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German Pages [717] Year 2018
Tobias Strahl
Kultur, Erbe, Konflikt Kulturgutzerstörung in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo 1991–2004
Böhlau Verlag Wien Köln Weimar
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Serbische Einheiten posieren während der Balkankriege 1912/13 nach der Eroberung der Stadt Prizren im Süden Kosovos in einer Triumphgeste auf den Überresten der Namazgâh oder Zerbrochenen Moschee (kırık camii), die das osmanische Heer im Juni 1455 im Zuge der Eroberung Prizrens als Gebetplatz und wahrscheinlich erstes osmanisches Bauwerk der Stadt überhaupt vor den Stadttoren errichtet hatte. Historische Postkarte aus dem Archiv des Autors. Lektorat: Elena Mohr, Köln Einbandgestaltung: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Satz : Bettina Waringer, Wien
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-50210-2
Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Kultur, Erbe, Konflikte – Widersprüche in einem historischen Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Exklusivität und Universalismus – Kultur und Kulturerbe historisch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Universalismus und normativer Anspruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . Exklusivität und Universalismus – Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.. Zeitbezug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was gehört zum kulturellen Erbe?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbe und Erben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumentarium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Kultur, Erbe und Konflikte in Jugoslawien bis zu den Kriegen 1991–1999 .. 41
2.1 Heterogenität des kulturellen Erbes . . . . . . . . . . . Osmanisches Kulturerbe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Erbe des christlichen Mittelalters. . . . . . . . . . . . . Jüdisches Kulturerbe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das kulturelle Erbe Österreich-Ungarns. . . . . . . . . . . Kultureller Synkretismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das kulturelle Erbe der Moderne. . . . . . . . . . . . . . .
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2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Kultur als Ziel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Konflikte als Teil des kulturellen Erbes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Nation und Nationalismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Nationalismus und Kulturerbe in der serbischen Geschichte. . . . . . . . . 63 Kulturerbezerstörung in Serbien und dem Königreich Jugoslawien zwischen 1804 und 1941. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Kirchen und Klöster – Serbien im Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Nationalismus und Kulturerbe in der kroatischen Geschichte. . . . . . . . . 88 Kirchen und Klöster – Kroatien im Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Holocaust und jüdisches Kulturerbe 1941–1945. . . . . . . . . . . . . . . . 95
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Verfolgung von Serben 1941–1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfolgung der Roma 1941–1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muslime zwischen Täterschaft, Widerstand und Verfolgung 1941–1945.. Nationalismus unter den Muslimen Bosniens und Kosovos. . . . . . . . .
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien Herrschaftsordnung und Religionsgemeinschaften.. . . . . . . . . . . . Katholizismus und die katholische Kirche Kroatiens. . . . . . . . . . . . Serbische Orthodoxe Kirche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Muslime Jugoslawiens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die jüdischen Gemeinden und übrige Religionsgemeinschaften. . . . . Bauprogramme der Religionsgemeinschaften 1945–1991. . . . . . . . . Modernisierung und Industrialisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Denkmalschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prishtina, Kosovo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prizren, Kosovo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bosnische Städte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Schicksal der Synagogen nach 1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Inszenierung der kommunistischen Herrschaft in Architektur und Skulptur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen . . . . . . . . . .
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3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erinnerungspolitik und Konfliktbewältigung im sozialistischen Jugoslawien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ökonomische Krise.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nationalismus unter Kroaten nach 1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nationalismus unter bosnischen Muslimen nach 1945.. . . . . . . . . . . Nationalismus unter den Albanern Kosovos nach 1945. . . . . . . . . . . Nationalismus unter Serben nach 1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosovo im Zentrum nationalistischer Mobilisierung.. . . . . . . . . . . . Slobodan Milošević . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Privremene mere und Re-Serbisierung Kosovos. . . . . . . . . . . . . . . Re-Serbisierung Kosovos und das Register des unbeweglichen Kulturerbes Serbiens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prismen im kulturellen Nationalismus: Sinan-Pascha-Moschee und „Erzengelkloster“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Serbische Orthodoxe Kirche und die Re-Serbisierung Kosovos.. . . .
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Auf dem Weg in den Krieg. . . . . . . . . Zur Struktur der kämpfenden Einheiten. Kriegsziele.. . . . . . . . . . . . . . . . . Zerstörung – Szenarien.. . . . . . . . . .
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3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien . 241 „Wahrheit“ im Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Kulturerbezerstörung in der kroatischen und serbischen Kriegsberichterstattung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Vukovar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Dubrovnik.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Bibliotheken.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Kulturerbezerstörung in Kroatien 1991 – Umfang und territoriale Ausdehnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Kulturerbezerstörung – Identitäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Kulturerbezerstörung – Propaganda und internationale Wahrnehmung.. 290 Dezember 1991 und Juni 1992: Die Dokumentationen des Instituts für den Schutz von Kulturdenkmälern der Republik Kroatien. . . . . . . . . . 301 Februar 1992: Die Dokumentation des Ministeriums für Information, des Ministeriums für Kultur und des Instituts für den Schutz von Kulturdenkmälern der Republik Serbien.. . . . . . . . . . . . . . . . . 304 1993: Vereinigung kroatischer Bibliotheken: The Wounded Libraries in Croatia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1993: Die Dokumentation des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Zagreb, des Ministeriums für Kultur und Bildung und des Denkmalschutzinstituts der Republik Kroatien. . . . . . . . . . . . . . 310 Februar 1993: Der erste Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Februar 1993: Die Dokumentation der Kriegsschäden in Dubrovnik durch die UNESCO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Juli 1993: Der zweite Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 September 1993: Der dritte Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1994 „Spiritueller Genozid“ – serbisch-orthodoxe sakrale Bauwerke bei Slobodan Mileusnić. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Januar 1994: Der vierte Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 April 1994: Der fünfte Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
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| August 1994: Der sechste Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1994: Branka Šulc für das Muzejski Dokumentacijski Centar – Zerstörung von Kulturerbe in Kroatien. . . . . . . . . . . . . . . . . . Dezember 1994: Der Bericht der Expertenkommission des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen / Annex XI: Destruction of Cultural Property Report und XI A. The Battle of Dubrovnik and the Law of Armed Conflict. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mai 1995: Der siebente Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Juni 1995: Rückeroberung und Vergeltung. Der achte Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats.. . . . . . . . . . . . . Januar 1996: „Operation Sturm“ – der neunte Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats.. . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühjahr 1996: „Librozid“ – Die slowenische Kunsthistorikerin Nataša Golob über Bibliotheken in Jugoslawien. . . . . . . . . . . . . . 1996: Eine „blutende Wunde im lebenden kulturellen Körper des kroatischen Territoriums“ – Kroatisches Informationszentrum et al.: Die verwundete Kirche in Kroatien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1997: Spiritueller Genozid II – Slobodan Mileusnićs aktualisierte Informationen zu zerstörten und beschädigten Sakralbauten der Serbischen Orthodoxen Kirche in Kroatien und Bosnien-Herzegovina. Januar 1997: Der zehnte und letzte Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats zum beschädigten Kulturerbe in Kroatien und Bosnien-Herzegovina. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1997: Schock, Propaganda, Enttäuschung – War damage to Museums and Galleries in Croatia (Muzejski Dokumentacijski Centar). . . . . . . . . Der Diskurs um die Zerstörung von Kulturerbe in Kroatien – Übrige. . . Vorläufige Erkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 1992 bis 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Weg in den Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Ethnische Säuberung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Isoliert und verzweifelt – die Kulturerbezerstörung in Bosnien und Herzegovina in der regionalen und internationalen Wahrnehmung. . . Die Berichte des Komitees für Kultur und Bildung der parlamentarischen Versammlung des Europarats von 1993 bis 1997. . . . . . . . . . . . . Mostar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sarajevo.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Banja Luka und Republika Srpska. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Bericht des Föderalen Instituts für den Schutz des kulturhistorischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina von 1995.. András Riedlmayer in Bosnien-Herzegovina. . . . . . . . . . . . . . . . . 1997: Kroatisches Informationszentrum et al.: Die Gekreuzigte Kirche in Bosnien-Herzegovina. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1997: Slobodan Mileusnićs Spiritueller Genozid. . . . . . . . . . . . . . . 1999: Council of Europe – Specific Action Plan for Bosnia and Herzegovina. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1999: Muharem Omerdić – Beiträge zur Erforschung des Völkermords an den Bosniaken (1992–1995).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Diskurs um die Zerstörung von Kulturerbe in Bosnien und Herzegovina – Übrige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 . . . . . . . . . . 493 Kulturerbezerstörung in Kosovo – Szenarien. . . . . . . . . . . . . . . . . 498 Der Abtransport der Dokumentation des unbeweglichen Kulturerbes Kosovos nach Serbien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 Die Perspektive Serbiens im regionalen und internationalen Diskurs.. . . 502 Erste Reaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 Staatlich organisierte Desinformation: Federal Republic of Yugoslavia, Federal Ministry of Foreign Affairs: NATO Crimes in Yugoslavia / Documentary Evidence / 24 March – 24 April 1999 und NATO Crimes in Yugoslavia / Documentary Evidence / 25 April – 10 June 1999. . . . . . 512 1999: Gekreuzigtes Kosovo: die Serbische Orthodoxe Kirche und ihre Veröffentlichung Crucified Kosovo / Raspeto Kosovo. . . . . . . . . . . 522 Das Institut zum Schutz der Kulturdenkmäler der Republik Serbien: Cultural Heritage of Kosovo and Metohija (1999 (2002)).. . . . . . . . 526 2002: Branislav Krstić: Saving the Cultural Heritage of Serbia and Europe in Kosovo and Metohia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Mnemosyne – Center for Protection of Natural and Cultural Heritage of Kosovo and Metohija: Final Report / Project / Protection of Natural and Cultural Heritage in Metohija (2003). . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Die anti-serbischen Ausschreitungen am 17. und 18. März 2004. . . . . . 549 Reaktionen in Serbien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 Das Memorandum on Kosovo and Metohija des Synods der Bischöfe der Serbischen Orthodoxen Kirche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 Das Ministerium für Kultur der Republik Serbien und das Museum in Prishtina: March Pogrom in Kosovo and Metohija / March 17–19, 2004. 567 Ana Jović-Lazić: Schutz des Kulturerbes in Kosovo und Metohija.. . . . . 569
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| Gekreuzigtes Kosovo II – Radikalisierung der Sprache. . . . . . . . . . . 572 Noch einmal Mnemosyne – der Report on the study of endangered Serbian Sacred/Holy Places in Kosovo and Metohija. . . . . . . . . . . 573 Simon Jenkins: Not war but vandalism. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 Nikolaus Thon: Ende einer tausendjährigen Kultur?. . . . . . . . . . . . . 577 Slobodan Ćurčić: Destruction of Serbian cultural patrimony in Kosovo: a world-wide precedent?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 Valentino Pace: Kosovo: passato, presente e futuro dei suoi monumenti cristiani in pericolo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 Friedbert Ficker – großalbanische Chauvinisten. . . . . . . . . . . . . . . 582 Positionen aus dem serbischen Diskurs im internationalen Raum – Übrige. 582 Osmanisch-islamisches und albanisches Kulturerbe im regionalen und internationalen Diskurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 Serbischer Genozid an albanischer Kultur – eine Ausstellung in Gjakova. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Die Dokumentation beschädigter und zerstörter islamischer Sakralbauten durch die Islamische Gemeinschaft Kosovos. . . . . . . . . . . . . . . 586 András Riedlmayer in Kosovo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Internationale Reaktionen – Übrige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Internationale Institutionen und das Kulturerbe Kosovos. . . . . . . . . . 598 Annullierung der jugoslawischen (serbischen) Gesetzgebung zum Kulturerbeschutz und der Action Plan for Cultural Heritage in Kosovo. 600 International Management Group: Emergency Assessment of damaged housing and local/village Infrastructure in Kosovo. . . . . . . . . . . . 601 Council of Europe: Cultural Situation in Kosovo (Montenegro and Serbia, 1999-2002). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 UNESCO: General Assessment of the Situation of Archives in Kosovo (2000). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 John A. Bold und Rob Pickard: Study on the State of the Cultural Heritage in Kosovo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 UNESCO: Cultural Heritage in South-East Europe: Kosovo (2003). . . . . 606 Council of Europe: Edward O’Hara zur kulturellen Situation in Kosovo (2003). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 Europäische Kommission / Europarat / UNMIK: Integrated Rehabilitation Project Plan (2004 (2006)). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 UNESCO: Cultural Heritage in South-East Europe: Kosovo (2004). . . . . 613 Übereinkunft zum Wiederaufbau serbisch-orthodoxer religiöser Stätten und die Reconstruction Implementation Commission 2005. . . 614 Cultural Heritage Law (2006) und Law on Special Protective Zones (2008). 617
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Eine ernüchternde Bilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben . . . . . . . . . . Kroatien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bosnien und Herzegovina. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosovo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Serbien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Makedonien.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Positionen in Gegendiskursen. . . . . . . . . . . . . . . . . Serbien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosovo / Albanien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kroatien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primär- und Sekundärliteratur.. . . . . . . . . . . . . . . . . . Karten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen (als Kopien im Archiv des Autors). .
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. . 664 664 707 707
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Meinen Eltern Claudia und Wolfgang Strahl
Dank
Aufrichtig und von ganzem Herzen danke ich Bruno Klein und Thomas Will für Geduld, Zuspruch, Rückhalt, Förderung und ihr ungewöhnlich großes Verständnis für meine Entscheidungen. Ein besonders herzlicher Dank gilt Elena Mohr, durch deren konsequentes und konstruktives Lektorat der Text an Qualität gewonnen hat. Prof. Lars Berggren danke ich für Gastfreundschaft, Vertrauen und die Gelegenheit, die Ergebnisse meiner Forschung an der Universität Turku/Åbo zur Diskussion stellen zu dürfen. Für die vielen hilfreichen Hinweise, Dokumente sowie die generell solide kollegiale Unterstützung bedanke ich mich bei András Riedlmayer, Robert Elsie (1950– 2017), Osman Gojani, John A. Bold, Kathleen A. Layle, Claudine NonnemacherCancemi, Sali Shoshi und Edi Shukriu. Ohne die Hilfe und Offenheit von Tarik Jazvin und Mirzah Fočo von der Kommission für den Schutz nationaler Denkmäler in Sarajevo hätte ich diese Arbeit nicht fertigstellen können. Ich danke weiterhin insbesondere Rudolf Grulich, Adalbert Rebić (1937–2014), Ulrich Großmann, Kruna Kaličanin, Mirjana Menković, Nevenka Soldo, Ruža Marić, Vanja und Željko Sabo, Bruder Gordan Propadalo, Vlatka Surma Szabo, Jasna Babić, Marina Karaula-Šumiga, Anita Baier Jakovac, Bojan Babinčak, Vater Andrej Sajc und Šimun Penava. Für Gastfreundschaft, Freundschaft und wertvolle Unterstützung in Kosovo danke ich Vater Walter Happel und Arben Gunga. Für Gelassenheit und großzügige Freundschaft danke ich dem außergewöhnlichen Sami Ahmeti (1947–2011). Für Blicke „hinter die Kulissen“ danke ich Veton Nurkollari, Aliriza Arenliu, Nita Deda und Rajko Petrović. Manch nützlichen Hinweis verdanke ich dem freundlichen Interesse von Fikret Kahrović. Für übergroßes Vertrauen und die Förderung meiner Forschung danke ich Benedikt Zimmer, Matthias Henkelmann, Mirko Urbatschek, Bernhard Josef Briel, Hans Watermann (1957–2018), Richard Welter, Jörg-Uwe Schapeter, Franz Josef Saar, Patrick Bernardy und Raphael Lueg. Ohne die großzügige ideelle und finanzielle Unterstützung der Studienstiftung des deutschen Volkes über viele Jahre hinweg hätte ich die ausgedehnten Forschungsreisen und Studien vor Ort kaum unternehmen können. Mein besonderer Dank gilt diesbezüglich Christine Schade und Hans-Ottmar Weyand für ihr Verständnis und die oft sehr kurzfristige Hilfe.
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| Dank
In außergewöhnlichem Maße unterstützt haben mich Marko Špikić, Željko Auguštan, Jure Nikolić, Neki Jahaj, Nafis Lokvica, Torsten Klaus sowie Gabriele und Hans-Uwe Haase. Neben fachlichen und persönlichen Hinweisen verdanke ich ihnen Unterkunft und kritische Begleitung über lange Zeiträume meiner Arbeit. Nicht zuletzt danke ich dem Menschen, der über die zahlreichen und langen Reisen der letzten Jahre in Südosteuropa und Südasien auch aus denkbar weiter Ferne alle schweren Stunden mit mir geteilt, mich aufgerichtet, ermutigt und gerade gerückt hat –, meiner Frau und Gefährtin Sibylle Strahl.
Vorwort
Das Thema dieses Buches ist die Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen1 in Kroatien, Bosnien und Herzegovina und Kosovo in den Jahren zwischen 1991 und 1999 – mit Berücksichtigung der anti-serbischen Ausschreitungen in Kosovo im März 2004. Doch damit allein ist es nicht getan. In den politischen Umwälzungen im Südosten Europas ist seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts vier Mal in erheblichem Umfang Kulturerbe zerstört worden. Vier Zäsuren im historischen Machtgefüge der Region sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Mit dem Verfall des Osmanischen Imperiums und dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie entstanden in einem großen und vielen kleineren Prozessen nationale Kollektive und schließlich Nationalstaaten auf der Balkanhalbinsel2 und in Kroatien. Im sogenannten „Ersten Jugoslawien“ fanden sich 1918 drei Nationen – Serben, Kroaten und Slowenen – in einem gemeinsamen Königreich zusammen.3 In der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges ging dieses politische Gebilde in Flammen auf. Buchstäblich in seinen Trümmern errichteten die jugoslawischen Kommunisten, die als Partisanen gegen die deutschen Besatzer, deren Handlanger und Rivalen im eigenen Land gekämpft hatten, ihre Macht mit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien4, dem „Zweiten Jugoslawien“. In vier blutigen Kriegen in Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo wurde wiederum dieses politische Gebilde im ausgehenden 20. Jahrhundert begraben. Verschiedene Herrschaftsordnungen – Osmanisches Reich, Österreich-Ungarn, nationale Kollektive 1 Als Postjugoslawische Kriege werden in der deutschsprachigen Südosteuropaforschung die Kriege in Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegovina und Kosovo zwischen 1991 und 1999 bezeichnet. Vgl. Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 319. 2 Ich verwende die Bezeichnung „Balkanhalbinsel“ in ihrer geografisch-wissenschaftlichen Bedeutung. Demnach umfasst diese das Territorium südlich der Flüsse Una, Save und Donau „Bosnien-Herzegowina, Serbien (einschließlich Kosovo, aber ohne Vojvodina), Montenegro, Vardar-Makedonien, Bulgarien, die Dobrudscha, die europ. Türkei, Griechenland u. Albanien“ (Hösch / Nehring / Sundhaussen (2004), 79 ff.). 3 Am 1. Dezember 1918 als Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gegründet. Seit 1929 Königreich Jugoslawien. 4 Am 29. November 1945 als Föderative Volksrepublik Jugoslawien (Federativna Narodna Republika Jugoslavija, FNRJ) gegründet; mit der Verfassung vom 7. April 1963 in Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (Socijalistička Federativna Republika Jugoslavija) umbenannt.
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und Kommunismus bzw. Sozialismus – hatten die Kulturen der Kollektive, die sie zusammenfassten, das heißt deren Wissensordnungen und Sinnsysteme nach dem gegenwärtigen Verständnis von Kultur in den modernen Kulturtheorien5, je unterschiedlich überformt. Zu den immateriellen und materiellen Gegenständen, die zum Teil unabhängig von politischen Systemen tradiert wurden, kam die symbolische Repräsentation der jeweils neuen Herrschaftsordnung. Nicht selten verschmolzen alte und neue Elemente in einem kulturellen Synkretismus. Von besonderer Bedeutung für unseren Gegenstand ist die enge Verbindung, die zwischen Politik und Kultur im europäischen Nationalismus des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts hergestellt worden ist. Sie bildet die Voraussetzung, dass in gewalttätig ausgetragenen Konflikten neben Individuen und Kollektiven fortan auch die Gegenstände, die diese repräsentieren, in einem bis dahin nicht dagewesenen Umfang Ziel von Angriffen werden konnten. Es stimmt, dass die Zerstörung kultureller Artefakte, die symbolisch für Individuen, Kollektive oder Ideen stehen können, keine neue Erscheinung ist. Bereits in den Büchern des Alten Testaments kann man von ihr lesen. Ikonoklasmus und Zerstörung pars pro toto sind keine modernen Phänomene.6 Unbekannt bis dahin sind jedoch Umfang und Qualität der Kulturerbezerstörung im europäischen Nationalismus. Die betroffenen Kollektive sind größer, meist auch homogener. Kultur kann nun eine Waffe sein oder zumindest als solche verstanden werden. Die Zerstörung des Gegenübers wird im Wortsinn „total“. Sie hat die Auslöschung sämtlicher Spuren der Präsenz des „Anderen“ zum Ziel. Es ist kein Zufall, dass die Zerstörung von Kulturerbe auf der Balkanhalbinsel stets am Übergang von einer politischen Ordnung zur nächsten aufgetreten ist. Die politischen Systeme auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien hatten für die Kulturen der Kollektive, die sie vereinten, auch eine stabilisierende Funktion. Unbestritten wirkten sie bei der Errichtung der eigenen symbolischen Ordnung mitunter zerstörerisch. Andererseits überdauerten in ihrem Machtspektrum, solange es stabil war, auch viele unterschiedliche kulturelle Elemente. Man denke nur an die Städte im osmanischen Reich, in den durch Österreich-Ungarn besetzten Territorien oder im sozialistischen Jugoslawien, in denen eine kulturelle Vielfalt bestand, die bewusst geschützt und zum Teil auch aktiv gefördert wurde. Wohlgemerkt nicht aus altruistischen, sondern meist aus politisch-pragmatischen Gründen im Zuge von Herrschaftsstrategien. Mit der zunehmenden Instabilität und dem 5 6
Reckwitz (2012). Vgl. Warnke (1973); Gamboni (1998); Belting (2006); Assche/Tollebeek (2014); Kolrud/ Prusac (2016).
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letztendlichen Zusammenbrechen dieser multiethnischen politischen Gebilde fiel auch der Schutz der kulturellen Vielfalt weg. Die kollektiven Sinn- und Wissenssysteme wurden zum Teil gewaltsam neu geordnet und, ein unter politischen Extremisten der Moderne beliebter Ausdruck, „gesäubert“, das heißt – zerstört. Mit der überkommenen politischen Ordnung standen immer auch deren immaterielle und materielle Repräsentationen zur Disposition. In besonderem Maße gilt das für den (kulturellen) Nationalismus, der die Homogenität der Nationalkultur anstrebt und dessen Ideologie das 20. und 21. Jahrhundert die umfangreichsten Kulturerbezerstörungen „verdankt“. Die Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen kann nicht angemessen beschrieben werden, wenn man ihren historischen Kontext unberücksichtigt lässt. Sie ist ohne die Zäsuren, den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, die Entstehung der Nationalstaaten und die Herrschaft der jugoslawischen Kommunisten und die jeweils erheblichen Zerstörungen von kulturellem Erbe, die mit diesen Umbrüchen einhergingen, nicht nachvollziehbar. Die Berücksichtigung des historischen Kontextes bedeutet nicht, eine Teleologie des Unausweichlichen zu konstruieren. Alles das, was sich zwischen 1991 und 2004 in diesem Zusammenhang ereignet hat, hätte sich auch ganz anders ereignen können. Doch existieren für das, was schließlich passiert ist, und die Art, wie es passiert ist, historische Referenzen bereits dort, wo sich die Konfliktparteien auf diese berufen. Eingebildete Gründe sind Gründe nichtsdestoweniger. Auch wenn die Vertreterinnen und Vertreter eines normativen Kultur- und Kulturerbeverständnisses das nicht gern hören – Konflikte sind ebenso kulturelles Erbe wie historische Stadtkerne, Tänze, Sprachen, Handschriften und Gebäcksorten7, auch wenn sie im Gegensatz zu Letzteren wohl keine Chance haben, jemals in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen zu werden. Wenn etwa ein Zusammenhang besteht zwischen der Errichtung von Sakralbauten zur Kolonisierung umstrittener Territorien auf der Balkanhalbinsel im 19. und 20. Jahrhundert und der Zerstörung eben dieser Bauwerke in den Postjugoslawischen Kriegen, ist die Beschreibung Letzterer unvollständig, wenn dieser Zusammenhang nicht berücksichtigt wird. Nicht minder wichtig für das Schicksal der Bauwerke des osmanischen Islam am Ende des 20. Jahrhunderts sind die Diskurse des Nationalismus und Modernismus, die bis ins vorangehende Jahrhundert zurückreichen. Und schließlich kann auch das Schicksal der Monumente des so7
Im Januar 2018 sorgte das Ansinnen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, das Baguette von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkennen zu lassen, in der Boulevardpresse für Aufmerksamkeit.
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zialistischen Jugoslawien im Krieg nicht plausibel beschrieben werden, wenn man die Umstände ihres Entstehens ausblendet. Der Wert einer synchronen Analyse in einer historischen Arbeit ohne Berücksichtigung der diachronen Dimension ist zweifelhaft. Aus diesem Grund werde ich vor dem Hauptstück dieser Arbeit, der Analyse der Kulturerbezerstörung in den Kriegen in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo zwischen 1991 und 1999 sowie im Zuge der anti-serbischen Ausschreitungen in Kosovo im März 2004, versuchen nachzuvollziehen, was Kultur und Erbe in der Geschichte der Region überhaupt sein konnten. Wenn diese Frage einigermaßen plausibel beantwortet ist, soll das Verhältnis dieser beiden Konzepte zu den historischen Konflikten im Raum des ehemaligen Jugoslawien geklärt werden. Dazu werde ich das Schicksal von konkreten Objekten des kulturellen Erbes der Region in den politisch-gesellschaftlichen Zäsuren vor den Postjugoslawischen Kriegen untersuchen. Zerstörung und (Re-)Konstruktion sind stets auch Verfahren der Zuschreibung oder Bestätigung von Bedeutung. Es ist diese Bedeutung, die mich maßgeblich interessiert. Wenn es stimmt, was Augenzeugen und Kommentatoren der Kriege immer wieder vorgebracht haben, dass Kulturerbe darin absichtlich und systematisch zerstört worden ist, dann ist diese Bedeutung (bzw. sind diese Bedeutungen) wichtig. Dass die historische Kontextualisierung nicht bis ins letzte Detail erfolgen kann, ist leicht nachvollziehbar. Immerhin handelt es sich um einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren, zu dem mit unterschiedlichen Themenstellungen mehrere hundert Arbeiten existieren. Auf einige davon beziehe ich mich zwangsläufig immer wieder – noch einmal aufschreiben kann und will ich sie jedoch nicht. Das ist auch nicht nötig. Wichtig ist, die Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen möglichst transparent zu machen. Nach einer historisch-kritischen Diskursanalyse anhand originaler Dokumente im Hauptteil dieses Buches, werde ich kursorisch auch auf die Versuche der postjugoslawischen politischen Entitäten eingehen, die Ereignisse der Kriege in vermeintlich zukunftsfähige Identitätsentwürfe zu integrieren. Die verschiedenen Ansätze der Nachkriegsgesellschaften disparate Elemente zu schlüssigen Meistererzählungen neu zusammenzufügen sind Projekte der Rekonstruktion in der ganzen Vieldeutigkeit des Begriffs. Die Wiederherstellung beschädigter oder zerstörter Bauwerke ist dabei nur ein Teil einer viel umfassenderen Arbeit, die historische Erfahrung und gegenwärtige Bedürfnisse sinnstiftend vereinen soll. Mein Text richtet sich insbesondere an Historiker, Kunsthistoriker und Denkmalschützer, die in ihrer Forschung mit dem Phänomen der Kulturerbezerstörung beschäftigt sind. Nichtsdestoweniger soll er auch für interessierte Nicht-Wissen-
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schaftler lesbar und verständlich sein. Aus diesem Grund werden hin und wieder Sachverhalte referiert, die in Fachzirkeln längst bekannt sind, oder wird an anderen Stellen die Perspektive auf die nötigsten Informationen verkürzt. Dem einen oder anderen Leser mag die bisweilen sehr ausführliche Untersuchung einzelner Sachverhalte befremdend und unnötig erscheinen. Jedoch ist der Diskurs zum Kulturerbe der Region nicht leicht zu dechiffrieren. Insbesondere die oft in kyrillischer Schrift verfassten serbischen Dokumente, aber auch verschiedene kroatische, bosnische und albanische Texte sind im westlichen Europa selten oder gar nicht bekannt. Ich kann diesbezüglich lediglich auf die Geduld des Lesers und die Einsicht hoffen, dass sich die detaillierten Untersuchungen als notwendig für ein Verständnis des Gesamten erschließen. Dieses Buch ist ein interdisziplinäres Projekt. Ich habe nicht an den herausragenden Lehrstühlen von Holm Sundhaussen, Wolfgang Höpken, Marie-Janine Calić oder Sabrina P. Ramet in München, Leipzig, Berlin, Wien oder Trondheim studiert und geforscht – auch wenn ich diesen Wissenschaftlern und ihren Schülern viel verdanke. Mein Interesse als Kunsthistoriker galt (und gilt) der Konstruktion von Objektbedeutungen im Diskurs. Daher verstehe ich diesen Text als Beitrag zum Diskurs der Sozial- und Geisteswissenschaften im weitesten Sinne, mit einem besonderen kunst- und kulturwissenschaftlichen Schwerpunkt. Ich würde mich freuen, wenn Leser mit unterschiedlichen Interessen trotz der zahlreichen Unzulänglichkeiten meines Zugangs etwas Nützliches darin erkennen können. Sarajevo im April 2018
1. Kultur, Erbe, Konflikte – Widersprüche in einem historischen Konzept
Die überwiegend positive Assoziation mit Begriff und Gegenstand des Kulturerbes oder kulturellen Erbes ist populär – jedoch nichtsdestoweniger trügerisch. Die vielfältigen Beziehungen, die historisch zwischen Gesellschaften und deren intergenerationell weitergegebenen kulturellen Manifestationen beobachtet werden können, bergen enormes Konfliktpotential. Ein harmonisches Bild nach außen zu vertreten, ist ein wichtiges Anliegen verschiedener Instanzen des Kulturbetriebs. Marketing und Tourismusindustrie, der individuelle Wunsch nach einer möglichst widerspruchslosen Identifikation mit Lebensumfeld und Geschichte sowie nicht zuletzt die bild- und textmächtig beworbene Vision eines Weltkulturerbes haben maßgeblich zu einer verkürzten Perspektive auf das von immanenten Widersprüchen gekennzeichnete Kulturerbekonzept europäischer Prägung beigetragen. Der konfliktäre Charakter dieser Konzeption tritt besonders dort deutlich zutage, wo Kulturerbe selbst im Zentrum von Konflikten steht. Grundsätzlich ist bei jeder kritischen Annäherung an das Thema zwischen dem historischen theoretischen Diskurs zu Kultur- und Kulturerbe, der überwiegend von Experten geführt wird, und populären Vorstellungen sowie konkreten gesellschaftlichen Praktiken zu unterscheiden. Letztere müssen nicht zwangsläufig Expertenmeinungen widerspiegeln.
ZWISCHEN EXKLUSIVITÄT UND UNIVERSALISMUS – KULTUR UND KULTURERBE HISTORISCH
Erste Schwierigkeiten ergeben sich bereits auf der begrifflichen Ebene: Im Kompositum „Kulturerbe“ soll das Determinans Kultur Qualität und Umfang des Determinatums Erbe gleichermaßen bestimmen und eingrenzen. In der Geschichte des Begriffs „Kulturerbe“, die eng mit der Entstehung der europäischen Nationalstaaten verwoben ist, sind jedoch die Vorstellungen von Kultur und Erbe niemals konstant gewesen. Die Philosophen der Aufklärung von Samuel von Pufendorf bis Immanuel Kant vertraten ein normatives Kulturverständnis im Sinne eines gesellschaftlichen Ideals. Die Kultur einer Gesellschaft galt im Gegensatz zur natürlichen Sinnlichkeit des Individuums als Voraussetzung, Moral zu entwickeln – deren Telos wiederum Sittlichkeit war. Johann Gottfried Herder postulierte in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit gegen Ende des 18. Jahrhunderts
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kulturelle Totalitäten in Form von ebenbürtigen, nichtsdestoweniger distinkten Volkskulturen. Nach der Zäsur des sogenannten cultural turn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rückte Kultur schließlich als die Vielzahl kontingenter kollektiver Sinnsysteme, symbolischer Ordnungen oder Wissensordnungen in den Fokus von Kulturtheorien. Transzendenz und Wahrheitsbegriff haben darin keinen begründenden Charakter mehr. Sie spielen lediglich noch als Gegenstände des wissenschaftlichen Interesses eine Rolle.8 Die verschiedenen Konzepte und Theorien können und müssen an dieser Stelle nicht ausführlich thematisiert werden. Es genügt vorerst, festzuhalten, dass der Kulturbegriff einem starken Trend zum Universalismus, zu Inklusion und Entgrenzung unterworfen ist. Der Kreis der Gegenstände, die in den Fokus von Kulturtheorien rücken, gewinnt stetig an Umfang. Der normative Anspruch der Aufklärung erscheint, zumindest aus wissenschaftlicher Sicht, heute ebenso anachronistisch wie die Vorstellung von strikt unterschiedenen Volkskulturen. Die Unterscheidung von Hoch- und Populärkultur hat an Überzeugungskraft eingebüßt. Mit dem Begriff des Ubiquitären sollen vielmehr die reichlich vorhandenen trivialen Konstruktionen wie „Esskultur, Spielkultur, Weinkultur, Dialogkultur, erotische Kultur“ greifbar gemacht werden.9 Den einst wichtigen materiellen kulturellen Artefakten gilt in modernen Kulturtheorien kein besonderes Augenmerk mehr; sie sind ein Phänomen neben vielen und bei weitem nicht das bedeutendste.10 In den einflussreichen strukturalistischen und interpretativen Kulturtheorien der Gegenwart erscheint der Mensch gleichermaßen als Subjekt und Objekt kulturell-symbolischer Praxis. Er ist ebenso an der Kulturproduktion beteiligt wie diese ihn als soziales Individuum erst hervorbringt. Mit dem Verweis auf die unvermeidlich kulturell geprägte (und damit ihren Gegenstand konstruierende) Wahrnehmung von Natur schließlich fällt die letzte Grenze selbst eines holistischen Kulturverständnis, das immerhin noch denkbar umfassend in Kultur (als bearbeitete innere und äußere Natur) und Natur (als deren unbearbeitetes Gegenüber) unterschieden hat.11 Die Transformation der Vorstellung vom Erbe folgt mit der Ausweitung und Spezifizierung in juristischen, sozialen, theologischen, biologisch-medizinischen und kulturellen Kontexten einem ähnlichen Trend.12 Es ist nur folgerichtig und wenig überraschend, dass sich ein ebensolcher konzeptioneller Wandel auch hinsichtlich des kulturellen Erbes rekonstruieren lässt. 8 9 10 11 12
Reckwitz (2012). Müller-Funk (2010), 6. Hansen (2011), 136. Müller-Funk (2010), 7; Hansen (2011), 13. Willer/Weigl/Jussen (2013).
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Auch hier tendiert eine ursprünglich exklusive Vorstellung historisch zu Inklusivität und Universalismus. Nach dem normativen Verständnis von Kultur sollten zunächst auch deren Repräsentationen dem Ideal von Sittlichkeit und ästhetischer Schönheit unterworfen sein. Herders Postulat der Volkskulturen wiederum erwies sich als anschlussfähig für die Politisierung des Kulturellen, in der mit der „Engführung von Erbe und Nation“ seit dem 18. Jahrhundert die „Denkfigur des kulturellen Erbes“ zuerst begründet wurde: „Die Etablierung des ‚kulturellen Erbes‘ funktioniert […] über eine Verwandlung von Artefakten der Vergangenheit in Monumente der Nation.“13 Die Konzeption eines nationalen Kulturerbes war äußerst folgenreich. Ausgewählte Objekte erhielten eine neue politische Bedeutung. Bereits in der Funktion als Ausweis kultureller Identität, behaupteter Vortrefflichkeit und schließlich auch angeblicher Überlegenheit ist die besondere Eignung von kulturellen Objekten als Kristallisationspunkt in allen möglichen Formen von Konflikten gegeben. Kultureller Nationalismus, die Instrumentalisierung von Kulturerbe zum Nachweis politischer Legitimität oder zur Untermauerung nationalstaatlicher territorialer Ansprüche haben hier ebenso ihren modernen Ursprung wie Kunstraub und -zerstörung. Etwa zeitgleich mit dem exklusiven Konzept des kulturellen Erbes im Rahmen von Nationalkulturen wurde ein universalistischer Anspruch formuliert, der ebenfalls auf kulturelle Objekte zielte. Wie die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und im Anschluss an diese der Kulturwissenschaftler Stefan Willer dargelegt haben, war bereits Napoleon Bonapartes Programm einer nationalen Kunstsammlung im Pariser Louvre, für das Kunstobjekte aus den von französischen Truppen besetzten Gebieten Europas nach Paris geschafft wurden, ein Versuch National- und Universalkultur zur Deckung zu bringen. Das zugrunde liegende Interesse war propagandistischer Natur. Es behauptete die überlegene Besonderheit – in diesem Falle der französischen Nation und ihres höchsten Repräsentanten – auf Basis kultureller (jedoch unterworfener) Vielfalt. Hinter dem universalistischen Anspruch ist der genuin exklusive Charakter des Projekts zu erkennen. Die Ausstellung von Kunstschätzen aus ganz Europa in der Hauptstadt der Grande Nation als deren politisches und zivilisatorisches Zentrum ist vor dem Hintergrund der Inszenierung politischer Macht und Legitimität des französischen Potentaten zu verstehen. Verwirklicht wurde das Projekt mit den „Praktiken der militärischen Expansion und des Beutemachens, der Ent- und Aneignung“14, des „Kunstraubs“15. Die westeu13 14 15
Willer/Weigel/Jussen (2013), 25. Willer (2013), 165, 168. Savoy (2011).
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ropäischen Sammlungen des Kolonialismus und Imperialismus entstanden unter ebendiesem Paradigma.16 Ebenfalls bedeutend für die universalistische Prägung des europäischen Kulturerbe-Konzepts waren, neben der vergleichenden Sammlung als Aneignung und Unterwerfung, die Eindrücke, die die Zerstörung von kulturellen Objekten in den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts hinterließen. Auch hier sind die Widersprüche offensichtlich. Bereits die Haager Laws and Customs of War on Land von 1899 formulierten unter Artikel 56 einen allgemeinen Schutzstatus für Institutionen der Wohlfahrt, der Bildung sowie der Kunst und der Wissenschaft. Auch historische Monumente und Kunstwerke sollten nach dem 1907 erneuerten Abkommen in kriegerischen Auseinandersetzungen besonderen Schutz genießen. 1916 schrieb der deutsche Kunsthistoriker Paul Clemen in seinem Aufsatz Der Zustand der Kunstdenkmäler auf dem westlichen Kriegsschauplatz angesichts der Zerstörungen von Kulturerbe in Belgien und Frankreich: „[…] so leitet uns einmal mehr der Wunsch, zusammen mit den berufenen und verantwortlichen Verwaltern dieses Gebietes zu überlegen, was hier und auf den anderen Kriegsschauplätzen etwa noch geschehen kann, um ehrwürdigen Kunstbesitz zu schützen, der nicht einer Nation, sondern der ganzen Kulturwelt angehört.“17 Hinter der Formulierung vom „Kunstbesitz“ der „ganzen Kulturwelt“ sowie dem Anspruch, diesen vor (Kriegs-)Zerstörung zu bewahren, ist deutlich das universalistische Verständnis von Kunstgütern im engeren und von Kultur im weiteren Sinne auszumachen. Eben dieses Verständnis institutionalisierten auf internationaler Ebene die Haager Konventionen von 1899 und 1907 sowie unter dem Eindruck der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges explizit die Haager Convention and Protocol for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict von 1954 – allerdings mit zweifelhaftem Erfolg. Dass den politischen Akteuren der universalistische Gedanke im Hinblick auf das kulturelle Erbe Europas offenbar bewusst gewesen ist, änderte nichts an der Tatsache, dass sich die Übereinkünfte, die in diesem Bewusstsein getroffen wurden, in den Kriegen und Konflikten des 20. und 21. Jahrhunderts als nahezu wirkungslos erwiesen haben. Die Erkenntnis ist trivial und ernüchternd gleichermaßen: Vor (exklusiven) nationalen bzw. nationalistischen Interessen, die oftmals mit kriegerischer Gewalt durchgesetzt werden, tritt der (universale) Schutz von Kulturerbe in den Hintergrund. Das konkrete singuläre Interesse setzt sich vor abstrakten kollektiven Interessen durch.
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Willer (2013), 195. Clemen (1916), 1.
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Ein dritter maßgeblicher Einfluss auf das europäische Verständnis von kulturellem Erbe rührt vom erweiterten Kulturbegriff her, der sich in den Geistes- und Sozialwissenschaften etwa ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchzusetzen begann. Er hat sich unmittelbar in den einflussreichen Dokumenten und Richtlinien niedergeschlagen, die für den Umgang mit Kulturerbe in Friedenszeiten universale Geltung beanspruchen. Die 1964 verabschiedete Charta von Venedig, die den Denkmalbegriff und die spezifischen Bedingungen von Konservierung und Restaurierung von historischen Monumenten neu formuliert, verweist noch recht unspezifisch auf die „universelle Geltung menschlicher Werte“, unter denen Denkmäler als „gemeinsames Erbe“ immerhin eine besondere Stellung einnehmen.18 Doch bereits in dem als Welterbekonvention bezeichneten Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt der UNESCO von 1972 bildet der „außergewöhnliche universelle Wert“ des kulturellen und natürlichen Erbes das zentrale Charakteristikum.19 In der Convention for the Safeguarding of the Intangible Cultural Heritage der UNESCO aus dem Jahr 2003 wird der Begriff des kulturellen Erbes schließlich auf immaterielle Gegenstände, das heißt „mündliche Traditionen und Ausdrücke, inklusive der Sprache als Vehikel des unberührbaren Kulturerbes, performative Kunst, soziale Praktiken, Rituale und Feste, Kenntnisse und Praktiken die Natur und das Universum betreffend [sowie] traditionelles Handwerk“ ausgeweitet, deren ständiger Erneuerung (recreation), und damit auch Veränderung, überdies Rechnung getragen werden soll.20 Zur inhaltlichen Erweiterung tritt mit dem Gedanken der permanenten Reproduktion des immateriellen Erbes eine schwer fassbare zeitliche Perspektive hinzu. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung erscheint es einleuchtend, dass die UNESCO als Organisation bemüht ist, der ungleichen Repräsentation der verschiedenen Regionen in der Welterbeliste zu begegnen. Gegen Ende des Jahres 2017 befand sich mit 561 Einträgen über die Hälfte der insgesamt 1.073 Welterbestätten in Europa und Nordamerika. Der inhaltliche Universalismus wird durch eine zunehmend globale Perspektive ergänzt, mit der das Ungleichgewicht in der Verteilung der Welterbestätten ausgeglichen werden soll.21 Damit erweist sich das Konzept des kulturellen Erbes als eines der universalistischen Unternehmen, die für das 20. und 21. Jahrhundert so charakteristisch sind.22 Doch ebenso wie die juristischen und politischen Projekte in Form etwa des Völkerrechts, der (aufgrund 18 19 20 21 22
Charta (1964). UNESCO (1972). UNESCO (2003), Art. 1, 2. Willer (2013), 195. Giesen/Junge (2016), 34 ff.
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der Bedenken einzelner Nationen) nicht über den Status der Erklärung hinausgelangten Universal Declaration of Human Rights, der supranationalen Organisation der Europäischen Union, des zwischenstaatlichen Zusammenschlusses der Vereinten Nationen oder die Vision eines schrankenlosen internationalen Marktes weist auch das Kulturerbekonzept einen immanenten, scheinbar nicht auflösbaren Konflikt zwischen universalem Anspruch und exklusiven Interessen auf. Insbesondere mit dem weltweiten Wiederaufleben des politischen (und kulturellen) Nationalismus im 21. Jahrhundert stoßen die universalistischen Projekte insgesamt an ihre Grenzen. In diesem Zusammenhang darf ein weiteres Phänomen nicht unerwähnt bleiben: Die Deutungshoheit von Spezialisten in Fragen zu Kultur und kulturellem Erbe, die sich noch in der Charta von Venedig und der Welterbekonvention der UNESCO ohne jeden Selbstzweifel präsentiert, wird zunehmend in Frage gestellt. Immer häufiger schalten sich semiprofessionelle Akteure oder sogar fachliche Laien in die relevanten Diskurse ein und wissen diese zu dominieren. Insbesondere in sozialen Netzwerken gelingt es den äußerst heterogenen zivilgesellschaftlichen Akteuren, begünstigt durch neue Medien und die breite Verfügbarkeit professioneller Reproduktionstechnik, einen immensen öffentlichen Druck aufzubauen, wie etwa die Kontroversen um die Rekonstruktion historischer Bauwerke in Dresden, Berlin und Frankfurt am Main gezeigt haben. Neben der inhaltlichen und geografischen Ausweitung des Kulturerbekonzepts ist also ebenfalls eine Ausweitung des Kreises der Akteure in diesem Feld zu beobachten.
UNIVERSALISMUS UND NORMATIVER ANSPRUCH
Die kritiklose Selbstverständlichkeit, mit der sich das universalistische und globale Kultur- und Kulturerbeverständnis in Fachzirkeln, internationalen Organisationen und Abkommen präsentiert, basiert auf einer Täuschung über die kontroverse Geschichte der Kultur- und Kulturerbetheorien, die zu einer starken Verkürzung der Perspektive auf tatsächliche Ereignisse führt. So versucht etwa die Rechts- und Politikwissenschaftlerin Sabine von Schorlemer in ihrer jüngst erschienen Publikation Kulturgutzerstörung dieses Phänomen unter anderem mit einem falschen Verständnis von Kultur zu erklären: „Wiederholt wird das eigene (jedoch von den Angreifern als solches abgelehnte) kulturelle Erbe Opfer der Zerstörung und nicht, wie traditionell in der Historie des Kulturgüterrechts, die Kulturgüter des Gegners;
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subjektiv handelt es sich um eine Fehl-Wahrnehmung von Kultur als ‚fremd‘ und daher zerstörbar“23. Mit ihrer These verkennt von Schorlemer das Problem in mehr als einer Hinsicht. Zunächst fällt auf, dass sie in ihrem äußerst materialreichen Befund – wie übrigens die meisten Arbeiten zur Kulturerbezerstörung – keine Vorstellung darüber entwickelt, was Kultur und Kulturerbe historisch überhaupt sein konnten. Ganz so, als wären diese Gegenstände als bekannt und unstrittig vorauszusetzen; oder als genügte ein normatives Verständnis von Kultur, um den „vernünftigen“ Leser auf seiner Seite zu wissen. Das verwundert nicht nur angesichts der besonderen Problematik des Themas, sondern auch vor dem Hintergrund des vertretenen Anspruchs, Kulturgutzerstörung verständlich zu machen und Perspektiven für einen wirksamen Schutz von Kulturerbe zu entwickeln. Der Autorin musste so entgehen, dass die Perzeption einer Kultur als „fremd“ mitnichten eine „FehlWahrnehmung“ darstellt, sondern diese vielmehr im totalitätsorientierten Kulturverständnis Herders ein historisches Fundament hat, das scheinbar noch immer als plausibel überzeugen kann. Dass diese Wahrnehmung in Expertenkreisen heute als anachronistisch gilt, macht sie nicht unmittelbar und zwangsläufig zur „Fehl-Wahrnehmung“. Vor allem aber mindert es nicht ihre offenbar nach wie vor bestehende soziale Relevanz. Hier schließt ein weiterer folgenreicher Fehler in von Schorlemers These an. In Kulturgutzerstörung wird deutlich, dass die Autorin als Politik- und Rechtswissenschaftlerin, Politikerin, ehemalige Lehrbeauftragte der TU Dresden und Mitglied der UNESCO-Kommission Deutschland eine Expertenperspektive auf die Themen Kultur und Kulturerbe vertritt, deren Konsensfähigkeit außerhalb eines engen Zirkels von Fachleuten fraglich ist. An sich ist das nicht problematisch in einem vielstimmigen Diskurs, doch vertritt von Schorlemer ihre Perspektive mit einem normativen Anspruch, wie die zitierte Passage neben anderen zeigt. Sie behauptet eine historische Folgerichtigkeit der Entwicklung der Kulturtheorien und, was entscheidend ist, auch ihrer Rezeption und Realisierung. Dass diese in der sozialen Realität nicht gegeben ist, geißelt sie als Abweichung von der normativ überhöhten universalistischen Perspektive auf Kultur. So heißt es zum Phänomen der Exklusion und Ausgrenzung des „Anderen“ im kulturellen Erbe: Dies kann man als radikalste Weltsicht der Intoleranz und zugleich Pervertierung des Ideals kultureller Vielfalt interpretieren […]. Wie jedoch auf der von der UNESCO organisierten Konferenz unter dem Titel „New Wars in the 21st Cen23
Von Schorlemer (2016), 151.
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tury – 2000–2014“ mit großer Klarheit deutlich gemacht wurde, müssen wir uns heute die Existenz von Kulturen der Ausgrenzung und Exklusion – die „existence de cultures d’exclusion“ eingestehen.24
Dabei übersieht die Autorin, dass Kultur- und Kulturerbekonzepte neben inklusiven eben auch dezidiert exklusive Bedingungen formulieren. Mit der Kopplung des universalistischen Verständnisses von Kultur an ein normatives wird die Tatsache übergangen, dass Exklusion ein wichtiger – und nicht per se negativer – Mechanismus für die Konstitution einer Kultur und deren Distinktion ist. Ohne Unterscheidung und Abgrenzung von den Gegenständen, mit denen sich ein Kollektiv oder ein Individuum nicht identifizieren kann und will, sind weder Identität noch die kulturelle Vielfalt, von der die Autorin spricht, denkbar. Kultur ist per se inklusiv und exklusiv gleichermaßen. Für kulturelles Erbe gilt das Gebot von Selektion und Exklusion nicht weniger. Bereits 1998 konstatierte der US-amerikanische Historiker David Lowenthal in seinem populären Text The heritage crusade and the spoils of history: „Heritage exaggerates and omits, candidly invents and frankly forgets, and thrives on ignorance and error“25. Ähnlich, wenngleich aktueller, ist die Feststellung des Kultur anthropologen Markus Tauschek aus dem Jahr 2013: „Kulturerbe rekonstruiert und wählt aus; es ist durch entsprechende Institutionen organisiert und erhält durch Mechanismen, Formate und Materialien der Weitergabe eine je spezifische Form […]. Wie dem kollektiven Gedächtnis so ist auch kulturellem Erbe eine wertende, selektive Perspektive inhärent.“26
EXKLUSIVITÄT UND UNIVERSALISMUS – GLEICHZEITIGKEIT DES UNGLEICHZEITIGEN
Dass Instrumentalisierung und Zerstörung von Kulturgut dem „universellen Wertekanon“ der Vereinten Nationen widersprechen, wie die Autorin von Kulturgutzerstörung anmerkt27, erscheint plausibel. Jedoch haben dieser Wertekanon und der erweiterte Kulturbegriff der Wissenschaft (als dessen theoretisches Fundament) die älteren, in Fachkreisen heute als anachronistisch geltenden Konzepte 24 25 26 27
Von Schorlemer (2016), 135. Lowenthal (1998), 121. Tauschek (2013), 77; vgl. Ranger/Hobsbawm (2012); Boschung/Busch/Versluys (2015). Von Schorlemer (2016), 142, 144.
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nicht einfach abgelöst, wie in der Fortschrittsideologie das vermeintlich „Bessere“, „Vollkommenere“ oder „Zeitgemäße“ ein „Schlechteres“, „Unvollkommeneres“ und „Unzeitgemäßes“ ablösen soll. Bereits an dem Versuch der Autorin, das normative Kulturverständnis der Aufklärung, wie es im 18. Jahrhunderts galt, mit seiner Fokussierung auf gesellschaftliche und individuelle Moral, für das universalistische Paradigma in Stellung zu bringen, wird deutlich, dass historisch ältere Konzepte als Teil diskursiver Strategien nach wie vor relevant sind. Das gilt ebenso für das totalitätsorientierte Kulturverständnis Herders und die Orientierung an exklusiven Nationalkulturen, wie Stefan Willer ausgerechnet anhand von Programm und Statuten der UNESCO zeigt: „Die ausdrückliche Kennzeichnung transnational macht deutlich, wie sehr der Weltkulturbegriff der UNESCO nationalstaatlichem Denken verpflichtet bleibt. […] Die Präsentation in Form einer kanonischen Liste macht deutlich, dass das Erbe seinem Wesen nach keineswegs potentiell unendlich, sondern ausdrücklich auf Begrenzung ausgerichtet ist.“28 Hier stößt der „Mythos des Universalismus“29 einmal mehr an seine Grenzen. Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Kultur und Kulturerbe folgt eben keinem Telos. Die verschiedenen Vorstellungen und Konzeptionen existieren nicht vor- und nacheinander, sondern vielmehr diachron und synchron gleichermaßen. Die Annahme, ein abstrakter Universalismus wäre aufgrund seiner angeblich intellektuell und moralisch überlegenen Rechtfertigung für Kollektive und Individuen attraktiver als nicht weniger konstruierte, dafür jedoch konkrete Feindbilder, scheint historisch nicht gerechtfertigt. Vor dem Hintergrund der angesprochenen zunehmenden Beteiligung von Laien in Diskursen zu Kultur und Kulturerbe erscheint der normative Anspruch der Expertengremien heute ohnehin fragwürdig. Akzeptanz und Verständnis dieser Gleichzeitigkeit des nur scheinbar Ungleichzeitigen bilden die wesentliche Voraussetzung für die angemessene Beschreibung und Analyse der Zerstörung von kulturellem Erbe in den Konflikten des 20. und 21. Jahrhunderts. Letzten Endes gilt das auch für den Schutz von kulturellen Artefakten. Durch Gewalt bedrohte Kultur lässt sich, ebenso wie ein Menschenleben, eben nicht durch Empörung und verbalen Tadel, sondern ausschließlich durch den Einsatz von Mitteln schützen, die dieser Gewalt entsprechen. Eine weitere notwendige Zumutung stellt die Einsicht dar, dass die verschiedenen Konzepte von Kultur und Kulturerbe – die universalistische Perspektive eingeschlossen – ungeachtet 28 29
Willer (2013), 193. „Zeitlich entspricht diesem Universalismus ein diesseitiger Fortschrittsglaube, in räumlicher Hinsicht die Behauptung einer globalen Gemeinschaft und in der Reflexion des Sozialen das Konzept einer allgemeinen Vernunft.“ (Giesen/Junge (2016), 34 ff.)
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ihrer moralischen Legitimität zudem Strategien in Diskursen darstellen. Auch das gehört zur häufig bemühten Redewendung von der „kulturellen Vielfalt“. Schließlich ist auch die Zerstörung von Kultur ein immanent kulturelles Phänomen. Kultur und Kulturgutzerstörung in einem antagonistischen Verhältnis zu beschreiben, setzt ein verkürztes, seinen Gegenstand verklärendes Verständnis von Kultur voraus.30 Jeder Prozess kultureller Schöpfung ist auch ein Prozess der Zerstörung und umgekehrt. Wer in konkreten Handlungen bewusst oder unbewusst symbolische Bedeutungen zerstört, stellt andere Bedeutungen her – und vice versa. Das bedeutet keineswegs die moralische Rechtfertigung der Angriffe auf Menschen und Kulturerbe. Vielmehr geht es um die möglichst präzise Beschreibung komplexer Verhältnisse.
ZEITBEZUG
Die historische Ko-Präsenz von exklusiven und inklusiven Tendenzen in Konzepten von Kultur und kulturellem Erbe ist vielleicht der Konflikt mit der größten gesellschaftlichen Tragweite, denn er hat Auswirkungen auf alle weiteren Ebenen dieser Konzepte. Wenn wir mit Lowenthal und Tauschek darin übereinstimmen, dass die Konstitution eines kulturellen Erbes auf Exklusion und Selektion unerwünschter Gegenstände und Bedeutungen beruht (ebenso wie auf der Inklusion erwünschter), dann liegt es nahe, nach Strategien und Begründungen zu fragen, die der Praxis von Auswahl und Ausgrenzung (ebenso wie der Inklusion) zugrunde liegen. Zwar gilt es, diese für den jeweils relevanten Gegenstand individuell und konkret zu erschließen – wir können daher nicht von allgemeinen Regeln sprechen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Konstitution eines kulturellen Erbes kein zufälliger Prozess, sondern ein Produkt sozial geregelter Praxis ist – diese können wir beobachten und beschreiben. Als Form der geregelten Weitergabe von materiellen und immateriellen Gegenständen mit kultureller Bedeutung von einer an die nächste Generation hat Kulturerbe einen immanenten Zeitbezug. „Erbschaft und Testament“ verkörpern die Ordnung der Kultur „in der Zeit“.31 Das mag trivial klingen, jedoch ist, was auf 30
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Auch die verdienstreichen Autoren Slavko und Ivo Goldstein etwa fragen sich, ein normatives Kulturverständnis absolut setzend, in ihrer jüngsten Publikation zum Holocaust in Kroatien zwischen 1941 und 1945: „[…] how it was possible for communities in which culture and civilization flourished – and Zagreb was undoubtedly one of them – to suddenly turn into scenes of mass crime and savagery?“ (Goldstein/Goldstein (2016), 103). Vedder (2013), 126.
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der einen Seite Kontinuität und Überleben sowohl im symbolischen als auch im pragmatischen Sinn gewährleisten soll, auf der anderen Seite eine Zumutung und konfliktär. Mit der Erbschaft dehnt der Erblasser seinen Einfluss über die Zeit auf potentielle Erben aus – und schränkt damit deren Möglichkeiten zur Individualisierung ein. Die Konstitution eines kulturellen Erbes erfolgt auf der Basis von diskursiven Strategien, die geeignet sind, zukünftige Generationen zu binden. Sie wählt Gegenstände aus Vergangenheit und Gegenwart, um mit ihnen Zukunft zu „machen“. Mit diesem quasi doppelten Zeitbezug eines kulturellen Erbes auf Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen ist das problematische Verhältnis von Erbe und Erben angesprochen, mit dem neben die potentiellen synchronen Konflikte, die sich aus kultureller Diversität im Raum ergeben können, diachrone Konflikte treten, die aus der Ordnung der Kultur „in der Zeit“ resultieren. Zumindest im juristischen und gesellschaftlich-kulturellen Sinn (und zunehmend auch im biologischen) ist es ebenso möglich ein Erbe anzunehmen, wie es auszuschlagen. Man kann sich mit der Rolle des Erben identifizieren – oder eben nicht. Beide Formen der Kenntnisnahme – Affirmation oder Negation – haben gesellschaftliche Folgen, wie die kontroversen Diskussionen über die Verbrechen der Nazidiktatur oder das Fundament der Tradition der Bundeswehr zeigen.
BILDLICHKEIT
Ein weiterer Konflikt, der eine vertiefte Betrachtung verdient, geht mit der Reduktion der sozialen Komplexität eines kulturellen Erbes einher. Wir haben uns mehr oder weniger daran gewöhnt, nach einem sehr populären Verständnis vor allem manifeste Objekte in Form von historischen Bauwerken oder beweglichen Objekten der Kunst und des Kunsthandwerks als Kulturerbe zu verstehen. Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass es sich hier um Gegenstände handelt, die bildlich oft recht einfach zu reproduzieren sind. Ein populäres Kulturerbe ist ein positives Erbe im doppelten Wortsinn. Die Lesart, nach der auch immaterielle Gegenstände wie etwa Sprachen und Praktiken zum Kulturerbe gehören, ist hingegen noch jung und dementsprechend wenig präsent im Diskurs. Das liegt auch daran, dass die bildliche Reproduktion dieser Gegenstände nicht immer einfach, manchmal sogar unmöglich ist. Noch weniger präsent in einem populären Verständnis von Kulturerbe ist der Umstand, dass auch das Sprechen über ein spezifisches kulturelles Erbe in Form von mündlich oder schriftlich reproduzierten Texten zu diesem Erbe gehört – wenn es nicht sogar seinen größten Teil ausmacht. Dieses fehlende bzw. schwach ausgeprägte Bewusstsein bedeutet
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eine zum Teil drastische Reduktion der Komplexität von Kulturerbe. Diese findet ihre Entsprechung in der Repräsentation von Gegenständen der Kultur, in der Bildern zumindest in der populären Wahrnehmung eine immer größere Bedeutung zukommt, Texten hingegen eine zunehmend geringere. Das Abbild des manifesten Monuments verstellt das Monument des Textes. Dabei geht die Einsicht verloren, dass ein Bild eben nicht mehr als tausend Worte sagt – sondern exakt nur das, was der dem Interpreten des Bildes verfügbare Text mitzuteilen vermag. Die Bedeutung des Abgebildeten fällt größer oder geringer aus mit dem verfügbaren und bewusst gemachten Text. Im Grunde handelt es sich um ein semiotisches Problem. Das Bewusstsein über die Differenz zwischen Gegenstand, Bild und Abbild ist abhängig vom (textbasierten) Wissen eines Individuums oder Kollektivs32. Ein komplexes Verständnis von Kulturerbe basiert nicht auf einer seiner gesellschaftlichen Bedeutungen, die umfassend bewusst gemacht und vertreten wird. Es bezieht sich vielmehr auf sämtliche Bedeutungen, die einem Gegenstand zugeschrieben wurden und werden, und versucht überdies, die diesen Zuschreibungen zugrunde liegenden Wissenssysteme möglichst transparent zu machen – denn auf der Basis dieser Systeme wird das, was wir Kulturerbe nennen, überhaupt erst konstituiert. Dabei lässt sich das Phänomen der unterkomplexen Deutung eines Kulturerbes keineswegs auf den Kreis der sogenannten Laien eingrenzen. Hochglanzprospekte, Reiseführer, Postkarten, Wandkalender, Kunstdrucke, Internetpräsentationen sowie die Vermarktung von Kulturerbe im Tourismusbetrieb sind nur einige Institutionen der Reproduktion einer nicht notwendig, jedoch allzu oft tatsächlich verkürzten Perspektive. Auch Expertenwissen kann mitunter eine dramatische Verkürzung bedeuten, wenn etwa, wie dargelegt, ein normatives Kulturverständnis in Anschlag gebracht und „Kultur“ auf das „Gute“ reduziert wird, was im Kompositum „Kulturgut“ zum Ausdruck kommt. Das Kultur-Schlechte hat darin keinen Platz. Zwar erscheint es plausibel, den Umgang mit kulturellen Objekten unter juristischen, konservatorischen und moralischen Maßstäben als „richtig“ oder „falsch“ zu bewerten – für ein heuristisches Instrumentarium, das Kulturerbezerstörung verstehbar machen soll, ist der Wert solcher Kategorien zumindest zweifelhaft. Wenn aber unter uns Einigkeit über die Notwendigkeit des Schutzes von Kulturerbe besteht, müssen wir es zuerst umfänglich verstehen lernen.
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Brock (2002), 22 ff.
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WAS GEHÖRT ZUM KULTURELLEN ERBE?
Mit dem komplizierten Verhältnis von bildlicher und textlicher Ebene im Konzept des kulturellen Erbes ist eine weitere Form der Exklusion angesprochen. Sie lässt sich am besten anhand einer Reihe nach wie vor aktueller Fragen verdeutlichen: Gehört ein historischer Gegenstand, mit dem sich ein Individuum oder ein Kollektiv aus Scham, ästhetischem Empfinden oder aufgrund von Verdrängungs- oder Leugnungsstrategien nicht identifiziert auch zu dessen Kulturerbe? Wer nimmt diese Zuschreibung vor, wenn nicht das betroffene Kollektiv oder Individuum selbst? Wer bestimmt Umfang und Qualität des Erbes und die Konsequenzen, die daraus resultieren? Der Kunsthistoriker Norbert Huse ist diesen Fragen anhand Unbequeme[r] Baudenkmale bereits 1997 nachgegangen.33 In seinem bekannten Text stehen vor allem historische Architektur der NS-Diktatur und der DDR sowie Mahnmale, die an beide Diktaturen erinnern, zur Disposition. Nichtsdestoweniger hält der Autor den gesellschaftlichen Kontext, auf den diese Objekte verweisen, präsent und vertritt damit ein komplexes Verständnis von Kulturerbe. Die Feststellung, dass die bildliche Reproduktion des unbequemen Erbes weit hinter der positiv assoziierter Gegenstände zurückbleibt, muss nicht besonders betont werden. Erwähnenswert jedoch ist die gesellschaftliche Wahrnehmung, die in der bildlichen Reproduktion von Gegenständen der Kultur nachvollziehbar wird.
ERBE UND ERBEN
Über die Frage nach dem Erbe gerät häufig die Frage nach den Erben aus dem Blick. Wenn wir uns mit Strategien der Ex- und Inklusion im Hinblick auf die Tradierung kultureller Gegenstände beschäftigen, dürfen wir nicht vergessen, dass diese reziprok auch auf den Kreis der Erben wirken – ohne die es kein Kulturerbe gäbe. So kann man fragen, welchen tatsächlichen Anteil am kulturellen Erbe der überwiegende Teil der Individuen einer Gesellschaft hat, der nicht einem der exklusiven Zirkel von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik angehört, die traditionell Deutungshoheit beanspruchen. Die Frage zielt mitnichten auf die Produktion von Bedeutung für kulturelle Gegenstände. Diese kann nicht ausschließlich bestimmten Individuen oder Kollektiven zugeschrieben werden. Sie hat vielmehr die graduell abgestufte Verfügungsgewalt über kulturelle Objekte im Blick, die sich im wechselseitigen Verhältnis von Bedeutung und Instrumentalisie33
Huse (1997).
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rung von Bedeutung für konkrete Zwecke ausdrückt. Auch hier scheint Imagination, vor allem bildliche Reproduktion, eine besondere Rolle zu spielen. Nach Susan Sontag stellt die häufigste Form der Aneignung von (kulturellen) Objekten in der sogenannten Moderne ihre Abbildung (Fotografie) dar.34 Die Kamera ist als Instrument der Produktion und Reproduktion von Kulturerbe unabkömmlich geworden. Ohne sie existieren in der Wahrnehmung weder die Aufführung traditioneller Tänze in Westafrika noch historische Altstadtsilhouetten in Europa, die nicht selten auch wegen ihrer Bildwirkung (re)konstruiert wurden und werden. Das Bild scheint hier die Währung zu sein, die für den Verlust an individuellen Zugriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten in einer zunehmend über abstrakte Prozesse organisierten Gesellschaft entschädigt, die dem Anspruch demokratischer Verfasstheit nicht mehr in jeder Hinsicht und konkret gerecht werden kann. Dabei reicht das Phänomen der imaginierten Aneignung von kulturellen Gegenständen vor die Innovation der Fotografie zurück. Hans Belting hat das an der Rolle des Bildes für die christliche religiöse Praxis gezeigt.35 Auch die große Zahl von Mythen, die sich um kulturelle Gegenstände weltweit ranken36, inbegriffen die verschiedenen Gründungsmythen der europäischen Nationen37, die selbst Kulturerbe sind und sich häufig auf kulturelles Erbe beziehen, sind ebenfalls Formen der imaginierten Aneignung ihres Gegenstands. Schließlich existiert keiner der hier geschilderten Konflikte, die sich im Zusammenhang mit dem Konzept des kulturellen Erbes ergeben, für sich allein. Vielmehr weisen sie Verbindungen und Überschneidungen auf. Im Zuge der intergenerationellen Weitergabe von kulturellen Gegenständen werden in der Regel ebenso Fragen nach Relevanz, Deutungshoheit und gesellschaftlicher Beteiligung aufgeworfen. Das Problem der Exklusion im kulturellen Erbe wiederum ist, wie ich bereits deutlich gemacht habe, ein immanent politisches und wird deswegen – nicht zwingend, jedoch häufig – im Zusammenhang mit primär politischen Konflikten relevant.
34 Sontag, In Platos Höhle, in: Dies. (2006). 35 Belting (2006). 36 Krüger/Stillmark (2013). 37 Berding (2016).
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INSTRUMENTARIUM
Bei der Analyse der Zerstörung von Kulturerbe gilt es also, das Verhältnis von In- und Exklusionsstrategien und deren Begründungen ebenso zu berücksichtigen wie die Konflikte, die sich aus der intergenerationellen Weitergabe von Gegenständen der Kultur ergeben. Weder darf die Analyse die Beziehungen vernachlässigen, die zwischen der bildlichen und textlichen Reproduktion von Kulturerbe bestehen, noch die Konflikte, die aus den unterschiedlich privilegierten Zugriffsmöglichkeiten auf kulturelle Objekte resultieren. Von nicht geringem Interesse ist ebenfalls das Verhältnis von Wissensproduktion und tatsächlichen gesellschaftlichen Praktiken im Umgang mit Kulturerbe. Schließlich müssen für eine angemessene Beschreibung die Ereignisse des Betrachtungszeitraums in einem größeren historischen Kontext verortet werden. Vor dem Hintergrund der geschilderten Problemlage erscheint es sinnvoll, die kollektiven Sinnsysteme und Wissensordnungen der Kollektive zu rekonstruieren, die an der Zerstörung von Kulturerbe beteiligt waren bzw. deren kulturelles Erbe zerstört wurde. Dies lässt sich meines Erachtens am besten bewerkstelligen, indem man die Texte untersucht, die diese Zerstörungen zum Gegenstand haben; Texte, die von dem Anspruch getragen sind, die Zerstörungen nach ihrer Realität abzubilden – ganz gleich, ob sie diesen Anspruch auch erfüllen können. Hier sind sowohl die Texte interessant, die betroffene Kollektive und Individuen produziert haben, als auch die Rechtfertigungsstrategien der Täter (wenn es sie gibt). Ebenfalls von Interesse sind die Perspektiven außenstehender, in die Zerstörungen nicht unmittelbar involvierter Individuen und Institutionen, etwa von internationalen Experten, politischen und kulturellen Körperschaften sowie einzelnen Politikern oder Journalisten. Für die Untersuchung dieser Texte stellt die Diskursanalyse ein geeignetes Instrumentarium innerhalb der strukturalistischen Kulturtheorien, die einen „bedeutungs-, symbol- und wissensorientierten Kulturbegriff “38 vertreten, zur Verfügung. Die von dem französischen Soziologen, Historiker und Philosophen Michel Foucault begründete und im deutschsprachigen Raum etwa von Achim Landwehr als historische39 und Siegfried Jäger als kritische Diskursanalyse40 weiterentwickelte Theorie geht davon aus, dass die sozialen Wissensvorräte41 einer Gesellschaft in 38 39 40 41
Reckwitz (2012), 86. Landwehr (2008). Jäger (2009). Jäger (2009), 158.
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deren Diskursen konstituiert, verhandelt, tradiert und transformiert werden und solchermaßen die Bedingungen für sämtliche in dieser Gesellschaft als gültig akzeptierte Aussagen darstellen. Als wahr gilt, was im „Wahren“ des Diskurses42, das heißt nach der Verfasstheit der Wissensordnung als wahr sagbar ist. Dabei ist das Verhältnis von Gesellschaft und Wissensordnung komplementär. Als die Gesamtheit des gesellschaftlich verfügbaren Wissens unter seiner spezifischen Ordnung prägt die Episteme43 das Individuum ebenso, wie dieses auf das gesellschaftliche Wissen durch sein Sprechen und Handeln im Diskurs zurückwirkt.44 Eine Rechtfertigung für grenzenlosen Relativismus ist das nicht. Ein häufig reproduziertes Missverständnis betrifft den Wahrheitsbegriff, den man aus Foucaults Werk herauslesen wollte. Der konstruierte Charakter kollektiver Wissenssysteme, zu großen Teilen arbiträr, abhängig von Konventionen und schließlich durch Zeichensysteme vermittelt – auf die ebensolches zutrifft –, führt mitnichten zur Aufhebung des Faktischen und der Empirie. Es relativiert lediglich deren Interpretation – und sagt oft mehr über die Interpreten als ihren Gegenstand aus. Es ist eben nicht die Vielfalt des potentiell Beobachtbaren, die die Geisteskrankheit, das Tableau der Arten, das Strafwürdige konstituiert, sondern vielmehr die je spezifische Art der Abstraktion davon. Die so gewonnenen Ordnungen sind nicht die Dinge, auch wenn sie auf deren Wahrnehmung zurückwirken. Die Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen ist keine diskursive Konstruktion – ihre Deutung schon. Die (oft genug schäbige) Relativierung historischer Tatbestände ist möglich aufgrund der begrenzten Leistungsfähigkeit von Zeichen – zur Fiktion wird Geschichte deswegen nicht. Um über die Diskurse einer Gesellschaft deren Sinnsystem und Wissensordnung zu erschließen, gilt es einerseits, den textbasierten Teil der Diskurse zu analysieren. Anderseits müssen die den Text hervorbringenden Individuen und Institutionen nach ihrer besonderen Charakteristik und Stellung in den Diskursen beschrieben werden. Dabei geht es primär nicht darum, Texte und Handlungen einer Gesellschaft interpretativ zu erklären. Im Vordergrund stehen zunächst einmal deren Beschreibung und die Erfassung von Interdependenzen zwischen verschie42 43 44
Foucault (2012), 25. Foucault (1981), 272 ff. „Foucault bzw. seine Diskurstheorie leugnet nicht, wie ihm oft zum Vorwurf gemacht worden ist, das Subjekt. Er will zu einer Geschichtsanalyse gelangen, die die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang, im sozio-historischen Kontext, also in synchroner und diachroner Perspektive zu klären vermag. Das ist nicht gegen das Subjekt gerichtet, sondern nur gegen Subjektivismus und gegen Individualismus.“ (Jäger (2009), 154).
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denen Akteuren und Texten, wo diese sichtbar werden. Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, die relevanten Akteure zu Wort kommen zu lassen und deren Perspektive nachvollziehbar zu machen. Darüber hinaus soll über die Rekonstruktion des gesellschaftlich verfügbaren Wissens zu einem bestimmten Gegenstand deutlich gemacht werden, warum die Aussagen in den untersuchten Texte so ausgefallen sind und nicht anders. Diskursanalyse ist damit ein vordergründig deskriptives Verfahren. Damit ist zunächst die synchrone Ebene der Analyse angesprochen – das heißt die Untersuchung der Gesamtheit gleichzeitiger Aussagen zu einem bestimmten Gegenstand des Wissens. Ohne die historische Verortung der Ereignisse in einer diachronen Betrachtung45, die nach der Herkunft, Überlieferung und gegebenenfalls Transformation bestimmter Aussagen im Diskurs fragt, muss die Beschreibung des Gegenstandes jedoch unvollständig bleiben. Das bedeutet mitnichten, eine Teleologie der Ereignisse zu konstruieren und damit die Behauptung aufzustellen, dass diese so und nicht anders haben stattfinden können. Es gilt vielmehr, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass „Wissen und Wirklichkeit […] immer kulturell vermittelt“ sind und „wir unsere Welt nie frei einrichten können (und selbst dann wäre sie ein kulturelles Gebilde), sondern sie schon immer eingerichtet, das heißt geordnet und mit bestimmten Sinnmustern versehen, vorfinden“.46 Damit ist zur Sprache gebracht, was Foucault als das „historische Apriori“47 von Wissensordnungen beschrieben hat. Diese werden eben nicht von jeder Generation neu konstituiert, sondern ebenfalls kulturell tradiert. Hier werden die Wechselbeziehungen deutlich, die zwischen Sinnsystem oder symbolischer Ordnung48 und kulturellem Erbe bestehen, das einen Teil dieser Ordnung bildet. Sie werden stets insgesamt als prekär wahrgenommen. Gemeinsam werden sie zwar niemals unverändert übernommen, sondern vielmehr in sozialen Prozessen fortlaufend transformiert. Dabei kann es bisweilen auch zu fundamentalen Brüchen kommen. Foucault hat diese Zäsuren etwa am historischen Diskurs zum Wahnsinn49, zur Klinik als Praxis und Institution50 oder den gesellschaftlichen Strafpraktiken51 beschrieben. Jedoch ist das Wissenssystem einer Gesellschaft auch nicht frei von Kontinuitäten. Ein Großteil der in einer Gesellschaft verfügbaren Wissensbestände wird kulturell tra45 46 47 48 49 50 51
Jäger (2009), 158 ff. Landwehr (2008), 91 ff. Foucault (1981), 183 ff. Reckwitz (2012), 84. Foucault (2013 (1961)). Foucault (1991 (1963)). Foucault (1994 (1975)).
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diert und ist somit ein kulturelles Erbe. Siegfried Jäger hat Diskurse als „Flüsse von sozialen Wissensvorräten durch die Zeit“ beschrieben, um die diachrone Dimension der Diskursanalyse plausibel zu machen.52 Die Möglichkeiten zur Individualisierung sind insofern durch das kulturell Überkommene zumindest zu einem großen Teil determiniert, das heißt limitiert. Selbst das als „neu“ Wahrgenommene besteht aus Versatzstücken des „Alten“, dessen es zumindest als Folie bedarf, von der es sich als „neu“ abheben kann. Schließlich soll so einer Diskursstrategie vorgebeugt werden, die destruktive oder negativ bewertete Elemente der eigenen Identität externalisiert und sie auf das jeweilige Gegenüber, das „Andere“, projiziert. Mit dieser Strategie wird unterschlagen, dass beides, sowohl das „Andere“ als auch das „Eigene“, kritikwürdige Konstrukte sind. Gerade im Hinblick auf den Balkan und dessen angeblich per se kriegerischen Gesellschaften verzeichnet diese Strategie als Produkt kultureller Imagination historische Kontinuität, wie die bulgarische Historikerin Maria Todorova überzeugend dargelegt hat.53 Mit der Bezeichnung „Balkan“ wird im populären Sprachgebrauch zumeist das Defizitäre eines lediglich vage umrissenen Gegenstands im Unterschied zum in jeder Hinsicht überlegenen Nicht-Balkan, meist dem sogenannten „Westen“, belegt.54 Damit werden der Balkan und sein jeweils Anderes als kulturelle Totalitäten beschworen – die in dieser Verkürzung jedoch nicht existieren.55 Auch wenn nicht immer eine negative Konnotation intendiert ist, markiert die Rede vom Balkan doch stets unterschwellig eine Differenz, die über die Bezeichnung eines geografischen Raumes hinausreicht. Das wohl berühmteste poetische Monument hat dieser Denkfigur der Differenz der Autor Ivo Andrić mit dem Roman Die Brücke über die Drina (Na Drini ćuprija, 1945) errichtet, für den er 1961 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Mit seinem Text hat Andrić erheblich dazu beigetragen, dass das Symbol der Brücke als Markierung angeblich fundamentaler Unterschiede zwischen „östlicher“ und „westlicher“ Kultur in Wissensordnungen auch über die Region hinaus eine prominente Stellung erhielt. Inwiefern die Brücke, die im ostbosnischen Višegrad den Fluss Drina seit dem Ende des 16. Jahrhun52 53 54 55
Jäger (2009), 158. Todorova (2009). Übrigens sowohl als Selbstbezeichnung in der Region als auch als Bezeichnung außerhalb derselben. Katastrophal und irreführend in diesem Zusammenhang ist die Feststellung einer angeblich besonderen „Gewalttradition“ des Balkans, wie sie jüngst erst Alexander Korb in seiner sonst ausgezeichneten Studie zur Gewalt der kroatischen Ustaša gegen Serben, Juden und Roma 1941–1945 getroffen hat (Korb (2013), 311 ff.).
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derts überspannt, auch als Symbol der Verständigung interpretiert werden kann, darüber lässt sich streiten.56 Immerhin muss erst einmal ein Abgrund konstatiert werden, bevor man eine Brücke über diesen errichten kann. Wie auch immer dieser Streit entschieden wird – festzuhalten bleibt, dass die Externalisierung negativer Elemente im Sinne einer Differenz unter anderem die willkürliche Grenzziehung zwischen angeblich „hohen“ und „primitiven“ Kulturen, zwischen „Kulturen der Zerstörung“ und Kulturen schöpferischer Kreativität, zwischen „guten“ und „schlechten“ Kulturen intendiert. Das Ziel dieser diskursiven Strategie ist letztlich die Behauptung kultureller Überlegenheit, aus der sich wiederum andere Privilegien, etwa Deutungshoheit und Herrschaftsansprüche, ableiten lassen. Letzten Endes dient sie auch der Negation eigener Verantwortung, was sich bereits aus einer oberflächlichen Betrachtung der Kriege des 20. Jahrhunderts leicht erschließt.
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Vgl. Sundhaussen, Sarajevo… (2014), 14 ff. Letztlich ist die andauernde Kontroverse über Andrićs Werk darauf zurückzuführen, dass sich seine Interpreten nicht dazu durchringen konnten und können, Andrićs Verhaftung in einem totalitätsorientierten Kulturverständnis zu konstatieren. Die Frage, ob Andrić Nationalist oder bekennender Jugoslawe war (sicherlich war er zu verschiedenen historischen Zeitpunkten sowohl das eine als auch das andere) tritt meines Erachtens in den Hintergrund angesichts eines Werks, das Typen und Differenzen beschreibend konstruiert und verfestigt. Die Typologien Andrićs sind schöpferisch im besten Sinne des Wortes.
2 Kultur, Erbe und Konflikte in Jugoslawien bis zu den Kriegen 1991–1999
2.1 Heterogenität des kulturellen Erbes
Was aber bedeuten diese Überlegungen für die Beschreibung der Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen? Vergegenwärtigen wir uns die Situation in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zu Beginn der 1990er Jahre. Anhand des kulturellen Erbes und dessen Stellung in den gesellschaftlichen Konflikten können wir den zunächst aus historisch-theoretischer Sicht beschriebenen Problemkomplex auch anhand konkreter Beispiele nachvollziehen. Die jugoslawische Föderation bestand seit ihrer Gründung 1945 aus den sechs konstitutiven Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Makedonien, Bosnien und Herzegovina sowie den beiden autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo. Von diesen politischen Entitäten hatten genaugenommen nur zwei – Serbien und Montenegro – bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Form von Monarchien als souveräne Staaten existiert. Die Kroaten hatten sich nach 1918 und dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns förmlich in die Union mit Serben und Slowenen in einem gemeinsamen Königreich geflüchtet, um der Annexion durch Italien zu entgehen, das den Krieg auf der Seite der Entente beendet hatte.57 Einen souveränen kroatischen Staat hatte es zuvor nicht gegeben. Ebenso wie die Kroaten waren auch die Slowenen bis 1918 eine Ethnie im multiethnischen Imperium Österreich-Ungarn gewesen. Die Republik Makedonien wiederum war erst im August 1944 durch den Antifaschistischen Rat der Volksbefreiung in Makedonien (ACНOM, lat. ASNOM)58 gegründet worden.59 In Bosnien und Herzegovina bestand die Bevölkerung aus Muslimen, Katholiken und orthodoxen Christen. Letztere verstanden sich mit der im späten 19. Jahrhundert in der Region etablierten Identifikation von Religion und Nation überwiegend als Kroaten und Serben. Von der Gründung der Teilrepublik Bosnien und Herzegovina 1945 verspra57 58 59
Polónyi (2010), 82; Behschnitt (1976), 349; Goldstein (1999), 111, 112; Buchenau (2004), 58, und (2006), 57. Антифашистичко Собрание на Народното Ослободување на Македонија. Shea (1998), 153, 156.
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chen sich die jugoslawischen Kommunisten unter anderem eine Entschärfung der Spannungen zwischen den drei Bevölkerungsgruppen, die sich historisch immer weiter zugespitzt hatte. Überdies sollte den wiederholt vorgebrachten territorialen Ansprüchen Serbiens oder Kroatiens in dieser Region endgültig die Grundlage entzogen werden. Die autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina wurden vor dem Hintergrund des starken ungarischen bzw. albanischen Bevölkerungsanteils in diesen Gebieten ins Leben gerufen. Zwar gehörten die Provinzen offiziell zur Teilrepublik Serbien, nichtsdestoweniger wählten sie eigene politische Vertretungen in Form von regionalen Parlamenten.60
OSMANISCHES KULTURERBE
Ein großer Teil des Territoriums, auf dem sich 1918 mit dem Königreich Jugoslawien61 ein erster jugoslawischer Staat formierte, gehörte länger als ein halbes Jahrtausend, von der Mitte des 14. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, zum Osmanischen Reich. Mit dem Vorrücken der Osmanen, von der Besetzung der Dardanellen 1355 unter Sultan Orhan (reg. 1326–1360)62, über die Eroberung Belgrads 1521 und den Sieg über die Ungarn bei Mohaćs nur fünf Jahre später, bis zur zweiten Belagerung von Wien 1683, gelangte der Islam als Religion und Kulturform in diesen Teil Europas. Die ursprünglich aus Anatolien in Kleinasien stammende Herrscherdynastie gründete an der Stelle älterer Siedlungen neue Städte (Sarajevo, Mostar, Travnik, Počitelj63) oder überformte, was häufiger der Fall war, mittelalterliche Stadtstrukturen (Skopje, Belgrad, Niš, Prizen) nach dem Vorbild orientalischer islamischer Städte64. Zu deren charakteristischen Merkmalen gehörten „dem islamischen Lebensstile eigentümliche Elemente“65, das heißt eine Haupt- oder Freitagsmoschee (ulu (velika) džamija, džuma džamija), getrennte Wohn- und Marktviertel, ein zentraler Marktplatz (čaršija), nach Religion und ethnische Zugehörigkeit sepa60 61 62 63 64 65
Vgl. Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 81 ff. 1918 zunächst als Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca) gegründet. Seit 1929 Königreich Jugoslawien (Kraljevina Jugoslavija). Majoros/Rill (1994), 105. Vgl. Sundhaussen, Sarajevo… (2014), 21 ff., 30–38, 44. Die orientalisch islamische Stadt wird in der einschlägigen Forschung von der vor-islamischen Stadt unterschieden. Vgl. Wirth (2002), 7; Dettmann (1969), 200; Hofmeister (2005), 96; Heineberg (2014), 310. Kissling (1968), 74.
2.1 Heterogenität des kulturellen Erbes |
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rierte Wohnviertel (mahale), die Derwisch-Konvente (tekije), religiöse Stiftungen (vakuf, Pl. evkaf), bestehend etwa aus Primär- und Sekundarschulen (mekteb, medrese), Suppenküchen (imaret), öffentlichen Bädern (hamam) und Krankenhäusern (hastahane) sowie in einigen Fällen eine Stadtfestung (kaljaja, kale).66 Die Osmanen installierten in den eroberten Gebieten eigene Verwaltungs- und Rechtsstrukturen, in die sie ältere lokale Administrationen einbanden oder in einigen Fällen parallel dazu fortbestehen ließen, wie es der Machterhalt verlangte. Religion, Architektur, Recht und Verwaltung waren jedoch nicht die einzigen Neuerungen, die mit dem osmanischen Islam in das südöstliche Europa gelangten. Die kulturelle Überformung ließ auch ganz alltägliche Bereiche wie Sprache, Speisen, Musik und die Handwerkstradition nicht unberührt. Nachdem diese ursprünglichen Besonderheiten in einigen Gebieten der Balkanhalbinsel über fünfhundert Jahre als feste Lebensbestandteile kultiviert und tradiert worden waren, verwundert es nicht, dass muslimische Gemeinden dieses Erbe pflegten, auch lange nachdem sich die Osmanen nach den lokalen Aufständen des 19. Jahrhunderts, dem Russisch-Türkischen Krieg von 1878 sowie den Balkankriegen 1912 und 1913 endgültig aus diesem Teil Europas zurückgezogen hatten. Kultur und Religion des Islam in ihrer spezifischen regionalen Prägung haben in mehr oder weniger großen muslimischen Gemeinden in allen auf das Osmanische Reich folgenden politischen Gebilden der Balkanhalbinsel überdauert. Vor dem Ausbruch der Kriege 1991 waren sie besonders stark ausgeprägt in Teilen Bosnien und Herzegovinas, Makedoniens sowie in Kosovo. Aber auch in Kroatien, Serbien und Montenegro existierten (und existieren bis heute) größere muslimische Glaubensgemeinschaften – etwa in der kroatischen Hauptstadt Zagreb oder in Südserbien; dort vor allem entlang der Grenze zu Kosovo im Preševo-Tal oder im sogenannten Sandschak von Novi Pazar67. Schließlich ist das kulturelle Erbe der osmanischen Periode auch in den alltäglichen Gepflogenheiten der übrigen Bevölkerung der ehemaligen jugoslawischen Republiken etwa in Form von Turzismen68, den türkischen Lehnwor66
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Dettmann (1969), 201–204; Wirth (2002), 515 ff.; Hofmeister (2005), 96–99; Heineberg (2014), 311; insbesondere für die osmanisch islamische Stadt auf der Balkanhalbinsel: Kissling (1986); die wohl umfangreichste (und ausführlichste) Beschreibung in Sundhaussen, Sarajevo… (2014), 21 ff. Ich verwende die slawisierte Form der Turzismen. Sandschak (serb. Sandžak, türk. sancak) bezeichnet eine osmanische Verwaltungseinheit unterhalb der größten Einheit, dem Eyalet (Vilajet). Der Sandschak von Novi Pazar liegt zu beiden Seiten der Grenze im heutigen Montenegro und Serbien (Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 226, 595, 596). Mehr 8000 Turzismen existieren in der serbischen Sprache, behauptet die Journalistin Violeta Talović im Anschluss an die Orientalistin Olga Zirojević in den serbischen Večernje Novosti (Abendneuigkeiten) 2013 (Talović (2013)).
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ten, Speisen oder schlichtweg als das vom „Unseren“ (naši) verschiedene „Deren“ (vaši), als Markierung von Differenz, präsent.
DAS ERBE DES CHRISTLICHEN MITTELALTERS
Älter als die überkommenen Gegenstände osmanisch-islamischer Kultur war das christlich-mittelalterliche Erbe auf dem Territorium der jugoslawischen Föderation. Aus der Zeit des serbischen Königreichs, gegründet durch den Stammvater der Nemanjiden-Dynastie Stefan Nemanja (1166–1196), das seinen Kern in der historischen Region Raška (Raszien), im Südwesten des heutigen Serbien, um die Stadt Novi Pazar und dem Norden Kosovos hatte, und unter Stefan Uroš IV. Dušan (1331–1355) seine größte Ausdehnung aufwies69, stammten orthodoxe Klöster und Kirchen in Makedonien, Kosovo, Südserbien, Montenegro und der östlichen Herzegovina – darunter die berühmten Klöster Visoki Dečani (1327–1335) und Gračanica (1321), die sich heute in Kosovo befinden. Aus späteren Epochen waren zahlreiche weitere orthodoxe Kirchen und Klöster in Makedonien, Serbien, Bosnien-Herzegovina und Kroatien erhalten; unter ihnen auch die eindrucksvollen Holzkirchen, die Crkva Brvnara, die zumeist im 19. und 20. Jahrhundert errichtet worden waren. Überall dort, wo Menschen orthodoxen Glaubens lebten und sich zu Gemeinden zusammengeschlossen hatten, wurde selbstverständlich auch das immaterielle kulturelle und religiöse Erbe gepflegt und tradiert – etwa in Form von Heiligenverehrung, Ikonenmalerei, Familienfesten (Slava) und dem Vortrag von Heldenepen durch den Guslar70. Nicht zuletzt gehört zum kulturellen Erbe auch die besondere Form der Sprache, die seit dem Abkommen von Novi Sad (Novosadski dogovor) von 1954 zwar offiziell generalisierend als Serbokroatisch bezeichnet wurde, nichtsdestoweniger regional in Varianten (štokavisch, kajkavisch und čakavisch71) gesprochen bzw. in lateinischen oder kyrillischen Buchstaben (Serbien, Makedonien) geschrieben werden konnte. Ebenfalls aus diesem und späteren Zeiträumen waren auf jugoslawischem Territorium zahlreiche katholische Kirchen und Klöster erhalten. Deren größter Teil befand sich auf dem Gebiet der Teilrepubliken Slowenien und Kroatien entsprechend dem historisch hohen Anteil Katholiken in der Bevölkerung. Jedoch 69 70 71
Malcolm (1998), 48 ff. „Der Guslar ist ein Sänger von Volksliedern und -epen, der sich auf der ‚Gusla‘, einem ein-, seltener auch zweisaitigen Streichinstrument, begleitet“ (Polónyi (2010), 496). Vgl. Strahl (2010), 38, Anm. 183. Nach den jeweils verschiedenen Fragepartikeln što (šta), kaj und ča.
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existierten auch in Bosnien und Herzegovina wie Kosovo größere katholische Gemeinden mit eigenen sakralen Bauwerken. Weltweit berühmt waren bereits 1990 die historischen Stadtkerne der Adriahäfen Zadar, Šibenik, Split und Dubrovnik, deren komplexe architektonische Ensembles römisch-antikes und christlich-mittelalterliches Erbe vereinen. Weniger bekannt, jedoch kulturhistorisch nicht minder bedeutend, waren die sakralen Bauwerke der sogenannten Franziskanerprovinz Bosnien im Westen Jugoslawiens/der jugoslawischen Föderation, die sich von Banja Luka bis in die Herzegovina erstreckt, wo sie über das Neretva-Tal mit der dalmatinischen Küstenregion verbunden ist. Die Gründungen von Kirchen und Klöstern um Mostar, im zentralbosnischen Kraljeva Sutjeska oder Fojnica datieren zum Teil bis in das 14. Jahrhundert zurück, auch wenn von den ursprünglichen Bauwerken 1990 keines mehr im Original erhalten war. Insbesondere durch die Klöster geprägt, hatte sich in den katholischen Gemeinden der jugoslawischen Föderation neben spezifischen Riten und Bräuchen eine besondere Schrift- und Archivkultur erhalten. Die großen katholischen Klöster in Kroatien und BosnienHerzegovina waren bekannt für ihre bedeutenden Sammlungen historischer Texte. Aus dem mittelalterlichen Bosnien, das mit dem bosnischen Königreich (1377– 1391) eine eigene, wenn auch kurzlebige, politische Entität aufwies, sind als kulturelle Besonderheit die sogenannten stećci (Sg. stećak), erhalten. Die ausführliche Untersuchung und dieser außergewöhnlichen Grabsteine aus dem 14. und 15. Jahrhundert, die Architektur, Tiere, Menschen wie auch Symbole abbilden, leistete bereits 1965 die britische Kunsthistorikerin Marian Wenzel.72
JÜDISCHES KULTURERBE
Zu den Wurzeln jüdischer Kultur auf der Balkanhalbinsel existieren in der Forschung verschiedene Meinungen. Der britische Historiker Noel Malcolm ist der Ansicht, sie reichten in das 8. bzw. 9. Jahrhundert zurück73; sein kroatischer Kollege Slavko Goldstein hingegen will sie bereits in der Spätantike ausgemacht haben74; dass im römischen Singidunum, am Ort der heutigen Stadt Belgrad, jüdische Siedler lebten, vermuteten wiederum die Autoren eines Katalogs zur Ausstellung der Geschichte der jüdischen Gemeinden Belgrads im Jahr 199775; die serbische 72 73 74 75
Wenzel (1965). Malcolm (2002), 107. Goldstein (1989), 14. Radio (1997), 5.
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Kunsthistorikerin Vidosava Nedomački datierte den Beginn der jüdischen Besiedlung der südslawischen Länder gar in die Regierungszeit Alexanders des Großen im 4. Jahrhundert v. Chr.76. Zweifelsohne siedelten die ersten Juden bereits seit dem frühen Mittelalter auf der Balkanhalbinsel. Erst mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten sollte die Einwanderung zum Erliegen kommen. Auf der Flucht vor der Verfolgung im Mittelalter, besonders aber während der Inquisition in Spanien 1492 und in Portugal 1496 migrierten zahlreiche Juden in den europäischen Teil des Osmanischen Reiches im Süden der Balkanhalbinsel, wo sich seit dem16. Jahrhundert die Gemeinden der Sephardim77 entwickelten. Mit der Besetzung (1878) und späteren Annexion (1908) Bosnien und Herzegovinas durch Österreich-Ungarn ließen sich auch aschkenasische Juden78 im südlichen Jugoslawien nieder, die es bis dahin nur im Norden, etwa in der Vojvodina und in Slawonien, gegeben hatte.79 Ebenso unstrittig ist, dass die jüdischen Gemeinden die kulturelle Vielfalt auf der Balkanhalbinsel ungemein bereichert haben. Bereits mit den sephardischen Juden war neben anderen Gegenständen das wertvollste Objekt des Nationalmuseums (Zemaljski Muzej) in Sarajevo, eine um 1600 im Königreich Aragon gefertigte, als Sarajevoer Haggada (Sarajevska Hagada) bekannt gewordene Bilderhandschrift, nach Bosnien gelangt.80 In den Zentren des jüdischen Lebens in den Städten Zagreb, Belgrad, Novi Sad, Ilok, Vukovar, Osijek und Vinkovci sowie Sarajevo und Skopje kam es nach den Balkankriegen von 1912 und 1913 zu einer regelrechten Blüte jüdischer Kultur. Juden betätigten sich als Verleger und Kunstsammler, sie gründeten kulturelle Vereinigungen81 und erfolgreiche Unternehmen, nahmen Beamtenstellungen an und lehrten an Universitäten – und sie bauten. Viele Synagogen Jugoslawiens sind im Zeitraum dieser Hochzeit jüdischer Kultur errichtet worden, die etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte und mit der deutschen Besatzung Jugoslawiens 1941 ein gewaltsames Ende fand. 82 Und obwohl drei Viertel der jugoslawischen Juden bis 1945 ermordet oder vertrieben 76 77 78 79 80 81 82
Nedomački (1989), 25. Als Sephardim werden die Nachkommen der aus Spanien und Portugal vertriebenen Juden bezeichnet (Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 605 ff.). Die Aschkenasim sind ein jüdischer Volksstamm, der sich im 15. Jahrhundert von Deutschland über Polen in Osteuropa ausbreitete (Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 60 ff.). Nedomački (1989), 25; Goldstein (1989), 14; Malcolm (2002), 108; Bevan (2006), 39; Bremer (2007), 250; Sundhaussen (2008), 181; Berger et al. (2017), 37. Vgl. Riedlmayer, Convivencia… (2001), 266 f. Radio (1997), 26 ff. Nedomački (1989), 35, 37.
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und das jüdische Kulturerbe durch Zerstörung und Plünderung beinahe ausgelöscht worden war, existierten doch um 1990 noch kleinere jüdische Gemeinden etwa in Zagreb, Sarajevo und Belgrad, die jüdische Tradition und Religion pflegten und dazu in den wenigen erhaltenen historischen Synagogen zusammenkamen.
DAS KULTURELLE ERBE ÖSTERREICH-UNGARNS
Einen ähnlichen Einfluss wie das Osmanische Reich auf die südlichen Regionen des späteren Jugoslawien hatte in kultureller Hinsicht das Kaisertum Österreich bzw. die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im nördlichen Teil der Balkanhalbinsel. Dies ist bis heute anhand von Lehnworten, Architektur und Speisen in der Region nachvollziehbar. Wie ehedem bildet die Stadt Wien (Beć) noch immer einen wichtigen Bezugspunkt für die ehemaligen jugoslawischen Republiken. Bis heute existiert dort eine große Arbeitsdiaspora aus Kroaten, Makedonen, Montenegrinern, Serben und Bosniern. Die Universität ist wie bereits im 18. Jahrhundert ein geistiges Zentrum für Studierende aus dem südlichen Europa, wobei Muslime aus Bosnien und Herzegovina oder Kosovo auch die Universität in Istanbul wählen. Das kroatische Königreich wurde bereits seit 1102 in Personalunion mit Ungarn regiert.83 Als um die Mitte des 17. Jahrhunderts das Osmanische Imperium den Zenit seiner Macht überschritten hatte, eroberten habsburgische Truppen auch die zwischenzeitlich unter dem Einfluss der Hohen Pforte stehenden Gebiete zurück. Die Industrialisierung Kroatiens sowie Bosniens nach der Besetzung 1878, Städtebau und Verwaltung sowie die Gründung von kulturellen Vereinigungen im 18. und 19. Jahrhundert weisen den sichtbaren Einfluss der Donaumonarchie auf. Das Erscheinungsbild Zagrebs ist maßgeblich geprägt durch die Architekten Hermann Bollé, Friedrich von Schmidt, Ferdinand Fellner und Hermann Helmer. In Sarajevo wiederum wurden markante Bauwerke wie die Stadthalle und spätere Nationalbibliothek Bosnien und Herzegovinas, die Vijećnica (Alexander Wittek, 1892–94), das Nationalmuseum (Karel Pařík, 1888) oder die aschkenasische Synagoge (Karel Pařík, 1902) von Architekten aus dem Kaiserreich errichtet. Die an den geistigen Zentren in Wien kursierenden Ideen und Konzepte hatten als Kulturimporte gravierende Auswirkungen auf die gesellschaftliche und politische Entwicklung im Südosten Europas.
83
Behschnitt (1976), 25, 37.
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KULTURELLER SYNKRETISMUS
Mit den Einflüssen der beiden großen Imperien bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, dem Erbe der mittelalterlichen Königreiche und schließlich den sich daraus ergebenden Überschneidungen von Kultur und Religion ist ein wesentlicher Teil des kulturellen Erbes in Jugoslawien am Ende des 20. Jahrhunderts erfasst. Die überblickshafte Darstellung, die zum besseren Verständnis der Heterogenität dieses Erbes erfolgt, soll nicht suggerieren, dass die verschiedenen kulturellen Identitäten räumlich und lebensweltlich strikt voneinander getrennt bestanden. Dies war verstärkt erst der Fall mit der Politisierung des kulturellen Erbes in der Phase der Gründung der Nationalstaaten, auf die ich später zurückkommen werde. Bis zum Ende des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich vielmehr, ohne allzu stark zu verallgemeinern, von einem kulturellen Synkretismus sprechen, der die Region geprägt hat. Besonders begünstigt wurde der wechselseitige Austausch von kulturellen Elementen unter anderem in Gebieten, in denen Herrschaftsverhältnisse mehrfach wechselten, oder ethnisch und religiös unterschiedliche Kollektive zusammenlebten. Das war der Fall etwa in jenen Teilen Kroatiens, die zeitweilig im Einflussbereich des Osmanischen Reiches lagen, davor und danach jedoch zum Heiligen Römischen Reich bzw. zu Österreich(-Ungarn) gehörten. Ähnlich verhielt es sich in Belgrad, das zwischen der ersten osmanischen Eroberung 1521 und dem endgültigen Rückzug türkischer Truppen 1867 als „orientalische Stadt“ (orientalna varoš) drei Mal durch österreichische Truppen besetzt wurde (1688–90, 1718-39, 1788-91). Hier wurden ursprünglich als Kirchen errichtete Bauwerke, die unter osmanischer Herrschaft zu Moscheen umgewidmet waren, wieder als Kirchen geweiht bzw. nach dem Wiedereinzug der Osmanen erneut zu islamischen Gebets- und Versammlungsstätten.84 Auch bedeuteten die wechselnden Herrschaftsverhältnisse ja nicht zwangsläufig den Austausch der Bevölkerung. In den Städten des osmanischen Reiches lebten Christen, Juden und Muslime, zwar in je eigenen Vierteln (mahale), jedoch innerhalb der Stadt gemeinsam. Auch brachten die als „Türkenkriege“ bezeichneten zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen (1455–1878) zwischen dem christlichen Europa und dem Osmanischen Reich neben den Zumutungen des Krieges immer auch einen Austausch von Kultur mit sich. Schließlich kam es zu Kulturtransfers in den Grenzregionen der beiden konkurrierenden Mächte im Süden Österreich-Ungarns und dem Norden des Osmanischen Reiches. 84
Ðurić-Zamolo (1977).
2.1 Heterogenität des kulturellen Erbes |
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Institutionen, die einen kulturellen Synkretismus beförderten, ergaben sich unter anderem aus der besonderen Verwaltungsstruktur und -praxis des Osmanischen Reiches, in der Assimilation eine Herrschaftsstrategie war und die deswegen viele Parallelen zuließ. So hatte etwa die Serbische Orthodoxe Kirche (Srpska Pravoslavna Crkva, SPC) unter türkischer Herrschaft zumindest zeitweise eine privilegierte Stellung inne.85 Neben der für Nicht-Muslime obligatorischen Kopfsteuer, der cizye86 oder haraç87 (slaw. glavnica88), zogen auch die geistigen Oberhäupter der Christen mit der dimnica, der Rauchfangsteuer, eine eigene Abgabe89 ein. Die Verwaltung der griechischen Provinzen im Osmanischen Reich wiederum war den orthodoxen Phanarioten90 übertragen worden. Auch die bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts seitens der Osmanen praktizierte sogenannte Knabenlese (devširme)91, zu der in periodischen Abständen die Söhne christlicher Familien ausgehoben und nach Istanbul zur Ausbildung als Pagen verbracht wurden92, war weniger ein Instrument grausamer Unterwerfung als ein bewusst eingesetztes machtstrategisches Werkzeug, das geschickt die kulturelle Assimilierung förderte und dabei die Vermischung kultureller und religiöser Elemente begünstigte. Für nicht wenige christliche Familien war mit der Knabenlese ein immenser sozialer Aufstieg verbunden. Zwischen 1453 und 1517 stammten von „amtierenden 15 Großveziren mindestens zwei aus serbischem Gebiet und Adel“93. Mehmed Pascha Sokolović, der Bauherr der oben erwähnten Brücke über den Fluss Drina im bosnischen Višegrad entstammte ursprünglich einer christlich-orthodoxen Familie aus dem Ort Sokolovići. Durch die Knabenlese gelangte er als Kind an den Hof nach Istanbul, wo er ausgebildet wurde und im osmanischen Verwaltungsapparat Karriere machte. Als Großwesir setzte er sich für die Interessen der Orthodoxen Kirche ein. 1557 erreichte er die Erneuerung des orthodoxen Patriarchats in Peć im heutigen Kosovo. Dessen erster Patriarch wurde Mehmed Paschas Bruder, Makarije Sokolović.94 Die Institutionen, die im Osmanischen Reich einen kulturellen 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94
Behschnitt (1976), 144. Petritsch (2009), 21; Majoros/Rill (1994), 50; Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 377; cizya bei Bartl (2003), 127. Katić (2005), 150. Ranke (1844), 35. Ranke (1844), 42; der Rauchfang eines Herdes steht für einen Haushalt. Phanarioten: „Griechen im Dienst des Osmanischen Reiches […]“, Bewohner des Stadtviertels Phanar inIstanbul (Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 544). Malcolm (2002), 46; Boeckh (2009), 31. Malcolm (2002), 46; Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 359 ff. Boeckh (2009), 31. Imamović (2007), 78; Perović (2007), 99.
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Synkretismus befördert haben, sind hier nicht erschöpfend darzustellen. Der Militärdienst gehörte ebenfalls dazu. Die Elitetruppe der osmanischen Streitkräfte, das Janitscharen-Corps, rekrutierte sich zumindest bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ausschließlich aus Söhnen christlicher Haushalte.95 Auch der Hof in Istanbul war eher ein multi- als ein monokulturelles Gebilde. Diese Mischformen dürften bis weit in das 19. Jahrhundert hinein und auch noch am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, als sich die Vorstellung von strikt unterschiedenen Volkskulturen durchzusetzen begann, eher die Regel denn die Ausnahme gebildet haben. In diesem Zusammenhang bis heute weitestgehend unbeachtet geblieben sind die verschiedenen Kollektive der Roma, die im ehemaligen Jugoslawien ansässig waren und es bis heute in der Region sind. Das liegt einerseits daran, dass sie anders als die übrigen Ethnien der Föderation kaum „Spuren“ ihres Daseins hinterlassen haben. Die Roma haben sich nicht an der anerkannten literarischen Tradition beteiligt und keine kulturell als bedeutsam wahrgenommenen Bauwerke errichtet. Es existieren keine Archive, deren Gründung mit ihrem Namen verbunden wird. Anders als ihre Nachbarn haben sie auch keine bekannten politischen Programmschriften vorgelegt. Allenfalls als Musiker sind sie Teil der gesellschaftlich geschätzten kulturellen Produktion der Region. Diese Besonderheiten sind zu einem großen Teil auf ihre andauernde Diskriminierung zurückzuführen, die ebenfalls ein europäisches Kulturerbe ist und auch im sozialistischen Jugoslawien stark ausgeprägt war. Sie verschafft sich bis heute in dem regional gemeingebräuchlichen abwertenden Begriff cigani („Zigeuner“) Ausdruck.
DAS KULTURELLE ERBE DER MODERNE
Das kulturelle Erbe der Moderne auf dem Gebiet der jugoslawischen Föderation stammte in seinen frühesten Manifestationen aus den letzten Tagen der kollabierenden Großreiche. In Kroatien wie in Bosnien und Herzegovina war ÖsterreichUngarn hierbei die treibende Kraft. Nach dem Ende der Balkankriege und des Ersten Weltkriegs verfolgte im Königreich Jugoslawien vor allem die serbische Dynastie der Karađorđević unter den Königen Petar I.96 und Aleksandar I.97 die Modernisierung der Städte, aus denen sich das Osmanische Reich gerade erst zurück95 96 97
Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 315 ff.; Crampton (2005), 42 ff.; Boeckh (2009), 50. Petar I. Karađorđević (1844–1921), König der Serben (1903–1918), König der Serben, Kroaten und Slowenen (1918–1921). Aleksandar I. Karađorđević (1888–1934), König der Serben, Kroaten und Slowenen (1921–1929), König von Jugoslawien (1929–1934).
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gezogen hatte. In diesem Zeitraum fällt etwa der Umbau von Skopje oder Prizren. Die Restrukturierung Belgrads hatte bereits früher begonnen. Eine dramatische Beschleunigung erfuhr der Umbau der Städte vor allem im Süden der 1945 durch die jugoslawischen Kommunisten unter Josip Broz Tito (1892–1980) gegründeten Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. Insbesondere die Gebiete, die vormals im Einflussbereich des Osmanischen Reiches lagen, galten als unterentwickelt im wirtschaftlichen und industriellen Sinn.98 Der Erneuerungsbedarf schien dort gewaltig. Ein großer Teil des modernen kulturellen Erbes entstammt dieser Periode der „nachholenden Modernisierung“99, die selbstverständlich auch Städte und Siedlungen im Norden erfasste, jedoch im Süden besonders gravierend ausfiel. Neben dieser städtebaulichen Neuordnung, die 1990 in Teilen bereits als kulturelles Erbe gelten konnte, wenn man sich etwa den sogenannten Generalstab in Belgrad (Nikola Dobrović, 1963), den Industriepavillon in Zagreb (Božidar Rašić, 1957) oder das Revolutionsmuseum in Sarajevo (Boris Magaš, 1958) als Beispiele architekturhistorisch bedeutender Bauwerke vor Augen führt, schufen und etablierten die jugoslawischen Kommunisten eine völlig neue symbolischpolitische Ordnung. Deren Zentrum bildete der zum „Nationalen Befreiungskampf “ (Narodnooslobodilačka borba) verklärte Widerstand der jugoslawischen Partisanen gegen die deutschen Besatzer und deren Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg. In unzähligen Texten, Filmen und einem groß angelegten skulpturalen Programm, das hunderte Mahn- und Denkmale in allen Republiken der Föderation umfasste, konstruierten und reproduzierten die jugoslawischen Kommunisten den um unschöne Elemente100 bereinigten Gründungsmythos des neuen jugoslawischen Staates. Damit und mit der Umbenennung von Straßen und Plätzen – es gab fortan keine jugoslawische Stadt ohne eine Ulica Maršala Tita101 oder nach anderen Parteigrößen und Partisaneneinheiten benannte Straßen und Plätze mehr – wurde eine Erinnerungstopografie geschaffen, die materielle und immaterielle Elemente in einer symbolischen Ordnung zu vereinen suchte. Das erinnerungspolitische Programm der jugoslawischen Kommunisten bildete als Teil eines kollektiven Wissenssystems ein weiteres bedeutendes Kulturerbe vor dem Ausbruch der Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo. Damit ist der größte Teil des kulturellen Erbes in Jugoslawien vor 1991 erfasst, das hauptsächlich in den Konflikten der Region von Zerstörung betroffen war. Ein98 Ramet (1992), 6; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 169 ff. 99 Lohoff (1996), 41. 100 Etwa die Verbrechen der Partisanen im innerjugoslawischen Machtkampf während des Krieges und danach. 101 Dt. Marschall Tito-Straße.
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zelne Gegenstände und Elemente dieses Erbes, wie der traditionelle Weinbau in Slawonien und Dalmatien, die Funde prähistorischer Siedlungen in Kosovo (Ulpiana) und Kroatien (Vučedol) oder die Unterschiede zwischen historischer vernakulärer Architektur102 in Serbien und Montenegro sind für die folgende Darstellung zunächst ebenso wenig von Belang wie die kunstvolle Bemalung des Gesichts der Braut bei Hochzeiten der Torbesch in Kosovo oder die Bergbautraditionen in Srebrenica, Olovo und Kosovska Mitrovica. Ebenfalls nicht behandelt werden die vielen kleinen Sub-Kollektive, die in den größeren politischen Gebilden des westlichen Balkans in verschiedenen Epochen gelebt haben – etwa Franken, Sachsen, Schwaben, Armenier und Aromunen, um nur einige zu nennen. Die besondere Form des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Ethnien als ein wesentliches Element des kulturellen Erbes der Region ist zumindest angedeutet.
2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus KULTUR ALS ZIEL
Nach acht Jahren und vier grausamen Kriegen in Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegovina sowie in Kosovo waren 1999 auf dem Territorium des in einer Orgie von Gewalt untergegangenen Jugoslawien rund 6103 kulturelle und religiöse Objekte schwer beschädigt, zerstört, geraubt oder galten als vermisst.103 Allein in Bosnien und Herzegovina waren 4024 Objekte betroffen, darunter 1179 Moscheen, 316 Mesdžid sowie 809 katholische und 305 orthodoxe Kirchen und Klöster. Ein nicht geringer Teil dieser Bauwerke stammte aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert. Zahlreiche Archive und Bibliotheken waren gezielt in Brand geschossen oder angesteckt worden und mit ihren Beständen ein Raub der Flammen geworden. Traurige Berühmtheit erlangte in diesem Zusammenhang die Nationalbibliothek Bosnien-Herzegovinas, die Vijećnica, die im August 1992 nach dem Beschuss mit Brandgranaten völlig ausbrannte. Dramatischer, jedoch bis heute kaum bekannt, sind die Verluste des ebenfalls in Sarajevo ansässigen Orientalischen Instituts, dessen gesamter Bestand von etwa 7000 Dokumenten, darunter 102 Von engl. vernacular (dt. örtlich, traditionell). Vernakuläre Architektur ist historisch gewachsen und tradiert und nicht gezielt durch einen Experten (Architekten, Baumeister) entwickelt. 103 Siehe die detaillierte Liste der von den verschiedenen betroffenen Kollektiven und internationalen Organisationen als beschädigt oder zerstört angegebenen Objekte unter http:// tobias-strahl.de/.
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Originalhandschriften, historische Gerichtsarchive, philosophische Werke, Fotografien und Mikrofilme, im Mai 1992 nach schwerem Beschuss verbrannte. Die beiden Archive stehen stellvertretend für eine große Zahl weiterer in BosnienHerzegovina, Kosovo und Kroatien. In Bosnien waren die Angriffe auf kulturelles Erbe am drastischsten. Hier lässt sich, ohne zu übertreiben, von dem (in einigen Gebieten erfolgreichen) Versuch der systematischen Auslöschung sämtlicher historischer und gegenwärtiger Spuren einer Kultur, eines kollektiven Sinnsystems, einer symbolischen Ordnung sprechen. Aus den von Serben besetzten Gebieten im Norden, Osten und Süden des Landes wurde nahezu die gesamte muslimische Bevölkerung vertrieben. Ihre Archive wurden geplündert oder vernichtet, ihre religiösen Bauwerke aus allen historischen Epochen gesprengt, planiert und die alten Fundamente zum Teil überbaut. In Kroatien waren insgesamt 1602 Objekte betroffen. Darunter befanden sich unter anderem aus katholischem Bestand 487 Kirchen und 59 Klöster, aus orthodoxem 327 Kirchen und fünf Klöster sowie dutzende Bibliotheken und Archive. Die historischen Altstädte von Zadar, Split, Šibenik und Dubrovnik waren nach dem Beschuss serbischer und montenegrinischer Einheiten schwer beschädigt. Im berühmten Weinkeller des slawonischen Städtchens Ilok (Iločki Podrum) waren sogar die hunderte Jahre alten Eichenfässer gesprengt worden. In Kosovo waren „nur“ 477 religiöse und kulturelle Objekte Ziel zum Teil systematischer Angriffe geworden. Allein die Hälfte davon – je nach Lesart der entsprechenden Dokumente 211 oder 214 – waren Moscheen. Beschädigt oder zerstört waren ebenfalls über 100 Kirchen und Klöster der Serbischen Orthodoxen Kirche. Einige der betroffenen Moscheen und Kirchen stammten aus dem 14. und 15., viele aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert. Nicht annäherungsweise zu ermitteln ist der Verlust an beweglichem Kulturerbe in allen drei Kriegsgebieten. Der Krieg in Slowenien wird nicht Teil der Betrachtungen in dieser Arbeit sein, da es in seinem Verlauf nicht zu signifikanten Zerstörungen von religiösen und kulturellen Objekten gekommen ist. Offensichtlich am Krieg in Bosnien und Herzegovina, in geringerem Umfang auch in Kosovo, ist die Parallelität von Kulturerbezerstörung und der Ermordung der Erben, das heißt des Kollektivs, das sich mit dem zerstörten Kulturerbe identifizierte oder damit identifiziert wurde. In besonders brutaler Weise führt dies das Beispiel des Städtchens Foča im Südosten Bosniens vor Augen. Im Jahr 2004 wurden dort die Leichen vermisster Muslime in einem Massengrab mit den Trümmern der 1992 gesprengten Aladža-Moschee (1550) gefunden.104 Zwei Drittel der 104 Bevan (2006), 45.
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Opfer des Krieges in Bosnien und Herzegovina – 68.101 Menschen – waren bosnische Muslime. Wenn man ausschließlich die zivilen Opfer betrachtet, liegt die Zahl mit 83 Prozent sogar noch höher, „rising to nearly 95 per cent in Eastern Bosnia“105. Eine maßgebliche Funktion von Kultur und kulturellem Erbe hatte sich in ihr Gegenteil verkehrt. Das, was als kollektives Sinnsystem, als Wissensordnung oder symbolische Ordnung Kontinuität stiften und das Überleben des Kollektivs im wörtlichen und metaphorischen Sinn gewährleisten sollte, wurde zur Voraussetzung für Mord und Zerstörung.
KONFLIKTE ALS TEIL DES KULTURELLEN ERBES
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo auch und bisweilen systematisch gegen Kultur geführt wurden. Aber waren es deswegen Kulturkriege? Die Vielfalt des kulturellen Erbes in der jugoslawischen Föderation war ja nicht per se konfliktär, wie die über lange Zeiträume friedliche Koexistenz der verschiedenen Ethnien und Religionen in der Region eindrucksvoll zeigt. Ohnehin ist die Begründung von Konflikten mit kulturellen Besonderheiten erst mit der Etablierung von Begriff und Bedeutung von Kultur im modernen Sinn möglich geworden. Das war frühestens seit dem 18. Jahrhundert der Fall. Die komplexen Beziehungen, die zwischen verschiedenen Kulturen bestehen können, haben zweifellos schon immer das Potential zu Konflikten geborgen. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass dieses immer realisiert wurde. Immerhin haben die allermeisten Auseinandersetzungen zwischen Individuen oder Kollektiven ihre Ursache nicht in kultureller Verschiedenheit – das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Die Bereitschaft europäischer „Kulturnationen“ etwa, Konflikte im Zweifelsfall auch mit Mitteln physischer Gewalt auszutragen, ist als kulturelle Eigenschaft historisch eher ein Merkmal der Ähnlichkeit denn der Distinktion gewesen.106 Häufig werden jedoch in einer verkürzten, die komplexe soziale Wirklichkeit stark reduzierenden Interpretation soziale Konflikte, etwa Macht- und Verteilungskämpfe, ursächlich auf kulturelle Gegensätze zurückgeführt, die in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben werden. Was sich dann als „Kampf der Kulturen“107 darstellt, sind tatsächlich soziale Konflikte, die lediglich als Kulturkämpfe interpretiert werden – nicht selten im Interesse derer, 105 Zwierzchowski/Tabeau (2010), 17; Smajić (2013), 124 (Zitat Smajić). 106 Benda (2013). 107 Huntington (1996).
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die diese Konflikte aktiv forcieren. Dieses Interpretationsschema lässt sich besonders häufig im Zusammenhang mit der Politisierung von Kultur beobachten. Die oben beschriebene Engführung von Kultur und Nation mit der verhängnisvollen Konstitution von Nationalkulturen im europäischen Nationalismus sind hier von besonderer Bedeutung. Ich habe die Vielfalt des kulturellen Erbes in der jugoslawischen Föderation umrissen, dabei aber die historischen Konflikte zunächst ausgespart. Sie sind jedoch in mehrerlei Hinsicht ein wesentlicher Bestandteil dieses Erbes. Zunächst wirken sie sich, etwa in Form von Kriegen, direkt auf die betroffenen Kollektive aus. Tod, Verwundung und Traumata, empfundene Demütigung, Sieg oder Niederlage sind nur einige mögliche Erfahrungen. Konflikterfahrungen werden in den Sinnsystemen betroffener Kollektive be- und verarbeitet. Erinnerung und Repräsentation von Konflikten bedeutet Arbeit mit und an der Kultur einer Gesellschaft. Konflikte werden interpretiert, begründet und verklärt und erlangen dadurch symbolische und lebensweltliche Bedeutung. Intendiert oder nicht, beeinflussen sie als Elemente der Vergangenheit über die Tradierung das Denken und Handeln zukünftiger Generationen. Dabei stehen Konflikte nicht selbstverständlich als negativer Teil eines kulturellen Erbes einem positiven, etwa in Form von überkommener Architektur und Kunst, gegenüber. Die Frage ist, welche Funktion sie im Sinnsystem eines Kollektivs erfüllen. Der historische Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland mit drei verheerenden Kriegen im 19. und 20. Jahrhundert ist durch einen intensiven gesellschaftlichen Prozess zu einem wesentlichen Element der freundschaftlichen Verbindung dieser beiden Nationen geworden. Als erinnerter Konflikt hat er heute eine positive, Gemeinsamkeiten betonende Funktion. Ähnlich verhält es sich mit der Konflikterfahrung im europäischen Raum im Allgemeinen sowie in Teilen auch darüber hinaus. Die Frage ist also auch eine nach den Deutungsschemata, die den Vorrang vor alternativen Erklärungen erhalten. Im Raum des ehemaligen Jugoslawien waren Erfahrung und Erinnerung von Konflikten zu Beginn der 1990er Jahre mannigfaltig. Sie reichten von der osmanischen Eroberung im 14. Jahrhundert über die hunderte Jahre andauernden Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden Großreichen der Habsburger, den russischen Zaren und der Osmanen, in die die Bevölkerung auf unterschiedlichen Seiten involviert war (und diese häufig wechselte), über die vielgestaltigen Erfahrungen der Kriege des 20. Jahrhunderts bis hin zu den gesellschaftlichen Neuordnungen, die politische Systemwechsel mit sich brachten. Umso weiter jedoch die Erinnerung an diese Auseinandersetzungen zurückreicht, umso schwieriger lässt sie sich anhand belastbarer Dokumente – die oft schlicht nicht (mehr) existieren – auf ihre Verlässlichkeit überprüfen. Das Gedächtnis von Kollektiven, nicht
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nur auf der Balkanhalbinsel, sondern vielmehr weltweit, umfasst bisweilen Gegenstände, die überhaupt nicht oder zumindest nicht so, wie sie erinnert werden, existiert haben. Diese Binsenweisheit historischer Forschung ist für die Konflikte im jugoslawischen Raum von erheblicher Bedeutung. Hier berühren wir den Gegenstand des Mythos in modernen Gesellschaften, der uns als Begriff in unterschiedlichen Zusammenhängen und Kombinationen – etwa als Geschichtsmythos – in allen Arten von Texten gegenwärtig scheinbar immer häufiger begegnet. Im Unterschied zu seiner Funktion in der Antike söhnt der Mythos in der Moderne jedoch nicht mehr Götter- und Lebenswelt miteinander aus, indem er deren Verhältnis zueinander anhand unverstandener Phänomene zu erklären versucht – und Letzteren damit Platz und Sinn in der Wissensordnung eines Kollektivs zuweist. Unverstandenes oder zumindest unzureichend Verstandenes für kollektive Sinnsysteme verfügbar zu machen, ist zwar nach wie vor die Hauptfunktion von (modernen) Mythen. Jedoch haben sich die Ebenen, die der Aussöhnung bedürftig erscheinen, verändert. Eine göttliche Ordnung, die sich in irdischen Phänomenen Ausdruck verschafft und erklärt werden muss, spielt außerhalb religiöser Kontexte keine Rolle mehr. An ihre Stelle ist eine komplexe soziale Realität getreten, die als nicht weniger erklärungsbedürftig wahrgenommen wird. Insofern erfüllen moderne Mythen eine Funktion bei der Reduktion komplexer Gegenstände108, der Bewältigung von wahrgenommenen Fehlern, Niederlagen und Defiziten109 und in sozialen Krisen110. Sie stiften Gemeinschaft und Kontinuität in Kollektiven111 und erzeugen Sicherheit trotz kontingenter Wahrnehmung und angesichts von Widersprüchen: „Mythen behaupten die Einheit der Gegensätze, die Identität in Wandel und Verschiedenheit“112. Wesentliche Mittel bei der Konstitution moderner Mythen sind, ähnlich denen, die bei der eines kulturellen Erbes zum Einsatz kommen, Reduktion, Selektion und Verdichtung. Häufig schließen Mythen auch die Lücken, die aufgrund fehlender Dokumente bestehen – oder sie substituieren diese, trotzdem es sie gibt. Stets wird dabei eine komplexe Struktur auf eine einfache Aussage gebracht (nicht selten in Form eines Bildes) und als solche reproduziert. Insofern weist der moderne Mythos aus technischer Sicht eine gewisse Nähe zur Poetik, zu Kunst und Dichtung auf.113
108 109 110 111 112 113
Wodianka (2013), 328. Althoff (2016), 20. Giesen/Junge (2016), 37. Berding (2016), 8; Althoff (2016), 15. Giesen/Junge (2016), 34. Wodianka (2013).
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NATION UND NATIONALISMUS
Die engen Beziehungen zwischen Kulturerbe, Konflikt, Konflikterinnerungen und Mythos, ihre Verwobenheit, Überschneidung und gegenseitige Bedingtheit werden, ebenso wie die Folgen, die sich aus diesem Verhältnis ergeben, anschaulich nachvollziehbar angesichts der Konstitution von Nationalstaaten auf der Balkanhalbinsel, die nach der osmanischen Eroberung in dieser Region die nächste bedeutende historische Zäsur darstellt. Hier schließt mit der Frage nach den Bedingungen individueller und kollektiver Identität in der Moderne ein weiterer Themenkomplex an. Die Prozesse von Konstitution und Entwicklung nationaler Identitäten auf der Balkanhalbinsel sind von ihren Anfängen in den kleinen Zirkeln regionaler Gelehrter bis zum politischen Nationalismus als Massenphänomen insbesondere für den jugoslawischen Raum ausführlich beschrieben worden.114 Die Bedeutung 114 Ein besonderes Verdienst in der deutschsprachigen Südosteuropaforschung kommt Holm Sundhaussen (1942–2015) zu, dessen Beobachtungsgabe, Umsichtigkeit, analytische Brillanz und langjährige Verbundenheit mit dem Thema in seinen letzten beiden Veröffentlichungen Jugoslawien... (2012, 2014) und Sarajevo… (2014) im besten Wortsinn Monument geworden sind. Bereits in seiner Dissertation aus dem Jahr 1973 widmete Sundhaussen sich dem Einfluss der Herderschen Ideen auf die Nationsbildung bei den Völkern der Habsburger Monarchie. Von Holm Sundhaussen als Autor und Herausgeber stammen grundlegende Werke, Einzeltexte, wissenschaftliche Lexika und Handbücher zur Geschichte Jugoslawiens und dessen konstitutiven Völkern bzw. Republiken. Ebenfalls grundlegend ist Wolf-Dietrich Behschnitts Dissertation zu Nationsbildung und Nationalismusphänomen bei Kroaten und Serben aus dem Jahr 1976. Zu den fundamentalen Arbeiten auf diesem Gebiet zählt auch Sabrina P. Ramets 1984 zuerst publizierter Text Nationalism and Federalism in Yugoslavia…, der 1992 angesichts der Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegovina erweitert und neu aufgelegt wurde. Nation und Nationalismus in Südosteuropa behandeln auch Marie-Janine Calić in ihrer Dissertation zur Sozialgeschichte Serbiens… (1994) und Katrin Boeckh in ihrer Dissertation Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg aus dem Jahr 1996. Wichtige Texte zum Verhältnis von Nation und Identität stammen des Weiteren von Wolfgang Höpken (etwa: 1989, 1998, 2005). Die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo zeitigten ein neues Interesse an der Region. Die Verfasser bedeutender Texte gehören einer jüngeren Generation Wissenschaftler an. Florian Bieber hat sich dezidiert dem Nationalismus in Serbien nach dem Tod Josip Broz Titos 1980 zugewandt (2005). Von dem kroatischen Historiker Vjekoslav Perica (2002) und dem deutschen Religionswissenschaftler Klaus Buchenau (2004, 2006) stammen detailreiche Arbeiten zur Bedeutung der Kirchen für den Nationalismus bei Serben und Kroaten. Nenad Stefanov hat mit seiner Arbeit zur Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste (2011) eine für den serbischen Nationalismus wichtige Institution des intellektuell-akademischen Diskurses analysiert. Dunja Melčić hat in ihrem Handbuch zum Jugoslawienkrieg (2007) Autoren mit unterschiedlichen Perspektiven
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kultureller Artefakte in diesem Zusammenhang hat hingegen bisher nur wenig Beachtung gefunden. Insofern werde ich mich in dem folgenden Überblick auf die Aspekte beschränken, die unerlässlich für die historische Kontextualisierung der Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen sind. Mein besonderes Augenmerk gilt dabei den Relationen zwischen nationaler Ideologie, Kultur und Konflikten. Die Idee der Nation hat sich seit ihren ersten Realisierungen in den ehemaligen britischen Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent und im revolutionären Frankreich regional und in verschiedenen historischen Kontexten unterschiedlich entwickelt. Nation und Nationalismus bedeuteten etwas anderes zur Zeit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 als in den Unabhängigkeitsbewegungen Afrikas etwa 100 Jahre später. Gleichwohl besteht bei den „klassischen“ Autoren115 der Nationalismusforschung ebenso wie in jüngeren Texten116 trotz themenspezifisch verschiedener Fragestellungen Einigkeit über Entstehung und Entwicklung sowie wichtige Elemente und Funktionen des Nationalismus. Die Wurzeln von Nation und Nationalismus als moderne Phänomene117 reichen nicht vor das 18. Jahrhundert zurück.118 Als intellektuelles Konzept wurde die Idee der Nation zunächst in einem kleinen Kreis von Gelehrten verhandelt119, bevor sie mit dem Aufstieg des Bürgertums im 18. und 19. Jahrhundert in der Gesellschaft größere Verbreitung erfuhr. Die Institutionen waren vor allem „bildungsbürgerliche Vereinigungen wie literarische Gesellschaften, Geschichts- und Altertumsvereine, Gelehrtenversammlungen und bildungsbürgerliche Interes-
115 116 117 118 119
auf das Thema versammelt – der Nationalismus der Kriegsparteien spielt hier ebenfalls eine größere Rolle. Carl Polónyi hat den Zusammenhang von nationalen Mythen und Krieg am Beispiel des Kosovo-Konflikts untersucht (2010). Jens Oliver Schmitt wiederum hat eine umfassende Arbeit zum Nationalismus auf Seiten von Albanern und Serben im Zusammenhang mit der jüngeren Geschichte Kosovos vorgelegt (2008). Zoran Terzić schließlich hat sich in einer bemerkenswerten Arbeit mit dem Verhältnis von Kunst und Nationalismus im (post)jugoslawischen Raum beschäftigt (2007). Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die zahlreichen Publikationen der deutschen SüdosteuropaGesellschaft in München und des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts in Wien. Wo über die hier genannten hinaus weitere Texte für den Gegenstand dieser Arbeit relevant sind, werde ich auf diese zurückkommen. Anderson (1983 (1993)); Gellner (1983 (1995)); Hroch (1985); Hobsbawm (1990 (2005)). Etwa: Jansen/Borggräfe (2007); Gießen/Junge (2016). Die ausführliche Erörterung vormoderner Bedeutungen (etwa: Schulze (2016), 67 ff.) ist für unseren Gegenstand nicht nötig. Gellner (1995), 57, 200; Hobsbawm (2005), 8, 13, 20, 25, 29. Schulze (2016), 75.
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senvertretungen wie Philologen-, Juristen-, Historikerverbände“120. Erst Ende des 19. Jahrhunderts fand der Nationalismus einen größeren gesellschaftlichen Widerhall, bevor er schließlich im 20. Jahrhundert zur politischen Massenbewegung wurde.121 Bereits angesichts seiner Entstehung in intellektuellen Zirkeln und dem aufstrebenden Bürgertum zeichnen sich die für unseren Gegenstand so wichtigen Interdependenzen zwischen Nation und Kultur als moderne Konzepte ab. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Tradierung von Elementen kollektiver Sinnsysteme kann innerhalb des Nationalismus wiederum auf etablierte Vorstellungen von Nation zurückgegriffen werden. Es kommt so zu einer wechselseitigen Transformation von Nation und Nationalismus. Nationalismus als diskursive Strategie zielt demzufolge auf Kontinuität, Persistenz und Stabilität des Kollektivs der Nation.122 Dies soll hauptsächlich auf zwei Wegen erreicht werden: Als „Integrationsideologie“123 behauptet der integrale Nationalismus die Gleichheit und Einheit der Subjekte des Kollektivs der Nation. Verbunden damit ist das Versprechen der „Teilhabe an Macht“124 gegenüber denen, die diese Forderung erfüllen können und wollen. Wollen deshalb, weil die Zugehörigkeit zu einer Nation neben den vorgeblich objektiven Kriterien auch ein subjektives Bekenntnis erfordert.125 Gleich und einig sollen die Angehörigen einer Nation den häufigsten Auslegungen zufolge im Hinblick auf Herkunft, Kultur, Religion und Sprache sein.126 Abweichungen von diesen Regeln gefährden nationalistischen Argumentationen zufolge die Nation in ihrem Bestehen. Die Regeln der Zugehörigkeit sind – wenn auch zunächst ex negativo – notwendig Regeln des Ausschlusses. Neben der Forderung nach Integration verlangt der Nationalismus ebenso die Abgrenzung von anderen (nationalen) Kollektiven. Damit wird die Nation historisch auch zu einem Modell der Konkurrenz. Zwischen Integration und Abgrenzung besteht – wie das häufig bei antagonistischen Konzepten der Fall ist – eine gegenseitige Abhängigkeit. Das heißt, das Eine ist ohne das Andere nicht denkbar. Nachvollziehen lässt sich das an historischen Konflikten, die unter nationalistischem Paradigma ausgetragen wurden. In dem Maße, wie sich die Feindschaft zweier Nationen intensivierte, umso
120 121 122 123 124 125 126
Jansen/Borggräfe (2007), 22 f. Hobsbawm (2005), 23; Jansen/Borggräfe (2007), 22. Giesen/Junge (2016), 37; vgl. Hobsbawm (2005), 21; Gellner (1995), 77. Schulze (2016), 70. Jansen/Borggräfe (2007), 8. Jansen/Borggräfe (2007), 11. Jansen/Borggräfe (2007), 13.
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zwingender wirkte die Forderung nach nationaler Integration im je eigenen Kollektiv – und umgekehrt.127 Häufig hervorgehoben wird in der Nationalismusforschung der Gesichtspunkt der Ökonomie – vor allem, jedoch nicht ausschließlich, wenn die Nation als Wirtschaftssystem Gegenstand der Betrachtung ist. So konstatierte etwa Benedict Anderson, dass der „Kapitalismus der ausschlaggebende Faktor“ für die „Ursprünge des Nationalbewusstseins“ war.128 Ähnlich argumentierte Ernest Gellner, der die Ursprünge des nationalen Bewusstseins im Industrialismus sah.129 Eric J. Hobsbawm wiederum argumentierte im Rekurs auf den belgischen Ökonomen Gustave de Molinari (1819–1912), dass die „Aufteilung der Menschheit in Nationen insofern zweckmäßig [ist,] als sie ein extrem wirksames Prinzip des Wirtschaftswettbewerbs entfaltet“130. Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können, war ein hohes Maß gesellschaftlicher Strukturierung und Standardisierung erforderlich – Prozesse, die, wie jede Vereinheitlichung, zwangsläufig die (kulturelle) Heterogenität einer Gesellschaft reduzieren. Hier ergänzten und bedingten sich die intellektuellen Postulate zu Einheit und Gleichheit der Subjekte im Kollektiv der Nation und die pragmatischen Anforderungen im internationalen Wettbewerb gegenseitig. Das Primat der Ökonomie wirkte auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Vor allem Armee und universelle Schulbildung wurden die „Transmissionsriemen“131 bei der Formung eines nationalen Bewusstseins.132 Ein aufblühendes Publikationswesen, „Buch- und Zeitschriftenliteratur“, mithin die Entstehung „moderner Öffentlichkeit“ taten ihr Übriges.133 Eines der größeren Hindernisse dabei war und ist, dass Kollektive, wie sie der integrale Nationalismus unter intellektuellen, politischen und ökonomischen Begründungen forderte (und bisweilen heute noch fordert), in der Phase der Gründung der Nationalstaaten in sprachlicher, kultureller und religiöser Homogenität nicht existierten. Sie mussten erst konstituiert – das heißt auch konstruiert – werden, wobei damit ein Prozess gemeint ist, der sich über einen Zeitraum von etwas mehr als zwei Jahrhunderten erstreckt und der bis heute nicht abgeschlossen scheint – und wohl auch nicht endgültig abzuschließen ist, wenn man Nation als prozessuales und nicht als statisches Konzept begreift. Die politischen Gebilde in 127 128 129 130 131 132 133
Schulze (2016), 78 f. Anderson (1993), 44. Gellner (1995), 41. Hobsbawm (2005), 40. Jansen/Borggräfe (2007), 31. Gellner (1995), 46, 48 f., 56. Schulze (2016), 69.
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Europa und Übersee wiesen zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Fülle von Sprachen, religiösen Bekenntnissen und Kollektiven mit unterschiedlichen Sinnsystemen und Ordnungsvorstellungen auf. Den ebenso strikten wie exklusiven Kriterien der Zugehörigkeit, wie sie der europäische Nationalismus des 20. Jahrhunderts für seine Subjekte formulierte, konnten (und können) die „Prototypen“ des Nationalstaats, die USA und Frankreich, nicht genügen. Durchsetzen ließen sich die Forderungen des integralen Nationalismus ebenso wie das „Postulat der Deckungsgleichheit politischer und nationaler Gebilde“134, das heißt vor allem die Einheit von Nation und Territorium im Nationalstaat, mit den Mitteln der Bildung, eines nationalen Militärs, der politischen und wirtschaftlichen Organisation und, wie die Geschichte der europäischen Nationalstaaten zeigt, oft genug mit Gewalt und Repression gegen Kollektive und Individuen, die den Forderungen nach Gleichheit und Einheit oder Unterwerfung aus verschiedenen Gründen nicht nachkommen wollten oder konnten. Eine historische Erfahrung in diesem Zusammenhang ist, dass die Homogenisierungsbestrebungen nationaler Kollektive bei den Angehörigen marginalisierter differenter Kollektive nicht haltmachten, sondern auch deren kulturelles Erbe mit einbezogen – und in einigen Fällen restlos auslöschten.135 Der Nationalismus wirkte hier als großer Gleichmacher. Es zeigt sich, dass die Konstitution einer Nation nach exklusiven Kriterien eine Abstraktion erfordert von den Kollektiven, die ihr vorausgehen und die stets heterogener und komplexer sind als das letztendliche Produkt. Die Gegenstände, in denen die Subjekte einer Nation gleich und einig sein sollen, müssen bestimmt oder zuerst gefunden, und, wenn das nicht möglich ist, auch erfunden werden. In diesen Prozessen besteht die eigentliche Konstruktionsarbeit des Nationalismus. „Keine Nation ohne Fälschung der eigenen Geschichte“, zitiert Eric J. Hobsbawm den Pionier der Nationalismusforschung Ernest Renan und führt an anderer Stelle aus: „Denn jede Nation auch nur von mittlerer Größe musste ihre Einheit auf der Grundlage einer offensichtlichen Vielfalt konstruieren.“136 Benedict Anderson formuliert allgemeiner: „Ich gehe davon aus, dass Nationalität – oder, wie man angesichts der vielfältigen Bedeutung des Wortes auch sagen könnte, Nation sein – und gleichermaßen Nationalismus kulturelle Produkte einer besonderen Art sind.“137 134 Jansen/Borggräfe (2007), 26; vgl. Hobsbawm (2005), 20; Gellner (1995), 8. 135 Bevan (2006). 136 Hobsbawm (2005), 109, Zitat: 25, nach: Renan, Ernest: Qu’est-ce que c’est une nation? Paris 1882. 137 Anderson (1993), 14.
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Der Kulturwissenschaftler Zoran Terzić spitzt diese These zu. Für ihn wirkt sich der Nationalismus als „fataler Formgeber des Formlosen“ aus.138 Inwiefern man bei dem Material, das dem Nationalismus bei der Konstruktion der Nation zur Verfügung steht, tatsächlich vom „Formlosen“ sprechen kann, sei dahingestellt. Eine gemeinsame Sprache scheint zumindest oberflächlich betrachtet ein zuverlässiges Kriterium nationaler Zugehörigkeit zu sein. Und immerhin kommt es im Prozess der „Formgebung“ der Nation zur Vermischung einerseits verbürgter Versatzstücke aus Geschichte, Religion und Kultur der beteiligten Kollektive mit andererseits mythischen und legendären Elementen sowie nicht selten auch Darstellungen, die sich den Anschein von Wissenschaftlichkeit geben, ihrerseits jedoch wiederum konstruiert sind und nicht verlässlich belegt werden können. Besondere Beweiskraft wird dabei dem in ähnlichen Verfahren konstituierten kulturellen Erbe in Form von Kirchen, Klöstern, Burgen, Schlachtfeldern und anderen Schauplätzen historischer Ereignisse zugeschrieben, die ihrerseits eine besondere Bedeutung in der symbolischen Wissensordnung eines Kollektivs haben. Wir können also beim Konstrukt „Nation“ von einer Mischung aus verbürgten und erfundenen Elementen im Sinne der „Imagined Communities“ Benedict Andersons sprechen139. Ein ähnliches Geflecht aus historisch verbürgten, frei interpretierten sowie ganz und gar erdichteten Elementen findet sich in vielen Historienromanen – eine literarische Gattung, die sich sicher nicht zufällig in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts etabliert und ein Massenpublikum anspricht.140 Problematisch ist die wiederholt aufgegriffene Formel von der „nationalen Wiedergeburt“. Sie war unter den Protagonisten der nationalen Bewegungen auf der Balkanhalbinsel etwa als rilindja kombëtare (Albanien und Kosovo), национално възраждане (Bulgarien) oder narodni preporod (Kroatien, Serbien) populär.141 Die Pioniere der Forschung zum Phänomen des Nationalismus in Osteuropa haben diese Formel übernommen, ohne sie kritisch zu hinterfragen.142 Sie suggeriert eine Kontinuität der Nation, die sich bis auf politische Gebilde des Mittelalters zurückverfolgen lässt. In nationalistischen Argumentationen dient sie meist zur Rechtfertigung territorialer und hegemonialer Ansprüche. Die einstige Nation ist, so die 138 139 140 141
Terzić (2007), 11. Anderson (1993); vgl. auch Hobsbawm/Ranger (1992). Vgl. Rüsen (2013), 43 ff. Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 470; vgl. Goldstein (2007), 52; Boeckh (2009), 47; Tzermias (1999), 69, 71 sowie: Malcolm (1998), 217 ff.; Behschnitt (1976), 188 und Finger (2003), 135. 142 Bei Miroslav Hroch (1985) „national revival“; „nationale Wiedergeburt“ bei Behschnitt (1976).
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Konstruktion, wiederauferstanden und macht nun ihr natürliches Recht geltend. Die Nähe zu religiösen Motiven ist offensichtlich und nicht zufällig.
NATIONALISMUS UND KULTURERBE IN DER SERBISCHEN GESCHICHTE
Wie weit imaginierte Erinnerungen und tatsächliche historische Ereignisse auseinanderklaffen können, zeigt das Beispiel des sogenannten „Ersten Serbischen Aufstands“ im Jahr 1804, der im nationalen Mythos im Nachhinein zum Beginn der Erhebung der Serben gegen die osmanische Herrschaft und zum Ausgangspunkt der „Befreiung“ vom „türkischen Joch“ verklärt wurde. Im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg (1787–1792) gelang es türkischen Truppen, das erst 1789 an Österreich gefallene Belgrad wieder zu besetzen. Der vom Paschaluk143 Belgrad regierte osmanische Verwaltungsbezirk, der Sandschak von Smederevo, wurde schon länger von Aufständen gegen die durch die Hohe Pforte eingesetzten Janitscharen erschüttert, denen die lokale Bevölkerung Willkürherrschaft vorwarf. Im 1791 geschlossenen Frieden von Svištov144 verfügte Sultan Selim III. zur Beruhigung der Provinz, dass die Janitscharen den Sandschak von Smederevo zu verlassen hätten.145 Diese Anordnung fand jedoch keine ungeteilte Zustimmung. In einem bürgerkriegsähnlichen Machtkampf töteten im Jahr 1801 die Janitscharen Mehmet Aga Fočić, Mula Jusuf, Alija Kučuk und Aganlija den osmanischen Stadthalter Belgrads Hacı Mustafa Paşa (1801), und rissen die Herrschaft an sich. In der Folge des Attentats und weiterer Vergehen erhob sich am 2. Februar 1804 unter dem wohlhabenden serbischen Schweinezüchter und -händler146 Ðorđe Petrović (1762–1817), genannt Karađorđe (Schwarzer Georg), ein Teil der Bevölkerung erfolgreich gegen die abtrünnigen Janitscharen.147 Von einem Aufstand gegen die osmanische Herrschaft, wie es der serbische nationale Mythos wissen will, kann also bei dem von Ðorđe Petrović angeführten Aufbegehren keine Rede sein. Vielmehr sollte damit die gestörte Herrschaftsordnung wiederhergestellt werden:
143 Als Pašaluk (serb.) / Paşalık (türk.) wurde der Amtsbezirk eines osmanischen Paschas „im Rang eines Wesirs“ bezeichnet (Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 535). 144 Heute in Bulgarien. 145 Ðurić-Zamolo (1977), 210. 146 Darby (1966), 114. 147 Ranke (1844), 91, 99; Ðurić-Zamolo (1977), 211; Stolić (2005), 161; Boeckh (2009), 50 f.
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Nota bene bestand das Ziel in der Restauration der osmanischen Ordnung. […] Das Ziel der Aufrührer war es vorderhand nicht, die alte Ordnung, also die osmanische Souveränität, anzutasten, sondern – viel pragmatischer – erträgliche Zustände herzustellen, für die Ermordung serbischer Führer Rache zu üben und zu versuchen, weiteren Bluttaten der Janitscharen zuvorzukommen. [...] Ein religiöser Gegensatz (Christen gegen Muslime) spielte hier genauso wenig eine Rolle wie ein ethnischer (Slawen gegen Türken).148
Das Vorgehen Ðorđe Petrovićs war weder ein Einzelfall noch ungewöhnlich in der unruhigen Periode des beschleunigten Verfalls der osmanischen Herrschaft in der Region. Auch die „Epanastasi Tu Ikosiena“149, die zum griechischen Unabhängigkeitskampf verklärten lokalen Aufstände im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, richteten sich zunächst gegen Griechen: „Es klingt wie eine Ironie der Weltgeschichte: Der griechische Freiheitskampf begann mit einem Aufstand gegen Griechen.“ Der Jurist und Historiker Reinhard Heydenreuter geht hier auf den Umstand ein, dass sich die lokalen Aufstände, die 1830 tatsächlich zur Unabhängigkeit Griechenlands führten (allerdings seit 1832 mit Prinz Otto, Sohn König Ludwigs I. von Bayern, wiederum unter einem fremden Regenten), 1821 in der (heute rumänischen) Walachei zunächst gegen die in türkischen Diensten stehenden griechischen Phanarioten richteten.150 Wie jeder Mythos enthält auch die im Nachhinein konstruierte populäre Geschichte um Ðorđe „Karađorđe“ Petrović und seinen Aufstand einen Funken Wahrheit. Tatsächlich stand die Erhebung gegen das Regime der Janitscharen neben anderen Ereignissen am Anfang einer Entwicklung, die 1912 im ersten Balkankrieg einen Abschluss finden sollte, als eine militärische Allianz aus bulgarischen, serbischen, griechischen und montenegrinischen Truppen mit maßgeblicher 148 Boeckh (2009), 51 f. Ähnlich argumentierte schon der Historiker Leopold Ranke Mitte des 19. Jahrhunderts: „Die Serben hatten ihr Unternehmen nicht aus Begierde nach Neuerungen angefangen, nicht aus einer vielleicht unrichtigen Vorstellung von einem hervorzubringenden vollkommenen Zustande; sondern harte Noth und eigentliche Lebensgefahr hatte sie in die Waffen gebracht: wider die offenbaren Feinde ihres Oberherrn waren sie aufgestanden.“ Ebenfalls bei Ranke lesen wir, dass auch Türken in den Reihen der Aufständischen kämpften und der Aufstand gegen die Janitscharen der Pforte in ihrem Bestreben, die Macht Letzterer zu brechen, nicht ungelegen kam (Ranke (1844), Zitat: 120, vgl. ebd., 117). Vgl. auch Darby (1966), 115: „The Serbian Christians were in effect fighting to maintain the sultan’s authority over the rebellious janissaries, yet they were distrusted by the local officials of the sultan and were appealing for outside help.“ 149 Tzermias (1999), 71. 150 Zitat: Heydenreuter (1993), 48; vgl. Weithmann (1994), 165.
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Beteiligung makedonischer Kämpfer den osmanischen Einfluss dauerhaft hinter die Linie Enez (Enos)-Kıyıköy (Medea), auf der Landenge zwischen Schwarzem Meer und Marmarameer, zurückdrängen konnte. Ob sich vor dem Hintergrund dieser über einen Zeitraum von immerhin etwa hundert Jahren andauernden Entwicklung eine Bewegung konstatieren lässt, die sich und ihrer Ziele, maßgeblich der „Schaffung eines serbischen Nationalstaats“, von Anfang an bewusst war, wie die serbische Historikerin Ana Stolić 2005 postulierte151, sei dahingestellt. Es darf bezweifelt werden, dass Miloš Obrenović, der Führer des sogenannten „Zweiten Serbischen Aufstands“ 1815 im Ort Takovo in der historischen Landschaft Šumadija152, ein Viehzüchter wie Ðorđe Petrović und zeitlebens Analphabet153, „den Weg für die Konzeption einer modernen nationalen Ideologie ebnen wollte“, wie Stolić schreibt.154 Vieles spricht dafür, dass sich in den heterogenen Kollektiven der Region die abstrakte Idee der Nation wie überall in Europa nur sehr langsam durchsetzen konnte. Um die Ereignisse und ihre Repräsentation in populären Darstellungen richtig einzuordnen, müssen wir nach ihrer Funktion fragen. Der im griechischen wie im serbischen Nationalismus gleichermaßen konstruierte Antagonismus zwischen lokalen Christen und muslimischen Unterdrückern hatte in den Nationalismen der christlichen Bevölkerung der Region – neben Serbien und Griechenland auch in Bulgarien155 – ein enormes Mobilisierungspotential. Er ließ sich gut für politische Zwecke instrumentalisieren. Der Konflikt, der auf tatsächlichen und eingebildeten historischen Erfahrungen beruhte, wie das Beispiel des „Ersten Serbischen Aufstands“ zeigt, wurde und wird in populären Darstellungen bis heute tradiert. Als kulturelles Erbe ging er in die Sinnsysteme der Kollektive, in deren symbolische Wissensordnungen, ein. Tatsächlich handelt es sich bei der Konstitution eines souveränen serbischen Nationalstaats um einen komplexen historischen Prozess, der zumindest auf zwei Ebenen verlief, die fraglos Berührungspunkte aufweisen, jedoch nicht ineinander aufgehen oder in einem zwangsläufigen Verhältnis stehen, wie die nationalistische Rhetorik stets glauben machen will. Eine dieser zwei Ebenen bildet den politischen und machtstrategischen Prozess ab, der zur serbischen Nationalstaatlichkeit führte. Eine zweite Ebene besteht in der durch Denker aus dem westlichen Europa beeinflussten intellektuellen Idee der Nation in literarischen und ersten wissenschaftlichen Werken. Die vermittelnde Instanz zwischen beiden Ebenen bildeten 151 152 153 154 155
Stolić (2005). Von serb. šuma (dt. Wald), etwa: Waldland. Sundhaussen (2005), 206; Boeckh (2009), 58. Stolić (2005), 171. Vgl. Baleva (2012).
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hybride Institutionen – vor allem nationale Akademien und die Staatskirche156 –, die einerseits im politischen und machstrategischen Umfeld agierten und andererseits Intellektuelle, Theologen und Künstler in und um sich versammeln konnten. Diese Institutionen sicherten die Verfügbarkeit theoretischer Legitimationen für politische Ambitionen, die serbische Herrscher oder andere politische Führungsfiguren aufgriffen oder nicht. Eine besondere Dynamik auf der politischen oder machtstrategischen Ebene entstand durch die Kämpfe externer Mächte um Einfluss in der Region auf der einen und innerpolitische Auseinandersetzungen auf der anderen Seite. Einen wesentlichen Teil Letzterer bildete die Rivalität der serbischen Herrscherdynastien der Karađorđević und Obrenović in der Folge der Aufstände von 1804 und 1815. Das Machtvakuum, das mit dem schrittweisen Rückzug des Osmanischen Imperiums in der Region entstand, förderte die Ambitionen des lokalen Personals, wie schon die Auseinandersetzung zwischen den Janitscharen und Ðorđe Petrović zeigt. 1817 ließ Obrenović Petrović ermorden. Den abgetrennten Kopf seines Widersachers sandte er nach Konstantinopel, um sich des Wohlwollens des Sultans zu versichern157. 1830 erfolgte schließlich die Anerkennung Miloš Obrenović als serbischer Erbfürst durch die Hohe Pforte und die damit einhergehende faktische Autonomie Belgrads. Der Mord an Ðorđe Petrović blieb jedoch nicht der einzige in der Geschichte Serbiens. Ebenfalls durch Attentate starben der Sohn Obrenovićs, Mihajlo (1868) als Fürst, sowie der letzte Spross des Hauses Obrenović, Aleksandar (1903) als König Serbiens. In anderen Zusammenhängen steht die Ermordung von Aleksandar I. Karađorđević als König von Jugoslawien 1934 in Marseille. Ein weiterer innenpolitischer Machtkampf entspann sich zwischen den sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelnden gesellschaftlichen Lagern. Miloš Obrenović, der zwei Mal die Geschicke des serbischen Fürstentums lenkte (1815– 1839, 1858–1860), wird ein besonders autokratischer Führungsstil nachgesagt. Zunächst brachte er die Serbische Orthodoxe Kirche unter seine Kontrolle, indem er ihren Synod mit ihm genehmen Personal besetzte.158 Außerdem zog er sich den Unmut der bürgerlichen Eliten aus reichen Kaufleuten, Beamten und Offizieren zu, indem er als serbischer Fürst seine Monopolstellung im Handel ausbaute.159 Sein rigider Stil brachte überdies die Verfassungsverteidiger (Ustavobranitelji) gegen 156 157 158 159
Vgl. Stefanov (2011); Buchenau (2004, 2006). Perović (2007), 100; Boeckh (2009), 59; Behschnitt (1976), 31; Stolić (2005), 163. Buchenau (2004), 52. Behschnitt (1976), 68; Stolić (2005), 164 f.
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ihn auf160. Letztere führten nach der erzwungenen Abdankung Obrenovićs 1839 und der zeitweiligen Vertreibung der Obrenović aus Serbien von 1842 bis 1858 unter Fürst Aleksandar Karađorđević das Regime. Sowohl Obrenović als auch die Verfassungsverteidiger unter Karađorđević setzten den zentralen Herrschaftsanspruch, der „von Anfang in einem scharfen Gegensatz zu jenen traditionellen, gewohnheitsrechtlichen Selbstverwaltungsinstitutionen [stand], die für die Bevölkerungsmehrheit sakrosankt waren“, gegen die „leidenschaftliche Abneigung“ der Landbevölkerung durch.161 Im Schatten der Auseinandersetzungen zwischen Russland, Österreich und dem Osmanischen Reich konnten die beiden Dynastien der Karađorđević und der Obrenović die Machtfülle und das Gebiet des serbischen Fürstentums ausbauen. Im Zuge des Russisch-Osmanischen Kriegs (1877–1878) und in der Folge des Berliner Kongresses (1878) erlangte Serbien völkerrechtliche Souveränität und erweiterte sein Territorium entlang des Flusses Morava bis unterhalb Niš. In den beiden Balkankriegen 1912 und 1913 schließlich eroberte Serbien, seit 1882 Königreich162, Kosovo, den Sandschak von Novi Pazar und Vardar-Makedonien bis zum See von Ohrid. Spätestens mit der Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg und der Proklamation des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen durch Aleksandar Karađorđević am 1. Dezember 1918 war Serbien als Nationalstaat konsolidiert. In einer kurzen Betrachtung wie dieser lässt sich der Prozess, der zur serbischen Nationalstaatlichkeit führte, freilich nicht erschöpfend darstellen. Eine ausführliche Analyse hätte die soziale Differenzierung der serbischen Bevölkerung und die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Konflikte ebenso zu berücksichtigen wie gesellschaftspolitische Errungenschaften – etwa die erste serbische Verfassung von 1835 oder die Einführung eines Bürgerlichen Gesetzbuches 1844163. Mir ging es zunächst darum, die Ebene der politischen Entwicklung Serbiens zum Nationalstaat zusammenzufassen, um sie von der ideologischen Ebene unterscheiden zu können, die auf der Basis kultureller Argumente Legitimationsstrategien ermöglicht. In seinem berühmt gewordenen Essay Srbi svi i svuda (Serben alle und überall) beklagt der serbische Universalgelehrte Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864) 160 Das Fürstentum Serbien hatte sich 1835 eine erste Verfassung gegeben (Behschnitt (1976), 31). Miloš Obrenović hatte diese Verfassung jedoch umgehend wieder außer Kraft gesetzt (Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 725). 161 Sundhaussen (2005), 199 f. 162 Behschnitt (1976), 32; Boeckh (1996), 29. 163 Stolic (2005), 165.
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im Jahr 1849 die höchst unterschiedlichen Selbst- bzw. Fremdbezeichnungen und -identifikationen in den verschiedenen südslawischen Regionen. Von den „mindestens fünf Millionen Seelen“ die zwischen „Drina und Timok, zwischen Donau und dem Alten Gebirge, in Metohija […] in Bosnien und Herzegovina, in der Zeta, in Montenegro, dem Banat, der Bačka und der Srijem […] in Slawonien, in Kroatien, Dalmatien und der gesamten adriatischen Küstenlandschaft von Triest bis zur Buna-Mündung“ lebten und zwar die gleiche Sprache sprächen, jedoch drei verschiedenen Glauben anhingen, schrieb er: Bezeichnen sich lediglich […] drei Millionen als Serben oder Serbljanen, während die Übrigen diesen Namen nicht verwenden, vielmehr denken die, die unter dem türkischen Glauben leben, sie seien echte Türken, und so nennen sie sich, wenn auch nicht einer von hundert türkisch spricht; und die, die römischen Glaubens sind, nennen sich selbst oder werden genannt nach den Orten, in denen sie leben, zum Beispiel Slawonier, Bosnier, (oder Bosniaken), Dalmatiner, Dubrovniker und so weiter oder, wie es besonders die Schriftsteller tun, mit dem archaischen Namen Illyrier oder Illyriker, der Gott weiß wem gehörte. Jene Ersten [orthodoxe Serben, T. S.] rufen die in der Bačka Bunjevzen, die in der Srijem, in Slawonien und in Kroatien Schokzen, und die, die um Dubrovnik und in der Boka [Bucht von Kotor, T. S.] leben nennen sie Lateiner. […] ebenso nennen die Muslime und Katholiken die Orthodoxen Vlachen, und die Katholiken in Dalmatien in der Gegend um Split und Sinj nennen die Orthodoxen außerdem Rkaćima (oder Hrkaćima). In freundschaftlichen Gesprächen nennen die Orthodoxen die Katholiken Kršćanima und die Katholiken die Orthodoxen Hrišćani.164
Karadžićs Text ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich. Zunächst zeigt er, wie wichtig das Argument der Sprache für den Sprachforscher Karadžić war. Für ihn stellte es offenbar einen bedauernswerten Umstand dar, dass sich lediglich drei der fünf Millionen Individuen, die das gleiche Idiom benutzen, als „Serben oder Serbljanen“ bezeichnen. Darüber hinaus musste er einräumen, dass die lokalen Identifikationen höchst unterschiedlich und weit davon entfernt waren, eine Einheit zu bilden. Ein wichtiges Moment in der Betrachtung Karadžićs ist die bereits im Titel formulierte These – Serben alle und überall –, dass aus sprachlichen und religiösen Gemeinsamkeiten eine nationale Identität erwächst, die letztlich auch einen territorialen Anspruch begründet. Diesen formuliert der aus Westserbien stammende Gelehrte zwar nicht explizit, seine Ausführungen sind jedoch hierfür anschluss164 Karadžić (1849) in Brandt et al. (1991), 81 ff. Vgl. Behschnitt (1976), 97.
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fähig. Die in Bosnien und der Herzegovina sowie in Kroatien etwa entlang der ehemaligen Militärgrenze (Vojna Krajina) von Österreich und den Osmanen im Zuge der Türkenkriege gleichermaßen angesiedelten orthodoxen Vlachen wurden so kurzerhand zu Serben erklärt.165 In dem kurzen Auszug aus Karadžićs bekanntem Text zeigt sich das ganze Dilemma nationalistischer Argumentation in dieser Periode, die trotz der Unmöglichkeit nationale Zugehörigkeit nach vermeintlich objektiven Kriterien wie Sprache, Religion, Herkunft und Kultur verlässlich feststellen zu können, aus eben diesen Kriterien – oder einer Auswahl daraus – einen politischen Anspruch ableitet. Die Formulierung einer nationalen Ideologie wiederum folgte in Serbien einer ähnlichen Entwicklung wie in den politischen Gebilden Westeuropas. Ein Grund dafür war, dass ihre intellektuellen Wegbereiter, allen voran Dositej Obradović (1739–1811) und Vuk Karadžić, über den Austausch mit europäischen Gelehrten mit den entsprechenden Theorien vertraut wurden. Der in Čakovo im Banat166 geborene Dositej Obradović etwa hatte in Wien, Istanbul, Venedig, Leipzig und Halle gelebt und studiert.167 Vuk Karadžić wiederum war mit Herder, Jacob Grimm und Goethe bekannt168, hatte Reisen nach Russland und Deutschland unternommen, war Ehrendoktor der Jenaer Universität und hatte mit dem Historiker Leopold Ranke (1795–1886) in Wien an einer Geschichte der serbischen Aufstände von 1804 und 1815 gearbeitet.169 165 Die Vojna Krajina ist eine historische Region im Osten Kroatiens, heute weitestgehend identisch mit der Staatsgrenze zwischen Kroatien und Bosnien und Herzegovina. Sie verläuft vom Nordosten durch die historischen Landschaften Baranja, Slawonien, Banija (Banovina), Kordun, Lika bis nach Dalmatien im Süden. Als populäre Bezeichnungen haben sich Krajina, Kroatische Krajina (Hrvatska Krajina) oder Bosnische Krajina (Bosanska Krajina) durchgesetzt. Ein weiterer orthodoxer Siedlungsschwerpunkt ist die östliche Herzegovina in der Grenzregion Bosnien und Herzegovina, Serbien und Montenegro. Orthodoxe Siedler leben ebenfalls traditionell im Osten Bosniens entlang der Grenzflüsse Save und Drina. Vgl. Behschnitt (1976), 27, 37; Ramet (1992), 206; Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, P. 7; Goldstein (1999), 39 f.; Boeckh (2009), 38. 166 Das Banat ist eine historische Landschaft (heute in Rumänien, Serbien und Ungarn liegend), die zwischen von den Flüssen Maros im Norden, Theiß im Westen, der Donau im Süden und den siebenbürgischen Karpaten begrenzt wurde (Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 89). 167 Fischer (2007), 45 f. 168 Vgl. Trgočević (2005), 218; Sundhaussen (2005), 206; Behschnitt (1976), 86; Österreichische Akademie der Wissenschaften (1963), Bd. 3, 229. 169 Österreichische Nationalbibliothek (1987), 59–62; Österreichische Akademie der Wissenschaften (1963), Bd. 3, 229; zur Bedeutung Karadžićs und Obradovićs für das Entstehen des serbischen Nationalbewusstseins und den Einfluss Herders siehe auch: Stefanov (2011), 35 ff.
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Wie in anderen europäischen Gesellschaften wurden auch in Serbien nationale Ideen zunächst in kleinen gelehrten Zirkeln verhandelt, bevor sie sich in bürgerlichen Eliten verbreiten konnten. Wladimir Fischer hat die Situation der serbischen Eliten zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschrieben.170 Demnach lebten die sie konstituierenden Individuen einerseits „politisch geführt vom orthodoxen Klerus“ als „Offiziere“ und „Kaufleute“ jenseits der Grenzen im Habsburgerreich oder sie „rekrutierten“ sich andererseits „vornehmlich aus den Kreisen ländlicher Lokalhonoratioren und Kriegsherren“ auf osmanischem Territorium. Die Vermittlerfunktion zwischen diesen unterschiedlichen Kreisen, „Interessen und Vorstellungen“ fiel wiederum Intellektuellen wie Obradović und Karadžić zu.171 Es spricht jedoch für sich, dass Karadžićs Anfang des 19. Jahrhunderts unternommene Versuche, die serbische Schriftsprache zu reformieren, um sie einem größeren Publikum verfügbar zu machen, erst mehr als ein halbes Jahrhundert später und vier Jahre nach seinem Tod, in Serbien offiziell anerkannt wurden.172 Erst mit der Großen Orientalischen Krise (1875–1878), der Besetzung Bosniens und der Herzegovina durch Österreich (1878) sowie der damit verbundenen Konflikte ist nach der Ansicht Sundhaussens der Nationalismus als Integrationsfaktor in Serbien zum Massenphänomen geworden.173 An der verhaltenen Entwicklung der nationalen Ideologie vermochte offenbar auch die Gründung gelehrter Gesellschaften zunächst wenig zu ändern. 1826, das Jahr, in dem Sultan Mahmud II. in Konstantinopel den Machtkampf mit den Janitscharen in einem blutigen Fanal beendete und fast sechstausend Angehörige der Elitetruppe von der Artillerie zusammenschießen ließ174, wurde in Budapest die Matica Srpska als erste serbische Kulturvereinigung gegründet.175 Aus der 1842 gegründeten Gesellschaft für Serbische Literatur (Društvo srpske slovesnosti) 170 Fischer (2005). 171 Fischer (2005), 619. 172 1814 erschien in Wien Karadžićs serbische Grammatik Pismenica srpskog jezika. 1818 erschien ebenfalls in Wien sein serbisches Wörterbuch Srpski rjećnik. Karadžićs Bemühungen stießen zunächst auf den Widerstand der Serbischen Orthodoxen Kirche und der serbischen Eliten. Erst 1868 wurde die serbische Orthografie Karadžićs offiziell im serbischen Fürstentum eingeführt (Österreichische Nationalbibliothek (1987), 60 ff.; Sundhaussen (2005), 206). 173 Sundhaussen (2005), 214. 174 Malcolm (2002), 120; Crampton (2005), 56. 175 Budapest und die heute in der Vojvodina in Serbien gelegene Stadt Novi Sad (Neusalz) waren Zentren früher kultureller und politischer Diskurse zu einer spezifisch serbischen Identität auf dem Territorium des Habsburgerreiches. Die Matica Srpska wechselte 1864 nach Novi Sad. Vgl. Behschnitt (1976), 28; Fischer (2005), 619.
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wiederum ging 1864 die Serbische Gelehrte Gesellschaft (Srpsko učeno društvo) hervor.176 Diese sandte von 1871 bis 1884 ihre Mitglieder Mihailo Valtrović und Dragutin Milutinović wiederholt auf Reisen, die serbischen Klöster und Kirchen zu portraitieren. Gemeinsam schufen sie hunderte Zeichnungen, „beschrieben die Gebäude, fertigten einfache Architekturskizzen und kopierten die Fresken“. Die Ergebnisse der Reisen ihrer Mitglieder präsentierte die Gesellschaft in öffentlichen Ausstellungen.177 Zuvor hatte bereits der Maler Dimitrije Avramović (1815–1855) von der Regierung Fürst Karađorđevićs den „ausdrücklichen Auftrag“ erhalten, zum Berg Athos zu reisen und dort „die serbischen Denkmäler, insbesondere die altserbische Malerei zu studieren“.178 Das Interesse an überkommender Architektur des mittelalterlichen serbischen Königreichs war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits kein neues mehr. Karadžić hatte bereits 1815 mit dem Journalisten Dimitrije Frušić eine Reise zu den orthodoxen Klöstern in der Fruška Gora179 und 1820 zu den mittelalterlichen Klöstern in der Ovčar-Kablar-Schlucht180 unternommen. Seine Erkenntnisse veröffentlichte Karadžić unter anderem „1826 in der Zeitschrift ‚Danica‘ unter dem Titel ‚Početak opisanja srpskih manastira‘ (Beginn der Beschreibung der serbischen Klöster, T. S.)“.181 Auf Vuk Karadžić geht auch der Begriff „Altserbien“ (Stara Srbija) zurück, der bald im Zusammenhang mit territorialen Ansprüchen Serbiens populär wurde. Er bezeichnete damit das Gebiet im Unterlauf der Morava, im Westen begrenzt durch die Flüsse Lim und Drina, im Osten durch die Morava und im Süden durch das Šar-Planina-Gebirge.182 Mit seiner Wortschöpfung bezog sich Karadžić auf das mittelalterliche serbische Königreich unter der Dynastie der Nemanjiden, das seinen Kernbereich in der historischen Landschaft Raszien (serb. Raška) hatte und mehr oder weniger deckungsgleich mit der als Altserbien bezeichneten Region gewesen sein sollte. 1865 veröffentlichte der Belgrader Professor Pantelija (Panta) Srećković (1834–1903), Mitglied der Serbischen Gelehrten Gesellschaft, einen, wenn man so will, ersten Text zur Kulturer176 1886 gründete sich aus der Serbischen Gelehrten Gesellschaft die Serbische Königliche Akademie (Srpska Kraljevska Akademija), aus der wiederum 1949 die bisweilen politisch einflussreiche Serbische Akademie der Wissenschaft und Künste (Srpska Akademija Nauka i Umetnosti, SANU) hervorging. Vgl. Behschnitt (1976), 28; Galerija Srpske Akademije Nauka i Umetnosti (2011), 215 ff. 177 Galerija Srpske Akademije Nauka i Umetnosti (2011), 215. 178 Medaković (1965), 168. 179 Die Fruška Gora ist ein kleineres Gebirge, dass heute zum Teil in der serbischen Vojvodina, nordwestlich von Belgrad, und in Kroatien liegt. 180 Heute Zentralserbien. 181 Medaković (1965), 167. 182 Behschnitt (1976), 23.
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bezerstörung in Kosovo183, der eine kritische Note des russischen Historikers und Konsuls in Prizren, Ivan Stepanović Jastrebov (1839–1894), der bis heute hohes Ansehen unter den Serben genießt, nach sich zog. Letzterer widmete mindestens zwei seiner Schriften dem serbischen Kulturerbe in Kosovo und gebrauchte in diesem Zusammenhang den von Karadžić geprägten Begriff „Stara Srbija“ sogar im Titel eines dieser Texte.184 Das wachsende Interesse für das kulturelle Erbe des serbischen mittelalterlichen Königreichs hatte zunächst keine unmittelbaren politischen Implikationen. Das änderte sich jedoch mit den expansionistischen Ambitionen des serbischen Fürstentums. Diese galten vor allem jenen Gebieten in Bosnien und der Herzegovina sowie in Kosovo, in denen es einen als serbisch deklarierten orthodoxen Bevölkerungsanteil gab. Der erste Politiker, der diesen Anspruch programmatisch formulierte, war der Verfassungsverteidiger Ilija Garašanin (1812–1874), der 1843 unter Fürst Aleksandar Karađorđević serbischer Außenminister geworden war. In seiner berühmt-berüchtigten Schrift Načertanije (etwa: Entwurf) forderte Garašanin 1844 die Vereinigung aller Serben (orthodoxen Glaubens) in einem Territorialstaat, Zugang zur Adria und die Vormachtstellung Serbiens in der Region. Als Feindbilder bemühte Garašanin die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich. Zur Rechtfertigung seiner Forderungen berief sich der Politiker auf das historische Recht der Serben und die Herrschaft der Nemanjiden-Dynastie im Mittelalter.185 Wie arbiträr die Bezüge zwischen politischer Strategie und intellektuellen Legitimationen auf Basis kultureller Argumente jedoch bisweilen sein konnten, zeigt das Beispiel des Kosovo-Mythos. Die Erinnerung der Niederlage eines durch kroatische, albanische, bulgarische und walachische Hilfstruppen unterstützten bosnisch-serbischen Heeres gegen eine osmanische Streitkraft unter Sultan Murad I. (1326–1389, reg. 1359–89) am Vidovdan (Veitstag) des Jahres 1389186 auf dem Amselfeld187, dem Kosovo Polje, war vor allem durch die Serbische Orthodoxe Kirche und in epischen Dichtungen tradiert worden. Die Überlieferung hatte die Schlacht verklärt, der Klerus hatte ihr eine eschatologische Bedeutung zugeschrieben. Der serbische Heerführer Lazar 183 Srećković (1865); ich komme darauf zurück. 184 Jastrebov (1879, 1904). 185 Grundlegend zu Garašanin und dessen Schrift Načertanije: Behschnitt (1976), 70 ff.; Malcolm (2002), 127; Perović (2007), 102; Höpken (2005), 355; Polónyi (2010), 60 ff. 186 Am 28. Juni nach dem gregorianischen Kalender, am 15. nach dem damals gültigen julianischen (Polónyi (2010), 25; Schmitt (2008), 29). 187 Im Nordosten der heutigen Republik Kosovo in unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt Prishtina.
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Hrebljanović (1329–1389), der wie sein Antagonist Murad I. das Amselfeld nicht lebend verließ, wurde bald als Heiliger verehrt. Mit den tatsächlichen historischen Ereignissen, zu denen kaum zuverlässige Informationen überliefert sind188, hat die religiöse und volkstümliche Erinnerung, die im Kosovo-Mythos gebündelt vorliegt, wahrscheinlich wenig bis nichts gemein. Das mindert jedoch nicht das sinnstiftende Potential des Mythos, der in Serbien im 19. Jahrhundert zunächst vor allem durch künstlerische Werke wieder präsent gemacht wurde. Sechs Theaterinszenierungen mit diesem Thema hat Polónyi für den Zeitraum von 1827 bis 1889 ausgemacht.189 Zwischen 1861 und 1886 entstanden Adam Stefanovićs Gemälde Das Abendmahl des Fürsten Lazar (Kneževa večera) und Die Schlacht auf dem Amselfeld (Boj na Kosovu), Aleksandar Dobrićs Miloš Obilić in der Schlacht auf dem Amselfeld (Miloš Obilić u boju na Kosovu) und Paja Jovanovićs Migration der Serben (Seoba Srba), das die Flucht von orthodoxen Siedlern aus Kosovo in den Jahren 1689–90 dramatisiert, die sich zuvor einer militärischen Expedition der Habsburger gegen das Osmanische Reich angeschlossen hatten und mit diesen unterlegen waren.190 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Kosovo-Mythos auch politisch relevant. Die Annexion Bosniens und der Herzegovina durch Österreich-Ungarn 1878 hatte Serbiens Expansionspläne nach Westen vereitelt. Das Fürstentum konzentrierte sich fortan auf die südlichen Territorien191, die es im Zuge der Russisch-Türkischen Kriege und der Balkankriege schließlich auch etappenweise erobern konnte. König Petar I. Karađorđević nutze den Kosovo-Mythos und die mittelalterliche serbische Geschichte, um sein Volk auf den Krieg einzuschwören.192 Mit dem Ersten Weltkrieg wurde das KosovoThema wiederum prekär. Im November 1915 verloren serbische Truppen auf dem Amselfeld eine weitere Schlacht – diesmal jedoch gegen eine Streitmacht Österreichs. In einem verlustreichen Marsch – im serbischen nationalen Mythos zum „serbischen Golgatha“193 verklärt – schlugen sich die unterlegenen serbischen Ein188 Ausführliche Darstellungen des Kosovo-Mythos finden sich etwa bei Reuter (1993, 1999), Malcolm (1998), Schmitt (2008), Čosović (2009); besonders ausführlich bei Polónyi (2010). 189 Polónyi (2010), 62. 190 Medaković (1965), 166; Behschnitt (1976), 27; Malcolm (2002), 84; Perović (2007), 99; Boeckh (2009), 38. 191 Behschnitt (1976), 74; Trgočević (2005), 224; alle Gemälde bis auf Paja Jovanovićs Seoba Srba (Volksmuseum Pančevo) befinden sich im Nationalmuseum (Narodni Muzej) in Belgrad. 192 Polónyi (2010), 76. 193 Bogdanović, Dimitrije (1992), 225; The Voice of Kosovo… (1999), 54; The Holy Assembly (2004), 107.
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heiten an die Adriaküste durch.194 Im Dezember 1915 besetzte Österreich-Ungarn Kosovo. In diesen Zeitraum fällt die Entstehung von Uroš Predićs Gemälde Das Mädchen von Kosovo (Kosovska Devojka, 1917), das „zum bedeutendsten Bild der serbischen Nation“195 wurde. Einen ähnlichen Zusammenhang von kultureller Produktion, politischem Konflikt und der Konstitution nationaler Identitäten haben Nina AthanassoglouKallmyer (1989) für Griechenland und jüngst Martina Baleva (2011, 2012) für Bulgarien beschrieben.196 Unstrittig ist die Instrumentalisierung kultureller Äußerungen im Zuge politischer Propaganda zielgerichtet. Die Auswahl einzelner Elemente der Kultur für politische Ziele erfolgt jedoch offenbar eher taktisch den mehr oder weniger kontingenten historischen Entwicklungen als auf Grundlage entwickelter Strategien.
KULTURERBEZERSTÖRUNG IN SERBIEN UND DEM KÖNIGREICH JUGOSLAWIEN ZWISCHEN 1804 UND 1941
Die Konstitution der Nation durch Nationalismus war nicht nur im Serbien des 19. und 20. Jahrhunderts ein schöpferischer und zerstörerischer Prozess gleichermaßen. Aus einer heterogenen Vielzahl von Gemeinschaften mit unterschiedlichen 194 Malcolm (2002), 158; Boeckh (2009), 93; Polónyi (2010), 81. 195 Baleva (2012), 92, 123, Tafel X. 196 Nina Athanassoglou-Kallmyer beschreibt die Rolle der europäischen Philhellenen, insbesondere die Bedeutung französischer Kunstwerke für die verklärte Wahrnehmung der Ereignisse zwischen 1821 und 1829 in Griechenland. Martina Baleva untersucht die Konstitution des „Geschichtsmythos von Batak“ als zentrales Element des bulgarischen nationalen Mythos in der bildenden Kunst. Als Balevas Forschungen im Jahr 2007 erstmals öffentlich wurden, lösten sie einen Sturm der Entrüstung in Bulgarien aus. Die Boulevardpresse des Landes inszenierte eine Medienkampagne gegen die Wissenschaftlerin, die nationalistische rechtsextreme bulgarische Partei Ataka bot öffentlich € 2.500,00 für die Adresse von Baleva, und der Direktor des Nationalhistorischen Museums von Bulgarien Božidar Dimitrov behauptete, „Baleva habe sich an die Türkei verkauft“, und drohte, „Baleva und ihren Berliner Forschungspartner Ulf Brunnbauer wegen ‚Leugnung des Holocaust‘ zu verklagen“ (Kraske/Schmitter (2007)). Bei einem Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität im Jahr 2011 wurde Baleva von einem bulgarischen Fernsehteam bedrängt. Illegal angefertigte Aufzeichnungen ihres Vortrags wurden in Bulgarien ausgestrahlt und führten zur Forderung der Aberkennung ihres Doktortitels (Erneut Angriffe gegen die Kunsthistorikerin und Kuratorin Martina Baleva / Protestnote der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Humboldt-Universität zu Berlin. (http://www.uni-marburg.de/fb03/politikwissenschaft/pi-nip/martina) [11. Februar 2013]).
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Sinnsystemen und Wissensordnungen wurde eine nationale Gemeinschaft mit einem gemeinsamen homogenen kulturellen Referenzsystem. Das bedeutete neben der Institutionalisierung bestimmter Teile der kulturellen Vielfalt den Ausschluss anderer Elemente. In der Mitte des 20. Jahrhunderts hatten sich nach dem etwa 150 Jahre andauernden Prozess als wichtigste Merkmale einer spezifisch serbischen Identität die orthodoxe Religion, ein in kyrillischen Lettern geschriebener Dialekt des Südslawischen sowie eine aus tatsächlichen und eingebildeten historischen Ereignissen konstruierte gemeinsame Geschichte herausgebildet. Ohne weiter ins Detail gehen zu müssen, können wir diese Struktur als serbische Nationalkultur in ihrer positiven und negativen Gestalt bezeichnen. Da eine Kultur immaterielle und materielle Gegenstände gleichermaßen umfasst, musste der Prozess ihrer Konstitution nach exklusiven und inklusiven Kriterien Auswirkungen auf das materielle kulturelle Erbe der Region haben. Es ist indes wenig wahrscheinlich, dass die Parteigänger Ðorđe Petrovićs und Miloš Obrenovićs im Zuge der Erstürmung der osmanischen Festung Belgrad im Jahr 1806, oder bei späteren Kämpfen im Sandschak von Smederevo, türkische Häuser niederbrannten und deren Einwohner vertrieben, weil diese sich von einer serbischen Nationalkultur unterschieden, über die es zu diesem Zeitpunkt bestenfalls ein rudimentär ausgebildetes Bewusstsein gab. Noch in Paja Jovanovićs Gemälde Takovski Ustanak (Der Aufstand von Takovo) von 1895 tragen Obrenović und dessen Getreue traditionell osmanische Kleidung nebst Turban, Fez und Krummsäbel. Vielmehr spricht einiges dafür, dass es sich bei den Zerstörungen um Zornesausbrüche gegen lokale Machthaber handelte, die durch die Angriffe gegen Objekte, die mit diesen identifiziert wurden, kanalisiert werden konnten. Diese Sichtweise scheint mit einem Brief des Metropoliten von Karlovac197, Stefan Stratimirović (1757–1836), bestätigt. Der orthodoxe Würdenträger ruft darin seine Landsleute im Aufstand 1804 zur Mäßigung gegenüber osmanischen religiösen Objekten auf. Sie sollen dafür Sorge tragen, „dass sie keine türkischen Moscheen, Harems, Friedhöfe zerstören, kurz, alles, was Türken heilig sei, respektieren, damit die ‚guten‘ Türken und der Sultan selbst keinen Grund zur Rache hätten“198. Allerdings impliziert die besorgte Aufforderung, die wohl nicht ohne Grund erfolgte, dass es solche Zerstörungen im Zuge von Aufständen schon gegeben hatte.
197 Sremski Karlovci liegt etwa 80 Kilometer nordwestlich von Belgrad an der Donau in der serbischen Vojvodina. Von 1708 bis zur Vereinigung der Serbischen Orthodoxen Kirche 1920 existierte die Metropolie Karlovac (Karlovčka mitropolija). 198 Zit. nach Boeckh (2009), 52.
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Im Jahr 1844 wiederum schrieb Ranke in seiner Darstellung der Aufstände und der Eroberung Belgrads unter dem Titel Die Serbische Revolution / Aus serbischen Papieren und Mitheilungen: Es war ein nicht unbedeutender Haufe Heiducken und Flüchtlinge, der sich zuerst auf das Dorf Sibnica in dem Belgrader Bezirke […] warf. Man zündete die Wohnung des Subaschen199 an, tödtete und plünderte die Türken die man fand und führte die waffenfähigen Serben mit sich fort.200
Als Belgrad in den Jahren 1806–07 zuerst belagert und schließlich erobert wurde, sicherten die Aufständischen dem osmanischen Statthalter freien Abzug zu – brachen ihr Versprechen jedoch offenbar kurz darauf: Daher, als Soliman auf die Anzeige dass man ihm weiter keine Zufuhr leisten könne, um freien Abzug bat, gestattete man ihm denselben zwar und gab ihm selbst Geleit mit; allein kaum hatte er sich (am 7. März 1807) mit seinen 200 Janitscharen und den Familien welche sich ihm angeschlossen, einige Stunden weit entfernt, so ward er von einem Hinterhalt angefallen: sein Geleit, statt ihn zu vertheidigen, machte vielmehr mit den Angreifenden gemeine Sache: von seinem ganzen Zug entkam nicht Einer. Augenblicklich verbreitete sich das Gemetzel nach Belgrad. Zwei Tage lang suchte man die Türken, die sich zu verstecken eilten, auf und machte sie nieder. [...] Noch im Februar war Schabaz gefallen und hatte ähnliche Greuel erfahren.201
Die Schilderungen Rankes sind nicht ohne Pathos vorgetragen. Zweifellos ist Ranke die Sympathie für die Sache der Aufständischen anzumerken. Zudem war er kein Augenzeuge der Ereignisse. Seine Berichte mögen geschönt oder dramatisch zugespitzt sein. Eine Tendenz lässt sich nichtsdestoweniger aus ihnen ableiten. Oft sind es nicht mehr als Indizien, die auf die Zerstörung von kulturellen Gegenständen in diesem Zeitraum verweisen. Es existieren wenige überlieferte historische Dokumente zu erhaltenen Bauwerken aus dieser Epoche, geschweige denn zu zerstörten. Einige dieser Indizien stammen aus serbischen Quellen. So schreibt etwa der serbische Historiker Vasa Čubrilović, ein Mitglied der Serbischen Königlichen Akademie und der späteren Serbischen Akademie der Wissenschaften 199 Türk. Subaşi (dt. osmanischer Würdenträger, Verwalter). 200 Ranke (1844), 107, 108. 201 Ranke (1844), 154.
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und Künste, in seinem berüchtigten Text zur Vertreibung der Albaner (Iseljavanje Arnauta) aus Kosovo und Südserbien 1937: Karađorđe hatte während des ersten Aufstandes, ebenso wenig wie Miloš [Obrenović; T. S.], Mihailo202, Jovan Ristić203, kein spezielles Ministerium für Landreform, keine hohen Agrarinspekteure oder einen kostspieligen Apparat, und trotzdem reinigten sie Serbien von fremden Elementen und besiedelten es mit unseren Leuten, die den endlosen Wald der Šumadija rodeten und aus der damaligen Wildnis die heutige gezähmte Šumadija machten.204
Andere Hinweise wiederum sind in historischen Verträgen zu finden. Aus einem Zusammenstoß der in der Belgrader Garnison verbliebenen türkischen Soldaten mit Einwohnern der Stadt am Čukur-Brunnen (Čukur Česma) 1862 war ein blutiger Konflikt entstanden. Im Zuge der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen ließ der türkische Kommandant am 5. Juni von der Festung (Kalemegdan) aus in die Stadt schießen.205 Um die Auseinandersetzung zu beenden, führten Russland und Österreich mit dem Sultan in Konstantinopel Gespräche, die als Konferenz von Kanlıca206 in die Geschichte eingegangen sind. Auch Frankreich, Großbritannien, Preußen und Italien versuchten, ihren Einfluss während der Gespräche geltend zu machen. Die Hauptforderung des Fürstentums Serbien war nunmehr der Abzug aller türkischen Truppen aus den serbischen Garnisonen sowie die Übergabe des übrigen muslimischen Besitzes an die serbische Verwaltung. Unterstützt wurde die serbische Regierung vor allem von Russland, Österreich und Frankreich. Im ersten Artikel des Protokolls heißt es in Bezug auf Belgrad dementsprechend: Um die Möglichkeit von Konflikten auszuschließen […], die aus der Vermischung muslimischer und serbischer Einwohner an gleicher Stelle entstehen könnten, geht die osmanische Regierungsgewalt vollständig in die Hände der Serben über, damit verbunden ist die Aufgabe, alle Besitzer von Land und Häusern, die heute 202 Gemeint ist Mihailo Obrenović, Sohn von Miloš Obrenović, serbischer Fürst von 1839 bis 1842 und dann erneut von 1860 bis 1868. Mihailo ist bekannt für seine Politik der vollständigen „Aussiedlung der Türken aus den Städten Serbiens“ (Stolić (2005), 167). 203 Jovan Ristić (1831–1899) war ein serbischer Politiker. Nach der Ermordung Mihajlo Obrenovićs 1868 führte er die Regierungsgeschäfte des minderjährigen Thronfolgers Milan Obrenović (1854–1901) bis 1872 (Boeckh (2009), 67). 204 Čubrilović (1991), 108. 205 Ðurić-Zamolo (1977), 214. 206 Bezirk in Istanbul.
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den Muslimen in den Belgrader Stadtteilen gehören, zu entschädigen. Die Pforte verlässt aus dem gleichen Grund alle Befestigungen, Schanzen und Objekte, die die alten Mauern bilden und die Stadt von den Vorstädten trennen, die wir Viertel nennen, ebenso die vier Tore: das Savsker, Varošer, Stamboler und Vidiner. Diese Schanzen, Wälle, Tore und Objekte müssen abgerissen und eingeebnet werden.207
Spätestens nach der endgültigen Räumung der serbischen Festungen durch türkische Truppen 1867208, dem serbischen Vorstoß nach Süden im Zuge des RussischTürkischen Krieges von 1877/78, in dessen Verlauf serbische Einheiten Niš, Vranje, Leskovac und Pirot einnehmen konnten, und schließlich der Unabhängigkeit Serbiens im Präliminarfrieden von San Stefano von 1878, die beim Berliner Kongress im selben Jahr durch die übrigen europäischen Großmächte bestätigt wurde209, gab es für die muslimische Bevölkerung des serbischen Fürstentums ebenso wie für deren kulturelle und religiöse Objekte keinerlei Schutz mehr. Die erste Moschee Belgrads war die Große Moschee Sultan Suleimans in der Unterstadt (Velika džamija u Donjem Gradu) am Fuß der Festung gewesen. Sultan Suleiman I. (1494–1566, reg. 1520–1566) hatte noch während der Eroberung der Stadt im August 1521 die Maria Himmelfahrt-Kirche (Uspenja Bogorodice), den Sitz des serbischen Metropoliten, eine dreischiffige Basilika mit einer Apside im Osten, zur Moschee umgewidmet.210 Während die Große Moschee bereits 1688 beim Angriff der Österreicher auf Belgrad zerstört wurde, haben einzig die Bajrakli-Moschee211 und die turbe212 Scheich Mustafas die Zerstörungen der Österreicher im 17. und 18. sowie die der Serben im 19. und 20. Jahrhundert überdauert.213 Die Belgrader Kunsthistorikerin Divna Ðurić-Zamolo hat für ihr Buch Beograd kao orijentalna varoš pod Turcima (Belgrad als orientalische Stadt unter den Türken, 1977) in kleinteiliger Arbeit anhand von historischen Stadtplänen, Rei207 Ranđelović/Ðorđević (2010), 119. 208 Behschnitt (1976), 32; Majoros/Rill (1994), 338; Stolić (2005), 167. 209 Behschnitt (1976), 255; Härtel/Schönfeld (1998), 121; McCarthy (2004), 62; Stolić (2005), 168; Polónyi (2010), 69. 210 Ðurić-Zamolo (1977), 53, 57. Die Umwidmung religiöser Gebäude war eine durchaus übliche Praxis: etwa die 1536 zuerst erwähnte Ahmed-Agina-Moschee (zuvor Reis-EfendiMoschee) und die ebenfalls 1521 umgewidmete Ferhad-Pascha-Moschee, die zuvor wahrscheinlich einem Franziskanerklosters als Kirche diente (ebd., 43, 46). 211 Zwischen 1660 und 1688 als Čokadži-Hadži-Alija-Moschee gebaut, 1739 nach der zweiten Besetzung Belgrads durch Österreich als Bajrakli-Moschee erneuert (Ðurić-Zamolo (1977), 23 f.). 212 Türkisches Mausoleum. 213 Ðurić-Zamolo (1977), 5, 53, 77.
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sebeschreibungen und Verwaltungsdokumenten der osmanischen Stadthalter wie der späteren serbischen Regierung die städtebauliche Struktur Belgrads von 1521 bis ins frühe 20. Jahrhundert rekonstruiert.214 Auf diese Art konnte sie die Existenz von ehemals 55 Moscheen belegen. Von zwölf dieser Bauwerke ist das architektonische Erscheinungsbild gesichert. Für immerhin 38 Strukturen kann der ehemalige Standort lokalisiert werden. Für 17 weitere islamische Gebetsund Versammlungsstätten existieren Nachweise in Dokumenten – Standort und Aussehen können jedoch nicht nachvollzogen werden. Neben diesen Moscheen führt Ðurić-Zamolo 22 mesdžid, 10 tekije, 13 turbe, drei bezistan, 6 Karawansereien, 45 han, 3 medrese, 15 hamam, 3 Wasserwerke (Aquädukte), 20 Brunnen, 96 Häuser, Wohngebäude oder Wirtshäuser, 6 Stadttore sowie eine unbestimmte Zahl von musale, mekteb, Hospitälern und Suppenküchen (imaret), sebilj, Brücken und Gräbern auf. Inklusive der Moscheen hat die Kunsthistorikerin so die frühere Existenz von immerhin 275 orientalischen Bauwerken herausgearbeitet. Neben der erwähnten Bajrakli-Moschee und der turbe Scheich Mustafas ist von diesen Bauwerken jedoch lediglich noch das Lyzeum Dositej Obradović, das seit 1863 die Velika Škola215 beherbergte, erhalten.216 Mit dem allmählichen Verfall der osmanischen Macht, der schwindenden Kontrolle über die Stadt und dem generell zurückgehenden türkischen Einfluss begann der Umbau Belgrads – und damit die Zerstörung der orientalischen urbanen Struktur. Im Jahr 1830 existierten noch zehn Moscheen in der Stadt, 1865 neun, 1878 lediglich fünf. Obwohl im Protokoll von Kanlidža der Schutz der osmanischen sakralen Bauwerke und Gräber vereinbart worden war, wurden die übrigen Moscheen, bis auf die heute noch existierende, abgerissen. Ihr Schicksal teilten die übrigen Bauwerke, die als osmanisch identifiziert werden konnten und die nicht, wie Wohn- oder Geschäftshäuser, weiter genutzt wurden. Viele der Konvente der Derwisch-Orden wurden 1863 abgerissen, die meisten osmanischen Mausoleen
214 Eine ähnliche Darstellung hat der aus Kosovo stammende albanische Historiker Muhamed Mufaku mit seinem Buch Xhamitë dhe Mesxhidet e Beogradit (Moscheen und Mesdžid Belgrads) 2000 vorgelegt. Allerdings ist sein Text für wissenschaftliche Zwecke unbrauchbar, da er keine Quellenangaben enthält und ein Großteil ohne entsprechenden Vermerk scheinbar aus dem Buch von Divna Ðurić-Zamolo unverändert übernommen wurden. 215 Große Schule, 1863 gegründete Vorgängerinstitution der Belgrader Universität. 216 Der Name des Lyzeums verdankt sich wahrscheinlich dem Umstand, dass Dositej Obradović unter Karađorđe der oberste Schulaufseher im Pašaluk Belgrad war (ÐurićZamolo (1977), 5, 143).
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bereits nach 1830.217 1888 schrieb der Publizist, Astronom und Abenteurer Spiridion Gopčević218 in seinem Buch Serbien und die Serben: Kehren wir nun zum Theater zurück und gehen wir an dessen rechter Seitenfront die breite bergab führende Schauspieler-Straße (glumačka ulica) hinab, so gelangen wir in die ehemalige Türkenstadt Dorćol. Vorher sehen wir hinter dem Theater die Ruine einer Moschee, dann fesselt der prachtvolle Palast Piroćanac unsere Blicke. Der Dorćol ist jener Stadtteil, welcher am Ufer der Donau liegt, an die Festung anschließt und sich an den Höhenrücken lehnt, auf dem sich die Varoš, die Terazija und der Vračar befinden. Bis 1862 war Dorćol ausschließlich von Türken bewohnt, welche hier ihre hölzernen Häuser erbaut und eine echte Türkenstadt mit all ihrer Hässlichkeit, ihrem Schmutze und ihrem Gestank geschaffen hatten. Die serbische Regierung löste nach Abzug der Türken deren unbewegliche Güter für 9 Mil. Piaster (11/2 Mill. Mark) ein und machte die ganze Türkenstadt dem Erdboden gleich. Dann bauten sich serbische Bewohner an jener Stelle die heute dort stehenden freundlichen, von Gärten umgebenen Villen. Nur die schmucklose, halbzerfallene Bataldžamija mit ihrem baufälligen Minarett steht noch als letzte Erinnerung an die Türkenstadt, denn die türkische Regierung machte die Erhaltung dieser Moschee zur Bedingung. Mit der Türkenstadt verschwanden auch die Ruinen des vom Prinzen Eugen bewohnten Palastes sowie die vier Thore der alten Belgrader Stadt. Von letzterer war eigentlich nur die vom Feldmarschall Laudon in monumentalem Stile errichtete Stambul-Kapija mit ihren prächtigen Bogenhallen bemerkenswert. Es ist schade, dass auch sie der Demolierungswut der Serben zum Opfer fiel, die hier das Theater erbauten. Durch ihre Erhaltung wäre Belgrad um ein interessantes und hübsches Denkmal reicher. Dasselbe gilt vom Palast des Prinzen Eugen, den Kanitz noch sah und sehr lobte. […] Die Moscheen der Festung sind verschwunden und haben einer Kirche Platz gemacht. […] Die Stadt war schon von Miloš Obrenović wiedergewonnen worden, doch erhielt sich das Türkenviertel in derselben, wie schon erwähnt, bis 1862.219 217 Ðurić-Zamolo (1977), 65 ff. 218 Österreichische Akademie der Wissenschaften (1957), Bd. 2, 32. 219 Gopčević (1888), 24 ff., 28. Trotz der Anschaulichkeit seines Berichtes war Gopčević nicht gut informiert. Die Batal-Moschee war 1888 nicht die einzige erhaltene Moschee der Stadt, sie war vielmehr gar nicht mehr erhalten, denn sie wurde bereits 1869 abgerissen, nachdem sie in der Tat lange Zeit als Ruine mit halb abgebrochenem Minarett existiert hatte, wie es auf einer Zeichnung aus dem Jahr 1860 zu sehen ist (Ðurić-Zamolo (1977), 28, Abb. 8). Auch befand sich die Batal-Moschee nicht im historischen Viertel Dorćol sondern in der Nähe der Magistrale Terazije (von türk. terazi [dt. Waage], in osmanischer Zeit stand dort eine größere Handelswaage), etwa dort, wo sich heute das Gebäude des serbischen Parlaments (Narodna Skupština) befindet (vgl. Ðurić-Zamolo (1977), Karte,
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Etwa 40 Jahre später notierte der österreichische Geograph Norbert Krebs220 die Veränderungen im Stadtbild Belgrads: Die absichtlich beschleunigte Tilgung jener Spuren, die an die alte Türkenherrschaft erinnern konnten, hat die bescheidenen Reste der Altstadt vernichtet und gerade auf der Plateauhöhe, wo einst die Čarsija war, neue Viertel entstehen lassen. Eher findet man noch manches Alte im einstigen Serbenviertel am steilen westseitigen Abfall der Terrasse, während im alten Türkenviertel Dortschol auch vieles verändert wurde. [...] sonst erinnert nur noch die Festung, die aber neue Bauten aufgenommen hat, und eine Moschee an die alte Zeit. [...] Mohammedaner gibt es nur ganz wenige, aber Spaniolen sind wie in allen orientalischen Handelsstätten nicht selten. Einige Lokalnamen wie Kalemegdan, Tašmajdan, Bulbuldere und Topčider haben sich noch aus türkischer Zeit erhalten.221
Mit der Zerstörung der osmanischen kulturellen und religiösen Objekte einher ging die Aussiedlung und „Vertreibung der türkischen Landbevölkerung“222 und die „Serbisierung der Städte“223. Schon Leopold Ranke berichtete 1844 in Die Revolution in Serbien von Übergriffen auf die türkischen Einwohner des Fürstentums. Der US-amerikanische Historiker Justin McCarthy geht in seinem Buch zur Vertreibung der osmanischen Muslime auf der Balkanhalbinsel davon aus, dass zwischen 1821 und 1922 mehr als fünf Millionen Muslime vertrieben wurden, weitere fünfeinhalb Millionen Muslime starben – „manche wurden im Krieg getötet, andere kamen auf der Flucht durch Hunger und Krankheiten ums Leben“224. Noel Malcolm hingegen erwähnt Massaker, Plünderungen, gewaltsame Vertreibung und Zwangstaufen.225 Die Historikern Suraiya Faroqhi beschreibt in ihrer Geschichte des Osmanischen Reiches das Schicksal der türkischen Einwohner: „Manche Muslime emigrierten in mehr oder weniger geregelter Form. Aber viel häufiger war die Flucht vor Kriegshandlungen und Massakern an der muslimischen Bevölkerung, die geradezu einen festen Bestandteil der Unabhängigkeitskriege auf dem Balkan
220 221 222 223 224 225
Abb. 93). Sehr wahrscheinlich meinte Gopčević die Bajrakli-Moschee, die in der Tat im Viertel Dorćol, heute in der Straße Gospodar Jevremova, liegt. Österreichische Akademie der Wissenschaften (1968), Bd. 4, 240 ff. Krebs (1922), 24. Stolić (2005), 161. Sundhaussen (2005), 194; vgl. Kaser (2007), 406. McCarthy (2004), 1. Malcolm (2002), 89, 106.
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bildeten.“226 Einzig unter dem Gesichtspunkt der Vertreibung der osmanischen Muslime von der Balkanhalbinsel, insbesondere aus dem Fürstentum Serbien, lässt sich die in der Forschung etablierte Formulierung nachvollziehen, nach der die Bevölkerung Serbiens bis 1878 ethnisch weitestgehend homogen gewesen sei. Auf den Zusammenhang zwischen Vertreibung und Bevölkerungsstruktur hingewiesen hat meines Wissens jedoch lediglich Holm Sundhaussen.227 Nachdem serbische Truppen 1878 mit russischer Rückendeckung Niš, Vranje, Leskovac und Pirot einnehmen konnten, vertrieben sie auch dort die muslimische Bevölkerung. In Niš zerstörten sie zwölf der 15 Moscheen.228 Čubrilović beschrieb 1937 rückblickend die Methode, die sich nach 1878 etabliert hatte, um albanische Muslime im Süden der Balkanhalbinsel zu vertreiben: „Ein weiteres Mittel, das Serbien mit großem praktischen Effekt nach 1878 angewandt hat, besteht im heimlichen Abbrennen der Dörfer der Arnauten229 und ihrer Viertel in den Städten.“230 In den Balkankriegen erweiterte Serbien sein Territorium weiter nach Süden. Es gewann Kosovo dazu und setzte sich bei der Eroberung Vardar-Makedoniens im Zweiten Balkankrieg gegen Bulgarien durch.231 Auch in diesen eroberten Ge226 Faroqhi (2001), 93. 227 Bei Behschnitt (1976), 49, heißt es: „Über die Nationalitätenstruktur Serbiens sind keine genauen Angaben zu machen. Das serbische Kerngebiet war im Zeitraum bis zu den Balkankriegen mit seinen circa 2,9 Millionen Einwohnern (1910) nahezu national homogen strukturiert.“ Bemerkenswert ist die Formulierung dahingehend bei Stolić (2005), 174: „Bis 1878 war die serbische Gesellschaft religiös und ethnisch homogen, was es relativ einfach machte, Sprache und Religion in gemeinsame Angelpunkte einer nationalen Identität zu verwandeln [!]. Nach 1878 spielten die Schulen eine große Rolle bei der Homogenisierung der Nation.“ Sundhaussen (2005), 194, hingegen schreibt: „Trotz Zuwanderung war die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Serbiens bis zu den Balkankriegen (d. h. bis zur Eroberung Kosovos und Vardar-Makedoniens) weitgehend homogen. Im Jahr 1910 bekannten sich über 95 % der Bevölkerung als Serben. 92 % benutzten serbisch als Muttersprache, während sich 99 % der Einwohner zur Orthodoxie bekannten. Diese Homogenität war die Folge von Abwanderung, Flucht oder Vertreibung der Muslime aus Serbien insbesondere aus den 1878 angeschlossenen Gebieten im Südosten des damaligen Fürstentums sowie der zügigen Einbürgerung von Immigranten.“ 228 Polónyi (2010), 69. 229 Synonym für Albaner. 230 Čubrilović (1991), 114; zu Čubrilovićs Albanerdiskurs etwa auch: Schmitt (2008), 207. 231 Im Ersten Balkankrieg 1912 hatten Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro in einem gemeinsamen Bündnis, dem „Balkanbund“, gegen die Osmanen gekämpft. Nach der Eroberung Kosovos und Makedoniens indes brach unter den Verbündeten ein Streit um die Verteilung der eroberten Gebiete aus. Im Zweiten Balkankrieg kämpfte Bulgarien deswegen gegen die ehemaligen Verbündeten, unterlag jedoch. In den Verträgen von London und Bukarest (1913) wurden Kosovo, weite Teile Makedoniens sowie ein Teil des San-
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Abb. 1: Haus der Offiziere (Oficirski Dom) in Skopje (Üsküp), 1929, Ansicht nach 1929 von Nordwesten, Postkarte. Der Oficirski Dom wurde bei einem schweren Erdbeben im Jahr 1963 beschädigt und danach abgebrochen. Archiv Tobias Strahl.
bieten setzte das Königreich Serbien die Politik der kulturellen Homogenisierung mit Gewalt durch. Serbische Polizeitruppen, Soldaten und Freischärler terrorisierten die nicht-serbische Bevölkerung, die „osmanische grundbesitzende Schicht [wurde] gezielt ihres Bodenbesitzes [enthoben]“232, das Erbe der Muslime systematisch zerstört. Ein Blick nach Bosnien zeigt, etwas zeitversetzt, eine ähnliche Entwicklung. Die Zerstörung von kulturellen und religiösen Objekten der bosnischen Muslime begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Sie intensivierte sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und kulminierte ein erstes Mal im Königreich Jugoslawien. In der bosnischen Stadt Banja Luka, im Norden Bosnien-Herzegovinas, schreibt die bosnische Architektin Sabira Husedžinović, wurden die Bleidächer der Moscheen im Ersten Weltkrieg abgetragen und zur Produktion von Munition verwen-
dschaks Serbien zugesprochen (Majoros/Rill (1994), 354; Boeckh (1996), 23 und (2009), 78 f.; Perović (2007), 107). 232 Boeckh (1996), 165 f.
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det – Schäden in den Innenräumen der islamischen Gebets- und Versammlungshäuser durch eindringende Nässe waren die Folge. Beginnend mit der Gründung des Königreichs Jugoslawien im Jahr 1918 wurden im nordbosnischen Banja Luka im Zeitraum bis 1930 neun Moscheen zerstört. Für die Einrichtung eines Stadtparks mit Springbrunnen und Musikkapelle wurde ein muslimischer Friedhof mit Mausoleen und Grabstätten eingeebnet. An der Stelle einer turbe richtete die Gemeinderegierung (Općinski Vlast) ein öffentliches Pissoir ein. Die Beschwerde der örtlichen islamischen Gemeinschaft dagegen blieb erfolglos.233 Ein ähnliches Schicksal wurde den religiösen und kulturellen Objekten der Muslime in der Herzegovina zuteil. In Stolac begann die Zerstörung des orientalischen Stadtkerns mit dem historischen Markt, der Čaršija, ebenfalls Ende des neunzehnten Jahrhunderts.234 Der bosnische Autor Slobodan Kudra hingegen führt in einer Publikation der Islamischen Gemeinschaft Bosnien-Herzegovinas aus dem Jahr 2006 25 Moscheen in Sarajevo und der näheren Umgebung der Stadt an, die in den Jahren zwischen 1813 und 1939 zerstört worden sein sollen.235 Die Zerstörung kultureller Artefakte, die sich mit der osmanischen Herrschaft identifizieren ließen, ist allerdings nicht allein vor dem Hintergrund des anti-türkischen oder anti-islamischen Feindbildes der entstehenden christlichen nationalen Kollektive zu erklären. Mindestens ein weiterer Grund besteht in den Modernisierungsdiskursen, die im 19. Jahrhundert aufgrund der technischen Errungenschaften sowie des kulturellen und politischen Wandels in Europa und auch in den entstehenden südslawischen Nationalstaaten an Einfluss gewannen. Das osmanisch-islamische Erbe der Region wurde in dieser Zeit erstmals als prä-modern oder rückschrittlich assoziiert und konnte so im Zuge der Restrukturierung ehemals osmanischer Städte abgebrochen werden. Beispiele für diesen Prozess sind etwa die städtebauliche Neugestaltung von Prizren im Süden Kosovos und Skopje (Üsküp)236 in Vardar-Makedonien nach deren Eroberung in den Balkankriegen. Für König Aleksandar I. Karađorđević war 233 Husedžinović (2005), 556, 560. 234 Mahmutćehajić (2011), 159. 235 Kudra (2006). Die wissenschaftliche Qualität von Kudras Buch ist zumindest fragwürdig. Wie in Mufakus Buch zum orientalischen Erbe Belgrads fehlen auch bei Kudra Quellen. Als Belege für das Aussehen von Moscheen sind Handzeichnungen (!) beigefügt, die weder kritisch kommentiert noch belegt sind. Kudras Angaben müssen nicht zwangsläufig falsch sein. Dem Anhang des Buches ist zumindest eine präzise Karte Sarajevos beigefügt, die Angaben zu den (ehemaligen) Standorten der einzelnen Objekte (sowohl der intakten als auch der nicht mehr vorhanden) enthält. Zumindest die intakten Objekte sind korrekt verzeichnet. 236 Heute Hauptstadt Makedoniens.
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Abb. 2: Burmali-Moschee in Skopje (Üsküp), 1495, Ansicht vor 1925 von Südwesten, historische Postkarte. Archiv Tobias Strahl.
der Umbau von Skopje nach den Generalplänen von Dimitrije Leko (1914) und Josif Mihajlović (1929) und die damit einhergehende „Abwendung von den orientalischen städtebaulichen Normen“237 auch ein Mittel, der serbischen Herrschaftsmacht in der Region Ausdruck zu verleihen. Ein eindrucksvolles Zeichen wurde der neuen symbolischen Ordnung mit dem Haus der Offiziere (Oficirski Dom, 1929; Abb. 1) an prominenter Stelle am Ufer der Vardar im Stadtzentrum errichtet, für das die an dieser Stelle zuvor befindliche Burmali-Moschee (1495; Abb. 2) abgebrochen wurde.
KIRCHEN UND KLÖSTER – SERBIEN IM RAUM
Zeitgleich mit der Zerstörung des osmanischen kulturellen Erbes begann die Errichtung und Rekonstruktion von orthodoxen Kirchen und Klöstern, zunächst in den eroberten Territorien in Kosovo und Vardar-Makedonien, später jedoch im gesamten Königreich Jugoslawien. 237 Hristova (2009), 286; Hartmuth (2010), 14.
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1995 veröffentlichte das Institut für Statistik der Republik Serbien (Republički Zavod za Statistiku) als Mitteilungsheft 372 (Bilten 372) ein Register des unbeweglichen Kulturguts (Nepokretna Registrovana Kulturna Dobra).238 In dem Dokument sind insgesamt 2.347 Objekte in Serbien und Kosovo als kulturelles Erbe erfasst und kategorisiert. Dort ist auch die Entstehungszeit der orthodoxen Sakralbauten, bis auf wenige Ausnahmen, vermerkt. Darüber hinaus sind seit 1991 durch verschiedene Institutionen während und nach den Kriegen in Kroatien, Bosnien und Herzegovina sowie Kosovo Übersichten zum Zustand religiöser und kultureller Objekte in den vom Krieg betroffenen Gebieten angefertigt worden, die allerdings mit Einschränkungen Auskunft über deren Errichtung geben. Herausgeber sind etwa die Serbische Orthodoxe Kirche und Personen aus deren Umfeld, der serbischen Regierung angegliederte Organisationen und serbische Nichtregierungsorganisationen239, jedoch auch internationale Institutionen240. Der Vergleich der Daten in diesen Aufstellungen ist aufwendig, nichtsdestoweniger ertragreich. Eine Fülle von Informationen kann daraus abgeleitet werden. 241 Eine erste Erkenntnis aus dem direkten Vergleich der Dokumente ist, dass im Fürstentum und späteren Königreich Serbien im Zeitraum von 1750 bis 1941 mindestens ebenso viele orthodoxe Sakralbauten sowie kirchliche Objekte242 neu errichtet worden sind, wie für den Zeitraum von etwas mehr als tausend Jahren seit der slawischen Besiedlung der Balkanhalbinsel erfasst waren. 323 registrierten Bauwerken, errichtet vom 6. Jahrhundert bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, stehen 300 neue Bauwerke, zumeist Kapellen, Kirchen und Klöster, im Zeitraum 1750 bis 1941 gegenüber. Diese Zahlen können zwar keinen Aufschluss geben über die tatsächliche Zahl der Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche, die vor und
238 Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), Signatur 31:7, Nummer 16224; siehe Transkript des Dokuments Bilten 372 hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 239 Mileusnić (1994); The Voice of Kosovo… (1999); Centre for Protection of Heritage in Kosovo and Metohija Mnemosyne (2003); The Holy Assembly (2004); Republic of Serbia (2004); Ančić (2007); Republic of Serbia et al. (2008). 240 Etwa: Council of Europe (Information Reports 1-10, 1993-1997); European Commission / Council of Europe Joint Programme (2004 (2006)); UNESCO (2003); UNESCO (2004). 241 Siehe die detaillierte Liste der von den verschiedenen betroffenen Kollektiven und internationalen Organisationen als beschädigt oder zerstört angegebenen Objekte unter http:// tobias-strahl.de/. 242 Etwa Bischofsresidenzen und Priesterseminare, im Vergleich zu Kirchen, Klöstern und Kapellen ist deren Zahl jedoch verschwindend gering.
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nach 1750 errichtet worden sind.243 Sie verweisen jedoch auf ein umfangreiches sakrales Bauprogramm im Zuge der Konstitution der serbischen Nation und den Stellenwert, den Orthodoxie und Kirche als Ausdruck serbischer nationaler Identität in diesem Prozess hatten. Die meisten Bauwerke (119, überwiegend Kirchen) sind in dem Zeitraum zwischen 1800 und 1850 errichtet worden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren es immerhin 74, ähnlich viele (73) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein Sechstel davon ist allein in Kosovo, auf einer Fläche nur wenig größer als die Hälfte des Bundeslandes Sachsen, errichtet worden. Die Hälfte dieser Bauwerke (24) wurde wiederum erst nach der endgültigen serbischen Eroberung Kosovos 1918 bis zur Besetzung des Königreichs Jugoslawien 1941 durch deutsche Truppen errichtet.244 Für die von orthodoxen Gläubigen besiedelten Gebiete in Bosnien und Herzegovina sowie in Kroatien liegen ähnliche Zahlen vor. In den heute zehn Diözesen der Serbischen Orthodoxen Kirche sind im Zeitraum von 1750 bis 1941 mindestens 188 sakrale Bauwerke, wiederum zumeist Kapellen, Kirchen und Klöster, errichtet sowie 42 erneuert worden.245 Doch das sind lediglich bedingt aussagekräftige Informationen, die aus dem Vergleich von Dokumenten gewonnen wurden, die zumindest nicht vordringlich die Entstehungsgeschichte der Bauwerke zum Gegenstand haben. Es sind Indizien, nicht mehr und nicht weniger. Präzise dokumentiert hingegen ist das Bauprogramm der Serbischen Orthodoxen Kirche in den Jahren zwischen 1920 und 1941. Zwischen den zwei Weltkriegen erlebte die SPC eine Blüte, weil sie im Königreich Jugoslawien unter der Herrschaft der Karađorđević starke Unterstützung erfuhr. 1971 veröffentlichte sie anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Patriarchats in Belgrad einen historischen Überblick über diesen Zeitraum. Das Bauprogramm hat darin einen großen Stellenwert. Es dient gewissermaßen als Gradmesser ihres Erfolgs und ihrer Durch243 Nichtsdestoweniger kann davon ausgegangen werden, dass auch hier eine relativ genaue Annäherung möglich ist, da das Dokument des Instituts der Statistik der Republik Serbien (1995) ein Vielzahl von Ruinen und Überresten von Bauwerken aufführt. 244 Herscher und Riedlmayer bestätigen in ihrer Studie zur Kulturerbezerstörung in Kosovo aus dem Jahr 2000 die Aussagekraft der aus den oben genannten Dokumente extrahierten Zahlen: „Between the world wars, this patrimony of medieval architecture was supplemented by an extensive church building campaign in Kosovo; this campaign led both to the reconstruction of ruined Serbian Orthodox churches and the construction of new ones“ (Riedlmayer, Monument and Crime… (2000), 110). 245 Mileusnić (1994). Auch hier sind die Zahlen eine Annäherung. Sie ergeben sich aus der Aufstellung im Krieg 1991–1995 zerstörter bzw. beschädigter Objekte der Serbischen Orthodoxen Kirche. Dort sind die Errichtungszeiträume für die meisten der Objekte angegeben. Ihre Auswertung bildet eine Tendenz ab; vgl. Liste unter http://tobias-strahl.de/.
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setzungskraft. Ein Autor mit dem Namen Momir Lečić führt in dieser Veröffentlichung eine detaillierte Liste mit allen errichteten und rekonstruierten Bauwerken auf. Demnach wurden in den 21 Jahren insgesamt 370 Kirchen, 179 Kapellen, 15 Klöster, 170 Glockentürme (Sg. zvonik, Pl. zvonici), 368 Priester- und 44 Gästehäuser (konak), 36 Refektorien und 201 übrige Bauwerke errichtet, was einen Durchschnitt von allein etwa 18 neuen Kirchen pro Jahr bzw. 66 Bauwerken (!) insgesamt bedeutet. Dazu kommen 292 Kirchen, 51 Kapellen, 30 Klöster, 73 Glockentürme, 140 Priester- und 36 Gästehäuser, die in diesem Zeitraum erneuert wurden. In der Diözese Raška-Prizren, die zum größten Teil aus dem Territorium Kosovos besteht, baute die SPC 24 Kirchen, 11 Kapellen, 16 Glockentürme, 16 Priesterhäuser, 2 Refektorien und erneuerte 3 Kirchen, 2 Kapellen, 4 Klöster sowie 35 Priester- und fünf Gästehäuser. Der Löwenanteil des Bauprogramms jedoch entfällt auf die Eparchien Niš und Skopje. Hier wurden allein 59 Kirchen, 60 Kapellen, 52 Glockentürme, 61 Priester- und vier Gästehäuser, 18 Refektorien und 70 weitere Gebäude neu gebaut bzw. 51 Kirchen, 19 Kapellen, 3 Klöster, 25 Glockentürme, 12 Priester- und 5 Gästehäuser erneuert.246 Unverkennbar ist die Kolonisierungsfunktion, die Kirchen und Klöster in diesem Zeitraum in neu dazugewonnenen Gebieten erfüllten. Wenn die mittelalterlichen Bauwerke der Nemanjiden-Dynastie im serbischen Nationalismus des 19. und 20. Jahrhundert als historische Legitimation eines modernen Herrschaftsanspruchs auf diese Territorien instrumentalisiert wurden, dann sollten neu errichtete bzw. rekonstruierte Kirchen und Klöster diesen Anspruch untermauern.
NATIONALISMUS UND KULTURERBE IN DER KROATISCHEN GESCHICHTE
Auch die Konstitution der kroatischen Nation verlief als Prozess ähnlich wie im übrigen Europa. Es sollen daher nur die spezifischen historischen Bedingungen Kroatiens betrachtet werden. Osmanisches Kulturerbe, das dabei hätte zerstört werden können, gab es gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf dem Gebiet des späteren kroatischen Nationalstaats bestenfalls noch in Rudimenten. Als Mitte des 17. Jahrhunderts die Rückeroberung der kroatischen Gebiete begann – und darüber hinaus Venedig die Osmanen von der Adriaküste verdrängte – wurden auch die meisten der islamischen kulturellen und religiösen Objekte zerstört: „Soon the specific oriental features that had appeared in Croatian towns under Ottoman rule
246 Lečić (1971), 65–125, tabellarische Übersicht auf Seite 113.
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also disappeared as mosques and other structures were pulled down or put to different purposes.“247 Ein Antagonismus zwischen christlicher Nation und osmanisch-islamischen Unterdrückern, wie ihn der Nationalismus im benachbarten Serbien konstruierte, ist für die kroatische Identität nicht im selben Maße charakteristisch. Identifikationspotential bis in die unmittelbare Gegenwart hat jedoch der Mythos der antemurale christianitatis, des „christlichen Schutzwalls“, der in unterschiedlichen historisch-politischen Zusammenhängen in der christlichen Bevölkerung Südosteuropas generell von Bedeutung ist.248 Als katholische Nation verteidigt demnach das als Bollwerk imaginierte Kroatien das christliche Europa gegen die Gefahr, die aus dem Osten generell, mit dem Islam jedoch insbesondere, droht. Ein wesentliches Moment der kroatischen nationalen Bewegung bestand zunächst in den andauernden Bemühungen, die Versuche der Vereinnahmung der kroatischen Länder durch die ungarische Krone abzuwehren.249 Doch trotz des zunehmend problematischen Verhältnisses der Kroaten zu Österreich-Ungarn war die Beziehung zur Hegemonialmacht nicht in demselben Maße konfliktär wie zwischen Serben und Türken. Ein religiöser Antagonismus existierte nicht. Kroaten, Österreicher und Ungarn bekannten sich gleichermaßen zur römisch-katholischen Kirche. Zudem war ihre Verbindung durch die gemeinsame Türkenabwehr historisch gestärkt.250 Auch in kultureller Hinsicht konstruierte der kroatische Nationalismus keinen essentiellen Gegensatz. Die Kroaten konnten die Bauwerke der österreichisch-ungarischen Epoche ohne Bedenken übernehmen – trotzdem diese auch die Funktion hatten, Herrschaft symbolisch zu repräsentieren. Eine ähnliche Funktion wie Vuk Karadžić für die intellektuelle Fundierung des serbischen Nationalismus hatte der etwa zwanzig Jahre jüngere Ljudevit Gaj (1809– 247 Goldstein (1999), 46. 248 „Historisch hat als erster Bernard von Clairvaux 1143 den Begriff antemurale christianitatis gebraucht, und zwar im Zusammenhang mit fränkischen Kriegern, die Edessa (heute die Stadt Urfu in der Südtürkei) vor den muslimischen Seldschuken verteidigten. In das kroatische politische Imaginarium eingegangen ist dieses Motiv erst dreieinhalb Jahrhunderte später, mit dem Vordringen der Osmanen im Westen des Balkan.“ (Žanić (2007), 287). 1517 gebrauchte Papst Leo X angesichts des türkischen Vordringens auf der Balkanhalbinsel den Begriff der antemurale christianitatis im Zusammenhang mit Kroatien (Goldstein (1999), 34). Zum Antemurale-Mythos in der antitürkischen Propaganda des mittelalterlichen Ungarn: Barbarics-Hermanik (2009), 44; in der Phase der albanischen „Wiedergeburt“: Schwandner-Sievers (2003), 201; in Kroatien: Buchenau (2006), 54; GrenzwächterMythologie in allen ehemaligen jugoslawischen Republiken: Kuljić (2010), 45 ff. 249 Buchenau (2006), 54. 250 Behschnitt (1976), 350.
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1872) in Kroatien. Er hatte in Graz, Budapest und Leipzig Philosophie und Jura studiert251 und war einer der „wichtigsten Wortführer der illyrischen Bewegung“252. Letztere sah in einer romanischen Projektion die antiken Stämme der Illyrer, die etwa im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. in den römischen Provinzen Dalmatien und Pannonien gesiedelt hatten, als die gemeinsamen Vorfahren der südslawischen Völker.253 Aus dem Kreis der „neuen“ Illyrer plädierte Gaj für die Einheit der Südslawen auf der Basis einer gemeinsamen Sprache, die, im Akkord mit den Überlegungen des Serben Karadžić, auf dem stokavischen Dialekt (štokavština) beruhen sollte. Wie Karadžić zur serbischen, publizierte Gaj zur kroatischen Grammatik. 1830 veröffentlichte er Eine kurze Einführung zur kroatischen Rechtschreibung (Kratka osnova hrvatskog pravopisa).254 Die Bildung einer südslawischen Nation auf Basis einer gemeinsamen Sprache war jedoch auch politisch brisant. Sie war anschlussfähig bei dem Publizisten und Politiker Ante Starčević (1823–1896) für die Theorie eines außer Bulgarien alle südslawischen Staaten umfassenden Großkroatien.255 Ebenso wie die griechische Megali Idea, ein die Siedlungsgebiete aller orthodoxen Christen auf der Balkanhalbinsel umfassendes Groß-Griechenland256, oder das serbisches Pendant Velika Srbija (Großserbien) sind auch im kroatischen Nationalismus Aussagen zu einer großen politisch-territorialen Einheit, hier einem „Groß-Kroatien“, formuliert worden. In diesem Gebilde sollten neben den katholischen Kroaten auch Slowenen und Serben aufgehen. Zunächst jedoch war die im kroatischen Nationalismus wichtigste politische Forderung die Vereinigung der im 19. Jahrhundert in Banalkroatien257, Istrien, Rijeka, Dalmatien, Bosnien und der Herzegovina sowie entlang der österreichischen Militärgrenze lebenden Kroaten in einem gemeinsamen Staat. Ljudevit Gaj hat diesem Anspruch in seinem berühmten Gedicht Hrvatska sloga i sjedinjenje (Der Kroaten Eintracht und Vereinigung) 1832 poetischen Ausdruck verliehen.258 In einigen dieser Gebiete lebten jedoch große orthodoxe Bevölkerungsanteile, die sich zunehmend als Serben verstanden und die serbische Irredenta auf fremdem Boden bildeten. Das erklärte Ziel des serbischen Nationalismus war, wie am Bei251 252 253 254 255 256 257
Behschnitt (1976), 192. Goldstein, Ivo (2007), 52. Goldstein (1999), 60; Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 294. Goldstein (1999), 60; Darby (1966), 33. Behschnitt (1976), 198 f., 259 f. Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 434. Bestehend aus den Komitaten/Gespanschaften (dt. für Županija, kroat. Verwaltungseinheit) Zagreb, Varaždin und Križevci (Behschnitt (1976), 38; Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 371). 258 Behschnitt (1976), 41 f., 199.
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spiel von Ilija Garašanins Načertanije gezeigt, die Vereinigung der Territorien mit orthodoxer Bevölkerung in einem Nationalstaat. Die gemischt besiedelten Gebiete gaben zunehmend Anlass für Konflikte zwischen Kroaten und Serben. Dabei war das Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen katholischen und orthodoxen Glaubens in den von Serbien und Kroatien gleichermaßen beanspruchten Gebieten unproblematisch bis zur Konstitution nationaler Identitäten und deren politischer Aufladung. Durchaus vorhandene soziale Konflikte wurden bis dahin nicht primär unter dem Gesichtspunkt einer bewussten kulturellen oder gar nationalen Verschiedenheit ausgetragen. Die These des kroatischen Historikers Ivo Goldstein, wonach der interethnische Hass zwischen Serben und Kroaten ein Phänomen des gemischt besiedelten ländlichen Raumes gewesen sei, das im 19. Jahrhundert mit dem Zuzug der Landbevölkerung in die Städte importiert wurde259, vermag in dieser Hinsicht nicht zu überzeugen. Goldstein vernachlässigt in seiner Interpretation das Ursprungsmilieu des Nationalismus. Es waren Intellektuelle in den urbanen Zentren, die ethnische und nationale Unterschiede auf der Basis von Aussagen zu Kultur und Religion konstruierten, bevor damit um 1900, als der Nationalismus ein Massenphänomen wurde, die rurale Bevölkerung politisch instrumentalisiert werden konnte. Wie im benachbarten Serbien war das Umfeld, in dem zuerst nationale Ideen kursierten die bürgerliche Elite. Auch hier gewährleisteten hybride Institutionen den Austausch zwischen intellektuellen Zirkeln und der Politik. Namhafte Protagonisten waren neben den genannten Gaj und Starčević die Theologen Josip Juraj Strossmayer (1815–1905) und Franjo Rački (1828–1894).260 Strossmayer war aktiv an der Gründung der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Jugoslavenska Akademija Znanosti i Umjetnosti) beteiligt – deren erster Präsident Franjo Rački wurde. Auch die Gründung der Universität in Zagreb verdankt sich in Teilen Strossmayers Initiative. 1866 und 1874 wurden beide Institutionen, etwa zeitgleich mit der Velika Škola in Belgrad und der Serbischen Gelehrten Gesellschaft, eröffnet.261 Trotz der Spannungen mit den serbischen Nachbarn im Streit um die gemischt besiedelten Gebiete tendierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die politische Entwicklung in Kroatien zur jugoslawischen Option. Das heißt, der Zusammenschluss mit Slowenien und Serbien in einem gemeinsamen Staatsverband wurde favorisiert. Zunächst erschien diese Konföderation als Möglichkeit, sich dem Ein259 Goldstein (1999), 94. 260 Behschnitt (1976), 229; Goldstein, Ivo (2007), 56. 261 Behschnitt (1976), 234; Goldstein (1999), 79.
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fluss Österreich-Ungarns dauerhaft zu entziehen.262 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Habsburgermonarchie war es die drohende Annexion durch Italien, die die Kroaten fürchteten.263 Verhindern ließ sich diese mit der Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca), das bis zur Besetzung des Königreichs Jugoslawien durch die serbischen Könige Petar I. (1918–1921), Aleksandar I. (1921–1934) und Petar II. (1934–1941) aus der Dynastie der Karađorđević regiert wurde. Aleksandar I. Karađorđević, ein Urenkel von Ðorđe „Karađorđe“ Petrović, setzte 1929 die Verfassung außer Kraft, benannte das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen in Königreich Jugoslawien um und versah sich selbst mit diktatorischen Vollmachten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten vollständig zerrüttet. Am 9. Oktober 1934 fiel Aleksandar I. Karađorđević bei einem Staatsbesuch in Frankreich im Hafen von Marseille, kurz nachdem er an Land gegangen war, einem Attentat kroatischer und makedonischer Nationalisten zum Opfer.264
KIRCHEN UND KLÖSTER – KROATIEN IM RAUM
Eine systematische Zerstörung von kulturellen Gegenständen basierend auf Strategien der In- und Exklusion im Zuge der Konstitution einer kroatischen nationalen Identität hat es bis zur Besetzung des Königreichs Jugoslawien durch deutsche Truppen im April 1941 nicht gegeben. Vielmehr blieb es bis dahin bei einem Bauprogramm der katholischen Kirche, das etwa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzte und den Aktivitäten im benachbarten Serbien grundsätzlich ähnlich war. In Gebieten, die konfessionell gemischt besiedelt waren, fiel dieses Programm besonders umfangreich aus – es hatte also, ebenso wie das der Serbischen Orthodoxen Kirche, auch eine kolonisatorische Funktion. Der sich stetig zuspitzende Konflikt um die umstrittenen Gebiete manifestierte sich in einer symbolischen Landnahme durch (katholische und orthodoxe) Siedlerkirchen, die neben ihrer religiösen Funktion als signifikante Markierungen der eigenen Identität dienten. Zwischen 1750 und 1941 wurden in den kroatischen Provinzen bzw. dem kroatischen Teil des Königreichs Jugoslawien durch die katholische Kirche Kroatiens mindestens 187 Kirchen, Klöster, Kapellen, 262 Goldstein (1999), 94. 263 Polónyi (2010), 82; Behschnitt (1976), 349; Goldstein (1999), 111, 112; Buchenau (2004), 58 und (2006), 57. 264 Polónyi (2010),85, 87; Berger et al. (2017), 41.
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Priesterseminare und Bischofsresidenzen neu errichtet sowie 30 Bauwerke dieser Art erneuert. Bei diesen Objekten handelt es sich in Mehrzahl um Kirchen. In Bosnien und Herzegovina baute die Kirche im selben Zeitraum mindestens 149 Bauwerke – auch hier überwiegend Kirchen. Auffällig ist, dass dort 136 Objekte (123 Kirchen, 1 Kapelle, 8 Klöster, 2 Bischofspaläste, 1 Bischofsresidenz, 1 Priesterseminar) in dem relativ kurzen Zeitraum von 1850 bis 1941 neu entstanden. Wiederum die größte Zahl dieser Bauwerke wurde nach der Besetzung Bosniens und der Herzegovina durch das (katholische) Österreich-Ungarn 1878 begonnen.265 Tatsächlich wirkte die Herrschaft der Doppelmonarchie fördernd für den Katholizismus in Bosnien-Herzegovina. Das religiös-kulturelle Leben erfuhr in der kurzen Zeitspanne zwischen 1878 und 1918 einen deutlichen Aufschwung. Den Auftakt bildete zweifellos die Einrichtung des katholischen Erzbistums Vrhbosna mit den Diözesen Banja Luka und Mostar-Duvno unter dem bis heute unter den Katholiken Bosniens verehrten Erzbischof Josef Stadler (1843–1918) im Jahr 1881. Bereits 1884 erhielt die Erzdiözese mit der Herz-Jesu-Kathedrale (Katedrala Srca Isusova, Josip Vancaš) im Zentrum Sarajevos, inmitten von zahlreichen Denkmalen osmanisch-islamischer Kultur, eine prachtvolle Hauptkirche. Nur einen Steinwurf entfernt war erst zehn Jahre zuvor die Kathedrale (Saborna Crkva) der orthodoxen Metropolie Dabrosanska (Andrej Damjanov, 1859–1874) fertig gestellt worden. Neben zahlreichen weiteren Kirchenneubauten wurden katholische Priesterseminare in Travnik (1890), Mostar (1895) und Sarajevo (1909) sowie klassische katholische Gymnasien ebenfalls in Travnik (1882), Kreševo (seit 1900 in Visoko) und Široki Brijeg (1889) eingerichtet. Auch das monastische Leben erhielt in diesem Zeitraum die Gestalt, die es noch im Krieg in Bosnien-Herzegovina 1992–1996 besaß. Auf Erzbischof Joseph Stadler geht die Gründung des Ordens der Dienerinnen vom Kinde Jesu 1890 zurück.266 In den Postjugoslawischen Kriegen zwischen 1991 und 1999 sollten es – nicht ausschließlich, aber hauptsächlich – die in diesem Zeitraum in Kroatien, Bosnien und Herzegovina sowie Kosovo errichteten Klöster und Kirchen sein, die gezielt angegriffen, zerstört oder beschädigt wurden. 265 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996, 1997). Auch diese Zahlen sind eine Annäherung und insofern nicht absolut zu interpretieren. Sie lassen sich aus den Publikationen der katholischen Kirche zur Zerstörung und Beschädigung von Bauwerken in den Kriegen in Kroatien (1991-1995) und Bosnien-Herzegovina (1992-1995) gewinnen. Dort sind die Errichtungszeiträume der meisten Bauwerke angegeben. Da Zerstörung und Beschädigung von Bauwerken des jeweiligen Gegenübers in den genannten Konflikten, wie noch zu sehen sein wird, umfassend war, sind diese Näherungswerte recht aussagekräftig. 266 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 14.
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Hier offenbart sich ein besonderes Merkmal der Konflikte im Raum des ehemaligen Jugoslawien: Seit der Etablierung der Ideologie des Nationalismus und dem hohen Stellenwert von kulturellen Elementen darin wurden und werden diese vor, nach und zwischen ihrer Eskalation in Kriegen als kulturelle Auseinandersetzungen transformiert, konserviert, tradiert und ausgetragen. Es sind Konflikte um und als kulturelles Erbe. Konträr dazu wird in populären Darstellungen das bisweilen enge Beieinander von Kirchen, Klöstern und Moscheen vor allem im urbanen Raum (Sarajevo, Prizren, Prishtina, zum Teil auch Skopje) als Zeichen friedlicher Koexistenz gewertet, wie es in der beliebten, für die Stadt Sarajevo häufig gebrauchten Bezeichnung vom „europäischen Jerusalem“267 zum Ausdruck kommt. Diese Interpretation stellt in mehrerlei Hinsicht eine Verkürzung dar. Zunächst vernachlässigt sie den Umstand, dass die Koexistenz einzig in den Städten des ehemaligen Jugoslawien noch besteht, in denen weiterhin ein größerer Bevölkerungsanteil Muslime lebt. In den überwiegend von Christen bewohnten Städten gibt es kein solches sichtbares Mit- und Nebeneinander mehr – auch wenn es einst die Regel war. Des Weiteren übersieht die wohlwollende, multiethnische und -religiöse Harmonie beschwörende Deutung, dass es für das Nebeneinander der Bauwerke einer starken Ordnungsmacht (Osmanisches Reich, Österreich-Ungarn, das sozialistische Jugoslawien, internationale Truppenkontingente) bedurfte, die sie – mit unterschiedlichen politischen Beweggründen – schützte. Sämtliche nennenswerten Kulturerbezerstörungen im jugoslawischen Raum haben sich stets im Zuge des Zusammenbrechens dieser politischen Ordnungsmächte und -systeme, dem entstehenden Machtvakuum und der Etablierung neuer Ordnungen ereignet. Mit dem (gewaltsamen) Umbau der kollektiven Sinnsysteme und symbolischen Ordnungen war stets auch der Umbau ihrer Repräsentationen verbunden. Schließlich missachtet die romantisierende Projektion des friedlichen Nebeneinanders die Möglichkeit, dass sich die Koexistenz von Kirchen, Klöstern und Moscheen auch als Ausdruck eines kulturell kompensierten Konflikts interpretieren lässt, der in der Topografie der Macht an bedeutenden Orten die Repräsentation der eigenen Identität unabdingbar nötig hat.
267 Kostović (2001); Differenziert wie stets schreibt Holm Sundhaussen (Sarajevo… (2014), 17): „Wer den Hass sucht, findet ihn, und wer das Miteinander sucht, findet es auch“.
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HOLOCAUST UND JÜDISCHES KULTURERBE 1941–1945
Seit der Ermordung Aleksandar I. Karađorđevićs versah dessen Cousin Prinz Pavle Karađorđević (1893–1976) die Regierungsgeschäfte für den ältesten Sohn Aleksandars, den noch minderjährigen Thronfolger Petar II. Am 25. März 1941 sicherte Pavle mit seiner Unterschrift dem sogenannten „Dreimächtepakt“ zwischen Deutschland, Japan und Italien die Unterstützung des Königreichs Jugoslawien zu. Die von General Dušan Simović angeführten Gegner dieser Allianz putschten jedoch und vertrieben Pavle vom Thron. Unter Petar II. versuchte die neue Regierung das Deutsche Reich hinzuhalten, indem sie den Beitritt zum Pakt weder ratifizierte noch ausdrücklich aufkündigte.268 Hitler soll darüber so erzürnt gewesen sein, dass er „beschloss, Jugoslawien als Staat zu vernichten“.269 Am 6. April 1941 begann die Wehrmacht ohne vorhergehende Kriegserklärung mit der Bombardierung Belgrads. Etwa zeitgleich marschierten deutsche, italienische, ungarische und bulgarische Truppen in Jugoslawien ein. Innerhalb kurzer Zeit war das gesamte Königreich besetzt und die jugoslawische Armee hatte kapituliert. Die Besatzer teilten Jugoslawien unter sich auf, wobei Deutschland den Norden Sloweniens und das Banat, Ungarn die Bačka und die Baranja und Italien den Süden Sloweniens, den größten Teil Dalmatiens, Kosovo und das westliche Makedonien besetzte. Das östliche Makedonien wurde durch Bulgarien annektiert. Die serbische Regierung von Premierminister Simović floh mit der Königsfamilie nach London ins Exil. Statt ihrer installierte das Deutsche Reich in Serbien eine Marionettenregierung unter dem Politiker Milan Nedić (1878–1946). In Kroatien formte die faschistische Ustaša270 mit dem aus dem italienischen Exil zurückgekehrten Anführer Ante Pavelić (1889–1959) aus Teilen Kroatiens (ohne Baranja) sowie Bosnien und Herzegovina den Unabhängigen Staat Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska, NDH), einen Vasallenstaat Hitler-Deutschlands, in dem sie ihr Terrorregime gegen Juden, Serben und politische Gegner unter den übrigen Ethnien errichtete.271 Neben der Verfolgung von Minderheiten entwickelte sich auf jugoslawischem Boden nach 1941 ein „grausamer Bürgerkrieg“272, ein „Krieg aller gegen alle“273. Den Widerstand gegen die deutsche Besatzung und die kroatische Ustaša trugen 268 Freidenreich (1979), 190; Boeckh (2009), 118. 269 Polónyi (2010), 97. 270 Ustaša (dt. Aufständischer), Pl.: Ustaše. Vgl. Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 718. 271 Vgl. Freidenreich (1976), 190; Boeckh (2009), 119 ff.; Berger et al. (2017), 40. 272 Behschnitt (1976), 1. 273 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 50.
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hauptsächlich die kommunistischen Partisanen um den späteren jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito. Bisweilen kämpfte auch die Četnik-Bewegung des serbischen Royalisten Draža Mihailović (1893–1946) gegen die Deutschen – oder aber sie ging mit ihnen Allianzen ein, wenn es taktische Erwägungen geboten. Nach anfänglichen Annäherungsversuchen tobte bald ein erbitterter Machtkampf zwischen Četniks und Partisanen, in dessen Verlauf beide Seiten Kriegsverbrechen verübten.274 Die Muslime Bosniens und Kosovos kämpften zu Teilen auf Seiten der Ustaša und der deutschen Besatzer275, jedoch auch in den Reihen der Partisanen. Überwiegend aus Muslimen wurden die SS-Divisionen Handžar (Bosnien und Herzegovina) und Skanderbeg (Albanien, Kosovo) gebildet276, deren Gräueltaten wiederum mit Racheakten an muslimischen Zivilisten vergolten wurden. Als das Blatt sich zugunsten der Partisanen Titos zu wenden begann, verließen etwa 2.000 Mitglieder der Handžar-Division ihre Einheit und schlossen sich den Partisanen an.277 In dieser hochkomplexen Konfliktlage kam es zu einer weiteren Vertiefung des gegenseitigen Misstrauens der jugoslawischen Ethnien untereinander. Die Ermordung und Verfolgung der jugoslawischen Juden und der Serben wurde vor allem und mit besonderer Brutalität von den kroatischen Ustaša mit deutscher Hilfe und Anleitung betrieben – es beteiligten sich jedoch auch Angehörige der übrigen jugoslawischen Ethnien sowie mit dem Deutschen Reich verbündete Nationen an den Verbrechen. Dabei verlief die „Verfolgung der jüdischen Bevölkerung Jugoslawiens […] je nach Besatzungsgebiet sehr unterschiedlich“278. Die wissenschaftliche Untersuchung des Holocaust im ehemaligen Jugoslawien steht insofern im Kontext der Forschung zur Ermordung und Vertreibung der Juden in Deutschland und anderen europäischen Staaten, als das auch sie neben der Erklärung größerer Strukturen und Zusammenhänge verstärkt individuelle Schicksale in das Zentrum ihrer Betrachtungen stellt. Durch die Entdeckung und analytische Erschließung neuer Quellen in jüngster Zeit gelingt es zunehmend besser, den ungeheuren Umfang der Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten und ihrer Helfer und Vollstrecker nachzuvollziehen. Bis die individuellen Schicksale der Betroffenen so umfassend wie möglich erforscht, dargestellt und begreiflich gemacht worden sind, kann die historische Aufarbeitung nicht als abgeschlossen gelten. Die einzige Möglichkeit wiederum, annähernd Gerechtigkeit herzustellen und den Opfern zumindest einen Teil der ihnen geraubten Würde zu274 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 52 ff.; Malcolm (2002), 174. 275 Höpken (1989), 189 f. 276 Höpken (1989), 190; Levental (1994), 59; Malcolm (2002), 189. 277 Malcolm (2002), 191. 278 Berger et al. (2017), 43.
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rückzugeben, besteht in einer fortdauernden gesellschaftlichen Debatte und dem Bewusstsein über die immerwährende Verantwortung insbesondere der deutschen Gesellschaft. Dies wird im Hinblick auf unseren Gegenstand recht schnell deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wo die Forschungssituation im ehemaligen Jugoslawien vom europäischen Kontext abweicht. Bis heute existiert im europäischen Vergleich nur eine geringe Zahl von Studien zum Holocaust in Jugoslawien und den übrigen Staaten der Balkanhalbinsel. Zum einen haben „Antisemitismus und Holocaust […] in der Forschung des ehemaligen Jugoslawien nur eine marginale Rolle gespielt“279, die ersten grundlegenden Studien stammen größtenteils von Wissenschaftlern aus dem westlichen Europa und Übersee.280 Zum anderen lässt sich bis heute in den postjugoslawischen politischen Entitäten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kein übermäßig großes Interesse an einer sorgfältigen Aufarbeitung dieses Kapitels jugoslawischer Geschichte feststellen. Besonders schwierig stellt sich die Situation in Kroatien dar, wo, wie die Schriftstellerin Tea Benčić Rimay (1956–2009) 2006 feststellte, ein neuer Relativismus zunehmend die konsequente Aufarbeitung der Verbrechen verdrängt und verhindert: […] instead of wounds being healed, they are reopened and deepened. Unfortunately, it is quite simple, for we live at a time when the last inmates of the camps, those who remember, are dying out, and historians, psychologists, philosophers and analysts present their theories, frequently processing eye-witness accounts to suit current political goals, while others work really hard to explain the black spots of an evil system, define genocide, or compare it with other crimes in history. However hard they try, a bitter taste remains for those who actually lived through it, but also for those who can identify with human suffering, humiliation and the removal of every scrap of dignity and humanity. It is as though it all happened in vain, for nothing can be justified and no dialectics can exalt the experience of horror. So. there is absolutely no reconciliation, but on the contrary, an even deeper gulf dividing the tragic and the logical. Truth is no longer true; fulfilment of the spirit is absolutely impossible.281
279 Sundhaussen (2008), 180. 280 Etwa Freidenreich (1979); Benbassa (2002) und eben Sundhaussen (2008). 281 Jasenovac Memorial Site (2006), 12.
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Die Erforschung der Schoah in Jugoslawien wird vor Ort lediglich von einem kleinen Kreis regionaler Spezialisten betrieben.282 Die wichtigsten Autoren sind nach wie vor zweifellos Slavko und Ivo Goldstein in Kroatien, Vidosava Neda Nedomački in Serbien sowie Eli Tauber in Bosnien-Herzegovina.283 Zwei bemerkenswerte deutschsprachige Studien haben zuletzt Alexander Korb (2013) sowie ein Autorenkollektiv um die Historikerin Sara Berger (2017) vorgelegt. In Korbs Arbeit zur Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma sind Apparat und Systematik des Ustaša-Terrors detailliert beschrieben; in der kommentierten Sammlung von Sara Berger und ihren Mitherausgebern liegen erstmals mehrere hundert Originaldokumente zur Verfolgung und Ermordung der Juden in Südosteuropa in Form von (zum Teil zuvor aus dem Südslawischen übertragenen) Transkripten vor. Um die Erforschung und Darstellung individueller Schicksale bemüht ist ebenfalls eine Zahl jüngerer Publikationen aus dem Umfeld der Forschung zum Konzentrationslager Jasenovac.284 Auffällig ist das beinahe vollständige Fehlen von Angaben zum Schicksal des jüdischen kulturellen Erbes in sämtlichen Arbeiten. Es existiert bis heute etwa keine Darstellung zu zerstörten Synagogen im ehemaligen Jugoslawien. Zwar weisen vor allem die neueren Texte etwa von Slavko und Ivo Goldstein oder Alexander Korb zum Teil detaillierte Darstellungen der Raubzüge und Plünderungen jüdischen Be282 Noch immer ist die Sprachbarriere, nicht nur in dieser Hinsicht, eines der größten Hindernisse für den Wissenstransfer aus der Region. Wobei ein nicht geringer Teil der Bevölkerung des ehemaligen Jugoslawien vor allem Englisch und Deutsch spricht – jedoch nur ein geringer Teil der mit der Region befassten Europäer eine der südslawischen Sprachen. 283 Slavko Goldstein (1928–2017) wurde als 13-Jähriger im Dorf Banski Kovačevac etwa 50 Kilometer südlich von Zagreb durch die Kroatin Agata Đerek versteckt gehalten und überlebte als jugoslawischer Jude so den Holocaust (Berger et al. (2017), 58). Von ihm stammen verschiedene grundlegende Beiträge zum Schicksal der jugoslawischen Juden, die er zum Teil gemeinsam mit seinem Sohn Ivo Goldstein erarbeitete und herausgab (1988, 2001, 2007, 2011, 2013). Seit 2016 liegt mit The Holocaust in Croatia (erweiterte Übersetzung von Holokaust u Zagrebu, Zagreb 2001) von Slavko und Ivo Goldstein die bisher einzige Monografie zum Holocaust in Kroatien vor. Die Kunsthistorikerin und Museologin Vidosava Neda Nedomački (1924–?) forschte zum jüdischen Leben in Belgrad. Als Kustodin im Jüdischen Historischen Museum in Belgrad und Gründerin der Publikation Sammlung des Jüdischen Historischen Museums erstellte sie 1988 gemeinsam mit Slavko Goldstein den Katalog Jews in Yugoslavia (Jevreja na tlu bivše Jugoslavija); von Eli Tauber stammt die bisher einzige Monografie zum Holocaust in Bosnien und Herzegovina (2014). 284 Darunter neben dem erwähnten Katalog zur Ausstellung in der Gedenkstätte (Jasenovac Memorial Site (2006)) etwa Milan Kućans Sammlung von Häftlingsbriefen aus den Konzentrationslagern Jasenovac und Stara Gradiška (2014), Nataša Mataušićs Monografie mit Fotografien aus dem KZ Jasenovac sowie Dejan Motls und Đorđe Mihailovićs umfangreiche Sammlung von Biografien der letzten Häftlinge des Konzentrationslagers (2015).
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sitzes durch die deutschen Besatzer und die kroatischen Ustaša auf – um konkrete Objekte geht es dabei jedoch nur äußerst selten. Ähnlich wie in der Darstellung der Verfolgung und Ermordung der Juden hat auch hier die Aufarbeitung individueller, das heißt konkreter Fälle erst begonnen. Noch ist diese Forschung hauptsächlich mit der Rekonstruktion größerer Darstellungen und allgemeiner Zusammenhänge befasst. Vidosava Nedomački forderte diesbezüglich bereits 1989: „Oft haben Synagogen das Schicksal der jüdischen Gemeinden geteilt, die sie gebaut haben; sie sollten deswegen in die Geschichte der Juden Jugoslawiens und ihrer generellen Aktivitäten einbezogen werden. Als Teil ihres Erbes betrachtet sind sie weitere Studien wert.“285 Leider sind dieser Aufforderung bisher nur wenige Wissenschaftler gefolgt. Antisemitismus war kein grundsätzlich neues Phänomen auf der Balkanhalbinsel. Vereinzelte Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung hatte es bereits Ende des 19. Jahrhunderts in heute zur Türkei gehörenden Städten des Osmanischen Reich gegeben. Juden wurden verfolgt in Izmir (1872, 1891) und Istanbul (1873). Zwischen 1887 und 1898 kam es zu Pogromen an verschiedenen Orten in Bulgarien.286 Antijüdische Demonstrationen gab es in Serbien 1873 und in Nordkroatien 1883.287 In den 1920er Jahren polemisierten nationalistische Organisationen und religiöse Laienbewegungen in Serbien und Kroatien gleichermaßen gegen die jüdische Bevölkerung.288 1936 waren die Protokolle der Weisen von Zion, eine antisemitische Schrift, die auf der Basis gefälschter Dokumente eine jüdische Weltverschwörung unterstellt, in einer südslawischen Übersetzung veröffentlicht worden.289 Sundhaussen konstatierte für die Balkanhalbinsel an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Akkord mit anderen Autoren einen latenten, wenngleich nicht systematischen Antisemitismus, der bis „in die zweite Hälfte der 1930er Jahre“ eine „Randescheinung“ in Jugoslawien blieb.290 Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 nahm jedoch auch der Druck auf die jugoslawischen Juden zu. 1940 wurde im Königreich Jugoslawien ein Gesetz erlassen, das Juden verbot, Lebensmittelgeschäfte zu betreiben. Ein weiteres Gesetz
285 286 287 288 289 290
Nedomački (1989), 37. Benbassa (2000), 160. Goldstein (1989), 107. Sundhaussen (2008), 182 f. Benbassa (2000), 164. Sundhaussen (2008), 180 ff.; vgl. Goldstein (1989), 15, 107 ff.; Levental (1994), 19; Benbassa (2000), 164.
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führte einen Numerus clausus für jüdische Studenten an den Universitäten des Königreichs ein.291 1941 waren die Juden des Königreichs Jugoslawien in 117292, nach anderen Angaben in 121293 Gemeinden organisiert, von denen 72 durch Angehörige der Aschkenasim, 36 durch Sephardim sowie 13 durch orthodoxe Juden gebildet wurden.294 Der Anteil der Juden an der jugoslawischen Bevölkerung belief sich auf etwa 0,5 Prozent oder 71.000 Personen.295 Dazu kamen noch einmal etwa 55.000 Juden, die vor der Verfolgung aus dem Deutschen Reich nach Jugoslawien geflüchtet waren.296 Die Judenverfolgung, die in Jugoslawien ähnlich wie im Deutschen Reich und anderen besetzten europäischen Staaten verlief, lässt sich in drei Phasen unterscheiden: Auf Kennzeichnung, Diskriminierung und Isolation folgten Plünderung und Raub sowie schließlich die physische Vernichtung.297 Die detaillierte Beschreibung der einzelnen Phasen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.298 Ohne die oben argumentierte immense Bedeutung gründlicher Studien relativieren zu wollen, müssen wir uns auf den Gegenstand dieser Arbeit konzentrieren und können neben allgemeinen Feststellungen lediglich den wenigen Hinweisen auf die Zerstörung und den Raub jüdischen Kulturerbes nachgehen. Nur etwa lediglich ein Sechstel der jugoslawischen Juden überlebte den Holocaust.299 12.495 überlebende Juden wurden 1946 gezählt; die meisten in den traditionellen Zentren jüdischen Lebens im Königreich Jugoslawien – etwa Belgrad (2236), Zagreb (2126) und Sarajevo (1413).300 Etwa die Hälfte dieser Überleben291 292 293 294 295 296 297 298
299 300
Goldstein (1989), 108. Sundhaussen (2008), 182; Berger et al. (2017), 37. Nedomački/Goldstein (1989), 69. Nedomački/Goldstein (1989), 69; 12 orthodoxe Gemeinden bei Sundhaussen (2008), 182. Berger et al. (2017), 38; 75.000-78.000 Personen bei Goldstein (1989), 16; Nedomački/ Goldstein (1989), 69; Picard (1994), 207; Rosenberg (1994), 215; Sundhaussen (2008), 182. Berger et al. (2017), 39. Berger et al. (2017), 43. Die Elemente der einzelnen Phasen, etwa antijüdische Propaganda und Rhetorik, die Diskriminierung der Juden und die Begründung ihrer Verfolgung im nationalen „Recht“, die Reaktionen der verschiedenen jüdischen Gemeinden, Massenverhaftungen, die Verbringung in Konzentrationslager, die Organisation derselben und schließlich die systematische Ermordung der jugoslawischen Juden sind zum Teil sehr ausführlich dargestellt bei Radonić (2010), Korb (2013) sowie Goldstein/Goldstein (2016). Bei Goldstein (1989), widersprüchlich 15.000 (S. 16), 16.500 (S. 115) oder 16.000 (S. 127); 12.400 bei Sundhaussen (2008), 184; weniger als 15.000 bei Freidenreich (1979), 193. Freidenreich (1979), 193.
2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus | 101
den301 wanderte zwischen 1948 und 1952 in fünf Wellen von Jugoslawien nach Israel aus302; eine geringere Zahl emigrierte in die USA oder nach Kanada. In ihrer letzten Veröffentlichung von 2016 argumentieren Slavko und Ivo Goldstein, dass das geraubte Vermögen aus jüdischem Besitz in Nachkriegsstudien im sozialistischen Jugoslawien auf 25 Milliarden Dinar (nach dem Geldwert von 1939) beziffert werde. Diese Summe bezieht sich jedoch auf registrierten immobilen Besitz, das heißt Wohn-, Fabrik- und Geschäftsgebäude. Der Umfang der geraubten mobilen Wertsachen – Familienschmuck, Kunstwerke, Möbel, (wertvolle) Bücher, Kleidung, Gold etc. – lässt sich hingegen nicht benennen, da diese Objekte nicht registriert waren.303 Der Raub des jüdischen Vermögens diente einerseits der Finanzierung des Ustaša-Regimes, das mit der Machtübernahme 1941 zunächst über keine nennenswerte ökonomische Basis verfügte, jedoch auch der persönlichen Bereicherung bzw. deutschen Interessen. So berichtet Korb von der „Beschlagnahme von Hebraica und Judaica […] und den Raub von Kunstwerken allgemein […]“ auf dem Gebiet des Königreichs Jugoslawien durch den notorischen Einsatzstab Rosenberg.304 Vergegenwärtig man sich den Charakter der Plünderungen, die zum Teil organisiert, zum Teil chaotisch und ohne jede Kontrolle verliefen, und führt man sich darüber hinaus vor Augen, wie wenige der rechtmäßigen Eigentümer den Raubmord der kroatischen Ustaša und der deutschen Nazis überlebten, gewinnt man einen vagen Eindruck, vor welchen Herausforderungen die Forschung im Hinblick auf konkrete Objekte und deren Verbleib steht bzw. welch schwieriges Unterfangen die Herstellung von Gerechtigkeit für die Opfer und deren überlebende Angehörige darstellt.305 Nichtsdestoweniger lässt sich heute konstatieren, dass das Problem der Restitution und der Entschädigung jüdischer Opfer eine der wichtigsten gesellschaftlichen Debatten des nächsten Jahrzehnts in den ehemaligen jugoslawischen Staaten sein wird – insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Annäherung an die Europäische Union. Gesichert ist immerhin, dass am 10. Oktober 1941 die Große Synagoge in der Praška ulica im Zentrum Zagrebs abgerissen wurde. An deren ehemaligem Stand301 7600 bei Sundhaussen (2008), 184; 7.578 bei Freidenreich (1979), 193; 8000 bei Nedomački/Goldstein (1989), 128. 302 Freidenreich (1979), 193. 303 Goldstein/Goldstein (2016), 171 ff. 304 Korb (2013), 233; der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) unter seinem Leiter und Namensgeber Alfred Rosenberg war eine Organisation, die im Auftrag der nationalsozialistischen Führung in den durch das Deutsche Reich besetzten Gebieten Kunst- und Kulturgegenstände raubte. 305 Vgl. Goldstein/Goldstein (2016), 161 ff. sowie Radonić (2010), 86 ff. und Korb (2013), 236 ff.
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ort befindet sich heute ein Parkplatz. 1943 wurde die Synagoge in Split von deutschen Truppen geplündert und verwüstet306; am 1. Januar 1944 die 1903 errichtete Große Synagoge in Rijeka ausgeraubt und niedergebrannt.307 Allein in Nordkroatien sollen im Verlauf des Zweiten Weltkrieges etwa 30 Synagogen zerstört worden sein.308 Für diese Zerstörungen führten die Ustaša-Behörden in der Regel „städtebauliche Gründe“ an.309 Überliefert sind (selten genug) auch konkrete Fälle der Plünderung von wertvollen Gegenständen aus zwangsgeräumten Synagogen. Am 24. November 1941 etwa bat die Pfarre zur heiligen Jungfrau Maria im Schnee in Karlovac in einem Brief an die Staatliche Direktion der Erneuerung (Državno ravnateljstvo za ponovu) um die Orgel aus der Synagoge der Stadt, um sie in der Kirche Kyrill und Method aufzustellen, die über kein solches Instrument verfügte.310 Zurückhaltung ist geboten gegenüber den Angaben des serbischen Historikers Nikola Živković. Der hatte 1994 den Versuch unternommen, den materiellen Schaden, der durch Plünderung, Enteignung sowie die Zerstörung von kulturellen und religiösen Objekten zwischen 1941 und 1945 in Jugoslawien entstanden war, abzubilden. Während des Krieges und unter der deutschen Besatzung schreibt er, seien 812 orthodoxe Kirchen und Klöster, 110 katholische Kirchen, 345 Moscheen und 106 Synagogen zerstört oder beschädigt worden. Der Schaden an beweglichen Objekten des religiösen und kulturellen Erbes aller Konfessionen sei hingegen kaum zu beziffern. Besonders barbarisch seien die Deutschen gegen Synagogen vorgegangen. In Zagreb, Belgrad und Sarajevo seien diese zerstört worden.311 Während die allgemeinen Angaben Živkovićs von anderen Autoren gestützt werden312, sind die spezifischen Zahlen und Daten, die der Historiker beibringt, weder durch Quellen belegt noch anders gesichert.313 Keiner der wenigen regionalen Autoren
306 307 308 309 310 311 312 313
Nedomački/Goldstein (1989), 72. Goldstein (1989), 138. Nedomački/Goldstein (1989), 81. Goldstein (1999), 136. Berger et al. (2017), 403, Dok. 132. Živković (1994), 88 ff. Vgl. Freidenreich (1979), 196. Man muss Nikola Živković zugutehalten, dass er zur Vorsicht im Umgang mit diesen Zahlen mahnt. Viele der ihnen zugrunde liegenden Daten seien aus der Erinnerung Überlebender überliefert. Er schließt die Möglichkeit nicht aus, dass in die Listen, die nach mündlichen Aussagen unmittelbar nach Kriegsende angefertigt worden sind, auch Gegenstände Eingang gefunden haben, von denen nicht vollständig geklärt ist, welcher Art sie waren und welchen Wert sie hatten (Živković (1994), 88 ff.).
2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus | 103
macht annähernd vergleichbare Angaben oder beruft sich auf von ihm angeführte Dokumente. Von der Kunsthistorikerin Vidosava Nedomački wissen wir, dass in Sarajevo sieben Synagogen existierten, von denen heute fünf erhalten sind (eine davon als Rekonstruktion).314 Die Alte (sephardische) Synagoge (Stara Sinagoga, Stari Hram, 1581) befindet sich in der Ulica Mustafa Bašekije, unweit des historischen Marktplatzes im Zentrum der Altstadt. In ihr ist heute das Museum der Juden Bosnien und Herzegovinas untergebracht. Die in den 1870er Jahren errichtete Neue Synagoge (Il Kal Nuevo, Nova Sinagoga) befindet sich wenige Meter gegenüber der Alten Synagoge. Sie beherbergt heute ein Museum für zeitgenössische Kunst. Im Stadtviertel Mejtaš, unmittelbar oberhalb der historischen Altstadt, steht noch gegenwärtig das ehemalige Bethaus Bet Tefila, das Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet wurde und nach 1945 zeitweilig als Schule genutzt worden sein soll. Am gegenüberliegenden Ufer der Miljacka, die Sarajevo in Ost-West-Richtung durchfließt, befindet sich die 1902 errichtete Aschkenasische Synagoge (Aškenaski Hram). Sie dient heute als Bet- und Versammlungsort der wieder etwa 750 Mitglieder umfassenden jüdischen Gemeinde der Stadt.315 Wiederum am rechten Ufer der Miljacka steht, versteckt zwischen Wohnblöcken (stambene zgrade), die 1926– 1930 durch den Zagreber Architekten Rudolf Lubinski errichtete, 1941–1945 geplünderte und schwer beschädigte, durch Ivan Štraus 1964 rekonstruierte Große Neue Synagoge (Veliki Novi Hram), die verschiedentlich auch als Il Kal Grande bezeichnet wird. In ihr ist heute ein Kulturzentrum der Stadt Sarajevo untergebracht. Auf dem Jüdischen Friedhof (Jevrejsko Groblje), der auf den Hängen im Süden oberhalb der Stadt liegt, befindet sich zudem eine kürzlich gemeinsam mit Teilen des Friedhofs sanierte jüdische Kapelle. Nicht mehr erhalten sind die Synagogen Il Kal Di Lus Mudus, Il Kal Di Tiju Mači Bohor und Tikun Hacot.316 Eli Tauber, der gegenwärtige Vorsitzende des jüdischen Kulturvereins Hagada in Sarajevo und Autor von Holocaust in Bosnien und Herzegovina (2014), geht überdies davon aus, das in Sarajevo vor dem Zweiten Weltkrieg zudem mehrere dutzend private Synagogen in den Wohnräumen wohlhabender Juden existiert haben, die heute nicht
314 Nedomački (1989), 35, 37. 315 Gespräch mit Eli Tauber, der Vorsitzender des jüdischen Kulturvereins Hagada ist, im Februar 2018. Demnach lebten in Sarajevo vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 20 000 Juden. 316 Die Informationen über die nicht mehr existierenden Synagogen Sarajevos stammen von der Internetpräsentation der Jugoslawischen Juden und [ihrer] Freunde – Makabijada (http://www.makabijada.com/dopis/gradovi/SA%20valerijan.htm, 13. April 2012 [01.03.2018]).
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mehr zu lokalisieren sind.317 Ebenfalls nicht mehr vorhanden sind die jüdischen Archive Sarajevos.318 Der prekäre Forschungsstand zur Zerstörung jüdischen Erbes wird einmal mehr an den widersprüchlichen Angaben zu den Belgrader Synagogen deutlich. Eine besonders zynische Wendung der Geschichte ist, dass die Juden Belgrads hauptsächlich im Viertel Dorćol ansässig waren – von dort hatte man wenige Jahrzehnte zuvor schon die muslimischen Einwohner vertrieben. In Belgrad, das durch die massiven deutschen Bombardements im April 1941 bereits schwer beschädigt war, existierten vor dem Ausbruch des Krieges sehr wahrscheinlich mindestens vier jüdische Tempel. Einer davon war die Synagoge Sukat Šalom, errichtet zwischen 1924 und 1925 nach Plänen des Architekten Milan Schlang319. Sie befindet sich in der heutigen Ulica Maršala Birjuzova und ist das gegenwärtige Zentrum der jüdischen Gemeinde der Stadt.320 Ein weiteres jüdisches Bet- und Versammlungshaus war die sogenannte Alte Synagoge (Stara Sinagoga). Sie soll im 18. Jahrhundert erbaut und unterschiedlichen Angaben zufolge entweder während des Zweiten Weltkrieges zerstört oder aber unmittelbar danach abgerissen worden sein.321 Ob sie identisch ist mit der Alten Aschkenasischen Synagoge (Stara Aškenanaska sinagoga), von der es heißt, sie sei im Zuge der „verschiedenen Rekonstruktionen des Stadtteils zerstört worden“322, oder ob mit ihr vielmehr diejenige gemeint ist, die bis 1925 im Serbischen Nationaltheater (Narodno pozorište, 1868) in der heutigen Francuska Ulica untergebracht war323, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen. Ein weiteres Objekt, dessen Schicksal besser dokumentiert ist, ist die Synagoge Beth Israel. Sie wurde im März 1907 nach Plänen des Architekten Milan Kapetanović begonnen und im Oktober 1908 geweiht. Bis sie von der deutschen 317 Gespräch mit Eli Tauber im Februar 2018. 318 Malcolm (2002), 111. 319 Jüdisches Erbe Europa (Jewish Heritage Europe): http://www.jewish-heritage-europe.eu/ serbia/heritage-and-heritage-states [04.03.2014]. 320 Jüdische Gemeinschaft in Belgrad (Jevrejska opština u Beogradu): http://www.beogradskasinagoga.rs/PO%C4%8CETNA.html [01.03.2018]. 321 Die Angaben hierzu in Radio (1997) sind widersprüchlich in sich. Einerseits heißt es, dass die Alte Synagoge bis 1952 im jüdischen Viertel [Dorćol?; T. S.] existierte (S. 17), andererseits heißt es, sie sei im Zweiten Weltkrieg zerstört worden (S. 42). 322 „[…] stara aškenaska sinagoga koja je srušena tokom raznih rekonstrukcija tog dela grada“ (Stadt Belgrad, Internetpräsentation der Stadt: http://www.beograd.rs/cms/view. php?id=1408 [04.03.2014]). 323 „Nedaleko od ove sinagoge nalazila se stara aškenaska sinagoga koja je bila smeštena u nekadašnjoj zgradi Narodnog pozorišta i bila u upotrebi od 1869. do 1925. godine“ (Jüdische Gemeinschaft Belgrad (Jevrejska opština u Beogradu): http://www.beogradskasinagoga.rs/PO%C4%8CETNA.html [01.03.2018]).
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Besatzung Belgrads 1944 niedergebrannt wurde, befand sie sich in der Ulica Cara Uroša.324 Das von der Rothschild Foundation Europe geförderte und unter anderen durch den britischen Historiker Sharman Kadish und die US-amerikanische Journalistin Ruth Ellen Gruber betreute Internet-Portal „Jewish Heritage Europe“ gibt an, dass vor dem Krieg in Belgrad drei Synagogen existiert haben. Erwähnt werden in knappen Worten jedoch lediglich zwei der Bauwerke. Einerseits ist das die noch existente Sukat Šalom sowie „A Moorish style synagogue […] designed by Milan Kapetanovic“, womit nur Beth Israel gemeint sein kann. Zur dritten Synagoge finden sich auf dem Portal keine Angaben – man kann jedoch davon ausgehen, dass es sich um die nicht mehr präzise lokalisierbare Alte Aschkenasische Synagoge handelt.325 Eine weitere, deren Bauwerk bis heute erhalten ist, befindet sich in Zemun am der Altstadt gegenüberliegenden Ufer der Save. Um dieses Bauwerk besteht ein andauernder Rechtsstreit zwischen dem gegenwärtigen Eigentümer und der Jüdischen Gemeinde Zemun (Jevrejska Opština Zemun).326 Jewish Heritage Europe stellt auch eine Liste mit insgesamt 55 zerstörten Synagogen in Serbien zur Verfügung.327 Bemerkenswert daran ist, dass ein Fünftel der dort aufgeführten Bauwerke im Zweiten Weltkrieg, 43 der Bauwerke jedoch noch bis in die 60er Jahre hinein im kommunistischen Jugoslawien zerstört wor324 Radio (1997), 13, 45. 325 Jüdisches Erbe Europa (Jewish Heritage Europe): http://www.jewish-heritage-europe.eu/ serbia/heritage-and-heritage-states [06.06.2016]; vgl. biografische Informationen zu Ruth Ellen Gruber: http://ruthellengruber.com/blog/about-ruth/about/ [06.06.2016]. 326 Das Gebäude der ehemaligen Synagoge liegt in der Ulica Rabi Alkalaj. Der Rechtsstreit besitzt einige Brisanz. 1997 war das Gebäude unter Vermittlung des damaligen Vorsitzenden der Serbischen Radikalen Partei (Srpska Radikalna Stranka) Vojislav Šešelj, der sich nach seiner Auslieferung an das International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) im Jahr 2003 für Verbrechen im Krieg in Kroatien (1991–1995) und Bosnien und Herzegovina (1992–1995) verantworten musste, kürzlich jedoch von allen Vorwürfen freigesprochen wurde, an einen serbischen Geschäftsmann vermietet worden, der später dort ein Restaurant einrichtete. Šešelj argumentierte 1997, das Gebäude sei 1962 von der jüdischen Gemeinde an die Stadt verkauft worden. Der damalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinden Belgrads Ace Singer hingegen wiedersprach dieser Version und gab Auskunft, der Verkauf der Synagoge sei 1962 lediglich auf den Druck der kommunistischen Behörden der Stadt zu Stande gekommen. Vgl. Anastasijević (1997); Jüdische Gemeinschaft Zemun (Jevrejska opština Zemun): http://joz.rs/sinagoga_en.html [01.03.2018]; Jüdisches Erbe Europa (Jewish Heritage Europe): http://www.jewish-heritage-europe.eu/serbia/ heritage-and-heritage-states [01.03.2018]. Von Verkäufen auf Druck der Kommunisten berichtete auch Eli Tauber in Sarajevo im persönlichen Gespräch im Februar 2018. 327 Jüdisches Erbe Europa (Jewish Heritage Europe): http://www.jewish-heritage-europe.eu/ serbia/heritage-and-heritage-states [04.03.2014].
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den sind. Als Ursachen können das antireligiöse Ressentiment der jugoslawischen Kommunisten, die fehlende personelle und materielle Unterstützung für das jüdische Kulturerbe nach 1945 und natürlich das durch Mord, Vertreibung und Flucht stark dezimierte Kollektiv der Erben angenommen werden.328
VERFOLGUNG VON SERBEN 1941–1945
Neben der Verfolgung und Vernichtung der Juden gerät die Situation der Serben zwischen 1941 und 1945 gelegentlich aus dem Blick. Dabei gingen die kroatischen Ustaša-Verbände mit Unterstützung der deutschen Besatzer auch gegen diese mit äußerster Brutalität vor. Das trifft insbesondere auf die gemischt besiedelten Gebiete Kroatiens zu. Der Terror war systematisch und sorgfältig geplant. Vorgesehen war, ein Drittel der Serben zur Konversion zum katholischen Glauben zu zwingen, ein weiteres Drittel sollte vertrieben und das verbleibende Drittel umgebracht werden.329 Die diskriminierenden Maßnahmen ähnelten denen gegen die Juden. Darunter fiel etwa die Pflicht, als Serbe eine kennzeichnende Armbinde zu tragen, das Verbot der kyrillischen Schrift, die Schließung der von der orthodoxen Kirche betriebenen Kindergärten und Schulen sowie die teilweise Einziehung des Vermögens der Serbischen Orthodoxen Kirche. Irreguläre Einheiten der Ustaša beteiligten sich an Massakern und Zwangskonversionen.330 Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen wurden die Ustaša und das Regime Pavelićs auch durch Angehörige des katholischen Klerus unterstützt. Jedoch wird die vor allem in Kreisen serbischer Nationalisten gängige Behauptung, dies sei vorbehaltlos und ohne jede Ausnahme geschehen, den historischen Fakten nicht gerecht.331 So fand die Machtergreifung der Ustaša zunächst die Zustimmung der Kirchenspitze. Der kroatische Erzbischof Alojzije Stepinac (1898–1960) gratulierte „der Ustaša-Führung zur Errichtung des unabhängigen Kroatien und stattete dem Staatsoberhaupt Pavelić einen offiziellen Besuch ab“332. Doch wich die anfängliche Begeisterung offenbar recht bald der Ernüchterung. Schließlich überwarf sich Stepinac mit Pavelić und den Ustaša – nicht wegen ihrer Ziele, sondern den Mitteln, die sie bei deren Umsetzung anwandten.333 Nichtsdestoweniger gab es aus den Reihen der katholischen Priesterschaft zum Teil 328 329 330 331 332 333
Ich komme weiter unten darauf zurück. Buchenau (2004), 67 und (2006), 67; Polónyi (2010), 99. Buchenau (2004), 68 und (2006), 68; Boeckh (2009), 124 ff. Bremer (2007), 245. Buchenau (2006), 65. Buchenau (2004), 69; ähnlich differenziert auch in Berger et al. (2017), 57.
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tatkräftige Unterstützung für das Ustaša-Regime. Besonders stark war diese in den Reihen der herzegowinischen Franziskaner und der katholischen Laienbewegung. Sie bildeten „den Humus für die Ustaša-Bewegung“334. Der norwegische Slawist Pål Kolstø sieht den katholischen Klerus in drei Fraktionen gespalten. Einerseits sympathisierte ein geringer Teil mit den Partisanen; ein größerer Teil andererseits hegte Sympathien für die Ustaša. Kolstø stimmt mit Buchenau überein, dass sie besonders in den Franziskanern der Herzegovina und Dalmatiens „bereitwillige Exekutoren“ fanden. Der größte Teil des Klerus hingegen befürwortete die konservativen Bestrebungen der kroatischen Faschisten „christliche Prinzipien“ in der Gesellschaft durchzusetzen, wie das „Verbot von Abtreibung, Pornographie und sogar das Fluchen“, verurteilte jedoch Gräueltaten im „Namen von Gott und Kirche“.335 Zwischen 1941 und 1945 wurden in Jugoslawien 71 Konzentrationslager sowie „329 Untersuchungsgefängnisse und sonstige Haftanstalten“ betrieben.336 Konzentrationslager wurden etwa in den kroatischen Orten Stara Gradiška, Tenja und Vukovar, im serbischen Banjica und in der Nähe Belgrads (Sajmište) sowie im bosnischen Kruščica eingerichtet. In Loborgrad, in der Nähe von Zagreb, sowie in Djakovo, wo eine nationale Integrationsfigur der Kroaten, Bischof Josip Juraj Strossmayer, einst seinen Sitz hatte, befanden sich Lager für Frauen und Kinder.337 Das Konzentrationslager, das für die Vernichtung der jugoslawischen Juden, Roma und Serben durch die Ustaša wie kein weiteres steht, befand sich im kroatischen Jasenovac. Die Frage, wie viele Menschen in den verschiedenen Konzentrations-, Arbeitsund Durchgangslagern tatsächlich ihr Leben verloren haben, konnte bis heute nicht endgültig geklärt werden und sorgt noch immer für heftige, zum Teil polemisch geführte Kontroversen. Einige Autoren gehen davon aus, dass im Lager Jasenovac am Ufer der Save zwischen 500.000 und 800.000 Juden, Serben sowie Sinti und Roma getötet wurden.338 Boeckh referiert, dass allein 45.000 bis 52.000 Serben dort ihr Leben verloren haben.339 Unter den Opfern befanden sich offenbar auch zahlreiche Priester der Serbischen Orthodoxen Kirche. Buchenau belegt mit verschiedenen Quellen, dass zwischen 1941 und 1945 zwischen 129 und 515 Priester,
334 335 336 337 338 339
Buchenau (2006), 67. Kolstø (2011), 40. Djurić/Becken/Bengsch (1996), 277; vgl. Benbassa (2000), 172. Goldstein (1989), 112; Levental (1994), 70; Radio (1997), 53. Djurić/Becken/Bengsch (1996), 278; vgl. Benbassa (2000), 172. Boeckh (2009), 126.
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Mönche und Katecheten getötet worden sind.340 Die Politikwissenschaftlerin Sabrina P. Ramet schreibt 1992 von „etwa 350.000“ durch die Ustaša getöteten Serben – bezieht sich dabei jedoch nicht ausschließlich auf die Opfer im KZ Jasenovac.341 Die regionale Forschung um die Lager in Jasenovac und Stara Gradiška kennt mittlerweile die Identität zumindest von 69.842 Opfern; Serben (39.580), Roma (14.599) und Juden (10.700) bilden die größten Gruppen.342 Zwei Dinge jedoch gilt es nicht zu vergessen: Zum einen handelt es sich dabei lediglich um die Opfer, deren Identitäten bisher ermittelt werden konnten – die tatsächliche Zahl der Ermordeten dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Zum andern ist es, was die Abscheulichkeit und Niedertracht der Verbrechen der Deutschen und ihrer Verbündeten in Südosteuropa anbelangt, unerheblich, wie viele Menschen davon betroffen waren und welchen nationalen und religiösen Kollektiven sie angehörten.
VERFOLGUNG DER ROMA 1941–1945
Das Schicksal der Roma auf der Balkanhalbinsel lässt sich nicht weniger schwer rekonstruieren als das der jüdischen Glaubensgemeinschaften. Ihre Verfolgung und Ermordung ist bis heute nicht ausreichend erforscht.343 Das liegt unter anderem an den fehlenden kulturellen Hinterlassenschaften. Die immer wiederkehrenden Pogrome gegen die Roma konnten sich auch vollziehen, weil sie – zumindest im Bewusstsein der Europäer – als gleichwertige und eigenständige Kollektive gar nicht existierten. Nichtsdestoweniger ist ihre bis heute andauernde Verfolgung, Diskriminierung und Ermordung auf der Balkanhalbinsel eine historische Realität. Noel Malcolm etwa führt an, dass 28.000 Roma im Zweiten Weltkrieg durch kroatische Ustaša umgebracht worden seien.344 Doch nicht ausschließlich Kroaten beteiligten sich an den Verbrechen: Nur fünf Wochen nach der Besetzung Serbiens erließen die Militärbehörden des dort installierten Kollaborationsregimes eine Reihe von Dekreten für die etwa 150 000 serbischen Roma. Sie wurden zur Registrierung gezwungen und mussten 340 Buchenau (2004), 150. 341 Ramet (1992), 8. 342 Jasenovac Memorial Site (2006), 219; des Weiteren 3.426 Kroaten, 747 Muslime, 197 Slowenen, 91 Slowaken, 81 Tschechen, 55 Ukrainer, 27 Montenegriner, 17 Ungarn, zehn Italiener, fünf Russen, vier Deutsche, zwei Polen, 265 unbekannt. 343 Djurić/Becken/Bengsch (1996), 267. 344 Malcolm (2002), 118.
2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus | 109
gelbe Armbinden mit der Aufschrift „Zigeuner“ tragen. Die Roma wurden aus allen Teilen Serbiens in Razzien zusammengetrieben, zur Arbeit gezwungen und in Konzentrationslagern interniert.345
Am 1. November 1941 berichtete der deutsche Wehrmachtsoffizier Oberleutnant Walther vom Infanterieregiment 433 an das Infanterieregiment 743 über die „Erschießungen von Juden und Zigeunern“ in der Nähe von Belgrad: Nach Vereinbarung mit der Dienststelle der SS holte ich die ausgesuchten Juden bzw. Zigeuner vom Gefangenenlager Belgrad ab. […] Der Platz, an dem die Erschießung vollzogen wurde, ist sehr günstig. Er liegt nördlich von Pancevo unmittelbar an der Straße Pancevo-Jabuka, an der sich eine Böschung befindet, die so hoch ist, daß ein Mann nur mit Mühe hinauf kann. […] Ebenfalls günstig ist der Sandboden dort, der das Graben der Gruben erleichtert und somit auch die Arbeitszeit verkürzt. […] Das Erschießen der Juden ist einfacher als das der Zigeuner. Man muß zugeben, daß die Juden sehr gefasst in den Tod gehen – sie stehen sehr ruhig –, während die Zigeuner heulen, schreien und sich dauernd bewegen, wenn sie schon auf dem Erschießungsplatz stehen. Einige sprangen sogar vor der Salve in die Grube und versuchten sich totzustellen.346
Im Februar 1942 erklärten die Ustaša in Kroatien die „Judenfrage“, im Sommer darauf die deutsche Verwaltung in Serbien die „Judenfrage, ebenso wie die Zigeunerfrage“ als „gelöst“. Es ist davon auszugehen, dass zwischen1941 und 1945 in den Lagern des Unabhängigen Staates Kroatien 25.000 bis 40.000 Roma ermordet worden sind.347
MUSLIME ZWISCHEN TÄTERSCHAFT, WIDERSTAND UND VERFOLGUNG 1941–1945
Die Muslime Bosniens und der Herzegovina wurden während der deutschen Besetzung Jugoslawiens nicht wegen ihrer Religiosität, Kultur oder ethnischer Zugehörigkeit verfolgt. Sie wurden vielmehr zunächst von der kroatischen UstašaRegierung als „reinste Kroaten“348 oder „Blüte des kroatischen Volkes“349 regelrecht 345 346 347 348 349
Djurić/Becken/Bengsch (1996), 280. Berger et al. (2017), 395, Dok. 127. Djurić/Becken/Bengsch (1996), 280, 282; vgl. Berger et al. (2017), 45, 49. Höpken (1989), 184 f. Goldstein, Slavko (2007), 173.
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umworben350, um sie für den NDH-Staat zu gewinnen. Wie beschrieben, gingen sie Allianzen mit den Ustaša ein und kämpften, in eigens gebildeten SS-Divisionen, auf Seiten der Deutschen. Jedoch waren nicht alle Kollaborateure oder machten sich Verbrechen schuldig. Ähnliches gilt für die Muslime Albaniens und Kosovos. Unter diesen Voraussetzungen sowie angesichts der umfassenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg auf dem Territorium Jugoslawiens verwundert es nicht, dass auch das kulturelle und religiöse Erbe der bosnischen Muslime, wie der Jugoslawiens generell, von den Zerstörungen des Krieges betroffen war. Die Zahl von 756 zerstörten oder schwer beschädigten Moscheen, die Malcolm anführt351, steht jedoch im Widerspruch zu den von Nikola Živković angegebenen 354 zerstörten Moscheen, von denen bereits die Rede war. In dieser Widersprüchlichkeit zeigt sich einmal mehr der unzureichende Forschungsstand auf diesem Gebiet. Es ist fraglich, wie verbindlich diese absoluten Zahlenangaben sein können. Es existieren schlicht und ergreifend bisher keine Dokumente, die sie belegen können.
NATIONALISMUS UNTER DEN MUSLIMEN BOSNIENS UND KOSOVOS
Auf dem Territorium Bosniens und der Herzegovina lebten nach einer Volkszählung 1885 gemessen an der Gesamtbevölkerung von 1.335.091 Einwohnern etwas mehr als zwei Fünftel orthodoxe Christen, etwas weniger als zwei Fünftel Muslime sowie ein Fünftel katholische Christen.352 Bereits aus diesen Zahlen lässt sich eines der Probleme erkennen, mit denen sich die bosnischen Muslime seit dem Ende des 18. Jahrhunderts konfrontiert sahen: Nach dem Zerfall des osmanischen Reiches liefen sie Gefahr, als Muslime in den nationalen und territorialen Ambitionen der beiden größeren benachbarten christlichen Völker der Kroaten und Serben aufgerieben zu werden. Dass sich die Frage nach einer nationalen Identität der bosnischen Muslime später als bei Serben und Kroaten stellte und dass sie überdies länger unentschieden blieb353, ist auch der Tatsache geschuldet, dass sich der Nationalismus der Serben in der Auseinandersetzung mit der osmanischen Herrschaft auf der Balkanhalbinsel entwickelte, derjenige der Kroaten im Spannungsverhältnis mit Österreich-Ungarn. Für die bosnischen Muslime hingegen waren diese Konflikte 350 351 352 353
Höpken (1989), 189 ff. Malcolm (2002), 196. Behschnitt (1976), 49. Buchenau (2006), 112.
2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus | 111
nicht unmittelbar relevant. Im Osmanischen Reich hatten sie einer „privilegierte[n] Herrschaftselite“354 angehört – das Motiv des Machtkampfes zwischen zwei antagonistischen Lagern/Schichten fehlte also. Allerdings tilgten die christlichen Balkanstaaten mit dem Niedergang der osmanischen Herrschaft auch die sichtbaren Spuren der islamischen Kultur aus dem kollektiven Gedächtnis. Die nationalen Projekte von Serben, Kroaten und Bulgaren hingegen hatten starken Aufwind. Die bosnischen Muslime brachte diese Entwicklung in eine schwierige Position. Als Kollektiv, bestehend aus einer Gesamtheit von Menschen, Traditionen und materiellem Kulturerbe, blieben sie als sichtbare Erinnerungen der osmanischen Herrschaft, Religion und Kultur in der Region zurück. Ihr gesellschaftlicher Einfluss schwand, mit dem Rückzug türkischer Truppen verloren sie auch ihre Schutzmacht. Als politischer Faktor waren sie gerade noch interessant, weil sie einen relativ großen Anteil der Bevölkerung stellten. Nicht zu überhören waren jedoch die Stimmen im kroatischen und serbischen Nationalismus, die aufgrund der katholischen oder orthodoxen Bevölkerungsanteile die Einverleibung Bosniens und der Herzegovina forderten – und in diesem Zug eine distinkte Nationalität der bosnischen Muslime in Abrede stellten. Bosnier seien islamisierte Kroaten bzw. Serben war (und ist) das pauschale Argument kroatischer und serbischer Nationalisten gleichermaßen.355 Vor allem in Religion und Kultur unterschied sich jedoch die ehemalige, unter den Christen nunmehr verhasste Herrschaftselite von den serbischen und kroatischen Nachbarn.356 Um deren Vereinnahmungsversuchen dauerhaft zu entgehen und Souveränität zu behaupten, sahen sich daher die bosnischen Muslime gezwungen, ebenfalls mit der eigenen historisch begründeten nationalen Tradition zu argumentieren. Dazu gehörte unter anderem die Behauptung eines historischen Rechts, das jedoch anders fundiert sein musste, als in der eben abgeschüttelten Pax Ottomana. Dabei berief man sich auf die Verbindung zum (fragilen und keineswegs stabilen) mittelalterlichen bosnischen Reich (1180–1463) und erklärte die Konversion zum Islam als freiwillige Entscheidung bosnischer Bogomilen-Christen.357 So gründeten die bosnischen Muslime, lediglich etwa ein halbes Jahrhun354 Höpken (1989), 183. 355 Ramet (1989), 110; Ramet (1992), 178; Bevan (2006), 33; Žanić (2007), 293, Čolović (2007), 305. 356 Ramet (1989), 110. 357 Die Bogomilen waren eine auf den bulgarischen Priester Bogomil (kyrill. Богомил, dt. der Gott Liebende) zurückgehende, im 10. Jahrhundert sich über die Balkanhalbinsel und darüber hinaus ausbreitende, dualistische, häretische Sekte. Tatsächlich war die mittelalterliche bosnische Kirche Einflüssen der Ostkirche und der Westkirche gleichermaßen
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dert nach Serben und Kroaten, zwischen Kultur und Politik angesiedelte Institutionen, die damit befasst waren, eine spezifisch bosnisch-muslimische Identität intellektuell zu legitimieren. Es verwundert nicht, dass eine der ersten dieser Art die im Februar 1903 gegründete Muslimische Geschichts- und Kulturorganisation Gajret (prosvjetno i kulturno društvo muslimana) war. Als kulturelle Vereinigung entstand sie noch vor der Muslimischen Nationalorganisation (Muslimanska Narodna Organizacija, 1906) und der Vereinigten Muslimischen Organisation (Ujedinjena Muslimanska Organizacija, 1911). Zuspruch erhielten die bosnischen Muslime bei diesen Aktivitäten durch Österreich-Ungarn nach der Besetzung Bosnien und Herzegovinas 1878. Die zunächst widersprüchlich wirkende Unterstützung muslimischer Verbände durch die katholische Hegemonialmacht erklärt sich daraus, dass sich Österreich-Ungarn von dem erstarkenden Nationalbewusstsein der bosnischen Muslime ein Gegengewicht zum serbischen Nationalismus erhoffte.358 Ähnlich wie im benachbarten Kroatien oder Serbien nahm mit dem wachsenden Nationalismus offenbar auch die Bautätigkeit zu. Mindestens 80 islamische Bauwerke (67 Moscheen) wurden in Bosnien-Herzegovina allein an der Wende zum 20. Jahrhundert errichtet.359 Ein wesentliches Element fehlt jedoch in der nationalen Bewegung der bosnischen Muslime: Die kulturelle Homogenisierung, die für den serbischen und kroatischen Nationalismus charakteristisch ist, haben sie zu keiner Zeit versucht durchzusetzen. Sie beabsichtigten nicht, ein Territorium von den Spuren eines als fremd identifizierten Kollektivs gewaltsam zu säubern und eine „reine“ bosnische Kultur auf der Grundlage von Religion, Sprache und materiellen Raumzeichen zu errichten. Dies lag nicht daran, dass ihnen dazu lediglich die Machtmittel fehlausgesetzt. Ebenso mögen heidnische und häretische Elemente von Bedeutung gewesen sein. So bildete sich ein besonderes Christentum mit einigen synkretistischen Elementen. Die Bogomilen-These indes gilt heute als widerlegt oder steht zumindest, wie Holm Sundhaussen 2014 schrieb, „auf wackligen Beinen“. Vgl. Höpken (1989), 182; Malcolm (2003), 27 ff., 57; Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 308; Žanić, Geschichte… (2007), 293 ff.; Imamović (2007), 73; Sundhaussen, Sarajevo… (2014), 66 ff. 358 Ramet (1989), 108. 359 Omerdić (1999). Auch diese Zahlen sind eine Annäherung an die tatsächlich in diesem Zeitraum errichteten Bauwerke. Eine Liste aller religiösen Bauwerke der bosnischen Muslime mit Angaben zu ihrer Errichtung kann bis heute die Islamische Gemeinschaft Bosnien und Herzegovinas auf persönliche Nachfrage nicht vorweisen. Die hier angegebenen Zahlen sind aus der Aufstellung der zerstörten und beschädigten Objekte der bosnischen Muslime, die durch Omerdić nach dem Krieg von 1992–1995 angefertigt wurde, ermittelt worden.
2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus | 113
ten – was den Tatsachen entspricht, jedoch in diesem Zusammenhang nicht entscheidend ist. Ausschlaggebend war vielmehr, dass es einfach keine intellektuelle Grundlage für einen solchen Versuch gab. Höpken hat darauf hingewiesen, dass „Intellektuelle, im Sinne Hrochs die Motoren der Nationswerdung bei den ‚kleinen Völkern‘ […], unter den Muslimen nicht nur kaum vorhanden [waren]; sie waren in ihrem nationalen Bekenntnis noch weit über die Jahrhundertwende hinaus zudem unstet“360. Die wenigen bosnischen Intellektuellen haben im 18. und 19. Jahrhundert überdies keine Schriften zu Kultur und Sprache mit hegemonialem Anspruch wie Vuk Karadžićs Serben alle und überall, keine nationalen Programmschriften mit explizit formulierten territorialen Ansprüchen wie Ilija Garašanins Načertanije oder dezidierte Pläne zur Vertreibung ganzer Völker nach dem Vorbild Vasa Čubrilovićs Aussiedlung der Albaner (Iseljavanje Arnauta) vorgelegt. Ähnlich den Muslimen Bosniens hat man auch die Albaner der Region als „verspätete Nation“361 bezeichnet. Das liegt vor allem daran, dass einerseits die Bevölkerung Albaniens und Kosovos hinsichtlich Sprache und Religion bis ins 20. Jahrhundert äußerst heterogen gewesen ist und es deswegen beinahe unmöglich war, eine albanische Nation nach europäischem Vorbild zu konstruieren. Andererseits können für die Entwicklung des albanischen Nationalismus die politischen Entwicklungen des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts als maßgeblich angesehen werden. Anders als etwa in Serbien konnten Religion und Sprache nicht als absolute Kriterien zur Konstruktion der albanischen nationalen Identität bemüht werden. Zur Albanisch sprechenden Bevölkerung der Balkanhalbinsel gehören seit jeher sowohl orthodoxe als auch katholische Christen sowie Muslime. Zudem gab es gab es im 19. Jahrhundert zunächst keine albanische Schriftsprache mit einem allgemeingültigen Alphabet; die albanischen Stämme der Tosken und Gegen sprachen je unterschiedliche Dialekte362; der offizielle Sprachgebrauch wiederum war abhängig von der religiösen Zugehörigkeit: „Die Orthodoxen wurden auf Griechisch, die Sunniten und Bektaschis auf Türkisch, die Katholiken auf Italienisch unterrichtet“.363 Im Berliner Kongress, in dem die Großmächte 1878 die Verteilung der Territorien regelten, aus denen das Osmanische Reich verdrängt worden war, unterlief ihnen ein Fehler, der bis heute Folgen zeitigt – sie übergingen die albanische Be360 361 362 363
Höpken (1989), 184. Maliqi (2007), 124. Frashëri (1913), 22; Fiedler (2003), 229. Zitat: Finger (2003), 135. Vgl. Fiedler (2003), 235.
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völkerung. Aus den nun serbischen Gebieten um Niš, Vranje, Leskovac und Pirot wurden alle Albaner vertrieben. Ein großer Teil von ihnen siedelte sich in Kosovo neu an. Die Albaner an der Adriaküste in Ulcinj (heute im Süden Montenegros) waren von dieser Entwicklung ebenfalls betroffen. Um die albanischen Interessen gegenüber den europäischen Großmächten und den unmittelbaren Nachbarn Serbien und Bulgarien durchsetzen zu können, gründete sich 1878 die Albanische Liga oder Liga von Prizren. Deren Forderungen jedoch blieben auf dem Berliner Kongress ungehört.364 Die Behauptung, der albanische Nationalismus habe sich wesentlich unter dem Gesichtspunkt der äußeren Bedrohung entwickelt365, erscheint nicht übertrieben. Es ist in diesem Zusammenhang durchaus bemerkenswert, dass die erste quasinationale politische Vertretung der Albaner, die Liga von Prizren, ausgerechnet in Kosovo, in der gleichnamigen Stadt am rechten Ufer des Lumbardhi-Flusses366 gegründet wurde. Unter den Initiatoren der Liga befanden sich mit Abdyl (1839–?), Naim (1846–1900) und Sami (1850–1904) Frashëri drei maßgebliche Protagonisten der albanischen nationalen Bewegung. Die drei Brüder aus dem Süden Albaniens waren Mitglieder des einflussreichen und gut vernetzten Derwisch-Ordens der Bektaschi, deren Klöster in Albanien große Bedeutung in der Verbreitung des albanischen Schrifttums erlangen sollten367, und standen zunächst im türkischen Staatsdienst.368 Alle drei betätigten sich gleichermaßen als Politiker, Publizisten und Literaten. Es ist kein Zufall, dass im Kosovokrieg 1998/99 die Konvente des Bektaschi-Ordens gezielt angegriffen und zerstört wurden. Die albanische Nationalbewegung richtete sich zuerst ebenfalls nicht gegen die osmanische Herrschaft. Im Jahr 1899 etwa schrieb Sami Frashëri in seinem Buch Was war Albanien, was ist es, was wird es werden (Shqipёria, ç`ishte, c`ështe, ç´do tё bëhet) zum historischen Verhältnis der Türken und Albaner: Demzufolge fanden die Türken in den Arnauten treue und mutige Kampfgenossen, während die Arnauten bei den Türken eine Regierung fanden, die ganz nach ihrem Geschmacke war. In der Türkenzeit war Albanien reicher und blühender geworden; denn die Arnauten zogen mit den Türken zusammen überallhin in den
364 Finger (2003), 136 ff.; Maliqi (2007), 124. 365 Vgl. Finger (2003), 136. 366 Lumbardhi, alb. für „Weißer Fluss“, von Lumë (Fluss) und bardhë (weiß); serb. Bistrica, d.h. „die Klare“, von bistar (dt. klar). 367 Finger (2003), 140. 368 Elsie (2004), 60; Fiedler (2003), 235.
2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus | 115
Krieg, und kehrten mit reicher Beute beladen, mit Gold, Silber, kostbaren Waffen und Pferden aus Arabien, Kurdistan und Ungarn nach Albanien zurück.369
Wenige Seiten später heißt es jedoch hinsichtlich des gegenwärtigen Verhältnisses zwischen Albanern und Türken: Albanien, das bis gestern von Arnauten verwaltet wurde, wird heute von niedrigen, anmaßenden, ehrlosen Subjekten regiert. Diese Kerle haben ihre Beamtenstellen in Stambul [Istanbul; T. S.] für Geld gekauft, kommen dann nach Albanien und fangen an das Land auszusaugen, um zunächst die von ihnen bezahlten Bestechungsgelder hereinzubekommen und dann für ihre eigene Tasche zu arbeiten.370
In Albanien und Kosovo war offenbar das Gleiche geschehen wie in anderen Provinzen des Osmanischen Reiches – die vom Sultan bestellten Verwalter waren korrupt geworden, sie drangsalierten die Bevölkerung und bereicherten sich. Doch auch auf politischer Ebene verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Türken und Albanern zusehends. In den Auseinandersetzungen der Großmächte, den Gebietsverteilungen und Entlassungen von ehemals osmanischen Provinzen in die Unabhängigkeit spielten die Albaner für die Regierung in Istanbul bald keine Rolle mehr. Die Albaner fühlten sich auch durch ihre Nachbarn, insbesondere Griechenland, Bulgarien und Serbien zunehmend bedroht. Deren „Hunger“ nach neuen Territorien beschreibt wiederum Sami Frashëri: Die Albanien umgebenden Nationen wollen es zerstückeln und unter sich aufteilen. Die Griechen, die Slawen und die anderen Nachbarvölker wünschen keineswegs, die arnautische Nation zu unterrichten, jedes dieser Völker will vielmehr den Arnauten seinen eigenen Glauben zu dem Zwecke aufdrängen, um sie vermittels des Glaubens auf ihre Seite herüberziehen zu können. Da ist zunächst der Türke, der bald mit List und bald mit Gewalt, mit Fanatismus und Heuchelei vorgeht und die mohammedanischen Albanesen von den christlichen Arnauten, ihren Brüdern, losreisen will. […] Die Griechen, die ihre Freiheit und ihr gegenwärtiges Reich albanesischem Blute, dem Schwerte der Botschari, Tschawela, Maioli und anderer arnautischer Helden verdanken […] diese Griechen sind
369 Frashëri (1913), 12. 370 Ebd., 26.
116 | 2 Kultur, Erbe und Konflikte in Jugoslawien bis zu den Kriegen 1991–1999 heute Albaniens grimmigste Feinde. […] Neben den Türken und den Griechen sind auch die Serben und die Bulgaren Feinde der Albanesen.371
Frashëri erkannte nicht erst nach der serbischen Eroberung Kosovos und der kurzzeitigen Besetzung Albaniens in den Balkankriegen, dass der drohenden Einverleibung der Albaner durch einen ihrer Nachbarn nur mit deren eigenen Strategien zu begegnen war. In seinen Ausführungen zum Stellenwert von Sprache und Kultur formuliert er in einer für die Wende zum 20. Jahrhundert seltenen Deutlichkeit, wie sehr sich die verschiedenen Nationalismen auf der Balkanhalbinsel gegenseitig befördert hatten und in welchem Grad kulturelle Argumente Teil von Überlebensund Herrschaftsstrategien derselben waren: Wodurch kann die Erhaltung der Nation gesichert werden? Vor allen Dingen durch die Sprache. Wie wir schon oben gesagt haben, ist die Sprache das erste und wichtigste Merkmal der nationalen Zugehörigkeit. Womit kann die Sprache erhalten werden? Durch die Schrift, durch das Schreiben. […] Werden aber die Albanesen ihre Sprache und ihr Volkstum auch weiterhin, wie bisher, ohne Schrift und ohne Bildung – sei es in Albanien, sei es in Griechenland oder in Italien – aufrechterhalten können? Nein, niemals! Die Welt hat sich verändert, die Menschen sind erwacht, die Nationen sind vom Lichte der Wissenschaft erleuchtet, jedes Volk bemüht sich, den anderen voranzukommen. Es arbeitet daran, zu wachsen und zu erstarken und verschlingt diejenigen, die klein und schwach sind. Heute muss jedes Volk, um Sprache und Volkstum zu schützen, die Augen offen und den Verstand beisammen halten. Es muss seine Sprache zu entwickeln trachten, es muss scharf auf der Hut sein, um von seinen Nachbarvölkern nicht zerstückelt und vernichtet zu werden. Es gibt unter den Nationen keine Freundschaft wie zwischen guten Kameraden; jedes Volk kämpft für sich und bemüht sich, das andere zu unterdrücken. Und wehe den Schwachen!372
Die kulturelle Emanzipation der Albaner begann mit der Gründung von Druckereien und Schulen gegen Ende des 19. Jahrhunderts – mehr als ein Jahrhundert später als bei den benachbarten Serben. Eines der Zentren der kulturellen Aktivitäten war nicht zuletzt aufgrund der Stellung der Frashëri-Brüder als Bedienstete im Osmanischen Reich zunächst Istanbul. Den osmanischen Behörden allerdings war die albanische nationale Bewegung zunehmend ein Dorn im Auge. Verbote folgten 371 Ebd., 29, 30. 372 Frashëri (1913), 27, 28.
2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus | 117
und die Aktivitäten verlagerten sich nach 1881 nach Bukarest.373 Sami Frashëris einflussreicher Text erschien deswegen 1899 zuerst dort. Nach der Eroberung Kosovos durch die Serben 1912 und dem Rückzug der osmanischen Truppen wurden das Serbische Königreich und dessen hegemoniale Bestrebungen zum Gegenstand des albanischen Nationalismus. Frashëri behielt recht mit seinen Befürchtungen. Der jüngste Konflikt zwischen Serben und den Albanern Südserbiens und Kosovos hat in dieser Zeit seinen Ursprung. Auch im albanischen Nationalismus des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hat es keine Zerstörung von kulturellen und religiösen Objekten zur kulturellen Homogenisierung gegeben. Einerseits fehlten dafür ebenso wie bei den bosnischen Muslimen die intellektuellen Programme. Andererseits wäre ein solches aufgrund der religiösen Diversität der Albaner kaum durchsetzbar gewesen. So wurde die Sprache zum Kriterium albanischer Nationalität. In Anbetracht der bis hierhin geschilderten Entwicklung lässt sich feststellen, dass die Zerstörung von kulturellen und religiösen Objekten auf der Balkanhalbinsel im 19. und frühen 20. Jahrhundert eben nicht in einem der „Kultur“ entgegengesetzten „Barbarismus“ oder einer „falschen“ Interpretation von „Kultur“ wurzelt. Im Gegenteil, die Homogenisierung von Kollektiven und die damit verbundene Zerstörung von materiellen und immateriellen Gegenständen der Kultur stehen im Zentrum des modernen Kulturverständnisses. Ihre Voraussetzungen bestehen in einer ausgeprägten Intellektualität, die über hybride Institutionen mit der politischen Sphäre verbunden ist. Die Projektion des destruktiven Anteils in der Kultur auf ein ihr angeblich äußeres und entgegengesetztes „Barbarisches“ – das ja selbst ein kulturelles Konstrukt ist – ist eine Schutzbehauptung, die den Diskurs der Kultur als Herrschaftsdiskurs retten soll. Weiterhin lässt sich eine multivalente Überschneidung von Konflikt, kulturellem Erbe und Konflikterinnerungen feststellen. Auch in Letzteren, die selbst ein kulturelles Erbe darstellen, nimmt dieses, das in den Konflikten im Zentrum steht, in Form von Architektur, Religion und kulturellen Praktiken eine besondere Stellung ein. Die Zerstörung des kulturellen Erbes gibt uns über dessen Bedeutung in den kollektiven Sinnsystemen einer Region Aufschluss und stellt diese in einem Wechselverhältnis auch (neu) her – wie noch zu zeigen sein wird.
373 Finger (2003), 139 ff.
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2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
Zur angemessenen Einordnung bestimmter Phänomene in den Postjugoslawischen Kriegen ist es notwendig, vorab einige grundlegende Aspekte des Umgangs mit kulturellem Erbe im sozialistischen Jugoslawien zu erläutern. Die Situation nach 1945 ist maßgeblich bedingt durch das Verhältnis zwischen dem die Herrschaftselite stellenden Bund der Kommunisten Jugoslawiens374 und den Religionsgemeinschaften als Eignern eines Großteils des kulturellen Erbes, die Modernisierung und Industrialisierung Jugoslawiens, die jenes in seiner Struktur betraf, sowie den institutionellen Denkmalschutz, der neben konventionellen fachlichen Problemen in einem politisch höchst anspruchsvollen Umfeld zu agieren gezwungen war, und schließlich das Vermögen und die Bereitschaft der Kollektive der Erben sich für ihr kulturelles Erbe einzusetzen. Darüber hinaus ist die Inszenierung der neuen Herrschaftsordnung der jugoslawischen Kommunisten in symbolischen Raumzeichen von Bedeutung. Neben ihrem funktionalen Zweck sind bereits die Bauwerke der Modernisierung und Industrialisierung – Fabriken, Wohnhochhäuser, Infrastrukturprojekte – Teil dieser Inszenierung, insofern sie die „Realität“ der Erneuerung und die Fortschrittlichkeit des Systems im Kontrast zum Überkommenen der alten Ordnungen „beweisen“ sollen.375 In der Hauptsache ist es jedoch ein skulpturales Programm, das abstrakt oder konkret-gegenständlich (imaginierte) Szenen und wichtige Symbole des Gründungsmythos der jugoslawischen Föderation, des Befreiungskampfes der Partisanen, in allen Teilrepubliken und autonomen Provinzen hundertfach reproduziert.
HERRSCHAFTSORDNUNG UND RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN
Das Verhältnis des jugoslawischen Staates zu den Religionsgemeinschaften ist weder in eine einfache Formel zu fassen noch ist es im Verlauf des knapp 47-jährigen Bestehens376 der Föderation konstant gewesen. Klaus Buchenau hat die historische 374 Savez komunista Jugoslavije, SKJ, dt. BdKJ; bis 1952 Kommunistische Partei Jugoslawiens (Kommunistička Partija Jugoslavije, KPJ). 375 Vgl. Herscher (2010). 376 Wenn man von der Proklamation der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien (FNRJ) am 29. November 1945 (Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 81) sowie der Verabschiedung der Verfassung der Bundesrepublik Jugoslawien (Ustav Savezne Republike Jugoslavije) am 27. April 1992 ausgeht. Als Mitglieder der Bundesrepublik Jugoslawien (republike članice)
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 119
Rolle der Serbischen Orthodoxen Kirche und der Katholischen Kirche Kroatiens in der jugoslawischen Gesellschaft in zwei umfangreichen Werken beschrieben. Weitere grundlegende Texte stammen von den Theologen Thomas Bremer und Rudolf Grulich. Auch in Standardtexten und Arbeiten der Südosteuropaforschung mit anderen Themenstellungen geraten die Religionsgemeinschaften aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung unweigerlich immer wieder in den Blick. Die Beziehungen zu staatlichen Strukturen bilden dabei nur einen Aspekt eines facettenreichen Themas. Grundsätzlich lässt sich dazu sagen, dass es neben dem Antagonismus, der zwischen kommunistischer Ideologie und traditionell religiösen Weltanschauungen ohnehin besteht, seitens der Kommunisten von tiefem Misstrauen gegenüber den Machtzentren geprägt war, die im institutionalisierten Konfessionalismus parallel zu staatlichen Strukturen bestanden. Dennoch bestand der Zwang, sich im politischen Alltag arrangieren zu müssen, was dem Verhältnis von Staat und Religion nach der angespannten Situation der unmittelbaren Nachkriegsjahre eine pragmatische Prägung verlieh. Die verschiedenen Konfessionen ließen sich aufgrund ihrer über Jahrhunderte gefestigten Stellung in der Bevölkerung eben zu keiner Zeit aus den politisch-strategischen Überlegungen des Bundes der Kommunisten ausklammern, ohne damit das von Anbeginn fragile Gebilde der zweiten jugoslawischen Föderation zu gefährden.
KATHOLIZISMUS UND DIE KATHOLISCHE KIRCHE KROATIENS
Neben den großen Glaubensgemeinschaften in Slowenien377 und Kroatien existierten kleinere katholische Gemeinden in allen jugoslawischen Republiken und autonomen Provinzen. Ein besonderes Verhältnis von Nation und Katholizismus bestand in Kroatien. Spätestens in der Zwischenkriegsperiode sowie in der Auseinandersetzung mit den serbischen Nachbarn, die sich während der „Königsdiktatur“ Aleksandar Karađorđevićs verschärfte, wurde der Katholizismus „zum Stützpfeiler des kroatischen Nationalismus“.378 werden im 2. Artikel der Verfassung nur noch Serbien und Montenegro genannt (Savezna Republika Jugoslavija (1992), Artikel 2). Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien mit ihren 6 Mitgliedsstaaten und 2 autonomen Provinzen hatte damit qua Verfassung aufgehört zu existieren. 377 Hier bekannten sich 1991 etwa 72 Prozent der Bevölkerung zum katholischen Glauben (Gerjolj (1997), 125). 378 Buchenau (2006), 67.
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Zwischen 1941 und 1945 vermochten es die jugoslawischen Kommunisten bisweilen ideologische Vorbehalte zugunsten pragmatischer Überlegungen zurückzustellen, wenn sie sich um die Unterstützung der katholischen Kirche im Kampf gegen die deutschen Besatzer bemühten. Die Kirche begegnete dem Ansinnen in der Regel reserviert. Das „hatte vor allem drei Gründe: die antikommunistische Tradition des Vatikan, die fast ebenso alt war wie der Marxismus selbst, die innerkirchliche Disziplin und die nationale Problematik.“379 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, änderten die jugoslawischen Kommunisten ihren Kurs gegenüber der Kirche jedoch. Nach einer ersten Phase „offenen und massenhaften Terrors gegen Priester und Bischöfe“380 mit körperlichen Übergriffen bis hin zur Ermordung einiger hundert Kleriker381, der Enteignung eines großen Teils des Grundbesitzes der Kirche382 und weiteren administrativen Maßnahmen kam es 1953 mit der Verabschiedung des „Gesetzes über die rechtliche Stellung der Glaubensgemeinschaften“383 zu einer ersten Lockerung im Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften. Eine stete Gefahr ging in den Augen der jugoslawischen Staatsführung von der starken nationalistischen Strömung innerhalb der katholischen Kirche Kroatiens aus. Zudem war die Kirche dem Vatikan, einer einflussreichen, außerhalb Jugoslawien liegenden, durch die Kommunisten nicht kontrollierbaren Institution, zu Loyalität verpflichtet. Besonders diejenigen Repräsentanten des Katholizismus, die die Politik des Vatikans unterstützten, galten als erklärte „Feinde“. Der kommunistische Spitzenfunktionär und Tito-Vertraute Edvard Kardelj (1910–1979) äußerte sich 1977 in diesem Zusammenhang: Der Bund der Kommunisten erklärte sich immer für die volle Freiheit des Glaubensbekenntnisses und damit auch der Kirche, wobei er davon ausging, dass eine religiöse oder atheistische Weltanschauung Privatsache des Menschen und seiner persönlichen Freiheit sei. […] Allerdings gab es Konflikte mit der Kirche, insbesondere mit bestimmten Kreisen der katholischen Kirche und einiger religiöser Sekten. Diese Konflikte setzten – und setzen auch heute – dort und zu dem Zeitpunkt ein, wenn die Kirche für politische Ziele und Aktionen ausgenutzt wird,
379 380 381 382 383
Buchenau (2004), 86; ders. (2006), 73, 74. Buchenau (2004), 100; ders. (2006), 108. Sundhaussen (2012), 157. Buchenau (2004), 104; Bremer (2007), 243. Sundhaussen (2012), 157; Buchenau (2004), 107.
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 121
wie das in der Zeit des Volksbefreiungskrieges gegen die Volksbefreiungsbewegung und nach dem Krieg gegen den Sozialismus geschah.384
Nationalismus und Loyalität zu einer Institution, die die Ideologie des Kommunismus per se ablehnte gefährdeten nicht nur Macht und Deutungshoheit des BdKJ, sondern auch das Bestehen der jugoslawischen Föderation. Die vielfältigen Versuche der jugoslawischen Kommunisten, Rom und die katholische Kirche Kroatiens voneinander zu entfremden, bewirkten jedoch lediglich, dass „die Bindung von Katholizismus und Kroatentum eine letzte, bis heute vorhaltende Abhärtung“385 erfuhr.
SERBISCHE ORTHODOXE KIRCHE
Das anti-religiöse Ressentiment der Kommunisten galt prinzipiell auch gegenüber der Serbisch Orthodoxen Kirche (SPC). Die repressive Nachkriegspolitik mit Verhaftungen, Morden an Priestern und Enteignungen traf diese ähnlich hart wie die katholische Kirche Kroatiens. Ein wesentlicher Unterschied gegenüber Letzterer bestand jedoch in der besonderen Struktur der SPC. Diese war über lange Zeiträume autokephal386, das heißt, sie unterstand anders als die katholische Kirche einem eigenen Patriarchen aus den Reihen der Bischöfe der SPC. Aus dieser Besonderheit ergab sich eine traditionell größere Nähe zu den jeweils bestehenden politischen Strukturen in der Region. Darüber hinaus war die Serbische Orthodoxe Kirche finanziell um einiges schlechter ausgestattet als die katholische Kirche Kroatiens – und damit permanent abhängig von staatlicher Förderung, was wiederum die Einflussmöglichkeiten der politischen Führung erhöhte. Orthodoxe Priester waren im Durchschnitt schlechter ausgebildet als katholische – das intellektuelle Potential der orthodoxen Kirche daher weit weniger gefährlich. Zu guter Letzt gab es bereits unmittelbar 384 Zit. nach: Grulich (1979) [2], 32. 385 Buchenau (2006), 80. 386 Autokephal (eigenhäuptig, d. h. unabhängig bzw. autonom von übergeordneten kirchlichen Strukturen); 1219 erwirkte die Serbische Orthodoxe Kirche unter Mönch Sava, dem Bruder des ersten serbischen Königs Stefan Prvovenčani (der Erstgekrönte) Nemanjić Autokephalität; 1463 wurde das Patriarchat in Peć unter den Osmanen aufgelöst und die Kirche dem ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel unterstellt; mit der Erneuerung des Patriarchats in Peć 1557 wurde die SPC wiederum autokephal; 1766/67 erneut dem Patriarchen in Konstantinopel unterstellt; seit 1879 ist die SPC endgültig autokephal; 1920 wurde das Patriarchat in Belgrad erneuert.
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nach Kriegsende ein klares Bekenntnis zumindest der orthodoxen Priestervereinigung zum jugoslawischen Staat, in dem die Kirche, ihre historisch feste Bindung an Volk und Nationalstaat betonend, eine Analogie der eigenen Tradition zum Volksbefreiungskampf der Kommunisten herstellte.387
DIE MUSLIME JUGOSLAWIENS
Der Islam erfuhr zunächst keine grundsätzlich andere Behandlung durch die jugoslawischen Kommunisten als die anderen Religionsgemeinschaften.388 Das änderte sich jedoch, nach dem durch Josef Stalin betriebenen Ausschluss der Kommunisten Jugoslawiens aus dem Kommunistischen Informationsbüro (Kominform) am 28. Juni 1948.389 Etwa ab Mitte der 1950er Jahre verfolgte das Regime eine Politik der Blockfreiheit als Alternative im Ost-West-Konflikt. Zu dieser politischen Initiative gehörten auch Staaten mit islamischer Tradition, etwa Ägypten und Syrien, mit denen Jugoslawien enge Beziehungen entwickelte. Davon wiederum profitierten insbesondere die Muslime.390 Der Islam als Religion und Kultur erfuhr so in den 60er und 70er Jahren vor allem in Regionen mit einem hohen Anteil muslimischer Bevölkerung wie in Bosnien und Herzegovina eine offizielle Aufwertung. Jugoslawische Muslime studierten an arabischen Universitäten und beteiligten sich am Haddsch, der Pilgerfahrt nach Mekka. Neue Moscheen wurden errichtet und 1977 in Sarajevo eine Islamische Theologische Fakultät gegründet.391 Eine neue Schicht muslimischer Intellektueller entstand. Bereits Anfang der 60er Jahre hatten die Muslime Bosniens begonnen, verstärkt auf einen eigenen nationalen Status zu dringen392, der nach 1945 zunächst unentschieden geblieben war. Die Frage war, ob die bosnischen Muslime aufgrund ihrer besonderen Kultur und Religion den Status einer Nation (narod) erhalten konnten oder ob sie vielmehr, wie etwa die Albaner Kosovos oder die Ungarn der Vojvodina, lediglich ein Volk (narodnost) bzw. eine ethnische Gruppe (etničke
387 Buchenau (2006), 116 f. 388 Bremer (2007), 248. 389 Zu den Ausschlussgründen: Behschnitt (1976), 2; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 92 ff. 390 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 168. 391 Ramet (1989), 111; Bremer (2007), 248. 392 Behschnitt (1976), 5.
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 123
grupe) innerhalb Jugoslawiens bildeten393, dessen einzelne Individuen wiederum der serbischen, kroatischen oder jugoslawischen Nation zuzuschlagen waren (in Befragungen waren bis in die 60er Jahre in der Regel diese Antwortmöglichkeiten vorgegeben)394. Die Anerkennung als Nation erfolgte über mehrere Zwischenschritte schließlich 1968.395 Damit waren die Muslime Bosniens die „jüngste“ Nation auf jugoslawischem Territorium.
DIE JÜDISCHEN GEMEINDEN UND ÜBRIGE RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN
Die Situation der Juden Jugoslawiens nach 1945 wurde weiter oben kurz beschrieben. Lediglich etwa ein Sechstel – etwas mehr als 12.000 Menschen – hatte die Verfolgung der Nazis und Ustaša überlebt. Ein Großteil dieser Überlebenden wanderte zwischen 1948 und 1952 in fünf Wellen nach Israel aus, so dass letztlich zwischen sechs- und siebendtausend Juden in Jugoslawien verblieben. Aufgrund ihrer geringen Größe spielten die verbleibenden jüdischen Gemeinden in der Religionspolitik der kommunistischen Partei keine nennenswerte Rolle. Nicht wenige Juden jedoch kamen im politischen Apparat des Staates und in der jugoslawischen Gesellschaft nach den anti-religiösen Maßnahmen der unmittelbaren Nachkriegsjahre zu Einfluss und Ansehen.396 Die ökonomische Situation der Juden im zweiten Jugoslawien beurteilt Freidenreich als „fairly good“. Aufgrund ihrer beruflichen und intellektuellen Ausbildung vor dem Krieg waren Juden auch im sozialistischen Jugoslawien als Ärzte, Juristen, Lehrer, Professoren, Ingenieure und Wissenschaftler beschäftigt.397 Das blühende jüdische Leben der Vorkriegszeit mit seinen kulturellen Vereinigungen, dem jüdischen Publikationswesen und der Vielzahl aktiver Gemeinden ließ sich jedoch nicht rekonstruieren. Es war im Zweiten Weltkrieg unter dem Terror der deutschen Besatzung und deren Sympathisanten nahezu vollständig zerstört worden. Die übrigen religiösen Kollektive – etwa evangelikale und baptistische Gemeinden – können, ohne individuelle Schicksale negieren zu wollen, unberücksichtigt bleiben. Ihre Situation im sozialistischen Jugoslawien unterschied sich nicht grundlegend von den größeren Nationalkirchen. 393 Zu narod, narodnost und etničke grupe: Djurić/Becken/Bensch (1996), 112; Ramet (1992), 15, 55; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 81 ff. 394 Höpken (1989), 195. 395 Steindorff (2007), 196; vgl. Höpken (1989), 196 ff. 396 Bremer (2007), 250. 397 Freidenreich (1979), 194 f.
124 | 2 Kultur, Erbe und Konflikte in Jugoslawien bis zu den Kriegen 1991–1999 BAUPROGRAMME DER RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN 1945–1991
Angesichts der Repressionen der unmittelbaren Nachkriegszeit im „kommunistischen Vergeltungsterror“398 gegen die Religionsgemeinschaften Jugoslawiens liegt es nahe zu vermuten, dass auch sakrale Bauwerke den Übergriffen zum Opfer fielen. Jedoch existieren keine Anhaltspunkte dafür, dass diese motiviert durch ein antireligiöses Ressentiment der jugoslawischen Kommunisten zerstört worden wären. Vielmehr stellt sich die Situation erwartungsgemäß auch hier differenzierter dar. Publikationen aus dem Umfeld der katholischen Kirche Kroatiens verzeichnen Hinweise, dass Genehmigungen für den Bau „neuer“ Kirchen verschleppt oder gar nicht erteilt wurden.399 Angaben zu politisch motivierten Zerstörungen fehlen jedoch. Wenn es zu Letzteren gekommen wäre, dann ist es beinahe undenkbar, dass sie in den auflagenstarken Veröffentlichungen der katholischen Kirche Kroatiens unerwähnt geblieben wären – zumal im Zuge der offenen Abrechnung mit dem kommunistischen Regime nach 1990.400 Die insbesondere durch die katholische Kirche Kroatiens stets betonte Opferrolle relativierend, berichtet der kroatische Historiker Vjekoslav Perica von der Neuerrichtung zwischen 1945 und 1982 von insgesamt 71 Kirchen, 69 Kapellen, 16 Priesterhäusern, 42 Priesterbüros, einem Kloster, 8 Wohngebäuden für Nonnen und Mönche, 14 Objekten zur religiösen Unterweisung sowie einem Wohngebäude für Priester im Ruhestand.401 Ähnlich stellt sich die Situation im Hinblick auf das osmanisch-islamische Kulturerbe im sozialistischen Jugoslawien dar. Hier existierte offenbar ein gegenläufiger Trend zwischen Stadt und Land. Während islamisches kulturelles Erbe in den Städten vor allem im Süden der Föderation im Zuge von Modernisierung 398 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 61. 399 Grulich (1979) [2], 37. Zur (deutschsprachigen) Beschreibung der Situation der katholischen Christen im sozialistischen Jugoslawien etwa: Gerjolj (1997) sowie verschiedene Texte von Rudolf Grulich (1979–1993). Bei der Lektüre dieser Texte ist Vorsicht geboten. Es besteht, von Vjekoslav Pericas (2002) und Klaus Buchenaus Darstellungen (2004, 2006) abgesehen, bis heute Bedarf an differenzierten Untersuchungen der Situation der Kirchen im sozialistischen Jugoslawien aus dem nicht-religiösen Umfeld. 400 Auch in persönlichen Gesprächen mit ranghohen Vertretern der katholischen Kirche Kroatiens, etwa dem Theologen, Politiker und Wissenschaftler Adalbert Rebić (1937–2014) im Jahr 2012, oder Rudolf Grulich ergaben sich auf gezielte Nachfrage keine Anhaltspunkte für derlei Zerstörungen. Gleichermaßen ergebnislos in dieser Hinsicht verliefen die Gespräche mit Vertretern der Serbischen Orthodoxen Kirche, etwa dem stellvertretenden Rektor des Priesterseminars in Kosovo, Andre Saic, und dem mit der Geschichte islamischer Bauwerke in Bosnien vertrauten Vertreter der Islamischen Gemeinschaft Bosnien-Herzegovinas, Muharem Omerdić. 401 Perica (2002), 39.
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 125
und Industrialisierung abgebrochen wurde, wie ich im Folgenden darlegen werde, wurden in den ruralen Gemeinden offenbar zahlreiche neue Moscheen errichtet. Folgen wir den Ausführungen Slobodan Kudras, einem Mitglied der Islamischen Gemeinschaft (islamska zajednica) Bosnien und Herzegovinas, dann wurden im Kanton Sarajevo402 von 1945 bis etwa Mitte der 60er Jahre keine Moscheeneubauten errichtet. Das entspricht etwa dem Zeitraum der drastischen Maßnahmen der jugoslawischen Kommunisten gegen die Religionsgemeinschaften in den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Ebenfalls etwa zeitgleich mit der Anerkennung der bosnischen Muslime als Nation setzte Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre eine rege Bautätigkeit dieser Religionsgemeinschaft ein. Allein im Kanton Sarajevo wurden in den fünfzehn Jahren zwischen 1965 und 1980 dreizehn Moscheen neu errichtet sowie zwei bestehende erneuert – jedoch nicht in der Stadt selbst, sondern in den umliegenden Gemeinden.403 Die Entwicklung im übrigen Bosnien spiegelt das Verhältnis wider. Überall in der jugoslawischen Teilrepublik entstanden ab Mitte der 1960er Jahre neue Moscheen.404 Der Kanadier Colin Kaiser, der im Auftrag des Europarats das zerstörte Kulturerbe in Kroatien und Bosnien zwischen 1991 und 1997 evaluierte, berichtete nach einer Exkursion 1994: There are new mosques everywhere, especially in the countryside, constructed mainly from the 1970s onward. These are often impressive buildings – copies of Ottoman mosques with domes, domed porches and very tall minarets. It is said that these were constructed mainly with the money of local Bosnians, often emigrant workers.405
Sabrina P. Ramet schreibt, dass im Zeitraum zwischen 1945 und 1985 auf dem Territorium Bosnien-Herzegovinas 400 Moscheen neu gebaut sowie 380 islamische Gotteshäuser renoviert worden waren.406 Nicht unähnlich war die Situation in Kosovo – wie sich zumindest aus den Angaben zu beschädigten und zerstörten Objekten im Krieg 1998–99 schließen 402 Ein Verwaltungsbezirk, der neben der Stadt Sarajevo weitere Gemeinden (općine) umfasst. Ähnlich dem deutschen Verhältnis zwischen Kreisstadt und den von dieser verwalteten Gemeinden. 403 Kudra (2006). 404 Muharem Omerdić (1999) beschreibt die Zerstörung islamischer Sakralbauten in Bosnien-Herzegovina während des Krieges 1992–1996. Das Datum der Errichtung zerstörter oder beschädigter Bauwerke liegt in vielen Fällen zwischen 1965 und 1990. 405 Council of Europe (August 1994), B, The situation of the cultural heritage in central Bosnia. 406 Ramet (2002), 123.
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lässt. Ein Teil der dort aufgeführten Moscheen wurde zwischen 1945 und 1999 errichtet.407 Wiederum Vjekoslav Perica berichtet über die Bautätigkeit der Serbischen Orthodoxen Kirche im sozialistischen Jugoslawien. Er greift dabei auf ältere Daten zurück, die bereits Stella Alexander 1979 veröffentlicht hatte408 und die auch Sabrina P. Ramet referiert409. Andererseits bringt Perica auch neue Informationen bei. Demnach baute die SPC im Zeitraum zwischen 1945 und 1970 auf dem Territorium Jugoslawiens insgesamt 181 neue Kirchen, 115 Kapellen und 8 Klöster. 841 Kirchen sowie 126 Kapellen und Klöster wurden restauriert.410 In der Ära des Patriarchen German, die von dessen Ernennung im Jahr 1960 bis zu seinem Tod 1991 reichte, konnte das Konstruktionsbüro des Patriarchats in Belgrad etwa 200 neue Kirchen fertigstellen und rekonstruierte bzw. reparierte dieselbe Anzahl anderer kircheneigener Gebäude. Neben der regen Bautätigkeit stieg die Zahl der Publikationen der SPC stark an und die Kirche investierte in neue Bildungsreinrichtungen, etwa Priesterseminare in fast allen jugoslawischen Republiken. In Kroatien, wo die SPC zu Beginn der 80er Jahre über 257 Kirchen und Tempel, 62 Kapellen, 148 Priesterhäuser, 9 Klöster, 12 Wohngebäude für Kleriker, 4 Kirchenmuseen, 4 Bischofspaläste und einen Patriarchenpalast verfügte, wurden im Zeitraum von 1945 bis 1982 insgesamt 12 Kirchen, 2 Kapellen und 8 Wohngebäude für Kleriker errichtet, während sich zu Anfang der 80er Jahre noch 14 Kirchen, 2 Kapellen und 6 weitere Gebäude im Bau befanden.411 1983 ließ German das Unterkunftsgebäude (konak) im alten Patriarchat in Peć in Kosovo wiedererrichten und im darauffolgenden Jahr erhielt die SPC die Genehmigung, den Bau des Doms des heiligen Sava (Hram Svetog Sava) in Belgrad, 407 408 409 410
Bashkësia Islame e Kosovës (2000); Elsie (2014). Alexander (1979). Ramet (2002). Perica (2002), 38; 48 Klöster anstatt 126 Klöster und Kapellen restauriert bei Alexander (1979), 274, sonst identische Zahlen. Ebenso bei Ramet (2002), 107. Alexander und Ramet bezogen sich sehr wahrscheinlich auf die oben erwähnte Festschrift der Serbischen Orthodoxen Kirche zum 50-jährigen Bestehen des Patriarchats in Belgrad 1971. Die Angaben dort sind identisch (Protić (1971), 253 f.). 411 Protić (1971), 253 f.; Perica (2002), 38 f. Vgl. Council of Europe (August 1994), B, The situation of the cultural heritage in central Bosnia. Colin Kaiser schreibt hier: „However, there was also significant building of new Orthodox churches before the war [1991–1996] – some of them marked on the exterior with the famous ‚four S’s‘ (Only Unity will save the Serbs), and with specific architectural reference to historic Balkan Orthodox churches […].“
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 127
der vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen, während der kommunistischen Herrschaft jedoch unterbrochen worden war, fortzusetzen.412 Der Dom des heiligen Sava auf dem Vračar gilt als größte Kirche Südosteuropas. Der Bau des Belgrader Architekten Branko Pešić bietet 15.000 Besuchern zugleich Platz, hat 50 Glocken und misst 65 Meter vom Boden zur Hauptkuppel. Das Kreuz auf selbiger wiegt 4 Tonnen und ist reichlich 12 Meter hoch.413
MODERNISIERUNG UND INDUSTRIALISIERUNG
Es existieren also keine Angaben zur Zerstörung religiöser Bauwerke aus politischen Gründen – jedoch einige zur intensiven Bautätigkeit der größten Religionsgemeinschaften der jugoslawischen Föderation. Gut zu belegen indessen ist der Abriss ganzer historischer Stadtviertel, komplexer architektonischer Ensembles und einzelner sakraler Bauwerke unter dem Vorwand von Industrialisierung und Modernisierung. Hier ist es zumindest nicht auszuschließen, dass auch anti-religiöse Motive zugrunde lagen. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg war Jugoslawien ein wirtschaftlich schwaches Land mit einem „Wohlstandsgefälle von Westen und Norden nach Osten und Süden, von den vormals habsburgischen zu den vormals osmanischen Provinzen“414 gewesen. Der Haupterwerbszweig des überwiegenden Teils der Bevölkerung war der Landbau; im Jahr 1921 arbeiteten 78,9 Prozent der Bevölkerung Jugoslawiens in der Landwirtschaft.415 Nach dem Krieg waren die wenigen Industriebetriebe, ebenso wie die Infrastruktur des Landes, weitestgehend zerstört.416 Es gab kaum ausgebildete Arbeitskräfte, von höher qualifiziertem Personal ganz zu schweigen. Das Regime sah sich vor die Aufgabe gestellt, innerhalb kurzer Zeit die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, das Land mit einer basalen Infrastruktur auszustatten, den industriellen Anschluss an das übrige Europa zu gewährleisten und Jugoslawien somit international wettbewerbsfähig zu machen. Anfangs war das Wirtschaftssystem am sowjetischen Vorbild der Zentralverwaltungswirtschaft angelehnt. Im Jahr 1947 verabschiedete die kommunistische Partei einen Fünfjahresplan, in dem der Ausbau von Grundstoff- und Schwer412 Bieber (2005), 108. 413 Perica (2002), 125 ff. 414 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 89; vgl. Lohoff (1996), 47. 415 Tišma (1968), 162. 416 Lohoff (1996), 47.
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industrie den Vorrang hatte.417 Erklärtes Ziel in dieser Phase war die Steigerung der industriellen Produktion um das Fünffache „gegenüber dem Vergleichsjahr 1939“418. Nach dem Ausschluss aus dem Kominform 1948 schlug Jugoslawien jedoch zunehmend einen eigenen Weg auch auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Wirtschaftssteuerung ein, der im Zusammenhang mit der politischen Entwicklung des Föderalismus und der Politik der Blockfreiheit durch die Kurzformel des „jugoslawischen Sonderwegs“419 bezeichnet worden ist. Das „gigantische Programm“420 der industriellen Revolutionierung des Landes im Zuge der „nachholenden Modernisierung“421 hatte gravierende Auswirkungen auf das Leben und die Gesellschaft, deren Strukturen sich grundlegend veränderten. So ließ die jugoslawische Regierung in seit Jahrhunderten ausschließlich von Landwirtschaft geprägten Regionen Fabriken errichten und sah sich damit vor die Aufgabe gestellt, aus Bauern Fabrikarbeiter zu machen. Auf diese Art entstanden in den 60er und 70er Jahren unter anderem die Textilbetriebe Kosovos, in denen mehrere zehntausend Beschäftigte ein Auskommen fanden. Die Städte wuchsen explosionsartig: „Etwa acht Millionen Menschen – rund die Hälfte der Gesellschaft – veränderten seit Kriegsende ihren Wohnsitz; allein vier bis fünf Millionen zogen vom Land in die Stadt oder in stadtähnliche Verdichtungszentren.“422 Die Einwohnerzahl etwa Sarajevos wuchs von 1931 (78.133) bis 1964 (184.453) um fast das 2,5-fache.423 Das Anwachsen der Städte stellte die Planer vor besondere Herausforderungen. 1956 begann schließlich ein intensives Wohnungsbauprogramm und die jährlichen Ausgaben in diesem Sektor stiegen gegenüber der Periode 1947–51 von 36,2 Milliarden Dinar 1961–65 um fast das Neunfache auf 322,1 Milliarden Dinar. Die Zahl der neu gebauten Wohnungen hatte sich gegenüber 1953 (38.199) im Jahr 1964 (121.549) verdreifacht424. Dennoch herrschte beständig Wohnungsmangel. Mit der Schaffung neuen Wohnraums in den Städten musste ebenfalls die urbane Infrastruktur vollständig neu konzipiert werden – ein Prozess, der das Bild vieler Städte besonders im Süden Jugoslawiens grundlegend und dauerhaft veränderte. Einkaufsmöglichkeiten mussten geschaffen, das Abwassersystem überholt und er417 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 90. 418 Lohoff (1996), 54. 419 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 166. 420 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 90. 421 Lohoff (1996), 41. 422 Sundhaussen, Jugoslawien... (2014), 145. 423 Tišma (1968), 164. 424 Ebd., 170 f.
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 129
weitert, Fabriken und Haushalte an das Stromnetz angeschlossen werden – wenn Letzteres nicht überhaupt erst zu installieren oder auszubauen war. Mit dem Zuzug und der Ausbildung von potentiellen Arbeitern in die Städte wurden neben Schulen auch geeignete Gebäude für kulturelle Veranstaltungen sowie kommunale Einrichtungen für Verwaltungsaufgaben benötigt. Zur Veränderung der urbanen Struktur kam zudem die Schaffung neuer, vielmehr der Ausbau alter Verkehrswege. 1970 arbeitete schließlich nur noch knapp die Hälfte aller Beschäftigen in der Landwirtschaft (43,8 Prozent) und bereits mehr als die Hälfte (56,2 Prozent) in nicht landwirtschaftlichen Berufen.425 Diese Entwicklung hatte wiederum schwerwiegende Folgen für die historische Bausubstanz im urbanen Raum. Betroffenen waren vor allem Kosovo, Makedonien und Bosnien-Herzegovina, deren Orts- und Stadtkerne aus zum Teil intakten und geschlossenen Agglomerationen historischer Bauwerke aus der Zeit der osmanischen Herrschaft bestanden. Die Auswirkungen der „nachholenden Modernisierung“ auf diese historischen Ensembles (istorijske celine) sind bisher kaum kritisch aufgearbeitet worden. Nur auf einen ersten Blick paradox erscheint der Umstand, dass sich auch ein Teil der jugoslawischen Muslime am Abriss historischer Bausubstanz aus der osmanischen Periode beteiligte.426 Die Dokumentation dieses Erbes ist, von wenigen Objekten, den „Touristenmagneten“ abgesehen, dementsprechend dürftig.
DENKMALSCHUTZ
Die Entwicklung des institutionellen Denkmalschutzes in der sozialistischen Föderation Jugoslawien spiegelt generelle gesellschaftliche Phänomene wider. Sie tendiert von relativ einfachen und pragmatischen Regeln in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu einem immer stärker verklausulierten Bürokratismus. In ihr offenbart sich nicht nur in zunehmenden Maße das Misstrauen der jugoslawischen Ethnien zueinander, sondern auch das Kompetenzgerangel der analog zur wachsenden Bürokratie immer zahlreicheren Sub-Institute. Das kulturelle Erbe trat hinter dieser stetig korrumpierteren Struktur immer mehr in den Hintergrund. Der serbische Architekt und Stadtplaner Branislav Krstić hat in seiner 2006 in Belgrad erschienen Arbeit Zakonodavstvo Arhitektonske Baštine (Gesetzgebung zum architektonischen Erbe) die Entwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen des institutionellen Denkmalschutzes nachvollzogen und ihre konkreten Im425 Ebd., 162. 426 Mahmutćehajić (2011), ich komme darauf zurück.
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plikationen aufgezeigt.427 Demnach lassen sich zwischen 1945 und 1990 insgesamt drei „Generationen“ von Denkmalschutzgesetzen auf der Ebene der Föderation mit einer wachsenden Zahl je unterschiedlicher Regelungen auf Republikebene ausmachen. Kulturerbe ist immer ein Politikum. Die Beziehung der jugoslawischen Gesellschaft(en) zu Kultur, Erbe und Geschichte war jedoch besonders heikel – so viel sollte bis hierher deutlich geworden sein. Die politische Führung der Föderation war sich dessen stets bewusst. Die wiederholte Überarbeitung der Gesetzgebung zum Denkmalschutz erfolgte dementsprechend parallel zur politischen Entwicklung des Landes. Bereits 1945 erließ das Nationale Komitee zur Befreiung Jugoslawiens (Nacionalni komitet oslobođenja Jugoslavije) den „Beschluss zum Schutz und Erhalt kultureller Denkmäler und Antiquitäten“ (Odluku o zastiti i cuvanju kulturnih spomenika i starina). Mit dem Erlass der ersten Verfassung trat das Gesetz, unwesentlich verändert, 1946 als „Allgemeines Gesetz zum Schutz von Kultur- und Naturdenkmälern“ (Opšti zakon o zaštiti spomenika kulture i prirodnih vrijednosti) in Kraft. Dieser erste Text war überraschend schlank. Er bestand aus lediglich 21 Artikeln. Neben institutionellen Befugnissen, Verantwortlichkeiten, technischen Verfahren und Gewährungsvoraussetzungen für wissenschaftliche Institutionen (Forschung, Archäologie), regelte das Gesetz Eigentumsverhältnisse und bestimmte die Grundlagen für mögliche Enteignungen im Rahmen des Denkmalschutzes. Darüber hinaus wurden Bestimmungen zur Finanzierung getroffen und Sanktionen für Gesetzesverstöße festgelegt. Mit Erlass des Gesetzes wurde zeitgleich das Hohe Institut zum Schutz und zur wissenschaftlichen Erforschung der Kultur- und Naturdenkmäler (Vrhovni institut za zaštitu i naučno proučavanje spomenika kulture i prirodnih vrijednosti), während der 1950er Jahre umbenannt in Bundesinstitut für Denkmalschutz (Savezni Institut za zaštitu spomenika kulture), gegründet. Die Republiken der Föderation wiederum wurden verpflichtet, jeweils eigene Institute zu gründen und zu unterhalten, die dem Bundesinstitut unterstellt wurden (Slowenien: 1945; Kroatien: 1946; Bosnien und Herzegovina: 1946; Serbien: 1947; Montenegro: 1948; Makedonien: 1949). In Kosovo entstand der institutionelle Denkmalschutz erst erheblich später im Jahr 1954.428 427 Der 1922 geborene Krstić studierte Architektur in Sarajevo und Paris. 1946–1967 war er stellvertretender Präsident der Kommission für Denkmalschutz und Raumplanung; 1968–1980 Mitglied der Expertenkommission des Bundes für Urbanismus, Raumplanung und (Kultur-)Erbe; 1982–1988 hatte er eine Professur für Architektur an der Universität in Belgrad inne. Darüber hinaus vertrat Krstić Jugoslawien bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Denkmalschutzorganisationen. 428 Krstić (2006), 62 ff., 98 f.
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Als im Zuge der Dezentralisierung Jugoslawiens Verwaltungsaufgaben in verstärktem Maße an die Teilrepubliken abgegeben wurden, erließ die Bundesversammlung (Savezna skupština) auch ein neues Denkmalschutzgesetz. Das „Allgemeine Gesetz zum Schutz von Kulturdenkmälern“ (Opšti zakon o zaštiti spomenika kulture) trat 1959 in Kraft. Nun wurden neben den Instituten der Republiken auch die örtlichen Verwaltungen mit Denkmalschutzaufgaben beauftragt. Krstić wertet das als folgenschweren Fehler. Mit der weiteren Differenzierung der ausführenden Organe entstand ein Kompetenzkonflikt, der den Denkmalschutz letztlich lähmte. Die fachlichen Kompetenzen der örtlichen Institute waren unterschiedlich ausgeprägt, die Mitarbeiter nicht gleichermaßen gut ausgebildet. Die überregionalen Denkmalschutzinstitute hingegen waren qua lege nur noch eingeschränkt weisungsberechtigt. Sie büßten einen Teil ihres Durchsetzungsvermögens ein. Da sie nicht länger die alleinigen Durchführungsorgane waren, riss die Verbindung zwischen zentraler Administration und den Regionen ab, was den Austausch zwischen Regelbildung und denkmalpflegerischer Praxis beeinflusste. Die Auswirkungen wurden in der Fortschreibung der Denkmalschutzgesetzgebung deutlich, deren einzelne Paragrafen die zunehmende Praxisferne widerspiegelten. Anders als das Gesetz von 1946 verzeichnete die Neufassung von 1959 bereits 54 Artikel. Dabei stand die umfangreichere Novellierung im diametralen Gegensatz zur abnehmenden Handlungsfähigkeit. Besonders schwer wog die Reform der Eigentumsverhältnisse. Auf Basis des 1959 eingeführten Konzepts des „gesellschaftlichen Eigentums“ (društvene svojine), das als Instrument der Dezentralisierung gedacht war, gab die Regierung Jugoslawiens die direkte Verantwortung für einen Teil der gesetzlich geschützten Kulturdenkmäler an die Kommunen ab, in denen sich die Objekte befanden. Diese jedoch waren ihrer neuen Verantwortung weder finanziell noch personell gewachsen.429 Was als Errungenschaft der Dezentralisierung verkauft wurde, war tatsächlich der beginnende Rückzug des Staates aus der Finanzierung des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege. Die in Folge der Verfassungsreformen der 70er Jahre erlassen Denkmalschutzgesetze der dritten Generation enthielten noch einmal erheblich mehr Artikel als die früheren Bestimmungen. Die Republik Serbien war hier mit 129 Paragrafen offenbar Spitzenreiter. Darüber hinaus verursachten sie eine noch größere Konfusion hinsichtlich der mit dem Denkmalschutz beauftragten Institute. Die Regelungen diesbezüglich waren von Republik zu Republik unterschiedlich. Ebenfalls verschieden war die Art von Objekten, die in den Gegenstandsbereich der Gesetze fielen. Zwischen Gesetzgeber und Durchführungsorganen bestand kaum mehr 429 Ebd., 65 ff., 71.
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Kontakt, was bedeutete, dass Letztere keinen Einfluss mehr auf die Gesetzgebung ausüben konnten und der Wissenstransfer weiter eingeschränkt wurde.430 Während ihres 47-jährigen Bestehens verfügte die Föderation über eine Vielzahl von Institutionen, die mehr oder weniger direkt mit Denkmalschutzaufgaben betraut waren. Zu den sechs verschiedenen, sich teilweise ablösenden, ineinander übergehenden oder parallel existierenden Institutionen auf Ebene der Republiken kamen insgesamt zehn untergeordnete regionale Institute. Nicht eingerechnet sind die Filialen dieser Institute in Gemeinden und Kreisen, von denen etwa die Republik Serbien zuletzt allein 14 unterhielt.431 Inwiefern die regionalen und lokalen kroatischen Institute in Osijek, Zagreb, Rijeka, Split, Varaždin, Karlovac, Zadar, Šibenik und Dubrovnik432 in die Rechnung Krstićs miteingegangen sind, lässt sich nicht sagen. Sie werden in seinem Text nicht erwähnt. Insgesamt neun Bundesgesetze zu Denkmalschutz und Urbanismus verabschiedete Jugoslawien auf Föderationsebene; sieben weitere Gesetze mit diesem Gegenstandsbereich wurden in den Republiken und autonomen Provinzen erlassen.433 Trotz der großen institutionellen Dichte und der ausufernden Gesetzgebung gelang es der Legislative und den beteiligten Institutionen offenbar nicht, die drei großen Probleme des jugoslawischen Denkmalschutzes zu lösen. Eines dieser Probleme bestand in der begrifflichen und inhaltlichen Definition des Denkmals. So wurde die in der Charta von Venedig (1964) und der Deklaration von Amsterdam (1975) formulierte Öffnung des Denkmalschutzes von isolierten Einzelobjekten hin zu historischen Komplexen und, damit verbunden, auch der Übergang zu ganzheitlichen Ansätzen, auf deren Basis eine Neuausrichtung in den meisten der europäischen Staaten erfolgt war, in Jugoslawien nur zögerlich umgesetzt. Das Konzept des isolierten Denkmals blieb weitestgehend erhalten, ja „versteinerte“ in manchen Republiken sogar. Die im ersten Kapitel beschriebe Erweiterung des Kulturerbebegriffs von einem exklusiv nationalen Verständnis zu universalistischen inklusiven Ansätzen wurde in Jugoslawien, wenn überhaupt, nur in Teilen nachvollzogen. Hier ergibt sich eine Verbindung zu möglichen Erklärungen für die Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen. Das nationale Monument überdauerte – nur auf den ersten Blick paradoxerweise – in einer multinationalen Föderation. Ein weiteres Problem, das ich bereits angespro430 Krstić (2006), 71 ff. 431 Belgrad, Kraljevo, Kragujevac, Niš, Smederevo, Valjevo, Mitrovica, Petrovaradin, Subotica, Novi Sad, Pančevo, Prizren, Priština (Gemeinde), Priština (Bezirk) (Republika Srbija (1995). 432 UNESCO (1993), I, 45. 433 Krstić (2006), 128 ff.
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chen habe, stellten die seit der Einführung des Konzepts des „gesellschaftliches Eigentums“ ungeklärten Verantwortlichkeiten für einen großen Teil des jugoslawischen kulturellen Erbes dar. Schlussendlich mangelte es auch an finanziellen Mitteln für den Denkmalschutz. Die zunehmend verklausulierte Fortschreibung der Gesetze verstärkte diesen Mangel noch, indem sie immer mehr Gegenstände als Denkmale erfasste – zuletzt auch Wasserflächen, Straßen und Wälder. Gleichzeitig wurde jedoch die Klassifizierung von Objekten in der Hierarchie denkmalpflegerischer Bedeutung – und damit die Zusage von Mitteln zu ihrer Erhaltung – immer weniger transparent. Fallweise Entscheidungen ersetzen die geregelte Praxis. Denkmalschutz in Jugoslawien wurde zum bürokratisch organisierten Glücksspiel. Die Verantwortung des Gesetzgebers reduzierte sich schließlich auf die bloße Erfassung von Objekten.434 Damit wiederum nahm der Konkurrenzdruck zwischen den verschiedenen Institutionen, vor allem der Kampf um Mittel, zu. Der Korruption in diesem Sektor war der Weg bereitet. Die Schwierigkeiten, denen internationale Experten bei der Erfassung vom Krieg betroffener Artefakte, insbesondere des beweglichen kulturellen Erbes, begegneten, bestätigen Krstićs Analyse des jugoslawischen Denkmalschutzes. Aus den Schilderungen dieser Experten ergibt sich ein Bild von konkurrierenden statt kooperierenden Institutionen, unzureichend bis schlecht dokumentierten Beständen und regional höchst unterschiedlichen Niveaus im Umgang mit dem kulturellen Erbe.
PRISHTINA, KOSOVO
Die Probleme bei der Organisation des institutionellen Denkmalschutzes bestanden, ebenso wie die Gefährdung des gebauten kulturellen Erbes durch die Umstrukturierung der Städte, prinzipiell in der gesamten jugoslawischen Föderation. Eine besondere Situation entstand jedoch dort, wo beide Phänomene zusammentrafen. 1955 berichtete ein Autor mit dem Kürzel V. L.435 im überregionalen Organ des jugoslawischen Denkmalschutzes – dem vom Bundesinstitut von 1951 bis 1978 jährlich herausgegebenen Zbornik (dt. Sammlung, Anthologie) – von dem mit erheblichen Schwierigkeiten verbundenen Unterfangen, Daten zu Objekten des osmanischen Erbes zusammenzutragen:
434 Krstić (2006), 73 ff. 435 Der sich hinter dem Kürzel verbergende Name war nicht zu ermitteln.
134 | 2 Kultur, Erbe und Konflikte in Jugoslawien bis zu den Kriegen 1991–1999 Im Zuge seiner Bemühungen auf dem Gebiet des Schutzes hat das Vereinigte Institut [für Denkmalschutz; T. S.] verschiedene Arbeiten durchgeführt, die zur Bemühung um den Schutz der Kulturdenkmäler in unserem Land beitragen und darüber hinaus über den Wert dieser Denkmäler Auskunft geben. Von diesem Ziel ist auch dessen Aktion zur Erstellung einer Dokumentation über muslimische Kulturdenkmäler in unserem Land inspiriert. Diese Denkmäler sind, mit Ausnahme Bosnien und Herzegovinas und einer kleinen Zahl Kulturdenkmäler in den übrigen Regionen unseres Landes, nicht Gegenstand früherer Studien gewesen, so dass wir über sie kaum Daten haben, obwohl sie Dokumente einer Periode der Bautätigkeit und der Kultur einiger Jahrhunderte sind. Deswegen sind sie, nach der Befreiung unserer Regionen von der türkischen Herrschaft, in vielen Fällen, unbarmherzig zerstört worden.436
Über die zaghaft beginnende Annäherung an ein bis dahin vernachlässigtes Erbe informierte derselbe Autor: Im vergangenen Jahr wurde Dokumentationsmaterial von einigen bekannten Denkmälern in Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegovina gesammelt, und das zusammengefasste Resultat dieser Arbeit ergab eine Ausstellung, die der Architekt I. Zdravković in der nationalen Universität Kolarčev [in Belgrad; T. S.] unter dem Titel: „Denkmäler der türkischen bzw. muslimischen Architektur in unserem Land“ präsentierte. Dieses Jahr wird in Zusammenarbeit mit der Abteilung Evidenz- und Dokumentation des Instituts ein Mitglied der Abteilung Architektur einen Vortrag zum Gegenstand dieser Arbeit in Priština und Prizren halten. Der Vortrag wird eine Moschee und einen Uhrturm in Priština und einige Brunnen in Prizren beinhalten.437
Prishtina ist eine der ältesten Städte Kosovos. Erste Siedler ließen sich bereits vor etwa siebentausend Jahren auf dem Gebiet der heutigen Stadt nieder. Bei Ausgrabungen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Siedlungen aus dem Neolithikum, der Bronze- und Eisenzeit entdeckt.438 Bereits 1953 begann die Ausgrabung der römisch-byzantinischen Siedlung Ulpiana im Osten der Stadt, nahe dem mittelalterlichen orthodoxen Kloster Gračanica.439 436 V. L. (1955), 444. 437 Ebd. 438 Janićijević (2001), 483. 439 Republički zavod… (2002), 64.
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Abb. 3: Ansichtskarte mit Stadtansicht von Prishtina (Priština) von West nach Ost, versandt 1926. Archiv Tobias Strahl.
Unter König Stefan Uroš II. Milutin (reg. 1282–1321) war Prishtina zeitweiliger Herrschersitz der Nemanjidendynastie.440 Ein Zentrum für Bergbau und Handel war die Stadt im Mittelalter. Das änderte sich auch nicht mit der Eroberung der Balkanhalbinsel durch die Osmanen. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich das Stadtbild Prishtinas nur geringfügig. Bestimmt wurde die Silhouette von den drei großen Moscheen und dem Uhrturm (Sahat Kula), um die sich der traditionelle Markt gruppierte. Eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1926 (Abb. 3) bildet diese aus westlicher Richtung ab. Die Fotografie ist von einem heute dicht bebauten Hügel aufgenommen. Wegen der leicht erhöhten Position und der guten Sicht auf die Stadt war das Motiv einige Jahrzehnte lang offenbar äußerst beliebt, wie weitere Karten mit derselben Perspektive zeigen. Die drei Moscheen im Stadtzentrum sind gut zu erkennen: die Fatih- oder Kaiser-Moschee (A), deren Bau acht Jahre nach dem Fall von Konstantinopel unter Sultan Mehmed II. Fatih (reg. 1451–1481) 1461 begonnen wurde441,
440 Janićijević (2001), 484. 441 Republički zavod… (2002), 69.
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Abb. 4: Ansicht von Prishtina (Priština) von West nach Ost in einer historischen Ansichtskarte. Die zugrunde liegende Fotografie wurde zwischen 1945 und 1960 aufgenommen. Archiv Tobias Strahl.
die Jashar-Pascha-Moschee (C), gestiftet durch Jashar Mehmet Pascha 1834442, die Markt- oder Steinerne-Moschee (Čaršija- oder Taš-Džamija; D), das älteste erhaltene Bauwerk der Stadt, errichtet durch Sultan Bayasid I. (reg. 1389–1402) unmittelbar nach der sogenannten „Schlacht auf dem Amselfeld“, dem Kosovo Polje, gegen Ende des 14. oder zu Anfang des 15. Jahrhunderts443 sowie der Uhrturm (B), errichtet gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Eine weitere Ansichtskarte (Abb. 4), deren Fotografie zwischen 1945 und 1960 aufgenommen wurde, zeigt bereits erste Veränderungen im Stadtbild. Die FatihMoschee sowie der Uhrturm werden nun verdeckt durch das nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete Gebäude der Stadtverwaltung (A). Die in östliche Richtung führende Magistrale ist deutlich verbreitert und verlängert worden, was einen Eingriff in die Bausubstanz auf beiden Seiten der Straße erforderlich machte. Die Straße führt jetzt direkt bis in das Zentrum der Stadt auf den Platz vor der JasharPascha-Mosche und der Markt-Moschee. Das Gehöft im rechten Vordergrund (Abb. 3) ist einer Fabrik gewichen (B). Südlich der Hauptstraße ist anstelle einiger 442 UNESCO (2003), 86. 443 Republika Srbija (1995), 72.
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Abb. 5: Historische Ansichtskarte des Stadtzentrums von Prishtina nach dem Um- und Ausbau gegen Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. A = Gebäude der Stadtverwaltung, B = Gebäude der Provinzregierung, C = Platz der Brüderlichkeit und Einheit mit dem Denkmal für die Gefallenen des Nationalen Befreiungskampfes, D = Fatih- bzw. Kaiser-Moschee, E = Uhrturm, F = Jashar-Pascha-Moschee, G = Bazar- oder Steinerne-Moschee. Archiv Tobias Strahl.
dort vorher befindlicher Wohnhäuser in traditioneller Bauweise ein Komplex aus einem Verwaltungs-/Fabrikgebäude sowie weiteren Mehrparteien-Wohnhäusern entstanden (C). Der Um- und Ausbau von Prishtina als Hauptstadt der Autonomen Provinz Kosovo begann mit dem Abbruch des weitaus größten Teils des traditionellen Marktes im Zentrum der Stadt im Jahr 1947 und zog sich bis in die 60er Jahre hin. Mit der Planung wurde der Architekt und Direktor des Instituts für Stadtplanung in Belgrad, Nikola Dobrović, beauftragt. 1954 legte er seine Entwürfe zur Genehmigung vor. Gegen Ende der 1950er Jahre begannen im Stadtzentrum die Arbeiten zur Errichtung des Gebäudes der Provinzregierung Kosovos (Abb. 5), gegenüber der zuvor errichteten Stadtverwaltung sowie die Gestaltung des Platzes der Brüderlichkeit und Einheit444 mit dem Denkmal für die Kämpfer des Nationalen Befreiungskampfes (Spomenik Borcima Narodnooslobodilačke Borbe).445 444 Serb. Trg Bratstvo i Jedinstvo, alb. Shes Vëllazërim Bashkim. 445 Vgl. Herscher (2010), 30 ff.
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Die Eingriffe in die urbane Struktur waren umfassend und nachhaltig. Binnen zweier Jahrzehnte war die Stadt kaum mehr wiederzuerkennen. Mit der Modernisierung und Industrialisierung verschwand der größte Teil der traditionellen Architektur. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, schreibt der kanadische Ethnologe und Albanologe Robert Elsie, waren in Prishtina immerhin noch 16 der ehemals 18 Moscheen der Stadt erhalten. Die jugoslawischen Kommunisten nutzten elf dieser Bauwerke als Kaufhäuser, Lager oder für andere „säkulare Zwecke“. Drei Moscheen wurden abgerissen.446 Der viel umfangreichere Abbruch vernakulärer Architektur ist indessen kaum dokumentiert. In einem der ersten monumentalen Reiseführer der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, einer zweibändigen Prachtausgabe aus dem Jahr 1958, werden die Veränderungen in Prishtina, nicht ohne Stolz, wie folgt beschrieben: Gebaut wurden große Wohnblöcke, neue Straßen, Dachziegelfabriken, Fabriken zur Produktion von Keramik, Kraftwerke zur Stromerzeugung, eine der größten Spinnereien des Landes, moderne Schlachthöfe und Kühlhäuser als Teil eines großen Lebensmittelkombinats, eine Vielzahl von Gebäuden für verschiedene Institutionen, Schulen usw., wie auch eine neue Wasserversorgung.447
PRIZREN, KOSOVO
1960 stellte der Belgrader Architekt Svetislav Vučenović ebenfalls in Zbornik im Hinblick auf den Umbau der Städte im Süden der Föderation fest: Dort wo sich moderne Stadtzentren in der Mitte von historischen Agglomerationen formieren, die einen relativ großen Platz beanspruchen, kommt es notwendigerweise zu einem schnellen Verschwinden einer bedeutenden Zahl von historischen Objekten und zur Veränderung der Struktur der Altstadt.448
446 Elsie et al. (2014), 10. Elsie bezog seine Informationen sehr wahrscheinlich von dem USamerikanischen Balkanspezialisten András Riedlmayer, bei dem dieselben Ausführungen beinahe wortgleich zu finden sind (Riedlmayer, Foundations… (2012), 91). Elsie und Riedlmayer arbeiteten insbesondere nach dem Kosovokrieg 1999 zusammen, da sie zu dem kleinen Personenkreis zählen, der die Beschädigung und Zerstörung des osmanischen bzw. albanischen Kulturerbes untersuchte. 447 Turistička Štampa (1958), 274. 448 Vučenović (1960), 154.
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Abb. 6: Prizren, Stadtansicht von Südosten mit Sinan-Pascha-Moschee, Ansicht nach 1918, vor 1939, historische Postkarte. Archiv Tobias Strahl.
Für Prishtina kam diese Feststellung ebenso zu spät wie für das weiter südlich, am Fuß des Mali-i-Sharrit-Gebirges449 gelegene Prizren. Davon abgesehen hätte wohl auch zu einem früheren Zeitpunkt ein einzelner Architekt der kommunistischen Modernisierungsdoktrin kaum etwas entgegensetzen können. Wie in Kosovos Provinzhauptstadt Prishtina fielen auch die gravierenden Eingriffe in die historisch gewachsene Struktur des kleineren Prizren in die unmittelbaren Nachkriegsjahre und erreichten in den 1960er Jahren ihren vorläufigen Höhepunkt. An der Stelle der im Stadtzentrum gelegenen Arasta-Moschee (1526– 1538; Abb. 6, A) wurde Anfang der 1960er Jahre ein Komplex aus modernen Wohnblöcken mit Geschäften errichtet. Dazu wurde der Gebets- und Versammlungsraum der Moschee abgebrochen, das Minarett jedoch blieb erhalten (Abb. 7, A). Es wurde 1970 restauriert und konserviert.450 Vollständig abgebrochen wurde die Mustafa-Pascha-Moschee von 1563 (Abb. 6, B). An ihrer Stelle wurde ein Verwaltungsgebäude errichtet. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Regierung des Königreichs Jugoslawien unter Aleksandar Karađorđević die Ufer des Lumbardhi im Westen 449 Serb. Šar Planina. 450 Shukriu (2001), 329 ff.
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Abb. 7: Wohn- und Geschäftsbauten am rechten Ufer des Lumbardhi (Bistrica) in einer historischen Ansichtskarte, versandt 1962. Archiv Tobias Strahl.
der Stadt durch zum Teil massive Strukturen befestigen lassen. Im Frühjahr führt der Fluss oft reisende Hochwasser, die die ufernahen Stadtteile bis dahin regelmäßig überfluteten. Einige historische Holz- und Steinbrücken, mit ihren ebenfalls hölzernen Aufbauten, wurden während dieser Baumaßnahmen durch Stahl-SteinKonstruktionen ohne Aufbauten ersetzt. Anfang der 1960er Jahre ließ die Regierung des sozialistischen Jugoslawien weitere Uferbereiche, nun im Oberlauf des Lumbardhi, befestigen. Die neu errichtete und bepflanzte Ufermauer ist in Abbildung 7 gut zu erkennen. Die unmittelbar am Flussufer gelegenen Häuser in traditioneller Bauweise wurden teilweise bereits in den 20er und 30er Jahren abgebrochen. Andere mussten dem Stadtumbau in den 60er Jahren weichen. Das gilt insbesondere für das dem modernen Wohn- und Geschäftskomplex gegenüberliegende Flussufer mit den Vierteln Potok-Mahala und Maraş, wo vor allem vernakuläre Architektur durch neue Strukturen ersetzt wurde. Der Befestigung der Ufer fiel ebenfalls eine Vielzahl kleiner historischer Mühlen zum Opfer, die entlang des Flusslaufs aufgereiht waren. Mit dem Aufkommen industrieller Kornmühlen waren diese ohnehin bereits überflüssig geworden.
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Die Verluste historischer Architektur in den ehemals osmanischen Städten waren auch deswegen so groß, weil diese trotz der bereits umfangreichen Restrukturierungen im Königreich Jugoslawien noch immer durch eine besonders dichte Ansammlung historischer islamischer Architektur geprägt waren. Das galt für Prishtina und Prizren ebenso wie etwa für Skopje, Sarajevo, Mostar, Banja Luka, Višegrad, Stolac und Foča. Das heißt, es gab noch eine Haupt- oder Freitagsmoschee mit dazugehörigem Brunnen zur rituellen Reinigung (šadrvan) sowie eine Vielzahl weiterer Moscheen in den nach religiöser und ethnischer Zugehörigkeit getrennten Wohnvierteln. Darüber hinaus existierte ein traditioneller Markt im Zentrum der Stadt. Auch die religiösen Stiftungskomplexe mit Übernachtungsstätten, Primär- wie Sekundarschulen und Armenküchen sollen in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben – und damit sind nur einige wichtige Elemente genannt. Der rapide fortschreitende Verlust gerade des osmanischen gebauten Kulturerbes wurde den jugoslawischen Denkmalschützern zunehmend bewusst. 1968, just nachdem die Restrukturierungen ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatten, wurden in Prishtina und Belgrad die Akten eines Kongresses veröffentlicht, der im Oktober des Vorjahres in Peć, Prizren und Prishtina zum Problem des Schutzes des Kultur- und Naturerbes in Kosovo stattgefunden hatte. Vertreter aller Institutionen Jugoslawiens, die mit dem Schutz von Kultur- und Naturerbe betraut waren, hatten daran teilgenommen. Bemerkenswert ist, dass dort nicht nur der Schutz des Erbes als Problem definiert wurde, sondern bereits dessen reine Existenz.451 So merkte etwa Milan Ivanović, der damalige Direktor des Instituts für Denkmalschutz der autonomen Provinz Kosovo und Metohija, zum Komplex der Hadum-Moschee und den diese umgebenden traditionellen Markt in Gjakova/ Đakovica in Westkosovo an, dass die Erhaltung derselben ebenso wie die ähnlicher Ensembles, der Baščaršija in Sarajevo452, des Kujundžiluk in Mostar (am Ostufer der Neretva, unmittelbar oberhalb der Stari Most) sowie des Bit-Pazar in Skopje, nicht „in der Macht der Konservatoren“ läge. Er spielte damit auf den Konflikt zwischen Modernisierung und Denkmalschutz an und erklärte, zumindest implizit, welche Partei in dieser Auseinandersetzung in der Regel unterlegen war.453
451 Wie der gleichlautende Titel von Kongress und Publikation der Kongressakten erkennen lässt: Problem Zaštite i Egzistencije Spomenika Kulture i Prirodnih Objekata i Rezervata na Kosovu i Metohiji (Das Problem des Schutzes und der Existenz von Kulturdenkmälern und Objekten der Natur und Reservaten in Kosovo und Metohija). Društvo Konzervatore (1968). 452 Markt in der historischen Altstadt Sarajevos. 453 Ivanović (1968), 73.
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Stanko Mandić, damals Professor für Architektur an der Universität Belgrad, führt dahingehend aus: „Die Mehrheit unserer Denkmäler ist trotz des Privilegs, dass Messingtafeln an ihnen die positiven Ambitionen ihrer Autoren [der Institutionen, die sie angebracht haben; T. S.] versprechen, nicht gestärkt.“ Vielmehr erstrecke sich das Gesetz für den Schutz von Kulturerbe „in dieser Phase unserer Entwicklung und materiellen Möglichkeiten“ nur auf die in den Listen der Denkmalschutzinstitutionen erfassten Objekte. Daneben existierten jedoch noch zahlreiche, nicht registrierte, ebenfalls wertvolle Objekte. Dieses Erbe wiederum sei „auf Gedeih und Verderb vielen verantwortlichen und unverantwortlichen Bertreibern/Managern“ und deren „Einfallsreichtum auf der Suche nach billigen Grundstücken“ ausgesetzt. Mandić unterlegt im Folgenden seine Ausführungen mit dem Beispiel einer abgebrochenen Moschee, eines „äußerst wertvollen Monuments“, verschweigt aber (wohl aus politischer Vorsicht) Namen und Standort. Vom Bürgermeister der betreffenden Stadt, heißt es, sei die Zerstörung der Moschee im Rahmen des Verkehrsplanungskonzeptes trotz heftigen Widerspruchs der Denkmalschutzorgane angeordnet worden – schließlich, so habe sich der Bürgermeister gerechtfertigt, hätten er und die Stadtverwaltung in seiner Gemeinde das letzte Wort.454 Mandić führt weiter aus: „Beispiele für solche Umstände gibt es unglücklicherweise auch im Bereich der Stadt, in der sie im Moment zu Gast sind. [...] Dringlich wäre es, dass wir in dieser Gegenwart über Gründe und Bedürfnisse des Schutzes sprechen.“455 Wie eine Replik auf die Feststellung seines Kollegen Svetislav Vučenović, demzufolge in Stadtzentren, die von einer dichten historischen Bausubstanz geprägt sind, der Verlust von architektonischem Erbe im Zuge der Modernisierung besonders groß war456, liest sich Mandićs Beschreibung des Charakters und der Bedrohung der Altstadt von Prizren: „Das spezifische Problem und die Notwendigkeit des Schutzes des Erbes dieser Stadt ist, dass sie die einzige Stadt Serbiens ist, die ‚überladen‘ mit wertvollem Erbe ist […], und dass sie gleichzeitig, wie jede andere Stadt, dem Urbanisierungsprozess ausgesetzt ist.457 Ivanović fasst schließlich in einer Retrospektive die Modernisierung Prishtinas und die Zerstörung von kulturellem Erbe, die mit dieser einherging, zusammen: 454 Hier wird der von Branislav Krstić kritisierte Kompetenzkonflikt zwischen Organen des Denkmalschutzes und der lokalen politischen Administration evident. 455 Leider geht aus den Unterlagen nicht hervor, ob es sich dabei um Peć, Prizren oder Prishtina handelt. Letztlich ist das aber nicht wirklich erheblich, da alle drei Städte ähnlich betroffen waren. 456 Vučenović (1960), 154. 457 Mandić (1968), 77 ff.
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Es ist bekannt, dass in der Nachkriegsperiode der wirtschaftlich-administrativen und politischen Prosperität Priština, als das allgemeine Zentrum der Region, dank neuer Interventionen viel seiner alten charakteristischen Architektur und urbanen Agglomerationen verloren hat. Ganze Stadtteile des alten Priština sind zerstört worden, um Platz zu schaffen für zeitgenössische Architektur und die urbane Organisation der städtischen Infrastruktur. Die Intervention von Gesellschaften zum Schutz des Erbes erfolgte zu spät, weil die konservatorischen Institute erst ein ganzes Jahrzehnt nach der Befreiung gegründet wurden. Trotzdem sind im Bereich des ältesten Teils der Stadt einige alte Häuser erhalten geblieben, die in der letzten Stunde vor der Zerstörung gerettet wurden.458
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Gründung des Instituts zum Schutz und der wissenschaftlichen Erforschung von Kulturdenkmälern in den Gemeinden Kosovos und Metohijas (Zavod za zaštitu i naučno proučavanje spomenika kulture Kosovsko-metohijske oblasti) im Jahr 1954 mit erheblicher Verzögerung gegenüber dem Bundesinstitut, dem Vrhovni institut (1945), sowie den übrigen Institutionen dieser Art in den Republiken erfolgte.459 Über die Gründe für diese Verzögerung kann lediglich spekuliert werden. Die Entwicklung der, wenn man so will, „intellektuellen Infrastruktur“ in Kosovo blieb allgemein hinter der im übrigen Jugoslawien zurück. Die Aufsätze im Zbornik belegen, dass sich das Interesse für diese Region vor der Mitte der 50er Jahre unter den Denkmalschützern Jugoslawiens in Grenzen hielt. Zudem waren bis dahin, wie bereits dargelegt, kaum Objekte in Kosovo erfasst. Darüber hinaus existierte bis 1970 keine Universität in Kosovo und damit keine regionale Ausbildung im Bereich Architektur und Denkmalschutz; es gab daher auch wenige Experten vor Ort. Hier bereits zeichnen sich die Beziehungen ab, die zwischen Unterdrückung und kultureller Emanzipation in dieser Region bestanden.
BOSNISCHE STÄDTE
Auch in anderen Städten der jugoslawischen Föderation lässt sich die Zerstörung des Kulturerbes unter den kommunistischen Machthabern beobachten. Der bosnische Intellektuelle Rusmir Mahmutćehajić beschreibt diese in seinem Buch Maintaining the Sacred Center. The Bosnian City of Stolac aus dem Jahr 2011 für 458 Ivanović (1968), 167. 459 Krstić (2006), 98 f., 128 f.
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das historische Zentrum der im Südwesten Bosnien und Herzegovinas liegenden Stadt Stolac. Mit der Zerstörung der čaršija hatte man bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts begonnen und führte diese bis zum Ende des 20. Jahrhunderts unter allen Regierungen fort. Zwischen 1949 und 1960 ließ man den Alten und den Großen Harem abbrechen und einebnen. Grundlage für die Zerstörungen in seiner Heimatstadt, schreibt Mahmutćehajić, bildete die Doktrin von „Fortschritt und Entwicklung“: Individuals were sought out and supported who might demonstrate, whether directly or indirectly, in thought, word, or deed, that this was not sacred heritage to be preserved inviolate and that the only contribution it could make to the building of the new world was as material to be extracted by the destruction and crumbling of whatever had been built before. They were expected to affirm their fitness for the new age by readiness to deny and destroy. […] The perpetrators of the act of destruction itself were sought amongst the children of the dead. They were required to affirm their ‘progressiveness’ […]. With a burning desire to prove themselves, they toppled and shattered their ancestor’s headstones. […] Faith in God and another world was, according to them, a folly of the ignorant. The desecrators were promised liberation from their second-class position as guilty, helpless, and contemptible in comparison to the builders of the new order. They hoped through this denial of their own selves to ensure their rights to survive and be happy, the requirement for which was that they join the builders of the New World.460
Seine Ausführungen sind insofern aufschlussreich, da sie zeigen, dass die Abwälzung der Verantwortung für die Zerstörungen von Kulturerbe auf die kommunistische Administration allein ebenfalls eine Verkürzung darstellt. So haben sich Muslime, „the children of the dead“, an der Zerstörung der muslimischen Friedhöfe in Stolac beteiligt. Um zu zeigen, dass sie bereit waren für eine „New World“, haben sie „their ancestor’s headstones“ zerschmettert. Mahmutćehajić verweist auch auf den Kontext der Kriegs- und Geschichtsmüdigkeit, die wiederum Holm Sundhaussen so treffend beschrieben hat: Die Menschen wollten keine Rückkehr zu den Vorkriegsverhältnissen, auch keine kriegerische Aufteilung Jugoslawiens und keine kritische Auseinandersetzung
460 Mahmutćehajić (2011), 156, 159 f.
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 145
mit dem, was gerade hinter ihnen lag. Sie wollten Frieden und einen Schlussstrich unter die Vergangenheit und eine Zukunftsperspektive.461
Diese neue Welt, von der beide Autoren sprechen, bestand auch aus einer dekontaminierten (Erinnerungs-)Landschaft, die, unbelastet von nationalistischer Rhetorik und unbeeinträchtigt von Verbrechen auf der Grundlage von Ethnie und Religion, das Versprechen eines totalen Neuanfangs in sich trug. Hierfür sollten Elemente der alten symbolischen Ordnungen verschwinden. Das Versprechen vom besseren Leben in der „Moderne“ umfasste nicht lediglich die Annehmlichkeiten funktionaler Wohnbauten mit Strom und fließendem Wasser. Es verhieß auch Erlösung von historischen Bürden. Ein moralisches Verdikt zur Kulturerbezerstörung der Kommunisten Jugoslawiens im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen vernachlässigt dementsprechend den historischen Kontext der Phänomene. Mahmutćehajićs Beobachtungen bestätigt Sabira Husedžinović in ihrer Forschung zur nordbosnischen Stadt Banja Luka. Dort wurden zwischen 1945 und 1959 allein zehn Moscheen und eine islamische Elementarschule zerstört sowie zwei weitere Moscheen in andere Orte übertragen.462 Über die Zerstörung von Bauwerken der historischen Altstadt von Mostar durch die jugoslawischen Kommunisten berichten unabhängig voneinander Denkmalschützer aus Mostar, Colin Kaiser sowie András Riedlmayer weitestgehend übereinstimmend, dass zwischen 1945 und 1982 allein elf Moscheen bzw. 8 Moscheen und 5 Mesdžid auf Anordnung der Stadtverwaltung abgebrochen wurden.463 In Sarajevo wiederum wurde nach 1945 eine ganze Reihe historischer osmanischer Bauwerke im Zuge des Stadtumbaus zerstört. 1947 etwa wurde die 1535 errichtete und nach dem Stadtbrand 1697 erneuerte Kalin-Hadži-Alijina- oder Čejirdžik-Moschee im Viertel Mejtaš, im Zentrum der Stadt abgebrochen. Zehn Jahre darauf wurde für die Verbreiterung einer Straße der Konvent der Mevlevi461 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 80. 462 Husedžinović (2005), 560. 463 Mićević (1992), 54; Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, VII, P. 125; Riedlmayer, Foundations… (2012), 91. Riedlmayer grenzt ein auf die Jahre 1945 bis 1965 und kommt deswegen auf eine andere Zahl als Tatjana Mićević, die bis 1982 zählt und außerdem zwischen Moscheen und Mesdžid unterscheidet. Nach Mićević wurden im Zuge von „Modernisierungsmaßnahmen“ in Mostar zerstört: Husein-Hodža- und Fatima-KadunaKaduna-Moschee (1947), Sinan-Pascha-Moschee (err. 15. Jh., 1949), Hadži-Balija- und Nezir-Aga-Moschee (1950), Hadži-Velija-Mesdžid (1950), Memi-Hodža- und MehmedĆehaja-Moschee sowie Čurći-Ahmed-Mesdžid (1951), Tara-Hadži-Jahjat-Moschee (1954), zwei namentlich nicht genannte Mesdžid (1960, 1969), Ali-Pascha-RizvanbegovićMesdžid (1982).
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Derwische, errichtet im Zuge der Stadtgründung 1462 durch den osmanischen Stadthalter Isa Beg Išaković, abgerissen. An ihrem ehemaligen Standort wurde eine Tankstelle errichtet.464 Slobodan Kudra führt in seinem Text zu den (historischen) Moscheen im Kanton Sarajevo sechs weitere Moscheen an, die bei der Restrukturierung der Stadt unter der Administration der jugoslawischen Kommunisten abgebrochen wurden.465 Weitere Beispiele für Zerstörungen hauptsächlich von Moscheen stammen aus den bosnischen Städten Kladanj, Tuzla und Zenica.466 Das Vorgehen der kommunistischen Stadtplaner beim Umbau der Städte im Süden und Südwesten der jugoslawischen Föderation unterschied sich deutlich von den städtebaulichen Maßnahmen im Norden. Die historischen Stadtkerne von Zagreb, Ljubljana oder Belgrad etwa blieben weitestgehend unangetastet, größere Bauvorhaben erfolgten in der Regel an der Peripherie. Trabanten wie Novi Zagreb oder Novi Beograd wurden nach dem Zweiten Weltkrieg an dem der historischen Altstadt jeweils gegenüberliegenden Ufer der Save außerhalb der Stadtgrenzen errichtet. Auch der Bau des Campus mit den angeschlossenen Vierteln entlang der Save erfolgte ohne Beeinträchtigung der historischen Stadtviertel jenseits des Hauptbahnhofs (Glavni Kolodvor) und südlich der Gleisanlagen, die die Stadt in Ost-West-Richtung durchziehen. Das historische Belgrad allerdings war durch die Bombenangriffe von 1941 stark beschädigt und so wurden auch dort viele Neubauten errichtet. Wie der US-amerikanische Architekt Andrew Herscher überzeugend gezeigt hat, dienten die neuen Bauwerke neben ihrem funktionalen Zweck als Monumente des imaginierten Fortschritts und der Moderne im Kontrast zur der historischen osmanischen Architektur. So konstruierten die jugoslawischen Kommunisten Moderne und Vormoderne gleichermaßen: In one guise, architecture was an object of construction, the ‘modern constructions’ that manifested what modernization was; in another guise, architecture was an object of destruction, an abject heritage of premodernity that made manifest what modernization was not. […] Modernization, therefore, involved the production of the premodernity that would be ‘discarded’, ‘replaced’, ‘abandoned’, ‘overcome’, or ‘destroyed’ […] Premodernity was just as much a product of modernization as the industrialization of production […]467 464 Riedlmayer, Foundations… (2012), 90 ff. 465 Kudra (2006). 466 Council of Europe (August 1994), B, Kladanj sowie C, Mostar, Sarajevo, Tuzla… 467 Herscher (2010), 25, 28. Ähnlich argumentierte bereits der serbische Architekt Srdjan Novanović Weiss (2000).
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 147
Mit dem Abbruch der osmanischen Architektur vollzog man demnach auch eine symbolische Handlung. Er bedeutete die Überwindung einer überwundenen (und negativ konnotierten) Vergangenheit zugunsten einer Zukunft, die das Versprechen des Besseren in sich trug. Hier wird einmal mehr der unauflösbare Zusammenhang von Zerstörung und Schöpfung der Arbeit an Kultur deutlich.
ZUM SCHICKSAL DER SYNAGOGEN NACH 1945
Ein ähnliches Schicksal wie den Bauwerken aus der Periode der osmanischen Herrschaft war den jüdischen Bet- und Versammlungsstätten im sozialistischen Jugoslawien beschieden. Ein großer Teil der erhaltenen Synagogen wurde nach 1945 anders genutzt oder abgebrochen, weil ihre Gemeinden nicht mehr existierten. Die anti-religiöse Ideologie des Kommunismus oder gar Antisemitismus haben hier sicher keine Rolle gespielt. Einige wenige Synagogen waren in den großen Städten des ehemaligen Jugoslawien noch erhalten geblieben. Wiederum in einigen wenigen besteht bis heute ein aktives Gemeindeleben. Neben der bereits erwähnten Liste mit (zerstörten) Synagogen in der Republik Serbien468 gibt es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt meines Wissens keine vergleichbaren Angaben zu den übrigen Republiken und Provinzen der jugoslawischen Föderation. Es liegt nahe, dass die Zerstörungen dort im Hinblick auf ihren Umfang und die Begleitumstände ähnlich waren. Aber das sind bloße Spekulationen. Leben und Schicksal der Juden der Balkanhalbinsel sind noch nicht in der notwendigen Tiefe erforscht. Auch treten die wenigen noch existierenden Gemeinden etwa in Belgrad, Zagreb oder Sarajevo sehr zurückhaltend auf. In der öffentlichen Wahrnehmung spielen sie kaum eine Rolle. Das liegt sicher auch daran, dass der Einfluss des Nationalismus immer noch sehr stark ist und in letzter Zeit wieder zunimmt. Hierin unterscheiden sich die politischen Gebilde des westlichen Balkan nicht vom übrigen Europa.
ZUR INSZENIERUNG DER KOMMUNISTISCHEN HERRSCHAFT IN ARCHITEKTUR UND SKULPTUR
Neben funktionalen und strukturellen Aspekten des architektonischen Programms der jugoslawischen Kommunisten besaß es, wie gezeigt, auch eine symbolische 468 Jüdisches Erbe Europa (Jewish Heritage Europe): http://www.jewish-heritage-europe.eu/ serbia/heritage-and-heritage-states [06.06.2016].
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Funktion. Diese war ebenfalls ausschlaggebend für Skulptur und Plastik im öffentlichen Raum. Deren wichtigste Aufgabe war die Manifestation des Herrschaftsanspruchs der jugoslawischen Kommunisten und dessen Legitimation. Auch sollte der Doktrin von „Brüderlichkeit und Einheit“ (Bratstvo i Jedinstvo) Ausdruck verliehen werden. Den nationalen Mythen und der Deutungshoheit, die von den Kirchen bisher beansprucht wurde, setzten die Kommunisten den neuen Mythos vom „Volksbefreiungskampf “ entgegen, der die historische Meistererzählung und gesellschaftlich-identifikatorische Referenz schlechthin für das sozialistische Jugoslawien bildete. It was hoped that remembering the common fight and suffering during the war would help to create consensus in a society that was burdened not only by extreme ethnic, cultural and religious fragmentation but also by the unfavorable experiences of living together in one state.469
Im Idealfall sollte das Narrativ als Klammer wirken, die die jugoslawischen Ethnien trotz historischer Feindschaften verband. Auch der Partisanenmythos hatte Elemente der In- und Exklusion gleichermaßen nötig. Er benötigte Freund- und Feindbilder. Beide mussten konsensfähig in der fragmentierten jugoslawischen Gesellschaft sein. So verwundert es nicht, dass sich die Kommunisten im Hinblick auf die Feindbilder überwiegend auf Gegenstände konzentrierten, die politisch kaum mehr relevant waren. Als negatives „Anderes“ galten „etwa das Osmanische Reich, Österreich-Ungarn, Venedig, Italien, das Dritte Reich“470. Zudem musste der Gründungsmythos der jugoslawischen Föderation bekannte Elemente aufweisen – als völlig neue symbolische Ordnung wäre er kaum verstanden worden. Er griff deswegen zumindest teilweise auf das Arsenal kollektiver Symbolik zurück. Nur auf den ersten Blick paradox sind in diesem Zusammenhang die starken Anleihen, die das in verschiedenen Ausführungen hundertfach reproduzierte Partisanendenkmal bei der christlichen Ikonografie nahm. Nicht wenige der ausführenden Künstler oder deren Lehrer waren zudem noch im Königreich Jugoslawien ausgebildet worden. Notwendig übernahmen sie einen Teil der konventionellen Formensprache in das neue symbolische Programm. Schließlich war auch der jugoslawische Kommunismus eine säkulare Religion471 – wenn auch mit sehr irdischen Göttern, Heiligen und Andachtsbildern. Ähnlich dem Stern von Bethlehem 469 Hoepken (1998), 197. 470 Buchenau (2006), 111. 471 Vgl. Hobsbawm (2005), 103.
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 149
Abb. 8: v. l. n. r.: Mirko Ostoja, Denkmal der gefallenen Kämpfer (Spomenik palim borcima, 1956, Bileća); Antun Augustinčić, Das Tragen des Verwundeten (Nošenje Ranjenika, 1947); ders.: Denkmal der gefallenen Kämpfer (Spomenik palim borcima, 1952, Livno); Zdenko Kalin, Denk- und Grabmal auf dem Berg Urh (Spomenik i grobnica na Urhu, 1948–55, Ljubljana, Detail). Spektar/ Zdunić (1977), 169, 59, 58, 113.
sollte auch der fünfzackige rote Stern der jugoslawischen Kommunisten, die Petokraka, „in Flagge und Wappen des neuen Jugoslawien […] den Weg in eine bessere Zukunft leuchten“472. Stark vereinfacht lassen sich die Monumente, die zur Erinnerung des Kampfes der Partisanen gegen die deutschen Besatzer in allen jugoslawischen Teilrepubliken errichtet worden sind, in zwei Typen unterscheiden. Konkret gegenständlichen, um bildlichen Realismus bemühten Werken stehen in hohem Maße abstrakte Objekte gegenüber. Bereits im Jahr 1975 gab es derart viele dieser Monumente auf jugoslawischem Territorium, dass in einem entsprechenden Führer lediglich die 300 bedeutendsten abgebildet werden konnten.473 Das Changieren zwischen Realismus und Abstraktion verdankt sich der Gratwanderung zwischen der Notwendigkeit der Überwindung zwischenethnischer Konflikte einerseits und der für die Verständlichkeit der Monumente erforderlichen Affirmation alter Symboltraditionen andererseits. Welcher Formensprache jeweils der Vorzug gegeben wurde, entschieden der Gegenstand, dessen politische Implikationen und nicht zuletzt das Wohlwollen der politischen Führung.474 Starke Anleihen bei der christlichen Ikonografie – etwa Kreuzigungs-, Kreuzabnahme- oder Grablegungsszenen – zur Darstellung des Opfers der Partisanen 472 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 80. 473 Patković/Plećaš (1975). 474 Hierzu sind die Lebenserinnerungen der Architekten und Schriftstellers Bogdan Bogdanović (2000) ebenso aufschlussreich wie unterhaltsam.
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Abb. 9: v. l. n. r.: Bogdan Bogdanović, Denkmal der Opfer des faschistischen Terrors (Spomenik žrtvama fašističkog terora, 1964, Jasenovac); Jordan Grabulovski, Makedonium (1974, Kruševo); Vojin Stojić, Denkmal der Kämpfer der Partisaneneinheit Kosmaj (Spomenik borcima Kosmajskog partizanskog odreda, Berg Kosmaj, 1982). Spektar/Zdunić (1977), 107, 167, 185.
etwa nehmen die Plastiken von Antun Augustinčić, Mirko Ostoja und Zdenko Kalin (Abb. 8). Aller bekannten historischen und ikonografischen Zitate hingegen entbehren – um den Preis ihrer einfachen Lesbarkeit – zum Beispiel die populären Monumente der serbischen Architekten Bogdan Bogdanović, Vojin Stojić und Jordan Grabulovski (Abb. 9). Beide Typen von skulpturalen Monumenten konnten jedoch auch eine weitere, wesentlich subtilere Bedeutungsebene aufweisen, in der die unterdrückten Nationalismen kompensiert und die kommunistische Doktrin der „Brüderlichkeit und Einheit“ systematisch unterlaufen wurden. So ist etwa Zdenko Kalins Denk- und Grabmal auf dem Berg Urh in Ljubljana (Abb. 8) den slowenischen Gefallenen des Zweiten Weltkriegs gewidmet. Dabei mussten (und müssen) jedoch nicht zwingend die slowenischen Partisanen assoziiert werden. Das Monument konnte vielmehr auf einer subversiven Ebene durchaus auch als Referenz an die Gefallenen der antikommunistischen Heimwehren (Domobranci475) verstanden werden. Beide Deutungen wiederum lassen sich im slowenischen Nationalismus und dem dazugehörigen Opfermythos instrumentalisieren, ohne sich gegenseitig auszuschließen. Ähnlich verhält es sich mit Jordan Grabulovskis Arbeit Makedonium (Abb. 9), das 1974 anlässlich des 30. Jahrestages der Befreiung Makedoniens durch das Antifaschistische Komitee Makedoniens in Kruševo eingeweiht wurde. Grabulovskis Monument befindet sich just in dem Ort, wo nach dem Ilinden-Aufstand gegen die osmanische Herrschaft im Jahr 1903 die (kurzlebige) Republik Kruševo ausgeru475 Vgl. Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 641.
2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien | 151
fen wurde.476 Das Makedonium kann folglich auch als Monument des makedonischen Nationalstolzes interpretiert werden. Das Schicksal der Monumente der kommunistischen Herrschaft in den Postjugoslawischen Kriegen und danach ist außerhalb der Region bisher kaum zur Kenntnis genommen worden. In seiner Vielfalt gibt es Rätsel auf. In manchen Gegenden entwickelte sich ein neuer Kult um die Objekte, in anderen wurden und werden sie ausnahmslos zerstört, wiederum an anderen Orten werden sie vernachlässigt und verfallen. Es scheint, als wären sie dort erhalten geblieben, wo die vor Ort lebenden Kollektive ihre sublime Bedeutung in lokale Nationalismen integrieren konnten, wie es möglicherweise bei Zdenko Kalins Denkmal auf dem Berg Urh der Fall ist. In Kroatien wiederum sind die Monumente, die mit der Herrschaft der Kommunisten assoziiert werden konnten, weitestgehend zerstört worden. In Bosnien, wo das Tito-Regime bis heute einiges Ansehen genießt, sind viele Monumente erhalten geblieben – immerhin wurden die bosnischen Muslime unter Tito als Nation anerkannt. Nicht wenigen Einwohnern Sarajevos gilt ihre Stadt bis heute als Verkörperung des Mythos von „Brüderlichkeit und Einheit“. Ebenso heterogen wie das Schicksal des kommunistischen Kulturerbes sind also die Gründe für dessen Erhalt oder Zerstörung. Eine pauschale Erklärung wird den Phänomenen nicht gerecht.
476 Behschnitt (1976), 154; Shea (1998), 146.
3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung
In der Forschung zu den Ursachen des Zusammenbruchs der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und dem Ausbruch der Postjugoslawischen Kriege wird drei Phänomenen besondere Bedeutung zugeschrieben: Herausgestellt wird die ideologisch bestimmte Erinnerungspolitik und Konfliktbewältigung der jugoslawischen Gesellschaft. Neben der Apotheose des Partisanenkampfes und der Kommunisten bestand ein politisch verordnetes und durch Androhung massiver Sanktionen umgesetztes Tabu, die jüngeren historischen Konflikte öffentlich zu thematisieren und zu diskutieren. Eine Aufarbeitung der interethnischen Verbrechen, die während des Zweiten Weltkrieges und danach im Zuge der Machtübernahme der jugoslawischen Kommunisten begangen worden waren, war damit unmöglich. Ebenfalls einen hohen Stellenwert nimmt die wirtschaftliche Krise ein, die nach den schwierigen Nachkriegsjahren und einem bemerkenswerten Aufschwung in den 1960ern sich in den 70er Jahren abzuzeichnen beginnt und in den 80ern drastische Ausmaße annimmt. Kanalisiert wurden diese und andere gesellschaftliche Missstände vor allem in den mehr oder weniger stark ausgeprägten Nationalismen der jugoslawischen Ethnien. Letztere hatten mit der Gründung des „Zweiten Jugoslawien“ 1945 und trotz ihrer harten Ahndung durch das Regime nicht einfach aufgehört zu existieren.477 Vielmehr überdauerten sie, kulturell und religiös sublimiert, an ihren Ursprungsorten – den intellektuellen Zirkeln in den hybriden nationalen Akademien und den religiösen Institutionen. Es waren vor allem zwei Ausprägungen des Nationalismus, die in den Augen des Regimes die Einheit der Föderation unterminierten. Eine Gefahr drohte vom unitaristischen Zentralismus, der seit der serbischen Dominanz in der Zwischenkriegsperiode und der Königsdiktatur unter Aleksandar Karađorđević im kollektiven Gedächtnis präsent war. Ein weiteres Risiko bestand im republikanischen Separatismus: Die Einheit Jugoslawiens konnte durch den Machthunger der Ethnien ebenso gefährdet werden wie durch deren Abspaltungstendenzen. Die Geißelung des Nationalismus und der Nationalisten war demzufolge ein wichtiger Bestandteil
477 Bieber (2005), 8.
154 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
der meisten Reden des jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito zwischen 1942 und 1975478. Die besser informierten Autor_Innen tragen den Interdependenzen zwischen verpasster Vergangenheitsbewältigung, ökonomischen Schwierigkeiten und wachsendem Nationalismus Rechnung – wenngleich sie ihr Interesse unterschiedlich gewichten. Für den Soziologen Ernst Lohoff etwa stellt die ökonomische Krise Jugoslawiens den „dritten Weg in den Bürgerkrieg“479 dar. Sabrina P. Ramet hat in ihrer Untersuchung des Verhältnisses von Föderalismus und Nationalismus in Jugoslawien den wirtschaftlichen Missständen zumindest eine besondere Rolle zugeschrieben.480 Auch Noel Malcolm merkte an: „And the natural breading-ground for all kinds of discontent is a weak and malfunctioning economy – something which was also guaranteed under the Yugoslav Communist system“.481 Florian Bieber konstatierte eine Verbindung zwischen Nationalismus, dem „Versagen der kommunistischen Ideologie“ und dem „des Staates, seinen Teil des ‚Vertrages‘ mit den Bürgern zu erfüllen und soziale Sicherheit und steigenden Wohlstand zu garantieren“482. Auch das Regime der jugoslawischen Kommunisten unter Tito sah in der gerechten Ressourcenverteilung ein Instrument, den Nationalismus in den konstitutiven Ethnien zu überwinden.483 Monokausale Erklärungen für den Kollaps der Föderation und das Ausbrechen der Kriege werden den komplexen Verhältnissen folglich nicht gerecht.484
478 Tito (1976). 479 Die Tatsache, dass Lohoff von einem „Bürgerkrieg“ (građanski rat) in Bezug auf die Postjugoslawischen Kriege spricht, ist problematisch. Der Begriff unterstellt, dass Aggression und Schuld unter den Kriegsparteien etwa gleich verteilt waren. Zwar entspricht Lohoffs Verdikt einer verbreiteten Wahrnehmung. Tatsächlich handelte es sich jedoch um einen serbischen Angriffs- und Eroberungskrieg, der mit dem Vorwand der Erhaltung der jugoslawischen Föderation, oder äquivalent dem Schutz der in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo lebenden Serben, unter Einbezug der Bundesorgane der jugoslawischen Föderation geführt wurde. 480 Ramet (1992). 481 Malcolm (2002), 203. 482 Bieber (2005), 65. 483 „Für eine richtige Entwicklung der zwischennationalen Beziehungen ist die Schaffung der Bedingungen für wirtschaftliche Gleichberechtigung von wesentlicher Bedeutung“ (Tito (1976), 397). Vgl. „Die materielle Grundlage der Gleichberechtigung“ (Savez Komunista Jugoslavije (1977), 220). Vgl. Ramet (1992), 251. 484 Vgl. Höpken (1998), 192, 204.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 155
ERINNERUNGSPOLITIK UND KONFLIKTBEWÄLTIGUNG IM SOZIALISTISCHEN JUGOSLAWIEN
Zur Bildung der Übergangsregierung im Frühjahr 1945 hatten die jugoslawischen Kommunisten bereits eine schwere Hypothek aufgenommen. Der Krieg gegen die deutschen Besatzer und ihre Unterstützer in der Region war auch ein interethnischer Krieg gewesen, in dem die Partisanen Titos den Četniks Draža Mihailovićs und den kroatischen Ustaša Ante Pavelićs gegenüberstanden. Dieser äußerst blutige Machtkampf hatte bereits während des Zweiten Weltkrieges begonnen. Ein Vorteil der Partisanen darin war, dass die kommunistische Ideologie das Motiv der ethnischen Feindschaft durch den Klassenkampf substituierte. Unter dem Banner des „Volksbefreiungskampfes“ (Narodnooslobodilačka borba) konnten sich somit Albaner, Serben, Kroaten, Montenegriner, bosnische Muslime, Slowenen, Makedonier sowie die Ungarn der Vojvodina gegen einen gemeinsamen Feind verbinden. Bereits während des Krieges zeichnete sich ab, dass die Partisanen siegreich aus dem innerjugoslawischen Machtkampf hervorgehen würden.485 Um ihre Macht zu konsolidieren, gingen die Kommunisten auch nach dem Krieg mit aller Härte gegen ihre tatsächlichen und vermeintlichen politischen Gegner vor. Die Maßnahmen betrafen jedoch nicht allein die Religionsgemeinschaften. Bis heute wird etwa das sogenannte Bleiburg-Massaker in den ehemaligen jugoslawischen Republiken kontrovers diskutiert. Mit dem Begriff wird die Ermordung von Angehörigen der slowenischen Heimatwehr (Slovensko domobranstvo), kroatischen Ustaša-Einheiten, serbischen Četnik-Verbänden und deutschen Wehrmachtsangehörigen nahe der österreichischen Gemeinde Bleiburg im Frühjahr 1945 bezeichnet. Die Angaben zu den Zahlen der Opfer sind kontrovers,
485 Drei Daten wird dabei entscheidende Bedeutung zugemessen: In der Schlacht am Fluss Sutjeska im Südosten Bosniens im Frühjahr 1943, in der Nähe der Stadt Foča, gelang es den deutschen Truppen und ihren kroatischen Verbündeten nicht, die Streitkräfte der Partisanen zu zerschlagen und Tito gefangen zu nehmen – hierin wird der militärische Wendepunkt zugunsten der Partisanen gesehen. In der zweiten Sitzung des Antifaschistischen Rats der Volksbefreiung Jugoslawiens (Antifašističko vijeće narodnog oslobođenja Jugoslavije, AVNOJ) am 29. November 1943 wurde die formale Struktur des sozialistischen Jugoslawien als Föderation gleichberechtigter Republiken beschlossen. Am 16. Juni 1944 erkannte der amtierende Premierminister der jugoslawischen Exilregierung Ivan Šubašić bei einem Treffen mit Josip Broz Tito auf der Adria-Insel Viš diesen als Verhandlungspartner der Exilregierung in Jugoslawien an. Draža Mihailović, Titos Rivale im Kampf um die politische Macht, geriet damit endgültig ins Abseits, Vgl. Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 57 ff.; Boeckh (2009), 132 ff.; Goldstein, Slavko (2007), 178 ff.
156 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
sie reichen von 60.000 bis 250.000.486 Neben diesen Kriegsverbrechen kam es auch zu außergerichtlichen Prozessen und geheimen Morden. Gefürchtet war der neu gegründete jugoslawische Geheimdienst, die Abteilung für Volksschutz (Organ Zaštite Naroda, OZNA). Das ohnehin konfliktreiche Verhältnis der einzelnen Ethnien der jugoslawischen Gesellschaft wurde durch das brutale Vorgehen und die Verbrechen der Kommunisten zusätzlich belastet. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der neuen jugoslawischen Regierung nicht an einem differenzierten Diskurs zur Aufarbeitung der historischen Konflikte gelegen sein konnte. Das Risiko der eigenen Entzauberung war zu groß. Außerdem konnten separatistische und unitaristische Nationalisten die Gräueltaten vergangener Kriege und die eigene Opferrolle ebenso instrumentalisieren wie alle übrigen Systemgegner.487 An die Stelle einer kritischen Geschichtsschreibung traten so der von staatlicher Seite forcierte Partisanenmythos und die Legende vom Volksbefreiungskampf als neue Meistererzählungen. Die offizielle Parole der Kommunistischen Partei Jugoslawiens für diese Geschichtsklitterung lautete „Brüderlichkeit und Einheit“ („Bratstvo i Jedinstvo“), nach Wolf-Dietrich Behschnitt die „kalkulierte ideologisch-politische Reaktion auf ein zentrales Problem: das Trauma des Bürgerkrieges“488.
ÖKONOMISCHE KRISE
Grundsätzlich lässt sich die Wirtschaftsgeschichte Jugoslawiens in drei größere Abschnitte unterteilen.489 In den ersten Jahren nach dem Krieg steuerte das Regime die Entwicklung in einem zentralisierten Prozess. Vordringliche Ziele waren die Wiederaufnahme der Produktion, die Überwindung der Rückständigkeit sowie die generelle Verbesserung der katastrophalen Nachkriegssituation im beinahe vollständig zerstörten Jugoslawien. Im Juni 1950 wurde im Zuge der beginnenden politischen Föderalisierung des Landes das Konzept der Selbstverwaltungswirt486 Vgl. Melčić (2007), 198; Boeckh (2009), 139; Malcolm (2002), 193. 487 Kuljić (2012), 90; Terzić (2007), 111; Melčić (2007), 199; Boeckh (2009), 137; 2004 notierte die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulić im Zuge ihrer Beobachtungen der Kriegsverbrecherprozesse im niederländischen Den Haag: „My generation grew up never learning history – history as we knew it was a lie, a deceit“ (Drakulić (2004), 13); Malcolm merkte dazu an, dass Josip Broz Tito Macht wichtiger gewesen sei als Aussöhnung (Malcolm (2002), 193). 488 Behschnitt (1976), 2. 489 Für die folgende Darstellung orientiere ich mich an Ramet (1992), Lohoff (1996), Steindorff (2007), Schmitt (2008) und Sundhaussen, Jugoslawien… (2014).
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 157
schaft eingeführt. Damit sollte eine bedarfsgerechte Wirtschaft gefördert und Jugoslawien international konkurrenzfähig gemacht werden. Unter anderem die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der Regionen sollte Nationalismen auf Basis ökonomischer Argumente die Grundlage entziehen. Mit den Wirtschaftsreformen von 1965 wiederum wurde der Weg für eine sozialistische Marktwirtschaft bereitet. Diese Transformation von einer zentral gesteuerten Wirtschaft nach dem Vorbild der Sowjetunion zur sozialistischen Marktwirtschaft bildet in der in der einschlägigen Literatur einen wichtigen Teil des sogenannten „jugoslawischen Sonderwegs“490. Nach anfänglichen Erfolgen bei der Föderalisierung der Wirtschaft und einer erheblichen Steigerung der Lebensstandards in den 60er Jahren – den sogenannten „goldenen Jahren“491 –, setzte im darauffolgenden Jahrzehnt eine wirtschaftliche Krise ein, die durch Anleihen bei der Weltbank und Kredite aus dem westlichen Ausland zwar verlangsamt, damit jedoch auch verschleppt wurde. Sie spitzte sich in den 80er Jahren dramatisch zu und befeuerte den Nationalismus in den Republiken. Im Jahr 1979 hatte sich die wirtschaftliche Lage Jugoslawiens derart verschlechtert, dass sie in zunehmendem Maße Gegenstand öffentlicher Debatten wurde und die Legitimation des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens zu untergraben drohte.492 Der Konflikt zwischen Föderalisten und Zentralisten im BdKJ eskalierte. Der Streit in Partei und Regierung spiegelte sich auf der Ebene der Föderation wider. Die reicheren Republiken im Norden – Kroatien und Slowenien – drängten auf mehr Selbstbestimmung, die ärmeren Republiken im Süden und die Autonome Provinz Kosovo schlugen sich auf die Seite der Zentralisten, wenn es um die Verteilung von Mitteln ging, argumentierten jedoch föderalistisch, wenn sie Rechte einforderten. 1981 betrugen die Auslandsschulden Jugoslawiens 21 Milliarden Dollar, die Inlandsverschuldung lag mit 26 Milliarden Dollar noch darüber. Im Jahr 1988 lag die Inflationsrate bei 251 Prozent493; im August 1989 war sie auf knapp 894494; einen Monat später auf 1000 Prozent495 angestiegen. Dem im März 1989 zum Ministerpräsidenten gewählten Kroaten Ante Marković gelang es zwar, durch drastische Maßnahmen die Inflation zu stoppen und einen Währungsschnitt vorzunehmen, 490 Vgl. Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 47, 166. 491 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 141. 492 Ramet (1992), 214. 493 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 215, 216, 225. 494 Ramet (1992), 175. 495 Lohoff (1996), 125.
158 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
indem er den Dinar an die Deutsche Mark koppelte. Infolge dieser Maßnahmen kam es jedoch zu einer Massenpleite von jugoslawischen Unternehmen – 2.760 mit insgesamt mehr als einer Million Mitarbeitern waren davon betroffen. Marković scheiterte mit seinen Reformen letztlich am Widerstand aus Serbien und der Vojvodina.496
NATIONALISMUS UNTER KROATEN NACH 1945
Unbewältigte Konflikte, die Stoff für nationalistische Argumentationen lieferten, existierten im sozialistischen Jugoslawien einige.497 Bis Anfang der 1970er Jahre fand die nationalistische Rhetorik jedoch kein nennenswertes öffentliches Echo. Von besonderer Bedeutung für den kroatischen Nationalismus der Nachkriegszeit ist die katholische Kirche gewesen. Die Verbindung von Nation und Kirche hatte sich bereits unter der serbischen Dominanz im Königreich Jugoslawien gefestigt. Spätestens seit dieser Zeit inszenierte sich die Kirche verstärkt als Anwalt des kroatischen Volkes. Nach 1945 konnte sie an diese Rolle anknüpfen, unter anderem indem sie mit ihrer anti-kommunistischen Haltung ein Identifikationsangebot für die politische Dissidenz bereitstellte. Der Terror der Kommunisten gegen echte und vermeintliche Regimegegner verstärkte das Band zwischen Kroaten und „ihrer“ Kirche als alternatives Machtzentrum. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte das spannungsgeladene Verhältnis zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften im sogenannten „Kroatischen Frühling“498. In der von 1967 bis 1971 andauernden Protestbewegung wurden erstmals nach 1945 auch nationalistische Forderungen wieder öffentlich vorgebracht. Als politische Speerspitze trat die liberale Führung der kommunistischen Partei in Kroatien auf. Deren Kritik richtete sich hauptsächlich gegen die Zentralregierung in Belgrad, der sie Bevormundung, die Ausplünderung kroatischer Ressourcen und Unterdrückung der kroatischen Nationalkultur vorhielt – verbunden mit dem mehr oder weniger direkten Vorwurf, serbische Eliten würden ihre Herrschaft 496 Ramet (1992), 175; Lohoff (1996), 122–127, 144; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 226 f. 497 Ramet hat 32 solche Konflikte ausgemacht (Ramet (1992)). 498 Unter dieser Bezeichnung sind in der Forschung im westlichen Europa eine Reihe verschiedener Ereignisse in Kroatien in den Jahren 1967 bis 1971 in Anlehnung etwa an den „Prager Frühling“ im Jahr 1968 im Nachhinein zusammengefasst worden. Die in der Region übliche Bezeichnung geht auf die Anführer der Proteste zurück und lautet masovni pokrekt (maspok, dt. Massenbewegung), vgl. Steindorff (1997), 203; Stefanov (2011), 210; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 191.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 159
über Jugoslawien auf Kosten der Kroaten ausbauen. Das ursprüngliche Ziel des Protestes war nicht eine Auflösung, sondern vielmehr die Korrektur des bestehenden politischen Systems, worin der „Kroatische Frühling“ den etwa zeitgleichen Protesten von Studierenden und Intellektuellen in Belgrad prinzipiell ähnlich war. Darin unterschieden sie sich von den Studentenbewegungen im westlichen Europa der 1960er Jahre, die gleichwohl die Entwicklungen im sozialistischen Jugoslawien beeinflusst hatten.499 Die Forderungen im Zuge des „Kroatischen Frühlings“ trugen die Züge eines kulturellen Nationalismus. So war eines der auslösenden Elemente der sogenannte „Sprachenstreit“ gewesen. In einer Erklärung zu Namen und Stellung der kroatischen Schriftsprache (Deklaracija o nazivu i položaju hrvatskog književnog jezika) forderten 19 Organisationen aus dem Kultur- und Wissenschaftsbetrieb Kroatiens sowie 130 Intellektuelle im März 1967 einen neuen Status der kroatischen Sprache und erklärten damit das Abkommen von Novi Sad (Novosadski dogovor) aus dem Jahr 1954, in dem unter anderem die Erarbeitung eines gemeinsamen jugoslawischen Wörterbuchs zur serbokroatischen bzw. kroatoserbischen Sprache vereinbart worden war, ihrerseits für nicht mehr verbindlich und beendeten die Mitarbeit an Letzterem.500 Die Forderungen, die Politiker des BdKJ Kroatiens gegenüber der Zentralregierung in Belgrad vorbrachten, betrafen vor allem die „Stärkung“ kroatischer Interessen „in Kultur, Wirtschaft und Politik“501. Die kulturelle Elite der Republik mit ihrem Sprachrohr, der kroatischen Kulturorganisation Matica Hrvatska502, ging jedoch wesentlicher weiter. Sie verlangte die Einführung einer eigenen kroatischen Währung, die Verlegung des Hauptquartiers der Seestreitkräfte nach Split, eine eigene Bank für Kroatien, die Erklärung des kroatischen Parlaments zur höchsten Instanz und die Einführung eigener Briefmarken.503 Die Eingliederung von Teilen Bosnien und Herzegovinas in das Territorium Kroatiens war eine weitere – extreme – Forderung.504 499 Steindorff (1997), 206, 210. 500 Behschnitt (1976), 4; Ramet (1992), 102; Steindorff (1997) 206 ff.; Bieber (2005), 58; Meier (2007), 202; Terzić (2007), 74; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 191. 501 Steindorff (1997), 206. 502 Das Femininum Matica bedeutet im Deutschen „Bienenmutter“, aber auch „Zentrale“. Für das Kompositum „Matica Hrvatska“ gibt es keine wortwörtliche Übertragung. Angemessen etwa ist „Stammmutter Kroatien“. Der Name spielt auf die Sammlung aller als originär kroatisch behaupteter Kultur in dieser Organisation an. 503 Ramet (1992), 127. 504 Ramet (1992), 125; Steindorff (1997), 207.
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Auf die Straße trugen den Protest maßgeblich kroatische Studierende.505 Artikuliert und verbreitet wurden die Positionen und Ziele der Akteure in Erklärungen der kroatischen Parteiführung, den Publikationen der Matica Hrvatska, etwa dem Wochenblatt Hrvatski tjednik506, sowie verschiedenen kroatischen Tages- und Literaturzeitungen und Magazinen, etwa dem Hrvatski književni list, dem Studentski list, dem Omladinski tjednik oder dem Vjesnik.507 Die katholische Kirche Kroatiens unterstütze die Protestbewegung maßgeblich. Gegen die empfundene Bevormundung aus Belgrad etablierte sie sich im Zuge des „Kroatischen Frühlings“ als „einzig verfügbare Institution, kroatische nationale Interessen zu verteidigen“, als das Medium des kroatischen Nationalismus schlechthin.508 Nach dem zum Teil mit Zugeständnissen erkauften, zum Teil mit Gewalt erzwungenen Ende der Proteste Anfang der 1970er Jahre schien der kroatische Nationalismus zunächst von der Straße verbannt. Nach einer kurzen Ruhephase drängte er in den 80er Jahren jedoch wieder verstärkt an die Öffentlichkeit. Die Argumente waren dieselben – sie zielten vor allem auf eine größere Unabhängigkeit Kroatiens. Im Mai 1980 war mit Josip Broz Tito, der die jugoslawische Föderation seit 1945 ununterbrochen als Präsident geführt hatte, die wichtigste Integrationsfigur der jugoslawischen Idee gestorben. Die schlechte wirtschaftliche Lage bestärkte die kroatischen Nationalisten weiter. Auch auf serbischer Seite war ein Zuwachs nationalistischer Strömungen zu verzeichnen. Sie griffen auf die in Bosnien und Kroatien siedelnden orthodoxen Christen über, die sich selbst als Serben verstanden. Die Lage in der autonomen Provinz Kosovo hatte sich drastisch verschlechtert. Der dort seit Jahrzehnten schwelende Konflikt zwischen Serben und Albanern eskalierte 1981 erstmals in Aufständen mit mehreren hundert Toten. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise hatte sich der Verteilungskampf innerhalb Jugoslawiens verschärft. Mit der Konzentration auf die eigene Nation bzw. Volksgruppe trat der föderalistische Gedanke zurück. Die Brüche und Streitigkeiten innerhalb des Bundes der Kommunisten über die prekäre gesellschaftliche Situation wurden immer offensichtlicher. Die Macht der Partei verfiel. Vor dem Hintergrund der sich stetig zuspitzenden Krise und mit dem Ziel der Unabhängigkeit Kroatiens gelang es Anfang der 1990er Jahre dem ehemaligen Partisanen und späteren Dissidenten Franjo Tuđman (1922–1999) die nationalistischen Kräfte des Landes, die Kirche und die einflussreiche kroatische Diaspora im 505 Ramet (1992), 99 ff; Steindorff (1997); Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 190. 506 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 193. 507 Ramet (1992), 106, 108; Steindorff (1997), 203. 508 Ramet (1992), Zitat: 202, 204; Buchenau (2006), 81, 123.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 161
westlichen Europa und Übersee inbegriffen in einem Zweckbündnis zu vereinen und sich als Vertreter ihrer Interessen an die Spitze der kroatischen Gesellschaft zu stellen.509
NATIONALISMUS UNTER BOSNISCHEN MUSLIMEN NACH 1945
Ein ausgeprägter Nationalismus – vergleichbar dem im benachbarten Serbien oder Kroatien – war unter den Muslimen Bosnien-Herzegovinas bis zum Ausbruch des Krieges 1992 kein Thema. Wohl aber hatte deren nationales Bewusstsein seit den 1960er Jahren stetig zugenommen. Erstmals mit dem Zensus 1961 konnten sich die Muslime der Teilrepublik als „Muslime im ethnischen Sinn“ erklären. Bis dahin standen sie unter „nicht unerhebliche[m] Anpassungsdruck“, denn in früheren Volkszählungen durften sie lediglich zwischen serbischer oder kroatischer Nationalität wählen oder „national unbestimmt“ angeben. Die überwiegende Mehrheit der bosnischen Muslime machte von Letzterem Gebrauch. Höpken hat daraus geschlossen, dass die bosnischen Muslime in ihrer Selbstwahrnehmung und Identität zwar ein „geschlossenes und von Serben beziehungsweise Kroaten getrenntes Kollektiv“ darstellten sowie ein „Abgrenzungsbewusstsein“ gegenüber diesen Nachbarn existierte. Der Anspruch auf eine eigene Nationalität wurde jedoch erst in den 60er Jahren und dann für lange Zeit lediglich innerhalb der muslimischen Eliten der Republik – unter Politikern und Historikern – formuliert.510 1968 wurde den Bosniaken (Bošnjaci)511 der Status einer Nation zuerkannt; im Zensus von 1971 konnte sie sich auch als „Muslime im Sinne einer Nation“ erklären. Die Aufwertung des Status bedeutete neben dem Zugewinn an Selbstbewusstsein auch verbesserten Zugang zu Ämtern und Ressourcen.512 Ähnlich wie bei den Albanern Kosovos beförderte auch der aggressive Nationalismus unter den benachbarten Serben und Kroaten, vor allem die in diesem Zusammenhang gelegentlich mehr oder weniger unverhohlen vorgetragene Absicht, Teile Bosniens dem eigenen Territorium einzuverleiben, eine nationale Emanzi-
509 Buchenau (2006), 158. 510 Höpken (1989), 194, 196, 197; vgl. Behschnitt (1976), 5. 511 Seit den 1960er Jahren konsequent für die Muslime Bosnien und Herzegovinas im Unterschied zu Bosanci für alle Einwohner der Republik ohne Rücksicht auf deren ethnische oder religiöse Identität (Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 123). 512 Höpken (1989), 199, 200; Ramet (1992), 179; Steindorff (2007), 196.
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pation der bosnischen Muslime.513 Die Entstehung einer eigenen intellektuellen Schicht und kulturellen Institutionen sowie der Islamischen Theologischen Fakultät in Sarajevo (1977) trug ein Übriges bei. Dennoch ist ein dem kroatischen und serbischen Nationalismus äquivalenter Nationalismus auch mit dem Ausbruch des Krieges in Bosnien und Herzegovina im Frühjahr 1992 nicht entstanden – wiewohl die Abgrenzungstendenzen seitdem zugenommen sowie Teile des Kollektivs der Muslime sich radikalisiert haben.
NATIONALISMUS UNTER DEN ALBANERN KOSOVOS NACH 1945
Der Nationalismus der Albaner Kosovos nach 1945 war, wie schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zu großen Teilen eine Reaktion auf den als bedrohlich empfundenen der Serben und die tatsächlich erfolgten Repressionen von deren Seite – auch wenn er sich nicht ausschließlich daraus erklären lässt.514 Im Zweiten Weltkrieg hatten albanische Nationalisten deutsche Truppen unterstützt – wohl auch aus der Hoffnung heraus, auf diese Weise von der serbischen Vorherrschaft in Kosovo befreit zu werden, die seit der Eroberung der Region in den Balkankriegen 1912/13, endgültig jedoch seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, bestand. Noch im Frühjahr 1945 leisteten nationalistische albanische Verbände515 den Kommunisten bewaffneten Widerstand. Die Kollaboration mit den deutschen Truppen diente als Rechtfertigung massiver Repressionen gegen die albanische Bevölkerung in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Ende des Krieges unter dem serbischen Innenminister und Geheimdienstchef Aleksandar Ranković. Unter dessen Führung terrorisierten serbische Sicherheitsorgane in dem im September 1945 als Teil der Republik Serbien gegründeten Autonomen Gebiet Kosovo-Metohija516 die albanische Bevölkerung systematisch. Ranković, „der als Repräsentant von Zentralismus, Bürokratismus und einer unter dem Mantel des 513 Ramet (1992), 186; die Kausalität, nach der ein aggressiver Nationalismus ähnliche Phänomene auf Seiten des Gegenübers zumindest begünstigt, gilt für die europäische Geschichte generell. Sie lässt sich am Beispiel der politischen Gebilde auf der Balkanhalbinsel gut beschreiben. 514 Die folgenden Ausführungen zum Nationalismus der Albaner Kosovos sind angelehnt an die Darstellungen bei: Ramet (1992); Lohoff (1996); Malcolm (1998); Bakić-Hayden (2005); Maliqi (2007); Steindorff (2007); Schmitt (2008). 515 Die Ballisten, Nationale Front (Alb.: Balli Kombëtar). 516 Autonomna Kosovsko-Metohijska Oblast, AKMO, in der Verfassung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien (Art. 2) von 1946; auch als Autonome Region (Autonomna Regija) bezeichnet; Autonomna Pokrajina Kosovo i Metohija (Autonome Provinz Kosovo
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 163
offiziellen Jugoslawismus betriebenen großserbischen Politik“517 galt, ließ albanische Haushalte in großangelegten Razzien auf Waffen durchsuchen, Verhaftungen vornehmen, beauftragte Morde, ließ foltern und schüchterte albanische Intellektuelle und Politiker in manipulierten Gerichtsprozessen ein.518 Auch im öffentlichen Leben und im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Stellung wurden die Albaner Kosovos systematisch benachteiligt. In der administrativen und politischen Führung Kosovos hatten Serben und Montenegriner im Jahr 1953 mit 69 Prozent die Oberhand. In der Partei, den staatlichen Sicherheitsorganen (Polizei und Geheimdienst) stellten Serben und Montenegriner ebenfalls die Mehrheit, obwohl sie hinsichtlich der Gesamtbevölkerung Kosovos in der Minderheit waren.519 Bereits die offizielle Bezeichnung „Kosovo und Metohija“ (Kosovo i Metohija) für die Autonome Region wurde von vielen dort lebenden Albanern, insbesondere den Nationalisten unter ihnen, als Provokation empfunden. Das vom griechischen metochion (μετόχιον, dt. Klostergut) abgeleitete Metohija gemahnte an den serbischen Anspruch auf Kosovo, der mit dem mittelalterlichen Königreich der Nemanjiden begründet wurde und durch die orthodoxen Kirchen und Klöster der Region „bewiesen“ werden sollte. Die aggressive Kosovo-Politik des „Albanerfressers“520 Ranković, die systematische Benachteiligung und der unterschwellig präsente Anspruch der Serben auf Kosovo führten zu einer Ausweitung des Kollektivbewusstseins der Albaner und vertieften die Abgrenzung zu den Serben. Im Zuge der Föderalisierung Jugoslawiens und den Reformen der 60er Jahre sowie der Entlassung Rankovićs 1966 änderte sich diese Situation zunächst grundlegend. Für die Albaner Kosovos ergaben sich nunmehr deutliche Verbesserungen, die sich nachhaltig auf ihr Selbstbewusstsein auswirkten. Die Zahl der im Bildungswesen und im Staatsdienst beschäftigten Albaner erhöhte sich. In den Jahren von 1969 bis 1971 erfolgte die Gründung der Universität in Prishtina aus verschiedenen, seit dem Beginn der 60er Jahre dort existierenden Fakultäten. 1970 wurde ein Kooperationsvertrag zwischen den Universitäten in Prishtina und in Tirana ausgefertigt. Bis Mitte der 70er Jahre unterrichteten etwa 200 Lehrer aus Albanien in Prishtina. Den politischen Höhepunkt des Prozesses bildete die neue Verfassung (ustav) von 1974, mit der Kosovo den
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und Metohija) in der Verfassung von 1963 (Art. 111); volle Autonomierechte jedoch erst mit der Verfassung von 1974. Behschnitt (1976), 3. Ramet (1992), 89 ff.; Maliqi (2007), 127. Malcolm (1998), 314, 321, 323; Schmitt (2008), 229, 243. Lohoff (1996), 94.
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übrigen jugoslawischen Republiken in vieler Hinsicht gleichgestellt wurde. 1975 folgte die Gründung einer eigenen Akademie der Wissenschaften und Künste nach dem Vorbild der Akademien in Serbien und Kroatien. Der ethnische Proporz in der Partei und den Sicherheitskräften veränderte sich ebenfalls zu Gunsten der Albaner. Der Zusatz Metohija wurde aus der Bezeichnung der Provinz gestrichen, die fortan nur noch Kosovo lautete.521 Die Entstehung einer neuen kosovo-albanischen Schicht von Intellektuellen und damit die Zunahme des nationalen Selbstbewusstseins, der Einfluss nationalistischer Gelehrter aus Albanien sowie die kollektive Erinnerung an die Repressionen der Ära Ranković sorgten vor dem Hintergrund der prekären wirtschaftlichen Situation in der Region für die weitere Profilierung eines albanischen Nationalismus, dessen Zentren vor allem die Universität in Prishtina, das Albanologische Institut und die Akademie der Wissenschaften bildeten. Auch hier waren es hybride Institutionen, die den Austausch nationalistischer Ideen zwischen Intellektuellen, Kulturschaffenden und der Politik gewährleisteten. Darüber hinaus wurde in den 70er Jahren, ähnlich wie in Kroatien, der Nationalismus innerhalb der albanischen Diaspora in Westeuropa zunehmend bedeutender für die politische Orientierung der Albaner in Kosovo. Dort und in den intellektuellen Zirkeln entstand eine nationalistisch gesinnte albanische Elite, die fortan den Gang der Dinge in Kosovo entscheidend mitbestimmen sollte: „Seit 1974 übernahmen die Albaner die Schaltstellen der Macht und begannen nach der Logik der interethnischen Auseinandersetzungen ihrerseits, die Serben zu bedrängen.“522 Die politischen und zivilgesellschaftlichen Errungenschaften der Albaner wurden bereits damals von den Nationalisten Serbiens zum „Verlust“ Kosovos umgedeutet. Der serbische Schriftsteller und spätere Präsident (1992–92) der jugoslawischen Föderation Dobrica Ćosić, der sich in 70er und 80er Jahren als intellektuelle Führungsfigur des serbischen Nationalismus gerierte, sprach schon 1968 offen von der albanischen Bedrohung in Kosovo – und wurde deswegen 1969 aus dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens ausgeschlossen.523 Das gespannte Verhältnis zwischen Serben und Albanern wurde nach dem Tod Titos zur offenen Krise, in der es immer öfter zu Gewalttaten von beiden Seiten kam. Den sich häufenden Klagen auf Seiten der Serben über eingebildete und tatsächliche Repressionen durch Albaner schlossen sich Forderungen nach 521 Malcolm (1998), 326; Maliqi (2007), 128; Schmitt (2008), 233, 239, 244; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 186 ff. 522 Schmitt (2008), 233; vgl. Bakić-Hayden (2005), 141. 523 Malcolm (1998), 329; Schmitt (2008), 231.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 165
einer Re-Serbisierung Kosovos an. Gleichzeitig nahmen die Proteste der albanischen Bevölkerung Kosovos, insbesondere der Studierenden, gegen die schlechten Lebensbedingungen zu, die nicht zuletzt auf die sich verschärfende ökonomische Krise in Jugoslawien zurückzuführen waren. 1981 kam es, ausgehend von der Universität in Prishtina, zu Protesten in mehreren Städten Kosovos, darunter Gjakova524 im Westen, nahe der Grenze zu Albanien und in Suva Reka, nördlich von Prizren. Im Zuge des Aufruhrs wurde der Republikstatus für Kosovo gefordert.525 Die Demonstrationen mündeten in blutige Zusammenstöße mit der Polizei, die bis zu 1.000 albanischen Demonstranten das Leben gekostet haben sollen.526 Ereignisse wie dieses sollten sich in den folgenden Jahren wiederholen und an Intensität zunehmen. Gegen Ende der 80er Jahre glitt Kosovo endgültig in den Ausnahmezustand ab.
NATIONALISMUS UNTER SERBEN NACH 1945
Der serbische Nationalismus entwickelte sich – trotz verschiedener Bezugnahmen – auch nach 1945 nicht grundsätzlich anders als sein kroatisches Pendant. Ebenso wie dieser konnte er in den Zirkeln seiner gelehrten Ideengeber in hybriden Institutionen kulturell und religiös sublimiert überdauern, bevor er in den 1980er Jahren erneut politisch konsensfähig und zum Massenphänomen wurde. Ein Grundmotiv war (und ist) der serbische Opfermythos, der das historische Leiden der Serben, vor allem die im Ersten und Zweiten Weltkrieg erlittenen Kriegsverbrechen, ebenso umfasst wie den kommunistischen Terror und die behauptete generelle (ökonomische) Benachteiligung im sozialistischen Jugoslawien. Aus den tatsächlichen und imaginierten Übergriffen gegen Serben in Kosovo, Kroatien und Bosnien-Herzegovina wurde die Notwendigkeit einer wirksamen serbischen Schutzmacht abgeleitet. Die Beschwörung der historischen Opferrolle reicht bis zur berühmten sogenannten „Schlacht auf dem Amselfeld“ im Jahr 1389 zurück. Der serbische Irredentismus, das heißt die angestrebte Vereinigung aller serbisch besiedelten Regionen in einem Staat war eine bedeutende Spielart des Nationalismus. Bereits im Zuge des „Kroatischen Frühlings“ forderten Serben 1971 die Schaffung einer serbischen Autonomen Provinz auf kroatischem Territorium, 524 Serb.: Đakovica 525 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 237 f. 526 Ramet (1992), 196; Malcolm (1998), 334; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 238.
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die Einrichtung serbischer Schulen und mitunter sogar die Abspaltung von Siedlungsgebieten und deren Eingliederung in die Republik Serbien. Unterstützt wurden diese Forderungen von der Serbischen Orthodoxen Kirche.527 Ende der 1980er Jahre griff der Konflikt auf die gemischt besiedelten Gebiete Bosnien und Herzegovinas über. In Kosovo war die Rede vom „Genozid“ an der serbischen Bevölkerung und einer „Albanisierung“ der Region. Ein weiteres Element stellte ein behaupteter serbischer Sendungsauftrag dar – das heißt der Anspruch auf eine Führungsrolle in der Region, der eine Selbstidentifikation als christliche Schutzmacht (im Sinne des Antemurale-Mythos) umfasst, sowie ein stark ausgeprägtes anti-islamisches Ressentiment. Unter den jugoslawischen Kommunisten sanktionsbewehrt, wurden nationalistische Positionen mit dem Verfall des Regimes wieder konsensfähig. Besonders auffällig am serbischen wie am kroatischen Nationalismus gleichermaßen ist deren irrationales Moment. Auffällig viele Schriftsteller, Philosophen, Künstler und Theologen verklärten einen aggressiven Nationalismus in ihren Arbeiten und sorgten somit für Akzeptanz in der Gesellschaft.528
KOSOVO IM ZENTRUM NATIONALISTISCHER MOBILISIERUNG
Die Krise in Kosovo und der Konflikt zwischen ethnischen Albanern und Serben muss als eines der zentralen Momente für das Auseinanderbrechen der jugoslawischen Föderation und den Ausbruch der Postjugoslawischen Kriege 1991 angesehen werden. Aus der zweifellos prekären gesellschaftlichen Situation in der autonomen Provinz gewann der serbische Nationalismus sein Mobilisierungspotential. Die Beschwörung historischer Mythen bot einen (vermeintlichen) Ausweg aus dem komplexen gesellschaftlichen Problem. Kosovo war als „Wiege des Serbentums“529 527 Ramet (1992), 105, 117. 528 Etwa der serbische Maler Milić Stanković (Milić od Mačve), der Regisseur Dragoslav Bokan, die Schriftsteller Dobrica Ćosić und Vuk Drašković, die Philosophen Mihailo Marković und Ljubomir Tadić, der Theologe und Historiker Dimitrije Bogdanović, jüngst auch der Regisseur Emir Kusturica; der Führer der bosnischen Serben Radovan Karadžić hatte einige Lyrikbände veröffentlicht; auf kroatischer Seite etwa der Historiker Dominik Mandić, der Sänger Ivan Tolj; Slobodan Praljak, der kroatische General, der die Zerstörung der Alten Brücke, der Stari Most in Mostar zu verantworten hatte, war im Zivilleben Regisseur. Zur Involvierung Kulturschaffender in den Nationalismus bei Kroaten und Serben: Terzić (2007); auch: Bieber (2005) und Stefanov (2011). 529 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 486; vgl. Bakić-Hayden (2005), 138.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 167
die Projektionsfläche für eine rückwärtsgewandte Utopie530. Die Flucht in eine imaginierte Geschichte wurde als Zukunftsvision gefeiert und geglaubt. Kulturelle Institutionen und die Serbische Orthodoxe Kirche, die im sozialistischen Jugoslawien einen Großteil ihres alten Prestiges verloren hatten, versuchten über das Kosovo-Thema verlorenes Terrain wieder gutzumachen. Dabei ging ihr intellektuelles und theologisches Profil in einem völkischen Nationalismus verloren, der sie letztlich ununterscheidbar werden ließ. Ihre Vertreter schwangen sich zu Propheten des Untergangs531 und Errettern (spasitelj) der Nation gleichermaßen auf. Der größte Teil der serbischen Gesellschaft fiel in den religiös-mythischen Chor der Nationalisten ein – oder zumindest auf ihn herein. Ein anderer Teil lauschte teilnahmslos. Die wenigen kritischen Stimmen wurden schnell zum Schweigen gebracht. Schließlich sind auch Aufstieg und Wandlung von Slobodan Milošević von einem kommunistischen Funktionär und Bürokraten zweiter Garnitur zur politischen Führungsfigur des serbischen Nationalismus nicht ohne die Krise in Kosovo erklärbar. Einen ersten Vorstoß in diese Richtung bildete bereits die „Warnung“ vor der albanischen Bedrohung in Kosovo durch Ćosić während einer Sitzung des Zentralkomitees des BdKJ im Frühjahr 1968.532 Der folgende Parteiausschluss hinderte ihn nicht daran, in seiner nationalistischen Rhetorik fortzufahren und sich als „wichtigste Figur der nationalistischen Intellektuellen in den letzten Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft“ zu profilieren.533 1977 wurde er in die Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) aufgenommen, die sich zunehmend zum Sammelbecken nationalistischer Intellektueller entwickelte.534 Im Zuge der von ethnischen Albanern getragenen Studentenproteste zu Beginn der 1980er Jahre in Kosovo kam es zu einer Serie von Brandanschlägen gegen serbische Einrichtungen, von denen 1981 auch das alte Patriarchat der Serbischen Orthodoxen Kirche (SPC) in Peć betroffen war, dessen Unterkunftsgebäude (konak) niederbrannte. Die Angriffe, die mehrheitlich nicht aufgeklärt werden konnten, wurden vor dem Hintergrund der Proteste interpretiert und Albanern zugeschrieben.535
530 531 532 533 534 535
Bogdanović, Bogdan (1997), 31. Vgl. Terzić (2007), 85. Marković (2005), 302; Terzić (2007), 79. Bieber (2005), 77. Vgl. Stefanov (2011). Zur Situation 1981 und 1982 in Kosovo: Ramet (1992), 197; Buchenau (2004), 377 f.; Bieber (2005), 106; Buchenau (2006), 161; Polónyi (2010), 163; Sundhaussen, Jugo
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In diesem Kontext veröffentlichte 1982 das Organ des Patriarchats der SPC, Pravoslavlje, einen von 21 serbischen Priestern und Mönchen unterzeichneten Appell zum Schutz der serbischen Bevölkerung und seiner Heiligtümer im Kosovo (Apel za zaštitu srpskog življa i njegovih svetinja na kosovu)536. Er wurde ebenfalls dem Präsidium der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, dem Präsidium und dem Parlament der Teilrepublik Serbien, dem Synod der Bischöfe der SPC sowie allen großen Belgrader Tageszeitungen übergeben. Der Text beschwört die historische Opferrolle der Serben, argumentiert den Anspruch auf Kosovo mit dem christlichen kulturellen Erbe der Region und formuliert ein deutliches antiislamisches bzw. anti-türkisches Ressentiment. Die Albaner werden als Erben der osmanischen Gewaltherrschaft dargestellt, die sich in ihnen fortsetzt. Die Autoren behaupten den drohenden, planvoll betrieben, „Genozid“ der Serben in Kosovo. Ihrem „Gewissen folgend“ erheben die „rechtgläubigen Priester und Mönche“ deswegen ihre Stimme für den „Schutz des geistigen und biologischen Wesens der serbischen Nation in Kosovo und Metohija“.537 Ihre besondere Kompetenz argumentieren die Verfasser mit der historischen Verbindung von Nation und Kirche. Letztere wird zur natürlichen Interessenvertretung der Serben erklärt. Mit dem Verweis auf die historische Verbundenheit soll auch die zumindest offiziell noch bestehende Deutungshoheit des Regimes ausgehebelt werden. Die Kirche sei das ewige „organische Gewebe in der Geschichte“ und das geistige Wesen der Nation „vor Kosovo, zur Zeit Kosovos und nach Kosovo bis zum heutigen Tage“. Als reine Repräsentation des Serbischen richteten sich die Angriffe gegen die Nation vor allem gegen die Kirche als „deren lebendiges Gewebe“538. Charakteristisch für die nationalistische Rhetorik ist die Verkürzung eines komplexen gesellschaftlichen Problems (Kosovo-Krise) auf eine seiner Dimensionen – die zudem äußerst subjektiv interpretiert wird. Alle weiteren Gesichtspunkte werden als unwesentlich abgetan. Das Bewusstsein für die Vielschichtigkeit des Konflikts wird als Inkompetenz gebrandmarkt. Das „echte Problem“ in Kosovo, der behauptete Genozid an slawien… (2014), 239; die Serbische Orthodoxe Kirche hatte seit 1945 angebliche Übergriffe von Albanern gegen Serben in Kosovo gesammelt (vgl. Jović (2007)). 536 Apel za zaštitu… (1982). 537 Apel za zaštitu… (1982), 1 ff. Die im Folgenden wiedergegebenen Passagen sind eigene Übersetzung des serbischen Textes; die deutsche Übersetzung, veröffentlicht in den Informationen aus der orthodoxen Kirche vom Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (1982), ist unvollständig und ungenau. 538 Hier gibt die SPC selbst eine (antizipierende) Erklärung für die Angriffe gegen Kirchen und Klöster in Kosovo seit 1999. Indem die Kirche mit der serbischen Nation – und demzufolge auch mit deren Nationalismus – identifiziert werden kann, werden ihre Objekte als Repräsentationen des serbischen Nationalismus angreifbar.
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den Serben, sei durch „zweitrangige oder eingebildete Probleme“ ersetzt worden. Dabei müssten die Dinge „bei ihrem wahren Namen genannt werden“ aus Achtung vor der eigenen Würde und dem Schicksal der Nation „unter Gottes Sonne“. Die Autoren versuchen ihren Vorstoß zu verharmlosen, indem sie mit dem Dichter Marko Miljanović539 „der albanischen Nation alles Gute“ wünschen. Doch hinter der vorgeblich wohlwollenden Haltung (die einen zynischen Grundton aufweist) sind die historischen Stereotype unverkennbar. Die Serben, heißt es, würden in einer „ethnischen Säuberung“ aus Kosovo vertrieben. Die Verantwortung dafür trügen die Albaner, die angeblich durch „offizielle Stellen“ unterstützt würden. Auf „den verlassenen serbischen Herdstätten, die oft mit Blut bespritzt sind“, siedelten sich „Emigranten aus Albanien“ an. Auf diese Weise, schreiben die Priester und Mönche, seien bereits einhunderttausend Serben seit 1945 vertrieben worden und noch einmal zweihunderttausend erwarte die Vertreibung. Dabei stehe das gegenwärtige Vorgehen der Albaner in der Tradition der „fünfhundertjährigen türkischen Sklaverei“. Als blutrünstige „Poturen“, als zum Islam bekehrte „Halbtürken“540, stellten die Albaner besonders perfide Feinde der christlichen Serben dar. Mit seinen historischen Kirchen und Klöstern sei Kosovo „Gedächtnis […] Herdstelle, der Mittelpunkt“ des serbischen Wesens. Die Bedeutung Kosovos könne von Nichtserben nicht nachvollzogen werden und sei mit rationalen Begriffen nicht zu erfassen: Es gibt keinen Serben, der nicht über Kosovo nachgedacht, geredet, geschrieben, getrauert hat und darüber auferstanden ist. Es ist nicht möglich die Bücher, Worte, Lieder, Werke, Trauer, Hoffnung und Freude über Kosovo aufzulisten. Deshalb gibt es für uns für etwas wie dieses keine Statistik.541
Kosovo sei das „Grab, in dem alles begraben ist“, und die „Auferstehung führt über das Grab. Die Auferstehung vollzieht sich nicht ohne den Tod. Die Frage Kosovos 539 Marko Miljanov Popović (1833–1901) kämpfte im Dienst des montenegrinischen Fürsten Danilo I. gegen das Osmanische Imperium. Als Dichter von epischen Volksliedern wurde er in der Bevölkerung der Balkanhalbinsel bekannt. (Jakoski (1975)). 540 Aus der Vorsilde po (halb) und turci (Türken) wurde das Nomen poturci (Halbtürken) gebildet. Vgl. Sundhaussen, Sarajevo… (2014), 72. 541 Apel za zaštitu… (1982), 2; die Anspielung auf die „Statistik“ verweist auf die demographische Struktur Kosovos, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer weiter zugunsten der ethnischen Albaner entwickelt hatte. 1981 lebten in Kosovo 77,4 Prozent Albaner und 14,9 Prozent Serben und Montenegriner. Vgl. Buchenau (2006), 165; Clark (2006), 97; Schmitt (2008), 229, 300; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 240.
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ist eine Frage der geistigen, kulturellen und historischen Identität der serbischen Nation“. Schließlich wird das Schicksal der Serben mit dem der Juden verglichen. Deren zwei Millennien währende Mühen um eine Heimstätte in Jerusalem finde sein Analogon im Kampf der serbischen Nation um Kosovo „[…] für das Gedächtnis ihrer Identität, für ihre sinnvolle Existenz an diesem Ort, seit 1389 bis zum heutigen Tag“. Der Appell der Priester und Mönche schließt jeden differenzierten Dialog über die Kosovo-Frage von vornherein aus. Die komplexe politische und gesellschaftliche Dimension des Problems wird abgestritten und durch einen einfachen Antagonismus aus Serben und Albanern ersetzt. Wichtig ist ebenfalls der Kontext, in dem der Text abgedruckt ist. Neben Bildern des alten Patriarchats der SPC in Peć, im Westen Kosovos, und dem Kloster Gračanica im Kosovo Polje steht ein Gedicht, das die Einheit der Serben und des serbischen Kulturerbes in Kosovo, Bosnien-Herzegovina und Kroatien beschwört542 sowie des Weiteren die Beschwerde des damaligen Bischofs der Diözese Raška-Prizren, des späteren Patriarchen Pavle, über die Angriffe auf serbische Kirchen und Klöster. Es soll keineswegs der Eindruck vermittelt werden, dass die Klagen des orthodoxen Klerus jeder realen Grundlage entbehrten und völlig frei erfunden waren. Wie weiter oben in Anlehnung an Oliver Jens Schmitt und Milica Bakić-Hayden ausgeführt, war das Macht- und Unterdrückungsverhältnis zwischen Serben und Albanern in Kosovo komplex und veränderte sich im Lauf der Geschichte. Während Letztere über einen historisch langen Zeitraum systematisch unterdrückt wurden, verkehrte sich die Situation gegen Ende der 1960er Jahre in der autonomen Provinz zunehmend. Systematisch und planmäßig aber erfolgten die Übergriffe 542 „Oh wie haben gestern mein Herz berührt / die Töchter serbischen Geschlechts / schön sind sie wie Palmen / wie ein Strahl der Sonne auf dem Berg Eleon / Die Heiligkeit deines Angesichts / nimmt den Tau der Trauer von meiner Brust / meiner düsteren / wunderbar sind sie wie meine kosovarische Schwester / auf den sonnenbeschienenen Felsen Istriens / ich sehne mich nach dir wie jeder Sohn der Serbenheit / Oh, wer könnte dich nicht lieben, Tempel, im Lied der Cherubim / in den Kerzen im Livaner Becken / Stiftung der Herrlichkeit, steinerne, Freiheit der Himmlischen / GRAČANICA – kosovarische Braut – / Werk des Geistes durch Tat und Liebe / Wesen der Serbenheit“. Der „Berg Eleon“ steht metonymisch für das orthodoxe Kloster St. Eleon auf dem Ölberg in Jerusalem. Neben der symbolischen Repräsentation der „Serbenheit“ durch das Kloster Gračanica südöstlich von Prishtina wird mit den „sonnenbeschienenen Felsen Istriens“ (gemeint sind die orthodoxen Kirchen etwa in Pula und Peroj) und den „Kerzen im Livaner Becken“ (Livansko Polje in Bosnien-Herzegovina) auf die territoriale Ausdehnung des Serbentums in Kroatien und Bosnien-Herzegovina angespielt. Wer sich in der Geschichte des serbischen Nationalismus auskennt, bemerkt die Anspielung wiederum auf Vuk Stefanović Karadžićs Srbi svi i svuda (Serben alle und überall), vgl. Brandt et al. (1991), 81.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 171
seitens der Albaner, wie zumindest die westliche Forschung einhellig festgestellt hat, zu keinem Zeitpunkt. Auch wird die Reduktion des Konflikts einzig auf die ethnische Dimension seiner Komplexität nicht gerecht. Eine weitere bedeutende Manifestation des serbischen Nationalismus mit Bezug zu Kosovo stellt das berüchtigte Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste dar. Es gilt als die bedeutendste Schrift im rhetorischen Programm des serbischen Nationalismus am Ende des vergangenen Jahrhunderts und als wichtige ideologische Grundlage für die kurz nach seiner Veröffentlichung ausbrechenden Postjugoslawischen Kriege.543 Keine ernsthafte Forschungsarbeit zum serbischen Nationalismus kommt ohne eine Besprechung desselbigen aus. Zu Recht hat jedoch Florian Bieber, ohne die Wichtigkeit des Dokuments in Frage zu stellen, darauf hingewiesen, dass es nur eine nationalistische Äußerung in einer Reihe von weiteren darstellt.544 Geschichte und politische Bedeutung der SANU, die lange Zeit eine der wichtigsten Adressen für serbische Intellektuelle war, hat Nenad Stefanov in einer umfangreichen Arbeit nachvollzogen.545 Die SANU war, ebenso wie die gelehrten Gesellschaften, aus denen sie hervorging546, zu keiner Zeit eine unabhängige Institution. Vielmehr war sie stets mehr oder weniger eng mit dem Herrschaftsdiskurs aller politischen Regime der Region verbunden, von ihm abhängig oder beides. Nach dem Versuch der Vereinnahmung der Akademie durch die pro-deutsche serbische Marionettenregierung unter Milan Nedić, den Säuberungen der Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg und einer vorübergehenden Aufwertung der nunmehr in Serbische Akademie der Wissenschaften547 umbenannten Institution wurde deren Bedeutung für die Wissenschaft in den Jahren nach 1954 zunehmend marginalisiert. In den 70er Jahren, nach den Protesten in Kroatien und Serbien, entwickelte sie sich zum Zufluchtsort
543 Matthias Rüb hat das Memorandum als den „Katechismus des serbischen Nationalismus“ bezeichnet (Rüb (2007), 329). 544 Bieber (2005), 156 f. 545 An dieser Stelle muss eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse genügen; vgl. Stefanović (2011). 546 Die Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (Srpska Akademija Nauka i Umetnosti) war 1949 durch eine Namensänderung aus der 1886 gegründeten Serbischen Königlichen Akademie (Srpska Kraljevska Akademija) hervorgegangen. Letztere wiederum war aus der Serbischen Gelehrten Gesellschaft (Srpsko učeno društvo, gegr. 1864) entstanden, die ihre Wurzeln in der Gesellschaft für Serbische Literatur (Društvo srpske slovesnosti, gegr. 1841) hatte. 547 Zu Beginn der 1960er Jahre um den Zusatz „und Künste (i Umetnosti)“ erweitert.
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kritischer Intellektueller wie des Praxis-Philosophen548 Mihailo Marković, des Historikers Vladimir Dedijer und Dobrica Ćosić. Unter dem Vorsitz des Naturwissenschaftlers Dušan Kanazir nahm die nationalistische Rhetorik innerhalb der SANU in den 70er und 80er Jahren zunehmend ausgeprägte Formen an, wobei die historische und die gesellschaftswissenschaftliche Klasse eine Schlüsselstellung innehatten. Ab dem Beginn der 80er Jahre entdeckten diese wiederum die Kosovo-Problematik für sich. Am 24. September 1986 erschien der Text des Memorandums zuerst in Auszügen, die der Belgrader Tageszeitung Večernje novosti anonym zugespielt wurden. An seiner Ausarbeitung beteiligt waren 16 Mitglieder der SANU – Geistes-, Wirtschafts- und Naturwissenschaftler –, unter denen sich auch etwa Marković befand. In voller Länge wurde das Dokument zuerst 1989 in der kroatischen Parteizeitung Naše teme abgedruckt.549 216 Personen des öffentlichen Lebens unterstützten die Aussagen des Memorandums, als dessen „intellektueller Vater“550 Ćosić gilt.551 Der Inhalt ist in zwei Hälften gegliedert, von denen die erste eine Kritik an den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in Jugoslawien darstellt, für die vor allem das Monopol und der Bürokratismus des BdKJ verantwortlich gemacht werden. Der zweite Teil thematisiert die Stellung der Serben in der jugoslawischen Föderation und das Verhältnis der Republik Serbien zu den übrigen Republiken. Hier erscheint das Memorandum als „paranoides Pamphlet zur Lage Serbiens und des serbischen Volkes“552. In der Diktion des Appells zum Schutz der serbischen Bevölkerung… werden die Unterdrückung der Serben vor allem in Kosovo, jedoch auch deren generelle und systematische Benachteiligung und wirtschaftliche Ausbeutung durch ihre Nachbarn in der Föderation beklagt. Mit seiner Mischung aus Gesellschafts- und Herrschaftskritik sowie Versatzstücken serbischer Opferrhetorik 548 Die sogenannte Praxis-Gruppe bestand in den 60er Jahren aus kroatischen, slowenischen und serbischen Intellektuellen und Universitätsprofessoren. Seit 1964 gaben sie die gleichnamige Zeitschrift Praxis heraus. Die Mitglieder der Praxis-Gruppe vertraten eine marxistische Philosophie und übten aus dieser Perspektive Kritik an der kommunistischen Partei Jugoslawiens sowie am Sozialismus jugoslawischen Zuschnitts, die auf Erneuerung des Sozialismus in Jugoslawien abzielte. 1975 wurde die Zeitschrift verboten (Bieber (2005), 9, 125 f.; Stefanov (2011), 125; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 164 f., 198). 549 Malcolm (1998), 340; Bieber (2005), 158, 160; Stefanov (2011), 259 ff.; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 250. 550 Bieber (2005), 160 551 Polónyi (2010), 174, 176. 552 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 251. Bei Rüb ist das „Memorandum, ein Konglomerat von weinerlicher Selbstbemitleidung, gepaart mit Aggressivität und Feindseligkeit gegenüber allen anderen Mitbewohnern Jugoslawiens“ (Rüb (2007), 330).
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erreichte das Memorandum bereits nach seinem auszugsweisen Erscheinen eine immense Popularität. SLOBODAN MILOšEVIĆ
Als Slobodan Milošević gegen Ende der 1980er Jahre die politische Bühne betrat, war der Nationalismus in der serbischen Gesellschaft als politischer Leitdiskurs bereits fest etabliert. Es bedurfte lediglich einer Führungsfigur, die bereit war, die scheinbar notwendigen Konsequenzen aus seinen Postulaten zu ziehen. Die oft beschriebene Wandlung von Milošević erscheint dabei nur nach einer oberflächlichen Lesart paradox. Der Funktionär Milošević musste sich tatsächlich nicht sonderlich verbiegen. Es genügte, wie der ungarische Schriftsteller, Lyriker und Essayist István Eörsi 1999 feststellte, dass ein „kommunistischer Führer […] vor den Augen der Welt die führende Regierungsideologie, den Zentralismus, mit neuem Inhalt [füllte], und dabei veränderte er nicht einmal sein Pathos.“553 Damit hatte Eörsi, wahrscheinlich ohne es zu ahnen, Paradigma und Grundstruktur der neuen europäischen Nationalismen des 21. Jahrhunderts vorweggenommen. Der Journalist Matthias Rüb, bis zu seinen Ruhestand 1993 fast zwei Jahrzehnte Südosteuropa-Experte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schrieb 2007 rückblickend, Milošević habe sich des Nationalismus als Strategie bedient, als „Mittel zum Zweck des eigenen Machterhalts“554. Hier stimmte Rüb mit Horst Grabert, Chef des Bundeskanzleramtes unter Willy Brandt zwischen 1979 und 1984, überein, der sich 1999 erinnerte: „1981 habe ich mich mit Herrn Milošević über Nationalismus unterhalten. Milošević ist kein Nationalist. Aber er ist des Unglaubens, dass er zur Machterhaltung Nationalismus einsetzen und auch wieder abstellen kann, wenn er ihn nicht mehr braucht“555. Milošević war kein „nationaler Erwecker“, doch er nahm diese Rolle, die bereits geschrieben war, an und machte sich aus machstrategischen Gründen zum Subjekt ihrer Aussagen.556 Dass er das Programm des serbischen Nationalismus und die Verbrechen, die unter seiner Ägide begangen wurden, nicht allein ins Werk setzte, ist eine ebenso triviale Erkenntnis wie die, dass es so etwas wie eine serbische Kollektivschuld nicht gab. Milošević hatte zweifellos viele Helfer im politischen 553 554 555 556
Eörsi (1999), 58. Rüb (2007), 335. Grabert (1999), 22. Vgl. Foucault (1981), 115 ff.
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Apparat, den Sicherheitsorganen, den verschiedenen Institutionen und in der serbischen Gesellschaft – sein Kurs fand jedoch ebenso unstrittig auch Widerspruch unter seinen Landsleuten. Als Schlüsselereignis auf dem Weg Miloševićs an die Spitze der serbischen Politik gilt dessen Treffen mit Führern der kommunistischen Partei Kosovos am 24. und 25. April 1987. Den Hintergrund für die Zusammenkunft in einem Kulturhaus in Kosovo Polje (alb. Fushë Kosovë), einem Bezirk von Prishtina, bildete die angespannte Situation in der Provinz. Begleitet wurde die Unterredung von Demonstrationen mehrerer tausend Serben und Montenegriner. Während sich die Funktionäre besprachen, eskalierten die Proteste. Seitens der Demonstranten sollen Steine auf die überwiegend albanischen Sicherheitskräfte geworfen worden sein, die nun ihrerseits gewaltsam gegen den Protest vorgingen. In einer Gesprächspause trat Milošević vor das Gebäude und suchte den Kontakt zur Menge. Einer der Demonstranten sprach Milošević direkt an: „Sie schlagen uns, Präsident. Warum schlagen sie uns?“ Milošević wiederum antwortete: „Niemand soll es wagen, euch zu schlagen.“ Mit diesem Satz, den lokale Medien aufgriffen und reproduzierten, wurde Slobodan Milošević in Serbien über Nacht populär. Holm Sundhaussen ist der Ansicht, dass dieses Ereignis in Milošević einen Wandel auslöste, insofern als dass er instinktiv begriff, wie mächtig die Proteste in Kosovo waren und wie diese sich instrumentalisieren ließen.557 Es existieren indes verschiedene Versionen über den genauen Wortlaut der Äußerung Miloševićs – was ein Indiz für deren schnelle Überhöhung und Mystifizierung ist.558 Dass Milošević zu diesem Zeitpunkt tatsächlich am Scheideweg 557 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 256 ff. 558 Das Gespräch wird in den Sitzungsprotokellen des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Englisch wiedergegeben: ICTY, Milošević (IT-02-54), Transkripts, January 25, 2005, 35654. Im Originalwortlaut findet es sich in einer Transkription der 1992 durch die serbische Menschenrechtlerin Nataša Kandić gegründeten Organisation für Menschenrechte (Fond za Humanitarno Pravo). Während der Sitzung des Gerichts am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag am 25. Januar 2005 wurde dieser Wortlaut einer Aufzeichnung des serbischen Fernsehens von der Konferenz in Kosovo Polje am 24. und 25. April 1987 entnommen, die im Gerichtssaal als VHS abgespielt wurde. Die Wiedergabe der entsprechenden Passage in Serbisch in der Transkription stellt folglich keine Rückübertragung aus dem Englischen dar und ist, was den Wortlaut anbelangt, zuverlässig. Das denkbar kurze Gespräch verlief demnach wie folgt: Demonstrant: „Biju nas, predseniče. Zašto nas biju? Biju nas, biju nas.“ (Sie schlagen uns, Präsident. Warum schlagen sie uns? Sie schlagen uns, schlagen uns). Slobodan Milošević: „Niko ne sme da vas bije“ (Niemand soll es wagen, euch zu schlagen). Demonstrant: „Biju nas.“ Milošević: „Ne sme niko da vas bije“ (Es soll keiner wagen, euch zu schlagen) (Fond za Humanitarno Pravo (25. Januar 2005), 218). Sundhaussen gibt die Antwort Miloševićs
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zwischen anti-nationalistischer kommunistischer Parteidoktrin und serbischem Nationalismus gestanden haben muss, zeigt seine anschließende Rede im Kulturhaus, in der er sich (noch) gegen den Nationalismus wandte und das offizielle Credo von „Brüderlichkeit und Einheit“ („Bratstvo i Jedinstvo“) der jugoslawischen Kommunisten bemühte.559 Die auf das Treffen folgenden Ereignisse und Maßnahmen sind in der Forschung unter dem Begriff der „antibürokratischen Revolution“ zusammengefasst worden.560 Er beschreibt den Prozess der Machtergreifung von Milošević, beginnend mit der Entthronung seines politischen Mentors Ivan Stambolić und dem Griff nach dem Vorsitz im Zentralkomitee der Serbischen Kommunistischen Partei am 23. September 1987. Mit der Änderung der Verfassung Jugoslawiens und der Aufhebung des Autonomiestatus der Vojvodina und Kosovos im März 1989 fand er seinen Abschluss.561 In einem Zeitraum von weniger als zwei Jahren organisierten Milošević und die ihm wohlgesonnenen Kader innerhalb der Partei und dem Sicherheitsapparat Massenproteste in der Vojvodina, Montenegro und Kosovo, die ebenso wieder (Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 257). Sabrina P. Ramet indes zitiert Milošević: „Nobody, either now or in the future, has the right to beat you“, was in Serbisch dem Satz „Niko, ni sada ni u budućnosti nema prava da vas bije” entspricht (Ramet (1992), 227); bei Malcolm (1998), 341; Bieber (2005), 177; Schmitt (2008), 306; Stefanov (2011), 342, indes wie Sundhaussen. 559 Milošević sagte dort u. a.: „[…] heute, wenn Brüderlichkeit und Einheit gefährdet sind, müssen wir Führungsstärke zeigen. Weder wollen noch können wir die Menschen in Serben und Albaner einteilen, vielmehr müssen wir eine Grenzlinie ziehen zwischen rückständigen und progressiven Menschen, zwischen denen, die bereit sind für Brüderlichkeit und Einheit und nationale Gleichheit zu kämpfen und der Gruppe, die für die Konterrevolution kämpft und Nationalisten auf der anderen Seite“ (Übersetzung aus dem Serbischen T. S.: Fond za Humanitarno Pravo (25. Januar 2005), 226; engl. Version: ICTY, Milošević (IT-02-54), Transkripts, January 25, 2005, 35671). 560 Rüb (2007), 331; Stefanov (2011), 342; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 263; „Antibürokratische Proteste“ bei Bieber (2005), 180. 561 Ramet (1992), 200; Malcolm (1998), 344; Bieber (2005), 218; Rüb (2007), 327 f.; Schmitt (2008), 309 ff.; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 262, 268, 304. Die Aufhebung des Autonomiestatus Kosovos erfolgte in mehreren Schritten. Am 23. März 1989 stimmte das kosovarische Parlament in Prishtina zunächst über die von der serbischen Regierung unterbreiteten Zusätze zur serbischen und kosovarischen Verfassung ab. Bei dieser Abstimmung wurden die albanischen Vertreter der Provinzregierung Kosovos massiv eingeschüchtert, und stimmten den serbischen Vorschlägen zu. Der Autonomiestatus Kosovos war damit de facto aufgehoben. Am 28. März 1989 erfolgte die Zustimmung des serbischen Parlaments zu den Verfassungsänderungen. Am 28. September 1990 gab sich Serbien eine neue Verfassung und hob darin die Unabhängigkeit Kosovos und der Vojvodina formell auf.
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1988 und 1989 zur Entmachtung bzw. zum Rücktritt der dortigen Provinzregierungen führten. Sie wurden durch Politiker ersetzt, die den Kurs der serbischen Nationalisten unterstützten. Die Slowenen jedoch setzten sich erfolgreich gegen diese Methode zur Wehr.562 Mit der Gleichschaltung von Serbien, Montenegro, der Vojvodina und Kosovo konnte sich Milošević zumindest vier von acht Stimmen im Präsidium der jugoslawischen Föderation sichern. Serbien hatte damit deutlich mehr Gewicht bei politischen Entscheidungen, die auf Bundesebene getroffen wurden.563 Ebenfalls in diesen Zeitraum fällt die Vereinnahmung und Manipulation bedeutender serbischer Medien und der jugoslawischen Nachrichtenagentur Tanjug.564 Den Höhepunkt der hier stark zusammengefassten Entwicklung bildete die Feier zum 600. Jahrestag der „Schlacht auf dem Amselfeld“, am Veitstag, dem 28. Juni 1989, zu der mehrere hunderttausend Menschen auf dem Kosovo Polje zusammenkamen. Bereits im Zuge der Vorbereitungen waren die Gebeine des 1389 im Kampf gegen das osmanische Heer unter Sultan Murad I. ums Leben gekommenen serbischen Fürsten Lazar Hrebeljanović von Belgrad, wo sie seit der deutschen Besatzung lagerten, an den ursprünglichen Ort der Beisetzung im Kloster Gračanica umgebettet worden. Die Übertragung der Reliquien erfolgte 1988 im Rahmen einer feierlichen Prozession über Klöster in Zvornik und Tuzla in Bosnien und Herzegovina sowie Šabac, Valjevo, Šumadija und Žiča in Serbien, um schließlich in Kosovo ihr endgültiges Ziel zu erreichen.565 Der Kosovo-Mythos bildete auch eine wesentliche Referenz in der Rede Miloševićs anlässlich der Feier. Er bezog sich darin auf die angeblich nach der Schlacht erfolgte türkische Versklavung des serbischen Volkes. Ein weiteres Element war die behauptete Zwietracht unter den Serben, der Milošević die Forderung nach Einheit entgegenstellte.566 Die Friedfertigkeit der Serben sei stets ausgenutzt worden, worüber das Volk zum historischen Opfer wurde. Schließlich hob der Politiker den Vielvölkercharakter Serbiens (!) hervor und betonte den Heldenmut bei der Verteidigung der christlichen Kultur und Religion.567 562 Schmitt (2008), 311. 563 Bieber (2005), 188 ff.; Rüb (2007), 332; Schmitt (2008), 306 ff.; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 264 ff. 564 Telegrafska agencija nove Jugoslavije. 565 Bieber (2005), 215; Polónyi (2010), 120. 566 Entspricht dem im serbischen Nationalismus üblichen Symbol, dem sogenannten „Serbischen Kreuz“, in Verbindung mit der Formel „Nur die Einheit rettet die Serben“ („Samo Sloga Srbina Spasava“), verdeutlicht durch vier „s“ (kyrillisch „c“) in den Winkeln des Kreuzes. 567 Die gesamte Rede bei Polónyi (2010), 485 ff.
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Zu trauriger Berühmtheit gelangt sind die Sätze Miloševićs im letzten Drittel seiner Rede: „Sechs Jahrhunderte später stehen wir heute wieder in Schlachten und vor Schlachten. Sie werden nicht mit Waffen geführt, obwohl auch solche noch nicht ausgeschlossen sind.“568 Die beiden Sätze sind im Nachhinein als Ankündigung der Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo interpretiert worden. Für das Schicksal von kulturellen und religiösen Objekten kann diese Verschränkung von Zeit (Geschichte) und Raum (Kosovo als historische Bühne) zum „Sein“ gar nicht hoch genug bewertet werden. Die behauptete Kontinuität von Kultur, Nation, Religion und Territorium sollte drastische Folgen für die Kollektive haben, die nicht in diese exklusive Vorstellung integrierbar waren. In dem sakralen Charakter, den die Veranstaltung am 26. Juni 1989 grundsätzlich aufwies, wird einmal mehr deutlich, wie die Religion der Nation und die christliche Orthodoxie in Serbien gegen Ende der 80er Jahre miteinander verwachsen waren. Die Krise Jugoslawiens nutze Slobodan Milošević zur Schärfung des eigenen Profils. Er war der Ansicht, sich die grundlegenden Probleme der jugoslawischen Gesellschaft für die Umsetzung seines denkbar einfachen, nichtsdestoweniger zerstörerischen Programms dienstbar machen zu können. Die Hybris seines Regimes bestand in der Vorstellung, die überhöhte serbische Nation könnte aus der Krise Jugoslawiens als regionale Ordnungsmacht gestärkt hervorgehen. Ein Jugoslawien unter serbischer Führung war das Maximal-, die Sicherung eines größeren Serbiens inklusive der serbischen Siedlungsgebiete in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo das Minimalziel – Serbien hatte aufgrund der prekären Situation vermeintlich nicht viel zu verlieren. Das Konzept gegen die zunehmenden separatistischen Tendenzen und Nationalismen in Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo bestand demzufolge im zentralistischen Nationalismus. Anstelle des Dialogs setzen Milošević und sein Kader auf das Gewaltprinzip. Mittel, Methoden und Logistik waren unter dem Regime der jugoslawischen Kommunisten etabliert, erprobt und verfügbar. Vor dem Hintergrund der für die Integration der Nation nötigen Leit- und Feindbilder wurde das historische Tabu der Kommunisten nicht etwa durch eine langwierige differenzierte Aufarbeitung der jugoslawischen Geschichte im Dialog überwunden, sondern vielmehr durch stereotypische Schuld568 Krieger (2001), 11; Rüb (2007), 331; Polónyi (2010), 493 f.; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 272. Bei Bieber (2005), 220: „Heute, sechs Jahrhunderte später, sind wir erneut in Kämpfe verwickelt und mit zukünftigen Schlachten konfrontiert. Diese sind nicht mehr bewaffnet, obwohl dies auch nicht ausgeschlossen werden kann.“
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vorwürfe gebrochen. Dabei befeuerte ein Nationalismus den anderen. Guten Christen standen muslimische Extremisten gegenüber. Albaner wurden verächtlich Šiptari (alb. Shqiptarët)569, bosnische Muslime Balije570 gerufen. Kroaten wurden wieder zu Ustaša, die Serben in den Augen der Kroaten zu Četniks. Nicht wenige Angehörige beider nationaler Kollektive waren bemüht, die Klischees zu bestätigten, und posierten mit langen Bärten, volkstümlichen Sandalen (opanke) und der traditionellen Kopfbedeckung der Četniks (šajkača) oder aber in schwarzen Uniformen und den Abzeichen der Ustaša vor den Kameras von Journalisten in Belgrad und Zagreb. Die Kommunistische Partei Jugoslawiens hingegen war nach dem Tod Titos in einem stetig beschleunigten Prozess der Dekomposition begriffen; sie hatte den „zentrifugalen Kräften“571 in der jugoslawischen Föderation keine wirksame Doktrin mehr entgegenzusetzen. Ihre prekäre wirtschaftliche Lage versuchten schließlich Angehörige der für serbische Ziele instrumentalisierten offiziellen jugoslawischen Streitkräfte und paramilitärischer Banden durch Schwarzhandel und in regelrechten Raubzügen, die an die Plünderungen marodierender Landsknechte im Dreißigjährigen Krieg erinnerten, zu kompensieren.
PRIVREMENE MERE UND RE-SERBISIERUNG KOSOVOS
Die politischen und administrativen Eingriffe im Zuge der Machtergreifung Slobodan Miloševićs als Führungsfigur des neuen serbischen Nationalismus sind in der einschlägigen Forschung gut dokumentiert. Weniger gut erschlossen sind bisher die ordnungs- und kulturpolitischen Maßnahmen des Milošević-Regimes in Kosovo, die parallel zu den Kriegen in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegovina umgesetzt wurden, deren Ziel letztlich in der Re-Serbisierung Kosovos bestand. Der 1957 geborene Nafis Lokvica identifiziert sich selbst als Angehöriger der türkischen Minderheit des Städtchens Prizren. Geboren und aufgewachsen in der Autonomen Region, absolvierte er zunächst eine Ausbildung bei einer serbischen Fotografin, arbeitete jedoch den größten Teil seines Lebens beim Schuhhersteller Komuna in Prizren, der unter anderem für die Marken Puma und Adidas in Lizenz produzierte. Mit einem Großteil der albanischen Belegschaft von Komuna verlor auch Lokvica in den 1990er Jahren seine Arbeit und verdingte sich wiederum als
569 Pejorativ für Albaner unter (orthodoxen) Christen der Balkanhalbinsel. 570 Dt. etwa „schmutziger oder rückständiger Bauer“, „Tölpel“, „Trottel“. 571 Lohoff (1996), 59; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 187.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 179
Abb. 10: Zwei Personaldokumente des Prizrener Fotografen Nafis Lokvica, ausgestellt am 30. März 1990 und am 13. Dezember 1996. Archiv Tobias Strahl.
Fotograf und Kameramann. 1998 und 1999 dokumentierte er den Krieg in seiner Heimat. Am 30. März 1990 war der Personalausweis von Nafis Lokvica durch die jugoslawischen Behörden nach zehn Jahren turnusgemäß erneuert worden. Ausgestellt war das neue Dokument, wie schon zuvor, durch das zuständige Amt der Autonomen Provinz Kosovo der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien in Prizren. Auf dem vorderen Klappendeckel war der Ausweis dreisprachig beschriftet. Das albanische Letërnjoftim (dt. „Personalausweis“) stand an erster Stelle, gefolgt vom serbokroatischen Lična Karta und schließlich dem türkischen Kimlik Belgesi. Die Beschriftung erfolgte, wie alle weiteren Angaben im Inneren des Dokuments, in lateinischen Lettern. Da Lokvica Angehöriger der türkischen Minderheit war, waren auch die Angaben im Inneren in türkischer Sprache verfasst – wiewohl jedes
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Feld dreisprachig erklärt war. Er wohnte demnach in der Straße (türk. cadde) der Brüderlichkeit und Einheit (türk. Kardeşlik Birlik, serb. Bratstvo in Jedinstvo) Nr. 17, die es wohl einige hundert Mal im sozialistischen Jugoslawien gegeben hatte. Als Wohnort ist die Stadt Prizren in der Autonomen Provinz Kosovo (türk. Kosova, Sosyalist Özerk Bölgesi, SÖB) festgehalten. Der Gültigkeitszeitraum schließlich ist mit zehn Jahren angegeben. Das heißt, Nafis Lokvica hätte sich frühestens Anfang 2000 um einen neuen Ausweis bemühen müssen. Bereits sechs Jahre nach der Ausstellung jedoch wurde das Dokument für ungültig erklärt und ein neuer Personalausweis ausgegeben. Auch dieser war durch die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien ausgestellt. Der Zusatz Autonome Provinz Kosovo fehlte jedoch. Die Angaben auf und in dem Personalausweis waren nunmehr einsprachig in Serbisch und zudem in kyrillischen Lettern ausgeführt. Der Wohnort Prizren lag nun in der Autonomen Provinz Kosovo und Metohija in der Republik Serbien (Autonomna Pokrajina Kosova i Metohija Republika Srbija, APKiM. R. Srbija), was im Widerspruch zur serbischen Verfassungsänderung und der Aufhebung des Autonomiestatus stand. Auch taucht der Zusatz Metohija wieder auf, der Ende der 1960er Jahre gestrichen worden war. Auch die Straße, in der Nafis Lokvica im Prizrener Viertel Maraş lebte, hatte einen neuen Namen erhalten. Trotzdem die oberste Ausstellungsbehörde gleichgeblieben war, schien die Doktrin von Brüderlichkeit und Einheit 1996 bereits überlebt – die Straße war demgemäß in Ulica Igumanovo, die Straße des Bischofs, umbenannt worden. Ausgestellt wurde der Ausweis nun nicht mehr in Prizren, sondern zentral in Belgrad. Am Beispiel des Personalausweises von Nafis Lokvica wird pars pro toto das nationalistische Programm der kulturellen Homogenisierung, der Versuch, die Identität einer Region per Dekret umzuschreiben, deutlich. Aus drei Sprachen und zwei Schriften wurde jeweils eine; Zentralismus trat an die Stelle föderaler Selbstverwaltung; schließlich wurden Straßen und Plätze umbenannt.572 Die Aussage ist ebenso einfach wie drastisch: „Kosovo ist Serbien“ („Kosovo je Srbija“). Zu einer viel tiefer greifenden Manipulation der Erinnerungstopografie war es nun nicht mehr weit. Der Versuch, gesellschaftliche Realität mit der Ideologie des Nationalismus solchermaßen zur Deckung zu bringen, bildet den Kern der Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen. Die Änderung der Personaldokumente steht symbolhaft für den Umbau einer Gesellschaft. Noch vor der berüchtigten Rede Slobodan Miloševićs auf dem Kosovo Polje hatte das Staatspräsidium der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien auf Betreiben Serbiens und ohne die Stimme Sloweniens am 27. Februar 1989 572 Vgl. Kuljić (2010).
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 181
Sondermaßnahmen über Kosovo verhängt.573 Unmittelbar danach, am 23. März 1989, beschloss das Provinzparlament Kosovos unter erheblichem Druck Verfassungsänderungen, die den Autonomiestatus Kosovos innerhalb Jugoslawiens aufhoben. Am 28. März wurden diese Verfassungsänderungen durch das Parlament in Belgrad bestätigt. Der Aufhebung der Autonomie folgten Demonstrationen in Prishtina, die wiederum gewaltsam aufgelöst wurden. Dabei sollen 29 Albaner getötet worden sein.574 Zum Jahresbeginn 1990 kam es zu weiteren Demonstrationen. Auch diese wurden blutig niedergeschlagen. Am 1. März verhängte das Parlament in Belgrad den Ausnahmezustand über Kosovo, der zunächst bis zum 18. April 1990 andauerte.575 Am 26. Juni 1990 schließlich beschloss das serbische Parlament „ohne die Stimmen der albanischen Abgeordneten die Ausnahmeverwaltung im Kosovo“, die offiziell als „vorübergehende Maßnahmen“ (privremene mere) bezeichnet wurden.576 De facto bedeutete dies die dauerhafte Verwaltung Kosovos durch Serbien. In einem offiziellen Schreiben forderte die serbische Verwaltung von den albanischen Angestellten im öffentlichen Sektor und in den staatseigenen Betrieben deren uneingeschränktes Bekenntnis zum serbischen Staat. Da die wenigsten Albaner Kosovos bereit waren, ihrer offiziellen Diskriminierung zuzustimmen, wurden sie aus ihren Stellungen entlassen. Im Zuge dieser Maßnahmen verloren bis zu 90 Prozent ihre Arbeit.577 Die Folge war eine dramatische Zuspitzung der ökonomischen Situation in den albanischen Haushalten Kosovos. Viele der männlichen Kosovaren suchten Arbeit im europäischen und überseeischen Ausland. Es half den Albanern Kosovos in dieser Situation wenig, dass am 2. Juli 1990 114 Vertreter des Provinzparlaments in Prishtina die Unabhängigkeit Kosovos innerhalb Jugoslawiens erklärten. Belgrad löste am 5. Juli 1990 das Parlament in Prishtina kurzerhand auf. Die albanischsprachige Tageszeitung Rilindja (dt. etwa: Renaissance, Wiedergeburt) wurde verboten, das albanische Rundfunkprogramm eingestellt. An den Schulen wurden albanische Stoffe aus dem Lehrplan gestrichen und ein serbisches Curriculum eingeführt. Die Kosovarische Akademie der Wissenschaften und Künste wurde geschlossen, das Nationaltheater in Prishtina
573 Vetter (2007), 551; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 268. 574 Malcolm (1998), 344; Bieber (2005), 218; Vetter (2007), 551; Schmitt (2008), 309 ff.; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 268; Ramet interpretiert die Aufhebung des Autonomiestatus Kosovos als Quasi-Annexion durch Serbien (Ramet (1992), 239). 575 Vetter (2007), 552. 576 Vetter (2007), 552. 577 Schmitt (2008), 311.
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von albanischen Darstellern „gesäubert“578. Kosovo begann sich mit Polizei und Militär aus Serbien und Montenegro zu füllen. Auf Straßen sowie an strategisch wichtigen Kreuzungen und Geländeabschnitten Kosovos wurden dauerhaft Kontrollen mit zum Teil schwer bewaffnetem Sicherheitspersonal installiert. Auf dem Duhël-Pass (serb. dulje), einer wichtigen Passstraße über den Carraleva-Gebirgszug (serb. crnoljeva), der die nordöstliche Ebene Kosovos (das Kosovo Polje) von der südwestlichen (dem sogenannten „Metohija“) trennt, richteten sich militärische Einheiten aus Serbien dauerhaft ein, weil sich von dort der Verkehr zwischen den beiden Ebenen kontrollieren ließ und letztere von den Höhen des Gebirgszugs leicht zu überwachen waren. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, vor allem aufgrund des eingeschränkten Publikationswesens, begannen bereits zu Beginn der 1990er Jahre albanische Journalisten und Autoren aus Kosovo – oder solche mit Kontakten dahin – vermehrt in kroatischen Tageszeitungen, etwa dem Vjesnik zu publizieren. Einerseits bestand für die Autoren die Möglichkeit, die Situation der Albaner in der Provinz überregional zu kommunizieren. Andererseits dienten die Texte aus und über Kosovo der kroatischen Öffentlichkeit zur Selbstvergewisserung – insbesondere im Hinblick auf den sich längst anbahnenden Konflikt mit Serbien. Dieser Hintergrund ist bei der Bewertung der Beiträge zu berücksichtigen. Es ist durchaus möglich, dass ein nicht unerheblicher Teil der darin getätigten Aussagen propagandistisch überformt ist – auch wenn sie sich im Kern mit den Erkenntnissen der internationalen Südosteuropaforschung decken. Zu der Vielzahl von Berichten zählen Interviews mit albanischen Politikern, Kommentare zum Aufstand der Bergarbeiter in den Minen in Trepča in Nordkosovo am 20. Februar 1989579 oder auch zur Rolle des jugoslawischen Militärs, das recht bald und offensichtlich einseitig für Serbien agierte. Von besonderem Interesse ist ein Text zu den kulturpolitischen Maßnahmen in Kosovo, der die Veränderungen am Nationaltheater sowie an der Universitätsbibliothek in Prishtina thematisiert, weil zu diesem Thema auch eine Darstellung aus serbischer Sicht in der Belgrader Tageszeitung Politika existiert. Am 6. September 1991 (der Krieg in Kroatien war bereits ausgebrochen) veröffentlichte der Vjesnik einen Artikel der bosnischen Journalistin Nadira Avdić-Vllasi zu den Auswirkungen der privremene mere auf das kulturelle Leben Kosovos. Der Text hatte schon damals einige Brisanz. Seine Autorin war (und ist) mit dem albanischen Politiker und ehemaligen 578 Malcolm (1998), 346; Riedlmayer, Libraries… (2000); Vetter (2007), 251 f.; Schmitt (2008), 311 ff.; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 268. 579 Vgl. Vetter (2007), 551.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 183
Abb. 11: Nicht fertig gestellter Bau der orthodoxen Kathedrale Christus Erlöser (Saborna Hram Hrista Spasa) auf dem Campus der Universität Prishtina in der Sichtachse zwischen der Magistrale Agim Ramadani (im sozialistischen Jugoslawien Ramiz Sadiku) und der National- und Universitätsbibliothek (1982, Andrija Mutnjaković). Markiert ist der sichtbare Teil der Letzteren. Archiv Tobias Strahl.
Chef der kommunistischen Partei Kosovos (seit 1981) Azem Vllasi verheiratet. Der Politiker war 1988 auf serbischen Druck von der Parteiführung in Kosovo zurückgetreten. Im März 1989 wurde Azim Vllasi aufgrund falscher Anschuldigungen, er habe einen bewaffneten Aufstand der Albaner in Kosovo organisieren wollen, verhaftet. Am 30. Oktober 1989 wurde der Prozess gegen Vllasi eröffnet.580 In ihrem Artikel, überschrieben Unter serbischen Stiefeln (Pod srpskom čizmom), berichtete Avdić-Vllasi von der „Einführung von Zwangsmaßnahmen“ mit dem Zweck „die Führungsstrukturen in Kosovo zu serbisieren und die Albaner aus ihrer Arbeit abzuberufen“. Besonders hart getroffen hätten diese Maßnahmen vor allem die Universitäts- und Nationalbibliothek Kosovos. Dort sei zunächst die albanische Bibliotheksleitung entlassen und durch den serbischen Literaturwissenschaftler und Autoren Slobodan Kostić (1952–2012) ersetzt worden. Außerdem schreibt sie von den Plänen der serbischen Regierung, die Bibliothek zur theologischen Fakultät der Serbischen Orthodoxen Kirche umzuwidmen, und berichtet 580 Malcolm (1998), 336, 343; Vetter (2007), 551 f.; Schmitt (2008), 308.
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vom avisierten Bau einer orthodoxen Kirche auf dem Gelände des Campus der Universität Prishtina, die nach dem Vorbild der monumentalen Kathedrale des heiligen Sava in Belgrad ausgeführt werden sollte. Tatsächlich wurde der Bau dieser Kirche als Kathedrale Christus Erlöser (Saborna Hram Hrista Spasa) unter dem 1990 zum Patriarchen der SPC gewählten Pavle in Angriff genommen. 1992 präsentierte der serbische Architekt Spasoje Krunić seine Pläne. 1995 wurde die Ausführung begonnen. 1998 wurde das Projekt wegen des Krieges in Kosovo unterbrochen. Bis heute befindet sich die Kirche in diesem unfertigen Zustand. Intendiert war mit dem Kirchenbau ganz offensichtlich symbolische Dominanz im Raum. In der Sichtachse von der Hauptstraße Agim Ramadani (im sozialistischen Jugoslawien: Ramiz Sadiku) auf das 1982 fertig gestellte Gebäude der Universitätsbibliothek (Andrija Mutnjaković) errichtet, verdeckt es dieses fast vollständig (Abb. 11). Die Bibliothek, deren weiße Kuppeln sicher nicht unbeabsichtigt an die traditionelle albanische Kopfbedeckung, die Qeleshe (auch Plis oder Plisi) erinnern, galt (und gilt) als Symbol des Selbstbewusstseins albanischer Intellektueller in Kosovo. Avdić-Vllasi berichtet weiterhin, dass unter der Leitung Kostićs „alle kreativen albanischen Arbeiter“ aus der Bibliothek entlassen worden seien – betroffen waren immerhin 35 Beschäftigte, die Hälfte des Personals. Die, die bleiben durften, waren nun offenbar regelmäßig Schikanen ausgesetzt und mussten Arbeiten verrichten, die nicht ihren Qualifikationen entsprachen. Privremene mere, schreibt die Journalistin weiter, seien auch im Archiv Kosovos, in der Filmproduktion der Provinz, in der kulturhistorischen Vereinigung und im Nationaltheater umgesetzt worden. Dort habe der Direktor, der serbische Journalist Mirko Žarić, die albanischen Produktionen eingestellt, es „gibt keine neuen Aufführungen, alte geben sie fast keine mehr, alle sind erstarrt, und die albanischen Schauspieler und Regisseure vegetieren dahin.“ Das Resümee der bosnischen Journalistin ist fatalistisch: „Das kulturelle Leben ist vollkommen erledigt, keine Musikfestivals mehr, kein Amateurtheaterfestival mehr. Das Kulturprogramm im Radio und Fernsehen gibt es nicht mehr, nachdem 1300 Journalisten auf die Straße gesetzt wurden“.581 Zwei Tage vor der Veröffentlichung des Textes von Avdić-Vllasi hatte ihr serbischer Kollege Zejnel Zejneli in der Belgrader Tageszeitung Politika die privremene mere gerechtfertigt.582 Die Überschrift zu seinem Artikel Kosovske Kulturne (Ne)prilike / Mere i promene (etwa: Kosovarische kulturelle (Un)Annehmlichkeiten / 581 Avdić-Vllasi (1991). 582 Zejneli (1991).
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Maßnahmen und Änderungen) ist als Wortspiel formuliert. Das serbische Substantiv Prilika bedeutet so viel wie Chance oder Gelegenheit, während sich Neprilika mit Schwierigkeiten oder Unannehmlichkeiten übersetzen lässt. Es hat durchaus etwas Zynisches, wenn es der Autor solchermaßen dem Leser überlässt, wessen Schwierigkeiten sich in Chancen und umgekehrt durch „Maßnahmen und (Ver) Änderungen (mere i promene)“ verwandeln lassen. Die durch das Ministerium für Kultur der Republik Serbien veranlassten Maßnahmen in Kosovo, schreibt Zejneli, seien notwendig gewesen, den Separatismus und die Zerstörung materiellen Kulturerbes zu unterbinden. Der Zustand der National- und Universitätsbibliothek habe sich in den letzten Monaten „konsolidiert“. Den Austausch des Personals in der Bibliothek beschreibt der serbische Journalist als „Etablierung geeigneter Personalstrukturen“ und fügt hinzu „auch einige Albaner haben sich in den Bewerbungen durchgesetzt“. Er erhebt den Vorwurf, dass mit serbischen Texten zuvor „am Rande der Barbarei“ umgegangen worden sei: „Bücher in Serbisch wurden auf einen Haufen geworfen, ein Teil sogar vernichtet, während andererseits der Bestand der Bibliothek in skipetarischer Sprache pedantisch gepflegt wurde“. Zejneli bezeichnet die Albaner Kosovos als Šiptari was zwar den Gepflogenheiten entsprach, nichtsdestoweniger als herabwürdigend galt.583 Die Vorwürfe, bei der Re-Organisation der National- und Universitätsbibliothek seien auch albanischsprachige Texte vernichtet worden, weist Zejneli zurück, räumt jedoch ein:
583 Ramet (1992), 190. Bereits 1987 zitierte die Redaktion des SPIEGEL einen sozialkritischen Artikel der Belgrader Zeitschrift Nedeljne Informativne Novine (NIN). Der Autor desselben hatte in einer zugespitzten Beschreibung des serbischen Rassismus die Albaner Kosovos als „die Neger unserer Nation“ bezeichnet (DER SPIEGEL (1987). Um welchen Artikel der NIN es sich handelte und wann dieser veröffentlicht wurde, ist leider nicht nachvollziehbar. Slavenka Drakulić wiederum schrieb in einem Text für einen Sammelband zum Kosovokrieg, den der Journalist Frank Schirrmacher 1999 für die FAZ herausgegeben hatte: „Die Albaner waren in das alltägliche Leben niemals integriert. Sie existierten von uns getrennt, kaum wahrnehmbare Menschen an den Rändern der Gesellschaft, mit ihrer merkwürdigen Sprache, von der kein Mensch ein Wort verstand, ihrer Stammesorganisation, den Blutrachehändeln. Sie waren immer die Underdogs. […] Die Vorurteile den Albanern gegenüber aber sind jenen vergleichbar, die es in anderen Kulturen gegenüber Juden oder Zigeunern gibt. Heute wird einem jeder Serbe sagen, dass die Albaner sich karnickelartig vermehren, dass dies die Hauptwaffe in ihrem geheimen Krieg gegen die Serben im Kosovo ist. Das ist kein Nationalismus mehr, das ist Rassismus“ (Drakulić (1999), 205, 206). 2007 erklärte der serbische Schriftsteller und Publizist Vladimir Arsenijević in der Wochenzeitung DIE ZEIT: „Für alle Exjugoslawen, insbesondere aber für uns Serben, waren die Kosovo-Albaner einst vor allem ‚unsere Neger‘“ (Arsenijević (2007)).
186 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Unterbrochen wurde die Finanzierung der Werke und Herausgeber der Skiptaren, die den skiptarischen Zentralismus und Hass favorisieren, und für ein Jahr wurde die Finanzierung zu Gunsten serbischer Herausgeber rückgängig gemacht. Ebenfalls gestoppt wurde die Finanzierung von Magazinen skiptarischer Sprache, die im Kampf gegen Serbien benutzt wurden. So wurde, zum Beispiel, die Finanzierung des Blattes „Kosovarja“ eingestellt, das sich an Frauen – Albanerinnen – richtet […].
Auch auf die Situation im Nationaltheater in Prishtina geht er ein. Die privremene mere in dieser Institution rechtfertigte er folgendermaßen: Die unmittelbare Ursache war eine Ausstellung unter dem Titel: „Für Demokratie – gegen Gewalt“, die außer dem Aufruf zur Zerstörung [!] keinen künstlerischen Wert hatte. Aus dem Repertoire wurden die Vorstellungen gestrichen, die den Nationalseparatismus glorifiziert haben. So sind zum Beispiel die Vorstellungen auf Albanisch „Prinz Senki“ von Mehmet Kraja und die „Opfer von Bar“ von Ekrem Kruezij [richtig Kryeziu; T. S.] verboten worden, ein Regisseur, der wegen Separatismus Anfang der 80er Jahre zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, in einer der ersten separatistischen Gruppen.584
Die Beschreibungen der bosnischen Journalistin Nadira Avdić-Vllasi und ihres serbischen Kollegen Zejnel Zejneli stehen nicht im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil, sie bestätigen sich weitestgehend. Offenbar ist es 1991 im Rahmen der privremene mere zu einschneidenden Veränderungen an den beiden großen Häusern in Prishtina, wie in der Kulturlandschaft Kosovos überhaupt, gekommen. Der Unterschied besteht in der Rechtfertigung Zejnelis – der im Übrigen noch heute als Journalist arbeitet – für die Maßnahmen des serbischen Ministeriums für Kultur. Sie unterstellen – berechtigt oder nicht – albanischen Kunstschaffenden und Intellektuellen mit den Mitteln der Kunst, der Literatur, der Publizistik und den Medien, auf der Basis eines kulturellen Nationalismus, die Separation Kosovos von Serbien zu betreiben. Dieser Vorwurf hat durchaus etwas Janusköpfiges. Immerhin entsprach die serbische Antwort ihm reziprok. Wie anders sollte man die privremene mere in der Kulturlandschaft Kosovos interpretieren, wenn nicht als manifesten kulturellen Nationalismus? Doch dabei sollte es nicht bleiben.
584 Alle Zitate: Zejneli (1991).
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 187
RE-SERBISIERUNG KOSOVOS UND DAS REGISTER DES UNBEWEGLICHEN KULTURERBES SERBIENS
Zu Beginn des Jahres 1995 veröffentlichte das Institut für Statistik der Republik Serbien als Bilten 372 das Register des unbeweglichen Kulturerbes der Republik Serbien.585 Darin ist das Kulturerbe Serbiens und Kosovos seit der Gründung der Denkmalschutzorgane der sozialistischen Föderation Jugoslawien im Jahr 1945 bis zum 31. Dezember 1994 erfasst worden, das bis zum Kosovokrieg 1998 durch 14 regionale Filialen586 verwaltet wurde. Die Übersicht weist insgesamt 2.347 nach Regionen geordnete Einträge von Objekten und Objektensembles auf; 410 liegen in Kosovo, 1937 in Serbien (inklusive der Provinz Vojvodina). Mit 721 Objekten und Ensembles ist der Anteil religiöser Architektur (verska arhitektura) bemerkenswert hoch. Davon fallen allein 629 Einträge (26,8 Prozent) in die Kategorie religiöse Gebäude der orthodoxen Christenheit (verske zgrade pravoslavnog hrisćanstva). Dahinter verbergen sich 160 orthodoxe Klosterkomplexe, 442 orthodoxe Kirchen sowie 27 „übrige orthodoxe religiöse Objekte“. Darüber hinaus sind 39 Objekte – 6 Klöster, 26 Kirchen und 7 weitere Objekte – der katholischen Kirche sowie 7 Kirchen der übrigen christlichen Gemeinschaften (Protestanten, Reformierte etc.) erfasst.587 Den Objekten des christlichen Erbes folgen im Hinblick auf den Umfang vernakuläre Wohnarchitektur an zweiter (stambena Arhitektura, 508 Einträge)588 und Memorialarchitektur (memorialna arhitektura, 341 Einträge)589 an dritter Stelle. Es verwundert, dass in einer Region, die während der etwa 450 Jahre andauernden osmanischen Herrschaft wesentlich durch islamische Kultur und Religion geprägt worden ist, insgesamt lediglich 39 Objekte islamischer religiöser Architektur, davon 28 Moscheen, als Kulturerbe anerkannt und registriert worden sein sollen. Aufgrund dieser offensichtlichen Ungereimtheit lohnt sich ein genauerer Blick auf die Liste. Der größte Teil des registrierten islamischen religiösen Erbes lag demnach in Kosovo. 23 Moscheen waren durch die regionalen Filialen des Denkmalschutzes in Prishtina und Prizren registriert worden. Man kann man leicht zu dem Schluss kommen, Kosovo sei im Hinblick auf sein bauliches Erbe eine dominant serbischchristliche Kulturlandschaft. Die Behauptung, es handele sich deswegen um eine 585 Siehe Transkript des Dokuments Bilten 372 hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 586 Belgrad, Kraljevo, Kragujevac, Niš, Smederevo, Valjevo, Sremska Mitrovica, Petrovaradin, Subotica, Novi Sad, Pančevo, Prizren, Prishtina (Stadt), Prishtina (Provinz). 587 Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), 9. 588 Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), 7. 589 Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), 12.
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(serbische) „terra sacra (sveta zemlja)“590 wäre dann – zumindest nach einer stark religiösen Lesart – gerechtfertigt. Unter den insgesamt 410 in Kosovo registrierten Objekten und Objektensembles befinden sich immerhin allein 122 orthodoxe Kirchen und Klöster, was einem Anteil von 29,75 Prozent am gesamten registrierten Kulturerbe der Region entspricht. 23 Moscheen (5,6 Prozent) fallen dagegen kaum ins Gewicht. Noch einmal drastischer erscheint das Verhältnis jedoch, wenn man die Kategorisierung des registrierten Kulturerbes ebenfalls in Betracht zieht. Das Institut für Statistik klassifizierte 1995 sämtliche Objekte und Ensembles nach der Vorgabe des Instituts für Denkmalschutz der Republik Serbien in drei Kategorien. Die höchste dieser Kategorien mit der Ziffer „1“ wurde für „[Kultur] Gut von außerordentlicher Bedeutung“ (dobro od izuzetnog značaja) vergeben. In der zweiten Kategorie wurde „[Kultur]Gut von großer Bedeutung“ (dobro od velikog značaja) eingeordnet.591 In die dritte fiel „bedeutendes Kulturgut“ (značajno kulturno dobro).592 Für das registrierte Kulturerbe Kosovos wurde die erste Kategorie insgesamt 60 Mal vergeben. 41 Mal allein für orthodoxe Kirchen und Klöster (68,3 Prozent), jedoch nur 7 Mal (4,2 Prozent) für islamisch-osmanisches Kulturerbe – darunter vier Moscheen, ein orientalisches Bad sowie 2 türkische Mausoleen. Das Alter der Bauwerke und deren Authentizität – etwa als Charakteristik eines Stils oder einer Epoche – haben bei der Bewertung nicht vordergründig eine Rolle gespielt. Sonst wäre nicht erklärlich, warum etwa die Gazi-Ali-Beg-Moschee in Vučitrn, das alte Hamam in Prishtina oder die Hamadžali- oder Kirik-Moschee in Prizren, alle im 15. Jahrhundert errichtet, in der dritten, jedoch die orthodoxe Kirche des hl. Nikolaus in Sredska bei Prizren aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie das auf dem Kosovo Polje 1953 errichtete Denkmal für die Helden des Amselfeldschlacht in der ersten Kategorie eingeordnet worden sind. Aufschluss über die der Kategorisierung zugrundeliegenden Kriterien gibt eine Erläuterung im Anhang zum Register. Als gesetzliche Grundlage galt die Definition der Kategorien im „Gesetz über das Kulturerbe“ (Zakon o kulturnim dobrima) 590 Etwa bei Subotić (1998) und Ančić (2007). Einige internationale Beobachter des Krieges in Kosovo sind in Ermangelung besseren Wissens dieser Argumentation gefolgt und haben sie in ihren eigenen Publikationen reproduziert. 591 Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), 81. 592 Bemerkenswert ist hierbei, dass weder in den Versionen des „Gesetzes über das Kulturerbe der Republik Serbien“ von 1990 und 1994 noch in dem Register des unbeweglichen Kulturerbes eine Definition dieser dritten Kategorie hinterlegt ist. Lediglich auf Seite 35 ist als Fußnote angegeben „3 – značajno kulturno dobro“; vgl. Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), 35, Fußnote.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 189
der Republik Serbien von 1994.593 Demnach konnte ein spezifisches Monument in der höchsten Kategorie eingeordnet werden, das: […] besondere Bedeutung hat für die soziale, historische und kulturelle Entwicklung der Nation oder […] von bedeutenden historischen Ereignissen und Personen und deren Taten für die Entwicklung der Nation zeugt oder […] großen Einfluss ausübt (oder ausgeübt hat) auf die soziale und kulturelle Entwicklung oder aber […] außerordentlichen künstlerischen und ästhetischen Wert hat.594
Von den sieben erfassten Bauwerken abgesehen legt die Liste nahe, dass das übrige osmanisch-islamische unbewegliche Kulturerbe Kosovos (sowie Serbiens) der Klassifizierung nicht entsprach. Damit ist nicht nur eine Rangordnung des kulturellen Erbes in der Republik Serbien im Hinblick auf seine Identität stiftende Funktion und Ästhetik festgeschrieben. Vielmehr ist mit dem Register des unbeweglichen Kulturerbes auch deutlich gemacht, wer und was nicht oder lediglich mit Abstrichen, zur serbischen Nation gehörte – die Muslime und deren Kulturerbe. Das Register sowie dessen gesetzliche Grundlage können unter diesen Gesichtspunkten ohne Übertreibung als nationalistisch und diskriminierend gegenüber dem islamisch-osmanischen bzw. albanischen Kulturerbe interpretiert werden. Die zweite Kategorie war nach 1994 übrigens in Kosovo gar nicht, und auch im übrigen Serbien nur äußerst selten, vergeben.595 Die übrigen 42 Objekte des erfassten osmanischen Kulturerbes in Kosovo sind in der Kategorie „bedeutendes Kulturgut“ eingeordnet. Konsequent heißt es im Vorwort zur Zielgruppe des Dokuments: Diese Daten haben einen hohen Information- und Dokumentationswert und können einem breiten Kreis von Nutzern dienen: dem Ministerium für Kultur und seinen Abteilungen, dem Institut der Republik für den Schutz von Kulturdenkmälern, dem Institut für internationale Wissenschaft, der technischen, pädagogischen und kulturellen Zusammenarbeit, der SANU, der Serbischen Orthodoxen Kirche, dem Ministerium für Religionsfragen, dem Informationsministerium, dem Ministerium für Angelegenheiten der Serben außerhalb Serbi593 Republika Srbija (1994). Die Ausführungen des Gesetzes sind inhaltlich weitestgehend identisch jedoch mit geringfügig verändertem Wortlaut bereits im „Gesetz über das Kulturereb der Republik Serbien“ von 1990 enthalten (Republika Srbija (1990)). 594 Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), 81. Die Grundlage im „Gesetz über das Kulturerbe“ (Zakon o kulturnim Dobrima) von 1994 ist Paragraf 5. 595 Siehe Transkript des Dokuments Bilten 372 hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
190 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen ens, nationalen Bibliotheken Serbiens und anderen Bibliotheken, den Instituten für den Schutz von Kulturdenkmälern, den Medien, Forschungsorganisationen im kulturellen Bereich, urbanen Instituten und Instituten der Stadtplanung, Organisationen und Instituten zur Raumplanung, einzelnen Forschern und anderen Nutzern.596
Wie zutreffend diese Beschreibung der potentiellen Zielgruppe ist, sollte sich nach dem Ende des Krieges in Kosovo 1999 angesichts der problematischen Erfassung des beschädigten und zerstörten Kulturerbes herausstellen. Von Nutzen konnte das Dokument Institutionen und Einzelpersonen sein, die die serbische Perspektive auf die Region vertraten oder unterstützten. Von der Islamischen Gemeinschaft Kosovos, geschweige einer der Kultur- und Bildungsorganisationen der Muslime Serbiens, ist hingegen gar keine Rede. Wohlmeinend könnte man diese nur unter den „einzelnen Forschern und anderen Nutzern“ vermuten. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist ebenfalls, dass die Mehrzahl der osmanischen Bauwerke in Kosovo zwischen 1948 und 1978 in die Liste des geschützten Kulturerbes aufgenommen wurde (41 von 49 Objekten). In den 80er Jahren waren es immerhin noch acht Monumente. Nach der Machtergreifung Slobodan Miloševićs, den privremene mere und der Aufhebung des Autonomiestatus Kosovos wurde in den folgenden sechs Jahren bis zur Veröffentlichung des Dokuments in ganz Serbien (inklusive Kosovo) kein Bauwerk aus dem osmanischislamischen Kulturkreis mehr unter Schutz gestellt. Die beiden letzten Einträge in Kosovo im Register waren im Jahr 1990 die Überreste der orthodoxen Kirche des hl. Pantalejmon (14. Jh.) sowie der Komplex des orthodoxen Klosters Banjska mit der dazugehörigen Siedlung (14. Jh.) in Zvečan im Norden der Provinz. In Serbien (inklusive Vojvodina) wurden die letzten Objekte 1993 registriert. Die Aktualisierung der Einträge erfolgte jährlich auf „automatisierter Datenbasis“597. Das Register des unbeweglichen Kulturerbes der Republik Serbien von 1995 hatte zumindest neben dem entstehenden Eindruck, das „nationale Erbe“ sei überwiegend religiös-orthodox, eine weitere gravierende Folge: Es wurde 1999 zum maßgeblichen (und einzig verfügbaren) Dokument für die Erfassung des beschädigten und zerstörten Kulturerbes in Kosovo nach dem Ende des Krieges. Dabei vermittelte es ein falsches Bild dieser Kulturlandschaft. Internationalen Organisationen, die über wenige Kenntnisse zur Region verfügten, mussten so viele der tatsächlich von Kriegszerstörungen betroffenen Objekte entgehen. 596 Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), 3. 597 Republika Srbija / Republički Zavod za Statistiku (1995), 3.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 191
Mirjana Menković, die Direktorin des Belgrader Mnemosyne-Instituts, das zumindest vorgab, die Kriegsschäden am Kulturerbe Kosovos zu untersuchen, dabei aber äußerst selektiv verfuhr, bezog sich bei ihrer Beschreibung598 ausschließlich auf zwei serbische Dokumente: An erster Stelle und maßgeblich war eben das Register des unbeweglichen Kulturerbes. An zweiter Stelle stand die ebenfalls auf das christlich-orthodoxe Erbe fokussierte Veröffentlichung Cultural Heritage of Kosovo and Metohija599 des Instituts zum Schutz der Kulturdenkmäler der Republik Serbien (Republički zavod za zaštitu spomenika kulture, auch: Zavod za zaštitu spomenika kulture Republike Srbije) aus dem Jahr 2002.600 Menkovićs Aufzeichnungen wiederum waren maßgeblich für die Erfassung des zerstörten und beschädigten Kulturerbes in Kosovo durch die Europäische Kommission601, die europäische Kulturschutzorganisation Europa Nostra602 sowie den ersten (und zugleich vorletzten) Bericht der UNESCO aus dem Jahr 2003603. Selbst András Riedlmayer kam bei seinen Untersuchungen der Zerstörungen vom 17. und 18. März 2004, die er im Auftrag der schwedischen NGO Cultural Heritage without Borders durchführte, nicht umhin, auf die Angaben von Menković und des Mnemosyne-Instituts zurückzugreifen.604 Das stark verzerrte Bild, das mit dem Register des unbeweglichen Kulturerbes vermittelt wurde, konnte so tradiert und im internationalen Diskurs zum zerstörten und beschädigten Kulturerbe Kosovos maßgeblich werden.605 598 Mnemosyne (2003). 599 Republički zavod… (2002). 600 Mnemosyne (2003), 11. 601 European Commission (2006), 8, 12, 73 ff. 602 Djekić/Radovanović (2002). 603 UNESCO (2003), 144. 604 Riedlmayer, Damages to churches… (2004). 605 Ein Dokument der Europäischen Kommission lobt Menkovićs Schrift ausdrücklich, bemerkt jedoch auch deren politischen Charakter: „The Serbian organisation Mnemosyne, based in Belgrade, has, with Italian financial assistance and the participation of three Italian experts […] also produced a useful book on the cultural and natural heritage of Metohija [!]. […] In assessing priorities this book will be a useful source but it should be seen in conjunction with the UNESCO report since it does not cover the whole of the present territory of Kosovo and it is a report with a political agenda. […] These caveats nothwithstanding, this is a significant piece of work […].“ (European Commission (2006), 8); identischer Wortlaut in: Council of Europe (2008), 68. Die Anmerkung, dass die Berichte des Mnemosyne-Instituts in Verbindung mit den UNESCO-Berichten hilfreicher seien, ist freilich ebenfalls kritisch zu bewerten. Zum einen basierte der erste Bericht der UNESCO aus dem Jahr 2003 zum Teil selbst auf den Mnemosyne-Dokumenten, ist also in gewisser Hinsicht zirkulär, zum anderen sind auch die Berichte der UNESCO denkbar weit davon entfernt, die Kulturerbezerstörung in Kosovo repräsentativ abzubilden.
192 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen PRISMEN IM KULTURELLEN NATIONALISMUS: SINAN-PASCHA-MOSCHEE UND „ERZENGELKLOSTER“
Das sogenannte „Erzengelkloster“ (etwa 1352) in der Lumbardhi-Schlucht606 etwa drei Kilometer nord-östlich des Städtchens Prizren und die Sinan-Pascha-Moschee (spätestens 1615) in dessen historischem Zentrum sind zwei außerordentlich prominente Bauwerke Kosovos. Dabei ist das „Erzengelkloster“ kein Gebäude im eigentlichen Sinn mehr, denn es begann bereits seit dem frühen 15. Jahrhundert zu verfallen und ist heute nur noch in – immerhin konservierten – Grundmauern erhalten. Und auch der Sinan-Pascha-Moschee fehlte seit seinem Abbruch im frühen 20. Jahrhundert bis zur Rekonstruktion 2011 der klassische, mit drei Kuppeln überwölbte Portikus. Am Beispiel dieser beiden Monumente und ihrer verwobenen Geschichte lassen sich Wirkung und Manifestation eines totalitätsorientierten Kulturverständnisses vor dem Hintergrund eines ausgeprägten Nationalismus über einen Zeitraum von etwas mehr als 100 Jahren abbilden. Vor dem Ausbruch der Postjugoslawischen Kriege, zu Beginn der 1990er Jahre, wurde diese Mischung brisant. Wenn die Stadt Prizren aufgrund ihrer im Hinblick auf Religion und ethnische Zugehörigkeit heterogenen Einwohnerschaft stets als „Jugoslawien im Kleinen“607 wahrgenommen wurde (wie im Übrigen auch Sarajevo), dann sind das „Erzengelkloster“ und die Sinan-Pascha-Moschee Prismen der Entwicklung und Transformation von (National-)Geschichte und Kultur in der Region. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gruben serbische Gelehrte in der Schlucht des Lumbardhi die materiellen Reste des mittelalterlichen Königreiches der Nemanjiden zunächst im Wortsinn aus und fügten sie in die ihnen plausibel erscheinende (National-)Geschichte ein – eine (Re-)Konstruktionsarbeit in jeder Hinsicht, die hier nur in ihren Grundzügen nachvollzogen werden kann. In der Folge diente das Konstrukt dazu, den serbischen Anspruch auf Kosovo zu „beweisen“, wie gleichermaßen zu zeigen, dass die Nation zunächst durch die Türken und später die Albaner gewaltsam um diesen Anspruch gebracht worden sei. Als gegen Ende des Jahrhunderts der Nationalismus im politischen Diskurs schließlich wieder maßgebend wurde, erfuhren auch die beiden Bauwerke wiederum einen immensen Zuwachs an Aufmerksamkeit. Ganz in der Tradition seiner Vorfahren der Nemanjiden-Dynastie hatte der serbische Herrscher Uroš IV. Dušan (1331–1355) unmittelbar vor seiner Kaiser-
606 Serb. Bistrica Klisura. 607 Äquivalent auch als „Balkan im Kleinen“.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 193 Abb. 12: Ruinen des in den 20er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ausgegrabenen und konservierten sogenannten „Klosters der heiligen Erzengel“, 1343–1352, auf einer historischen Postkarte, um 1960. Archiv Tobias Strahl.
krönung 1346 in Skopje608 an einer ausladenden Stelle am linken Ufer des Lumbardhi unweit der Stadt Prizren eine für damalige Verhältnisse gewaltige Kirche errichten lassen, die ihm einmal als Begräbnisstätte dienen sollte609. Der Ort für den um 1343 begonnen Bau war strategisch überaus klug gewählt. Parallel zum Fluss verlief in einer engen und steilen Schlucht die wichtige Verbindungsstraße und Handelsroute zwischen Skopje im Osten und Prizren im Westen. Wer die Stadt nach Osten verlassen oder, wichtiger noch, sie von dort erreichen wollte, musste zuvor die Anlage passieren. Dušan ließ seinen Bau den Erzengeln Michael und Gabriel weihen, da sich an selbiger Stelle bereits zuvor eine Kirche befunden hatte, die diesen geweiht war.610 608 Malcolm (1998), 48. 609 Begonnen hatte diese Tradition der Stammvater des Geschlechts der Nemanjiden, Stefan Nemanja (1113–1200) mit der Stiftung des Klosters Studenica (seit 1986 UNESCO-Weltkulturerbe) im serbischen Ort Ušće. 610 Subotić (1998), 220; Nenadović (1967), 5.
194 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Die gesamte Anlage umfasste neben der Stiftung Dušans spätestens ab dem Jahr 1352 eine weitere Kirche, die dem heiligen Nikolaus geweiht war, sowie verschiedene Unterkunftsgebäude, eine Bibliothek, ein Hospital und ein Refektorium. Etwa 50 serbische und 10 albanische Dörfer sollen dem Kloster unterstellt gewesen sein.611 Oberhalb des Ensembles aus sakralen Bauwerken und Wirtschaftsgebäuden befand sich eine weitere Festungsanlage, Višegrad (dt. Hochstadt)612 genannt, von der die Anlage überwacht und die Straße nach Prizren und Skopje entlang des Lumbardhi eingesehen werden konnte. Der Komplex, dessen Ausbau bis 1352 offenbar abgeschlossen war, wird nach der durch Dušan gestifteten Kirche als „Kloster der heiligen Erzengel“ bezeichnet.613 Jedoch scheint der Name nicht zu jeder Zeit und in jedem Kontext gebräuchlich gewesen zu sein. So ist die Struktur in einer Karte des US-Militärs von 1960, die sich wiederum auf die Karte des Nordwestbalkan der Wehrmacht bezieht614, als Dušanov grad (dt. Stadt Dušans) eingetragen. Bis zum heutigen Tag kennen viele Einwohner Prizrens (Prizreni) die Ruinen unter diesem Namen. Zuerst grub der serbische orthodoxe Theologe und Historiker Radoslav Grujić (1878–1955), ein Mitglied der Serbischen Königlichen Akademie wie der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, vom 6. Juni bis 27. August 1927 an der damals bereits seit Jahrhunderten aufgegeben Anlage.615 1928 veröffentlichte er einen 35-seitigen Forschungsbericht im Journal der Serbischen Wissenschaftlichen Gesellschaft (Glasnik Srpskog naučnog društva). Darin bezeichnet er den Komplex bereits als Kloster der heiligen Erzengel (Manastir Svetih Arhanđela).616 Der ebenfalls serbische Historiker Slobodan Nenadović führte in den 1960er Jahren die umfangreichsten Grabungs- und Konservierungsarbeiten durch. Der damals erreichte Zustand besteht im Hinblick auf die historische Substanz im Prinzip bis heute (Abb. 12). Aus den Aufzeichnungen von Grujić und Nenadović geht bereits hervor, dass die komplexe Struktur auch andere Funktionen als die eines Klosters hatte – bzw. die Funktionen eines Klosters im 14. und 15. Jahrhundert sehr viel umfangreicher 611 Kaleši (1972), 263, Anm. 23; Nenadović spricht von 93 Dörfern und einem Einzugsgebiet des Klosters bis zur Adria (Nenadović (1967), 8). 612 Janićijević (2001), 512. Auch Gornji grad (Obere Stadt) und Prizrenac (Prizrenburg) bei Subotić (1998), 220. 613 Trifunović (1981), 361; Subotić (1998), 220 ff. 614 Army Map Service (1960); vgl. Karte des Nordwestbalkan, 1:50,000, Generalstab des Heeres, Blätter 132/4, 133/3, Ausgabe 1943. 615 Nenadović (1967), 10. 616 Grujić (1928), 239.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 195
waren, als das heute der Fall ist. So führte etwa Nenadović Quellen aus dem Mittelalter an, nach denen die verstärkten Mauern und Wälle sowohl der Višegrad als auch um die Bauwerke am Fluss ständig von Posten überwacht wurden. Ihm zufolge handelte es sich bei der Anlage um eine befestigte Stadt (utvrđeni grad), die auch Schutz- und Verteidigungszwecken diente.617 Angesichts der strategisch günstigen Lage auf einer Landzunge im Fluss mit der Flanke des Mali-i-SharittGebirges618 im Rücken erscheint diese Annahme nicht abwegig. Auch kamen dort Einkünfte und Erträge aus wohl 60 Weilern zusammen, die sicher verwahrt werden mussten. Eine mögliche Erklärung für die Bezeichnung „Dušangrad“ ist hier insofern gegeben, als dass es sich tatsächlich um eine kleine Stadt mit kompletter zeitgenössischer Infrastruktur gehandelt hatte.619 1986, im Jahr der Veröffentlichung des Memorandums zur Situation in Kosovo, gab die Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste ebenfalls das Knjiga o Kosovu (Buch über Kosovo) ihres Mitglieds Dimitrije Bogdanović heraus. In einer deutschen Übersetzung erschien der Text 1992 im Jahr der Einführung der privremene mere in Kosovo, mithin sechs Jahre nach dem Tod seines Autors. Nenad Stefanov beschrieb 2011 die Bedeutung dieses Textes wie folgt: Diese Arbeit ist von besonderer Bedeutung, da sich darin all jene Momente der Wahrnehmung von Geschichte, nationaler Geschichte und dem Kosovo als schicksalhaftem Ort der nationalen Geschichte bündeln, die für den neuen nationalen Diskurs in Serbien prägend sein sollten. Als ebenso relevant erweist sich diese Arbeit in ihrem Verständnis von Geschichte als Wissenschaft, da sich darin die Ausrichtung auf Tradierung nationaler Geschichte exemplarisch manifestiert, wie sie innerhalb der Akademie jahrzehntelang betrieben wurde.620
Der Akademiker621 Bogdanović war gleichermaßen ausgebildeter Theologe der Serbischen Orthodoxen Kirche und Historiker. Eine Ausnahmeerscheinung war er in der SANU damit keineswegs. Auch andere Mitglieder der Akademie – da runter etwa Radoslav Grujić – profilierten sich in ebendiesen Feldern. Hierin zeigt sich einmal mehr der hybride Charakter der SANU als Institution, die zwischen wissenschaftlichem, religiösem und politischem Diskurs vermittelte. 617 Nenadović (1967), 5, 9, 16. 618 Serb. Šar Planina (wahrscheinlich von šaren (dt. bunt), aufgrund seiner gemusterten Berghänge aus Kalkstein, Wildblumen und Wiesen). 619 Vgl. Trifunović (1981), 361. 620 Stefanov (2011), 306. 621 Die SANU bezeichnet ihre Mitglieder als akademik (dt. Akademiker).
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Bogdanovićs Hauptanliegen ist der historische „Nachweis“ über den „serbischen Charakter“ der Provinz. In einer einfachen quasi-religiösen Gegenüberstellung von Serben und Albanern als „gute“ und „böse“ Antagonisten folgt seine Darstellung einem stereotypen Schema, das keine Grautöne kennt und sich durch einen wissenschaftlichen Anstrich zu legitimieren sucht. Bereits als Stütze der Türkenherrschaft, heißt es, seien die Albaner überaus grausam und blutrünstig mit den christlichen Serben umgesprungen: „Jede Toleranz steht im Islam unter Vorbehalt und trägt letztlich vorübergehenden Charakter […]. Die islamisierten Albaner wurden zum mächtigsten und grausamsten Werkzeug im Dienste der Bekehrung und Unterwerfung der christlichen Raja“622. Auch nach dem Ende der osmanischen Herrschaft sahen sich die Serben unverändert durch die „Terroristen anschläge albanischer Banden“ bedroht.623 Gegenwärtig (also 1986) vergingen sich die Albaner mit Vergewaltigungen624 und Morden625 an der serbischen Bevölkerung Kosovos. Das sogenannte „Erzengelkloster“ und die für die muslimischen Albaner sowie die türkische Minderheit der Region gleichermaßen wichtige Sinan-PaschaMoschee spielen eine wichtige Rolle im stereotypen Antagonismus Bogdanovićs. Sie bilden die manifesten „Beweise“ seiner Schilderungen. In diesem Zusammenhang schreibt er: „Das Kloster wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts zerstört, als Sinan Pascha Baumaterial benötigte, um 1595–1597 seine Moschee in Prizren zu errichten“.626 Bogdanović bedient hier das Klischee vom „türkischen Joch“, der grausamen Türkenherrschaft, die das mittelalterliche christliche Reich der Serben buchstäblich zerstörte, um aus dessen Trümmern ihr Regime zu errichten. Diese Metaphorik, die sich bekannter Topoi bedient, ist für das Schicksal des jugoslawischen Kulturerbes in den Kriegen der 1990er Jahre kaum zu überschätzen. Für seine Behauptung führt Bogdanović zwei Quellen zur Bestätigung an: einen 1960 in der Enzyklopädie der bildenden Künste (Enciklopedija Likovnih Umjetnosti) veröffentlichten Artikel627 und Vasilije Markovićs 1920 erschienenes Buch Pravoslano Monaštvo i Manastiri u Srednjevekovnoj Srbiji (Orthodoxes Mönchtum und Klöster im mittelalterlichen Serbien)628. Diese Quellenauswahl gibt in mehr als einer Hinsicht zu denken. Bogdanović vernachlässigte offenbar einige weitere Schrif622 623 624 625 626 627 628
Bogdanović, Dimitrije (1992), 117 ff. Bogdanović, Dimitrije (1992), 231. Bogdanović, Dimitrije (1992), 313. Bogdanović, Dimitrije (1992), 320. Bogdanović, Dimitrije (1992), 56. Leksikografski Zavod (1959/60), Bd. 1, 131 ff. Marković (1920), 104–106.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 197 Abb. 13: Sinan-Pascha-Moschee, 1615, im Zentrum Prizrens vor der Rekonstruktion des Portikus im Jahr 2011. Archiv Tobias Strahl.
ten zu demselben Thema, die zum Teil von Mitgliedern der SANU oder der Serbischen Königlichen Akademie stammen.629 Er ignorierte ebenfalls die beiden bis heute maßgeblichen Texte von Slobodan Nenadović und dessen Kollegen Hasan Kaleši. Nenadović veröffentlichte seine Forschungsergebnisse 1967 in einer Jahresschrift der SANU, dem Spomenik (Denkmal), unter dem Titel Dušanova Zadužbina Manastir Svetih Arhanđela kod Prizrena (Dušans Stiftung Kloster der heiligen Erzengel bei Prizren).630 Der albanische Historiker und Ethnograf Hasan Kaleši (1922–1976) wiederum hatte zu Beginn der 1970er Jahre zum „Erzengelkloster“ 629 Etwa Srećković (1865), die erste Arbeit zum „Erzengelkloster“ und der Sinan-PaschaMoschee überhaupt; auch Jastrebov (1879 und 1904), der harsche (Quellen-)Kritik an Srećković übte; schließlich Grujić (1928). 630 Nenadović (1967). Nach Nenadović sind keine vergleichbaren Arbeiten am „Erzengelkloster“ mehr durchgeführt worden. Zu Recht gilt sein im Hinblick auf Detailliertheit und Sorgfalt unerreichter Text unverändert als Standardwerk und Basis für jede weiterführende Forschungsarbeit.
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und der Sinan-Pascha-Moschee geforscht. Als erster und bis dahin einziger Wissenschaftler zog er konsequent serbische und osmanische Quellen gleichermaßen heran. Für seine 1972 in Prishtina publizierte Arbeit Najstariji Vakufski Dokumenti u Jugoslaviji na Arapskom Jeziku (Die ältesten Vakuf-Dokumente in Jugoslawien in arabischer Sprache) hatte Kaleši auch die osmanischen Stiftungsurkunden bzw. -dokumente (vakufnama) ausgewertet.631 Alle Arbeiten, auch die von Nenadović und Kaleši, waren für Bogdanović einfach zugänglich. Den Beweggründen, die ihn motiviert haben mögen, entgegen der üblichen wissenschaftlichen Praxis den Lesern die maßgeblichen Erkenntnisse zu seinem Gegenstand vorzuenthalten, können wir uns lediglich über seinen Text annähern. Hier fällt überraschend auf, dass Bogdanovićs Quellen seine Behauptung gar nicht bestätigen. In der Enzyklopädie der bildenden Künste heißt es vielmehr: Mit der Ankunft der Türken wurde das Kloster verlassen und seine Zerstörung begann. Ein Teil des Materials wurde für das Mauerwerk der Sinan-Pascha-Moschee in Prizren (1615) verwendet; heute sind in ihr Kapitelle aus den Heiligen Erzengeln zu sehen.632
Die „Ankunft der Türken“ in Prizren ist präzise dokumentiert. Am 9. Juni 1455 ergab sich die Stadt ihren osmanischen Eroberern.633 Die Zerstörung des Klosters begann demnach bereits 145 Jahre vor der Errichtung der Moschee. Immerhin räumt der Beitrag in der Enzyklopädie ein, dass Kapitelle der Kirche beim Bau der Moschee Verwendung fanden. Tatsächlich sind in der Muezzin mahfili der Sinan-Pascha-Moschee, dem gegenüber der Minbar gelegenen, gesondert überdachten, vom Gebetsraum geschiedenen Bereich des Muezzins, Kapitelle und Säulenbasen verbaut worden, die sich deutlich vom Baukörper der Moschee als Ganzes abheben. Es ist offensichtlich, dass es sich um Spolien handelt, die als Kapitelle ursprünglich Teile eines anderen mittelalterlichen Sakralbaus waren.634 Dafür, dass sie dem Klosterkomplex der hei631 Kaleši (1972). 632 „Po dolasku Turaka, manastir je zapusteo i počeo se rušiti. Jedan deo materijala je upotrebljen za zidanje Sinan-pašina džamije u Prizrenu (1615); danas se u njoj vide kapiteli iz Sv. Arhanđela“ (Leksikografski Zavod (1959/60), 132). 633 Nenadović (1967), 9; bei Malcolm (1998), 91, der 21. Juni. 634 Die Verwendung von Elementen aus älteren Bauwerken, sogenannte Spolien, war bereits in der Antike bei der Errichtung neuer Bauwerke gängige Praxis, stellt also keinen ungewöhnlichen Fall dar und bedeutet nicht zwangsläufig, dass der ursprüngliche Träger der als Spolien verwendeten Bauteile – sofern er bekannt ist – für das neue Bauwerk absichtlich zerstört wurde.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 199
Abb. 14: Muezzin mahfili in der Sinan-Pascha-Moschee in Prizren und Kapitelle. Archiv Tobias Strahl.
ligen Erzengel entstammen, gibt es auch in den Quellen, die Dimitrije Bogdanović anführt, keine Belege. Der albanische Historiker Muhamed Shukriu merkt darüber hinaus an, dass die Muezzin mahfili der Sinan-Pascha-Moschee erst sehr viel später nach dem Datum ihrer Fertigstellung (1615) erfolgt sein soll635, was die Entnahme der Kapitelle aus der Ruine des „Erzengelklosters“ nicht ausschließt. Die Ausführungen bei Vasilije Marković, der zweiten Quelle Bogdanovićs, fallen etwas umfangreicher aus: Leider ist das Kloster nicht erhalten, um seinen Platz als Kulturdenkmal des mittelalterlichen Serbien neben Banjska und Dečani einzunehmen. Das Kloster wird [...] 1373 erwähnt, als sich Dubrovniker Kolonisten aus Angst vor Nikola Altomanović im Kloster „H. Erzengel“ versteckten. [...] Die folgende [in den Quellen; T. S.] angeführte Generation, die das Kloster beschreibt, sagt, St. Novaković zufolge, wahrscheinlich im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts über das Kloster, dass „seine Güte“ (Schönheit) „der Zerstörung nahe ist“. Die letzte Erwähnung des Klosters stammt aus den Jahren 1427/37, als sich in einem Eintrag ein Mihail als Abt „kaiserlicher Familie ... der freien und ehrenhaften Erzengel Michael und Gabriel und Rafael“ bezeichnet. [...] Imposant sind die Ruinen der Hl. Erzengel. 4–5 Kilometer dem Verlauf der Bistrica folgend, stößt man auf die Überreste von zehn großen Bauwerken, von denen eines eine Kirche war. 635 Shukriu (2001), 299.
200 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Jahrhundertelang wurde von dort Baumaterial nach Prizren gebracht und noch immer gibt es viel davon. Der ganze Komplex war von einer dicken Mauer umgürtet, auf der Türme standen. Noch heute ist der Platz bekannt, an dem sich die Zugbrücke über die Bistrica befand. I. Jastrebov behauptet, dass Sofi-Sinan paša, geboren in der Gegend von Prizren, das Material des Erzengelklosters zum Bau der Hauptmoschee in Prizren, der Sinan-paša [Moschee; T. S.], verwendete, zur Zeit, als er Vali Budas und Beglerbeg Rumeliens war, d. i. 1595–7 oder 1615.636
Wenngleich die Ausführungen Markovićs generell eher vorsichtig formuliert sind, bleibt festzuhalten, dass auch er notiert, dass das Kloster vor der türkischen Eroberung Prizrens bereits zerstört war. Er lässt offen, wo die als Baumaterial abtransportierten Überreste verwendet wurden. Aus gutem Grund. Denn es dürften einige Gebäude der Stadt in Frage kommen, die von dem Material der Ruine profitiert haben könnten, was heute kaum mehr mit einem vernünftigen Aufwand festzustellen wäre. Die Ruinen der Dušangrad dienten dann, wie das im Mittelalter und auch noch später europaweit durchaus üblich war, als ergiebige Quelle bereits behauener Steine. Überdies schreibt Marković, dass es zum Zeitpunkt seiner Notizen noch immer viel Baumaterial an der Anlage gab. Als Grujić 1927 und etwa 40 Jahre später Nenadović die Ausgrabungen an dem Komplex leiteten, ist davon nicht mehr die Rede. Auf der Fotografie (Abb. 12), die aus den 1960ern stammt, ist neben den konservierten Grundmauern kein weiteres Material zu sehen. Der Abtransport der übrigen Trümmer der Anlage muss demzufolge in der Zeit der ersten grundlegenden städtebaulichen Umgestaltung Prizrens 1920 bis 27 erfolgt sein. Tatsächlich gibt es kaum wissenschaftlich belastbare Erkenntnisse, wie viele der Trümmer des komplexen historischen Ensembles in der Lumbardhi-Schlucht beim Bau der Sinan-Pascha-Moschee Verwendung fanden. Mit Sicherheit auszuschließen ist, dass ein osmanischer Würdenträger mit dem Namen Sinan, der den Rang eines Generals (Pascha) begleitete, das „Erzengelkloster“ für den Bau seiner Moschee zerstört hat, wie Bogdanović in seinem Buche behauptete. 636 Marković (1920), 105, 106, Übersetzung T. S.; vgl. Nenadović (1967), 9; Stojan Novaković (1842–1915), serb. Historiker, Politiker und Übersetzer; Ivan Stepanović Jastrebov (18391894), russ. Historiker und Konsul. Vasilije Marković (1882–1920) galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Serbien offenbar als Referenz unter den serbischen Historikern. In Prijepolje, im Südwesten Serbiens an der Grenze zu Montenegro geboren, besuchte er bis 1908 die Velika Škola in Belgrad. Nach der Erlangung der Doktorwürde nahm er an den Balkankriegen 1912/13 teil. In seinem wissenschaftlichen Werk konzentrierte er sich auf die Geschichte der serbischen Klöster (Marković (1920), Geleitwort des Lehrers Markovićs, Stanoje Stanojević, ebd.: III), wofür er akribisch Quellen, darunter viele Originaldokumente aus dem mittelalterlichen Serbien zusammengetragen hatte.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 201
Abb. 15: Fotografie und Rekonstruktionszeichnungen von Kapitellen der Kirche der heiligen Erzengel im Bistrica-Tal. Bildunterschrift oben: „Abb. 26. – Kleine Kapitelle aus dem Inneren der Kirche der hl. Erzengel“. Meine Markierungen heben die in der Sinan-Pascha-Moschee verbauten ähnlichen Kapitelle hervor. Bildunterschrift unten: „Abb. 22. – Großes Kapitel der Kolonnade der Narthex der hl. Erzengel, gebraucht in der Moschee Sinan Paschas als Basis einer Säule des Balkons“ (gemeint ist die Muezzin mahfili). Grujić (1928), 254, 256.
Die einzig verwertbaren Erkenntnisse haben im besten Wortsinn fragmentarischen Charakter. So fand Radoslav Grujić während seiner Grabungen in den 1920er Jahren Teile von Kapitellen aus der Kirche der heiligen Erzengel (1343), die tatsächlich eine große Ähnlichkeit mit den in der Muezzin mahfili der SinanPascha-Moschee verbauten Spolien aufweisen (Abb. 15).
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Slobodan Nenadović, der auch unter serbischen Kunsthistorikern unbestritten als die maßgebliche Referenz zur Geschichte der Anlage im Tal des Lumbardhi gilt, schrieb in seiner Studie 1967 sich auf eine Chronik aus dem 15. Jahrhundert beziehend: Die Stiftung Dušans versah ihren Zweck etwas länger als etwa ein Jahrhundert. Am 9. Juni 1455 eroberten die Türken Prizren und nahmen in diesem Zuge auch das Kloster vollständig ein. Der Umstand, dass es sich gleichermaßen auch um eine befestigte Stadt handelte, hat es wahrscheinlich gerettet, wenn ihm auch möglicherweise schon große Schäden zugefügt wurden. Das wird auch in den Worten jener Chronik ersichtlich, die es so gelobt hatte und die über es sagt: „Und solche Schönheit, die Sünde ist mein, ist nahe der Zerstörung.“ In diesem Zustand konnte das Kloster nur wegen Zerstörungen und Verlassenheit sein, weil es ebenso solide gebaut war wie Banjska und Dečani.637
Über dem Versuch der Rekonstruktion der großen Kuppel der Kirche der heiligen Erzengel, die ehemals deren Naos, den Zentralraum, überwölbte und durch vier kleinere konzentrische Kuppeln sehr wahrscheinlich ergänzt wurde stellte Nenadović fest: Von dem Tambur der großen Kuppel der Kirche der Heiligen Erzengel ist nur ein Stück erhalten, der sich heute bei der in Ruinen liegenden Kirche befindet. Fragmente der kleinen Kuppeln existieren bei der in Ruinen liegenden Kirche fünfzehn Stück. Außer diesen Fragmenten wurden fünfzehn weitere Stücke in den Mauern der Sinan-Pascha-Moschee in Prizren verbaut, zumindest kann man so viele Stücke heute von außen sehen. Drei Stücke sind in der nördlichen Wand verbaut; an der Seite, an der sich einst der Portikus der Moschee befand, von dem sich an der Wand noch die drei Bögen abzeichnen; über jedem Bogen befindet sich ein Tambour aus der Kuppel der Heiligen Erzengel. […] Die übrigen Fragmente befinden sich unter den Fenstern, diese sind beschädigt, weil sie an den Platz, wo sie gebraucht wurden, angepasst werden mussten. Diese Fragmente kann man heute sehen; möglicherweise gibt es mehr davon, aber diese sind nicht sichtbar.638
637 Nenadović (1967), 9 f. 638 Nenadović (1967), 33.
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Abb. 16: Fotografien von Fragmenten von Kapitellen, die Slobodan Nenadović bei seiner Ausgrabung des „Klosters der heiligen Erzengel“ zwischen 1961 und 1965 fand. Nenadović (1967), Tafel II, V, X, XIII.
Wie Grujić fand auch Nenadović bei seinen Grabungen einige Kapitelle und Fragmente von Kapitellen in unmittelbarer Nähe der Kirche der heiligen Erzengel, die den in der Muezzin mahfili der Sinan-Pascha-Moschee verbauten sehr ähnlich waren (Abb. 16). Und ebenso wie Grujić schloss Nenadović daraus, dass der Herkunftsort Letzterer die Kirche der heiligen Erzengel in der Lumbardhi-Schlucht gewesen sein muss639. 639 Nenadović (1967), 72, Tafel XIII, XIV, XV.
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Über die von Nenadović benannten hinaus gibt es keine wissenschaftlich gesicherten Belege für eine Verwendung von Bruchstücken des „Erzengelklosters“ beim Bau der Moschee. Einen plausiblen Stilvergleich der als Spolien verbauten Kapitelle mit ähnlichen Strukturelementen in Kirchen in Kosovo und der Bucht von Kotor (Montenegro) hat zuletzt Gojko Subotić in seiner Monografie zu serbischen sakralen Bauwerken in Kosovo vorgenommen.640 Er verglich die Kirche der heiligen Erzengel unter anderem mit der zwischen 1327 und 1334/35 im Kloster Visoki Dečani errichteten Stefanskirche, deren Stifter der Vater Dušans, Stefan Uroš III. „Dečanski“ war. Ebenso wie bei diesem Bauwerk hätten an der Kirche der heiligen Erzengel bei Prizren Baumeister aus Kotor mitgewirkt, auch einige der Steinmetze seien wahrscheinlich sogar dieselben wie in Dečani. Ähnliche Kapitelle wie die in den Ruinen aufgefundenen und in der Muezzin mahfili verbauten, die „gleiche Form mit steifen Blättern, [die] in überhängenden, dicken Knospen enden“, befänden sich unter anderem auch im Lapidarium von Kotor und dem Franziskanerkloster von Dubrovnik.641 So weit zu den wenigen gesicherten Fakten – die im deutlichen Widerspruch zu den Darstellungen Bogdanovićs stehen. Darüber hinaus existieren zu den beiden Monumenten im Süden Kosovos jedoch auch volkstümliche Legenden, die weitaus bekannter und verbreiteter sind als die wissenschaftlichen Texte von Marković, Grujić und Nenadović. Bereits 1972 schrieb Kaleši: „Viele unserer Wissenschaftler und einige Journalisten behaupten, sich auf eine Legende beziehend, dass er [Sinan Pascha] das Kloster zerstört hat und an seiner statt und aus seinen Steinen die Moschee erbaut hat“642. Im Grunde handelt es sich um zwei Legenden – oder um die beiden Wurzeln oder Stränge der einen, die Kaleši in seinem Text erwähnt. Einen Teil hatte ein Mann namens Petar Kostić, ein (serbischer) Einwohner Prizrens und Geschichtensammler in den 1940er Jahren konserviert: Demnach war dem osmanischen Würdenträger Sinan Pascha bewusst, dass er das intakte „Erzengelkloster“, dessen Steine ihm für den Bau seiner Moschee geeignet schienen, nicht ohne die Erlaubnis des Sultans würde abreisen dürfen. Da er diese Erlaubnis nicht auf legalem Wege erhalten konnte [!], ersann er eine List. Er schrieb dem Sultan einen Brief, in dem er berichtete, dass sich in dem Kloster Räuber versteckt hielten, die auf dem Weg nach Skopje befindliche Reisende ausraubten und umbrachten. Um sich Zeu640 Subotić (1998). 641 Subotić (1998), 229. 642 „Mnogi naši naučnici i pojedini novinari, pozivajući se na neku legendu, tvrde da je on taj manastir srušio i dao da se na njegovom mestu i od njegovog kamena sagradi džamija“ (Kaleši (1972), 263).
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gen für diese Behauptung zu verschaffen, bestach Sinan Pascha das Oberhaupt der Familie Vujić aus der Sredačka Župa643, dem er eine Karlica644 Dukaten versprach, wenn er ihm dafür die Unterschriften der Würdenträger der Region brachte, die seine Worte an den Sultan mit ihrem Namen bestätigen und ihrerseits um den Abriss des Klosters baten. Der Župan645 Vujić brachte die Unterschriften wie vereinbart bei und Sinan Pascha sandte seinen Antrag an den Sultan in Konstantinopel. Als der Tag kam, an dem Sinan Pascha seine Schuld bei Vujić begleichen sollte, sah sich dieser wiederum durch den türkischen General betrogen. Denn er hatte ihm statt der vereinbarten Dukaten unter lediglich einer dünnen Schicht der Münzen das Maß gefüllt mir Hirse übersandt. Die Einwohner der Sredačka Župa beschuldigten ihr Oberhaupt daraufhin, er habe das Kloster der heiligen Erzengel um ein Maß Hirse verkauft. Als der Abriss des Klosters begann, sollen die Würdenträger der Sredačka Župa der Legende nach empört an den Sultan geschrieben und ihm den Betrug seines Generals mitgeteilt haben. Als der Sultan erfuhr, wie ihn Sinan Pascha getäuscht hatte, sandte er ihm einen seidenen Strick mit den Worten, er solle entweder die Moschee wieder abreisen und das Kloster wieder aufbauen, oder sich mit dem seidenen Strick, den er ihm zu diesem Zweck gesandt habe, aufhängen. Sinan Pascha hätte sich jedoch lieber aufgehängt als seine Stiftung wieder abzureisen. Auch Slobodan Nenadović führte die Aufzeichnungen Kostićs, auf die Kaleši verweist, als eine wahrscheinliche Quelle an.646
643 Pfarrei von Sredska in der Nähe Prizrens; das Toponym kann Aufschluss über die Entstehungszeit der Legende geben, denn die Sredačka Župa war eine Verwaltungseinheit, die im Königreich Jugoslawien (1918–1941) eingerichtet wurde – Sinan-Pascha war etwa 300 Jahre zuvor gestorben. 644 Karlica war in Prizren ein Maß für das Abmessen von Getreide; es beinhaltete 25–35 oka je nach Gewicht des jeweiligen Getreides; ein oka sind 1280 Gramm. 645 Oberhaupt, Vorsteher einer župa. 646 Kaleši (1972), 263; Nenadović (1967), 10, Anm. 40; vgl. Prijatelji Edicije Nemanjički Manastiri et al. (2009), 12. Das einzige, was an dieser Legende wahr sei, schrieb Kaleši, ist, „dass es einem Pascha nicht leichtgefallen wäre, solch ein bekanntes Kloster ohne die Erlaubnis der zentralen Regierung zu zerstören“. Tatsächlich erinnert die Geschichte eher an ein Märchen als an eine tatsächliche Begebenheit. Dafür spricht auch das Element der seidenen Schnur. Der Legende nach sollen hohe osmanische Würdenträger, die sich die Ungnade des Sultans zugezogen hatten, mit einer seidenen Schnur erdrosselt worden sein. Als prominentes Beispiel, das diesen Mythos belegen soll, dient die Hinrichtung Kara Mustafa Paschas 1683. Der österreichische Orientalist Erich Prokosch hat in einer Arbeit die Erzählungen von der angeblichen osmanischen Hinrichtung mit der seidenen Schnur thematisiert. Er kommt zu dem Schluss, dass diese eine Erfindung der Literatur des späten
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Den zweiten Strang der Legende fand Kaleši in den Podatci Istoriju Srpske Crkve Iz Putničkog Zapisnika (Daten zur Geschichte der serbischen Kirche aus Reiseaufzeichnungen) von Ivan Jastrebov.647 Der bezog sich auf die 1865 in Belgrad erschiene Schrift Sinan-paša von P. Srećković, deren „gewaltige Fehler“ er kritisierte:648 Auf der Basis der Chronik des Abts Aksentija, sagt Herr Srećković, dass dieser erste Sinan-paša, der frühere fünfmalige Großwesir, die Kirche der Hl. Erzengel, die Stiftung Zar Dušans, zerstörte, und die Moschee in Prizren, die seinen Namen trägt, baute.649
Die Aufzeichnungen des Abts Aksentija des Klosters des heiligen Markus (Manastir Svetog Marka)650, beruhten, Jastrebov zufolge, auf den Geschichten, die der Abt von seiner Mutter, der Großmutter und seinem Bruder, Sima A. Igumanov, gehört habe – mit den historischen Tatsachen hätten diese Geschichten jedoch nichts gemein.651 Srećković habe den Fehler begangen, die Chronik für bare Münze zu nehmen und sie nicht an historischen Ereignissen zu überprüfen.652 Das Resultat sei nun eine phantastische Mischung der Biografien des Sofi-Sinan-Pascha und des Kodža-Sinan Pascha, die nicht mit den Aufzeichnungen osmanischer Historiker wie Tarih-i Naima übereinstimmten. Die Christen der Stadt Prizren wüssten nicht
647
648 649
650 651 652
19. und frühen 20. Jahrhunderts ist (was wiederum auf die Entstehung der Legende um Sinan Pascha in dieser Zeit verweist) (Prokosch (2004), 446 ff.). Kaleši nennt drei Schriften Jastrebovs: Sinan-paša i Kukli-beg. Glasnik SUD XLIII, str. 1-51, Beograd 1876; ders.: Stara Serbija i Albanija. Spomenik SAN XLI, II razred, str. 36, Beograd 1904; ders.: Podatci za istoriju srpske crkve. Beograd, 1875. In allen drei Texten würden dieselben Daten angeführt, erklärt Kaleši: „U stvari, u sva tri članka nalaze se isti podaci“ (Kaleši (1972), 258, Anm. 2). Das ist tatsächlich der Fall. Jastrebov verweist an den Stellen zum „Kloster der heiligen Erzengel“ und der Sinan-Pascha-Moschee in dem 1904 in Belgrad auf Russisch erschienenen Stara Serbija i Albanija auf den Band von 1875/79 (Jastrebov (1904), 42, 48). Jastrebov (1879), 91; zu Pantelija Srečković auch: Höpken (2005), 354. Offenbar freundete sich Jastrebov später mit Srećković an – wie aus dem Vorwort von Stara Serbija i Albanija (1904) hervorgeht. „Na osnovu ljetopisa o. Aksentija, g. Srećković drži, da je onaj prvi Sinan-paša, bivši pet puta sadrazam [türk. Großwesir; T. S.], razrušio crkvu sv. Arhanđela, zadužbinu cara Dušana i načinio u Prizrenu džamiji, koji nosi njegovo ime.“ (Jastrebov (1879), 92); načinio, 3. Pers. Perfekt von načiniti, dt. tun, machen, anfertigen. Wahrscheinlich das Kloster Sveti Marko Koriški (15. Jh.) in Koriša am gleichnamigen Fluss in der Nähe von Prizren. Jastrebov (1879), 92. Jastrebov (1879), 91 ff.
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genau, „wer dieser Sinan-paša ist, aber ihnen ist sehr wohl bewusst, dass irgendein Sinan-paša die orthodoxe Kirche der hl. Erzengel zerstört und aus ihr eine Moschee gebaut hat [...]“653. Mit einem Wortspiel fasst Jastrebov die Legende zusammen: Die Aufzeichnungen Aksentijas und die Geschichten der Mutter, ebenso wie deren Tradierung durch die Christen und Muslime Prizrens, träfen die Sache nicht als das, was sie war, sondern wie sie ihnen gefiele „ne kao što je bilo, nego kako mu je milo“654. Hier wird es kompliziert, denn plötzlich existieren zwei osmanische Beamte mit dem Namen Sinan im Rang eines Paschas mit ähnlichen, jedoch nicht identischen, biografischen Daten. Beide kommen als Bauherren der Moschee in Prizren in Frage. Eine absolute Gewissheit über den tatsächlichen Bauherren der Moschee gibt es jedoch bis heute nicht und die Geschichte ist von mündlich überlieferten Legenden kaum zu unterscheiden. Wichtig ist, festzuhalten, auf welchen Quellen die Darstellungen Srećkovićs bis Bogdanovićs fußen, wobei Letzterer sie überdies zusätzlich (und wahrscheinlich intentional) korrumpierte. Die Legende um das angeblich für den Bau der Hauptmoschee Prizrens zerstörte „Erzengelkloster“ wäre als historische Marginalie abzutun, wenn sie nicht unmittelbar nach dem Rückzug der letzten türkischen Truppen zur ersten Hochzeit des serbischen Nationalismus fatale Folgen für die Moschee gezeitigt hätte. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs waren unterlegene serbische Verbände im November 1915 gezwungen, vor den vorrückenden deutschen und österreichischen Truppen aus Kosovo über die albanischen und montenegrinischen Berge an die Adriaküste zu entkommen. Deutsche, österreichisch-ungarische und bulgarische Einheiten besetzten Serbien655 und Kosovo wurde 1916 und 1917 durch das mit Österreich-Ungarn verbündete Bulgarien verwaltet656. Dieses zunächst nebensächlich erscheinende Detail könnte sich als bedeutend erweisen. Nachdem Deutschland und dessen Verbündeter Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg unterlegen waren, mussten sich auch die Bulgaren wieder aus Kosovo zurückziehen. Die Region fiel wiederum an Serbien. Nach der erneuten Besetzung Kosovos, schreibt Muhammed Shukriu, habe die serbische Regierung im Jahr 1919 beschlossen, die Sinan-Pascha-Moschee abzureisen, um aus den Trümmern das sogenannte „Erzengelkloster“ in der Lumbardhi653 „Hrišćani ne znaju upravo koji je to Sinan-paša, ali vrlo dobro pamte, da je nekakav Sinanpaša razrušio slavnu crkvu sv. Arhanđela i načinio od nje džamiju [...]“ (Jastrebov (1879), 97). 654 Jastrebov (1879), 98; vgl. Kaleši (1972), 265. 655 Boeckh (2009), 94. 656 Polónyi (2010), 82.
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Schlucht wieder zu errichten, wie dies 1615 in umgekehrter Ordnung angeblich Sinan Pascha vorgenommen hatte. Wenn diese Informationen den historischen Tatsachen entsprächen, läge ein erstes Beispiel vor, wie die Legende der Brutalität der Osmanen und einer durch diese vorgenommene Zerstörung eines Bauwerks als Rechtfertigung für eine Kulturerbezerstörung gebraucht wurde. Aber so einfach ist es nicht. Die serbische Verwaltung Kosovos soll einen Ingenieur namens Ivan Vangelov mit dem Abbruch der Hauptmoschee beauftragt haben. Dieser soll sich, so die örtliche Überlieferung des Ereignisses, nach der erfolgreichen Zerstörung des Portikus mit einer Flasche Brandy auf dem Platz vor der Moschee, am Brunnen für die rituelle Reinigung vor dem Gebet (šadrvan), niedergelassen haben, um seine Arbeit gebührend zu feiern. Empört durch den Angriff auf das wichtige Bauwerk und die verächtliche Geste Vangelovs hätten die Prizrener Muslime die Ermordung des Ingenieurs ins Werk gesetzt – eine Tat, für die schließlich der angesehene Prizrener Bürger Haxhi Rrustem Shporta gewonnen werden konnte. Letzterer tötete Vangelov, wurde der Tat jedoch überführt und durch die serbische Regierung mit 20 Jahren Haft und der Einziehung seines Vermögens bestraft.657 Tatsächlich ist der Portikus der Sinan-Pascha-Moschee zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgebrochen worden. Jedoch wurde der Abriss der Moschee darüber hinaus nicht fortgesetzt. In der Anekdote Shukrius stellt der Mord am Ingenieur Ivan Vangelov eine auf den ersten Blick plausible Erklärung dar. Es gibt jedoch einige Gründe, den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte in Frage zu stellen. Zunächst geben die Quellen des Historikers Anlass zu Zweifeln. In einer davon, dem poetischen Text des Prizrener Dichters Ymer Paçarizi (1870–1928), der sich im Besitz seiner Familie befände, wird die „serbische Barbarei“ beschrieben. Als weitere Quelle dient die Aussage eines gewissen Tefik (1899–1970), der Mitglied der Gilde der Schumacher – „anëtar i esnafit të këpucëtarëve“ – Prizrens war, die noch zur Eröffnung des Museums für Orientalische Handschriften am 20. April 1968 als Magnetbandaufnahme vorgelegen habe, später jedoch verschwunden sei. Zuletzt wird der Bericht eines gewissen Abdurrahim Kuçan vom 19. August 1992 (!) angeführt, der durch Angehörige der Familie Haxhi Rrustem Shportas bestätigt würde.658 Auch die Details der Geschichte wecken Misstrauen. Zu offensichtlich ist die Gegenüberstellung des in der muslimischen Glaubensethik vorgeschriebenen Alkoholverzichts einerseits und des trinkenden Ingenieurs andererseits, des reinigenden Brunnenwassers hier und des (verunreinigenden) Brandys des Serben dort, 657 Shukriu (2001), 298. 658 Ebd.
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Abb. 17: Sinan-Pascha-Moschee, 1615, in Prizren, Ansicht vor 1918 von Südosten, historische Postkarte. Archiv Tobias Strahl.
um darin nicht ein dramaturgisches Element zu erkennen. Zudem erscheint die Tat Haxhi Rrustem Shportas zutiefst patriotisch, gelingt es ihm doch, den Abbruch der Hauptmoschee der Stadt aufzuhalten – auch wenn er dafür zum Märtyrer werden muss. Hier schließen sich weitere Fragen an: Warum genügte die Ermordung des Ingenieurs, um den Abbruch zu stoppen? Warum wurde die Arbeit nicht durch eine andere Person fortgesetzt – gerade wegen des Mordes an Vangelov? Entgegen den Einlassungen Shukrius erklärte die UNESCO in einer Studie zum Kulturerbe Kosovos aus dem Jahr 2003, dass der Portikus der Sinan-PaschaMoschee nicht 1919, sondern vielmehr 1939 abgebrochen worden sein soll.659 Das verwundert insofern, als das in dem Dokument keine Quelle für diese abweichende Behauptung genannt wird. Auch das Goethe-Institut nennt 2012 in einer internationalen Wanderausstellung zum osmanisch-islamischen Kulturerbe der Balkanhalbinsel ohne Quellenangabe 1939 als das Jahr des Abbruchs des Portikus.660 659 „The traditional portico has been demolished in 1939. It consisted of four pillars carrying arches supporting small domes; traces still can be seen in the site.“ (UNESCO (2003), 68). 660 Die Informationen sowohl zur Ausstellung als auch für den Katalog dazu wurden von einem Gremium aus neun Wissenschaftlern aus der Türkei, Kosovo, Albanien, Kreta, Ma-
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Abb. 18: Fluss Lumbardhi (Bistrica), Steinbrücke (Kameni Most), Viertel Potkaljaja und Festung Kaljaja, halb rechts Sinan-Pascha-Moschee, 1615, in Prizren ohne Portikus, Ansicht nach 1918, vor 1939 von Nordwesten, historische Postkarte. Archiv Tobias Strahl.
Aber auch ohne weitere Informationen können wir 1939 als Jahr des Abbruchs verwerfen. Auf einer Postkarte, versandt von Prizren nach Belgrad nach 1918661, ist die Sinan-Pascha-Moschee vor dem Abbruch des Portikus abgebildet (Abb. 17). Das Motiv der Ansichtskarte (razglednica) ist, wie die Mehrzahl solcher Karten aus Prizren, von der ehemals osmanischen Festung Kaljaja am östlichen Ausgang der Stadt aufgenommen worden und zeigt die Altstadt Prizrens – hier an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die Moschee und ihr Portikus sind im Bild gut zu erkennen. Auf zwei weiteren Postkarten hingegen, versandt 1934 und 1936, ist die kedonien und Serbien unter der Redaktion von Prof. Dr. Christina Koulouri von der Pantelon-Universität in Athen zur Verfügung gestellt. (Goethe-Institut (2012), 22, 70). 661 Die Postkarte ist mit einer Briefmarke frankiert, die das Profil des Königs des Königreiches der Serben Kroaten und Slowenen (Kraljevina Srba Hrvata i Slovenaca) Aleksandar I. Karađorđević abbildet. Die Marke ist als Marke des Königreichs ausgewiesen. Das Königreich wurde 1918 durch Aleksandar proklamiert (Polónyi (2010), 82). Als frühestes Versanddatum der Karte muss folglich 1918 angenommen werden (was nicht heißt, dass das Bild der Ansichtskarte nicht früher aufgenommen und die Karte später versandt worden sein kann).
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Abb. 18a: Rückseite der Postkarte, Hervorhebung des Versanddatums der Karte durch mich. Archiv Tobias Strahl.
Moschee aus unterschiedlichen Perspektiven abgebildet (Abb. 18, 18a, 19, 19a). Das Motiv der Postkarte von 1934 (Abb. 18, 18a) ist entlang des Flusses Lumbardhi von West nach Ost aufgenommen. Sein Gegenstand ist die berühmte Steinerne Brücke (Kameni Most) sowie die bereits geschliffene osmanische Festung Kaljaja und das unter ihr liegende Viertel Potkaljaja662. Im rechten Bildteil ist die SinanPascha-Moschee abgebildet – bereits ohne Portikus. Die Fotografie der Postkarte von 1936 (Abb. 19, 19a) wiederum ist aus derselben Perspektive aufgenommen wie die frühere Karte (Abb. 17). Deutlich erkennbar sind die Veränderungen im Stadtbild. Um die Sinan-Pascha-Moschee ist eine freie Fläche geschaffen worden, einige Bauten um den šadrvan sind, ebenso wie die hölzernen Überbauungen der Brücken, abgebrochen worden. Wiederum ist die Sinan-Pascha-Moschee deutlich zu erkennen – auch hier ohne ihren Portikus. Von den Versanddaten – 1934 und 1936 – ausgehend, kann angenommen werden, dass die Motive spätestens in diesen beiden Jahren, sehr wahrscheinlich jedoch davor, aufgenommen worden sind, wenn wir zusätzlich einige
662 für „unter der Festung“.
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Abb. 19: Sinan-Pascha-Moschee, 1615, in Prizren, Ansicht nach 1918, vor 1939 von Südosten, historische Postkarte. Archiv Tobias Strahl.
Zeit für Reproduktion und Verteilung der Karten veranschlagen. 1939 als Datum des Abbruchs des Portikus der Moschee scheidet folglich aus. Als Erklärung für die Einstellung der Abbrucharbeiten, nicht zur zeitlichen Verifizierung, ist denkbar, dass die Zerstörung des Portikus in der in großer Mehrheit muslimisch besiedelten Stadt tatsächlich Unruhen verursachte. Der Legende um Haxhi Rrustem Shporta und der Ermordung des Ingenieurs mag die volkstümliche Verklärung des erfolgreichen Protests zugrunde liegen. Dass das Ereignis als Gedicht konserviert wurde, würde diese These bekräftigen. Möglicherweise war es aber gar nicht die serbische Regierung, wie Muhammed Shukriu glaubte, die den Abbruch der Moschee betrieben hatte. Vielleicht hatten bulgarische Truppen in Unkenntnis der Region damit nach ihrer Besetzung Kosovos begonnen und waren durch das Ende des Ersten Weltkriegs und ihren erzwungenen Abzug aufgehalten worden. Wenn in der Geschichte Shukrius zumindest der Name des Ingenieurs mit den historischen Tatsachen vereinbar ist, dann wäre
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Abb. 19a: Rückseite der Postkarte, Hervorhebung des Versanddatums durch mich. Archiv Tobias Strahl.
das immerhin ein Anhaltspunkt. Denn Ivan Vangelov ist kein typisch serbischer Name, sondern verweist er auf eine bulgarische (oder russische) Herkunft.663 Im Februar 1916 versicherte der bulgarische König Ferdinand I. (1861–1948) dem österreichischen Kaiser, dass ein Großteil der Bevölkerung Kosovos aus Bulgaren bestehen würde. Im April „erhielt er dann die Zustimmung, Bulgarien könne diese Gebiete weitgehend behalten“ – für die muslimische Bevölkerung Kosovos bedeutete dies offenbar eine drastische Verschlechterung der Lebensumstände.664 Die These, der Abbruch der Moschee sei während der bulgarischen Besetzung Kosovos in den Jahren 1916 bis 1917 begonnen worden, wird im Rahmen der von der bulgarischen Regierung betriebenen Politik der kulturellen und nationalen Homogenisierung plausibel. Nachvollziehbar wäre in diesem Zusammenhang auch, dass der Abbruch mit dem Ende der bulgarischen Besatzung eingestellt wurde – und die serbische Regierung ihn nicht weiter betrieb. 663 Die slawische Version von Johannes wird im Serbischen gewöhnlich als Jovan (Јован), im Russischen und Bulgarischen hingegen als Ivan (Иван) wiedergegeben. Das Suffix „-ov“ (für „Sohn des“) ist ebenfalls typisch im Russischen und Bulgarischen, im Serbischen ist „-ić“ die verbreitete Variante. 664 Polónyi (2010), 82.
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Man muss den Kontext des Knjiga o Kosovu – das Memorandum der Akademie aus demselben Jahr, die Kosovokrise und den serbischen Nationalismus – im Auge behalten. Dann wird auch Bogdanovićs selektive Auswahl der Quellen verständlich. Das Anliegen des Knjiga o Kosovu war die historische Behauptung eines serbischen Kosovo, der Bogdanović die angebliche Brutalität von Türken und Albaner gegenüber stellte – das Grundschema auch des Memorandums der SANU. Die Ruine des „Erzengelkloster“ und die Sinan-Pascha-Moschee, mit ihrem fehlenden Portikus kannte 1986 (und davor) jeder Serbe, jeder Albaner und jeder Angehörige der türkischen Minderheit in Kosovo. Ebenso bekannt waren die Legenden, die sich um die beiden Monumente rankten. Kaum bekannt hingegen waren (und sind bis heute) die größtenteils in kyrillischer Schrift verfassten Texte von Vasilije Marković, Radoslav Grujić und Slobodan Nenadović aus den Archiven der SANU – ganz zu schweigen von der Arbeit Hasan Kalešis, mit der seit 1972 eine mustergültige Dekonstruktion historischer Mythen vorliegt. Noch heute wird Kalešis Text von der serbischen historischen Forschung zu Kosovo ignoriert und die Sammlung volkstümlicher Legenden des Petar Kostić als Quelle referiert.665 In Bogdanovićs schematischer Gegenüberstellung von guten Serben und bösen Türken, bzw. Albanern, haben das „Erzengelkloster“ und die Sinan-Pascha-Moschee, mit den Mythen, die ihren Baukörpern im Wortsinn eingeschrieben sind, Beweisfunktion. Dimitrije Bogdanović wählte die Quellen, die seine Behauptung zwar nicht bestätigten, sie aber auch nicht nachgerade widerlegten. Letztere gab es auch – zuallererst in Hasan Kalešis Arbeit mit der Auswertung der osmanischen Stiftungsurkunden. Es ist nur folgerichtig, das Bogdanović sie ebenso verschwieg, wie die differenzierten und kleinteiligen Analysen seiner serbischen Kollegen Marković, Grujić und Nenadović. Bogdanovićs Knjiga o Kosovu ist exklusive nationalistische Geschichtsschreibung par excellence: Ein um seine historische Komplexität verkürzter Sachverhalt wird einem stereotypischen Schema angepasst, in dem Gut und Böse klar getrennt sind und durch menschliches Personal vertreten werden. Begünstigt wird diese Strategie durch die allgemein abnehmende Verfügbarkeit der Quellen, je weiter der Blick zurückreicht. Ohne Quellen können Bauwerke zu Projektionsflächen für alle möglichen Bedeutungszuschreibungen werden.666 Wenn man die Kulturerbezerstörung im Kosovokrieg verstehen will, muss man dieses Muster kennen – das „Erzengelkloster“ und die Sinan-Pascha-Moschee behalten ihre immense Bedeutung und Beweisfunktion im Diskurs bis in die unmit665 Serbian Academy (2017), 205, 367, Anm. 9. 666 Für den Hinweis auf diese Perspektive bin ich besonders Bruno Klein zu Dank verpflichtet.
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telbare Gegenwart, wie noch zu sehen sein wird. Der Mythos der ruchlosen Türken und Albaner und die Zerstörung serbischer sakraler Bauwerke gerät in den Postjugoslawischen Kriegen zur Schutzbehauptung für Morde und Kulturerbezerstörungen von serbischer Seite. Vergeltung lässt sich – scheinbar – leichter rechtfertigen als grundlose Zerstörung und vorsätzlicher Mord.
DIE SERBISCHE ORTHODOXE KIRCHE UND DIE RE-SERBISIERUNG KOSOVOS
Den publizistischen Aktivitäten der Serbischen Orthodoxen Kirche und der SANU folgten konkrete Handlungen, um die Re-Serbisierung Kosovos aus religiöser Sicht voranzutreiben. Artemije Radosavljević, ein Schüler des streng orthodoxen und anti-westlichen Theologen Justin Popović667, der 1990 als Nachfolger des zum Patriarchen der Serbischen Orthodoxen Kirche gewählten Pavle zum Bischof der Diözese Raška-Prizren668 ernannt wurde, verschrieb sich dieser Aufgabe. Nach seiner Ernennung übernahmen die Schüler Artemijes die Leitung von Klöstern in der Region.669 In diese Zeit fällt auch die Wiederbelebung des monastischen Lebens in den jahrzehntelang vernachlässigten Ruinen des „Erzengelklosters“. Dort wurde zum Beginn der 1990er Jahre ein neues Unterkunftsgebäude (konak) errichtet; 1998 zogen schließlich nach mehreren hundert Jahren Unterbrechung wieder orthodoxe Mönche in die konservierten Überreste der Anlage ein.670 Neben dem „Erzengelkloster“ wurden zahlreiche weitere ehemalige Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche in Kosovo reaktiviert bzw. neue Kirchenbauten errichtet. Darunter zählen etwa die Kirche des heiligen Nikolaus in Slovinje, die 1997 am Standort einer früheren Kirche errichtet wurde671, die Kirche des heiligen Stefan in Donje Nerodimlje (1996) sowie das Kloster des heiligen Uroš in Šarenik bei Donje Nerodimlje, das ebenfalls 1996 neu errichtet wurde.672 Im Sommer 1992 bereits hatte die Serbische Orthodoxe Kirche im Fluss Bistrica673 in unmittelbarer Nähe zum Kloster Dečani eine Massentaufe (krštenje) durchgeführt, bei der mehr als 2.000 Menschen getauft worden sein sollen (Abb.
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„Antiokzidentalismus“ bei Buchenau (2006), 36. Die Eparchie umfasst Kosovo und Teile Südserbiens. Buchenau (2006), 193. Ministry of Culture of the Republic of Serbia / Museum in Priština (displaced) (2004), 38. Ministry of Culture of the Republic of Serbia / Museum in Priština (displaced) (2004), 57. The Holy Assembly (2004), 146, 143. Nicht zu verwechseln mit dem Fluss Lumbardhi (serb. Bistrica), der Prizren durchfließt.
216 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Abb. 20: Orthodoxe Massentaufe in Kosovo 1992, Szene aus dem Dokumentarfilm Serbian Epics (1992, still, 7:11 min.) des polnischen Regisseurs Paweł Pawlikowski.
20).674 In der Ansprache verkündete Bischof Artemije, dass die zu Taufenden, die Angehörigen einer für fünf Jahrzehnte ungetauften Nation, einen ersten Schritt in der Nachfolge Prinz Lazars unternommen hätten, der mit der serbischen Nation zur Schlacht auf dem Amselfeld 1389 auf das irdische Himmelreich verzichtet und sich damit für das himmlische Königreich (carstvo nebesko) entschieden habe. „Deswegen ist diese heilige Taufe ein erster Schritt unserer Entscheidung für das himmlische Königreich“.675
AUF DEM WEG IN DEN KRIEG
Der Kurs, den die serbische Politik und Gesellschaft Ende der 1980er Jahre genommen hatte, verstärkte die ohnehin vorhandenen Ängste bei den Nachbarn Kroatien und Slowenien. Das Gespenst des hegemonistischen Zentralismus schien zurückgekehrt. Der Streit zwischen Serbien als Befürworter einer zentral regier674 Buchenau (2006), 193. 675 Artemije: „Zatoje sveto krštenje prvi korak u našemu opredeljenju za carstvo nebesko.“ (Serbian Epics, Paweł Pawlikowski, 05:57–06:30 min.). Die Hybris serbischer Nationalisten, die eigene als „himmlische Nation“ (nebeski narod) zu verstehen, gründet in diesem Mythos der Entscheidung Lazars für seinen Opfertod und das himmlische Königreich (vgl. Malcolm (1998), 80). Der serbische Nationalismus überträgt die transzendente „Wirklichkeit“ konsequent auf die politische Realität.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 217
ten Föderation auf der einen sowie Kroatien und Slowenien, die sich eine stärkere Föderalisierung und Autonomie wünschten, auf der anderen Seite, eskalierte im Rahmen des 14. Außerordentlichen Kongresses des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens im Januar 1990. Nach einer Abstimmung zur Reorganisation des Verhältnisses der jugoslawischen Republiken, in der keiner der slowenischen Anträge – darunter auch der „für die Wiederherstellung der Autonomie des Kosovo und die unbedingte Achtung der Menschenrechte“676 – angenommen wurde, verließen die slowenischen Abgeordneten den Saal. Die kroatischen Abgeordneten folgten wenig später. Der Bund der Kommunisten Jugoslawiens hörte damit de facto auf zu existieren.677 Am 8. und 22. April 1990 fanden in Slowenien und Kroatien die ersten freien Wahlen der Nachkriegsgeschichte statt. In Slowenien konnte sich Milan Kučans Partei Demokratische Opposition Slowenien (Demokratična Oposicija Slovenije, Demos), in Kroatien Franjo Tuđmans Kroatische Demokratische Gemeinschaft (Hrvatska Demokratska Zajednica, HDZ) durchsetzen. Beide Parteien gehörten zum antikommunistischen Lager. Auch in den übrigen jugoslawischen Teilrepubliken wurden im Verlauf des Jahres Wahlen abgehalten. Aufgrund des Zerwürfnisses der Republiken kam jedoch kein gesamtjugoslawisches Parlament mehr zustanden. Die turnusgemäße Ablösung des Serben Borisav Jović durch den Kroaten Stjepan (Stipe) Mesić als Präsident der Föderation scheiterte wiederum am Widerstand Serbiens.678 Während die Situation in Kosovo eskalierte und die serbische Regierung nach einer Reihe von Schritten schließlich den dauerhaften Ausnahmezustand in der Autonomen Provinz verhängte, gingen Slowenien und Kroatien endgültig auf Sezessionskurs. Am 23. Dezember 1990 votierten in einem Volksentscheid in Slowenien 80 Prozent der Befragten für die Unabhängigkeit der Republik.679 Eine ähnliche Abstimmung erfolgte am 19. Mai 1991 in Kroatien. Hier fiel das Ergebnis noch deutlicher aus – 94 Prozent der Befragten plädierten für Sezession. Eine entsprechende Deklaration erfolgte von Kroatien und Slowenien zeitgleich am 25. Juni 1990.680 Der serbische Bevölkerungsanteil in Kroatien schlug indes einen ähnlichen Weg ein. Eine entsprechende Deklaration vom 25. Juli 1990 wurde am 19. August durch 676 Schmitt (2008), 311. 677 Ramet (1992), 246 ff.; Rüb (2007), 331; Terzić (2007), 92; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 287 ff. 678 Ramet (1992), 234; Rüb (2007), 333; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 292, 293, 312. 679 Terzić (2007), 92; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 305. 680 Ramet (1992), 256; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 311.
218 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
ein Referendum bestätigt. Am 1. Oktober 1990 erklärten die Serben in Kroatien zunächst ihre Autonomie, um noch im Dezember desselben Jahres das Serbische Autonome Gebiet Krajina681 (Srspka Autonomna Oblast, SAO) auszurufen.682 Die wichtigsten Verkehrswege in der Region wurden mit Baumstämmen blockiert, um den kroatischen Sicherheitskräften die Zufahrt zu dem Gebiet unmöglich zu machen und sie in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken.683 Dieses Ereignis ist als Balvan Revolucija (dt. Baumstammrevolution) in die Geschichtsschreibung eingegangen. Die kroatische Regierung, mit sich selbst beschäftigt und immer stärker im kroatischen Nationalismus gefangen, unternahm keine nennenswerte Anstrengung, um die Wogen zu glätten.684 Im Gegenteil, in den von einer serbischen Minderheit besiedelten Regionen kam es immer öfter zu Feindseligkeiten und Übergriffen von Kroaten auf Serben. Von offizieller Seite wurden diese ignoriert oder billigend in Kauf genommen. Seit Beginn der 90er Jahre kam es zu massiven Diskriminierungen von orthodoxen Gläubigen (Serben) in Kroatien.685 Ebenfalls seitdem bereitete der serbische Geheimdienst gemeinsam mit radikalen Vertretern der Serben in Kroatien seinerseits den „Krieg für die serbischen Territorien“ in der Krajina vor.686 Nach einem missglückten Versuch der Jugoslawischen Nationalen Armee (Jugoslovenska Narodna Armija, JNA) in den letzten Juni- und ersten Julitagen 1991, Slowenien gewaltsam in Jugoslawien zu halten, der als „Zehn-Tage-Krieg“ in die Geschichte eingegangen ist687, verlagerte die Allianz aus Geheimdienst und Militär 681 Der Begriff „Krajina“ hat in der internationalen Berichterstattung zu den Postjugoslawischen Kriegen wiederholt Verwirrung gestiftet. Es existieren einige Gebiete auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien, die historisch als Krajina (dt. Grenze, Grenzgebiet, Mark) bezeichnet werden. Darunter etwa die Bosanska, Timočka oder Cetinska Krajina (Hösch/Nehring/ Sundhaussen (2004), 383). Im Zusammenhang mit den Postjugoslawischen Kriegen konnte die Bezeichnung zwei verschiedene politisch-territoriale Konstrukte bezeichnen: zum einem die hier erwähnte 1990 unilateral zum Serbischen Autonomen Gebiet Krajina erklärte politisch-territoriale Entität entlang der West- und Nordgrenze Bosnien-Herzegovinas in den historischen Landschaften Baranja, Slawonien, Banija (Banovina), Kordun, Lika und Dalmatien, zum anderen die am 26. Februar 1992 ebenfalls unilateral erklärte Republik Serbische Krajina (Republika Srpska Krajina), die aus den drei Serbischen Autonomen Gebieten Ostslawonien, Westsyrmien, Baranja und dem 1990 deklarierten Autonomen Gebiet Krajina gebildet wurde (Gow (2007), 362; Vetter (2007), 556). 682 Bieber (2005), 482; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 305. 683 Ramet (1992), 237; Rathfelder (2007), 344; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 322. 684 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 294. 685 Ramet (1996). 686 Rüb (2007), 333. 687 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, II, P. 23 u. V, A; Rathfelder (2007), 345 ff.; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 320 ff.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 219
um Slobodan Milošević ihre Aktivitäten nach Kroatien. Destabilisierungsmaßnahmen seitens der serbischen Führung, die bereits im Frühjahr begonnen hatten, folgte im August 1991 der Einmarsch der JNA in Kroatien. Im Frühjahr 1992 wiederholte sich ein ähnliches Szenario in Bosnien und Herzegovina. Am 3. März hatte Alija Izetbegović als Präsident der Teilrepublik nach einem Plebiszit am 1. und 2. März die Unabhängigkeit des Landes erklärt, die am 6./7. April 1992 durch die Staaten der Europäischen Gemeinschaft und die USA anerkannt wurde.688 Wenig später entfachten Einheiten der JNA und bosnische Serben einen weiteren verheerenden Krieg. 1998 schließlich gingen serbische Einheiten in Kosovo gegen albanische Zivilisten und die Guerilla der sogenannten „Befreiungsarmee des Kosovo“ (Ushtria Çlirimtare e Kosovës, UÇK) vor.
ZUR STRUKTUR DER KÄMPFENDEN EINHEITEN
Wer kämpfte in den Kriegen in Kroatien, Bosnien und Herzegovina und Kosovo? Und was waren die Ziele? Die Analyse der Kulturgutzerstörung in den Postjugoslawischen Kriege beginnt meines Erachtens mit dieser Frage. Ein genauerer Blick ergibt ein verstörendes, keinesfalls einheitliches Bild. Von einem Offizier einer europäischen Armee, der eine entsprechende Ausbildung an der Akademie seiner Streitkräfte durchlaufen hatte, war Anfang der 1990er Jahre, ganz gleich welcher politischen Ideologie er sich verpflichtet sah, zu erwarten, dass er – zumindest aus militärhistorischer Sicht – mit der Haager Kriegsordnung von 1899 bzw. ihrer aktualisierten Form von 1907 sowie den Bestimmungen zum Luftkrieg (1923, nicht ratifiziert) etwas anzufangen wusste. Das Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 hatte Jugoslawien am 29. Dezember 1955 ratifiziert. Bereits am 20. November 1954 trat die Jugoslawische Deklaration zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten in Kraft. Die Konvention zum Schutz des Weltkultur- und -naturerbes vom 16. November 1972 hatte Jugoslawien am 31. Oktober 1974 unterzeichnet.689 Jugoslawien zählte ebenfalls zu den Unterzeichnern der Genfer Abkommen von 1949 und deren Zusatzprotokollen vom 8. Juni 1977, die den Schutz von Kulturgütern in bewaffneten internationalen und nicht internationa-
688 Bieber (2005), 484; Rathfelder (2007), 352; Vetter (2007), 556; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 332. 689 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, I, B, 8, c.
220 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
len Konflikten regeln690; die jugoslawischen Nachfolgestaaten unterschrieben die Konventionen und zugehörigen Protokolle zwischen 1992 und 2001. Dass ein jugoslawischer, das heißt in unserem Fall ein bosnischer, kroatischer oder serbischer Offizier seine militärische Zielsetzung von dem auch für ihn gültigen internationalen Regelwerk abhängig machte, war jedoch offenbar nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu erwarten. 1994 stellte eine Kommission des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die mit der Untersuchung von Kriegsverbrechen und der Analyse der kriegführenden Parteien – der „warring factions“ im internationalen Sprachgebrauch – im ehemaligen Jugoslawien betraut war, fest: All parties to the conflict have specifically adhered to the Geneva Conventions of 12 August 1949 and Additional Protocols I and II thereto. […] Furthermore, the Federal Republic of Yugoslavia is a signatory to these Conventions, and all of the parties to the conflict concede that they are also bound by these obligations under the international law of State succession.691
Dort sowie in einem weiteren Dokument der Kommission vom Mai 1995 wird darüber hinaus festgehalten: The Federal Criminal Code of the former Yugoslavia embodied the international rules of armed conflict. JNA military personnel were instructed accordingly. Thus, grave breaches of the Geneva Conventions and other violations of international humanitarian law are also part of the applicable national laws of all warring factions.692
Der Montenegriner Pavle Strugar und der Serbe Miodrag Jokić etwa waren solche Offiziere, auf die die hier getroffene Charakterisierung sowie die beiden Feststellungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zutrafen. Strugar befehligte im Rang eines Generals der Jugoslawischen Volksarmee im Herbst 1991 (September bis Dezember) den Angriff auf die kroatische Küstenstadt Dubrovnik, in dessen Verlauf die historische Altstadt mehrfach gezielt beschossen und schwer beschädigt wurde. Am 17. Juli 2008 wurde Strugar unter anderem wegen seiner Verant690 Protokoll I, Art. 53 und 85 §4, Protokoll II, Art. 16, unterzeichnet durch Jugoslawien am 11. Juni 1979 (United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI.A, X, B). 691 United Nations / Security Council (Mai 1994), Letter, III. General Studies, P. 125. 692 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, II, P. 42.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 221
wortung für die Angriffe auf Dubrovnik vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.693 Jokić wiederum assistierte als Kommandeur einer Einheit der jugoslawischen Kriegsflotte Strugar bei den Angriffen auf Dubrovnik von der Seeseite. Am 18. März 2004 wurde er in Den Haag zu sieben Jahren Gefängnisstrafe verurteilt.694 Der kroatische General Slobodan Praljak, der für die Zerstörung der Alten Brücke (Stari Most) in Mostar im November 1993 verantwortlich gemacht wird und unter anderem dafür am 29. Mai 2013 vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu 20 Jahren Haft verurteilt worden ist695, sowie der serbische General und jugoslawische Verteidigungsminister Veljko Kadijević, der bis 1992 den Oberbefehl über die Truppen der JNA im Kroatienkrieg innehatte und sich bis zu seinem Tod am 2. November 2014 in Moskau einem internationalen Haftbefehl wegen „Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung, Verwundete und Kranke, Kriegsgefangene und Zerstörung von kulturellen und historischen Monumenten“696 durch seine Flucht nach Russland entzog, waren ebensolche Offiziere. Von dem serbischen Hooligan und notorischen Kriminellen Željko Raznatović697, genannt Arkan, dem Führer der paramilitärischen Bande der Tiger (Tigrovi), einer Fraktion der Serbischen Freiwilligengarde (Srpska dobrovoljačka garda), war jedoch nicht zu erwarten, dass er Kenntnis von bestehenden internationalen Ab693 ICTY, Case Information Sheet „Dubrovnik“ (IT-01-42), Pavle Strugar. 694 ICTY, Case Information Sheet „Dubrovnik“ (IT-01-42/1), Miodrag Jokić. 695 ICTY, Case Information Sheet „Prlić et al.“ (IT-04-74); Praljak verübte am 29. November 2017 nach der Bestätigung des Urteils im Gerichtssaal Suizid. 696 Interpol, Kadijević, Veljko. 697 Raznatović (Kampfname: „Arkan“), geboren 1952 in Brežice/Slowenien war bereits mit 15 Jahren mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten, was zu seiner Einweisung in eine Einrichtung für straffällig gewordene Jugendliche führte. Als Bankräuber und Mörder wurde er in Schweden, Belgien, Deutschland und den Niederlanden gesucht. Als Mitarbeiter des jugoslawischen Innenministeriums wird ihm die Beteiligung an der Ermordung politischer Gegner der kommunistischen Regierung im Ausland nachgesagt. Nach seiner Rückkehr nach Belgrad zu Beginn der 80er Jahre war Raznatović Teil der organisierten Kriminalität. Als Anführer eines Fanclubs der Fußballmannschaft „Roter Stern Belgrad“ (Crvena Zvezda) holte er viele serbische Hooligans in die Reihen der „Tiger“. Mit diesen war Raznatović für viele Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien und Kosovo verantwortlich. Außerdem behielt er auch während des Krieges seinen kriminellen Aktivitäten bei. So verkaufte er u. a. in Kroatien, Bosnien und Kosovo von seiner Einheit geraubte Güter auf dem Schwarzmarkt und unterlief das gegen die ehemaligen jugoslawischen Republiken verhängte Embargo, indem er Güter nach Serbien schmuggelte. In den 90er Jahren betätigte sich Raznatović als Lokalpolitiker in Kosovo. Raznatović wurde im Januar 2000 in Belgrad ermordet. (United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, II, D, 6. Personal histories of Vojislav Šešelj and Željko Raznatović, (b) Željko Raznatović).
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kommen zum Schutz von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten hatte (von deren Inhalt ganz zu schweigen). Auch wären diese Kenntnisse wohl nicht unter seinen Handlungsprämissen zu finden gewesen. Ebenso wenig war das von einem seiner Parteigänger aus dem kriminellen Milieu zu erwarten. Kriminelle wie Raznatović kämpften jedoch zahlreich auf serbischer wie auf kroatischer, bosnischer und albanischer Seite. Nicht selten füllten zudem Söldner aus westeuropäischen Staaten, dem mittleren Osten oder Russland die Reihen der paramilitärischen Banden.698 Was man von den meisten irregulären Einheiten in jedem Fall erwarten konnte, war, dass sie die nationalistische Propaganda, die sich nicht zuletzt gegen die Kultur des Gegenübers wandte, ebenso wie den menschenverachtenden Zynismus eines Slobodan Milošević, Franjo Tuđman, eines Vojislav Šešelj, Radovan Karadžić oder Ratko Mladić gleichermaßen verinnerlicht hatten. Ob Soldaten, Milizen oder einfache Kriminelle selbst überzeugte Nationalisten waren, ist weniger entscheidend als der Umstand, dass Nationalismus als ideologische Rechtfertigung für Verbrechen aller Art diente. Von einem Söldner wiederum, der für seinen eigenen Profit kämpft, ist bestenfalls Gleichgültigkeit gegenüber fremdem kulturellem und religiösem Erbe zu erwarten. Nicht ohne Grund stellte die Kommission des UNSicherheitsrats 1994 fest, dass Gruppen nach dem Vorbild der Tiger Arkans für einige der schlimmsten Verletzungen des internationalen Völkerrechts im Verlauf der Kriege verantwortlich waren.699 Am 7. Oktober 1991 druckte die serbische Tageszeitung Politika im Kontext der Kriegsberichtserstattung aus Kroatien eine Fotografie, die eine ältere Frau vor ihrem Haus im Dorf Donja Gradina, in Nordbosnien, in der Nähe des kroatischen Jasenovac zeigt. Leicht nach hinten versetzt, steht sie zwischen einem jüngeren und einem älteren Mann, die beide Waffen tragen (Abb. 21). Die Bildunterschrift gibt Auskunft, dass es sich bei den abgebildeten Personen um eine Familie – Mile, Angelina und Gojko Mećava – handelt. Mile, der Sohn von Angelina und Gojko, hält in seiner rechten Hand ein Sturmgewehr, wahrscheinlich vom Typ AK, bekannt als Kalaschnikow; Vater Gojko wiederum präsentiert eine Waffe, bei der es sich um eine russische PPSch-41 mit Trommelmagazin handeln könnte, wie sie im Zweiten Weltkrieg auf russischer Seite Verwendung fand. Beide Waffen gehören ursprünglich zum Arsenal osteuropäischer Armeen, doch trägt keiner der beiden MećavaMänner eine Uniform, die ihn als Angehörigen einer Streitkraft – als Kombattanten, nach dem militärischen Terminus technicus – ausweisen würde.
698 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, II, P. 36, Annex IIIa. 699 United Nations / Security Council (Mai 1994), Letter, III, P. 121.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 223 Abb. 21: „Mile, Angelina i Gojko Mećava, iz sela Donja Gradina, dve generacije iz Jasenovca“ (Mile, Angelina und Gojko Mećava aus dem Dorf Donja Gradina, zwei Generationen aus Jasenovac), Politika, 7. Oktober 1991.
Vielmehr sind sie gekleidet, wie man es von Landwirten in der Sava-Ebene erwarten würde: festes Schuhwerk bzw. Gummistiefel, derbe Hosen und Vater Gojko trägt einen dicken Pullover, während sein Sohn Mile eine gesteppte Jacke übergeworfen hat. Mutter Angelina, in Kopftuch und Kittelschürze, hält sich im Hintergrund und schaut etwas verlegen aus dem Bild. Wahrscheinlich haben der Fotograf, ihr Sohn und ihr Gatte sie gemeinsam überreden müssen, überhaupt für das Bild zu posieren. Der Bildunterschrift kann auch die Information entnommen werden, dass es sich bei den Mećavas um „zwei Generationen aus Jasenovac“ handelt. Unverkennbar ist die Anspielung auf das Konzentrationslager, in dem zwischen 1941 und 1945 mehrere tausend Serben gefoltert und umgebracht wurden. Die serbische Presse, die im Verlauf des Krieges in Kroatien 1991 stets bemüht war, die Kroaten mit den Ustaša des Zweiten Weltkrieges zu assoziieren, zeigt mit der Familie Mećava folglich zwei Generationen, die dieses Jasenovac bewusst halten und deswegen offenbar bereit sind – auch ohne den regulären Streitkräften anzugehören –, für die gemeinsame Sache gegen die kroatischen „Ustaša“ der Gegenwart zu kämpfen. Bereits zwei Tage zuvor war ebenfalls in der Politika unter der Überschrift Beli barjak nad Dubrovnikom (Weiße Flagge über Dubrovnik) ein kurzer Artikel über Svetozar Đurović, einen „Helfer in der Maschinengewehrbrigade ‚Sava Kovačević‘700“erschienen. Đurovićs allerliebste Kriegstrophäe, heißt es, sei „die 700 Sava Kovačević (1905-1943), jugoslawischer Partisan.
224 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Mütze der kroatischen Polizei“. Er werde sie mit nach Hause nehmen, wo sie „zur Sammlung von Trophäen aus früheren Kriegen kommt, die sein Vater und Großvater angelegt haben“701. Was mit den Trägern der Mützen geschah, lässt der Artikel offen, man kann es sich jedoch denken. Die Familie Mećava und der „Trophäensammler“ Svetozar Đurović waren mitnichten Ausnahmen. Vielmehr war die Ergänzung der offiziellen Streitkräfte der JNA durch bewaffnete Bürgerwehren in den Siedlungsgebieten der Serben in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo die Regel. Der militante Führer der kroatischen Serben in der Stadt Knin, Milan Babić, der sich 2006 während seines Prozesses vor dem Internationalen Strafgerichtshof in einer Zelle erhängte, war Zahnarzt. Milan Martić, der Polizeichef von Knin, der am 12. Juni 2007 in Den Haag zu 35 Jahren Haft verurteilt wurde702, hatte zumindest eine reguläre Ausbildung zum Polizisten durchlaufen.703 Die Einbindung von Zivilisten in den bewaffneten Kampf war nicht zufällig, sondern erfolgte systematisch. Der Mord an einem kroatischen Polizisten am 31. März 1991 nahe dem Ort Plitvice war ebenso Teil einer ausgeklügelten Strategie wie der an mindestens 12 weiteren Polizisten im slawonischen Borovo Selo in der Nähe von Vukovar am 2. Mai durch „serbische Freischärler“704. Diese Strategie sah die Provokation von gewaltsamen Zwischenfällen vor – „bombing and mining incidents, as well as attacks on Croatian police forces“ –, die schließlich die Entsendung von etwa 70 000 Soldaten der JNA notwendig erscheinen ließ, um die kämpfenden Fraktionen vor Ort zu trennen.705 Unter anderem Bilder und Texte wie die hier angeführten gaben internationalen Beobachtern der Postjugoslawischen Kriege Anlass, von einem „Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien“ zu sprechen. Tatsächlich waren auch Zivilisten sowie paramilitärische Einheiten und Kämpfer an den Kriegen beteiligt. Nichtsdestoweniger täuscht die These vom Bürgerkrieg über den Umstand hinweg, dass es sich auf serbischer Seite um von langer Hand vorbereitete Angriffskriege handelte, die ihren Nachbarn aufgezwungen wurden, wie die internationale Südosteuropaforschung und das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag einhellig und zweifelsfrei festgestellt haben. An dieser Stelle kann der auf den ersten Blick bestehende Widerspruch zwischen internationalen Abkommen zum Schutz von Kulturgut und unbeteiligten Zivilisten in bewaffneten Konflikten sowie den tatsächlichen Verhältnissen in den 701 702 703 704 705
Milošević, Božidar (1991). ICTY, Case Information Sheet „Milan Martić“ (IT-95-11). Rathfelder (2007), 344. Rathfelder (2007), 344; Vetter (2007), 554. United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, V, D. Forces operating in Croatia.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 225
Kriegsgebieten teilweise aufgelöst werden: Die erwähnten Übereinkommen stellen eine der möglichen humanen Reaktionen auf etwas gänzlich Inhumanes – den Krieg – dar. Sie setzen ein normatives Verständnis von Kultur und Recht voraus. Unter diesen Gesichtspunkten werden Kriege aber nicht geführt. Zwar erscheinen Erwartungen diesbezüglich in der Kriegspropaganda verschiedener Provenienz bis in die aktuelle Gegenwart erfüllbar, im Grunde jedoch ist das eine naive Haltung. Sie basiert auf einem Zirkelschluss, in dem die eine fehlerhafte Prämisse die andere stützt. Es kann offenbar im Gegenteil sogar davon ausgegangen werden, dass gerade auch humanistisch gebildete Täter vor Völkermord und kultureller Vernichtung nicht zurückschrecken, wenn es Ziel und Auftrag gebieten. In jedem Fall kann im Hinblick auf die Postjugoslawischen Kriege angenommen werden, dass dort, wo diese Bildung fehlte, wo (kultureller) Nationalismus, Rassismus, menschliche Verrohung aufgrund des Kriegsalltags und nicht selten der Wunsch, sich selbst auf Kosten anderer zu bereichern, aufeinandertrafen und wo dieses Gemisch schließlich von (para-)militärischen Führern und politischen Verantwortungsträgern zudem zum nationalen Überlebenskampf verklärt und deswegen mit der Aura der Rechtmäßigkeit versehen wurde, es weder eines besonderen Befehls für Mord und die Zerstörung von kulturellen und religiösen Objekten bedurfte noch es möglich war, diesen Einhalt zu gebieten. Dies waren – in aller Knappheit – die charakteristischen Bedingungen der Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo. Um den Sachverhalt noch besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den Hauptakteur dieser Kriege – die Jugoslawische Nationale Armee. Sie galt im sozialistischen Jugoslawien als einer der Garanten der inneren Einheit. Nach nationalem Proporz besetzt, war sie offenbar das am wenigsten für Nationalismus anfällige Organ der Föderation.706 Doch bereits in den 1970er Jahren stellten Serben mit 65 Prozent die Mehrheit im Offizierskorps. Der Generalstab bestand ebenfalls zu 60 bis 70 Prozent aus Serben und Montenegrinern. Unter Milošević schließlich begann der Ausbau der JNA zur de facto serbisch-montenegrinischen Streitmacht, die rein serbischen Interessen diente.707 Im April 1992 gründete sich aus den ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Serbien und Montenegro die Bundesrepublik Jugoslawien. Parallel dazu wurde im Mai die JNA in Jugoslawische Armee (Vojska Jugoslavije, VJ) unbenannt708. In deren Reihen dienten neben Serben ebenfalls einige tausend montenegrinische Soldaten, darunter zahlreiche 706 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 208 f. 707 Ramet (1992), 56, 245, 248; United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, IV, C; Lohoff (1996), 136, 138; Malcolm (2002), 204, Rüb (2007), 330. 708 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, V, P. 119 ff.
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Reservisten.709 Spätestens mit den Überfällen auf Kroatien und Bosnien verließen die letzten Angehörigen dieser Ethnien bzw. Nationen die JNA bzw. VJ.710 Zum Zeitpunkt des Angriffs auf Slowenien und Kroatien befand sich die JNA bereits in einem desolaten Zustand. Zwar verfügte die Streitmacht über das gesamte Arsenal an leichtem und schwerem Kriegsgerät einer der größten konventionell gerüsteten Armeen Europas – aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Jugoslawien bestanden jedoch erhebliche Engpässe bei der grundlegenden Versorgung der Truppe. Mit dem Kriegsausbruch kam ein massives Personalproblem hinzu. Kroatische und bosnische Soldaten hatten den Dienst bereits quittiert. Überdies waren mehrere tausend serbische Wehrpflichtige desertiert oder der Einberufung nicht gefolgt und hatten den Dienst gar nicht erst angetreten. Dazu kamen die Verluste im Verlauf des Krieges. So ergab sich etwa das 32. Korps der JNA im Oktober 1991 geschlossen den kroatischen Truppen.711 In der Vojvodina etwa […] verweigerten gleich ganze Dorfgemeinschaften geschlossen den Kriegsdienst. Selbst im serbischen Kernland folgten angesichts der miserablen Versorgungssituation in der Armee und der verworrenen Befehlslage bis zum Oktober 1991 lediglich etwa ein Drittel der Reservisten ihren Stellungsbefehlen […] und konfrontiert mit den chaotischen Verhältnissen bei der Truppe, setzten sich die frisch rekrutierten Soldaten zu Tausenden alsbald wieder ab. […] Zum Kampfeinsatz taugen letztlich nur die „Freiwilligenverbände“, die Četniktruppen.712
Irreguläre Verbände schlossen also die personelle Lücke in den serbischen Streitkräften. Das brachte aus strategischer und taktischer Sicht zwei wesentliche Vorteile mit sich: Einerseits konnten diese losen Verbände ohne klare Befehlsstruktur wie beschrieben dazu eingesetzt werden, Zwischenfälle mit offiziellen kroatischen Sicherheitskräften zu provozieren. Dies wiederum ermöglichte es der politischen und militärischen Führung in Belgrad, reguläre Truppen unter dem Vorwand des Schutzes der serbischen Zivilbevölkerung zu entsenden. Andererseits ließen sich irreguläre Einheiten, die wie die Tiger Arkans über ein hohes kriminelles Potential verfügten und gewalterfahren waren, für die sogenannten „ethnischen Säuberun709 United Nations / Security Council (Mai 1994), Letter, P. 117. 710 Rathfelder (2007), 351. 711 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, V, D, P. 108. Forces operating in Croatia; Rathfelder (2007), 347; Gow (2007), 369. 712 Lohoff (1996), 159, 160; Lohoff fasst hier die Vielzahl irregulärer Einheiten verkürzend zu „Četnik-Truppen“ zusammen.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 227
gen“ einsetzen, da sie außerhalb der Befehlskette operierten und den konventionellen Streitkräften auch in der internationalen Wahrnehmung zunächst nicht zuzuordnen waren. Die Verantwortung für die zahlreichen Gräueltaten war damit vorerst zumindest nicht klar zu bestimmen – auch wenn die Aktivitäten der Irregulären fraglos von serbischen Politikern, dem Militär und dem Geheimdienst zentral geplant, gesteuert und unterstützt wurden.713 Dobrica Ćosić, Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien und Oberkommandierender der Jugoslawischen Armee (1992–1993), stritt stets sein Wissen über und die Verantwortung für die Verbrechen serbischer Einheiten und paramilitärischer Banden etwa in Bosnien und Herzegovina ab – war jedoch jederzeit bestens im Bilde, wie Experten der Vereinten Nationen später festgestellt haben.714 Dass serbische Offizielle von den Verbrechen wussten, diese guthießen und zum Teil förderten, bedeutet jedoch nicht, dass sie stets die Kontrolle über das schnell wachsende Geflecht aus regulären und irregulären Truppen behielten. Vielmehr existierten schon kurz nach Kriegsausbruch eine Vielzahl unterschiedlicher Einheiten, Gruppen und Banden, die unkontrolliert eigene (militärische) Ziele verfolgten, Raubmorde und Plünderungen in den besetzten Gebieten organisierten oder einfach beides miteinander verbanden. Um den bereits erwähnten Führer der Krajina-Serben etwa, den Kniner Polizeichef Milan Martić, versammelten sich die Martićevi, die größte der auf serbischer Seite kämpfenden paramilitärischen Einheiten in Kroatien. Ihre Mitglieder waren sowohl ehemalige Polizisten als auch bewaffnete Zivilisten.715 Schnell kamen andere Einheiten, den Martićevi ähnlich, hinzu. Dazu zählten die bereits erwähnten Tigrovi Raznatovićs, die insgesamt etwa 8.000 Mann starken Weißen Adler (Beli Orlovi), Četniks und Šešeljovci des Gründers der Serbischen Radikalen Partei (Srpska Radikalna Stranka), Vojislav Šešelj, die Monarchisten (Rojalisti), die Knindže des „Kapetan Dragan“ genannten Dragan Vasiljkovićs, die Serbische Garda (Srpska Garda) sowie eine Vielzahl lokaler Gruppen, bestehend aus bewaffneten Zivilisten mit ihren jeweiligen Führern.716
713 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, II, P. 10, Annex IV, Annex V; Malcolm (2002), 246; Gow (2007), 363. 714 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, II, P. 33. 715 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, III, C; Annex III, V, G, Rathfelder (2007), 351. 716 United Nations / Security Council (Mai 1994), Letter, III, P. 121; United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, III; C, D; Annex III; V, G; Lohoff (1996), 166; Rathfelder (2007), 351.
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Zur mehrfach umstrukturierten und Jugoslawischen (Volks-)Armee717 kamen im Verlauf des Krieges in Kroatien und Bosnien-Herzegovina die Serbische Armee der Republik Serbische Krajina (Srpska vojska Republike Srpske Krajine) sowie die unter dem Kommando von Ratko Mladić stehende Armee der Republik Serbien (Vojska Republika Srpske).718 Beide Armeen wurden aus Angehörigen der Einheiten der Territorialverteidigung (serb./bos. Teritorijalna Odbrana oder kroat. Teritorijalna Obrana), einer Streitkraft, die im sozialistischen Jugoslawien auf Ebene der Republiken parallel zur Jugoslawischen Volksarmee bestand, sowie Polizisten und Angehörigen der JNA gebildet. Ausländische Söldnertruppen auf serbischer Seite waren die italienische Garibaldi-Einheit oder aus russischen Freiwilligen gebildete Gruppen.719 Auf kroatischer Seite existierten die hauptsächlich aus den Verbänden der Territorialverteidigung und Freiwilligen gebildete Kroatische Armee (Hrvatska Vojska, HV), die Kroatische Nationalgarde (Zbor Narodne Garde, ZNG) sowie zahlreiche irreguläre Einheiten. Zu Letzteren zählten die unverhohlen die Ustaša des Zweiten Weltkriegs kopierende Schwarze Legion (Crna Legija), die Einheit des Mile Dedaković, die Falken (Sokoli), die Zebras (Zebre) aus Nova Gradiška sowie die Kroatischen Verteidigungskräfte (Hrvatske Obrambene Snage, HOS), die das Motto der Ustaša „Für die Heimat bereit“ („Za dom spremni“) im Emblem trugen und den militanten Flügel der Kroatischen Partei des Rechts (Hrvatska Stranka Prava, HSP) bildeten. Mit der Ausweitung des Krieges auf Bosnien und Herzegovina 1992 bildete sich der Kroatische Verteidigungsrat (Hrvatsko Vijeće Obrane, HVO) als reguläre Streitkraft der bosnisch-herzegovinischen Kroaten sowie weitere irreguläre Einheiten wie die Feuerpferde (Vatreni Konji), die Joker (Đokeri) oder die Ritter (Vitezovi).720 Mit Juzuf Prazina alias „Juka“ indes fand der Anführer der Tiger, Željko Raznatović, sein Pendant in den Reihen der HVO. Prazina war bereits vor dem Ausbruch des Krieges in Bosnien und Herzegovina eine Größe in der Unterwelt Sarajevos gewesen. Seine Truppe, die Wölfe Jukas (Jukini Vukovi) war an Vergewaltigungen und Morden beteiligt. Prazina verkaufte Hilfsgüter der Vereinten Nationen auf dem Schwarzmarkt und organisierte Raubzüge in Sarajevo und Mostar. 717 Zu Entstehung, Entwicklung, Umstrukturierung und Reorganisation der Jugoslawischen Volksarmee: United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex III. 718 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, V, H, L. 719 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, III, D. 720 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A; United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, V, E, F, L, R; United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, III, B, IV, A, B.
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Zunächst hatte er erheblichen Anteil an der Verteidigung Sarajevos, das durch den Angriff der serbischen Truppen 1992 völlig überrascht wurde. Nach dem Auseinanderbrechen der Koalition zwischen den Kroaten Bosniens und den bosnischen Muslimen im April 1993721 schlug sich Prazina auf die Seite der kroatischen HVO und befehligte unter anderem „ethnische Säuberungen“ in Mostar. Er unterhielt Kontakte sowohl zur kroatischen als auch zur bosnischen Regierung. Prazina wurde am 3. Dezember 1993, mutmaßlich von einem seiner eigenen Bodyguards, in der belgischen Stadt Liège/Lüttich getötet.722 Die bosnischen Muslime waren zumindest aus militärischer Sicht auf einen Krieg nicht vorbereitet. Es dauerte eine Weile, bis sie eigene Streitkräfte aufstellen konnten. Aus der als Bosna bezeichneten, später in Grüne Barette (Zelene Beretke) umbenannten Einheit und der Patriotischen Liga (Patriotska Liga) formten sich im Frühjahr 1992 die regulären Streitkräfte Bosnien-Herzegovinas (Armija Republike Bosne i Hercegovine, ARBiH). Neben diesen existierte ebenfalls eine Vielzahl irregulärer Verbände wie die Akrepi, Alijas Armee oder die Einheit Hasan Hakalovićs.723 An der Spitze der irregulären Einheiten der bosnischen Muslime standen nicht selten ebenfalls Kriminelle wie Ramiz Delalić alias „Ćelo“, der „wegen zahlreicher Verbrechen aus Deutschland ausgewiesen“ worden war, oder Mustafa Zulić, der eine Größe im Drogengeschäfte gewesen sein soll, sowie Mušan Topalović, genannt „Caco“, dem Verwicklungen in Mafia-Strukturen nachgesagt werden.724 Auch auf bosnischer Seite kämpften ausländische Söldner in sogenannten „MujaheddinEinheiten“, deren Kämpfer mehrheitlich aus der Türkei, Afghanistan und dem Iran in den ersten Kriegsmonaten nach Bosnien-Herzegovina gelangten. Den Analysen des VN-Sicherheitsrates zufolge hatten diese Einheiten jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die militärischen Erfolge der bosnischen Muslime. Gleichwohl waren auch sie offenbar an Kriegsverbrechen beteiligt.725 Die sogenannte „Befreiungsarmee des Kosovo“ wiederum trat zum ersten Mal im Frühjahr 1996 im Zusammenhang mit Anschlägen auf serbische Einrichtungen und der Ermordung von serbischen Polizisten in Kosovo in Erscheinung. Sie hatte ihre ideologischen Wurzeln unter den linken Nationalisten Albaniens. Ihre Mitglieder rekrutierte die UÇK aus den Clanstrukturen der Albaner Kosovos. Fi721 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 360. 722 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, II, C, 2, P. 74 ff. 723 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, V, N, O; United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, II ff. 724 Lohoff (1996), 171. 725 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, II, B.
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nanziert wurde sie überwiegend durch die albanische Arbeitsdiaspora in Europa und Übersee, wo sie auch politische Lobbyarbeit betrieb. Bis zum Ausbruch des offenen Krieges in Kosovo 1998 wurde die „Befreiungsarmee“ maßgeblich aus der albanischen Diaspora in der Schweiz geführt. Eine Armee, als die sie sich selbst bezeichnete, war die UÇK nicht. Treffender ist die Charakterisierung als „Guerilla“, da sie nach dem Kampfmodell einer solchen oder, wenn man so will, nach dem Vorbild der jugoslawischen Partisanen operierte. In der serbischen Propaganda wurde die UÇK deswegen wiederholt als „Terrororganisation“ dargestellt – was der allgemeinen Verunglimpfung der Albaner Kosovos entsprach. Offenbar war die UÇK in die organisierte Kriminalität verwickelt. So werden ihr Drogen- und Menschenhandel sowie Waffenschmuggel nachgesagt. „Wie bei früheren nationalen Befreiungsbewegungen im ausgehenden 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts, waren auch bei der UÇK die Grenzen zwischen Freiheitskämpfern und Räubern, zwischen Widerstand und organisierter Kriminalität fließend.“726 Im Jahr 2013 erschien im US-amerikanischen Magazin The New Yorker ein Text, der die Vorwürfe gegen einen der Begründer und Führer der UÇK, den gegenwärtigen Präsidenten Kosovos Hashim Thaçi, während des Krieges in Kosovo mit Organen entführter und ermordeter Serben gehandelt zu haben, nicht entkräften konnte.727 Die Vorwürfe gegenüber ranghohen Mitgliedern der UÇK waren bereits 2010 durch den Schweizer Abgeordneten des Europarats Dick Marty erhoben worden und werden durch den jüngst vorgelegten Bericht des Juristen John Clint Williamson, der als Leiter einer Sondereinheit der Europäischen Union mit der Untersuchung von Kriegsverbrechen der UÇK beauftragt ist, erneuert.728 Offensichtlich ist, dass die postjugoslawischen „Kriegstheater“729, um einen nützlichen Begriff des preußischen Generals Carl von Clausewitz zu gebrauchen, 726 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 378 ff., Zitat: 380; Für die übrigen Ausführungen zur UÇK vgl. Malcolm (1998), 354 f.; Maliqi (2007), 131; Gow (2007), 376; Schmitt (2008), 289 ff., 322 ff. 727 Schmidle (2013). 728 Tagesschau (29.07.2014). 729 Den Begriff „Kriegstheater“ verwendete von Clausewitz in seinem berühmten Werk Vom Kriege, das seine Frau Marie 1832 nach dem Tod ihres Mannes als Fragment veröffentlichte. „Kriegstheater“ ist darin einerseits eine Kategorie des Raumes unterhalb des Landes und oberhalb der Stellung (Clausewitz (1957), 396). Andererseits ist das „Kriegstheater“ auch eine phänomenale Kategorie als Teil oder Untereinheit des Krieges an sich. In streng militärischem Sinn unterscheidet Clausewitz zwischen dem „Kriegstheater“ auf strategischer und der Schlacht auf taktischer Ebene (Clausewitz (1957), 148). Durchaus nicht zufällig evoziert er mit dem Begriff die Vorstellung des Schauspiels. Neben der Metapher „Kriegstheater“ finden sich im Werk Clausewitz‘ explizit die Begriffe „Schauspiel“ bzw.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 231
Abb. 22: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Dezember 1991.
den dieser in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte und der in den asymmetrischen Konflikten730 der Gegenwart unverändert von Bedeutung ist, von einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure „bespielt“ wurden. „Kriegsschauplatz“ (Clausewitz (1957), 73, 171). Im „Kriegstheater“ stehen sich „nicht bloß ein Heer dem anderen, sondern ein Staat, ein Volk, ein Land dem anderen“ gegenüber (Clausewitz (1957), 47). Im Anschluss an Clausewitz ist auch die moderne Definition des „Kriegstheaters“, im NATO-Sprachgebrauch „theater of war“, formuliert (United States. Department of the Army (2007), 388). 730 Unter „asymmetrischen Konflikten“ werden Konflikte zusammengefasst, in denen sich die gegenüberstehenden Parteien in Struktur und Anwendung der Mittel asymmetrisch zueinander verhalten, d.h. dass einer nach dem Kriegsvölkerrecht konventionellen Streitmacht mit konventionellen Waffen und konventioneller Operationsführung eine Guerilla gegenübersteht, die mit Guerillataktiken oder terroristischen Aktionen operiert: „[…] where conventionally weaker nonstate enemies fight the stronger foe in ways that neutralize the conventional strenghts and exploit apparent weakness – such as the willingness to engange in unlawful attacks with prohibited means, knowing that the dominant state will abide by
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Die Kommission des VN-Sicherheitsrates nennt insgesamt 83 „identifizierte paramilitärische Gruppen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien“; 56 dieser Einheiten unterstützten demnach die Republik Jugoslawien (bestehen aus Serbien und Montenegro), 13 die Republik Kroatien und 14 die Republik Bosnien-Herzegovina.731 Ernst Lohoff wiederum führt aus, dass „Beobachter allein in Serbien 200 verschiedene unabhängige Milizen gezählt haben“, bleibt jedoch die Quelle für diese Angabe schuldig.732 Die Beziehungen beinahe aller militärischen und paramilitärischen Einheiten untereinander waren bei keiner der Kriegsparteien geregelt. Die Befehlskette (chain of command) in und unter diesen Einheiten blieb selbst Eingeweihten unklar; eine einheitliche Kommandostruktur war nicht gegeben oder aufgeweicht. Zumindest zu Beginn der Kriege trugen die Mitglieder dieser Verbände – von den Truppen der JNA abgesehen – keine einheitlichen Uniformen. Manche trugen weder Uniformen noch Abzeichen für Truppenzugehörigkeit und Dienstgrad, bei nicht wenigen Formationen war das bis Kriegsende der Fall. Die Kampfhandlungen dieser Einheiten ließen in den meisten Fällen weder Struktur noch geordnetes Vorgehen (battle order) erkennen. Bei Gefechten mischten sich reguläre mit irregulären Einheiten. Manchmal bestand die einzige Gemeinsamkeit dieser unterschiedlichen Kräfte im „Empfang von militärischer Ausrüstung, Munition und Versorgungsgütern aus den Händen der entsprechenden Armeen und Regierungen, im Fall der bosnischen und Krajina-Serben in der Abhängigkeit von JNA und Föderativen Republik Jugoslawien“. In der generellen Abwesenheit von Strukturen wird der Hauptgrund für Verletzungen des konventionellen Kriegsvölkerrechts gesehen: The absence of command and control and the conditions created, particularly on the Serb side, were conducive to large scale and repeated violations. Persons who engaged in this conduct were encouraged by propagandistic rhetoric and comforted by the belief that they would have impunity. The absence of preventive action by military commanders and other purposeful omissions, such as the failure to punish known perpetrators, constitutes a clear basis for command responsibility […].733 the laws of war and not reciprocate […]“ (Banks (2013), xi); vgl. United States Department of the Army (2007), 109, 3–102. 731 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III.A, I, C. Vgl. Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 342. 732 Lohoff (1996), 173. 733 United Nations / Security Council (Mai 1994), Letter, III, P. 122, 123; United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, II, P. 19, Zitat: P. 38.
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In der Tat kann gerade die fehlende Legitimation der paramilitärischen Einheiten, die an der Abwesenheit gewachsener Hierarchien und Unterstellungsverhältnisse unter anderem deutlich wird, ein wesentlicher Grund für deren exzessive Grausamkeit gewesen sein. Das einen höheren Rang in der Gruppe rechtfertigende „Verdienst“ und die Möglichkeit der Selbstbehauptung bestanden dann vor allem in der Fähigkeit, die Grausamkeit anderer Gruppenmitglieder zu übertreffen. In dieser Spirale der Gewalt mussten die Verbrechen an Abscheulichkeit zwangsläufig stetig zunehmen. Das verstörende Bild wirft eine zunächst eine grundsätzliche Frage auf: Wo beginnt ein „Krieg“ (geografisch, sozial, begrifflich im Unterschied zum Rechtszustand) und wie ist er einzugrenzen? Dem schließen sich weitere konkrete Fragen an: Ist es gerechtfertigt, überhaupt von „Krieg“ in Bezug auf die Ereignisse in (Ex-) Jugoslawien zwischen 1991 und 1999 zu sprechen, wenn diese den konventionellen Rahmen in jeder Hinsicht sprengen? Inwiefern kann die Kategorie „Krieg“ über ihre Verwendung in Rechtszusammenhängen und politischer Propaganda hinaus überhaupt zum Verständnis dieser und ähnlicher Ereignisse beitragen? Und weiter: Wenn der allen historischen Erfahrungen gemeinsame Schluss darin besteht, dass Konventionen zum Schutz von Kulturerbe gegenüber den Zerstörungen stets macht- und wirkungslos sind – wie nun wieder (aber nicht erst) die jüngsten Vorfälle um die Zerstörung von Kulturerbe in Irak, Mali und Syrien zeigen –, von welchem Nutzen können dann die Bemühungen, kulturelles und religiöses Erbe vor gewalttätiger Zerstörung zu schützen, überhaupt sein? Der Widerspruch berührt den Kern des europäischen Kulturerbekonzepts. Gebietet die Ordnung der Ereignisse der Postjugoslawischen Kriege – oder besser: deren Unordnung – nicht eine grundlegende Revision der internationalen Bemühungen und Regelungen zum Schutz von kulturellen und religiösen Objekten in Konflikten, inklusive der notwendigen Dekonstruktion etablierter Begriffe? Das Missverhältnis zwischen Schutzvorhaben und der Undurchsetzbarkeit derselbigen, das Beobachtern regelmäßig Kopfzerbrechen bereitet, kann in der Tat ausgeräumt werden, wenn man den internationalen Diskurs zum Schutz kulturellen und religiösen Erbes selbst als Strategie begreift, Macht und Deutungshoheit über die fraglichen Objekte zu erlangen und zu behalten – freilich mit einem anderen Ziel. Der Schutz von Kulturerbe scheitert offenbar nicht an bestehenden rechtlichen Grundlagen oder an den fehlenden Mitteln, diese notfalls mit Gewalt durchzusetzen, sondern an dem jede Willensbildung lähmenden elementaren Widerspruch, der einerseits zwischen verschiedenen Strategien der Instrumentalisierung von Kulturerbe sowie andererseits zwischen Krieg als Gewaltphänomen und den moralisch-normativen Regeln des Friedens besteht. Es ist eine Illusion
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zu glauben, ein Krieg ließe sich nach den Regeln des Friedens führen. Und doch erheben die internationalen Konventionen zum Schutz von Kulturerbe genau diesen Anspruch oder gaukeln seine Erfüllbarkeit vor. Ebenso vermessen und unaufrichtig ist es, davon auszugehen, eine bestimmte Form der Instrumentalisierung von Kulturerbe sei weniger absolut (oder aggressiv), weil sie sich (überwiegend) der Gewaltmittel enthält. Begreifen wir „Kulturerbe“ nicht einzig als die Summe tradierter kultureller Gegenstände, sondern vor allem als Strategie im Diskurs, verstehen wir deren Zerstörung besser. Sie begleitet den Krieg notwendig und ist nur durch massive Gewaltmittel auszuschließen – auch wenn wir es uns anders wünschen mögen. Gewaltsame Zerstörung lässt sich, ebenso wie systematisches Morden, nur mit Gewalt verhindern. Einmal mehr wird das Dilemma (nicht ausschließlich) des universalistisch-normativen Kulturverständnisses offenbar: Um sich durchzusetzen, muss es seine eigenen moralischen Grundsätze des „KulturGuten“ verletzten. Oder aber es akzeptiert Zerstörung und Mord – und lässt damit zu, dass seine Grundsätze durch andere verletzt werden. Hier ist eine Perspektive der einleitenden Frage angesprochen, wann ein „Krieg“ im außerjuristischen Sinne beginnt und wann er endet.
KRIEGSZIELE
Es leuchtet ein, dass es angesichts des verstörenden Bildes, das sich aus der näheren Betrachtung der Einheiten der jeweiligen Kriegsparteien ergibt, schwerfällt, deren eigentliche Ziele zu bestimmen. Florian Bieber hält die Vision serbischer Politiker und Intellektueller, ein „Großserbien“ oder ein verkleinertes Jugoslawien unter serbischer Vorherrschaft zu schaffen, für ausschlaggebend. Dafür allerdings bedurfte es einer Revision der seitens serbischer Nationalisten ohnehin als „administrativ“ bezeichneten Grenzen innerhalb Jugoslawiens. Der neu entworfene Staat hätte schließlich Kernserbien, Kosovo, die Vojvodina, Montenegro, große Teile Kroatiens und auch Bosnien-Herzegovinas umfasst.734 Tatsächlich bekräftigen maßgebliche serbische Politiker, etwa Vojislav Šešelj, während des Krieges derlei Pläne explizit.735 734 Bieber (2005), 477 ff. 735 Im Interview mit Tanjug erklärte Šešelj im Oktober 1991 in einem Hotel in Prishtina, die Frage Kroatiens bleibe offen und müsse auf dem internationalen Parkett verhandelt werden. Die Grenzen des serbischen Territoriums würden ungeachtet des möglichen Ergebnisses „auf der Linie Karlobag-Ogulin-Karlovac-Virovitica gesetzt werden. Bis zu dieser Linie können auch ausländische Soldaten kommen, aber alles andere werden wir als
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Dies wiederum bedeutet, Kroatien hätte mindestens zwei Drittel seines Territoriums abtreten müssen. In den Dokumenten des VN-Sicherheitsrates wird der Plan zu einem ethnisch möglichst homogenen „Großserbien“ mit den militärischen Aktivitäten Serbiens, das heißt mit denen der JNA bzw. der VJ und denen der serbischen irregulären Einheiten korreliert. Alles deutet darauf hin, dass es den Versuch der Umsetzung dieses Plans gegeben hat, mehr noch, dass dieser in Teilen sogar erfolgreich war.736 Allerdings geriet das Projekt „Großserbien“ im Verlauf des Krieges und wechselnder politischer Allianzen ins Wanken und stieß nicht bei allen serbischen Politikern auf kritiklose Zustimmung.737 Bei den vielseitigen serbischen Aktionen in Kosovo wiederum ging es um die Wiederherstellung serbischer Vorherrschaft, die seit der Ablösung des serbischen Geheimdienstchefs Aleksandar Ranković in 1960er Jahren zunehmend erodiert war. Auf kroatischer bzw. bosnischer und kosovo-albanischer Seite bestand das Ziel innerhalb der politischen Führung zunächst einheitlich in der Gewinnung und Verteidigung der Unabhängigkeit. Darüber hinaus waren weder die bosnischen Muslime noch die Kroaten bereit, auf einen Teil ihres Territoriums zu verzichten. Nicht zuletzt ging es schlicht ums nackte Überleben. Es existieren zudem belastbare Hinweise, dass Kroatien unter der Führung Tuđmans die Einverleibung zumindest eines Teils Bosnien-Herzegovinas geplant hatte. Die kroatische Position war hier anschlussfähig an den kroatischen Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.738 Inwieweit Milizen, Bürgerwehren und sonstige paramilitärische Einheiten die jeweiligen politischen Ziele kannten, verstanden hatten und teilten, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Es deutet vieles darauf hin, dass die Angehörigen dieser Verbände eher kurzfristige Interessen, vor allem ihre persönliche Bereicherung, verOkkupation ansehen und gegen die Okkupatoren kämpfen […]“ (Tanjug (1991a)). Šešelj äußerte sich identisch bereits in einem Interview mit dem SPIEGEL im August 1991, dass bei Ramet (1992), 263, wiedergegeben ist; vgl. Malcolm (2002), 226. Dass diese Äußerungen Šešeljs tatsächlich mit den Plänen anderer serbischer Politiker und der Armeeführung übereinstimmten, brachten u. a. die Prozesse am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu Tage (Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 339). 736 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, II, P. 9; vgl. Malcolm (2002), 238, 252; Gow (2007), 363, 368; Rüb (2007), 333. 737 Bieber (2005), 486 ff. 738 Bei einem Treffen im März 1991 diskutierten Milošević und Tuđman u. a. die Aufteilung Bosnien und Herzegovinas zwischen Serbien und Kroatien. Diese Pläne bestanden auch nach dem Überfall Serbiens auf Kroatien auf beiden Seiten fort. Ähnliche Gespräche führte Mate Boban während des Bosnienkrieges mit Radovan Karadžić (Malcolm (2002), 231 f.; Rathfelder (2007), 357).
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folgten.739 Hin und wieder arbeiteten die eigentlichen Gegner dabei zusammen.740 Zur Finanzierung der Tiger wurden „Lkw-Ladungen mit geraubten Gütern aus kroatischen Städten und Dörfern“ nach Serbien geschickt.741 Der Kanadier Colin Kaiser ging als Berichterstatter des Europarats während der Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegovina auch auf die Praxis der Plünderung durch militärische und paramilitärische Einheiten ein. In der Gemeinde Dubrovnik wurde Wein, Vieh, Industrie- und Landwirtschaftstechnik geraubt.742 Erich Rathfelder bestätigt dieses Bild für alle 1991 in Kroatien vom Krieg betroffenen Gebiete.743 Berichtet wird ebenfalls über die gängige Praxis, dass sich vom Krieg und „ethnischer Säuberung“ bedrohte Zivilisten bei militärischen und paramilitärischen Einheiten gegen zum Teil erhebliche Summen „freikaufen“ konnten.744 Die hier geschilderte komplexe Konfliktkonstellation macht einfache Erklärungen für die Zerstörung von Kulturgütern unmöglich. Neben der Durchsetzung politischer Ziele und der Eroberung von Räumen – die klassischen Gründe, Krieg zu führen – wirkten auch der Wunsch nach Vergeltung, irrationaler Hass, vermeintliche historische Demütigungen und die Gier nach fremdem Besitz motivierend. Ich schlage deswegen fünf verschiedene Szenarien der Zerstörung von Kulturgütern vor. Diese sind nicht absolut und trennscharf zu verstehen. Sie gingen vielfach 739 Lohoff (1996), 161, 164, 167; Malcolm (2002), 226. 740 Der bosnische Unternehmer Fikret Abdić etwa ging während des Krieges eine Allianz mit den serbischen Truppen ein. Er erklärte das Gebiet um das im Nordwesten Bosniens gelegene Bihać zur Autonomen Region Westbosnien (Autonomna pokrajina zapadna Bosna), die von den Truppen der bosnischen Serben verschont wurde. Im Gegenzug stellte er den Nachschub für die serbischen Einheiten sicher. Um seine Machtposition in der Region gegenüber der erstarkenden Regierung Bosnien und Herzegovinas durchzusetzen, arbeite Abdić später sogar militärisch mit serbischen Einheiten zusammen und kämpfte mit diesen gegen die Armee Bosnien und Herzegovinas. (Lohoff (1996), 173; Malcolm (2002), 254 ff.; Rathfelder (2007), 357). 741 Malcolm (2002), 226. 742 Council of Europe (Februar 1993), Introduction, P. 5., Appendix B, P. 73, P. 74. Da verschiedene Versionen der insgesamt zehn Information Reports des Europarats als Word-Dokumente und PDF zirkulieren, nennen meine Quellenangaben nicht Seitenzahlen, sondern die jeweiligen Punkte in den entsprechenden Abschnitten der Dokumente „Introduction P. 5“ bedeutet Punkt 5 der Einleitung, nicht Seite (Page). Ich beziehe mich ausschließlich auf die PDF-Dateien der Information Reports, die mir durch den Europarat zur Verfügung gestellt wurden. Diese sind mit Seitenzahlen versehen. Jedoch ist es nicht hilfreich, damit zu operieren, da Dritte, die Aussagen aus diesen Quellen eventuell nachvollziehen wollen, nicht über diese PDF, sondern möglicherweise über im Internet verfügbare Word-Dateien verfügen, die wiederum keine Seitenzahlen aufweisen. 743 Rathfelder (2007), 347, 348. 744 Kaser (2007), 410; Riedlmayer, Crimes of War… (2007), 116.
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ineinander über oder bestanden zeitgleich. Sie sollen als heuristische Kategorien dienen, bis bessere Modelle gefunden sind. Im Grunde geht es darum, den Kontext zu verstehen und dabei so wenig wie möglich von konkreten Phänomenen zu abstrahieren – was stets eine Verkürzung der Perspektive bedeutet. Es gilt, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Typologie und Spezifik der Zerstörung zu finden.
ZERSTÖRUNG – SZENARIEN
Im Szenario „Terror und Expansion“ wurden bei dem Versuch der serbischen Streitkräfte, die von Serben bewohnten Gebiete in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo unter ihre Kontrolle zu bringen und (in den meisten Fällen) diese Gebiete über Korridore mit Zentralserbien zu verbinden, Städte und Siedlungen für Tage, Wochen und Monate, Sarajevo sogar für Jahre, mit schweren Waffen, das heißt Artillerie, Luftwaffe und Panzern, sturmreif geschossen. Das Ziel dieser Strategie war es, den Gegner moralisch und dabei in seiner Kampfkraft zu schwächen, ohne eigenes Personal im Infanterieeinsatz über Gebühr zu gefährden und die Verluste damit gering, die Moral der eigenen Truppen wiederum hochzuhalten. Mit dem durch den Dauerbeschuss entfesselten Terror sollte die Bevölkerung zermürbt und schließlich zur Aufgabe gezwungen werden. Exemplarisch für diese Strategie ist ein Telefongespräch, das Ratko Mladić im Mai 1992 mit dem Obristen Mirko Vukašinović, dem Kommandeur der um die Stadt Sarajevo stationierten Artillerieeinheiten, führte. Ein Mitschnitt des Gesprächs wurde im Verlauf des Prozesses gegen Mladić in Den Haag verwendet: Mladić: How soon could you fire? Vukašinović: Well, I could fire in five to ten minutes, no sooner than that. Mladić: Tell me, can you also shell Bascarsija? Vukašinović: Yes, I can. Mladić: I beg your pardon? Vukašinović: I can, I can. Mladić: Fire a salvo at Bascarsija as well. Vukašinović: Yes, sir! […] Mladić: Shoot at Velusici, Velusici. Vukašinović: Velusici? Mladić: Velusici. Vukašinović: Yes sir. Mladić: Shoot at Velusici and also at Pofalici. There is not much Serb population there ... shoot there, around Dobrovoljacko up there around Humska. Vukašinović: Around Humska? Mladić: At that Djure Djakovic Street up there ... and apply artillery reconnaissance so that they cannot sleep, that we drive them crazy.745 745 ICTY, Mladić (IT-09-92), Transcripts, May 16, 2012, 444, und Transcripts, May 17, 2012, 517; Das Transkript ist von schlechter Qualität. Einen Stadtteil „Velusici“ gibt es in Sarajevo nicht und gab es auch nie. Velešići liegt tatsächlich in unmittelbarer Nachbarschaft
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Im Zuge des Beschusses nach diesem Muster kam es zur unterschiedslosen Zerstörung von militärischen und nicht-militärischen Zielen. Kulturelles und religiöses Erbe wurde schwer beschädigt oder zerstört. Diese Zerstörung wurde bewusst und billigend in Kauf genommen, auch wenn sie nicht immer Primärziel der Angriffe war. Beispiele für ein solches Szenario bestehen etwa im Angriff auf die strategisch bedeutenden ostslawonischen Städte Vukovar, Vinkovci und Osijek, kleinere Städte und Siedlungen im Neretva-Tal und die bosnischen Städte Sarajevo und Mostar sowie Siedlungen in Kosovo. Phänomenal zeichnete sich dieses Szenario durch einen hohen Zerstörungsgrad sämtlicher Objekte aus, der jedoch nur selten total war. Ausgebrannte und teilzerstörte Kirchen, Moscheen und historische Gebäude waren die Regel. Im Szenario „Systematische Auslöschung“ war die wohl drastischste Form der Zerstörung in den Gebieten zu beobachten, die dauerhaft unter die Kontrolle der Serben oder zum Teil auch Kroaten gerieten, jedoch vor dem Ausbruch des Krieges gemischt besiedelt waren und daher eine hohe Diversität an kulturellen und religiösen Objekten aufwiesen. Noch während, spätestens jedoch nach der vollständigen Vertreibung der unterlegenen Ethnie – im internationalen Sprachgebrauch hat sich dafür die euphemistische Formel „ethnische Säuberung“ (ethnic cleansing) etabliert – kam es zur systematischen Zerstörung der Hinterlassenschaften der vertriebenen Bevölkerung. Die Verantwortlichen hatten sich die vollständige Tilgung der Spuren der Anwesenheit einer als fremd verstandenen Kultur und Religion zum Ziel gesetzt. Die Gemeinden, Siedlungen und Städte Bosnien-Herzegovinas wurden im Krieg somit nahezu vollständig „gesäubert“. Auch kroatische militärische und paramilitärische Einheiten haben versucht, jegliches Zeugnis der bosnischen Muslime in den besetzten Gebieten – etwa in Stolac – systematisch auszulöschen. Zum Teil kam es auch durch albanische Nationalisten nach dem Abzug der serbischen Truppen in Kosovo, beginnend im Juni 1999 besonders in abgelegenen Ortschaften, zu organisiertem Terror gegen die serbische Bevölkerung. Seitens der bosnischen Muslime sind jedoch keine Versuche der systematischen Vertreibung oder Kulturerbezerstörung von Kroaten und Serben aus denen von bosnischen Regierungstruppen besetzten Gebieten bekannt746, was nicht heißt, dass von dieser Konfliktpartei keine Kriegsverbrechen begangen wurden. zu Humska und Pofalići im Nordwesten der Stadt. Ein Transkript in besserer Qualität, allerdings in Bosnisch, ist abgedruckt in Vrijeme (2014), 62 f. 746 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex IV, I, P. 4; Walasek (2015), 7, 58, 63, 183.
3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung | 239
Zur Kulturerbezerstörung im Szenario „Rückeroberung und Vergeltung“ kam es, wenn die Kontrolle über einige der umkämpften Gebiete in Kroatien, BosnienHerzegovina und Kosovo schnell und häufig wechselte, nicht sofort eine neutrale Ordnungsmacht in Form internationaler Schutztruppen etabliert werden konnte oder Letztere bei der Erfüllung ihres Mandats aus verschiedenen Gründen versagte. 1995 eroberten etwa kroatische Streitkräfte in den Operationen Bljesak (Blitz) und Oluja (Sturm) die von Serben 1991 besetzten Gebiete in Slawonien, der Banija, Lika, Kordun und Dalmatien zurück. Dabei kam es zu Kriegsverbrechen, die die Zerstörung von Kulturgut beinhalteten. Vergleichbares ereignete sich in Bosnien-Herzegovina nach dem Abzug serbischer Streitkräfte während Vergeltungsaktionen kroatischer und bosnischer Einheiten. Nach dem Abzug der serbischen Truppen im Juni 1999 konnten die Albaner Kosovos trotz der Anwesenheit der internationalen Kosovo-Force (KFOR) nahezu ungehindert Vergeltung üben. In diesen Situationen kam zur massenhaften Vertreibung von Serben aus der Region und zu umfangreichen Zerstörungen von kulturellen und religiösen Objekten. Diese konnten total sein, das heißt, die Sprengung und völlige Beseitigung umfassen – was jedoch eher selten der Fall war. Die Regel waren schwere Beschädigungen einzelner Objekte durch Brandstiftung und Plünderung oder ihrer Ausstattung durch Vandalismus. Zu einem vierten Szenario, der „(Rück-)Überführung des offenen in einen symbolisch ausgetragenen Konflikt“, kam es in den Regionen, die nach dem Krieg und trotz Mord und Vertreibung mehr oder weniger heterogen im Hinblick auf Religion und Bevölkerung blieben. Vukovar, Banja Luka, Sarajevo, Mostar und schließlich Prizren können trotz der dort erfolgten Vertreibungen und einer deutlichen Veränderung der ethnischen Zusammensetzung als Beispiele für dieses Szenario gelten. Hier wurden insbesondere religiöse Objekte wiederum zum symbolischen Medium eines Konfliktes, wie es schon vor dem Ausbruch der Kriege in den Nationalismen der jugoslawischen Ethnien der Fall gewesen war. Regelmäßige Übergriffe auf das kulturelle und religiöse Erbe des jeweiligen Gegenübers waren (und sind) Teil dieses Szenarios. Ein fünftes und letztes Szenario, dass ich kurz „Überschreiben“ benennen möchte, ist durch den Versuch gekennzeichnet, in den postjugoslawischen politischen Entitäten neue nationale Mythen zu konstruieren, in die sich die Erlebnisse der Kriege und weiter zurückreichende Elemente der Geschichte widerspruchslos integrieren lassen. Diese Entwicklung schlägt sich unter anderem auch im Umgang mit Objekten nieder. In diesem Szenario kam (und kommt) es sowohl zur Zerstörung als auch zur (Re-)Konstruktion von kulturellen und religiösen Objekten.
240 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Systematische Auslöschung, die Überführung des offenen in einen über Symbole ausgetragenen Konflikt und das Überschreiben sind Strategien, nationalistische Postulate, die zunächst kein echtes Signifikat haben, mit der sozialen Realität zur Deckung zu bringen. Eine „reine“, sprich homogene Nationalkultur wird zunächst imaginiert und schließlich durch Gewaltmittel konstruiert. Wenn es nicht nur den Anklägern des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, sondern auch Wissenschaftlern und politischen Analysten schwerfiel und fällt, in zum Teil jahrelangen Prozessen und Studien Befehlsketten zu rekonstruieren, in denen die Order zum Töten, Vergewaltigen oder Zerstören weitergegeben worden ist, dann ist dazu anzumerken, dass es dieser Befehlsketten nicht zwangsläufig bedurfte. Lange vor der Realisierung des Fiebertraums von homogenen nationalen Kollektiven durch Tod und Zerstörung hatten ihn nationalistische Rhetoren dutzende Male beschworen. Als es dann schließlich so weit war, reichten Propaganda, Kriegswirklichkeit und Verrohung, um Opfern und Tätern das Gebot der Stunde unmissverständlich deutlich zu machen. Handlungsalternativen gab es dort, wo diese von außen mit Gewalt durchgesetzt wurden. Das war in Bosnien und Herzegovina aufgrund der zögerlichen Haltung der internationalen Staatengemeinschaft erst nach etwa vier Jahren Krieg – mithin viel zu spät – der Fall. Hinter dem Versuch, Befehlsketten zu rekonstruieren und Verantwortliche zu belangen, ist leider allzu oft die internationale Verantwortung für das Grauen der Kriege in Vergessenheit geraten. Weder hat eines der fünf von mir vorgeschlagenen Szenarien ausschließlichen Charakter noch besteht ein zwingendes Verhältnis zur Realität der Kriege und der Nachkriegssituationen. Die Szenarien sind als Vorschlag zur Untersuchung verschiedener Ereignisse gedacht. Sie müssen aufgegeben werden, wenn es Modelle gibt, die besser geeignet sind. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Die übrigen, mir bekannten Beschreibungsversuche sind deutlich weniger differenziert. Entweder erscheint die Zerstörung von Kulturerbe im Verlauf der Postjugoslawischen Kriege darin als Kulisse oder als vollständige Auslöschung der Kultur des Gegenübers. Damit jedoch ist jeweils nur eine Perspektive erfasst.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 241
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien „WAHRHEIT“ IM KRIEG
Aussagen in den Medien von Konfliktparteien im Krieg sind mit Abstand und Vorsicht zu bewerten. Eine weitere Binsenweisheit. Im Extremfall des Krieges kommt es regelmäßig zum Schulterschluss zwischen gesellschaftlichen Akteuren, die sich sonst eher distanziert gegenüberstehen. Aus der heterogenen Vielfalt von Diskursen im Frieden (wenn es sie denn gab) formt sich eine geschlossene Phalanx gegen den äußeren Feind. Information wird zur Waffe. Dem berühmten, dem US-amerikanischen Senator Hiram Johnson zugeschriebenen geflügelten Wort, nachdem die Wahrheit stets das erste Opfer des Krieges ist – „The first casualty when war comes is truth“ (1918) – möchte ich trotzdem nicht uneingeschränkt zustimmen. Johnsons Postulat basiert auf der Erkenntnis, dass Informationen im Krieg für die je eigene Sache instrumentalisiert werden können. Doch das ist im sogenannten Frieden nicht anders. Wenn also schon etwas solch Abstraktes wie „Wahrheit“ zur Disposition steht, dann ist sie keine Frage von Krieg und Frieden, sondern vielmehr der Umstände und ihrer Betrachtung. Ebenfalls richtig ist, dass jede bewusst gefälschte und reproduzierte Information, wenn sie als Fälschung entdeckt wird, ein Risiko für die Glaubwürdigkeit der Quelle darstellt, die sie in Umlauf gebracht hat. Die Glaubwürdigkeit serbischer, kroatischer und bosnischer Berichte gegenüber Beobachtern von außen konnte jedoch von entscheidender Bedeutung für den Verlauf und Ausgang der Postjugoslawischen Kriege sein. Wie entscheidend Informationshoheit war, begriffen die verschiedenen Akteure recht schnell. Im Krieg in Kroatien gaben die Verbindungen kroatischer Künstler, Wissenschaftler, Politiker und Publizisten in das westliche Europa und nach Übersee letztlich den Ausschlag für die internationale Solidarität mit dem Land. Wichtiger als „Wahrheit“ wurde deswegen die Gratwanderung zwischen offensichtlicher Propaganda und der Wahrung zumindest eines Anscheins von Objektivität, zwischen der Wiedergabe von Fakten und deren Interpretation. Auch ließ sich die Realität der Kriege bis zu einem gewissen Grad an gefälschte Informationen anpassen – et vice versa. Doch auch das konnte auf die Akteure zurückschlagen. Im Hinblick auf die Zerstörung kulturellen Erbes gab es im Grunde drei Möglichkeiten: Die Zerstörungen konnten in Berichten übertrieben werden, um das eigene Opfer herauszustellen und international Sympathien zu gewinnen. Sie ließen sich leugnen, wenn die Beschuldigten darauf hoffen konnten, dass Dritte nicht willens oder in der Lage waren, eigene Nachforschungen anzustellen. Ebenfalls möglich war die Rechtfertigung oder Relativierung der Zerstörungen mit verschiedenen Begründungen.
242 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Diese drei Strategien wurden durch die steigende Präsenz internationaler Beobachter in den Kriegsgebieten konterkariert. Zunächst berichtete eine zunehmende Zahl internationaler Journalisten aus Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo. Spätestens Ende 1991 kam das Personal internationaler Organisationen, etwa des Europarats, der UN-Schutztruppen und der UNESCO, dazu. Deren Berichte wiederum wurden durch die Beobachtungen einer ebenfalls wachsenden Zahl von NGOs747 ergänzt. Trotz der hohen Gefährdungslage für alle drei Personengruppen, die im Verlauf der Kriege auch Todesopfer zu verzeichnen hatten, wurde es für die Konfliktparteien zunehmend schwierig, die Zerstörung von Kulturerbe zu leugnen. Mit dem Wissenszuwachs auf Seiten internationaler Beobachter ließ sie sich auch nicht mehr ohne weiteres relativieren. Übertreibungen hingegen waren schwierig nachzuweisen, denn die Beurteilung des tatsächlichen Umfangs der Zerstörungen und deren Qualität lag und liegt in den Händen von Spezialisten – etwa Konservatoren, Architekten, Historikern und Kunsthistorikern. Und auch deren Urteile waren nicht allgemeinverbindlich, sondern vielmehr abhängig von individuellen Perspektiven. Bei der Analyse der verschiedenen Berichte zur Zerstörung von kulturellem Erbe in den Postjugoslawischen Kriegen müssen diese Verhältnisse und Entwicklungen präsent gehalten werden.
KULTURERBEZERSTÖRUNG IN DER KROATISCHEN UND SERBISCHEN KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
Am 19. Juni 1991 titelte die kroatische Tageszeitung Vjesnik (dt. Bote, Journal) Kroatien im Szenario des Blitzkrieges (Hrvatska u Scenariju Blitzkriega).748 Unter der Schlagzeile befand sich ein Bild, das den kroatischen Präsidenten Franjo Tuđman bei der Abnahme eines Appells der Nationalgarde zeigt. Der Titel war eine durchaus beabsichtigte Anspielung auf den Überfall Hitlers auf Polen 1939. Die jeweilige Gegenseite als „Faschisten“ oder „Nazis“ darzustellen, wurde zur gängigen Praxis in den Medien sowohl der Serben als auch der Kroaten. Im Westen Europas scheute man diesen Vergleich ebenfalls nicht. Während die Vermittler der Europäischen Gemeinschaft, der Niederländer Hans van den Broek, der Luxemburger Jacques Poos und der portugiesische Au747 Non-governmental Organisations, dt. Nichtregierungsorganisationen. Weil sich der englische Begriff im internationalen Sprachgebrauch durchgesetzt hat, werde ich in der Folge ausschließlich diesen benutzen. 748 Barbalić (1991).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 243
ßenminister Joao de Deus Pinheiro auf der Adriainsel Brioni mit der kroatischen, slowenischen und serbischen Führung verhandelten, griffen serbische paramilitärische Einheiten das Dorf Ćelije an749, das auf halbem Weg zwischen Vukovar und Vinkovci liegt. Tanjug meldete am 15. Juli, dass zwei Drittel des Ortes „entweder gesprengt oder abgebrannt“ seien. Wohl als erste Nachrichtenagentur überhaupt berichtete Tanjug über die Beschädigung von religiösem Erbe: „Die katholische Kirche im Zentrum des Ortes ist nicht zerstört, aber der Altar ist umgeworfen und zerstört sind die Figuren der Heiligen“750. An einem Montagmorgen, dem 22. Juni 1991, um 5.30 Uhr begann der Angriff auf das ostkroatische Vinkovci, das an diesem Tag bis in die Mittagsstunden mit Granaten beschossen wurde.751 Am 1. Juli schrieb die kroatische Journalistin Krunoslava Banić, dass Geschütze der JNA auf die Stadt Vinkovci gerichtet seien und auch Vukovar, am westlichen Ufer der Donau gelegen und nur durch den Fluss von Serbien getrennt, mit einem Angriff zu rechnen habe.752 Am 26. Juli berichtete Mladen Smrekar auf der Titelseite des Vjesnik über den Artilleriebeschuss des Städtchens Erdut, das in einem Donaubogen beinahe vollständig von serbischem Territorium eingeschlossen liegt.753 Ebenfalls Smrekar schrieb am 30. Juli über Mörserangriffe auf die Orte Sunja und Hrastovac in der Banija, südlich und südöstlich von Zagreb in der Nähe von Sisak und Nova Gradiška.754 Aleksandar Milošević berichtete Ähnliches über die Orte Petrinja und Sisak.755Am 30. Juli hatte die JNA Osijek eingekreist.756 Der Angriff auf die Stadt begann zwei Tage darauf.757 Knapp einen Monat später, am 29. August, explodierten die ersten Granaten in Vukovar. Die größten Zerstörungen, so Banić, habe es entlang der Donau gegeben. Betroffen sei unter anderem das Schloss Eltz, das schwer beschädigt wurde.758 749 750 751 752 753 754 755 756 757 758
Vetter (2007), 554. Tanjug (1991b). Banić (1991c). Banić (1991b). Smrekar (1991a). Smrekar (1991b). Milošević, Aleksandar (1991). Lukačević (1991). Vetter (2007), 554. Banić (1991d). Der deutsche Kurfürst und Mainzer Erzbischof Philip Karl von Eltz-Kempenich hatte 1736 die Herrschaft Vukovar an der Donau erworben. Mit Unterbrechungen wurde Schloss Eltz bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig ausgebaut. Bis zur Enteignung des Schlosses im Jahr 1944 durch die jugoslawischen Kommunisten lebten Nachkommen der Grafen zu Eltz in Vukovar. Erst 1990 konnte Jakob Graf zu Eltz nach Kroatien zurückkehren (Ritzenhofen (2007), 83 f.).
244 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Željko Bukša berichtete drei Tage später aus Petrinja: „Die Mehrheit der Häuser ist zerstört und voller Löcher von Panzergranaten oder Maschinengewehren […], eine Panzergranate [hat] die katholische Kirche durchbohrt, die sichtbar als geschütztes Kulturdenkmal markiert war. Zerstört sind alle Lokale und Läden“759. Der langjährige Osteuropa-Korrespondent der tageszeitung Erich Rathfelder beobachtete von 1991 bis 1997 die Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegovina. In Dunja Melčićs Monografie zum Jugoslawienkrieg (2007) beschreibt er die von den serbischen regulären und irregulären Einheiten angewandte Kriegstaktik am Beispiel der Martićevi: Zuerst wurde die serbische Bevölkerung der ins Visier genommenen Region gewarnt und zur Flucht aufgefordert. Dann nahm die Armee mit schweren Waffen die Verteidiger unter Beschuss. Nachdem der Widerstand erloschen war, kamen die Freiwilligenverbände des Milan Martić. Sie drangen in das Dorf ein und eroberten es. [...] Mit dieser Strategie brauchte die Armee nicht einmal die direkte Verantwortung für das, was danach geschah zu übernehmen. Die Freischärler ihrerseits konnten angesichts dieser Befehlsstruktur ohne Rücksicht vorgehen: Die Wertsachen und die Möbel, alles Verwertbare wurden abtransportiert. Diese Strategie sollte sich später auch in Bosnien-Herzegovina durchsetzen.760
In den Untersuchungen des Europarats heißt es, der andauernde Beschuss von Städten und Siedlungen mit schweren Waffen seitens der JNA und serbischer paramilitärischer Einheiten habe sich am defensiven Gefechtsmodel der NATO orientiert: Yugoslav army strategy was geared to a ‘NATO style’ war, imagining operations from a defensive point of view: hence the considerable amount of heavy artillery, mortars and rocket launchers suitable for both warfare in the open and incapacitating invaders along valley roads in the hills or along the coast. In the war in ex-Yugoslavia this school of strategy has resulted in offensive operations not being particularly imaginative or audacious; they are characterised by a great deal of softening up by artillery bombardment, which means that some damage is less deliberate vandalism than the implementation of a school of military thinking.761
759 Bukša (1991). 760 Rathfelder (2007), 347. 761 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, P. 12.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 245
Abb. 23: Verteilung der Zerstörung von kulturellem und religiösem Erbe im Krieg in Kroatien von Juni bis Dezember 1991, rekonstruiert aus kroatischen und serbischen Medien (vereinfachte Darstellung). In der Karte verzeichnet sind die größten der genannten Städte. Karte: Tobias Strahl.
Die auf diese Art angegriffenen und sturmreif geschossenen Städte und Siedlungen liegen sämtlich an der kroatisch-bosnischen Grenze. Sie verbinden in einem Korridor, der von der serbischen Westgrenze bei Vukovar bis ins südliche Dalmatien zur montenegrinischen Bucht von Kotor reicht, die historischen Landschaften Srijem (Syrmien), Baranja, Slawonien, Banija (Banovina), Kordun, Lika, und Dalmatien (Abb. 23)762. Dieser Korridor bildete den Schwerpunkt des Siedlungs762 Erwähnt werden folgende Städte, Orte und kleinere Siedlungen (in alphabetischer Reihenfolge):Aljmaš, Arbanija, Barilovićki Leskovac, Beli Manastir, Benkovac, Bibinje, Bičina, Biograd, Bjelovar, Bogdanovci, Borovo, Brest Pokupsi, Brgat, Čanak, Cavtat, Ćelije, Cerić, Cerovac, Cetingrad, Dalj, Đakovo, Divuša, Dolina, Donji Rajić, Dračevac Zadarski, Drniš, Duboševica, Dubravica, Dubrovnik, Dvorište, Erdut, Glina, Gorica, Gorice,
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gebietes der Serben in Kroatien. Die beiden äußersten Pole dieses bogenförmigen Kampfraumes sind die Städte Vukovar im Osten und Dubrovnik im Süden Kroatiens. Beide Städte sollten zu Symbolen (mit je unterschiedlichem Inhalt) des Krieges in Kroatien werden. Am 13. September erschien in der Beilage Panorama des Vjesnik ein Text der kroatischen Kunsthistorikerin Mirjana Šigir, der die Zerstörung in den kroatischen Städten Hrvatski Čuntić, Erdut, Stara Gradiška, Osijek, Ilok und Vukovar zum Thema hatte. Im Ministerium für Bildung und Kultur Kroatiens seien demzufolge bis zum 6. September Meldungen zu insgesamt 52 Einzelmonumenten und historischen Ensembles eingegangen. Noch im Herbst müsse die systematische Erfassung, Aufnahme und Verarbeitung des beweglichen Erbes in den katholischen Kirchen Kroatiens beginnen, da die Zerstörung nicht zu stoppen sei.763 Nachdem der Vjesnik und die kroatische Kirchenzeitung Glas Koncila beginnend im September 1991 regelmäßig Schäden an kulturellen und religiösen Objekten referierten, die durch den Beschuss von Städten und Siedlungen entstanden waren, veröffentlichte der Vjesnik am 21. September mit dem Tagesbericht des Vandalismus (Dnevni bilten vandalisma) erstmals eine detaillierte Zusammenschau von beschädigten oder zerstörten Objekten in einzelnen kroatischen Ortschaften. Im nord-dalmatinischen Otavice, in der Nähe der Hafenstadt Šibenik sei das Mausoleum Ivan Mestrovićs sowie dessen Geburtshaus beschädigt worden. Der Ort Otavice selbst stehe in Flammen. Im unweit davon gelegenen Drniš hätten Granaten die Altstadt beschädigt. Einige Kirchen seien ebenfalls betroffen. Im weiter im Landesinneren gelegenen Sinj wüte ein Feuer im alten Stadtkern. In Tinj, Polača und Podgradine seien Kirchen zerstört worden. In Vodice wurde die Altstadt beschossen. Beim Beschuss von Šibenik schließlich seien sowohl die Kathedrale als auch die Kirche des heiligen Franziskus, der Friedhof der Kirche der heiligen Anna Gornji Rajić, Gornji Bogićevci, Gospić, Hrastovac, Hrastovica, Hrvace, Hrvatska Kostajnica, Hrvatski Čuntić, Ilok, Jasenice, Ježević, Kamensko (Karlovac), Karin (b. Obrovac), Karlovac, Kaštel Stafilić, Kijevo, Knin, Konjevrate, Kruševo, Kuterevo, Ladvenjak, Lapad, Laslovo, Lipik, Lokrum, Mačkovac, Makarska, Mandaljena, Martin, Martinje, Miljevci, Miočići, Mošcenia, Murvica, Nadin, Našice, Nijemci, Nova Gradiška, Novska, Orubica, Osijek, Otavice, Otočać, Petrinja, Pakrac, Pasović, Podgradina, Podlaci, Pokupsko, Polača, Prizna, Rakovica, Ravni Kotari, Rečica, Ribnik, Saborsko, Šamarica, Šarengrad, Sarvaš, Savski Bok, Šibenik, Silaš, Sinj, Sisak, Siverić, Skradin, Slavonski Brod, Split, Srima, Stara Gradiška, Stara Tenja, Stari Grabovac, Struga, Sukošan, Sunja, Topusko, Tordinci, Tovarnik, Tinj, Vaganac, Valpovo, Varaždin, Velika Glava, Viduševac, Vinkovci, Voćin, Vodice, Vrangulina, Vrlika, Vukovar, Zadar, Zagreb, Zaton-Dolima, Županja. Farbig transparent unterlegt ist der am stärksten von kriegerischen Auseiandersetzungen betroffene Korridor. 763 Šigir (1991a).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 247
sowie die Kirche des heiligen Michael getroffen worden. Neben den Schäden in Nord-Dalmatien werden auch Zerstörungen in Slawonien, etwa in Vukovar, Vinkovci, Varaždin, Viduševac und Petrinja, angeführt. Auch dort seien Stadtkerne und Kirchen betroffen.764 Acht Tage später veröffentlichte Glas Koncila eine ähnliche Liste, nach der im Zeitraum vom 2. bis zum 16. Dezember 54 Kirchen und 6 Klöster zerstört oder beschädigt worden seien.765 In der besagten Ausgabe des Vjesnik kündigte der kroatische Chemiker und ehemalige Rektor der Universität Zagreb, Drago Grdenić, in einem offenen Brief zugleich seine außerordentliche Mitgliedschaft in der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Er begründete diesen Schritt mit den Zerstörungen: Ich kann nicht glauben, dass sie nicht wussten, dass in meiner Heimatrepublik Kroatien die sogenannte JNA gemeinsam mit serbischen Einheiten und serbischen chauvinistischen Gesetzlosen [...] alles, was kroatisch ist zerstören. Die Wahrheit ist: Kroatische Dörfer und Städte sind in Ruinen verwandelt; vernichtet sind Kirchen und Klöster, Schlösser, Museen und Bibliotheken, Zeugen der kroatischen Geschichte und offensichtliche Beweise für Ruhm und Existenz der Kroaten auf diesem Boden, der seit dem 7. Jahrhundert kroatisch genannt wird. [...] Deshalb, Herr Präsident, im Namen meiner Überzeugung über die Freiheit und Rechte meiner Nation, im Namen meiner Überzeugung der Angehörigkeit zur kroatischen Nation, gebietet es mir mein Gewissen, dass ich mich nicht länger als „außerordentliches Mitglied der SANU“ bezeichne, was ich Ihnen hiermit in diesem offenen Brief mitteile.766
Am 22. September informierte Milan Sigetić im Vjesnik, dass mittlerweile 73 Kirchen durch Angriffe zerstört oder beschädigt worden seien. Darunter würden sich Gotteshäuser in Šibenik, Đakovo und Osijek befinden.767 In derselben Ausgabe beschrieb Ante Armanini in einer Art Kriegstagebuch aus dem etwa neunzig Kilometer nördlich von Zagreb gelegenen Städtchen Varaždin die Schäden am kulturellen und religiösen Erbe dort: Das historische Museum ist stark betroffen, ich weiß nicht, ob etwas der historischen Skulpturen der paulinischen Kunst, die darin ausgestellt waren, zerstört 764 765 766 767
Vjesnik (1991). Mihajl (1991). Grdenić (1991). Sigetić (1991).
248 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen ist. Die Wände sind voller Kugeln und Schrapnelle, die Glastüren sind zerstört [...]. Die nahe Jesuskirche ist voller Kugeln, aber ich kenne nicht den Schaden im Inneren. [...] Die Galerie Kovačić und das Atelier Macolić sind so stark zerstört, dass sie nicht mehr im ursprünglichen Zustand wiederhergestellt werden können. Das Atelier des Akademiemalers Macolić ist mit den für die Ausstellung vorbereiteten Leinwänden zerstört.768
Die Belgrader Tageszeitung Politika indes veröffentlichte ihrerseits Artikel über kroatische Angriffe auf Ortschaften, in denen sich serbische Zivilisten oder serbisches Militär aufhielten. Die Beschreibungen offenbaren ein ähnliches Vorgehen wie die serbischen Übergriffe, von dem in den kroatischen Medien berichtet wurde. Am 1. September meldete Miladin Nikolić dort, dass die Orte Silaš und Stara Tenja in Slawonien von kroatischen Einheiten mit Granatwerfern beschossen worden seien.769 Ein Autor mit dem Namen M. Četnik (!) schilderte am 2. September einen kroatischen Mörserangriff auf Gospić, die Hauptstadt der Gespanschaft Lika, bei dem das Stadtzentrum zerstört worden sei.770 Am 7. September folgte ein Bericht über brennende serbische Häuser in Gospić.771 Dementgegen berichteten Nives Matijević und Željko Peratović am 5. September für die kroatische Nachrichtenagentur HINA772, dass die jugoslawische Armee beim Angriff auf Gospić mehr als hundert Granaten auf die Stadt abgefeuert habe.773 Am 11. September 1991 veröffentlichte wiederum die Politika eine Erklärung der Hochschullehrer Serbiens, in der diese zum serbischen Angriff auf Kroatien Stellung nahmen. Aufgrund seiner Verweiskraft gebe ich den Text hier etwas ausführlicher wieder. Mit verschiedenen historischen Bezugnahmen rechtfertigt er die serbische Expansion in Kroatien. Unter der Überschrift Die Wahrheit ist auf der Seite Serbiens (Istina je na strani Srbije) heißt es unter anderem: Die Lügen sind gemacht, dass europäische und amerikanische Medien auf der Seite des neuen Ustaša-Staates stehen, aber die Wahrheit ist auf der Seite Serbiens […]. Die Ustaša-Regierung und ihre Sprecher wollen der Welt stets und ständig unterschieben, dass es dem serbischen Volk darum ginge ein „Großserbien“ zu er768 769 770 771 772 773
Armanini (1991). Nikolić (1991). Četnik (1991). J. P./C. T. (1991). Hrvatska izvještajna novinska agencija. Matijević/Peratović (1991).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 249
richten. Wenn sie das sogenannte Großserbien gewollt hätten, hätten die Serben nicht die einzigartige Gelegenheit verpasst, als ihnen die Sieger und Verbündeten im Ersten Weltkrieg (Die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Frankreich) dieses angeboten haben. Die Serben haben das abgelehnt und versucht, ein Jugoslawien zu errichten, in dem auch die slawischen Staaten ein Unterkommen finden würden, die in diesem Krieg auf Seiten der Verlierer standen. […] Die kroatische Tendenz ist die Hegemonie über die Serben, die zur beispiellosen Liquidierung der serbischen Bevölkerung im sogenannten Unabhängigen Staat Kroatien (NDH) geführt hat, wie auch zur Zerstörung des hauptsächlichen sakralen und kulturellen Erbes (die Plünderung und Zerstörung der Kirchen in Kroatien und der Klöster in der Vojvodina) im Zweiten Weltkrieg. Der Spiritus Movens hinter all dem war der hohe Klerus der katholischen Kirche, zumindest der aus der Kriegsperiode, und dies mit dem Segen des Pontifex Maximus. Der Präsident des sezessionistischen Kroatien erklärt, dass Kroatien ein Krieg auferlegt wurde, und das von Serbien. Aber Serbien führt keinen Krieg mit Kroatien. Das Gegenteil ist der Fall. Das sezessionistische Kroatien hat sich illegal bewaffnet und führt Krieg gegen Jugoslawien, die Jugoslawische Nationale Armee, die Jugoslawien der Verfassung gemäß verteidigt und ethnische Zusammenstöße verhindert. […] Binnengrenzen haben im ersten Jugoslawien nicht bestanden. Im zweiten Jugoslawien, dem sogenannten Tito-Jugoslawien, wurden die Grenzen von Tito willkürlich festgelegt, der keine einzige Nation dazu befragte; vor allem wurde die serbische Nation nicht befragt, obwohl sie die meisten Opfer im vergangenen Krieg gebracht hatte. So wurde auch die administrative Grenze seines Kroatiens festgelegt, völlig subjektiv, weil er Kroate war. Er schlug die Baranja Kroatien zu, und diese hat sich 1918, als Jugoslawien geschaffen wurde, mit dem freien Willen des Volkes, Serbien angeschlossen, weil sie niemals in Kroatien lag. Das wurde auch 1945 mit Istrien gemacht, obwohl sich dieses niemals in Kroatien befunden hat, vielmehr gehörte es zu Österreich-Ungarn und Italien. Auch Dubrovnik wurde willkürlich der Republik Kroatien zugeschlagen, obwohl es in der Geschichte niemals im kroatischen Staat gelegen hat. […] Die Kroaten sind auf serbischen Gebeinen zu großer territorialer Verbreitung gelangt, und waren bis zur letzten Sekunde des Krieges in großer Mehrheit auf der Seite der Verlierer, der faschistischen Macht. Ebenso hat Tito Kroatien Territorium zugeschlagen, auf dem nach dem Krieg das serbische Volk die Mehrheit stellte, und da sprechen wir nicht über Territorium, auf dem sich vor dem Ustaša-Genozid an den Serben ebenfalls eine enorme Mehrheit Serben befand, und nach dem Krieg in einigen Teilen eine Minderheit (Kordun, Banija, Lika mit Krbav, die WestSrijem, Ostslawonien). Auf mehr als 30 Prozent des Territoriums in Kroatien war
250 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen das serbische Volk in überwältigender Mehrheit, die sich zwischen 90 und 100 Prozent bewegte.774
Fast auf den Monat genau, 77 Jahre zuvor, im Oktober 1914, war in verschiedenen deutschen Zeitungen der in mehrere Sprachen übersetzte Aufruf an die Kulturwelt (auch bekannt als Aufruf der 93) erschienen. Unter den Unterzeichnern des Pamphlets befanden sich namhafte deutsche Intellektuelle – darunter Max Planck, Wilhelm Röntgen, Ernst Haeckel und Siegfried Wagner, der Sohn Richard Wagners. Der Aufruf war eine Reaktion auf die Zerstörungen von kulturellen und religiösen Objekten durch deutsche Truppen im Ersten Weltkrieg, etwa die umfassende Zerstörung des belgischen Leuven Ende August 1914, bei der auch die Bibliothek der Universität vollständig ausbrannte, sowie die Bombardierung der Kathedrale in Reims im September desselben Jahres.775 Mit dem Text versuchten die Unterzeichner das Vorgehen der deutschen Truppen in Frankreich und Belgien zu rechtfertigen bzw. die Verantwortung für die Geschehnisse zu revidieren. Von frappierender Ähnlichkeit zur Erklärung der Hochschullehrer Serbiens sind sowohl die Begleitumstände als auch das Zustandekommen und der Wortlaut des Aufrufs an die Kulturwelt von 1914: Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten. […] Es ist nicht wahr, dass Deutschland diesen Krieg verschuldet hat. Weder das Volk hat ihn gewollt noch die Regierung noch der Kaiser. […] Erst als eine schon lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben wie ein Mann. […] Es ist nicht wahr, dass unsere Truppen brutal gegen Löwen gewütet haben. […] Sollten in diesem furchtbaren Kriege Kunstwerke zerstört worden sein oder noch zerstört werden, so würde jeder Deutsche es beklagen. Aber so wenig wie wir uns in der Liebe zur Kunst von irgend jemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen […].776
774 D. Č. (1991). 775 Derez (2014, 2014a). 776 Bruch/Hofmeister (2000), 367 ff.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 251
Am 16. Oktober 1914 folgte dem Aufruf die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches (!), verfasst „von dem Berliner Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf “. Unter den 4.000 Unterzeichnern befand sich „fast die gesamte deutsche Hochschullehrerschaft“777. Auch in diesem Pamphlet wurde das deutsche Vorgehen in Belgien und Frankreich verteidigt. Ebenso wie die beiden deutschen provozierte auch die serbische Erklärung Reaktionen bei den unmittelbar betroffenen Nachbarn. In Kroatien griff ein Autor namens Nedjeljko Kujundžić den Text der Hochschullehrer Serbiens auf und wollte darin einen Rechtfertigungsversuch für die Zerstörung kroatischen Kulturerbes erkennen. In einem Artikel für den Vjesnik verfasste er seine Replik, wohl wissend, dass diese wiederum in Serbien publik werden würde: „Mit ihrer paranoiden ‚Erklärung‘ geben sie [die Hochschullehrer Serbiens; T. S.] der antiserbischen katholischen Kirche die Schuld (heute nennen sie diese und sogar den Papst ‚Ustaša‘). Das ist ihre sogenannte Rechtfertigung, wegen der sie katholische Kirchen zerstören und Priester schlachten“778. Einen Appell der Intellektuellen Europas zur Einstellung der Gewalt in Jugoslawien veröffentlichte am 1. November 1991 das Periodikum Pravoslavlje der SPC. Dieser war gerahmt von Bildern zerstörter oder beschädigter orthodoxer Kirchen in Kroatien und nach den Ausführungen der Redaktion von „über hundert bedeutenden Wissenschaftlern Europas“ unterzeichnet – wiewohl nicht vermerkt ist, wer diese waren. In ihrem Appell riefen sie zur friedlichen Beilegung der Krise auf und forderten „für alle Nationen und Völkerschaften [narodi i narodnosti im Originaltext; T. S.]“ das Recht „sich für eine bestimmte Staatsform zu entscheiden“.779 Insbesondere der letzte Satz kann als Anspielung auf die Proklamation des Serbischen Autonomen Gebiets Krajina im Dezember 1990 verstanden werden.780 In derselben Ausgabe befand sich auch eine der ersten Aufstellungen der Schäden am serbischen kulturellen und religiösen Erbe in Kroatien, in der insgesamt neunzehn Kirchen sowie der Sitz des orthodoxen Bischofs in Pakrac mit angegliederter Schule und Bibliothek verzeichnet sind. Die Liste umfasste Objekte in der Eparchie Zagreb und Ljubljana sowie der Diözese Slawonien.781 Diese Art Aufzählung wurde in den folgenden Ausgaben der Zeitschrift ergänzt. Am 1. Dezember etwa wurden 12 weitere Kirchen unter anderem in den Orten Vukovar, Dalj, Sarvaš 777 778 779 780 781
Bruch/Hofmeister (2000), 366 f. Kujundžić (1991). Pravoslavlje (1991a). Bieber (2005), 482; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 205. Pravoslavlje (1991b).
252 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
und Vinkovci als zerstört oder beschädigt angegeben.782 Die Ereignisse des Krieges in Kroatien interpretierten die Herausgeber und Autoren vor dem Hintergrund des historischen Ustaša-Regimes im Unabhängigen Staat Kroatien. In einer neunteiligen Serie werden „die Leiden der serbischen Nation“, die ihr durch die kroatischen Ustaša zugefügt wurden aufgezählt und zu den gegenwärtigen Ereignissen in Beziehung gesetzt.783 Am 27. September 1991 widmete sich Panorama das erste Mal ausschließlich der Zerstörung von kulturellem und religiösem Erbe. Unter dem Titel Kroatien: Zerstörung des Kulturerbe (Hrvatska: Razaranje Kulturne Baštine) nahmen kroatische Intellektuelle, Journalisten und Wissenschaftler zu diesem Thema Stellung. Das Kernstück bildete eine Übersicht bezeichnet als Statistik des Grauens (Statistika užasa), in der erstmals zerstörte und beschädigte Objekte nach dem Grad ihrer Zerstörung und ihrer Bedeutung geordnet aufgelistet waren. Die Autorin der Übersicht, Mirjana Šigir, nahm bei ihren Angaben Bezug auf Daten, die ihr das Institut zum Schutz des Kulturerbes im Ministerium für Bildung und Kultur Kroatiens zur Verfügung gestellt hatte. Insgesamt führte sie 160 Objekte auf, von denen ihren Angaben nach 76 leicht und 51 schwer beschädigt waren. 21 Objekte wurden als vollständig zerstört angegeben. Für 12 Objekte standen offenbar keine präzisen Daten zur Verfügung. Die 160 aufgeführten Objekte waren in drei Kategorien „A“ („nationale und weltweite Bedeutung“), „B“ („regionale Bedeutung“) und „C“ („lokale Bedeutung“) unterteilt. In der Kategorie „A“ wurden 15 Objekte als leicht, 11 als schwer beschädigt und ein Objekt als zerstört angegeben. In der Kategorie „B“ waren 21 Objekte als leicht und 13 als schwer beschädigt klassifiziert, 5 Objekte wurden als zerstört ausgewiesen. Der Rest verteilte sich auf Kategorie „C“ und nichtkategorisierte Objekte. Was die qualitative Auflistung anbelangt, so befanden sich in der Liste beschädigter und zerstörter Objekte historisch-urbane Komplexe, Schlösser, Bürgerhäuser, sakrale Gebäude, archäologische Stätten und Denkmale, Grabbauten, Friedhöfe, Museen, Galerien, Sammlungen und Bibliotheken gleichermaßen.784 Die Diversität der betroffenen Objekte ist ein charakteristisches Merkmal des Szenarios „Terror und Expansion“. Auch zur öffentlichen Positionierung der kroatischen Intellektuellen gibt es ein Analogon aus dem Ersten Weltkrieg. So reagierten im März 1915 im sogenannten Manifest der 100, einem unter anderen von Paul Claudel, Claude Debussy, André 782 Pravoslavlje (1991c). 783 Grujić (1991). 784 Šigir (1991b). Die Angaben zur Kategorisierung betroffener Bauwerke sind in den Quellen nicht einheitlich, statt Lettern finden auch Ziffern Verwendung.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 253
Gide, Henri Matisse, Claude Monet und Auguste Rodin unterzeichneten offenen Brief, französische Künstler und Intellektuelle auf die Zerstörung des belgischen Leuven und französischer Kathedralen.785 Dieser „Krieg der Geister“786, der sich im Ersten Weltkrieg erstmals an der Zerstörung von kulturellem und religiösen Erbe im Zuge von Kampfhandlungen entzündete, bildete einen Präzedenzfall, der, wie die Historikerin Christina Kott festgestellt hat, in den meisten Kriegen des 21. Jahrhunderts für die Eröffnung der „ideologischen und moralischen Schlachtfelder“ Modellcharakter hatte.787 Doch ist das nicht die einzige Gemeinsamkeit. Neben der Bedeutung der Intellektuellen und deren öffentlicher Positionierungen zu Krieg, Kultur und Kriegskultur, war die Rolle der Medien im Ersten Weltkrieg nicht minder neu und ebenso beispielhaft für spätere Kriege. Der Historiker Kurt Flasch unterstreicht in seinem Buch über die Rolle der deutschen Intellektuellen im Ersten Weltkrieg die Bedeutung der Medien und den Zusammenhang, der zwischen intellektuellen Wortmeldungen und medialer Reproduktion bei der Generierung von Bedeutung bestand. Der Erste Weltkrieg sei „sofort ein Kampf der Argumentation in den Medien“ geworden und „viele liebten feierliche Ausdrücke und sprachen von einem ‚Geisteskrieg‘ oder von einem ‚Kulturkampf ‘“. Mit der militärischen kam es gleichsam zu einer „intellektuellen Mobilmachung“.788 Der namhafte kroatische Kunsthistoriker Radovan Ivančević (1931–2004) versuchte sich in einem Interview, das der Vjesnik in einer Beilage am 27. September 1991 veröffentlichte, an einer Deutung der Ursachen. Er kam zu dem Schluss, dass die Armee Jugoslawiens unter der „Führung kommunistischer Generäle“ sowie die „serbische chauvinistische Terrorgruppe“ Kulturerbe zerstörte, weil sie sich bewusst seien, dass sie einen Anachronismus darstellten und ihre Zeit ablaufe. Die Zerstörungen seien eine irrationale Reaktion auf ihre Angst – Ruše jer se boje (Sie zerstören, weil sie sich fürchten) lautet die Überschrift –, von der politischen und historischen Bühne klanglos abtreten zu müssen. Der Vandalismus richtete sich daher gegen alle Spuren einer fremden Kreativität, die drohe, die serbischen Akteure zu überdauern: „Aber Denkmale lassen sich niemals definitiv vernichten, wegen ihrer Zahl nicht und nicht wegen der Spuren, die sie bereits in den Erinnerungen der Menschen hinterlassen haben.“ Der Kunsthistoriker versuchte überdies, trotz der allgemein hoffnungslosen Lage so etwas wie Zuversicht (mit 785 786 787 788
Derez (2014a), 86. Bruch/Hofmeister (2000), 366. Kott (2014), 92 ff. Flasch (2000) 15.
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einer gehörigen Portion Nationalstolz versehen) durchscheinen zu lassen, als er dem Journalisten des Vjesnik antwortete: Alles kann zerstört werden, aber die Spuren können nicht ausgelöscht werden. Uns gehören Denkmale mehrerer hundert Jahre Arbeit unserer Humanisten, Schriftsteller und Sänger, Theoretiker und Kunsthistoriker, tief eingeschrieben in der Erinnerung unserer Nation und in die Erinnerung der europäischen Gemeinschaft und der Weltgemeinschaft der Kulturnationen [!] und daher für immer aufbewahrt. Von ihnen zeugen tausende Bücher und Monografien, Fotografien, Filme und Videoaufnahmen. Aber auch wenn am Ende die Zerstörung sinnlos sein wird in ihren Werken und ihrer Existenz, sage ich im Namen aller Schreibenden in diesem Land: Wir werden alles, was zerstört wurde, erneuern und schöner.789
In seinem Verweis auf die Erneuerung der kroatischen Kulturdenkmäler nach dem Krieg argumentiert Ivančević – bewusst oder unbewusst – implizit im Duktus Paul Clemens, der bereits 1919 angesichts der Zerstörungen des Ersten Weltkrieges in Belgien und Frankreich die schöpferischen Produktivkräfte der europäischen Kulturnationen beschwor und der Verwüstung etwa französischer Kathedralen auf diesem Weg noch positive Aspekte abzugewinnen wusste.790 Während fortan keine Ausgabe des Vjesnik ohne einen Artikel auskam, der die Beschreibung der Zerstörung von kulturellem und religiösem Erbe zum Gegenstand hatte, waren nicht wenige Autoren der serbischen Politika damit befasst, das Vorgehen der JNA und der serbischen paramilitärischen Einheiten in Kroatien zu rechtfertigen. Aus diesen Bemühungen geht jedoch hervor, dass ein unausgesprochener Konsens zu bestehen schien, den unappetitlichen Teil – den Krieg und seine Gräuel – in den Darstellungen möglichst auszusparen. Am 5. September stellte Radovan Samardžić, Historiker und renommiertes Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, in der Politika unter der Überschrift Die Wahrheit über die Serben in Kroatien (Istina o Srbima u Hrvatskoj) das Buch Srbi Graničari (Serbische Grenzsiedler) des Ethnologen und Journalisten Mile Nedeljković (1941–2009) vor. Samardžić gab einen Überblick über die serbische Siedlungsgeschichte in Kroatien, die in dem Buch in textueller und kartografischer Form niedergelegt war. Mehr als tausend Jahre (!) hätten die Serben in den Gebieten entlang der Grenze zum osmanischen Reich gelebt 789 Ivančević (1991). 790 Clemen (1919).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 255
und dort „Europa und die Christenheit“ beschützt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und Titos willkürlicher Grenzziehung hätten sich diese Serben jedoch plötzlich innerhalb des heutigen Kroatien wiedergefunden. Nunmehr seien die Serben „in der Republik Kroatien […] in die allgemeine spirituelle Transformation ihrer Nation involviert, deswegen mussten sie sich gegen die lokalen Versuche der Zerstörung Jugoslawiens stellen“791. In den folgenden Ausgaben der Politika erschienen fortlaufend Auszüge aus Nedeljkovićs Buch. Ein weiterer Teil, mit dem die serbische Bevölkerungsmehrheit in den von Serben besiedelten Gebieten in Kroatien nachgewiesen werden sollte, folgte bereits am nächsten Tag. Ein dritter Auszug, am 9. September, bemühte wiederum den Mythos der antemurale christianitatis. Eine weitere Strategie bestand in dem Versuch, die Kroaten der Gegenwart mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs und den Gräueltaten der Ustaša zu assoziieren. So beschrieb Božidar Dikić in einem Artikel am 5. September die Verbrechen der Ustaša im Zweiten Weltkrieg. Bis zum August 1942 hätten diese mehr als 700.000 Menschen umgebracht.792 In einem weiteren Auszug aus Nedeljkovićs Buch wurden die historischen Leiden der serbischen Siedler in Kroatien thematisiert. Den Zwangstaufen durch die katholische Kirche im Mittelalter und der Frühen Neuzeit seien die Verbrechen der Kroaten an den Serben im Zweiten Weltkrieg gefolgt. Die „größte serbische Stadt unter der Erde“, Jasenovac, sei damals entstanden. Gemeint waren die Gräber der serbischen Opfer im Konzentrationslager Jasenovac. Besonders ging der Text auf die Ermordung von Priestern und die Zerstörung des serbischen religiösen Erbes in Slawonien ein.793 Im selben Ton meldeten auch die Autoren J. Danilović und P. Kočić am 6. September in der Politika, dass in der durch Serbien befreiten Baranja fortan ein Leben ohne den „Terror“ der „Ustaša“ möglich sei.794 Auch von Zerstörungen von serbischem Eigentum ist die Rede. P. Lazarević berichtete am 5. September, dass bereits 500 Wochenendhäuser (vikendica) von Serben an der kroatischen Adriaküste zerstört seien.795 M. Pešić indes warnte am 1. Oktober, dass die Gedenkstätte Jasenovac durch kroatische Truppen zerstört werden könnte. Deren Absicht sei es, diesen Teil der kroatischen Vergangenheit aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen.796 791 792 793 794 795 796
Samardžić (1991). Dikić (1991). Srbi na žrtveniku Katolične Crkve (1991), Original ohne Autorenangabe, s. Lit-Verz. Danilović/Kočić (1991). Lazarević (1991). Pešić (1991).
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Am 2. Oktober schließlich warnte der Stab des Führungskommandos der JNA auf der Titelseite der Politika, dass von diesem Tag an für jede umstellte Kaserne der Streitkräfte der JNA in Kroatien ein „Objekt von vitaler Bedeutung“ in Kroatien zerstört werden würde – ließ aber offen, welche Gebäude diese Charakterisierung erfüllten.797 In Glas Koncila wiederum berichteten verschiedene Autoren regelmäßig über die Zerstörung und Beschädigung sakraler Gebäude in Kroatien. Am 6. Oktober meldete die Redaktion 150 zerstörte Kirchen, nach Datum und Orten geordnet waren einzelne Gebäude mit dem Grad ihrer Beschädigung aufgeführt.798 Einen knappen Monat später waren nach Auskunft des Blattes bereits 214 katholische Kirchen in Kroatien zerstört. Es folgte wiederum eine Liste mit zerstörten sakralen Objekten in einzelnen Orten. Am 3. November war die Liste bereits auf insgesamt 263 angewachsen, wie ein weiterer Artikel Auskunft gibt. In einer zusammenfassenden Übersicht war von 221 katholischen Kirchen und 22 Klöstern die Rede. Neben den Objekten der katholischen Kirche führte Glas Koncila jedoch auch elf orthodoxe Kirchen, zwei jüdische Synagogen, drei evangelische und vier reformierte Kirchen sowie eine unbestimmte Zahl von Friedhöfen aller Glaubensrichtungen an, die im Verlauf der Auseinandersetzungen bisher zerstört oder beschädigt worden waren.799 Am 17. November druckte Glas Koncila eine aktualisierte Liste, die mittlerweile 244 zerstörte oder beschädigte katholische Kirchen und 29 Klöster umfasste.800 Am 1. Oktober bereits hatte der serbische Angriff auf die Hafenstadt Dubrovnik begonnen. Am Tag danach meldete Vjesnik auf der Titelseite, dass nach einem abgelaufenen Ultimatum der JNA an die kroatischen Verteidiger in drei Regionen des Landes Angriffe der Streitkräfte erfolgt seien. Unter den angegebenen Zielen befand sich auch Dubrovnik.801 In derselben Ausgabe führte Šigir eine Liste von beschädigten und zerstörten Objekten auf, in der jedoch im Gegensatz zu den regelmäßig veröffentlichten und aktualisierten Listen in Glas Koncila nicht ausschließlich sakrale Bauwerke genannt wurden. Šigir gab an, dass nach Informationen des Instituts für den Schutz von Kulturdenkmälern im Ministerium für Bildung und 797 Politika (1991a); die Warnung der Oberkommandos der JNA bezog sich auf die kroatische Praxis, die Kasernen der JNA auf kroatischem Territorium zu umstellen, um so einerseits die Versorgung der Truppen im Inneren sowie andererseits deren Ausrücken unmöglich zu machen (Gow (2007), 372). 798 Glas Koncila (1991a). 799 Z. (1991), dem Kürzel konnte kein Autor zugeordnet werden. 800 Z. (1991a). 801 Vjesnik (1991a).
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Kultur der Republik Kroatien bis zum 30. September insgesamt 184 Einzeldenkmale oder Denkmalkomplexe beschädigt oder zerstört worden seien, von denen 64 als schwer beschädigt und 22 als vollständig zerstört galten. 29 der insgesamt betroffenen Objekte gehörten der „Kategorie Null“ an, das heißt sie waren nach dem kroatischen Klassifizierungssystem von „internationaler Bedeutung“. 52 wiederum waren als Denkmäler der „Kategorie Eins“, von „nationaler Bedeutung“, eingestuft. Am meisten betroffen jedoch waren nach Šigirs Angaben Kirchen. Hier waren 92 Objekte aufgeführt. Die Differenz zu den Angaben in Glas Koncila rührt daher, dass durch das Denkmalschutzinstitut lediglich klassifizierte Objekte erfasst wurden, die katholische Kirche indes alle betroffenen Kirchen ohne Rücksicht auf deren Denkmalwert verzeichnete. Des Weiteren waren 29 Schlösser und Stadthäuser, 15 urbane Komplexe und 10 Klöster als zerstört oder beschädigt angegeben. Wie bis dahin üblich, folgte der quantitativen Aufführung eine detaillierte Liste der betroffenen Objekte in den jeweiligen Orten Kroatiens.802 Am 3. Oktober hingegen berichtete Dušan Kecman in der Politika, dass kroatische „Gardisten“803 die orthodoxe Kirche am Bischofssitz der Eparchie Slawonien in Pakrac angezündet hätten. Bei dem Brand, der das Innere der Kirche zerstörte, seien 3.000 Bücher, darunter wertvolle Handschriften, vernichtet worden. Im Glockenturm hätten die Gardisten anschließend eine Maschinengewehrstellung eingerichtet.804 Die aktiven Kampfhandlungen auf kroatischem Territorium umfassten einen relativ kurzen Zeitraum. Im Kern erstreckte sich dieser vom Beginn der offenen Auseinandersetzungen im Juni 1991 bis zur deutschen Anerkennung Kroatiens am 23. Dezember 1991805, vielmehr zur Unterzeichnung des von Cyrus Vance am 2. Januar 1992 in Sarajevo ausgehandelten Waffenstillstandsabkommens, das den Krieg in Kroatien zumindest de jure beendete.806 Nichtsdestoweniger flammten die Kampfhandlungen in einzelnen Regionen auch danach immer wieder auf. Ein nur mehr kurzes Intermezzo bildeten die Operationen Bljesak und Oluja im Frühjahr und Sommer 1995, in denen kroatische Einheiten in wenigen Tagen das 1991 verlorene Territorium in Slawonien und entlang der Grenze zu Bosnien-Herzegovina zurückeroberten. Kurz war der Zeitraum der Kampfhandlungen in Kroatien im Vergleich zum Krieg in Bosnien und Herzegovina, der immerhin von 1992 bis 1996 andauerte. Ein kurzer Krieg bedeutet jedoch nicht zwangsläufig geringeres 802 803 804 805 806
Šigir (1991c). Angehörige der kroatischen Nationalgarde, Zbor Narodne Garde, ZNG. Kecman (1991). Sundhaussen (2012), 319. Vetter (2007), 556; Malcolm (2002), 230.
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Leid oder weniger Zerstörung. In der kroatischen Berichterstattung wurden die Städte Dubrovnik und Vukovar bereits im Verlauf des Jahres 1991 zu Symbolen des Krieges. Dubrovnik stand dabei für die Zerstörung des kulturellen Erbes des Landes, Vukovar hingegen für das Leiden seiner Menschen. Beide Städte wiederum dienten als manifeste Beweise für den behaupteten „Großserbischen Hegemonismus und Imperialismus“807. Diese Deutungen wurden nach dem Krieg in einer kaum überschaubaren Flut von Publikationen festgeschrieben.
VUKOVAR
Ende August 1991 hatte der serbische Angriff auf Vukovar mit der Beschießung der Stadt aus Artilleriegeschützen, Granatwerfern und Panzern begonnen. Er sollte knapp drei Monate, bis zum 18. November, täglich fortgesetzt werden. Leugnen ließ sich die Verheerung Vukovars in der serbischen Berichterstattung nicht. Die Strategie bestand deswegen darin, ihr den Anstrich einer Kriegsnotwendigkeit zu verleihen. So lässt der Journalist Slobodan Kljakić einen anonymen serbischen Einwohner der Stadt nach seiner „Befreiung“ durch serbische Truppen aus dem Keller seines Hauses, wo er sich für die Zeit des Beschusses verborgen hatte, am 6. Oktober 1991 sagen: „Um erneut frei zu sein, muss Vukovar leider dem Erdboden gleichgemacht werden. Die JNA und die Territorialen werden die UstašaVerbrecher aus ihren Höhlen vertreiben und für immer aus der Stadt verbannen. Dann werden wir Vukovar erneut aufbauen, die Stadt wird erstrahlen in neuer Schönheit aus der Asche, die ihr die Freiheit geschenkt hat.“ Kljakić fügt hinzu, dass sein Gesprächspartner „dessen Namen wir aus gutem Grund nicht veröffentlichen“, nunmehr in Sicherheit sei.808 Die Überschrift zu seinem Artikel Grad koji nisu uspeli da ubiju (Die Stadt, die sie nicht töten konnten) ist hingegen irritierend. Mit „sie“ meinte Kljakić die Angehörigen der kroatischen Nationalgarde, die er als „Zengisti“809 bezeichnete, bzw. diejenigen der kroatischen Streitkräfte oder die zivilen Verteidiger, die er, im Duktus serbischer Propagandasprache, als Ustaša betitelte. Irritierend ist das, weil schließlich serbische Einheiten die Stadt umstellt hatten und unter Dauerbeschuss hielten, somit für ihre Zerstörung verantwortlich waren. 807 HINA (1991). 808 Kljakić (1991). 809 „Zenge“ war eine serbische Wortneuschöpfung aus dem Kürzel ZNG für Zbor Narodne Garde .
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Abb. 24: „Und niemals wird die Nation vergessen – i nikada narod zaboravit neće…“, Stromkasten und Mahnmal an der Ulica grada Vukovar in Zagreb. Der mittlere Stein zeigt die Silhouette des zerstörten Wasserturms (Vodotoranj) von Vukovar, seit 1991 selbst ein Denkmal und Symbol der Stadt. Den Stromkasten ganz rechts schmückt die kroatische Nationalflagge, mit der Šahovnica, dem historischen Wappenschild mit Schachbrettmuster. Archiv Tobias Strahl.
Der Kampf um Vukovar war ein mit zäher Grausamkeit geführtes Katz- und Mausspiel der 1.500 Verteidiger der Stadt – unter denen sich durchaus auch serbische Einwohner befanden810 – mit den zeitweise etwa 40.000 Mann811 umfassenden Kräften der serbischen Belagerer. Orts- und Häuserkampf, bzw. der Kampf im bebauten urbanen Gelände, gehört zu den aufwendigsten und verlustreichsten Gefechtshandlungen. Vukovar bildete von dieser Regel keine Ausnahme. Stundenoder tagelanges Dauerfeuer aus allen verfügbaren schweren Waffen von serbischer Seite wechselte sich ab mit den Versuchen serbischer Infanterie- und Panzereinheiten, die Stadt einzunehmen, wobei sie auf die erbitterte Gegenwehr kroatischer Truppen, Paramilitärs und Zivilisten stießen. Hin- und wieder versuchten die Verteidiger, aus der Stadt auszubrechen oder verlorenes Terrain gutzumachen – schon allein aus dem Grund, da sie die Versorgungswege in die umstellte Stadt offenhal810 Rathfelder (2007), 349. 811 Gow (2007), 373.
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ten mussten. Neben den Kämpfen musste das Überleben der Zivilbevölkerung der Stadt sichergestellt werden, galt es, die Verwundeten zu versorgen oder Tote zu beerdigen. Da auf beiden Seiten Scharfschützen zum Einsatz kamen, serbische Stoßtrupps im Verlauf der Belagerung immer weiter in das Stadtgebiet vordrangen und es zudem nie sicher war, wann der nächste schwere Beschuss einsetzen würde, war eine freie Bewegung auch innerhalb des noch von kroatischen Kräften gehaltenen Territoriums kaum möglich. Zu trauriger Berühmtheit gelangte die Trpinjska Cesta, eine Straße im Vorort Borovo naselje. Während des Krieges erhielt sie den Beinamen „Panzergrab“ (groblje tenkova). Die serbischen Panzereinheiten, die über diese Straße versuchten, aus Nordwesten vorzudringen, gerieten dort in Hinterhalte der Verteidiger, die mit Panzerabwehrwaffen und Scharfschützen den serbischen Truppen empfindliche Verlust beibrachten. In der heutigen Erinnerungstopografie der Stadt, die zum Großteil durch den Krieg 1991 bestimmt wird, ist die Trpinjska Cesta einer von zahlreichen Erinnerungsorten oder – wenn man so will – eine traurige Touristenattraktion. Neben einem Panzerwrack der jugoslawischen Streitkräfte befindet sich dort ein Museum, in dem den Verteidigern der Stadt und der kroatischen Version des Krieges gedacht wird. Veteranen der kroatischen Streitkräfte verkaufen Souvenirs, die an kroatischen Helden- und Opfermut erinnern sollen. In ihrem Artikel vom 13. September 1991 ging Šigir auch auf die Zerstörungen in Vukovar ein. Dort seien international geächtete Kassettenbomben über dem Schloss Eltz am Donauufer abgeworfen worden.812 Drei Tage später berichtete Banić von schweren Angriffen auf die Stadt, bei denen aus allen Rohren geschossen worden sei; mehr als zehn Menschen hätten ihr Leben verloren und die Stadt sei total zerstört worden.813 Am 23. September berichtete wiederum Šigir, dass das Schloss Eltz, in dem sich das Museum der Stadt befunden habe, bei einem Angriff am Freitag zuvor in Brand geschossen wurde. Das Ausmaß der Schäden sei bisher nicht bekannt.814 In einem Artikel vom 27. September gibt Šigir das Schloss schließlich als vollständig zerstört an.815 Am 4. Oktober bezeichnete Mirko Sajler Vukovar als das „kroatische Stalin grad“816, Slobodan Kljakić sprach in der Politika am 6. Oktober von der Stadt als 812 Šigir (1991a). Kassettenbomben verfügen, statt ihre Explosionswirkung in einem einzigen Vorgang zu entfalten, über eine bestimmte Anzahl kleinerer Sprengkörper. 813 Banić (1991e). 814 Šigir (1991d). 815 Šigir (1991b). 816 Sajler (1991a).
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„Hölle“ (Pakao) und Mirko Galić am 16. November von einem neuen Guernica.817 Zwei Tage später fiel die Stadt. Am 19. November 1991 brachte die Politika auf der Titelseite einen Bericht der Tanjug über die kroatische Kapitulation in Vukovar. Der Kommandant der Verteidiger, Mile Dedaković, habe in einer Radiosendung um 14:50 Uhr seine Truppen aufgerufen, sich zu ergeben. Frauen und Kinder hätten die Stadt verlassen dürfen, an ihren Ausgängen seien lange Schlangen entstanden. Kroatische Gardisten und Freiwillige indes seien zurückgeblieben und würden gerade entwaffnet.818 Dedaković erhob später schwere Vorwürfe gegenüber der Regierung Tuđman. Vukovar sei aus politischen Gründen geopfert, die Leiden der Stadt bewusst in die Länge gezogen worden, um die westlichen Staaten auf die Seite Kroatiens zu ziehen. Vukovar hätte gehalten werden können, wenn die kroatische Regierung die Verteidiger nicht im Stich gelassen hätte, indem sie ihnen Waffenlieferungen und logistische Unterstützung vorenthielt. Die Opferrolle Kroatiens zu unterstreichen und damit die Anerkennung Kroatiens durch die westlichen Staaten zu beschleunigen – das sei das mit der Aufgabe Vukovars verbundene Ziel Tuđmans und seiner Politik gewesen.819 In einem weiteren Bericht der Tanjug vom 20. November hieß es, dass sich eine Bande kroatischer Paramilitärs im Krankenhaus von Vukovar verschanzt hätte, die aus dem Schutz des Gebäudes die serbischen Truppen unter Beschuss nehmen würde.820 Hinter dieser kurzen Meldung, die sich wie eine Randnotiz in der Berichterstattung über das umkämpfte Vukovar liest, verbirgt sich eines der ersten Massaker der Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo. Unmittelbar nach der Eroberung der Stadt hatten serbische Truppen 261 Patienten des Krankenhauses auf die nahe der Stadt gelegene ehemalige Schweinefarm Ovčara verschleppt, gefoltert und anschließend umgebracht.821 Erste Hinweise auf dieses Verbrechen waren in dem Artikel Vukovarska drama pred očima svijeta (Das Drama Vukovars unter den Augen der Welt) von Dražen Jambrović, veröffentlicht im Vjesnik am 23. November 1991, enthalten. Jambrović schrieb, dass von 440 Verwundeten aus dem
817 818 819 820 821
Galić (1991). Tanjug (1991d). Rathfelder (2007), 349; Gow (2007), 373. Tanjug (1991e). Rathfelder (2007), 349, Sundhaussen (2012), 314. Erst am 4. November 2010 entschuldigte sich der damalige serbische Präsident Boris Tadić bei einem Besuch mit Kranzniederlegung am Massengrab von Ovčara bei den Opfern des Massakers und deren Angehörigen (Bandić/Vukić 2010).
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Krankenhaus von Vukovar lediglich 68, von dem 350 Personen umfassenden medizinischen Personal hingegen nur 17 Personen in Zagreb angekommen seien.822 Am 7. Dezember 1991 berichtete Radomir Stanić, der Direktor des Amtes für Denkmalschutz der Republik Serbien, in der Politika über das zerstörte Vukovar, dass serbische Truppen nach der Eroberung vorgefunden hätten. Die Verantwortung für die Zerstörung des kulturellen und religiösen Erbes der Stadt sah Stanić in einer zynischen Verkehrung der Tatsachen auf Seiten der kroatischen Verteidiger: Der schmutzige und beschämende Krieg, der der serbischen Nation in Kroatien auferlegt wurde, wird in einem Genozid leider auch den Kulturdenkmälern aller Art und Zugehörigkeiten zugefügt; die Folge ist ein unschätzbarer Schaden. In einer katastrophalen und brutalen Zerstörung von immenser Dynamik […] in der alle Mittel recht sind, um dem Feind große Verluste zuzufügen, werden Kulturdenkmäler ausgelöscht, weil augenscheinlich weder die internationalen Konventionen eingehalten werden, noch die kroatischen paramilitärischen Kräfte und die kroatische Polizei die humanistischen und zivilisierten Bemühungen wertschätzen, unwiederbringliche universale kulturhistorische Werte zu schützen, die im städtischen Erbe verkörpert sind. […] Den stärksten, geisterhaften Eindruck apokalyptischer Zerstörung macht das unheimliche Vukovar. […] Von der ehemaligen monumentalen Kirche des Hl. Nikola, gebaut 1737, sind geisterhafte Ruinen übrig, die vom Feuer heimgesucht worden sind. Wenn nicht dank einiger verehrter junger Priester ein Teil der Ikonostasis evakuiert und damit gerettet worden wäre, wären wir heute ohne das Meisterwerk des bekannten serbischen Malers Vasilij Ostojić. Schwer beschädigt ist die katholische Kirche im Bereich des Franziskanerklosters, errichtet 1730, und das Mausoleum der prominenten, reichen und für Vukovar außergewöhnlich verdienstvollen serbischen Familie Paunović, das von zahlreichen Granaten und Geschossen getroffen wurde. Die Ikonen der durch die furchtbaren Handlungen heruntergestürzten Ikonostasis wurden mit Schrapnellen durchbohrt, ebenso die Wanddekorationen des prominenten serbischen Malers Stevan Aleksić.823
Der Kampf um Vukovar wurde nach der Eroberung der Stadt durch serbische Truppen verbal in den Medien fortgesetzt. Dem Schicksal des kulturellen und religiösen Erbes der Stadt kam in diesem Kampf eine herausragende Bedeutung zu. Am 3. Dezember 1991 hatte die kroatische Kunsthistorikerin Vesna Kusin im Vjes822 Jambrović (1991). 823 Stanić (1991).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 263
nik behauptet, serbische Soldaten, Paramilitärs und Angestellte serbischer Museen würden Vukovars Kunstschätze plündern: Die Räuber, die Vukovar nach der Eroberung plündern, sind nicht nur ČetnikHorden, die den verbliebenen Haushalt zu Schnäppchenpreisen in der Vojvodina verkaufen. Es sind nicht nur Angehörige der JU-Armee, die hauptsächlich alles, was es zu zerstören gibt, zerstören. Sie sind echte Räuber aus dem institutionellen Personal der Republik Serbien. Es bestehen keine Zweifel mehr über die räuberische Kampagne Serbiens in Kroatien. Es sind sogar 25 „Angestellte“ des Nationalmuseums und der Nationalbibliothek aus Belgrad angekommen, um das Museum und die Bibliothek in Vukovar zu „befreien“. Was die Belgrader Bibliothekare und Kustoden Befreiung und in Sicherheit bringen nennen, ist schlicht und ergreifend Plünderung von kroatischem Besitz und kroatischer Kunst. In der Kriegsbeute der staatlichen Institutionen Serbiens enthalten ist die gesamte Bibliothek Vukovars, die 80 000 Bücher enthält, darunter auch einige Inkunabeln und Kunstgegenstände aus dem Stadtmuseum. Um die Absurdität auf die Spitze zu treiben: im Museum Vukovars befand sich die große Spende des Dr. Antun Bauer, geborener Vukovarer, der zu einigen Anlässen seiner Stadt Sammlungen von Trophäen, Waffen, numismatische Sammlungen, Uhrensammlungen, Sammlungen von Stilmöbeln und eine große Menge Bilder und Skulpturen geschenkt hat. In der Spende Bauers befinden sich [Werke von] Miroslav Kraljević, Josip Račić, Bela Čikoš Sesija, Vilko Gecan, Franjo Josip Mücke, Ljubo Babić, Nikola Mašić, Emanuel Vidović, Menci Klement Crnčić, Celestin Megdović, Vladimir Varlaj, Slavko Šohaj, Ivan Mestrović, Vanja Radauš, Branislav Dešvić und viele andere.824
Der Abtransport der Sammlung Bauer sowie weiterer Kunstgegenstände aus Vukovar und deren Verbringung nach Serbien nach der Eroberung wurde später durch die Untersuchungen und Dokumentationen des Europarats bestätigt.825 Befragt nach dem Verbleib der Sammlung Bauer, die unter anderem 1.357 Gemälde kroatischer Künstler aus dem 19. und 20. Jahrhundert umfasste826, erklärte die Direktorin des Stadtmuseums Ruža Marić im Oktober 2012, dass bis dahin etwa zwei Drittel der Sammlung nach Vukovar zurückgekehrt seien. Etwa dreißig Prozent 824 Kusin (1991f) 825 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, III, P. 32, P. 33; Council of Europe (April 1994) III. Overview of war damage; Council of Europe (Mai 1995), C. The Vukovar museum collections. 826 Council of Europe (April 1994) III. Overview of war damage.
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jedoch wären bis heute verschwunden. Niemand wisse, was mit diesem Teil der Sammlung geschehen sei.827 Im Dezember 1991 entbrannte zwischen kroatischen und serbischen Autoritäten offenbar ein Streit um die Reliquien des heiligen Bono, des Schutzpatrons der Stadt,828 die im Franziskanerkloster, vielmehr in der Krypta der Kirche der heiligen Philip und Jakob (1723–33) aufbewahrt wurden. Am 13. Dezember 1991 berichtete Dragorad Dragičević in der Politika, die serbischen Militärs hätten im Keller der Franziskanerklosters die balsamierten Gebeine des heiligen Bono entdeckt und unter den Schutz der Militärpolizei gestellt, zumal sie mit wertvollem Schmuck, unter anderem Diamanten, verziert seien. Dragičević bedauerte das Abkommen zwischen serbischen und kroatischen Politikern, nach dem die Gebeine des heiligen Bono sowie andere Kulturschätze aus dem Besitz der Franziskaner unmittelbar nach Kroatien überstellt werden sollten. Schließlich, merkt Dragičević an, gehörten die Überreste des Heiligen nach Vukovar. Überdies glaubten die Einwohner der Stadt, die Verbringung der Gebeine an einen anderen Ort würde dort Krankheiten und andere Übel verursachen. Hinter dieser Befürchtung verberge sich, so Dragičević, eine reelle Botschaft: „wenn Kulturerbe aus seiner angestammten Erde gerissen wird, bedeutet das den Menschen nicht Gutes“. Neben Dragičevićs angesichts des Schicksals Vukovars zynisch anmutenden Gedankenspielen zur spirituellen Wirkung des Kulturerbes einer Stadt, ist vor allem ein Detail interessant, auf das er im Zusammenhang mit den Gebeinen des heiligen Bono zu sprechen kommt: Ein Major der JNA, dessen Name aus dienstlichen Gründen nicht genannt werden kann, war so freundlich, uns einen Blick auf den Hl. Bono werfen zu lassen, auf goldene Becher und Kerzenständer, auf den großen Bestand von Bildern und Büchern. Die Bilder sind wissenschaftlich verpackt worden und mit weiteren 827 Gespräch mit Ruža Marić im Oktober 2012. 828 Die Legende kennt den heiligen Bono als Sohn heidnischer Eltern und Soldaten in römischen Diensten, der unter Christen Angst und Schrecken verbreitet haben soll. Nachdem er jedoch den christlichen Glauben und die Barmherzigkeit Gottes erkannt habe, „zog Bono das Soldatenkleid aus und legte das heilige Messgewand an“. Mit dem römischen Bischof Stefan I., der Bono getauft und ihm seinen christlichen Namen verliehen haben soll, sei er von den Heiden Roms ins Gefängnis geworfen und schließlich 260 n. Chr. durch Kaiser Gallienus, den Sohn Valerians, „durch das Schwert“ hingerichtet worden. Im Jahr 1753 soll Josip Janković, ein Einwohner Vukovars und Franziskaner, Papst Benedikt XIV. um die Gebeine des Heiligen zum Schutz Vukovars ersucht haben. Der Papst habe der Bitte entsprochen. 1754 seien die Reliquien in Vukovar eingetroffen und seither von den Franziskanermönchen verwahrt worden (Jagodić (2011), 233).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 265
leichten Schätzen auf LKW verladen worden. Alles wurde zur wissenschaftlichen Bearbeitung und seinem Schutz abtransportiert. Alles, was kroatisch ist, wird unter internationaler Aufsicht zurückgegeben oder gegen serbische Kulturschätze ausgetauscht.829
Damit bestätigt Dragičević implizit die Anschuldigung des Kunstraubs, den Kusin nach der Eroberung Vukovars gegenüber Militärs, Politikern und Experten aus Serbien erhoben hatte. Die Gebeine des heiligen Bono indes wurden nicht nach Kroatien überstellt. Vielmehr verbrannten sie während der serbischen Besatzung Vukovars bei der Verwüstung der Krypta der Kirche fast vollständig. Lediglich die linke und die rechte Hand, ein Unterarm und der Draht, der die Gebeine zusammenhielt, sollen nach dem Ende des Krieges und der serbischen Besatzung der Stadt gegen Ende der 90er Jahre in der Asche des ursprünglichen Reliquienschreins aufgefunden worden sein.830 Die britische Archäologin Britt Baillie hat 2010 die Zerstörung Vukovars im Krieg 1991 sowie die sozialen Implikationen der Verheerung zum Thema gemacht und liefert einen in dieser Detailliertheit bisher einzigartigen Überblick über die Zerstörung der Stadt.831 Sechzig Prozent Vukovars wurden im Krieg vollständig zerstört, immerhin dreißig Prozent schwer beschädigt; „etwa fünf Millionen kleinere Projektile (unter zehn Zentimeter), anderthalb Millionen mittelgroße Projektile (über zehn Zentimeter) und 2500 große Projektile (über 250 Kilogramm) wurden während der dreimonatigen Belagerung auf die Stadt abgefeuert.“832 Der von der Archäologin referierte Umfang des Beschusses wirkt nachgerade absurd. Doch ereilte die bosnische Hauptstadt Sarajevo wenig später ein ähnliches Schicksal. Zudem existiert eine erdrückende Flut von Bildern, die beide Städte nach ihrer Verwüstung zeigt. Sich auf kroatische Quellen berufend, führt Baillie weiterhin aus, dass sämtliche als Kulturerbe verzeichneten Bauwerke vom Krieg betroffen waren. Von 118 klassifizierten Objekten waren 21 vollständig und 48 teilweise zerstört. 25 Objekte hatten schwere Schäden erlitten. Die übrigen 24 Objekte waren immerhin leicht beschädigt. Unter den vollständig zerstörten Gebäuden befand sich auch das Schloss Eltz, von dem nur noch die Grundmauern übrig geblieben waren.833 Die 829 Dragičević (1991). 830 Jagodić (2011), 212, 233, 234; Baillie (2010), 342. 831 Britt Baillie stellte mir 2012 eine PDF-Version ihrer bisher unveröffentlichen Dissertation zur Verfügung. 832 Baillie (2010), 274. 833 Baillie (2010), 285.
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Abb. 25: Eines der zahlreichen „erschossenen“ Bücher in der Bibliothek des Franziskanerklosters und der Kirche der heiligen Philip und Jakob in Vukovar. Das Projektil eines Sturmgewehrs hat eine Ausgabe der Argenis von Joannis Barclaiis, 1673, durchschlagen. Archiv Tobias Strahl.
dortigen Sammlungen waren kroatischen Angaben zufolge unmittelbar nach der Besetzung der Stadt durch serbische Truppen im November 1991 von Spezialisten nach Belgrad und Novi Sad in Serbien abtransportiert worden.834 Ein Großteil der 188 Bauwerke in Vukovars historischem Stadtzentrum (138 barocke vernakuläre Gebäude, religiöse Denkmale und Skulpturen), darunter auch solche Objekte, die nicht von den Denkmalschutzinstitutionen Kroatiens registriert waren, war ebenfalls schwer beschädigt.835 Im Zentrum von Baillies Betrachtungen jedoch stehen das Franziskanerkloster und die Kirche der heiligen Philip und Jakob sowie die orthodoxe Kirche des heiligen Nikolaus (1732–37), die im Krieg schwer beschädigt worden waren. Am 25. August 1991 wurde die Kirche der heiligen Philip und Jakob, die seit 1965 im Verzeichnis des kroatischen Kulturerbes mit der höchsten Kategorie „A“ versehen war, insgesamt vier Mal von Granaten getroffen. Während eines Beschusses am 19.
834 Šulc (1993/1994), 464, 466. 835 Baillie (2010), 285.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 267
September wurden die schwersten Schäden an der Baustruktur der Kirche und des dazugehörigen Klosters verursacht. Die „beinahe tägliche Bombardierung während der Belagerung zerstörte sowohl das Dach des Klosters als auch der Kirche. Die tragenden Wände wurden in manchen Teilen zerstört und die Gesamtstruktur der Gebäude dadurch destabilisiert“.836 Die Witterungsverhältnisse – Schnee, Regen, Wind und Eis – sorgten für weitere Schäden. Während der serbischen Besatzung der Stadt wurden in die Pfeiler der Kirche Sprengnischen eingelassen, jedoch kam die offenbar geplante Sprengung nie zur Ausführung.837 Ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen wurde die Bibliothek des Klosters (Abb. 25). Vor dem Krieg beinhaltete diese etwa 17.000 Drucke und Handschriften aus fünf Jahrhunderten und galt als eine der wertvollsten Sammlungen dieser Art in Kroatien. Ein Teil der Schriften wurde im Verlauf des Krieges beschädigt, ein anderer Teil mit weiteren Kunstschätzen des Klosters nach Serbien abtransportiert und erst 2004 zurückgegeben.838 Zur Zerstörung der zwischen 1732 und 1737 errichteten orthodoxen Kirche des heiligen Nikolaus hingegen gibt es verschiedene Berichte, die sich teilweise widersprechen. In der Version des während der Zeit der Belagerung verantwortlichen orthodoxen Priesters Ðoko haben die kroatischen Verteidiger der Stadt am 18. September 1991 einige Kisten TNT in die Kirche gebracht und diese gesprengt. Eine andere Version besagt, dass die Kirche beim Beschuss durch serbische Truppen beschädigt worden sei. Baillie beschreibt den Schaden an der Kirche als immens. Welche Version zur Zerstörung der Kirche jedoch der Wahrheit entspreche, ist ihren Worten nach kaum mehr zu klären.839
DUBROVNIK
Das erstmals im Frühmittelalter erwähnte Dubrovnik war durch die günstige Lage an der Adria Anlaufstelle für den Seehandel und Ausgangspunkt für Handelsrouten in das Innere der Balkanhalbinsel. Reger Handel sowie wechselnde Herrschaftsverhältnisse bescherten der im Italienischen als Ragusa (von lat. Ragusium) bezeichneten Stadt ein heterogenes und äußerst reiches kulturelles Erbe. Die Stadt weist byzantinisch-orthodoxe Einflüsse ebenso auf wie lateinische und orientali836 Baillie (2010), 343. 837 Baillie (2010), 190, 338, 342 f. 838 Jagodić (2011), 180. Diese Ausführungen seitens der Franziskanermönche aus Vukovar werden implizit durch den Artikel Dragičevićs bestätigt. 839 Baillie (2010), 344 ff.
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sche. Die einzigartige Stellung der Stadt als Handelszentrum sowie politisch kluges Agieren ihrer jeweiligen christlichen (bis 1526) und osmanischen Herrscher (1526–1808) sorgten dafür, dass Dubrovnik von Krieg und Zerstörung verschont blieb. Dadurch erhielt sich der Charakter der historischen Altstadt als komplexes Ensemble von Bauten verschiedener Epochen und Stile. Stärkere Schäden erlitt die Stadt in zahlreichen schwereren und leichteren Erdbeben, von denen jenes von 1667 die schlimmsten Folgen hatte. Durch den ökonomischen Reichtum erholte sich Dubrovnik jedoch davon bis ins 18. Jahrhundert weitestgehend. Im April und Mai 1979 wurde die historische Altstadt Dubrovniks nach weiteren Erdbeben, die die Bausubstanz stark in Mitleidenschaft gezogen hatten, in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.840 Am 3. Oktober 1991 berichtete Božidar Milošević auf der Titelseite der Politika, dass die JNA in Dubrovnik gegen irreguläre kroatische Truppen kämpfe und mit der „Säuberung der Terrains“ (čišćenje terena) von feindlichen Einheiten beschäftigt sei.841 Vom gleichen Tag an berichten Suad Ahmetović, Mladen Smrekar, Ermin Krehić sowie Vesna Kusin im Vjesnik regelmäßig über den Beschuss von Dubrovnik. Die serbischen Politiker und die Führung der JNA, die ihr Vorgehen in Kroatien bis dahin mit Beschlüssen des Föderalen Rats zu nationalen Verteidigung (Služba saveznog sekretarijata za narodnu odbranu, CCNO) zu begründen suchten, rechtfertigen die fortgesetzten Angriffe auf Dubrovnik mit offiziellen Erklärungen, die in der Politika abgedruckt wurden. In der Freitagsausgabe vom 4. Oktober heißt es dementsprechend, kroatische Gardisten und Milizionäre fielen in Orte ein, machten es sich in den Kellern von Wohnhäusern bequem, besetzten Schulen, richteten in Kirchen und Friedhöfen Kampfstände und Maschinengewehrstellungen ein und griffen von dort aus „feige die JNA und die Reservisten an.“842 Am 5. Oktober veröffentlichte der Föderale Rat eine Erklärung zu Dubrovnik. Sie zeigt beispielhaft, welche Argumentationsstrategie die serbische politische und militärische Führung, konfrontiert mit dem Vorwurf der Kulturerbezerstörung, im Verlauf des Krieges in Kroatien verfolgte: In der Nähe Dubrovniks ereignen sich Kämpfe, die durch Ustaša-Formationen Kroatiens verursacht worden sind. Es wachsen die berechtigten Sorgen um das Schicksal kulturhistorischer Objekte in dieser Stadt. Die Sorgen werden von der 840 Vgl. United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI.A, II, A. 841 Milošević, Božidar (1991a). 842 Politika (1991b).
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Jugoslawischen Armee geteilt, die neben dem Schutz von Menschenleben auch außerordentlich um den Schutz der wertvollsten Werke menschlicher Kultur und Zivilisation bemüht ist. Während militärischer Aktionen sind die Einheiten der JNA strikt angewiesen, das Prinzip der Nichtbeschädigung dieser Objekte zu befolgen. Deswegen sind einige Objekte zum Preis von menschlichen Opfern auf Seiten der Jugoslawischen Nationalen Armee von militärischen Aktionen ausgenommen worden, nachdem aus ihnen das Feuer auf deren Einheiten eröffnet wurde. Die Angehörigen der Jugoslawischen Nationalen Armee tun alles, damit von ihrer Seite Dubrovnik als Stadt von unschätzbarem historischem und kulturellem Wert geschont wird. Zur gleichen Zeit haben wir verlässliche Informationen, dass Ustaša-Formationen, die sich in der Stadt verstecken, vor allem auf Seiten der Söldner, denen Dubrovnik nichts bedeutet, ein Szenario seiner Zerstörung vorbereiten, um die Jugoslawische Nationale Armee für diesen vandalistischen Akt zu beschuldigen, wie sie es bis heute schon mehrmals gemacht haben. Auf diesem Weg informieren wir die heimische und Weltöffentlichkeit über die verbrecherischen und vandalistischen Absichten der Ustaša und ihrer Söldner und appellieren an die Einwohner Dubrovniks und alle übrigen, die helfen können, diesen monströsen Plan zu verhindern. Wir haben vor Augen, dass die Ustaša-Kräfte die Stadt mit einem erheblichen Waffenpotential besetzt halten und einen Teil der Stadt und dessen Bewohner als Geisel halten. Die Jugoslawische Nationale Armee kann für die Folgen, die daraus entstehen können, keine Verantwortung mehr übernehmen.843
Ebenso wie im Falle Vukovars versuchte die serbische Propaganda, die Schuld für die Schäden in der historischen Altstadt Dubrovniks, die immerhin durch den Beschuss der JNA von See- und Landseite her entstanden waren, den (zahlenmäßig äußerst geringen) kroatischen Kräften in der Stadt zuzuschreiben. Während die Zerstörung Vukovars kein größeres Interesse internationaler Beobachter auf sich zog, geriet Dubrovnik jedoch in den Fokus der Aufmerksamkeit. Beschuss und Beschädigung der Stadt konnten in der Folge unter anderem in den Prozessen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zweifelsfrei den Kräften der JNA nachgewiesen werden. Am 13. November 1991 veröffentlichte der Vjesnik wiederum einen Artikel von Vesna Kusin, in dem die Schäden, die der Beschuss von Dubrovnik bis dahin angerichtet hatte, verzeichnet waren. In einer Liste mit zugehöriger Karte waren insgesamt 16 Objekte vermerkt, die beschädigt worden sein sollen (Abb. 26). Darunter 843 Tanjug (1991c).
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Abb. 26: Luftbild Dubrovniks mit markierten Kriegsschäden. Vjesnik, 13. November 1991.
befanden sich nach Auskunft der Kunsthistorikerin unter anderem das Franziskanerkloster (6), der Dom Marina Držića (12) sowie die historische Hauptstraße der Stadt, die Stradun (14).844 Dubrovnik, schrieb Kusin, die in ihren Artikeln zur Zerstörung von kulturellem und religiösem Erbe generell eine dramatische, religiöse Vergleiche strapazierende Sprache bemühte, bilde das „Finale des Bösen“ Die intellektuelle Elite Belgrads betreibe den „Genozid“ an der kroatischen Nation. Der Begriff „Genozid“ allerdings wurde in den Äußerungen beider Kriegsparteien, auf die eigene Opferrolle bezogen, beinahe inflationär gebraucht. Die Zerstörung der Stadt, schlussfolgert Kusin, resultiere aus der serbischen Verzweiflung, diese nicht erobern zu können: „Dubrovnik muss serbisch sein, aber das wird die Stadt nicht sein, also wird sie überhaupt nicht sein“, psychologisiert sie das serbische Vorgehen. Neben der Beschreibung Kusins und deren Wertung der serbischen Angriffe auf Dubrovnik waren zwei Gedichte abgedruckt, die die Beschädigung der Stadt zum Gegenstand hatten. In den Texten wird Dubrovnik einerseits als begehrens844 Kusin (1991a).
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wertes Mädchen sowie andererseits als gekreuzigter Christus personalisiert und verklärt. Ivan Tolj schreibt in seinem Gedicht „Dubravka“ An deine Form denkend / die dir den Namen gab / Dubravka / an deine Augen denkend / und deine Hände / ich hatte sie für mich / An deinen Körper denkend / und die echte Liebe für uns / meine Liebe / und auf der Stradun / vor einer weißen Welt / mit dem Fürsten der Welt / Dubravka: / ‚Non bene pro toto libertas venditur auro‘ / meine liebe, meine liebe / Erfinde ich deinen Körper / Dubravka? / Für die Freiheit / den Fürsten der Welt / und meine Einzige / in Dubrovnik / im Krieg 1991 / Ich dachte dass sie weggehen werden / aus dieser Stadt / ohne Worte / ohne Träume / Ich dachte.
Von Mario Nardelli wiederum liest man: Fünf Treffer / im Kirchlein nahe der Stadt / fünf Wunden / im Körper Christi / fünf Fackeln / im dunkelsten Dunkel der Nacht / fünf Stiche / im Gewebe lebendiger als das Leben / fünf Finger / an der Hand kälter als der Tod / und ein verrückter Vogel / im Flug über der Stadt / mit einer Puppe in der Brust / mit seinen Zielen / und Absichten / leugnet er den Himmel / auf den Flügeln des Vogels Sterne / die unaufhörlich bluten / und die Möwen rot färben / Oh Meer/ lösch mit dem Sand meines Geistes / das Bild / das ich jetzt sehe / Dass ich es nie wieder sehe / Fünf Festungen Dubrovniks / deren Inhalt auch versöhnt / mit dem hellen Licht Osterns / besiegt Böses und Dunkelheit / Wahnsinn / wirklich wie die Hostie / das Golgatha Kroatiens / Alle sind wir Christus / im Augenblick während sie uns Unschuldige kreuzigen.845
Die Personifikation der vom Krieg betroffenen oder generell als bedroht angesehenen Städte und Bauwerke ist nicht allein ein Topos der Postjugoslawischen Kriege, wie schon das Gedicht des anonymen Autors zu den Klöstern Kosovos aus dem Jahr 1982846 gezeigt hat. Auch das zerstörte Sarajevo und die serbischen Kirchen und Klöster in Kosovo sollten als tödlich verwundete Person oder gekreuzigter Christus dargestellt werden. Am 6. Dezember 1991 erfolgte der bis dahin schwerste Angriff auf Dubrovnik, bei dem weitere historische Bauwerke beschädigt wurden. Die Attacke war haupt845 Beide Gedichte: Vjesnik, 13. November 1991, 9. 846 Vgl. Kap. 3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung / Kosovo im Zentrum nationalistischer Mobilisierung.
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sächlich gegen die historische Altstadt847 gerichtet und hat als „Beschuss am Tag des heiligen Nikolaus“ traurige Berühmtheit erlangt. Der Angriff soll nach Angaben der UNESCO, die mit zwei Beobachtern seit November in der Stadt vertreten war, „präzise um 5:48 am Morgen“ begonnen und bis gegen halb zwölf am Mittag angedauert haben. Demnach wurde die Altstadt zunächst mit 82-Millimeter-Raketen beschossen. Experten zählten später 48 Treffer. Darauf folgte der Beschuss mit 82-Millimeter-Mörsergranaten, von denen 232 ihr Ziel trafen. Als nächstes kamen schwere Artilleriegeschosse von 120 Millimeter zum Einsatz. 364 Treffer wurden hier gezählt. Darüber fanden auch einige Granaten größeren Kalibers Verwendung.848 Die Berichte in der Politika fielen denkbar kurz aus. Hier war die Rede lediglich von kroatischen paramilitärischen Kräften, die mit einem Angriff das Feuer der JNA von See und Land provoziert hätten.849 Die Autoren K. Obradović und I. Papac berichteten im kroatischen Večernji list (Abendblatt) am 7. Dezember von Dubrovniks „schwärzestem Tag“ (Najcrni Dubrovački Dan). Der Angriff habe um 5:45 (!) Uhr begonnen und insgesamt 16 Stunden gedauert. Dabei seien 16 Menschen getötet und 50 weitere verwundet worden. In der Altstadt seien die Kirche St. Blasius (Crkva sv. Vlaho), die Kathedrale, die Moschee, die orthodoxe Kirche, der Dom, die Musikschule sowie das Interuniversitäre Zentrum getroffen worden. Nach den Worten von Obradović und Papac habe der Vizeadmiral der Seestreitkräfte der JNA, Miodrag Jokić, in einer Radiobotschaft an den kroatischen Staatsminister Davorin Rudolf, der sich während des Beschusses in der Stadt aufgehalten hatte, sein Bedauern über den Zwischenfall ausgedrückt: Ich bedauere aufrichtig den schweren Zwischenfall, der sich ereignet hat. Das war weder mein Ansinnen, noch lag es mir nahe, dass so verfahren wurde. General Kadijević hat Ihnen und der Europäischen Mission eine Nachricht gesandt, dass er eine energische Untersuchung der Sache angeordnet hat zur Feststellung der Verantwortung für diesen Vorfall, und ich hoffe, dass Sie dies auch von Ihrer Seite veranlassen werden. Da mich General Kadijević dringend für 14:00 Uhr nach Belgrad einbestellt hat, muss unsere Verhandlung auf heute 12:00 Uhr verschoben werden.850
847 848 849 850
United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, A und XI.A, A. United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, II, A. Battle of Dubrovnik. Milošević, Božidar (1991b). Obradović/Papac (1991).
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Das Statement wird durch einen Bericht von Suad Ahmetović, der am selben Tag im Vjesnik erschien, konterkariert. Ahmetović gibt dort eine Erklärung von Pavle Strugar wieder, der als General der JNA den Angriff auf Dubrovnik befehligte und unter anderem dafür zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt werden sollte.851 Demzufolge hätten kroatische Kräfte den alten Stadtkern Dubrovniks angezündet. Ein Oberst der JNA mit dem Namen Milan Gvero wird folgendermaßen zitiert: Alle Nachrichten, die über die Bombardierung Dubrovniks zirkulieren, sind perfide Desinformationen, die die Armee im Moment delikater Verhandlungen schwächen sollen [...]; die Armee antwortet heute auf einen Angriff kroatischer Kräfte [...]; die jugoslawische Volksarmee denkt nicht im Traum daran, Dubrovnik anzugreifen, aber die kroatischen Kräfte, denen das bewusst ist, provozieren, weil sie wollen, dass sie durch die Armee angegriffen werden, bis sich etwas ereignet.852
An den sich widersprechenden Aussagen von ranghohen serbischen Offizieren wird die Desinformationsstrategie im Zuge von bewaffneten Konflikten deutlich, wie sie gegenwärtig in der Ostukraine oder in Syrien betrieben wird. Auch in dieser Hinsicht bildeten die Postjugoslawischen Kriege einen Präzedenzfall.
BIBLIOTHEKEN
Ein besonderes Augenmerk der kroatischen Berichterstattung im Krieg 1991 galt dem Schicksal der Bibliotheken im Land. Zwischen September und Dezember 1991 war deren Zerstörung Thema in mindestens 13 Artikeln im Vjesnik und dem Večernji List. Bibliotheken in Karin, Martinje, Našice, Zadar, Slavonski Brod waren demnach vom Krieg betroffen, wurden beschädigt sowie teilweise oder vollständig zerstört. In Vinkovci brannte die Bibliothek im Kroatischen Haus (Hrvatski Dom), gegründet im Jahr 1875, vollständig aus. Der Gesamtbestand von etwa 90.000 Büchern wurde dabei vernichtet.853 In der Statistik zerstörter Objekte im Vjesnik vom 27. September waren elf Bibliotheken als zerstört aufgeführt.854 Am 4. Oktober nannte die Kunsthistorikerin Maja Razović vier weitere.855 Der kroatische Jour851 852 853 854 855
ICTY, Case Information Sheet „Dubrovnik“ (IT-01-42), Pavle Strugar. Ahmetović (1991). Rem (1991). Šigir (1991b). Razović (1991).
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nalist, Philosoph und Übersetzer Albert Goldstein (1943–2007) bezeichnete in einem Interview im Vjesnik im Oktober 1991 die Zerstörung von Bibliotheken in Kroatien als „Biblioklasmus“856, in Anlehnung an Begriff des Ikonoklasmus. Am 13. April 1992 sprach der Direktor des Denkmalschutzinstituts der Republik Kroatien gegenüber dem Vjesnik von 37 Museen und 22 Bibliotheken, die im Krieg 1991 zerstört worden seien.857
KULTURERBEZERSTÖRUNG IN KROATIEN 1991 – UMFANG UND TERRITORIALE AUSDEHNUNG
Es ist nicht möglich, einzig auf Grundlage ihrer medialen Reproduktion im Jahr 1991 die Zahl zerstörter und beschädigter Objekte präzise zu ermitteln. In einem Dokument des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen hieß es im Dezember 1994: „It was reported that by October 1991, at least 200,000 buildings, 50 bridges, 100 merchant ships, thousands of privately owned vehicles, over 200 Catholic churches, 500 cultural monuments, 20 schools, and 250 post offices were destroyed.“858 Diese Zahlen jedoch waren Näherungswerte, die drei Jahre nach den Kampfhandlungen von 1991 in Kroatien veröffentlicht wurden. Die Formulierung „It was reportet that…“ impliziert überdies, dass die Angaben bis dahin nicht überprüft und verifiziert worden waren. Hinsichtlich der 500 kulturellen Monumente decken sie sich nicht mit den durch das Institut für Denkmalschutz Kroatiens noch während des Krieges im Vjesnik regelmäßig veröffentlichten Zahlen. Aus Letzteren lässt sich aufgrund der Kriegssituation jedoch auch kein umfassendes Bild der Zerstörungen rekonstruieren. Der kroatische Denkmalschutz war zwar, insbesondere im Hinblick auf Recherche und Evaluation, auch im Krieg erstaunlich leistungsfähig – verlässliche Informationen wie in Friedenszeiten konnte er schon wegen der nicht zugänglichen Gebiete unter serbischer Kontrolle nicht zur Verfügung stellen. Noch am 4. Oktober veröffentlichte Maja Razović wiederum in der Beilage Panorama zum Vjesnik unter dem Titel Die Blumen des Bösen: Weinen um eine Kathedrale (Cvjetovi Zla: Plač za Katedralom)859 eine Statistik der bis dahin beschädigten oder zerstörten Denkmale bzw. Denkmalkomplexe. Sie enthielt insgesamt 856 857 858 859
Kesić (1991). Ahmetović (1992). United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, V, D, P. 107. Offenbar eine Anspielung auf den Gedichtband Les Fleurs du Mal (Die Blumen des Bösen) von Charles Baudelaire, Mitte des 19. Jahrhunderts veröffentlicht, deren Zusammenhang sich mir allerdings nicht erschließt.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 275
Abb. 27: Der serbische Präsident Slobodan Milošević zu Verteidigungsminister Veljko Kadijević (hier als „Kunde“ eines Reisbüros, dessen Agent Milošević ist): „Für diese Herbstsaison möchte ich die Zerstörung Dubrovniks samt Umgebung und einer Reihe wunderbarer Objekte sowie des Weiteren dalmatinische Städte und hübsche Inseln empfehlen. Vergessen Sie auch nicht die Möglichkeit zur Brandschatzung malerischer Städte im Innen Kroatiens“. Karikatur im Vjesnik, 25. Okobter 1991.
192 Objekte, darunter allein 107 Kirchen, 29 Schlösser und Bürgerhäuser sowie 17 historisch-urbane Ensembles.860 In der am Tag darauf im Vjesnik publizierten Liste von Anđelko Milardović, die auf Daten des Denkmalschutzinstituts der Republik Kroatien vom 17. September beruhte, waren jedoch lediglich 95 Objekte (66 Kirchen) aufgeführt.861 Die Angaben der Autoren waren widersprüchlich und offenbar unterschiedlich aktuell. In Glas Koncila hingegen erschien vor dem kroatisch-serbischen Waffenstillstand am 2. Januar 1992 und der Stationierung der Truppen der United Nations Protection Force (UNPROFOR) am 21. Februar 1992862 zum letzten Mal während des Krieges am 1. Dezember 1991 eine Statistik zu zerstörten Kirchen und anderen 860 Razović (1991). 861 Milardović (1991). 862 Rathfelder (2007), 350; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 330; Vetter (2007), 556.
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religiösen Bauwerken der katholischen Kirche. Dort waren 284 Kirchen und 42 Klöster als zerstört oder beschädigt angegeben. Wie in vorhergehenden Darstellungen dieser Art wurde auch hier eine detaillierte Aufstellung einzelner Objekte nach Ort und Beschädigungsgrad beigefügt.863 Dabei wiederum sind die Zahlen mit den Angaben im Dokument des Sicherheitsrates der VN nahezu deckungsgleich. Was für die Dokumentation der kroatischen Kriegsschäden galt, war für die serbischen Berichte zu zerstörten Objekten in Kroatien, die dem serbischen kulturellen und religiösen Erbe zugeschlagen wurden864, nicht minder gültig. Auch diese müssen als unzuverlässig betrachtet werden. Generell lässt sich sagen, dass in den serbischen Medien 1991 wesentlich weniger Berichte erschienen als in kroatischen Zeitungen. Am 21. November 1991 wird in der serbischen Politika eine Podiumsdiskussion mit dem Titel Erbe, Geschichte, Leiden erwähnt, die die Gesellschaft der Kunsthistoriker Serbiens in ihrem „Engagement gegen die Zerstörung von Kulturerbe der serbischen Nation in Kroatien“ organisiert hatte – von kroatischem Kulturerbe ist bezeichnenderweise nicht die Rede. Der Direktor des Amtes für Denkmalschutz der Republik Serbien, Radomir Stanić, sowie der Kustos des Museums für angewandte Kunst in Belgrad, Miroslav Timotijević, die gerade „aus dem Feld“ wiedergekommen waren, sprachen im Belgrader Nationaltheater etwa zur „Sprengung serbischer Kirchen und anderer Kulturdenkmäler auf dem Territorium des derzeitigen administrativen [!] Kroatien“. In einem Infokasten zum Artikel wurde darauf verwiesen, dass das Ministerium für Kultur Serbiens eine Liste mit allen zerstörten und beschädigten Kirchen und übrigen Kulturdenkmälern Serbiens in Kroatien angefertigt habe, die an alle Botschafter in Jugoslawien und an die Kulturministerien aller europäischen Länder versandt worden sei. Diese Liste wurde jedoch nicht mitabgedruckt.865 Eine erste Aufstellung zerstörten Kulturerbes, vergleichbar mit jenen in kroatischen Medien, war in dem Artikel Stanićs vom 7. Dezember 1991 enthalten. Er erklärte, dass im „Bezirk SAO Slawonien, Baranja und der westlichen Srijem […] viele bekannte Denkmäler schwer beschädigt oder zerstört“ seien, und gibt an, dass Wissenschaftler des staatlichen Amtes für Denkmalschutz und anderer kultureller Institutionen im Auftrag des Ministeriums für Kultur zwei Mal, Mitte November und in der zweiten Novemberhälfte, für mehrere Tage in der Region un863 I. Ž. (1991); dem Kürzel konnte kein Autor zugeordnet werden. 864 Wenn ich zwischen kroatischem und serbischem Kulturerbe unterscheide, bedeutet das nicht, dass ich mir diese Kategorisierung zu eigen mache. Ich referiere lediglich die Klassifizierung der Kriegsparteien. 865 M. L. (1991); dem Kürzel konnte kein Autor zugeordnet werden.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 277
terwegs gewesen seien, um die Kriegsschäden am serbischen Kulturerbe zu erfassen. Die Gruppe habe etwa 40 orthodoxe Kirchen und andere Objekte aufgesucht. Ein Drittel der erfassten Objekte sei total zerstört gewesen, wobei Stanić einräumt, dass die JNA mitverantwortlich sein könnte, denn „die Türme der größten Zahl der Objekte haben kroatische paramilitärische Verbände als Maschinengewehrnester oder Scharfschützenstellungen genutzt, so dass ihre Zerstörung eine Folge der Eliminierung dieser Kräfte ist“. Stanić führt auch eine Liste mit Ortsangaben und Schäden an einzelnen Objekten auf.866 Ein weiterer Artikel erschien am 8. Dezember in der Politika. Mirjana Nikić beschreibt darin die Zerstörung von serbischem und kroatischem Kulturgut gleichermaßen, sieht die Schuld jedoch einzig bei den kroatischen „Zengisti“.867 Wenn sich präzise Zahlen weder zum 1991 zerstörten kroatischen noch serbischen kulturellen und religiösen Erbe aus den jeweiligen Medien gewinnen lassen, so lässt sich doch anhand der aufgeführten Orte und Einzelbeschreibungen von Objekten bereits an dieser Stelle ein einigermaßen genaues Bild zumindest der flächenmäßigen Ausdehnung der Kampfhandlungen – und damit implizit auch der Ausdehnung der Zerstörungen – ermitteln. In der aus den Angaben gewonnenen basalen Karte (Abb. 23) wird der Kern des Kampfraumes ersichtlich. Diejenigen Orte, die im Vjesnik, dem Večernji List, der Glas Koncila sowie der Politika im Zusammenhang mit den Zerstörungen von Juni bis Dezember 1991 genannt wurden, sind dort ebenfalls aufgeführt. In diesem Zusammenhang ist die Strategie der serbischen Militärs und Paramilitärs deutlich geworden. Die Mischung aus Dauerbeschuss und individuellen Gräueltaten diente vor allem dem Zweck der Einschüchterung aller Nichtserben in den umkämpften Gebieten mit dem Ziel ihrer Vertreibung. Das Vorgehen der serbischen Politiker und Militärs erfüllte seinen Zweck. Schätzungsweise 80.000 Kroaten, so Sundhaussen, wurden zwischen August und Dezember 1991 „aus den serbisch kontrollierten Gebieten Kroatiens“ vertrieben.868 Ramet nannte noch 1992 wesentlich höhere Zahlen: Ende September 1991 seien bereits 232.412 Kroaten aus ihren Häusern vertrieben worden.869
866 Stanić (1991). 867 Nikić (1991). 868 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 323 f. 869 Ramet (1992), 266.
278 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen KULTURERBEZERSTÖRUNG – IDENTITÄTEN
Die Berichterstattung über die Zerstörung von Kulturerbe war neben der Emphase der eigenen Opferrolle verbunden mit der Konstruktion herabwürdigender Identitäten der Zerstörer. Während die serbische Kriegspropaganda sowohl das zivile als auch das bewaffnete Kroatien stereotyp als Zengisti, Faschisten und Ustaša bezeichnete, verwiesen kroatische Publizisten zur Diskreditierung des Gegenübers ebenfalls auf historische Stereotype, interpretierten die Ereignisse jedoch auch aus einer stark religiösen Perspektive. Četnik war eine in kroatischen Medien häufig als Synonym für die serbischen und montenegrinischen Soldaten der JNA und die paramilitärischen Einheiten gebrauchte Bezeichnung. Damit wurden die Kriegsverbrechen, die Einheiten des serbischen Royalisten und Nationalisten Draža Mihailović im Zweiten Weltkrieg begangen hatten aus dem kollektiven Gedächtnis abgerufen. Doch dem Četnik des ausgehenden 20. Jahrhunderts sagte man auch noch weitere negative Eigenschaften nach. Bereits am 11. Juli bezeichnete Mario Lukačević im Vjesnik die serbischen Einheiten, die Ćelije in Brand gesteckt hatten, als Četniks.870 ČetnikEinheiten hätten Sprengstoff unter verschieden historische Gebäude in Karlovac gelegt, erklärte Šigir am 13. September ebenfalls im Vjesnik.871 Am 8. November beschrieb wiederum Vesna Kusin die serbischen Truppen als „Četniks, die die Welt erobern wollen“872. Der Četnik war in diesen Darstellungen ein anachronistisches Phänomen und das Gegenbild zum modernen, zivilisierten und westlichen Kroaten. Er war ein Geschöpf des Ostens, das den Westen bedrohte, ein primitives Männchen, verkommen und dem Alkohol ergeben, war die Karikatur eines ruralen Indianers, eines „letzten Mohikaners“, in der Stadt ebenso fehl am Platz wie fremd in der modernen Zeit. So wird er in einer Karikatur des Vjesnik vom 2. April 1992 dargestellt (Abb. 28). Eine Witzfigur, die halbnackt, ratlos und betrunken, nur mit Lendenschurz, Četnik-Mütze (Šajkača) und Federschmuck bekleidet, vor einer Großstadtsilhouette hockt. Als Barbar zog der Četnik eine Schneise der Verwüstung durch Kroatien. Dabei richtete er sich insbesondere gegen Kunst und Kultur als zivilisatorische Werte. Die „Barbaren zerstören wieder“ (Barbari opet haraju) schrieb Šigir im Septem-
870 Lukačević (1991b). 871 Šigir (1991a). 872 Kusin (1991b).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 279 Abb. 28: „Der letzte Mohikaner vom Stamm der SAO-SAO“. Der „Stamm SAO-SAO“ ist eine Anspielung auf die verschiedenen Serbischen Autonomen Gebiete (Srspke Autonomne Oblasti), die 1991 in Kroatien eingerichtet worden waren. Vjesnik, 2. April 1991.
ber 1991873. Nedjeljko Kujundžić fragt sich nur wenige Tage später angesichts der Zerstörung von Kulturerbe durch serbische Truppen: „Kann es eine größere Bestialität geben?“. Offenbar nicht. Denn: „Das übertrifft in der Grausamkeit sogar einen Nero, Kaligula, Atila, die Avaren und Tataren“874. Das „zivilisatorische Niveau“ der serbischen Truppen wurde „in der Zeit vor der türkischen Eroberung zementiert“.875 In ihrem Drang zu Mord und Verwüstung bedrohten sie als „neuzeitliche[…] Hunnen“876 die Grenzen Europas und damit auch dessen zivilisatorische und kulturelle Errungenschaften877. „Das ist ein seltsamer osmanischer Krieg:
873 874 875 876 877
Šigir (1991a). Kujundžić (1991). Kusin (1991). Vjesnik (1991b). Sigetić (1991a).
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verwüsten, rauben, einschüchtern. Das ist das 16. Jahrhundert“, philosophierte der montenegrinische Schriftsteller Mirko Kovać (1938–2013) im November 1991.878 Gebräuchlich in kroatischen Medien waren ebenfalls die Bezeichnungen „Nazis“ und „Faschisten“ für die serbischen Angreifer. In der Rhetorik des sozialistischen Jugoslawien waren „Faschisten“ vier Jahrzehnte lang das negative Gegenbild der heldenhaften Partisanen gewesen. Die Verunglimpfung als „Nazi“ oder „Faschist“ war in diesem historischen Referenzrahmen folglich der Verweis auf das Übel an sich. Demgegenüber stand in den Postjugoslawischen Kriegen das eigene Opfer, das in der extremen Sprache der Kriegspropaganda als „Genozid“ oder „Holocaust“ bezeichnet wurde. Šaša Štern etwa schrieb am 15. September 1991 im Vjesnik über die Kriegsschäden in Kroatien, dass davon auch Gebäude betroffen wären, „die im letzten Krieg von Hitlers Truppen geachtet wurden“879. Ganz so, als ob sich die deutschen Kriegsverbrecher im Zweiten Weltkrieg gegenüber den Serben von heute einen Rest Edelmut bewahrt hätten. Žarko Paić wollte ebenfalls eine Analogie zu den Verbrechen der Nazi-Diktatur erkannt haben, als er im September 1991 die Ereignisse in Kroatien mit einem Verweis auf das berühmte Gedicht Todesfuge von Paul Celan kommentierte. Celan hatte darin die Vernichtung der Juden durch die deutschen Nationalsozialisten verarbeitet. Mit „Der Tod ist ein Meister aus Serbien“ stellte Paić nun explizit einen Zusammenhang zwischen dem Schicksal der Juden und dem der Kroaten her.880 Đurđa Cvitanović, Mitarbeiterin im Ministerium für Bildung und Kultur Kroatiens, hingegen verwies auf den Kunstraub der Nationalsozialisten, um die Praktiken der serbischen Truppen zu charakterisieren: „Die Nazis haben Kunst geraubt. Aber sie haben sie nicht zerstört“, sagte sie dem Reporter des Vjesnik im Oktober 1991 – und bemühte damit denselben Relativismus wie Štern nur wenige Wochen zuvor.881 Kusin wiederum berichtete Ende Oktober aus Pula, dass dort sämtliches bewegliches Kulturerbe vor der Abholung durch Truppen der JNA stünde. „Dieses Inventar hat die K.u.K. nicht angerührt. Es wurde durch die Faschisten nicht beschmutzt. Auch die Partisanen haben es nicht zerstört. Aber jetzt macht das die Jugo-Soldateska.“882 Ebenfalls Ende Oktober kündigte der kroatische Künstler Vatroslav Kuliš an, dass er sich demnächst nach Mailand begeben werde, wo er mit vier weiteren Künstlern auf einer Leinwand von elf Metern Länge und über drei Meter Höhe das 878 879 880 881 882
Bačić (1991). Štern (1991). Paić (1991). Peratović (1991). Kusin (1991c).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 281
Abb. 29: „… und dort – kümmert sich keiner darum!“ In der Karikatur weist Adolf Hitler auf Slobodan Milošević (vorn, Mitte) und dessen Verteidigungsminister Veljko Kadijević (vorn, rechts). Die Zerstörung Vukovars wird mit dem Massaker verglichen, das eine deutsche SS-Einheit am 10. Juni 1944 im französischen Oradour-sur-Glane verübt hatte. Im Gegensatz zum Verbrechen des Zweiten Weltkriegs, so unterstellt die Karikatur, kümmere sich niemand um die serbischen Verbrechen in Vukovar, die mit dem Massaker in Oradour-sur-Glane gleichzusetzen seien. Vjesnik, 3. November 1991.
Gemälde Guernica Croatica anfertigen wolle: „Wir werden die Arbeit unter dem Heulen einer Sirene beginnen, und nach fünf Stunden wird die Sirene zum Ende des Alarms [und der Arbeit] stoppen“883. Ein weiteres Bild, das im katholischen Kroatien für das serbische Gegenüber als das ultimative Böse reserviert war, war das des in der Religion ebenso wie in der Tiefenpsychologie für existentielle Bedrohungssituationen gebrauchte Symbol des alles verheerenden Drachen.884 Der Zagreber Erzbischof Franjo Kuharić etwa predigte am 15. August 1991, anlässlich der Wallfahrt nach Marija Bistrica, vor Gläubigen und Pilgern:
883 Dugandžija (1991). 884 Vgl. Steffen (1984); Rombach (1996).
282 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Warum werden Kirchen angegriffen? Und nachdem Verteidiger und Bevölkerung geflohen sind – warum werden sie gesprengt und abgebrannt? [...] Warum ist der Mensch so gegen den Menschen? Warum wird immer die Ideologie des Hasses erfunden? [...] Jeder Rassismus, Imperialismus, Chauvinismus hat immer Kriege verursacht und verursacht noch immer Kriege, und um Menschen für das Schlachten zu begeistern, müssen sie erst mit Hass, Lügen und dem Rausch der Wut vergiftet werden, und dann wird die Parole herausgeworfen: wir werden alles bis auf die Grundfesten schleifen! [...] Sehen wir diesen Drachen nicht in Gänze? Den Krieg zu wollen, zu töten, zu zerstören, die Häuser friedliebender Einwohner zu verwüsten, die niemanden gefährdet haben und mit allen in Frieden leben wollen, dass sind nicht nur die Verbrechen von Menschen, das ist Satanismus. Der Drache ist bei der Arbeit und wir sind heute dem Satanismus ausgesetzt. [...] Das ist nicht nur ein weltlicher Krieg; dass ist ein geistiger Krieg zwischen Gut und Böse. Das ist nicht nur ein Kampf gegen Menschen oder eine Nation, das ist ein Kampf selbst gegen Gott!885
Im Monat darauf fragte sich Vladimir Stanković, der Direktor der Seelsorge und Präsident der Caritas in Kroatien, in einem Interview mit dem Vjesnik: Wenn wir das Bild des Drachen verwenden, erinnern wir uns an die Offenbarungen des Johannes und die Apokalypse. Natürlich wissen wir, wenn das Wort Apokalypse fällt, dass es in unserer Geschichte apokalyptische Tage und Zeiten gab. Doch nach dem Frieden in Europa und den großen Fortschritten und allem, was sich in der jüngsten Zeit in den Ländern des ehemaligen Ostblocks ereignet hat, das heißt, im Übergang zu einem demokratischen System, muss man sich da nicht fragen, ob das, was sich bei uns ereignet nicht ein satanisches Werk ist?886
Am 4. Oktober 1991 wurde in Panorama ein Bild aus der Ausstellung „Künstler für den Frieden“ der kroatischen Künstlerin Jadranka Fatur abgedruckt (Abb. 30). Es zeigt einen „himmlischen“ Reiter, der einen Panzer mit seiner Lanze „ersticht“. Im Hintergrund der Szene ist der Turm einer zerstörten Kirche zu erkennen. Vor den Ketten des Panzers liegen eine Frau und ein nacktes Kind, die drohen, überrollt zu werden. Die Ikonografie des Kindermords zu Bethlehem887, des Kampfes des Erz-
885 Glas Koncila (1991b). 886 Sigetić (1991). 887 Mt. 2,16–18.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 283
Abb. 30: Ein Reiter mit Lanze kämpft gegen einen Panzer. Dieses Werk der kroatischen Künstlerin Jadranka Fatur druckte der Vjesnik am 4. Oktober 1991.
engels Michael mit dem Drachen888 sowie des heiligen Georg889 sind in diesem Bild gleichermaßen präsent. Die kroatischen Erklärungsversuche angesichts des Krieges 1991 und die Verwendung des Drachenbildes mögen zu einem Gutteil der religiös-kulturellen Vorprägungen der Kommentatoren geschuldet gewesen sein. Zweifellos stellten sie auch eine Reaktion dar auf den Schock, den das brutale Vorgehen der serbischen Militärs und Paramilitärs ausgelöst hatte. Andererseits ignorierte die Zuschreibung der Kriegsursachen und -schäden an satanische Kräfte (sotonske sile) die kollektive Verantwortung für den Zusammenbruch der Zivilgesellschaft und den Krieg. Die Verbrechen, die von Kroaten an Muslimen und Serben während der Postjugoslawischen Kriege begangen wurden, hatten in dieser Wahrnehmung keinen Platz. Ritter, die gegen Drachen kämpfen, begehen nun einmal keine Gräueltaten. Die (beschönigende) Bezeichnung der Kroaten für den Krieg bis zur Rückeroberung der verlorenen Territorien in Slawonien und entlang der Westgrenze Bosnien-Herzegovinas 1995 lautet heute „Heimatkrieg“ (Domovinski rat). Dass dieser den
888 Offb. 12,7 ff. 889 Beide, der heilige Georg und der Erzengel Michael werden von der katholischen wie der orthodoxen Kirche gleichermaßen verehrt. In Serbien und Kroatien ist eine Vielzahl von Kirchen dem heiligen Georg und dem Erzengel Michael geweiht.
284 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Abb. 31: Rex: „Mein Name ist Rex. Ich würde gern etwas über das Schicksal meines Herrchens hören.“ Wahrsagerin: „Dein Herrchen wird sich „Brüderlichkeit und Einheit“ ausdenken, er wird Bleiburg und den Kreuzweg organisieren, er wird die JNA, den UDBA und die Sozialistische Föderation Jugoslawien schaffen, er wird sich bis zum Hals verschulden und das Gefängnis der Nationen bauen, in dem die Kroaten einen besonderen Platz haben werden, und noch etwas: Du wirst dein Herrchen vor einer Bombe retten.“ Tito als Partisan: „Rex, alter Genosse, warum bist du traurig?“ Rex: „Genosse Tito, rette Dich selbst“. Vjesnik, 24. November 1991.
Mord an Muslimen in Bosnien-Herzegovina und die Zerstörung ihres kulturellen und religiösen Erbes sowie die Vertreibung von 150.000 bis 200.000 kroatischen Serben während der Operationen Bljesak und Oluja umfasst890, hat in der einfachen Unterteilung in Gut und Böse, in Drachen und Drachenkämpfer, keinen Raum. Auffallend häufig enthielten abfällige Bezeichnungen Anspielungen auf die kommunistische Herrschaft. So waren etwa „serbokommunistische Armee“891, „serbokommunistische Primitive“892, „Terroristen“893, „serbische chauvinistische Terrorgruppe“894 und dergleichen mehr gebräuchlich. Wie der serbische Soziologe Todor Kuljić in seinem Buch Umkämpfte Vergangenheiten 2010 dargelegt hat, kam es im Jugoslawien nach Tito, verstärkt jedoch mit dem Anwachsen des Nationalismus, zu einer weitestgehend indifferenten, vielfach durch polemische Wortmeldungen geführten Auseinandersetzung mit der kommunistischen Herrschaft. Er bezeichnet dieses Phänomen zusammenfassend 890 891 892 893 894
Bieber (2005), 488; Perica (2006), 319 f.; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 370. Lukačević (1991a). Gabrić, Pero (1991). Vjesnik (1991c). Ivančević (1991).
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als „Anti-Antifaschismus“. Die Protagonisten dieser Entwicklung seien nicht selten selbst ehemalige Kommunisten: „Die neuen Antikommunisten schließen den Kommunismus aus ihrer eigenen Vergangenheit schlicht aus“895. Die Mischung aus Religiosität und Nationalismus, beeinflusst von der Erinnerung an die Diskriminierung der katholischen Kirche einerseits sowie an die unnachgiebige Position der Kommunisten gegenüber Betonungen nationaler Identität andererseits, bildeten den Hintergrund für die überwiegend negative Wertung der kommunistischen Herrschaft. Auch für die Inszenierung der eigenen Opferrolle spielte der Kommunismus eine entscheidende Rolle. Die Kroaten fühlten sich, ähnlich wie die Serben unter anderen Bezugnahmen, als Verlierer des jugoslawischen Systems. In der öffentlichen Wahrnehmung war die Vorstellung vorherrschend, sie seien seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges systematisch benachteiligt worden. Die Ermordung von Kroaten in Bleiburg 1945, die empfundene ökonomische Ausbeutung, das politische Gängelband der Zentralregierung in Belgrad sowie die Behinderung in der Ausübung der Religion gehörten zu den Topoi der Selbst-Viktimisierung. Die Formel, in der die Kroaten diese Mischung aus vermeintlichen und tatsächlichen Benachteiligungen zusammenfassten ist die vom „Gefängnis der Nation“ (Tamnica naroda, Abb. 31). Todor Kuljić beschreibt diese Form der selektiven Erinnerung als das Entstehen von „gelben Flecken“. Im Gegensatz zu den „weißen Flecken“ – der Tabuisierung verschiedener historischer Themen durch die Kommunisten – ist für die Entstehung der „gelben“, die etwa das Vergessen der „evidenten Modernisierungsinhalte des jugoslawischen Sozialismus“ umfassen, der „nationalistische und antitotalitäre Konformismus der Gegenwart“ verantwortlich.896 Die Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Jugoslawien reichte von verbalen Abrechnungen bis zur Zerstörung sozialistischer Monumente in einem postsozialistischen Bildersturm der nicht an jedem Ort der zerbrechenden Föderation gleich stark ausgeprägt und nach demselben Schema verlief und auch nicht überall gleich wahrgenommen wurde. Am 8. September 1991 schrieb Nebošja Glišić in der Politika über die Zerstörung sozialistischer Monumente: Ich weiß, dass Sie wissen, dass bei uns und in den südlichen Ländern die Denkmäler von Marx, Engels, Lenin, Tito und sogar für Schlachten des Zweiten Weltkriegs zerstört werden. Sie werden angespien, getreten und vernichtet. Hierzulande hat das vor einigen Jahren angefangen, in der Überzeugung, damit ließe 895 Kuljić (2010), 86 ff., Zitat: 91. 896 Kuljić (2010), 90.
286 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen sich die Vergangenheit vernichten. Zuerst wurde die sozialrealistische Kunst an den Wänden unserer Unternehmen, Institutionen, Museen und Plätze zerstört. Sie wurden weggebracht oder in einer Zeremonie gestürzt, auch Werke großer Künstler – Lubarda, Milunović, Jakac [...]. Das ist ein Phänomen, und der Autor dieser Reihe hat öffentlich vorgeschlagen, ein Museum des sozialistischen Realismus einzurichten, um auch diesem Teil unserer Kultur zumindest teilweise zu erhalten. Denn das ist unsere Geschichte. Mag sie auch schlecht sein, es ist unsere. Nur leidenschaftliche Primitive denken, dass alles mit ihnen angefangen hat. So war es auch in der Nachkriegszeit im Sozialismus. Sie zerstörten alles Vorhergehende. Heute setzt sich die Zerstörung fort. Aber ach! Wieder zerstören wir, was wir selbst errichtet haben. Die Auszeichnungen (Markierungen, Denkmäler, Merkzeichen) derer, die die Vergangenheit zerstört haben, zerstören die Ausgezeichneten der Gegenwart. […] Für eine kultivierte Haltung gegenüber künstlerischen und bildhauerischen Werten einzutreten bedeutet nicht, für die einzutreten, unter denen sie ausgeführt worden sind. [...] Alle kultivierten Länder der Welt wissen, dass die Vergangenheit nicht zerstört ist, wenn Gegenwart und Zukunft zu ihr hinzutreten. Und auch, dass sie Zeichen für die Zeit sind, in der sie gelebt haben.897
Während der Kommentator Glišić die Monumente in Schutz nimmt und ihre Zerstörer kritisiert, fordert Kusin wiederum Verständnis für die Zerstörung der Monumente des sozialistischen Jugoslawien. In einem Artikel vom 7. April 1992 bezeichnet sie diese als „Monster“ ohne Authentizität und Denkmalwert. Sie gibt jedoch zu bedenken, dass sich „dieses ökologische Problem […] weder mit Dynamit […] noch mit einer neuen historischen Denkmalpflege ebenfalls gesichtsloser Massen“ lösen ließe. Anschließend stellte sie den direkten Vergleich zwischen der Zerstörung der Partisanendenkmäler und der Zerstörung von kroatischem Kulturerbe im Krieg Serbiens gegen Kroatien her: Denkmäler fliegen in die Luft und Götter stürzen auf den Kopf. Die Täter werden nicht als Vandalen benannt, sondern nicht mehr und nicht weniger – als Faschisten. Weil sie auf diesem Weg die sogenannten antifaschistischen Monumente zerstören. Es protestierten Kämpfer des Zweiten Weltkrieges, weil sie nun nicht mehr hunderte in die Luft gesprengte Denkmäler des Antifaschismus sehen können. Aber die weiteren hunderte Monumente, deren Herkunft mindestens vom Barock bis in das Mittelalter oder weiter zurückreicht, die die Feinde mit
897 Glišić (1991).
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Abb. 32: „Der erhobene fünfzackige Stern weist den Weg nach dem sozialistischen Bethlehem“ und „Die ‚Grablegung‘ des Partisanen in Buje“ – Partisanendenkmäler im ehemaligen Jugoslawien. Vjesnik, 7. April 1992.
Sprengstoff gefüllt und in die Luft gejagt haben, sehen diese „Protestierer“ nicht. Diese Täter werden nicht als Faschisten bezeichnet.898
Im Folgenden bestritt Kusin, dass es sich bei den zerstörten Monumenten der TitoZeit überhaupt um antifaschistische Denkmäler handelte. Vielmehr seien diese Ausdruck und Inszenierung des kommunistischen Willens zur Macht: „Sie gehören lediglich dem aufgeblasenen Heroismus an, den der Sozio-Realismus bis zur Groteske geführt hat“. In einer interessanten Analyse verglich sie schließlich einige der betroffenen Denkmäler mit Werken der christlichen abendländischen Kunst und stellte die These auf, dass nicht wenige der sogenannten Partisanendenkmäler Elemente christlicher Ikonografie aufweisen würden. So zeige etwa der fünfzackige Stern (petokraka zvezda) der jugoslawischen Kommunisten den Weg ins sozialistische Bethlehem und die Skulptur der Beerdigung des Partisanen im kroatischen Ort Buje (unweit der Adria an der Grenze zu Slowenien gelegen) erinnere an die Grablegung Christi (Abb. 32). Es liegt nahe, anzunehmen, dass in einer Gesellschaft, in der Religion historisch immer eine wesentliche Rolle gespielt hat, die öffentliche Inszenierung des Kommunismus – einer bis dahin nicht erprobten, relativ unbekannten Herrschaftsform – nicht gänzlich ohne sichtbare Elemente der bisherigen auskam, sich auf die bekannte und verinnerlichte christliche Ikonografie berufen 898 Kusin (1991d).
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musste. Dies mag insbesondere für die symbolische Kommunikation im öffentlichen Raum, etwa in Werken der bildenden Kunst, gelten. Klaus Buchenau schrieb zudem im Jahr 2006 vom „hagiographischen Selbstbild“, das die jugoslawischen Kommunisten aufgebaut hatten.899 Die Artikel zum monumentalen Erbe des Kommunismus bzw. Sozialismus stehen für einen wichtigen Aspekt in der komplexen Veränderung der Erinnerungslandschaft in den ehemaligen jugoslawischen Republiken – die Distanzierung von bzw. Identifikation mit der jüngeren Geschichte der Region. Zeitgleich mit der Zerstörung von kulturellem und religiösem Erbe in Kroatien, Bosnien und Herzegovina und Kosovo kam es zur massenhaften Umbenennung von Straßen – in Belgrad geschah das zumindest noch bis vor kurzem so oft „dass bei der Bevölkerung mehrere Namen für eine Straße im Umlauf sind“900. Die Zerstörung der unter Tito errichteten Denkmale – 3.000 bis 4.000 sollen es allein in Kroatien während und unmittelbar nach dem Krieg 1991 gewesen sein901 – ist in der internationalen Wahrnehmung der Region kaum präsent. Ebenso wenig bekannt ist die umfangreiche Errichtung neuer Monumente – hauptsächlich Kirchen und Denkmäler902 –, die unter anderem die Vergangenheit, das Leiden und den Heroismus der jeweiligen Nation verherrlichen sollen. Die Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen ist zweifelsohne ein bedeutender, jedoch nicht der einzige Aspekt eines Paradigmenwechsels in den gesellschaftlichen Diskursen des ehemaligen Jugoslawien und einer umfassenden De- und Rekonstruktion der Erinnerungstopografie der Region. In Zagreb etwa wurde 1990 der „Platz der Opfer des Faschismus“ (Trg žrtava fašizma) in „Platz der kroatischen Größen“ (Trg hrvatskih velikana) umbenannt.903 Im selben Jahr goss der in Kanada lebende kroatische Bildhauer Augustin Filipović das etwa vier Meter breite und über zwei Meter hohe Bronzerelief „Den kroatischen Opfern in Bleiburg und auf dem Kreuzweg 1945“ (Hrvatskim Žrtvama u Bleiburgu i na križnim putovima 1945). Am 20. Juni 1994 weihte Erzbischof Kuharić auf dem berühmten Zagreber Friedhof Mirogoj ein gleichnamiges Mahnmal mit der Bronze Filipovićs ein (Abb. 33). Neben anderen Monumenten auf dem Friedhof Mirogoj, die etwa an die Opfer des Faschismus in Kroatien oder an die Gefallenen und Vermissten im Krieg 1991 erinnern, steht das Bronze-Mahnmal einerseits für 899 900 901 902 903
Buchenau (2006), 114 f. Kuljić (2010), 89. Perica (2006), 316; Kuljić (2010), 89. Perica (2006), 315. Nach Tuđmans Tod 1999 wurde der Platz 2000 schließlich wieder in „Platz der Opfer des Faschismus“ umbenannt.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 289
Abb. 33: Augustin Filipović, Den kroatischen Opfern in Bleiburg und auf dem Kreuzweg 1945, 1990, eingeweiht am 20. Juni 1994, Zagreb, Friedhof Mirogoj. Archiv Tobias Strahl.
eine relativierte Wahrnehmung der Rolle Kroatiens im Zweiten Weltkrieg wie es sich andererseits in ein symbolisches Programm im kroatischen Opfermythos einreiht. Von dieser Neuausrichtung der kroatischen Erinnerungspolitik nicht unberührt blieb die offizielle Bewertung des Ustaša-Staats. Zwar bekannten sich die kroatischen Nationalisten um Franjo Tuđman nicht offen zu diesem, jedoch gaben sie jede kritische Distanz gegenüber den Ustaša und deren Führer Ante Pavelić auf.904 Für Aufsehen sorgte Tuđman mit dem Vorschlag, das von Bogdan Bogdanović gestaltete Mahnmal in Jasenovac, die „Steinerne Blume“ für die Opfer des Faschismus, durch ein Denkmal für die Opfer totalitärer Diktaturen zu ersetzen.
904 Wolfgang Höpken (1998), 216, schrieb dazu: „Crediting the Ustaša state with having realized the dream of a Croatian nation-state, and, second, identifying the territorial dimensions of the Ustaša state largely as Croat lands, the Croatia of the Second World War was at least partly integrated into what could be called the ‘positive traditions’ of Croatian history”
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Die ausgewählten Beispiele stehen stellvertretend für einen Prozess, der einen längeren Zeitraum und viele tausend materielle sowie immaterielle Gegenstände umfasste.
KULTURERBEZERSTÖRUNG – PROPAGANDA UND INTERNATIONALE WAHRNEHMUNG
Am 16. Dezember 1991, nach dem Ende der verheerenden Angriffe auf Dubrovnik, warf die serbische Journalistin Danica Đurđević in der Politika den kroatischen Medien vor, das kulturelle und religiöse Erbe Kroatiens zu instrumentalisieren, um Verbündete unter den westlichen Staaten zu gewinnen: Der kroatische Propagandakrieg, das ist heute ziemlich sicher, hat schon vor den bewaffneten Zusammenstößen und der Formation von paramilitärischen Einheiten begonnen. Die Vorbereitung für diesen Propagandakrieg dauert, einem Experten zu folge, viele Jahre, mindestens ein Jahrzehnt. Diese Behauptung wird durch viele Sachverhalte bestätigt: eine der aussagekräftigsten ist, dass die Propagandamaschine absolut alle Sphären des Lebens einbezieht, von Nachrichten für das Schlachtfeld und politisches Geschehen, über Ökonomie, Wissenschaft, Kultur, alles bis zum Sport, Mode und sämtliche banale Ereignisse. […] Dies war alles zu verfolgen und zu interpretieren in den vergangenen ein, zwei Monaten, besonders im Hinblick auf die Verwüstung, Zerstörung, Gefährdung und Zugehörigkeit der Kulturdenkmäler in den vom Krieg betroffenen Gebieten. Das Szenario des Propagandakrieges ist in Hauptsache bekannt: unter zu Hilfenahme vieler Tricks, Desinformation, Panik und Dramatisierung, neben der Übertreibung des Wertes der eigenen Kulturdenkmäler und der Nichterwähnung der serbischen Kulturdenkmäler und ihrer Vereinnahmung, wurde der Welt ein Kriegsdrama vorgestellt, in dem, neben Menschen, „eine große Kultur getötet wird“, tausende Kirchen, Klöster, alte Stadtkerne, es verschwinde alles, was besonders der westliche Mensch schätze und erinnere. […] So wurde in den Medien Kroatiens und der Welt, auch das alte Dubrovnik „getötet“, und das mehrere Male. Das Phänomen der mehrfachen medialen Opferung Dubrovniks, so glauben wir, wird eines Tages Gegenstand besonderer Studien sein.905
905 Đurđević (1991).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 291
Die hellsichtige Kritik kann doch nicht leugnen, dass im Zuge des Krieges kroatisches Kulturerbe in erheblichem Umfang zerstört wurde. Tatsächlich unternahmen die Kroaten zum Teil große Anstrengungen, ihre Version des Krieges in Europa und Übersee publik zu machen. Aber was blieb ihnen auch anderes übrig? Militärisch hatte Kroatien der hochgerüsteten JNA unter serbischem Kommando lange Zeit nichts entgegenzusetzen. Ende 1991 kontrollierten die serbischen Streitkräfte bereits etwa zwei Drittel des kroatischen Territoriums – während das kroatische Oberkommando, das in einem ausgedienten Büro Stellung bezogen hatte, „nicht einmal über genügend Telefonanschlüsse verfügte“906. Es fehlte an Waffen, Personal, logistischer Unterstützung und Kommunikationsmöglichkeiten – kurz: an allem, was man braucht, um erfolgreich ein Gefecht zu führen, geschweige denn einen Krieg zu gewinnen. Man musste kein militärisches Genie sein, um als Kroate zu begreifen, wie aussichtslos die Lage war. Die politische und territoriale Integrität des eigenen Landes, dessen waren sich kroatische Politiker sehr schnell bewusst, war letztendlich vom Wohlwollen des Westens abhängig. Ein wesentliches Ziel war vor diesem Hintergrund die internationale Anerkennung.907 Mit der in den kroatischen Medien oft wiederholten Behauptung, ein Angriff auf Kroatien käme einem Angriff auf Europa gleich, sollte die Solidarität der europäischen Staaten beschworen werden. Die herausgestellte Zerstörung des christlichen und abendländischen Kulturerbes in Kroatien illustrierte dieses Narrativ. Doch der sogenannte „Westen“ tat sich lange Zeit schwer, in dem Konflikt Partei zu ergreifen. Die späte Positionierung der europäischen Staaten und der USA haben ausgewiesene Kenner der Region in ihren Arbeiten thematisiert.908 Unsicherheit bestand vor allem darüber, welche politischen Gebilde und Einflusssphären aus dem Zusammenbruch der jugoslawischen Föderation resultieren würden. Westliche Politiker hielten deshalb zunächst am Fortbestehen der Föderation fest – was dem serbischen Hegemonismus in die Hände spielte.909 Vor allem Großbritannien und Frankreich, die traditionell gute Beziehungen nach Belgrad unterhielten, hatten kein Interesse an einer Zersplitterung Jugoslawiens in eine Vielzahl kleinerer politischer Entitäten mit unterschiedlichen Loyalitäten. Anstelle einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik stand deswegen eine Vielzahl nationaler Partikularinteressen. Nicht zuletzt wurde der Konflikt aufgrund man906 Rathfelder (2007), 346. 907 „Slovenia and Croatia sought support in Vienna, Bonn, Rome, and Washington DC above all; Bosnia courted Istanbul“ (Ramet (1992), 266). 908 Ramet (1992), 253 ff.; Malcolm (2002), 225, 229; Rupnik (2007); Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 319 ff. 909 Rupnik (2007), 462; Malcolm (2002), 229; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 320.
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gelnder Kenntnisse über die Region falsch eingeschätzt, was dazu führte, dass man Kroaten und Serben sowie später auch die bosnischen Muslime für gleichermaßen verantwortlich hielt und deswegen eine „äquidistante Haltung“ gegenüber den Konfliktparteien einnahm.910 Ein Beispiel dafür ist das Waffenembargo, das die EG am 5. Juli bzw. die Vereinten Nationen im September 1991 mit der Stimme Jugoslawiens (!) gegen Jugoslawien verhängten. Das Embargo kam der JNA und damit den Serben zugute, da sie bereits über Waffen, Munition und Kriegsmaterial im Überfluss verfügten.911 Kroaten und später die bosnischen Muslime waren jedoch gezwungen, sich die Waffen zu ihrer Verteidigung auf illegalen Wegen zu besorgen. Unentschlossenheit und der „Verzicht auf direkte militärische Intervention“ sollten das „westliche Verhalten gegenüber allen Kriegen Miloševićs bis 1999“ kennzeichnen.912 Die zögerliche Haltung des Westens blieb in Kroatien nicht unbemerkt. Sie wurde in den Medien bald ironisch, bald wütend und verzweifelt kommentiert. Durch die Unterstützung von Privatpersonen, Künstlern, Intellektuellen, Politikern und Personen des öffentlichen Lebens gelang es jedoch immer besser, mit Nachrichten über die Zerstörung von Kulturerbe weltweit Verbündete zu gewinnen. Ohne Übertreibung war für die schlussendliche Positionierung europäischer Politiker der medial aufbereitete Beschuss des mittelalterlichen Dubrovnik von entscheidender Bedeutung. Unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges begannen Wissenschaftler des Instituts Ruđer Bošković913 Briefe in Französisch, Englisch und Deutsch an ihre Kollegen sowie wissenschaftliche, staatliche und überstaatliche Institutionen in Europa und Übersee zu versenden, wie die Atomenergiebehörde in Wien, die Europäische Gemeinschaft, den jüdischen Weltkongress, in denen sie über den Krieg in Kroatien berichteten und um Unterstützung baten – es gab kaum eine internationale Organisation, die nicht über den Krieg in Kroatien informiert wurde.914 Der Physiker Josip Trampetić etwa, Mitglied des Instituts und zu der Zeit an der Universität in Bielefeld beschäftigt, schrieb im Namen der Kroatischen Kulturgesellschaft Rhein-Main einen Brief an den amerikanischen Präsidenten George Bush. Die ehemaligen Fulbright-Stipendiaten Krešimir Pavelić und Vera Gamulin schrieben an die Direktorin der Fulbright-Gesellschaft Jane L. Anderson. 910 911 912 913
Rupnik (2007), 461 ff. Malcolm (2002), 229; Rathfelder (2007), 348; Vetter (2007), 555. Kebo (2007), 303. Eine der renommierten Forschungseinrichtungen Kroatiens, vergleichbar etwa mit der deutschen Max-Planck-Gesellschaft. 914 Vgl. Pifat-Mržljak (1992).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 293
Mirjana Dugandžija und Branka Džebić berichteten im Vjesnik über einen Besuch des kroatischen Ministers für Ökologie und Stadtplanung, Ivan Cifrić, beim Bürgermeister von Venedig, Ugo Bergamo. Bei dem Treffen verabredeten die Politiker, dass Venedig einen Aufruf an die Weltöffentlichkeit verfassen würde, die „Vernichtung von Kulturerbe in Kroatien“ zu beenden.915 Bereits am 27. August 1991 war der erste Artikel über die Zerstörung kroatischer Städte in der New York Times erschienen. Chuck Sudetić, ein amerikanischer Journalist mit kroatischen Wurzeln, berichtete über den Beschuss unter anderem von Vukovar, Kijevo und Osijek, jedoch ohne dabei die Zerstörung von Kulturerbe zu thematisieren.916 Mitte September besuchte eine Delegation des Vjesnik den World Monuments Fund in New York. Im Gepäck hatte die Abordnung einen Umschlag mit Bildern des zerstörten Kroatien. Maja Razović berichtete darüber am 27. September 1991: Der akademische Frieden des nicht eben großen Gebäudes des World Monuments Funds, einer Organisation, die sich dem Schutz des kulturellen Erbes der Menschheit verschrieben hat, ist schwer zu stören. Aber als vor zehn Tagen in der New Yorker zehnten Straße aus Zagreb die Fotografien des Vjesnik der zerstörten kroatischen Kulturdenkmäler eintrafen, waren alle außer sich und starrten schweigend auf die Bilder, über die Conrad im „Herz der Finsternis“ sagte, sie bergen ein „unaussprechliches Grauen“. „So etwas haben wir nicht gesehen seit der Zeit, als wir die Fotografien der Verbrechen Ceausescus erhalten haben“, war der Kommentar von Bonnie Burnham, der Direktorin der bekannten Weltorganisation, eine Wissenschaftlerin, mit der wir vor noch nicht einmal einem Jahr am selben Platz über Probleme beim Wiederaufbau des „wunderbaren Dubrovnik“ plauderten. Die Klagelieder über uns, die in der Welt missverstanden werden, und das Lamentieren über Gräueltaten, warum uns niemand mag und versteht, – wenn das Wort auf das Kulturerbe kommt – sind sie vollkommen unnötig. [!] Einhundertundsechzig verkrüppelte Kulturdenkmäler sind das beste Argument über Ausmaß und Art der Barbareien die Kroatien durchziehen.
Noch am selben Tag habe der World Monuments Fund Informationen über die Zerstörung des Kulturerbes in Kroatien an tausende Adressen, darunter sämtliche Organisationen, die sich mit dem Schutz von Kulturerbe befassten, weitergege-
915 Dugandžija (1991a). 916 Sudetić (1991a).
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ben.917 Unmittelbar danach berichteten als erste Medien die New York Times, am 22. September, und das Wall Street Journal von der Kulturerbezerstörung in Kroatien. Yugoslavia’s civil war [!] is claiming lives – and also the cultural birthright of Croatia. As many as 116 churches, castles and historic districts have reportedly come under mortar and air attacks by Serbian militias or units of the Yugoslav Army. A respected private group, the World Monuments Fund, says these are calculated assaults on another people’s treasures. It is a credible charge that shames the Serbian cause.918
Die Überschrift The Sacking of Croatia ist eine Anspielung auf den Sacco di Roma, die Plünderung Roms durch die Truppen Kaisers Karl V. im Mai 1527919, bei der die Stadt weitestgehend zerstört wurde.920 Darüber hinaus zieht der Autor Parallelen zur Bombardierung englischer Städte durch die Nazis im Zweiten Weltkrieg und die Zerstörung Dresdens durch die Alliierten im Februar 1945: Destruction on this scale has no precedent in Europe since Nazi Germany’s vengeful ‘Baedeker’ raids on English cathedral cities in 1942, and the Allied firebombing of Dresden. Yugoslavia itself endured grievous losses in World War II, and the painstaking restoration of damaged ancient monuments has been a proud national achievement.921
917 918 919 920
Razović (1991a). The New York Times (1991). Vgl. Blockmans (2014), 68. Mit der Schlagzeile Like the Barbarian Hordes Advancing on Rome, the Federal Forces Have Abandoned All Restraint verwies der Londoner Daily Telegraph am 13. November 1991 angesichts des Beschusses von Dubrovnik auf die Zerstörung Roms durch die Westgoten im Jahr 410 (The Daily Telegraph, zit. n. Bevan (2006), 86). 921 The New York Times (1991). Der britische Journalist und Korrespondent des Independent Robert Fisk bemühte ebenfalls den Vergleich mit den deutschen Nationalsozialisten, als er 1994 über die kroatischen, serbischen und bosnischen Truppen gleichermaßen schrieb: „The Serbs and Croatians and – most recently – the Muslims have become businesslike as well as competent at their task of ‘cultural cleansing’, the planned and deliberate destruction of hundreds of churches, mosques, libraries and monuments across Croatia and Bosnia, erasing 500 years of history from the map of former Yugoslavia with an enthusiasm unmatched since Hitler’s demolition of Warsaw“ (Fisk (1994)).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 295
Zweifellos war die Aktion des Vjesnik im Hinblick auf die internationale Wahrnehmung der Ereignisse in Kroatien ein wertvoller Propagandaerfolg. Am 24. Oktober protestierte das US-Außenministerium in einer öffentlichen Mitteilung gegen die Zerstörung von Dubrovnik.922 Am 2. Oktober 1991 wiederum hatte der Vjesnik den Vorschlag eines Lesers angenommen und alle Kroaten, die einen Videorekorder besaßen – das waren nach den eigenen Angaben immerhin 200.000 – aufgefordert, aus den Sendungen des kroatischen Fernsehens einen Film über die Zerstörung Kroatiens aufzunehmen und diesen an Verwandte und Bekannte in aller Welt zu schicken.923 Zwei Tage später berichtete Darko Glavan, die kroatische Diaspora in Stuttgart habe am 14. September eine Kundgebung mit einem Chor in der Stadt organisiert, um so auf die Zerstörung Kroatiens aufmerksam zu machen.924 Am 31. Oktober schließlich trafen mit Daniel Janicot und Rok Voglič zwei führende Repräsentanten der UNESCO in Zagreb ein. Wenige Tage später, am 28. November 1991, erreichte der Beauftrage der UNESCO Colin Kaiser Dubrovnik und blieb während des Beschusses in der Stadt.925 Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtete hauptsächlich Viktor Meier als Korrespondent vom Krieg in Jugoslawien. Am 21. Oktober 1991 veröffentlichte er einen ersten längeren Text, in dem die Zerstörung von Kulturerbe der Hauptgegenstand war. Nach einer knappen Einführung in die Geschichte Kroatiens, die die Bildung des kroatischen Königreichs unter König Tomislav im Jahr 910 zum Gegenstand hatte, hieß es dort: Dieser einzigartige Kulturraum ist heute in höchster Gefahr. Die serbischen Generäle beschießen rücksichtslos die dortigen Kulturdenkmäler. Das Museum von Zagreb hat Anfang Oktober eine genaue Liste der bereits beschädigten Kulturdenkmäler in Kroatien veröffentlicht. Von den 224 registrierten Monumenten im ganzen Land ist bereits die unvorstellbar hohe Zahl von 214 Bauwerken definitiv in Mitleidenschaft gezogen, die Hälfte davon wurde sogar schwer bis ganz zerstört […].926
Meier übernahm – wissentlich oder nicht – die kroatische Propagandasprache: „Für die Kroaten sind die frühen dalmatinischen Kunstschätze teuerstes nationales 922 923 924 925 926
Ramet (1992), 268. Vjesnik (1991e). Glavan (1991). Kusin (1991e). Meier (1991a).
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Erbe; hier stand die Wiege kroatischer Staatlichkeit und Nationswerdung […]. Es besteht kein Zweifel am rein kroatischen Charakter von Dubrovnik.“ Darüber hinaus betonte er den europäischen Charakter der Stadt und verwies damit implizit auf die in kroatischen Medien betonte angebliche Funktion Kroatiens als antemurale christianitatis. Dass Meiers Affirmation der kroatischen Position zum Teil bis zur identischen Reproduktion einzelner Phrasen reichte, legt die Übernahme der Bezeichnung Vukovars als „kroatisches Stalingrad“ nahe nur wenige Tage, nachdem diese in kroatischen Medien zum ersten Mal aufgetaucht war: „Rund 120 katholische Kirchen hat der ‚Serbensturm‘ in Kroatien bisher schwer beschädigt oder vernichtet. Vukovar an der Donau, das ‚kroatische Stalingrad‘, ist nur noch eine Ruine“927. Im November 1991 grübelte Anthony Lewis in der New York Times unter der Schlagzeile Where is the outrage? über die Ursachen für die unentschlossene Haltung des Westens. Das Kulturerbe der Region spielte auch in seinen Überlegungen eine wesentliche Rolle. Er forderte seine Leser auf, sich vorzustellen, Venedig würde in einem Bürgerkrieg bombardiert. Würde die westliche Welt dazu schweigen, fragt Lewis rhetorisch und gibt die Antwort gleich selbst: „Natürlich nicht!“. Der Westen würde mit einem Aufschrei reagieren. Er würde intervenieren, „um dieses Verbrechen gegen die Geschichte und Menschheit zu stoppen“. „But across the Adriatic today another historic jewel of a city, Dubrovnik, is being bombed, its population strangled by blockade. And where are the world’s protests? Where is any effective action to stop the crime“, fragt Lewis und leitet dann die westliche Apathie aus den Veränderungen der jüngsten Zeit in der Region her. Durch Artikel wie diese wurde die Adriastadt Dubrovnik mehr und mehr zum Symbol der Kulturerbezerstörung im Krieg in Kroatien. Im November 1991 intensivierte auch die FAZ ihre Berichterstattung zum Krieg in Kroatien. Dubrovnik stehe in „Rauch und Flammen“, wird der kroatische Rundfunk in einem Bericht am 12. November zitiert928, vom „Generalangriff auf Dubrovnik“ ist am selben Tag die Rede.929 Am 7. Dezember berichtete die FAZ vom bisher schwersten Beschuss der Stadt am Tag zuvor.930 Zwei Tage später meldete die Redaktion unter Berufung auf den kroatischen Generalstab, dass dieser letzte Angriff auf Dubrovnik 19 Menschen das Leben gekostet habe, 70 weitere seien verwundet worden. Etwa 30 Prozent der Altstadt wären bei dem Beschuss 927 928 929 930
Meier (1991a). FAZ (1991b). FAZ (1991c). FAZ (1991e).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 297
schwer beschädigt worden.931 Am 13. Dezember fragte die FAZ in einer Schlagzeile: „Dubrovnik ein zweites Dresden?“ Der Bürgermeister von Dubrovnik hätte sich den Abgeordneten zufolge mit einem Schreiben an seinen Amtskollegen Herbert Wagner (CDU) in Dresden gewandt und diesen um Unterstützung gebeten, da Dubrovnik „ohne schnelle Hilfe gegen die Aggression ein ähnliches Schicksal drohe wie Dresden im Zweiten Weltkrieg“932. Am Heiligabend 1991 schließlich stimmte die Journalistin Renate Schostack im Feuilleton ihren Abgesang auf eine Kunstlandschaft an. Sie berichtete von der Ausstellung Dalmatien – Slawonien. Erinnerung an eine Kunstlandschaft im Angesicht ihrer drohenden Vernichtung im Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Demnach lag der Redaktion der FAZ eine Liste vor, in der 291 Ortschaften, 438 Bauwerke und Denkmale sowie 45 Kirchen und Klöster in Kroatien als zerstört oder beschädigt erfasst waren.933 In dieser Zusammenstellung von Berichten zur Kulturerbezerstörung in Kroatien im Krieg 1991 kann aus nachvollziehbaren Gründen lediglich ein Bruchteil des weltweiten Medienaufkommens zu diesem Thema abgebildet werden. Nichtsdestoweniger wird deutlich, dass die Zerstörung von Kulturerbe in der öffentlichen Wahrnehmung sowohl in Kroatien als auch in Europa und Übersee alles andere als ein marginales Phänomen darstellte. Für die serbische politische und militärische Führung sollte sich der Angriff auf Dubrovnik als strategischer Fehler erweisen. Mit der Beschädigung der Stadt, die, wie internationale Experten nach dem Krieg festgestellt haben, bei weitem nicht so umfangreich war wie zunächst angenommen, wurden die Zerstörungen in Kroatien generell einer großen Weltöffentlichkeit bekannt. 2006 schrieb der britische Journalist Robert Bevan: The shelling of Dubrovnik was an enormous mistake for Serb propagandists. Croatia’s cultural defenders did rather better in the propaganda war because […] Dubrovnik itself escaped relatively unscathed. […] From the outcry, the outsider was under the impression that the Old City was utterly in ruins. This, however, was not the case. Many of its tiled roofs were blasted apart, nine splendid historic town houses were burnt out, and many important buildings suffered shell damage to bell-towers, cloisters and the like, but no key monument was either entirely destroyed or severely and irreversible damaged.934 931 932 933 934
FAZ (1991f). FAZ (1991g). Schostack (1991). Bevan (2006), 86.
298 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Abb. 34: Mojmir Mihatov, Ein Soldat der JNA am Rand einer Klippe trägt eine antike Säule, die mit einer Henkerschlinge um seinen Nacken befestigt ist. Vjesnik, 18. Oktober 1991.
Colin Kaiser stellte bereits 1993 fest: „While international attention was drawn to the Old Town, the most serious damage, both to the heritage and to a way of life, was being carried out in the rural zone of the Commune“935. Zoran Terzić zufolge erreichte die kroatische Berichterstattung mit der Solidarität des Westens eben den Propagandaerfolg, den Danica Đurđević in der Politika kritisiert hatte: „Je intensiver Dubrovnik angegriffen wurde, desto mehr erkannten westliche Touristen in der ‚Perle der Adria‘ die Schönheit und Erhabenheit ihrer eigenen Kulturvorstellung“936. Für Sabrina P. Ramet hingegen war die deutsche und österreichische Empathie gegenüber Kroatien unter anderem die Frucht einer lang gepflegten Urlaubs-Liebe, die sich an der Küste Dalmatiens entwickelt hatte.937 Die kroatische Berichterstattung zur Kulturerbezerstörung lediglich als Propaganda abzutun, wird den Verhältnissen jedoch nicht gerecht. Sicherlich sollten Artikel, Briefe, Filme und persönliche Kontakte auch diesen Zweck erfüllen. Ange935 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, IV, P. 54. 936 Terzić (2007), 115. 937 Ramet (1992), 265.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 299
sichts der militärischen Unterlegenheit Kroatiens verwundert das kaum. Andererseits waren die Zerstörungen tatsächlich immens. Am Schicksal des kulturellen und religiösen Erbes der Muslime Bosniens und Kosovos lässt sich nachvollziehen, wie sich das Fehlen internationaler Öffentlichkeit auswirken konnte. Die Bemühungen von kroatischer Seite, auf die Kulturerbezerstörung in der Heimat aufmerksam zu machen, sind als Beitrag zur Beendigung des Krieges in Kroatien bisher nicht ausreichend gewürdigt worden. Es ist sicherlich übertrieben, zu behaupten, kroatische Kunsthistoriker hätten den Krieg für ihr Land gewonnen, die große Zahl derer, die sich aktiv an der Berichterstattung beteiligte, ist jedoch bemerkenswert.938 Die Kritik Đurđevićs war jedoch keineswegs moralischen Vorbehalten geschuldet, sondern vielmehr rein pragmatischer Natur. So führte sie diesbezüglich aus: Hat Serbien, besser: die Serbische Nation […] den Medienkrieg mit Kroatien verloren und warum? Das ist eine schwierige Frage, auf die alle eine unterschiedliche Antwort haben. Wir glauben, dass sich die tatsächlichen Auswirkungen und der Nutzen erst am Ende des richtigen, bewaffneten Krieges erweisen werden. Aber sicher ist, dass im großen Chaos dieses Krieges, gerade in dem der Medien, die Serben und Serbien sich von Anfang an nicht auf dem besten Weg befunden haben. Die negativen Auswirkungen dieser anfänglichen Orientierungslosigkeit spüren wir heute im Hinblick auf die Kulturdenkmäler, besonders in Dubrovnik, Vukovar und Osijek. In der Zwischenzeit hat das Ministerium für Kultur Serbiens einen Krisenstab gebildet und neun wissenschaftliche Teams zusammengefasst, die alle vom Krieg heimgesuchte Regionen besuchen. Die Spezialisten haben achtzig Kirchen besucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass ein Drittel absolut unbrauchbar und ernsthaft beschädigt ist. Viele davon datieren aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Es wurde eine Dokumentation über dieses Leiden angefertigt, in der die wichtigen Orte verzeichnet sind und 2400 Fotografien, fünfhundert Dias und um die dreieinhalb Stunden aufgezeichneten Filmmaterials vorhanden sind. Der Minister für Kultur Serbiens hat die UNESCO, alle Botschafter […] und alle Regierungen Europas über die zerstörten Denkmäler der serbischen Kultur in den vom Krieg heimgesuchten Regionen informiert. Die Wirkung der individuellen Leistungen und die Initiative von Vereinigungen sind [jedoch] größer als die des Staates. Eine faszinierende Information ist, dass einer der bekanntesten bildenden Künstler Raša Todosijević auf eigene Initiative einen
938 Neben den bereits genannten Mirjana Šigir, Vesna Kusin, Radovan Ivančević und Maja Razović etwa Zvonko Mahović (Popović (1991)) und Ivo Maroević.
300 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Brief über die Wahrheit in diesem Krieg geschrieben hat, der im allerbesten Englisch an mehr als 1700 Adressaten in der Welt versandt wurde.939
Serbien hatte also, Danica Đurđević zufolge, zu spät mit Aktivitäten ähnlich denen des Kriegsgegners Kroatien begonnen – war jedoch nun dabei, aufzuholen. Wenn wir dem kroatischen Journalisten Mirko Galić Glauben schenken können, dann hatten die Botschaft und die ständige Delegation Jugoslawiens bei der UNESCO für den 27. November 1991 zur Vorführung von Lordan Zafranovićs Okkupation in 26 Bildern (Okupacija u 26 slika) in den Kinosaal des UNESCOPalais in Paris eingeladen. Der Film aus dem Jahr 1978 aber handelt von der Besetzung Dubrovniks durch die kroatischen Ustaša und deren Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Quasi als Beweis, dass die Vorführung tatsächlich stattfinden würde, druckte der Vjesnik die offizielle Einladung der jugoslawischen Botschaft und der UNESCO-Delegation neben dem Artikel Galićs ab (Abb. 35).940 Nach der Diktion serbischer Artikel zur „Befreiung“ Vukovars organisierte das Jugoslawische Kulturzentrum 1992 ebenfalls in Paris die Ausstellung Vukovar 1991. Genozid am Weltkulturerbe der Serben (Vukovar en 1991. Genocide du Patrimoine Culturel du Peuple Serbe).941 Mit mindestens zwei weiteren Ausstellungen in Serbien inszenierte die politische Führung des Landes die serbische Opferrolle auch gegenüber der eigenen Bevölkerung.942 Die Darstellung des während des Krieges in Kroatien beschädigten und zerstörten Kulturerbes in der Propaganda beider Konfliktparteien war keineswegs ein neues Phänomen. Wie die Ausführungen zur Bedeutung des Verhältnisses zwischen Zerstörung, Medien und Intellektuellen während des Ersten Weltkrieges gezeigt haben, ist dieses Paradigma für das gesamte 20. und wohl auch den Beginn des 21. Jahrhunderts charakteristisch. Bei der Beurteilung der jeweiligen Propaganda ist jedoch deren unterschiedliche Motivierung zu berücksichtigen. Serbien befand sich in der Rolle des Angreifers, Kroatien in der des Verteidigers. Während gesellschaftliche Kräfte in Kroatien versuchten, die Weltöffentlichkeit für sich einzunehmen, um dem Angriff Serbiens etwas entgegenzusetzen, war Serbien 939 940 941 942
Đurđević (1991). Galić (1991b). Council of Europe (April 1994), III. Overview of war damage. Das Kunsterbe der Serben in West-Slawonien – Pakrac, Lisičine, Veliki Bastaji (Mai–August 1993) (Umetnička baština Srba u Zapadnoj Slavoniji: Pakrac, Lisičine, Veliki Bastaji) und Ikonenmalerei der dalmatinischen Krajina – aus den kriegsgefährdeten Regionen (Mai–Juni 1992) (Ikonopis Dalmatinske Krajine sa ratom ugroženih ravnih kotara); vgl. Council of Europe (April 1994), B, P. 80.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 301
Abb. 35: Einladung der Botschaft der Republik Jugoslawien, der ständigen Delegation Jugoslawiens bei der UNESCO und des Jugoslawischen Kulturzentrums zur Vorführung von Lordan Zafranovićs Film Okkupation in 26 Bildern am 27. November 1991 im UNESCO-Palais in Paris. Vjesnik, 26. November 1991.
bemüht, die Zerstörungen zu relativieren, zu rechtfertigen oder sogar dem Gegenüber zuzuschreiben. Ungeachtet der Zerstörung des serbischen Kulturerbes und der Schwere der Kriegsverbrechen von kroatischer Seite war das maßgebliche Ziel der serbischen Propaganda und Opferrhetorik die Verschleierung des Angriffskrieges, den Serbien gegen Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo führte. Diese Taktik war insofern erfolgreich, als das in internationalen Medien alsbald vom „Bürgerkrieg“ im ehemaligen Jugoslawien die Rede war. Eine ausgewogene und die Verhältnisse abbildende Darstellung soll helfen, diesen Mythos zu dekonstruieren.
DEZEMBER 1991 UND JUNI 1992: DIE DOKUMENTATIONEN DES INSTITUTS FÜR DEN SCHUTZ VON KULTURDENKMÄLERN DER REPUBLIK KROATIEN
Im Dezember 1991 gab das im Ministerium für Bildung und Kultur der Republik Kroatien angesiedelte Institut unter dem Titel Cultural Monuments, Historical Sites
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and Cities damaged and destroyed during the War in Croatia eine erste umfassende Liste mit beschädigtem Kulturerbe heraus.943 Die Aufstellung beruhte auf Daten, die bis zum 12. Dezember 1991 durch die regionalen und lokalen Außenstellen des Instituts in Dubrovnik, Osijek, Zagreb, Karlovac, Rijeka, Šibenik, Split, Zadar und Varaždin zusammengetragen worden waren. Das Dokument besteht aus zwei großen Einheiten: die tabellarische quantitative Erfassung aller betroffenen Objekte wird ergänzt durch eine detaillierte qualitative Beschreibung einzelner Bauwerke und komplexer Ensembles. Eine beigefügte Karte zur geografischen Verteilung der Schäden ist weitestgehend deckungsgleich mit den Angaben in kroatischen Medien (Abb. 23). Das verwundert nicht, da journalistische Berichterstattung vielfach die Quelle für die institutionelle Erfassung der Kriegsschäden war. Die in der Studie aufgeführten betroffenen Strukturen sind nach dem Grad ihrer Beschädigung und ihrem historischem Wert gemäß der institutsinternen Kategorisierung erfasst. Nach der tabellarischen Aufstellung galten demzufolge insgesamt 513 Bauwerke als beschädigt oder zerstört; 120 davon wurden der höchsten Kategorie „kulturelles Erbe von nationaler und weltweiter Bedeutung“ zugerechnet. Die frühe umfangreiche Darstellung der Verheerung des Kulturerbes in Kroatien wirkt auf den ersten Blick transparent, die Zahlen bestürzend. Dabei ist die Studie in englischer Sprache verfasst – sie war folglich nicht primär für eine einheimische Leserschaft bestimmt. Bei einer sorgfältigen Analyse erweist sich jedoch die mit Tabellen und Kategorisierungen hergestellte Anmutung von Wissenschaftlichkeit und Transparenz als vordergründig. Die oft wiederholte, gewaltige Zahl von 513 betroffenen Objekten steht vielmehr in einem halb wissenschaftlichen, halb propagandistischen Versuch, den bestehenden Schock angesichts der umfangreichen Zerstörung von Kulturerbe denjenigen zu vermitteln, deren Unterstützung man so dringend bedurfte. Im zweiten Teil der Studie werden die in der tabellarischen Aufstellung angeführten 513 Objekte nicht durch äquivalente Beschreibungen der einzelnen Bauwerke gestützt. Vielmehr werden die Schäden lediglich an 234 Strukturen beschrieben.944 Der Zustand der verbleibenden 279 Bauwerke bleibt unklar. Eine Erläuterung zu dieser Diskrepanz wird nicht gegeben. Auch die Vermutung, das Institut habe nur die bedeutenderen Bauwerke abbilden wollen oder können bzw. lediglich für 234 Bauwerke haben verlässliche Daten vorgelegen, wird bei der Ana943 Republic of Croatia (1991). 944 Siehe die detaillierte Liste der von den verschiedenen betroffenen Kollektiven und internationalen Organisationen als beschädigt oder zerstört angegeben Objekte unter http:// tobias-strahl.de/.
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lyse des Dokuments nicht bestätigt. Wie man die in den verschiedenen Kategorien klassifizierten Bauwerke auch gegen die Gesamtsumme aufrechnet – es bleiben jeweils mehr oder weniger als die 234 im qualitativen Teil der Studie beschriebenen Strukturen übrig. Für nicht wenige der dort aufgeführten Objekte jedoch lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gar keine verlässlichen Daten vor. Nicht selten heißt es in der Beschreibung einzelner Bauwerke: „the extent and nature of damage cannot yet be determined“. Auf welcher Basis die Nennung eines Objekts erfolgt und andere davon ausgeschlossen werden, ist nicht nachvollziehbar. Auch ist die Veranschlagung der Zerstörungsgrade auf den zweiten Blick alles andere als zwingend. Es geht in der Tat nicht aus der Studie hervor, wo die Grenze zwischen „minor damage“ und „harder damage“ verlief. War die Kirche des heiligen Nikolaus in Plastovo bei Šibenik schwer oder nur leicht beschädigt, nachdem sie von einer Granate getroffen wurde?945 Dieselbe Frage stellt sich für die Kirche des heiligen Rochus in Vukovar: „The church was damaged by a shell which forced its way through the roof “946. Sämtliche Beispiele aus dem Dokument werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Die Irritationen, die zwangsläufig entstehen, kann man den kroatischen Denkmalschützern jedoch nur mit Einschränkungen vorwerfen. Es ist offensichtlich, dass auch professionelles Personal zu diesem Zeitpunkt bei der Sammlung von Informationen auf die Berichte von Dritten angewiesen war. Viele der beschriebenen Objekte lagen in Gebieten unter serbischer Kontrolle. In einigen wurde noch gekämpft. Schließlich würde die Erfassung einer solchen Datenmenge wohl auch zu Friedenszeiten eine besondere Herausforderung für Experten darstellen. Um die Studie angemessen zu beurteilen, muss man sich ihren Zweck vergegenwärtigen, der nicht in der exakten Erfassung der Kriegsschäden bestand. Auch das Dokument des Denkmalschutzinstituts vom Dezember 1991 ist in den Kontext der Instrumentalisierung des Kulturerbes in kroatischen Medien einzuordnen. Nichtsdestoweniger bildete es eine Grundlage für die Untersuchungen unabhängiger internationaler Institutionen. Im Juni 1992 gab das Institut für den Schutz von Kulturdenkmälern in Zagreb eine Ergänzung heraus.947 Der Hintergrund waren weitere Angriffe auf kroatische Städte im Frühjahr 1992, die sich trotz des vereinbarten Waffenstillstandes vom 2. Januar ereignet hatten. In diesem Dokument führt das Institut neue Kategorien für den Zerstörungsgrad betroffener Objekte ein. Die Verwirrung über den tat945 Republic of Croatia (1991), 53. 946 Republic of Croatia (1991), 59. 947 Republic of Croatia (1992).
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sächlichen Zustand eines Bauwerkes können sie nicht auflösen. Die Klassifizierung „A“ stand nun für „destroyed“, „B“ für „burnt down“. War ein „niedergebranntes“ Objekt nicht zerstört oder betonte „zerstört“ lediglich den Vorsatz, während „niedergebrannt“ möglicherweise auf einen sogenannten Kollateralschaden verwies? Fragen, die das Dokument nicht beantwortet. Zugutehalten muss man den kroatischen Denkmalschützern jedoch, dass sie auch einige Objekte des serbischen Kulturerbes wie orthodoxe Sakralbauten in ihrer Aufstellung berücksichtigten. So werden etwa die Kirche des heiligen Nikolaus sowie die orthodoxe Grabkapelle in Vukovar aufgeführt. Das beschädigte und zerstörte Kulturerbe des feindlichen Gegenübers ebenfalls zu erfassen, war jedoch keinesfalls üblich, wie noch zu zeigen sein wird.
FEBRUAR 1992: DIE DOKUMENTATION DES MINISTERIUMS FÜR INFORMATION, DES MINISTERIUMS FÜR KULTUR UND DES INSTITUTS FÜR DEN SCHUTZ VON KULTURDENKMÄLERN DER REPUBLIK SERBIEN
Im Februar 1992 bemühte sich die serbische Regierung in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutzorgan der Republik in einem Text mit dem Titel War damage sustained by orthodox Churches in Serbian Areas of Croatia in 1991 um eine Darstellung der Zerstörung des serbischen Kulturerbes im Krieg in Kroatien. Wie die Veröffentlichungen der kroatischen Denkmalschützer erschien auch die serbische Studie in englischer Sprache. Der erste Absatz gibt unmissverständlich vor, wie der Leser die Zerstörungen in Kroatien zu interpretieren hatte: The present annihilation of cultural landmarks, Serbian Orthodox Churches, in the territory of the Republic of Croatia, is a continuation of the vandalism that lasted from 1941 to 1945 in the Independent State of Croatia. Its basic goal was then and remains today the destruction and assimilation of the Serbian people in the northwestern regions of Yugoslavia. In 1991, the Croatian regime merely renewed the earlier aspirations of the Fascist-Ustasha government which carried out the biological, cultural and spiritual genocide of the Serbian people. Since this genocide has irrefutably begun anew, a concise review of previous historical events will be herewith presented.948
948 Republic of Serbia (1992), 7.
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Ganz selbstverständlich geht der Text davon aus, dass es sich bei den orthodoxen Kirchen in Kroatien um „Landmarken“ handelt. Hier besteht eine Referenz zur weiter oben formulierten These der Siedlerkirchen mit kolonisatorischer Funktion. Des Weiteren entsprach es der offiziellen Lesart offenbar auch der serbischen Regierung, dass das gegenwärtige Kroatien und das Ustaša-Regime der 1940er Jahre eine historische Kontinuität bildeten. Das war zwar wie gezeigt das etablierte Klischee in serbischen Medien, im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um ein offizielles Regierungsdokument, das zwei Ministerien, das Denkmalschutzinstitut Serbiens und die Serbische Orthodoxe Kirche gemeinsam verantworteten. Charakteristisch ist der Ausschluss jeder Mitverantwortung der serbischen Regierung und Militärführung für die Ereignisse in Kroatien. Vielmehr wird die etablierte Polarisierung zwischen Serben als Opfer einerseits und Kroaten als Täter andererseits wiederholt. Dazu kommt die Argumentation eines historischen Anspruchs auf die umkämpften Territorien: „The northwestern regions of the Balkan peninsula have been inhabited by the Serbs since ancient times […]“949, ergänzt durch die Beschreibung der historischen Opferrolle der Serben im Ersten und Zweiten Weltkrieg, während der Herrschaft der Kommunisten im sozialistischen Jugoslawien sowie schließlich der unmittelbaren Gegenwart. Für eine Argumentation dieses Zuschnitts sind serbische Kirchen und Klöster geradezu unerlässlich. Als manifeste Zeugen sollen sie die Wahrheit der Aussagen belegen, die sonst bloße Behauptungen blieben. Die Toten der Kriege und die Opfer der kommunistischen Herrschaft sind nur mehr als historischer Text existent. Bilder zerstörter Kirchen und Klöster hingegen können die Behauptungen in Texten vermeintlich beweisen. Dass erst Texte die Bedeutung der Bilder herstellen, die in einer zirkulären Argumentation wiederum die textlichen Aussagen beweisen sollen, wird dabei unterschlagen. Dass diese zudem das Ergebnis einer höchst selektiven und indifferenten Wahrnehmung von Geschichte sind, kann innerhalb dieser Wahrnehmung ebenfalls nicht reflektiert werden. Präzise wird die Funktion formuliert, die Kirchen und Klöstern bei der Herstellung serbischer Identität zukommt. Die Bauwerke markieren die Schnittstelle von Kultur, Religion, Geschichte, Territorium und Nation: As remembrance of the Serbian people crystalized in an art form, these churches are exceptional proof of their spirituality, their architectural and artistic activities. As centers of humanistic thought and sources of patriotic feelings, and as strongholds from which to defend the national and religious identity of the Serbs, 949 Republic of Serbia (1992), 7.
306 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen churches bear witness to their culture and provide a measure of their overall contribution to civilization.950
Die Autoren und Herausgeber des Textes versäumen es überdies nicht, die Grenzen Kroatiens im üblichen Sprachgebrauch des serbischen Nationalismus als „administrativ“ zu bezeichnen und damit die territoriale Integrität Kroatiens zu leugnen.951 Des Weiteren nimmt die Studie Stellung zu den kroatischen Berichten über beschädigtes und zerstörtes kulturelles und religiöses Erbe. In einem „schmutzigen Medienkrieg“ hätten die Kroaten einzig über die Zerstörung ihrer eigenen Monumente berichtet, während die des serbischen Erbes mit keinem Wort erwähnt worden wäre. Die serbische Regierung habe sich nun mit dieser Publikation entschlossen, „ein komplettes und präzises Bild“ der serbischen Monumente in den Kriegsgebieten zu vermitteln.952 Insgesamt werden in der Studie 97 Objekte aufgeführt.953 Der überwiegende Teil der Bauwerke wurde als mehr oder weniger stark beschädigt registriert. Als vollständig zerstört sind etwa ein Dutzend Objekte angegeben. Die Erfassung und Klassifizierung beschädigter oder zerstörter Objekte in dem Bericht reproduziert die Methodik in den besprochenen kroatischen Dokumenten. Einer zunächst quantitativen Übersicht folgen qualitative Einzelbeschreibungen. Ein präzises Bild des Zustandes des betroffenen Kulturerbes lässt sich daraus nicht gewinnen. Im Gegensatz zu den kroatischen Studien, die immerhin eine geringe Zahl orthodoxer Sakralbauten aufführen, existieren in der serbischen Veröffentlichung jedoch ausschließlich Angaben zum „eigenen“ Kulturerbe. Die Art des serbischen Textes legt nahe, dass die Erfassung und Beschreibung von beschädigtem und zerstörtem Kulturerbe primär ein Mittel zum Zweck der Diskreditierung des Gegenübers gewesen ist. Hier ist das Dokument seinen kroatischen Pendants – unter anderen Vorzeichen – durchaus ähnlich. Auch die Autoren und Herausgeber der serbischen Studie müssen einräumen, dass die Informationen zu den fraglichen Objekten äußerst dürftig sind: „The picture of the state of Serbian Orthodox churches in Croatia […] is not complete nor is the ammount and certainty of the information gathered uniform.954 In den individuellen Beschreibungen der betroffenen Objekte erfolgt dann auch die zuvor getroffene Klassifizierung der Schäden nur rudimentär und keinesfalls konsequent – die (nicht) 950 951 952 953 954
Republic of Serbia (1992), 21. Republic of Serbia (1992), 21. Republic of Serbia (1992), 22 f. Vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. Republic of Serbia (1992), 25.
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zur Verfügung stehenden Daten machen Letzteres schlicht unmöglich. Wichtiger scheint den Autoren gewesen zu sein, darauf hinzuweisen, dass relevante Objekte bereits im Zweiten Weltkrieg von den Ustaša geplündert, beschädigt oder zerstört worden waren. In derlei Darstellungen, die typisch für die serbischen Studien zur Kulturerbezerstörung in Kroatien sowie später auch in Bosnien-Herzegovina und in Kosovo waren, stand ebenfalls nicht die möglichst präzise Erfassung der Kriegsschäden im Vordergrund. Ihre Funktion bestand vielmehr darin, die positive historische Kontinuität serbischer Religion und Kultur an der negativen kroatischer (äquivalent bosnischer oder albanischer) Verbrechen zu spiegeln. Die Zerstörung der orthodoxen Kirche des heiligen Spiridon im kroatischen Petrinja 1991 durch kroatische Extremisten ist deswegen nicht minder ein Kriegsverbrechen.955 Jedoch erscheint die Beschreibung desselbigen insofern zynisch, als dass sie hauptsächlich der Illustration historischer Stereotype dient. Das lediglich oberflächlich beschriebene Schicksal des Bauwerks wird für die Bestätigung eines Geschichts- und Feindbildes instrumentalisiert, in dem Kirchen „Landmarken“, Serben Opfer und Kroaten Ikonoklasten und Mörder sind.
1993: VEREINIGUNG KROATISCHER BIBLIOTHEKEN: THE WOUNDED LIBRARIES IN CROATIA
Bereits während des Krieges 1991 hatte die kroatische Presse wiederholt über die Zerstörung von Bibliotheken und deren Beständen berichtet. 1993 schließlich gab die Kroatische Bibliotheks-Vereinigung (Hrvatsko bibliotekarsko (knjižničarsko) društvo) einen augenscheinlich umfassenden Bericht zur Beschädigung und Zerstörung von Bibliotheken mit dem Titel Wounded Libraries in Croatia heraus.956 Die Personifikation von einzelnen Objekten oder Ensembles durch die Adjektive „verwundet“ oder „gekreuzigt“ entwickelte sich bei Serben und Kroaten während der Kriege von 1991 bis 1999 zum gängigen Topos in der Beschreibung der Beschädigung und Zerstörung von Kulturerbe.957 Die zugrunde liegenden Intentionen waren sicher vielfältig. Zu bedenken ist, dass sie sämtlich auch in anderen 955 Republic of Serbia (1992), 50. 956 Hrvatsko Bibliotekarsko Društvo (1993). 957 Etwa: Die verwundete Kirche in Kroatien (Kroatisches Informationszentrum et al. (1996)); Die gekreuzigte Kirche in Bosnien-Herzegovina (Kroatisches Informationszentrum et al. (1997)); Gekreuzigtes Kosovo (The Voice of Kosovo and Metohia… (1999); Ančić (2007)); schließlich auch Britt Baillie: The Wounded Church: War, Destruction and Reconstruction of Vukovar’s religious Heritage (2010).
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Sprachen erschienen sind. Die serbischen und kroatischen Versionen richteten sich zunächst an einen einheimischen Leserkreis. Die starken religiösen Anspielungen und die bewusste Verwendung christlicher Ikonografie sollten Einvernehmen und eine bestimmte Lesart der Ereignisse herstellen bzw. gewährleisten. Selbiges galt auch für ins Englische, oft jedoch auch ins Deutsche und seltener ins Französische übertragene Versionen, die an westliche, vor allem christliche Rezipienten adressiert waren. Andererseits mag mit der Personifikation von Objekten bewusst eine Verbindung zu den Gräueltaten, den Morden, Vergewaltigungen und Vertreibungen hergestellt worden sein, die bereits kurz nach dem Ausbruch der Kriege in aller Munde waren. Waren konkrete Fakten in den bisher analysierten Dokumenten nur dürftig vorhanden, so trifft das auf die Wounded Libraries in besonderem Maße zu. Für einen Großteil der verzeichneten Objekte standen den Autoren keine Daten zu Verfügung. Mutmaßung und Spekulation ersetzen fehlende Informationen. Nicht einmal die Zahl der betroffenen Objekte lässt sich feststellen. Der Titel lässt darauf schließen, dass einzig beschädigte oder zerstörte Objekte aufgeführt sind. Nicht wenige der Beschreibungen sind dahingehend jedoch vage oder enthalten überhaupt keine Informationen.958 80 Bibliotheken und Archive verzeichnet das Dokument insgesamt. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch seine primäre Funktion in der „Information“ potentieller Verbündeter in Westeuropa und Übersee bestand. Das Vorwort aus der Feder des kroatischen Historikers und Bibliothekars Aleksandar Stipčević trägt literarische Züge. Er beginnt seinen Text mit einer Anekdote, die sich in Zagreb zugetragen haben soll. Ein Soldat der JNA soll im Herbst 1991 aus dem Fenster der Kaserne Marschall Tito (Maršalka) wahllos auf umliegende Gebäude geschossen und dabei das Haus eines Gelehrten getroffen haben. Ein Projektil sei in dessen Wohnung eingedrungen und habe just die berühmte mehrbändige Geschichte der Kroaten (Povijest Hrvata) des kroatischen Historikers Vjekoslav Klaić (1849–1928) getroffen. Die Geschichte nimmt Stipčević zum Anlass, die Natur des Krieges der Serben gegen die Kroaten zu beschreiben. Dieser sei ein Krieg „not only to occupy […] but to destroy a nation, its culture, its history, and the memories of its history […] with the obvious intension to destroy it“. Bei
958 Vgl. vollständige Liste http://tobias-strahl.de/; die hier aus Wounded Libraries übernommenen Angaben sind mit Bedacht zu werten. Sie sind – wie alle anderen Objekte in dieser Übersicht – nach dem Kriterium „als betroffen verzeichnet“ ausgewählt und enthalten meinerseits keine Aussagen zum tatsächlichen Beschädigungs- oder Zerstörungsgrad.
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ihrem Vorgehen orientierten sich die Angreifer am Vorbild Hitlers und der deutschen Nationalsozialisten: […] the aggressors did their job using military knowledge and methods, which had earlier been used by other enemies of books and libraries in history […]. In Zadar they used the very old way of devastation by burning books […]. We should remember that this was the first wholesale burning of library holdings in Europe since the time of Hitler […].959
Die Serben erscheinen als Barbaren, die die nun zerstörten Bibliotheken nie betreten haben, und denen die Schriftzeichen in Lateinisch und jeder anderen Sprache fremd bleiben müssen, weil sie nie eine höhere zivilisatorische Bildung erreicht haben. Das kulturelle und zivilisatorische Niveau des Balkans (!) sei vielmehr das einzige, was ihnen offen stünde. Deswegen trachten sie danach, alles darüber hinaus Weisende zu vernichten. Doch letztlich seien die Serben mit ihrem Vernichtungskrieg gegen die kroatische Kultur zum Scheitern verurteilt, wie eine weitere Anekdote zu „erschossenen“ Büchern sinnfällig machen soll, mit der Stipčević seine Einführung schließt: Ein serbischer Soldat soll auf die Bücher in einer slawonischen Bibliothek geschossen haben. Die Kugel habe einige Bände durchdrungen, wurde jedoch vom harten Umschlag der Kroatischen Orthografie (Hrvatski Pravopis) aufgehalten, die bereits 1971 während des „Kroatischen Frühlings“ die Wut der jugoslawischen Kommunisten auf sich gezogen hatte. Wenn die Kroaten siegen – und das steht laut Stipčević außer Frage –, werden sie wegen ihrer (gegenüber den Serben) höher entwickelten Kultur siegen.960 Die faktischen Ausführungen zu den als vom Krieg betroffen angegebenen Objekten werden jedoch dem im Titel und Einführungstext formulierten Anspruch, die Beschädigung und Zerstörung kroatischer Bibliotheken durch serbische Einheiten zu beschreiben, kaum gerecht. Vielmehr werfen einige Einträge die Frage auf, warum das jeweils beschriebene Objekt überhaupt Eingang in die Studie gefunden hat. So heißt es zur Bibliothek im Franziskanerkloster Cernik: „The monastery building was shelled three times, but luckily the library and the collection remained undamaged“961. Die Ausführungen zur Bibliothek im Schloss Eltz in Vukovar hingegen beruhen auf Mutmaßungen: „it is reasonable to suppose
959 Hrvatsko bibliotekarskodruštvo (1993), 5 ff. 960 Ebd. 961 Hrvatsko bibliotekarskodruštvo (1993), 23.
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that the remaining part of the collection was taken away“962. Die Bibliothek und der Leseraum in Ilok wiederum werden zwar beschrieben, der Leser erfährt dabei, dass beide im Jahr 1856 gegründet wurden, 12.000 Bücher in den Sammlungen vorhanden waren und der Bibliotheksverein zuletzt 930 Mitglieder hatte – ob die Bibliothek und ihr Bestand beschädigt oder zerstört wurden, dazu gibt es jedoch keine Angaben.963 Ähnlich verhält es sich mit einer Vielzahl weiterer Bibliotheken. Es ist anzunehmen, dass auch diese Studie aus einem Zusammenspiel von Schock angesichts der Zerstörungen einerseits und dem Wunsch, das öffentliche Urteil zu beeinflussen andererseits motiviert war. Die Mischung aus Dokumentation und Propaganda, mit der offensichtlichen Neigung, Letzterer den Vorrang zu geben, ist auch für dieses Dokument charakteristisch. Einzig die Aufzählung der Bibliotheken, Sammlungen und Archive hätte eine Grundlage für spätere unabhängige Untersuchungen bieten können.
1993: DIE DOKUMENTATION DES INSTITUTS FÜR KUNSTGESCHICHTE DER UNIVERSITÄT ZAGREB, DES MINISTERIUMS FÜR KULTUR UND BILDUNG UND DES DENKMALSCHUTZINSTITUTS DER REPUBLIK KROATIEN
Die Publikation des Instituts für Kunstgeschichte in Zagreb, des Ministeriums für Kultur und Bildung und des Denkmalschutzinstituts Kroatiens unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht von den bisher besprochenen Dokumenten, in anderen wiederum ist sie mit ihnen nahezu identisch. Cultural Heritage of Croatia in the war 1991/92964 ist gleichermaßen eine Auflistung der Kriegsschäden an kulturellem und religiösem Erbe in Kroatien, Meistererzählung kroatischer Geschichte sowie die Betonung des Charakters Kroatiens als europäische Kulturnation. Dabei vereint das mehr als dreihundert Seiten umfassende Dokument die Merkmale von wissenschaftlicher Arbeit und Propagandaschrift. Unverkennbar ist die Prägung durch Radovan Ivančević, der bereits während des Krieges im Vjesnik regelmäßig über die Zerstörung von Kulturerbe berichtet hatte. Ivančević verfasste sowohl die Einführung als auch einen Leitfaden, wie die kroatische Geschichte zu interpretieren sei. Cultural Heritage of Croatia in the war 1991/92 ist in zwei große Abschnitte gegliedert. Die erste Hälfte beschäftigt sich mit dem kroatischen Kulturerbe im 962 Hrvatsko bibliotekarskodruštvo (1993), 26. 963 Hrvatsko bibliotekarskodruštvo (1993), 28. 964 Department of Art History, University of Zagreb et al. (1993).
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Allgemeinen. Er enthält neben dem Plädoyer Ivančevićs, das kroatische Kulturerbe als Teil des europäischen Kulturerbes zu verstehen, eine von unterschiedlichen Autoren verfasste, nach Epochen gegliederte Geschichte der kroatischen Kunst, die einen Zeitraum von der prähistorischen und klassischen Epoche bis ins 20. Jahrhundert umfasst. Dieser Abschnitt wird von einer Beschreibung des Schicksals kroatischer Museen im Krieg des Kunsthistorikers Ivo Maroević beschlossen. Die zweite Hälfte des aufwendig gestalteten Buches, das viele großformatige Farbfotografien enthält, ist der Zerstörung und Beschädigung des kroatischen Kulturerbes im Krieg gewidmet. Er gliedert sich, dem Vorbild früherer kroatischer Dokumente folgend, in eine quantitative tabellarische Erfassung und einen qualitativ-deskriptiven Teil. Letzterer enthält die durch die Herausgeber aufbereiteten Informationen zu einzelnen Monumenten und Ensembles, die die regionalen und lokalen Außenstellen des Instituts für Denkmalschutz im Krieg zusammengetragen hatten. Nach Regionen gegliedert sind dort in etwa 387 Einträgen965 individuelle Objekte und Ensembles aufgeführt. Deren Beschreibungen gliedern sich wiederum in eine allgemeine Charakterisierung sowie eine Analyse der Schäden. Die den Beschreibungen beigefügten Fotografien sind von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Vor dem Hintergrund des bestenfalls dürftigen Informationsstands der frühen Texte zur Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen wirken diese Bilder, als könnten sie bestehende Lücken schließen. Hier ist eine kritische Reflexion des Mediums Fotografie und seiner manipulativen Wirkung angebracht. Einige der Bilder haben ganz offensichtlich die Funktion, die Ereignisse zu dramatisieren. So genügt es etwa, die Bilder des zerstörten Schloss Eltz in Vukovar sowie die einiger schwer beschädigter Kirchen Slawoniens wiederholt zu sehen, um von der in den Medien beschworenen Gefahr der totalen Vernichtung kroatischer Kultur überzeugt zu werden. Die tatsächlich referierten Fakten lassen jedoch lediglich eine vage Annäherung an Umfang und Qualität der Zerstörung zu. Das grundsätzliche Anliegen von Cultural Heritage of Croatia in the war 1991/92 ist seinen Herausgebern zufolge Aufklärung. Zunächst soll über den Umfang der 965 Die exakte Zahl der betroffenen Objekte lässt sich schwer ermitteln. So ist etwa Dubrovnik einerseits als historisches Ensemble als beschädigt angegeben, andererseits werden einzelne Objekte in der Stadt aufgeführt. Von diesen Objekten sind einige mehrmals als zu unterschiedlichen Zeitpunkten beschädigt angegeben. Die Stadtmauer von Dubrovnik wird einerseits in ihrer Gesamtheit als beschädigt beschrieben, andererseits wird eine Vielzahl von Objekten, die zur Stadtmauer gehören – etwa Türme und Befestigungsanlagen –, einzeln genannt (Department of Art History, University of Zagreb et al. (1993), 261 ff.). Schließlich umfasst die qualitative Beschreibung lediglich etwa die Hälfte der im quantitativen Teil genannten Objekte.
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Zerstörung des Kulturerbes in Kroatien informiert und die Bedeutung desselbigen für Europa herausgestellt werden. Des Weiteren ist es den Herausgebern wichtig zu zeigen, warum die serbischen Streitkräfte und die Soldateska überhaupt zerstört haben und welche Ziele mit der Zerstörung verfolgt wurden. Schließlich geht es darum, einem schlecht informierten westlichen Gegenüber deutlich zu machen, welche Rolle Kroatien, das schon immer dem westlichen Kulturkreis angehörte, in Europa historisch und aktuell zukommt. Die kurze Episode als Teilrepublik des sozialistischen Jugoslawien war demzufolge ein historischer Irrtum, ein Fehler in der Konzeption der jugoslawischen Kommunisten, der den Kroaten mit Gewalt aufgezwungen wurde. In diesem Szenario schreiben die Herausgeber explizit der serbischen Politik wiederum eine entscheidende Rolle zu und bemühen dabei den historisch etablierten ZentralismusVorwurf. Implizit klingt ebenfalls der Topos der antemurale christianitatis an. Croatia has always belonged to western culture – representing its farthest outpost […]. The last half century was the time of communist rule in Yugoslavia, but in the cultural and economic sense it was also a period of hegemony originating from the Yugoslav capital, Belgrade, and the domination of Serbian political hierarchy.966
In zahlreichen Wiederholungen wird versucht, im Duktus der kroatischen Medienberichte und Studien zur Zerstörung von Kulturerbe den Krieg in Kroatien als Schlacht im ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, Gerecht und Ungerecht, des „barbarischen Ostens“ gegen die „Werte des Westens“ darzustellen: Is history perhaps not partly repeating itself? […] What percentage of the world population is aware that the 1991–92 war against Croatia and Bosnia-Herzegovina is a decisive struggle between the principle of aggression and the principle of freedom in this part of Europe?967
Was jedoch in diesem besonderen Text der Zagreber Kunsthistoriker wie auch den übrigen kroatischen Publikationen zur Zerstörung von Kulturerbe im Krieg grundsätzlich fehlt, ist eine kritische Distanz gegenüber ihrem Gegenstand. Ein Dokument wie Cultural Heritage of Croatia in the war 1991/92 hätte in den 1990er Jahren angesichts des Krieges und der Kriegsschäden drei mögliche Strategien 966 Department of Art History, University of Zagreb et al. (1993): Why this book and who for?. 967 Department of Art History, University of Zagreb et al. (1993), 41.
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verfolgen können: Eine rein sachliche und sich nationalistischer Rhetorik enthaltende Darstellung der Kriegsschäden am kulturellen Erbe des Landes hätte unmittelbar nach dem vorläufigen Ende der Kampfhandlungen in Kroatien aufgrund der schlechten Informationslage nur wenig brauchbare Fakten enthalten und wäre dementsprechend international kaum wahrgenommen worden. Eine kritische Darstellung wäre darüber hinaus bemüht gewesen, auf den Umstand hinzuweisen, dass Informationen zur Zerstörung und Beschädigung des kulturellen und religiösen Erbes lediglich lückenhaft vorlagen – sie hätte Quellenkritik geübt. Das mit Cultural Heritage of Croatia in the war 1991/92 tatsächlich realisierte Dokument verbindet dementgegen eine lückenhafte und intransparente quantitative und qualitative Analyse der Zerstörungen und Schäden mit einem durchaus propagandistischen und nationalistischen Kommentar. Es schließt an die in den kroatischen Medien verbreitete kollektive Hysterie nahtlos an und bedient dabei stereotype Feind- und Selbstbilder, ohne auch nur entfernt einen kritischen Ansatz erkennen zu lassen. Die Ausführungen zur kroatischen Kunst- und Kulturgeschichte sind in faktischer Hinsicht auf dem Niveau vergleichbarer hochwertiger kunsthistorischer Darstellungen. Durch diese Mischung aus fachlicher Professionalität und offensichtlicher politischer Propaganda, die eine positive Rezeption des Textes in der anvisierten Zielgruppe im westlichen Europa und Übersee intendiert, unterscheidet sich das Buch von allen bis dahin veröffentlichten Dokumenten zur Kulturerbezerstörung in Kroatien. Was die quantitative und qualitative Erfassung des zerstörten Kulturerbes in Kroatien anbelangt, so weicht der Bericht der Zagreber Kunsthistoriker nicht signifikant von den beiden früheren Dokumenten der kroatischen Denkmalschützer von 1991 und 1992 ab. Deutlich umfangreicher als in diesen ist jedoch die Zahl der im qualitativen Teil aufgeführten Objekte und Ensembles. In der vergleichenden Übersicht ist ersichtlich, dass ein Großteil der Angaben der kroatischen Dokumente von 1991 und 1992 bestätigt wird.968 Die Beschreibungen der einzelnen Objekte und Ensembles sind denen in vorangegangenen Studien ähnlich. Bemerkenswert ist die hohe Zahl betroffener Kirchen und Kapellen, die aus den drei kroatischen Dokumenten von 1991 bis 1993 ermittelt werden kann. 168 dieser Bauwerke waren demnach bis dahin als zerstört oder beschädigt aufgeführt und mehr oder weniger detailliert beschrieben worden. Im deutlichen Gegensatz zur qualitativen Beschreibung gibt die beigefügte Tabelle jedoch insgesamt 245 komplexe Strukturen (historische Stätten und Gedenkstätten, alte Städte, historische Dörfer, archäologische Stätten und Monumente) so968 Vgl. vollständige Liste http://tobias-strahl.de/.
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wie 683 individuelle Monumente (Paläste und Herrenhäuser, Festungen, Kirchen und Klöster, Skulpturen und Denkmale, Mausoleen, Gräber und Friedhöfe sowie Wirtschaftsgebäude) als beschädigt oder zerstört an – darunter allein 397 Kirchen und 42 Klöster. Insgesamt handelt es sich folglich um 928 betroffene Strukturen. Davon jedoch ist lediglich etwas mehr als ein Drittel in die qualitative Beschreibung eingegangen. Die Erklärung für diese Diskrepanz, die auch die früheren kroatischen Untersuchungen kennzeichnet, bleibt auch dieses Dokument schuldig. Erneut macht diese Studie ebenfalls Angaben zum beschädigten und zerstörten serbischen Kulturerbe in Kroatien. So ist etwa die orthodoxe Kirche der Entschlafung der heiligen Jungfrau in Donja Rašenica als zerstört aufgeführt; Eingang in das Dokument gefunden haben zudem beschädigte orthodoxe Kirchen und Kirchengebäude in Osijek, Pakrac und Skradin.
FEBRUAR 1993: DER ERSTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS
Einer der wichtigsten und gleichzeitig aktivsten internationalen Akteure bei der Erfassung und Dokumentation des beschädigten und zerstörten Kulturerbes in Kroatien und Bosnien-Herzegovina war der Europarat (Council of Europe, Conseil de l’Europe). In Kosovo war nach 1999 von europäischer Seite hauptsächlich die Europäische Kommission (European Commission) mit der Erfassung und Rekonstruktion bzw. dem Wiederaufbau des beschädigten und zerstörten Kulturerbes betraut. Neben dem Europarat, der Europäischen Kommission und deren Organen waren ebenfalls die United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) sowie zahlreiche internationale und regionale NGOs zumindest zeitweise mit der Erfassung der Schäden am Kulturerbe in den Kriegsgebieten befasst. Unter Letztere zählten das International Council on Monuments and Sites (ICOMOS), das International Council on Museums (ICOM), die Schweizer ARCH Foundation969 (Art Restoration for the Cultural Heritage) oder das Institute for Advanced Architectural Studies der University of New York, um nur einige der größeren Organisationen zu nennen. Nicht zu unterschätzen ist das individuelle Engagement einzelner Forscher und Experten. Besonders aktiv waren die britische Kunsthistorikerin Marian Wenzel und ihre Assistentin, die 969 Die ARCH-Foundation war angesichts des Krieges in Kroatien gegründet worden (Council of Europe (September 1993), E, Co-ordination meeting on the cultural heritage of the former Yugoslavia.
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Museologin Helen Walasek, der Experte des Europarats Colin Kaiser sowie der Harvard-Bibliothekar András Riedlmayer und der kanadische Albanologe Robert Elsie. Die internationalen Institutionen, Organisationen, NGOs und individuellen Akteure arbeiteten mehr oder weniger eng mit den Institutionen und Vereinen des ehemaligen Jugoslawien zusammen. Untereinander stimmten sie sich jedoch in den seltensten Fällen ab, wie noch zu sehen sein wird. Oft behinderten sie sich sogar gegenseitig. Regelmäßig beklagt wurde vor allem, dass es kaum zum Austausch von Informationen kam. Erfassung und Dokumentation des vom Krieg betroffenen Kulturerbes blieben ohne einen gemeinsamen Ansatz bestenfalls lückenhaft und hatten am Ende lediglich symbolischen Charakter bzw. konzentrierten sich auf „Leuchttürme“ wie Dubrovnik. Im Februar 1992 beauftragte die parlamentarische Versammlung des Europarats das Komitee für Kultur und Bildung970, einen von acht ständigen Ausschüssen der Versammlung, mit der Erfassung der Schäden am Kulturerbe im Kriegsgebiet. Zunächst nahm das Komitee Kontakt zu den Denkmalschutzinstitutionen in Slowenien und Kroatien auf. Der Versuch, auch offizielle Vertreter der Republik Bosnien-Herzegovina zu involvieren, scheiterte jedoch vorerst. Die serbische Regierung wurde vor allem wegen des unklaren Schicksals der Sammlung Bauer, von deren Abtransport nach Serbien der Europarat bereits Kenntnis erlangt hatte, kontaktiert. Die Mission des Europarats wurde von dem kanadischen Spezialisten Colin Kaiser, der sich bereits seit Ende November 1991 in Dubrovnik aufhielt, und dem Stabsfotografen des Europarats Jean-Claude Hatterer geleitet. In insgesamt zehn Berichten untersuchte Kaiser, der auch für die UNESCO tätig war, für die Berichte jedoch mit dem Parlament des Europarats zusammenarbeitete, zwischen 1993 und 1997 die Zerstörung von Kulturerbe in Kroatien und BosnienHerzegovina. Bereits das erste dieser Dokumente ist sich der Dimension der Aufgabe bewusst und fasst dementsprechend das Kulturerbe in Kroatien und Bosnien gleichermaßen ins Auge. Kaiser unterteilte seine Berichte konsequent in einen Teil zu Kroatien und einen weiteren Teil zu Bosnien-Herzegovina.971 Um in den verschiedenen Kriegsgebieten im Zuge seiner Mission tätig werden zu können, war Colin Kaiser auf die Hilfe und Zuarbeit anderer internationaler Missionen angewiesen, in deren Auftrag das Kulturerbe der Region zwar keine Rolle spielte, die im Hinblick auf 970 Heute Komitee für Kultur, Wissenschaft, Bildung und Medien. 971 Um der Chronologie der Ereignisse Rechnung zu tragen, werde ich zunächst lediglich die Angaben zum kroatischen kulturellen und religiösen Erbe behandeln und diese mit den Ergebnissen der kroatischen und serbischen Untersuchungen vergleichen.
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Sicherheit, Logistik, Transport und Informationen nichtsdestoweniger von Bedeutung für den Experten waren – zumal sie mit zum Teil umfangreicher Infrastruktur in der Region vertreten waren. Wie es in dem ersten, insgesamt fünfzig Seiten starken Bericht Kaisers vom Februar 1993 jedoch heißt, war die Unterstützung, die der Europarat von der offiziellen Beobachtermissionen der EU, der European Community Monitor Mission (ECMM) sowie der internationalen Schutztruppe UNPROFOR erhielt, äußerst dürftig. So gelang es nicht, die UNPROFOR zu bewegen, die sichere Fortbewegung der Mission Kaisers in Kroatien zu gewährleisten. Der Berichterstatter des Europarats war also, was seinen Aktionsradius anbelangt, stark eingeschränkt. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (United Nations High Commission for Refugees, UNHCR) konnte oder wollte Kaiser zunächst ebenfalls keine Unterstützung gewähren. Die erste Untersuchung, die der Kanadier für den Europarat durchführte, blieb deswegen auf die Städte Dubrovnik und Mostar beschränkt und konnte nicht wie beabsichtig die sogenannte „Krajina“, den Südosten Bosnien-Herzegovinas, und Sarajevo miteinbeziehen.972 Im Folgenden wird ausführlicher auf den ersten Bericht des Europarats eingegangen, um die grundsätzlichen Probleme, mit denen sich Kaisers Mission konfrontiert sah sowie die grundlegende Struktur ihrer Berichte herauszuarbeiten. Es ist weder sinnvoll noch nötig, alle zehn in diesem Umfang aufzuarbeiten, da die Probleme im Verlauf der Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegovina nicht mit jedem neuen Bericht jeweils andere waren. Auch die Struktur ist nahezu identisch. Kaisers Mission konnte nur einen Teil der Untersuchungen persönlich vornehmen. Die andauernden Kampfhandlungen und der fehlende Schutz der UNPROFOR verboten es ihm und seinem Team weitestgehend, die relevanten Objekte in Augenschein zu nehmen. In dem Bericht vom Februar 1993 werden somit Angaben zu insgesamt 283 Objekten und Ensembles gemacht, wobei 111 davon in Kroatien und 172 in Bosnien-Herzegovina lagen. Für 37 Objekte in Kroatien stammten die Informationen vom dortigen Institut für Denkmalschutz. Aus Bosnien erhielt Kaiser die Informationen für mehr als die Hälfe (93) der Strukturen aus den Händen der 1992 durch Marian Wenzel (1932–2002) gegründeten NGO Bosnia-Herzegovina Heritage Rescue (BHHR). Für lediglich acht Objekte kamen die Angaben von einer staatlichen Institution – dem regionalen Büro (regionalni zavod) zum Schutz kultureller Monumente in Mostar. Für ungefähr die Hälfte (46 Prozent) der Objekte und Ensembles in Kroatien und Bosnien-Herzegovina stammten in diesem ersten Dokument des Europarats folglich die Informationen aus zweiter Hand und ließen sich laut Kaisers Angaben nicht überprüfen. Ebenfalls 972 Council of Europe (Februar 1993), Introduction, Appendix B, Introduction.
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deutlich ist der Unterschied, der zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegovina besteht. Während in Kroatien lediglich etwa ein Drittel der Informationen aus anderen Quellen kam, war es in Bosnien mehr als die Hälfte. Die Ursachen hierfür bestanden in der ungleich komplexeren Struktur der Kriegstheater in Bosnien mit schwer zugänglichen Gebieten, einer hohen Anzahl an militärischen und paramilitärischen Einheiten und einem großen Risiko, bei Einsätzen getötet zu werden sowie dem auch unter Kriegsbedingungen deutlich besser organisierten kroatischen Denkmalschutz. Irritierend indes ist die Existenz zweier verschiedener Versionen des jeweiligen Berichtes des Europarats sowohl in PDF- als auch in Word-Dokumenten. Angaben, die in den PDF-Dokumenten enthalten sind, fehlen in den Word-Dateien oder befinden sich an anderer Stelle.973 Das Dokument des Europarats vom Februar 1993 ist in insgesamt drei größere Abschnitte unterteilt. Einer allgemeinen Einführung ist im Appendix A ein Bericht über den Besuch von Parlamentsmitgliedern bei führenden kroatischen Politikern – etwa Franjo Tuđman und Stipe Mesić – nachgeordnet. Daraus wird ersichtlich, dass der Europarat bewusst die fachlich-faktische Dimension, die mit der Evaluation des beschädigten Kulturerbes vorliegt, mit einer politischen Dimension verbunden sah. Der folgende Appendix B enthält den Bericht über zerstörtes und
973 So enthält etwa die Version des Berichts vom Februar 1993 im Word-Format einen Appendix B, im dem das damalige Parlamentsmitglied Jacques Baumel seinen Briefwechsel mit serbischen Behörden in Bezug auf den Verbleib der aus Vukovar nach Serbien abtransportierten Sammlung Bauer wiedergibt. Baumel schrieb am 17. August 1992 an das Denkmalschutzinstitut Serbiens in Belgrad und bat um Auskunft über den Verbleib der Sammlungen aus Vukovar. In seiner Antwort vom 26. August 1992 bestätigte der Direktor der historischen Abteilung des Instituts in Belgrad, der Konservator Marko Omčikus, den Transport der Sammlungen nach Serbien: „The present condition of this material is that it is safely kept away from the war actions area where it was in great danger of being destroyed or stolen. The maintenance and care of it is entrusted to specialised institutions. I do not know about any particular plans of dealing with it but only of initial intention of bringing it back on site when in Croatia takes place for good“ (Council of Europe (Februar 1993 (Word-Version)), Appendix B, Correspondence relating to Vukovar Museums). In der PDF-Version des Berichts fehlt ein solcher Appendix B, respektive trägt dort die Überschrift War damage to the cultural heritage in Croatia and Bosnia-Herzegovina. Der Briefwechsel Baumels ist dort unter III. The destruction of the cultural heritage in Croatia in den Absätzen 32 und 33 zusammengefasst. Wie bereits erwähnt, werde ich mich um der Einheitlichkeit willen an den Texten der PDF-Versionen orientieren, da mir diese durch den Europarat zur Verfügung gestellt wurden und weniger wahrscheinlich als die im Internet zirkulierenden Versionen korrumpiert sind.
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beschädigtes Kulturerbe in Kroatien und Bosnien-Herzegovina; Appendix C wiederum Empfehlungen zum Kulturerbe Mostars. Grundsätzlich sind die zehn Berichte untergliedert in quellen- und methodenkritische Analysen, Berichte zu Schwierigkeiten und Hemmnissen sowie in zunehmendem Maße zu Exkursionen von Experten in bestimmte Kriegsgebiete, die zum großen Teil durch Colin Kaiser persönlich durchgeführt wurden. Die Einführung zum ersten Bericht nimmt wesentliche Schlüsse der Untersuchung vorweg. Das gegenwärtige Europa, heißt es, sei unvorbereitet gewesen auf die Zerstörung von Kulturerbe in einem solchen Ausmaß. Dabei handele es sich um eine „kulturelle Katastrophe im Herzen Europas“, von der das Kulturerbe auf zwei Dritteln des Territoriums Kroatiens und mehr als zwei Dritteln des Territoriums der Republik Bosnien-Herzegovina betroffen sei. In erster Linie gelten die Zerstörungen Wohngebäuden, Städten und Siedlungen, dem „Erbe, in dem Menschen leben“. Jedoch blieben auch Kirchen und Moscheen, Paläste, Museen, Sammlungen und Archive nicht verschont und würden ausgelöscht. Dabei am stärksten gefährdet sei das Erbe der katholischen Kroaten und bosnischen Muslime, jedoch sei es auch zu Racheakten gegen das Erbe orthodoxer Serben in den umkämpften Gebieten gekommen. Aus diesen Tatsachen ergibt sich für den Europarat die Forderung nach einer breiten internationalen Zusammenarbeit bei der Erfassung und Beseitigung der Schäden. Dementgegen stellt der Bericht jedoch fest, dass das UNHCR und die ECMM zwar über nützliche Informationen zu zerstörtem und beschädigtem Kulturerbe verfügen würden, jedoch nicht willens seien, diese zu teilen. Ein letzter Schluss dieser Einführung besteht in der Feststellung, dass die Angriffe dreifältig sowohl gegen die Kultur und die Ökonomie als auch gegen die Ethnien an sich gerichtet seien. Man könne folglich von „kulturellen“, „ökonomischen“ und „ethnischen Säuberungen“ sprechen.974 Vom 31. Juli bis zum 3. August besuchten einige Abgeordnete des Europarats Zagreb und Dubrovnik. Zur Hafenstadt an der Adria heißt es im Appendix A, dass deren Beschuss durch kroatische Medien und Politiker propagandistisch aufbereitet und instrumentalisiert worden sei, wobei sich die Zerstörungen nicht abstreiten ließen. Ferner dürfe die Untersuchung der Schäden nicht auf die Altstadt von Dubrovnik beschränkt bleiben, wie das etwa seitens der UNESCO bisher der Fall sei. Vielmehr müssten auch die Schäden am Kulturerbe im weiteren Umkreis von Dubrovnik erfasst werden, denn diese seien immens. Der Bericht des Europarats lobt die bisherigen Bemühungen der kroatischen Regierung und ihrer Institutionen bei der Dokumentation der Kriegsschäden ausdrücklich, weist jedoch darauf hin, dass 974 Council of Europe (Februar 1993), Introduction.
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diese von unabhängigen internationalen Experten überprüft werden müssten.975 Dass sich der Europarat hier auf die weiter oben besprochenen Dokumente der kroatischen Regierung sowie des Denkmalschutzamtes in Zagreb bezog, geht aus dem Bericht ebenso hervor, wie der Umstand, dass Kaiser der Forderung seines Auftraggebers nach einer unabhängigen Überprüfung der kroatischen Angaben lediglich eingeschränkt gerecht werden konnte. Schließlich stellt der Bericht fest, dass die serbischen Truppen das Kulturerbe der kroatischen Küste „nicht unumkehrbar zerstört haben“, es ihnen jedoch gelungen sei, den Tourismus, von dem die Küstenstädte lebten, zum Erliegen zu bringen.976 Appendix B schließlich beinhaltet den Bericht Colin Kaisers zur Kulturerbezerstörung in Kroatien und Bosnien-Herzegovina. Eine kurze Einführung enthält neben einer historischen Charakterisierung des Kulturerbes in den beiden jugoslawischen Republiken einige Ausführungen zu den Strukturen der institutionellen Organisation des Schutzes dieses Erbes im ehemaligen Jugoslawien. Letztere hatte Kaiser in Kroatien wohl geordnet, in Bosnien-Herzegovina jedoch konfus und wenig hilfreich für sein Vorhaben vorgefunden. Für die gut organisierte hierarchisch gegliederte Struktur im kroatischen Denkmalschutz gab es in BosnienHerzegovina offenbar kein entsprechendes Pendant. Hier wird deutlich, warum die Zuarbeit in Kroatien von staatlichen Institutionen erfolgte, in Bosnien-Herzegovina jedoch hauptsächlich von der NGO BHHR. Das offizielle Bosnien war (nicht nur) in dieser Hinsicht von der Außenwelt abgeschnitten. Die Definition, die Kaiser für seinen Untersuchungsgegenstand, das kroatische und bosnische Kulturerbe, vornahm, ist sehr allgemein und inklusiv verfasst. Die kroatischen Institutionen hatten bei Erfassung und Dokumentation der Beschädigungen und Zerstörungen das aus ihrer Sicht bedeutsame Erbe berücksichtigt. Das heißt vor allem Bauwerke, die für die kroatische historische Meistererzählung wichtig erschienen. Kaiser hingegen wollte bewusst das rurale und urbane „vernakuläre“ und konventionell weniger bedeutsame Erbe in seine Untersuchungen mit einbeziehen: „Listed heritage is obviously present, but neither age nor notoriety are determining factors. An Orthodox church built in the 1870s may be judged mediocre in terms of aesthetics and originality, but they are focal points of cultural identity“. Kaiser erklärt an keiner Stelle seines Berichts, was er unter „vernakulärem Erbe“ (vernacular heritage) explizit versteht. Aus seiner Definition des kulturellen Erbes jedoch geht hervor, dass er Ersteres von „Monumenten“, „historischen Städten und Bezirken“, „Kunstgalerien“, „Museen“, „Bibliotheken“ und „Archiven“ 975 Council of Europe (Februar 1993), Appendix A, P. 24. 976 Council of Europe (Februar 1993), Appendix A ff., Zitat P. 29.
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unterschied.977 Aus der weiteren Verwendung der Bezeichnung „vernacular heritage“ lässt sich zudem schließen, dass damit überwiegend nicht-religiöse, von den kroatischen Institutionen als weniger bedeutend eingestufte Strukturen, etwa Wohngebäude oder andere Nutzobjekte, gemeint waren. Diese denkbar weit gefasste Definition – die bestenfalls implizit deutlich macht, was unter „Monumenten“ zu verstehen ist – ist charakteristisch für die Untersuchungen der Zerstörungen von kulturellem Erbe (nicht ausschließlich) in den Postjugoslawischen Kriegen. Die Frage ist, welches Erbe schutzwürdig ist und welches nicht. Sie verweist auf ein fundamentales definitorisches Problem. In der Welterbekonvention der UNESCO von 1972 heißt es, als „cultural heritage“ sollen „Monumente“, „Gebäudegruppen“ und „Stätten“ verstanden werden, die von „außerordentlichem universalem Wert“ (oustanding universal value) aus Sicht von „Geschichte, Kunst oder Wissenschaft“ bzw. unter „historischen, ästhetischen, ethnologischen oder anthropologischen“ Gesichtspunkten sind978. Der Archäologe und Konservator Henry Cleere hat neben anderen darauf hingewiesen, dass von Anfang an eine definitorische Unschärfe bestand, was unter „oustanding universal value“ zu verstehen sei und wer, mit welcher Kompetenz ausgestattet, diesen Wert einem Objekt zuerkennen dürfe.979 Die UNESCO versuchte erstmals 1977 mit dem Dokument CC-77/Conf.0001/8, den Operational Guidelines for the World Heritage Committee, Klarheit zu schaffen und den Begriff des „außerordentlichen universalen Wertes“ weiter zu schärfen. Seither sind zwar die Operational Guidelines vielfach überarbeitet und neu aufgelegt worden. Der Begriff des „oustanding universal value“ ist jedoch unverändert interpretationsoffen. Die jüngste „Definition“ in der Ausgabe von 2017 ist tatsächlich lediglich eine erweiterte Paraphrase der ursprünglichen Erklärung. Sie wiederholt die Unschärfe früherer Fassungen: „Outstanding universal value means cultural and/or natural significance which is so exceptional as to transcend national boundaries and to be of common importance for present and future generations of all humanity“980. Wenn ursprünglich Unsicherheiten zum Inhalt der Begriffe „außerordentlich“ und „universal“ bestanden haben, bestehen sie heute zusätzlich über die Bedeutung von „exceptional“ und „common importance“ – zumal es naheliegt, anzunehmen, dass diese Qualitäten oft erst mit der Zuerkennung zu einem Objekt hergestellt werden. Unverändert
977 978 979 980
Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, II, P. 11. UNESCO (1972), Art. 1. Cleere (2005). UNESCO (2017), Art. 49.
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ist kritischer Abstand gegenüber Anerkennungs- und Autorisierungspraktiken angebracht. Ob Colin Kaiser das Problem bewusst oder instinktiv erkannte, kann nicht mit letztgültiger Gewissheit festgestellt werden. Im Grunde ist die Kategorisierung der UNESCO auf das Wissen von Experten angewiesen, die Ausbildung und Reputation vorweisen können, die ihren Entscheidungen Plausibilität verleihen und Anerkennung garantieren. Die sogenannte „westliche Welt“ offenbart auch hier einen hegemonistischen Grundzug, dessen Basis durch das universalistisch-normative Verständnis von Kulturerbe abgesichert scheint. Kaiser geht über dieses Verständnis hinaus, wenn er auch das „mediokre“ Erbe als „Kristallisationspunkt kultureller Identität“ einbezieht. In der Praxis war eine solche Ausweitung des Gegenstands nicht zu leisten. Das sollte die im Verhältnis zum betroffenen Kulturerbe lediglich geringe Zahl erfasster Strukturen zeigen. Hinter dem Beschuss kroatischer Siedlungen und Städte erkannte Kaiser die Strategie der Demoralisierung der Angreifer. Aus der beobachteten Art der Gefechtsführung leitete er zwei Formen der Zerstörung ab: Eine erste resultiere aus militärischen Operationen, die dazu dienen, gegnerische Kräfte aus den umkämpften Gebieten zu verdrängen. Eine weitere sei auch außerhalb von Kampfgebieten zu beobachten und diene der Vertreibung der Bevölkerung wie der Auslöschung aller Spuren der Kultur der Vertriebenen oder sei „möglicherweise“ das Resultat von Racheakten. Kaiser beschreibt in diesem Zusammenhang die Zerstörung des serbischen orthodoxen Klosters Žitomislić und des dazugehörigen gleichnamigen Dorfes südlich von Mostar am Ostufer des Flusses Neretva. Das im 16. Jahrhundert errichtete Kloster wurde im Juni 1992 durch kroatische Truppen gesprengt, sein Friedhof verwüstet und der angrenzende Ort niedergebrannt.981 Mit seiner differenzierten Beschreibung der Zerstörungen weicht Kaiser deutlich von den kroatischen und serbischen Berichten ab. Die Möglichkeit der bewussten Zerstörung innerhalb des primär militärischen Zielen dienenden Dauerbeschusses, dem Szenario „Terror und Expansion“ entsprechend, erkannte er im Ansatz. Ebenfalls in Grundzügen unterschied er zwischen Zerstörung aus Rache und Vergeltung einerseits und der systematischen Zerstörung zur Vernichtung kultureller Spuren andererseits, wie ich sie für das Szenario „Systematische Auslöschung“ beschrieben habe. Diese Unterscheidung ist hinsichtlich der verschiedenen zugrunde liegenden Intentionen wichtig. Nichtsdestoweniger erscheint Kaisers Charakterisierung der Zerstörung noch zu wenig differenziert. Mit der Unterscheidung in fünf verschiedene Szenarien soll 981 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, VI., P. 120.
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die zeitliche und territoriale Qualität der Zerstörung hervorgehoben und gezeigt werden, wie die offenen Konflikte mit einem hohen Maß an physischer Gewalt vor und nach ihrem Ausbrechen kulturell sublimiert wurden (und werden). Colin Kaiser hatte bei seinen Studien weder den Krieg in Kosovo vor Augen, den die serbische Führung unter Milošević knapp zwei Jahre nach Erscheinen seines letzten Berichtes vom Zaun brechen sollte, noch war er mit der Geschichte der Region über Grundkenntnisse hinaus vertraut. Im Hauptteil seines Berichts geht Kaiser zunächst auf die Schäden am Kulturerbe auf dem Territorium der Republik Kroatien ein.982 Zwei Drittel dieses Territoriums seien vom Krieg betroffen. Ein Großteil dieser Gebiete war serbisch besetzt und für den Experten nicht zugänglich. Aus den oben besprochenen Unterlagen, die ihm von kroatischen Behörden zur Verfügung gestellt worden waren, entnahm er seine Informationen. Demnach galten im Frühjahr 1993 auf kroatischem Territorium 683 individuelle Monumente sowie 245 Städte und Stätten als zerstört oder beschädigt. Zu 111 der betroffenen Strukturen existieren Angaben im Bericht des Europarats. Zu wiederum 37 dieser Objekte stammten die Informationen von kroatischen Institutionen. Kaiser und seine Mitarbeiter hatten höchstens 74 Bauwerke selbst in Augenschein nehmen können. Das macht lediglich etwa acht Prozent des Gesamtumfangs des als beschädigt oder zerstört angegeben Kulturerbes in Kroatien aus. Vor diesem Hintergrund ist es nicht übertrieben, die Mission Kaisers als symbolisch zu bezeichnen – was nicht bedeuten soll, dass sie unwichtig oder vergeblich war. Im Gegenteil, immerhin waren 63 der von Kaiser persönlich untersuchten Strukturen in keinem der bis dahin von kroatischen Institutionen veröffentlichten Dokumente erfasst. Für lediglich 17 Objekte und Ensembles jedoch (etwa zwei Prozent) konnte er die Angaben der kroatischen Institutionen bestätigen.983 Angesichts der auffällig hohen Zahl betroffener Kirchen stellte sich für Kaiser die Frage, ob sich die Zerstörungen gezielt gegen die kulturelle und religiöse Identität des jeweiligen Gegenübers richteten. Aus heutiger Sicht, unter Einbeziehung der Analyse weiterer Dokumente, lässt sich diese Vermutung bestätigen. Ferner führt Kaiser 22 Bibliotheken, 9 Archive und 37 Museen, Galerien und Sammlungen als beschädigt oder zerstört auf. Die statistischen Angaben und Extrapolationen werden wie in den kroatischen und serbischen Publikationen durch qualitative Beschreibungen einzelner Objekte ergänzt. Den finanziellen Gesamtschaden bezifferte er, kroatischen Angaben folgend, auf 2,8 Milliarden US-Dollar. Für die Sicherung und den Wiederaufbau beschädigter und zerstörter Objekte 982 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, III ff. 983 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
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werde Kroatien für Jahre auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen sein. Insbesondere hinsichtlich qualifizierter Fachkräfte für Restauration und Wiederaufbau bestehe ein Mangel. Frühere Berichte zur Beschädigung des historischen Stadtkerns von Dubrovnik ergänzte Kaiser durch Angaben zu Schäden an der nicht minder wertvollen Bausubstanz in der Umgebung der Stadt. Durch Brandstiftung und gezielte Sprengungen seien ganze Dörfer im Umkreis von Dubrovnik zerstört und unbewohnbar geworden. Diese Form von „Vandalismus“ habe sich de facto in jeder unter Kontrolle der JNA stehenden Ortschaft ereignet. 5.831 Gebäude seien auf diese Weise allein in der Kommune Dubrovnik vom Krieg betroffen. 2.257 Objekte waren dem Bericht zufolge schwer beschädigt oder zerstört. Besonders betroffen waren traditionelle Wohngebäude – nicht wenige davon mit erhaltener mittelalterlicher oder frühneuzeitlicher Bausubstanz. In seinen Empfehlungen regt Colin Kaiser ein Treffen von Vertretern des Europäischen Parlaments, der UNESCO, des United Nations Environment Programme (UNEP) sowie des European Council on the Village und Small Town (EVOCAST) an, um den Schutz der Siedlungen und eine einheitliche Restaurierungs-Politik nach dem Krieg zu diskutieren.
FEBRUAR 1993: DIE DOKUMENTATION DER KRIEGSSCHÄDEN IN DUBROVNIK DURCH DIE UNESCO
Im Februar 1993 erschienen die beiden Dokumente Dubrovnik 1991–1992 sowie Dubrovnik 1991–1992 / Cultural property damaged by shelling unter Mitwirkung der UNESCO, wobei deren Anteil an den Veröffentlichungen uneindeutig bleibt: „This document was produced by UNESCO, the Institute for the Protection of the Cultural Monuments and Natural Environment of Dubrovnik and the Institute for the Rehabilitation of Dubrovnik […]. Printed in the UNESCO workshop“984, heißt es im ersten Text, während der zweite nur die Angabe „Printed in the UNESCO workshop“985 enthält. Beide Dokumente sind weitgehend identisch in ihren Angaben zum Umfang der Zerstörungen, jedoch ist in einem die summarische Aufstellung um eine detaillierte, bebilderte Beschreibung einzelner Objekte ergänzt, die ebenfalls eine Schätzung der Rekonstruktionskosten enthält986, im anderen hingegen sind allgemeine Angaben zur Geschichte der Stadt sowie spezifische zu 984 UNESCO (1993 I). 985 UNESCO (1993 II). 986 UNESCO (1993 II).
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den Zerstörungen während des Beschusses 1991 und 1992 vermerkt. Zudem gibt Letzteres auch Aufschluss über den „Plan of Action“ zur Restaurierung der Stadt, den kroatische Denkmalschutzinstitutionen gemeinsam mit der UNESCO im Begriff waren zu erarbeiten. Colin Kaiser erwähnt ihn in seinem zweiten Bericht im Juli 1993. Beide Texte behandeln fast ausschließlich das antike Dubrovnik innerhalb der Stadtmauern. Dort waren 563 der insgesamt 824 Gebäude (68,33 Prozent der Bausubstanz) durch den serbischen Beschuss mehr oder weniger stark beschädigt. Außerhalb der Stadtmauern galten 73 historische Monumente als betroffen.987 Die Kosten für die Restaurierung der Schäden in der historischen Altstadt waren mit insgesamt 9.657.578 US-Dollar veranschlagt. Dabei entfielen geringere Beträge auf historische Brücken, Schanzen und Stadttore. Der höchste Einzelposten war der Palazzo Ðorđić-Maineri in der Straße Široka, für dessen Sanierung Mittel in Höhe von 828.120 US-Dollar vorgesehen waren. Die Reparatur beschädigter Dächer in der Altstadt hingegen sollte nach den Schätzungen voraussichtlich 3.991.980 USDollar kosten.988 Für den „Plan of Action“ zur Behebung der Schäden in Dubrovnik sammelte eines der beiden Dokumente Vorschläge und Empfehlungen und gab Auskunft über Kolloquien, Konferenzen und Trainingsprogramme für Spezialisten.
JULI 1993: DER ZWEITE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS
Auch im zweiten Bericht zur Situation des Kulturerbes im ehemaligen Jugoslawien vom Juli 1993, in dessen Zentrum die Untersuchung (fact-finding mission) Colin Kaisers stand, werden das kroatische und das bosnische Kulturerbe gleichermaßen thematisiert. Zur Übersichtlichkeit werde ich zunächst die Angaben zum kroatischen Kulturerbe zusammenfassen. Der erste Report vom Februar 1993, so heißt es in der Einleitung, sei durch Institutionen in Europa und Übersee rezipiert worden und habe ein starkes Echo in den Medien gefunden sowie eine Reihe von internationalen Treffen und FotoAusstellungen zur Folge gehabt, deren Gegenstand die Zerstörung des Kulturerbes in Kroatien und Bosnien-Herzegovina war. Der zweite Report, von einem kurzen Besuch in Dubrovnik abgesehen, entstand hauptsächlich in Paris und basierte aus 987 UNESO (1993 I), 25. 988 UNESCO (1993 II), 2–5.
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diesem Grund auf den mehr oder weniger verlässlichen Angaben aus Kroatien und Bosnien-Herzegovina. Informationen aus den umkämpften Gebieten Kroatiens erhielt Kaiser hauptsächlich von der kroatischen Regierung sowie von Mitarbeitern westlicher Presseagenturen, die sich während des Krieges in Kroatien aufhielten. Die Hauptquelle für die Zerstörungen in Bosnien-Herzegovina war unverändert die NGO BHHR. Mit der Serbischen Orthodoxen Kirche und der Vertretung der Muslime Bosniens, dem Rat der Islamischen Gemeinde Bosnien und Herzegovinas mit Sitz in Sarajevo (Rijaset Islamske Zajednice u Bosni i Hercegovini), nennt Kaiser zwei weitere Quellen, die nun in je eigenen Texten die Zerstörung ihres religiösen und kulturellen Erbes dokumentierten. Die Angaben der beiden Institutionen sind in den Bericht Kaisers eingeflossen, der nun im Gegensatz zum ersten einen umfangreicheren Teil mit beschädigten und zerstörten Objekten der Serbischen Orthodoxen Kirche enthielt. In der Aufstellung von Schäden an Bauwerken aus der Zeit der Herrschaft Österreich-Ungarns wird außerdem ein weiteres vom Krieg betroffenes kulturelles Erbe berücksichtigt. Wie Kaiser anmerkt, gab es für ihn und seine Mission jedoch keinerlei Möglichkeit, die ihm durch Dritte zur Verfügung gestellten Informationen zu überprüfen. Mitte April 1993 war das Bündnis zwischen den bosnischen Streitkräften und dem kroatischen Verteidigungsrat zerbrochen989. Die Situation in dem Kriegsgebiet war damit noch komplizierter geworden. Trotz des Waffenstillstandsabkommens vom 2. Januar 1992 wurden die Kampfhandlungen auch in Kroatien – wenn auch auf einem deutlich niedrigeren Niveau – fortgesetzt. Gegenüber den Angaben im vorhergehenden Bericht hatte sich die Zahl der zerstörten Objekte und Ensembles in Kroatien erhöht. Statt 683 individueller Monumente sowie 245 Orten waren nach den Angaben der kroatischen Institutionen, auf die sich Kaiser berief, nun 801 individuelle Objekte (249 Schlösser und Herrenhäuser, 16 Festungen990, 468 Kirchen, 42 Klöster, 11 Skulpturen im öffentlichen Raum, 11 Grabanlagen und Friedhöfe, 4 kommerzielle Gebäude) und 350 Orte und Städte in Kroatien beschädigt oder zerstört. 67,7 Prozent der betroffenen Objekte waren religiöse Monumente. 73 davon galten als zerstört und 167 als schwer beschädigt. Außerdem waren 42 Museen und Galerien vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen. Das Schicksal von fünfzehn weiteren Museen war unbekannt, da sie sich in den serbisch kontrollierten Gebieten in Slawonien und entlang der bosnischen Grenze, in der Region um die Stadt Knin, befanden. Darüber hinaus waren 209 Bibliotheken betroffen. Die Bibliothek im slawonischen Vinkovci galt als 989 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 360; Vetter (2007), 560. 990 Korrigiert von 37 Festungen im vorhergehenden Bericht.
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komplett ausgebrannt. Die Beschreibung der Schäden durch kroatische Behörden in den Kategorien „zerstört“, „niedergebrannt“, „teilweise zerstört“ etc. bezeichnete Kaiser als „impressionistisch“; sie besäßen keine große Aussagekraft, gäben aber immerhin eine Wahrscheinlichkeit an.991 Trotz der andauernden Kampfhandlungen auf kroatischem Boden waren offenbar bereits die ersten Restaurierungsmaßnahmen angelaufen. Diese konzentrierten sich, wie Kaiser nicht ohne Bedauern ausführt, hauptsächlich auf die Altstadt von Dubrovnik, vernachlässigten jedoch alles, was sich außerhalb der historischen Stadtmauern befand: „Yet it is ironic that little has been done – even by local and national authorities – to draw attention to the far worse cultural disaster that took place in the rural zones“.992 Im Juli 1993 tummelten sich Kaiser zufolge bereits mindestens vier staatliche und sechzehn nicht-staatliche Organisationen auf den (ehemaligen) Kriegsschauplätzen in Ex-Jugoslawien, die mit der Erfassung, Dokumentierung und Restaurierung von Kulturerbe befasst waren. Das Engagement konzentrierte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch weitestgehend auf Dubrovnik. Neben der UNESCO, dem Kulturerbekomitee des Europarats, der Standing Conference of Local and Regional Authorities of Europe (CLRAE) und dem International Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property (ICCROM) waren unter anderen EVOCAST, ICOM, ICOMOS, das Landesmuseum Joanneum aus Graz, das Belgische Komitee für Dubrovnik, der Archeoclub di Roma, das Französische Komitee für humanitäre Hilfe und den Schutz von Dubrovnik, die amerikanische Society of Travel Agents and Atlas Ambassador of Dubrovnik, die Schweizer ARCH Foundation, die britische Society for the Protection of Ancient Buildings, das Institute for Advanced Architectural Studies der University of New York, der USamerikanische Rebuild Dubrovnik Fund, die ebenfalls US-amerikanische Open Society Foundation des Investors George Soros, der World Monuments Fund aus New York, die NGO BHHR sowie das Getty Grant Programme (USA) im ehemaligen Jugoslawien tätig. Unterstützung im Hinblick auf das Kulturerbe erhielt hauptsächlich Kroatien überdies von den Regierungen Deutschlands, Großbritanniens, Schwedens, der Niederlande und den USA. Neben den staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen war eine nicht zu beziffernde Menge an „freischaffenden Besuchern“ (free-lance visitors), hauptsächlich in Dalmatien, zugegen,
991 Council of Europe (Juli 1993), B, P. 12 ff. 992 Council of Europe (Juli 1993), B, P. 80.
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von denen „einige glaubwürdig sind, andere nicht“.993 Das vielfältige internationale Engagement war den Angaben Colin Kaisers zufolge jedoch völlig unkoordiniert. In the absence of any international coordination in the field, there is however a great deal of confusion, with the consequences of poorly circulating information, of accumulations of material in zones that do not require much aid, the sending of inappropriate materials, the presentation to international bodies of programmes that mix peace-time and war-time restoration.994
Das einzige koordinierte Programm sei der Ende April 1993 präsentierte „Action Plan“ der UNESCO für die Stadt. Der zweite Bericht schließt mit Folgerungen und Empfehlungen an die internationale Staatengemeinschaft. Zum einen sei das islamische Erbe Bosnien-Herzegovinas in immer größerem Ausmaß vom Krieg betroffen. Die internationalen Schutztruppen der Vereinten Nationen müssten sensibler auf die Zerstörung von Kulturerbe reagieren und qua Mandat zu dessen Schutz ermächtigt werden.
SEPTEMBER 1993: DER DRITTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS
In dem insgesamt fünfzig Seiten umfassenden dritten Bericht zum Zustand des Kulturerbes im ehemaligen Jugoslawien liegt der Schwerpunkt auf Bosnien-Herzegovina. Er enthält neben den Ausführungen von Marian Wenzel und dem Direktor des East Europe Committee of the Royal Institute of British Architects, Roger Shrimplin, zu ihrem gemeinsamen Besuch in Sarajevo und Mostar vom 12. bis 18. Juni 1993 nur eine kurze Information zur Lage in Kroatien sowie eine Notiz Wenzels zu den Schäden am Kulturerbe im kroatischen Zadar. Im Hinblick auf das Kulturerbe Kroatiens kann der dritte Bericht folglich kaum mit neuen Erkenntnissen aufwarten. In der Region um Gospić, Šibenik und Zadar tobten noch immer schwere Kämpfe. Die kroatischen Denkmalschutzinstitutionen konnten zum Zustand des Kulturerbes in dieser Region keine Aussagen treffen, wie Marian Wenzel mitteilte. Zum Fortgang der Restaurierungsarbeiten in den kroatischen Städten gibt der Bericht ebenfalls nur sehr allgemein Auskunft. Laut Kaiser erreichte die interna993 Council of Europe (Juli 1993), B, IV. 994 Council of Europe (Juli 1993), B, P. 83.
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tionale materielle und finanzielle Hilfe nur langsam die betroffenen Gebiete. Die wesentlichen Initiativen zum Wiederaufbau stammten aus dem Land selbst. Kaiser berichtete von Restaurierungsarbeiten, die Bewohner an ihren Häusern auf eigene Faust vornahmen. Im kroatischen Split etwa war eine Lieferung mit Fenstern aus Slowenien eingetroffen, die jedoch zu groß für die Fensteröffnungen der Häuser in der traditionellen Bauweise der kroatischen adriatischen Küstenlandschaft (Primorje) waren. Die Besitzer, die einige der slowenischen Fenster ergattern konnten, wussten sich zu helfen, indem sie kurzerhand die Fensteröffnungen vergrößerten. Diese Randnotiz ist nicht unwichtig. Überall im ehemaligen Jugoslawien kam es während des Krieges und danach zu unzähligen Rekonstruktionen und Umbauten, die von den Besitzern der aus denkmaltheoretischer Perspektive nicht minder wertvollen Objekte auf eigene Faust ohne jede fachliche Beratung oder Berücksichtigung professioneller Verfahren vorgenommen wurden. Pragmatische Erwägungen waren dafür ebenso ausschlaggebend wie vielfach das Gefühl, von den Denkmalschutzbehörden im Stich gelassen zu werden.
1994 „SPIRITUELLER GENOZID“ – SERBISCH-ORTHODOXE SAKRALE BAUWERKE BEI SLOBODAN MILEUSNIĆ
Im Jahr 1994 gab der serbische Kunsthistoriker Slobodan Mileusnić (1947–2005) eine zweisprachige Aufstellung der im Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegovina von 1991 bis 1993 beschädigten und zerstörten serbisch-orthodoxen sakralen Bauwerke mit dem Titel Duhovni Genocid / Pregled porušenih, oštećenih i obesvećenih crkava, manastira i drugih crvenih objekata (Spiritueller Genozid / Überblick zerstörter, beschädigter und entweihter Kirchen, Klöster und anderer kirchlicher Objekte) heraus. Mileusnić war Sekretär für bildende Künste in der serbischen Kulturorganisation Matica Srpska und Direktor des Museums der Serbischen Orthodoxen Kirche in Belgrad. Bei seiner Arbeit für den etwa 150 Seiten umfassenden „Überblick“ in serbischer und englischer Sprache wurde er durch die Kirche unterstützt. Im Impressum sind als „Redakteure“ auch zehn kroatischen und bosnischen Diözesen vorstehende Bischöfe der SPC genannt. Das Buch ist in zwei größere Teile untergliedert. Einer elf Seiten umfassenden Einführung, die außer dem Vorwort des damaligen Patriarchen Pavle eine historische Kontextualisierung des Phänomens der Zerstörung serbischer religiöser Objekte aus serbischer Sicht enthält, schließt sich die zum Teil bebilderte Aufzählung beschädigter oder zerstörter serbischer Kirchen, Klöster und Kapellen in Kroatien
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 329
und Bosnien-Herzegovina an.995 Letztere beinhaltet 209 Objekte in Kroatien (170 Kirchen, 19 Kapellen, 3 Klöster, 19 sonstige Gebäude)996 sowie 149 Objekte in Bosnien-Herzegovina (128 Kirchen, 6 Kapellen, 2 Klöster, 13 sonstige Gebäude). Die Zahl der als beschädigt oder zerstört erfassten Objekte war folglich gegenüber der Studie des serbischen Denkmalschutzamtes und der serbischen Ministerien von 1992 (96 Objekte) um mehr als das Doppelte gestiegen. Zudem waren nun auch in Bosnien offenbar Bauwerke der SPC vom Krieg betroffen. Mileusnić orientiert sich in seiner Aufzählung hinsichtlich der territorialen Gliederung nicht an den beiden ehemaligen jugoslawischen Republiken Kroatien und Bosnien-Herzegovina, sondern richtet diese nach den Diözesen der SPC aus. Was auf den ersten Blick wie ein nebensächliches, der Kirchenorganisation geschuldetes Detail anmutet, ist jedoch bereits die Formulierung eines territorialen Anspruchs. Der Gedanke der Vereinigung der serbischen Irredenta und Kernserbiens in einem großen serbischen Staat klingt hier mehr oder weniger unverhohlen an. Vor dem Hintergrund der Zweisprachigkeit, die internationale Adressaten im Blick hat, wirkt dieses Vorgehen einerseits irritierend, bietet andererseits aber auch Orientierung. Ersteres weil jeder internationale Leser aufgrund des Krieges, der Konfliktparteien und der jeweiligen geografischen Kenntnisse, die in der Regel an Nationalstaaten orientiert sind, versucht ist, die Objekte in einem der beiden Staaten zu verorten, und dabei innerhalb der Aufzählung zu einer Diözese hin und her springen muss, wenn er die Objekte in der Karte sucht. Was die Orientierung anbelangt, so müssen bei derlei Studien stets die in diesem Zeitraum international geführten Diskussionen und Verhandlungen um einen möglichen Frieden mitgedacht werden. Im Zentrum dieser Verhandlungen stand die neue staatliche und territoriale Gliederung der Überreste des ehemaligen Jugoslawien. Hier formuliert Mileusnić stellvertretend für die SPC und serbische Politiker einen Anspruch, dem er die kirchlich-administrative Organisation in Kroatien und Bosnien-Herzegovina zu Grunde legt. Die nach Diözesen geordnete Aufstellung der Schäden enthält jeweils eine Karte zur Orientierung. Dort, wo in der jugoslawischen Föderation Republikgrenzen verliefen, fehlen die bosnische und die kroatische nicht nur in den Einzelkarten, sondern auch in der größeren Übersicht – ganz so, als existierten beide Staaten gar nicht, was vollkommen im Einklang mit den zeitgleichen Aussagen serbischer Nationalisten steht. Ein ebenfalls nicht unbedeutendes 995 Vgl. vollständige Liste http://tobias-strahl.de/. 996 211 Objekte insgesamt (zwei Objekte in Mileusnićs Dokument umfassen je eine Kirche und ein Kloster).
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Detail in diesem Zusammenhang ist, dass Spiritueller Genozid in der Schriftenreihe Die Serben auf ihrem eigenen Boden (Srbina na svom tlu) erschienen ist. Serbien ist folglich – ein klassischer Gemeinplatz des serbischen Nationalismus – überall dort, wo orthodoxe (serbische) Kirchen stehen und Serben leben. Die Aufzählung der Kirchen, Klöster und Kapellen in Kroatien und BosnienHerzegovina wiederum enthält in je eigenen Absätzen einige allgemeine Informationen zum jeweiligen Objekt sowie eine Beschreibung seines Schicksals zwischen 1941–45 sowie 1991–1993. Die Zugehörigkeit der gelegentlich eingestreuten Bilder zu bestimmten Objekten ist nicht ersichtlich, weil die mittig platzierten Fotografien nicht beschriftet sind. Wie in dem zuvor besprochenen Dokument der serbischen Regierung und der Denkmalschutzbehörde sind bei nicht wenigen Bauwerken zwei Daten zur Beschädigung oder Zerstörung angegeben – eines im Zweiten Weltkrieg, ein weiteres im aktuellen Krieg. Diese Konstruktion einer Kontinuität zwischen Ustaša-Regime und dem gegenwärtigen Kroatien, die in beiden Dokumenten vorgenommen wird, hat etwas Groteskes. Man erfährt, dass eine 1857 gebaute Kirche in Radovica, die der „Transfiguration des Herrn“ gewidmet war, offenbar im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Die 1967 wiederum am Ort der früheren errichtete Kirche „Schutz der allerheiligsten Gottesmutter“ wurde zwischen 1991 und 1993 durch Granaten beschädigt. Auch die Kirche des heiligen Spiridon in Petrinja, einer Ortschaft in der Diözese Gornji-Karlovac, die 1785 errichtet und im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, wurde dreißig Jahre später neu gebaut und 1991 zerstört.997 Das wirft die Frage auf, warum in Studien zur Beschädigung und Zerstörung von religiösen Objekten in einem Krieg, der 1991 begann, Objekte aufgeführt werden, die ein halbes Jahrhundert zuvor zerstört oder beschädigt worden waren, wenn nicht zu dem Zweck, eine angebliche Kontinuität der Zerstörung zu konstruieren, wie im Vorwort postuliert wird. Dabei wird der Anschein erweckt, es handele sich bei den unterschiedlichen Objekten um jeweils dasselbe Bauwerk. Diese offenbar bewusst eingesetzte Unschärfe in den Darstellungen wird in den serbischen Dokumenten im Verlauf der Kriege noch zunehmen. Ihren Höhepunkt soll sie in Kosovo 1998/99 erreichen, wenn Kirchen des 19. und 20. Jahrhunderts als Bauwerke des späten Mittelalters ausgegeben werden. Die Qualität der Beschädigung und Zerstörung von Bauwerken unterteilt Mileusnić ähnlich wie die kroatischen Dokumente. Aus der tabellarischen Aufstellung am Ende seiner Übersicht der Bauwerke lassen sich insgesamt neun Kategorien extrahieren, die jedoch wenig aussagekräftig sind und das Bild nicht schärfen. 997 Republic of Serbia (1992), 50; Mileusnić (1994), 34 f.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 331
Das Bild der kontinuierlichen Zerstörung und der historischen Opferrolle der Serben wird auch in den die dokumentarische Auftstellung begleitenden Texten evoziert. Im Vorwort des Patriarchen der Serbischen Orthodoxen Kirche Pavle heißt es nach einigen, dem Gegenstand der Publikation aus Sicht des Patriarchen scheinbar angemessenen, Bibelzitaten: It is not the first time in their history that our people have stood on the brink of their very existence, “to be or not to be”, in the darkness of slavery, in calamities, both before the battle of Kosovo, and during the battle itself, until this very day. […] Strengthen by that faith, our people were able to withstand all these tribulations, and again and again they rebuilt their churches, destroyed by the enemies.998
Einen (selbst)kritischen und reflektierten Ansatz lässt auch das Dokument Mileusnićs vermissen. Im Grunde enthält seine Publikation neben der aktualisierten Darstellung zur Beschädigung und Zerstörung von religiösem und kulturellem Erbe der orthodoxen Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegovina gegenüber älteren Veröffentlichungen in der Politika oder der ersten Dokumentation durch die oberste Denkmalschutzbehörde Serbiens von 1992 keine neuen Aussagen. Hier wird die nicht unwesentliche Bedeutung der Unterscheidung von Aussage und Äußerung deutlich, die Foucault in seiner Archäologie des Wissens999 formuliert hat und Siegfried Jäger in seiner Kritischen Diskursanalyse wieder aufgreift, „dass bei auch noch nicht sehr großen Materialmengen kaum noch neue Themen und Unterthemen auftauchen“1000. Jeder Diskurs enthält nur eine begrenzte Zahl an Aussagen, ist jedoch potentiell unbegrenzt im Hinblick auf die Zahl der Äußerungen. Aussagen im serbischen Diskurs zur Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen betreffen etwa die historische Kontinuität der serbischen Nation und ihrer Kultur, die Opferrolle Serbiens, die prinzipielle Böswilligkeit der Nachbarn, die Pracht serbischer Kirchen und Klöster etc. Diese Aussagen werden in zahlreichen Äußerungen in verschiedenen Medien wiederholt. So eröffnet Mileusnić seinen Text mit der Aussage „The destruction of Serbian sacral art and ist historical and national heritage has virtually never ceased since 1941“1001 und behauptet
998 999 1000 1001
Mileusnić (1994), 5. Foucault (1981), 174. Jäger (2009), 192. Mileusnić (1994), 7.
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damit die Kontinuität der Zerstörung des serbischen nationalen Kulturerbes durch die kroatischen Nachbarn wie schon andere Publikationen zuvor.1002 Die relative Geschlossenheit und Begrenzung des Spektrums der Aussagen im Dossier einer Analyse des serbischen Diskurses zur Kulturerbezerstörung wird unterminiert, wenn es zum Bruch, zur Zäsur im Diskurs kommt. Diese wäre gegeben, wenn etwa die (bisher kaum denkbare) Aussage formuliert und akzeptiert würde, dass Serben nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren. Eine solche Aussage würde den serbischen Diskurs grundlegend verändern – sie wird jedoch bis in die unmittelbare Gegenwart energisch bekämpft. Diese Annahmen gelten im Übrigen auch für den äquivalenten kroatischen, albanischen und bosnischen Diskurs. Selbstverständlich ist „Diskurs“ in dieser Analyse nicht als Totalität mit eigener Wirklichkeit, sondern als heuristisches Instrument zu verstehen. Wie wenig Mileusnićs subjektive Darstellung mit den historischen Fakten gemein hat, wird unter anderem deutlich, wenn er ebenfalls völlig im Einklang mit den Autoren der ersten Studie– schreibt: „After the war, the Communist regime, supported by latent nationalist forces, made impossible, or even prevented, the restoration and protection of Serbian churches and monasteries“1003. In der erwähnten Gedenkschrift zum fünfzigsten Jahrestag der Wiederherstellung des Serbischen Patriarchats1004 wird auch die Bautätigkeit der SPC für die Zeit zwischen 1945 und 1971 ausführlich dargestellt: Die fünfundzwanzigjährige Nachkriegszeit, wenn sie auch hauptsächlich den Charakter der Erneuerung von Kirchen und Klöstern trug, darf sich zu recht auch der Errichtung neuer Heiligtümer rühmen […]. Aus der Perspektive von 1944/45 gesehen mag es schwer gewesen sein, sich vorzustellen, dass bis 1970, während der Gesamterneuerung unseres verwüsteten und zerstörten Landes, 181 Kirchen errichtet, 841 erneuert, 115 Kapellen errichtet, 126 erneuert, acht Klöster gebaut und 48 erneuert werden würden.1005 1002 Vgl. Republic of Serbia (1992), 7. 1003 Mileusnić (1994), 7. 1004 Sveti arhijerejski sinod… (1971); vgl. Kap. 2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus / Kirchen und Klöster – Serbien im Raum. 1005 „Dvadesetpetogodišnji poratni period iako u najvećoj meri nosi karakter obnove crkava i manastira, može se pohvaliti i priličnom izgradnjom novih svetinja. […] Gledano iz perspektive 1944/45. godine teško bi se moglo poverovati da će do 1970. godine, u sveukupnoj obnovi čitave naše izranavljene i porušene zemlje, biti podignuta 181 crkva a obnovljeno 841, podignuto 115 kapela a obnovljeno 126, podignuto 8 manastira a obnovljeno 48“ (Protić (1971), 253 f.).
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 333
Es ist wenig wahrscheinlich, dass Mileusnić diese Publikation seines Arbeitgebers von 1971 nicht gekannt haben soll. Widersprüchlich sind seine Aussagen jedoch nicht nur im Hinblick darauf, sondern auch in sich selbst. In der Aufstellung der Kriegsschäden zwischen 1991 und 1993 gibt er auch das Datum der Errichtung bzw. Rekonstruktion der Objekte an, das bei nicht wenigen Bauwerken in der Herrschaftszeit der jugoslawischen Kommunisten liegt.1006 Auch spricht nichts dafür, dass die rege Bautätigkeit der SPC nach 1945 auf Serbien begrenzt und in Bosnien oder Kroatien mit besonderen Hindernissen konfrontiert gewesen wäre. Im Gegenteil. In den von orthodoxen Gläubigen besiedelten Gebieten außerhalb der Republik Serbien war das Bauprogramm der SPC offenbar besonders intensiv.1007 Konnten die internationalen Adressaten Mileusnićs Spiritual Genocide im Ganzen als Propagandadokument auffassen? Wie weit waren sie über die Geschichte der verschiedenen religiösen Bekenntnisse auf der Balkanhalbinsel im Bilde? Wäre es nicht geradezu geboten gewesen, jedes einzelne der als beschädigt oder zerstört angegebenen Objekte zu untersuchen, schon allein aus dem Grund, zukünftigen Aggressionen den Nährboden zu entziehen? Die Quellen Mileusnićs bildeten nach dessen eigenen Angaben die Augenzeugenberichte von Flüchtlingen und Priestern der betroffenen Diözesen sowie die Feldstudien serbischer Denkmalschützer. Die Angaben zu 86 von 97 in der ersten Studie aufgeführten Objekten in Kroatien werden durch seine Aufzählung bestätigt. Lediglich 16 der in den serbischen Dokumenten von 1992 und 1994 aufgeführten Objekte (8 in Kroatien und 8 in Bosnien-Herzegovina) werden bis dahin in den Berichten Colin Kaisers erwähnt. Der jedoch bezog sich größtenteils auf Angaben aus zweiter Hand. Das heißt nicht, dass die Informationen in den serbischen Studien keinen realen Hintergrund hatten. Sie waren jedoch bis dahin nicht von unabhängigen internationalen Institutionen überprüft worden, was angesichts ihrer zumindest zweifelhaften Glaubwürdigkeit jedoch angeraten gewesen wäre. Mileusnić beendet seinen Text schließlich mit einem Hinweis auf die Zerstörung von katholischen Kirchen und bosnischen Moscheen, relativiert diese jedoch umgehend: Croatian churches and Muslem mosques have also suffered damage in this last war. However, Serbian Orthodox places of worship demolished in the First and
1006 Vgl. vollständige Liste http://tobias-strahl.de/. 1007 Protić (1971), 263, 271 f.
334 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen the Second World Wars are now being destroyed by the same people, Croatian nationalists and Muslem fundamentalists.1008
Auch in dieser serbischen Studie werden über diese allgemeine, unmittelbar relativierte Feststellung hinaus keinerlei Aussagen zu beschädigtem oder zerstörtem kroatischen Kulturerbe getroffen.
JANUAR 1994: DER VIERTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS
Der 89 Seiten umfassende vierte Bericht des Komitees für Kultur und Bildung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats war nicht mehr und nicht weniger als eine kommentierte Herausgabe von Berichten und Statements verschiedener (post)jugoslawischer und internationaler Institutionen. Damit war erstmals eine konsequent multiperspektivische Darstellung gegeben. Auch die Rolle des Komitees und nicht zuletzt die Arbeit Colin Kaisers hatte eine Profilierung erfahren. Deren Aufgabe war es nunmehr, das regionale und internationale „Wissen“ über die Zerstörungen in Kroatien – seit 1992 auch in Bosnien-Herzegovina – in Form verschiedener Publikationen aus den Kriegsgebieten ausfindig zu machen, zusammenzufassen, zu ordnen, um es aufbereitet und kommentiert einem Kreis von Experten zur Verfügung zu stellen. Von einer unabhängigen Überprüfung dieses Wissens konnte nach wie vor nur in Ansätzen die Rede sein. Auch wenn Kaiser eine solche Überprüfung bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit anmahnte, war sie bis Januar 1994 in Form einer Mission einer unabhängigen internationalen Institution in die betroffenen Gebiete nicht erfolgt. Nichtsdestoweniger ist die Bedeutung der Arbeit Kaisers für die Klärung des Umfangs und der Hintergründe der Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen kaum hoch genug einzuschätzen. Der Bericht ist in insgesamt vier Abschnitte untergliedert, wobei der weitaus größte Teil (40 Seiten) dem Beitrag Colin Kaisers vorbehalten ist. Den nächstgrößeren (36 Seiten) bildet ein Bericht des Föderalen Instituts für den Schutz des kulturhistorischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina (Federalni zavod za zaštitu kulturno-historijskog i prirodnog naslijeđa) aus Sarajevo zur Beschädigung und Zerstörung von religiösem und kulturellem Erbe vom 1008 Mileusnić (1994), 11, „Muslem“ im Originalwortlaut auch in zahlreichen weiteren regionalen Quellen.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 335
September 1993. Nach der Zerstörung der berühmten Stari Most im herzegowinischen Mostar am 8. und 9. November 1993 werden auf einigen Seiten ausgewählte internationale Reaktionen darauf reproduziert. Das Dokument vom Januar 1994 schließt mit Informationen zu einem Aktionsplan des Europarats für das ehemalige Jugoslawien. Den größten Raum räumte Kaiser der Analyse zweier Berichte aus Serbien zur Zerstörung von serbischen orthodoxen Kirchen und Klöstern in Kroatien ein, die ihn in der zweiten Hälfte des Jahres 1993 erreichten. Bei diesen Dokumenten handelte es sich um die oben besprochene Veröffentlichung War damage sustained by orthodox Churches in Serbian Areas of Croatia in 1991 sowie einen Text mit dem Titel Report on war devastation to Orthodox churches in Croatia and Bosnia-Herzegovina von 1993, als dessen Autoren das Institut für den Schutz von Kulturdenkmälern der Republik Serbien und das Museum der serbischen orthodoxen Kirche genannt werden. Die Autoren sowie die von Kaiser referierten Textstellen und Daten legen nahe, dass dieses zweite Dokument auch Vorläufer von Mileusnićs Spiritual Genocide war. Kaisers Beurteilung der beiden Dokumente war durchaus differenziert. Als positiv begrüßte er den Umstand, dass nun auch Berichte zum beschädigten und zerstörten serbischen Kulturerbe vorlägen. Die kroatischen Texte, obschon sie bis dahin auch einige wenige zerstörte und beschädigte Objekte des serbischen Kulturerbes aufführten, umfassten offenbar lediglich einen Bruchteil der tatsächlich betroffenen Bauwerke. Zugleich bemerkte Kaiser aber den geringen Informationsgehalt und den propagandistischen Charakter der serbischen Veröffentlichungen. Hier hatte er neben den widersprüchlichen Informationen zu einzelnen Objekten vor allem die einseitige Schuldzuweisung an die Kroaten sowie deren pauschale Verunglimpfung als Verbrecher im Blick: The argument of a continuum of atrocities and the blaming of Croatian artillery warn the reader about the propagandistic intent of the reports, and this is unfortunate, because it immediately undermines the credibility of the information – including good information – in the reports. Detailed examination of the documents raises other problems.1009
Mit den „anderen Problemen“, die sich aus der „detaillierten Examinierung“ der Dokumente ergaben, waren die vagen und widersprüchlichen Informationen gemeint, die die Studien zur Verfügung stellten. Darüber hinaus bemerkte auch 1009 Council of Europe (Januar 1994), Contribution by Dr Colin Kaiser, P. 14.
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Kaiser, dass die Zahl zerstörter und beschädigter Objekte in den veröffentlichten Statistiken größer war, als die der tatsächlich beschriebenen Bauwerke.1010 Seine Feststellungen belegte er anhand konkreter Beispiele aus beiden serbischen Studien. Einer der Einträge beschreibt die Kirche des heiligen Johannes des Täufers in der Gemeinde Sarvaš, in der Diözese Osijek-Baranja, die 1763 errichtet worden war. Im selben Eintrag ist von einer weiteren Johannes dem Täufer geweihten Kirche in Sarvaš die Rede, die jedoch erst 1968 fertig gestellt wurde. Kaiser fragt sich, auf welche der beiden Kirchen sich die Aussage des serbischen Berichts von 1992 bezieht, die Kirche sei von einer „Bombe“ zerstört worden, die auf das Gebäude geworfen wurde. Zum zweiten Bericht von 1993, der ebenfalls die beiden Kirchen in Sarvaš thematisiert, merkt er an: „The second report simply assimilates the two churches (that is to say the 1763 church was ‚renovated‘ in 1968), describes damage to the roof from October 1991, and notes that the iconostasis and inventory were burned“1011. Ihm war nicht entgangen, dass die Widersprüchlichkeit und Unzulänglichkeit der Informationen in den serbischen Dokumenten (ebenso wie in den durch ihn früher untersuchten kroatischen Dokumenten) kaum ein Versehen war und nicht lediglich eine Ausnahme darstellte. Er registrierte sehr wohl den entgegen aller Logik zunehmend konfusen Charakter späterer Studien gegenüber früheren Veröffentlichungen, ebenso wie er den „propagandisdic intent“ dieser Dokumente zur Kenntnis nahm. Kaiser bestritt nicht, dass es auch zur Zerstörung von serbischem kulturellem und religiösem Erbe in Kroatien gekommen war. Im Gegenteil, er hob diese sogar hervor, als er der parlamentarischen Versammlung des Europarats berichtete, dass es zu „massive reprisals in Croatia against Serbian cultural heritage“ gekommen und „evident“ sei, das „both ethnic and cultural cleansing […] against the Serbs of Croatia“ an der Tagesordnung waren.1012 Das Problem jedoch, dass sich aus dem propagandistischen Charakter der kroatischen und serbischen Studien ergab, war ein grundsätzliches. Ohne die unabhängige Kontrolle der Informationen aus den Quellen musste früher oder später auch die Glaubwürdigkeit der Mission Kaisers in Mitleidenschaft gezogen werden. Denn bis zu einer solchen Überprüfung konnten weder er noch sein Auftraggeber wissen, ob sie tatsächlich Fakten weitergaben – oder vielmehr als Sprachrohr serbischer und kroatischer Kriegspropaganda instrumentalisiert wurden. Auf Seiten des Europarats konnte so zudem bestenfalls eine ebenso zweifelhafte Intelligenz entstehen. In Kaisers Beitrag zum vierten 1010 Council of Europe (Januar 1994), Contribution by Dr Colin Kaiser, P. 16, 18. 1011 Council of Europe (Januar 1994), Contribution by Dr Colin Kaiser, P. 22. 1012 Council of Europe (Januar 1994), Contribution by Dr Colin Kaiser, P. 42.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 337
Bericht steht daher seine Forderung, eine unabhängige Mission in die Kriegsgebiete zu entsenden, ganz zu Anfang: „The lacunae noted and doubts expressed in these pages about the completeness and the objectivity of the information received continue to point to the necessity of work in the field, whatever the difficulties encountered in organising it“1013. In seinem Bericht führt Kaiser 25 der in den serbischen Berichten als zerstört oder beschädigt angegebenen Objekte in Kroatien auf, deren Überprüfung er aus kulturhistorischen Gesichtspunkten für geboten hielt.1014 Ebenfalls referiert er die Zahlen der mutmaßlich insgesamt beschädigten und zerstörten Objekte des serbischen Kulturerbes in Kroatien. Den serbischen Angaben zufolge hatte sich die Zahl der betroffenen Bauwerke verdoppelt. Unklarheit bestand darüber, in welchem Zusammenhang die Strukturen beschädigt oder zerstört worden waren. Sowohl serbische als auch kroatische Quellen waren bemüht zu argumentieren, die Angriffe seien außerhalb von Gefechten mit der Absicht erfolgt, das Erbe des Gegenübers auszulöschen. Diese Behauptungen lassen sich jedoch bis heute für die stark umkämpften Regionen Kroatiens nicht zweifelsfrei belegen. Anders verhält es sich in Bosnien, wo eine Vielzahl der Bauwerke in Gebieten zerstört wurde, in denen es nie zu Gefechten kam oder diese lange vorüber waren. Erneut hebt Kaiser hervor, dass die vorliegenden Berichte über zerstörtes Erbe zu einem bemerkenswerten Teil sakrale Objekte umfassten. Das vernakuläre Erbe jedoch werde von kroatischer und serbischer Seite regelmäßig ausgespart, obwohl es nicht minder von Zerstörungen betroffen war. Diese Leerstelle in den Berichten offenbart jedoch deren nationalistischen Charakter. Von Belang war nicht das kulturelle und religiöse Erbe an sich, sondern einzig der Nachweis der eigenen Identität im Raum und die Perpetuierung des Opfermythos anhand eindeutig identifizierbarer Strukturen wie Kirchen und Klöster. Bemerkenswert ist Kaisers Bericht über die Sprengung einer orthodoxen Kirche in Karlovac, die das kroatische internationale Pressebüro als Tat kroatischer Extremisten eingeräumt hatte.1015 Damit lag die meines Wissens erste Stellungnahme überhaupt zur Zerstörung eines konkreten Objekts des Kriegsgegners, verbunden mit dem Eingeständnis eigener Verantwortung vor. Kaisers schließt seinen Bericht für den Europarat mit einem resignierten Resümee zu Dubrovnik, wo die Situation zu stagnieren schien und der Zustand der umliegenden Siedlungen nach wie vor verheerend war. 1013 Council of Europe (Januar 1994), Contribution by Dr Colin Kaiser, P. 2. 1014 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1015 Council of Europe (Januar 1994), Contribution by Dr Colin Kaiser, P. 40, 41.
338 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen APRIL 1994: DER FÜNFTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS
Der insgesamt 65 Seiten umfassende fünfte Bericht zur Situation des kulturellen und religiösen Erbes in Kroatien und Bosnien-Herzegovina vom April 1994 markiert eine Zäsur in der kurzen Geschichte dieser Dokumente. Drei Jahre nach Ausbruch des Krieges in Kroatien gelang es zum ersten Mal, einen geringen Teil der Angaben von Serben und Kroaten zum Zustand des für sich beanspruchten Erbes in beiden Ländern durch internationale unabhängige Institutionen zu überprüfen. Einerseits hatte die Konservatorin Barbara O. Roberts im Auftrag von ICOM vom 9. bis 29. Oktober 1993 die zugänglichen Museen, Galerien und Sammlungen Kroatiens bereist, um deren Zustand zu überprüfen und zu dokumentieren. Andererseits war Colin Kaiser mit der Unterstützung der ECMM zwischen 2. und 23. März 1994 selbst zu zwei je fünftägigen Missionen aufgebrochen, die eine Recherche in den Archiven der ECMM in Zagreb sowie Feldstudien in Bosnien-Herzegovina und Ostslawonien umfassten. Zwar hatte sich damit die mehrfach wiederholte Forderung Kaisers erfüllt, was einen großen Erfolg bedeutete, nichtsdestoweniger wirkten die Ergebnisse der Missionen angesichts des durch die Kriegsparteien behaupteten Umfangs der Zerstörungen ernüchternd. Bereits ein erster oberflächlicher Blick auf die Protokolle von Barbara O. Roberts und Colin Kaiser offenbart ein weiteres grundlegendes Problem: beiden fehlte Zeit. Wie ein roter Faden zieht sich der notorische Zeitmangel durch die Berichte nicht nur von Roberts und Kaiser, sondern auch aller späteren internationalen Missionen zur Untersuchung des Zustands der religiösen und kulturellen Monumente im ehemaligen Jugoslawien. Roberts und Kaiser kritisierten das von Anfang an. Stets sollte der eklatante Mangel an Zeit die relative Oberflächlichkeit der Untersuchungen entschuldigen. Ein weiteres Problem wird erst bei einer genauen Analyse und statistischen Auswertung der Berichte von Roberts und Kaiser offenbar. Bis zum Oktober 1993, dem Zeitpunkt von Roberts Exkursion, beziehungsweise Anfang März 1994, dem Beginn von Kaisers Feldstudien, ließen sich aus den bisher veröffentlichten, aus unterschiedlichen Quellen stammenden Berichten 825 zerstörte oder beschädigte Bauwerke auf dem Territorium der Republik Kroatien und 488 betroffene Objekte auf dem der Republik Bosnien-Herzegovina ermitteln.1016 Die Berichte von Barbara O. Roberts und Colin Kaiser zusammen führen jedoch lediglich 63 überprüfte Objekte und Ensembles in Kroatien sowie 53 in Bosnien-Herzegovina 1016 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 339
auf. Darunter sind erstmals erfasst 27 Objekte und Ensembles in Kroatien sowie 30 in Bosnien-Herzegovina. Bestätigt oder vielmehr relativiert werden 36 (Kroatien) bzw. 23 (Bosnien) Einträge aus den Quellen Dritter. Rechnet man die Zahlen von Kaiser und Roberts hinzu, ergeben sich abzüglich der bereits in anderen Studien genannten Objekte und Ensembles 852 in Kroatien und 518 in BosnienHerzegovina mutmaßlich durch den Krieg betroffene Bauwerke. Gemessen daran haben Kaiser und Roberts lediglich etwa siebeneinhalb Prozent des mutmaßlich betroffenen Kulturerbes in Kroatien und nur etwas über zehn Prozent in BosnienHerzegovina überprüfen können. Zeitmangel sowie die infolgedessen stark limitierte qualitative und quantitative Evaluierung bedingten den eher symbolisch-politischen anstatt umfassenden Charakter internationaler Berichte zum zerstörten Kulturerbe in den Konfliktgebieten. Ihr Adressatenkreis bestand aus politischen Verantwortungsträgern in und außerhalb der ehemaligen jugoslawischen Republiken. Mehr als ein symbolisches Engagement ließen Kriegs- und Nachkriegsrealität sowie das komplizierte Geflecht aus unterschiedlichen politischen Interessen kaum zu. Ungeachtet des – gemessen am wahrscheinlichen Ausmaß der Schäden – begrenzten Umfangs der Studien gelang es Roberts und Kaiser, grundlegende Tendenzen der Zerstörung und der Berichterstattung darüber aufzuzeigen – hierin besteht ihre eigentliche Leistung im Unterschied zum politischen Effekt, den die Berichte möglicherweise erzielten, der sich jedoch nur schwer ermitteln lässt. Formal ist der fünfte Bericht in drei große Einheiten gegliedert. Dem Rapport von Roberts (A) folgt Kaisers Feldstudie (B). Im dritten Teil (C) sind verschiedene internationale Reaktionen auf die Zerstörung der Alten Brücke (Stari Most) im bosnischen Mostar zusammengefasst. Während der dreiwöchigen Reise gelang es Barbara O. Roberts mit der maßgeblichen Unterstützung des seit 1955 bis heute bestehenden kroatischen Museums-Dokumentationszentrums (Muzejski Dokumentacijski Centar, MDC) etwa die Hälfte der vom Krieg betroffenen Einrichtungen in Kroatien zu besuchen. Von den insgesamt 205 kroatischen Museen, Galerien sowie privaten und öffentlichen Sammlungen, die zusammen mehr als fünf Millionen kultureller Objekte bewahrten, galten bis zu diesem Zeitpunkt 47 als beschädigt. Die Schwere der Schäden, verursacht durch Artilleriebeschuss, Feuer oder Bomben, war dabei durchaus unterschiedlich und reichte von leichten wie etwa am Museum der Stadt Dubrovnik über das ausgebrannte ethnographische Museum in Ćilipi bis zum schwer beschädigten Schloss Eltz in Vukovar. 22 der betroffenen Objekte und Sammlungen konnte Roberts persönlich in Augenschein nehmen. Acht Objekte befanden sich auf dem Territorium der sogenannten Serbischen Autonomen Gebiete Ostslawo-
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nien, Westsyrmien und Baranja und der Krajina, zu denen Roberts auch durch die internationale Schutztruppe UNPROFOR keinen Zutritt erhielt, und konnten daher nicht besucht werden. Roberts nahm angesichts des Schlosses Eltz in Vukovar an, dass die größte Gefahr für Museen und Sammlungen in eben diesen besetzten Gebieten Kroatiens bestand, doch ist das Bild, dass sich aus ihrem Bericht ergibt, in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Denn in dem ebenfalls serbisch besetzten ostkroatischen Ilok seien demnach Museen und Sammlungen unberührt.1017 Die Kunstsammlung Bauer mit ihren insgesamt 1.357 Gemälden befand sich noch immer in Serbien. Roberts berichtete von Kontakten zu serbischen Institutionen, die einer Besichtigung und Überprüfung der Sammlung zustimmten, einen Rücktransport nach Vukovar jedoch kategorisch ausschlossen. Teile der Sammlung waren inzwischen offenbar bei einer Ausstellung in Paris aufgetaucht und später in einem Depot der UNESCO eingelagert worden. Nicht in allen Fällen verlief die Evakuierung weiterer Sammlungen und Archive glimpflich und nicht immer war sie zu deren Bestem. Schlechte Verpackung und inadäquate Lagerung ließen größere Schäden erwarten. Roberts fügte ihrem Bericht äußert sorgfältig ausgearbeitete und detaillierte Protokolle der von ihr besuchten Museen und Archive bei. Aus diesen wird ersichtlich, dass Feuchtigkeit, Wurmschäden, schlechte Handhabung bei der Evakuierung sowie unsachgemäße Verpackung und Lagerung die größten Gefahren für die Objekte darstellten. Roberts ging davon aus, dass bei 30 Prozent der Sammlungen dringender Handlungsbedarf bestand. Des Weiteren warnte sie vor einer anderen realen Gefahr: Es waren bereits einige Objekte aus kroatischen Museen auf dem internationalen Kunstmarkt zum Kauf angeboten worden. Roberts befürchtete zu Recht, dass der Kunstraub mit dem Fortdauern der Auseinandersetzungen noch zunehmen würde. Colin Kaiser wiederum gibt über seinen Erfolg Auskunft, einen dauerhaften Kontakt zur European Community Monitor Mission hergestellt zu haben. Die mangelnde Unterstützung der Mission hatte er in seinem ersten Bericht noch beklagt. Im dritten Kriegsjahr schien die ECMM jedoch willens, ihre Informationen zu teilen und Kaiser zu unterstützen. So lobt Kaiser nun die europäische Überwachungsmission ausdrücklich. Er konnte die Archive der ECMM in Zagreb einsehen und wurde auch bei seinen Feldstudien im März 1994 unterstützt. Dabei stellte sich heraus, dass die ECMM schon seit Oktober 1991 den Zustand des kulturellen und religiösen Erbes in den vom Krieg betroffenen Gebieten in je eigenen Berichten evaluierte. Jedoch verfügte die Überwachungsmission über kein eigenes 1017 Bei einem persönlichen Gespräch mit den Angestellten des Museums der Stadt im Schloss Ilok (Iločki Dvorac) im Jahr 2012 wurde mir diese Version bestätigt.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 341
Publikationsorgan. Alle Aufzeichnungen landeten also früher oder später im Archiv – ohne dass ein größerer Personenkreis hiervon Kenntnis erhalten hätte: „The problem for the ECMM arose from the distribution of the information collected. The monitors do not, unlike UNPROFOR and United Nations agencies, have bulletins, daily press conferences, etc.“1018 Bei der Untersuchung der Angaben zum zerstörten serbischen kulturellen und religiösen Erbe, das Kaisers Ansicht nach bisher zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hatte, stieß er auf „eklatante Fälle von Desinformation“1019. Nicht wenige der serbischen Auskünfte waren übertrieben, irreführend oder gänzlich falsch. Die orthodoxe Holzkirche der Geburt der allerheiligsten Gottesmutter (Crkva Rođenja Presvete Bogorodice) etwa, errichtet im Jahr 1761 im kroatischen Mali Zdenci, wird in den serbischen Dokumenten nicht ganz eindeutig als schwer beschädigt und/oder der Zerstörung nah beschrieben – Colin Kaiser jedoch fand die Kirche während seiner Feldstudien „unberührt“. Das Gleiche galt für die orthodoxe Kirche des heiligen Georg (Crkva sv. Georgija, 1773) in Grubišino Polje. Diese besuchte Kaiser ebenfalls und fand sie zwar geschlossen, nichtsdestoweniger jedoch intakt vor, anders als in den serbischen Dokumenten angegeben. Auch die orthodoxe Kirche der 318 Gott tragenden (Kirchen-)Väter (Crkva sv. 318 Bogonosnih Otaca, 1756 o. nach 1945)1020 in Daruvar war keineswegs beschädigt oder zerstört, sondern vielmehr unversehrt. Zur orthodoxen Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit (Saborna crkva sv. Trojice, 1757–68) in Pakrac heißt es in der Publikation von Slobodan Mileusnić: „The interior of the Cathedral was burning the whole day. […] The interior of the cathedral is completely burnt down, as well as the ikonostasis“.1021 Kaiser will diese Darstellung nicht bestätigen: The destruction of the iconostasis of the church, as claimed by the Orthodox eparch and reports, is not at all certain: there was no sign in the church that it had been burned, but if it was removed – which is likely – the consultant could not determine by whom. A similar problem occurs for the iconostasis of the eparch’s residence, claimed to have been removed after occupation by Croatian forces. The fate of the library is also not entirely clarified: Croatian cultural authorities moved most of it to Zagreb, but believe that the most important volumes were removed by the eparch, while it was claimed by the eparch that some of the col1018 Council of Europe (April 1994), B, P. 7. 1019 Council of Europe (April 1994), B, P. 42. 1020 Auch hier existieren in der Diktion der serbischen Veröffentlichungen zwei Daten der Errichtung, um die behauptete Kontinuität der Zerstörung zu unterstreichen. 1021 Mileusnić (1994), 129.
342 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen lection had been stolen. […] it should be pointed out that the iconostasis of the Orthodox church of Orahovica (destroyed in the second world war), kept in the eparch’s residence in Pakrac, was evacuated by church authorities to the monastery of Orahovica, which lends credence to the thesis that at least some valuable Orthodox movable heritage was evacuated before hostilities.1022
Auch für die kroatische Seite lassen sich solche Übertreibungen und Unwahrheiten dokumentieren. So war Schloss Eltz im Widerspruch zu den kroatischen Berichten nicht vollständig zerstört, sondern stark beschädigt. Im Zusammenhang mit den Sammlungen der Museen der Stadt stieß Colin Kaiser ebenfalls auf Ungereimtheiten. Es stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der im Schloss Eltz ausgestellten Exponate auch während des Beschusses der Stadt an ihrem Ort verblieben und nicht an sichere Orte evakuiert wurden, was unter anderem die vollständige Zerstörung der Sammlung des Museums Lavoslav Ružička zur Folge hatte. Wie die Verantwortlichen in Zagreb einräumten, hatten sich die lokalen Autoritäten in Vukovar zunächst gegen eine Evakuierung ausgesprochen. Als sie später einsahen, dass die Bestände in ihren Museen tatsächlich gefährdet waren, war Vukovar bereits eingeschlossen und eine Evakuierung unmöglich geworden. Ähnliches berichtete Kaiser auch über Museen und Archive in Dubrovnik.1023 Trotz der teilweise falschen oder übertriebenen serbischen Berichte zu zerstörten oder beschädigten orthodoxen Sakralbauten kommt Kaiser zu dem Schluss, dass dieses Erbe zur Zielscheibe kroatischer Vergeltung wurde und massiv von Zerstörungen betroffen war. Er stellt jedoch ebenfalls wiederholt fest, dass die serbische noch mehr als die kroatische Berichterstattung den Fokus auf das betroffene religiöse Erbe legte – die massenhaft zerstörten serbischen und kroatischen Dörfer hingegen spielten in diesen Darstellungen, ebenso wie einzelne Objekte des vernakulären Erbes, kaum eine Rolle. Trotz des Zeitmangels konnte Kaiser auf seiner Reise durch den Osten Kroatiens einige Objekte in situ besuchen. Der größte Teil des beschädigten Erbes außerhalb Vukovars waren offensichtlich religiöse Objekte, hauptsächlich schienen katholische und protestantische Kirchen betroffen gewesen zu sein. Offenbar hatten die serbische Kirche und andere serbische Institutionen einen Großteil des beweglichen Erbes vor dem Krieg nach Serbien abtransportiert, wie Kaiser im Hinblick auf die Städte Pakrac, Lisičine und Veliki Bastaji berichtete.
1022 Council of Europe (April 1994), B, P. 49. 1023 Council of Europe (April 1994), B, P. 55 ff., P. 61.
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Auffällig hingegen ist die relative Oberflächlichkeit seiner Ausführungen hinsichtlich Orts- und Objektbezeichnungen. So berichtete er unter Villages and sacral buildings east of Osijek in UNPA1024 Sector East von der stark beschädigten katholischen Kirche der Geburt der Allerheiligsten Jungfrau (Crkva Rođenja Presvete Bogorodice) von 1757 „near the present demarcation line“ ohne einen Ort anzugeben und ohne in Betracht zu ziehen, dass die Rekonstruktion der Demarkationslinie vom März 1994 späteren Generationen von Forschern schwerfallen könnte.1025 Wahrscheinlich handelte es sich um eine Kirche selbigen Namens und Errichtungszeitraums im slawonischen Koprivna, wie sich wiederum aus serbischen Dokumenten schließen lässt. Eine Ortsangabe fehlt auch für das folgende Objekt: „The only other Catholic church in the area that could be examined was the Baroque Church of St Mary“1026. Vermutlich handelte es sich um die Kirche der heiligen Maria der Helferin (Crkva Marija Pomoćnica) in Sotin – was sich nur mit fundierten Kenntnisse der kroatischen Studien und der Region schlussfolgern lässt. Auch einfache Tipp- oder Übersetzungsfehler sind bereits ausreichend, um besonders Ortsunkundige nachhaltig zu verwirren. Siedlungen mit den Namen Lovka und Koprivno, die Kaiser im Osten des Landes besucht haben will, gibt es in ganz Kroatien nicht – wohl aber Lovska und Koprivna.1027 Kaisers Berichte, die sonst in jeder Hinsicht gewissenhaft, präzise und überaus reflektiert sind, offenbaren hier eine Schwäche, die man dem Beauftragten des Europarats kaum vorwerfen kann. Sie sind sehr wahrscheinlich durch Zeitmangel, fehlende Orts- und Sprachkenntnisse, schlechte Sicherheitsbedingungen sowie zum Teil ebenfalls ortsfremde Führer begründet.
AUGUST 1994: DER SECHSTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS
Der sechste, 35 Seiten umfassende Bericht, den Colin Kaiser anfertigte, ist in sechs Teile untergliedert. Neben drei Kapiteln mit allgemeinen Informationen nehmen zwei Berichte zum betroffenen Kulturerbe in Kroatien sowie Bosnien-Herzegovina zusammen 32 Seiten ein, wobei der Schwerpunkt (24 Seiten) aufgrund des stetig eskalierenden Konflikts in Bosnien und der im Verhältnis dazu inzwischen be1024 1025 1026 1027
United Nations Protection Area. Council of Europe (April 1994), B, P. 72. Council of Europe (April 1994), B, P. 75. Council of Europe (April 1994), B, P. 69, 73.
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ruhigten Lage in Kroatien nachvollziehbarerweise auf der Situation in BosnienHerzegovina liegt. Die Grundlage für den Bericht bildete wiederum eine field mission, die Kaiser vom 30. Mai bis 22. Juni 1994 durchführen konnte. Während seines Aufenthalts in der Konfliktzone konnte er Mostar, Sarajevo und Tuzla in Bosnien-Herzegovina sowie die durch die UNPROFOR überwachten Gebiete im Süden und Norden Kroatiens besuchen. Wie zuvor war er jedoch durch die benannten Faktoren eingeschränkt. Überdies blieb ihm der Zugang zu einem Großteil der durch die serbische Armee besetzten Gebiete in Kroatien und Bosnien-Herzegovina verwehrt. Bei der Erfassung der Kriegsschäden wurde Colin Kaiser nach eigenen Angaben erneut durch die ECMM unterstützt. So konnte er dieser unter anderem ein System zur Überwachung relevanter Objekte übergeben, mit dem auch lokale Autoritäten arbeiten konnten. Des Weiteren hatte die ECMM den zweiten Teil von Kaisers letztem Bericht in die Landessprache übersetzt und an die Bevölkerung sowie an zuständige Institutionen in der Region verteilt. Damit existierte eine serbische, bosnische und kroatische Version von Kaisers Feldstudie in Ostslawonien und Bosnien-Herzegovina (Letztere mit Schwerpunkt Mostar). Mit diesem Schritt wurde das fragile und mannigfaltige Informationssystem, das Kaiser in den zurückliegenden Monaten etabliert hatte, wechselseitig zugänglich und somit transparenter. Darüber hinaus vermeldete er, dass seit März 1994 die Überwachung des kulturellen Erbes zum Aufgabenspektrum der ECMM als Standard Operating Procedure (SOP) gehörte. Der Bericht führt 51 Objekte in Kroatien als zerstört oder beschädigt auf, wobei 17 Objekte bereits in früheren Quellen genannt werden.1028 In Kroatien war demzufolge die Zahl der bisher als zerstört oder beschädigt angegebenen Objekte auf insgesamt 886 angewachsen. Für Bosnien-Herzegovina führt Kaisers Bericht 90 Objekte auf, wobei 26 davon auch in früheren Studien zu finden sind. Die Gesamtzahl der bis dahin in Bosnien-Herzegovina als beschädigt oder zerstört notierten Objekte hatte sich damit auf 584 erhöht. Insgesamt gesehen liegt die Zahl der im Bericht dargestellten betroffenen religiösen Objekte (Kirchen, Klöster, Moscheen, Kapellen) mit 104 Einträgen deutlich höher als die der profanen (Mühlen, Siedlungen, einzelne Gebäude), von denen lediglich 39 verzeichnet sind. Betrachtet man die durch Kaiser in Kroatien besuchten Gebiete für sich allein, wird sein Bestreben deutlich, einen Ausgleich zu den auf das sakrale Erbe konzentrierten kroatischen und serbischen Darstellungen zu schaffen. Er hatte bereits früher die Verengung der Perspektive der Kriegsgegner 1028 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
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diesbezüglich kritisiert und angemerkt, dass vernakuläre Architektur mindestens im selben Umfang von Zerstörungen betroffen war. Neben den Zerstörungen berichtet er aus den besuchten Gebieten auch von individuell erfolgtem Schutz von Kulturerbe. Den Direktor der Krajina-Museums in Knin, einen Serben mit dem Namen Budimir, lobt er ausdrücklich: „It should be recognised that Mr Budimir, in the absence of a local organisation for the protection of cultural heritage, has done a great deal to protect the heritage of the Croatian people in the Krajina“.1029 Bemerkenswert ist Kaisers allgemeine Beschreibung der Zerstörungen, die er in den Ergebnissen seiner Feldstudie zusammenfasst. So sei der größte Schaden in Städten und Siedlungen durch systematische „ethnische Säuberung“ von Menschen und deren Kulturgütern entstanden. Mostar und Vukovar jedoch stellen dabei für ihn Ausnahmen dar: „The fates of the historic towns of Mostar and Vukovar are dramatic exceptions to the rule, since they were wrecked-mainly by artillery“1030. Damit differenziert auch er erneut wie vorgeschlagen zwischen den Zerstörungsszenarien „Terror und Expansion“ und „Systematische Auslöschung“, die in der Regel aufeinanderfolgten.
1994: BRANKA ŠULC FÜR DAS MUZEJSKI DOKUMENTACIJSKI CENTAR – ZERSTÖRUNG VON KULTURERBE IN KROATIEN
Bereits am 28. August 1991 hatte die kroatische Regierung eine Verordnung über die Einrichtung und Tätigkeit der Kommission für die Auflistung und Bewertung von Kriegsschäden (Uredbu o osnivanju i radu komisija za popis i procjenu ratne štete) erlassen, die jedoch keine Gesetzeskraft hatte.1031 1992 folgte die Resolution zur Restaurierung des kroatischen Kulturerbes (Rezolucija o obnovi hrvatske kulturne baštine), doch mussten die Schäden erst einmal adäquat erfasst werden, bevor sie beseitigt werden konnten. Obwohl ein entsprechendes Gesetz bereits 1991 in Vorbereitung war, dauerte es immerhin bis zum Juni 1993, bis das „Gesetz zur Ermittlung der Kriegsschäden“ (Zakon o utvrđivanju ratne štete), in dem auch die formalen Kriterien der Erfassung des beschädigten und zerstörten Kulturerbes geregelt waren, in Kraft trat und die Kommission ihre Arbeit aufnehmen konnte.1032 1029 Council of Europe (August 1994), D. ff. 1030 Council of Europe (August 1994), F. 1031 Pavković (1997), 54; auch hier: http://narodne-novine.nn.hr/clanci/sluzbeni/1991_08_44_ 1149.html [15.06.2015]. 1032 Pavković (1997), 54; Šulc (2005), 163.
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In dem Prozess der Erfassung, Kategorisierung und Publikation der Schäden kristallisierte sich das durch den Kunstsammler Antun Bauer 1955 gegründete1033 Muzejski Dokumentacijski Centar immer stärker als Schlüsselinstitution heraus. Noch bevor kroatische Regierungsinstitutionen auf diesem Gebiet tätig wurden und lange bevor sich der Europarat und die UNESCO zum Eingreifen genötigt sahen, hatte das MDC unter Leitung der Museologin und Archäologin Branka Šulc im Jahr 1991 gemeinsam mit der Schweizer NGO ARCH ein Treffen in Zagreb organisiert, das den Schutz und die Restauration des kroatischen Kulturerbes zum Thema hatte. Daraufhin reiste im Januar 1992 eine österreichische Delegation von Spezialisten nach Kroatien, die mit der Erfassung der Kriegsschäden am Kulturerbe beauftragt war.1034 Neben Colin Kaiser und Bruno Carnez waren sie unter den ersten internationalen Beobachtern mit diesem Auftrag. Neben Berichten über das zerstörte und beschädigte Kulturerbe Kroatiens, die das MDC in den folgenden Monaten regelmäßig verfasste und die auch in die offiziellen Dokumente der kroatischen Regierung und anderer Institutionen eingegangen sind, erschien im Jahr 1994 unter dem Titel Vukovar – Ewige kroatische Stadt an der Donau (Vukovar – Vjekovni Hrvatski Grad na Dunavu)1035 eine (Ge-)Denkschrift für die Stadt im äußersten Osten Kroatiens. Der darin enthaltene Aufsatz Razorena Spomenička Baština i Opljačkana Kulturna Dobra (Die Zerstörung des Denkmalerbes und der Raub von Kulturerbe) von Branka Šulc lässt sich einerseits als Versuch beschreiben, das Trauma Vukovar im Duktus der übrigen Texte des Bandes in den Mythos des Domovinski Rat, des „Heimatkrieges“, zu integrieren. Andererseits bemüht Šulc Instrumentarien (etwa Statistik) und formale Kriterien einer wissenschaftlichen Arbeit. Dieser augenscheinliche Widerspruch, dem wir zum wiederholten Mal in den kroatischen Beiträgen im Diskurs zur Zerstörung des Kulturerbes in den Postjugoslawischen Kriegen begegnen, ist charakteristisch und durchaus funktional. Wo die Verklärung der Ereignisse deren Transfer in den nationalen Mythos gewährleisten soll, dient der wissenschaftliche Anstrich der Legitimierung der Äußerungen im (internationalen) Diskurs. Der Widerspruch ist der Adressierung des Textes an verschiedene Zielgruppen geschuldet. Charakteristisch wenngleich wenig überraschend ist, dass Šulc sich in ihren Ausführungen ausschließlich auf das kroatische Kulturerbe zu beziehen scheint. Von dem der serbischen Ethnie in Kroatien ist an keiner Stelle die Rede. So seien bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt insgesamt 332 historische Siedlungen (povijesna 1033 Council of Europe (Mai 1995), I, C, P. 21. 1034 Šulc (2005), 163. 1035 Feletar (1993/1994).
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naselja) mehr oder weniger vom Krieg betroffen, 28 davon zerstört, 33 abgebrannt, 83 zum Teil zerstört, die Übrigen wären beschädigt.1036 Außerdem wiesen 660 individuelle Objekte, die als Kulturdenkmäler registriert waren, Kriegsschäden auf. 126 davon seien von „universaler“ oder „nationaler“ Bedeutung, was nach dem kroatischen Klassifizierungssystem die höchstmöglichen Einstufungen waren.1037 Auch in diesem Text wird nicht deutlich, wie die verschiedenen Zerstörungsgrade differenziert waren – worin etwa der Unterschied zwischen „zerstörten“ und „abgebrannten“ Siedlungen und individuellen Monumenten bestehen sollte. Šulc führt weiterhin aus, dass 46 Museum und Galerien sowie 9 Archivgebäude und 22 Bibliotheken entweder „dem Erdboden gleichgemacht“ (do temelja razoreni) bzw. schwer oder leicht beschädigt wurden. Als besonders betroffen sind auch hier Kirchenbauten vermerkt. Von 502 seien 94 vollständig zerstört sowie 98 schwer und 59 leicht beschädigt. Für 103 Objekte stünden keine Informationen zur Verfügung.1038 Die verbleibende Differenz von 148 Objekten zur Gesamtsumme von 502 Strukturen ist charakteristisch und bleibt ebenso wie in den anderen Studien der Kriegsparteien unerläutert. Auch der Text von Branka Šulc wirft diesbezüglich mehr Fragen auf als er beantwortet: Waren die genannten 660 Einzelobjekte bereits in den behaupteten 332 zerstörten oder beschädigten historischen urbanen oder ruralen Siedlungen enthalten oder nicht? Gehörten auch die 502 zerstörten und beschädigten Kirchen dazu? Wir können diese Fragen nicht beantworten, denn die Angaben wurden nie unabhängig überprüft. In den bis 1994 erschienenen Dokumenten der verschiedenen regionalen und internationalen Institutionen werden auf dem Territorium der Republik Kroatien insgesamt 886 vom Krieg betroffene Objekte genannt.1039 Die Zahlen von Šulc sind damit nicht in Einklang zu bringen. Das gilt insbesondere für die 502 angegebenen Kirchen und Klöster. In einem letzten Bericht vor dem Waffenstillstandsabkommen am 2. Januar 1992 ist in der Glas Koncila am 1. Dezember 1991 von 284 betroffenen Kirchen und 42 Klöstern die Rede.1040 Ohne Frage wurde der Waffenstillstand seit Jahresbeginn 1992 mehrfach gebrochen. Dass jedoch zu diesen insgesamt 334 Objekten nach dem Waffenstillstand noch einmal 168 Kirchen und Klöster in Kroatien hinzugekommen sein sollen, erscheint wenig wahrscheinlich. Allerdings stimmt diese Zahl beinahe überein mit der bei Šulc unerklärten Diffe1036 1037 1038 1039 1040
Šulc (1994), 462. Šulc (1994), 462. Šulc (1994), 462. Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. I. Ž. (1991).
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renz von 148 Objekten. Einem im Dezember 1994 von den VN veröffentlichten Dokument zufolge hatte man bis Oktober 1991 von 200 zerstörten oder beschädigten Kirchen Kenntnis erhalten.1041 Die bei Šulc angeführten Zahlen sind folglich sehr wahrscheinlich übertrieben. Schließlich benennt sie in ihrem Text namentlich 97 Objekte, die Kriegsschäden aufwiesen in verschiedenen kroatischen Städten und Siedlungen. 73 davon waren bereits in früheren Dokumenten aufgeführt. Auch in dieser Veröffentlichung bleibt also die qualitative Analyse weit hinter den quantitativen Angaben zurück. Darüber hinaus sind die qualitativen Beschreibungen sowohl im Hinblick auf andere Veröffentlichungen als auch in sich selbst widersprüchlich. Einige wenige Beispiele sollen zur Illustration genügen. So seien die historischen Kerne (povijesne jezgre) von Vukovar, Vinkovci, Lipik, Pakrac, Hrvatska Kostajnica und Petrinja „vollständig zerstört“ (potpuno razorene).1042 Colin Kaiser will das in seinen Berichten – insbesondere was Vukovar anbelangt – nicht bestätigen. Lediglich im Hinblick auf Petrinja stimmen die Ausführungen überein. Zweifellos waren die Schäden immens, eine vollständige Zerstörung der historischen Stadtkerne ist jedoch auszuschließen. Šulc schreibt weiterhin, dass die Zentren von Osijek, Karlovac, Gospić und Otočac „sehr schwer beschädigt“ (vrlo teško oštećeni) wären – zwei Seiten darauf wird der historische Kern Osijeks jedoch als „dem Erdboden gleichgemacht“1043 bezeichnet. Deutlich wird hier auch, dass sich Šulc (und nicht nur sie) virtuos der Zweideutigkeit des Verbs „razoriti“ bediente, das sowohl „zerstören“ als auch „beschädigen“ oder „verwüsten“ bedeuten kann. Aus der imperfektiven Form von „razoriti“ – „razarati“ – wird das Verbalsubstantiv „Razaranje“ abgeleitet, das wiederum in verschiedenen Kombinationen und Kontexten sowohl als „Zerstörung“, aber auch als „Beschädigung“ oder „Verwüstung“ übersetzt werden kann. Diese Zweideutigkeit erzeugt mit den aufgezeigten Widersprüchen zwischen quantitativer und qualitativer Erfassung sowie einer Auswahl von Bildern offensichtlicher Schäden eine gewollte Unschärfe.1044 1041 1042 1043 1044
United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex III, V, D, P. 107. Šulc (1994), 462. Šulc (1994), 464. Bereits Colin Kaiser war die ambivalente Verwendung des Verbs „razoriti“ aufgefallen: „In these translated documents the word „destroyed“ is applied in such a way as to suggest that the original Serbo-Croat word being used is often razoren, which is ambiguous, encompassing notions of heavy damage and total destruction (the same remark can be made for much of the information received from the war zones, whatever the source)“ (Council of Europe (Januar 1994), I, P. 17).
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Offensichtlich falsch berichtet Šulc auch von der vollständigen Zerstörung des Stadtmuseums Vukovar (gotovo do temelja razoren Gradski muzej u Vukovaru) „wie auch seiner regionalen musealen Sammlungen: die Kunstsammlung Bauer, das Museum Lavoslava Ružička, das Museum des II. Kongresses der KPJ“ („kao i njegove područne muzejske zbirke: Galerija umjetnina i Zbirka Bauer; Muzej Lavoslava Ružičke; Muzej II. kongresa KPJ“).1045 Hierbei ist von Interesse, dass Colin Kaiser in seinem fünften Bericht den kroatischen Behörden eine Mitschuld an den Beschädigungen der im Schloss Eltz beherbergten Sammlungen zuschrieb: Regarding the safeguarding of the collections from this museum and others, there has been another polemic. A commonly presented Croatian version of the story is that everything had been properly put into secure locations in various spots in the town; however, it would seem that virtually nothing was removed from Eltz Castle and other museums before the battle of Vukovar, and sometimes collections were not even put in storage, which led to the total destruction of the Ruzicka museum collection (except for one desk) and the Labour History Museum (only photo-reproductions) and to damage to the painting collection in the Fine Arts Gallery: the regular collection was still on the walls, which led to destruction of 5% of the paintings (mainly the Folk Art collection) and varying degrees of damage to 50% of the rest.1046
Seine Ausführungen zeigen auch, dass die Sammlungen im Schloss Eltz nicht vollständig zerstört wurden. Interessanter ist jedoch, dass just dieser Teil des Textes durch das ECMM in die Landessprache übersetzt und verteilt worden war. Šulc hingegen erwähnt Kaisers Bericht in ihrem Beitrag nicht explizit. Folgende Ausführungen zu den Sammlungen ihrerseits lesen sich jedoch wie eine unmittelbare, das Vorgehen der kroatischen Behörden relativierende Replik auf Kaisers Vorwürfe: Den definitiven Befehl, die Sammlungen aus dem staatlichen Museum, die Sammlung Bauer und die Kunstgalerie, dem Museum Lavoslava Ružička, dem Museum des II. Kongresses der KPJ nicht zu evakuieren, erteilte der Krisenstab Vukovar; ohne den energischen Befehl zur schnellen Evakuierung des beweglichen Kulturerbes seitens des Ministeriums für Kultur und Bildung der Republik 1045 Šulc (1994), 464. 1046 Council of Europe (April 1994), B, P. 59.
350 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Kroatien verblieben die Kunstgegenstände in Vukovar. In der zivilisierten Welt hätte die Möglichkeit zur Evakuierung auch [noch] zur Zeit kriegerischer Zusammenstöße erfolgen können, wenn (nach einer Zahl internationaler Konventionen), diese Evakuierung in einem Transport unter dem Zeichen der Haager Konvention ermöglicht worden wäre. Im Falle Vukovars, Iloks und Kopačevos und anderer dortiger Museen und Galerien war dies nicht möglich – weil serbische „Krieger“ in diesem Krieg nicht eine der internationalen Konvention beachten wollten.1047
Šulc räumt also ein, dass die Sammlungen aufgrund der Anordnung des Krisenstabs Vukovar nicht evakuiert worden waren. Die lokalen Behörden konnten das mit einer fehlenden expliziten Anweisung (dem „energischen Befehl“) aus dem Ministerium für Kultur und Bildung begründen. Die Schuld für die Beschädigung der Sammlungen sieht Branka Šulc dennoch einzig bei der serbischen Soldateska, die nicht der „zivilisierten Welt“ angehörte und sich nicht an die internationalen Konventionen zum Kulturerbeschutz im Krieg hielt. Auch eine Evakuierung der Kunstsammlungen hätte demnach zu deren Zerstörung geführt. Sie verwendet dafür den Begriff des „Kulturozid“1048, der an den durch den polnischen Juristen Raphael Lemkin (1900–1959) geprägten Begriff „Genozid“ angelehnt ist.
DEZEMBER 1994: DER BERICHT DER EXPERTENKOMMISSION DES SICHERHEITSRATES DER VEREINTEN NATIONEN / ANNEX XI: DESTRUCTION OF CULTURAL PROPERTY REPORT UND XI A. THE BATTLE OF DUBROVNIK AND THE LAW OF ARMED CONFLICT
Anfang Oktober 1992 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Rahmen der Resolution 780 eine Expertenkommission einzusetzen, die Informationen zu schweren Verstößen gegen die Genfer Konventionen sammeln und auswerten sollte, die im Zuge der Postjugoslawischen Kriege durch die Akteure an den Kriegsschauplätzen mutmaßlich begangen worden waren.1049 Der Resolution 780 waren im Juli und August 1992 zwei weitere vorausgegangen, in denen der VN-Sicherheitsrat die Konfliktparteien zur Einhaltung der internationalen Menschenrechte 1047 Šulc (1994), 465, 466. 1048 Šulc (1994), 465; auf die Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen als „Culturecide“ später angewandt etwa von Huttenbach (2004), 28. 1049 United Nations / Security Council (Mai 1994), Letter, 1.
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aufrief.1050 Bereits im November 1992 nahm die Kommission ihre Arbeit auf. Beginnend im Mai 1994 erfolgte schließlich die Veröffentlichung des Abschlussberichts, der in fünf Bänden insgesamt 3.333 A 4-Seiten umfasst.1051 Der Bericht besteht aus einem einleitenden Brief des damaligen Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali an den Präsidenten des Sicherheitsrates, datiert auf den 24. Mai 1994, sowie insgesamt zwölf Anhängen zu je spezifischen Untersuchungsgebieten der Kommission. Annex I erteilt Auskunft über Quellen und Methoden der Kommission. Annex II beinhaltet eine juristische Studie zu Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen in den Kriegen in Kroatien und Bosnien-Herzegovina. Annex III wiederum befasst sich mit der Struktur der kämpfenden Einheiten. Als Annex XI – Destruction of Cultural Property Report erschien im fünften Band im Dezember 1994 schließlich ein Bericht zur Zerstörung von Kulturerbe, der auf Dubrovnik sowie die Stari Most in Mostar fokussiert. Annex XI A. behandelt die Belagerung und den Beschuss von Dubrovnik. Die Analyse der Expertenkommission des VN-Sicherheitsrates ist kein Versuch der möglichst detaillierten Untersuchung und umfänglichen Erfassung der Zerstörungen wie sie etwa mit den Berichten Colin Kaisers zumindest intendiert sind. Vielmehr geht es um die Feststellung, inwiefern die in verschiedenen Quellen dokumentierten Zerstörungen eindeutige Verstöße gegen international geltendes Recht darstellten und auf welcher Grundlage sie verfolgt und geahndet werden konnten. Die dafür durch die Kommission in Anschlag gebrachten international verbindlichen Rechtsgrundsätze waren die Konventionen von Den Haag (1899, 1907, 1954), die Genfer Konventionen von 1949 sowie deren Zusatzprotokolle I und II von 1977, die Konvention zum Schutz des Weltkultur- und -naturerbes der UNESCO von 1972 sowie maßgeblich die Jurisdiktion des Anfang 1993 gegründeten Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Fragen nach Rechtsgrundlagen, Verantwortlichen und deren (möglicher) Verfolgung stehen also im Zentrum. Dafür ziehen die Experten mit dem Beschuss der Altstadt von Dubrovnik, der Zerstörung der Brücke von Mostar und der Belagerung und dem Beschuss von Sarajevo die am besten dokumentierten Beispiele heran. Die Fokussierung auf Dubrovnik und Mostar hat noch einen weiteren Grund: Das Material, mit dem insbesondere das Team, das mit den Vorort-Studien beauftragt war, konfrontiert wurde, war so umfangreich, die festgestellten schweren Ver1050 Resolution 764 (1992) und Resolution 771 (1992). 1051 Der Abschlussbericht existiert in verschiedenen langen Fragmenten als Word-Datei im www sowie in der Datenbank der Vereinten Nationen (http://documents.un.org/s.html) als PDF. Ich halte mich an die PDF-Versionen [22.03.2015].
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letzungen der Genfer Konventionen so zahlreich, dass die Kommission beschloss, Dubrovnik und Mostar beispielhaft zu behandeln, um dem Internationalen Strafgerichtshof bei anderen Fällen eine Orientierung zu bieten: The Commission has not deemed it advisable, particularly not all of its programme could be carried out (its mission ended on 30 April 1994), to cite all the grave breaches of the Geneva Conventions and of international humanitarian law, especially as far as cultural property is concerned. It has preferred to take two examples typical of such breaches, to underscore them and possibly enable the International Criminal Tribunal to use them for other situations.1052
Neben den kroatischen und serbischen Quellen sowie den Berichten Kaisers steht der Bericht der Expertenkommission somit für eine dritte Perspektive im Diskurs um die Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen. Sind die erstgenannten Dokumente Belege für die Sicht- und Argumentationsweisen der involvierten Kriegsparteien und stehen die zweiten für den Versuch, die Zerstörungen trotz aller Limitierungen neutral, objektiv und reflektiert zu erfassen, so weisen wiederum die dritten auf das Bemühen hin, die Ereignisse im internationalen Recht handhabbar zu machen. Als Quellen standen der Expertenkommission verschiedene, zum Teil unveröffentlichte Berichte zu Dubrovnik zur Verfügung. Dazu gehörten die Dokumente etwa der UNESCO, die mit dem Beobachterteam bestehend aus Bruno Carnez und Colin Kaiser vom 27./28. November bis 20. Dezember in der Stadt vertreten war. Deren Aufzeichnungen waren in den am 6. Januar 1992 fertig gestellten, sieben Bände umfassenden Preliminary report on the destruction to the Old Town of Dubrovnik (October–November-December 1991)1053 eingegangen. Ebenfalls für die UNESCO berichteten Dinu Bumbaru, Daniel Lefèvre und Giselle Hyvert im Zeitraum von Januar bis Dezember 1992 über Dubrovnik. Daneben stützte sich die Kommission auf die ersten vier Berichte Colin Kaisers für den Europarat. Des Weiteren existierten zahlreiche Augenzeugenberichte, etwa die Aussagen von Željko Soldo, der am Angriff auf Dubrovnik in den Reihen der JNA als Hauptmann beteiligt gewesen war. Die Kommission des VN-Sicherheitsrates hatte Soldo am 26. Oktober 1993 befragt.1054 Videoaufzeichnungen, hunderte Fotos, Munitionsreste und Geschossspuren sowie die Berichte kroatischer Behörden, von Nicht1052 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, I, C, P. 10. 1053 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, II, A, P. 25. 1054 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI A., IV, A, P. 27.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 353
regierungsorganisationen und der ECMM vervollständigten das Bild. Zusätzlich hatte die Kommission der Vereinten Nationen vom 19. Oktober bis 4. November 1993 ein vierköpfiges Team für eine Untersuchung nach Dubrovnik gesandt. Diese Gruppe bestand aus dem kanadischen Oberstleutnant Dominic McAlea, den norwegischen Majoren Terje Lund und Oyvend Hoel (alle drei Stabsoffiziere waren Juristen) sowie wiederum Colin Kaiser als Kunsthistoriker. Die Beobachtungen des Teams während der Feldstudie ergaben eine solche Materialfülle, dass sich die Kommission zeitlich und personell außer Stande sah, diese zu bewältigen. Es bräuchte ein Team, doppelt so groß, das zudem mehrere Monate vor Ort bliebe, um die Untersuchungen „gründlich“ durchzuführen, räumte die Kommission ein.1055 Dieser zeitliche und personelle Mangel wird evident auch an einer späteren Stelle. Hier empfiehlt die Kommission die Ausweitung der Untersuchungen von der Alt- und Neustadt auf den ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogenen Distrikt Dubrovnik, erklärt jedoch: In making these recommendations for further investigative efforts, it is understood that conducting these investigations will involve significant financial and personal resources and that the Commission of Expert’s resources are limited. The Commission’s team has no solution to this dilemma other than to emphasize how serious the violations of international humanitarian law were during the Battle of Dubrovnik and to state that evidence must be found and promptly secured if the Commission envisages prosecutions. With the passage of time, the physical evidence is most likely to get lost or mislaid. In addition, it is most possible that human memories and the international indignation will fade away.1056
Im starken Kontrast zur Materialfülle einerseits weist die Kommission andererseits darauf hin, dass ihr wesentliche Informationen seitens des serbischen und des kroatischen Militärs sowie der kroatischen Behörden nicht zugänglich gemacht wurden. Das muss umso mehr verwundern, als dass eine umfängliche Aufklärung des Beschusses Dubrovniks durchaus im Interesse der kroatischen Kriegspartei lag. Die Erkenntnisse der field study der vierköpfigen Gruppe decken sich mit den übrigen Berichten zum Beschuss Dubrovniks, sind jedoch dem Charakter der Studie geschuldet wesentlich detaillierter. Sie müssen hier nicht noch einmal en détail wiederholt werden. Wichtig ist es, einige Besonderheiten festzuhalten. Ebenso wie bei der Belagerung Vukovars und später Sarajevos sollte der Beschuss Dubrovniks 1055 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI A., I, B. 1056 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI A., XII, D, P. 144.
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die Moral von Einwohnern und Verteidigern systematisch aushöhlen. Militärisch war Dubrovnik kaum bedeutend. Außer einer leicht bewaffneten kroatischen Polizeieinheit von weniger als dreißig Mann befanden sich keine bewaffneten Kräfte in der Stadt.1057 Der serbischen Militärführung ging es darum, zu zeigen, dass sie jederzeit auf jede Art zuschlagen konnte. Der Beschuss des UNESCO-Weltkulturerbes löste, wie bereits beschrieben, eine Welle internationaler Empörung und Solidarität mit Kroatien aus. Am 1. Oktober 1991 hatten die Einheiten der JNA den über Dubrovnik liegenden Berg Srđ beschossen und dabei die dort befindliche Telekommunikationsanlage zerstört. Wie in anderen „Gefechten“ ging es zunächst darum, die Kommunikationsmöglichkeiten des Gegenübers zu sabotieren. Am 23. Oktober wurde zum ersten Mal die Altstadt unter Feuer genommen.1058 Am 2. Dezember erfolgte nach etwa einem Monat währenden Verhandlungen zwischen Serben und Kroaten ein neuerlicher Beschuss der Altstadt.1059 Den Höhepunkt der Angriffe bildete jedoch der bereits geschilderte Angriff am 6. Dezember 1991, bei dem die Altstadt unter anderem mit Phosphorgranaten bombardiert wurde. Die Kommission des VN-Sicherheitsrates schreibt hierzu: „It might be more than coincidental that the zone which received the worst bombardment damage was also the area which had been most seriously damaged by the earthquake of 1979“.1060 Militärisch rechtfertigen ließ sich der Beschuss der Stadt nicht: Thus, with respect to the Statute of the International Tribunal, the offences in Dubrovnik can be said to concern extensive destruction and appropriation of property not justified by military necessity and seizure, and destruction of and damage to religious institutions dedicated to charity education, the arts and sciences as well as historic monuments and artistic and scientific works. […] The concept of military objective should also be considered in this connection in order to shed light on the crimes committed. Indeed, it appears quite clearly that this destruction of cultural property did not in any way contribute to the military action and could in no way be considered necessary in terms of the military ob-
1057 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI A., IV, B, C. 1058 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI A., VI, C. 1059 In der unter der Ägide der UNESCO entstandenen Erfassung der Schäden vom Februar 1993 ist von einem weiteren Beschuss vom 8. bis 13. November 1991 die Rede (UNESCO (1993 I), 25). 1060 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI A., VI, E, P. 71.
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jective pursued. Nor is there any way that the perpetrators of these crimes can claim to have been utilizing the monuments for military purposes.1061
Mehr noch, die Untersuchung ging davon aus, dass der Beschuss zielgerichtet und systematisch gegen das Kulturerbe gerichtet war.1062 Eine Feststellung der Verantwortlichkeit für die Zerstörungen gestaltete sich nichtsdestoweniger schwierig. Zwar gab es einen hinreichenden Anfangsverdacht gegen einen aus ermittlungstechnischen Gründen namentlich nicht genannten Offizier der JNA. Doch fehlten für eine Anklage prima facie weitere Beweise. Bis dahin wurde der fragliche Offizier lediglich durch die Aussagen des JNA-Hauptmanns Željko Soldo direkt belastet. Dazu räumte die Kommission in ihrem Bericht jedoch ein, dass Soldo selbst als Offizier an dem Angriff auf Dubrovnik beteiligt war und ein erhebliches Interesse daran haben dürfte, Verantwortung von sich auf andere Offiziere abzuwälzen.1063
MAI 1995: DER SIEBENTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS
Zweimal, Ende 1994 und Anfang 1995, sandte das Komitee für Kultur und Bildung im Parlament des Europarats den Konservator und Restaurator Hans-Christoph von Imhoff, ICOM-Mitglied, für Missionen nach Vukovar und Zagreb sowie nach Belgrad und Novi Sad. Sein Auftrag war es, herauszufinden, was mit den Sammlungen des Stadtmuseums Vukovar geschehen war. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf der umfangreichen Sammlung Antun Bauer. Ebenfalls von Belang waren die archäologische Sammlung, zu der hauptsächlich Objekte aus der nahe bei Vukovar gelegenen Grabungsstätte Vučedol zählten, die Kollektion des Museums Lavoslav Ružička, Gegenstände aus dem Besitz des Franziskanerkonvents St. Philip und Jakob sowie das historische Archiv der Stadt. Darüber hinaus sollte von Imhoff die generellen Konditionen des Kulturerbeschutzes in Kroatien und Serbien einschätzen. Wie anderes Personal stand auch er unter erheblichem Zeitdruck. Insgesamt zehn Tage hatte ihm das Parlament des Europarats für die Erkundung zugestanden. Darüber hinaus war er kaum informiert, wonach er eigentlich suchen sollte. Weder kannte er den ursprünglichen Umfang der Sammlungen in Vukovar noch 1061 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, II, B, P. 32. 1062 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, IV, P. 48. 1063 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI A., XI, P. 126.
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wusste er, wie viel davon den drei Monate währenden Kampf um die Stadt überstanden hatte. Auch über den Umfang der Transporte nach Serbien hatte von Imhoff keine Kenntnis. Nach eigenen Angaben war er überdies der Landessprache nicht mächtig, was die Verständigung vor Ort und das Literaturstudium immens erschwert haben dürfte. Bereits zu Eingang seines Berichts kritisierte von Imhoff den unzureichenden zeitlichen Rahmen seiner Mission. Immer wieder kommt er im Verlauf des Textes darauf zurück.1064 Angesichts der schwierigen Umstände ist es erstaunlich, wie viele Verantwortliche er in Serbien und Kroatien trotzdem persönlich treffen und welche Erkenntnisse er bei diesen Treffen gewinnen konnte. Im Appendix I seines Berichts sind 56 Personen aus Politik, Denkmalschutz und Museumswesen sowie der katholischen Kirche Kroatiens und der Serbischen Orthodoxen Kirche aufgezählt, mit denen von Imhoff in der Region zusammentraf. Darunter werden der damalige stellvertretende Minister für Kultur Serbiens Radomir Begenesić, der Direktor der Abteilung für Schutz und Dokumentation im Institut für den Schutz des historischen und kulturellen Erbes in Belgrad Marko Omčikus, die im kroatischen Exil sich aufhaltende Ruža Marić sowie Branka Šulc unter anderen genannt. Letztere konnte sogar ein Treffen zwischen von Imhoff und dem 85-jährigen Antun Bauer und dessen Frau Antonija in Zagreb vermitteln. Die Reise von Imhoffs nach Serbien und Kroatien sowie seine Arbeit dort lassen sich treffend als Detektivarbeit beschreiben. Von seinen Kontakten erhielt er einiges an Quellenmaterial zu den aus Vukovar abtransportierten Sammlungen. Jedoch waren die Unterlagen überraschenderweise auch auf kroatischer Seite lückenhaft und widersprüchlich. So existierte über die Museumsbestände keine vollständige Inventarliste bei den kroatischen Behörden. Von Imhoff operierte mit Katalogen, in denen lediglich ein geringer Teil der Sammlungen verzeichnet und noch weniger abgebildet war. In einer Tabelle zum Gesamtumfang nennt er die Zahl von insgesamt 30.234 Objekten. 7.933 Gegenstände waren gemäß dieser Übersicht jedoch gar nicht inventarisiert.1065 Laut Auskunft des MDC existierten für den archäologischen Teil der Sammlungen drei Inventarbücher, von Imhoff fand während seiner Feldstudie jedoch ein weiteres viertes Buch.1066 Das Gleiche galt für die Angaben von serbischen Institutionen und Einzelpersonen. So erklärte die durch die serbische Regierung in den Autonomen serbischen Gebieten eingesetzte Direktorin des Stadtmuseums, Olivera Rokvić, sie glaube (!), dass der größte 1064 Council of Europe (Mai 1995), I, P. 1 f., 32, 60. 1065 Council of Europe (Mai 1995), P. 61. 1066 Council of Europe (Mai 1995), I, P. 62.
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Teil Möbel aus der kulturhistorischen Sammlung ein Raub der Flammen geworden sei – und widersprach damit ihren eigenen Angaben gegenüber Colin Kaiser, demzufolge die Möbel im Gebäude der Diözese in Dalj verwahrt worden waren.1067 Auch fand Rokvić gegenüber von Imhoff keine klare Antwort auf die Frage, ob Teile der Sammlungen zu deren Schutz in private Hände übergeben worden waren. Wenn dem so sei, erklärte die Direktorin, dann habe sie keine Kenntnis über Listen, die die entsprechenden Gegenstände verzeichneten.1068 Der größte Teil der Sammlungen Vukovars war offenbar mit Lastkraftwagen des serbischen Militärs nach Belgrad und Novi Sad gebracht worden. Von einigen dieser Transporte bekam von Imhoff Kopien der Transportlisten zu sehen, von anderen nicht.1069 35 Objekte der Sammlungen wurden durch einen Mitarbeiter des Ethnographischen Museums in Belgrad im eigenen Auto nach Serbien gebracht. Gründe dafür konnte von Imhoff keine ausfindig machen.1070 Die serbischen Behörden teilten von Imhoff überdies mit, dass ein generelles Problem mit kroatischen Archiven bestünde. So hätten die kroatischen Institutionen sich nie an die im ehemaligen Jugoslawien vereinbarte Regel gehalten, jährliche Berichte von ihren Aktivitäten und dem Zustand der Archive nach Belgrad an die föderale Behörde zu senden.1071 Man könnte das als Schutzbehauptung interpretieren, jedoch sind die Angaben angesichts der Ausführungen von Branislav Krstić zum Zustand des jugoslawischen Denkmalschutzes1072 sowie vor dem Hintergrund der seit den späten 1960er Jahren wieder zunehmenden Aversionen der jugoslawischen Ethnien untereinander durchaus nachvollziehbar. Nur folgerichtig stellte von Imhoff weiterhin fest, dass definitive Angaben über das Schicksal der Sammlungen in Vukovar nicht möglich seien, da das kroatische und serbische Quellenmaterial nicht miteinander verglichen werden konnte, weil es schlichtweg „inkompatibel“ – das heißt unvollständig und nach unterschiedlichen Systemen verfasst – war.1073 Für seine Suche nach den Sammlungen standen ihm unter anderem drei serbische und eine kroatische Kopie von Disketten mit Transportlisten, Inventarverzeichnissen und offizieller Korrespondenz, Transportlisten in gedruckter Form, 363 Farbfotografien, eine Liste des MDC, ein Bericht 1067 1068 1069 1070 1071 1072
Council of Europe (Mai 1995), P. 47, und Council of Europe (April 1994), B, P. 63. Council of Europe (Mai 1995), P. 48. Council of Europe (Mai 1995), P. 31, 35, 63. Council of Europe (Mai 1995), P. 27. Council of Europe (Mai 1995), P. 42. Krstić (2006); vgl. Kap. 2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien / Denkmalschutz. 1073 Council of Europe (Mai 1995), P. 60.
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von Zdenka Buljan, der Vorgängerin von Olivera Rokvić, sowie die Inventarlisten der die Sammlung aufnehmenden Museen in Serbien zur Verfügung. Zudem lagen ihm der Katalog zur Pariser Ausstellung 1991 und die undatierte Publikation Vukovar: the cultural genocide of the Serbian Nation aus Novi Sad vor. Von Imhoff konnte zweifelsfrei belegen, dass die aus dem Stadtmuseum in Vukovar abtransportierten Objekte auf insgesamt vier Museen in Serbien verteilt worden waren. Die Sammlung Antun Bauer befand sich mit 456 Gemälden, 109 Kunstwerken auf Papier, etwa 1.300 Blättern in einem Behältnis aus Aluminium, 28 nicht registrierten Skulpturen sowie einigen ebenfalls (noch) nicht registrierten Bildern im Archiv des Museums der Vojvodina (Vojvođanski Muzej) in Novi Sad, der Hauptstadt der nordserbischen Region.1074 Daneben fand von Imhoff dort auch die Kollektion der Kunstgalerie Vukovars sowie Porzellan und liturgische Gegenstände aus Metall, die sowohl aus dem Bestand des Stadtmuseums als auch aus dem Franziskanerkonvent stammten.1075 Die aus Vukovar verbrachten archäologischen Objekte wiederum befanden sich, ebenso wie Teile der numismatischen Sammlung sowie einige liturgische und kulturhistorische Gegenstände, im Stadtmuseum (Gradski Muzej) Novi Sad. Besonders die archäologischen Objekte (722 Kartons mit Fundstücken, „einige Dutzend restaurierte Gefäße, erneut durch den Krieg zerbrochen“) waren durch die Gefechte um Vukovar und die Zerstörungen in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie wiesen Brandspuren und Verformungen aufgrund großer Hitze auf: „they are documents to war damage rather than museum items of historical interest“.1076 35 weitere Objekte – „Textilien, liturgische und Laien-Gewänder, Fahnen, Manuskripte, Luxusgüter, Pfeifenfragmente und anderes“ – fand er im Ethnographischen Museum in Belgrad.1077 Das historische Archiv Vukovars, dessen früheste Schriftzeugnisse aus dem Jahr 1756 stammten, lagerte wiederum in den Räumen des Archivs in Novi Sad.1078 Wiewohl es Hans-Christoph von Imhoff gelang, einen Teil Bestände aus Vukovar in Serbien ausfindig zu machen, konnte er weder die Größe der Sammlungen insgesamt noch den Umfang der tatsächlichen Schäden bestimmen. Dazu fehlte ihm eine notwendige Variable der Gleichung: „It is not yet possible to put forward definitive numbers on how much of the VMM collections has survived. Nor is it 1074 1075 1076 1077 1078
Council of Europe (Mai 1995), Appendix II, 3. Council of Europe (Mai 1995), Appendix II. Council of Europe (Mai 1995), P. 29, Appendix II. Council of Europe (Mai 1995), P. 27, Appendix II. Council of Europe (Mai 1995), P. 42, Appendix II.
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possible to state what exactly has been lost“1079. Der Beauftragte des Europarats vermutete weitere Gegenstände unter dem Schutt zerstörter Gebäude in Vukovar. Darüber hinaus hatten die serbischen Behörden dort offenbar begonnen, historische Gebäude oder deren Überreste abzubrechen.1080 Ebenso schwierig war es, eine verlässliche Prognose zur Rückgabe der Gegenstände aus Vukovar zu treffen. Sowohl die serbische als auch die kroatische Seite beriefen sich zur Rechtfertigung ihrer Position auf die Haager Konvention von 1954. Während die serbische Seite den Abtransport der Sammlungen mit Artikel 5, Punkt 2, der Konvention1081 verteidigte, forderten die kroatischen Behörden unter Bezugnahme auf Artikel 4, Punkt 31082, deren Rückgabe. Die Haager Konvention wurde so, dialektisch nicht ungeschickt, gegen sich selbst ins Feld geführt. Radomir Begenišić, stellvertretender Minister für Kultur in Serbien, erklärte gegenüber von Imhoff: „die Restitution von Objekten aus dem Museum in Vukovar wird Teil dessen sein, was einst verhandelt wird, wenn der Krieg vorüber ist“1083. Aus diesen und weiteren Einlassungen serbischer Institutionen und deren Mitarbeiter folgerte von Imhoff, dass die serbischen Verantwortlichen die Rückgabe der Streitmasse nach den Kriterien ethnischer Separierung vornehmen würden.1084 Das hätte eine Zerstückelung ursprünglich geschlossener Bestände bedeutet. Nichtsdestoweniger räumte er in seinem Bericht ein, dass alle Objekte in Serbien adäquat und sicher aufbewahrt waren. Darüber hinaus bemerkte Hans-Christoph von Imhoff, dass neben den Gegenständen aus Vukovar zahlreiche Objekte des beweglichen kulturellen Erbes aus orthodoxen Kirchen in den umkämpften und besetzten Gebieten Kroatiens nach Serbien verbracht worden waren. Der Experte fand mehrere hundert Ikonen aus der sogenannten „Serbischen Krajina“ sowie komplette Ikonostasen, die aus Vukovar und der näheren Umgebung der Stadt stammten, in serbischen Institutionen 1079 Council of Europe (Mai 1995), P. 59. 1080 Council of Europe (Mai 1995), P. 54, E. 1081 „Should it prove necessary to take measures to preserve cultural property situated in occupied territory and damaged by military operations, and should the competent national authorities be unable to take such measures, the Occupying Power shall, as far as possible, and in close co-operation with such authorities, take the most necessary measures of preservation.“ 1082 „The High Contracting Parties further undertake to prohibit, prevent and, if necessary, put a stop to any form of theft, pillage or misappropriation of, and any acts of vandalism directed against, cultural property. They shall refrain from requisitioning movable cultural property situated in the territory of another High Contracting Party.“ 1083 Council of Europe (Mai 1995), P. 24. 1084 Alle Zitate: Council of Europe (Mai 1995), P. 25.
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vor. Im Zuge dessen merkt er an, dass in Serbien wesentlich mehr Personal zur Restaurierung und Konservierung von beschädigtem beweglichem Kulturerbe zur Verfügung stand als im kriegszerstörten Kroatien.1085 Im Anschluss an den Bericht von Hans-Christoph von Imhoff folgt ein kurzer, lediglich knapp neun Seiten umfassender allgemeiner Bericht von Colin Kaiser zur Situation in Kroatien und Bosnien-Herzegovina. Er schreibt dort, dass sich der Krieg weiter vom verhältnismäßig „ruhigen“ Kroatien nach Bosnien verlagert habe. Leider zeigten die westlichen Medien nur wenig Interesse am Krieg in Bosnien und die Berichte von dort seien dementsprechend ungenau. Was das kulturelle Erbe anbelangt, sei die Präsenz der internationalen Gemeinschaft „eher symbolisch als effektiv“1086. Von Bedeutung war seine Feststellung, dass der institutionelle Denkmalschutz in Bosnien im Vergleich zu Kroatien eher schwach ausgeprägt war und diese Schwäche offenbar historisch bedingt war.1087 Der „Partner“ ECMM war indessen aufgrund personeller Engpässe und der sich verschärfenden humanitären Situation in Bosnien gezwungen, das Programm zur Überwachung des Kulturerbes zurückzufahren. Nichtsdestoweniger hatte die Mission neben Teilen des fünften Berichts von Kaiser nun auch den sechsten vollständig ins Serbokroatische übersetzt. Aus Dubrovnik berichtete Kaiser, dass die internationale Vertretung der UNESCO gemeinsam mit ihrer kroatischen Filiale dort ein Büro eröffnet hatte, um den Aktionsplan für die Stadt zu implementieren.
JUNI 1995: RÜCKEROBERUNG UND VERGELTUNG. DER ACHTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS.
Im Frühjahr 1995 ging die serbische Herrschaft in den eroberten kroatischen Territorien ins vierte Jahr. Die eilig eingesetzten Provinzverwaltungen waren Marionetten der serbischen Regierung in Belgrad und wurden von dort in jedem Belang dirigiert. Das Versprechen einer prachtvollen Renaissance des Serbentums hatte sich jedoch weder in Slawonien noch in den anderen Regionen entlang der bosnischen Nord- und Westgrenze bis hinab nach Dalmatien erfüllt. Die Lebensbedingungen in den nun serbischen Gebieten in der westlichen Srijem, der Baranja, Banija, Lika und Kordun waren denkbar schwierig und von Entbehrungen 1085 Council of Europe (Mai 1995), P14, 15, 16. 1086 Council of Europe (Mai 1995), II, A. 1087 Council of Europe (Mai 1995), II, A, D.
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gekennzeichnet. Nach dem ersten Rausch eines teuer erkauften Sieges stellten sich Kopfschmerzen ein. Die wirtschaftliche Situation in den Regionen war katastrophal. Der Krieg hatte die ohnehin marode Ökonomie vollständig zerstört. Belgrad sah sich außer Stande, die neuen Provinzen im Westen angemessen zu versorgen. Die Moral der dort stationierten Truppen und paramilitärischen Einheiten war zerrüttet.1088 Anfang Mai 1995 eroberten kroatische Truppen, die seit Ende 1993 von USMilitärs beraten und ausgebildet wurden, innerhalb weniger Tage in der Operation Bljesak (Blitz) Teile der serbisch besetzten Gebiete in Slawonien, die als UNPA West von der internationalen Staatengemeinschaft überwacht worden waren, zurück. Die von dem Vormarsch der Kroaten zutiefst verunsicherte serbische Bevölkerung begann aus Ostkroatien und der sogenannten Krajina zu fliehen.1089 Doch war das erst der Auftakt zu dem, was noch kommen sollte. In diese Zeit fällt auch der achte Bericht des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats, der auf 29 Seiten insgesamt 3 kürzere selbstständige Texte enthält. Der mit Abstand interessanteste dieser Texte ist ein Bericht der ECMM, die auf Anregung und mit der maßgeblichen Unterstützung von Colin Kaiser im Juni 19941090 selbst dazu übergegangen war, den Zustand des kulturellen Erbes in den für ihre Mitarbeiter zugänglichen Gebieten in Kroatien und Bosnien-Herzegovina zu überwachen. Interessant ist der Bericht der europäischen Beobachtermission, verfasst durch den Chef der humanitären Sektion Albert Hittmeyer, vor allem deshalb, weil er differenziert auf das kulturelle Erbe aller Konfliktparteien eingeht. Dabei scheint die ECMM die Berichte von Vertretern dieser Parteien genutzt zu haben, um verschiedene Objekte mit eigenen Beobachtern in Augenschein zu nehmen. So wird etwa Mileusnićs Spiritueller Genozid (Duhovni Genocid), das kurz zuvor erst erschienen war, als Grundlage erwähnt. Hittmeyer unterstreicht die Wichtigkeit der europäischen Beobachtermission in Bezug auf das Kulturerbe des ehemaligen Jugoslawien angesichts der „Ineffizienz der Haager Konvention“1091. Nichtsdestoweniger ist auch in seinem Bericht die Diskrepanz zwischen mutmaßlich betroffenen und durch die ECMM tatsächlich überprüften Objekten offensichtlich. Von 833 über Informationen aus zweiter und dritter Hand ermittelten Strukturen konnte die ECMM offenbar lediglich 186
1088 1089 1090 1091
Almond (2007), 439 ff.; Rathfelder (2007), 358. Vetter (2007), 564; Rathfelder (2007), 358. Council of Europe (Juni 1995), 1, P. 1. Council of Europe (Juni 1995), 1, P. 51.
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verifizieren. In ihren Untersuchungen konzentrierte sich die Beobachtermission hauptsächlich auf sakrales Erbe. Das hatte vor allem zwei Gründe: The teams have monitored mainly sacral heritage. This is partly because this type of heritage is especially singled out for destruction on account of its symbolic importance to the people, but also because identification of specific civil heritage is sometimes difficult, and ECMM often does not have detailed information from cultural authorities.1092
Die ECMM hatte ihren Bericht in zwei Abschnitte unterteilt, von denen der erste den Zeitraum vom Beginn der Kontrollen im Juni bis Ende 1994 zum Gegenstand hat. In den sechs Monaten hatte die ECMM 34 Objekte1093 in Augenschein genommen. Während einige der Strukturen unversehrt waren, fanden die Beobachter andere leicht oder schwer beschädigt vor. Schwere Kriegsschäden wiesen vor allem sakrale Bauwerke auf. Wenig überraschend ist dabei, dass Kirchenbauten der jeweils anderen Ethnie in dem kroatisch bzw. serbisch kontrollierten Territorium stärker betroffen waren als die der eigenen. Jedoch ist auch hier Vorsicht vor übereilten Schlussfolgerungen geboten. Die 34 zunächst durch die ECMM überprüften Objekte sind kaum repräsentativ angesichts der mutmaßlichen Gesamtzahl von 916 bis dahin als beschädigt oder zerstört angegebenen Strukturen.1094 Zudem lag der Fokus sowohl der lokalen als auch der internationalen Beobachter und Berichterstatter auf dem sakralen Erbe der Konfliktparteien. Es ist daher wahrscheinlich, dass vernakuläres Erbe in diesen Berichten unterrepräsentiert ist. Leider macht die ECMM im ersten Teil ihres Berichts keine qualitativen Angaben zu den untersuchten Objekten. Wir erfahren nichts über ihren Standort, den Zeitpunkt ihrer Errichtung sowie die Umstände ihrer Zerstörung oder Beschädigung. Das ändert sich mit dem zweiten Untersuchungszeitraum von Januar bis April 1995. In diesen vier Monaten besuchten die Teams der Beobachtermission 24 Objekte in Kroatien, wobei 14 auf kroatisch und 10 auf serbisch kontrolliertem Territorium lagen. Bestätigt wird das oben skizzierte Muster des jeweils höheren Anteils an Zerstörungen gegnerischer Objekte. Für diese Objekte führt die ECMM nun auch einige qualitative Beschreibungen der Schäden auf, die in mehrerlei Hinsicht interessant sind. Zum einen bestätigen 1092 Council of Europe (Juni 1995), 1, P. 5. 1093 Darunter katholische und orthodoxe Kirchen, Museen, archäologische Stätten sowie zivil genutzte Gebäude. 1094 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
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die Angaben, dass es auf beiden Seiten zu mutwilligen, nicht mit dem internationalen Völkerrecht vereinbaren Zerstörungen gekommen ist. Zum anderen sind auch Differenzierungen hinsichtlich der Art und Qualität der Zerstörungen möglich. Zu guter Letzt können anhand der Angaben die Äußerungen der Konfliktparteien, etwa bei Mileusnić, überprüft werden. So sei die orthodoxe Kirche des hl. Demetrius in Ratkovica (1874, zerstört im Zweiten Weltkrieg, wiedererrichtet 1980), auf halber Strecke zwischen den Städten Slavonski Brod und Nova Gradiška, durch Sprengladungen schwer beschädigt worden, was Angaben Mileusnićs bestätigt: „These last reports confirm what is said in Mileusnic’s brochure“1095. Andererseits können dessen Ausführungen zum Speisesaal des orthodoxen Bischofssitzes im Dubrovniker Stadtteil Lapad nicht verifiziert werden. Dieser war zwar durch Projektile äußerlich beschädigt, jedoch nicht durch Sprengladungen im Inneren zerstört, „so dass nur die Außenwände übriggeblieben“ waren, wie Mileusnić behauptet hatte. Die Projektile waren im Übrigen durch serbische Truppen selbst auf das Gebäude abgefeuert worden.1096 Was die Qualität und die Art der Zerstörungen anbelangt, so konnten die Teams der europäischen Beobachtermission im Einklang mit Mileusnić feststellen, dass die orthodoxe Kirche der Apostel Peter und Paul (1828) im Ort Kućani in Slawonien gezielt in die Luft gesprengt, die orthodoxe Kirche des hl. Eliah (1872) hingegen durch kroatischen Artilleriebeschuss beschädigt worden war.1097 Durch Einheiten der Serbischen Armee der Republik Serbische Krajina gesprengt wurde aber auch die katholische Kirche des hl. Martin, errichtet vom 12. bis 15. Jahrhundert im Ort Donji Lepuri zwischen den Adriastädten Zadar und Split gelegen.1098 Eine weitere Perspektive auf die Situation im Frühjahr 1995 in Kroatien steuert ein kurzer Bericht von Colin Kaiser bei. Demnach seien bei der Rückeroberung der serbisch besetzen Gebiete durch kroatische Truppen während der Operation Bljesak1099 die serbisch bewohnten Orte Gređani-Okučani, Čovac und Vrbovljani1100 zerstört worden. Dabei sollen 76 Häuser niedergebrannt oder gesprengt worden sein. Kaiser mutmaßt, dass es sich hierbei um Racheakte handelte: „in other words this is a case of organised reprisal activity“. Die serbischen Kräfte im 1095 1096 1097 1098 1099
Council of Europe (Juni 1995), 1, P. 23, Appendix. Council of Europe (Juni 1995), 1, P. 22. Council of Europe (Juni 1995), 1, P. 25, 30. Council of Europe (Juni 1995), P. 29. Kaiser verwendet die Bezeichnung „Operation Bljesak“ in seinem Text nicht, bezieht sich jedoch auf den kroatischen Vormarsch unter diesem Namen. 1100 Alle drei Orte liegen dicht beieiander in Slawonien etwa 20 Kilometer nordwestlich von Gradiška.
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bosnischen Banja Luka reagierten auf die Brandschatzung der Orte wiederum mit Angriffen auf das sakrale kroatische Erbe in und um Banja Luka.1101 Der dritte Teil des Berichts ist ein sehr allgemeines Statement von Marian Wenzel, das diese auf einer Konferenz in London am 15. Juni 1995 zur Arbeit ihrer Organisation abgegeben hatte. Es kann, ebenso wie die Ausführungen der ECMM und Kaisers zur Situation in Bosnien-Herzegovina, vorerst unberücksichtigt bleiben. Zu Racheakten, zu Morden an serbischer Zivilbevölkerung und zu gezielten wie systematischen Zerstörungen von serbischem Besitz und Kulturerbe kam es nicht erst mit der sich abzeichnenden Wende des Krieges und der Rückeroberung von Territorium aus serbischer Kontrolle. Die Anklageschriften des Tribunals im Den Haag zeigen, dass kroatische Einheiten bereits zuvor Kriegsverbrechen verübt hatten. Eines der schwerwiegendsten ereignete sich während der kroatischen Militäroperationen im sogenannten Medak-Pocket (Medački džep), einem Gebiet südlich der Stadt Gospić, nordwestlich von Zadar, im September 1993.1102 Ziel der Vergeltungsaktionen waren nicht ausschließlich Menschen, sondern auch deren religiöse und kulturelle Raumzeichen.
JANUAR 1996: „OPERATION STURM“ – DER NEUNTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS
Am 4. August 1995 waren kroatisches Militär und Polizeieinheiten zur Rückeroberung des als Republik Serbische Krajina vereinnahmten kroatischen Territoriums entlang der bosnischen West- und Nordgrenze mit der Stadt Knin im Zentrum angetreten. Die Operation Oluja war bereits am 7. August, nach gerade einmal drei Tagen, beendet. Die demoralisierten serbischen Verbände hatten den durch US-Truppen ausgebildeten, inzwischen deutlich hochgerüsteten kroatischen Einheiten, die mit insgesamt mehr als 200.000 Mann angriffen1103, kaum etwas entgegenzusetzen. Während des schnellen Vormarschs der kroatischen Truppen und auch noch nach der Rückeroberung der Gebiete kam es zu Übergriffen auf die serbische Zivilbevölkerung und zur Zerstörung von Wohnhäusern und kulturel-
1101 Council of Europe (Juni 1995), 2, 2 und Appendix. 1102 Case Information Sheet „Medak Pocket“ (IT-02-62). Der hauptangeklagte Kroate Janko Bobetko verstarb vor der Überstellung an das Tribunal in Den Haag im Frühjahr 2003. 1103 Rathfelder (2007), 359.
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lem Erbe. Zwischen 150.000 und 200.000 Serben flohen aus der Krajina; etwa 800 Serben wurden ermordet.1104 Als hauptverantwortlich für die Kriegsverbrechen wurden später die Kroaten Ante Gotovina, Ivan Čermak und Mladen Markač vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt. Neben Mord und Vertreibung aus politischen, rassistischen und religiösen Beweggründen enthielt die Anklageschrift auch den Vorwurf der „Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums und willentliche Zerstörung von Städten, Ortschaften und Dörfern oder Zerstörungen, die nicht durch militärische Gründe gerechtfertigt werden können“. Zumindest zwei der kroatischen Militärs – Gotovina und Markač – wurde vorgeworfen, in einem kriminellen Zusammenschluss, einer sogenannten Joint Criminal Enterprise1105, der neben anderen auch der kroatische Präsident Tuđman und weitere führende Politiker des Landes angehört haben sollen, die systematische Vertreibung der Serben aus der Krajina vorbereitet und betrieben zu haben. Gotovina und Markač wurden für ihre Verantwortung an den Verbrechen am 15. April 2011 durch das Gericht in Den Haag zu 24 bzw. 18 Jahren Haft verurteilt. Čermak hingegen wurde von allen Anschuldigungen freigesprochen. Am 16. November 2012 hob die Appellationskammer des Internationalen Strafgerichtshof in einem Berufungsverfahren dieses Urteil jedoch auf und sprach Gotovina und Markač schlussendlich frei. In der Begründung des Freispruchs berief sich die Kammer auf die Fehlerquote und mögliche Abweichung von Artilleriegeschossen. Diese könne bis zu 200 Meter betragen. Wenn also, wie in der Anklage angegeben, während der Operation Oluja auch zivile Ziele mit Artilleriegeschossen getroffen worden waren, so sei das nicht notwendigerweise in der Absicht geschehen, die serbische Zivilbevölkerung in der Krajina einzuschüchtern und zu vertreiben, sondern könne vielmehr auch der Fehlerquote der Artilleriegeschütze bei der Zielansprache geschuldet gewesen sein.1106 Die Zerstörung von zivilen Wohnhäusern und von Kulturerbe war in diesem Fall nach Ansicht der Richter in Den Haag als nicht intendierter sogenannter „Kollateralschaden“ zu bewerten. Wie auch immer dieses Urteil und dessen Begründung aus juristischer Sicht zu bewerten sind, bleibt eines festzuhalten: der Freispruch insbesondere Gotovinas unter dieser Begründung hat nicht ausschließlich, aber maßgeblich der Wahrnehmung des Haager Tribunals als dezidiert anti-serbische Institution massiven Vorschub geleistet – und das nicht allein in Serbien. 1104 Kaser (2007), 408. 1105 Ein juristischer Fachausdruck, der durch den Strafgerichtshof eigens für die Verbrechen in den Postjugoslawischen Kriegen eingeführt worden war. 1106 ICTY, Case Information Sheet „Operation Storm“ (IT-06-90) Gotovina & Markač.
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Um den Zustand hauptsächlich des serbischen Kulturerbes in den durch kroatische Truppen zurückeroberten Regionen zu untersuchen, reiste wiederum HansChristoph von Imhoff, begleitet durch den Leiter der Humanitären Sektion der ECMM, Jan Gallus, vom 6. bis 11. Dezember 1995 in die Region um die Stadt Knin. Der Auftrag zu dieser Mission war wiederum durch das Parlament des Europarats in Abstimmung mit ICOM erteilt worden. Großzügig gerechnet dauerte von Imhoffs Einsatz insgesamt sechs Tage oder 144 Stunden. Nach eigenen Angaben verbrachte er davon 53 Stunden im Auto auf der Straße. Wetter- und Straßenverhältnisse sowie Sicherheitseinschränkungen erschwerten die Fortbewegung in der zum Teil bergigen Region. Somit blieben ihm 91 Stunden oder knapp vier Tage, um seinen Auftrag zu erfüllen. Zahlreiche Treffen mit kroatischen Offiziellen wie etwa Branka Šulc und Ruža Marić nahmen ebenfalls Zeit in Anspruch.1107 Es ist offensichtlich, dass in dieser kurzen Zeit kaum belastbare Erkenntnisse über die komplexe Situation zu gewinnen waren, die sich von Imhoff und seinem Begleiter darstellte. Neben dem Zeitproblem kommt von Imhoff in seinem Bericht auf eine weitere Erschwernis zu sprechen – den desolaten Zustand der Dokumentation des kulturellen Erbes Jugoslawiens aus der Vorkriegszeit und die bis heute nicht erfolgte vollständige unabhängige Untersuchung der tatsächlichen Zerstörungen ebenso wie der Berichte über diese. […] the most important information only exists in a very fragmented form and is not publicly accessible. Precise published inventory lists, not only of Serbian Orthodox and of Croatian Catholic, but also of all other cultural heritage on the territories of the former Yugoslavia, would be of capital importance. Only through their independent verification might light be shed on what really happened and what is hearsay up to and during the last five years of war in the former UNPA Sectors North and South and other areas.1108
Ein großer Teil der Integrität und der Glaubwürdigkeit seiner Berichte verdankt sich dem selbstkritischen Blick, mit dem er die Möglichkeiten und Voraussetzungen nicht nur seiner, sondern der internationalen Missionen überhaupt beurteilte. Was die Quellen anbelangt, auf die er sich stützen konnte, so stand er – ähnlich wie bei seiner Mission in Vukovar – vor dem Problem, dass er zunächst herausfinden musste, welchen Umfang das Kulturerbe der Krajina ursprünglich hatte, 1107 Council of Europe (Januar 1996), III, P. 11. 1108 Council of Europe (Januar 1996), III, P. 3.
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wie es im Raum verteilt war und welche Objekte es im Einzelnen umfasste. Ohne diese Informationen konnte von Imhoff, zugespitzt formuliert, gar nicht wissen, wonach er überhaupt Ausschau halten sollte. Zwar konnte er wiederum auf die Berichte der ECMM vom Dezember 1994 sowie vom April und Juli 1995 zurückgreifen. Auch die bisherigen Studien des Europarats, hauptsächlich von Colin Kaiser, standen ihm zur Verfügung. Aber diese Berichte gaben lediglich Zerstörungen und Beschädigungen wieder – und das in den meisten Fällen nur vom Hörensagen. Dokumentationen des Kulturerbes der Krajina vor dem Krieg waren sie nicht. Dementsprechend schwierig gestaltete sich die Rekonstruktion der Ausgangslage. Ausstellungskataloge, Reiseführer/Reisehandbücher sowie während des Krieges auf serbischer und kroatischer Seite hastig kompilierte Bestandsaufnahmen des „eigenen“ Erbes weist die dem Bericht beigefügte Liste unter anderem auf. Darunter befinden sich ein Kalender der SPC für 1986 oder ein französischer Guide bleu von Jugoslawien von 1988. Das war das Material, auf das ein Experte des Europarats bei der Evaluation von Kriegsschäden 1995 in Kroatien angewiesen war. Jedoch sind auch Mileusnićs Spiritueller Genozid und ein Handbuch des Muzejski Dokumentacijski Centar zu kroatischen Museen und Galerien von 1993 in von Imhoffs Liste aufgeführt.1109 Was spezifische Informationen zum beschädigten und zerstörten Kulturerbe der Serben in der Krajina anging waren die kroatischen Behörden offenbar überfragt und die SPC entweder wegen des andauernden Konflikts nicht ansprechbar oder zur Zusammenarbeit nicht bereit. Die Situation vor dem Ausbruch des Krieges, wie von Imhoff sie schilderte, wirft ein bezeichnendes Licht auf den jugoslawischen Denkmalschutz. Auch hier gibt es starke Parallelen zu seinen Beobachtungen bezüglich der Sammlungen von Vukovar. So war es vor 1991 den Mitarbeitern des Denkmalschutzes in Kroatien nicht gestattet, die orthodoxen Sakralbauten und deren beweglichen Kirchenschatz in Augenschein zu nehmen. Inventarlisten existierten zumindest auf kroatischer Seite daher nicht. Von Imhoff vermutete umfangreiche Verzeichnisse im Museum der Orthodoxen Kirche in Belgrad, konnte von diesen aber offenbar keine Kopien erhalten. Unmittelbar vor und auch im Verlauf des Krieges waren große Mengen des beweglichen orthodoxen sakralen Erbes, Ikonen und Ikonostasen, liturgische Gegenstände etc., nach Serbien abtransportiert worden. Welchen Umfang diese Transporte hatten und was im Detail sie enthielten, konnte von Imhoff ebenfalls nicht in Erfahrung bringen. Ein Inventar der Transporte, an dem Marko Omčikus offenbar arbeitete, stand ihm noch nicht zur Verfügung. Die kroatischen Behörden hatten ihrerseits nach der Rückerobe1109 Council of Europe (Januar 1996); III, P. 30, 34 und Appendix II.
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rung der Region aus verschiedenen Gründen keine Anstrengungen unternommen, mit der Inventarisierung der Schäden zu beginnen.1110 Texte zu den Zerstörungen erhielt von Imhoff sowohl von serbischen als auch von kroatischen Institutionen. Ein Teil dieser Quellen wurde nicht publiziert, andere sind heute nicht mehr ohne weiteres erhältlich. Ohnehin bemängelt von Imhoff den parteiischen Charakter dieser Studien und die darin enthaltenen unzuverlässigen Informationen. Mileusnićs Spiritueller Genozid sei trotz seiner hilfreichen historischen Übersicht zu relevanten Objekten in mindestens neun Fällen faktisch falsch und die Beschreibung struktureller Schäden darin sehr allgemein gehalten.1111 Hans-Christoph von Imhoff stellte bei seinen Erkundungen fest, dass das kroatische sakrale Erbe am stärksten in Mitleidenschaft gezogen war. Offenbar waren die katholischen Kirchen in der Krajina gezielt und systematisch angegriffen worden. Auf serbischer Seite existierten allem Anschein nach exakte Kenntnisse über die ethnische Verteilung in den besetzten Gebieten vor dem Krieg. In gemischt besiedelten Städten und Siedlungen fand von Imhoff kroatische Wohnhäuser und katholische Kirchen zerstört, auch wenn dort keine Kampfhandlungen stattgefunden hatten. Ursprünglich kroatische Wohnhäuser erkannte er daran, dass sie überwiegend zerstört waren. In dem Ort Hrvatski Čuntić, etwa 25 Kilometer südwestlich von Sisak, waren auch die Häuser von Familien kroatisch-serbischer Mischehen zerstört.1112 Ebenfalls interessant ist, dass von Imhoff in verschiedene Muster der Zerstörung unterscheidet. Die häufigste Art der vollständigen Zerstörung von katholischen Kirchen war mit Kriegsmitteln improvisiert. Dabei wurden je eine Panzermine auf der Süd- und Nordseite im Gemäuer des Gebäudes untergebracht und dann gleichzeitig gezündet. Die Wände des Bauwerks wurden durch den Explosionsdruck nach außen gedrückt, das Dach brach über der kollabierenden Struktur zusammen. Auch die sogenannte „Befreiungsarmee des Kosovo“ sollte sich dieser Methode zwischen 1999 und 2004 bedienen, um orthodoxe Kirchen in Kosovo zu sprengen. Eine weitere Methode bestand in der kontrollierten, mit Ingenieurwissen durchgeführten Sprengung, wie bei der katholischen Kirche in Škabrnja, einem Ort etwa 25 Kilometer südöstlich von Zadar.1113 Eine dritte Form der Zerstörung schließlich erfolgte durch den Beschuss mit Mörser- und Artilleriegranaten. Unter 1110 1111 1112 1113
Council of Europe (Januar 1996), III, P. 16. Council of Europe (Januar 1996), III, P. 30 ff. Council of Europe (Januar 1996), III, P. 45 ff. Council of Europe (Januar 1996), III, P. 45.
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den durch von Imhoff persönlich in Augenschein genommenen Objekten war ein katholischer Konvent mit Panzerminen gesprengt. Drei von 15 katholischen Kirchen waren nicht mehr vorhanden, an der Stelle ihres früheren Standortes fand er lediglich planierte und überwachsene Flächen vor. Von fünf weiteren katholischen Kirchen waren lediglich Schuttberge übriggeblieben. Weitere fünf Kirchen waren stark, eine sechste leicht beschädigt sowie eine siebte bereits komplett wiederhergestellt. Ein gänzlich anderes Bild bot hingegen das sakrale orthodoxe Erbe in der Region. Von Imhoff besuchte zwei orthodoxe Klöster und fünfzehn Kirchen, von denen lediglich zwei Kirchen stark beschädigt waren.1114 Leider nennt er jedoch kaum einen Namen der besichtigten Strukturen.1115 Aufgrund der zeitlichen Einschränkungen und der geringen Anzahl besuchter Bauwerke (gemessen an den in verschiedenen anderen Berichten als betroffen gemeldeten Objekten) kann von Imhoffs Bericht, wenn überhaupt, nur unter Zugeständnissen als repräsentativ für den Gesamtumfang der Zerstörungen angesehen werden. Die Einschätzung, dass kroatisches Kulturerbe, vor allem Kirchen, allgemein stärker betroffen gewesen sei als das der orthodoxen Serben, bildet zwar eine Tendenz ab, die auch andere Experten beobachteten. Eine verbindliche Aussage ließe sich nichtsdestoweniger erst nach der unabhängigen Überprüfung aller Angaben treffen, was er selbst explizit forderte. Bestätigen kann er hingegen, dass es während und nach der Operation Oluja zu massiven Übergriffen in Form von Racheakten gegen serbischen privaten Besitz durch kroatische Einheiten und zurückkehrende Kroaten gekommen war. Seine diesbezüglichen Ausführungen deuten auf ein systematisches, bewusstes und allgemein geduldetes Vorgehen hin. Neben Brandstiftungen und Plünderungen kam es auch zur Inbesitznahme serbischer Wohnhäuser durch kroatische Zivilisten.1116 Was das Vorgehen serbischer und kroatischer, aber auch internationaler Organisationen zur Erfassung und zum Schutz des betroffenen Kulturerbes angeht, kritisiert von Imhoff, durchaus im Einklang mit Colin Kaiser, die fehlende Koordination dessen und die teilweise wie Wettbewerb anmutende Konzentration auf einzelne Objekte. Die meisten Organisationen operierten demnach auf eigene Faust und ohne sich abzustimmen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien. Als Beispiel für diese Praxis nennt er das Nationalmuseum in Sarajevo, das sich die NGO BHHR, ICOM und die Schweizer Regierung gleichermaßen als Ziel 1114 Council of Europe (Januar 1996), III, P. 27 f. 1115 Warum von Imhoff die Namen der Objekte nicht nennt, erschließt sich mir nicht. Ich nehme an, er kannte sie selbst nur zum Teil. 1116 Council of Europe (Januar 1996), III, P. 50 ff.
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für ihr Engagement auserkoren hatten. Auch das UNESCO-Projekt zur Rekonstruktion Vukovars wurde offenbar ohne jeden Bezug zu den früheren Berichten des Europarats und von Imhoffs eigenen Studien organisiert.1117 Auf der Basis seiner Beobachtungen empfiehlt Hans-Christoph von Imhoff die Einrichtung einer Kommission, in der neben kroatischen und serbischen staatlichen wie religiösen Institutionen auch internationale Organisationen wie ICOM und ICOMOS zu beteiligen seien. Die Hauptaufgabe dieser Kommission sollte zunächst die Erstellung vollständiger Listen des beweglichen und unbeweglichen Kulturerbes in ganz Jugoslawien sein. Des Weiteren rät er zur Bündelung von Informationen auf einer entsprechenden Internetseite.1118
FRÜHJAHR 1996: „LIBROZID“ – DIE SLOWENISCHE KUNSTHISTORIKERIN NATAŠA GOLOB ÜBER BIBLIOTHEKEN IN JUGOSLAWIEN
Nachdem die Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegovina beendet waren, kam es zu den vorerst letzten Bestandsaufnahmen der Zerstörungen in beiden ehemaligen jugoslawischen Republiken. Die meisten Berichte aus diesem Zeitraum sind überwiegend redundant. Anstelle weiterführender Untersuchungen und Überprüfung der Angaben der Konfliktparteien wird Bekanntes in unterschiedlichen Zusammenhängen wiederholt. Weil jedoch auch die Wiederholung zum Diskurs gehört und zeigt, wie sich Aussagen verbreiten und unter anderem zur Begriffsbildung beitragen, soll an dieser Stelle exemplarisch ein Text, auf den diese Charakterisierung zutrifft, besprochen werden. Im Frühjahr 1996 veröffentlichte die slowenische Kunsthistorikerin und Expertin für slowenische Literatur des Mittelalters, Nataša Golob, in der Gazette du Livre Médiéval ihren Aufsatz Bibliotheken im Krieg (ehemaliges Jugoslawien, 1991–1995). Ihr Fokus liegt deutlich auf Kroatien. Von den insgesamt 27 angeführten Bibliotheken befinden sich 22 auf kroatischem, jedoch lediglich 5 auf bosnischem Territorium. Viel Neues enthält der Text nicht. 24 Bibliotheken waren bereits in früheren Veröffentlichungen erwähnt. Offenbar erhielt Golob ihre Informationen aus Kroatien, denn ihre Ausführungen sind weitestgehend identisch mit denen in der Publikation der Vereinigung kroatischer Bibliotheken von 19931119, die Angaben zum Zerstörungsgrad einzelner Objekte und Sammlungen sind sogar zum Teil wort1117 Council of Europe (Januar 1996), III, P. 36 ff. 1118 Council of Europe (Januar 1996), III, D ff. 1119 Hrvatsko Bibliotekarsko Društvo (1993).
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gleich. Ihr Anliegen war es offenbar, ein internationales Fachpublikum über die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien, insbesondere die Angriffe auf Bücher und Bibliotheken sowie deren Hintergründe, aufzuklären. Golob hatte keine eigenen Exkursionen in die Kriegsgebiete unternommen – insofern ist ihr Text weniger als Bericht denn als Interpretation zu verstehen. Den Beginn des Konflikts will die Autorin lange vor dem Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen ausgemacht haben. Plausibel im Kontext des weiter oben Ausgeführten beschreibt sie die beginnende Abrechnung mit den politischen Ikonen des sozialistischen Jugoslawien unmittelbar nach dem Tod Titos: Damals begannen viele Bibliotheken in ganz Jugoslawien Bücher und Material, die in den Jahren 1945 bis 1980 erschienen waren, aus ihrem Bestand auszusortieren. Unter den ausgeschiedenen Autoren befanden sich meist Josip Broz Tito und Edvard Kardelj. Diese Entscheidungen deuteten bereits an, daß sich eine Abrechnung mit all jenem näherte, was noch am Vortag Geltung besessen und die fünf Republiken, sechs Völker, sieben Nationalitäten und acht Sprachen zu einem Staat vereinigt hatte.1120
Vor dem Hintergrund dieses „Krieges gegen die Erinnerung“ interpretierte Golob schließlich die Zerstörung der Bibliotheken und ihrer Bestände als „Librozid“, der wiederum Teil eines größeren Unterfangens, des „Ethnozids“, sei: Die Dimensionen dieses Librozids, der vom Frühjahr 1991 bis zum Herbst 1995 wütete, sind unbekannt und auch in der nächsten Zukunft werden sich die Schätzungen nur im Ungefähren bewegen können. […] Die Bibliotheken waren „beliebte“ Ziele der Artillerie; deren erklärte Absicht war es, historische Dokumente zu vernichten, um mit der Tilgung des historischen Gedächtnisses ein „gesäubertes Gebiet“ zu schaffen und ihm danach eine neue nationale „Identität“ überzustülpen. Es handelte sich folglich um ein Mittel der Politik des Ethnozids.
Variationen von Lemkins Begriff „Genozid“ – wie „Librozid“, „Urbizid“ oder „Kulturozid“ – wurden für die Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen häufig gebraucht. Sie haben etwas Zwingendes, zumal sie tatsächlich eine Perspektive der Übergriffe auf das Kulturerbe treffen. Nichtsdestoweniger verstellen sie ihren Gegenstand auch. Ähnlich wie die Begriffe „Ikonoklasmus“ und „Bildersturm“ 1120 Golob (1996). Alle folgenden Zitate sind der Online-Version des Textes entnommen und weisen deswegen keine Seitenangaben auf.
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abstrahieren sie von individuellen Fällen von Kulturerbezerstörung. An Verallgemeinerungen mangelt es jedoch nicht, vielmehr fehlt es an differenzierten Studien zu konkreten Objekten. In der Wiederholung und Interpretation bereits bekannter Aussagen liegt der Kern des Problems. Mit dem Ende der Kriege geriet auch die damit einhergegangene Kulturerbezerstörung allmählich wieder in Vergessenheit. Nur wenige Akteure wie András Riedlmayer, Robert Elsie oder Helen Walasek setzten die Aufarbeitung der Geschehnisse fort. Die Qualität ihrer Studien ist unbestritten, wenngleich sie nicht alle Kriegsgebiete gleichermaßen abbilden.
1996: EINE „BLUTENDE WUNDE IM LEBENDEN KULTURELLEN KÖRPER DES KROATISCHEN TERRITORIUMS“ – KROATISCHES INFORMATIONSZENTRUM ET AL.: DIE VERWUNDETE KIRCHE IN KROATIEN
Nach der Rückeroberung serbisch besetzter Gebiete im Frühjahr und Sommer 1995 hatten kroatische Behörden und Institutionen wieder Zugang zu diesen Territorien und konnten die Kriegsschäden evaluieren. Einzig die UNPA East, ein relativ kleines Territorium in Ostslawonien an der Grenze zu Serbien, war nach wie vor serbisch besetzt und dementsprechend nicht zugänglich. Nicht ausschließlich auf der Basis nun verfügbarer Informationen gab ein Zusammenschluss verschiedener kroatischer Institutionen Ende 1996 ein Buch mit dem Titel Die verwundete Kirche in Kroatien / Die Zerstörung des sakralen Bauerbes Kroatiens (1991–1995) heraus. Als verantwortliche Herausgeber werden im Impressum des knapp 500 Seiten starken Bandes die Kroatische Bischofskonferenz, das Kroatische Informationszentrum (Hrvatski Informativni Centar, HIC)1121, der Verband der Auslandskroaten sowie das Staatliche Amt für den Schutz des Kultur- und Naturerbes Kroatiens genannt. Der Text existiert in einer kroatischen, englischen und deutschen Version. Tatsächlich ist auch diese Veröffentlichung eine weitere nationalistische Streitschrift, wenngleich sie die berechtigte Klage um die Verwüstung des kroatischen Kulturerbes enthält. Letzteres umfasst wiederum überwiegend katholische Kirchenbauten. Daneben werden jedoch auch das Schicksal der Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche und das Erbe kleinerer religiöser Gruppen wie der evangelischen, der reformierten, der calvinistischen und der baptistischen Kirche sowie der jüdischen Gemeinde thematisiert. 1121 Das Kroatische Informationszentrum war 1991 in Privatinitiative zur Information hauptsächlich der Auslandspresse über das Kriegsgeschehen in Kroatien gegründet worden (Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), Anmerkungen der Redaktion).
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Die formale Struktur entspricht der anderer kroatischer und serbischer Publikationen. In der charakteristischen dreiteiligen Gliederung erfolgt zunächst eine „Aufklärung“, „Richtigstellung“ oder „Information für Uneingeweihte“ über die kroatische (serbische) Geschichte, die zumeist im frühen Mittelalter (durchaus aber auch davor) ansetzt und eine ungebrochene Kontinuität der eigenen Nationalstaatlichkeit konstruiert. Opfermythos und eigene Überhöhung werden an der besonderen Boshaftigkeit und Kulturlosigkeit des Gegenübers gespiegelt. Diese einfache Polarisierung treibt Radovan Ivančević im vorliegenden Band auf die Spitze, wenn er einmal mehr Kroatien zur antemurale christianitatis erklärt und feststellt: Eine gründliche Analyse wird erweisen, dass an allem, was man in der Welt und in Europa aus Jugoslawien Positives, Kreatives, Ursprüngliches oder Wertvolles kannte, und zwar in jeglicher Hinsicht, Kroatien und die Kroaten den größten Anteil haben.1122
Unterteilt ist Die verwundete Kirche in Kroatien in sieben Abschnitte, wobei sechs Texte von verschiedenen Autoren die beschriebene typische Polarisierung vornehmen, während der weitaus größte siebte Teil der Aufzählung beschädigter und zerstörter sakraler Bauwerke in Kroatien gewidmet ist. Die beiden größeren Einheiten, bestehend aus Einleitung und Erklärung einerseits sowie der Auflistung von betroffenen Objekten andererseits, sind komplementär insofern, als dass die bebilderte Beschreibung der Zerstörungen im zweiten die Aussagen des ersten Teils bezeugen soll und umgekehrt. Im Vorwort der Redaktion wird über Intention, Quellen, Ziele und Methodik Aufschluss gegeben. Demnach sollte ausdrücklich nicht lediglich das katholische sakrale Erbe, sondern vielmehr auch das der übrigen Religionsgemeinschaften Gegenstand der Studie sein. Hier folgt bereits die erste Einschränkung: Das Erbe der SPC konnte nur in geringem Umfang berücksichtigt werden. Zur Aufstellung einer interkonfessionellen Arbeitsgruppe fehlte die Zeit. Die systematische Besichtigung aller Bauwerke musste deswegen unterbleiben. Es konnten lediglich die Objekte aufgenommen werden, „die sich in den durch die Aktionen Bljesak und Oluja befreiten Gebieten Kroatiens befinden“. Und auch da wurden nur die Strukturen berücksichtigt, die im Amt für den Schutz des Kultur- und Naturerbes Kroatiens als Kulturdenkmäler registriert waren. Am Ende waren es lediglich 29 beschädigte oder zerstörte Kirchen und Kapellen der SPC, die überhaupt Erwähnung fanden. 1122 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 76 ff.
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Damit erwies sich das erklärte Ziel der Publikation, „die beschädigten und zerstörten Bauwerke sämtlicher Glaubensgemeinschaften Kroatiens zu erfassen“1123, als Propagandaformel. Über eine Anzahl geeigneter Filter verschwand das beschädigte sakrale Erbe der orthodoxen Christen nahezu vollständig aus der Dokumentation. Dies war jedoch nur wahrzunehmen, wenn man auch die früheren serbischen Dokumente und den dort behaupteten Umfang der Zerstörungen kannte. In der Veröffentlichung der serbischen Ministerien vom Februar 1992 waren 97, in Mileusnićs Spiritual Genocide von 1994 209 Bauwerke als zerstört und beschädigt angegeben1124. Ein Leser ohne die entsprechenden Kenntnisse hielt lediglich einen hochwertig produzierten Band mit augenscheinlich fundierten Beiträgen zur kroatischen Geschichte in der Hand. Ähnlich der Darstellung Mileusnićs bildete auch die kroatische Veröffentlichung die Schäden an katholischen Sakralbauten nach Bistümern ab, die der übrigen Religionsgemeinschaften jedoch nach der staatlich-administrativen Gliederung Kroatiens. Ebenso wie das serbische Gegenüber nahmen auch die kroatischen Herausgeber – zumindest was das eigene Kulturerbe anbelangt – auf Landesgrenzen keine Rücksicht. So erstreckten sich einige der katholischen Diözesen auf das Territorium Bosnien-Herzegovinas, dessen staatliche Integrität so zumindest implizit in Frage gestellt wurde. In der 350 Seiten umfassenden beschreibenden Aufstellung sind schließlich zerstörte und beschädigte Bauwerke aller Religionsgemeinschaften erfasst. Von den 734 insgesamt abgebildeten Objekten gehören 580 zum katholischen sakralen Erbe. Nach 25 Objekten der kleineren Glaubensgemeinschaften bilden 29 zerstörte und beschädigte sowie 100 erklärtermaßen nicht betroffene Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche den Abschluss der Aufzählung. Insgesamt 197 der 734 aufgeführten Objekte werden bereits in verschiedenen früheren Publikationen erwähnt, 538 sind demzufolge zum ersten Mal erfasst. Somit lag demnach – ohne eine Aussage zur Verlässlichkeit der Angaben zu treffen – der bisher umfangreichste Beitrag zur Erfassung des kriegszerstörten Kulturerbes in Kroatien vor. Die allgemeine Unzuverlässigkeit der Quellen ist auch für diese Veröffentlichung charakteristisch. Viele der Objekte seien wegen der latenten Minengefahr nicht zugänglich gewesen. Ein großer Teil der Informationen stammte darüber hinaus aus zweiter oder dritter Hand. So räumten die Autoren ein, dass sie sich „verschiedener Berichte aus den betroffenen Gegenden“ bedient haben.1125 1123 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 6. 1124 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1125 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 6.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 375 Abb. 36: Dominikanerkloster und Pfarrkirche Heilig-Kreuz (Sv. Križ) im Dubrovniker Stadtteil Gruž. Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 108.
Eine besondere Rolle spielen die zum Teil großformatigen Fotografien, die Objekte vor und nach ihrer Zerstörung abbilden, deren Aussagekraft allerdings kritisch zu bewerten ist. Beeindruckend fällt der Vergleich der verschiedenen Zustände etwa bei der Wallfahrtskirche Maria Trost in Aljmas1126, der Kirche der hl. Matthäus und Bartholomäus in Tovarnik1127 oder der Pfarrkirche des hl. Erzengel Michael in Kijevo1128 aus. Letztere wurde im Verlauf des Krieges offenbar vollständig zerstört. Die entsprechende Fotografie zeigt einen Berg von Geröll, aus dem lediglich noch fünf Säulen einer Arkatur aufragen. Durch Anschauung lässt sich der Zustand der Objekte tatsächlich besser beurteilen als durch Beschreibungen nach unverbindlichen und schwer nachvollziehbaren Kriterien. Andererseits können Fotografien ihren Gegenstand auch sichtbar inszenieren und dramatisieren. Deutlich erkenn1126 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 155 f. 1127 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 176. 1128 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 250.
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bar ist dies in einer Abbildung des beschädigten Dominikanerklosters und der Pfarrkirche Heilig-Kreuz im Dubrovniker Stadtteil Gruž (Abb. 36). Die offenbar intakte Kirche wird hier durch einen Mauerdurchbruch in der Symmetrieachse des Bildes hinter einem verwüsteten Innenhof abgelichtet. Besonders interessant hingegen ist der dokumentarische Teil der Veröffentlichung im Vergleich mit früheren Veröffentlichungen anderer Institutionen. Das sind im Hinblick auf das kroatische Kulturerbe etwa die Berichte der parlamentarischen Versammlung des Europarats, der UNESCO oder kroatischer Institutionen, auch wenn die Beschreibung der Zustände der relevanten Objekte zum Teil stark variiert.1129 Hierfür kommen wiederum mehrere Erklärungen in Frage. Einerseits ist es möglich, dass entweder die Beschreibungen der Schäden in der vorliegenden Publikation oder aber die in früheren Veröffentlichungen im Zuge der Kriegspropaganda absichtlich übertrieben wurden. Anderseits konnten Informationen über einzelne Objekte aus zweiter oder dritter Hand stammen. Verwechslungen von Orten und Bauwerken waren deswegen durchaus wahrscheinlich. So wurde etwa in der Auflistung der Kunsthistoriker der Universität Zagreb aus dem Jahr 1993 im Ort Duboševica eine Mariä-Verkündigung-Kirche (Crkva navještenja blažene djevice marije)1130, in der vorliegenden Publikation jedoch im selben Ort eine Mariä-Himmelfahrt-Kirche (Crkva uznesenja blažene djevice marije)1131 als betroffen aufgeführt. Selbiges gilt für eine Kirche in Stari Jankovci, die einerseits als Mariä Verkündigung, andererseits als Mariä Himmelfahrt bezeichnet wurde.1132 Wenn diese Verwechslungen auch Spezialisten und Einwohnern marginal erscheinen mögen – Außenstehende müssen sie in jedem Fall irritieren. Gravierender hingegen sind offenbare Fehler in der Lokalisierung von Objekten. Diese lassen sich nicht so leicht aufklären oder berichtigen. So wird im 9. Bericht der parlamentarischen Versammlung des Europarats vom Januar 1996 eine nicht näher bezeichnete katholische Kirche im kroatischen Medviđa als total zerstört beschrieben: „Heaps of stone. No wall left“1133. In Die verwundete Kirche in Kroatien hingegen sind mit einer dem hl. Johannes und einer der Erscheinung der allerseeligsten Jungfrau gewidmeten Kirche zwei katholische Bauwerke in Medviđa als beschädigt, jedoch keines als zerstört angegeben.1134 Einfacher (wenn1129 1130 1131 1132
Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. Department of Art History, University of Zagreb et al. (1993), 225. Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 142. Department of Art History, University of Zagreb et al. (1993), 231; Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 168. 1133 Council of Europe (Januar 1996), Appendix 1. 1134 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 286.
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gleich nicht einfach) ist es mitunter, anhand eines Vergleichs aufzuklären, welches Objekt trotz fehlender konkreter Bezeichnungen gemeint ist. So gibt der 7. Bericht der parlamentarischen Versammlung des Europarats weder den Namen der Kirche noch der serbischen kontrollierten Zone an: „Jasenovac (Vincovci1135): ECMM discovered that the Catholic church (in a Serb-controlled zone) had suffered further damage since the previous visit – the tower and part of the roof had been blown up“1136. Einzig der Vergleich mit der in der vorliegenden Publikation abgebildeten Kirche der Aufnahme der allerseeligsten Jungfrau Maria in den Himmel und des hl. Nikolaus Tavelić in Jasenovac1137 legt nahe, dass beide Objekte identisch sind. Weitere Gründe für die bisweilen stark variierende Einschätzung der Schäden mögen darin bestanden haben, dass entweder diese zu einem späteren Zeitpunkt besser zu evaluieren waren oder aber dass bestimmte Bauwerke im Verlauf des Krieges wiederholt und zunehmend schwerer beschädigt wurden. Ein besonders gravierender Widerspruch besteht gegenüber den Angaben zu beschädigten und zerstörten orthodoxen Sakralbauten sowohl in Mileusnićs Spiritual Genocide1138 als auch in der Dokumentation der serbischen Miniserien vom Februar 19921139. Insgesamt 20 Objekte der Serbischen Orthodoxen Kirche, die Die verwundete Kirche in Kroatien als unversehrt aufführt, sind in den früheren Veröffentlichungen als beschädigt angegeben. Demgegenüber lässt sich die Qualität der Zerstörung anderer Bauwerke in der Publikation gut nachvollziehen. So sei die Heilig-Geist-Kirche in Gornji Bogićevci (1830) zunächst beschädigt, später jedoch niedergebrannt und planiert worden. Die abgebildete Fotografie zeigt eine ebene Fläche, auf der lediglich noch ein einfaches Gerüst aus hölzernen Balken aufgestellt ist, das eine Glocke trägt.1140 In Glina wiederum sei die Kirche des hl. Johannes Nepomuk (1930) im August 1991 gesprengt und die Trümmer restlos beräumt worden. Die Abbildung der Stelle, an der die Kirche einst stand, zeigt nurmehr eine Rasenfläche mit einem Holzkreuz.1141 Zur umfassenden Zerstörung von katholischen sakralen Bauwerken sowie anschließender Beräumung der Überreste ist es offenbar auch etwa in Hrastovica, Hrvatska Kostajnica und Petrinja gekommen. In Petrinja wurden den Beschreibungen zufolge die Kirche des hl. Laurentius der Märtyrer (1780 gebaut, 1135 1136 1137 1138 1139 1140 1141
Richtig wäre Vinkovci. Council of Europe (Mai 1995), II, B. Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 325; beiden Heiligen gewidmete Kirche. Mileusnić (1994). Republic of Serbia (1992). Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 359. Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 333.
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1912 renoviert), die Katharinenkirche (19. Jh.), die Kapelle des hl. Ivan Nepomuk (1801), die Dreifaltigkeitskapelle (1832) sowie die Friedhofskapelle des hl. Rochus (1806) gesprengt oder bis auf die Grundmauern niedergebrannt.1142 Die Ausführungen sind zumindest insofern glaubwürdig, als dass sie die Objekte nennen, lokalisieren, beschreiben und bebildern. Diese Art Transparenz hätte eine gute Basis für eine unabhängige internationale Überprüfung abgegeben. Auffällig ist, dass sich die meisten der umfassenden Zerstörungen mit anschließender Beräumung der Überreste in den Gebieten ereigneten, die zwischen 1991 und den Operationen Oluja und Bljesak 1995 dauerhaft serbisch besetzt waren. Ähnliches lässt sich, wenngleich weit umfangreicher, im Krieg in Bosnien-Herzegovina beobachten. Glina, Petrinja und Hrvatska Kostajnica etwa lagen in der serbisch kontrollierten UNPA Nord, aus der nach 1991 die kroatische Bevölkerung vertrieben worden war. Zudem handelt es sich bei den vollständig zerstörten Objekten sämtlich um Bauwerke aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Es liegt nahe, anzunehmen, dass serbische Nationalisten die symbolischen Raumzeichen der kroatischen Einwohner dieser Region auslöschen wollten. Generell betraf der Großteil der Beschädigungen und Zerstörungen in den Postjugoslawischen Kriegen serbische und kroatische Bauwerke aus der Zeitspanne der konkurrierenden Nationalismen. Einzig die Bauwerke der bosnischen und kosovo-albanischen Muslime bildeten hier eine Ausnahme, da auch eine große Zahl von Objekten aus dem 16. und 17. Jahrhundert zerstört wurde. Reziprozität und Tragik dieser Zerstörungen lassen sich am Schicksal der orthodoxen Kirche des hl. Eliah und der katholischen Kapelle des hl. Eliah im kroatischen Mašić nachvollziehen. Beide waren im 19. Jahrhundert errichtet worden. Kroatischen Angaben zufolge wurde die Kapelle zwischen September und Dezember 1991 durch serbischen Beschuss stark beschädigt.1143 Im Frühjahr 1992 soll wiederum die orthodoxe Kirche durch kroatische Einheiten gesprengt worden sein.1144 Ähnliche Schicksale teilten andere orthodoxe und katholische Sakralbauten in Nova Gradiška und Pakrac. Die Zuschreibung von Verantwortung für die Zerstörung von orthodoxen Sakralbauten umgingen die Autoren rhetorisch einigermaßen geschickt. Während diese für ausnahmslos jedes der 580 betroffenen Bauwerke der katholischen Kirche sehr bestimmt erfolgte, berief man sich hinsichtlich der Objekte der Serbischen Orthodoxen Kirche auf die Widersprüchlichkeit der Informationen:
1142 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 393 ff. 1143 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 360. 1144 Mileusnić (1994), 140.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 379
Ein Teil der Sakralbauten der serbisch-orthodoxen Kirche wurde während des serbischen Krieges gegen Kroatien beschädigt, andere während Militäroperationen, in denen die serbisch besetzten Gebiete der Republik Kroatien befreit wurden. Aufgrund widersprüchlicher Berichte überlassen wir das Urteil über die Identität der Täter künftigen Untersuchungen.1145
1997: SPIRITUELLER GENOZID II – SLOBODAN MILEUSNIĆS AKTUALISIERTE INFORMATIONEN ZU ZERSTÖRTEN UND BESCHÄDIGTEN SAKRALBAUTEN DER SERBISCHEN ORTHODOXEN KIRCHE IN KROATIEN UND BOSNIEN-HERZEGOVINA
Wie bereits die erste Veröffentlichung Slobodan Mileusnićs1146 enthält die aktualisierte Ausgabe von 1997 ein Vorwort des damaligen Patriarchen Pavle, das wortgleich mit dem von 1994 ist. Auch die Einführung Mileusnićs ist, von einigen wenigen Aktualisierungen abgesehen, identisch mit der des älteren Bandes. Der Hauptteil wiederum besteht aus der Aufzählung beschädigter und zerstörter Objekte der SPC, die nun 355 Bauwerke in Kroatien und 374 in Bosnien-Herzegovina umfasst (gegenüber 209 und 149 im Jahr 1994). Ein Großteil der Strukturen – 228 in Kroatien sowie 136 in Bosnien und Herzegovina – wurde bereits früher erwähnt, zumeist in Mileusnićs eigenem Text. Ein geringerer Teil wurde durch unabhängige Beobachter, etwa Colin Kaiser, ebenfalls erfasst.1147 Insofern ist diese vorerst letzte Veröffentlichung von Mileusnić in weiten Teilen selbstreferentiell. Allerdings waren die Quellen, die Mileusnić zur Verfügung standen, nun deutlich zahlreicher. So erwähnt er unter anderem die Berichte des Europarats, der Europäischen Beobachtermission ECMM und sogar kroatische Dokumente, von denen die meisten hier analysiert werden. Mileusnić kannte die Veröffentlichung Die verwundete Kirche in Kroatien des Kroatischen Informationszentrums.1148 In seiner Einführung geht er kursorisch darauf ein und kritisiert sie scharf. So seien dort lediglich 28 zerstörte und beschädigte Objekte der SPC aufgeführt1149, was nicht repräsentativ für die Schäden in Kroatien wäre. Zudem stammten die fotografischen Abbildungen der Objekte aus einer frühen Phase des Krieges und zeigten bei weitem nicht das ganze Ausmaß der Zerstörung. Von den 100 dort als angeblich unberührt aufgeführten Objekten 1145 1146 1147 1148 1149
Kroatisches Informationszentrum et al. (1996), 415. Mileusnić (1994). Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. Kroatisches Informationszentrum et al. (1996). 29 wäre richtig.
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seien 35 schwer beschädigt oder gar zerstört. Des Weiteren erwähne der kroatische Text nicht, dass es am 11. April 1992 einen Sprengstoffanschlag auf das Museum der orthodoxen Diözese Zagreb-Ljubljana in Zagreb gegeben habe, bei dem das Museum schwer beschädigt wurde. Wie ein roter Faden zieht sich erneut durch sämtliche Textbeiträge dieser Veröffentlichung die behauptete historische Opferrolle Serbiens. Dem serbischen Leiden wird dabei grundsätzlich eine religiöse Dimension zugeschrieben, wie schon das Vorwort des serbischen Patriarchen und die Bibelzitate aus der ersten Veröffentlichung zeigen. Das Ordnungsprinzip der Beschreibung der Zerstörung ist, sowohl was die Organisation des Textes insgesamt anbelangt als auch im Hinblick auf einzelne Aussagen, deckungsgleich mit den kroatischen Publikationen – die „Aufklärung“ der Leser, die grundsätzlich als schlecht oder gar nicht informiert angenommen werden, wird verbunden mit der Hervorhebung der eigenen Größe und Opferleistung sowie der Herabwürdigung des Gegenübers. So lässt sich die bereits am Beispiel kroatischer Dokumente aufgezeigte Dreiteilung vereinfacht darstellen. In dieses Bild passt die Zerstörung von Erinnerungszeichen der Opferleistung des Gegenübers, die Mileusnić im dokumentarischen Teil von Duhovni Genocid beschreibt. In den bosnischen Orten Prebilovci, Veličani und Čavaš seien Mahnmale für durch Ustaša getötete Serben zerstört worden. Interessanterweise waren die Mahnmale in Prebilovci und Veličani offenbar erst 1990 errichtet worden. Obwohl einzig das in Prebilovci1150 auch in einem Bericht Kaisers erwähnt wird, sind Mileusnićs Schilderungen plausibel. Weniger überzeugend ist jedoch seine Aufzeichnung von Objekten, die gar nicht zerstört oder beschädigt waren, aber dennoch in die Gesamtdarstellung der Schäden einflossen. Über die Kirche des Schutzes der allerheiligsten Gottesmutter im kroatischen Mečenčani (Diözese Gornji Karlovac) schreibt Mileusnić: Die Kirche ist nicht beschädigt, die Eingangstür ist unverschlossen, die Fenster sind geschlossen. Der Altarbereich ist ebenfalls nicht beschädigt. Die Ikonen, liturgischen Bücher und Gewänder sind durch Alter und Vernachlässigung zum Teil beschädigt.1151
1150 Council of Europe (Juni 1995), 2.3.b. 1151 Ich beziehe mich auf die digitale Variante der Veröffentlichung unter: http://www.intratext.com/IXT/ENG0437/_INDEX.HTM [zuletzt 13.03.2018], ohne Seitenangaben.
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Ähnlich fällt die Beschreibung der Kirche der Ausgießung des Heiligen Geistes in Primišlje (ebenfalls Diözese Gornji Karlovac) aus. Auch hier ist nicht von einer Beschädigung die Rede. Auch was die durch Mileusnić vergebenen Kategorien der Beschädigung und Zerstörung anbelangt – sie sind die am wenigsten transparenten im Vergleich mit den bisherigen Studien – ist die Vermutung naheliegend, dass es vielmehr um eine Erhöhung der Gesamtzahl der betroffenen Objekte geht als um eine möglichst präzise Wiedergabe von Informationen. „Geplündert und entweiht“ (opljačkana i obesvećena) sei die Kirche der allerheiligsten Gottesmutter in Živinice (Diözese Zvornik-Tuzla). „Eingebrochen“ (provaljena), „ausgeraubt und verwüstet“ (opljačkana i demolirana) sind weitere Kategorien neben „beschädigt“ (oštećen), „zerstört“ (srušen, uništen) und „in Brand gesteckt“ (zapaljen). Selbstverständlich ist es eine Straftat und für den Besitzer unschön, wenn in sein Gebäude eingebrochen wird, Wertgegenstände gestohlen werden und das Innere verwüstet wird. In diesem Zusammenhang von einem „Spirituellen Genozid“ zu sprechen, lässt jedoch jedes Maß vermissen. In dieses Schema passt, dass Mileusnić keinerlei Anstrengungen unternimmt, um auf Fehler in seiner ersten Publikation hinzuweisen oder diese zu berichtigen. Ein Teil der 1994 als beschädigt oder zerstört notierten Strukturen wird im Band von 1997 nicht mehr erwähnt, wohingegen die übrigen betroffenen Objekte übernommen werden. Vermutlich steht hinter diesen Auslassungen, intransparenten Kategorien und der Erfassung von Objekten, die gar nicht betroffen waren, eine Strategie bewusster Desinformation, die die Schäden am „eigenen“ sakralen und kulturellen Erbe umfangreicher erscheinen lassen sollte, als sie tatsächlich waren. So ist auch angesichts von Mileusnićs zweiter aktualisierter Version zu konstatieren, dass diese mit dem Ruch der Propagandaschrift behaftet ist. Eine differenzierte, um „Wahrhaftigkeit“ bemühte Aufklärung über die Zerstörungen, wie er sie in seinen einleitenden Worten vom kroatischen Gegenüber fordert, beinhaltet sein Text keinesfalls.
JANUAR 1997: DER ZEHNTE UND LETZTE BERICHT DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DES EUROPARATS ZUM BESCHÄDIGTEN KULTURERBE IN KROATIEN UND BOSNIEN-HERZEGOVINA
Der zehnte und letzte Bericht des Europarats birgt keine Überraschungen, was umso erstaunlicher ist, da seit dem vorangehenden mehr als ein Jahr vergangen war. Auf insgesamt 35 Seiten finden sich stark komprimierte Zusammenfassungen
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von Berichten der ECMM, die bei der Überwachung des Kulturerbes Colin Kaiser offenbar endgültig abgelöst hatte, sowie ein Bericht von Marian Wenzel und Helen Walasek von einer Reise in die Republika Srpska im Oktober 1996, bei der sie den Zustand der Museen erkundeten. Doch darüber hinaus ist der Informationswert des Dokuments tatsächlich begrenzt. Noch im achten Bericht vom Juni 1995 sind die ersten beiden Dokumentationen der ECMM, die den Zeitraum von Juni 1994 bis April 1995 umfassen, ausführlicher wiedergegeben worden. Zumindest eine der Zusammenfassungen enthält neben einer quantitativen Auflistung der Schäden auch qualitative Beschreibungen von Einzelobjekten. Nicht so die gekürzten Versionen des dritten, vierten und fünften Berichts der ECMM, die Schäden und Zerstörungen bis zum Juli 1996 erfassen. In tabellarischen Aufstellungen werden betroffene Objekte gezählt, jedoch keine Bauwerke mehr namentlich genannt, geschweige denn ein Schaden detailliert beschrieben. Dazu kommt, dass die Angaben offenbar gravierende Widersprüche aufweisen. So heißt es in der Zusammenfassung des Cultural heritage report No. 3 der ECMM vom 21. Juli 1995, für den noch Albert Hittmeyer verantwortlich zeichnet: The ECMM cultural heritage database was set up in the early summer of 1994. To date it contains a total of 910 entries. Of these entries some 273 have now been monitored by ECMM teams, beginning in June 1994 with the joint ECMM-Parliamentary Assembly of the Council of Europe survey, in Bosnia and Herzegovina and the former United Nations Protected Areas (UNPAs) North and South.1152
In der komprimierten Wiedergabe des Cultural heritage report No. 4, veröffentlicht am 15. Februar 1996 nunmehr unter der Ägide von Hittmeyers Nachfolger Dietrich Schaefer sind die Ausführungen nahezu identisch im Wortlaut, führen jedoch verschiedene Zahlen und Zeiträume an. The ECMM cultural heritage database was set up in the early summer of 1994. To date it contains a total of 1009 entries. Of these entries some ninety-nine have now been monitored by the ECMM teams, beginning in June 1995 with the joint ECMM-Parliamentary Assembly of the Council of Europe survey, in Bosnia and Herzegovina and the former UNPAS North and South.1153 1152 Council of Europe (Januar 1997), 1, Cultural heritage report No. 3, P. 4 (Unterstreichungen T. S.). 1153 Council of Europe (Januar 1997), 1, Cultural heritage report No. 4, P. 4 (Unterstreichungen T. S.).
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Zwar scheint der Umfang der Datenbank der ECMM im 4. Bericht gegenüber dem vorhergehenden gewachsen, was etwa elf Prozent ausmacht – die Zahl der überwachten Objekte ist jedoch offenbar geringer. Es sind nur etwa zehn Prozent des Gesamtumfangs der Datenbank (99 Objekte) gegenüber dem Bericht vom Juli 1995 (273 Objekte). Zudem nennt der Bericht vom Februar 1996 einen späteren Beginn der Überwachung. Die (nicht abschließend zu klärende) Frage ist hier, ob es sich lediglich um nicht eindeutige Formulierungen, tatsächliche Fehler oder zwei verschiedene Überwachungszeiträume mit unterschiedlichen Objekten handelt. Zur unklaren Informationslage trägt ferner bei, dass die Datenbank der ECMM nach eigenen Angaben auf Informationen aus zweiter Hand, kroatischen und serbischen Dokumenten sowie Angaben internationaler Organisationen, basiert.1154 Es ist anzunehmen, dass diese Quellen deckungsgleich mit den bisher hier besprochenen sind, da meines Wissens keine weiteren Dokumente zu diesem Gegenstand existieren. Wie gezeigt beriefen sich die Rapporteure wiederholt auf Mileusnićs Texte oder die Publikationen kroatischer Institutionen. Nach den bis 1996 vorliegenden Berichten war die Gesamtzahl der vom Krieg betroffenen Bauwerke mit 2.149 individuellen und komplexen Strukturen bereits mehr als doppelt so hoch wie in der Datenbank der ECMM angegeben.1155 Doch auch wenn man die Zahlen der ECMM als verbindlich annimmt und die Einträge zur Grundlage einer Bewertung der Effizienz der ECMM im Konfliktgebiet macht, dann waren den Angaben des dritten Berichts zufolge bis zum Juli 1995 immerhin 30 Prozent der fraglichen Objekte durch die Kommission überprüft worden. Im Februar 1996 sollen es nach den Angaben im vierten Bericht nur noch etwa zehn Prozent gewesen sein. Wie erfolgreich die ECMM im Hinblick auf diese Aufgabe auch gewesen sein mag oder nicht – man kann der Mission derlei Ungereimtheiten schlecht zum Vorwurf machen, denn auch ihre Mitarbeiter standen, wie ausnahmslos alle der mit der Dokumentation des Kulturerbes in den Postjugoslawischen Kriegen beauftragten internationalen Beobachter und Berichterstatter, personell und zeitlich unter immensem Druck.1156 Mehr als symbolisch konnte das Engagement folglich nicht sein. Insofern ist auch Vorsicht geboten, wenn das Kulturerbe einer Ethnie als besonders betroffen beschrieben wird.1157 Zwar mag dieser subjektive Eindruck den Tat1154 Council of Europe (Januar 1997), 1, Cultural heritage report No. 3, P. 2. 1155 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1156 Council of Europe (Januar 1997), 1, Cultural heritage report No. 3, P. 3; Cultural heritage report No. 5, P. 2. 1157 Council of Europe (Januar 1997), 1, Cultural heritage report No. 4, P. 10.
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sachen entsprochen haben und in der Retrospektive sogar bestätigt worden sein – auf der Grundlage der vorliegenden Berichte ist er jedoch nicht nachzuvollziehen.
1997: SCHOCK, PROPAGANDA, ENTTÄUSCHUNG – WAR DAMAGE TO MUSEUMS AND GALLERIES IN CROATIA (MUZEJSKI DOKUMENTACIJSKI CENTAR)
Die Veröffentlichung des Muzejski Dokumentacijski Centar vom Sommer 1997 ist als Dokument des Diskurses zur Kulturerbezerstörung der Postjugoslawischen Kriege weniger wegen der im Titel angekündigten Dokumentation der Kriegsschäden relevant. Die Erkenntnisse hierzu sind nicht transparenter oder schlüssiger als die in anderen Publikationen. Der Text ist vielmehr ein wertvolles Zeugnis des Schocks angesichts der psychologischen Herausforderungen des Krieges und seiner Auswirkungen auf das Kulturerbe Kroatiens sowie der bitteren Enttäuschung über die bestenfalls halbherzig zu nennende internationale Hilfe beim Versuch von Schutzmaßnahmen. Darüber hinaus gewährt er einen aufschlussreichen Einblick in die Arbeit des MDC während des Krieges. In ihrem Beitrag beschreibt die Kunsthistorikerin Jadranka Vinterhalter die Mischung aus Bedrohung, widerstreitenden Emotionen und (professionellem) Patriotismus: When we think about the period from the beginning of the war to the present day, we are overcome by mixed emotions. It was an exceptionally difficult time, full of psychological pressures and fear for one’s life. But it was also a time of defiance, courage, a feeling of belonging to the shared idea of defending the homeland and protecting the integrity of every individual and his right to a free and dignified life in peace.1158
Unter solchen Bedingungen, ernsthafte Wissenschaft zu betreiben und eine distanzierte, differenzierte Darstellung der Kriegsschäden im Kontext der Ereignisse zu präsentieren, war schlicht unmöglich. Die Arbeit in den kroatischen Museen hatte sich unter Kriegsbedingungen nahezu vollständig verändert. Die tatsächliche und potentiell jederzeit mögliche Zerstörung von Archiven und Sammlungen hatte die Schwachstellen und Mängel in der Organisation und Arbeitsweise der Institutionen aufgedeckt. Sechs Jahre lang hatte es keinen „normalen“ Museumsbetrieb gegeben, waren die Aufgaben der Verantwortlichen zumeist gänzlich andere als in Friedenszei1158 Vinterhalter (1997), 19.
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ten. 50 Prozent der Museumsbestände waren nicht in Inventarbüchern verzeichnet. Die Angestellten der verschiedenen Häuser begannen erst nach Ausbruch des Krieges mit ihrer Erfassung. Auch waren die vorhandenen Inventarbücher bisher nur unregelmäßig auf Mikrofilm archiviert worden. Im Krieg versuchte man, diese Lücken in der Dokumentation hastig zu schließen. In 70 Prozent der kroatischen Museen existierten weder adäquate Lager- noch Schutzräume, die technische Ausstattung war mangelhaft. Oft gab es noch nicht einmal Feuerlöscher. Das Personal war mit der Situation im Krieg überfordert; verbindliche Handlungsabläufe für den Fall der Bedrohung eines Bestandes waren nicht festgeschrieben.1159 Vor dem Hintergrund der Kriegserfahrung erarbeitete das MDC ein Handbuch zu Grundlagen der Museumssicherheit, erstellte Pläne zur Evakuierung von Sammlungen und führte Letztere durch, schaffte dafür bisher nicht vorhandene Metallcontainer an und baute eine Datenbank zur Registrierung von Kriegsschäden auf. Die Koordination der sogenannten fact-finding missions internationaler Institutionen, etwa des Parlaments des Europarats, des ICOM oder der NGO ARCH, zur Erfassung des Zustandes des Kulturerbes in Kroatien fiel ebenso in den Verantwortungsbereich des MDC wie die Suche nach gestohlenen Objekten in Zusammenarbeit mit dem Londoner Art Loss Register und dem Getty Information Programme. Zudem war das MDC mit der Organisation des musealen Betriebs auf niedrigem Niveau befasst. Mit diesen Tätigkeiten, die durch den Ausbruch des Krieges ausgelöst wurden, entstand, wie Branka Šulc in ihrem Beitrag feststellt, ein völlig neues Wissensgebiet, dass die Suche nach den Ursachen für das Versagen internationaler Schutzmechanismen gegen die Zerstörung von Kulturerbe (Konventionen, Abkommen) ebenso beinhaltet wie die kontrovers verhandelte Frage, ob es sich bei dem Abtransport von Sammlungen einer Kriegspartei durch die andere um Schutzmaßnahmen gegen deren Zerstörung oder um schlichten Diebstahl handelte. Der im Zuge des Konflikts aufgekommene Begriff des Kulturozids (auch Culturecide, Culturozid) bedürfe der definitorischen Schärfung, wie auch die Möglichkeit des präventiven Schutzes von Museen und Sammlungen in Konflikten erörtert werden müsse.1160 Bei der Evaluierung der Schäden an Museen, Galerien und Sammlungen werden in Zusammenarbeit mit der NGO ARCH insgesamt 66 kroatische Museen als in ihrer Bausubstanz beschädigt eingeordnet. Darüber hinaus seien 45 Sammlungen zu Schaden gekommen. Insgesamt sollen 2.271 Objekte des Kulturerbes in Kroatien zerstört oder beschädigt worden sein, was einem finanziellen Gegenwert 1159 Vinterhalter (1997), 22. 1160 Muzejski dokumentacijski centar (1997), 12, 13.
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von 1,7 Milliarden Kuna entspreche.1161 Šulc erklärt nicht, wie sie zu diesen Zahlen gekommen ist. Nichtsdestoweniger handelt es sich offensichtlich um letztgültige Annahmen, denn sie erscheinen unverändert auch in ihrem Beitrag in dem 2005 von Robert Layton, Peter G. Stone und Julian Thomas herausgegebenen Band Destruction and Conservation of Cultural Property.1162 Bemerkenswert, nachvollziehbar jedoch vor dem Hintergrund des bereits Ausgeführten, ist der Umstand, dass das Ministerium für Bildung, Kultur und Sport das MDC am 1. Oktober 1991 zur Institution von besonderer Bedeutung bei der Verteidigung der Republik Kroatien ernannt hatte.1163 Demnach habe das MDC während des Krieges täglich Berichte zur Situation des Kulturerbes in Kroatien angefertigt und diese an das übergeordnete Ministerium weitergegeben. Letzteres wiederum nutzte die Berichte zur Information der Medien und der Öffentlichkeit: „Information and public relations were the activities that received special attention at the MDC from the very beginning“1164. Neben dieser Zuarbeit wurde das MDC jedoch auch selbst als Herausgeber tätig. Die entstandenen Schriften wurden international verteilt: „The distribution of professional publications was carefully elaborated: they were sent to the addresses of ICOM, UNESCO, ICOFOM, the presidents of individual committees of ICOM, as well as to other professional institutions abroad“.1165 Das Zentrum unterstützte unter anderem auch den Kunsthistoriker Mladen Lučić1166, in dem es dessen zu einem Film gebündelte Videoaufnahmen von zerstörtem Kulturerbe während des Kriegs „an zahlreiche professionelle Institutionen in der Welt“ versandte.1167 Lučić war damit ein weiterer Kunsthistoriker, der seine Kenntnisse der kroatischen Kriegsführung zur Verfügung stellte. 1161 Muzejski dokumentacijski centar (1997), 10, 13 f.; nach dem (relativ stabilen) Wert der kroatischen Kuna Ende 1997 etwa 2.447.029 Euro. 1162 Šulc (2005), 162. 1163 Vinterhalter (1997), 29. 1164 Vinterhalter (1997), 30. 1165 Vinterhalter (1997), 31. 1166 Der 1955 geborene Lučić schloss 1983 ein Studium der Kunstgeschichte in Zagreb ab. Offenbar machte er schnell Karierre in der kroatischen Kunstszene, bereits vor dem Abschluss seines Studiums hatte er zahlreiche Texte in Zeitungen und Magazinen veröffentlicht, 1983 wurde er Kurator am Zagreber Museum für zeitgenössische Kunst (Muzej Suvremene Umjetnosti). Mit Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zu den kroatischen Streitkräften und gründete dort das Studio ZNG (Zbor Narodne Garde), eine Medieneinheit der kroatischen Nationalgarde, die u. a. Kriegsschäden dokumentierte (http:// www.photodays-rovinj.com/en-us/godisnji-natjecaj/ocjenjivacki-sud-2015/mladen-lucic [12.06.2015]). 1167 Vinterhalter (1997), 31.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 387
Die bereits zuvor verschiedentlich geäußerte Kritik an der Unwirksamkeit der internationalen Konventionen zum Schutz von Kulturerbe in bewaffneten Konflikten sowie an internationalen Institutionen vertiefte Vinterhalter weiter. Zum ersten Mal wäre die Haager Konvention von 1954 auf einen tatsächlichen Krieg in Europa anwendbar– würde jedoch nicht angewendet: „At the very outset its weaknesses were evident because of the slowness of the administration, long formal and procedural procedures that prevent swift and efficient action“. Dasselbe Verdikt traf auch die UNESCO. Diese sei zu langsam gewesen und hätte zu wenig getan, um Kroatiens Kulturerbe zu schützen. Der Beweis dafür sei allein der Umfang der Zerstörungen und Plünderungen.1168 Der schwere Vorwurf gegen die mit dem Kulturschutz beauftragten interna tionalen Organisationen fehlt in den späteren, fast wortgleichen Publikationen von Branka Šulc zu diesem Thema.1169
DER DISKURS UM DIE ZERSTÖRUNG VON KULTURERBE IN KROATIEN – ÜBRIGE
Der Diskurs um die Zerstörung von Kulturerbe in Kroatien ist, was die Anzahl der Äußerungen anbelangt, potentiell offen und unbegrenzt. Das heißt nicht, dass die Aussagen gleichermaßen vielfältig sind. Es existieren unzählige weitere Dokumente allein von kroatischen Herausgebern und Autoren. Neue Aussagen enthalten sie bisher nicht. Das Ziel meiner Analyse ist es, die wichtigsten Akteure des Diskurses sowie die Aussagen, das heißt das gesellschaftlich verfügbare „Wissen“ um die Kulturerbezerstörung im Krieg in Kroatien, erschöpfend abzubilden. Dass mir dabei ein Aspekt entgangen ist, halte ich für möglich, aber wenig wahrscheinlich – mit einer Einschränkung: Unter Kroaten, Serben und den Albanern Kosovos existierten Gruppen und Einzelpersonen, die dem Diskurs der eigenen Nation oder Ethnie im Krieg distanziert und kritisch gegenüberstanden. Dazu gehören etwa die Herausgeber und Autoren der Wochenzeitung kroatischer Anarchisten, Protestanten und Häretiker – der Feral Tribune, die den Nationalismus ihrer Landsleute und kroatische Kriegsverbrechen thematisierten und kritisierten. Oder die serbischen Künstler, Autoren, Intellektuellen und Bürger, die sich, wie Mirko Kovać, regelmäßig im Belgrader Theater Duško Radović zu Antikriegsveranstaltungen trafen1170, 1168 Vinterhalter (1997), 34. 1169 Etwa Šulc (2005). 1170 Bačić (1991).
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sowie die Studierenden, die bereits 1991 in Belgrad gegen das Milošević-Regime protestierten1171, und Künstler schließlich, die, wie der Maler Miča Popović in der serbischen Zeitschrift Nedeljne Informativne Novine (NIN), ebenfalls kritisch Stellung bezogen1172. Nicht alle dieser Personen und Gruppen haben sich dezidiert zur Zerstörung von Kulturerbe geäußert oder diese kritisiert. Vehement und kontinuierlich exponiert jedoch haben sich diesbezüglich der serbische Architekt und Publizist Bogdan Bogdanović ebenso wie der albanische Schriftsteller Ismail Kadaré. Letzterer erhielt für sein Engagement Morddrohungen aus den eigenen Reihen; Bogdanović, der einstige Bürgermeister Belgrads, musste vor Miloševićs Schergen ins Wiener Exil flüchten.1173 Unter den Bosniaken wiederum kam es nicht zu kritischen Äußerungen gegenüber der eigenen Ethnie, die bekannt geworden sind. Das lag möglicherweise daran, dass von dieser Seite keine systematischen Zerstörungen erfolgten. Die Autoren der Feral Tribune wiederum kritisierten hauptsächlich die Zerstörungen von osmanisch-islamischem Kulturerbe durch ihre Landsleute in Bosnien und Herzegovina. Zwei Publikationen müssen an dieser Stelle – wenn auch deutlich weniger ausführlich – noch erwähnt werden, da sie eine Variante zu den übrigen kroatischen Analyse- und Begründungsmustern darstellen. Das ist zum einen Mate Pavkovićs Hrvatske Ratne Štete (Kroatische Kriegsschäden, 1997) und zum anderen Ivo Maroevićs (1937–2007) Krieg und Kulturerbe im Raum Kroatien (1995). Pavkovićs Text stellt insofern eine Ausnahme dar, als dass der Autor die Schäden am kroatischen Kulturerbe in einer differenzierten Bilanz mit mehreren Kategorien verortet. Seine Analyse bettet er in einen historischen und internationalen Vergleich ein, der die Erfahrungen vergangener Kriege, etwa des Zweiten Weltkrieges, berücksichtigt, um eine denkbar weite Definition von „Kriegsschäden“ herzuleiten, die sowohl direkte und indirekte, materielle als auch immaterielle Schäden einbezieht. Pavković unterscheidet etwa zwischen beschädigten Bauwerken, Missbrauch und Schädigung des jugoslawischen Finanzsystems durch Serbien, Schäden durch Enteignung kroatischen Besitzes in Serbien, Montenegro und BosnienHerzegovina, Schäden für den kroatischen Tourismus sowie sozialen, moralischen und psychologischen Schäden.1174 Der Schluss, den er neben der elaborierten Bestimmung des Umfangs kroatischer Kriegsschäden aus seinen Betrachtungen 1171 Rüb (2007), 334. 1172 Ramet (1992), 263. 1173 Am Ende der Kapitel zu Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo wird auf die wichtigsten Positionen dieser Gegendiskurse eingegangen. 1174 Pavković (1997), 20, 26 ff.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 389
zieht, ist wiederum identisch mit dem der übrigen kroatischen Veröffentlichungen. Er bedient die nationalistischen Stereotype anderer Autoren. Der zweisprachig in Deutsch und Serbokroatisch erschienene Text Ivo Maroevićs wiederum, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Direktor des kroatischen Instituts für Restaurierung (Hrvatski restauratorski zavod) und Inhaber des Lehrstuhls für Denkmalschutz (Katedra za zaštitu kulturne baštine) an der Universität in Zagreb, weicht zwar inhaltlich nicht grundsätzlich von den Texten anderer Kunsthistoriker/innen wie Radovan Ivančević, Vesna Kusin oder Mirjana Šigir ab, weist jedoch eine andere Handschrift auf. Zweifellos gehört Maroević zu den intellektuell versiertesten Kommentatoren der Zerstörung und Beschädigung des Kulturerbes auf kroatischem Boden. Seine Texte sind gesättigt mit differenzierten denkmaltheoretischen Überlegungen und gehen weit über die im Krieg verursachten Zerstörungen hinaus. Bei seiner Interpretation der Kulturerbezerstörung lässt sich Maroević von der Vorstellung des anthropogenen Raumes als Identitätsgrundlage leiten. Daran, nicht etwa an der politischen Geschichte des Landes, macht er schließlich die Kontinuität des kroatischen Volkes fest: Auf dem Territorium Kroatiens werden Dörfer und Städte parallel zueinander entstehen. […] Diese beiden Phänomene des menschlichen Daseins im Raum werden ihre Spuren in den baulichen Strukturen hinterlassen, werden zu einem Dokument des Menschen im Raum werden, so dass man sie bis heute zu jener Schicht des Kulturerbes zählt, in der Mensch und Raum sich vereinen […].1175
Mensch und Raum gehen also eine Einheit ein. Das Amalgam dieser Verschmelzung ist determinierte Zeit, ist Geschichte. Hierbei handelt es sich um eine äußerst elaborierte Form von kulturellem Nationalismus, denn die Identität, die Maroević beschwört, ist natürlich die kroatische nationale Identität: „Das Bewusstsein darüber, dass die Städte und Dörfer in Kroatien die Träger vor allem der kroatischen nationalen Identität sind, war zweifellos bei jenen stark entwickelt, die diese dann auch zerstörten.“1176 Von der Identität der ebenfalls zahlreich und seit mehreren Jahrhunderten dort siedelnden orthodoxen Gläubigen, die sich sehr wahrscheinlich ab Mitte des 19. Jahrhunderts als Serben zu bezeichnen begannen, ist bei ihm keine Rede. Der Krieg in Kroatien wird durch Maroević dann ebenso folgerichtig als Kulturkrieg interpretiert:
1175 Maroević (1995), 13 f. 1176 Maroević (1995), 26.
390 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Es war nicht genug, die Menschen zu verjagen, es mussten auch andere Zeugen der jahrhundertelangen Existenz dieser Menschen und ihrer Vorfahren auf diesem Boden entfernt werden, um die „Kultur“ der Eroberer einzuführen und einige seiner neuen Symbolwerte und Zeichen in diesem Gebiet zu oktroyieren (von Toponymen bis zu Bauwerken), die von seiner Anwesenheit und Vorherrschaft zeugen sollten. […] Dieses in der Geschichte bisher kaum bekannte Ziel (denn die Kulturen änderten und ergänzten sich, wurden nur fallweise vernichtet) könnte diesem Krieg auch das Vorzeichen eines Kulturkrieges verleihen, in dem bewusst und sehr absichtlich gerade Kulturgüter vernichtet werden.
Eine andere Perspektive hatte ihm in einem persönlichen Gespräch offenbar der britische Konservator Bernard Feilden gewiesen: Als ich über dieses Phänomen im Herbst 1991 mit Bernard Feilden sprach […], war er erstaunt und meinte, es handle sich also nicht um einen gewöhnlichen Krieg, sondern um einen ideologischen Kulturkrieg („cultural war“), in dem das Denkmal neben dem universellen auch einen besonderen nationalen Wert darstellt, der den Eroberer ideologisch stört, weshalb er es auch entfernen will.1177
An diesem Punkt hätte sich Maroević fragen können, inwiefern die Ideologie, die Feilden erwähnt, sowohl auf serbischer als auch kroatischer Seite eine Rolle bei der Aufladung von Denkmalen mit „nationalem Wert“ gespielt hat. Auch der Hinweis des britischen Kollegen, dass es sich um einen „gewöhnlichen Krieg“ handelte, indem das Kulturelle nur eine Perspektive darstellte, hätte Maroević zu denken geben können. Schließlich bestätigte er mit seiner Interpretation des „Kulturkrieges“ ja die Logik der Zerstörer zumindest in einer Perspektive. Da aber Serben und Kroaten gleichermaßen im Nationalismus gefangen waren, der auch vor Kunsthistorikern nicht halt machte, blieb Ivo Maroević diese Perspektive verschlossen. Der Nationalismus nährt den Nationalismus.
VORLÄUFIGE ERKENNTNISSE
Nie vorher ist die Zerstörung von Kulturerbe in bewaffneten Konflikten so umfangreich dokumentiert und kommentiert worden wie im Fall der Postjugoslawischen Kriege. Grundsätzlich kann man die zur Verfügung stehenden Dokumente 1177 Maroević (1995), 25.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 391
in solche aus dem Raum der ehemaligen Jugoslawischen Föderation und in internationale, in Texte von unmittelbar Betroffenen sowie von außenstehenden Beobachtern unterteilen. Diese Unterteilung ist nicht nur hinsichtlich der Herkunft der Texte sinnvoll. Auch inhaltlich und formal bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede. Offensichtlich ist der differente Umgang mit kontroversen Aussagen. Der internationale Diskurs ist offen für Kritik und Selbstkritik, er erlaubt das Hinterfragen von Perspektiven. Die individuelle Wahrnehmung geht nicht in der institutionellen oder gar (inter)nationalen Sichtweise auf. Die Äußerungen der Konfliktparteien hingegen sind trotz unterschiedlicher Institutionen und individueller Akteure homogen und geschlossen, was ihre Aussagen anbelangt. Kritische, distanzierte Haltungen werden streng sanktioniert, wie die Analyse der Gegendiskurse noch zeigen wird. Die umfassende Militarisierung des Zivilen lässt differenzierte Darstellungen als Verrat erscheinen. Bemerkenswert, wenngleich nachvollziehbar ist, dass sich die Konfliktparteien mit ihrer Berichterstattung beinahe ausschließlich auf ihr „eigenes“ Kulturerbe beziehen. Wenn wie in einigen kroatischen Studien auch das Erbe des Gegenübers thematisiert wird, werden die Übergriffe in der Regel relativiert und heruntergespielt. Hier wird deutlich, dass ausschließlich exklusive nationale Erbe- und Denkmalkonzepte im Sinne eines totalitätsorientierten Verständnisses von Kultur erwogen wurden. In diesem war Religion als Merkmal von Identität von herausragender Bedeutung. Beide Konfliktparteien hatten die Vorstellung eines anthropogenen (Kultur-)Raumes tief verinnerlicht, auch wenn lediglich Ivo Maroević sie explizit und eloquent formulierte. Angesichts der Kriege bedeutete dies jedoch nichts anderes als eine verbrämte Blut-und-Boden-Ideologie, die das „Andere“ neben sich nicht dulden kann. Die Homogenisierungsbestrebungen des Nationalismus betreffen „Kultur“ im weitesten Sinne – vom Bauwerk bis in die individuelle Äußerung des Kunsthistorikers. Geschlossen ist auch der internationale Diskurs – jedoch in anderer Hinsicht. So sehr sich individuelle und institutionelle Perspektiven im Detail unterscheiden, so sehr stimmen sie überein in der allgemeinen Bewertung der Zerstörungen und Beschädigungen, die einhellig verurteilt wird. Das Moment der Festigung der eigenen Position und des Konkurrenzdrucks, der Uniformierung der Körperschaft, existiert auch – etwa wenn Informationen bewusst nicht geteilt werden oder es mehrfach und unabgesprochen zum Engagement für einige bekannte Objekte kommt – es ist jedoch nicht gleichermaßen ausschließlich wie im Nationalismus der Konfliktparteien. Am Ende steht, wenn auch mitunter auf einer abstrakten Ebene, der Konsens.
392 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Das Wissen, dass die Akteure des internationalen Diskurses primär und intendiert hervorbringen, verhandeln, verfestigten und gelegentlich auch verwerfen, besteht in der versuchten Rekonstruktion der Ereignisse, der Bestimmung des Umfangs der Schäden, der Ermittlung von Verantwortlichen und den Versuchen, die Phänomene zu erklären. Die Hauptanliegen der internationalen Berichte –Rekonstruktion der Vorgänge und Ermittlung der Schäden – sind jedoch problematisch. Ein Blick in die aus allen relevanten Studien erstellte Übersicht1178 zum zerstörten Kulturerbe in Kroatien zeigt, dass insgesamt 1.602 Strukturen als betroffen angegeben worden sind. Darunter befinden sich 487 Kirchen, 132 Kapellen, 59 Klöster, 18 Friedhöfe sowie 18 nicht sakrale Objekte der katholischen Kirche Kroatiens. Des Weiteren werden 95 Städte, Siedlungen und historische Gesamtheiten, 64 Museen, Sammlungen, Galerien und historische Archive, 100 Bibliotheken und literarische Sammlungen sowie 211 verschiedene Objekte und Objektensembles (Türme, Schanzen, Festungen, Mausoleen, Paläste, Schlösser und historische Wohnbauten) genannt. Darüber hinaus werden in den verschiedenen Dokumenten 327 Kirchen, 34 Kapellen, 5 Klöster, 37 Friedhöfe, 4 Sammlungen bzw. Kirchenschätze sowie 65 nicht sakrale Objekte der Serbischen Orthodoxen Kirche aufgeführt. Insgesamt 27 Objekte anderer Religionsgemeinschaften werden ebenfalls als beschädigt oder zerstört vermerkt. Eine solche vergleichende Übersicht existiert bisher nicht. Die von den verschiedenen Institutionen herausgegeben Listen umfassen alle jeweils nur einen mehr oder weniger großen Teil der hier aufgeführten Objekte. 324 Einträge dieser vergleichenden Aufstellung stammen aus den Berichten des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats. 209 Objekte werden dort erstmals genannt, sie sind in keiner früheren Veröffentlichung anderer Institutionen enthalten. 115 Objekte werden bereits früher genannt, 29 davon in älteren Berichten des Europarats. Das heißt, dass dessen Beauftragte 209 Objekte oder 13,04 Prozent zur Erfassung des zerstörten und beschädigten Kulturerbes in Kroatien beigetragen, jedoch nur 86 Objekte oder 5,37 Prozent des in anderen Studien angegebenen betroffenen Kulturerbes überprüft haben. Angesichts des mehr als vier Jahre währenden Engagements bei der Erfassung relevanter Objekte sind diese Zahlen ernüchternd. Die Gründe für die in dieser Hinsicht augenscheinlich geringe Effizienz sind vielfältig. Einer der wichtigsten besteht in der fehlenden Kenntnis der Situation auf der einen und der Region auf der anderen Seite. Bereits der erste Bericht musste einräumen: „This was a new situation for which present-day Europe was perhaps un-
1178 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
3.2 Terror und Expansion – Krieg und Kulturerbezerstörung in Kroatien | 393
prepared – that of the cultural heritage in a situation of war“1179. Nicht wenige Wissenschaftler, Politiker und Journalisten haben die profunde Fehleinschätzung der Ursachen und Hintergründe der Postjugoslawischen Kriege auf internationaler Seite generell1180 und deren (falsche) Interpretation als alte „ethnische Stammeskonflikte“1181 oder Bürgerkriege1182 insbesondere kritisiert. Die Gesandten des Komitees für Kultur und Bildung des Europarats waren von diesem Wissensdefizit nicht ausgenommen. So sprach etwa außer Marian Wenzel, die bereits 26 Jahre vor dem Krieg zu den mittelalterlichen bosnischen Grabsteinen, den stećci (Sg. stećak) in Bosnien-Herzegovina geforscht hatte1183, keiner einen der regionalen Dialekte des Südslawischen1184. Sämtliche Berichte in dieser Sprache mussten, zumindest in Schlagwörtern, zunächst ins Englische übertragen werden, bevor sie ausgewertet werden konnten. Dem vierköpfigen Team, das von der Expertenkommission des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 19. Oktober bis 4. November 1993 für eine Feldstudie zu Kriegszerstörungen nach Dubrovnik gesandt wurde, stellte die kroatische Regierung Übersetzer zur Verfügung. Diese waren jedoch offenbar kaum von Nutzen, denn anstatt zu übersetzen, schlossen sie die Mitglieder der Kommission in der Konversation mit ihren Landsleuten von den Gesprächen regelmäßig aus.1185 Es ist leicht nachzuvollziehen, welchen negativen und verzerrenden Einfluss die Sprachbarriere auf die Arbeit der verschiedenen internationalen Beobachter haben musste. Die kroatischen und serbischen Personen und Institutionen kamen den internationalen Beobachtern insofern entgegen, als dass sie ihre Berichte fast ausnahmslos auch in Englisch und Deutsch, seltener in Französisch veröffentlichten. Gleichzeitig machten sie sich die eklatanten Wissenslücken ihres Gegenübers für ihre Propagandaarbeit zunutze, indem sie regelmäßig über die „wahren“ historischen Hintergründe des Konflikts „aufklärten“ und ihre Berichte im Hinblick auf die Zahl der betroffenen Objekte und die Qualität der Zerstörungen gehörig ausschmückten. Die kroatischen und serbischen Publikationen waren in dieser Hinsicht „Trojanische Pferde“, die Inhalte transportierten, die von ihren Adressaten oft gar nicht bewusst wahrgenommen wurden. Diese Praxis führte neben den ohne1179 Council of Europe (Februar 1993), Introduction. 1180 Etwa: Vargas (1999); Riedlmayer (2000); Malcolm (2002); Rathfelder (2007); Rüb (2007), Maliqi (2007), Kebo (2007); Todorova (2009). 1181 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 315. 1182 Malcolm (2002), 239. 1183 Wenzel (1965). 1184 Council of Europe (Mai 1995), P. 60.; Council of Europe (Januar 1997), 2, 4, 4.6. 1185 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI.A, XIII.A, P. 146.
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hin unzuverlässigen Informationen zu weiterer Verwirrung und Widersprüchlichkeit der Angaben – die sich notwendig auch auf die Qualität der internationalen Berichte niederschlagen musste. Selbst wenn auf Seiten der kroatischen Institutionen die Absicht bestanden hätte, den Umfang der Schäden möglichst präzise wiederzugeben – sie hätten es nicht gekonnt. Denn das Kulturerbe war vielfach gar nicht und oft nur fehlerhaft dokumentiert. Hierfür lagen die Ursachen zum größten Teil in den institutionellen Schwächen des Denkmalschutzes im sozialistischen Jugoslawien sowie im individuellen Unvermögen. Ein weiteres nicht zu unterschätzendes Problem bildete die Unzugänglichkeit bestimmter Regionen sowohl für serbisches und kroatisches als auch für internationales Personal. Die schlechte Zusammenarbeit auf Seiten der internationalen Organisationen bei der Erfassung des oder beschädigten Kulturerbes scheint sich im Verlauf der Kriege nur wenig und wenn überhaupt, dann nur auf persönliche Initiative hin gebessert zu haben. Ein weiteres wesentliches Problem war die völlig unzureichende Ressourcenzumessung für Analysen und field studies durch die internationalen Organisationen, was eine quantitativ und qualitativ hochwertige Erfassung zerstörten und beschädigten Kulturerbes letzten Endes unmöglich machte. Besonders deutlich wird in den Berichten Colin Kaisers, dass es keine allgemein verbindliche Definition gab, welche der beschädigten und zerstörten Objekte überhaupt erfasst werden sollten. Welches Kulturerbe war wichtig, was konnte vernachlässigt werden? Wie weit die Wahrnehmungen in dieser Hinsicht auseinanderstrebten, ist erkennbar an dem exklusiven Fokus der UNESCO einerseits, der auf dem betroffenen Weltkulturerbe und historisch bedeutsamen Bauwerken lag, und dem inklusiven Kanon andererseits, den Colin Kaiser entwickelte. Kaisers Ansatz war auch durch ein Heer von Spezialisten nicht zu bewältigen, da potentiell jedes beschädigte oder zerstörte Bauwerk in Frage kam. Wer schließlich hätte mit welcher Begründung festlegen sollen, was nicht als „Kristallisationspunkt der Identität“ gelten konnte? Ein überzeugender Mittelweg wäre durch die zentral koordinierte gemeinsame Überprüfung der serbischen und kroatischen Angaben gangbar gewesen und hätte der Mythenbildung die Basis entzogen. Sie hätte sowohl nach quantitativen als auch qualitativen Gesichtspunkten so umfassend wie möglich ausfallen müssen. Dann wäre es möglich gewesen, das betroffene Kulturerbe zunächst annähernd objektiv zu beschreiben – und eben nicht zuerst zu interpretieren. Im Anschluss daran hätte in einer ebenfalls zentral koordinierten Unterstützungsleistung ein repräsentativer Querschnitt von Bauwerken und Bauwerkskomplexen konserviert
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 395
bzw. ganz oder teilweise wiederhergestellt werden können. Das wäre der abstrakten internationalen Kulturerbedoktrin vielleicht nicht gerecht geworden – dafür aber der konkreten Zerstörung. Besonders augenfällig ist das von verschiedenen Beobachtern des Krieges in Kroatien immer wieder beklagte totale Versagen sämtlicher internationaler Abkommen zum Schutz von Kulturerbe in bewaffneten Konflikten – von der Haager Konvention von 1954 bis zu dem Genfer Abkommen von 1949 und deren Zusatzprotokollen vom 8. Juni 1977. Dem Vorwurf der Unwirksamkeit der Vereinbarungen zum Kulturschutz lässt sich mit der Frage begegnen, in welchem europäischen Krieg diese und ältere Übereinkünfte – wie die Haager Abkommen von 1899 und 1907 – jemals wirksam gewesen wären. Kulturerbe wurde trotz (oder gerade wegen) dieser Abkommen zerstört. Nicht zu unterschätzen, in der Analyse jedoch nicht immer zu vermeiden, ist die Übernahme sprachlicher Muster und Perspektiven der Konfliktparteien durch die Analysten. Das wird deutlich unter anderem an der Häufigkeit, mit der internationale Beobachter, Interpreten und Kommentatoren der Kriege (mich selbst inbegriffen) exklusive Kriterien bemühen, um Phänomene allgemeinverständlich zu beschreiben. Dann ist die Rede von der serbischen, kroatischen, bosnisch-muslimischen und der albanischen Ethnie oder vom sakralen Erbe der Serben, dem kulturellen Erbe der Kroaten bzw. dem islamisch-osmanischen Kulturerbe. Mit dieser im Grunde essenzialistischen Argumentation konterkariert der Diskurs sogenannter „Experten“ nicht nur den universalistischen Ansatz der internationalen Kulturerbedoktrin, sondern auch das inklusive Kulturverständnis der Gegenwart. Man stößt allenthalben auf Unzulänglichkeiten, die nicht weniger problematisch sind, weil man sie bewusst hält – was wiederum nicht bedeutet, dass man des Problembewusstseins entbehren könnte.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in BosnienHerzegovina 1992 bis 1995
Viele der Ereignisse in Bosnien und Herzegovina verliefen zeitlich parallel zu jenen im Nachbarland. Den Kampfhandlungen, die etwas später als in Kroatien im Frühjahr 1992 einsetzten, ging eine politische Zuspitzung des Konflikts voraus. Eine Besonderheit Bosniens war die heterogene Zusammensetzung der Bevölkerung. Nach dem Zensus von 1991 lebten in der jugoslawischen Teilrepublik 43,7 Prozent bosnische Muslime (Bosniaken, südslaw. Bošnjaci), 31,3 Prozent Serben
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sowie 17,3 Prozent Kroaten.1186 Die Mehrheit der bosnischen Muslime lebte in Zentral- und Ostbosnien, um die Städte Tuzla, Zenica und Sarajevo, mit weiteren größeren Siedlungsgebieten im Norden (Bihać, Prijedor) und Süden (Mostar, Goražde). Mindestens 50 Prozent der Bevölkerung stellten bosnische Serben in der sogenannten Bosanska Krajina, einem Gebiet, das sich von Nordbosnien über Banja Luka bis an die Grenze zu Kroatien im Westen erstreckte. Wesentliche Siedlungsgebiete der Serben befanden sich ebenfalls im äußersten Süden um die Stadt Trebinje sowie südöstlich der Hauptstadt Sarajevo. Als bosnische Kroaten identifizierten sich vor allem Bevölkerungsteile im Südwesten, der sogenannten Herzegovina, im Neretva-Tal und von dort weiter nördlich entlang der Westgrenze zu Kroatien bis oberhalb der Stadt Livno sowie entlang der bosnischen Nordgrenze zu Kroatien von etwa Bosanski Brod bis nördlich vor Brčko. Keiner dieser Siedlungsräume war jedoch bis zum offiziellen Ende des Krieges 1995 ethnisch homogen. In Banja Luka ebenso wie in Mostar oder Tuzla lebten bosnische Kroaten, Serben und Muslime gleichermaßen. Dem Zusammenleben entsprach die vielfältige bauliche Struktur der Städte und Siedlungen. Die historisch gewachsene heterogene Zusammensetzung der Bevölkerung bestimmte den Verlauf der Frontlinien in Bosnien-Herzegovina, die brutalen sogenannten „ethnischen Säuberungen“ und, damit verbunden, das Schicksal des Kulturerbes der Region.
DER WEG IN DEN KRIEG
Etwas später als in Slowenien und Kroatien fanden am 18. und 19. November sowie am 2. Dezember 1990 in Bosnien und Herzegovina die ersten Mehrparteienwahlen in der Geschichte der jugoslawischen Teilrepublik statt. Im Ergebnis dieser Wahl spiegelte sich die Heterogenität der Bevölkerung Bosniens wider. Stärkste Kraft wurde die Partei der Demokratischen Aktion (Stranka Demokratske Akcije, SDA) um den Bosniaken Alija Izetbegović, gefolgt von der Serbischen Demokratischen Partei (Srpska Demokratska Stranka, SDS) um Radovan Karadžić und der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (Hrvatska Demokratska Zajednica, HDZ), einem Ableger der gleichnamigen Partei in Kroatien, deren erster Präsident in Bosnien Stjepan Kljujić war. Zum Präsidenten Bosnien und Herzegovinas
1186 Ramet (1992), 259; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 334.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 397
wurde Alija Izetbegović gewählt, der zunächst eine Koalition aus diesen drei Parteien führte.1187 Unter dem Eindruck der Entwicklungen in Kroatien und im Einklang mit den Plänen der politischen Führung in Belgrad riefen die bosnischen Serben am 16. September 1991 in Banja Luka die Autonome Region Krajina (Autonomna Regija Krajina) aus.1188 Dem vorausgegangen war am 12. September bereits die Proklamation der Serbischen Autonomen Region Herzegovina. Es folgte am 17. September die Ausrufung der SAO Romanija, die südöstlich von Sarajevo lag.1189 Ende September 1991 waren erste serbische Truppenbewegungen in Bosnien zu beobachten. Ursprünglich dienten sie offensichtlich dazu, eine „neue südliche Front gegen die belagerte kroatische Stadt Vukovar“ zu eröffnen.1190 Gleichzeitig begannen die Verlegung von Einheiten der JNA von Kroatien nach Bosnien und der Bau von Artilleriestellungen um die größten bosnischen Städte.1191 Im Oktober desselben Jahres beschlossen die Vertreter der Fraktionen der SDA und der HDZ im bosnischen Parlament die Sezession von der jugoslawischen Föderation.1192 Die bosnischen Serben reagierten ihrerseits am 24. Oktober 1991 mit der Gründung des Parlaments des serbischen Volkes Bosnien-Herzegovinas (Skupština srpskog naroda Bosne i Hercegovine), dessen erster Präsident der später durch den Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen zu 20 Jahren Haft verurteilte bosnische Serbe Momčilo Krajišnik wurde.1193 Anfang November 1991 plädierten die bosnischen Serben schließlich für einen Verbleib Bosniens in der jugoslawischen Föderation.1194 Am 18. November riefen die herzegowinischen Kroaten ihrerseits eine Kroatische Gemeinschaft Herceg-Bosna aus.1195 Bereits am 4. Dezember 1991 berichtete der Autor eines Artikels im kroatischen Večernji List, dass die „Jugoarmee“ sich in der Umgebung von Sarajevo eingrabe, und verband dies mit der Spekulation über einen möglichen Angriff auf die bosnische Hauptstadt.1196 Am 9. Januar 1992 wurde der Zusammenschluss der 1187 Vetter (2007), 553; Galijaš (2011), 88; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 292. 1188 Später umbenannt in Serbisches Autonomes Gebiet Bosnische Krajina (Srpska Autonomna Oblast Bosanska Krajina, SAO Krajina); vgl. Bieber (2005), 483; Galijaš (2011), 59. 1189 Vetter (2007), 554. 1190 Ramet (1992), 260. 1191 Walasek (2015), 4. 1192 Ramet (1992), 261. 1193 Galijaš (2011), 63. 1194 Bieber (2005), 483; Rathfelder (2007), 352; Galijaš (2011), 65. 1195 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 336. 1196 Kaurin (1991).
398 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Serbischen Autonomen Gebiete in Bosnien und Herzegovina zur Republik Serbien (Republika Srpska) durch die Partei Karadžićs bekanntgegeben.1197 Knapp zwei Monate nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Kroaten und Serben am 2. Januar, wurde am 29. Februar und 1. März 1992 unter der bosnischen Bevölkerung ein Referendum über den zukünftigen Status Bosnien-Herzegovinas abgehalten. Die Masse der bosnischen Serben boykottierte das Referendum. Doch auch ohne sie lag die Wahlbeteiligung bei 63,4 Prozent. 99,4 Prozent der Wähler stimmten für die Unabhängigkeit, die Präsident Alija Izetbegović am 3. März erklärte und durch die Europäische Gemeinschaft sowie die USA am 6./7. April 1992 anerkannt wurde.1198 Im März und April 1992 griffen serbische paramilitärische Verbände unter dem Kommando von Željko (Arkan) Raznatović die ostbosnische, am Fluss Drina gelegene Stadt Bijeljina an, die für das weitere Vorgehen serbischer Truppen in Bosnien von strategischer Bedeutung war.1199 Etwa 500 bosnische Muslime sollen bei den Massakern durch Arkans Truppen bei der Einnahme Bijeljinas ermordet worden sein.1200 Kurze Zeit später standen Bijeljina und das benachbarte Zvornik unter serbischer Kontrolle1201 – die Vertreibung der Muslime und Kroaten in Bosnien-Herzegovina hatte begonnen. Noch am 4., 5. und 6. April demonstrierten in Sarajevo tausende gegen den Krieg. Aus der Zentrale der Serbischen Demokratischen Partei, dem Hotel Holiday Inn, schossen Scharfschützen auf die Demonstranten und töteten bzw. verwundeten viele von ihnen.1202 Am 5. April 1992 begann die serbische Belagerung Sarajevos. Der Angriff auf Mostar setzte ebenfalls Anfang April 1992 ein.1203 Der gefürchtete Krieg hatte Bosnien-Herzegovina erreicht. Dem Ansturm aus JNA, serbischen Milizen und Freiwilligentrupps hatten Bosniaken und bosnische Kroaten zunächst kaum etwas entgegenzusetzen. Bereits unter Kriegsbedingungen mobilisierte die Regierung Izetbegovićs Freiwillige maßgeblich aus den Reihen der bosnischen Muslime jedoch auch unter Kroaten und Serben, die zunächst in verschiedenen Einheiten kämpften, bevor sie im Juni 1197 Bieber (2005), 484; Vetter (2007), 556. 1198 Bieber (2005), 484; Rathfelder (2007), 352; Vetter (2007), 556; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 332. 1199 Rathfelder (2007), 352. 1200 Vetter (2007), 556. 1201 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 340. 1202 Sudetić (1992a); F. Burns (1993d); Riedlmayer, From the Ashes… (2002), 98; Rathfelder (2007), 352; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 340. 1203 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, I, C, P. 12; Melčić/ Ivanković (2007), 425.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 399
1992 zur Armee Bosnien und Herzegovinas (Armija Bosne i Hercegovine, ARBiH) zusammengefasst werden konnten.1204 Bereits im Herbst 1992 kontrollierten serbische Einheiten 70 Prozent des bosnischen Territoriums.1205 Dabei war die serbische politische Führung in Belgrad von Anfang an bemüht, ihre Beteiligung an den Vorgängen in Bosnien-Herzegovina vor den internationalen Beobachtern zu verschleiern. Mit der internationalen Anerkennung der Unabhängigkeit Bosnien und Herzegovinas konnte die JNA nicht mehr auf bosnischem Territorium operieren, ohne die Souveränität des Staates zu verletzten und damit gegen internationales Völkerrecht zu verstoßen. Die serbische Militärführung vermied diesen Tatbestand, indem sich die mittlerweile in Armee Jugoslawiens umbenannte JNA formal aus Bosnien zurückzog. Tatsächlich verblieben deren Einheiten mit sämtlichen Waffensystemen jedoch im Land und bildeten gemeinsam mit bosnischen Serben die Armee der Republik Serbien (Vojska Republike Srpske, VRS).1206 Die Ziele hinter dieser Strategie fasst der britische Politologe James Gow zusammen: Durch diese Maßnahmen versuchte Belgrad, die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es nicht in den bosnischen Konflikt verwickelt sei, um drohenden UN-Sanktionen zu entgehen, die in der Luft lagen […]. Dies geschah in der Voraussicht, dass Belgrad für den Krieg verantwortlich gemacht und als ausländische Streitmacht betrachtet werden konnte, was sich nun abstreiten ließ mit dem Argument, die an den Kämpfen Beteiligten seien ja bosnische Serben.1207
Nach Ausbruch des Krieges bildete die Armee Bosnien und Herzegovinas zunächst eine mehr oder minder feste Allianz mit dem durch die Streitkräfte Kroatiens unterstützten Kroatischen Verteidigungsrat in Bosnien und den in äußerlicher und ideologischer Anlehnung an die Ustaša des Zweiten Weltkriegs aufgestellten Kroatischen Verteidigungskräften (Hrvatske Obrambene Snage, HOS). Noch im Juni 1992 brachen bosnische und kroatische Truppen gemeinsam die serbische Belagerung Mostars und drängten die Angreifer zurück.1208 Im April 1993 jedoch zerbrach das bosnisch-kroatische Bündnis. Bis zum Washingtoner Abkommen im 1204 F. Burns (1992e); Rathfelder (2007), 353. 1205 F. Burns (1992b); Tibi (1993a); Council of Europe (Februar 1993), Introduction, P. 6; Galijaš (2011), 71. 1206 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex III, II, P. 25; vgl. F. Burns (1992a); Binder (1992). 1207 Gow (2007), 367. 1208 Rathfelder (2007), 356; Vetter (2007), 557.
400 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
März 1994, mit dem der „Krieg im Krieg“1209 zwischen Kroaten und bosnischen Regierungstruppen offiziell beendet wurde, kämpften in Bosnien-Herzegovina fortan die drei größten Ethnien gegeneinander. Als Ursache für das Zerwürfnis von Bosniaken und Kroaten wird in der Literatur übereinstimmend der ab dem 2. Januar 1993 durch die Vermittler Cyrus Vance und David Owen ausgehandelte Friedensplan (Vance-Owen-Plan) angesehen, der die Aufteilung BosnienHerzegovinas nach ethnischen Kriterien regelte und die zehn geplanten Kantone des Landes mit „ethnischen Etiketten“ versah.1210 Kroatische Einheiten versuchten nun, ihrerseits für vollendete Tatsachen zu sorgen, indem sie die bosnischen Muslime aus den von ihnen beanspruchten Gebieten zu vertreiben begannen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzten die kroatischen Truppen ebenfalls gezielt Mord, Vergewaltigung und Folter ein und errichteten, ebenso wie die serbischen Einheiten, zahlreiche Konzentrationslager. Der Krieg in Bosnien-Herzegovina kostete etwa 150.000 bis 200.000 Menschen das Leben. Etwa zwei Millionen Menschen wurden vertrieben.1211 Mehrere tausend religiöse und kulturelle Objekte wurden zerstört, beschädigt oder geraubt. Für die systematisch verübten Verbrechen hauptsächlich an bosnischen Muslimen1212 hat sich in journalistischen und wissenschaftlichen Publikationen der Begriff der „ethnischen Säuberung“ etabliert. „A false and immoral euphemism […], accepted without proper questioning what it really implied in its essence throughout Europe and the West“1213 – ist er schon allein deswegen erklärungsbedürftig, weil er in seiner technischen Distanziertheit die brutalen Verbrechen, die sich hinter ihm verbergen, verharmlost.
1209 Melčić/Ivanković (2007), 415. 1210 Schmidt (1993); Malcolm (2002), 248; Vetter (2007), 559. Das mag für den Ausbruch der offenen Kämpfe gelten. Journalistische Berichte wie etwa in der The New York Times (vgl. F. Burns (1992d, 1992e etc.)) deuten darauf hin, dass das Bündnis zwischen bosnischen Kroaten und den Regierungstruppen von Anfang an fragil und von gewaltsamen Auseinandersetzungen geprägt war. Die bosnischen Kroaten scheinen mit Rückendeckung der Regierung in Kroatien ihre eigene Agenda verfolgt zu haben, deren Kern die Separation der kroatisch besiedelten Gebiete in Bosnien-Herzegovina bildete und einen späteren Anschluss an die Republik Kroatien vorsah. 1211 Malcolm (2002), 252; Terzić (2007), 126; Perry (2015), 186. 1212 Malcolm (2002), 251; Bevan (2006), 26 f.; Gow (2007), 372. 1213 Zavod (1995), 95.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 401
„ETHNISCHE SÄUBERUNG“
Vor dem Ausbruch der Postjugoslawischen Kriege lässt sich der Gebrauch des Begriffes „ethnische Säuberung“ außerhalb der Region nicht nachweisen. Das Wort „Ethnie“ hat seine Wurzeln im griechischen ethnos (ἔθνος). Cornell und Hartmann übersetzen Letzteres als „Nation“ nicht im Sinne einer politischen Einheit, sondern vielmehr als „Einheit von Menschen gemeinsamen Blutes oder Herkunft: ein Volk“1214. Eric J. Hobsbawm bezweifelt, dass sich „Ethnie“ als Begriff in der „[…] Diskussion über Nationalität früher als Ende der sechziger Jahre nachweisen lässt“1215. Im wissenschaftlichen Diskurs wollen wiederum Cornell und Hartmann Anfang der 1960er Jahre ein verstärktes Aufkommen von Kombinationen wie „ethnische Gruppe“, „ethnische Identität“ bzw. des Substantivs „Ethnizität“ ausgemacht haben.1216 Wolf Dietrich Behschnitt sah in seiner Dissertation über den historischen kroatischen und serbischen Nationalismus 1976 den Bedeutungsinhalt der Adjektive „national“ und „ethnisch“ als nahezu identisch an, nutzte Letzteres jedoch „im engeren Sinne zur Kennzeichnung der mehr biologischen, genetischen Gemeinsamkeitskriterien“, worin er – ungeachtet der Problematik der Definition – der Bedeutung des griechischen ethnos am nächsten kam.1217 Als „Säuberung“ wiederum konnte bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Vertreibung von Menschen bezeichnet werden. Norman M. Naimark merkt an, dass für die „Eliminierung politischer Feinde“ etwa unter Stalin der Begriff (russ. чистка, Pl. чистки) gebräuchlich gewesen sei1218. Brandes, Sundhaussen und Troebst weisen darauf hin, dass die Phrase „Säuberung des Terrains“ (čišćenje terena) in der jugoslawischen Militärdoktrin einen Platz hatte, räumen jedoch ein, dass die Ableitung „ethnische Säuberung“ nicht belegt werden kann.1219 In den Artikeln der serbischen Tagespresse taucht „Säuberung des Terrains“ zur Beschreibung militärischer Operationen im Krieg in Kroatien in der Tat mehrfach auf.1220 In Übereinstimmung mit anderen Autoren verorten Brandes, Sundhaussen und Troebst schließlich den Begriff der „ethnischen Säuberung“ in den serbischen Medien der 1990er Jahre. Offenbar diente er der beschönigenden Beschreibung 1214 Cornell/Hartmann (2007), 16; vgl. Naimark (2009), 13. 1215 Hobsbawm (2005), 188, Fußnote. 1216 Cornell/Hartmann (2007), 15. 1217 Behschnitt (1976), 58. 1218 Naimark (2009), 13. 1219 Brandes/Sundhaussen/Troebst (2010), 229. 1220 D.K. (1991), dem Kürzel konnte kein Autor zugeordnet werden; Živković, Slavoljub (1991); Milošević, Božidar (1991a); Politika (1991b).
402 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
militärischer Operationen. Vor dort gelangte er in die internationalen Medien und schließlich recht schnell auch in die Fachliteratur.1221 Demnach bezeichnet „ethnische Säuberung“ neben anderen Begriffen mit ähnlicher Bedeutung wie Genozid oder Völkermord1222 die „Entfernung einer […] Gruppe durch eine andere […] Gruppe von einer Lokalität, die sie als die ihre ansieht“1223. Bei Cornell und Hartmann erscheint der Begriff auf serbische Akteure verkürzt, als „gewaltsame Entfernung von Nicht-Serben von einem Territorium, behauptet oder begehrt durch Serben“1224. Einzig Naimark bezieht zumindest implizit auch kulturelles Erbe in seine Definition mit ein: „Die Absicht der ethnischen Säuberung liegt in der Entfernung eines Volks und oft auch aller seiner Spuren von einem bestimmten Territorium […].“1225 Holm Sundhaussen führt in seinem letzten Überblickswerk zur jugoslawischen Geschichte einen ausführlichen Exkurs zum Begriff der „ethnischen Säuberung“. Für ihn umfassen Aktionen unter dieser Bezeichnung alle „von einem modernen Staat oder Parastaat und seinen Akteuren initiierten und ausgeführten, ermunternden oder geduldeten Maßnahmen, die darauf abzielen, eine aufgrund ihrer Ethnizität als ‚fremd‘, ‚bedrohlich‘, oft auch ‚minderwertig‘ stigmatisierte Bevölkerungsgruppe von einem bestimmten Territorium zu beseitigen“1226. Lohnenswert – wenn auch an dieser Stelle nicht zu leisten – ist eine erneute Untersuchung früherer regionaler Textzeugnisse. Im Appell zum Schutz der serbischen Bevölkerung und seiner Heiligtümer im Kosovo ist bereits 1982 explizit von „ethnischer Säuberung“ die Rede: „Ohne jede Übertreibung kann man sagen, dass sich an der serbischen Nation in Kosovo Schritt für Schritt ein bewusst geplanter Genozid vollzieht! Denn, wenn das nicht stimmt, was bedeutet dann die These von der ‚ethnischen Säuberung Kosovos‘, die, ungeachtet aller Dinge, mit der kontinuierlichen und unaufhörlichen Auswanderung in die Tat umgesetzt wird?“1227 Die Autoren des Textes verweisen auf eine „These“, deren allgemeine Bekanntheit sie 1221 Brandes/Sundhaussen/Troebst (2010), 229; vgl. Cornell/Hartmann (2007), 3; Naimark (2009), 10; Mojzes (2011), 6. 1222 Genozid und Völkermord sind bei ähnlichem Begriffsinhalt nicht synonym mit „ethnischer Säuberung“. Vgl. Mann (2005), 17; Naimark (2009), 10; Mojzes (2011), 1, 7. 1223 Mann (2005), 10; vgl. Mojzes (2011), 6. 1224 Cornell/Hartmann (2007), 3. 1225 Naimark (2009), 10. 1226 Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 346. 1227 „Bez ikakvog preterivanja može se reći da se nad Srpskim narodom na Kosovu postepeno vrši planski smišljeni genocid! Jer, ako nije tako, šta znači teza o ‚etnički čistom Kosovu‘, koja se, bez obzira na sve, neprekidnim i neprestajućim iseljavanjem sprovodi na delu?“ (Apel za zaštitu… (1982), 4).
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 403
offenbar voraussetzen. Denkbar ist, dass sie ursprünglich im Rahmen der SelbstViktimisierung serbischer Nationalisten im Zusammenhang mit den Ereignissen in Kosovo entstanden ist. Der Zusammenhang von „ethnischer Säuberung“ und Kulturerbezerstörung ist von internationalen Beobachtern bereits früh bemerkt worden. Der Rapporteur des Parlaments des Europarates Jacques Baumel schrieb in der Einleitung zum ersten Bericht: The phrase ethnic cleansing is now in fashion, but it goes hand in hand with another kind of cleansing – cultural cleansing. What else can the deliberate destruction of mosques and churches be called? In the commune of Dubrovnik the destruction of traditional villages of great architectural value followed the mass exodus of rural people in October 1991 before the Federal Army.1228
Der Bericht der Expertenkommission des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen formuliert dahingehend: Croatian forces in the Republic of Croatia and BiH have engaged in „ethnic cleansing“ practices against Serbs and Muslims. Croats for example, have conducted „ethnic cleansing“ campaigns against Serbs in eastern and western Slavonia and in parts of the Krajina region, as well as against Muslims in the Mostar area. […] The vast majority of reports alleging „ethnic cleansing“ operations involved Serbian forces […]. „Ethnic cleansing“ by Serb forces has been systematic and apparently well-planned. […] „Ethnic cleansing“ has involved means, such as the mass killing of civilians, sexual assault, the bombardment of cities, the destruction of mosques and churches, the confiscation of property and similar measures to eliminate, or dramatically reduce Muslim and Croat populations that lie within Serb held territory.1229
Helen Walasek hat die Verbindung von Vertreibung, Mord und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina so ausführlich und präzise wie noch niemand vor ihr beschrieben:
1228 Council of Europe (Februar 1993), Introduction, P. 5; vgl. Riedlmayer, Crimes of War… (2007), 117, 127. 1229 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex IV, I, 4, 5.
404 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen There were two explicitly voiced aims in this destruction: first, to eliminate any evidence of the expelled population’s historic existence on the territory, and second, by the removal of the markers of community identity, to discourage those who survived ethnic cleansing from ever returning.1230
Walasek interpretiert die Kulturerbezerstörung als Ziel, nicht als Begleiterscheinung der Postjugoslawischen Kriege: „[…] the assault on Bosnia-Herzegovina’s heritage (particularly its Islamic heritage) was an objective (and not simply a byproduct) of the war and a fundamental part of the process of ethnic cleansing […]“1231. Ungeachtet ihrer regelmäßigen und etablierten Verwendung sind die Begriffe „Ethnie“ und „ethnische Säuberung“ durchaus kritikwürdig. Zumindest Letzterer wurde offensichtlich aus der die Ereignisse beschönigenden Propagandasprache serbischer Medien übernommen. Er verschleiert einen sehr realen, ganz und gar nicht abstrakten Horror. Als Konstruktionen dienen beide der Reduktion der Komplexität des Konflikts und der Verharmlosung seines Grauens. Nicht wenige Kommentatoren der Postjugoslawischen Kriege enthoben die Begriffe „Ethnie“ und „ethnische“ Säuberung der Mühe, sich mit der vielschichtigen Bevölkerungsstruktur der Region und ihrer verwickelten Geschichte auseinanderzusetzen, etwa wenn sie das komplexe Geflecht des Konflikts zum „Bürgerkrieg“ oder interethnischen Konflikt umschrieben. Zoran Terzić hat in seinem Text aus dem Jahr 2007, der als grundsätzliche Kritik an dieser Art essenzialistischem Denken gelesen werden kann, treffend angemerkt: „Die Kategorie Volk oder Ethnie ist ja gerade die zu hinterfragende Machtstelle. Sie ist nicht als naturgegeben vorauszusetzen.“1232
ISOLIERT UND VERZWEIFELT – DIE KULTURERBEZERSTÖRUNG IN BOSNIEN UND HERZEGOVINA IN DER REGIONALEN UND INTERNATIONALEN WAHRNEHMUNG
Die am Beispiel Kroatiens beschriebenen Defizite in der internationalen Wahrnehmung der Postjugoslawischen Kriege, insbesondere der Kulturerbezerstörung, nehmen im Hinblick auf Bosnien und Herzegovina ein im Wortsinn verheerendes Ausmaß an. Das serbische Militär hatte aus der verlorenen Propagandaschlacht 1230 Walasek (2015), 6. 1231 Walasek (2015), 144. 1232 Terzić (2007), 312.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 405
in Kroatien gelernt. Bereits zu Beginn der Angriffe in Bosnien zerstörte es schnell und effizient die überregionalen und internationalen Kommunikationskanäle des Landes. Die bosnische Gesellschaft wurde damit gewissermaßen „sprachlos“. Das Wenige, was vom Krieg nach außen drang, traf auf überwiegend taube Ohren. Institutionen und politischen Verantwortungsträgern im westlichen Europa und Übersee fiel es, anders als gegenüber Kroatien, schwer, sich mit dem Schicksal Bosniens und der Bosnier zu identifizieren. Wissenschaftler und Journalisten, die intensiv mit dem Krieg in der ehemaligen jugoslawischen Republik befasst waren, haben der internationalen Staatengemeinschaft und ihren Institutionen ein beschämendes Zeugnis ausgestellt über deren mangelhafte Kenntnisse der Region und das bestenfalls zögerliche Engagement, insbesondere was den Kulturerbeschutz anbelangt. Auch eher zurückhaltende Urteile bescheinigten dem sogenannten Westen „geringe Kenntnisse“1233 in Bezug auf Bosnien, falsche Zurückhaltung1234 sowie ein unklares Bild über das Täter-OpferVerhältnis, begünstigt durch kultureller Stereotype, die in eine die „Opfer verhöhnenden Semantik der Gleichsetzung“1235 mündeten. Der spanische Journalist und Schriftsteller Juan Goytisolo schrieb nach seinem Besuch in Bosnien-Herzegovina 1993 angesichts des stetig wachsenden Gräberfelds im Sarajevoer Stadtteil Kovači: Dieser eng gedrängten Sammlung von Kreuzen und Grabsteinen müsste ein weiteres, monumentales Denkmal beigestellt werden. Es müsste das Datum der Menschenrechtserklärung der UN aus dem Jahre 1948, der Europäischen Konvention über Menschenrechte aus dem Jahre 1950, des Abkommens über zivile und politische Rechte der UNO aus dem Jahre 1966, der Charta der KSZE aus dem Jahre 1990 und der berühmten Konvention von Genf tragen, und darunter müsste stehen: „Hier liegen die Würde der Europäischen Gemeinschaft und Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen, beide gestorben in Sarajewo“.1236
Weniger wohlmeinende Einschätzungen kritisierten „Unfähigkeit“ und „Impotenz“ der internationalen Gemeinschaft1237, den „Widerwillen“ internationaler Organisationen1238, das „geringe Interesse“ westlicher Medien1239 und attestierten 1233 1234 1235 1236 1237 1238 1239
Malcolm (2002), 22. Rathfelder (2007), 352. Kebo (2007), 299, 303. Goytisolo (1993), 29. Perry (2015), 186. Council of Europe (Februar 1993), Introduction, P. 6. Council of Europe (Mai 1995), II, A.
406 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
schließlich die „komplette Ineffizienz der internationalen rechtlichen Instrumente zum Schutz des Kulturerbes in Konflikten“ sowie die „Unzulänglichkeit der größten zwischenstaatlichen Organisationen“, wie der UNESCO, die offenbar lange Zeit untätig blieb und erst gegen Ende des Krieges wirklich aktiv wurde1240. Stärker noch als im Krieg in Kroatien tritt bei der Analyse des Krieges in Bosnien-Herzegovina die verblüffende Tatsache hervor, dass das Engagement für das beschädigte und zerstörte Kulturerbe der Region nicht bei finanziell hervorragend ausgestatteten zwischen- und überstaatlichen Institutionen mit mehreren tausend Mitarbeitern lag – Institutionen, die unter anderem für genau solche Aufgaben gegründet worden waren –, sondern vielmehr das Anliegen einer Handvoll zeitlich und finanziell stark eingeschränkter Individuen mit bescheidenen logistischen Möglichkeiten war wie Colin Kaiser, Hans-Christoph von Imhoff, Barbara O. Roberts, Marian Wenzel, Helen Walasek und schließlich des unermüdlichen András Riedlmayer. Entgegen den auch im Krieg äußerst leistungsfähigen kroatischen Medien, die nicht zuletzt durch die kroatische Diaspora über zahlreiche Kontakte in Europa und Übersee verfügten, gelang es bosnischen Institutionen und individuellen Akteuren nur selten, ihrer Perspektive außerhalb des Kriegsgebietes Geltung zu verschaffen. Zwar konnten internationale Journalisten das Informationsdefizit in gewisser Weise mit ihren Berichten ausgleichen. Das Niveau der Berichterstattung aus Kroatien wurde jedoch, insbesondere im Hinblick auf das Schicksal des kulturellen Erbes, nicht annähernd erreicht. Bereits im April 1992 berichtete Chuck Sudetić aus Bosnien-Herzegovina, dass das serbische Militär gezielt die TV-Stationen und Sendemasten in Sarajevo bombardiere.1241 Der Journalist John F. Burns beschrieb, wie serbische Artillerie und Kampfflugzeuge „die Kommunikationsverbindungen zwischen allen durch die Regierung gehaltenen Außenposten durchtrennten“ sowie „Mikrowellen-Verbindungsstürme und andere wesentliche Telefon-, Fernseh-, und Radioverbindungen zerstörten“1242. Im berühmten Sarajevo Survival Guide schilderte der bosnische Autor Miroslav Prstojević 1993 die verzweifelten Versuche der Einwohner des belagerten Sarajevo, mit der Außenwelt Verbindung aufzunehmen. Nahezu sämtliche herkömmliche Kommunikationswege (Briefe, Telefon, Radio) waren für die Dauer von vier Jahren abgeschnitten.1243 1240 1241 1242 1243
Walasek (2015), 96, 97, 107, 109. Sudetić (1992a); vgl. Vetter (2007), 557. Burns (1992c). Fama (1993), 61 ff; United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, I, E, P. 20, und I, H, P. 34.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 407 Abb. 37: Das stark beschädigte Redaktionsgebäude der vor dem Krieg auflagenstarken bosnischen Tageszeitung Oslobođenje (Befreiung) im Mai 1993. Oslobođenje, 13. Mai 1993.
Eines der Hauptziele der serbischen Angriffe auf Sarajevo war das Redaktionsgebäude der vor dem Krieg auflagenstarken Tageszeitung Oslobođenje (Befreiung, Abb. 37). Am 3. Mai 1993 berichtete der schwedische Journalist Mats Lundegard in einer Ausgabe des Blattes von seinem Besuch in der Redaktion, die sich bereits seit geraumer Zeit im Keller des Redaktionsgebäudes befand und von dort den Zeitungsbetrieb unter schwierigsten Bedingungen organisierte.1244 Ebenfalls im Mai 1993 gelang es offenbar, ein Video, in dem das zerstörte Gebäude zu sehen war, dem italienischen Fernsehsender RAI zuzuspielen. In dessen zweitem Programm konnten sich italienische und montenegrinische Zuschauer1245 gleichermaßen ein Bild von der Situation in Sarajevo machen.1246 Juan Goytisolo besuchte unter anderem auch die Redaktion der Oslobođenje und beschrieb ausführlich die 1244 Lundegard (1993). 1245 RAI war auch in Montenegro zu empfangen. 1246 Racković (1993).
408 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Arbeitsbedingungen der Journalisten im Krieg. Wie Vjesnik und Politika gehörte die Oslobođenje zu den führenden Tageszeitungen des sozialistischen Jugoslawien mit einer täglichen Auflage von 70.000 gedruckten Exemplaren. Im Krieg sank die Auflage auf gerade einmal 3000: „Die Zeitschrift ist ausverkauft, sobald sie ausgeliefert ist“1247. Der Bericht der Expertenkommission der Vereinten Nationen hält im Dezember 1994 ebenfalls fest, dass zu den bevorzugten Zielen der serbischen Artillerie-, Panzer-, und Mörsereinheiten, die an der Belagerung Sarajevos beteiligt waren, die Radio- und TV-Stationen der Stadt sowie das Redaktionsgebäude des Verlags Oslobođenje und das Hotel Holiday Inn, „welches die Basis vieler ausländischer Journalisten ist“, gehörten.1248 Neben den Angriffen auf staatliche Kommunikationskanäle und die Infrastruktur der Medien in Bosnien-Herzegovina gerieten auch Journalisten selbst ins Visier des serbischen Militärs und der Soldateska. Den Angaben der US-amerikanischen NGO Committee to Protect Journalists zufolge wurden zwischen 1992 und 1995 25 nationale und internationale Journalisten in Bosnien-Herzegovina getötet; bei 19 Personen kann nach Untersuchungen der NGO als sicher angenommen werden, dass sie aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen ihr Leben verloren.1249 Von der Isolation betroffen waren ebenfalls die bosnischen Denkmalschützer, wie Colin Kaiser im Juli 1993 feststellte: For Bosnia it is difficult to fault the less well organised institutes that are responsible for the cultural heritage. They must function in terrible conditions in Sarajevo and Mostar. It is not known whether the institute in Banja Luka even survives. Moreover, their means of contact with the outside world are extremely limited.1250
Der weitaus größte Teil der Zerstörungen ereignete sich in den Jahren 1992 und 1993.1251 Dabei war das Kulturerbe der bosnischen Muslime jedoch am stärksten 1247 Goytisolo (1993), 49 f. 1248 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, I, H, P. 34. 1249 Unter den solchermaßen Getöteten befanden sich auch drei Mitarbeiter der Oslobođenje. Kjasif Smajlović wurde am 9. April 1992 in seinem Büro im ostbosnischen Zvornik durch serbische Soldaten ermordet. Šalko Hondo starb am 1. Juli 1992 bei einem Granateinschlag auf einem der Marktplätze Sarajevos. Karmela Sojanović wiederum wurde am 10. Januar 1993 durch einen Scharfschützen in ihrer Wohnung erschossen (https://cpj.org/ killed/europe/bosnia/ [16.03.2018]). 1250 Council of Europe (Juli 1993), III, P. 56. 1251 Das ist einerseits in den Berichten des Europarats ersichtlich. Andererseits bestätigt dies auch Helen Walasek (Walasek (2015), 24).
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 409
betroffen.1252 Dieser Umstand sowie die hohe Zahl betroffener Sakralbauten auf Seiten aller Ethnien sind auf die „Logik“ der „ethnischen Säuberung“ zurückzuführen. Allerdings existierte kein bosnisches Dubrovnik, mit dessen architektonischen Meisterwerken sich das westliche Europa hätte identifizieren können. Auch verfügte das Land über keine einflussreiche internationale Lobby. Nicht ohne Grund wurde ein säkulares Bauwerk – die Alte Brücke in Mostar – schließlich das Symbol der Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina und eben nicht eine der vielen hundert zerstörten historischen Moscheen. Die offensichtliche Zurückhaltung insbesondere Europas rief in Bosnien-Herzegovina und bei einigen Beobachtern des Krieges bereits sehr früh Kritik hervor. Sie wurde nicht nur von den bosnischen Muslimen als Desinteresse, anti-islamisches Ressentiment, Doppelmoral, ja, schließlich als Feindseligkeit gegenüber dem Islam und den Muslimen insgesamt interpretiert. Ein Kulminationspunkt wurde mit der Zerstörung zweier historisch bedeutender Moscheen im nordbosnischen Banja Luka erreicht. Die Ferhat-Pascha-Sokolović-Moschee (Ferhadija), errichtet 1579 durch einen Schüler des osmanischen Architekten Mimar Sinan, sowie die Hasan-Defterdar-Moschee (Arnaudija), errichtet 1594, wurden am 7. Mai 1993 wenige Stunden nach Mitternacht durch serbische Extremisten gesprengt. Der Krieg und die Zerstörung des Kulturerbes des Landes dauerten zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Jahr an. Am 9. Mai veröffentlichte die Sozialdemokratische Partei Bosnien-Herzegovinas (Demokratski Socijalistički Savez Bosne i Hercegovine, DSSBiH) in der Oslobođenje einen Aufruf, in dem sie „ihre Verbitterung angesichts der Nachrichten zur Zerstörung der Arnaudije und Ferhat-Pascha-Moschee in Banja Luka“ zum Ausdruck brachte und die Weltöffentlichkeit dazu aufforderte, „ihren Protest in den internationalen Institutionen auszudrücken, um ernsthafte Maßnahmen zum Schutz vor weiteren Verbrechen zu gewährleisten“. Diese Zerstörung sei Teil des Projekts zur „Auslöschung der muslimischen Nation [!]“ und die „serbische Aggression […] ein Versuch, den Wert des multikulturellen Lebens in BiH [Bosnien und Herzegovina; T. S.] zu zerstören“1253. Zwei Tage später widmete die Oslobođenje der Kulturerbezerstörung eine ganze Seite. Die gesprengten Moscheen in Banja Luka bildeten auch hier den Schwerpunkt. In einem offenen Brief kritisierte das Oberhaupt der Islamischen Gemeinschaft Bosniens (Islamska Zajednica Bosne i Hercegovine), Reis al-Ulema Mustafa Cerić, die internationale Staatengemeinschaft: 1252 Council of Europe (Februar 1993), Introduction, P. 4; Bevan (2006), 26; Walasek (2015), 25, 43. 1253 BH-Press (1993a).
410 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Wir fragen uns erneut, weil wir es nicht wirklich verstehen, wie es möglich ist, so lange zu warten und gleichgültig zu beobachten, wie ein Volk, ohne ausreichend Waffen und die Möglichkeit sich zu verteidigen, nicht nur getötet, sondern auch zerstückelt und vertrieben, kulturell und historisch ausgerottet wird aus seinem Heimatland und das an der Schwelle zum 21. Jahrhundert?
Auch Cerić bemühte, wie zuvor bereits serbische und kroatische Autoren, die Gräueltaten der deutschen Nationalsozialisten, spezifisch die Ermordung der europäischen Juden, als ultimativen Vergleich. Gleichzeitig appellierte er an Europa, das als zivilisierte Ordnungsmacht gegen die Bedrohung beschworen wurde. Diese wurde mit den bereits aus dem Krieg in Kroatien bekannten Stereotypen des AntiZivilisatorischen, der Kulturlosigkeit und der Barbarei beschrieben: Wie kann Europa so schnell den rassistischen Genozid Hitlers an den Juden vergessen, die unsere Brüder sind in Zerstörung und Leid? Was schließlich, wenn die faschistischen Aggressoren so mörderisch Menschen hassen, sollten ihnen unsere Kulturdenkmäler bedeuten, die wir in den Schatz der Menschheit gegeben haben?
Schließlich stellte das Oberhaupt der bosnischen Muslime die Wirksamkeit internationaler Konventionen angesichts der fortdauernden Zerstörungen in Frage: Müssen wir nicht jede Hoffnung verlieren, dass über den Gräbern, Ruinen und Schutthaufen das Bewusstsein der zivilisierten Welt und die Verantwortung gegenüber staatlichen menschlichen Prinzipien und Dokumenten erwachen? Wird der Schutz der Genfer Konventionen von 1949 vor Gräueltaten gegen jene, die nicht schuldig sind, mit Füßen getreten? Ist das Gesetz zum Schutz von Gebäuden, die der Ausübung der Religion, der Kunst, der Wissenschaft, und der Wohltätigkeit dienen, sind die Haager Konventionen von 1954 tot?1254
Einen ähnlichen Ton schlug Cerićs Vorgänger im Amt, Jakub Selimoski (auch: Selimovski), ebenfalls in einem offenen Brief an die größten zwischenstaatlichen Organisationen an. Er nahm die Sprengung der Moscheen in Banja Luka zum Anlass, die Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegovina überhaupt zum Thema zu machen. Demnach seien bis Mai 1993 200.000 Menschen getötet sowie 1.000.000 vertrieben, 50.000 Frauen vergewaltigt und etwa 800 Moscheen zerstört worden. 1254 Cerić (1993a).
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 411
Und das alles ereignet sich unter den Augen der Weltöffentlichkeit. An dem Platz, den der Aggressor kontrolliert, wird es bald keine Moscheen mehr geben. […] Im Hinblick darauf, dass die internationale Gemeinschaft bisher nicht Willens war, diese Verbrechen zu verhindern, nimmt der Rijaset der Islamischen Gemeinschaft und der Mešihat der Islamischen Gemeinschaft für die Republik BiH an, dass es die Pflicht der Internationalen Gemeinschaft ist, sich an der Erneuerung des zerstörten religiösen Fonds der Islamischen Gemeinschaft zu beteiligen, vor allem im Hinblick auf zerstörte islamische Kulturdenkmäler. Wir hoffen, dass durch diese furchtbaren Taten alle Mitglieder ihrer Organisation [UN, UNESCO etc.; T. S.] die Weltöffentlichkeit alarmieren werden.1255
Die bosnische Architektin Amra Hadžimuhamedović beklagte in einem Artikel vom 21. Mai 1993 ebenfalls die Untätigkeit der internationalen Staatengemeinschaft vor dem Hintergrund internationaler Konventionen. Dabei forderte sie die Anerkennung des islamischen Erbes Bosnien-Herzegovinas als Kulturerbe Europas. Erstaunlich und meines Wissens bis dahin einzigartig im Diskurs zur Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen ist ihre Verortung der gegenwärtigen Zerstörung in einem größeren historischen Kontext. Sie schreibt: Und in diesem Schicksalsjahr 1993 stehen wieder Moscheen in Flammen und die, die sich in ihnen einfanden. […] Wo sind die 47 Moscheen Mostars und die sieben Moscheen Rogaticas? Wo sind die 17 Moscheen Fočas? Wo sind die bis 1992 verschwundenen Moscheen Sarajevos? Wo ist die Tekke auf dem Bendbaša? Wo sind die Häuser der Hadithen und die Bücher in Prusac und Nevesinje? Wo sind die 270 Belgrader Moscheen? Wo sind die Moscheen und Harems in Požega, Đakovo, Osijek, Vranje, Čačak? Dessen Erbe wertlos ist bis in den Abgrund, soll ihm das Übrige zerstört werden? Es ist sinnlos, zu bezeugen, dass 1992 in Gradačac 18 Moscheen, in Zvornik 11, in Cazin 10, in Mostar 13, in Rogatica zwei, in Bijeljina fünf, in Brčko fünf Moscheen zerstört wurden [...], dass nach vierhundert Jahren Zeugnis der Schönheit in dunklen Verbrechen die FerhadPascha-Moschee in Banja Luka und die Aladža-Moschee in Foča verschwunden sind, dass tatsächlich, in einem Jahr, am Ausgang des 20. Jahrhunderts in Bos-
1255 Selimoski (1993). Rijaset ist die höchste Exekutive der Islamischen Gemeinschaft Bosnien-Herzegovinas mit Sitz in Sarajevo; Mešihat die administrative Verwaltungsbehörde der Islamischen Gemeinschaft.
412 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen nien, von dem was überlebt hat, etwa 900 Moscheen vollständig zerstört oder beschädigt worden sind […].1256
In ihrem Kommentar unterstellte Hadžimuhamedović nichts weniger als eine kontinuierliche Zerstörung des osmanischen Kulturerbes, die in der Frühen Neuzeit einsetzt und bis in die Gegenwart fortdauert. Indem sie die „270 Belgrader Moscheen“1257 und die „Moscheen und Harems in Požega, Đakovo, Osijek, Vranje, Čačak“ anführte, verwies sie auf die Zerstörung von osmanischem Kulturerbe im Zuge nationaler Bewegungen in Serbien und Kroatien. Die Erwähnung der „bis 1992 verschwundenen Moscheen Sarajevos“ wiederum ist eine Anspielung auf den Abbruch des osmanisch-islamischen Kulturerbes durch die jugoslawischen Kommunisten. Das Schicksal der Moscheen Banja Lukas teilten Bauwerke dieser Art in ganz Bosnien. Und immer wieder beklagten Autoren in der Oslobođenje das Desinteresse und die Untätigkeit der Weltgemeinschaft. Angesichts der Zerstörung der Ortschaft Maglaj im Nordosten Bosniens durch serbische Einheiten etwa bemühte ein redaktioneller Beitrag den Vergleich mit dem slawonischen Vukovar, das offenbar bereits 1993 als Topos für menschliche Grausamkeit und Städtezerstörung etabliert war.1258 In einem Interview vom 1. Juni 1993, überschrieben In Bosnien stirbt Europa (U Bosni umire Evropa), versuchte sich Cerić an einem Erklärungsversuch für die „Ineffizienz der internationalen Gemeinschaft“ bei der Verhinderung des Ausbruchs des Krieges in Bosnien und deren „Unwillen bei der Unterbindung der serbischen Aggression gegen den international anerkannten Staat BosnienHerzegovina“. Demnach existierten dafür zwei maßgebliche Gründe: Zum einen hätten jugoslawische Diplomaten mit Desinformation und Propaganda „für Verwirrung der tatsächlichen Faktoren der innerstaatlichen Beziehungen im früheren Jugoslawien gesorgt […]. Auf diesem Weg ist es Belgrad lange Zeit gelungen, seine nationalistischen und expansiven Ziele zu verbergen“. Ein weiterer Grund sei das europäische anti-islamische Ressentiment: 1256 Hadžimuhamedović (1993). 1257 Die Zahl von 270 bzw. 275 Moscheen Belgrads, wiewohl durch historische Dokumente nicht zu belegen, wird im regionalen Diskurs immer wieder vorgebracht. Auch Muhamed Mufaku führt diese Zahl in seinem Text aus dem Jahr 2000 an (vgl. Kap. 2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus / Kulturerbezerstörung in Serbien und dem Königreich Jugoslawien zwischen 1804 und 1941). Die Belgrader Kunsthistorikerin Divna Ðurić-Zamolo hat die Existenz von 275 orientalischen Bauwerken, darunter 55 Moscheen, nachweisen können (Ðurić-Zamolo (1977)). Wahrscheinlich ist sie falsch interpretiert worden. 1258 Oslobođenje (1993a).
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Der zweite Grund ist der allgemeine europäische Komplex hinsichtlich des Islam und der Muslime. Es ist eine Tatsache, dass die meisten Opfer in Bosnien-Herzegovina Muslime sind, dass sich unter ihnen ein unausdenkbarer und ungesehener Genozid vor dem Angesicht Europas und der Welt ereignet.1259
Banja Luka, Bihać, Bijeljina, Brčko, Čajniče, Dobrinja, Doljani, Foča, Goražde, Gradačac, Grevići, Janja, Jajce, Kozarac, Lizoperci, Maglaj, Mrkonjićgrad, Mostar, Olovo, Prusac, Sarajevo, Sovići, Slatina, Stolac, Tarkani, Tešanj, Tošćanica, Travnik, Trebinje, Višegrad, Vitez, Žepu, Zvornik – die Liste der in Artikeln der Oslobođenje aufgeführten, durch serbischen und/oder kroatischen Beschuss zerstörten oder schwer beschädigten bosnischen Siedlungen und Städte liest sich wie ein allgemeines Verzeichnis der Orte Bosnien und Herzegovinas. Bemerkenswert ist, wie die Redaktion der Oslobođenje trotz der gestörten Kommunikationswege tatsächliche oder vermeintliche Täter in Artikeln namentlich aufführen konnte. Dass sich herumsprach, dass für die Sprengung von fünf Moscheen in Bijeljina der bosnische Serbe und Milizenführer Ljubiša „Mauser“ Savić1260 verantwortlich gehalten wurde1261, verwundert nicht angesichts der kaum zu verhüllenden Sichtbarkeit der Tat – zumal durch den serbischen Überfall Muslime nach Zentralbosnien flohen und Erzählungen der Ereignisse mitbrachten. Artikel der Oslobođenje berichten jedoch auch von weniger Aufsehen erregenden Ereignissen en détail. So sollen etwa am 18. April 1993 100 Kilogramm TNT vor einer Moschee in Vitez gesprengt worden sein, wobei 15 bis 20 Zivilisten getötet und 200 weitere verletzt worden wären. Dem Bericht ist eine Liste mit mutmaßlich an der Tat beteiligten bosnischen Kroaten beigefügt, die sogar Altersangaben und Spitznamen der Täter enthält.1262 Die Nennung von Namen vermeintlicher Kriegsverbrecher in der Oslobođenje erfolgte kontinuierlich. Man darf sich zu Recht fragen, woher die Informationen zu diesen Berichten stammten und wie glaubwürdig sie wirklich waren. Zwischen derlei detaillierten Beschreibungen und der offensichtlichen Schwierigkeit, auch nur rudimentäre Informationen zum zerstörten Kulturerbe des Landes zu erhalten, besteht nichtsdestoweniger ein kaum zu übersehender Widerspruch.
1259 1260 1261 1262
Cerić (1993b). Savić wurde am 7. Juni 2000 in Bijeljina auf offener Straße erschossen (Todorović (2000)). Stanojlović (1993). Pressezentrum ARBiH (1993).
414 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Abb. 38: Bosnische Minarette zwischen Raketen der Jugoslawischen Armee. Večernji List, 7. Dezember 1991.
Die Aussagen zur Kulturerbezerstörung der Oslobođenje unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen des kroatischen Vjesnik oder Večernji List oder der serbischen Politika – abgesehen von der Tatsache, dass sie seltener sind. Auch die bosnischen Autoren verglichen die Angriffe mit den Gräueltaten der Nazis; auch sie betonten die historische Opferrolle in diesem Fall der bosnischen Muslime und verglichen deren Schicksal mit dem der europäischen Juden im Holocaust. Charakteristisch ist ebenfalls der verzweifelte Versuch, die internationale Gemeinschaft zu überzeugen, das bosnische Kulturerbe bilde einen wesentlichen Teil des europäischen und sei deshalb schützenswert. Man kann die Aussagen ohne Übertreibung als Topoi der Diskurse zur Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen bezeichnen. Auch die kroatischen und serbischen Zeitungsberichte zum Krieg in Bosnien weisen diesbezüglich kaum neue Aussagen oder Erkenntnisse auf und können deswegen vernachlässigt werden.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 415
Abb. 39: „Muslimischer Extremismus“. Večernji List, 11. Mai 1993.
Eine Besonderheit ist, dass kroatische Autoren in Vjesnik und Večernji List zunächst Partei für die bosnischen Muslime gegen den gemeinsamen Feind – serbische Politiker und das Militär – ergriffen. Nach dem Zerbrechen der bosnischkroatischen Allianz im Frühjahr 1993 jedoch gingen die kroatischen Medien mehr und mehr dazu über, die Streitkräfte und Milizen Bosniens zu verunglimpfen, indem sie diese etwa als „Extremisten“ darstellten (Abb. 39) oder ihnen vorwarfen,
416 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Abb. 40: Überreste der gesprengten Ferhat-Pascha-Moschee in Banja Luka. The New York Times, 8. Mai 1993, Titel.
sie verübten einen Genozid an den Kroaten Bosniens.1263 Von kroatischen Gräueltaten gegen Muslime oder Serben war jedoch zu keiner Zeit die Rede. Eine Analyse der deutsch- und englischsprachigen internationalen Printmedien aus dieser Zeit ergibt, dass die internationale Staatengemeinschaft bereits früh über den Charakter des Krieges in Bosnien und Herzegovina informiert war. Die serbischen und später kroatischen Offensiven, die „ethnischen Säuberungen“ und Konzentrationslager1264, systematische Vergewaltigungen und die Zerstörung von Städten – über all dies wurde etwa in der New York Times berichtet. Der größte Teil dessen, was die Korrespondenten John F. Burns, Chuck Sudetić, Michael T. Kaufman und Stephen Kinzer zum Teil vor Ort recherchiert und aufgeschrieben hatten, wurde später durch wissenschaftliche und strafrechtliche Untersuchungen bestä1263 Krehić/Marusić (1993); R. I. (1993b); vgl. Meier (1993a). 1264 Serbische Konzentrationslager waren etwa Omarska, Trnopolje und Keraterm in der Nähe von Prijedor, kroatische Lager existierten in den Gemeinden Vitez, Kiseljak und Čapljina; vgl. United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex V, Part II, VIII, The Concentration Camps, P. 337 ff.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 417
tigt. Dasselbe gilt für die Beobachtungen der Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), etwa der langjährigen Südosteuropa-Experten Viktor Meier1265 oder Matthias Rüb. Anders als in der Berichterstattung zu Kroatien ist das Schicksal des kulturellen Erbes Bosniens in den Texten dieser Autoren jedoch kaum präsent, nur selten steht es im Zentrum. Als Randnotiz bildet es allenfalls einen Teil der Kulisse in Schilderungen der Kriegsereignisse oder in der Analyse des politischen Terrains. In einem Text zur Zerstörung der beiden Moscheen in Banja Luka vom 8. Mai 1993 vertrat Kinzer in der New York Times die denkbar allgemeine Ansicht, dass die „Taktik der Zerstörung von Moscheen während des Krieges oft für den Versuch genutzt wurde, die Muslime zu demoralisieren“. Er berichtete zudem, dass der damalige Präsident Jugoslawiens, der serbische Nationalist Dobrica Ćosić, die Zerstörung der Moscheen in Banja Luka zwar verurteilt, zur Zerstörung der fünf Moscheen in Bijeljina jedoch kein Wort verloren habe.1266 Zwei Monate vor ihrer endgültigen Zerstörung durch kroatische Panzerschützen schrieb Mark Cantwell am 8. September 1993 in der New York Times über seinen letzten Besuch der Alten Brücke in Mostar. Anhand einer Fotografie, die er 23 Jahre zuvor von dem Bauwerk aufgenommen hatte, setzte er zu einem melancholisch-romantischen Trauergesang für die Brücke an, die seit 1992 dauerhaft unter Beschuss stand.1267 Nur wenig später, am 10. November, informierte Chuck Sudetić über die Zerstörung der Brücke am Tag zuvor. Dabei bediente er sich eines etablierten Klischees. Er bezeichnete sie als „eine der eindrucksvollsten Metaphern für das gemeinsame Leben, das Muslime, Kroaten und Serben des alten Jugoslawien vor dem gewaltsamen Auseinanderbrechen des Landes in separate Nationalstaaten genossen haben“1268. Diese Vorstellung des gemeinsamen harmonischen Lebens quo ante bellum entsprach durchaus den Wünschen und Vorstellungen der internationalen Staatengemeinschaft, die bis dahin dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien hilflos zusah. Doch wie gezeigt war die Lebensrealität der Jugoslawen nicht auf eine solch einfache Formel zu reduzieren. Am 18. Juli 1992 erklärte Michael T. Kaufman ebenfalls in der New York Times, dass überall dort, wo gekämpft wurde, auch serbische orthodoxe Kirchen und katholische Gotteshäuser beschossen worden seien. Er sah in dem, was sich in Sarajevo, Mostar und Goražde ereignete, deutliche Parallelen zur Zerstörung des kroatischen 1265 1266 1267 1268
Lerch (2009). Kinzer (1993a). Cantwell (1993); zum Beschuss der Stari Most seit 1992 auch: Sudetić (1993c). Sudetić (1993c).
418 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Vukovar.1269 Über die Zerstörung von Moscheen in Trebinje, Ljubuški, Gornji Vakuf sowie in anderen Städten und Orten Bosnien-Herzegovinas erschienen kürzere Notizen. Aus Foča im Südosten des Landes zitierte Burns einen serbischen Polizisten, der nach der Sprengung der Aladža-Moschee (1550) ausgesagt hatte, in der Stadt hätte es niemals eine Moschee aus dem 16. Jahrhundert gegeben. Sudetić wiederum schrieb am 31. Dezember 1993 über die Eroberung des Dorfes Olavak durch kroatische Truppen, dass Letztere nach der Einnahme des Ortes zwei Moscheen und ein Derwisch-Kloster niederbrannten. Zwei Tage darauf nahmen Muslime im Ort Scit offenbar Rache und zündeten dort die katholische Kirche an.1270 Selten umfassten diese kurzen Berichte mehr als fünf Zeilen und nie ist das zerstörte Kulturerbe darin das Hauptthema. Dementsprechend dürftig fallen auch die Interpretationen der Ereignisse aus. Kaufman zitierte angesichts des Dauerbeschusses von Mostar den damaligen Bürgermeister Dubrovniks, Petar Poljanić, der hinsichtlich der Motive der Belagerer sagte, diese zerstörten wohl, was sie nicht haben könnten.1271 Alan Riding berichtete von einer Kommission der Europäischen Union, die Fälle systematischer Vergewaltigungen im Krieg in Bosnien-Herzegovina untersuchte. Im Bericht derselben hieß es, dass „in den meisten Fällen andere Formen von physischer und psychischer Gewalt mit Vergewaltigungen einhergingen, begleitet oder gefolgt von der Zerstörung von Wohnhäusern, Moscheen und Kirchen“1272. Eine Konstante, weniger zur Kulturerbezerstörung als zum Krieg in Bosnien im Allgemeinen, bildete in den Artikeln der New York Times der Vergleich mit den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges und den Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten. So bewertete Kaufman im August 1992 die „ethnische Säuberung“ als „Europas alten Horror mit neuen Opfern“. Nach dem „Sieg über die Nazis“ lebten nun deren Strategien in der serbischen Kriegführung wieder auf. Weiterhin bezeichnete er den Kampf Europas gegen die serbische Aggression in Bosnien als ebenso aussichtslos wie die Appeasement-Politik der europäischen Mächte gegenüber Hitler nach der deutschen Besetzung des Sudetenlandes 1938.1273 Burns zufolge sei der Krieg in Bosnien-Herzegovina in Ausmaß und Bosheit ohne Beispiel in Europa nach 1945.1274 In einem weiteren Artikel im Frühjahr 1993 verglich er den Schaden, der durch den andauernden serbischen Beschuss Sarajevos 1269 Kaufman (1992b). 1270 Sudetić (1993a, 1993d); Schmidt (1993); Kinzer (1993c); Lewis (1993); F. Burns (1993e, 1993g); Kifner (1993). 1271 Kaufman (1992b). 1272 Riding (1993). 1273 Kaufman (1992c). 1274 F. Burns (1992d).
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 419
entstanden war, mit der Verwüstung der Stadt während der Besatzung der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Er stellte fest, dass Letztere lediglich ein geringes physisches Ausmaß im Vergleich zur gegenwärtigen Zerstörung Sarajevos hatte.1275 Der Journalist John Darnton hingegen stellte einen direkten Bezug zur Ermordung der europäischen Juden her: Not for half a century has the world witnessed events in Europe that have stirred such an agonizing echo of past horrors. The television footage of houses reduced to rubble, the bombed-out churches and mosques, the lined-up bodies and mass graves – they all evoke the flickering black-and-white newsreels of World War II. The words „genocide“, „massacre“, „holocaust“, „civilian bombing“ and „ethnic cleansing“ haunt everyday speech and stir up guilt-ridden memories like smoke rising from a crematorium.1276
Auch der US-amerikanische Publizist und Holocaust-Überlebende Elie Wiesel hatte sich, wie Darnton berichtet, während seiner Ansprache zur Eröffnung des Holocaust-Memorial-Museum in Washington am 22. April 1993 auf den Krieg in Bosnien-Herzegovina bezogen. An den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton gewandt sagte er: And Mr. President, I cannot not tell you something. I have been in the former Yugoslavia last fall. I cannot sleep since what I have seen. As a Jew I am saying that. We must do something to stop the bloodshed in that country.1277
Deutsche Journalisten und Kommentatoren kritisierten ebenfalls die zögerliche Haltung europäischer und überseeischer Regierungen und zwischenstaatlicher Organisationen. Bassam Tibi, von 1973 bis 2009 Professor für internationale Beziehungen an der Universität Heidelberg, fragte in einem Beitrag für die FAZ im Januar 1993: Und was tut die westliche Welt? Wissen die Europäer, welche globalen Folgen durch ihr Zögern und die militärische Unterlegenheit der Bosnier für den Religionsfrieden zwischen der Welt des Islam und dem Westen kurz- und langfristig
1275 F. Burns (1993d). 1276 Darnton (1993). 1277 Ebd.
420 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen entstehen können? […] Kaum vorzustellen ist, daß dies auf dem zivilisiertesten Kontinent geschieht. Und kein zivilisierter europäischer Staat interveniert!1278
Jens Schneider merkte in seinem Artikel zur Zerstörung der Alten Brücke im Dezember 1993 in der SZ resigniert an: „In einem Krieg, der schon schätzungsweise 200.000 Menschen das Leben gekostet hat, bedurfte es wohl der Zerstörung einer historischen Brücke, damit die Beteiligten noch einmal aufhorchten.“1279 Ein weiterer Autor1280 der SZ besprach die Kulturerbezerstörung in Bosnien ebenfalls im Dezember 1993. Er fasste die Haltung der internationalen Gemeinschaft wie folgt zusammen: Die Welt verschließt weiter stur die Augen, egal, ob nun Menschen oder Kulturbauten geschändet werden. Und beruhigt sich möglicherweise mit dem neuesten Enzensbergerschen Zynismus, indem sie sich wie er im Falle von Ex-Jugoslawien auf den Terminus „Bürgerkrieg“ ausruhen, der eine Ausrede schafft, sich nicht einmischen zu müssen, weil er sich gemeinhin mit der allseitigen Erschöpfung selbst erledige. Wir hoffen nur, daß noch genügend Menschen überleben, die in ihren Köpfen und Herzen eine Kultur weitertragen können, deren äußere Denkmäler endgültig vernichtet sind.1281
Im Übrigen waren auch in den deutschen Zeitungen Berichte zur Zerstörung des Kulturerbes in Bosnien-Herzegovina äußert selten und bildeten eher Randnotizen zu anderen Themen. Einzig die Beiträge Bassam Tibis sowie die Berichterstattung zur Zerstörung der Moscheen in Banja Luka und der Stari Most in Mostar in der FAZ und der SZ stellten Ausnahmen dar. Tibi versuchte, im Januar 1993 die möglichen Folgen der Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina in Anbetracht der europäischen Untätigkeit abzuschätzen. Für ihn lagen die Ursachen der Zerstörungen im „großserbischen Ethno-Fundamentalismus“ begründet: Die Großserben haben bisher konsequent eine militärische Politik der „ethnischen Säuberung“ verfolgt und die Muslime und Kroaten aus ihren Wohngebieten mit Gewalt vertrieben, um auf diese Weise „ethnisch reine Territorien“ zu
1278 1279 1280 1281
Tibi (1993a). Schneider (1993). Ein vollständiger Autorenname war nicht zu ermitteln. E.-E. F. (1993).
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 421
Abb. 41: Einwohner Banja Lukas passieren die Trümmer der Ferhadije-Moschee. Erkennbar ist der obere Teil des herabgestürzten Minaretts im Hintergrund. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Juni 1993.
schaffen, die Teile von Großserbien werden sollten. […] Wer nicht ausgerottet werden kann, soll vertrieben werden. Das ist das großserbische Kriegsziel.
Die scheinbare Gleichgültigkeit europäischer Politiker gefährdete seiner Ansicht nach die Beziehungen zwischen islamischem Orient und christlichem Okzident nachhaltig. Dass er nicht falsch lag mit seiner Einschätzung, wird daran ersichtlich, dass er 1993 treffsicher fünf Jahre vor den tatsächlichen Ereignissen voraussagte: „Die heutigen Opfer auf dem Balkan sind die 1,6 Millionen bosnischen Muslime. Der nächste Krisenherd wird Kosovo mit 1,5 Millionen muslimischen KosovoAlbanern sein.“1282 In Das muslimische Blut ist das billigste Blut, versehen mit einem Bild der zerstörten Ferhat-Pascha-Moschee in Banja Luka (Abb. 41), vertiefte er den Gedanken des wachsenden Grabens zwischen Muslimen und Christen und skizzierte ein zunehmendes anti-westliches Ressentiment der Muslime weltweit:
1282 Tibi (1993a).
422 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Die Meldungen vom Balkan liefern in dieser Situation noch mehr Zündstoff. Die Mehrheit der Muslime ist überzeugt, daß ein neuer Kreuzzug gegen sie im Gange ist. Islamische Fundamentalisten nutzen diese Atmosphäre, um ihre antiwestliche Propaganda zu verbreiten und das Wasser weiter zu trüben.1283
Ebenfalls im Juni 1993, ein Jahr nach den tatsächlichen Ereignissen, veröffentlichte die FAZ einen durch die Südosteuropaforscherin Dunja Melčić übersetzen Beitrag des kroatischen Schriftstellers und Publizisten Ivan Lovrenović zur Zerstörung der Nationalbibliothek Bosnien-Herzegovinas, der Vijećnica, und des Orientalischen Instituts in Sarajevo durch serbische Brandgranaten. Die Bestände beider Häuser fielen im Sommer 1992 beinahe vollständig den Flammen zum Opfer.1284 Die kroatischen Reaktionen auf die Zerstörung der Stari Most durch kroatische Panzerschützen thematisierte Jens Schneider in der SZ am 15. Dezember 1993. Er schrieb von der „Verlegenheit“ über die Zerstörung der Stari Most und dem „Unmut“ gegenüber der Bosnien-Politik Franjo Tuđmans unter den Kroaten. Tuđman setze nun auf eine Stigmatisierung der bosnischen Muslime als islamische Fundamentalisten und Extremisten. Das politische Ziel des kroatischen Präsidenten sei die Aufteilung Bosnien-Herzegovinas zwischen Serben und Kroaten. Hierzu existiere bereits eine Übereinkunft Tuđmans mit dem serbischen Präsidenten Milošević.1285 Die Zagreber Filialen der Nachrichtenagenturen Reuters und Associated Press meldeten am 17. Dezember 1993 die fortschreitende Zerstörung islamischen Kulturerbes in Banja Luka. Der damalige Sprecher des VN-Flüchtlingshilfswerks Peter Kessler wird mit den Worten wiedergegeben, dass die islamischen Kulturstätten Banja Lukas „zu 100 Prozent“, die katholischen Kirchen Nordbosniens bereits zu „98 Prozent zerstört“ seien.1286 Der Autor mit dem Kürzel E.-E. F. verortete die Zerstörung der Moscheen in Banja Luka in einem historisch-globalen Kontext: Aus der Geschichte kennen wir Vergleichbares. Anno 70 unserer Zeitrechnung zerstörten die Römer den Zweiten Tempel zu Jerusalem, was die Zerstreuung der Juden in alle Welt zur Folge hatte. Im Jahre 1938 brannten in Deutschland die Synagogen, was den Beginn der Vernichtung eines Volkes markierte.1287 1283 1284 1285 1286 1287
Tibi (1993b). Lovrenović (1993). Schneider (1993). Reuters/AP (1993). E.-E. F. (1993).
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 423
Als weitere wiederkehrende Aussagen im Diskurs, die jedoch in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Kulturerbezerstörung stehen, tauchen die Formel „jugoslawischer Bürgerkrieg“1288, die Interpretation des serbischen Angriffs als „großserbischer Eroberungskrieg“1289 sowie das Klischee der angeblich friedvollen Eintracht aller jugoslawischen Ethnien vor dem Krieg auf.1290
DIE BERICHTE DES KOMITEES FÜR KULTUR UND BILDUNG DER PARLAMENTARISCHEN VERSAMMLUNG DES EUROPARATS VON 1993 BIS 1997
Im Kapitel zur Kulturerbezerstörung in Kroatien wurden die Berichte des Europarats ausführlich besprochen. Wenn diese im Hinblick auf Bosnien und Herzegovina nunmehr zusammengefasst werden, geschieht das nicht, weil die Ereignisse dort weniger Beachtung verdienten oder das Ausmaß der Zerstörungen hinter demjenigen in Kroatien zurückbliebe – das Gegenteil ist der Fall. Es sollen im Folgenden nicht noch einmal die allgemeine Struktur der Berichte dargestellt, sondern nur die für Bosnien spezifischen Beobachtungen im Überblick wiedergegeben werden. In seinem ersten Bericht vom Februar 1993 erwähnt Colin Kaiser bereits den markanten Unterschied zwischen dem Kulturerbe Bosnien-Herzegovinas und dem Kroatiens. Der größte Teil Kroatiens gehörte seit der Verdrängung der Osmanen im 17. Jahrhundert zum Einflussbereich christlicher Herrscher. Die längste Zeit waren das die habsburgischen Kaiser Österreich-Ungarns. Mit den Türken verschwand dort – zweihundert Jahre vor ähnlichen Ereignissen im benachbarten Serbien – auch der größte Teil des osmanisch-islamischen Kulturerbes.1291 Das gebaute Kulturerbe Kroatiens war in den 1990er Jahren überwiegend christlichwesteuropäisch geprägt – mit zahlreichen Überresten antiker Architektur entlang der Adriaküste. Die Denkmallandschaft Bosnien-Herzegovinas war davon völlig verschieden: The Bosnian cultural heritage is marked by centuries of Ottoman rule (mid-15th century to 1878). The cities, with their mosques, medreses, bazaars and residential mahalla districts, have retained their distinctive character to the present day, 1288 1289 1290 1291
Meier (1992a); E.-E.F. (1993). Meier (1992b); Tibi (1993a). Kaufman (1992a); Kinzer (1992a); Sudetić (1993c). Vgl. Kap. 2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus / Nationalismus und Kulturerbe in der kroatischen Geschichte; Goldstein (1999), 46.
424 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen despite the intense building campaigns that followed absorption into the Austro-Hungarian Empire.1292
Auch die Besetzung Bosniens durch Österreich-Ungarn 1878 hatte nur wenig an den orientalisch anmutenden bosnischen Städten und Siedlungen geändert. Die Administration der Doppelmonarchie hatte im Gegenteil eine distinktiv bosnischmuslimische Identität zum Ausgleich kroatischer und serbischer nationalistischer Tendenzen gefördert.1293 Mit einer Vielzahl eigener Bauwerke trug sie überdies zum exotisch empfundenen Bild der bosnischen Städte bei. Nicht selten verwirklichten die durch das Kaiserreich bestellten Architekten einen imaginierten Orient, wie das Gymnasium in Mostar (František Blažek, 1902), oder die Vijećnica (Alexander Wittek, 1892–94) in Sarajevo, beide errichtet im pseudo-maurischen Stil, eindrücklich zeigen. Ein weiterer signifikanter Teil des gebauten bosnischen Kulturerbes, die kroatisch-katholischen und serbisch-orthodoxen Sakralbauten, waren, von Ausnahmen abgesehen, ebenfalls überwiegend jüngeren Datums. Die ruralen Siedlungen wiederum behielten bis zum Ende des 20. Jahrhunderts den Charakter, der sich über viele Jahrhunderte entwickelt hatte. Ein weiterer Unterschied zur Situation in Kroatien wird bei der versuchten Kontaktaufnahme und Kommunikation der Beauftragten des Komitees für Kultur und Bildung der parlamentarischen Versammlung des Europarats mit Institutionen in Bosnien und Herzegovina deutlich. In der Einleitung zum ersten Bericht schreibt Jacques Baumel, dass die Verbindungsaufnahme mit den Behörden in Slowenien und Kroatien erfolgreich, ein Kontakt mit den bosnischen Institutionen jedoch nicht zustande gekommen war.1294 Erst im Juni 1993 gelang es offenbar, eine Verbindung zum Föderalen Institut für den Schutz des kulturhistorischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina in Sarajevo herzustellen.1295 Baumel beklagte überdies, dass sich die Informationsgewinnung in Bosnien-Herzegovina noch schwieriger gestaltete als in Kroatien: In Bosnia information is even more fragmentary. What is the situation on the battle fronts, and in the zones occupied by each of the parties, but especially the
1292 1293 1294 1295
Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, II, P. 8. Ramet (1989), 108. Council of Europe (Februar 1993), Introduction. Council of Europe (September 1993), A, P. 29 ff. und Council of Europe (Januar 1994), I, P. 110.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 425
Serbs, who control about 70% of the territory of Bosnia-Herzegovina? Without basic information […] there is nothing we can do for war-damaged heritage.1296
Die Schwierigkeit, den Kontakt zu den bosnischen Institutionen aufrechtzuerhalten, wurde in den Berichten des Europarats immer wieder angesprochen. Noch im Juli 1993 bestand offenbar lediglich ein Austausch mit dem Institut für den Schutz des natürlichen und kulturellen Erbes in Mostar und dieser auch nur indirekt über Mittler in Paris, die mit Mostar lediglich Fax-Nachrichten austauschen konnten.1297 Bereits 1993 organisierte die Vereinigung der Architekten Sarajevos (Društvo Arhitekata Sarajevo, DAS) eine Ausstellung zum zerstörten Kulturerbe Bosniens. Im Katalog sprachen die Autoren von der Unmöglichkeit, aufgrund der „Kommunikationsblockade und den laufenden Kriegsgeschehnissen“ eine Aufstellung landesweit betroffener Objekte anzufertigen.1298 Im Januar 1994 schrieb Colin Kaiser im vierten Bericht des Europarats zur herzegovinischen Stadt Mostar, die seit Mai 1993 zum zweiten Mal unter Dauerbeschuss stand – diesmal allerdings durch kroatische Truppen –, von der „Schwierigkeit der Kommunikation mit dem lokalen Institut und der apokalyptischen Vagheit journalistischer Reportagen“1299. Ein Grund für die schwierige Verständigung zwischen bosnischen und internationalen Institutionen war die Zerstörung der Kommunikationswege. Ein weiterer bestand in der wirklich einzigartigen Geografie des Landes. Bosnien und Herzegovina ist von zahlreichen Gebirgszügen durchschnitten, die zum Teil stark bewaldet sind und Höhen von über 2.000 Meter erreichen können. Enge Schluchten und steile Felswände prägen das Landschaftsbild. In drei größeren Ebenen im Norden, Südosten und Südwesten liegen mit Banja Luka, Sarajevo und Mostar die drei bedeutendsten Städte der ehemaligen jugoslawischen Republik. Dort konzentrierten sich die wichtigsten Industriebetriebe und Militärbasen. Die Kontrolle von Nord- und Zentralbosnien sowie der Herzegovina im Südwesten war demzufolge das maßgebliche strategische Ziel des Krieges. Verbunden waren diese Ebenen und Städte durch die drei wichtigsten Verkehrsadern des Landes, die, von Bosanska Gradiška und Slavonski Brod im Norden und der Adriaküste im Süden kommend, in Sarajevo zusammentreffen. Diese Nord-Süd-Traverse verbindet parallel zu den Flüssen Neretva und Bosna und der einzigen Eisenbahnlinie die Nordgrenze Bosniens in Slawonien mit der Adriaküste im Süden. Die Versorgung der Städte und 1296 1297 1298 1299
Council of Europe (Februar 1993), Introduction, P. 6. Council of Europe (Juli 1993), B, II, P. 5. Association of Architects (1993), Einleitung. Council of Europe (Januar 1994), I, P. 73.
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Siedlungen ebenso wie der militärische Nachschub konnte ausschließlich über diese Hauptrouten abgewickelt werden.1300 Wie die Adern eines Blattes zweigen kleinere Straßen von ihnen ab, die in die Orte West- und Ostbosniens an die serbische, montenegrinische oder kroatische Grenze führen. Zum größten Teil verlaufen diese Straßen durch Gebirgstäler und über einige wenige Pässe, die mit geringem Aufwand zu kontrollieren sind. So ist es wenig verwunderlich, dass bereits kurz nach Ausbruch des Krieges 70 Prozent des Territoriums Bosnien-Herzegovinas unter serbischer Kontrolle stand. Die Dynamik des Krieges, die schnell wechselnden Frontverläufe, die Wahrscheinlichkeit, in Kämpfe zwischen serbischen, bosnischen und kroatischen Einheiten zu geraten, und schließlich die Unvorhersehbarkeit von „ethnischen Säuberungen“, von Massakern und Verschleppungen machten die Bewegung auf dem Landweg zum Hasardspiel – mit oft tödlichem Ausgang für die, die es wagten. Während des Krieges gab es folglich kaum eine Möglichkeit für bosnische und internationale Institutionen und Organisationen, im Land miteinander in direkten Kontakt zu treten. Ein weiterer signifikanter Unterschied zu Kroatien bestand in der Infrastruktur des Kulturerbeschutzes in Bosnien-Herzegovina. In seinem ersten Bericht vom Februar 1993 klagte Colin Kaiser über die Mühen, diese überhaupt bestimmen zu können: In principle the administration of monuments is organised in Bosnia-Herzegovina on similar lines as in Croatia, but the fact-finding mission could not find complete information on this, and the picture seems somewhat confused.1301
Die zwei größeren Außenstellen des zentralen Denkmalschutzamtes in Sarajevo lagen in Mostar und Banja Luka. Letztere war bereits mit Kriegsausbruch serbisch kontrolliert, es gab während des Krieges dorthin keinen produktiven Kontakt. Mostar und Sarajevo hingegen waren eingekreist und wurden täglich beschossen. Im September 1993 vermittelte Marian Wenzel zwischen den Instituten in beiden Orten und berichtete im Anschluss daran über die kriegsbedingten Mängel in der Infrastruktur und Kommunikation. Ihr Bericht ist bezeichnend für die Situation des Denkmalschutzes im Krieg in Bosnien und gleicht einem Blick in den Ab1300 Das galt auch für internationale Hilfslieferung, die über die Luftbrücke zwar in Sarajevo ankamen, von dort jedoch ins Land verteilt werden mussten. Der serbische Belagerungsring um die Stadt war demzufolge auch eine Institution des Schwarzhandels, da jeder Hilfskonvoi den Ring an einem der Checkpoints passieren musste. 1301 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, II, P. 10.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 427
grund. Man muss sich dazu vor Augen führen, dass Sarajevo und Mostar nur etwa 75 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt liegen: What Mostar wanted Sarajevo to know: Mostar wanted Sarajevo to know that their department was active – they felt themselves to be still active, though being so was much harder than before, as they had so many technical problems. They had told all international institutions about what had happened to them […]. They had lost all their books by fire, and needed books for research […]. They hoped somehow they could make contact with parallel institutes in Sarajevo, and exchange material. […] they are left with no photo laboratory […]. Nor have they any photo materials, and their entire archives with contact copies of the photos for the whole of Herzegovina were burnt down.1302
Aus Tuzla im Nordosten Bosniens berichtete Colin Kaiser im August 1994, dass das dort ansässige lokale Büro für den Schutz des kulturellen und natürlichen Erbes erst vor zehn Jahren gegründet worden war. Damit sei der allgemein schlechte Zustand des gebauten Kulturerbes in der Region zu erklären. Dass dort kaum Daten zu Objekten vorlagen, sei ebenfalls vor dem Hintergrund der kurzen Existenz der Institution nachvollziehbar: […] it has not had much time to make its mark on local decision-makers. With a tiny staff of five specialists it was able to complete an inventory for five of the districts of the area, and its work elsewhere was interrupted by the war. Its staff has since diminished by two; but the remaining team has managed to safeguard their documentation.1303
Im Mai 1995 stellte Kaiser fest, dass der Krieg das ohnehin labile Netzwerk des bosnischen Denkmalschutzes restlos zerstört hatte. Die Teilung des Landes in die 1992 proklamierte Republika Srpska und die Föderation Bosnien-Herzegovina, die mit dem Vertrag von Dayton juristisch zementiert wurde, machte die ohnehin komplizierte Arbeit zum Schutz des Kulturerbes in vielerlei Hinsicht auf Dauer schwierig oder gar unmöglich: In a country where the system of protection of cultural heritage was weak before the war, the splitting into two republics (each with their own cultural authorities), 1302 Council of Europe (September 1993), B, II, c. 1303 Council of Europe (August 1994), C, Tuzla / A sinking historic centre.
428 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen the isolation of Sarajevo from the rest of the federation, the decentralisation of political power (and the consequent swallowing of heritage authorities by town administrations), and the departure of specialists have contributed to produce an extremely bleak situation.1304
In Mostar, das seit Mai 1993 von bosnischen Regierungstruppen und bosnischen Kroaten umkämpft wurde, hatte sich, analog zum Zerfall des bosnisch-kroatischen Bündnisses, auch das Institut für den Schutz des kulturellen Erbes geteilt. Auf der Ostseite des Flusses Neretva bestand fortan ein der bosnischen Regierung gegenüber loyales Institut. Auf der Westseite der Stadt hingegen hatten bosnische Kroaten das Institut für den Schutz des kulturellen Erbes der Republik Herceg-Bosna gegründet.1305 Beide Institute zur Zusammenarbeit an konkreten Objekten in situ zu bewegen, sei außerordentlich schwer.1306 Die institutionelle Teilung des Kulturerbeschutzes spiegelte sich auch in der Organisation der Museen der Stadt wieder. Diese nahm mit dem Krieg zwischen Bosniaken und bosnischen Kroaten groteske Züge an. Von einer Exkursion im Oktober 1995 berichteten Wenzel und Walasek, dass zusätzlich zum Museum der Herzegovina – geführt durch die bosnische Regierung und auf der Ostseite der Neretva gelegen – bosnische Kroaten das Museum Herceg-Bosna auf der Westseite des Flusses gegründet hätten. Das Museum der Herzegovina besaß den größten Teil der Bestände, die den Krieg überlebt hatten, sein Personal jedoch bestand, „inklusive des Direktors“, ausschließlich aus Laien. Das Personal des Museums Herceg-Bosna wiederum war aus „hochqualifizierten Experten“ zusammengesetzt; seine einzigen Bestände indes waren „einige Überreste der Sammlungen des Museums der Herzegovina, inklusive einer Anzahl wertvoller ethnographischer Schmuckstücke, die aus eben diesem Museum gestohlen und später auf der Westseite wieder aufgefunden worden waren. Das Museum Herceg Bosna sieht diese Objekte als sein Eigentum an“1307. Die bosnischen Denkmalschützer waren folglich denkbar weit entfernt davon wie ihre kroatischen Kollegen im Schulterschluss mit Politik und Militär eine geschlossene Einheit zu bilden, die den Zustand des bosnischen Kulturerbes in konzertierten Aktionen über die Landesgrenzen hinaus publik machen konnte. Vergleicht man die beiden durch das Föderale Institut herausgegebenen Berichte zum zerstörten Kulturerbe, von denen einer noch während 1304 1305 1306 1307
Council of Europe (Mai 1995), II, D. Council of Europe (August 1994), C, Situation of the institues. Council of Europe (Mai 1995), II, D, The situation of cultural heritage in Mostar. Council of Europe (Januar 1996), II, 6.4, Mostar.
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des Krieges 1993 erschien1308, ein weiterer 19951309, dann fallen die zahlreichen Widersprüche sofort ins Auge. Neben den Hinweisen örtlicher Behörden waren in die zehn Berichte des Europarats Erkenntnisse aus insgesamt neun eigenen sogenannten fact-finding missions eingeflossen. Vier dieser Missionen führte Colin Kaiser, der sich ab April 1995 als Leiter des dortigen UNESCO-Büros dauerhaft in Mostar aufhielt (später in Sarajevo), selbst durch. Sein geografischer Schwerpunkt war offenbar der Raum um Mostar, insbesondere das untere Neretva-Tal und Zentralbosnien. Vom 29. November bis 20. Dezember 1992 führte ihn die erste Exkursion nach Kroatien sowie erstmals in das Tal der Neretva südlich Mostars1310. Im März 1994 brach Kaiser zu zwei je fünftägigen Missionen nach Slawonien sowie in die Herzegovina auf.1311 Der Schwerpunkt seiner dritten Reise in das Krisengebiet vom 30. Mai bis 22. Juni 1994 lag auf Zentralbosnien.1312 Dort waren nach dem Waffenstillstand vom Februar 1994 eben die Kämpfe zwischen bosnischen Regierungstruppen und bosnischen Kroaten abgeflaut. Sarajevo, Tuzla und Mostar besuchte der Beauftragte des Europarats auf dieser Exkursion nur kurz. Sein letzter Report aus dem „Feld“ stammt aus der Zeit, in der er bereits Leiter des UNESCO-Büros war. Im Juni 1995 besuchte Kaiser nochmals das Neretva-Tal und den Bereich um den Ort Kupres am gleichnamigen Gebirgspass.1313 Über ebenso viele Reisen nach Bosnien-Herzegovina berichtete zwischen 1993 und 1995 Marian Wenzel dem Europarat. Ihr Interesse lag dabei vor allem auf der Hauptstadt Sarajevo und dem institutionellen Museumsbetrieb in BosnienHerzegovina. Vom 3. bis 29. Juni 1993 absolvierten Wenzel und Shrimplin die erste internationale Mission zur Erfassung des vom Krieg betroffenen Kulturerbes nach Sarajevo.1314 Vom 28. März bis zum 14. April 1995 besuchten sie und Walasek die bosnische Hauptstadt Sarajevo.1315 Vom 7. bis 28. Oktober 1995 reisten beide sowie der Direktor der konservatorischen Abteilung des Nationalmuseums in Wales, Robert E. Child, nach Bosnien-Herzegovina, um den Zustand der öffentlichen Museen in der Föderation zu beurteilen.1316 Eine weitere Exkursion führte sie zwi1308 1309 1310 1311 1312 1313 1314 1315 1316
Veröffentlicht u. a. in Council of Europe (Januar 1994) unter II. Zavod (1995). Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, I, P. 1. Council of Europe (April 1994), B, Report on a fact-finding mission in March 1994. Council of Europe (August 1994), A. Council of Europe (Juni 1995), 2. Council of Europe (September 1993), A, Introduction, P. 11 und B. Council of Europe (Juni 1995), 3. Bullets at butterflies…. Council of Europe (Januar 1996), II, 1.
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schen dem 16. und 30. Oktober 1996 in die Republika Srpska, um auch dort die Museen in Augenschein zu nehmen.1317 Das Komitee des Europarates konnte bei der Erfassung des beschädigten und zerstörten Kulturerbes in Bosnien-Herzegovina überdies auf fünf Berichte der Europäischen Beobachtermission zurückgreifen, die diese zwischen Juni 1994 und Dezember 1996 erstellt hatte.1318 Es verwundert jedoch nicht, dass die Quellenlage äußerst dürftig war. Die Informationen basierten meist auf Hörensagen und zeichneten ein düsteres Bild: On account of the difficulty of access for international organisations, and the indifference of the international press to heritage questions, the only information on the frontline areas came from local sources, which tended to give a uniform catastrophic vision […].1319
Kaiser berichtete von Material, das ihm aus zweiter Hand von kroatischen offiziellen Stellen und Zuträgern in Bosnien-Herzegovina zur Verfügung gestellt worden, jedoch schwer zu überprüfen war.1320 Auch beklagte er, dass unzuverlässige und falsche Informationen durch dubiose Quellen im internationalen Raum verbreitet wurden: „which risks being used against defenders of the cultural heritage when the inaccuracy or exaggeration of this information is known“1321. Solcherart problematische Informationen erhielt Kaiser auch von den verschiedenen religiösen Gemeinschaften. So führte der Rijaset selbstständig Listen über Kriegsschäden. Drei dieser Listen vom 12. September und 10. November 1992 sowie vom 4. Februar 1993 erwähnte er in seinem Bericht vom Juli 1993. Darin waren 613 Objekte und Objektensembles in ganz Bosnien-Herzegovina als vom Krieg betroffen aufgeführt. Die Glaubwürdigkeit der Übersichten war jedoch offenbar gering, wie er am Beispiel von Mostar feststellte:
1317 Council of Europe (Januar 1997), 2, 1. 1318 Zum Teil stark gekürzte Versionen dieser Berichte sind in Council of Europe (Juni 1995), 1, B, C und Council of Europe (Januar 1997), 1 wiedergegeben. 1319 Council of Europe (August 1994), B. 1320 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, I, P. 2, und Council of Europe (Juli 1993), B, II, P. 5. 1321 Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 31.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 431
Unfortunately, the credibility of the Riyasat lists […] is in doubt, if the number of errors and exaggerations contained in the entries on Mostar is taken as an example. For this reason they are not reproduced here.1322
Verlässlicher schätzte Kaiser den Bericht des katholischen Erzbistums ein, den er ebenfalls in der ersten Jahreshälfte 1993 erhielt. Dieser enthielt zwar zunächst lediglich 29 Einträge zu betroffenen Bauwerken, war nach seiner Auskunft jedoch sehr detailliert und räumte offen ein, wenn Informationen fehlten.1323 Weitere Informationen bekam Kaiser etwa von der Gemeinschaft der Kroaten in BosnienHerzegovina (Hrvatska Zajednica Herceg-Bosna), die im August 1993 das Heftchen Ethnic Cleansing of Croats in Bosnia and Herzegovina, 1991–93 veröffentlicht hatte1324, durch einen Brief der Serbischen Orthodoxen Kirche, der Schäden am orthodoxen Erbe in Sarajevo thematisierte1325, sowie vom Institut zum Schutz der Kulturdenkmäler der Republik Serbien, das den Text The Situation of Orthodox heritage in Bosnia and Herzegovina zur Verfügung stellte, dessen Verlässlichkeit Kaiser jedoch ebenfalls nicht besonders hoch einschätzte.1326 Dem Brief des Instituts für den Schutz des historischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina, der am 16. Juni 1993 als Fax in Paris einging und den Kontakt mit dem Komitees des Europarats begründete1327, folgte im September eine Liste, in der Schäden am Kulturerbe aller Ethnien und Religionen gleichermaßen erfasst waren: This is the only report received during the war that makes a serious attempt to evaluate the damage done to the heritage of Muslims, Croats and Serbs alike. […] Even if it attaches much more importance to sacral monuments than to rural vernacular heritage. […] The report also discusses the damage to movable heritage, especially to archives and book collections.1328
1322 1323 1324 1325 1326 1327
Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 33. Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 34. Council of Europe (Januar 1994), I, P. 86. Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 35. Council of Europe (Januar 1994), I, P. 92. Council of Europe (September 1993), A, P. 29 ff., und Council of Europe (Januar 1994), I, P. 110. 1328 Council of Europe (Januar 1994), I, P. 110 ff.
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Das Komitee fügte diese Liste seinem vierten Bericht bei.1329 Einen Schwerpunkt darin bildete die Betonung des multiethnischen Charakters Bosnien-Herzegovinas, wie das Beispiel Mostars zeigt: For example, within a radius of about 50 km, that is, an area one can cover on foot in one day, is found: first, a Jewish holy spot that is the greatest of its land in the whole of the former Yugoslavia – the grave and shrine of the Jewish rabbi Mose Danon in Stolac; secondly, a Muslim holy spot, equally unique, the Muslim monastery (tekije) at Buna near Mostar; and thirdly, the important East Orthodox monastery of Zitomislic near Mostar. Finally, in the same area is the greatest Catholic holy spot in this part of the world and one of the greatest in Europe, Medjugorje near Čitluk, also near Mostar.1330
Diese Betonung der Heterogenität der Kulturlandschaft bildete keine Nebensächlichkeit in der Argumentation der Denkmalschützer aus Sarajevo. Hier musste der europäische Adressat mitgedacht werden, der auf den Ausgleich zwischen den Ethnien bedacht war. Vor dem Hintergrund der schwierigen Informationsgewinnung wurden die Erkenntnisse der britischen NGO Bosnia-Herzegovina Heritage Rescue immer wichtiger für den Europarat und Colin Kaiser. Letzterer war bereits Anfang 1993 auf die NGO als Quelle aufmerksam geworden: A second source, so far identified, is the Bosnia-Herzegovina Heritage Rescue UK, which is in direct contact with Bosnian authorities in the United Kingdom, but it adopts a more critical approach to information it receives.1331
Marian Wenzel, die Gründerin von BHHR, war als Quelle für Kaiser von besonderem Wert, da sie als Westeuropäerin bereits länger als zwei Jahrzehnte mit Bosnien vertraut war. Sie vereinte die Kenntnisse der Kollektive Südost- und Westeuropas. Bereits im zweiten Bericht vom Juli 1993 erklärte Kaiser, dass er von Wenzel die meisten Informationen aus Bosnien erhielt.1332 Dabei macht es den Anschein, dass die britische NGO in ihre Funktion als Medium zwischen bosnischen nationalen und internationalen Institutionen erst hereingewachsen ist und ihr Bedeutung 1329 1330 1331 1332
Siehe vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. Council of Europe (Januar 1994), II, The annihilation of Bosnia’s sacral complexes. Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, V, P. 111. Council of Europe (Juli 1993), B, II, P. 7.
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über ein informelles System gegenseitiger Verweise zugeschrieben wurde. Vor dem Ausbruch des Krieges in Bosnien war Marian Wenzel international ebenso wenig bekannt wie das bosnische Kulturerbe. Nun führte sie mit der NGO BHHR 1993 die erste internationale Mission nach Sarajevo, während die UNESCO im Januar 1994 noch immer in der Planung ihrer eigenen Mission steckte1333 und diese erst im Juni– mehr als zwei Jahre nach Kriegsausbruch – unter der Leitung von Colin Kaiser tatsächlich durchführte.1334 Dabei war die NGO BHHR – zu diesem Zeitpunkt zumindest – eine im internationalen Vergleich geradezu winzige Organisation und bestand personell fast nur aus Marian Wenzel und Helen Walasek. Bereits aus dem ersten Bericht der Parlamentarischen Versammlung des Europarats geht klar hervor, dass die Strategie der serbischen Kriegführung in Bosnien-Herzegovina weitestgehend identisch mit der in Kroatien war. Noch vor dem Raumgewinn kam bei dieser Kriegführung der Terror gegen die Zivilbevölkerung. Man muss sich dazu ins Gedächtnis rufen, dass das „Modell“ Vukovar zum Ausbruch des Krieges in Bosnien durchaus als Erfolg galt. Immerhin hatten serbische Einheiten die Stadt – das was davon übrig war – am 18. November 1991 einnehmen können. Wenn bei den Postjugoslawischen Kriege ein Charakteristikum besonders hervorgehoben werden muss, dann ist das die „radikale [Verwischung] der Grenzen zwischen militärischer und ziviler Sphäre“, wie der Krieg gegen die Städte Jugoslawiens, die zahlreichen halb-militärischen, halb-zivilen Einheiten und schließlich die gezielte Ermordung von Zivilisten zeigen. Damit standen sie am Anfang einer Entwicklung, die der britische Stadtforscher Stephen Graham in zwei äußerst luziden Texten beschrieben hat. Demzufolge rücke die „Stadt als Schlachtfeld“ ebenso wie die zivile Sphäre seitdem zunehmend in den Fokus neuer Militärdoktrin.1335 Der Terror gegen Zivilisten und die bewusste Zerstörung der zivilen Sphäre waren kein Nebenprodukt der Kriege in Jugoslawien, waren nicht den Fieberträumen fanatischer Nationalisten entsprungen, sondern vielmehr vollbewusster Teil der Kriegführung. Den Beobachtern des Europarats war das bewusst. Jacques Baumel fragte im Februar 1993: „How can it be that in 1991 and 1992 the full panoply of an army’s artillery was turned loose on such towns as Vukovar, Mostar and Sarajevo?“1336 Colin Kaiser wiederum beschrieb das Vorgehen der serbischen Armee beim Angriff auf Mostar wie folgt: 1333 Council of Europe (Januar 1994), I, P. 123 ff. 1334 Walasek (2015), 109. 1335 Graham, War Re-Enters… (2010), Zitat: 34, und Graham, Cities… (2010). 1336 Council of Europe (Februar 1993), Introduction, P. 5.
434 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen The devastation – beside which the damage in the Old Town of Dubrovnik pales in comparison – can be attributed overwhelmingly to artillery, which used virtually every kind of projectile in the Yugoslav Army panoply. This artillery destroyed minarets and roofs, levelled smaller stone structures, punched holes a metre and a half wide in façades, collapsed corner walls, and provoked fires in upper storeys, which then burned, falling into lower storeys, eventually bringing entire internal structures to the ground. […] The Serbian artillery made no distinction between the Ottoman and the Austrian heritage of Mostar: both have been damaged to similar degrees, and very seriously.1337
Die kroatischen Truppen gingen bei ihrem Angriff auf Mostar ab 1993 nach demselben Muster vor.1338 Hinter den Linien konzentrierten sich die Angriffe auf das Kulturerbe des Gegenübers durch Brandstiftung und Sprengung von Objekten.1339 Zahlreiche Vergeltungsaktionen konstatierte Kaiser bei seinen Exkursionen in den Raum um Mostar sowie das untere Neretva-Tal. Besonders umfassend war die Zerstörung von serbisch-orthodoxem Kulturerbe, hauptsächlich von sakralen Bauwerken, im Tal der Neretva südwestlich von Mostar sowie im Tal der Trebišnjica, in der von den bosnischen Kroaten beanspruchten Herzegovina.1340 Bereits im ersten Bericht vermerkte Kaiser die Sprengung der orthodoxen Kathedrale (Saborna Crkva, Crkva Svete Trojice, 1873) am Ostufer der Neretva durch „herzegovinische Kräfte“ im Juni 1992.1341 Auch in den beiden Ausgaben von Mileusnićs Spiritual Genocide1342 gehört die orthodoxe bosnische Diözese Zahumlje-Herzegovina, in der die von Kaiser beschriebene Region zu verorten ist, zu den am stärksten betroffenen. Unter die von Kaiser genannten Städte und Siedlungen zählen etwa Veličani, Trebinje, Kotezi, Ravno und Zavala im Tal der Trebišnjica sowie Klepci, Čapljina, Počitelj, Gabela und Blagaj im Neretva-Tal.1343 Auch das im Juni 1992 durch herzegovinische Truppen gesprengte Kloster Žitomislić1344 liegt im Tal der Neretva etwa zwanzig Kilometer südwestlich von Mostar. 1337 1338 1339 1340 1341
Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, VII, P. 128, 187. Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 49. Council of Europe (Januar 1994), I, P. 61 f. Council of Europe (Januar 1994), I, P. 100, 101, 103. Council of Europe (Februar 1993), P. 185. Wenn von herzegovinischen Kräften oder Truppen die Rede ist, dann zitiere ich zumeist Colin Kaiser, der damit Einheiten der bosnischen Kroaten (HVO, HOS oder andere Irreguläre) meint; Abweichungen davon mache ich entsprechend kenntlich. 1342 Mileusnić (1994; 1997). 1343 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1344 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, VI, P. 120.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 435
Angesichts des Umfangs und der offensichtlichen Systematik der Zerstörungen schien Colin Kaiser der Begriff „Vergeltung“ nicht mehr angemessen. Er vermerkte stattdessen: „Cultural and ethnic cleansing on a large scale are a more adequate description“.1345 Dabei ist das Bild, das sich aus seinen Ausführungen ergibt, keinesfalls einheitlich. Kroaten und Serben waren ebenso wenig ausschließlich Täter wie Bosniaken und Einheiten der bosnischen Regierung lediglich Opfer. Der Beobachter des Europarats berichtete von der Sprengung der Kirchen des hl. Eliah in Gradačac und Maglaj durch bosnische Truppen1346. Helen Walasek konnte das später bestätigen. Daneben führt sie weitere orthodoxe und katholische Kirchen in Donja Sopotnica, Benakovac, Borovica und Donja Drežnica als durch Soldaten der bosnischen Regierungstruppen entweiht, gesprengt, beschossen oder niedergebrannt auf.1347 In den serbisch kontrollierten Gebieten hingen kam es mit und nach der Vertreibung der bosnisch-kroatischen oder bosnisch-muslimischen Bevölkerung nicht selten zur restlosen Zerstörung des als „nicht serbisch“ wahrgenommenen Kulturerbes. Indizien dafür vermerkte bereits der zweite Bericht vom Juli 1993: In Bosnia-Herzegovina, even though the information at our disposal remains very inadequate, the effects of fighting and its aftermath have clearly reached catastrophic proportions in the zones occupied by the Serbian militias, especially for the Ottoman heritage, where the dynamiting and bull-dozing of mosques (and perhaps of the cemeteries that often surround these buildings) seem to be common.1348
Im dritten Bericht vom September 1993 hatten sich die Vermutungen bestätigt: In the second information report the problem of the continuation of cultural cleansing after the war was evoked. This situation exists de facto in the zones that fell rapidly under the control of the Serbian militias in April-May 1992.1349
Hinsichtlich der Beschädigungen und Zerstörungen von Kulturerbe in BosnienHerzegovina, wie sie in den Berichten des Europarats beschrieben werden, kann von drei Szenarios ausgegangen werden, in denen diese erfolgten: Für die durch 1345 1346 1347 1348 1349
Council of Europe (April 1994), B, III, P. 29. Council of Europe (Januar 1994), I, P. 106. Walasek (2015), 62. Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 59. Council of Europe (September 1993), A, P. 21, 22.
436 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
serbische Einheiten besetzten Gebiete war offenbar das Szenario der „Systematischen Auslöschung“ des „fremden“ Kulturerbes charakteristisch. Betroffen waren vor allem die Teile Bosnien-Herzegovinas, die nach Ausbruch des Krieges schnell unter serbische Kontrolle gerieten, das heißt insbesondere der Norden und Nordosten des Landes sowie die Republika Srpska. Auch kroatische Einheiten der HVO haben, etwa im herzegovinischen Stolac, in diesem Szenario als Täter gewirkt. „Terror und Expansion“ war wie in Kroatien ein Szenario der Kulturerbezerstörung auch in Bosnien-Herzegovina. Das slawonische Vukovar bildete hier den Präzedenzfall. In Bosnien-Herzegovina haben in diesem Szenario Serben und Kroaten als Akteure gewirkt. Die Städte Mostar und Sarajevo waren vor allem davon betroffen. Mit „Rückeroberung und Vergeltung“ kam es zu einem weiteren Szenario der Kulturerbezerstörung. Als Beispiele hierfür können die Ereignisse und Zerstörungen im Neretva-Tal und in Zentralbosnien angeführt werden. Sowohl serbische und kroatische Einheiten als auch bosnische Regierungstruppen und ihre Verbündeten waren in diesem Szenario Opfer und Täter gleichermaßen. Angaben zum Umfang der Zerstörung und Beschädigung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen sind generell unzuverlässig, unabhängig von der Quelle, der sie entstammen. Auch die nach dem Krieg veröffentlichten Studien und Texte sind, zumindest in dieser Hinsicht, alles andere als präzise. Darunter zählen sowohl die Listen der bosnischen, serbischen, kroatischen und kosovarischen Institutionen als auch internationale Publikationen wie zuletzt die von Helen Walasek vorgelegte Studie zum Bosnienkrieg. Sie sind als Annäherungen zu verstehen. Welchen Wert kann auch eine quantitative Darstellung der Zerstörungen haben? Kann man dem Horror in der Zahl Ausdruck verleihen, ihn quantifizieren? In der Regel zeitigt dieses Unterfangen unselige Aufrechnungen der Kriegsparteien. Die Kontroversen zwischen Serbien, Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo, die den Postjugoslawischen Kriegen folgten, legen darüber beredtes Zeugnis ab. Doch auch andere Konflikte werfen diese Frage immer wieder auf. Die Auswertung aller zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Quellen ergibt, dass bis Januar 1997 annähernd 2.407 Objekte und Objektensembles, mehrheitlich sakrale Bauwerke sowie auch eine geringe Zahl beweglichen Erbes, in BosnienHerzegovina als zerstört, beschädigt oder gestohlen aufgeführt waren. Mehrfach in den analysierten Dokumenten aufgeführte Objekte und Objektensembles wurden dabei nur einmal berücksichtigt.1350
1350 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 437
Die Dokumente des Europarats referieren insgesamt 718 betroffene Objekte und Objektensembles. Darin enthalten sind ebenfalls einige wenige Gegenstände des beweglichen Kulturerbes. 239 dieser Objekte werden mehrfach erwähnt. Demnach erfasste das Komitee für Kultur und Bildung in seinen zehn Veröffentlichungen lediglich rund 20 Prozent des Kulturerbes, dass in allen übrigen zu diesem Zeitpunkt verfügbaren nationalen und internationalen Berichten als betroffen vermerkt war, was nicht bedeutet, dass es tatsächlich beschädigt, geraubt oder zerstört war. Die Masse der Objekte wird in den Dokumenten lediglich auf Grundlage der Berichte Dritter genannt. Nur ein Bruchteil davon ist auch durch einen der Beobachter des Europarats vor Ort überprüft worden. Die zum Teil erheblichen Abweichungen und Widersprüche der Dokumente der bosnischen Denkmalschützer übernahmen die Gesandten des Europarats zwangsläufig.1351 Am verlässlichsten sind die Daten in den Berichten für die Städte Sarajevo und Mostar nicht zuletzt aufgrund der Präsenz von Wenzel und Kaiser. Sarajevo blieb während des gesamten Krieges über eine Luftbrücke der Vereinten Nationen zumindest zugänglich. Zudem bestand Kontakt zu den Denkmalschutzinstitutionen in beiden Städten. In den übrigen Landesteilen nimmt die Dichte der Daten signifikant ab.1352 Für Zvornik, Višegrad, Bihać und Foča, um nur einige der am schwersten betroffenen Orte zu nennen, lagen im Zeitraum 1992–1997 überhaupt keine unabhängig bestätigten Angaben vor. Dort waren die Zerstörungen im Verhältnis zum vorhandenen gebauten Kulturerbe und gemessen an der Einwohnerzahl jedoch besonders gravierend. Trotzdem die Situation in Bosnien offenbar recht früh zumindest anhand von Indizien nachvollziehbar war, blieben die internationalen Reaktionen nahezu aus. Jacques Baumel hatte schon früh seiner Sorge über das Kulturerbe der Region Ausdruck verliehen, vom Komitee der europäischen Minister und dem Rat für kultureller Kooperation (Council for Cultural Co-operation, CDCC) jedoch zunächst keine Rückmeldung erhalten.1353 Im selben Bericht erklärte Colin Kaiser zu Mostar: 1351 Falsche Ortsbezeichnungen gehören zu den häufigsten Fehlern. Der vierte Bericht des Europarats vom Januar 1994 gibt die Aufstellung der Schäden des Denkmalschutzinstituts in Sarajevo vom September 1993 wieder. Demnach seien die Sinan-Beg-Moschee (1570) und ein muslimisches Mausoleum im bosnischen Ort Čajnik zerstört worden seien. Der richtige Ortsname lautet jedoch Čajniče, Čajnik ist bosn. für „Teekanne“; vgl. Council of Europe (Januar 1994) und Zavod (1995), 30. 1352 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1353 Council of Europe (Februar 1993), Introduction
438 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen The city has received no attention from international organisations, and is in dire need of international expertise, to analyse the stability of monuments, and to encourage implementation of the emergency measures proposed by local specialists.1354
Auch im Juli 1993 war die Situation offenbar unverändert: Apart from a brief visit by Francesca von Habsburg, Chairman of the ARCH Foundation in April, no representative of an international cultural organisation has been to Mostar to look at the situation of the cultural heritage.1355
Im darauffolgenden Bericht vom September 1993 merkte Kaiser dementsprechend an: Although the heritage of Croatia is slowly acquiring international attention, Bosnia- Herzegovina has not been so fortunate […]. This report adds nothing to the conclusions and recommendations of the previous reports: the situation today for Bosnia-Herzegovina and much of Croatia is worse than it was six months ago, and the same conclusions and recommendations can be made. What may be stressed, rather than added, is the astonishing lack of will on the part of the international community with respect to the defence of the cultural heritage of Croatia and Bosnia-Herzegovina or even to imagining what its future could be when the fighting stops.1356
Die bosnischen Denkmalschützer nahmen die Situation ähnlich war: We would like to inform you that the Institute for the protection of the cultural-historical and natural heritage of Bosnia and Herzegovina, established in 1945, is the official institution for the protection of the cultural and natural heritage. Our institute regularly informed Unesco and other international organisations dealing with the problem of destroying and ruining cultural heritage in Bosnia and Herzegovina from the beginning of the aggression in April 1992, on the basis of data collected in the last year. However, we have not received any answer up to now.1357 1354 Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, VII, P. 192. 1355 Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 50. 1356 Council of Europe (September 1993), A, P. 10, Zitat: P. 44. 1357 Council of Europe (September 1993), Appendix, Letter to Dr Kaiser from Dr Sejdalija Mustafic, Director of the Institute for the protection of the cultural-historical and natural
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 439
Ebenfalls aufschlussreich in dieser Hinsicht sind die Auskünfte Wenzels über die Finanzierung ihrer mit Roger Shrimplin gemeinsam durchgeführten Mission nach Sarajevo und Mostar. Die finanzielle Sicherstellung war ein Patchwork aus Zuwendungen verschiedener privater und institutioneller Geldgeber in BosnienHerzegovina, Kroatien und dem internationalen Ausland. Wenzels Ausführungen dazu enden mit dem bezeichnenden Satz: „[…] Mr Shrimplin had to pay his air fares, and most other expenses incurred outside Sarajevo, from his own pocket“1358. Auf einem Koordinationstreffen internationaler Organisationen, darunter UNESCO, ICOMOS, ICOM und der Europarat, im Juni 1993 drückte der Direktor der NGO ARCH Eric Chr. von Henriksen sein Bedauern darüber aus, dass „zwei Jahre seit Beginn des Krieges vergangen waren, bevor internationale Organisationen zur Koordination ihrer Aktionen für das Kulturerbe in Bosnien-Herzegovina zusammenkommen“. Baumel wiederum erklärte auf demselben Treffen, dass „weder der Europarat noch die militärischen Kräfte der Vereinten Nationen den Willen gezeigt hätten, die kulturelle Dimension [des Krieges; T. S.] einzugestehen“.1359 Noch zwei Jahre später, im Mai 1995, schrieb Colin Kaiser zur Situation des kulturellen Erbes in Kroatien und Bosnien-Herzegovina: „Regarding the cultural heritage, the international community is certainly more present in zones that have been affected by the war, but this presence is still more symbolic than effective“1360.
MOSTAR
Die Provinzhauptstadt Mostar im Südwesten Bosnien und Herzegovinas galt als die am stärksten durch den Krieg zerstörte bosnische Stadt.1361 Auf einer durch das britische Militär 1996 erstellten Karte, die VN-Schutztruppen in Mostar verwendeten, sind die beschädigten und zerstörten Gebäude im Gegensatz zu den dunkel farblich gefüllten Grundrissen der unversehrten Strukturen heritage of Bosnia and Herzegovina, Sarajevo (Juni 1993). 1358 Council of Europe (September 1993), B, I, a. 1359 Council of Europe (September 1993), E, II, Co-ordination meeting on the cultural heritage of the former Yugoslavia (Paris, 28 June 1993). 1360 Council of Europe (Mai 1995), II. 1361 Die Architekturhistorikerin Emily Gunzburger-Makaš hat in ihrer Dissertation Zerstörung, Wiederaufbau und Bedeutungswandel der Alten Brücke untersucht (GunzburgerMakaš (2007)); bereits 2001 schrieb sie in einem Aufsatz, dass 90 Prozent der Gebäude im Zentrum Mostars zuerst durch den Beschuss von serbischen sowie später von kroatischen Einheiten beschädigt, ein Drittel davon vollständig zerstört worden seien (Gunzburger (2001), 16; vgl. Walasek (2015), 41).
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Abb. 42: Historisches Stadtzentrum von Mostar. Ausschnitt aus einer Karte des britischen Militärs (United Kingdom, Ministry of Defense, Series M903, Sheet Mostar, Edition 2 – GSGS, August 1996, Maßstab 1:10 000). Markierungen: 1. im November 1993 zerstörte Stari Most, 1557–1566; 2. ehemaliger Standort der im Juni 1992 gesprengten Neuen Orthodoxen Kathedrale, Kirche der Hl. Dreifaltigkeit (Saborna Crkva, Crkva Svete Trojice), 1873; 3. schwer beschädigte Hadži-Mehmed-BegKarađoza-Moschee, 1557/58. Karte: Fregattenkapitän Bernhard Josef Briel.
transparent und mit diagonal sich schneidenden Linien gekennzeichnet (Abb. 42). Im Kartenausschnitt wird ersichtlich, dass insbesondere die historische Altstadt beiderseits des Neretva-Ufers stark beschädigt war. Hier verlief ab Mai 1993 die Frontlinie zwischen den Einheiten der bosnischen Muslime und denen der bosnischen Kroaten. In einem seiner Berichte bezeichnete Colin Kaiser die Stadt wegen ihrer kulturellen Vielfalt als „Mikrokosmos Bosnien-Herzegovinas“1362 – eine Wendung, die auch auf Prizren in Kosovo oder die bosnische Hauptstadt Sarajevo zutrifft. Wie diese verdankt auch Mostar seine ethnische und kulturelle Heterogenität einer wechselvollen Geschichte und seiner Lage am Schnittpunkt Jahrhunderte alter Verkehrswege. Das Gebiet der heutigen Stadt ist durch seine günstige Lage als Verbindung zwischen dem dalmatinischen Küsten- und dem bosnischen Hinterland, als Ausgangspunkt verschiedener Routen in das Innere der Balkanhalbinsel sowie 1362 Council of Europe (Februar 1993), VII, P. 124.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 441
aufgrund der Schiffbarkeit der Neretva bereits in der Vorantike besiedelt gewesen.1363 Im Zuge der osmanischen Expansion geriet auch die Gegend um Mostar in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter türkische Herrschaft. Die Geschichte der Stadt ist eng mit dem Bau der Alten Brücke verknüpft, von der auch der Name Mostar (dt. Brückenwächter; Pl. Mostari) herrühren soll.1364 Vor der osmanischen Eroberung befand sich nur wenige Meter nördlich der Stelle, an der das dem Karst entspringende Flüsschen Radobolja in die Neretva mündet, eine Kettenbrücke mit hölzernen Verteidigungsanlagen, die das West- und Ostufer des Flusses miteinander verband. Diese Brückenanlage wurde 1481 durch die Türken, die die Siedlung zum Verwaltungssitz erklärt hatten, zunächst durch eine stabilere Holzkonstruktion ersetzt, bevor der osmanische Architekt Mimar Hajrudin (auch Hayreddin oder Hayrettin) der Jüngere zwischen 1557 und 1566 eine Konstruktion aus Stein realisierte, die als Alte Brücke bis zu ihrer Zerstörung im November 1993, etwas weniger als 430 Jahre, bestand.1365 Ihre günstige Lage ließ die Siedlung an der Neretva florieren. Die Hochzeit ihrer Entwicklung während der osmanischen Periode lag im 16. und 17. Jahrhundert. Im Verlauf des letzteren wurden allein 23 Moscheen durch verschiedene Stifter errichtet, um die sich die verschiedenen Wohnviertel gruppierten.1366 Während die räumliche Entwicklung der Stadt unter türkischer Herrschaft maßgeblich auf das linke Flussufer beschränkt blieb und von dort im Laufe der Zeit nur allmählich auf das rechte Ufer übergriff, entstanden nach der Besetzung Bosniens durch Österreich-Ungarn 1878 ein weiteres Stadtzentrum und Wohnviertel am rechten Flussufer. Auch heute noch wird das linke Flussufer durch osmanische Bauten dominiert und erinnert stellenweise an eine orientalische Stadt, am rechten hingegen findet man zahlreiche Bauwerke aus der Zeit der Modernisierung und Erweiterung unter österreich-ungarischer Herrschaft. So etwa das im pseudo-maurischen Stil errichtete Höhere Gymnasium (Gimnazija Aleksa Šantić, Stara Gimnazija, 1893/98), die ehemalige Handelsschule (Trgovačka Škola, 1887/90), die heute die Musikschule beheimatet, oder das Gebäude der ehemaligen Militärkommandantur (Zgrada Vojne Komande, 1898). Auch das städtische Bad (Gradsko Kupatilo, 1913/14), das Hotel Neretva (1892) und zwei Brücken, die Lučki- (1913) und die Carinski-Most (1916/18) stammen aus dieser Periode, die untrennbar mit dem 1363 Ribarević-Nikolić (1992), 50. 1364 Gunzburger (2001), 8; Bevan (2006), 25. 1365 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, III, P. 40; Gunzburger (2001), 8; Gunzburger-Makaš (2007), 200 ff. Für eine ausführliche und sehr sorgfältige Baugeschichte mit Berücksichtigung der einzelnen Bauphasen siehe Großmann (2004). 1366 Mićević (1992), 53.
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Abb. 43: Die Ruine der Sevri-Hadži-Hasanova-Moschee, vor 1620, in Mostar nach dem Beschuss durch serbische Einheiten im Frühjahr 1992. Hrvatsko Vijeće Obrane Općine Mostar et al. (1992), Objekt 22.
Namen des damaligen Bürgermeisters (1909–1918) von Mostar Mujaga Komadina verbunden ist. Gleichermaßen jüngeren Datums, im Gegensatz zu den osmanischen Bauwerken, sind die meisten orthodoxen und katholischen sakralen Gebäude – Kirchen, Klöster sowie theologische Seminare und Wirtschafts-, Repräsentations- bzw. Verwaltungsgebäude. Mit dem Niedergang der osmanischen Herrschaft und unter österreich-ungarischer Besetzung setzte in Mostar – ebenso wie in anderen Städten und Gemeinden des Landes – eine verstärkte Bautätigkeit der beiden großen Kirchen ein, die verbunden war mit einer Ausweitung der kulturellen Aktivitäten. So wurden etwa die 1992 schwer beschädigte Franziskanerkirche nebst Kloster der hl. Peter und Paul zwischen 1866 und 1890, die Alte Bischofsresidenz 18471367 und die Herz Jesu-Kirche mit Kloster der Franziskanerinnen im Jahr 1909 errichtet. Der Bau der alten orthodoxen Kirche fällt in das Jahr 1834, die neue orthodoxe Ka1367 Mostar wurde 1852 Sitz des katholischen Bistums Herzegovina (Ribarević-Nikolić (1992), 55).
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thedrale, die Kirche der Hl. Dreifaltigkeit (Crkva Svete Trojice), wiederum wurde bereits 1873 gebaut.1368 Die orthodoxe Bischofsresidenz folgte zwei Jahr darauf. Diese und eine Vielzahl weiterer Gebäude wurden während des Krieges in Bosnien-Herzegovina schwer beschädigt oder zerstört. Als in der zweiten Aprilwoche 1992 der serbische Angriff begann, lebten etwa 120.000 Menschen in Mostar. Die bosnischen Muslime stellten mit 35 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe, knapp gefolgt von Kroaten (34 Prozent) und Serben (20 Prozent). Weitere elf Prozent galten als unbestimmt im ethnischen Sinn.1369 Drei Viertel der Einwohner Mostars flohen während der insgesamt zwei Jahre währenden Kämpfe aus der Stadt.1370 Die von den Kasernen am Ostufer der Neretva angreifenden serbischen Einhei1371 gingen bei ihrer Attacke nach demselben Muster vor wie bei der Belagerung ten Vukovars oder Sarajevos. Ein Großteil der historischen Architektur auf beiden Flussufern wurde bereits in dieser Zeit beschädigt oder zerstört, wie die schon 1992 durch den Kroatischen Verteidigungsrat der Gemeinde Mostar, die Gesellschaft für Rekonstruktion und Wiederaufbau sowie den Gemeindestab der Stadt organisierte Ausstellung Mostar 92 Urbicid eindrucksvoll zeigte.1372 Am stärksten betroffen waren Bauwerke aus der osmanischen Periode im historischen Stadtkern unmittelbar links und rechts der Neretva. Der erste Bericht des Europarats vermerkt 12 der 14 Moscheen der Stadt, errichtet zwischen 1551 (Ćejvan-ĆehajinaMoschee) und 1650 (Hadži-Ahmet-Aga-Lakišića-Moschee), als beschädigt oder zerstört.1373 Im Juni 1992 gelang es den kroatischen und muslimischen Verteidigern der Stadt schließlich, die serbischen Truppen zurückzudrängen und die Belagerung zu brechen. Bei ihrem Rückzug zwischen dem 24. Mai und 12. Juli sprengten die serbischen Einheiten neun von zehn Brücken im Stadtgebiet.1374 Nahezu unversehrt jedoch blieb bemerkenswerter Weise das Wahrzeichen der Stadt, die Stari Most.
1368 Ihr Architekt Andrej Damjanov errichtete auch die Kathedrale (Saborna Crkva, 1874) in Sarajevo. 1369 Gunzburger-Makaš (2007), 168; Einwohner, die keiner der drei Bevölkerungsgruppen angehörten (etwa Roma) oder sich als Jugoslawen bezeichneten. 1370 Council of Europe (Februar 1993), VII, P. 127. 1371 Council of Europe (Februar 1993), VII, P. 127; Melčić/Ivanković (2007), 425. 1372 Hrvatsko Vijeće Obrane Općine Mostar et al. (1992). 1373 Council of Europe (Februar 1993); vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobiasstrahl.de/. 1374 Puljić (1992), 45; vgl. Council of Europe (Februar 1993), VII, P. 127.
444 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Abb. 44: Die beschädigte, jedoch intakte Stari Most im Katalog zur Ausstellung Mostar 92 Urbicid von 1992. Im Hintergrund durch einen Kreis markiert der bereits ausgebrannte Glockenturm (zvonik) der orthodoxen Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit (1873) am Ostufer der Neretva. Hrvatsko Vijeće Obrane Općine Mostar et al. (1992), Objekt 02.
Dass die Brücke sowie die beiden zur Brückenburg1375 gehörenden Steintürme – Tara am linken sowie Halebiya am rechten Ufer – durch serbische Einheiten beschossen worden sind, ist in den Bildern des Ausstellungkatalogs gut zu erkennen (Abb. 44). Auch Helen Walasek berichtet von Treffern an der Brücke, verursacht durch den Beschuss serbischer Schützen.1376 Warum die Einheiten bei ihrem Rückzug die Stari Most unzerstört ließen, alle anderen Brücken der Stadt jedoch sprengten, ist eine bisher unbeantwortete Frage. Gunzburger-Makaš argumentierte diesbezüglich nicht ganz schlüssig, dass die Brücke einerseits nicht mit einer bestimmten Ethnie assoziiert werden konnte1377, andererseits in den Augen der Serben auch kein Symbol eines multiethnischen 1375 Großmann (2004). 1376 Walasek (2015), 49. 1377 Gunzburger-Makaš (2007), 208.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 445
Bosnien gewesen sei1378. Sie besaß also entweder zu viel (allerdings neutralen) symbolischen Gehalt oder zu wenig. Ihre militärische Bedeutung ist viel diskutiert worden. Das Expertengremium des VN-Sicherheitsrats, das mit der Sammlung von Verstößen gegen das internationale Völkerrecht beauftragt war, verneint eine solche.1379 Andere Quellen verweisen auf eine geborstene Wasserleitung am rechten Neretva-Ufer, unmittelbar unterhalb der Brücke, die die einzige Frischwasserquelle während des Krieges in der Altstadt gewesen sein soll.1380 Das wiederum ist nicht schlüssig, denn das dort in die Neretva mündende Flüsschen Radobolja führt ganzjährig Frischwasser. Die Stari Most ist eine Fußgängerbrücke. Mit schwerem technischem Gerät ist sie nicht zu befahren. Allerdings ist sie im Kriegsfall geeignet für Infanterie. Während des Angriffs der serbischen Einheiten im Frühjahr 1992 bildete die östliche Altstadt einen Brückenkopf der bosnischen Kroaten und Muslime. Nach dem Rückzug der Serben verlief die Frontlinie zwischen Kroaten und Muslimen durch die Altstadt am Westufer der Neretva. In beiden Fällen war die Stari Most von gewichtiger strategischer Bedeutung. Sie war die einzige Möglichkeit für Kämpfer, über den Fluss zu gelangen. Überdies konnte sämtlicher Nachschub ausschließlich über die Brücke entweder zum Brückenkopf oder an die Frontlinie gebracht werden. Dass die Brücke auf diese Art in der Tat während des Krieges genutzt wurde, dafür spricht der hölzerne Sichtschutz gegen Scharfschützen, der gut zu erkennen ist (Abb. 44). Auch räumten die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs im Urteil gegen die für die Zerstörung verantwortlich gehaltenen Angehörigen des Kroatischen Verteidigungsrates (HVO), Jadranko Prlić, Bruno Stojić, Slobodan Praljak, Milivoj Petković, Valentin Ćorić und Berislav Pušić, ein, dass die Stari Most durch die Truppen Bosnien-Herzegovinas militärisch genutzt wurde.1381 Plausibel ist, dass die serbischen Streitkräfte die berühmte Brücke nicht zerstören wollten, um ein weiteres Debakel in der eigenen Kriegspropaganda wie zuvor in Dubrovnik zu vermeiden. Da ohnehin kein schweres Gerät über die Stari Most transportiert werden konnte, das den Einheiten bei ihrem Rückzug hätte gefährlich werden können, bestand keine Notwendigkeit dazu. Genauso nachvollziehbar ist, dass das serbische Militär das Bauwerk nicht zerstören konnte. Von den Stellungen am Ostufer der Neretva war die Stari Most nicht einzusehen. Es gibt kein Zielfeld für einen Direktbeschuss der Brücke. Mit Steilfeuerwaffen (Artillerie und 1378 1379 1380 1381
Gunzburger (2001), 14. United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, III, P. 44. Großmann (20014), 331, 333. ICTY, Case Information Sheet „Prlić et al.” (IT-04-74).
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Abb. 45: Trümmer der neuen orthodoxen Kathedrale (Crkva Svete Trojice, Saborna Crkva), 1873, gesprengt im Juni 1992. Hrvatsko Vijeće Obrane Općine Mostar et al. (1992), Objekt 43.
Granatwerfer) ist sie nicht zu treffen. Ein gänzlich anderes Bild bietet sich aus den Stellungen der kroatischen Einheiten vom Westufer des Flusses. Von dort war die Brücke ein leichtes Ziel. Unmittelbar nach dem Abzug der serbischen Einheiten aus Mostar wurde die neue orthodoxe Kathedrale (Abb. 45) und das etwa 20 Kilometer südlich der Stadt gelegene orthodoxe Kloster Žitomislić aus dem 16. Jahrhundert gesprengt. Die Kirche war bereits im Juni 1992 beschossen worden und ausgebrannt (Abb. 44). Ob bosnische oder kroatische Einheiten für diese Zerstörungen verantwortlich sind, konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden, wiewohl internationale Autoren und Beobachter die Täter unter den kroatischen HVO vermuten.1382 Etwa ein Jahr später zerbrach das Bündnis zwischen bosnischen Kroaten und Muslimen. Am 9. Mai 1993 beschossen erstmals kroatische Einheiten Mostar.1383 1382 Zur Zerstörung der orthodoxen Kathedrale in Mostar und des Klosters Žitomislić: Council of Europe (Februar 1993), Appendix B, VI, P. 120; Riedlmayer, Crimes of War… (2007), 114 f.; Walasek (2015), 24, 36 f. 1383 Council of Europe (Juli 1993), B., III, P. 49.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 447
Abb. 46: Altes Stadtzentrum von Mostar. Ausschnitt aus einer Karte des britischen Militärs (United Kingdom, Ministry of Defense, Series M903, Sheet Mostar, Edition 2 – GSGS, August 1996, Maßstab 1:10 000). 1. zerstörte Stari Most, 1557–1566; 2. Feuerstellung auf dem Hügel Stotina, aus der die Stari Most durch Beschuss zum Einsturz gebracht worden sein soll. Karte: Fregattenkapitän Bernhard Josef Briel.
Fortan war die Stadt tatsächlich gespalten in Muslime am linken und Kroaten am rechten Ufer der Neretva. Belagerung und Beschuss dauerten etwa ein Jahr bis zum Washingtoner Abkommen im März 1994, dass den Krieg zwischen bosnischen Regierungstruppen und der kroatischen HVO offiziell beendete. In diesem Zeitraum wurde zerstört, was den serbischen Beschuss zuvor überstanden hatte. Am 9. November 1993 um 10:16 Uhr1384 schließlich stürzte der Brückenbogen der Stari Most nach mehrfachem Beschuss durch kroatische Panzerschützen in die Fluten der Neretva. Dem Angriff war bereits eine Attacke im September vorausgegangen, bei der im Verlauf von zwei Tagen siebzig Schuss panzerbrechende Munition auf die Brücke abgefeuert worden sein sollen.1385 Noch im Juli hatten bosnische Behörden in einem Brief an die UNESCO, deren Mitglied Bosnien-Her1384 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, III, P. 39. 1385 Gunzburger-Makaš (2007), 212.
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zegovina am 2. Juni 1993 geworden war, um den Schutz der Brücke gebeten, auf ihr Schreiben jedoch keine Antwort erhalten.1386 Helen Walasek zufolge wurden die Schüsse, die die Brücke schließlich zum Einsturz brachten, vom Hügel Stotina unterhalb des Berges Hum abgegeben.1387 In der Tat ist dies im Hinblick auf die Waffenwirkung die ideale Feuerstellung (Abb. 46). Aus dem Filmmaterial, das von der Zerstörung der Brücke existiert und durch die britische Produktionsfirma Folio Productions aufgenommen wurde1388, wird ersichtlich, dass die Brücke schließlich durch Direkttreffer des rechten Brückenbogens aus Süden zum Einsturz gebracht wurde.1389 Nicht zuletzt, weil es Filmmaterial von der Zerstörung der Stari Most gab, wurde das Ereignis international schnell bekannt. Mostar rückte plötzlich in den Fokus der Wahrnehmung des Krieges in Bosnien-Herzegovina. Auf Nachfrage des Europarats distanzierte sich das Büro des kroatischen Präsidenten Franjo Tuđman von der Zerstörung.1390 Stattdessen machte die Militärgerichtsbarkeit der HVO im Distrikt Mostar offenbar drei Panzerschützen aus, die, wie es Untersuchungen erbracht haben sollen, „auf eigene Initiative, ohne Befehle von Vorgesetzten“ handelten.1391 Schließlich befand der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien den Kroaten Slobodan Praljak, der zum Tatzeitpunkt den Rang eines Generals innehatte, unter anderem der Zerstörung der Stari Most für schuldig. Trotzdem die Brücke offenbar für militärische Zwecke durch die Streitkräfte Bosniens genutzt worden war, stellte die zuständige Kammer des Gerichts fest, dass ihre Zerstörung einen „unverhältnismäßigen Schaden für die zivile Bevölkerung Mostars“ darstellte1392. Mostar galt zwar als die durch den Krieg in Bosnien am stärksten beschädigte Stadt. Um diese Aussage richtig einzuordnen, muss man sich jedoch vor Augen führen, dass die Schäden dort – neben denen in der Hauptstadt Sarajevo – auch die am besten dokumentierten waren. Der Vergleich der serbischen, kroatischen und bosnischen Dokumente mit den zehn Berichten des Europarats zeigt, dass für Mostar deutlich mehr Informationen verglichen mit den übrigen bosnischen Städ1386 Walasek (2015), 108. 1387 Walasek (2015), 49. 1388 Council of Europe (Januar 1994), I, P. 69. 1389 „On 8 November tanks, probably of Croatian origin, shot numerous shells at the bridge; the following day, a few tank shells, which landed at the base of the eastern side of the arch on the south side of the bridge, brought it down.“ (Council of Europe (Januar 1994, I, P. 69). 1390 Council of Europe (Januar 1994), III. 1391 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex XI, III, P. 45. 1392 ICTY, Case Information Sheet „Prlić et al.” (IT-04-74); vgl. Terzić (2007), 132; GunzburgerMakaš (2007), 213 f.; 246 ff.; Walasek (2015), 51.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 449
ten und Gemeinden vorlagen. Insgesamt 190 architektonische Strukturen galten in der Stadt als beschädigt oder zerstört.1393 Da jedoch für viele weitere bosnische Städte gar keine verlässlichen Daten existierten, ist bei definitiven Aussagen über den relativen Umfang der Schäden Vorsicht geboten. Kritische Distanz ist auch in einem anderen Zusammenhang wichtig. Die durch die besonderen Umstände des Krieges in Bosnien vorgegebene Konzentration internationaler Organisationen auf die Städte Sarajevo und Mostar setzte sich auch fort, als der Krieg längst vorbei war und die meisten Zwänge, die er regionalen und internationalen Experten auferlegt hatte, nicht mehr existierten. Mostar nahm nach dem Friedenschluss von Dayton eine ähnliche Stellung wie Dubrovnik in Kroatien ein – der überwiegende Teil des internationalen Engagements konzentrierte sich auf diese Stadt. Das gilt auch für (wissenschaftliche) Publikationen. Bemerkenswert in vielerlei Hinsicht sind die Ausstellung Mostar 92 Urbicid und der dazu erschienene Katalog. Unter Kriegsbedingungen gelang es bosnischen Muslimen und Kroaten gemeinsam in 167 Schwarz-Weiß-Fotografien die Zerstörung signifikanter Bauwerke in Mostar zu dokumentieren. Dabei folgte die Auswahl nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten und nicht nach ethnischen Frontverläufen. Unter den verzeichneten Objekten befinden sich sowohl römischkatholische und orthodoxe Kirchenbauten als auch islamische Architektur und Bauwerke der österreichisch-ungarischen und sozialistischen Periode. Das macht das Projekt einzigartig im regionalen Diskurs zur Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen. Auch der Titel ist alles andere als marginal. Helen Walasek ist der Ansicht, dass der Begriff des „Urbizids“, des Städtemords, im Zusammenhang mit den Postjugoslawischen Kriegen erstmalig in der Ausstellung bzw. dem Katalog gebraucht wird.1394 Verschiedene Autoren haben sich ihn in der Folge zu Eigen gemacht.1395
SARAJEVO
Die Belagerung Sarajevos durch serbische Truppen, die im April 1992 begann und erst im Februar 1996 nach US-amerikanischen Luftangriffen gegen serbische Stellungen tatsächlich beendet wurde, diente demselben Ziel wie die vorangegangene 1393 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1394 Walasek (2015), 146. 1395 Vgl. Zavod (1995); Omerdić (1999); Bashkësia Islame e Kosoves (2000); Coward (2002); Gunzburger-Makaš (2007); Galijaš (2011).
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Belagerung Vukovars oder die Bedrängung Mostars und anderer kleinerer Städte: die Bevölkerung sollte durch Dauerbeschuss aus schweren Waffen, den Einsatz von Scharfschützen auch gegen Zivilisten und gelegentliche Vorstöße in die Stadt zermürbt und zur Aufgabe gezwungen werden. Im Annex VI des Berichtes des VN-Sicherheitsrates wird die Belagerung der bosnischen Hauptstadt auf 1.300 Seiten detailliert beschrieben. Als Quellen dienten die Berichte der UN-Schutztruppe UNPROFOR, nationale und internationale Medienberichte, Foto- und Videoaufnahmen sowie Aussagen von Augenzeugen, die während der Belagerung in der Stadt ausharrten. Demnach wurde Sarajevo durch das etwa 25.000 bis 30.000 Mann starke Erste Korps der Streitkräfte Bosnien und Herzegovinas verteidigt, das zumindest bis November 1993 durch etwa 2.000 Angehörige des Kroatischen Verteidigungsrats verstärkt wurde. Zahlenmäßig den Belagerern des etwa 13.000 Mann starken Romanija-Korps der Armee der Bosnischen Serben (BSA) überlegen, verfügten diese jedoch über die höhere Feuerkraft und die für die Belagerung idealen Stellungen auf den Höhen rings um die Stadt (Abb. 47). Die Expertenkommission der Vereinten Nationen kam zu dem Schluss, dass es den serbischen Belagerern letztlich nicht gelingen konnte, die Stadt einzunehmen und effektiv zu kontrollieren – durch Dauerbeschuss schwächen konnten sie deren Einwohner jedoch allemal.1396 Zumindest für den Zeitraum von 196 Tagen ist der Beschuss Sarajevos in dem Bericht des VN-Sicherheitsrats dokumentiert. Demnach gingen allein in dieser Zeitspanne 64.490 Granaten aus Artillerie- und Mörsergeschützen sowie Panzern auf die Stadt nieder, was einem Durchschnitt von 329 Granaten am Tag entsprach – ungezählt bleiben die Schüsse aus Infanteriewaffen (Sturm-, Scharfschützen-, Maschinengewehre). Die Intensität des Beschusses variierte von 200 bis 300 bzw. 800 bis 1000 Granaten am Tag, mit dem intensivsten Bombardement am 22. Juli 1993, an dem 3.777 Granaten im Stadtgebiet einschlugen.1397 Am stärksten betroffen waren die Altstadt, religiöse und kulturell bedeutende Bauwerke sowie wichtige Gebäude der Infrastruktur: „An examination of the range of destruction reveals a system of specific targeting as evidenced by the severe damage to almost all mosques, Catholic churches and major commercial buildings and facilities in the centre of the city.“1398
1396 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, I, F, P. 27. 1397 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, I, C, P. 13 und H ff. 1398 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, I, H, P. 33.
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Abb. 47: Serbischer Belagerungsring um die bosnische Hauptstadt Sarajevo in einer Karte (Ausschnitt) des US-Militärs (United States Government (Hrsg.), Defense Mapping Agency, Series M903, Edition 6-DMA, Sarajevo, Sheet 2, Maßstab 1:50 000). Karte: Fregattenkapitän Bernhard Josef Briel.
Etwa 10.000 Menschen starben in dem genannten Zeitraum an den Begleitumständen der serbischen Belagerung (Waffenwirkung, Hunger, Kälte). Unter den Todesopfern befanden sich auch 1.500 Kinder. 55.801 Menschen wurden verwundet. Auch hier war die Zahl der betroffenen Kinder hoch – sie betrug 14.538. Nach den Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) wurden von den zwischen 65.000 und 80.000 Kindern der Stadt 39 Prozent Zeugen der Ermordung Familienangehöriger sowie 19 Prozent gezwungenermaßen Zeugen von Massakern.1399 Sarajevo hatte, wie viele bosnische Städte, ein besonders heterogenes gebautes Kulturerbe vorzuweisen.1400 Als eine der „wenigen osmanischen Neugründungen“ entstand die Stadt im Zuge der Eroberung des bosnischen Königreiches um 1463 1399 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, I, C, P. 13, und I, D, P. 14, P. 16. 1400 Der Name der Stadt leite sich ab von Seray-ovasi (dt. Gouverneurspalast) bei Imamović (2007), 74, oder Saray-Bosna bei Hösch/Nehring/Sundhaussen (2004), 597.
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aus kleineren Siedlungen und Marktflecken.1401 Über die Jahrhunderte weiter ausgebaut, war Sarajevo verschiedenen kulturellen Einflüssen ausgesetzt und weist Bauwerke aus allen historischen Epochen auf.1402 Zudem waren dort bei Ausbruch des Krieges einige namhafte kulturelle Institutionen angesiedelt. Wenn man in dieser Situation überhaupt davon sprechen kann, dann war es „Glück im Unglück“ für das Kulturerbe der Stadt, dass Sarajevo einerseits während beinahe des gesamten Zeitraums des Krieges über eine Luftbrücke der Vereinten Nationen für internationale Missionen zugänglich war sowie andererseits einige kulturelle Einrichtungen der Stadt teilweise arbeitsfähig blieben und zudem eine gewisse Anzahl von regionalen Spezialisten in der Stadt ausharrte. Dazu zählten Teile des Personals etwa der Nationalbibliothek, der Vijećnica, des Orientalischen Instituts oder des National- bzw. Heimatmuseums (Zemaljski Muzej). Auch einige Mitarbeiter des Föderalen Instituts für den Schutz des kulturhistorischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina sowie eine Vielzahl individueller Akteure erlebten und überlebten den vier Jahre andauernden Beschuss Sarajevos.1403 Die Stadt befand sich insofern in einer besseren Lage als Mostar, da deutlich mehr Expertise zur Verfügung stand und der Kontakt zur Außenwelt nie vollends abriss. Über den Zustand der Sammlungen der städtischen Museen erfahren wir während des Krieges zuvorderst aus den Berichten Colin Kaisers sowie natürlich von Marian Wenzel und Helen Walasek. Letztere besuchten die bosnische Hauptstadt zwischen 1993 und 1996 insgesamt drei Mal.1404 Internationale Bestürzung rief der Beschuss der Vijećnica mit Brandbomben zwischen dem 25. und 27. August 1992 hervor. Das Bauwerk, das die National- und Universitätsbibliothek Bosnien-Herzegovinas beherbergte, brannte vollständig aus. Die Bilder der Zerstörung wurden weltweit medial verbreitet.1405 Nichtsdestoweniger ist offenbar bis heute ungeklärt, welcher Teil der Sammlung tatsächlich betroffen war. Einen ersten Bericht dazu verfasste Colin Kaiser in Paris im Juli 1993. Seine Informationen stammten unter anderem von dem dortigen bosnischen Repräsentanten und der George-SorosStiftung in Sarajevo. Marian Wenzel trug ebenfalls einen großen Teil bei.1406 Offenbar waren die Erkenntnisse zu diesem Zeitpunkt jedoch noch vage, so dass Kaiser
1401 Sundhaussen, Sarajevo… (2014), 21 ff. 1402 Association of Architects DAS (1993), 1 ff.; Sundhaussen, Sarajevo… (2014). 1403 Council of Europe (September 1993), B, III ff. 1404 Vgl. Council of Europe (September 1993, Januar 1996, Januar 1997). 1405 Walasek (2015), 211. 1406 Council of Europe (Juli 1993), B, II, P. 7.
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nicht sagen konnte, ob die Sammlung der Nationalbibliothek vollständig in Flammen aufgegangen war. Auch der Umfang der Bestände schien nicht klar: Das Gebäude brannte, zusammen mit zumindest einem Teil der Sammlung, deren Inhalt, eigenartigerweise, etwas schwierig zu ermitteln ist, während der Bombardierung vom 25. bis 27. August aus. Über die Nationalbibliothek heißt es, sie beherberge 1,5 (oder 3) Millionen Bände, 155 000 Manuskripte und seltene Bücher, und einige Quellen merken an, dass auch das Gemeindearchiv dort aufbewahrt wurde.1407
Wenige Monate später, im September 1993, konnte er ein präziseres Bild vermitteln. Sich auf Angaben des Fonds zur Rekonstruktion der National- und Universitätsbibliothek in Sarajevo sowie Sejdalija Mustafić, den Direktor des Denkmalschutzinstituts Bosniens berufend1408, schrieb Kaiser: […] das Feuer in der Bibliothek, das durch den serbischen Beschuss am 23. und 24. [!] August 19921409 verursacht wurde, zerstörte die oberen Lagerräume – den kompletten Leihbestand, sämtliche Referenzwerke und die Musiksammlung. Die Inkunabeln jedoch, die Manuskripte, das Archiv, die seltenen Bücher, die bosnische Sammlung und viele der bosnisch-herzegovinischen Periodika – ganz zu schweigen von einem Teil der Bestände der anderen Leihbibliothek – konnten gerettet werden. In anderen Worten, der Schaden war im Hinblick auf Verluste unersetzlicher Dokumente glücklicherweise geringer als befürchtet, doch immer noch ziemlich ernst (möglicherweise 600 000 Bände […] aus dem Bestand von etwa 1 500 000 Objekten der Bibliothek).1410
Die Aussage Kaiser steht im deutlichen Widerspruch zu allen späteren Einlassungen weiterer Autoren, die über das Schicksal der Sammlungen der Nationalund Universitätsbibliothek berichteten. Im zweiten Teil des Annex VI des Berichts der VN-Expertenkommission wird der Bestand auf „etwa 2 500 000 Bände“ angegeben. Davon konnten, so heißt es dort, etwa 50 bis 60 Prozent, das hieße 1 250 000 bis 1 500 000 Bände, durch 1407 Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 38 ff. 1408 Council of Europe (September 1993), A, Appendix. 1409 Helen Walasek datiert den Brand später auf den 25. und 26. August 1992 (Walasek (2015), 24); Riedlmayer, Crimes of War… (2007), 110, auf 25.–27. August. 1410 Council of Europe (September 1993), A, P. 25.
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Auslagerung gerettet werden.1411 Nataša Golob wiederum erklärte 1996: „In der Nationalbibliothek von Sarajevo wurden ca. 3,000.000 Einheiten aufbewahrt […]. Nach einer groben Schätzung dürften neunzig Prozent des Gesamtbestandes der National- und Universitätsbibliothek vernichtet worden sein“1412. András Riedlmayer gehört zu dem kleinen Personenkreis, der sich besonders engagiert für die Erforschung der Kulturerbezerstörung in Bosnien und Kosovo eingesetzt hat. In einem seiner frühen Texte schreibt er, dass die in der Vijećnica vorgehaltenen Sammlungen der National- und Universitätsbibliothek zum Zeitpunkt des Brandes im August 1992 „1,5 Millionen Bände, darunter 155000 seltene Bücher und Manuskripte, 100 Jahre bosnischer Zeitungen und Periodika sowie die Sammlungen der Universitätsbibliothek“ umfassten1413. Später präzisiert er seine Angaben. Zu den 1,5 Millionen Bänden gehörten demnach auch: „478 handgeschriebene Kodices, 600 Sätze Periodika, ein kompletter Satz aller Bücher, Zeitungen und Journale, die in Bosnien seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts veröffentlicht worden sind sowie der Hauptteil der Forschungssammlung der Universität von Sarajevo“1414. Der entstandene Schaden wird von ihm in fast allen weiteren Texten auf 90 Prozent der Sammlung beziffert1415, bis auf eine Ausnahme: „Geschätzt 1,5 Millionen Bände, die die Masse der Sammlungen der Nationalbibliothek bildeten, wurden durch die Flammen zerstört“1416. Die Aussagen zum Umfang der Schäden werden bei Riedlmayer oft mit dem Zitat eines Feuerwehrmanns, der beim Löschen der Vijećnica geholfen hatte, untermauert: „Wir konnten lediglich ein paar wenige, wertvolle Bücher retten. Alles andere ist verbrannt. Und viel unseres Erbes, nationalen Erbes, liegt hier in der Asche.“1417 Es ist bezeichnend, dass Helen Walasek zwar die Zerstörung der Vijećnica, deren mediale Reproduktion und schließlich auch die Rekonstruktion des Bauwerks ausführlich beschreibt, die Sammlungen der National- und Universitätsbibliothek jedoch mit keinem Wort mehr erwähnt. Der Bericht von Marian Wenzel für den Europarat aus dem Jahr 1993 jedenfalls unterstützte noch die Angaben Colin Kaisers. Demnach wurden „das meiste wertvolle Quellenmaterial und die 1411 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, Part II, Appendix 6, VII. 1412 Golob (1996); das Zitat ist der Online-Version des Textes entnommen, die keine Seitenangaben enthält. 1413 Riedlmayer, Killing Memory… (1995). 1414 Riedlmayer, Convivencia… (2001), 273; ders.: From the Ashes… (2002), 104. 1415 Riedlmayer, Killing Memory… (1995); ders.: Libraries… (1996), 84; ders.: Convivencia… (2001), 273; ders.: ICTY-Aussage…(2003), 23797; ders.: Crimes of War… (2007), 111. 1416 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 19. 1417 Riedlmeier, Libraries… (1996), 82; ders.: Convivencia… (2001), 273; ders.: From the Ashes… (2002), 105; ders.: Crimes of War… (2007), 112.
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Periodika der National- und Universitätsbibliothek gerettet, bevor die Vijećnica ausbrannte“.1418 In späteren Berichten erwähnen Marian Wenzel und Helen Walasek die Sammlungen jedoch nicht mehr. Dabei wären sie neben Colin Kaiser die ersten internationalen Experten gewesen, die über belastbare Informationen verfügt hätten, wenn neue Erkenntnisse zum Bestand der National- und Universitätsbibliothek erhältlich gewesen wären. Der deutsche Journalist Florian Hassel schrieb am 12. Juni 2013 in der SZ, dass in der Vijećnica „neun Zehntel der 1,5 Millionen Bücher“ verbrannt seien. Das entspräche entgegen den Angaben Kaisers einem Verlust von 1.350.000 Objekten, wäre jedoch identisch mit Riedlmayers späteren Ausführungen. Hassel wollte in seinem Artikel außerdem den Verantwortlichen für die Zerstörung der Vijećnica ausfindig gemacht haben. Demnach habe am Abend des 25. August 1992 der Philologe und Shakespeare-Forscher Nikola Koljević, zu Kriegszeiten Stellvertreter des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić, den Befehl zum Beschuss des Gebäudes erteilt.1419 Hassels Geschichte hat eine fast shakespearesche Dramatik und klingt eher nach einer Räuberpistole aus dem reichen Fundus der Mythen um die belagerte Stadt. Sie wird weder durch wissenschaftliche Arbeiten noch durch eines der offiziellen Dokumente der Vereinten Nationen oder des Internationalen Kriegsverbrechertribunals bestätigt. Die Schwierigkeit, die tatsächlichen Verluste der Sammlung zu beziffern, steht grundsätzlich für die Problematik, die Schäden am Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen überhaupt präzise zu ermitteln. Keiner der Forscher, Beobachter und Autoren war bei den Zerstörungen persönlich anwesend; sämtliche Informationen stammten aus zweiter oder dritter Hand; das Kulturerbe Bosniens war lückenhaft, um nicht zu sagen schlecht dokumentiert. Das konnte die Mythenbildung nur befördern. Die Verteidigung mutmaßlicher serbischer Täter vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag machte sich diese Umstände für ihre Argumentation zunutze. Bei einer öffentlichen Anhörung im Zuge einer Klage Bosnien-Herzegovinas gegen den Rechtsnachfolger Jugoslawiens, das Staatengebilde Serbien und Montenegro, in Den Haag im Frühjahr 2006 war Riedlmayer als Zeuge des Klägers geladen. Mittlerweile als Experte für die Kulturerbezerstörung in Bosnien1418 Council of Europe (September 1993), B, III, P. 5: „In a letter of 30 March 1993, the President [der Asocijacija za interkulturne aktivnosti I spašavanje nasledje Republike, BiH (Assoziation für interkulturelle Aktivitäten und den Schutz des Erbes der Republik Bosnien und Herzegovina, AIASN, T. S.] recorded as saved: […] the most valuable source material and periodicals from the National and University Libraries before the ‚Vjecnica‘ building was burned […]“. 1419 Hassel (2013).
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Herzegovina und Kosovo international anerkannt sowie als Zeuge aus mehreren Prozessen in Den Haag bekannt, sollte er über Umfang und Hintergrund der Schäden an bosnischem Kulturerbe Auskunft erteilen. Die Vertretung der Beklagten, Nataša Fauveau-Ivanović, zielte in ihrer Befragung darauf ab, die Glaubwürdigkeit Riedlmayers zu unterminieren. Angesichts der unsicheren Informationslage hinsichtlich der tatsächlichen Verluste der National- und Universitätsbibliothek unterstellte sie die propagandistische Inszenierung des Ereignisses: „Wussten Sie, dass die amerikanische PR-Firma Rudder & Finn im Zusammenhang mit der Zerstörung von Kulturerbe mit der bosnischen Regierung zusammenarbeitete?“1420. Wenige Zweifel jedoch bestehen zur Zerstörung der Sammlungen des Orientalischen Instituts in Sarajevo, die international im diametralen Gegensatz zu ihrer Bedeutung kaum Beachtung fanden. Das Institut wurde am 17. Mai 1992 aus serbischen Geschützen mit Brandgranaten beschossen, woraufhin das Gebäude niederbrannte. Die Sammlungen wurden dabei vollständig zerstört. Kaiser bezeichnete dies als den „möglicherweise schwersten kulturellen Einzelverlust des Krieges in Bosnien-Herzegovina“. Im Hinblick auf das Ausmaß der Schäden sind die Angaben Riedlmayers nahezu identisch mit den Berichten des Europarats. Zerstört wurden demnach: 5263 Einzelmanuskripte in Arabisch, Türkisch, Persisch und Bosnisch (Enzyklopädien, historische Arbeiten, Geografie, Politik, Theologie, islamische Philosophie und Sufi-Schriften, naturwissenschaftliche und mathematische Arbeiten, Recht, Wörterbücher, Sammlungen von Poesie von bosnischen und osmanischen Poeten) vom 11. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Archive enthielten 7000 Dokumente (16. bis 19. Jahrhundert) und beinhalteten Anordnungen des Sultans (Ferman) und Erlasse (Berat), die Tabellen (Bujuruldy) der Gouverneure, Gerichts- und Landurkunden, Rechnungen und Finanzreporte. Zusätzlich gab es sechzig Serien von Berichten bosnisch-herzegovinischer Richter (Kadi) und Gerichtsassistenten (Naib). Die Archive des Vilajet enthielten 200 000 unterschiedliche Dokumente und Zertifikate über Landeigentum für das gesamte Bosnien-Herzegovina (zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts). […] Es sollte ebenfalls erwähnt werden, dass das Institut auch über zahlreiche Fotokopien und Mikrofilme von Material aus anderen Archiven sowie eine Spezialbibliothek von 10 000 Bänden verfügte.1421 1420 Riedlmayer, Public sitting… (2006), 49, 51. 1421 Council of Europe (Juli 1993), B, III, P. 37, The Institute for Oriental Studies; Riedlmayer, Libraries… (1996), 83; ders.: Convivencia… (2001), 274; ders.: From the Ashes… (2002),
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Geringer waren die Schäden im Nationalmuseum. Obwohl äußerlich wegen seiner exponierten Lage schwer beschädigt, blieben die Sammlungen des Hauses nahezu unversehrt – nicht zuletzt, weil ein Teil des Personals auch während des Krieges unter Lebensgefahr um deren Schutz bemüht war. Das wertvollste Objekt, die Sarajevoer Haggada, eine illustrierte jüdische Handschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert, die um 1600 mit aus Spanien geflohenen sephardischen Juden nach Sarajevo gelangt war1422, überstand den Krieg zunächst in einem Tresor im Keller des Museums und später in einem Schließfach der Nationalbank Bosniens.1423 Ebenfalls gering – gemessen an den Verlusten des Orientalischen Instituts – waren die Schäden an den Sammlungen des Historischen Museums Sarajevos, die Wenzel und Walasek akribisch dokumentierten. Gezielt angegriffen und zerstört wurde offenbar auch das Museum der XIV. Olympischen Winterspiele, die 1984 in Sarajevo stattgefunden hatten und die bis heute ein enormes Identifikationspotential für die Einwohner Sarajevos haben. Die Sammlungen des Kunstmuseums (Umjetnička Galerija) blieben von Kriegsschäden verschont. Allerdings wurden einige Exponate des Hauses, nach den Angaben Wenzels und Walaseks vierzig Ikonen, zwei Gemälde des Schweizer Malers Ferdinand Hodler sowie einige islamische Manuskripte, während des Krieges gestohlen.1424 Die Sammlungen des Museums der Stadt Sarajevo wiederum hatten den Krieg offenbar ebenfalls unbeschadet überstanden. Jedoch scheinen die Lagerungsbedingungen bei der Inspektion durch Robert E. Child nicht die besten gewesen zu sein. Durch den oft lebensgefährlichen Einsatz von Experten als auch freiwilligen Helfern konnten einige Objekte des beweglichen Kulturerbes, das sich bei Kriegsausbruch in Sarajevo befunden hatte, gerettet werden. Dazu gehörte unter anderem die bereits erwähnte Sarajevoer Haggada, einige wenige Werke aus der Bibliothek des Orientalischen Instituts, Filmmaterial sowie andere Objekte der bosnischen Filmgeschichte, die Gemälde aus dem Sitz des orthodoxen Metropoliten und die Dokumentation des Instituts zum Schutz des Natur- und Kulturerbes des Lan105; ders.: Destruction Bosnia… (2002), 18; ders.: Public sitting… (2006), 34; ders.: Crimes of War… (2007), 112; ders.: Foundations… (2012), 92; Zitat nach Council of Europe; der Wortlaut bei Riedlmayer ist dem in Kaisers Bericht so ähnlich, dass anzunehmen ist, dass Riedlmayer seine Informationen aus Letzterem bezogen hat. 1422 Vgl. Kap. 2.1 Heterogenität des kulturellen Erbes / Jüdisches Kulturerbe. 1423 Council of Europe (September 1993), B, III, P. 4; Council of Europe (Juni 1995), 3. Bullets at butterflies…; Council of Europe (Januar 1996), II, 3 Museums in war, 4, 6 Reports on individual museums. Wenzels und Walaseks Berichte zum Zemaljski-Museum generell: Council of Europe (Januar 1996), II, 2, 3, 4, 6, und Council of Europe (Januar 1997), 2 Museums in Bosnia and Herzegovina, 4.5 und 4.6. 1424 Council of Europe (Januar 1996), II, 4, 6.
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des.1425 Ebenfalls vor Beschädigung und Zerstörung bewahrt werden konnten die Manuskripte und Bücher der 1537 gegründeten Gazi-Husrev-Beg-Bibliothek. Diese umfasste vor dem Krieg allein 7.500 Manuskripte und war zunächst für zerstört gehalten1426, kurz darauf jedoch als gerettet gemeldet worden.1427 Was hingegen das unbewegliche, gebaute Kulturerbe anbelangte, so glich Sarajevo durch den Dauerbeschuss aus serbischen Stellungen nicht lange nach Kriegsausbruch einer apokalyptischen Ruinenstadt, deren verschiedene Ansichten in zahlreichen regionalen und internationalen Publikationen reproduziert worden sind.1428 Der Bericht der Expertenkommission der Vereinten Nationen verzeichnete im Dezember 1994 eine große Zahl historischer Bauwerke als zerstört oder beschädigt. Darunter befanden sich auch die berühmte Gazi-Husrev-Beg-Moschee (1562) und die Havadža-Durak-Hadži-Jahje-Moschee (1528) inmitten der Baščaršija, dem traditionellen Markt der Stadt, der während der Belagerung besonders intensiv beschossen und vollständig zerstört wurde.1429 Neben zahlreichen Moscheen werden in dem Bericht auch elf Kirchen, Klöster und Konvente als zerstört oder beschädigt registriert.1430 Bereits im Oktober 1993 hatte die Gemeinschaft der Architekten Sarajevos als Teil der Vereinigung der Architekten Bosnien-Herzegovinas (Savez Arhitekata Bosna i Hercegovina, SaBiH) die Ausstellung Urbicide Sarajevo zum beschädigten und zerstörten architektonischen Erbe der Stadt organisiert, die sich nicht nur namentlich erkennbar am Vorbild von Mostar 92 Urbicid orientierte. Auch zur Ausstellung in Sarajevo erschien eine begleitende Publikation1431 in arabischer, englischer und deutscher Sprache, deren erste Auflage aufgrund der Kriegsbedingungen jedoch lediglich 90 Stück umfasste.1432 Die Autoren übernahmen die Einteilung der Architekturgeschichte Sarajevos in eine orientalische bzw. eine österreichisch-ungarische Epoche, eine Zwischenkriegsperiode (Moderne) und in zeitgenössische Architektur. Die osmanischen Bauwerke nahmen den geringsten 1425 Council of Europe (September 1993), B, III, P. 5. 1426 Malcolm (2002), 100; nach anderen Angaben 4.500 (Council of Europe (Juli 1993), III, P. 37). 1427 Council of Europe (September 1993), B, III, 6. 1428 Etwa: Prstojević (1994); Brebeck/Meissner (1996); Fama (1993). 1429 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, Appendix 5, A. 1430 United Nations / Security Council (Dezember 1994), Annex VI, Appendix 5, B. 1431 Association of Architects (1993). 1432 Harris (1994), 11; die Ausstellung scheint außer in Sarajevo auch in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika gezeigt worden zu sein; vgl. Riedlmayer, Libraries… (1996), Bibliographie.
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Raum ein, deutlich mehr Platz erhielt die Darstellung österreichisch-ungarischer und zeitgenössischer Architektur. Dabei wird deutlich, dass die Organisatoren der Ausstellung nicht den Anspruch erhoben, die Zerstörungen in ihrem gesamten Umfang abzubilden. Der Katalog führt lediglich 44 Objekte auf. Vielmehr ging es um die besondere Qualität der Zerstörung, die vor keinem kulturellen Erbe halt machte. Der multilinguale Text erreichte auch Adressaten im Ausland. So berichtete etwa der britische Architekt Paul Harris 1994 im Fachmagazin Architectural Review über Urbicide Sarajevo.1433 Der grenzenlose Optimismus der Gemeinschaft der Architekten Sarajevos offenbarte sich auch in einer Konferenz zum Wiederaufbau der Stadt 1993. Drei Jahre sollten der Krieg und damit auch der Beschuss Sarajevos danach noch andauern. Bei ihrem Treffen diskutierten die Architekten die Prioritäten der Rekonstruktion, wie sie von bosnischen offiziellen Stellen und der internationalen Hilfe favorisiert wurden. Das kulturelle Erbe – in diesem Fall gaben sich die Organisatoren keinen Illusionen hin – hatte dabei sicher keinen Vorrang. Der Wiederaufbau der Infrastruktur sowie die Versorgung der dringendsten menschlichen Bedürfnisse (Wohnungen, medizinische Versorgung, Schulen etc.) standen vielmehr an erster Stelle.1434
BANJA LUKA UND REPUBLIKA SRPSKA
Die Situation in Banja Luka, der im Norden gelegenen zweitgrößten Stadt Bosniens, war grundsätzlich verschieden von Mostar und Sarajevo. Banja Luka ist ein charakteristisches Beispiel für Städte und Siedlungen in den Landesteilen, die bereits kurz nach Kriegsausbruch ohne große Gegenwehr, ohne intensiven Beschuss und Belagerung, an serbische Truppen fielen. Diese Gebiete wurden mit dem Vertrag von Dayton 1995 fast vollständig der sogenannten Republika Srpska zugeschlagen. Die bis Kriegsende dort erfolgten „ethnischen Säuberungen“ wurden mit dem Vertrag von Dayton de facto bestätigt. Dies galt auch für die Städte Doboj, Prijedor, Rogatica, Višegrad, Zvornik und Foča. Wie Banja Luka waren auch sie während des Krieges für Vertreter von internationalen Organisationen kaum oder gar nicht zugänglich. Die Ereignisse dort vollzogen sich dementsprechend weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit und liefen in der Regel nach demselben Schema ab – wie in späteren Rekonstruktionen festgestellt werden konnte. Die 1433 Harris (1994). 1434 Harris (1994), 11 ff.
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Abb. 48: Trümmer der Ferhat-Pascha-Sokolović-Moschee, 1579, nach ihrer Sprengung am 7. Mai 1993. Teile des Minaretts liegen vor der später ebenfalls zerstörten, zur Moschee gehörigen Turbe (1579), rechts im Bild. Föderales Institut für den Schutz des kulturhistorischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina.
Historikerin Armina Galijaš skizzierte diesen Ablauf in ihrem Text zu den Ereignissen in Banja Luka zwischen 1990 und 1995 präzise und ausführlich. Im Grunde ging es dabei um die Eliminierung aller unter nationalistischen Gesichtspunkten „nichtserbischen“ Elemente aus dem politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben sowie dem öffentlichen Raum. Das Vorgehen zur Umsetzung dieses Programms war systematisch und beinhaltete unter anderem die Ausschaltung andersdenkender politischer Akteure, die Zerstörung und Verdrängung der bürgerlichen Schicht und die Militarisierung der Alltags, die Ethnisierung der Sprache, der Toponyme und Namen, die Vertreibung von Nicht-Serben aus ihren Wohnungen in Banja Luka und deren Enteignung, eine Arbeitspflicht für diejenigen, die den Militärdienst auf Seiten der Serben verweigerten, systematische Entführungen, Internierung, Gewalt, Folter und Mord als Mittel des Terrors gegen Nicht-Serben. Schließlich bedeutete es auch die Umgestaltung des Stadtbildes, was nichts anderes hieß, als die Zerstörung katholischer und muslimischer Sakralbauten sowie die Errichtung von Serbisch Orthodoxen
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Kirchen.1435 Die serbische Politik in Kosovo zur selben Zeit war, wie gezeigt, nahezu identisch. Hinsichtlich der Zahl der systematisch zerstörten Bauwerke weichen die verschiedenen Quellen – wie stets – voneinander ab. Colin Kaiser rekurrierte im September 1993 auf den französischen Journalisten Jean-Baptiste Naudet, der sich für Le Monde während des Krieges zumindest zeitweilig in Banja Luka aufhielt: […] it seems that most of the incidents involving the dynamiting or firing of mosques took place in May 1993 (at least four or five). However, according to Jean-Baptiste Naudet (Le Monde, 17 June) there are still ten mosques standing in Banja Luka of the fifteen that the city boasted before the war.1436
Naudet berichtete auch über die Zerstörung von katholischen Sakralbauten. Nach Auskunft der Diözese Banja Luka waren in der zweiten Hälfte des Jahres 1993 bereits 26 Kirchen zerstört und weitere 32 verschieden stark beschädigt.1437 Von sechzehn Moscheen in Banja Luka – nicht fünfzehn wie bei Kaiser –, allesamt zerstört 1993, sprach Diane Paul, die sich als Beobachterin der NGO Human Rights Watch in Banja Luka aufgehalten hatte, bei einer Lagebesprechung mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am 11. Juni 1996 in Washington. Nach ihrer Aussage waren von den 60.000 Nichtserben, die vor dem Krieg in Banja Luka gelebt hatten, mehr als neunzig Prozent vertrieben oder umgebracht worden.1438 Überdies sollten 41 Kirchen zerstört sowie 43 weitere mehr oder weniger schwer beschädigt worden sein. Das entsprach etwa 98 Prozent der Kirchen des Bistums.1439 In dem wohl umfassendsten Bericht des Föderalen Instituts für den Schutz des kulturhistorischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina von 1995 ist wiederum von 19 Moscheen in Banja Luka (errichtet im 16., 17., und 18. Jahrhundert) die Rede. 16 davon gibt das Institut als zerstört an, 3 weitere waren durch Brände zumindest stark beschädigt. Überdies als zerstört aufgeführt sind vier osmanische Mausoleen, zwei Brunnen und sechs Kirchen.1440 Die bosnische Architektin Sabira Husedžinović hingegen führte in ihrer detailreichen Geschichte des osmanisch-islamischen Kulturerbes der Stadt an, dass zwi1435 1436 1437 1438 1439 1440
Galijaš (2011). Council of Europe (September 1993), A, P. 22. Council of Europe (September 1993), A, P. 33. Commission on Security and Cooperation in Europe (1996), 11 ff. und Appendix. Commission on Security and Cooperation in Europe (1996), 27 ff. Zavod (1995), 15.
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schen 9. April und 15. Dezember 1993 „fünfzehn Moscheen, sechs Turbe […], fünf Brunnen, eine große Zahl Friedhöfe und Uhrtürme“ zerstört worden waren. Während desselben Zeitraums wurden im muslimischen Verwaltungsbezirk Banja Luka1441 ihren Angaben zufolge 205 Moscheen insgesamt niedergerissen.1442 Armina Galijaš wiederum schrieb von 16 Moscheen in Banja Luka und nannte auch die Daten ihrer Zerstörung.1443 Helen Walasek hingegen nennt die Zahl von 15 Moscheen, ist sich mit Armina Galijaš jedoch nahezu einig über die Zahl zerstörter katholischer Kirchenbauten von 96 bzw. 98 Prozent aller Bauwerke der Diözese.1444 Der maßgebliche Text der Islamischen Gemeinschaft Bosniens von 1999 nennt 20 bzw. 21 zerstörte Moscheen in den 22 Džemat des Medžlis Banja Luka.1445 Ob es nun 15, 16, 19 oder 22 Moscheen waren, die in Banja Luka (in welchen religiösen oder säkularen Verwaltungsgrenzen auch immer) zwischen 1992 und 1995 zerstört worden sind, ist beinahe unerheblich angesichts der Gewissheit, dass offenbar alle Moscheen der Stadt sowie der angrenzenden Gemeinden betroffen waren. Der Kontext der systematischen Zerstörungen ist umso erschreckender vor 1441 Es ist nicht schlüssig zu klären, ob sich Husedžinović dabei auf die säkulare Verwaltung der Gemeinde Banja Luka bezog oder ob sie vielmehr die muslimische Verwaltung, den Muftiluk Banja Luka, meinte. Letzterer ist unterteilt in zehn Medžlis (Banja Luka, Derventa, Bosanski Kobaš, Bosanska Gradiška, Bosanski Brod, Kotor Varoš, Ključ, Mrkonjić Grad, Bosanska Dubica, Prnjavor). Allein der Medžlis Banja Luka – der namensgebende Medžlis des Muftiluk Banja Luka – setzt sich zusammen aus 22 Džemat. Ein Džemat ist die grundlegende Verwaltungseinheit der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegovina und besteht aus mindestens 200 Haushalten, die eine bestimmte territoriale Einheit miteinander bewohnen und ihre religiösen Pflichten gemeinsam ausüben. Die neun Muftiluk Bosnien-Herzegovinas werden durch den Rijaset, den höchsten Rat der Islamischen Gemeinschaft des Landes, verwaltet. Vergleichbar ist diese Verwaltungsstruktur mit den Gemeinden, Dekananten und Diözesen der evangelischen beziehungsweise katholischen Kirche. Mit den Angaben der Islamischen Gemeinschaft Bosnien-Herzgovinas decken sich Husedžinovićs Ausführungen jedenfalls nicht. Demnach wurden im gesamten Muftiluk Banja zwischen 1992 und 1995 71 Moscheen zerstört und 13 beschädigt, wobei der Medžlis Bosanski Kobaš nicht gesondert aufgeführt ist (Omerdić (1999), 461–463). 1442 Husedžinović (2005), 851. Husedžinovićs Text ist die einzige Veröffentlichung zur Zerstörung von Kulturerbe im Krieg in Bosnien, die auch eine Karte mit den (ehemaligen) Standorten zerstörter und intakter Moscheen beinhaltet. 1443 Galijaš (2011), 247. 1444 Walasek (2015), 25, 29; vgl. Galijaš (2011), 246. Die Abweichung von zwei Prozent ist damit zu erklären, dass sich Galijaš auf die Veröffentlichung der OSZE von 1996 berief (Commission on Security and Cooperation in Europe (1996)), während Walasek sich auf eine Studie der NGO Human Rights Watch von 1994 und offenbar auch auf Husedžinovićs Text bezog, auch wenn sie diesen nicht als Quelle anführt. 1445 Omerdić (1999), 26–31, 461.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 463
Abb. 49: Ruine der Mehmed-Pascha-Kukavica-Moschee, 1751, in Foča. Föderales Institut für den Schutz des kulturhistorischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina.
dem Hintergrund, dass es in und um die Stadt, wie beinahe im gesamten nordbosnischen Raum, während des Kriegs nicht zu signifikanten Kampfhandlungen kam.1446 Die kommunale serbische Verwaltung begnügte sich jedoch nicht damit, die Bauwerke zu sprengen, sie ließ auch deren Trümmer beräumen und sämtliche Moscheen aus den Karten der Stadt tilgen.1447 Ganz so, als hätten sie niemals existiert. Für die übrigen Städte der Republika Srpska lauten die Befunde in unterschiedlichen Quellen ähnlich. Allein im südbosnischen Foča und der näheren Umgebung sollen nach den Angaben der Denkmalschützer in Sarajevo 27 Moscheen, sechs Mesdžid, sechs islamische Elementarschulen und ein Derwischkonvent zerstört, ausgebrannt bzw. schwer beschädigt worden sein (Abb. 49). 13 Moscheen waren es in den Džemat von Doboj, 11 in Višegrad, 36 in Zvornik – 35 Bauwerke dort wurden vollständig zerstört oder durch Feuer unbrauchbar gemacht.1448
1446 Commission on Security and Cooperation in Europe (1996), Appendix. 1447 Walasek (2015), 235. 1448 Zavod (1995), 34, 36, 87, 91.
464 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Die Ereignisse in Prijedor, im Nordwesten Bosniens, sind in dem Bericht der Expertenkommission des VN-Sicherheitsrats dokumentiert.1449 Wie in Banja Luka erfolgte auch dort nach der Machtübernahme serbischer Militärs mit Unterstützung der lokalen Bevölkerung seit April 1992 die systematische Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der Nicht-Serben und die Zerstörung ihres kulturellen Erbes. Neben fünf Moscheen im Gebiet der Stadt sollen so auch sechzehn Moscheen in der Umgebung zerstört worden sein. Die vernakulären osmanischen Bauwerke der Altstadt wurden ab Juli 1992 durch eine serbische „Expertenkommission“ abgerissen.1450 Nicht weniger betroffen waren Bauwerke der katholischen Kirche, sechs Kirchen, zwei Gemeindekirchen und eine Sonntagsschule führt der VN-Bericht als zerstört auf. Offenbar war jedoch kein einziges Bauwerk der Serbischen Orthodoxen Kirche betroffen, wie es im Rekurs auf einen Bericht des Ministeriums für Information der Republik Serbien heißt.1451 Die Kommission des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ging davon aus, dass bis Juni 1993 52.811 Nicht-Serben aus Prijedor und den umliegenden Gemeinden deportiert oder ermordet worden waren.1452 Der Bericht schloss mit der Feststellung: „Das Hauptziel der serbischen Manöver im Bezirk Prijedor war die ‚ethnische Säuberung‘ von den Nicht-Serben, um einen homogenen serbischen Distrikt zu gewährleisten“1453. Erwähnenswert ist, dass die Erkenntnisse der Vereinten Nationen im Hinblick auf das kulturelle Erbe Prijedors weitestgehend mit den Angaben der bosnischen Denkmalschützer übereinstimmten.1454
DER BERICHT DES FÖDERALEN INSTITUTS FÜR DEN SCHUTZ DES KULTURHISTORISCHEN UND NATÜRLICHEN ERBES DER REPUBLIK BOSNIENHERZEGOVINA VON 1995
Der Report on the Devastation of Cultural, Historical and Natural Heritage of the Republic / Federation of Bosnia and Herzegovina (From April 5, 1992 until September 5, 1995) erschien 1995 in Sarajevo als außerordentlicher Band der Schriftenreihe Naše Starine (Unsere Altertümer/Antiquitäten). Er enthält die umfangreichste Liste 1449 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex V / The Prijedor Report. 1450 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex V, Part II, VII, C, P. 291, und X, A, P. 557. 1451 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex V, Part II, X ff. 1452 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex V, Part I, II, P. 4, P. 5, und Part II, P. 48. 1453 United Nations / Security Council (Mai 1995), Annex V, Part II, XII, B, P. 567. 1454 Zavod (1995), 59.
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mit beschädigtem und zerstörtem unbeweglichen (in wenigen Ausnahmen auch beweglichen) Kulturerbe in Bosnien-Herzegovina, die während des Krieges erschienen ist.1455 In Form eines Registers beinhaltet der Bericht eine nach Gemeinden geordnete Aufstellung der Kriegsschäden an einzelnen Objekten sowie Objektensembles überwiegend des islamischen, katholischen und orthodoxen gebauten Kulturerbes sowie weitere tabellarische und kürzere Übersichten mit, je nach Lesart, 2.604, 3.805 bzw. 2.151 Einträgen. 2.604 beschädigte oder zerstörte Objekte ergibt die Addition der auf Seite acht des Dokuments nach unterschiedlichen Betroffenheitsgraden in einer Übersicht dargestellten Einträge. 3.805 „devastated“ und „destroyed edifices“ beinhaltet die tabellarische Aufstellung auf den Seiten neun und zehn, die Objekte und Objektensembles nach den Gemeinden gliedert. 2.151 Bauwerke ergab meine Überprüfung des Dokuments nach Abzug der zahlreichen Mehrfachnennungen.1456 Die gravierenden Widersprüche innerhalb solcher Dokumente sind bereits aus der Analyse der serbischen und kroatischen Äußerungen bekannt. Ebenso geläufig sind die verschiedenen Klassifizierungen der betroffenen Bauwerke nach ihrem (subjektiven) Denkmalwert einerseits und ihrem Zerstörungsgrad andererseits. Sie sind vergleichbar mit früheren kroatischen und serbischen Berichten, werfen jedoch, wie anhand Letzterer gezeigt, mehr Fragen auf als sie beantworten und werden aus diesem Grund hier nicht nochmals thematisiert. In der zusammenfassenden Übersicht zu Eingang des Berichts sind 1.823 Bauwerke als mehr oder weniger stark beschädigt, 712 Bauwerke als vollständig zerstört, 8 Objekte des beweglichen Kulturerbes als gestohlen sowie 61 „große historische Ensembles“ in Bosnien-Herzegovina (insgesamt also 2.604 Objekte) als weitestgehend zerstört vermerkt.1457 Von diesen Objekten wurden 1.407 dem Kulturkreis der bosnischen Muslime, 723 den katholischen sowie 39 den orthodoxen Christen des Landes zugerechnet. Fünf Objekte der Jüdischen Gemeinschaft waren ebenso betroffen wie 368 historische Objekte, die keinen der genannten Ethnien/ Religionen explizit zugeordnet werden konnten. Dies gilt auch für die 61 historischen Komplexe, die aus mehr als einem Bauwerk bestanden.1458 Auffällig niedrig ist die Zahl der als betroffen vermerkten Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche. Sie ist weit entfernt von den Angaben Slobodan Mileusnićs zu BosnienHerzegovina, auf die ich später zurückkommen werde.
1455 1456 1457 1458
Zavod (1995). Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. Zavod (1995), 8. Zavod (1995), 96.
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Dass die Liste des Instituts in Sarajevo in mancherlei Hinsicht problematisch ist, geht bereits aus dem einführenden Vorwort hervor. Dort heißt es, dass es „schwierig war […] unter Kriegsumständen und Problemen“ mit den „freien Territorien“ des Landes zu kommunizieren. Aus den serbisch kontrollierten Gebieten gab es, wie bereits ausgeführt, gar keine Information. Auch hier decken sich die Ausführungen der einheimischen Experten mit den Erkenntnissen internationaler Beobachter.1459 Was das bewegliche Kulturerbe anbelangt, war die Erfassung der Schäden noch problematischer. Wie aus der Erklärung des damaligen Direktors des Instituts in Sarajevo, Muhamed Hamidović1460, zu erfahren ist, waren die verschiedenen regionalen Filialen der Institution „machtlos […] die Spuren dieses Typs von Kulturerbe […] überhaupt zu erfassen“, was nicht zuletzt daran lag, dass „die Institutionen, deren Aufgabe es in der Vergangenheit war, diese Objekte zu registrieren, ein Mangel an Interesse für diesen Gegenstand gezeigt haben, was dazu führte, dass deren Sammlungen eher klein an Umfang und Wert erschienen“.1461 Diese Einlassungen erinnern an die Beobachtungen von Barbara O. Roberts und Hans-Christoph von Imhoff in Kroatien. Erneut wird die generelle Schwäche des jugoslawischen Kulturerbeschutzes eingeräumt. Vorsorglich fügten die Denkmalschützer in Sarajevo ihrer Liste mit der Aufstellung des kriegsbeschädigten Kulturerbes eine Entschuldigung bei: Das Institut für den Schutz des kulturhistorischen und natürlichen Erbes der Republik Bosnien-Herzegovina möchte sich für die möglichen Fehler bezüglich der Namen von Orten und/oder Bauwerken und den geschätzten Grad ihrer Beschädigung entschuldigen, da einige Daten entweder nicht vollständig verfügbar, manchmal unvollständig oder nicht präzise genug waren.1462
Tatsächlich enthält das Dokument aus Sarajevo so viele Fehler in Form von Mehrfachnennungen und falschen Orts- und Objektnamen, dass zwischen der Übersicht zu Beginn und der spezifischen Nennung betroffener Strukturen im Hauptteil ein Unterschied von mehreren hundert Bauwerken besteht. Im Einzelnen sind die Widersprüche hier nicht wiederzugeben. Es müssen einige wenige Beispiele genügen. Für die südbosnische Ortschaft Bileća etwa sind die Einträge der neun zerstörten und beschädigten Bauwerke zwei Mal identisch auf den Seiten 18 und 1459 1460 1461 1462
Zavod (1995), 7. Council of Europe (August 1994), C. Zavod (1995), 13. Zavod (1995), 96.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 467
19 aufgeführt. Im zentralbosnischen Jajce wurden – wie in zahlreichen anderen Orten – einige Objekte doppelt genannt und gezählt. Am verblüffendsten jedoch ist die Mehrfachnennung (und -zählung) der Stari Most. Hier lautet der Eintrag auf Seite 54 zunächst „Stari Most (Old Bridge), 1566, I.c.“. Die Brücke wird in diesem Eintrag als „zerstört durch Granatbeschuss“ angegeben. Auf Seite 55 findet sich dann der Eintrag „Old Bridge with Towers in Mostar, I.c.“, womit natürlich die Alte Brücke in Mostar gemeint ist, denn sie ist die einzige „Alte Brücke“ mit Brückentürmen in der Stadt. Es ist unstrittig, dass die bosnischen Behörden mit den weiter oben herausgearbeiteten Schwierigkeiten bei der Erfassung der durch den Krieg betroffenen Bauwerke konfrontiert waren. Nicht erklärlich ist jedoch, wie derart bekannte Objekte wie die Stari Most doppelt genannt und gezählt werden konnten. Wahrscheinlich sind die eklatanten Fehler in der Liste zurückzuführen auf die denkbar schwierigen Umstände ihrer Entstehung, die Nachlässigkeit von Mitarbeitern und schließlich die allgemeine Dürftigkeit des Denkmalschutzes im Krieg, die sich bis in die Institutionen der Sozialistischen Föderation Jugoslawien zurückverfolgen lässt. Zumindest diese Liste hätte als offizielles Dokument des Staates Bosnien und Herzegovina zwingend einer Überprüfung durch unabhängige Institutionen bedurft. Ähnlich wie kroatische und serbische Autoren beschrieb auch Hamidović die Zerstörungen als Kulturozid und Urbizid.1463 Vertraut aus anderen Dokumenten ist auch die Personifizierung des kulturellen Erbes, wenn etwa der Islamwissenschaftler Enes Karić in seinem Nachwort zum Bericht die „Exekution des bosnischen Kulturerbes“ beschreibt. Als weiterer bekannter Topos erscheint die Charakterisierung des Landes als Ort des friedlichen Zusammenlebens der Völker und Religionen, ein Zusammenleben, das durch die „Angreifer […] von den Wurzeln her“ ausgerottet werde.1464 1997 aktualisierte das Föderale Institut seine Übersicht zum zerstörten Kulturerbe. Eine letzte, ungleich weniger detaillierte Übersicht präsentierte die Kommission zum Schutz nationaler Monumente (Komisija/Povjerenstvo za Očuvanje Nacionalnih Spomenika) im März 2010. Sie enthielt nurmehr Zahlen. Konkrete Objekte wurden in ihr nicht mehr aufgeführt. Präziser waren die Informationen nicht. Die Liste war noch zumindest bis zum Februar 2016 auf der Internetseite der Kommission hinterlegt, ist dort jedoch nun nicht mehr zu finden.1465 Es scheint, 1463 Zavod (1995), 12 f. 1464 Zavod (1995), 94. 1465 Http://www.kons.gov.ba/main.php?mod=vijesti&extra=1075460534&action=view&id_ vijesti=669&lang=4 [09.02.2016]. Das Dokument befindet sich als Kopie in meinem Archiv.
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Bosnien und Herzegovina hat – zumindest offiziell – mit diesem Thema abgeschlossen.
ANDRÁS RIEDLMAYER IN BOSNIEN-HERZEGOVINA
Neben Colin Kaiser, Helen Walasek und Marian Wenzel ist als einer der wenigen internationalen Experten, die sich besonders für die Erforschung der Zerstörung von Kulturerbe während der Postjugoslawischen Kriege eingesetzt haben, fraglos auch András Riedlmayer zu nennen. Der Orientalist und Philologe, der seit 1985 dem Aga-Khan-Programm für Islamische Architektur an der Harvard University als Direktor vorsteht1466, publizierte zunächst zu verschiedenen Aspekten der osmanischen Geschichte, bevor er 1994 die Videodokumentation Killing Memory: Bosnia’s Cultural Heritage and its Destruction veröffentlichte. Am 4. April 1995 folgte unter beinahe identischer Überschrift1467 eine Anhörung vor der OSZE, abgehalten vor dem Kongress der USA. Zwischen 1995 und 2012 publizierte Riedlmayer eine Reihe von Artikeln zur Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina und Kosovo in internationalen Fachzeitschriften und trug darüber hinaus zu diesem Thema auf Konferenzen weltweit vor. Der Kern seiner wissenschaftlichen Arbeit besteht zweifelsohne in den Berichten, die er als Experte für die Kriegsverbrecherprozesse am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag recherchiert und verfasst hat. Dabei begann seine Zusammenarbeit mit der Institution nicht im Zusammenhang mit dem Konflikt in Bosnien-Herzegovina, sondern aufgrund der Ereignisse in Kosovo in den Jahren 1998 und 1999. Riedlmayer war damals durch „Berichte von Journalisten und Flüchtlingen“ darauf aufmerksam geworden, dass „die Zerstörung von Kulturerbe, die die ethnischen Säuberungen in Kroatien und Bosnien während der Kriege in den frühen neunziger Jahren begleitet hatte, nun auch in Kosovo stattfand“. Nach eigenen Angaben ging er zunächst davon aus, dass dies eine Untersuchung der UNESCO nach sich ziehen würde. Als er jedoch diesbezüglich im Hauptquartier der Organisation in Paris eine Anfrage stellte, teilte man ihm mit, dass keine derartige Untersuchung geplant sei. Begleitet von einem Kollegen, dem US-amerikanischen Architekten Andrew Herscher, brach er im Oktober 1999 kurzerhand auf eigene Faust nach Kosovo auf:
1466 Riedlmayer, ICTY-Aussage… (2003), 23786; ders.: Destruction Bosnia… (2013), 25. 1467 Riedlmayer, Killing Memory… (1995).
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In the end, it seemed like the only way to make such a survey happen was to do it on one’s own. After raising the requisite funds and doing a considerable amount of library research, I went to Kosovo in October 1999, three months after the end of the war, in the company of architect Andrew Herscher, to document damage to cultural heritage buildings and institutions.1468
Die Ergebnisse dieser Recherche vor Ort1469 stellte Riedlmayer der UN-Mission in Kosovo vor und präsentierte sie außerdem Anfang April 2002 als Experte im Prozess gegen Slobodan Milošević vor dem Internationalen Strafgerichtshof.1470 Im Anschluss an seine Aussage wurde Riedlmayer durch das Büro des Anklägers (Office of the Prosecutor, OTP) angefragt, einen ähnlichen Bericht auch für Bosnien-Herzegovina zu erarbeiten. Riedlmayer willigte ein und wurde am 16. Mai 2002 engagiert, einen dementsprechenden Bericht, basierend auf Recherchen vor Ort, zu erstellen.1471 Auf diesen ersten Bericht für die Anklage gegen Milošević1472 folgten schließlich weitere für die gegen Momčilo Krajišnik1473, Vojislav Šešelj1474, den bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić1475, Stojan Župljanin und Mirko Stanišić1476 sowie Ratko Mladić1477, die Riedlmayer zwischen 2003 und 2012 anfertigte und dafür mehrere Reisen nach Bosnien unternahm.1478 Seine Berichte ragen vor allem wegen ihres Umfang und ihrer Qualität heraus. Kein anderer Beobachter ist den verschiedenen Angaben zur Zerstörung und Beschädigung des unbeweglichen Kulturerbes zumindest der bosnischen Muslime und der bosnischen Kroaten sowie der Muslime Kosovos so intensiv nachgegangen wie er. Während sechs Aufenthalten in Bosnien-Herzegovina zwischen 1997 1468 Riedlmayer, Crimes of War… (2007), 124. 1469 Vgl. Kap. 3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004. 1470 ICTY, Milošević (IT-02-54), Transkripts, April 09, 2002. 1471 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 4. 1472 ICTY, Case Information Sheet Slobodan Milošević (IT-02-54), verstorben 2006 während der Haft in Den Haag. 1473 ICTY, Case Information Sheet Momčilo Krajišnik (IT-00-39), verurteilt zu 20 Jahren Haft am 17. März 2009. 1474 ICTY, Case Information Sheet Vojislav Šešelj (IT-03-67). 1475 ICTY, Case Information Sheet Radovan Karadžić (IT-95-5/18); Prozess noch nicht abgeschlossen. 1476 ICTY, Case Information Sheet Stanišić & Župljanin (IT-08-91); beide am 27. März 2013 zu je 22 Jahren Haft verurteilt. 1477 ICTY, Case Information Sheet Ratko Mladić (IT-09-92); Prozess noch nicht abgeschlossen. 1478 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2013), 5, 12.
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und 20111479 sowie drei weiteren in Kosovo1480 suchte er hunderte beschädigte und zerstörte Bauwerke bzw. die Orte, an denen diese einst gestanden hatten, selbst auf, wertete Quellen von regionalen und staatlichen Institutionen zum Kulturerbeschutz in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien aus, notierte Augenzeugenberichte, analysierte Medieninformationen, sammelte Fotografien von Bauwerken in den verschiedenen Zuständen vor und nach den Kriegen und fertigte Letztere selbst an. In Prozessen vor dem Internationalen Strafgerichtshof gab er zu Protokoll, insgesamt 26 Gemeinden in Bosnien-Herzegovina für die Ermittlung der Schäden am kulturellen Erbe besucht zu haben, was etwa 25 Prozent des Territoriums der Republik entsprach.1481 Da die Berichte für die Anklage gegen Serben bzw. bosnische Serben vorgesehen waren, waren Riedlmayers Recherchen insofern von vornherein limitiert, da sie auf zerstörte Objekte der bosnischen Muslime und Kroaten fokussierten. Im Prozess Bosnien und Herzegovina gegen Serbien und Montenegro im Jahr 2006 räumte Riedlmayer dementsprechend ein, über den Umfang der Schäden am kulturellen Erbe der bosnischen Serben nicht präzise informiert zu sein.1482 In Kosovo jedoch lagen die Dinge anders. Hier recherchierte Riedlmayer, etwa im Auftrag der NGO Cultural Heritage without Borders (CHwB), auch zum zerstörten serbischen Kulturerbe. Auf diese Weise dokumentierte András Riedlmayer im Juli 2002 bereits 397 Objekte bzw. Objektensembles in Bosnien-Herzegovina, wobei er über die Hälfte der Stätten selbst besuchte und etwa 40 Prozent anhand von Quellen (Fotografien, Medien- und Augenzeugenberichte etc.) beurteilte. Begleitet wurde er bei seiner Recherche in Bosnien durch Muhamed Hamidović, der zum damaligen Zeitpunkt Dekan der Fakultät für Architektur der Universität Sarajevo war. Von den insgesamt 397 Objekten bzw. Objektensembles, die Riedlmayer 2002 für den Internationalen Strafgerichtshof in insgesamt 19 Gemeinden dokumentierte, fielen allein 332 in die Kategorie „islamisches Erbe der bosnischen Muslime“ (277 Moscheen, 13 Mekteb, 17 Turbe, 4 Derwischkonvente, 3 Uhrtürme sowie 18 religiöse Archive und Bibliotheken). Des Weiteren überprüfte Riedlmayer 57 katholische Kirchen der bosnischen Kroaten, 4 Klöster und Konvente, 2 religi1479 In den Jahren 1997, 1998, 2001, 2007, 2008 und 2011 (Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2013), 12). 1480 13.–31. Oktober 1999, Oktober 2000, März 2001 (Riedlmayer, Destruction Kosovo… (2002), 3). 1481 Riedlmayer, Public sitting… (2006), 39 f., wenn man von 109 Gemeinden in Bosnien und Herzegovina vor dem Krieg ausgeht. 1482 Riedlmayer, Public sitting… (2006), 46.
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öse Archive und Bibliotheken sowie mit der National- und Universitätsbibliothek und dem Orientalischen Archiv in Sarajevo auch zwei Objekte außerhalb religiöser Kontexte. Von 277 dokumentierten Moscheen fand der Experte alle betroffen vor, wobei nur 22 leicht beschädigt waren. Letztere befanden sich entweder in Sarajevo oder auf von bosnischen Truppen gehaltenem Territorium in Brčko, Doboj oder Zvornik oder waren bis zum Kriegsbeginn noch nicht fertig gestellt. Sämtliche Moscheen auf serbischem Territorium hingegen waren entweder schwer beschädigt (119 Moscheen) oder vollständig zerstört (136 Moscheen). 161 dieser Bauwerke waren in der Periode der osmanischen bzw. der österreichisch-ungarischen Herrschaft errichtet worden. 71 waren vor dem Krieg als kulturelles Erbe erfasst gewesen. Allein 155 der Moscheen der osmanischen Periode waren schwer beschädigt oder zerstört.1483 Ein ähnliches Bild ergab sich für das Erbe der katholischen bosnischen Kroaten. Von 57 dokumentierten Kirchen in 19 Gemeinden war keine einzige unversehrt und lediglich 14 galten als leicht beschädigt. 30 Kirchen waren nach Riedlmayer schwer beschädigt, 13 vollständig zerstört. Von vier Klöstern beziehungsweise Konventen waren drei schwer beschädigt. Im Hinblick auf die Grausamkeit der Ereignisse sticht in Riedlmayers Bericht wiederum Prijedor im Nordwesten des Landes hervor. Dort wurde in zwei kontrollierten Sprengungen (1992, 1995) die katholische Kirche durch serbische Einheiten zerstört. Der Pfarrer der Gemeinde, Vater Tomislav Matanović, wurde nach der zweiten Sprengung im August 1995 gemeinsam mit seinen Eltern von serbischen Polizisten entführt. Die Leichen der Matanovićs wurden sechs Jahre später in einem Brunnen nahe Prijedor gefunden.1484 Die hier aufgeführten Zahlen aus der ersten detaillierten Studie Riedlmayers zu Bosnien aus dem Jahr 2002 ließen sich durch weitere Statistiken aus späteren Berichten ergänzen. Ebenfalls wichtig sind die Aussagen zur Qualität der Zerstörungen, die er in seiner Dokumentation getroffen hat. So stellt er fest, dass es zwar nicht den Tatsachen entspreche, dass sämtliche Moscheen auf serbisch kontrolliertem Territorium zerstört worden seien – weit entfernt von der Realität waren derlei Angaben jedoch ebenfalls nicht: Although it is often stated that all of the mosques located in territory controlled by Bosnian Serb forces during the war were completely razed, that is not quite the 1483 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 9 ff. 1484 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 14 ff.
472 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen case. However, one can conclude from the findings of this survey that the overwhelming majority (more than 92 percent) of the mosques were either heavily damaged or destroyed; and that the mosques and other Muslim religious monuments of particular historic and cultural importance were singled out for destruction. […] The damage to these monuments was clearly the result of attacks directed against them, rather than incidental to the fighting.1485
Die meisten der betroffenen Monumente lagen in Gebieten, in denen keine Kampfhandlungen stattfanden.1486 Sie wurden gezielt ausgewählt und zerstört. Den systematischen Charakter der Zerstörungen belegte Riedlmayer mit zahlreichen eindrucksvollen Beispielen aus verschiedenen Städten und Siedlungen in Bosnien-Herzegovina. Die 16 Moscheen Fočas1487 waren, unmittelbar nachdem serbische Einheiten die Region im April 1992 überrannt hatten, gesprengt worden. Die Überreste der Bauwerke wurden mit technischem Gerät beräumt.1488 Ähnliche Szenarien schilderte er für Banja Luka, Bijeljina, Brčko, Kozarac, Prijedor, Srebrenica, Stolac, Trebinje, Počitelj, Višegrad und Zvornik. In Stolac und Počitelj waren Angehörige der kroatischen HVO für die systematisch durchgeführten „ethnischen Säuberungen“ verantwortlich.1489 Neben der Auslöschung des kulturellen Gedächtnisses ging es den Angreifern offenbar auch darum, etwaige Ansprüche der Vertriebenen oder Verwandten von Ermordeten, die nach Kriegsende erhoben werden könnten, auszuschließen. In den zerstörten kommunalen Archiven gingen Geburtsurkunden, Landtitel, Bodenregister sowie weitere Dokumente, in denen Rechtsverhältnisse zum Teil über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten lokal festgeschrieben waren, in Flammen auf. Was die Gesamtzahl der zerstörten Objekte des unbeweglichen Kulturerbes in Bosnien-Herzegovina anbelangt, sind auch die Angaben Riedlmayers nicht gänz1485 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 10 f. 1486 Riedlmayer, Killing Memory… (1995): „Away from the battlefront, in occupied areas under the control of nationalist militias, most mosques have been dynamited or torched in the middle of the night as the key element of a campaign of terror aimed at driving out the Muslim inhabitants.“ 1487 Entgegen den 17 Moscheen bei Amra Hadžimuhamedović, vgl. Kap. 3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina 1992 bis 1995 / Isoliert und verzweifelt – die Kulturerbezerstörung in Bosnien und Herzegovina in der regionalen und internationalen Wahrnehmung. 1488 Riedlmayer, From the Ashes… (2002), 107. 1489 Riedlmayer, Killing memory… (1995); ders.: Convivencia… (2001), 276, 277; ders.: From the Ashes… (2002), 108, 109; ders.: Public sitting… (2006), 24, 25, 30; ders.: Crimes of War… (2007), 116, 117; ders.: Foundations… (2012), 92, 93 etc.
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lich widerspruchsfrei. Auf einer Konferenz in Istanbul im August 1995 erklärte er, dass insgesamt 1.200 Moscheen, über 150 römisch-katholische Kirchen, 4 Synagogen und über 1.000 andere kulturelle Monumente seit 1992 zerstört oder schwer beschädigt worden seien.1490 In der Anhörung im Prozess Bosnien und Herzegovina gegen Serbien und Montenegro gab er 2006 wiederum zu Protokoll, dass mindestens 985 Moscheen sowie 270 römisch-katholische Kirchen und 23 Klöster durch Attacken von „serbischen Kräften“ zwischen 1991 und 1995 schwer beschädigt oder zerstört worden waren. Etwa sechzig Prozent der Moscheen entstammten demnach der Periode der osmanischen bzw. österreichisch-ungarischen Herrschaft.1491 Auf einer weiteren Konferenz in Istanbul im Mai 2012 sprach Riedlmayer wiederum von „mehr als 1200“ Moscheen, wobei jeweils die Zahl der Mesdžid mit inbegriffen zu sein scheint.1492 Man kann ihm die Unbestimmtheit der Angaben schwerlich zum Vorwurf machen. Wie jeder Forscher, der sich ernsthaft mit der Frage des Umfangs der Schäden am kulturellen Erbe in den Postjugoslawischen Kriegen befasst hat, so konnte auch er diesen nicht präzise ermitteln. Die Prozesse in Den Haag brachten das ganze Dilemma der Erfassung des zerstörten Kulturerbes nach dem Ende der Kämpfe in Bosnien und Herzegovina zutage. Von der Verteidigung Serbien und Montenegros befragt, ob er denn in der Lage sei, von den bosnischen Institutionen eine Liste mit zerstörten Moscheen zu erhalten, antwortete Riedlmayer: There is no single official list. […] The problem was that at the end of the war, amidst the crisis of maintaining peace, of resettling the refugees and rebuilding a shattered country, things like inventorying cultural monuments seemed to be very low on the roster of our priorities. Various bodies that collected information tended to have purposes in mind other than doing a global survey. The religious communities were most concerned with obtaining funds for reconstruction and tended to focus on those sites where reconstruction was feasible. The Council of Europe rapporteurs, for example, tended to be interested only in listed monuments, meaning monuments that had been designated for a special legal protection, and so forth. You also had the problem that after Dayton, Bosnia was divided into two separate entities and in those cases that meant that no single body had jurisdiction over the entire country and the Annex 8 Commission, the 1490 Riedlmayer, Libraries… (1996), 82, 87 f. 1491 Riedlmayer, Public sitting… (2006), 17 f. 1492 Riedlmayer, Foundations… (2012), 91.
474 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Commission on National Monuments, which is supposed to look into the documentation and protection of monuments throughout Bosnia, was not functioning for the first six or seven years after Dayton. So, in fact there is no such thing as a single official list; there are many lists of varying degrees of reliability.1493
Die Wirren der Nachkriegszeit waren demnach von anderen, weit existenzielleren Nöten bestimmt als der Ermittlung zerstörten Kulturerbes. Insofern war die Strategie, die Verbrechen auf Seiten der Täter zu relativieren, in Teilen erfolgreich. In den Urteilen gegen Kriegsverbrecher spielte das kulturelle Erbe Kroatiens, Bosniens und Kosovos vergleichsweise selten eine Rolle. Die Neuordnung Bosnien und Herzegovinas mit dem Vertrag von Dayton räumte den Tätern jedoch weitreichende Privilegien ein. Inwiefern die Propaganda- und Verschleierungstaktiken hier eine Rolle gespielt haben, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Neben seinen profunden Studien zu Umfang und Qualität der Zerstörungen hat András Riedlmayer auch eine Zahl von Begründungen und Reaktionen serbischer Verantwortlicher gesammelt. So zitierte er 1995 Branko Grujić, den serbischen Bürgermeister von Zvornik, der gegenüber einer Touristengruppe geäußert hatte: „Es gab niemals Moscheen in Zvornik“1494. Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić hingegen hatte in einem Interview mit der US-amerikanischen Zeitung Newsday vom 30. November 1992 die Beteiligung serbischer Einheiten am Brand der Vijećnica abgestritten. Vielmehr, behauptete Karadžić, hätten die bosnischen Muslime das Gebäude selbst in Brand gesteckt: „because they didn’t like its architecture“1495. Ein kroatischer Milizionär erklärte einem britischen Reporter seinen Versuch, die Stari Most in Mostar zu zerstören: „It is not enough to clean Mostar of the Muslims, the relics must also be removed“1496. Ebenfalls bemerkenswert ist die Aussage des serbischen Polizeichefs von Banja Luka, Simo Drljača, gegenüber Chuck Sudetić in einem Interview am 21. August 1992: „With their mosques, you must not just break the minarets. You’ve got to shake up the foundations because that means they cannot build another. Do that, and they’ll want to go. They’ll just leave by themselves“.1497 Auch die Einlassungen des Chefs des Krisenstabs und Präsidenten der serbischen Gemeinde Sokolac, Milan Tupalić, folgten diesem Begründungsmuster: „There is a belief among the Serbs that if there are no mosques, there are no Muslims. And by destroying the mosques, the Mus1493 Riedlmayer, Public sitting… (2006), 46 f. 1494 Riedlmayer, Killing memory… (1995). 1495 Riedlmayer, Libraries… (1996), 83. 1496 Riedlmayer, From the Ashes… (2002), 110. 1497 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 12.
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lims will lose a motive to return to their villages“.1498 Leugnung oder pseudo-rationale Begründung bilden offenbar eine Kontinuität in den Aussagen zu offensichtlichen Kriegsverbrechen. Wie Kollegen vor und nach ihm äußerte sich auch András Riedlmayer kritisch zur Haltung der internationalen Gemeinschaft angesichts der Zerstörung von Kulturerbe in Bosnien-Herzegovina. Dabei unterschied er die verschiedenen Phasen des Konflikts. 2002 schrieb er in einer Retrospektive: Three and a half years of war and „ethnic cleansing“ in Bosnia, allowed to proceed unchecked by the international community, turned more than half of the country’s four million people into refugees and cost the lives of more than 200,000 men, women and children. […] More than one thousand of Bosnia’s mosques [!], hundreds of Catholic churches and scores of Orthodox churches, monasteries, private and public libraries, archives, and museums were shelled, burned, and dynamited, and in many cases even the ruins were removed by nationalist extremists in order to complete the cultural and religious „cleansing“ of the land they had seized.1499
Als Reaktion auf den bewaffneten Konflikt sah Riedlmayer die internationale Hilfe für die Erfassung und den Wiederaufbau des zerstörten Kulturerbes nur zögerlich in Gang kommen. Er kritisierte vor allem die Fixierung der Organisationen auf augenscheinlich dringendere Aufgaben wie „Unterkunft, Nahrung, medizinische Versorgung“, ohne deren Notwendigkeit zu bestreiten. Er merkte jedoch ebenfalls an, dass die Zerstörung von Kulturerbe ein wesentliches Merkmal der Vertreibung von Ethnien im Bosnienkrieg gewesen sei und sich die Zerstörer der tatsächlichen Bedeutung dessen offenbar besser bewusst waren als bis dahin die internationalen Organisationen. Mit der Unterordnung des Kulturerbes unter vermeintlich dringendere Aufgaben, argumentierte Riedlmayer nicht ganz unbegründet, bestehe die Gefahr, dass das Resultat der Vertreibungen und Zerstörungen durch die internationalen Akteure nachträglich zementiert werde.1500 Dass er mit seinen Befürchtungen durchaus richtig lag, zeigt ein Blick auf die gegenwärtige Situation in der Republika Srpska. Bis heute stellen sich lokale Autoritäten dort, wenn überhaupt, nur unter internationalem Druck der Aufgabe der Wiedergutmachung und der Rekonstruktion des zerstörten Kulturerbes. 1498 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2013), 18. 1499 Riedlmayer, From the Ashes… (2002), 99. 1500 Riedlmayer, From the Ashes… (2002), 111 f.
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Ebenfalls interessant sind András Riedlmayers Überlegungen zu den Ursachen des Konfliktes, die an dieser Stelle lediglich in ihrer Grundaussage erfasst werden können. Wie andere Wissenschaftler weist auch er die These zurück1501, bei den Postjugoslawischen Kriegen habe es sich um das unausweichliche Wiederaufleben eines uralten und in der Region historisch verwurzelten Hasses gehandelt. Dieser Gedanke geht ursprünglich auf Robert D. Kaplans Balkan Ghosts (1993) zurück, auf den Riedlmayer in seinem Widerspruch deutlich Bezug nimmt: Although we have been told that it was „ancient hatreds“ that fueled this destruction, it is not true. The history that has been destroyed, the buildings, the books, and the historical documents, all spoke eloquently of centuries of pluralism and tolerance in Bosnia. It is this evidence of a successfully shared past that exclusive nationalists have sought to erase […]. The „ancient hatreds“ […] are for the most part of recent vintage – not the inevitable outcome of a history marked by endless conflict, but conscious creations of the essentialist ideologies of our own troubled times.1502
Das Nebeneinander verschiedener religiöser Bauwerke, von Moscheen, Kirchen und Synagogen, galt Riedlmayer vielmehr als Ausweis von „centuries of pluralism“1503, einer „langen Tradition des Zusammenlebens in Bosnien-Herzegovina“1504. Er schrieb sogar explizit: „Die Errichtung von Architektur ist ein intentionaler, bewusster, politischer Akt. Menschen, die es nicht nebeneinander aushalten, werden nicht ihre Häuser und wichtigsten Monumente ihres religiösen und gemeinschaftlichen Lebens im Schatten derer der anderen bauen.“1505 Es überrascht, dass Riedlmayer, gut informiert über die Geschichte der Balkanregion sowie ihre symbolischen und tatsächlichen Konflikte, nicht einmal in Erwägung gezogen hat, dass das Nebeneinander der symbolischen Präsenz im Raum auch einen Konflikt auf sublimer Ebene bezeichnen konnte. Auch vergaß er, dass die (einigermaßen) friedliche Koexistenz der sich zumindest als verschieden wahrnehmenden Ethnien und Kulturen jeweils nur unter einer starken Ordnungsmacht bestehen konnte, die den Status quo garantierte. Spätestens das „monumentale Wettrüsten“, dass nach dem Ende der bewaffneten Konflikte wiederum etwa in Mostar und Banja Luka in Bosnien und Prishtina in Kosovo einsetzte, hätte 1501 Vgl. Sundhaussen (2007), 341 f.; Todorova (2009), 119. 1502 Riedlmayer, From the Ashes… (2002), 100, 104; auch ders.: Killing memory… (1995). 1503 Riedlmayer, Killing memory… (1995); ders.: From the Ashes… (2002), 100. 1504 Riedlmayer, Public sitting… (2006), 17. 1505 Riedlmayer, From the Ashes… (2002), 103.
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András Riedlmayer zu denken geben müssen. Eine weniger romantische, dafür stärker differenzierte Darstellung erscheint hier angebracht.
1997: KROATISCHES INFORMATIONSZENTRUM ET AL.: DIE GEKREUZIGTE KIRCHE IN BOSNIEN-HERZEGOVINA
Die durch den Krieg in Bosnien-Herzegovina betroffene katholische Kirche, so ist es bereits dem Titel zu entnehmen, ist im Unterschied zu ihrem kroatischen Pendant nicht lediglich „verwundet“1506, sondern vielmehr „gekreuzigt“. Die Zerstörung von Kulturerbe wird gegenüber der Veröffentlichung Die verwundete Kirche in Kroatien noch stärker religiös verklärt. Die Herausgeber sind im Grunde dieselben. Federführend war erneut das 1991 gegründete Kroatische Informationszentrum. Beteiligt waren außerdem die Kroatische Bischofskonferenz – in diesem Falle Bosnien und Herzegovinas – sowie wiederum der Verband der Auslandskroaten. Auch diese Veröffentlichung besteht wie bereits ihr Pendant zu Kroatien aus zwei Teilen. Einer umfangreichen bebilderten Aufstellung der Schäden an Bauwerken – überwiegend Kirchen und Kapellen – in den verschiedenen Diözesen der Katholischen Kirche Bosnien und Herzegovinas ist ein einführender Teil zu den historisch-gesellschaftlichen Hintergründen der Zerstörung, in der Wahrnehmung der Herausgeber, vorangestellt. Der Text ist in Kroatisch1507, Englisch und Deutsch erschienen. Der etwas über 350 Seiten starke Band ist wie der frühere aufwendig produziert. Er enthält zahlreiche Farbfotografien und Grafiken. Die Botschaft ist einfach und ebenfalls nicht wesentlich verschieden von der früheren Publikation. Die katholische Kirche Bosnien-Herzegovinas, die als identisch mit der kroatischen Bevölkerung des Landes behauptet wird, ist das Opfer dieses Krieges und wird einmal mehr in der historischen Opferrolle, die sie seit ihrem Bestehen innehat, bestätigt. Als notorischer Friedensbote trägt die Kirche darüber hinaus keinerlei Mitschuld am bestehenden Konflikt. Hierin stehen die Einlassungen des Textes im deutlichen Widerspruch zur wesentlich differenzierteren Analyse Buchenaus zur Rolle der katholischen Kirche in der Phase der nationalen Mobilisierung und der Eskalation des Konflikts.1508
1506 Kroatisches Informationszentrum et al. (1996). 1507 Raspeta Crkva u Bosni i Hercegovini. 1508 Buchenau (2004, 2006).
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Abb. 50: Einbandgestaltung der Publikation Die gekreuzigte Kirche in Bosnien-Herzegovina (Ausschnitt). Kroatisches Informationszentrum et al. (1997).
Die grafischen Elemente des Buches und die Argumentation im Text reproduzieren sich gegenseitig. So besteht das Umschlagbild aus der Fotomontage mit einer Christusfigur am Kreuz (Abb. 50). Den Herausgebern zufolge stammt sie aus der zerstörten Pfarrkirche des hl. Joseph in Prijedor. Den Hintergrund bildet der ruinöse Altarraum der ebenfalls zerstörten Kirche des hl. Aloisius im bosnischen Pećnik. Titel und Umschlaggestaltung verweisen aufeinander. Die behauptete Parallelität zwischen der Passion Christi und dem Schicksal der katholischen Kirche Bosnien und Herzegovinas wird im Text in zahlreichen Aussagen wiederholt. Bereits in den vorangestellten Anmerkungen der Redaktion ist vom „Prozess der Kreuzigung der katholischen Kirche in Bosnien-Herzegovina“ die Rede. Die Analogie wird indes weiter strapaziert und auf die bosnischen Kroaten ausgeweitet, denn „[d]ie Wunden an den Kirchenbauten […] können nur in Grenzen die seelischen und körperlichen Wunden der Gläubigen vor Augen führen, für die die Kirchen nicht allein sakrales und kulturelles Erbe, sondern vielmehr Grundbestandteil ihrer Identität sind“. In seinem Vorwort will der Erzbischof der Diözese Vrhbosna, Kardinal Vinko Pulić, wiederum „nicht die Geschichte der Kirche in unserem Lande schildern,
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Abb. 51: „Wie durch ein Wunder unbeschädigt.“ Einbandgestaltung der Publikation Die gekreuzigte Kirche in Bosnien-Herzegovina (Umschlagrückseite, Ausschnitt), Kroatisches Informationszentrum et al. (1997).
auch nicht die Geschichte unseres Elends, sondern vielmehr die Geschichte unserer Kreuzigung“1509. Einmal mehr wird damit behauptet, die Ereignisse in Bosnien ließen keine andere als eine religiöse Lesart zu. Im Ton dieser Aussagen fragt in der Einleitung zum zweiten Teil ein Autor mit dem Namen Petro Sudar: „Wird die lebende Kirche in diesem Land, in dem das Kreuz tief eingepflanzt ist und das blutüberströmt ist wie kaum ein anderes, zulassen, dass sie der Sturm des Bösen für alle Zeiten hinwegfegt?“1510 Die Rückseite des Umschlags bildet wiederum eine Montage aus den Fotografien von religiösen Gemälden und Skulpturen ab – der Kopf der Muttergottes aus einem Marienbild sowie die Figuren Johannes des Evangelisten und Johannes des Täufers –, die „wie durch ein Wunder“ unbeschädigt blieben, während die Kirchenbauten, in denen sie ausgestellt waren, völlig zerstört worden sein sollen (Abb. 51). 1509 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 7. 1510 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 87 f.
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Wie in anderen kroatischen Publikationen fehlt auch hier jede Darstellung der eigenen historischen Schuld und Verantwortung. Vielmehr gelingt es dem katholischen Bischof Tomo Vukšić sogar, auch die Verstrickung seiner Kirche in das Ustaša-Regime als Opfer umzudeuten: Ganz besonderes Leid hatte die katholische Kirche während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar nach Kriegsende zu erdulden. Zahlreiche Gläubige und Priester kamen ums Leben und groß war die Zahl der zerstörten Kirchen und anderer Kulturgüter.1511
Dass die verschiedenen einführenden Texte keine Produkte individueller Intellektualität, sondern vielmehr eine sorgfältig abgestimmte Perpetuierung von immer wieder denselben Antagonismen sind, wird nicht nur in der Analyse der Aussagen deutlich, sondern reicht bis auf die Ebene von einzelnen Formulierungen, die dieser Choreografie peinlich genau folgen, damit jedoch auch als Teil derselben erkennbar werden. So beschließt Tomo Vukšić seinen Beitrag mit dem Satz, Bosnien-Herzegovina sei eben unter anderem auch immer ein Schlachtfeld gewesen, „auf dem […] die katholischen Kroaten zahlenmäßig das größte Opfer brachten.“1512 Bischof Ratko Perić wiederum beendet seinen Überblick über die vergangenen und gegenwärtigen Beziehungen zwischen Katholiken, Orthodoxen und Muslimen in BosnienHerzegovina mit den Worten, die katholischen Kroaten setzten sich unablässig für den Dialog mit den verschiedenen Glaubensgemeinschaften des Landes ein, auch „wenn der Katholizismus mit seinen hehren Grundsätzen in diesem Lande quantitativ stets der Verlierer war“.1513 Im Telos des historischen Opfers der katholischen Kroaten und ihrer Kirche können schließlich auch die Ereignisse im Krieg in Bosnien-Herzegovina gedeutet und als sinnhaft interpretiert werden. Dass die katholischen Kroaten darin selbst nicht schuldig geworden sein können, liegt im Vorbild für diese Meistererzählung, der Leidensgeschichte Christi, begründet. So kommen die systematischen „ethnischen Säuberungen“ kroatischer Truppen und die Zerstörung von bosnischem islamischem Kulturerbe etwa in Mostar, Vitez und Stolac in der Chronologie des Priesters Matko Zovkić zu den Zusammenstöße[n] zwischen Bosniaken und Kroaten in Zentralbosnien im Jahr 1993 nicht vor:
1511 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 14. 1512 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 23. 1513 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 33.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 481
In Mittelbosnien, in der Nähe des Ortes, wo Fra Andjejo Zvizdović im Jahre 1463 Sultan Mohammad II., dem Eroberer Bosniens, die berühmte Ahd-nama (den Freibrief über die Religionsfreiheit der Katholiken) abgerungen hatte, loderten (Ende Januar) bewaffnete Kämpfe zwischen Kroaten und Moslems auf, im Zuge derer die Moslems mehrere kroatische Dörfer niederbrannten.1514
Ein weiterer Gemeinplatz des kroatischen Nationalismus, „eigentlich“ die Bevölkerungsmehrheit in Bosnien und Herzegovina zu stellen, wird auch in diesem Text vorgebracht. Angeblich durch „Proselytenmachermethoden“ der Orthodoxen und Zwangskonversionen der Osmanen wurde die originär katholische Bevölkerung der Region ihrer wahren Wurzeln beraubt. So heißt es, dass einerseits „rund dreißig Prozent der heutigen Serben Bosnien-Herzegovinas von kroatischen Katholiken abstammen“1515. Andererseits wäre es mit der Identität der bosnischen Muslime auch nicht weit her: Auch wenn das heute für manche moslemische und katholische Kreise schwer einzugestehen sein mag, stammt der mit Abstand größte Teil der heutigen Moslems Bosniens und der Herzegovina von islamisierten katholischen Kroaten ab, laut den bereits erwähnten Studien seriöser Historiker […] sogar rund 70 bis 75 Prozent.1516
Neben der katholischen – und damit kroatischen – Identität existierte also historisch keine weitere. Mit dieser Argumentation werden nicht nur die aktuellen Volkszählungen1517, sondern auch das Recht der Bosnier auf ein individuelles Bekenntnis zu einer Identität geleugnet. Hier wird einmal mehr deutlich, wie ähnlich sich die Nationalismen der Kroaten und Serben sind und wie stark sie sich in der direkten Konfrontation aneinander angenähert und gegenseitig beeinflusst haben. Folgerichtig läuft auch die Interpretation der Zerstörung auf die Vernichtung der Identität im Raum hinaus. Kardinal Vinko Puljić erklärte dahingehend: Der Plan, nach dem die Schöpfer der politischen Option der Gebietseroberungen zu Werke gingen, sah als Erstes die Verwüstung und Vernichtung all dessen vor, 1514 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 53. 1515 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 16. 1516 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 20. 1517 Bezogen auf den Zensus von 1991. Vgl. Ramet (1992), 259; Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 334.
482 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen mit dem der Andere und Andersartige seine Anwesenheit bekundete, und das sind in erster Linie sakrale Bauwerke.1518
Und wie Ivo Maroević hat offenbar auch Bischof Pero Sudar ein anthropogenetisches Raumbild tief verinnerlicht: Kirchen und Sakralbauten sind zwar in erster Linie Orte, an denen Menschen ihren Glauben bekennen, bezeugen und auch nähren. Doch zu keiner Zeit und an keinem Ort auf der Welt sind sie das nur allein, vor allem nicht in BosnienHerzegovina. Hier, an dieser Grenzlinie und diesem Schnittpunkt des Verschiedenartigen, waren sie und sind sie – solange sie bestehen – immer Erkennungszeichen und Unterscheidungsmerkmal, Zeichen und Beweis [!] dafür, dass der Mensch, der Gläubige, das Volk und die Glaubensgemeinschaft fest mit diesem Boden verwachsen ist.1519
In dieser Interpretation der Einheit von Volk, Religion und Raum ist implizit auch die Begründung der Zerstörung von islamischem Kulturerbe durch kroatische Einheiten etwa in Stolac und der Morde an Zivilisten enthalten. Im anthropogenetischen Raumbild dieser extremen Zuspitzung hat nichts anderes als das eigene Volk und die eigene Religion eine Daseinsberechtigung. Der verbal vollzogenen Annihilation von kultureller, ethnischer und religiöser Differenz folgt die Zerstörung des Faktischen. Wenn man versucht, die Begriffe Schuld, Täterschaft und Verantwortung im Hinblick auf die Verbrechen der Postjugoslawischen Kriege zu schärfen, wird man um die Analyse solcher Aussagen im Diskurs nicht umhinkommen. Insofern trifft für alle Konfliktparteien zu, was Pero Sudar letztendlich aus den Zerstörungen katholischer Sakralbauten folgert, es jedoch einzig den Gegnern der Kroaten zuschreiben will, dass nämlich die Zerstörer „wussten und wissen, dass sie durch die Zerstörung der Kirchen auf kürzestem Wege die spirituelle Kraft des Volkes, das Bollwerk des Widerstandes, brechen können, und mit der Zerstörung meinten sie alle Hoffnung des Volkes zu ersticken“1520. In dieser Hinsicht sind die serbischen und kroatischen Publikationen, wenn auch unfreiwillig, aufschlussreicher als die vorsichtig im Dunkeln tastenden internationalen Publikationen.
1518 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 8. 1519 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 84. 1520 Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 85.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 483
Der zweite Teil von Die Gekreuzigte Kirche in Bosnien-Herzegovina besteht aus einer nach Bistümern geordneten Aufstellung vorgeblich beschädigter und zerstörter Bauwerke. Dass diese eine Realität des Krieges darstellten, soll durch die kritischen Anmerkungen zur Kontextualisierung der Ereignisse keinesfalls relativiert werden. Es sind insgesamt 579 Objekte und Objektensembles verzeichnet, wobei 203 Strukturen bereits in früheren Dokumenten als beschädigt oder zerstört aufgeführt worden sind.1521 Auch hier scheint kritische Distanz angebracht. Die Angaben stammen zum Teil von katholischen Priestern, zum Teil von Gläubigen, die neben Informationen auch Fotografien beisteuerten, von denen die Herausgeber einräumen, dass ihnen die Namen einiger Bildautoren nicht bekannt sind. Schon obligatorisch ist der Hinweis auf die generell schwierige Informationsbeschaffung: „Materialbeschaffung war nicht nur mühevoll, sondern manchmal auch tödlich. Als ganz besonders schwierig erwies sich, an Angaben aus der Serbenrepublik zu gelangen“.1522 Auch die Angaben in diesem Dokument können weder von den Herausgebern selbst noch von unabhängigen Beobachtern bestätigt werden. Angesichts der offensichtlich auch propagandistischen Intentionen können sie demzufolge nicht als objektive Dokumentation tatsächlicher Verhältnisse gelten. Der Propagandaerfolg, der der Veröffentlichung kurzfristig möglicherweise beschieden war, wird aufgewogen durch den Verlust an Glaubwürdigkeit auf lange Sicht. Anders als die frühere Veröffentlichung enthält die Ausgabe zu Bosnien keine Aufstellung des betroffenen Kulturerbes der anderen Konfliktparteien. Die Herausgeber begründeten das wie folgt: Unser Ziel war es, lediglich die Schäden an katholischen Bauwerken zu verzeichnen. Zu unserem Bedauern mussten wir jedoch feststellen, dass auch zahlreiche Sakralbauten der moslemischen, orthodoxen und jüdischen Bevölkerung Schaden nahmen, aber leider war es uns auch nicht im Entferntesten möglich, zu diesbezüglichen Daten zu gelangen, sodass uns nur zu hoffen bleibt, dass diese Glaubensgemeinschaften selbst einmal ähnliche Monografien über die Schäden an ihren Bauwerken herausgeben.1523
Diese Monografien existierten bereits ebenso wie die Aufstellung der Kriegsschäden durch die bosnischen Denkmalschützer. Es ist schwer vorstellbar, dass diese 1521 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1522 Kroatisches Informationszentrum (1997), Anmerkung der Redaktion. 1523 Kroatisches Informationszentrum (1997), Anmerkung der Redaktion.
484 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
den Autoren und Herausgebern nicht bekannt waren. Zumal sie, wie im Text mehrfach beteuert wird, in ständigem Austausch mit den Vertretern der übrigen Glaubensgemeinschaften standen. Wir können die Aussage also als Schutzbehauptung verstehen, sich nicht mit den Verbrechen kroatischer Einheiten auseinandersetzen zu müssen. Die Botschaft der Herausgeber von Die gekreuzigte Kirche in Bosnien-Herzegovina an ihre Gläubigen bestand letztlich darin, dass ungeachtet der eigenen Schuld ihre Kirche sich vor sie stellen würde. Das jedoch war nicht allein ein Schutzversprechen, sondern vielmehr auch die subtile Forderung nach bedingungsloser Loyalität und der Versuch, über allen politischen Instanzen die Führung der Kroaten sowie die Deutungshoheit über die Ereignisse des Krieges für sich zu beanspruchen. Eine gravierende Folge ist das bis heute nicht nur in Kroatien bestehende Tabu, eigene Schuld zu thematisieren. Sowohl für die katholische Kirche Kroatiens als auch für die Serbische Orthodoxe Kirche waren die Postjugoslawischen Kriege identitätsstiftend. Einmal mehr bemühten diese großen und einflussreichen Institutionen regressiv alte Diskursstrategien. Die Herausgeber etwa der satirischen Wochenzeitung Feral Tribune hatten diesen Trend zeitig erkannt. Mit ihren Berichten unter anderem zur Zerstörung des osmanisch-islamischen Kulturerbes von Stolac durch kroatische Einheiten 1993 und der damit einhergehenden Ermordung der bosnischen Muslime oder der Zerstörung der Stari Most in Mostar ebenfalls durch kroatische Truppen konterkarierten sie den Mythos der kroatischen Schuldlosigkeit und brachten damit das nationalistische Lager in ihrem Land gegen sich auf.1524
1997: SLOBODAN MILEUSNIĆS SPIRITUELLER GENOZID
Die beiden Veröffentlichungen des serbischen Kunsthistorikers Slobodan Mileusnić werden bereits ausführlich im Kapitel zu Kroatien thematisiert. Dort und in den übrigen Ausführungen zu Bosnien-Herzegovina ist deutlich geworden, dass hinsichtlich der Kontextualisierung der Zerstörungen von Kulturerbe die Publikationen der Konfliktparteien ähnlich, in vielerlei Hinsicht sogar identisch waren. Insofern genügt es, an dieser Stelle auf die bisher noch nicht genannten Punkte in Mileusnićs Texten einzugehen, die sich auf die Situation in Bosnien beziehen. Was den Umfang der behaupteten Schäden angeht, führt Mileusnić 1997 374 Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche in Bosnien an. 136 dieser Objekte 1524 Vgl. Kap. 3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben / Postionen in Gegendiskursen.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 485
waren zum Großteil bereits in der ersten Ausgabe des Spirituellen Genozids, einige davon jedoch auch in anderen Studien vermerkt. Ein Vergleich aller verfügbaren Publikationen zum zerstörten und beschädigten Kulturerbe in Bosnien und Herzegovina zeigt, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Objekte der SPC in internationalen Veröffentlichungen genannt wird. Lediglich 31 Objekte – die meisten im Bericht Colin Kaisers vom Januar 1994 – finden sich darin verzeichnet. Was nicht bedeutet, dass sie jemals in situ überprüft worden sind. Die geringe Beachtung, die dem serbischen Kulturerbe in Bosnien und Herzegovina seitens der internationalen Staatengemeinschaft entgegengebracht wurde, konnte auf serbischer Seite als Parteinahme interpretiert werden.
1999: COUNCIL OF EUROPE – SPECIFIC ACTION PLAN FOR BOSNIA AND HERZEGOVINA
Im März 1999 erschien der Specific Action Plan for Bosnia and Herzegovina des Europarats. Er umfasst 702 architektonische Strukturen, die indexikalisch in alphabetischer Reihenfolge gelistet sind. In den ebenfalls enthaltenen statistischen Grafiken sind jedoch wiederum lediglich 526 Strukturen aufgeführt, ohne dass diese Differenz erklärt würde. Auch sind nicht einzig durch den Krieg beschädigte oder zerstörte Bauwerke erfasst, was nahelegt, dass es den Autoren darum ging, einen generellen Überblick über das Kulturerbe Bosnien und Herzegovinas zu gewinnen. Dazu befanden sich zwischen Juni 1997 und August 1998 vier Teams aus bosnischen, belgischen, italienischen und französischen Experten auf Forschungsmissionen in dem Land.1525 Wie aus einem einleitenden Text hervorgeht, waren diese Forschungsgruppen mehr oder weniger stark limitiert in ihren Aktivitäten vor Ort. Verschiedene Lokalitäten und das dort befindliche Kulturerbe konnten nicht besucht werden oder es fehlte ein ortskundiger Führer, der das fragliche Objekt hätte identifizieren können.1526 András Riedlmayer, der das Dokument bereits 2002 erwähnte, konstatierte, dass dessen Daten oft nicht vollständig oder unregelmäßig – „spotty“ – waren. Er bemerkte ebenfalls, dass in einigen Fällen Ausführungen zu Schäden fehlten. Dazu kamen Bilder ohne erläuternde Unterschrift sowie nicht oder falsch identifizierte
1525 Council of Europe (1999), 4 f. 1526 Council of Europe (1999), 1.
486 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Objekte.1527 Ähnlich kritisch äußerte sich Helen Walasek.1528 In der Tat macht die Studie einen konfusen Eindruck. Einige der Datenblätter etwa enthalten gar keine Angaben – sie sind schlicht leer. Die Verfasser begründen das damit, dass zu dem fraglichen Objekt keine Daten erhoben werden konnten, es jedoch der Vollständigkeit halber trotzdem aufgeführt werden sollte. Dazu kommt die nicht erklärte Diskrepanz zwischen 702 gelisteten, jedoch lediglich 526 in der statistischen Visualisierung aufgeführten Objekten. 277 dieser Strukturen lagen in der Föderation Bosnien-Herzegovina. 150 davon galten als intakt, 16 als zerstört und der Rest als mehr oder weniger schwer beschädigt. Von den 249 Objekten in der Republika Srpska waren offenbar 141 intakt, 41 zerstört und die übrigen beschädigt, wobei der Status von 9 Objekten als „unbekannt“ vermerkt ist. Es fällt schwer, irgendein sinnvolles Verhältnis zwischen diesem und den anderen in dieser Arbeit analysierten Dokumenten herzustellen. Weder ist es repräsentativ für die Anzahl der vom Krieg zerstörten Objekte noch für den Umfang des gebauten bosnischen Kulturerbes insgesamt. Seine offensichtlichen Mängel machen es nahezu wertlos für die Erfassung der Kriegsschäden in Bosnien und Herzegovina. András Riedlmayer urteilte zusammenfassend: „a comprehensive, country-wide survey has yet to be carried out“1529. Das gilt heute, 19 Jahre nach der Veröffentlichung des Specific Action Plan, unverändert.
1999: MUHAREM OMERDIĆ – BEITRÄGE ZUR ERFORSCHUNG DES VÖLKERMORDS AN DEN BOSNIAKEN (1992–1995)
Muharem Omerdićs lediglich in bosnischer Sprache veröffentlichter Text Prilozi Izučavanju Genocida nad Bošnjacima fällt nicht grundsätzlich aus dem Rahmen der regionalen Aussagen im Diskurs zur Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen. Er enthält mehr oder weniger stark ausgeprägt dieselben Topoi wie kroatische und serbische Veröffentlichungen. Nichtsdestoweniger weist das Dokument auch einige Gesichtspunkte auf, die stärker mit den Erkenntnissen der Südosteuropaforschung korrespondieren. Omerdić gehört bis heute dem höchsten Gremium der Muslime in Bosnien-Herzegovina, dem Rijaset Islamske Zajednice u Bosni i Hercegovini an. Zwischen 1995 und 2014 war er verantwortlicher 1527 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 21 f. 1528 Walasek (2015), 116 f. 1529 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 4.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 487
Chefredakteur der Jahresschrift Takvim (dt. Kalender) der Islamischen Gemeinschaft. Aus seinem Büro in der Altstadt Sarajevos forscht der Theologe über die Geschichte des Islam in Bosnien und äußert sich regelmäßig in lokalen Medien. Die Zerstörung des osmanisch-islamischen Erbes und die Ermordung der bosnischen Muslime kontextualisiert Omerdić in seinem Buch in einem historischen Zeitrahmen, der von den sogenannten Türkenkriegen im 17. Jahrhundert bis zum Krieg in Bosnien-Herzegovina von 1992 bis 1996 reicht. In dieser etwa 300 Jahre umfassenden Zeitspanne will er insgesamt zehn „Genozide“ an den Muslimen Südosteuropas bzw. den bosnischen Muslimen ausgemacht haben. Ein erster „Genozid“ ereignete sich demnach im Zuge des Gebietsgewinns der Habsburger in Kroatien im Großen Türkenkrieg (1683–1699). In diesen Zeitraum fällt auch die Brandschatzung Sarajevos durch den Feldherren Prinz Eugen von Savoyen 1697. Die Osmanen waren gezwungen, sich aus der Lika, aus Slawonien, Dalmatien, der Hochebene Krbava und der Bucht von Kotor zurückzuziehen. Dabei sei es auch zur Vertreibung der Muslime und der Zerstörung ihres Erbes gekommen. Während der serbischen Aufstände zu Beginn des 19. Jahrhunderts habe sich ein zweiter „Genozid“ ereignet. Einen dritten, vierten und fünften Genozid will er parallel zur wachsenden nationalen Bewegung der Serben und Montenegriner im 19. Jahrhundert ausgemacht haben. Auch hier soll es wiederholt in größerem Umfang zu Übergriffen auf Muslime gekommen sein. Die Einflussnahme Österreich-Ungarns in der Region nach 1878 verbindet Omerdić mit einem sechsten „Genozid“, der die „Germanisierung“ der Bosniaken und die „Vernichtung des bosnischen Wesens und seiner Zivilisation“ mit sich brachte. Der siebte „Genozid“ schließt an die Balkankriege 1912/13 an und brachte wiederum Mord und Vertreibung für die Muslime im Süden der Balkanhalbinsel. Die serbisch dominierte Regierung im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen bzw. des späteren Jugoslawien wird für den achten „Genozid“ nach 1918 verantwortlich gemacht. Im neunten „Genozid“, der Zeit der deutschen Besatzung, sollen die bosnischen Muslime, „abgesehen von den Juden“, das „größte Opfer einer Nation in diesem Krieg“ gebracht haben1530. Den zehnten „Genozid“ schließlich bildeten die gegenwärtigen Morde an Muslimen im Krieg in Bosnien und die Zerstörung ihres Kulturerbes. Ebenso wie einige Aussagen in serbischen und kroatischen Schriften zum beschädigten und zerstörten Kulturerbe ist auch Omerdićs Argumentation nicht völlig aus der Luft gegriffen. Die Zerstörung von osmanisch-islamischem Kulturerbe sowie die Vertreibung und Ermordung von Muslimen in verschiedenen historischen Kontexten wurde weiter oben nachgezeichnet. Ob man diesbezüg1530 Omerdić (1999), 11.
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lich von „Genoziden“ sprechen kann und muss, ist fraglich. Das Problematische an Omerdićs Darstellung ist die Isolierung der Ereignisse aus ihrem historischen Kontext. Schon bei einem ersten oberflächlichen Blick fällt auf, dass hier ein weiterer Opfermythos konstruiert wird, in dem die Muslime Südosteuropas niemals Täter waren. Das wird besonders offensichtlich an der Art, wie Omerdić die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs behandelt. Historisch gesichert ist zumindest die Kollaboration von einem Teil der Muslime in Bosnien und Albanien mit dem UstašaRegime und den deutschen Besatzern. Allein vor diesem Hintergrund wirkt der Vergleich mit der Ermordung der europäischen Juden schief. Offensichtlich ist die Ähnlichkeit zwischen den Ausführungen Omerdićs und den oben zitierten Fragen Hadžimuhamedovićs nach dem Schicksal des osmanisch-islamischen Kulturerbes.1531 Offenbar ist die (außerhalb der Region weitestgehend unbekannte) Deutung der historischen Kontinuität der Verfolgung der Muslime zumindest unter den bosnischen Angehörigen der Glaubensgemeinschaft weit verbreitet. Es ist nicht zweifelsfrei festzustellen, wer den Opfermythos der zehn „Genozide“ der Bosniaken ursprünglich geprägt hat. Jedenfalls scheint er auch in der bosnischen Diaspora bekannt zu sein. Auf der Internetseite des Islamischen Kulturellen Zentrums der Bosniaken in Berlin (Islamski Kulturni Centar Bošnjaka u Berlinu) etwa ist er in leicht veränderter Form unter dem Autorennamen Mustafa Spahić veröffentlicht.1532 Ob dieser mit dem gleichnamigen Autor und Professor der Gazi-Husrev-Beg-Medresse in Sarajevo identisch ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Der zweite Teil des Buches von Omerdić besteht, ebenso wie kroatische und serbische Publikationen, aus einer Aufstellung beschädigter wie zerstörter Bauwerke – in diesem Fall des kulturellen Erbes der bosnischen Muslime. Die nach Orten alphabetisch geordnete Liste umfasst insgesamt 1.622 Strukturen, von denen 850 bereits in früheren Veröffentlichungen, etwa des Denkmalschutzamtes Bosnien und Herzegovinas, erwähnt wurden. Der größte Teil der aufgeführten Objekte sind Moscheen, wobei 534 Moscheen von serbischen sowie 80 von kroatischen Tätern zerstört worden sein sollen. Die polarisierende Aufzählung setzt sich für alle weiteren betroffenen Objekte (islamische Primär- und Sekundärschulen, Mausoleen etc.) fort, wobei die Ausführungen im Hinblick auf die Nationalität der Täter und den Tathergang oft sehr präzise und detailliert sind. Omerdićs Text enthält jedoch, anders als die serbischen und kroatischen Publikationen, keine Angaben zu den Quellen, was die Frage aufwirft, woher derart detaillierte Informa1531 Hadžimuhamedović (1993). 1532 http://www.ikc-berlin.de/ubs/tekstovi/text4.html [22.03.2018].
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 489
tionen stammten. Die Bestimmtheit, mit der Schuldige ausgemacht werden, wird an anderer Stelle konterkariert durch Widersprüche und offensichtliche Fehler (etwa Doppelnennungen von Objekten), wie in den übrigen regionalen Studien zum zerstörten Kulturerbe. Vergleichbar ist die Projektion negativer Identitäten auf die vermeintlichen Täter. Sie werden in der Diktion des regionalen Diskurses als „Faschisten“1533, „paranoide faschistische Monster“1534, „Četniks“1535 oder „Barbaren“ und „Verbrecher“ (zločinci)1536 bezeichnet. Hinter den Zerstörungen sieht Omerdić die Serbische Orthodoxe Kirche historisch und aktuell als religiösen und intellektuellen Einpeitscher verantwortlich und bringt damit die Dimension des Glaubenskampfes in den Diskurs ein.1537 Wiederum sehr detailliert sind seine Angaben zur Nutzung der Flächen im unmittelbaren Anschluss an Zerstörung und Beräumung der vormals dort befindlichen osmanisch-islamischen Bauwerke. So seien an Stelle der Dašnica-Moschee im gleichnamigen Stadtteil Bijeljinas ein Supermarkt, an Stelle der Salih-Beg-Moschee ebenfalls in Bijeljina ein Vergnügungspark,1538 an Stelle der Stadtmoschee (Gradska Džamija) in Bosanska Dubica eine Imbissbude1539 sowie an Stelle der DžedidMoschee (1743) in Janja ein Schrottplatz1540 errichtet oder eingerichtet worden. Diese Angaben werden in den Texten von András Riedlmayer und Helen Walasek bestätigt. Demnach sind die ehemaligen Standorte von hauptsächlich zerstörten Moscheen in verschiedenen bosnischen Städten und kleineren Siedlungen wahlweise als Müllkippe, Busstation, Parkplatz, Autowerkstatt, Flohmarkt, Supermärkte oder als Markt- und Lagerplatz weitergenutzt worden. Anstelle der Moschee in Divić bei Zvornik wurde offenbar sogar eine orthodoxe Kirche errichtet.1541 Auch Muharem Omerdić nutzt zur Klassifizierung der Zerstörungen die im Diskurs gebräuchlichen Begriffe „Genozid“, „Kulturozid“, „Urbizid“ sowie „Memorizid“.1542 Die zugrunde liegenden Theorien zur Kulturerbe- bzw. Städtezerstörung thematisiert er jedoch nicht, so dass die Begriffe als Schlagworte stehen bleiben, deren Bedeutung als bekannt vorausgesetzt wird. Obligatorisch ist auch 1533 Omerdić (1999), 17, 39, 134. 1534 Omerdić (1999), 21. 1535 Omerdić (1999), 70, 134. 1536 Omerdić (1999), 20, 21, 41, 46. 1537 Omerdić (1999), 6, 7, 8, 20. 1538 Omerdić (1999), 33, 34. 1539 Omerdić (1999), 36. 1540 Omerdić (1999), 75. 1541 Riedlmayer, Destruction Bosnia… (2002), 14; Walasek (2015), 162. 1542 Omerdić (1999), 6 f., 16, 21; „Genozid“ dabei so häufig, dass ich keine Auflistung nach Seitenzahlen beifüge.
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der an die internationale Gemeinschaft, insbesondere Europa, gerichtete Vorwurf der Untätigkeit: „Die Welt, vor allem Europa, bleibt blind für das, was sich in diesem unruhigen Land ereignet. Der Schmerz der Bosniaken ist leider nicht der Schmerz der ganzen Welt […]. Die internationale Gemeinschaft hat, beinahe stillschweigend, den paranoiden faschistischen Monstern zugesehen, die die Bosniaken und deren Kultur im Keim eliminieren.“1543 In diesem Kontext ist auch der verzweifelte Versuch zu verstehen, möglichst glaubhaft zu machen, das Kulturerbe der Muslime Bosniens sei auch ein Erbe Europas und der Welt: Die Werke der geistlichen Kultur und Zivilisation der Bosniaken beweisen ihre lange Geschichte in Bosnien-Herzegovina und Europa […]. Das Erbe der Bosniaken ist auch ein Erbe der Welt […]. Das ist nicht nur eine Aggression gegen Bosnien und die Bosniaken, es ist eine Aggression gegen die Zivilisation der Welt, ein Angriff gegen die Menschlichkeit.1544
Bemerkenswert an dieser Aussage ist, dass nach Omerdić die „Werke der geistlichen Kultur und Zivilisation der Bosniaken“, i. e. die zerstörten Bauwerke, „ihre lange Geschichte in Bosnien-Herzegovina und Europa“ beweisen sollen. Diese Formulierung ist inhaltlich identisch mit den Ausführungen der kroatischen Autoren in Die gekreuzigte Kirche in Bosnien-Herzegovina, nach denen die katholischen Sakralbauten „immer Erkennungszeichen und Unterscheidungsmerkmal, Zeichen und Beweis dafür [waren], dass der Mensch, der Gläubige, das Volk und die Glaubensgemeinschaft fest mit diesem Boden verwachsen ist“1545. Omerdić stellt sogar den Zirkelschluss her, indem er den kroatischen Nationalisten Anto Valenta (1937–2013) mit seinen Aussagen zur „tatsächlichen Funktion“ islamischer Bauwerke in Bosnien zitiert. Demzufolge sind die Minarette der bosnischen Moscheen „vielmehr dominante Zeichen, die erklären, dass der Raum unter ihnen den Muslimen gehört, denn ein Teil des religiösen Erbes“1546. Ein weiteres Mal begegnen wir dem offenbar tief verinnerlichten anthropogenetischen Raumverständnis, das eine der wichtigsten Gemeinsamkeiten der Konfliktparteien darstellt. Es kann die Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen sicher nicht erschöpfend erklären, hilft jedoch, sie zu verstehen. 1543 1544 1545 1546
Omerdić (1999), 5, 21. Omerdić (1999), 15, 21. Kroatisches Informationszentrum et al. (1997), 84. Omerdić (1999), 22; Omerdić zitiert Ante Valenta nach Feral Tribune, Split, 21. Juni 1993, 6.
3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in Bosnien-Herzegovina | 491
DER DISKURS UM DIE ZERSTÖRUNG VON KULTURERBE IN BOSNIEN UND HERZEGOVINA – ÜBRIGE
Ebenso wie im Diskurs zur Kulturerbezerstörung in Kroatien existieren auch zu den Ereignissen des Krieges in Bosnien-Herzegovina zahlreiche weitere Veröffentlichungen aus der Region oder dem internationalen Raum. Darunter zählen etwa unter anderem Bildbände wie Miroslav Prstojevićs Sarajevo: Die Verwundete Stadt von 1994 sowie Ursula Meissners und Friedhelm Brebecks fotografische Sammlung Help My aus dem Jahr 1996. Erwähnung verdienen ebenfalls Mehmed Bublins 1999 erstmals aufgelegte zweisprachige (bosnisch, englisch) Publikation The Cities of Bosnia and Hercegovina / A Millenium of Development and the Years of Urbicide, Slobodan Kudras Übersicht der Moscheen Sarajevos von 2006 sowie Rupert Wolfe Murrays gesammelte Augenzeugenberichte in Ifor on Ifor / Nato Peacekeepers in Bosnia-Herzegovina von 1996 und das 1997 von Murray und Steven Gorden herausgegebene The Road to Peace / Nato and the International Community in Bosnia. Auch der 1993 erstmals veröffentliche, seither immer wieder aktualisierte und neu aufgelegte Sarajevo Survival Guide von Miroslav Prstojević sowie Nijazija Koštovićs dreisprachiges Buch (bosnisch, englisch, deutsch) Sarajevo / Das Jerusalem Europas, das nicht nur in Bosnien mittlerweile Kultstatus innehat, gehören in die Reihe dieser Publikationen.1547 Die Zahl der Äußerungen ist, wie bereits ausgeführt, potentiell unendlich, die der Aussagen ist es nicht. Nicht selten reichten die Aktivitäten auch über Beobachtung und Autorschaft hinaus. Im Anschluss an die Ausstellung Urbicide Sarajevo 1993 etwa organisierten deutsche und bosnische Hochschullehrer gemeinsam mit ihren Studenten vom 24. Mai bis 2. Juni 1996 in München einen Post Warchitecture Workshop, in dem sie „Visionen für den Wiederaufbau Sarajevos“ entwickeln wollten.1548 Eine ähnliche Initiative ging etwas später auch von der Bauhaus-Stiftung Dessau im Zuge der Rekonstruktion des kriegszerstörten Mostar aus.1549 Ein weiteres Phänomen ist die ausgeprägte Theoriebildung, die im diametralen Gegensatz zur geschildert dünnen Informations- und Faktendichte steht. So veröffentlichte 2002 der britische Politikwissenschaftler Martin Coward seinen Text Community as heterogeneous ensemble: Mostar and multiculturalism1550, in dem er, auf die Ausstellung Mostar 92 Urbicid rekurrierend, sein Theorem vom Urbizid, 1547 Fama (1993); Prstojević (1994); Brebeck/Meissner (1996); Murray (1996), Murray/Gordon (1997); Kostović (2001); Bublin (2005); Kudra (2006). 1548 Architekturgalerie (1996). 1549 Bittner/Hackenbroich/Vöckler (2010). 1550 Coward (2002).
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dem Städtemord entwickelte. Cowards Theorie ist im Kontext der Veröffentlichungen von Bogdan Bogdanović und Andrew Herscher, mit Einschränkungen auch von Zoran Terzić und Armina Galijaš zu lesen.1551 Die Stärken dieser Arbeiten liegen in ihrer Intellektualität und der elaborierten Theoriebildung. Schwächer hingegen sind sie in der Beschreibung von größeren Zusammenhängen der Kulturerbezerstörung in Verbindung mit der Komplexität der Kriege. Das ist keineswegs auf Unvermögen, sondern vielmehr auf den zum Teil engen Fokus zurückzuführen, den ihre Autoren bewusst gewählt haben. Sabira Husedžinović (1940–2015) hat mit ihren Dokumenten des Überlebens (Dokumenti Opstanka) 2005 einen monumentalen Text zur Geschichte des islamischen Kulturerbes in Banja Luka vorgelegt, der auch Exkurse zum katholischen und orthodoxen sakralen Erbe enthält. Die städtebauliche Vielfalt hat auch Gunzburger-Makaš in ihrem Text zu Zerstörung und Wiederaufbau der Alten Brücke in Mostar im Blick. Die Historikerin Svetlana Rakić hat 2006 einen Text zum Schicksal der vier großen Sammlungen orthodoxer Ikonen in den bosnischen Städten Sarajevo, Tuzla, Mostar und Livno veröffentlicht. Die Bildwerke aus dem Museum der Alten Kirche in Sarajevo teilten das Schicksal anderer Exponate, etwa denen des Zemaljski Muzej – schlechte Lagerung unter Kriegsbedingungen setzte ihnen zu. Nach dem Krieg wurden sie zum Teil mit Mitteln der Vereinten Nationen in Belgrad restauriert. Die Ikonen aus Tuzla wurden nach Bijeljina geschickt und befanden sich 2006 offenbar noch dort. Aus Mostar hingegen wurden die Exponate nach Trebinje ausgelagert, ein großer Teil davon war 2006 restaurierungsbedürftig. Die Sammlung aus Livno wiederum rettete bemerkenswerter Weise ein Franziskanermönch aus der brennenden Kirche und gab sie nach dem Krieg an die Serbische Orthodoxe Kirche zurück.1552 Es bleibt zu hoffen, dass diese detaillierten Forschungen durch weitere ergänzt werden. In ihrem gesamten Umfang sind sie in meiner Analyse nicht zu erfassen. Der knapp vier Jahre andauernde Krieg in Bosnien und Herzegovina kostete 104.732 Menschen das Leben. Zwei Drittel der Opfer waren bosnische Muslime. Bis 2013 hatten noch immer 170.000 bosnische Muslime Flüchtlingsstatus.1553 Die verschiedenen Veröffentlichungen der Konfliktparteien und der internationalen Beobachter führen insgesamt 4.024 beschädigte oder zerstörte Objekte und Objek1551 Bogdanović, Bogdan (1993, 1994, 1997, 2000); Herscher (2010); Terzić (2007); Galijaš (2011). 1552 Rakić (2006). 1553 Zwierzchowski/Tabeau (2010), Smajić (2013), 124.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 493
tensembles in Bosnien-Herzegovina auf. Dazu zählen allein 1.179 Moscheen, 316 Mesdžid, 809 katholische sowie 305 orthodoxe Kirchen, Klöster und Kapellen.1554 Insbesondere unter den Moscheen befinden sich viele Bauwerke aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Neben den religiösen Bauwerken war auch eine große Zahl historischer Wohnbauten aus der osmanischen und der österreichisch-ungarischen Periode von den Zerstörungen betroffen. Insgesamt wurden im Krieg in BosnienHerzegovina demnach zweieinhalbmal so viele Strukturen beschädigt und zerstört wie in Kroatien.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004
Die Zuspitzung der Situation in Kosovo mit den vielfältigen diskriminierenden Maßnahmen gegen die ethnischen Albaner in den 1990er Jahren hatte für eine immer stärkere Radikalisierung dieser Bevölkerungsgruppe gesorgt. Die auf Frieden und Ausgleich bedachte Strategie des kosovo-albanischen Politikers Ibrahim Rugova1555, der am 22. März 1998 zum Präsidenten der kosovarischen Schattenregierung gewählt worden war1556, wurde zunehmend konterkariert durch die Aktionen der sogenannten Befreiungsarmee Kosovos, die Mitte der 90er Jahre den bewaffneten Kampf gegen serbische Sicherheitsorgane aufnahm.1557 Ein Datum für den Kriegsausbruch in Kosovo ist nicht leicht zu bestimmen. Wie weiter oben ausgeführt, verläuft die Grenze zwischen Krieg und Frieden geografisch und phänomenologisch fließend. Eine neue, besonders drastische Eskalation des Konflikts zwischen Serben und Albanern in Kosovo war jedenfalls mit der Belagerung des Bauernhofs von Adem Jashari durch serbische Militär- und Polizeieinheiten im Dorf Prekaz, in der Drenica-Region, nordwestlich der Hauptstadt Prishtina erreicht, die am 5. März 1998 begann (Abb. 52). Jashari, der zur Führungsriege der UÇK gehörte und dem unter anderem Morde an serbischen Polizisten angelastet wurden, hatte sich mit dem Großteil seiner Familie auf seinem Anwesen verschanzt. Dass die serbischen Sicherheitskräfte versuchten, Jashari mit friedlichen Mitteln zur Aufgabe zu bewegen, ist höchst unwahrscheinlich. Der dreitägige Beschuss des Gehöfts kostete 58 Menschen das Leben. Neben Adem Jashari selbst waren unter den Opfern 46 weitere Personen, „die zu Jasharis erwei1554 1555 1556 1557
Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. Vgl. Malcolm (1998), 347; Melčić (2007), 134; Gow (2007), 376. Vetter (2007), 568. Malcolm (1998), 354; Maliqi (2007), 131 ff.; Gow (2007), 376.
494 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Abb. 52: Gehöft Adem Jasharis in Prekaz in der Drenica-Region. Das Anwesen ist im Zustand seiner Zerstörung durch serbische Einheiten vom 5. bis zum 7. März 1998 konserviert. Archiv Tobias Strahl.
terter Familie gehörten. Unter ihnen waren achtzehn Frauen und zehn Kinder im Alter unter sechzehn Jahren“.1558 Der Mord an Jashari und seiner Familie bildete den Auftakt zu umfangreichen Aktionen serbischer bewaffneter Kräfte in Kosovo im Frühjahr und Sommer 1998, die allgemein als Beginn des Krieges in Kosovo aufgefasst werden. Im Gegensatz zu Kroatien und Bosnien-Herzegovina existieren für Kosovo aus der Zeit des Krieges keine mir bekannten Veröffentlichungen seitens albanischer oder serbischer Institutionen über das jeweils eigene zerstörte Kulturerbe. Auch sämtliche internationale Publikationen zu diesem Thema stammen aus der Zeit nach dem Krieg, der offiziell mit dem Militärisch-Technischen-Abkommen von Kumanovo am 9. Juni 1999 zwischen der NATO und Jugoslawien beendet wurde.1559 Einerseits war die Kommunikation in der Region aufgrund der geschilderten politischen und militärischen Maßnahmen gelähmt – mit dem Ausbruch des Krieges kam sie völlig zum Erliegen. Bereits vor dem Krieg waren das Publika 1558 Elsie (2004), 85; vgl. Schmitt (2008), 324, hier ist von insgesamt 54 Opfern die Rede. 1559 Vetter (2007), 572.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 495
tionswesen und die Medienlandschaft Kosovos in keiner Hinsicht vergleichbar mit Kroatien oder Bosnien. Die Guerilla der UÇK war den serbischen bewaffneten Kräften hoffnungslos unterlegen, sie hatte nicht die geringste Aussicht, im direkten Kampf bestehen zu können, geschweige denn, in Gefechten Raumgewinne zu erzielen, die sich unter anderem in Informationshoheit ummünzen ließen. Es gab keinen Ort in Kosovo, der während des Krieges nicht von serbischen Einheiten kontrolliert wurde. Das taktische Vorgehen der UÇK erschöpfte sich in Überfällen und Hinterhalten. Von klassischen Gefechten wie in Kroatien oder Bosnien konnte keine Rede sein. Das strategische Ziel der UÇK, die sich in einen militärischen und in einen politischen Flügel aufspaltete, war die Involvierung des sogenannten „Westens“ – das heißt Europas und der USA. In Anbetracht der serbischen Gräueltaten in Kroatien und Bosnien, die sich in Kosovo mit den Massakern von Reçak, Celinë oder Mejë1560 und den Flüchtlingsströmen in die benachbarten Republiken Albanien und Makedonien zu wiederholen schienen, konnte es schließlich auch erreicht werden. Andererseits war das internationale Interesse an Kosovo und seiner politischen und sozialen Situation bis zum Kriegsausbruch bestenfalls ebenso gering wie jenes an Bosnien-Herzegovina. Noch weniger als Bosnien war Kosovo, geschweige denn das Kulturerbe der Region, bekannt. Ein international populäres Monument wie die Altstadt von Dubrovnik oder die Stari Most konnte die Provinz, etwa halb so groß wie Sachsen, nicht vorweisen. Die Ausgangsbedingungen des institutionellen Denkmalschutzes waren mindestens so schlecht wie in Bosnien. Wenn es Maßnahmen in dieser Hinsicht gab, wurden diese spätestens seit den privremene mere aus Belgrad gesteuert und waren selektiv auf Objekte der Serbischen Orthodoxen Kirche beschränkt. Die internationale Wahrnehmung der Region änderte sich mit dem Ausbruch des Krieges zwar drastisch, jedoch dauerte es geraume Zeit, bis ein Basiswissen über Kosovo aufgebaut und verfügbar war. Am 10. Juni 1999, einen Tag nach dem Abkommen von Kumanovo, nahm der VN-Sicherheitsrat die Resolution 1244 an, mit der die Nachkriegsordnung in Kosovo grundsätzlich geregelt wurde.1561 Mit dem Dokument ermächtigte der Sicherheitsrat einerseits die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen mit einer militärischen Präsenz den Frieden in Kosovo zu sichern.1562 Damit war die rechtliche Grundlage für den Einsatz der Kosovo-Force (KFOR) geschaffen. Andererseits autorisierte der Sicherheitsrat den Generalsekretär – zu diesem Zeitpunkt der aus 1560 Serb. Račak, Celina, Meja. 1561 United Nations / Security Council (Juni 1999). 1562 United Nations / Security Council (Juni 1999), § 7, 9, Annex II, P. 4.
496 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Ghana stammende Diplomat Kofi Annan – eine internationale Übergangsverwaltung zu etablieren, die es den „Menschen Kosovos“ ermöglichen sollte, „substantielle Autonomie innerhalb der Föderativen Republik Jugoslawiens zu genießen“. Dies ermöglichte die Installation der United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK). Als deren primärer Aufgabenbereich waren in der Resolution 1244 der Aufbau von Provisorischen Institutionen der Eigenregierung (Provisional Institutions of Self-Government, PISG) sowie deren anleitende Überwachung festgeschrieben. Die PISG sollten nach dem Mandat des Sicherheitsrates in einem zeitlich nicht eingegrenzten Prozess sukzessive Regierungsmacht und -aufgaben übernehmen.1563 Überdies begrüßte der Sicherheitsrat die Arbeit „Hand in Hand“ mit der Europäischen Union und „anderen internationalen Organisationen“ in Fragen der Wirtschaft und Stabilisation der Region.1564 Als am 12. und 13. Juli 1999 das deutsche Kontingent der KFOR seinen Verantwortungsbereich1565 im Süden der Provinz über Einmarschwege von Makedonien und Albanien erreichte, wurden die Soldaten zunächst mit einer chaotischen Situation konfrontiert. Große Teile des serbischen Militärs, der Spezial- und Polizeikräfte waren noch im Land. Vereinzelt kam es zu Feuergefechten. Im Zentrum von Prizren erschossen deutsche Einheiten zwei serbische Milizionäre, die zuvor angegriffen hatten. Auf dem Dulje-Pass, nur etwa 35 Kilometer nördlich der Stadt, ermordete am selben Tag der russische Söldner Alexandre T. die Stern-Reporter Gabriel Grüner und Volker Krämer sowie deren Fahrer Senol Alit.1566 Mit der Etablierung der internationalen Präsenz und dem Abzug serbischer Truppen rückte die Guerilla der UÇK in die Städte vor. Unter den Augen der deutschen Soldaten begannen die Vergeltungsaktionen gegen serbische Zivilisten. Die überwiegend von Serben bewohnten Häuser im Viertel Potkaljaja am nördlichen Rand des Stadtzentrums von Prizren wurden in Brand gesteckt. Jeden Tag kam eine neue rauchende Ruine dazu. Vor der orthodoxen Kathedrale des hl. Georg (Saborni Hram Svetog Đorđa, 1856) sprengten albanische Extremisten die überlebensgroße Statue des Zaren Stefan Uroš IV. Dušan, beschrieben am Sockel „Car Dušan Silni“ (Zar Dušan der Mächtige). Das Monument war ein erstes Mal am 15. Juni vom Sockel gerissen und durch Soldaten der Bundeswehr mit einem Kran wieder aufgestellt worden.1567 Entlang des Flusses Lumbardhi sammelten sich die Serben Prizrens in einem langen Autokonvoi. Beladen nur mit dem Nötigsten ließen sie den größten 1563 1564 1565 1566 1567
United Nations / Security Council (Juni 1999), § 10, Annex 2, P. 5. United Nations / Security Council (Juni 1999), § 17. Area of Responsibility (AOR). Borgans (2014). Rüb (1999e).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 497
Teil ihres Besitzes in den aufgegebenen Häusern zurück. Als sich der Konvoi in Richtung Serbien in Bewegung setzte, bildete sich im Stadtgebiet Prizrens ein Spalier, von dem aus die vorbeifahrenden Autos mit Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen beworfen wurden. In wenigen Tagen wurden tausende Serben aus Kosovo vertrieben.1568 Die offenbar fehlende Bereitschaft der Führung der deutschen KFOR, die Serben der Region gegen die pogromartigen Ausschreitungen zu schützen, wurde einmal mehr auf drastische Weise deutlich, als im März 2004 ein organisiert vorgehender albanischer Mob wiederum Häuser von Serben zerstörte, serbische Einwohner (nicht nur) aus Prizren vertrieb, mehrere orthodoxe Kirchen beschädigte oder zerstörte sowie das Unterkunftsgebäude in der Ruine des sogenannten „Erzengelklosters“ bei Prizren niederbrannte. Unter den zerstörten Objekten befand sich auch die Kathedrale des hl. Georg im Zentrum der Stadt. Die Beurteilung der anhaltenden mangelnden Bereitschaft der deutschen KFOR, ihren festgeschriebenen Auftrag zu erfüllen und „ein sicheres Umfeld für alle Menschen in Kosovo zu schaffen“1569, ist nicht einfach. Zum einen bestanden auf Seiten der deutschen Militärführung wohl niemals Zweifel über die extremistische Prägung der UÇK, die nach dem Krieg ein Programm von Säuberung und Vergeltung abwickelte und dabei selbst vor extremen Gewalttaten gegen hochverdiente eigene Anhänger nicht zurückschreckte, wie der Mord an dem UÇK-Kommandeur Ekrem Rexha durch die Guerilla gezeigt hat.1570 Ein Grund für die Vernachlässigung des Auftrags duch die militärische Führung mochte der Schutz und die Fürsorge für die untergebenen deutschen Soldaten gewesen sein. So war am Beispiel der Stadt Kosovska Mitrovica im Norden Kosovos, wo Soldaten maßgeblich der französischen KFORTruppe mit hohem persönlichen Einsatz Serben und Albaner auf Abstand hielten – was nicht immer gelang –, sehr früh deutlich geworden, welchen Preis der konsequente Schutz beider Konfliktparteien forderte. Die Überlegungen, die zur quasi geduldeten Vertreibung der Serben aus dem deutschen Verantwortungsbereich geführt haben, mögen also auch pragmatischer Natur gewesen sein. Für die Solda1568 Sundhaussen zufolge sind in den Nachkriegsjahren zwischen 130.000 und 200.000 Serben, Roma und kritische Albaner aus Kosovo vertrieben worden (Sundhaussen, Jugoslawien… (2014), 379 f.). 1569 United Nations / Security Council (Juni 1999), 9 b, c, d und Annex II, 4. 1570 Ekrem Rexha, genannt „Kommandant Drini“, wurde am 8. Mai 2000 vor seinem Haus in Prizren mutmaßlich durch Angehörige der UÇK hingerichtet. 2002 erhob das Bezirksgericht Prizren Anklage gegen die UÇK-Kommandeure Sali Veseli und Habin Haziri (auch Haziraj) wegen des Mordes an Rexha. Das Oberste Gericht Kosovos sprach Veseli im März 2004 frei, nachdem dieser in erster Instanz zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war (I. M. (2015)).
498 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
ten bestand stets die Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten, in den Strudel aus Hass und Gewalt hineingezogen zu werden. Wohl kein deutscher Politiker, noch weniger ein Offizier im Generalsrang, selbst nahe am politischen Getriebe oder auf dem Sprungbrett dahin, hätte ein solches Szenario rechtfertigen können und verantworten wollen. Man kann also eine Mischung aus Überforderung, Fürsorge, Pragmatik und politischen Absicherungsdenkens als Ursache für die Verfehlung des Auftrags der deutschen KFOR in dieser Hinsicht annehmen. Die führenden albanischen Kräfte, die mit der deutschen Kultur allein durch die Arbeitsdiaspora viel besser vertraut waren als jeder deutsche Soldat mit den Besonderheiten Kosovos, wussten um die Schwächen und Bedenken der Militäradministration im deutschen Verantwortungsbereich und instrumentalisierten diese ebenso gezielt wie erfolgreich.
KULTURERBEZERSTÖRUNG IN KOSOVO – SZENARIEN
Für den Krieg in Kosovo in den Jahren 1998 und 1999 sind die Zerstörungs-Szenarien „Terror und Expansion“ sowie „Rückeroberung und Vergeltung“ charakteristisch. Das Szenario „Systematische Auslöschung“, das heißt die „ethnische Säuberung“, die gezielte Tötung und Vertreibung einer Bevölkerungsgruppe und die systematische Zerstörung ihres religiösen wie kulturellen Erbes, die in BosnienHerzegovina zu beobachten war, ist für Kosovo nicht typisch. Das liegt vor allem daran, dass in Kosovo nicht in dem Maße gemischt besiedelte Orte existierten, die nach Ausbruch des Krieges wie in Bosnien unter die Kontrolle einer spezifischen Ethnie geraten wären. Die systematische Tilgung der sichtbaren Spuren der Anwesenheit eines spezifischen Kollektivs nimmt einige Zeit in Anspruch. In Bosnien waren es immerhin fast vier Jahre. So viel Zeit war in dem kurzen schmutzigen Krieg in Kosovo schlicht nicht gegeben. Mit dem Eingreifen der NATO-Truppen und den am 25. März 1999 beginnenden Bombardements gegen serbische Ziele war überdies die systematische Vertreibung der albanischen Bevölkerung, nach einer kurzen Intensivierung, schließlich beendet. Vertreibungen im Szenario „Terror und Expansion“ fanden größtenteils im Westen und Nordwesten Kosovos entlang der Grenze zu Albanien und Montenegro statt. In dieser Region lebten (und leben) fast ausschließlich Albaner. Der serbische Staat hatte dort de facto jeden Einfluss verloren – sieht man von den serbischen Enklaven um Peja und Gjakova1571 ab. Dass dennoch die Vertreibung der 1571 Serb.: Peć, Ðakovica.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 499
albanischen Bevölkerung in dieser Gegend besonders intensiv betrieben wurde, erklärt sich aus der historischen symbolischen Bedeutung Westkosovos. Dort befanden sich unter anderem mit dem Alten Patriarchat von Peć und dem Kloster Visoki Dečani wichtige mittelalterliche orthodoxe Klöster und Kirchen, der die Region von serbischer Seite die Bezeichnung Metohija verdankt. Brisanz hatte aus serbischer Sicht, dass der albanische Widerstand und der bewaffnete Kampf dort besonders stark waren. Auch wurden die albanischen Kämpfer unter anderem von Albanien aus versorgt. Die Re-Serbisierung Kosovos musste also erfolglos bleiben, solange der Westen der Provinz nicht wieder unter serbischer Kontrolle war. Während der serbischen Polizei-, Militär- und Milizenoperationen in dieser Region kam es zu einer signifikanten Zerstörung und Beschädigung von kulturellem Erbe. Betroffen waren größtenteils Moscheen und die traditionellen Wohntürme der Region (kulla) sowie die historischen Stadtzentren, vor allem die Marktplätze in Peja und Gjakova. Zum Szenario „Rückeroberung und Vergeltung“ kam es nach dem Einmarsch der NATO-Truppen Anfang Juni 1999 seitens nationalistischer Albaner. Die systematisch durchgeführten und gut geplanten Operationen mit maßgeblicher Unterstützung der UÇK richteten sich gegen die in Kosovo verbliebene serbische Bevölkerung und deren kulturelles wie religiöses Erbe sowie gegen angebliche Kollaborateure der Serben unter den Roma Kosovos und schließlich auch in den eigenen Reihen. Die Aktionen, die von Juni 1999 bis zu ihrem vorläufigen Höhepunkt während der sogenannten Märzunruhen (17. und 18. März) 2004 andauerten, intendierten die vollständige Vertreibung der letzten in Kosovo lebenden Serben. Die Mittel dazu waren zum Teil subtil, zum Teil offener Terror. Für keinen der anderen Schauplätze der Postjugoslawischen Kriege ist das Szenario „Rückeroberung und Vergeltung“ so ausführlich dokumentiert worden wie für Kosovo. Doch kritische Distanz ist auch hier angebracht. Der Großteil der Berichte über die Sprengung, Brandschatzung und Verwüstung von orthodoxen Kirchen, Klöstern, Kapellen, Priesterseminaren und Friedhöfen stammt von der Serbischen Orthodoxen Kirche selbst oder von Institutionen aus ihrem unmittelbaren Umfeld. Noch viel weniger als in Kroatien und Bosnien-Herzegovina waren internationale Organisationen, allen voran die UNESCO, um die Aufklärung der Zerstörungen bemüht. Dazu kam, dass auch sämtliche Übersichten zum Kulturerbe in Kosovo vor dem Krieg aus serbischen Händen stammten. Das islamische Kulturerbe war darin, wie gezeigt, systematisch marginalisiert oder gar nicht erst erfasst worden. Vor diesem Hintergrund existiert bis heute ein höchst einseitiges Bild der Kulturerbezerstörung in Kosovo. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, es zu korrigieren.
500 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen DER ABTRANSPORT DER DOKUMENTATION DES UNBEWEGLICHEN KULTURERBES KOSOVOS NACH SERBIEN
Am Tag der Unterzeichnung des Militärisch-Technischen-Abkommens von Kumanovo und noch vor dem Eintreffen der NATO-Truppen in Kosovo ließ das Ministerium für Kultur der Republik Serbien die Dokumentation des unbeweglichen Kulturerbes Kosovos von Prishtina in das südserbische Kruševac auslagern (Abb. 53). Mit dem Abtransport der Dokumentation verschlechterte sich die ohnehin ungünstige Ausgangssituation für die Erfassung des beschädigten und zerstörten Kulturerbes dramatisch. Die Kontrolle über dieses politisch-strategisch wichtige Feld blieb auch nach dem Rückzug aus der Region weiter in serbischen Händen. Immerhin wird bis in die unmittelbare Gegenwart der serbische Anspruch auf das Territorium der Republik Kosovo maßgeblich mit dem eigenen Kulturerbe dort argumentiert. Der Text der Bestätigung (Povrda) über den Abtransport der Dokumentation lautet wie folgt: Hiermit wird von Seiten des Provinz-Instituts für den Schutz von kulturellen Denkmälern, Priština, Straße Stefan Dečani Nr. 9, bestätigt, dass im Einklang mit der Anordnung des Ministeriums für Kultur der Republik Serbien (beigeordneter Minister H. Beganišić und V. Tapušković), die Dokumentation über die unbeweglichen Kulturdenkmäler aus dem Territorium Kosovo und Metochiens in das Gebäude des Museums in Kruševac ausgelagert wird. Den Transport der oben genannten Dokumentation führt der Fahrer des Nationaltheaters aus Priština Mijatović Zoran aus Čaglavica L. k. [Lična karta, dt. Personalausweis; T. S.] Nr. 310 385 ausgegeben im Innenministerium Priština mit dem Lastkraftwagen Registriernummer PR – 106278 am 9.-10.06.1999 durch. Die Ausgabe des Arbeitsauftrags und des Fahrauftrags für die Strecke Priština-Kruševac wird erteilt, während er nicht für andere Zwecke gilt.1572
Die Urkunde trägt den Stempel des Provinz-Instituts (Pokrajinski Zavod) für den Schutz von Kulturdenkmälern Priština und ist vom Direktor Stojan Kostić unterzeichnet.
1572 Bestätigung über den Abtransport der Dokumentation des unweglichen Kulturerbes Kosovos aus Prishtina/Priština in die südserbische Stadt Kruševac am 9. und 10. Juni 1999. Archiv Tobias Strahl. Interpunktion im Zitat wie im Original.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 501 Abb. 53: Bestätigung (Potvrda) über den Abtransport der Dokumentation des unbeweglichen Kulturerbes Kosovos aus Prishtina (Priština) in die südserbische Stadt Kruševac am 9. und 10. Juni 1999. Archiv Tobias Strahl.
Damit wurde die Erfassung des beschädigten und zerstörten Kulturerbes in Kosovo für internationale Beobachter und Forscher endgültig für lange Zeit zum „Blindflug“. Zwar existierten in einzelnen regionalen Filialen des Instituts für Denkmalschutz, etwa in Đakovica, Prizren oder Prishtina selbst noch einige Unterlagen, jedoch waren diese Zweigstellen ein Jahrzehnt nach dem Krieg (und darüber hinaus) noch in einem solch schlechten Zustand, dass mit der Erfassung von grundlegenden Daten bei vielen Objekten de facto von vorn begonnen werden musste.1573 Den serbischen Politikern verschaffte die Maßnahme einmal mehr Deutungshoheit und vor allem Zeit. Was die Schäden am Kulturerbe anbelangt, blieben etwa András Riedlmayer und Andrew Herscher, die im Herbst 1999 zu den ersten internationalen Forschern gehörten, neben wenigen Dokumenten lediglich Augenzeugenberichte, Erzählungen und Hörensagen. Institutionen wie die UNESCO und die Europäische 1573 Die Situation bestand auch 2008 noch, wie der Bericht des Europäischen Parlaments zum Stand der Reformen der Kulturerbekonzepte in Südosteuropa im Hinblick auf Kosovo Auskunft gibt: „There is still no complete and comprehensive access to all relevant documentation. The return of archives from Belgrade, together with museum objects, is regarded as a priority in cultural heritage management“ (Council of Europe (2008), 69).
502 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Kommission wiederum waren hauptsächlich auf serbische Informationen angewiesen. Das erklärt die auffällige Konzentration auf das zerstörte und beschädigte Erbe der Serbischen Orthodoxen Kirche, das christliche Kulturerbe Kosovos, auf Seiten der internationalen Organisationen, für die das islamisch-albanische nur am Rande existierte. Die selektive Wahrnehmung, die in den Dokumenten der UNESCO sowie der Europäischen Kommission bestätigt wird, reicht bis auf die Ebene der Aussagen einzelner Wissenschaftler, die deutlich ihre Präferenzen für das christliche Kulturerbe Kosovos erkennen lassen. Nicht unerheblich in diesem Zusammenhang mag gewesen sein, dass auf serbischer Seite gut organisierte Institutionen als Ansprechpartner zur Verfügung standen, die zudem über eine gewisse Zahl an aufwendig produzierten mehrsprachigen Publikationen verfügten. In Kosovo existierten solche Institutionen entweder gar nicht, oder aber sie waren nach dem Krieg und mehr als einem Jahrzehnt der Zerstörung der kosovarischen Zivilgesellschaft in einem solch erbärmlichen Zustand, dass sie schlicht nicht ernst genommen wurden. Allein ein Blick auf die verschiedene Qualität der Publikationen – formal und inhaltlich – auf serbischer und kosovo-albanischer Seite spricht für diese Lesart. Eine, wenn man so will, differenziertere Perspektive, die auch auf das osmanisch-islamische und albanische Kulturerbe Kosovos stärker Bezug nahm, wurde im Grunde lediglich von András Riedlmayer und Robert Elsie vertreten. Die selektive Wahrnehmung bezog sich jedoch nicht allein auf das Kulturerbe Kosovos, sondern auch auf die Aussagen dazu, wie ich im Folgenden zeigen möchte.
DIE PERSPEKTIVE SERBIENS IM REGIONALEN UND INTERNATIONALEN DISKURS ERSTE REAKTIONEN
Ein bestimmendes Thema in der deutsch- und englischsprachigen Tagespresse nach dem Einmarsch der NATO-Truppen in Kosovo Anfang Juni 1999 war die fragile und hochexplosive Lage in der Provinz, in der sich die aus ihren Rückzugsgebieten in die Städte und Siedlungen drängenden UÇK-Kämpfer unter die Zivilbevölkerung mischten, während serbisches Militär und Polizeikräfte noch nicht abgezogen waren. Überdies entdeckten die Soldaten der KFOR regelmäßig neue Hinweise auf Kriegsverbrechen der serbischen bewaffneten Kräfte gegen die albanische Bevölkerung, weshalb der Krieg der vergangenen zwölf Monate ebenfalls weiterhin medial präsent war. Ein weiteres Thema war die mit der Etablierung der NATO-Präsenz unmittelbar einsetzende Vertreibung von Serben und anderen Minderheiten. In der internationalen Berichterstattung hat das konfuse Bild, mit
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 503
dem sich ausnahmslos alle internationalen Kräfte in Kosovo konfrontiert sahen, seinen Niederschlag gefunden.1574 Noch im Juni 1999 berichtete Matthias Rüb von der Vertreibung von Serben in Kosovo und sprach vom „serbischen Exodus“.1575 Am 16. Juni 1999 setzte sich ein Flüchtlings-Konvoi aus Prizren unter der Führung des Bischofs der orthodoxen Diözese Raška-Prizren, Artemije Radosavljević, in Richtung Serbien in Bewegung.1576 Zuletzt hatte der serbische Bevölkerungsanteil etwa zehn Prozent der etwa 100.000 Einwohner der Stadt ausgemacht. Nach dem 16. Juni gab es offiziell keine Serben mehr in Prizren. Zu diesem Zeitpunkt galten insgesamt 23.000 Serben als aus Kosovo vertrieben, am 21. Juni waren es bereits 50.000.1577 Die Artikel etwa in der Süddeutschen Zeitung oder der New York Times waren beinahe wortgleich. Hier berichteten vor allem die Korrespondenten Peter Münch und Steven Erlanger von den Übergriffen und der Vertreibung. Erlanger beschrieb am 5. August 1999 die Vertreibung der serbischen Bevölkerung aus dem Ort Zhiti im Osten Kosovos in der Nähe des Städtchens Gilan.1578 350 Einwohner wurden durch Angehörige des US-amerikanischen Kontingents der Kosovo-Force zur nahe gelegenen Grenze zu Serbien geleitet.1579 Peter Münch wiederum beschäftigte sich am 26. Juli mit der Ermordung von 14 serbischen Bauern in der Ortschaft Gacko.1580 Die FAZ hatte das Ereignis am Tag zuvor zum Thema gemacht.1581 Offenbar waren die Bauern bei Erntearbeiten von bis heute unbekannten Tätern zusammengetrieben und aus nächster Nähe erschossen worden. Einige der Opfer wiesen zudem Wunden auf, die von schweren Gegenständen verursacht worden waren. Am 26. Juni, 14 Tage nach dem Einmarsch der internationalen Friedenstruppe in Kosovo, hatten bereits etwa 100.000 Serben Kosovo verlassen.1582 Von der Beschädigung oder Zerstörung des osmanisch-islamischen und albanischen bzw. des serbischen Kulturerbes war in diesen Tagen wenig bis nichts zu 1574 Etwa in der New York Times, Süddeutschen Zeitung und Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 1575 Rüb (1999b, 1999c). 1576 Sicher nicht zufällig inszenierte sich der medienbewusste Bischof Artemije im Vorbild der Seoba Srba, der Flucht der Serben, in der Nachfolge des orthodoxen Patriarchen Arsenije III. Crnojević, der, nachdem er sich den habsburgischen Truppen auf einem letztlich erfolglosen Feldzug gegen die Osmanen angeschlossen hatte, 1689/90 mit einer Schaar seiner Anhänger aus Kosovo fliehen musste. 1577 Rüb (1999d, 1999e, 1999f.). 1578 Serb.: Žitinje, Gnjilane. 1579 Erlanger (1999d). 1580 Münch (1999b). 1581 Reuters /AFP (1999a) 1582 Münch (1999b).
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lesen. Einzig die FAZ gab am 27. Juli 1999 einen Bericht von Reuters wieder, in dem am Rande auch von der Sprengung der orthodoxen Kirche in Grmovo bei Uroševac die Rede war1583. Viele der von den Übergriffen betroffenen Bauwerke befanden sich in entlegenen Orten und kleinen Siedlungen. Die Sicherheitslage jedoch ließ Monate, in manchen Gegenden Jahre, nach dem Einmarsch der KFOR keine gründliche Erkundung zu. Selbst die field studies des Belgrader MnemosyneInstituts 2001 und 2002 konnten nur unter der Bewachung der KFOR stattfinden.1584 Verlässliche Informationen zum Schicksal des Kulturerbes der Region waren daher lange Zeit rar. Für Beobachter aus Serbien, dazu gehörte auch die Serbische Orthodoxe Kirche, war die Situation in Kosovo nach dem Abzug der serbischen Sicherheitskräfte ungleich komplizierter. Noch Jahre nach Kriegsende konnten Serben, auch Journalisten, Forscher oder Angehörige der SPC, sich nicht frei in Kosovo bewegen, ohne ihr Leben zu riskieren, wenn sie erkannt wurden. In einigen Gegenden des Landes, besonders im Westen Kosovos, etwa in Gjakova, wo serbische Einheiten im Krieg zahlreiche Gräueltaten verübt hatten, gilt das zum Teil bis heute. Daher verfügten auch serbische Medien und die SPC lange Zeit nicht über brauchbare Informationen zum Zustand einzelner Bauwerke – was sie nicht daran hinderte, die wenigen Gerüchte als gesicherte Fakten zu vermitteln. Zwar blieben die alten serbischen Klöster – Dečani, Gračanica, die Ruinen im Bistrica-Tal und das alte Patriarchat in Peć, die unter dem Schutz der KFOR standen –, von Angehörigen der Kirche besetzt, doch waren die Mönche und Priester dort zunächst faktisch isoliert. Dementsprechend vage bleibt auch das Bild, das sich aus Artikeln etwa in der Politika oder der Pravoslavlje zum Zustand des serbischen Kulturerbes in Kosovo unmittelbar nach Kriegsende gewinnen lässt. Darin finden sich vielmehr Versatzstücke von Mythen sowie bekannte und weniger bekannte Verschwörungstheorien vermischt mit Gerüchten. Die Journalistin Mirjana Kuburović berichtete am 19. Juni 1999, sieben Tage nach dem Einmarsch der internationalen Streitkräfte, aus dem Kloster Dević bei Skenderaj1585 in der Politika, dass das Frauenkloster, nachdem es ausgeraubt und die Schwestern „gefoltert und gedemütigt“ wurden, nun endlich durch die französische KFOR bewacht werde. Zuvor seien Albaner mehrfach in das Kloster eingebrochen, hätten den Altar der Klosterkirche zerstört und den Schrein mit den 1583 Reuters (1999b). 1584 Mnemosyne (2003). 1585 Serb.: Srbica
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Reliquien des heiligen Joanikija von Dević zerbrochen. Sie zitierte aus einer Mitteilung der SPC, dass die „Nonnen in Devic mehrtägiger grausamer Folter ausgesetzt waren, vergleichbar der aus der Zeit des heidnischen römischen Imperiums, sie wurden geschlagen, malträtiert und erniedrigt..., aber mit übermenschlicher Anstrengung haben sie ihr Kloster erfolgreich verteidigt“1586. Des Weiteren wies sie darauf hin, dass das Kloster bereits zur „Türkenzeit“ einmal zerstört worden sei. Schließlich verwies sie auf Slobodan Mileusnić, der über die Zerstörung des Klosters durch „Arnauten“1587 im Zweiten Weltkrieg berichtete. Trotz der sich hier bereits abzeichnenden propagandistischen Inszenierung waren die Übergriffe auf das serbische Kulturerbe unmittelbar nach Kriegsende ernst zu nehmen. Interessant sind die Widersprüche des Artikels von Kuburović zu anderen in dieser Ausgabe der Politika. In Texten etwa, in denen die Vertreibung der Serben aus Kosovo thematisiert wird, werden die Leser zum Bleiben aufgefordert. Ein Appell richtet sich an die „Arbeiter der Region, an ihren Arbeitsplätzen zu bleiben“1588. Ein anderer Artikel verkündet „deutliche Zeichen der Erleichterung und Ermutigung für Serben in Kosovo“1589 – die Realität in der Provinz war eine andere. An anderer Stelle heißt es: „Aushalten ist Überleben“1590. Und schließlich postuliert eine Tanjug-Meldung: „Das Ziel der Desinformation sei die Vertreibung der Serben“1591. Glaubwürdig waren die Durchhalteparolen nicht und überdies auch schlecht zu vermitteln – hatte sich doch mit Bischof Artemije das geistliche (in vielerlei Hinsicht auch geistige) Oberhaupt der Serben in Kosovo bereits Mitte Juni nach Serbien abgesetzt. Den Hintergrund der Aufforderung zu bleiben bildete die Erkenntnis der innenpolitisch stark unter Druck geratenen serbischen Regierung unter Milošević, dass ihr Interesse an Kosovo ohne serbische Bevölkerung dort schlecht zu argumentieren sein würde. Die Serben der Provinz wurden (und werden immer noch) als Verhandlungsmasse instrumentalisiert. Ebenfalls im Juni begann der serbische Autor Mišo Todović die Serie Denkmäler serbischen Kulturerbes im Ziel der Aggressoren (Spomenici srpske kulturne baštine na metu agresora) in der Politika zu veröffentlichen. Fakten zu der tatsächlich in Kosovo sich ereignenden Beschädigung und Zerstörung dieser „Denkmäler serbischen Kulturerbes“ konnte Todović jedoch keine beibringen. Seine Artikel prä1586 1587 1588 1589 1590 1591
Kuburović (1999). Historisch Synonym für Albaner. M. N. (1999). Tanjug (1999c). Tanjug (1999d). Tanjug (1999b).
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Abb. 54: Jüngstes Gericht (Strašni sud), Fresko, Detail, Klosterkirche Visoke Dečani, Westportal. Politika, 22. Juni 1999.
sentierten vielmehr eine Mischung aus (kunst)historischen Hintergrundinformationen zu serbischen Klöstern, die, anders als er behauptete, zu keiner Zeit von Zerstörungen betroffen waren, Verschwörungstheorien und religiöser Verklärung der Ereignisse in Kosovo. Im ersten Artikel seiner Serie mit dem Titel Jüngstes Gericht und Angriff aus dem Himmel versuchte er sich an der Interpretation eines mittelalterlichen Freskos in der Kirche des Klosters Visoki Dečani vor dem Hintergrund der Ereignisse in Kosovo (Abb. 54). Todović unterstellt dem anonym gebliebenen Künstler, der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Klosterkirche Dečani ausmalte, unter anderem, prophetische Fähigkeiten: Als der anonyme serbische Maler das Kloster Visoki Dečani ausmalte (um 1335) und dabei auch das Fresko „Kreuzigung und Jüngstes Gericht“ schuf, mit einem Detail, in dem sich kleine menschliche Figuren in einer ungewöhnlichen kleinen Rakete [Raketolike im Original; T. S.] befinden, einer abgerundeten Hülle, von
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der Strahlen ausgehen, war er entweder hellsichtig oder er konnte sich im Traum nicht vorstellen, dass dieses Flugzeug fast sieben Jahrhunderte später über dieser prächtigen Stiftung des serbischen Königs, aber auch über anderen Orten Serbiens und Montenegros kreisen und tausende Tonnen Explosivkörper aus sich entladen und abwerfen würde, die das Herz und die Seele unserer Nation zerstören. Ein Jüngstes Gericht, das schlimmer nicht sein könnte!1592
Indem Todović die Ereignisse mit einer religiösen Deutung überfrachtete, erteilte er ihrer objektiven Beschreibung und Erklärung implizit eine Absage. Die Bombenangriffe der NATO gegen Serbien verklärte er zum Jüngsten Gericht; was geschah, war göttlicher Wille – eine der üblichen Deutungen im serbischen Opfermythos. In diesem Kontext ist auch der von Hybris gekennzeichnete Vorwurf zu verstehen, die Weltgemeinschaft führe nichts weniger als die Auslöschung der serbischen Nation und Kultur im Schilde. Dinge dieser Art haben die Sämänner des Todes der Welt und die Kirchenzerstörer angegriffen, weil sie wissen, dass sie damit an die Erinnerungen unserer Vorfahren rühren und diese schmerzlich verwunden, das geistliche und kulturelle Erbe, dessen sich die Aggressoren nicht rühmen können. Es ereignet sich, was niemand von uns annehmen konnte, dass es passieren würde – der jugoslawischen und serbischen Nation wiederholt sich die Tragödie früherer Zeiten und unsere Kulturdenkmäler sind wieder Ziel barbarischer Angriffe.
Todović erweckt den Anschein, dass auch das Kloster Dečani angegriffen worden wäre. Seine tendenziöse Darstellung lässt außerdem anklingen, es habe sich um einen absichtlichen Angriff auf Kulturerbe gehandelt. Das jedoch entspricht nicht den Tatsachen. Das Kloster ist zu keiner Zeit Ziel eines Angriffes weder der UÇK noch der NATO gewesen, wie nicht allein die Untersuchungen der UNESCO wenig später belegten. In einem weiteren Artikel Vreme razara sporije od ljudi (Die Zeit zerstört langsamer als Menschen)1593 verfährt Todović nach demselben argumentativen Muster, erweitert den Fokus jedoch vom einzelnen Objekt – dem Kloster Dečani – auf Kosovo insgesamt. Erkennbar verfolgt er das Ziel, den „serbischen Charakter“ Kosovos nachzuweisen. Zu diesem Zweck führt er eine „Karte“ ein (Abb. 55), die
1592 Todović (1999a). 1593 Todović (1999b).
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Abb. 55: „Berühmte architektonische Zeichen einer inspirierten Nation: Im Raum Kosovo und Metohija wurden insgesamt 1300 serbische Klöster, Kirchen, Einsiedeleien Festungen und Friedhöfe errichtet“. Politika, 23. Juni 1999.
beweisen soll, dass das serbische Kulturerbe in der Region „[…] annähernd 1300 Klöster[…], Kirchen, Einsiedeleien, Friedhöfe[…] und Festungen“ umfasst.
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Die Bedeutung dieser „Karte“ ist alles andere als marginal. Sie stellt den Versuch dar, mündliche und schriftliche Aussagen zum „serbischen Charakter“ Kosovos grafisch zu beweisen und ihnen damit größere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sie ist in dieser Form oder in Varianten in zahlreichen serbischen Publikationen zu Kosovo abgebildet. Ein erster naiver Blick darauf erweckt den Eindruck, Kosovo sei dicht an dicht mit serbischen Kulturdenkmälern im Wortsinn „besetzt“. Zwischen den Kirchen, Klöstern, Kapellen und Friedhöfen scheint gar kein Platz mehr zu sein für andere als serbische Bauwerke. Die Grafik ist auf die Überwältigung des Betrachters angelegt. Der Behauptung von 1.300 Monumenten im Text und in der Bildunterschrift wird sie – wenn man sich die Mühe macht nachzuzählen – jedoch nicht gerecht. Sie enthält lediglich 393 Symbole, die auf Monumente verweisen. Das jedoch ist die Regel. Mir ist keine Publikation bekannt, in der eine der zahlreichen Varianten dieser „Karte“ mit einer Legende versehen wäre, anhand derer man konkrete Objekte, Bauwerke, Strukturen identifizieren könnte. Selbst die Variante, die meiner Kenntnis nach über die meisten Details verfügt, die ich von der damaligen stellvertretenden Ministerin für Kosovo und Metohija Kruna Kaličanin 2011 in Belgrad erhielt und die von der Serbischen Orthodoxen Kirche herausgegeben wurde1594, enthält keine Objektbezeichnungen (und überdies lediglich 1.013, nicht 1.300 Strukturen). Hier stoßen wir wiederum auf ein äußerst unscheinbares, gleichwohl wichtiges semiotisches Detail. Wenn wir eine topografische Karte als ein komplexes Zeichensystem verstehen wollen, in dem die Einzelsymbole (Signifikanten) auf konkrete Orte oder Gegenstände (Signifikate) verweisen, dann ist diese „Karte“ des „serbischen Kosovo“ nicht das, was sie vorgibt zu sein. Eine Beziehung zu realen Gegenständen kann für die Mehrzahl ihrer Kartenzeichen nicht hergestellt werden. Auf was aber verweisen sie dann? Die Antwort ist ebenso trivial wie verblüffend. Hier ist nicht Kosovo – wie wir es zu Fuß oder im Fahrzeug entdecken können – abgebildet, sondern vielmehr die serbische Imagination der Region, eine Vorstellung, die ihrerseits wiederum ein kollektives Symbol ist. Die „Karte“ Kosovos in serbischen Publikationen hat tatsächlich die Funktion einer Ikone mit transzendentem Signifikat. Ihren Gegenstand kann man anbeten – real erfahren kann man ihn nicht. In der Pravoslavlje erschien am 15. Dezember 1999 der Text Vapaj Srba Kosova i Metohije (Schrei der Serben Kosovos und Metohijas)1595, als dessen Autoren zwei Mönche mit den Namen Stefan Metohijac und Hariton Kosovac firmierten. Er wurde später auch auf einer Internetpräsentation der Serbischen Orthodoxen 1594 Informativna Služba Srpske Pravoslavne Crkve (2003). 1595 Metohijac/Kosovac (1999).
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Kirche veröffentlicht.1596 Dort ist allerdings der ultranationalistische Bischof der orthodoxen Diözese Zahumlje-Herzegovina Atanasije (Zoran) Jeftić, der auch zu den Unterzeichnern des 1982 veröffentlichten Appells zum Schutz der serbischen Bevölkerung und ihrer Heiligtümer gehörte, als Autor angegeben, was Zweifel an der realen Existenz der mit allzu passenden Namen versehenen Autoren Stefan Metohijac und Hariton Kosovac aufkommen lässt. Der Schrei der Serben Kosovos ist als Gebet verfasst, in dem Gott mehrfach direkt angesprochen wird. Dabei gibt das Gebet vor, die Situation in Kosovo zu erklären. Gleichfalls ist es als Bitte um Erlösung formuliert, als „Weckruf “ für den „Gott unserer Väter“. Es leitet ein: Gesegnet seist du, Herr, Gott unserer Väter, und gerecht sind alle deine Werke, und wahrhaftig bist du in allem was du tust, und recht sind alle deine Straßen, und gerecht sind deine Urteile und erlösend.
Die Situation in Kosovo wird auf den Zorn Gottes zurückgeführt, der die Serben strafe: Wahrhaftig und gerecht sind die Urteile, und die Sühne erlösend, die du uns tust in allem, was Du tust, und was Du uns auferlegst, und unserer Nation und unserem Land, für unsere Sünden. In deiner Wahrheit und Gerechtigkeit hast du uns in die Hände der gesetzlosen Feinde gegeben, der verhassten Abtrünnigen und gottlosen Landesgenossen, und uns fremden ungerechten Herren versklavt, und den finstersten Tyrannen der Welt. Du zürnst und wir sündigen, sagte einer deiner Diener in alter Zeit. Uns jedoch gebührt es vielmehr zu sagen: Wir sündigen und du zürnst deswegen. Und tatsächlich sündigen wir, und verhalten uns gesetzlos und entfernen uns von dir und deinem Testament; wir gehen fehl in allem, deinem rettenden Gebot lauschen wir nicht, weder halten noch zügeln wir uns, wie du es uns zu unserem Besten geboten hast.
Worin die Sünde der Serben bestehen soll, wird nicht explizit erklärt. Die vier unter Slobodan Milošević vom Zaun gebrochenen Kriege, die Vertreibungen und Morde in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo jedenfalls sind nicht gemeint. Vielmehr wird implizit deutlich, dass es ein Verrat an der orthodoxen Tradition, an der historischen Sendung der Serben allgemein ist, auf die der Text anspielt.
1596 Vgl. https://www.rastko.rs/bogoslovlje/atanasije-vapaj.html [27.03.2018].
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Unsere Trauer verdreifacht sich und wir sagen unter Tränen: Wie lange wirst du uns vergessen, Herr, wie lange davon absehen, dich für dein Erbe zu wappnen? Steh auf, Herr, warum schläfst du, warum hast du dein Gesicht von uns abgewandt? Und noch einmal: Steh auf Herr, hilf uns im Namen deiner Werke. Und so fahren wir immer weiter fort und erhalten doch von nirgendwo Hilfe. Weil, Herr Höchster und Alles Sehender, wir zurzeit weder einen Fürsten unter uns haben, noch einen Führer, noch einen unverfälschten Serben; weder gibt es ein Opfer, rein und unverdorben, noch eine Gabe von einem Herzen, recht und fest.
Der Text des Gebets integriert eine Situationsbeschreibung, die sich explizit auf zerstörtes serbisches Kulturerbe bezieht: Deine Tempel in unserem Land sind geschändet und niedergebrannt, die heilige klösterliche Familie ist hinfort gewaschen und zerstört. Die heiligen Kreuze und Ikonen deiner Fürbitter und Märtyrer sind zerbrochen zuerst unter den Füßen der einheimischen Gottlosen und später auch denen der fremden Heiden und Besatzer. Und heute, wie zu türkischen Zeiten, in diesem heiligen Land der altehrwürdigen Stiftungen unserer Väter „breitet Christus einzig in der Kirche seine Hände schützend aus, wartend auf eine Herde, die nicht mehr existiert“. Und sie existiert nicht mehr, weil deine Herde betrogen und verkauft ist, den Wölfen überlassen, in die Hände von Unmenschen gegeben, Eindringlingen und Eroberern, verkauft als nichts anderes als Sklaven, ausgesetzt der Gnade und Ungnade herzloser Fremder und verbrecherischer arnautischer Unterdrücker.
Der Text des Gebets operiert demzufolge mit historischen Anspielungen, die sowohl die osmanische Herrschaft als auch die mittelalterlichen Kreuzzüge in einer freien Assoziation zitieren. Auch eine Anspielung auf die Amselfeldschlacht von 1389 fehlt nicht. Sie wird mit den Zerstörungen serbischer Kirchen und Klöster der Gegenwart korreliert. Zeit ist aufgehoben. Die Geschichte ist ein statischer Zustand, in dem alle Dinge gleichzeitig präsent sind. Die Bilder variieren formal, sind inhaltlich jedoch dieselben. Die serbische Nation ist – wie alle anderen Akteure – auf die immergleiche Rolle festgelegt. Der denkbar einfache Plot ist der Mythos von Gut und Böse. Augenfällig ist, dass sich Beschreibung, Begründung und Interpretation der Situation in Kosovo in den Artikeln von Kuburović, Todović und schließlich der Pravoslavlje nicht grundsätzlich unterscheiden. Unstrittig erscheinen die einzelnen Elemente im „Gebet“ der Pravoslavlje drastischer formuliert und dramatisch zugespitzt, grundsätzlich vorhanden sind die verschiedenen Stereotype jedoch in
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allen Texten – etwa die religiöse Interpretation der Vorgänge, die Betonung der Kontinuität der serbischen Opferrolle, die implizite Verweigerung einer rationalen Interpretation der Ereignisse, der Vorwurf an die Albaner Kosovos und die NATO-Truppen (verbunden mit deren Verunglimpfung). In dieser konfliktfreien Monotonie spielen die Äußerungsmodalitäten, das heißt die persönlichen und institutionellen Voraussetzungen der sich Äußernden, kaum mehr eine Rolle. Als wären sämtliche Reibungspunkte, alle Kontroversen, die im Diskurs zwischen verschiedenen Individuen und Institutionen für gewöhnlich bestehen, aufgehoben. Diese homogene Geschlossenheit ist ein grundlegendes Merkmal der Diskurse aller Konfliktparteien zur Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen.
STAATLICH ORGANISIERTE DESINFORMATION: FEDERAL REPUBLIC OF YUGOSLAVIA, FEDERAL MINISTRY OF FOREIGN AFFAIRS: NATO CRIMES IN YUGOSLAVIA / DOCUMENTARY EVIDENCE / 24 MARCH – 24 APRIL 1999 UND NATO CRIMES IN YUGOSLAVIA / DOCUMENTARY EVIDENCE / 25 APRIL – 10 JUNE 1999
Die Reaktionen der serbischen Öffentlichkeit, darunter auch die hier ausgewerteten Texte in der Politika und der Pravoslavlje, waren maßgeblich beeinflusst durch zwei Publikationen, die das serbische Außenministerium im Mai und Juli 1999 veröffentlicht hatte. Mit den sogenannten Weißbüchern der NATO-Aggression gegen Jugoslawien bezichtigte die serbische Regierung 19 NATO-Mitgliedstaaten schwerer Verstöße gegen internationales Recht, etwa der Verletzung der Genfer Konvention und deren Zusatzprotokolle. Die Zerstörung und Beschädigung von Kulturerbe bildete einen wesentlichen Teil der Vorwürfe.1597 Die Weißbücher bestehen aus zwei zweibändigen Werken. Das erste umfasst eine Sammlung von internationalen Dokumenten (UN, Rotes Kreuz, OSZE etc.), die die behauptete Aggression der NATO gegen Jugoslawien belegen sollen1598, das zweite, Gegenstand der folgenden Analyse, beinhaltet eine Dokumentation (documentary evidence) von angeblich durch die Luftangriffe des Militärbündnisses beschädigten oder zerstörten Bauwerken in Serbien und Kosovo. Der erste Band behandelt den 1597 Die englischen Texte fanden schnell international Verbreitung. Heute werden sie in zahlreichen Bibliotheken weltweit vorgehalten. Überdies sind sie etwa hier zum Download verfügbar: http://www.beoforum.rs/en/books-belgrade-forum-for-the-world-ofequals/232-white-books-nato-aggression-nato-crimes.html [27.03.2018]. 1598 Federal Republic of Yugoslavia (Mai 2000).
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Zeitraum vom 24. März bis 24. April, der zweite die Angriffe vom 25. April bis 10. Juni 1999.1599 Im Vorwort zum ersten Band erklärte der damalige serbische Außenminister Živadin Jovanonić, die NATO betreibe eine erbitterte anti-jugoslawische Propagandamaschine, die ihre „Massenverbrechen“ gegen die jugoslawische Zivilbevölkerung verdecken solle. In den meisten Staaten seien deswegen keine „wahren Informationen“ über die Verbrechen der NATO in Jugoslawien verfügbar.1600 Die Weißbücher vertraten demnach einen Wahrheits- und Aufklärungsanspruch gleichermaßen. Die Autoren und Herausgeber hatten sich für eine Gliederung nach Art der betroffenen Ziele entschieden. So existierte neben Kapiteln zur Bombardierung von medizinischen Einrichtungen oder der Bombardierung von ökonomischen Einrichtungen auch ein Abschnitt zur Bombardierung von kulturellen Monumenten. In diesem Kapitel werden im ersten Band auf 13 Seiten beschädigte und zerstörte Objekte in Serbien und Kosovo aufgezählt. Beispielsweise sei das Kloster Rakovica in Belgrad am 24. März „starken Detonationen“ ausgesetzt gewesen, die „Stützwälle“ und „Widerlager“ „geschwächt“ haben.1601 So oder ähnlich werden etwa 70 Objekte und Objektensembles beschrieben, darunter andere Kirchen und Klöster in Belgrad, der Fruška Gora sowie einige historische Stadtzentren, etwa in Novi Sad oder Kragujevac. Die Standardformel für die in dem Dokument aufgeführten Kirchen und Klöster lautet, dass diese durch Bombardements „erschüttert“ (shaken) worden wären. Darüber hinaus sind die Formulierungen vage und mehrdeutig gehalten. Es lässt sich nicht präzise ausmachen, ob ein Bauwerk durch den Treffer eines NATO-Geschosses tatsächlich beschädigt wurde oder ob es vielmehr von der Detonationswirkung gegen andere Ziele gerichteter Waffen betroffen war. Wie vergleichbare Publikationen serbischer, kroatischer oder bosnischer Herausgeber entbehrten auch die Angaben der Weißbücher nicht jeder realen Grundlage. Die internationale NGO Amnesty International ging den Vorwürfen bereits im Juni 1999 nach. Bereits vor diesem Hintergrund war die Aussage des Außenministers, es gäbe im internationalen Rahmen keine „wahren Informationen“, nicht haltbar. Der Bericht von Amnesty International führt neun Ereignisse auf, bei denen das Militärbündnis mit seinen Angriffen gegen die Artikel 51, 52 und 57 des Zusatzprotokolls I der Genfer Konventionen verstoßen hatte.1602 Zu zivilen Opfern 1599 Federal Republic of Yugoslavia (1999, I, II). 1600 Federal Republic of Yugoslavia (1999, I), XIII. 1601 Federal Republic of Yugoslavia (1999, I), 215. 1602 Schutz der Zivilbevölkerung, allgemeiner Schutz ziviler Objekte und Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff. Amnesty International (2000); vgl. Genfer Abkommen (1949) und Zu-
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war es bei den Angriffen auf einen Bus bei Prishtina am 1. Mai oder die Chinesische Botschaft in Belgrad am 8. Mai 1999 gekommen. Einen Verstoß gegen Artikel 53 des Zusatzprotokolls I der Genfer Abkommen (Schutz von Kulturgut und Kultstätten) kann die Untersuchung von Amnesty International nicht nachweisen. Am 2. Juni 2000 teilte die damalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs Carla del Ponte mit, dass sie keine Ermittlungen gegen die NATO wegen der serbischen Vorwürfe aufnehmen werde. Der Strafgerichtshof hatte überdies einen Untersuchungsausschuss zur Rechtskonformität der Luftangriffe im Allgemeinen eingesetzt. Dieser Ausschuss erklärte, „die NATO habe mit den Angriffen auf Jugoslawien nicht gegen Völkerrecht verstoßen“1603. Ohne Zweifel waren die Verstöße gegen internationales Recht während der Luftangriffe in einzelnen Fällen gravierend. Unstrittig ist auch, wie die Untersuchung von Amnesty International belegt, dass die Führung der NATO Operation Allied Force versuchte, ihre Verstöße gegen internationales Recht zu verschleiern bzw. zu relativieren. Eine besondere Absicht, zivile Ziele und das Kulturerbe der Republik Serbien zu zerstören, lässt sich jedoch nicht erkennen. Im starken Kontrast zum Wahrheits- und Aufklärungsanspruch der Weißbücher steht deren offensichtlich propagandistischer Charakter, der sich anhand falscher Aussagen leicht aufzeigen lässt. Eine der eklatantesten Inszenierungen betrifft das historische Stadtzentrum von Gjakova (Djakovica) im Westen Kosovos. Dazu heißt es im Dokumentationsteil: „The old city center was heavily damaged by the daytime bombing on 10 April and was destroyed by bombardment on the night of 14/15 April“1604. Ähnlich lauten die Angaben zum historischen Stadtzentrum von Peja (Peć): „The old city center was bombed during daytime on 10 April, and after a series of repeated bombings of Peć, on the night of 14/15 April the old city center was heavily damaged“1605. Hier ist zunächst die Übereinstimmung der Daten augenfällig. Nach der Darstellung der Weißbücher hatte die NATO an identischen Tagen und in denselben Nächten zwei historische Stadtzentren ohne jeden militärischen Wert bombardiert und zerstört. Ebenfalls durch die NATO zerstört worden sein sollen einerseits die Tabački Most1606 sowie andererseits die Gazi-Mehmed-Pascha-Medresse (1595),
1603 1604 1605 1606
satzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977. Vetter (2007), 573. Federal Republic of Yugoslavia (1999, I), 226. Federal Republic of Yugoslavia (1999, I), 227. Federal Republic of Yugoslavia (1999, I), 226; Tabački Most (dt. Gerber-Brücke, von türk. tabakçı), zweite Hälfte 19. Jahrhundert.
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besser bekannt als Liga von Prizren in der historischen Altstadt Prizrens.1607 Warum die NATO ausgerechnet Letztere – seit 1878 Symbol der albanischen Autonomiebestrebungen und des albanischen Nationalismus gleichermaßen – zerstört, das übrige Prizren, das mit serbischen Milizen und Militär angefüllt war, jedoch unversehrt gelassen haben soll, erklären die Autoren jedoch nicht. In seinen Untersuchungen zu Kosovo zitierte András Riedlmayer einen Augenzeugen der Zerstörung des historischen Stadtzentrums von Gjakova, die nicht in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1999 erfolgte, sondern bereits in der vom 24. auf den 25. März. Offensichtlich handelte es sich dabei um eine Vergeltungsaktion serbischer Einheiten für die am 24. März begonnenen Luftangriffe der NATO. Die serbische Regierung versuchte, die Zerstörung der Altstädte von Peja und Gjakova der Militärallianz unterzuschieben. Riedlmayers Zeuge gab zu Protokoll: On the first night of the NATO air war, on the 8:00 p.m. newscast on Serbian state television, the announcer said that Belgrade, Novi Sad, Prishtina, and the center of Djakovica had been bombed by NATO. I thought this was strange since I had not seen or heard any explosions nearby, even though I live in the middle of the old town. Four hours later, around midnight, Serb police and paramilitaries began setting fire to the old market district around the Hadum Mosque and killing people in their houses.1608
In einem Bericht für den ICOMOS World Report Monuments and Sites in Danger vom September 2000 schrieben Riedlmayer und Herscher: We found that out of the four well-preserved historic urban centres in Kosovo three old towns – Peć, Gjakova, Vushtrri (Serbian: Vučitrn) – had suffered severe devastation. Allegations by the Yugoslav authorities notwithstanding, it was evident both from the nature of the damage we saw and from the statements of eyewitnesses we interviewed that this destruction was not the result of aerial bombardment. The historic city of Prizren survived the war without significant damage to any of its monuments, except for the Museum of the 1878 Albanian League of Prizren, which was burned down on March 28, 1999, by Serbian police using rifle-propelled grenades. Prishtina, Kosovo’s capital city, had already lost much of its historic core to Tito-era urban renewal decades ago, but has a number of major monuments, which survived the war intact as did most of the rest 1607 Federal Republic of Yugoslavia (1999), 227 f. 1608 Riedlmayer, Monumen and Crime… (2000), 119.
516 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen of the city. War damage in the capital was largely limited to a handful of modern government buildings, including the Serbian police headquarters and the post and telecommunications centre, which were hit by NATO air strikes; one 16th-c. neighborhood mosque and a number of Albanian houses and shops were burned by Serbian forces during the war.1609
Im Prozess gegen Slobodan Milošević gab Riedlmayer 2002 zu Protokoll: A number of important historical and religious monuments and sites in Kosovo were alleged, by the Yugoslav authorities and others, to have been destroyed or seriously damaged by NATO air strikes, among them: the Gračanica; the Dečani monastery; the Peć Orthodox Patriarchate complex; the Church of the Virgin Ljeviška and the Sinan Pasha Mosque in Prizren; the Prizen League Museum; the Hadum Mosque complex in Djakovica/Gjakova; the historic bazaars in Djakovica/Gjakova and Peć/Peja; the Catholic church of St. Anthony in Djakovica/ Gjakova; and two old Ottoman bridges, Terzijski most/Ura e Terzive and Tabački most/Ura e Tabakeve, near Djakovica/Gjakova. The historic centers of Prizren and Prishtina were also alledged to have been totally destroyed by NATO bombardment. Of the above sites, not one was found to show any sign of damage attributable to an air attack. Some, including the Serbian Orthodox sites and several of the non-Serbian heritage sites (the Sinan Pasha Mosque, the two Ottoman bridges), were found completely intact. Others were damaged or destroyed, but the damage had clearly been done from the ground up (the Prizren League Museum, the Hadum Mosque complex, the historic bazaars in Peć/Peja Djakovica/ Gjakova) and not from the air […].1610
Doch ungeachtet der offensichtlichen Widersprüche gingen die Äußerungen von Vertretern der serbischen Regierung noch über die Angaben in den Weißbüchern hinaus. Anfang Juni 1999 erklärte die jugoslawische Botschafterin bei der UNESCO Nada Popović-Perisić1611 gegenüber der Französischen Presseagentur (AFP), dass die Altstadtviertel von Prishtina und Prizren durch NATO-Bomben vollständig zerstört worden seien.1612 1609 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 204. 1610 Riedlmayer, Destruction Kosovo… (2002), 5. 1611 Heute Professorin an der Fakultät für Medien und Kommunikation der Belgrader Privatuniversität Singidunum. 1612 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 203.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 517
Abb. 56: Serbische Milizen posieren im Frühjahr 1999 vor einer brennenden albanischen Ortschaft in Kosovo. Archiv des Instituts zum Schutz kultureller Monumente Gjakova.
Veröffentlichungen wie die András Riedlmayers wurden von serbischen Offiziellen gern als Parteinahme für die bosnischen und kosovo-albanischen Muslime abgetan und als Teil einer westlichen Verschwörung gegen Serbien gebrandmarkt.1613 Doch der Wissenschaftler stand mit seinen Aussagen zur Beschädigung und Zerstörung von Kulturerbe in Kosovo keineswegs allein. Bereits die erste Kosovo Verification Mission (KVM) der OSZE, die von Oktober 1998 bis zu ihrer Evakuierung am 24. März 1999 in der Provinz im Einsatz war, hatte aus den Berichten ihrer Beobachter-Teams, hunderten Zeugenaussagen sowie Dokumenten der serbischen politischen und militärischen Führung einen 736 Seiten umfassenden Bericht erstellt, aus dem sich ein verstörendes Bild dieser sechs Kriegsmonate ergab, das allzu sehr an die Ereignisse in Bosnien und Herzegovina erinnerte.1614 Darüber hinaus hatte die NGO Human Rights Watch im Jahr 2001 wie zuvor schon zu Bosnien auch einen Bericht mit Untersuchungen zu Kriegsverbrechen in
1613 Vgl. Riedlmayer, Public sitting…(2006). 1614 OSCE (1999).
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Kosovo vorgelegt.1615 Die Dokumente beider Institutionen gingen auf Verbrechen sowohl von serbischer als auch albanischer Seite ein und thematisierten überdies die Schäden, die durch NATO-Angriffe verursacht wurden. Zu den Ereignissen in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1999 in Gjakova heißt es in dem Bericht der OSZE: The beginning of NATO air strikes against the FRY on 24 March triggered an immediate intensification of the violence and destruction in the centre of Djakovica, in the course of which many houses were burned, shops looted, and Kosovo Albanian citizens killed. During the night police officers and paramilitaries set the old market quarter on fire. Some of the paramilitaries present were described as wearing camouflage uniforms with a tiger’s face on the sleeve patches.1616
Der Bericht von Human Rights Watch zur selben Nacht lautet ähnlich: The first wave of violence began on March 24, when NATO initiated its attack on Yugoslavia, and continued until April 2. Djakovica’s historic old town, including the Hamudi Mosque, was set on fire and sporadic killings took place throughout the city. On March 25, unknown security forces broke into the home of a respected physician, Dr. Izet Hima, and shot him in front of his wife.1617
Zur Stadt Peja wiederum führt das Dokument der OSZE aus: On 24 March paramilitaries and civilians began burning homes and shops belonging to Kosovo Albanian residents of Pec. […] On 27 and 28 March thousands of Kosovo Albanian residents of Pec were forced out of their houses and directed to collection points in the town centre, from where they were either taken on buses or trucks to the Albanian border, or told to walk towards Djakovica or Rozaje in Montenegro. The operation was organized by the Serbian authorities, mainly the police, assisted by paramilitaries and Serb civilians. Frequent random killings were clearly intended to intimidate Kosovo Albanians, who were robbed and harassed, and whose houses were subsequently looted and burnt […].1618
1615 1616 1617 1618
Human Rights Watch (2001). OSCE (1999), 287, 288. Human Rights Watch (2001), 216; gemeint ist die Hadum-Moschee. OSCE (1999), 501 ff.
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Sowie Human Rights Watch: The violence against the city’s ethnic Albanian population began immediately with the first NATO bombs on March 24. […] Much of Pec’s central shopping district was systematically looted and burned in the beginning of April. Many of the municipality’s mosques were also destroyed […].1619
Nehmen wir die serbischen Vorwürfe einmal für wenige Augenblicke ernst und gehen davon aus, es handele sich bei diesen übereinstimmenden Berichten um eine anti-serbische Verschwörung internationaler Organisationen, die sich abgesprochen und voneinander abgeschrieben haben. Dass der populäre serbisch-orthodoxe Mönch Sava Janjić ein Teil dieser Verschwörung war, ist schwer vorstellbar. Am 8. Juli 1999 druckte die NIN, die sich bereits seit dem serbischen Überfall auf Kroatien als kritisches Medium im Hinblick auf den politischen Kurs der serbischen Führung etabliert hatte, ein Interview mit Sava Janjić. Vater Sava (Otac Sava) war bereits wegen seiner Internet-Berichterstattung aus dem orthodoxen Kloster Dečani über den Krieg in Kosovo in internationalen Medien als „Cybermonk“ populär geworden.1620 In dem Interview mit der NIN räumte er die Zerstörung des historischen Zentrums der Stadt Peja durch serbische Kräfte explizit ein. Darüber hinaus ging er auch auf weitere serbische Kriegsverbrechen ein. Seine Aussagen sind so außerhalb der Ordnung des serbischen Diskurses zur Beschädigung und Zerstörung von Kulturerbe in Kosovo, dass ein längerer Auszug des Interviews wiedergegeben werden soll: Vater Sava: Die Gemeindeverwaltungen aus Djakovica, Dečani und Peć sind praktisch Hals über Kopf geflohen. Zurückgeblieben ist die Nation, die nun ihre schmutzigen Rechnungen begleicht, das richtet sich, vor allem in den letzten beiden Monaten, wegen der durch das Belgrader Regime organisierten Gewalt, sowohl gegen Albaner als auch gegen Serben, deren Wohnungen in den letzten Tagen gleichermaßen geplündert wurden und die ebenfalls gleichermaßen misshandelt worden sind. […] NIN: Wer verübt diese Verbrechen? Vater Sava: Wer das verübt, ob das Angehörige regulärer oder irregulärer Kräfte, Angehörige der VJ [Vojske Jugoslavije, Armee Jugoslawiens; T. S.] oder irgendwelche anderen 1619 Human Rights Watch (2001), 298 ff. 1620 Sava Janjić fuhr damit auch nach dem Krieg fort. Sein Twitter-Account – https://twitter. com/savajanjic?lang=de – enthielt am 15. April 2016 6.003 Tweets, hatte 8.005 „Follower“ und war 851 Mal mit „Gefällt mir“ markiert worden. Nicht wenige seiner Nachrichten betreffen das bauliche orthodoxe Erbe Kosovos.
520 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Einheiten sind, das muss geprüft werden. Vor allem glaube ich, dass es die Pflicht der serbischen Nation ist, für die Entwicklung der Demokratie eine kritische Untersuchung zu führen, und dass Menschen, die für Verbrechen verantwortlich sind, die heute automatisch auch Verbrechen darstellen, die sich gegen die serbische Nation richten, vor Gericht gebracht werden müssen. Mir wäre es lieber, dies geschähe vor den Gerichten der eigenen Nation, denn vor internationalen. In jedem Fall dürfen derlei Taten nicht ungestraft bleiben, weil sie eine enorme Schande und Scham für alles, was der serbischen Nation je heilig war, darstellen. Die Politik der Herren Milošević und Šešelj beschämt und entehrt alles, was dem serbischen Volk als ehrenvoll und heilig gilt. Wo auch immer sie [Slobodan Milošević und Vojislav Šešelj; T. S.] die Serben „verteidigt“ haben, sind lediglich Leichen, Tod, Staub und Asche, aber leider auch serbische Friedhöfe und leere serbische Häuser zurückgeblieben, von der Krajina bis Kosovo und Metohija. NIN: Die Massengräber mit getöteten Albanern, über die in den westlichen Medien geschrieben wird, sind also nicht nur ein Produkt der Propaganda? Vater Sava: Ich denke, dass die internationale Gemeinschaft vor allem mit den Organen der UN professionelle Teams aufstellen wird, um herauszufinden, was passiert ist. Wir glauben, dass die Wahrheit durch diese vollständig entdeckt wird. Wie groß die Zahl der getöteten Menschen tatsächlich ist, wie groß die der Massengräber und wo diese sich befinden. Das alles werden wir in diesen Tagen erfahren. Das ist jetzt keine Frage der Propaganda mehr, sondern eine Frage der materiellen Beweise, die jeden Tag gefunden werden – Berichte, Fotografien, Filme, die an den Stätten der Hinrichtungen aufgenommen wurden, viele Leichen, leider die allermeisten Frauen und Kinder. Die serbische Nation muss diese tragische Wahrheit erfahren. Das Schlimmste hat sich gerade in der Umgebung abgespielt, wie in Peć, die eine total zerstörte Stadt ist und das nicht wegen des NATO-Bombardements, sondern wegen systematischer Brandstiftung und der Zerstörung von Bauwerken. Alle Menschen, die dort lebten, die dazu kamen, haben gesehen, was sich ereignete, wissen, was dort los ist. Das ist die traurige Wahrheit über Kosovo und Metohija, über die nur wenige Menschen zu sprechen bereit sind, der sich die serbische Nation jedoch stellen muss, um das Notwendige zu tun.1621
Dass der orthodoxe Mönch Sava Janjić nicht Willens und im Stande war, die Verantwortung seiner Kirche für Krieg und Gräueltaten öffentlich zu reflektieren, verwundert kaum. Nichtsdestoweniger sind seine Aussagen gegenüber der Zeitschrift NIN bemerkenswert. Nach meinem Kenntnisstand sind es die einzigen 1621 Đurđević-Lukić (1999).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 521
Einlassungen eines Vertreters der SPC, die serbische Kriegsverbrechen überhaupt einräumen. Doch ist auch hier der Kontext wichtig. Vater Sava äußerte sich nicht ohne jedes politische Kalkül. Vielmehr folgte er der Abgrenzungsstrategie gegen Milošević und dessen Politik, die die Serbische Orthodoxe Kirche im Verlauf des Krieges in Kosovo umso stärker öffentlich vertrat, je deutlicher die serbische Niederlage sich abzeichnete. Nicht erst mit dem Ende des Krieges wurde die Kritik an Milošević und Šešelj auch in Serbien mehrheitsfähig. Der Vorwurf galt jedoch nicht so sehr den Verbrechen, sondern der Niederlage. Milošević, Šešelj und andere hatten den Mund voll genommen und konnten nun die Erwartungen nicht erfüllen.1622 Äußerungen wie die des orthodoxen Mönchs Sava Janjić waren auch als Vermeidungsstrategie zu verstehen. Indem sie Verantwortung auf politisch abgeschriebenes Personal projizierte, von dem kaum mehr eine Gefahr ausging, brauchte die Serbische Orthodoxe Kirche ihre eigene Verantwortung für die Verbrechen der Postjugoslawischen Kriege nicht zu reflektieren. Nicht zuletzt waren die Äußerungen Janjićs auch durch den sich verschärfenden Konflikt zwischen Bischof Artemije, dessen langjähriger Weggefährte und Pressesprecher er war, und dem Patriarchat der SPC in Belgrad beeinflusst. Bischof Artemije hatte sich gegen Ende des Krieges in Kosovo zunehmend als alleiniger Vertreter der Kosovo-Serben in der SPC und der serbischen Politik inszeniert1623 und dabei mehrfach den Patriarchen sowie den Synod der Bischöfe direkt angegriffen. Dissens mit der offiziellen Haltung der SPC war bei Artemije und seinen Anhängern in Kosovo nach 1999 Programm. Der Streit war lange eskaliert, als die Führung der SPC Artemije Anfang des Jahres 2010 als Bischof der Diözese RaškaPrizren, offiziell wegen Veruntreuung von Geldern und Gehorsamsverweigerung, absetzte.1624 Im Mai 2015 schließlich wurde Artemije, als erster ehemaliger Bischof der SPC überhaupt, von der Kirchenführung exkommuniziert.1625 Bis heute jedoch hat die Serbische Orthodoxe Kirche keinerlei Anstrengungen unternommen, ihre historische Verantwortung für die Postjugoslawischen Kriege und die serbischen Kriegsverbrechen in irgendeiner Form aufzuarbeiten. Der serbische Opfermythos und die Externalisierung von Schuld verhindern dies auch weiterhin.
1622 „Pointiert ließe sich formulieren, dass die Kirche Milošević nicht die Kriege vorwirft, die er vom Zaun gebrochen hat, sondern die Tatsache, dass er sie nicht gewonnen hat.“ (Bremer (1999), 447). 1623 Bremer (1999). 1624 sda/dpa (2010). 1625 dpa (2015).
522 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen 1999: GEKREUZIGTES KOSOVO: DIE SERBISCHE ORTHODOXE KIRCHE UND IHRE VERÖFFENTLICHUNG CRUCIFIED KOSOVO / RASPETO KOSOVO
Im September 1999 veröffentlichte die Serbische Orthodoxe Kirche mit der Broschüre Raspeto Kosovo / Crucified Kosovo erstmals eine Aufstellung vorgeblich beschädigter und zerstörter orthodoxer Kirchen und Klöster in Kosovo. Im November desselben Jahres folgte bereits die zweite, erweiterte Auflage, was darauf zurückzuführen ist, dass zu diesem Zeitpunkt offenbar neue Informationen zur Verfügung standen. Bereits die Selbstbezeichnung des Herausgebers formuliert einen Alleinvertretungsanspruch in Bezug auf Kosovo, indem das Media and Publishing Center of Raška and Prizren Orthodox Eparchy – im Grunde die PR-Abteilung Bischof Artemijes – als Voice of Kosovo and Metohia bezeichnet wird. Die durchgängig zweisprachige (Englisch/Serbisch-Kyrillisch) Gestaltung des 59 Seiten umfassenden Heftes ist wiederum aufschlussreich im Hinblick auf die anvisierte Zielgruppe. Veröffentlichungen wie diese verteilte die SPC in den Kirchen und Klöstern Kosovos, wo sie insbesondere über die christlichen Angehörigen der KFOR, die diese Orte gern besuchten, in ganz Europa und darüber hinaus Verbreitung fanden. Die formale Struktur von Gekreuzigtes Kosovo gleicht den zu Kroatien und Bosnien-Herzegovina erschienenen Publikationen der SPC sowie der katholischen Kirche Kroatiens. Der Kern der Veröffentlichung besteht aus einer Liste angeblich betroffener Bauwerke, die als Beleg für eine historische Meistererzählung einerseits und zur „Aufklärung“ über die Hintergründe der Zerstörung andererseits dienen soll. Was die Kontextualisierung der Ereignisse in der Geschichte der Region und der Gesellschaft der Gegenwart anbelangt, ist Gekreuzigtes Kosovo identisch mit Bogdanovićs Buch über Kosovo. Den leidtragenden Serben stehen Albaner und NATO-Truppen als böse und barbarische Kräfte gegenüber, in deren Regime sich die „Türkenherrschaft“ wiederholt. Dieser stark mythisch aufgeladenen Polarisierung müssen sich sämtliche Ereignisse der Vergangenheit und Gegenwart beugen. Der Erkenntnisgewinn ist über die knappen Informationen zu den in Farbfotografien abgebildeten Objekten hinaus denkbar gering. Im Vordergrund steht vielmehr die Bestätigung eingebildeter oder tatsächlicher historischer Erfahrung, die um das Element der Selbstreflexion bereinigt ist. Insofern sind die Aussagen in dem Text eben gerade nicht aufklärerisch. Nach einer tabellarischen Aufstellung von insgesamt 76 beschädigten und zerstörten Kirchen und Klöstern in Kosovo auf den ersten Seiten folgt ein Appell des Patriarchen Pavle an die „christliche und zivilisierte Welt“ sowie „alle Kosovo-Albaner“. Diese werden aufgerufen, nicht zu erlauben, dass solche „Taten des Wahn-
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Abb. 57: Ausführungen zur 1999 gesprengten Kirche des heiligen Nikolaus (Rajkov) in Prizen in Crucified Kosovo / Raspeto Kosovo. The Voice of Kosovo and Metohia… (1999), 47.
sinns“ – gemeint sind die Übergriffe auf Objekte der SPC in Kosovo – weiterhin geschehen.1626 Dem Appell des Patriarchen schließt sich ein Vorwort Sava Janjićs an, in dem dieser Vorwürfe gegen die internationale Gemeinschaft, vor allem die KosovoForce, erhebt. Mehr als 180.000 Serben, führt er aus, seien seit der Ankunft der KFOR bereits vertrieben worden, „mehr als 70 serbische orthodoxe Schreine, Kirchen und Klöster wurden vollständig zerstört, beschädigt oder entweiht“. Dies diene dem Ziel der „vollständigen Auslöschung aller Spuren der serbischen und christlichen Kultur in Kosovo und Metohia“. Das seien „mehr als 1400 orthodoxe Heiligtümer1627 in der Region“. Das „zivilisierte Europa und die Welt“, wirft Janjić der internationalen Gemeinschaft vor, stehe der Vertreibung der Serben und der Zerstörung ihrer Kulturgüter tatenlos gegenüber.1628 1626 The Voice of Kosovo and Metohia… (1999), 5. 1627 Ein weiterer Beleg, wie willkürlich diese Zahlen in den verschiedenen Publikationen angeführt wurden. In dem weiter oben analysierten Artikel in der Politika war von 1.300 Objekten die Rede; die ebenfalls angeführte Karte Kosovos nebst Liste des unbeweglichen Kulturerbes der Serbischen Orthodoxen Kirche führt wiederum 1.013 Objekte an. 1628 The Voice of Kosovo and Metohia… (1999), 6.
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Aus heutiger Sicht war der Vorwurf Janjićs durchaus gerechtfertigt. Besonders in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten kam es zu zahlreichen Übergriffen auf orthodoxe Kirchenbauten, vor allem in abgelegenen Siedlungen Kosovos in Form von Vandalismus und sogar der Sprengung von Bauwerken. In einzelnen Fällen wurden die Zerstörungen etwa durch Soldaten der KFOR auch dokumentiert. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben der SPC wurde, wie auch in den Kriegsgebieten Kroatiens und Bosnien-Herzegovinas, aber niemals durchgeführt. Auf das Vorwort des Mönchs Sava folgt eine kurze Geschichte Kosovos mit den üblichen Stereotypen. Interessant ist weniger diese selbst als ihr Autor, Ljubiša Folić – ein bekannter serbischer Architekt, der noch im Krieg 1998/99 die Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit (Saborna Crkva Svete Trojice) in Gjakova gebaut hatte. Ebenso wie die nie fertig gestellte Christus Erlöser-Kathedrale in Prishtina (beg. 1995) seines Kollegen Spasoje Krunić stand auch die Kirche in Gjakova im Zeichen der Re-Serbisierung Kosovos – zumal in einer der Hochburgen des albanischen Nationalismus. Noch 1999 sprengten extremistische Albaner das Bauwerk und planierten die Fläche. Später errichtete die Kommune Gjakova an der Stelle ein Denkmal der Mutter Teresa. Schließlich folgt der Hauptteil der Publikation, bestehend aus Bildern und Angaben zu beschädigten und zerstörten Bauwerken der SPC.1629 Der Text zu den spezifischen Objekten fällt denkbar kurz aus, im Durchschnitt umfasst er nur etwa 1.000 Zeichen (Abb. 57). Der Schwerpunkt scheint auf den Bildern zu liegen, die die Zerstörung allgemein dokumentieren. Der fünfte Teil der Broschüre ist mit Testimonies überschrieben und wiederum in zwei Texte untergliedert. Den ersten, Schande und Schuld im Angesicht des christlichen Europa, hat der Metropolit der Serbischen Orthodoxen Kirche von Montenegro Amfilohije Radović verfasst. Der zweite, Das Kreuz, an welches Kosovo geschlagen wurde, ist in Belgrad geschnitzt worden, stammt aus der Feder von Bischof Artemije. Während Metropolit Amfilohije die jüngsten Ereignisse in Kosovo im historischen Kontext der Amselfeldschlacht im Jahr 1389 verortet und ihnen überdies eine eschatologische Bedeutung verleiht, indem er eine Parallele zur Passion Christi konstruiert, tritt im Text Artemijes wiederum der Konflikt mit „Belgrad“ offen zutage. Die Zweideutigkeit der Metonymie – mit „Belgrad“ konnte sowohl die serbische Regierung als auch das Patriarchat der SPC gemeint sein – ist dabei kaum zufällig. Auch die Publikation Crucified Kosovo, die stellvertretend für weitere Veröffentlichungen dieser Art etwas ausführlicher thematisiert wurde, erweist sich als 1629 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 525
Dokument mit stark nationalistischem Unterton und klar erkennbarer propagandistischer Absicht. Die darin enthaltenen Aussagen sind simplifizierend, nicht differenziert und genügen somit dem traditionell erprobten Schema der SelbstViktimisierung und religiösen Verklärung historischer Ereignisse. Schrift- und Bildsprache der Publikation sind – nur folgerichtig – gleichermaßen stark religiös aufgeladen. Beide zeigen sich reich gesättigt mit religiöser Symbolik. Weitere Aussagen evozieren einen Kulturkampf und können ohne Übertreibung als rassistisch bezeichnet werden. Die fehlende selbstkritische Auseinandersetzung mit der Situation befremdet. Gekreuzigtes Kosovo verliert weder ein Wort über zerstörtes osmanisch-islamisches und albanisches Kulturerbe noch über die serbische Verantwortung für den Krieg in Kosovo. Dass die Angaben nicht unabhängig überprüft wurden, konnte den Opfermythos der Kirche auf lange Sicht nur befeuern. Kosovo wurde darin zum „Jerusalem der Serben“1630, wo sich das „serbische Golgatha“1631 ein weiteres Mal wiederhole. Die andauernden politischen Verhandlungen zum Status der Republik Kosovo müssen das Primat des Irrationalen, des Mythisch-Religiösen stets in Rechnung stellen oder scheitern (was im Grunde keinen signifikanten Unterschied darstellt). Deutlich geworden ist dies jüngst an der vertagten Entscheidung über die Aufnahme Kosovos in die UNESCO. Dabei kann eine dauerhafte Lösung der nach wie vor bestehenden Krise nur nach den Maßstäben international geltender Abkommen und Konventionen erreicht werden. Wenig hilfreich in diesem Zusammenhang ist auch der ostentativ vorgebrachte exklusive Besitzanspruch auf Kosovo, der bis heute von serbischen Politikern und politischen Aktivisten wiederholt wird: „While there are Serbs in Kosovo it will be theirs“1632. Auch hier klingt eine anthropogenetische Raumvorstellung an, die ex negativo wiederum über die Gründe der Vertreibung von Serben aus Kosovo durch albanische Extremisten Aufschluss geben kann. Die Koexistenz beider Ethnien in der Republik Kosovo ist vorstellbar lediglich unter der Voraussetzung einer möglichst lückenlosen Aufarbeitung der Ereignisse der jüngeren Geschichte und der Aufgabe von absoluten Ansprüchen.
1630 „What Jerusalem means to the Jewish people, that is Kosovo for the Serbs“ (The Holy Assembly (2004), 9). 1631 Bogdanović, Dimitrije (1992), 225; The Voice of Kosovo and Metohia… (1999), 54; The Holy Assembly (2004), 107. 1632 The Voice of Kosovo and Metohia… (1999), 58.
526 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen DAS INSTITUT ZUM SCHUTZ DER KULTURDENKMÄLER DER REPUBLIK SERBIEN: CULTURAL HERITAGE OF KOSOVO AND METOHIJA (1999 (2002))
Neben den Veröffentlichungen der Tages- und Wochenpresse sowie den Publikationen der Serbischen Orthodoxen Kirche thematisierten auch serbische säkulare Institutionen und Autoren die Zerstörung und Beschädigung des serbischen Kulturerbes in Kosovo. Darunter zählen etwa das Institut zum Schutz der Kulturdenkmäler der Republik Serbien, der serbische Architekt und Stadtplaner Branislav Krstić sowie das Mnemosyne-Institut Mirjana Menkovićs. Die Argumente dieser Institutionen und Personen sind zwar weniger religiös fundiert, kommen aber ohne die üblichen nationalistischen Stereotype ebenfalls nicht aus. Aufgrund der Ereignisse in Kosovo, zunächst angesichts der drohenden NATOAngriffe auf Serbien, veröffentlichte das Institut zum Schutz der Kulturdenkmäler im Frühjahr 1999 das Buch Spomenička baština Kosova i Metohije (Kulturerbe Kosovos und Metohijas). Während die erste Auflage erklärtermaßen dazu dienen sollte, die NATO-Angriffe mit kulturhistorischen Argumenten abzuwenden, wurden die weiteren, ab 2000 auch in Englisch erscheinenden Auflagen, unter dem Eindruck der Zerstörungen in Kosovo realisiert. Verantwortlicher Chefredakteur der Auflage ab 2002 war der bereits im Zusammenhang mit dem Abtransport der Sammlungen des Museums Vukovar erwähnte Marko Omčikus. Im Vorwort zur zweiten, erweiterten englischen Auflage erklärte er: We hastened with the preparation of the first edition of this publication in the naive hope that we could help avert the bombing threats made against our country and create a deterrent. Maybe a scream as well. But the destructive minority of human consciousness, lamentably more powerful than the constructive majority, found causes and live polygons to test „smart“‘ weapons and empty arsenals. The first edition appeared in the early spring of 1999, but it did not prevent the worst – the country was bombed. Destruction – with human victims – befell a small country and its dwindling, even disappearing, population for the third time in a single, now already past, century. Nevertheless, it seems that someone is in a hurry to bring about this disappearance as soon as possible, and without leaving any traces of any previous existence1633.
In diesem Auszug finden sich bereits die wesentlichen Topoi des serbischen Diskurses zur Beschädigung und Zerstörung von serbischem Kulturerbe in Kosovo 1633 Republički zavod… (2002), 11.
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versammelt. Sie sind charakteristisch für die gesamte Veröffentlichung. Mit der apokalyptischen Vision der totalen Zerstörung ist der Text nahe an der Argumentation der Serbischen Orthodoxen Kirche. Auch formal unterscheidet sich die Publikation nicht erheblich von anderen Veröffentlichungen mit demselben Gegenstand. Auf das Vorwort von Omčikus folgt eine Abhandlung über die Geschichte Kosovos – in der der Verweis auf die Schlacht auf dem Amselfeld und den KosovoSchwur nicht fehlt: […] Serbs were defeated by Turks in the Battle of Kosovo in 1389, and vowed they would regain their freedom at the same site. The Kosovo oath remains deeply routed in the Serb historical conscience even today.1634
Notorisch ist ebenfalls die historische Rechtfertigung des serbischen absoluten Anspruchs auf Kosovo.1635 Aufschlussreich ist auch die Begründung der Auswahl der in dem Dokument verzeichneten Bauwerke und Stätten. Die Kunsthistorikerin Svetlana Pejić erklärt diesbezüglich: In line with the present administrative division, our aim is to represent the part of the cultural heritage which – according to the Cultural Monuments Law – belongs to the category of Immovable Cultural Monuments of exceptional importance, as well as to point out the wealth of the monument heritage that is subject to government care.1636
Sie bezieht sich damit ausdrücklich auf das „Gesetz zum Schutz der Kulturgüter“ (Zakon o kulturnim dobrima) und das Register des unbeweglichen Kulturerbes der Republik Serbien, die auf eine selektive Wahrnehmung Kosovos als serbische Kulturlandschaft angelegt waren.1637 Mit der englischsprachigen Veröffentlichung Cultural Heritage of Kosovo and Metohija wurde der Transfer dieser Wahrnehmung in den internationalen Raum gewährleistet. Von Bedeutung war auch hier wiederum die „Karte“ der Monumente Kosovos, die schon Mišo Todović in der Politika veröffentlicht hatte. Sie dient nun als kommentarlose Illustration der Ausführungen von Svetlana Pejić, ist überschrieben Churches and Monasteries in Kosovo and Metohija 1634 1635 1636 1637
Republički zavod… (2002), 13. Republički zavod… (2002), 14 ff. Republički zavod… (2002), 34. Republika Srbija (1990, 1994); vgl. Kap. 3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung / Re-Serbisierung Kosovos und das Register des unbeweglichen Kulturerbes Serbiens.
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Abb. 58: Karte Churches and Monasteries in Kosovo and Metohija. Republički zavod… (2002), 35.
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und enthält Kartenzeichen, die auf 262 Kirchen, Klöster und Einsiedeleien verweisen sollen, von denen sich ein Großteil im Jahr der Veröffentlichung offenbar in ruinösem Zustand befand. Wiederum fehlen Erläuterungen und aussagekräftige Legende. An die Präsentation der „Karte“ schließt der Katalog des unbeweglichen Kulturerbes an, der den Kern und den Hauptteil der Veröffentlichung bildet. Ohne jeden Zweifel soll auch diese Darstellung den Eindruck vermitteln, Kosovo sei, bis auf wenige Ausnahmen, durch serbische Kultur und Religion geprägt. Die ausführlichen Beschreibungen des Katalogs haben beinahe ausschließlich orthodoxe Kirchen und Klöster zum Gegenstand. Von den insgesamt 72 Fotografien zeigen nur 14 keine Kirchen oder Klöster bzw. deren Ruinen. Lediglich eine Fotografie bildet eine Moschee ab – die Sinan-Pascha-Moschee in Prizren (1615). Während eine derart selektive Darstellung des Kulturerbes Kosovos seitens der Serbischen Orthodoxen Kirche den Erwartungen entspricht, überrascht sie, wenn als Herausgeber die oberste Denkmalschutzbehörde der Republik Serbien fungiert. Cultural Heritage of Kosovo and Metohija übernimmt zudem trotz der zu diesem Zeitpunkt bereits verfügbaren anderslautenden internationalen Berichte die Falschdarstellung der Weißbücher des Außenministeriums, nach der die historischen Kerne der Städte Peja und Gjakova durch NATO-Bombardements beschädigt bzw. zerstört worden sein sollen.1638
2002: BRANISLAV KRSTIĆ: SAVING THE CULTURAL HERITAGE OF SERBIA AND EUROPE IN KOSOVO AND METOHIA
Am 2. August 2001 richtete die serbische Regierung ein Koordinationszentrum der Föderativen Republik Jugoslawien und der Republik Serbien für Kosovo und Metohija (Koordinacioni centar Savezne Republike Jugoslavije i Republike Srbije za Kosovo i Metohiju) ein1639 und übertrug diesem unter anderem die Kompetenzen der regionalen Denkmalschutzbehörde in Kosovo.1640 Branislav Krstić wurde stellvertretender Direktor. Als Autor zeichnete er verantwortlich für die erste Publikation Saving the Cultural Heritage of Serbia and Europe in Kosovo and Metohia, die im Jahr 2002 in Belgrad veröffentlicht wurde. Der Text ist ein Beispiel für die nachgerade sophistische Begründung eines aus kulturhistorischen Gesichtspunkten „serbischen Kosovo“. An ihm lässt sich die serbische Strategie der Instrumen1638 Republički zavod… (2002), 52, 92 f. 1639 Vlada Republike Srbije (2002), 16. 1640 Krstić (2002), 91.
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talisierung des Kulturerbes der Region ebenso wie dessen politischer Stellenwert beispielhaft dokumentieren. Krstićs Argumentation beruht auf den hier herausgearbeiteten Zusammenhängen, die zwischen der einschlägigen serbischen Gesetzgebung, der Erfassung des Kulturerbes und seiner Klassifizierung sowie den Beschädigungen und Zerstörungen im Krieg bestehen. Das Anliegen seines Textes sei, erklärt Krstić in einleitenden Worten, den Leser mit einem „dramatischen Aspekt“ der kulturellen Monumente Kosovo und Metohijas zu „konfrontieren“. Der Großteil dieser Monumente sei „ein zweites Mal“ von Zerstörungen bedroht. Weil es ihm jedoch unmöglich sei, das gesamte Kulturerbe in diesem Zusammenhang anzusprechen, habe er lediglich „dessen wertvollsten Teil“ ausgewählt, der „durch Serben, Albaner, die Slaven Makedoniens und immigrierte Sachsen gemeinsam gebaut und genutzt wurde“. Jedoch schränkt Krstić diese zunächst denkbar inklusive und hoffnungsfroh stimmende Auswahl unmittelbar ein. Er habe nur „Monumente des Mittelalters“ ausgewählt und davon auch nur jene, die in der ersten und zweiten Kategorie erfasst worden seien, denn nur solche „können als Teil des europäischen Erbes angesehen werden“.1641 Das macht neugierig, auf welche Kategorisierung Krstić sich beruft und welche Definition selbiger zugrunde lag. Irritierend ist zunächst, dass ihm zufolge in Kosovo „in Übereinstimmung mit internationalen Standards“ 372 Objekte und Objektensembles als Kulturerbe erfasst1642 seien, da doch das Register des unbeweglichen Kulturerbes des Instituts für Statistik der Republik Serbien zum 31. Dezember 1994 410 Einträge für Kosovo aufweist.1643 Der offensichtliche Widerspruch – immerhin stammt Krstićs Text aus dem Jahr 2002 – erklärt sich zum Teil durch seine Bezugnahme bei diesen 372 registrierten Monumenten auf das „Gesetz zum Schutz des kulturellen Eigentums Serbiens“ sowie das „Gesetz zum Schutz des Kulturerbes in Kosovo und Metohija“ jeweils aus dem Jahr 19771644. Rekurrierend auf diese fügt er eine Tabelle bei, die eine summarische Zusammenfassung der 372 registrierten Monumente in Kosovo wiederum im Jahr 1986 abbildet (Abb. 59). Die Tabelle vor Augen wird deutlich, dass einige Angaben fehlen, die für eine angemessene Interpretation unerlässlich sind. So zeigt sie zwar, wie viele Objekte der ersten, zweiten und dritten Kategorie angehörten, nicht jedoch, wie diese konkret auf Bauwerke verteilt waren. Eine Tendenz aus der Vergabe der Kategorien abzuleiten, ist daher nur eingeschränkt möglich. Einiges lässt sich jedoch in der 1641 1642 1643 1644
Krstić (2002), 5. Krstić (2002), 5, 11, 12. Siehe Transkript des Dokuments Bilten 372 hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. Krstić (2002), 11.
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Abb. 59: Tabelle der registrierten kulturellen Monumente in Kosovo und Metohija im Jahr 1986 nach Krstić (2002), 12.
Tat auch aus den vagen Angaben der Tabelle herauslesen. So fällt etwa auf, dass der weitaus größte Teil des registrierten unbeweglichen Kulturerbes in Kosovo (etwa 48 Prozent) dem serbischen Erbe zugerechnet wurde. Davon wiederum waren etwa 72 Prozent religiöse Architektur. Das osmanische Erbe hingegen macht nur etwa 21 Prozent aus, 20 Objekte davon in der Kategorie „osmanische religiöse Architektur“, hinter denen sich sehr wahrscheinlich Moscheen und Mesdžid verbergen. Bei etwa 560 aktiven Moscheen in Kosovo, von denen 214 während des Krieges 1998 und 1999 zerstört oder beschädigt worden sein sollen, darunter auch 5 Moscheen aus dem 15., 13 Moscheen aus dem 16., 15 Moscheen aus dem 17. sowie 31 aus dem 18. Jahrhundert, erscheint diese Zahl denkbar niedrig.1645 Aus den 372 solchermaßen registrierten Monumenten, führt Krstić weiter aus, habe er bzw. das Koordinationszentrum die 51 wertvollsten mittelalterlichen Objekte und Objektensembles ausgewählt, die nun auf Basis der Gesetze zum Schutz 1645 Bashkësia Islame e Kosovës (2000); Riedlmayer, Foundations… (2012), 93 f.; Elsie et al. (2014), 3; nach anderen Angaben 607 (Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 205), bzw. 609 Moscheen (Riedlmayer, Monument and Crime… (2000), 112), hier sind allerdings die nicht aktiven Moscheen und Mesdžid mitgezählt.
532 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Abb. 60: Der „wertvollste Teil“ des Kulturerbes Kosovos in der 51 Objekte umfassenden Tabelle Branislav Krstićs (Ausschnitt, Tabellenkopf), Hervorhebungen durch mich. Krstić (2002), 13.
des Kulturerbes von 1990 bzw. 1994 in der ersten Kategorie „von außerordentlicher Bedeutung“ (dobro od izuzetnog značaja) und in der zweiten Kategorie von „großer Bedeutung“ (dobro od velikog značaja) erfasst waren.1646 Doch war Letztere nach dem Register des unbeweglichen Kulturerbes der Republik Serbien von 1995, auf das Krstić sich hier ausdrücklich beruft (s. farb. Hervorh. in Abb. 60), für kein Objekt in Kosovo mehr vergeben worden. Sämtliche Monumente gehörten demnach entweder der ersten oder der dritten Kategorie an. Diese Art eklektizistischer Zusammenstellung von Gesetzen und Standards wirft in ihrer offensichtlichen Widersprüchlichkeit nicht nur Fragen auf, sie erweckt außerdem den Eindruck des Willkürlichen. Aus welchem Grund, muss man sich fragen, kombinierte Branislav Krstić in einem Text zum bedrohten Kulturerbe Kosovos, der im Jahr 2001 erstellt und im darauffolgenden Jahr veröffentlicht wurde, Gesetze aus dem Jahr 1977 mit dem Stand der Erfassung dieses Erbes im Jahr 1986 sowie dessen Kategorisierung aus den 90er Jahren und machte dies zur Grundlage seiner Auswahl? Wäre es nicht konsequent gewesen, den jeweils letzten Stand dieser drei Parameter – Gesetzgebung, Erfassung, Klassifizierung – zur Basis 1646 Krstić (2002), 13.
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der Argumentation zu machen? Im Jahr 2002 hätten das „Gesetz zum Schutz des Kulturerbes der Republik Serbien“ von 1994 sowie das Register des unbeweglichen Kulturerbes des darauffolgenden Jahres diesem letzten Stand entsprochen. Ein weniger relevantes Detail mag sein, dass, indem Krstić den Stand von 1986 zugrunde legte, vier Objekte des osmanischen Kulturerbes, die Hamadžali- oder Kirik-Moschee in Prizren (15. Jh., erfasst 1987), die Emin-Pascha-Moschee in Prizren (zweite Hälfte 19. Jh., erfasst 1987), der Komplex aus altem Markt (Stara Čaršija) und Jashar-Pascha-Moschee in Prishtina (erfasst 1987) sowie die Muderiz-Ali-Efendija-Moschee in Prizren (erste Hälfte 18. Jh., erfasst 1989), zu diesem Zeitpunkt noch nicht registriert waren und damit die im Vergleich ohnehin niedrige Zahl von offiziell geschützten osmanischen Bauwerken noch geringer war. Bedeutender jedoch ist, dass Krstić mit seiner Beschränkung auf Monumente der Kategorien I und II nach Stand der Definition von 1994 den Anteil des osmanischislamischen bzw. albanischen Kulturerbes, der in seine Auswahl hätte eingehen können, grundsätzlich drastisch reduzierte. Wie weiter oben bereits ausgeführt, waren danach lediglich sieben Objekte des osmanischen/albanischen Erbes in Kosovo überhaupt in der Kategorie I erfasst, während Kategorie II gar nicht mehr vergeben war. Die nächste drastische Einschränkung trifft Krstić, indem er angibt, lediglich Monumente des bedrohten, beschädigten und zerstörten Erbes Kosovos aus dem Mittelalter betrachten zu wollen.1647 Sein Mittelalter jedoch – das geht aus der Tabelle der 51 Objekte und Objektensembles, die er als seinen Kanon auf den Seiten 13 bis 15 abbildet, hervor – endet mit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Just unmittelbar vor der Eroberung Kosovos durch die Osmanen und damit auch vor der Errichtung osmanischer Bauwerke. Damit schließlich entsprechen auch die sieben registrierten, in der Kategorie I klassifizierten osmanischen Architekturen nicht mehr seinen Auswahlkriterien. Das einzige osmanische Objekt, das der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstammt – die Čaršija- oder Taš-Moschee in Prishtina, war nach dem Register des unbeweglichen Kulturerbes von 1995 in der dritten Kategorie klassifiziert. Um Krstićs auf den ersten Blick willkürliche Auswahlprinzipien zu verstehen, ist es nützlich, sich die Adressaten seiner englischsprachigen Ausgabe vor Augen zu führen. Dabei handelte es sich um internationale Beobachter des Konflikts in Kosovo, die diesen im Gesamten sowie in einzelnen Ereignissen bewerteten und ihre Einschätzung medial verbreiteten. Ihr öffentliches Urteil hatte und hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Verhandlungen zur Statusfrage Kosovos. Die 1647 Krstić (2002), 5, 13.
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Gesetzgebung zum Kulturerbe von 1990 und 1994 war so offensichtlich nationalistisch und diskriminierend, insbesondere was ihren Kern – die Definition des Kulturerbes in Serbien und Kosovo – anbelangt, dass sie einem internationalen Leserkreis kaum als objektiv hätte vermittelt werden können. Krstić berief sich vor diesem Hintergrund auf das 1977 noch im sozialistischen Jugoslawien erlassene unverfängliche Gesetz zum Denkmalschutz („in Übereinstimmung mit internationalen Standards“) – obwohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Textes bereits zwei weitere Gesetze in Serbien in Kraft getreten waren, von denen das letzte von 1994 dort nach wie vor verbindlich war.1648 Auf den Stand der Erfassung des Kulturerbes von 1986 berief sich Krstić wiederum, weil zu diesem Zeitpunkt die Kategorie II in Kosovo noch vergeben war. Das ermöglichte es ihm – was nur auf einen ersten Blick paradox erscheint – eine größere Zahl von Objekten des serbischen Kulturerbes in seinen Kanon einzubeziehen, als es ihm nach dem Gesetz und der Klassifizierung von Kulturerbe 1994 möglich gewesen wäre. Darin waren 14 Objekte aus seiner Liste zur dritten Kategorie herabgestuft. Darunter zählten neben drei Kirchen und einem Kloster, die nur teilweise erhalten oder gänzlich verfallen waren, vor allem Einsiedeleien und verfallene Festungskomplexe aus dem Mittelalter sowie eine Mine mit geringem Symbolgehalt.1649 Hingegen wurden 1994 in der Kategorie I neu klassifiziert immerhin 13 Objekte seiner Liste, die noch 1986 in der zweiten Kategorie eingestuft waren. Dabei handelte es sich ausschließlich um orthodoxe Kirchen und Klöster, die noch intakt oder teilweise bzw. ganz zerstört waren.1650 Das ist zwar bemerkenswert und 1648 Council of Europe (2008), 94. 1649 1. die Einsiedelei des hl. Nikolaus bei Prizren, 2. die Einsiedelei Uljarica in Svrhe bei Klina, 3. die Höhlen-Einsiedelei in der Rugova-Schlucht bei Peć, 3. die Überreste der mittelalterlichen Stadt Petrič in Nerodimlje bei Uroševac, 4. die Überreste einer mittelalterlichen Siedlung in Podgrađe bei Gnjilane, 5. die Überreste der mittelalterlichen Stadt Veletin in Šaškovac bei Prishtina, 6. die teilweise erhaltene Kirche des hl. Nikolaus (Rajković) in Prizren, 7. die Ruine der Kirche des hl. Sonntag (Sv. Nedelja) in Prizren, 8. das teilweise erhaltene Kloster Binać in Buzovik bei Vitina, 9. die Überreste einer Höhlenkirche in Planjane bei Prizren, 10. die Einsiedelei in Belaje bei Dečani, 11. die Ruinen der mittelalterlichen Stadt Koriša bei Prizren, 12. die Ruinen der Festung Višegrad oberhalb des sogenannten Erzengelklosters bei Prizren, 13. die Ruinen der Festung Idvorac in Ljevoša bei Peć sowie 14. die Reste einer mittelalterlichen Mine in Mažič bei Mitrovica (Krstić (2006), 13–15; siehe Transkript des Dokuments Bilten 372 hinterlegt unter http://tobiasstrahl.de/. 1650 1. Überreste des Klosters der hl. Peter und Paul in Dobra Voda bei Klina, 2. teilweise erhaltenes Kloster Gorioc bei Istok, 3. Überreste des Klosters Ubožac in Močare bei Kosovska Kamenica, 4. teilweise erhaltene Kirche des hl. Nikolaus (Tutić) in Prizren, 5. Kirche des hl. Johannes in Crkolez bei Istok, 6. Überreste der Kirche der hl. Jungfrau in Vaganeš bei
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aufschlussreich für die generelle Einschätzung des Registers von 1994, für Krstićs Auswahl jedoch unerheblich, denn seinen Maßstäben genügten sie bereits. Bleibt noch zu klären, warum Krstić nicht konsequent bei der Klassifizierung des Kulturerbes von 1986 blieb und schließlich doch diejenige von 1994 heranzog. Nach der Tabelle, die er auf Seite 12 abbildet, die den Stand der Registrierung des unbeweglichen Kulturerbes von 1986 zeigt, sind insgesamt 101 Monumente bzw. komplexe Strukturen in Kosovo in der Kategorie II klassifiziert. Ebenso ersichtlich ist, dass 78 Monumente des osmanischen sowie 38 des albanischen Kulturerbes erfasst waren, darunter 26 religiöse Bauwerke. Nach der Klassifizierung von 1994 war die Kategorie II in Kosovo nicht mehr vergeben und lediglich noch sieben Objekte des osmanischen beziehungsweise albanischen kulturellen Erbes war in der Kategorie I erfasst, darunter vier Moscheen. Die übrigen Objekte dieses Erbes waren zur Kategorie III herabgestuft oder hatten diesen Status bereits vor den neunziger Jahren inne. Für Krstićs Kanon des „wertvollsten Erbes“ Kosovos jedenfalls, der nur Objekte der ersten und zweiten Kategorie gelten lassen wollte, kamen sie nicht mehr in Frage. Indem Krstić das Mittelalter zudem in der ersten Hälfte des 15 Jahrhunderts enden ließ, eliminierte er auch die übrigen Bauwerke des osmanischislamischen Kulturerbes. Ebenfalls nur folgerichtig vor diesem Hintergrund erscheint Krstićs tabellarische Zusammenstellung der „zerstörten und beschädigten kulturellen Monumente in Kosovo und Metohija“1651, die insofern limitiert ist, als dass es sich hier ebenfalls ausschließlich um registriertes Kulturerbe handelt. Demnach war das serbische Kulturerbe am stärksten betroffen, denn von 69 insgesamt beschädigten und zerstörten Objekten waren allein 52 als „serbisch“ und nur drei als „osmanisch“ sowie 12 als „albanisch“ deklariert. Diesen Angaben, anhand derer wir die Methodik Krstićs nachvollziehen können, schließt sich auf den Seiten 22 bis 84 ein Katalog Medieval cultural monuments of the I and II categories an, in dem 38 Objekte und Objektensembles ausführlicher dargestellt werden. Zwischen diesem Katalog und der Tabelle The state of CategoryI and Category-II medieval cultural monuments (1994) auf den Seiten 13 bis 15 beKosovska Kamenica, 7. Überreste der Kirche der hl. Barbara in Kmetovac bei Gnjilane, 8. Kirche des hl. Georg in Rečane bei Suva Reka, 9. teilweise erhaltenes Kloster Sokolica in Boljetin bei Zvečan, 10. Friedhofskirche des hl. Nikolaus in Velika Hoča bei Orahovac, 11. teilweise erhaltenes Kloster Dolac bei Klina, 12. teilweise erhaltene Friedhofskirche des hl. Nikolaus in Djurakovac bei Istok, 13. Kirche der hl. Erzengel in Nerodimlje bei Uroševac (Krstić (2006), 13–15; siehe Transkript des Dokuments Bilten 372 hinterlegt unter http:// tobias-strahl.de/). 1651 Krstić (2002), 17.
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steht jedoch kein erkennbarer Zusammenhang. So enthält der Katalog 27 Objekte, die auch die Tabelle aufführt. Andererseits sind dort auch 13 Objekte verzeichnet, die nicht im Katalog enthalten sind. Dieser wiederum enthält elf Objekte, die nicht in der Tabelle aufgeführt werden. Auch der Grad der Beschädigung von Bauwerken war offenbar kein Kriterium, weder für die Tabelle noch für den Katalog. Überraschend ist, dass im Katalog mit der Bajrakli-Moschee in Peja und der Hadum-Moschee in Gjakova sowie fünf traditionellen Wohntürmen in Junik, Deçan, Nivokaz und Peja auch Objekte des osmanischen und albanischen Kulturerbes aufgeführt sind. Der Text zu den entsprechenden Bauwerken räumt sogar ein, dass diese im Krieg beschädigt worden seien, etwa die Bajrakli-Moschee in Peja „was seriously damaged by fire during the armed conflict. The flames completely destroyed all elements of the interior […].“1652Ähnlich lauten die Formulierungen zur Hadum-Moschee in Gjakova und zu den betroffenen Wohntürmen. Die Beschädigung der beiden Moscheen, die im Register von 1994 als Monumente der ersten Kategorie registriert waren, jedoch nach Krstićs zeitlicher Eingrenzung nicht mehr dem Mittelalter angehörten, war schlechterdings nicht zu leugnen. András Riedlmayer hatte sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Krstićs Text bereits mehrfach öffentlich dazu geäußert und im selben Jahr im Prozess gegen Milošević dazu ausgesagt. Es existierten Dokumente der OSZE sowie von Human Rights Watch, und selbst aus den Reihen der Serbischen Orthodoxen Kirche war die Zerstörung der historischen Stadtzentren von Peja und Gjakova durch serbische Täter bestätigt worden. Wenn Krstić und das Koordinationszentrum der serbischen Regierung diese beiden Bauwerke nicht erwähnt hätten, wäre ihre Strategie selbst für Unkundige offensichtlich gewesen. Ignorieren konnten sie die Zerstörung des osmanischen und albanischen Kulturerbes folglich nicht völlig – relativieren und herunterspielen jedoch schon. Die Relativierung der Zerstörung von osmanischem Kulturerbe durch serbische Täter ist im Text Krstićs auch auf einer noch subtileren Ebene nachvollziehbar. Vergleicht man den vollständigen Auszug zur Beschädigung der Hadum-Moschee in Gjakova, „The building was damaged by fire during the military operations. The interior was damaged. The upper part of the minaret was demolished. The ̦mehteb‘ (classroom) and the library building located in the immediate vicinity, were burned in a fire1653, mit dem relevanten Text etwa zur orthodoxen Kirche der Allerheiligsten Gottesmutter (Crkva Presvete Bogorodice) in Koriša bei Prizren, „The church was mined and completely demolished by Albanian extremists in June 1999 even 1652 Krstić (2002), 74. 1653 Krstić (2002), 76.
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though the zone of responsibility of the German KFOR forces had already been set up […]“1654, wird der Unterschied deutlich. Wie schon in den kroatischen und serbischen Publikationen zu den Zerstörungen von Kulturerbe in Kroatien und in Bosnien-Herzegovina werden die Zerstörungen der Objekte des Gegenübers eher vage, in jedem Fall ohne die Nennung von Verantwortlichen, beschrieben – und das selbst dann, wenn, wie im Fall der Hadum-Moschee, offensichtlich und mehrfach bestätigt war, dass sie aus den eigenen Reihen stammten. Grundsätzlich anders verhält es sich jedoch bei den als eigenes Erbe beanspruchten Objekten. Hier stehen die Täter angeblich zweifelsfrei fest und werden mit drastischen Formulierungen – etwa „albanische Extremisten“ oder „albanische Terroristen“ – auch genannt. Doch Branislav Krstić wird dahingehend noch präziser. Das Kapitel The character of the destruction of the cultural heritage unmittelbar im Anschluss an seinen Katalog leitet er mit dem Absatz ein: The character and scope of the destruction of the cultural heritage in Kosovo and Metohia are disturbing, and impose the following conclusions: Firstly, the Ottoman and Albanian registered monuments (17) were destroyed in the zones of armed conflicts. The Serbian monuments were not destroyed in the course of armed conflicts or incidents, but rather when the war was over. […] This leads to the conclusion that the destruction of Serbian monuments, which were mainly religious, was not accidental, but deliberate.1655
Im Umkehrschluss heißt dass, die Zerstörungen von osmanischem und albanischem Kulturerbe waren sogenannte „Kollateralschäden“. Hierin liegt der besondere Zynismus seiner Argumentation ebenso wie der anderer serbischer Autoren und Institutionen. Er tritt umso deutlicher hervor, wenn Krstić von Kosovo als „unique multicultural region“1656 oder „more multicultural territory than any other in the Balkans or Europe“1657 spricht, diese Feststellung jedoch auf die politische Agenda seines Textes keinerlei Auswirkungen hat. Nur wenige internationale Beobachter des Konflikts begegneten dieser Art Dialektik misstrauisch. Darunter zählten unter anderen András Riedlmayer und Andrew Herscher, die bereits bemerkenswert früh feststellten: 1654 1655 1656 1657
Krstić (2002), 70. Krstić (2002), 85. Krstić (2002), 8. Krstić (2002), 12.
538 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Furthermore, it was evident that the criteria employed in listing monuments for protection by the Serbian authorities before the war had been conditioned to a considerable extent by ideological considerations […]. By the time of last year’s war, some 210 Serbian Orthodox monuments (churches monasteries, cemeteries) in Kosovo had been granted listed status, including 40 churches built between the 1930s and the 1990s. In contrast, only 15 of the more than 600 mosques in Kosovo were listed as historic monuments, even though more than half of these mosques date from the Ottoman era (14th–19th c.).1658
Als Referenz für ihre Feststellung geben Riedlmayer und Herscher die erste Ausgabe der Publikation Cultural Heritage of Kosovo and Metohija in der Version von 1999 an. Auf eine Ausgabe des Registers des unbeweglichen Kulturerbes von 1994 konnten die beiden Forscher jedoch offenbar nicht zurückgreifen. Es ist fraglich, ob überhaupt irgendeiner der internationalen Beobachter je Einblick in dieses Dokument hatte.1659 Doch waren Riedlmayer und Herscher offenbar nicht die Einzigen, die gegenüber den serbischen Angaben misstrauisch wurden. Krstić selbst erwähnt ein Dokument der Abteilung für Kultur der UNMIK mit der Kennziffer 251/01, in dem seitens der internationalen Übergangsverwaltung Kosovos offenbar vorgeschlagen wurde, das gebaute Kulturerbe von August 2001 bis August 2002 völlig neu zu inventarisieren, da das bis dahin verfügbare, von serbischen Institutionen erstellte Register eben nicht „in Übereinstimmung mit internationalen Standards“ angefertigt worden sei. Hier werden die konkreten Folgen deutlich, die der Abtransport der Dokumentation des unbeweglichen Kulturerbes Kosovos am 9. und 10. Juni 1999 durch serbische Behörden hatte: es gab nur eine Perspektive auf die Situation. Wenig erstaunlich ist, dass Branislav Krstić das Vorhaben der UNMIK in seinem Text heftig kritisierte und der Interimsverwaltung der VN – einmal mehr – unterstellte, sie wolle die Zerstörung serbischen Kulturerbes legalisieren: „[…] the reasons for a new inventory should rather be sought in the revision of the existing status that would lead to an inadmissible legalization of the destructions of monuments“.1660 Offenbar handelt es sich bei dem Dokument 251/01 um ein nicht für die Öffentlichkeit vorgesehenes internes Schriftstück, denn auch im Dokumentenarchiv 1658 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 204 und 206, Fußnote 5; Riedlmayer bezieht in der Aussage „mehr als 600 Moscheen“ 79 Mesdžid mit ein. 1659 Siehe Transkript des Dokuments Bilten 372 hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1660 Krstić (2002), 86.
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der UNMIK bzw. der Vereinten Nationen ist es nicht (mehr?) verzeichnet. Dass es tatsächlich existierte und dass es überdies einen Vorschlag zur Neuerfassung des gebauten Kulturerbes in Kosovo enthielt, lässt sich mit einem Brief des damaligen ständigen Vertreters der Republik Serbien bei den Vereinten Nationen, Pavle Jevremović, an den Präsidenten des VN-Sicherheitsrates vom 4. Januar 2008 zweifelsfrei belegen: In 2001 UNMIK’s Department of Culture undertook to make a „list of built heritage“, with the explanation that the „former inventory was not in compliance with international standards“ (Ref. 251/01). Such assessment was not made in any former Yugoslav republic. There is reasonable doubt that UNMIK wanted to make a new register in order to erase from the list those Serb cultural properties which were destroyed or severely damaged after June 1999.1661
Tatsächlich hätte die mehrfach angemahnte unabhängige Überprüfung des gebauten Kulturerbes den selektiven und nationalistischen Charakter der serbischen Darstellung deutlich werden lassen. Die heftige serbische Opposition gegen das Vorhaben bis auf die höchsten Ebenen der Vereinten Nationen ist vor diesem Hintergrund mehr als verständlich. Die systematische Reduzierung und Vernachlässigung des osmanischen und albanischen Kulturerbes Kosovos war indes nicht leicht zu dechiffrieren. Sie reicht weit in die Geschichte des jugoslawischen Denkmalschutzes zurück. Dass Krstićs Behauptung, „During the previous eighty years all cultural monuments in Serbia were equally treated“1662, alles andere als zutreffend ist, lässt sich bereits mit einem Verweis auf den Diskurs zum osmanischen und albanischen Kultererbe in Kosovo zeigen, den die Denkmalschützer des sozialistischen Jugoslawien geführt hatten. Demnach war eben dieses Erbe lange Zeit vernachlässigt worden.1663 Andererseits räumt Krstić selbst ein, dass die Rekonstruktion des christlichen serbischen Erbes bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte.1664 Dem ist hinzuzufügen, dass das Interesse an diesem Erbe, ebenso wie die profunde Abneigung gegenüber dem osmanisch-islamischen – hier insbesondere Moscheen –, das mit der osmanischen 1661 United Nations / Security Council (Januar 2008), 27, Unterstreichung im Original. 1662 Krstić (2002), 87. 1663 Vgl. Kap. 2.3 Kulturerbe in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien / Modernisierung und Industrialisierung. 1664 „At the beginning of the 20th century, after the Turkish occupation, Serbia found his valuable European heritage destroyed or deserted. It dedicated considerable efforts and trained personnel to renew it and present it to Europe so preserved” (Krstić (2002), 111).
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Herrschaft in Serbien assoziiert werden konnte, wie gezeigt bis in die Anfänge der serbischen Nationalstaatlichkeit zurückreicht.1665 Krstićs Aussage wird nicht zuletzt durch das diskriminierende Register des unbeweglichen Kulturerbes der Republik Serbien von 1995 sowie die darauf basierenden Veröffentlichungen der Institutionen Serbiens widerlegt. Mitarbeiter internationaler Institution und Organisationen war es unmittelbar nach dem Krieg jedoch nur schwer möglich, die Argumentation zu durchdringen und die ihr zugrunde liegende Strategie zu erkennen. Die serbischen Akteure nutzen, wie bereits zuvor, die geringen Kenntnisse auf Seiten der internationalen Staatengemeinschaft und ihrer Repräsentanten effektiv aus. Dabei wurden offensichtlich widersprüchliche und falsche Informationen bewusst eingesetzt. Der Erfolg der Strategie der gezielten Desinformation lässt sich mit der Deutungshoheit, die Serbien mit Bezug auf Kosovo nie verloren hat, konkret nachweisen. Auch heute noch ist die serbische Einflussnahme in dieser Hinsicht unverändert stark. In zunehmendem Maße wird das christliche Kulturerbe Kosovos erneut als Druckmittel in politischen Verhandlungen eingesetzt. Die albanischen Institutionen hingegen hatten der gut koordinierten, wort- und bildstarken serbischen Instrumentalisierung des serbischen Kulturerbes Kosovos wenig bis nichts entgegenzusetzen. Sie waren nach dem Krieg generell in einem fatalen Zustand, auf die Organe des Denkmalschutzes trifft das im Besonderen zu. Es verwundert daher kaum, dass es bis zur Veröffentlichung von Robert Elsies, Petrit Selimis und Sabri Bajgoras Destruction of Islamic Heritage in Kosovo 2014 nur eine einzige Veröffentlichung von albanischer Seite gab1666, in der zumindest ein Überblick über die von Zerstörung und Beschädigung betroffenen albanischen und osmanischen religiösen Bauwerke in Kosovo angestrebt wird. Auf eine grundlegende Darstellung des osmanisch-islamischen Kulturerbes Kosovos müssen wir bis heute verzichten. Branislav Krstić war auch international gut vernetzt und konnte so seiner Sichtweise einige Geltung verschaffen. Das durch die serbische Regierung eingesetzte Koordinationszentrum arbeitete unter anderem mit italienischen Experten bei der Restaurierung des Alten Patriarchats der SPC in Peja zusammen.1667 Auch das Belgrader Mnemosyne-Institut, das ebenfalls mit italienischen Denkmalschützern kooperierte, stand offenbar im Austausch mit ihm.1668 1665 Vgl. Kap. 2.2 Kultur, Erbe und Nationalismus / Kulturerbezerstörung in Serbien und dem Königreich Jugoslawien zwischen 1804 und 1941. 1666 Bashkësia Islame e Kosovës (2000). 1667 Krstić (2002), 22, 91. 1668 Krstić (2002), 119.
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MNEMOSYNE – CENTER FOR PROTECTION OF NATURAL AND CULTURAL HERITAGE OF KOSOVO AND METOHIJA: FINAL REPORT / PROJECT / PROTECTION OF NATURAL AND CULTURAL HERITAGE IN METOHIJA (2003)
In seinem Text kritisierte Branislav Krstić die Übergangsverwaltung Kosovos dafür, dass diese der Serbischen Orthodoxen Kirche erlaube, „Aktivitäten in Verbindung mit dem Schutz des kulturellen Erbes Serbiens“ in Kosovo nachzugehen, selbiges jedoch „kompetenten nationalen Autoritäten“ untersage.1669 Wenn die UNMIK tatsächlich die Tätigkeit des serbischen staatlichen Denkmalschutzes in Kosovo verbot, war mit der Gründung der NGO Mnemosyne die Umgehung dieses Verbots geglückt. Wiewohl offiziell kein staatliches Organ standen mit dem damaligen Direktor des Museums in Prishtina (1999 nach Serbien verlegt), Branko V. Jokić, sowie der Ethnologin und späteren Direktorin des Ethnografischen Museums in Belgrad, Mirjana Menković, Akteure hinter Mnemosyne, die im Interesse des serbischen Staates agierten und eine unverkennbar politische Agenda verfolgten. Gemeinsam mit drei italienischen Spezialisten – Carlo Giantomassi und Donatella Zari vom Istituto Centrale di Restauro in Rom sowie dem Architekten Flavio Trinca – hatte Mnemosyne zwischen Juli 2001 und Juni 2002 während einer Exkursion in Kosovo nach eigenen Angaben das Kulturerbe im sogenannten „Metohija“ dokumentiert. Unterstützt wurde dieses Projekt durch die italienische NGO INTERSOS. Die Finanzierung wiederum erfolgte durch die NGO ARCOBALENO1670. Das Ziel der Exkursion und der anschließenden Veröffentlichung, die hier besprochen wird, bestand nach den Angaben von Mnemosyne in der 1669 Krstić (2002), 92. Wenn Krstić richtig lag, bestand die völkerrechtliche Grundlage für diese Entscheidung der UNMIK in der Resolution 1244 des VN-Sicherheitsrats, mit der die Basis für die Nachkriegsordnung in Kosovo geschaffen wurde. In Annex 2, § 6 der Resolution sind die Modalitäten für die Rückkehr von jugoslawischem/serbischem offiziellem Personal nach dem Abzug der serbischen Truppenpräsenz aus Kosovo geregelt. Erlaubt war demnach die Rückkehr von Personal zur Verbindung mit der internationalen zivilen und militärischen Mission (liasion personnel) sowie von Personal, das im Zuge der Räumung von Minenfeldern benötigt wurde. Ebenso gestattete die Resolution eine personelle Präsenz an den Grenzübergängen zu Jugoslawien/Serbien und schließlich die Anwesenheit von serbischem/jugoslawischem Personal zur „Aufrechterhaltung einer Präsenz an serbischen Kulturerbestätten (Maintaining a presence at Serb patrimonial sites). Inwiefern damit orthodoxe Mönche und Priester, Sicherheitskräfte oder eben auch Spezialisten zur fortgesetzten wissenschaftlichen Dokumentation gemeint waren, scheint eine Frage der Auslegung der entsprechenden Regelung der Resolution gewesen zu sein (United Nations / Security Council (Juni 1999), Annex 2, § 6). 1670 ARCOBALENO ist eine international agierende Hilfsorganisation der Grameen-Bank mit Sitz in Bangladesh (http://www.fondation-farm.org/IMG/pdf/A5_Islam_grameen-trust_ EN_ppt_red.pdf [27.03.2018]).
542 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Erfassung des Zustandes des kulturellen und natürlichen Erbes, der Erkennung wahrnehmbarer Prozesse des Verfalls, der Beschädigung und Zerstörung, wie auch der Konsequenzen der Ineffizienz von konservierenden Maßnahmen, der Definition von vorzuschlagenden Maßnahmen für sofortigen und langfristigen Schutz, und, im Zusammenspiel damit, der Überlegung zu Möglichkeiten die vorgeschlagenen Maßnahmen durchzuführen und den Zustand des Objekts zu verbessern.1671
Die Mission war, wie der Bericht weiter ausführt, „das erste internationale Projekt unternommen von jugoslawischen Experten seit der Ankunft der UN-Mission in Kosovo und Metohija“. Dass Mnemosyne keinesfalls eine unabhängige nichtstaatliche Organisation war, wird auch deutlich, wenn Menković erklärt, in das Projekt seien die regionalen Institute für Denkmalschutz in Novi Sad, Prishtina, Subotica und Niš sowie das Denkmalschutzamt der Republik Serbien selbst involviert gewesen.1672 Bei der näheren Betrachtung des Titels fallen zwei Dinge sofort ins Auge: zum einen der ungewöhnliche Name der Organisation – Mnemosyne, zum anderen die Bezugnahme auf das natürliche und kulturelle Erbe Kosovos gleichermaßen. Mnemosyne – so hatte Aby Warburg seinen Bilderatlas benannt, der die ikonographischen und ikonologischen Beziehungen in der Kunst der europäischen Renaissance und deren Verbindung zur Kunst der Antike aufzeigen sollte.1673 Das Bild als Zeichensystem zeigt dort die Überlagerungen des kulturellen Gedächtnisses an. Andererseits diente als prominentes Vorbild für die Unterteilung des Berichts der serbischen Organisation in natürliches und kulturelles Erbe ganz offensichtlich die Convention concerning the protection of the world cultural and natural heritage, verabschiedet von der UNESCO anlässlich ihrer siebenten Generalversammlung in Paris am 16. November 1972. Nicht zu übersehen ist das Ansinnen von Mnemosyne, sich in den europäischen Diskurs der Kunstgeschichte und zum Kulturerbe einzuschreiben. Dieser Versuch wiederum ist, wie gezeigt, einer der Topoi des Diskurses zur Beschädigung und Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen auf Seiten aller Konfliktparteien gewesen. Es ging und geht um die Inszenierung des eigenen Vertrauten, während der jeweils Andere als fremd und bedrohlich dargestellt wird. Die offenbar latent vorhandene Angst, das Prädikat „Europa“ zu verfehlen, liegt, 1671 Mnemosyne (2003), 7 ff. 1672 Ebd. 1673 Warnke (2003).
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ebenso wie die Versuche, andere als „barbarisch“, „unzivilisiert“ – eben als uneuropäisch – zu denunzieren, unter anderem in dem vor Ort sehr wohl notierten (west)europäischen Desinteresse für die Region begründet. Die politischen Gebilde der Balkanhalbinsel standen schon damals in ihrer Eigenwahrnehmung gegenüber Europa stets in der Schuld, ihr „Europäisch-Sein“ besonders nachweisen zu müssen.1674 Eine weitere Auffälligkeit ist, dass sich die Exkursion des Mnemosyne-Instituts mit Ausnahme der Gemeinde Uroševac, ausdrücklich auf das sogenannte „Metohija“, das heißt die südwestliche der beiden Ebenen Kosovos, beschränkte. Dieser Zusammenhang erschließt sich jedoch erst bei der genaueren Analyse des Berichts. Die Ausführungen zum Naturerbe Kosovos nehmen lediglich ungefähr ein Zehntel des insgesamt 424 Seiten umfassenden Berichts ein. Sie können hier vernachlässigt werden, da sie für den Erkenntniswert dieser Arbeit unerheblich sind. Der Text zum Kulturerbe wiederum ist in die beiden Abschnitte Preserved Cultural Property (Seite 61 bis 284) sowie Damaged and Destroyed Cultural Property (Seite 285 bis 368) unterteilt. Zwischen Juli 2001 und Juni 2002 suchten demnach verschiedene Teams aus serbischen Wissenschaftlern mit italienischer Beteiligung 127 Objekte und komplexe Strukturen des gebauten Kulturerbes in Südwest-Kosovo auf, wobei 87 dieser Objekte in die Kategorie erhaltenes Kulturerbe und 40 Objekte in die Kategorie beschädigtes und zerstörtes Kulturerbe fielen.1675 Als Ausgangspunkt dienten dem Institut das Register des unbeweglichen Kulturerbes von 1995 sowie die Veröffentlichung Cultural Heritage of Kosovo and Metohija aus dem Jahr 2002. Weitere Quellen zu den jeweiligen Bauwerken waren, wie aus dem Bericht hervorgeht, die „Dokumentation des Ausschusses für Kosovo und Metohija der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, private Bestände“ sowie die Dokumentation des Instituts zum Schutz der Kulturdenkmäler der Republik Serbien.1676 Wenig überraschend angesichts dieser Quellenauswahl bezog sich das Mnemosyne-Institut vor allem auf das serbische, überwiegend christlich-orthodoxe Erbe. 1674 Die abstrakte europäische Idee wurde und wird hier für konkrete politische Ziele instrumentalisiert. So lange das politische Europa diesem Komplex nicht wirksam begegnet und die Strategie der Instrumentalisierung der angeblich in ihren Gegensätzen unvereinbaren „Kulturen“ der Region nicht durchschaut, wird es für die brennenden Fragen der Nachkriegszeit in den postjugoslawischen politischen Entitäten absehbar keine Lösungen geben – die Hinwendung zu anderen Großmächten ist eine zu erwartende Folge. 1675 Mnemosyne (2003), 7, 10, 12 f. 1676 Mnemosyne (2003), 11. Bei der zweiten Veröffentlichung bezieht sich Mirjana Menković auf die serbischsprachige Version der hier besprochenen englischen Ausgabe von Cultural Heritage of Kosovo and Metohija von 2002.
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Albanisches oder gar osmanisches Erbe spielt im Bericht der NGO bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Unter den im erstem Teil aufgeführten Objekten des erhaltenen Kulturerbes befinden sich neben 56 Kirchen und Klöstern 6 traditionelle Wohntürme, 11 weitere Bauwerke traditioneller Wohnarchitektur, ein Uhrturm, eine Festung, 2 Derwisch-Konvente, 2 Bäder, 3 Brücken, ein Unterkunftsgebäude im orthodoxen Kloster Dečani sowie 4 Moscheen. Knapp zwei Drittel (64,4 Prozent) des Katalogs nehmen demzufolge christlich-orthodoxe Sakralbauten ein, ein weiteres knappes Drittel (31 Prozent) ist vernakulären Bauwerken und nur etwa ein Zwanzigstel (4,6 Prozent) osmanisch-religiöser Architektur gewidmet. Das Institut scheint vor allem bemüht gewesen zu sein, dem internationalen Publikum nachzuweisen, dass es sich bei dem sogenannten „Metohija“ tatsächlich um ein Metoh, um „Kirchenland“, handelte. Hierin ist ein möglicher Grund für die Beschränkung auf Südwest-Kosovo zu sehen. Nicht unerheblich dürfte ebenfalls gewesen sein, dass es sich dabei um den Verantwortungsbereich des italienischen Kontingents der KFOR handelte. Immerhin erfuhr das Projekt maßgeblich aus Italien Unterstützung. Denkbar ist, dass andere KFOR-Kontingente im Osten und Norden Bedenken hatten und Mnemosyne deswegen nicht unterstützen. Darüber jedoch gibt der Bericht keinen Aufschluss. Welche Gründe auch immer die Begrenzung auf Südwest-Kosovo hatte – repräsentativ für das Kulturerbe Kosovos war der Final Report des Mnemosyne-Instituts auch aus diesem Grund nicht. Ein auf den ersten Blick marginales Detail im Bericht ist dennoch bedeutend: In ihrer Einführung beruft sich Menković auf drei Kategorien, in denen die für die Mission relevanten Objekte klassifiziert waren. Von den 87 Bauwerken des erhaltenen Kulturerbes gehörten 29 zur ersten sowie 24 zur dritten Kategorie; weitere 34 Objekte gehörten der Kategorie anerkanntes Erbe (recognized heritage) an. Die 40 Bauwerke des beschädigten und zerstörten Kulturerbes waren wiederum unterteilt in 13 Objekte der ersten und 17 der dritten sowie zehn Objekte der Kategorie anerkanntes Erbe.1677 Damit trägt Menković (anders als ihr Kollege Branislav Krstić) der Tatsache Rechnung, dass nach 1994 für Monumente in Kosovo eine Kategorie II nicht mehr vergeben war. Allerdings gab es die Kategorie anerkanntes Erbe – zumindest auf Basis des in Serbien nach wie vor gültigen Gesetzes1678 zum Schutz des Kulturerbes von 1994 – ebenso wenig. 1677 Hier unterscheiden sich die englische und die serbische Version des zweisprachigen Berichts. In Ersterer heißt es „recognized heritage“, in Letzterer „evidentiran“, was lediglich etwa so viel wie „erfasst“ bedeutet: „Od ukupnog broja obraćenih kulturnih dobara, 87 je sačuvanih, i to – 29 u prvoj kategoriji, 24 u trećoj i 34 evidentirana“ (Mnemosyne (2003), 7). 1678 Council of Europe (2008), 94.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 545
Nichtsdestoweniger werden insgesamt 34 Bauwerke des erhaltenen Kulturerbes, darunter 22 Kirchen, in dieser Kategorie klassifiziert. In den Quellen, die Menković ausdrücklich anführt, werden diese 34 Objekte jedoch gar nicht erwähnt, wie im Register von 1995, oder nur teilweise, in Cultural Heritage of Kosovo and Metohija. Letztere verzeichnet zwar für jede Gemeinde Kosovos Recognized Cultural Monuments, doch werden nur drei der im Mnemosyne-Bericht katalogisierten Bauwerke – die orthodoxe Kirche Mariä Himmelfahrt in Gotovuša1679, die orthodoxe Kirche des hl. Nikolaus in Sevce1680 sowie die 1933 errichtete Kirche des hl. König Uroš in Uroševac1681 – dort auch aufgeführt. Vier im 20. Jahrhundert neu errichtete Kirchen sowie die Überreste weiterer vier orthodoxer Sakralbauten1682 werden wohl erwähnt1683, aber nicht als recognized heritage verzeichnet; die übrigen 23 Bauwerke des erhaltenen Erbes im Mnemosyne-Katalog finden keine Erwähnung. Darunter fallen auch die beiden islamischen religiösen Bauwerke, die Kukli-Beg-Moschee in Prizren1684 sowie die Mulaj-Jusuf-Moschee in Gjakova1685. Im Katalogeintrag zu diesen beiden Objekten heißt es bezeichnenderweise recognized by Italian experts. Ähnlich verhält es sich mit dem Abschnitt Damaged and Destroyed Cultural Property. Allein die Hälfte der dort verzeichneten 40 Bauwerke sind orthodoxe Kirchen und Klöster. Daneben stehen zwei traditionelle Wohnhäuser, zehn Wohntürme, zwei Mühlen, ein Marktplatz, das Viertel Potkaljaja in Prizren sowie vier Moscheen. 13 dieser Bauwerke gehörten dem Bericht zufolge der ersten Kategorie an, darunter 11 Kirchen und Klöster. 17 Objekte waren in der dritten Kategorie klassifiziert. Wiederum zehn Bauwerke trugen die Bezeichnung recognized heritage, davon werden sechs, zwei orthodoxe Kirchen, eine Mühle, zwei Wohntürme sowie eine Moschee1686, in den beiden Quellen nicht aufgeführt. Auch die Moschee in Deçan (Dečani) ist erneut recognized by the Italian experts1687. Somit sind von den insgesamt 44 als recognized heritage verzeichneten Bauwerken 38, darunter weit mehr als die Hälfte orthodoxe Kirchen und Klöster (21), nicht zuvor als solche vermerkt. Die meisten klassifizierten Kirchen und Klöster stammen aus dem 19. 1679 1680 1681 1682 1683 1684 1685 1686 1687
Mnemosyne (2003), 268; Republički zavod… (2002), 134. Mnemosyne (2003), 274; Republički zavod… (2002), 134. Mnemosyne (2003), 283; Republički zavod… (2002), 109. Mnemosyne (2003), 150 ff. Republički zavod… (2002), 94. Mnemosyne (2003), 235. Mnemosyne (2003), 85. Mnemosyne (2003), 298, 299, 301, 302, 350, 352. Mnemosyne (2003), 298.
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Abb. 61: Eintrag zur orthodoxen Kirche Bogorodica Ljeviška in Prizren im Katalog des MnemosyneInstituts 2003. Mnemosyne (2003), 198.
und 20. Jahrhundert. Ein Blick in den Anhang des Berichts, die in Conclusions beigefügten Tabellen, kennzeichnet einige dieser Objekte als durch die NGO Mnemosyne im Jahr 2002 anerkannt. Zu anderen Objekten wiederum lautet der Eintrag schlicht recognized.1688 Die spezifischen Katalogeinträge wiederum führen neben dem Namen des Objekts, seiner Lokalisierung und Angaben zum verantwortlichen Eigentümer auch das Datum der Registrierung als Kulturerbe sowie die dazugehörige Matrikelnummer auf. Der entsprechende Eintrag etwa zur orthodoxen Kirche Bogorodica Ljeviška in Prizren lautet „SK 1369 / 1948/1990 / Extraordinary importance“ (Abb. 61). Offenbar befand sich die NGO Mnemosyne zwischen Juni 2001 und Juli 2002 auf einer „Erfassungsmission“ in zweierlei Hinsicht. Einerseits galt es, den Zustand des bereits registrierten Kulturerbes Südwest-Kosovos zu evaluieren. Andererseits erfasste Mnemosyne wohl auch Objekte, die bisher nicht registriert waren. Von diesen insgesamt 38 Objekten waren wiederum 21 orthodoxe Kirchen und Klöster. Die drei unter diesen Bauwerken befindlichen Moscheen wurden auf Vorschlag der italienischen Experten registriert. Die Kriterien für die Neuerfassung sind je1688 Mnemosyne (2003), 369 ff.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 547
doch weder transparent noch nachvollziehbar. So entsteht der Eindruck, dass sich das Mnemosyne-Institut ein Klassifizierungssystem konstruierte, das seiner politischen Agenda gerecht wurde. Einen Anstrich von Legitimität erhielt das Projekt durch die Anwesenheit internationaler Experten. Aufschlussreich in dieser Hinsicht sind ebenfalls die Texte zu konkreten Objekten im Katalog. Während das serbische Kulturerbe – insbesondere orthodoxe Kirchen und Klöster – detailliert beschrieben wird, mussten für das albanische beziehungsweise osmanische Erbe knappe, oft stichpunktartige Einträge ausreichen. Das gilt besonders für das beschädigte und zerstörte Kulturerbe. Gerade die durch serbische Einheiten im Frühjahr 1999 niedergebrannte Moschee in Deçan1689 sowie die ebenfalls durch serbische Truppen zerstörte Kurshumli-Moschee in Peja1690 müssen gänzlich ohne Beschreibung auskommen, nur die ausgebrannten Mauern, in deren Inneren bereits Gras und Sträucher wachsen, werden abgebildet. Zum völlig zerstörten historischen Marktplatz in Peja, gebrandschatzt durch serbische militärische und paramilitärische Kräfte im März 1999, gibt es immerhin eine historische Beschreibung – kein Wort jedoch zu dessen Zerstörung. Über den durch serbische Einheiten niedergebrannten historischen Markt von Gjakova mit der in dessen Zentrum liegenden, schwer beschädigten Hadum-Moschee ist in enger Anlehnung an die Weißbücher und entgegen aller bis dahin vorliegender internationaler, unabhängiger Berichte zu lesen: „The mosque and the old marketplace were destroyed and burnt down in the bombing of 1999“1691. Im Vergleich dazu erfährt man zur orthodoxen Kirche der Präsentation der Heiligen Jungfrau in Belo Polje: After the arrival of KFOR, and the mass departure of predominantly Serb population, the church was vandalized by Albanian extremists in 1999. The interior of the church was damaged by fire. Numerous damages made by bullets can be seen on the facades. Similar traces can be noticed inside the church, as well. The most severe damages were caused by arson, which left a thick layer of soot on the mural paintings […].1692
Zum Kloster der hl. Peter und Paul in Dobra Voda bei Klina lautet der Text:
1689 1690 1691 1692
Mnemosyne (2003), 298. Mnemosyne (2003), 341. Mnemosyne (2003), 306. Mnemosyne (2003), 335.
548 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen According to an Albanian boy who was leading KFOR soldiers, the southwestern part of the exonarthex was damaged during a KLA shooting drill from nearby a hill. Stone-slate roofing was removed from the nave and the altar lapse, leaving the vault unprotected. There is not a single door left on the entire building […].1693
Nach den Angaben Menkovićs trug Mnemosyne 2001 unter anderem auf der Conference on Cultural Heritage and Education in the Southeastern Europe in Tokio, an der Universität in Pisa, auf der Conference of the European Regions im rumänischen Timișoara sowie 2002 auf der Generalversammlung der Kulturschutzorganisation EUROPA NOSTRA in Dubrovnik vor. Darüber hinaus erklärt die Belgrader Ethnologin: Mnemosyne Centre presented its work to several international organizations relevant in the field of heritage protection, made some important contacts and initiated some of the most important donations to the cultural institutions and for protection of heritage in the territory of the Republic of Serbia realized in the preceding period.1694
Die veröffentlichten Ergebnisse der Exkursion aus den Jahren 2001 und 2002 wurden, sowohl gedruckt als auch über das Internet, im internationalen Raum verteilt. Viele der darin enthaltenen Aussagen gelten heute als konventionelles „Wissen“ über die Beschädigung und Zerstörung von Kulturerbe in Kosovo. Im Jahr 2010 stellte das Mnemosyne-Institut seine Tätigkeit plötzlich ein. Bis dahin war es an einer Reihe weiterer Publikationen zum Kulturerbe Kosovos zumindest beteiligt und Direktorin Mirjana Menković antwortete auf E-Mail- und Telefonanfragen persönlich. Die Internetseite des Instituts wurde eingestellt und weitere E-Mails kamen als unzustellbar zurück. Der Sitz der NGO war identisch mit der Adresse des Ethnografischen Museums auf dem Studentski Trg 13 im Zentrum der Altstadt, als dessen Direktorin Menković noch im Frühjahr 2017 fungierte, jedoch war Mnemosyne auch physisch dort nicht mehr zu erreichen. Im Herbst 2017 berichteten mehrere serbische und regionale Medien übereinstimmend, dass Mirjana Menković wegen der angeblichen Unterschlagung von mehreren Millionen Dinar und Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit ihren Projekten vom serbischen Sonderstaatsanwalt für organisierte Kriminalität verhaftet worden sei. Den Presseberichten ist zu entnehmen, dass ihr vorgewor1693 Mnemosyne (2003), 316; KLA = Kosovo Liberation Army, engl. für UÇK. 1694 Mnemosyne (2003), 14.
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fen wird, unter anderem über die NGO Mnemosyne mit fingierten Rechnungen jahrelang Gelder veruntreut zu haben.1695 Ob die Anschuldigungen fundiert sind oder ob es sich vielmehr um ein politisches Komplott handelt, lässt sich nicht sagen. Die Ereignisse im Ethnografischen Museum um Menković, die in der Region als „Skandal“ wahrgenommen werden und eine überregionale Berichterstattung rechtfertigen, sind jedoch ein weiteres Indiz für die offensichtliche Brisanz dieses exponierten Arbeitsfeldes.
DIE ANTI-SERBISCHEN AUSSCHREITUNGEN AM 17. UND 18. MÄRZ 2004
Auf einen oberflächlichen Blick hin hätte man im Frühjahr 2004 meinen können, Kosovo käme zu Ruhe. Die offenen Feindseligkeiten zwischen den noch etwa 100.000 bis 120.000 in Kosovo verbliebenen Serben1696, die größtenteils im Norden Kosovos lebten, und den Albanern Kosovos schienen zurückzugehen. Die internationale Verwaltung war damit befasst, zivile Institutionen aufzubauen, und dachte zumindest darüber nach, Schritt für Schritt Verantwortung an diese zu übergeben. Die Truppenstärke der Kosovo-Force war nach verschiedenen Angaben von ehemals 50.000 auf nunmehr 17.5001697 beziehungsweise 18.5001698 Soldaten reduziert worden. Und schließlich hatte das Interesse der internationalen Medien seit dem Ende des Krieges deutlich nachgelassen. Die Realität freilich war eine andere. Unter der Oberfläche der kosovarischen Öffentlichkeit brodelte es. Demonstrationen in den Städten gehörten seit Kriegsende zum Alltag. Regelmäßig kam es zu gewalttätigen Übergriffen auf Minderheiten, vor allem Serben, durch extremistische Albaner. In einer Veröffentlichung vom Juli 2004 berichtete Amnesty International von Morden an Serben und Brandanschlägen auf serbische Wohnhäuser in den Jahren 2002 und 2003.1699 Die Südosteuropaforscherin Marie-Janine Calić wiederum schrieb im Frühjahr 2004, dass es im Sommer 2003 zu einer „heftigen Welle der Gewalt gegen Minderheiten und Polizeikräfte“1700 gekommen sei. Immer öfter richteten sich Proteste auch gegen die Übergangsverwaltung UNMIK. In den Straßen tauchten gegen diese gerichtete
1695 1696 1697 1698 1699 1700
Vgl. Bogosav (2017); Matović/Bijelić (2017); Oslobođenje (2017). Martens (2004b, 2004e). Calić (2003), 348; die Ausgabe der Zeitschrift Südosteuropa erschien erst 2004. Reuter (2005), 500. Amnesty International (2004), 6. Calić (2003), 348.
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Graffiti auf. Der Chef der Polizeimission der Vereinten Nationen in Kosovo, Stefan Feller, erinnerte sich später: Es gab Hinweise von Informanten, dass sich etwas zusammenbraut. Darauf hin habe ich im Januar dieses Jahres [2004; T. S.] versucht, bei der UNO Telefonüberwachungen bestimmter Personen in Kosovo durchzubekommen. Doch es war nichts zu machen, weil es lediglich Vermutungen waren, keine harten Fakten […].1701
Am 15. März 2004 wurde ein junger Serbe im nur etwa sechs Kilometer südlich von Prishtina gelegenen Ort Çagllavicë (Čaglavica) aus einem vorbeifahrenden Auto beschossen und schwer verletzt.1702 Angehörige der serbischen Ethnie in Çagllavicë blockierten daraufhin aus Protest die Straße, die von Prishtina kommend in den Süden Kosovos und schließlich nach Makedonien führt.1703 Am Tag darauf spielten sechs albanische Kinder aus der Ortschaft Çabër (Cabra), etwa 10 Kilometer nordwestlich von Kosovska Mitrovica gelegen, am Fluss Ibër (Ibar). Unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen gerieten vier der Kinder in den Fluss. Drei ertranken in den Stromschnellen, jedoch konnten später nur zwei Leichen gefunden und geborgen werden. Einer der Jungen rettete sich an das Ufer des Flusses. Allein auf den Aussagen dieses Jungen beruhte die anschließende Berichterstattung zu dem Vorfall in den albanischsprachigen Medien, die das Ereignis zu einer serbischen Gewalttat ausbauten. Demnach hatte eine Gruppe von Serben die Kinder mit einem Hund verfolgt und in den Fluss getrieben – eine Aussage, die der überlebende Junge jedoch offenbar so nie getätigt hatte.1704 Beweise, dass tatsächlich Angehörige der serbischen Minderheit in das Geschehen verwickelt waren, konnten auch nach offiziellen Ermittlungen der UNMIK und der internationalen Polizei in Kosovo nicht erbracht werden.1705 Am Tag des Vorfalls, dem 16. März 2004, blieb es noch vergleichsweise ruhig in Kosovo. Etwa 18 000 Menschen gingen aus Protest gegen das vermeintliche serbische Verbrechen in der gesamten Provinz auf die Straße.1706 In der Nacht auf den 17. März
1701 1702 1703 1704
Zitiert nach Reuter (2005), 509. Martens (2004a); OSCE (2004), 6; Amnesty International (2004), 2; Reuter (2005), 504. Martens (2004b). Martens (2004a, 2004b, 2004f); OSCE (2004), 4 ff.; Amnesty International (2004), 2; Reuter (2005), 505. 1705 Reuter (2005), 505. 1706 OSCE (2004), 5.
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jedoch erreichte die tendenziöse Berichterstattung schließlich die breite Masse der albanischen Bevölkerung. Die OSZE veröffentlichte unmittelbar nach den Ereignissen eine Studie zur Rolle der albanischsprachigen Medien für die Eskalation der Proteste in ganz Kosovo, die auf den Vorfall am Fluss Ibar folgten. Dabei kommt die Organisation zu dem Schluss, dass insbesondere die größeren Fernsehstationen, unter anderen RTV 21 und KTV, sowie die Radiostation RTK wesentlich zur Zuspitzung der Lage beigetragen hatten: Without the reckless and sensationalist reporting on 16 and 17 March, events could have taken a different turn. They might not have reached the intensity and level of brutality that was witnessed or even might not have taken place at all.1707
Am 17. Juni 2004 demonstrierten etwa 50–60.000 Albaner in den größeren Städten Kosovos – die albanischsprachigen Medien, die nun auch gegen die UNMIK mobil machten, heizten die Situation weiter an.1708 Die Beobachtungen der OSZE werden von anderen Quellen bestätigt. Der damalige Balkanberichterstatter der FAZ Michael Martens berichtete bereits am 22. März 2004: „Beobachter erwarten zudem eine Bestrafung jener kosovarischen Medien, die ungeprüft die Behauptung von der serbischen Täterschaft im Falle der ertrunkenen albanischen Kinder übernommen und zugespitzt hatten“1709. Der Slawist und Politikwissenschaftler Jens Reuter kam etwas später als Martens und die OSZE zu einem ähnlichen Schluss.1710 Die sensationslüsterne und bewusst dramatisierende Berichterstattung insbesondere im kosovarischen Fernsehen, das immerhin 70 Prozent der Bevölkerung der Provinz erreichte1711 hatte verheerende Folgen. Die Proteste eskalierten und entfesselten eine Welle von Gewalt gegen Menschen und Bauwerke. Überall in Kosovo griffen Gruppen von Albanern die Siedlungen von Minderheiten an. Vor allem Serben wurden Ziel von Gewalttaten. Laut Amnesty International waren in 33 gewalttätige Zwischenfälle kosovoweit 51.000 Personen involviert.1712 Am 18. März brannten 500 Albaner eine orthodoxe Kirche im Süden von Kosovska Mitrovica nieder und zogen anschließend weiter in die serbische Ortschaft Frashër (Svinjare). Dort angekommen steckten sie trotz anwesender KFOR-Ein1707 1708 1709 1710 1711 1712
OSCE (2004), 3. OSCE (2004), 5. Martens (2004f). Reuter (2005), 505. OSCE (2004), 14. Amnesty International (2004), 2.
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Abb. 62: Ein Teil des sogenannten „Serbischen Viertels“ Potkaljaja im Zustand nach den Zerstörungen im März 2004. Archiv Tobias Strahl.
heiten die Wohnhäuser der Serben nacheinander in Brand. In Vushtrri (Vučitrn) wurden 260 Mitglieder der Gruppe der Aschkali1713 zum zweiten Mal seit 1999 durch Albaner vertrieben. Ihre Häuser wurden ebenfalls niedergebrannt. In der Hauptstadt Prishtina legte ein albanischer Mob unter den Augen der Internationalen Polizeimission (CIVPOL) Feuer in der orthodoxen Kirche des hl. Nikolaus.1714 Besonders verheerend waren die Angriffe im Süden Kosovos, im Verantwortungsbereich des deutschen Kontingents der Kosovo-Force, insbesondere in der Stadt Prizren und den umliegenden Orten. Dort brannten hunderte albanische Demonstranten am 17. und 18. März die Reste des sogenannten „Serbischen Viertels“, den historischen Stadtteil Potkaljaja nieder, in dem sich einige orthodoxe Kirchen und Kapellen befanden (Abb. 62). Ein Raub der Flammen wurde auch das Innere der Kirche Sveti Spas (Heiliger Erlöser), oberhalb der Altstadt Prizrens. Die orthodoxe Kathedrale des hl. Georg im Zentrum der Stadt brannte vollständig aus.
1713 Den Roma verwandte muslimische Minderheit Kosovos. 1714 Amnesty International (2004), 11 ff., 14, 15, 18.
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Abb. 63: Darstellung der Gottesmutter Eleusa mit dem Jesuskind und Honigkorb an einem Pfeiler im südlichen Seitenschiff der Kirche Bogorodica Ljeviška, 1310–1313, vor und nach der Beschädigung im März 2004. Bild links: Subotić (1998), 113; Bild rechts: Archiv Tobias Strahl.
Dasselbe Schicksal erfuhr das orthodoxe Priesterseminar (Bogoslovija) in Prizren. Die Anlage des sogenannten „Erzengelklosters“ im Tal des Lumbardhi wurde von einer albanischen Menschenmenge gestürmt, die das dort in den 1990er Jahren errichtete Unterkunftsgebäude bis auf die Grundmauern niederbrannte.1715 In der Kirche Bogorodica Ljeviška wurde das an einem Pfeiler im südlichen Seitenschiff befindliche berühmte Fresko der Gottesmutter Eleusa mit dem Jesuskind und Honigkorb aus dem frühen 14. Jahrhundert durch einen Schlag mit einem Gegenstand schwer beschädigt (Abb. 63). Auch diese Kirche wurde in Brand gesteckt. Die kontroverse Schadensbilanz unmittelbar nach den Ereignissen bezeugt die auch fünf Jahre nach Ende des Krieges immer noch generelle Unübersichtlichkeit der Situation. Die Angaben zu Toten und Verletzten sowie zerstörten orthodoxen
1715 Reuter (2005), 506; Flottau et al. (2004), 24.
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Kirchen wichen, je nach Quelle, stark voneinander ab.1716 Am nächsten kommt sowohl den serbischen Angaben als auch den Untersuchungen, die Riedlmayer später im Auftrag der NGO CHwB durchführte1717, der Bericht Kofi Annans an den VN-Sicherheitsrat vom 30. April 2004, den Amnesty International wiedergibt. Demnach hatten durch die Ausschreitungen 19 Personen, darunter 8 Angehörige der serbischen Minderheit, ihr Leben verloren. 954 Menschen galten als verletzt. 730 Häuser von Minoritäten, überwiegend Serben, sowie 36 orthodoxe Kirchen waren beschädigt oder zerstört worden.1718 Erschreckend war überdies die Zahl der Angriffe auf Mitarbeiter und Material der UN-Mission. Mehr als 60 Fahrzeuge der Vereinten Nationen waren bei albanischen Übergriffen abgebrannt worden.1719 In ganz Kosovo waren Stationen der UN und deren Mitarbeiter Ziel von Angriffen gewesen. Insbesondere die Polizisten der Vereinten Nationen waren der Gewalt albanischer Extremisten ausgesetzt. Verletzt wurden auch 55 Soldaten der Kosovo-Force und 100 Angehörige der UNMIK.1720 Die Gewalt gegen Vertreter der internationalen Friedensmission lässt sich vor dem Hintergrund einer allgemeinen Unzufriedenheit der Albaner Kosovos erklären, denen der Machtransfer von der UNMIK auf lokale Organe nicht schnell genug ging. Auch hielt man der UNMIK die Verhaftung von Kommandeuren und Mitgliedern der UÇK vor, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden. MarieJanine Calić schrieb dazu 2004: „Radikale Albaner sehen sich um den Preis ihres Kampfes gegen die serbische Fremdherrschaft geprellt; ethnische Minderheiten, vor allem Serben, dienen als Sündenböcke.“1721 Jens Reuter wies zudem auf die Bedeutung der generellen sozialen Verhältnisse in Kosovo hin: Not, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit sind ein guter Nährboden für die Bereitschaft, auf die Straße zu gehen und gegen alles und jedes zu protestieren. Besonders bei jungen Leuten resultiert daraus die Bereitschaft, nicht nur das Leben und die Gesundheit anderer gering zu schätzen, sondern auch für sich selbst erhebliche Risiken in Kauf zu nehmen. 70 Prozent der Bevölkerung Kosovos sind unter 30 Jahre alt. 50 000 bis 60 000 junge Menschen, d.h. 2 bis 3 Prozent der Ge1716 Vgl. die verschiedenen Publikationen von Michael Martens 2004 in der FAZ und Reuter (2005), 500. 1717 CHwB (2004). 1718 Amnesty International (2004), 3. 1719 Martens (2004h). 1720 Reuter (2005), 500. 1721 Calić (2003), 341; zu den Ursachen der Ausschreitungen am 17. und 18. März siehe auch: Amnesty International (2004), 6; Reuter (2005), 501 ff.
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samtbevölkerung waren an den Unruhen beteiligt. Wenn man in Betracht zieht, dass die Arbeitslosenrate bei 49 Prozent liegt, bei den 16 bis 24-Jährigen aber mehr als 70 Prozent beträgt, darf man sich nicht wundern, wenn die jungen Leute nationalistischen Agitatoren nur allzu gern folgen.1722
Vor diesem Hintergrund haben Beobachter der Ereignisse bereits früh ein organisiertes Vorgehen der radikalen Kräfte in der kosovo-albanischen Gesellschaft bei der Organisation und Durchführung der Proteste und Übergriffe erkennen wollen. Martens mutmaßte am 22. März 2004: „Für den organisierten Charakter der Unruhen gibt es viele Anhaltspunkte. So wurden zu Brennpunkten ausrückenden Kfor-Konvois bewusst Hindernisse, etwa quer über die Fahrbahn geparkte Busse, in den Weg gestellt.“1723 Ebenfalls im März befragte er den kosovo-albanischen Verleger und Chefredakteur der einflussreichen Tageszeitung Koha Ditore, Veton Surroi, zu den Hintergründen der gewalttätigen Proteste. Der erklärte „Es gibt sicher keinen einsamen Lenker, der die Ausschreitungen von seinem Bürotelefon aus dirigiert hat […]. Es existierte eine allgemeine Stimmung, deren sich lokale Anführer bemächtigt haben.“1724 UN-Sekretär Annan hingegen äußerte sich in seinem Bericht an den UN-Sicherheitsrat deutlicher: The onslaught led by Kosovo Albanian extremists against the Serb, Roma and Ashkali communities of Kosovo was an organized, widespread, and targeted campaign. Attacks on Kosovo Serbs occurred throughout Kosovo and involved primarily established communities that had remained in Kosovo in 1999, as well as a small number of sites of recent returns. Properties were demolished, public facilities such as schools and health clinics were destroyed, communities were surrounded and threatened, and residents were forced to leave their homes. The inhabitants of entire villages had to be evacuated and, following their departure, many homes were burned to the ground. In other cases, there were attempts to illegally occupy and, in some cases, allocate abandoned property.1725
Calić sah in den Übergriffen den Versuch, die in Kosovo verbliebenen Serben endgültig zu vertreiben und somit für vollendete Tatsachen zu sorgen, bevor eine politische Lösung erzielt werden konnte: 1722 1723 1724 1725
Reuter (2005), 504. Martens (2004f). Martens (2004g). Zitiert nach Amnesty International (2003), 3.
556 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen Es besteht kein Zweifel, dass die Ausschreitungen von radikalen Gruppen planmäßig organisiert waren, möglicherweise mit dem Ziel, die nichtalbanische Bevölkerung endgültig zu vertreiben […]. Es ist unbestritten, dass die gewaltsamen Angriffe auf Minderheiten im März 2004 orchestriert waren. Praktisch alle von Serben und anderen Nicht-Albanern besiedelten Städte und Gemeinden waren von gezielten Übergriffen betroffen, einschließlich der bislang besser geschützten Enklaven.1726
Jens Reuter wollte ein stets gleiches Schema hinter den Gewaltakten ausgemacht haben: Die Organisatoren der Unruhen versuchten, auch in allen anderen Städten nach dem hier geschilderten Muster zu verfahren. Zunächst gab es Angriffe auf UNMIK-Gebäude und Fahrzeuge, dann wurden serbische Kirchen, Klöster und Schulen in Brand gesteckt, gefolgt von Angriffen auf serbische Häuser und ihre Bewohner. Doch nicht überall waren die Folgen so verheerend wie in Prizren.1727
Die Ereignisse ließen die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen sowie die einheimischen und internationalen Sicherheitskräfte, unter Letzteren insbesondere die Kosovo-Force, denkbar schlecht aussehen. Besonders der KFOR, vor allem im deutschen Verantwortungsbereich, wurde in regionalen und überregionalen Medien Unfähigkeit und Unwillen vorgeworfen, den Ausschreitungen bestimmt und wirksam entgegenzutreten. Der SPIEGEL betitelte am 3. Mai 2004 einen reißerischen Artikel, der schlecht recherchiert ist und zahlreiche sachliche Fehler enthält, über die Ereignisse im März mit Die Hasen vom Amselfeld.1728 Darin wird das Bild einer furchtsam agierenden, auf die eigene Sicherheit bedachten Truppe gezeichnet, deren Mitglieder, als es ernst wurde, die Köpfe einzogen und sich in ihrer Basis versteckten. Unbestritten hatte die KFOR operative Schwächen, mit Feigheit hatten die Ereignisse im März 2004 jedoch wenig zu tun. Zum einen kann angenommen werden, dass die bereits während der unmittelbaren Nachkriegsmonate und den ersten Pogromen gegen die serbische Minderheit charakteristische Mischung aus Überforderung, Fürsorge für die eigenen Soldaten, Pragmatik und politischem Absicherungsdenken auf Seiten der deutschen KFOR-Führung unverändert eine Rolle spielte. Andererseits hatten offenbar die Journalisten des SPIEGEL Auftrag 1726 Calić (2003), 341, 344. 1727 Reuter (2005), 506. 1728 Flottau et al. (2004).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 557
und Mandat der KFOR sowie die Problematik der Situation nicht annähernd verstanden und konnten sie dementsprechend auch nicht differenziert darstellen. Die verschiedenen Nationen der KFOR hatten offenbar erhebliche Kommunikationsprobleme untereinander und verfügten nicht in ausreichendem Maß über relevante Informationen: Die KFOR setzt sich aus Streitkräften von 37 Nationen zusammen, dass deutsche Kontingent besteht aus 3200 Soldaten. Im Verlauf der Unruhen wurde deutlich, dass die Zusammenarbeit der Friedenstruppe auf Sprachbarrieren stößt, und dass auch unterschiedliche Mentalitäten ein reibungsloses Funktionieren erschweren […]. Ein weiterer Faktor war das Versagen der Nachrichtendienste von KFOR. Die Dienste operieren auf nationaler Basis, d.h. jedes KFOR-Kontingent erhält Informationen ausschließlich vom Geheimdienst seines Landes. Ein übergreifender KFOR-Nachrichtendienst existiert nicht.1729
Überdies waren die gewalttätigen Demonstranten den Kräften der internationalen Schutztruppe zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen. Auch waren die Maßgaben zum Einsatz von Gewaltmitteln in den nationalen Kontingenten der KFOR unterschiedlich geregelt.1730 Daher verwundert es nicht, dass sich der Kommandeur der Kosovo-Force, der deutsche Generalleutnant Holger Kammerhoff, im Interview mit der FAZ am 22. März 2004 einerseits überrascht von den Unruhen zeigte und andererseits seine Soldaten in Schutz nahm: „Unabhängig von den sporadischen Übergriffen gab es keine Anzeichen dafür, dass es zu diesen gewaltsamen Zusammenstößen kommen würde.“1731 Die Einlassungen des UN-Polizeichefs Stefan Feller zeigen das ganze Dilemma. Die verschiedenen Organe der internationalen Staatengemeinschaft in Kosovo hatten die Situation im Vorfeld der gewalttätigen Proteste nicht ernst genug genommen und überdies schlecht kommuniziert: [Im] Nachhinein hat sich herausgestellt, dass genau aus dem Personenkreis, den wir im Visier hatten, die Rädelsführer der kriegsähnlichen Unruhen kamen. Gegen sie ermitteln wir heute. Es macht mich krank, wenn ich daran denke, wie viel Leid wir hätten verhindern können.1732 1729 1730 1731 1732
Reuter (2005), 501, 504. Vgl. Amnesty International (2004), 9. Martens (2004e). Zitiert nach Reuter (2005), 509.
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Erst nach den Ausschreitungen begann die Kosovo-Force mit systematischen und nationenübergreifenden Trainings zur Aufstandsbekämpfung (Crowd and Riot Control, CRC), die auf die Überwindung der in der Analyse der Ereignisse erkannten Schwächen abzielten. Diese bestanden vor allem in den Bereichen Kommunikation und Information, internationale Operationsführung und Koordination, schnelle (Luft-)Verlegung der Einsatzkräfte, einheitliche Regeln zur Gewaltanwendung und den Polizeifähigkeiten der Soldaten.
REAKTIONEN IN SERBIEN
Die Ereignisse in Kosovo im März 2004 waren geeignet, jeden der Allgemeinplätze im serbischen Diskurs zur Beschädigung und Zerstörung serbischen kulturellen und religiösen Erbes in den Postjugoslawischen Kriegen zu stützen. Nicht nur wurde dem serbischen Opfermythos reichlich neue Nahrung gegeben. Vielmehr erschienen auch die internationale Staatengemeinschaft und deren Institutionen in dem Licht, in dem sie in serbischen Publikationen dargestellt worden waren: als parteiisch agierende, dem serbischen Schicksal gegenüber interessenlose und ansonsten unfähige Besatzermacht. Die realen Ängste der im Kosovo verbliebenen serbischen Bevölkerung wurden ebenfalls vollumfänglich bestätigt. Dort herrschte der nicht ganz unberechtigte Eindruck, die Vereinten Nationen und die KosovoForce seien weder willens noch in der Lage, sie und ihre Heiligtümer zu schützen. Die Aussagen im serbischen Diskurs korrespondierten mit den tatsächlichen Verhältnissen bis zu einem gewissen Grad, jedoch kamen die Publikationen wie gewohnt ohne jede kritische Reflexion und Kontextualisierung der Ereignisse aus. Die Schärfe der Vorwürfe nahm nach 2004 noch einmal zu. Exemplarisch für zahlreiche Äußerungen ist ein Artikel aus der Feder Slobodan Mileusnićs in der Politika vom 27. März 2004: Diese Zerstörung der serbischen Heiligtümer setzt sich, unglücklicherweise, auch am Ende dieser Märztage fort. Der Verlust betrifft vor allem die Serbische Orthodoxe Kirche und ihre Gläubigen, ist aber gleichermaßen auch zum Nachteil für die christliche und zivilisierte Welt.
Auch die alte Geschichte von der Zerstörung des sogenannten „Erzengelklosters“ zum Bau der Sinan-Pascha-Moschee bemüht er erneut, um die jüngsten Ereignisse historisch zu erklären, verschweigt dabei aber den versuchten Abriss der Moschee zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zum „Erzengelkloster“ existiere die
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Sinan-Pascha-Moschee noch heute als intaktes Bauwerk, woraus zu schließen sei, „[…] dass diese nicht durch die Serben zerstört wurde, um das Material zerstörter Kirchen zurückzugewinnen beziehungsweise zur Wiedererrichtung der Heiligen Erzengel“.1733 Die symbolische Relevanz der beiden Bauwerke, die sich in verschiedenen Kontexten immer wieder instrumentalisieren ließ, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Derselben Diktion folgte auch der Appell zur Rettung der Nation und der Heiligtümer des Synods der Bischöfe der SPC, von dem ein Autor mit dem Kürzel M. K.1734 am 19. März, unmittelbar nach den Unruhen in Kosovo, berichtete.1735 Der Titel sowie die Umstände seines Entstehens erinnern sicher nicht zufällig an den Appell zum Schutz der serbischen Bevölkerung und ihrer Heiligtümer der SPC von 1982. Ebenso verhält es sich mit dem Inhalt. In dem Text von 2004 beschrieb Patriarch Pavle die Ereignisse in Kosovo als Pogrom gegen die serbische Bevölkerung, das im Kontext einer lang geplanten ethnischen Säuberung zu verstehen sei. Das Ziel bestehe in der vollständigen Tilgung der Spuren der „serbischen Nation im Raum Kosovo und Metohija“ – ein „Terror“, an dem UNMIK und KFOR „freiwillig oder unfreiwillig“ sowie „aktiv oder durch Unterlassung“ beteiligt wären. Viel entgegenzusetzen hatten die beiden Institutionen dieser Kolportage nach den Ereignissen am 17. und 18. März 2004 nicht. Doch existierten neben diesen Wahrnehmungen noch andere Sichtweisen, die öffentlich geltend gemacht wurden. So veröffentlichte die Politika von März bis August 2004 immerhin neun, zum Teil sehr ausführliche Artikel zu den Übergriffen auf die Moscheen in Belgrad und Niš sowie das Zentrum der Islamischen Gemeinschaft in Novi Sad, die als Reaktion auf die Ausschreitungen in Kosovo beschrieben wurden. Wiewohl die Zerstörung des islamischen Zentrums nur am Rande erwähnt wird, fällt die Schilderung der Begleitumstände der Angriffe auf die beiden Moscheen relativ umfangreich aus – ausführlicher sogar als in internationalen Berichten. Demnach hatten sich am Abend des 17. März mehrere tausend Demonstranten in Belgrad versammelt, um gegen die Übergriffe auf Serben und serbisches Kulturerbe in Kosovo zu protestieren. Zunächst verlief die Kundgebung offenbar friedlich. Später jedoch spitzte sich die Situation zu, als mehrere hundert „Hooligans“ zur 1690 errichteten Bajrakli-Moschee in der Belgrader Altstadt zogen und an der Kreuzung der Straßen Gospodar Jevremova und Zar Uroš un1733 Mileusnić (2004). 1734 Wahrscheinlich die Journalistin Mirjana Kuburović, die regelmäßig über die Situation des serbischen Kulturerbes in Kosovo schrieb. Da ich dies jedoch nicht zweifelsfrei feststellen kann, führe ich die Texte unter dem Autorenkürzel M. K. gesondert in der Bibliografie auf. 1735 M. K. (2004a). Vollständiger Text des Appells in: Patriarchat… (2004), 6.
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terhalb der Festung Kalemegdan mit Polizeieinheiten zusammenstießen. Es heißt, dass Letztere versuchten, einen Kordon zum Schutz der Moschee aufzubauen, der Menschenmenge jedoch nicht gewachsen waren. Die Demonstranten warfen zunächst Steine, drangen dann aber in die Moschee ein, zerstörten den größten Teil ihres Inventars und setzten das Bauwerk schließlich in Brand. Als die Feuerwehr zum Löschen anrückte, blockierte die Menschenmenge den Zugang zum Gebäude. Erst gegen ein Uhr dreißig am Morgen des 18. März gelang es der Polizei schließlich, eine Gasse zu sichern, über die eine Stunde später die Feuerwehr vorrücken konnte. Das Archiv, die Bibliothek sowie die Kanzlei des Imams und des Muftis brannten vollständig aus. Am stärksten beschädigt waren die ebenerdigen Räume sowie die angeschlossene Medresse, in der alle Unterrichtsgegenstände verbrannten. Das zur Moschee gehörige Internat wurde ebenfalls beschädigt. Überdies wurden 24 Polizisten und 15 Zivilpersonen verletzt und einige Fahrzeuge abgebrannt.1736 Die vollständige Zerstörung der Islam-Aga-Moschee im südserbischen Niš scheint ähnlich verlaufen zu sein. Die Autoren der Politika berichteten, dass sich im Zentrum der Stadt ähnlich wie in Belgrad am Abend des 17. März einige hundert Demonstranten versammelten. Unter ihnen befanden sich offenbar auch einige aus Kosovo vertriebene Serben, die in Niš Zuflucht gefunden hatten. Gegen 23 Uhr eskalierte der Protest – die Menschenmenge zog zur Moschee in der General Miloj Lešjanin Straße und zündete das Bauwerk aus dem 18. Jahrhundert an, das in weniger als einer Stunde „bis auf die Grundmauern“ niedergebrannt sein soll.1737 Am 2. April 2004 meldete sich der Architekt Dobroslav St. Pavlović, der als Konservator viele Jahre für die Moscheen in Belgrad und Niš verantwortlich gewesen war, zu den Zerstörungen zu Wort: Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass mir einmal zu Ohren käme, dass ein halbes Jahrhundert, nachdem mir der Auftrag der Erhaltung zweier baufälliger islamischer Gotteshäuser in unserem Land übertragen wurde, diese erneut beschädigt würden – und zwar genau an den Teilen, an denen ich am meisten gearbeitet habe. Verantwortlich für diese abscheuliche Tat gegen zwei bedeutende gesetzlich geschützte sakrale Kulturdenkmäler war diesmal eine Bande von schamlosen Hooligans, angeführt von einem bis dahin unbekannten Anstifter. Das ist eine Clique im Wesentlichen von Feinden des libertären serbischen Geis1736 NN (2004); D. V./M. U. A. (2004); Telesković/Pavlović (2004); Preneto (2004b); Galović (2004); Tanjug (2004e). 1737 Politika (2004a); Todorović (2004); Galović (2004); Tanjug (2004e).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 561
tes, Befürworter der Rache für die enorme ethnische Säuberung gegen die Serben in Kosovo und Metohija und deren Heiligtümer.1738
Was den quantitativen Umfang und das qualitative Ausmaß der Schäden wiederum am serbischen Kulturerbe in Kosovo betraf, so waren diese, ähnlich wie in den internationalen Berichten auch auf serbischer Seite ein Gegenstand von Mutmaßungen und Spekulation. Verlässliche Zahlen waren nicht beizubringen. Gesichert war, dass es einige Tote und mehrere hundert Verletzte in verschiedenen Orten Kosovos gegeben hatte. Die Angaben zu zerstörten Kirchen und Klöstern reichen von mindestens 15 bis drei Dutzend. Zudem sollen einige hundert Häuser von Serben niedergebrannt worden sein.1739 Einigermaßen verlässliche Informationen lagen offenbar erst fünf Monate später vor. Mirjana Kuburović berief sich in einem Artikel vom 24. August auf Angaben des Mnemosyne-Instituts und erklärte, dass während der Märzunruhen 35 orthodoxe Kirchen und Klöster zerstört oder beschädigt wurden1740, berichtete jedoch einen Tag später unter Bezugnahme auf die Angaben der Diözese Raška-Prizren von 31 Kirchen und Klöstern, einem Priesterseminar, einem Bischofssitz, einem Wohn- und Arbeitskomplex sowie einer mittelalterlichen Festung1741. Diese Angaben sind etwa deckungsgleich mit den Berichten der Vereinten Nationen, der NGO Amnesty International und der Untersuchung Riedlmayers für die NGO CHwB.1742 Die Bezifferung der Schäden ist, wie bereits an den Beispielen Kroatiens und Bosnien-Herzegovinas zu sehen war, insgesamt problematisch und kann nicht als wissenschaftlich-verbindlich angesehen werden. Angaben, die sich als falsch herausstellten, wurden von denen, die sie gemacht hatten, wenn überhaupt, nur selten korrigiert. Viele Objekte waren nicht richtig oder nur nach Hörensagen erfasst worden. Dementsprechend sind die verschiedenen Dokumente unter und in sich oft widersprüchlich. Von der Menge der Äußerungen überwältigt, gerät überdies die Tatsache in Vergessenheit, dass die Informationen im Diskurs zur Beschädigung und Zerstörung von Kulturerbe in Kosovo generell lediglich von einer Handvoll Personen stammten. Auf serbischer Seite waren das aus dem Umfeld der Serbischen Orthodoxen Kirche insbesondere Slobodan Mileusnić, Sava Janjić und dessen Mentor Bischof Artemije Radosavljević. Darüber hinaus waren Mirjana Menković und 1738 1739 1740 1741 1742
Pavlović, D. St. (2004). Preneto (2004a); M. K. (2004a); Baković (2004); M. K. (2004b). Kuburović (2004b). Kuburović (2004c). Amnesty International (2004), 3; CHwB (2004).
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Branko V. Jokić vom Mnemosyne-Institut, Branislav Krstić sowie Marko Omčikus für staatliche Institutionen aktiv. Dazu kommen einige wenige Journalisten. Die Ansprechpartner für diesen Personenkreis waren oft dieselben. In ihren Veröffentlichungen und Wortmeldungen verwiesen die Akteure regelmäßig aufeinander. Ein Bericht etwa über eine Pressekonferenz des Ministeriums für Kultur zu den Ausschreitungen in Kosovo, veröffentlich am 19. März 2004 in der Politika, rekurriert auf Angaben von Branislav Krstić.1743 In einer weiteren Mitteilung zitierte die Autorin dieses Berichts wiederum Marko Omčikus und Mirjana Menković.1744 Am 30. Juni 2004 stellte die Journalistin Marina Vulićević das eben erschienene zweisprachige Buch March Pogrom in Kosovo and Metohija (Martovski Pogrom na Kosovu i Metohiji)1745 des Ministeriums für Kultur vor – dessen Autoren und Redakteure waren Menković und Jokić.1746 Kuborović wiederum berief sich in zwei Artikeln zur Situation des serbischen Kulturerbes in Kosovo ebenfalls auf den Text von Menković und Jokić.1747 Hin und wieder flossen auch Informationen der UNMIK oder der Kosovo-Force in die serbischen Berichte ein, wenn sie zur politischen Agenda passten. Über den zirkulären und selbstreferentiellen Charakter vieler Äußerungen besteht daher kein Zweifel. Eine kritische Evaluation dieser Dokumente fand in der Regel nicht statt oder wurde nicht veröffentlicht. Da sich die Übergriffe gegen die serbische Minderheit und deren Kulturerbe richteten, spielte albanisches oder osmanisches Kulturerbe in den Berichten zu den Märzunruhen keine Rolle. Zusätzlich zur ihrer ohnehin starken Präsenz in der Öffentlichkeit und den Medien Serbiens reagierte der SPC mit einer eigenen Publikation auf die gewalttätigen Proteste in Kosovo. Am 1. April 2004 erschien die Sonderausgabe Die Asche Vračars, Hilandars und Kosovo und Metohijas (Pepeo Vračara, Hilandara i Kosova i Metohije) der Pravoslavlje.1748 Der Titel bereits enthält eine Reihe symbolischer Referenzen, die eine Lesart der Ereignisse determinieren. Mit der Asche Vračars war die angeblich 1594 erfolgte Verbrennung der Gebeine des heiligen Sava, des Gründungsvaters der mittelalterlichen Serbischen Orthodoxen Kirche Rastko Nemanjić (1175–1236), auf dem Belgrader Hügel Vračar im gleichnamigen Stadtteil gemeint, die auf Geheiß des osmanischen Heerführers Kodža Sinan Pascha erfolgt sein
1743 1744 1745 1746 1747 1748
Đorđević (2004a). Đorđević (2004b). Republic of Serbia (2004). Vulićević (2004). Kuburović (2004b, 2004c). Patriarchat… (2004).
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soll.1749 Die Asche Hilandars verweist auf den Brand im orthodoxen Kloster auf dem griechischen Berg Athos in der Nacht vom 3. auf den 4. März 2004, bei dem ein großer Teil des Bauwerks und zahlreiche wertvolle historische Gegenstände sowie ein Teil des Archivs zerstört wurden. Die Pravoslavlje verortet auch dieses Ereignis in der Verschwörung gegen die Serben und ihre Kirche. Die Ausschreitungen in Kosovo schließlich bilden den Höhepunkt in der Trias der Vernichtung serbischen kulturellen und religiösen Erbes durch Feuer und rechtfertigen damit augenscheinlich eine religiöse Lesart der Ereignisse. Der Titel des Heftes weckt eine Erwartungshaltung, die durch den Inhalt bestätigt wird: Grundsätzlich orientiert sich auch diese Veröffentlichung an der üblichen Struktur. Die Klage um das eigene Erbe, verbunden mit der Schuldzuweisung an den „barbarischen“ Anderen und der Überhöhung der eigenen historischen und kulturellen Position, wird ergänzt durch eine historische „Unterrichtung“, die mit dem angeblich fehlenden Wissen des Gegenübers begründet wird. Über die Ernsthaftigkeit der Friedensbotschaft zu Beginn des Heftes, die ein Autor mit dem Kürzel Lj. C. mit seiner Kontemplation über den Tod Christi verbindet, darf man angesichts des Kontextes berechtigte Zweifel hegen. So sollen die Unruhen in Kosovo nicht als Konflikt zweier Nationen oder Glauben verstanden werden, sondern vielmehr als gemeinsames Unglück, das nur durch Menschenliebe überwunden werden könne.1750 Wir finden solche und ähnliche Aussagen wie gezeigt auch in Publikationen der katholischen Kirche Kroatiens.1751 Sie unterstützen die Darstellung der angeblichen eigenen Unschuld an der Situation und der Gesprächsbereitschaft, stehen jedoch im Gegensatz zu den nachvollziehbaren Sachverhalten. Man kann diese Art von Einlassungen durchaus als das sprichwörtliche „Feigenblatt“ für die übrigen, viel radikaleren Aussagen interpretieren. Der Appell des Synods der SPC zu den Zerstörungen in Kosovo, der bereits in der Politika erwähnt und nun in der Pravoslavlje auf Seite 6 vollständig abgedruckt wird, stellt die Ereignisse in Kosovo nach den bekannten Stereotypen in historische Zusammenhänge. Patriarch Pavle bezeichnet die Übergriffe als „Fall des organisierten albanischen Terrorismus“, der schon viele Jahrzehnte andauere.1752 Am 17. März hatte der damalige serbische Premierminister Vojislav Koštunica auf dem Belgrader Vračar eine Rede gehalten, die derselben Diktion folgte. Die Pravoslavlje 1749 Vgl. Boeckh (2009), 15; Katić (2005), 153. 1750 Lj. C. (2004). 1751 Vgl. Kroatisches Informationszentrum et al. (1996, 1997) sowie die Analyse der entsprechenden Dokumente im Kapitel zur Kulturerbezerstörung in Kroatien. 1752 Synod der Serbischen Orthodoxen Kirche (2004).
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druckte sie in Auszügen ab – wohl um die Übereinstimmung von Politik und Kirche deutlich zu machen: Terrorismus [der Begriff, T. S.] hat nach den Anschlägen in New York am 11. September 2001 eine vollständig andere Bedeutung erhalten. Ähnliches hat sich am 11. März dieses Jahres in Madrid ereignet. Demzufolge hat auch das, was sich in Kosovo abspielt, eine andere Bedeutung nach dem 17. März.1753
Auch der Direktor des Koordinationszentrums für Kosovo und Metohija Nebošja Čović, dessen Stellvertreter Branislav Krstić war, beschrieb in dem Heft die Ereignisse als Taten „terroristischer Banden“, die seit Jahren Serben angriffen und ausraubten. Mit der Wirtschaftshilfe für Kosovo finanziere Europa den „Bin Laden des Balkans“.1754 Man kann diese Argumentation als den Versuch verstehen, anstelle einer differenzierten Analyse der Ereignisse neben dem religiösen Deutungsparadigma eine weitere pauschale und verkürzende Interpretation zu etablieren. Mit dem Etikett „Terrorismus“ ließ sich der komplexe Konflikt zwischen Serben und Albanern als extreme Form von Kriminalität auf Seiten der Albaner brandmarken und politisch ausbeuten. Der serbischen Führung fehlte es aus naheliegenden Gründen an Bereitschaft, selbst Verantwortung zu übernehmen. Sie externalisierte diesen Makel und projizierte ihn als „Terrorismus“ auf ihr Gegenüber. Die eigene Position konnte so auf lange Sicht innen- und außenpolitisch gestärkt und legitimiert werden. Der solchermaßen in politisches Kapital verwandelte Konflikt blieb ein nützliches Instrument. Bekannt sind auch die Versuche, eine Analogie zur Ermordung der europäischen Juden durch die deutschen Nationalsozialisten herzustellen. In der Pravoslavlje ist in diesem Zusammenhang nun die Rede von einer „Kristallnacht“ (kristalni noć) der Serben in Kosovo.1755 Obligatorisch, wenngleich nicht unberechtigt, ist auch der Vorwurf gegenüber UNMIK und KFOR. Bischof Artemije Radosalvjević erklärte in diesem Zusammenhang: Die internationale Politik der letzten fünf Jahre ist die Ursache und die Wurzel dieser jüngsten Eskalation der Gewalt, die sich am 17. März Bahn brach, weil die internationale Politik zu tolerant gegenüber den Tätern verschiedener Verbre1753 Lubardić (2004a). 1754 Lubardić (2004b). 1755 Patriarchat (2004), 22.
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chen in Kosovo war, die sich gegen Serben richteten. Besonders hervorgehoben werden muss, dass in den vergangenen fünf Jahren 115 Kirchen zerstört wurden, sich viele Morde, Entführungen, Vergewaltigungen, Zerstörungen von Häusern von Serben ereignet haben und dass nicht ein Verbrecher sich vor dem Angesicht des Rechts verantworten musste. Das alles ermutigte die albanischen Extremisten zu tun, was sie wollen, und hat letztlich zu dieser Eskalation geführt. Es versteht sich, dass niemand konkret vorhersagen konnte, was sich wo ereignen würde und auf welche Weise, aus diesem Grund erklären die Vertreter der internationalen Gemeinschaft, dass sie überrascht und schockiert sind über das, was sich ereignete. Sie haben nur einen Teil ihrer Verantwortung wahrgenommen, darüber jedoch wird eines Tages noch zu sprechen sein.1756
Zum Umfang der jüngsten Schäden am serbischen kulturellen und religiösen Erbe führt die Redaktion der Pravoslavlje im Mittelteil des Hefts eine tabellarische Übersicht auf, die in 14 Orten Kosovos1757 30 Kirchen, ein Priesterseminar und einen Bischofssitz als zerstört oder beschädigt verzeichnet. Die meisten dieser Bauwerke befanden sich in Prizren, im Verantwortungsbereich des deutschen Kontingents der Kosovo-Force. Dort waren neun Kirchen, das Unterkunftsgebäude des sogenannten Erzengelklosters, das Priesterseminar sowie der Bischofssitz betroffen.1758 Aufschlussreich wiederum ist die Erklärung von Bischof Artemije zur Funktion der Informationsagentur seiner Diözese Raška-Prizren im Zusammenhang mit der Beschädigung und Zerstörung von serbischem Kulturerbe in Kosovo: Vater Sava aus dem Kloster Dečani organisiert bereits seit zehn Jahren die Arbeit der Informationsagentur der Diözese Raška-Prizren, bei ihm kommen alle Informationen an, die er dann weiterleitet. Ich glaube, dass die Rolle dieser Aktivitäten des Klosters Dečani und der Diözese Raška-Prizren in den vergangenen zehn Jahren wichtiger als alle Diplomatie der vergangenen und gegenwärtigen Regierung war.1759
Inwiefern die Pressearbeit seiner Diözese der internationalen Diplomatie im Hinblick auf Kosovo tatsächlich ebenbürtig oder gar überlegen war, sei dahingestellt. Keine Institution jedoch hat das heute vorherrschende Bild über die Kulturerbe1756 Lazić (2004); vgl. Skupština Srbije (2004). 1757 Prizren, Orahovac, Đakovica, Srbica, Peć, Uroševac, Kosovska Kamenica, Štimlje, Priština, Kosovo Polje, Vučitrn, Obilić, Kosovska Mitrovica, Podujevo. 1758 Pravoslavlje, Redaktion (2004). 1759 Lazić (2004).
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zerstörung in Kosovo tatsächlich so nachhaltig geprägt wie die Informationsagentur der Diözese Raška-Prizren und deren Partner in Serbien. Die Sonderausgabe der Pravoslavlje wird – nicht unpassend – beschlossen mit der Vorstellung von Bogdanovićs Buch über Kosovo (Knjiga o Kosovu) durch Miodrag Popović, der den Rang eines Protonamesnik (Stellvertreters des Erzpriesters) in der SPC innehatte.1760 Der Einfluss von Bogdanovićs Buch kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, was schon an dessen immer wiederkehrender Thematisierung im serbischen Diskurs zu Kosovo deutlich wird. Der Text des Buches forciert, wie sein Autor ausdrücklich formuliert, die Meinungsbildung insbesondere einer europäischen Leserschaft.1761 Anhand des Knjiga o Kosovu erklärt nun Popović unter der Überschrift Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und ein einheitliches Gesetz für alles und jeden die derzeitige Situation in Kosovo und perpetuiert dabei, beginnend bei der serbischen Landnahme im Gebiet des heutigen Kosovo bis zum „großalbanischen Nationalismus“ und der „ethnischen Säuberung“ der Region, sämtliche bei Bogdanović versammelten Stereotype. Seinen Text hat er wie ein Interview mit Dimitrije Bogdanović gestaltet – dieser war jedoch bereits 1986 verstorben. Ob es sich um einen dramaturgischen Kniff oder die posthume Veröffentlichung eines tatsächlichen Interviews handelt, erklärt Popović nicht.
DAS MEMORANDUM ON KOSOVO AND METOHIJA DES SYNODS DER BISCHÖFE DER SERBISCHEN ORTHODOXEN KIRCHE
Ein Memorandum on Kosovo and Metohija hatte der Synod der SPC bereits 2003 veröffentlicht. Ergänzt um die Interpretation der Ereignisse vom März 2004 wurde die Publikation ein Jahr später neu aufgelegt. Die Struktur des Textes, der neben dem serbischen Original (Memorandum o Kosovu i Metohiji) zumindest auch in englischer und französische Übersetzung erschienen ist, folgt dem bereits bekannten Schema: Umfangreiche Ausführungen zur Geschichte der Region betonen das serbische Leiden und „beweisen“ den „serbischen Kirchen-Charakter“ des „Alten Serbien“ als „Heiliges Land“, als „Jerusalem“ der Serben.1762 Dem folgt ein kurzer Abriss der jüngsten Geschichte seit 1999.1763 Unter den Quellen ist neben anderen wiederum Bogdanovićs Knjiga o Kosovu verzeichnet. Der Autor wird als Gewährs1760 1761 1762 1763
Popović (2004). Bogdanović, Dimitrije (1992), 7. The Holy Assembly…(2004), 9, 12 The Holy Assembly… (2004), 65 ff.
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mann „authentischer“ serbischer Sicht auf die Geschichte Kosovos bezeichnet, die dem „anti-historischen Pragmatismus“ des „Westens […] insbesondere der Amerikaner“ unversöhnlich gegenüberstehe.1764 Im Anschluss daran werden die als „März-Pogrom“ bezeichneten anti-serbischen Ausschreitungen in Kosovo behandelt. Dazu gehört auch eine Übersicht der angeblich zerstörten oder beschädigten Bauwerke sowie eine Namensliste der während der Unruhen vorgeblich getöteten Serben. Die Schilderungen des „Pogroms“ werden durch „Reportagen“ aus verschiedenen Regionen Kosovos ergänzt.1765 Erkennbar ist wiederum die Absicht, mit quantitativen und qualitativen Elementen, die aufeinander Bezug nehmen, der Studie eine höhere Glaubwürdigkeit und Authentizität zu verleihen. Es erübrigt sich, auf die einzelnen Kapitel näher einzugehen, denn sie wiederholen nur die gängigen Stereotype vorangegangener Veröffentlichungen. Die Zahl der als beschädigt und zerstört verzeichneten Kirchen und Klöster war im Zuge der Ausschreitungen weiter gestiegen. Nachdem zwischen Juni 1999 und Mai 2003 110 betroffene Strukturen der SPC registriert worden waren, kamen Ende März 2004 noch einmal 32 Kirchen und Klöster sowie die Bischofsresidenz und das Priesterseminar in Prizren dazu. Um Doppelzählungen bereinigt, ergibt sich eine Gesamtzahl von insgesamt 125 beschädigten oder zerstörten Objekten.1766 Aus heutiger Sicht entsprachen diese Zahlen durchaus den Tatsachen. Einige der Objekte habe ich selbst mehrfach besucht und in Augenschein nehmen können.
DAS MINISTERIUM FÜR KULTUR DER REPUBLIK SERBIEN UND DAS MUSEUM IN PRISHTINA: MARCH POGROM IN KOSOVO AND METOHIJA / MARCH 17–19, 2004
Auf die Unruhen in Kosovo und die Zerstörung von serbischem Kulturerbe reagierte die serbische Regierung im Frühjahr 2004 mit einer eigenen Publikation, als deren Herausgeber das Ministerium für Kultur auftrat.1767 Neben Dragan Kojadinović, der von März 2004 bis Mai 2007 Minister für Kultur war und als „Lek1764 The Holy Assembly… (2004), 13, dort auch Anm. 7. 1765 The Holy Assembly… (2004), 109 ff. 1766 The Holy Assembly… (2004), 122 ff. und 142 ff.; die Zählung zu 2004 ist verwirrend, so haben Bischofsresidenz und Priesterseminar keine Nummern in der Liste erhalten; bei zwei Kirchen, der Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit in Gjakova und der orthodoxen Kirche in Kosovska Kamenica, wurde die Listennummer vergessen; vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1767 Republic of Serbia (2004).
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tor“ der Veröffentlichung fungiert, werden Branko V. Jokić und Mirjana Menković als „Bearbeiter“ und „redaktionelle Assistenten“ genannt. Ebenfalls im Impressum aufgeführt ist der Informationsdienst der Diözese Raška-Prizren. Über Autoren und Inhalt des Textes kann folglich kein Zweifel bestehen. Tatsächlich enthält das in englischer und serbischer Sprache erschienene Buch March Pogrom (Martovski Pogrom) außer einer Auflistung beschädigter und zerstörter Bauwerke keinerlei neue Gesichtspunkte. Der angeblich unfähigen und untätigen zivilen Verwaltung Kosovos, der ohnmächtigen KFOR und den „terroristischen Albanern“ wird das Leiden der Kulturnation Serbien gegenübergestellt. Formal und methodisch ist die Veröffentlichung stark am Final Report des Mnemosyne-Instituts1768 orientiert. Neben einer nahezu identischen Gestaltung orientiert sich die katalogische Erfassung an denselben Klassifizierungskategorien für die betroffenen Monumente und verweist auf die gleichen offiziellen Dokumente als Grundlagen.1769 Insgesamt 35 Objekte werden als während der Märzunruhen 2004 zerstört oder beschädigt verzeichnet. Dabei handelt es sich in dieser Veröffentlichung um 31 Kirchen und Klöster sowie die Festung Kaljaja in Prizren, das zu deren Füßen liegende historische Viertel Potkaljaja, das Priesterseminar und die Residenz des Erzbischofs.1770 Weitere 38 Monumente werden im Abschnitt Zerstörtes und beschädigtes kulturelles Eigentum in Kosovo und Metohija / 1999-2004 katalogartig vorgestellt. Die Einträge sind mit zum Teil eindrucksvollen Fotografien versehen, die die Objekte vor und nach ihrer Zerstörung abbilden. Die Schuttberge einiger vollständig gesprengter Bauwerke erinnern an die Bilder serbischer und kroatischer Zerstörungen in Bosnien und Herzegovina. Insgesamt ergibt sich so aus der Veröffentlichung die Zahl von 73 zwischen Juni 1999 und April 2004 beschädigten oder zerstörten Monumenten. Nach den Angaben der Herausgeber war dies etwa die Hälfte der angeblich 140 insgesamt betroffenen Objekte serbischen kulturellen und religiösen Erbes in Kosovo.1771 Warum die übrigen 67 Strukturen in der Veröffentlichung nicht aufgeführt werden, wird nicht erklärt. Im Kapitel Gefährdetes kulturelles Eigentum in Kosovo und Metohija wird neben 61 weiteren Kirchen und Klöstern auch eine Anzahl von vernakulären Bauwerken (Brücken, Häuser, eine Mühle etc.) vorgestellt. Taktisch war das nicht unklug. 1768 Mnemosyne (2003). 1769 Republic of Serbia (2004), 19; vgl. Republika Srbija (1995); Republički zavod… (2002); Mnemosyne (2003), 11. 1770 Republic of Serbia (2004), 23-48. 1771 Republic of Serbia (2004), 20.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 569
Nach den Unruhen 2004 stieg das Interesse an der serbischen Darstellung der Ereignisse vorübergehend stark an. Im Zuge dieser Aufmerksamkeit ließ sich öffentlichkeitswirksam noch einmal das Narrativ vom „serbischen Kosovo“ bemühen. Das erklärt, warum in einer Publikation mit dem Titel March Pogrom zahlreiche Objekte vorgestellt wurden, die von den Übergriffen gar nicht betroffen waren. Auffällig ist die große Zahl der Bilder. Insgesamt 361 Fotografien, 3 Kartenausschnitte sowie 2 Zeichnungen beinhaltet die lediglich 120 Seiten starke Publikation, was einem Durchschnitt von 3 Bildern pro Seite entspricht. Neben den Fotografien im Katalogteil enthält das Kapitel Das Pogrom 89 ausnahmslos unkommentierte Bilder. Zerstörte Bauwerke stehen neben dem mit Prellungen übersäten Gesicht einer älteren Frau, einem an einer Wäschestange strangulierten Schwein, brennenden Häusern und Bilder von Frauen und Kindern. Ohne Bildkommentare sind die Fotografien für jede Form emotionaler Projektion offen. Unbeabsichtigt war das sicher nicht.
ANA JOVIĆ-LAZIĆ: SCHUTZ DES KULTURERBES IN KOSOVO UND METOHIJA
Ende des Jahres 2004 veröffentlichte die Politikwissenschaftlerin Ana JovićLazić im Quartalsheft des Belgrader Instituts für internationale Politik und Wirtschaft, den Međunarodni Problemi (Internationale Probleme), den Aufsatz Zaštita kulturne baštine na Kosovu i Metohiji (Schutz des Kulturerbes in Kosovo und Metohija).1772 Ihr Text hat weder in noch außerhalb Serbiens herausragende Bedeutung erlangt. An ihm lässt sich jedoch gut zeigen, wie Aussagen vom Diskurs zum zerstörten Kulturerbe in den der internationalen Politikwissenschaft in Serbien eingehen konnten. Dabei wird einmal mehr deutlich, wie verhängnisvoll zirkuläre und selbstreferentielle Aussagen aus einem engen Personenkreis ohne kritische Reflexion potentiell sein können, wenn sie die einzigen Quellen eines sozialen Wissensvorrats sind. Jović-Lazić wollte mit ihrem Artikel einen Abriss über Struktur, Situation und Schutz des Kulturerbes Kosovos angesichts seiner Beschädigung und Zerstörung zwischen 1999 und 2004 geben. Dazu bezog sie als erste serbische Wissenschaftlerin überhaupt die Maßnahmen der Vereinten Nationen und des Europarats in ihre Überlegungen konsequent mit ein. Sie thematisierte in diesem Zusammenhang hauptsächlich zwei Missionen der UNESCO und die Anstrengungen des Europarats, auf die später noch ausführlicher eingegangen wird. Ebenso erkannte sie 1772 Jović-Lazić (2004).
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– auch das ist eine ungewöhnliche Aussage im serbischen Diskurs – den Wert des osmanischen Erbes in der Region ausdrücklich an: In Kosovo und Metohija befindet sich auch eine große Zahl von repräsentativen Objekten des osmanischen Kulturerbes. Großen Wert haben Moscheen wie etwa die Al-Fatih-Moschee Sultan Mehmeds des II. in Priština aus dem 15. Jahrhundert und die Sinan-Pascha-Moschee in Prizren aus dem frühen 17. Jahrhundert mit dem dazugehörigen Hamam.1773
Dennoch werden die Erwartungen des Lesers schnell enttäuscht, denn im weiteren Verlauf des Textes ist kaum mehr die Rede vom osmanischen Erbe – sieht man von einer knappen Erwähnung im Zuge der Ausführungen zu den Aktivitäten internationaler Organisationen ab.1774 Im Hinblick auf das serbische Kulturerbe Kosovos wiederum weist die Argumentation Jović-Lazićs eine starke Orientierung an den Veröffentlichungen von Jokić und Menković auf, die bis zur beinahe wörtlichen Übernahme von Aussagen reicht. So schreibt sie zur Zahl der in Kosovo als Kulturerbe registrierten Bauwerke: „Im Territorium Kosovo und Metohijas sind über dreihundert gesetzlich geschützte Kulturdenkmäler registriert“1775. In der Publikation March Pogrom heißt es, „[…] im Raum Kosovo und Metohijas […] sind über dreihundert Kulturdenkmäler geschützt […].“1776 Eine Quelle für ihre Aussage zum Umfang des geschützten Kulturerbes in Kosovo hatte Jović-Lazić nicht angegeben. Wir können dennoch relativ zuverlässig schlussfolgern, woher die Zahl stammte. Nach dem Register des unbeweglichen Kulturerbes der Republik Serbien von 1995 waren Ende 1994 bereits 410 geschützte Kulturdenkmäler in Kosovo registriert.1777 Gleichwohl hatte Branislav Krstić in seinem Text von 2002 von 372 registrierten Monumenten in Kosovo geschrieben.1778 Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Aussage von Krstić über Menković und Jokić in den Text schließlich von Ana Jović-Lazić gelangte. Zur Zahl der seit 1999 beschädigten und zerstörten Bauwerke erklärte sie:
1773 Jović-Lazić (2004), 471. 1774 Jović-Lazić (2004), 474 ff. 1775 „Na teritoriji Kosova i Metohije registrovano je preko tri stotine zakonom zaštićenih spomenika kulture“ (Jović-Lazić (2004), 465 f.). 1776 „[…] na prostoru Kosova i Metohije zašićeno je preko tri stotine kulturnih dobara […]” (Republic of Serbia (2004), 17). 1777 Republika Srbija/Zavod za statistiku (1995). 1778 Krstić (2002), 5, 11 f.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 571
Seit der Ankunft der internationalen Friedenstruppen 1999 bis Anfang 2004 wurden 15 Kulturdenkmäler in der ersten und 23 in der dritten Kategorie zerstört – insgesamt 38 Denkmäler und Objekte. Während der Märzgewalt sind wiederum, wie es auch in Expertenuntersuchungen des Europarats ausgeführt wird, 35 Kirchen und Klöster zerstört worden, davon sechs aus der ersten Kategorie, das sind kirchliche Gebäude aus dem XIV, XV und XVI Jahrhundert.1779
In March Pogrom heißt es: In der Periode zwischen 1999 und 2004 wurden 15 Kulturdenkmäler aus der ersten und 23 aus der dritten Kategorie zerstört, was insgesamt 38 kulturelle Objekte ausmacht. […] Während des Märzpogroms wurden 19 kulturelle Monumente, von denen sechs in die erste Kategorie fallen – Kirchen aus dem XIV, XV und XVI Jahrhundert, und 16 religiöse Objekte ohne Kulturerbe-Wert verwüstet, was einer Gesamtsumme von 35 Kulturobjekten und Kirchen entspricht.1780
Hier gibt Jović-Lazić zwar als Quelle den Text des Kulturministeriums an, ohne die relevanten Passagen als Zitate zu kennzeichnen. Sie fährt fort: „Wenn man zu dieser Zahl das übrige beschädigte Kulturerbe dazugibt, sind mehr als 140 Denkmäler und Heiligtümer beschädigt oder zerstört.“1781 So war es ebenfalls bereits in March Pogrom nachzulesen1782 und wurde beinahe wörtlich von Marina Vulićević und Mirjana Kuborović in einem Artikel in der Politika zitiert.1783 Es nimmt nicht wunder, wenn unter einer solchen starken Anlehnung an existierende Texte ohne deren kritische Reflexion auch die eigene Fähigkeit zur Dif1779 „Od dolaska međunarodnih mirovnih snaga 1999. do početka 2004. godine uništeno je 15 spomenika kulture u prvoj i 23 u trećoj kategoriji – ukupno 38 spomenika i objekata. Prilikom martovskog nasilja uništeno je još, kako je potvrđeno i u stručnom izveštaju Saveta Evrope, 35 crkava i manastira, od kojih i šest iz prve kategorije, tj. crkvene građevine iz XIV, XV i XVI veka“ (Jović-Lazić (2004), 472, 473). 1780 „U periodu od 1999. do 2004. godine uništeno je 15 spomenika culture u prvoj kategoriji i 23 u trećoj kategoriji, što je ukupno 38 spomenika i objekata. […] U martovsko pogrom uništeno je 19 spomenika culture – šest u prvoj kategoriji, što znači crkvenih građevina iz XIV, XV, i XVI veka i 16 svetinja, crkava koje nisu kategorisanje, što je ukupno 35 spomenika i crkava“ (Republic of Serbia (2004), 19). 1781 „Kada se ovom broju dodaju ostala oštećena dobra, oštećeno i uništeno je više od 140 spomenika I svetinja.“ (Jović-Lazić (2004), 473). 1782 „Ako se imaju u vidu i sva ostala uništena kulturna dobra, kao i svetinje, konačan broj premašuje 140 spomenika, svetinja i objekata.“ (Republic of Serbia (2004), 19, 20). 1783 Vulićević (2004); Kuburović (2004b).
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ferenzierung leidet. Der Abschnitt mit der Zwischenüberschrift Gefährdung des kulturellen Erbes in Kosovo und Metohija1784 enthält trotz des kurz erwähnten Werts des osmanischen Kulturerbes und im Widerspruch zur Überschrift kein weiteres Wort zu selbigem. Vielmehr wird auch hier ausschließlich das serbische christliche Kulturerbe, das durch „albanische Extremisten und Terroristen“ zerstört werde, zum Thema gemacht. Jović-Lazić hatte neben den inhaltlichen Referenzen auch die Diktion der bekannten serbischen Äußerung im Diskurs verinnerlicht. Selbiges gilt für ihre Kritik der internationalen Gemeinschaft. Diese scheine eine „multiethnische Gemeinschaft und ein sicheres Leben für alle Nationen in Kosovo und Metohija […] nicht zu wollen“.1785
GEKREUZIGTES KOSOVO II – RADIKALISIERUNG DER SPRACHE
Einige Zeit nach den Ausschreitungen in Kosovo erschien im Jahr 2007 ein Text, dessen Titel Crucified Kosovo and Metohija / The Holy Serbian Land1786, an die frühere Publikation der Diözese Raška-Prizren erinnert, allerdings bleiben die Hintergründe zu Herausgeber- und Autorschaft dieser Veröffentlichung im Dunklen. Als „Publisher“ wird mit Evro-Giunti ein italienisches Verlagshaus mit eigener Buchhandlung genannt. Im Impressum des 210 Seiten umfassenden Buches ist weiterhin der Name Vojin V. Ančić aufgeführt, der als „Editor“ bezeichnet wird. Ob dieser mit dem im Internet mehrfach vermerkten Übersetzer Vojin V. Ančić oder dem Historiker gleichen Namens identisch ist, lässt sich nicht abschließend klären. Ein Vorwort des Bischofs Artemije Radosavljević wirft zudem die Frage auf, warum als Herausgeber nicht mehr dessen Diözese auftritt. Dabei sind auch einige der verwendeten Fotografien der Publikation von 1999 entnommen, genau so wie der Aufbau des neuen Textes dem der älteren Veröffentlichung folgt. Im Hinblick auf ihre Aussagen sind beide Texte identisch. Der Antagonismus aus angeblich unzivilisierten, kultur- und geschichtslosen sowie terroristischen Albanern auf der einen und kulturvollen, zivilisierten serbischen Märtyrern auf der anderen Seite wird jedoch im Gegensatz zu früheren serbischen Publikationen nochmals drastisch zugespitzt. Die Auswertung der beiden Gruppen im besten Wortsinn zugeschriebenen Identitäten ist aufschlussreich. So werden im Zusammenhang mit der serbischen Ethnie folgende Nomen und Attribute am meisten 1784 Jović-Lazić (2004), 472 ff. 1785 Jović-Lazić (2004), 474. 1786 Ančić (2007).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 573
verwendet: „Monument“, „Kultur“, „kulturell“, „Kirchen“, „Klöster“. Für die albanische Ethnie hingegen sind es: „Kriminelle“, „Terroristen“, „gewaltsam“. Das Kosovo und Metohija der Serben wird durch folgende Begriffe charakterisiert: „heilig“, „Herzland“, „Frieden“, „spirituell“, „national“, „Identität“. Das Kosovo der Albaner hingegen folgendermaßen: „gekreuzigt“, „Leiden“, „Gewalt“, „Raub“, „Morde“, „Sklaverei“. Sämtliche Ausführungen des Textes zu erhaltenen, beschädigten oder zerstörten Bauwerken in Kosovo folgen der Agenda dieser Polarisierung. Neben der üblichen Negierung des osmanisch-islamischen Kulturerbes wird schließlich die Existenz einer albanischen Kultur in Kosovo prinzipiell abgestritten. Zu Bauwerken des osmanisch-islamischen bzw. albanischen Kulturerbes heißt es: „Historically seen, it is doubtful that these monuments are really Albanian, because any emerged in the Turkish era, in Turkish style and in a Turkish state. Even the Albanians who raised these objects were regarded as Turkish gentry“.1787 Die Aufzählung zwischen Juni 1999 und März 2004 beschädigter und zerstörter Bauwerke des serbischen kulturellen und religiösen Erbes führt zehn Objekte doppelt auf1788, so dass die Liste tatsächlich nur 103 statt der angegebenen 113 Strukturen verzeichnet. Zusammen mit den 37 Bauwerken (35 Kirchen und Klöster sowie dem Priesterseminar und der Bischofsresidenz in Prizren), die zwischen dem 17. und 19. März 2004 zerstört oder beschädigt worden sein sollen1789, von denen einige jedoch schon in der Aufzählung der nach 1999 beschädigten Objekte enthalten sind, ergibt sich die Zahl von insgesamt 117 beschädigten oder zerstörten Bauwerken.1790
NOCH EINMAL MNEMOSYNE – DER REPORT ON THE STUDY OF ENDANGERED SERBIAN SACRED/HOLY PLACES IN KOSOVO AND METOHIJA
Im Juli 2009 veröffentlichte das Belgrader Mnemosyne-Institut in Zusammenarbeit mit dem renommierten serbischen Juristen Sima Avramović einen weiteren Bericht zur Situation des serbischen Kulturerbes in Kosovo.1791 Publiziert fünf Jahre nach den Märzunruhen, gehört dieser nicht mehr zum Kern der hier analysierten Dokumente. Er soll dennoch berücksichtigt werden, weil es sich einerseits um den vorerst letzten Bericht des Mnemosyne-Instituts handelt, dessen Aktivi1787 1788 1789 1790 1791
Ančić (2007), 22. Ančić (2007), 72 ff. Ančić (2007), 76 ff. Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. Avramović et al. (2009).
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täten danach abnehmen. Andererseits war mit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos vom 17. Februar 2008 eine neue Situation entstanden, die für das kulturelle Erbe Kosovos gravierende Folgen haben konnte. Die Strategie der serbischen Argumentation musste dieser neuen Situation angepasst werden. Dementsprechend thematisiert der Report on the study of endangered Serbian Sacred/Holy Places in Kosovo and Metohija weniger die Beschädigung und Zerstörung von serbischem Kulturerbe in Kosovo, als dass er bemüht ist, für eine territoriale Exklusion dieses Erbes aus der nun unabhängigen Republik Kosovo zu argumentieren. Angestrebt wurde eine Kantonisierung Kosovos nach dem Vorbild Bosnien und Herzegovinas. Dazu jedoch musste das Szenario der Bedrohung des serbischen Kulturerbes in Kosovo weiter instrumentalisiert werden. Die Argumentation der Veröffentlichung beruht im Wesentlichen auf der Behauptung, das immer noch bedrohte serbische religiöse und kulturelle Erbe Kosovos begründe ein Alleinstellungsmerkmal Kosovos als Kulturlandschaft weltweit. Emphatisch wird der „serbische Charakter“ der Region mit dem Verweis auf die Masse der Monumente gerechtfertigt. Wieder wird die „Karte“, die die serbischen Heiligtümer in Kosovo verzeichnen soll, abgebildet – hier ist nun von 1.500 Objekten die Rede. In einem nächsten Schritt wird das besondere soziale, kulturelle und spirituelle Profil dieser heiligen Stätten herausgearbeitet. Ihr Wert als Orte der Zusammenkunft der serbischen Nation, der Heiligenverehrung, der Wunderheilung sowie weiterer christlicher Mysterien wird in vier Abschnitten dargelegt und anhand der Beispiele des Klosters Visoki Dečani sowie des Patriarchats in Peć (Peja) illustriert.1792 Diesen Ausführungen folgt eine Liste über die Bedrohungen des serbischen Kulturerbes, die die Enteignung der Kirchengüter durch die jugoslawischen Kommunisten, die Zerstörung und Beschädigung im und nach dem Kosovokrieg, die limitierte Zugänglichkeit für serbische Spezialisten und schließlich die Vernachlässigung des Schutzes dieses Erbes durch internationale und kosovarische Institutionen beinhaltet. Dieser erste große Abschnitt des Berichts von Avramović und dem Mnemosyne-Institut wird beschlossen von einem Maßnahmenkatalog, der an der Kernforderung der Studie orientiert ist: der Exterritorialisierung und politischen Eigenverwaltung der als „heilig“ definierten Stätten serbischer Kultur in Kosovo.1793 Unter anderem wird deren rechtliche Gleichstellung mit dem Berg Athos in Griechenland, der Vatikanstadt oder Mekka verlangt. Bemerkenswert ist das Resümee dieser Ausführungen, das auf einem Paradigmenwechsel im Kulturerbeschutz abzielt: 1792 Avramović et al. (2009), 10 ff. 1793 Avramović et al. (2009), 28.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 575
Such an approach would shift the base of protection of holy places from the domain of heritage into the domain of human rights. International pressure on state actors who do not respect human rights seems to be much stronger and more efficient than consequences for breaking conventions and laws on heritage conservations.1794
Dem argumentativen Hauptteil des Berichts folgt eine katalogartige Beschreibung der 16 ausgewählten Bauwerke und komplexen Strukturen. Interessant ist die hier veranschlagte Begründung des serbischen Anspruches auf Kosovo, der nun etymologisch hergeleitet wird. Die verbreitete Deutung, nach der die Bezeichnung der Region aus dem serbischen kos (dt. Amsel) und dem Suffix ovo (dt. gehört zu) gewonnen wurde, bezeichnen die Autoren der Studie als „romantische Mode“, die jedoch falsch sei. Vielmehr habe das Toponym „Kosovo“ im slawischen Verb kositi (dt. mit der Sense mähen, mähen1795) seine Wurzeln. Das weite Feld mit gutem Gras in der nordöstlichen Ebene des Landes war demnach ein prädestinierter Ort für Siedler. Die Albaner wiederum hätten die Fertigkeit des Mähens zuerst von den Serben gelernt und folglich auch das Verb „mähen“ aus der serbischen Sprache übernommen. Das jedoch heißt nichts weniger, als dass zuerst Serben in Kosovo siedelten.
SIMON JENKINS: NOT WAR BUT VANDALISM
Am 7. Mai 1999 veröffentlichte die britische Tagezeitung The Times in der Londoner Ausgabe den Artikel Not war but vandalism des Journalisten Simon Jenkins.1796 In diesem Text übt er harsche Kritik an den Angriffen der NATO auf Serbien im Zuge des Kosovo-Konflikts, insbesondere der Zerstörung von kulturellem Erbe, die er diesen zuschreibt. Großbritannien, das an den Luftangriffen beteiligt war, wirft Jenkins Barbarismus vor und scheut dabei nicht den Vergleich mit der Zerstörung von Teilen Dresdens im Februar 1945: Britain has declared that it is not fighting against the Serbian people. It is fighting to uphold Western values against a brutal barbarism. Yet the destruction of cul-
1794 Avramović et al. (2009), 31. 1795 Auch „töten“. 1796 Jenkins (1999), sämtliche nachfolgenden Zitate stammen aus diesem Artikel.
576 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen tural artefacts is barbarism. […] The relentless bombing of the historic centres of Pristina and Pec is an awful reprise of Dresden.
Bereits an der Aussage zu den angeblichen Luftangriffe auf Prishtina und Peja wird deutlich, dass die Weißbücher des serbischen Außenministeriums Jenkins als Quelle dienten. Diese Annahme bestätigt sich im weiteren Verlauf des Artikels. Er nennt nicht nur dieselben Bauwerke wie die serbische Veröffentlichung, er beschreibt auch die angeblichen Schäden mit denselben Worten wie diese. Problematisch erscheint das, weil Not war but vandalism keine differenzierte Position, basierend auf anderen Quellen, einnimmt. Simon Jenkins erklärt, er habe seine Informationen von der Serbischen Orthodoxen Kirche und dem Institut zum Schutz der Kulturdenkmäler der Republik Serbien erhalten – was im Hinblick auf die Aussagen der Texte letztlich unerheblich ist. Zu den Zerstörungen in Gjakova und Peja schreibt er: Already Nato bombing has comprehensively destroyed the heart of the old city of Pec. This was one of Kosovo’s most picturesque places, the ‚oriental‘ centre a warren of Ottoman markets, workshops and Turkish fortified houses or kulas. Bombing of the neighbouring Djakovica has reduced its Old Trade Centre to ruins, a market neighbourhood as historic as that of Pec. Djakovica’s 16th-century Hadum Mosque was also damaged by a bomb on April 15, at the same time as a missile scored a direct hit on the 18th-century Tabacki Bridge, of great historic but little military importance.
Ähnliche Aussagen trifft der Journalist zum Banovina Palast in Novi Sad in der Vojvodina, dem Kloster Rakovica im gleichnamigen Stadtteil von Belgrad und schließlich dem Zentrum von Prishtina, das angeblich jede Nacht bombardiert werde. Möglicherweise ist Simon Jenkins der serbischen Propaganda tatsächlich unbewusst aufgesessen. Denkbar ist das in Anbetracht des Informationskrieges, der insbesondere Kulturerbe instrumentalisierte. Die emotionale Schärfe der Kritik ist für einen erfahrenen Journalisten gleichwohl erstaunlich. Dass sich all diese Vorwürfe erst mit den Untersuchungen der OSZE, der NGO Amnesty International und András Riedlmayers als Propaganda und falsch herausstellen würden, ändert nichts an dem Umstand, dass Jenkins seine journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässigt und Aussagen einer Kriegspartei ungeprüft nahezu im Originalwortlaut reproduziert hat. Ein Solitär im internationalen Diskurs zur Zerstörung von Kulturerbe in Kosovo ist Jenkins damit jedoch nicht.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 577
NIKOLAUS THON: ENDE EINER TAUSENDJÄHRIGEN KULTUR?
Als verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift Hermeneia1797 veröffentlichte der orthodoxe Theologe Nikolaus Thon 1999 einen Artikel, der sich auf die Zerstörung von serbischem kulturellem und religiösem Erbe in Kosovo bezog. Es ist denkbar, dass Thon, einer der führenden Repräsentanten der christlichen Orthodoxie in Deutschland, im Austausch mit Mitgliedern der orthodoxen Kirche Serbiens stand. In seinem Artikel, dessen Überschrift bereits programmatischen Charakter hat, verfolgt Thon zwei argumentative Linien: Die Verurteilung der NATO-Luftangriffe verbindet er mit einer Apologie der Serbischen Orthodoxen Kirche, insbesondere des Bischofs Artemije Radosavljević. In seiner Kritik an den Luftschlägen bezieht er sich auf den Artikel Jenkins’, dessen Ausführungen der orthodoxe Theologe beinahe wortgleich übernimmt, die Beschreibung der Zerstörungen jedoch weiter dramatisiert: Schon die NATO-Luftangriffe hatten eine Reihe von historisch und kunstgeschichtlich bedeutsamen Werken sowohl der sakralen wie der weltlichen Architektur in Mitleidenschaft gezogen, wie eine Auflistung der Schäden belegt, die Simon Jenkins am 7. Mai in der „London Times“ veröffentlichte. So wurde unter anderem das wohl bedeutsamste Werk des Art Deco auf dem Balkan, der Banovina-Palast in Novi Sad ebenso zerstört wie das historische Stadtzentrum von Peć mit seinen alten Plätzen und türkischen Häusern, die noch in die Zeit des osmanischen Reiches zurückdatieren. Ebenso bedeutsam sind die Schäden in Djakovica, wo etwa die aus dem 16. Jahrhundert stammende Hadum-Moschee den Luftschlägen zum Opfer fiel. Relativ glimpflich verliefen die Bombardierungen und Raketenangriffe noch für die Sakralbauten: Immerhin wurden aber – um nur die historisch wertvollsten Bauwerke zu nennen – das aus dem 16. Jahrhundert stammende Rakovica-Kloster in Belgrad, die dem 12. Jahrhundert zuzurechnenden Kirchen der Gottesmutter und des hl. Nikolaus in Kursumlija sowie die in ihren ältesten Teilen noch aus dem 9. Jahrhundert stammende Kirche des hl. Prokopios in Prokuplje getroffen, wenn auch nicht zerstört. Die mittelalterliche Klosterkirche von Gračanica bei Priština erhielt zwar selbst keinen Treffer, doch wurden die Wände von mehreren Granatsplittern beschädigt1798
1797 Bis zu ihrer Einstellung im Jahr 2003 das Periodikum eines gleichnamigen in Bochum ansässigen Vereins, der sich der Förderung der ostkirchlichen Kunst verschrieben hat. 1798 Thon (1999), 11.
578 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Neben diesen Vorwürfen wiederholt Nikolaus Thon die Argumentation für ein „serbisches Kosovo“. Demnach handele es sich bei dem „Jerusalem“ der Serben „seit gut 1000 Jahren um serbisches Kernland“, was mit „immerhin gut 1300 orthodoxen Kirchen und Klöstern“ zu belegen sei.1799 Ähnlich in der Diktion ist die Charakterisierung der UÇK, die „sich an Brutalität mit den wildesten paramilitärischen serbischen Freischärlern messen“ könne.1800 Die SPC wiederum entschuldigt der orthodoxe Theologe Thon vor allem mit langen Auszügen aus Reden, die Bischof Artemije Radosavljević seit 1998 gehalten hatte. Thon versteigt sich in seiner These schließlich, Artemije zur „Symbolfigur des anderen Serbien“ zu (v)erklären, „jenes Serbien, das für eine friedliche Lösung des Konfliktes und ein Miteinander aller Volksgruppen auf dem Kosovo und im Metohija steht“.1801 Eine kritischere Sicht auf Artemije Radosalvjević vertreten der Theologe Thomas Bremer sowie Klaus Buchenau. Ihnen zu folge ist der Bischof der Diözese Raška-Prizren beileibe keine Symbolfigur mit einer Friedensagenda, sondern vielmehr ein strategisch klug agierender Politiker, der sich als Opponent gegen Milošević inszenierte, um seine Führungsrolle unter den Serben Kosovos zu behaupten.1802
SLOBODAN ĆURČIĆ: DESTRUCTION OF SERBIAN CULTURAL PATRIMONY IN KOSOVO: A WORLD-WIDE PRECEDENT?
Im Jahr 2000 veröffentlichte der in den Vereinigten Staaten residierende, in Bosnien-Herzegovina geborene Spezialist für frühchristliche und byzantinische Kunst Slobodan Ćurčić im Journal of the North American Society for Serbian Studies (NASSS) einen Artikel zur Situation des serbischen Kulturerbes in Kosovo.1803 Ćurčić, ein Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, lehrte bis zu seiner Pensionierung an der Universität in Princeton. 2003 begleitete er die UNESCO-Mission zur Erfassung der Situation des Kulturerbes in Kosovo.1804 1799 Thon (1999), 9. 1800 Thon (1999), 12. 1801 Interessanterweise ist diese Aussage nahezu identisch – jedoch nicht durch Quellen belegt – im Wikipedia-Eintrag zu Artemije Radosavljević enthalten. 1802 Bremer (1999); Buchenau (2006), 193. 1803 Die NASSS ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern aus dem südosteuropäischen Raum, die an verschiedenen Universitäten in den USA lehren oder lehrten. Ihr gehört etwa die Südosteuropaforscherin Milica Bakić-Hayden an, die bereits das Präsidentenamt der Gesellschaft innehatte. 1804 UNESCO (2003).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 579
Ćurčićs Text liebäugelt mit der populären Verschwörungstheorie, nach der ein Kreis aus obskuren Institutionen und Einzelpersonen neue Regeln nach Gutdünken etabliert und auf diese Weise die Weltpolitik dominiert. Die Zerstörung von serbischem Kulturerbe in Kosovo sowie die angebliche „Abwesenheit jeder normalen Reaktion darauf “ würden nahelegen, dass Kosovo nicht allein in politischer und militärischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf das Kulturerbe ein „kritischer Präzedenzfall“ für die „Strategen der neuen Weltordnung“ sei, die „etablierte internationale Vereinbarungen und Konventionen durch neue, nicht näher bezeichnete Regeln ersetzen, die noch enthüllt werden müssen“.1805 Als Belege für seine These führt er verschiedene Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche in Kosovo an – darunter auch die angeblich durch NATO-Bomben beschädigte Mariä-Himmelfahrt-Kirche im Kloster Gračanica.1806 Die Quelle für diese Angaben bildete nach Ćurčićs Auskunft die Veröffentlichung Crucified Kosovo des Informationsdienstes der Diözese Raška-Prizren. Die Nachrichten über die Beschädigung und Zerstörung der Bauwerke verhalle im Westen ungehört.1807 Die internationale Übergangsverwaltung Kosovos habe darüber hinaus die Zusammenarbeit mit serbischen Spezialisten abgelehnt: „On July 12, 1999, in the midst of the worst terrorist activities described above, Mr. Colin Kaiser, a delegate of UNESCO for Kosovo, openly rejected any possibility of professional collaboration with the experts from Belgrade“1808. Wenn dem tatsächlich so war, erfahren wir nichts über die Gründe Kaisers, der von seinen Missionen aus Kroatien und Bosnien-Herzegovina reichlich Erfahrung mitbrachte. Slobodan Ćurčić klagt weiter, dass sich nicht eines der großen serbischen Monumente Kosovos in der Welterbeliste der UNESCO wiederfände.1809 Dies stünde im Einklang mit dem Versuch, die Geschichte Kosovos unter dem Einfluss westlicher Propaganda neu zu schreiben. Ein Revisionismus, dessen „ultimatives Ziel in der Auslöschung jeder und aller Formen des serbischen historischen Gedächtnisses in Kosovo besteht.“1810 So abwegig diese Vorstellungen erscheinen mögen – sie geben doch Aufschluss über eine Wahrnehmung angeblich bestehender Zusammenhänge zwischen Politik und Kulturerbe, die wiederum den Hintergrund der Zerstörungen in den Postjugoslawischen Kriegen erhellen kann. 1805 1806 1807 1808 1809
Ćurčić (2000), 125 f. Ćurčić (2000), 128, Anm. 6. Ćurčić (2000), 125, 129. Ćurčić (2000), 129. Tatsächlich wurden das Kloster Visoki Dečani (2004) sowie das Kloster Gračanica, das alte Patriarchat in Peja und die Kirche Bogorodica Ljeviška (2006) erst später in die Welterbeliste der UNESCO (und zeitgleich in die Liste des gefährdeten Welterbes) aufgenommen. 1810 Ćurčić (2000), 129, Zitat: 130, 131.
580 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Sie illustrieren einen Interpretationshorizont, der für Opfer und Täter gleichermaßen relevant gewesen sein kann. Ćurčić trägt sämtliche Gemeinplätze des serbischen Diskurses zum beschädigten und zerstörten serbischen kulturellen und religiösen Erbe in Kosovo vor – er verfährt dabei lediglich etwas elaborierter als andere Autoren. Dabei blendet auch er das Schicksal des osmanisch-islamischen bzw. albanischen Kulturerbes völlig aus. Man kann seinen Artikel als taktischen Winkelzug interpretieren, der dazu dienen soll, den Druck auf die internationale Staatengemeinschaft zu erhöhen, zukünftig serbische Interessen stärker zu berücksichtigen. Wie andere Repräsentanten der verschiedenen Konfliktparteien in den Postjugoslawischen Kriegen instrumentalisierte auch er das kulturelle Erbe der Region für politische Ziele.
VALENTINO PACE: KOSOVO: PASSATO, PRESENTE E FUTURO DEI SUOI MONUMENTI CRISTIANI IN PERICOLO
Bemerkenswert ist eine Aussage des italienischen Kunsthistorikers Valentino Pace im Dezember 2004 in einem Artikel zur Kulturerbezerstörung in Kosovo in der Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft und Denkmalpflege: Zwischen 1998 und 1999 gab es zahlreiche Zerstörungen von sowohl christlichen als auch islamischen Bauwerken, sowohl serbischen als auch albanischen. Gesetzt den Fall, dass der Respekt für die Vergangenheit nicht die eine oder andere Konfession privilegieren kann, kann es trotzdem keinen Zweifel daran geben, dass das „künstlerische“ Erbe der serbischen Vergangenheit viel wichtiger gewesen sein wird und dennoch mehr davon zerstört wurde, als jenes der Albaner.1811
Nun ist Pace Byzantinist und sein Interesse insbesondere für die orthodoxen Kirchen und Klöster Kosovos nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Ereignisse im März 2004 nachvollziehbar. Wie aber kam der Kunsthistoriker zu der Auffassung, das serbische Kulturerbe sei stärker von Zerstörungen betroffen gewesen als das der Albaner – zumal er Letzteres auf islamische Bauwerke reduzierte? Mehr noch: was veranlasste ihn zu der Aussage, das „künstlerische Erbe der serbischen Ver1811 „Fra 1998 e 1999 numerose sono state le distruzioni di monumenti tanto cristiani quanto islamici, tanto serbi quanto albanesi. Posto che il rispetto del passato non deve privilegiare l’una o l’altra ‚etnia‘ o confessione non c’è tuttavia dubbio che il patrimonio ‚artistico‘ del passato serbo sia stato assai più importante e, soprattutto, assai più dannegiato di quello albanese.“ (Pace (2004), 562).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 581
gangenheit“ sei wichtiger gewesen? Wichtiger in welcher Hinsicht? Was war die Basis für diese Klassifizierung? Schließlich widersprach er sich in seiner Aussage auch selbst. Kann man einem Erbe den Vorzug vor dem anderen geben, oder kann man es nicht? Ein Blick in das Quellenverzeichnis, das Valentino Pace seinem Text beigefügt hat, ist aufschlussreich. Zwar wird dort auch die Publikation Serbian Barbarities against Islamic Monuments in Kosova der Islamischen Gemeinschaft Kosovos aus dem Jahr 2000 genannt – aufmerksam studiert hat er sie jedoch offenbar nicht. Dann wäre ihm aufgefallen, dass allein die Zahl der beschädigten und zerstörten Moscheen Kosovos die der betroffenen christlichen Objekte bei weitem übertraf.1812 Die zerstörten Bibliotheken, die etwa 450 beschädigten und zerstörten traditionellen Wohntürme1813 und die vernakuläre Wohnarchitektur der osmanischen Periode waren darin noch gar nicht erfasst. Dokumente und Studien hierzu lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Paces Artikel jedoch zum größten Teil bereits vor. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um ein unwürdiges Aufrechnen von Leid und die Frage, wer in diesem Krieg am meisten zu dulden hatte. Leiden ist kein Wettbewerb. Das Interesse gilt vielmehr der Herkunft von Aussagen im Diskurs. Neben einschlägigen Werken zur Geschichte des christlichen Kulturerbes in Kosovo im Allgemeinen1814 verzeichnet Paces Quellenverzeichnis explizit zu den Zerstörungen die Veröffentlichungen Cultural Heritage of Kosovo and Metohija sowie Crucified Kosovo and Metohija. Auf die Studie des Mnemosyne-Instituts von 2003 bezieht sich sein Text ebenso explizit wie auf March Pogrom.1815 Die Strategie dieser Veröffentlichungen aber bestand, wie gezeigt, präzise in der Marginalisierung des osmanisch-islamischen und albanischen Kulturerbes im Hinblick sowohl auf seine Bedeutung als auch das Ausmaß seiner Zerstörung. Der nicht eben unbedeutende Kunsthistoriker Valentino Pace reproduzierte diese Aussagen im italienischen und mit dem Abdruck seines Textes auch im deutschen Diskurs der Kunstgeschichte.
1812 Bashkësia Islame e Kosoves (2000); vgl. Pace (2004), 563. 1813 Guttman (2000); Riedlmayer, Museums… (2000), Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 204. 1814 Etwa Subotić (1998), Bošković (1952) und Radojčić (1969). 1815 Pace (2004), 567 f.
582 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen FRIEDBERT FICKER – GROSSALBANISCHE CHAUVINISTEN
Auch Friedbert Ficker (1927–2007) war Kunsthistoriker und Spezialist für Südosteuropa. Überdies war er korrespondierendes Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Unmittelbar nach den anti-serbischen Ausschreitungen in Kosovo sandte Ficker einen Brief an die Akademiker in Belgrad, den die Tageszeitung Politika am 31. März 2004 abdruckte. Ohne die Ereignisse zu kontextualisieren, verurteilte er den […] zweiten Angriff der großalbanischen Chauvinisten den Plan des Völkermords an der übrigen serbischen Bevölkerung zu implementieren, wie sie auch auf diesem Wege gleichzeitig die Zerstörung der Zeugnisse serbischer Kunst und Kultur, die zum Weltkulturerbe gehören, in die Tat umsetzen.
Die Zerstörung islamischer Sakralbauten hingegen bezeichnete Ficker in seinem Schreiben als Falschmeldungen: Ich protestiere auf das allerschärfste gegen die schändliche Verachtung menschlicher Würde und Feindlichkeit gegen die Kultur, die von der sogenannten zivilisierten Welt nicht nur akzeptiert wird, sondern die in einer Verzerrung der Wahrheit und durch falsche Nachrichten in den Medien gerechtfertigt und unterstützt wird. Wenn über die „Brandstiftung and Häusern und Moscheen“ berichtet wird, wird der Öffentlichkeit bewusst ein falsches Bild dargestellt […].
Der Kunsthistoriker schließt seinen Brief, mit dem auch unter serbischen Autoren gängigen Verweis auf die historische Herrschaft der Osmanen auf der Balkanhalbinsel. Demnach hätten „sogar die Türken“ das orthodoxe Priesterseminar in Prizren geschont – anders als die Albaner heute.
POSITIONEN AUS DEM SERBISCHEN DISKURS IM INTERNATIONALEN RAUM – ÜBRIGE
Neben den hier exemplarisch besprochenen Texten existiert eine Vielzahl weiterer Äußerungen, die mehr oder weniger die Aussagen aus dem serbischen Diskurs zur Beschädigung und Zerstörungen des christlichen Kulturerbes in Kosovo wiederholen.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 583
Im Jahr 2002 veröffentlichte etwa die serbische Ethnologin Mirjana Djekić in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistoriker Dejan Radovanović im Periodikum des Denkmalschutzbundes Europa Nostra einen Beitrag zum serbischen Kulturerbe Kosovos. Der Text Quel destin pour le patrimoine culturel des serbes du Kosovo?1816 basiert auf Informationen der Exkursionen des Belgrader Mnemosyne-Instituts in den Jahren 2001 und 2002. Der deutsche Politikwissenschaftler Wolf Oschlies wiederum publizierte 2004 unter dem Eindruck der Märzunruhen einen Artikel in den Blätter[n] für deutsche und internationale Politik, in dem er das „Scheitern der Befriedung“ Kosovos konstatierte und die Schuld für die Kosovo-Krise, die albanischen Flüchtlingsströme, serbischen Vermissten und Toten ebenso wie die Zerstörung serbischen Kulturerbes der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der NATO, zuschrieb.1817 Differenzierter immerhin als Oschlies bewertete der US-amerikanische Religionswissenschaftler Paul Mojzes die Zerstörungen in Kosovo, indem er zumindest auf deren Hintergründe einging und auch die Zerstörung von albanischem bzw. osmanischem Kulturerbe einräumte.1818 Doch kam auch er offenbar nicht umhin, Bischof Artemijes Beschreibung der Ereignisse im März 2004 als „Kristallnacht, the infamous 1938 Nazi pogrom against Jews in Germany“ zu zitieren, ohne eine kritische Position dazu zu finden. Die russische Politik- und Rechtswissenschaftlerin Irina Shtodina veröffentlichte gemeinsam mit dem Diplomaten und Duma-Mitglied Yuli Kvitsinsky im Jahr 2007 den Artikel Today Kosovo, Tomorrow the World? in der Zeitschrift International Affairs. Die Autoren vertraten darin die Position Serbiens und übernahmen demgemäß sämtliche Aussagen aus dem serbischen Kosovo-Diskurs bis hin zur internationalen Verschwörung gegen das Land mit dem Ziel einer „New World Order“.1819 Es ist kaum möglich, sämtliche internationale Äußerungen abzubilden und es ist auch gar nicht nötig. Die relevanten Aussagen sind mit den hier vorgestellten Texten erfasst. Sie sind überschaubar, was nur folgerichtig ist, angesichts des engen Kreises aus Institutionen und Personen, dem sie ursprünglich entstammen. Dieser Umstand ist entscheidend. Die Entwicklung einer kritischen Position war kaum möglich mit wenigen und dazu redundanten Quellen. Wer um eine differenzierte
1816 1817 1818 1819
Djekić/Radovanović (2002). Oschlies (2004). Mojzes (2004). Kvitsinsky/Shtodina (2007).
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Sicht bemüht war, musste wie András Riedlmayer selbst in die Region reisen und Kenntnisse vertiefen. Als letztes Beispiel für die Kontinuität wesentlicher Aussagen im serbischen Diskurs bis heute kann die erst 2017 erschienene Monografie Artistic Heritage of the Serbian People in Kosovo and Metohija / History, Identity, Vulnerability, Protection der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste gelten. Die aufwendig produzierte Publikation versammelt beinahe zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kosovokrieges Texte einiger zuvor genannter Autoren wie Valentino Pace, Dejan Radovanović, Mirjana Djekić und Mirjana Menković. Sie ist in einer englischsprachigen Variante mit einer Auflage von 700 Stück gedruckt worden, wird jedoch auch über das Internet kostenlos verteilt. Zum Teil profunde Informationen zur Geschichte des christlichen Kulturerbes der Region werden verbunden mit den referierten stereotypischen Aussagen und historischen Mythen. Noch immer wird die Zerstörung des „Erzengelklosters“ im Tal des Lumbardhi bei Prizren durch Sinan-Pascha „[i]m frühen 17. Jahrhundert“ kolportiert. Als Quelle für diese Aussage wird Slobodan Nenadovićs Standardwerk Dušanova zadužbina angeführt – das sie eben nicht stützt.1820 Der Inszenierung des serbischen Opfermythos wird ebenfalls wieder viel Platz eingeräumt – ohne, dass die historischen Ereignisse auf irgendeine Art kontextualisiert würden.1821 Zudem verbindet die Publikation elaborierte Ausführungen zum christlichen Kulturerbe der Region mit der klar erkennbaren politischen Agenda früherer Texte. Sie erscheint – ohne aus wissenschaftlicher Sicht neue Erkenntnisse beizubringen – zu einem Zeitpunkt, in dem die Frage einer UNESCOMitgliedschaft Kosovos virulenter ist denn je und die Verhandlungen zwischen der Republik Kosovo und Serbien in die entscheidende Runde gehen.
OSMANISCH-ISLAMISCHES UND ALBANISCHES KULTURERBE IM REGIONALEN UND INTERNATIONALEN DISKURS
In formaler Hinsicht ähnlich ist den hier besprochenen serbischen Publikationen lediglich eine Veröffentlichung der Islamischen Gemeinschaft Kosovos (Bashkësia 1820 „The [t]he basic literature on this issue ist still Nenadović, Dušanova zadužbina“ (SANU (2017), 205, Anm. 66). Der Kunsthistoriker Slobodan Nenadović hatte, wie weiter oben zu lesen war, den Zeitpunkt der Zerstörung der Anlage im Tal des Lumbardhi bereits im 15. Jahrhundert beschrieben; vgl. Kap. 3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung / Prismen im kulturellen Nationalismus: Sinan-Pascha-Moschee und „Erzengelkloster“; Nenadović (1967), 9, 10. 1821 Vgl. Pejić (2017), 379 ff.; Menković (2017), 415 ff.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 585
Islame e Kosovës) zum osmanisch-islamischen und albanischen Kulturerbe aus dem Jahr 2000. Sabri Bajgoras Barbaria Serbe Ndaj Monumenteve Islame në Kosovë (Serbian Barbarities against Islamic Monuments in Kosovo) verzeichnet insgesamt 229 beschädigte und zerstörte Bauwerke, darunter 214 Moscheen.1822 Mit dem Titel Destruction of Islamic Heritage in Kosovo wurde es 2014 durch den Ethnologen Robert Elsie in Zusammenarbeit mit dem Politiker und ehemaligen Außenminister Kosovos Petrit Selimi neu herausgegeben. Die übrigen Publikationen albanischer Herausgeber waren überaus bescheiden sowohl formal als auch inhaltlich. Sie erreichten überdies nicht annähernd die internationale Aufmerksamkeit wie die serbischen Publikationen und die darin enthaltenen Aussagen. Zurückzuführen ist das auf die generell prekäre Situation der Institutionen in Kosovo nach dem Ende des Krieges im Hinblick auf technische Möglichkeiten und fachliches Know-how.
SERBISCHER GENOZID AN ALBANISCHER KULTUR – EINE AUSSTELLUNG IN GJAKOVA
Im September 1999 eröffnete im Kulturpalast Asim Vokshi in Gjakova eine durch das Direktorat für Bildung, Kultur und Sport organisierte Ausstellung mit dem Titel Gjenocidi Serb Mbi Kulturën Shqiptare të Gjakovës 24. Mars – 13. Qershor 1999 / Serb Genocide upon Albanian culture of Gjakova 24 March – 13 June 1999. Die von einem albanisch- und englischsprachigen Katalog begleitete Schau dokumentierte in 24 Fotografien von betroffenen Bauwerken hauptsächlich die Zerstörung des historischen Marktviertels in Gjakova und der Hadum-Moschee.1823 Der Kontrast zu den professionell gestalteten mehrsprachigen Publikationen aus Kroatien und Serbien, die zum Teil zahlreiche Farbfotografien enthalten, könnte größer nicht sein. Die Qualität des dünnen Heftchens von etwas mehr als zwanzig Seiten ist bestenfalls mittelmäßig, die englische Übersetzung des albanischen Originaltextes überdies voller Fehler. Immerhin: es gelang den Organisatoren der Ausstellung mit dieser ersten öffentlichen Aktion auf die Zerstörung des osmanisch-islamischen und albanischen Kulturerbes in Kosovo aufmerksam zu machen. International verteilt wurde das Heft meines Erachtens nicht. Bis heute ist es außerhalb Gjakovas nicht zu finden. Der Einfluss von Veröffentlichungen wie Mostar 92 Urbicid oder Warchitecture / Urbicide – Sarajevo, die als Ideengeber für das Projekt in der westkosovarischen 1822 Bashkësia Islame e Kosovës (2000). 1823 Drejtoria për Arsim (1999).
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Stadt gedient haben, ist kaum zu übersehen. Allerdings fällt sofort die kategoriale Fehlbezeichnung im Titel von Ausstellung und dazugehöriger Broschüre auf: Als „Genozid“ wird nach der etablierten Bedeutung des Begriffs ein Völkermord bezeichnet.1824 Aus diesem Grund hatten die Architekten und Denkmalschützer in Mostar und Sarajevo den relativ neuen Begriff „Urbizid“ gewählt. Die Abbildungen der innerhalb der Ausstellung verwendeten Fotografien werden im Katalog ergänzt durch Ausschnitte aus historischen Zitaten, mit denen offenbar die Kontinuität der Gewalt der Serben gegen die Albaner Kosovos, folglich die historische Opferrolle Letzterer belegt werden soll. In vielen Fällen fehlen jedoch Quellenangaben zu den Zitaten, so dass weder Autor noch Werk noch historischer Kontext der Textfragmente deutlich werden. Auch bei dieser Collage aus Bildern zerstörter Bauwerke und Zitaten geht es fraglos um die Inszenierung eines Opfermythos – in diesem Fall der Albaner Kosovos.
DIE DOKUMENTATION BESCHÄDIGTER UND ZERSTÖRTER ISLAMISCHER SAKRALBAUTEN DURCH DIE ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT KOSOVOS
Um die Dokumentation des während des Kosovokonflikts beschädigten und zerstörten islamischen Kulturerbes hatte sich auf albanischer Seite vor allem Sabri Bajgora, der Großimam der Islamischen Gemeinschaft Kosovos bemüht. Letztere gab im Jahr 2000 dessen Buch Barbaria Serbe Ndaj Monumenteve Islame në Kosovë (Shkurt ’98 – Qershor ’99) / Serbian Barbarities against Islamic Monuments in Kosova (February ’98 – June ’99) heraus.1825 In einer katalogartigen Aufstellung werden in der albanisch-/englischsprachigen, etwas mehr als 300 Seiten umfassenden Veröffentlichung die Schäden an insgesamt 229 Bauwerken beschrieben. Als betroffen verzeichnet werden 214 Moscheen, 5 Mesdžid, 5 Medressen, 3 DerwischKonvente, ein orientalisches Bad und der Sitz der Islamischen Gemeinschaft in Prishtina. Die Texte des Buches weisen, unter anderen Vorzeichen, ähnliche Elemente wie die serbischen Publikationen zum zerstörten Kulturerbe Kosovos auf. Anstelle des Bibelzitats steht bei Bajgora ein Text aus dem Koran. Auch hier sollen historische Bauwerke den Anspruch nun der Albaner auf Kosovo „beweisen“. Der serbisch forcierte „Genozid“ betreffe nicht allein die Muslime Kosovos, sondern des „Balkans“ im Allgemeinen. Ergänzt wird die Reihe der Gemeinplätze um den Vorwurf gegen 1824 Mann (2005), 17; Mojzes (2011), 1, 7. 1825 Bashkësia Islame e Kosovës (2000).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 587
Abb. 64: Liste der Islamischen Gemeinschaft Kosovos zum beschädigten und zerstörten albanischen und osmanischen Kulturerbe in Kosovo vom 10. September 2004 (unveröffentlicht, Ausschnitt).
die Serbische Orthodoxe Kirche, für die Zerstörung des islamischen Erbes Kosovos mitverantwortlich zu sein. Diesen Erläuterungen folgt eine summarische Aufzählung der Schäden am islamischen Kulturerbe und der durch Serben getöteten Angehörigen der albanischen Minderheit. Hier zeichnen sich erste Widersprüche ab. Einerseits ist von 2181826, andererseits von 2171827 betroffenen Moscheen die Rede, was von den zuvor genannten Angaben im Katalog des Hauptteils abweicht. Irritierend ist, dass in diesem Katalog auch sechs Moscheen enthalten sind, die sich gar nicht in Kosovo, sondern vielmehr in Serbien befinden. Die Bauwerke in den serbischen Gemeinden Preševo1828 und Bujanovac1829, erklären die Herausgeber, gehörten zu islamischen Verwaltungsbezirken, die sich „gegenwärtig unter serbischer Verwaltung“ befänden. Diese Darstellung wiederum gemahnt an ähnliche Ansprüche serbischer Nationalisten im Hinblick auf Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo. 1826 1827 1828 1829
Bashkësia Islame e Kosovës (2000), 6. Bashkësia Islame e Kosovës (2000), 9. Bashkësia Islame e Kosovës (2000), 281 ff. Bashkësia Islame e Kosovës (2000), 287 ff.
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Dem Katalog der beschädigten und zerstörten Bauwerke folgen einige Texte, etwa zu internationalen Übereinkommen zum Schutz von Kulturerbe im Krieg, ein Essay zur Bücherverbrennung sowie eine Liste kosovoweit vermisster bzw. getöteter Imame und Studenten der Alauddin-Medresse in Prishtina. Wie die serbischen Veröffentlichungen zu Kosovo verlieren auch die Autoren der Serbian Barbarities kein Wort zum beschädigten und zerstörten Kulturerbe ihres Gegenübers und den Verbrechen, die von Albanern an Serben begangen wurden. Die Einordnung der Ereignisse in einen historischen Kontext erfolgt ebenso wenig wie eine Reflexion über diese. Wenngleich nach den Serbian Barbarities immerhin 14 Jahre lang keine weitere Publikation der Islamischen Gemeinschaft zu den Zerstörungen in Kosovo folgen sollte, wurde die Ermittlung der Schäden offenbar fortgesetzt. Im September 2004 fasste die Islamische Gemeinschaft Kosovos beschädigte und zerstörte Objekte in einer umfangreichen Liste zusammen, die jedoch unveröffentlicht blieb (Abb. 64). Demnach waren 218 Moscheen, 4 Medressen, 3 Derwischkonvente, ein Hamam, 75 Ladengeschäfte der Islamischen Gemeinschaft, 302 Wohnungen von Imamen, 75 Minarette, 117 Mihrab, 120 Minbar, 114 Kuppeln von Moscheen sowie 560 architektonische Ornamente (Arabesken) von den Zerstörungen 1998 und 1999 betroffen. 16 Imame und 16 Islamschüler galten als getötet oder vermisst. Des Weiteren waren etwa 12.000 historische Handschriften und Korane verbrannt. 174 der 218 angegeben Moscheen wurden bis 2004 rekonstruiert oder restauriert, 44 blieben beschädigt oder zerstört.1830 Im Jahr 2014 gaben schließlich Robert Elsie und Petrit Selimi unter dem Titel Destruction of Islamic Heritage in Kosovo (1998–1999) die Aufstellung der beschädigten und zerstörten islamischen Bauwerke Sabri Bajgoras aus dem Jahr 2000 in einer überarbeiten Version neu heraus.1831 Im Gegensatz zu der früheren Veröffentlichung führt die aktualisierte 235 Objekte des osmanisch-islamischen und albanischen Kulturerbes als während des Kosovokriegs beschädigt oder zerstört auf. Neben 211 Moscheen und 5 Mesdžid sind darunter 11 Derwischkonvente, 5 Medressen, ein Hamam sowie unverändert der Hauptsitz der Islamischen Gemeinschaft Kosovos in Prishtina sowie eine regionale Filiale in Suva Reka.1832 Die Autoren sind sichtlich um Sachlichkeit bemüht und enthalten sich weitestgehend emotionaler Urteile. Das ist ganz offensichtlich dem zeitlichen Abstand zu den Ereignissen und der Beteiligung unabhängiger Ex1830 Bashkësia Islame e Kosovës (2004). 1831 Elsie et al. (2014). 1832 Elsie et al. (2014); vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 589
perten geschuldet. Der damalige Premierminister Kosovos Hashim Thaçi stiftete ein versöhnliches Grußwort, in dem er bemerkenswerterweise die Zerstörung von 35 orthodoxen Kirchen und Klöstern im März 2004 sowie die „bedauernswerten Übergriffe auf dutzende serbisch-orthodoxe religiöse Stätten“ seit Juni 1999 einräumte. Die Übergriffe begründete er mit der Wut, die im Frühjahr 1999 nach Kosovo zurückkehrende albanische Kriegsflüchtlinge beim Anblick ihrer zerstörten Bauwerke empfanden.1833 Entgegen Sabri Bajgoras erstem Text aus dem Jahr 2000 und anders als die meisten der wesentlich früher veröffentlichten kroatischen, serbischen und bosnischen Publikationen enthält Destruction of Islamic Heritage in Kosovo (1998–1999) zudem ein ausführliches Quellenverzeichnis. Eine vergleichbare Initiative existiert bisher auf serbischer Seite nicht. Zwar hat auch diese ausländische Experten an ihren Untersuchungen beteiligt – allerdings bisher ausschließlich, um sich die eigene Darstellung bestätigen zu lassen. Ungeachtet der Darstellungen seitens der Islamischen Gemeinschaft ist die dem Diskurs zur Beschädigung und Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen eigentümliche Unsicherheit geblieben, was den exakten Umfang der Schäden anbelangt.
ANDRÁS RIEDLMAYER IN KOSOVO
Drei Mal reiste András Riedlmayer zwischen 1999 und 2001 nach Kosovo. Ob er für seinen Bericht zum 2004 zerstörten christlichen Kulturerbe die Region nochmals besuchte oder ob er vielmehr Informationen von Kontaktpersonen vor Ort bekam, ist nicht feststellbar. Seine Beobachtungen und Erkenntnisse hielt er in fünf mir bekannten Aufsätzen fest, die dezidiert die Situation in Kosovo beschreiben.1834 Ein Interview mit ihm zum Kulturerbe Kosovos führte Cynthia Guttman für das Mitteilungsblatt der UNESCO, den UNESCO Courier, im September 2000.1835 In einigen der mir vorliegenden insgesamt zehn Publikationen Riedlmayers zu Bosnien-Herzegovina1836 spielt des kulturelle Erbe Kosovos ebenfalls eine Rolle, bildet aber nicht den Hauptgegenstand. 1833 Elsie et al. (2014), 7. 1834 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), Monument and Crime… (2000), Museums in Kosovo… (2000), Libraries and Archives in Kosovo… (2000), Destruction Kosovo… (2002). 1835 Guttman (2000). 1836 Riedlmayer, Killing Memory… (1995), Erasing the Past… (1995), Libraries… (1996), Convivencia… (2001), From the ashes… (2002), Destruction Bosnia… (2002), Crimes of war… (2007), Banja Luka… (2008), Foundations… (2012), Destruction Bosnia… (2013).
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Die Angaben zur Beschädigung und Zerstörung des osmanischen-islamischen und albanischen Kulturerbes variieren in den verschiedenen Berichten Riedlmayers geringfügig. Demnach existierten in Kosovo, wie der Experte 2000 erklärte, vor dem Krieg insgesamt 607 Moscheen (528 Moscheen, 79 Mesdžid).1837 Mehr als 200 dieser Bauwerke, so heißt es auch in einem Text von 2002, seien im Kosovokrieg beschädigt oder zerstört worden.1838 In einer anderen Veröffentlichung aus dem Jahr 2000, nannte Riedlmayer 609 Moscheen in Kosovo, von denen mindestens 207 vom Krieg betroffen seien. In einer letzten mir bekannten Publikation von 2012 führt er „560 aktive Moscheen“1839 auf, von denen 218 im Verlauf des Krieges zerstört oder schwer beschädigt worden seien.1840 Letztere Angaben wiederum stimmen mit denen bei Elsie, Selimi und Bajgora überein.1841 Die geringfügigen Abweichungen in den Berichten des Forschers aus Harvard sind zweifellos der diffusen Informationslage geschuldet und für das Gesamtbild nicht relevant. Sie verdeutlichen jedoch, dass Behauptungen gleich welcher Konfliktpartei, es existiere ein präzises Wissen sowohl über die Zahl der Kulturerbestätten in Kosovo als auch über den Umfang der Zerstörungen im Krieg, schlichtweg nicht haltbar sind. Selbst die sorgfältigsten, um Objektivität bemühten Studien weisen diesbezüglich Widersprüche auf. Die Auswertung aller Dokumente Riedlmayers ergibt, dass etwas mehr als die Hälfte der 218 im letzten Bericht genannten Bauwerke Moscheen waren, die im 19. und 20. Jahrhundert (79 bzw. 71) errichtet wurden. Von den übrigen 64 Bauwerken stammten 5 aus dem 15., 13 aus dem 16., 15 aus dem 17. sowie 31 aus dem 18. Jahrhundert. Neben islamischen religiösen Bauwerken war auch ein Großteil der traditionellen befestigten Wohntürme Kosovos von Beschädigungen und Zerstörungen betroffen (Abb. 65). András Riedlmayer gibt an, dass nur etwa zehn Prozent der etwa 500 Kulla den Krieg unbeschadet überstanden haben.1842 Allein in der Gemeinde Deçan (Dečani) sollen 263 beinahe vollständig zerstört und 161 stark beschädigt worden sein.1843 1837 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 205. 1838 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 205; Destruction Kosovo… (2002), 8. 1839 Hier sind offensichtlich die 498 aktiv genutzten Moscheen sowie die 79 Mesdžid gemeint – wiewohl deren Summe 577 ergibt. 1840 Riedlmayer, Foundations… (2012), 94. 1841 Elsie et al. (2014), 3. 1842 Guttman (2000); Riedlmayer, Museums… (2000), Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 204. 1843 Riedlmayer, Destruction Kosovo… (2002), 6.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 591
Abb. 65: Überreste des im Krieg 1998 zerstörten Kulla Mehmet Avdyl Rexhep in Babaj Bokës (Babaj Boks) in der Gemeinde Gjakova. Archiv des Instituts zum Schutz kultureller Monumente Gjakova.
Beschädigung, Zerstörung und Plünderung ausgesetzt waren auch die meisten Museen und Archive Kosovos. So wurde etwa das in Junik untergebrachte historische Archiv der Gemeinde Deçan von serbischen Einheiten abgebrannt. Des Weiteren galten 43 Prozent aller Schulen sowie 62 von 158 lokalen Bibliotheken als zerstört. 1.114.000 Publikationen gingen dabei verloren. Das Feuer, das serbische militärische und paramilitärische Einheiten Ende März 1999 in der historischen Altstadt von Gjakova legten, zerstörte auch die 1595 gegründete Hadum-Suleiman-Aga-Bibliothek. Bei dem Brand gingen etwa „200 Manuskripte, 1300 seltene Bücher in osmanischem Türkisch, Arabisch und Aljamiado (Albanisch in arabischer Schrift) ebenso wie die regionalen Archive der Islamischen Gemeinschaft, mit Einträgen, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichten“, in Flammen auf. Das Feuer wiederum im Konvent des Bektashi-Ordens Axhize Baba in Gjakova zerstörte 250 Manuskripte, 2.000 seltene Bücher und das digitale Buchverzeichnis des Ordens. Riedlmayer berichtet von weiteren Zerstörungen nach demselben Muster in Peja, Ferizaj, Rahovec und Prishtina.1844 Darüber hinaus kam es zur Plünderung 1844 Riedlmayer, Libraries… (2000).
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von Archiven und deren Auslagerung nach Serbien.1845 Ein Bericht der UNESCO aus dem Jahr 2000 stützt die Angaben András Riedlmayers.1846 Überdies soll bereits Anfang 1999 angesichts der serbischen Frühjahrsoffensive der größte Teil der Sammlungen aus drei bedeutenden Museen Kosovos nach Serbien abtransportiert worden sein.1847 Ähnlich wie der historische Marktplatz in Gjakova wurde im März 1999 offenbar auch der Basar in Vushtrri (Vučitrn) zunächst geplündert und dann in Brand gesteckt.1848 Das hier beschriebene Vorgehen entspricht bis ins Detail der Zerstörung von islamischem Kulturerbe und dem Terror serbischer militärischer und paramilitärischer Einheiten in Bosnien-Herzegovina etwa in den Städten Foča, Višegrad und Banja Luka. Die serbische Kolportage, demnach die historischen Zentren in Peja und Gjakova durch die Angriffe der NATO zerstört worden sein sollen, weist Riedlmayer entschieden zurück.1849 Das Gleiche gilt für den als Liga von Prizren bekannten Komplex der Gazi-Mehmed-Pascha-Medresse (1595) in Prizren, der nach den Angaben der Weißbücher ebenfalls von einer NATO-Bombe zerstört worden sein soll. Er schreibt dazu, das Gebäude sei im März 1999 durch serbische Polizeieinheiten mit Panzerabwehrhandwaffen (Rocket-Propelled-Granades, RPG) zerstört worden.1850 Auch die Beschädigung von orthodoxen Kirchen und Klöstern durch NATO-Angriffe will Riedlmayer nicht bestätigen1851, wohl aber deren Zerstörung nach der Installation der Kosovo-Force und dem Abzug der serbischen Einheiten aus Kosovo. Im Interview mit dem UNESCO-Courier sowie in weiteren Veröffentlichungen gab András Riedlmayer im Jahr 2000 an, dass seit der Ankunft der KFOR in Kosovo etwa 40 orthodoxe Kirchen schwer beschädigt und weitere 40 „bis zu einem gewissen Grad“ Vandalismus ausgesetzt gewesen seien. Die meisten der betroffenen Objekte seien „moderne“ Bauwerke gewesen, errichtet auf historischen Fundamenten im 20. Jahrhundert, lediglich etwa ein Dutzend waren „genuin historische Strukturen“1852. Die Angriffe auf diese Kirchen und Klöster erfolgten hauptsächlich im ländlichen Bereich, weil die KFOR sie dort nicht überwachen konnte. 1845 Riedlmayer, Libraries… (2000). 1846 UNESCO (Jackson/Stepniak) (2000). 1847 Riedlmayer, Museums… (2000). 1848 Riedlmayer, Monument and Crime… (2000), 116. 1849 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 204 f. 1850 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 204, Museums… (2000). 1851 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 205. 1852 Guttman (2000); Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 205, Destruction Kosovo… (2002), 10.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 593
Die Erfassung der während der Märzunruhen 2004 in Kosovo beschädigten und zerstörten orthodoxen Kirchen und Klöster führte Riedlmayer im Auftrag der NGO CHwB durch. Demnach waren zwischen dem 17. und 19. März 2004 in 17 Städten und Gemeinden Kosovos 33 Kirchen und Klöster, das Priesterseminar und die Bischofsresidenz in Prizren, das Viertel Potkaljaja ebendort sowie ein Atelier in Prishtina beschädigt oder zerstört worden.1853 Die Angaben Riedlmayers und der NGO bestätigten die entsprechenden Berichte der Serbischen Orthodoxen Kirche in dieser Hinsicht. Hinweise auf Raub beweglichen serbischen Kulturerbes hingegen sind rar in seinen Texten. Dass es sie vereinzelt gegeben hat, legt ein Bericht der griechischen Polizei nahe, den der Wissenschaftler in einem Aufsatz im Jahr 2000 wiedergibt.1854 Was András Riedlmayer und dessen zeitweiliger Begleiter Andrew Herscher in ihren Berichten nicht erwähnen, weil es ihnen möglicherweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, ist, dass der Bau von orthodoxen Sakralbauten in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, also auch in Kosovo, entgegen serbischen Erklärungen umfangreich fortgesetzt wurde. Die Folge waren konfuse Angaben zur Errichtung relevanter Objekte, die auf Seiten der internationalen Beobachter für Unsicherheit über die Authentizität der Bauwerke sorgten.1855 Auch serbische Autoren gerieten über dieses Problem bisweilen in Verwirrung, wie die verschiedenen Karten, die Kirchen und Klöster in Kosovo verzeichnen sollen, gezeigt haben. András Riedlmayer schrieb dazu im Jahr 2002: „Many published statistics on the number of churches in Kosovo do not distinguish between extant churches and archeological sites“1856. Folgen konnte das etwa für die Festlegung von Interventionsprioritäten haben. Nicht verborgen blieb Herscher und Riedlmayer indes die grundsätzliche ideologische Instrumentalisierung des serbischen Kulturerbe Kosovos sowie die Marginalisierung osmanisch-islamischer und albanischer Monumente im institutionalisierten Denkmalschutz Serbiens.1857 Ein weiterer wichtiger Aspekt in Riedlmayers Texten betrifft den Stellenwert, den die Übergangsverwaltung der Vereinen Nationen in Kosovo dem kulturellen Erbe in ihrem Engagement einräumte. Dass dieser aufgrund dringender Nachkriegsaufgaben zunächst offenbar niedrig war1858, erscheint vor der Situation in 1853 CHwB (2004). 1854 Riedlmayer, Monument and Crime… (2000), 110. 1855 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1856 Riedlmayer, Destruction Kosovo… (2002), 9. 1857 Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo… (2000), 204; Monument and Crime… (2000), 110. 1858 Guttman (2000); Riedlmayer, Museums… (2000).
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den ersten Jahren nach dem Ende des Konflikts nachvollziehbar. Relevanter jedoch ist Riedlmayers Feststellung, dass die internationale Staatengemeinschaft der Beschädigung und Zerstörungen des albanischen kulturellen Erbes generell nur wenig Aufmerksamkeit schenkte: The international community in Kosovo has also been reluctant to acknowledge the damage that was done to Albanian cultural heritage in Kosovo. The initial UNESCO report on the state of cultural heritage in Kosovo after the war was based primarily on information supplied by Serbian cultural heritage institutions.1859
Schließlich berichtete Riedlmayer von bereits begonnenen Rekonstruktionen an osmanischen und albanischen Bauwerken. Angesichts der fehlenden internationalen Aufmerksamkeit für dieses Erbe wurden die Arbeiten durch die Besitzer vielfach auf eigene Faust durchgeführt und nicht selten durch islamische Hilfsorganisationen und Sekten unterstützt.1860 Im Zuge solcher Unternehmungen hatte ein saudisches Unternehmen Ende Juli 2000 begonnen, die Fassade eines historischen Gebäudes und den Friedhof mit osmanischen Grabstelen im Komplex der beschädigten Hadum-Moschee in Gjakova zu planieren.1861 Ähnliche Entwicklungen hatten auch Helen Walasek in Bosnien-Herzegovina und Colin Kaiser im Umland von Dubrovnik beobachtet. In persönlichen Gesprächen mit Denkmalschützern etwa in Mostar bestätigt sich diese Situation, die nach wie vor brisant ist.
INTERNATIONALE REAKTIONEN – ÜBRIGE
Die Ausführlichkeit und Tiefe von Riedlmayers Texten erreicht keiner der übrigen individuellen Berichte über die Situation des Kulturerbes in Kosovo. Weitere Berichte erschöpfen sich in emotionalen, bisweilen affekthaften Reaktionen ohne großen Erkenntniswert. Der Soziologe und Publizist Joachim von Königslöw etwa beschrieb im Mai 1999 in der anthroposophischen Zeitschrift die Drei ein apokalyptisches Bild von der Auslöschung europäischer Kulturlandschaften in Kosovo.1862 Ähnlich wie 1859 Riedlmayer, Monument and Crime… (2000), 113. 1860 Guttman (2000); Riedlmayer, Architectural Heritage in Kosovo (2000), 205. 1861 Naegele (2000). 1862 Königslöw (1999).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 595
die serbischen Texte und einige internationale Berichte, nur unter umgekehrten Vorzeichen, kam er ohne jede Differenzierung aus. Ihm zufolge sei ausschließlich osmanisch-islamisches und albanisches Kulturerbe in Kosovo zerstört, das christliche hingegen unversehrt geblieben. Die islamisch gefärbte Kultur der Kosovaren aber, die von Minaretts und Moscheen geprägte Silhouette solcher Städte wie Peć oder Prizren samt allem, was an Lebensäußerungen dazu gehört, wird jetzt schnell und durchgreifend vernichtet. […] und Kosovo-Polje – das Amselfeld – wird eine merkwürdig menschenleere Mondlandschaft sein, in der serbische Militärfahrzeuge hin- und herfahren (oder solche einer „westlichen“ Besatzung) und in der die vorzüglich gepflegten weißen oder ziegelroten serbischen Klöster und Kirchen als Zeugen einer sehr fernen Vergangenheit aufragen. Terra sacra – Geheiligtes Land von Kosovo: Ein riesiger Friedhof, in dem (von den Serben) einer Geschichte gedacht wird, die etwa vor 500 Jahren zu Ende ging.1863
Noch vor András Riedlmayer und Andrew Herscher reisten im August 1999 die beiden deutschen Architekturstudenten Rudolf Birkholz und Ronald Behrendt nach Kosovo, um, wie sie in ihrem Artikel im Architekturmagazin Baumeister Ende 1999 erklärten, für eine Diplomarbeit zu recherchieren.1864 Ihr Bericht enthält jedoch keine über die Studien von Riedlmayer und Herscher hinausgehenden Erkenntnisse. In einem Interview, das wiederum die Drei 1999 mit dem damaligen Vorsitzenden der Gesellschaft für bedrohte Völker Tilman Zülch führte, kritisierte dieser die zurückhaltende Politik der internationalen Staatengemeinschaft angesichts der Situation in Kosovo.1865 In dem Interview verwies Zülch auf die Ereignisse in Bosnien-Herzegovina und Kroatien. Die Verantwortung für Morde und Zerstörungen sah er bei der Regierung Slobodan Miloševićs, differenzierte jedoch zwischen dieser und ihren Handlangern einerseits und dem serbischen Volk andererseits: Die Regierungen des Westens, aber auch große Teile der Öffentlichkeit, der Gewerkschaften, der Parteien, und auch der Friedensbewegung, haben seit 1991 entweder geschlafen oder haben sich auf humanitäre Initiativen beschränkt. Sie haben dem Morden zugeschaut, insbesondere dem Völkermord an den bosni1863 Königslöw (1999), 13 ff. 1864 Birkholz/Behrendt (1999). 1865 Zülch (1999).
596 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen schen Muslimen, dem Hauptverbrechen, aber auch den genozidalen Akten an Kroaten und kleineren Nationalitäten durch serbische Truppen, und ebenso furchtbaren Morden an der serbischen Bevölkerung nach der Wiedereroberung der Krajina durch die kroatische Armee […].
Dessen ungeachtet habe man in Kosovo viel zu lange mit dem Eingreifen gewartet. Die Folge seien 2.000 getötete und 450.000 vertriebene Menschen sowie bereits 450 zerstörte Dörfer.1866 Die Architektin Kristin Kerstein wiederum befasste sich in einem Artikel im Deutschen Architektenblatt im Jahr 2000 mit der zerstörten Infrastruktur Kosovos. Ihr Text thematisiert weniger die Situation des Kulturerbes als vielmehr beschädigte und zerstörte Wohnbauten und Schulen sowie den Zustand der Fakultät für Architektur an der Universität in Prishtina. Sie berichtete überdies von dem in Gründung befindlichen Verband der Architekten Kosovos, der sowohl finanzielle als auch fachliche Hilfe für den Wiederaufbau in Kosovo benötige.1867 Der bosnische Architekt Amir Pašić, der sich besonders um die Rekonstruktion der Alten Brücke in Mostar bemühte und dazu 2004 die ersten internationalen Workshops in der Stadt organisierte1868, veröffentlichte im April 2001 im Informationsblatt des Kulturorgans der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), dem Bulletin d’information des Forschungszentrums für islamische Geschichte, Kunst und Kultur (IRCICA), einen kurzen Text zur Situation des islamischen religiösen und kulturellen Erbes in Kosovo. Leider enthält der Artikel neben einer sehr ausführlichen Darstellung der Geschichte der Region lediglich drei kurze Absätze über die Beschädigung und Zerstörung islamischer Sakralbauten, in denen Pašić sich offensichtlich auf die Texte Riedlmayers bezog. Ebenfalls aus dem Jahr 2001 stammt ein Artikel des italienischen Kunsthistorikers Salvatore Settis, des damaligen Direktors der Scuola Normale Superiore di Pisa, der am 18. April in der italienischen Tageszeitung Il Manifesto veröffentlicht wurde.1869 In seinem Text, überschrieben Memoria chiusa per restauro (Gedenken wegen Restaurierung geschlossen), beklagt Settis die Zerstörung des christlichen und islamischen Kulturerbes in Kosovo gleichermaßen. Er merkt darüber hinaus an, dass im Zeitalter der Globalisierung die Zerstörung von Kulturerbe beim Aufeinandertreffen zweier Kulturen einerseits, der immer aufwendiger betriebenen 1866 1867 1868 1869
Zülch (1999), 18 f., woher Zülch diese Zahlen nahm, wird nicht deutlich. Kerstein (2000). Gunzburger-Makaš (2007), xvi; Walasek (2015), 214. Valentino Pace erwähnt den Text ebenfalls, führt aber nichts dazu aus (Pace (2004), 567).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 597
Konservierung und Restaurierung von Kulturerbe im internationalen Betrieb andererseits diametral gegenüberstehe.1870 Die italienische Architektin Anna Paola Quargentan veröffentlichte im Jahr 2003 in der Publikation Patrimonio in pericolo (Kulturerbe in Gefahr) der Italienischen Gesellschaft für Schutz des Kulturgutes (Società Italiana per la protezione dei beni culturali, SIPBC) einen Artikel, der die Beschädigung und Zerstörung sowohl des kulturellen und religiösen Erbes der Serben als auch der Albaner Kosovos im Kontext globaler Kulturerbezerstörung, etwa in Mostar oder Afghanistan (Buddha-Statuen von Bamyian), diskutierte.1871 Der schwedische Architekt und Berater der NGO CHwB Dick Sandberg beschäftigte sich in einem Artikel, der 2005 in der ICOMOS-Publikation Heritage at Risk veröffentlicht wurde, mit den Übergriffen auf serbisches Kulturerbe in Kosovo während der Ausschreitungen im März 2004. Darin vertrat er die Ansicht, die gewalttätigen Demonstrationen wären „gut organisiert“ gewesen. Die Angriffe auf orthodoxe Sakralbauten hätten größtenteils „modernen Strukturen“ gegolten, jedoch seien auch einige byzantinische Kirchen betroffen. Ein weiteres Augenmerk des Autors galt der Analyse der Bedrohungsfaktoren, denen Kulturerbe in Kosovo generell ausgesetzt war. Neben den schlechten politischen Beziehungen zwischen Albanern und Serben, die Sandberg diesbezüglich als ausschlaggebend ansah, sei das Kulturerbe auch durch die hohe Gewaltbereitschaft der zumeist arbeitslosen Jugendlichen in Kosovo, die fehlende Infrastruktur des Denkmalschutzes sowie mangelnde finanzielle Mittel für Restaurierungsmaßnahmen gefährdet gewesen.1872 Anlässlich des bevorstehenden Beginns der Verhandlungen um den zukünftigen Status Kosovos veröffentlichte schließlich der Vize-Präsident der Kulturschutzorganisation Europa Nostra, Denis de Kergolay, in der ersten Ausgabe des Mitteilungsblatts der Organisation im Jahr 2006 einen Text, in dem er auf die Bedeutung des Kulturerbes Kosovos für die Versöhnung von Serben und Albanern hinwies.1873 Weitere zweifellos interessante Beiträge, in denen es, zumindest implizit, immer auch um die Zerstörung von Bauwerken geht, stammen von Hans Magnus Enzensberger, Orhan Pamuk, Susan Sontag, Slavenka Drakulić und Charles Simić unter anderen.1874 1870 1871 1872 1873 1874
Settis (2001). Quargentan (2003). Sandberg (2005). De Kergolay (2006). Schirrmacher (1999).
598 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Mit den hier besprochenen Äußerungen zur Beschädigung und Zerstörung von Kulturerbe in der Region sind sämtliche Aussagen erfasst, die aus der Perspektive der Konfliktparteien und der internationalen Beobachter des Konflikts bisher getätigt wurden. Eine Zäsur im Sinne Foucaults1875 ist im serbischen Diskurs zu diesem Thema bisher nicht erkennbar. Im Gegenteil. Zwar werden die während und unmittelbar nach dem Krieg getätigten Aussagen bei weitem nicht mehr so radikal wie ehedem vorgebracht. Die letzte Veröffentlichung der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste aus dem Jahr 2017 zeigt jedoch, dass die Strategie des Diskurses nach wie vor dieselbe ist, auch wenn sie jetzt gemäßigt und deutlich elaborierter argumentiert wird. Im Diskurs der Kosovo-Albaner – wenn man von einem solchen anhand der geringen Zahl von Äußerungen überhaupt sprechen kann – zeichnet sich mit der Veröffentlichung von Selimi, Elsie und Bajgora (2014) eine zaghafte Wende ab, wiewohl eine starke nationalistische Strömung unter den Albanern Kosovos, die bisweilen offen chauvinistische und rassistische Züge trägt, die Aufarbeitung albanischer Kriegsverbrechen nach wie vor weitestgehend verhindert. Die serbische Sichtweise hatte eine größere internationale Reichweite und wurde erheblich öfter reproduziert als die Darstellungen zum osmanisch-islamischen und albanischen Kulturerbe. Das „Wissen“ des serbischen Diskurses hat sich so verfestigen können, während andere Perspektiven bis heute wenig bis gar nicht bekannt sind.
INTERNATIONALE INSTITUTIONEN UND DAS KULTURERBE KOSOVOS
Das politisch relevante Kräftefeld für die Nachkriegsordnung in Kosovo bestand auf internationaler Seite aus der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK), die die Provisional Institutions of Self-Government (PISG) anleitete und überwachte, sowie den Organen der Europäischen Union, etwa der Europäischen Kommission und dem Europarat. Auch die OSZE ist bis heute mit einer ihrer größten field operations in Kosovo präsent. Dazu kamen eine Reihe von staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen sowie eine Zahl von NGOs. Von serbischer Seite übten die bereits genannten Institutionen und Organisationen einen bisweilen erheblichen Druck auf die internationalen Akteure in Kosovo aus.
1875 Vgl. zur Einheit der Diskurse, Zäsuren, Brüchen: Foucault (1990), 272, 337; ders. (1981), 50, 96, 249, 252; ders. (2012), 34.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 599
Mit der Einrichtung des Department of Culture (DoC) als einer von insgesamt 20 Abteilungen der UNMIK1876 gab es zunächst eine für das Kulturerbe Kosovos zuständige Stelle. Nach der Etablierung des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport im Jahr 2002, dem mit Ausnahme der orthodoxen Monumente die Verantwortung für das kulturelle Erbe Kosovos übertragen wurde1877, stieg ein weiterer Akteur in den Prozess ein, der zwar unter Aufsicht der UNMIK stand, nichtsdestoweniger jedoch zunehmend auch mit eigenen Ansprüchen auftrat. Die Aktivitäten der Europäischen Kommission, des Europarats und der UNESCO begannen im Hinblick auf das Kulturerbe der Region erst ab dem Jahr 2000 zögerlich konkrete Formen anzunehmen. Die Situation änderte sich signifikant mit den Übergriffen auf serbische Monumente während der Märzunruhen 2004, die nun als Katalysator für die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen UNMIK, UNESCO, dem Europarat, den PISG sowie den serbischen Institutionen wirkten. Schenkt man den Ausführungen in der durch den Europarat 2008 veröffentlichten Studie Analysis and reform of cultural heritage policies in South East Europe Glauben, dann gab es auf Seiten der internationalen Staatengemeinschaft bereits 1999 ein Bewusstsein für die prekäre Situation des Kulturerbes der Region: Following the end of the armed conflict in Kosovo, it was evident that there was an urgent need to assign more importance to developing a risk inventory and for immediate, planned preventive measures for damaged historic cultural sites and buildings.1878
Inwiefern das eine retrospektive Projektion der Analysten des Europarats ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Der zeitversetzte Beginn der Erfassung des Kulturerbes Kosovos und der Schäden erst etwa ein Jahr nach Kriegsende spricht zumindest dafür, dass es in der Wahrnehmung internationaler Organe offenbar dringendere Aufgaben gab. Zumal die Aussage bereits im nächsten Absatz relativiert wird: Despite all efforts to safeguard damaged cultural heritage and to integrate it into the process of reconstruction of Kosovo, the process has been very difficult and not very successful. The main problem has been a lack of co-ordination between all actors, including the local administration, communities and NGOs. Other 1876 European Commission / Council of Europe (2001, Part I), 13, 29. 1877 Council of Europe (2008), 64. 1878 Council of Europe (2008), 63.
600 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen problems have included a lack of specialists, a lack of management experience, the extent of destruction and insufficient funding. There is also a lack of understanding within the local, national and international institutions.1879
Diese Einlassung erinnert stark an entsprechende Schilderungen der Situation in Kroatien und Bosnien-Herzegovina durch Colin Kaiser und andere Experten. Gleichwohl gab es auch vor den Märzunruhen 2004 Initiativen zum Schutz des Kulturerbes Kosovos seitens der internationalen Staatengemeinschaft.
ANNULLIERUNG DER JUGOSLAWISCHEN (SERBISCHEN) GESETZGEBUNG ZUM KULTURERBESCHUTZ UND DER ACTION PLAN FOR CULTURAL HERITAGE IN KOSOVO
Etwa ein halbes Jahr nach Kriegsende initiierten die Europäische Kommission und der Europarat mit dem Action Plan for Cultural Heritage in Kosovo ein gemeinsames Projekt mit dem Ziel, die Situation des Kulturerbes in der ehemaligen autonomen jugoslawischen Region zu erfassen, zu analysieren und Vorschläge zu deren Verbesserung zu unterbreiten.1880 Eine der ersten Maßnahmen der UNMIK betraf die durch Jugoslawien, respektive Serbien zwischen 1989 und 1999 erlassenen Gesetze zum kulturellen Erbe. Sie wurden von der Übergangsverwaltung mit der Begründung außer Kraft gesetzt, sie seien ohne die Involvierung der gesamten Gesellschaft zustande gekommen. Damit verlor auch das „Gesetz über das Kulturerbe“ (Zakon o kulturnim dobrima) von 1994, auf dem die Kategorisierung der Monumente im Register des unbeweglichen Kulturerbes von 1995 basierte, seine Gültigkeit in Kosovo. Als juristische Basis blieb lediglich das ältere Gesetz von 1977, was jedoch durch die UNMIK und den Europarat als „veraltet und nicht im Einklang mit bester europäischer Praxis“ eingestuft wurde. Die Konsequenz bestand im Entwurf eines neuen Gesetzes zum Schutz des kulturellen Erbes, das im Zuge der Einrichtung des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport in Auftrag gegeben, jedoch erst vier Jahre später, am 9. Oktober 2006, durch das Parlament Kosovos angenommen wurde.1881 1879 Council of Europe (2008), 63. 1880 European Commission / Council of Europe (2001, Part I), 5; European Commission / Council of Europe (2001, Part II), 6. 1881 European Commission / Council of Europe Joint Programme (2004 (2006)), 6; Council of Europe (2008), 64 f; vgl. Provisional Institutions of Self Government et al. (2006).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 601
INTERNATIONAL MANAGEMENT GROUP: EMERGENCY ASSESSMENT OF DAMAGED HOUSING AND LOCAL/VILLAGE INFRASTRUCTURE IN KOSOVO
Bereits vor dem Ende des Kosovokonflikts hatte die Europäische Kommission die International Management Group (IMG) mit der Erfassung der Schäden in Kosovo beauftragt. Die IMG war 1994 angesichts des Bosnienkrieges auf Initiative des UNHCR zur Analyse von technischen Problemen und Infrastrukturfragen in dem Krisengebiet gegründet worden.1882 Ein erster Bericht der IMG zu Kosovo wurde noch vor Kriegsende im Februar 1999 fertiggestellt. Nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen wurde er umfassend ergänzt und im Juli 1999 unter dem Titel Emergency assessment of damaged housing and local/village Infrastructure in Kosovo veröffentlicht.1883 Die IMG erstellte im Auftrag der Europäischen Kommission vier weitere Studien zum Eisenbahn-, Straßen- und Telekommunikationsnetz sowie dem Transportnetz in Kosovo generell.1884 In dem Bericht zum beschädigten Wohnraum und der lokalen Infrastruktur, der, wie der Titel bereits vermuten lässt, das Kulturerbe Kosovos nicht berücksichtigt, heißt es, eine weitere Studie, die neben den genannten Bereichen auch das Kulturerbe erfassen würde, sei in Planung.1885 Jedoch ist dieses Dokument, wenn es überhaupt existiert hat, weder in der Datenbank des IMG noch der des Europarats verzeichnet.
COUNCIL OF EUROPE: CULTURAL SITUATION IN KOSOVO (MONTENEGRO AND SERBIA, 1999-2002)
Ebenfalls mit dem Beginn des internationalen Mandats 1999 veröffentlichte die parlamentarische Versammlung des Europarats regelmäßig Information Reports, die zunächst noch den Titel Cultural Situation in Kosovo, Montenegro and Serbia trugen, später jedoch nur noch Cultural Situation in Kosovo überschrieben waren.1886 Generell ist zu den Berichten des Komitees für Kultur, Wissenschaft und Bildung des Europarats zu Kosovo anzumerken, dass diese die Qualität und Ausführlichkeit der Veröffentlichungen zu Kroatien und Bosnien-Herzegovina nicht 1882 Vgl. Präsentatiom der International Management Group im Internet (http://www.img-int. org/central/public08/About.aspx [31.03.2018]). 1883 European Commission / International Management Group (1999). 1884 European Commission / International Management Group (Januar 2000). 1885 European Commission / International Management Group (1999), 4. 1886 Vgl. etwa Council of Europe (Dezember 1999 (Doc. 8602), Januar 2001 (Doc. 8930), April 2001 (Doc. 9053), Januar 2002 (Doc. 9321)).
602 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
annähernd erreichen. Es macht vielmehr den Anschein, als seien die mit dem Bericht betrauten Stellen mit der komplexen Situation in Kosovo überfordert gewesen, hätten dies jedoch nicht einräumen wollen. Die Vortragende dieser Berichte war zunächst die bulgarische Politikerin Elena Poptodorova, die ein Mitglied des Europarates war. Im Dezember 1999 erklärte sie: Another area of great concern, where urgent action is needed, is the protection of the rich cultural heritage. According to the Serbian Orthodox webpage more than seventy churches and monasteries have been damaged or destroyed and much more is at risk. The Islamic religious architecture has also been damaged. Precise figures are difficult to give but any assessment of damage and destruction must cover both the Serbian and Albanian cultural heritage (religious buildings and historic architecture as well as libraries, archives and museums).1887
Die Äußerung der bulgarischen Politikerin enthält einige wichtige Aussagen: Zunächst wird deutlich, dass die Erfassung des beschädigten und zerstörten kulturellen Erbes Kosovos durch den Europarat im Dezember 1999, ein halbes Jahr nach Kriegsende, noch nicht begonnen hatte. Ferner hatte Poptodorova ihre Informationen von einer Internetseite der Serbischen Orthodoxen Kirche bezogen. Daraus lässt sich schließen, dass im Dezember 1999 noch kein direkter Kontakt zwischen dieser und dem Europarat zumindest zu Kulturerbefragen bestand. Die Informationen zum osmanisch-islamischen und albanischen Erbe im Bericht der Politikerin sind nicht weniger vage. Das legt nahe, dass zwischen der Islamischen Gemeinschaft Kosovos und dem Europarat zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch kein Kontakt bestand. In Poptodorovas Bericht vom Januar 2001 – inzwischen waren anderthalb Jahre seit der Etablierung von UNMIK und KFOR vergangen – hatte sich die Situation offenbar nicht wesentlich verbessert: Another area of great concern, where urgent action is needed, is the protection of the rich cultural heritage. Some Orthodox churches and monasteries have been damaged or destroyed, not so much by the NATO bombing campaign but as a result of criminal acts by returning Albanians. We were told that these were aimed at modern orthodox churches rather at the ancient (and more valuable from the heritage point of view). The Islamic religious architecture has also been damaged and is still at risk and not only from the Orthodox side. We were told that a Saudi NGO involved in the building of 30 new mosques had bulldozed a 17th Century 1887 Council of Europe (Dezember 1999), P. 3.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 603
mosque and Muslim cemetery (in Djakovica/Gjakova) and had white-painted ancient frescoes elsewhere. Precise figures are difficult to give, especially for the Islamic heritage for which there are few records, but any assessment of damage and destruction must cover both the Serbian and Albanian cultural heritage (religious buildings and historic architecture as well as libraries, archives and museums). Cultural heritage is only one of the four areas of activity of the Cultural Department and is not seen as a priority either by the international community or by the local population (who is much more interested in reconstructing their own houses).1888
Hier ist der Einfluss der Berichte Riedlmayers und Herschers unverkennbar, zumal Letzterer nach 1999 eine Zeit lang als Berater für den Europarat in Kosovos tätig war.1889 Ein Jahr zuvor war auch Sabri Bajgoras Buch über die zerstörten Moscheen Kosovos erschienen. Offenbar hatten ihn der Europarat und Elena Poptodorova jedoch bis dahin nicht zur Kenntnis genommen.
UNESCO: GENERAL ASSESSMENT OF THE SITUATION OF ARCHIVES IN KOSOVO (2000)
In einer zehntägigen Mission untersuchten Bruce Jackson und der polnische Historiker und Archivar Wladyslaw Stepniak im Auftrag der UNESCO vom 1. bis 10. Dezember 1999 den Zustand der Archive Kosovos. In der Einführung zu ihrem Bericht, der im Jahr 2000 veröffentlicht wurde1890, merkten die Autoren an, dass die Zustände in Kosovo denen in Bosnien-Herzegovina nach dem Krieg „nicht unähnlich“ waren: Offices appear to have been systematically stripped of virtually all equipment, both of a general and specialist nature. Several of the smaller offices appear to have been totally destroyed, particularly in Western Kosovo. […] Evidence was found of the systematic removal of both historical material and records held by current administrations, particularly those of Civil Registration and Cadastral Courts.1891 1888 1889 1890 1891
Council of Europe (Januar 2001), P. 5. European Commission / Council of Europe Joint Programme (2004 (2006)), 11. UNESCO (Jackson/Stepniak) (2000). UNESCO (Jackson/Stepniak) (2000), 5.
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Aus den weiteren Angaben von Stepniak und Jackson ergibt sich ein ähnliches Bild wie aus den Berichten András Riedlmayers. Im Archiv Kosovos in Prishtina etwa habe die Entfernung von Dokumenten bereits Anfang der 90er Jahre begonnen.1892 Das historische Archiv von Deçan wiederum sei „vollständig zerstört“ worden. Dasselbe gelte für einen Teil des Interkommunalen Archivs in Gjakova.1893 Was an dem Bericht von Stepniak und Jackson allgemein auffällt, ist erneut der lediglich kurze Zeitraum, der für Recherchen vor Ort und on site visits zur Verfügung stand. Einige Archive konnten die beiden Berichterstatter nach eigenen Angaben nicht selbst in Augenschein nehmen. Bei anderen merkten sie an, dass weitere, ausführlichere Untersuchungen erforderlich seien.
JOHN A. BOLD UND ROB PICKARD: STUDY ON THE STATE OF THE CULTURAL HERITAGE IN KOSOVO
Im Rahmen des Action Plan for Cultural Heritage in Kosovo beauftragten die Europäische Kommission und der Europarat den britischen Architekten John A. Bold sowie den Kulturerbe-Spezialisten Rob Pickard, eine Studie zur Situation des kulturellen Erbes in Kosovo zu erstellen. Während Bold den allgemeinen Zustand des Erbes in Kosovo im ersten Teil beschrieb, analysierte Pickard im zweiten die bisherige Gesetzgebung Jugoslawiens bzw. Serbiens diesbezüglich und entwickelte Vorschläge zur Angleichung an internationale Rechtsnormen. Ein Inventar mit Beschreibungen beschädigter oder zerstörter Objekte, wie es andere regionale und internationale Veröffentlichung vorstellen, ist die Study on the State of the Cultural Heritage in Kosovo nicht. Zwar erklären die Autoren, dass im Rahmen des Projekts ursprünglich auch Analysen von konkreten Objekten vor Ort geplant waren, diese jedoch angesichts der schwierigen Situation in Kosovo, an den besonderen „politischen, technischen und geografischen Konditionen“ scheiterten.1894 Die Berichte Bolds und Pickards sind als umfassende und präzise Analyse der verschiedenen Faktoren, die die Situation des Kulturerbes Kosovos im Allgemeinen ausmachten, zu verstehen. Aussagekräftig hinsichtlich des Zustands konkreter Objekte sind sie nicht. In ihrer Studie analysierten Bold und Pickard auch die institutionellen Voraussetzungen des Kulturerbeschutzes in Kosovo, wie sie im Jahr 2000 gegeben waren. 1892 UNESCO (Jackson/Stepniak) (2000), 7. 1893 UNESCO (Jackson/Stepniak) (2000), 10. 1894 European Commission / Council of Europe (2001, Part I), 10.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 605
So existierten zum Zeitpunkt der Etablierung der UNMIK hauptsächlich drei lokale Institutionen mit diesem Auftrag. Neben dem Archiv und dem Museum Kosovos hatte das regionale Institut für den Schutz der kulturellen Monumente, mit Filialen in Prizren, Prishtina und Gjakova, die Hauptverantwortung inne. Dazu kamen das Ethnographische Museum in Peja und das Archäologische Museum in Prizren mit ähnlicher Funktion. Der Zustand dieser Institutionen wird in dem Bericht der beiden Experten wie folgt beschrieben: […] they are chronically underfunded, understaffed and badly housed. They are working to laws, which do not work and indeed are in effect unworkable. Lines of responsibility are unclear; accountability is inadequately situated; there are conflicts and misunderstandings between the centre and the regional municipalities. […] Institutes are not up to date with modern techniques of analysis, inventorisation, planning, reporting or the rehabilitation of the building stock. There are no training programmes for workers within the institutes; the training of craftsmen appears to have lapsed; there are no educational programmes to raise public consciousness about the built environment.1895
John A. Bold und Rob Pickard hatten vergessen zu erwähnen, dass es nach dem Abtransport der Archive nach Serbien kaum mehr Dokumente gab, auf die sich die kosovarischen Denkmalschützer bei ihrer Arbeit hätten stützen können. Nichtsdestoweniger hatten die beiden Berichterstatter die Schieflage in der internationalen Wahrnehmung erkannt: Historically, it is the Serbian built heritage of major religious complexes which has been privileged and internationally recognised as being among the high points of European art and architecture. This monumental heritage is largely known and has in the past been the subject of investigation and inventorisation. […] The individual monuments of the Albanian built heritage do not have the same internationally outstanding quality. They are however of enormous significance in the national context and are often the component parts of neglected but potentially extremely attractive and important complexes.1896
In dieser für einen großen Teil des Kulturerbes der Region ohnehin ungünstigen Ausgangslage trugen die Unzulänglichkeiten der internationalen Übergangs1895 European Commission / Council of Europe (2001, Part I), 19. 1896 European Commission / Council of Europe (2001, Part I), 28.
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verwaltung nicht unbedingt zur Verbesserung der Situation bei. So war auch das Department of Culture (DoC) der UNMIK chronisch unterfinanziert und hatte darüber hinaus allgemein keinen hohen Stellenwert in der Zivilverwaltung der Vereinten Nationen: 75 % of the available budget of the DoC is taken up in salary payments to the workforce – the remaining 25% is for the running costs of the institutes. […] There is no overall plan for the cultural heritage and its management. The DoC does not appear to carry a great deal of weight within UNMIK; nor does it appear to influence the opinion formers outside government.1897
Wenn eine Erkenntnis aus dem Bosnienkrieg die bedeutende Rolle des kulturellen Erbes für Flüchtlingsrückkehr und Aussöhnung war, dann war diese auf Seiten der internationalen Organisationen in Kosovo offenbar bereits wieder in Vergessenheit geraten oder nicht ausreichend präsent. Auch Bold und Pickard kritisierten – wie bereits Colin Kaiser in Kroatien und Bosnien zuvor – die fehlende Abstimmung unter internationalen Akteuren. Ursprünglich hatten die Europäische Kommission und der Europarat alle relevanten internationalen Institutionen eingeladen, zur Vollständigkeit der Untersuchung der Situation des Kulturerbes mit ihren Erkenntnissen beizutragen. Dieser Aufforderung war einzig ICOMOS gefolgt, indem es einen Experten für die Mission in Kosovo zur Verfügung stellte. Die UNESCO hingegen hatte den versprochenen Bericht zur Vernetzung von regionalen und internationalen Denkmalschutzorganisationen in Kosovo nicht abgegeben.1898
UNESCO: CULTURAL HERITAGE IN SOUTH-EAST EUROPE: KOSOVO (2003)
Die erste offizielle Studie der UNESCO zum Kulturerbe Kosovos aus dem Jahr 2003 ist wie der Bericht zum Specific Action Plan for Bosnia and Herzegovina des Europarats von 19991899 als Versuch zu verstehen, einen repräsentativen Querschnitt des Kulturerbes in Kosovo zu erfassen. Die Zerstörung eines Teils dieses Erbes ist nur ein Anlass seiner Entstehung. Am 20. März 2002 hatte der Direktor des Koordinationszentrums für Kosovo in Serbien, Nebošja Čović, in einem Brief 1897 European Commission / Council of Europe (2001, Part I), 16, 19. 1898 European Commission / Council of Europe (2001, Part I), 10 ff. 1899 Vgl. Kap. 3.3 Systematische Auslöschung – Krieg und Kulturerbezerstörung in BosnienHerzegovina 1992 bis 1995 / Specific Action Plan for Bosnia and Herzegovina.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 607
an den damaligen Generaldirektor der UNESCO Kōichirō Matsuura die UNESCO dazu aufgefordert, die Haager Konventionen von 1954 im Hinblick auf das mittelalterliche Kulturerbe der Region durchzusetzen.1900 Darüber hinaus räumt der Bericht der UNESCO einleitend ein, dass die Frage des Kulturerbes durch die internationale Übergangsverwaltung UNMIK bisher nicht systematisch berücksichtigt worden sei, was mit „vitalen Prioritäten wie Sicherheit, Wirtschaft und ziviler Administration“ begründet wird.1901 Vor diesem Hintergrund entsandte die UNESCO in Abstimmung mit dem UNGeneralsekretär und der UNMIK vom 12. bis 19. März 2003 sechs Spezialisten aus Deutschland, den USA, Schweden, Ägypten und Albanien auf eine field mission nach Kosovo.1902 Unter den Teilnehmern befand sich unter anderen auch Slobodan Ćurčić.1903 Insgesamt 39 individuelle Bauwerke und komplexe Strukturen sind in der Studie der UNESCO erfasst sowie in bebilderten umfassenden Beschreibungen dokumentiert. Die Begutachtung dieser Objekte erfolgte augenscheinlich zum Teil sehr aufwendig. An einigen Bauwerken führten die Mitglieder der Mission Untersuchungen der Mikrostruktur der Bausubstanz durch. Diese beinhaltete unter anderem die Analyse des Zustands von Fresken oder der chemischen und biologischen Belastung von Mauerwerk. 16 der in Augenschein genommenen Objekte wurden als „byzantinische/orthodoxe architektonische Monumente“ klassifiziert. Dazu gehörten etwa das Patriarchat in Peć, die Klöster Dečani, Gračanica, Banjska und das sogenannte „Erzengelkloster“ bei Prizren sowie die Kirche Bogorodica Ljeviška ebendort. Diese sechs Monumente wurden als „universal signifikant“ eingestuft, während weitere zehn Kirchen und Klöster das Prädikat „regional bedeutend“ erhielten. Sieben Kirchen und Klöster aus dieser Liste waren nach den Angaben der Experten der UNESCO beschädigt oder zerstört worden. Für die 13 Bauwerke des islamischen architektonischen Erbes hingegen, die die Forschungsgruppe in den Städten Peja, Prishtina, Prizren, Gjakova, Vushtrri, Deçan und Fushe Kosovë (Kosovo Polje) besichtigte, wurde in der Studie keine Differenzierung in „universal signifikante“ und „regional bedeutende“ Monumente vorgeschlagen. Vielmehr sind diese schlicht unter der Überschrift „Islamic architectural monuments“ zusammengefasst. Vier Moscheen in Peja, Prishtina und Deçan fanden die Experten beschädigt oder zerstört vor. Die Rekonstruktionsarbeiten an der im Krieg beschä1900 UNESCO (2003), 4, 7. 1901 UNESCO (2003), 6. 1902 UNESCO (2003), 7 f., 145. 1903 Vgl. Kap. 3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998-2004 / Slobodan Ćurčić: Destruction of Serbian cultural patrimony in Kosovo: a world-wide precedent?
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digten Bajrakli-Moschee in Peja sowie an der Hadum-Moschee in Gjakova hatten bereits begonnen. Offenbar deshalb sind sie in dem UNESCO-Bericht nicht als vom Krieg betroffen vermerkt. Dazu kamen zehn Objekte vernakulärer Architektur, darunter zwei Kulla in Deçan, die im Krieg beschädigt wurden, die Festung Kaljaja in Prizren, die Ausgrabungsstätte Ulpiana sowie der Memorial-Komplex der Amselfeldschlacht auf dem Kosovo Polje. Die Studie der UNESCO ist sichtbar um Ausgewogenheit bemüht. Die Zahl der besuchten Bauwerke des christlich-orthodoxen bzw. des osmanisch-islamischen und albanischen Erbes ist etwa gleich groß. Des Weiteren haben die Autoren jede Schuldzuweisung sowie präzise Ausführungen zum Verlauf der Beschädigung relevanter Objekte vermieden. Beides impliziert jedoch nicht zwangsläufig Neutralität und Objektivität, es kann auch das genaue Gegenteil bedeuten. Realistisch betrachtet konnten die Untersuchung und der Bericht der UNESCO nicht mehr als ein politisches Symbol sein. Repräsentativ für das Kulturerbe Kosovos und dessen Zerstörung war die Initiative nicht. Von 39 insgesamt erfassten Bauwerken und Komplexen waren 14 beschädigt oder zerstört. Das entsprach etwa vier Prozent der insgesamt 337 durch die Konfliktparteien bis 2003 als betroffen angegebenen Objekte.1904 Zieht man den Zeitplan der Mission in Betracht, der in dem Dokument der UNESCO mit allen Stationen wiedergeben wird, dann stand für Lokaltermine an den einzelnen Objekten lediglich eine knappe Stunde zur Verfügung.
COUNCIL OF EUROPE: EDWARD O’HARA ZUR KULTURELLEN SITUATION IN KOSOVO (2003)
Am 10. September 2003, ein halbes Jahr nach der UNESCO-Mission in Kosovo, hielt der serbische Politiker Ivica Dačić vor dem Komitee für Kultur, Wissenschaft und Bildung des Europarats auf einem Treffen in Budapest einen Vortrag über die Zerstörung des „kulturellen und historischen christlichen orthodoxen Erbes in Kosovo und Metohija“. Als Grundlage seiner Erläuterungen führte er die Broschüre Crucified Kosovo and Metohija der Informationsagentur der Diözese RaškaPrizren von 1999 ein, von der es in dem Bericht des Europarats heißt, Dačić habe damit „sehr illustrative Details anderer Schäden und Zerstörungen“ vorgestellt.1905 Veranlasst durch den Vortrag entsandte der Europarat den britischen Politiker Edward O’Hara vom 9. bis 10. Oktober mit dem Auftrag nach Kosovo, über 1904 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1905 Council of Europe (April 2004), Background, P. 1.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 609
Abb. 66: Teilweise erfolgreiche Sprengung der Kirche des hl. Nikolaus (1857) in einem Wohnviertel in Prizren durch albanische Extremisten im Jahr 1999. Von mehr als zwanzig in der Kirche deponierten Panzerabwehrminen setzte bei der Zündung lediglich etwa ein Viertel um und zerstörte die Zündfolge, was die Umsetzung der übrigen Minen verhinderte. Die im Bild befindlichen, unkenntlich gemachten Soldaten sind Kampfmittelbeseitiger (Explosive Ordnance Disposal, EOD) der Bundeswehr. Archiv Tobias Strahl.
die Situation des kulturellen Erbes zu berichten.1906 Der Erkenntniswert seines Berichts ist angesichts des zeitlichen Rahmens nicht überwältigend, dennoch enthält er einige wichtige Informationen. O’Hara folgte den Hinweisen Dačićs. Im Kloster Visoki Dečani traf der irische Politiker auf Vater Sava Janjić, der ihm umfassend zur Kulturerbezerstörung in Kosovo vortrug. Dieses Gespräch nimmt den größten Teil in seinem Bericht ein. Father Sava pointed out that, though there had been much damage during the war, the most systematic destruction of Serb property had come in the immediate aftermath of the war itself. This was not vandalism by ordinary people or looting by thieves (though these did occur). Rather it was professional destruction by trained persons who knew exactly where to plant explosives for maximum and permanent effect.1907 1906 Council of Europe (April 2004), Appendix 3. 1907 Council of Europe (April 2004), The study visit, P. 12.
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In einem Punkt wenigstens kamen Sava Janjićs Angaben den überprüfbaren Tatsachen nahe. Tatsächlich wurden einige wenige Sprengungen mit zumindest grundlegenden Kenntnissen über Sprengmittel und Baustatik durchgeführt. Das betrifft etwa die Kirche der hl. Paraskeva in Zaskok bei Uroševac, die Kirche der Heiligen Jungfrau in Mušutište, die Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit in Gjakova oder die Kirche des hl. Nikolaus in Prizren (Abb. 66). Ob man die Personen, die für diese Sprengungen verantwortlich waren, als „trainiertes Personal“ mit exaktem Wissen bezeichnen konnte, ist höchst zweifelhaft. In der Regel zerstörten albanische Extremisten mit maximalen Mitteln, wie der völlig unnötige Einsatz von mehr als zwanzig Panzerabwehrminen, von denen jede mindestens fünf Kilogramm des Sprengstoffs TNT enthielt, für die versuchte Sprengung der Kirche des hl. Nikolaus zeigt. Ohne fundierte Kenntnisse angebracht, führte auch eine übertrieben große Menge Sprengstoff nicht zur vollständigen Zerstörung von Bauwerken. Die Regel waren mehr oder weniger schwer beschädigte Objekte, Brandstiftungen und Vandalismus. Das macht die Taten nicht besser. Die undifferenzierte Aussage Sava Janjićs vermittelt jedoch ein falsches Bild der Zerstörungen. Interessant wiederum ist O’Haras Aussage über die mangelnde Bereitschaft der Serbischen Orthodoxen Kirche, für den Schutz ihrer Bauwerke mit internationalen Institutionen zusammenzuarbeiten: […] it is also regrettable that the Serb Orthodox authorities are maintaining their opposition against intervention in religious properties by other than Serb bodies. This involves a refusal to recognize the authority of the PISG and MCYS and places additional pressure on UNMIK. It might be hoped that a way can be found to break through this deadlock.1908
Demnach trug die Kirche für den schlechten Zustand ihrer Bauwerke in Kosovo zumindest teilweise selbst die Verantwortung. Vor dem Hintergrund des serbischen Opfermythos wird diese Haltung ein Stück weit nachvollziehbar. Offenbar nahm die SPC die Gefährdung von Monumenten in Kauf, um sich als Opfer des Krieges inszenieren zu können. Unmissverständlich ist O’Haras Darstellung, was die Zerstörung der Moscheen und historischen Märkte in Gjakova und Peja anbelangt. Diese schreibt er „sich zurückziehenden Serben“ zu.1909 Darüber hinaus spielt das osmanisch-islamische 1908 Council of Europe (April 2004), Postscript, P. 67. MCYS = Ministry for Youth, Culture and Sports. 1909 Council of Europe (April 2004), The study visit, P. 10.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 611
und albanische Kulturerbe jedoch keine Rolle in seinem Bericht. Er räumt ein, dass er während seines Aufenthalts in Kosovo keinen Repräsentanten der albanischen Bevölkerung gesprochen habe.1910
EUROPÄISCHE KOMMISSION / EUROPARAT / UNMIK: INTEGRATED REHABILITATION PROJECT PLAN (2004 (2006))
Einerseits bewirkten die Unruhen und anti-serbischen Ausschreitungen im 2004 zwar eine intensivere Zusammenarbeit der internationalen Organisationen. Andererseits gerieten durch die Übergriffe auf das christliche Kulturerbe der Region das osmanisch-islamische und das albanische Erbe jedoch nahezu vollends aus dem Blick. Unmittelbar nach den gewalttätigen Protesten bat die UNMIK sowohl die UNESCO als auch die Europäische Kommission und den Europarat, den Schaden an den beschädigten und zerstörten Bauwerken der Serbischen Orthodoxen Kirche zu untersuchen. Der Europarat entwickelte daraufhin als „außerordentliche Ergänzung“1911 zu dem seit 2002 bestehenden Regional Programme for the Cultural and Natural Heritage in South-East Europe1912 den Emergency Action Plan for the Cultural Heritage in Kosovo. Im Rahmen dieses Notfallplans, dessen Titel insofern irreführend ist, als dass er ausschließlich auf das serbische, nicht aber das Kulturerbe Kosovos im Allgemeinen fokussiert, führten Repräsentanten der Provisional Institutions of Self Government Kosovos gemeinsam mit Vertretern der SPC und Mitarbeitern des Ministeriums für Kultur der Republik Serbien vom 10. bis 16. Mai, vom 22. bis 26. Juni sowie vom 27. bis 31 Juli 20041913 drei field missions zur Evaluierung der Schäden der Märzunruhen durch. Die Missionen resultierten in drei korrespondierenden internen Berichten mit den Dokumentziffern AT04 171 rev., AT04 245 rev. und AT04 245 bis. Mit den älteren Aufzeichnungen von Bold und Pickard1914 bildeten sie die Grundlage für den Integrated Rehabilitation Project Plan / Survey of the architectural and archeological heritage (IRPP/SAAH), für den die Europäische Kommission, der Europarat und die UNMIK gemeinsam verantwortlich zeichneten. Des Weiteren waren sie die Basis für die vom Europarat nach Verhandlungen mit der Serbischen Orthodoxen Kirche 2005 initiierte Reconstruc1910 1911 1912 1913 1914
Council of Europe (April 2004), Conclusions, P. 46. Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2005), 6. Council of Europe (August 2004), 1. Council of Europe (August 2004), 2. European Commission / Council of Europe (2001)
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tion Implementation Commission for Orthodox Religious Sites (RIC) in Kosovo und deren Aktivitätsberichte.1915 Der Integrated Rehabilitation Project Plan erschien in einer ersten Auflage im Jahr 2004 sowie in einer überarbeiten Version nochmals 2006. Er stellt zunächst den Stand der Erkenntnisse der Europäischen Kommission sowie des Europarats zum Kulturerbe in Kosovo im Dezember 2003 dar. Angesichts der Ereignisse im März 2004 wurden jedoch vor Herausgabe der ersten Auflage neun Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche, die von den Übergriffen betroffen waren, in dem Dokument inkludiert.1916 Der Kern des Rehabilitationsplanes besteht aus einer Prioritised Intervention List, die in einer katalogartigen Aufstellung 25 Bauwerke sowie komplexe architektonische Strukturen erfasst und in bebilderten Beschreibungen vorstellt. Die verzeichneten Monumente sind in drei Klassen unterteilt. Der Kategorie „byzantinische/orthodoxe Monumente“ gehören elf Bauwerke an (Kirchen und Klöster sowie die Bischofsresidenz in Prizren). Als islamische Monumente der osmanischen Periode sind sieben Bauwerke vermerkt (fünf Moscheen und zwei orientalische Bäder). Sieben weitere architektonische Strukturen werden als vernakuläres Erbe erfasst (drei Festungen, eine archäologische Grabungsstätte, ein traditioneller Wohnturm, ein Hotelgebäude sowie eine Brücke). Darüber hinaus sind die Bauwerke in fünf Kategorien klassifiziert, die ihre „Wichtigkeit“ abbilden sollen. Die Festung Kaljaja in Prizren etwa wird als „international important“ eingeschätzt; „of outstanding international importance“ soll die Kirche Bogorodica Ljeviška in Prizren sein; das Kloster der Heiler Cosmas und Damian in Zočiste ist immerhin von „outstanding national importance“; „of national importance“ ist die Kirche des hl. Georg in Prizren; die mittelalterliche Festung in Zveçan hingegen ist lediglich „of regional importance“. Das einzige islamische Bauwerk der osmanischen Periode, dem der Status „of international importance“ zugebilligt wird, ist die Sinan-Pascha-Moschee in Prizren. Die übrigen Moscheen sind, ebenso wie die beiden orientalischen Bäder, lediglich „of regional importance“ oder haben überhaupt keine Klassifizierung erhalten. 11 der 25 in der Prioritised Intervention List erfassten Monumente wiederum galten als während bzw. nach dem Krieg beschädigt. Dazu gehörten die acht nach den Unruhen 2004 erfassten Kirchen und Klöster, die Bischofsresidenz in Prizren sowie die Llapit-Moschee in Prishtina und der Wohnturm Hysni Koshi in Gjakova. 1915 European Commission / Council of Europe Joint Programme (2004 (2006)), 3; Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2005), 6; Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2005), 2–6. 1916 European Commission / Council of Europe Joint Programme (2004 (2006)), 3.
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 613
Zwar erwähnt der Text die jugoslawische Gesetzgebung und führt aus, dass diese bis auf das Gesetz von 1977 – das internationalen Standards nicht genügen soll – durch die UNMIK kassiert wurde.1917 Welchen Kriterien die Klassifizierung der Objekte in fünf Bedeutungsstufen folgt, geht aus dem Dokument jedoch ebenso wenig hervor, wie die Grundlagen für die Zusammenstellung der Liste erklärt werden.
UNESCO: CULTURAL HERITAGE IN SOUTH-EAST EUROPE: KOSOVO (2004)
Parallel zu den Exkursionen und Berichten des Europarats kam die UNESCO der Bitte der UNMIK um Evaluierung der 2004 verursachten Schäden an orthodoxen Kirchen und Klöstern mit einer eigenen Studie nach. Vom 26. bis 30. April führte sie eine Untersuchung in Kosovo durch, an der sich Angehörige der SPC, des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport Kosovos, der UNMIK, der UNESCO, des Istituto Centrale di Restauro in Rom sowie weitere Spezialisten aus der Schweiz, Bulgarien, Russland und Italien beteiligten. In on site visits besuchte die Gruppe 27 der 35 durch UNMIK, UNESCO und Europarat im Anschluss an die Märzunruhen gemeinsam ermittelten beschädigten und zerstörten Strukturen.1918 Neben 24 orthodoxen Kirchenbauten in 13 Städten Kosovos waren das die Residenz des orthodoxen Bischofs und das sogenannte „Serbische Viertel“ in Prizren sowie eine Ateliergalerie in Çagllavicë (Čaglavica). Osmanisch-islamisches und albanisches Kulturerbe spielten keine Rolle mehr. In dem Bericht sind einige neue Informationen zu den während der Märzunruhen beschädigten Objekten enthalten, etwa zur Kirche Bogorodica Ljeviška in Prizren, die in der Tat ein herausragendes Monument sakraler Baukunst des Mittelalters ist. Darüber hinaus kann das Dokument keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse beibringen. Wie bei den verschiedenen vorangegangenen Initiativen des Europarats handelte es sich auch bei der Exkursion und dem anschließenden Bericht der UNESCO um ein politisches Symbol. Was hätten die 12 Mitglieder der Gruppe in den vier Tagen der Untersuchung auch an tiefschürfenden Erkenntnissen gewinnen können? An erster Stelle der „Empfehlungen der Mission“ steht die dringende Notwendigkeit „der internationalen Gemeinschaft in Kosovo […] ohne Verzögerung eine neue Strategie und Frühwarnmechanismen zum Schutz des Kul-
1917 European Commission / Council of Europe Joint Programme (2004 (2006)), 6, 7. 1918 UNESCO (2004), 10, 56.
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turerbes in Kosovo zu entwickeln“.1919 Nach einem Jahrzehnt und drei Kriegen im ehemaligen Jugoslawien mit intensiver und fortgesetzter Zerstörung von Kulturerbe liest sich diese Feststellung wie eine Kapitulationserklärung. Im Unterschied zur Studie der UNESCO aus dem vorangehenden Jahr war dem Dokument von 2004 eine Kostenschätzung der Rekonstruktions- und Restaurierungsmaßnahmen an den vorgestellten Bauwerken beigefügt. Deren Gesamtsumme belief sich demnach auf etwas mehr als 26 Millionen US-Dollar.
ÜBEREINKUNFT ZUM WIEDERAUFBAU SERBISCH-ORTHODOXER RELIGIÖSER STÄTTEN UND DIE RECONSTRUCTION IMPLEMENTATION COMMISSION 2005
Im März 2005 veröffentlichte die UNMIK eine aktualisierte Aufstellung von Daten zu den Unruhen am 17. und 18. März 2004.1920 Demnach waren während der gewalttätigen Proteste 19 Personen ums Leben gekommen. Darunter zählten elf Albaner und acht Serben. 954 Personen waren verletzt. Überdies hatten 65 Angehörige der internationalen Polizei sowie 58 Beamte der Polizei Kosovos (KPS) Verletzungen erlitten. Insgesamt 730 Häuser von Minoritäten, die überwiegende Zahl gehörte den nach 1999 in Kosovo verbliebenen Serben, waren beschädigt oder zerstört worden. Schließlich galten 36 Bauwerke der Serbischen Orthodoxen Kirche, hauptsächlich Kirchen und Klöster, als von den Ausschreitungen betroffen. Etwa 4.100 Personen waren während der Unruhen vertrieben worden. Der überwiegende Teil davon waren Serben. 348 Personen waren für während der Proteste begangene Straftaten bis März 2005 vor kosovarischen Gerichten angeklagt worden. Eine Auswahl an abgeschlossenen Prozessen führt unter anderem das Urteil gegen drei Kosovo-Albaner auf, die an der Brandstiftung in der Kirche Bogorodica Ljeviška beteiligt und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden waren.1921 Am 25. Juni 2004 unterzeichneten Patriarch Pavle, ein Vertreter des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport sowie zur Bezeugung (svedočanstvo) ein Repräsentant der UNMIK ein Memorandum of Understanding (MoU), mit dem ein Komitee zur Implementierung der Rekonstruktion religiöser Stätten etabliert wurde, das nach Empfehlungen des Europarats und der UNESCO die Arbeiten an den
1919 UNESCO (2004), 9. 1920 UNMIK (2005) 1921 UNMIK (2005).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 615
Abb. 67: Unterschriften des Patriarchen der Serbischen Orthodoxen Kirche Pavle sowie des Vertreters des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport der PISG Kosovos unter dem Memorandum of Understanding zur Rekonstruktion orthodoxer religiöser Stätten in Kosovo vom März 2005. Der Vertreter der UNMIK unterzeichnete zur Bezeugung (Svedočanstvo) des Memorandums. Archiv Tobias Strahl.
relevanten Objekten überwachen sollte.1922 Weshalb diese erste Übereinkunft kurz nach ihrer Unterzeichnung seitens der SPC wieder aufgekündigt wurde, dazu gaben die Beteiligten keine offizielle Erklärung ab. Anhand der Dokumente, die unter der Regie des Bischofs der Diözese Raška-Prizren Artemije Radosavljević veröffentlicht wurden, lässt sich jedoch annehmen, dass der Grund für den Rückzug ein an Intensität stetig zunehmender Streit zwischen dem Patriarchat in Belgrad und ihrem eigenwilligen Repräsentanten in Kosovo war. Bischof Artemije und seine Anhängerschaft fühlten sich von den Verhandlungen zwischen der Übergangsverwaltung und der Kirchenführung über das Schicksal der serbischen Klöster und Kirchen in Kosovo ausgeschlossen. Das geistliche Oberhaupt der Kosovoserben torpedierte deswegen sowohl die Verhandlungen zwischen Serbien und den PISG bzw. der UNMIK als auch deren Ergebnisse.1923 Das zweite, nunmehr erfolgreiche Memorandum of Understanding on Agreed General Principles for the Reconstruction of Serbian Orthodox Religious Sites unterzeichneten Pavle und der Zeuge der UNMIK am 24. März 2005. Die Unterschrift des Vertreters des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport folgte am Tag darauf (Abb. 67).1924 1922 Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2005), 6. 1923 Republic of Serbia et al. (2008), hier insbesondere 87 ff. 1924 Provisional Institutions of Self Government et al. (2005).
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Abb. 68: Fotografie der Skulptur des Ymer Prizreni im Atelier des Agim Cavdarbasha in Çagllavicë im Frühsommer 1999. Fotografie zur Verfügung gestellt durch Robert Elsie.
Mit dem Memorandum war wiederum die Grundlage für die Reconstruction Implementation Commission for Orthodox Religious Sites in Kosovo (RIC) geschaffen, die am 9. Mai 2005 offiziell ihre Arbeit aufnahm.1925 Über ihre Aktivitäten gab die Kommission in insgesamt drei Berichten Aufschluss.1926 Die Ausführungen dort sind indes nicht immer eindeutig, da einerseits von 34, andererseits von 35 sites die Rede ist. Die Kommission übernahm die Implementierung und Überwachung der Rekonstruktionsarbeiten an insgesamt 35 Objekten. Dazu gehörten 31 orthodoxe Kirchen, Klöster und Kapellen in Kosovo, die während der Märzunruhen beschädigt oder zerstört worden waren. Neben diesen sakralen Bauwerken verzeichnet die Liste der RIC aber auch die Residenz des orthodoxen Bischofs und das Priesterseminar in Prizren sowie einen orthodoxen Friedhof in Ferizaj. Diese insgesamt 34 Objekte werden als „religious sites“ geführt.1927 Ergänzt wurden sie durch die Ateliergalerie des Künstlers Agim Cavdarbasha in Çagllavicë.1928 Letztere steht in der Reihe der im März 2004 beschädigten Objekte und in der Liste der RIC als Solitär, da es sich weder um ein religiöses noch um ein „ser1925 Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2005), 6. 1926 Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2005, 2006, 2007). 1927 Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2007), 12, 41. 1928 Zur Übersicht über alle Objekte: Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2007), 41–44.
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bisches“ Monument handelte. Agim Cavdarbasha (1944–1999) war vielmehr ein albanischer Bildhauer, der unter anderem die Standbilder der nationalen Integrationsfiguren Ymer Prizreni (1826–1887) und Abdyl Frashëri (1839–1892) für das Museum der Albanischen Liga in Prizren geschaffen hatte, die bei dessen Zerstörung im Frühjahr 1999 von der serbischen Polizei in den Fluss Lumbardhi geworfen worden waren. Robert Elsie besuchte Cavdarbasha, mit dem er befreundet war, unmittelbar nach dem Abzug der serbischen Truppen im Frühsommer 1999 in dessen Atelier in Çagllavicë. Dort hatten sich während des Krieges serbische Techniker einquartiert, die Cavdarbashas hölzerne Skulpturen als Brennmaterial verwendeten und auf einer Fotografie seiner Skulptur des Ymer Prizreni das Gesicht auskratzten (Abb. 68).1929 Das Cavdarbashas Atelier im März 2004 ebenfalls zerstört wurde, ist der Tatsache geschuldet, dass es sich an einem der Orte Kosovos befand, in dem nach den Vertreibungen von 1999 noch mehrheitlich Serben siedelten. Es war demzufolge ein Vergeltungsakt für die albanischen Angriffe auf orthodoxe Kirchen und Klöster ähnlich wie die Übergriffe auf die Moscheen in Belgrad und Niš in Serbien.
CULTURAL HERITAGE LAW (2006) UND LAW ON SPECIAL PROTECTIVE ZONES (2008)
Mit der Übereinkunft zur Rekonstruktion ausgewählter beschädigter und zerstörter Bauwerke der orthodoxen Christen war die internationale Staatengemeinschaft einer der serbischen Forderungen nachgekommen. Mehr als eine symbolische Geste konnte das nicht sein. Neben den 35 Objekten, die im Maßnahmenkatalog der RIC enthalten waren, wurden 141 Bauwerke durch die Serbische Orthodoxe Kirche als beschädigt oder zerstört angegeben.1930 Dass die internationale Staatengemeinschaft nicht für die Rekonstruktion der übrigen Bauwerke verantwortlich sein wollte, ist nachvollziehbar. Überprüft wurden die Angaben jedoch ebenfalls nicht. Eine weitere der Kernforderung der serbischen Institutionen betraf die Sicherheit des christlichen Erbes in Kosovo. De jure wurde diese Forderung mit dem Cultural Heritage Law vom Oktober 20061931 sowie nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos am 17. Februar 2008 mit dem Law on Special Protective Zones
1929 E-Mail von Robert Elsie vom 1. Mai 2011 im Archiv d. V. 1930 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/. 1931 Provisional Institutions of Self Government et al. (2006).
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vom 20. Februar 20081932 erfüllt. Mit dem Gesetz von 2006 wurde der Versuch unternommen, eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure in den Schutz des heterogenen Kulturerbes in Kosovo einzubinden – eine Herkulesaufgabe. Es unterschied in architektonisches, archäologisches, bewegliches und spirituelles Kulturerbe, wobei unter Letzterem immaterielle Formen wie „Traditionen, Sprache, Feste, Rituale, Tanz, Musik, Liedgut und andere Varianten des künstlerischen Ausdrucks“ zusammengefasst sind.1933 Für seine Umsetzung waren das Ministerium für Kultur, Jugend und Sport mit der angegliederten Denkmalschutzbehörde und deren Filialen in Prishtina, Prizren, Gjakova und Peja verantwortlich.1934 Der Versuch, die verschiedenen Interessengruppen einzubinden, war die Achillesferse des Gesetzes. Um eine gerechte Beteiligung aller Akteure nach europäischen demokratischen Standards zu schaffen, wurden Gremien installiert, die – wie bei ähnlichen Versuchen in Bosnien und Herzegovina – einen effizienten Kulturerbeschutz letztlich unmöglich machten. Eines dieser Gremien war das Kosovo Council for the Cultural Heritage, ein siebenköpfiger Rat, der durch das Parlament Kosovos für jeweils drei Jahre auf Basis ethnischer Gleichberechtigung ernannt wird und die Aktivitäten des Kulturerbeschutzes in Kosovo überwachen soll. Der Rat ist in alle Entscheidungen, die das Kulturerbe des Landes betreffen, involviert.1935 Des Weiteren wurden Protective Zones eingerichtet, die in einem Radius von 50 Meter um geschützte Monumente alle kommerziellen und baulichen Tätigkeiten von der Genehmigung „kompetenter Institutionen“ abhängig machen. In dicht bebauten historischen Ensembles, etwa der Altstadt von Prizren, entstanden so großräumige Schutzflächen. Eine der „kompetenten Institutionen“ ist das Kosovo Council for the Cultural Heritage. Dessen Mitglieder können aus fachlichen Gründen, aber eben auch auf der Basis politischer Befindlichkeiten, Vorhaben der jeweils anderen Ethnie oder religiösen Körperschaft blockieren. Einen entscheidenden Einfluss auf das Law on Special Protective Zones von 2008 hatte der Bericht des UN-Sondergesandten Kai Eide zur Situation in Kosovo.1936 Der Norweger war im Mai 2005 durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen als Sondergesandter mit der Evaluierung der Situation in Kosovo beauftragt worden. Er sollte herausfinden, ob die Bedingungen für einen „politischen Prozess […], den zukünftigen Status Kosovos zu bestimmen“, gegeben waren. Hinsichtlich 1932 1933 1934 1935 1936
Republic of Kosova (2008). Provisional Institutions of Self Government et al. (2006), 2.6. Vgl. Council of Europe (2008), 65. Provisional Institutions of Self Government et al. (2006), 4.8. United Nations / Security Council (Oktober 2005).
3.4 Rückeroberung und Vergeltung: Kosovo 1998–2004 | 619
des kulturellen Erbes der Region fokussierte der Bericht des Sondergesandten einzig auf christliche Objekte. Osmanisch-islamische und albanische Bauwerke spielten darin keine Rolle. In seiner Analyse stellte Kai Eide fest, dass um die serbischen religiösen Stätten in Kosovo ein „Schutzraum“ eingerichtet werden müsse, „um sie weniger verwundbar für politische Manipulationen“ zu machen.1937 Damit kam der Norweger den serbischen Vorstellungen von einer Exterritorialisierung orthodoxer Kirchen und Klöster nebst dem dazugehörigen Grund und Boden entgegen. Die so entstehenden quasi-Enklaven auf dem Territorium Kosovos bildeten aus serbischer Sicht eine wichtige Grundlage für den dauerhaften Einfluss in der Region auch nach Abzug der serbischen Verwaltung. Damit war ein entscheidendes politisches Ziel durch die politische Instrumentalisierung von Kulturerbe erreicht worden. Einen nicht unerheblichen Anteil an diesem Erfolg hatte die Informationsagentur der Diözese Raška-Prizren.1938 Die Vorschläge Eides gingen unter Annex V, Artikel 4 Protective Zones in das Comprehensive Proposal for the Kosovo Status Settlement von 2007 ein.1939 Bekannter ist das Dokument unter der Bezeichnung Ahtisaari-Plan (nach seinem Verfasser, dem finnischen Politiker und Diplomaten Martti Ahtisaari). Für die Unabhängigkeit Kosovos, insbesondere deren Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft war dieser Plan von grundlegender Bedeutung. Schließlich trat das Law on Special Protective Zones als eines der ersten Gesetze unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 in Kraft. Sein Zweck ist, wie der erste Artikel formuliert, die Gewährleistung des Schutzes von „serbischen orthodoxen Klöstern und Kirchen, anderen religiösen Stätten, ebenso von historischen und kulturellen Stätten von spezieller Bedeutung für die Gemeinschaft der Serben wie auch anderer Gemeinschaften der Republik Kosovo durch die Etablierung spezieller Schutzzonen“1940. Mit der Überwachung der Schutzzonen wurde das Implementation Monitoring Council (IMC) beauftragt. Unter dessen fünf Mitgliedern befanden sich neben Repräsentanten der EU, der OSZE, Vertretern des Ministeriums für Jugend, Kultur und Sport und des Minis1937 United Nations / Security Council (Oktober 2005), 16, 17, P. 55, P. 56, P. 57. 1938 Vater Sava ist ein vehementer Gegner der UNESCO-Mitgliedschaft Kosovos, was insofern nachvollziehbar ist, da diese den Einfluss Serbiens und der Serbischen Orthodoxen Kirche in den Schutzzonen um die serbischen Heiligtümer in Kosovo schmälern würde. Vgl. B92 (2015); Serbica Americana (2015); Serbian Diocese of Raska-Prizren / Politika (2015); auch die Aussagen Savas in seinem Twitter-Account: https://twitter.com/SavaJanjic [02.04.2018]; ebenfalls der Account der Eparchie Raška-Prizren: https://twitter.com/ EparhijaKIM [02.04.2018]. 1939 United Nations / Security Council (März 2007), Annex V ff. 1940 Republic of Kosova (2008), Article 1.
620 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
teriums für Umwelt und Raumplanung Kosovos auch Abgeordnete der SPC.1941 Unter den Artikel 7, 8 und 9 wurden insgesamt 46 Kirchen, Klöster, Einsiedeleien und urbane Strukturen aufgeführt, um die herum unterschiedlich große Schutzzonen eingerichtet werden sollten. Darunter zählten neben dem Kloster Visoki Dečani etwa auch der Memorialkomplex für die Schlacht auf dem Amselfeld, das ausschließlich von einer serbischen Minderheit besiedelte Dorf Hoçë e Madhe (Velika Hoča) im Süden Kosovos sowie die historische Altstadt von Prizren.
EINE ERNÜCHTERNDE BILANZ
Nach den Angaben der verschiedenen Institutionen und Einzelpersonen waren zwischen Frühjahr 1998 und Mai 2004 insgesamt 477 Objekte des baulichen kulturellen Erbes Kosovos entweder beschädigt oder zerstört worden.1942 Diese Zahl beinhaltete je nach Quelle 211 bzw. 214 Moscheen, 5 Mesdžid, 5 Medressen, 11 Derwischkonvente, 176 Kirchen, Klöster, Kapellen, Einsiedeleien und repräsentative Gebäude der Serbischen Orthodoxen Kirche, 3 historische Marktplätze, Bibliotheken, Archive und Brücken. Dazu kamen zahlreiche verwüstete Friedhöfe, schwer beschädigte oder gänzlich zerstörte traditionelle Wohnarchitektur in nicht bestimmbarem Umfang sowie etwa 500 zerstörte oder teilzerstörte historische Wohn- und Wehrtürme. Die Zahl vernichteter Dokumente und Bücher sowie anderer Gegenstände des beweglichen Kulturerbes ist nicht zu ermitteln. 67 der in serbischen und albanischen Veröffentlichungen genannten Strukturen führen die internationalen Berichte auf, was etwa 14 Prozent der von den Konfliktparteien und Dritten als beschädigt oder zerstört angegebenen Objekte entspricht. Ein ähnliches Verhältnis besteht zwischen den Angaben der Kriegsgegner und den Studien internationaler Beobachter im Kroatien- und Bosnienkrieg. Den internationalen Institutionen in Kosovo ist es auch knapp 20 Jahre nach ihrer Ankunft vor Ort weder gelungen, sich ein repräsentatives Bild des Kulturerbes der Region zu machen, noch die teilweise Zerstörung dieses Erbes angemessen aufzuarbeiten. In der Wahrnehmung der Ereignisse hat sich die serbische Perspektive weitgehend durchgesetzt. Wenn wir, das heißt sowohl die Mitarbeiter internationaler Organisationen in Kosovo als auch westliche Kunst- und Kulturwissenschaftler oder andere Interessierte, die Frage ehrlich beantworten, wie viele christliche, osmanisch-islamische und albanische Monumente in Kosovo uns 1941 European Commission (2013), 5. 1942 Vgl. vollständige Liste hinterlegt unter http://tobias-strahl.de/.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 621
namentlich bekannt sind, können wir das Problem auf einer sehr basalen Ebene erkennen. Dass diese Erkenntnis für die Konfliktbewältigung in dieser Region Südosteuropas von marginaler Bedeutung wäre, ist einer der fundamentalen Trugschlüsse im sogenannten „Westen“.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben
Der Friedensschluss von Dayton 1995, das Militärisch-Technische-Abkommen von Kumanovo und die Implementierung der UN-Resolution 1299 von 1999 bedeuteten nicht in jeder Hinsicht eine Zäsur für die Diskurse der Konfliktparteien der Postjugoslawischen Kriege. Wenn die Konflikte zwischen Kroaten, Serben, bosnischen Muslimen und den Albanern Kosovos vor ihrer Eskalation in bewaffneten Auseinandersetzungen von Seiten des jugoslawischen Regimes mit einer Mischung aus Repressionen und Zugeständnissen unterdrückt und als Reaktion darauf kulturell sublimiert wurden, dann wechselten sie nach dem Ende der Kriege erneut unter dem Mandat einer supranationalen Struktur auf diese Ebene zurück. Dort existieren sie notdürftig kompensiert bis heute gleichsam unverändert fort und können in den politischen Auseinandersetzungen jederzeit instrumentalisiert werden. Bereits hier wirkt sich die bisher kaum erfolgte Aufarbeitung (nicht nur) der Kulturerbezerstörung fatal aus. Weil unabhängige Darstellungen rar sind1943, kann jeder fast alles behaupten. Wie im sozialistischen Jugoslawien sind auch heute nationale Akademien und die Kirchen die wichtigsten Rückzugsräume für kulturellen und religiös fundierten Nationalismus. Das nach wie vor nahezu vollständige Fehlen einer entwickelten Zivilgesellschaft trägt, trotz regionaler Unterschiede, nicht unerheblich zur problematischen Gesamtsituation bei. Wie und auf welcher Basis, kann man fragen, hätten sich die Diskurse nach den 1990er Jahren plötzlich ändern sollen? Noch immer verbindet die postjugoslawischen politischen Entitäten in dieser Hinsicht mehr, als sie trennt. Nichtsdestoweniger existieren auch einige Unterschiede, die unmittelbar Auswirkungen auf die Situation des Kulturerbes in der Region haben. Die kroatische Bevölkerung ist seit der gewaltsamen Vertreibung der serbischen Minderheit in den Operationen Blješak und Oluja annähernd homogen. Bei politischen Entscheidungen braucht das Land kaum Rücksicht auf Minderheiten zu nehmen. Auch existierten auf kroatischem Territorium nicht hunderte Ruinen osmanisch-islamischen Kulturerbes. Grundsätzlich war von Anfang an die wirtschaftliche Situation besser als in den Nachbarstaaten Bosnien und 1943 Ausnahmen bilden hier Herscher (2010) und Walasek (2015).
622 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
Serbien, von Kosovo ganz zu schweigen. Mit dem Adriatourismus verfügt das Land über eine stabile Einnahmequelle, deren Ergiebigkeit bis heute stetig zunimmt. Bosnien hingegen blieb ethnisch fragmentiert und ist auch mit dem Vertrag von Dayton nahezu unregierbar. Drei Nationalitäten und weitere Minderheiten, zwei politische Entitäten mit Regierungen in Banja Luka und Sarajevo mit je eigenen legislativen und exekutiven Strukturen, dutzende Ministerien und ein dreiköpfiges Staatspräsidium blockieren sich in der Regel bei notwendigen Entscheidungen gegenseitig. Die Arbeit der bosnischen Denkmalschutzinstitutionen gleicht dem sprichwörtlichen Gang durchs Minenfeld. Unter diesen Voraussetzungen ist das hohe Niveau zahlreicher Konservierungs- und Rekonstruktionsarbeiten an Kirchen, Moscheen und anderen Monumenten seit Kriegsende erstaunlich.1944 Die Situation in Kosovo ist der in Bosnien und Herzegovina nicht unähnlich. Der Angriff auf die symbolischen Ordnungen in den Postjugoslawischen Kriegen hat auch die kollektiven Identitäten auf den Prüfstand gestellt. Die Zerstörung hat Zerstörer und Zerstörte gleichermaßen verändert. Neue Identitätsentwürfe changieren zwischen Konstruktion und Rekonstruktion. Die mehr oder weniger großen Bruchstücke der älteren Ordnungen, die je nach Region verschieden brauchbar scheinen, müssen den Erfahrungen der Kriege angeglichen werden und umgekehrt. Nicht zuletzt sollen oder müssen die neuen historischen Meistererzählungen in einen europäischen Kontext passen (oder eben nicht), der in den knapp drei Jahrzehnten seit dem Fall der Berliner Mauer ebenfalls nicht derselbe geblieben ist. Dazu kommt die ökonomisch prekäre Situation der postjugoslawischen Gesellschaften mit großen sozialen Ungleichheiten. Die Versuche, in dieser Situation über Mechanismen der In- und Exklusion Kulturerbe neu zu konstituieren – die Rekonstruktion der im Krieg beschädigten und zerstörten Objekte ist lediglich ein Teil dieses ungleich komplexeren Prozesses –, verlaufen regional recht unterschiedlich. Sie sind nur in eigenen Arbeiten mit einem Umfang ähnlich dieser angemessen zu beschreiben und können deswegen hier lediglich kursorisch nachgezeichnet werden.
KROATIEN
Die Beseitigung der Schäden am Kulturerbe Kroatiens hatte zum Teil schon während des Krieges begonnen. Während das Land für den Wiederaufbau Dubrovniks viel Hilfe von der internationalen Staatengemeinschaft erhielt, erfolgten Wiederer1944 Vgl. Jahrbuch Baština / Godišnjak Komisije za očuvanje nacionalnih spomenika der Kommission zum Schutz nationaler Monumente Bosnien und Herzegovinas.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 623
Abb. 69: Der schwer beschädigte Wasserturm (Vodotoranj) wurde eines der Wahrzeichen der Stadt Vukovar. Die rechte Fotografie bildet eine Miniatur des Wasserturms ab, die als Souvenir erworben werden kann. Archiv Tobias Strahl.
richtung und Rekonstruktion der zahlreichen beschädigten und zerstörten Kirchen und Klöster in den übrigen Gebieten größtenteils auf Initiative der katholischen Kirche Kroatiens mit Unterstützung durch staatliche Strukturen, etwa Denkmalschutzinstitutionen, sowie der relevanten Institute an den Universitäten des Landes.1945 Nach der Dokumentation der Schäden und dem Plan of Action der UNESCO wurden die Restaurierungsarbeiten in Dubrovnik von dieser mit einer außerplanmäßigen Förderung in Höhe von 80.000.000 US-Dollar unterstützt. Im Jahr 1998 nahm die UNESCO die Stadt wieder von der Liste des gefährdeten Weltkulturerbes, in der sie seit den Angriffen von 1991 eingetragen war.1946 Ganz anders war die Situation im slawonischen Vukovar. Hier machten die internationalen Hilfen lediglich etwa drei Prozent der insgesamt aufgewendeten Summe aus.1947 Die Stadt an der Grenze zu Serbien kann als Beispiel für den kroatischen Erinnerungsdiskurs der Nachkriegsgeschichte angesehen werden, der sich im gebauten Erbe manifestierte. Als 1997 die sechs Jahre zuvor aus Vukovar ver1945 Vgl. etwa die Diplomarbeit der Kunsthistorikerin Martina Švinger (2011) zur Rekonstruktion der Kirche des hl. Nikolaus in Karlovac. 1946 UNESCO (1993 I); UNESCO (1993 II); UNESCO (Old City of Dubrovnik (Croatia) (C 95bis)). 1947 Baillie (2010), 389.
624 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
triebenen Kroaten in die Stadt zurückkehrten, kam es zunächst zu einem weiteren Sturm auf serbische symbolische Raumzeichen. Wiewohl bei der anschließenden Rekonstruktion der Stadt auch die orthodoxe Kirche des hl. Nikolaus unter den ausgewählten Bauwerken war, ging es offenbar vordergründig um die Wiederherstellung des kroatischen Nationalstolzes. Neben ausgewählten Symbolen der kroatischen älteren Geschichte bestimmte die Inszenierung des Domovinski Rat, des „Heimatkrieges“, die Agenda.1948 Zu den rekonstruierten Bauwerken etwa des Schlosses Eltz, des Palastes der Grafschaft Srijem und des wiederhergestellten Franziskanerklosters der hl. Philip und Jakob als Symbole einer glanzvollen kroatischen Vergangenheit und tiefen Religiosität kamen der während der serbischen Belagerung schwer beschädigte Wasserturm (Vodotoranj, Abb. 69), das Krankenhaus (Vukovarska bolnica) und die zahlreichen Gräberfelder in der Umgebung der Stadt, darunter die Gedenkstätte des Massakers in Ovčara, als Symbole kroatischen Helden- und Opfermuts. Nationalstolz und Opferdiskurs bilden gegenwärtig die beiden maßgeblichen Orientierungszeichen in der kroatischen Erinnerungslandschaft. Ergänzt werden sie durch eine zunehmend gesellschaftsfähige Relativierung kroatischer Schuld, angefangen bei dem Regime der Ustaša bis hin zu den Ereignissen der Postjugoslawischen Kriege. In Zagreb weihte Präsident Franjo Tuđman in den Ruinen der mittelalterlichen Festung Medvedgrad 1994 mit dem Oltar domovine (Altar der Heimat) ein Denkmal für die Gefallenen Soldaten im Heimatkrieg (Spomenik palim hrvatskim vojnicima u Domovinskom ratu). Dem „Vater der Heimat“ (otac domovine) Tuđjman wiederum wurden überall in Kroatien Denkmäler errichtet. Der ehemalige Partisan und spätere Dissident war auch mehr oder weniger unverhohlen für eine Rehabilitierung der Ustaša eingetreten. Zum politischen Regime des sozialistischen Jugoslawien hingegen ging Kroatien nach 1991 zunehmend auf Distanz. Die Verbrechen der Partisaneneinheiten, die nach 1945 gegen tatsächliche und vermeintliche Kollaborateure der kroatischen Ustaša und der deutschen Nazis verübt wurden, werden seitdem landesweit mit zahlreichen neuen Monumenten und Erinnerungsplaketten erinnert. Da eben nicht die kritische Aufarbeitung der Geschichte, sondern Nationalstolz, Opferdiskurs und Tourismus bislang die Priorität der kroatischen Kulturerbepolitik bilden, verwundert es nicht, dass sich die offizielle Erinnerungskultur bisher nur zögerlich differenziert und individualisiert. Wer sich wie die Historiker Slavko und Ivo Goldstein um die Erhellung der dunklen Kapitel der kroatischen Geschichte bemüht, läuft Gefahr, gesellschaftlich geächtet zu werden. Die kritischen Texte werden nach wie vor außerhalb des Landes verfasst und veröffentlicht. 1948 Baillie (2010), 389 ff.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 625
Abb. 70: Ein Monument für das Monument: Stein mit Kommentar zum Gedenken an die Zid boli, die Mauer des Schmerzes, abgetragen am 24. Juni 2005 und entfernt von der Selska Cesta, am Fuß des am 14. Oktober 2006 auf dem Zagreber Friedhof Mirogoj eingeweihten Monuments Glas hrvatske žrtve – Zid boli (Stimme der Opfer Kroatiens – Mauer des Schmerzes). Das Bild rechts zeigt eine Zagrepčanka (Einwohnerin Zagrebs), die den Angaben des Vjesnik zufolge den Stein für ihren getöteten Enkel vor dem Abbruch der Mauer im Juni 2005 mit nach Hause nehmen will. Archiv Tobias Strahl und Vjesnik, 7. Juni 2005.
In ihrem ausschließlichen Anspruch sind die Versuche, von staatlicher Seite eine allgemeinverbindliche kollektive Erinnerung festzulegen, denen des kommunistischen Regimes, von dem sich das Land abzugrenzen sucht, nicht unähnlich. Ein Beispiel neben anderen ist die Zid Boli – die Mauer des Schmerzes. 1993 hatte die Kroatin Zdenka Farkaš begonnen, je einen roten oder schwarzen Ziegelstein für jeden vermissten oder getöteten kroatischen Soldaten vor dem Hauptquartier der UNPROFOR in Zagreb abzulegen. Die Aktion war als Protest gegen die als untätig empfundene internationale Staatengemeinschaft gedacht. Bald begannen andere Frauen in Zagreb dem Beispiel von Farkaš zu folgen und legten ihrerseits mit den Daten von getöteten und vermissten Angehörigen versehene Ziegelsteine in der Straße Selska Cesta ab. Aus insgesamt 13650 Steinen wuchs so das imposante Monument der Mauer des Schmerzes (Abb. 70).1949 1949 Http://www.croatianhistory.net/etf/wall.html [25.05.2016].
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1997 plante die kroatische Regierung, die Zid Boli in der Selska Cesta abzutragen und sie einem offiziellen Monument an anderer Stelle einzuverleiben. Ein prominenter Gegner des Projekts war Ivo Maroević. Seine Kritik begründete der Wissenschaftler mit der Authentizität des ursprünglichen Monuments sowie der Rücksicht auf die Opfer des Krieges und deren Angehörige.1950 Verhindern konnte er die von offizieller Seite als Übertragung (premještanje) bezeichnete Demontage der Zid Boli nicht. Am 24. Juni 2005 gegen zehn Uhr am Morgen1951 wurde die Mauer des Schmerzes von Mitarbeitern der Stadtverwaltung Zagreb abgebrochen. Am 14. Oktober des darauffolgenden Jahres wurde ein neues Monument des Bildhauers Dušan Džamonja mit dem Namen Glas hrvatske žrtve – Zid boli (Stimme der Opfer Kroatiens – Mauer des Schmerzes) auf dem Zagreber Friedhof Mirogoj in unmittelbarer Nähe zum Denkmal der getöteten Soldaten des Zweiten Weltkriegs eingeweiht, das einige der Steine des zerstörten Monuments enthalten soll.1952 Damit war die individuelle und authentische Erinnerung dem offiziellen Gedächtnis auf dem Friedhof Mirogoj, der zahlreiche solcher Monumente aufweist, einverleibt. Die Wiener Politikwissenschaftlerin Ljiljana Radonić hat die kroatische „Vergangenheitspolitik“ zwischen 1990 und 2008 in einer gründlichen Diskursanalyse analysiert und rekonstruiert. Sie konnte zeigen, dass es mit dem Ende der Ära Tuđman und der nachfolgenden zögerlichen Demokratisierung der Gesellschaft offenbar zu einer ersten Zäsur im „politischen Imaginarium der kroatischen Nationalgeschichte“1953 kam. Die Selbst-Viktimisierung (Bleiburg) wird erstmals konterkariert durch das Eingeständnis kroatischer historischer Schuld (KZ Jasenovac).1954 Damit existiert nun neben der Inszenierung historischer Größe und dem Opfermythos ein dritter Pol, der das Kräftefeld des Kulturerbediskurses zukünftig beeinflussen wird.
BOSNIEN UND HERZEGOVINA
Die Rekonstruktion beschädigten und zerstörten Kulturerbes in Bosnien-Herzegovina ist von verschiedenen Wissenschaftlern in der Monografie Bosnia and 1950 Vgl. Maroević (1997); Maroević (2000), 176. 1951 Vjesti online (2005); nach einer anderen Version am 5. November 2005, klammheimlich gegen 5.30 vor Sonnenaufgang (http://www.croatianhistory.net/etf/wall.html [25.05.2016]). 1952 Dnevnik (2006). 1953 Žanić (2007). 1954 Radonić (2010).
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 627
the Destruction of Cultural Heritage von Helen Walasek anhand von Beispielen eindrücklich beschrieben worden. Ein weiterer wichtiger Text diesbezüglich ist die Dissertation von Emily Gunzburger-Makaš mit Beispielen aus Mostar. Nur folgerichtig vor dem Hintergrund des bisher Ausgeführten ist Walaseks Feststellung, dass der politische und gesellschaftliche Kontext für den Wiederaufbau grundsätzlich derselbe war wie im Krieg.1955 Lediglich die offene Gewalt hatte abgenommen – gänzlich überwunden war sie nicht. Einen umfassenden Ansatz für die Rehabilitierung betroffener Monumente verhinderte die Teilung des Landes in die Entitäten Republika Srpska und die Föderation Bosnien-Herzegovina, die im Vertrag von Dayton festgeschrieben wurde. Sämtliche Fragen des Kulturerbeschutzes werden seitdem auf föderaler, kantonaler sowie auf der Ebene der Entitäten verhandelt.1956 Ein gemeinsames Vorgehen ist bis heute nahezu undenkbar. Am 7. Mai 2001 sollte am 8. Jahrestag ihrer Zerstörung die Rekonstruktion der Ferhat-Pascha-Moschee in Banja Luka mit einer feierlichen Grundsteinlegung begonnen werden. Der serbische Protest gegen das Vorhaben kulminierte in einer Gewaltorgie. Ein älterer Muslim wurde verletzt und starb. Auch jagten die Demonstranten ein Schwein über den geplanten Standort der Moschee. Schließlich wurde es geschlachtet und der abgetrennte Kopf vor dem Gebäude der Islamischen Gemeinschaft aufgehängt.1957 Doch nicht nur orthodoxe Serben widersetzten sich der Rekonstruktion zerstörter islamischer Architektur. Im herzegovinischen Stolac etwa formierte sich unter der Führung kroatischer Politiker und des katholischen Priesters ein breites Bündnis gegen die Wiedererrichtung der im Krieg durch kroatisches Militär zerstörten Čaršija-Moschee.1958 Der Konflikt auf symbolischer Ebene wurde mindestens noch auf eine weitere Art ausgetragen. 1997 ließ die Katholische Kirche in Mostar die im Krieg schwer beschädigte Franziskanerkirche der hl. Peter und Paul (1872) im Stadtzentrum niederreißen und durch eine neue Kirche aus Beton ersetzen. Deren Turm mit einer Höhe von 107,2 Metern war nach Ansicht des britischen Journalisten Robert Bevan als bewusste Provokation gegen die Muslime der Stadt gedacht.1959 Diese wiederum beteiligen sich am symbolischen Wettrüsten. Gab es in den 1980er Jahren 16 Moscheen in der Stadt, waren es im Oktober 2002 bereits 38 – weit mehr „als angesichts der Zahl der praktizierenden Gläubigen nötig [sind]“. Emily Gunzburger-Makaš führt einige weitere Monumente in der „bis heute umkämpf1955 Walasek (2015), 120. 1956 Perry (2015), 201. 1957 Riedlmayer, From the Ashes… (2002), 113; Perry (2015), 195; Walasek (2015), 238. 1958 Perry (2015), 196, Hadžimuhamedović (2015), 259 ff. 1959 Bevan (2006), 178; Gunzburger-Makaš (2007), 260 ff., Walasek (2015), 181.
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Abb. 71: Am 13. Januar 2013 gegen zwei Uhr am Morgen wurde das Denkmal für die im Krieg gefallenen Angehörigen der Streitkräfte Bosnien-Herzegovinas (Anel Jakirović, 2012) in Mostar von Unbekannten gesprengt. Nenad Vukosavljević, Kultura Sjećanja / Culture of remembrance, Belgrad/ Sarajevo, 27. Oktober 2014 (https://kulturasjecanja.org/mostar-spomenik-poginulim-pripadnicimaarbih/ [16.04.2018]).
ten und geteilten Stadt“ auf, die aus ähnlichen Gründen entstanden.1960 Und auch Zerstörung scheint nach wie vor ein probates Mittel im interethnischen Konflikt zu sein. Am frühen Morgen des 14. Januar 2013 sprengten unbekannte Extremisten ein Denkmal für die im Krieg gefallenen Angehörigen der Armee BosnienHerzegovinas (Abb. 71) in Mostar in die Luft. Wie in Kroatien war auch das Engagement für den Wiederaufbau in Bosnien kaum koordiniert. Regionale und internationale Akteure hatten unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen.1961 So konzentrierten westliche Organisationen ihre Hilfe hauptsächlich auf Bauwerke, die symbolisch vermeintlich unverfänglich waren. Ein prominentes Beispiel neben der Vijećnica, dem Gebäude der National- und Universitätsbibliothek in Sarajevo, war die Stari Most in Mostar. „Such iconic sites (usually single structures) were widely promoted as ‚powerful symbols‘ of Bosnia’s ‚multiculturalism and diversity‘, of its ‚historic tolerance‘ and ‚re1960 Gunzburger-Makaš (2007), 125, 269 ff., 274 ff., Zitat: 294. 1961 Walasek (2015), 205.
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Abb. 72: Rekonstruktion der im Mai 1993 zerstörten Ferhat-Pascha-Moschee, 1579, in Banja Luka, Zustand im Frühjahr 2012). Archiv Tobias Strahl.
ligious pluralism‘ whose reconstruction would hopefully be a ‚vehicle for reconciliation‘.“1962 Emily Gunzburger-Makaš argumentierte 2007, dass die internationale Staatengemeinschaft mit der Rekonstruktion der Brücke vor allem sich selbst und ihrer Vision eines versöhnten Bosnien ein Monument errichtet habe. In Anbetracht der Nachkriegsrealität in der gespaltenen Stadt handele es sich um einen „möglicherweise leeren Symbolismus“.1963 Doch gibt es auch viele Beispiele für die gelungene Rekonstruktion von Bauwerken und die positive Instrumentalisierung von Kulturerbe in Bosnien und Herzegovina. Einige davon führt Helen Walasek auf1964, zahlreiche weitere finden sich in den Jahresberichten, die durch die föderale Denkmalschutzkommission in Sarajevo herausgegeben werden (Baština / Godišnjak Komisije za očuvanje nacionalnih spomenika). Die 2005 gegen lokalen Widerstand begonnene Rekonstruktion der Ferhat-Pascha-Moschee in Banja Luka konnte 2015 abgeschlossen werden. Am 7. Mai 2016, dem 23. Jahrestag ihrer Zerstörung, wurde die Moschee schließlich fei1962 Walasek (2015), 209. 1963 Gunzburger-Makaš (2007), 235, 241 f. 1964 Walasek (2015), 182.
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erlich eingeweiht. Auch die originalgetreue Rekonstruktion der Aladža-Moschee in Foča stand im Frühjahr 2018 kurz vor ihrem Abschluss. Mit dem landesweiten Projekt Moja BiH, Moje nasljeđe (Mein Bosnien und Herzegovina, mein Kulturerbe) sensibilisieren die bosnischen Denkmalschützer Schulkinder für das vielfältige kulturelle Erbe des Landes. Trotz der zahlreichen positiven Fälle besteht jedoch kein Zweifel daran, dass der Großteil des zwischen 1992 und 1996 zerstörten osmanisch-islamischen Kulturerbes für immer verloren ist.
KOSOVO
Der letzte von drei Aktivitätsberichten der Reconstruction Implementation Commission for Orthodox Religious Sites in Kosovo (RIC) stammt aus dem Jahr 2007.1965 Wie weiter oben ausgeführt, hatte die RIC ihre Unterstützung für die Rekonstruktion von 35 während der Märzunruhen 2004 beschädigten oder zerstörten Bauwerken der Serbischen Orthodoxen Kirche im Jahr 2005 verbindlich zugesagt. An 30 Objekten waren die Rekonstruktions- bzw. Restaurierungsarbeiten 2007 offenbar bereits beendet oder standen kurz vor dem Abschluss. An einigen Bauwerken waren die Schäden so gering, dass sie bereits unmittelbar nach den Unruhen behoben werden konnten. Als vollständig rekonstruiert galten etwa die Kirche der Geburt der Heiligen Jungfrau in Softović oder die Kirche der hl. Paraskeva in Vitina. Die Wiederherstellung des 2004 zerstörten Klosters des hl. Joanikije in Dević war ebenfalls nahezu abgeschlossen. Im Hinblick auf drei Bauwerke jedoch war die RIC bis dahin nicht aktiv geworden. Das zerstörte Unterkunftsgebäude im sogenannten „Erzengelkloster“ wurde durch den deutschen Anteil der KFOR wiedererrichtet. Zwei 1999 gesprengte orthodoxe Kirchen in Gjakova hingegen blieben zerstört. Am ehemaligen Standort der Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit errichtete die Verwaltung der Stadt ein Monument zu Ehren von Mutter Teresa (Abb. 73). Die Verantwortung für die Rekonstruktion des Ateliers des Bildhauers Agim Cavdarbasha wiederum, mit dem 80 bis 100 seiner Skulpturen vollständig niedergebrannt waren, übernahm das Ministerium für Kultur, Jugend und Sport der PISG Kosovos.1966 Als Reaktion auf die durch die RIC geleitete Rekonstruktion von orthodoxen Sakralbauten erschien die knapp hundert Seiten umfassende Broschüre Reconstruc-
1965 Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2007). 1966 Council of Europe / Reconstruction Implementation Commission… (2007), 44.
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Abb. 73: Monument der Mutter Teresa, errichtet am ehemaligen Standort der orthodoxen Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit (Saborna crkva sv. Trojice) in Gjakova im Westen Kosovos. Archiv Tobias Strahl.
tion which is not viable1967 unter Herausgeberschaft des Ministeriums für Kosovo und Metohija der Republik Serbien und der Diözese Raška-Prizren unter Bischof Artemije. Neben den üblichen Allgemeinplätzen zur „verbrecherischen“ Natur der Albaner und dem „serbischen Charakter“ Kosovos erhoben die Herausgeber und Autoren schwere Vorwürfe gegen die RIC, den Europarat, die UNMIK, die PISG sowie weitere an den Rekonstruktionen beteiligte Firmen und Organisationen. In Form von rhetorischen Fragen warfen sie den Verantwortlichen vor, keine Kontrolle über die Rekonstruktionen zu haben, nicht zu wissen, dass deren Umsetzung die Heiligkeit der Plätze störe, die fortschreitende Zerstörung von Objekten zu dulden etc. Sie unterstellten überdies, dass die RIC nicht unter professionellen, sondern vielmehr politischen Gesichtspunkten agiere. Die tatsächliche Motivation von Reconstruction which is not viable ist nicht denkmalpflegerische Besorgnis. Abermals ist das Kulturerbe Kosovos nur Instrument einer politischen Strategie. Das wird ersichtlich anhand zweier im Anhang beigefügter Dokumente, die das Memorandum of Understanding zwischen dem 1967 Republic of Serbia et al. (2008).
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Ministerium für Kultur, Jugend und Sport der PISG Kosovos und dem Patriarchat in Belgrad zum Gegenstand haben. In diesen Dokumenten, die im Rahmen einer Pressekonferenz 2005 als Reaktion auf die Unterzeichnung des Memorandums veröffentlicht worden waren, warfen das Ministerium für Kosovo und Metohija der Republik Serbien einerseits und Bischof Artemije andererseits dem Patriarchen der Serbischen Orthodoxen Kirche vor, seine Zustimmung zu der Übereinkunft „einseitig und unerwartet“ erteilt zu haben.1968 Mit seiner Unterschrift hatte Pavle tatsächlich die weitere Instrumentalisierung der Zerstörungen vom März 2004 weitestgehend unmöglich gemacht. Die Rekonstruktion der übrigen seit Juni 1999 zerstörten und beschädigten orthodoxen Kirchen und Klöster leistete die SPC mit Unterstützung der Republik Serbien zum größten Teil selbst. Die letzte (unveröffentlichte Liste) betroffener Objekte in Kosovo wurde durch das Ministerium für Kosovo und Metohija erstellt und umfasst insgesamt 218 Kirchen und Klöster.1969 108 der Bauwerke galten als zwischen 1999 und 2004 beschädigt oder zerstört. Hinsichtlich elf weiterer Bauwerke sind die Angaben nicht eindeutig. Von diesen insgesamt 119 betroffenen Objekten waren zum Stand Dezember 2011 14 rekonstruiert und wieder in Benutzung.1970 Das mittelalterliche Kloster Visoki Dečani und das Patriarchat in Peć wiesen zwar keine kriegsbedingten Schäden auf, dennoch mussten beide Bauwerke restauriert und konserviert werden. Dafür erhielt die SPC Unterstützung von der italienischen NGO INTERSOS und dem Istituto Centrale di Restauro aus Rom. Das Kloster Visoki Dečani wurde 2004, das Patriarchat in Peć gemeinsam mit dem Kloster Gračanica und der Kirche Bogorodica Ljeviška im Jahr 2006 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen und noch im selben Jahr in die Liste des gefährdeten Welterbes eingetragen, in der die Bauwerke bis heute verzeichnet sind.1971 Eine herausragende Stellung bei der Rehabilitierung nicht ausschließlich des osmanischen und albanischen gebauten Kulturerbes in Kosovo nimmt die schwe1968 Republic of Serbia et al. (2008), 88. 1969 Das Dokument des Ministeriums Spisak Hramova i Crkvi u Eparhiji Raško-Prizrenskoj i Kosovsko-Metohiskoj na teritoriji Kosova i Metohije (Liste der Tempel / Kathedralen und Kirchen in der Diözese Raška-Prizren und Kosovo-Metohija im Territorium Kosovo und Metohija) verzeichnet alle orthodoxen Sakralbauten Kosovos – inklusive der seit Juni 1999 beschädigten und zerstörten Objekte. Es führt insgesamt 218, nicht etwa 1.013, 1.300 oder 1.500 Bauwerke wie die veschiedenen hier besprochenen Publikationen auf. Das Dokument befindet sich in meinem Archiv. 1970 Republic of Serbia (unveröffentlicht). 1971 UNESCO (2006).
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 633
Abb. 74: Kulla Mazrekajve in Drenoc in der Gemeinde Gjakova nach der Restaurierung durch die schwedische NGO Cultural Heritage without Borders (CHwB). Archiv Tobias Strahl.
dische NGO Cultural Heritage without Borders (CHwB) ein. Sie ist nicht nur für die erfolgreiche Restaurierung der Hadum-Moschee in Gjakova verantwortlich1972, sondern leitete auch die Rekonstruktionsarbeiten an zahlreichen traditionellen Wohn- und Wehrtürmen im Westen und Nordwesten Kosovos. Darüber hinaus erarbeitet das Büro der Organisation in Prishtina unter Leitung von Sali Shoshi fortwährend Konzepte für die touristische Nutzung von Kulturerbe. Der Kulla Mazrekajve in der Gemeinde Gjakova etwa steht für touristische Aktivitäten zu Verfügung und kann auf Anfrage als Übernachtungsmöglichkeit gemietet werden (Abb. 74). Ähnliche Projekte betreut CHwB auch in der serbischen Enklave Velika Hoča im Nordwesten Prizrens. In Rahovec (Orahovac) wiederum restaurierte CHwB einen historischen Uhrturm. In Prizren hingegen konservierten und restaurierten Spezialisten der NGO die orthodoxe Kirche Sveti Spas im Viertel Potkaljaja.1973
1972 CHwB (2007). 1973 CHwB (2011).
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Abb. 75: Die Rekonstruktion des um 1918 abgebrochenen Portikus der Sinan-Pascha-Moschee in Prizren durch die Türkische Agentur für Internationale Kooperation und Entwicklung (TIKA) wurde 2011 abgeschlossen. Archiv Tobias Strahl.
Der Wiederaufbau des im Krieg zerstörten und beschädigten islamischen Erbes wurde vielfach durch die Islamische Gemeinschaft Kosovos mit Zuwendungen aus dem Ausland bestritten. Dabei orientierten sich die Verantwortlichen nicht immer an international anerkannten Regeln und Verfahren der Denkmalpflege und der Konservierung. Den Anfang des 20. Jahrhunderts zerstörten Portikus der Sinan-Pascha-Moschee rekonstruierte die Türkische Agentur für Internationale Kooperation und Entwicklung (Türk İşbirliği ve Koordinasyon Ajansı Başkanlığı, TIKA). Die Arbeiten wurden 2008 begonnen und waren 2011 abgeschlossen. Man kann die Intervention durchaus kritisch als Eingriff in die historische Bausubstanz bewerten. Immerhin war das Bauwerk während des Kosovokrieges unbeschädigt geblieben. Der Abbruch des Portikus lag beinahe 100 Jahre zurück. Das originale Material stand für den Wiederaufbau nicht zur Verfügung – man kann also nicht von einer Anastylosis sprechen. Der neu gebaute Portikus ist dem alten zwar ähnlich, aber keine originalgetreue Kopie (Abb. 75). Seit dem Krieg 1999 bemüht sich die türkische Regierung zunehmend um Einfluss in der Region und instrumentalisiert dafür die türkische Minderheit Kosovos und den Islam. Die Rekonstruktion des Portikus der Sinan-Pascha-Moschee ist somit als Projekt der Restauration symbolischer Macht zu verstehen, der die Vertreibung der Osmanen aus der Region zu Beginn des 20. Jahrhunderts kompensieren soll.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 635
Im April 2012 verabschiedete das Parlament Kosovos das „Gesetz zum historischen Zentrum von Prizren“ (Law on Historic Centre of Prizren) und sorgte damit für eine heftige Kontroverse in ganz Kosovo. Mit dem Gesetz, so der Vorwurf der Kritiker, erhielt die Serbische Orthodoxe Kirche von neuem einen übergroßen Einfluss auf die Gestaltung der Stadt. Aber war das wirklich so neu? Bereits das Gesetz der Special Protective Zones von 2008 hatte die historische Altstadt Prizrens zur „besonders geschützten Zone“ erklärt.1974 Für eine Vielzahl von Aktivitäten innerhalb dieser und anderer Schutzzonen (etwa bauliche Maßnahmen, öffentliche Treffen, Regeneration und Unterhaltung sowie die Urbanisierung von landwirtschaftlichen Nutzflächen) ist die Zustimmung der Serbischen Orthodoxen Kirche zwingend vorgeschrieben.1975 Sie hatte also schon 2008 eine besondere Machtstellung inne. Einerseits ist die Kirche Mitglied mit Vetorecht im Implementation Monitoring Council (IMC), das die Aktivitäten in den Schutzzonen überwacht, andererseits ist sie vor Entscheidungen generell zu konsultieren. Das Gesetz zum Historischen Zentrum von Prizren von 2012 bedeutete letztendlich nichts anderes, als die Umsetzung der seit 2008 bestehenden für ganz Kosovo gültigen Gesetzgebung auf kommunaler Ebene. Generell regelt es alle Aktivitäten in der als Special Protected Zone deklarierten Altstadt Prizrens.1976 Für Empörung unter den Albanern Kosovos sorgte besonders Kapitel III des Gesetzes, das bei Konflikten mit der Serbischen Orthodoxen Kirche in Artikel 18, Punkt 5 die Vermittlung des IMC vorschreibt1977. Hier sahen Kommentatoren bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes ein neues Einfallstor für die Gespenster des serbischen Nationalismus.1978 Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Kulturerbeschutz nach dem Krieg besteht in der kaum zu kontrollierenden Bautätigkeit in Kosovo. Innerhalb von wenigen Monaten entstehen neue Siedlungen, die keine steuernde Planung erkennen lassen. Dabei wird vor allem vernakuläres Kulturerbe in großem Umfang zerstört. Ein prominentes Opfer der Entwicklung war der Architekt und Intellektuelle Rexhep Luci, der als verantwortlicher Planer der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Prishtina gegen die Errichtung illegaler Bauten vorging und mutmaßlich deswegen im September 2000 ermordet wurde.1979
1974 1975 1976 1977 1978 1979
Republic of Kosova (2008), Article 8. Republic of Kosova (2008), Article 6. Republic of Kosovo (2012), Article 1. Republic of Kosovo (2012), Chapter III; Article 18, P. 5; vgl. Gold (2013). Fuster (2012). The Guardian (2000).
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Abb. 76: Vernachlässigung, Verfall und Zerstörung von traditionellen Wohnbauten in der Straße Dimitrije Tucović im sogenannten „Serbischen Viertel“ Potkaljaja in Prizren und anschließender Wiederbebau. Oben links: historische Postkarte um 1960, oben rechts: Zustand 2009, unten links: Zustand 2011, unten rechts: Zustand 2012. Archiv Tobias Strahl.
In Prizren ist das sogenannte „Serbische Viertel“ Potkaljaja seit 1999 de facto Zerstörung, Verfall und kaum kontrollierter Wiederbesiedlung ausgesetzt. Bei Letzterer spielen denkmalpflegerische und stadtplanerische Grundsätze keine Rolle (Abb. 76). Vielmehr ist das „Serbische Viertel“ hauptsächlich Gegenstand von Spekulationen. In unmittelbarer Nähe zur historischen Altstadt und unter der Festung Kaljaja gelegen, gehören die Grundstücke des Viertels zu den attraktivsten der Stadt und sind dementsprechend begehrt. Einige seiner 1999 oder später nach Serbien geflohenen Bewohner veräußern seit Jahren Stück für Stück ihre Parzellen und Häuser an albanische Geschäftsleute oder Privatpersonen. Andere wiederum spekulieren auf höhere Gewinne und verkaufen vorerst nicht. Eine Rückkehr ist für die meisten offenbar keine Option. Die historische Architektur verfällt, wird abgebrochen und durch Betonbauten ersetzt. Der Versuch einer Restauration osmanisch-islamischer Symbolik zeigt sich wiederum in der erneuten Inbesitznahme der Ruinen der Moschee in der Festung Kaljaja, die durch die osmanischen Einheiten 1912 verlassen und im Anschluss daran geschliffen worden war. Am 30. März 2012 trafen sich Angehörige der Isla-
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Abb. 77: Hundert Jahre nach dem Abzug der osmanischen Truppen von der Festung Kaljaja in Prizren und der anschließenden Zerstörung der Moschee der Garnison trafen sich am 30. März 2012 Muslime aus Prizren in den Überresten des Bauwerks zum Gebet. Archiv Tobias Strahl.
mischen Gemeinschaft am 100. Jahrestag des Abzugs der Garnisonstruppen zum Gebet in den Grundmauern der Moschee (Abb. 77). Seither machen verschiedene visualisierte Vorschläge zur Wiedererrichtung des Bauwerks die Runde. Auch der im Zuge der osmanischen Eroberung Prizrens 1455 errichtete islamische Gebetplatz (Namazgâh) mit der Zerbrochenen Moschee (Kırık Camii), der nach der serbischen Besetzung Kosovos 1912 abgetragen worden war, wurde, wie als Zeichen einer zweiten „Eroberung“ der Stadt, mit Hilfe der türkischen Entwicklungshilfeagentur TIKA im Jahr 2011 restauriert. Im sozialistischen Jugoslawien waren der Platz und die Überreste der Moschee vernachlässigt worden. Vegetation hatte die Struktur überwuchert (Abb. 78). Der Mythos vom Kampf der UÇK gegen die serbische Unterdrückung zwischen 1998 und 1999 hat zu einer eigenen Erinnerungslandschaft mit einer Masse von Monumenten in Kosovo geführt. Die Anleihen bei der monumentalen Inszenierung des Nationalen Befreiungskampfes der jugoslawischen Partisanen (Narodnooslobodilačka borba) gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg sind dabei kaum zu übersehen. Hunderte individuelle Denk- und Mahnmale für gefallene Angehörige der UÇK entstanden an verschiedenen Orten des kleinen
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Abb. 78: Gebetplatz Namazgâh und Zerbrochene Moschee zur serbischen Besetzung Kosovos 1912, in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts sowie während und nach der Rekonstruktion. Archiv Tobias Strahl.
Abb. 79: Monument der Märtyrer in Kleçkë (Përmendorja e Dëshmorëve në Kleçkë). Archiv Tobias Strahl.
Landes. Zwei zentrale Gedenkstätten befinden sich in Drenica und Kleçkë (Abb. 79). Das Kernstück dieser Inszenierung jedoch ist das 1999 durch serbische Einheiten zerstörte Gehöft des Adem Jashari in Prekaz. Seit 1999 wird der Ort zur Gedenkstätte ausgebaut und nimmt mittlerweile mehrere Hektar ein. Das Memorial enthält unter anderem ein Mausoleum in Form einer Pyramide, das einem ursprünglich dem albanischen Diktator Enver Hoxha gewidmeten Bauwerk (heute das Internationale Kulturzentrum, Qendra Ndërkombëtare e Kulturës) in der albanischen Hauptstadt Tirana nachempfunden ist.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 639
Abb. 80: Anstecknadeln mit den Bildnissen Adem Jasharis und Josip Broz Titos. Archiv Tobias Strahl.
Ähnlich der Strategie der jugoslawischen Kommunisten dient die Ikonisierung der UÇK der Inszenierung einer Generation Politiker, die im sozialistischen Jugoslawien sozialisiert wurde und mit dem Krieg in Kosovo an die Macht gelangte. Die Bildersprache, in der sich diese Macht Ausdruck verleiht, imitiert notwendig ältere symbolische Ordnungen und kann von der mit ihr vertrauten Generation aus diesem Grund auch adäquat interpretiert werden. Denkbar ist ein weiterer Bildersturm in Kosovo, der sich gegen die Monumente der UÇK richtet, wenn der Mythos der Guerilla einst dekonstruiert wird.
Abb. 81: Statue Bill Clintons auf dem gleichnamigen Boulevard in Prishtina, enthüllt zehn Jahre nach dem Ende des Kosovokrieges am 1. November 2009. Zwischen Produktwerbung an den Fassaden der Wohnhochhäuser im Hintergrund der Slogan von Albin Kurtis Partei Vetevendosje! „Jo negociata / Vetevendosje!“ („Keine Verhandlungen / Unabhängigkeit!“). Archiv Tobias Strahl.
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Abb. 82: Die Kathedrale Mutter Teresa im Zentrum Prishtinas wurde am 5. September 2010, wiewohl noch im Bau befindlich, eingeweiht. Die Montage aus den Fotografien des Bauwerks und des Hauptportals bildet den Zustand 2012 ab. Archiv Tobias Strahl.
Zur Verklärung der Ereignisse des Krieges gehört ebenfalls eine unkritische Verehrung der Vereinigten Staaten von Amerika, insbesondere des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton, dem die Verantwortung für die Intervention der NATO und die Luftangriffe auf Serbien im Frühjahr 1999 zugeschrieben wird (Abb. 81). Das Zentrum der Hauptstadt Kosovos ist nach dem Krieg neuerlich Schauplatz eines über Bauwerke symbolisch sublimierten Konflikts zwischen den Glaubensgemeinschaften geworden. Die orthodoxe Christus-Erlöser-Kathedrale (Saborna Hram Hrista Spasa) wurde in den 1990er Jahren auf dem Gelände des Campus der Universität Prishtina, gesehen von der Magistrale Agim Ramadani (ehem. Ramiz Sadiku), so errichtet, dass die Universitätsbibliothek von 1982 dahinter „verschwand“.1980 Im Jahr 2005 wiederum begann man unweit davon, in der George WashingtonStraße (ehem. Marschall Tito), mit dem Bau einer gigantischen, der katholischen Ordensschwester Teresa gewidmeten Kathedrale (Abb. 82). Zur Einweihung des 1980 Vgl. Kap. 3.1 Konfliktkonstellationen und Begleitumstände der Kulturerbezerstörung / Privremene mere und Re-Serbisierung Kosovos, Abb. 11.
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Abb. 83: Entwürfe „1025AC“ und „21PR22“ zur neuen Zentralmoschee Prishtinas. Bilder: ekonomia online (2013).
Abb. 84: Verteilung der monumentalen Präsenzen der Glaubensgemeinschaften Kosovos auf dem Gelände der Universität der Hauptstadt und in dessen unmittelbarer Nähe: 1. Nationalbibliothek Kosovos, 1982; 2. orthodoxe Kathedrale Christus Erlöser, um 1995; 3. katholische Kathedrale Mutter Teresa, begonnen 2005; 4. Grundstück für die in Planung befindliche Zentralmoschee Kosovos. Karte: google.maps, Eintragungen Tobias Strahl.
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Bauwerks am 5. September 2010, dem Jahr ihres 100. Geburtstages, war auch der damalige Präsident Kosovos Fatmir Sejdiu zugegen. In seiner Rede anlässlich des Ereignisses sagte er unter anderem, „dass das Kosovo ein Mosaik von religiösen kulturellen und ethnischen Gruppen ist, die jahrhundertelang harmonisch zusammengelebt haben“1981. In seiner romantischen Verklärung der interethnischen Beziehungen Kosovos hatte der albanische Politiker jedoch vergessen zu erwähnen, dass über die Herkunft der Mutter Teresa eine alte Kontroverse zwischen Makedonien und Albanien bzw. den Albanern Kosovos besteht.1982 Während für Albaner die berühmte Ordensschwester eine Albanerin ist, behaupten Makedonier ihre makedonische Abstammung. Die ihr geweihte Kathedrale in Prishtina kann demzufolge, wie zahlreiche weitere Monumente in Kosovo und Makedonien zu ihren Ehren, als Ausdruck eines Anspruchs interpretiert werden. Die Muslime Kosovos durften in dem Wettstreit um eine monumentale Präsenz in der Hauptstadt nicht zurückstehen. Am 27. Juni 2011 zogen einige junge Vertreter der Glaubensgemeinschaft in das Zentrum von Prishtina und begannen in einer Protestaktion mit symbolischen Spatenstichen den Bau einer neuen Moschee. Nach einer hitzigen politischen Debatte wurde der Islamischen Gemeinschaft Kosovos ein Grundstück unweit der Mutter-Teresa-Kathedrale am Bulevardi Dëshmorët i Kombit (Boulevard der Märtyrer der Nation), der Verlängerung der George Washington- Straße, zugewiesen, wo die Grundsteinlegung für die neue Zentralmoschee (Xhamia Qendrore në Prishtinë) am 8. Oktober 2012 erfolgte.
SERBIEN
Die serbische Gesellschaft hat den Vorwurf der Verantwortung für die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegovina und Kosovo unter anderem durch einen ausgeprägten Opfermythos kompensiert. Ein zentrales Element darin sind die Luftangriffe der NATO von März bis Juni 1999. Auf den jährlichen Buchmessen in der serbischen Hauptstadt, der Beogradski Sajam Knjiga, ebenso wie an verschiedenen touristischen Verkaufsständen und in einigen Buchläden, werden Karten mit den Zielen der NATO-Angriffe von 1999 verkauft und auf dem offiziellen Webauftritt Belgrads findet sich noch heute die Rubrik „NATO Aggression 1999“ (NATO agresija 1999), die mit einer Chronologie der Angriffe aufwartet (Abb. 85). Die jährliche Kommemoration der Angriffe nimmt regelmäßig einen großen Raum 1981 Die Presse (2010); ORF (2010). 1982 Vgl. Kadaré (2004), 10 f.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 643
Abb. 85: Chronologie der „NATO-Aggression 1999“ auf der offiziellen Internetpräsentation der Stadt Belgrad. Http://www.beograd.rs/en/discover-belgrade/201271-nato-aggression-1999/ [04.04.2018].
in den Medien des Landes und der Republika Srpska im benachbarten BosnienHerzegovina ein. Über die staatlichen Inszenierungen hinaus existieren auch ironische bis zynische Kommentare zu den Angriffen der NATO auf die serbische Hauptstadt. Zwei entsprechende Texte, bei denen die architektonische Qualität der beschädigten und zerstörten Objekte im Vordergrund steht, verfassten die Architekten Vladimir Kulić und Srdjan Jovanovic Weiss. Kulić schrieb bereits am 3. April 1999 für das E-Zine ctheory seinen Architectural Guide to the Ruins of Belgrad. In dem Text antizipierte er die Zerstörung des serbischen Verteidigungsministeriums, besser bekannt als „Generalstab“, durch NATO-Bomben, die tatsächlich wenige Tage später erfolgte. Das modernistische Bauwerk war durch den Architekten Nikola Dobrović (1897–1967) zwischen 1957 und 1965 errichtet worden und seit 1984 als Kulturerbe registriert (Abb. 86). Kulić bescheinigte der NATO mit zynischem Unterton einen „exzellenten Architekturgeschmack“ und schlug weitere passende Ziele vor – nicht ohne dabei auf die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf Belgrad 1941 anzuspielen: […] if you like Ivan Antic’s oeuvre, then the Museum of Modern Art in New Belgrade is a must – you would destroy not only a masterpiece of modern architecture, but also a major collection of modern art. The Children’s Clinic by Milan Zlokovic would also be good to attack: you could destroy not only the building
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Abb. 86: Das Gebäude des Verteidigungsministeriums in Belgrad (Generalstab) wurde während der NATO-Angriffe im Frühjahr 1999 zerstört. Archiv Tobias Strahl.
that marked a turning point in Serbian Modernism, but also kill hundreds of ill kids. Why not consider the National Library by Ivo Kurtovic? When Germans burnt down the old library in 1941, only 500 000 books were lost – now the result would be much, much greater.1983
Als Srdjan Jovanovic Weiss im Jahr 2000 seinen Text Nato as Architectural Critic für das Architekturmagazin Cabinet aufschrieb, war der „Generalstab“, wie es Kulic im April 1999 vorhergesehen hatte, tatsächlich von NATO-Bomben zerstört. Auch er merkte den „exzellenten Geschmack“ der NATO an, wenn es darum gehe, „architektonische Wahrzeichen dieses Jahrhunderts auf ihrer Zielliste unterzubringen“. In seinem Artikel stellte der Architekt die These auf, die NATO hätte mit ihren Angriffen auf spezifische Gebäude, die dem jüngeren architektonischen Erbe Serbiens angehörten, eine Umdeutung dieser Bauwerke vorgenommen. Anhand einer Anzahl von Beispielen, unter denen das von Dobrović entworfene Verteidigungsministerium einen prominenten Rang einnimmt, wirft Jovanović Weiss die Frage auf, ob diese Gebäude in Zukunft in Verbindung mit ihrer Errichtung oder 1983 Kulić (1999).
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 645
ihrer Zerstörung erinnert würden. Herausragende Bauwerke modernistischer Nachkriegsarchitektur in Serbien würden durch ihre Beschädigung und Zerstörung durch die NATO zu Manifestationen eines angeblich neuen Faschismus der Serben umgedeutet: The architecture used by the current state in Serbia was built before the world found the Serbian state to be nationalist, but in bombing Serbia, NATO also branded examples of Serbian post-war modernism as Fascist. Once caught in the fire of the global media, this architecture, built under a pro-Western liberal influence, is now in danger of being branded as Fascist, of being remembered in relation to its conditions of destruction.1984
In der Tat wurden der Generalstab und das ebenfalls zerstörte Bauwerk der chinesischen Botschaft mit einer neuen Bedeutung versehen, wie es Srdjan Jovanovic Weiss vorausgesagt hatte. Ein neuer „Faschismus“, oder serbische Täterschaft, spielten dabei aber keine Rolle. Vielmehr illustrierten die Bauwerke die staatliche Opferrhetorik, in der Serbien in einem ihm aufgezwungenen Krieg seine nationalen Interessen und die serbischen Minderheiten verteidigt hatte und durch eine Übermacht an Feinden bezwungen worden war. Der Amselfeld-Mythos hatte ein neues Gewand erhalten.
MAKEDONIEN
Makedonien bildet einen Sonderfall im Diskurs zur Zerstörung von Kulturerbe in den Postjugoslawischen Kriegen. Im engeren Sinne ist das Territorium der südosteuropäischen Republik nicht Schauplatz von Kampfhandlungen gewesen und demzufolge in dieser Arbeit auch nicht Gegenstand der Betrachtungen geworden. Nichtsdestoweniger ist die ehemalige jugoslawische Republik nicht gänzlich von dem Konflikt und der Zerstörung von Kulturerbe verschont geblieben. Die schon in den 1990er Jahren virulenten Auseinandersetzung zwischen der albanischen Minderheit des Landes, die vor allem im Norden an der Grenze zu Kosovo und im Westen an der Grenze zur Republik Albanien siedelt, und den slawischen Makedonen eskalierte in der Folge des Kosovokrieges im Februar 2001 und entwickelte sich zu einer kriegsähnlichen bewaffneten Auseinandersetzung mit mehreren Toten und Verletzten, in deren Verlauf sowohl christliches als auch muslimisches kulturelles und religiöses Erbe zerstört wurde. 1984 Jovanović Weiss (2000)
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Vom 9. bis 14. August 2001 nahm die makedonische Sektion des ICOMOS, begleitet durch den damaligen Direktor des Risk Preparedness Committee der internationalen ICOMOS-Vertretung, Leo van Nispen, die Schäden auf und veröffentlichte ihre Erkenntnisse anschließend im ICOMOS World Report 2001–2002 on monuments and sites in danger. Demnach wurden die architektonische Ausgrabungsstätte Kale bei Tetovo, die Caršija-Moschee (15 Jh.) in der Stadt Prilep sowie die Kirche St. Atanasija (1924) im Kloster Lesok in Nordmakedonien während des Konflikts zerstört sowie das Kloster der Heiligen Gottesmutter (Bogorodica) bei Matejče beschädigt. Während die Moschee in Prilep nach der Ermordung von zehn Angehörigen der makedonischen Streitkräfte durch albanische Extremisten im August 2001 durch einen aufgebrachten Mob slawischer Makedonen niedergebrannt und die Kirche im Kloster Lesok durch Albaner gesprengt worden war, wurde das Kloster der Heiligen Gottesmutter offenbar als Unterkunft und Munitionslager für Einheiten der UÇK genutzt, die aus ihren Rückzugsräumen in Albanien und Kosovo in Makedonien gegen Polizei und Militär kämpften.1985
POSITIONEN IN GEGENDISKURSEN SERBIEN
Bereits zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts kam es in Belgrad zu Protesten gegen Slobodan Milošević und dessen Politik, mit einer großen Beteiligung der Studenten der Universität Belgrad, die Milošević jedoch durch Polizei und Militär gewaltsam niederschlagen ließ.1986 Das Belgrader Theater Duško Radović war, wie erwähnt, regelmäßig Treffpunkt serbischer Kriegsgegner.1987 Sabrina P. Ramet hat die Opposition einiger serbischer Künstler gegen das Regime Miloševićs beschrieben. András Riedlmayer wiederum berichtete von bosnischen Serben, die in Doboj Angehörige der berüchtigten Einheit für spezielle Operationen (Jedinica za specijalne operacije, volkstümlich: Crvene Beretke, dt. Rote Barette) daran hinderten, das Archiv der katholischen Gemeinde der Stadt zu zerstören. Im Dorf Baljvine, ebenfalls in Bosnien, stellten sich bosnische Serben offenbar schützend vor die Moschee des Ortes, als serbische Milizen diese niederbrennen wollten.1988 Helen Walasek führt 2015 mit der Zeitung Borba, der Zeit1985 ICOMOS (2001), 7 f.; ICOMOS (2001/2002), Matejce Provisional Report. 1986 Eörsi (1999), 59; Rüb (2007), 334; Terzić (2007), 246. 1987 Bačić (1991). 1988 Riedlmayer, Public sitting… (2006), 38; Riedlmayer, Foundations… (2012), 91.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 647
schrift Vreme und der Radiostation B92 verschiedene serbische Medien auf, die sich in Berichten und Kommentaren kritisch mit den Ereignissen und der Regierung Miloševićs auseinandersetzten.1989 In diese Reihe kritischer Medien gehörte zweifellos auch die Wochenzeitung Nedeljne Informativne Novine (NIN), wie etwa das Interview mit dem Mönch Sava Janjić zur Situation in Kosovo 1999 belegt.1990 Die NIN berichtete ebenfalls über die Aktivitäten von Menschenrechtsgruppen, etwa von der durch die serbische Sektion des Helsinki Committee for Human Rights am 6. März 1998 im Belgrader Hotel Interkontinental organisierten Podiumsdiskussion zur Situation in Kosovo, auf der unter anderen die serbische Menschenrechtlerin Nataša Kandić zu Morden und Repressalien von Polizeieinheiten in Kosovo vortrug.1991 Auch kamen in der Zeitschrift albanische Intellektuelle wie der Schriftsteller Ismail Kadaré zu Wort, die vor nationalistischer Isolation warnten.1992 Dabei war die Haltung der Herausgeber und Redakteure der NIN durchaus nicht immer einheitlich kritisch. Als etwa Ende März 1999 die Angriffe der NATO begannen, schwenkte die Zeitschrift auf den anti-westlichen Kurs der serbischen Gesellschaft ein und diffamierte unter anderem die beiden Bücher zur Geschichte Bosniens und Kosovos des britischen Historikers Noel Malcolm in dem Artikel Bücher und Bomben (Knjige i bombe) als intellektuelle Voraussetzung der Bombenangriffe.1993 Unstrittig existierte Widerstand gegen das Regime Miloševićs in den meisten gesellschaftlichen Lagern. Die breite Masse erreichte dieser Widerstand jedoch erst im Jahr 2000 – nach vier verlorenen Kriegen. Der ungarische Autor István Eörsi beurteilte die oppositionellen Gruppen Serbiens kritisch. Ihm erschienen sie als in sich uneins. Zudem stimmten sie mit ihrem Gegner, der Regierung Miloševićs, in der Kosovo-Frage überein: Ich meinerseits besuchte im November vergangenen Jahres auf Einladung des oppositionellen Senders Radio B92 Belgrad, und auf einer Pressekonferenz riskierte ich die Behauptung, die Kräfte der Opposition würden gegenüber Milošević so lange keine Chance haben, wie ihnen die Gräber ihrer Vorfahren im Kosovo wichtiger sind als die Frage, wie die Menschen dort heute leben. Die oppositionelle Presse und der Rundfunk berichteten ausführlich über meine Äußerungen, aber diesen Satz tilgten sie aus allen Berichterstattungen.1994 1989 1990 1991 1992 1993 1994
Walasek (2015), 91 ff. Đurđević-Lukić (1999). Vrzić (1998). NIN (1998). Dautović (1999). Eörsi (1999), 60.
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Die rumänischstämmige Schriftstellerin Herta Müller wiederum kritisierte den latenten Selbstbezug der serbischen Opposition: „Ich kenne keine Opposition mit so viel Selbstmitleid und so wenig Interesse am staatlichen Mord“. Das politische Programm der Gegner Miloševićs beschrieb Müller als Gemisch aus „autistischem Selbstmitleid und der damit einhergehenden Verrohung gegenüber anderen“.1995 Das mag eine Überspitzung der Autorin gewesen sein, jedoch formulierte ihre kroatische Kollegin, Slavenka Drakulić, ganz ähnlich: Doch gibt es andere Serben, die es besser wissen müssten. Es gibt eine Opposition, aber man hört von ihr nichts als das Lamento über die Zerstörung der Demokratie und der Zivilgesellschaft in Serbien. […] Und wenn die Opposition je etwas mit Milošević gemeinsam hatte, dann war es die Haltung dem Kosovo gegenüber. Die Kosovo-Albaner waren all diese Jahre ein Lackmustest für die Opposition – bei dem sie immer versagt hat.1996
Nun ist grundsätzlich zu differenzieren einerseits zwischen der politischen Opposition auf der Ebene der Parteien, die sich wie Vuk Drasković und dessen Serbische Erneuerungsbewegung (Srpski Pokret Obnove) zwar gegen Milošević und sein Regime stellten, die nationalistische Ausrichtung der serbischen Politik im Grunde jedoch teilten1997, sowie andererseits der Opposition der Zivilgesellschaft, wie sie etwa in Menschenrechtsgruppen oder Zusammenschlüssen von Künstlern und Intellektuellen bestand. Letztere konnten, wie das Beispiel Nataša Kandićs zeigt, die Ereignisse in Serbien und den vom Krieg betroffenen Gebieten zwar kritisch begleiten, beeinflussen konnten sie diese jedoch offenbar nicht. Eine der Ursachen für diese Ohnmacht sah die Historikerin Armina Galijaš in den Gräben, die zwischen den verschiedenen oppositionellen Gruppen verliefen und deren grundsätzlicher politischer Behäbigkeit nach vier Jahrzehnten Sozialismus: Die Zivilgesellschaft hatte keine ausgearbeitete Alternative oder ein Programm, dass sie dem Nationalismus hätte entgegen stellen können. Diese Schwäche ist einerseits auf eine Mentalität zurückzuführen, die ein Großteil der jugoslawischen Bürger nach 45 Jahren Sozialismus ohne Widerstand verinnerlicht hatte. Man unterstützte als „verwöhnte Sklaven“ jedes Regime und passte sich auch Veränderungen an.1998 1995 1996 1997 1998
Müller (1999), 137, 143. Drakulić (1999), 206 f. Ramet (1992), 235, 264. Galijaš (2011), 111.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 649
Einer der entschiedensten und zugleich am stärksten exponierten Kritiker der Politik des Milošević-Regimes war der Architekt und Schriftsteller Bogdan Bogdanović. In einer Reihe von Essays, veröffentlicht zwischen 1993 und 1997, die ins Deutsche übertragen und in drei Bändchen gesammelt erschienen sind1999, versuchte der Architekt eine Erklärung für die serbische Kulturerbezerstörung in Kroatien und Bosnien-Herzegovina zu formulieren und diese in dem größeren Rahmen seiner eigenen Philosophie des Urbanen zu verorten. Bereits unmittelbar nach der Machtergreifung Miloševićs Ende der 1980er Jahre hatte Bogdanović den Nationalismus der serbischen Gesellschaft kritisiert. Für den Architekten und seine Frau, die 1993 nach Wien ins Exil gingen, wo Bogdanović 2010 verstarb, bedeutete das Repressalien seitens des Staates, Anfeindungen in den Medien und schließlich Angriffe auf offener Straße. Die Wohnung in Belgrad wurde belagert und schlussendlich verwüsteten serbische „Patrioten“ auch die kleine Architekturwerkstatt, die er im Dorf Mali Popović unweit der Hauptstadt gemeinsam mit Studenten eingerichtet hatte.2000 Als Architekt berühmt geworden war Bogdanović über die Grenzen des sozialistischen Jugoslawien hinaus vor allem durch experimentalistische Skulpturen und seine außergewöhnlich gestalteten Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus, etwa die Totenstadt der Partisanen (Partizanska Nekropola, 1961–65) in Mostar, ein gleichnamiges Monument im makedonischen Prilep (1961–62), das Denkmal für die jüdischen Opfer (Spomenik jevrejskim žrtvama, 1951–52) in Belgrad oder seine bekannteste Arbeit, das Denkmal für die Opfer des faschistischen Terrors (Spomenik žrtvama fašističkog terora, 1964) auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Jasenovac.2001 Bogdanović lehrte als Professor für Architektur an der Universität in Belgrad und war von 1982 bis 1986 Bürgermeister der Stadt. Dem politischen Kurs Serbiens unter Slobodan Milošević stand er von Anfang an kritisch gegenüber, sein Weg in die Dissidenz begann jedoch im Grunde schon früher mit dem Austritt aus der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) im Jahr 1981. Die Schärfe der Kritik, mit der Bogdanović die Zerstörung der Städte in Kroatien und Bosnien-Herzegovina verurteilte, ist ungewöhnlich im Diskurs zur Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen. Nicht zuletzt darin blieb der Architekt ein Solitär unter seinen Landsleuten. Gleichwohl enthalten seine Texte auch Elemente des Mehrheitsdiskurses der Serben, sogar seiner Gegner. Dazu 1999 Bogdanović (1993, 1994, 1997). 2000 Bogdanović (2000), 7 ff; 265 ff. 2001 Spektar/Zdunić (1977), 100, 106 ff., 131, 176 ff.
650 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
zählen die mythische Verklärung des Konflikts, die starke Polarisierung im Hinblick auf die Akteure, verbunden mit der Zuschreibung von extremen Formen von Identität, sowie die Personifizierung von Objekten. Die grundsätzlich durch Bogdanović vertretene These zur Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen betrifft die historische Kontinuität der Städtezerstörung. Der „Städtehass“ oder „Städtezerstörungstrieb“ sei demnach jeder Kultur und jedem Menschen seit jeher immanent: Im Verlauf der Jahre habe ich die These ausgearbeitet, dass eine der Triebkräfte des Aufstiegs und Falls von Zivilisationen die ewige, augustinische, manichäische … warum sollte sie es nicht sein … Geschichte vom unablässigen Kampf zwischen Stadtliebe und Stadthass sei, in jedem Augenblick der Geschichte, in jeder Nation, in jeder Kultur, in jedem Menschen.2002
Die Zerstörung von Vukovar, Dubrovnik oder Sarajevo vergleicht Bogdanović mit den Städtezerstörungen der Antike sowie des biblischen Mythos und führt als Beispiele Illion, Jericho, Epeios, Sodom und Gomorrha, Alexandrien und Babylon an.2003 Die im Krieg verwüsteten Städte Kroatiens oder Bosnien-Herzegovinas personifiziert er und mythologisiert dabei ihre Zerstörung. So spricht er etwa in Bezug auf den Zerstörungsakt im Allgemeinen vom „rituelle[n] Städtemorden“2004 sowie spezifisch vom „Todeskandidaten“ Sarajevo2005 oder von der Misshandlung und Folterung der bosnischen Hauptstadt: „Vor der Vollstreckung des Urteils muss die Stadt vor den Augen der Welt geziemend erniedrigt werden. Sarajevo, zu Tode gequält, steht vor der unmittelbaren Gefahr, geteilt zu werden, zerschnitten, zerstückelt […].“2006 Die „Mörder“ der Städte, heißt es an anderer Stelle, „haben jede Stadt mit unfehlbarer, fast bestialischer Intuition direkt in ihrem vitalen Zentrum getroffen“; die „Persönlichkeit“ der Städte im mittleren Donauraum und dem westlichen Balkan wurde „absichtlich erniedrigt und zerstört“.2007 Die Beurteilung der Hintergründe für die Zerstörungen und die Erklärung der Motivation der Ausführenden changieren zwischen teuflischer Ratio einerseits und blindem Vernichtungswillen andererseits. Damit verbunden ist die Zuschreibung von Identitäten für die Täter, wie sie bereits in kroatischen Zeitungsberichten im 2002 2003 2004 2005 2006 2007
Bogdanović (1993), 34; vgl. ebd., 15 f. Bogdanović (1993), 35; Bogdanović (1994), 107 ff.; Bogdanović (1997), 34. Bogdanović (1993), 33, 35. Bogdanović (1994), 107. Bogdanović (1994), 118. Bogdanović (1997), 25.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 651
Jahr 1991 vorgenommen wurde. So wurde der „Schlag auf Dubrovnik […] in voller Absicht gegen das Beispiel einer außerordentlichen, fast symbolischen Schönheit geführt“. Der serbische Beschuss der Stadt von Oktober bis Dezember 1991 wird bei Bogdanović zur Tat eines „Wahnsinnigen, der einer schönen Frau Salzsäure ins Gesicht schüttet und ihr dabei ein neues schöneres Antlitz verspricht“.2008 Er wiederum erhebt den Anspruch, die „Seelen der Primitiven“2009 mit seinen Worten zu durchdringen, die Taten der „Menschenbestie“2010 zu analysieren sowie deren „rohe, gewalttätige und amoralische Erscheinung“2011 zu beschreiben. Charakteristisch für die Interpretation ist die Verwendung von Antagonismen, die das Denken des Architekten zu bestimmen scheinen und die sich in Formulierungen niederschlagen, die zwischen „uns“ und den jeweils „Anderen“, zwischen zivilisierten Menschen und unzivilisierten Wilden, zwischen Angehörigen westlicher und östlicher Gesellschaften, primitiven Tätern und gebildeten Opfern, wissenden Jugoslawen und ahnungslosen Nicht-Jugoslawen, rohen Menschen und solchen mit Stil, Gebildeten und Ungebildeten, rationalen Europäern und weniger (oder gar nicht?) rationalen Menschen von der Balkanhalbinsel, richtigen und unechten Städten, Stadt und Land, zwischen urbanophilen Städteverstehern und urbanophoben Städtezerstörern unterscheiden. Wesentlich ist der konstatierte Graben zwischen „westlichen Menschen“ und „serbischen Hunnen“.2012 Bogdan Bogdanović identifiziert sich mit beiden Seiten und rechtfertigt so seine Kritik.2013 Ein weiteres bedeutendes Element in der kritischen Theorie des Architekten ist der angebliche Gegensatz von Stadt und Land, von ruralem und urbanem Raum, der in Konsequenz ein Konflikt von roher, unbeherrschter Natur einerseits und bewusst geformter kultureller Sphäre andererseits ist: Ob der ethnische Krieg in erster Linie ein Krieg im Namen von Acker und Furche ist und die Zerstörung der Städte nur eine unterhaltende Begleiterscheinung, oder ob die Zerstörung die Primärtechnologie der ethnischen Säuberung darstellt, die zur anschließenden Vergrößerung der Acker- und Weideflächen führt – ist letztlich nahezu unerheblich, jedenfalls was die Folgen betrifft. […] So ist der Mensch nunmehr vom Gebirge herabgestiegen in die Stadt, urplötzlich hat er sich von seinem Bärenlager erhoben, der „Satyr oder Wilde Mann“ ist herabge2008 2009 2010 2011 2012 2013
Bogdanović (1993), 33 f. Bogdanović (1993), 36; Bogdanović (1997), 25. Bogdanović (1993), 43. Bogdanović (1994), 111. Bogdanović (1993), 33. Bogdanović (1993), 37.
652 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen stiegen und hat begonnen, die Stadt auszumessen, sie abzustecken, zu umzäunen, zu zersägen, als hätt’ er’s vom Papa geerbt, und er schneidet und säbelt und tranchiert. Und all das tut er in unserem Namen, auch in meinem, und all das setzt er auf die ohnehin schon übervolle Rechnung der serbischen Nation.2014
Diesen Dualismus baut Bogdanović im Essayband Die Stadt und die Zukunft von 1997 zur Theorie der zwei Städte weiter aus. Demnach existieren in jeder Stadt eigentlich zwei Städte, deren Einwohnerschaft „fast schicksalhaft in zwei Hälften geteilt [ist], die physisch vermischt sind, sich geistig aber fast gar nicht berühren“. Das Komplement der urbanophilen Städteleser, die „selbst zum höchsten Sinn der urbanen Schrift und zu den höchsten esoterischen Sphären der metaphorischen Botschaften [der Stadt, T. S.] vorzudringen“ in der Lage sind einerseits, bildet „die arme Kaste jener, die nicht einmal bemerken, dass die Stadt eine Art Schrift darstellt“ andererseits. Die höchste Aufgabe zukünftiger Generationen besteht nach Bogdanović nun darin, dass der „wahre urbane Mensch“ dem „unruhigen epischen Menschen“ die „pax urbana“ vermittelt.2015 Zwei Tendenzen fallen in den Texten des serbischen Architekten Bogdan Bogdanović neben dessen vehementer Kritik an den serbischen Verantwortlichen für die Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen vor allem ins Auge. Zum einen ist dies das Dilemma der eigenen Verortung zwischen den verschiedenen Polen, die er weniger beschreibt, als überhaupt erst setzt; zum anderen die intellektuelle Hybris, mit der Bogdanović dieses Dilemma auszuräumen sucht. Als Serbe gehörte er der Nation der „wilden Gewalttäter“ an, war er ein Landsmann der „primitiven Städtezerstörer“, die er in seinen Texten vorgibt zu beschreiben. Als Architekt und überaus gebildeter Humanist, der er ebenso zweifellos war, versuchte er sich von dem Teil seiner Ko-Nationalen zu distanzieren, der seit 1991 in einer nationalistischen Zerstörungsorgie die Liquidation der jugoslawischen Föderation betrieb. Dabei bediente er sich, ohne es zu merken, der quasi-religiösen Sprache der Zerstörer, die keine Grautöne zuließ, die vielmehr nur entgegengesetzte Pole, Freunde und Feinde, kannte und erfüllte damit selbst das „manichäische“ Paradigma, das er im Hinblick auf die Städtezerstörung ausgemacht zu haben glaubte.
2014 Bogdanović (1994), 112 f. 2015 Bogdanović (1997), 35, 38.
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 653
KOSOVO / ALBANIEN
Der maßgebliche albanische Kritiker der Zerstörung von serbischem Kulturerbe in Kosovo war, neben dem Verleger Veton Surroi, der Schriftsteller Ismail Kadaré. Im Zuge des Krieges war der seit 1990 in Frankreich lebende Autor zum gefragten Gesprächspartner geworden, der auch in internationalen Medien zu Wort kam.2016 Dabei mythologisierte Kadaré die Ereignisse – etwa wenn er sie mit dem trojanischen Krieg verglich2017 oder sie poetisch verklärte2018. In den meisten seiner Kommentare vertrat er die Position seiner Landsleute und kritisierte die serbische Unterdrückung der albanischen Ethnie in Kosovo und die Menschenrechtsverstöße, oder aber er erklärte einem internationalen Publikum die Hintergründe des Konflikts. Im Jahr 2004 jedoch brach Ismail Kadaré mit diesem Paradigma und veröffentlichte mit dem in Tirana ansässigen Verlag Onufri das knapp hundert Seiten umfassende Essay Poshtërimi në Ballkan (etwa: Demütigung/Erniedrigung auf dem Balkan). Darin vertritt der Schriftsteller die Ansicht, dass die Bereitschaft zu Diskriminierung, Selbst-Viktimisierung sowie die rezeptive Haltung gegenüber historischen Mythen und ein falscher Heroismus grundsätzliche Eigenschaften aller Balkanvölker seien. Die Albaner, die selbst vielfach Diskriminierung und Erniedrigung durch Serben, Griechen und Makedonen ausgesetzt gewesen seien, hätten als Reaktion ihrerseits einen Rassismus gegenüber Angehörigen dieser Nationen entwickelt. Schon traditionell sei auf albanischer Seite der Rassismus gegenüber den Roma, die im Verlauf des Krieges in Kosovo Ziel von Gewalttaten wurden, gegenüber Italienern und Türken und in jüngster Zeit selbst gegenüber afrikanischen und asiatischen Mitarbeitern der UNMIK.2019 Ebenfalls kennzeichnend für die Balkanvölker schreibt Kadaré, sei eine Kultur der Revanche. Am 20. März 2004, unmittelbar nach den anti-serbischen Ausschreitungen in Kosovo, gab der Autor der albanischen Zeitung Shekulli ein Interview, in dem er die Täter scharf verurteilte: Der größte Sieg der letzten Jahre für das albanische Volk – nämlich die Annäherung an den Westen, der Aufbau einer Allianz mit der westlichen Welt – hat einen herben Rückschlag erlitten. Leider sind die Erfolge von gestern in diesen Tagen mit Füßen getreten worden. […] Im vorliegenden Fall ist die einzige Möglichkeit, 2016 2017 2018 2019
Vgl. Kadaré (1998, 1999, 2000). Kadaré (1999). Radisch (1999). Kadaré (2004), 21 ff.
654 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen das Desaster zu reparieren, dass die albanischen Kosovaren der Bedeutung der Situation auf den Grund gehen und die Tragweite ihrer Handlungen reflektieren – obwohl sie serbische Häuser geplündert und serbische Kirchen niedergebrannt haben in dem Glauben, ihrer Sache zu dienen. Sie müssen das begreifen, sie müssen vor allem begreifen, dass sie ihre eigenen Verbündeten und die internationale Gemeinschaft angreifen, dass sie die atlantische Allianz angreifen und ihre Flagge verbrennen. Sie müssen wissen, dass sie auf sehr sträfliche, vielleicht irreparable Weise gehandelt haben.2020
Kadaré fand jedoch auch Gründe, die Ereignisse in Kosovo zu relativieren und zum Teil sogar zu entschuldigen. So glaubte er, dass nur die, „deren Blut zu heiß“ sei, für die Ausschreitungen verantwortlich waren, die darüber hinaus durch „ausländische Geheimdienste […] albanische Abenteurer und, weshalb nicht, Nostalgiker des Kommunismus“ angezettelt worden seien. Dessen ungeachtet verurteilte er die Taten und forderte die Albaner auf, „sich von allen finsteren Gruppen [zu] distanzieren“. Diese kritischen Töne gefielen nicht allen politischen Gruppierungen und Kräften in der Heimat des Autors, der jahrzehntelang für die albanische Sache öffentlich eingetreten war. So berichtete der Sprach- und Literaturwissenschaftler Beqë Cufaj einen Monat nach den Unruhen in Kosovo in der FAZ von Morddrohungen gegen Kadaré im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seines Essays und seiner Verurteilung der Gewalt gegen Serben und serbisches kulturelles und religiöses Erbe in Kosovo.2021
KROATIEN
Ein einzigartiges Beispiel für Kritik an der nationalistischen Politik der Regierung unter Franjo Tuđman in Kroatien besteht mit der 1984 in Split gegründeten satirischen Wochenzeitung Feral Tribune.2022 Die kritisch-ironischen Durchbrechungen des Diskurses der kroatischen Mehrheit gelang der Feral Tribune im Hinblick auf die Postjugoslawischen Kriege unter anderem mit Berichten über Kriegsverbrechen von Kroaten in Bosnien, zu denen auch die Zerstörung von kulturellem und religiösem Erbe zählte. 2020 Shekulli (2004). 2021 Cufaj (2004). 2022 Vgl. Walasek (2015), 91, 268; Radonić (2010).
3.5 (Re)Konstruktion und Überschreiben | 655
Abb. 87: Aladin više ne stanuje ovdje (Aladin wohnt hier nicht mehr). Bericht von Goran Malić und Rino Belan über die „ethnische Säuberung“ kroatischer Einheiten und zerstörte islamische Architektur im bosnischen Stolac vom 2. Mai 1994. Malić/Belan (1994).
Am 2. Mai 1994 etwa erschien ein Bericht von Goran Malić und Rino Belan über die „ethnische Säuberung“ und die Zerstörung von islamischer Architektur im bosnischen Stolac (Abb. 87).2023 Die Autoren hatten sich im Gefolge des Bischofs der Diözese Mostar-Duvno Ratko Perić in die für Ortsfemde gesperrte Stadt geschlichen, als dieser Stolac besuchte, um dort das heilige Sakrament zu spenden. Sie sparten in ihrem Artikel nicht mit Spott für den katholischen Würdenträger, etwa wenn sie schrieben, dieser habe bei seinem Besuch vergessen, die Zerstörung des islamischen Erbes gegenüber seiner Gemeinde zu erwähnen. Als sie ihn darauf hinweisen wollten, habe er sich jedoch gerade mit dem Bürgermeister beim Frühstück befunden, wobei sie ihn nicht stören wollten. Unterstützt durch Fotografien beschreiben Malić und Belan die Zerstörung der Ali-Pascha-Moschee aus dem 18. Jahrhundert und der Zarenmoschee, errichtet im Jahr 1519, „die zu sehen die kroatische Öffentlichkeit bisher nicht die Gelegenheit hatte“. Bis zur „ethnischen Säu2023 Malić/Belan (1994).
656 | 3. Kulturerbezerstörung in den Postjugoslawischen Kriegen
berung“, die den Autoren zufolge in zwei Wellen im April und August 1993 durch Angehörige der Streitkräfte der bosnischen Kroaten durchgeführt wurde, bildeten Muslime 80 Prozent der Einwohnerschaft von Stolac. Neben insgesamt drei Moscheen war während der Vertreibungen auch historische vernakuläre Architektur, etwa der Besitz der Familie Rizvanbegović, niedergebrannt worden. Ein Großteil der männlichen Muslime der Stadt soll in Lagern in der Umgebung interniert worden sein, wo sie verhört und gefoltert wurden. Frauen und Kindern hingegen habe man erlaubt, nach Blagaj oder Mostar zu fliehen.2024 Weniger drastisch als der Bericht Malićs und Belans war ein kurzer Artikel von Predrag Matvejević in der Feral Tribune zur Zerstörung der Stari Most in Mostar vom 16. November 1993: In der Geschichte der Barbarei haben sich den schlimmsten Platz die Zerstörer der Städte erworben. Mostar haben die „Serben“ begonnen zu zerstören, gefolgt von den „Kroaten“‘ – ich habe sie in Anführungszeichen gesetzt um sie von jenen Kroaten und Serben zu unterscheiden, die nicht schuldig geworden sind, die sich mit uns schämen. Ungeachtet dessen, wer „zuerst begann“, wer mehr oder weniger zerstört oder umgebracht hat, man kann den einen Fehler nicht durch den anderen rechtfertigen. Jeder wird sich dafür verantworten müssen, die Zerstörer Mostars wie auch Vukovars, die Folterer von Sarajevo.
Die Zerstörung der Stari Most schreibt Matvejević der kroatischen HVO zu. Mate Boban, der Führer der bosnischen Kroaten, brauche niemandem mehr zu erklären, die Zerstörung der Brücke sei ein unbedeutender Zufall. Internationale Beobachter, die noch vor kurzem über serbische Gräueltaten und Konzentrationslager berichtet hätten, täten dies jetzt glaubhaft über ähnliche kroatische Lager in den Orten Dretelj, Gabela, Ljubuški und das berüchtigte Lager Heliodrom im Süden Mostars. Matvejević beendet seinen Artikel: „Ich schließe mich den kroatischen Intellektuellen an, die von dem Präsidenten gefordert haben, über seinen Rücktritt nachzudenken“2025.
2024 Malić/Belan (1994). 2025 Matvejević (1993).
Anhang Zeittafel 1980 Der Präsident der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien Josip Broz Tito stirbt am 4. Mai. 1981 Protest von Studenten in Kosovo wird blutig niedergeschlagen; etwa 1.000 Tote. 1981 Im alten orthodoxen Patriarchat in Peć brennt aus ungeklärten Gründen ein Unterkunftsgebäude nieder. 1982 Am 15. Mai veröffentlicht die orthodoxe Kirchenzeitung Pravoslavlje den Appell zur Verteidigung der serbischen Bevölkerung und seiner Heiligtümer in Kosovo. 1984 Slobodan Milošević wird durch Ivan Stambolić zum Chef des Belgrader Parteikomitees des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens ernannt. 1986 24. September: Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste; die Akademie gibt Dimitrije Bogdanovićs Knjiga o Kosovu (Buch über Kosovo) heraus. 1989– 1991 Ante Markovic ist neuer Ministerpräsident Jugoslawiens. 1989 27. Februar: Das Staatspräsidium der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien beschließt ohne die Stimme Sloweniens Sondermaßnahmen für Kosovo. 1989 28. März: Neue Verfassung Jugoslawiens; Verfassungen Kosovos und der Vojvodina außer Kraft. 1989– 1997 Slobodan Milošević ist Präsident Serbiens (1997-2000 Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien). 1989 28. Juni: Rede Slobodan Miloševićs zur 600-Jahr-Feier der Schlacht auf dem Amselfeld. 1990 Wahlen in allen jugoslawischen Teilrepubliken. 1990 26. Juni: Das serbische Parlament beschließt ohne die Stimmen der albanischen Abgeordneten die Ausnahmeverwaltung im Kosovo offiziell als „vorübergehende Maßnahmen“ (privremene mere). 1990 28. September: Mit einer neuen Verfassung in Serbien wird der Autonomiestatus Kosovos und der Vojvodina aufgehoben. 1990 22. Dezember: Kroatische Serben rufen Serbisches Autonomes Gebiet Krajina aus. 1991 Artemije Radosavljević wird Bischof der Eparchie Raška-Prizren. 1991 2. Mai: 12 kroatische Polizisten im slawonischen Borovo Selo von serbischen Milizen getötet. 1991 25. Juni: Die Republiken Slowenien und Kroatien erklären ihre Unabhängigkeit. 1991 27. Juni – 7. Juli: Sogenannter „Zehn-Tage-Krieg“ in Slowenien. 1991 Am 27. August beginnt der Angriff der JNA auf Vukovar; Krieg in Kroatien und Beschädigung bzw. Zerstörung von mutmaßlich 1602 Objekten des gebauten kulturellen Erbes des Landes.
658 | Anhang 1991 16. September: Bosnische Serben rufen Serbische Autonome Gebiete aus. 1991 1. Oktober: Angriff auf Dubrovnik durch Einheiten der JNA beginnt von Land und See. 1991 24. Oktober: Bosnische Serben gründen das Parlament des serbischen Volkes Bosnien-Herzegovinas (Skupština srpskog naroda Bosne i Hercegovine). Präsident wird Momčilo Krajišnik. 1991 18. November: Kroaten in der Herzegowina erklären „Kroatische Gemeinschaft Herceg-Bosna“. 1991 18. November: Vukovar kapituliert; serbische Einheiten töten bei einem Massaker auf der ehemaligen Schweinefarm Ovčara in der Nähe von Vukovar etwa 200 kriegsgefangene Kroaten. 1991 23. Dezember: Deutschland erkennt Slowenien und Kroatien als souveräne Staaten an. 1992 2. Januar: Waffenstillstand in Kroatien (Vance-Plan). 1992 Im März Beginn der UNPROFOR-Mission in Kroatien. 1992 29. Februar/1. März: Erfolgreiches Referendum über Unabhängigkeit Bosnien und Herzegovinas; am 3. März durch den bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović erklärt. 1992 2. April: Die Einheit Željko „Arkan“ Raznatovićs überfällt Bijeljina in Bosnien und Herzegovina und verübt Massaker. 1992 4./5. April: Anti-Kriegs-Demonstrationen in Sarajevo, Scharfschützen schießen aus dem Hotel Holiday Inn auf die Demonstranten; Tote und Verletzte; Krieg in Bosnien und Beschädigung bzw. Zerstörung von mutmaßlich 4.024 Objekten des gebauten kulturellen Erbes des Landes. 1992 5. April: Die Belagerung Sarajevos durch serbische Einheiten beginnt; sie dauert bis zum 29. Februar 1996. 1992 6./7. April: Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft und die USA erkennen die Unabhängigkeit Bosnien und Herzegovinas an. 1992 Ab dem 6. April greifen serbische Truppen Mostar an. 1992 12. Mai: Serbische Republik von Bosnien und Herzegowina/Republika Srpska (RS) proklamiert; Amtssitz zunächst in Pale; Radovan Karadžić wird Präsident; bosnische Serben stellen Armee der Republik Serbien (Vojska Republike Srpske) auf; Personal und Waffen stammen zum größten Teil von der JNA. 1992 17. Mai: Orientalisches Institut in Sarajevo mit Brandgranaten beschossen und vollständig zerstört. 1992 Juni: Kloster Žitomislić und Orthodoxe Kathedrale (Saborna Crkva) in Mostar durch Einheiten bosnischer Kroaten (HVO) zerstört. 1992 Die britische Kunsthistorikerin Marian Wenzel gründet im Herbst die NGO BosniaHerzegovina Heritage Rescue (BHHR). 1992 In der Nacht vom 2. auf den 3. August sprengen serbische Extremisten die AladžaMoschee (1550) im bosnischen Foča. 1992 Am 25. und 26. August beschießen serbische Einheiten die National- und Universitätsbibliothek (Vijećnica) in Sarajevo mit Brandgranaten. 1992 14. September: UNPROFOR in Bosnien.
Zeittafel | 659
1992 Herbst: Bosnische Serben kontrollieren über 70 Prozent des Territoriums in Bosnien und Herzegovina. 1993 2. Januar: der sog. „Vance-Owen-Plan“, ausgearbeitet unter Federführung von Cyrus Vance und David Owen soll den Bosnienkrieg beenden. 1993 Im Februar veröffentlicht der Europarat den ersten Bericht Colin Kaisers zur Zerstörung von Kulturerbe in Kroatien und Bosnien und Herzegovina. 1993 Mitte April zerbricht die Militärallianz zwischen Kroaten und bosnischen Regierungstruppen. 1993 In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai sprengen serbische Extremisten die Ferhat-PaschaMoschee (Ferhadija, 1579) und die Hasan-Defterdar-Moschee (Arnaudija, 1594) in Banja Luka. 1993 8. Mai: Belagerung Mostars durch kroatische Einheiten beginnt. 1993 25. Mai: Mit der Resolution 827 beschließt der UN-Sicherheitsrat die Einrichtung des International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY). 1993 Am 9. November kollabiert die Stari Most in Mostar nach mehrtägigem Beschuss. 1994 18. März: Washingtoner Abkommen; bosnisch-kroatische Föderation gegründet; Krieg zwischen bosnischen Kroaten und Einheiten der Regierung beendet. 1994 Im April eröffnet die UNESCO ein Büro in Mostar, das durch Colin Kaiser geführt wird; am 9. Juni entsendet die Organisation ihre erste Mission nach Bosnien und Herzegovina; im Herbst wird ein weiteres Büro in Sarajevo eröffnet. 1995 11. Juli: Unter Ratko Mladić verüben serbische Einheiten mehrere Massaker in der Gegend um das ostbosnische Srebrenica; etwa 8.500 bosnische Muslime werden dabei umgebracht. 1995 Im Mai und August erobern kroatische Einheiten in den Operationen Bljesak und Oluja serbisch besetzte Gebiete in Kroatien; dabei verüben Kroaten Kriegsverbrechen an Serben und zerstören serbisches Kulturerbe; etwa 200.000 Serben fliehen. 1995 14. Dezember: Mit dem Vertrag von Dayton enden offiziell die Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegovina. 1998 5. März: Serbische Einheiten greifen das Gehöft Adem Jasharis in Prekaz in Kosovo an; Jashari und 57 Familienangehörige werden getötet; Krieg in Kosovo und Beschädigung bzw. Zerstörung von mutmaßlich 477 Objekten des gebauten kulturellen Erbes der Region. 1999 Am 7. Februar beginnen die Friedensverhandlungen für Kosovo im französischen Rambouillet; am 24. März startet die NATO mit Luftangriffen gegen Ziele in Kosovo und Serbien; in der Nacht vom 24. auf den 25. März zerstören serbische Einheiten bei Vergeltungsaktionen die historischen Märkte von Gjakova und Peja und beschädigen die Hadum-Moschee (1592-95) schwer. 1999 27. April: Serbische Einheiten ermorden beim Massaker von Meja in Kosovo etwa 300 albanische Männer. 1999 9. Juni: Der Friedensplan der G8-Staaten für Kosovo wird im makedonischen Kumanovo unterzeichnet.
660 | Anhang 1999 10. Juni: Der UN-Sicherheitsrat verabschiedet die Resolution 1244, mit der die Nachkriegsordnung und die internationale Übergangsverwaltung (UNMIK) für Kosovo geregelt wird. 1999 12. Juni: Mit der Etablierung der Kosovo-Force (KFOR) beginnt die Zerstörung von serbischem Kulturerbe und die Vertreibung von Serben aus Kosovo. 2004 17.–18. März: Bei antiserbischen Ausschreitungen in Kosovo werden mehr als 30 orthodoxe Kirchen und Klöster beschädigt oder zerstört; neun Angehörige der serbischen Minderheit verlieren ihr Leben. 2004 Am 23. Juli wird die wieder errichtete Stari Most in Mostar eingeweiht und ein Jahr später mit der umliegenden Altstadt als erste Stätte Bosniens in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. 2008 17. Februar: Unabhängigkeitserklärung Kosovos. 2016 Am 7. Mai wird die rekonstruierte Ferhat-Pascha-Moschee in Banja Luka am 23. Jahrestag ihrer Zerstörung feierlich eingeweiht.
Glossar Im Text verwendete slawisierte Turzismen und weitere südslawische Fremdwörter: Aschkenasim Mittel- und osteuropäische Juden. Bezistan Orientalische Markthalle. Traditioneller Markt, Marktplatz. Čaršija Česma Öffentlicher Brunnen. Cizye (Harač, Von nicht-muslimischen Untertanen im osmanischen Reich zu entrichtende Glavnica) „Kopfsteuer“. „Knabenlese“; bis ins 17. Jahrhundert regelmäßige Aushebung von Knaben aus Devširme christlichen Familien, die für den Verwaltungsapparat des Osmanischen Reiches ausgebildet wurden und darin zum Teil hohe Stellungen erreichten. Džamija Moschee, als ulu (velika) oder džuma džamija Haupt- oder Freitagsmoschee. Džemat Kleinste Verwaltungseinheit der Islamischen Gemeinschaft Bosnien und Herzegovinas, bestehend aus mindestens 200 Haushalten. Gusla Kniegeige, traditionelles Streichinstrument in Südosteuropa mit einer Saite aus Rosshaar bespannt. Guslar Sänger, trägt Heldenepen vor, die er auf der Gusla begleitet. Hamam Orientalisches Badehaus. Han Herberge für Reisende und Händler. Hastahana Krankenhaus. Imaret Suppenküche. Kaljaja, Kale Festung; kale ist als Prä- oder Suffix Bestandteil von Toponymen in Südosteuropa, vgl. Festung Kalemegdan in Belgrad.
Glossar | 661
Konak Unterkunftsgebäude, Herberge. Kulla, o. Kula Traditionelle Wohn- und Wehrtürme. Mahala Orientalisches Wohnviertel, im osmanischen Reich nach ethnischer und religiöser Affiliation organisiert. Medresa Islamische Sekundarschule Verwaltungseinheit der Islamischen Gemeinschaft Bosnien und Herzegovinas; Medžlis ein M. fasst eine Anzahl Džemat zusammen; eine Anzahl M. wiederum bildet den Muftiluk; die neun Muftiluk Bosnien und Herzegovinas werden durch den Rijaset, den höchsten Rat der Islamischen Gemeinschaft, verwaltet. Mekteb Islamische Primärschule. Mesdžid Kleinere Moschee oder Gebetsraum ohne Minarett. Nach Mekka ausgerichtete Gebetsnische einer Moschee. Mihrab Kanzel in einer Moschee, von der die Freitagspredigt gegeben wird; in unmittelMinbar barer Nähe zur Mihrab, der Gebetsnische. Muftiluk Verwaltungseinheit der Islamischen Gemeinschaft Bosnien und Herzegovinas; siehe Džemat und Medžlis. Besonderer Bereich im Inneren einer Moschee, dem Muezzin vorbehalten; oft als Muezzin überdachte, leicht erhöhte Plattform. mahfili Musala Öffentliche Gebetplätze. Innenraum eines Tempels. Naos Opanke Traditionelle Fußbekleidung der Balkanhalbinsel, die ursprünglich aus dem ruralen Bereich stammt; leichte Schuhe o. Sandalen aus Leder mit charakteristisch nach oben gebogener Spitze. Pašaluk Amtsbezirk eines hohen osmanischen Würdenträgers (Pascha). Phanarioten Griechische Verwaltungselite im osmanischen Reich, nach ihrem Wohnort, dem Phanar in Istanbul. Šadrvan Ritueller Reinigungsbrunnen im Vorhof oder unmittelbarer Nähe einer Moschee. Uhrturm. Sahat kula Šajkača Traditionelle Kopfbedeckung aus Wolle, ursprünglich aus Zentralserbien, die insbesondere vom Militär getragen wird; symbolischer Teil der serbischen Uniform. Sandžak Verwaltungseinheit im osmanischen Reich, mehrere Sandžak bilden ein Vilajet/ Eyalet. Sebilj Öffentlicher Brunnen. Sephardim Vor der Inquisition 1492 in Spanien geflohene Juden, die größtenteils im Osmanischen Reich Zuflucht fanden. Stećci Grabstein aus dem 14. und 15. Jahrhundert, der den Christen der bosnischen Kirche zugeschrieben wird; von den insgesamt etwa 70.000 Stećci liegen mehr als (sg. stećak) 80 Prozent in Bosnien und Herzegovina; einige tausend der Grabsteine befinden sich in Montenegro, Serbien und im Süden Kroatiens unweit der gegenwärtigen Grenze mit Bosnien. Tekija Konvent eines Derwisch-Ordens.
662 | Anhang Turbe Osmanisches Mausoleum. Vakuf (Evkaf) Osmanische religiöse Stiftung(en) mit gemeinnützigem Charakter; ein V. kann Moscheen, Primär und Sekundärschulen, Suppenküchen, Krankenhäuser und weitere Gebäude umfassen. Vakufnama Zum Vakuf gehörige Stiftungsurkunde, -dokumente. Vidovdan Der 28. Juni (greg.); der Vidovdan (serb.) gilt als Tag der Schlacht auf dem (Veitstag) Amselfeld im Jahr 1389. Vilajet, Eyalet Verwaltungseinheit im osmanischen Reich, fasst zwei oder mehr Sandžak zusammen. Serbisch pejorativ für Angehörige der Zbor Narodne Garde (Kroatische NatioZengisti nalgarde, ZNG). Vorsteher einer territorialen Verwaltungseinheit (Župa, Županija, dt. GespanŽupan schaft). Zvonik Glockenturm.
Abkürzungsverzeichnis AOR ARBiH ASNOM BdKJ (SKJ) BHHR CDCC CHwB CIVPOL CLRAE DAS DEMOS DoC DSSBiH ECMM EVOCAST FNRJ HSP HAZU HDZ
Area of Responsibility Armija Republike Bosne i Hercegovine (Armee Bosnien und Herzegovinas) Antifašističko Sobranje Narodnog Oslobođenja Makedonije (Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Makedoniens) Bund der Kommunisten Jugoslawiens (Savez Komunista Jugoslavije) Bosnia-Herzegovina Heritage Rescue Council for Cultural Co-operation Cultural Heritage without Borders Civilian Police Conference of Local and Regional Authorities of Europe Društvo Arhitekata Sarajevo (Vereinigung der Architekten Sarajevos) Demokratična Opozicija Slovenije (Demokratische Opposition Sloweniens) Department of Culture Demokratski Socijalistički Savez Bosne i Hercegovine (Demokratisch-Sozialistischer Bund Bosnien und Herzegovinas) European Community Monitor Mission European Council for the Village and Small Town Federativna Narodna Republika Jugoslavija (Föderative Volksrepublik Jugoslawien) Hrvatska Stranka Prava (Kroatische Partei des Rechts) Hrvatska Akademija Znanosti i Umjetnosti (Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste) Hrvatska Demokratska Zajednica (Kroatische Demokratische Gemeinschaft)
Abkürzungsverzeichnis | 663
HIC HINA HOS HV HVO ICCROM
Hrvatski Informativni Centar (Kroatisches Informationszentrum) Hrvatska Izvještajna Novinska Agencija (Kroatische Nachrichtenagentur) Hrvatske Obrambene Snage (Kroatische Verteidigungskräfte) Hrvatska Vojska (Kroatische Armee) Hrvatsko Vijeće Obrane (Kroatischer Verteidigungsrat) International Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property ICOM International Council on Museums ICOMOS International Council on Monuments and Sites ICTY International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia IMC Implementation Monitoring Council International Management Group IMG IRPP/SAAH Integrated Rehabilitation Project Plan/Survey of the Architectural and Archeological Heritage JAZU Jugoslavenska Akademija Znanosti i Umjetnosti (Jugoslawische Akademie der Wissenschaften und Künste) Jugoslavenska Narodna Armija (Jugoslawische Nationale Armee) JNA KFOR Kosovo-Force KOMINFORM Kommunistisches Informationsbüro KPJ Kommunistička Partija Jugoslavije (Kommunistische Partei Jugoslawiens) KVM Kosovo Verification Mission Muzejski Dokumentacijski Centar (Museums-Dokumentationszentrum) MDC MCYS Ministry of Culture Youth and Sports MoU Memorandum of Understanding NGO Non-governmental Organization OSZE/OSCE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/Organization for Security and Co-operation in Europe OTP Office of the Prosecutor OZNA Organ Zaštite Naroda (Organ des Volksschutzes) Provisional Institutions of Self-Government PISG Reconstruction Implementation Commission for Orthodox Religious Sites RIC RS Republika Srpska SaBiH Savez Arhitekata Bosna i Hercegovina (Vereinigung der Architekten Bosnien und Herzegovinas) SANU Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste) Srspka Autonomna Oblast (Serbisch-Autonomer Bezirk) SAO SDA Stranka Demokratske Akcije (Partei der Demokratischen Aktion) SDS Srpska Demokratska Stranka (Serbische Demokratische Partei) SFRJ Socialistička Federativna Republika Jugoslavija (Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien) SOP Standard Operating Procedure SPC Srpska Pravoslavna Crkva (Serbische Orthodoxe Kirche)
664 | Anhang SRS SSNO
Srpska Radikalna Stranka (Serbische Radikale Partei) Saveznog Sekretarijat Narodne Odbrane (Föderaler Rat der nationalen Verteidigung) SVK Srpska Vojska Krajina (Serbische Armee der Krajina) TANJUG Telegrafska Agencija Nove Jugoslavije (Nachrichtenagentur des neuen Jugoslawien) Türk İşbirliği ve Koordinasyon Ajansı Başkanlığı (Türkische staatliche EntwickTIKA lungshilforganisation) TO serb., bosn.: Teritorijalna Odbrana, kroat.: Teritorijalna Obrana (Territorialverteidigung) Ushtria Çlirimtare e Kosovës (Befreiungsarmee des Kosovo) UÇK UNEP United Nations Environment Programme UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNHCR United Nations High Commission for Refugees United Nations Mission in Kosovo UNMIK UNPA United Nations Protected Area UNPROFOR United Nations Protection Force VJ Vojska Jugoslavije (Armee Jugoslawiens) Vojska Republike Srpske (Armee der Republik Serbien) VRS ZNG Zbor Narodne Garde (Nationalgarde Kroatiens)
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UNVERÖFFENTLICHTE QUELLEN (ALS KOPIEN IM ARCHIV DES AUTORS) Bashkësia Islame e Kosovës: Njoftim mbi dëmet e shkaktuara nga ushtria, policia dhe civilët serbë ndaj objekteve dhe monumenteve islame në Kosovë (1998–1999). Institute for the Protection of Cultural Monuments Gjakova: Vleresimi e Demeve ne Objektet Kulturore te Komunen e Gjakoves. Provisional Institutions of Self Government/Serbische Orthodoxe Kirche/UNMIK: Memorandum of Understanding on Agreed General Principles for the Reconstruction of Serbian Orthodox Religious Sites, 24. und 25. März 2005.
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Personenregister | 709
Personenregister Abdurrahim Kuçan 208 Abdyl Frashëri 617 Achim Landwehr 35 Adam Stefanović 73 Adem Jashari 493, 494, 638, 639, 659 Aganlija 63 Aksentija 206, 207 Alan Riding 418 Albert Goldstein 274, 638 Albert Hittmeyer 361, 382 Aleksandar Dobrić 73 Aleksandar Karađorđević 67, 72, 119, 139, 153 Aleksandar Milošević 243 Aleksandar Obrenović 66 Aleksandar Stipčević 308 Aleksandar Ranković 162, 163, 164, 235 Alexander Korb 98 Alexander Wittek 47, 424 Alexandre T. 496 Alija Izetbegović 219, 396, 397, 398, 658 Alija Kučuk 63 Alojzije Stepinac 106 Amfilohije Radović 524 Amir Pašić 596 Amra Hadžimuhamedović 411, 472 Ana Jović-Lazić 569-572 Ana Stolić 65 Anđelko Milardović 275 Andjejo Zvizdović 481 András Riedlmayer 138, 145, 191, 315, 372, 406, 454, 468-477, 485, 486, 489, 501, 502, 515, 517, 536, 537, 576, 584, 589-594, 595, 604, 646 André Gide 252 Andrej Damjanov 93, 443 Andrew Herscher 146, 468, 469, 492, 501, 537, 593, 595 Andrija Mutnjaković 183, 184 Anna Paola Quargentan 597 Ante Armanini 247
Ante Gotovina 365 Ante Pavelić 95, 155, 289 Ante Starčević 90 Anthony Lewis 296 Anto Valenta 490 Antonija Bauer 356 Antun Augustinčić 149, 150 Antun Bauer, Kunstsammlung 263, 315, 317, 340, 346, 349, 355, 356, 358 Armina Galijaš 460, 462, 492, 648 Artemije Radosavljević 215, 216, 503, 505, 521, 522, 524, 561, 564, 565, 572, 577, 578, 583, 615, 631, 632, 657 Atanasije (Zoran) Jeftić 510 Auguste Rodin 253 Augustin Filipović 288, 289 Barbara O. Roberts 338, 339, 340, 406, 466 Bassam Tibi 419, 420 Benedict Anderson 60, 61, 62 Bénédict Savoy 23 Berislav Pušić 445 Bernard Feilden 390 Bill Clinton 419, 639, 640 Bogdan Bogdanović 150, 289, 388, 492, 649, 651, 652 Boris Magaš 51 Borisav Jović 217 Boutros Boutros-Ghali 351 Božidar Dikić 255 Božidar Milošević 268 Božidar Rašić 51 Branislav Krstić 129–133, 357, 526, 529-540, 541, 544, 562, 564, 570 Branka Džebić 293 Branka Šulc 345-350, 356, 366, 385, 386, 387 Branko Grujić 474 Branko V. Jokić 541, 562, 568, 570 Britt Baillie 265, 266, 267 Bruce Jackson 603 Bruno Carnez 346, 352
710 | Anhang Bruno Stojić 445 Carl Polónyi 73 Carl von Clausewitz 230 Carlo Giantomassi 541 Charles Simić 597 Christina Kott 253 Chuck Sudetić 293, 406, 416, 417, 418, 474 Claude Debussy 252 Claude Monet 253 Colin Kaiser 125, 145, 236, 295, 298, 315, 318, 319, 321, 322, 323, 324, 327, 333, 334, 338, 340, 341, 342, 343, 344, 346, 348, 349, 352, 353, 357, 360, 361, 363, 367, 369, 379, 382, 394, 406, 408, 423, 425, 426, 427, 429, 432, 433, 435, 437, 439, 440, 452, 454, 455, 461, 468, 485, 579, 594, 600, 606, 659 Cynthia Guttman 589 Cyrus Vance 257, 400, 659 Danica Đurđević 290, 298, 299, 300 Daniel Janicot 295 Daniel Lefèvre 352 Darko Glavan 295 David Lowenthal 28, 30 Davorin Rudolf 272 Dejan Radovanović 583, 584 Denis de Kergolay 597 Diane Paul 461 Dick Marty 230 Dick Sandberg 597 Dietrich Schaefer 382 Dimitrije Avramović 71 Dimitrije Bogdanović 195-215, 566, 657 Dimitrije Frušić 71 Dimitrije Leko 85 Dinu Bumbaru 352 Divna Ðurić-Zamolo 78, 79 Dobrica Ćosić 164, 167, 172, 227, 417 Dobroslav St. Pavlović 560 Dominic McAlea 353 Donatella Zari 541 Ðorđe Petrović 63-66, 75 Dositej Obradović 69, 79
Dragan Kojadinović 567 Dragan Vasiljković (Kapetan Dragan) 227 Drago Grdenić 247 Dragorad Dragičević 264 Dragutin Milutinović 71 Draža Mihailović 96, 155, 278 Dražen Jambrović 261 Dunja Melčić 244, 422 Đurđa Cvitanović 280 Dušan Kanazir 172 Dušan Kecman 257 Dušan Simović 95 Edvard Kardelj 120, 371 Edward O’Hara 608-611 Ekrem Rexha 497 Elena Poptodorova 602, 603 Eli Tauber 98, 103 Elie Wiesel 419 Emily Makaš-Gunzburger 444, 492, 627, 629 Enes Karić 467 Ermin Krehić 268 Ernest Gellner 60 Eric J. Hobsbawm 60, 61, 401 Erich Rathfelder 236, 244 Ernest Renan 61 Ernst Haeckel 250 Ernst Lohoff 154, 232 Eugen von Savoyen 487 Ferdinand Fellner 47 Ferdinand Hodler 457 Flavio Trinca 541 Florian Bieber 154, 171, 234 Florian Hassel 455 Franjo Kuharić 281 Franjo Rački 91 Franjo Tuđman 160, 217, 222, 235, 242, 261, 289, 317, 365, 422, 448, 624, 626, 654 František Blažek 424 Friedbert Ficker 582 Friedhelm Brebeck 491 Friedrich von Schmidt 47 Gabriel Grüner 496
Personenregister | 711
George Soros 326, (Stiftung) 452 Giselle Hyvert 352 Gojko Subotić 204 Goran Malić 655 Gustave de Molinari 60 Hacı Mustafa Paşa 63 Hans Belting 34 Hans-Christoph von Imhoff 355-360, 366-370, 406, 466 Hans Magnus Enzensberger 597 Hans van den Broek 242 Hariton Kosovac 509, 510 Harriet Pass Freidenreich 123 Hasan Hakalović 229 Hasan Kaleši 197, 198, 204, 205, 206, 214 Hashim Thaçi 230, 589 Haxhi Rrustem Shporta 208, 209, 212 Helen Walasek 315, 372, 382, 403, 404, 406, 428, 429, 433, 435, 436, 444, 448, 449, 452, 454, 455, 457, 462, 468, 486, 489, 594, 627, 629, 646 Henri Matisse 253 Henry Cleere 320 Herbert Wagner 297 Hermann Bollé 47 Hermann Helmer 47 Herta Müller 648 Hiram Johnson 241 Holger Kammerhoff 557 Holm Sundhaussen 70, 82, 99, 144, 174, 277, 401, 402 Horst Grabert 173 Ibrahim Rugova 493 Ilija Garašanin 72, 91, 113 Immanuel Kant 21 Irina Shtodina 583 Isa Beg Išaković 146 Ismail Kadaré 388, 647, 653-654 István Eörsi 173, 647 Ivan Čermak 365 Ivan Cifrić 293 Ivan Lovrenović 422 Ivan Meštrović 246, 263
Ivan Stambolić 175, 657 Ivan Stepanović Jastrebov 72, 200, 206, 207 Ivan Štraus 103 Ivan Tolj 271 Ivan Vangelov 208, 213 Ivica Dačić 608 Ivo Andrić 38 Ivo Goldstein 91, 98, 101, 624 Ivo Maroević 311, 388-391, 482, 626 Jacques Baumel 403, 424, 433, 437 Jacques Poos 242 Jacob Grimm 69 Jadranka Fatur 282, 283 Jadranka Vinterhalter 384, 387 Jadranko Prlić 445 Jakub Selimoski (Selimovski) 410 Jan Gallus 366 Jane L. Anderson 292 Marie-Janine Calić 549, 554, 555 Jean-Baptiste Naudet 461 Jean-Claude Hatterer 315 Jens Reuter 551, 554, 556 Jens Schneider 420, 422 Joachim von Königslöw 594 Joao de Deus Pinheiro 243 J. Danilović 255 Johann Gottfried Herder 21 Johann Wolfgang Goethe 69 John A. Bold 604-606 John Clint Williamson 230 John Darnton 419 John F. Burns 406, 416, 418 Jordan Grabulovski 150 Josef Stadler 93 Josif Mihajlović 85 Josip Broz Tito 51, 96, 154, 155, 160, 164, 178, 249, 255, 284, 287, 288, 308, 371, 515, 639, 657 Josip Juraj Strossmayer 91, 107 Josip Trampetić 292 Josip Vancaš 93 Juan Goytisolo 405, 407 Julian Thomas 386
712 | Anhang Justin McCarthy 81 Justin Popović 215 Juzuf „Juka“ Prazina 228-229 Karel Pařík 47 Katrin Boeckh 107 Klaus Buchenau 107, 118, 288, 477, 578 K. Obradović 272 Kodža Sinan Pascha 206, 562 Kofi Annan 496, 554 Kōichirō Matsuura 607 König Ludwig I. von Bayern 64 Krešimir Pavelić 292 Kristin Kerstein 596 Krunoslava Banić 243, 260 Kurt Flasch 253 Lavoslav Ružička (Museum) 342, 355 Lazar Hrebljanović 72, 73 Leopold Ranke 69, 76, 81 Leo van Nispen 646 Ljiljana Radonić 626 Ljubiša Folić 524 Ljubiša „Mauser“ Savić 413 Ljudevit Gaj 89-90 Lordan Zafranović 300, 301 Maja Razović 273, 274, 293 Makarije Sokolović 49 Maria Todorova 38 Marian Wenzel 45, 314, 316, 327, 364, 382, 393, 406, 426, 428, 429, 432, 433, 437, 439, 452, 454, 455, 457, 468, 658 Marina Vulićević 562, 571 Mario Lukačević 278 Mario Nardelli 271 Mark Cantwell 417 Marko Miljanović 169 Marko Omčikus 356, 367, 526, 562 Markus Tauschek 28, 30 Martti Ahtisaari 619 Martin Coward 491, 492 Martina Baleva 74 Mate Boban 656 Mate Pavković 388
Matko Zovkić 480 Mats Lundegard 407 Matthias Rüb 173, 417, 503 Max Planck 250 M. Četnik 248 Mećava, Angelina, Gojko, Mile 222-224 Mehmed Bublin 491 Mehmed Pascha Sokolović 49 Mehmet Aga Fočić 63 Miča Popović 388 Michael Martens 551, 555 Michael T. Kaufman 416, 417 Michel Foucault 35-37, 331, 598 Mihailo Valtrović 71 Mihailo Marković 172 Mihajlo Obrenović 66 Miladin Nikolić 248 Milan Babić 224 Milan Gvero 273 Milan Ivanović 141 Milan Kapetanović 104, 105 Milan Kučan 217 Milan Martić 224, 227, 244 Milan Nedić 95, 171 Milan Schlang 104 Milan Sigetić 247 Milan Tupalić 474 Mile Dedaković 228, 261 Mile Nedeljković 254 Milica Bakić-Hayden 170 Milivoj Petković 445 Miloš Obilić 73 Miloš Obrenović 65, 66, 75, 80 Mimar Hajrudin 441 Miodrag Jokić 220, 272 Miodrag Popović 566 Mirjana Djekić 583, 584 Mirjana Dugandžija 293 Mirjana Kuburović 504, 505, 511, 561 Mirjana Menković 13, 191, 526, 541, 542, 544, 545, 548, 549, 561, 562, 568, 570, 584 Mirjana Nikić 277
Personenregister | 713
Mirjana Šigir 246, 252, 256, 257, 260, 278, 389 Mirko Galić 261, 300 Mirko Kovać 280, 387 Mirko Ostoja 149, 150 Mirko Sajler 260 Mirko Stanišić 469 Mirko Vukašinović 237 Mirko Žarić 184 Miroslav Prstojević 406, 491 Miroslav Timotijević 276 Mišo Todović 505, 527 Mladen Lučić 386 Mladen Markač 365 Mladen Smrekar 243, 268 Momčilo Krajišnik 397, 469, 658 Momir Lečić 88 M. Pešić 255 Muhamed Hamidović 466, 470 Muhamed Shukriu 199 Muharem Omerdić 486-490 Mujaga Komadina 442 Mula Jusuf 63 Mušan „Caco“ Topalović 229 Mustafa Cerić 409, 410, 412 Mustafa Spahić 488 Mustafa Zulić 229 Nada Popović-Perisić 516 Nadira Avdić-Vllasi 182-184, 186 Nafis Lokvica 178-180 Naim Frashëri 114 Nataša Fauveau-Ivanović 456 Nataša Golob 370-372 Nataša Kandić 647, 648 Nebošja Čović 564, 606 Nebošja Glišić 285 Nenad Stefanov 171, 195 Nedjeljko Kujundžić 251, 279 Nijazija Koštović 491 Nikola Altomanović 199 Nikola Dobrović 51, 643 Nikola Koljević 455 Nikola Živković 102, 110 Nikolaus Thon 577-578
Nives Matijević 248 Noel Malcolm 45, 81, 108, 154, 647 Norbert Huse 33 Norbert Krebs 81 Norman M. Naimark 401, 402 Oliver Jens Schmitt 170 Olivera Rokvić 356, 358 Orhan Pamuk 597 Paja Jovanović 73, 75 Pål Kolstø 107 Pantelija (Panta) Srećković 71, 206, 207 Patriarch Pavle (Gojko Stojčević) 170, 184, 215, 328, 331, 379, 522, 559, 563, 614, 615, 632 Paul Celan 280 Paul Claudel 252 Paul Clemen 24, 254 Paul Harris 459 Paul Mojzes 583 Pavle Jevremović 539 Pavle Karađorđević 95 Pavle Strugar 220, 221, 273 Pero Sudar 482 Petar I. Karađorđević 50, 73, 92 Petar II. Karađorđević 92, 95 Petar Kostić 204, 214 Petar Poljanić 418 Peter G. Stone 386 Peter Kessler 422 Peter Münch 503 Petrit Selimi 540, 585, 588 Petro Sudar 479 P. Lazarević 255 Predrag Matvejević 656 Prinz Otto von Bayern 64 Radomir Begenesić 356 Radomir Stanić 262, 276 Radoslav Grujić 194, 195, 200, 201, 203, 204, 214 Radovan Ivančević 253, 254, 310, 311, 373, 389 Radovan Karadžić 222, 396, 398, 455, 469, 474, 658 Radovan Samardžić 254
714 | Anhang Ramiz „Ćelo“ Delalić 229 Raphael Lemkin 350 Rastko Nemanjić 562 Ratko Mladić 222, 228, 237, 469, 659 Ratko Perić 480, 655 Reinhard Heydenreuter 64 Renate Schostack 297 Rino Belan 655 Robert Bevan 297, 627 Robert E. Child 429, 457 Robert Elsie 138, 315, 372, 502, 540, 585, 588, 590, 598, 616, 617 Robert Layton 386 Rob Pickard 604-606 Roger Shrimplin 327, 429, 439 Rok Voglič 295 Ronald Behrendt 595 Rudolf Birkholz 595 Rudolf Grulich 119 Rudolf Lubinski 103 Rupert Wolfe Murray 491 Rusmir Mahmutćehajić 143-145 Ruth Ellen Gruber 105 Ruža Marić 263, 356, 366 Sabine von Schorlemer 26-28 Sabira Husedžinović 83, 145, 461, 492 Sabri Bajgora 540, 585, 586, 588–590, 598, 603 Sabrina P. Ramet 108, 125, 126, 154, 277, 298, 646 Sali Shoshi 633 Salvatore Settis 596 Sami Frashëri 114-117 Samuel von Pufendorf 21 Sara Berger 98 Šaša Štern 280 Sava Janjić 519-521, 523, 561, 609, 610, 647 Sejdalija Mustafić 453 Senol Alit 496 Sharman Kadish 105 Siegfried Jäger 35, 38, 331 Siegfried Wagner 250 Sima Avramović 573, 574
Sima A. Igumanov 206 Simo Drljača 474 Simon Jenkins 575–576, 577 Sinan Pascha 196, 204, 205, 206, 208, 584 Slavenka Drakulić 597, 648 Slavko Goldstein 45 Slobodan Ćurčić 578-580, 607 Slobodan Kljakić 258, 260 Slobodan Kostić 183 Slobodan Kudra 84, 125, 146, 491 Slobodan Mileusnić 328-334, 341, 379-381, 465, 484-485, 505, 558, 561 Slobodan Milošević 167, 173-178, 180, 190, 219, 222, 275, 281, 469, 510, 516, 520, 595, 646, 649, 657 Slobodan Nenadović 194, 195, 197, 198, 200, 202, 203, 204, 205, 214, 584 Slobodan Praljak 221, 445, 448 Sofi Sinan paša 200 Spasoje Krunić 184, 524 Spiridion Gopčević 80 Srdjan Jovanovic Weiss 643-645 Stanko Mandić 142 Stefan Feller 550, 557 Stefan Metohijac 509, 510 Stefan Nemanja 44 Stefan Stratimirović 75 Stefan Uroš II. Milutin 135 Stefan Uroš III. „Dečanski“ 204 Stefan Uroš IV. Dušan 44, 192–195, 202, 204, 206, 496 Stefan Willer 23, 29 Stella Alexander 126 Stephen Kinzer 416, 417 Steven Erlanger 503 Steven Gorden 491 St. Novaković 199 Stjepan (Stipe) Mesić 217, 317 Stojan Kostić 500 Stojan Župljanin 469 Suad Ahmetović 268, 273 Sultan Bayasid I. 136
Personenregister | 715
Sultan Mahmud II. 70 Sultan Murad I. 72, 176 Sultan Orhan 42 Sultan Selim III. 63 Sultan Suleiman I. 78 Suraiya Faroqhi 81 Susan Sontag 34, 597 Svetislav Vučenović 138, 142 Svetlana Pejić 527 Svetlana Rakić 492 Svetozar Đurović 223, 224 Tea Benčić Rimay 97 Terje Lund 353 Thomas Bremer 119, 578 Tilman Zülch 595 Todor Kuljić 284, 285 Tomislav Matanović 471 Tomo Vukšić 480 Ugo Bergamo 293 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf 251 Uroš Predić 74 Ursula Meissner 491 Valentin Ćorić 445 Valentino Pace 580-581, 584 Vasa Čubrilović 76, 82, 113 Vasilije Marković 196, 199, 214 Vatroslav Kuliš 280 Veljko Kadijević 221, 275, 281 Vera Gamulin 292 Vesna Kusin 262, 265, 268, 269, 270, 278, 280, 286, 287, 389 Veton Surroi 555, 653 Vidosava Nedomački 46, 98, 99, 103 Vinko Pulić 478 Viktor Meier 295, 296, 417 Vjekoslav Klaić 308 Vjekoslav Perica 124, 126 Vojislav Koštunica 563 Vojin Stojić 150 Vojin V. Ančić 572 Vojislav Šešelj 222, 227, 234, 469, 520, 521 Volker Krämer 496 Vladimir Dedijer 172
Vladimir Kulić 643 Vladimir Stanković 282 Vuk Stefanović Karadžić 67- 72, 89, 90, 113 Wilhelm Röntgen 250 Wladimir Fischer 70 Wladyslaw Stepniak 603-604 Wolf Oschlies 583 Wolfgang Höpken 113, 161 Yuli Kvitsinsky 583 Ymer Paçarizi 208 Žarko Paić 280 Zdenka Buljan 358 Zdenko Kalin 149, 150, 151 Željko „Arkan“ Raznatović 221, 222, 227, 228, 398, 658 Željko Bukša 244 Željko Peratović 248 Željko Soldo 352, 355 Zejnel Zejneli 184, 186 Živadin Jovanonić 513 Zoran Terzić 62, 298, 404, 492