Max Schmidt und Fritz Krause nähern sich neben der Tendenz, die Reflexion über soziale Aspekte zu scheuen, jedoch jenem traditionellen Modell vom Beginn des 20. Jahrhunderts an. Ihre Texte bilden eine zyklische Ordnung, welche der »klassischen Erzählung«38 in Reiseberichten entspricht. Sie setzen sich aus zwei Teilen zusammen: Einem ersten Teil, der den Reisebericht bildet, und einem zweiten Teil, der die wissenschaftlichen Ergebnisse darstellt. Der zweite Teil bietet – gemäß der Intention des jeweiligen Autors – eine holistische Darstellung der in situ beobachteten sozialen Strukturen durch die Brille der westlichen sozialen Kategorien, die den Ethnologen bekannt waren39 : Körper, Anthropologie, Ernährung, Haus, Landwirtschaft, Jagd, Politik, Religion etc. Im Gegensatz zu seinen Kollegen kombinierte Koch-Grünberg in seiner Monografie Zwei Jahre unter den Indianern den Stil des Reiseberichts mit ethnologischen Daten.

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Kohl: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden, S. 120. Przyrembel weist auf die »klassische Erzählung« in Cooks Tagebüchern hin, welche »[ü]ber das Ankommen, die Begegnungen und den Aufbruch [berichten]«. Przyrembel, Alexandra: »Empire, Medien und die Globalisierung von Wissen im 19. Jahrhundert«, in: Habermas, Rebekka und Alexandra Przyrembel (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, S. 199-220, hier S. 208. Kohl: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden, S. 121.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Die Informationen werden in Kapiteln präsentiert, die jede Etappe der Reise abdecken und dem populärwissenschaftlichen Stil von Zeitschriften wie der Tour de Monde des 19. Jahrhunderts ähneln. Die von Autoren wie Laurent Saint-Cricq, besser bekannt unter dem Pseudonym Paul Marcoy,40 und Jules Crevaux dargestellten ›Indianer‹ des 19. Jahrhunderts, welche der Idee des ›edlen Wilden‹ des 18. Jahrhunderts entsprechen, bildeten mit ihren Illustrationen und Tagebuchnarrativen eine Inspirationsquelle für den jungen Koch-Grünberg: Bei diesen beiden Landtouren mußte ich lebhaft an die romantischen Bilder aus den Reiseschilderungen der französischen Forscher Marcoy und Crevaux in der Zeitschrift Le tour du Monde denken, die mir in meiner Jugend so großes Interesse einflößten und meine damals noch traumhafte Sehnsucht nach fernen Ländern verstärkten.41 Die Landschaft, die Koch-Grünberg vorfand, entsprach seiner Vorstellung des exotischen Dschungels. Solche Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert aus Zeitschriften wie dieser, welche die Amazonasregion als »jungfräulich und feindselig« und ihre Einwohner als ›Naturmenschen‹ charakterisierten, spiegelten die »westlichen Gespenster«42 wider, welche die europäischen Vorstellungen von dieser Region überwiegend bestimmten und welche sich in Koch-Grünbergs Repräsentationen der »fernen Länder« wiedererkennen lassen. Koch-Grünberg rechtfertigt im Vorwort seines Buches die Entscheidung, »die wissenschaftlichen Ergebnisse in den Rahmen der populären Reiseschilderung« einzubetten, mit folgendem Argument: »damit der Leser an der Hand der Abbildungen gewissermaßen aus eigener Anschauung das Leben der Eingeborenen kennen lernen und im Verlauf der Reise mit mir seine Erfahrungen sammeln kann«43 . Es ist denkbar, dass seine erste Monografie aufgrund dieses hybriden Stils in den Augen des heutigen Lesers einen zeitgemäßen Charakter aufweist, was auch die Neuauflagen dieses Jahrhundertwerks erklären würde. In seiner zweiten Monografie behielt Koch-Grünberg

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Marcoys ethnografische Daten gelten als wertvolle Quellen, seine Texte wurden jedoch im wissenschaftlichen Diskurs der Zeit aufgrund eines fehlenden wissenschaftlichen Stils nicht angenommen: dieser war eher »pittoresk« und »romanhaft«, was allerdings zum Erfolg bei einem breiteren Publikum beitrug. Vgl. Chaumeil, Jean-Pierre : »Un viajero sin prisa a mediados del siglo XIX. Laurent Saint-Cricq (Paul Marcoy)«, in : Viaje a través de América del Sur 1 (2013), S. 15-39, hier S. 24. Schon damals wies Marcoy auf die Vernichtung der Natur als ein Resultat der Modernisierung hin. Marcoys Arbeiten beeinflussten Werke wie Jules Vernes La Jangada (1881), Paul Borys Les chercheurs des Quinquinas (1891), Louis Figuiers Les races humaines (1873), Richard Cortamberts Moeurs et caractères de peuples (1879) und Herbert Guillaumes The Amazon Provinces of Peru (1894). Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 153. Chaumeil : »Un viajero sin prisa«, S. 28. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. III.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

den Stil der populären Reiseschilderung bei, diesmal veröffentlichte er jedoch den Reisebericht im ersten Band und die ethnografischen Ergebnisse im dritten Band. Aufgrund des Inhalts der veröffentlichten Ethnografien lässt sich feststellen, dass diese zum Teil aus Brief- oder Tagebuchabschnitten bestanden44 . Somit erlauben es nicht nur unveröffentlichte Quellen, sondern auch die publizierten Monografien selbst, einen Blick hinter die Kulissen auf die Konstruktion der ersten Ethnografien zu werfen und »Spuren von Verarbeitung und Begegnung« zu identifizieren.45 Das Führen der Tagebücher kommt in den Reiseberichten häufig vor, sodass man einen Eindruck darüber gewinnen kann, wie und über welche Orte geschrieben wurde.46 Ebenso geben die Autoren Hinweise darauf, dass die Tagebücher bei der Erstellung und Bearbeitung der Texte wieder gelesen wurden, so z.B. als Karl von den Steinen in Unter den Naturvölkern erwähnt, was er gegessen hat und seinen Bericht mit der Anmerkung »Mehr finde ich in meinem Tagebuch nicht verzeichnet« unterbricht.47 Wenn man Koch-Grünbergs Feldtagebücher mit seinen Publikationen vergleicht, erweist es sich als unbestreitbar, dass die Tagebücher als eine Art Rohentwurf für die Publikationen dienten. Es ist zwar denkbar, dass diese Vorgehensweise lediglich in Koch-Grünbergs Fall angewandt wurde, aber wenn man seinen Stil mit den vorgängigen Publikationen anderer Ethnologen vergleicht, liegt der Schluss nahe, dass seine Kollegen tendenziell auf die gleiche Weise verfuhren. In seinen Tagebüchern hob er, vermutlich während er sich in Deutschland aufhielt, geografische bzw. meteorologische Angaben mit blauer Farbe und spezielle ethnologische Daten sowie bestimmte Anekdoten mit roter Farbe hervor. Während der Bearbeitung organisierte Koch-Grünberg die Informationen nach der Art ihres Inhalts, entsprechend erscheinen beispielsweise Wettermessungen und geografische Informationen am Ende des Buches. So wurden z.B. die meteorologischen Daten, mit denen Koch-Grünberg seine täglichen Notizen stets begann, bei der Bearbeitung des Publikationsmanuskriptes extrahiert und am Ende der Monografie in Tabellen organisiert. Die Forschungstagebücher waren für die Ethnologen multifunktional; sie dienten als persönliche, aber auch als Feldtagebücher und waren darüber hinaus nicht nur Entwürfe für die zukünftige Monografie, sondern auch eine Art »Brieftagebücher«, die als Korrespondenz mit ihren Verwandten, Freunden und vor allem

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Vgl. Steinen: Durch Central-Brasilien. S. 23, 142. Steinen: Unter den Naturvölkern ZentralBrasiliens, S. 453ff. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. S. 25, 30. Fischer-Kattner, Anke: Spuren der Begegnung. Europäische Reiseberichte über Afrika 1760-1860, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, S. 431ff. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 184. 248,419. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. S. 116. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. S. 62.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

mit ihren Verlobten fungierten48 . Die Hefte, in denen sich die ›Feldpost‹ von KochGrünbergs Expedition am oberen Rio Negro befindet, zeigen, wie das Geschriebene sowohl in Briefen als auch in den Tagebüchern durch die Verwendung von Durchschlagpapier vervielfacht wurde. Die Berücksichtigung der Form, in der die ethnografischen Texte hergestellt wurden, ermöglicht es, ›Kulturübersetzung‹ als eine konkrete wissenschaftliche Praxis der Repräsentation zu begreifen, deren Materialität durch das Schreiben von Tagebüchern während der Feldforschung zum Ausdruck kommt. Insbesondere Tagebücher und andere Materialien aus KochGrünbergs Nachlass sind als »greifbare Spuren«49 zu betrachten, welche auf die Materialität der Textproduktion in der Form intralingualer intersemiotischer Übersetzungen50 hinweisen. Ein Beispiel für letztere ist das Bild auf dem Buchdeckel von Zwei Jahre unter den Indianern, bei dem es sich um eine Abzeichnung einer bereits vorhandenen Fotografie handelt. Diese ethnografischen Texte, aber auch diese Bilder, verstehen sich hier nicht als sekundäres Produkt eines Originals, sondern als Palimpseste, die immer wieder Neuschreibungen voraussetzen.51 Übersetzung bringt jene Spuren in den Vordergrund, welche die Transformation und Manipulation der Texte nachvollziehen lassen. Als Palimpseste konzeptualisierte ethnografische Reiseberichte deuten auf diese intertextuelle Eigenschaft der Übersetzung hin, der gemäß nicht die Spuren des Originals, sondern die Spuren vorheriger Texte in neuen zu finden sind. Wie in jeder Übersetzung waren diese Texte Prozessen der Auslassung, Bearbeitung und Transformation ihres Inhalts ausgesetzt. So erlaubt es z.B. die Auslassung von persönlichen Abschnitten bzw. Briefen, die sich im Fall Koch-Grünbergs durch Reflexionen über seine Stimmung auszeichnen, die vor allem an seine Verlobte Elsa Wasmuth, aber auch an Freunde gerichtet waren, in der zur Veröffentlichung bestimmten Endfassung, die Textproduktion als Haupttätigkeit der Ethnologen während der Feldforschung nachzuverfolgen.52

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Bührmann, Mario: »Kontaktzonen und der Körper des Anthropologen. Zu den Tagebuchaufzeichnungen und Briefen von Franz Boas und Bronislaw Manilowski«, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für historische Anthropologie 19/2 (2010), S. 90-119, hier S. 96. Diese Vorgehensweise scheint eine generelle Tendenz der frühen Ethnologie zu sein. Franz Boas ebenso wie Bronislaw Manilowski verwendeten ihre Tagebücher auch als Korrespondenz mit ihren Verlobten. Fischer-Kattner: Spuren der Begegnung, S. 434. Hier beziehe ich mich auf Roman Jakobsons Unterscheidung zwischen interlingualer, intralingualer und intersemiotischer Übersetzung. Vgl. Jakobson, Roman: »Linguistische Aspekte der Übersetzung«, Semiotik: Ausgewählte Texte 1919-1982, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988. Zu dieser dekonstruktivistischen Auffassung von Übersetzung vgl. Arrojo: »Pierre Menard und eine neue Definition des ›Originals‹«. Eine Analyse der Textproduktion während der Feldforschung würde zwar relevante Erkenntnisse über die Verhandlung der eigenen Kultur und über Prozesse der Kulturübersetzung ergeben; sie würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Studie sprengen.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

»Ein ethnologisches El dorado«: Ethnologie als Entdeckung Ich schreibe Dir diese Seiten in meinem Kanu, das mich von São Gabriel durch die letzten grossen Stromschnellen des Rio Negro nach São Felipe nahe der Mündung des Rio Isánna bringt, von wo aus ich die ethnografische Erforschung des oberen Isánna und der dortigen noch unberührten Indianerstämme beginnen werde. Ich schreibe mit einigen Schwierigkeiten, denn ich sitze auf meinem Rucksack unter einem für meine etwas länglichen Verhältnisse sehr niedrigen Sonnendach aus Palmblättern im Hinterteil des Bootes, ein Klappstuhl dient mir als Schreibtisch. Um mich herum sind meine Koffer und Kisten, Kleidersäcke, Gewehr und Revolver, fotografischer Apparat, indianische Kuriositäten und anderer Krimskrams aufgestapelt, neben mir gackert ein unglückliches Huhn, dem die Beine zusammengebunden sind, und das nachher zum Frühstuck dienen soll, – ich habe es vorhin in einem Indianernest für ein Glas Schnaps erhandelt –, vor mir rudern meine vier Indianer, während hinten am Steuer ein anderer pilotiert, über mir auf dem Sonnendach, das man hier »Toldo« nennt, liegt mein deutsch-brasilianischer Diener […] [Otto Schmidt], und denkt wahrscheinlich – gar nichts! – – – So ist das beschaffen, was nun über ein Jahr mein Heim bilden wird! – Doch kannst Du Dir von dem Leben hier, auch wenn ich versuchen wollte, es Dir zu schildern, keine Vorstellung machen. Nur soviel will ich Dir sagen: Es ist ein Leben voll Wildheit, voll Gefahren, – aber auch voll Reiz, voll Freiheit und Unternehmungslust!, ein Leben, für das ich mit keinem König der Welt tauschen würde!53 Während Feldposthefte und Tagebücher es uns ermöglichen, die Materialität der Textproduktion zu erfassen, vermitteln insbesondere die in persönlichen Mitteilungen geschilderten Momente des Aufzeichnens die Materialität der ethnografischen Praxis. Wo, wie und unter welchen Bedingungen geschrieben wurde, zeigen in der oben zitierten Passage Koch-Grünbergs an einen Freund materielle, aber auch metaphorische Elemente der ethnografischen Repräsentation, die eigentlich mit der Selbstdarstellung begann. Im Kanu schreibend stellt man sich Koch-Grünberg vor, umgeben von allen möglichen Gegenständen. Papier und Stift, ein improvisierter Schreibstuhl, Waffen, Fotoapparat, indianische ›Kuriositäten‹, ein Huhn, die ›Indianer des Ethnologen‹ und ein Diener bilden das Arbeitsumfeld Koch-Grünbergs. Eine ausführliche Analyse der Symbolik dieser Objekte würde die Grenzen dieses Kapitels sprengen. Darum sei hier lediglich darauf verwiesen, dass die Macht des Schreibens mit seiner Gewalt, die symbolisch zu jener der Waffen und der Kamera hinzukommt, dem Bild entspricht, das der Forscher von sich selbst zeichnet. Er verfügt über die Macht, über die Anderen zu schreiben und diese in

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Schreiben von Koch-Grünberg an Otto Emmel. 21.8.1903. ES Mr B.IV. Feldpost. Seite 96.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Analogie zu Tieren als ›Nestbewohner‹ darzustellen; er hat Leute zu seiner Verfügung, die, während er schreibt, rudern oder ›gar nichts‹ denken, im Gegensatz zu ihm selbst. Eine gewisse Überheblichkeit scheint zwischen den Zeilen durch. Diese Überheblichkeit ist aber nicht als persönliche Eigenschaft des Forschers, sondern vielmehr als Markenzeichen seines Berufs zu interpretieren. Denn was Koch-Grünberg hier seinem Freund schildert, ist sein neuer Beruf. Dabei lässt sich ein neuer Vertreter der Ethnologie erkennen, der keine Schreibtisch Ethnologie, sondern die Feldforschung betreibt. Und Feldforschung implizierte, so die oben zitierte Passage, Wildheit, Gefahr, Reiz, Freiheit und Unternehmungslust. Der Mann, der sich der ethnologischen Forschung widmete, verfolgte Ideale, die stark in der Geschichte des Reisens und Erforschens verwurzelt waren. Der Beruf des Ethnologen brachte dann Risiken und Gefahren mit sich, die, im Grunde genommen, jedes Unternehmen in unbekannten Ländern kennzeichneten. Aber die Gefahr war bei der Suche nach dem Objekt der frühen Ethnologie ein unvermeidlicher Begleiter. Koch-Grünbergs verdichtete Passage lässt nicht nur seine Darstellung und Positionierung als Ethnologe, sondern auch das Ziel der damaligen Ethnologie erkennen, das darin bestand, »unberührte[n] Indianerstämme« zu finden und der erste zu sein, der sie ›entdeckte‹. Entdeckung weist in diesem Sinne nicht nur auf die wissenschaftliche Aktivität hin, sondern ist eng mit einer Referenz kolonialen Typs wie dem El Dorado verbunden. Es ist also kein Zufall, dass Koch-Grünberg diese Trope, insbesondere zu Beginn seiner Reise, erwähnt, sondern deren Verwendung scheint auch für die Ethnografien seiner Kollegen symptomatisch gewesen zu sein.54 Ich schicke Dir diese Zeilen von einem kleinen Indianernest aus, einem sogenannten »Städtchen«; mitten in den grossen Stromschnellen des Rio Negro, Sitz der Verwaltung, eines Superintendenten und eines Präfekten, aber sonst ein erbärmliches Nest, Endpunkt aller Zivilisation für mich, denn wenige Tagesreisen oberhalb mündet der Rio Uaupés, mein Eldorado, das unumschränkte Gebiet des nackten, wilden Indianers, der Schlupfwinkel einer Anzahl noch unerforschter Stämme, die hierher von der sogenannten ›Zivilisation‹ ihre ganze Eigenart und nicht unbedeutende Kultur gerettet haben.55

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Max Schmidt verwendete ebenso diese Metapher, um den Ort Amolar zu bezeichnen, von wo aus er sich auf die Suche nach den Gautó-Indigenen machte: »Das gleissnerische, weisse Quarzgestein leuchtet zwischen dem Laub der Abhänge hervor und zieht häufig genug die sehnsüchtigen Blicke der ärmlichen Bewohner zu sich herauf, die sich hier noch immer in der Nähe eines zukünftigen Eldorado zu befinden glauben, eine Vorstellung, die auch in der Benennung eines benachbarten Ortes Dorado zum Ausdruck kommt. Und in der Tat hat für den fremden Besucher die ganze Gegend etwas Märchenhaftes. […] Für den Botaniker und Zoologen muss es ein wahres Eldorado sein«. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 130. Koch-Grünberg an Elsa Wasmuth August 1903. ES Mr B.IV. Feldpost. Seite 40.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

In einem Brief an seine Verlobte Elsa Wasmuth äußerte sich der Forscher über seine Sehnsucht, ein unerforschtes Gebiet zu erreichen, das er mit einem ›El Dorado‹ verglich. In ähnlicher Stimmung sprach der Ethnologe Wilhelm Kissenberth über das von ihm besuchte Gebiet als »[d]as seither mit dem dichtesten Schleier des Geheimnisses umwobene Gebiet der Tapirapé-Indianer und seiner Bewohner, eines ganz isoliert in Zentralbrasilien hausenden Tupi-Stammes, das ersehnte Ziel so manches Forschungsreisenden, [das …] keine »terra incognita« mehr sein [soll]«56 . Der Mythos um das El Dorado, als das Utopia eines versteckten Landes, das demjenigen, der es findet, Reichtum verspricht, ist eine der klassischen Metaphern, welche die Psychologie imperialer und kolonialer Projekte kennzeichnet.57 Diese Metapher lässt sich auch auf die deutsche Ethnologie im Amazonasgebiet zurückführen. Als El Dorado oder als terra incognita erschien den Ethnologen der Lebensraum der indigenen Gemeinschaften des Amazonas. Für deutsche Ethnologen, aber auch für Geschäftsmänner und Kolonisten war die Amazonasregion ein unberührter Raum oder ein ›weißer Fleck‹ auf der Weltkarte; ein Ort, den es zu entdecken und zu besitzen galt; ein »ethnologisches Eldorado«58 , ein längst begehrtes Objekt auf der Liste der europäischen Eroberungsziele. Die Motivation, diesen utopischen Ort zu finden, gründete auf der einen Seite nicht zuletzt im persönlichen und wissenschaftlichen Ehrgeiz des Ethnologen, zumal eine erfolgreiche Expedition überdies ein Sprungbrett für eine höhere Position im akademischen Dienst darstellen konnte. Ethnologische Expeditionen waren daher eine Angelegenheit, in der sich vor allem die Reisenden selbst Prestige, Autorität, und Anerkennung zu gewinnen erhofften.59 Entscheidend war es, ›Entdeckungen‹ zu machen, denn das wurde auch von ihren Vorgesetzten erwartet. So lautet zum Beispiel ein Schreiben von Eduard Seler an Wilhelm Kissenberth, in dem er betont: »Ihr Ziel muß aber auf die unbekannten Gebiete gerichtet sein. Sie müssen versuchen, ihr Teil daran zu tun, den Schleier zu lüften, der jetzt noch die Gebiete im Norden und Nordosten des Xingú-Quellgebietes bedeckt«.60 Dieser

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Kissenberth, Wilhelm: »Beitrag zur Kenntnis der Tapirapé-Indianer«, in: Baessler-Archiv VI/1 (1916), S. 36-81, hier S. 36. Vgl. Varnava, Andrekos: »El Dorados, Utopias and Dystopias in Imperialism and Colonial Settlement«, in: Varnava, Andrekos (Hg.): Imperial Expectations and Realities: El Dorados, Utopias and Dystopias, Manchester: Manchester University Press 2015, S. 1-25. Koch-Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1. S. 17. »[…] als einziger Ethnograph in Amazonica würde ich in Europa für diese Gegenden als Autorität gelten, von der Fremde, den Berlinern, die es wahrhaftig nicht besser verdient haben, einen Freispieler zu können, gar nicht zu reden! Diese ›Schadenfreude ist die reichste Freude. › – Ja, ›nous venons!‹«. Tagebucheintrag. ES Mr B.I.2. Heft 1. Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 85-90. Schreiben vom 2.9.1908. SMB-PK, EM. I/MV/0583. IB.76.

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Drang, neue indigene Gruppen zu ›entdecken‹, verursachte zweifelsohne eine gewisse Konkurrenz zwischen den Amazonas-Ethnologen.61 Konrad Theodor Preuss beispielsweise freute sich auf die Begegnung mit den Uitoto 1914 im kolumbianischen Amazonasgebiet: Ich bin sehr gespannt, wie sich das Bild dieser Indianer gestalten wird, wenn ich alles gesammelt habe. […] Ich bin glücklich, diese Indianer getroffen zu haben, die abgesehen von dem Vokabular Kochs [Koch-Grünbergs] völlig unbekannt sind, und ähnlich ist es mit den Coreguajes und Carijonas.62 Auf der anderen Seite weist der Drang, im Rahmen einer ethnologischen Unternehmung ein El Dorado zu entdecken, auf den damaligen imperialen Diskurs hin, der durch die Vorstellung eines deutschen Nationalstaats und dessen Kolonialprojekt auch wissenschaftliche Unternehmen beeinflusste. Das Wissen über den Anderen, verkörpert in den »Experimentierräume[n]«63 der damaligen Kolonien, war – insbesondere im Falle der anderen imperialistischen Mächte – aufs Engste mit der imperialen Expansion und der Nationenbildung in Übersee verwoben; ganz im Gegensatz zum deutschen Orientalismus, bei dem es keine offensichtliche Beziehung zwischen Macht und Besitzansprüchen auf der einen und Wissen auf der anderen Seite gab, wenngleich auch in diesem Fall »Phantasien der Bemächtigung und territorialer Aneignung« existierten.64 Alexander von Humboldts Reise nach Südamerika war zweifelsohne äußerst bedeutend für die »reinvention«65 Amerikas und darüber hinaus – im Anschluss an Susanne Zantop – für die Förderung von »Kolonialphantasien« im deutschen Kaiserreich maßgebend. Kolonialphantasien begünstigten die »friedliche Eroberung

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In einem weiteren Schreiben von Eduard Seler an Wilhelm Kissenberth lässt sich die Konkurrenz zwischen den Forschern und ethnologischen Museen verdeutlichen: »Koch [KochGrünberg] schreibt mir, daß sie in den ersten Tagen dieses Jahres zu den Kayapó gehen, dort 4-5 Wochen zubringen und dann weitere zwei Monate bei den Yovahé zu verweilen gedachten, um dann mit voller Kraft an die Lösung der Aufgabe zu gehen, in das noch unberührte Gebiet vorzudringen, und womöglich etwaigen Konkurrenzunternehmungen, die sie von Seiten des Leipziger Museums fürchten, zuvorzukommen«. Seler riet Kissenberth dennoch, während der Regenzeit bei den Araguaya zu bleiben und seine Studien zu vervollständigen. Bei der befürchteten Expedition handelte es sich um die von Fritz Krause geleitete. 13.4.1909. SMB-PK, EM. I/MV/0583. IB.76. Schreiben vom 12.8.1914. SMB-PK, EM. IB.92. Acta 1. Für Dirk van Laak stellten die deutschen Kolonien Experimentierräume für die weitere Entwicklung des modernen Nationalstaates dar. Vgl. Laak, Dirk van: »Kolonien als ›Laboratorien der Moderne‹?«, in: Conrad, Sebastian und Jürgen Osterhammel (Hg.): Das Kaiserreich Transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, S. 257-279. Conrad, Sebastian: Deutsche Kolonialgeschichte, München: C.H. Beck 2012, S. 22. Pratt: Imperial Eyes, S. 111ff.

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und geistige Aneignung der Gebiete, die bis dahin wenig mehr als ein Objekt der Neugier, des Staunens, oder des Hohnes gewesen waren, an die eigene Welt, den einzigen Kosmos«66 . In der Amazonasregion, einem dieser »Gebiete«, bildete sich eine Art »wissenschaftliche[r] Conquista«67 , welche unter anderen Disziplinen vor allem durch die Ethnologie verkörpert wurde. Eine gewisse Sehnsucht nach Eroberung, welche die Wissenschaft als Ausdruck von kolonialistischem Denken verkörperte, drückte sich in den frühen Ethnografien der Region aus.

Abbildung 2: Koch-Grünberg, Männer, Jungen am Ufer sitzend, mit Fahne. Abzug aus Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES MrKG-H-II, 085c.

Ein Bild aus Koch-Grünbergs Nachlass lässt sich aufgrund des Motivs als Inszenierung einer wissenschaftlichen Conquista interpretieren (Abb. 2), in der koloniale Fantasien zum Ausdruck gebracht wurden. Das Bild muss von seinem Assistenten Otto Schmidt gemacht worden sein. Während eine Gruppe von Männern fröhlich vor der Kamera steht und, wie ihre Gesten es vermuten lassen, diese Aktion für seltsam und komisch hielt, posiert im Zentrum der Ethnologe. Ihre Gesichter – einige lachen, andere betrachten mit Interesse die Kamera und Schmidt, andere zeigen sich ängstlich, – Letzteres eine häufige Reaktion beim Fotografieren – und ihre Haltungen kontrastieren mit Koch-Grünbergs Ernsthaftigkeit. In seinem Eifer, sich für die Fotografie als vorzeigbar zu präsentieren, unterscheidet sich der Ethnologe von seinen Mitreisenden durch seine weiße Kleidung und nicht zuletzt 66

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Gerbi, Antonello: La disputa del Nuovo Mundo: storia di una polemica, 1750-1900, Mailand: R. Ricciardi 1955. Zit. n. Zantop: Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770-1870), Berlin: Erich Schmidt 1999, S. 192. Kisch, Egon Erwin: »Die wissenschaftliche Conquista«, in: Freies Deutschland 11 (1942), S. 11-13.

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auch durch sein Notizheft in der rechten Hand. Somit schafft er es, sich selbst als zentralen Protagonisten des Bildes zu inszenieren. Im Zentrum des Bildes richtet sich die Aufmerksamkeit auch auf ein Motiv der Eroberung, welches die wissenschaftliche ›Entdeckung‹ weiter evoziert. Ein fröhlicher Mann der Gruppe hält eine Flagge, bei der es sich, obwohl in schwarz-weiß, vermutlich um die Flagge des »Deutschen Reichs« handelte. Sie verleiht dem Bild einen quasi-militärischen Charakter, der den imperialen Unternehmungen der Zeit entsprechen würde. Diese Inszenierung einer ›wissenschaftlichen Entdeckung‹ verstärkt das Notizheft, als ob es sich dabei um ein Zeichen der Macht der ethnologischen Tätigkeit handelte, die Macht der Repräsentation durch die Schrift. Diese Motive erlauben eine eindeutige Einordnung dieses Bildes als Beweis für die symbolische Inbesitznahme eines Ortes als koloniale Praktik der damaligen Ethnologie. Obgleich sich der genaue Moment der Aufnahme anhand der Quellen kaum rekonstruieren lässt, geben Informationen in einem Brief an seine Verlobte dennoch Hinweise darauf, dass es sich dabei um einen Ort handelte, den der Forscher anlässlich ihres Geburtstages mit »drei Riffle-Schüssen« taufte und sich dabei als »der erste Weisse, der in diese unbekannte Wildnis vorgedrungen ist!«68 feiern ließ. Nach solchen ›unberührten‹ Orten und Menschen, die im Einklang mit den im 19. Jahrhundert gängigen Vorstellungen von ›Wildheit und Naivität‹ lebten, sehnten sich die Forscher. Das Xingú-Territorium beispielsweise, das Forschungsgebiet von Karl von den Steinen und seinen Kollegen, galt aufgrund der »Abgeschlossenheit, Unerforschtheit und […] vermeintlichen Ursprünglichkeit«69 als besonders attraktiv für die damalige Forschung. Von den Steinens Nachfolger wurden sehr stark von diesen Idealen geprägt: Sie suchten nach dem ›ursprünglichen Indianer‹, den sie noch zu Zeiten Humboldts oder von Martius’70 und später auch bei den Xingú-Expeditionen von den Steinens verorteten.71 Ihr wissenschaftlicher 68 69

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Schreiben an Elsa Wasmuth. 3.3.1904. ES Mr B.IV. Feldpost. Seite 96. Münzel, Mark: »Die ethnologische Forschung des Alto Xingu«, in: Kraus, Michael (Hg.): Die Xingu-Expedition (1898-1900). Ein Forschungstagebuch, Köln: Böhlau 2004, S. 435-452, hier S. 445. Im Anschluss an Alexander von Humboldt und Friedrich von Martius beschreibt KochGrünberg: »Die somatischen Verhältnisse meiner Hianäkoto-Umäua waren die der echten Karaiben. Sie zeichneten sich durch hohen Wuchs, athletischen Muskelbau und regelmäßige Züge aus. Auf sie paßten die Worte, mit denen Martius die Karaiben Guayanas im Vergleich mit anderen Stämmen charakterisiert: ›Aus dieser sprachlich so bunten, körperlich und sozial so gleichen Menschenmenge ragen die eigentlichen Karaiben wie ein bevorzugtes Geschlecht hervor: höher an Gestalt, heller von Farbe, edler von Gesichtszügen, mannhafter, kühner und herrschend«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 114. »Eine solche noch völlig von europäischen Einflüssen unberührt gebliebene Bevölkerungsmasse waren die verschiedenen Indianerstämme des Schingú-Quellgebietes, als sie von den Teilnehmern der beiden v. d. Steinenschen Schingú-Expeditionen aufgefunden wurden«. Nach Max Schmidt seien diese ›unberührte Stämme‹ durch die Xingú-Expeditionen von den

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Ehrgeiz lag somit in der Herausforderung begründet, etwas zu ›entdecken‹72 , was für die damaligen Reisenden immer unwahrscheinlicher wurde, und dabei einen Beitrag zu leisten, den nur ›große Männer‹ geleistet hatten. Die »Angst, mit einem solchen Unterfangen eigentlich schon zu spät gekommen zu sein, zieht sich wie ein Topos durch die Geschichte der akademischen Ethnologie«73 und war kennzeichnend für die Amazonasforschung um die Jahrhundertwende. Das Ziel der Ethnologen war es demzufolge, neue, bisher ›unentdeckte‹ Stämme zu finden, und deshalb wurde auf der »Ursprünglichkeit«74 der ›entdeckten‹ Menschen beharrt. Aufgrund der Schwierigkeit, diese zu finden, genügte es jedoch, möglichst viele Beweise ihrer Existenz zu zeigen, wofür die Ethnologie zuständig war. Diese Existenz ließ sich durch die körperlichen Eigenschaften der Individuen beweisen – also durch ihre Hautfarbe, die Gesichtszüge und die Körpergröße, ebenso wie durch ihre Sprache. Körper und Sprache dienten als Variablen für die Zuordnung, Klassifizierung und Erforschung von indigenen Gemeinschaften.75 Die ikonische Fotografie eines ›Uanána Indianers‹ verkörpert die Idee von Ursprünglichkeit, wie sie von Ethnologen idealisiert und verwirklicht wurde

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Steinens und Herrmann Meyers in Kontakt mit der europäischen Welt getreten. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 319-320. Ethnologen, ebenso wie andere Forscher und Missionare machten nicht nur ›Entdeckungen‹ für die Ethnologie, sondern auch für die Zoologie und Botanik. Im Fall Koch-Grünbergs wurden die Schmetterlinge Antirrhaea philoctetes theodori Frühst, die Morpho achilles theodorus Frühst und die Melete lycimnia theodori Frühst »zu Ehren ihres Entdeckers […] getauft«. Frühstörfer, Hans. »Verzeichnis der auf der Expedition gesammelten Rhopaloceren.« In: Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 350-357. Dabei führte er naturkundliche Praktiken des Sammelns und Klassifizierens, die für das 18. und 19. Jahrhundert charakteristisch waren, durch und versuchte somit eine holistische Darstellung des von ihm begegneten Raumes darzulegen. Zu zoologischer und botanischer Aneignung in interkulturellen Begegnungen am Beispiel der Missionsgeschichte vgl. Harries, Patrick: Butterflies & Barbarians: Swiss Missionaries & Systems of Knowledge in South-East Africa, Oxford [u.a.]: James Currey 2007, S. 131-154. Kohl, Karl-Heinz: »Die Ethnologie und die Rekonstruktion traditioneller Ordnungen«, in: Fried, Johannes und Michael Stolleis (Hg.): Wissenskulturen. Über die Erzeugung und Weitergabe von Wissen, Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2009, S. 159-180, hier S. 161. Am oberen Rio Negro bei Kobeua: »Die Leute waren noch sehr ursprünglich. Ich bemerkte wenig europäische Geräte«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 76. Auf ähnliche Weise berichtete der Forscher über die Menschen am Rio Ariary: »einen Nebenfluss […] an dem wir die Indianer in ihrer ganzen Ursprünglichkeit kennenlernten.« Vortragsmanuskript. ES Mr D.I.1. »Somatisch unterscheiden sich die Pauschiána sehr von den umwohnenden Stämmen, mit denen sie wenig Verkehr unterhalten. Viele von ihnen zeichnen sich durch Schlankheit des Körperbaus und feine, fast semitische Gesichtszüge aus. Ihre sprachliche Stellung ist noch sehr unsicher, da sie niemals wissenschaftlich untersucht wurden«. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise. S. 15. Vgl. auch S. 198. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianer, Bd. 1. S. 64.

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(Abb. 3). Diese Idealisierung unberührter Authentizität gehört zur ethnografischen Übersetzung.

Abbildung 3: »Uanána Indianer […] unverfälschte Naturkinder.« Koch-Grünberg. 1909. S. 21.

In Koch-Grünbergs Feldpost erzählt er seiner Verlobten von der Begegnung mit dem Jungen, der zu einer Gruppe gehörte, die aus den oberen Uaupés »mitgebracht« wurde.76 Der Junge wurde aber hauptsächlich als Verkörperung einer Ursprünglichkeit dargestellt, die der Forscher in der Region ›entdecken‹ würde. Auch wenn während der Feldforschung die intersubjektive Dimension z.B. durch Fotografie erfasst wurde,77 erfolgte, um mit Johannes Fabian zu sprechen, die Verweigerung der Zeitgenossenschaft – the denial of coevalness – bei der Repräsentation indigener Individuen durch den ethnologischen Diskurs, insofern sie »in a time other than that of the one who talks«78 versetzt wurden. Das El Dorado war demzufolge eine Art Kulisse der ethnografischen Forschung, dessen politischer und sozialer Kontext für die ethnografische Repräsentation nicht relevant war: Der Yuruna, von der Jagd heimkehrend, ist ein Anblick für Götter. Links hat der nackte Mensch ein geflochtenes Täschchen hängen, an einem breiten Bande trägt 76

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»[…] die der Schwiegersohn von Donna Antonia, ein junger Portugiese, vom Caiarí oder oberen Uaupés (Cachoeira Carurú) mitgebracht hatte. Es waren […] Gestalten mit runden Köpfen […] Gesichtern, freundlich, einige beinahe […], rötlich brauner Hautfarbe. Sie erinnern lebhaft an die Crevauxschen […] vom französisch Guayana und manche junge Bakairí oder mehr noch Nahuguá vom Schingú. Einen fotografiere ich in ganzer Figur, nackt, in vollem Tanzschmuck, ein wunderschöner Anblick«. ES Mr B.IV. Feldpost August 1903. Hempel: »Theodor Koch-Grünberg and Visual Anthropology«, S. 214. Fabian, Johannes: »The Other Revisited. Critical Afterthoughts«, in: Anthropological Theory 6/2 (2006), S. 139-152, hier S. 143.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

er das Pulverhorn, sein Haar läuft in einen grauumwickelten Zopf aus, den Leib umschliesst der blaue Perlengürtel: mit der Rechten auf einen Kuder, mit der Linken auf die alterthürmliche Flinte gelehnt, steht er da, schaut in die weite Welt und unterhält sich mit dem Freunde, dessen Blickrichtung die seine in der Unendlichkeit schneidet.79 Ursprünglichkeit gehört zu Utopia, sie deutet auf den Weltursprung hin80 und umfasst in der Ethnologie die Idee eines Naturzustandes, ähnlich dem eines Kindes, sowie alle Aspekte, die sich erneut auf die Vorstellung des ›edlen Wilden‹ zurückführen lassen. Die Idee des ›Ursprungs‹ bezieht sich, insbesondere im Falle der Ethnologie, ferner auf Originalität im Sinne von Authentizität. In diesen Momenten wurde der ›authentische‹ Charakter der indigenen Bevölkerung nach den Erwartungen des Ethnologen und in Komplizenschaft mit seinen Lesern konstruiert. Charakteristisch für den authentischen ›Indianer‹ waren daher nicht nur seine Physiognomie, seine Nacktheit, seine Unschuld. Seine Ornamente, Federkronen und andere Accessoires waren mindestens ebenso wichtig, wenn nicht sogar am aussagekräftigsten, um den originalen Charakter der ›Indianer‹ zu untermauern. Dass Ethnologen die Amazonasregion und die indigene Bevölkerung als ein ›El Dorado‹ betrachteten, d.h. als Ort der ›Entdeckung‹, zeigt, wie sehr die ethnografische Repräsentation sich auf die Präsenz eines vermeintlichen Originals stützte, das Ethnologen durch diskursive (textuelle und fotografische) Strategien zuverlässig übertragen sollten. Dadurch sollte die Anwesenheit eines Originals, in diesem Fall der ›Indianer Kultur‹ aber auch der ›Indianer‹ selbst, nachgewiesen werden. Die ethnografische Übersetzung funktioniert demzufolge, um mit Tejaswini Niranjana zu sprechen, als »a transparent presentation of something that already exists, although the ›original‹ is actually brought into being through translation«81 . Durch die Rhetorik des Ursprungs und der Authentizität konstruiert in diesem Fall Koch-Grünberg ein ›Original‹ mit dem Bild eines Jungen, der als Vertreter der ›Uanána‹ fungieren soll und diese Gemeinschaft als ›unverfälschte Naturkinder‹ darstellt.82 Dies kann als eine der Formen der ethnografischen Übersetzung, die Kate Sturge in ihrer Arbeit als die »Konstitution einheitlicher Kulturen«83 identifiziert, betrachtet werden. 79 80

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Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 259. Zur Metapher von Utopia seit Platos Republik und Thomas Morus’ Utopia im Zusammenhang mit ihrer Anwendung im kolonialen Diskurs vgl. Varnava: »El Dorados, Utopias and Dystopias in Imperialism and Colonial Settlement«. Niranjana: Siting Translation, S. 3. Karl von den Steinen sprach ebenso in seiner zweiten Monografie über die Indigenen als Kinder. In seinem Vorwort hoffte er, sich »in die Seele unserer Naturvölker, dieser Kinder des Augenblicks, hineinzudenken –was zu versuchen meine eigentliche Aufgabe war«. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. VII. Sturge: Representing Others, S. 41f.

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Für den Fall der Amazonas ›Kulturen‹ wie der Bakairí‹, ›der Gautó‹ oder ›der Makú‹ usw. lag die Hypothese der Einheitlichkeit zumal im physischen Aussehen – aber auch im Verhalten – begründet. Daraus konstruierten die Ethnologen die Differenzierung zwischen einem ›edlen‹ und einem ›gewöhnlichen‹ Typus. Ein ›gewöhnlicher‹ Typus zeichnete sich physisch etwa für Wilhelm Kissenberth durch »geringere Körpergröße, etwas dunklere Hautfarbe, kleinere und schrägere Lidspalte und auch strafferes Kopfhaar«84 aus. Koch-Grünbergs unterschied besonders streng zwischen einem edleren und einem hässlicheren Typus. Ersterer zeichnete sich durch Menschen mit langen Beinen und einem langen Gesicht85 aus. Diese waren im Allgemeinen »hübsche Leute mit feingeschnittenen Gesichtern«; als Angehörige des ›edlen Typus‹ hatten sie ein »freundliches und dabei zurückhaltendes Benehmen«. Die Yekuana dagegen sah der Ethnologe als »zum Teil fürchterlich häßlich […], klobig, wie mit der Axt zugehauen, einige von ihnen wahre ›Menschenfressertypen‹«86 . Eine durchaus eurozentrische Auffassung von Schönheit bestimmte die Eindrücke und Bewertungen der Forscher. Somit stufte der Forscher die indigene Bevölkerung gemäß den evolutionistischen Maßstäben der Zeit ein, und zwar im Sinne eines authentischen ›Originals‹. Dieser exotische Charakter der Darstellung der Indigenen hat sich als ein charakteristisches und nachhaltiges Merkmal der deutschen Ethnografien der Zeit erwiesen (Abb. 4). An dieser Stelle lohnt es sich, folgenden Umstand zu berücksichtigen: Während Schönheit für die Forscher eine natürliche Eigenschaft bildete, ist sie für die Indigenen der Amazonasregion eine soziale – und damit eben keine natürliche – Eigenschaft. Wie Stephen Hugh-Jones erläutert, werden »natural materials such as feathers […] thought to become beautiful only when they have been transformed, a socialization of nature that parallels the way in which the making of things and the wearing of ornaments socialize the body«.87 ›Ursprünglichkeit‹, ›Authentizität‹ und Schönheit kommen in textuellen und visuellen Repräsentationen zum Ausdruck, die dem Leser den ›echten Indianer‹ präsentierten. Das ›Echte‹ existierte in Gegenüberstellung zu einem ›Nicht-Echten‹, beide Positionen sind daher als Konstruktionen der Ethnologie zu betrachten. Das ›Echte‹ wurde in den Ethnografien bevorzugt und konstituierte das Forschungsobjekt der Ethnologie. Das ›Nicht-Echte‹ wurde entweder ausgeblendet oder als

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Die Unterscheidung zwischen einem ›edlen‹ und einem ›gewöhnlichen‹ Typus der TapirapéIndigenen in Zentralbrasilien wird von Kissenberth ausdrücklich vorgenommen. Unter seinen Kollegen unterschied insbesondere Koch-Grünberg zwischen ›edleren‹ und ›degenerierten Typen‹. Kissenberth: »Beitrag zur Kenntnis der Tapirapé-Indianer«, S. 48. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 180. Ebd., S. 258. Hugh-Jones: »The fabricated body«, S. 49.

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Gegenbild verwendet, um das ethnologische Unternehmen als Rettungsaktion darzustellen und dadurch weitere Expeditionen zu rechtfertigen. In dem Augenblick, als die Ethnologen in Brasilien angekommen und in das Innere des Landes vorgedrungen waren, wurden sie jedoch mit der ambivalenten Realität des Gebietes konfrontiert.

Abbildung 4: »Karamakate« (Nilbio Torres). Fotoabszug aus dem Film »Der Schamane und die Schlange.« 2015.

Das El Dorado entpuppte sich während der deutschen ethnologischen Feldforschungen als eine Art enttäuschte Hoffnung,88 denn die Mehrheit der indigenen Bevölkerung hatte längst Kontakt mit anderen Bevölkerungsgruppen. In der Folge sahen sich die Forscher gezwungen, sich in ihren Ethnografien mit der europäischen Auffassung vom ›ursprünglichen‹ oder ›originalen Indianer‹ auseinanderzusetzen, denn in der Amazonasregion gab es um die Jahrhundertwende kaum mehr ›unverfälschte Naturkinder‹, die den Wünschen der Ethnologen entsprachen. 88

Vgl. Bloch, Ernst. Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1985. Hier insbesondere »Eldorado und Eden, die geographischen Utopien«. S. 873-929. Auf die Annahme, es gäbe ein ethnologisches El Dorado mit ›edlen Wilden‹ folgte die Enttäuschung: »[…] ich gebe mich keineswegs dem süssen Wahn hin, dass ich einen paradiesischen Ursitz aufgefunden habe, wo alle wichtigsten Erfindungen gemacht worden seien«. Vgl. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 74. Der Schweizer Ethnologe Felix Speiser sollte 30 Jahre später ebenfalls enttäuscht werden: »Warum hatten wir von den Indianern mehr erwartet, als sie geben konnten, warum hatten wir sie allgemein menschlicher Untugenden ledig geglaubt?«. Speiser, Felix: Im Düster des brasilianischen Urwalds, Stuttgart: Strecker & Schröder 1926, S. 276. Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 435f.

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Dagegen fanden sie Mitglieder einer Bevölkerung, die aufgrund einer bereits etablierten ›Rassenunterscheidung‹ – zwischen ›edlen‹ oder ›echte‹ und ›unedlen‹ – diskriminiert wurden.89 Nicht selten sieht man auch ursprünglichere Indianer in kleineren und größeren Trupps in den Straßen der Stadt. Zwar tragen sie hier die vorgeschriebene europäische Kleidung, Hose und Hemd, doch sind sie durch ihren auffallenden Gang – sie gehen stets einer hinter dem anderen – und andere Merkzeichen leicht von den einheimischen Caboclos zu unterscheiden und als echte Waldmenschen zu erkennen.90 Der erste Kontakt mit den Indigenen konnte bereits in den brasilianischen Städten, in den Häfen oder auf den Schiffen hergestellt werden. So berichtet Koch-Grünberg über seinen Aufenthalt in Manaos, dass man viele »braunen Leute« überall in der Stadt sehen konnte, welche Caboclos genannt wurden, »entartete Nachkommen der einstigen Herren des Landes«.91 Da die Caboclos den Untergang der ursprünglichen Indigenen repräsentierten, verstärkten sie die Motivation für die bevorstehende Expedition, denn sie wurden als Zeichen des baldigen Verschwindens der ›echten Indianer‹ wahrgenommen. Daraus wurde die Notwendigkeit, die letzten Beweise für ihre Existenz zu sammeln und der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, abgeleitet. Dies ermöglichten »ursprünglichere Indianer«, die jedoch ebenfalls in der Stadt gesehen werden konnten. Beide Wahrnehmungen der angetroffenen Indigenen werden die widersprüchliche Erfahrung der Reisenden im Laufe der Expedition bestimmen: zum einen die kontinuierliche Enttäuschung aufgrund des Verschwindens der ›ursprünglichen Indianer‹; zum anderen die Bestätigung, dass doch noch »echte Waldmenschen« zu sehen sind, auch wenn diese europäische Kleidung tragen – ein Aspekt, der für den Ethnologen nicht relevant zu sein schien, im Gegensatz zu anderen Eigenschaften, wie z.B. deren Art zu gehen, welche beweisen, dass der Ethnologe in Kontakt mit ›echten Indianern‹ gekommen ist. Auf

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Zur Kategorie der Rasse in Südamerika vgl. Peloso, Vincent: Race and Ethnicity in Latin American History, New York: Routledge 2014. Wade, Peter: Race and ethnicity in Latin America, London/New York: Pluto Press 2010. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 9. Meine Hervorhebung. Ebd., S. 8. Der Begriff der ›Entartung‹ und dessen Verwendung im kolonialistisch-ethnologischen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts steht im enger Verbindung mit dem damaligen rassentheoretischen Ansatz, der sich auf Joseph Arthur de Gobineaus Überlegungen über die Rassenmischung zurückverfolgen lässt. Fatima El-Tàyeb weist darauf hin, dass »[w]ährend Gobineau die Mischung europäischer Völker in einigen wenigen Fällen positiv bewertete, beschrieb er die Konsequenzen der Mischung von schwarz und weiß, von ihm in Brasilien »studiert« mit der später gebräuchlicheren Terminologie der »Entartung«, die für ihn das Entstehen »rasseloser Elemente« darstellte«. El-Tàyeb, Fatima: Schwarze Deutsche. Der Diskurs um »Rasse« und nationale Identität 1890-1933, Frankfurt a.M./New York: Campus 2001, S. 24.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

diesen Widerspruch macht auch die Ethnologin Anita Hermannstädter aufmerksam, wenn sie in Bezug auf Wilhelm Kissenberths Expeditionen anmerkt, dass, »[obwohl] Kissenberth wusste, dass die Kajapó seit Jahrzenten bereits mit Einflüssen von außen konfrontiert wurden, […] er sich in einer Welt frei von Arbeitszwang, in der unverdorbene Menschen im ›Urzustande‹ leben [, sah]«92 . Im Amazonasgebiet konnte man keinen ›ursprünglichen‹ Zustand sehen, wie ihn sich die Ethnologen wünschten. Die Menschen trugen Kleider und nicht immer Federn, sprachen auch Spanisch oder Portugiesisch und arbeiteten für die ›Weißen‹. Sie befanden sich – gemäß der ethnologischen Terminologie – bereits in einem Zustand der ›Akkulturation‹. Dennoch sehnten sich die Ethnologen nach einem Ideal des ursprünglichen ›Indianers‹ und manchmal gelang es ihnen sogar, die Menschen, die sie begleiteten, als Steinzeitmenschen zu sehen, so zum Beispiel, wenn Karl von den Steinen von dem ersten Mal erzählt, als sein Begleiter Tumayua ein Pferd ritt: Sie thaten alles was man von ihnen verlangte. Ja, Tumayua folgte ohne Zaudern der Einladung, sich auf Perrot’s Pferd zu setzen. Ich führte das Tier ein Weilchen und liess es dann traben; der edle Häuptling ritt und ritt, denn wie er zurückkommen sollte, war ihm unbekannt. Es steckte doch etwas von einem historischen Moment in dem Anblick: der Südamerikaner der Steinzeit zum ersten Mal auf dem Rücken eines Rosses.93 Zwar erkannte später Karl von den Steinen in der Publikation seiner zweiten Xingú-Expedition an, dass seine Art und Weise, indigenen Menschen als Steinzeitvertreter zu klassifizieren, unangebracht war, was zweifelsohne auf eine Veränderung seiner Einstellung im Laufe der Expeditionen hinweist.94 Dennoch liegt es im Interesse dieser Analyse keine Urteile über die Ethnologen als Personen zu machen, sondern deren Texte und das, was diese über die damaligen Prämissen der Ethnologie aussagen, zu untersuchen. Von den Steinens frühe Weltwahrnehmung zeigt, dass das von Ethnologen gesuchten ›Echte‹ in direktem Zusammenhang zur Vergangenheit stand. Im Übereinstimmung mit seinem

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Hermannstädter: »Eine vergessene Expedition«, S. 115. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 85. »Während die Praehistorie erst dort für die Erklärung der Kulturanfänge das entscheidende Wort sprechen und die Definitionen liefern sollte, wo die Beobachtung an den Naturvölkern ihre Grenze findet, gelten heute die Mitteilungen aus Alaska oder von einer Südseeinsel vorwiegend als schätzbares Material für den Praehistoriker, der mit Freude sieht, wie seine scharfsinnigen Deutungen durch die Wirklichkeit bestätigt werden, und wenn andrerseits der Forschungsreisende irgendwohin gelangt, wo die Leute keine Metalle kennen, so ruft er aus, sie leben in der »Steinzeit« — eine Thorheit, die mir deshalb sehr klar geworden ist, weil ich sie selbst häufig begangen habe.« Ebd., S. 203. Ich danke Michael Kraus, dass er mich auf diesen Wandel in der Denkweise Karl von den Steinens hingewiesen hat.

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Urteil steht Koch-Grünbergs Bewertung, dass er einen Mann wegen seiner Frisur, die »früher am ganzen Cayary-Uaupés verbreitet« war, als »ein verkörpertes Stück Vergangenheit« bezeichnete.95 Solche Bewertungen beruhten natürlich keineswegs auf wissenschaftlichen Fakten, trugen aber zur Verstärkung des exotischen Charakters der Ethnografien bei, zumal sie als Gegengewicht zu Beschreibungen des ›Akkulturationszustands‹ dienten, in dem sich die indigene Bevölkerung angeblich befand. Diesen vermeintlichen Zustand der Akkulturation bewerteten die Ethnologen graduell, indem sie nach eigenem Ermessen verschiedene Stadien definierten. Wenn z.B. die angetroffenen Individuen nicht mehr als vollkommen ›ursprünglich‹ galten, sollten ihre Bräuche und Objekte, ebenso wie die Herstellung letzterer von ihrem Ursprung als ›Indianer‹ zeugen. Es gab keine systematische Abgrenzung zwischen authentischen und akkulturierten Indigenen und die Bewertung der ›Authentizität‹ oder ›Ursprünglichkeit‹ war kontextabhängig und widersprüchlich. Max Schmidt etwa bewertete die Authentizität seiner Reisebegleiter Benedito und Agustino aufgrund ihrer Zeichnungen als bereits von westlichen Mustern beeinflusst. Dennoch konnten die Zeichner »kaum wenige Worte Portugiesisch sprechen und verstehen, besassen zwar Hemd und Hose, aber waren im Übrigen im ganzen Benehmen doch noch die echten Schingú-Indianer geblieben.«96 Für Schmidt befanden sich einige Indigene aufgrund des Einflusses der »europäisierten Ansiedler« in einem Zustand des »Übergang[s]«. Den europäisierten Einfluss rechtfertigte Schmidt jedoch, indem er behauptete, dass die »unverfälschte[n] indianische[n] Erklärungen« von Mythen oder Zeichnungen sich nur »von solchen Individuen aufnehmen lassen, die der europäisierten Kultur so nahe getreten sind, dass eine eingehende Verständigung mit ihnen möglich ist.«97 Nach ›unverfälschten‹ Erklärungen oder anderen Beweisen eines ›echten Indianers‹ wurde gesucht, auch wenn den Ethnologen klar war, dass diese de facto nicht zu finden waren. Es lässt sich feststellen, dass das El Dorado in der Ethnologie jener imaginäre Ort war, in dem die Annahmen der Ethnologen durch die ›Entdeckung‹ bestätigt wurden.98 Das ›Original‹ ist nicht vorgegeben, sondern wird von den Ethnolo-

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Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 328. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 325. Auf ähnliche Weise berichtete KochGrünberg: »[d]er europäische Einfluß ist nicht so durchgreifend gewesen, als man bei dem langen Verkehr mit den Weißen annehmen sollte, und ihre Haushaltung und ganze Lebensweise ist, abgesehen von einigen europäischen Kulturerrungenschaften, echt indianisch geblieben« Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 44. Meine Hervorhebung. Vgl. auch S. 51, 151. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 329. Vgl. Bloch, Ernst: »The Principle of Hope«, in: Clark, Rex und Oliver Lubrich (Hg.): Cosmos and Colonialism. Alexander von Humboldt in Cultural Criticism, New York: Berghahn Books 2012, S. 158-164.

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gen entworfen, oder, wie Johannes Fabian es formuliert, »[a]kward and faddish as it may sound, othering expresses the insight that the Other is never simply given, never just found or encountered, but made«99 . Insofern, als das ›Original‹ durch ethnologische Repräsentationen, Homi Bhabha paraphrasierend, simuliert, kopiert, übertragen, verwandelt und zu einer Art Simulakrum gemacht wird, ist es »never finished or complete in itself«100 . Der Glaube an einen ›ursprünglichen‹ Zustand, die Ambivalenz zwischen ›echten‹ und ›nicht echten‹ Indigenen, aber auch die Konfrontation mit Menschen, deren kulturelle Hybridität sich in keine der ethnologischen Kategorien einordnen ließ, zeigt die Konstruktion des Forschungsobjekts, also die Bestätigung von präexistenten Annahmen, als Bestandteil der ›Kulturübersetzung‹. Ihre Untersuchung in der vorliegenden Analyse ermöglicht es, die Vorstellung »kulturelle[r] Ursprünglichkeit« – in diesem Fall der indigenen Kulturen der Amazonasregion – zu destabilisieren, indem herausgearbeitet wird, dass das ethnologische Konzept von ›Kultur‹ »in Momenten der (kolonialen) Kulturbegegnung und in Abhängigkeit von den jeweiligen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen dieses Kontaktes ausgehandelt«101 und dadurch konstruiert wurde.

Ethnografie als ›Kulturübersetzung‹ und Kolonialität des Wissens Amazonas-Ethnologen können insofern als Kulturübersetzer betrachten werden, als ihre Tätigkeit sich auf Übersetzungspraktiken stützte. Sie machten den Leser mit kulturellen Aspekten fremder Kulturen in ihrer Sprache vertraut. Dabei ging es um ihre Fähigkeit, entweder das Unbekannte in Bekanntes zu verwandeln, oder es in für den Leser bekannten Begriffen und Kategorien zu erklären. Auf der einen Seite verwendeten Ethnologen eine Domestizierungsstrategie der ›Kulturübersetzung‹, so zum Beispiel, wenn Theodor Koch-Grünberg von einem »›zwanglosen Herrenbierabend‹« berichtet, zu dem er und sein Reisebegleiter Otto Schmidt eingeladen wurden, wo die »Männer sich Jagdgeschichten und andere Erlebnisse [erzählten], ganz wie bei uns«102 . Eine andere Form, das Unbekannte anhand von Referenzen zu vermitteln, die dem Leser vertraut waren, findet sich bei der Darstellung von ›Indianern‹ auf den Buchdeckeln der Monografien (Abb. 1). Hier evozieren die Ethnologen das Bild des ›edlen Wilden‹, der, wie im Fall von von den Steinens Durch Central-Brasilien, umgeben von exotischen Tieren und Pflanzen in nachdenklicher Pose präsentiert wird oder der, wie in Fritz Krauses Buch dem Leser den Rücken zukehrt, ein Kanu führt und sich dabei als mysteriöse und in der 99

Fabian, Johannes: »Presence and Representation: The Other and Anthropological Writing«, in: Critical Inquiry 16/4 (1990), S. 753-772, hier S. 755. 100 Rutherford: »Interview with Homi Bhabha«, S. 210. 101 Wolf: Die vielsprachige Seele Kakaniens, S. 40f. 102 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 93.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Tat unbekannte Gestalt präsentiert. Auf der anderen Seite verwendeten Ethnologen eine Verfremdungsstrategie der ›Kulturübersetzung‹, so beispielsweise, wenn Karl von den Steinen von »Zauberei und Medizinmänner[n]« erzählt: Alle Krankheiten sind durch Hexerei verursacht; »es soll Leute geben, die den Medizinmännern auftragen, ihre Feinde zu vergiften«. Mit seinem Friseur darf man sich am Schingú nicht verfeinden. So sei es, warf ich Antonio scherzend ein, eigentlich von mir sehr unvorsichtig gewesen, dass ich mir die Haare von ihm habe schneiden lassen. »Nein«, erwiderte er, »ich bin nicht schlecht, ich bin kein omeóto (= ome-zóto Giftherr).« »Also alle Krankheiten rühren von den Omeotos her?« »Alle.« »Hast Du jemals einen gesehen?« »Nicht bei den Bakairí, wir würden so schlechte Menschen verjagen.« »Aber bei den Kamayurá?« »Pode ser, kann sein.« »Hast Du schon gute Medizinmänner (pajé) gesehen? » »Ja, mehrere am Kulisehu. Pakurali war einer. Früher auch am Paranatinga. Der Aueto-Häuptling Auayáto war einer.« Es ist sehr charakteristisch, dass alle schlechten (kyurá-pa = nicht unser) Zauberer in fremden Dörfern wohnen.103 Anhand dieses Zitats lässt sich eine für die ethnografische Repräsentation charakteristische Form der Verfremdung exemplarisch aufzeigen. Die Verfremdung leitet sich aus der domestizierten Übersetzung der Heilmethode(n) der indigenen Gemeinschaften als ›Zauberei‹ oder ›Hexerei‹ ab und erfolgt zunächst einmal durch die Einführung der indirekten Rede Antonios sowie bestimmter Begriffe und Namen in seiner Muttersprache. Diese Strategie der ›Kulturübersetzung‹, in der sowohl die sprachliche als auch die kulturelle Differenz berücksichtigt werden, ist kein exklusives Charakteristikum des ethnologischen Diskurses104 , obschon ethnografische Texte sich dadurch auszeichneten. Durch die zitierte Rede Antonios (obwohl selbige bereits ins Deutsche übersetzt worden ist) und die Einfügung von Fremdwörtern bzw. Ausdrücken, wie z.B. das portugiesische »pode ser«, wurde dem Text darüber hinaus ein authentischer Charakter verliehen, der es erlaubt, ihn als ethnografische Darstellung einzuordnen.

103 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 344. 104 Die Verfremdungsmethode ist charakteristisch für die klassische und die romantische Epoche der deutschen Geistesgeschichte. Sie wurde explizit von Friedrich Schleiermacher erörtert und findet sich auch in Walter Benjamins Übersetzungsauffassung, die wiederum auf Rudolf Pannwitz zurückgeht. Siehe Friedrich Schleiermachers Abhandlung von 1813 Schleiermacher, Friedrich: »Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens«, in: Störig, Hans Joachim (Hg.): Das Problem des Übersetzens, Stuttgart: H. Goverts 1963, S. 38-69. Eine intensive Aufarbeitung dieser Strategien führte Lawrence Venuti in seinem Bahnbrechenden Studie durch. Venuti, Lawrence: The Translator’s Invisibility. A History of Translation, London: Routledge 1995, S. 19f.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Stärker und vermutlich »nachhaltiger als Reiseberichte« prägten andere Orte des Wissens über außereuropäische Menschen, wie Völkerschauen105 und später Völkerkundemuseen106 , »das populäre Bild von exotischen Ländern beim breiten Publikum«107 . Mit der Disziplinarisierung und Professionalisierung des Wissens im 19. Jahrhundert wurde der ›Indianer‹ zu einem der grundlegenden Elemente der Ethnologie.108 Im Rahmen der deutschen Ethnologie bewertete beispielsweise Adolf Bastian bestimmte außereuropäische Bevölkerungsgruppen als »Halbkulturund Naturvölker«, die im Gegensatz zu den »Geschichts- und Kulturvölkern« standen. Erstere hatten kein Schriftsystem und demzufolge keine Schriftquellen zu ihrer Geschichte.109 Die Relevanz der Schrift im Zusammenhang mit Geschichte stellten Jack Goody und Walter J. Ong, wenn sie argumentierten, dass die europäische hegemoniale Auffassung von Geschichte unmittelbar verbunden mit der Entwicklung der Schrift ist.110 Aus diesen Gründen lässt sich erklären, warum in den Augen der europäischen Forscher außereuropäische Gemeinschaften ohne Schrift als geschichtslos bzw. als ohne einen Sinn für Geschichte bezeichnet werden. Sprache, Religion, ebenso wie die nationale Zugehörigkeit wurden als Eigenschaften einer kulturellen Einheit betrachtet. Schriftlose Kulturen, die auch nicht Teil eines geografisch weit verbreiteten religiösen Systems waren und sich aus damaliger ethnologischer Sicht in einer »tieferen Kulturstufe« befanden, wurden in

105 Zum Thema Völkerschauen vgl. auch Honold, Alexander: »Ausstellung des Fremden – Menschen- und Völkerschau um 1900. Zwischen Anpassung und Verfremdung: Der Exot und sein Publikum«, in: Conrad, Sebastian und Jürgen Osterhammel (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, S. 170190; Eißenberger, Gabi: Entführt, verspottet und gestorben. Lateinamerikanische Völkerschauen in deutschen Zoos, Frankfurt a.M.: Verlag für interkulturelle Kommunikation 1996. 106 Über das Völkerkundemuseum und über museale Praxis vgl. Hoffmann, Beatrix: Das Museumsobjekt als Tausch- und Handelsgegenstand. Zur Bedeutungswandel musealer Objekte im Kontext der Veräußerungen aus dem Sammlungsbestand des Museums für Völkerkunde Berlin, Berlin: LIT 2012; Sturge: Representing Others; Penny, H. Glenn: »Die Welt im Museum: Räumliche Ordnung, globales Denken und Völkerkundemuseen im ausgehenden 19. Jahrhundert«, in: Schröder, Iris und Sabine Höhler (Hg.): Welt-Räume: Geschichte, Geographie und Globalisierung seit 1900, Frankfurt a.M.: Campus 2005, S. 74-99. 107 Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur, S. 485. 108 Wallerstein, Immanuel und Gulbenkian Commission: Open the Social Sciences: Report of the Gulbenkian Commission on the Restructuring of the Social Sciences, Stanford: Stanford University Press 1996, S. 20-21. 109 Fiedermutz-Laun, Annemarie: »Adolf Bastian«, in: Marschall, Wolfgang (Hg.): Klassiker der Kulturanthropologie: von Montaigne bis Margaret Mead, München: C.H. Beck 1990, S. 109-136, hier S. 122. 110 Vgl. Goody, Jack: Literacy in Traditional Societies, Cambridge: Cambridge University Press 1968; Ong, Walter J: Orality and Literacy: The Technologizing of the Word, London: Methuen 1982.

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›Stämme‹ eingeteilt.111 Die Praxis der ethnografischen Repräsentation außereuropäischer Menschen ist eng verknüpft mit zeitgenössischen Diskursen der imperialen Machtergreifung. Hier lohnt es sich anzumerken, dass gleichzeitig mit den ersten Amazonasexpeditionen Friedrich Nietzsches Gedanken über die Machtergreifung erschienen, durch welche die Geschichten anderer Epochen und Menschen von mächtigeren Figuren ausgelassen und mittels anderer Informationen modifiziert wurden, und zwar zum Beispiel auch dadurch, dass der Name ihres Urhebers herausgestrichen und durch den eigenen ersetzt wurde. In seinem Buch Die fröhliche Wissenschaft weist der Philosoph auf diese imperiale Form der Machtergreifung als eine Art Übersetzung hin, als eine andere Form von Eroberung.112 Als eine imperiale Form der wissenschaftlichen Machtergreifung erfolgte die ethnologische Feldforschung unter den institutionellen Bedingungen der Ethnologie und ist daher nicht nur als die Tätigkeit eines einzelnen Ethnologen zu verstehen,113 wobei die Präsentation von Daten und Informationen über andere Menschengruppen als Resultat der individuellen und vermeintlich unvoreingenommenen Beobachtung eines privilegierten Individuums erfolgte. Die Repräsentation indigener Gemeinschaften in den frühen Amazonas-Ethnografien als ›Kulturübersetzung‹ zu betrachten, bedeutet, die Konstruktion von Alterität im ethnologischen Diskurs als eine wissenschaftliche, vor allem aber auch soziale Praxis zu begreifen, welche sich durch die hegemoniale epistemische Dimension der Wissensproduktion auszeichnet, d.h. durch die Kolonialität des Wissens. Hierin ermöglicht die Notion von Kolonialität eine kritische Reflexion über den »Zusammenhang zwischen Geschichte und Epistemologie« im Falle der Ethnologie, der Johannes Fabian zu folge darin besteht, »eine Geschichte [der Ethnologie] nicht nur ihrer Ergebnisse, sondern auch ihrer […] Praktiken der Wissensproduktion und -präsentation«114 darzulegen. Das Adjektiv kolonial wird hier als ein Verweis auf die Kolonialpolitik Europas im 19. Jahrhundert verstanden. Es mag übertrieben erscheinen, wenn die Amazonas-Ethnologie und die ersten Amazonas-Ethnografien als eine koloniale Form der Erforschung anderer Kulturen bezeichnet werden. Während die kolonialen Verhältnisse im Falle der britischen anthropology als Voraussetzung für die Feldforschung und für die ›Kulturübersetzung‹ betrachtet worden sind, erfolgte die deutsche ethnologische Amazonasforschung nicht unter den Rahmenbedingungen eines politischen Kolonialismus, der die Beziehungen zwischen Forschern und indigener Bevölkerung bestimmt haben könnte. Denn im Vergleich 111

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Vierkandt, Alfred: »Die Indianerstämme Brasiliens und die allgemeinen Fragen der Anthropologie«, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde (1897), S. 133-139, hier S. 133f. Nietzsche, Friedrich: Die Fröhliche Wissenschaft, Bd. V, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 1965 [1887] (Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke in Zwölf Bänden), S. 97f. Vgl. Sturge: Representing Others, S. 6. Fabian: Im Tropenfieber, S. 27.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

zu Afrika, wo die Forschungsbedingungen durch die Präsenz der europäischen Kolonialmächte begünstigt waren, wurden in der Amazonasregion keine Kolonialprojekte im engeren Sinne durchgeführt115 , zumal in Südamerika die »Kolonialzeit […] beendet [war], [weshalb] europäische Expansionsbestrebungen räumlicher bzw. politisch-militärischer Natur […] für die Forschungsreisenden keine Rolle mehr [spielten]«116 . Dennoch spielte auch in der ethnologischen Amazonasforschung der »Mythos von deutscher Überlegenheit als Kolonialherr«, der auf die Selbstwahrnehmung der Deutschen dank Humboldt und anderer »deutsche[n] Konquistadoren« eine starke Faszination ausübte,117 eine nicht unbedeutende Rolle. Im Falle des Amazonas waren Brasilien, Kolumbien und zum Teil Venezuela, also die Länder, in denen die Expeditionen stattfanden, bereits unabhängige Republiken. Deutsche Expeditionen unterschieden sich insofern von denen in Afrika und Ozeanien, als ihnen kein direkter Bezug zur Kolonialpolitik nachgewiesen wurde. Die Reisen waren vielmehr eine Angelegenheit, in der vor allem die Forscher nach ihrem eigenen wissenschaftlichen Ansehen und nicht nach politischer Macht strebten.118 Es wird angenommen, dass ihre Intention »nicht die koloniale Eroberung von Ländereien, Arbeitskräften oder Bodenschätzen, die Bekehrung der einheimischen Bevölkerung oder das Erzielen materiellen Gewinns, sondern das Sammeln von Wissen« war.119 Das Sammeln von Wissen war aber eng verknüpft mit Prak-

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Vgl. Zimmerman, Andrew: Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany, Chicago/London: University of Chicago Press 2001. Kraus: »Am Anfang war das Scheitern«, S. 475. Zantop: Kolonialphantasien, S. 229. Als Ausnahme sind die ethnologischen Expeditionen am Xingú von Hermann Meyer zu betrachten, der die von der brasilianischen Regierung geförderten Kolonialbedingungen ausnutzte und sich mit der Gründung deutscher Kolonien in Brasilien beschäftigte. Seine Expeditionen erwiesen sich als »Sonderfall der ethnologischen Amazonien-Forschungen« und ließen sich »als einen Versuch betrachten, typische Momente kolonial ausgerichteter Afrikareisen nach Brasilien zu übertragen«. Kraus: »Am Anfang war das Scheitern«, S. 476. Vgl. auch Meyer: Meine Reise nach den deutschen Kolonien; Meyer: Die Privatkolonien von Dr. Herrmann Meyer in Rio Grande do Sul (Südbrasilien). Eine Überschneidung von wissenschaftlicher Expedition und politischer Macht bildet die Kaiser-Wilhelmsland-Expedition 1896 auf der Insel Neuguinea. Vgl. Buschmann: Anthropology’s Global Histories. »Auf ihren Reisen waren sie [die Bildungsbürger am Amazonas] zwar ebenfalls mit Gewehren, Macht ausübenden Weltanschauungen oder Tauschwaren und -strategien ausgerüstet. Ihre Intentionen waren jedoch nicht die koloniale Eroberung von Ländereien, Arbeitskräften oder Bodenschätzen, die Bekehrung der einheimischen Bevölkerung oder das Erzielen materiellen Gewinns, sondern das Sammeln von Wissen – im vorliegenden Fall speziell über die Kulturen indianischer Völker –, wie es einem in der deutschen Wissenschaftslandschaft des beginnenden 19. Jahrhunderts beispielhaft dem von den Brüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt verkörperten Erkenntnisideal entsprach«. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 28f. Meine Hervorhebung.

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tiken und Dynamiken der Kolonialität. Das Adjektiv kolonial bezieht sich in dieser Arbeit nicht auf den von europäischen Ländern betriebenen politischen Kolonialismus, sondern auf eine Art Machtbeziehung, die in der Kolonialität von Macht und Wissen zum Ausdruck kommt. Die Kolonialität der Macht bezieht sich auf ein für das moderne/kapitalistische Weltsystem charakteristisches globales Herrschaftsmuster. Es handelt sich also um eine Logik, die gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen gleichen Ausmaßes operiert und sowohl politische und wirtschaftliche Macht als auch das Spektrum von ethnischen bis hin zu sexuellen Subjektivitäten umfasst. Möglich wird dies durch die Kolonialität von Wissen. Kolonialität deutet, wie bereits erklärt, auf die epistemische Dimension des Kolonialismus hin; jene verdeckte, aber dennoch komplementäre Seite der Modernität.120 Obwohl dem peruanischen Philosophen Anibal Quijano zufolge der Kolonialismus älter als die Kolonialität ist, hat sich die Kolonialität »als tiefer und nachhaltiger« erwiesen; sie ist insofern eng mit dem Kolonialismus verbunden, als »sie in diesem entstanden ist und […] sie [ohne ihn] der Intersubjektivität der Welt nicht auf so tief verwurzelte und langwierige Weise [hätte] aufgezwungen werden können«121 . Dieser Argumentation entsprechend verweist das Adjektiv kolonial im Folgenden auf das erkenntnistheoretische Feld der Ethnologie, d.h. auf die epistemischen Grundlagen, welche die Wissensproduktion in dieser Disziplin und insbesondere in ihrer Subdisziplin, der Amazonasethnologie, beeinflussten.122

120 Vgl. Quijano: Kolonialität der Macht, Eurozentrismus und Lateinamerika; Wallerstein, Immanuel: The Modern World-System, San Diego, CA: Academic Press 1989. 121 »El colonialismo es, obviamente, más antiguo, en tanto que la colonialidad ha probado ser […] más profunda y duradera que el colonialismo. Pero sin duda fue engendrada dentro de éste y, más aún, sin él no habría podido ser impuesta en la intersubjetividad del mundo, de modo tan enraizado y prolongado.« Meine Übersetzung. Quijano, Aníbal : »Colonialidad del poder y clasificación social«, in : Castro-Gómez, Santiago und Ramón Grosfoguel (Hg.) : El giro decolonial. Reflexiones para una diversidad epistémica más allá del capitalismo global, Bogotá: Siglo del hombre 2007, S. 93-126, hier S. 93. 122 Die Erkenntnisgrundlage der Ethnologie bezeichnet der Anthropologe Stefan Krotz als die »anthropologische Frage«. Diese Frage stellt sich historisch gesehen in der Eroberung Amerikas, denn sie und ihre Konsequenzen, die koloniale Expansion Europas und die damit verbundene Etablierung der kapitalistischen Ökonomie, waren jene Ereignisse, welche es ermöglichten, die Frage nach der Alterität aus einem anderen Blickwinkel zu stellen. Diese Ereignisse würden wiederum die Bewertung, Rechtfertigung oder Kritik der eigenen sozialen Organisation durch den Vergleich mit dem ›Anderen‹ provozieren. Vgl. Garbe, Sebastian: »Deskolonisierung des Wissens: Zur Kritik der epistemischen Gewalt in der Kultur- und Sozialanthropologie«, in: Austrian Studies in Social Anthropology, Journal 1 (2013), URL: www.univie.ac.at/alumni.ksa/images/text-documents/ASSA/ASSA-Journal2013-01-DeskolonisierungDesWissens.pdf. Zuletzt aufgerufen am 5.6.2019; Krotz, Stefan: Kulturelle Andersheit zwischen Utopie und Wissenschaft. Ein Beitrag zur Genese, Entwicklung und Neuorientierung der Anthropologie, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1994.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Denn das wissenschaftliche Paradigma der Ethnologie basierte auf der Konstruktion von Alterität, die auf die koloniale Erfahrung zurückging, und war durch die Disziplinarisierung und Professionalisierung von Wissen gekennzeichnet.123 Beide Bereiche sind eng mit dem europäischen Kolonialismus desselben Jahrhunderts verbunden.124 Aus diesen Gründen muss berücksichtigt werden, dass die deutschen Ethnologen nicht nur mit der »Brille der Bildungsbürger«125 , sondern auch mit »imperial eyes«126 die Welt beurteilten. Denn selbst wenn Bildungsbürger gegen die imperialistischen Unternehmungen des Kaiserreichs Unmut geschürt haben sollten, ist der Einfluss der Kolonialität in ihrem Wissensdiskurs zu spüren. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Kolonialität des Wissens als hegemoniale epistemische Dimension der Wissensproduktion127 in die Vorgehensweise der Ethnologie durchgedrungen ist. Eine »Komplizenschaft« zwischen ›Kulturübersetzung‹ und Kolonialität lässt sich in Anlehnung an Birgit Scharlau interpretieren, insofern das »Übersetzen als Moment kolonial geprägter Machtverhältnisse« entsteht.128 Bei dieser Komplizenschaft war gerade die Kolonialität – und nicht der Kolonialismus –, welche die Produktion von Wissen in der Ethnologie und damit auch die Beziehungen zwischen Ethnologen und Indigenen prägte. Dies wird deutlich, wenn die Positionierung der Ethnologen berücksichtigt wird, durch welche sich sowohl die asymmetrischen Verhältnisse ihrer Feldforschung als auch die der ethnologischen Repräsentation begründen lassen. Die Beziehung zwischen Ethnologie und Übersetzung ist seit den 1980er Jahren aus kulturanthropologischer, kulturwissenschaftlicher und translationswissenschaftlicher Sicht ausführlich analysiert worden.129 Die Katego123

»It was especially in the period from 1850 to 1914, when we witness a university boom in Europe, North America, and Australia, with many new universities being founded in that very period, that we also see the disciplinarization of knowledge in the form of the social sciences as we know them today«. Wallerstein/Gulbenkian Kommission: Open the Social Sciences, S. 12f. 124 Garbe: »Deskolonisierung des Wissens«. S. 117. Für Stefan Krotz und Sebastian Garbe sind »die anthropologische Frage und die Kolonialität selbst durch ihre spätere Transformation in eine akademische Disziplin ein wesentliches Element der Episteme der modernen Sozialund Geisteswissenschaften, da die koloniale Erfahrung das Leitmotiv dieser Frage darstellt«. Stefan Krotz zit.n. Garbe: »Deskolonisierung des Wissens«, S. 8. 125 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 450ff. 126 Pratt: Imperial Eyes. 127 Vgl. Quijano: Kolonialität der Macht, Eurozentrismus und Lateinamerika; Lander, Edgardo und Santiago Castro-Gómez (Hg.): La colonialidad del saber: eurocentrismo y ciencias sociales: perspectivas latinoamericanas, Buenos Aires: Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales-CLACSO 2000. 128 Scharlau, Birgit: »Übersetzungsforschung zu Lateinamerika«, in: Dies. (Hg.): Übersetzen in Lateinamerika, Tübingen: Gunter Narr 2002, S. 9-26, hier S. 20. 129 Asad: »The Concept of Cultural Translation in British Social Anthropology«; Sturge: Representing Others; Rubel/Rosman (Hg.): Translating Cultures; Maranhão: »Translation and

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rie der Übersetzung wurde jedoch bereits in den 1950er Jahren in britischen sozialanthropologischen Kreisen verwendet, als man die Arbeit der Ethnologen noch mit der des Übersetzers verglich. Das Verständnis einer ›fremden Kultur‹ wurde als ihre ›Übersetzung‹ in die Sprache und Konzepte des Ethnologen interpretiert, dessen Aufgabe die Entschlüsselung ›realer‹ Bedeutungen sei. Diese Metapher der Übersetzung als Repräsentation einer Kultur im wissenschaftlichen und kulturellen Diskurs ist innerhalb der Kulturanthropologie ab der ›writing culture‹-Debatte stark kritisiert worden. Hier warf Talal Asad der Ethnologie vor, ›Kulturübersetzung‹ sei in erster Linie nicht »matching written sentences in two languages, such that the second set of sentences becomes the ›real meaning‹ of the first – an operation the anthropologist alone controls, from field notebook to print ethnography«130 . Doris Bachmann-Medick erinnert in dieser Hinsicht daran, dass es sich dabei vielmehr um eine »von Machtstrukturen und sprachlich-kultureller Ungleichheit geprägt[e] […] institutionalisierte soziale Praxis zwischen ungleichen Gesellschaften« handelt.131 Denn die Praktiken der Wissensproduktion in der Ethnologie (oder anderen Wissenschaften) werden, um mit Johannes Fabian zu sprechen, immer zu »enactments of relations of power«132 . Beim Verständnis einer fremden Kultur durch ihre ›Übersetzung‹ ließ man in der damaligen Ethnologie außer Acht, dass Übersetzung als diskursive und nicht-diskursive Praxis mit eurozentrischen Diskursen des ›Anderen‹ verflochten ist.133 Die ethnografische Repräsentation indigener Amazonaskulturen als ›Kulturübersetzung‹ zu verstehen, ist demnach keine unumstrittene Praxis, denn »[b]y representing the ›other‹ and claiming that the representation was merely a record of reality, the ethnographic text created an entity that was the group in question – and created it as a dominated, a weaker, a ›primitive‹ entity«134 . Versucht man weiter in die Vergangenheit der Disziplin und speziell in die ethnologische Amazonasforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückzublicken, erscheinen die hier behandelten Ethnografien als erste systematische Versuche einer ›Kulturübersetzung‹ in diesem Sinne. Obgleich die Ethnologen ihre Texte nicht als ›Kulturübersetzung‹ bezeichneten, betrachteten sie ihre Tätigkeit zum Teil als eine Art Übertragung, etwa wenn Fritz Krause mit seiner Monografie darauf abzielte, »ein möglichst getreues Bild d[es] Leben[s] und [der] Anschauungen dieser Indianer zu zeichnen«135 . Die Ergebnisse der Begegnung in Form von übersetzten

Ethnography«; Bachmann-Medick (Hg.): Übersetzung als Repräsentation; Sturge: »Translation Strategies in Ethnography«. 130 Asad: »The Concept of Cultural Translation in British Social Anthropology«, S. 237. 131 Bachmann-Medick: »Kulturanthropologie und Übersetzung«, S. 158. 132 Fabian: »The Other Revisited«, S. 146. 133 Asad: »The Concept of Cultural Translation in British Social Anthropology«. 134 Sturge: Representing Others, S. 39. 135 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. IV.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

und transkribierten Erzählungen, Texten über den Aufenthalt bei Indigenen, visuellen Materialien wie Fotografien oder Zeichnungen, musealen Ausstellungen oder akustischen Aufnahmen sollten die Erkenntniskategorien der Ethnologie bestätigen und als wissenschaftliche Beweise dienen. Erkenntniskategorien, wie z.B. ›Indianer‹, ›Horde‹ ›Stamm‹, ›Rasse‹, ›Natur‹, ›Kultur‹ usw. sind »Konzepte der Matrix der Modernität«136 , um das Anderssein, die Ambivalenz und die Differenz anderer Menschen zu erklären, und zeichneten sich durch den zeitgenössischen Eurozentrismus aus, dessen Hauptmerkmale im Anschluss an Anibal Quijano die folgenden sind: [D]ie Artikulation zwischen einem Dualismus (vorkapitalistisch, außereuropäisch, primitiv-zivilisiert, traditionell-modern usw.) und einem linearen, unidirektionalen Evolutionismus, von einem Naturzustand zur modernen europäischen Gesellschaft; die Naturalisierung der kulturellen Unterschiede zwischen den Gruppen durch seine Kodifizierung mit der Idee der Rasse; die verzerrte zeitweilige Verlagerung all dieser Unterschiede, so dass alles Außereuropäische als Vergangenheit wahrgenommen wird.«137 ›Kulturübersetzung‹ in der ethnologischen Forschung schafft somit Grenzen und bedient sich dafür wissenschaftlicher Praktiken, die auf den ersten Blick harmlos erscheinen, wie das Klassifizieren oder Benennen. Diese symptomatische Strategie der Moderne, Ambivalenz durch vereinheitlichende Begriffe zu verdrängen, um damit durch die Benennungs- und Klassifizierungsfunktion der Sprache Ordnung im Chaos zu schaffen, lässt sich im Anschluss an Zigmunt Bauman darüber hinaus wie folgt erklären: Klassifizieren besteht aus den Handlungen des Einschließens und des Ausschließens. Jede Benennungshandlung teilt die Welt in zwei Teile: in Einheiten, die auf den Namen hören; und in alle übrigen, die dies nicht tun. Bestimmte Einheiten können nur insoweit in eine Klasse eingeschlossen – zu einer Klasse gemacht – werden, wie andere Einheiten ausgeschlossen werden, draußen bleiben. Unabänderlich ist eine solche Operation der Einschließung/Ausschließung ein Gewaltakt, der

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Walsh, Catherine: »Las geopolíticas del conocimiento y la colonialidad del poder. Entrevista a Walter Mignolo«, in: Walsh Catherine, Freya Schiwy und Santiago Castro-Gómez (Hrsg): Indisciplinar las ciencias sociales: Geopolíticas del conocimiento y colonialidad del poder. Perspectivas desde lo andino, Quito : ABYA-YALA 2002, S. 17-44, hier S. 41. Quijano, Aníbal : »Colonialidad del poder, eurocentrismo y América Latina«, in : Lander, Edgardo (Hg.) : La colonialidad del saber : eurocentrismo y ciencias sociales. Perspectivas Latinoamericanas, Buenos Aires : CLACSO, Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales 2000, S. 201-246, hier S. 222. Übersetzung der Autorin.

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an der Welt verübt wird, und bedarf der Unterstützung durch ein bestimmtes Ausmaß an Zwang.138 Die Ethnologen klassifizierten, katalogisierten und benannten indigene Gemeinschaften, wählten die für sie relevantesten Informationen aus, ließen bestimmte Ereignisse und Akteure aus und hoben andere Informationen nach ihren eigenen Interessen hervor.139 Die Hervorhebung der Alterität anderer Gemeinschaften förderte somit Diskurse der Ungleichheit, statt diese zu minimieren.140 Obschon sich die Feldforschung durch soziale Interaktionen, Gegenseitigkeit und Austausch auszeichnete, begann dabei bereits die Produktion von Wissen über indigene Gruppen als ein unidirektionaler Prozess der Selektion von Informationen, der Anpassung an Vorkenntnisse und der Transformation im akademischen Diskurs unter asymmetrischen Machtverhältnissen. Diese Aspekte blieben in der Geschichte der Amazonas-Ethnologie bisher relativ unbehandelt, obwohl es selbstverständlich erscheint, dass der Zweck dieser Operation darin lag, das Wissen über indigene Kulturen in einem für diejenigen, die die Macht hatten, leserlichen, repräsentativen und kontrollierbaren Rahmen zu produzieren. Sowohl die Amazonas-Ethnologie als Disziplin als auch die ›Kulturübersetzung‹ – als Konstruktion kolonialer Alterität – wurden von eurozentrischen Kategorien bestimmt. Die Problematik der ›Kulturübersetzung‹, wie sie in der Diskussion über die Krise der Repräsentation in der Ethnologie angesprochen wurde,141 liegt darin, dass die Ethnologie sich die Autorität herausnahm, andere Menschen zu bezeichnen, zu repräsentieren und ihre Kulturen zu erklären, um diese zudem nicht nur für Europäer, sondern auch für die Indigenen selbst verständlich zu machen. Es ist kein Zufall, dass das Wissen indigener Gemeinschaften fast ausschließlich in der ethnologischen Abteilung der Bibliotheken und nicht in derjenigen der Weltgeschichte zu finden ist. Ihr Wissen, ihre mündliche Überlieferung und ihre Gegenstände gehören weder zur Weltliteratur noch zur Kunstgeschichte und bleiben

Bauman, Zygmunt: Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg: Junius 1992, S. 15. Hervorhebung im Original. 139 Dieser Prozess kann in Anlehnung an Rolando Velazquez als »Translation as erasure« verstanden werden. Vgl. Vázquez: »Translation as Erasure«. 140 Bachmann-Medick, Doris: »Meanings of Translation in Cultural Anthropology«, in: Hermans, Theo (Hg.): Translating Others, Manchester: St. Jerome. 2006, S. 33-42, hier S. 37. 141 Zur Krise der Repräsentation vgl. Fuchs, Martin und Eberhard Berg: »Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation«, in: Berg, Eberhard und Martin Fuchs (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, S. 11-108; Fabian, Johannes: Time and the Work of Anthropology: Critical Essays, 1971-1991, Chur: Harwood Academic Publishers 1991; Geertz: Works and Lives; Tyler, Stephen: »Post-modern Ethnography: From Document of the Occults to Occult Document«, in: Clifford, James und Georg E. Marcus (Hg.): Writing Culture, Berkeley: University of California Press 1986, S. 122-140.

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demzufolge Objekt der ethnologischen Forschung. Innerhalb dieser wurde das von indigenen Gemeinschaften angeeignete Wissen als Faktum anerkannt, während außerhalb des Diskurses indigenes Wissen immer noch als »tradition« oder »native forms of knowledge«142 gilt. Auf diese Weise übten auch die Ethnografien über den Amazonas zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine gewisse soziale Autorität aus, welche die Geschichten und Identitäten der indigenen Gemeinschaften sowohl im wissenschaftlichen als auch im populären Diskurs determiniert haben.143

Wissenschaftliche Positionierung zwischen ›Natur‹, ›Kultur‹ und ›Rasse‹ Ethnologen verorteten sich als Wissenschaftler, um mit Martin Fuchs zu sprechen, in der »Position des Analytikers oder Beobachters […] der sich und seinen Diskurs in einer grundlegenden Distanz zu dem, was beschrieben oder übersetzt wird – dem ›Anderen‹ –, wähnt«144 . Diesen Ort der wissenschaftlichen Äußerung bezeichnet der Philosoph Santiago Castro-Gómez als »Nullpunkt«, jenes Postulat, das von einer Konstruktion des Sozialen aus einer unvoreingenommenen, objektiven und legitimen sowie anerkannten Position ausgeht, aus der die Wirklichkeit, in diesem Fall von den Ethnologen, erklärt wird.145 Aus dieser privilegierten Position heraus arbeiteten Ethnologen mit einem Instrumentarium von Kategorien, welche das Gerüst oder die Grundlage der ethnologischen Denkweise bildeten. Die ethnologischen und anthropologischen Kategorien ›Natur‹ ›Kultur‹ und ›Rasse‹ dienten als Übersetzungen zur ethnologischen Konstruktion von Alterität. Zunächst waren die Darstellungen der indigenen Bevölkerung – ob nun verächtlich oder romantisch – durch die Dichotomie ›Natur versus Kultur‹ gekennzeichnet; später sollte dann die ›Rasse‹ zur holistischen Repräsentation anderer Kulturen dienen. In Karl von den Steinens und Max Schmidts Monografien kommen eine relativistische Kulturauffassung und Unterschiede zwischen

142 Santos/Arriscado Nunes/Meneses: »Introduction: Opening Up the Canon of Knowledge and Recognition of Difference«, S. xxxiii. 143 Talal Asad definierte eine solche Autorität als »inscribed in the institutionalized forces of industrial capitalist society […], which are constantly tending to push the meanings of various Third World societies in a single direction«. Vgl. Asad: »The Concept of Cultural Translation in British Social Anthropology«, S. 245. 144 Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 309. 145 Als Nullpunkt bezeichnet Castro-Gómez in seiner Studie jenen Ort, an dem die aufgeklärten Wissenschaftler sich positionierten und »eine epistemologische Distanz zur Alltagssprache« einnahmen. Vgl. Castro-Gómez, Santiago: »Aufklärung als kolonialer Diskurs. Humanwissenschaften und kreolische Kultur in Neu Granada am Ende des 18. Jahrhunderts«, unv. Diss., Frankfurt a.M.: Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt a.M. 2005, S. 3. Vgl. auch Castro-Gómez: La Hybris del Punto Cero.

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›Naturvölkern‹ und ›Kulturvölkern‹146 vor, während die Kategorie ›Rasse‹ überhaupt nicht verwendet wird. Hier tritt Adolf Bastians These von einer geistigen Einheit der Menschheit ungeachtet ihrer kulturellen Diversität, die nur in der Form des Völkergedankens erforschbar sei,147 besonders deutlich zutage148 . In den hier behandelten ethnografischen Texten kommen Indigene als Naturvölker oder rousseausche Naturmenschen vor, bei denen der Ethnologe unterschiedliche ›Kulturstufen‹ bestimmte, wie Theodor Koch-Grünberg anmerkt: »Nie darf man vergessen, daß, abgesehen von den verschiedenen Kulturstufen, alle Menschen von einem Geiste beseelt sind, wenn es auch unter dem Einfluss der modernen Kultur oft schwer ist, in den naiven Gedankengang dieser Naturmenschen einzudringen«.149 ›Kultur‹ wurde im ethnologischen Amazonas-Diskurs demzufolge als 146 Diese Auffassung ist auf Herders Kritik der Unterscheidung zwischen ›Barbaren‹ und ›kultivierten‹ Völkern zurückzuführen: »der Unterschied zwischen aufgeklärten und unaufgeklärten, zwischen cultivierten und uncultivierten Völkern ist also nicht specifisch; sondern nur gradweise«. Herder, Johann Gottfried: Ideen zur Geschichte der Menschheit, Bd. 4, Wien: Haas. 1813 (Johann Gottfried von Herder’s sämtliche Werke. Zur Philosophie und Geschichte), S. 199. Herders Zivilisationskritik stellte den ›edlen Wilden‹ öfter als Idealvorstellung eines rohen menschlichen Zustandes und als Vorbild für die Europäer dar. Diese Gedanken, die sich auf die rousseausche Vorstellung vom ›edlen Wilden‹ zurückführen lassen, haben zweifelsohne die wissenschaftliche Einstellung der ethnologischen Forschung in Südamerika beeinflusst. Vgl. Koepping, Klaus-Peter: »Enlightenment and Romanticism in the Work of Adolf Bastian: The Historical Roots of Anthropology in the Nineteenth Century«, in: Vermeulen, Han F. und Arturo Alvarez Roldán (Hg.): Fieldwork and Footnotes. Studies in the History of European Anthropology, London/New York: Routledge 1995, S. 75-91; Koepping: Adolf Bastian and the Psychic Unity of Mankind. An dieser Stelle darf hierbei jedoch nicht übersehen werden, dass für Herder diese Humanitätsidee auch normativ und in der Ausgrenzung begründet war. Seine ›positive‹ Meinung über die »uncultivierten Völker« bedeutete somit keine Anerkennung ihrer Alteritäten, sondern war vielmehr geprägt von der damals herrschenden humanistischen Haltung, sie auf einer niedrigen kulturellen Stufe zu sehen. Zimmerman: Anthropology and Antihumanism, S. 40. 147 Laukötter: Von der »Kultur« zur »Rasse«, S. 69. 148 Im Gegensatz zur Schreibtisch-Ethnologie förderte Bastian bei seinen Nachwuchswissenschaftlern induktive Verfahren, die es vor allem durch die Sammlung der materiellen Kultur und durch sprachliche Studien ermöglichten, Wissen über einzelne Menschengruppen zu gewinnen. Bastians Lehre der geistigen Einheit der Menschen entsprach dem sozialdarwinistischen Grundgedanken, der davon ausgeht, dass sich auf der ganzen Welt die kulturelle Entwicklung aufgrund von Gesetzen und Prinzipien vollzieht, die allen Menschen gemeinsam sind. Vgl. Boas, Franz: »The Methods of Ethnology«, in: American Anthropologist 22/4 (1920), S. 311-321. Vgl. auch Rössler, Martin: Die deutschsprachige Ethnologie bis ca. 1960: ein historischer Abriss, Köln: Department of Cultural and Social Anthropology, University of Cologne 2007, S. 6. 149 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. IV. Vgl. auch Noack, Karoline: »Die Rezeption der ›Lehre von dem Elementar- und Völkergedanken‹, Adolf Bastians im Werk Karl von den Steinens«, in: Bernhardt, Hannelore (Hg.): Geschichte der Völkerkunde und Volkskunde an der Berliner Universität. Zur Aufarbeitung des Wissenschaftserbes, Berlin 1991, S. 20-27.

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Resultat einer geistigen ›Entwicklung‹ aufgefasst, die sich an den technologischen Erzeugnissen messen ließ und aus der unterschiedliche ›Kulturstufen‹ abgeleitet wurden. Dieses relativistische Verständnis von ›Kultur‹ liegt im evolutionistischen Prinzip der unilinearen Entwicklung aller Menschen begründet. Dementsprechend sind auf der unteren Stufe die sogenannten ›Naturvölker‹ einzuordnen, deren Technologien sich in einem primitiven Stadium befinden und die daher der Natur angeblich vollkommen ›ausgeliefert‹ sind. Diese eurozentrische Auffassung lässt sich anhand von Koch-Grünbergs Vorlesung Wirtschaft der Naturvölker an der Universität Freiburg belegen, nach der ›Naturvölker‹ nicht »[k]ulturlos[e]«, sondern »kulturarme Völker« waren, die, der Lehre Friedrich Ratzels entsprechend, »unter dem Naturzwange leben.« Sie waren ›kulturarm‹, »weil sie auf einer gewissen Stufe stehen geblieben sind, weil innere und äussere Verhältnisse sie gehindert haben, eine fortlaufende Entwicklung auf dem Gebiet der Kultur zu nehmen«150 . Umgekehrt stehen nach dieser Theorie auf der oberen Stufe der kulturellen Entwicklung die ›Kulturvölker‹, die aufgrund ihres technologischen Fortschritts und der Beherrschung der Natur die Speerspitze der ›Zivilisation‹ bilden. ›Kultur‹ wird in diesen Überlegungen mit technologischem Fortschritt gleichgesetzt. Das Leben der indigenen Bevölkerung im Amazonasgebiet erschien in den Augen der Forscher als ›kulturarm‹ im Vergleich zu den technologischen Entwicklungen Europas, infolge der industriellen Revolution und der tiefgreifenden industriellen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der Lebensbedingungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In dieser Hinsicht sahen sich die Amazonasforscher als ›Kulturmenschen‹, wobei sie diese Bezeichnung oft relativierten und sie verwendeten, um die eigene ›Kultur‹ oder ›Zivilisation‹ kritisch zu hinterfragen, insbesondere wenn sie sich über die caboclos äußerten, eine Gruppe innerhalb der brasilianischen Bevölkerung, die als ›Mischlinge‹ galt. Koch-Grünberg sah in ihnen beispielsweise »Vertreter einer karikierten Zivilisation«151 . Es ist offensichtlich, dass die europäische Zivilisation für ihn ›karikiert‹ wurde. In einer ähnlichen Weise machte sich Karl von den Steinen über die Indigenen, aber auch über seine eigene ›Kultur‹ lustig, wie das folgende Zitat zeigt: Unsere Indianer haben wie viele andere Naturvölker die feste Ueberzeugung, die sich übrigens auf unserer Zivilisationsstufe noch bei Kindern und Betrunkenen und nicht nur bei ihnen beobachten lässt, dass sie im lebhaften Traum Wirklichkeit erleben; man geht auf die Jagd, schiesst Fische, fällt Bäume, wenn man 150 Vorlesungsmanuskript Wirtschaft der Naturvölker gehalten an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im SS 1915 und an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg WS 1920/21. ES Mr D.I.8. 151 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 355. Vgl. auch Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise. S. 27.

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schläft, während der Körper in der Hängematte bleibt. […] Wir dürfen den Indianern ihren rein auf die unmittelbare Erfahrung der Sinne gegründeten Glauben nicht so übel nehmen, wenn wir bedenken, dass es der höheren spekulativen Philosophie gar nicht so einfach erscheint, zu bestimmen, ob das Leben ein Traum oder der Traum ein Leben sei, ob wir während des Wachens oder während des Schlafens Wirkliches erleben, und dürfen nicht vergessen, dass die Wirklichkeit nach dem Erwachen häufig volle Bestätigung bringt.152 In diesem Fragment aus dem Abschnitt über die »Zauberei« bei Bakairi-Indigenen in seiner zweiten Monografie vergleicht von den Steinen die Indigenen mit Kindern und Betrunkenen aus seiner ›Zivilisationsstufe‹. Diese Art des Vergleichens diente in ethnologischen Texten als Strategie der Domestizierung im Rahmen der ›Kulturübersetzung‹, in der das Fremde durch eine einfache Analogie erklärt wird.153 Diese Analogie mag für die damaligen Leser keinen negativen Eindruck erweckt haben, aus heutiger Sicht lässt sie dennoch eine paternalistische und verächtliche Haltung erkennen, die nicht nur bei von den Steinen, sondern auch bei den anderen Amazonasforschern präsent war. Die Strategie der Domestizierung dient hier jedoch nicht der Erklärung, sondern vielmehr der Verteidigung bzw. Rechtfertigung des Fremden und schließlich der Kritik des Eigenen. Der Bakairi-Glauben wird als analog zur »höheren spekulativen Philosophie« betrachtet, denn auch in den höheren ›Zivilisationstufen‹ existieren diejenigen, die mit den ›Indianern‹ zu vergleichen sind. Während Adolf Bastians Lehre die frühe ethnologische Amazonasforschung154 mit den Kategorien ›Natur‹ und ›Kultur‹ prägte und in den ersten Ethnografien sehr präsent ist, galt seine Lehre der neuen Ethnologengeneration der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich als überholt.155 Die deutsche ethnologische Forschung in der Südsee und in den deutschen Kolonien, wie sie vor allem von Friedrich Ratzel und Leo Frobenius repräsentiert wurde, widersetzte sich der Aufteilung in Natur- und Kulturvölker und rückte vielmehr die historische Entwicklung und den Wandel der Kulturen in den Fokus ihres Interesses.156 Dieses Verständnis von

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Vgl. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. S. 340. Vgl. Venuti, Lawrence: The Translator’s Invisibility. Vgl. Noack, Karoline: »Die Rezeption der ›Lehre von den Elementar- und Völkergedanken‹, Adolf Bastians im Werk Karl von den Steinens«, in: Bernhardt, Hannelore (Hg.): Geschichte der Völkerkunde und Volkskunde an der Berliner Universität. Zur Aufarbeitung des Wissenschaftserbes, Berlin 1991, S. 20-27. Vgl. Penny, H. Glenn: »Bastian’s Museum: On the Limits of Empiricism and the Transformation of German Ethnology«, in: Penny, H. Glenn und Matti Bunzl (Hg.): Worldly Provincialism: German Anthropology in the Age of Empire, Ann Arbor: University of Michigan Press 2003, S. 86126, S. 109ff. Zimmerman: Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany, S. 206.

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›Kultur‹ wirkte sich auf die Entstehung des Diffusionismus bzw. der Kulturkreislehre157 aus, nach der alle Menschen eine ›Kultur‹ hätten, die geschichtlich in irgendeiner Form mit den anderen ›Kulturen‹ verwandt sei und einen gemeinsamen Ursprung in einer höheren ›Kultur‹ teilen würde.158 Gemäß der Kulturkreislehre glaubte man an die Einflüsse des Darwinismus, verbunden mit einem Kulturwandel und Fortschritt durch die Vermischung der Völker, und zwar so lange, bis eine Gruppe die anderen dominierte.159 Die Amazonas-Ethnografien zeigen, dass Ethnologen die Diversität von verschiedenen Menschen und Kulturen im Amazonasgebiet mit dem Konzept des Kulturwandels zu erklären versuchten, wodurch sie eine Hierarchisierung zwischen den Gruppen schufen. Diese Hierarchisierung erfolgte anhand der Kategorie ›Rasse‹. Der Glaube an eine ›Rassenhierarchie‹ und an einen vermeintlichen ›Entwicklungsschub‹ der zurückgebliebenen Völker durch den Kontakt mit einer hochwertigen ›Rasse‹ war ein Kennzeichen der Präsenz kolonialer Ideologie in der Ethnologie der Jahrhundertwende.160 In »eine[r] Zeit, in der konservativer Nationalismus und politische[r] Antisemitismus Konjunktur hatten«161 , beeinflusste dieser darwinistische Ansatz die wissenschaftliche Wende und betrachtete – zusammen mit der von Deutschland verfolgten kolonialen Politik – den Übergang von ›Kultur‹ als Forschungsschwerpunkt der damaligen Ethnologie zur ›Rasse‹ als konstitutiv für den Fortschritt und den Kulturwandel.162 Diese bereits Mitte des 19. Jahrhunderts163 entstandene »Biologisierung von Kultur« und »Kulturalisierung von Biologie und ›Rasse‹« waren kennzeichnend für den kolonialen und nicht zuletzt auch 157

Der Diffusionismus bzw. die Kulturkreislehre wurde von Fritz Graebner und Berhard Ankermann 1904 begründet und bezeichnete nicht die Suche nach unberührten Naturvölkern mit dem Ziel, die Elementargedanken zu studieren, sondern stellte vielmehr gerade den Kulturkontakt und den Kulturwandel in den Vordergrund. Eine ähnliche, jedoch in einigen Aspekten unterschiedliche Auffassung vom Kulturkreis wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Edward Tylors Evolutionismus und Friedrich Ratzels Anthropogeografie verwendet. Diese sollte später Leo Frobenius’ Konzept der Kulturkreise beeinflussen. Vgl. Petermann, Werner: Die Geschichte der Ethnologie, Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2004, S. 583ff. Vgl. auch Penny: »Bastian’s Museum«, S. 110ff. 158 Zimmerman: Anthropology and Antihumanism, S. 208. 159 Penny, »Bastian’s Museum«, S. 117. 160 Vgl. Gothsch, Manfred: Die deutsche Völkerkunde und ihr Verhältnis zum Kolonialismus: ein Beitrag zur kolonialideologischen und kolonialpraktischen Bedeutung der deutschen Völkerkunde in der Zeit von 1870 bis 1975, Baden Baden: Nomos 1983. 161 Laukötter: Von der »Kultur« zur »Rasse«, S. 90. 162 Ebd., S. 90ff. 163 Werner Petermann zufolge markierte »[d]ie Naturalisierung des Kulturbegriffs durch Subsumption unter immer fragwürdiger werdende Vorstellungen von Rasse […] um die Mitte des 19. Jahrhunderts den ›Höhepunkt‹ […] einer zwischen ideologisierter Biologie und biologisierter Ideologie pendelnden Anthropologie«. Petermann: Die Geschichte der Ethnologie, S. 409.

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den wissenschaftlichen Diskurs Deutschlands.164 Dies zeigte sich unter anderem in der Benennung der ›Objekte‹ der ethnologischen Forschung, so beispielsweise in Publikationen über Rassenpsychiatrie, welche die »Bevölkerung Südostasiens und Afrikas sowie d[ie] afrikanisch-stämmige Bevölkerung Nord- und Südamerikas« zum Gegenstand hatten, also diejenigen, »die im Diskurs als ›Schwarz‹, ›farbig, ›Neger‹ oder ›Naturvölker‹ bezeichnet wurden«.165 Die historische Erforschung der Amazonasethnologie hat bisher der komplexen Frage der ›Rasse‹ in der Region wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dass es sich hierbei aber um einen relevanten und problematischen Aspekt handelt, beweist beispielsweise die Schwierigkeit, adäquate Bezeichnungen für eine angemessene und gerechtfertigte Behandlung der Akteure der ethnografischen Begegnungen zu finden, die auf diese Asymmetrien verweisen, aber weder zur weiteren Reifizierung der ›Indianer‹ noch des ›Ethnologen‹ beitragen. Bereits die Benennungen ›Indianer‹ und ›Ethnologe‹ deuten zumindest auf etymologischer und epistemologischer Ebene auf Asymmetrien hin. Während ›Indianer‹ als eine ethnische Bezeichnung gilt, deren historischer Gebrauch mit einem vermeintlichen ›Rassenunterschied › begründet wurde, weist die Bezeichnung ›Ethnologe‹ auf einen Beruf bzw. auf einen akademischen Titel hin. Verstärkt wird diese vom Beruf abhängige Identität, wenn Ethnologen angesichts ihrer sozialen und kulturellen Stellung als Repräsentanten der Bourgeoisie des Deutschen Kaiserreichs, genauer gesagt, der »Sonderentwicklung«166 des Bürgertums in Europa, also des Bildungsbürgertums, betrachtet werden. Dass die Ethnologen jedoch nicht ausschließlich auf die Kategorie der Bildungsbürger reduziert werden können, denn sie hatten polyvalente Identitäten, zeigen die Interaktionen und die soziale Praxis während der Feldforschung. Sie sind ja als Bildungsbürger und als Ethnologen in die Amazonasregion gereist und veröffentlichten als solche ihre Reiseschilderungen und Ethnografien. Vor Ort, d.h. während der Feldforschung, waren sie jedoch nicht nur Bildungsbürger, sondern auch »Weiße«, wie sie von der Amazonasbevölkerung betrachtet und oft genannt wurden. ›Weiße‹, branco oder blanco – diese Begriffe bezeichneten im historischen Kontext des Amazonasgebietes alle Nicht-Indigenen – und damit nicht nur europäische weiße Männer. ›Weißer‹ deutet darüber hinaus insofern auf eine »polar

164 Laukötter: Von der »Kultur« zur »Rasse«, S. 101. ›Kultur‹, ›Volk‹ und ›Rasse‹ verstehen sich als »kulturelle Konzeptionen«, um die »sich Diskurse [begründeten], die im 19. Jahrhundert in den Vordergrund drängten und bis heute brisant sind«. Petermann: Die Geschichte der Ethnologie, S. 306. 165 Adams, Andrea: Psychopathologie und »Rasse«. Verhandlungen »rassischer« Differenz in der Erforschung psychischer Leiden (1890-1933), Bielefeld: transcript 2013, S. 76. 166 Charakteristisch war dabei die hohe Stellung von Bildung als Mittel des sozialen Aufstiegs und die mit der Aufklärung begründete Lösung des religiösen Zusammenhangs. Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt: eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2010, S. 1096f.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

category to Índio« hin, als ›Weißer‹ als das konstitutive Element in den »interethnic relations«167 der Amazonasregion betrachtet werden kann. Die Relevanz dieser Kategorie für die vorliegende Studie liegt darin, dass sie es erlaubt, die Komplexität der Beziehungen während der Feldforschung zu berücksichtigen und diese wissenschaftliche Praxis in ihrem damaligen sozialen Kontext zu positionieren. Es muss an dieser Stelle erneut daran erinnert werden, dass in den Anfängen der Ethnologie der Zusammenhang zwischen dem Beruf der Ethnologie und der Hautfarbe der Ethnologen keineswegs zufällig war. ›Weiß‹ zu sein, das bedeutete im Kontext der damaligen Amazonasexpeditionen, sich in einer bestimmten privilegierten Lage zu befinden. Im deutschen Kaiserreich galten die Forscher als Bildungsbürger, arbeiteten im Auftrag der Völkerkundemuseen, finanzierten ihre Expeditionen mit staatlicher Hilfe, durch Stiftungen oder aus eigener Tasche. Als ausgebildete europäische Ausländer profitierten sie in Brasilien, Kolumbien oder in Venezuela von bestimmten Privilegien, die ihnen nicht zuletzt die Erforschung von indigenen Gruppen ermöglichten. Sie wurden von den jeweiligen deutschen Kreisen vor Ort aufgenommen, hatten Kontakte zu Diplomaten und einflussreichen Persönlichkeiten und wurden logistisch sowohl von den Regierungen als auch von den ausländischen Behörden enorm unterstützt.168 Somit waren sie – wenn auch nur temporär – Teil einer herrschenden Klasse der Region. Schließlich haben sich die deutschen Ethnologen selbst als ›Weiße‹ wahrgenommen und von diesem Standpunkt aus die Amazonasbevölkerung beurteilt.169 Es finden sich in ihren Texten Spuren des zeitgenössischen Diskurses und der Relevanz der Hautfarbe für die ethnologischen Studien. Sie bezeichneten die indigene Bevölkerung als »braune Gesellschaft« oder »kraftvolle Rasse« – Bezeichnungen, mit denen unterschiedliche Menschen und Kulturen verallgemeinert wurden. So zum Beispiel, wenn Max Schmidt sich – seiner Ansicht nach – positiv über seine Reisebegleiter äußert: »Schwimmend im Fluss, zeigten sich die Braunen in ihrem Element«170 . Die Amazonas Ethnologen sprachen oft von einem »semitischen Typus«, der, wenn man ihren Angaben Glaubwürdigkeit schenken würde, in der gesamten Region und in verschiedenen indigenen Gemeinschaften verstreut Viveiros de Castro/Carneiro da Cunha/Dreyfus: Amazônia: etnologia e história indígena, S. 8. 168 Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 132-144. 169 Aus diesen Gründen bleibt es eine bewusste Entscheidung, die Ethnologen im Laufe der vorliegenden Analyse als ›Weiße‹ zu bezeichnen, was jedoch stets unter Berücksichtigung der Konnotationen dieses Begriffs im Kontext der damaligen Forschungen erfolgt. 170 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 44. Siehe auch Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 23, 200; Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 54, 126; Ehrenreich, Paul: Anthropologische Studien über die Urbewohner Brasiliens vornehmlich der Staaten Matto Grosso, Goyaz und Amazonas (Purus-gebeit). Nach eigenen Aufnahmen und Beobachtungen in den Jahren 1887 bis 1889, Berlin: F. Vieweg und Sohn 1897; Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 319. 167

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wäre.171 Ihre Auffassung von ›Rasse‹ diente als biologisch-kulturelles Unterscheidungskriterium zwischen Menschengruppen, einschließlich derjenigen der Ethnologen. Die Voraussetzung einer ›braunen Rasse‹ basierte auf einer Rassenunterscheidung aufgrund der Hautfarbe und anderen physiognomischen Merkmalen, die innerhalb der Ethnologie zu einer Art Kulturalisierung der ›Rasse‹ gedient haben. Diese Unterscheidung zielte vermutlich auf eine positive Hervorhebung des ›indianischen Rassentypus‹ als Ergebnis der Recherche ab, nicht auf deren gezielte Erniedrigung. Laut dem Mediziner Paul Ehrenreich, Begleiter von Karl von den Steinen auf seiner zweiten Expedition, war es nicht der Zweck der anthropologischen Untersuchung, die Rassenzugehörigkeit eines Individuums oder eines Volkes zu ermitteln, denn diese ist von vornherein gegeben, sondern vielmehr festzustellen, wie sich im gegebenen Falle bei diesem oder jenem Volke die Rassencharaktere verhalten, welchen Typus es innerhalb seiner Rasse repräsentirt [sic!] und endlich Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, wie dieser Typus, sei er homogen oder nicht, zu erklären ist durch Einwirkung der Lebensbedingungen oder durch Mischung mit anderen Elementen.172 Als die Rassentheorien weit verbreitet waren und den damaligen ethnologischen Diskurs mehr als je zuvor beeinflussten,173 führten die Amazonasforscher anthropologische Untersuchungen durch, obwohl diese nicht den Schwerpunkt ihrer Forschungen konstituierten. Diese bestimmten insofern ihr Verständnis der indigenen Kulturen, als die physiologischen Merkmale der erforschten Personen auch als Kriterien zur Feststellung von Rassenmerkmalen dienten. Der Glaube an eine ›gegebene Rassenzugehörigkeit‹ jeder ›Rasse‹ und an ihre Zeitbeständigkeit174 war im ethnologischen Amazonasdiskurs präsent. Dennoch diente die Hervorhebung der Eigenartigkeit der ›Indianer‹ im Fall der Ethnologen der damaligen Zeit nicht der Bestätigung der Überheblichkeit der Europäer als Vertreter der ›weißen Rasse‹. Auf der einen Seite dienten die ›Indianer-Typen‹ als Rechtfertigung der ethnologischen Untersuchungen, da die ethnologische Erforschung der Region kein

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Karl von den Steinen kommentiert beispielsweise: »In diesem Dorf gab es einen ausgesprochen semitischen Typus, von dem Tafel 13 ein klassisches Beispiel darstellt«. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 93. Ehrenreich: Anthropologische Studien, S. 39. Vgl. Laukötter: Von der »Kultur« zur »Rasse«, S. 90ff. Aspekte, die sich auf Kants »verschiedene Rassen« zurückverfolgen lassen, vgl. Kant, Immanuel: Von den verschiedenen Rassen der Menschen zur Ankündigung der Vorlesungen der physischen Geographie im Sommerhalbenjahre 1775, Königsberg: Hartung 1775. Vgl. Zantop, Susanne: Kolonialphantasien, S. 90f. Vgl. auch Bernasconi, Robert: »Kant as an Unfamiliar Source of Racism«, in: Ward, Julie K. und Tommy L. Lott (Hg.): Philosophers on Race: Critical Essays, Oxford: Blackwell 2002, S. 145-166.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Forschungsobjekt hätte, wenn keine ›indianischen Rassen‹ mehr existierten. Auf der anderen Seite diente die Betonung einer ›Indianer-Rasse‹ gerade der wissenschaftlichen Positionierung gegen einen Rassendiskurs, der – wie bereits erwähnt – u.a. auf der Mischung und Durchsetzung der stärkeren Völker bzw. ›Rassen‹ beruhte. Besonders in Koch-Grünbergs Texten wird oft zwischen Mischlingen und »reinblutigen Indianern« unterschieden;175 letztere repräsentierten die ›ursprünglichen‹ Menschen, nach denen die Ethnologen suchten. ›Mischlinge‹ wurden von Koch-Grünberg meistens pejorativ dargestellt,176 mithin entsprechend dem gängigen Rassenhygienediskurs, der zum Beispiel das politische Chaos Lateinamerikas als das Resultat der »katastrophalen Folgen der Rassenmischung« betrachtete.177 Obwohl in der frühen ethnologischen Amazonasforschung der Schwerpunkt auf der materiellen Kultur sowie zum Teil auf linguistischen und philologischen Studien lag178 und für Adolf Bastian, Herausgeber der Zeitschrift für Ethnologie, und für Pater Wilhelm Schmidt179 , Herausgeber der Zeitschrift Anthropos, sprachliche Studien die Hilfsmittel der Ethnologie waren,180 setzten sich – obgleich sich die Amazonasforscher nicht ausdrücklich zu den anthropologischen Prämissen bekannten – die Methoden der physischen Anthropologie zum Teil durch. KochGrünbergs Typen-Fotografien und Paul Ehrenreichs Anthropologische Studien Brasiliens 175

Über die Wapischana schrieb er auf seiner zweiten Expedition Folgendes: »[Ü]ber kurz oder lang werden auch sie als Stammeseinheit verschwunden und in der halbzivilisierten Mischlingsbevölkerung aufgegangen sein«. Koch-Grünberg, Theodor: Vom Roroima zum Orinoco: Ergebnisse einer Reise in Nordbrasilien und Venezuela in den Jahren 1911 – 1913, Ethnographie, Bd. 3, Stuttgart: Strecker & Schröder 1923, S. 10; Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 12, 300. 176 »[D]ie Bewohner, Mischlinge unbestimmter Herkunft, machen einen verkommenen und degenerierten Eindruck«. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 7. Zur pejorativen Beurteilung der brasilianischen Mischlinge bei Koch-Grünberg vgl. Beebee: »Cultural Entanglements«. 177 »Freilich, es gibt Fälle, in denen die Blutmischung zweier Völker zu hoch erfreulichen Ergebnissen geführt hat […] Solche guten Resultate ergeben sich indessen nur bei naher Verwandtschaft der sich mischenden Völker. Trennen sie Unterschiede, wie solche den Weißen vom Neger, den Neger vom Indianer, den Indianer vom Weißen trennen, dann entsteht eben – Südamerikanisches. Die Bastardrasse zeigt keinen der Vorzüge der Rassen mehr, von denen sie abstammt. Dagegen hat sie Fehler und Laster der Elternrassen lückenlos aufzuweisen«. o. V.: »Folgen der Rassenmischung«, in: Politisch Anthropologische Revue (1909). Zit. n. El-Tàyeb: Schwarze Deutsche, S. 54-55. 178 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 403. 179 Pater Wilhelm Schmidt war Ordensmitglied der SVD und seit 1906 Begründer der Zeitschrift für Völkerkunde Anthropos und der Wiener Schule. Vgl. Haller, Dieter: Die Suche nach dem Fremden: Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945-1990, Frankfurt/New York: Campus Verlag 2012, S. 53ff; Penny: Worldly Provincialism: German Anthropology in the Age of Empire, S. 293ff. 180 Karstedt, Lars: »The History and Status of Linguistic Anthropology in Germany, Austria, and Switzerland«, in: Journal of Linguistic Anthropology 12/1 (2002), S. 72-87, hier S. 76.

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waren z.B. die ersten Belege für Vorgehensweisen dieser Art im Hinblick auf das Amazonasgebiet und trugen dabei zur Darstellung von ›Indianertypen‹ der Region bei.181 Die Verbreitung der ›Typen‹ der Amazonas-›Indianer‹ erfolgte durch Körpervermessungen, die auch die Amazonasforscher durchführten.182 Zwar gab Max Schmidt an, dass er keine Körpermessungen im Zuge seiner Expedition durchführen konnte, weil er kein Instrumentarium dafür hatte183 und gibt es keine Körpervermessungstabellen oder ähnliches, die von Koch-Grünberg veröffentlicht wurden, kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden., dass z.B. »Messungen […] von Koch-Grünberg nicht durchgeführt [wurden]«.184 In seinem Tagebuch schrieb er am 14.7.1903: Von den Bewohnern, jungen freundlichen Leuten, werden wir sehr herzlich aufgenommen, mit süssem Kafé und Zigaretten bewirtet, und dann rücken wir mit unserem Anliegen heraus: »der junge Makú, den wir neulich in Trindade sahen, ist bereits gestern mit Anderen in die Seringales am Rio Caiarí […] abgefahren, doch dafür holt man uns einen alten, kleinen Kerl mit ganz verkniffenem Gesicht und sehr dunkler Hautfarbe. –Höhe: 1,52 m; Armspannweite: 158m, Hautfarbe: Arm 4; Gesicht 5. (nach Radde).185 Insbesondere die Fotografie diente zur Darstellung der ›Typen‹ gemäß den anthropologischen Konventionen,186 die publiziert und an Zeitungen oder Verlage ver-

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Zu den anthropologischen ›Typen‹, der von europäischen Forschern konstruierten Repräsentation der Indigenen, die als Maßstab für die Identifikation derselben diente, und ihrem Bezug zur folgenden Indigenen-Politik in der Amazonía vgl. Salzano, Francisco M.: »O Vehlo e o Novo«, in: Carneiro da Cunha, Manuela (Hg.): História dos índios no Brasil, São Paulo: Companhia das Letras/Secretaria Municipal da Cultura: FAPESP 1992, S. 27-36. Vgl. auch Koch-Grünberg, Theodor: Indianertypen aus dem Amazonasgebiet. Nach eigenen aufnahmen während seiner Reise in Brasilien von Theodor Koch-Grünberg, Berlin: Ernst Wasmuth 1906; Koch-Grünberg, Theodor: Vom Roroima zum Orinoco: Ergebnisse einer Reise in Nordbrasilien und Venezuela in den Jahren 1911 – 1913, Typen-Atlas, Bd. 5, Stuttgart: Strecker & Schröder 1923; Ehrenreich: Anthropologische Studien. 182 Die Anthropologischen Studien Paul Ehrenreichs basieren auf seiner Arbeit als Teilnehmer der zweiten Expedition Karl von den Steinens. Vgl. Hempel, Paul: »Paul Ehrenreich – The Photographer in the Shadows during the Second Xingu Expedition 1887-1888«, in: Fischer, Manuela und Michael Kraus (Hg.): Exploring the Archive. Historical Photography from Latin America. The Collection of the Ethnologisches Museum Berlin, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2015, S. 208-243. 183 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 294. 184 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 407. 185 ES Mr B.I.2. Heft 1. Dieses Beispiel wird im Kapitel 2, »Sprachkontakt und Sprachaufnahmen«, noch einmal aufgegriffen, um die Beziehung zwischen Sprache und Rasse auf der Grundlage der ethnografischen Praktiken des Vermessens des Körpers und des Sammelns von Sprachen zu erklären. Vgl. dazu auch Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 180f. 186 Vgl. Edwards: »Photographic »types«.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

kauft und mit Kollegen ausgetauscht wurden.187 Wenngleich Koch-Grünberg im Gegensatz zu Ehrenreichs Anthropologischen Studien den fotografierten Personen in seinen Typen durch die Erwähnung ihrer Namen, Alter und Charaktereigenschaften eine gewisse Individualität zugestand,188 verbreiteten sich seine Typen- Bilder nicht als Darstellungen von Individuen, sondern, um mit Debora Poole zu sprechen, als »self-contained exemplars of idealized racial categories«189 . In der Einleitung zu seiner Publikation Indianertypen aus dem Amazonasgebiet betont KochGrünberg, dass die Fotografien einen Bevölkerungsteil repräsentieren, der aufgrund seiner geografischen Isolation und der geringen Zahl an Kontakten zu den ›Weißen‹ seine »Ursprünglichkeit und Rassenreinheit besser bewahren« konnte »als die Stämme anderer Gegenden des Kontinents, die einer starken weißen Besiedlung oder den vernichtenden Scharen der Kautschuksammler ausgesetzt waren«190 . Dass er viele der Indigenen gerade deshalb fotografieren konnte, weil sie als Kautschuksammler arbeiteten und sich in Kautschukhandelszentren versammelten, bleibt dabei ausgespart.191 Koch-Grünbergs Strategie sollte eigentlich die damals vorherrschende rassistische Vorstellung von den ›Indianern‹ der Amazonasregion entkräften und eine andere, positivere Auffassung der ›Indianer‹ anbieten. Er versuchte, Prinzipien wie das der ›Mischung‹ zu widerlegen und beharrte auf der Existenz der ›vollblutigen oder reinblutigen Indianer‹.192 Daher kritisierte er besonders die brasilianischen ›Mischlinge‹ scharf, unter ihnen vor allem die Kautschukhändler, die er als verantwortlich für das Verderben der Ursprünglichkeit der ›Indianer‹ ansah.193 Es entsteht der Eindruck, dass die Kautschukhändler vor allem deshalb in die Verantwortung gezogen wurden, weil sie Mischlinge und daher nach der rassistischen Ideologie verdorbene Menschen waren und nicht zwingend deshalb, weil sie die

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Im Entwurf eines Schreibens an den amerikanischen Anthropologen Alexander Hamilton Rice schrieb Koch-Grünberg: »Gern bin ich bereit, Ihnen zwei gleiche Serien von meinen Photographien von Caiary-Uaupés und Içana, each set to consist of approximately 100 views, zum Preis von $400.- zu übersenden.« ES Mr A.12 Ohne Datum. Weitere Bilder verkaufte KochGrünberg dem Verlag Hutchinson & Co. in London für die Publikation Customs of the World. ES Mr A.14. Vgl. auch Hutchinson, Walter: Customs of the World, London: Logos Press 1913. 977ff. 188 Vgl. Stappert, Gisela: »Rolle und Funktion des ethnographischen Bildes von 1869 bis ca. 1920«, in: Paideuma: Mitteilungen zur Kulturkunde 55 (2009), S. 155-177. 189 Poole: »An Excess of Description: Ethnography, Race, and Visual Technologies«, S. 163. 190 Koch-Grünberg, Theodor: Indianertypen aus dem Amazonasgebiet. Einleitung. 191 Zum Thema Kautschukhandel und dessen Einfluss auf Koch-Grünbergs Feldforschung siehe Kapitel 1.2. 192 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise. S. 22, 36, 425, 436. KochGrünberg: Indianertypen aus dem Amazonasgebiet. Paul Ehrenreich sprach von »authentischen Völkertypen«. Ehrenreich: Anthropologische Studien, S. 3. 193 Vgl. Beebee: »Cultural Entanglements«.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Bevölkerung ausbeuteten. Auf jeden Fall vertrat Koch-Grünberg eine Art »Entrassialisierung« der ethnologischen Forschung194 im Sinne einer seiner Meinung nach positiveren Darstellung der indigenen Bevölkerung.195 Dennoch schwanken seine Darstellungen der Amazonas-Indigenen zwischen seinem Wunsch »Vorurteile zu beseitigen« und dem Anspruch, ein holistisches Bild der indigenen Gemeinschaften anzubieten. Dafür verwendete er die gleichen Strategien des gängigen Rassendiskurses. Genau wie seine Kollegen bediente er sich der Darstellung vermeintlicher physiognomischen Typen mit der en face und Profil-Fotografie. Nicht ohne Grund beinhaltet mehr als die Hälfte seiner fotografischen Produktion solche Typenbilder.196 Seine Typensammlungen sollten auch im Dienste der Anthropologie stehen, denn, obwohl er die Körpermessungen der Anthropologen kritisierte – die er, wie bereits erwähnt, zumindest auch durchzuführen versuchte – setzte er an ihre Stelle die Fotografie. Ethnografische Textproduktionen der Amazonasforscher dienten demzufolge zur weiteren Rassialisierung der indigenen Bevölkerung der Amazonasregion, wo ihre Werke Resonanz fanden.197 So beeinflusste der damalige Rassendiskurs auch 194 Hier verwende ich »Entrassialisierung« als Übersetzung des Konzeptes der »desracialización«, das Carolina Castañeda in ihrer Studie zu Paul Rivet und den Anfängen der Ethnologie in Kolumbien vorschlägt. Vgl. Castañeda V., Carolina : »Antropología étnica : raza en la institucionalización de la antropología en Colombia«, in : Anuario Colombiano de Historia Social y de la Cultura 43/2 (2016), S. 243-276. Koch-Grünbergs Kollege und Freund, der französische Ethnologe Paul Rivet, sollte diese Strategie anwenden und mit der Entdeckung des RhesusFaktors weiterentwickeln, um die indigene Bevölkerung Südamerikas, spezifisch diejenige Kolumbiens, ›rassisch‹ zu klassifizieren. Die Anfänge der Ethnologie in Kolumbien gründeten demzufolge in der systematischen Rassialisierung der Bevölkerung, die in den Augen der Ethnologen ›indianisch‹ war. Mit wissenschaftlichen Methoden wie der des Rhesus-Faktors, Körpervermessungen, Fotografien, sprachlichen Aufnahmen usw. versuchten die Ethnologen, die Existenz der indigenen Bevölkerung wissenschaftlich zu legitimieren und ihre ethnische Identität als solche politisch zu konstituieren. Davon profitierten einige indigene Gruppen. Zur Konstruktion der ethnischen Identität in Südamerika als politischer Strategie zur Unterdrückung der indigenen Gemeinschaften, aber auch als Strategie der Selbstbestimmung und der Erhaltung der indigenen Identitäten vgl. Gros, Christian: Políticas de la etnicidad: Identidad, estado y modernidad, Bogotá: Instituto Colombiano de Antropología e Historia (ICAHN) 2012. 195 »Häufig ist der Laie geneigt, auf diese ›Wilden‹ verächtlich herabzusehen, weil sie nackt gehen und eine andere Hautfarbe haben, besonders wenn sich die ›ethnographischen Kenntnisse‹ auf Erinnerungen an die zweifelhafte Literatur der ›Indianergeschichten‹ beschränken, die man in der Jugend verschlungen hat. Hoffentlich kann ich mit meinen Schilderungen dazu beitragen, diese Vorurteile zu beseitigen und auch weitere Kreise einer gerechten Beurteilung der so viel verkannten Naturvölker näherzubringen«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1. S. III. Meine Hervorhebung. 196 Hempel: »Theodor Koch-Grünberg and Visual Anthropology«, S. 200f. 197 So wurden z.B. Paul Ehrenreichs Die Mythen und Legenden der Südamerikanischen Urvölker und Koch-Grünbergs Anfänge der Kunst im Urwald auf dem 37. deutschen Anthropologen-Kongress

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

in der Ethnologie ihre Forschungsmethode und folglich auch ihre Darstellung der erforschten indigenen Gruppen. Im Anschluss an Alexandra Przyrembel lässt sich argumentieren, dass »die politischen Rahmenbedingungen […] das Wissen über fremde und vertraute Welten [strukturierten], wie sie in den Medien der Zeit – in den Reiseberichten, den Ausstellungen oder auch den Fotografien – kommuniziert werden«198 . Die Typen-Fotografie spielte hierbei eine relevante Rolle, und zwar »in the crafting of a racial common sense which, as in the Gramscian understanding of the term, unites ›popular‹ and scientific‹ understandings of embodied difference«, wie Debora Poole es formuliert199 . In dieser Hinsicht ist, wie Stuart Hall uns ins Gedächtnis ruft, common sense »not coherent: it is usually ›disjointed and episodic‹, fragmentary and contradictory«200 . Dieser ambivalente Charakter ethnografischer Repräsentationen kommt insbesondere in der fotografischen Produktion Koch-Grünbergs zum Ausdruck. Während die Technologien der Zeit den Druck der Fotografien seiner Vorgänger in den Publikationen nicht ermöglichten, nutzte der Ethnologe den technologischen Fortschritt und produzierte einerseits Typen-Bilder, versuchte aber andererseits, auch individualisierte Darstellungen der indigenen Bevölkerung der Region zu liefern.201

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besprochen. Diskutiert wurden Koch-Grünbergs Ergebnisse über die zeichnerischen Fähigkeiten der Indigenen am oberen Rio Negro, die er wie folgt zusammenfasste: »[das] Vorfinden einer psychischen Gleichartigkeit in diesen Aeußerungen der Formschaffung bei den künstlerischen Ausdrucksmitteln unserer Kinder und denen der amerikanischen Eingeborenen, die sonach als »Kinder«, unserem Sinne nach, psychisch der Natur und der Außenwelt gegenüber treten«. Stamper, Georg: »Der 37. deutsche Anthropologen-Kongreß«, in: Politisch Anthropologische Revue (1906), S. 375-186, hier S. 378. Rezipiert wurden Koch-Grünbergs anthropologische Bilder z.B. in Keiter, Friedrich: »Das indianische Gesicht. Materialien zur Frage der Rassenstellung des amerikanischen Menschen«, in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 35/1 (1936), S. 391-411. Przyrembel: »Empire, Medien und die Globalisierung von Wissen im 19. Jahrhundert«, S. 206. Poole: »An Excess of Description: Ethnography, Race, and Visual Technologies«, S. 162. ›Common sense‹ versteht sich als Philosophie, aber auch als Bestandteil einer Ideologie. In Anschluss an Gramsci führt Stuart Hall aus, dass »[t]he coherence of an ideology often depends on its specialized philosophical elaboration. But this formal coherence cannot guarantee its organic historical effectivity. That can only be found when and where philosophical currents enter into, modify and transform the practical, everyday consciousness of popular thought of the masses. The latter is what [Gramsci] calls ›common sense‹«. Hall, Stuart: »Gramsci’s Relevance for the Study of Race and Ethnicity«, in: Morley, David und Kuan-Hsing Chen (Hg.): Stuart Hall: Critical Dialogues in Cultural Studies, London: Routledge 1996, S. 411-441, hier S. 431. Hall: »Gramsci’s Relevance for the Study of Race and Ethnicity«, S. 431. Vgl. Hempel: »Theodor Koch-Grünberg and Visual Anthropology«. Vgl. auch den zuletzt bearbeiteten fotografischen Nachlass Max Schmidts in Bossert, Federico und Diego Villar: Hijos de la Selva. La fotografía etnográfica de Max Schmidt. Sons of the Forest. The Ethnographic Photography of Max Schmidt, Santa Monica: Perceval Press 2013.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Keiner der hier diskutierten Ethnologen erklärte sich explizit zum Vertreter der damaligen Anthropologie, obgleich sie sich in diesem Bereich betätigten, wie zum Beispiel Paul Ehrenreich. Ferner versuchten sie, durch ihre Arbeit das negative Bild der ›Indianer‹ zu verändern. Dennoch vervollständigten sie ihre Studien der erforschten indigenen Kulturen mit anthropometrischen Informationen, um den wissenschaftlichen Konventionen ihrer Zeit zu folgen. Dadurch erstellten sie »aus einer Datenreihung einer bestimmten Anzahl von Individuen kollektive Merkmale«202 und trugen zur Identifizierung von ›Rassen- Typen‹ innerhalb der Amazonasbevölkerung bei. Durch die Verwendung von Unterscheidungskriterien wie Haut-, Haar-203 und Augenfarbe, durch Körpermessungen, aber auch durch sprachliche Aufnahmen trugen Ethnologen zur Konstitution von Rassenhierarchien der indigenen Bevölkerung der Region bei. Ähnlich verhielt es sich bei der Bewertung von materieller Kultur, die einer Klassifizierung und Kategorisierung von indigenen Gruppen wie Jägern und Nomaden in eine ›niedrige kulturelle Stufe‹ diente, wie ›die Bororo‹204 , ›die Makú‹205 oder ›die Guató‹ (letzteren wurde »geistige Trägheit«206 unterstellt). Während für Koch-Grünberg bspw. Gruppen wie ›die Tukano‹, Siusí oder die von ihm so genannten Taulipang eine reiche materielle ›Kultur‹ besaßen, standen ihm zufolge die Mitglieder der Makú am oberen Rio Negro oder Yekuana und Guinaú am Roraima auf einer unteren Kulturstufe. Er begründete diese Einstufung mit ihrer materiell armen ›Kultur‹, ihrer ›primitiven‹ Sprache und nicht zuletzt mit ihrem »hässlichen« Aussehen.207 Diese Einstellung ist im gängigen evolutionistischen Ansatz der »Durchsetzung des Stärkeren« zu finden. So z.B. betrachtete der Mediziner und Professor für Anthropologie Felix von Luschan in Bezug auf die »geistigen Eigenschaften«, dass »[d]a immer und überall nur die absolute Tüchtigkeit oder doch wenigstens die relative Überlegenheit [siegt]. Es siegt die feine entwickelte Sprache, es siegt die

202 Hanke, Christine: Zwischen Auflösung und Fixierung: zur Konstitution von »Rasse« und »Geschlecht« in der physischen Anthropologie um 1900, Bielefeld: transcript 2007, S. 31. 203 Haar wurde als vererbbares und konstantes Element betrachtet und daher als relevantes Rassenmerkmal angesehen. Vgl. Hoßfeld, Uwe: Geschichte der biologischen Anthropologie in Deutschland: von den Anfängen bis in die Nachkriegszeit, Stuttgart: Franz Steiner 2005, S. 100; Holzer, Jacqueline: Linguistische Anthropologie: eine Rekonstruktion, Bielefeld: transcript 2005, S. 154f. Vgl. auch Mesenhöller, Peter: »Vermessenheiten. Fremde Körper in der Ethnologie und Anthropologie des 18. und 19. Jahrhunderts«, in: Gerchow, Jan (Hg.): Ebenbilder. Kopien von Körpern – Modelle des Menschen, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2002, S. 147-162. Paul Ehrenreich nahm Haarproben der Indigenen während der Expedition am Xingú von Karl von den Steinen. Ehrenreich: Anthropologische Studien, S. 81f. Koch-Grünberg nahm ebenso Haarproben von Indigenen im Rahmen seiner ersten Expedition (Siehe Kapitel 3). 204 Vgl. Ehrenreich: Anthropologische Studien. 205 Vgl. Koch-Grünberg, Theodor: »Die Makú«, in: Anthropos 1/4 (1906), S. 877-906. 206 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 299f. 207 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 258, 288, 338.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

bessere Grammatik, es siegt die höher stehende Mythologie und Religion, es siegt, wo etwa Schrift in Frage kommt, auch die bessere Schrift«208 . Dass die Bildung von Hierarchien innerhalb der indigenen Gemeinschaften nicht nur auf die ›geistigen Eigenschaften‹ der einzelnen Individuen, sondern auch auf Schönheitsidealen beruhten, lässt sich weiterhin in Koch-Grünbergs Texten beobachten, beispielsweise wenn er eine Gruppe von Katapolitani-Indigenen als eine »häßliche, verlotterte Zigeunerbande!« bewertet, »nachdem [er] die schönen, nackten Gestalten der AiaryIndianer gesehen hatte. Jetzt kam es mir erst recht zum Bewußtsein, daß diese Katapolítani vorzeiten ein makú-ähnliches Volk auf sehr niedriger Kulturstufe waren, und daß ihre Seelen nicht in den Privathimmel der aristokratischen Aruak gehören«209 . Auf diese Weise projizierte der Forscher in seiner Ethnografie seine eigene subjektive aber auch vom damaligen anthropologischen Diskurs durchaus beeinflusste, rassialisierte Kulturvorstellung auf die indigene Bevölkerung und untermauerte sie wiederum durch die gängigen Methoden der Körpermessung und Typenklassifizierung in seinen eigenen ›Indianerstudien‹. Der Rassendiskurs derzeit floss auf unterschiedlicher Weise in den ethnologischen Texten und in diversen Themen ein. So z.B., wenn der Musikethnologe Erich von Hornbostel in seinem Beitrag »Musik der Makuschí, Taulipáng und Yekuana«, der in Theodor Koch-Grünbergs Ethnografie Von Roroima zum Orinoco enthalten ist – die »Bewegungsart« beim Tanzen als »im Physiologischen verankert« betrachtete: Was uns an der Musik der Indianer wesentlich schien: das Aufreihen gleicher Elemente, findet sich in ihrer Ornamentik wieder, und zwar innerhalb der Hochkulturen ebenso wie bei primitiven Stämmen. Dieser Stil ist weder der Entwicklungsstufe, noch der Kultur eigentümlich, sondern der Rasse. Er ist so überaus charakteristisch, weil er nur eine Äußerung dessen ist, was — von den Anthropologen (Boas ausgenommen) kaum beachtet! — die Rasse mit am schärfsten kennzeichnet: der Bewegungsart. Diese ist so tief im Physiologischen verankert, daß sie die Jahrtausende überdauert, den Einflüssen der natürlichen und kulturellen Umgebung und selbst Beimischungen fremden Bluts widersteht. Sie bestimmt gleichermaßen die Körperbewegung der Tänzer, die Armbewegung des Trommlers und Rasslers, die Kehlkopf- und Mundbewegung des Sängers und Sprechers.210 Die Kategorie der ›Rasse‹ gehörte zum Instrumentarium der Klassifikation der indigenen Bevölkerung. Zur Verteidigung der Ethnologen ist darauf hinzuweisen, 208 Luschan, Felix von: »Sammlung Baessler, Schädel von Polynesischen Inseln«, Veröffentlichungen aus dem Königlichen Museum für Völkerkunde, Berlin 1907. Zit. n. Laukötter: Von der »Kultur« zur »Rasse«, S. 105f. 209 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 197f. 210 Hornbostel, Erich von: »Musik der Makuschí, Taulipáng und Yekuana«, in: Koch-Grünberg, Theodor: Vom Roroima zum Orinoco, Ethnographie, S. 397-442, hier S. 416.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

dass in der Amazonas-Ethnologie anthropometrische Verfahren nicht die Norm waren und dass in den Ethnografien dieser Periode das Konzept der ›Rasse‹ nicht ausdrücklich thematisiert wird. Jedoch muss an dieser Stelle eben auch unmissverständlich klargemacht werden, dass die Rassenproblematik nicht erst mit den imperialistischen Unternehmungen Deutschlands im 19. Jahrhundert begann und auch keinesfalls nur die schwarze Bevölkerung der damaligen europäischen Kolonien betraf, sondern alle Bevölkerungsgruppen, die nicht als westeuropäisch eingestuft wurden. Als eine der Machtachsen der Kolonialität – neben Arbeit und Gender211 – ist Rasse demzufolge eine Kategorie zur Konstruktion von Alterität, die auch im ethnologischen Diskurs des Amazonasgebietes präsent war. Es lässt sich schließlich argumentieren, dass die Kategorie der ›Rasse‹ wesentlich für die Entstehung der Ethnologie war, denn ohne die Einteilung der Menschheit in ›Völker‹, Stämme, in Schwarze, ›Indianer‹ oder ›Zigeuner‹ hätte es keinen Sinn gemacht, eine Völkerkunde zu betreiben. Aus diesen Gründen war das Machtverhältnis zwischen der Amazonasbevölkerung und den deutschen Forschungsreisenden schon vor dem Zusammentreffen von Ethnologen und Indigenen rassistisch geprägt.

1.2.

Lokale Bedingungen und Akteure der ethnografischen Praxis

»Was wäre aus Alexander von Humboldt geworden, wenn er bei seiner epochenmachenden Südamerika-Reise ohne jede koloniale Infrastruktur hätte auskommen müssen?212 «, fragten provokativ Andreas Eckert und Albert Wirz bezüglich der Rolle Deutschlands im Kontext von Kolonialismus, Kultur und Wissenschaft. Auch wenn es im Amazonasgebiet keine nachgewiesenen kolonialen Ansprüche gab und die frühen deutschen Amazonasforscher keine aufgeklärten Vertreter des kaiserlichen Kolonialismus waren, ist es unerlässlich, die Anfänge der ethnologischen Amazonasforschung in ihrem damaligen politischen und globalen Kontext zu verorten. Denn nur dank der globalen, aber auch lokalen, damaligen sozialen und politischen Umstände konnten ethnologische Expeditionen durchgeführt, ›Kulturen‹ und Menschen untersucht und Objekte gesammelt werden. Der Kritik der oben erwähnten Autoren schließe ich mich an und frage: Was wäre aus der frühen deutschen ethnologischen Forschung in der Amazonasregion geworden, wenn die lokale Infrastruktur des internen Kolonialismus und der extraktivistischen Ökonomien wie die Kautschukgewinnung, nicht vorhanden gewesen wäre?

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Quijano: »Colonialidad del poder y clasificación social«, S. 117. Eckert, Andreas und Albert Wirz: »Wir nicht, die anderen auch. Deutschland und der Kolonialismus«, in: Conrad, Sebastian und Shalini Randeria (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M./New York: Campus 2002, S. 372-392, hier S. 379.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Im vorangegangenen Kapitel habe ich anhand der erkenntnistheoretischen Grundlagen der ethnologischen Amazonasforschung die Komplizenschaft zwischen ›Kulturübersetzung‹ und Kolonialität des Wissens aufgezeigt. In diesem Kapitel will ich den Bogen von ›Kulturübersetzung‹ als ethnografischer Repräsentation (Post-Feldforschung) zur Kulturübersetzung als einer interaktiven Praxis, die bereits während der Feldforschung begann und in einem konkreten Raum und von konkreten Akteuren durchgeführt wurde, schlagen. Den Raum der Kulturübersetzung begreife ich als eine Kontaktzone, in der die Beziehungen zwischen Akteuren von asymmetrischen Verhältnissen gekennzeichnet waren, wobei sie nicht extrem dichotomisch waren, sondern eine temporäre Machtverschiebung erlaubten. Dadurch wird die ethnografische Feldforschung im Amazonasgebiet in den politischen und sozialen Kontext eingebettet, in dem sie durchgeführt wurde. Somit lässt sich das soziale Feld der Kulturübersetzung beleuchten. Insbesondere werden die Texte über die Expeditionen am oberen Rio Negro (1903-1905) und im Roraima-Gebiet (1911-1913) von Theodor Koch-Grünberg, ebenso wie die Materialien in seinem Nachlass, im Folgenden einen mikroskopischen Blick auf das soziale Gewebe der ethnografischen Feldforschung ermöglichen.

Die Amazonasregion als Kontaktzone In dieser Studie wird der Amazonasraum als eine Kontaktzone konzeptualisiert, welche sich aus mehreren geografischen, politischen, sozialen und ökonomischen Faktoren zusammensetzte und dabei die Kulisse der kulturellen Begegnung in der ethnologischen wissenschaftlichen Forschung bildete. Dennoch wurde diese Region zu Zeiten der hier behanldelten Amazonas-Expeditionen zum Teil als Synonym für Brasilien wahrgenommen, da sich die offiziellen Grenzen Brasiliens zu den Nachbarländern erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts endgültig konstituierten.213 Der Amazonasraum ist angesichts seiner geografischen Isolation und der Schwierigkeit, das entfernte Gebiet zu verwalten, vor allem als Frontier wahrgenommen worden.214 Die Frontier-Vorstellung eines Raumes als »the meeting point between savagery and civilization«215 weist auf einen Ort der Begegnung unter-

Vgl. Rinke, S. und F. Schulze: Kleine Geschichte Brasiliens, München: C.H.Beck 2013; König, Hans Joachim: Geschichte Brasiliens: Reclams Ländergeschichten, Stuttgart: Reclam Verlag 2014. 214 Vgl. Hemming: Amazon Frontier; Taylor: »Génesis de un arcaísmo: la Amazonia y su antropología«; Weber/Rausch: Where Cultures Meet: Frontiers in Latin American History; Margolis: The Last New World; Ramos: »Frontier Expansion and Indian Peoples in the Brazilian Amazon«. Da sich in der Amazonasregion die Grenzen mehrerer Ländern kreuzen, könnte man je nach Untersuchungsgegenstand von mehreren interstaatlichen Kontaktzonen reden. 215 Diese Konzeptualisierung der Frontier geht auf die entsprechende These des USamerikanischen Historikers Frederick Jackson Turner von 1893 für den Fall der US-amerikanischen Expansionsgeschichte zurück. Vgl. Turner, Frederick Jackson: Rereading Frederick 213

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

schiedlicher Kulturen hin, die als ›homogene‹ kulturelle Einheiten gesehen worden sind. Sie basiert auf einer epistemologischen Grenze, nämlich auf der Dichotomie zwischen savagery und civilization. Ein primäres Element, das die Region seit dem 16. Jahrhundert bekannt gemacht hat, ist die auf dem Abbau bzw. der Gewinnung von Stoffen wie Chinin, Holz, Pelz und vor allem von Kautschuk beruhende Extraktionswirtschaft.216 Im 19. Jahrhundert war die Region bereits mit globalen Industrialisierungsund Modernisierungsprozessen verflochten. Wenn man bedenkt, dass der Amazonasraum als Rohstoffkammer gedient hat, aus dem natürliche Produkte und nicht zuletzt auch Wissen gewonnen wurden und noch immer gewonnen werden, dann ist seine Rolle nicht als Grenze, sondern als einer der strategischen Punkt in der Entwicklung der Weltwirtschaft unbestreitbar. Den Amazonasraum als Frontier zu betrachten, impliziert, eine expansionistische Perspektive als einzigen bestimmenden Faktor in der Region anzusehen, wo doch gerade die auf der Extraktion von Rohstoffen beruhenden Wirtschaftszweige den Mythos dieser Region als Raum »of unlimited opportunities«217 verstärkten und somit die Einwanderung von und den Kontakt zwischen Menschen aus der ganzen Welt förderten. Aufgrund seiner geopolitischen Bedeutung gewann dieses Gebiet mit der Zeit immer mehr an Gewicht, und zwar insbesondere, seitdem im Zuge der Industrialisierung sein Potenzial als Rohstoffkammer nachgewiesen worden war.218 Die Einführung von Dampfschiffen erleichterte das Erreichen des Urwalds und bedeutete zum Teil eine temporäre

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Jackson Turner: »The Significance of the Frontier in American History«, and Other Essays, hg. v. John Mack Faragher, New Haven/London: Yale University Press 1994, S. 32. Zur Diskussion über den Unterschied zwischen Frontier und Boundary siehe den grundlegenden Aufsatz Ladis K. D., Kristof: »The Nature of Frontiers and Boundaries«, in: Annals of the Association of American Geographers 49/3 (1959), S. 269-282. Zum Extraktivismus in Lateinamerika vgl. Burchardt, Hans-Jürgen und Stefan Peters: »Der (Neo-)Extraktivismus in Lateinamerika nach dem Rohstoffboom«, in: Dies. (Hg.): Umwelt und Entwicklung in globaler Perspektive. Ressourcen-Konflikte-Degrowth, Frankfurt a.M./New York: Campus 2017, S. 33-60. Zum Schwerpunkt Venezuela vgl. Coronil Ímber, Fernando: El estado mágico: Naturaleza, dinero y modernidad en Venezuela, Caracas: Editorial Alfa 2016. Einen Überblick über Extraktivismus seit der Kolonisierung der Amazonasregion bietet Hemming: Amazon Frontier. Zum Extraktivismus in kolumbianischen Amazonas vgl. Domínguez, Camilo und Augusto Gómez: La economía extractiva en la amazonía colombiana 1850-1930, Bogotá: Corporación Colombiana para la Amazonía. Araracuara 1980. Barton, Jonathan R.: A Political Geography of Latin America, London/New York: Routledge 1997, S. 141. Im Falle Kolumbiens intensivierte sich die Einwanderung in die Gebiete Caquetá und Putumayo gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund von extraktivistischen Aktivitäten wie der Chinin- und der Kautschukgewinnung. Vgl. Gómez López, Augusto Javier : Putumayo : La Vorágine de las Caucherías. Memoria y Testimonio, Bogotá: Centro Nacional de Memoria Histórica 2014. Barton: A Political Geography of Latin America, S. 140.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Okkupation der indigenen Territorien durch ›weiße‹ Siedler, welche den von indigenen Gemeinschaften bewohnten Raum destabilisierte.219 Im Zuge der Förderung der Einwanderung, vor allem von Europäern, aber auch von Bürgern der jeweiligen Länder, profitierten diese von vielen Vorteilen u.a. wurden sie als Eigentümer der von ihnen bewohnten Grundstücke deklariert und von Steuern befreit.220 Dasselbe galt für die indigenen Bewohner eines bestimmten Grundstückes, zumindest in der peruanischen Amazonasregion.221 Außerdem gab es in dem hier behandelten Zeitraum vor allem in Südbrasilien deutsche Kolonien, obwohl diese Form der Kolonisierung vom deutschen Kaiserreich weder gefördert noch von Staats wegen durchgeführt wurde. Seit 1824 ließen sich zahlreiche deutsche Bürger in Brasilien nieder und gründeten mit Unterstützung der brasilianischen kaiserlichen Regierung sogenannte Regierungs-Kolonien: »S. Leopoldo, Tres Forquilas, S. Pedro in der Provinz Rio Grande, Itajahí und Alcantara in der Provinz Santa Catharina und Rio Negro auf dem Hochland der Provinz Paraná«222 . 1871 nahm die Auswanderung nach Brasilien aufgrund von Berichten über die schlechten Arbeitsbedingungen für deutsche Arbeiter in den brasilianischen Fazendas ab. Durch das »Heydt’sche Reskript« entzog die preußische Regierung den Auswanderern den staatlichen Schutz und verbot die weitere Anwerbung von Auswanderern.223 Das Ziel der Gründung dieser Kolonien bestand auf brasilianischer Seite zum einen in der Verbesserung der Agrarwirtschaft und der Modernisierung des Landes mithilfe der deutschen Einwanderer. Nicht zuletzt wurde auch das Ziel verfolgt, »das Land mit seinen ›demografischen Leerräumen‹ zu besiedeln«224 . Hier muss hervorgehoben werden, dass unter solchen »Leerräumen« die von den indigenen Gemeinschaften bewohnten Gebiete verstanden wurden. Zum anderen förderte die brasilianische Regierung deutsche Kolonien, um das Land und die »brasi219

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Vgl. Taylor, Anne-Christinne: »História pós-colombiana da alta Amazônia«, in: Carneiro da Cunha, Manuela (Hg.): Historia dos Indios no Brasil, São Paulo: Companhia das Letras/Secretaria Municipal da Cultura: FAPESP 1992, S. 213-238; Gómez, Augusto: »Amazonía Colombiana. Caucho, sistemas de control de la fuerza de trabajo y resistencia indígena 1870-1930«, in: Jorna, Peter, Leonor Malaver und Menno Oostra (Hg.): Etnohistoria del Amazonas, Quito: ABYA-YALA 1991, S. 183-212. Zur Förderung der (internen) Einwanderung in die peruanische Amazonasregion siehe San Román, Jesús Victor: Perfiles Históricos de la Amazonía Peruana, Iquitos: Centro de Estudios Teológicos de la Amazonía 1994, S. 128ff. Ebd., S. 131f. Schulz, Waldemar: Studien über agrarische und physikalische Verhältnisse in Südbrasilien in Hinblick auf die Colonisation und die Freie Einwanderung, Leipzig: Ernst Julius Günther 1865, S. 77. Andere Kolonien waren auch Nova Friburgo, Santo Amaro, Santa Izabel, Santa Leopolodina, Petrópolis, Teófilo Otoni, Juiz de Fora und São Jorge dos Ilhéus. Barbian, Nikolaus: Auswärtige Kulturpolitik und »Auslandsdeutsche« in Lateinamerika 19491973, Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden 2014, S. 51f. Gregory, Valdir: »Zur deutschen Einwanderung in Brasilien«, in: Cuadernos Adenauer XIV (2017), S. 113-132, hier S. 118.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

lianische Rasse« durch Mischung mit den Deutschen »zu verbessern«225 . Gemeint war damit ein »Weißmachen« der Bevölkerung226 , denn, obwohl bei der Bevölkerungszählung 1872 die brasilianische Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit aus ›Weißen‹ und pardos oder Mischlingen bestand227 , wurde eine Abnahme des Anteils der schwarzen und indigenen Bevölkerung angestrebt228 . Aus deutscher Sicht waren die Kolonien vor allem deshalb vorteilhaft, weil die »Auslandsdeutschen« den Handel mit und die Zunahme von Exporten nach Südamerika begünstigten; da die deutsche Ansiedlung in Brasilien die größte in Lateinamerika war, lässt sich vermuten, dass sie als »Sprungbrett« einer politischen Expansion wahrgenommen werden konnte.229 Die Einwanderungspolitik brachte die indigene Bevölkerung, die zwischen den nationalen Grenzen wohnte, in eine heikle Lage. Gleichzeitig aber galten sie als unmündig230 und repräsentierten daher eine potentielle Gefahr für die nationale Souveränität, denn sie konnten »easily fall prey to the greed of foreign groups or individuals interested in Amazonian natural resources«231 . Aus ethnologischer Sicht wird dieser historisch betrachtet hoch komplexe Raum heute noch als »Kulturlandschaft«232 angesehen, in deren Vordergrund indigene Gemeinschaften stehen. Und in der Tat umfasst ihre Bevölkerung 316 unterschiedliche indigene Gemeinschaften (etwa 1.400.000 Menschen)233 . Dennoch bleibt das ethnologische Verständnis der

225 Ebd. 226 Conrad: Globalisierung und Nation, S. 240. 227 Moraes Silva, Graziella und Marcelo Paixão: »Mixed and Unequal. New Perspectives on Brazilian Ethnoracial Relations«, in: Tellez, Edward E. (Hg.): Pigmentocracies: Ethnicity, Race and Color in Latin America, Chapel Hill: The University of North Carolina Press 2014. S. 184. 228 Zur Rassendiskussion in der Geschichte Lateinamerikas vgl. Peloso: Race and Ethnicity in Latin American History; Wade: Race and ethnicity in Latin America; Graham, Richard: The Idea of Race in Latin America, 1870-1940, Austin: University of Texas Press 1990. 229 Barbian: Auswärtige Kulturpolitik und »Auslandsdeutsche« in Lateinamerika 1949-1973, S. 60-61. 230 Die indigene Bevölkerung der Amazonasregion »appeared as infantile forms […] which should be guided by means of guardianship toward the civilization or our society«. Farage und Carneiro da Cuhna 1987, S. 14 zit.n. Ramos: Indigenism, S. 18. 231 Ramos, Alcida Rita: Indigenism, S. 20. 232 Kurella, Doris und Dietmar Neitzke (Hg.): Amazonas-Indianer: LebensRäume, LebensRituale, LebensRechte. (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Linden-Museum Stuttgart, Staatliches Museum für Völkerkunde, 11.10. 2002 bis 27.04.2003 und im Museum für Völkerkunde zu Leipzig, 10.10.2003 bis 04.01. 2004), Berlin: Reimer 2002, S. 7. Aus ethnologischer Sicht wird davon ausgegangen, dass dieser »ethnographische Kontinent« in etwa die gleiche materielle Kultur sowie gemeinsame Merkmale sozialer Organisation und kollektiver Identität aufweist. Vgl. Descola, Philippe und Anne-Christine Taylor : »Introduction«, in : L’Homme. La remontée de l’Amazone 33/126-128 (1993), S. 13-24, hier S. 14. 233 Vgl. Queixalós, Francesc : »Amazonía«, in : Sichra, Inge (Hg.) : Atlas sociolingüístico de pueblos indígenas en América Latina, Cochabamba : FUNPROEIB Andes 2009, S. 229-448.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Region in dem Glauben verankert, die Amazonasbevölkerung bestehe ausschließlich aus indigenen Gemeinschaften, die holistische und homogene kulturelle Einheiten seien.234 Weitgehend unbeachtet bleibt die Tatsache, dass die Amazonasbevölkerung bereits im frühen 20. Jahrhundert zu einem großen Teil aus sogenannten caboclos (diskriminierende Bezeichnung für Mischlinge) bestand. Da dieser Aspekt in der Geschichte der ethnologischen Amazonasforschung eher eine marginale Rolle spielte, blieb die Tatsache, dass die deutschen Ethnologen es mit einer äußerst diversen Amazonasbevölkerung zu tun hatten, unbeachtet.235 Im Gegensatz zur Idee der Frontier zeichnet sich das Konzept der contact zone dadurch aus, dass es den Fokus nicht auf das Motiv der Fremdheit und auf eine Vorstellung von stabilen Identitäten – Ethnologen vs. Indigene – legt, sondern auf die Interaktionen und Konflikte zwischen den Akteuren der Begegnung, welche, wenn auch in asymmetrischen Machtverhältnissen, miteinander koexistierten. Mary Louise Pratts Konzept der Kontaktzone erweist sich daher als äußerst relevant für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung, denn hier liegt der Schwerpunkt auf den räumlichen und zeitlichen Interaktionen zwischen den Akteuren und nicht nur auf ihren Identitäten. Im Gegensatz zum Konzept der Frontier befasst sich die Kontaktzone mit »the relations among colonizers and colonized, or travelers and ›travelees,‹ not in terms of separateness or apartheid, but in terms of copresence, interaction, interlocking understandings and practices, often within radically asymmetrical relations of power«236 . Die asymmetrischen Machtbeziehungen in dieser Kontaktzone wurden von den damaligen geopolitischen Machtverhältnissen bestimmt. Diese zeichneten sich seit dem 19. Jahrhundert infolge der europäischen kolonialen Expansion durch eine Rhetorik des Fortschritts aus, der sich in der Amazonasregion in der Kautschukgewinnung, dem Kautschukhandel auf lokaler und globaler Ebene und der daraus resultierenden Ausbeutung der indigenen Bevölkerung manifestierte.237 Die Kautschukgewinnung spielte in der Folge eine wesentliche Rolle bei der Konstitution der Amazonasregion als Kontaktzone sowie als Ort der kolonialen Begegnung und Unterdrückung. Hier trafen Menschen aus unterschiedlichen Weltregionen zusammen, die sich mit der Zeit dort etablierten, mit der indigenen Bevölkerung interagierten und nicht selten mit ihr in Konflikt gerieten. Die neuen Bewohner, die zum Teil aus unterschiedlichen Regionen Kolumbiens, Brasiliens, 234 Zur Kritik an dieser holistischen Vision, die vor allem von den Vertretern des Perspektivismus zum Ausdruck gebracht wird, vgl. Ramos, Alcida Rita: »The Politics of Perspectivism«, in: Annual Review of Anthropology 41 (2012), S. 481-494. 235 Vgl. Nugent, Stephen und Mark Harris (Hg.): Some Other Amazonians. Perspectives on Modern Amazonia, London: Institute for the Study of the Americas 2004. 236 Pratt: Imperial Eyes, S. 7. 237 Zu einer globalen Geschichte des Kautschuks Vgl. Tully, John: The Devil’s Milk. A Social History of Rubber, New York: Monthly Review Press 2011.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Perus und Venezuelas, aber auch aus europäischen Ländern, Japan oder Syrien stammten, wurden nicht zuletzt auch im Amazonasraum als colonos, (Siedler, Kolonisten) bezeichnet.238

Kautschukgewinnung und Kautschukhandel Die historischen und geografischen Besonderheiten der Kontaktzone, in der die Begegnung zwischen Ethnologen und Amazonasbevölkerung stattfand, wurden in den ethnografischen Texten zwar erwähnt, aber nicht als Teil der ethnologischen Forschung kritisch betrachtet. Dies spiegelt sich in den veröffentlichten Fotografien wider, auf denen diese Besonderheiten ausgeblendet wurden. Insbesondere Koch-Grünbergs Tagebucheinträge und andere Materialen seines Nachlasses sind in dieser Hinsicht eine wertvolle Informationsquelle. Koch-Grünbergs ausführliche Schilderungen veranschaulichen, inwiefern das Gelingen seines ethnologischen Unternehmens von der extraktivistischen Aktivität der Kautschukgewinnung und dabei von Kautschukhändlern und der Kautschukinfrastruktur profitiert hat. Eine visuelle Darstellung dieser Kontaktzone auf Karte 1 zeigt die Routen der ethnologischen Expeditionen Koch-Grünbergs, eingebettet in die Areale des Kautschukabbaus. Diese Überlappung zeigt, inwieweit sowohl die Erkundung der zu erforschenden Gegend als auch die logistische Planung und Durchführung der ethnologischen Forschung, inklusive dem Versenden von fotografischen Platten und Objekten an das Berliner Völkerkundemuseum, mit den Strukturen der Routen des Kautschukhandels verflochten war. Dieses komplexe Machtgefüge, das die Feldforschung und damit auch die ambivalenten Verhältnisse zwischen Ethnologen, Indigenen, Militärs und insbesondere Kautschukhändlern bestimmte, soll die materielle und logistische Seite der interaktiven Praxis der Kulturübersetzung veranschaulichen. Die in den hier untersuchten ethnografischen Texten beschriebene soziale Landschaft umfasst insbesondere zwei Hauptphänomene: die Aktivität der Kautschukgewinnung und – unmittelbar damit verbunden – den internen Kolonialismus. Wie bereits erwähnt, gehörten auch colonos oder Kolonisten zu dieser sozialen Landschaft. Ihre Präsenz deutet auf eine Form von Kolonisierung hin, welche die Historikerin Nancy P. Appelbaum für den spezifischen Fall Lateinamerikas als »the expansion of agricultural frontiers and the creation of settlements

238 In der kolumbianisch-brasilianischen Amazonasregion beispielsweise gehörten die colonos zu jener Gruppe von Einwanderern, die u.a. als Kautschuksammler oder Händler arbeiteten und die nach dem Kautschuk-Boom geblieben sind und seitdem Landwirtschaft und Viehhaltung betreiben. Vgl. Zambrano Tovar, Bernardo : Los pobladores de la selva, Santafé de Bogotá : Instituto Colombiano de Antropología 1995. Hier besonders S. 66.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

in previously uncultivated lands« definiert.239 Die geförderte Kolonisierung der Region ging im Amazonasgebiet Hand in Hand mit Extraktivismus; beide Phänomene determinierten wiederum die Beziehungen zwischen den Akteuren. In einem engen Zusammenhang mit der in- und ausländischen Einwanderung steht folglich die Extraktion von natürlichen Ressourcen wie Kautschuk, die aufgrund der Modernisierung der Grenzländer wie Kolumbien, Brasilien und Peru und der Investition ausländischer Unternehmen ein profitables Geschäft wurde, für das immer mehr Arbeitskräfte gebraucht wurden. Der Kautschukanbau wurde systematisch – zunächst im brasilianischen Amazonasgebiet – bereits gegen Mitte des 19. Jahrhunderts betrieben. Aufgrund der Dezimierung der indigenen Bevölkerung in dieser Region unter dem portugiesischen kolonialen Regime wurden Arbeitskräfte, nämlich Indigene und caboclos, hauptsächlich aus dem nordwestlichen Amazonas (heute Kolumbien) zur Handelsware gemacht und versklavt.240 Die Kautschukgewinnung gilt nicht nur als Ursache der Vernichtung mehrerer indigener Gruppen, sondern auch als einer der Gründe für die extreme Veränderung der Lebensverhältnisse der überlebenden Indigenen.241 Die hier behandelten Ethnografien berichten an mehreren Stellen über die Kautschukgewinnung als vorherrschendes Merkmal der Lebensbedingungen in der ganzen Region. Karl von den Steinens, Max Schmidts und Wilhelm Kissenberths Berichte geben Informationen über diese soziale Lage. Karl von den Steinen berichtete: »Es sollen am Baixo-Xingü ausser den Dörfern Souzel, Pombal und Veiros 340 »Barracas« (Häuser) vorhanden sein, unter ihnen 20 ansehnlichere, grössern Gummihändlern gehörige. […] In der Zeit vom September bis Januar zieht alles hinaus, den Gummi zu gewinnen«.242 Max Schmidt erzählte auch, dass [d]ie Arbeiter, welche während der trockenen Jahreszeit in die Gummiwälder des Paranatinga ziehen, hier ihre Zufluchtsstätte und ihr Heim für die Regenzeit [haben], und so kam es, dass zur Zeit [seines] Besuches, wo die Arbeit in den Gummiwäldern schon begonnen hatte, fast nur Frauen in den Wohnungen anzutreffen waren, meistens schöne Gestalten von ziemlich dunkler Hautfarbe.243 Obgleich ihre Texte sich auf die spezifischen Zustände in Zentralbrasilien beziehen, ist hier anzumerken, dass sich die Folgen der Kautschukgewinnung mit wenigen

239 Appelbaum, Nancy: Muddied Waters: Race, Region, and Local History in Colombia, 1846-1948, Durham: Duke University Press 2003, S. 12. 240 Gómez López: Putumayo, S. 36. Vgl. auch Weinstein, Barbara: The Amazon Rubber Boom 18501920, Standford, CA: Standford University Press 1983. 241 Vgl. Grimmig, M.: Goldene Tropen: Die Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana, Bielefeld: transcript 2014. 242 Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 276f. 243 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 34. Vgl. auch Kissenberth: »Beitrag zur Kenntnis der Tapirapé-Indianer«, S. 47.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Ausnahmen in der ganzen Amazonasregion in ähnlicher Weise manifestierten. Die Kautschukgewinnung und der Kautschukhandel wurden zunächst von den Grenzstaaten gefördert, welche Konzessionen für die Kautschukgewinnung vergaben. Die wichtigsten Kontakte zwischen den großen Kautschukhändlern und den Kautschuksammlern waren jene Personen, die zuständig für sogenannte Barracãos oder Handelsstationen waren. Diese Personen waren als aviadores bekannt. Bei den aviadores handelte es sich demzufolge im Grunde genommen um Kautschukhändler, die eng mit Menschenhändlern zusammenarbeiteten und die als Vermittler und »Vertreter« von großen Unternehmen agierten, wie z.B. des Hauses Araujo Rozas & Co. oder der Suarez & Cia., welche wiederum im Auftrag internationaler Unternehmen handelten, von denen viele ihren Sitz in London hatten.244 Der aviador verwaltete einen Tauschladen und war zuständig für den Erwerb bzw. die Anwerbung von Kautschuksammlern, die wiederum für die Kautschukextraktion eines bestimmten Areales, in Portugiesisch als seringal bezeichnet, waren. Während seines Aufenthaltes am oberen Rio Negro wurde Koch-Grünberg mehrmals Zeuge der Entführung von Indigenen für die Kautschukgewinnung, beispielsweise als der aviador bzw. Kautschukhändler André Level »über 60 Leute mit in seinen Seringal [Kautschukplantage] am Rio Padauiri, ausser den Weibern und Kindern« nahm245 . Die indigene Amazonasbevölkerung wurde den Kautschukhändlern in vielen Fällen von einheimischen »Sklavenhändlern«246 in Form von billigen Arbeitskräften für die Kautschukextraktion zur Verfügung gestellt. Andere Kautschuksammler waren Bauern und andere Glückssucher, die genauso wie die indigenen Arbeitskräfte unterdrückt und ausgebeutet wurden. Ihre Aufgabe bestand darin, die Milch der Kautschukbäume in bestimmten Arealen zu extrahieren, zu sammeln und sie am Ende des Tages zu räuchern. Somit entstanden Kautschukbälle (Abb. 5), die je nach Reinheitsgrad bezahlt wurden. Es handelte sich um eine saisonale Arbeit, die nur in der trockenen Zeit erfolgte (von April bis November). Der ganze Arbeitstag umfasste etwa 10 Stunden247 und die Bezahlung erfolgte meistens mit Waren und Alkohol. Da die Kautschuksammler den tatsächlichen Preis der Waren nicht kennen konnten, wurden ihnen diese viel zu teurer verkauft, sodass sie verschuldet blieben. Die Forscher schienen über diese Bedingungen sehr gut informiert zu sein, wie Karl von den Steinen erkennen lässt, wenn er über 9 Indigenen berichtet, die 22 Arroben Kautschuk führten […] ein achtbares Quantum mit einem Wert, die Arrobe zu 33 Milreis, von 726 Milreis oder damals über 1400 Mark. So wenigstens

244 245 246 247

Vgl. Weinstein: The Amazon Rubber Boom 1850-1920, S. 16ff. Tagebucheintrag vom 17.9.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. Gómez López: Putumayo, S. 37. Tully: The Devil’s Milk. A Social History of Rubber, S. 80.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

rechnete Perrot. Wissen möchte ich aber, wie der Handelsmann in Cuyabá gerechnet, und für welchen Gegenwert von Tauschartikeln er ihnen den Kautschuk abgenommen hat. Wäre noch der Häuptling Reginaldo dabei gewesen, der bis 20 zählen konnte.248 Die Bezahlung war vielmehr eine Art Kreditvergabe, in der die Kautschuksammler Tauschwaren im Voraus bekamen, die aber nur mit Kautschuk bezahlt werden konnten, mit dem wiederum die Arbeiter, ungeachtet der gelieferten Quantität, ihre Schulden nicht begleichen konnten. Es wird angenommen, dass mehr als 90 Prozent der Kautschuksammler unter diesen Verhältnissen arbeiteten.249 Mithin zeichnete sich das Geschäft der Kautschukgewinnung in der gesamten Amazonasregion durch ein System der Schuldknechtschaft aus.250 Der Widerstand gegen die Kautschukpatrone wurde streng bestraft, was in einigen Gebieten (insbesondere im Putumayo, Westamazonas) zu einem Terrorregime führte.251 Unter diesen Bedingungen blieben auch die indigenen Kautschuksammler in einem »constant state of indebtedness, backed by a general state of fear«252 . Neben der Ausübung von Gewalt lag der Erfolg dieses Systems darin begründet, die Indigenen die Rolle des Händlers und nicht die des Arbeiters spielen zu lassen. Auf diese Weise hatte die Verschuldung eine besondere Bedeutung im sozialen System der Amazonasregion. Michael Taussig beschreibt das Verhältnis in Bezug auf die Lage in Putumayo, Kolumbien, folgendermaßen: »[e]verything in this ›system‹ depends on the appearance of trade in which the debtor is neither slave nor wagelaborer but a trader

248 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 24. 249 Tully: The Devil’s Milk. A Social History of Rubber, S. 78. 250 An dieser Stelle soll im Anschluss an Barbara Weinstein angemerkt werden, dass die Umstände, unter denen die Kautschuksammler litten, und die Geschäftsform der Kautschukausbeutung für den ganzen Amazonasraum galten. Vgl. Weinstein: The Amazon Rubber Boom 18501920, S. 4. Vgl. auch Pineda Camacho, Roberto: Holocausto en el amazonas: una historia social de la Casa Arana, Santafé de Bogotá: Planeta Colombiana Editorial 2000; Hardenburg, W. E., C. Reginald Enock und Roger Casement: The Putumayo, the Devil’s Paradise; Travels in the Peruvian Amazon Region and an Account of the Atrocities Committed upon the Indians therein, London: T. F. Unwin 1912. Für Perú vgl. García Jordán, Pilar und Miquel Izard: Conquista y resistencia en la historia de América = Conquesta i resistència en la història d’Amèrica, Barcelona: Universidad de Barcelona 1992; Alvarez Lobo, Ricardo: TSLA, estudio etno-histórico del Urubamba y Alto Ucayali, Salamanca: Editorial San Esteban 1984. 251 Auf die Geschichte des Terror-Regimes in Putumayo bezieht sich Mario Vargas Llosas Roman Der Traum des Keltens. Vargas Llosa: Der Traum des Kelten. 252 Hugh-Jones, Stephen: »Yesterday’s Luxuries, Tomorrow’s Necessities: Business and Barter in Northwest Amazonia«, in: Humphrey, Caroline und Stephen Hugh-Jones (Hg.): Barter, Exchange and Value. An Anthropological Approach, Cambridge: Cambridge University Press 1992, S. 42-74, hier S. 65.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

with an ironclad obligation to pay back the advance«253 . Die Schuldknechtschaft bestimmte überdies die interpersonellen Beziehungen zwischen den Akteuren und nicht zuletzt die Identitäten der Arbeiter in der Region. Denn sie selbst und ihre Schulden wurden als Waren gehandelt, Patrone oder Händler zahlten die Schulden von Kautschuksammlern, sodass diese nun für den neuen Herrn arbeiten mussten, um ihre Schulden zu begleichen. In dieser Bedeutungsverschiebung, die charakteristisch für das System der Schuldknechtschaft in der ganzen Kontaktzone der Amazonasregion war, wurden nicht nur Arbeiter als Waren fetischisiert, sondern die Verschuldung selbst. In Michael Taussig Worten: In the debt-peonage system, as befits a system built around the fiction of traders and not commodities, it is the debt and not the commodity that is fetishized – so that in answer to the question, What makes a man a man?, the answer lying closest to hand is his debt. And if one asks, What is a debt?, in a situation in which goods called advances or even gifts are forced onto unwilling recipients, the answer is a man, or failing that, an Indian or a peon. […] ›debt fetishism‹ was to the discourse of the colonizers and the colonized of the Putumayo rubber boom.254 Auf diese Weise verursachten die Kautschukgewinnung und das System der Schuldknechtschaft soziale Veränderungen. Durch die Überlassung von Frauen oder Kindern konnten Schulden beglichen werden, die indigene Bevölkerung musste ihre Wohnorte verlassen, litt unter für sie unbekannten Krankheiten, und ihre Gemeinschaften und Familien wurden zerstört.255 Dabei veränderten infolge des Menschenhandels die Prostitution und das allmähliche Verschwinden von ganzen Gemeinschaften das Leben der ansässigen indigenen Bevölkerung.256 Eine Mikroperspektive auf die Beziehungen zwischen ethnologischer Forschung und Kautschukgewinnung und -handel anhand von Textauszügen aus Koch-Grünbergs Monografien und Tagebüchern aber auch aus Texten der anderen Amazonas-Ethnologen eröffnet ein Fenster, das den Blick von der ethnografischen Repräsentation auf die Dynamiken der Kontaktzone ›Amazonasregion‹ und den Praktiken der ethnologischen Forschung lenkt. Darüber hinaus – um mit Guillermo Bonfil Batalla zu sprechen – sind die vorliegenden ethnografischen Dokumentationen nach wie vor wertvolle historische Quellen, als sie

253 Taussig, Michael: Shamanism, Colonialism, and the White Man: A Study in Terror and Healing, Chicago: University of Chicago Press 1987, S. 65. 254 Ebd., S. 70. 255 So war für die brasilianische Anthropologin Alcida Ramos die Kautschukindustrie »responsible for much enslaving, uprooting, unrest, and death among Indian populations forcibly engaged in latex extraction.« Ramos: »Frontier Expansion and Indian Peoples in the Brazilian Amazon«, S. 84. 256 Gómez : »Amazonía Colombiana«, S. 191.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

reichlich Hinweise darauf geben, wie indigene Gesellschaften innerhalb nationaler Gesellschaften strukturiert sind, obwohl eine solche Literatur leider oft völlig blind für diese Art von Problemen war. Das Bild, das die Ethnographien vermitteln, lässt uns – trotz ihrer Fragmentierung und Unschärfe – eine Art von Beziehungen schätzen, deren kolonialer Charakter offenkundig ist.257 Diese Texte dienen hierbei zuallererst der Beleuchtung des geografischen und sozialen Kontextes, in dem die Kulturübersetzung erfolgte. Ferner dienen sie zur Positionierung des wissenschaftlichen Unternehmens innerhalb des lokalen sozialen Kontextes und nicht zuletzt auch als Berichte über die Epoche, deren Zeitzeugen die Autoren waren.258

Interner Kolonialismus und kolonialistisches Denken während der Feldforschung Anhand von Tagebuchauszügen und weiteren Materialien aus Theodor KochGrünbergs Expedition zum oberen Rio Negro möchte ich im Folgenden die Beziehung zwischen ethnologischer Feldforschung, dem in der Region herrschenden internen Kolonialismus und dem kolonialistischen Denken – das in den Gedanken und Urteile des Forschers auch präsent war – veranschaulichen.259 Es handelt sich hier oft um Situationen, denen sich der Ethnologe nicht entziehen konnte, denn dies hätte unter anderen seine Forschung verhindert. An dieser Stelle geht es mir nicht darum Koch-Grünbergs Urteilen und Entscheidungen zu beurteilen, sondern diese als Aspekte zu beleuchten, die auch zur ethnologischen Forschung als soziale Praxis gehörten. Seine Beziehung zu dem wichtigsten Kautschukhändler am oberen Rio Negro, Germano Garrido y Otero, zeigt, wie sich der Ethnologe und sein wissenschaftliches Unternehmen an die lokalen

257 »Me párece que la documentación etnográfica disponible –aunque tal literatura, por desgracia, haya sido con frecuencia completamente ciega a ese tipó de problemas– es abundante en indicios sobre la manera en que las sociedades indigenas se vertebran dentro de las sociedadés nacionales, y que el cuadro que paulatinamente nos revelan, a pesar de-ser –fragmentario y desdibujado, nos permite apreciar un tipo de relaciones cuya naturaleza colonial es evidente.« Bonfil Batalla : »El concepto de Indio en América«, S. 120. Meine Übersetzung. 258 Ethnologen können als eine Art Chronisten der damals herrschenden Bedingungen, unter denen die indigene Bevölkerung ausgebeutet wurde, betrachtet werden, denn ihre Texte bieten in vielen Fällen spezifische und detaillierte Informationen. Vgl. Kraus: »Testigos de la época del caucho«. 259 Auszüge dieses Unterkapitels erschienen bereits in Fernández Castro, Johanna: »Translation, Austausch und Handel in der ethnographischen Forschung: Zugänge zu einer Kulturgeschichte der Begegnung zwischen Ethnologen und Indigenen in der Amazonasregion«, in: Brendel, Benjamin, Corinne Geering und Sebastian Zylinski (Hg.): Perspektiven der Kulturgeschichte, Trier: VWT 2018, S. 95-111.

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sozialen Bedingungen anpassen mussten. Garrido y Oteros Haus im Ort São Felippe wurde aufgrund seiner Lage zum Stützpunkt von Koch-Grünbergs erster Expedition. Denn, wie der Ethnologe in seinem Tagebuch notierte, »[j]eden Monat geht von hier aus ein Batelão [eine Art Schleppkahn] zum Manáos Dampfer und holt Waren. […] die Hauptsache […] meine Sammlungen […] kommen sicher an«. Auf diese Weise bediente sich Koch-Grünberg der Kautschuktransportroute für seine Zwecke.260 Garridos Haus diente nicht nur als Lager und Stützpunkt der Expedition, er stellte darüber hinaus Koch-Grünberg Indigene als Arbeitskräfte zur Verfügung und war zum Teil für ihre Bezahlung zuständig.261

Karte 2: Handelsreiseroute von Miguel Pecil am oberen Rio Negro. Abzug aus Theodor KochGrünbergs Nachlass, Signatur ES Mr B.3.

Zweifelsohne war die Garrido Familie262 der wichtigste Kontakt bei seiner ersten Expedition und sollte sich ebenso als hilfreiche Adresse bei seiner zweiten Expedition erweisen.263 Ebenso nützlich war in dieser Hinsicht der syrische Kau260 Tagebucheintrag vom 7.9.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 261 Ausgestellte Rechnungen von Garrido an Koch-Grünberg während seiner Reise am oberen Rio Negro beweisen, dass ersterer einige Helfer der Expedition bezahlte. ES Mr A.1.1. 262 Salvador Garrido ist später »zum Prefeito (Polizeipräfekten) des oberen Rio Negro und seiner Nebenflüsse ernannt worden« Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 205. Über Garrido y Oteros Biografie und über seine Beziehung zur Koch-Grünberg vgl. Saake, Wilhelm S.V.D.: »Don Garrido und Dr. Koch-Grünberg«, in: Staden-Jahrbuch 9/10 (1961), S. 137141. 263 In einem Schreiben des Kaiserlichen Deutschen Konsulates in Manáos wird Koch-Grünbergs Beziehung zu Garrido bestätigt. »Durch die hiesige Firma Zarges, Ohliger & Cia. weis ich, dass ein gewisser Herr Germano Garrido y Otero, der am oberen Rio Negro wohnt und mit

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Abbildung 5: Kautschukarbeiter mit Kautschukballen. Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-A3-3a.

tschukhändler Miguel Pecil, von dem Koch-Grünberg eine Karte mit seinen Handelsrouten bekam. Diese diente vermutlich am Anfang der Expedition zum Vergleich mit anderen geografischen Informationen (Karte 2).264 Die Überlappung von Pecils Karte mit Koch-Grünbergs Reiseroute beweist erneut, dass in diesem Fall das geografische Wissen sowie die bereits etablierten Strukturen der Kautschukgewinnung und des Kautschukhandels von erheblicher Relevanz für sein wissenschaftliches Unternehmen waren. Seine Reiseroute orientierte sich hauptsächlich an Pecils Informationen. Koch-Grünbergs enge Beziehung zur Familie Garrido in São Felippe und sein Gebrauch der Strukturen und Dynamiken des Kautschukhandels vor Ort für seine wissenschaftlichen Zwecke eröffnen einen Blick in eine Mikrogeschichte der Beziehungen von Kautschukhändlern, Ethnologen und Indigenen, die nicht als Generalisierung intendiert ist, aber die Schlüsselaspekte der Kontaktzone zu erhellen ermöglicht. Am Ende seiner ersten Expedition am oberen Rio Negro hielt sich KochGrünberg auch in der Kautschuksiedlung La Libertad am unteren Apaporis (heute Kolumbien) auf, wo er etwa 10 Tage blieb. Dort führte er sprachliche Studien mit Uitoto, Miraña, Hianakoto und anderen Indigenen durch, die als »Sklaven« Dr. Theodor Koch-Grünberg sehr befreundet ist, an erwähnte Firma schrieb, […] dass er soweit absolut ohne jegliche Nachricht von Dr. Koch sei, obschon er an verschiedene Bekannte und Freunde die in venezolanischen Gebiet wohnen geschrieben und um Mitteilungen gebeten habe.« 31.1.1913. SMB-PK, EM. I B 44a. 264 ES Mr B.III. Zeichnungen.

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der Kautschukhändler dort lebten. Der Ethnologe nutzte hier die Gelegenheit, diese Menschen zu fotografieren und eine ›ergebnisreiche Sprachforschung‹ durchzuführen265 , bevor diese Menschen zum oberen Apaporis gebracht wurden, vermutlich um gezwungenermaßen als Kautschuksammler zu arbeiten.266 Angesichts dieser von der Rohstoffwirtschaft verursachten Herrschaftsverhältnisse in der Region trat eine Form von Kolonialismus zutage, die nicht nur von der Ansiedlung der neuen Einwanderer, sondern vor allem vom »Willen, ›periphere‹ Gesellschaften den ›Metropolen‹ dienstbar zu machen«267 , bestimmt wurde. Diese Ausprägung des modernen Kolonialismus in der Amazonas-Kontaktzone stellt einen Grenzfall der »Nicht-Kongruenz« zwischen Kolonien und Kolonialismus dar, nämlich einen Kolonialismus ohne Kolonien im eigentlichen Sinne. Zusammen mit dem Extraktivismus wird diese Form des modernen Kolonialismus als »interner Kolonialismus«268 bezeichnet. Beim internen Kolonialismus handelt es sich um ein »intranationales Phänomen«, das sich nach der politischen Unabhängigkeit von Spanien bzw. Portugal manifestierte. Als die herrschende europäische Klasse verschwand, drängten die Repräsentanten der herrschenden inländischen Klasse als Protagonisten der Unterdrückung in den Vordergrund: Militärs, Händler, Großgrundbesitzer usw. Die »elite criolla« lehnte Europa einerseits als Kolonialmacht ab, andererseits behielt sie jedoch den Lebensstil, die Traditionen, und die Weltanschauung269 der Ex-Kolonie bei. In der Amazonasregion herrschte die Ausbeutung der unterdrückten Bevölkerung durch andere Inländische (indigene und nicht-indigene), aber auch durch dort angesiedelte Ausländer vor, welche aufgrund ihrer Machtposition, zum Beispiel als Kautschukhändler oder Mitglieder der Militärinstitutionen, zur Elite gehörten.270 Zu dieser komplexen gesellschaftlichen Konstellation gehörten – wenn auch nur zeitweilig – auch Ethnologen und

265 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 300. 266 Die Region um die Flüsse Vaupés und Apaporis war gegen 1904 das Zentrum der Kautschukgewinnung und des Kautschukhandels im kolumbianischen Vaupés. Aufgrund der gewalttätigen Konfrontationen zwischen Kautschukhändlern und der indigenen Bevölkerung war diese Zone, als Koch-Grünberg sie besuchte, fast unbewohnt. Vgl. Hugh-Jones, Stephen: »Historia del vaupés«, in: Maguaré 1 (1981), S. 29-51. 267 Osterhammel: Kolonialismus, S. 19. 268 Ebd., S. 21f. 269 Porto-Gonçalves, Carlos Walter und Pedro de Araújo Quental: »Colonialidade do poder e os desafios da integração regional na América Latina«, in: Polis 31 (2012), URL: http://polis. revues.org/3749. Letzter Zugriff am 31.5.2019. 270 Diese Art Kolonialismus ist kennzeichnend nicht nur für die Beziehungen der Eliten zu den Indigenen, sondern auch für die der deutschen Kolonisten bzw. Siedler zu letzteren. Denn zu dieser Elite gehörten, besonders im Süden Brasiliens, auch deutsche Einwanderer. Im Anschluss an Sebastian Conrad ging »[d]ie Etablierung bäuerlicher Siedlungen durch deutsche Migranten […] mit der meist gewaltsamen Expropriation der indianischen Bevölkerung einher«. Conrad: Globalisierung und Nation, S. 259.

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andere europäische Wissenschaftler. Der Kontakt zu Repräsentanten der Macht wie Kautschukhändlern, Siedlern (unter ihnen viele Deutsche), Militärs und Missionaren war notwendig, um mit der indigenen Bevölkerung interagieren zu können und um Hilfskräfte und Tauschartikel zu bekommen, was nicht zuletzt die wissenschaftlichen Unternehmen enorm begünstigte. Der interne Kolonialismus kann als eine der materiellen Ausdrucksformen der Kolonialität der Macht betrachtet werden.271 Eine Differenzierung zwischen Kolonialität der Macht und Kolonialität des Wissens, die bereits anhand der ethnografischen Feldforschung und Repräsentation beleuchtet wurde, dient heuristischen Zwecken. Beide Formen der Kolonialität sind komplementär und umfassen die Präsenz aller Arten von Akteuren – staatliche, institutionelle, wissenschaftliche und natürlich lokale. Die Kolonialität wird als Kontinuität des sozialen Verhältnisses zwischen Modernität und Kolonialität verstanden, ein Verhältnis, das mit dem Ende des politischen Kolonialismus nicht verschwunden ist. Obwohl die Opposition Modernität versus Kolonialität auf den ersten Blick eine Dichotomie voraussetzt, in der ein asymmetrisches Verhältnis vorherrscht, befinden sich beide Dimensionen nicht in einem Verhältnis der Opposition, sondern in einer komplementären Beziehung.272 Diese komplementäre Beziehung setzt wiederum eine simultane Präsenz mehrerer Akteure voraus, die in asymmetrischen Verhältnissen interagieren. Diese Gleichzeitigkeit und die asymmetrischen Beziehungen, die sie charakterisieren, manifestieren sich aus der Perspektive der Kontaktzone. In dieser kommt die Kolonialität nicht im Verhältnis zwischen fremdem Staat und kolonialisierter Bevölkerung zum Ausdruck, sondern im Verhältnis zwischen den Wissenschaftlern und der lokalen Bevölkerung der Amazonasregion, wobei insbesondere den Indigenen in ihrer Funktion als ›Forschungsobjekt‹ eine wichtige Rolle zukommt. Eine konkrete Herangehensweise an die Kolonialität konnte im vorherigen Abschnitt anhand von ethnografischen Texten beobachtet werden, in denen ein bestimmtes Wissen sowie bestimmte, durch die Verwendung der Kategorien ›Natur‹, ›Kultur‹ und ›Rasse‹ gekennzeichnete Repräsentationsformen und Machtstrategien

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Das in den 1970er Jahren entwickelte Konzept des internen Kolonialismus in Südamerika wurde verwendet, »um das scheinbar paradoxe Verhältnis der unabhängigen Staaten zu ihren kolonialisierten Bevölkerungen zu charakterisieren«, dennoch erkennt man dabei, so Anibal Quijano, »Probleme der Kolonialität, die weit über das institutionelle Gefüge des Nationalstaates hinausgehen«. Quijano: »Colonialidad del poder, eurocentrismo y América Latina«, S. 234. 272 So wird argumentiert, dass die europäische Moderne, als europäisches Narrativ, das mit der Renaissance und der Aufklärung entstand, ohne die Existenz der Kolonialität, die es aufrechterhielt, nicht entstanden wäre. Vgl. Mignolo: »Kolonialität. Die dunkle Seite der Moderne«; Mignolo, Walter: Local Histories/Global Designs. Coloniality, Subaltern Knowledges, and Border Thinking, Princeton, New Jersey: Princeton University Press 2012; Lander/Castro-Gómez (Hg.): La colonialidad del saber.

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in den Vordergrund treten, die bei der Konstruktion und Beherrschung von unterdrückten Forschungssubjekten eingesetzt wurden. Dieses bestimmte Denken über die ›Anderen‹ ist, wie bereits erwähnt, als »kolonialistische[s] Denken« aufzufassen.273 In Folgendem sollen die drei Hauptmerkmale, durch welche, nach Jürgen Osterhammel, sich das kolonialistische Denken auszeichnet, am Beispiel der Beziehung zwischen lokalen Akteuren und Ethnologen illustriert werden: 1) Die Konstruktion niederwertiger »Andersartigkeit«, zum Beispiel durch bestimmte Repräsentationsformen und Produktion von Wissen über den ›Anderen‹; 2) den Glauben an die Vormundschaftspflicht der Europäer den »Bewohnern der Tropen« gegenüber und 3) die Rechtfertigung, Europäer seien für die Beseitigung und Strukturierung des »Chaos« der außereuropäischen Bevölkerung zuständig.274 In der Amazonasregion im Allgemeinen und im besonderen Fall der Konstellation Kautschukhändler – Ethnologen – indigene Kautschuksammler treten diese Merkmale nicht selten zutage. Die niederwertige Andersartigkeit als erstes Merkmal des kolonialistischen Denkens manifestierte sich in der Amazonasregion sowohl während der kolonialen als auch in der postkolonialen Epoche. Die Erniedrigung der indigenen Bevölkerung wurde durch die vom Evolutionismus und Darwinismus geprägten Stereotype des Indigenen als ›wild‹ und ›primitiv‹ verstärkt. Diese Stereotype dienten als »Rechtfertigung für die Herrschaft [über] und Ausbeutung« der Indigenen (aber auch anderer Bewohner der Region), denn für die herrschende Klasse der Region waren die Indigenen ein Teil der ausgebeuteten »natürlichen Ressourcen, so wie der Kautschuk selbst«275 . Die Überheblichkeit des Forschers, die nicht als Persönlichkeitsmerkmal, sondern als Zeichen der Kolonialität zu verstehen ist, lässt sich anhand seiner Einstellung der indigenen Bevölkerung gegenüber aufzeigen: Die Makú am Tiquié werden von den anderen Stämmen wie Tiere verkauft: – Ich gedenke mir dort einen tüchtigen Jungen und Ruderer für die Yapurá-Tour und den Purús-Ucayali-Reise für eine Flinte oder etwas Ähnliches zu erhandeln. […]

273 Osterhammel: Kolonialismus, S. 113.S. Aus postkolonialer Sicht spricht man eher vom kolonialen Diskurs als »the body of knowledge, modes of representation, strategies of power, law, discipline, and so on, that are employed in the construction and domination of ›colonial subjects‹« Niranjana: Siting Translation, S. 7. 274 Osterhammel: Kolonialismus, S. 115f. 275 »La imágen estereotípica del indio salvaje construida por el evolucionismo y el Darwinismo social en Occidente fue utilizada como justificación de la dominación y explotación occidental: para muchos patronos los indios eran un recurso más, como el caucho mismo, a explotar«. Meine Übersetzung. Ullán de la Rosa, Francisco Javier : »La era del caucho en el Amazonas (1870-1920) : Modelos de explotación y relaciones sociales de producción«, in : Anales del Museo de América 12 (2004), S. 183-204, hier S. 194.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Die Makú sagt der Alte [Germano Garrido], seien intelligenter wie die anderen Stämme, worauf man schon aus ihren lebhaften Augen schliessen kann.276 Die herrschenden Diskurse der Ausbeutung und Diskriminierung in der Region durchdringen auch die Haltung des Forschers. Was auf den ersten Blick als ein Urteil über den damaligen Menschenhandel erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen vielmehr als Koch-Grünbergs Rechtfertigung dafür, dass er von diesen Verhältnissen auch profitieren kann. Die Makú-Jungen wurden in diesem Kontext ja als Sklaven behandelt und gehandelt, was aus europäischer Sicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwar verwerflich war, unter diesen Umständen aber dennoch für die ethnologische Forschung von Nutzen sein konnte. Von Bedeutung ist dabei, dass diese Jungen gegen Waren getauscht wurden und somit unmittelbar als niederwertig eingestuft wurden. Ferner waren sie für die Anforderungen der Reise geeignet. Hierbei spielte Germano Garrido y Otero erneut eine Rolle, denn mit seinen Hinweisen auf die »Intelligenz« dieser Menschen begründete der Ethnologe seine Idee, einen Jungen für seine Reise zu kaufen. Auf diese Weise nahm der Forscher die indigene Bevölkerung nicht nur als ›Naturkinder‹ und ›unberührte Indianer‹ wahr, die es zu fotografieren und zu befragen galt, sondern auch als ein Mittel (bzw. eine Ware), das sich der Ethnologe leisten konnte, um seine Ziele zu erreichen. Seine privilegierte Position wird nicht nur dadurch bestätigt, dass er – von dem bereits erwähnten Nullpunkt aus – andere repräsentieren durfte, sondern auch dadurch, dass er mit den Gedanken spielte andere zu besitzen. Es lässt sich nicht überprüfen, ob der Kauf der Indigenen tatsächlich erfolgte. Für die Erklärung der Kolonialität während der Feldforschung genügt es jedoch auch, darauf hinzuweisen, dass die Absicht bestand, vom Menschenhandel zu profitieren. Koch-Grünberg ist – wie die anderen Amazonas-Ethnografen der damaligen Zeit – in die Kategorie des Bildungsbürgers277 um die Jahrhundertwende eingeordnet worden. Diese Tatsache könnte hilfreich sein, um seine Wahrnehmung und spätere Darstellung der Indigenen in Deutschland zu verstehen. Die Kategorie des Bildungsbürgerturms als »gesellschaftliche Realität« und als »analytische Konstruktion späterer Historiker«278 dient zur Positionierung der deutschen Ethnologie im Kaiserreich in einem bestimmten historischen Kontext, der von bestimmten/r »Wertungen, Mentalität und ›Kultur‹« gekennzeichnet war.279 Es handelte sich um die gebildete Mittelklasse, für die individuelle Leistung, Arbeit, Bildung und Familie die Achsen ihrer Gesellschaft waren, welche erst nach dem Ersten

276 Tagebucheintrag vom 29.8.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 277 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 418ff. 278 Kocka, Jürgen: »Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert«, in: Kocka, Jürgen (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1987, S. 21-63, hier S. 37. 279 Ebd., S. 43.

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Weltkrieg, der Inflation, der Depression der 1920er Jahre und dem Faschismus in Frage gestellt wurden.280 Die Beziehungen zu den Indigenen vor Ort und deren Repräsentationen in den folgenden Forschungsberichten waren, in Anknüpfung an Peter Brenners Überlegungen, »geprägt von persönlichen Dispositionen des Reisenden, die sich kristallisieren in seinem Bildungsstand, seinen Vorkenntnissen, seinen Interessen und seiner allgemeinen Wahrnehmungsfähigkeit«.281 Bestimmte Aspekte des Bildungsbürgerturms umfassen nicht nur den Bildungsstand, sondern auch die Vorkenntnisse und das eigene Interesse des Forschers, daher können die Beurteilung der Indigenen und der Umgang mit ihnen im Laufe der Expedition durch den Filter der Kategorie des Bildungsbürgerturms analysiert werden. Dennoch waren die Bedingungen vor Ort viel komplexer und die Gedanken und Urteile des Forscher zeigen, dass es einen ständigen Konflikt zwischen einem »Wissensideal des Bildungsbürgers«282 und der Realität vor Ort gab. Das zweite Merkmal, der Glaube an die Vormundschaftspflicht der Europäer den »Bewohnern der Tropen« gegenüber, gehört seit der kolonialen Epoche zur Geschichte der Region. Die Existenz der Indigenen wurde hauptsächlich als ein Problem bzw. als eine zu lösende Frage betrachtet. Die sozioökonomische Ungleichheit der Indigenen ist demzufolge hinter einem angeblichen ethnischen Problem verborgen, das auf Rassismus beruht.283 Als Lösung für dieses Problem wurde beispielweise in Brasilien vorgeschlagen, jene indigene Gemeinschaften, die Widerstand leisteten, zu vernichten und die ›friedlichen‹ Gemeinschaften zu ›zivilisieren‹, damit sie als Arbeitskräfte genutzt werden konnten.284 Die Vormundschaft wurde von Bürgern der jeweiligen Länder ausgeübt, die vom Wohngebiet der Indigenen als Grundbesitz profitierten, denn im 19. Jahrhundert war die ›Indianerfrage‹ nicht nur eine Strategie, um billige Arbeitskräfte zu bekommen, sondern vor allem auch, um das Land der Indigenen zu enteignen.285 Die Annahme, dass die Indigenen wie Kinder seien, begründete die Idee, sie würden sich allmählich der Zivilisation anpassen. Ihr Status als Unmündige machte sie zum Objekt der Ausbeutung in der Amazonasregion. Für ihren Wohlstand und die Erhaltung ihrer Wohnorte hatten die neuen Republiken keine Garantien gegeben.

280 Ebd., S. 45. 281 Brenner, Peter J.: Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, S. 27. 282 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 469. 283 Vgl. »El Problema del Indio« en Mariátegui, José Carlos : 7 Ensayos de interpretación de la realidad peruana, Lima : Biblioteca Amauta 1928. 284 Carneiro da Cunha, Manuela: »Política Indigenista no Século XIX«, in: Dies. (Hg.): Historia dos Indios no Brasil, Sao Paulo: Companhia das Letras/Secretaria Municipal da Cultura: FAPESP 1992, S. 133-154, hier S. 134. 285 Ebd., S. 133.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Der Glaube an die Vormundschaftspflicht der Europäer kann anhand der Beziehung des »Besitzers« der Içana-Region,286 Garrido y Otero, zur indigenen Bevölkerung veranschaulicht werden. Koch-Grünberg erwähnt, dass Arbeitskräfte für die »Ruderboote und die Ausbeutung der Kautschukwälder« das ganze Jahr erforderlich waren, Arbeitskräfte, »die für São Felippe in erster Linie der untere Içána stellt«287 , oder, genauer gesagt, die Arbeitskräfte bestanden hauptsächlich aus Indigenen vom unteren Içana. Diese standen »zum Hause Garrido in einer Art Schuldsklavenverhältnis, das am ganzen Rio Negro von den weißen Grundbesitzern und Händlern gegenüber den Eingeborenen angewendet wird«288 . Obwohl Garrido laut Auskunft von Koch-Grünberg und Zeitzeugnissen der Ethnohistorie der Region289 nicht zu den gewalttätigen Kautschukbaronen der Region gehörte, nutzte er die herrschenden Umstände aus und führte die indigenen Bewohner in die Schuldknechtschaft. Koch-Grünberg war sich der Tatsache bewusst, dass dieses »System der Schuldsklaverei vom rein moralischen Standpunkte aus »gewiß [sic!] zu verwerfen«290 sei. Damit vertrat der Ethnologe eine Meinung, die man heutzutage angesichts der Geschichte der Region und der Folgen dieses Systems nur unterstützen kann. Seine Meinung war allerdings ambivalent und widersprüchlich, denn die Schuldsklaverei bedeutete für ihn ein »notwendiges Übel, um überhaupt Arbeitskräfte zu bekommen, und hat seinen Grund in der Indolenz der Indianer und ihrem Widerwillen gegen ungewohnte Arbeit«.291 Somit positionierte sich der Ethnologe einerseits gegen die Schuldknechtschaft, andererseits glaubte er aber insofern an die Minderwertigkeit der Indigenen, als ihre ›Indolenz‹ und ihr ›Widerwille‹ als charakteristische Merkmale ihrer ›Natur‹ als ›Indianer‹ galten. Diese vorgegebene ›Natur‹, die nicht unhinterfragt bleibt, lässt sich auf Rousseaus Postulat von der Ungleichheit der Menschen zurückführen.292 Der Ethnologe rechtfertigt Garridos Tätigkeit darüber hinaus, indem er auf dessen »ausgeprägte[n] Gerechtigkeitssinn« hinweist und indem er dessen Beziehung zu den Indigenen mit der eines Vaters zu seinen Kindern vergleicht293 , was besonders deutlich wird, wenn Koch-Grünberg die körperliche Bestrafung der Indigenen als gerechtfertigte Erziehungsmaßnahme betrachtet: »Salvador [Garrido] peitschte einen Indianer. Ein vorzüglicher Remedio! [sp. Heilmittel] – Es regnet.«294 Die Tatsache, dass er zumindest in ähnlichen Kategorien dachte wie Wright: Cosmos, Self, and History, S. 82f. Nach Aussage von Garridos Großenkel. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 32f. Ebd., S. 33. Vgl. Wright: Cosmos, Self, and History. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 33. Ebd., S. 34. Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, Stuttgart: Philipp Reclam 1998 [1755], S. 46ff. 293 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 33. 294 Tagebucheintrag vom 3.9.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1.

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jene Kautschukhändler, die Menschen misshandelten, tritt in Krisenmomenten während der Feldforschung offen zutage. So ließ er zum Beispiel, als er unsicher über den Fortgang seiner Reise war, weil er keine Antwort von seinem Vorgesetzten Karl von den Steinen bekommen hatte, seinen Ärger an den Indigenen aus und schrieb in sein Tagebuch: »es ist eine grässliche faule Bande hier; wenn die Kerls mir gehörten, ich würde die auspeitschen lassen, bis ihnen das faule Fleisch in Fetzen vom Leib hing! Hier passt nur das System ›Sklavenhalter‹!« Später korrigierte er »*Dummes Zeug! Tropenkoller und Steinenkoller«295 . Diese Gedanken wurden nicht in die Tat umgesetzt, dennoch lassen sich hier Muster und Kategorien des damaligen kolonialistischen Denkens identifizieren. Koch-Grünberg erkennt in diesen Äußerungen überdies die Vormundschaftspflicht der Kautschukhändler an, denn angesichts der Verhältnisse in der Region wurde die indigene Bevölkerung als unfähig betrachtet, für sich selbst zu sorgen oder sich vor den gewalttätigen Kautschukhändlern zu schützen.296 Don Germano Garrido y Otero, ein geborener Nordspanier, führt hier ein strenges, aber gerechtes Regiment. Das ganze kleine Gemeinwesen mit seinen sauberen, freundlichen Häuschen, die von Germano und seinen beiden ältesten Söhnen mit ihren Familien bewohnt werden, glänzt von Ordnung und Wohlstand […]. Die vorgelagerte, riesige Sandbank […] bietet in ihrer blendenden Reinheit gewissermaßen ein Sinnbild des ganzen Ortes und des Charakters seiner Bewohner.297 Der hier vermittelte Eindruck könnte positiver nicht sein. Sowohl der Ort als auch die Menschen repräsentieren Sauberkeit, Freundschaft, Ordnung, Wohlstand und Reinheit. Diese Eigenschaften kontrastieren mit dem Eindruck des Ethnologen von dem vorher besuchten Ort São Gabriel, »die »Hauptstadt« des oberen Rio Negro, […] ein erbärmliches Nest, fast ohne Einwohner. Die Häuser sind zum großen Teil verlassen und liegen in Ruinen«.298 Was São Gabriel und São Felippe gemeinsam haben, wird von Koch-Grünberg nicht reflektiert; die beiden Orte stellen die zwei Seiten der damaligen Lebensverhältnisse am oberen Rio Negro als Resultat des Kautschukhandels dar. Nun sieht Koch-Grünberg aber die Präsenz von Kautschukhändlern wie Germano Garrido in São Felippe als »Rechtfertigung, Europäer seien für die Beseitigung und Strukturierung des ›Chaos‹ der außereuropäischen Bevölkerung zuständig«299 . Für Koch-Grünberg ist Garridos Tätigkeit gerechtfertigt, weil diese die indigene Bevölkerung zur nötigen Arbeit zwingt. 295 28.5.1904. ES Mr B.I.2. Heft 5. 296 Saõ Felippe und Garrido y Oteros Präsenz in der Gegend kommentierte Koch-Grünberg wie folgt: »Da sieht man, was ein Gutes und strammes Regiment aus diesen Leuten machen kann« Tagebucheintrag vom 28.8.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 297 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 30f. 298 Ebd., S. 27. 299 Osterhammel: Kolonialismus, S. 115f.

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Der Ethnologe Robin Wright erwähnt in seiner Studie zur Geschichte der Region, dass es zu Zeiten von Koch-Grünbergs Expeditionen zwei Formen der Ausbeutung gab, welche die Beziehungen zwischen den Indigenen und ihren Patronen kennzeichneten. Die eine Form war von Gewalt geprägt. Indigene Gruppen wurden im Auftrag von Kautschukhändlern und manchmal mit Unterstützung des Militärs verfolgt und zum Kautschukanbau gezwungen.300 Die andere Form zeichnete sich durch die Kreditvergabe und die bereits erwähnte Schuldknechtschaft aus.301 Garrido y Otero gehörte nach Wrights und Koch-Grünbergs Aussagen nicht zu den gewalttätigen Händlern, dennoch offenbarte seine paternalistische Haltung den Indigenen gegenüber nur eine andere Form des Menschenhandels. Koch-Grünberg äußerte sich über Garridos Mitgefühl für die versklavten Indigenen, deren Schulden letzterer bezahlte.302 Als Zeichen ihrer Dankbarkeit mussten die ›befreiten‹ Menschen weiter für Garrido arbeiten. Auf diese Weise wurden, in Anlehnung an Augusto Gómez’ Studie zum Kautschukhandel in der Region, »manchmal sowohl Menschenhandel als auch Unterwerfung und Gefangenschaft in paternalistischen und servitären Beziehungen sowie unter der vermeintlichen Legalität der Zahlung von Schulden an Geschäftsleute und Händler getarnt«.303 Die Geschäfte zwischen den Kautschukhändlern und die Dynamiken des Handels führten dennoch zu Konflikten und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen indigenen Gemeinschaften, welche Mitglieder anderer Gruppen entführten und sie den Kautschukhändlern im Tausch gegen Waren anboten. Einige Gemeinschaften hatten bereits zu Zeiten der portugiesischen Okkupation Menschen entführt und diese den Portugiesen als Sklaven im Tausch gegen im Voraus angezahlte Waren verkauft.304 Die Kreditvergabe wie auch der Sklavenhandel mit den ›Weißen‹ waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Amazonasregion keine neuen Phänomene.305 Die Kautschukhändler bedienten sich jedoch dieser bereits etablierten Formen des Menschenhandels und förderten sie weiter. Der starke Gebrauch von Alkohol, die Ausübung von extremer Gewalt und die Konflikte zwischen den Kautschukhändlern trugen ferner zur Destabilisierung der interethnischen Beziehungen in der Region bei.

Wright, Robin M.: Cosmos, Self, and History, S. 220. Wright: Cosmos, Self, and History, S. 220. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 34. »En ocasiones, tanto la trata humana como la sujeción y el cautiverio se han camuflado en relaciones paternalistas y de servidumbre, lo mismo que bajo la aparente legalidad del pago de deudas a empresarios y comerciantes«. Meine Übersetzung. Gómez López: Putumayo, S. 33. 304 Cipoletti, María Susana : »Lacrimabili statu : esclavos indígenas en el Noroeste Amazónico (siglos XVII-XIX)«, in : Revista de Indias 55/205 (1995), S. 551-571, hier S. 555. 305 Auf die Vorherrschaft des Kreditsystems in der Amazonasregion hatte bereits 1853 der britische Naturforscher Alfred Russell Wallace hingewiesen. Wallace: A Narrative of Travels on the Amazon and Rio Negro, S. 139, 144, 263. 300 301 302 303

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Koch-Grünberg war Zeuge eines Konflikts zwischen einem Kautschukhändler und dem brasilianischen Leutnant Ibira-Puytang. Letzterer nutzte seinen Rang aus, um Kautschukgeschäfte zu treiben. Zu der Zeit, als Koch-Grünberg sich bei Garrido y Otero aufhielt, verursachte Ibira-Puytang Unruhen bei den Indigenen und bei den Kautschukhändlern, indem er einen Durchgangszoll für die mit Kautschuk beladenen Boote an der Grenze zwischen Venezuela und Brasilien beanspruchte. Garrido y Otero und andere Kautschukhändler wollten natürlich keinen Zoll für den Kautschuk bezahlen, der nach Manaus transportiert werden sollte. Solche Arten von Konflikten zwischen Kautschukhändlern waren nicht selten und verursachten in vielen Fällen extreme Gewaltanwendung, die vor allem die Kautschuksammler traf. Koch-Grünberg befürchtete infolge dieser Auseinandersetzungen auch negative Konsequenzen für seine Reise, denn obwohl er nicht direkt darin involviert war, förderte der Konflikt mit dem Leutnant die Unruhe bei den Indigenen, die er später besuchen wollte. Obwohl der Ethnologe nicht direkt in den Konflikt verwickelt war, lässt sich feststellen, dass er sich auf Garridos Seite stellte. Die negativen Konsequenzen, die diese Auseinandersetzungen für sein Projekt haben konnten, zwangen ihn, mit dem Gedanken zu spielen, selber eine Lösung zu finden, wie er in sein Tagebuch schrieb: »Ich für meinen Teil würde mir ein Vergnügen daraus machen, dem Kerl [Ibira-Puytang] eine Kugel durch den Kopf zu schiessen«.306 Auf diese Weise zeigt sich, dass der Ethnologe seine Rolle als neutraler Wissenschaftler in realen sozialen Konflikten aufgeben musste und sich rasch in die Machtspiele der Kautschukhändler hineinziehen ließ. Das Changieren zwischen seinen moralischen Urteilen und der Notwendigkeit, die Indigenen mittels ihrer Schuldknechtschaft als Arbeitskräfte für das wissenschaftliche Unternehmen zu nutzen, zeigt auf der einen Seite, dass der Ethnologe seinen Unterstützern loyal gesinnt war, auch wenn sich seine Meinung über die Schuldsklaverei im Allgemeinen anders gestaltete. Auf der anderen Seite spiegelt Koch-Grünbergs Einstellung den Fortschrittsdiskurs der Kolonialität wider, denn er nutzte ebenso wie Garrido die herrschenden Umstände aus und erkannte, dass er abhängig von den »hohen Herren«307 der Region, wie er Kautschukhändler wie Garrido nannte, war, um überhaupt in der Gegend reisen zu dürfen und Kontakt mit den Indigenen aufnehmen zu können. Obwohl er an mehreren Stellen eine kritische Haltung gegenüber der Abhängigkeit von den Kautschukhändlern zum Ausdruck brachte, waren seine Beziehungen zu ihnen meistens freundlich.308 KochGrünbergs Aussagen über seinen Mäzen gingen aber weit über die bloße Dank306 Tagebucheintrag vom 8.9.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 307 Schreiben von Koch-Grünberg an Karl von den Steinen vom 28.8.1903. ES Mr B.IV. Feldpost. 308 In einem Brief an seinen Vorgesetzten Karl von den Steinen erwähnte er seine Beziehung zu den »hohen Herren«, sie »zeigen dem Forschungsreisenden das grösste Entgegenkommen, man geniesst bei ihnen eine unbeschränkte und liebeswürdige Gastfreundschaft, so lange man will oder, besser gesagt, – solange man muss«. Koch-Grünberg an Karl von den Steinen

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

barkeit hinaus. Seine persönliche Beziehung zu Garrido mag sein Werturteil beeinflusst haben, denn der Ethnologe schätzte dessen Gastfreundschaft sehr.309 Im Gegensatz dazu bietet beispielsweise Robin Wrights Studie zur Ethnohistorie der Region einen anderen Blick auf Garridos Rolle, insofern die Aufmerksamkeit auf seine Macht in der Region gelenkt wird: »Garrido set up a sort of feudal system in the region, with hundreds of Baniwa at his service«310 und »[w]hile he sent his sons with Indians of the Içana to rubber camps on the upper Rio Negro or lower Uaupés, Garrido controlled traffic and shipment of rubber to export firms in Manaus, the principal one being J. G. Araújo«311 . Das Verhältnis des Ethnologen zu den Kautschukhändlern entwickelte sich als eine Art Freundschaft, deren Resultat die Verbreitung der Nachricht, KochGrünberg sei der »Doktor aus São Felippe, der Freund der Indianer« in der Gegend war;312 dies sollte die zukünftigen Begegnungen des Ethnologen mit den Indigenen um einiges erleichtern, insbesondere aufgrund seiner guten Beziehung zu dem Herrn der Region. Dass eine gute Beziehung zu den lokalen Machthabern wesentlich war, um seine Ziele zu erreichen, war dem Ethnologen bewusst. Garrido war demzufolge nicht nur jemand, der die materiellen Mittel hatte, um Koch-Grünbergs Unternehmen zu erleichtern. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht kontrollierte er zusammen mit seinen Söhnen »the instruments of power and force in the region, that is, the police and military at the Fort of São Gabriel at the mouth of the Uaupés River«313 . Dies erklärt, warum auch weitere mächtige Akteure, wie z.B. Kautschukhändler, Inspektoren oder Häuptlinge, die mit Garridos Familie zusammenarbeiteten, Koch-Grünberg unterstützten. Die ausführliche Schilderung der Beziehung zwischen Koch-Grünberg und den lokalen Kautschukhändlern ist exemplarisch für eine Kontextualisierung des sozialen Feldes, in dem Kulturübersetzung als interaktive Praxis erfolgte: die ethnologische Feldforschung in der Amazonas-Kontaktzone. In Einklang zu Michael Kraus, konnte veranschaulicht werden, dass »ein ›freundschaftlicher Kontakt‹ zu den lokalen Machthabern […] eine unumgängliche Voraussetzung für die Ermöglichung einer Forschungsreise sein [konnte] und gleichzeitigt den Wissenschaftler auf die

28.8.1903. ES Mr B.IV. Feldpost. Hervorhebung im Original. Vgl. auch Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 34. 309 »Der Alte ist wirklich ein reizender Herr, voll Freundlichkeit und Aufmerksamkeit«. Tagebucheintrag vom 28.8.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 310 Wright: Cosmos, Self, and History, S. 110. 311 Ebd., S. 221. Die Firma der Araujo Familie war unter anderem auf den Export von Rohstoffen aus dem Amazonasgebiet spezialisiert. Vgl. Antunes, André Pinassi, Glenn H. Shepard Jr. und Eduardo Martins Venticinque: »O comércio internacional de peles silvestres na Amazônia brasileira no século XX«, in: Boletim do Museu Paraense Emílio Goeldi 9/2 (2014), S. 487-518. 312 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 231. 313 Wright: Cosmos, Self, and History, S. 221.

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Seite derjenigen stellen [konnte], die die Rechte und Interessen der Indianer offensichtlich verletzten«314 . Die Natur dieser Beziehung ermöglicht ein besseres Verständnis der Dynamiken der Kontaktzone und der Rollen der Ethnologen dabei. Sie haben ambivalente Positionen eingenommen, die sich durch ihre persönlichen und beruflichen Interessen auszeichneten, wobei die Durchführung einer objektiven Wissenschaft im Vordergrund stand. Es lässt sich argumentieren, dass im Rahmen der ethnologischen Forschung die Objektivität und Neutralität der Forscher weitgehend notwendig war, da die Einmischung lokaler politischer und sozialer Fragen ihre wissenschaftliche Karriere sehr negativ hätte beeinflussen können. Der Beweis dafür ist der folgende Fall, der zeigt, dass auch eine kritische Haltung gegenüber Missbrauch der indigenen Bevölkerung möglich war. Auch wenn dies das Ende der Karriere als Ethnologe bedeuten konnte.

Ethnologie als (nicht) neutrale Wissenschaft: Der Fall Albert Fričs Veröffentlichte und unveröffentlichte ethnografische Texten berichten von der sozialen Lage der Kontaktzone. Explizit, aber auch zwischen den Zeilen, zeugen diese Quellen von Kautschukhandel, Menschenhandel, sozialer Ungleichheit und Unterdrückung im Allgemeinen. In dieser Hinsicht ist es legitim, die hier untersuchten ethnografischen Texte als eine Art »Chroniken« der damaligen Zeit in der Region zu betrachten. Ethnografische Texte weisen, um mit Alexandra Przyrembel zu sprechen, genauso wie Reiseberichte auf die soziale Praxis der Zeugenschaft315 hin. Diese lässt die Ethnologen als »Mitwisser« erkennen, denn Theodor KochGrünberg, Konrad Theodor Preuss316 und weitere europäische Forschungsreisende waren eben nicht nur Forscher, sondern auch Zeugen der Ausbeutung der Indigenen in der Region, zumal ihre Forschungen (indirekt) beispielsweise von der vom Kautschukgeschäft entwickelten Infrastruktur und den dadurch etablierten sozialen Verhältnissen profitierten. In der Folge waren sie »mehr als nur Forschende«317 . Diese Argumentation erweist sich als relevant, um Kulturübersetzung als interaktive Praxis in der ethnologischen Forschung weiter zu veranschaulichen, denn im 314 315

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Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 359. Obwohl es sich hier um ein anderes soziales Phänomen handelt, erweist sich Alexandra Przyrembels Auffassung von Zeugenschaft als sozialer Praxis in Bezug auf den Sklavenhandel, dessen Zeugen europäische Forscher waren, als fruchtbar für ein Verständnis der Position der deutschen Ethnologen in der hier behandelten Kontaktzone. Przyrembel: »Empire, Medien und die Globalisierung von Wissen im 19. Jahrhundert«, S. 213f. Konrad Theodor Preuss stand in Verbindung zu dem Kautschuksammler Leonardo Cabrera, der sein Kontaktmann zu den Uitoto war. In Preuss’ Texten über seinen Aufenthalt bei den Uitoto sind die Informationen über Cabrera sehr knapp gehalten. Mehr über die Kautschuksammler in der Caquetá Region (Kolumbien) schildert der autobiografische Roman Uribe Piedrahíta, César: TOÁ. Narraciones de Caucherías, Manizales: Arturo Zapata 1933. Przyrembel: »Empire, Medien und die Globalisierung von Wissen im 19. Jahrhundert«, S. 214.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

Zuge dessen müssen sowohl die Rolle der Ethnologen als auch ihre Verantwortung als Wissenschaftler, die an der sozialen Dynamik der Kontaktzone beteiligt waren, genauer analysiert werden. Ethnologen waren in der Kontaktzone keineswegs isolierte Einheiten mit keiner anderen Funktion als zu forschen. Ihre Präsenz sollte vielmehr als in das soziale Gefüge der besuchten Region eingebettet verstanden werden. Daraus folgt, dass ihr Handeln durch die Machtverhältnisse, in denen sie sich befanden, beeinflusst und eingeschränkt wurde. Da Ethnologen nicht als Journalisten oder Chronisten unterwegs waren, sondern als Forscher, wurden ihre Positionierung und ihr Handeln nicht nur von ihrer Methode, im Rahmen der Beweisführung ausschließlich objektive Fakten, die auf empirischer Evidenz basierten, gelten zu lassen, sondern auch von ihrer angeblichen Neutralität bestimmt318 . Denn auch wenn die Feldforschung (»als Ethos der empirischen Forschung«) und die aktive Teilnahme einiger Forscher am Leben der untersuchten Gemeinschaften ihre subjektive Meinung und eventuell auch ihre Vermittlerrolle zwischen Unterdrücker und Unterdrückten förderte und dadurch die »wissenschaftliche Neutralität« aufs Spiel zu setzen drohte, »zwang ihre Verankerung in den Strukturen der Universität die Ethnologen, die Praxis der Ethnographie innerhalb der normativen Prämissen der Wissenschaft aufrechtzuerhalten«319 . Die Schnittstelle zwischen Vermittlung und Neutralität, an der sich Ethnologen befanden, lässt sich exemplarisch anhand der Ethnologen im Amazonasgebiet veranschaulichen. Im sozialen Gefüge der Kontaktzone versuchte Theodor Koch-Grünberg – genau wie seine Vorgänger Karl von den Steinen und Max Schmidt – eine möglichst ›neutrale‹ Rolle zu spielen und sich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen. Karl von den Steinen untersuchte die Bororo-Indigenen, die in der militärischen Kolonie Thereza Christina angesiedelt wurden, und blendete in seiner »description of the original ›Bororo‹ culture, understood as essentially prehistorical« die politischen Zusammenhänge aus, welche die Lebensbedingungen dieser Menschen bestimmten.320 Es wird angenommen, dass die Wissenschaftler diese Neutralität durch eine in der Regel eingehaltene »klinische« Distanz zu den von ihnen

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Bei der historischen Konstruktion der Sozialwissenschaften erinnern die Autoren der Gulbenkian Commission an »the emphasis on the existence of a real world that is objective and knowable, the emphasis on empirical evidence, the emphasis on the neutrality of the scholar«, alles Aspekte, durch welche sich die Geschichte und andere Wissenschaften, inklusive der Ethnologie, seit dem 19. Jahrhundert auszeichneten. Wallerstein/Gulbenkian Commission: Open the Social Sciences, S. 15. 319 Ebd., S. 21f. 320 Martins, Luciana: »A ›Tropical Papageno‹: Claude Lévi-Strauss and Roberto Ipureu in Mato Grosso, Brazil«, in: Jobs, Sebastian und Gesa Mackenthum (Hg.): Agents of Transculturation: Border-Crossers, Mediators, Go-Betweens, Münster u.a.: Waxmann 2013, S. 281-310, hier S. 297. Vgl. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 441ff.

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erforschten Individuen verstärkten, was wiederum die Grenze zwischen Wissenschaft und Politik unterstrich.321 Die Auslassung bzw. die fehlende Anprangerung der Verhältnisse der Kautschukausbeutung in den Ethnografien, wie im Fall von Konrad Theodor Preuss oder des britischen Kapitäns Thomas Whiffens322 , sind – ebenso wie die bereits erwähnte Rechtfertigung der »Schuldsklaverei« als »ein notwendiges Übel«323 – allesamt Aspekte, durch welche sich die Einstellung der Amazonasforscher damals auszeichnete. Zumal forschten diese in einer gefährlichen Gegend und profitierten direkt oder indirekt von den herrschenden Umständen. Obwohl es Versuche gab, eine kritische Stellungnahme zu den Bedingungen abzugeben, unter denen die indigene Bevölkerung diskriminiert und dezimiert wurde, befanden sich die Ethnologen in ihrer Rolle als Wissenschaftler in einem Zustand, der es ihnen nicht erlaubte, die oft bedauerlichen Fakten, die sie auf ihren Reisen gesehen hatten, offen und konkret anzuprangern. So z.B. äußerten sich Ethnologen wie Theodor Koch-Grünberg, wie bereits erwähnt, über die Lebensbedingungen der Indigenen am oberen Rio Negro, dennoch unterbrach er seinen Kontakt mit den Kautschukhändlern der Region nicht. Ebenso denunzierte – auf seiner Art – Karl von den Steinen 1888 in seiner Rede in der Geografischen Gesellschaft von Rio de Janeiro die Misshandlung der Bororo-Indigenen: »Diese Menschen, die als tapfer und mutig gelten, hätten nie so viele Familien von Anwohnern getötet, wenn sie nicht wie Tiere gejagt worden wären, denn tief in ihrer Seele sind sie ein-

321 Penny: »The Politics of Anthropology«, S. 251. 322 Cadbury, Tabitha: »Imagining the Amazon: The Whiffen Collection at Cambridge«, in: Journal of Museum Ethnography 16 (2004), S. 85-100, hier S. 87. Der britische Kapitän Thomas Whiffen führte 1908 ethnografische Forschungen in der Putumayo-Region (Kolumbien) durch und stand in Kontakt zu Julio Cesar Arana, dem Manager der Peruvian Amazon Rubber Company, einem britischen Unternehmen. Whiffen bekam später in England Bestechungsgeld von Arana für sein Schweigen in den Verhandlungen über die »irregularities« der Peruvian Amazon Rubber Company. Der britische Ingenieur Walter Hardenburg trug die Umstände, unter denen die indigene Bevölkerung ausgebeutet wurde, in die Öffentlichkeit. Nach der Einsetzung einer Untersuchungskommission bestätigte der britische Konsul Roger Casement in Rio de Janeiro die ernste Lage. Aranas Firma wurde 1913 vom obersten britischen Gericht zu einer Zwangsliquidation verpflichtet. In seiner Monografie The North-West Amazons: Notes of some Months Spent among Cannibal Tribes erwähnte Whiffen weder die grausamen Verhältnisse, unter denen die indigene Bevölkerung ausgebeutet, gefoltert und ermordet wurde, noch die Rolle der Peruvian Amazon Rubber Company bei diesen Taten. Aranas Terrorregime und dessen Folgen für die Region sind besonders in der kolumbianischen Ethnohistorie ausführlich untersucht worden. Vgl. Chaumeil, Jean-Pierre: »Entre teorías raciales y exhibiciones. En torno al informe de Casement sobre el Putumayo«, in: Steiner Sampedro, Claudia, Carlos Páramo und Roberto Pineda (Hg.): El paraíso del diablo. Roger Casement y el informe del Putumayo un siglo después, Bogotá: Ediciones Uniandes 2014, S. 73-90; Pineda Camacho: Holocausto en el amazonas; Gómez López: Putumayo; Taussig: Shamanism, Colonialism, and the White Man. 323 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 33.

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fach nur Feiglinge«324 . Diese Aussagen seitens der Ethnologen zeugen zwar von ihrer Ablehnung der Situation der indigenen Bevölkerung in der Region, sind aber keine expliziten Anklagen, da sie sich nicht ausdrücklich mit den Problemen befassen, mit denen dieser Teil der Bevölkerung konfrontiert war. Sie vermieden es, die spezifische Verantwortung jener Akteure der hegemonialen und repressiven Klasse anzuprangern, von denen auch die ethnologischen Expeditionen Unterstützung bekamen. Dass die Einbeziehung von Politik in die Wissenschaft sich für die Karriere der Ethnologen nicht positiv auswirkte, zeigt der Verlauf der von Albert Frič betriebenen Anprangerung der deutschen Kolonisten in Brasilien im Kontext der gezielten Vernichtung der dortigen indigenen Bevölkerung.325 Nach Fričs öffentlicher Kritik an diesen Praktiken anlässlich des XVI. Internationalen Kongresses der Amerikanisten in Wien 1908 endete seine Karriere als Sammler und Ethnologe des Völkerkundemuseums in Berlin.326 Frič war mit Theodor Koch-Grünberg befreundet, aber ihre Freundschaft wurde von Koch-Grünberg nach diesem Kongress abrupt beendet.327 Es ist festgestellt worden, dass Frič seine Freunde und Kollegen vor der Ausführung seines Vorhabens, diese Praktiken öffentlich anzuprangern, warnte und dass er mit schwerwiegenden Folgen rechnete.328 Koch-Grünbergs Reaktion auf Fričs Pläne bestand darin, zunächst Fričs Vater über die Pläne seines Sohnes zu unterrichten; ferner verbot er Frič seinen Namen in Veröffentlichungen zu verwenden.329 Offenkundig wollte Koch-Grünberg nichts mit dem Fall zu tun haben und außerdem vermeiden, dass der Kontakt zu Frič eine negative Wirkung auf seine zukünftigen Forschungspläne hat. Acht Jahre später, als seine Beziehung und Sympathie zu und für Frič keine Gefahr mehr für seine Karriere bedeutete, kontaktierte Koch-Grünberg als Direktor des Linden-Museums in Stuttgart Frič erneut,

324 »Estes gentios, considerados valentes e bravos, nunca teriam matado tantas familias de moradores, se elles não tivessem sido caçados como feras, pois no fundo da sue alma são simplesmente cobardes«. Hervorhebung im Original. Meine Übersetzung. Steinen, Karl von den: »O rio Xingú«, in: Revista da Sociedade de Geographia do Rio de Janeiro IV/3 (1888), S. 189-212, hier S. 193. Vgl. Petschelies: »Karl von den Steinen’s Ethnography«. Ich danke Michael Kraus, dass er mich auf diese Kritik von Karl von den Steinen aufmerksam gemacht hat. 325 Zu Frič als transnationaler Figur und seiner Rolle in den Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland und in der Gründung des Serviço de Proteção aos Índios (SPI) siehe RitzDeutch: »Germans and Indians in Brazil«. 326 Mit Bezug auf die Folgen seines Vortrages beim Amerikanisten-Kongress schrieb Frič an Koch-Grünberg: »Es war gegen mich eine Hetzerei gemacht, die mich finanziell fast ruinierte – dass alles war darum da ich die arme Bugres verteidigte und durch Verunmöglichen der Bugrejagd auch viele Spekulanten beschädigt habe.« 4.4.1916 StA Lu EL 232 Akte Bü 333. 327 Koch-Grünberg bat Frič darum ihn »mit unnötigen Schreibereien und Sendungen« zu verschonen. Frič an Koch-Grünberg 22.3.1908. ES Mr A.4 328 Ritz-Deutch: »Alberto Vojtěch Frič, The German Diaspora«, S. 46. 329 Frič an Koch-Grünberg 22.3.1908. ES Mr A.4.

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um eine ethnologische Sammlung zu kaufen.330 Nach positiver Antwort von Frič gestand Koch-Grünberg schließlich seine positive Einstellung zu Fričs Engagement ein.331 Fričs Vorgehen galt wahrscheinlich als ein Präzedenzfall, der das politische Engagement anderer Ethnologen explizit reduzieren sollte. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass das Schweigen der Disziplin zu zentralen Aspekten der Misshandlung der indigenen Bevölkerung durch Kautschukhändler oder Kolonisten (im Falle Südbrasiliens) in der Geschichtsschreibung der Amazonasethnologie bisher nicht ausführlich diskutiert wurde. Gerade diese bewusst apolitische Haltung der Forscher war es aber, die das widersprüchliche kolonialistische Denken der Zeit begünstigte. Zum einen klagten die Ethnologen über das Eindringen der Zivilisation in die Region und das Verschwinden der ›Indianer‹; zum anderen profitierten sie von den Strukturen und Netzwerken, welche Zivilisation und Fortschritt mit sich brachten, um die eigenen Forschungen durchführen zu können. Dass es ab und zu leise Klagen über die negativen Folgen dieses Fortschritts für die Ethnologie gab, verstärkte paradoxerweise die Notwendigkeit der ethnologischen Forschung die Reste der noch existierenden indigenen Gesellschaften zu ›retten‹, bevor es zu spät war.332

»María, vollblut, ein Urbild der Hässlichkeit […]«: Ethnografische Repräsentation und Praxis Welche Aspekte der Kolonialität in der ethnologischen Forschung präsent waren und wie sie sich in der ethnologischen Repräsentation anderer Menschen manifestierten, lässt sich anhand einer der ersten ethnografischen Darstellungen beleuchten, die Theodor Koch-Grünberg veröffentlichte. Ein wissenschaftlicher Artikel, Tagebuchauszüge ebenso wie einige bisher unbeachtete Fotografien aus seinem Nachlass333 ermöglichen im Folgenden Einblicke in eine Szene der ethnologischen Feldforschung, welche die Dynamiken der Interaktionen zwischen dem Ethnologen und lokaler Akteure und die daraus entstandene ethnografische Repräsentation veranschaulichen. Die Fotografien einer Szene aus Koch-Grünbergs Forschung

330 Koch-Grünberg an Frič 20.3.1916. StA Lu. EL 232 Bü 333. 331 »Ihre Verachtung für die hochmütige und in Wahrheit doch so kulturlose weisse Menschheit kann ich vollkommen nachfühlen!« Koch-Grünberg an Frič, 13.4.1916. StA Lu EL 232 Akte Bü 333. 332 Vgl. Penny: »The Politics of Anthropology«, S. 279. 333 Bei der Inventarisierung dieser Fotografien aus dem Nachlass Theodor Koch-Grünbergs in der ethnologischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg beteiligte ich mich, nachdem ich über diese Frauen in Koch-Grünbergs Tagebücher recherchiert habe. Zuvor befanden sich ihre Bilder in einer Kiste mit der Beschriftung »nicht inventarisiert«.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

wurden ausgewählt, denn sie ermöglichen es drei bisher komplett ignorierte Akteurinnen seiner Forschung im Rahmen dieser Studie zu historisieren. Ferner verdeutlicht die Rekonstruktion dieser Szene das Verhältnis zwischen ›Kulturübersetzung‹ als ethnografischer Repräsentation und Kulturübersetzung als interaktiver Praxis, zwischen sprachlicher Vermittlung, Textproduktion und Konstruktion des ›Anderen‹ zu verdeutlichen.

Abbildung 6: María in Frontal- und Profilansicht für die Zeitschrift Globus. Koch-Grünberg 1906. S. 167.

Auf den ersten Seiten seines Tagebuchs über seine Expedition am oberen Rio Negro schrieb Koch-Grünberg über seine erste Begegnung mit Indigenen. Als der Ethnologe sich in der Hafenstadt Pará im Haus des Schweizers Dr. Emilio Goeldi, des damaligen Direktors des Museo Paraense Emílio Goeldi, aufhielt, gelang es ihm durch Goeldis Vermittlung, drei Frauen, – María, Guillermina und Magdalena –, die im Dienste einer Schweizer Familie standen, zu befragen und zu fotografieren.334 Diese Begegnung macht deutlich, wie Ethnologen »sich der exis334 Dank Goeldis »Liebenswürdigkeit« konnte er »[…] von einigen Ipuriná-Weibern von Cachoeira am Rio Purús, Dienerinnen einer reichen Familie, photographische und linguistische Aufnahmen machen«. Koch-Grünberg: »Kreuz und quer durch Nordwestbrasilien«, S. 167. Diese Befragung ermöglichte später die Erstellung eines »kleine[n] (Ipuriná) Glossars«. Tagebucheintrag vom 25.5.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. Laut Koch-Grünberg habe der deutsche Ethnologe Paul Ehrenreich die Bezeichnung »Ipuriná« 1891 geprägt. Koch-Grünberg, Theodor: »Ein Beitrag zur Sprache der Ipuriná-Indianer«, in: Journal de la Société des Américanistes 11 (1919), S. 57-96,

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tierenden Herrschaftsverhältnisse [bedienten], um zu Untersuchungsobjekte zu gelangen »335 . Über das Zusammentreffen notierte er: »[I]ch fotografiere die drei Individuen aus der Nähe von Cachoeira: die erste María, Vollblut, ein Urbild der Hässlichkeit, sehr klein, dickbäuchig, starkes, etwas wirres Haar, anfangs scheu« (Abb. 6 und 7).336 Koch-Grünbergs subjektive und dabei persönliche Beurteilungen über die Schönheit Marías war kein Einzelfall, denn die Schönheit der Indigenen – ob Männern oder Frauen – war ein Aspekt, der oft in den Texten der Ethnologen vorkommt. Karl von den Steinen drückte sich beispielsweise folgendermaßen über eine Gruppe von Frauen aus: »Es waren meist kleine schmächtige Gestalten mit kleinen Köpfen, zurücktretendem Kinn und hässlichen Gesichtern; unter den alten Weibern gab es wahre Prachtexemplare von Hexenmodellen«337 . Wilhelm Kissenberth zitiert eine Passage seines Tagebuches ausführlich in einem Artikel, in dem er die »Sklavin […] des Häuptlings« als repräsentativ für den »unschönen TapirapéTypus« beschreibt: Ein merkwürdiges Geschöpf, das sich im Gegensatz zu des Häuptlings Lobpreis ihrer Schönheit geradezu als ein Ausbund von Häßlichkeit erweist, und deren Gesicht sich in der knallroten Ölbemalung als groteske Fratze darbietet. Das Weib ist auffallend klein von Statur. Auf niedrigem Hals sitzt ein kleiner Kopf. Auffallend niedrig ist die Stirne, in die die straffen schwarzen Haare wirr hereinhängen. Ihre leicht schräggestellten Lidspalten, die ungewöhnlich klein sind, verleihen dem Gesicht ein etwas mongoloides Gepräge. Plattgedrückt und breit ist ihre Nase. Unverhältnismäßig klein sind ihre Ohren. […].338 Im Falle Marías, folgten den Urteilen über ihr Aussehen, ihre Schönheit und ihren Charakter linguistische Aspekte ihrer Sprache. Denn die ethnologische Feldforschung stützte sich zum großen Teil auf die Sammlung von sprachlichem Material, aber auch von Fotografien, welche die Ethnologen bei jedem Aufenthalt zu machen versuchten.339 Die Vorgehensweise, Leute körperlich und sprachlich zu bewerten, war repräsentativ für die Begegnung in der ethnologischen Forschung, so erwähnte z.B. Karl von den Steinen: »Bei den Auetó haben wir mehrere Individuen

hier S. 58. Heutzutage bezeichnen sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft als popũkare. Vgl. Schiel, Juliana: »Apurinã«, in: Povos Indígenas no Brasil (2005), URL: https://pib.socioambiental.org/pt/povo/apurina/82. Letzter Zugriff am 31.5.2019. 335 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 189. 336 Tagebucheintrag vom 25.5.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 337 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 123. 338 Kissenberth: »Beitrag zur Kenntnis der Tapirapé-Indianer«, S. 50. 339 Bei einer Auetó Gemeinschaft: »Wir benutzten noch jede Gelegenheit zu messen, zu photographieren und die sprachlichen Aufzeichnungen zu vervollständigen, und hatten dazu Exemplare fast aller Stämme zur Verfügung«. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 125.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

des Stammes gesehen, und sie gemessen, sowie sprachlich aufgenommen«340 . Obwohl die Einträge des Feldtagebuchs Hinweise auf die Präsenz von Vermittlern oder Dolmetschern im Fall der Sprachaufnahme bei den drei Frauen geben, nämlich auf die Mitglieder der Schweizer Familie341 , gibt es keine weiteren Informationen, aufgrund derer die Rolle dieser dritten Instanz rekonstruiert werden könnte. Es wird davon ausgegangen, dass Marías Antworten zum Teil von einem/r Dolmetscher/in übersetzt wurden, da Koch-Grünberg zu der Zeit nur über geringe Kenntnisse in Portugiesisch verfügte.

Abbildung 7: María. Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-3 und 4.

Diese erste Begegnung ist ein zentrales Thema in Koch-Grünbergs erstem, kurzem Bericht über den bisherigen Verlauf seiner Reise, den er der Zeitschrift Globus 1906 als Beweis seines ersten Kontaktes mit ›Indianern‹ sendete. Diese Episode markierte somit den offiziellen Beginn seiner ethnologischen Forschung, auch wenn er noch nicht zum eigentlichen Ziel seiner Expedition gekommen war. Obwohl in seinem Artikel die wissenschaftliche Arbeit des Forschers durch die Darstellung dieser drei Frauen belegt wird, machen die Lichtbilder deutlich, wie die ›Authentizität‹ bzw. die ›Ursprünglichkeit‹ beim Kulturübersetzen verhandelt wurden. Auf der Rückseite der originalen Abzüge342 hatte Koch-Grünberg María als

340 Ebd., S. 110. 341 »Das Suffix »tsí« der meisten Wörter für Körperteile wurden von den Schweizern als »tí« gehört. Bei María hörte ich immer deutlich »tsí« […]«. Tagebucheintrag 25.5.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 342 Diese Fotografien sind bisher zumindest nicht ohne Retusche in die Öffentlichkeit gelangt.

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»Vollblut« eingeordnet, während die Bilder Guilherminas (Abb. 8) und Magdalenas (Abb. 9) als »Mestizin« beschriftet wurden; diese Beurteilung lässt sich KochGrünberg zufolge dadurch erklären, dass ihre »Mutter [vermutlich María] Ipuriná« und ihr »Vater Cearenser« waren.343 In seinem Beitrag in Globus hingegen bezeichnete er María als »reine Rasse« und Guilhermina, als »Mestizin«.344 Das Bild von Magdalena blieb in diesem Artikel ausgespart. Der Artikel in der Zeitschrift Globus lässt sich als eine intralinguale Übersetzung der Schilderung dieser Begegnung aus dem Tagebuch interpretieren. Die Bezeichnung ›Vollblut‹ wird in seiner Publikation mit ›reiner Rasse‹ übersetzt. Auf den ersten Blick steht die Bezeichnung Vollblut in ihrer Verwendung im Deutschen als Synonym für eine echte Zugehörigkeit zu einer bestimmten Pferdeart (!). Bei ›Vollblut‹ wie Koch-Grünberg es anwendet, handelt es sich um die gängige Übersetzung für ›full-blooded‹, wie bestimmte Individuen in Nordamerika und Kanada bezeichnet wurden.345 Mischlinge wäre die Übersetzung von ›Halfbreed‹. Der Einfluss des für die Beschreibung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas und Kanadas ist in Texten über südamerikanische und spezifisch Amazonas-Indigene eindeutig, z.B. wenn sie in den Augen des Ethnologen ähnlich wie »Sioux-Häuptling[e]«346 aussahen oder anthropologisch klassifiziert wurden.347 Vollblut als Kategorie für die

343 Infolge der Kautschukgewinnung zwischen 1879 und 1912 wanderten viele Bewohner Cearás, einem Bundestaat Brasiliens an der atlantischen Küste, ins Landesinnere aus, um als Kautschuksammler zu arbeiten. Gründe für diese Migration waren nicht nur das Versprechen eines besseren Einkommens, sondern auch die Dürre, die in der Region am Ende des 19. Jahrhunderts herrschte. Die »›Versklavung‹ der cearensischen Emigranten«, die als Kautschuksammler ausgebeutet wurden, wurde 1917 öffentlich angeprangert. Vgl. Neufert, Tim: Die Macht der Dürre: Wasser und Politik in Brasilien in der Zeit von Epitácio Pessoa (1877-1930), Köln/Weimer/Wien: Böhlau Verlag 2015. Hier S. 152. 344 Koch-Grünberg: »Kreuz und quer durch Nordwestbrasilien«, S. 167. 345 ›Vollblut- und Halbblut-Indianer‹ (auch half-caste oder ›Halbblutneger‹) waren in damaligen wissenschaftlichen und populären Diskursen gängig und gehen auf populäre Literatur ebenso wie auf politischen Texte über die europäischen Kolonien zurück. Vgl. Mawani, Renisa: »›Half-Breeds,‹ Racial Opacity, and Geographies of Crime: Law’s Search for the ›Original‹ Indian«, in: Cultural Geographies 17/4 (2010), S. 487-506. 346 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 172; Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 20. In ihrer Arbeit über den deutsch-brasilianischen Ethnologen Curt Unckel Nimuendajú argumentiert Elena Welper, dass es zahlreiche deutschsprachigen Autoren gab, die eine literarische Reihe von Western-Fiction produzierten, welche die Einstellungen einer ganzen Generation von Deutschen beeinflusste. Welper: »A aventura etnográfica de Curt Nimuendajú«, S. 110. Unter den deutschsprachigen Autoren dieser Literatur vgl. May, Karl: Der schwarze Mustang, Stuttgart: Union deutsche Verlagsgesellschaft 1899; Gerstäcker, Friedrich: Achtzehn Monate in Südamerika und dessen deutschen Colonien II. Aus meinem Tagebuch, Jena: Hermann Costenoble 1873; Möllhausen, Balduin: Der Halbindianer. Erzählung aus dem westlichen Nord-Amerika, Leipzig: Hermann Costenoble 1861. 347 Vgl. Ehrenreich: Anthropologische Studien.

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Bewertung Marías, in Analogie zu Vollblut-Pferde, als auch als Übersetzung von ›Full-blooded‹, deutet auf eine Bewertung von Menschen nach einer ›rassischen‹ Taxonomie hin. Hierbei handelt es sich also um eine pejorative Bezeichnung, die auch zur Stigmatisierung von Individuen in europäischen Kolonien zum frühen 20. Jahrhundert diente, wie z.B. den Kindern indigener oder schwarzer Frauen mit Kolonisatoren. Mit solchen Bezeichnungen wurde ihnen sowohl auf der diskursiven, vor allem jedoch auf der sozialen und politischen Ebene – durch Gesetze – die Zugehörigkeit zur Gruppe der Kolonisatoren und zur Gruppe der Kolonisierten verweigert.348 Diese intralinguale Übersetzung vom ›Vollblut‹ aus Koch-Grünbergs Tagebuch in ›reine Rasse‹ in seinen wissenschaftlichen Artikeln zeigt das Anliegen, die eigenen Annahmen an die Sprache des ethnologischen Diskurses anzupassen. Es ist anzunehmen, dass mit der Verwendung von ›Rasse‹ statt ›Vollblut‹ in seinem Artikel wissenschaftliche Autorität angestrebt und die ethnografische Beschreibung von María legitimierte wurde. Zur Rassifizierung des Bildes von María im wissenschaftlichen Artikel gehörte nicht nur die Sprache des Ethnologen, sondern auch das Medium der Fotografie in der jeweiligen Typenform. Koch-Grünberg machte während seinen Feldforschungen nicht nur Typenfotografien, sondern auch Gruppen- und Individuenporträts ebenso wie Bilder, welche Szenen des Alltags der indigenen Akteure und ihrer Interaktionen mit den Ethnologen darstellen. Zu Recht betrachtet der Ethnologe Paul Hempel Koch-Grünbergs Fotografien aus seinen Expeditionen als Beweise einer aus heutiger Sicht frühen visuellen Ethnologie, die ethnologischen Praktiken des 19. Jahrhunderts erweiterte aber auch herausforderte.349 Koch-Grünbergs wissenschaftliche Arbeit ist vielfältig und entwickelte sich im Laufe seiner Karriere. Die ethnografische Repräsentation Marías dient an dieser Stelle nicht zur Generalisierung der ethnografischen Darstellungen in Koch-Grünbergs Text, sondern zur Veranschaulichung wesentlicher ethnografischer Praktiken, aus denen im Grunde die ethnologische Amazonasforschung bestand: Befragen, Fotografieren, Beurteilen, Klassifizieren, und sie im wissenschaftlichen Diskurs mittels Veröffentlichungen einzubringen. Die Darstellungen von María und Guilhermina im wissenschaftlichen Artikel erfolgten en face sowie im Profil als Typen-Bilder. Ein Vergleich zwischen den Bildern des Artikels und den originalen Auszügen aus Koch-Grünbergs Nachlass zeigt Transformationen, die zur ethnografischen Repräsentation Marías dienten. KochGrünberg ließ die Fotografien für die erwähnte Publikation retuschieren, sodass

348 Smith, Linda Tuhiwai: Decolonizing Methodologies: Research and Indigenous Peoples, London/New York: Zed Books 1999, S. 27. Vgl. dazu auch Stoler, Ann Laura: Along the Archival Grain: Epistemic Anxieties and Colonial Common Sense, Princeton/Oxford: Princeton University Press 2009. 349 Hempel: »Theodor Koch-Grünberg and Visual Anthropology«, S. 194.

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Abbildung 8: »Guilhermina. 15 Jahre alt. Mestizin. (Vater Cearenser, Mutter Ipuriná.) Cachoeira. Rio Purus.« Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-A1-5a und 6a.

Abbildung 9: »Magdalena. 13 Jahre alt. Mestizin. (Vater Cearenser, Mutter Ipurina). Cachoeira. R. Purus.« Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-A1-1a und 2a.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

der Hintergrund, eine schmutzige und abgekratzte Wand, verschwand und durch einen weißen, reinen Hintergrund ersetzt wurde.350 Zusammen mit der Dessubjektivierung der Frauen als ›Ipuriná-Indianerinnen‹ gehörte die Bearbeitung dieser Bilder zur Strategie im ethnologischen Diskurs, um die ›Forschungsobjekte‹ in gewisser Maße unter einem kontrollierten Rahmen der Repräsentation zu halten.351 Das Retuschieren der ethnografischen Bilder, insbesondere der Typen, gehörte zur damaligen Vorgehensweise. Dabei ging es zum Teil um diejenige Praxis ethnografischer Repräsentation, die wir hier als ›Kulturübersetzung‹ behandeln. Sie steht hier für eine wissenschaftliche Praxis und, um mit Robert J. C. Young zu sprechen: [a]s a practice, translation begins as a matter of intercultural communication, but it also always involves questions of power relations, and of forms of domination. It cannot therefore avoid political issues, or questions about its own links to current forms of power. No act of translation takes place in an entirely neutral space of absolute equality. Someone is translating something or someone. Someone or something is being translated, transformed from a subject to an object […].352 Wie María in eine Art ›Objekt‹ der Erforschung anderer Kulturen übersetzt wurde, zeigen Aspekte ihrer ethnologischen Repräsentation. Der ausgeblendete bzw. retuschierte Hintergrund diente, in Anlehnung an Elizabeth Edwards Überlegungen zur Typenfotografie, zur Ablenkung von »the distracting ›noise‹ of context, culture, and human countenance«353 , also von allem, was während der Interaktion mit María sehr präsent war. Indem der soziale, lokale und räumliche Kontext Marías ausgeblendet wurde, führte der Ethnologe eine weitere Transformation dieser Begegnung durch. Somit verfolgte er das Ziel, eine Darstellung einer ›authentischen Indianerin‹ zu schaffen, die trotz des Kontakts mit der ›Zivilisation‹ als noch authentisch einzustufen war. Denn obwohl die Frauen bei der Goeldi-Familie Kleider und keine sichtbaren indigenen Ornamente trugen und bereits in Kontakt mit den Brasilianern und Schweizern standen, war María nicht nur aus ›reiner Rasse‹, sondern sie sprach immerhin auch noch Ipuriná, ihre Muttersprache. Sie war in den Augen des Forschers noch eine ›Indianerin‹. Die Hintergrundbearbeitung der Bilder steht an dieser Stelle gewissermaßen als Metapher für das absichtliche Ausblenden von sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen, welche das Leben dieser Frauen in der Amazonasregion bestimmten, die jedoch für die ethnologische Veröffentlichung keine Relevanz hatten.

350 Vgl. Edwards: »Photographic »types«. 351 Edwards, Elizabeth: Raw Stories. Photographs, Anthropology and Museums, Oxford: Berg 2001, S. 144. 352 Young, Robert J.C.: Postcolonialism: A Very Short Introduction, Oxford: Oxford University Press 2003, S. 140. 353 Poole: »An Excess of Description: Ethnography, Race, and Visual Technologies«, S. 163.

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Die De-Kontextualisierung Marías vom Hintergrund der Fotografien und die Ausblendung ihrer sozialen und lokalen Lage trugen somit zur Dessubjektivierung dieser Person sowie zur Positionierung dieses Individuums außerhalb der eurozentrischen Geschichte bei, in der – im Gegensatz dazu – der Forscher ein Hauptakteur ist. Diese Manipulation des Bildes eines Menschen als Repräsentationsform einer ›Kultur‹ lässt erkennen, inwiefern ›Kulturübersetzung‹ als Instrument der Kolonialität gedient hat, denn sie »subsum[es] [the] difference under an established framework of legibility, of certainty«.354 Das »framework of legibility« kann in diesem Zusammenhang als der ethnologische Diskurs verstanden werden, mittels dessen andere Kulturen in die Sprachen der Europäer und in eurozentrische Kategorien übersetzt wurden. Der ethnografische Übersetzungsakt weist somit insofern auf die »epistemische Gewalt« des ethnologischen Diskurses hin355 , als Koch-Grünberg hier nicht nur ohne ihr Einverständnis über María schrieb, sondern sie absichtlich auf eine negative Weise beschrieb, indem er mit seinen Urteilen über ihr Aussehen und ihre ›Rasse‹ ein exemplarisches Bild der ›IpurináIndianer‹ zu schaffen versuchte. Innerhalb des wissenschaftlichen Artikels hatte Marías Fotografie eine bestimmte Bedeutung und erfüllte in diesem Kontext eine bestimmte Funktion, die darin bestand, erste Fortschritte in Koch-Grünbergs Forschung zu beweisen. Dagegen wurde dieses Bild weder in der Ethnografie Zwei Jahre unter den Indianern, noch im wissenschaftlichen Artikel »Ein Beitrag zur Sprache der Ipuriná-Indianer«356 verwendet. Koch-Grünberg entschied sich im Rahmen der Repräsentation der ›Ipuriná‹ für Fotografien von anderen Personen, die von einem Kautschuksammler nach Manaus gebracht worden waren.357 In Koch-Grünbergs Tagebuch ist diese Episode wie folgt beschrieben: Morgens die Ipuriná fotografieren »en Profil« und »en Face« für mein IndianertypenAlbum, das ich drüben im Verein mit Hübner herausgeben will. Der Alte, ein prächtiger Indianer […] mit verschmitztem Gesicht, entschliesst sich erst auf längeres Zureden das Hemd auszuziehen. Das ist die Zivilisation!?358 Marías Fotografien wurden nicht miteinbezogen, vermutlich weil sich die Fotografien von den nackten bzw. entkleideten ›Ipuriná‹ besser für die Zwecke des »Indianer-Typen Album[s]« eigneten. Hier zeigt sich, um mit Elizabeth Edwards zu sprechen, dass Fotografien »multiple meanings« haben können, die abhängig 354 Vázquez: »Translation as Erasure«, S. 38. 355 Vgl. Spivak, Gayatri Chakravorty: Can the subaltern speak?: Postkolonialität und subalterne Artikulation, Wien/Berlin: Turia + Kant 2008, S. 42ff. 356 Koch-Grünberg: »Ein Beitrag zur Sprache der Ipuriná-Indianer«. 357 Ebd. 358 Tagebucheintrag vom 9.6.1903 ES Mr B.I.2. Heft 1. Diese Menschen wurden im Studio des deutschen Fotografen Georg Hübner fotografiert. Koch-Grünberg an Karl von den Steinen 4.7. 1903. ES Mr B.IV. Feldpost.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

von den Beziehungen zu den Menschen und den Orten sind, an denen sie verwendet und konsumiert werden.359 In der Folge stehen ethnologische Fotografien nicht als Repräsentationen ohne Kontext da, sondern immer in Beziehung zu Menschen, Texten und Orten. Repräsentationen erzeugen Bedeutungen innerhalb dieser Beziehungen.360 Marías Fotografie repräsentiert im Gegensatz zu den entkleideten ›Ipuriná‹ keinen statischen und objektivierten Körper, der als eine zeitlose Darstellung der ›Ipuriná Indianer‹ hätte dienen können. Sie trug ›europäische‹ Kleider, bewegte ihren rechten Fuß und schien mit vor ihrem Bauch gekreuzten Händen etwas zu sagen. Auf diese Weise entzog sie sich den Konventionen der anthropologischen Repräsentation, zumal ihr Bild im Vergleich zum »Uanána-Indianer« (siehe Abb. 3) nicht die Bedeutung des ›unverfälschten Naturkindes‹ repräsentiert, die in Koch-Grünbergs Publikationen sonst an erster Stelle steht. Die Aufmerksamkeit auf minimale Zeichen von Subjektivität der Indigenen zu richten, die in den Bildern oder in den Texten der Ethnologen selbst vorkommen und auf die soziale Lage dieser indigenen Akteurinnen hinweisen, ermöglicht es, die anderen Beziehungen, von denen diese Fotografie abhängig ist, zu veranschaulichen. Der reduzierte Hintergrund, die angeschnittene Anwesenheit von Magdalena auf der linken Seite in Marías Abbildung (Abb. 7) und die Präsenz Marías in Guillerminas Bild (Abb. 8) sind, ebenso wie die Informationen über den Vater der Mädchen, als Spuren eines anderen Settings außerhalb des fotografischen Rahmens zu lesen, die sich der Kontrolle des »anthropological creating eye« entzogen.361 In diesem Setting waren die drei Frauen verwandte Individuen. Ihre Verwandtschaft lässt sich aus den Texten auf der Bildrückseite ebenso wie an der körperlichen Nähe zwischen María und Magdalena auf den Fotografien erahnen. Als Untersuchungsobjekte destabilisieren diese Porträts die konventionelle Form des anthropologischen Bildes und zeigen dabei eine gewisse agency.362 Die vom ethnologischen Diskurs verübte epistemische Gewalt lässt sich somit konterkarieren und das bisher dekontextualisierte Bild von María – als Exemplar eines Kollektivs, nämlich als ›Ipuriná-Indianerin‹ in der Globus Zeitschrift – lässt sich insofern humanisieren, als die Kontingenz der fotografischen Aufnahme als soziale Praxis während der ethnologischen Amazonasforschung verdeutlicht wird. Die Berücksichtigung der historischen und soziokulturellen Dimensionen des Handelns von Akteuren wie María ermöglicht es, sie nicht als isolierte Subjekte der 359 Edwards, Elizabeth: »Shifting Representation. The Making of the Ethnographic in Nineteenth Century Photography«, in: Bayerdörfer, Hans-Peter u.a. (Hg.): Bilder des Fremden. Mediale Inszenierungen von Alterität im 19. Jahrhundert, Berlin: LIT 2007, S. 41-62, hier S. 45. 360 Ebd., S. 45f. 361 Edwards: »Tracing Photography«, S. 161. 362 Vgl. Edwards, Elizabeth: »Interpreting Photographs. Some Thoughts on Method«, in: Fernández Ocampo, Anxo und Michaela Wolf (Hg.): Framing the Interpreter: Towards a Visual Perspective, London/New York: Routledge 2015. S. 19-26. S. 22.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Begegnung zu betrachten. Vielmehr zeigt ihre Situierung im sozialen Raum der ethnologischen Wissensproduktion, dass sie, wenn auch nur temporär, als »verknotete Subjekte«363 in das soziale Netz des Ethnologen eingebettet waren. Die Begegnung zwischen Koch-Grünberg und María ist repräsentativ für die Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Sprachen und Kulturen, die in Kontaktzonen entstehen. Die soziale Lage Marías gibt Hinweise auf wesentliche Eigenschaften dieser Kontaktzone. Ihre Präsenz bei der Schweizer Familie gibt zumindest Aufschluss über eine Praktik, welche die Realität vieler Frauen und Kinder in der Kontaktzone der Amazonasregion bestimmte. Dieser Hinweis ist relevant, um deutlich zu machen, dass die im Rahmen der deutschen Expeditionen erforschten Indigenen keine zeitlosen, ›ursprünglichen‹ Bewohner der Amazonasregion waren, sondern, wie alle anderen Mitglieder der dortigen Bevölkerung auch, Akteure im konkreten sozialen und politischen Kontext. In diesem infolge der Kautschukgewinnung erfuhren indigene Gemeinschaften eine Umstrukturierung ihrer Lebensweise. Männer unterschiedlichen Alters arbeiteten vorwiegend als saisonale Kautschuksammler, manchmal in abgelegenen Orten, und blieben aufgrund des Schuldsklavensystems dauerhaft verschuldet. Diese Belastung beeinträchtigte die gemeinschaftliche Organisation, sodass die Frauen in den Dörfern blieben und sich um die Kinder und die Ältesten kümmerten. Dagegen wurden junge Frauen als Waren gehandelt oder als Schuldenausgleich den Kautschukhändlern übergeben.364 Der Einfluss der Missionen war an bestimmten Orten erheblich und Mädchen wie auch Jungen wurden ihren Familien entzogen, um sie vor dem Menschenhandel zu schützen und nicht zuletzt auch, um sie nach westlichen Mustern zu formen. Durch diese sozialen Praktiken der familiären und kulturellen Entwurzelung gelangten viele junge Frauen in die großen Städte, wurden dort verkauft und als Dienstmädchen angestellt; der damalige Hauptberuf des weiblichen Teils der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika.365 Aufgrund ihrer Lebensbedingungen waren Individuen wie María vertriebene Menschen, die man aufgrund ihrer meistens unfreiwilligen Mobilität als translated, also übersetzte Menschen betrachten kann. Diese Auffassung von Übersetzung, die hier als eine existentielle Bedingung erscheint, lässt einen zu der Feststellung gelangen, dass in der ethnologischen Praxis Kulturübersetzung mehre363 Wolf: Die vielsprachige Seele Kakaniens, S. 44. 364 In der Kautschuksammlersiedlung La Libertad fragte Koch-Grünberg »[…] die Genossin Pratas, die kaum dem Kindesalter entwachsen war, […], ob sie den Hianakoto Kauilimu, meinen einstigen Ruderer zum Alto Caiary, kenne, […] sie [blieb] zuerst ganz still, dann rief sie: »Das ist ja mein Vater!« und lief weg. Prata hatte sie von einem anderen für eine Hose gekauft«. Vermutlich musste der Vater des Mädchens sie dem Kautschukhändler zur Begleichung seiner Schulden geben. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 300. 365 Vgl. Chaney, Elsa M. und Mary García Castro (Hg.): Muchachas No More: Household Workers in Latin America and the Caribbean. Philadelphia: Temple University Press 1989.

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

re Facetten umfasste: Nicht nur der Ethnologe als Kulturübersetzer nimmt eine entscheidende Funktion ein, sondern auch indigene Individuen in ihrer Rolle als übersetzte Menschen. In Anlehnung an Boris Buden und Stefan Nowotny, Menschen »can be moved across all sorts of differences and borders and so translated from one place to another, for instance from one cultural and political condition to another.«366 Kulturübersetzung im Falle der ethnografischer Forschung würde als institutionalisierte Form der Repräsentation anderer Menschen und ihrer Kulturen funktionieren; in diesem Prozess können Menschen und ihre Kulturen, im etymologischen Sinne von Übersetzung, mittels Ethnographien und Fotografien von einem Ort zum anderen, zum Beispiel von einem kulturellen Zustand zum anderen, übertragen werden. Diese Übertragung bringt komplexe Transformationen von Bedeutungen und Identitäten mit sich. Die oft schwierig zu erfassende Operation der ethnografischen Kulturübersetzung zeigt, wie »das Spiel der Unterschiede immer wieder die Art und Weise in Frage gestellt hat, wie Grenzen ethnischer, kultureller, rassischer und nationaler Identitäten errichtet wurden«367 , in diesem Fall durch den wissenschaftlichen Diskurs. Denn die Komplexität der sozialen Situation der Region zeigt, dass Akteure wie María keine stabilen sozialen, kulturellen und ethnischen Identitäten besaßen. Sie konstruierten ihre ambivalenten Identitäten auch durch die sozialen Praktiken mit der nicht-indigenen Bevölkerung. Ferner identifizierten sie sich je nach Beruf oder ethnischer Zugehörigkeit als Dienstmädchen, Kautschuksammler, Makú oder Ipuriná; hingegen wurden sie von den Ethnologen als ›vollblutige Indianer‹, ›Mischlinge‹, oder ›[z]ivilisierte Indianer‹ charakterisiert. Diese Komplexität wurde von den Ethnologen zu einer Dichotomie ›echte Indianer‹ versus ›akkulturierte/zivilisierte Indianer‹ vereinfacht, wobei es je nach eigener Wahrnehmung und Zielen der Repräsentation diverse Grade der ›Akkulturation‹ gab. Beim vorher analysierten Beispiel handelt es sich nicht um eine streng genommen klassische Szene der ethnologischen Amazonasforschung, noch um eine typische ethnografische Darstellung und Bewertung von indigenen Akteuren. Dieses Beispiel ist dennoch aus heuristischen Gründen relevant, denn auch wenn in anderen Begegnungen interpersonelle Beziehungen aufgebaut werden konnten und die persönliche Beurteilungen der Ethnologen über die indigenen Akteure milder waren, treffen in dieser ethnografischen Repräsentation Faktoren zusammen, wie z.B. die von persönlichen aber durch den wissenschaftlichen Diskurs derzeit beeinflussten Vorstellungen von ›Rasse‹, Schönheit, und ›echter‹ Identität; die fotografische Repräsentation bestimmt durch die Typus-Fotografie und die Bearbeitung

366 Boris Buden, Stefan Nowotny, Sherry Simon, Ashok Bery und Michael Cronin: »Cultural translation: An introduction to the problem, and Responses«, in: Translation Studies, 2:2, 196219 (2009), S. 196. 367 Longinovic: »Fearful Asymmetries«, S. 8f.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

der Bilder; die Dessubjektivierung der indigenen Akteure, die als Beweise einer noch zu erforschten Gruppe präsentiert werden. Zwar waren die Fragen der Ethnologen andere als die der vorliegenden Studie, und die Geschichten und soziale Verhältnisse der lokalen Akteure konstituierten nicht den Schwerpunkt ihrer Forschung. Diese ethnografische Art und Weise, andere Menschen zu porträtieren, liest lokale Akteure in der damaligen Zeit dennoch nicht als Subjekte erscheinen, die in den Dynamiken der Region verwickelt waren und deren Leben von diesen stark beeinflusst wurden.

Zwischenfazit In diesem Kapitel wurde das Konzept der Kulturübersetzung zunächst als ethnografische Repräsentation behandelt. Im Besonderen wurde das Konzept der Kulturübersetzung als Repräsentation indigener Kulturen aus der privilegierten Position der Ethnologen sowie als charakteristischer Strategie der Kolonialität des Wissens dabei aus einer kritischen Perspektive analysiert. Ausgangspunkt für die Analyse der Kulturübersetzung ist die Sprache, d.h. die synkretisierte textuelle Repräsentation in Reiseberichten, die vom ethnologischen Diskurs des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägt wurden. Die Analyse der formalen Aspekte solcher Texte, wie z.B. ihrer Konstruktion mithilfe von aus Feldtagebüchern entnommenen Auszügen sowie paratextuellen Informationen, ermöglichte die Beschreibung und Einordnung dieser Texte als intralinguale Übersetzungen bzw. Palimpseste. Die formalen Aspekte der Reiseberichte, anhand derer die textuelle Konstruktion dieser Übersetzungen herausgearbeitet werden konnte, stellen eine Facette der Kulturübersetzung dar, in der Sprache und textuelle Repräsentation als konstitutive Faktoren der Konstruktion und Semantisierung des ›Indianers‹ des Amazonasgebietes als klassischer Verkörperung der Alterität nachgewiesen werden konnten. Eine vorherrschende Trope in diesem Prozess der Konstruktion von Alterität in ethnografischen Texten ist das ›El Dorado‹ als Ort der Entdeckung und Eroberung. Die Anwesenheit dieser Trope ermöglicht es, den Einfluss des imperialen und kolonialen Diskurses der damaligen Zeit auf die ethnologische Forschung zu erfassen. Ethnografische Berichte, verstanden als ›Kulturübersetzung‹, werden in diesem Kontext als Quellen der Wissensproduktion interpretiert, die mit Kategorien der Kolonialität des Wissens operieren. Innerhalb des Spektrums der Kategorien, die diesen Prozess beeinflussten, wurden die Kategorien ›Natur‹, ›Kultur‹ und ›Rasse‹ als wesentliche Faktoren identifiziert. Mittels der Rekonstruktion von Theodor Koch-Grünbergs ethnografischer Repräsentation Marías ist es dank der Auszüge aus seinem Feldtagebuch gelungen, die Kulturübersetzung als Repräsentation (Resultat), aber auch als soziale Interaktion (Praxis) zu entschlüsseln. Das heißt, Kulturübersetzung wird hier als textuelle und visuelle Konstruktion aufgefasst, die aus einer bestimmten, von zwischen-

1. Von der ethnografischen Repräsentation zur Feldforschung

menschlicher Interaktion geprägten Erfahrung resultiert. Obwohl die soziale Interaktion innerhalb der ethnologischen Feldforschung für die ethnografische Repräsentation konstitutiv ist, ist sie in bisherigen Analysen zur Kulturübersetzung nicht berücksichtigt worden. Kulturübersetzung als interaktive Praxis zu verstehen bedeutet zu berücksichtigen, dass sie in einem bestimmten lokalen Kontext entsteht. Der Kontext dieser Praxis wurde in diesem Kapitel als Kontaktzone konzeptualisiert, in der unterschiedliche Akteuren innerhalb bestimmter sozialer, ökonomischer und politischer Bedingungen interagieren und diese Bedingungen durch ihr Handeln gleichsam festigen oder umgestalten. Eine Rekonstruktion dieser Praxis wurde anhand der Fallstudie der ethnologischen Feldforschung von Theodor KochGrünberg zur Erforschung des oberen Rio Negros und seines lokalen und sozialen Kontextes geleistet. Dank der Informationen, die in den entsprechenden Feldtagebüchern festgehalten wurden, konnten relevante Faktoren der Kulturübersetzung als interaktive Praxis identifiziert werden, d.h., wichtige Akteure und Bedingungen, die die Interaktion mit indigenen Gemeinschaften ermöglichten, wurden herausgearbeitet. Die Kautschukgewinnung im Amazonasgebiet wird als die vorherrschende ökonomische Aktivität identifiziert, die das Leben in der Region während der Forschungen der deutschen Ethnologen prägte. Diese Wirtschaftstätigkeit, die zur Ausbeutung der indigenen Bevölkerung und zu unerbittlichen Veränderungen der Lebensbedingungen in der Region führte, war aufs Engste mit Faktoren wie dem internen Kolonialismus und der Kolonialität verknüpft. Dieses Kapitel kommt zu dem Schluss, dass Kulturübersetzung – als Repräsentation und als interaktive Praxis – nicht in einem Vakuum stattfindet, sondern unter dem Einfluss verschiedener Faktoren entsteht und sich entwickelt. Daher operiert Kulturübersetzung als wissenschaftliche Tätigkeit nicht nur mit Kategorien der Kolonialität des Wissens, wenn es darum geht, den ›Anderen‹ zu studieren und als Alterität zu konstruieren, sondern sie wird darüber hinaus auch als gesellschaftliche Tätigkeit erkennbar, die unweigerlich von der Kolonialität der Macht beeinflusst und bestimmt wurde, und zwar insbesondere vom internen Kolonialismus und den sozialen und lokalen Faktoren der Region, in der sie durchgeführt wurde. Dieser Umstand wurde in diesem Kapitel am Beispiel der ethnologischen Forschung von Theodor Koch-Grünberg deutlich, die direkt und indirekt von der Infrastruktur, den sozialen Netzwerken und den Bedingungen profitierte, welche die Kautschukgewinnung in der Amazonas-Region förderten. Diese Bedingungen wirkten sich nicht nur auf die Konstruktion der Alterität aus, sondern auch auf die Wechselwirkungen zwischen Ethnologen und Indigenen. Im folgenden Kapitel wird gezeigt, inwiefern Praktiken wie die sprachliche Befragung, die Körpervermessung, die fotografischen Aufnahmen und die Ethnografie zur Desubjektivierung und Verdinglichung der untersuchten Individuen und Kulturen, zur Überprüfung einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung und mithin zur

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Konstruktion von ethnologischen Fakten dienten. Diese »›facts‹ of anthropology«368 sind durch die interpersonellen Interaktionen während der ethnologischen Feldforschung entstanden und resultieren somit aus einem reziproken Austausch von Informationen und eben nicht aus einer unidirektionalen Aneignung und Sammlung von Informationen. Während der Interaktion zwischen den Akteuren werden bestimmte Informationen zu ethnologischen Fakten, und zwar durch einen »processes of questioning, observing, and experiencing« sowohl bei den Ethnologen als auch bei ihren Gesprächspartnern.369 Kulturübersetzung ist wesentlich für diese Prozesse des Austauschs. Sie erweist sich in diesem Kontext jedoch als ambivalent, denn »[translation] does not merely reflect existing knowledge, it can also precede knowledge and construct knowledge, much of which becomes the foundations of representations«370 . Somit diente sie einerseits als Instrument der Kolonialität sowie der Aneignung von Wissen und der Konstruktion des ›Anderen‹. Im Folgenden wird die Analyse konkreter Praktiken während der Feldforschung zeigen, dass die Kulturübersetzung andererseits auch einen Raum für die Begegnung, die Verhandlung, den Perspektivwechsel und die Subjektivierung der Akteure unter der Kolonialität der Kontaktzone eröffnete.

368 Rabinow, Paul: »Fieldwork and Friendship in Morocco«, in: Robben, Antonius C.G.M. und Jefrey A. Sluka (Hg.): Ethnographic Fieldwork: An Anthropological Reader, 2. Aufl., Malden/Oxford/Sussex: Wiley-Blackwell 2012, S. 520-527, hier S. 523. 369 Ebd., S. 524. 370 Tymoczko, Maria (Hg.): Translation, Resistance, Activism, Amherst: University of Massachusetts Press 2010, S. 16.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Im vorherigen Kapitel ist ›Kulturübersetzung‹ als eine an der Schnittstelle zwischen Repräsentation und interaktiver Praxis zu verortende Tätigkeit untersucht worden, die in einer bestimmten Kontaktzone von unterschiedlichen Akteuren durchgeführt wurde. In diesem Kapitel wird Kulturübersetzung als eine gegenseitige interaktive Praxis der Interpretation des ›Anderen‹ während der Feldforschung illustriert. Um diese Praxis zu beleuchten liegt der Schwerpunkt im Folgenden auf Praktiken der sprachlichen Vermittlung, welche eine Untersuchung der intersubjektiven Beziehungen zwischen Akteuren ermöglichen.1 Die Aufmerksamkeit wird hier auf die Handlungsfähigkeit der Akteure der Kulturübersetzung während der ethnologischen Feldforschung gelenkt. In Anknüpfung an Martin Fuchs’ »Plädoyer für eine interaktionsanalytische Reflexion« der Übersetzung wird im Folgenden anhand ethnografischer Quellen gezeigt, dass Kulturübersetzung sowohl auf sprachliche Prozesse als auch »auf umfassendere soziale Übersetzungsvorgänge verweist«.2 Die ethnografische Feldforschung basierte hauptsächlich auf Übersetzung – sowohl in einem weiteren als auch im engeren Sinne, denn Übersetzung ist nicht nur als sprachliche »Vermittlung«, sondern auch als eine »interaktive Praxis«3 zu verstehen. Als Vermittlung ermöglicht Übersetzung eine Lektüre der Quellen gegen den Strich, insofern in Praktiken der sprachlichen Vermittlung – wie dem Dolmetschen –, eine Art »oppositional behavior« von lokalen Akteuren in den von Ethnologen geschilderten Interaktionen identifizierbar wird. Hierbei, um mit Ross Chambers weiter zu sprechen, geht es um »individual or group survival tactics that do not challenge the power in place, but make use of the circumstances set up by that power for purposes the power may ignore or deny«.4 Die Relevanz dieser Erkenntnis liegt darin, dass sie ein Verständnis von Kulturübersetzung in der 1 2 3 4

Payàs/Zavala/Samaniego: »Translation and interpretation on the Araucanian Frontier«, S. 445. Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 315. Ebd., S. 317. Chambers, Ross: Room for Maneuver: Reading (the) Oppositional (in) Narrative, Chicago/London: University of Chicago Press 1991, S. 1.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

ethnografischen Forschung als interaktive Praxis ermöglicht, in dem als »[a]ktiv (agentiv) nicht nur der oder die Übersetzende, sondern zugleich auch die beiden anderen beteiligten oder betroffenen Seiten«5 erscheinen. Eine Fokussierung auf Akteure und auf gemeinsame Praktiken wird hier durch eine »mikrohistorische Verkleinerung«6 des sozialen Feldes der Kontaktzone Amazonasregion realisiert. Die Identifizierung von besonderen Akteuren in der interaktiven Praxis des Übersetzens, wie z.B. die von logistischen Vermittlern und Dolmetschern, wird anhand der Figur des Dritten im ersten Teil des Kapitels eine wesentliche Rolle spielen. Die Beobachtung der Wiederholung von »wissensabhängigen Performances«, wie beispielsweise die des Dolmetschens, ermöglicht es, den »Ort des Sozialen«7 während der Feldforschung zu konturieren und dabei Kulturübersetzung anhand der Sprachvermittlung als eine konkrete soziale Praxis zu veranschaulichen. Im zweiten Teil werden Praktiken des Sammelns von Wissen in der ethnologischen Forschung, wie z.B. Übersetzung,Klassifizierung, Adaptierung und Manipulation, thematisiert. Am Beispiel der Praxis der Sprachaufnahme als eines der Elemente der Kulturübersetzung wird aufgezeigt, wie diese Praktiken zur frühen Systematisierung von Methoden in der Feldforschung beitrugen. Sprache bleibt in dieser Hinsicht keinesfalls eine abstrakte Entität, sondern ermöglicht es vielmehr, die materielle Seite der Kulturübersetzung anhand der Gestaltung von Artefakten – das heißt von Menschen gemachten Objekten, die es nicht von Natur aus gibt –8 wie Vokabellisten, Vergleichstabellen und linguistischen Völkerkarten, zu veranschaulichen. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird anhand von Prozessen der Textproduktion das kollaborative Übersetzen als eine besondere Praktik der Feldforschung untersucht. Als Kulturübersetzer agieren in der Folge nicht nur Ethnologen, sondern auch jene Akteure, die in diesen Übersetzungsprozessen mitwirkten.

2.1.

Die Figur des Dritten in der Feldforschung

Beim Zusammentreffen von Ethnologen und Indigenen handelte es sich um eine komplexe Form der Sozialisierung. Diese ist exemplarisch für die Begegnungen zwischen Europäern und Angehörigen außereuropäischer Gemeinschaften, die vor allem als ›kulturelle Begegnungen‹ betrachtet worden sind.9 Auf den Kontakt zwischen Ethnologen und indigener Bevölkerung im Amazonasgebiet angewandt, erscheint das Konzept der kulturellen Begegnung problematisch, denn es erweckt 5 6 7 8 9

Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 317. Haasis u.a.: »Was ist und was kann die Historische Praxeologie?«, S. 218. Reckwitz: »Die Reproduktion und die Subversion sozialer Praktiken«, S. 43. Vgl. Hahn, Hans Peter: Materielle Kultur: Eine Einführung, Reimer, Dietrich 2014. Vgl. Bitterli: Die »Wilden« und die »Zivilisierten«.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

die Vorstellung, es könne sich dabei um ein neutrales analytisches Konzept handeln.10 Dies birgt die Gefahr, dass die historischen und ideologischen Konnotationen dieses Konzepts in Vergessenheit geraten. Zudem impliziert die Vorstellung einer kulturellen Begegnung, dass Kulturen wie Entitäten sind, die sich treffen können. Daher erweist es sich als sinnvoll, sich die Tatsache zu vergegenwärtigen, dass Kulturen Johannes Fabian zufolge »cannot clash or be at war, nor can they encounter each other«11 . Vielmehr sind es Menschen mit Vorurteilen, Wünschen, Motivationen und Affekten und eben nicht ganze ›Kulturen‹, die sich begegnen. Überdies scheint die Vorstellung einer kulturellen Begegnung von einer binären Konzeptualisierung geprägt zu sein. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine binäre Beziehung bzw. eine Dyade, wie die Begegnung in der Form ›Ich‹ und ›der Andere‹ in den bekannten ›first contact ›-Szenen zeigt. Die Interaktionen zwischen Ethnologen und lokalen Akteuren zeigen im Gegensatz dazu, dass es sich bei der kulturellen Begegnung vielmehr um eine Triade handelte,12 die sich über den ersten Kontakt hinaus und bei längeren Aufenthalten konstituieren und entwickeln konnte. Eine solche kulturelle Begegnung als Voraussetzung für die Kulturübersetzung macht es möglich, den Fokus auf die spezifischen Praktiken und die jeweiligen Akteure zu lenken, also auf diejenigen, die vermittelten und dolmetschten. Dabei wird deutlich, dass Kulturübersetzung unter Mitwirkung von unterschiedlichen Akteuren praktiziert wurde, die in hierarchischen, aber nicht statischen Machtbeziehungen interagierten. Sowohl bei der sprachlichen Vermittlung als auch bei anderen Interaktionsformen in der ethnologischen Feldforschung handelte es sich um komplexe Vorgänge zwischen mehreren Akteuren und Medien. Der Ethnologe konnte Sprachaufnahmen und überhaupt seine gesamte Feldforschung nur durch die Vermittlung anderer Individuen (wie Dolmetschern) durchführen. Obgleich Dolmetscher konstitutiv für die Feldforschung und andere Formen der Begegnung waren, tendiert man dazu, diese Begegnung als Dyade zwischen Ego (Ethnologe) und Alter Ego (Indigene) zu konzeptualisieren. Ich stelle diese Konzeptualisierung einer dyadischen interkulturellen Begegnung hier in Frage. Zu diesem Zweck beziehe ich die Figur des Dritten in meine Analyse der sozialen Praxis der Kulturübersetzung mit ein. In der vorliegenden Studie ist diese Kategorie vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie einen mikroskopischen Blick auf soziale Dynamiken und Konflikte in der Kontaktzone erlaubt.

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Fabian, Johannes: »You Meet and You Talk. Anthropological Reflections on Encounters and Discourses«, in: Juterczenka, Sünne und Gesa Mackenthum (Hg.): The Fuzzy Logic of Encounter. New Perspectives on Cultural Contact, Münster: Waxmann 2009, S. 23-34, hier S. 25. Ebd., S. 26. Vgl. Fischer: »Der Dritte als Scharnierfigur«.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Die Figur des Dritten ist aus soziologischer Sicht relevant, weil ihre Präsenz für die Existenz verschiedener Formen der Vergesellschaftung essentiell ist.13 Sie geht auf die Soziologie Georg Simmels zurück (1908) und ist in letzter Zeit in soziologischen und kulturwissenschaftlichen Arbeiten wiederaufgenommen worden.14 In der Translationswissenschaft dient die Kategorie des Dritten besonders der Erklärung der Rolle von Dolmetschern in komplexen interkulturellen Settings.15 Wenn in dieser Untersuchung von dem Anderen bzw. dem Dritten die Rede ist, so bezieht sich dies auf jeden der Akteure in der Begegnung und nicht unbedingt auf die indigene Person, die hauptsächlich den Status des Anderen (Alter) in Bezug auf das Ich (Ego) erhalten hat.16 Mit dem Dritten meine ich eine dritte Entität, die zwar zwischen den anderen beiden Beteiligten eine vermittelnde Funktion haben kann aber auch gleichzeitig, um mit Joachim Fischer zu sprechen, den Unterschied zwischen dem Ich und dem Anderen (alter) macht.17 Der Dritte agiert als eine Figur der Übersetzung, die nicht Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen den Akteuren, sondern eher die Differenz zwischen ihnen in den Vordergrund bringt. Die Figur des Dritten ermöglicht es folglich im Zuge der Analyse von hegemonialen Quellen – in denen die Stimme des Autors andere Stimmen verschleiert –, die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Akteure, sondern auch auf die wechselseitigen Beziehungen zu lenken, die sich während der Feldforschung zwischen ihnen herausbilden, und erleichtert somit eine Lektüre der ethnografischen Texte gegen den Strich. Der Fokus wird hier nicht auf eine Beobachtung des Anderen (der beschriebenen Indigenen) aus der Perspektive des Ich (des beschreibenden Ethnologen) gelenkt, sondern auf die »Beobachtung der Beziehung oder Wechselwirkung zwischen ihnen; anders gesagt: in diesem Blick des Dritten ›beobachtet‹ sich die Beziehung, die Reziprozität der Perspektiven«18 . Reziprozität ist, um mit James Clifford zu sprechen, »a translation term«, dessen Bedeutungen von spezifischen Situationen des Kontakts abhängig

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Vgl. Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Vgl. Eßlinger, Eva u.a. (Hg.): Die Figur des Dritten: Ein Kulturwissenschaftliches Paradigma, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2010; Bedorf, Thomas, Joachim Fischer und Gesa Lindemann (Hg.): Theorien des Dritten. Innovationen in Soziologie und Sozialphilosophie, München: Wilhelm Fink 2010; Fischer: »Der Dritte als Scharnierfigur«; Breger/Döring (Hg.): Figuren der/des Dritten. Vgl. Bahadır, Şebnem: »The Interpreter as Observer, Participant and Agent of Change. The Irresistible Entanglement between Interpreting Ethics, Politics and Pedagogy«, in: Biagni, Marta, Michael Boyd und Claudia Monacelli (Hg.): The Changing Role of the Interpreter: Contextualising Norms, Ethics and Quality Standards, London/New York: Routledge 2017, S. 122-145; Bahadır, Şebnem: Verknüpfungen und Verschiebungen. Dolmetscherin, Dolmetschforscherin, Dolmetschausbilderin, Berlin: Frank & Timme 2007. Vgl. Todorov: Die Eroberung Amerikas: das Problem des Anderen. Fischer: »Tertiarität/Der Dritte«, S. 132. Ebd., S. 143.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

sind. Es sind reziproke Aktionen von Menschen und nicht nur von Gegenständen, Botschaften, Waren und Geld, durch welche sich Kontaktzonen auszeichnen.19 Der Dritte in der ethnologischen Feldforschung wurde sowohl von den Ethnologen als auch von den Indigenen als »Fremder«, als »Beobachter«, als »Störer«, als »Händler« oder als »Vermittler«20 (Bote21 oder Dolmetscher) wahrgenommen. Es handelt sich dabei um eine ambivalente Figur, die einerseits als Brücke zwischen den Sprachen und Kulturen wahrgenommen wurde, andererseits jedoch keine neutrale Haltung einnehmen konnte. Diese Ambivalenz ist als »double blind« bezeichnet worden22 und kann analog zur Ambivalenz der Übersetzung verstanden werden, denn obwohl angenommen wird, dass letztere Kommunikation und Annäherung ermöglicht, kann sie gleichzeitig auch Momente der Kontingenz und des Konflikts hervorrufen. Die Figur des Dritten ist demzufolge als eine Entität in Übersetzung zu betrachten. Dolmetscher werden im Folgenden als dritte Figur betrachtet, die Teil einer triadischen Interaktion sind und infolge ihrer Positionierung im Spannungsfeld der Begegnung als Menschen »in-between, acting from a space in between«23 aufzufassen sind. Hier weist das in auf einen situativen und kontextabhängigen Zustand hin, durch den sich das Dazwischen des Dritten und mithin auch seiner Ambivalenz auszeichnen.24 Zwar spricht der Dritte in erster Linie mit der Stimme der Ethnologen-Autoren der hier behandelten Texte zu uns, aus deren Perspektive wir aber Zugang zu anderen Perspektiven erhalten können. Eine aufmerksame Lektüre von Szenen des reziproken Austauschs ermöglicht es, andere Figuren des Dritten in der Feldforschung zu identifizieren. Ich werde im Folgenden den Fokus auf Vermittler legen, die in der Gestalt von Kautschukhändlern, anderen Forschern, Indigenen und Missionaren vorkommen. Insbesondere der Dritte als Dolmetscher ermöglicht ein Ver-

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Clifford: Routes, S. 194f. Vgl. Eßlinger u.a. (Hg.): Die Figur des Dritten. Eine der Aufgaben der Indigenen, aber auch Otto Schmidts, bei Koch-Grünbergs Reisen bestand darin, als Boten zu dienen und z.B. die gesammelten Objekte nach São Felipe oder zu den Inspektoren zu bringen, ebenso wie Post zu holen. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 92. Bedorf, Thomas: »Stabilisierung und/oder Irritation. Voraussetzungen und Konsequenzen einer triadischen Sozialphilosophie«, in: Bedorf, Thomas, Joachim Fischer und Gesa Lindemann (Hg.): Theorien des Dritten. Innovationen in Soziologie und Sozialphilosophie, München: Wilhelm Fink 2010, S. 13-32, hier S. 26. Bahadır: »The Interpreter as Observer, Participant and Agent of Change«, S. 128. Dieses Dazwischen ist in der Kulturwissenschaft als in-between bezeichnet worden und bezieht sich sowohl auf Individuen als auch auf abstrakte oder materielle Räume. Vgl. Bachmann-Medick, Doris: »Dritter Raum. Annäherungen an ein Medium kultureller Übersetzung und Kartierung«, in: Breger/Döring (Hg.): Figuren der/des Dritten. In der Translationswissenschaft vgl. Wolf: »The Location of the ›Translation Field‹. Negotiating Borderlines between Pierre Bourdieu and Homi Bhabha«.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

ständnis von Kulturübersetzung, das diese nicht mehr als Repräsentation, die sich aus der Urheberschaft des Ethnologen ableitet, begreift, sondern als eine soziale Praxis, in welcher der Ethnologe nur einer von mehreren beteiligten Dritten ist. Die Trennung zwischen nicht-indigenen und indigenen Vermittlern dient in diesem Abschnitt lediglich heuristischen Zwecken und nicht etwa der Herstellung oder Verstärkung von dichotomischen Kategorien. Eine vollständige Identifizierung der zahlreichen Vermittler, die in der Feldforschung involviert waren, erweist sich jedoch als schwierig, weil einige von ihnen anonym bleiben wollten, während andere anonymisiert wurden. Es geht mir in dieser Untersuchung auch nicht um eine Auflistung von Namen, sondern vielmehr darum, die sozialen Konstellationen der Feldforschung zu konturieren, die für die interaktive Praxis der Kulturübersetzung konstitutiv waren. Die Menschen, die in Kontakt zueinander traten, waren Akteure/Individuen, in denen sich bestimmte Praktiken als (körperliche und mentale) Routinen kreuzten25 .

Erste Vermittler am Beispiel der Expeditionen Theodor Koch-Grünbergs Aufgrund der Fülle an Informationen und Materialien in Koch-Grünbergs Nachlass lässt sich die Rolle des Dritten in der Form von ersten Vermittlern in der ethnologischen Feldforschung besonders gut veranschaulichen. Die Tatsache, dass der Ethnologe Namen, Orte und Verhältnisse erwähnt, die auch in anderen Quellen zur Geschichte der Amazonasregion zu finden sind, ermöglicht es, das soziale Gefüge der Kontaktzone und das Netzwerk seiner Expedition präziser herauszuarbeiten. Erste Vermittler vor Ort waren meistens Diplomaten und andere Deutsche bzw. deutschstämmige Personen, die den Ethnologen in praktischen Reiseangelegenheiten und weiteren organisatorischen Fragen unterstützten. Ein erster Kontakt für Theodor Koch-Grünberg war der deutsche Konsul Oscar Dusendschön, den er in Manaus kennenlernte. Er erhoffte sich von dessen Hilfsbereitschaft die Vermittlung wichtiger Kontakte im Amazonasgebiet, die sich für den Forscher als nützlich erweisen sollten, da Dusendschöns Firma unter anderem auch mit Kautschuk handelte. Dusendschön ist als einer der ersten Vermittler zwischen Koch-Grünberg und den dortigen Kautschukhändlern zu betrachten, denn er musste im Besitz von Informationen über die wichtigsten Kautschukhändler der Region sein und könnte Koch-Grünberg geraten haben, diese zu kontaktieren. Daher ist anzunehmen, dass Koch-Grünberg schon vor Beginn seiner Expedition sehr wohl wusste, dass

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Im Anschluss an den deutschen Soziologen Georg Simmel versteht Reckwitz das Individuum als »the unique crossing point of practices, of bodily-mental routines«. Reckwitz: »Toward a Theory of social Practices«, S. 256.

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die wichtigste Voraussetzung, um überhaupt in die Gegend reisen zu können, gute Kontakte zu Kautschukhändlern waren. In einem Schreiben an seinen Vorgesetzten erwähnt er, dass »der Peruaner [Carlos] Scharff« Dusendschöns »Lieferant in Kautschuk« war, von den er bereits ein Empfehlungsschreiben hatte.26 Das ursprüngliche Ziel seiner ersten Expedition war die Erforschung der Flüsse Purús und Ucayali im Westen Brasiliens, wo Carlos Scharff sein Kautschukgebiet hatte. Dennoch musste der Forscher seine Pläne bereits zu Beginn der Reise ändern, denn aufgrund des niedrigen Wasserstandes und eines starken Fiebers konnte die Fahrt zum Purús nicht durchgeführt werden. Überdies erwies sich eine Reise zum Fluss Ucayali aufgrund der gefährlichen Lage, in der sich die Region infolge der Kautschukgewinnung befand, als ebenso undurchführbar, und zwar nicht zuletzt wegen der gewalttätigen Auseinandersetzungen, die auf das Konto von Scharff selbst, der für seine Gewalt gegenüber der indigenen Bevölkerung bekannt war, gehen sollen.27 In Manaus, wo Koch-Grünberg sich von seinem Fieber erholte, erhielt er wertvolle Informationen über den Fluss Uaupés am oberen Rio Negro und entwarf einen alternativen Plan, der vor allem dank der finanziellen Unterstützung seiner zukünftigen Schwiegermutter durchgesetzt werden konnte.28 Dort lernte er auch seinen zukünftigen Reisebegleiter, den »Deutschbrasilianer« Otto Schmidt29 kennen, der aus einer deutschen Kolonie in Vitória Espírito Santo stammte. Schmidt

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Vgl. den Brief an Karl von den Steinen vom 4. Juli 1903. ES Mr B.IV. Feldpost. Die deutschen Geschäftsreisenden Alfred Reich und Felix Stegelmann waren davor in Kontakt mit Scharff. Koch-Grünberg bekam durch Vermittlung des ethnologischen Museums von Stegelmann Informationen zum Gebiet und zu Carlos Scharff. Vgl. 18.7.1903. SMB-PK, EM. I B 44. Zu Reich und Stegelmann vgl. Stegelmann, Felix und Alfred Reich: »Bei den Indianern des Urubamba und des Envira [Mit einem Geleitwort von Karl von den Steinen]«, in: Globus 83 (9): 133-137. 83/9 (1903), S. 133-137. Zur Rolle von Scharff in der Geschichte des peruanischen Amazonas und des dortigen Kautschukanbaus vgl. Dole, Gertrude E.: »Los Amahuaca«, in: Santos-Granero, Fernando und Frederico Barclay Rey de Castro (Hg.): Guía etnográfica de la Alta Amazonía. Volumen III: Cashinahua. Amahuaca. Shipibo-Conibo, Lima: Institut français d’études andines 1998, S. 125274. In einem Brief an seinen Vorgesetzten Karl von den Steinen berichtet Koch-Grünberg über seine neuen Pläne: »Ich habe es vorgezogen, zunächst zum Uaupés zu gehen, einmal, weil dies seit Jahren schon ein Lieblingsplan von mir war, […] endlich, weil mir in Manáos von kompetenten Seiten bestätigt wurde (-wie auch jetzt hier auf dem Dampfer,-)dass dort bei der Menge fast unberührter Indianerstämme, die noch völlig in ihren alten Sitten und Gebräuchen leben, ein wahres Eldorado für den Ethnographen und Sammler sei«. 4. Juli 1903. ES Mr B.IV. Feldpost. Koch-Grünberg schrieb in sein Tagebuch: »Der Deutschbrasilianer Schmidt ist anscheinend ein anständiger, anstelliger und williger Mensch. Er unterstützt mich nachher vorzüglich bei der Sprachaufnahme, spricht perfekt Deutsch und Portugiesisch und hat sich mir als Begleiter angeboten für monatliche 180 Milreis«. ES Mr B.I.2. Heft 1. 9.6.1903.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

und Dusendschön waren erste kulturelle Vermittler in dieser Expedition, sie waren dabei triadische Figuren. Hauptmerkmale der Figur des Dritten waren in erster Linie die Kontakt- und die Sprachvermittlung. Ihre Funktion bestand darin, dem Forscher den Kontakt zur dortigen Bevölkerung zu ermöglichen und dabei die Verständigung durch Dolmetschen zu erleichtern. Der Dritte, wie z.B. der Konsul Oscar Dusendschön, konnte über lokales Wissen verfügen, gegebenenfalls Autorität ausüben und für die Expedition vorteilhafte soziale Netzwerke vermitteln. Abbildung 10: Im São Felipe: Germano Garrido y Otero im Zentrum zusammen mit zwei italienischen Priestern und einigen Arbeitern. Links, Salvador Garrido. Abzug aus Theodor Koch-Grünberg Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-A2-1a.

Zwar erscheint Otto Schmidt auf den ersten Blick als gleichberechtigter Partner von Koch-Grünberg und ihre Beziehung gestaltete sich zumindest während der Reise auch als eine Art Freundschaft, dennoch erfüllte Schmidt die Funktionen eines Dritten. Schmidt dolmetschte zu Beginn der Reise oft für den Forscher vom Portugiesischen ins Deutsche. Ferner konnte er aufgrund seiner Positionierung als geborener Brasilianer eine gewisse Autorität gegenüber den Indigenen ausüben. Diese kam insbesondere zum Ausdruck, wenn es darum ging, Handel zu treiben. Beim Erwerb einiger Gegenstände war es Schmidt – und nicht Koch-Grünberg –,

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

der so manche Gelegenheit zum Handeln ausnutzte.30 Trotz seiner bedeutenden Rolle in dieser Expedition wurde er oft lediglich als »Diener« bezeichnet31 , was seine Position als »ausgeschlossener«32 Dritter – und eben nicht als gleichberechtigter Partner – untermauert. Dagegen kann Alfredo Stockmann, der deutsch-britischer Abstammung war, als Gleichberechtigter betrachtet werden, den Koch-Grünberg zu Beginn der Reise kennenlernte und mit dem er nach seiner Reise noch jahrelang einen Briefwechsel unterhielt.33 Beide reisten bis zum 18. August 1903 gemeinsam mit ihren ›Dienern‹, dem »Arauna« Saturnino und Otto Schmidt.34 Stockmann arbeitete für die Para-Rubber-Plantation-Company in New York und reiste geschäftlich in die Orinoko-Region35 , aufgrund dieser Tätigkeit sollte er später auch als Vermittler für Koch-Grünberg dienen. Als der wichtigste Vermittler in Koch-Grünbergs Reise wurde bereits der spanische Einwanderer Germano Garrido y Otero vorgestellt, den er durch seine Bekanntschaft mit dessen Sohn Salvador Garrido36 kennenlernte (Abb. 10). Der Kontakt zu Garrido y Otero stellte zunächst die einzige Möglichkeit dar, an Boote und Ruderer zu gelangen. Garrido y Oteros Mitwirkung als Europäer sowie als Einwohner, der seit über 20 Jahren in der Region lebte und der über Beziehungen zu den Indigenen verfügte, manifestierte sich in seiner Rolle als Vermittler zwischen den Indigenen und Koch-Grünberg. Dessen Macht und jener anderer Kautschukhändler in der Gegend war sich Koch-Grünberg sehr früh bewusst, so berichtet er,

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»Schmidt nimmt klugerweise die Gelegenheit wahr und erhandelt für 2 Fläschen Parfüm die beiden schönen Tariana-Töpfe. –Die Weiber springen förmlich, sie zu haben! Diese dumme Bande!« ES Mr B.I.2. Heft 1 19.7.1903. Allerdings bat Koch-Grünberg seinen Freund Prof. Emil Goeldi »das brasilianisch-portugiesische Wort ›criado‹ für ihn [Schmidt] in der portugiesischen Version meiner beiden Berichte zu vermeiden, da es hier eine erniedrigende Bedeutung zu haben scheint. Nehmen Sie dafür, bitte, lieber, »Camarada« oder eben »empregado [Mitarbeiter, Angestellter].« 19.6.1904. ES Mr B.IV. Feldpost. Fischer: »Der Dritte«, S. 126. ES Mr B.I.2. Heft 1. 10.7.1903. ES Mr B.IV. Feldpost S. 53, 57-58. Vgl. auch B.I.2. 3., 18. und 27. 8.1903. Heft 1. In der Region Casiquiare sollte er später die Kaufverträge von Land für den Kautschukanbau an Mitarbeiter der Pará-Rubber-Plantation-Company zu Protokoll nehmen. Vgl. González Mazzorana, Nestor Rafael: El Regatón, Caracas: Fundación Editorial el Perro y la Rana 2012, S. 256. »Einige neue Passagiere waren hinzugekommen, unter Ihnen Salvador Garrido aus São Felippe, der Herr eines Batelão, mit dem mich später noch herzliche Freundschaft verbinden sollte, und Ricardo Vicente Cluny, Superintendente [Landrat] von São Gabriel, […] an den ich offizielle Empfehlungen hatte. Ein günstiger Zufall«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 16. Koch-Grünberg korrespondierte nach der Expedition weiter mit Salvador Garrido. ES Mr A.12, siehe auch A.16.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

»ohne seine Zustimmung [ist] ein Eindringen in den Içana und seine Nebenflüsse unmöglich«37 . Garrido y Otero spielte die Rolle des Dritten als Mäzen, denn er erlaubte KochGrünberg nicht nur die Erforschung des von ihm ausgebeuteten Gebietes (inklusive der Einwohner desselben), sondern fungierte auch als Versorger und Hauptunterstützer von dessen Unternehmungen. Ihre Freundschaft pflegten sie über Jahre hinweg und blieben auch nach dem Ende der Expedition in Kontakt. Vermutlich infolge der gemeinsam in São Felippe verbrachten Zeit und der Sympathie KochGrünbergs für Garrido y Otero verwandelte sich die zunächst pragmatische Beziehung zwischen Kautschukhändler und Ethnologe relativ schnell in eine Art Freundschaft, die Koch-Grünberg zu seinem Vorteil nutzen konnte. Er bezeichnete z.B. Garrido als seinen »alte[n] Freund«,38 ja sogar als seinen »Vater in der Fremde«. Der Nutzen, den Garrido y Otero aus seiner Freundschaft mit dem Ethnologen ziehen konnte, lässt sich anhand der Quellen nicht genau identifizieren. Dagegen war Garrido y Oteros Nutzen für den Ethnologen erheblich, da er die Region sehr gut kannte und besonders für die Erstellung von geografischen Informationen hilfreich war, so z.B. als er für Koch-Grünberg eine Karte mit den wichtigsten Flüssen und Zuflüssen der Region entwarf39 . Im Falle von Koch-Grünbergs zweiter Expedition (1911-1913) lässt sich die Figur des Dritten ebenso anhand weiterer Vermittler zwischen Deutschland und Brasilien veranschaulichen. Bei dieser Reise konnte der Ethnologe im Gegensatz zur ersten Expedition seinen Plan zum einen deswegen besser vorbereiten, weil er in eine Region fahren wollte, die 71 Jahre vor ihm bereits die Brüder Robert und Richard Schomburgk bereist hatten40 . Zum anderen war er diesmal vor Ort schon besser vernetzt und konnte mit wertvollen Informationen von seinen Kontakten in Brasilien rechnen. Mit Garrido y Otero stand er weiter in Kontakt und konnte von ihm einen Kredit während der Reise bekommen.41 Sein Freund, der deutsche Botaniker Ernst Ule, der zu jener Zeit in Brasilien forschte, gab ihm Ratschläge zu Kontaktpersonen und stellte ihm eine fotografische Ausrüstung zur Verfügung.42 37 38 39

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ES Mr B.IV. Feldpost S. 18. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 31. »Der Alte entwirft mir eine Karte vom Içana, Rio Negro-Guanía und ihren Verbindungswegen mit Orinoko resp. Caiarí; für mich sehr wichtig«. Tagebucheintrag 22.8.1903. ES Mr B.I. 2. Heft 1. Vgl. Schomburgk, Richard und Robert H. Schomburgk: Reisen in Britisch-Guiana in den Jahren 1840-1844, Leipzig: J.J. Weber 1847. Vgl. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 155. Vgl. auch die von Garrido y Otero erstellten Rechnungen vom 28.2.1913 und 1.3.1913. ES Mr A.12. Zuständig für die Zusendung von Post, Geld, Waren und Krediten war die Firma Dusendschön, Zarges & Ca. In einem Brief von Ernst Ule an Theodor Koch-Grünberg machte Ule seine Position zur Kautschukgewinnung deutlich: »Mir ist es auch nicht angenehm, damit zu thun zu haben, aber

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Auch bei seinem Freund Alfredo Stockmann, der aufgrund seiner Tätigkeiten für die Pará Rubber Plantation Company häufig in Brasilien war, erkundigte sich KochGrünberg über mögliche Kontakte vor Ort, Transportmöglichkeiten und weitere für die Expedition relevante Auskünfte.43 In Manaus, wo Koch-Grünberg sich zu Beginn der Expedition für drei Wochen aufhielt, trat er in Kontakt mit dem damaligen deutschen Konsul und Kaufmann Emil Zarges; jedoch erwies sich diese Beziehung als schwierig44 , weshalb KochGrünberg Hilfe bei anderen Repräsentanten der Macht in dieser Stadt suchte, in der ein deutscher Kolonist ihm bei der Beschleunigung der Zollformalitäten half. Die Planung der Expedition und der Kontakt zu Vermittlern vor Ort wurden auch durch seine Vernetzung in Europa möglich. In Deutschland informierte ihn beispielsweise der Herausgeber der Zeitschrift Süd- und Mittelamerika über Pläne anderer Reisender in dieselbe Gegend, die Koch-Grünberg zu erforschen plante.45 Durch die Vermittlung von Garrido y Otero fand Koch-Grünberg im Dorf in São Marcos seinen zukünftigen Expeditionsbegleiter Hermann Schmidt, einen Deutschen aus Wittstock und Kolonisten in Rio Grande do Sul und Campos Sales46 , der 1911 bei Garrido arbeitete. Garrido empfahl ihm Schmidt als Reisebegleiter47 . In São Marcos lernte Koch-Grünberg auch den Administrator des Ortes, José Ricardo Franca das Neves, kennen, der ihm als Kontaktperson empfohlen wurde48 , da Ne-

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ich wollte doch nicht die Gelegenheit versäumen so viel zu verdienen und sorgenlos in die Zukunft bleiben zu können. […] Sonst arbeite ich lieber in den Indianergebieten, wo es keinem Kautschuk gibt«. 2.9.1910. ES Mr A.11. Vgl. Alfredo Stockmann an Koch-Grünberg 15.1.1911. ES Mr A.11. Vgl. den Brief von Ernst Ule an Koch-Grünberg vom 2.9.1910. ES Mr A.11. Emil Zarges war zusammen mit Christian Adolf Franz Berringer und Hugo Ohliger Mitgründer der Firma Zarges, Berringer & Cia. die sich auf den Transport, die Vertretung amerikanischer und europäischer Banken und vor allem auf den Export von Produkten des Amazonasgebietes, unter ihnen Kautschuk, spezialisiert hatte. Ihre Firma gilt als eines der größten Kautschukexportunternehmen. Vgl. Schumann, Leonor und Thekla Hartmann: »Coleções etnográficas brasileiras em Stuttgart: histórico e composição«, in: Rev. do Museu de Arqueologia e Etnologia, S. Paulo 2 (1992), S. 125-132. Vgl. auch die elektronische Zeitung Novo Milenio URL: www.novomilenio.inf.br/santos/h0300g43c.htm. Letzter Zugriff am 7.6.2019. Paul Traeger an Koch-Grünberg 4.3.1911. ES Mr A.11. Hermann Schmidt hatte davor zusammen mit dem Österreicher Ludwig Weiss als »Botaniker oder Zoologe« ethnografische und zoologische Sammlungen am Rio Branco im Auftrag des Museu Amazonense in Manaus durchgeführt. Zwischen 1910 und 1911 wartete Schmidt in São Felipe bei Garrido y Otero auf Weiss, der ihre letzte Sammlung nach New York gebracht hatte und mit der Bezahlung zurückkehren sollte. Weiss kam jedoch nie wieder zurück und Schmidt, der eigentlich Tischler war, arbeitete als solcher für Garrido. Saake: »Don Garrido und Dr. Koch-Grünberg«, S. 140. Zur Geschichte der Sammlung Schmidt und Weiss im American Museum of Natural History in New York vgl. Herrera Vargas: »Coleccionando el Amazonas«. Schreiben von Germano Garrido y Otero an Theodor Koch-Grünberg 1.3.1911. ES Mr A.10. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 16.

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ves bereits den deutschen Fotografen Georg Huebner und den Botaniker Ernst Ule kannte. Neves war der mächtigste Akteur in São Marcos; er hatte »einen weitgehenden Einfluß bei den Ansiedlern« und nicht zuletzt bei den »relativ zahlreichen Indianern«49 . Dank seiner Unterstützung wurde São Marcos ein Stützpunkt dieser Expedition. Im Laufe der Reise trafen Koch-Grünberg und seine Begleiter immer wieder auf Kautschukhändler. Es lässt sich somit feststellen, dass Kautschukhändler in den sozialen Interaktionen zwischen indigener Bevölkerung und Koch-Grünberg die Figur des Dritten nicht nur als Vermittler, sondern auch als herrschende Dritte verkörperten. Chicho schickt sie deshalb den Iureua aufwärts, damit sie dort einige von seinen eigenen Leuten für mich holen, obwohl diese jetzt mitten in der Kautschukarbeit fast unabkömmlich sind. Den ganzen Tag herrscht ein beständiges Kommen und Gehen von Booten. Chichos Leute bringen Kautschuk in großen, runden Ballen und nehmen Waren in Empfang. Außer Negern und Farbigen hat er Indianer verschiedener Stämme in seinen Diensten. Makiritäre (meistens Dekuana und Ihuruäna), Piaroa, Piapöko vom Guaviare, Puinäve vom Inirida, Guahivo vom Vichada, Yavitero vom oberen Atabapo und sogar einen Tukano von fernen Uaupés. Abends bringt er mir einen Piapöko, mit dem ich eine kleine Wörterliste aufnehme. Es ist ein Aruak-Dialekt, näher verwandt dem Karütana, das am oberen Rio Negro und am Atabapo gesprochen wird.50 Im Ort »Descanso«, dem Wohnort des Kautschukhändlers Rafael Federico »Chicho« González51 durfte Koch-Grünberg González’ indigene Kautschuksammler zu ihrer Sprache befragen, wie auch im Kautschukhandelszentrum San Fernando de Atabápo am Ende der Roraima Expedition: »Ich verwendete die Zeit zu Sprachaufnahmen und erhielt von Indianern, die in San Fernando und in der Umgebung bedienstet waren, größere Wörterlisten des Piapöko, Guahivo und Puinäve«52 . In San Fernando de Atabápo konnte Koch-Grünberg nicht nur seine sprachlichen Studien weiterführen, sondern auch einen Kredit von einem Italiener, einem Bekannten Garridos, bekommen.53 Der Ethnologe und seine Begleiter hielten sich auch 49 50 51

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Ebd., S. 18. Ebd., S. 389f. Zu González und zur Geschichte der Kautschukausbeutung im venezolanischen Amazonas vgl. Iribertegui, Ramón: Amazonas, el Hombre y el Caucho, Caracas: Vicariato Apostólico de Puerto Ayacucho 1987. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 395. Über den Kautschukhandel am Hafen San Fernando berichtete Koch-Grünberg: »Ähnlich wie in den großen Handelsplätzen am Amazonas, so spielt auch im kleinen San Fernando der Kautschuk die größte, man kann wohl sagen, die einzige Rolle. Der ganze Handel geht mit Lastbooten über die »Raudales«, die großen Stromschnellen von Maipures und Atures nach Ciudad Bolivar und von da nach England und den Vereinigten Staaten«. Ebd. Vgl. die kritische

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beim Franzosen Jacinto Gavini aus Korsika auf, der ebenfalls mit Kautschuk handelte; auch hier wurden sprachlichen Studien angestellt und ein Boot für die Reise erworben54 . Orte wie São Felippe, Descanso oder La Libertad55 und Personen wie die erwähnten Kautschukhändler waren äußerst wichtig Ressourcen für die ethnologische Forschung, um in relativ kurzer Zeit sowohl Angehörige unterschiedlicher indigener Gemeinschaften als auch Dolmetscher zu finden und so mehrere Sprachen aufnehmen zu können, ohne weiterreisen zu müssen. Solche Szenen der Feldforschung, wie die soeben zitierte, berichten einerseits über die Aktivitäten der Kautschukhandelszentren, über die an diesen Aktivitäten beteiligten Akteure und über die multilingualen Bedingungen in der Kontaktzone des Amazonasgebietes, in der Spanisch, Lingua Geral und weitere indigene Verkehrssprachen zusammentrafen. Andererseits sind solche Szenen exemplarisch für die Stellung der Ethnologen in dieser Kontaktzone, in der sie die »Machtverhältnisse des ›settings‹, also der auch nach Beendigung der europäischen Kolonialherrschaft in Südamerika für die Indianer weiterhin bestehenden Kolonialsituation (wenn auch nun unter einheimischen Machthabern) für das eigene Fortkommen zu instrumentalisieren [versuchten]«.56 Zum Setting der ethnologischen Forschung im Amazonasgebiet gehörten andere Vermittler wie z.B. Missionare. Sie waren für die ethnologische Forschung zunächst vor allem deshalb relevant, weil sie vor den Ethnologen in viele Orte der Region eingedrungen waren und in Kontakt mit vielen indigenen Gemeinschaften getreten waren. Auf ihre zahlreichen und ausführlichen Texte stützten sich Ethnologen häufig, insbesondere wenn es in ihren Abhandlungen darum ging, historische Informationen über eine indigene Gemeinschaft zu geben.57 Die Missionare waren darüber hinaus vor Ort relevant, denn sie waren mit der lokalen Situation vertraut, hatten bereits die notwendigen Sprachkenntnisse und fungierten nicht

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Ausgabe von José Eustasio Riveras Roman La Vorágine, in dem der Kontext der Kautschukgewinnung in den Grenzregionen Kolumbien-Venezuela-Brasilien geschildert wird. Rivera, José Eustasio und Flor María Rodríguez-Arenas: La Voragine. Edición Crítica, Doral, FL: Stockcero 2013. »Unter den zahlreichen Indianern Gavinis [eines Kautschukhändlers], meistens Baniwa von Maróa, befand sich auch ein Adzáneni von einem Stamme des oberen Guainia, der von den Baniwa mit Spottnamen Karúsana, Karo, Korikaró oder Koripág genannt wird. Die Sprache, von der ich noch bis tief in die Nacht hinein eine Wörterliste aufnahm, ist eng verwandt den Aruak- Sprachen des Icána«. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 400. Die Namen dieser Orte, Descanso = Ruhe oder La Libertad = Freiheit, stehen in krassem Widerspruch zur Realität. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 312. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 4ff.

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zuletzt auch als Repräsentanten von Macht in der Region. Der Kontakt zu den Missionen erfolgte für gewöhnlich von Deutschland aus, so auch im Fall von Wilhelm Kissenberth, der vor seiner Expedition zu einer Audienz mit dem Oberhaupt der französischen Dominikaner-Mission am Araguaya nach München fuhr. Auf diese Weise konnte er mit der Unterstützung der dortigen Mission rechnen.58 Missionare waren aber auch umstrittene Repräsentanten von Macht, auf die die Ethnologen dennoch häufig angewiesen waren, obgleich sie mit der Christianisierung der Indigenen nicht immer einverstanden waren, weil letztere infolge dieser Missionierung ihre Kultur verlieren würden.

Abbildung 11: Pater Adalbert Kaufmehl (Erster von links nach rechts), Theodor Koch-Grünberg (Mitte), Herrmann Schmidt (Mitten hinten) und die Mitglieder der Benediktiner Mission. Abzug aus Theodor KochGrünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KH-H-I.

Insbesondere im Kontext der zweiten Expedition Koch-Grünbergs spielt ein Missionar eine besondere Rolle. Im Ort Boa Vista lernte er den Benediktinerpater Adalbert Kaufmehl kennen, dessen Mission sich im Ort Capella befand (Abb. 11).59

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Vgl. Kissenberth: »Über die hauptsächlichsten Ergebnisse der Araguaya-Reise«. Vgl. auch Hermannstädter: »Eine vergessene Expedition«. Pater Adalbert konnte in dieser Fotografie anhand einer anderen Fotografie in der Dissertation von Marcela Marques Monteiro identifiziert werden. Zur Mission Benediktiner in der Region vgl. Marques Monteiro, Marcela : »Bulletin des oeuvres et missions Bénédictines au

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Anhand der Quellen lässt sich feststellen, dass eine in Deutschland erstellte Empfehlung von Pater Schmidt, dem Leiter der Zeitschrift Anthropos, von Bedeutung für diese Reise sein konnte, denn diese Empfehlung war an Missionare gerichtet, die Koch-Grünberg bei seinem Unternehmen helfen konnten.60 Mit Pater Adalbert ging Koch-Grünberg zum Dorf Koimelemong. Das Dorf war eine »junge Station« der Benediktiner-Mission an einem Fluss, dem »oberen Surumú«.61 Dort wohnte der Ethnologe in der »Hütte der Missionare«62 und konnte für einige Wochen – in seinen Worten – »ein idyllisches Leben« führen63 . In der Benediktiner-Mission São Gerardo da Brogna, wo Pater Adalbert zusammen mit fünf weiteren Missionaren wohnte, fand Koch-Grünberg weiterhin wertvolle Unterstützung. Pater Adalberts Vermittlung bezog sich demzufolge nicht nur auf den Kontakt zu den Indigenen seiner Mission, sondern auch auf die sprachliche Vermittlung, und zwar in der Form von Vokabularien, die bereits auch von ihm selbst ins Deutsche übersetzt worden waren. Diese Vokabularien dienten vermutlich als Grundlage für KochGrünbergs sprachliche Studien zu den indigenen Sprachen am Roraima, die jedoch erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden und keinerlei Hinweise auf Pater Adalberts Vorarbeiten geben.64 Obwohl der Ethnologe ihn in seiner Monografie zur Roraima-Expedition erwähnt, lässt sich dessen Vermittlungstätigkeit ausschließlich anhand der Tagebücher und des Briefwechsels zwischen beiden rekonstruieren, weil Adalbert selbst darauf bestand, anonym zu bleiben und daher KochGrünberg darum bat, dass seine Bilder ebenso wie seine Identität nicht an die Öffentlichkeit gelangen.65

Der Dritte als Dolmetscher Bei den Dolmetschern handelt es sich um eine der bisher vernachlässigsten Figuren in der Geschichte der ethnologischen Feldforschung im Amazonasgebiet. Dolmetscher in der Feldforschung waren insider, die über lokales Wissen verfügten und

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Brésil (1909-1914); Cenas genéricas e padrões retóricos literarios«, unv. Diss. Rio de Janeiro: Universidad Federal do Rio de Janeiro 2017. Schreiben von Pater Schmidt 29.4.1911. ES Mr A.10. Vgl. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 15. Ebd., S. 34. Ebd., S. 36. Vgl. Koch-Grünberg, Theodor: Vom Roroima zum Orinoco: Ergebnisse einer Reise in Nordbrasilien und Venezuela; in den Jahren 1911 – 1913, Sprachen, Bd. 4, Stuttgart: Strecker & Schröder 1928. »Ich möchte Sie nämlich ersuchen von meinem Geschlechtsnamen und Geburtsort keine Erwähnung zu Thun in Ihren Veröffentlichungen und Conferenzen, desgleichen liegt mir sehr daran, dass das Bild mit unserer Gruppe und der Reihe nackter Mädchen in nächster Nähe (linker Hand) nicht veröffentlicht werde.« Pater Adalbert Kaufmehl an Theodor KochGrünberg, 31.5.1912. ES Mr A.13. Wahrscheinlich wurde das erwähnte Bild nicht veröffentlicht. Der Name Pater Adalberts erscheint allerdings in der Monografie über diese Expedition.

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dieses mit den Ethnologen oft in Übersetzungssituationen teilten. Dolmetscher sind insbesondere als Individuen zu begreifen, in denen die Intersektion von sozialen Praktiken deutlich hervortrat.66 Sie waren polyvalente Individuen, in denen mehreren Facetten aufschienen. Sie konnten in einer Person als Erzähler, Dolmetscher, Begleiter, Ruderer, Koch, Postbote usw. fungieren. Dolmetscher sind für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung vor allem deshalb relevant, weil sie es ermöglichen, das Wie der Kulturübersetzung im Detail herauszuarbeiten. Dolmetscher verkörperten eine triadische Figur par excellence und in ihrer Rolle als Dritte fördern sie die Erkenntnis zutage, dass es nicht nur den Einen, den Ethnologen, und den Anderen, den Indigenen, gab, sondern auch »den Dritten als Boten, als Übersetzer, der zwischen ihnen Botschaften [übermittelte]«67 . Wie die Figur des Dritten, in diesem Fall die des Dolmetschers, zur Feldforschung gehörte, zeigt Karl von den Steinens Schilderung der folgenden Begebenheit aus seiner zweiten Xingú Expedition: Wartend sass ich am Strande; schon kam Carlos zurück, als ich einen Büchsenschuss flussabwärts plötzlich ein Kanu bemerke. Ein einzelner nackter Indianer steht darin und strebt eilfertig dem Ufer zu; dort lenkt er das Fahrzeug hinter ein abgestürztes Baumgeripp und duckt sich in seinem Schutze vorsichtig nieder. »Bakaïrí, » schrie ich aus Leibeskräften, »kúra Bakäirí, áma Bakaïrí, úra Bakäirí«, wir sind Bakäirí, du bist ein Bakäirí, ich bin ein Bakäirí, die Bakäirí sind gut – kurz schreie, was mir der Geist von Reminiscenzen aus den Begrüssungsformeln gerade jenes Stammes eingiebt, in freudigster Erregung. Und siehe da: » Bakäirí, Bakäirí, Bakäirí » klingt es zurück. Andere Worte kommen hinzu, die ich leider nicht verstehe, aber die hoch emporgeschraubte Stimme trägt einen unglückselig ängstlichen und misstrauischen Ausdruck, und die Arme fuchteln hinter dem Baumgeripp in der Luft herum, als ob der Mensch dort tanze wie ein Kannibale in der Schaubude. » Bakäirí …« beginne ich wieder, da kommt glücklicher Weise Antonio mit mächtigen Sätzen herbeigesprungen, und halb ausser Atem vor Aufregung schreit er nun seinerseits den Fluss hinunter eine lange Erklärung, die ich wiederum nicht verstehe, die aber bei dem verschanzten Helden ein dankbares Jubelgeheul entfesselt und die Situation wie mit einem Zauberschlag klärt.68 Man stellt sich die Ethnologen während der Feldforschung ohne indigene Sprachkenntnisse und ohne Dolmetscher tatsächlich in einem Zustand der Verwirrung 66

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Die Translationswissenschaftlerin Şebnem Bahadır greift ebenso auf Georg Simmels soziologischen Ansatz, der die Figur des Dolmetschers als drittes Element, als das Fremde, in einer sozialen Interaktion betrachtet, zurück. Bahadır: »The Interpreter as Observer, Participant and Agent of Change«. Vgl. »Exkurs über den Fremden« in: Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, S. 509-512. Fischer: »Tertiarität/Der Dritte«, S. 145f. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 52.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

vor. In diesem Kontext halfen nicht immer nur ›bloße‹ Sprachkenntnisse, sondern vielmehr auch eine dritte Instanz, welche die Dolmetscher verkörperten. Sie verfügten tatsächlich über die Macht, die verwirrenden Situationen, in denen sich die Ethnologen und die Indigenen befinden konnten, mittels ihrer Präsenz und ihrer Rede zu klären. Die Analogie mit einem Zauberschlag, die von den Steinen verwendet, um Antonios Mitwirkung zu beschreiben, lässt einerseits erkennen, dass die Präsenz der Dolmetscher eine unmittelbare Wirkung auf die angespannten Beziehungen zwischen Ethnologen und Indigenen haben konnte. Andererseits vereinfacht diese Analogie die komplexe Aufgabe des Dolmetschers ein wenig, denn diese vermittelten nicht nur wie durch Zauberhand, sondern waren auch in das Machtgefüge der Kontaktzone eingebettet. Das bedeutet wiederum, dass sie nicht als neutrale Entitäten agierten, sondern sich zwischen den Gruppen und Kulturen befanden. Die Konzeptualisierung von Kulturübersetzung als Praxis zwischen mindestens drei Entitäten trägt insofern zu einem alternativen Verständnis des Begriffes bei, als dadurch die Zweipoligkeit Ich/Anderer, Original/Kopie usw. destabilisiert wird. Im Gegensatz zu Theorien der Hybridität und der Kulturübersetzung, die zwar nicht von zwei ursprünglichen Momenten ausgehen, sondern einen dritten Raum69 bzw. hybride Identitäten behandeln70 , ermöglicht die Kategorie des Dritten in dieser Arbeit eine Fokussetzung auf konkrete Individuen, die mit ihrem Tun den Ort ihrer sozialen Interaktion bildeten. Die Rolle von Dolmetschern in der Feldforschung führt in diesem Kapitel weiterhin zu der Erkenntnis, dass Kulturübersetzung während der ethnologischen Forschung eben keine neutrale Praxis war, denn aufgrund von deren Positionierung zwischen den Kulturen beeinflusste die Präsenz der Dolmetscher die sozialen Interaktionen in erheblicher Weise, insbesondere weil sie oft mächtige Figuren darstellten, von denen Ethnologen extrem abhängig waren.71 Dadurch, dass indigene Dolmetscher während der Feldforschung Macht ausübten, wird ihnen auch agency zuteil. Die Sichtbarmachung der Dolmetscher durch die Kategorie des Dritten in der Feldforschung zeigt auf der einen Seite, dass sie auf der Mikroebene der sozialen Interaktionen Transformationen verursachten, wie im Falle Antonios in obigem Zitat. Auf der anderen Seite konnten Dolmetscher auch auf der Makroebene von Normen und Strukturen Wirkungen hervorrufen72 . Dies zeigt beispielsweise 69 70 71

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Rutherford: »Interview with Homi Bhabha«, S. 211. Vgl. Longinovic: »Fearful Asymmetries«. Zum Dolmetschen im Kontext indigener Sprachen als »soziale beeinflusste nicht-neutrale Handlung« Vgl. die Dissertation von Korak, Christina: »Dolmetschen und Übersetzen in der indigenen Gemeinschaft der Waorani des Amazonasgebietes Ecuadors«, unv. Diss., Graz: Karl-Franzens-Universität Graz 2018, S. 22ff. Mason, Ian und Wen Ren: »Power in Face-to-Face Interpreting Events«, in: Angelelli, Claudia V. (Hg.): The Sociological Turn in Translation and Interpreting Studies, Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins 2014, S. 115-133, hier S. 119f.

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die Mitwirkung von indigenen Dolmetschern bei Kolonisationsunternehmungen in der Geschichte Lateinamerikas.73 Die Praxis des Dolmetschens erweist sich deshalb als höchst produktiv für die Analyse der Dynamiken zwischen Struktur und agency in der vorliegenden Studie. Die Tätigkeit des Dolmetschens zwischen Indigenen und Europäern in Lateinamerika ist aus historischer Sicht in Arbeiten behandelt worden, die sich spezifisch insbesondere mit der kolonialen Epoche beschäftigen.74 In den Anstrengungen zur Kolonisierung und Christianisierung der indigenen Bevölkerung in Grenz- oder vielmehr Kontaktzonen spielten Dolmetscher eine wesentliche Rolle. Im Fall der Amazonasregion finden sich Studien zur Rolle der Jesuiten Missionare als Dolmetscher und zur Rolle der sogenannten Linguas im 16. Jahrhundert, zu Deutsch Dolmetscher, ein Begriff, mit dem indigene Vermittler bezeichnet wurden75 . Hierbei handelte es sich um »natürliche Dolmetscher«76 , also um jene sprachlichen Mittler, die multilingual waren und deswegen in spontanen Situationen dolmetschten. Diese indigenen Dolmetscher führten, um mit Michael Cronin zu sprechen, einen Akt der »self-translation or autonomous translation« durch77 . Sie dolmetschten zwischen den Sprachen, die sie beherrschten und standen in der Folge in einer Art privilegierten Stellung im Vergleich zu den Kolonisatoren, die den indigenen Sprachen nicht mächtig waren. Letztere waren demzufolge abhängig von indigenen Dolmetschern und befanden sich in »a situation of heteronymous or dependent translation, where they rely on the translations of others«78 . Dolmetschsituationen in kolonialen Zeiten, aber auch im Rahmen der ethnologischen Feldforschungen, sind als Dependenzbeziehungen zu verstehen, in denen nicht immer indigene Akteure untergeordnet bzw. unterdrückt wurden, sondern auch selbst über Macht verfügten. Das Dolmetschen gehörte als Resultat der Kolonisierung zum alltäglichen Leben der kolonisierten Länder. Infolge der kolonialen Beziehungen etablierten sich 73

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Der bekannteste Fall ist die Dolmetscherin Malina oder Malinche, die für den spanischen Kolonisator Hernán Cortés dolmetschte. Vgl. Dröscher, Barbara und Carlos Rincón (Hg.): La Malinche: Übersetzung, Interkulturalität und Geschlecht, Bd. 8, Berlin: Walter Frey 2001. Vgl. Payàs/Zavala/Samaniego: »Translation and Interpretation on the Araucanian Frontier«; Alonso Araguás, Icíar: »Figuras mediadoras y espacios fronterizos. Algunos lugares comunes«, in: Grupo Alfaqueque (Hg.): Los Límites de Babel, Madrid/Frankfurt a.M.: Iberoamericana/Vervuert 2010, S. 47-76; Payàs Puigarnau, Gertrudis: »Tras la huella del intérprete en la historia colonial hispanoamericana«, in: Grupo Alfaqueque (Hg.): Los Límites de Babel, Madrid/Frankfurt a.M.: Iberoamericana/Vervuert 2010, S. 77-99; Karttunen, Frances E.: Between Worlds: Interpreters, Guides, and Survivors, New Brunswick: Rutgers University Press 1994. Vgl. Barros, Maria Cândida Drummond Mendes: »The Office of Lingua: a Portrait of the Religious Tupi Interpreter in Brazil in the Sixteenth Century«, in: Itinerario 25/2 (2001), S. 110-140. Alonso Araguás: »Figuras mediadoras«, S. 55ff. Cronin, Michael: Translation and Identity, Abingdon/New York: Routledge 2006, S. 40. Ebd.

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bestimmte Vermittlungsformen, sodass neben den natürlichen Dolmetscher die Tätigkeit des Dolmetschers als Vermittler zwischen dem Staat und der indigenen Bevölkerung, also der »institutionalisierte Dolmetscher«79 , tritt. Im Falle der interethnischen Beziehungen im Amazonasgebiet kann eine einflussreiche Rolle der institutionalisierten Dolmetscher insbesondere seit der Gründung des Serviço de Proteção aos Índios (SPI, Indigener Schutzdienst) 1910 beobachtet werden. Indigene Dolmetscher standen in Diensten des SPI und wirkten bei der Pacificaçao (oder ›Friedensschaffung‹) von indigenen Gruppen mit, die nicht enteignet oder christianisiert werden wollten und mit Gewalt reagierten.80 In einem Bericht über die Lage eines »Inspektorats« des SPI lassen sich einige ihrer Aufgaben identifizieren. Dolmetscher und andere Mitarbeiter unterstützen insofern das »Programm« des SPI, als sie zur Umwandlung der »Indigenen in nationale Arbeiter« beitrugen und das »Vertrauen der Bevölkerung« in den SPI im Hinblick auf die »Lösung des Problems des Indigenen« stärkten.81 Beim Dolmetschen in der Region handelte es sich demzufolge keineswegs um eine ungewöhnliche Aktivität. In der Kontaktzone des Amazonasgebietes gehörte Dolmetschen zu den kommunikativen Praktiken, durch welche die Amazonasbevölkerung ihre sozialen Netzwerke konstruierte und durch die der Staat seine Subjekte kontrollierte. Die Präsenz von bilingualen bzw. multilingualen Individuen, die als Dolmetscher agierten, war demzufolge keine Seltenheit. In ethnografischen Arbeiten kommen hauptsächlich männliche Dolmetscher oder Vermittler82 vor, dennoch zeig eine aufmerksame Lektüre, dass Frauen und Kinder83 auch als Sprachmittler dienten. Sie wirkten an der ethnologischen Wissensproduktion während der Feldforschung mit.

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Alonso Araguás: »Figuras mediadoras«, S. 61ff. Die bedeutende Rolle der Dolmetscher in den Friedensbemühungen des SPI wird an mehreren Stellen der Veröffentlichung des SPI O problema indígena do Brasil beschrieben. Bericht des Inspektorats »Espirito Santo, Bahia e Minas Geraes« in Victoria, 24.1.1922. Acervo SPI/Inspetoria-Regional-4_IR4\999_varios-postos\caixa 195 (1)\planilha 001 (2). Online in Internet: URL: www.docvirt.com/docreader.net/MI_Arquivistico/72916. Letzter Zugriff am 27.5.2019. Das elektronische Archiv des Museo do Indio bietet zahlreiche Informationen über die Arbeit von indigenen Dolmetschern im Dienste des SPI (des Indigenen Schutzdienstes, heute FUNAI-Fundação Nacional do Indio) seit 1910. In der frühen Ethnologie wurden diese Menschen als ›Informanten‹ bezeichnet. Seit der reflexiven Wende in der Ethnologie werden sie als »Vermittler-Figuren« betrachtet. Vgl. Köpping, Klaus-Peter: »Ethnographische Feldforschung als Performanz. Vom theatralen Teilnehmen zum staunenden Verstehen des Fremden«, Verstehen und Verständigung: Ethnologie, Xenologie, interkulturelle Philosophie: Justin Stagl zum 60. Geburtstag, Würzburg: Königshausen & Neumann 2002, S. 73-88, hier S. 73. Kinder spielten eine Rolle bei der Erstellung von Vokabularen; im Falle Schmidts war es Mekí, ein Guató Junge. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 145f.

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Vermittlerinnen wurden nur gelegentlich erwähnt84 und die Namen von Dolmetscherinnen blieben oft ausgespart.85 Dies, obwohl Ethnologen es aus methodologischen Gründen bevorzugten, Frauen zu befragen, da sie als geeigneter für diese Tätigkeiten galten,86 weil sie mehrere Sprachen beherrschten. Es ist anzunehmen, dass Frauen den Multilingualismus in der Kontaktzone insofern förderten,87 als sie infolge der exogamen Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen in die Wohnorte ihrer Männer zogen und mit ihren Kindern in ihrer Muttersprache weitersprachen, sodass diese bilingual erzogen wurden. Demzufolge gehörten zu einer indigenen Gemeinschaft unterschiedliche Sprachen. Eine andere Praktik, 84

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In einem Schreiben an seinem Vorgesetzten Karl von den Steinen berichtete Koch-Grünberg z.B. über eine Begegnung in Manaus mit einer »reinblutige[n] Indianerin vom Stamme der Kavinyá (Caviña) (Takána-Sprache)«, die den französischen Ethnologen Eugéne Robuchon begleitete. Sie sprach »Französisch, Spanisch, Portugiesisch und mehrere Indianerdialekte und hatte die Liebenswürdigkeit, mir eine der vorgedruckten Vokabularien mit ›Takúna‹ auszufüllen«. 6.7.1903. ES Mr B.IV. Feldpost. Eugéne Robuchon war ein französischer Ingenieur, der 1903 für die Kautschukfirma Julio C. Arana in der Putumayo Region (Kolumbien) arbeitete. Er starb 1906 unter ungeklärten Umständen. In seinem Namen wurde 1907 ein Bericht über den Putumayo und seine Zuflüsse, der sich auf seine Tagebücher und Notizen stützte, veröffentlicht, der jedoch von Verbündeten der Firma Arana ins Spanische übersetzt worden war. Nach dem Skandal der Versklavung, Folter und Vernichtung der indigenen Bevölkerung durch die Arbeiter der Firma Arana folgten Spekulationen, die Robuchons Tod als Mord darstellten. Er habe Fotografien, die die Folter und Verstümmelung von Indigenen dokumentierten, gemacht. Diese Fotografien und die Texte, die er dort verfasste, wurden als eine Bedrohung für die Firma betrachtet. Daher gilt die Übersetzung seiner Texte ins Spanische als Manipulation der Firma Arana mit dem Ziel, die von ihren Mitarbeitern an den Indigenen verübten Verbrechen zu vertuschen. Vgl. Valcárcel, Carlos A. : El proceso del Putumayo y sus secretos inauditos, Iquitos : Centro de Estudios Teológicos de la Amazonía 2004. Robuchon, Eugenio : En el Putumayo y sus afluentes, Lima : Imprenta La industria 1907. So finden sich beispielsweise zahlreiche solche Einträge in Koch-Grünbergs Tagebüchern: »Die eine Senhorita verdolmetscht in lingoa geral. Morgen mehr«. Tagebucheintrag vom 9.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. »Die [Uaiana] Wörterliste hörte ich im April 1904 während meines Aufenthaltes bei den Tukano des Cabary-Igarapé, eines linken Zuflusses des Tiquié, von einer älteren Frau dieses Stammes vom Alto Papury, die dort mit einem Tukano verheiratet war«. Oder »Die Wörterlisten des Tsölá, Sära, Erúlia, Palänoa hörte ich im Mai 1904 am Alto Tiquié von Frauen dieser Horden, die dort an Tuyúka und Bará verheiratet waren«. Koch-Grünberg, Theodor: »Betoyá-Sprachen Nordwestbrasiliens und der angrenzenden Gebiete«, in: Anthropos 8/6 (1913), S. 944-977, hier S. 947. Vgl. Krause: In den Wildnissen Brasiliens. S. 60, 342. Vgl. auch das damals übliche MethodenHandbuch von Neumayer/von: Dr. Neumayers Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, S. 444. Wilhelm Kissenberth erstellte ein Tapirapé-Vokabular und machte fonografische Aufnahmen von Gesängen mit der Hilfe einer Frau namens Marehã. Vgl. Kissenberth: »Beitrag zur Kenntnis der Tapirapé-Indianer«, S. 50f. So bemerkt Koch-Grünberg z.B. bei den Siusí »diese Weiber, die dann beide Sprachen sprechen, vermitteln den lebhaften Verkehr zwischen beiden Stämmen leicht«. Tagebucheintrag vom 4.12.1903. ES Mr B.I.2. Heft 3.

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die den Bilingualismus förderte, bestand – wie oben bereits erwähnt – darin, die Kinder zu den Missionsschulen oder als Bedienstete für wohlhabende Familien in die nächstgelegenen großen Städte, wie Manaus oder Pará, zu schicken. Im Zuge dessen mussten sie Spanisch oder Portugiesisch lernen. Hier ist erneut darauf hinzuweisen, dass sowohl die Kautschukgewinnung als auch der Menschenhandel das Zusammentreffen von Sprachen und Kulturen begünstigten, wodurch eine multilinguale Kontaktzone ›Amazonasgebiet‹ entstand, die sich aus einer Mikroperspektive insbesondere in den Kautschukhandelszentren, wie z.B. dem Haus Garrido, beobachten ließ. Da viele Individuen mehrsprachig waren, lässt sich erahnen, dass innerhalb einer Gemeinschaft Dolmetschen nicht nötig war. Im Gegensatz dazu erfolgte die Kommunikation zwischen indigenen Gemeinschaften und anderen Gruppen wie Kautschukhändlern, Militärs, Missionaren oder Regierungsvertretern durch Dolmetschen, zumindest bis Mitglieder letzterer Gruppen die indigene Sprache lernten, was insbesondere bei Kautschukhändlern und Missionaren der Fall war. Hier treten indigene Vermittler als eine Art institutionalisierter Dolmetscher auf, die eine Verkehrssprache wie Spanisch, Portugiesisch und vor allem Lingua Geral, für die Kommunikation mit den Kautschukhändlern oder Missionaren verwendeten. Sie agierten als Verbindungspunkte zu den ›Weißen‹ und in vielen Fällen nutzten sie diese Position, um davon zu profitieren. Sie waren folglich oft auch Personen, die in einer Gemeinschaft über eine gewisse Macht verfügten. In diesem komplexen Machtgefüge wurde die ethnologische Feldforschung durchgeführt. Sie wird als »fragiles Gebilde« betrachtet, denn »die Beteiligten kommen eher zufällig zusammen, sie verbindet nur eine kurze Geschichte, eine Zukunft ist nicht absehbar. Sie beginnen einen komplexen Kooperationsprozess, für den es kaum Routinen gibt«88 . Diese gegenwärtige Auffassung trifft auf die frühe ethnologische Amazonasfeldforschung zu, denn sie bestand aus vielen (manchmal sehr kurzen) Aufenthalten89 , die Ethnologen nutzten, um möglichst viele indigene Gruppen zu besuchen und zu befragen, daher fand kein eigentliches Zusammenleben mit den Indigenen statt.90 Dennoch eröffnete die Präsenz der Ethnologen einen anderen Raum für anerkannte Praktiken wie das Dolmetschen,

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Breidenstein, Georg u.a.: Ethnografie: Die Praxis der Feldforschung, Konstanz: UES Verlagsgesellschaft 2015, S. 62. Zur Geschichte der Feldforschung mit Schwerpunkt auf der britischen und US-amerikanischen Ethnologie siehe Kuklick, Henrika: »Personal Equations: Reflections on the History of Fieldwork, with Special Reference to Sociocultural Anthropology«, in: Isis 102/1 (2011), S. 1-33. Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 279. Werner Petermann merkt in seiner Geschichte der Ethnologie an, dass »ein intensiver und langwährender Aufenthalt ›im Feld‹ (und – wichtiger noch – an einem Ort) um 1910 immer noch die Ausnahme« war. Dies sollte sich später mit Malinowskis erzwungenem Aufenthalt von dreieinhalb Jahren auf den Trobriand-Inseln ändern. Petermann: Die Geschichte der Ethnologie, S. 563.

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wie Koch-Grünberg in einem Vortrag erläuterte: »Die indianische Bevölkerung zerfällt in eine grössere Anzahl von Stämmen, die zum Teil ganz verschiedene Sprachen sprechen. Dies würde einen Verkehr ausserordentlich erschweren, wenn es nicht in jedem Stamm intelligente Leute gäbe, die neben ihrem Idiom noch zwei bis drei Sprachen der Nachbarstämme sprechen und deshalb als Dolmetscher dienen können«.91 Obwohl es sich nicht um einen professionellen Beruf handelte, lässt sich feststellen, dass im Laufe der Feldforschung das Dolmetschen – ebenso wie das Übersetzen – durch Erprobung, Anpassung, Wiederholung und Veränderung zu einer etablierten und gängigen Praxis geworden ist. Daher möchte ich sowohl das Dolmetschen als auch das Übersetzen in der vorliegenden Untersuchung in Anknüpfung an den praxeologischen Ansatz der Soziologie, »als know-how abhängige und von einem praktischen ›Verstehen‹ zusammengehaltene Verhaltensroutinen« begreifen.92 Es kann argumentiert werden, dass es sich beim Dolmetschen während der Feldforschung um eine Art »Verrichtung« handelte, »ein immer nur gegenwärtiges und somit kontingentes Vollzugsgeschehen, [das] ausschließlich im Rückblick und vom Standpunkt eines Beobachters zweiter Ordnung als Vollzug einer bestimmten Praktik rekonstruierbar ist«93 . Der Beobachter war in diesem Kontext der Ethnologe, der diese Praxis initiierte und gleichzeitig dokumentierte. Hier ist im Anschluss an Dagmar Freist zu beachten, dass die Beobachtung des Vollzugs vergangener wie auch gegenwärtiger Praktiken »medial vermittelt« ist.94 Praktiken wie das Dolmetschen während der ethnologischen Feldforschung lassen sich, so Freist, in Artefakten beobachten, denn Praktiken sind »[…] gleichsam in historisch überlieferten Texten und Dingen ›eingefroren‹ und müssen aus dieser Überlieferung erschlossen werden. Zeugnisse dieser Praktiken sind […] über die dabei hergestellten Texte und Dinge materialisiert und beobachtbar«95 . Die Beobachtung des Dolmetschens erfolgt in dieser Analyse anhand von textuellen Schilderungen der Sprachaufnahmen in ethnografischen Texten in Verbindung mit Tagebucheinträgen und Briefauszügen. Die hier behandelten ethnografischen Texte berichten oft von Dolmetschern und anderen Vermittlern, im Gegensatz zu Ethnografien und Berichten der damaligen britischen Anthropologie, in denen sie meistens anonym bleiben.96 Die Tatsache, dass diese Akteure in den damaligen deutschsprachigen Ethnografien

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ES Mr D.I.3. Reckwitz, Andreas: »Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive«, in: Zeitschrift für Soziologie 32/4 (2003), S. 282-301, hier S. 289. Haasis u.a.: »Was ist und was kann die Historische Praxeologie?«, S. 209. Freist, Dagmar: »Historische Praxeologie als Mikro-Historie«, in: Brendecke, Arndt (Hg.): Praktiken der frühen Neuzeit. Akteure – Handlungen – Artefakte, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2015, S. 62-77, hier S. 76. Ebd. Vgl. Sturge: Representing Others.

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überhaupt in die Darstellung miteinbezogen wurden, lässt diese Ethnografien – auch wenn sie an die Diskurse der Zeit gebunden blieben – zum Teil als progressiv erscheinen, denn die Tendenz, Dolmetscher und andere Vermittler explizit zu erwähnen und ihnen einen Platz in den Ethnografien einzuräumen, findet sich in der englischsprachigen Anthropologie erst im Zuge der reflexiven Wende der Disziplin seit den 1980er Jahren. Wenn in deutschen Reiseschilderungen und Ethnografien aus der Zeit um 1900 Namen von Dolmetschern und direkte Zitate vorkommen, so wird die Autorität des Ethnologen als Kulturübersetzer dadurch »destabilisiert« und das Wissen dieser ethnografischen Repräsentationen »de-essenzialisiert«97 .

Relaisdolmetscher Die Präsenz eines Dolmetschers erwies sich als wesentliche Voraussetzung, um überhaupt mit der ethnologischen Forschung in der Kontaktzone voranzukommen, wie Koch-Grünberg berichtet, nachdem er zusammen mit Otto Schmidt, der Portugiesisch und Deutsch konnte, eine Sprachaufnahme in Urekena versucht hatte und bemerkt hatte, dass sie ohne Dolmetscher nicht weiterkommen würden.98 In diesem Fall ermöglichte der Arbeitgeber der Indigenen eine Sprachaufnahme, wie der Ethnologe in seinem Tagebuch notierte: Er [der Arbeitgeber der Indigenen] lässt zwei seiner Uerekéna-Indianer kommen, die interviewt werden […] – große Schwierigkeiten bei dieser Aufnahme. […] Ich sage die Wörter Schmidt auf Deutsch oder dem Patrão [Arbeitgeber der Indigenen] direkt auf Spanisch, Schmidt übersetzt ins Portugiesisch, der Patrão übersetzt sie den Indianern in »lingoa geral«, die überhaupt die Verkehrssprache des Rio Negro ist, und die Indianer sagen sie mir wieder in Uerekéna [ihrer Sprache].99 Anhand dieses Zitats lässt sich die zentrale Rolle des Arbeitgebers der Indigenen – hier vermutlich ein Kautschukhändler – als Dolmetscher nachweisen, denn ohne ihn wäre es unmöglich gewesen, Kontakt zu den Indigenen aufzunehmen und Informationen von ihnen zu bekommen. Auf diese Weise zeigt sich, dass es sich bei den Dolmetschern nicht immer um indigene Individuen handelte. Die patrãos oder Chefs der Indigenen konnten aufgrund ihrer Arbeit mit Indigenen aus unterschiedlichen Gegenden mehrere Sprachen beherrschen und erwiesen sich daher als geeignete Vermittler für Sprachaufnahmen, insbesondere wenn die befragten Individuen kein Spanisch oder Portugiesisch konnten. Die Aufmerksamkeit gezielt auf die Momente des Dolmetschens während der Feldforschung und auf die 97 98

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Ebd., S. 59. »kommen aber wenig damit zu Stande, da sie [die Indigene] zu wenig Spanisch verstehen« und des Weiteren, »[w]ir müssen unbedingt einen Menschen auf der Weiterfahrt haben, der Spanisch und Lingoa geral versteht«. Tagebucheintrag vom 4.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft I. Ebd.

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Rolle von Vermittlern, wie die Arbeitgeber der Indigenen zu lenken, ermöglicht die Feststellung, dass es sich bei vielen der befragten Personen in Koch-Grünbergs erster Expedition zum großen Teil um Indigene im Dienste der Kautschukhändler handelte. Denn patrãos waren in der Regel Kautschukhändler. Die Fokussierung auf diesen bisher wenig beachteten Aspekt der Geschichte der Amazonasethnologie macht es möglich, die Beziehungen zwischen Ethnologen und Indigenen aus geschichtlicher Perspektive nicht nur als in den wissenschaftlichen Diskurs eingebettet, sondern darüber hinaus auch als Teil des soziopolitischen Kontexts der Kontaktzone ›Amazonasgebiet‹ nachzuvollziehen. Die Komplexität des Dolmetschens während der Feldforschung lässt sich darüber hinaus erschließen, wenn die ganze Situation der Sprachaufnahme nicht als ein bloßes systematisches Abfragen von Vokabeln, sondern tatsächlich als eine Art Trialog betrachtet wird. Diese Interaktion zwischen den befragten Indigenen, den Ethnologen und den Dolmetschern ist als face-to-face Dolmetschen zu verstehen. Historisch gesehen fand face-to-face Dolmetschen nicht nur zwischen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen statt, sondern auch zwischen Menschen aus unterschiedlichen »tribes, communities, countries, and races with huge imbalances of power and disparities of status«100 . Es ist anzunehmen, dass es sich bei dieser Praxis um eine Art von »dialogue interpreting« handelte101 , wobei die Präsenz der Dolmetscher diese Situation in eine Art Polylog verwandelte, in dem mehr als zwei Parteien zu identifizieren sind. Im oben zitierten Beispiel agierte Schmidt als Dolmetscher, der Patrão als Vermittler und Dolmetscher, die Indigenen als Befragte und der Ethnologe als Initiator und Auftraggeber. Spanisch und Deutsch sind die Ausgangssprachen, in denen Koch-Grünberg Fragen stellte. Der erste Dolmetscher ist Otto Schmidt, der für den Patrão der Indigenen vom Deutschen ins Portugiesische und für Koch-Grünberg in umgekehrter Richtung übersetzte. Der Patrão übersetzte – als zweiter Dolmetscher – vom Portugiesischen in Lingua Geral. Diese Übersetzungssituation ist exemplarisch für eine Form der sprachlichen Vermittlung in der Feldforschung, die mit der Annahme eines unvermittelten AusgangstextZieltext-Modells und mithin auch mit der Vorstellung einer unvermittelten Beziehung zwischen Ethnologen und Indigenen bricht. Hier trägt die Präsenz mehrerer Sprachen und Dolmetscher zur weiteren Destabilisierung der Idee eines lediglich vom Ethnologen autoritativen Originals bei. Das oben zitierte Beispiel veranschaulicht exemplarisch eine der Formen, in denen die Praxis des Dolmetschens in der ethnologischen Feldforschung erfolgte. Aus der Sicht der Dolmetschwissenschaft lässt sich diese Form des Dolmetschens als

100 Mason/Ren: »Power in Face-to Face Interpreting Events«, S. 116. 101 Dialog interpreting umfasst diejenigen Praktiken des Dolmetschens, die nicht zum Konferenzdolmetschen gehören und in denen keine face-to-face Interaktion stattfindet. Vgl. Mason, Ian: »Introduction«, in: The Translator 5/2 (1999), S. 147-160, hier S. 147.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Relaisdolmetschen identifizieren. Es handelt sich dabei um eine erforderliche Praktik, die zum Tragen kommt, wenn mehr als zwei Sprachen an einem gedolmetschten Ereignis beteiligt sind und keiner der Teilnehmer alle Sprachen beherrscht, oder wenn in einer bestimmten Sprachkombination kein Dolmetscher gefunden werden kann.102 Beide Voraussetzungen waren im Laufe einer Feldforschung häufig erfüllt. Beim Relaisdolmetschen geht es um eine Form des Dolmetschens, die aus historischer Sicht eine wesentliche Praktik der kulturellen Begegnung war.103 Relaisdolmetschen kam in der Feldforschung immer dann zum Einsatz, wenn es darum ging, Informationen zu gewinnen, z.B. während der Sprachaufnahmen. Relaisdolmetschen fand jedoch weder immer statt, noch wurde es systematisch durchgesetzt. Vielmehr kam es als spontane Lösung in Situationen zum Einsatz, in denen eine Sprachbarriere überwunden werden musste, und entwickelte sich aufgrund der Wiederholung zu einer Strategie der Verständigung. Sie bildete dennoch keine standardisierte Methode und wurde stets auf eine andere Art und Weise durchgeführt, denn die konkrete Ausgestaltung ihrer Anwendung war variabel und völlig abhängig von der Konstellation der verschiedenen Akteure in der jeweiligen Begegnung. Die Praxis des Relaisdolmetschens ist auch deshalb anhand der historischen Materialien schwierig zu rekonstruieren, weil sie in diesen häufig ausgespart wurde. Koch-Grünberg blendete in seiner Publikation die Schilderung der oben zitierten Dolmetsch-Situation aus. Anhand seiner Tagebucheinträge lässt sich jedoch nachweisen, dass es ohne die beiden Dolmetscher, nämlich seinen Assistenten Otto Schmidt und den Patrão, für ihn unmöglich gewesen wäre, Kontakt zu den Indigenen herzustellen und Informationen von ihnen zu bekommen. Dies war aber nicht immer der Fall, weil die Vermittlung vonseiten der Patrãos oder Herren in den Kommunikationsversuchen der Sprachaufnahmen auch Nachteile mit sich bringen konnte, so zum Beispiel, wenn der Vermittler in seiner Rolle als Dolmetscher eher als Störfaktor empfunden wurde.104 Somit lässt sich in diesem Fall ein punktueller Einblick in die Herstellung von ethnologischen Fakten während der Feldforschung erlangen. Die oben zitierte Relaisdolmetschen-Szene zeigt ferner, dass die Beteiligten einer Dolmetsch-Situation keinesfalls denselben Status innehatten, ein Aspekt, der

102 Mikkelson, Holly: »Relay Interpreting«, in: The Translator 5/2 (1999), S. 361-380, hier S. 363. 103 Ebd. 104 Darüber schrieb Koch-Grünberg in sein Tagebuch: »Heute Nachmittag Isána-BaniwaSprachaufnahmen mit Hilfe des Alten; d.h. er hinderte mich mehr und hielt mich auf, als dass er mir half, und machte mit seinen Kreuz- und Querfragen die Leute ganz durcheinander, doch meinte er es nur gut und wollte nur, dass ich bei den Antworten ganz sicher ginge.« Tagebucheintrag vom 29.8.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1.

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diese Praktik kennzeichnete.105 Denn beim Dolmetschen wurden soziale Asymmetrien verstärkt, die in den meisten Fällen direkt proportional zu sprachlichen Asymmetrien waren. Die vorherrschende Sprache, in diesem Fall Deutsch, war die Ausgangssprache, die die Fragen bestimmte und gleichzeitig die Zielsprache, die die Antworten prägte. Die anderen Sprachen, Spanisch, Portugiesisch und Lingua Geral, erfüllten eine Vermittlungsfunktion und verschwanden dann aus der letztendlichen Darstellung, ebenso wie die Namen der befragten indigenen Personen im offiziellen Register oft ausgespart wurden.106 Auch wenn es offensichtlich ist, dass die Ethnologen die indigenen Sprachen nicht oder nicht genügend beherrschten, geschweige denn in dieser kurzen Zeit hätten erlernen können, bekommt man an manchen Stellen ihrer ethnografischen Schilderungen den Eindruck, die Ethnologen seien nicht immer auf Dolmetscher angewiesen gewesen. Die Notizen in Koch-Grünbergs Feldtagebuch, die für die zukünftige Publikation der Ergebnisse der Expedition bestimmt waren, ermöglichen es heute, die Praxis des Relaisdolmetschens und die Rolle von Dolmetschern im Alltag der Feldforschung genauer herauszuarbeiten.107 Die Tatsache, dass Dolmetschern und Relaissprachen in der Geschichte der Wissensproduktion, auch in der Ethnologie, bisher wenig Beachtung geschenkt wurde, lässt sich aus einer bestimmten Perspektive auf die Geschichte des Dolmetschens erklären, denn »interpreter’s voices are often lost with them being reported as guides, negotiators, reporters, historians, or left out of references all together 105 Vgl. Angelelli, Claudia V.: Revisiting the Interpreter’s Role: A study of Conference, Court, and Medical Interpreters in Canada, Mexico, and the United States, Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins 2004, S. 10. 106 In seinem Beitrag »Die Indianerstämme am oberen Rio Negro und Yapurá und ihre sprachliche Zugehörigkeit« erwähnt Koch-Grünberg die Uerekéna Sprache, diesmal als Uarekéna, und fügt eine Wörterliste hinzu. Wie diese Liste entstanden ist, lässt sich nicht herausfinden. Vgl. Koch-Grünberg, Theodor: »Die Indianerstämme am oberen Rio Negro und Yapurá und ihre sprachliche Zugehörigkeit«, in: Zeitschrift für Ethnologie 38/1 (1906), S. 166-205. Hier S. 196.Diese Liste diente zur Überprüfung der Warekena innerhalb der »Aruak-Sprachen« und damit zur Korrektur einer früheren Klassifizierung innerhalb der Gruppe »Karaibe«. Ebd., S. 167. 107 So berichtete Koch-Grünberg zum Beispiel über die unbekannte und schwer zu transkribierende Makú-Sprache in seiner Publikation: »Nur bei scharfem Hinhören und mehrmaliger Wiederholung konnte ich die merkwürdigen Laute festhalten. Über die Lebensverhältnisse dieser Makú erfuhr ich von dem Indianer selbst, der auch die Lingoa geral sprach, und von den Ansiedlern manche interessanten Einzelheiten«. Koch-Grünberg, Theodor: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 23. Meine Hervorhebung. Der Tagebucheintrag über dieselbe Sprachaufnahme zeigt, wie der Ethnologe sich tatsächlich Zugang zu der Sprache dieser Person verschaffte, »Ich sagte unserem freundlichen Hauswirt [dem Patrão] die Wörter auf Portugiesisch, er übertrug sie dem Alten [dem Makú-Indigenen] ins Guaraní. So ging es ganz flott. Ohne Guaraní hätte ich nicht in so kurzer Zeit so viele Vokabeln bekommen, ca. 200, die hauptsächlichsten«. Tagebucheintrag vom 14.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft I.

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with the implication of an interaction being monolingual when it was not«108 . Obwohl diese Tendenz im strengen Sinne nicht charakteristisch für die frühe deutsche ethnologische Forschung war, ist es schwierig, genügend Informationen über die Dolmetscher und andere Vermittler in ethnografischen Texten zu finden. Vor diesem Hintergrund bildet Koch-Grünbergs Nachlass insofern eine Ausnahme, als er aussagekräftige Indizien für deren Präsenz beinhaltet. Über die erhebliche Bedeutung von Relaisdolmetschen für ihre Feldforschung reflektierten Ethnologen ebenfalls selten. Die Erwähnung dieser Mittel schien für die Zwecke der Publikationen nicht notwendig zu sein. Eine ständige Erwähnung von Dolmetschern und Relaisdolmetschen hätte vermutlich auf vieldeutige, ungenaue oder nicht akkurate Übersetzungen hindeuten können. Ihre Aussparung verschleierte überdies die Unkenntnis einer indigenen Sprache und die Vermittlung durch andere Akteure. Ethnografien oder Reiseschilderungen würden anders aussehen, wenn Dolmetscher und andere Vermittler ständig erwähnt würden; dies hätte die zentrale Stellung der Ethnologen destabilisiert und höchstwahrscheinlich ihre wissenschaftliche Autorität aufs Spiel gesetzt.

Impresario-Dolmetscher Die Figur des Dritten als Dolmetscher in der ethnologischen Forschung stimmt mit Ian Masons und Wen Rens Konzeptualisierung von face-to-face Dolmetschen als »a three-way communicative event in which the interpreter is a co-constructor of the interaction and can therefore be a powerful figure«109 überein. Aus dieser Perspektive kann gezeigt werden, dass bisher ignorierte Akteure der kulturellen Begegnung aufgrund ihrer Positionierung zwischen den Kulturen auch Macht ausüben konnten und somit keine neutralen Individuen waren. Die Praxis des Dolmetschens im Setting der Feldforschung ermöglicht es darüber hinaus, das Bild der indigenen Bevölkerung als ›Opfer‹ oder als passive Entitäten, die von den Ethnologen als Forschungsobjekte betrachtet wurden, zu destabilisieren. Die Indigenen waren bereits vor Ankunft der Ethnologen von Kautschukhändlern misshandelt worden und sind in der Geschichte der Amazonasregion in diesem Zusammenhang tatsächlich als Unterdrückte zu betrachten. Im spezifischen Fall der ethnologischen Feldforschung lässt sich jedoch zeigen, dass, obgleich die indigene Bevölkerung die Ethnologen als ›Weiße‹ und daher als zugehörig zur Gruppe der Unterdrücker

108 Adam, Robert und Christopher Stone: »Through a Historical Lens. Contextualizing Interpreting Research«, in: Nicodemus, Brenda und Laurie Swabey (Hg.): Advances in Interpreting Research: Inquiry in Action, Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins 2011, S. 225-239, hier S. 226. 109 Mason/Ren: »Power in Face-to Face Interpreting Events «, S. 115.

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betrachtete, letztere nicht immer Macht über sie hatten. Ganz im Gegenteil waren die Ethnologen in hohem Maße von den Indigenen abhängig, um ihre Ziele zu erreichen. Dolmetscher haben diese Machtverschiebung insofern beeinflusst, als sie verbale und non-verbale Strategien anwendeten, um ihre Macht sowohl anderen Indigenen als auch den Ethnologen gegenüber auszuüben. Dolmetscher personifizierten somit eine Kontingenz, die gewisse Brüche im sozialen Gewebe der Kontaktzone ›Amazonasgebiet‹ zutage treten lässt. Bei einigen dieser Repräsentanten von Macht handelte es sich um ›Häuptlinge‹, die als Kontaktpersonen für Kautschukhändler arbeiteten und die letzteren Menschen aus ihrer eigenen Gemeinschaft oder aus anderen Gruppen als Kautschuksammler zur Verfügung stellten.110 Diese Vermittler waren wesentlich für die Kautschukinfrastruktur und für die Etablierung eines Systems der Unterdrückung der Indigenen. Der Menschenhandel, den diese Vermittler mit den herrschenden Eliten trieben, zeigt, dass für die Durchsetzung einer Herrschaftsstruktur die Mitwirkung von Mitgliedern der unterdrückten Gruppen notwendig gewesen ist. Diese Vermittler passten sich an die herrschenden Bedingungen an und versuchten nicht nur, sich selbst zu schützen, sondern auch von dieser Gemengelage zu profitieren. Ein wesentliches Element für den Erfolg der Dritten in diesem Kontext war die Beherrschung der Sprache der Unterdrücker. Auf diese Weise zeigte sich für andere Mitglieder der indigenen Gemeinschaften, dass die Beherrschung der Sprache der ›Weißen‹ – je nach Gegend Spanisch oder Portugiesisch – eine Überlebensstrategie sein konnte. Exemplarisch hierfür waren sogenannte Impresarios. Die Bezeichnung »Impresario« begegnete dem Amazonasforscher zum ersten Mal in Karl von den Steinens Reisebericht in der Person des Dolmetscher Antonio und des Häuptlings Tumayaua.111

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Karl von den Steinen berichtete vom »Kapitän Ambros, der Häuptling der […] Péua«, der, »durch seine Sprachkenntnisse befähigt, den Verkehr mit vielen der noch zerstreut hier vorhandenen Reste zusammengeschmolzener Stämme [ermöglichte], welche in den Dienst der Kautschukhändler treten«. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 274. Andere ähnliche Fälle erwähnt Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Ethnographie, S. 93. Antonio war sein wichtigster Dolmetscher, als Resultat ihrer Zusammenarbeit veröffentlichte von den Steinen das Buch »Die Bakaïrí-Sprache«. Dabei hob der Ethnologe Antonios Arbeit als Vermittler und Dolmetscher hervor: »Zu einem eigentlichen Uebersetzen, das den Feinheiten ihrer Sprache gerecht geworden wäre, kam ich nicht; was ich in dieser Beziehung in meinem Buch »Die Bakaïrí -Sprache« (Leipzig, K. F. Köhler, 1892), bringen konnte, verdanke ich Antonio«. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 80. Vgl. Steinen, Karl von den: Die BakaïríSprache, Leipzig: K.F. Koehler’s Antiquarium 1892.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Nach dem Vorbild von den Steinens bezeichnete Koch-Grünberg auf seinen beiden Expeditionen Vermittler und Dolmetscher auch als »Impresarios«112 , unter denen sich ebenfalls ein »Antonio« befand: Antonio als Impresario und Sprecher setzte wiederum den Leuten den Zweck meines Hierseins auseinander, so gut er es selbst wußte, und malte meine Vorzüge in den rosigsten Farben. Für Perlen, Messer und andere Herrlichkeiten wolle ich bemalte Töpfe, gemusterte Körbe und sonstigen Hausrat einhandeln, was natürlich wieder allgemeines erstauntes Lachen hervorrief. Ich machte bei der ganzen Unterhaltung, die in »Baníwa« geführt wurde, den stummen Zuschauer und fühlte mich als angestauntes Wundertier.113 Die Bezeichnung des Impresarios, wie von den Steinen und Koch-Grünberg sie verstanden, lässt sich auf die Tätigkeit des Impresarios bis zum italienischen Theater und Opernbetrieb des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen. Seine Tätigkeiten wurden im Voraus vertraglich festgelegt; zu seinen Aufgaben zählten die logistische Organisation, Werbung, Verhandlung von Performances und die Bezahlung der Künstler. Im 19. Jahrhundert waren Impresarios auch zuständig für die Organisation von Reisetouren.114 Diese Aufgaben unterscheiden sich nicht wesentlich von den Tätigkeiten der Amazonasimpresarios. In ihnen konfluierten diverse Rollen, wie Reisebegleiter, Dolmetscher, Ruderer, Inspektor usw., in einem Individuum. Der Antonio aus obigem Zitat war ein »Inspektor«, der von Salvador Garrido den Auftrag bekommen hatte, Koch-Grünberg zu unterstützen.115 Der Ethnologe erklärt die Funktion der Inspektoren in seinem Tagebuch: Sie waren meistens Tuschauas116 und hatten »in einzelnen Bezirken amtliche Gewalt um z.B. vom Staat empfohlenen Personen – wie mir –, natürlich gegen angemessene Bezahlung, meist in 112

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»Als ›Impresario‹ bezeichneten die Wissenschaftler den Indianer, der sie in ein bestimmtes Dorf einführte und der die friedliche Kontaktanbahnung und häufig auch die (Tausch-)Geschäfte regelte«. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 251. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 61f. Shepherd, John u.a. (Hg.): Continuum Encyclopedia of Popular Music of the World: Performance and production, Bd. 1. Media, Industry and Society, London/New York: Continuum 2003, S. 548. Zur Figur des Impresarios in der italienischen Oper vgl. Glixon, Beth und Jonathan Glixon: Inventing the Business of Opera: The Impresario and His World in Seventeenth Century Venice, Oxford/New York: Oxford University Press 2005. »Salvador schickt übrigens morgen oder übermorgen einen »rapaz« [einen jungen Mann] zum »Inspektor«, […] dieser besorgt mir 2 Kanus uns lässt mich weiter aufwärts bringen, bis zu einem der nächsten Sitios oder Povoações [Dörfer], die mich dann auf seinen Befehl wieder weiter aufwärts schaffen, bis zu ersten Maloka der Siusí«. Tagebucheintrag 6.10.1903 ES Mr B.I.2. Heft 2. Vgl. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 48. Der Name Tuschaua bzw. tuxaua in Portugiesisch bezeichnet die Machtpersonen in den indigenen Gemeinschaften des Amazonas, welchen auch eine politische Rolle durch eine »carta patente« [eine Art Patenschrift] der brasilianischen Regierung zugeschrieben wurde. Vgl. Jorna, Peter: »Vuelta a la Historia: los Cambeba del Solimões«, in: Jorna, Peter, Leonor

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Waren, Dienste leisten [zu] müssen.«117 Der Anthropologe Robin Wright sieht die Figur des Inspektors am oberen Rio Negro in enger Verbindung zum Kautschukhändler Germano Garrido. Garrido hatte »local control through several Indian ›inspectors‹ – evidently a title and position which Garrido himself created – on the lower Içana, chiefs (or, tuxauas) and intermediaries in the organization of labor« erhalten.118

Abbildung 12: Der Dolmetscher und Vermittler Mandú. Koch-Grünberg 1909. S. 170.

Die Beziehungen zwischen Garrido, seinen Inspektoren und Koch-Grünberg lassen das Netzwerk von Dolmetschern und weiteren Vermittlern in der ethnografischen Forschung sichtbar werden und ermöglichen insofern eine Konturierung der komplexen Figur des Dolmetschers in der Kontaktzone ›Amazonasgebiet‹, als sie die Rolle der Dolmetscher (Patrão/Impresario/Indigene) als aktive Mitglieder der Amazonaskontaktzone verdeutlichen. Die Dolmetscher waren vielseitige

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Malaver und Menno Oostra (Hg.): Etnohistoria del Amazonas, Quito: ABYA-YALA 1991, S. 213244, hier S. 238. Tagebucheintrag vom 6.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. Diese Information kann mit seinem Buch in Verbindung gebracht werden: »[D]er Superintendete in São Gabriel ernennt zu diesem Amt Eingeborene, die alten Häuptlingsfamilien angehören oder sonst wie bei ihren Stammesgenossen im Ansehen stehen und etwas Portugiesisch sprechen«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 45. Wright: Cosmos, Self, and History, S. 221. Das Verhältnis zwischen Inspektoren und der Familie Garrido wird am Beispiel des Inspektors Raphäelo deutlicher, der »ein Vertrauensmann Don Germanos« war. Vgl. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 45.

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Akteure; es handelte sich bei ihnen um Arbeitgeber der Indigenen, um Indigene selbst, um Impresarios oder um Inspektoren. Diese Rollen konnten in einer Person zum Teil konfluieren, wie im Fall des Inspektors Antonio. Mit ihm hatte KochGrünberg einen besonderen Impresario; er sprach Portugiesisch und war von erheblicher Bedeutung im ersten Teil der Expedition am oberen Rio Negro.119 Er war aufgrund seiner sozialen Position in der Gegend ein wertvoller Begleiter. Diese gesellschaftliche Stellung Antonios erzeugte in den besuchten Indigenen Vertrauen oder zumindest Akzeptanz. Andere Impresarios am oberen Rio Negro waren der Tuschaua Mandú von Cururú-Cuara (Abb. 12) und bei weiteren Aufenthalten der Inspektor Antonio am Fluss Tiquié und José-Kädyu im Dorf Namocoliba. Während Koch-Grünbergs zweiter Expedition im Roraima waren die Tuschauas Manduca und Pitá ebenso wichtige Impresarios. Obgleich Vermittler bei den anderen Amazonasexpeditionen sehr präsent waren, wurden sie nicht als Impresarios bezeichnet. Die Bedeutung der Impresarios wird nicht nur dadurch deutlich, dass sie im Vergleich zu anderen Akteuren in den Texten regelmäßig erwähnt werden, sondern auch dadurch, dass ihre Fotos in die Ethnografie aufgenommen wurden. Auf diese Weise ist es möglich, die relevantesten Akteure in der Feldforschung zu identifizieren. Es sei darauf hingewiesen, dass in der überwiegenden Mehrheit dieser Fotografien diese Akteure nicht als Impresarios oder Dolmetscher anerkannt sind, sondern als Mitglieder einer bestimmten indigenen Gemeinschaft.120 Insbesondere Karl von den Steinen und Theodor Koch-Grünberg schätzten sich glücklich, solche Vermittler zu haben. Impresarios waren äußerst wichtige Kontakte und aufgrund von deren positivem Einfluss lässt sich vermuten, dass sie in großem Maße zum Erfolg der Expeditionen von den Steinens und Koch-Grünbergs beitrugen. Jedoch verfügten nicht alle Amazonas-Ethnologen über solche Schlüsselkontakte. Für den Ethnologen Wilhelm Kissenberth beispielsweise war das Fehlen eines geeigneten Impresarios der Grund für die unzähligen Schwierigkeiten, mit denen er sich bei dem Versuch, Indigene zu kontaktieren, konfrontiert sah. In einem Schreiben an Theodor KochGrünberg berichtete Wilhelm Kissenberth: »Ich habe überhaupt meine Hoffnung, einen geeigneten Reisebegleiter zu finden, wie sie ihn oder Dr. Krause ihn gehabt hat, völlig aufgegeben und vertraue auf meine eigene Kraft.«121 Dass Kissenberths 119

In seinem Tagebuch notierte Koch-Grünberg über eine Sprachaufnahme mit Antonio, dass »d[ies]er ein vorzügliches Medium dafür ist, da er etwas Portugiesisch sprach«. 19.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. 120 Der Sammelband Framing the Interpreter ist eine der ersten Arbeiten, in der es gezielt versucht wird, eine visuelle Perspektive auf die Übersetzungswissenschaft anzuwenden und in der die Figur des Dolmetschers anhand von fotografischen Aufzeichnungen identifiziert wird. Vgl. Fernández Ocampo, Anxo und Michaela. Wolf (Hg.): Framing the Interpreter: Towards a Visual Perspective, London/New York: Routledge 2015. 121 26.10.1908. SMB-PK, EM. I/MV/0583 I B.76.

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Expedition im Vergleich mit Koch-Grünbergs nicht erfolgreich war, lag höchstwahrscheinlich unter anderem an der fehlenden Präsenz von Vermittlern, die den Kontakt mit den Indigenen erleichterten. Die Aufgabe der Impresarios kann anhand von Koch-Grünbergs Texten im Detail rekonstruiert werden. Einmal in einem Dorf angekommen, stellte der Impresario der Gemeinschaft den Ethnologen und seine Wünsche vor, wobei der Ethnologe nicht immer genau wissen konnte, was eigentlich über ihn erzählt wurde.122 Als Teil seiner Arbeit bewarb der Impresario den Ethnologen als eine wichtige Person, die auf Reisen in der Gegend war, erstaunliche Dinge mit sich brachte und mit den Leuten Tauchhandeln treiben wollte. Von Antonio und Mandú wurde KochGrünberg mit allen [seinen] Künsten vorgeführt: Das Bilderbuch mit den Tieren und Soldaten rief wieder bei allen großen Jubel hervor; Mandú erklärt wieder alles genau, er hat meine Lehren gut behalten; […] Kaum sind wir mit dem Bilderbuch fertig, so heisst es: zeige die Espingarda, zeige die Retratos [Fotografien]; ›toca corneta!‹ (mein Signalhörnchen). [Antonio] kommandiert, und ich gehorche.123 Antonio stellte den Indigenen nicht nur den Ethnologen und die Ziele seiner Reise vor. Er empfahl ihn auch als eine vortreffliche Person, obschon er mit dem Ethnologen erst seit kurzem unterwegs war.124 Auf diese Weise zeigte er eine positive Einstellung den Ethnologen gegenüber, weil dies eine Grundvoraussetzung für seine Arbeit war. Zu seiner Arbeit gehörte es, auf der Seite Koch-Grünbergs zu sein, deswegen bevorzugte er es, einen entscheidenden Aspekt zu erwähnen, der bei den Indigenen einen guten Eindruck von dem Ethnologen erzeugte: die »schöne[n] Sachen«, die der Ethnologe mit sich führte. Die Abhängigkeit der Ethnologen von den Impresarios lag zu einem großen Teil in den nicht ausreichenden Sprachkenntnissen der Ethnologen begründet, nicht zuletzt aber auch in der Machtposition, die einige von ihnen innehatten. Impresarios wie Antonio stellen jene Mittler einer Kontaktzone dar, die, um mit Rebekka Habermas zu sprechen, »Autorität auch

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Beim Besuch im Dorf Durualimúmana: »Lange rasche Unterhaltung in Baniwa; jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Antonio setzt ihnen den Zweck meiner Reise auseinander«. Tagebucheintrag vom 21.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 123 Tagebucheintrag vom 24.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. 124 »Auf der weiteren Fahrt trafen wir die heimkehrenden Bewohner der Maloka. […] Auf einen ermunternden Zuruf Antonios kamen sie [die Huhúteni-Indigenen] zutraulich näher, und bald war eine flotte Unterhaltung in Gange […]. Antonio gab genaue Auskunft über das Woher und Wohin und Zweck der Reise. Er betonte verschiedene Male, wie »vortrefflich« »matsiátene« ich sei, und wie viele schöne Sachen ich mit mir führe, was anscheinend einen guten Eindruck machte«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 60f.

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der einheimischen Bevölkerung gegenüber [hatten].«125 Solche Vermittler fungierten bereits vor dem Kontakt mit den Ethnologen als cultural brokers126 zwischen den indigenen Gemeinschaften und den Kautschukhändlern. Karl von den Steinen berichtet beispielsweise von dem Kapitän Ambros am Alto Xingú, der Portugiesisch konnte und »den Verkehr mit vielen der noch zerstreut […] vorhandenen Reste zusammengeschmolzener Stämme [vermittelte], welche in den Dienst der Kautschukhändler treten.«127 Mandú am oberen Rio Negro war z.B. ein Tuschaua der indigenen Gemeinschaft Oalipere-dakenai in Cururcuara, der jahrelang im Kautschukgeschäft arbeitete und zwischen den Kautschukhändlern und den Bewohnern der Region vermittelte. Wie bereits erwähnt, arbeiteten die Tuschauas Hand in Hand mit den Kautschukpatronen. Tuschauas wie Mandú wurden von der Gemeinschaft respektiert, hatten Autorität und galten als angesehene Personen in der Gegend.128 Selbst wenn die Ethnologen die Sprache beherrscht hätten, wäre es für sie dennoch vorteilhaft gewesen, sich von den Impresarios vorstellen zu lassen, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei den Indigenen zu wecken. Impresarios konnten somit die Verhandlungen über Objekte, Informationen und – für die Kautschukhändler – auch über Menschen ermöglichen. Sie profitierten von ihrer sozialen Rolle, indem sie sich als einzige in der Gemeinschaft darstellten, die mit den Weißen kommunizieren und verhandeln konnten. Als die Ethnologen Teil der sozialen Landschaft der Kontaktzone ›Amazonasgebiet‹ wurden und von den Diensten der Impresarios 125

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Habermas, Rebekka: »Intermediaries, Kaufleute, Missionare, Forscher und Diakonissen. Akteure und Akteurinnen im Wissenstransfer«, in: Habermas, Rebekka und Alexandra Przyrembel (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, S. 27-48, hier S. 39. Die Figur des Brokers wurde vom US-amerikanischen Anthropologen Eric R. Wolf geprägt. Brokers, laut Wolf »provide unusual insight into the functions of a complex system through a study of is dysfunctions. The position of these »brokers« is an »exposed« one, since, Januslike, they face in two directions at once«. Wolf, Eric R.: »Aspects of Group Relations in a Complex Society: Mexico«, in: American Anthropologist 58/6 (1956), S. 1065-1078, hier S. 1076. Vgl. auch Geertz, Clifford: »The Javanese Kijaji: The Changing Role of a Cultural Broker«, in: Comparative Studies in Society and History 2/2 (1960), S. 228-249. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 274. Wright: Cosmos, Self, and History, S. 221f. Der britische Diplomat Roger Casement, der die Verhältnisse, unter denen die Indigenen im Putumayo versklavt wurden, anprangerte, berichtete darüber: »A Cacique [Spanisch für Tuschaua] or ›Capitan‹ might by bought over to dispose of the labour of his clan, and as the cacique’s influence was very great and the natural docility of the Indian a remarkable characteristic of Upper Amazon tribes, the work of conquering a primitive people and reducing them to a continual strain of rubber-finding was less difficult than might at first be supposed«. »Correspondence Respecting the Subjects and Native Indians Employed in the Collection of Rubber in the Putumayo Districts«. in: House of Common Sessional Papers 68 (14 February 1912-March 1913): 1-65. Hier S. 27f. Zit. n. Taussig: Shamanism, Colonialism, and the White Man. S. 86.

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profitierten, konnten letztere daraus ebenso einen Nutzen ziehen. Mandú schätzte beispielsweise die Beziehung zu Koch-Grünberg, da dieser ihm erklärte: »Ich mache kein Konto [Schuldenliste] wie ein Seringueiro, sondern, wenn die Reise zu Ende wäre, bekäme jeder Rapaz [Junge] seinen Lohn und würde in die Heimat entlassen«129 . Die Macht der Impresario-Dolmetscher in der sozialen Interaktion der Feldforschung lässt sich aus der Perspektive der Interpreting Studies weiter veranschaulichen. In Anlehnung an Michel Foucaults Theorie der Mikrophysik der Macht unterscheiden Ian Mason und Wen Ren zwischen institutioneller und interaktioneller Macht in face-to-face Dolmetsch-Situationen.130 Während der Staat, seine Behörden und andere Organisationen institutionelle Macht ausüben, verfügen Akteure wie Dolmetscher aufgrund ihrer Positionierung zwischen den Kulturen über interaktionelle Macht. Impresario-Dolmetscher standen aber für eine besondere Dolmetscherkategorie in den interethnischen Beziehungen in der Amazonas Kontaktzone. Als Dolmetscher konnten sie nämlich nicht nur interaktive Macht ausüben und die Machtbeziehungen zwischen Ethnolohen und Indigenen zum Teil destabilisieren. Insofern sie von machtstiftenden Figuren in der Region gefördert und von ihnen bezahlt wurden, agierten sie als eine Art institutionaliserte Dolmetscher131 und konnten auch eine gewisse institutionelle Macht ausüben. Sie können als Vertreter der institutionellen Macht in der Kontaktzone betrachtet werden, denn da sie für Kautschukhändler oder sogenannte aviadores arbeiteten,132 waren sie auch Teil der Organisationen, die mit Kautschuk handelten. Als Vertreter der Kautschukhändler, die, wie bereits erwähnt, bei den indigenen Gemeinschaften Autorität ausübten, hatten sie die institutionelle Macht, den Kommunikationsprozess in einer Dolmetsch-Situation zu kontrollieren. Macht erweist sich hier als das Resultat der Identifikation dieser Individuen mit den herrschenden Gruppen. Obwohl die Impresarios Mitglieder von indigenen Gemeinschaften waren, haben sie sich mit den Zielen der Kautschukhändler und des Ethnologen identifiziert und agierten somit zu deren Vorteil. Die Tatsache, dass Impresarios im Amazonasgebiet infolge ihrer Erfahrung bei den Expeditionen über eine gewisse Macht verfügten, kann am deutlichsten am Beispiel Antonios (Abb. 13), von den Steinens Impresario, veranschaulicht werden. Max Schmidt besuchte Antonio im Zuge seiner Expedition im Jahre 1901 und berichtet in seiner Ethnografie, wie der damalige Impresario, der in den Augen der Ethnologen zu den europäisierten Indigenen der Region zählte, aufgrund seiner 129 Tagebucheintrag vom 24.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. 130 Mason/Ren: »Power in Face-to Face Interpreting Events «, S. 119f. 131 Vgl. Payàs, Gertrudis und Alonso Icíar: »La mediación lingüística institucionalizada en las fronteras hispano-mapuche e hispano-árabe: ¿un patrón similar?«, in: Historia 42 (2009), S. 185-201. 132 Siehe Kapitel 1.2.2.

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Abbildung 13: Der Impresario Antonio. Von den Steinen 1892.

Erfahrung aus den beiden Expeditionen von von den Steinen, an denen er teilgenommen hatte, seine eigenen Expeditionen durchführte und somit Kontakte mit den anderen Indigenen des Xingú-Gebiets förderte. Antonio wurde Häuptling und konnte seine Macht nach Schmidts Darstellung auch deshalb ausüben, weil er Waffen besaß, die er bei den deutschen Expeditionen erworben hatte.133 Im Rahmen und als Konsequenz der durch die Präsenz der Ethnologen erzeugten interethnischen Beziehungen lässt sich der Impresario-Dolmetscher als eine fortdauernde Figur zwischen den Kulturen im Amazonasgebiet erkennen.134

Instabile Machtbeziehungen Der Dritte in interpersonellen Interaktionen ist, wie vorher erwähnt, eine ambivalente Figur, die nicht nur vermittelt, sondern auch Konflikte hervorrufen kann. Diese Ambivalenz berührt auf ihrer in-between Positionierung, die zeigt, dass sich der Dritte, insbesondere im Falle von Dolmetschern, in einem situativen und kontextabhängigen Zustand befindet. Die Einsicht, dass es sich bei diesen kulturellen Vermittlern um hybride Individuen handelte, in denen mehrere Sprachen und Kulturen konfluierten, stellte in der frühen Ethnologie jedoch keine Selbstverständlichkeit dar. Dennoch wurden vereinzelt progressivere Ansichten zu diesem The133 134

Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 321. Eine diachrone Untersuchung der Figur des Impresarios in der Geschichte der interethnischen Begegnung in der Region stellt ein Forschungsdesiderat dar.

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ma geäußert. Max Schmidt schrieb in seiner Ethnografie z.B. über Dolmetscher, junge Männer aus einer Guató-Gemeinschaft, die einige Jahre für brasilianische Siedler gearbeitet hatten und später, als sie von ihren Schulden befreit worden waren, in ihre Gemeinschaften zurückkehrten. Schmidt betrachtete diese Menschen als gespaltene Figuren, in denen eine »scharfe Zweiteilung zwischen dem Guató unter seinen Stammesgenossen und dem Guató unter Brasilianern« stattfand.135 Für ihn verfügten Indigene, die einige Zeit als Diener für brasilianische Siedler gearbeitet hatten, über eine ›Zweiteilung‹, die er als einen Vorteil für den Ethnologen betrachtete. Diese indigenen Dolmetscher hätten Schmidt zufolge beide »Ideenkreise«, zwei Identitäten, die sie je nach Bedarf anwenden könnten. »Wenn [der Forscher] sich nicht vollständig unter den Indianern in deren Gebräuche einlebt, tritt der Eingeborene ihm […] nicht in seiner Eigenschaft als Indianer, sondern in seiner zweiten, erst erworbenen Eigenschaft als Brasilianer entgegen.« Der Dolmetscher konnte dem Forscher dann Erklärungen von einem »europäisierten Standpunkt« aus geben und dazu seine »eigene Sprache in der Form einer Übersetzung der brasilianischen Sprache wieder[geben]«136 . Nach Schmidts Auffassung schienen Dolmetscher eine stabilisierende Funktion zu erfüllen,137 denn es wurde von ihnen erwartet, dass sie die Kommunikation und die Verhandlungen zwischen den Ethnologen und den anderen Mitgliedern der indigenen Gemeinschaft erleichterten und Missverständnisse vermieden. Ähnlich verhielt es sich im Falle von Konrad Theodor Preuss’ Aufenthalt im kolumbianischen Gebiet des Amazonas, wo er in der Siedlung Niña María durch die Vermittlung des Kommissars Bernardino Ramirez eine Art Vertrag mit Uitoto-Indigenen, die dort als Kautschuksammler arbeiteten, schließen konnte. Ramirez’ Präsenz stabilisierte in einem gewissen Maße die Beziehung zwischen Preuss und der Uitoto-Bevölkerung, was vor allem deshalb äußerst wichtig war, weil letztere gegenüber Preuss’ Anforderungen abweisend reagiert hatten. Der Erzähler Pedro wollte Preuss bei seinem Vorhaben, Informationen über die Uitoto zu dokumentieren, nicht helfen, denn er hielt es für ungerecht, dass Preuss alles über seine Gemeinschaft wissen wollte und sie, die Uitoto, dagegen nichts über Preuss’ Heimat erfahren sollten. Pedros Argument war, dass nach den Uitoto-Bräuchen nur in der Nacht erzählt wird, während der Tag zum Arbeiten, Essen und für andere Tätigkeiten verwendet wird. »Und bei uns bezahlt man eine Geschichte nicht mit Geld, sondern erzählt dafür eine andere, wir aber erfahren von deinen Erzählungen nichts«138 . Die Per135 136 137 138

Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 245. Ebd. Vgl. Bedorf: »Stabilisierung und/oder Irritation«. Preuss, Konrad Theodor: Religion und Mythologie der Uitoto. Textaufnahmen und Beobachtungen bei einem Indianerstamm in Kolumbien, Südamerika, Bd. 1, Göttingen u.a.: Vandenhoeck & Ruprecht u.a. 1921 (Quellen der Religionsgeschichte), S. 15.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

spektive Pedros steht exemplarisch für die aktive Teilnahme und agency indigener Akteure. Preuss wollte sich Pedros Vorstellungen jedoch nicht anpassen, sondern lieber tagsüber Erzählungen transkribieren und nachts schlafen. Hier ignorierte er absichtlich die Erzählregeln der Uitoto und setzte sich gegen sie durch: »[D]ann begann die allmähliche Schulung dieser Leute, bis sie mir alles langsam diktierten und schliesslich Wort für Wort übersetzten«139 . Für ihre Dienste bezahlte Preuss die Erzähler und Dolmetscher schließlich mit Geld140 ; es lässt sich jedoch nicht feststellen, ob die Erzähler, die ansonsten als Kautschuksammler arbeiteten, das Geld behalten durften. Mit Ramirez’ Unterstützung gelang es Preuss durchzusetzen, dass »die beiden Spanisch sprechenden Uitoto und ein Sänger während des Kautschuksammelns im Dorfe [bleiben] und mit [ihm] arbeiten [durften …]«141 . Somit zeigen die Quellen, dass Dolmetscher in der Feldforschung auch eine irritierende Funktion erfüllen konnten.142 Obwohl der Impresario und Dolmetscher Antonio für Karl von den Steinens Xingú-Expeditionen von wesentlicher Bedeutung war, gab es auch Momente, in denen er als Störfaktor empfunden wurde, wie es sich aus von den Steinens Bericht feststellen lässt: »Antonio ist sehr unbrauchbar als Dolmetscher und macht mehr Schwierigkeiten als die harmlosen Menschen selber.«143 Ein weiterer Aspekt, der eine irritierende Funktion von Dolmetschern erkennen lässt, tritt zutage, wenn Dolmetscher oder Vermittler beispielsweise nicht loyal zu den Ethnologen oder zu ihren eigenen Gemeinschaften standen und dadurch Konflikte verursachten. Die stabilisierende Funktion konnte bereits am Beispiel der Impresarios beobachtet werden, die sich mit der in der Kontaktzone mächtigsten Partei identifizierten, nämlich mit den Kautschukhändlern und den Ethnologen. Die irritierende Funktion von Dolmetschern kommt zum Vorschein, wenn sie sich als ein Hindernis erwiesen, weil sie eine Partei gegen die andere auszuspielen versuchten. Auch wenn Neutralität während der ethnologischen Feldforschung nicht vorhanden war und die Loyalität der Dolmetscher dem Ethnologen zum Nutzen oder zum Nachteil gereichen konnte144 , haben Ethnologen jedoch in gewisser Weise oft erwartet, dass Dolmetscher zu ihren Gunsten arbeiteten, und zeigten sich besonders unzufrieden mit wenig hilfsbereiten Dolmetschern:145 139 Schreiben vom 21.7.1914. SMB-PK, EM. Acta 1. I B.92. 140 Rosendo bekam beispielsweise 11,50 (kolumbianische Pesos vermutlich) für 23 Tage Arbeit. Pedro 9,50 für 19 Tage. Nachlass von Konrad Theodor Preuss. Feldtagebuch Colombia I. IberoAmerikanisches Institut – Berlin. 141 Schreiben 12.8.1914. SMB-PK, EM. Acta 1. I B.92. 142 Vgl. Bedorf: »Stabilisierung und/oder Irritation«. 143 Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 166. 144 Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 329. 145 »Wir würden wahrscheinlich mehr bei diesen Indianern erreichen, wenn wir uns besser mit ihnen verständigen könnten. Aber hier spricht kein Mensch Spanisch, und wir sprechen kein Yekuana. So können wir nicht unmittelbar mit ihnen verhandeln und sind ganz auf Manduca

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Der »Koch« [ein Uaiana-Indigener] ist ein »Halunke, wo ihm das Hemd anrührt […]. Er versteht unser Portugiesisch natürlich nur halb und verdolmetscht es den anderen […] absichtlich falsch und hetzt diese gegen uns auf. Ich möchte am liebsten den Kerl eigenhändig durchpeitschen, wenn es ginge; […] wer nicht für mich ist, ist gegen mich!146 Dieser Wutanfall war das Resultat eines schwierigen Moments im Verlauf von Koch-Grünbergs Expedition, in dem zwei Ruderer entflohen waren und aufgrund dessen die anderen Indigenen nicht motiviert waren, die Fahrt weiter fortzusetzen.147 Hier ermöglichte es der Dolmetscher dem Ethnologen nicht, von seiner privilegierten Position zu profitieren, sondern verursachte vielmehr einen konträren Effekt, indem er dem Ethnologen nicht alles verdolmetschte oder das Gesagte manipulierte, sodass der Forscher in die Rolle desjenigen gedrängt wurde, der nicht wusste, wovon die Rede war. Dolmetscher haben also in der Tat autonom gehandelt; sie dienten zwar als Vermittler, konnten die Rolle des Dritten aber ebenso »als Störer der Reziprozität, als Intriganten«148 erfüllen. Obgleich es beim Dolmetschen in der Feldforschung keine gemeinsam etablierten ethischen Normen zwischen Dolmetschern und Ethnologen gab149 , lässt sich aus Koch-Grünbergs Reaktion herauslesen, dass er implizit mit der Loyalität des Dolmetschers rechnete und dessen Illoyalität umgehend als Opposition gegen ihn – den Ethnologen – interpretierte. Es wird ebenso deutlich, dass Dolmetscher sich – je nach Bedarf – mit derjenigen der beiden Parteien identifizieren konnten, mit der sie ähnliche Weltdeutungen teilten150 . Auch wenn diese Identifikation

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angewiesen, der als Vermittler meistens versagt. Seine Übersetzung hängt anscheinend von seiner jeweiligen Laune ab.« Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 250f. Tagebucheintrag vom 24.10.1904. ES Mr B.I.2. Heft 7. Der Eintrag erhält eine spätere Korrektur ohne Datum: »Unsinn!! Schatten von vorübergehendem Tropenkoller!«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 103-105. Fischer: »Tertiarität/Der Dritte«, S. 146. Die ethische Problematik ist sehr präsent in der Dolmetschwissenschaft, in der Konzepte wie Neutralität, Treue, Transparenz und Loyalität neu verhandelt werden. Vgl. Setton, Robin und Erich Prunč: »Ethics«, in: Pochhacker, Franz (Hg.): Routledge Encyclopedia of Interpreting Studies, London/New York: Taylor & Francis 2015, S. 144-148. Einen Überblick über unterschiedliche Settings, in denen die Problematik der Loyalität beim Dolmetschen behandelt wird, bietet – aus heutiger Sicht – Sylvia Kalina. Vgl. Kalina, Sylvia: »Loyalität beim Dolmetschen«, in: Mayer, Felix und Britta Nord (Hg.): Aus Tradition in die Zukunft: Perspektiven der Translationswissenschaft. Festschrift für Christiane Nord, Berlin: Frank & Timme 2013, S. 15-25. Cecilia Wadensjö behandelt das Thema Neutralität beim Dolmetschen, im Anschluss an Michail Bakhtin, als »neutrality of style«. Diese »presupposes similarity between the addressee and the speaker, including a unity of their expectations and viewpoints.« Wadensjö, Cecilia: Interpreting as Interaction, London/New York: Longman 1998, S. 240. Vgl. Bakhtin, M. M.: Speech Genres and Other Late Essays, Austin: University of Texas Press 1986.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

temporär und von anderen Faktoren beeinflusst sein konnte, hatte sie erhebliche Auswirkungen auf die Beziehung mit dem Ethnologen. Infolge dieser Identifikation destabilisierte der Dolmetscher, als »Koch« im oberen Zitat bezeichnet, die Machtbeziehungen zwischen indigener Gemeinschaft und Ethnologen insofern, als er sich auf die Seite seiner Gemeinschaft stellte und die Partei des Ethnologen negativ dargestellt haben soll. Wie der Ethnologe im oben zitierten Beispiel ohne Kobeua-Kenntnisse wissen konnte, dass der Dolmetscher ›falsch‹ übersetzt hatte, lässt sich nicht überprüfen. Koch-Grünbergs Beurteilung war zweifelsohne von anderen Aspekten beeinflusst. Zum einen war der Forscher nach den vorherigen Erfahrungen im Zuge dieser Reise an Impresario-Dolmetscher wie Antonio oder Mandú gewöhnt, die sich darum kümmerten, seine Wünsche zu erfüllen. Zum anderen belegt sein Ärger die Angst des Ethnologen, seine Expedition nicht weiterführen zu können, denn es waren gerade solche Auseinandersetzungen, die eine Realität offenkundig machten, die meistens verdrängt wurde, nämlich die Tatsache, dass das Gelingen der Expedition zum großen Teil von den Indigenen und ihrer Bereitschaft zur Mitarbeit abhing. Der Ethnologe war demzufolge oft gezwungen, seine Begleiter ständig zu motivieren und unterschiedliche Überzeugungsstrategien anzuwenden. Diese umfassten psychologische Manipulation oder weitere Warengaben.151 In einem Schreiben beklagt Konrad Theodor Preuss beispielsweise »[d]ie geringe Bereitwilligkeit der Leute«, mit ihm zu arbeiten, d.h. sich befragen zu lassen und für ihn zu übersetzen. Der Grund dafür war in Preuss’ Augen ein sogenannter »Regierungsinterpret«, »ein Privatmann, den [Preuss] zur Einführung gewonnen hatte« und der »sich unentbehrlich machen wollte, um viel Geld durch mich zu verdienen. Deshalb hatte er den Indianern, als er nach Florencia zurückkehrte, gesagt, sie möchten mir nur wenig mitteilen«152 . Die Bezeichnung »Regierungsinterpret« bezieht sich vermutlich auf den Vermittler Leonardo Cabrera. Aufgrund der Konflikte mit ihm reflektierte Preuss indirekt über die Loyalität von Dolmetschern, denn für ihn gab es »nichts übleres […], als einen Weißen zum Nebendolmetscher zu haben, denn er würde immer die Führung der Fragen an sich reißen, und man wäre nicht mehr imstande, die eigentliche Aussage der Indianer festzustellen«153 .

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Als seine Begleiter, insbesondere der Uaiana-Dolmetscher, Koch-Grünberg erklärten, sie wollten nicht weiterfahren, da sie nicht genug Essen hatten und nicht »unterwegs Hunger leiden« wollten, reagierte der Ethnologe wie folgt: »Ich stelle ihn [den Tuschaua (Häuptling)] energisch zur Rede und sage ihm, ich hätte nicht gedacht, daß er ein solcher »Pitüa« (Feigling) wäre. Das half.« Koch-Grünberg bezeichnet dieses Wort als »das schlimmste Schimpfwort für einen Indianer«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 104. Schreiben vom 12.8.1914. SMB-PK, EM. Acta 1. I B.92. Vgl. Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto, Bd. 1, S. 9. Ebd.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Hier bevorzugte Preuss indigene Dolmetscher, weil diese dem Ethnologen das »eigentliche« Wissen vermitteln würden. Der Zusammenhang zwischen ›Rasse‹ und Loyalität, auf den Preuss hindeutet, lässt erkennen, dass der Ethnologe eine klare Identifizierung der Akteure in der Kontaktzone aufgrund ihrer Hautfarbe bzw. ethnischen Zugehörigkeit durchführte. Die in der ethnologischen Forschung etablierte Trennung zwischen ›weißen‹ und ›indigenen‹ Dolmetschern war selbstverständlich nutzlos, denn, wie oben bereits gezeigt, verfügten indigene Dolmetscher ebenfalls über agency und agierten oft zu ihrem eigenen Vorteil. Sie trugen mithin zur temporären Veränderung der Machtbeziehungen zwischen Indigenen und ›Weißen‹ bei. Die agency von Dolmetschern tritt dadurch zutage, dass sie als »co-interlocutor[s]« agierten und dabei die Interaktionen beeinflussten.154 Ebenso wie im professionellen Dolmetschen, in dem Dolmetscher nicht mehr als ›neutrale‹155 Vermittler betrachtet werden und erwartet wird, dass sie nichts hinzufügen oder weglassen, erlaubte bzw. setzte das Dolmetschen in der Feldforschung in vielen Fällen nicht nur voraus, dass sie dolmetschten, sondern auch, dass sie die gelieferten Informationen ergänzten. Aber nicht nur Indigene in ihrer Tätigkeit als Dolmetscher agierten als Dritte und versuchten dabei Macht auszuüben. Ethnologen konnten auch als Dritte in den Beziehungen zwischen Indigenen und anderen lokalen Akteure fungieren. Wie dies konkret erfolgte, lässt sich anhand dieser Szene aus einem »zwanglosen Herrenbierabend« in Koch-Grünbergs Expedition am oberen Rio Negro illustrieren: Mandú [machte] mir die höchsten Lobeserhebungen, die ich ebenso erwiderte: Wir seien so nette Leute, gehörten jetzt ganz hier zur Bevölkerung; ich sollte mit dem Governador sprechen, daß er jemand hierher schicke; – was er damit meinte, war mir nicht ganz klar. Ich erklärte ihm dagegen, ich sei noch nirgends so wohl aufgenommen worden wie hier; die Leute hier seien alle so gut; wenn ich zum Governador zurückkäme, wolle ich davon und von dem vorzüglichen Tuschaua [Häuptling] erzählen; allein es fehlten mir noch drei Photographien von Frauen und drei von Mädchen, sonst würde der Governador, wenn ich ihm die Bilder vor-

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Mason/Ren: »Power in Face-to Face Interpreting Events «, S. 124f. Obwohl Neutralität beim Dolmetschen als »a key precept of professional practice« vorausgesetzt wird, bleibt sie ein umstrittenes Konzept, das nicht mehr als Markenzeichen der Tätigkeit des (professionellen) Dolmetschens gilt. vgl. Prunč, Erich und Robin Setton: »Neutrality«, in: Pochhacker, Franz (Hg.): Routledge Encyclopedia of Interpreting Studies, London/New York: Taylor & Francis 2015, S. 273-276. S. 273. Vgl. auch Tipton, Rebecca: »Interpreter Neutrality and the Structure/Agency Distinction«, in: Valero-Garcés, Carmen (Hg.): Investigación y práctica en traducción e interpretación en los servicios públicos – desafíos y alianzas. Research and practice in public service interpreting and translation – challenges and alliances, Universidad de Alcalá de Henares 2008, 182-196. Und Wadensjö: Interpreting as Interaction, S. 240.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

legte, sagen: »O, in Cururú-Cuára sind nur Männer und gar keine Weiber!« Darauf versprach er mir sofort, sie am nächsten Tage antreten zu lassen.156 Im freundschaftlichen Rahmen der Feier mit dem Häuptling Mandú am Ort Cururú-Cuára – einem der wichtigsten Vermittler im Kontext dieser Expedition – wurde die gegenseitige Hochachtung nicht nur zum Ausdruck gebracht. Vielmehr wurde diese zum Mittel zur Erlangung bestimmter ›Freundschaftsdienste‹, die einen Gewinn für jeden der beiden Akteure bedeuteten. Um mit Michael Kraus zu sprechen, konnte »[e]ine freundschaftliche Einstellung der Wissenschaftler […] Ausdruck von Respektbekundung ehrlicher Sympathie sein. Gleichzeitig war sie Mittel zum Zweck der Datenerhebung.«157 Im Falle Mandús handelte es sich um eine Gelegenheit, den Governador mittels Koch-Grünberg zu erreichen; er konnte aber nicht wissen, dass der Ethnologe überhaupt keinen Kontakt mit dem Governador hergestellt hatte. Koch-Grünberg nutzte jedoch diese günstige Gelegenheit, um seine fotografische Sammlung zu vervollständigen. Es lässt sich erahnen, dass Mandú in Koch-Grünberg einen Vermittler der Regierung sah, und ihn daher darum bat, dem Governador zu sagen, er solle jemanden schicken. Da Mandú und seine Gemeinschaft im Dienste der Kautschuksammler waren und im Schuldknechtschaftssystem verwickelt waren, lässt sich daraus ableiten, dass Mandú Koch-Grünberg vermutlich um Hilfe bat. Diese Art Versprechungen können zu Recht als eine Form der ›Machtausübung‹ seitens der Ethnologen bezeichnet werden158 , denn sie nutzten die herrschenden Bedingungen aus, um ihre Ziele zu erreichen. Die hier von Mandú intendierte Instrumentalisierung von Koch-Grünbergs vermeintlicher Beziehung zu dem Governador ist – in den Fällen, in denen sie zum Tragen kam – ein Zeichen von Machtausübung, das der Ethnologe erkannte und zu seinen Gunsten ausnutzte. Dass diese Strategie von Koch-Grünberg absichtlich angewandt wurde, um sich eine Machtposition in der Gegend zu verschaffen, zeigt sein Tagebucheintrag vom 19.9.1904, in dem er erzählt, wie ein Tuschaua (Häuptling) ihn fragte »warum [er] soweit hier aufwärts führe? Ich sage: ich sei beauftragt vom Governo [d.h. der Regierung] in Manáos, alle Tuschauas zu besuchen und dann dem Governo zu melden, ob sie gut oder schlecht wären; worauf er sehr höflich und zuvorkommend wird«159 . Anscheinend hat sich die Machtausübung mittels der Beziehung zu dem Governador als eine erfolgreiche Strategie erwiesen, um die Ziele seiner Expedition – unter

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Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 93f. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 357. Ebd., S. 302-313. ES Mr B.I.2. Heft 7.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

ihnen den Tauschhandel – zu verwirklichen.160 Diese Strategie verwendete KochGrünberg erneut am Anfang der Roraima-Expedition, als er behauptete, »vom »Governo« beauftragt worden zu sein, um »alle Stämme zu besuchen und zu sehen, ob die Häuptlinge gut seien oder nichts taugten. Der Governador, der ›primeiro tuxaua‹ (oberste Häuptling) in Manaos, wolle alles wissen, wie die Leute lebten, was sie treiben usw. Zu diesem Zweck müßte [sic!] ich auch alle Sachen kaufen.« Sein Gastgeber, der Häuptling Pitá in Koimélemong, reagierte dementsprechend: »Nun tut er alles, was ich will; er schleppt mir alles heran, befiehlt, dies und das zu bringen, schickt die Leute zum Photographieren, zu phonographischen Aufnahmen, und sie gehorchen ihm auf jeden Wink.«161 Als er während derselben Expedition zu einem späteren Zeitpunkt Probleme mit seinen Reisebegleitern hatte, griff er erneut auf die Figur des Governadors zurück, um seine Autorität zu verstärken: »Als ich [Alexandrino] sage, er solle mein Steuermann zum Iuréua sein, wird er ganz wild, springt herum wie ein Narr, […] und schreit, er ginge nicht mit mir, die Boote reichten nicht aus, die Stromschnellen seien zu gefährlich, er habe keine Lust zu ertrinken usw.«. Darauf antwortet der Ethnologe: »Wenn er nicht mitginge, würde ich mit Romeo nach San Bernardo fahren und dem Governador erzählen, was für Leute sie hier waren«162 . Diese Reaktion lässt sich damit erklären bzw. rechtfertigen, dass Koch-Grünberg am Ende seiner zweiten Expedition am Roraima Schwierigkeiten hatte: der Yekuana Antonio hatte ihn bestohlen, die Beziehung war angespannt und für Koch-Grünberg war »[d]as Hin und Her mit diesem unzuverlässigen, wankelmütigen Volk […] auf die Dauer unerträglich«.163 Das Verhalten des Ethnografen kann in der Folge, um mit Michael Kraus zu sprechen, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden, insofern »die subjektive Notlage einer von Misstrauen und offenen Konflikten geprägten Beziehung und ein Aufenthaltsort fernab aller Möglichkeiten, unabhängig von den Indianern weiter zu kommen, hier zu einer Reaktion [führten], die der Wissenschaftler unter anderen Umständen selbst kaum gebilligt hätte«164 . In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass Kulturübersetzung nicht lediglich als eine von einem einzelnen Individuum gestaltete Repräsentation einer anderen Kultur, d.h. durch den Ethnologen als Kulturübersetzer, erfolgte, sondern auch als eine interaktive Praxis, in der die Figur eines Drittens mitwirkte, hier exemplifiziert durch Vermittler, insbesondere Dolmetscher. Akteure wie Dolmetscher stellen die Tatsache in den Vordergrund, dass Sprachvermittlung (z.B. durch Dolmet160 Michael Kraus erwähnt andere Beispiele von deutschen Ethnologen, die »die Rahmenbedingungen der Begegnungen für ihr Interesse zu nutzen [versuchten]«. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 311. 161 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 37. 162 Ebd., S. 378. 163 Ebd. 164 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 311f.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

schen/Übersetzen) als symbolische, aber auch als materielle Praktik165 konstitutiv für die Feldforschung war, denn, wie gezeigt werden konnte, beherrschte keiner der Amazonas-Ethnologen die indigenen Sprachen, sodass die Forscher ohne Dolmetscher oder die Präsenz eines bilingualen Gesprächspartners nicht zurechtgekommen wären. Dieser offensichtliche, aber dennoch oft vernachlässigte Aspekt, der Bereich der sprachlichen Differenz, verdient daher unsere volle Aufmerksamkeit, wenn wir über Kulturübersetzung sprechen.166 Durch Dolmetscher verkörpert, erweist sich der Dritte in der ethnologischen Feldforschung weiterhin als eine äußerst komplexe Figur, denn er fungierte gleichzeitig als Vermittler, Erzähler und als Dolmetscher. Ebenso konnte der Ethnologe als Dritter agieren, insofern Indigene in ihm einen Vermittler zwischen ihnen und der Regierung sahen. Der Fokus auf die Präsenz des Dritten zeigte hier, dass es sich bei der Kulturübersetzung nicht um dyadische, sondern um triadische Konstellationen handelt. Die immer noch schwer zu überwindende Dichotomie zwischen dem Selbst (Ich – Ethnologe) und den Anderen (Indigener) wird durch die Figur des Dritten destabilisiert. Dadurch kann gezeigt werden, dass interethnische Beziehungen und die daraus resultierenden Bilder derselben (z.B. in ethnografischen Texten) durch Verhandlungen und Interessenkonflikte in asymmetrischen Machtbeziehungen entstanden. Auf diese Weise zeichnete sich die Feldforschung in der Kontaktzone »durch eine instabile Kommunikationslage« aus167 . Diese gründete nicht unmittelbar in der sprachlichen Vermittlung, sondern bezog sich auf Machtbeziehungen und Konflikte zwischen den verschiedenen Akteuren.

2.2.

Praktiken der ethnografischen Objektivierung: Benennen, Klassifizieren, Übersetzen

Praktiken des Sammelns von Wissen, wie die Benennung undKlassifizierung von› Außereuropäischem‹, setzten vor allem die Tätigkeit der Übersetzung voraus. Sie waren für die ethnografische Forschung konstitutiv und trugen zur frühen Systematisierung von Methoden in der Feldforschung bei. Die Analyse dieser Praktiken wird ermöglicht durch materielle Artefakte wie Sprachtabellen und linguistische Völkerkarten. Die Tatsache, dass diese Artefakte die Transformation von Sprachen in wissenschaftliche »Argumente« ermöglichten, um mit Bruno

165 Agorni: »Locating systems and individuals«, S. 129. 166 Auf die Tendenz, Sprache zu vernachlässigen, wenn Übersetzung als Metapher der Repräsentation in ethnografischen Arbeiten verwendet wird, weist ebenso Kate Sturge in ihrer Studie hin. Sturge: Representing Others, S. 13f. 167 Bachmann-Medick: »Dritter Raum. Annäherungen an ein Medium kultureller Übersetzung und Kartierung«, S. 22.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Latour zu sprechen168 , zeigt die wissenschaftliche Praxis der »Mobilisierung« – als eine Form der Objektivierung – von indigenen Vokabeln und Sprachen, die auf eine Reise von den ursprünglich mündlichen Ausdrücken in der Kontaktzone ›Amazonasgebiet‹ bis zur schriftlichen wissenschaftlichen Repräsentation nach Deutschland geschickt wurden, um z.B. die ›ethnische‹ Verwandtschaft zwischen indigenen Gruppen zu beweisen. In einer seiner ersten Studien zu europäischen Reisenden im kolonialen Kontext des 19. Jahrhunderts schenkte der deutsche Ethnologe Johannes Fabian der Rolle von Sprache, in diesem Fall Swahili, und den damit verknüpften Aspekten der Benennung, Klassifikation und Aneignung besondere Aufmerksamkeit.169 Fabians einzigartige Analyse berücksichtigt eine in der Geschichte der Amazonasforschung bisher wenig beachtete Verbindung, nämlich die zwischen Sprachgebrauch, kolonialistischem Denken und Macht. Denn genauso wie einige Reisende in kolonialen Unternehmen verfolgten die Amazonas-Ethnologen das Ziel, den Nachweis zu erbringen, ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Forschung einzustufen. Im Zuge dessen konnten sie auch Macht »in a more subtle form« ausüben, »as the power to name, to describe, and to classify«170 . Eine wesentliche Praktik bei dieser Form der Machtausübung als »penetration of the ›cognitive space‹«171 , auf die Fabian leider nicht im Detail eingeht, ist die der Übersetzung. Denn im Wesentlichen handelt es sich bei der Benennung, Klassifikation und Aneignung um die Übersetzung von außereuropäischen Sprachen nicht nur in die Sprache des Reisenden, hier des Ethnologen, sondern auch in den ethnologischen Diskurs. Diese Art der Transformation beruht zweifelsohne auf einer interlingualen Übersetzung, wobei es in dieser Analyse nicht darum geht, die linguistische Äquivalenz zu überprüfen, sondern darum, den Prozess der Kulturübersetzung in seiner engen Beziehung zur Übersetzung im strengen Sinne nachzuvollziehen. Die Spannung zwischen beiden Übersetzungsformen – im engeren und im weiteren Sinne – soll im Folgenden am Beispiel von Praktiken der Benennung, Klassifizierung und Übersetzung indigener Gemeinschaften und Sprachen herausgearbeitet werden.

Benennen als Objektivierung der ›Anderen‹ Die Bezeichnung Taulipáng oder Taurepáng, wie Koch-Grünberg eine indigene Gemeinschaft der Roraima-Region nannte, erschien zum ersten Mal in der Fachliteratur über die Region in seiner Monografie Vom Roroima zum Orinoco. Der Ethno-

168 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 120f. 169 Vgl. Fabian, Johannes: Language on the Road. Notes on Swahili in two Nineteenth Century Travelogues, Bd. 4, Hamburg: Helmut Buske Verlag 1985. 170 Ebd., S. 28. 171 Ebd., S. 9.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

loge behauptete, diesen Namen »entdeckt«172 zu haben, nachdem er Sprecher der Arekuná nach ihrer Selbstbezeichnung fragte. Als Taulipáng wurden dem Ethnologen zufolge Arekuná-Indigene von anderen Gruppen bezeichnet. Dennoch fanden andere Forscher weder vor noch nach ihm Menschen, die sich als Taulipáng bezeichneten173 , und es wird daher argumentiert, dass es sich dabei eigentlich um eine »regionale Fraktion der Macuxí«-Indigenen handelte174 . Die Namensverwirrung führte zu Fragen über die Zugehörigkeit, ja sogar über die Existenz der Gruppe, was Koch-Grünbergs ›Entdeckung‹ unter Ethnologen zu desavouieren drohte. In einem Schreiben antwortete der Botaniker Ernst Ule auf Koch-Grünbergs Vorwürfe, dass »man in Berlin durch [Ules] Vortrag gegen [Koch-Grünberg] hätte intrigieren wollen«175 . Ule bezeichnete in seinem Vortrag die von ihm besuchten Indigenen als Arekuná, obwohl Koch-Grünberg sie als Taulipáng einordnete. Außerdem behauptete Ule, den Namen Arekuná beibehalten zu haben, da er »nicht wusste, wo die Grenze zu ziehen sei« und begründete seine Entscheidung mit der bisherigen Fachliteratur, in der auch Koch-Grünberg zusammen mit dem Fotografen Georg Hübner die Indigenen der Region als Arekuná benannt hatte176 . Als Resultat dieser Auseinandersetzung korrigierte Ule seine Meinung und bekannte in der Zeitschrift für Ethnologie öffentlich, dass die von ihm erwähnten Arekuná eigentlich Taulipáng waren177 . Die Auseinandersetzung zwischen Ule und Koch-Grünberg veranschaulicht die wissenschaftliche Objektivierung der indigenen Kulturen, die bereits mit der ›Entdeckung‹ ihrer Namen begann. Durch diese ›Entdeckungen‹ konstruierten Ethnologen nicht nur ihre wissenschaftliche Autorität, sondern vielmehr auch die Identität der indigenen Gemeinschaften als ethnologische Fakten178 . Dieser Akt der 172

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»Der Stamm der Taulipáng hat eine große Ausdehnung. Seine Wohnsitze erstrecken sich vom Surumú nördlich bis zum Roroima, dem gewaltigen Sandsteingebirge auf der Grenze von Brasilien, Venezuela und Britisch-Guayana, und südwestwärts über den Oberlauf der Flüsse Parime und Majary, bis zur großen Insel Maracá des Uraricuera. Den Stammesnamen Taulipáng habe ich entdeckt. […] Erst nach längerem Zusammensein mit ihnen erfuhr ich, daß ihr eigentlicher Stammesname Taulipáng sei, und fand dies auch durch die Texte, die ich von ihrer Sprache aufnahm, bestätigt«. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 35f. Die Selbstbezeichnung einiger Gruppen der Region lautet Pemón. Vgl. Frank, Erwin: »A construção do espaço étnico roraimense, ou: os Taurepáng existem mesmo?«, in: Revista de Antropologia, São Paulo 45/2 (2002), S. 287-310, hier S. 301f. Ebd., S. 302. Schreiben von Ernst Ule an Theodor Koch-Grünberg. 9.7.1913. ES Mr A.13. Koch Grünberg, Theodor und Georg Hübner: »Die Makuschí und Wapischána«, in: Zeitschrift für Ethnologie 40/1 (1908), S. 1-44. Ule, Ernst Heinrich: »Berechtigung von E. Ule«, in: Zeitschrift für Ethnologie 45/3 (1913), S. 40. Darauf hat der deutsche Ethnologe Erwin Frank in seinem Aufsatz »A construção do espaço étnico roraimense, ou: os Taurepáng existem mesmo?« hingewiesen. Hier stellt er KochGrünbergs Entdeckung des Namens Taulipáng infrage und reflektiert über die Auswirkungen

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Kulturübersetzung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der sprachlichen Auseinandersetzung um ein Wort, das der Ethnologe für den Namen der indigenen Gemeinschaft hielt. Hierbei geht es nicht um eine sprachliche Entsprechung, sondern um die Transformation eines Wortes in die Bezeichnung einer ganzen Gemeinschaft. Diese Transformation beruht, um mit dem Ethnologen Erwin Frank zu sprechen, auf einer für die Ethnologie charakteristischen »tribalistische[n] Sichtweise«179 . Der Name Taulipáng steht für eine »Inskription« im Sinne Bruno Latours, die sich in ethnologischen Dokumenten durch sprachliche Befragung materialisierte und durch ethnologische Veröffentlichungen legitimiert wurde. Als Inskription bezeichnet Bruno Latour »jene Transformationen, durch die eine Entität«, in diesem Fall der Name Taulipáng, »in einem Zeichen, einem Archiv, einem Dokument, einem Papier, einer Spur materialisiert wird«180 . Beim Zusammentreffen zwischen den Roraima-Indigenen und Koch-Grünberg konstituierte sich eine bestimmte Inskription, die im ethnologischen Diskurs vor Koch-Grünbergs Texten nicht existierte. Eine der langfristigen Auswirkungen dieser wissenschaftlichen Handlung besteht darin, dass einige Gruppen im Roraima-Gebiet sich heutzutage als Taurepán bezeichnen181 . Diese legitime Form der Subjektivierung ist der ethnologischen Praxis der Objektivierung zu verdanken. An dieser Stelle ist anzumerken, dass Objektivierung auch zwischen indigenen Gruppen vollzogen wurde, was am Beispiel der Ethnonyme beobachtet werden kann. Ethnonyme sind keine Selbstbezeichnungen, sondern (meistens pejorative) Namen, die Sprecher einer Gemeinschaft einer anderen (fremden) Gemeinschaft geben182 . Diese Benennung des Anderen versteht sich als eine Form der »Objektivierung« des Anderen. Sie steht ebenso für einen Akt der Kulturübersetzung, diesmal nicht zwischen Ethnologen und indigenen Kulturen, sondern zwischen den indigenen Kulturen selbst. Um mit Eduardo Viveiros de Castro weiter zu reden, gilt unter indigenen Gruppen in der Amazonasregion die »Vermeidung der Selbstbezugnahme […]: Die Namen werden von ihren Trägern oder in ihrer Gegenwart nicht ausgesprochen; benennen heißt veräußerlichen – vom/das Subjekt trennen«183 , als verbreitete Praktik.

dieser Konstruktion für die Identitäten einer Region. Ferner empfindet Frank alle Stammesdifferenzierungen, wie sie für gewöhnlich in der Ethnologie vorgenommen werden, als plenamente artificiais, also als völlig künstlich. Frank: »A construção do espaço étnico roraimense«. Hier S. 302. 179 Ebd., S. 291. 180 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 375. 181 Vgl. Frank: »A construção do espaço étnico roraimense«. 182 Viveiros de Castro, Eduardo: Die Unbeständigkeit der wilden Seele, Wien/Berlin: Turia + Kant 2017, S. 280f. 183 Ebd., S. 281.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Dennoch sind Selbstbezeichnungen in ethnografischen Texten nicht selten, allerdings bevorzugten die Ethnologen als Autoren die Bezeichnung des ›Anderen‹, d.h. die Ethnonyme: »Die Tukáno, […] nennen sich in ihrer eigenen Sprache Daxséa«184 , bleiben aber im ethnologischen Diskurs bis heute die Tukano. Die Namen, mit denen sie in ethnologischen Schriften bezeichnet wurden, sind die Namen, die andere Gemeinschaften ihnen zuschrieben, und daher nicht immer Konstruktionen der Ethnologen. So wurde beispielsweise der Name Makú im ethnologischen Diskurs nicht etwa deshalb verwendet, weil die Sprecher sich selbst als Makú bezeichnet hätten, sondern weil sie für Andere Makú waren. Das Wort Makú gehört nicht zur Makú-Sprache, es handelt sich dabei um eine Bezeichnung aus einer Arawak-Sprache, die vermutlich Sklave, Person aus einer anderen Gruppe oder Nomade bedeutet185 . Eine andere Interpretation ist, dass die Bezeichnung Makú sich auf bestimmte Gemeinschaften bezieht, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie die Sprache des Sprechers nicht sprechen; Makú bedeutet in Baniwa »sprichtnicht«186 . Es besteht bisher dennoch keine Sicherheit über die genaue Bedeutung der Bezeichnung Makú, jedoch hat sie auf jeden Fall eine negative Konnotation, wie ethnografische Berichte hervorheben187 . Somit deutet das Ethnonym Makú auf die Standpunkte (oder die Perspektiven) anderer Indigener im Hinblick auf diese Gruppe hin. Die interaktionsanalytische Betrachtung von Kulturübersetzung impliziert die Objektivierung des ›Anderen‹ auch als Resultat der Auseinandersetzung mit Sprache, in diesem Fall mit Namen als Ethnonyme und Selbstbezeichnungen. Der Prozess, durch den indigene Sprachen zu textuellen Artefakten in Form von Sprach184 Weitere Beispiele lauten wie folgt: »Am mittleren Caiary-Uaupés […] finden wir die Uanána, die sich selbst Kótitia nennen. […] Die Désana, die sich selbst Winá nennen.« Koch-Grünberg: »Betoyá-Sprachen Nordwestbrasiliens und der angrenzenden Gebiete«, S. 945. 185 Zucchi, Alberta und Silvia Vidal: Historia y etnicidad en el noroeste amazónico, Mérida: Instituto Venezolano de Investigación Científica 2000, S. 63. Die Makú werden von anderen Gemeinschaften »nicht [als] Menschen« betrachtet, weil sie Nomaden sind. Daher werden sie als minderwertig betrachtet und behandelt. Vgl. Jackson, Jean Elizabeth: The Fish People: Linguistic Exogamy and Tukanoan Identity in Northwest Amazonia, Cambridge: Cambridge University Press 1983, S. 151; Santos-Granero, Fernando: Vital Enemies: Slavery, Predation, and the Amerindian Political Economy of Life, Austin: University of Texas Press 2009. 186 Wright, Robin M.: »Ialanawinai. O branco na história e mito Baniwa«, in: Albert, Bruce und Alcida Rita Ramos (Hg.): Pacificando o Branco. Cosmologias do contacto no Norte-Amazônico, São Paulo: Editora Unesp 2002, S. 431-468. S. 435. 187 »Bald stießen wir auf zwei alte sehr primitive Lager der Makú, »campamentos de gente do matto« (Lager der Waldleute), wie Ignacio [Makú, »Schuldsklave« Germanos] etwas euphemistisch erklärte, da der Name »Makú« für ihn einen unangenehmen Beigeschmack hatte. Sie bestanden aus vielen kaum mannshohen Schutzhütten. […] In diesen elenden Unterschlupfen, die den Namen Hütten eigentlich nicht verdienen, haust der Makú mit seiner oft zahlreichen Familie, den Unbilden der Witterung preisgegeben, wie das flüchtige Tier des Waldes«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 217.

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aufnahmen wurden – durch Befragung, Übersetzung und Transkription – kann im Folgenden Aufschluss darüber geben, wie Kulturübersetzung durch die Interaktionen und die sprachliche Vermittlung erfolgte. Somit wird es möglich, eine Mikroperspektive auf diese Vorgänge zu gewinnen, indem die folgende Analyse die konkreten Aspekte der Kulturübersetzung anhand von Sprachtabellen, Sprachkarten und Sprachaufnahmen in den Vordergrund rückt.

Sprachkontakt und Sprachaufnahmen Sprache erweist sich in diesem Kontext nämlich als der Verbindungspunkt, der einen kontinuierlichen Kontakt bzw. eine Beziehung zwischen den Akteuren der Feldforschung erleichterte, auch wenn diese der Sprache der anderen nicht mächtig waren. Momente des Sprachkontakts in den ethnografischen Texten erlauben Spuren indigener Akteure der damaligen Amazonasfeldforschung nachzuverfolgen. »Gespräche« oder Unterhaltungen, in denen sich jeder Gesprächspartner in seiner eigenen Sprache ausdrückte und in denen keine der Parteien den jeweils anderen verstand, waren nicht selten in der Feldforschung und zeigen, dass auch ohne Sprachkenntnisse eine Art von Kommunikation möglich war. Max Schmidt, der etwa einen Monat im Jahr 1901 in einem Bakaïrí-Dorf verbrachte, berichtete, wie er sich ohne Sprachkenntnisse mit den Bakaïrí »in der üblichen harmlosen Weise« unterhielt »wie es zwischen Menschen, die ihre Sprache gegenseitig nicht verstehen, möglich ist.«188 Ähnlich verhielt es sich bei Fritz Krause, der in seinem Bericht über seine Begegnung mit indigenen Kayapó erzählt, dass diese »sich lebhaft mit uns [unterhalten], ohne daß wir uns gegenseitig verstehen«189 . Am deutlichsten zeigen dies jedoch Schilderungen über Sprachaufnahmen, in denen Pantomime als Ersatz für verbale Sprache angewandt wurde, wie anhand Koch-Grünbergs Notizen deutlich wird: »Ein unmögliches Beginnen! Die Leute verstehen gar nicht, worauf ich hinaus will. Zeige ich z.B. auf meine Nase, so tun sie dasselbe, strecke ich die Zunge heraus, so halten sie das offenbar für einen guten Witz, lachen und machen es ebenso. Das erlösende Wort spricht keiner aus«190 . Ähnliche Erfahrungen hatte zuvor auch Karl von den Steinen gemacht: Was ich aber ferner zur Verdeutlichung meiner Wünsche mimisch ausdrückte, schlafen, lachen, weinen, laufen, fand allseitige Anerkennung als schauspielerische Leistung, erzeugte viele Heiterkeit und weckte den Trieb der Nachahmung

188 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 104. 189 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 96. 190 Tagebucheintrag vom 21.1.1912. ES Mr B.I.3. Heft 7.

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bei meinem Publikum — die Zauberworte jedoch, die erlösenden, sprach es nicht aus.191 Die Kommunikation ohne Sprachkenntnisse erwies sich oft als beinahe unmöglich und führte zu Missverständnissen, wie Karl von den Steinen berichtet: »Ich wollte den Leuten gern klar machen, dass es mir darauf ankomme, Masken zu erhalten und versprach ihnen grosse Messer zur Belohnung. Offenbar wurden meine Gebärden aber so ausgelegt, dass wir einen Tanz bestellten«192 . In solchen Fällen erfüllte die Pantomime insofern eine wichtige Funktion, als sie als eine Form nonverbaler Kommunikation die Realisierung des wesentlichen Ziels der Begegnung ermöglichte, nämlich sich den anderen annähern und bei ihnen Vertrauen erwecken zu können. Bei den ersten Versuchen der Kommunikation ohne verbale Sprache zeigen die Reaktionen der Befragten, wie zum Beispiel das durch die pantomimische Ausdrucksweise verursachte Lachen, dass zumindest im temporären Kontext dieser Situation Sympathie für den Ethnologen geweckt wurde.193 Dies trug zur Entspannung in einer Begegnung zwischen fremden Menschen bei und eröffnete weitere Annäherungsmöglichkeiten. Auch wenn es keine langfristigen Beziehungen zwischen den involvierten Gruppen gab, erfuhren die Sprachen infolge des Sprachkontakts darüber hinaus auf beiden Seiten Veränderungen. Zur Muttersprache der Ethnologen gehörten temporäre lexikalische Entlehnungen aus der Lingua Geral194 und den indigenen Sprachen195 . Die Gesprächspartner der Ethnologen eigneten sich ebenso deutsche Ausdrücke oder Wörter an196 und verlangten Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 212. Vgl. auch Steinen: Unter den Naturvölkern ZentralBrasiliens, S. 80. 192 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 99. 193 »Wenn ich für Tiere oder Gegenstände die Baniwa Wörter sage, haben diese stets sorglos fidelen Leutchen eine Riesenfreude und machen sich über alles, was ich tue, als scharfe aber harmlose Kritiker, weidlich lustig«. Tagebucheintrag vom 22.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. 194 Die »Handels- und Verkehrssprache« Nheengatú oder Lingua Geral kommentiert der Ethnologe Mark Münzel wie folgt: »Der Name meint auch »schöne Sprache«, aber weiter, im Zusammenhang des Kontrastes zwischen »wilden« (das heißt noch freien, nicht der Ordnung der Weißen unterworfen) und »zahmen« (missionierten und befriedeten) Indianern, auch »zahme Sprache«, das Verständigungsmittel in den Missionsstationen unter weißer Kontrolle. Das Nheengatú ist zunächst die Sprache dekulturierter Indianer […]«. Münzel, Mark: »Vom Erzählen zum Zuhören: Die Rolle der Interlinearübersetzung im Kampf gegen die Romantik in Brasilien«, in: Dies. (Hg.): Übersetzen in Lateinamerika, Tübingen: Gunter Narr Verlag 2002, S. 87-104, hier S. 93f. 195 Den Einfluss anderer Sprachen auf Koch-Grünbergs Schreiben zeigen Einträge wie »ich liebe diese frische Pausas auf Prayas sehr« 18.1903. Heft 1; »Um Madrugada fährt Albino mit seinem Indianerschwager auf der anderen Seite etwas unterhalb in ein Igarapé, wo einige Malokas liegen« 10.3.1904. Heft 4; ES Mr B.I.2. 196 »[Tarú] lernte sogar einige deutsche Worte, und es klang sehr drollig, wenn er bei Tagesanbruch mit seiner glockenhellen Stimme ›Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrtsgesellschaft‹ fehlerlos herausschmetterte«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 191

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in einigen Fällen einen gegenseitigen Austausch, wie Max Schmidt im Folgenden schildert: »Baruní, der Alte, der mir die Namen der Indianer genannt hatte, sass neben mir und versuchte, mir die Worte für die ersten Bakaïrízahlen beizubringen und dafür seinerseits die entsprechenden portugiesischen Worte zu lernen«197 . Manchmal reichte aber auch nur die Verständigung mit ›Händen und Füßen‹198 – oder mit wenigen Wörtern199 . Mit der Annäherung an die indigene Bevölkerung verfolgten die Ethnologen in erster Linie das Ziel, Sprachaufnahmen durchzuführen, um anhand linguistischer Analysen wertvolle Hinweise für die Klassifizierung von Völkern und deren Sprachverwandtschaft zu erhalten200 . Linguistische Studien waren wichtig, weil die Amazonasethnologen – wie bereits erwähnt – eine Rettungsethnologie betrieben, in der die Sammlung bzw. Rettung von Sprachen, Bildern und Objekten eine erhebliche Rolle spielte. Philologische Arbeiten konstituierten somit einen zentralen Teil der ethnologischen Amazonasforschung201 , obwohl nicht alle Ethnologen eine philologische Hochschulbildung hatten.202 Das Studium außereuropäischer

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1, S. 196. »Auch einige deutsche Brocken haben die braunen Kerle aufgeschnappt, z.B. ›guten Morgen, gut geschlafen?‹ oder wenn wir an einer Hütte mit zahlreichen Bewohnerschaft vorüberkommen: »grosse Familie, viele Kinder, eins, zwei, drei, vier, fünf! Usw. und nach dem Essen natürlich ›Mahlzeit!‹«. 26.5.1911. ES Mr B.I.3. Heft 1. Max Schmidts Reisebegleiter, der Junge Méki, »lernte Zahlen und Buchstaben schreiben und zog die punktierten Umrisse von einigen Tieren nach, wobei es ihm besonders viel Spass machte, seinen Namensvetter Meki, das Meerschwein, zu zeichnen«. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 158. Ebd.,S. 99. Bei einer Sprachaufnahme schrieb Koch-Grünberg in sein Tagebuch: »[E]s macht ihnen großen Spaß, wenn ich ihnen die Begriffe pantomimisch vorführe: ›gähnen, husten, lachen‹ etc.« Tagebucheintrag vom 9.7.1913. ES Mr B.I.3. Heft I. Vgl. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 61. Karl von den Steinen schildert eine Situation, in der dank seiner Erinnerung an zwei Trumai-Wörter die Annäherung an die Indigenen möglich gewesen sei. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 192ff. Rebok : »La constitución de la investigación antropológica alemana«, S. 232. Erste linguistische Studien zur Identifizierung der Sprachverwandtschaft führten Karl von den Steinen, Max Schmidt und Theodor Koch-Grünberg durch. Vgl. Steinen: Die Bakaïrí-Sprache; Steinen, Karl von den: Diccionario Sipibo, Berlin: Dietrich Reimer 1904; Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 244ff; Koch-Grünberg: »Betoyá-Sprachen Nordwestbrasiliens und der angrenzenden Gebiete«; Koch-Grünberg: »Ein Beitrag zur Sprache der Ipuriná-Indianer«. Laut Koch-Grünberg »geben uns die Sprachen ein Bild von den weiten Wanderungen der Stämme, deren Wege uns aber heute größtenteils verborgen sind«. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 239. Zur linguistischen Studien in der ethnologischen Forschung vgl. Holzer: Linguistische Anthropologie, S. 95ff. Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 413. Koch-Grünberg studierte neben Deutsch, Geschichte und Geografie auch klassische Philologie. Kissenberth studierte neben Jura, Japanisch, Handelswissenschaft und Ethnologie, auch Neuphilologie. Ebd., S. 35 und 41-42.

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Gemeinschaften geht auf die ersten Befragungen und Übersetzungen in kolonialen Gebieten zurück. Sowohl zu Zeiten der Kolonisierung Amerikas als auch zu Zeiten der wilhelminischen Kolonien bildete die sprachliche Forschung eine »emerging praxis of colonial controls«, die zur Machtausübung durch die Kontrolle der Kommunikation diente u.a. durch ihre erstmalige Verschriftlichung mithilfe europäischer Phonetik.203 Sprachliche Befragungen dienten insofern in erster Linie dem wesentlichen Zweck der Kommunikation, als Ethnologen die gesammelten Wörter und Ausdrücke lernten, um mit der indigenen Bevölkerung weiter kommunizieren zu können. Zusammen mit einzelnen Vokabeln wurden – wenn möglich – auch Geschichten und andere Narrationen aufgenommen, transkribiert und übersetzt, die als Ausgangspunkt für das Verstehen der ›geistigen Kultur‹ der Indigenen galten.204 Denn Sprache verstanden die Amazonasforscher – nach Adolf Bastians Muster – als Zugang zur Kultur der Indigenen. Mittels Sprachaufnahmen beabsichtigte beispielsweise der Ethnologe Max Schmidt, die indigenen Sprachen verstehen zu können, um »[e]in Eindringen in das Wesen der EingeborenenSprachen« zu erreichen, denn Sprachaufnahmen »[geben] ein Abbild, wie wirklich von den Eingeborenen untereinander gesprochen wird.«205 Im Hinblick auf den Kontext einiger Sprachaufnahmen ist daran zu erinnern, dass gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Präsenz vieler Indigener des Amazonasgebietes in Städten – als Resultat des sozioökonomischen Wandels in der Region infolge der extraktivistischen Kautschukökonomie – oder, wie im Falle der Expedition von den Steinens im Jahre 1887, in Militärkolonien sich für die Ethnologen als nützlich erwies. Sprachaufnahmen erwiesen sich zum Teil als von den Ethnologen aufgezwungene Praktiken, bei denen indigene Akteure in vielen Fällen nur mitmachten, weil ihre Arbeitgeber sie (als Vermittler zwischen ihnen und den Ethnologen) dazu brachten. Infolge der Positionierung der Befragten ihren ›Herren‹ gegenüber bestimmten Macht und Unterwerfung zweifelsohne ihre Mitarbeit in den linguistischen Studien der Ethnologen. Während von den Steinen in der Militärkolonie Thereza Christina linguistische Studien der Bororo-Sprache dank der Bereitschaft zur Mitwirkung von drei

203 Fabian, Johannes: Language and Colonial Power, Cambridge u.a.: Cambridge University Press 1986, S. 3. Zur neueren deutschsprachigen Forschung im Bereich Sprache und Kolonialismus vgl. Engelberg, Stefan und Doris Stolberg: Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt: Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen, Berlin: Akademie Verlag 2012; Schmidt-Brücken, Daniel u.a.: Koloniallinguistik: Sprache in kolonialen Kontexten, Berlin/Boston: De Gruyter 2015; Stolz, Thomas, Ingo H. Warnke und Daniel Schmidt-Brücken: Sprache und Kolonialismus: Eine interdisziplinäre Einführung zu Sprache und Kommunikation in kolonialen Kontexten, Berlin/Boston: De Gruyter 2016. 204 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 413. 205 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 245. Vgl. auch Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 471.

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Kindern durchführen konnte,206 erfolgten die Sprachaufnahmen im Falle KochGrünbergs und Preuss’ bei Kautschuksammlern oder bei denjenigen, die einfach für die Kautschukhändler arbeiteten. Sie wurden zum Teil von der Arbeit befreit, damit sie mit den Forschern arbeiten konnten. Dies führte in einigen Fällen zur Bereitwilligkeit der Befragten,207 denn sie konnten von der ganzen Situation profitieren, und zwar nicht nur, weil sie von der anstrengenden Arbeit der Kautschukgewinnung befreit wurden, sondern weil sie darüber hinaus im Gegenzug auch Waren erhalten konnten.208 Sprachaufnahmen waren nicht das Resultat der Arbeit eines einzelnen Wissenschaftlers, sondern der Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren, so vor allem mit den befragten Personen und den Dolmetschern. Ethnologen initiierten Sprachaufnahmen, indem sie Angehörige der indigenen Bevölkerung zu diesem Zweck kontaktierten; auf diese Weise verfügten sie über eine gewisse Macht, die Sprachaufnahmen zu kontrollieren: Sie stellten bestimmte Fragen, transkribierten die Antworten und übersetzten sie ins Deutsche, und zwar entweder mit der Hilfe von Dolmetschern oder mit derjenigen der befragten Sprecher selbst. Bei den Sprachaufnahmen in der Amazonasfeldforschung ging es demzufolge um eine Art Befragung und Übersetzung von Vokabeln, Substantiven, Verben oder auch ganzen Sätzen, wobei anzumerken ist, dass es sich hierbei nicht unbedingt um eine fonografische Aufnahme, sondern hauptsächlich um die Transkription der mündlichen Äußerungen handelte. Wichtig war es, möglichst viele sprachliche Befragungen erfolgreich durchzuführen und im besten Fall Menschen zu treffen, die nicht nur ihre indigenen Sprachen beherrschten, sondern auch bereit waren, bei der Befragung mitzumachen. Ohne die Bereitschaft der Indigenen konnten in der Folge keine sprachlichen Studien durchgeführt werden. Wilhelm Kissenberth war sich dessen bewusst und wendete folgende Strategie mit seinem »Diener« José an, wie er in einem Brief an 206 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 462f. 207 Bei der Sprachaufnahme mit einem ›Ipuriná‹-Individuum in Manaus notierte Koch-Grünberg in sein Tagebuch: »Mapeú versteht sofort, was ich will, und ist, wenn er gut aufgelegt ist, für einen Indianer unermüdlich. Ausser weit über 600 Wörtern erhalte ich von ihm über 50 Sätze, genaue Angaben über Conjugation und Pronomina«. Tagebucheintrag vom 9.6.1903. ES Mr B.I.2. Heft I. 208 Ein Beispiel für die klare Rolle der Ethnologen als Warenversorger, von denen die Indigenen profitieren konnten, schildert Karl von den Steinen: »Ein Waurä, mit dem ich mich schier zum Verzweifeln abquälte, dass er mir die Farben adjektiva seiner Sprache verrate und der mir immer die Gegenstände und nicht ihre Farben nannte, unterbrach jede meiner Fragen ungeduldig, streckte die Rechte vor und verlangte Perlen, »nur her damit«, er müsse nach Hause. Es blieb mir zuweilen nichts übrig, als die Zudringlichen auf die Finger zu klopfen, zumal wenn sie mich während des Verhörens und Aufschreibens immer anstiessen und beschenkt sein wollten. Sie nahmen jedoch nichts übel«. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 126.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Koch-Grünberg schrieb: »Ich behandele ihn wie einen Sohn. Auf leichte bequeme Weise komme ich zu einem großen Sprachmaterial. Ich drängle ihn nicht, ermüde ihn nicht mit Fragen. Er erzählt mir von selbst, was ich wissen will, durch Fragen aber vielleicht nicht erfahren würde«209 . Oft zeigten die Indigenen Interesse für die Sprache der Ethnologen, wie Karl von den Steinen bemerkte: »Am besten kam ich vorwärts, wenn ich ihnen das portugiesische Wort gab, und die Formel anwandte: der Karaibe sagt so, wie sagt der Bakaïrí? Hier stiess ich endlich fast immer auf Verständnis und Gegenliebe, denn sie waren versessen darauf, von meiner Sprache zu lernen.«210 Ähnlich verhielt es sich mit dem Häuptling Ilk in Fritz Krauses Reise: »Auf alle meine Fragen gibt er mir ausführlich Antwort, alle indianischen Namen teilt er mir mit. Freilich frägt er mich bei jedem Gegenstand unseres Gespräches wieder nach dem brasilianischen Namen.«211 Dennoch war die Durchführung von Sprachaufnahmen nicht immer eine leichte Aufgabe. Nicht nur die ständige Wiederholung von Vokabeln, sondern auch die Übersetzung derselben war eine schwierige Arbeit. In dieser Hinsicht merkt Karl von den Steinen in seinem Bakaïrí-Vokabular an: Nicht gering war die Schwierigkeit, ihn zum Uebersetzen zu bringen. Nicht nur, dass er sich am Anfang gegen die zwecklose Liebhaberei stark sträubte und auch leicht ermüdete – dem liess sich durch freundliches Zureden, durch den Hinweis daraus, wie erwünscht es den Stämmen jenseits »Wasser-kein Haus« d.i. des Meeres sei, endlich einmal genauer über die Bakaïrí unterrichtet zu werden, durch Tabak und kleine Geschenke einigermassen abhelfen, aber er begriff überhaupt den Sinn und das Wesen des Uebersetzens nur sehr allmählich.212 Sprachen und sprachliches Material galten ebenso wie Fotografien als wertvolle »Ausbeute«, besonders wenn diese aus unbekannten Gruppen kamen. Konrad Theodor Preuss bewertete beispielsweise die Ergebnisse mit den Tama und Coreguaje folgenderweise: »Ein ausführliches Vokabular ihrer Sprache sowie einige Gesänge und fotografische Aufnahmen waren hier die Ausbeute.«213 Somit waren Sprachaufnahmen oft mit anderen Verfahren verbunden, die den Zusammenhang zwischen Sprache, ›Rasse‹ und ›Kultur‹ in der damaligen ethnologischen Forschung erklären. Koch-Grünberg führte sprachliche Befragungen zunächst in Städten wie Pará oder Manaus und später in Kautschukhandelszentren durch, wo er Kautschuksammler befragen und fotografieren durfte. Er bewertete diese 209 Schreiben von Wilhelm Kissenberth an Theodor Koch-Grünberg. 26.8.1908. SMB-PK, EM. I/MV/0583. I B.76. 210 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 80. 211 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 68. 212 Steinen: Die Bakaïrí-Sprache, S. Vf. 213 Schreiben vom 21.7.1914. SMB-PK, EM. Acta 1. I B.92. Vgl. auch Krause: In den Wildnissen Brasiliens. S. 77.

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Nähe zur indigenen Bevölkerung als äußerst positiv für den Reisenden, denn in großen Städten wie Pará, wo »das farbige Element [vorherrscht]« unter anderem mit »zahlreiche[n] reinblütige[n] Indianer[n], hier caboclos genannt«, kann der Ethnologe »wenn er gute Verbindungen hat, in aller Ruhe und Bequemlichkeit Indianerstudien treiben und eine ganze Kollektion wertvoller Wörterlisten zusammenbringen, ohne auf beschwerlichen Reisen die Eingeborenen in der Intimität ihrer Wälder aufsuchen zu müssen«214 . In seiner ersten Monografie erwähnt Koch-Grünberg, wie er am oberen Rio Negro in der Ansiedlung Jucaby »die Sprache der Makú« kennenlernte215 . Eine Rekonstruktion dieser Sprachaufnahme soll im Folgenden einen exemplarischen Einblick in diese Praxis der ethnologischen Forschung geben. Von den Bewohnern, jungen freundlichen Leuten, werden wir sehr herzlich aufgenommen, mit süssem Kafé und Zigaretten bewirtet, und dann rücken wir mit unserem Anliegen heraus: »der junge Makú, den wir neulich in Trindade sahen, ist bereits gestern mit Anderen in die Seringales am Rio Caiarí […] abgefahren, doch dafür holt man uns einen alten, kleinen Kerl mit ganz verkniffenem Gesicht und sehr dunkler Hautfarbe. –Höhe: 1,52 m; Armspannweite: 158 m, Hautfarbe: Arm 4; Gesicht 5. (nach Radde).216 Diese Schilderung lässt mehrere Aspekte der Begegnung zwischen indigener Bevölkerung und Ethnologen erkennen, die auf die Natur ihrer Interaktionen hinweisen. Erstens lässt sich hier erneut das Paradox der ethnologischen Amazonasforschung zeigen, die nach der ›Entdeckung unberührter Indianer‹ strebte, obwohl die Mehrheit der indigenen Bevölkerung aus ausgebeuteten Kautschuksammlern bestand und nicht in abgelegenen ›unberührten‹ Orten zu finden war, sondern den Forschern hauptsächlich durch Vermittlung ihrer Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wurde.217 Dennoch bezeichnete Koch-Grünberg diese Indigenen als die »frei214 Koch-Grünberg: »Kreuz und quer durch Nordwestbrasilien«, S. 166f. Diese Form der Begegnung mit Indigenen in Städten und durch die Vermittlung bestimmter Machthaber soll nicht als repräsentativ für Koch-Grünbergs Expeditionen, geschweige denn für die ganze deutsche Amazonasforschung gelten, obwohl sie in dieser Form nicht selten vorkam. Vergleichsweise »untersuchten« in der zweiten Xingú-Expedition (1887) Karl von den Steinen und seine Kollegen zwangsrekrutierte indigene Soldaten durch die Vermittlung von Militärbehörden. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 5. Siehe auch Hermannstädter: »Karl von den Steinen und die Xingú-Bevölkerung«, S. 226. Max Schmidt führte ebenso ethnologische Untersuchungen bei Arbeitern einer Zuckerfabrik durch, die von Deutschen geleitet wurde. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 128. 215 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 22. 216 Tagebucheintrag vom 14.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. Seringales: Kautschukplantage. 217 An mehreren Stellen erwähnt Koch-Grünberg in seinen Tagebüchern, dass die Leute nicht anzutreffen waren, weil sie im ›Seringal‹ arbeiteten. Seringal ist das portugiesische Wort für den Ort, an dem Kautschuk gewonnen wurde. Vgl. die Tagebucheinträge vom 6., 17., und 18.

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en Indianerstämme des Uaupés«218 . Als der »alte, kleine Kerl« befragt wurde und Koch-Grünberg bemerkte, dass dessen Sprache eine bisher unbekannte war (zumindest für die Ethnologen und die europäischen Leser), realisierte er daher stolz, dass es sich dabei um eine »grossartige Entdeckung« handelte, über die er sich »ungeheuer« freute.219 Zweitens weist die Schilderung dieser Begegnung auf den Zusammenhang zwischen ›Rasse‹ und Sprache in der ethnologischen Forschung hin. Das Zitat veranschaulicht, dass Koch-Grünbergs Aufmerksamkeit bei der Begegnung mit dem alten Mann zunächst seinem »verkniffene[n] Gesicht und sehr dunkle[n] Hautfarbe« galt. Die physiognomischen Merkmale dieser Person bildeten wesentliche Informationen für ihre Einordnung nach den von Koch-Grünberg entworfenen bzw. ›entdeckten‹ ›Indianertypen‹ des oberen Rio Negro.220 Sein ästhetisches Urteil wird durch anthropometrische Angaben verstärkt, die später seine Wahrnehmung und Bewertung der Sprache dieses Individuums beeinflussen werden.221 Über andere Makú-Indigenen am oberen Rio Negro äußerte er sich folgenderweise aus: »Ihre Sprache sei sehr guttural und undeutlich und bereite der Aufnahme die größten Schwierigkeiten, zumal diese ›Halbaffen‹ nur schwer verständen, was man wolle«222 . Nicht nur aufgrund der Eigenschaften der Sprache, sondern auch des Aussehens des Sprechers erfolgt eine minderwertige Bewertung einer ganzen indigenen Gruppe. Es soll hierin daran erinnert werden, dass, wie bereits erläutert wurde, die Kategorie ›Typus‹ zur Bewertung von Gruppen »niederer Ordnung« nach der Rassenkunde diente.223 Sprache und Körper bzw. die ästhetische Beurteilung des Körpers der Indigenen dienten in der Folge als Variablen für die Zuordnung, Klassifizierung und Erforschung von indigenen Gemeinschaften, denn die Sprachklassifikation war bereits seit der Gründung der Ethnologie eng verknüpft mit der

10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. Die Vermittlung durch Kautschukhändler kann erneut am Beispiel Garridos illustriert werden: »Der Alte [Garrido] ist von äusserster Aufmerksamkeit gegen mich. Er hat von unterhalb São Joaquin […] 2 Tariána kommen lassen.« »Der Alte will mir übermorgen einen Kurauá-Tapuyo […] Namens Feliciano holen lassen, damit ich ihn sprachlich interviewen kann.« Tagebucheintrag vom 23.9.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. 218 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 17. Vgl. auch Ders, Bd. 2 S. 37,145, 197. 219 Tagebucheintrag vom 14.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. Vgl. auch Koch-Grünberg: »Die Makú«. 220 Koch-Grünberg: Indianertypen aus dem Amazonasgebiet. 221 Hier bezieht sich Koch-Grünberg vermutlich auf die Internationale Farbenskala von Otto Radde. Dieses Farbsystem wurde ursprünglich für Naturgegenstände entwickelt, fand aber in den Anfängen der physischen Anthropologie Resonanz als Mittel zur Hautfarbeklassifizierung. Vgl. Schwarz, Andreas und André Karliczek: »Mit Haut und Haar. Vom Merkmal zum Stigma – Farbbestimmungsmethoden am Menschen«, in: Dies. (Hg.): Farre. Farbstandards in den frühen Wissenschaften, Jena: Saiana 2016, S. 13-63. 222 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 15. 223 Vierkandt: »Die Indianerstämme Brasiliens und die allgemeinen Fragen der Anthropologie«, S. 133. Zur Kategorie der ›Rasse‹ in der Amazonasforschung siehe Kapitel 1.1.4.

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rassischen Bestimmung, die in Verbindung mit der Kategorie ›Typus‹ stand. Obwohl es keinen gemeinsamen Konsensus dafür gab, was eine angemessene Einordnungskategorie für jene »Gruppen niederer Ordnung« sei, waren Kategorien wie »Unterrasse, Typus, Komplexion« gängig. So äußerte sich Koch-Grünberg in einem Vortragsmanuskript über seine zweite Expedition: »Wie die Sprachen, so ist auch der Typus der einzelnen Stämme verschieden, wie ich Ihnen hier an einigen Bildern zeigen werde«224 . Die frühe deutschsprachige Ethnologie ist durch zwei Trends gekennzeichnet. Der eine bestand in der Konzeptualisierung der Evolution der Sprachen nach dem klassischen evolutionären Ansatz, in dem nicht nur die Veränderung und Transformation der Sprachen im Laufe der Zeit erkannt wurden, sondern in dem darüber hinaus die Hierarchien zwischen den Sprachen als selbstverständlich angesehen wurden, von denen einige als höher eingestuft wurden, wie die europäischen Sprachen, und andere als niedriger, wie die sogenannten ›primitiven‹ Sprachen. Der andere Trend bestand im Glauben an eine statische Beziehung zwischen sprachlichen Merkmalen und psychologischen oder rassischen Kategorien.225 Beide Tendenzen sind in den Schriften der Amazonas-Ethnologen zu finden. Sprache und ›Rasse‹ dienten in dieser Hinsicht zur Repräsentation indigener Gruppen und wurden auf diese Weise zu Fakten. Die Praxis der Sprachaufnahme war insofern eine der Grundlagen der Ethnologie, als sie zur linguistischen Klassifikation der Indigenen diente. In diesem Kontext sollten die Sprachaufnahmen Hinweise auf die Verwandtschaft zwischen Sprachen, aber auch auf die ›Entwicklung‹ einer ›Rasse‹ im Gegensatz zu einer anderen, geben.226 Sprachaufnahmen während der Feldforschung zeigen darüber hinaus die Entwicklung einer Praxis, in der mehrere Akteure nicht immer konfliktfrei interagierten. Die Berücksichtigung der sozialen Interaktionen bei Sprachaufnahmen ermöglicht es zu beobachten, wie wissenschaftliche Informationen, hier Wörterlisten, die zu linguistischen Studien dienen sollten, zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichem sozialen Status durch bestimmte Machtstrategien erzeugt wurden. Befragungen konnten sowohl für den Ethnologen als auch für die Befragten oft sehr schwierig sein. Auf die Schwierigkeiten bei Sprachaufnahmen hatte Karl von den Steinen einige Jahre vor Koch-Grünberg bereits aufmerksam gemacht: »Was mir die Aufnahme nicht wenig erschwerte, war der Umstand, dass die Bakaïrí meinen Frageton nicht

224 ES Mr D.I.3. 225 Karstedt: »The History and Status of Linguistic Anthropology«, S. 76. Karstedt bezeichnet die zweite Tendenz als »super-relativism«, eine Entwicklung, die auf Humboldts Idee der Verbindung zwischen Sprache und Denken zurückgehe. 226 Vgl. Holzer: Linguistische Anthropologie, S. 154ff. Vgl. auch Müller, Friedrich: Einleitung in die Sprachwissenschaft, Wien: Hölder 1876.

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verstanden. Sie ahmten ihn nach, statt zu antworten«227 . Weitere Reaktionen, die Sprachaufnahmen bei den Indigenen verursachten, lassen sich anhand von Karl von den Steinens Kommentar ableiten: Die verschiedenen Abkommandierten waren von sehr verschiedener Brauchbarkeit für meine Zwecke. Einige ermüdeten zu rasch, andere waren zu unstät. Der dicke bäurische Yapú z.B. gähnte nach wenigen Minuten und sein Gesicht schien zu sagen: »Herr, Sie fragen zu viel«, und Luchu, der eitle Fant, wollte sich nur amüsieren. Von den Jüngeren nützte mir nur der merkwürdige Kulekule. Dieser war in der That schweigsam und zurückhaltend, aber er kam offenbar gern, lachte still für sich hin, und wenn er dann den Mund zum Reden aufthat, antwortete er besser als die Uebrigen. Er hatte für einen Topf von mir Perlen bekommen […].228 Die Befragung haben einige Indigene nach Darstellung der Ethnologen als Störung oder als sinnlose Aktivität der Forscher empfunden. Dies hatte ebenso Karl von den Steinen bemerkt, als er die Kustenaú abfragte: »Ich wurde ihnen mit den vielen Fragen lästig«229 . Auch wenn die Menschen nicht immer bereit waren, sich befragen zu lassen und auf die Fragen der Forscher mit Zudringlichkeit reagiert wurde,230 blieben letztere beharrlich. Bevor Koch-Grünberg mit seinen Sprachaufnahmen im Dorf Motokurunya im Roraima begann,231 beschwerte er sich über die »Zudringlichkeit« der Frauen,232 die ständig Fragen stellten und alles über ihn wissen wollten. Genauso wie die Frauen des Dorfes bei ihm Abneigung hervorriefe, er227 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 77. An einer anderen Stelle formuliert er ebenso: »War es schon bei dem intelligenten Reginaldo schwer genug gewesen, die unnachahmlichen Zungenexercitien, aus denen sich die Bakaïrí-Sprache zusammensetzt, phonetisch festzuhalten, so war mit dem Kapitän Memo, der nur immer zufrieden nickte, und den andern, die entweder lachten oder ungeduldig wurden, gar nichts Rechtes zu machen«. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 123 auch 211f. 228 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 77. 229 Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 183. 230 Vgl. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 126. Vgl. auch Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. S. 44, 74, 91. 231 »Die Aufnahme der Guinaú-Sprache kommt nur unter Schwierigkeiten und in längeren Pausen zustande. Es kostet große Mühe, diese indolenten Menschen zu der ungewohnten Arbeit zu bewegen. Habe ich einen von ihnen glücklich so weit, daß er mir Rede und Antwort steht, dann hocken die Junggesellen, die immer Zeit haben, um uns herum und brechen über jedes Wort in schallendes Gelächter aus. Auch sprechen sie sehr undeutlich, sodaß ich die Wörter mehrmals wiederholen lassen muß, bevor ich sie richtig höre und niederschreiben kann. Es ist eine Qual für beide Teile. Schließlich reißen die Kerle schon aus, wenn sie mich nur mit dem Aufnahmeheft ankommen sehen. Doch erhalte ich nach und nach eine größere Wörterliste dieser aussterbenden Sprache, von der bisher nur 18 von Robert Schomburgk aufgezeichnete Wörter bekannt waren«. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 239. 232 Ebd., S. 235, 237.

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zeugte er mit seinen Sprachaufnahmen wiederum eine ähnliche Reaktion bei den Dorfbewohnern. Genauso wie er sich von den Frauen des Dorfes nicht verhören lassen wollte, lehnten die Männer eine Befragung durch ihn ab, auch wenn diese eine Belohnung implizierte. Es kam oft vor, dass Indigene sich weigerten, die Fragen der Ethnologen zu beantworten, oder auf diese mit Desinteresse reagierten beziehungsweise behaupteten, die Sprache nicht mehr zu beherrschen233 . Den Widerwillen gegen ihre sprachlichen Studien interpretierten die Forscher jedoch als Desinteresse für die ›geistige Arbeit‹. Max Schmidt merkte hierzu an: »Mir wurde diese geistige Gleichgültigkeit namentlich auffällig durch die Art, wie die Guató meine Wissbegierde nach ihrer Sprache aufnahmen.«234 Die bereits erwähnte Konstruktion niederwertiger Andersartigkeit tritt – als Zeichen der Kolonialität des Wissens – im Falle der Sprachaufnahmen erneut zutage. Der Glaube, dass manche Individuen einen angeblichen Widerwillen gegen ›geistige‹ Arbeit aufwiesen, war nicht lediglich die Reaktion eines einzelnen Ethnologen, sondern bereits im ethnologischen Wissen selbst fundiert, wie die folgende Passage aus dem Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen zeigt: Wilden wird es oft schwer, zu begreifen, wozu der Sprachforscher sie mit seinen Fragen quält, denn zur Qual wird es ihnen leicht, ihre Gedanken halbe und ganze Stunden lang auf Dinge, die ausserhalb ihres Interessenkreises liegen, zu festigen. Man muss sie also bei Laune erhalten und nicht zu sehr ermüden; sonst kann es geschehen, dass sie sich durch verkehrte Antworten rächen.235 Um den Widerwillen der Indigenen zu überwinden, verwendeten Ethnologen diverse Strategien, wie die Vergabe von Tabak236 , kleinen Geschenken und Alkohol, wie Koch-Grünberg in seinem Feldtagebuch notierte: 233 In den Aufzeichnungen zu Koch-Grünbergs Expedition am oberen Rio Negro heißt es beispielsweise: »Der Kurauá-Tapuyo Feliciano, der heute gekommen ist, weiss – angeblich – nichts mehr von seiner Sprache, da er schon als kleines Kind aus seiner Heimat zum Rio gekommen sei: Schade! Vielleicht ist es auch nur wie der Alte [Garrido] meint, falsche Scham von ihm.« 25. 9. 1903. Feliciano wurde von Garrido für die Sprachaufnahme zu Koch-Grünberg gebracht: »Der Alte [Germano Garrido] will mir übermorgen ein Kurauá-tapuyo […] namens Feliciano, holen lassen, damit ich ihn sprachlich interviewen kann.« 23.9.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. Über die Schwierigkeiten der Sprachaufnahme notierte Koch-Grünberg ebenso auf seiner zweiten Expedition: »Lange Texte aufzunehmen, habe ich aufgegeben, nach langen vergeblichen Versuchen. Bei der vielseitigen Arbeit und der verhältnismässigen kurzen Zeit ist es unmöglich brauchbares zu liefern […] Ich will zufrieden sein, wenn ich verhältnismassig ausführliche Wörterlisten mit den wichtigsten grammatikalischen Regeln heimbringe. Und das ist auch genug!« Tagebucheintrag vom 7.11.1911. ES Mr B.I.3. Heft 3. 234 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 299ff. 235 Gabelentz, Georg von der: Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen, Berlin: Mittler 1892. 236 Vgl. auch Steinen: Die Bakaïrí-Sprache, S. VI.

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Beende mein Baniwavokabular: Konjugation und Pronominalkonstruktionen, eine fürchterliche Arbeit! Endlich kapiert mein Freund Baniwa, was ich will und liefert »glänzende« Resultate. […] War aber doch froh, wie alles fertig war; denn die armen Kerle folgten nur noch widerwillig unseren Ruf, da die ungewollte geistige Anstrengung für sie nicht schmackhaft. Cachaça schmeckt besser, muss aber erst verdient werden. »Ohne Arbeit kein Vergnügen.«. 237 Aus diesem Zitat möchte ich mehrere Aspekte hervorheben. An erster Stelle spricht der Ethnologe über die »ungewollte geistige Anstrengung«, auf die seine Gesprächspartner mit Widerwillen reagierten. Wie bereits erwähnt, findet sich an mehreren Stellen das Urteil der Ethnologen, die Indigenen seien an die ›geistige Arbeit‹ nicht gewöhnt. Nicht nur aus der eigenen Erfahrung interpretierten die Forscher die Abneigung, sich ständig befragen zu lassen und nebenbei übersetzen zu müssen, als Widerwille gegen ›geistige Arbeit‹. Diese eurozentrische Auffassung beruht auf dem Glauben an einen vorgegebenen ›Naturmenschen‹, der wiederum auf rousseausche Vorstellungen zurückgeht.238 Diese Vorstellung ließ sich jedoch nicht pauschal auf alle Befragten anwenden, denn, wie bereits erwähnt, zeigten einige Indigene doch Interesse für die Befragungen. Wenn aber Desinteresse gezeigt wurde, führten die Forscher das auf die ›Natur‹ der Befragten zurück. Auf diese Weise reproduzierte sich in ihren Gedanken der Glaube an eine fundamentale Ungleichheit der Menschen aufgrund ihrer Natur und mithin auch der Glaube an die minderwertige Andersartigkeit der Indigenen. Ein anderer Aspekt, der sich hier veranschaulichen lässt, ist der Charakter, den Vokabelbefragungen bei der Feldforschung gewannen, der durchaus als eine Form der Zusammenarbeit betrachtet werden kann. Diese Zusammenarbeit erfolgte in der Tat als eine Art Dienstleistung, welche die Indigenen für die Ethnologen erfüllten, wodurch letztere die Rolle von Auftraggebern einnahmen. Dazu gehörte von-

237 Tagebucheintrag vom 8.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. In ähnlicher Weise schrieb er vier Tage davor: »[d]ie Indianer kommen von selbst für die linguistischen Aufnahmen, da [Otto] Schmidt dem einen Cachaça gegeben hatte. Was doch die Zivilisation nicht alles tut!«. Tagebucheintrag Heft I. 4.7.1903. Cachaça: alkoholisches Getränk. 238 Nach Rousseau sei der »Naturmensch« – wie der Name bereits vermuten lässt – an die Natur gewöhnt und interessiere sich für nichts anderes. Über den ›Wilden‹ sagt Rousseau: »Seine Begierde gehen nicht über seine physischen Bedürfnisse hinaus. Die einzigen Güter, die er auf der Welt kennt, sind die Nahrung, ein Weibchen und das Ausruhen; die einzigen Übel, die er fürchtet, sind der Schmerz und der Hunger. […] [W]er sieht nicht, daß alles vom Wilden die Versuchung und die Mittel fernzuhalten scheint, seine Wildheit aufzugeben? Seine Einbildungskraft malt ihm nichts aus; sein Herz verlangt nichts von ihm; für seine bescheidenen Bedürfnisse ist ihm alles leicht zu Hand; und er ist so weit von dem Grad an Kenntnissen entfernt, der nötig wäre, um größere Bedürfnisse erwerben zu wollen, daß er weder Voraussicht noch Neugier besitzen kann«. Rousseau: Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, S. 47f.

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seiten der Ethnologen das Angebot von Waren im Tausch gegen Wörter. Sprache gewann in der Feldforschung insofern einen anderen Wert, als sie nicht nur, wie in anderen Interaktionsformen, als Mittel der Verständigung, sondern auch als Ware zum Tauschen diente. Zigaretten und Schnaps wurden zum Beispiel für sprachliche Dienste eingetauscht: »Ein anderer guter Informant der Baré, […] kriegt nach seiner Arbeit, das Diktieren von 150 Vokabeln und einigen Sätzen, ›zwei Päckchen Cigaretten‹ […] ›Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft‹«239 . Dadurch reproduzierte sich erneut eine Hierarchie, in der die Indigenen die Rolle des Dienstleisters und die Ethnologen diejenige des Arbeitgebers einnahmen. Auf diese Weise wiederholten die Ethnologen die Rolle, die ›Weiße‹ und andere Kautschukhändler für die indigene Bevölkerung bereits gespielt hatten. Durch diese Art der Beziehung zwischen Indigenen und Ethnologen zeichneten sich die hier untersuchten Feldforschungen aus. Dennoch verfügten beide Parteien – und eben nicht nur der Ethnologe – über eine gewisse Macht. Die Indigenen konnten die Befragung vermeiden oder von den Waren profitieren, die ihnen die Ethnologen im Gegenzug anboten.240

Textuelle Artefakte Der Nachlass Theodor Koch-Grünbergs gewährt einen Einblick in den Prozess der Konstruktion von textuellen Artefakten wie Sprachtabellen. Solche materiellen Artefakte dienen hier als wichtige Informationsquellen, insofern sie Hinweise über die Textherstellungsprozesse während der ethnologischen Forschung und dabei einen konkreten Zugang zum Verständnis von Kulturübersetzung bieten.241 Ethnologen bedienten sich an Sprachtabellen als Instrumente für die Fixierung von Lauten und Buchstaben. Diese Fixierung kann, um mit Bruno Latour zu sprechen, als die Inskription von Sprachen und ihre weitere Mobilisierung im ethnologischen Diskurs verstanden werden.242 Was für Latour eine Mobilisierung bedeutet, steht in Analogie zur Übersetzung als »transposition of artifacts, foreign texts into new locale«243 . In diesem Fall wird die Bewegung (auf geografischer und symbolischer Ebene) und die Transformationen, die sie verursacht, hervorgehoben.244 Eines dieser Artefakte war im Rahmen Koch-Grünbergs Expedition am oberen Rio Negro das Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen (1892); auf seiner zweiten Expedition

239 Tagebucheintrag vom 4.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft I 240 Vgl. Kapitel 3. 241 Für die Bedeutung von physischen Artefakten in kontextorientierten translationswissenschaftlichen Studien vgl. Saldanha, Gabriela und Sharon O’Brien: Research Methodologies in Translation Studies, London/New York: Routledge 2014, S. 224. 242 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 375. 243 Conway: »A conceptual and Empirical Approach«, S. 267. 244 Conway: »Cultural Translation: Two Modes«, S. 16f.

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im Roraima-Gebiet nutzte er die Tabelle zur Aufnahme südamerikanischer Sprachen, ausgestellt vom Königlichen Museum für Völkerkunde zu Berlin (Abb. 14 und 15).245 Das Handbuch war besonders an »unsere Kolonialbeamten, Missionare und Forschungsreisenden« gerichtet. Es lässt sich feststellen, dass dieses Handbuch auch in der ethnologischen Forschung außerhalb der deutschen Kolonien ein gängiges Hilfsmittel war. So verwendete z.B. auch der deutsche Ethnologe Robert LehmannNitsche das Handbuch zwischen 1898-1902 für seine Studien in Patagonien. Ebenso erwähnte Pater Wilhelm Schmidt, Herausgeber der Zeitschrift Anthropos, dass dieses Hilfsmittel oft von Beamten und Missionaren verwendet wurde.246 Das Handbuch war ein Instrument, das von der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes zur Verfügung gestellt wurde, ebenso wie viele andere Instrumente zur Erforschung außereuropäischen Gruppen in der Ethnologie.247 Daher ist anzunehmen, dass andere zeitgenössische Ethnologen ebenfalls das Handbuch für ihre sprachlichen Studien verwendeten. Das Handbuch und die Tabelle sind kleine Hefte, die für die Erforschung außereuropäischer Sprachen konzipiert wurden. Das Handbuch wurde 1892 veröffentlicht und als Instrument für die Sammlung von Sprachen betrachtet, denn »[d]er Sammler kann nicht immer abfragen, sondern muss auch aufzeichnen«.248 Es bietet, wie der Name bereits zu verstehen gibt, Anweisungen und Rat ebenso wie linguistische Informationen für die »Methode des Abfragens, Beobachtens und Aufzeichnens«.249 Diese Hefte sind Artefakte, welche die Praxis der Sprachaufnahme in der ethnologischen Forschung ermöglichten. Somit zeigt sich, dass diese Praxis abhängig von konkreten materiellen Instrumenten war, ebenso wie von ihren Akteuren. Ferner liegt die Relevanz dieser Hefte in der Möglichkeit, die sie boten, um die Amazonasforschung innerhalb der damaligen Strukturen der Wissensproduktion zu positionieren. Die deutschen Amazonasethnologen strebten zweifelsohne nach

245 Einige Hefte der Tabelle sind mit dem Namen Ernst Ule versehen, der Botaniker und Freund von Koch-Grünberg war. Vermutlich gehörten ihm diese Hefte. Siehe ES Mr C. I. Wörterlisten/Sprachliches Material. 246 Kürschner, Wilfried: »Georg von der Gabelentz’ Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen (1892) – Entstehung, Ziele, Arbeitsweise, Wirkung«, in: Ezawa, Kennosuke, Franz Hundsnurscher und Annemete von Vogel (Hg.): Beiträge zur Gabelentz-Forschung. Im Auftrag der OstWest-Gesellschaft für Sprach- und Kulturforschung e.V. Berlin, Tübingen: Narr 2014, S. 239-259, hier S. 250. Mit der Etablierung der Ethnologie wurde einige Jahre später die Tabelle zur Aufnahme südamerikanischer Sprachen vom Königlichen Museum für Volkerkunde zu Berlin herausgegeben. Exemplare dieses Handbuches befinden sich ebenso in Koch-Grünbergs Nachlass und wurden vom Botaniker Ernst Ule ausgefüllt, mit dem Koch-Grünberg befreundet war. 247 Gabelentz/von der: Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen, S. 1. Bestand in KochGrünbergs Nachlass ES Mr C. I. Wörterlisten/Sprachliches Material. 248 Ebd., S. 2. 249 Ebd., S. 1.

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Abbildung 14: Titelblatt des Handbuchs zur Aufnahme fremder Sprachen. Exemplar im Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr C.I.1.

wissenschaftlicher Reputation und nicht nach politischer Macht,250 ihre Forschungen waren aber an die Bedingungen der Zeit gebunden und somit mussten die Ethnologen sich der Strukturen und Mittel bedienen, welche die Kolonialpolitik Deutschlands zur Verfügung stellte, um ihre wissenschaftliche Arbeit durchführen zu können. Die Verwendung dieses Handbuches machte aus seinem Besitzer jedoch keinesfalls einen Vertreter einer Kolonialmacht, und sie wies auch nicht auf koloniale Bestrebungen hin. Das Handbuch diente ausschließlich als Instrument der wissenschaftlichen Erforschung der Sprachen indigener Gruppen. Dieses Artefakt ermöglichte als Materialisierung einer diskursiven Praxis die Sprachaufnahmen, prägte gleichzeitig jedoch auch das Vorgehen der Ethnologen im Hinblick auf die Erforschung der indigenen Sprachen, die als »roh« galten, und vor allem den Umgang mit deren Sprechern, die als »Kinder« betrachtet wurden: Die in der Wörtersammlung gedruckten deutschen Wörter bezeichnen meist die Vorstellungen nur im Allgemeinen, während rohe Sprachen oft das Besondere sehr scharf unterscheiden, aber kein Wort für den allgemeinen Begriff haben, […] nur Namen der Arten, aber keinen Namen der Gattung. Hier muss der Sammler in 250 Eine Überschneidung zwischen Wissenschaft und politischer Macht bildet beispielsweise die Kaiser-Willhelmsland-Expedition im Jahre 1896 auf der Insel Neuguinea. Vgl. Buschmann: Anthropology’s Global Histories.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

der deutschen Kolumne nachbessern, aber ja nicht eine Antwort erzwingen wollen. Er stellte sich immer vor, er hätte es mit Kindern zu thun, auf deren Gedanken wohl er, die aber nicht auf seine Gedanken einzugehen vermögen.251 Es lässt sich eine gewisse Autorität und Überheblichkeit der Wissenschaftler erkennen, die sich zum einen an der evolutionistischen Auffassung von Sprache, die die Ethnologen hatten, ablesen lässt. So sprach beispielsweise Karl von den Steinen von einer »niedrigen Entwickelungsstufe [der] amerikanischen Sprachen«.252 Zum anderen trat diese überhebliche Einstellung immer dann zutage, wenn die Forscher sich als diejenigen sahen, die imstande waren, die Gedanken der befragten Menschen besser zu verstehen als sie selbst. Dies erklärt zum Teil, warum folgende Schilderung Koch-Grünbergs, die sich auf die Befragung eines Makú-Indigenen bezieht, in seiner Veröffentlichung ausgespart blieb: »Ich war einfach starr! Eine solche merkwürdige Sprache habe ich noch nie gehört. Mir trat der Angstschweiss auf die Stirn, da ich bisweilen nicht wusste, wie ich alle diese verzwickten Laute mit Buchstaben fixieren sollte.«253 Eine derartige Beschreibung seiner Wahrnehmung dieser für ihn fremden Sprache zeigt seine Verzweiflung. Anerkennen, dass man etwas nicht weiß, ist für die eigenen Notizen ›erlaubt‹. Der veröffentlichte Bericht derselben Sprachaufnahmen dagegen sollte eine angemessene Darstellung dieser Sprachaufnahmen zeigen, in welcher der Ethnologe die Situation unter Kontrolle hatte und vor allem wusste, was und wie er es zu tun hatte: Die Wörter werden sehr undeutlich und zum Teil, wohl in Folge der vielen konsonantischen Endungen, kurz abgehackt gesprochen, bald scheu hervorgestossen, bald zögernd verhalten, tierisch, wie das ganze Wesen dieser niedrig stehenden Waldbewohner ist […] Nur bei genauestem Hinhören und mehrmaliger Wiederholung konnte ich die Wörter festhalten. Diese linguistischen Studien waren daher für beide Teile eine Tortur.254 Diese bearbeitete Version des Verlaufs der Sprachaufnahme sollte im Rahmen des wissenschaftlichen Artikels seine Autorität als Wissenschaftler beweisen – zum einen, weil diese »Sprachproben« zum ersten Mal »der Öffentlichkeit übergeben« wurden. Zum anderen impliziert die Beschreibung seine Geduld und Beharrlichkeit, denn die Schwierigkeit, so will er zeigen, lag an der ›tierischen‹ Art dieser Sprache bzw. dieses Menschen, der die Wörter »undeutlich« aussprach, und nicht etwa an seinen Fähigkeiten als Wissenschaftler. Sprachaufnahmen können als »offene Vollzüge« betrachtet werden, sie lassen einen daher Momente einfangen, in 251 252 253 254

Gabelentz/von der: Handbuch zur Aufnahme fremder Sprachen, S. 4. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 287. Tagebucheintrag vom 14.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. Meine Hervorhebung. Koch-Grünberg: »Die Makú«, S. 883. Vgl. auch Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 22f.

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denen die Akteure improvisieren mussten und in denen »Überraschung, Irritation und Bewältigung« ausgedrückt wurde255 . Insbesondere dann, wenn linguistische Befragungen zu einer Qual für alle Beteiligten wurden und die Indigenen negativ reagierten, kann deren Irritation und die Bewältigung der Situation durch den Ethnologen gezeigt werden. In der Folge entwickelten die Ethnologen Strategien, um ihre Gesprächspartner vom Nutzen der Sprachaufnahmen zu überzeugen. Dabei waren bestimmte materielle Artefakte wesentlich für die Durchsetzung von Praktiken der Sammlung und Klassifizierung.256 Sie veranschaulichen den Prozess der Objektivierung – hier konzeptualisiert als die Materialisierung von Wissen.257 Sprachtabellen (Abb. 15) können als textuelle Artefakte betrachtet werden, welche die Mobilisierung von Wissen ermöglichten, als eine wissenschaftliche Praxis der ethnologischen Feldforschung, die sich aus der Übersetzungspraxis ableitete. Materielle Artefakte wie Vokabellisten, Vergleichstabellen und ›Völkerkarten‹ verstärkten den wissenschaftlichen Charakter der Disziplin in ihrer Frühzeit, sie verliehen ihr insofern Seriosität, als sie eine empirische Herangehensweise an das Forschungsobjekt bedeuteten und die Klassifizierung von ›Indianer-Kulturen‹ als ethnologische Fakten im wissenschaftlichen Diskurs glaubwürdig machten. Ein Blick auf die Durchführung von Sprachaufnahmen und ihre Materialisierung in Sprachtabellen und Völkerkarten ermöglicht es, die Prozesse der Wissensgenerierung konkret nachzuvollziehen. Sprachtabellen und Völkerkarten sind zweidimensionale Inskriptionen, die aus Fragen der Ethnologen und Antworten der Indigenen entstanden sind, wobei die Fragen der ›allwissenden‹ Stimme des Wissenschaftlers verborgen bleiben und somit seine Positionierung auf dem Nullpunkt der Wissensproduktion weiterhin bestätigen. In dieser Hinsicht erscheint der Ethnologe als ein unsichtbarer Übersetzer in einer intermedialen Übertragung zwischen Zeichensystemen. Die Übersetzung mündlicher Äußerungen, Vokabeln oder Erzählungen von indigenen Sprachen ins Deutsche impliziert zum Beispiel einen Prozess der Transkription und dabei Verschriftlichung einer bisher mündlichen Sprache in die europäische Alphabetschrift. Die Transkription und die Rolle von Sprache sind in diesem Zusammenhang relevant, denn es ist ja gerade die Schriftlosigkeit eines Teiles der Weltbevölkerung, die diesen als Forschungsobjekt der Ethnologie konstituiert hat.258 Hierbei kommen erneut Asymmetrien zum Vorschein, denn es ist 255 Freist: »Historische Praxeologie als Mikro-Historie«, S. 74. 256 Laut Andreas Reckwitz sind bestimmte Objekte wesentliche Elemente von sozialen Praktiken. Diese finden oft zwischen Agenten und Objekten statt, somit sind Objekte auch Orte, in denen das Soziale stattfindet. Reckwitz: »Toward a Theory of social Practices«, S. 253. 257 Vgl. Santos-Granero: »Introduction. Amerindian Constructional Views of the World«, S. 16. 258 Vgl. Harbsmeier, Michael: »Writing and the Other: Travellers’ Literacy, or Towards an Archeology of Orality«, in: Schousboe, Karen und Mogens Trolle Larsen (Hg.): Literacy and Society, Kopenhagen: Akademisk Forlag 1989, S. 197-228.

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der Ethnologe, der nach seinem Gehör, nach seiner Muttersprache und nach den gängigen phonetischen Konventionen die zukünftige schriftliche Darstellung einer indigenen Sprache quasi arbiträr bestimmt und dabei »die linguistische Ordnung und Klassifizierung fremder Kulturen«259 anstrebt. Transkriptionen lassen dennoch erkennen, dass sie Elemente der Kulturübersetzung waren, in denen ein Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit durch ethnologische Texte eingeleitet wurde. Dabei handelte es sich nicht lediglich um eine mediale und linguistische Transformation, sondern auch um die Ausübung von Macht. Auf der einen Seite verliehen wissenschaftliche Methoden den Ethnologen die Macht zu »benennen, beschreiben und klassifizieren«260 , das heißt, die Macht, Wissen über andere Menschengruppen zu produzieren. Denn die Ethnologen waren von vornherein in der privilegierten Position derjenigen, die Fragen stellen durften, die Antworten notierten und durch Transkription, Übersetzung und Klassifizierung der indigenen Sprachen zur Konstruktion von Asymmetrien durch die Objektivierung in ihrem Weltsystem beitrugen.261 Auf der anderen Seite diente die Verschriftlichung mündlicher Sprachen – »as inscription and description« – als Instrument, um die Kontrolle über andere zu erhalten.262 Denn während durch Ethnografien, Sprachtabellen und weitere ethnografische Texte die Ethnologen Kontrolle über die Repräsentation der indigenen Kulturen ausübten, verliehen bereits in der Feldforschung die Schrift und die Gegenstände, die dazu verwendet wurden, den Ethnologen Macht über die Indigenen, ein Umstand, dessen sich die Ethnologen sehr wohl bewusst waren. In sein Tagebuch schrieb Koch-Grünberg diesbezüglich: »Die Hiesigen interessieren sich lebhaft für die Briefe. Das ›Schreiben‹ hat für den Indianer immer etwas unheimlich Mysteriöses und ist eine Macht gegenüber dem Naturmenschen«263 . Wenn die Verschriftlichung von mündlichen indigenen Sprachen als ein für die ethnologische Feldforschung charakteristischer Übersetzungsaktbetrachtet wird, so ist offensichtlich, dass sogar diese auf den ersten Blick interlinguale Übersetzung innerhalb von asymmetrischen Machtverhältnissen stattfand. 259 Werkmeister, Sven: Kulturen jenseits der Schrift. Zur Figuren des Primitiven in Ethnologie, Kulturtheorie und Literatur um 1900, München: Wilhelm Fink 2010, S. 86. 260 In seiner Studie zu Sprache und kolonialer Macht erinnert Johannes Fabian an die Macht der »in-scription« anderer Sprachen in kolonialen Expeditionen: »By giving proof of the ›scientific‹ nature of their enterprise they exercised power in a most subtle form – as the power to name, to describe and to classify«. Fabian: Language and Colonial Power, S. 24. 261 In ihrem Beitrag zu »Pathfinders in Latinamerica« versteht Leila Gómez diesen Prozess der Objektivierung im Anschluss an Bruno Latours »›cycles of accumulation‹ of science«, durch welche »imperial travelers selected, edited, and prioritized the cultural commodities they encountered on their travels, and brought them ›home‹, changed into mobile and reducescale objects«. Gómez: »Pathfinders in Latinamerica«, S. 123. 262 Fabian: Language and Colonial Power, S. 26. 263 Tagebucheintrag vom 18.9.1912. ES Mr B.I.2. Heft XI.

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Abbildung 15: Sprachtabelle aus »Vocabulario. (Museo Real Etnográfico. Berlin SW, Alemania)« im Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr C.I.2.

Die Tatsache, dass die Ethnologen über eine bestimmte Macht verfügten, weil sie schrieben, wird des Weiteren dadurch bestätigt, dass bei bestimmten Anlässen Koch-Grünberg gebeten wurde, zwischen den kolumbianischen Kautschukhändlern und den Indigenen zu vermitteln: »Der Capitana und 2 andere bitten mich um ›Papera‹ als Schutz gegen den Kolumbianer, ähnlich wie ich sie von den Seringueiros am Caiary gefunden habe«264 . Dies zeigt, dass nicht nur das Schreiben, sondern auch das Papier oder »Papera« als ein mächtiges Instrument betrachtet wurde. Karl von den Steinen berichtet über die Bewunderung, die nicht die üblicherweise begehrten Gegenstände – wie »schwedische Zündhölzer, Messer, Spiegel, Knöpfe, Perlen« –, sondern sein Tagebuch erweckte: »Nur fand bei Porisa mein Tagebuch die meiste Anerkennung und waren es nicht die beschriebenen, oder mit Zeichnungen bedeckten, sondern die weissen leeren Blätter, die ihm Ausrufe des Entzückens entlockten.«265 Dass indigene Akteure den Akt des Schreibens mit Macht in Bezug brachten, bemerkte ebenso Max Schmidt als sein Paressi-Begleiter Manuel de Santos mir ausdrücklich gleich am Anfang seiner Dienstleistungen erklärte, daß er aber keineswegs mein Camarada wäre, sondern

264 Tagebucheintrag vom 11.12.1904. ES Mr B.I.2. Heft 8. 265 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 92.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

wie ich Paträo, […] so erklärte er auch mir und den übrigen Indianern allen Ernstes, daß er auch wie ich lesen und schreiben könne und auch wie ich der brasilianischen Sprache mächtig sei. Natürlich faßte er den Begriff »schreiben« als Gekritzel in der Art der Fig. 134 und das Lesen als Deuten dieses Gekritzels in seiner Art, und von der portugiesischen Sprache sprach er nur äußerst spärliche und falsche Brocken, so daß man sich überhaupt nur schwer mit ihm verständlich machen konnte. Man will zeigen, daß man in seinen Fähigkeiten nicht hinter dem zu Besuch weilenden Fremdling zurücksteht und muß natürlich darum auch schreiben können, denn daß dies Schreiben eine wichtige Sache ist, die dem Fremden in manchen Dingen unerklärliche Vorzüge in manchen Fähigkeiten gewährt, hat man schnell gemerkt.266 Sowohl das Papier als Objekt als auch das Schreiben als Praxis während der Feldforschung ermöglichen die Beobachtung der wechselseitigen Perspektiven der Akteure. Obwohl die Tätigkeit des Schreibens – als Wissensmaterialisierung und Objektivierungsform – streng genommen lediglich von den Ethnologen praktiziert wurde, brachten Indigene auch Informationen auf ihre eigene Art zu Papier. Karl von den Steinen betrachtete beispielsweise die Zeichnungen der Indigenen als »Bilderschriften«, mit denen sie sich ausdrückten.267 Dies bestätigt Max Schmidts Schilderung, der einen Indigenen in seinem Notizbuch zeichnen ließ (Abb. 16). Er zeichnete die Szene aus Schmidts Ankunft bei der indigenen Gemeinschaft im Ort Cabaçal und fügte hinzu, was Schmidt als die Nachahmung seiner Schrift betrachtete. Interessant an diesem Moment der Interaktion zwischen Ethnologen und Indigenen ist, dass dabei eine indigene Perspektive sichtbar wird. Neben Schmidts Interpretation der »Schriftzeichen« des Indigenen als »bloßer Nachahmungstrieb«268 , lassen sich diese Zeichen auch als die Darstellung der Eigenschaften des Ethnologen aus der Sicht des Indigenen betrachten. Denn das Schreiben kennzeichnete Schmidt in den Augen des Zeichners. Die Schriftzeichen könnten für eine Art Ergänzung der gezeichneten Szene stehen, und dabei wären sie Bestandteile der Interpretation des ›Anderen‹ aus der Sicht der Indigenen. Koch-Grünberg führte ebenso eine ähnliche Operation durch als er den Erzähler Pauäkö darum bat, die von letzterem bereits erzählte und gedolmetschte Geschichte Hömänihikös zu zeichnen. Darauf habe Pauäkö geantwortet: »Das kann ich nicht!«. Dennoch blieb der Ethnologe beharrlich bei seiner Bitte, sodass Pauäkö schließlich die Geschichte auf Koch-Grünbergs Skizzenbuch zeichnete (Abb. 17). Dabei führte Koch-Grünberg ein Experiment durch, das vor ihm Karl von den Stei-

266 Schmidt: »Die Paressi-Kabisi«, S. 231. 267 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 245. 268 Schmidt: »Die Paressi-Kabisi«, S. 230f.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Abbildung 16: »Bleistiftzeichnungen der Paressi-Kabisi. Empfangsszenne bei den Indianern am Cabaçal.« Schmidt 1914. S. 228.

nen269 und später Claude Lévi-Strauss bekannt machten270 und welchem weiteren Überlegungen über die hierarchische Beziehung zwischen dem Selbst und den Anderen und zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit folgten.271 In der »Schreibstunde« etwa betont Claude Lévi-Strauss das Schreiben als die Ursache des Untergangs seiner ›edlen Wilden‹. Dies liegt darin begründet, dass durch die Schrift Wissen über die ›Anderen‹ konstruiert wurde. Andererseits lässt eine weniger binäre Interpretation der Verwendung von Papier und Stift bei den Indigenen auch erkennen, dass die Aktivität des Zeichnens und mithin des (intermedialen) Übersetzens einen reziproken Austausch zwischen Indigenen und Ethnologen förderte. Das Zeichnen galt in der frühen Feldforschung überdies als eine Annäherungsstrategie und wurde genauso wie Sprachaufnahmen und Fotografien vom immateriellen/materiellen Tauschhandel bestimmt.272 Ethnologen förderten das Zeichnen bei ihren Gesprächspartnern. Durch dieses Manöver erfolgte auch ein gegenseitiger Wissensaustausch, denn genauso wie die Ethnologen sich für die Objekte und

269 Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 212. 270 Siehe auch Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 243ff. und Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. S. 301f. In seinem »Schreibstunden« Kapitel reflektierte Lévi-Strauss über die hierarchisierende Rolle der Schrift und über ihre Anwendung als Zeichen von Prestige und Macht. Vgl. Lévi-Strauss, Claude: Traurige Tropen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009. S. 288-300. 271 Vgl. Derrida, Jacques: Grammatologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974, S. 178-243. 272 So z.B. als Indigene im Tausch »gegen Cachaça und Cigaretten ein halbes Skizzenbuch voll reich interessanter Tierskizzen [zeichneten], auch mit Kohle auf alte Pappdeckel, zum Teil flott und originell«. Tagebucheintrag vom 12.7.1903. ES Mr B.I.2. Heft I. Zeichnungen der »Eingeborenen« waren in der frühen ethnologischen Forschung üblich. Vgl. z.B. Frobenius: Im Schatten des Kongostaates, S. 76f.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Techniken der Indigenen interessierten, interessierten sich die Indigenen besonders für das Zeichnen und die damit verbundenen Objekte – Stift und Papier –, wie Koch-Grünbergs Tagebucheintrag zeigt: »Ein junger Kobéua-Mann, […] zeichnet mir unter allgemeiner Begleitung ein Skizzenbuchblatt voll Tiere […], und nennt mir zu allem die Namen; großes Gaudium, als ich sie wieder alle vom Blatt ablese. Ich sage ihnen dafür einige deutsche Wörter, die ihnen natürlich sehr hart erscheinen«273 . Zeichnen war demzufolge eine intermediale Praxis, die, wie auch das Schreiben, die Mitwirkung der indigenen Akteure in der ethnologischen Forschung nachvollziehen lässt.

Abbildung 17: Pauäkös Geschichte in Bildern. »Hömänihikö, b, mit seinen Brüdern: a. Mianikö tóibö, und d. Kúai. – b1 und b2 . Hömänihikös Töchter. – Hömänihikö zündet die Maloka der Uanána an.« Koch-Grünberg 1910. S. 161.

Zeichnen war eine Form nonverbaler Kommunikation zwischen Akteuren, mittels derer der interaktive Charakter der Übersetzung deutlich wird. Dabei ging es

273 Tagebucheintrag vom 11.11.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2.

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außerdem um eine Aktivität, die zur Entspannung der Gruppe diente, was KochGrünbergs Notizen belegen, in denen oft Lachen und Staunen zur Praxis des Zeichnens gehören.274 Oft zeigen Szenen des Zeichnens die Bereitschaft zu und mithin eine positive Einstellung dieser Aktivität gegenüber, was sich anhand von KochGrünbergs Tagebuchnotizen erkennen lässt: »Lasse wieder ins Skizzenbuch zeichnen: Der Sohn des ›H. Inspektors‹ (Tukano) ist ein Künstler und leidenschaftlicher Zeichner; er fördert selbst den Bleistift und zeichnet Häuser auf Häuser mit kunstvoll bemalten Fronts […] auch mich«275 . Zeichnen war eine während der Feldforschung häufig vollzogene Praktik. Solche Szenen, in denen die Indigenen freiwillig zeichneten, ermöglichen die Betrachtung von »Gegenperspektiven«, die zur Produktion und Zirkulation von Wissen in der und über die Kontaktzone hinaus gehörten, denn die Bereitschaft zum Zeichnen zeigt (in diesem Fall), dass Indigene auch implizit eine Entscheidung darüber fällten, welches Wissen objektiviert werden durfte und mithin in das kollektive Archiv einbezogen werden sollte.276 Dennoch konnte eine negative Reaktion nicht unbedingt auf das Zeichen, sondern auf das Objekt Papier erfolgen. Dies lässt sich anhand von Fritz Krauses Bericht erkennen, in dem im Gegensatz zum vorherigen Beispiel das Papier und damit implizit auch das Schreiben von den Indigenen als negativ betrachtet wurden. Es ging dabei spezifisch um eine Feindseligkeit zwischen zwei Gruppen von Indigenen, die an eine Art Zauber glaubten, der gegen die eine Gruppe durch das Papier entstanden sei und eine Masern-Epidemie ausgelöst habe: Der Italiener hatte den Karajá eine Rolle Papier übergeben, die angeblich Kabisá durch ihn schicke. Sie dürfen sie aber nicht öffnen, sonst müßten sie alle sterben. Schließlich konnten die Indianer ihre Neugierde nicht mehr bezwingen, sie öffneten die Rolle, fanden aber nichts darin. Bald darauf brach eine Masernepidemie aus, die natürlich diesem Zauber Kabisás zugeschoben wurde. Es sollte starke Erregung unter den Karajá darüber herrschen, und auch aus diesem Grunde verbot sich die Mitnahme Kabisás.277 Diese negative Konnotation des Papiers findet sich auch bei anderen indigenen Gruppen des Amazonasgebiets, die das Papier als charakteristisch für die Welt der

274 Bei den Baniwa am oberen Rio Negro notierte er in sein Tagebuch: »[D]ie Schwester des Tuschaúa [Mandú] ebenfalls Baníwa – malt mir in meinem Skizzenbuch ein Blatt voll Topfbemalung mit meinen Buntstiften und erhält dafür Perlen. Über diese neue Narrheit des Karíua [Koch-Grünbergs Name bei den Baníwa] natürlich allgemeines erstauntes Lachen«. Tagebucheintrag vom 25.10.1903 ES Mr B.I.2. Heft 2. 275 Tagebucheintrag vom 8.5.1904. ES Mr B.I.2. Heft 5. 276 Mackenthum, Gesa, Andrea Nicolas und Stephanie Wodianka: »Introduction«, in: Dies. (Hg.): Travel, Agency, and the Circulation of Knowledge, Münster/New York: Waxmann 2017, S. 736, hier S. 19. 277 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 42.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

›Weißen‹ und der Toten betrachteten. Seine Materialität setzt Praktiken des Lesens und Schreibens voraus, die als Tätigkeiten der ›Weißen‹ betrachtet wurden. Hierzu formuliert der Anthropologe Robin Wright in Bezug auf einen Gesang, der nach dem Tod eines Menschen benutzt wird, folgenden Kommentar: […] um ihm den Weg zu öffnen und sein Gesicht zu drehen, so dass er nicht mehr auf die Lebenden schaut. Sobald der Weg geöffnet ist und der Tote das Haus betritt […], schließt der Sänger die Tür […] und legt den Körper in eine sitzende Position und legt Papier (papera) in seine Hand, damit er lesen und schreiben kann […]. Auf diese Weise werden die Toten immer beschäftigt sein und sich weder an die Lebenden erinnern noch zu ihnen kommen. Lesen und Schreiben sind Merkmale der Toten, denn die Essenz der Lebenden besteht darin, durch das gesprochene Wort zu kommunizieren.278 Anhand von Wrights Erklärung lässt sich die Macht, die dem Schreiben von den Indigenen zugeschrieben wurde, nachvollziehen, denn die ›Weißen‹ verwendeten Mittel, die eigentlich zur Welt der Toten gehörten. Ferner sind das Schreiben und die Verwendung von Papier, auf dem ›Weiße‹ die Namen von Indigenen geschrieben haben, für die Hohodene, die im Nordwesten Brasiliens leben, streng verbunden mit dem Tod und mit ihrer ethnischen Vernichtung.279 Sowohl in den indigenen Mythen als auch in der Geschichte hat das Schreiben in einigen indigenen Gruppen eine eher eschatologische Bedeutung. Die auf den ersten Blick konträren Standpunkte von Ethnologen und Indigenen über Mündlichkeit und Schrift entpuppen sich als ähnliche Sichtweise, wenn man bedenkt, dass die Ethnologen die Indigenen gerade deshalb als ›Steinzeitmenschen‹ – d.h. als Vertreter einer bereits ausgestorbenen Bevölkerung – betrachteten, weil sie keine Schrift hatten. Ebenso sahen die Indigenen in den ›weißen‹ Ethnologen eben deshalb, weil sie die Schrift beherrschten, Vertreter der Welt der Toten. Die Präsenz von Papier und Stift als Objekte für die Sprachaufnahmen ermöglicht es, die Perspektive der Akteure nachzuvollziehen, die aus dem interkulturellen Kontakt resultierten. So zum Beispiel, Mündlichkeit als Essenz der Lebenden und Schriftlichkeit als Eigenart der Toten zu betrachten, denn diese Sichtweise steht im 278 »Existe um cântico que é declamado após a morte de alguém, para abrir caminho para o morto e virar seu rosto, de modo que não olhe mais para os vivos. Quando o caminho é aberto, o morto entra em sua casa (tauli, ›a casa dos mortos‹), o cantador fecha a entrada, cercandoa com árvores e capim robustos e espinhentos. Coloca o cadáver em posição sentada e põelhe na mão papel (papera) para ler e escrever (ikapa, ›ler, olhar‹; idana, ›escrever, fazer sombras‹). Desse modo, o morto estará sempre ocupado e não se lembrará dos vivos, nem os olhará. Obviamente, os atos de ler e escrever em papel, típicos do branco, são consistentes com a total alteridade dos mortos, pois a essência dos vivos é comunicar-se pela fala«. Meine Übersetzung. Wright: »Ialanawinai. O branco na história e mito Baniwa«, S. 446f. 279 Ebd., S. 441ff.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Widerspruch zur ›abendländischen‹ Auffassung, in der die Mündlichkeit aufgrund ihrer Vergänglichkeit im Gegensatz zur Schrift, welche die Verewigung ermöglicht, steht. Diese Verewigung – oder das Überleben eines Originals durch Übersetzung als schriftliche Praxis, um mit Walter Benjamin zu sprechen –280 wird aber nur möglich durch die Vernichtung der mündlichen Aussage durch eine schriftliche Transformation. Denn, wie im vorherigen Zitat, sind Lesen und Schreiben als »Merkmale der Toten« zu betrachten, »denn die Essenz der Lebenden besteht darin, durch das gesprochene Wort zu kommunizieren«. Die Schrift, und dabei auch die Übersetzung, stehen in der Folge nicht für das Überleben eines Textes, im Sinne eines ›Weiterlebens‹, sondern als Transfer von der Welt der Lebenden in die Welt der Toten.

Völkerkarten In ethnologischen Arbeiten wurde eine statische Auffassung von Sprache vertreten, nach der Sprachen territorial, wenn nicht gar national geprägt seien, wodurch Verbindungen zwischen Territorium und Kultur betont wurden.281 Sprache war eines der Kennzeichen für die Klassifikation der indigenen Gemeinschaften. Auf diese Weise wurden indigenen Sprach(en)-Gruppen in bestimmten Arealen auf der Landkarte positioniert. Daraus entstanden Völkerkarten bzw. ethnografische Karten als offizielle geografische Darstellungen der Wohnorte von indigenen Gruppen der Amazonasregion. Zusammen mit Sprachtabellen und den ›somatischen‹ Eigenschaften der Gruppen bzw. ihrer ›Rasse‹ konstituierten Völkerkarten ›universelle‹ Klassifikationsformen, die den dort dargestellten Gemeinschaften eine ethnische, politische und linguistische Identität zuteilten.282 Sie können als eine Form der Ausübung von Kontrolle betrachtet werden und bringen in den Augen der Ethnologen Ordnung in die sprachliche Landschaft der Region. 280 »So wie die Äußerungen des Lebens innigst mit dem Lebendigen zusammenhängen, ohne ihm etwas zu bedeuten, geht die Übersetzung aus dem Original hervor. Zwar nicht aus seinem Leben so sehr denn aus seinem ›Überleben‹.« Benjamin, Walter: »Die Aufgabe des Übersetzers«, in: Rexroth, Tillman (Hg.): Gesammelte Schriften, Bd. IV, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972, S. 9-21, hier S. 10. 281 Lambert, José: »The Languages of Translation. Keys to the Dynamics of Culture«, in: MuñozCalvo, Michaela und Carmen Buesa Goméz (Hg.): Translation and Cultural Identity: Selected Essays on Translation and Cross-Cultural Communication, Newcastle: Cambridge Scholars Publishing 2010, S. 33-60, hier S. 38. 282 Diese Repräsentationen fanden auch jenseits des ethnologischen Diskurses Resonanz, denn Völkerkarten wurden an andere Institutionen weitergegeben. So verkaufte z.B. KochGrünberg eine Völkerkarte Südamerikas (für 150 Mark) an das Bibliografische Institut. ES Mr A.14. Zur Problematik der ethnografischen Karten zu Beginn des 20. Jahrhunderts vgl. Rottland, Thomas: Von Stämmen und Ländern und der Macht der Karte. Eine Dekonstruktion der ethnographischen Kartierung Deutsch-Ostafrikas, Berlin: Klaus Schwarz Verlag 2002.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Die stabilen geografischen, sprachlichen und kulturellen Identitäten, die der ethnologische Diskurs konstruierte, erweisen sich jedoch als fragmentarisch und künstlich, und zwar zum einen deshalb, weil bilinguale und multilinguale Individuen weder an eine Sprache noch an einen Ort gebunden waren, da sie sich z.B. als Kautschuksammler zwischen vielen verschiedenen Orten bewegten und weitere exogame Beziehungen pflegten. Koch-Grünberg stellte bestimmte ›IndianerTypen‹ fest, obwohl er mehrmals auf das Fehlen eines »einheitlichen Typus« hinwies und die Mischung zwischen Gruppen in der Region als ein »großes Durcheinander« betrachtete.283 Zum anderen liegt diese Erkenntnis darin begründet, dass Transkriptionen eben keine zuverlässigen Übertragungen der mündlichen indigenen Sprache waren, ein Umstand, dessen sich die Ethnologen sehr wohl bewusst waren. In seinem Beitrag zur Bakaïrí-Sprache erklärt Karl von den Steinen beispielsweise, dass seine Transkriptionen zum Teil als »Künstelei« betrachtet werden können, da sowohl er als auch seine Gesprächspartner bis zu einem gewissen Punkt von den sprachlichen Studien erschöpft waren, sodass letztere »nicht immer so gesprochen [haben], wie ihnen der Schnabel gewachsen war«284 . Auch die Transkriptionen in Koch-Grünbergs Notizen lassen Unsicherheiten und Zweifel im Übergang von einer mündlichen Sprache zur lateinischen Schrift erkennen. Einige Sprecher haben manche Wörter bisweilen anders ausgesprochen, darüber hinaus bestand nicht immer Sicherheit bezüglich einer genauen Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Sprachen. In seiner Studie zum Zusammenhang zwischen Transliteration und der Übersetzung arabischer Texte ins Englische stellt Brinkley Messick fest, dass Transkriptionen »a bridge between two languages, between two worlds, their geographies, temporalities and metaphysics« bilden285 . Dennoch heben Transkriptionen die Beziehung zwischen der Sprache, von der sie berichten, und der Sprache, in der sie geschrieben sind, hervor;286 eine Beziehung, die in Übersetzungen nicht immer zu erkennen ist. Im Falle der ethnografischen Übersetzungen stehen Transkriptionen dennoch im Vordergrund, was Sprachtabellen, Vokabularien, zitierte Gespräche und Erzählungen bestätigen. Diese werden als bilinguale textuelle Produktionen vorgestellt. Sie stehen exemplarisch für »bilinguale Zitationen« in ethnografischen Texten287 , wie sie beispielsweise von Kate Sturge im Zuge jener kritischer Innova-

283 Tagebucheintrag vom 27.10.1903. ES Mr B.I.2 Heft 2. 284 Steinen: Die Bakaïrí-Sprache, S. 251. 285 Messick, Brinkley: »Notes on Transliteration«, in: Rubel, Paula G. und Abraham Rosman (Hg.): Translating Cultures: Perspectives on Translation and Anthropology, Oxford/New York: Berg 2003, S. 177-196, hier S. 180. 286 Ebd. 287 Ein besonderes Beispiel für eine ungewöhnliche bilinguale Textdarstellung bildet Curt Unckel Nimuendajús erste Publikation »Die Sagen von der Erschaffung und Vernichtung der Welt als Grundlagen der Religion der Apapocúva-Guaraní«, in welcher die indigenen Erzäh-

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Karte 3: »Völkerkarte des Gebietes am oberen Rio Negro und Yapurá mit besonderer Berücksichtigung der Betoyastämme« in Koch-Grünberg, Theodor: »Betoyá-Sprachen Nordwestbrasiliens und der angrenzenden Gebiete. (Fortsetzung)«, in: Anthropos 9/1-2 (1914), S. 151-195.

tionen nach dem reflexive turn der Ethnologie analysiert werden; sie behalten die indigenen Äußerungen als Ausgangstext bei und destabilisieren insofern die Rolle des Ethnologen als einzigen Übersetzer, als sie einen Raum für weitere Übersetzungen und Interpretationen eröffnen und die Präsenz anderer Sprachen in den Gesprächen der Feldforschung sichtbar machen.288 Völkerkarten sind ähnlich wie Transkriptionen in ethnografischen Texten keine transparenten Übertragungen. Sie sind Abstraktionen von indigenen Sprachen vom linguistischen in das geografische Feld. Jeder Sprache und der dazu zugehörigen indigenen Gruppe ordneten

lungen in Prosa sowohl auf Deutsch als auch in Guaraní erschienen und nicht in der damals typischen interlinearen Übersetzung von getrennten Sätzen. Vgl. Nimuendajú, Curt: »Die Sagen von der Erschaffung und Vernichtung der Welt als Grundlagen der Religion der Apapocúva-Guaraní«, in: Zeitschrift für Ethnologie 46 (1914), S. 284-403. 288 Vgl. Sturge: Representing Others, S. 74f.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Ethnologen ein bestimmtes Gebiet auf der Landkarte zu, und zwar auf der Grundlage der Informationen, die sie von Vermittlern aber auch von den befragten Indigenen erhielten.289

Karte 4: Kartenentwurf. Abzug aus Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr B.I.2. Heft 1, 1903.

Diese Art intermedialer Übersetzung, oder um mit Bruno Latour zu sprechen, Mobilisierung der Welt, versteht sich als das Resultat der Mitwirkung diverser Akteure. Anhand Koch-Grünbergs Tagebuch der Expedition am oberen Rio Negro lässt sich die Konstruktion und Transformation von Sprachen und Orten bis zur Repräsentation in einer Karte zum Teil rekonstruieren. Die bereits am Anfang der Expedition entworfene Karte mit dem Titel »Die Indianer-Stämme des Alto Rio Negro-Uaupés und ihre annähernden Wohnsitze« (Karte 4) kann als erster Entwurf der später veröffentlichten Karte »Betóya-Sprachen Nordwestbrasiliens und der angrenzenden Gebiete« (Karte 3) betrachtet werden. Objekte wie Völkerkarten sind als Objektivierungsformen zu betrachten; eine Art intermediale Übersetzungen in der ethnologischen Forschung. Völkerkarten oder Sprachtabellen waren, in

289 Wie bereits erwähnt half Germano Garrido Koch-Grünberg »eine Karte vom Içana, Rio NegroGuanía und ihren Verbindungswegen mit Orinoko resp. Caiarí« zu entwerfen. Tagebucheintrag 22.8.1903. ES Mr B.I. 2. Heft 1.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Anlehnung an Latour, »unvermeidliche Studienobjekte«, aber nicht nur für den damaligen Ethnologen in seinem Bestreben, Informationen zu versachlichen. Diese Objekte sind für die vorliegende Analyse relevant, um zu verstehen, durch welche »Umwege und Vermittlungen« die »Dinge«, auf denen wissenschaftliche Erkenntnisse basieren, entstehen.290 Die Praktiken des Benennens und Klassifizierens und die Herstellung bestimmter Artefakte wie Sprachtabellen und Völkerkarten ermöglichten die Objektivierung von Wissen in der ethnologischen Forschung. Sie umfassen darüber hinaus auch eine Übersetzungspraxis. Wie diese Praxis konkret in die Tat umgesetzt wurde, konnte in diesen Abschnitt durch Einblicke in Szenen von Sprachaufnahmen während der Feldforschung beobachtet werden. Sprachaufnahmen setzten soziale Interaktion und die Verwendung bestimmter Artefakte voraus. Dabei traten asymmetrische Machtbeziehungen in den Vordergrund. Textuelle Artefakte wie Sprachtabellen und Völkerkarten ermöglichten bereits während der Feldforschung die Konstruktion von Alterität als stabile indigene Identitäten. Gleichzeitig verursachten Objekte wie das Papier Reaktionen bei den Indigenen, in denen eine gewisse agency der befragten Individuen identifiziert werden kann. Sprachaufnahmen und die Konstruktion von Artefakten wie Sprachtabellen und Völkerkarten in der ethnologischen Forschung konnten hier als Bestandteile der Kulturübersetzung als interaktive Praxis erfasst und analysiert werden.

2.3.

Textproduktion: Sinngebung und Wertzuschreibung

Ethnologen haben Erzählungen und Geschichten abgefragt, denn diese sollten ihnen Hinweise über die geistige Kultur und Religion der indigenen Gemeinschaften geben.291 Das Fremde in eigene Begriffe zu übersetzen, setzte bestimmte Transformationen – oft gleichzeitig, aber auch nacheinander – voraus, die zur Sinngebung beigetragen haben. Mündliche Überlieferungen (die aufgenommen und transkribiert wurden) sind uns in dieser Studie lediglich in ihrer materialisierten Form durch ethnografische Texte zugänglich. Ein Blick auf den Prozess der Herstellung dieser textuellen Artefakte zeigt, dass zur interaktiven Praxis der Kulturübersetzung die Metamorphose von mündlicher Überlieferung zu geschriebenem Text durch interlinguale Übersetzung gehörte. Mündliche Überlieferungen wurden dabei objektiviert, denn dadurch, dass immaterielle Wissensformen zum Zweck der ethnologischen Forschung unter Beteiligung indigener Akteure erzählt, transkri-

290 Latour: Die Hoffnung der Pandora, S. 122. 291 Vgl. Preuss, Konrad Theodor: Die geistige Kultur der Naturvölker, Leipzig u.a.: Teubner 1913; Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

biert, übersetzt und veröffentlicht wurden, erfolgte, so das Argument dieses Abschnitts, auch eine Art Objektivierung. In diesem Prozess erfolgte auf der einen Seite eine Transformation, die sich darin manifestierte, dass Ethnologen mündliche Überlieferungen in Texte verwandelten. Dabei wurden textuelle Artefakte hergestellt, die als das Resultat der gemeinsamen Tätigkeit des Erzählers (auch des Dolmetschers) und des Ethnologen zu betrachten sind. Auf der anderen Seite kommen Indigene als aktive Beteiligte, insofern sie ihr eigenes Wissen objektivierten, als dieses den Ethnologen vermittelt und dabei transformiert wurde. Wenn eine Annäherung an indigene Perspektiven angestrebt wird und Amazonasontologien berücksichtigt werden, dann lässt sich hier von einer Objektivierung von bereits subjektiven oder subjektvierten immateriellen Gütern sprechen. Nach Auffassung der Amazonasontologien können mündliche Überlieferungen, genauso wie Sprachen und Namen, subjektive Formen von Gedanken, Emotionen, Intentionen und Wissen beinhalten. Im Falle der Tukano im nordwestlichen Amazonasgebiet werden beispielsweise neben materiellen Artefakten auch Sprachen und Namen – unter der Kategorie gaheuni – als »Instrumente von Leben und Transformation« angesehen. Diese sind also, um mit Stephen Hugh-Jones zu sprechen, als Wohlstandsgüter und objektivierte Wissensformen zu verstehen, deren Wert Arbeit, Know-how und kontrollierte Macht bündelt.292 Die Textproduktion als Resultat der Zusammenarbeit zwischen Erzähler-Übersetzer und Ethnologe entspricht in dieser Hinsicht der Objektivierungsform, die der Anthropologe Santos-Granero als »craftsmanship« bezeichnet. Die Textproduktion in der ethnografischen Forschung kann in der Folge als eine Art »craftsmanship« betrachtet werden, in der mehrere Akteure an der Produktion eines Textes beteiligt sind. Hier treten Aspekte wie Kreativität und materielle Produktion in den Vordergrund.293 Es kann davon ausgegangen werden, dass Objektivierung in einem gemeinsamen Prozess von Erzählung, Übersetzung und Textproduktion auf zwei Ebenen erfolgte. Einerseits objektivierte der Erzähler seine Muttersprache und damit auch das immaterielle Wissen seiner Kultur, was sich als Sinngebung erklären lässt. Da Erzählungen gegen Bezahlung erfolgten, verliehen Erzähler und Ethnologen den Narrativen andererseits einen bestimmten materiellen, aber auch symbolischen Wert. Auf diese Weise verwandelte sich immaterielles Wissen in eine Art Ware. Somit lässt sich im Falle der Textproduktion durch Informationsaustausch und Übersetzung von einer Objektivierung als Kommodifizierung sprechen, die eine Wertzuschreibung implizierte. Diese Annahme stützt sich im Folgenden auf den materialistischen Ansatz des Austausches in Kulturübersetzungsprozessen von Ly-

292 Hugh-Jones: »The fabricated body«, S. 49. 293 Santos-Granero: »Introduction. Amerindian Constructional Views of the World«, S. 16f.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

dia H. Liu294 , nach dem durch den Austausch in transkulturellen Begegnungen Sinn erzeugt wird und Artefakten (auch textuellen) ein bestimmter Wert zugeschrieben wird. Für Liu ist der Austausch in Anlehnung an Marx ein Prozess der Sinngebung (signification) und Substitution von ›Äquivalenten‹, welcher die Übersetzung eines Gegenstandes in einen Wert ermöglicht.295 Beide Objektivierungsformen, die der Sinngebung und der Wertzuschreibung, werden im Folgenden analysiert und exemplarisch veranschaulicht. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Akteuren, ihren Beziehungen und dem Prozess der Textproduktion als Bestandteilen der interaktiven Praxis der Kulturübersetzung.

Sinngebung: Erzählen und Übersetzen Während der Feldforschung fungierten bestimmte Akteure als Erzähler, wie z.B. Pajés (Schamanen), Tuschauas oder Lehrlinge letzterer. Erzähler zu finden war dennoch keine leichte Aufgabe, wie Max Schmidt berichtet: »Auf die verschiedenste Weise versuchte ich mir Erzählungen diktieren zu lassen, unter den grössten Versprechungen, aber immer wieder wurde mir kurz geantwortet ›não tem mais‹, ›es gibt solche Erzählungen nicht mehr‹«296 . In solchen Fällen zeigt sich deutlich der Widerstand der Indigenen, die der Hartnäckigkeit der Ethnologen nicht Folge leisten wollten. Somit verfügten die Indigenen über agency, da sie selbst entscheiden konnten, ob sie ihr Wissen weitergeben wollten oder nicht. Obgleich einige Individuen freiwillig erzählten, wurde der Zugang zu den Erzählungen dadurch verkompliziert, dass die Sprachkenntnisse der Ethnologen nicht immer ausreichend waren, wie Koch-Grünbergs Schilderung verdeutlicht: Er [Pajé] sass mit mir nach Sonnenuntergang in meinem dunklen Stall und erzählte mir in seiner Bezechtheit mit leiser Stimme, in dem er sein kaschiríduftendes [alkoholduftendes] Gesicht ganz nahe an das meinige brachte, lange Geschichten in Baniwa, die ich natürlich nur zum geringsten Teil verstand […].297 In Koch-Grünbergs Zitat erscheint das Erzählen auf den ersten Blick als eine Praxis zwischen Erzähler und Zuhörer. Der Pajé erzählte Geschichten, ohne dass der Ethnologe dies von ihm verlangt hätte. Dennoch konnte der Ethnologe nicht viel verstehen, weil seine Sprachkenntnisse nicht genügten. Die klassische ethnologische Szene, die zunächst als eine Dyade zwischen dem ›Ich‹-Ethnologen und dem ›Anderen‹-Pajé erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine Triade, und zwar durch die Abwesenheit eines Dolmetschers, jenes Dritten, der als Vermittler

294 295 296 297

Vgl. Liu (Hg.): Tokens of Exchange. Ebd., S. 24. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 300. Tagebucheintrag vom 22.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

zwischen den Sprachen und Kulturen hätte agieren können.298 Durch seine Abwesenheit verschafft sich die Figur des Dritten erneut einen Platz in der sozialen Interaktion, insofern seine Präsenz vermisst wird und als »Gesprächsthema« erscheint.299 Daher war es wesentlich, Dolmetscher zur Verfügung zu haben, oder – was einen noch größeren Vorteil darstellte – mit bilingualen Erzählern zu arbeiten. Quäle mich den halben Tag mit dem Zauberarzt [Pauäkö] ab; er muss mir Märchen erzählen von der Geburt und den Taten des Hömänihikö; eine fürchterliche Arbeit! Zunächst in lingoa geral, dann nochmals in Kobéua; die letztere Erzählungsweise war wieder echt indianisch, mit steten Wiederholungen. Ich hatte schliesslich fürchterliche Kopfschmerzen und der Pajé wohl nicht minder! Er hatte seinen kleinen Spiegel redlich verdient. – Interessant sind ja auch diese Legenden, so primitiv sie auch sind.300 Ein Jahr nach der Begegnung mit dem Pajé-Erzähler hatte Koch-Grünberg das Glück, mit der Unterstützung eines bilingualen Erzählers rechnen zu können. Seine Tagebucheinträge eröffnen uns einen detaillierten mikroskopischen Einblick in den komplexen Prozess der Textproduktion als Objektivierungsform. Die veröffentlichte Version entspricht trotz einiger lexikalischer Abweichungen der Tagebuchversion, die während der Feldforschung erstellt wurde. Den unmittelbarsten Zugang zur mündlichen Überlieferung Pauäkös gewinnt man durch Koch-Grünbergs interlineare Übersetzung. Hier lassen sich darüber hinaus nicht nur die Schrift und die deutsche Übersetzung Koch-Grünbergs, sondern auch Pauäkös Stimme erkennen. In dieser Hinsicht zeugt die interlineare Übersetzung von Pauäkös Urheberschaft und von seiner Mitwirkung bei der Textproduktion. Auf diese Weise lassen sich dank Koch-Grünbergs Tagebüchern vorherige Übersetzungen zurückverfolgen. Die Zusammenstellung dieser Texte ist exemplarisch für einen Prozess der Sinngebung durch ethnografisches Material, ein Prozess, der meistens hinter der letztendlichen Veröffentlichung verborgen blieb und schwer zugänglich ist, wenn Feldtagebücher oder vorherige Notizen nicht vorhanden sind. Die gemeinsame Produktion dieser Texte verrät ferner den zuvor behandelten Aspekt der Übersetzung als Palimpsest oder Ensemble von Texten,301 deren Spuren in den darauffolgenden Versionen zu erkennen sind. Diese Spuren zeigen sich nicht nur auf semantischer Ebene, sondern sind in diesem Fall auch durch 298 Über die Abwesenheit eines Dolmetschers beschwert sich Koch-Grünberg auch auf seiner Roraima Expedition: »Schade, daß man nicht verstehen kann, was sie da mit ernsten Gesichtern singen. Manduca ist noch nicht von der Jagd zurück, und er könnte es mir auch nicht erklären. Er ist zu solchen Arbeiten völlig unbrauchbar. Ja, wenn es Mayuluaipu wäre!« KochGrünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 307. 299 Fischer: »Tertiarität/Der Dritte«, S. 145. 300 Tagebucheintrag vom 24.11.1904. ES Mr B.I.2. Heft 8. 301 Siehe Kapitel 1.

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die Materialität der Texte zu finden. Während die veröffentlichte Version eine Art abstrakten Zugang zum Übersetzungsprozess andeutet, machen die Tagebuchnotizen Koch-Grünbergs es möglich, diesen Prozess physisch nachzuverfolgen. Somit gewinnt man einen materiellen Zugang zum Prozess der Kulturübersetzung in der ethnografischen Forschung. Eine wesentliche Rolle in diesem komplexen Prozess spielten der Indigene als Erzähler-Dolmetscher – in diesem Fall der Pajé Pauäkö (Abb. 18) – und die Lingua Geral als Verkehrssprache, die beiden Akteuren als Relaissprache diente. Der Verlauf dieses Translationsprozesses beginnt mit der Erzählung in Lingua Geral. Koch-Grünberg zog es vor, dass Pauäkö zuerst in der Sprache erzählte, die der Ethnologe mehr oder weniger gut beherrschte. Vermutlich erzählte Pauäkö die ganze Geschichte auf einmal und Koch-Grünberg schrieb sie in Lingua Geral auf. Diese Strategie ermöglichte es Koch-Grünberg, sich einen ersten allgemeinen Eindruck von der erzählten Geschichte zu verschaffen. Die Funktion der Relaissprache, Lingua Geral, bestand in erster Linie darin, die Sprachbarriere zwischen mehreren Sprachen zu überwinden. Daraufhin erzählte Pauäkö seine Erzählung erneut, diesmal in Kobeua, seiner Muttersprache. Eine zweite Phase in diesem Translationsprozess bestand vermutlich in der Wort-für-Wort Erklärung der Kobeua-Version mithilfe der Lingua Geral; hier musste Koch-Grünberg die Erzählung in Kobeua Wort für Wort vorlesen, sodass Pauäkö sie wieder in Lingua Geral dolmetschen und erklären konnte. Nur so konnte Koch-Grünberg eine interlineare Version Lingua Geral – Kobeua erstellen. Bei der Erzählung wurde in der Folge eine Art Relaisübersetzung zwischen zwei Sprachen durchgeführt: Lingua Geral und Kobeua. Schließlich musste die interlineare Übersetzung ins Deutsche erfolgen, die sich auf die Lingua Geral-Version stützte und die Koch-Grünberg vermutlich später erstellte. Diese Strategie war die unter den Amazonasethnologen übliche Vorgehensweise. Fritz Krauses Strategie bestand ebenso darin, sich vom Erzähler Kurisí kurze Geschichten zunächst in Portugiesisch erzählen zu lassen, sich diese dann in Karajá, der Muttersprache Kurisís, Satz für Satz sagen zu lassen, diese selbst unmittelbar nachzusprechen, bis er dies zu Kurisís »Zufriedenheit« tat, sie dann zu notieren und schließlich die portugiesische Übersetzung aufzuschreiben.302 In Konrad Theodor Preuss’ Feldforschungsheft, in dem er die Mythen der Uitoto aufschrieb, lässt sich diese Strategie ebenfalls identifizieren. Preuss notierte die Erzählungen Wort für Wort in Uitoto, und zwar inklusive interlinearer Übersetzung ins Spanische. Spanisch war die Sprache, die sowohl Preuss als auch die Uitoto als lingua franca verwendet haben.303 302 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 471. 303 NKTP-IAI Heft 1. Nachlass Konrad Theodor Preuss, Ibero-Amerikanisches Institut. Siehe ebenso SMB-PK, EM. B.92. Schreiben vom 12.8.1914.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Abbildung 18: Der Erzähler Pauäkö mit seiner Familie. Koch-Grünberg 1910. S. 81.

Im Falle Koch-Grünbergs war Pauäkö ein polyvalenter Erzähler, der die Übersetzung und gleichzeitige Verschriftlichung der Geschichten ermöglichte, wodurch der Prozess der Textproduktion erleichtert wurde. Charakteristisch waren dabei die Wiederholungen in Pauäkös Erzählung in Kobeua.304 Auch wenn Wiederholungen zum Stil indigener Narrative gehören,305 scheint es möglich zu sein, dass

304 Tagebucheintrag vom 24.11.1904. ES Mr B.I.2. Heft 8. 305 Diese Art der Wiederholung wird als Parallelismus bezeichnet, wenn die Verse semantisch parallel aufgebaut sind, wobei jeder Zeile unmittelbar weitere Zeilen folgen, die im Prinzip Wiederholungen oder Interpretationen der vorhergehenden sind. Vgl. Mannheim, Bruce und Dennis Tedlock: »Introduction«, in: Tedlock, Dennis und Bruce Mannheim (Hg.): The Dialogic Emergence of Culture, Urbana: University of Illinois Press. 1995. Der Parallelismus versteht sich als eine »Ritualsprachtechnik« in oralen Kulturen, »die sich zur Speicherung mündlicher Überlieferungen besonders eignet«. Kohl, Karl-Heinz: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden, S. 77.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Koch-Grünberg nach Wiederholungen verlangte,306 damit er Pauäkös Aussprache phonetisch möglichst korrekt ausschreiben konnte, zumal eine möglichst korrekt transkribierte Aussprache linguistischen Studien diente. Die Transkription und Übersetzung von mündlichen Erzählungen war eine Aufgabe, die bei der kulturellen Begegnung zwischen Europäern und indigener Bevölkerung Amerikas eng mit missionarischen Chroniken und Christianisierungsbestrebungen verbunden war. Dass dies auch zu Zeiten Koch-Grünbergs Expeditionen noch der Fall war, bestätigen die Texte, die ihm Pater Adalbert bei seiner zweiten Expedition im RoraimaGebiet zur Verfügung stellte, unter anderem ein von letzterem selbst verfasstes Sprachvokabular der Makuschí.307

(Selbst-)Dolmetschen: Objektivierung der Muttersprache Besonders charakteristisch für die Textproduktion während der Feldforschung war auch die Tätigkeit des Dolmetschens der eigenen Rede. Tätigkeiten wie Dolmetschen und Übersetzen – d.h. auch die Präsenz dritter Entitäten, z.B. in der Form einer Relaissprache – lassen erkennen, wie die Objektivierung von Sprache erfolgte. Während in einigen Fällen ein drittes Individuum als Dolmetscher unerlässlich war, agierten Erzähler während der Feldforschung auch als Dolmetscher ihrer eigenen Rede, wie das vorher zitierte Beispiel Pauäkös zeigt. Während die Funktion der Erzählungen für die indigenen Gemeinschaften die Vermittlung von Wissen und Erziehung der jüngeren Mitglieder der Gemeinschaft war, war die Funktion der in der Feldforschung umrahmten Erzählung eine dem Ethnologen bestimmte Informationen zur Verfügung zu stellen. Dabei entstanden andere, eng mit dem Erzählakt verbundene Bedürfnisse, wie z.B. das Übersetzen, Erklären und Klären von Bedeutungen. In diesem Prozess der Textproduktion hat man es daher mit einer Art self-translation oder Selbstdolmetschen zu tun, als spezifische Form der Translation in der ethnografischen Forschung.308 Obwohl bilinguale Individuen in der Lage waren, 306 Dies war auch bei Sprachaufnahmen der Fall: »Arbeite die Sprachaufnahme, ca. 600 Vokabeln, mit Hilfe des Tukáno Pedro und meines »lingoa geral« Vokabulars. Die beiden Leute [Tariána] pronuncierten ausgezeichnet und wiederholen jedes Wort 2-3 mal, bis ich es richtig nachspreche und aufgeschrieben habe, so dass ich sicher bin, keinen Fehler gemacht zu haben«. Tagebucheintrag vom 23.9.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. 307 In seinem Tagebuch schrieb Koch-Grünberg darüber: »Kopiere die Aufzeichnungen P. Adalberts: Vaterunser, Glaubensbekenntnis, Kirchenlieder, Gebete etc. in der Makuschí-Sprache, die er mir bereitwillig zur Verfügung stellt« 15.10.1911. ES Mr B.I.3. Heft 2. Siehe auch 16.10.1911. Für die Transkription der Texte siehe ES Mr C.I.2-Wörterliste. 308 Die Zunahme von Konferenzen und Publikationen über kollaboratives Übersetzen und Selbstübersetzung zeigt die Entstehung neuer Forschungsgebiete innerhalb der Übersetzungswissenschaft. Diese Beiträge basieren meist auf empirischen Fällen. Dies ist insofern positiv, als sie vom Konkreten ausgehen, um abstraktere Phänomene der Übersetzungspraxis

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

für andere zu dolmetschen, bleibt offen, ob das Dolmetschen ihrer eigenen Rede zu ihrem Alltag gehörte. Vermutlich nahm diese Translationsform bereits mit den sprachlichen Studien, die zunächst von Missionaren und später von Ethnologen im Amazonasgebiet durchgeführt wurden, ihren Anfang. Obwohl indigene Dolmetscher bilinguale oder multilinguale Individuen waren, mussten sie während der Feldforschung ihre eigene Rede dolmetschen. Hier förderte die spezifische Situation einer sprachlichen Befragung einen bewussten Akt des Dolmetschens der eigenen Rede und damit auch die Versachlichung von Informationen. Bereits das Erzählen von Geschichten in einer Verkehrssprache rückt das Thema des multilingualen Charakters der Kontaktzone, der sich sowohl in ganzen Gruppen als auch in einzelnen Individuen widerspiegelte, in den Vordergrund. Mehrsprachigkeit bedeutet, Mary Louise Pratt zufolge, vor allem, in mehr als einer Sprache zu leben, für die eine Übersetzung nicht notwendig ist; deshalb müssen mehrsprachige Individuen nicht ständig von einer Sprache (oder einem kulturellen System) in eine andere übersetzen, obwohl sie bei Bedarf dazu in der Lage sind.309 Erzähler wie Pauäkö sahen sich in ihrem Alltag vermutlich nicht gezwungen, Geschichten von einer Sprache in eine andere zu dolmetschen. Dieses Bedürfnis entstand also erst aus dem Angebot des Ethnologen, das Erzählen von Geschichten als eine Art Dienstleistung zu betrachten, für die man Geld oder Waren bekommen konnte. Somit erfolgte ein bewusstes Dolmetschen der eigenen Rede, das mehrsprachige Individuen normalerweise nicht nötig hatten. Diese spezifische Praxis, die durch die ethnologische Feldforschung gefördert wurde, wird in der vorliegenden Studie als Selbst-Dolmetschen bezeichnet, um auf die sprachliche Natur dieser Translationspraxis aufmerksam zu machen.310 Sie als Selbstübersetzung zu bezeichnen, würde nämlich implizieren, dass die Erzähler-Dolmetscher ihre Rede auch selbst verschriftlichten, wofür es jedoch keine ausreichenden Beweise gibt. Diese spezifische Translationsform verdient an dieser Stelle eine genaue Betrachtung. Wie auch immer sie im Detail erfolgte, es kann jedenfalls argumenzu erklären. Aufgrund der Besonderheit jedes Falles gibt es jedoch Schwierigkeiten, übereinstimmende Definitionen für jede Art von Übersetzung zu finden. Vgl. Manterola Agirrezabalaga, Elizabete: »Collaborative Self-Translation in a Minority Language: Power Implications in the Process, the Actors and the Literary Systems Involved«, in: Castro, Olga, Sergi Mainer und Svetlana Page (Hg.): Self-Translation and Power: Negotiating Identities in European Multilingual Contexts, London: Palgrave Macmillan 2017, S. 191-215; Grutman, Rainer und Trish Van Bolderen: »Self-Translation«, in: Bermann, Sandra und Catherine Porter (Hg.): A Companion to Translation Studies, Oxford: John Wiley & Sons 2014, S. 323-332; Cordingley, Anthony (Hg.): Self-Translation: Brokering Originality in Hybrid Culture, London/New York: Bloomsbury 2013. 309 Pratt: »The Traffic in Meaning«, S. 35. 310 Zum Thema Selbstübersetzung siehe weiterhin Polezzi: »Translation, Travel, Migration«; Hokenson, Jan Walsh und Marcella Munson: The Bilingual Text: History and Theory of Literary Self-Translation, New York: Routledge 2014.

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tiert werden, dass es sich dabei um eine Art »gebrochene Erzählweise«311 handelte, was als charakteristisch für Selbstübersetzungen gilt.312 Im Falle des SelbstDolmetschens lässt sich das Konzept einer »gebrochenen Erzählweise« überdies in der Tat anwenden – jedoch anders als bei der Selbstübersetzung –, um die bestimmten Eigenschaften dieser Praxis während der Feldforschung zu beschreiben. Ein Hauptmerkmal der Selbstübersetzung ist einerseits die Annahme, es gäbe nur einen Urheber.313 Beim Selbst-Dolmetschen wird diese Auffassung durch die Präsenz des Ethnologen als Fragesteller und Schreiber der Rede des Erzählers destabilisiert, zumal uns der Text nur durch die Übersetzung des Ethnologen zugänglich ist. Seine Mitwirkung setzt eine gemeinsame Urheberschaft voraus.314 Dennoch kann hier von Selbst-Dolmetschen gesprochen werden, obwohl die Präsenz anderer Akteure das Endprodukt beeinflusst, denn es verhält sich ja hier nicht anders als bei literarischen Werken, wo Lektoren, Übersetzer und Verlagshäuser ebenfalls das Endprodukt (mit)bestimmen. Ein weiteres Merkmal der Selbstübersetzung ist andererseits – wie sich aus diesem Kompositum herauslesen lässt –, dass es sich um eine Selbstübertragung, -verschiebung oder -displacement als existentielle Lage eines Menschen handelt.315 Die bisherige Forschung zur Selbstübersetzung konzentriert sich auf die literarisch-translatorische Praxis, ebenso wie auf die existentielle Lage von translated subjects. Letztere werden vor allem als ein Phänomen der postkolonialen Situierung von Autoren und Migranten betrachtet. In dieser Hinsicht erklärt Robert J. C. Young: Translation is a way of thinking about how languages, people, and cultures are transformed as they move between different places. It can also be used more metaphorically, as a way of describing how the individual or the group can be transformed by changing their sense of their own place in society.316 Im Wesentlichen unterscheidet sich die performative Praktik des SelbstDolmetschens während der ethnologischen Feldforschung nicht substanziell von dieser Auffassung, denn indigene Akteure der Amazonas-Kontaktzone hatten, wie bereits erwähnt, fragmentierte Identitäten. Da sich aufgrund der Quellenlage 311

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Klimkiewicz, Aurelia: »Self-Translation as Broken Narrativity: Towards an Understanding of the Self’s Multilingual Dialogue«, in: Cordingley, Anthony (Hg.): Self-Translation: Brokering Originality in Hybrid Culture, London/New York: Bloomsbury 2013, S. 189-201. Selbstübersetzungen sind eine gebrochene Erzählweise, weil angenommen wird, dass bestimmte Verbindungen mit der Muttersprache – aufgrund von Exil, biografischen Ereignissen ebenso wie linguistischem Displacement – bei Schriftstellern verloren gegangen sind, sodass ein linguistisch fragmentiertes oder gebrochenes Selbst entsteht. Ebd., S. 192 und 199. Grutman/Van Bolderen: »Self-Translation«, S. 323. Zu diesem Punkt werde ich im Kapitel 2.3.4 zurückkommen. Vgl. Conway: »A Conceptual and Empirical Approach«. Young: Postcolonialism, S. 29.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

biografische Informationen über diese Menschen nur schwer rekonstruieren lassen, genügt es hier, auf die linguistische Spaltung zwischen Muttersprache und der lingua franca hinzuweisen, die gelernt und angewandt werden musste, um mit den ›Weißen‹ – die als Arbeitgeber oder Ausbeuter fungierten – kommunizieren zu können. Dolmetschen lässt sich in diesem Kontext in Anknüpfung an Martin Fuchs als »existentieller Vorgang« betrachten, »der unmittelbar die Lebensperspektive und Entscheidungsebene betrifft. Die ›hybride‹ Persönlichkeit ist gezwungen zu übersetzen [bzw. zu dolmetschen], um zu leben.«317 Die Sprachvermittlung als auch die Aneignung von Wissen in der Praxis der Kulturübersetzung im Rahmen der ethnologischen Forschung belegen, dass Hybridität und Fragmentierung auch zu dieser Kontaktzone gehörten. Hierbei ist das Selbst-Dolmetschen exemplarisch für die ständige Verschiebung der Akteure als bilinguale oder multilinguale Individuen. Die Konzeptualisierung des Selbst-Dolmetschens als spezifische Form des sprachlichen Transfers318 während der Feldforschung kann neue Impulse zum Verständnis der Kulturübersetzung geben, wenn auch nur in den episodischen Fragmenten selbstgedolmetschter Rede indigener Akteure. Somit wird eine nicht binäre Auffassung von Kulturübersetzung möglich, in der multiple »translated (and translating) subjects« als Protagonisten fungieren.319 Denn die vermeintlich festen und stabilen Identitäten der ›Indianer‹, die sich im Diskurs nach der Feldforschung herauskristallisierten320 , erweisen sich im Moment des Selbstdolmetschens zum Beispiel als instabil und dynamisch. Die sprachliche Verschiebung deutet auf einen Prozess der Identifikation der Erzähler-Dolmetscher hin321 , aufgrund dessen die historischen Materialien anders zu lesen sind. Aufgeschriebene Praktiken, wie Erzählen oder Dolmetschen, aus der frühen ethnologischen Forschung sind nicht nur zeitlich und räumlich vermittelt, sondern bereits im Mo-

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Fuchs: »Übersetzen und Übersetzt-Werden«, S. 315. Meine Ergänzung. Vgl. Grutman/Van Bolderen: »Self-Translation«, S. 327. Polezzi: »Translation, Travel, Migration«, S. 169. Hier konzeptualisiere ich diese festen Identitäten, und zwar sowohl die der Ethnologen als ›Machtstifter‹ und die der Indigenen als ›Opfer‹, im Anschluss an Stuart Hall als »an spezifischen historischen und institutionellen Orten, innerhalb spezifischer diskursiver Formationen und Praktiken wie auch durch spezifische Strategien hergestellt«. Hall, Stuart: Ideologie, Identität, Repräsentation, Hamburg: Argument 2004, S. 171. »In der Alltagssprache [common sense] bedeutet Identifikation, seine Abstammung, Herkunft kenntlich zu machen; oder sie verweist auf Eigenschaften, Merkmale, die man mit einer anderen Person oder mit Gruppen teilt, oder auf die Übereinstimmung mit einem Ideal und der natürlichen Schlussfolgerung, Solidarität und Bindung auf dieser Grundlage zu etablieren. Im Gegensatz zum ›Naturalismus‹ dieser Definition [konzeptualisiert] der diskurstheoretische Ansatz Identifikation als Konstruktion, als ein[en] Prozess, der niemals abgeschlossen ist, immer ›prozesshaft‹ bleibt«. Ebd., S. 169.

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ment ihres Vollzuges. Insbesondere die Translationspraktiken in diesen Quellen heben diese Tatsache hervor. Dolmetschen (auch der eigenen Rede) ermöglichte die Objektivierung von immateriellem Wissen durch die mündlichen Überlieferungen. In diesem Vorgang lässt sich eine erkenntnistheoretische Dimension erkennen, denn beim Dolmetschen erfolgte eine Art Objektivierung sowohl der eigenen Muttersprache als auch der Bedeutungen der Erzählungen, die dem Ethnologen erklärt wurden.322 Dies lässt sich als eine Form der Sinngebung konzeptualisieren. Die Objektivierung der eigenen Muttersprache erfolgte bei der Erklärung bestimmter Wörter oder Aspekte, die zu einer Metareflexion der Grammatik dieser Sprache führen musste. Durch die Erklärung von bestimmten Bedeutungen erfolgte darüber hinaus auch eine Objektivierung der eigenen Kultur. In erster Linie interpretierten ErzählerDolmetscher ihre eigene Sprache und Kultur erneut, denn beim Erzählen und Übersetzen wurde Neues geschaffen und in der Folge auch neue Bedeutungen produziert. Wie dies erfolgte, lässt sich anhand von Fritz Krauses Schilderung beobachten: Kurisí sitzt den ganzen Tag im Zelt; er näht einen Deckelkorb und erzählt Sagen und Geschichten. Erst gibt er sie ausführlich brasilianisch. Nun bitte ich ihn, sie mir in seiner Muttersprache zu erzählen; mit 5-6 kurzen Sätzen ist die ganze Sache erledigt; es sind gerade die Hauptpunkte, die darin wiedergeben werden. Offenbar überliefern die Indianer auf diese Weise ihre Erzählungen. Dann muß er sie nochmals brasilianisch erzählen, damit ich dies und jenes richtig stellen kann. Durchgängig tut er dies beim zweiten Male in anderen Ausdrücken, läßt hier etwas weg, fügt da etwas hinzu; man fühlt, wie er selbst schafft, während er erzählt. So heimse ich hier äußerst wertvolles Material ein.323 Die Objektivierung, die im Falle des Selbst-Dolmetschens im Vordergrund steht, ermöglicht in diesem Zusammenhang auch das Identifizieren von autonomem Handeln, denn, wie im oben zitierten Beispiel deutlich wird, konnten ErzählerDolmetscher entscheiden, welches Wissen sie für die Ethnologen zugänglich machten (und welches nicht). Der Erzähler Rosendo gab laut Konrad Theodor Preuss’ Bericht beispielsweise, »[g]ewisse Gesänge […] unter keinen Umständen Preis, da [sie] ›zu stark‹ seien, andere erst nach langem Zureden«324 . Fritz Krause hatte seinerseits auch Schwierigkeiten, seinen Begleiter Kurisí dazu zu bringen, Geschichten zu erzählen: »Nur an die Sagen will er nicht recht heran. Erst später gelingt es mir, auch solche von ihm zu erlangen. So sitzen [wir] beieinander im

322 Vgl. Rabinow: »Fieldwork and Friendship in Morocco«. 323 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 156. 324 Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto, S. 16.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Boot, er erzählt, ich notiere und frage«.325 Andere Gesprächspartner der Ethnologen wollten nicht immer alles erklären und entschieden sich daher für einfache Antworten, wie am oberen Rio Negro, wo Otto Schmidt, Koch-Grünbergs Assistent, den Impresario Mandú nach der Bedeutung einer Krankenkur fragte, worauf dieser ihm geantwortet habe: »›atoá, Doktore sabe!‹ (›dummes Zeug, der Doktor (ich) weiss es!‹)«326 . Mandús Antwort kann zum einen auf seine Einstellung zu dieser Krankenkur hindeuten, an die er selbst nicht glaubte und deren Bedeutung es daher nicht zu erklären lohnte, denn es handelte sich um eine Art Inszenierung. Andererseits kann diese Antwort auch als Hinweis darauf interpretiert werden, dass Mandú es zu diesem Zeitpunkt einfach nicht für angemessen hielt, Schmitt die Bedeutung der Heilung zu erklären, da Koch-Grünberg, Schmidts Chef, abwesend war. Auf jeden Fall beweist Mandús Antwort seine Autonomie bei der Entscheidung, welches Wissen über seine Kultur an die Besucher weitergegeben werden sollte. Ähnlich verhielt es sich im Falle von Max Schmidt, dem die Leute im Paranatinga-Dorfe manchmal »die Gesänge und Tänze der tanzenden ›Schinguános‹ in ihrer Weise entweder damit [erklärten], dass die Leute ihre ›Götter‹ besängen. In andern Fällen sagten sie, es sei ›causa atoa‹, d.h. es bedeute gar nichts, ihr Inhalt sei dummes Zeug«327 . Dadurch, dass Erzähler-Dolmetscher beim Erklären eines Rituals, beim Paraphrasieren einer Aussage oder Erläutern einer Bedeutung etc. die Informationen auswählten, zu denen die Ethnologen Zugang haben durften, wird ihre agency in der Feldforschung deutlich. Auf diese Weise hatten Erzähler und/oder Dolmetscher insofern eine offensichtliche Wirkung in den Feldforschungen, als sie ihre subjektiven Meinungen und ihre Entscheidungen zur Wissensproduktion und -verbreitung in der und über die Kontaktzone beitrugen.328 Spezifisch lässt sich dies schließlich am Beispiel des Erzählers Rosendo veranschaulichen, von dem Konrad Theodor Preuss berichtet, er habe »[n]iemals […] mit der Übersetzung an[ge]fangen, bevor er nicht die ganze Geschichte zu Ende diktiert hatte, und das dauerte bei ihrer endlosen Länge öfter mehr als einen Tag […]«329 . Dabei bestimmte Rosendo den Ablauf der Textproduktion, während Preuss von ihm und später vom Dolmetscher völlig abhängig war.

Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 154. Tagebucheintrag vom 3.12.1903. ES Mr B.I.2. Heft 3. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 325. Mackenthum, Gesa, Andrea Nicolas und Stephanie Wodiainka: »Introduction«, in: Dies. (Hg.): Travel, Agency, and the Circulation of Knowledge, Münster/New York: Waxmann 2017, S. 736, hier S. 19. 329 Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto, S. 13.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Wertzuschreibung: Mythen als objektivierte Übersetzungen Zum Erzählen und Dolmetschen und mithin zur Textproduktion als Prozess der Objektivierung gehörte eine materielle, aber auch eine symbolische Wertzuschreibung. Der materielle Aspekt manifestierte sich darin, dass Erzähler ihre Narrative oft als Unterhaltungsform und gegen Bezahlung anboten, ihnen dadurch einen bestimmten Wert verliehen und sie versachlichten. Die symbolische Komponente kam hingegen zum Tragen, wenn die mündlichen Überlieferungen als Mythen oder Märchen, manchmal in Form von Anthologien – unter dem Namen des Ethnologen-Herausgebers – erschienen330 und Herausgeber, Verlagshäuser und nicht zuletzt das Lesepublikum ihnen dadurch einen bestimmten Wert als literarische Produkte verliehen. Diese Wertzuschreibung steht für ihre Versachlichung, was in materieller Hinsicht z.B. daran deutlich wird, dass die Indigenen sie gegen einen »kleinen Spiegel«331 oder Schnaps erzählten und dolmetschten. Dies kann, um mit Arjun Appadurai zu sprechen, als die »commodity situation in the social life of any ›thing‹« betrachtet werden.332 Hierbei handelt es sich um die Situation, in der die Austauschbarkeit der Dinge (Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft) gegen ein anderes Ding ihr gesellschaftlich relevantes Merkmal ist. Am Beispiel von mündlichen Überlieferungen lässt sich die Biografie einer Geschichte als textuelles Artefakt veranschaulichen. Die Analyse der Herkunft dieser Artefakte, der Art und Weise, wie sie innerhalb der ethnografischen Textproduktion erstellt wurden, und welche Zustände sie durchlaufen haben, welche Veränderungen in ihren Bedeutungen, ihrem Gebrauch und ihrer Funktion,333 ermöglichte erstmals eine Hervorhebung ihrer Bedeutung in Aktivitäten wie der Produktion von Wissen hervorzuheben. Ferner gehört zu Biografie von Artefakten ihre Verwandlung in Waren, also ihre Kommodifizierung oder Transformation durch Übersetzung.334 Die Tatsache, dass Erzählungen, wie viele andere Dinge während der Feldforschung auch, als Resultat des Austauschs und der Verhandlungen in sozialen Beziehungen einen Warenwert bekommen haben, illustriert z.B. die Textproduktion im Rahmen von Konrad Theodor Preuss’ Aufenthalt bei den Uitoto. Da

330 Vgl. Ehrenreich, Paul: Die Mythen und Legenden der Südamerikanischen Urvölker und ihre Beziehungen zu denen Nordamerikas und der Alten Welt, Berlin: A. Asher & Co. 1905; Ehrenreich, Paul: Die allgemeine Mythologie und ihre ethnologischen Grundlagen, Leipzig: J.C. Hinrichs 1910; Koch-Grünberg, Theodor: Südamerikanische Indianermärchen, Jena: Diederichs 1921. 331 Tagebucheintrag vom 24.11.1904. ES Mr B.I.2. Heft 8. 332 Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«, S. 13. 333 Kopytoff, Igor: »The Cultural Biography of Things: Commoditization as Process«, in: Appadurai, Arjun (Hg.): The Social Life of Things: Commodities in Cultural Perspective, Cambridge: Cambridge University Press 1986, S. 64-92, hier S. 66f. 334 Vgl. Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

er Schwierigkeiten bei seinen »Textaufnahmen« hatte, und zwar aufgrund des »abweichende[n] Verhalten[s] der Häuptlinge und des Erzählers Rosendo«, nutzte er die Anwesenheit von Autoritätspersonen – des Kommissars Bernardino Ramirez und des Kautschukhändlers Leonardo –, um ein Handelsgeschäft abzuschließen: »Das geschah nun in der Tat, indem mir Rosendo, Pedro und Sergio gegen eine bestimmte tägliche Bezahlung zur Arbeit überwiesen wurden, doch sollte das Geld merkwürdiger Weise nicht ihnen, sondern Leonardo seiner Zeit ausgehändigt werden«335 . In einem der von dieser Reise verbliebenen Hefte wird angegeben, wie viel Geld jede Person bekommen haben soll.336 Hier spielten darüber hinaus Vermittler bei der Wertzuschreibung der Erzählungen eine Rolle. Die Anwesenheit, Vermittlung und (bis zu einem gewissen Grad) die Kontrolle der oben genannten Autoritätspersonen sind Faktoren, die Hinweise darauf geben, wie die sozialen Beziehungen den Prozess bestimmten, durch die Erzählungen zu neuen Waren wurden, die aus indigener Arbeit während der Feldforschung entstanden sind. Kontrolle und Macht wurden im Zuge dessen auch dadurch ausgeübt, dass die Indigenen, Preuss zufolge, die Bezahlung nicht selbst erhielten, sondern das Geld, weil sie Schulden beim Besitzer einer benachbarten Hazienda hatten, letzterem direkt gegeben wurde.337 Die Versachlichung und Wertzuschreibung von Erzählungen steht hier erneut in einem direkten Zusammenhang mit dem lokalen Kontext der Feldforschung, also vor allem mit der durch die Kautschukgewinnung und Ausbeutung der indigenen Bevölkerung bestimmten soziopolitischen Lage in der Region. Dies zeigt, dass Waren nicht nur materiell produziert, sondern auch kulturell und sozial erzeugt werden. In Anlehnung an Igor Kopytoffs Ansatz lässt sich in dieser Untersuchung somit eine kulturwissenschaftliche Perspektive auf die Kommodifizierung der Dinge einnehmen.338 Die Versachlichung von Erzählungen als Resultat der Arbeit der Indigenen veranschaulicht, wie bestimmte Informationen von lokalen Akteuren selbst zu Waren gemacht worden sind, wenn auch als Resultat der Interaktion mit dem jeweiligen Ethnologen. Denn die Interaktionen während der Feldforschung förderten Situationen der Kommodifizierung von Informationen, die in der indigenen Gemeinschaft sonst einen anderen Wert hatten. Auf diese Weise lässt sich feststellen, dass mündliche Überlieferungen eine Art »commodities by metamorphosis«339 sind, denn sie waren Dinge, die ursprünglich für andere 335 Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto, S. 14. 336 Nachlass von Konrad Theodor Preuss, Ibero-Amerikanisches Institut. NKTP-IAI, Heft X Colombia. 337 »Wegen dieses Schuldverhältnisses waren die beiden Dörfer auch gehalten, für ihn [den Hazienda Besitzer Felix Silva] ab und zu Kautschuk sammeln zu gehen«. Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto, S. 14. 338 Vgl. Kopytoff: »The cultural biography of things«. 339 Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«, S. 16.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Zwecke bestimmt waren und erst im Zuge der Feldforschung zur Ware gemacht wurden. Wie die Wertzuschreibung auf einer symbolischen Ebene erfolgte, lässt sich darüber hinaus ebenfalls anhand des Austauschs zwischen indigenen Akteuren und Ethnologen beobachten. Dabei entstanden Äquivalente des ›Anderen‹ – wie »Wilde« oder »vollblutige Indianer« – als gemeinsamer Nenner bestimmter indigener Individuen (siehe Kapitel 1). Auch wurde die Figur des Ethnologen unter dem gemeinsamen Nenner des »Weißen« übersetzt. Äquivalente erscheinen hier als Erfindungen der Akteure des Austausches in ihrem Bestreben, das Fremde im Sinne des Eigenen zu erklären. Die Suche nach Äquivalenten ist charakteristisch für Prozesse der Bedeutungsbildung in der Geschichte der Beziehungen zwischen Ethnologen und Indigenen. Das Äquivalenzprinzip ist problematisch in der ethnologischen Forschung, denn es ermöglichte eine hegemoniale Übersetzung indigenen sprachlichen Materials in die Sprache der Ethnologen und damit eine Art Produktion textueller Artefakte, und zwar in Form von Sprachtabellen, übersetzten Erzählungen usw. In diesem Prozess verleiht das Wissensregime einer Übersetzung oder einer Äquivalenz Wert, wodurch Bedingungen der Ungleichheit (re)produziert werden können. Bezeichnungen wie ›Indianer‹ oder ›Weiße‹ sind Beispiele für anerkannte Äquivalente, die dazu dienten, bestimmte Menschen zu benennen. Sie wurden innerhalb des jeweiligen Wissensregimes – des eurozentrischen und desjenigen der Amazonasbevölkerung – legitimiert. Auf diese Weise wurde einerseits die Erforschung der ›Indianer‹ gerechtfertigt und andererseits die (teilweise) Ausgrenzung oder Isolation der indigenen Bevölkerung von den ›Weißen‹ begründet (Kapitel 1). Dieses Äquivalenzprinzip der Ethnologie kann analog zum problematischen Konzept der Äquivalenz in der linguistisch orientierten Translationswissenschaft begriffen werden, das auf der folgenden Annahme beruhte: »[t]ranslating consists in reproducing in the receptor language the closest natural equivalent of the sourcelanguage message, first in terms of meaning and secondly in terms of style«340 . Die Konstruktion von Identitäten durch allgemeine Benennungen wird auf diese Weise innerhalb der jeweiligen Wissensregime akzeptiert, in denen bestimmte Benennungen als Äquivalente allmählich einen sachlichen oder wahrheitsgemäßen Charakter gewinnen, sodass sie als natürliche Äquivalente angesehen werden. 340 Nida, Eugene Albert und Charles Russel Taber: The Theory and Practice of Translation, Leiden: E.J. Brill 1969, S. 12. Zit. n. Prunč, Erich: Entwicklungslinien der Translationswissenschaft: von den Asymmetrien der Sprachen zu den Asymmetrien der Macht, Berlin: Frank & Timme 2012, S. 105. Äquivalenz ist auch ein problematisches Konzept von Übersetzungstheorien, das bis in die 1980er Jahre hinein berücksichtigt aber mittlerweile verworfen wurde. Als die Übersetzungswissenschaft stark von linguistischen Ansätzen beeinflusst wurde, glaubte man, dass es bestimmte »Sprachuniversalien« gab, »die allen Sprachen gemeinsam sein sollen«. Mit Hilfe eines tertium comparationis wurde versucht, »Gleichheits- oder wenigstens Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Sprachsystemen herzustellen«. Ebd., S. 362.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Da sich wechselseitige Austauschformen zwischen Ethnologen und indigenen Individuen durch ein Äquivalenzprinzip auszeichneten, förderten sie mithin auch den Glauben an (Un)Übersetzbarkeit. (Un)Übersetzbarkeit in der Folge setzte die Wechselseitigkeit von Sinn-Werten (meaning-value) zwischen Sprachen und Kulturen voraus. In dieser Hinsicht hat Lydia Liu bereits auf die Notwendigkeit hingewiesen, Übersetzbarkeit als ein theoretisches und historisches Problem zu denken. Denn die Wechselseitigkeit von Sinn-Werten ist nicht vorgegeben, sondern wird produziert und in kulturellen Begegnungen verhandelt, die unter asymmetrischen materiellen Bedingungen stattfinden.341 Ein Fall von Übersetzbarkeit, der zeigt, wie eine Reziprozität von Sinn-Werten hergestellt wird, ist die Charakterisierung der indigenen mündlichen Erzählung mithilfe der Genrebezeichnung ›Mythos‹. Der ›Mythos‹ funktioniert in diesem Fall als eine Art universelle Äquivalenz; in Anlehnung zu Lydia Liu kann der Mythos als ein token342 betrachtet werden, das dazu dient, indigenen Erzählungen einen bestimmten Sinn-Wert zu geben. Somit ermöglicht die Zirkulation solcher Erzählungen von einem kulturellen System zum anderen durch Übersetzung und Veröffentlichung die Transformation eines Gegenstandes in einen Wert.343 Die Klassifizierung indigener Narrative als Mythen entspricht der Idee von globaler Übersetzbarkeit, die, Lydia Liu zufolge, in der für die moderne Welt charakteristischen Ordnung universalistischer Bestrebungen angesiedelt ist.344 Die Übersetzung von indigenen Namen bzw. Begriffen in westliche Bezeichnungen veranschaulicht im Folgenden, wie die symbolische Wertzuschreibung erfolgte. Als Koch-Grünberg in seiner Expedition zum Rio Negro einige Höhlen in Begleitung von Kobeua-Indigenen erkundete, erklärten ihm seine Begleiter, dass diese »Steinhäuser« von »›andere[n] Leute[n]‹, d[en] sagenhaften Kúaiua erbaut worden [sind]«.345 Koch-Grünbergs Reaktion auf diese Erklärung kann anhand seines Tagebuchseintrages nachvollzogen werden: Meinen Indianern, die mich danach fragen, erkläre ich, dass nicht Menschen (»mira), sondern Hemanihike, ihr »tupána«, diese »Steinhäuser« errichtet habe, was ihnen auch sehr einleuchtet, denn sie erzählen meine Erklärungen auf der Rückreise in jede Maloka, wo wir Aufenthalt nahmen.346 Für seine Erklärung bedient sich der Ethnologe hier der Figur des Hemänihike, oder Hömänihikö (wie diese Bezeichnung in der Publikation verschriftlicht wurde). Diese übersetzt er als »tupána«, die Kobeua-Bezeichnung für den Gott der 341 342 343 344 345 346

Liu (Hg.): Tokens of Exchange, S. 14. Ebd., S. 4. Ebd., S. 24. Ebd., S. 15. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 142. Tagebucheintrag vom 29.11.1904. ES Mr. B.I.2.

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›Weißen‹. Da für Koch-Grünberg diese Höhlen keine »Steinhäuser« waren und sie höchstwahrscheinlich nicht von Menschen gebaut worden waren, versuchte er, den Glauben seiner Gesprächspartner mit dieser Übersetzung (Hömänihikö = tupána = Gott) zu ›korrigieren‹ bzw. ihnen eine (alternative) Erklärung zu liefern. Die Tatsache, dass seine Erklärung an andere Menschen weitergegeben wurde, lässt erahnen, dass sie zumindest auf einige Individuen einen gewissen Einfluss gehabt haben könnte und zumindest temporär zur Veränderung der Bedeutung und Geschichte der Steinhäuser bei den Indigenen beigetragen hat. Koch-Grünbergs Übersetzung zeigt, dass die Wertzuschreibung von Erzählungen oder anderen Informationen und Dingen auf einem Prinzip der Übersetzbarkeit basiert. Hier entlehne ich Jan Assmanns »Prinzip der Übersetzbarkeit der Götternamen«, das – in Assmanns Worten – dazu diente, »den primitiven Ethnozentrismus der Stammesreligionen zu überwinden und die Kulturen zueinander in Beziehung zu setzen und transparent zu machen«.347 Dieses Prinzip der Übersetzung lässt sich in gewisser Hinsicht auf die Kulturübersetzung im Falle der ethnografischen Forschung anwenden. Es galt nicht nur für Ethnologen, sondern auch für Indigene, so zum Beispiel, wenn sie äquivalente Entsprechungen zwischen ihren und den brasilianischen bzw. christlichen Figuren fanden. Karl von den Steinen war erstaunt über die Verwirrung in den »Legenden«, die ihm der Kapitän Caetano auf der ersten Xingú-Expedition erzählte. Caetano übersetzte die Figur Keris348 – »Kulturheroe« oder »Stammvater« der Bakaïrí – als Kaiser, »Imperador der Sonnengott der Indianer«349 , nämlich als den damaligen Kaiser Brasiliens Pedro II.350 Caetanos Verwirrung führte von den Steinen auf den Einfluss der Missionare zurück.351 Solche Übersetzungen, die unter dem Einfluss unterschiedlicher Akteure entstanden sind, können als gemeinsame Sinngebungsversuche verstanden werden. Das Prinzip der Übersetzbarkeit galt also für indigene Gemeinschaften, die für ihre historischen Figuren äquivalente Entsprechungen fanden. Somit schufen sie eine Beziehung zu den anderen Kulturen – im Fall Caetanos zur brasilianischen 347 Assmann, Jan: Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München: Hanser 2003, S. 33. 348 »Antonio hielt sich an den Text der Sage, wie er ihn von seiner Mutter gelernt habe. Allein in andere[m] Zusammenhang gab er an, Keri wohne im Himmel, sein Haus sei dort, wo die Sonne aufgehe. ›Ist Keri denn ,Gott‹ (Deus), von dem Euch die Portugiesen gesprochen haben?‹ ›Nein, das ist ein Anderer, von dem wir Nichts wissen. Keri ist der Grossvater der Bakaïrí‹«. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 380. 349 Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 282. 350 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 380. 351 »Neben dem Reiche des Lichts, in dem der Himmel, Sonne, Mond und der bunte Jaguar auftreten, gibt es Repräsentanten der Finsternis. Hier erscheint als Aeltester Semino, die Fledermaus, und sein Weib Evaki, über deren Aeltern nichts zu erfahren ist. Evaki, belehrt uns Caetano, sei Eva! Man sieht, die frommen Väter haben sich keinen Vortheil entgehen lassen«. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 282.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

und christlichen. In Ethnografien blieben die Erklärungen der indigenen Erzähler aufbewahrt und historische Figuren wurden darin oft als Götter übersetzt, weil sie in Textsorten wie Mythen eingeordnet wurden. Diese Klassifizierung gründet in den übernatürlichen und schöpferischen Taten, die solche Figuren in westlichen Begriffen als Götter erscheinen lassen, auch wenn sie von den Indigenen als menschlich oder mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet beschrieben werden. Denn wenn sie tatsächlich zu übernatürlichen Handlungen fähig wären und die Macht hätten, die Natur und den Rest der Menschen zu erschaffen und zu verwandeln, müssten sie nach westlicher Vorstellung Götter oder auch Dämonen sein. Dieser Prozess der Wertzuschreibung erfolgte mithin nach einem Prinzip der Übersetzbarkeit, das auf der Präsenz von Äquivalenten beruht, deren Existenz als vorgegeben galt und damit eben nicht als etwas Konstruiertes. Ein Beispiel für Äquivalente in ethnografischen Texten sind die Kategorien Märchen, Legenden, Sagen oder Mythen, die dazu dienten, mündliche indigene Überlieferungen im eurozentrischen Diskurs zu verorten. Mit der Übersetzung von mündlichen indigenen Überlieferungen – z.B. über den Ursprung der Menschheit oder über vergangene Heldentaten – in die Kategorie ›Mythos‹ wurden diesen Quellen historischer Wert abgesprochen.352 Folglich werden sie den Lesern als Fiktion präsentiert. Hier stehen diese europäischen Gattungen als Äquivalente, die einen vermeintlichen wechselseitigen interkulturellen Austausch ermöglichen. Diese Klassifizierungen sind als ein Akt der Übersetzung zu verstehen, der zur Naturalisierung der Verständlichkeit zwischen Sprachen und Kulturen beitragen sollte. Diese »universalist translations«, um mit Lydia Liu zu sprechen, »have produced ›cultural difference‹ on the world map as an already translated fact and pretend to speak for that difference in a universalizing idiom«353 . Als Konsequenz bestimmte eine Sprach-Kultur durch die Übersetzungstätigkeit des Ethnologen eine andere. Mithin zeichnen sich die symbolischen und materiellen Resultate des Austauschs, wie z.B. ›Märchensammlungen‹, durch Machtasymmetrien aus. Wie die Wertzuschreibung durch universalistische Übersetzungen sowohl während der Interaktion zwischen Ethnologen und Indigenen als auch während der Bearbeitung von Texten nach der Feldforschung möglicherweise erfolgte, lässt sich anhand von Pauäkös Erzählung über Hömänihikö weiter veranschaulichen. Während Koch-Grünberg in seinem Tagebuch Pauäkös Erzählung als »Märchen« und »Legende«354 bewertete, veröffentlichte er sie im zweiten Band seiner ersten Monografie als den Mythos Hömänihikös, »de[s] Ahnherrn der Kobeua«. Dabei

352 In Anlehnung an Frank Salomon, »[u]nfortunately for readers of most ethnographies, setting myth in a class by itself tends to obscure its historic matrix«. Salomon: »Testimonies: The Making and Reading of Native South American Historical Sources«, S. 62. 353 Liu (Hg.): Tokens of Exchange, S. 19. 354 Tagebucheintrag vom 24.11.1904. ES Mr B.I.2. Heft 8.

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gibt der Ethnologe nur vereinzelt Hinweise über die Art und Weise, wie der Text entstanden ist, und präsentiert sich bescheiden als derjenige, der »d[ie] ganze umständliche Redeweise des Erzählers«355 wiedergibt: Hömänihikös Mutter ging mit Hömänihikö schwanger. Sie hatte eine Fischreuse aus Sipo verfertigt. Als sie sie in den Fluß legen wollte, stürzte sie damit vom hohen Ufer herab in das Wasser, geriet in die Reuse und ertrank. Von dem Geruch des faulenden Leichnams angelockt, kam der Urubutinga (Aasgeier) und zerhackte den Bauch der Toten. Da kroch Hömänihikö lebend hervor. Er setzte sich, mit Kangatära, Aufstecker aus weißen Reiherfedern, Affenhaarstricken usw. schon vollständig zum Tanz geschmückt, auf den Hals des Urubutinga und flog mit ihm durch den Wald bis zur Capoeira des Hauses seines Vaters, wo sie gegen Abend ankamen. Dort ließ er sich in Gestalt einer Eule auf einem stehengebliebenen Hauspfosten nieder. Der Urubutinga aber flog weiter in seine Wohnung. Hömänihikös Großmutter lag in der Gestalt einer großen Yararäca in der Capoeira zusammengerollt unter dürren Ambaüvablättern. Hömänihikö blies sie durch ein Blasrohr mit Tabakrauch an, bis sie einschlief und früh am anderen Morgen als Mensch erwachte.356 Pauäkös mündliche Überlieferung ist exemplarisch für die Wertzuschreibung, die solche Informationen durch die Ethnologen insofern erfuhren, als sie im ethnografischen Text als Mythos vorgestellt wurden. Hier erfolgte eine Art symbolischer Wertzuschreibung, die eine mündlicher Überlieferung von Indigenen in das Korsett der europäischen Gattungsbegriffe Märchen, Legende, Sage und Mythos zwängte; Kategorien, zwischen denen in den Texten der Ethnologen keine klare Trennung zu erkennen ist.357 Dieser Prozess ist eng verbunden mit dem der Sinngebung (signification) und der Substitution von ›Äquivalenten‹. Er erfolgte im Austausch von Informationen durch Erzählen, Selbstdolmetschen und Übersetzen und vervollständigte sich durch die Verschriftlichung, Übersetzung und Veröffentlichung der Texte durch die Ethnologen. Bereits während der Aufnahme von mündlichen Überlieferungen waren die Ethnologen mit der Schwierigkeit konfrontiert, diese zu klassifizieren. Die Zuschreibungen zu den Begriffen Sage, Legende oder Märchen dienten als angemessene Äquivalente, durch die es den Ethnologen möglich wurde, die mündlichen Überlieferungen der Indigenen in das eurozentrische Gattungssystem einzuordnen.

355 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 159. 356 Ebd., S. 159ff. 357 Karl von den Steinen bezeichnete die mündliche Überlieferung hauptsächlich als »Märchen«, selten als Mythen; Fritz Krause schrieb über Sagen; Max Schmidt bezeichnete sie als Erzählungen, selten als Mythen; Koch-Grünberg bewertete sie als Legenden, Erzählungen, Märchen und Mythen. Konrad Theodor Preuss bezeichnete sie als Erzählungen und Mythen.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Wir sagen, der Eingeborene anthropomorphisiert in seinen »Märchen«, er lässt die Tiere reden und handeln wie Menschen. Das ist von unserm Standpunkt aus richtig, aber wenn wir glauben wollten, er statte die Tiere nur zu dem Zweck, eine hübsche Geschichte zu erzählen, mit menschlichen Eigenschaften aus, so wäre das ein gewaltiges Missverstehen, es hiesse nicht mehr und nicht weniger, als ihm all sein Glauben und Wissen wegdisputieren.358 Am Beispiel von Karl von den Steinens Bewertung der mündlichen Überlieferungen der Bakaïrí-Indigenen im Xingú Gebiet kann nachvollzogen werden, warum diese als Legenden oder Märchen eingestuft wurden und nicht von vornherein als Mythen. Zuallererst signalisierte der ständige Anthropomorphismus – d.h. die Zuordnung menschlicher Merkmale und Eigenschaften zu Tieren, aber auch zu Gegenständen oder Naturphänomenen – in den indigenen Überlieferungen, dass die Ethnologen es mit Texten zu tun hatten, die unter den Kategorien Tiermärchen oder Tierfabeln erfasst werden konnten, in denen »Tierprotagonisten konstitutiv sind«359 . Den ständigen Anthropomorphismus und das Verhältnis zwischen Mensch und Tier sowie zwischen den Spezies in der Fauna selbst interpretierte von den Steinen als eine Art begriffliche Abgrenzung, die nach der Auffassung des Ethnologen schwierig zu erfassen war. Die Einordnung der indigenen Erzählungen in die Kategorie ›Märchen‹ entsprach den Äquivalenten, mit denen die Ethnologen damals operierten. Allerdings schien es einige Vorbehalte hinsichtlich dieser Klassifizierung zu geben, weshalb von den Steinen das Wort Märchen oft in Anführungszeichen setzte und eine kritische Stellung dazu einzunehmen schien.360 »Es war einmal«, (das stets wiederkehrende paá der Tupilegenden) ist auch die Signatur der Indianer- »Märchen«. Der weitaus grösste Teil der Legenden will die Entstehung von irgend etwas erklären, es handelt sich also stets um Vorgänge in alter Zeit, und da sie nun immer nur dadurch zu erklären sind, dass etwas Besonderes geschehen ist, so musste sich aus alledem die Anschauung festsetzen, dass es einmal eine Zeit gegeben hat, wo das Aussergewöhnliche Regel war.361 Von den Steinens Erklärung der Bedeutung der »Indianer-›Märchen‹« lässt uns weiter erkennen, warum ›Märchen‹ als äquivalente Kategorie für indigene münd358 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 351. 359 Brednich, Rolf Wilhelm u.a. (Hg.): Enzyklopädie des Märchens, Bd. 13, Berlin/New York: De Gruyter 2010, S. 540ff. 360 »Seine Sagen und Legenden, die uns als reine Märchen und Tierfabeln erscheinen, und die er genau so ernst nimmt wie wir die heiligen Bücher und ihre Lehren, in denen er sich auch Menschen und Tiere vermischen lässt, müssten ihm selbst nur scherzhafte Spielereien sein, wenn er seine Person aus anderm Stoff geformt wusste als die übrigen Geschöpfe. Wir können diese Menschen nur verstehen, wenn wir sie als das Erzeugnis des Jägertums betrachten«. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 201. 361 Ebd., S. 356.

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liche Überlieferung verwendet wurde. Von von den Steinens Übersetzung von paá in »es war einmal« als »Signatur der Indianer-›Märchen‹« verleiht indigenen Erzählungen einen »stereotypen Einleitungssatz«, der als »Strukturelement« funktioniert und die Erzählung unmittelbar als Märchen erkennbar macht.362 Dabei ließ er jedoch die Übersetzung derselben Partikel in den Märchen des brasilianischen Wissenschaftlers João Barbosa Rodrigues unbeachtet, die er auch als Referenz für seine Märcheninterpretation zitierte.363 Rodrigues übersetzte die Partikel paá ins Portugiesische als contam oder dizem,364 zu Deutsch es wird erzählt bzw. man sagt. Morphologische Marker von Evidentialität, wie paá, sind charakteristisch für indigene Sprachen und kommen insbesondere in Erzählungen oft vor. Die Partikel paá versteht sich als ein Marker von Evidentialität, dessen Funktion es ist, die Herkunft der angebotenen Informationen anzugeben, d.h., ob es sich um Informationen aus erster Hand handelt, ob sie mitgeteilt wurden etc.365 Der Marker paá weist in den Erzählungen auf den Charakter derselben als Überlieferungen – die von Generation zu Generation weitergegeben werden – hin und gibt direkte oder indirekte Belege für die Wahrhaftigkeit des Erzählten. Diese interlinguale Übersetzung dient hier als exemplarisches Beispiel, um Kulturübersetzungsprozesse konkret auf einer Mikroebene zu beleuchten. Sie ermöglicht es, einen genaueren Einblick in die semantischen Sinnzuschreibungen, die in interkulturellen Begegnungen erfolgten, zu erhalten.

Kollaboratives Übersetzen Der Fokus auf Beziehungen und Interaktionen während der ethnologischen Feldforschung impliziert eine Aufschlüsselung der verschiedenen Rollen der im Prozess der ethnologischen Textproduktion beteiligten Akteure. Die Figur des Ethnologen beispielsweise als Kulturübersetzer lässt sich analog zur traditionellen und populären Figur des Autors und des Übersetzers vergleichen, die auf den ersten Blick die Tätigkeit eines einzelnen Menschen zu realisieren schienen. Ein Augenmerk auf die Bedingungen, unter denen der Übersetzungsprozess eines Textes erfolgten, ermöglicht eine Dekonstruktion dieses »Myth of Singularity«366 des Ethnologen-

362 Rommel, Thomas: Grundbegriffe der Literatur, Berlin: Lit-Verlag 2012, S. 86. 363 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 357. 364 Vgl. Rodrigues, João Barbosa : Poranduba Amazonense, ou kochiyma-uara Porandub. 1872-1887, Rio de Janeiro: Typ. de G. Leuzinger & Filhos 1890. 365 Aikhenwald, Alexandra Y. und R.M.W. Dixon: »Evidentials and Areal Typology: A Case Study from Amazonia«, in: Language Sciences 20/3 (1998), S. 241-257, hier S. 244f. Vgl. auch Aikhenwald, Alexandra Y.: Evidentiality, Oxford: Oxford University Press 2004. 366 Cordingley, Anthony und Céline Frigau Manning: »What Is Collaborative Translation?«, in: Dies. (Hg.) Collaborative Translation. From the Renaissance to the Digital Age, London/New York: Bloomsbury 2017, S. 1-30, hier S. 4ff

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Autors oder des Übersetzers. Ihre Tätigkeiten entpuppen sich in der Folge als eine Zusammensetzung aus unterschiedlichen Mitteln, Prozessen und Akteuren, die zeigen, dass Kulturübersetzung oft eine kollaborative Praxis ist. Wie bereits oben ausgeführt, waren im spezifischen Fall der ethnologischen Kulturübersetzung Mittel, wie die Übersetzung von Texten durch Relaissprachen und die Verwendung textueller Artefakten; Prozesse wie die interlineare, Relaissübersetzung oder das Dolmetschen; und Akteure, wie Vermittler und Dolmetscher unerlässlich. Die Zusammensetzung dieser Faktoren in einem Akt kollaborativer Übersetzung wird im Folgenden am Beispiel der Textproduktion während der ethnologischen Forschung exemplarisch illustriert. Auf der Roraima-Expedition transkribierte Koch-Grünberg mündliche Überlieferungen, die ihm seine Begleiter Mayuluaipu und Akuli erzählten. Mayuluaipu erzählte in Taulipáng und Akuli in Arekuna, ihre jeweiligen Muttersprachen. Da Akuli weder Portugiesisch noch Spanisch konnte, diente Mayuluaipu als Dolmetscher, denn er konnte Portugiesisch.367 Die Produktion dieser Texte zeigt, dass Koch-Grünberg nicht nur abhängig von anderen Akteuren war, um seine empirische Forschung durchführen zu können; sie beeinflussten – wie der ErzählerDolmetscher Pauäkö im vorherigen Abschnitt – darüber hinaus auch seine Textproduktion, inklusive seiner Übersetzungen, und nahmen dabei an der Konstruktion von Bedeutungen teil.368 Die Zusammenarbeit zwischen indigenen Akteuren und Ethnologen wird in dieser Studie als kollaboratives Übersetzen konzeptualisiert. Sie macht eine eigenartige Praktik der ethnologischen Forschung deutlich, die in Expeditionen anderer deutscher Amazonasethnologen ebenfalls zum Tragen kam. In diesem Kontext ist unbedingt zu berücksichtigen, aus welchen Gründen eine Beziehung zwischen Ethnologen und Erzähler-Dolmetschern entstanden ist und wie diese zur Textproduktion führte. Die Beziehung zwischen ErzählerDolmetscher und Ethnologen war zunächst einmal von materiellem Austausch gekennzeichnet, der nicht unbedingt mit den Tätigkeiten des Erzählens und Dolmetschens zu tun hatte. Es wurden nämlich mehrere Dienste (Kochen, Jagen, Rudern, Tragen usw.) im Austausch gegen eine materielle Belohnung im Voraus vereinbart. Die bereits erwähnten latenten Vorurteile darüber, was den ›echten Indianer‹ ausmacht, sollten auch diese Beziehung bestimmen. Insbesondere in Mayuluaipu sah Koch-Grünberg die Verkörperung des ›echten Indianers‹, er war »in seinem ganzen Denken und in seinen Anschauungen ein echter Indianer 367 Nach seiner Rückkehr nach Deutschland veröffentlichte Koch-Grünberg 54 »Mythen und Legenden«, davon 11 mit Interlinearübersetzung im zweiten der fünf Bände seines Werkes Von Roroíma zum Orinoco (1917-1928; Band vier erschien posthum 1928). 368 An die Mitwirkung von Dolmetschern als nicht neutrale Akteure erinnert Claudia Angelelli am Beispiel des Dolmetschens in unterschiedlichen Settings. Angelelli: Revisiting the Interpreter’s Role, S. 18.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

geblieben, was während der Reise öfters stark zum Ausdruck kam. Vom Christentum war er ganz unbeeinflußt«.369 Akuli war ein Pajé-Lehrling, auch von Koch-Grünberg »Herr Doktor« genannt, mit »Schauspielertalent« und »Erzählerkunst«370 . Dennoch war ihre Beziehung nicht frei von Konflikten. Besonders während des erzwungenen Aufenthaltes im »Geduld-Lager« hatte Koch-Grünberg Schwierigkeiten, seine Reisebegleiter zu überreden, ihn nicht zu verlassen. Während dieses Aufenthaltes wurde die Mehrheit der Texte verfasst. Über die Textproduktion berichtet Koch-Grünberg im dritten Band seiner Monografie: In müßigen Stunden habe ich diese Mythen und Legenden aufgezeichnet, am Lagerfeuer, während der Fahrt im schwankenden Kahn, wenn wir auf ruhigen Flußstrecken die Zelttücher als Segel benutzten, auf den von brausenden Wogen umspülten Felsen der Katarakte, unter den rauschenden Wipfeln der Urwaldbäume.371 Die »müßigen Stunden« verbrachten Koch-Grünberg, Mayuluaipu und Akuli zusammen mit anderen Reisebegleitern an einem Ort, den der Ethnologe »GeduldLager« taufte; dort mussten sie auf neue Boote warten und verbrachten etwa einen Monat: »Jeden Tag diktiert er [Mayuluaipu] mir Taulipáng-Texte, Märchen und Zaubersprüche, und wir übersetzen sie zusammen Wort für Wort ins Portugiesische. So vertiefe ich mich immer mehr in diese reiche Sprache und erhalte in anstrengender Arbeit ein wertvolles Material«372 . Mithilfe der Notizen in KochGrünbergs Tagebüchern lässt sich der Prozess der Textproduktion vervollständigen. So erwähnt er in seinem Tagebuch, dass die Erzählungen meistens auf »fliegende Blätter«373 geschrieben und dann erst am Abend in die Hefte kopiert wurden. Als Akuli Geschichten in Arekuna erzählte, war Mayuluaipu als Dolmetscher dabei. Am 4. Februar 1912 schrieb Koch-Grünberg in sein Tagebuch: »Mayuluaipu diktiert mir inzwischen die beiden hübschen Märchen vom »Feuer und Jaguar« und »Blitz und Jaguar« im Urtext mit genauer Interlinearübersetzung. Es geht sehr flott, zumal ich die Märchen schon kenne und in Deutsch aufgezeichnet habe«374 . Mayuluaipu erzählte zuerst in Portugiesisch, danach erzählte er die gleichen Geschichten auf Taulipáng und im Anschluss daran erstellte Koch-Grünberg zusammen mit Mayuluaipu die Interlinearübersetzung. Überdies schien die Relaissprache, also Portugiesisch, redundant zu sein und wurde daher in den Inter369 Koch-Grünberg, Theodor: Vom Roroima zum Orinoco: Ergebnisse einer Reise in Nordbrasilien und Venezuela in den Jahren 1911-1913, Mythen und Legenden der Taulipáng- und Arekuná-Indianer, Bd. 2, 2. Aufl., Stuttgart: Strecker & Schröder 1924, S. V. Hervorhebung im Original. 370 Ebd. 371 Ebd. 372 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 210. 373 Tagebucheintrag vom 16.12.1911. ES Mr B.I.3. Heft 6. 374 Tagebucheintrag vom 4.2.1912. ES Mr B.I.3. Heft 7.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

linearübersetzungen weggelassen. Dies entspricht – wie bereits erwähnt – keineswegs einer negativen Beurteilung von Relaissprachen seitens des EthnologenÜbersetzers. Obwohl die portugiesischen Versionen nicht in die Publikation miteinbezogen wurden, werden die Texte als »[w]örtliche Übersetzungen der freien portugiesischen Übertragung«375 präsentiert, wie Koch-Grünberg in einer Fußnote seiner Übersetzung darlegt. Diese »freie portugiesische Übertragung« wurde offensichtlich bei jeder Erzählung von Mayuluaipu und bei seinen Übersetzungen von Akulis Erzählungen angewandt. Es ist daher festzustellen, dass Relaisübersetzungen, zumindest in der ethnologischen Feldforschung, ein wesentlicher Bestandteil des kollaborativen Übersetzens waren.376 Daraus lässt sich der Widerspruch erkennen, dass die Relaissprache eigentlich die Genauigkeit der Übersetzung ins Deutsche gewissermaßen legitimieren sollte. Dennoch wurden die Relaissprachen in den Publikationen oft weggelassen, lediglich in Koch-Grünbergs Nachlass befinden sich Notizen in Portugiesisch, bei denen es sich um die Transkriptionen der Erzählungen Mayuluaipus und Akulis handelt. Mayuluaipus Übersetzungen sind in zahlreichen Anmerkungen von KochGrünberg belegt, so z.B. in Fußnoten, wo er die jeweilige Übersetzung mit »wie der Übersetzer es ausdrückte« erklärt. An diesem Beispiel wird deutlich, wie indigene Akteure an der Konstruktion von Bedeutung mitwirkten. Koch-Grünbergs Übersetzungsstrategie basierte darauf, die Authentizität der Texte mittels der Präsenz der Erzähler-Dolmetscher hervorzuheben, während er sich gleichzeitig in gewisser Weise von den Übersetzungen distanzierte. Er beurteilt beispielsweise Mayuluaipus Übersetzungen oft als »sehr freie Übersetzungen«, die nur »den Sinn« wiedergeben377 und verweist mehrmals auf die Unmöglichkeit genauer grammatikalischer Übersetzungen378 . Dagegen präsentiert Koch-Grünberg seine eigenen Übersetzungen ins Deutsche, die ja von den freien Übertragungen ins Portugiesische ausgehen, immer als »wörtlich«, d.h. genauer. Indem Mayuluaipus Übersetzungen und Erklärungen oft mit Adjektiven wie »angeblich«, »ungenau«, »zweifelhaft« oder einfach mit der Unmöglichkeit, genauere Übersetzungen zu erhalten, beschrieben werden379 , distanziert sich Koch-Grünberg nicht nur von

375 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Mythen und Legenden, S. 114. 376 Umgekehrt wird im Bereich literarisches Übersetzen, in dem Übersetzer auf indirekte oder Relaissübersetzung angewiesen sind, kollaboratives Übersetzen als Strategie angewandt. Vgl. Ivaska, Laura und Outi Paloposki: »Attitudes towards indirect translation in Finland and translators’ strategies: Compilative and collaborative translation«, in: Translation Studies 11/1 (2018), S. 33-46. 377 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Mythen und Legenden, S. 122. 378 »Alle Worte, die Pia’ma und seine Leute in den Sagen sprechen, gehören angeblich der Ingarikó-Sprache an und konnten von meinen Erzählern nicht genau übersetzt werden«. Ebd., S. 8. 379 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Mythen und Legenden. S. 185, 192, 197, 215, 224, 226.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

der eigenen (gemeinsamen) Übersetzungsarbeit und macht dadurch seine wissenschaftliche Objektivität deutlich. Vielmehr impliziert dies auch, dass Mayuluaipus Übersetzungen, obwohl wesentlich für Koch-Grünbergs Forschung, vielleicht mangelhaft waren. Auf diese Weise manifestieren sich zwei verschiedene Auffassungen von Übersetzung. Während Mayuluaipus Übersetzungen den Schwerpunkt auf den Sinn und die Bedeutungen der Erzählungen setzten, verfolgte Koch-Grünberg das Ziel, möglichst grammatikalisch genaue Übersetzungen zu bekommen. Seine Auffassung von Übersetzung ist höchst ambivalent. Einerseits ist offensichtlich, dass der Ethnologe von einem ›Urtext‹ ausgeht, nämlich von einem Original, dessen Vergänglichkeit, weil mündlich überliefert, paradoxerweise seine Ursprünglichkeit nicht in Frage stellt. Diese wird eher durch die Authentizität des Erzählers bestätigt – in diesem Fall Mayuluaipu. Denn obwohl Mayuluaipu unter Weißen gelebt und dabei Portugiesisch gelernt hatte, war er laut Koch-Grünberg »aber in seinem ganzen Denken und in seinen Anschauungen ein echter Indianer geblieben«380 . Die Interlinearübersetzungen dienten in dieser Hinsicht zur Bestätigung der Existenz und Authentizität eines Originals, obwohl dieses nur durch die Vermittlung einer anderen Sprache zugänglich wurde. Dabei ist der Glaube an eine getreue Übertragung von Inhalten ungeachtet der Sprachen, in denen diese vermittelt wurden, von Bedeutung. Andererseits bezeichnete der Ethnologe die »portugiesische Erzählung«, d.h. den Ausgangstext, in dem die Geschichte überhaupt erzählt wurde, als »unentbehrlich für ein besseres Verständnis der Texte«, da sie »ausführlicher ist und auf Einzelheiten eingeht«381 . Somit wird die Notwendigkeit einer Relaissprache belegt und sogar positiv bewertet. Die Präsenz einer dritten Instanz, sei es eine Relaissprache, sei es ein Dolmetscher, erscheint erneut als legitim und trägt in diesem Fall zur Authentizität des Textes bei. Die latente Ambivalenz des Originals, das immer als vermitteltes Element auftritt, scheint charakteristisch für die ethnologischen Texte der Zeit zu sein und kommt in anderen, bereits behandelten Aspekten des ethnologischen Diskurses vor, wie z.B. in dem Glauben an unberührte ›Indianer‹, auch wenn diese seit langem in Kontakt mit der ›weißen‹ Bevölkerung waren. Mit dieser Realität waren Ethnologen schon vertraut und passten sie demzufolge an ihre Erklärungen an. So erklärte Max Schmidt beispielsweise, dass »sich Mythen der Natur der Sache nach doch nur von solchen Individuen aufnehmen lassen, die der europäisierten Kultur so nahe getreten sind, dass eine eingehende Verständigung mit ihnen möglich ist«382 . Den Ethnologen war bewusst, dass sie auf dritte Entitäten angewiesen waren und sie sahen in der Folge deren Präsenz nicht als Störung, sondern als legitim.

380 Ebd., S. V. 381 Ebd. 382 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 329.

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Anders hätten sie auch die unterschiedliche Erzählweise und die verschiedenen Bedeutungen von mündlichen Überlieferungen nicht erklären können, denn diese änderten sich je nach Sprecher, wie Karl von den Steinen zu den unterschiedlichen Varianten einer Erzählung im Folgenden anmerkt: »Der Häuptling Felipe machte mir eine andere Angabe. […] Antonio hielt sich an den Text der Sage, wie er ihn von seiner Mutter gelernt habe«383 . Ein weiteres Beispiel für kollaboratives Übersetzen kann anhand der Liste von Sätzen veranschaulicht werden, die Bestandteil der sprachlichen Materialien waren, die für gewöhnlich am Ende der Monografien erschienen384 . Sie bilden eine Art inszenierter Rede oder Dialog zwischen Ethnologen und Indigenen, welche die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren deutlich macht. Im posthum erschienenen vierten Band von Koch-Grünbergs Werk Vom Roroima zum Orinoco befindet sich Mayuluaipus »Schilderung der Reise von Koimélemong bis zum Paciencia-Lager«.385 In dieser Schilderung wurde Mayuluaipus Erzählung in 139 Sätzen in seiner Muttersprache wiedergegeben, mit interlinearen Übersetzungen ins Deutsche und erklärenden Fußnoten.386 Auch wenn es sich hier um einen von Koch-Grünberg erstellten und übersetzten Text handelt, ist dennoch anzunehmen, dass die Sätze von Mayuluaipu ausgesprochen wurden. Somit hat der Ethnologe die Stimme seines Gesprächspartners in die ethnografischen Materialien miteinbezogen. Daraus lässt sich erneut die Erkenntnis bestätigen, dass im Falle der ethnografischen Arbeit die Präsenz mehrerer Stimmen, die sich gegenseitig beeinflussen, zur Kulturübersetzung gehört387 . Dass die Produkte der ethnografischen Arbeit – wie im Falle der textuellen Artefakte – das Resultat gemeinsamer Arbeit von Ethnologen und lokalen Akteuren sind, erkannten beispielsweise Dennis Tedlock und Bruce Mannheim, Vertreter der dialogic anthropology, wenn sie die ethnografische Produktion als dialogische Praxis auffassen.388 Nun zeichnen sich aber der dialogische Charakter und damit die gemeinsame Produktion während der kulturellen Begegnung innerhalb ethnologischer Feldforschungen bisher in der kulturwissenschaftlichen Diskussion um Kulturübersetzung durch Abwesenheit aus. In translationswissenschaftlichen Arbeiten, wird dagegen der dialogische Charak-

Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 380. Vgl. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 283ff. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Sprachen, S. 189ff. Die Produktion von Mayuluaipus Reiseschilderung lässt sich schwer rekonstruieren, da der Text posthum erschienen ist. Die vorhandenen Manuskripte und Versionen dieses Textes in Koch-Grünbergs Nachlass geben leider keine weiteren relevanten Hinweise darüber. Siehe ES Mr C.II.8 Wörterlisten/Sprachliches Material. 387 Sato-Rossberg, Nana: »Conflict and dialogue: Bronisław Piłsudski’s ethnography and translation of Ainu oral narratives«, in: Translation Studies 5/1 (2012), S. 48-63, hier S. 50. 388 Vgl. Tedlock, Dennis und Bruce Mannheim (Hg.): The Dialogic Emergence of Culture. 383 384 385 386

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ter der Dolmetschpraxis, spezifisch im Feld des Kommunaldolmetschens, längst anerkannt und erforscht.389 Wie die Stimme anderer Akteure in den ethnografischen Text auch eingebracht wurde, zeigen die sprachlichen Materialien zur Guató-Sprache in Max Schmidts Monografie. Zusammen mit der Guató Dolmetscherin Rosa erstellte er eine Art Dialog zwischen ihr und Schmidt. Rosa bildet bei den deutschen Expeditionen eine Ausnahme als einzige Frau, die als Vermittlerin agierte. Sie begleitete – zusammen mit ihrer zwölfjährigen Tochter und ihrem fünfjährigen Sohn – Schmidt für etwa einen Monat und agierte als Vermittlerin, da sie die Gegend kannte. Ihre Aufgabe bestand hauptsächlich darin, zu dolmetschen und den Kontakt zu einigen GuatóIndigenen zu ermöglichen. Ihrer Wichtigkeit für diesen Teil der Reise war Schmidt sehr wohl bewusst und so reflektierte er in seiner Monografie darüber: »Nur dadurch, dass wir die Guató-Indianerin bei uns hatten, gelang es uns noch, in tiefster Finsternis zwischen den vielen Wasserpflanzen die Einfahrt in den Wasserarm zu finden, an dem Figueira, die erste Guató-Ansiedlung, liegt«390 . Rosas kurze Geschichte als Vermittlerin und Dolmetscherin steht exemplarisch für mehrere Fälle in der Geschichte der interkulturellen Begegnung in der Amazonasregion, in denen Dolmetscherinnen wesentliche Akteure waren, auch wenn sie keine relevante Stelle in den Texten gewannen.391 Als Sprecherin des Guató und des Portugiesischen spielte Rosa eine wesentliche Rolle bei der Erstellung eines Guató-Vokabulars.392 Auch wenn es sich bei Sprachaufnahmen zweifelsohne ebenfalls um hegemoniale Quellen handelt, in denen mündliche Sprachen verschriftlicht, übersetzt und eine Art »intellektuelle Ware« wurden393 , sind dabei dennoch einige Aspekte zu beachten, die auf die Mitarbeit indigener Akteure hindeuten. Sie zeigen, dass die Sprecher eine gewisse Zeit zusammen verbracht haben mussten, um überhaupt die Texte übersetzen zu können.

389 Vgl. Wadensjö: Interpreting as Interaction; Mason/Ren: »Power in Face-to Face Interpreting Events«; Korak: »Dolmetschen und Übersetzen in der indigenen Gemeinschaft der Waorani des Amazonasgebietes Ecuadors«. 390 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 139. 391 Der vermutlich bekannteste Fall einer Dolmetscherin in der Amazonasregion ist der einer Indigenen namens Vanuire. Ihr verdankten die Arbeiter des SPI den Erfolg der 1912 durchgeführten Friedenskampagne bei Caingangue-Indigenen. Mithilfe von Gesängen und Voraussagen, die Vanuire von einem Wachposten auf der Spitze eines Baumes in großer Höhe gab, konnte sie die Indigenen überzeugen, mit den SPI-Vertretern zu verhandeln. Vgl. Horta Barbosa, Luis Bueno : O problema indígena do Brasil, 2. Aufl., Rio de Janeiro : Imprensa Nacional 1947. 392 Vgl. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. S. 139, 155, 244. 393 Greenfield, Bruce: »›Communication That Belongs To No One‹? Reading the Vocabularies and Dialogues in James Isham’s Observations on Hudson’s Bay (1743)«, in: Mackenthum, Gesa, Andrea Nicolas und Stephanie Wodianka (Hg.): Travel, Agency, and the Circulation of Knowledge, Münster/New York: Waxmann 2017, S. 163-180, hier S. 166.

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Der Dialog zwischen Rosa und Schmidt lief als eine Art ›Interview‹ ab, in dem Rosa Schmidt Fragen stellte.394 Mit diesem Interview verfolgte Schmidt das Ziel, »ein Abbild von der Art der Unterhaltung und eine Probe des Ideenkreises der Guató-Indianer [zu] geben«395 . Schmidt gab Rosa die Anweisung, sich mit ihm zu unterhalten, »wie wenn [er] als ein Fremder, der ihrer Sprache mächtig wäre, zum Besuch gekommen wäre«396 . Rosa stellte eine Frage in Guató, ihrer Muttersprache, und dolmetschte sie unmittelbar danach ins Portugiesische. Schmidt übersetzte die Sätze vom Portugiesischen vermutlich später ins Deutsche. Hier übernahmen sowohl Rosa – sie dolmetschte – als auch Schmidt – er übersetzte – eine translatorische Tätigkeit. Ebenso wie die kollaborativen Übersetzungen Mayuluaipus und Koch-Grünbergs macht diese Textform, um mit Theo Hermans zu sprechen, deutlich, dass »[…] translated texts, like others but more emphatically so, are necessarily plural, decentered, hybrid and polyphonic«397 . Übersetzungen dieser Art geben uns aufgrund der Präsenz mehrerer Akteure und ihrer Stimmen Hinweise über die Durchführung bestimmter Praktiken während der ethnografischen Feldforschung. Während der Feldforschung vollzogene Praktiken – wie Abfragen, Erzählen, Dolmetschen, Transkribieren und Übersetzen – bilden ein organisiertes Ensemble, das man im Anschluss an den praxeologischen Ansatz Theodor Schatzkis als »doings and sayings« unterschiedlicher Akteure begreifen kann398 . Das Erzählen und Erklären vonseiten Mayuluaipus und Akulis trugen als Aktivität – ebenso wie die Erzählungen und Übersetzungen selbst – zu bestimmten Haltungen KochGrünbergs und seiner Leser gegenüber den Indigenen und ihren Erzählungen bei, was anhand der Rezeption der Texte veranschaulicht werden kann. So offensichtlich es auch scheinen mag, lohnt es sich dennoch, sich zu vergegenwärtigen, dass die Verschriftlichung mündlicher Überlieferungen auch eine Form von sayings ist. Nach Schatzki impliziert Schreiben genauso wie Sprechen den Gebrauch von Sprache; sowohl Indigene beim Sprechen als auch Ethnologen beim Schreiben sagten etwas und erzeugten schließlich Texte.399 Darüber hinaus können Mayuluaipus und Akulis sayings als Verbindungsglieder bzw. Links verstanden werden, die mit anderen solchen Gliedern verbunden sind und dabei eine Kette bilden, die wiederum mit anderen Ensembles in Beziehung steht.400. Die Verflechtung von Links wird zuSchmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 244. Ebd., S. 245. Ebd., S. 244. Hermans, Theo: »Paradoxes and aporias in translation and translation studies«, in: Riccardi, Alessandra (Hg.): Translation Studies: Perspectives on an Emerging Discipline, New York: Cambridge University Press 2002, S. 10-23, hier S. 11. 398 Schatzki, Theodore: »Sayings, Texts and Discursive Formations«, in: Hui, Allison, Theodor Schatzki und Elizabeth Shove (Hg.): The Nexus of Practices. Connections, Constellations, Practitioners, New York: Routledge 2017, S. 126-140, hier S. 129. 399 Ebd., S. 132. 400 Ebd., S. 135. 394 395 396 397

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nächst durch die Miteinbeziehung der interlinearen Übersetzungen sichtbar. Diese ermöglichen zumindest einen visuellen Zugang zu den Sprachen Mayuluaipus und Akulis. Dieser komplexe Translationsakt, der sich auch durch das Selbstdolmetschen des Erzählers auszeichnet, ist exemplarisch für eine kollaborative Übersetzung, die analog zur kollaborativen self-translation verstanden werden kann.401 Bei dieser Translationsform lässt sich eine ambivalente Destabilisierung von Machtbeziehungen identifizieren. Auf der einen Seite bleiben diese indigenen Narrativen einer hegemonialen Sprache, hier Deutsch, und einem hegemonialen Diskurs, dem ethnografischen, untergeordnet. Auf der anderen Seite sorgen interlineare Übersetzungen in dieser Translationsform für die Sichtbarkeit der indigenen Sprachen und der Erzähler, sodass der Text, um mit Lucía Sá zu sprechen, wie folgt erscheint: »strongly enough in [its] own right to make much of the ›scientific‹ commentary seem redundant, or of another order of knowledge«402 . Überdies wird diese Subversion der ›Original‹/Übersetzung Kategorien deutlich, insofern diese ins Deutsche übersetzte Versionen als offizielle und überhaupt als einzige schriftliche Originale der Erzählungen dargestellt wurden, so dass sie dem ›Original‹ übergeordnet sind.403 Denn die ins Deutsche übersetzten und veröffentlichten Versionen der Erzählungen Mayuluaipus und Akulis bildeten eine Verbindung zwischen dem ethnologischen und dem literarischen Diskurs. Dies wird am Beispiel der Aneignung dieser Texte durch den brasilianischen Schriftsteller Mario de Andrade deutlich, der im Jahr 1928 Werk Macunaíma, O Heroi Sem Nenhum Carácter veröffentlichte, inspiriert von den indigenen Erzählungen, die in Koch-Grünbergs Monografie gesammelt und übersetzt worden waren. Macunaíma wurde zum repräsentativen Text des brasilianischen Modernismus aufgrund seiner indigenen Herkunft, aber auch wegen seines hybriden Charakters zwischen Kulturen und Sprachen, einschließlich Deutsch und Portugiesisch.404 Basierend auf diesem Roman erschien 1969 der Film Macunaíma.405 Die doings and sayings Akulis, Mayuluaipus und Koch-Grünbergs erzeugten weitere Texte und sind demzufolge durch Übersetzungen (im engen und weiten Sinne) mit anderen Diskursen und Medien verknüpft. Ein Blick auf die Texterstellung bereits während der ethnografischen Feldforschung ermöglicht es, das kollaborative Übersetzen als eine besondere Tätigkeit

401 Vgl. Manterola Agirrezabalaga: »Collaborative Self-Translation in a Minority Language«. 402 Sá, Lúcia: »Germans and Indians in South America: Ethnography and the Idea of Text«, in: Schrempp, Gregory Allen und William F. Hansen (Hg.): Myth: A New Symposium, Bloomington: Indiana University Press 2002, S. 61-71, hier S. 66. 403 Manterola Agirrezabalaga: »Collaborative Self-Translation in a Minority Language«, S. 198. 404 Andrade, Mário de : Macunaíma, o heroi sem nenhum caracter, São Paulo : Oficinas graficas de E. Cupolo 1928. Vgl. Sá, Rain Forest Literatures: Amazonian Texts and Latin American Culture. 405 Vgl. Andrade, Joaquim Pedro de : Macunaíma 1969.

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der Kulturübersetzung zu identifizieren, die zwischen lokalen Akteuren und Indigenen stattfand. Das Resultat dieser Tätigkeit bilden Übersetzungen, also Texte, die ihrerseits ebenfalls eine besondere Textsorte darstellten. Insofern ethnografische Texten dieser Art Übersetzungen sind, beinhalten sie eine »differential voice«, d.h. die diskursive Präsenz des Übersetzers,406 die in anderen Textsorten schwierig zu entdecken ist, und die sich mit der Stimme des Urhebers überlappt. Die Überlappung zwischen Übersetzer und Urheber bringt wie die Präsenz mehrerer Urheber – wenn z.B. Akuli und Mayuluaipu, als solche betrachtet werden – eine Destabilisierung der traditionellen Figur des Autors mit sich. Im Folgenden möchte ich zeigen, wie es sich mit dem Konzept der individuellen und autoritativen Urheberschaft im Falle dieser Übersetzungen verhält, die von mehreren Akteuren während der Feldforschung produziert wurden, aber dann unter dem Namen eines Ethnologen veröffentlicht wurden. Somit wird ein weiterer Aspekt der Kulturübersetzung in der ethnografischen Forschung untersucht.

Kollaborative Urheberschaft Eine visuelle Repräsentation des Autors als autoritative und machtstiftende Figur bietet der Band Mythen und Legenden der Taulipáng- und Arekuná-Indianer, der den dritten Band des Werkes Von Roroima zum Orinoco von Theodor Koch-Grünberg bildet. Es handelt sich dabei um die Fotografie mit der Beschriftung »Mayuluaipu erzählt Märchen« (Abb. 19), in der sich Koch-Grünberg – trotz der Hitze und Feuchtigkeit des Ortes – im Anzug auf einem Felsen sitzend zeigt. Er scheint in ein Heft auf seinem Schoß zu schreiben. Ihm gegenüber, aber deutlich weiter unten, sitz der fast nackte Mayuluaipu, der etwas zu sagen scheint. Diese Inszenierung eines Momentes der Feldforschung ist charakteristisch für die ethnografischen Texte der Zeit.407 Hier zeugen Zeichen wie die Kleidung, bestimmte Dinge wie das Heft, die Pose und die Positionierung der Akteure für die asymmetrischen Verhältnisse zwischen Ethnologen und Indigenen, also für die klare Identifizierung des Ethnologen und des Erzählers. Die Überschrift der Fotografie fasst die intendierte Botschaft des Bildes zusammen: »Mayuluaipu erzählt Märchen«. Während Mayuluaipu erzählt, schreibt Koch-Grünberg. Dieses Bild lässt sich weiterhin jedoch nicht nur als autoritative Darstellung der Rolle des Ethnologen interpretieren, sondern auch als eine synthetische Repräsentation von Praktiken des Erzählens, Dolmetschens und Übersetzens während der Feldforschung. Das klassische Bild ›Informant‹ und/versus Ethnologe, das diese Fotografie vermittelt, kann demzufolge dekonstruiert werden, wenn die Aufmerksamkeit auf die Interaktion und dabei auf die Praktiken gelenkt wird, die dieses 406 Hermans: »Paradoxes and Aporias«, S. 11. 407 Vgl. Frobenius: Im Schatten des Kongostaates. Tafel XXXI.

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Bild evoziert. Denn, wie bereits gezeigt, hat Mayuluaipu nicht nur ›Märchen‹ erzählt; er hat diese mündlichen Überlieferungen seiner Gemeinschaft, ebenso wie diejenigen Akulis, für Koch-Grünberg auch gedolmetscht und dabei objektiviert. Abbildung 19: »Mayuluaipu erzählt Märchen.« Koch-Grünberg 1924.

Als Erzähler-Dolmetscher sind Akuli und Mayuluaipu, wie bereits gezeigt, keine unsichtbaren Figuren. Ihre Mitwirkung stand, da sie namentlich erwähnt wurden, sogar mit im Vordergrund des Bandes. Mayuluaipus und Akulis Namen stehen unter dem Titel jedes Mythos, ebenso sind die Fußnoten, die ihre Präsenz hervorheben, zahlreich. Die Funktion der Präsenz Mayuluaipus und auch Akulis war jedoch ambivalent. Auf der einen Seite kann man nämlich argumentieren, dass ihre Mitwirkung gerade deshalb hervorgehoben wurde, weil sie zur Authentifizierung der ethnografischen Materialien beitrug. Auf der anderen Seite lässt sich die Präsenz Mayuluaipus und Akulis in den Texten dennoch als die absichtliche Miteinbeziehung anderer Akteure der Feldforschung in der textuellen Produktion betrachten, was keine gewöhnliche Tendenz in einer Zeit war, in der die Namen der

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sogenannten ›Informanten‹ oft ausgeblendet wurden.408 Dennoch werden diese Akteure nicht als Autoren des Textes anerkannt. Die Autor-Funktion wird in diesem Fall vom Ethnologen in der Figur des Herausgebers der Texte durchgeführt. Eine der Haupteigenschaften der Wahrnehmung von Übersetzung und der Übersetzer in der Geschichte ist die, dem Autor stets untergeordnet bzw. unsichtbar zu bleiben. Um Übersetzer als sichtbare Akteure zu positionieren, schlägt beispielsweise die Translationswissenschaftlerin Rosemary Arrojo – in Anlehnung an Foucaults Autorfunktion – den Begriff der »translator-function« vor. Der Übersetzer ist in der Folge als regulierendes Element zu verstehen, »that necessarily and legitimately determines meaning in the relationship which a reader will establish with a translated text«409 . Die Übersetzerfunktion trägt mithin zur Anerkennung der kreativen Arbeit des Übersetzers bei, indem sie seinen Namen sichtbar macht, anstatt ihn ungenannt zu lassen oder ihn hinter dem Namen des Autors zu verstecken. Darüber hinaus wird die Rolle der Übersetzung in der Textproduktion hervorgehoben, wodurch der palimpsestartige Charakter des Textes und die Anwesenheit der daran beteiligten Agenten sichtbar werden. Im Vergleich zu anderen Textgattungen, in denen die Übersetzer der Figur des Autors untergeordnet bleiben, scheint der Fall des Ethnologen-Übersetzers eine Ausnahme zu bilden. Während Übersetzernamen in literarischen Werken unter den Namen des Autors, hinter das Deckblatt oder an das Ende des Buches gesetzt werden, steht der Name des Ethnologen-Übersetzers an erster Stelle. Diese Entwicklung gehört zur Übersetzungspolitik im ethnologischen Diskurs. Hier bestimmt die hierarchische Beziehung zwischen Mündlichkeit vs. Schrift und indigenem Glauben vs. wissenschaftlichem Diskurs die vorherrschende Stellung von Übersetzung und des Ethnologen als Übersetzer. In diesem Kontext ist der Ethnologe als Übersetzer ethnografischer mündlicher Überlieferungen eine Schlüsselfigur,410 um Urheberschaft zu analysieren. Zur wissenschaftlichen Produktion der Ethnologen gehörten die Sammlung und Bearbeitung indigener mündlicher Überlieferungen und dies implizierte, wie bei jeder Übersetzung, zahlreiche Änderungen, Auslassungen und Manipulationen.411 Die vielfältigen Formen der Übersetzung indigener mündlicher Überlieferungen zeigen, dass es sich um Objekte kontinuierlicher Transformation handelte. 408 Vgl. Sturge: Representing Others, S. 42ff. 409 Arrojo, Rosemary: »The »Death« of the Author and the Limits of the Translator’s Visibility«, in: Snell-Hornby, Mary, Zuzana Jettmarová und Klaus Kaindl (Hg.): Translation as Intercultural Communication: Selected Papers from the EST Congress, Prague 1995, Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins 1997, S. 21-32, hier S. 31. 410 Zur Rolle des Ethnologen als Übersetzer vgl. Tedlock, Dennis: The Spoken Word and the Work of Interpretation, Philadelphia: University of Pennsylvania Press 1983. 411 McCall, Sophie: First Person Plural. Aboriginal Storytelling and the Ethics of Collaborative Authorship, Vancouver: UBC Press 2011, S. 2.

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Dementsprechend kann die Übersetzung im Derrida’schen Sinne einer »regulierten Transformation«412 verstanden werden oder im Sinne Benjamins als »die Überführung der einen Sprache in die andere durch ein Kontinuum von Verwandlungen«413 . Diese Verwandlungen fanden nicht nur auf einer symbolischen Ebene statt, sondern auch auf einer materiellen. Verschriftlichte indigene Erzählungen stehen exemplarisch für die Materialisierung in der Form eines Palimpsestes, also der Umschreibung auf einer Oberfläche, auf der die Spuren der letzten Schriften zurückbleiben, wobei diese die neuen Texte umrahmen und somit beeinflussen.414 Begriffe wie Transformation und Palimpsest destabilisieren die Dichotomie Original versus Übersetzung sowie den Begriff der Urheberschaft, denn Übersetzung ist insofern eine Art »transgression«, als sie keine »vollkommene Wiederholung« leisten kann415 . Es kann argumentiert werden, dass mündliche indigene Erzählungen – etwa heilige Erzählungen – in einer lingua franca erzählt wurden, wie im Falle von Mayuluaipus Erzählungen in Portugiesisch, und daher keine ›Originale‹ im strengen Sinne mehr waren, obgleich eine analoge Erzählung in Taulipang darauf folgte. Wo begannen dann die Veränderungen? Oder handelte es sich um zwei Originale? Ein ursprünglicher Zustand bzw. ein ›Original‹ mündlicher Überlieferung ungeachtet der Sprachen, in der sie vermittelt wird, lässt sich schwer rekonstruieren und erweist sich daher als illusorisch. Im Falle der Übersetzung in der ethnologischen Forschung kann, um mit Nana Sato-Rossberg zu sprechen, argumentiert werden, dass jede Geschichte zum Original des Geschichtenerzählers wurde, und in der Folge könnte man sagen, dass es kein Original und keinen Autor – im normativen Sinne – gibt.416 Dies belegen zum Beispiel inhaltliche Veränderungen, die jeder Erzähler zur mündlichen Überlieferung hinzufügte. Hinzu kommen die Änderungen, die bei jeder Erzählung einer Geschichte generiert wurden. Jede Erzählung wird daher als eine einzigartige und nicht wiederholbare Performance betrachtet. Weiterhin wurden mündliche Überlieferungen durch Verschriftlichung und durch ihre Übersetzung im engen als auch im weiten Sinne transformiert. Im Laufe dieses Prozesses wurden indigene Erzählungen auch an eine Zielkultur angepasst, indem sie in den Rahmen der Zielkulturnormen und des Zielliteratursystems hineingezogen wurden417 . Hierbei determiniert die Form des schriftlich

412 Derrida, Jacques: The Ear of the Other: Otobiography, Transference, Translation: Texts and Discussions with Jacques Derrida, New York: Schocken Books 1985, S. 20. 413 Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften, Bd. II, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 151. 414 Vgl. Arrojo: »Pierre Menard und eine neue Definition des ›Originals‹«. 415 Arrojo: »The »Death« of the Author«, S. 27. 416 Sato-Rossberg: »Conflict and dialogue«, S. 49. 417 Tymoczko, Maria: »Translation in Oral Tradition as a Touchstone for Translation Theory and Practice«, in: Bassnett, Susan und André Lefevere (Hg.): Translation, History and Culture, London/New York: Printer Publishers 1990, S. 46-55, hier S. 54.

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fixierten Textes das Scheitern einer übersetzten Erzählung in der Zielkultur, denn, wenn sie sich nicht wie in mündlichen Überlieferungen anpasst, wird übersetzte Literatur antiquarisch oder exotisch418 . Dies ist der Fall bei mündlichen Überlieferungen, die in den ersten Jahren der ethnologischen Forschung gesammelt wurden, daher ihre spezifische Einordnung im Band Mythen und Legenden, ihre textuelle Darstellung, z.B. mit Erklärungen und Entsprechungen in Fußnoten, und ihre Veröffentlichung unter dem Namen eines Herausgeber-Autors. Bei der individuellen Urheberschaft im Falle ethnografischer Texte handelt es sich im Grunde genommen um Urheberschaft im Kontext der wissenschaftlichen Produktion, die sich im Anschluss an Karin Knorr Cetina auf das wissenschaftliche Feld bezieht, in dem »[…] work, publication conventions and career opportunities are centered on the individual scientist«419 . Dabei ist der Name des Autors – in diesem Fall der Name des Ethnologen – in eine gegebene soziale Struktur eingebettet und funktioniert im Verhältnis zu anderen Texten. Diese Autorfunktion, wie Michel Foucault sie prägte,420 operiert als ein »interface between a text and the system of other relevant texts in which it is produced«421 . Der Name des Ethnologen ist demnach gemäß dem Begriff der Autorfunktion mit einem bestimmten Land, einer Tradition der Wissensproduktion, einer Theorie über das soziale Leben der von ihm erforschten indigenen Gemeinschaften usw. verbunden. Die Autorfunktion mag auf unseren Diskurs zutreffen, aber das heißt noch lange nicht, dass sie auch für jeden anderen Diskurs und für jede Gesellschaft gilt. Wie Foucault feststellt, gibt es »in a civilization like our own […] a certain number of discourses endowed with the ›author function‹ while others are deprived of it«422 . Beim Konzept der Urheberschaft handelt es sich mithin um ein ›westliches‹ Konstrukt, das mit weiteren Konstrukten wie Schrift, Text, Original, geistigem Eigentum usw. in Verbindung steht. Wenn Foucault also von einer »Zivilisation wie der unseren« spricht, bezieht er sich auf die euro-amerikanische Zivilisation und ihre »individualistic conception of authorship«423 und geistigem Eigentum. Obwohl Foucaults Autorfunktion darauf abzielt, die romantische Figur des Autors als individuelles Genie zu dezentrieren, setzt sie dennoch, die individuelle Urheberschaft als Bedingung voraus, der Urheber von Werken zu sein424 . Diese Auffassung 418 Ebd., S. 53. 419 Knorr Cetina, Karin: Epistemic Cultures: How the Sciences Make Knowledge, Cambridge: Harvard University Press 1999, S. 166. 420 Vgl. Foucault, Michel: Aesthetics, Method and Epistemology 1998 (Essential works of Foucault 1954-1984, hg. v. Paul Rabinow). 421 Compagno, Dario: »Theories of Authorship and Intention in the Twentieth Century. An Overview«, in: Journal of Early Modern Studies 1/1 (2012), S. 37-53, hier S. 44. 422 Foucault: Aesthetics, Method and Epistemology, S. 211. 423 Venuti: The Translator’s Invisibility, S. 6. 424 Love, Harold: Attributing Authorship: An Introduction, Cambridge: Cambridge University Press 2002, S. 39.

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bestimmte den ethnologischen Diskurs des vergangenen Jahrhunderts und prägt auch heute noch »our image of science and many sciences‹ practices«425 . In der ethnologischen Tradition der Wissensproduktion ist das Konzept der individuellen Urheberschaft darüber hinaus problematisch, weil, um mit Kathryn Dudley zu sprechen, angenommen wird, dass bei mündlichen Überlieferungen »no one ›authors‹ the texts […], yet the true conditions of our discourse require that someone step forward to claim that authorship, with all the legal, political and moral ramifications it entails«426 . Dadurch erklärt sich zum Teil, warum z.B. Theodor Koch-Grünberg und nicht Mayuluaipu und Akuli auf dem Titelblatt des Buches stehen. Ihr Beitrag wird nicht ignoriert, aber ihre Namen bleiben dem des Ethnologen untergeordnet. Obwohl der Genitiv ›der‹ im Untertitel von Mythen und Legenden der Taulipáng- und Arekuná-Indianer diese explizit als Eigentümer oder Urheber identifiziert, erscheinen die Erzähler nicht als Individuen. Somit wurde indigenen Erzählern Individualität in gewisser Hinsicht verweigert. Stattdessen wurden sie als Kollektiv betrachtet. Da die Taulipáng und Arekuná den Begriff der (individuellen) Urheberschaft im Sinne westlicher Vorstellungen nicht kannten, könnte man auch argumentieren, dass der Untertitel auf kollektives rechtliches Eigentum und damit auf die Urheberschaft der Erzählungen hinweist, wenn auch ohne materiellen Nutzen. Obwohl der Begriff der kollektiven Urheberschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte, betrachtete Koch-Grünberg die Erzählungen im Anschluss an Paul Ehrenreich als »mythologischen Allgemeinbesitz, der auf primitiver Stufe den Bestand der Mythologie erschöpft und daher als Ureigentum der Menschheit anzusehen ist«427 . Nach dieser Argumentation haben wir es mit Urheberschaft im Sinne des Kollektivbesitzes zu tun, wobei indigene Gemeinschaften als primitive Beispiele unserer ursprünglichen menschlichen Verfassung betrachtet werden. Da eines der damaligen Ziele der Ethnologie darin bestand, so viel Material wie möglich über diese sogenannten primitiven Gesellschaften zu retten, weil sie bald verschwinden würden, waren Fragen nach der Urheberschaft im Sinne des rechtlichen Eigentums irrelevant, da die Ethnologen annahmen, sich mit einem fast ausgestorbenen primitiven Volk zu befassen. Die Analyse der Textproduktion der Mythen und Legenden der Taulipang- und Arekuna-Indianer ermöglicht – als eine Form der Kulturübersetzung, in der mehrere Akteure mitwirkten – nicht nur die Destabilisierung der traditionellen Auffassung des Originals, sondern auch des Konzepts von Urheberschaft, zumindest im Rahmen ethnografischer Texte. Sophie McCalls Studie zu Aboriginal Storytelling 425 Knorr Cetina: Epistemic Cultures, S. 166. 426 Dudley, Kathryn Marie: »In the Archive, in the Field: What Kind of Document is an ›Oral History‹?«, in: Chamberlain, Mary und Paul Thompson (Hg.): Narrative and Genre, London: Routledge 1998, S. 160-166, hier S. 165. Meine Hervorhebung. 427 Ehrenreich: Die allgemeine Mythologie, S. 61. Zit. n. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Mythen und Legenden, S. 4.

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and the Ethics of Collaborative Authorship setzt sich mit Texten auseinander, die aus der Zusammenarbeit zwischen Ethnologen und Indigenen entstanden. Diese können als Produkte einer kollaborativen Praxis verstanden werden.428 Unter dem Konzept der collaborative authorship versteht McCall die Produktion eines Textes während der Feldforschung als das Resultat der Handlungen mehrerer Individuen.429 McCall stellt die autoritative Rolle von Autoren bzw. Herausgebern in Frage, denn »[h]istorically, non-Aboriginal recorders and editors have maintained tight control over the process of entextualizing Aboriginal oral forms, transcribing, translating, structuring, editing, introducing, interpreting, and publishing versions of Aboriginal oral expression under their own name«430 . Hieran kritisiert McCall die Aneignung und die Repräsentation immateriellen kulturellen Erbes im Namen indigener Gesellschaften. Im Falle der Arekuna- und Taulipang-Erzählungen kann argumentiert werden, dass sie unter der »strengen Kontrolle« des Ethnologen-Übersetzers-Herausgebers stehen. Dennoch zeigt der bereits geschilderte Prozess der Textproduktion Brüche, die es ermöglichen, die individuelle Herausgeberschaft in Frage zu stellen. Urheberschaft erscheint in diesem Kontext vielmehr als »a set of linked activities […] which are sometimes performed by a single person but will often be performed collaboratively or by several persons in succession«431 . Dies betrifft ebenso die Figur des Ethnologen-Übersetzer-Autors. Er erfüllte viele Facetten und Funktionen oder, um mit Harold Love zu sprechen, »authemes«, d.h., er spielte unterschiedliche Rollen.432 Bei der Textproduktion der Roraima-Erzählungen agierte beispielsweise Koch-Grünberg als Sammler, Schreiber und Übersetzer. Bei der Bearbeitung der Text nach der Rückkehr nach Deutschland positionierte er sich als Herausgeber und als Autor. Die Produktion dieser Übersetzungen deutet, um mit Ingo Berensmeyer et al. zu sprechen, auf eine »gap between a ›strong‹ concept of authorship as autonomous agency, original creativity and intellectual ownership, and a ›weak‹ (but historically much more prevalent) concept of heteronomous au-

428 McCall: First Person Plural. Das von Sophie McCall vorgeschlagene Konzept der kollaborativen Urheberschaft bezieht sich insbesondere auf zeitgenössische literarische Erzählungen, die sich aus der Interaktion zwischen nicht-indigenen Völkern und Geschichtenerzählern der First Nations in Kanada ergeben. Es scheint angesichts der Rolle der sozialen Interaktion ein geeigneter Ausgangspunkt für die Analyse des oben beschriebenen kollektiven textuellen Produktionsprozesses zu sein. 429 Braz, Albert: »Collaborative Authorship and Indigenous Literatures«, in: CLCWeb: Comparative Literature and Culture 13/2 (2011), URL: http://dx.doi.org/10.7771/1481-4374.1743. Letzter Zugriff am 29.1.2019. 430 McCall: First Person Plural, S. 205. 431 Love: Attributing Authorship, S. 39. 432 Ebd.

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thorship as a product of cultural networks and their acts of authorization« hin433 . Das Spannungsfeld zwischen ›Kulturübersetzung‹ als ethnografischer Repräsentation und daher als Produkt der »strong authorship« der Ethnologen und Kulturübersetzung als interaktiver Praxis, innerhalb derer mehrere Akteure Texte verschriftlichten und übersetzten, tritt hier erneut zutage. Die Analyse der übersetzerischen Praxis während der Feldforschung und der Textproduktion ermöglicht es darüber hinaus, die Fiktion des »Absent Editor«434 aufzudecken. Koch-Grünberg erklärt: »Das innere Wesen einer Zauberkur, deren äußeren Verlauf ich oben geschildert habe, wurde mir von Akúli in allen Einzelheiten beschrieben. Ich gebe seine Erzählung hier wieder, wie sie von Mayúluaípu ins Portugiesische übersetzt wurde«435 . In dieser Hinsicht kommt nicht nur die Kooperation der beteiligten Akteure, sondern auch die Rolle Koch-Grünbergs als Redakteur zum Tragen. Er distanziert sich von der Rolle des Autors und schreibt Akuli und Mayuluaipu die Bedeutung des Heilungsrituals zu, lässt aber dabei unberücksichtigt, dass er selbst den Text ins Deutsche übersetzt (und interpretiert) hat. Daher ist seine Verantwortung, die Bedeutung des Rituals in seiner Muttersprache zu erklären, ebenso relevant wie seine Informanten. Übersetzung während der Feldforschung verdeutlicht, wie die textualisierten indigenen Erzählungen das Produkt von kultureller Interaktion und »mutual agreement«436 sein können, was nicht bedeutet, dass beide Beteiligten die gleichen Bedingungen genossen: Jose [Mayuluaipu] steht immerzu meiner Verfügung. Hier, wo ihn keine Gefahren umgeben, zeigt er sich von seiner besten Seite. Er ist bescheiden und aufmerksam und unermüdlich, mir die genauesten Angaben zu machen über die Sitten, Gebräuche und Anschauungen seines Stammes. Jeden Tag diktiert er mir TaulipángTexte, Märchen und Zaubersprüche, und wir übersetzen sie zusammen Wort für Wort ins Portugiesische.437 Auch wenn man in diesem Zitat eine kooperative Übersetzungsarbeit erkennen kann, zeigen die Passagen anderer Texte, dass dies nicht immer der Fall war. Manchmal, besonders in schwierigen Zeiten, wollten Mayuluaipu und Akuli nach Hause zurückkehren. Koch-Grünberg forderte sie zum Bleiben auf, denn das war

433 Berensmeyer, Ingo, Gert Buelens und Marysa Demoor: »Authorship as Cultural Performance: New Perspectives in Authorship Studies«, in: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik 60/1 (2012), S. 5-29, hier S. 8. 434 Brumble, H. David: American Indian Autobiography, Lincoln/London: University of Nebraska Press 2008, S. 75. 435 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Ethnographie, S. 211. 436 Murray, David: Forked Tongues: Speech, Writing, and Representation in North American Indian Texts, Bloomington: Indiana University Press 1991, S. 6. 437 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 210.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

von Anfang an ihre Abmachung gewesen.438 Das bedeutet, dass es tatsächlich ein mutual agreement gab, auch wenn nicht immer alle damit zufrieden waren. Obgleich die Interaktion zwischen Mayuluaipu, Akuli und Koch-Grünberg als eine Art kollaborative Textproduktion beschrieben wurde, konnten Akuli und Mayuluaipu damals außerdem noch nicht wissen, wie und in welcher Form ihre Erzählungen in Zukunft verwendet und dargestellt werden würden. Der Begriff der kollaborativen Urheberschaft bezieht sich in diesem Fall also nur auf den kreativen Charakter der Textproduktion und des kollaborativen Werks. Während der Erzähl-, Übersetzungs- und Kompilationsphase der Texte im Rahmen der Feldforschung haben nur Akuli und Mayuluaipu durch die textuelle Produktion einen individuellen materiellen Nutzen erlangt und am Ende der Expedition etwas Geld verdient. Nach der Veröffentlichung der Texte werden die gestalterische Rolle der Textproduktion und ihr materieller Nutzen lediglich für den Ethnologen-Redakteur-Autor sichtbar. Die Übersetzung und Zusammenstellung der indigenen Erzählungen innerhalb des ethnologischen Diskurses und deren spätere Adaptionen mithilfe des Konzeptes von kollaborativer Urheberschaft zu verstehen, bedeutet nicht, dass Kollaboration eine »Lösung für das Problem der kulturellen Repräsentation« ist.439 Dennoch zeigt die Mitwirkung von indigenen Akteuren, dass Übersetzung während der ethnologischen Forschung keine Einbahnstraße war – also nicht nur ein koloniales Instrument –, denn als soziale Interaktion impliziert sie die Vermittlung vieler Beteiligter, die nicht immer die Rolle der Opfer der Übersetzung in ihrer Funktion als Strategie der Unterdrückung spielten. Die Tatsache, dass ethnografische Texte zum großen Teil aus Aussagen-Übersetzungen von indigenen Akteuren entstanden sind, ermöglicht es, eine romantisierte Sichtweise von indigenen »Stimme[n]« in übersetzten oder transkribierten Texten als »singular, unmediated, and pure« in Frage zu stellen.440 Auf die Tatsache, dass die gemeinsame Textproduktion beispielsweise der Mythen und Legenden dagegen plural, vermittelt und ›kontaminiert‹ war, verweist Koch-Grünberg im Vorwort des Bandes, wenn er auf den Beitrag derjenigen hinweist, die ihm geholfen haben, unbekannte Kulturen zu verstehen, und ihre entscheidende Präsenz im Prozess des Sammelns und Übersetzens der Erzählungen sowie seine eigenen Strategien in der deutschen Übersetzung erklärt: »Alle Erläuterungen und Erklärungen der Erzähler, die [nicht] in den Text gehören, habe ich in Klammern beibehalten, um zu zeigen, wie die Leute bemüht waren, Einzelheiten meinem Verständnis näher zu bringen«. Die Relevanz, indigene Stimmen in ethnografischen Texten zu identifizieren und diese Texte nicht lediglich als Zitationen zweiter Hand zu begreifen, lässt hier nicht zuletzt erkennen, dass die

438 Ebd., S. 177. 439 McCall: First Person Plural, S. 168. 440 Ebd., S. 5. Vgl. auch Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Mythen und Legenden, S. V.

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268

Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Anerkennung indigener Erzähler als Autoren zu einem Gewinn an Gültigkeit ihrer Geschichten als Zeugnisse und historische Quellen führt.441

Zwischenfazit II Während das erste Kapitel sich mit Kulturübersetzung an der Schnittstelle von ethnografischer Repräsentation und interaktiver Praxis beschäftigte, wurde Kulturübersetzung in diesem Kapitel anhand der Sprachvermittlung in der ethnologischen Feldforschung untersucht. Die wesentliche Rolle der Sprache in der Textproduktion hat gezeigt, wie Kulturübersetzung als interaktive Praxis untrennbar mit sprachlicher Vermittlung, Interpretation und Übersetzung verbunden ist. Auf diese Weise ermöglichte der Fokus auf Sprache und auf die Beziehungen zwischen Akteuren es, die Kulturübersetzung als einen Prozess zu verstehen, der nicht ausschließlich von der Repräsentation des Ethnologen abhängt, sondern im Wesentlichen durch die Interaktionen der Akteuren innerhalb der Feldforschung konstituiert wird. Die Analyse konzentrierte sich auf bestimmte Faktoren, die für die Sprachvermittlung charakteristisch sind. Die Anwesenheit von Vermittlern, die speziell durch die Figur des Dritten als Dolmetscher repräsentiert wurden, ermöglichte es, einerseits zu veranschaulichen, wie relevant die Dolmetscher für die Durchführung der Feldforschung waren. Andererseits konnte anhand von Szenen des Dolmetschens gezeigt werden, dass es sich bei der ethnologischen Forschung nicht nur um eine wissenschaftliche Tätigkeit, sondern auch um eine soziale Interaktion handelte, die Konflikte und das Vorhandensein asymmetrischer Machtverhältnisse konfigurierte. Es wurden dabei bestimmte Praktiken der ethnologischen Forschung analysiert, wie etwa die Benennung, Klassifizierung und Übersetzung, die verdeutlichen, wie konstitutiv Sprachvermittlung für die Kulturübersetzung ist. Diese Praktiken ermöglichten die Konstruktion von textuellen Artefakten wie Wortlisten oder Völkerkarten. Die Textproduktion auf Basis von Erzählung und Übersetzung wurde schließlich als das Ergebnis von Aktivitäten analysiert, welche die Sinngebung und Wertzuschreibung der indigenen immateriellen Kultur zum Gegenstand hatten. In diesem Prozess wurde ferner das Selbstdolmetschen als eine spezifische Translationspraxis der ethnologischen Feldforschung identifiziert, welche die Objektivierung der Muttersprache und damit des Inhalts der Erzählung, d.h. der indigenen immateriellen Kultur, mit sich brachte. Am Beispiel des Mythos als eines Elementes, mit dem Ethnologen intendierten, das indigene Denken zu studieren, wurde die Wertzuschreibung als ein weiterer

441 Salomon: »Testimonies: The Making and Reading of Native South American Historical Sources«, S. 69.

2. Sprachvermittlung und Textproduktion

Aspekt der Kulturübersetzung analysiert. Einerseits wurde exemplarisch dargelegt, wie sowohl Ethnologen als auch Indigene Narrativen als immateriellen Elementen einen materiellen Wert zuschrieben, insofern sie im Austausch gegen Waren erzählt wurden. Auf der anderen Seite wurde der nicht mehr materielle, sondern symbolische Wert, den Ethnologen den indigenen Erzählungen verliehen, indem sie diese als Mythos kategorisierten, identifiziert. Anhand der Wertzuschreibung – als eine Form der Bedeutungsverschiebung – konnte ein konkreter Zugang zum Interpretationsprozess anderer Kulturen als wesentlicher Teil der Kulturübersetzung gewonnen werden. Schließlich zeigte der Prozess der textuellen Produktion indigener Narrative innerhalb der Feldforschung, dass es sich dabei im Wesentlichen um eine kooperative Arbeit handelte, an der verschiedene Akteure beteiligt waren. Die Analyse dieser Aktivität konnte zeigen, dass die kollaborative Übersetzung und die kollaborative Urheberschaft charakteristische und spezifische Elemente der Kulturübersetzung im Kontext der ethnologischen Feldforschung sind. Die Analyse der Beziehungen zwischen den Akteuren der Feldforschung durch Kontaktszenen, in denen sprachliche Vermittlung unerlässlich war, eröffnete in diesem Kapitel einen Blick darauf, wie Kulturübersetzung als wechselseitige interaktive Praxis der Interpretation des ›Anderen‹ entstanden ist. Die untersuchten Momente der Interaktion durch Sprachvermittlung (Dolmetschen und Übersetzen) zeigen, dass sie für die Interpretation, aber auch für die Repräsentation anderer Kulturen (durch Benennen, Transkribieren, Klassifizieren) wesentlich war. Solche Momente bestätigen daher die These, dass Kulturübersetzung eine für die Feldforschung und für die erste Phase der Wissensproduktion über indigene Kulturen der Amazonasregion fundamentale interaktive Praxis war.

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3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Bei der Analyse von Kulturübersetzung in der ethnologischen Feldforschung stellt der Mangel an schriftlichen Quellen eine Herausforderung dar und zwingt zu einem Perspektivenwechsel. Im vorherigen Kapitel wurde bereits festgestellt, dass man durch die Rolle des Dolmetschers, durch die Bedingungen der sprachlichen Vermittlung und durch die Textproduktion während der Feldforschung Kulturübersetzung aus der Perspektive der Sprachvermittlung betrachten kann. In diesem Kapitel möchte ich den Fokus auf Prozesse des materiellen Austauschs verschieben. Hier ermöglichen Dinge und Artefakte andere Formen der Mediation und der Produktion der gegenseitigen Bedeutung zwischen den Akteuren der Feldforschung zu beleuchten. Dieser Ansatz ist von den Anfängen der Ethnologie inspiriert. Denn die materielle Kultur, d.h. Objekte indigener Gemeinschaften, ersetzten den Mangel an schriftlichen Quellen zur Geschichte und zum Wissen indigener Kulturen.1 Daher wurden solche Objekte als Ethnographica bezeichnet, ein Wort, das ausgehend von seiner Etymologie als die Schrift eines Volkes zu verstehen ist. Es waren nämlich die Objekte und nicht die schriftlichen Quellen, die die Grundlage der Disziplin selbst bzw. der Produktion von ethnologischem Wissen bildeten. Während diese Studie nicht darauf abzielt, die Vergangenheit anderer Kulturen durch ethnografische Objekte zu rekonstruieren, beleuchtet der Fokus auf Objekte die Prozesse des Austauschs und der Produktion von Bedeutung zwischen Menschen verschiedener Kulturen. Diese Prozesse halte ich für charakteristisch für die Kulturübersetzung. Im Rahmen der ethnologischen Feldforschung spielte der gegenseitige Austausch von Dingen – als »materielle Gegenstände« – und Artefakten – als jene »von Menschenhand geschaffene Objekte«2 , eine wesentliche Rolle. Als indigene Haushaltsgeräte oder Jagdinstrumente beispielsweise gegen Glasperlen gehandelt, mit Nummern etikettiert, in Kisten eingepackt und vom inneren Amazonas in die Völkerkunde-Museen nach Deutschland verfrachtet wurden, um als Ethnographica 1 2

Vgl. Hoffmann: Das Museumsobjekt als Tausch- und Handelsgegenstand, S. 22. Vgl. Hahn: Materielle Kultur: Eine Einführung, S. 19.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

verkauft und ausgestellt zu werden, erlitten sie Bedeutungs- und Wertverschiebungen, die in dieser Analyse als charakteristisch für Austauschprozesse der Kulturübersetzung in der ethnologischen Forschung stehen. Die Analyse von Austauschprozessen der kulturellen Aneignung, des Tauschhandels und der Kommodifizierung soll in diesem Kapitel zum erweiterten Verständnis von Kulturübersetzung als eine interaktive Praxis beitragen, welche sich durch die Transformation, Vermittlung und Zirkulation unterschiedlicher kultureller Formen und Praktiken auszeichnet. Der Tauschhandel eines Pfeiles gegen Glasperlen oder die Bezeichnung eines enormen Spektrums von indigenen Gegenständen unter der allgemeinen Benennung Ethnographica weisen auf jene transformative Eigenschaft der Übersetzung hin, durch welche eine vermeintliche Äquivalenz3 zwischen völlig unterschiedlichen Zeichen und Objekten nicht vorgegeben, sondern ausgehandelt wird, so dass der Austausch, die Produktion und die Transformation von Bedeutung – auch als Wert – zwischen Sprachen, semantischen Systemen aber auch Märkten möglich sind.4 Diese dekonstruktivistische Auffassung von Übersetzung als Transformation, die zwangsläufig Veränderungen, Verschiebungen und ein displacement auf symbolischer aber auch auf materieller bzw. körperlicher Ebene verursacht,5 steht im Einklang mit Kyle Conways Konzeptualisierung von Kulturübersetzung als transposition: »what is ›carried across‹ is not so much culture as people who leave their place of origin and enter a new locale, bearing their culture with them«6 . Transposition impliziert hier Bedeutungsverschiebungen und Transformationen, wie Conway es weiter formuliert, »[w]hat makes this movement interesting is the transformation it brings about, especially within a cultural community as its members come into contact with cultural ›others‹.7 « In der Weiterentwick3

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6 7

Äquivalenz war bis in den 1980er Jahren ein problematischer Begriff in der Translationswissenschaft, der von der kontrastiven Linguistik beeinflusst wurde. Dabei handelte es sich »um den naiven Bezug von Signifikanten und Textstrukturen zu einer identischen, überkulturell erfahrbaren physischen, psychischen und sozialen Realität«. Prunč: Entwicklungslinien der Translationswissenschaft, S. 97. Vgl. Liu, Lydia H.: »Introduction«, in: Liu, Lydia H. (Hg.): Tokens of Exchange: The Problem of Translation in Global Circulations, Durham, NC: Duke University Press 1999, S. 1-12, hier S. 4. Konkret bezieht sich diese Auffassung auf Hommi Bhabhas Notion von cultural translation, die in der Gestalt von Migranten_innen verkörpert und erlitten wird. Vgl. Bhabha: The Location of Culture. Conway: »A Conceptual and Empirical Approach«, S. 266. Conway: »Cultural Translation: Two Modes«, S. 16f. Neben den Notionen von »anthropological culture« – als gemeinsame Auffassungen, die als selbstverständlich angesehen werden und die die Art und Weise strukturieren, wie die Mitglieder einer Gemeinschaft die Welt verstehen – und »culture as community« – d.h. »the communities themselves whose members share (or feel that they share) a common culture in the anthropological sense, with all its symbolic trappings«, betrifft transposition nach Conway auch die Notion einer symbolischen Kultur. Letztere »refers to objects or artifacts that communities invest with meaning […]«. Conway: »A Conceptual and Empirical Approach«, S. 265f.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

lung dieses Ansatzes möchte ich hinzufügen, dass es gerade im Rahmen der ethnologischen Forschung nicht unbedingt Menschen – sowohl Ethnologen als auch lokale Akteure – waren,8 sondern vor allem Dinge/Artefakte, die übertragen wurden und die in diesem Prozess Veränderungen erfuhren. Dieses Verständnis von transposition steht im Einklang mit Arjun Appadurais Analogie zwischen Museumsgegenständen und Migranten: »Like migrants […] the things that end up in an ethnographic collection went through a journey whose motions impact their being […]«9 . Diese Auffassung stützt sich darüber hinaus auf den Glauben, dass Dinge/Artefakte in indigenen Gemeinschaften auch subjektivierte Wesen verkörpern können und dabei von anderen indigenen Mitgliedern als Teil einer Gemeinschaft betrachtet werden.10 Dies wird in ethnohistorischen Arbeiten über indigene Gemeinschaften des Amazonas berichtet, die die Geschichte der Region aus der Perspektive ihrer Bewohner anhand ihrer mündlichen Überlieferungen oder Mythen beschreiben. Mythen sind, nach dem strukturalistischen Ansatz, »a form of social self-consciousness, that is, a story a society tells about itself in more or less fantastic idiom but with more or less conscious reference to received truths«11 . Sie garantieren, dass Kontrast- und Differenzbeziehungen von großer gesellschaftlicher Bedeutung nicht vergessen werden.12 Daraus schlussfolgernd erweisen sich Amazonas-Mythen als relevante historischen Quellen, die Spuren einer indigenen Perspektive zu Dingen/Artefakten enthalten können. Im ersten Teil des Kapitels soll am Austauschprozess der kulturellen Aneignung gezeigt werden, wie Bedeutungsverschiebungen durch die Übertragung von Dingen/Artefakten von einem Körper (bzw. einem semantischen System) zu einen anderen erfolgten. Hier machen Phänomene wie die Travestie und die kulturelle Anthropophagie, ebenso wie die gegenseitige Objektivierung und die Übersetzung von Selbstbezeichnungen deutlich, wie Alteritätszuschreibungen durch den eigenen und fremden Körper verhandelt wurden. Im zweiten Teil des Kapitels werden Einblicke in die Rolle von Dingen/Artefakten als Protagonisten des Tauschhandels

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10 11 12

Zu der Notion von übersetzten Menschen siehe das Kapitel »How Newness Enters the World« in Bhabha: The Location of Culture. Vgl. auch Buden, Boris [u.a.]: »Cultural Translation: An Introduction to the Problem, and Responses«, in: Translation Studies 2/2 (2009), S. 196-219; Longinovic: »Fearful Asymmetries«. Appadurai, Arjun: The Migration of Objects: Circulation against Representation in Ethnological Collections. Vortrag gehalten im Rahmen der Reihe Wörterbuch der Gegenwart #4: Sharon Macdonald, Tony Bennett & Arjun Appadurai – DING im Ethnologischen Museum in Berlin. (2016). Zit. n. Texeira Pinto, Ana: »Der Widerstand der Objekte«, in: 100 Jahre Gegenwart (2016), URL: https://journal.hkw.de/der-widerstand-der-objekte/. Letzter Zugriff am 15.5.2019. Santos-Granero (Hg.): The Occult Life of Things; Hugh-Jones: »The fabricated body«. Salomon: »Testimonies: The Making and Reading of Native South American Historical Sources«, S. 53. Ebd., S. 56.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

in der Feldforschung gewonnen. Dabei kann beobachtet werden, wie die kulturelle Bedeutung eines Dings/Artefakts im Tauschhandel verhandelt wurde, insofern es von einem semantischen System in ein anderes übersetzt wurde. Die Bedeutungsverschiebungen, die Dinge/Artefakte durch ihre geografische und semantische Übertragung in ihren kulturellen Bedeutungen erlitten, umfassen schließlich auch ihre Transformation in Waren durch den gegenseitigen Austausch. Diese weitere Verwandlung wird hier als Kommodifizierung konzipiert.

3.1.

Kulturelle Aneignung

Kulturübersetzung als konstitutive interaktive Praxis der ethnologischen Feldforschung und der Wissensproduktion über indigene Kulturen der Amazonasregion lässt sich konkret anhand von Austauschprozessen zwischen Indigenen und Ethnologen untersuchen. Dabei erlitten Artefakte (z.B. Kleidungstücke) und Dinge (z.B. Körperteile oder der Körper selbst) Bedeutungs- und Wertverschiebungen. Dies scheint auf den ersten Blick eine triviale Erkenntnis zu sein, denn es ist offensichtlich, dass die Präsenz – und hier meine ich die körperliche Präsenz – anderer Menschen und Dinge für den Kontakt, den Austausch und die kulturelle Aneignung wesentlich ist. Dennoch ist die Körperlichkeit der kulturellen Begegnung für die Untersuchung von Kulturübersetzung als interaktive Praxis relevant, insofern Kultur nicht nur auf symbolischen Bedeutungen, sondern auch auf körperlich-materiellen Erzeugnissen beruht. In diesem Kapitel wird zunächst eine von Ethnologen praktizierten Travestie als eine Form kultureller Aneignung illustriert. Dabei erfolgte eine Selbstinszenierung mittels der Aneignung von indigenen Kleidungsstücken. Auf diese Weise objektivierten Ethnologen die Kultur ›des Anderen‹ und in derselben Bewegung konstruierten sie eine andere Subjektivität als temporäre Überläufer zwischen den Kulturen. Eine kulturelle Aneignung seitens der indigenen Akteure wird ebenso veranschaulicht, wenn sie europäische Gegenstände einverleibten, um in die Gestalt der ›Weißen‹ schlüpfen zu können. Ihre Art, sich Artefakte des Ethnologen anzueignen, soll in Anlehnung an den brasilianischen kulturwissenschaftlichen Ansatz der kulturellen Anthropophagie analysiert werden. Eine weitere Form der kulturellen Aneignung erfolgte durch die gegenseitige Vermessung des ›anderen‹ Körpers und den Austausch von Körperteilen (z.B. von Haaren). Dabei lässt sich eine reziproke Aneignung beobachten, die auch zur gegenseitigen Objektivierung des Körpers des ›Anderen‹ diente. Die Übersetzung von Bezeichnungen, die Ethnologen verwendeten, wie z.B. Doktor in Pajé (Schamane), illustrieren, wie die Aneignung einer Bezeichnung besondere kulturelle Konnotationen mit sich brachte und dabei zur Domestizierung der Figur des Ethnologen im sozialen Gefüge der Kontakt-

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

zone führte, so dass diese entsprechend der Figur des ›Weißen‹ nach indigenen Mythologien übersetzt wurde.

Travestie und kulturelle Anthropophagie: Die Einverleibung von Dingen des ›Anderen‹ Auf einem bisher unveröffentlichten Bild aus einem persönlichen Fotoalbum Theodor Koch-Grünbergs ist Peré, ein Makuschí aus dem Dorf Koimelemong, zu sehen (Abb. 20). Die Identifizierung Perés war möglich durch den Vergleich dieser Fotografie mit einer anderen aus dem Typen-Atlas, Band 5 der Monografie Vom Roroima zum Orinoko. Darin beschreibt Koch-Grünberg Peré folgenderweise: »Peré. Alter: 30 Jahre. Sehr gutmütig; guter Jäger«13 . Die Aufnahme wurde höchst wahrscheinlich von seinem Begleiter Hermann Schmidt während eines Tanzfestes auf der zweiten Expedition im Roraima-Gebiet gemacht. Neben Peré steht Theodor Koch-Grünberg, der sich wie folgt dazu äußert: »Die Tänze dauern die ganze Nacht ununterbrochen fort. Bis nach Mitternacht halte ich aus. Ich tanze einige Runden mit, im Gesicht rot bemalt und mit Zahnketten behängt, auf dem Kopf die Federkrone, trinke auch mein Quantum Kaschirí […]«14 . Eine mögliche Interpretation der Szene, die dieses Bild vermittelt, lässt sich aus einer Übersetzungsperspektive mit dem Schwerpunkt auf die Rolle von Dingen/Artefakten durchführen. Im Gegensatz zu traditionellen visuellen Darstellungen der Reiseberichte der Zeit, wo Indigene das ›Exotische‹ repräsentieren, evoziert in dieser Fotografie nicht Peré, sondern Koch-Grünberg eine Art verkehrten Exotismus. Denn was in diesem Bild die Aufmerksamkeit erregt, ist die bisher unbekannte Gestalt des Ethnologen. Was sein Aussehen hier gekennzeichnet, sind Artefakte wie die Federkrone, die Halskette und das Kürbisgefäß, ebenso wie seine Gesichtsbemalung. Es sind diese Gegenstände, die aus der Fotografie etwas Besonderes machen; die Objekte und nicht lediglich die zwei Menschen sind die Protagonisten. Wenn man diese Artefakte auch als Akteure oder – im Sinne Latours als Aktante – der ethnologischen Feldforschung betrachtet, geht man von der Annahme aus, dass sie auch etwas tun konnten. Daher stellt sich die Frage, was sie dabei taten, bzw. Bruno Latours Vorschlag folgend15 : Was hätten die andere Akteure gemacht,

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Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Typen-Atlas, S. 15. Tafel 5. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 61. »[…] every time you want to know what a nonhuman does, simply imagine what other humans or other nonhumans would have to do were this character not present. This imaginary substitution exactly sizes up the role, or function, of this little character«. Latour, Bruno: »Where Are the Missing Masses? The Sociology of a Few Mundane Artefacts«, in: Johnson, Deborah J. und Jameson M. Wetmore (Hg.): Technology and Society: Building Our Sociotechnical Future, Mass: MIT Press 2008, S. 151-180, hier S. 155.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

wenn diese Artefakte nicht dabei gewesen wären? Diese Artefakte spielten eine Rolle, insofern sie anscheinend im Ethnologen erst einmal den Wunsch erweckten, sie tragen zu wollen, denn wenn es nicht so gewesen wäre, hätte er sie nicht getragen und hätte sich nicht mit ihnen fotografieren lassen. Diese Artefakte motivierten in der Folge ihre Aneignung und wiederum die Fotografie. Ohne diese Artefakte hätte es keinen Grund gegeben, eine Fotografie des Ethnologen Koch-Grünberg – als aktiver Beteiligter eines Fests – im Pyjama zu machen. Mit der Fotografie bezweckte der Ethnologe die Dokumentation dieser Selbstinszenierung. Die Fotografie, als Bestandteil des persönlichen Fotoalbums des Forschers, spielt auch als Artefakt eine aktive Rolle. Sie »transzendiert das epistemische System« und vermittelt was man als »Faszination« interpretieren kann.16 Sie zeugt auf den ersten Blick von der Erfahrung des Ethnologen als zwiespältiger Mensch zwischen den Kulturen. Die aktive Rolle dieses Artefakts lässt sich bis zu dieser Studie verfolgen, denn sie ist ein Motiv für meine Analyse. Ich betrachte sie als einen Beweis eines Momentes der kulturellen Aneignung und Verhandlung von Identitäten während der Feldforschung. Diese Fotografie erregt die Aufmerksamkeit, weil sie eine Destabilisierung des Bildes des Ethnologen zum Ausdruck bringt. Hierin ermöglichte die Transposition dieser Artefakte die Einverleibung von Dingen des ›Anderen‹, die man hier als kulturelle Aneignung verstehen kann. Die Identität, die Ethnologen inne hatten, war keineswegs statisch und lässt sich in diversen Figuren identifizieren. Sie performierten als Reisende, Wissenschaftler, Abenteuer und ›Männer‹ ihrer Zeit, insofern sie z.B. bestimmte Artefakte wie Kleidung für die Expedition, Instrumente für die Wettervermessung und für das Kartografieren, Waffen und andere Gegenstände verwendeten. Dennoch unterliefen einige Amazonasforscher diese bereits instabilen Identitäten auf subversive Art und Weise, indem sie sich wie Indigene kleideten, sich indigene Namen aneigneten und sich dabei als ›Indianer‹ inszenierten. In diesem Prozess der Destabilisierung durch körperliche Transformationen erfolgten Verwandlungen des ›Anderen‹ in das ›Ich‹. In der Reiseliteratur wird diese Art kultureller Aneignung mithilfe der Konzepte der »Grenzüberschreitung« und des »kulturelle[n] Grenzgehen[s]« verstanden. 17 16

17

Diese Überschreitung des wissenschaftlichen Blicks anhand Postkarten und Fotografien aus Südamerika hat Hinnerk Onken als den »sehnsüchtigen Blick« konzipiert. Onken, Hinnerk: Ambivalente Bilder. Fotografien und Bildpostkarten aus Südamerika im Deutschen Reich (18801930), Bielefeld: transcript 2019. S. 149ff. Vgl. Frank, Michael C.: Kulturelle Einflussangst. Inszenierungen der Grenze in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts, Bielefeld: transcript 2006, S. 49ff. Weitere Beispiele des Phänomens des »Kulturellen Grenzgehens« sind Reisende und Forscher in der Amazonasregion wie Thomas Whiffen, der sich als ›Indianer‹ fotografieren ließ. Vgl. Chaumeil, Jean-Pierre: »Guerra de Imágenes en el Putumayo«, in: Chirif, Alberto und Manuel Cornejo Chaparro (Hg.): Imaginario e imágenes de la época del caucho: Los sucesos del Putumayo, Lima: Centro Amazónico de

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Abbildung 20: Peré und Theodor Koch-Grünberg. Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-X, AIV, 14a.

Antropología y Aplicación Práctica 2009, S. 38-73. Eins klassisches Beispiel in der Amazonasforschung der deutschen Ethnologie ist der Jenaer Kurt Unckel, später von Indigenen getauft als Nimeundajú. Er lebte und forschte über 40 Jahre im Amazonasgebiet und identifizierte sich bis zu seinem Tode mit den Indigenen, nicht mit den Europäern. Vgl. Welper: »A aventura etnográfica de Curt Nimuendajú. The ethnographic adventure of Curt Nimuendajú«; Born, Joachim: Curt Unckel Nimuendajú – ein Jenenser als Pionier im brasilianischen Nord(ost)en Internationales Kolloquium vom 8. bis 10. Dezember 2005 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena anlässlich des 60. Todestages Curt Unckels, Wien: Praesens-Verl. 2007 (Beihefte zu Quo Vadis, Romania? 29).

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Dieses Bild vermittelt eine Selbstinszenierung, die der »Travestie«18 , die hier strenggenommen als Verkleidung erscheint, jedoch nicht unbedingt in parodierender Absicht. In Anlehnung an Karl-Heinz Kohl geht es hier um eine »äußerliche Travestie der Lebensformen«, ein für die Ethnologie der Zeit charakteristisches Phänomen. Es handelt sich dabei um die Erfahrung, »die Andersartigkeit fremder Kulturen nicht nur in der Imagination« zu erleben19 . Die Travestie ist als eine Form von Subjektivierung seitens der Ethnologen zu verstehen, an der sich beobachten lässt, wie diese durch die Verwendung von Federkronen oder ganzem Tanzschmuck kurzzeitig eine hybride Gestalt konstruierten und dabei statische Auffassungen von Kultur bzw. Identität in subversiver Weise unterliefen, obwohl sie dies vermutlich unbewusst taten. Am Beispiel des Phänomens der Travestie in der Ethnologie lässt sich ferner beobachten, dass Ethnologen ihre hybriden und temporären Gestalten subjektivierten, während sie indigene Kulturen in derselben Handlung objektivierten. Denn das Anziehen einer Federkrone entpuppt sich hier als Transposition eines Artefaktes von einem semantischen System in ein anderes. Sie verursachte Transformationen in dem ›Ich‹, aber auch eine Destabilisierung der Bedeutungen der Artefakte selbst. Bei dieser kulturellen Aneignung erfolgten die Subjektivierung des Ethnologen und die Objektivierung der Kultur des ›Anderen‹ parallel, und es entstanden daher ambivalente Zuschreibungen. Indigene Akteure schrieben Artefakten, die sie von den Ethnologen erworben, eigene Bedeutungen und Konnotationen zu, sodass diese für sie eine andere Bedeutung, aber auch einen anderen Wert hatten als für die Ethnologen. In Tauschobjekten, die für Ethnologen meistens billige Tauschwaren darstellten, wie europäische Glasperlen, Knöpfe, Glöckchen oder Fingerhüte, sahen indigene Akteure wertvolle Elemente, die sie in Schmuck verwandelten.20 Angelhaken wurden zu

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In Bezug auf die in literarischen Übersetzungen praktizierte kulturelle Übersetzung spricht Birgit Wagner von der Travestie als Spezialfall der kulturellen Übersetzung, hier handelt es sich um eine parodistische Übersetzung. Wagner: »Ein Muttermal, so schön wie ein Amberstückchen. Das Verhältnis von sprachlicher und kultureller Übersetzung, diskutiert am Beispiel von Antoine Gallands Mille et une nuits«, S. 273. Im Falle der Ethnologie erkannte Karl-Heinz Kohl in den sogenannten kulturellen Überläufern eine Identitätsverwandlung in der Form von Travestie. Vgl. Kohl, Karl-Heinz: »›Travestie der Lebensform‹ oder ›kulturelle Konversion‹? Zur Geschichte des kulturellen Überläufertums«, in: Koebner, Thomas und Gerhard Pickerodt (Hg.): Die andere Welt. Studien zum Exotismus, Frankfurt a.M.: Athenäum Verlag 1987, S. 88-120. Kohl, Karl-Heinz: Abwehr und Verlangen. Zur Geschichte der Ethnologie, Frankfurt a.M.: Campus 1987, S. 9. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 75; Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 90; Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 240; KochGrünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Ethnographie, S. 33.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Ohrringen21 , Silbermünzen als Ohrschmuck22 und europäische Nadeln als Lippenschmuck gebraucht.23 Anderen Objekte wie Puppen wurden andere Bedeutungen und Funktionen zugeschrieben, wenn diese z.B. für christliche Heilige gehalten wurden.24 Wie Kleider eine neue Verwendung bekamen, lässt sich exemplarisch aus dem Bericht Max Schmidts illustrieren, in dem die Guató-Indigenen sich Hosen aneigneten und diese ihren Bedürfnissen anpassten: Die Hose der Männer wurde nicht mehr ordnungsgemäss angezogen, sondern zusammengefaltet, lose, vermittels eines Riemens um die Hüften geschlungen. Die Hosenbeine werden dabei zurückgeschlagen und mit den unteren Enden in den Gürtel gesteckt. So hat man das Bewusstsein, eine europäische Hose zu besitzen, ohne darum die mit ihr verbundenen Nachteile auf sich zu nehmen, die vom praktischen Standpunkt aus in einer Behinderung freier Körperbewegungen und vom ästhetischen Standpunkt aus in der Verhüllung der menschlichen Körperformen bestehen.25 Die Bedeutung der Hose als Kleidungsstück oder ihre ursprüngliche Verwendung wurde in diesem Beispiel unterlaufen, was Schmidt nicht »ordnungsgemäss« fand. Wie Schmidt erkannte, ging es den Indigenen darum, die europäische Hose zu haben, aber nicht, um wie ein Europäer auszusehen, sondern um dieses Objekt zu besitzen, es sich anzueignen und es nach den eigenen Bedürfnissen zu verwenden. Wenn westliche Waren in den Händen der Indigenen landeten, durchliefen sie, um mit Hugh-Jones zu sprechen, eine Art »kulturelle Neubestimmung« und konnten neuartigen Verwendungen zugeführt werden.26 Wie weitere Verwandlungen des ›Anderen‹ in das ›Ich‹ und die Destabilisierung der Bedeutung von Artefakten während der Feldforschung erfolgen konnten, illustriert ein Spiel der Travestie in der Schilderung von Karl von den Steinens zweiter Expedition. Hier machten sich der Ethnologe und seine Kollegen über ihre indigenen Begleiter lustig, die sie als »Europäer maskiert« hatten, was in der folgenden Szene geschildert wird (Abb. 21): Der ›Droschkenkutscher, der uns mit Tumayaua bis zu den Auetó begleitet hatte und der ein grosser Zauberarzt war, trennte sich hier von uns. Er musste sich durchaus an der Behandlung beteiligen und war nicht zu bewegen, den Fall dem doch äusserst tüchtig blasenden Kollegen allein zu überlassen. Zum Lohn für dieses zivilisierte Verhalten verschafften wir ihm auch ein zivilisiertes Aeusseres, das

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Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 132. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 123f. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 240. Ebd., S. 101. Ebd., S. 215. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Ethnographie, S. 149. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 151. Hugh-Jones: »Yesterday’s Luxuries«, S. 54.

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neben einem grossen Messer das Ziel seines Ehrgeizes gewesen war, in Gestalt eines Hemdes und einer Kopfbekleidung. Wir schmückten ihn mit Tumayaua, der schon längst in schwarzweiss karriertem Hemd und weisser Leinenhose darunter umherspazierte, gleichzeitig feierlich aus und photographierten die Heiden, wie figurae Abbildung 8 zeigen. Wilhelm hatte einige Prämien für die verdienstvollen Reisegenossen aufbewahrt, eine prächtige Düsseldorfer Fastnachtsmütze, von ihm selbst in der Eigenschaft eines Prinzen Karneval auf hohem Triumphwagen getragen, grün, gelb, weiss und rot mit blinkenden Schellen, desgleichen den mit Brillanten besetzten Halsorden Sr. Närrischen Hoheit diese beiden Stücke wurden Tumayaua zu Teil – und eine echte Karnevalsmütze der noch lustigeren Schwesterstadt am Rhein, die wir dem Kollegen Droschkenkutscher in Ermangelung eines Doktorhutes über die Tonsur stülpten. Tumayaua erhielt ausserdem einen von Wilhelm in Rio de Janeiro gekauften schwarzen Gehrock, Import aus Paris et le dernier mot de la perfection. Die Abbildung giebt uns einen schwachen Begriff davon, wie schauderhaft die zwei vor Stolz aufgeblasenen Narren in den Kleidern erschienen; beide gewiss nicht die schönsten Typen, sahen sie nun aber plötzlich geradezu hässlich krumm und schief aus, und daran war mehr als die Schäbigkeit des Anzugs der Umstand schuld, dass alle Umrisslinien aufgehoben und charakterlos geworden waren. Tumayaua war in Hemd und Hose noch ungeschickt wie am ersten Tage, er zerriss sie im Walde und schonte sie andrerseits wieder in übertriebener Vorsicht, indem er sie bei Gelegenheiten auszog, wo selbst Kinder es nicht nötig haben.27 Dass die Umrisse der Ethnologie als eine seriöse wissenschaftliche Disziplin noch relativ unklar waren, kommt in dieser Parodie zum Ausdruck. Irrelevant sind hier die Absichten oder Motive für das Verhalten der Forscher (zweifelsohne Überheblichkeit). Von Bedeutung für diese Untersuchung ist vielmehr die Handlung an sich. Die Verkleidung trug für von den Steinen zur Verzerrung des Bildes der Indigenen bei, weil für den Ethnologen ihre Körper – die bereits als »nicht die schönsten Typen« bewertet wurden – nicht mit der ›lächerlichen‹ Kleidung, die sie trugen, vereinbar waren. Über die Erzeugung eines negativen Bildes von Tumayua und Pakurali (der eigentliche Name des sogenannten Droschkenkutschers) hinaus hat diese Aktion der Gruppe eine doppelte Bedeutung. Auf der einen Seite zeigt die Travestie, dass in den Augen des Ethnologen Tumayua und Pakurali als ›Indianer‹ keine Kleidung tragen sollten, wodurch ihnen das Recht auf kulturelle Aneignung verwehrt wird. Auf der anderen Seite kann die Travestie auch als Parodie auf die eigene Kultur der Forscher verstanden werden, da es die (europäische) Kleidung ist, die ihrer Ansicht nach ein verzerrtes Bild ihrer Begleiter erzeugt. Oft brachten die Ethnologen ihre Enttäuschung zum Aus-

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Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 131.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Abbildung 21: »Indianer als Europäer maskiert.« Von den Steinen 1894. S. 131.

druck, wenn sie bekleideten Indigenen begegneten. Als Koch-Grünberg und seine Reisebegleitung im Dorf Koimelemong von »›Ehrenjungfrauen‹, hübsche[n] braune[n] Makuschí und Jarikúna Mädchen […] Männer[n], Weiber[n] und Kinder[n]« empfangen wurden, bemerkte er, dass von diesen Menschen »Gottseidank […] nur die wenigsten bekleidet waren«.28 Ähnliche Bemerkungen sind an anderen Stellen ebenfalls in Max Schmidts Reisebericht zu finden.29 Die Travestie-Szene aus von den Steinens Bericht lässt sich als die Notwendigkeit betrachten, das Zeichen, d.h. das Bild des ›Indianers‹ als ›Naturmensch‹, wie es in der frühen Ethnologie verstanden wurde, durch die Transposition von

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Tagebucheintrag vom 17.7.1911. ES Mr B.I.3. Heft 2. Vgl. auch Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 297. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Ethnographie, S. 156f. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. S. 151, 183.

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Kleidung zu untergraben bzw. zu korrumpieren, um dann in derselben Operation zu zeigen, dass es nur in seinem ursprünglichen Zustand, d.h. ohne Kleidung, als solches anerkannt werden kann. Die resultierte hybride Gestalt dieser Individuen wird als destruktiv für ihre ›ursprüngliche‹ Identität betrachtet.30 Diese Transposition verursacht eine Art Entortung dieser Individuen aus dem ethnologischen Imaginarium, in dem sie, wie bereits illustriert, lieber in ihrer ›Ursprünglichkeit‹ geschätzt wurden, d.h. nackt und lediglich mit indigenen Artefakten geschmückt. In europäischer Kleidung zeigten sich Tumayua und Pakurali als hybride Gestalten. Und diese Hybridität verhinderte ihre Einordnung als ›Indianer‹, d.h. sie verhinderte die Operation der Konstruktion eines Originals, die bereits im Kapitel 1 als ethnologische Übersetzung illustriert wurde. Die Transposition von Artefakten und dabei von Tumayua und Pakurali von einem semantischen System, dem des Ethnologen, in ein anderes, dem der destabilisierten und hybriden Gestalten der Indigenen in der Amazonas-Kontaktzone, ermöglicht darüber hinaus Einblicke in die Perspektive dieser Individuen. Laut von den Steinens Beschreibung schienen Tumayua und Pakurali mit der westlichen Kleidung nicht gedemütigt, sondern stolz zu sein. Denn die Kleidungsstücke, die für die Europäer ein Mittel zur Verfälschung des ursprünglichen Bildes des ›Indianers‹ bedeuteten, nahmen an den Körpern von Tumayua und Pakurali einen anderen Wert an. Für sie waren dies wertvolle Artefakte, die ihnen einen anderen Status verliehen. Dies kann ebenso am Beispiel von Konrad Theodor Preuss Bericht beobachtet werden, der einen Zugang zur Perspektive einiger Uitoto-Indigener eröffnet. Für diese bedeutete die europäische Kleidung ein Statussymbol. Für seinen Dolmetscher Pedro war es beispielsweise »wohl der glücklichste Tag seines Lebens, als er sich bei meiner Rückfahrt nach Florencia dort Kleider kaufen […] und mit Schlips und Strohhut durch die Straßen wandeln konnte, abgesondert von seinen Genossen, die nicht in der glücklichen Lage waren, sich so zu kleiden«31 . Die Aneignung von Artefakten des ›Anderen‹ bedeutete in der Amazonasregion nicht die Destruktion, sondern vielmehr die Konstruktion der eigenen Identität. Die Relevanz der Aneignung und ihre Transposition von Artefakten wie Kleidung für indigene Akteure konnte daran liegen, dass die Kleidung zur Konstruktion des Körpers beitrug. Denn Körper werden von ihnen als Orte verstanden, in denen die Differenzen wahrgenommen werden und Perspektiven entstehen, sie werden nicht als »Tatsachen«, sondern als »Erzeugnisse« angesehen.32 Diese Auffassung wird nach dem brasilianischen Perspektivismus33 als charakteristisch für die »amer30 31 32 33

Bhabha: The Location of Culture, S. 322. Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto, S. 12. Viveiros de Castro: Die Unbeständigkeit der wilden Seele, S. 297. Im Perspektivismus wird der Fokus auf das Verständnis einer Ontologie und Kosmologie der indigenen Gemeinschaften gelegt. Dieser Ansatz gibt insofern neue Impulse für kulturwissenschaftliche Analysen, als die Dichotomie Westen versus Indigene aus heuristischen

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

indischen Ontologien« betrachtet. Diese gründen auf einem universellen Prinzip von Kultur (Menschheit) aller Wesen und auf einer spezifischen Natur jedes Wesens (auch als sozialer Körper), die sich in ständiger Konstruktion und Verwandlung befinden. Hier wäre die Seele das »set of cognitive and volitional capacities« (oder die menschliche Kultur) aller Subjekte, die Menschen sein können, aber nicht müssen, während die Körper, also die Natur, die Differenz zwischen den Subjekten bestimmen.34 Wie zum Beispiel der Körper der Ethnologen als Erzeugnis, d.h. als etwas Konstruiertes wahrgenommen wurde, lässt sich anhand einer Textpassage Karl von den Steinens illustrieren: »Unsere Kleider erschienen den guten Leuten so merkwürdig wie uns ihre Nacktheit. Ich wurde von Männern und Frauen zum Baden begleitet und musste mir gefallen lassen, dass alle meine Zwiebelschalen auf das Genaueste untersucht wurden«35 . Während die Ethnologen Federschmuck und weitere Verzierungen des indigenen Körpers als zusätzliche und künstliche Objekte und nicht als natürliche Merkmale beurteilten, untersuchten und betrachteten die Indigenen jene Artefakte, in diesem Fall die Kleider des Ethnologen, als konstitutive Komponenten seines Körpers. In den Worten des brasilianischen Kulturanthropologen Eduardo Viveiros de Castro »where our modern, anthropological multiculturalist ontology is founded on the mutual implication of the unity of nature and the plurality of cultures, the Amerindian conception would suppose a spiritual unity and a corporeal diversity – or, on other words, one ›culture,‹ multiple ›natures‹«36 . Ethnologen waren in diesem Zusammenhang aus der Perspektive der indigenen Akteure von einer anderen Natur, nicht zuletzt infolge ihrer Kleidung. Hier stehen sowohl westliche Kleidung als auch indigene Artefakte für jene Dinge, welche die Transformation des Zeichens ermöglichten. In dieser Hinsicht treten Dinge nicht als passive Objekte in den sozialen Interaktionen auf, sondern als aktive Bestandteile derer, die – als Aktanten – Quelle einer bestimmten Handlung sein

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Gründen aufrechterhalten wird und dabei noch herrschende ›abendländische‹ Auffassungen in Frage gestellt werden. Es wird dem Ansatz jedoch vorgeworfen, er ließe die politische Realität des interethnischen Konfliktes im Amazonasgebiet außer Acht und vertrete eine holistische Auffassung der indigenen Kulturen des Amazonasgebietes, in der eine allgemeine amerindische Kosmologie als selbstverständlich erscheint. Zum Perspektivismus vgl. Viveiros de Castro: Die Unbeständigkeit der wilden Seele; Viveiros de Castro, Eduardo: »Perspectival Anthropology and the Method of Controlled Equivocation«, in: Tipití: Journal of the Society for the Anthropology of Lowland South America 2/1 (2004), URL: https://digitalcommons.trinity.edu/tipiti/vol2/iss1/1/. Letzter Zugriff am 1.6.2019. Vgl. auch Latour, Bruno: »Perspectivism: ›Type‹ or ›bomb‹?«, in: Anthropology Today 25/2 (2009), S. 21-22. Zur Kritik vgl. Ramos: »The Politics of Perspectivism«. Viveiros de Castro: Die Unbeständigkeit der wilden Seele, S. 297. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 64. Viveiros de Castro: »Perspectival Anthropology and the Method of Controlled Equivocation«, S. 6. Letzter Zugriff am 29.1.2019.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Abbildung 22: »Kissenberth mit KarajáHut neben einer aztekischen Steinskulptur.« Hermannstädter 2002. S. 110.

können.37 Karl von den Steinen schien die Differenz zwischen Ethnologen und Indigenen bei der Konstruktion des Subjektes anhand von Artefakten wie Kleidern erkannt zu haben, wenn er anmerkte, dass »[d]er Hauptunterschied zwischen uns und ihnen nur der [ist], dass sie an der Haut thun müssen, was wir an den Kleidern thun können.«38 Die Einstellung von indigenen Akteuren zur Aneignung europäischer Gegenstände ist charakteristisch für eine Minderheitenposition bestimmter Akteure der Feldforschung in der Amazonas-Kontaktzone, die sich ›in-between‹ befand und die kulturelle Aneignung nicht im Sinne der Assimilation durchführte, sondern als »the ambivalent process of splitting and hybridity that marks the identification with culture’s difference«39 . Diese postkoloniale Sicht der Aneignung und Hybridität als 37

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Vgl. Latour: »On Actor-Network Theory: A Few Clarifications«, in: Soziale Welt 47 (1996), S. 369-381, hier S. 373. Zu einem Versuch, ethnografische Gegenstände mit Bezug auf Bruno Latours Actor-Network-Theorie als Aktanten zu untersuchen, vgl. Scholz/Mans: »Menschen und Dinge aus der Guayana-Region«. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 178. Bhabha: The Location of Culture, S. 321.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Markenzeichen der Kulturübersetzung erweitert sich, wenn berücksichtigt wird, dass Hybridität und Aneignung Formen der Subjektivierung durch Anthropophagie in indigenen Gemeinschaften ermöglichten, also durch die Einverleibung des ›Anderen‹. Während sie zur Konstruktion ihres sozialen Körpers diente, ging es für die Ethnologen bei der Travestie um eine temporäre Aneignung und Selbstinszenierung (siehe z .B. Abb. 22), die zur Konstruktion der Ethnologen-Identität beitrugen. Die Aneignung als Einverleibung von europäischen Artefakten wird in Anlehnung an die lateinamerikanische Kulturtheorie als kulturelle Anthropophagie definiert.40 Nach Ansicht der in den 1920er Jahren gegründeten anthropophagischen Bewegung Brasiliens und des von Oswald de Andrade verfassten Anthropophagischen Manifests41 konstituiert die kulturelle Aneignung von Europäischem den hybriden Charakter der brasilianischen Geschichte und Kultur.42 Das anthropophagische Manifest wandelten in den 1980er Jahren die Dichter und Übersetzer Haroldo und Augusto de Campos in eine Art Übersetzungstheorie um, wo die Metaphern der Einverleibung und der Transfusion zentral sind. Beide implizieren das Auflösen von Grenzen und Hierarchien zwischen Original und Übersetzung, ebenso wie eine Intertextualität bzw. »Transtextualisierung«, die »Durchdringung von Literaturen, die Koexistenz verschiedener Diskurse« und die doppelte kulturelle Aneignung.43 Dieser Ansatz, der insbesondere für die literarische Übersetzung angewandt wurde44 , geht jedoch auf die kulturelle Aneignung und dabei auf die Kulturübersetzung zurück, die bereits mit dem Kontakt verschiedener Kulturen in der Kontaktzone des Amazonasgebiets begann. 40

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Zur Analogie zwischen Anthropophagie und Übersetzung vgl. Rouanet, Maria Helena: »Quando os Bárbaros Somos Nós«, in: Picabia, Francis, Jorge Ruffinelli, and João Cezar de Castro Rocha (Hg.): Antropofagia hoje? Oswald de Andrade em cena, São Paulo: Realizações 2011, S. 171-179. Vgl. De Andrade, Oswald: »Anthropophagisches Manifest«, in: Exner, Isabel und Gudrun Rath (Hg.): Lateinamerikanische Kulturtheorien. Grundlagentexte, Konstanz: Konstanz University Press 2015, S. 45-50. Vgl. Snell-Hornby: The Turns of Translation Studies, S. 60f. Vieira, Else Ribeiro Pires: »Eine postmoderne Übersetzungstheorie«, in: Wolf, Michaela (Hg.): Übersetzungswissenschaft in Brasilien: Beiträge zum Status von »Original« und Übersetzung, Tübingen: Stauffenburg 1997, S. 103-116, hier S. 106f. Vgl. auch De Andrade: »Anthropophagisches Manifest«; De Andrade, Oswald: »Manifesto Antropófago II«, in: Ruffinelli, Jorge und João Cezar De Castro Rocha (Hg.): Anthropofagia hoje? Oswald de Andrade em cena, São Paulo: Realizações 2011, S. 49-54. Vgl. Vieira: »Eine postmoderne Übersetzungstheorie«; Vieira, Else Ribeiro Pires: »Fragmentos de uma história de travessias: tradução e (re)criação na pós-modernidade brasileira e hispano-americana«, in: Aletria: Revista de Estudos de Literatura 4 (1996), S. 61-80; Campos, Haroldo de: »Tradução e reconfiguração do imaginário: o tradutor como transfingidor«, in: Coulthard, Malcolm und Carmen Rosa Caldas-Coulthard (Hg.): Tradução: Teoria e Prática, Florianópolis: Universidade Federal de Santa Catarina 1991, S. 17-31.

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Transformationen des Körpers gehörten zum Alltag der in den Reiseberichten und Ethnografien beschriebenen indigenen Gemeinschaften des Amazonasgebietes. Damit ist hier nicht nur die Körperbemalung oder die Verwendung von Masken, Federn, Fellen oder Tierzähnen gemeint, sondern auch die durch den Kontakt mit den Ethnologen verursachte Aneignung von westlicher Kleidung, von Waffen und anderen westlichen Waren. Auf diese Weise ist die Aneignung von westlichen Kleidern als eine Form der körperlichen Metamorphose und als Zeichen des Perspektivenaustauschs zu begreifen. Im Kontakt mit den Ethnologen erfolgte Kulturübersetzung als Einverleibung des ›Anderen‹ in das ›Ich‹ und damit auch als Destabilisierung des Selbst. Diese wechselseitigen Austauschprozesse definierten den Kontakt während der Feldforschung und sind als Eigenschaften der Kulturübersetzung zu betrachten. Kulturübersetzung gründet auf ein Prinzip der gegenseitigen Aneignung des Anderen oder, wie Oswald de Andrade es formuliert: »Ich interessiere mich nur für das, was nicht meins ist. Gesetz des Menschen. Gesetz des Anthropophagen […] Ich bin nur an dem interessiert, was ich nicht bin«45 . Der Anthropophage wünscht sich das zu integrieren, was ihm nicht gehört. Nach der kulturellen Anthropophagie, um mit Carlos A. Jáuregui zu sprechen, ist gerade das Andere, der Andere, der uns vereint, oder besser gesagt, den Wunsch nach dem anderen. Das Anthropofagische Manifest impliziert, ein Ich, das verdaut und das sich im Akt des Essens verändert. Nach dem Festmahl ist man nicht gleich, aber man wird auch nicht verschlungen; bei der Einverleibung, [wie bei der Übersetzung], ist immer etwas verloren und immer etwas gewonnen.46 Dieses Prinzip erklärt, warum sich Indigene möglicherweise westliche Kleidung angeeignet haben, nämlich nicht, um die eigene Identität zu verbergen oder um wie die ›Weißen‹ auszusehen, sondern um »die Kräfte eines anderen Körpers zu aktivieren«, um wie dieser Körper zu funktionieren. Denn es »geht weniger darum, dass der Körper ein Kleid ist, als vielmehr, dass das Kleid ein Körper ist«47 . Denn nach diesem Verständnis können Kleider, um mit Stephen Hugh-Jones zu sprechen, als »changeable skins« interpretiert werden, also als »things that can be taken on and off to produce transformations in being and appearance equiva-

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»Só me interessa o que não é meu. Lei do homem. Lei do antropófago«. […] só me interessa o que não sou eu«. Übersetzung der Autorin. De Andrade: »Manifesto Antropófago II«, S. 52. »Nos Une lo otro, el Otro; o mejor: el deseo por el Otro. El MA [Manifiesto Antropófago] implica un yo que digiere y que en acto de comer cambia. Después del festín no se es el mismo, pero tampoco se es lo devorado; en la incorporación algo siempre se pierde y algo siempre se gana«. Jáuregui, Carlos A. : Canibalia. Canibalismo, calibanismo, antropofagia cultural y consumo en América Latina, Madrid : Iberoamericana/Vervuert 2008, S. 431. Meine Übersetzung. Viveiros de Castro: Die Unbeständigkeit der wilden Seele, S. 300.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

lent to insect puppation or the sloughing of skins by snakes.«48 Körperliche Transformationen implizierten dann auch die Transformation von Kleidern selbst; der menschliche Körper als auch Kleider als Körper sind in der Folge als Zeichen zu verstehen, welche durch ihre Transposition zwischen semantischen Systemen Verwandlungen erfuhren. Dabei versteht sich die Einverleibung von Artefakten und kulturellen Aspekten der europäischen Kultur durch einen Teil der indigenen Bevölkerung des Amazonasgebietes als eine critical devoration of the universal cultural heritage, formulated not from the insipid, resigned perspective of the »noble savage« (idealized within the model of European virtues in the »nativist« line of Brazilian Romanticism), […] but from the point of view of the »bad savage,« devourer of whites – the cannibal. The latter view does not involve a submission (an indoctrination), but a transculturation, or, better, a »transvalorization«: a critical view of History as a negative function (in Nietzsche’s sense of the term), capable of appropriation and of expropriation, dehierarchization, deconstruction.49 Haroldo de Campos weist hier auf die Präsenz von Machtasymmetrien als wesentlichen Aspekt der kulturellen Anthropophagie hin, der auch in den Austauschprozessen zwischen Ethnologen und indigenen Akteuren präsent war. Sowohl Travestie als auch kulturelle Anthropophagie fanden in asymmetrischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontexten statt. Der Unterschied zwischen diesen beiden Praktiken besteht darin, dass die kulturelle Anthropophagie von der unterprivilegierten Seite angewandt wurde. Die anthropophagische Strategie der Indigenen ist daher als eine kreative Form der freiwilligen Aneignung ausgewählter Inhalte zu verstehen.50 Es kann argumentiert werden, dass durch die Aneignung von Kleidung, Sprachen oder Waffen des Ethnologen indigene Akteure die Machtstrukturen der ›Weißen‹ insofern zu destabilisieren versuchten, als diese Praktik die Einordnung und mithin auch die Kontrolle einer stabilen und von außen fixierten ethnischen und kulturellen Identität durch die Ethnologen erschwerte. In

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Hugh-Jones: »The fabricated body«, S. 46. Campos, Haroldo de: »The Rule of Anthropophagy: Europe under the Sign of Devoration«, in: Latin American Literary Review 14/27 (1986), S. 42-60, hier S. 44. »[…] a antropofagia deve ser entendida como uma estrategia empregada em contextos políticos, económicos e cultuaris assimétricos. Trata-se de estrategia empregada geralmente pelos que se encontram no polo menos favorecido. O gesto antropológico, por esse motivo, é uma forma criativa de assimilação de conteúdos que, num primeiro momento, foram impostos. A antropofagia prentende transformar a naturaleza dessa relação através da assimilação volitiva de conteúdos selecionados«. Meine Übersetzung. De Castro Rocha, João Cezar: »Uma theoria de exportação? Ou: ›Anthropofagia como visão do mundo«, in: Ruffinelli/De Castro Rocha: Anthropofagia hoje? Hier S. 666.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

einem Akt, der auch als kulturelle Aneignung betrachtet werden kann,51 fasst Oswald de Andrade in dieser Hinsicht eine ›indigene‹ Perspektive zusammen, wenn er argumentiert: Wir haben keine Angst davor, wie das unsere Identitäten gefährdet, erstens, weil Identität das Ding des Ethnologen ist, und wir es gewohnt sind, Ethnologen zu verspeisen, und zweitens, weil unsere Identität, soweit sie existiert, genau aus dem besteht, was nicht uns gehört, aus dem, was von außen kommt, aus dem, was wir aufnehmen.52 In dieser Argumentationslinie zeigt die kulturelle Aneignung seitens der indigenen Akteure, dass diese in der Tat keine Angst vor der Destabilisierung ihrer Identitäten hatten, weil die durch den Austausch resultierte Übersetzung von Artefakten als positiv für die Konstruktion ihrer Identitäten betrachtet wurde. Dagegen vertritt die Perspektive der Ethnologen eine statische Auffassung von Identität, die aus dem Eigenen besteht. Körperliche Transformationen erfolgten nicht, um die eigene Identität zu verwandeln, sondern weil sie notwendig für die Anpassung an die Lebensverhältnisse während der Feldforschung waren. Sie wurden als temporär und daher als harmlos betrachtet. Darüber reflektierte Koch-Grünberg auf seiner zweiten Reise in einem Brief an seine Frau Elsa Wasmuth: Ich bin schon sehr verbauert, wollte sagen verbrasilianisiert, mache Gymnastik mit dem Zahnstocher im Mund, esse Pimenta wie ein Tucano, spucke auch zuweilen auf den Fußboden usw. aber hab nur keine Angst, geliebte Mamale, wie ich unter Brasilianern sofort zum Brasilianer, unter Indianern bald zum Indianer werde, d.h. wie ich mich allen Verhältnissen sofort anpasse, ebenso bin ich auch sofort wieder zivilisierter Europäer und bleibe unter allen Umständen Euer Theo Papale!53 Diese Einstellung steht, in Anlehnung an Tomislav Longinovics Manifesto of cultural translation, für »[t]he modern desire for leaving one’s own cocoon and morphing into other identities through foreign cultures«. Diese eher »narcissistic recognition«54 des Selbst »denies similar pleasures to the Other, as it relegates it to the position of the mirror or the screen in which the subject of power contemplates

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An dieser Stelle danke ich Prof. Michaela Wolf, dass sie mir auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht hat. »Não temos nenhum medo de com isso comprometer nossa identidades, primeiro porque a identidade é coisa de antropólogo, e costumamos comer todos os antropólogos, e segundo porque nossa identidade, na medida em que existe, é constituida precisamente pelo que não é nosso, pelo que vem de fora, pelo que recebemos«. De Andrade: »Manifesto Antropófago II«, S. 52. Meine Übersetzung. Tagebucheintrag vom 21.6.1911. ES Mr B.I.3. Heft I. Longinovic: »Fearful Asymmetries«, S. 8.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

its self-reflection«.55 Während die Aneignung bestimmter Gebräuche vom Ethnologen als harmlos bewertet wurde, da sie nur den Körper betraf oder als vorübergehendes Verhalten betrachtet wurde und somit keine langfristigen Veränderungen ihrer kulturellen Identität, z.B. als »zivilisierter Europäer«, bedeutete, bewerteten die Ethnologen die kulturanthropophagischen Praktiken von Indigenen als permanente Zeichen ihrer ›Akkulturation‹. Darin liegt der Unterschied zwischen beiden Formen der kulturellen Aneignung – der indigenen und der ethnologischen. In indigenen Akteuren, die beispielsweise westliche Kleidung trugen, sahen Ethnologen – wie im Falle Karl von den Steinens Schilderung von Tumayua und Pakurali – hybride Subjekte, die schwer einzuordnen waren. Dieser Widerstand verhinderte die ethnologische Übersetzung. Dabei nahmen Ethnologen eine hierarchische Differenzierung vor zwischen der von den Europäern vollzogenen kulturellen Aneignung als einer legitimen Praktik, die nicht schädlich für die Stabilität ihrer kulturellen Identität sei, und der Vereinnahmung durch Indigene, die als destruktiv für deren ›ursprünglichen‹ Zustand bewertet wurde.56 Eine ähnliche Auffassung lässt sich beispielsweise im Preuss’ Bericht erkennen, wenn er das Verhalten seines Dolmetschers Pedro, der Kleidung kaufte und mit Stolz trug, mit dem des Erzählers und Sängers Rosendo – dessen Name in Uitoto Rïgasedyue war – vergleicht: »Noch ganz Indianer war dagegen Rosendo geblieben. Er war der erste, der sich vollständig in indianischem Schmucke photographieren ließ […]«57 . Hieran lässt sich die Politik der kulturellen Aneignung veranschaulichen, die einer privilegierten Gruppe zugestanden wird, während sie gleichzeitig den ›Anderen‹ verwehrt wird. ›Akkulturation‹ sowohl bei den Indigenen als auch bei den Ethnologen wurde von letzteren als verwerflich angesehen, denn es handelte sich um ein »Tabu«, bei dem die kulturelle Mischung und das Begehren der Kultur des ›Anderen‹ als verboten galten.58 Trotz dieses »Akkulturationstabu[s]«, das eine »vollständige«, aber auch eine »partielle« Anpassung verbot,59 erfolgten zahlreichen Selbstinszenierungen europäischer Reisender in der Kleidung des ›Anderen‹ (Abb. 22). Dies zeigt in der Geschichte der kulturellen Begegnung, dass das

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Vgl. Ebd. Die sogenannte Akkulturation der Amazonas-Indigenen aufgrund des Kontakts mit NichtIndigenen war bis in die 1980er Jahre eine der großen Sorgen der Ethnologie. Diese Einstellung war höchst ethnozentrisch und verwehrte der indigenen Bevölkerung jegliche Form von agency. Die kulturelle Veränderung wird seit den 1990er Jahren daher nicht mehr als ›Akkulturation‹, sondern viel mehr als »cultural innovation« verstanden. Vgl. Whitehead, Neil L.: »Ethnic Transformation and Historical Discontinuity in Native Amazonia and Guayana, 15001900«, in: L’Homme. La remontée de l’Amazone 33/126-128 (1993), S. 285-305, hier S. 297. Preuss, Konrad Theodor : Religion und Mythologie der Uitoto, S. 12. Frank: Kulturelle Einflussangst, S. 75ff. Ebd., S. 82. Vgl. auch Kohl: Abwehr und Verlangen.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

»Begehren, das dem Verbot vorausgeht« verdrängt, aber nicht ganz überwunden werden konnte.60

Haarproben und die gegenseitige Objektivierung des Körpers Die Übertragung oder Transposition von Dingen/Artefakten verursachte nicht nur die Destabilisierung der Identitäten der beteiligten Akteure, sondern auch eine Destabilisierung der Bedeutungen dieser Dinge/Artefakte. Die Aneignung steht hier für den »Prozess, durch den importierte Güter zu einem Teil der lokalen Kultur werden«.61 Denn das Tragen einer Federkrone hatte vermutlich eine bestimmte Bedeutung für das Mitglied einer indigenen Gemeinschaft, während ihm in den Augen der Ethnologen eine andere Bedeutung zukam. Ähnliches passierte mit Dingen wie Haaren, die im Austauschprozess während der Feldforschung von einem semantischen System in ein anderes transponiert wurden und dabei einerseits zu Dingen bzw. Objekten der Wissenschaft und andererseits zu Andenken der Besucher für die Indigenen wurden. Im Rahmen des kontinuierlichen Informationsaustauschs in der ethnografischen Praxis zwischen indigenen Akteuren und Ethnologen kam es zum Austausch von Körperproben – wie z.B. von Haaren – und zur Aneignung der Praxis der Körpervermessung durch die Indigenen. Diese grundsätzlich anthropologiespezifischen Praktiken – wie das Vermessen von Körpern und das Entnehmen von Körperproben – eigneten sich einige Indigene teilweise an. Das Vergleichen der Körperunterschiede kann hier als ein gegenseitiges Interesse für den Körper des Anderen interpretiert werden. Max Schmidt erwähnt in dieser Hinsicht: »Was den Leuten vor allem auffiel, war der Grössenunterschied [sic!] zwischen mir und ihnen, und immer wieder gaben sie ihrem Erstaunen hierüber Ausdruck.«62 Während Ethnologen die indigenen Körper durch Körpervermessung und fotografische Aufnahmen objektivierten und z.B. in der Form von ›Indianer-Typen‹ die Gemeinsamkeiten der menschlichen ›Rassen‹ auf Basis ihrer unterschiedlichen Physiognomien repräsentierten, lagen die von indigenen Akteuren durchgeführten Messungen vermutlich im Interesse für die Differenz der Natur der Weißen begründet. Dabei objektivierten indigene Akteure auch den Körper der Forscher, insofern sie sich bestimmte Prozeduren zum Teil aneigneten. Der erste Hinweis auf dieses Zeichen der Wechselseitigkeit und des kulturellen Austauschs steht in Karl von den Steinens Reisebericht seiner zweiten Xingú Expedition:

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Frank: Kulturelle Einflussangst, S. 76. Howes, David: »Introduction. Commodities and Cultural Borders«, in: Howes, David (Hg.): Cross – Cultural Consumption. Global Markets, Local Realities, London: Routledge 1996, S. 1-16. Zit. n. Hahn: Materielle Kultur: Eine Einführung, S. 101. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 67.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

An einem Pfosten im Männerhaus wurde auch, nachdem wir die anthropologischen Messungen vorgenommen hatten, meine Körpergröße angezeichnet. Ein Stück Kohle wurde mit den Zähnen zerknuspert, mit Speichel in der Hand zerrieben und über meinem Kopf ein schwarzer Ring um den Pfosten gemalt.63 Die gegenseitigen Körpervermessungen, von denen diese Szene berichtet, fanden zwischen den Forschern und Bororo-Indigenen statt. Dass es sich hier um die Aneignung der Praxis der Körpervermessung durch die Indigenen handelte, zeigt die Abfolge der Handlung, denn erst nachdem die Forscher »anthropologische Messungen« vornahmen, wurden sie auch gemessen. Dabei eigneten sich die Indigenen ja nicht die genauen Messtechniken der Forscher an, sondern den Akt des Fixierens des Anderen, wie man die anthropometrischen Verfahren der Zeit begreifen kann.64 Dieses Verhalten weist auf die Vermittlung und Zirkulation einer bestimmten kulturellen Praktik der Körpervermessung des Anderen hin, also auf jene transformativen Prozesse, welche Kulturübersetzung charakterisieren. Bei dieser gegenseitigen Körpervermessung handelte es sich um eine Form der kulturellen Aneignung, welche eine Art Übersetzbarkeit zeigt. Sie ermöglicht eine Art »wechselseitige[n] Spiegeln der Kulturen«65 – hier auf der persönlichen Interaktionsebene – zu beobachten, indem Akteure der ethnologischen Feldforschung sich in ›den Anderen‹ und in ihren Kulturen reflektierten. Dieser »zweiseitige Übersetzungsprozess zwischen Beobachtenden und Beobachteten« ist als charakteristisch für die ethnografische Forschung zu betrachten.66 Im Prinzip bestand die anthropologische Vermessung von Körpern darin, durch Symbole – also durch Zahlen auf dem Papier, die wiederum Werte symbolisieren – ein bestimmtes Merkmal des Körpers des Anderen zu markieren. Auf diese Weise wurde nicht nur eine Abstraktion bzw. Transformation von Informationen über den Körper der vermessenen Person durchgeführt, sondern auch eine Spur ihrer Anwesenheit auf das Papier gedruckt, fixiert und dadurch auch Wissen mobilisiert. Dieser Druck fungiert als abstrakter materieller Beweis für den Körper des Anderen. Was sich die Bororo in diesem Fall aneigneten, war die Fixierung des Körpers des Anderen durch ein Zeichen auf dem Pfosten ihres Hauses. Diese Fixierung erfolgte als eine Art Objektivierung des Anderen. Die

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Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 489f. Vgl. Hanke: Zwischen Auflösung und Fixierung. Hier bezieht sich Utz Riese auf Wolfgang Isers Auffassung von Übersetzbarkeit. Riese: »Zonen kultureller Übersetzung in Amerika«, S. 269. Vgl. Iser, Wolfgang: »Coda to the Discussion«, in: Budick, Sanford und Wolfgang Iser (Hg.): The Translatability of Cultures. Figurations of the Space Between, Stanford: Stanford University Press 1996, S. 294-302. Wolf, Michaela: »Translation – Transkulturation. Vermessung von Perspektiven transkultureller politischer Aktion«, in: TRANSLATE/EIPC. Borders, Nations, Translations. (2014), URL: http://eipcp.net/transversal/0608/wolf/de. Letzter Zugriff am 28.1.2019.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Markierung kann als ein materielles Zeichen der Präsenz der Reisenden im Haus der Indigenen interpretiert werden. Gern nehmen die Männer bei uns Körpermessungen vor. Besonders Fuyúdi ist der reinste physische Anthropologe. Unsere ansehnliche Körpergröße — die meisten Yekuaná reichen uns knapp bis zur Schulter — wird mit einem Kohlestrich an einem Pfosten der Hütte bezeichnet. Mit einem Rohrstreifen mißt er unsere Kopfweite, den Hals- und Brustumfang, die Dicke der Arme, des Bauches, der Waden, die Länge der Hände, Füße, Finger und vergleicht sie mit den seinigen. Ja, er will auch unsere geheimsten Körperteile messen, aber da streiken wir.67 Diese und eine weitere Szene von Körpermessungen aus Koch-Grünbergs Expeditionen erinnern durchaus an von den Steinens Schilderung.68 Dadurch wird der Einfluss von den Steinen nicht nur auf Koch-Grünbergs Texte, sondern auch auf dessen Vorgehensweise während der Feldforschung erkennbar. Es lässt sich nicht genau nachweisen, ob diese gegenseitigen Körpermessungen von den Ethnologen initiiert wurden, mit der Absicht, den Stil von den Steinens nachzuahmen, wodurch Koch-Grünbergs Reisebericht ein weiteres Zeichen der Authentizität hätte gewinnen können. Wenn die gegenseitige Körpervermessung nicht, wie in den Schilderungen dargestellt, Teil einer spontanen Reaktion der Indigenen war, so ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass in diesem Fall Koch-Grünberg eine gewisse Gegenseitigkeit zu fördern beabsichtigte. In dieser Schilderung lassen sich jedoch Unterschiede erkennen. Ein bestimmtes Individuum wird mit Eigennamen erwähnt, nämlich Fuyúdi. Sein Verhalten lässt vermuten, dass indigene Akteure sich nicht nur, wie im vorherigen Beispiel, die Fixierung des Körpers aneigneten, sondern auch die Prozedur der Körpervermessung. Ein Rohrstreifen diente als Maßband, womit Fuyúdi die Körperteile der Reisenden maß, vermutlich nachdem er gesehen hatte, wie diese die anderen Indigenen vermessen hatten. Obwohl es keine Belege dafür gibt, dass Fuyúdi davor eine vom Ethnologen durchgeführte Körpervermessung beobachtete, lässt sich aus der beschriebenen Messungsszene – von »Kopfweite, de[s] Hals- und Brustumfang[s], d[er] Dicke der Arme, des Bauches, der Waden, d[er] Länge der Hände, Füße, Finger« – nicht erklären warum er dies tat, gerade in der Art und Weise wie Koch-Grünberg es beschreibt. Es kann argumentiert werden, dass in der Tat eine Art anthropologischen Körpervermessung von Fuyúdi durchgeführt wurde. Der Unterschied zwischen Fuyúdis Vorgehensweise und der des Ethnologen bestand darin, dass ersterer außer der Markierung 67 68

Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 315. Auch am oberen Rio Negro notierte Koch-Grünberg: »Zum Andenken wurden Schmidt und ich noch gemessen. Unsere respektable Körpergröße, die überall Aufsehen erregt hatte, wurde durch Kohlenstriche an einem Hauspfeiler verewigt. Zum Vergleich stellten sich einige Indianer darunter. Der bedeutende Unterschied rief ein allgemeines »pö –– –– ––!« des Erstaunens hervor. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 186.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

an dem Hauspfosten keine weitere Fixierung durchführte, sondern sich dem Vergleich der Größen widmete. Gemeinsam haben ihre Vorgehensweise, dass dabei versucht wurde, den Körper des ›Anderen‹ – ein Zeichen – in andere Zeichen zu übertragen. Die Aneignung von Vorgehensweisen erfolgte auch beim Austausch von anderen Dingen, wie z.B. von Haaren. Die Entnahme von Proben von Menschenhaar zum Beispiel gehörte, wie in Kapitel 1 bereits erwähnt, zu den anthropologischen Verfahren der Einordnung von Rassen. Wie die Entnahme von Haarproben sich zu einem besonderen gegenseitigen Austausch entwickelte, lässt sich anhand folgender Schilderung von Koch-Grünberg während seines Aufenthalts im Tuyúka-Dorf am oberen Rio Negro zeigen: Auf meinen Wunsch nahm Schmidt Haarproben von Männern und Weibern. Anfangs sträubten sie sich dagegen, in der Besorgnis, es könne damit zu ihrem Schaden Zauberei getrieben werden. Erst als ich ihnen erklärte, ich wolle diese schwarzen Haare meiner Frau zeigen, die blonde Haare habe, waren sie einverstanden, verschnitten nun aber ihrerseits Schmidts weißblonde Locken »zum Andenken« fürchterlich.69 Im gegenseitigen Haaraustausch manifestiert sich eine Praxis, in der die aktive Partizipation der Indigenen während der Feldforschung zutage tritt und in der die Bedingungen der Begegnung keineswegs nur vom Ethnologen, sondern von beiden Seiten bestimmt wurden. Obwohl die Indigenen nicht recht einverstanden waren mit der Idee, dem Besucher Teile ihrer Haare zu geben, ließen sie sich dennoch überzeugen. Die Strategie Koch-Grünbergs bestand hier darin, ihnen eine nicht den Tatsachen entsprechende Erklärung bezüglich des Zwecks der Haarproben zu geben, wobei es sich nicht um totale Falschaussagen handeln musste, denn es hätte ja tatsächlich sein können, dass der Forscher seiner Frau ›Indianerhaare‹ zum Andenken mitbringen wollte. Die Haarprobe wurde von den Indigenen zugelassen, aber nur unter der Bedingung, dasselbe vom Anderen zu erhalten, nämlich die Haare der Besucher. Es ist hier darauf hinzuweisen, dass nach Koch-Grünbergs Bericht nicht seine Haare, sondern die seines Assistenten, in seiner ersten Expedition, Otto Schmidt geschnitten wurden. Koch-Grünberg wollte vermutlich nicht, dass die Indigenen seine Haare schneiden. Eine spontane Probe seines Haares erfolgte dennoch in der zweiten Expedition am Roraima, als beim Abschied vom Häuptling Pitá: »Schmidt hat mir die handlangen Haare geschnitten. Pitá hat sich ein Büschel der ›schönen weichen Haare‹ – sie sind freilich weicher als die meistens harten 69

Ebd., S. 327. In sein Tagebuch notiert Koch-Grünberg: »Schmidt nimmt Haarproben von Männern und Weibern, die ihm dafür seine weissen Borsten fürchterlich verschneiden«. 9.5.1904. ES Mr B.I.2. Heft 5.

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Indianersträhnen – mitgenommen, ›zum Andenken‹; ebenso seine Schwester, die alte Maria, die hier im Hause bedienstet ist«70 . In diesem Kontext ist anzumerken, dass die gegenseitige Haarprobe zwischen Menschen stattfand, die dem Ethnologen untergeordnet waren. Sowohl Otto Schmidt als auch mehrere der besuchten Indigenen standen nämlich im Dienste Koch-Grünbergs. Dass dieser Schmidts Haare – und nicht seine eigenen – schneiden ließ, macht die hierarchische Ordnung während der Feldforschung deutlich, denn obwohl Schmidt als ›Weißer‹ und als Deutsch-Brasilianer galt, war er Koch-Grünberg untergeordnet. Dennoch war Koch-Grünberg der Auftraggeber und Empfänger der Haarproben, daher erfolgte ein indirekter Austausch auch zwischen ihm und den Tuyúka. Der gegenseitige Austausch von Haaren lässt sich als eine Form materieller, aber auch symbolischer Aneignung interpretieren. Denn als ausgetauschte Körperteile deuten sie auf den ersten Blick lediglich auf einen materiellen Austausch hin. Hierbei muss daran erinnert werden, dass der Körper für die beteiligten Akteure unterschiedliche Bedeutungen besaß. Für die Ethnologen gehörte die Entnahme von Haarproben zur Praxis der wissenschaftlichen Forschung. Die Entnahme von Haarproben der Indigenen im Rahmen der ethnologischen Forschung im Amazonasgebiet weist hierbei zum einen auf die Schnittstelle zwischen Ethnologie und physischer Anthropologie im damaligen Kaiserreich hin, ermöglicht zum anderen aber auch ein Nachvollziehen des Hintergrundes der ethnologischen Forschung. Die Grenzen zur physischen Anthropologie waren in der noch jungen Disziplin der Ethnologie, wie sie sich in der Arbeit der damaligen Ethnologen manifestierte, diffus, und zwar in beide Richtungen. Entsprechend gab es Einzelfälle, in denen Ethnologen menschliche Schädel sammelten. Fritz Krause berichtet beispielsweise, dass ältere Indigene ihm erzählt haben, »wie [Paul] Ehrenreich 1888 Karajáleichen auf dem Friedhof ausgegraben« habe.71 Aber auch er beabsichtigte, laut seines Berichtes, Menschenüberreste nach Deutschland mitzunehmen, als er und seine Reisebegleiter auf einem Friedhof waren: »[v]on einer [Urne] ist der Deckel abgefallen, Knochen liegen darin […] Pedros Anwesenheit verhindert die Mitnahme; doch gedenke ich auf der Rückreise die Urne mitzunehmen«72 . Ob Krause dies in die Tat umsetzte, lässt sich hier nicht überprüfen. Es gilt allerdings als relevant klarzustellen, dass im Fall der ethnologischen Amazonas-Forschung nicht nur Ethnographica, sondern auch andere Dinge, wie Menschenüberreste – obwohl selten – eine Rolle spielten. Dies beweist weiterhin die Bitte des Anthropologen Felix von Luschan, der beispielsweise an Koch-Grünberg schrieb: »Wenn Sie etwas Gelegenheit haben sollten, ohne Gefahr aus Schwierigkeiten grössere Serien von Indianer-Schädeln zu bekommen und zu

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Vgl. auch Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 133. Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 57. Ebd., S. 67.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

expedieren, würde sich vielleicht auch daraus einen kleinen Zuschuss zu Ihrem Reisefundus ermöglichen lassen.«73 Koch-Grünberg erwähnt in einem Brief an dem Professor der Universität Giessen Wilhelm Sievers, dass er »[d]ie [ihm] von einigen Herrn der Anthropologischen Gesellschaft aufgetragenen spezielleren Wünsche« er nicht erfüllen konnte. Denn »Schädel oder gar vollständige Skelette zu erwerben, ist hier so gut wie ausgeschlossen«.74 Koch-Grünberg wollte seine Beziehung zu den Indigenen und dabei den Erfolg seiner Expedition mit einer »Leichenschändung« nicht aufs Spiel setzen. Statt Schädel schickte er Felix von Luschan »einzelne Haarproben von Kobéua des oberen Aiary«75 . Haare, ebenso wie andere für wissenschaftliche Zwecke angeeignete Dinge, wurden im Austausch mit anderen Kollegen in Deutschland zu einer Art Ware. Hier erfolgte eine Bedeutungsverschiebung, die impliziert, dass Ethnologen den indigenen Haaren einen besonderen Wert verliehen, den sie davor nicht hatten, d.h. bevor sie zu Objekten der wissenschaftlichen Erforschung wurden. Es lässt sich dagegen nur schwer sagen, was für eine Bedeutung die Haare der Forscher für die indigenen Akteure genau hatten. Dennoch wurden durch diese Art des materiellen Austauschs die Haare des ›Weißen‹ vermutlich als persönliche Geschenke betrachtet, deren symbolische Bedeutung in ihrem direkten Bezug zur Person des europäischen Forschers begründet lag. In den Amazonas-Ethnografien wird oft über die Bedeutung von Haaren berichtet. Diese wurden in einigen indigenen Gruppen als Körperteile betrachtet, die noch in Verbindung mit dem ursprünglichen Besitzer standen. Der Austausch von Haaren kann mit der Bedeutung von ausgetauschten Objekten für die Indigenen in Verbindung gebracht werden, wie der Anthropologe Stephen Hugh-Jones in seiner Studie zum materiellen Austausch in der nordwestlichen Amazonasregion erklärt: Apart from their practical utility, part of the value of all such goods derives from their known association with ›exotic‹ peoples and, […] they acquire a further personal element from the person, White or Indian, from whom they were obtained, whether or not he or she actually produced them.76 Das heißt, diese Objekte wurden mit den Weißen assoziiert und besaßen darüber hinaus etwas Persönliches dieser Menschen. Der Glauben, dass man jemandem »durch die Benutzung von Körperabfällen« aus dieser Person schaden könnte, war im Amazonasraum verbreitet und galt »als typisch für den Fernzauber«77 . Der 73

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Schreiben Felix von Luschans an Theodor Koch-Grünberg vom 29. 6.1903. ES Mr. A.1. Reisefundus wird höchstwahrscheinlich, im Sinne Fonds verwendet, also das Wort bezieht sich hier auf das Budget der Reise. Schreiben von Theodor Koch-Grünberg an Wilhelm Sievers vom 24.1.1904. ES Mr. B.I.IV. Ebd. Hugh-Jones: »Yesterday’s Luxuries«, S. 54. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Mythen und Legenden, S. 23.

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»Grundgedanke« dabei ist laut Koch-Grünberg: »Verfüge ich über etwas vom Leib des anderen, so verfüge ich über den ganzen Menschen im Guten und im Schlechten. Ich habe ein Mittel, ihn trotz der Entfernung zu vernichten«78 . Damit lässt sich die erste Reaktion der Tuyúka erklären, die der Haarprobe mit Misstrauen und Angst vor der Zauberei, die ihnen schaden könnte, begegneten. Es zeigt sich hierbei, dass sie gleichzeitig den ›weißen‹ Besucher fürchteten, denn Zauberei konnte nur von jemandem durchgeführt werden, der als Pajé oder Schamane die Macht dazu hatte.

›Weißer‹, ›Doktor‹ und ›Pajé‹: Namen als übersetzte und angeeignete Dinge In der Geschichte der Begegnung zwischen europäischen Weißen und Indigenen ist registriert worden, dass erstere oft als Nicht-Menschen bzw. als mit einer anderen Natur ausgestattet wahrgenommen wurden, die in erster Linie auf der Hautfarbe gründete. Das Interesse für den Körper und die Natur der ›Weißen‹, die als »überirdische Wesen«79 wahrgenommen wurden, gehört zur Geschichte der Begegnungen seit der Eroberung der Amerikas und ist ein wiederkehrendes Motiv. Die zwei entgegensetzten Wahrnehmungsformen der indigenen Bevölkerung auf der einen und der Europäer auf der anderen Seite verdeutlicht Claude Lévi-Strauss beispielsweise anhand einer Praktik auf den Antillen, bei der »die Indianer auf einer benachbarten Insel (Puerto Rico, nach dem Bericht von Oviedo) Weiße zu fangen und zu ertränken [pflegten], um dann wochenlang bei den Ertrunkenen Wache zu halten, um festzustellen, ob sie verwesen oder nicht«80 . Im Gegensatz dazu interessierten sich die Eroberer nicht für die Natur des indigenen Körpers, sondern fragten sich vielmehr, ob die ›Indianer‹ überhaupt eine Seele hätten. Die Präsenz einer Seele sollte später vom Konzept der ›Kultur‹ ersetzt werden. Dieses Motiv lässt sich auf die Begegnung zwischen Ethnologen und Indigenen im Amazonasgebiet übertragen. Für alles wollen sie die deutschen Namen wissen, für Mond und Sonne, für alle Sterne, für jeden Teil des Körpers. Sie fragen mich nach den Namen meines Vaters, meiner Mutter, meiner Frau, meiner Kinder; ob ich im Gebirge oder in der Ebene wohne; was für Tiere der Erde, des Wassers und der Luft in meiner Heimat vorkämen; ob man dort sterben müsse; ob es dort auch Piasäng (Zauberärzte) gebe, und noch vieles andere.81

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Ebd. Bitterli: Die »Wilden« und die »Zivilisierten«, S. 90f. Lévi-Strauss: Traurige Tropen, S. 66. Siehe auch Viveiros de Castro: »Perspectival Anthropology and the Method of Controlled Equivocation«, S. 8. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 81. Meine Hervorhebung.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Während der Interaktion zwischen Koch-Grünberg und den Makuschí-Indigenen in seiner zweiten Expedition in der Roraima-Region, im nordöstlichen Amazonasgebiet, lässt sich feststellen, dass der Name ›Weiße‹ nicht lediglich eine Bezeichnung für nicht-Indigene Menschen darstellte, sondern eine Schlüsselkategorie in der Konstitution des interethnischen Gewebes der Amazonas-Kontaktzone. Diese Kategorie wurde nicht als gegeben bzw. als natürlich betrachtet, sondern immer wieder auf die Probe gestellt. Dies erweisen die an Koch-Grünberg gestellten Fragen im oberen Zitat. Sie lassen nicht nur erkennen, dass seine Gesprächspartner Interesse für seine Sprache zeigten, sondern auch für ihn selbst. Sie wollten wissen, wer (oder was) er war und wie seine Welt war. Man könnte mutmaßen, dass, während die Ethnologen sich vornehmlich für die ›Kultur‹ der Indigenen – als geistige Entwicklung – interessierten, letztere mehr über die Natur – das Wesen – der Ethnologen selbst wissen wollten. Die oben an Koch-Grünberg gestellte Frage »ob man dort sterben müsse« bestätigt die Annahme, dass der Ethnologe als ein ›Anderer‹ wahrgenommen wurde, der jenem Bild des ›Weißen‹ entsprach, der aus einem fernen Land kam und dessen Anderssein insbesondere in den Artefakten und in seinem konstruierten Körper begründet war. Der Ethnologe wurde als subjektives Wesen wahrgenommen, und zwar nicht, weil er ein Mensch war oder eine Seele hatte, sondern wegen seiner Hautfarbe und der Artefakte, die er mit sich brachte. Es musste hier nämlich nicht die ›Kultur‹ im ethnologisch-eurozentrischen Sinne, sondern das Wesen des weißen Besuchers herausgefunden werden. In ihren Ethnografien berichten Ethnologen über die Neugier der Indigenen auf ihre Präsenz. Denn diese fremden Männer repräsentierten eine ambivalente Form des ›Weißen‹. Am Beispiel Koch-Grünbergs kommt diese Ambivalenz besonders zum Ausdruck. Während der Aufenthalte von Koch-Grünberg in unterschiedlichen Dörfern kamen oft indigene Besucher aus anderen Dörfern aus Neugierde, um sich die Fremden anzuschauen82 , denn die Nachricht »von dem verrückten ›Karíua‹ [Weißer], der weder Seringueiro [Kautschukhändler] noch Händler war, und nur zum Vergnügen reiste und allen möglichen unnützen Kram aufkaufte, [hatte sich] über das ganze riesige Gebiet verbreitet«83 . Einerseits galt er als Patrão, als ›Weißer‹, weil er bewaffnet und mit den Kautschukhändlern der Region befreundet war und daher eine potenzielle Gefahr darstellte; andererseits wandte er ihnen gegenüber keine Gewalt an und beutete sie auch nicht aus. Dass er so interessiert an ihren Haushaltsgegenständen war und diese gegen für die Indigenen

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Am oberen Rio Negro schrieb er in sein Tagebuch: »Wir [er und Alfredo Stockmann] sind eben hier berühmte Persönlichkeiten und werden angestaut wie wilde Tiere«. 7.8.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 231.

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wertvollen europäischen Waren tauschen wollte, erweckte dazu großes Interesse und verstärkte sein positives Bild.84 Aufgrund der Artefakte und der Medikamente, die Ethnologen mit sich brachten, wurden sie ebenso als Pajés bzw. Schamanen wahrgenommen. Im Allgemeinen kann festgestellt werden, dass für einige Indigene die Präsenz der Ethnologen zu Zeiten, in denen sich die Besuche von Weißen meist eher negativ auswirkten, eine Besonderheit darstellte.85 Diese gemeinsamen Bezeichnungen für die ›Weißen‹Ethnologen sind als Dinge zu verstehen, die ständig in Übersetzung waren und deren Bedeutungsverschiebungen die Beziehungen zwischen Akteuren der Feldforschung beeinflussten. Denn indigene Akteure in der Amazonas-Kontaktzone haben im Laufe des Kontakts mit der nicht-indigenen Bevölkerung diese nicht immer gefürchtet, sondern auch versucht, die Beziehungen zu ihr aufrechtzuerhalten und zu stärken. Eine der Folgen dieser Beziehungen war die Einbeziehung der Kategorie der ›Weißen‹ nicht nur in die Interaktionen, sondern darüber hinaus bis in einige Schöpfungsmythen der Region.86 Hier ist zunächst klarzustellen, dass diese Kategorie sich auf all diejenigen bezieht, die nicht der indigenen Gruppe angehören, aus der man spricht, d.h. auf die ›Anderen‹. So gehören beispielsweise aus der Perspektive der Baniwa, die im nordwestlichen Amazonasgebiet leben, zu den ›Weißen‹ (ialanawi) Militärs, Regierungsvertreter, Missionare, Kautschukhändler, Ethnologen, Schwarze und andere indigene Gruppen wie die Bará, die durch ihre Integration in die Kultur der ›Weißen‹ des oberen Rio Negro weiß ›geworden‹ sind.87 Nach dem Kulturanthropologen Robin Wright stellte unter diesen ›Weißen‹ besonders der Patrão eine gemeinsame Bezeichnung zwischen 84

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Auf das Interesse der Indigenen für die weißen Reisenden hat Robin Wright ebenso in seiner Studie über die Religion und Kosmologie der Baniwa am Beispiel des britischen Naturforschers Alfred Russell Wallace hingewiesen. Wallace war in Kontakt mit den Baniwa und beschrieb sie wie folgt: »Two only could speak a little Portuguese, and with them I conversed, answering their various questions about where iron came from, and how calico was made, and if paper grew in my country, and if we had much mandioca and plantains; and they were greatly astonished to hear that all were white men there, and could not imagine how white men could work, or how could be a country without forest«. Vgl. Wright, Robin Michel: «Aos que vão nascer«. Uma etnografia religiosa dos indíos Baniwa«, unv. Diss., Campinas, SP, Brasil: Universidad Estadual de Campinas 1996, S. 141. Für andere Indigene waren Besucher wie Koch-Grünberg keine Neuigkeit, so z.B. für die Taulipáng von Roraima, die sich sogar an den Forscher Richard Schomburgk erinnerten. Es handelte sich dabei um einen deutschen Botaniker, der mit seinem Bruder Sir Robert Schomburgk zwischen 1840 und 1844 im Nordosten des Amazonas forschte und deren Arbeiten häufig von Koch-Grünberg zitiert wurden. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 90f. Vgl. Schomburgk/Schomburgk: Reisen in Britisch-Guiana in den Jahren 18401844. Vgl. Hugh-Jones, Stephen: »The Gun and the Bow. Myths of White Men and Indians«, in: L’Homme 28/106-107. Le mythe et ses métamorphoses. (1988), S. 138-155. Wright : »Ialanawinai. O branco na história e mito Baniwa«, S. 432.

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Militärs, Regierungsvertretern, Missionaren, Kautschukhändlern und Ethnologen dar.88 Zur Bezeichnung ›Weißer‹ lässt erstmals der vom Kulturanthropologen Stephen Hugh-Jones analysierte Schöpfungsmythos der Barasana im nordwestlichen Amazonasgebiet einige Aspekte auch aus geschichtlicher Sicht erkennen: When he had finished preparing the world, Wãribi created the first people. They came from the East in the belly of an anaconda and when it reached the Vaupés region, they emerged from the water as true people, the ancestors of the different exogamous language groups of the area. Last to be born was the ancestor of the White People but when the culture hero ordered the people to bathe it was he who plunged into the water first and came out clean and white. He was followed by the ancestor of the Blacks who acquired his colour from the now dirty water. The Indian was frightened of the water and did not bathe at all and so became inferior to White People. The culture hero then offered the people a gun, a bow and some ritual ornaments. Given first choice, the Indians chose the bow and ornaments leaving the White Man with the Gun. Because they came from the same ancestral body, the people all spoke one language but, when given salt to lick, each began to speak in his own tongue. (In a Barasana version of the story, they were offered beeswax mixed with coca, a key symbol of contemporary ritual.) The Indians refused to eat but women, snakes, spiders, and White People all ate the wax which is why women menstruate, snakes shed their skins, and White People wear clothing. Their common ability to shed their skins explains why snakes never die, why women live longer than men, and why White People are so numerous, healthy and long-lived. The Barasana liken the burning of beeswax to the Catholic use of incense in the Mass and the Indians’ refusal to eat the wax and their refusal to bathe are both seen as a refusal to accept Christianity. The ancestor of the Whites then began to threaten the others with his gun. To keep the peace, the culture hero sent him far away to the East and declared that war would be the White Peoples’ equivalent of Indian ritual and that through war they would obtain the wealth of other people.89 Dass der ›Andere‹ u.a. aufgrund seiner Hautfarbe als solcher wahrgenommen wurde, war keine einseitige Wahrnehmung der Differenz, sodass nicht nur für Europäer die Hautfarbe ein bestimmender Faktor für ihren Unterschied zu den Indigenen war. Für die Indigenen des Amazonasgebietes konstituierte die Hautfarbe auch eine Hierarchie; diese war jedoch nicht gegeben, also nicht natürlichen Ursprungs, sondern erklärte sich als Ergebnis der Entscheidungen der ›Weißen‹ und der Indigenen nach den Schöpfungsmythen. Nach dem Barasana-Mythos hat der erste

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Ebd., S. 436. Hugh-Jones: »The Gun and the Bow«, S. 143f. Meine Hervohebung.

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Vorfahr der Weißen zuerst gebadet und kam »sauber und weiß« aus dem Wasser. Diese Interpretation der Hautfarbe als Unterschied zwischen den Menschen deckt sich mit der Vorstellung von ›Rasse‹ als sozialer Konstruktion und nicht als bestimmender biologischer Faktor, wie in Zeiten der frühen Ethnologie angenommen wurde. Ebenso beeinflussten andere Entscheidungen von ›weißen‹ und indigenen Individuen die Bildung von sozialen Hierarchien im ethnischen Amazonasraum. Als die Indigenen sich im zitierten Barasana-Mythos für den Bogen entschieden und die Schusswaffe den ›Weißen‹ überließen, markierte dies den Beginn ihrer sozialen und wirtschaftlichen Unterordnung. Ebenso konnten ›Weiße‹, so wie Schlangen und Frauen, durch ihre Entscheidung, Bienenwachs zu verzehren, gesünder und länger leben, während die männlichen Angehörigen indigener Völker darauf verzichteten und daher mehr Krankheiten ausgesetzt waren und auch früher starben. Solche Schöpfungsmythen, wie der der Barasana, bieten Hinweise und Erklärungen für die Dynamiken der sozialen Beziehungen zwischen indigenen und nichtindigenen Gemeinschaften aus der Perspektive ersterer. Andere Mythenschilderungen zeigen darüber hinaus indigene Kulturen als permeable Entitäten, die nicht nur durch interne Faktoren, sondern auch durch externe Einflüsse konstruiert wurden. Die Arroganz und Verachtung einiger Weißer der indigenen Bevölkerung gegenüber im Laufe der Geschichte der interethnischen Beziehungen trug beispielweise zur Konstruktion einer Identität der Indigenen als im Vergleich zu den ›Weißen‹ minderwertig bei. Dies veranschaulichen Mythen, in denen die Macht der ›Weißen‹ hervorgehoben wird und diese als Vorbild dienen. Ein Beispiel dafür ist die Tukano-Erzählung über den Maniok-Samen, die der Kulturanthropologe Marcos Fulop beschreibt und in der der Kulturheros der Tukano, Yepá Huaké, die Indigenen mit den ›Weißen‹ vergleicht und erstere als minderwertig einstuft: Alle Indigenen in Vaupés sind wie Tiere. Eines Tages werde ich euch Hühner, Hunde und Sauen schicken, damit ihr euch mit ihnen vergleichen könnt. Ich verfluche sie. Schauen sie sich die Gruppe der Ereya [Brasilianer] und die Gruppe der Siópuri Uejké [Kolumbianer] an. Das sind wirklich gute Menschen. Sie haben ihre eigenen Chefs und hören auf ihre Chefs. Sie gehorchen mir.90

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»Todos los indígenas del Vaupés son como animales. Algún día yo les mandaré gallinas, perros y marranos para que ustedes se comparen con ellos. Yo les estoy maldiciendo. Miren als grupo de los Ereya [Brasileños] y al grupo de Siópuri Uejké [Colombianos]. Ellos si que son gente Buena. Ellos tienen su propios jefes y les hacen caso a sus jefes. Ellos sí que me obedecen a mí«. Meine Übersetzung. Fulop, Marcos : »Aspectos de la cultural tukana. Mitología – Parte I«, in: Revista Colombiana de Antropología 5 (1956), S. 337-373, hier S. 367f. Siehe auch Hugh-Jones: »The Gun and the Bow«, S. 146.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Ein weiterer für die indigene Bevölkerung des Amazonasgebietes interessanter Aspekt der Kategorie der ›Weißen‹ ist die Charakterisierung einiger Kulturheroen in ihren Erzählungen als ›Weiße‹. Koai oder Kuwai für die Baniwa, der Sohn der Sonne, wird als »weiß« und seine Mutter als Mutter des »Weißen«91 bezeichnet. Robin Wrights Interpretation zufolge wird Kuwai als ›Weißer‹ dargestellt, denn »der Weiße, als historisches Bild, ist die am besten geeignete symbolische Form, um Kuwais kraftvoll schöpferische, aber potentiell zerstörerische Gestalt darzustellen, ein Anderer, der aus einem fernen Land angereist ist, um andere Menschen zu treffen«92 . Koch-Grünberg berichtet in seiner Monografie zur Expedition am oberen Rio Negro über »Küai«, den er als »Ahnherren der Aruakstämme« identifiziert. Obwohl Küai hier nicht als Entsprechung der Figur des ›Weißen‹ dargestellt wird, deuten seine Eigenschaften auf Wrights Interpretation dieses historischen Bildes hin. Koch-Grünberg zufolge »gilt [Küai] als der Erfinder und Lehrmeister von Geräten und Gebräuchen, die mit dem Feldkult […] zusammenhängen«93 . Der Zusammenhang zwischen Koch-Grünbergs Interpretation und zeitgenössischen Ethnografien wie der von Robin Wright beweist den historischen Charakter der Mythen und von Figuren wie Kuwai für bestimmte indigene Gruppen, ebenso wie ihre Bedeutungen innerhalb der indigenen Gemeinschaften als Entsprechung und Erklärung der Rolle des ›Weißen‹ und des interethnischen Kontakts. Die Übersetzung der Figur des ›Weißen‹ in die Figur des Kuwai dient in den mündlichen Überlieferungen zur Einordnung jener Bevölkerungsgruppe innerhalb des sozialen Lebens der Indigenen. Ethnologen verkörperten den ›Weißen‹ einiger indigener Mythologien nicht nur wegen ihrer Hautfarbe, sondern auch wegen ihrer Körperbehaarung, ihrer Kleider und weil sie ständig unterwegs waren. Hierzu erweist sich Robin Wrights Erklärung der Rolle Kuwais in den Schöpfungsmythen als aussagekräftig, denn Kuwais physische und materielle Eigenschaften identifizieren ihn als Weißen. Schamanen sagen, dass sein Körper mit »Haaren« bedeckt ist, wie der von weißen Menschen. Kuwai wird in dem Mythos mit Schuhen dargestellt, der ein Zwischenwesen symbolisiert, das in zwei Welten wandert, ähnlich dem historischen Weißen. Es ist, als ob die spezifischen Attribute der Ialanawinai [d.i. die ›Weiße‹] (Farbe, Haare, wandernde Natur, Papier u.a.) direkt mit der Welt der Toten und

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Wright: »Ialanawinai. O branco na história e mito Baniwa«, S. 445. »O branco, como imagem histórica, é a forma simbólica mais apropriada para representar a figura poderosamente criativa, embora potencialmente destrutiva, de Kuwai, um ser totalmente outro que viajou de uma terra distante para encontrar pessoas«. Meine Übersetzung. Ebd., S. 452. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 162.

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der Figur, die diese Attribute am meisten verkörpert, nämlich Kuwai, verbunden wären.94 Somit zeichnet sich der ›Weiße‹ auch dadurch aus, dass er von einem Ort zum anderen wandert. Ethnologen, die ständig unterwegs waren, müssen daher von den Indigenen analog zu Schamanen oder übernatürlichen Wesen wahrgenommen worden sein, erstens weil sie zwischen der für die Indigenen bekannten und unbekannten Welten reisten. Denn Schamanen im westlichen Amazonas verfügten über Prestige u.a. weil sie als Zeit- und Raumreisende – z.B. durch die Einnahme von halluzinogene Substanzen – par excellence gelten.95 Darüber hinaus führten Ethnologen für die Indigene unbekannte und z.T. spektakuläre Objekte mit sich und verfügten über eine besondere Macht, insofern diese Objekte einerseits die Bewunderung und das Begehren bei den Indigenen hervorriefen und auf diese Weise den materiellen Austausch mit den Ethnologen erleichterten. Andererseits trug der Besitz bestimmter Objekte dazu bei, Ethnologen mit der Figur des ›Weißen‹ zu identifizieren, die derjenigen der Amazonas-Mythen entspricht. Eine Figur mit Macht. Dass die indigene Bevölkerung die Ethnologen als Repräsentanten von materieller und politischer, aber auch spiritueller Macht einordnete, zeigen exemplarisch Momente, in denen Ethnologen gebeten wurden, Menschen zu taufen. Die Bitte, den elfjährigen Sohn seines Gastgebers zu taufen, lehnte Max Schmidt ab.96 Koch-Grünberg hingegen führte mehrere Taufen durch: [E]ine Art Kapelle (vulgo Puppenstube) war hergerichtet. Innen stand ein ebenso ausgestattetes Püppchen mit einem noch kleineren Püppchen auf den Armen; es sollte die Jungfrau Maria mit dem Christuskind oder, wie Schmidt meint, den heiligen Antonius darstellen. […] Ich sprach über das Wasser ein deutsches Vaterunser – vorsichtshalber hatte ich dem edlen Häuptling vorher erklärt, ich würde 94

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96

»Os atributos físicos e materiais de Kuwai identificam-no com o branco. Os xamãs dizem que seu corpo é coberto de ›cabelo‹, como o dos brancos, sendo o cabelo de Kuwai associado a doenças, principalmente as formas mas virulentas diagnosticadas pelos xamãs como manhene (veneno). Kuwai é representado no mito vestido de sapatos, o que […] simboliza um ser intermediário vagueando entre dois mundos, semelhante ao branco histórico. É como se os atributos específicos dos Ialanawinai (cor, cabelo, natureza errante, papel, entre outros) estivessem indissociavelmente ligados ao mundo dos mortos e à figura que mais encarna esses atributos, Kuwai.« Meine Übersetzung. Wright: »Ialanawinai. O branco na história e mito Baniwa«, S. 447. Carneiro da Cunha, Manuela : »Pontos de Vista sobre a Floresta Amazônica : Xamanismo e Tradução«, in : MANA 4/1 (1998), S. 7-22, hier S. 12. Da Cuhnas Interpretation der Figur des Schamanen in indigenen Gemeinschaften des westlichen Amazonas als Übersetzer zwischen den Welten und Kulturen, die aus mehreren Sichtweisen verfügen können, wäre zwar hoch interessant aus einer Übersetzungsperspektive, würde aber leider den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 142.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

die Kinder nach der Sitte meiner Heimat taufen […] womit er auch einverstanden war, und taufte dann das Kind mit portugiesischen Worten auf den Namen Antonia; […] nach dieser Prozedur frug Mandú ›'sta pront‹?‹, ich darauf ›'sta pront‹!''97 Bei der Durchführung von Taufen durch den Ethnologen werden mehrere analysierbare Aspekte hervorgehoben, die sich heranziehen lassen, um die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen ihm und seinen indigenen Gesprächspartnern nachzuvollziehen. Im zitierten Beispiel zeigt die Dekoration des Ortes durch die Aneignung westlicher Artefakte Zeichen des Synkretismus im Amazonasgebiet, der vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses dieser Studie als eine weitere Form der Kulturübersetzung interpretiert wird. So wurde zur Feier der Taufe eine Art Altar aufgestellt, auf dem die Heiligenfiguren durch europäische Puppen ersetzt wurden. Der Ethnologe trug seinerseits zu diesem Synkretismus nicht nur dadurch bei, dass er als Priester fungierte, sondern auch durch eine Art mehrsprachige Taufe, in der sich Deutsch und Portugiesisch im Raum der BaniwaGemeinschaft vermischten. Die Tatsache, dass Mandú ihm die Taufe der Kinder der Gemeinschaft anvertraute, bestätigt, dass Koch-Grünberg als eine wichtige Person betrachtet wurde. Diese Beziehung der Baniwa zu Koch-Grünberg deckt sich mit einer bereits von Robin Wright erwähnten Tendenz im indigenen Amazonasgebiet, wo »die Ausländer, oft weiße (und auch religiöse) Männer als ›Götter‹, ›Götter, die zurückgekehrt sind‹, wahrgenommen werden oder als zu den ursprünglichen Welten [der Indigenen] gehörend assimiliert werden«98 . Anhand der Kategorie des ›Weißen‹ als Patrão und/oder Pajé in der Figur des Ethnologen lässt sich erkennen, wie Indigene den ›Anderen‹ in einem Akt der Kulturübersetzung einzuordnen versuchten. Zu dieser Kulturübersetzung trugen Ethnologen mit ihren eigenen Selbstidentifikationen bei, so z.B. wenn Koch-Grünberg sich bisweilen als Repräsentant der Regierung vorstellte. Als ihn während seiner ersten Expedition ein Tuschaua im Kobeua-Dorf Namocoliba fragte, »warum [er] soweit hier aufwärts führe?«, antwortete der Ethnologe, er »sei beauftragt vo[m] Governo [der Regierung] in Manáos, alle Tuschauas zu besuchen und dann dem Governo zu melden, ob sie gut oder schlecht wären; worauf er sehr höflich und zuvorkommend wird«99 . Zweifellos bestand die Strategie des Ethnologen darin, seine Rolle als ›Weißer‹ zu nutzen, um die Ziele seiner Expedition zu erreichen. Es war auch nützlich für ihn, sich als Vertreter der Regierung zu präsentieren; dies war eine Schutzstrategie für 97 98

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Tagebucheintrag vom 9.12.1903. ES Mr B.I.2. Heft 3. »os estrangeiros, freqüentemente homens brancos (e também, religiosos) são percebidos como ›divindades‹, ›deuses de volta‹, ou são assimilados aos mundos de seres primordiais«. Meine Übersetzung. Wright: «Aos que vão nascer«. Uma etnografia religiosa dos indíos Baniwa«, S. 140. Tagebucheintrag vom 19.9.1904. ES Mr B.I.2. Heft 7.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

den Fall, dass eine gefährliche Situation eintrat. In der Folge wurden die Leute nicht nur freundlicher, sondern sahen in ihm auch jemanden mit einer gewissen Macht, den sie notfalls um Hilfe bitten könnten. Koch-Grünbergs Entscheidung gründete darüber hinaus in der Notwendigkeit, Autorität und Respekt bei den Indigenen zu erzeugen und sich dadurch vor möglichen Angriffen zu schützen. Aufgrund der Auseinandersetzungen mit dem Leutnant Ibira-Puytang, der im Jahre 1903 Unruhe unter den Kautschukhändlern und den Indigenen am oberen Rio Negro stiftete,100 war Koch-Grünberg beunruhigt, wie er in seinem Tagebuch notierte.101 An einigen Stellen blieb nur ein Mann als Spion der Familie Garrido, um den anderen Bescheid zu geben, wenn ein anderes Boot als das »des Patrão« sich näherte102 . Hiermit ist das Boot Salvador Garridos gemeint, der sich Sorgen um seine Arbeitskräfte machte. Diese angespannte Lage bedeutete für den Ethnologen, Indigenen zu begegnen, die ihrerseits misstrauisch gegenüber fremden Besuchern waren und gegebenenfalls gewalttätig auf diese reagieren könnten. Seine Abhängigkeit von den Indigenen und die Notwendigkeit, eine gewisse Autorität als Schutz auszuüben, waren ihm bewusst. Obwohl er keine gewalttätigen Konfrontationen mit den Indigenen erlebte, umgab die Begegnung eine Ungewissheit über die zukünftigen Verhältnisse. Die Präsenz des Ethnologen rief zwiespältige Reaktionen hervor, die sich u.a. durch Furcht oder Angst vor dem Fremden auszeichneten.103 Koch-Grünberg wurde als ein Fremder, ein ›Weißer‹, ein Pajé und im Nachhinein als Dämon wahrgenommen. Sein Spitzname bei den Tuyúka war, wegen seines Barts, »Dämon, böser Geist«104 . Der Ethnologe wusste, dass die Pajés in den indigenen Gemeinschaften angesehene und respektierte Figuren von hohem Rang waren. Die positiven Reaktionen auf den fremden Besucher waren nicht zuletzt seinen indigenen Reisebegleitern zu verdanken. Was die Impresarios den Indigenen genau über KochGrünberg mitteilten bzw. wie sie ihn den indigenen Gemeinschaften vorstellten, lässt sich anhand der Quellen nicht im Einzelnen klären. Offensichtlich ist jedoch, dass die Impresarios und andere lokale Akteure die Tätigkeit des Ethnologen auf

100 Siehe Kapitel 1. 101 »Dass infolge der Scheusslichkeiten dieses Ibira-puitang alles Flussanwohner geflohen sind, macht mir grosse Sorge!« Tagebucheintrag vom 3.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2 102 Tagebucheintrag vom 1.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2 103 Über Gerüchte über ihn und seinen Begleiter Hermann Schmidt berichtete Koch-Grünberg am Ende seiner Roraima-Reiseschilderung: »Wie mir Martinez erzählte, hatten schon im Oktober Indianer vom Cunucunúma die Nachricht gebracht, im Quellgebiet des Ventuari seien zwei Weiße. Der eine heiße »Dotúru«; er schreibe viel auf das Papier und wisse alles, Flüsse, Wege usw., aus seinen Papieren. Er mache Bilder von den Leuten und treibe viel Zauberei. Sie hätten Furcht vor ihm. — Vielleicht hat uns diese Furcht das Leben gerettet —« KochGrünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 397. 104 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 327.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

ihre Weise und auf der Grundlage ihrer Erfahrungen mit Koch-Grünberg und anderen weißen Reisenden in ihre Weltdeutung übersetzten. Es ist mithin nicht so, dass sie ›nicht verstanden‹, was der Ethnologe machte, sondern vielmehr so, dass sie es anders interpretierten. Sie bewarben Koch-Grünberg als Pajé, eine Art Schamane, »der Doktóre aus ›Europa‹ weit, weit her«105 . Diese Übersetzung verstärkte Koch-Grünberg selbst noch zusätzlich, in dem er sich selbst als Pajé bezeichnete. Mich nennen meine Kerle in ihrer Unterhaltung einfach ›Karíua‹ [der Weiße]; wenn sie mit mir sprechen aber ›Senhor‹ oder ›Doktóre.‹ – Ich hatte ihnen gesagt, ich sei in meiner Heimat ›Pajé‹, denn ›Doktor‹ und ›Pajé‹ bedeuten dasselbe, was ja auch schliesslich richtig ist.– Meine gepressten Pflanzen in der Mappe sind natürlich für ›Remedios‹ [Medizin] bestimmt.106 Durch die Übersetzung seines Titels in die Weltordnung der Amazonaskosmologie konstruierte er eine Identität, die ihm in seiner Situation als Fremder Vorteile bringen konnte. Mittels der Übersetzung seines europäischen Titels Doktor in die Kategorie des Pajé übertrug er ohne besondere Erläuterungen die Konnotationen des Pajé auf sich selbst, der laut der amerindischen Kosmologien der einzige Vermittler zwischen den Welten ist.107 Indigene Gesprächspartner akzeptierten diese Selbstbezeichnung und suchten in mehreren Fällen Koch-Grünbergs Hilfe als ›Zauberarzt‹108 . Von seiner Expedition im Roraima-Gebiet berichtet er: Eine Frau holt mich zu einer Kur. Ich soll die alte Exzellenz behandeln, die unter großen Schmerzen stöhnend in der Hängematte liegt und wohl bald in das Privat jenseits der Zauberärzte einziehen wird. Ich streiche gleichmäßig über die schmerzenden Stellen des armen, verschrumpften Greisenkörpers und puste Tabakrauch darüberhin. Magnetische Heilbehandlung, ins Indianische übertragen. – Schaden wird es ihm jedenfalls nicht, wenn auch wahrscheinlich nicht nützen.109 Andere Amazonas-Ethnologen wurden ebenfalls oft um Hilfe gebeten, wenn Leute zu heilen waren, auch wenn sie sich nicht unbedingt als Pajés vorstellten, so z.B. im Falle von Max Schmidt: »Mit den Leuten des kleinen Oertchens war ich bald gut Freund. Hierzu hatte vor allem der Umstand viel beigetragen, dass ich durch Chinin eine Anzahl von ihnen von starken Malariaanfällen befreit hatte«.110 Karl von den Steinen beispielsweise nutzte diese Situation aus, indem er einer alten 105 Tagebucheintrag vom 22.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. 106 Tagebucheintrag vom 18.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 2. 107 Vgl. Carneiro da Cunha : »Pontos de Vista sobre a Floresta Amazônica : Xamanismo e Tradução«. 108 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 294. 109 Ebd., S. 310. 110 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 131. Siehe auch Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 124. Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 103.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Frau die Heilung ihres Leidens anbot, wofür sie sich im Gegenzug vermessen lassen sollte: Die Stammhexe selbst war nur durch die Aussicht auf einen heilkräftigen Erfolg für ihre an chronischer Bindehautentzündung leidenden Augen verführt worden. Um ganz sicher zu gehen, wandte sie sich auch an Clauss; dieser pustete und blies ihr nach Indianerart aus Leibeskräften in die triefenden Augen, während sie mit dem Ausdruck innigen Behagens das verkniffene Antlitz vorstreckte. Eins der beiden Mädchen litt an alter Hüftgelenkentzündung, die Mutter brachte es mir zum Reiben und Anblasen und gab mir einen Beijú.111 Auf diese Weise erkannten die Ethnologen, dass sie mithilfe der mitgebrachten Medikamente anderen Menschen helfen und sie heilen konnten, was ihnen auch die Möglichkeit eröffnete, von ihrer Rolle als Pajés zu profitieren. Dabei erfolgte eine Aneignung nicht nur der Bezeichnung des Pajé, sondern auch der Praxis der Heilung selbst, insofern sie das Reiben und Pusten (von Tabakrauch) als Heilmethoden anwendeten. Dennoch lässt sich erschließen, dass indigene Akteure keinen schlichten Transfer des Begriffes Pajé von einem Sprach- bzw. Kultursystem in ein anderes durchführten. Sie verstanden, dass der Fremde in seiner Heimat ein Pajé sein konnte, aber nicht unbedingt in ihrer. Sie erkannten an, dass er über bestimmte Mittel für die Heilung von physischen Beschwerden verfügte. Jedoch wiesen sie ihm aufgrund seiner Selbstbezeichnung weder eine besondere Stellung in ihrer Gemeinschaft zu, noch suchten sie ihn für die Behandlung bestimmter Beschwerden auf, die nur ihre Pajés vertreiben konnten. Indigene Akteure übersetzten demzufolge, ebenso wie Koch-Grünberg, die Bezeichnung Doktor, die dabei nur bestimmten Eigenschaften der Figur des Pajé annahm, in ihr Kultursystem. Somit fanden sie einen Weg, den fremden Mann und den fremden Begriff in einen für sie bekannten Kontext zu übersetzen. Diese Herangehensweise ist charakteristisch für kulturelle Begegnungen, bei denen die Beteiligten fremde Menschen, Kulturen, Gegenstände, Religionen usw. an einen für sie bekannten Kontext anpassen. Aus einer Übersetzungsperspektive ist diese Strategie als Domestizierung konzipiert worden.112 Somit war es nicht nur der Ethnologe, der die Kultur der ›Anderen‹ in einen Teil seines diskursiven Apparates verwandelte. Seine Gesprächspartner agierten ebenso als Kulturübersetzer, indem sie den fremden ›Weißen‹ z.B. als Pajé wahrnahmen und somit ihre Präsenz an ihre Bedürfnisse anpassten.

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Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 182. Beijú: Eine Art aus Yucamehl hergestellte Pfannkuchen. Vgl. Rafael, Vicente L.: Contracting Colonialism: Translation and Christian Conversion in Tagalog Society Under Early Spanish Rule, Durham: Duke University Press 2005, S. xix.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Aus dieser mikroskopischen Sicht auf die während der ethnologischen Feldforschung entstandenen Bedeutungsverschiebungen von Artefakten wie Kleidern und Dingen oder wie Haaren und Namen lässt sich eine konkrete Vorstellung von Kulturübersetzung auf einer interaktiven Ebene beobachten. Dabei rückt anhand eines Austauschprozesses wie der der kulturellen Aneignung die Rolle von Dingen/Artefakten in den Vordergrund der Analyse. Ihr Tauschhandel und ihre folgende Kommodifizierung wird im Folgenden ihre Präsenz als Protagonist einiger Szenen und Momente der ethnologischen Feldforschung weiter illustrieren.

3.2.

Tauschhandel

Kulturübersetzung konstituiert sich aus Austauschprozessen zwischen Akteuren der Feldforschung, die ihrerseits zur Entwicklung einer transatlantischen Beziehung durch Netzwerke zwischen indigenen Gemeinschaften der Amazonasregion und Ethnologen bis hin zu den europäischen Völkerkunde-Museen beitrugen. Wesentliche Bestandteile dieser Netzwerke waren indigene Artefakte selbst, denn »[s]ie werden nicht einfach nur ›verhandelt‹, sondern beeinflussen aktiv das Leben der Menschen, die mit ihnen umgehen«113 . In dieser Beziehung waren die Ethnologen weitere Akteure, die als cultural brokers agierten. Als solche waren sie wesentliche Kollaborateure bei der Zusammenstellung ethnografischer Sammlungen als bedeutende Symbole von Macht im globalen Handel der damaligen Zeit.114 Wie das konkret bereits während der Feldforschung ablief, lässt sich am Beispiel des Austauschprozesses des Tauschhandels veranschaulichen. Michael Kraus schreibt von »Tauschprozesse[n]« als »zentrales Merkmal der ethnologischen Forschung im Amazonasgebiet«115 . Denn der Tauschhandel bildete eine besondere Möglichkeit für Ethnologen, um Kontakt mit den Indigenen aufzunehmen und dabei ethnologische Forschung zu treiben.116 Im Tauschhandel wurde verhandelt, welche indigenen Artefakte für die Ethnologen als Ethnographica und welche europäische Artefakte für die Indigenen als wertvoll galten. Aus einer Übersetzungsperspektive lässt sich dabei beobachten, wie sich die kulturelle Bedeutung eines Artefakts wandelte, insofern diese vom semantischen System einer indigenen Gemeinschaft in das der Ethnologen übersetzt wurde und umgekehrt. Szenen des Tauschhandels ermöglichen hier in Detail zu beobachten, auf welche Art und Weise Artefakte erworben 113 114

115 116

Scholz/Mans: »Menschen und Dinge aus der Guayana-Region«, S. 74. Vgl. Fabian, Johannes: »Curios and Curiosity: Notes on Reading Torday and Frobenius«, in: Schildkrout, Enid und Curtis A. Keim (Hg.): The Scramble for Art in Central Africa, Cambridge: Cambridge University Press 1998, S. 79-108. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 334ff. Vgl. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 430f. Koch-Grünberg, Theodor: »Indianischer Handel«, in: Kosmos (1916), S. 159-163.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

wurden, welche Strategien ins Spiel kamen und wie diese dabei Machtverhältnisse verstärkten oder destabilisierten.

Die Relevanz von Artefakten für die ethnologische Forschung Die konstitutiven Elemente für die Entstehung der Ethnologie als Disziplin waren Artefakte aus außereuropäischen Gemeinschaften. Ethnologen bildeten mit diesen Artefakten ethnografische Sammlungen und übergaben sie den Völkerkundemuseen, wo sie später für ein wissenschaftliches aber auch Laienpublikum ausgestellt wurden. Eine genaue Vorstellung von der Rolle der ethnografischen Sammlungen für die Amazonas-Ethnologen kann exemplarisch anhand der Reise-Instruktion für Koch-Grünberg gewonnen werden. So schrieb ihm sein Vorgesetzter Karl von den Steinen: Ihre Hauptaufgabe besteht darin […] eine systematische Sammlung mit möglichster Rücksicht auf Serien anzulegen und ihre ethnographisch-linguistische Aufnahme vorzunehmen. […] Finden Sie wertvolles Material, das sich erwerben lässt, so berichten Sie darüber, wenn möglich, unter Einsendung von Photographien und suchen mich mit dem Besitzer in direkte Verbindung zu bringen. […] Wollen Sie überhaupt immer darauf bedacht sein, für das Museum eventuell fruchtbare Beziehungen zwischen Freunden der Ethnographie und mir unterwegs anzubahnen und auch geeignete Adressen von Händlern und Photographen einsenden. […] Sie verpflichten sich, dass alle Ihre Sammlungen, Photographien und wissenschaftlichen Aufzeichnungen dem Museum gehören.117 Aus dieser Reiseinstruktion lässt sich die Relevanz der ethnografischen Sammlungen für den Auftraggeber, hier Karl von den Steinen im Namen des Königlichen Museum für Völkerkunde zu Berlin, für die Expedition und letztendlich für den Ethnologen selbst identifizieren. Das ethnologische Unternehmen basierte vor allem auf die Sammlung von Artefakten, die Hinweise über die Kulturen und Lebensweisen anderer Menschen geben konnten. Ohne die Sammlung materieller Kultur hätten Ethnologen hauptsächlich Sprach- und Fotosammlungen erstellt, wodurch die Grundlage der Disziplin nicht eine historische, sondern vermutlich eher eine lediglich philologische und anthropometrische gewesen wäre. Denn »Ethnographica wurden unter dem Einfluss des Evolutionismus auf die historisch orientierten Wissenschaften um die Mitte des 19. Jh. zur erstrangigen Quellengattung einer sich neu herausbildenden wissenschaftlichen Disziplin: der Ethnologie«118 . Daher war, dem Ethnologen Bernhard Ankermann zufolge, »[Adolf] Bastians unablässiges Drängen, zu sammeln und das noch Vorhandene als Grundlage für spätere 117 118

20.2.1903. ES Mr A.1.1. Hoffmann, Beatrix: Das Museumsobjekt als Tausch- und Handelsgegenstand, S. 22.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Forschung zu retten, vollauf berechtigt […]. Ohne Dies wäre die Völkerkunde auch weiterhin ein Tummelplatz phantastischer Spekulationen geblieben«119 . Da es gerade die Sammlung von materieller Kultur war, die sie von anderen Forschern, und im Allgemeinen die Ethnologie von anderen Disziplinen, unterschied,120 hätte die Abwesenheit von Objekten außereuropäischer Kulturen bei der Identitätsfindung der Ethnologie bedeutende Konsequenzen verursacht. Auf einer epistemologischen Ebene spielten Artefakte als Zeichen der materiellen Kultur der indigenen Gemeinschaften eine wesentliche Rolle bei der Kategorisierung anderer Menschen als ›Naturvölker‹ und galten als Beweis für das Vorhandensein der Technologie, die von indigenen Gemeinschaften verwendet wird. Zumal wurden Objekte schriftloser Kulturen in Zeiten der frühen ethnologischen Forschungen als historische Quellen betrachtet, die Hinweise über die Vergangenheit der erforschten Gruppen geben konnten.121 Daher die Bezeichnung Ethnographica. Da angenommen wurde, dass indigene Kulturen aus der Amazonas-Region den Aufschwung der Modernisierung nicht überleben würden, übten AmazonasEthnologen eine sogenannte »salvage anthropology«122 aus, wobei sich Adolf Bastians Prämissen für die ethnologische Arbeit motivierend auswirkten: Die Notwendigkeit des Dokumentierens von »zum Untergang verurteilten ›Naturvölkern‹«123 galt ebenso wie die Sammlung und die darauffolgende Konservierung von ethnografischen Gegenständen im Museum für die Erforschung der ›Naturmenschen‹ als Schlüssel zum Verständnis der Menschheit. Die Sammlung und Kommodifizierung von Artefakten wirkte sich sowohl im Symbolischen als auch im Finanziellen aus. Eine Akkumulation von symbolischem Kapital in Züge der materiellen bzw. kulturellen Aneignung während der ethnologischen Forschung erfolgte sowohl für Indigene als auch für die Ethnologen. Im Falle letzterer gewannen diese Anerkennung und Prestige im wissenschaftlichen Kontext, je nachdem wie erfolgreich ihre Expeditionen − aber insbesondere wie wertvoll ihre ethnografischen Sammlungen waren. Wie dies bereits während der Feldforschung erfolgte, lässt sich beispielsweise anhand eines Schreibens von Karl von den Steinen an Theodor Koch-Grünberg aufzeigen: Es gereicht mir zum besonderen Vergnügen, Ihnen für dieses schöne Objekt, mit dessen wissenschaftlichen Wert die persönliche Erinnerung an den erfolgreichen

Ankermann, Bernhard: »Die Entwicklung der Ethnologie seit Adolf Bastian«, in: Zeitschrift für Ethnologie 58/1/2 (1926), S. 221-230, hier S. 225. 120 Die Relevanz der materiellen Kultur und der Sammlung von Objekten in Völkerkunde Museen betrachtet auch Michael Kraus als Identitätsfindung des neuen Faches der Ethnologie. Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 76ff. 121 Hoffmann: Das Museumsobjekt als Tausch- und Handelsgegenstand, S. 22. 122 Penny: »The Politics of Anthropology«, S. 253. 123 Rössler: Die deutschsprachige Ethnologie bis ca. 1960: ein historischer Abriss, S. 6. 119

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Sammler unseres Instituts dauernd verknüpft sein wird, im Namen des Kgl. Museums den verbindlichen Dank auszusprechen.124 Bei diesem Artefakt handelte es sich hier um einen maguaré, der Koch-Grünberg bei Tukano-Indigenen in seiner ersten Expedition am oberen Rio Negro erwerben konnte: »Ich erwarb eine besonders an Tanzschmuck reiche Sammlung, unter anderen die im ganzen Uaupés-Gebiet altberühmte, riesige Signal und Tanztrommel der Tukano-Indianer der Pary-Cachoeira, eine Art drahtloser Telegrafofonie.125 « Obwohl die Ethnologen mit den erworbenen Artefakten auch einen gewissen finanziellen Gewinn erzielten, bedeutete für sie der Erwerb solcher Objekte und deren Transport nach Deutschland vor allem Erfolg. Dieser übersetzte sich wiederum in Prestige als Wissenschaftler. Aber auch wenn Amazonas-Ethnologen das Verschwinden der Amazonas-›Indianer‹ befürchteten und mit ihnen auch den Untergang ihrer geistigen Kultur, bedeutete die Rettung der materiellen Kultur von indigenen Gemeinschaften zwangsläufig ihre Kommodifizierung und dabei auch ein Geschäft für die Ethnologen und für die Völkerkunde Museen. In diesem Zusammenhang merkt Glenn Penny in seiner bahnbrechende Studie an, dass der internationale Museumswettbewerb – vor allem unter den Kolonialmächten – den Erwerb von Objekten fremder Kulturen bestimmte, die zur Bereicherung der Museen im deutschen Kaiserreich führten, was sich wiederum mit internationalem Prestige übersetzte.126 Somit stand die materielle und kulturelle Aneignung in der Feldforschung im Amazonas in direktem Bezug zum internationalen wie auch nationalen Wettbewerb zwischen den Museen.127 Dieser Wettstreit lag nicht nur in der Stärkung des Bildes des Kaiserreichs im internationalen Wettbewerb zwischen den Kolonialmächten begründet; vielmehr war der wirtschaftliche Wert der ethnografischen Sammlungen erheblich für die Finanzierung der Expeditionen und für die Bildung einer kosmopolitischen Kultur, die besonders mit den großen Museumsausstellungen gefördert wurde.128

124 Schreiben von Karl von den Steinen an Koch-Grünberg. 16.9.1905. SMB-PK, EM. I B 44. 125 Bericht an die Museumsdirektion über die zweite Reise: Curicuriary-Tiquié. ES Mr B.IV. Feldpost. 126 Vgl. Penny, H. Glenn: »Wissenschaft in einer polyzentrischen Nation. Der Fall der deutschen Ethnologie«, in: Jessen, Ralph und Jakob Vogel (Hg.): Wissenschaft und Nation in der europäischen Geschichte, Frankfurt/New York: Campus Verlag 2002, S. 80-94; Penny, H. Glenn.: Objects of Culture: Ethnology and Ethnographic Museums in Imperial Germany, Chapel Hill, N.C.; London: University of North Carolina Press 2002. 127 Vgl. Penny, H. Glenn: »Municipal Displays. Civic Self-Promotion and the Development of German Ethnographic Museums, 1870-1914«, in: Social Anthropology 6/2 (1998), S. 157-290. 128 Vgl. Penny, H. Glenn: »Fashioning Local Identities in an Age of Nation-Building: Museums, Cosmopolitan Traditions, and Intra-German Competition«, in: German History 17/4 (1999), S. 489-505.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Zwar war die Sammlung von Objekten aus indigenen Gemeinschaften in den Anfängen der ethnologischen Amazonasforschung nicht das einzige Ziel, wohl aber eines der wichtigsten. Nicht nur konnten mit dem Verkauf dieser Objekte an die ethnologischen Museen die ethnologischen Expeditionen finanziert werden. Der Erwerb und die Sammlung der Objekte schuf auch Arbeitsplätze, denn nach den Expeditionen arbeiteten viele der Ethnologen als »Museumsbeamte – auch eine Folge von [Adolf] Bastians erfolgreicher Propaganda für ethnografisches Sammeln – und hatten als solche die Flut der Sammlungen zu katalogisieren, zu ordnen und aufzustellen«129 . Ökonomisches Kapital gewannen Ethnologen aber vor allem mit dem Verkauf der erworbenen Objekte an die ethnologischen Museen. Obwohl Ethnologen nicht immer als Händler agierten und sich von anderen Ethnographica-Händlern ausdrücklich abgrenzen wollten,130 zeichnete sich das ethnografische Unternehmen durch den Handel von Artefakten und dabei durch ihre Kommodifizierung aus. Am Beispiel von Koch-Grünbergs Sammlung im Rahmen seiner Expedition am oberen Rio Negro lassen sich genaue Zahlen ermitteln. Der Ethnologe verkaufte dem Königlichen Museum für Völkerkunde eine ethnologische Sammlung im Wert von 26.000 Mark. Der Preis pro Stück, also pro Objekt, lag bei 20 Mark. 6.000 Mark wurden von dieser Summe abgezogen, es handelte sich dabei um den Betrag, den Koch-Grünberg vom Ethnologischen Hilfskomitee als finanzielle Unterstützung für die Expedition bekommen hatte. Mit den verkauften Ethnographica deckte der Forscher fast die gesamten Kosten seiner Expedition, die 27.400 Mark betrugen.131 Diejenigen Forscher, die nicht über eigene finanzielle Mittel für ethnologische Expeditionen verfügten, bekamen vom Völkerkundemuseum eine Summe im Voraus, um die Expeditionskosten zu bezahlen, die sie mit einem »ungefähr entsprechenden Äquivalent an [dem Museum zu übergebenden] Sammlungen« zu begleichen verpflichtet waren.132 Auf welche Art und Weise eine ›entsprechende‹ Äquivalenz zwischen ethnografischen Sammlungen und Geld kalkuliert wurde, lässt sich hier nicht rekonstruieren. Es genügt trotzdem zu berücksichtigen, dass das Museum von einer gewissen Äquivalenz zwischen den ethnografischen Gegenständen und

129 Ankermann: »Die Entwicklung der Ethnologie«, S. 228. 130 Der deutsch-brasilianische Ethnologe Curt Nimuendajú äußerte sich darüber in einem Brief an Fritz Krause: »Sie können aus irgendeiner meiner Abhandlungen herauslesen, daß ich kein ›Händler‹ bin und die Ethnologie für mich kein Geschäft ist«. Ohne Datum, zit.n. Dungs, Günther Friedrichs: Die Feldforschung von Curt Unckel Nimuendajú und ihre theoretisch-methodischen Grundlagen, Bonn: Holos 1991, S. 235. In einem Brief vom 22.8.1923 aus Theodor KochGrünbergs Nachlass erwähnte ebenso Nimuendajú, nicht mehr für das Museum als »Sammelreisender« arbeiten zu wollen. ES Mr G.II.1. 131 November 1905. SMB-PK, EM. I B 44. 132 Schreiben der Generalverwaltung der Königlichen Museen an Koch-Grünberg. 18.2.1911. SMB-PK, EM. I B 44a.

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der von ihm zur Verfügung gestellten Summe für die Expedition ausging. Geld stand hier für den ›realen‹ Wert der Gegenstände. Artefakte aus indigenen Gemeinschaften des Amazonas standen folglich für Waren, deren Wert Ethnologen und Völkerkunde Museen verhandelten. Als Vermittler in dieser wirtschaftlichen Transaktion stand der Ethnologe − als Sammler und Verkäufer von Ethnographica. Die Relevanz von Artefakten während der Feldforschung lag daran, dass sie den Austausch motivierten. Dem Austausch lag nämlich nicht immer eine konkrete existenzielle Notwendigkeit zugrunde, wie im Falle von Lebensmitteln oder bestimmten Dienstleistungen, sondern es handelte sich oftmals vielmehr um einen Austausch, der durch ein starkes Interesse am Besitz eines bestimmten Artefakts motiviert war. Besonders begehrt waren jene Objekte, die Ethnologen als Ethnographica bewerteten und die sie als Charakteristika einer indigenen Gemeinschaft betrachteten, weshalb sie relevant für das ethnologische Studium waren und für den »ethnographische[n] Sammler«, der diese Objekte den Museen verkaufen konnte. Dies lässt sich anhand des folgenden Zitats von Koch-Grünberg illustrieren: Sie bieten mir ihren langen Bogen und prächtigen Pfeile zum Tausch an und verkaufen gern ihre einfache Habe, zierlich gearbeitete Kämme aus Palmholzsplittern, ›Messer‹ aus dem unteren Schneidezahn eines Nagetiers […], Korbwannen mit geschmackvollen Mustern […] und anderen Kram, der nur für den ethnographischen Sammler Wert hat.133 An diesem Beispiel möchte ich hervorheben, was für eine Bedeutung der Ethnologe diesen Artefakten zuschrieb. Obwohl er anerkennt, dass sie wertvoll für ihn sind, unterstellt er ihnen gleichzeitig, dass sie als »Kram« eigentlich keine wertvollen Artefakte − außer für den »ethnographischen Sammler« − sind. Dabei handelt es sich vor allem um Jagdwaffen und Haushaltsgeräte, deren Bedeutung sich im Tauschhandel veränderte, so dass sie einmal in den Händen des Ethnologen in Ethnographica übersetzt wurden. So bekamen diese Artefakte einen anderen Wert, unter anderem weil die Nachfrage nach ihnen in ethnologischen Museen vorhanden war. Aber nicht nur indigene Artefakte spielten eine wesentliche Rolle. Vor allem europäische Tauschartikel waren wesentlich, um Kontakt mit den Indigenen aufzunehmen und um überhaupt Ethnographica erwerben zu können. Max Schmidt war beispielsweise davon überzeugt, dass zuerst die »Zuneigung und das Vertrauen der Frauen und Kinder« mit Geschenken zu erwerben sei, denn seiner Meinung nach, »spielten [Kinder] eine grosse [sic!] Rolle dabei, bessere Fühlung mit den Indianern zu gewinnen«134 . Oft spielte er mit seiner Geige immer wieder das Lied 133 134

Koch-Grünberg: »Indianischer Handel«, S. 159. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 140. Im Falle Koch-Grünbergs: »Ich zeige meinen Besuchern die Gewehre, das Brennglas, die Uhr, das Tierbilderbuch und was ich sonst

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

»Margareta, Mädchen ohne gleichen«, um das Eis zu brechen, und nutzte diese Strategie auch als Entspannungsmanöver.135 Andere Ethnologen, wie zum Beispiel Fritz Krause, führten eine Art Vorführung auf, um die Aufmerksamkeit der Indigenen zu gewinnen: die Schreipuppe muss heraus. Es ist eine nette Puppe mit blondem Lockenhaar und blauen, schließbaren Augen; legt man sie auf die Seite so gibt sie einen wimmernden Laut von sich. Alle glauben das kleine Ding lebe. Mehrere Frauen wollen sich gutmütigerweise des armen Würmchens annehmen und seinen Hunger stillen. Sind aber äußerst erschrocken, als das Kleine die ihm gebotene natürliche Nahrung nicht annimmt. Erst später merken sie, daß es eine Puppe ist, und freuen sich dann über sie. Schallende Heiterkeit indes löst der Blechaffe aus, der am Faden auf und ab klettert [sic!]. […] Dann kommt der Hampelmann an die Reihe. Auch er erregt schallendes Gelächter. Damit hatte ich sie gewonnen.136 In dieser Szene spielt die »Schreipuppe« eine erhebliche Rolle. Die Übertragung dieses Artefaktes von Deutschland, wo sie ein Spielzeug war, ins Dorf der Karajá, wo sie anscheinend erst einmal für ein lebendiges Wesen gehalten wurde, implizierte eine Bedeutungsverschiebung. Wenn man Krauses Schilderung Glauben schenkt, würde die Haltung der Frauen bestätigen, dass in der Tat Ethnologen und die Artefakte, die sie mit sich brachten, als von anderer Natur wahrgenommen wurden (wie bereits im Kapitel 3.1.1 erklärt). Wenn die Frauen zum ersten Mal eine solche Puppe gesehen haben, hielten sie diese womöglich für etwas Lebendiges. Es erfolgte hier im Rahmen der Interaktion zwischen den Akteuren eine Bedeutungsverschiebung vom innanimierten Artefakt zum animierten Wesen. Im Rahmen der Interaktionen zwischen Krause und den Karajá steht die Puppe für eine aktive Entität, also für einen weiteren Akteur. Dieses Artefakt verursachte die positiven Reaktionen der Indigenen gegenüber dem Ethnologen. Zwar fand unmittelbar danach kein Tauschhandel statt, aber die Puppe beeinflusste indirekt die Akzeptanz des Ethnologen im Dorf der Karajá und den Tauschhandel, der später erfolgte. Am Beispiel der Schreipuppe oder anderer europäischen Artefakte in dieser Analyse wird deutlich, dass sie den Aufwand beim Versuch, mit indigenen Völkern in Kontakt zu treten, minimierten. Dieser wäre viel größer gewesen, wenn es keine Artefakte in der Interaktion gegeben hätte. Die Artefakte ermöglichen in Kon-

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noch alles an merkwürdigen Sachen habe, beschenke die Männer mit Tabak, die Frauen und Kinder mit Glasperlen und Porzellanpüppchen und photographiere schließlich die ganze Gesellschaft einzeln und in Gruppen.«. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 101.Vom Erfolg des Tierbilderbuchs in seiner Expedition berichtete ebenso Karl von den Steinen. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 72. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. S. 39, 59, 64, 68, 71, 74. Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 54.

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sequenz eine Transformation von einem großen zu einem minimalen Aufwand.137 Dies wird in Krause Schilderung deutlich, denn nach der Vorführung waren die Zuschauer begeistert; der Karajá Pedro, Fritz’ Assistent, lernte das ganze Programm und erzählte in jedem Dorf, in dem sie ankamen, über die »eindrucksvollen Objekte«138 , die der Ethnologe mit sich brachte; er berichtete den Indigenen, was Krause eintauschen wollte139 . Auf diese Weise erleichterten Vermittler und Artefakte den Tauschhandel. Sowohl europäische Waren aber auch die Vorführungen, die Ethnologen machten, um indigene Akteure anzulocken, können als »nichtsprachliche Formen der Kommunikation«, also als Dinge betrachtet werden, mit denen die Ethnologen ihre fehlenden Sprachkenntnisse zu kompensieren suchten.140 In der Folge waren, neben Vermittlern-Dolmetschern, auch die europäischen Artefakte selbst, ebenso wie die Vorführungen der Ethnologen jene Bestandteile der Kommunikation im Tauschhandel. Die Wirkung, die solche »Zirkusvorstellungen« – wie Karl von den Steinen seine Vorführungen bezeichnete –,141 verursachten‹ ging über das Gelächter und die gute Stimmung der Zuschauer hinaus. So bemerkte Fritz Krause hierzu: »Die Vorstellung öffnet mir auch hier alle Käufer«142 . Diese Vorführungen ermöglichten ihnen einen guten Eindruck zu erzeugen, was für die Ethnologen unerlässlich war angesichts der schlechten Beziehungen zwischen der indigenen und der weißen Bevölkerung der Region. An der Schnittstelle zwischen diesen beiden Gruppen befanden sich die Ethnologen. Der Erfolg ihrer Unternehmungen hing in hohem Maße von ihren Beziehungen zu ihren indigenen Vermittlern ab; Beziehungen, die sie zwangsläufig durch die Anwendung diverser Artefakte pflegten. Das Interesse der indigenen Akteure an dem Tauschhandel mit den Ethnologen war in dem Wunsch begründet, bestimmte europäische Dinge zu besitzen. Dies wird an mehreren Stellen in den ethnografischen Quellen erwähnt. Wilhelm Kissenberth bemerkt darüber: »Jeder Gegenstand, den ich bei mir hatte, wurde eingehend besprochen. Man fragte mich nach ihrem Namen und Gebrauch. Ab und zu ward ein bescheidener, meist unbescheidener Wunsch geäußert, das oder jenes zu

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Diese Transformation versteht Bruno Latour in seiner Analyse zur Soziologie der Artefakte als Übersetzung: »I will define this transformation of a major effort into a minor one by the words displacement or translation or delegation or shifting«. Latour: »Where Are the Missing Masses?«, S. 154. 138 Fabian: Im Tropenfieber, S. 143ff. 139 Vgl. Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 58. 140 Fabian: Im Tropenfieber, S. 143. 141 »[…] ich gab einfach meine Zirkusvorstellung, ich zeigte meine Kunststücke, und man freute sich, dass ich sie in jedem Augenblick in aller Eleganz vorweisen konnte und mich niemals blamierte.« Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 76. 142 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 61. Siehe auch S. 70.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

besitzen«143 . Es handelte sich in der Folge um eine gegenseitige Bewunderung der Artefakte des ›Anderen‹, wie Max Schmidt ausdrücklich erwähnt: »Als wir aneinander herangekommen waren, wurde natürlich zunächst, wie es Indianerbrauch ist, die gegenseitige Habe genau gemustert und bewundert […]«144 . Das Interesse der Indigenen war ebenso durch die Möglichkeit bedingt, die Anwesenheit von Ethnologen zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen zu können, sofern letztere sich als Lieferanten begehrter materieller Güter zeigten. Dessen waren sich die Ethnologen sehr wohl bewusst, sodass sie Waren mit sich trugen, die attraktiv für die Indigenen sein könnten. Ethnologen sahen die Artefakte, die sie als Tauschwaren brachten, nicht als Akteure, welche den Tauschhandel mit den Indigenen überhaupt motivierten, erkannten aber, dass die Präsenz dieser Artefakte ihre Beziehungen mit der lokalen Bevölkerung enorm beeinflusste. Tauschwaren bezeichnete z.B. Koch-Grünberg als »Kostbarkeiten für ein Indianerherz: Tabak, Spiegel, […], kleine Messer, Angelhaken u.a., einige dicke bunten Perlen stecke ich in die Tasche für die Kinderchen«145 . Denn wenn die Forscher nichts mit sich brachten, war die Wahrscheinlichkeit eines Austauschs gering, wie Max Schmidt im Folgenden schildert: Jetzt, wo eine grössere Anzahl von Indianern um uns herum war, wurden die Leute wieder zudringlicher und ungehalten darüber, dass ich ihnen so gar nichts mitgebracht hatte. Nur die kleinen Scherben einer zerbrochenen Scheibe meiner roten Laterne zum Photographieren konnte ich noch verteilen.146 Schmidts Schilderung steht hier für die Relevanz von Tauschwaren in den Interaktionen mit der lokalen Bevölkerung. Ohne sie befand sich der Forscher in Schwierigkeiten. Als Konfliktlöser in diesem Fall kamen vorübergehend die Glasscherben seiner Laterne ins Spiel. Die Bedeutung der Glasscherben in diesem Moment – am Anfang nutzlose Reste der Laterne – änderte sich, als sie als Geschenke verteilt wurden. Ähnlich improvisierte Fritz Krause nachdem »der Flechter« für ihn »viele Muster ins Buch [zeichnete]«. Er belohnt seine Arbeit mit einem »Blechdeckel einer Zwiebackkiste«, in der sein Reisebegleiter Adam Löcher einschlug. Der Blech143

Kissenberth, Wilhelm: »Bei den Canella-Indianern in Zentral-Maranhão (Brasilien). Mit 9 Figuren im Text«, in: Baessler-Archiv 2/1 (1911), S. 45-54, hier S. 49. Ähnlich merkte Karl von den Steinen an: »Um Hautfarbe und Bart bekümmerten sie sich im Allgemeinen nicht, sie bewunderten freilich die Kleidung, die Messer, das Opernglas, aber wie Kinder, welche das nicht zum ersten Mal erleben, die Geschenke an Weihnachten«. Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 159. 144 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 59. Vgl. ebenso Kissenberth: »Vor allem erweckten die außerordentlich schöngeflochtenen Buriti-Matten, die verschieden artigen Körbchen und überflochtenen, ornamentierten Geräte, zumal Musikinstrumente und keulenähnliche Stäbe, meine Bewunderung«. Kissenberth: »Bei den Canella-Indianern«, S. 49. 145 Tagebucheintrag vom 6.10.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. 146 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 91.

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deckel wurde auf diese Weise zu einem »Mandiokareiber«. Über die Reaktion des Zeichners kommentiert Krause weiter, »[g]lückstrahlend geht er zu seiner Frau, und beide sprechen eifrig mit leuchtenden Augen über das Geschenk«147 . Solche Beispiele machen deutlich, dass − auch wenn nicht alles immer als Tauschware in der Feldforschung vorgesehen war − Waren in Austauschprozessen »any thing intended for exchange« sein konnten.148 Hierin wird deutlich, dass gerade in Austauschprozessen während der Feldforschung Dinge/Artefakte andere Bedeutungen und Funktionen bekamen.

Der Tauschhandel und Machtasymmetrien Die Präsenz von bestimmten Artefakten verursachte sowohl bei Ethnologen als auch bei Indigenen großes Interesse. Während der Erwerb von Ethnographica wesentlich für die Ethnologen und weiterhin für die Ethnologie war, stellt sich die Frage, was für eine Bedeutung europäische Gegenstände für die indigenen Akteure hatten bzw. was indigene Akteure getan hätten, wenn Ethnologen keine europäischen Gegenstände wie Arbeitsgeräte, Waffen, Perlen, Stoffe usw. mitgebracht hätten? Ohne europäische Gegenstände, die indigene Akteure begehrten, wären diese vermutlich nicht so sehr daran interessiert gewesen, eine Beziehung zu den ›Weißen‹ aufzubauen, da der Austausch von Objekten den Kontakt förderte. Michael Kraus spricht in dieser Hinsicht sogar von »Feldforschung als Tauschprozess«149 und begreift den »Tausch« als »zentrale[s] Element der Beziehungen zwischen den Indianern und den Ethnologen«150 . Dass der Tauschhandel wesentlich für den Kontakt und die Interaktionen mit den Indigenen war, war sich KochGrünberg vollkommen bewusst, wenn er in seinem Artikel »Indianischer Handel« anmerkte: »Ohne Tauschhandel mit den Eingeborenen war und ist bis auf den heutigen Tag ein längerer Aufenthalt in diesen wilden Gegenden unmöglich.«151 Indigene Akteure hätten ohne Gegenstände als Bezahlung für ihre Dienste bei Praktiken wie Sprachaufnahmen, Fotografien usw. nicht mitgewirkt, und dies hätte auch bedeutende Konsequenzen für die ethnologische Forschung gehabt. Durch den Tauschhandel während der ethnologischen Feldforschung entwickelten sich soziale Beziehungen in der Amazonas-Kontaktzone.152 Dabei handelt

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Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 80. Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«, S. 9. Hervorhebung im Original. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 334. Ebd., S. 335. Koch-Grünberg: »Indianischer Handel«, S. 160. Humphrey, Caroline und Stephen Hugh-Jones: »Introduction: Barter, Exchange and Value«, in: Humphrey, Caroline und Stephen Hugh-Jones (Hg.): Barter, Exchange and Value. An Anthropological Approach, Cambridge: Cambridge University Press 1992, S. 1-20, hier S. 8.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

es sich um eine Form des Austauschs, durch die sich auch die indigenen Ökonomien im Amazonasgebiet auszeichneten. Seine Auswirkungen auf die Konstruktion sozialer Beziehungen im Amazonasraum behandelt insbesondere Stephen HughJones in seiner Studie Yesterday’s Luxuries, Tomorrow’s Necessities: Business and Barter in Northwest Amazonia.153 Aufgrund des Systems der Schuldknechtschaft, in das die Mehrheit der indigenen Bevölkerung involviert war, erfolgte ein Austausch von Haushaltsobjekten und anderen Produkten gegen z.B. Waffen und Äxte, weil letztere für die Kautschukgewinnung bzw. für die Jagd notwendig waren. Mit der Hilfe von Stahlinstrumenten gestaltete sich die Kautschukgewinnung einfacher und erfolgreicher; Waffen gewährleisteten Sicherheit gegen potenzielle Angriffe anderer Kautschukhändler und verliehen nicht zuletzt einen gewissen Status in den und zwischen indigenen Gruppen. Der Tauschhandel mit den Ethnologen erweiterte diesen bereits etablierten Konsum von Gegenständen in der Region, so dass z.B. Waren wie Seife, Stoffe, Perlen oder Angelhaken im Vergleich zum Tauschhandel mit den Kautschukproduzenten bzw. -händlern vom Ethnologen viel günstiger oder als Geschenk bekommen werden konnten. Zu den Artefakten, die die Indigenen den Ethnologen zum Tausch anboten, zählten Nahrungsmittel,154 meistens Beijús, Fisch oder Früchte, die die Ethnologen gegen Waren wie Glasperlen oder Tabak entgegennahmen, und Artefakte wie Körbe, Pfeile, Bögen, Töpfe, Schmuck oder Masken, die manchmal auch für Glasperlen eingetauscht wurden, aber häufig auch für Messer, Äxte oder andere für die Indigenen wertvollere Artefakte. Wenn es darum ging, den materiellen Austausch zwischen und mit den Indigenen zu beschreiben, nahmen Ethnologen keine strenge Differenzierung zwischen Handel und Tauschhandel vor. So zum Beispiel betitelte Koch-Grünberg sein Artikel mit »Indianischer Handel«,155 obwohl er hauptsächlich über Tauschhandel im eigentlichen Sinne spricht. Handel und Tauschhandel kommen in den hier untersuchten ethnografischen Texten als undifferenzierte Prozesse, denn Tauschhandel in der Amazonas-Region kann vielfältigen Formen haben, wie Humphrey und Hugh-Jones in ihrem Sammelband zum Tauschhandel (auch im nordwestlichen Amazonasgebiet) anmerken − auch wenn der Tauschhandel eine Form des Austauschs ist, der sich von anderen Arten des Austausches wie dem Geschenk, dem Tausch, dem Kredit, dem formalisierten Handel und monetarisierten Warentrans-

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Vgl. Hugh-Jones: »Yesterday’s Luxuries«. »Durch einige bunte Glasperlen, die ich als Gegengeschenk für die Beijús gegeben hatte, wurden dann auch die Frauen und Kinder hervorgelockt, und bald war die ganze Bewohnerschaft um mich versammelt.« Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 61. Vgl. auch Steinen: Durch Central-Brasilien. S. 206, 222. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. S. 108, 119, 123. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2. S. 22, 92, 124. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise. S. 27, 37. Vgl. Koch-Grünberg: »Indianischer Handel«.

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aktionen unterscheidet.156 Aus welcher Sicht Ethnologen den Handel in der Feldforschung behandelten und was der Handel mit den Ethnologen auch für indigene Akteure bedeutet haben könnte, lässt sich aus folgender Beschreibung Karl von den Steinens über ein Tauschvorgehen erahnen: War ein alter und notwendiger Tauschhandel vorhanden, so fehlte doch, jedenfalls bis zu einem gewissen Grade, der Begriff des Wertes. Der Ankommende brachte dies oder jenes mit und lieferte es ab, wenn er zum Empfang bewirtet wurde. In kleinerer Menge beim Empfang, in grösserer beim Abschied erhielt er die gewünschte Gegengabe. Wir haben bei dem Abschied in Maigeri das typische Beispiel erlebt, […] wir wurden hingesetzt und erhielten dann einen Korb Mehl. So übersetzen die zahmen Bakairi das portugiesische comprar »kaufen« mit yekadiie sich setzen. Der Handel ist also noch ein Austausch von Gastgeschenken.Allein dies ist nur in der Kulturstufe, nicht in dem edelmütigen Charakter begründet.157 Aus einer deutlich evolutionistischen Sicht befand sich der Handel für die indigene Bevölkerung laut von den Steinen noch in einer Art urtümlichen Zustand. Hier ging der Forscher von seiner Auffassung von modernem Handel aus, die in diesem Fall als universeller Maßstab galt und als tertium comparationis für die Interpretation außereuropäischer Sitten und Weltdeutungen diente. Der Begriff des Wertes spielte hierbei eine wesentliche Rolle, um den Handel aus europäischer Sicht zu erklären. Interessant ist dabei, dass in der selben Bewegung, also in der eurozentrischen Bewertung und Schilderung der ›Anderen‹ – ›Kulturübersetzung‹ – auch Spuren der Stimme dieser ›Anderen‹ zu finden sind. Dies wird möglich dank der Erwähnung der Übersetzung von Portugiesisch »kaufen« ins Bakairi »yekadile« (sich setzen). Da der Tauschhandel und nicht der monetäre Handel die Praxis war, welche die interethnischen Beziehungen zu jener Zeit in der Amazonaskontaktzone kennzeichnete, suchten die indigenen Bewohner der Region entsprechende Bezeichnungen in ihren Sprachen, nicht für den Akt des Austausches eines Gegenstandes gegen einen anderen (auch Geld), sondern für die ganze Verhandlungsaktion. Und diese zeigt sich, auch noch in ›modernen‹ Gesellschaften, durch bestimmte Konventionen. Die Begrüßung, ein sprachlicher Austausch, sich setzen und schließlich Gegenstände tauschen, gehörten dazu. Das heißt, dass von den Steinen beim Handel von einer rein wirtschaftlichen Aktivität ausging, die Bakairi-Indigenen darin aber eine soziale Praxis sahen. Wie ein und dieselbe Praxis aus zwei unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Perspektiven verstanden wurde, wird hierin deutlich. Obwohl von den Steinen im vorherigen Zitat aufgrund seiner eigenen normativen Vorstellung des Handels bei den Indigenen die Abwesenheit eines Wertebegriffs kritisierte − ein Punkt, auf den später in dieser Analyse zurückgekommen 156 157

Humphrey/Hugh-Jones: »Introduction: Barter, exchange and value«, S. 2. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 333.

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werden muss − heißt dies nicht, dass die indigenen Akteure keine klare Vorstellung vom Tauschhandel hatten. Ganz im Gegenteil, sie wussten sehr genau, was sie von diesem materiellen Austausch haben wollten,158 wie die exemplarische Anmerkung von Max Schmidt zeigt: »Was die vielgerühmte Gastlichkeit der Indianer angeht, so beruhte dieselbe da, […] nur darin, dass man eben geduldet wurde; – geduldet wurde, weil man Pinga und andere Gebrauchsgegenstände mit sich führte, die sie zu haben begehrten«159 . Dass die Gastfreundlichkeit der Indigenen von der Präsenz von Tauschwaren enorm abhing, notierte auch Karl von den Steinen: [d]er Indianer ist keineswegs gastfreundlich in dem Sinn, dass er sich durch den Besuch riesig geehrt und schlechthin verpflichtet fühlte, mit Beijús und Getränken verschwenderisch zu bewirten. Er möchte schon für diese Leistung eine Gegenleistung haben, er wird bald ungeduldig, wenn der Gast nur bleibt, um billig zu leben, und bittet ihn offenherzig, das Dorf zu verlassen.160 Hieraus lässt sich erschließen, dass nicht nur die Ethnologen vom Tauschhandel profitieren wollten, sondern auch die indigene Bevölkerung. Da die Amazonasforscher nicht die ersten ›weißen‹ Reisenden in der Region waren und im Laufe der Geschichte diese Figur zu einem Teil des sozialen Gewebes der Amazonaskontaktzone wurde, gab es eine Verbindung zwischen ›Weißen‹ und Artefakten, welche in der Figur des Ethnologen mit seinen Tauschwaren zum Ausdruck kam. Im Falle von Koch-Grünbergs Roraima-Expedition beispielsweise erzählte ihm eine Frau, »daß der »dotoro aeketóng« (Ule) lange hier gewohnt habe; daß sich die Taulipáng freuten, weil ich jetzt auch hierher gekommen sei. Hoffentlich hätte ich ihnen recht viel mitgebracht, besonders Kleider, denn es sei sehr kalt hier am Roroíma«161 . Hier erinnerte sich die Frau an den deutschen Botaniker Ernst Heinrich Georg Ule, der zwischen 1883 und 1912 in Südamerika forschte.162 Der Eindruck, den die Forscher bei den Indigenen hinterlassen haben, war gut, insbesondere aufgrund der Gegenstände, die er mit sich brachte.163

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»Der Handel hat sehr viele Mühe gekostet; unsere Juwelen fanden keine Gnade in den Augen der Yuruna, sie wollten Flinten, Pulver, Schrot, Kleidungsstücke etc. und gaben uns (nicht die schönsten) Ubás [Boote], welche noch nach Möglichkeit ausgebessert werden mussten.« Steinen: Durch Central-Brasilien, S. 242. Bei den Juwelen handelte es sich um Perlen. Ubás sind eine Art Boote. 159 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 303. 160 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 333. 161 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 99. 162 Vgl. Ule, Ernst Heinrich: Das Innere von Nordost-Brasilien, Jena: G. Fischer 1908; KochGrünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 90f. 163 »Am 4. Juni nahmen wir Abschied, nachdem wir noch jeden mit einer Kleinigkeit beschenkt hatten. Immer wieder wollten die Frauen und Kinder von uns hören, wie viele Monde bis zu unserer Wiederkehr vorübergehen würden, und wie viele schöne Sachen wir Ihnen dann mit-

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Folgende Szene illustriert, auf welche Art und Weise indigene Akteure vom Tauschhandel mit den Ethnologen zu profitieren versuchten. Fritz Krause erwarb den ganzen Schmuck eines zehnjährigen Karajá-Mädchens (Abb. 23), nachdem er sie fotografierte. Das Mädchen trennte sich »ungern« und »weinend« von ihren Sachen, »aber der Mutter Begehrlichkeit zwingt sie dazu«164 . Nicht nur Krause, sondern auch die Mutter des Mädchens profitierten vom Handel. In diesem Fall war der Schmuck des Mädchens das Artefakt, das nicht nur bei der Mutter, sondern vor allem bei Krause die »Begehrlichkeit« erweckten und somit den Tauschhandel förderten. Es lässt sich schwer herausfinden, was die Mutter des Mädchens in Gegenzug bekam. Für Krause gründete der Wunsch, diesen Schmuck zu erwerben, in der Notwendigkeit, Ethnographica zu sammeln. Als einzige Verliererin in dieser Transaktion steht das Mädchen, bei dem der Verlust seines Schmucks offensichtlich Trauer verursachte. Abbildung 23: »Karajá Mädchen in vollem Schmuck.« Krause 1911. Tafel 18.

bringen würden. Vor Freude klatschen sie in die Hände«. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 353. 164 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 72.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Gleichzeitig bezeugen die Quellen, dass − insbesondere wenn der Tauschhandel nicht willkommen war − Ethnologen besondere Strategien anwandten, um sich bestimmte Gegenstände anzueignen.165 Dies war Teil des Tauschhandels, bei dem jede Partei versuchte, das Beste heraus zu holen − was unter diesem Gesichtspunkt nicht verwerflich sein sollte. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass jede Aktivität und Verhandlung, einschließlich der Rahmen eines wissenschaftlichen Unternehmens, asymmetrische Beziehungen verschiedener Art impliziert und somit den Machtmissbrauch begünstigt. In ihrem Drang, eine möglichst große und wertvolle Sammlung nach Deutschland zu bringen, schenkten die Ethnografen den Regeln des Austauschs mit den Indigenen manchmal wenig Aufmerksamkeit und übten oft ihre Macht aus.166 Der Gebrauch von Alkohol beim Tauschhandel macht beispielsweise deutlich, wie diese Strategie den Kontakt zwischen fremden Menschen erleichtern, aber auch gelegentlich zum Machtmissbrauch führen konnte. Wenn Alkohol konsumiert wurde, bemerkten die Ethnologen, dass der Aufwand geringer war, um Kontakt aufzunehmen, wie es sich aus Koch-Grünbergs Bericht herausliest, als der Tuschaua José im Yuruparí-Igarapé ihn und seine Begleiter »[…] nicht aufnehmen« wollte167 . Der Tuschaua behauptete, sein Haus sei nicht dicht und es regne herein; Koch-Grünberg bemerkte aber, dass das Haus in Ordnung war. Als Mittel der Überredungskunst wurde Schnaps verwendet: Der Tuschaua wurde »[…] nach einem Schluck Cachaça […] schon freundlicher«168 , und KochGrünberg und seine Begleitung durften bei ihm übernachten. Als Max Schmidt bei einer Guató-Gemeinschaft war und einige Mitglieder betrunken waren, kommentierte er: »Jetzt wäre für einen ›tüchtigen Forschungsreisenden und Sammler‹ der günstige Zeitpunkt dagewesen, um den Leuten alles Brauchbare gegen ganz geringe Bezahlung ›abzukaufen‹«169 . Obwohl es nicht die Regel war, wurde Alkohol zugunsten eines profitableren Tauschhandels für den Ethnologen verwendet, wie es sich aus Koch-Grünbergs Bericht herausliest: Der Zauberarzt war wieder am meisten betrunken. Ich benutzte die günstige Gelegenheit und handelte ihm einen großen Teil seines Zauberapparates ab. […] Nachher, als mein Freund wieder nüchtern war, tat ihm der ganze Handel leid, und er wollte ihn rückgängig machen. Doch es war zu spät.170

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Fritz Krause erzählt, wie sein Reisebegleiter Adam sich krank stellte, damit er »eine ganze Anzahl Medizinalpflanzen« erhalten konnte. Ebd., S. 65. Vgl. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 305. Tagebucheintrag vom 20.8.1903. ES Mr B.I.2. Heft 1. Ebd. Ob Schmidt die Gelegenheit ausgenutzt hat, lässt sich nicht überprüfen. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 141f. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 67.

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Der Erwerb dieser Artefakte deutet aus heutiger Sicht hauptsächlich auf die Überheblichkeit und Machtausübung des Ethnologen hin, denn zweifelsohne befand sich der ›Zauberarzt‹ in einer ungünstigen Lage für die Verhandlung, und Alkohol spielte hier eine wesentliche Rolle. Koch-Grünbergs Vorgehen war nicht deshalb unangebracht, weil er die Gelegenheit nutzte, mit einem betrunkenen Tauschpartner zu handeln, sondern vor allem, weil der Ethnologe hätte neu verhandeln können, sobald der Tauschpartner wieder nüchtern war. Damit hätte er für beide Seiten einen faireren Tauschhandel erreichen können. Wenn diese Handlung innerhalb der Bedingungen der interpersonellen Begegnungen zwischen den Indigenen und den ›Weißen‹ in der Region kontextualisiert wird, lässt sich die einseitige Machtausübung einer Partei schwer relativieren. Diese Beurteilung gilt, auch wenn man berücksichtigen sollte, dass die ausgetauschten Objekte für die Indigenen auch Waren von praktischem Wert sein konnten. Die ›günstige Gelegenheit‹ eines betrunkenen Indigenen auszunutzen oder sich direkt in den Häusern Gegenstände für die wissenschaftliche oder museale Sammlung zu suchen, gehörte zu den Strategien des Tauschhandels, die die Ethnologen in der ethnografischen Forschung anwandten. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass indigene Akteure nicht immer Opfer in der Interaktion mit der ›weißen‹ Bevölkerung wurden. Der Tausch mit Ethnologen hier dient dazu, zu veranschaulichen, dass die indigenen Akteure eher im Tauschhandel teilnahmen, denn dieser gehörte vor dem Kontakt mit den Ethnologen zur indigenen Ökonomie und hatte daher eine »interne Logik«, die an externe Faktoren angepasst werden konnte.171 Beim Tauschhandel während der Feldforschung handelte es sich um einen Austauschprozess, zu dem die Wechselseitigkeit durch die Übertragung von Gütern oder Dienstleistungen als wesentliches Merkmal gehörte. Dabei handelte es sich weder um einen unidirektionalen Gewinn noch um einen ausschließlich freundschaftlichen Austausch. Es lässt sich zumal in vielen Fällen von einem reziproken Tauschhandel reden, als jede Partei sich für ein Objekt der anderen interessierte und dieses Interesse durch den Austausch befriedigt wurde.172 Als aktive Agenten waren indigene Akteure in vielen Fällen relativ eigenständig in ihren Entscheidungen, mit den Ethnologen zu verhandeln (oder eben nicht).

Der Dritte im Tauschhandel Insbesondere indigene Vermittler waren parteilich und bewegten sich zwischen ihren eigenen sozialen Gruppen und der des Ethnologen. Insofern sie sich von der Beziehung zu den Ethnologen einen eigenen Gewinn erhofften, nutzten sie ihre

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Hugh-Jones: »Yesterday’s Luxuries«, S. 44. Humphrey/Hugh-Jones: »Introduction: Barter, exchange and value«, S. 7.

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Machtposition und dafür auch andere Mitglieder der Gemeinschaft aus. Vermittler sind konstitutive Elemente der Kulturübersetzung als interaktive Praxis. Ohne sie, wie es im Falle der Dolmetscher bereits illustriert worden ist, erschwerten sich der Kontakt und überhaupt die Beziehungen zwischen Ethnologen und der indigenen Bevölkerung. Vermittler agierten als Dritte an der Schnittstelle zwischen den Interessen des Ethnologen und denen der eigenen Gemeinschaft (wie in Kapitel 2 gezeigt). An der Figur des Dritten kann ferner gezeigt werden, dass es, um mit Joachim Fischer weiter zu sprechen »nicht nur den Anderen als Tauschpartner [gab], sondern [auch] den Dritten als Händler, als Agenten«173 . Die Rolle des Impresarios ausdrücklich im Falle des Tauschhandels lässt sich anhand eines Zitats aus Karl von den Steinens Reisebericht veranschaulichen: Ich eröffnete sofort das Tauschgeschäft und erhielt für Messer und Perlen einige Masken und Töpfchen. Sie wollten absolut Messer und wieder Messer haben, sie zeigten dabei ein recht ungeduldiges Gebahren. »Nur heraus mit Deinen Sachen«, schien ein Jeder zu sagen, »siehst Du denn nicht, dass ich warte?« Das Wesen eines reellen Geschäftes, bei dem, wer etwas nimmt, auch etwas hergiebt, war ihnen entschieden unklar. Tumayaua, der sich in seiner Rolle als Impresario des interessanten Gastes überaus stolz und glücklich fühlte, setzte ihnen in längerer Rede die Elementarbegriffe des europäischen Handelsverkehrs auseinander. Seine Geschicklichkeit, mit nicht viel mehr als drei oder vier Phrasen seiner eigenen Sprache in dem Brustton der Ueberzeugung jene Auseinandersetzung und später eine Erzählung unserer Erlebnisse zum Verständnis seiner Zuhörerschaft zu bringen, war in hohem Masse bemerkenswert.174 Als Vermittler zwischen den Sprachen und Kulturen agierten Menschen wie Tumayaua während der Feldforschung. Obwohl es auf den ersten Blick so erscheinen mag, als stünden die Impresarios auf der Seite der Ethnologen, lässt sich dies nicht pauschalisieren, denn die Impresarios versuchten auch sicherzustellen, dass beide Parteien vom Tauschhandel profitieren konnten. Somit agierten sie als dritte Instanzen, deren Funktion darin bestand, den Tauschhandel zu regulieren. Der Impresario, in diesem Fall Tumayaua, wird aus Sicht der Ethnologen als Verbündeter in dem Bestreben dargestellt, den Austausch von Objekten ohne größere Konflikte zu erreichen. Insofern der Impresario selbst jedoch auch Mitglied der indigenen Gemeinschaft war, konnte er vom Tauschhandel ebenfalls profitieren. Seine Vermittlerrolle verlieh ihm nämlich auch einen gewissen Status in der Gemeinschaft, was sich in einem symbolischen Gewinn niederschlug. Durch seine Positionierung zwischen den beiden Gruppen genoss der Impresario eine gewisse Macht, die er dann zu 173 174

Fischer: »Tertiarität/Der Dritte«, S. 146. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 103.

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seinem persönlichen Vorteil nutzen konnte. Wie dies erfolgen konnte, lässt sich am besten anhand der folgenden Szene erklären: Eines Tages machen wir auf seinen [Pitás] Vorschlag Handel im Großen. Der Häuptling, auf einer Kindertrompete blasend, an der Spitze; darauf ich im Schlafanzug […]. So geht es in die einzelnen Hütten, die bis zum letzten Winkel durchsucht werden. Ich bezeichne die Gegenstände, die ich kaufen will, und der Häuptling übersetzt meine Wünsche mit seiner lauten Stimme. In derselben Ordnung marschieren wir in meine Hütte zurück, wo auf einen Wink des Häuptlings die Besitzer mit ihren Sachen der Reihe nach antreten und von mir ausgezahlt werden.175 Pitá war der Cacique (zu Deutsch Häuptling) der Taulipán und spielte in KochGrünbergs Expedition im Roraima-Gebiet eine wesentliche Rolle. Er bemühte sich ständig, Koch-Grünbergs Wünsche zu erfüllen und benutzte dafür seine Autorität in der Gruppe. Warum aber sollte er ein Interesse an der »Vermehrung der ethnographischen Sammlung« haben? Pitá war deswegen daran interessiert, dass Koch-Grünberg möglichst viele Objekte austauschen konnte, weil er selbst auch davon profitieren wollte. Aufgrund seiner Stellung in der Gemeinschaft durfte er in jedes Haus eintreten und dieses »bis zum letzten Winkel« durchsuchen. Seine Autorität über die Mitglieder seiner Gemeinschaft ermöglichte es ihm, auch vom »Handel im Großen« zu profitieren. Die oben zitierte Schilderung erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, es handele sich um eine Art lustigen Umzug, in der Pitá mit der Kindertrompete und der Ethnologe im Schlafanzug durch das ganze Dorf »marschieren«, jedes Haus besuchen und Sachen mitnehmen. Allerdings ist es die starke Präsenz von Pitá, die Trompete blasend und mit lauter Stimme ›kommandierend‹, welche die ganze Szene eher als eine geduldete Besitzenteignung wirken lässt. Vor allem kontrollierte Pitá die Bezahlung und wusste somit genau, wer was bekommen hatte. Es ist anzunehmen, dass die eingetauschten Waren höchst wahrscheinlich der ganzen Gemeinschaft, aber zweifelsohne hauptsächlich dem Vermittler, der oft Anführer derselben war, dienten. Karl von den Steinen bemerkte zum Beispiel, dass sie »häufig […] beobachteten, dass Personen, denen [sie] Perlen und dgl. gegeben hatten, sie an den Häuptling abliefern mussten.«176 Diese Artikel waren von hohem Wert für die Indigenen, denn sie konnten gegen andere Waren weiter-getauscht werden. Insofern indigene Akteure diesen Artefakten andere Bedeutungen verliehen, ermöglichten diese, dass ihre Besitzer ihren Status in den indigenen Gemeinschaften verbesserten. Denn die indigenen Akteure hofften vor allem, vom Tauschhandel zu profitieren, indem sie genau wie die Ethnologen symbolisches Kapital 175 176

Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 39. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 330.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

in Form von Prestige in der Gemeinschaft erzielten. Diese Tatsache wird bei der Belohnung zweier der Reisebegleiter Koch-Grünbergs am Ende der Expedition am Rio Negro deutlich: »Unsere beiden Indianer kehrten von hier aus mit reichem Lohn in die Heimat zurück. […] Sie waren nun nach indianischen Begriffen reiche Leute und stark begehrte Heiratskandidaten«.177 Daher kann schlussfolgert werden, dass manche Indigene deshalb gerne für solche Expeditionen arbeiteten, da sie mit einer guten Belohnung rechneten. In Bezug auf die Folgen solcher interethnischen Beziehungen in der Amazonas-Region zu Beginn des 20. Jahrhunderts merkt Stephen Hugh-Jones an, dass junge Männer vom Kontakt mit den Weißen profitierten, der ihnen nicht nur »status and glamour« verlieh, sondern ihnen auch Zugang zu materiellem Gewinn ermöglichte.178 Dies bestätigt sich in Max Schmidts Bericht, wenn er über die Konkurrenz zwischen den indigenen Gruppen Kamayurá und den Bakairí spricht, die entstanden sei, weil die Bakairi die weißen Expeditionen wiederholt durch ihr Territorium geführt und damit den Kamayurá die Vorteile genommen hätten, die sich aus einer solchen Eskorte ergeben hätten, die in Wirklichkeit ihnen als Territorialherren gehörte179 . Der erfolgreiche Tauschhandel, dank der Präsenz von Impresarios, hatte darüber hinaus langfristige Konsequenzen, die sich in den ethnologischen Repräsentationen von indigenen Gemeinschaften auswirkten. Wenn Indigene nichts anboten und trotzdem etwas von den Ethnologen verlangten, bewerteten Ethnologen dieses Verhalten als Bettelei.180 Über seine Begegnung mit den Bakairi berichtet Max Schmidt diesbezüglich: »Von jetzt ab hatte ich immer eine große Anzahl von Bakairí-Indianern in meinem Lager, die alle bewirtet sein wollten und mich in schrecklicher Weise durch ihre fortwährenden Betteleien um Kleinigkeiten heimsuchten«181 . Insbesondere »Tabak und Branntwein« waren beliebte Waren182 . Aufgrund der ›Bettelei‹ der Indigenen während eines Tanzfestes bei den Siusí am Aiary verglich Koch-Grünberg diese mit ›Zigeunern‹: »Die sonst so bescheidenen und liebeswürdigen Menschen waren gar nicht mehr wiederzuerkennen. Zudringlich wie Zigeuner bettelten sie mich um dies und das und besonders um Tabak an«183 . Da177 178 179 180

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182 183

Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 319. Hugh-Jones: »Yesterday’s Luxuries«, S. 57. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 68. Dieses Verhalten scheint, Stephen Hugh-Jones zufolge, ein charakteristisches Merkmal der Tiefland-Indigenen zu sein, das er als »consumerism« bezeichnet. Vgl. Hugh-Jones: »Yesterday’s Luxuries«, S. 43. Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien. S. 41. Vgl. auch Nimuendajú, Curt: »Curt Nimuendajú im Gebiete der Gê-Völker im Innern Nordost-Brasiliens«, in: Anthropos 24/3/4 (1929), S. 660-672. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 462. Vgl. auch Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 156. Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 175. Da er auf seiner zweiten Expedition mit der ›Bettelei‹ der Indigenen rechnete, bemerkte er erstaunt, dass die Leute im

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

gegen wurden die Taulipán-Indigenen bei Koch-Grünbergs zweiter Expedition, die unter anderem aufgrund der guten Beziehung zwischen Pitá und Koch-Grünberg und nicht zuletzt aufgrund des mit ihnen erfolgreich betriebenen Tauschhandels äußerst positiv in seinen Publikationen dargestellt. Eine andere Gemeinschaft auf derselben Expedition, die Yekuana, wird in seinen Aufzeichnungen nicht in einem so positiven Lichte gezeichnet.184 Dies könnte daran liegen, dass sie am Tauschhandel mit dem Ethnografen nicht interessiert waren, denn, wie der Ethnologe David Guss in seiner Analyse der Beziehungen zwischen den Yekuana und Koch-Grünberg darlegt, »the Yekuana simply did not want to play ›Indians‹ to this uninvited guest«185 . Im Gegenteil haben die Taulipán auf Anregung Pitás ›Indianer‹ gespielt und wurden dafür auch dementsprechend belohnt. Die Reaktion der Indigenen beeinflusste zweifelsohne Koch-Grünbergs Beschreibungen der Episoden und seine ethnografischen Darstellungen dieser indigenen Gemeinschaften. Koch-Grünberg hatte in letzterem Fall das Glück, auf einen Vermittler wie Pitá zu treffen, der zweifelsohne insofern zum Erfolg seiner Expedition beitrug, als er sich bemühte, die Wünsche des Ethnologen zu erfüllen. Dies erfolgte jedoch nicht nur aus persönlicher Freundschaft, sondern resultierte auch aus der Möglichkeit, selbst ebenfalls von dem Tauschhandel zu profitieren. Pitá hatte seinerseits auch von seiner guten Beziehung zu Koch-Grünberg Vorteile, denn der Ethnologe stellte für ihn eine Empfehlung, gerichtet an »de[n] »Director dos Indios«, aus, damit Pitá »ein Patent als ›Capitão‹ geral dos Indios Macuxis e Wapixánas an Stelle seines unfähigen, gänzlich demoralisierten Bruders Idelfonso verl[iehen] wurde.«186 Wie bereits erläutert, waren die Figuren des Tuschaua und des Capitão Geral meistens indigene Machthaber, die als Vermittler zwischen den indigenen Gemeinschaften und anderen Gruppen, wie dem SPI (Dienst zum Schutz der Indios) aber auch Kautschukhändlern, fungierten.

Dorf Koimelemong sich »[b]ei aller Freundlichkeit, bei aller Neugierde […] höflich und zurückhaltend [benehmen] und nicht [betteln]«. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 42. Im Kontrast hierzu sah er die Zudringlichkeit der Guinaú als eine ›Ausartung‹ ihrer Neugier. Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Ethnographie, S. 360. Wie bereits erwähnt, schrieb der Ethnologe bei seiner zweiten Reise besonders den Guinaúund Yekuana-Gemeinschaften die schlechtesten Eigenschaften zu. 184 Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 251. 185 Guss, David M.: »Keeping It Oral: A Yekuana Ethnology«, in: American Ethnologist 13/3 (1986), S. 413-429, hier S. 414. 186 Tagebucheintrag vom 7.2.1912. ES Mr B.I.3. Heft 7. Beim hier gemeinten »Director dos Indios« handelte es sich um Alípio Bandeira, der für den Serviço de Proteção ao Índio – SPI (Dienst zum Schutz der Indios) arbeitete und dem Gründer des SPI General, Cândido Rondon, untergeordnet war. Vgl. Souza Lima, Antonio Carlos de: »O governo dos Índios sob a gestão do SPI«, in: Carneiro da Cunha, Manuela (Hg.): História dos índios no Brasil, São Paulo: Companhia das Letras/Secretaria Municipal da Cultura: FAPESP 1992, S. 155-172.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Der Austauschprozess des Tauschhandels konnte in diesem Abschnitt die Relevanz von Artefakten für die ethnologische Forschung beweisen. Szenen des Tauschhandels zeigen, dass sie motivierende Entitäten für das Verhalten der Indigenen und der Reaktionen der Ethnologen waren und daher schlechthin im Mittelpunkt der Interaktionen standen. Sie bestimmten somit die Rollen der Akteure, so dass sie aus Sicht der Ethnologen die Rolle der Versorger und Indigene die der Empfänger personifizierten. Dabei wurden zwei für die interaktive Praxis der Kulturübersetzung relevante Aspekte illustriert. Zunächst die Rolle von Machtasymmetrien in Momenten der Verhandlung von Gegenständen zwischen Akteuren, Machtasymmetrien, die für Austauschprozesse in einer Kontaktzone charakteristisch sind. Denn auch wenn die Begegnungen auf »Teilnahme und Gegenseitigkeit [beruhten]«187 –, waren diese keinesfalls symmetrisch. In dieser Hinsicht gewinnt die Rolle von Vermittlern, als zweiter Aspekt der Kulturübersetzung, in den Dynamiken der Feldforschung ebenso an Relevanz. In der Figur des Dritten hatten diese Dolmetscher-Vermittler-Handelspartner häufig eine Machtposition in der Begegnung inne und agierten als Verbündete der Ethnologen. Die Figur des Dritten ermöglicht auch hier eine Destabilisierung dieser dichotomischen Beziehung, insofern sie den Tauschhandel regulierten und dabei die gegenseitige Aneignung motivieren, fördern, erleichtern aber auch verhindern konnten. Die Präsenz von dritten Instanzen macht aus der traditionellen binären Konstellation Ethnologe-Indigene eine tryadische Beziehung, in der die Komplexität der sozialen Praktiken während der Feldforschung zum Ausdruck kommt. Somit erweisen sich Machtasymmetrien als vielschichtiger. Der Tauschhandel von Artefakten hatte schließlich zwangsläufig Auswirkungen auf die Interpretationen des ›Anderen‹, die sich in der ethnografischen Repräsentation – als ›Kulturübersetzung‹ – kristallisierten. Negative und positive ethnografische Darstellungen hingen im großen Maße vom Erfolg des Tauschhandels ab. Auch wenn es nicht im Interesse der vorliegenden Studie ist, Generalisierungen hinsichtlich der Methoden und der ethnologischen Repräsentationen der deutschen Ethnografen im Kaiserreich vorzunehmen, und auch wenn angenommen wird, dass die Absichten der Ethnografen im Amazonas »Bildungsabsichten«188 waren und diese mit den »Indianern […] nicht nur Objekte, sondern auch Worte und Gefühle«189 austauschten, war es gerade die Präsenz von bestimmten Objekten, welche überhaupt den Austausch ermöglichten und hin und wieder die Ausnutzung einer Gelegenheit, Artefakte für die Museen zu erwerben, verstärkten. Die Präsenz von bestimmten begehrten Artefakten, die als Waren an die VölkerkundeMuseen verkauft werden konnten oder die die indigenen Akteure begehrten, för-

187 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 479. 188 Ebd., S. 297. 189 Ebd., S. 299.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

derten einen weiteren Austauschprozess in der Feldforschung: den der Kommodifizierung.

3.3.

Kommodifizierung

Als Resultat der Verhandlungen zwischen indigenen Akteuren, Ethnologen und nicht zuletzt Völkerkunde-Museen erfolgte die Kommodifizierung der materiellen Kultur indigener Gemeinschaften des Amazonasgebietes. Kommodifizierung umfasst in diesem Abschnitt die Transformation der symbolischen Bedeutungen von bestimmten Artefakten, so dass diese im Tauschhandel einen bestimmten Wert als Ethnographica bekamen. Der Wert versteht sich infolge dessen als die Bedeutung eines Objektes in seiner Gestalt als Ware. Dass bestimmte sakrale, rituelle oder persönliche Artefakte verhandelt wurden, sodass diese verkauft werden konnten, auch wenn sie nicht zu den gewöhnlichen Tauschwaren zwischen Indigenen und der weißen Bevölkerung gehörten, wird durch die von indigenen Akteuren durchgeführte Strategie der Desubjektivierung erklärt.190 Diese Auffassung wird mit Arjun Appadurais191 materialistischem Ansatz des Austausches von Artefakten komplementiert. Dabei ermöglicht er es, Prozesse des interethnischen Austausches zwischen Ethnologen und lokalen Akteuren als gegenseitige Kommodifizierung weiter nachzuvollziehen.

Kommodifizierung durch Übersetzung Nach Arjun Appadurais bahnbrechendem und weiterhin hoch aktuellem Aufsatz Commodities and the Politics of Value, basiert die Grundlage der materiellen Kultur auf Waren.192 Dies kann am Beispiel der ethnologischen Feldforschung illustriert werden, wo bestimmte Artefakte ja als wesentliche Bestandteile der materiellen Kultur indigener Gemeinschaften des Amazonas gelten, wobei sie aufgrund von Austauschprozessen bereits während der Feldforschung Verwandlungen erlitten, durch welche sie zu ethnografischen Waren für das Völkerkunde Museum wurden. Waren wurden in die Wertesysteme oder, nach Appadurai, regimes of value der jeweiligen Akteure und ihrer Kulturen übersetzt.193 Diesen Prozess der Kommodifizierung, als Bedeutungs- bzw. Wertverschiebung von indigenen Dingen bzw. Artefakten möchte ich aus einer Übersetzungsperspektive weiter erklären. In Bezug auf die Kulturübersetzung hat Mary Louise Pratt bereits die Frage gestellt, wie nützlich es sei, das Konzept der Übersetzung auf Vorgänge jenseits 190 191 192 193

Santos-Granero: »Introduction. Amerindian Constructional Views of the World«, S. 18f. Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«. Ebd., S. 5. Ebd., S. 15.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

der sprachlichen Übertragung anzuwenden und Prozesse der Nicht-Äquivalenz, der Migration, der Rückumwandlung (»reconversion«) oder der Kommodifizierung als Übersetzung zu begreifen.194 Mit dieser Frage impliziert Pratt eine Verbindung zwischen der sprachlichen und der ökonomischen Bedeutungs- bzw. Wertzuschreibung.195 Obwohl sie die Frage nicht beantwortet, öffnet sie dabei ein Fenster zur Überlegung über das transformative Potenzial von Übersetzung, die gerade in solchen Prozessen die Differenz als essentiellen Bestandteil des interpersonellen Austausches voraussetzt. Auch wenn es verführerisch ist, den vielfältigen und komplexen Charakter von Übersetzung anhand von Analogien zu anderen Weltdeutungsprozessen zu entfalten, steht Übersetzung nicht immer analog zu solchen Prozessen, sondern eher als konstitutiver Bestandteil derer. Eine Übersetzungsperspektive erweist sich nicht als fruchtbar, wenn Kommodifizierung als Übersetzung, sondern wenn Kommodifizierung als ein Austauschprozess untersucht wird, der durch Übersetzung, als Bedeutungs- und Wertverschiebung, erfolgt. Dieses transformative Potenzial von Übersetzung untersucht Lydia Liu in ihrer Analyse The Question of Meaning-Value in the political Economy of the Sign, in der sie die Beziehung zwischen der sprachlichen und der ökonomischen Bedeutungsbzw. Wertzuschreibung in den Fokus bringt. Bereits Karl Marx und Ferdinand de Saussure hatten ihre Überlegungen zu Wert und Bedeutung anhand der Beziehung zwischen den semantischen und den materiellen ökonomischen Bereich gestützt. Auf der einen Seite sah Marx im materiellen ökonomischen Austausch eine Frage der »signification, expression, and substitution«196 – also auch der Übersetzung. Der ökonomische Austausch steht somit analog zum sprachlichen Austausch. Auf der anderen Seite erkannte in einem ähnlichen Gedankengang Ferdinand de Saussure die Signifikation und Substitution im ökonomischen Austausch an und hielt es in der Folge für möglich, das ökonomische System der Signifikation als analog zu anderen Systemen der Signifikation (wie Sprache und andere semiotische Systeme) zu begreifen.197 Gemeinsam ist sowohl dem ökonomischen als auch dem

194 Vgl. Pratt: »The Traffic in Meaning«, S. 34. 195 Auch Jaques Derrida analysierte die Metapher der Ökonomie und ihre Anwendungen im philosophischen und linguistischen Feld. Vgl. Derrida, Jacques: »Die weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text«, in: Derrida, Jacques und Peter Engelmann (Hg.): Randgänge der Philosophie, 2. Aufl., Wien: Passagen Verlag 1999, S. 229-290. Zu Derridas Überlegungen siehe das Kapitel die Ökonomie der Translation in Dizdar: Translation, Um- und Irrwege, S. 18ff. 196 Keenan, Thomas.: »The point is to (Ex)Change it: Reading Capital, Rhetorically«, in: Apter, Emily und William Pietz (Hg.): Fetishism as Cultural Discourse, Ithaca: Cornell University Press 1993, S. 152-185, hier S. 174. Zit. n. Liu, Lydia H.: »The Question of Meaning-Value in the political Economy of the Sign«, in: Dies. (Hg.): Tokens of Exchange: the Problem of Translation in Global Circulations, Durham, NC: Duke University Press 1999, S. 13-41, hier S. 24. 197 Vgl. Liu: »The Question of Meaning-Value«, S. 29ff.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

sprachlichen Austausch, dass beide die Entstehung von Wert und Bedeutung ermöglichen. Obwohl Wert als Bedeutung verstanden werden kann, macht ihre Differenzierung deutlich, dass im Kommodifizierungsprozess sowohl ökonomischer als auch sprachlicher Wert – also Bedeutung – entsteht. Liu versteht Übersetzung im Rahmen des Austauschs von nicht-Äquivalenten als eine Art »token«. Ein token ermöglicht »not only verbal and symbolic exchange but material circulations as well. It suggests that, like verbal signs, objects also constitute representations and that their tangible material existence participates in its own signification rather that exists outside it«198 . Übersetzung setzt in der Folge Bedeutungs-/Wertverschiebungen sowohl bei Zeichen als auch bei Objekten voraus und ermöglicht, dass eine Äquivalenz zwischen Nicht-Äquivalenten Zeichen oder Objekten hergestellt wird. Äquivalenz steht hier nicht für die Beziehung von Signifikanten oder Werten zu einer gegebenen und naturalisierten transzendentalen Entität, sondern für die Beziehung zwischen Zeichen selbst, aus der sich durch Übersetzung verhandelte und dabei konstruierte Bedeutungen ergeben.199 Am Beispiel der Transformationen von Bezeichnungen für indigene Dinge bzw. Artefakte im ethnologischen Diskurs der Amazonas-Forscher lässt sich illustrieren, wie die von Liu verstandene Äquivalenz in Prozessen des Austauschs, Handels und Transfers hergestellt wurde. Äquivalenz entpuppt sich hier als Produkt der Austauschbeziehungen und nicht als eine vorgegebene metaphysische Qualität. Unterlagen über die Verfrachtung der von Koch-Grünberg gesammelten indigenen Dinge bzw. Artefakte vom Amazonasgebiet nach Deutschland zeigen, dass solche Gegenstände im Kommodifizierungsprozess eine Bedeutungs- bzw. Wertverschiebung erfuhren. Indigene Dinge bzw. Artefakte – mit spezifischen Namen in den jeweiligen indigenen Sprachen und spezifische Bedeutungen und Funktionen für die indigenen Gemeinschaften – wurden von lokalen Vermittlern während KochGrünbergs Expedition am oberen Rio Negro (1903) erstmals als »Indianische Kuriositäten«200 bezeichnet. Den Begriff verwendeten beispielsweise der Konsul Oscar Dussendschön, sein Hauptkontakt in der brasilianischen Stadt Manaos, und die Expeditionsfirmen, die den Transfer der Objekte ermöglichten.201 Bei seiner zweiten Expedition in das Roraima-Gebiet (1911) fällt auf, dass indigene Artefakte nicht

198 Liu: »Introduction«, S. 4. 199 Liu: »The Question of Meaning-Value«, S. 21ff. 200 Schreiben vom deutschen Konsul Oscar Dussendschön an Karl von den Steinen. 2.3.1904. SMB-PK, EM. I B 44. 201 In einer Tabelle über den Inhalt der Sendung werden die Objekte als »Curiositäten« bezeichnet. Schreiben der Expeditionsfirma Matthias Rohde & Co. 14.4.1904. SMB-PK, EM. I B 44.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

mehr indianische ›Kuriositäten‹ waren, sondern als »Ethnographica«202 oder »ethnographische Gegenstände«203 bezeichnet wurden. Dieser Bezeichnungswechsel – von ›Kuriositäten‹ zu Ethnographica – zeigt, dass innerhalb von acht Jahren eine Wandlung in der Wahrnehmung indigener Artefakte erfolgte, auch außerhalb des akademischen Kreises der Amazonas Ethnologie. An dieser intralingualen Übersetzung kann man die Bedeutungsverschiebung eines indigenen Dings bzw. Artefakts von einem semantischen System in ein anderes beobachten sowie auch die hergestellte Äquivalenz zwischen den Bezeichnungen selbst – der indianischen Kuriosität und den Ethnographica. Diese Übersetzung weist gleichzeitig auf eine weitere Verwandlung auf ökonomischer Ebene − auf eine Kommodifizierung − hin. Denn auch wenn diese Gegenstände noch mit dem außergewöhnlichen, seltsamen und nicht zuletzt exotischen Charakter von Kuriositäten verknüpft blieben, zeigt ihre Fachbezeichnung als Ethnographica, dass ihnen ein besonderer Wert – ein Gebrauchswert – als Wissenschaftsgegenstand zugeschrieben wurde. Insofern sie als solche verfrachtet, versichert, versandt und später den Völkerkunde-Museen verkauft worden waren, wurde ihr ökonomischer Wert – ihr Tauschwert – erneut verhandelt. Hier handelt es sich um einen besonderen Tauschwert, der sich von dem Gebrauchswert unterschied, den solche Gegenstände vor dem Tauschhandel mit den Ethnologen und vor dem Handel mit den Völkerkunde-Museen hatten. Wie der Wert der Artefakte während der Feldforschung verhandelt wurde, lässt sich anhand der Rolle von Glasperlen illustrieren. Glasperlen stehen hier für das Tauschobjekt par excellence, nicht nur in der Feldforschung im Amazonasgebiet,204 sondern seit der ersten Begegnung zwischen Europäern und der lokalen Bevölkerung der Amerikas.205 In der Folge dieser jahrhundertelangen Tradition brachten Ethnologen auch Glasperlen zum Amazonas. Karl von den Steinen erwähnte, dass »Perlen […] alle Eigenschaften [haben], um dort, wo Verkehr stattfindet, von Stamm zu Stamm zu wandern, und geben die beste Gelegenheit, den Umfang des Ver-

202 Schreiben der Firma Zarges, Ohliger & Ca. an die Direktion des Königlichen Museums für Völkerkunde. 16.1.1912. SMB-PK, EM. I B 44a. 203 Schreiben der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft an das Königliche Museum für Völkerkunde. 25.3.1912. SMB-PK, EM. I B 44a. 204 Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 337. 205 Eine der ersten Geschenke von Christoph Kolumbus an die Bewohner der karibischen Inseln waren Glasperlen. Im Eintrag des 12. Oktobers 1492 aus Kolumbus’ Bordbuch liest man: »In der Erkenntnis, daß es sich um Leute handle, die man weit besser durch Liebe als mit dem Schwerte retten und zu unserem heiligen Glauben bekehren könnte, gedachte ich sie mir zu Freunden zu machen und schenkte also einigen unter ihnen rote Kappen und Halsketten aus Glas und noch einigen Kleinigkeiten von geringerem Werte, worüber sie sich ungemein erfreut zeigten«. Kolumbus, Christoph: Bordbuch (1492-1493), Frankfurt a.M./Leipzig: Insel Verlag 2006, S. 46.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

kehrs, der Manchen für unbegrenzt gilt, kennen zu lernen.«206 Glasperlen waren Objekte, die praktisch gegen alles ausgetauscht werden konnten. Sie waren, wie Max Schmidt es anmerkt, beliebte Gegenstände: »Die Fülle von Glasperlen macht offenbar den Hauptreichtum der Besitzer aus, und dieser wertvolle Besitz wird an den verschiedensten Körperstellen untergebracht«207 . Sie wurden als Gegenleistung für andere Objekte, für Essen und für Dienstleistungen gehandelt. Sie dienten als Bezahlung beispielsweise für fotografische Aufnahmen208 und für Körpervermessungen. Max Schmidt schrieb Glasperlen eine »wirtschaftliche Bedeutung« zu, welche »noch dadurch erhöht [wird], daß die Glasperlen im gewissen Sinne direkt den Charakter von Geld angenommen haben, so daß mit ihnen jede Dienstleistung bezahlt werden kann […]«209 . Über eine vorgegebene Äquivalenz zwischen den Glasperlen und den im Gegenzug getauschten Artefakten oder Dienstleistungen berichten die Quellen nicht, sie war nicht vorhanden, sondern musste von den Akteuren des Austauschs verhandelt werden. Am Beispiel der Glasperlen, die Ethnologen als Tauschobjekte anboten, lässt sich der Umstand erklären, dass Tauschwaren unterschiedliche und bestimmte Werte für jede Partei des Tauschhandels hatten. Während sie für Ethnologen billige Tauschwaren waren, sahen Indigene in ihnen wertvolle Materialien für die Herstellung von Schmuck und Kleidungsstücken. Die Wertzuschreibung der Glasperlen war situationsabhängig, sie konnten je nach Situation einen niedrigen oder einen höheren Wert haben. Sie wurden oft für Gegenstände getauscht, die für die Ethnologen einen höheren Wert als Ethnographica hatten, wie aus der folgenden Schilderung von Max Schmidt hervorgeht: Eine kurze Strecke weiter, trafen wir ein Kanu mit einem Mehinakúmann und einem Knaben. »Mehinakú katu, katu. katu«, schallte es zu mir herüber, und ich antwortete mein »katu karaibac«. Der Indianer erhielt einige Perlen und ein Glöckchen für den Jungen sowie ein kleines Messer. Ich erhandelte einige Pfeile und einen Bogen, machte eine photographische Aufnahme, spielte »Margareta«, und wir zogen weiter.210 Einige Perlen, zusammen mit einem Glöckchen und einem kleinen Messer waren genug, um die Pfeile und den Bogen zu bekommen. Diese hatten für Schmidt in diesem Fall einen höheren Wert als die Glasperlen. Diese konnten jedoch in einer anderen Tauschhandelssituation einen viel niedrigen Wert haben, wie Schmidt selber einige Wochen später, als er unter einem Fieberanfall litt und Hunger hatte, 206 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 183. 207 Schmidt: »Die Paressi-Kabisi«, S. 187. 208 »Jede Aufnahme wurde den Modellen durch einige Perlen vergütet. Sie hatten einige Angst, allein die Perlen siegten über die Furcht vor der Gefahr.« Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 86. 209 Schmidt: »Die Paressi-Kabisi«, S. 190. 210 Schmidt: Indianerstudien in Zentralbrasilien, S. 78.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

erfahren sollte, als seine Glasperlen nur noch dem Wert eines »gedörrten Fisch[s]« entsprachen: Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es mir, endlich eine alte Indianerin zu bewegen, mir für eine Handvoll Perlen ihren letzten gedörrten Fisch, den sie aus einer alten geflochtenen Korbtasche unter verschiedenerlei Gegenständen hervorkramte, abzulassen. Obgleich der Fisch derartig von dicken Maden wimmelte, dass man vor dem Genuss den Hauptteil derselben aus der Bauchhohlung des im übrigen hartgetrockneten Fisches herausschütteln musste, so konnte ich bei meinem grossen Fleischhunger doch nicht widerstehen, ihn zu essen.211 Diese Situation beweist, dass bei der Kommodifizierung in der ethnologischen Feldforschung – wie bei jedem anderen ökonomischen Austausch – »[w]ohlfeil kaufen, um teuer zu verkaufen« als »Gesetz des Handels. Also nicht der Austausch von Äquivalenten« galt.212 Bei der Kommodifizierung, wie auch bei Übersetzung, galt also das Versprechen einer vermeintlichen Äquivalenz zwischen Waren und Preis bzw. zwischen Zeichen. Wenn verhandelt werden musste, war dann der Wert der Glasperlen als Vergütungsmittel abhängig vom Kontext der Verhandlungen und der Einstellung der jeweiligen Akteure. So waren zum Beispiel einige Indigene damit einverstanden, dass die Vermessung ihrer Körper mit einigen wenigen Glasperlen vergütet wurde, für andere galt dies jedoch nicht, wie sich anhand von Karl von den Steinens folgender Schilderung zeigen lässt: Die Leute liessen sich Alles gefallen und nannten den Tasterzirkel núna »Mond«. Nur Einer war entrüstet, als ich ihm, nachdem ihn Ehrenreich von Kopf bis zu Fuss in allen Richtungen gemessen hatte, die Gebühr von drei schönen, dicken Perlen überreichte. Er wollte so viel Perlen haben, als Messungen an ihm vorgenommen waren, er wiederholte mit lebhaftem Gebärdenspiel und anerkennungswertem Gedächtnis die sämtlichen Prozeduren: den Kopf von vorne nach hinten, von Seite zu Seite, die Nase von oben nach unten, den Abstand der Augen, die Länge der Extremitäten und ihrer Teile, die Höhe des Nabels über dem Boden u. s. w. u. s. w., und streckte hinter jeder Pantomime die Hand nach den katakuá, den Perlen aus. Es half nichts, dem Manne musste sein Recht werden, nur war ich genötigt, ihn mit kleinen Stickperlen zu entschädigen.213 Anhand von solchen Szenen der Feldforschung lässt sich erkennen, dass es in den Interaktionen zwischen Indigenen und Ethnologen keine einheitliche Tauschregel und daher kein stabiles Wertesystem gab, was nicht als die Abwesenheit des

211 212 213

Ebd., S. 111. Marx, Karl: Das Kapital III, Bd. 25, Berlin: Dietz 1964 (MEW (Marx-Engels-Werke)), S. 342. Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 93f.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Wertes zu verstehen ist, wie von den Steinen es anmerkte.214 Denn der »Begriff des Wertes«, auf den Karl von den Steinen sich bezieht, war stark beeinflusst von der Vorstellung eines genauen Wechselkurses, welchen die Forscher als notwendiges tertium comparationis für jede Transaktion ansahen. Michael Kraus hat in dieser Hinsicht bereits angemerkt, dass die »Unklarheit über den richtigen Wechselkurs das zentrale Problem der Tauschprozesse« zwischen den Amazonas-Ethnologen und den Indigenen war.215 Denn auch wenn es Verhandlungen gab, so erfolgten diese ohne irgendwelche abstrakten Wert- oder Zahlenmaße.216 Die Abwesenheit eines regulatorischen externen Maßstabes scheint aber nur ein Problem für die Ethnologen zu sein, die die Dynamiken des Tauschhandels im Amazonasgebiet nicht kannten bzw. beherrschten. Geld als regulatorischer externer Maßstab spielte mit einigen Ausnahmen keine Rolle.217 Von den hier behandelten Amazonasforschern handelte nur Konrad Theodor Preuss mit Geld. Zwar brachte er Tauschwaren mit, Geld erwies sich aber für den Handel auch als nützlich. Der Grund dafür lag darin, dass die Indigenen, bei denen er sich aufhielt, unter der Kontrolle von Kautschukhändlern waren. Letztere nahmen das Geld, das Preuss den Indigenen bezahlte, als Ausgleich für die Schulden, die die Indigenen bei ihnen hatten.218 Beim Warenaustauch wurde der Wert dieser für die jeweiligen Parteien verhandelt. Dabei entstand eine Art Äquivalenz zwischen unterschiedlichen Dingen/Artefakten und auch zwischen Wertesystemen. Äquivalenz weist hier auf den Transformationsakt des Austauschs hin. Dieser Übersetzungsakt »[…] hypothesizes an exchange of equivalent signs and makes up that equivalence where there is none perceived as such«219 . Hierin steht der Warenaustausch auch in Analogie zu Übersetzung – für einen Prozess, in dem die Zirkulation von Bedeutungen und Werten stattfindet und der durch die paradoxe Beziehung zwischen der Erzeugung von Äquivalenz aus einer Situation von Nicht-Äquivalenten gekennzeichnet ist. Äquivalenz, in diesem materialistischen Sinne, wurde von externen Faktoren bestimmt, wie z.B. der »Verhandlungskompetenz« der Akteure im Tauschhandel.220 Wie in obigem Zitat Karl von den Steinens erkennbar, sorgte der nach 214 215 216 217

Ebd., S. 333. Kraus: Bildungsbürger im Urwald, S. 335. Zum Tauschhandel siehe S. 334-356. Humphrey/Hugh-Jones: »Introduction: Barter, exchange and value«, S. 1. Europäische Waren, wie »[k]leine, runde Spiegel, Glasperlen, Angelhaken, Streichhölzer, Messingglöckchen und -schellchen, Kinderspielzeug und anderer Tand, für wertvollere Sachen Messer und Scheren« betrachtete zum Beispiel Koch-Grünberg als sein »Geld.« KochGrünberg: Vom Roroima zum Orinoco, Schilderung der Reise, S. 39. 218 »Wegen dieses Schuldverhältnisses waren die beiden Dörfer auch gehalten, für ihn [den Hazienda Besitzer Felix Silva] ab und zu Kautschuk sammeln zu gehen«. Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto, S. 14. Siehe Kapitel 2. 219 Liu: »The Question of Meaning-Value«, S. 34. 220 Humphrey/Hugh-Jones: »Introduction: Barter, exchange and value«, S. 10.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Ansicht des Ethnologen vermessene Indigene insofern für die Herstellung einer Äquivalenz im Austausch, als er seine Verhandlungskompetenz einsetzte – er »streckte hinter jeder Pantomime die Hand nach den katakuá, den Perlen aus« – und dadurch die in seinen Augen berechtigte Bezahlung bekam. Die Verhandlungskompetenz der Ethnologen wurde insbesondere in Fällen auf die Probe gestellt, in denen die Indigenen nicht immer geneigt waren, mit den Ethnografen zu handeln, so wie letztere es erwarteten.221 Ein gewisses Gleichgewicht zwischen Teilnehmer war möglich und zwar in dem Moment, in dem die Transaktionsteilnehmer quitt waren. Das heißt, bei der Kommodifizierung von Dingen/Artefakten war der Wert der Waren abhängig vom Kontext bzw. von der Situation, in der sie ausgetauscht wurden, und vom eigenen Verständnis für die Objekte, Werte und sozialen Beziehungen der jeweils anderen Kultur, ein Verständnis, das nicht von allen involvierten Akteuren vollständig geteilt wurde.222 Bei der Kommodifizierung als Resultat des Tauschhandels handelte es sich folglich um einen »transformativen« Akt,223 der von einem situationsspezifischen Wertesystem bestimmt wurde, das ausschließlich von den Interessen der Akteure des Austauschs abhängig war. Die Kommodifizierung eines Artefaktes hing also von der Qualität der Beziehungen zwischen den Akteuren des Tauschhandels ab. Denn dabei handelte es sich um eine soziale Aktivität, in der »[s]tatus and closeness of social relations may also affect what is exchanged and on what terms«.224 Wie die Beziehungen zwischen Akteuren des Handels zur Verhinderung der Kommodifizierung eines Artefakts führen konnte, lässt sich anhand von Konrad Theodor Preuss’ Schilderungen seiner Tauschinteraktionen mit den Uitoto-Indigenen veranschaulichen. Bei seinem Aufenthalt bei dieser indigenen Gemeinschaft im Nordwesten der Amazonía im Jahre 1914 waren der Erzähler Rïgasedyue und der Dolmetscher Pedro mit Preuss’ Handelsstrategien nicht einverstanden. Als Preuss großes Interesse daran zeigte, einige Holzfiguren zu kaufen, überzeugte Rïgasedyue die Gemeinschaft, dem 221

Diese Aspekte lassen sich auch anhand von Wilhelm Kissenberths Bericht illustrieren. Nach seiner Schilderung verweigerte er dem »Häuptling« der Canella eine Vorausbezahlung für den Transport der in seinem Dorf erworbenen Objekte: »Um mir seine tiefste Verachtung zu zeigen, riß er sich sein Staatskleid vom Leibe und schleuderte es zerknüllt in einen finsteren Winkel, besänftigte sich aber sofort wieder, als die erwartete Wirkung auf mich ausblieb und ich scheinbar, auf jeglichen Handel verzichtend, meinem Diener Befehl zum Satteln der Tiere erteilte. Aufgeregt gestikulierend sprach er dann auf sein unzufriedenes Volk ein und gab mir am Schluss seiner eindrucksvollen Rede die Zusicherung, daß ich am nächsten Morgen alle gewünschten Gegenstände in Casimba vorfinden würde. Es fehlte dann aber doch der allergrößte Teil der Sammlung, von der mir nur sechzehn Objekte verblieben, die sich im Besitze des Berliner kgl. Museums für Völkerkunde befinden«. Kissenberth: »Bei den CanellaIndianern«, S. 50. 222 Humphrey/Hugh-Jones: »Introduction: Barter, exchange and value«, S. 10. 223 Ebd., S. 1. 224 Hugh-Jones: »Yesterday’s Luxuries«, S. 61.

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Ethnografen keine Figur zu verkaufen. Rïgasedyue schnitzte eine Holzfigur eines Mannes mit erigiertem Penis; als Preuss ihn fragte, ob er die Figur haben könne, schnitt Rïgasedyue demonstrativ den Penis der Figur ab und schnitzte eine Art Unterwäsche darüber, schließlich zerbrach er einfach die Figur.225 Rïgasedyues Aktion mit der Holzfigur ist einerseits als Manifestation der Abneigung dem Ethnologen gegenüber zu verstehen. Das Zerbrechen der Holzfigur kann als eine symbolische Machtdemonstration betrachtet werden, mit der Rïgasedyue unmissverständlich klarmachte, dass er weder sein Wissen noch seine materielle Kultur verkaufen wollte. Auch wenn er nicht wissen konnte, wie seine Kultur in Büchern oder Museen repräsentiert und im ethnologischen Diskurs später konstruiert würde, erweckte Preuss’ Interesse, solche Figuren zu kaufen, sein Misstrauen. Rïgasedyue reagierte negativ auf Preuss’ Verlangen, sich das Wissen der Uitoto anzueignen und zerbrach deswegen die Figur, womit er diese Aneignung verhinderte. Damit zeigte Rïgasedyue nicht nur, dass er Preuss die Figur nicht verkaufen wollte, sondern setzte auch ein Zeichen gegen die Appropriation von Wissen und Objekten, die der Ethnologe bei seinem Aufenthalt durchführte. Rïgasedyues Reaktion weist darüber hinaus auf die Komplexität der Regeln des Tauschhandels hin: »How things are requested, who gives what to whom, and on what terms, are all bound up with the nature of the goods involved, the amount each person possesses, their relative status and the particular relationship between them«226 . Diese Faktoren wurden von Preuss ignoriert und daher führte sein Kaufangebot zu einem Misserfolg. Diese Szene lässt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln interpretieren. Michael Kraus hat Rïgasedyues Aktion als ein Zeichen seines Spotts Preuss gegenüber interpretiert. Der Spott hätte in diesem Falle eine »Widerstandsfunktion« erfüllt.227 Unter Berücksichtigung der lokalen Bedingungen unter denen die Uitoto aufgrund der Kautschukgewinnung lebten und ihrer relativ angespannten Beziehungen zu Konrad Theodor Preuss, lese ich Rïgasedyue Reaktion ebenso als ein Zeichen der Ablehnung und des Widerstands. Dennoch verstehe ich es nicht als Spott, sondern vielmehr als eine kleine Geste der Verachtung jener Menschen, die man in Einklang mit Jean Baudrillard als »Singularitäten« betrachten kann. Die Mitglieder von unterdrückten Gruppen, denen in vielen Fällen nur »die Verachtung« als eine Form der Reaktion und des Widerstands gegen die »Idee der Universalität« bleibt.228 Die Methoden der Aneignung von materieller Kultur und Wissen im Rahmen der damaligen ethnologischen Amazonas-Forschung stehen, nach dem

225 Preuss: Religion und Mythologie der Uitoto, S. 16. 226 Hugh-Jones: »Yesterday’s Luxuries«, S. 63. 227 Kraus, Michael: »›Die Weißen sind so komisch, so komisch…‹ Über den Spott der Indianer und den Ernst der Ethnologie«, in: Kapfer, Reinhard u.a. (Hg.): Wegmarken. Eine Bibliothek der ethnologischen Imagination, Wuppertal: Peter Hammer Verlag 1998. S. 238-269. S. 254ff. 228 Baudrillard, Jean: Short Cuts, Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 2008, S. 64.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Blickwinkel der vorliegenden Studie, genau für eine Übersetzung der indigenen Singularitäten unter der ethnologisch-universalistischen Auffassung von Kultur.

Desubjektivierung Zeichen des Widerstands zeigen, wie indigene Akteure Austauschprozesse der Kommodifizierung und dabei der kulturellen Aneignung auch aktiv unterbrechen bzw. verhindern konnten. Denn der Handel mit Ethnologen war nicht immer willkommen. Dies erfuhr auch Koch-Grünberg gelegentlich auf seiner Rio NegroExpedition: »Die Leute von Cururú-Cuara zeigten geringe Handelslust. Kaum brachte mir jemand etwas freiwillig zum Verkauf. Fast alles mußte ich mir in den Häusern zusammenstöbern.«229 Manchmal versteckten die Indigenen ihren Besitz, als der Ethnologe eintraf, oder sie reagierten negativ auf sein Angebot: Ein langer Kerl mit finsterem, häßlichem Gesicht, der mich überhaupt nicht begrüßt hatte, sondern die ganze Zeit über, mich argwöhnisch betrachtend, in der Hängematte lag, hatte den berühmten Schmuck der Uaupés-Indianer, einen fein geschliffenen und an einem Ende durchbohrten Quarzzylinder, um den Hals hängen. Als ich ihn fragte, ob er ihn mir verkaufen wollte, antwortete er nur sehr lakonisch, aber mit Nachdruck: »n(e)mbá« (»nein!«).230 Die Tatsache, dass der Handel in diesem Fall nicht zustande kam, macht einerseits die aktive Rolle des Indigenen deutlich, der die Macht hatte, den Handel abzulehnen. Andererseits weist diese Szene auf einen anderen relevanten Aspekt hin, von dem die Kommodifizierung bestimmter Artefakte abhing. Es handelt sich dabei um besondere sakrale oder der ganzen Gemeinschaft gehörenden Gegenstände, die nicht zur Kommodifizierung bestimmt waren. Der »berühmte Schmuck«, von dem Koch-Grünberg hier erzählt, war beispielsweise äußerst schwierig zu erwerben. Quarzzylinder gehörten zu jenen Objekten, die sowohl von Ethnologen aber auch von ihren indigenen Besitzern als sehr wertvoll bewertet wurden. So berichtet z.B. Wilhelm Kissenberth über einen Steinlippenpflock, den er »im Dorfe des Häuptlings Iwana, in Dozahaka, von einem seiner »soldados« [erwarb]. Der trennte sich höchst ungern und nur gegen hohe Bezahlung von seinem kostbaren Besitz, der wertvollsten Trophäe, die er während des letzten feindlichen Zuges gegen die Tapirape erbeutet hatte«231 . Dieses Artefakt war nicht nur wegen der symbolischen und persönlichen Bedeutung für seinen Besitzer wertvoll, sondern auch wegen des Materials, aus dem es erstellt wurde. Dazu ergänzt Kissenberth: »Das Material, aus

229 Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 79. 230 Koch-Grünberg, Theodor: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 1, S. 242. 231 Kissenberth, Wilhelm: »Beitrag zur Kenntnis der Tapirapé-Indianer«, in: Baessler-Archiv VI/1 (1916), S. 36-81, hier S. 71f.

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dem der Lippenpflock besteht, ist eine Art Milchquarz von weißer, mit einem Stich ins Graue gehender Farbe. Das Exemplar stellt – im Gegensatz zu den Lippenornamenten mit konischem Kopfe, deren Wert auch bedeutend größer ist – die einfachere Form der Quarzlippenpflöcke dar«232 . Über weitere wertvolle Artefakte – auch aus Quarz – berichtet Koch-Grünberg im Verzeichnis seiner Sammlung. In Bezug auf »3 Tanzgürtel aus Taiasú-Zähnen« oder auf vier Stücke von »Quarzitbrustschmuck der Männer« stellte er fest, dass diese »sehr schwer zu erlangen« oder »schwer und teuer zu erwerben« waren.233 Insbesondere Quarzzylinder, die einige Männer am oberen Rio trugen, hatten einen besonderen Wert für ihren Besitzer. Diese Art von Objekten gehören, Stephen Hugh-Jones zufolge, beispielsweise für die Barasana, Tukano-Indigene am oberen Rio Negro, zu den bereits erwähnten gaheuni, jene »[i]nstruments of life and transformation«, die keine von den Menschen hergestellten Artefakte sind, sondern bereits subjektive Wesen.234 Sie gelten, wie Hugh-Jones erklärt, als »divine bodies existing as bone and crystal, substances whose qualities of hardness, durability, scarcity, whiteness, purity, brilliance, and luminescence all emphasize their otherworldly nature.«235 Solche Dinge/Artefakte wurden normalerweise nicht verkauft, dennoch zeigen die Quellen, dass einige von Ethnologen erworben wurden. Es stellt sich dann die Frage, warum Ethnologen sogenannte »[i]nstruments of life of transformation«, die nicht zu den gewöhnlichen Tauschwaren zwischen Indigenen und der weißen Bevölkerung gehörten, trotzdem erwerben konnten. Appadurai spricht von einem situationsabhängigen Potential der Kommodifizierung – oder »commodity potential« oder »commodity-hood« eines Dinges –, was seine Austauschbarkeit, je nach sozialer Situation bestimmt.236 Es lässt sich anhand der Quellen beobachten, dass die Feldforschung einen besonderen Raum des Sozialen eröffnete, in dem als Resultat der Interaktionen zwischen fremden Menschen Dinge/Artefakte kommodifiziert wurden, die in anderen Situationen eigentlich vor Kommodifizierung geschützt waren; die ethnologische Feldforschung steht auf diese Weise exemplarisch für das, was Appadurai als »commodity context« bezeichnet.237 Dieser Kontext erklärt zum Teil, warum bestimmten Artefak232 Ebd., S. 72. 233 Verzeichnis der von Dr. Theodor Koch auf seiner Forschungsreise in den Flussgebieten des Rio Curicuriary und Rio Tiquié, 7. Februar-14. Juni 1904, erworbenen Sammlung. SMB-PK, EM. I B 44. 234 Zu den gaheuni gehörte auch immaterielles Wissen wie Sprache und Namen. Vgl. dazu Kapitel 2.3. 235 Hugh-Jones: »The fabricated body«, S. 49. 236 Dieses Potenzial hängt hauptsächlich von drei Faktoren ab: »(1) the commodity phase of the social life of any thing; (2) the commodity candidacy of any thing; and (3) the commodity context in which any thing may be placed«. Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«, S. 13. 237 Ebd., S. 15.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

ten eine Art Kommodifizierungspotenzial zugeschrieben wurde, das sie vor dem Kontakt mit den Ethnologen nicht hatten. Diese Bedeutungsverschiebung erfolgte als Resultat des Austauschs und wurde durch eine weitere transformative Praxis möglich, die der Desubjektivierung. In seinem Sammelband The Occult Life of Things. Native Amazonian Theories of Materiality and Personhood illustriert der Ethnologe Fernando Santos-Granero die »multiple ways of being a thing in the Amerindian lived world«. Einige davon sind: »(1) objects originating through self-transformation, (2) objects originating through metamorphosis, (3) objects originating through mimesis, (4) objects originating through ensoulment, and (5) plain objects«238 . Die ersten vier Kategorien umfassen subjektive oder subjektivierte Artefakte, die gegebenenfalls objektiviert oder desubjektiviert werden können. Bei der Aneignung eines Artefakts kann eine Metamorphose erfolgen, nach der das Artefakt subjektiviert oder objektiviert wird. So z.B. bei Tanzmasken, die bei ihrer Herstellung und durch die Maskenvorführung subjektiviert werden, insofern sie bestimmte Wesen als Tiere verkörpern und die Kommunikation zwischen ihnen und den Menschen ermöglichen.239 Diese körperlichen Transformationen umfassen Praktiken der Subjektivierung z.B. durch Rituale, in denen die Veränderungen der physischen und sozialen Körper durch die Interaktion mit anderen Wesen und durch den materiellen Austausch vollzogen wird. Dabei erfolgt eine Art Übersetzung, wenn Dinge/Artefakte von einem Körper in einen anderen übertragen werden und dabei Bedeutungsverschiebungen verursachen. Bei der Desubjektivierung geht es darum, Dingen/Artefakten ihre Subjektivität und damit ihre Macht zu entziehen, um zu verhindern, dass sie anderen schaden, wie es bei Ritualobjekten und Tanzmasken der Fall ist,240 oder um diese verkaufen bzw. kommodifizieren zu können. Bei der Desubjektivierung handelt es sich folglich um eine Strategie der Anpassung an die Bedingungen des interethnischen Austauschs. Die aktive Rolle der indigenen Akteure wird hierin erneut deutlich, insofern sie die Macht hatten, die Kommodifizierung bestimmter Gegenstände zu verhindern, aber auch diese unter ihren Bedingungen zu kommodifizieren. Tanzmaskenanzüge (Abb. 24) gehörten zu den begehrten Objekten, die später gehandelt und an ethnologische Museen verkauft wurden. Diese Art von Ganzkörpermasken, die Ethnologen in verschiedenen indigenen Gemeinschaften des Amazonasgebietes sahen, wurden aus Naturfasern hergestellt und mit Designs verziert. Die Masken wurden vor allem bei Trauerfeierlichkeiten,241 aber auch bei 238 Santos-Granero: »Introduction. Amerindian Constructional Views of the World«, S. 8. 239 Vgl. Fausto, Carlos : »Masques et trophées : de la visibilité des êtres invisibles en Amazonie«, in : Goulard, Jean-Pierre und Dimitrios Karadimas (Hg.) : Masques des hommes, visages des dieux : regards d’Amazonie, Paris : CNRS 2011, S. 229-254. 240 Santos-Granero: »Introduction. Amerindian Constructional Views of the World«, S. 18f. 241 Correa, François : »Máscaras funerarias pãmiwa (cubeo). Sobre humanos y animales en el Noroeste Amazónico«, in : Kraus, Michael, Ernst Halbmayer und Ingrid Kummels (Hg.) :

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Abbildung 24: »Maskentänze der Kobéua. Rio Cuduiarý.« Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur KG-H-II-124.

anderen Festen verwendet. Die Verwendung von Masken im Amazonasgebiet ist eine der Praktiken, mit denen das Subjekt konstruiert wird und die Andersartigkeit wahrgenommen und dargestellt wird. Diese Andersartigkeit kann diejenige anderer Wesen sein, die im Amazonasraum leben, zum Beispiel ursprüngliche Vorfahren, die zu Tieren wurden, oder unsterbliche Wesen, die durch Masken mit Menschen in Kontakt treten können. Diese Masken erfüllten somit eine Art Vermittlungsfunktion in der Beziehung zwischen Gottheiten oder unsterblichen Wesen und Menschen.242 Masken aus dem Amazonasgebiet personifizieren das nichtmenschliche Gesicht eines Wesens, z.B. eines Tiers, das gleichzeitig eine menschliche Person sein kann. Masken sind demzufolge die Offenbarung der subjektiven Eigenschaften eines nicht-menschlichen Wesens, d.h. sie zeigen eine bestimmte Menschlichkeit im Tier. Dank der Maskenvorführung eröffnet sich ein Raum, in dem bestimmte Wesen als Tiere auftreten und mit den Menschen kommunizieren können.243 In der Folge ist es möglich, dass Objekte zu Subjekten werden, wie im Falle der Masken. Das heißt, im Prozess der Herstellung der Masken wurden diese Objekte durch die Fabrikation oder durch das Ritual subjektiviert. In der Folge Objetos como testigos del contacto cultural. Perspectivas interculturales de la historia y del presente de las poblaciones indígenas del alto río Negro (Brasil/Colombia), Berlin : Gebr. Mann Verlag 2018, S. 227-252. 242 Vgl. Goulard, Jean-Pierre und Dimitrios Karadimas: Masques des hommes, visages des dieux: regards d’Amazonie, Paris: CNRS 2011. 243 Vgl. Fausto: »Masques et trophées«.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

waren diese Artefakte subjektiv und konnten insofern Teil des sozialen Gefüges einer indigenen Gemeinschaft werden, als sie bestimmte Wesen verkörperten. Als subjektivierte Artefakte verfügten Masken über Intentionalität und konnten auch Macht ausüben, daher wurden sie von den Indigenen mit Respekt behandelt und waren in der Regel nicht verkäuflich. Der Erwerb von Masken war keine leichte Aufgabe für die Ethnologen.244 Dass Masken eigentlich nicht zum Tauschhandel gehörten, bestätigt sich auch in Fritz Krauses Bericht: »Auch hier wird mir der Ankauf rundweg abgeschlagen; sie sagen, das Dorf würde aussterben, wenn sie die Masken einem Christen gäben.«245 Ein anderer Grund, warum Masken nicht verkauft wurden, lag darin, dass zum Beispiel am oberen Rio Negro, üblicherweise nachdem sie bei Trauerfeierlichkeiten verwendet worden waren »nach einigen Tagen die Beerdigung mit einem neuen Ritual vollendet [wurde], bei dem die Masken auf Stöcken verbrannt wurden und die Knochen des Verstorbenen aufgeweicht und in Staub verwandelt wurden, in ein Mais-Getränk gegossen wurden, das von den männlichen Verwandten konsumiert wurde.«246 Dieser Brauch existierte auch in der Araguaya-Region, wie Fritz Krause berichtet: »Als ich am nächsten Morgen die Masken photo- und kinematographieren will, sind sie verschwunden. Sie waren nachts nach Abschluß der Tanzzeit verbrannt worden.«247 Masken stellen, ebenso wie die oben erwähnten Quarzzylinder, in diesem Fall eine bestimmte Art von Objekten dar, die normalerweise nicht gehandelt wurden. Masken waren, um mit Arjun Appadurai zu sprechen, »enclaved« (geschützte) Objekte, die vor Kommodifizierung geschützt wurden.248 Trotzdem wurden Masken nicht immer verbrannt249 und gelegentlich gegen Waren getauscht, wie es in Karl von den Steinens zweiter Expedition der Fall war: 244 Eine Ausnahme war Karl von den Steinen, der anscheinend ohne große Schwierigkeiten Masken erwerben konnte. Als er und seine Begleiter bei Mehinakú-Indigenen waren, suchten sie sich »[…] die acht schönsten Masken aus und erhielten sie ohne Schwierigkeit.« Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 308. 245 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 82. Nachdem er sich einige Masken zeigen ließ, versuchte er den Häuptling João zum Verkauf der Masken zu überreden. »Er sagt sie mir zu, blickt aber dabei immer scheu auf seine Leute, als getraue er sich nicht, den Verkauf mit deren Wissen abzumachen.« Ebd., S. 78f. 246 Correa: »Máscaras funerarias pãmiwa (cubeo)«, S. 246. Darüber berichtet Koch-Grünberg: »Das Verbrennen der Maske ist wohl in demselben Glauben begründet, wie das Verbrennen der Hinterlassenschaft des Toten, in der Furcht vor der unerwünschten Rückkehr des Dämons, mit dem man nach dem Totenfest nichts mehr zu tun haben will.« Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 174. 247 Krause: In den Wildnissen Brasiliens, S. 60. 248 Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«, S. 24ff. 249 »In einer Ecke fand ich vier ganz neue, fein bemalte Maskenkörper zu Säcken verarbeitet, die zum Aufbewahren von Baumwolle, Kalabassen und anderem Kram dienten. Vor einiger Zeit war das Söhnchen des Tuschaua gestorben. Die Maskenfragmente stammten von der Totenfeier.« Koch-Grünberg: Zwei Jahre unter den Indianern, Bd. 2, S. 88.

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Nichts haben wir beobachtet, was uns den Schluss erlaubte, dass die Masken irgendwie heilig gehalten werden. Zumal alle von Palmstroh geflochtenen Stücke wurden nach dem Gebrauch achtlos beiseite geworfen. Man hat zwar die Masken zuweilen vor uns versteckt, aber nur auf dieselbe Art, wie man in der Angst vor Beraubung alle beweglichen Geräte und Schmucksachen vor uns verbarg. Hatten die Leute erst Zutrauen zu uns gewonnen, so überliessen sie uns ihre Masken ohne jeden Anstand und fertigten neue auf Bestellung. Sie wurden uns demonstriert mit Scherzen und Lachen wie hübsches Spielzeug.250 Ethnologen wie Theodor Koch-Grünberg oder Wilhelm Kissenberth gelang es ebenso, Tanzmasken zu erwerben.251 Wenn diese zuvor bei Trauerritualen verwendet worden waren, mussten diese subjektivierten Artefakte durch rituelle Handlungen desubjektiviert werden.252 Sie wurden auf diese Weise wieder zu unbeseelten Objekten, damit sie in die Hände des Ethnologen gelangen konnten. Die Desubjektivierung der Masken erfolgte in diesem Fall als Bedingung für ihre Kommodifizierung. Bei der Desubjektivierung von Ritualobjekten und Masken geht es darum, Artefakten ihre Subjektivität und damit ihre Macht zu entziehen, um zu verhindern, dass sie anderen schaden.253 Wie eine Desubjektivierung von Tanzmasken erfolgen konnte, veranschaulicht Wilhelm Kissenberths Schilderung seiner Feldforschung bei Karajá-Indigenen im Araguaya-Gebiet: Die Überlassung der Tanzmasken erfolgte erst nach Beendigung einer Zeremonie, die augenscheinlich den Zweck hatte, ihnen einen schädlichen Zauber zu entziehen. Jede einzelne der Masken wurde mit Mandiokabrühe bestrichen. Hierauf rief der Besitzer der Masken zugleich mit den Anwesenden ein lautes »hãhõ« aus und trank mit diesen den Rest der Brühe. In der schon von Ehrenreich geschilderten Weise mussten dann die unverpackten Masken auf dem Kopf im Tanzschritt zum Schiffe getragen werden.254 Tanzmasken erweisen sich als exemplarisch für jene subjektivierten Artefakte, welche Interaktionen zwischen Ethnologen und Indigenen bestimmten.255 Ihre Mitwirkung dabei wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass sie keine passiven Artefakte, die unter der Macht der menschlichen Akteure standen, waren. Aufgrund

250 Steinen: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, S. 296f. 251 Koch-Grünberg erwarb über 100 Tanzmaskenanzüge auf seiner Expedition am oberen Rio Negro. Wilhelm Kissenberth erwarb 22 Tanzmasken auf seiner Araguaya-Reise. 252 Santos-Granero: »Introduction. Amerindian Constructional Views of the World«, S. 18. 253 Ebd., S. 18f. 254 Kissenberth: »Über die hauptsächlichsten Ergebnisse der Araguaya-Reise«, S. 51. 255 Tanzmasken können in dieser Hinsicht als Aktanten im Sinne von Bruno Latours ActorNetwork-Theorie betrachtet werden. Vgl. Scholz/Mans: »Menschen und Dinge aus der Guayana-Region«.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

ihrer subjektivierten Natur bestimmten die Tanzmasken in gewisser Weise ihre eigene Kommodifizierung insofern, als sie desubjektiviert und ihnen dadurch ihre Macht entzogen werden musste, damit sie den Ethnologen weitergegeben werden konnten. Sofern indigene Masken desubjektiviert und verkauft wurden, verwandelten sie sich von subjektivierten und mithin geschützten (enclaved) Artefakten in Waren. Diese Transformation eines nicht handelbaren Artefaktes in eine Ware kann in Übereinstimmung mit Appadurai als die »diversion of commodities« begriffen werden.256 Die Transformation vom geschützten Objekt zur Ware erfolgt, wenn geschützte Dinge/Artefakte aus einer Kultur entfernt und in eine andere gebracht werden, in der die Umwandlung dieser Dinge weniger eingeschränkt und profitabler ist.257 Diese Transformation ist exemplarisch für die Bedeutungsverschiebung von Dingen/Artefakten, welche die Kommodifizierung von materieller Kultur ermöglichte. Aufgrund der Quellenlage lassen sich die spezifischen und individuellen Motive, die zum Verkauf der Masken führten, nur schwer erklären. Im Prozess der Desubjektivierung und der Kommodifizierung der Masken findet man Indizien für die Erklärung des Verkaufs dieser Artefakte. Wie Arjun Appadurai anmerkt: »[t]he diversion of commodities from specified paths is always a sign of creativity or crisis, whether aesthetic or economic.«258 Einerseits konnte die soziale, aber auch wirtschaftliche Notlage, in der sich einige indigene Gemeinschaften am oberen Rio Negro befanden, der Grund für den Verkauf der Masken sein. Denn wie bereits ausgeführt wurde, waren viele Indigene auch am oberen Rio Negro in das System der Schuldknechtschaft des Kautschukgeschäfts verwickelt. Es lässt sich somit hier von einer sozialen und in bestimmten Fällen auch wirtschaftlichen Krise sprechen. Andererseits waren die Handelsbeziehungen zwischen Indigenen und Weißen, auch aufgrund des Kautschukanbaus, ziemlich rege. Dies konnte jedoch auch zu kreativeren Formen des Austauschs führen, in denen die Indigenen in der Vermarktung ihrer Artefakte die Chance auf neue Einkünfte sahen. Der kreative Umgang mit Masken lässt sich anhand des Erwerbs der KobeuaMasken veranschaulichen,259 die Theodor Koch-Grünberg im Gebiet des oberen Rio Negro kaufte. Die Masken, die er bekommen konnte, waren keine Masken, die zuvor in Ritualen verwendet worden waren, sondern welche, die für ihn gemacht wurden (Abb. 25). Das heißt, dass diese Masken keine Subjektivität besaßen und 256 257 258 259

Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«, S. 26. Ebd., S. 25. Ebd., S. 26. 31 Masken nach dem »Verzeichnis erworbener Sammlung von Dr. Theodor Koch. 28.9.19038.1.1904. Rio Içana. Aiary und Caiary-Uaupés.« SMB-PK, EM. I B 44. Koch-Grünberg bezeichnete die Gruppe als Kobéua. In der Region waren sie als cubeo bekannt. Heute bezeichnen sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft als pãmiwa, das heißt »die Leute, die pãmié sprechen«. Correa: »Máscaras funerarias pãmiwa (cubeo)«, S. 227.

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daher nicht geschützt waren. Da sie mit dem Ziel des Handels hergestellt wurden, wurden sie von den Indigenen als unbeseelte Objekte betrachtet. In diesem Prozess war es mithin nicht nur der von Ethnologen geförderte Tauschhandel, welcher die Kommodifizierung der Tanzmasken verursachte, sondern es waren auch die Tanzmasken selbst als Artefakte, die aus Sicht der Indigenen den Tauschhandel motivierten.

Abbildung 25: »Verfertigen der Tanzmasken bei den Kobéua.« Koch-Grünberg 1910. S. 171.

Die Herstellung der Masken und ihr Verkauf implizierte einen kreativeren Umgang mit den materiellen Erzeugnissen der eigenen Kultur. Dieses Verhalten, das wiederum von der Präsenz des Ethnologen gefördert wurde, gibt darüber hinaus Hinweise auf die Anfänge des Souvenirs oder der »tourist art« im Amazonasgebiet.260 Es erfolgte bei solchen Artefakten eine Bedeutungsverschiebung, insofern sie mit einem anderen Zweck hergestellt wurden. Diese Bedeutungsverschiebung lässt sich in Anlehnung an George W. Stocking folgenderweise erklären: »[…] objects of ›material culture‹ – which in traditional contexts often had spiritual value – are respiritualized (in Western Terms) as aesthetic objects, at the same time that they are subjected to the processes of the world market«261 . Während Tanzmasken desubjektiviert bzw. als unbeseelte Artefakte von den Indigenen hergestellt wurden, gewannen sie im Besitz des Ethnologen und des Völkerkunde Museums eine 260 Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«, S. 26 und 47f. 261 Stocking, Jr., George W.: »Essays on Museums and Material Culture«, in: Ders. (Hg.): Objects and Others, Essays on Museums and Material Culture, Madison: The University of Wisconsin Press 1985, S. 3-14, hier S. 6.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Art »Aura«262 , die ihnen einen ästhetischen Charakter verlieh und sie in begehrte und vermarktbare Artefakte verwandelte. Eine Verknüpfung zwischen Ästhetisierung und Kommodifizierung von Ethnographica wird am Beispiel der Tanzmasken deutlich, wenn diese nicht nur als Tauschhandelsartefakte während der Feldforschung, sondern als Eigentum der Völkerkunde Museen betrachtet werden.

Abbildung 26: Ausgestellte Tanzmasken aus dem oberen Rio Negro. Abzug aus Koch-Grünbergs Nachlass. ES KG-A-10 (uninventarisiert).

Am Beispiel der Tanzmasken wird deutlich, dass Ethnographica keine endgültige, sondern eher dynamische und instabile Bedeutungsverschiebung und Transformationen erlitten. Nachdem Tanzmasken desubjektiviert und ausgetauscht wurden, gingen sie als übersetzte Artefakte aus den Händen ihrer indigenen Besitzer in die der Ethnologen über und kamen durch Vermittlung anderer Akteure, wie z.B. Expeditionshäuser, schließlich in die Völkerkunde Museen. Damit war der Prozess ihrer Kommodifizierung fast beendet, denn einmal im Museum, erfolgte eine weitere Transformation bei diesen Artefakten. Dort waren sie Teil einer ethnologischen Sammlung und wurden als wertvolle Objekte eingestuft (Abb. 26). Im Museum verwandelten sie sich folglich erneut in »enclaved« Artefakte, d.h., sie verloren ihren Status als Waren.

262 Bräunlein, Peter J.: »Material turn«, in: Georg-August-Universität Göttingen (Hg.): Dinge des Wissens: die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, Göttingen: Wallstein 2012, S. 14-28, hier S. 17. In Anlehnung an Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1936.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

Während diversion eigentlich als Strategie der Kommodifizierung der Masken seitens der Indigenen erfolgte, d.h., »the recourse of the entrepreneurial individual« war, wird enclaving (Schutz) normalerweise bei politisch und ökonomisch mächtigen Gruppen durchgeführt.263 Das ethnologische Museum agiert beispielsweise als jene mächtige Institution, die diese Strategie verwendet, um ihre Gegenstände vor weiterer Kommodifizierung zu schützen. Dies heißt aber nicht, dass Ethnographica ihren Wert als Waren endgültig verloren hätten, denn z.B. durch Ausstellungen oder weiteren Verkauf setzte sich ihre Kommodifizierung in einer anderen Form fort.264 Die Erwerbung, Verhandlung und Vermarktung von Ethnographica setzte die Präsenz verschiedener Akteure voraus. Indigene Händler, Ethnologen, Expeditionshäuser und Völkerkunde Museen waren einzelnen Akteure, durch welche die Transformation von Ethnographica in Waren möglich wurde. Sie agierten als vernetzte Elemente in der Praxis der Kulturübersetzung. Abschließend möchte ich über eine weitere Form von Desubjektivierung sprechen, welche dazu beiträgt, den in dieser Studie vorgeschlagenen Begriff der Kulturübersetzung zu untermauern. Es handelt sich um die Desubjektivierung, die indigene Artefakte zwangsläufig erlitten, als sie von ihren sozialen Netzwerken herausgerissen, geografisch übertragen und in Kisten in den Museen aufbewahrt wurden. Nicht nur änderten sich dabei ihre Bedeutungen und Funktionen, sie durchliefen eine Transformation auch in ihren Wesen. Denn die Subjektivität von sakralen oder ritualen Artefakten wurde ihnen durch diese Transposition entzogen, weil viele rituale Artefakte, die als Bestandsteile von rituellen-Ensembles betrachtet werden, einen Zusammenhang mit anderen Artefakten bilden.265 Dennoch wurden sie nicht unter Berücksichtigung ihren Bedeutungen und Rollen in Bezug zu anderen Artefakten in den Museen aufbewahrt und ausgestellt, sondern gemäß der »Museumsaufbewahrungsanordnung«, die z.B. die Materialien, aus denen die Artefakte bestehen (Federn, Tierzähne usw.) als Kriterium hat.266 Für den Tukano263 Appadurai: »Commodities and the Politics of Value«, S. 25. 264 Aufgrund der Fülle an Gegenständen im Königlichen Völkerkunde Museum zu Berlin wurden »mehr als 9.000 Gegenstände ausgesondert und durch Verkauf veräußert«. Das »verteilte sich […] auf die amerikanischen, indischen, ostasiatischen und afrikanischen Sammlungen. Hoffmann: Das Museumsobjekt als Tausch- und Handelsgegenstand, S. 47. 265 Vgl. Lima Barreto: »Im Palast der Toten«; Guzmán, Mirigõ-Diana und Maha-piria-Orlando Villegas: »La perspectiva desde Mitú, Colombia: museos, objetos y narrativas«, in: Kraus, Michael, Ernst Halbmayer und Ingrid Kummels (Hg.): Objetos como testigos del contacto cultural. Perspectivas interculturales de la historia y del presente de las poblaciones indígenas del alto río Negro (Brasil/Colombia), Berlin : Gebr. Mann Verlag 2018 (Estudios Indiana 11), S. 49-52. 266 In einem vom Ethnologischen Museum zu Berlin organisierten Workshop wurde diese Art der Archivierung von Artefakten durch die Zusammenarbeit indigener Gäste – Diana Guzmán, María Morera, Gaudencio Moreno und Orlando Villegas – Vertreter der wira poná (›Desana‹) und kotiria (›Wanano‹), der Vaupés-Region aus dem oberen Río Negro in Kolumbien – korrigiert. Sie organisierten die Objekte nicht nach »Materialien, Funktion oder Symbolik«,

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

Indigenen Ovídio Barreto, der sich über die so entnommenen und in ethnologischen Museen aufbewahrten Artefakte seiner Gemeinschaft äußerte, existiert [was dieses ›Volk‹ mitgenommen hat] dort weiter als tote Personen; viel Zeit ist vergangen und sie sind gestorben. Selbst wenn wir sie zurückbrächten, wären sie zu nichts mehr nütze, denn sie würden uns ihr Wissen nicht mehr ›mitteilen‹, da ihre ›Herren‹ schon verstorben sind. Wir wissen nicht mehr, wem sie gehört haben, welchem Volk oder Klan; denn diese Informationen sind unbedingt nötig, um das richtige bahsesse [Segnung] formulieren zu können, um sie benutzen um bewahren zu können. Sollten wir sie eines Tages zurücknehmen, würden wir riskieren, uns viele unheilbare Krankheiten zuzuziehen, also ist es gut, sie dort zu lassen, wo sie sind. Für mich ist das Haus, das sie Museum nennen, wo sie die bahsá busa [eine Diademe] und andere indianische Objekte aufbewahren, ein Palast der Toten.267 Wenn die Transformationen, die Artefakte durch Prozesse des Austauschs und Kommodifizierung erlitten, als Aspekte der Kulturübersetzung analysiert werden, implizieren die Aussagen Ovídio Barretos eine Auffassung von Übersetzung als ›Tod‹.268 Doch dieser Tod bedeutet hier kein endgültiges Stadium, denn solche Artefakte »existieren« ja, obwohl als »tote Personen«, in einer weiteren Transformation. Diese Auffassung möchte ich mit der Idee von Übersetzung vergleichen, wie Walter Benjamin sie vorschlug.269 Dabei impliziert für ihn Übersetzung »die Überführung der einen Sprache in die andere durch ein Kontinuum von Verwandlungen«270 . Übersetzung, wie sie im Laufe der vorliegenden Analyse konzipiert wurde, impliziert in Anlehnung dazu ebenfalls Transformationen. Sie ist bezeichnend für ein »Stadium« des »Fortlebens«271 einer mündlich überlieferten Erzählung oder in

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sondern nach ihrer »Chronologie und ihrer Bedeutung in den Mythen der Schöpfung«. Vgl. Kraus, Michael, Ernst Halbmayer und Ingrid Kummels: »La perspectiva desde Alemania: pasos hacia un diálogo en torno a los objetos«, in: Kraus, Michael, Ernst Halbmayer und Ingrid Kummels (Hg.): Objetos como testigos del contacto cultural. Perspectivas interculturales de la historia y del presente de las poblaciones indígenas del alto río Negro (Brasil/Colombia), Berlin : Gebr. Mann Verlag 2018, S. 9-48, hier S. 23. Lima Barreto: »Im Palast der Toten«, S. 62. Eine analoge eschatologische Auffassung von Übersetzung wurde im Kapitel 2.2.3 bereits behandelt. Benjamin: »Die Aufgabe des Übersetzers«. Benjamin, Walter: »Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen«, Gesammelte Schriften, Bd. II, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991, S. 140-157, hier S. 151. Benjamin: »Die Aufgabe des Übersetzers«, S. 72.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

diesem Falle eines Artefaktes, und dieses »Fortleben« wird erst durch die »übersetzerische Darstellung ihrer ›Bedeutung‹« möglich.272 Wie dies geschehen kann, lässt sich aus der Perspektive von Mirigõ-Diana Guzmán, aus der wira poná (Desana) indigenen Gemeinschaft, erläutern. Sie berücksichtigt, dass Ethnologen »versucht haben, alle Aspekte der Kulturen zu studieren und zu interpretieren, […] aber viele dieser Bemühungen gehen in den Erzählungen verloren, die die Ausstellungen und die Verteilung der Objekte in den in den Museen zugewiesenen Räumen unterstützen«273 . Eine Erklärung dafür wäre, dass Ethnologen als »Vermittler« zwischen dem indigenen Wissen und dem eigenen Wissen, zu verstehen sind. Es geht um diese Kulturübersetzung nicht um »Transkribieren«, sondern um »saber«, das im Spanischen »Wissen« und »Erfahren« bedeutet, denn ohne »Wissen und Erfahren kann man nicht übersetzen«, die »Essenz bleibt verloren«.274 Guzmáns Auffassungen von Übersetzen und von der Aufgabe der Ethnologen und der Ethnologischen Museen sind aussagekräftig für eine andere Form der ethnologischen Repräsentation indigener materieller Kulturen. Dabei ist ihr Fortleben ohne die Mitwirkung von Akteuren, die diese Kulturen erfahren und Wissen darüber haben, nicht möglich. Nur ihre Präsenz in interaktiven und kollaborativen Prozessen der Signifikation kann eine übersetzerische Darstellung das Fortleben indigener materieller Kultur und vor allem indigenes Wissen gewährleisten. Dies wäre eine prospektive empirische Herangehensweise, um die ethnologische Repräsentation und ihren Umgang mit anderen Kulturen zu verwandeln. Am Beispiel von indigenen Dingen/Artefakten, die als subjektivierte Wesen galten, wie im Falle der Tanzmasken, die desubjektiviert werden mussten, um sie überhaupt kommodifizieren zu können, und die dann wiederum vor einer weiteren Kommodifizierung geschützt wurden, lassen sich Bedeutungsverschiebungen, die Vermittlung von Akteuren – und von Gegenständen selbst –, und die Zirkulation von Gütern, Wissen und Bedeutungen beobachten. Praktiken der Desubjektivierung und diversion sind transformative Strategien der Kommodifizierung, welche innerhalb von sozialen Interaktionen die Biografien von Dingen/Artefakten verändert haben. Sie ermöglichen es, »die historische Dimension im Leben der Dinge«

272 Nowotny, Stefan: »Kontinua der Verwandlung. Sprachphilosophische und linguistische Aspekte der Übersetzung«, in: Buden, Boris und Stefan Nowotny (Hg.): Übersetzung: Das Versprechen eines Begriffs, Wien: Turia + Kant 2008, S. 95-130, hier S. 103. 273 Guzmán/Villegas : »La perspectiva desde Mitú, Colombia : museos, objetos y narrativas«, S. 51. »Si bien es cierto que la antropología cultural se ha esforzado por estudiar e interpretar todos los aspectos de las culturas, […] muchos de estos esfuerzos se pierden en las narrativas que apoyan las exposiciones y la misma distribución de los objetos en los espacios asignados en los museos.« Meine Übersetzung. 274 Guzmán, Mirigõ-Diana: Telefonisches Interview, geführt (dank der Vermittlung von Juan Camilo Herrra), transkribiert und übersetzt von Verfasserin. 25.7.2017.

3. Austauschprozesse: Die materielle Seite der Kulturübersetzung

zu illustrieren, so z.B. bei ihrer Herstellung, durch den Austausch275 und durch ihre Bedeutungs-/Wertverschiebung vom indigenen Artefakt zur Ware bis zum ethnologischen Ausstellungsobjekt. Diese transformativen Abläufe waren konstitutiv für die Kulturübersetzung als eine interaktive Praxis im Rahmen der ethnologischen Forschung in der Amazonas-Kontaktzone. Sie machen deutlich, dass symbolische aber auch materielle und gegenseitige Austäusche zwischen Akteuren unter asymmetrischen Machtverhältnisse Bestandteile der Kulturübersetzung sind.

Zwischenfazit III Dieses Kapitel befasste sich mit gegenseitigen Austauschprozessen der kulturellen Aneignung, dem Tauschhandel und der Kommodifizierung, durch welche sich die Kulturübersetzung als interaktive Praxis in der ethnologischen Feldforschung auszeichnet. Dabei konnte im Laufe des Kapitels sowohl die Perspektive der Ethnologen, als auch die der indigenen Akteure betrachtet werden. Der reziproke Charakter von Kulturübersetzung wurde zunächst anhand der Aneignung indigener Artefakte als auch europäischer Güter illustriert. Kulturelle Phänomene wie das der Travestie und das der kulturellen Anthropophagie konstituierten zwei Perspektiven, die innerhalb desselben Austauschprozesses entstanden. Der gegenseitige Austausch von Kleidung, Körperschmuck und Körperteilen wie Haaren, ebenso wie die Übersetzung der Kategorie des ›Weißen‹ in der Figur des Ethnologen veranschaulichten Aspekte der Konstruktion von Alterität im Rahmen der Feldforschung. Hierin ließ sich Kulturübersetzung durch die Beziehungen zwischen den Akteuren beobachten. Dinge/Artefakte motivierten und förderten auch aktiv die Handlungen anderer Akteure und erfuhren im selben Atemzug Bedeutungsverschiebungen. Der Austausch, die Verhandlung, die gegenseitige Aneignung und Übertragung von Artefakten zeigen, dass bei der Kulturübersetzung nicht nur Menschen, sondern auch Dinge/Artefakte Transformationen verursachen und durchlaufen können. Der Tauschhandel als eine wesentliche Aktivität der interpersonellen Beziehung zwischen den Ethnologen und den indigenen Akteuren erlaubte weiterhin die Veranschaulichung anderer Aspekte der Kulturübersetzung. Die essentielle Präsenz von Vermittlern zeigte die mehrdeutige und subjektive Rolle auf, die bestimmte indigene Akteure bei Prozessen der Aneignung von indigenen Artefakten spielten. Anhand des materiellen Austauschs konnte die Umsetzung bestimmter Strategien veranschaulicht werden, die eng mit der Machtausübung beider am Tausch beteiligten Parteien verbunden waren. Ferner wurde der Tauschhandel von Objekten während der Feldforschung in Analogie zum Übersetzungsprozess analysiert. Dabei ist es gerade der Unterschied zwischen Sprachen oder Objekten, und nicht 275 Scholz/Mans: »Menschen und Dinge aus der Guayana-Region«, S. 65.

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

ihre Ähnlichkeit, der zeigt, wie ein transformativer Prozess abläuft, der Bedeutungen erzeugt. Sowohl Tauschhandel als auch Übersetzung sind ambivalente Austauschprozesse. Hier gibt es einen Austausch zwischen ungleichen Einheiten, aber gleichzeitig herrscht bei den Akteuren das Gefühl, dass sie einen Austausch von Äquivalenten durchgeführt haben. Eine Art Äquivalenz – wie sie in dieser Analyse nach den kulturanthropologischen und materialistischen Ansätzen von Arjun Appadurai oder Lydia H. Liu verstanden wird –, wurde von den Akteuren bestimmt, die den Tauschhandel nach ihren Interessen durchführten und akzeptierten. Diese Abstraktion von Nicht-Äquivalenten in Äquivalenten führt zur Bedeutungs-/Wertverschiebung bei Dingen/Artefakten und dabei zu ihrer Kommodifizierung. Bei der Kommodifizierung in der Feldforschung handelte es sich auch um eine gegenseitige Aktivität der beteiligten Akteure. Der spezifische Fall des Verkaufs von Masken, die als sakrale Objekte innerhalb der indigenen Gemeinschaften des Amazonas gelten, wurde als Beispiel herangezogen, um den Prozess der Kommodifizierung innerhalb der Feldforschung aus der Perspektive der indigenen Akteure nachzuvollziehen. Hier wurde der Übergang vom Ritualobjekt zur Ware als eine Bedeutungs-/Wertverschiebung erklärt. Sie erfolgte hier nicht nur als eine abstrakte Operation, sondern auch als praktischer Vorgang, wie im Falle der Desubjektivierung oder diversion eines zuvor subjektivierten Artefakts, damit dieses kommodifiziert werden konnte. Die kulturelle Aneignung, die Travestie, die kulturelle Anthropophagie, der Tauschhandel, die Äquivalenzherstellung, die Kommodifizierung, die Desubjektivierung und die diversion wurden als Phänomene der ethnografischen Forschung identifiziert, bei denen der Zusammenhang zwischen Menschen und ihre Beziehungen durch Dingen/Artefakte bestimmt wurden.

Schlussbetrachtungen

Die Prämisse der vorliegenden Untersuchung war es, Kulturübersetzung auf eine empirische Weise anzugehen. Das Wort Kultur im Kompositum Kulturübersetzung mag als redundant erscheinen, denn jede Übersetzung ist kulturell. Doch diente es hier einerseits dazu, jenen Kontext, in dem sie durchgeführt wurde, d.h. die ethnologische Forschung, hervorzuheben. In diesem Kontext begannen sich die Konturen des ethnologischen Kulturbegriffs zu bilden, die die Grundlagen der Ethnologie als Disziplin definieren sollten. Andererseits steht das Wort Kultur in Kulturübersetzung für eine Spezifizierung jener interaktiven Praxis, durch welche die beteiligiten Akteure die Kultur des jeweils ›Anderen‹ im Akt der Übersetzung auch erfuhren. Als Fallstudie dienten im Rahmen der vorliegenden Arbeit deutsche ethnologische Feldforschungen im Amazonasgebiet, die zwischen 1894 und 1914 stattfanden. Zugang zu diesen Feldforschungen schuf die Analyse ethnografischer Texte aus einer Übersetzungsperspektive. Diese Übersetzungsperspektive ermöglichte die Identifizierung von Szenen der ethnologischen Forschung, in denen diskursive und nicht-diskursive Praktiken herausgearbeitet wurden. Dabei konnte festgestellt werden, dass diese Praktiken Bestandteile der Kulturübersetzung sind. Ausgehend von der These, dass es sich bei Kulturübersetzung in der ethnologischen Feldforschung um eine interaktive Praxis handelt, stellte sich die Frage, wie sie in diesem Zusammenhang durchgeführt wurde, welche Akteure daran beteiligt waren und welche Elemente sie konstituieren. Dieser Ansatz ist insofern relevant, als er es erstens ermöglichte, eine empirische Analyse auf ein hochgradig theoretisiertes Konzept anzuwenden und dadurch seine Aussagekraft nicht nur als interpretative Metapher oder Analysekategorie zu zeigen, sondern auch als eine Praxis, die soziale Beziehungen in extrem asymmetrischen Kontexten bedingte. Aus dieser Perspektive konnten zweitens Aspekte identifiziert werden, die anhand dieser Quellen bisher nicht ausführlich behandelt worden sind: die Positionierung der Feldforschung innerhalb der örtlichen Machtgefüge, die diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken unter den Akteuren der Feldforschung, ebenso wie die aktive Rolle von indigenen Akteuren und damit ihre Beteiligung am Prozess der Produktion von Wissen über ihre Kulturen. Die Bedeutung dieses Ansatzes liegt ferner darin, dass er insofern ein neues Handlungsfeld

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

für die Übersetzungsforschung eröffnet, da ethnografische Texte sich als wertvolle Informationsquelle für die Analyse von Formen und Prozessen der Übersetzung erwiesen, welche gerade den sozialen Rahmen der Feldforschung prägten und die darüber hinaus charakteristisch für diese wissenschaftliche Praxis sind. Die vorliegende Analyse ist geprägt von einer Spannung zwischen der ethnografischen Repräsentation und der Praxis, die im Kontakt zwischen den Akteuren entstanden ist, im Sprechen und Interagieren, im Austausch von Wörtern und Gegenständen und schließlich in der Interpretation der Lebensweise der ›Anderen‹. Die ethnografische Repräsentation in ihrer materiellen, textuellen und visuellen Form wird auf den ersten Blick als die äußere Manifestation dessen wahrgenommen, was als ›Kulturübersetzung‹ definiert wurde. Komplementär dazu sollte die Praxis, von der diese Darstellung spricht, den inneren Kern dessen bilden, was ich als Kulturübersetzung untersucht habe. Diese Unterscheidung erfolgte aus heuristischen Zwecken, obwohl beide Aspekte unauflöslich miteinander verwoben sind. Einerseits werden die in diesen Quellen beschriebenen Praktiken der Form der ethnografischen Repräsentation untergeordnet. Andererseits erfolgte diese Repräsentation gerade mittels der darin beschriebenen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken, denn bereits während der Feldforschung wurden Texte produziert, die später als Vorlage für publizierte Monografien dienen sollten. Frühe deutsche ethnografische Texte über Indigene des Amazonasgebietes stehen exemplarisch für eine spezielle Kategorie bzw. ein besonderes Genre der wissenschaftlichen Produktion des Zeitalters. Es sind Palimpseste, hybride Texte – zwischen Reiseberichten und Ethnografien angesiedelt –, in denen die Anwesenheit anderer Diskurse, anderer Texte (etwa früherer Versionen aus den Feldtagebüchern) und anderer Stimmen nicht nur nachhallt sondern offenkundig sichtbar bleibt. Im Unterschied zu anderen ethnografischen Texten, z.B. der britischen Ethnologie, findet man hier oft direkte oder indirekte Zitate, welche von den Aussagen oder Erklärungen der indigenen Akteure zeugen. Als Palimpseste betrachtet sind ethnografische Texte nicht frei von Spuren des damals noch lebendigen Diskurses der ›Entdeckung‹, dessen Trope vom ›Eldorado‹ in diesen Texten identifiziert wurde. Dieser eng mit der Geschichte der Beziehungen zwischen Europa und Amerika verbundene Diskurs ist auch charakteristisch für die damalige ethnologische Wissensproduktion. Die vorliegende Analyse konnte zeigen, in welchem Maße der Diskurs der ›Entdeckung‹ immer weiter in die wissenschaftliche Produktion und in die Repräsentation der indigenen Akteure einfloss. Zeichen und Spuren eines hegemonialen Systems gehören zu dieser textuellen Produktion. Das Konzept der Kolonialität des Wissens diente hier zur Erklärung dieser ethnografischen Texte als Produkte einer Zeit, aber auch eines Systems mit spezifischen erkenntnistheoretischen Prämissen. In dieses System gehören die Kategorien ›Natur‹, ›Kultur‹ und ›Rasse‹, welche eine wesentliche Rolle bei der Interpretation und Repräsentation indigener Menschen und Kulturen spielten.

Schlussbetrachtungen

Die Begegnung, die Koexistenz und die asymmetrischen Beziehungen zwischen der indigenen Bevölkerung und der ›weißen‹ bzw. nicht-indigenen Bevölkerung – zu der die Ethnologen vorübergehend gehörten – kennzeichnen jene Kontaktzone, in der Kulturübersetzung stattfand. Die Konzeptualisierung der Amazonasregion als Kontaktzone im Sinne von Mary Louise Pratt ermöglichte es, einen Rahmen zu skizzieren, anhand dessen das soziale Gefüge, in dem Kulturübersetzung erfolgte, beschrieben werden konnte. Hierfür wurde das soziale Netzwerk Theodor Koch-Grünbergs während seiner Expedition am oberen Rio Negro fokussiert. Die Situation dieser wissenschaftlichen Erforschung zeigt, dass die ethnologische Feldforschung in der Amazonas-Kontaktzone damals eine problematische Positionierung des Forschers bedeuten konnte, der einen Kompromiss zwischen seinen persönlichen Überzeugungen und moralischen Urteilen auf der einen Seite und der Notwendigkeit, eine Beziehung zu Menschen aufrechtzuerhalten, deren Verhalten fragwürdig war, auf der anderen Seite finden musste. Die Tatsache, dass die Feldforschung durch die lokalen Bedingungen des internen Kolonialismus und durch Asymmetrien der Macht bestimmt wurde, zeigt die Abhängigkeit der ethnografischen Praxis von den logistischen und sozialen Strukturen, welche die Kautschukgewinnung hervorbrachte. Dies wirkte sich auf die Praxis der Kulturübersetzung insofern aus, als beispielsweise Koch-Grünberg Indigene aus verschiedenen lokalen Gemeinschaften befragen, fotografieren und repräsentieren konnte, weil sie in Zentren der Kautschukgewinnung konzentriert wurden oder im Dienste bestimmter Kautschukhändler standen, mit denen der Forscher Kontakt hatte. Darüber hinaus war er auch von der vom Kautschukhandel geschaffenen logistischen Infrastruktur abhängig, so z.B. für den Transport der erworbenen ethnografischen Gegenstände, der fotografischen Platten und seiner Briefe. Auch wenn dies keine Generalisierung für alle der hier zitierten Ethnologen ist, konnte die Analyse darlegen, dass die Durchführung einer ethnologischen Feldforschung von den Beziehungen zu lokalen und umstrittenen Akteuren in außerordentlich hohem Grade abhängen konnte. Die Analyse der Übersetzung als kulturelle Praxis zeigte im ersten Kapitel, dass sie sich im Fall der ethnologischen Feldforschung in einem Geflecht asymmetrischer Machtverhältnisse entwickelte und auf diese zurückwirkte. Diese Beziehungen wurden erstens durch eine Betrachtung der involvierten Akteure und zweitens durch eine Analyse der diskursiven Praktiken, innerhalb derer sich die Positionalität dieser Akteure manifestierte, aufgezeigt. Der Fokus auf die Sprachvermittlung als exemplarische diskursive Praxis zwischen Ethnologen und lokalen Akteuren im Kontext der ethnologischen Feldforschung zeigte ihre erhebliche Bedeutung als Faktor, ohne den weder Kontakt noch Beziehungen, geschweige denn die ethnografische Repräsentation des ›Anderen‹ möglich gewesen wäre. Die Analyse dieser Praxis brachte zunächst bestimmte Akteure der Feldforschung ans Licht. Dabei wurde die Figur von Vermittlern, die meist auch als Dolmetscher fungierten, unter dem soziologischen Ansatz der Figur

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Kulturübersetzung als interaktive Praxis

des Dritten im Sinne Georg Simmels, Joachim Fischers oder Şebnem Bahadırs untersucht. Dieser Ansatz ermöglichte es, die Dichotomie zwischen dem Ethnologen und dem Indigenen zu destabilisieren und eine neue Perspektive auf der Grundlage hegemonialer Quellen zu eröffnen. Dadurch, dass nicht nur die Akteure im Mittelpunkt standen, sondern vor allem ihre Beziehungen, konnte gezeigt werden, wie auch indigene Akteure ihre Macht als mehrsprachige und multikulturelle Individuen mehrfach nutzen konnten. Bei der Analyse der Praktiken der Sprachvermittlung gelang es, die Idee der indigenen Dolmetscher als passives ›Untersuchungsobjekt‹ zu destabilisieren. Zu diesem Zweck wurde die Kategorie der »Figur des Dritten« in die Analyse einbezogen. Damit konnte geklärt werden, dass es sich bei dem bekannten dyadischen Verhältnis zwischen dem Ich und den Anderen in der Kulturbegegnung – eine Perspektive, die aus kulturwissenschaftlicher Sicht unter dem Begriff der Kulturübersetzung vertieft untersucht wurde – in den meisten Fällen um ein triadisches Verhältnis handelt. Die Analyse dessen, was in dieser Studie aus der Perspektive der Kulturübersetzung als dyadische Beziehungen zwischen Ethnologen und lokalen Akteuren angenommen wurde, zeigte, dass solche Beziehungen nur durch die Anwesenheit einer dritten Partei möglich waren. Die Szenenanalyse, in denen die DolmetscherInnen und MediatorInnen, meist in derselben Person, als Schlüsselfiguren agierten, ergab, dass die Beziehung zwischen dem Selbst und dem Anderen immer eine komplexe und dynamische Interaktion ist, in der Aspekte wie Macht und Handlungsfähigkeit (agency) ständig verhandelt werden. Auf diese Weise war es möglich, die voreingenommenen Identitäten der Akteure der Feldforschung teilweise zu dekonstruieren. Durch die Fokussierung auf die Sprachvermittlung sowie auf die Rolle indigener Vermittler wurden weitere ethnologische Praktiken, die von der Übersetzung abhängig waren, deutlich. Hierzu gehörte beispielsweise die Praxis, andere Kulturen nach europäischen Vorstellungen zu klassifizieren und zu systematisieren, was eng mit der Tätigkeit der Übersetzung verbunden war. Es konnte gezeigt werden, dass Ethnologen durch die Übersetzung indigener Kulturen in europäischen Begriffswelten diese Kulturen mittels Übersetzung gleichsam erfanden. Anhand von Beispielen hinsichtlich der Durchführung von Sprachaufnahmen und der Erstellung von (sprachlichen) Tabellen und Völkerkarten konnte ich darlegen, wie dieser Prozess der Mobilisierung von Wissen ablief. Die Mobilisierung von Wissen – von der Feldforschung bis zur wissenschaftlichen Repräsentation durch Texte, Tabellen und Karten – wurde in dieser Untersuchung als eine Art Transformation aufgefasst, die aus der Zusammenarbeit der Akteure entstanden ist und Teil der Kulturübersetzung im Rahmen der Produktion ethnologischen Wissens war. Neben der Fotografie und der Reproduktion von Objekten und Szenen anhand von ad hoc angefertigten Zeichnungen war eine der Methoden zur Mobilisierung von Wissen bei einigen der hier diskutierten Expeditionen auch die Aufzeichnung von Erzählungen und Liedern mit Hilfe des Fonografen. Im Falle dieser medialen

Schlussbetrachtungen

Transformation der während der Feldforschung gesammelten und in Wachszylindern gespeicherten Informationen handelt es sich um eine Form der intermedialen Übersetzung. Diese Art der Wissensmobilisierung wurde in der vorliegenden Arbeit aufgrund ihrer Komplexität nicht berücksichtigt, auch wenn sie es wert ist, in einer späteren Studie ergänzend analysiert zu werden. Die Sprachvermittlung umfasste die Produktion von Sprachtabellen, die in dieser Studie als textuelle Artefakte verstanden wurden, ebenso wie die Produktion von narrativen Texten, die explizit von der Anwesenheit von Erzählern und Dolmetschern abhingen. Durch die Analyse der Textproduktion wurde eine weitere Erforschung der komplexen Figur des Erzähler-Dolmetschers möglich, die im Rahmen der Feldforschung bestimmte Praktiken durchführte, die sonst nicht zum Tragen gekommen wären. Eine davon war das Selbst-Dolmetschen, das als wesentliches Merkmal dieser Figur und als eine spezifische Dolmetsch-Praxis der ethnologischen Feldforschung identifiziert wurde. Es handelt sich dabei um die bewusste Objektivierung der eigenen Muttersprache sowie des eigenen kulturellen Wissens. Obwohl ein zwei- oder mehrsprachiger Mensch nicht ständig von einer Sprache in eine andere übersetzen muss, konnte festgestellt werden, dass indigene ErzählerDolmetscher sich im Rahmen der Feldforschung objektiv ihrer Muttersprache und ihrem Wissen näherten. In diesem Prozess dienten Fremdsprachen wie Portugiesisch oder die Lingoa Geral als Relaissprachen, mittels derer indigene Sprachen und Kenntnisse für den Ethnologen zugänglich gemacht wurden. So fügte z.B. nach der Erzählung einer Geschichte in Portugiesisch der Erzähler-Dolmetscher eine Erklärung in derselben Sprache hinzu, sodass sie vom Ethnologen aufgeschrieben werden konnte. Hier gab es bereits eine Distanzierung von der Muttersprache, vom eigenen Wissen und von der Erzählung selbst. Dann wurde die Geschichte noch einmal erzählt, diesmal in der indigenen Muttersprache, aber mit Unterbrechungen, sodass der Ethnologe die Informationen transkribieren und mittels einer interlinearen Übersetzung sammeln konnte. Durch diese Unterbrechungen und Abklärungen kam es bei indigenen Erzähler-Dolmetschern zu einer Distanzierung von der Muttersprache und damit zu deren Objektivierung. Diese Vorgehensweise zeigte erneut die aktive Rolle von lokalen Akteuren und ihre essentielle Beteiligung an der ethnologischen Produktion von Wissen über ihre eigenen Kulturen. Während die Erzähler-Dolmetscher ihre Sprache und ihr Wissen objektivierten, objektivierten auch die Ethnologen bestimmtes indigenes Wissen, wie z.B. Erzählungen, und übersetzten es in ihren kulturellen Diskurs, zum Beispiel unter der Kategorie ›Mythos‹. Diese Übersetzungsstrategie wurde in der Analyse als eine Art der Domestizierung des ›Anderen‹ definiert und als charakteristisch für die Kulturübersetzung in der ethnologischen Forschung eingestuft. Denn es gibt nicht nur eine interlinguale und interlineare Übersetzung indigener Sprachen ins Deutsche, die sehr spezifisch für die ethnologische Feldforschung ist, sondern auch eine Übersetzung mündlicher indigener Traditionen in europäische Kategorien.

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Anhand dieser Übersetzung konnte konkret veranschaulicht werden, wie jede Art von Übersetzung zwingend kulturell und in vielen Fällen hegemonial ist. Mit anderen Worten wurde mit dieser Transformation eine universalistische Übersetzung von indigenem Wissen intendiert. Jedoch konnte anhand der Beziehungen zwischen Erzählern, Dolmetschern und Ethnologen auch festgestellt werden, dass die ethnologische Repräsentation nicht nur eine hegemoniale Übersetzung in eine Richtung, sondern auch eine gemeinsame und kollaborative Arbeit umfasste. Am Beispiel der von KochGrünberg herausgegebenen Mythen der indigenen Taulipáng und Arekuna der Roraima-Region hat die vorliegende Untersuchung verdeutlichen können, wie indigene Akteure auch aktiv am textuellen Produktionsprozess teilnahmen. Die gemeinsame Arbeit der Erzähler und Dolmetscher Mayúluaípu und Akuli mit dem Ethnologen, in der jeder Akteur eine bestimmte Rolle spielte, wurde als kollaborative Übersetzung konzeptualisiert und als eine weitere für die ethnologische Feldforschung charakteristische Übersetzungsform identifiziert. Die kollaborative Übersetzung machte wieder einmal deutlich, dass Kulturübersetzung nicht nur auf der Repräsentation anderer Kulturen durch den Ethnologen basiert, sondern auch die Stimmen und die Arbeit der Akteure aus diesen Kulturen mit einschließt. Die kollaborative Übersetzung führte daher zur gemeinsamen Wissensproduktion. Dies hatte zufolge, dass die Analyse die Kategorie der Urheberschaft infrage stellen musste. Die Urheberschaft bei indigenen mündlichen Erzählungen, die in hegemoniale Sprachen transkribiert und übersetzt werden, wurde am Beispiel der Rekonstruktion der Textproduktion der Taulipáng- und Arekuná-Erzählungen destabilisiert. Eine mögliche Lösung bestünde darin, im Fall der gemeinsamen Textproduktion der Akteure Akuli, Mayuluaipu und Koch-Grünberg von kollektiver Urheberschaft zu sprechen. Die Übersetzungsperspektive bei der Analyse der gemeinsamen Textproduktion ermöglichte die individuelle und normative Urheberschaft bei ethnografischen Texten in Frage zu stellen. Anhand der Analyse der Textproduktion der Taulipang Mythen konnte exemplarisch gezeigt werden, dass die Mitarbeit verschiedener Akteure zur wissenschaftlichen Produktion gehörte. Nicht nur Ethnologen, sondern auch Dolmetscher vor Ort beteiligen sich an der Darlegung kulturellen Wissens in mündlicher und textueller Form. Es würde sich in dieser Hinsicht lohnen eine weitere Untersuchung durchzuführen, in der ergänzend auch die Rolle anderer Akteure, wie z.B. Verlagshäuser und Lektoren, im Prozess der ethnologischen Textproduktion fokussiert wird. Auf diese Weise würden sich andere Übersetzungsformen und Machtbeziehungen erkennen lassen. Neben der sprachlichen Vermittlung und der Textproduktion als diskursiven Praktiken konzentrierte sich die Analyse auch auf nicht-diskursive Praktiken, die in materiellen, aber auch symbolischen Austauschprozessen sichtbar wurden und die sich als charakteristisch für die ethnologische Feldforschung erwiesen. Die

Schlussbetrachtungen

gezielte Fokussierung auf spezifische Austauschprozesse wie kulturelle Aneignung, Tauschhandel und Kommodifizierung ermöglichte es, den materiellen Charakter der Kulturübersetzung zu erforschen. Die Betonung konkreter materieller Austauschprozesse rückte nicht nur die der Übersetzung innewohnende Transformation und Bedeutungsverschiebung, sondern vor allem die wesentliche Rolle von Körpern und Dingen/Artefakten in der ethnologischen Feldforschung und in Prozessen der Wissensproduktion ins Zentrum der Analyse. Es wurde festgestellt, dass Dinge/Artefakte auch als Akteure der Feldforschung agierten, denn zunächst einmal hätte ihre Abwesenheit den Verlauf der Expeditionen erheblich beeinträchtigt. Zudem motivierten sie in den Akteuren den Wunsch, sie zu begehren und zu besitzen. Obwohl das Verständnis von Dingen/Artefakten als Akteure (oder Aktanten) sozialer Beziehungen in der akademischen Welt der Arbeit von Bruno Latour zugeschrieben wird, wurde hier berücksichtigt, dass diese Idee auch zum Wissen indigener Gemeinschaften des Amazonas gehört. Die vorliegende Analyse profitierte von der Kombination dieser Auffassungen, indem sie mögliche Gegenperspektiven zum Verständnis von materiellen Objekten in sozialen Beziehungen eröffneten. Dadurch, dass Dinge/Artefakte durch Aneignung und Verschiebung von einem Körper oder Ort zum anderen transferiert wurden, verwandelten sich auch ihre Bedeutungen und Funktionen. Die Analyse von Momenten der Feldforschung, in denen der Austausch von Artefakten Transformationen und Bedeutungsänderungen hervorrief, die wiederum zu einer Destabilisierung von Identitäten führten, stützte sich auf Konzepte der Ethnologie und der Kulturwissenschaft, wie die ethnologische Travestie und die kulturelle Anthropophagie. Diese dienten hierbei als Konzepte, um die kulturelle Aneignung sowohl im Falle der Ethnologen als auch der Indigenen zu erklären. Eine Übersetzungsperspektive ermöglichte weiterhin die Veranschaulichung von diskursiven Praktiken, die in nicht-diskursive Praktiken übergehen. So konnte gezeigt werden, wie beispielsweise die Rolle der Sprache und die Relevanz der Benennung zur Identifikation des Selbst und des Anderen in der Begegnung führte. Namen und Selbstbezeichnungen – wie z.B. Doktor, Pajé oder ›weiß‹ – wurden in diesem Zusammenhang nicht mehr als sprachliche Einheiten analysiert, sondern als Dinge, die von den Ethnologen bewusst verwendet wurden, die aber auch Auswirkungen auf ihre Identifikationen und auf ihre Beziehungen mit den indigenen Akteuren hatten. Die Analyse des Tauschhandels als weiteren Austauschprozess beleuchtete, wie bestimmte Artefakte, also Ethnographica, die noch heute Teil von ethnografischen Sammlungen sind, erworben wurden und was für eine erhebliche Rolle sie in den sozialen Beziehungen der Feldforschung spielten. Es konnten die Strategien herausgearbeitet werden, welche Ethnologen nutzten, um an die gewünschten Ethnographica zu gelangen. Dabei konnten Dynamiken der Machtausübung sowohl bei Ethnologen als auch bei indigenen Akteuren veranschaulicht werden, die durch den Wunsch bestimmt waren, die Dinge/Artefakte des Anderen zu besitzen. Auf

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diese Weise wurde erneut deutlich, dass die Feldforschung durch wechselseitige Aktivitäten gekennzeichnet war. Dies ermöglichte es, die Spuren indigener Akteure im Prozess der Kulturübersetzung weiter zu erforschen. Auch hier spielte die Figur des Dritten eine primäre Rolle, deren Komplexität sich in seinen Funktionen als Sprach- und Kulturvermittler zeigte. Diese Figur genoss aufgrund ihrer Sprachkompetenz und ihrer Fähigkeit, von den Austauschbeziehungen mit Ethnologen zu profitieren, eine privilegierte Stellung in den sozialen Beziehungen der Feldforschung. Beim Austausch von Dingen/Artefakten wurde erneut festgestellt, dass ohne Sprachvermittlung, die hauptsächlich durch Dolmetscher erfolgte, Ethnologen kein ethnografisches Material hätten erwerben können. Die Analyse des materiellen Austausches während der Feldforschung verdeutlichte weiterhin, dass durch Transaktionen die Dinge/Artefakte nicht nur Veränderungen in ihren Bedeutungen und Funktionen erfuhren, sondern auch in ihren ökonomischen Werten. Diese Veränderungen wurden anhand des Begriffes der Kommodifizzierung untersucht, denn neben dem Tauschhandel war für die Feldforschung auch die Kommodifizierung von Ethnographica charakteristisch. Kommodifizierung wurde aus einer Übersetzungsperspektive betrachtet, was eine weitere Möglichkeit eröffnete, Kulturübersetzung mit einem materialistischen Ansatz zu untersuchen. In Übereinstimmung mit den materialistischen Ansätzen von Arjun Appadurai und Lydia H. Liu wurden Prozesse der Bedeutungs-/Wertbildung im sprachlichen und wirtschaftlichen Bereich analog betrachtet. In erster Linie trug dieser Ansatz dazu bei, im Prozess des materiellen Austausches einen für die ethnologische Forschung charakteristischen Begriff der Äquivalenz zu konzeptualisieren, d.h., es geht um die Äquivalenz, die zwischen bis zu diesem Zeitpunkt nicht-äquivalenten Artefakten hergestellt wird. Im Gegensatz zur marktwirtschaftlichen Äquivalenz, die eine Währung als Regulierungseinheit verwendet, oder zur bereits problematisierten sprachlichen ›Äquivalenz‹, die von einem transzendentalen Begriff, einer Metasprache, ausging, von der erwartet wurde, dass sie Ähnlichkeit oder Äquivalenz zwischen Sprachsystemen herstellt, wurde Äquivalenz in Austauschprozessen in der Feldforschung ohne die Anwesenheit einer dritten transzendentalen und regulatorischen Einheit hergestellt. Die vorliegende Analyse konnte zeigen, dass diese Art der Äquivalenz eher vom Kontext des Austauschs, der Situation und der Verhandlungskompetenz der Akteure abhing. Anhand der Analyse der Kommodifizierung als Prozess des gegenseitigen Austauschs liess sich auch untersuchen, auf welche Weise die Akteure der ethnologischen Forschung Strategien schufen, um bestimmte Artefakte zu erwerben, z.B. Tanzmasken, die normalerweise nicht kommodifiziert wurden. Es konnten Strategien der indigenen Akteure identifiziert werden, wie die Desubjektivierung – womit den Artefakten ihre Handlungsfähigkeit entzogen wurde – und die absichtliche Transformation von Artefakten in Waren (als diversion). Beide kreative Formen bestätigten die aktive Rolle der indigenen Akteure im Austauschprozess, von dem

Schlussbetrachtungen

sie profitieren wollten. Anhand dieser Strategien konnte die Analyse darlegen, auf welche konkrete Weise die Bedeutungen/Werte der Dinge transformiert worden sind. Ethnographica, die später in ethnologischen Museen als Repräsentation indigener Kulturen dienen sollten, erlitten insofern eine weitere Transformation, als sie − einmal im Museum − ihren Status als Waren teilweise verloren und zu vor weiterer Kommodifizierung geschützten Objekten wurden. All diese Transformationen wurden als Resultat von Austauschprozessen als charakteristisch für die Kulturübersetzung in der ethnologischen Feldforschung eingestuft. Obwohl die Popularität des Konzepts der Kulturübersetzung in den letzten Jahren zu einem undifferenzierten Einsatz in zahlreichen Studienrichtungen geführt hat, können vor allem empirische Studien zu einer soliden Konzeptualisierung des Begriffs in spezifischen Disziplinen, wie in den Übersetzungs- oder Kulturwissenschaften, aber auch auf transdisziplinärer Ebene führen. Die vorliegende Arbeit kann als Beitrag zur Untersuchung kultureller Signifikationsprozesse im Rahmen der ethnologischen Wissensproduktion betrachtet werden. Als wechselseitige Praxis wäre Kulturübersetzung auch in anderen Kontexten der Wissensproduktionzu finden, in denen kulturelle Repräsentation, sprachliche Vermittlung und Austauschprozesse relevant sind. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse wirft die vorliegende Analyse weitere Fragen auf, die relevant für kultur- und übersetzungswissenschaftliche, ebenso wie für ethnologische Felder sein können. Es würde sich lohnen, in weiterführenden Arbeiten die spezifischen Übersetzungsformen, die in der ethnologischen Forschung vorkommen können, anhand eines breiteren Quellenspektrums nachzuverfolgen. Dabei sollte der Schwerpunkt auf die spezifische Rolle von indigenen Dolmetschern und Vermittlern liegen. Anhand ethnografischer Quellen kann darüber hinaus die Rolle von Dingen/Artefakten als Akteure in Aneignungsprozessen untersuchen werden, ebenso wie die Relevanz von Prozessen der Verhandlung und Kommodifizierung von Ethnographica und die Folge dieser Prozesse für die Artefakte selbst sowie die Bedeutungen, die ihnen zugeschrieben werden; allesamt Aspekte, die ebenfalls eingehend im Feld der aktuellen ethnologischen Provenienzforschung untersucht werden können. Der hier vorgeschlagene Ansatz, der sich auf die Akteure und Praktiken der Sprachvermittlung konzentriert, kann den analytischen Blick auf hegemoniale Darstellungen anderer Völker, Gesellschaften und Kulturen erweitern und so eine komplementäre wie auch kontrastierende Sichtweise bieten, die zur Destabilisierung von Meistererzählungen beiträgt. In ihrer Studie Indigenism. Ethnic politics in Brazil erinnert die Ethnologin Alcida Rita Ramos daran, dass »[…] anthropologists, whether they intend it or not, bear the responsibility of translating otherness into intelligible texts. It is in their power to portray an indigenous people as respectable or despicable«1 . Als Autorin 1

Ramos: Indigenism, S. 291.

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dieser Arbeit sah ich mich, analog zu den hier zitierten Ethnologen, die vor der Verantwortung standen, von ›Anderen‹ zu sprechen, vor der Aufgabe, sie und ihre Texte verständlich zu »übersetzen«. Diese Analyse ist demzufolge als eine interpretative Übung zu verstehen, als eine Übersetzung, welche durch meinen Ort der Äußerung bestimmt wurde. Genauso wie die analysierten ethnografischen Texte unterliegt sie Kritik und Werturteilen. Deshalb bin ich mir bewusst, dass ich nur eine weitere Lektüre der Quellen und der Themen anbieten kann, die bereits aus anderen Perspektiven und Studienrichtungen behandelt worden sind. Die Analyse der von Ethnologen wie auch anderen Akteuren verfassten Urteile, Gedanken und eigenen Aussagen war zwangsläufig kritisch und reflektierend. Dies machte es unumgänglich, in Szenen und Momente der ethnologischen Feldforschung einzutauchen, die zwar nicht die Darstellung der Figur der Ethnologen als Ziel hatten, die aber ein eher negatives und bisher unbekanntes bzw. unzureichend behandeltes Bild von diesen Ethnologen zeigten. So wie die hier behandelten Ethnologen die Macht hatten, indigene Menschen zu repräsentieren, so erkenne ich an, dass ich mich auch ermächtigt habe, nicht über sie als Personen, sondern über ihre Schriften, gemäß der Fragestellung dieser Arbeit zu sprechen. Ihre Repräsentationen von indigenen Kulturen des Amazonas ebenso wie die Erkenntnisse, die sie als Fakten darstellten, hatten Folgen für die Wahrnehmung und weitere Repräsentationen indigener Menschen und verdienen eine kritische Auseinandersetzung. Aufgrund der Tatsache, dass viele Aspekte dieses ethnologischen Diskurses innerhalb der Produktion und Zirkulation von Wissen über andere Kulturen in dieser Analyse hinterfragt wurden, stellt unter diesen Umständen die vorliegende Arbeit auf der Waage unserer Repräsentationen des ›Anderen‹ eine Art Gegengewicht zu diesem ethnologischen Diskurs dar.

Abbildungen

Abbildungen Abbildung 1: Umschläge der Monografien von Karl von den Steinen, Fritz Krause und Theodor Koch-Grünberg. Abbildung 2: Koch-Grünberg, Männer, Jungen am Ufer sitzend, mit Fahne. Abzug aus Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES MrKG-H-II, 085c. Abbildung 3: »Uanána Indianer […] unverfälschte Naturkinder.« Koch-Grünberg. 1909. S. 21. Abbildung 4: »Karamakate« (Nilbio Torres). Fotoabszug aus dem Film »Der Schamane und die Schlange.« 2015. Abbildung 5: Kautschukarbeiter mit Kautschukballen. Abzug aus Theodor KochGrünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-A3-3a. Abbildung 6: María in Frontal- und Profilansicht für die Zeitschrift Globus. KochGrünberg 1906. S. 167. Abbildung 7: María. Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-3 und 4. Abbildung 8: »Guilhermina. 15 Jahre alt. Mestizin. (Vater Cearenser, Mutter Ipuriná.) Cachoeira. Rio Purus.« Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-A1-5a und 6a. Abbildung 9: »Magdalena. 13 Jahre alt. Mestizin. (Vater Cearenser, Mutter Ipurina). Cachoeira. R. Purus.« Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-A1-1a und 2a. Abbildung 10: Im São Felipe: Germano Garrido y Otero im Zentrum zusammen mit zwei italienischen Priestern und einigen Arbeitern. Links, Salvador Garrido. Abzug aus Theodor Koch-Grünberg Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-XI-A2-1a. Abbildung 11: Pater Adalbert Kaufmehl (Erster von links nach rechts), Theodor Koch-Grünberg (Mitte), Herrmann Schmidt (Mitten hinten) und die Mitglieder der Benediktiner Mission. Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KH-H-I. Abbildung 12: Der Dolmetscher und Vermittler Mandú. Koch-Grünberg 1909. S. 170. Abbildung 13: Der Impresario Antonio. Von den Steinen 1892.

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Abbildung 14: Titelblatt des Handbuchs zur Aufnahme fremder Sprachen. Exemplar im Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr C.I.1. Abbildung 15: Sprachtabelle aus »Vocabulario. (Museo Real Etnográfico. Berlin SW, Alemania)« im Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr C.I.2. Abbildung 16: »Bleistiftzeichnungen der Paressi-Kabisi. Empfangsszenne bei den Indianern am Cabaçal.« Schmidt 1914. S. 228. Abbildung 17: Pauäkös Geschichte in Bildern. »Hömänihikö, b, mit seinen Brüdern: a. Mianikö tóibö, und d. Kúai. – b1 und b2. Hömänihikös Töchter. – Hömänihikö zündet die Maloka der Uanána an.« Koch-Grünberg 1910. S. 161. Abbildung 18: Der Erzähler Pauäkö mit seiner Familie. Koch-Grünberg 1910. S. 81. Abbildung 19: »Mayuluaipu erzählt Märchen.« Koch-Grünberg 1924. Abbildung 20: Peré und Theodor Koch-Grünberg. Abzug aus Theodor KochGrünbergs Nachlass, Signatur ES Mr KG-H-X, AIV, 14a. Abbildung 21: »Indianer als Europäer maskiert.« Von den Steinen 1894. S. 131. Abbildung 22: »Kissenberth mit Karajá-Hut neben einer aztekischen Steinskulptur.« Hermannstädter 2002. S. 110. Abbildung 23: »Karajá Mädchen in vollem Schmuck.« Krause 1911. Tafel 18. Abbildung 24: »Maskentänze der Kobéua. Rio Cuduiarý.« Abzug aus Theodor KochGrünbergs Nachlass, Signatur KG-H-II-124. Abbildung 25: »Verfertigen der Tanzmasken bei den Kobéua.« Koch-Grünberg 1910. S. 171. Abbildung 26: Ausgestellte Tanzmasken aus dem oberen Rio Negro. Abzug aus Koch-Grünbergs Nachlass. ES KG-A-10 (uninventarisiert).

Karten Karte 1: Reisewege der deutschen Amazonasexpeditionen, überlagert auf der Karte der Kautschukgewinnungsgebiete von Bartholomew, J.G. »India Rubber.« Atlas of the World’s Commerce. London: George Newnes, 1907. S. 154. »India Rubber« ist die englische Bezeichnung für Naturkautschuk. Karte 2: Handelsreiseroute von Miguel Pecil am oberen Rio Negro. Abzug aus Theodor Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr B.3. Karte 3: »Völkerkarte des Gebietes am oberen Rio Negro und Yapurá mit besonderer Berücksichtigung der Betoyastämme« in KOCH-GRÜNBERG, Theodor: »Betoyá-Sprachen Nordwestbrasiliens und der angrenzenden Gebiete. (Fortsetzung)«, in: Anthropos 9/1-2 (1914), S. 151-195. Karte 4: Kartenentwurf. Abzug aus Koch-Grünbergs Nachlass, Signatur ES Mr B.I.2. Heft 1, 1903.

Literatur

Unveröffentlichte Quellen ES Mr: Ethnologische Sammlung der Philipps-Universität Marburg Nachlass Theodor Koch-Grünberg A.1; A.4; A.10; A.11; A.12; A.13; A.14. Korrespondez B.I.2 – B.I.3 Tagebücher B.IV Durchschläge Feldpost Rio Negro B.III. Skizzen/Zeichnungen C.I Wörterlisten/Sprachliches Material C.II.8 Sprachaufnahmen D.I.1; D.I.3; D.I.8. Manuskripte (Vorlesungen/Vorträge) G.II.1 Korrespondenz Curt Unckel Nimuendajú H Fotobestand   IAI PK: Ibero-Amerikanisches Institut NKTP Nachlass Konrad Theodor Preuss   SMB-PK, EM: Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Acta betreffend die Reise des Dr. Koch nach Südamerika 1903/1905. Pars I B 44. Acta betreffend die Reise des Dr. Koch nach Südamerika. Vom 15. März 1910. Pars 44a. Acta betreffend die Reise des Dr. Kissenberth nach Südamerika. Vom 27. Februar 1908. I B.76. Acta betreffend die Reise des Kustos Prof. Dr. Preuss nach Columbien u. Ecuador. Band I, vom 26. November 1912 bis 31. Juli 1921, Pars I B 92.   StA Lu: Staatsarchiv Ludwigsburg Bestand EL 232: Akte Büschel 333.

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Kulturwissenschaft Gabriele Dietze

Sexueller Exzeptionalismus Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus 2019, 222 S., kart., Dispersionsbindung, 32 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4708-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4708-6

Gabriele Dietze, Julia Roth (eds.)

Right-Wing Populism and Gender European Perspectives and Beyond April 2020, 286 p., pb., ill. 35,00 € (DE), 978-3-8376-4980-2 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4980-6

Stephan Günzel

Raum Eine kulturwissenschaftliche Einführung März 2020, 192 S., kart. 20,00 € (DE), 978-3-8376-5217-8 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5217-2

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Kulturwissenschaft María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan

Postkoloniale Theorie Eine kritische Einführung Februar 2020, 384 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-5218-5 E-Book: 22,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5218-9

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Elena Beregow, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Annekathrin Kohout, Nicolas Pethes, Miriam Zeh (Hg.)

POP Kultur & Kritik (Jg. 9, 1/2020) April 2020, 180 S., kart. 16,80 € (DE), 978-3-8376-4936-9 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-4936-3

Birgit Althans, Kathrin Audehm (Hg.)

Kultur und Bildung – kulturelle Bildung? Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2019 2019, 144 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4463-0 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4463-4

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