Archive in Kroatien: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas 3791733389, 9783791733388


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Table of contents :
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Titel
IMPRESSUM
INHALT
Editorial
WISSENSCHAFT
Archive in Kroatien
Einleitung
Archival Sources in the Croatian State Archives related to the Research of the Holocaust
Deutschsprachige Quellen im Staatsarchiv in Zagreb bis zum Jahr 1945
Archivalisches Erbe der Universität Zagreb
Projekt der Digitalisierung deutschsprachiger Zeitungen – Die Drau und Slavonische Presse
Historische Quellen zur deutschen Sprache im Schulwesen der Stadt Esseg/Osijek im Staatsarchiv Osijek und im Museum Slawoniens Osijek
Archival Material in German in the State Archives in Pazin
Historische Quellen zur Erforschung der Habsburger- monarchie in Dalmatien aus dem Staatsarchiv Zadar
Quelle
Deutschsprachige jüdische Zeitungen in Novi Sad, 1921–1941
Aufsätze
Geschichte – historische Wahrnehmung – Historiografie. Zur Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit der ersten westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen
Liviu Rebreanu und das Dritte Reich
Projektwerkstatt
Erzählen von Hamroth. Zugehörigkeitskonzepte bei Kindern von (Spät-)Aussiedler:innen
Rezensionen
Ingeborg Geyer, Barbara Piringer (Hgg.): Sprachinseln und Sprachinselforschung heute
Arne Karsten: Der Untergang der Welt von gestern. Wien und die k. u. k. Monarchie 1911–1919
Norbert Mappes-Niediek: Europas geteilter Himmel. Warum der Westen den Osten nicht versteht
Hellmut Seiler (Hg.): Schwebebrücken aus Papier. Anthologie rumänischer Lyrik der Gegenwart
Aurelia Merlan, Joshua Ludwig (Hgg.): Rumänische Lyrik. Von der Romantik bis zur Gegenwart. Eine Anthologie. Rumänisch/Deutsch
Stefan Sienerth: Bespitzelt und bedrängt – verhaftet und verstrickt. Rumäniendeutsche Schriftsteller und Geisteswissenschaftler im Blickfeld der Securitate. Studien und Aufsätze
LITERATUR
Die Brücke
Mehr Licht!
Zwei Erzählungen
Rumänische Büffel. Zu Paul Celans »Coagula«
Gedichte
Gedichte
Gedichte
Rolf-Bossert-Gedächtnispreis 2022
Rolf Bossert zum 70.
FEUILLETON
Aspekte
Gedenken in Neapel – die sizilianische Königin Maria von Ungarn
Europäische Kulturhauptstadt Neusatz/Novi Sad
Die Razzia in der Šajkaška und in Novi Sad 1942
Personalia
Horst Glassl (1934–2022)
Georg Wildmann (1929–2022)
Karl Kaser / Horst Förster
»Was bleibet, das stiften die Dichter«. Der Literaturwissenschaftler Walter Engel wurde 80 / Ein halbes Jahrhundert im Ost-West-Dialog
Besprechungen
Cvetka Lipuš: Komm, schnüren wir die Knochen
Catalin Dorian Florescu: Der Feuerturm
Franz Hodjak: Was nie wieder kommt
Ioana Pârvulescu: Wo die Hunde in drei Sprachen bellen
Ilma Rakusa: Kein Tag ohne
Horst Samson: Der Tod ist noch am Leben
FORUM
Aus dem IKGS
Weitere Veröffentlichungen
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Archive in Kroatien: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas
 3791733389, 9783791733388

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Spiegelungen ZEITSCHRIFT FüR DEuTSCHE KulTuR unD GESCHICHTE SüDoSTEuRopaS HEFT 2.2022 JaHRGanG 17

archive in Kroatien

Herausgegeben von Florian Kührer-Wielach unter Mitwirkung von Enikő Dácz, Angela Ilić und Tobias Weger im Auftrag des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München Redaktion: Georg Aescht (Literatur), Enikő Dácz (Ressortleitung Literatur), Ralf Grabuschnig, Klaus Hübner, Angela Ilić (Ressortleitung Kultur), Florian Kührer-Wielach, Doris Roth (Rezensionen), Tobias Weger (verantwortlicher Redakteur, Ressortleitung Wissenschaft), Lektorat: Markus Winkler Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Lilia Antipow, Dr. habil. Mathias Beer, Prof. Dr. Andrei Corbea-Hoișie, Prof. Dr. Elisabeth Knipf-Komlósi, Dr. Oxana Matiychuk, PD Dr. Aurelia Merlan, Prof. Dr. Maren Röger, Dr. Harald Roth, Prof. Dr. Irena Samide

VERlaG FRIEDRICH puSTET

Die Zeitschrift Spiegelungen setzt die Südostdeutschen Vierteljahresblätter (1952 – 2005) fort. Gefördert von:

Abbildung vordere Umschlagseite: Fürst Auersperg verkauft die Grafschaft Pazin an die Innerösterreichische [Hof]kammer. Staatsarchiv in Pazin, HR-DAPA-12 Fürstentum Pazin [1539] 1571/1848 [1849/1937], 2.1. Besitz der Grafschaft Pazin 1660/1767, 2.1.1.1.3., fol. 6r, 1701, Box 34. Die wissenschaftlichen Beiträge von Adinel C. Dincă und Daniela Laube wurden im Rahmen eines doppelblinden Peer-Review-Verfahrens nach internationalen Standards begutachtet.

ImpRESSum Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Verlag Friedrich Pustet, Regensburg Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Die namentlich gezeichneten Beiträge geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder. Redaktion »Spiegelungen« Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München Halskestraße 15, D-81379 München Telefon: +49 (0) 89 780609-0, Fax: +49 (0) 89 780609-22 Zusendungen an die Redaktion werden erbeten an: [email protected] Redaktionshinweise auf www.ikgs.de Für unverlangt eingegangene Manuskripte wird keine Haftung übernommen. ISSN 1862-4995 ISBN 978-3-7917-3338-8 Diese Publikation ist auch als E-Book erhältlich eISBN 978-3-7917-7401-5 (pdf ) Bestellung, Vertrieb und Abonnentenverwaltung: Verlag Friedrich Pustet, Regensburg Gutenbergstraße 8, D-93051 Regensburg Tel. +49 (0) 941 92022-0, Fax +49 (0) 941 92022-330 [email protected] www.verlag-pustet.de Preis des Einzelheftes: € 17,– zuzüglich Porto- und Versandkosten; E-Book (pdf ) € 12,99 Jahresbezug: € 28,– zuzüglich Porto- und Versandkosten; E-Journal (pdf ) € 21,– Bankverbindung: Verlag Friedrich Pustet, Sparkasse Regensburg, IBAN DE37 7505 0000 0000 0002 08, BIC BYLADEM1RBG Kündigung des Jahresabonnements nur schriftlich bis 1.10. zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres. Umschlaggestaltung & Layout: www.martinveicht.de Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany 2022

InHalT

Editorial

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WISSEnSCHaFT Archive in Kroatien AngelA IlIć: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RAjkA BućIn: Archival Sources in the Croatian State Archives related to the Research of the Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . kAtARInA HoRvAt: Deutschsprachige Quellen im Staatsarchiv in Zagreb bis zum Jahr 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vlAtkA lemIć: Archivalisches Erbe der Universität Zagreb . . . . . . . . . . . tIHomIR engleR, tHomAs möBIus: Projekt der Digitalisierung deutschsprachiger Zeitungen – Die Drau und Slavonische Presse . . . . . . . . . . . ljuBIcA koRdIć: Historische Quellen zur deutschen Sprache im Schulwesen der Stadt Esseg/Osijek im Staatsarchiv Osijek und im Museum Slawoniens Osijek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . mAjA mIlovAn: Archival Material in German in the State Archives in Pazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . AnkIcA stRmotA, duBRAvkA kolIć: Historische Quellen zur Erforschung der Habsburgermonarchie in Dalmatien aus dem Staatsarchiv Zadar . . . . Quelle cARl BetHke: Aufsätze AdInel c. dIncă: dAnIelA lAuBe: SpiEgElungEn 2.22

11 15 29 43 53 65 77 83

Deutschsprachige jüdische Zeitungen in Novi Sad, 1921–1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Geschichte – historische Wahrnehmung – Historiografie. Zur Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit der ersten westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen . . . 115 Liviu Rebreanu und das Dritte Reich . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Projektwerkstatt BIAncA Hepp:

Erzählen von Hamroth. Zugehörigkeitskonzepte bei Kindern von (Spät-)Aussiedler:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Rezensionen Ingeborg Geyer, Barbara Piringer (Hgg.): Sprachinseln und Sprachinselforschung heute (Adelheid Manz) / Arne Karsten: Der Untergang der Welt von gestern. Wien und die k. u. k. Monarchie 1911–1919 (Konrad Gündisch) / Norbert Mappes-Niediek: Europas geteilter Himmel. Warum der Westen den Osten nicht versteht (Georg Aescht) / Hellmut Seiler (Hg.): Schwebebrücken aus Papier. Anthologie rumänischer Lyrik der Gegenwart; Aurelia Merlan, Joshua Ludwig (Hgg.): Rumänische Lyrik. Von der Romantik bis zur Gegenwart. Eine Anthologie. Rumänisch/Deutsch (Ingrid Baltag) / Stefan Sienerth: Bespitzelt und bedrängt – verhaftet und verstrickt. Rumäniendeutsche Schriftsteller und Geisteswissenschaftler im Blickfeld der Securitate. Studien und Aufsätze (Ingeborg Szöllösi)

lITERaTuR Kornelija Čilić: Die Brücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kaltërina Latifi: Mehr Licht! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Noémi Kiss: Zwei Erzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexandru Bulucz: Rumänische Büffel. Zu Paul Celans »Coagula« . . . . . . . . . . . Franz Hodjak: Gedichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edith Ottschofski: Gedichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traian Pop: Gedichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bastian Kienitz: Rolf-Bossert-Gedächtnispreis 2022 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Gündisch: Rolf Bossert zum 70. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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FEuIllETon Aspekte RenAtA sAkoHoess:

Gedenken in Neapel – die sizilianische Königin Maria von Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Europäische Kulturhauptstadt Neusatz/Novi Sad ZoRAn jAnjetovIć: Die Razzia in der Šajkaška und in Novi Sad 1942 . . . . . . 237

SpiEgElungEn 2.22

Personalia HARAld RotH: mARIA k. ZugmAnn-WeBeR: RedAktIonsnotIZen: BAltHAsAR WAItZ:

Horst Glassl (1934–2022) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Georg Wildmann (1929–2022) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Karl Kaser / Horst Förster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 »Was bleibet, das stiften die Dichter«. Der Literaturwissenschaftler Walter Engel wurde 80 / Ein halbes Jahrhundert im Ost-West-Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Besprechungen Cvetka Lipuš: Komm, schnüren wir die Knochen (Vesna Kondrič Horvat) / Catalin Dorian Florescu: Der Feuerturm (Klaus Hübner) / Franz Hodjak: Was nie wieder kommt (Alexandru Bulucz) / Ioana Pârvulescu: Wo die Hunde in drei Sprachen bellen (Enikő Dácz) / Ilma Rakusa: Kein Tag ohne (Klaus Hübner) / Horst Samson: Der Tod ist noch am Leben (Raluca Cernahoschi)

FORuM Aus dem iKgS

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

Editorial Archive fungieren als kulturelle Depots, in denen Schriftgut, Artefakte und inzwischen auch digitale Medien nach einer eingehenden Sichtung und Auswahl aufbewahrt werden, um sie der Nachwelt zu erhalten. Bei Bedarf können diese abgelegten Dokumente wieder hervorgeholt werden, wenn sie entweder für administrative oder juristische Belange erneut relevant werden oder für die Rekonstruktion historischer Sachverhalte oder Zusammenhänge ausgewertet werden. Archive verkörpern damit jene Kategorie der Erinnerung, die Aleida Assmann in mehreren theoretischen Abhandlungen als »Speichergedächtnis« bezeichnet hat – eine Art Container, aus dem jederzeit bestimmte Elemente in die zweite Erinnerungsebene, das sozial virulente »Funktionsgedächtnis« übertragen werden können. Für die Erforschung deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa sind Archive in jenen Regionen ganz besonders bedeutsam, wo infolge der Migrationsprozesse im 20.  Jahrhundert keine Deutschen mehr physisch präsent sind. Der Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe der Spiegelungen ist Archiven in der Republik Kroatien gewidmet. Kroatien – seit 2013 Mitglied der Europäischen Union – weist zahlreiche deutsche Bezüge kultureller und sprachlicher Art auf, deren Überlieferungen heute vor allem in Archiven und Bibliotheken konserviert werden. Diesen Hinterlassenschaften, ihrer Geschichte und ihrer Aufbereitung gehen die einzelnen Beiträge exemplarisch nach. Es geht um einschlägige Schriftgutbestände in diversen Archiven und historische Zeitungsausgaben, die zum Teil bereits in digitalisierter Form online für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Unsere Kollegin Angela Ilić hat diesen Schwerpunkt, der einen bisher fehlenden Überblick bietet, betreut und führt selbst in diese Rubrik ein. Wir hoffen, künftig auch weitere Bestandsübersichten veröffentlichen und damit auf bisher vernachlässigte, oder nur wenigen Fachleuten bekannte Forschungsmöglichkeiten zu Fragen deutscher Kultur und Geschichte in Südosteuropa aufmerksam machen zu können. Den wissenschaftlichen Schwerpunktbereich dieser Ausgabe ergänzen eine Quellenvorstellung, zwei umfangreiche Aufsätze und eine Projektskizze. Ein Exkurs führt in Kroatiens Nachbarland Serbien, bleibt aber beim Thema deutschsprachiger Quellen: Mit deutschsprachigen jüdischen Zeitungen, die in der aktuellen Europäischen Kulturhauptstadt Neusatz (sr. Novi Sad, ung. Újvidék) zwischen 1921 und 1941 erschienen sind, macht uns der Südosteuropa-Historiker Carl Bethke vertraut. Diese Presseerzeugnisse reflektieren ein unwiederbringlich verloren gegangenes kulturelles Milieu in der multiethnischen Stadt an der Donau. Mit dem nächsten Beitrag verlasSpiEgElungEn 2.22

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EditORial

sen wir den postjugoslawischen Raum und begeben uns nach Siebenbürgen und auf eine Art Zeitreise, in das Spannungsfeld lange zurückliegender Jahrhunderte und ihrer Aneignung in der Neuzeit. Adinel C. Dincă hebt auf eine multiperspektivische Betrachtung der ganzen Bandbreite zur Verfügung stehender Quellen ab. Der Autor regt dazu an, historische Mythen und eingefahrene Stereotypen in Bezug auf die frühe Siedlungsgeschichte der Siebenbürger Sachsen auf den Prüfstand zu stellen. Mit einem Kapitel kulturpolitischer Verflechtungen im 20.  Jahrhundert setzt sich Daniela Laube auseinander, und auch ihr Aufsatz führt uns die Relevanz von Archivstudien vor Augen: Anhand bisher noch nicht ausgewerteter Quellen präsentiert sie einerseits die Rezeption, andererseits die Deutschland-Aktivitäten des rumänischen Schriftstellers Liviu Rebreanu in der Zeit des Dritten Reichs. Die Nachwuchs-Ethnologin Bianca Hepp schließlich stellt ihr aktuelles Forschungsprojekt zu Zugehörigkeitskonzepten bei Nachkommen von (Spät-)Aussiedlern aus dem sathmarschwäbischen Ort Hamroth (rum. Homorodu de Jos, ung. Homoród) vor. In ihrem Text klingt bereits der Schwerpunkt der Spiegelungen-Ausgabe 1.23 zum Thema »Kind und Gesellschaft« an. Im literarischen Teil kommen neue und der Leserschaft bereits vertraute Stimmen zu Wort: Zu den ersteren gehören die kroatische Publizistin, Autorin beziehungsweise Filmemacherin Kornelija Čilić, die auch als politische Aktivistin bekannt ist, und die im Kosovo geborene, in Deutschland aufgewachsene und in England lebende Publizistin sowie Literaturwissenschaftlerin Kaltërina Latifi. Der Gewinner des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises 2022, Bastian Kienitz, ist ebenso zum ersten Mal in den Spiegelungen vertreten. Seine Gedichte sind intermediale Dialoge, auf die er in seiner Dankesrede bei der Preisverleihung einging. Die unserer Leserschaft bereits gut bekannte ungarische Schriftstellerin Noémi Kiss ist mit zwei Erzählungen aus ihrem gerade auf Ungarisch erschienen Donau-Band vertreten. Der bei dem diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnete Alexandru Bulucz knüpft lyrisch an Paul Celans alchimistische Formel solve et coagula an, während Franz Hodjak einen Einblick in seinen für 2023 geplanten neuen Band Im Ballsaal des Universums gewährt. Im diesmal etwas ausführlicheren lyrischen Teil finden Sie ferner Gedichte von Edith Ottschofski und Traian Pop. Rolf Bossert wäre dieses Jahr siebzig geworden, an ihn erinnern wir nicht nur mit den Texten von Bastian Kienitz, sondern auch mit den Notizen der Schriftstellerin Karin Gündisch aus dem Jahr 1984, in denen sie Gespräche mit Rolf Bossert über die Frage der Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland festgehalten hat. Der ebenso von ihr zur Verfügung gestellte Brief Bosserts vom Februar 1985 ergänzt die persönlichen Erinnerungen. Im Feuilleton sucht Renata SakoHoess das prachtvolle gotische Grabmal der 1323 verstorbenen Königin Maria von Ungarn in Neapel auf und thematisiert dabei die mittelalterlichen Beziehungen zwischen den Dynastien Anjou und Árpád. Zoran Janjetović widmet sich hingegen einem tragischen Kapitel europäischer Zeitgeschichte im zweiten Beitrag zur Europäischen Kulturhauptstadt des Jahres 2022: Er erinnert an die Razzien in Novi Sad und in der südöstlichen Batschka in der Zeit der ungarischen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Vor achtzig Jahren, 1942, fielen diesen Gewaltmaßnahmen zahlreiche Juden und Serben zum Opfer. Die Zusammenstellung »Aus dem IKGS« gibt Ihnen einen Überblick über die Vorträge, Projekte, Lehrtätigkeiten und Veröffentlichungen der Institutsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter im abgelaufenen halben Jahr. 8

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EditORial

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) hat in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt (AA) das »Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine« auf den Weg gebracht. Baudenkmäler, Kunststätten, Archive und Bibliotheken, die akut von Kriegszerstörungen bedroht sind, sollen damit geschützt werden. Hier lässt sich erneut ein Bezug zu unserem Schwerpunktthema herstellen, zeigt doch der aktuelle Krieg, wie fragil Kulturgut in Krisenzeiten ist. Hinweise in einigen der Beiträge auf Zerstörungen während der zahlreichen Kriege des 20. Jahrhunderts, aber auch infolge von Naturkatastrophen wie Erdbeben, verdeutlichen diese Gefährdungssituation. Konkret engagiert sich das IKGS in diesem Bereich mit der Durchführung eines Drittmittelprojektes, in dessen Rahmen der Hauptgebäudekomplex der Nationale Jurij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz (ukr. Чернівці, rum. Cernăuți), die ehemalige Residenz des orthodoxen Metropoliten für die Bukowina und Dalmatien und seit 2011 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes, professionell digital erfasst und dokumentiert wird. Darüber hinaus können ihm Rahmen des Projektes drei Museen in der Region mit Material zur Sicherung der Ausstellungsobjekte ausgestattet werden. In der Ukraine herrscht weiter Krieg, just auch in dem Augenblick, in dem Sie dieses Editorial lesen. Ein Ende der zerstörerischen Auseinandersetzung scheint noch immer in weiter Ferne zu liegen. Die anhaltenden Angriffe der russischen Streitkräfte auf die zivile Infrastruktur des Nachbarlandes, durch welche die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser, Strom und Energie beeinträchtigt wird, verschlimmert die allgemeine Situation, gerade in der kalten Jahreszeit. Das IKGS unterstützt im Rahmen seiner Spendenaktion »Bukowinahilfe« (nähere Informationen dazu unter: www.ikgs.de/bukowinahilfe) nach wie vor seine ukrainische Partnerorganisation, das Zentrum Gedankendach an der Nationalen Jurij-Fedkowitsch-Universität in Czernowitz. Dort wird besonders Binnenflüchtlingen geholfen, die aus der heftig umkämpften Ostukraine kommen und in der frontfernen Bukowina, unweit der Grenze zu Rumänien, Zuflucht gesucht haben. Das IKGS bedankt sich bei allen Spenderinnen und Spendern, die bis jetzt zum Gelingen der Hilfsaktion beigetragen haben. In Anbetracht der anhaltend prekären Situation vor Ort sind wir und unsere Kolleginnen und Kollegen vom Zentrum Gedankendach nach wie vor für jede kleine und große Spende dankbar. Eine anregende und zugleich unterhaltsame Lektüre wünscht Ihnen Ihre Spiegelungen-Redaktion

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WISSEnSCHaFT

Einleitung Der Themenschwerpunkt des vorliegenden Heftes widmet sich der Vorstellung ausgewählter Archivbestände, Sammlungen und Digitalisierungs- sowie Forschungsprojekte in Kroatien mit deutschem Bezug. Damit möchte die Redaktion der Spiegelungen Aufmerksamkeit auf die Rolle der Archive für die Aufbewahrung des schriftlichen Kulturerbes in Kroatien lenken, besonders in jenen Regionen und Städten, die historisch multikulturell und mehrsprachig geprägt waren. In diesem Sinne dient das aktuelle Heft als Fortsetzung der Ausgaben 1/2018 und 2/2018 zu »Archiven in Rumänien I und II«, die sich der Darstellung von Archivmaterial mit deutschem Bezug in Archiven und Sammlungen sowie im Rahmen von laufenden Erschließungs-, Konservierungs- und Forschungsprojekten in Rumänien gewidmet haben. Auch auf der vom Ikgs gemeinsam mit dem Staatsarchiv Pazin und der JurajDobrila-Universität in Pola (kr. Pula, sl. Pulj) im Oktober 2019 im istrischen Mitterburg (kr. Pazin, it. Pisino) veranstalteten internationalen Tagung »Writing History in Multicultural Regions of Southeastern Europe. The Role of Special Libraries and Archives« stand das Thema der Aufbewahrung von schriftlichem und materiellem Archivgut in sprachlich-kulturell gemischten Gegenden im Mittelpunkt. Ausgewählte Beiträge der Konferenz, die sich unter anderem auf Istrien, Rijeka (dt. hist. St. Veit am Pflaum, it. Fiume) und Südtirol (it. Alto Adige) beziehen, wurden im Jahrbuch Vjesnik istarskog arhiva [Bote des Istrischen Archivs] veröffentlicht und sind auch online verfügbar.1 Zahlreiche Regionen, die heute die Republik Kroatien bilden, kamen durch ihre bewegte und oft turbulente Geschichte in Berührung mit der deutschen Sprache und Kultur. Die vielfältigen deutschsprachigen schriftlichen Spuren in den Archiven und Bibliotheken Kroatiens reichen vom habsburgischen Erbe in Dalmatien, Istrien und im (ehemals österreichischen) Küstenland über die deutsche Besatzung verschiedener Gebiete während des Zweiten Weltkriegs bis zu den Donauschwaben, die überwiegend in Slawonien (kr. Slavonija, ung. Szlavónia), (Süd-)Baranja (ung. Baranya) und Syrmien (kr. Srijem, ung. Szerémség) lebten. Deutsche Kultur und Sprache beeinflussten zahlreiche Bereiche des Lebens in Kroatien, darunter das Schulsystem und Bildung, Musik und Theater, Wissenschaft und Architektur. Auch in den Archivbeständen von Religionsgemeinschaften befin1

Vjesnik istarskog arhiva [Bote des Istrischen Archivs] 28 (2021), S. 139–228. Die – mehrheitlich kroatischsprachigen – Texte, mit jeweils auch englischer und italienischer Zusammenfassung, sind auf dem kroatischen wissenschaftlichen Portal hrčak verfügbar: (18.7.2022).

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thEMa: aRchivE in KROatiEn

den sich zahlreiche Dokumente in deutscher Sprache.2 Im Rahmen einer großangelegten Maßnahme wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Matrikelbücher in Kroatien fotografiert und digital zugänglich gemacht.3 In der Zwischenkriegszeit lebten ungefähr 500.000 Deutsche im Königreich Jugoslawien, knapp 100.000 von ihnen auf dem Boden der heutigen Republik Kroatien. Durch Flucht, Internierung, Ermordungen und Zwangsassimilation sank ihre Zahl bis zum Jahr 1948 (laut den Ergebnissen der Volkszählung) auf 10.000. Im sozialistischen jugoslawischen Staat war bekannterweise alles, was die (ehemaligen) deutschsprachigen Einwohner des Landes betraf, jahrzehntelang ein öffentliches Tabuthema. Es überrascht nicht, dass ihre Geschichte stark untererforscht und unbekannt geblieben ist. Einen großen Verdienst bei der kritischen Aufarbeitung dieses früheren Tabuthemas hatten in den letzten Jahrzehnten vor allem Schriftsteller. Slobodan Šnajder und Miljenko Jergović gehören zu den Autoren, die das Schicksal der deutschen oder deutschsprachigen Einwohner Kroatiens beziehungsweise Jugoslawiens in ihren Werken – vor allem aus autobiografischer Perspektive – thematisiert haben, und deren Namen auch der deutschsprachigen Leserschaft bekannt sind.4 Auch in der Wissenschaft gibt es in jüngster Zeit vermehrt Projekte, Veröffentlichungsreihen und Einzelveröffentlichungen,5 die sich unter anderem der deutschsprachigen Kulturproduktion und dem Zeitungswesen oder den kroatisch-deutschen Verbindungen widmen.6 Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle die Werke Vladimir Geigers, der sich seit den 1990er-Jahren der Erforschung der Geschichte der deutschen Minderheit in Kroatien widmet. In den vergangenen Jahren wurden auch vereinzelt Beiträge veröffentlicht, die sich Archiv- beziehungsweise Bibliothekssammlungen deutschsprachiger Quellen widmen: Von diesen sind vor allem die Werke von Bruno Dobrić, des langjährigen Leiters

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Vgl. z. B. Dražen Kušen: Arhivi vjerskih zajednica u sjevernoj Hrvatskoj. Razvoj, tipologija, sadržajni značaj [Archive der Religionsgemeinschaften in Nordkroatien. Entwicklung, Typologie, inhaltliche Bedeutung]. Osijek 2018. Die Bestände sind auf der Webseite von Family Search zu finden, die von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage betrieben wird: , 28.9.2022. Auf dem Internetportal für Kirchenbücher, Matricula, gibt es zurzeit noch keine Beiträge aus Kroatien: 28.9.2022. Eine Liste von Kirchenbücher-Beständen in ausgewählten staatlichen Archiven in Kroatien befindet sich im Entstehen auf Arhinet, , (5.10.2022). Šnajders thematisch einschlägiger Roman Doba mjedi (Zagreb 2015) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die deutsche Übersetzung, Reparatur der Welt, erschien 2019 in Wien. Von Jergovićs Werken wurden bis dato elf ins Deutsche übersetzt; besonders relevant hier ist der Roman Rod (Zagreb 2013), der unter dem Titel Die unerhörte Geschichte meiner Familie 2017 in Frankfurt am Main in deutscher Sprache erschien. Vgl. z. B. Thomas Möbius, Tihomir Engler (Hgg.): Zwischen Assimilation und Autonomie. Neuere Forschungsaspekte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Minderheit in Kroatien. Berlin 2019; Ivana Jozić et al. (Hgg.): Aspekte kultureller Identität. Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Minderheit in Kroatien. Berlin 2019; Carl Bethke: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina 1918–1941. Identitätsentwürfe und ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden 2009; ders.: (K)eine gemeinsame Sprache? Aspekte deutsch-jüdischer Beziehungsgeschichte in Kroatien. Vom Zusammenleben zum Holocaust, 1900–1950. Berlin 2013; Goran Beus Richembergh: Deutsche in Zagreb und Umgebung durch die Jahrhunderte. Essays und Notizen zu vergangenen Zeiten und vergessenen Menschen / Nijemci u Zagrebu i okolici kroz stoljeća. Eseji i bilješke o prošlim vremenima i zaboravljenim ljudima. Zagreb, Sarajevo 2021. Zu diesen Entwicklungen vgl. Zoran Janjetović: Jugoslawiendeutsche in den post-jugoslawischen Historiografien und der Öffentlichkeit. In: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas 16 (2021) H. 2, S. 215–218.

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ilić: EinlEitung

der Universitätsbibliothek in Pola,7, zu der auch die k. u. k. Marinebibliothek gehört,8 hervorzuheben. Auch in der Rubrik »Europäische Kulturhauptstädte« im Heft 1/2022 der Spiegelungen erschien ein einschlägiger Aufsatz zu den im Staatsarchiv Rijeka aufbewahrten und zum Teil auf Deutsch geführten Matrikelbüchern.9 Trotzdem mangelt es weiterhin an überblickartigen und transregionalen Studien. Eine allumfassende Darstellung der in Kroatien aufbewahrten einschlägigen Archivbestände ist im vorliegenden Heft aus zahlreichen Gründen nicht möglich. Neben den Einschränkungen des Mediums muss auch auf die Tatsache hingewiesen werden, dass – anders als in Rumänien –, die überwiegende Mehrheit der deutschsprachigen Bürger das Land bereits im Zuge des Zweiten Weltkriegs oder unmittelbar danach verlassen hat. Ihre Nachkommen leben in der Regel nicht in Kroatien, und sie haben in den meisten Fällen keine Anbindung an die einstige Heimat ihrer Vorfahren. Dadurch werden das materielle und immaterielle Erbe der Deutschen und Deutschsprachigen in der kroatischen Öffentlichkeit vergleichsweise weniger sichtbar.10 Wertvolle Archivbestände  – vor allem in Slawonien  – sind in den vergangenen Jahrzehnten kriegerischen Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen: Archiv- und Bibliotheksbestände wurden im Zweiten Weltkrieg ebenso wie im Kroatienkrieg 1991–1995 beschädigt, geplündert oder zerstört. Auch vor Naturkatastrophen blieben die Archivbestände nicht verschont: Das Staatsarchiv in Zagreb ist bei den Erdbeben am 22. März 2020 (mit Epizentrum bei Zagreb) und am 29. Dezember 2020 (mit Epizentrum bei Petrinia in Zentralkroatien) stark beschädigt worden; ein Teil der Bestände musste vorübergehend verlagert werden. Das Erdbeben vom 29. Dezember 2020 brachte verheerende Schäden mit sich und beschädigte unter anderem auch die Gebäude des Staatsarchivs in Sissek (kr. Sisak) und des Sammlungsarchivzentrum in Petrinia (kr. Petrinja). Die betroffenen Archive mussten ihre Ressourcen dementsprechend deutlich intensiver auf die Konservierung der Bestände und die Sanierung der Gebäude konzentrieren. Der in zahlreichen Institutionen bereits herrschende Personalmangel spitzte sich durch die Corona-Pandemie noch weiter zu. Die verheerenden Schäden haben gleichzeitig die Notwendigkeit der Entwicklung einer umfassenden Digitalisierungsstrategie offenbart. Auch im vorliegenden Heft werden in mehreren Beiträgen ausgewählte Digitalisierungsprojekte und OnlineDatenbanken erwähnt und vorgestellt. Dazu gehören das kroatische nationale Archivinformationssystem Arhinet11 und die kroatischen Sammlungen auf dem in Österreich angesiedelten europaweiten interaktiven Online-Archivportal Topothek.12

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Vgl. u. a. Bruno Dobrić: Novine i časopisi na njemačkom jeziku u Istri (1871.–1918.) [Zeitungen und Zeitschriften in deutscher Sprache in Istrien, 1871–1918]. Pula 2016; ders.: Die deutschsprachige Presse in Pola (Pula), Abbazia (Opatija) und auf den Brionischen Inseln bis 1918. In: Aneta Stojić, Anita Pavić Pintarić (Hgg.): Kroatiens Küste im Lichte der Habsburgermonarchie. Wien 2017, S. 265–288. 8 Der historische Autorenkatalog der Marinebibliothek wurde digitalisiert und ist verfügbar unter , 21.9.2022. Mehr über die Bestände in der Marinebibliothek erfahren Sie unter , 22.9.2022. 9 Angela Ilić: Europäische Geschichte im Kleinen. Die Matrikelbücher der evangelischen Kirchengemeinde in Rijeka (1858–1957). In: Spiegelungen 17 (2022) H. 1, S. 63–78, online verfügbar unter , 27.7.2022. 10 Zu den Ausnahmen gehören, unter anderen, die Gemeinschaftsorganisationen der Deutschen in Zagreb, Osijek, Vukovar und Sirač, die die Interessen der deutschen (und österreichischen) Minderheit in der kroatischen Politik und Gesellschaft vertreten, wie ein Abgeordneter, der – neben weiteren Minderheiten – auch die deutsche Minderheit im kroatischen Parlament vertritt. 11 Arhinet, , 28.9.2022. 12 Topothek , 28.9.2022. SpiEgElungEn 2.22

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Trotz aller Einschränkungen wird im Folgenden eine geografisch, zeitlich und thematisch vielfältige Palette von Beständen mit deutschem Bezug präsentiert. Nicht ohne Grund stammen jeweils mehrere Beiträge aus Zagreb und Osijek: Die historischen Städte Agram und Esseg(g)/Essek bildeten  – und bilden im demografischen Sinne auch noch heute – wichtige Zentren deutscher Kultur in Kroatien. Im ersten Beitrag stellt Rajka Bućin die zum Teil deutschsprachigen Quellen im Kroatischen Staatsarchiv vor, die mit der Erforschung des Holocausts in Kroatien im Zusammenhang stehen und geht auch der Rolle verschiedener Institutionen des Dritten Reichs nach. Katarina Horvat führt die Leserschaft durch die zahlreichen und vielfältigen Quellen mit deutschem Bezug aus der Geschichte der kroatischen Hauptstadt im Staatsarchiv in Zagreb. Ebenfalls aus Zagreb berichtet Vlatka Lemić über das laufende Projekt der Errichtung und Erschließung eines institutionellen Archivs an der Universität Zagreb. Tihomir Engler ( Josip-Juraj-Strossmayer-Universität Osijek) und Thomas Möbius ( Justus-Liebig-Universität Gießen) stellen ihr gemeinsames Digitalisierungsprojekt ausgewählter historischer deutschsprachiger Zeitschriften aus Esseg vor. Ljubica Kordić von der Josip-Juraj-Strossmayer-Universität in Osijek widmet sich seit Jahren der Erforschung der Rolle der deutschen Sprache im Esseger Schulwesen.13 In ihrem Beitrag listet sie die wichtigsten Quellen zu diesem Thema im Staatsarchiv Osijek und im Museum Slawoniens auf. Aus dem ehemals habsburgischen Teil Istriens kommt der Beitrag von Maja Milovan, die die im Staatsarchiv Pazin aufbewahrten deutschsprachigen Quellen vorstellt. Auch die Region Dalmatien ist mit einem Beitrag vertreten: Den Aufsatz von Ankica Strmota und Dubravka Kolić zu den Beständen im Staatsarchiv Zadar, der 2017 im Sammelband Kroatiens Küste im Lichte der Habsburgermonarchie erschien, drucken wir mit freundlicher Erlaubnis der new academic press nach.14 An dieser Stelle möchte ich mich bei Dr. iur. Mirela Mrak Kliman, der Direktorin des Staatsarchivs Pazin und bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die mir bei der Vorbereitung dieses Themenschwerpunktes unterstützend zur Seite standen und auch das Titelbild des Heftes zur Verfügung stellten. Mein Dank gilt auch allen Autorinnen und Autoren, die sich Zeit genommen haben – häufig neben ihrer Vollzeitbeschäftigung –, meiner Anfrage nachzukommen und sich in ihren Beiträgen diesem Thema zu widmen. Ich hoffe, die Texte werden als Impuls für eine weitere Entdeckung des reichen und vielfältigen Kulturerbes Kroatiens dienen. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre! Angela Ilić

13 Ljubica Kordić: Njemački jezik u školstvu i javnom životu grada Osijeka kroz povijest [Die deutsche Sprache im Bildungswesen und öffentlichen Leben der Stadt Osijek im Wandel der Geschichte]. Osijek 2021. 14 Aneta Stojić, Anita Pavić Pintarić (Hgg.): Kroatiens Küste im Lichte der Habsburgermonarchie. Wien 2017.

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Archival Sources in the Croatian State Archives related to the Research of the Holocaust By Rajka Bućin

InTRoDuCTIon The Croatian State Archives (Hrvatski državni arhiv in Croatian, HR-HDA) in Zagreb is the central archival institution in Croatia and one of the most important ones for research on the Holocaust, since its mandate includes preserving the archives of the central and most important administrative, judicial, police and military bodies, as well as other institutions and organizations (cultural, economic or educational) active on the territory of Croatia and individuals or families whose activities are deemed important for national history. The period of World War Two (henceforth WWII) in Croatia, 1941–1945, is characterized by the existence of the Independent State of Croatia (Nezavisna Država Hrvatska, abbreviated to NDH in Croatian). It was proclaimed by Slavko Kvaternik, a member of the Ustaša movement on 10 April 1941 with the support of the Third Reich and Mussolini’s Italy. The head of state was poglavnik Ante Pavelić, who entered Croatia from Italy a few days later.1 Its territory was much larger than the Republic of Croatia today, including Bosnia and Herzegovina and all of Syrmia, which was divided after WWII between Croatia and Serbia. On the other hand, the territory of the NDH did not include some parts of the contemporary Croatian state which had been annexed by Italy and Hungary after World War I (1920) or at the beginning of the WWII (1941): Istria, Gorski kotar, Baranja and Međimurje, as well as some parts of the Croatian coast: all of the islands except Pag, Brač and Hvar, and several coastal cities: Rijeka, Zadar (Zara in Italian), Šibenik and Split, including their hinterlands.2 The Ustaša regime participated actively in the implementation of the Holocaust. The racial laws and organization of the system of concentration camps, initially regulated in the Third Reich, influenced the racial policy and execution of the Holocaust in the NDH as its satellite state. In the first days after the proclamation of the NDH, 1 2

Hrvoje Matković: Povijest Nezavisne Države Hrvatske [The History of the Independent State of Croatia]. Zagreb 2002, pp. 59–66. Rapalski ugovor [The Treaty of Rapallo]. In: Hrvatska enciklopedija, mrežno izdanje [Croatian Encyclopaedia, online version], Leksikografski zavod Miroslav Krleža, 2021, , 1.8.2022; Matković: Povijest Nezavisne Države Hrvatske, p. 73, pp. 75–78.

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the Gestapo took a group of prominent Jews (around 50 persons) to Graz, were they were subjected to interrogation at the headquarters of the Einsatzgruppe SD (Sicherheitsdienst des Reichsführers SS /State Security Services of the Reichsführer SS), which was in charge of the former Yugoslav territory, but most of them were later released and returned to Croatia.3 Afterwards, the German authorities were mostly involved only in supporting the organization of the Ustaša concentration camp system for a certain period of time and were therefore in contact with the Croatian officials entrusted with the Holocaust’s execution, such as Eugen Dido Kvaternik, who was appointed head of the Directorate for Public Order and Security (Ravnateljstvo za javni red i sigurnost, abbreviated to RAVSIGUR) in May 1941 and of the Ustaša Supervisory Service (Ustaška nadzorna služba, known under the acronym UNS) in August 1941,4 or Vjekoslav Maks Luburić, who headed the system of concentration camps.5 People of Jewish origin were subject to persecution from the very establishment of the NDH. Regulations announced from April to June 1941 were related to the limitation of Jewish civil and working rights (limitation of moving and living zones, mandatory use of Jewish badges, dismissal from public services, to name just a few restrictions), but were also used for their internment or killing.6 The Decree Law for the Defence of the People and the State (Zakonska odredba za obranu naroda i države) was proclaimed on 17 April 1941 and stipulated the death penalty (by court martial) for »violation of the honour and vital interests of the Croatian people and the survival of the NDH«.7 It was followed by the racial regulations from 30 April, namely the Decree Law on Racial Affiliation, the Decree Law on the Protection of Aryan Blood and the Honour of the Croatian People, and the Decree Law on Citizenship (Zakonska odredba o rasnoj pripadnosti, Zakonska odredba o zaštiti arijevske krvi i časti hrvatskog naroda, Zakonska odredba o državljanstvu), which related to Jews and Roma, proclaiming them »persons of non-Aryan origin« and depriving them of the right to citizenship.8 The beginning of the NDH was also marked by the proclamation of regulations related to the nationalization of Jewish property. The Decree on Preventing Sabotage in Enterprises of 2 May was followed by the establishment of the Office for Economic Renewal (Ured za obnovu privrede) on 3 May.9 On 4 June 1941, the order on Jewish surnames (which could no longer be changed) and the obligatory wearing of Jewish badges and designating enterprises as Jewish was proclaimed,10 and 3 4

Ivo Goldstein: Holokaust u Zagrebu [The Holocaust in Zagreb]. Zagreb 2001, p. 108. Eugen Dido Kvaternik filled both positions until autumn 1942. For further details on him, see: Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p. 108, pp. 155–156, p. 266; Davor Kovačić: Obilježja njemačkog policijskog sustava u Nezavisnoj Državi Hrvatskoj od 1941. do 1945. godine [The Characteristics of the German Police System in the Independent State of Croatia from 1941 until 1945]. In: Časopis za suvremenu povijest [ Journal of Contemporary History] 39 (2007) 3, pp. 551–580, here: pp. 554–556, pp. 558–568. 5 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, pp.  153–154, p.  266, p.  312; Davor Kovačić: Redarstveno-obavještajni sustav Nezavisne Države Hrvatske od 1941. do 1945. godine. [The Police Security and Intelligence System of the Independent State of Croatia from 1941 to 1945]. Zagreb 2009, pp. 168–172. 6 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, pp. 117–124. 7 Narodne novine [The People’s Newspaper – Official Gazette], Nr. 4 (17 April 1941) p. 2. 8 Narodne novine, Nr. 16 (30 April 1941), p. 1. 9 Zakonska odredba o redovitom poslovanju i sprečavanju sabotaže u privrednim poduzećima [Decree Law on Regular Operations and the Prevention of Sabotage in Commercial Enterprises]. In: Narodne novine no.  17 (2 May 1941), p.  1; Zakonska odredba o osnivanju ureda za obnovu privrede [Decree Law on the Establishment of the Office for Economic Renewal]. In: Narodne novine no. 18 (3 May 1941), p. 1. 10 Naredba o promjeni židovskih prezimena i označavanju Židova i židovskih tvrtki [Order on the Change of Jewish Surnames and the Labeling of Jews and Jewish Companies]. In: Narodne novine Nr. 43 (4 June 1941), p. 2.

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was followed by the Decree Laws on the Obligatory Registration of Jews and Jewish Property (Zakonska odredba o obveznoj prijavi Židova i židovske imovine; Zakonska odredba o sprečavanju prikrivanja židovskog imetka) of 5 June.11 Only in Zagreb were about 800 procurators of Jewish enterprises appointed in the May and June of 1941.12 Jews were obliged to declare their entire property – both movable and immovable – to the State Directorate for Economic Renewal (Državno ravnateljstvo za gospodarstvenu ponovu),13 in accordance with the proscribed forms. The legal framework of the persecution and terror committed by the regime was enforced by the Decree Law Regarding the Transportation of Unwelcome and Dangerous Persons to Forced Internment in Concentration and Labour Camps of 26 November 1941.14 In total, several dozen decrees and orders relating to the deprivation of human rights and persecution, mostly of Jews and Roma, but also of the Serbian (Orthodox) population, opponents of the regime, LGBT individuals and others, were proclaimed and published in the official gazette of the NDH (Narodne novine) and daily newspapers (Novi list [New Newspaper] and Hrvatski narod [The Croatian People]) in 1941.15 The antiJewish regulations and various forms of prohibitions were accompanied by strong anti-Jewish propaganda.16 The role of the German authorities regarding the Holocaust in the NDH intensified in the spring and summer of 1942 when they organized five transports to Auschwitz, followed by two more in May 1943; the process of the annihilation of the Jewish community on the territory of the NDH was almost complete.17 In addition to Dido Kvaternik and Filip Crvenković, one of his successors in the Directorate for Public Order and Security (later the Main Directorate, Glavno ravnateljstvo za javni red i sigurnost, abbreviated to GLAVSIGUR),18 the most important roles in the process on the Croatian side fell to Vilko Kühnel, who was the head of the Jewish Section of the Ustaša police (1941–1943/1944), and to Ivan Tolj, who was in charge of setting up detention camps for Jews in the spring and summer of 1942 before their deportation to Auschwitz, especially in the eastern part of the NDH.19 On the German side, the most important individuals were Siegfried Kasche, German ambassador to the NDH 1941–1945, Hans Helm, appointed police attaché to the NDH in the spring of 1942, a position he held until the end of the war, and Franz Abromeit, who was assigned to the task of organizing transports in 1942 and 1943 by the Jewish Section

11 Narodne novine, Nr. 44 (5 June 1941), pp. 1–4. 12 Nada Kisić-Kolanović: Podržavljenje imovine Židova u NDH [The Nationalization of Jewish Property in the NDH]. In: Časopis za suvremenu povijest 30 (1998) 3, p. 442. 13 Zakonska odredba o osnutku Državnog ravnateljstva za gospodarstvenu ponovu [Decree Law on the Establishment of the State Directorate for Economic Renewal]. In: Narodne novine, Nr.  70 (8 July 1941), p. 1. 14 Zakonska odredba o upućivanju nepoćudnih i pogibeljnih osoba na prisilni boravak u sabirne i radne logore [Decree Law on the Transportation of Unwelcome and Dangerous Persons to Forced Internment in Concentration and Labour Camps]. In: Narodne novine, Nr. 188 (26 November 1941), p. 1. 15 HR-HDA-306., ZKRZ GUZ, Nr. 2235/3/1 and 2235/3/3. 16 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p. 101, p. 106, pp. 109–116. 17 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p.  108, pp.  424–434, pp.  465–476; Rajka Bućin: Transport upućen u Auschwitz iz Vinkovaca u kolovozu 1942. i sudbina srijemskih i bijeljinskih Židova za vrijeme Drugog svjetskog rata [The Transport Sent to Auschwitz from Vinkovci in August 1942 and the Fate of the Jews of Srijem and Bijeljina during the World War II]. In: Časopis za suvremenu povijest 53 (2021) 2, pp. 611–619. 18 Kovačić: Redarstveno-obavještajni sustav, pp. 92–93. 19 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, pp. 159–160; Bućin: Transport upućen u Auschwitz, pp. 615-616. SpiEgElungEn 2.22

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(Referat IV  B4) of the Reich Security Main Office (Reichssicherheitshauptamt) in Berlin.20 The size of the Jewish population in the NDH is estimated at around 39,000 before the beginning of the war in Yugoslavia (6 April 1941), according to German sources from 1941, likely based on the data of the Jewish communities from the Kingdom of Yugoslavia. The number of Jewish refugees was approaching several thousand at that time. Only in Zagreb was that number estimated to be between 2,500 and 3,000, and upon the establishment of the Independent State of Croatia it was reduced to 1,000. Refugees were also placed in certain settlements and detention camps in the Sava, Dunav (Danube) and Drina Banovinas. The territories of those banovinas or their parts were joined together in the period 1939–1941 under the jurisdiction of the newly established Banovina of Croatia (Banovina Hrvatska), and later became part of the territory of the NDH. At the beginning of the war, the refugees were situated in the Syrmian town of Ruma (153 persons), in Daruvar (88) and Lipik (64) in the Slavonian region, and Brčko (146), Derventa (98), Bosanski Šamac (30), Banja Slatina (74), Tuzla (12) and Sarajevo (100) in Bosnia-Herzegovina. Some of the refugees remained in the care of the Zagreb Jewish community, some in Zagreb (818), and some groups at the nearby locations of Draganić near Jastrebarsko (178), Kerestinec (160) and Pisarovina (30).21 After war was declared, several different documents estimated that there were a total of 1,400, perhaps even 1,800 Jewish refugees on the territory of the NDH, mostly from Germany, Czechoslovakia and Austria.22 Some of them were in hiding, for example in the cities of Zagreb, Dubrovnik and Osijek (Esseg[g] in German).23 The majority of the Jewish population in the NDH perished at the Ustaša camps, mostly in the camp complexes of Gospić-Jadovno-Slana and Jasenovac-Stara Gradiška (circa 24,000), others mainly in Auschwitz (7,000), and around 20–25 percent survived WWII (8–9,000), joining the Partisans or fleeing to Italian territory.24 The refugees shared the fate of the domestic population. They were deported to some of the Croatian concentration camps, sometimes even earlier than the domestic Jewish population, whereas some successfully went into hiding or escaped to safer countries at the beginning of the war or even joined the Partisans.25 Some of them were included in the deportations to Auschwitz in 1942, mostly women and children from Ruma and Daruvar (Daruwar in German), who had been interned in Loborgrad since the autumn of 1941.26

20 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p.  426, p.  465, p.  470, p.  473; Bućin: Transport upućen u Auschwitz, pp. 614–616, pp. 618–619. 21 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p. 244; Carl Bethke: (K)eine gemeinsame Sprache? Berlin 2013, pp. 357– 361. 22 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p. 244; Bethke: (K)eine gemeinsame Sprache?, pp. 357–358. 23 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p. 436, p. 473, p. 474; Anna Maria Gruenfelder: Sustigla ih Šoa [The Shoah Caught Up with Them]. Zagreb 2018, pp. 266–267. 24 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p. 17. 25 Goldstein: Holokaust u Zagrebu, p. 131, p. 241, p. 359, p. 436, p. 534 etc.; Gruenfelder: Sustigla ih Šoa, p. 34, p. 41, p. 215. 26 HR-HDA-1514., Ustaško povjereništvo za grad i kotar Koprivnicu, Popis zatočenica logora Loborgrad [The Ustaša Administration for the City and District of Koprivnica, List of Prisoners of the Loborgrad Camp], 1-1032; Narcisa Lengel-Krizman: Sabirni logori i dječja sabirališta na području sjeverozapadne Hrvatske [Collection Points and Children’s Collection Centers in Northwestern Croatia] 1941.–1942. In: Sjeverozapadna Hrvatska u narodnooslobodilačkoj borbi i socijalističkoj revoluciji [Northwestern Croatia in the National Liberation Struggle and the Socialist Revolution]. Varaždin, Zagreb 1976, p. 885, p. 887; Narcisa Lengel-Krizman: Prilog proučavanju terora u tzv. NDH: Ženski sabirni logori 1941.–1942. godine

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THE moST ImpoRTanT FonDS anD CollECTIonS In THE CRoaTIan STaTE aRCHIVES RElaTED To RESEaRCH on THE HoloCauST The fonds and collections of the Croatian State Archives, which are important for general research on the Holocaust in the NDH, are presented in the following overview, in part due to their specific potential for research on the fate of refugees from the Third Reich and countries it annexed or occupied (especially Austria, Czechoslovakia and Poland). Sources relevant for the role of the German authorities involved in the execution of the Holocaust in the NDH will also be listed. An article published in Arhivski vjesnik (Archival Herald) in 1996, focusing generally on important sources for research on the Holocaust in Croatia, mostly in the Croatian State Archives (CSA) and the Croatian History Museum, may be consulted too, although much of its information is outdated. In contrast, this article provides up-to-date information on archival fonds and collections in the CSA while applying a different discourse compared to that work.27 In the meantime, most of the fonds and collections or some of their series have been arranged and listed in detail, and are now in the process of digitization (including PONOVA, an abbreviation for the State Directorate for [Economic] Renewal, the Jewish Section of the Ustaša Police Directorate in Zagreb, the Collection of Records of the Administrative and Military Bodies of the Independent State of Croatia and of the National Liberation Movement, documents from the Police Administration for the City of Zagreb, abbreviated to ROZ, and Hans Helm). Archival units are presented by their reference number and title translated into English, but also by their original title in Croatian. The years in the brackets are related to the periods in which their creators were active, and those outside brackets denote the timespan of the archival materials. The quantity is presented in linear meters (l/m) but also by the number of containers, usually volumes (registers) and boxes or occasionally bundles and folders. The fonds illustrate the chain of events in chronological order described above, emphasizing characteristic mandates and the transfer of mandates between some of the fonds’ creators.

HR-HDA-1076. Ministry of Treasury. Department of Finance, State Property, and Debts. Office for Nationalized Property (1941–1945) (Ministarstvo Državne riznice, Odjel za financije, državnu imovinu i dugove, Ured za podržavljeni imetak), 1941– 1945; 257 l/m; 573 volumes, 1,883 boxes, 2 bundles. The state agency that changed names between 1941 and 1943 is known as PONOVA (Renewal), after its most popular name (State Directorate for Renewal). The State Directorate for Renewal was established on 24 June 1941, integrating mandates of several previously existing offices.28 Like Vugesta29 in Austria, the Commissariat Général aux Questions Juives in France, and the Lippmann-Rosenthal Agency in German-occupied Holland, it dealt with looted Jewish property.

[A Contribution to the Study of Terror in the So-Called NDH: Women’s Collection Points in the Years 1941–1942]. In: Povijesni prilozi [Historische Beiträge] 1 (1985) 4, p. 10, p. 20. 27 Josip Kolanović: Holocaust in Croatia. Documentation and Research Perspectives. In: Arhivski vjesnik [Archival Herald] 39 (1996), pp. 157–174. 28 Zakonska odredba o osnutku Državnog ravnateljstva za ponovu [Decree Law on the Establishment of the State Directorate for Renewal]. In: Narodne novine no. 58 (24 June 1941), p. 2. 29 Vugesta stood for »Administrative Office of the Gestapo for the Removal of Jewish Goods« Verwaltungsstelle jüdischen Umzugsgutes der Gestapo in German). SpiEgElungEn 2.22

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After being declared, obligatory for all Jewish adults (individuals older than 21), property was finally nationalized in favour of the NDH, and the Directorate was renamed the Office for Nationalized Property (Ured za podržavljeni imetak).30 PONOVA sold part of the property to the citizens of the NDH, while most of it, especially immovable property, remained in the possession of the state. Besides enterprises that were sold or managed by procurators, buildings and houses were used by various offices, including those of the German authorities, or by the Ustaša, German and other functionaries, especially in Zagreb; apartments were used mostly by the members of the Ustaša military or police. In some cases, a property was even gifted to certain individuals.31 The documentation, together with some other archival entities, comprehensively accompanies the entire process. It is also very important because it contains a lot of personal data valuable for identifying Jews living in the territory of the NDH at the beginning of the war. They mostly perished in the Holocaust, and information on them later provided by their neighbours or surviving relatives for the purposes of the prosecution and post-war research on the victims is not always precise or completely reliable. (For example, their names are sometimes distorted and the testimony about their age is given according to the memory or evaluation of the informants). Data on individuals are systematically collected in the series of declarations of property (prijave in Croatian, abbreviated to P), which contains 11,756 documents of individuals and enterprises sorted alphabetically, according to the order of settlements and surnames of the individuals, including the owners of the enterprises, and in the series of dossiers of the confiscated property (dosjei konfiscirane imovine in Croatian, abbreviated to DKI), which consists of 19,420 files sorted by current numbers. They also contain declarations of property of individuals, but not for all persons. The declarations are also important for the family members’ data, because Jews were supposed to provide information on their children under 21 and their spouses, but they sometimes also included information on other children or older family members who did not have any property or had died earlier. Data on some settlements are exclusively – or almost exclusively – held in the DKI series (including Sarajevo, Vinkovci and Zemun), and are searchable by card index. Series of the declarations of the property and card index for the DKI dossiers have recently been digitized; it is planned that they will be accessible after 2023. In addition to the Jewish inhabitants of the NDH, declarations of property sometimes also include data on the refugees. HR-HDA-226.1. Ministry of Health and Social Welfare. Main Directorate for Social Welfare (1941–1945) (Ministarstvo zdravstva i udružbe NDH. Glavno ravnateljstvo za udružbu i društvovnu skrb); 1924–1945, 134 volumes, 50 boxes. The majority of documentation related to Jews contains decisions on the employees’ and owners’ discharge from private enterprises in 1941 (2 boxes).

30 Zakonska odredba o podržavljenju imetka Židova i židovskih poduzeća [Decree Law on the Nationalization of Property Held by Jews and Jewish Companies]. In: Narodne novine, Nr. 149 (10 October 1941), pp. 1–2; Zakonska odredba o podržavljenju židovske imovine [Decree Law on the Nationalization of Jewish Property]. In: Narodne novine, Nr.  246 (30 October 1942), pp.  1–2; Naredba o unutarnjem uređenju Ministarstva državne riznice [Order on the Internal Organisation of the Ministry of Treasury]. In: Narodne novine, Nr. 209 (14 September 1943), pp. 1–3. 31 Kisić-Kolanović: Podržavljenje imovine Židova u NDH, p. 445, p. 449; Davor Kovačić: Kriminal u Nezavisnoj Državi Hrvatskoj – zločin, korupcija, moral, politika [Criminality in the Independent State of Croatia – Crime, Corruption, Morality, Politics]. Zagreb 2017, pp. 54–55, p. 67, p. 68.

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HR-HDA-1514. Ustaša Administration for the City and the District of Koprivnica (1941–1942) (Ustaško povjereništvo za grad i kotar Koprivnicu); 1941–1942; 1 box (989 pages). Most of the documentation is related to the earlier period of the first Ustaša concentration camp, established on the outskirts of the town of Koprivnica, in the area of the former chemical factory Danica. The camp was active from 15 April 1941 to 1 September 1942.32 Documentation includes lists of the Jews held in the camp, applications for their release, correspondence related to matters pertaining to the camp personnel and so on. Part of the documentation is related to other camps, containing lists of their inmates from 1942 (for example, Loborgrad and Đakovo). HR-HDA-228. Ustaša Supervisory (Surveillance) Service (1941–1943). (Ustaška nadzorna služba, abbreviated to UNS); 1 l/m; 3 volumes, 7 boxes. The Ustaša Supervisory Service consisted of the political police (Ustaško redarstvo, later Zaštitno redarstvo), intelligence service (Obavještajna služba), organization and supervision of the concentration camp system (Obrambena služba), personnel department (Ustaški osobni ured, closed in March 1942) and security service (Sigurnosna služba).33 The documentation of the fonds consists mostly of personal or financial documents related to the work of the concentration camps ( Jasenovac, Stara Gradiška, Đakovo, Loborgrad and others). Other documentation of the UNS, if not destroyed in the last days of the war, was used by the Yugoslav police and intelligence for the purpose of prosecution or surveillance. The Yugoslav intelligence agency first bore the name Department for the Protection of the People (Odjeljenje za zaštitu naroda, abbreviated to OZNA) before being renamed the State Security Administration (Uprava državne bezbjednosti, abbreviated to UDBA) and later the State Security Service (Služba državne sigurnosti, abbreviated to SDS). Today, these documents primarily form part of the special collection HR-HDA-1549. Collection of Records of the Administrative and Military Bodies of the Independent State of Croatia and the National Liberation Movement. HR-HDA-252. Ustaša Police Directorate in Zagreb. The Jewish Section (1941–1942). (Ravnateljstvo ustaškog redarstva (RUR). Židovski odsjek (ŽO)); 1941–1942; 2  l/m; 3 volumes, 19 boxes. The Ustaša Police Directorate was part of the UNS, and the Jewish Section (1941– 1942) was in charge of the implementation of the Ustaša policy against the Jewish population. Archival materials include applications for the recognition of Aryan rights and exemption from wearing a Jewish badge, lists or reports on sending Jews to concentration camps (mostly to Jasenovac and Stara Gradiška), correspondence on the organisation of transports (including to Auschwitz) and much more. Part of the correspondence is related to the German refugees interned in 1941 at different locations (Lipik, Pisarovina, Brčko, Kruščica, Derventa) or hiding in Zagreb. In 1942, the Jewish Section was moved to the Ministry of the Interior.

32 Zdravko Dizdar: Logor Danica u Koprivnici [Camp Danica in Koprivnica] 1941.–1942. Volume 1. Koprivnica 2017, p. 12. 33 Kovačić: Redarstveno-obavještajni sustav, pp. 139–140. SpiEgElungEn 2.22

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HR-HDA-223. Ministry of the Interior of the Independent State of Croatia (1941– 1945). (Ministarstvo unutarnjih poslova NDH); 1941–1945; 66.7 l/m; 7 volumes, 667 boxes. The Jewish Section (ŽO) was moved from the Ustaša Supervisory Service to the Directorate for Public Order and Safety (from 1943–1945 the Main Directorate) of the Ministry of the Interior in the middle of 1942. The documentation is split between two bodies, and most of it is kept in the fonds of the Jewish Section of the Ustaša Supervisory Service. In the fonds of the Ministry of the Interior, some of the documents are requests for information on the fate of individuals, including people sent to Auschwitz in August 1942. Other documents are related to the status of Jewish individuals and their communities, including applications for exemption from measures against Jews, work permits and appeals against decisions forcing them to leave their apartments. They are concentrated in the series marked Ž.O. (1 box), but also scattered in other series from 1941 onwards (II-A, RU I B, R.S.II). HR-HDA-259. Police Administration for the City of Zagreb (1941–1945) (Redarstvena oblast za grad Zagreb, abbreviated to ROZ), 1941–1945, 8 l/m; 50 volumes, 47 boxes. The Police Administration for the City of Zagreb from the pre-war period continued to operate without interruption, which is also evident from the fonds’ contents. The central part of the documentation relevant for the war period consists of the police records of arrested individuals (sorted alphabetically), including some Jewish people, containing their personal data and the reasons for their arrest and the place of their internment. Some of them were refugees from the pre-war period. The series of registry books do not contain the actual documents, but some of them are included in HR-HDA-1549. Collection of Records of the Administrative and Military Bodies of the Independent State of Croatia and the National Liberation Movement. HR-HDA-1521. Hans Helm – Police Attaché to the Third Reich’s Embassy in Zagreb (1942–1945) (Hans Helm  – Policijski izaslanik pri Poslanstvu Trećeg Reicha u Zagrebu); 1942–1945; 3.9 l/m; 39 boxes. The fonds contains records on members of the German intelligence services and the German administrative and military apparatus, members of the intelligence and police authorities of the NDH and the European intelligence services on the territory of the NDH and their collaborators. The fonds also includes records of individuals involved in the execution of the Holocaust and of high-ranking police officers from the Croatian and German sides. The materials were originally written in German, but they were mostly translated into Croatian after the war to serve the needs of the Yugoslav intelligence and the prosecution of war criminals. Bound books (I–XXX) contain translations of Helm’s original correspondence with senior police and intelligence authorities in Germany relating to the development of the war, political events and conditions in the NDH. Data on Jews and his suggestions concerning Holocaust policy are also included. HR-HDA-306. The Republican Commission for the Establishment of Crimes Committed by the Occupiers and their Supporters (1944–1947) (Zemaljska komisija za utvrđivanje zločina okupatora i njihovih pomagača, abbreviated to ZKRZ); 1944– 1947; 77 l/m; 57 volumes; 751 boxes. 22

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The Republican Commission (ZKRZ) with the mandate of collecting evidence against war criminals was part of the extensive network of similar bodies headed by the National (State) Commission in Belgrade in the period 1944–1947. They were established by or on the basis of the decision of the Antifascist Council of the National Liberation of Yugoslavia of 30 November 1943. The Republican Commission with the mandate for the territory of Croatia was founded on 18 May 1944 by decision of the Presidency of the Anti-Fascist Council of the National Liberation of Croatia (ZAVNOH).34 The commissions’ materials contain a wide range of documents, from the originals from the war period to witness statements on knowledge about some events, as well as reports by the local commissions. The main series in the fonds of the ZKRZ (ZKRZ GUZ) contains almost 150 boxes on the crimes against the Jews and the other persecuted groups and individuals. Data pertaining to crimes against the Jews are partly assembled (several boxes) but can also be found scattered all over the series and other parts of the fonds. Besides the inventory, original index cards and bounded lists help in searching for data about victims and/or perpetrators. After the abolition of the ZKRZ in 1947, the Public Prosecutor took over the mandate of collecting evidence against the war criminals, and formed the special, but very small series of records for the period 1947–1948 (called GUZ records, and later R.ZL. records).35 HR-HDA-421. The Public Prosecutor’s Office of the Socialist Republic of Croatia (1945–1990) ( Javno tužilaštvo Socijalističke Republike Hrvatske); 1945–1990; 23 l/m; 200 volumes, 175 boxes, 6 folders. The fonds for the Public Prosecutor’s Office of the Socialist Republic of Croatia contains a file (9 boxes) with documents collected in 1951 relating to the prosecution of the head of the NDH Ante Pavelić and one of his main ministers, Andrija Artuković, who was in charge of the Ministry of Interior until October 1941 and responsible for the racial regulations.36 The file contains testimonies, lists of inmates in various concentration and detention camps and other documents related to the Holocaust and atrocities committed against different ethnic groups. Inter alia there are lists of Jewish inmates from the Jasenovac and Stara Gradiška camps from the autumn of 1941, mostly men from different settlements of the northern or northeastern parts of the NDH (Zagreb, Varaždin, Krapina, Koprivnica, Križevci, Bjelovar, Osijek, Mitrovica), and in certain cases from several Bosnian settlements. The lists were created by the Jewish Religious Community in Zagreb on the basis of data collected during the war. The names of the male refugees from Ruma are also recorded in those lists. They 34 Martina Grahek Ravančić: Ustrojavanje organa nove vlasti: Državna / Zemaljska komisija za utvrđivanje zločina okupatora i njihovih pomagača – organizacija, ustroj, djelovanje. In: Historijski zbornik 66 (2013) 1, pp. 149–172. 35 The acronym GUZ stands for »glavni urudžbeni zapisnik« (main registry book), and R.ZL. »ratni zločini« (war crimes). 36 Andrija Artuković (1896, Klobuk, Bosnia and Herzegovina – Zagreb, 1986) was deported to Yugoslavia in 1984, after the unsuccessful attempt of the Yugoslav authorities in 1951, and died in a prison hospital in 1986. He was a lawyer and politician and a member of the pre-war Ustaša organization. During WWII, he twice served as minister of the interior (1941, and 1942–1943), and for a shorter period as minister of justice and religion (1941–1942) of the NDH. From 1943 he was secretary of state (»čuvar državnog pečata«). Darko Stuparić (ed.): Tko je tko u NDH [Who’s Who in the NDH]. Zagreb 1997, pp. 11–12. Ante Pavelić (Bradina, Bosnia and Herzegovina, 1889 – Madrid, 1959), a lawyer and politician, the founder of the Ustaša organization and head (poglavnik) of the NDH, fled to Argentina after WWII, where he survived an assassination attempt in 1957. He later settled in Spain, where he died in 1959. Tko je tko u NDH, pp. 306–310. SpiEgElungEn 2.22

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were sent to the Jasenovac-Stara Gradiška camp complex after the closure of the Gospić-Jadovno-Slana complex in August 1941. The file also contains data on male refugees from Daruvar.37 HR-HDA-1549. Collection of Records of the Administrative and Military Bodies of the Independent State of Croatia and the National Liberation Movement (Zbirka zapisa upravnih i vojnih vlasti NDH i NOP), 1941–1945, 21 l/m; 209 boxes. The collection was initially formed by the work of the Department for the Protection of the People (OZNA), which was active in the period 1944–1946, and was one of the bodies that collected evidence against war criminals.38 It was kept and passed on to OZNA’s successors for operational purposes and was divided into several thematic series, one of which (V) is missing (I: Ustaša intelligence, II: Police, III: Military of the NDH, IV: Political prisoners, VI: The Ustaša movement). The materials from the collection were subjected to a specific process of indexing in which every name mentioned in the documents was indexed, irrespective of its importance and context. The indices amount to 21 boxes. The collection is important for the history of the Holocaust, since it contains regular police reports for certain areas (mostly Zagreb), and many documents of the Ustaša Supervisory Service, Ministry of the Interior and other relevant bodies. HR-HDA-1561. State Security Service of the Republican Secretariat of the Interior of the Socialist Republic of Croatia (Služba državne sigurnosti Republičkog sekretarijata za unutarnje poslove Socijalističke Republike Hrvatske, abbreviated to SDS RSUP-a SRH); 1918–1991; 212 l/m (without special formats); 14 volumes, 2,054 boxes, 66,802 microfiche documents, 192 microfilm rolls, 109 audio-visual documents, 8,735 photo negatives, 50,000 photo positives. After 1966, the Yugoslav intelligence service continued working under the name State Security Service (Služba državne sigurnosti, abbreviated to SDS).39 It took over several existing documentation units from the earlier period, created by the work of OZNA (1944–1946) and UDBA (1946–1966).40 The most extensive is a series of files of citizens (circa 68,000 units), which includes files of the individuals involved in the system of repression and the execution of the Holocaust during WWII, of Croatian and German nationality (among them Hans Helm). The records of the former historical collection of the SDS constitute the other major group; this is a thematic collection consisting of original documents relevant for many topics which might have been of interest to the post-war authorities. It is divided into several series, and one of them, entitled 0. Internal Topics (Unutarnja problematika) is relevant for research on the Holocaust, containing documents originating from different institutions active during WWII and including reports made by members of the repression system or the political establishment who were

37 HR-HDA-421., JTH, 4.3. Odjeljenje bezbjednosti [Department of Security], B 124/1951. 38 Christian Axboe Nielsen: Yugoslavia and Political Assassinations: The History and Legacy of Tito’s Campaign Against the Emigrés. London et al. 2020, p. 18. 39 Nielsen: Yugoslavia and Political Assassinations, p. 19. 40 On part of its documentation see: Zdenko Radelić: Ozna/Udba: popisi neprijatelja i njihova kategorizacija (1940-ih i 1950-ih) [Ozna/Udba: Lists of Enemies and their Categorisation (in the 1940s and 1950s)]. In: Časopis za suvremenu povijest 49 (2017) 1, pp. 59–99.

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imprisoned after the war (164 boxes, 3 volumes). The collection of photographs contains pictures of different events and individuals. HR-HDA-907. Collection of Printed Materials (Zbirka tiskovina); 15  l/m; 191 folders, 83 boxes. Certain documents of propaganda and official notices related to the deprivation of the Jewish population of civil rights and measures of repression are kept in the collection of printed materials (circa 200 documents). They are searchable by a special index, created for the whole collection. SpECIal CollECTIonS uSEFul FoR RESEaRCH on THE HoloCauST Data related to the Holocaust can also be found in other archival units, especially in fonds and collections which contain personal files of the perpetrators and documents about people who arrived as refugees from the Third Reich before WWII or during the first two years of the war in Europe (1939–1940). They were obliged to request permission for a temporary stay on the territory of the Kingdom of Yugoslavia, and before 1939 they communicated with the administrative departments of the banovinas, for example that of the Sava Banovina (Upravno odjeljenje Savske banovine), the archives of which are kept at the Croatian State Archives. Requests for residence permits after September 1939 were submitted to the Office of the Ban’s Secretary of the Banovina of Croatia (Kabinet bana Banovine Hrvatske). The documentation of the Sava Banovina, which contains several thousand residence permits (issued not only for Jewish refugees), has recently been listed and in future might be merged at least with the part of the series of permits requested from the Ban’s Secretary’s Office to form a special collection, since they were continuously enumerated over time. The documentation usually contains data about the person who submitted the request, with identification data for family members who entered the state at the same time (name, surname, date and place of birth, parents’ names, occupation). It also contains data on the place of their temporary accommodation or detention. The additional information might also be found in records within HR-HDA-154. The Department for the Protection of the State of the Administrative Department of the Sava Banovina (Upravno odjeljenje Savske banovine. Odjeljak za državnu zaštitu), and HR-HDA-158. The Department for the Protection of the State of the Banovina of Croatia (Banovina Hrvatska. Odjeljak za državnu zaštitu), in which documents pertaining to the Jewish refugees are scattered throughout the fonds. This collection is supported by HRHDA-157. Department of the Interior of the Banovina Hrvatska (Banovina Hrvatska. Odjel za unutarnje poslove), which contains documents relating to the state policy regarding Jewish immigration in the period 1939–1941, created or received within the correspondence with the Ministry of the Interior in Belgrade. Another important group of records might also be birth, marriage and death registers from the different Jewish religious municipalities, which are kept in two collections: HR-HDA-883. The Collection of the Birth, Marriage and Death Registers (Zbirka matičnih knjiga), and HR-HDA-1448. The Collection of the Copies of Birth, Marriage and Death Registers (Zbirka preslika matičnih knjiga), which include registers of some of the Jewish religious communities (original registers from Karlovac, Našice and Zagreb; copies of the registers from Bjelovar, Čakovec, Križevci, Kutina, Ludbreg, Osijek, Orahovica, Pakrac, Podravska Slatina, Požega, Sisak, Slatina, Split, Virovitica, Varaždin, Vukovar and Zagreb). Jewish religious communities kept official SpiEgElungEn 2.22

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registers from 1784 on, and after 1878 they were written in Croatian (having previously been kept in German).41 The other major documentation unit contains personal records of the officers working in the state administrative apparatus, including the Ministry of the Interior (Directorate for Public Order and Safety) and the Ustaša Supervisory Service, which are kept as part of HR-HDA-805. Collection of the Personal Records of the State Officers from the Period 1869–1945 (Zbirka personalija). The documents related to research on the Holocaust can also be found in HRHDA-511. Croatian State Archives, Collection of the Project Dotrščina (Hrvatski državni arhiv, Projekt Dotrščina).42 The project was run by the CSA in the period 1980–1986 and contains data collected by research on the fonds and collections then available at the CSA (the most important was ZKRZ) relating to the fate of individuals from Zagreb who were victims of the persecution of the regime or perished in the war. Data are not always precise, but nonetheless they are very valuable for research on victims from Zagreb, especially Jews. A less reliable source is the so-called Materials on the History of the Labour Movement of Zagreb (Zbirka PRP), which are currently part of the fonds HR-HDA-1723. City Committee of the League of Communists of Croatia in Zagreb (Gradski komitet Saveza komunista Hrvatske, Zagreb) and mainly consist of records of individuals who perished during the war, that is, of missing or executed citizens of Zagreb, and participants in the National Liberation Movement. The collection was created around 1951 on the basis of data provided by relatives, neighbours and the like, and data were included in the Dotrščina project too.43 ConCluSIon Considering the fact that the Croatian State Archives holds archival materials of numerous very important institutions active on the territory of Croatia over time, it is not surprising that it is a very significant resource for research on the Holocaust in the Independent State of Croatia. Since its territory was in some respects much larger than contemporary Croatia, for a better understanding of the entire process and the events taking place in the NDH, other archival institutions should also be taken into account: the Archives of Yugoslavia and the Jewish History Museum in Belgrade, the Military Archives in Belgrade and the Archives of Vojvodina in Novi Sad. Considering the fact that several thousand Jews from the NDH were taken to Auschwitz death camp in 1942 and 1943, the Archives of the State Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim and German archives such as the Arolsen Archives44 should also be consulted. The CSA is also important for research on the fate of refugees who had fled

41 Angelika Milić: Zbirka matičnih knjiga u Hrvatskom državnom arhivu [The Collection of Registers in the Croatian State Archives]. In: Arhivski vjesnik 60 (2017), p. 256, p. 296. 42 Josipa Paver: Rezultati arhivskih istraživanja podataka o revolucionarima sudionicima NOB-a i žrtvama fašističkog terora [Results of Archival Research of Data on Revolutionaries, Participants in the National Liberation Struggle and Victims of Fascist Terror]. In: Mira Kolar-Dimitrijević (ed.): Oslobođenje Hrvatske 1945. godine: Zbornik [The Liberation of Croatia 1945. A Collection of Papers]. Zagreb 1986, pp. 608– 611. 43 It is part of the unit HR-HDA-1723.2.1.5.5. Komisija za historiju Predsjedništva Gradskog komiteta Saveza komunista Hrvatske, Zagreb [City Commission for the History of the Presidency of the League of Communists of Croatia, Zagreb]. 44 Arolsen Archives: International Center on Nazi Persecution/Internationales Zentrum über NS-Opfer, , 19.9.2022.

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from the territory of the Third Reich and nearby occupied countries, and it is also necessary to consult the German archives or archives of their respective countries when researching this topic. Contact Hrvatski državni arhiv Marulićev trg 21, 10000 Zagreb, Croatia E-mail: [email protected] Tel: +385 1 4801 999 (central) Website: http://www.arhiv.hr

Rajka Bućin, phD has worked at the CSa since 1996, as an archives advisor since 2007. Between 2005 and 2014 she served as head of the Section for the archives from 1869 to 1945, and has also been editor-in-chief of the journal Arhivski vjesnik (archival Herald) since 2018. Since 2019, she has worked in the research department of the CSa (Institute Ivan Kukuljević Sakcinski). She has authored several articles and other publications relating to archival topics, history and the history of institutions. For several years she has been researching the Holocaust and its victims.

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Deutschsprachige Quellen im Staatsarchiv in Zagreb bis zum Jahr 1945 Von Katarina Horvat Dieser Text beschreibt das deutschsprachige Archivmaterial, das im Staatsarchiv in Zagreb (Državni arhiv u Zagrebu, im Folgenden: DAZG)1 aufbewahrt wird und etwa bis 1945 entstand. Dieses Staatsarchiv ist ein Regionalarchiv, das für das Gebiet der Stadt Zagreb, die Gespanschaft Zagreb (mit bestimmten Ausnahmen) und für Teile der Gespanschaft Krapina-Zagorje zuständig ist. Einzelne Quellenfonds sollen hier kurz beschrieben werden, für detaillierte Informationen ist es jedoch notwendig, den Online-Führer sowie die üblichen Hilfsmittel des Staatsarchivs in Zagreb zu konsultieren.2 Es werden einige größere und bedeutendere Bestände und Sammlungen beschrieben, in denen deutschsprachiges Material vertreten ist, ebenso wie einige ausgewählte, in denen deutschsprachige Bestände in geringerem Umfang zu finden sind. Einige wenige Fonds mit nur geringem deutschsprachigem Material werden an dieser Stelle unbeschrieben bleiben. Allgemein kann man sagen, dass sich deutschsprachiges Material im Gesamtbestand des Staatsarchivs in Zagreb häufig in älteren Beständen findet, die in der Zeit zwischen 1849 bis 1860 entstanden, als Deutsch Amtssprache in Zivilkroatien und Slawonien war. Deutsch findet man auch in späteren Zeiten bis zum Ende der Habsburgermonarchie sowie auch in der Zeit danach, jedoch in geringerem Umfang. Dann findet sich Deutsch hauptsächlich in der Korrespondenz von Personen, die die Sprache verwendeten, oder im Schriftverkehr mit österreichischen Behörden sowie mit natürlichen und juristischen Personen aus dem deutschsprachigen Raum. Die besprochenen Fonds und Sammlungen mit deutschsprachigem Material werden hier nach der gültigen kroatischen Fonds- und Sammlungsklassifikation vorgestellt.3

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Weitere Details auf , 1.8.2022. Das Staatsarchiv in Zagreb ist nicht zu verwechseln mit dem namentlich ähnlichen Kroatischen Staatsarchiv in Zagreb. , 1.8.2022. Die in diesem Text erwähnten Fonds und Sammlungen enthalten auch Links zum Online-Führer des Staatsarchivs in Zagreb, wo Interessierte weitere Informationen erhalten können. Die im Online-Handbuch veröffentlichten Informationen werden fortlaufend aktualisiert. Der vorliegende Text thematisiert nicht Material, das für Deutsche und ihren Besitz relevant ist, wie z. B. der Fonds HR-DAZG-1181 Kolonisierungsamt Zagreb, sondern Fonds, in denen sich deutschsprachiges Material befindet.

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a) VERWalTunG unD öFFEnTlICHER DIEnST4 HR-DAZG-1 Verwaltung der Freien und Königsstadt Zagreb (1242–1850) HR-DAZG-4 Stadtverwaltung Zagreb (1850–1914) HR-DAZG-10 Stadtverwaltung Zagreb (1914–1941) HR-DAZG-24 Stadtverwaltung Zagreb (1941–1945)

Innerhalb dieser Bestände bestehen keine gesonderten Serien, die ganz oder überwiegend in deutscher Sprache verfasst sind. In verschiedenen Serien und Unterserien finden sich hingegen deutschsprachige Dokumente. An dieser Stelle sollte man den großen Fonds HR-DAZG-1 Verwaltung der Stadt Zagreb erwähnen, dessen Material im Zeitraum 1258–1850 [1851/1864] angelegt wurde. Der Großteil des Materials ist auf Latein verfasst, gefolgt von Kroatisch, wobei auch Deutsch vertreten ist. Deutsch findet sich sporadisch in Verwaltungsakten der Regierung, in Testamenten und anderen Dokumenten und ist insbesondere in Rundschreiben und Verfügungen höherer Behörden und Briefen aus Wien/Österreich vertreten, alles im Zeitraum 1849–1850. Das Material ist relevant für die Erforschung der Stellung der Freien und Königsstadt Zagreb bis 1850 im Kontext der habsburgischen Königsstädte, für das Verhältnis zwischen kommunalen und zentralstaatlichen Behörden und für Informationen über Zagreber Einwohner aus österreichischen und deutschen Gebieten. Sein Folgebestand ist der Fonds HR-DAZG-4 Stadtverwaltung Zagreb. Deutschsprachiges Material ist in der Zeit von 1850–1860 stärker vertreten und findet sich häufiger in Beständen aus späterer Zeit bis zum Ende der Habsburgermonarchie. Es kann ebenso zur Erforschung verschiedener Lebensverhältnisse in der Stadt und einiger Einwohner mit deutscher Muttersprache dienen. Ich möchte an dieser Stelle einige Beispiele von interessantem Material in deutscher Sprache nennen, das sich in diesem Bestand befindet  – in der Regel aus dem Zeitraum 1850–1860. Eine größere Menge Materials ist in der Serie Hilfsämter (Pomoćni uredi) (Zentrales Schreibamt der Stadtverwaltung) enthalten, in denen sich Schriftstücke der Stadtverwaltung unterschiedlichsten Inhalts finden, die vom Schreibamt versandt oder empfangen wurden. So kann man hier Dokumente zu Passangelegenheiten, Bewohnerschaftsrecht, Heimatscheine, Rekrutierung, Heimatrecht, Rundschreiben, Verfügungen von höheren Behörden und diversen anderen Themen der Stadt und ihrer Bewohner finden. In der Serie Präsidialamt (Predsjedništvo) finden sich Dokumente zu militärischen, wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten, zu Stadträten, Rundschreiben, Anordnungen höherer Behörden etc. Einen besonderen Teil des Materials bilden Rundschreiben der k. k. Statthalterschaft aus der Zeit 1850–1857. Deutschsprachiges Quellenmaterial ist auch in der Serie Politische Abteilung (Politički odsjek) vertreten. Hier befinden sich unter anderem eine erhaltene Dokumentation der Volkszählung der Stadt Zagreb aus dem Jahr 1857, Unterlagen über Bevölkerungsevidenz und Passierscheine (Aufenthaltskarten, Legitimationskarten und »Passbewerber«) sowie über das Zagreber Armenhaus und Armenstiftungen. Auch in der Archiveinheit der Armenkommission (Sirotinjsko povjerenstvo) findet sich deutschsprachiges Quellenmaterial. Dabei handelt es sich um Dokumente einer besonderen Stelle, die für die Festlegung von Fürsorge und Vormundschaft zuständig 4

, 1.8.2022.

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hORvat: dEutSchSpRachigE QuEllEn iM StaatSaRchiv in ZagREB

war. In kleineren Mengen gibt es auch deutschsprachiges Material in den Dokumenten der Armenkasse (Sirotinjska blagajna), in dem Gelder erfasst wurden, die für die Arbeit der Armenkommission bestimmt waren. Und es findet sich Deutsch in den Protokollen der Militär-Grenz-Gemeinde (imovna općina) Nova Ves in der Serie Wirtschaftsabteilung (Gospodarski odsjek) sowie in einem Verzeichnis der zur Rekrutierung eingeladenen jungen Männer, das in der Militärabteilung (Vojni odsjek) aufbewahrt wird. Material gibt es weiterhin auch in der Archiveinheit Bau- und Feuerwehrabteilung (Bauabteilung) (Građevno-vatrogasni odbor (Građevni odsjek)) mit Gebäudedokumentationen (Schriftstücke und Pläne) und der Bauordnung für Zagreb. Dabei findet sich deutschsprachiges Material generell auch in anderen Serien der Stadtverwaltung. Allgemein enthalten die Fonds der Stadtverwaltung auch in späteren Zeiten Korrespondenz mit deutschen Städten und Gemeinden, Rundschreiben und Anschreiben aus Wien, Normalien, Dokumente von Personen aus dem deutschen Sprachraum, amtliche Dokumente mit Deutsch als Zweitsprache, diverses Pressematerial sowie Beilagen zu Schriftstücken und Plänen. (Hierbei handelt es sich um die Fonds HR-DAZG-4, HR-DAZG-10 und HR-24). Auch im Fonds HR-DAZG-3 Königliche Bezirksverwaltung Zagreb5 findet sich Material in deutscher Sprache. Dabei handelt es sich um relativ wenige diverse technische und bauliche Dokumentationen im Zusammenhang mit Flüssen und Orten in der näheren und weiteren Umgebung von Zagreb. So findet sich hier unter anderem eine Dokumentation der Regulierung und wasserbaulichen Maßnahmen an den Flüssen Save (kr. Sava), Kulpa (kr. Kupa) und Mur (kr. Mura), Baudokumente zu öffentlichen Gebäuden, technische Dokumentationen über Gemeindestraßen sowie Protokolle der Forstabteilung. Es handelt sich dabei um Material aus der Zeit von ca. 1850–1860, obwohl Deutsch auch sporadisch in Material aus späterer Zeit auftaucht. Dabei findet sich Deutsch hier und da auch in anderen Fonds der Klasse A. Verwaltung und öffentliche Dienste (Uprava i javne službe). B) RECHTSWESEn 6 Deutschsprachiges Material ist auch in Fonds der Königlichen Bezirksgerichte7 zu finden, vor allem in der Zeit nach der Einführung des zivilen Rechtswesens in der Habsburgermonarchie bis Ende des 19. Jahrhunderts, besonders in der Zeit ab Mitte des 19. Jahrhunderts, als Deutsch vor allem in Grundbuch-Angelegenheiten erscheint. Im Material aus späterer Zeit findet man Deutsch ebenso, aber selten. Zudem ist Deutsch im Fonds HR-DAZG-84 Gerichtsstand (Sudbeni stol) in der Zeit zwischen Mitte und Ende des 19.  Jahrhunderts anzutreffen, in Verbindung mit GrundbuchAngelegenheiten für das Territorium der Stadt Zagreb wie auch mit den Grundbuchämtern von Stadt, Bezirk und Gespanschaft Zagreb und Teilen von Grundbüchern von Adelsbesitz. Neben dem genannten enthält der Fonds auch weiteres deutschsprachiges Material wie Testamente, öffentliche Dokumente sowie diverse Erklärungen und Schenkungs- bis hin zu Eheverträgen.8

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, 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. Informationen über Material in deutscher Sprache in den Gerichtsfonds stammen von der Archivrätin Mirjana Gulić im Februar 2022.

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Der Fonds, der beinahe ausschließlich aus deutschsprachigem Material besteht, ist HR-DAZG-91 Substitutions-Bergamt Samobor (Rudarski substitucioni sud u Samoboru). Dieser umfasst die Korrespondenz zwischen dem Substitutions-Bergamt des Kupferbergwerkes Samobor, dem Bergbaulichen Distriktgericht und der Kammerverwaltung in Schemnitz (sk. Banská Štiavnica). Der Fonds besteht aus zwei Schachteln mit Material aus der Zeit 1794–1847.9 Ein Fonds mit einer größeren Zahl an Material in deutscher Sprache ist HRDAZG-99 Anwaltsbüro Schauff Adalbert (odvjetnička pisarnica Schauff Adalbert).10 Das Material entstand in der Zeit 1846–1892 [1646/1845] und besteht aus Dokumentation in Verbindung mit zahlreichen eigentumsrechtlichen Prozessen, die Schauff als Anwalt für diverse Seiten führte. Davon gehörten viele zur Aristokratie, zum vermögenden Bürgertum oder zur hohen Geistlichkeit. Das Material der übrigen Fonds von Anwälten enthält ebenso Dokumente auf Deutsch, jedoch zu geringeren Teilen. D) ERZIEHunG unD BIlDunG11 Quellen in deutscher Sprache finden sich im Archivmaterial der ältesten Zagreber Schulen aus der Zeit von etwa 1850–1860, wie zum Beispiel HR-DAZG-102 I. Klassisches Gymnasium in Zagreb12 und HR-DAZG-109 I. Knaben-Realgymnasium.13 Es handelt sich dabei hauptsächlich um Schriftverkehr dieser Schulen in Verbindung mit diversen schulischen Angelegenheiten. Rundschreiben auf Deutsch finden sich auch im Fonds HR-DAZG-217 Lehrerinnenseminar der Barmherzigen Schwestern.14 Unter den Schul-Fonds sollten noch die Fonds HR-DAZG-130 Deutsche Zweijährige Handelsschule15 und HR-DAZG-131 Private Evangelische Grund- und Bürgerschule16 erwähnt werden, in denen sich ebenso deutschsprachiges Material befindet. Dabei sind die Fonds relevant auch wegen der Evidenz von Schülern deutscher Volkszugehörigkeit, die diese Schulen besuchten. Der Fonds HR-DAZG-130 Deutsche Zweijährige Handelsschule besteht aus sehr wenig Material, in dem nur stellenweise Deutsch zu finden ist. Der Fonds HRDAZG-131 Private Evangelische Grund- und Bürgerschule besteht aus einer größeren Zahl an deutschsprachigem Material, vertreten in Sitzungsprotokollen, pädagogischen und anderen Dokumenten. E. KulTuR, WISSEnSCHaFT, mEDIEn HR-DAZG-278 Europa Verlag.17 Der Verlag wurde in der Zeit des sogenannten Unabhängigen Staates Kroatien (NDH) gegründet, um durch Zeitschriften und

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, 1.8.2022. , 1.8.2022. Die Überschriften (einschließlich der Anfangsbuchstaben) richten sich nach der Struktur und den Kategorien der archiveigenen Schemata. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022.

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Bücher die staatlichen Interessen Kroatiens im Ausland zu vertreten. Der Verlag publizierte zahlreiche Schriften auf Deutsch. In seine Arbeit waren auch diverse Deutsche eingebunden. Neben der Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften richtete der Verlag einen speziellen Fotodienst sowie eine eigene Nachrichtenagentur ein, den Kroatischen Nachrichtendienst (Hrvatska izvještajna služba). Das Material des Fonds entstand hauptsächlich in der Zeit 1941–1945 und besteht aus Dokumenten über seine Arbeit sowie einer großen Zahl thematisch kategorisierter Zeitungsausschnitte, die dem Nachrichtendienst »Europa« angehörten. Ein Teil des Materials ist deutschsprachig. F. GESunDHEIT unD SoZIalE EInRICHTunGEn Quellenmaterial findet sich sporadisch auch in Dokumenten Zagreber Krankenhäuser und anderer Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, überwiegend in Korrespondenzen mit juristischen und natürlichen Personen aus dem deutschen Sprachraum. Im Fonds HR-DAZG-243 Stiftsspital Zagreb (Zakladna bolnica u Zagrebu)  – des ältesten Krankenhauses der Stadt – ist das älteste überlieferte Krankenbuch aus den Jahren 1844–1848 auf Deutsch und Latein geschrieben. Deutschsprachiges Material befindet sich auch im Fonds HR-DAZG-785 Stiftung Ban Jelačićs für versehrte Soldaten und deren Familien (Zaklada bana Jelačića za nemoćne vojnike i njihove obitelji). Hier finden sich Akten, Dokumente zu Abgaben und Arbeitsberichte. Mehrheitlich ist das Material bis 1860 auf Deutsch verfasst.18 G. WIRTSCHaFT unD BanKEnWESEn Deutsch ist sporadisch vertreten in zahlreichen Wirtschaftsfonds – in Fonds von Filialen und Niederlassungen sowie anderen Fonds. Hier sollen nur einige wichtigere Fonds aufgeführt werden, in denen sich Deutsch in Wirtschaftskorrespondenz und in Dokumentation findet. Es bestehen keine gesonderten größeren Archiveinheiten, die ausschließlich oder überwiegend auf Deutsch verfasst wurden. HR-DAZG-247 Erste Kroatische Sparkasse (Prva hrvatska štedionica).19 Der Fonds enthält wertvolles Material dieser alten Bankinstitution aus der Zeit von 1846 bis 1949. HR-DAZG-251 Zagreber Versammlung  – Zagreber Messe (Zagrebački zbor  – Zagrebački velesajam). Enthält Korrespondenz auf Deutsch mit deutschen Partnern für diverse Ausstellungen. Deutsch ist auch vertreten in Schlussberichten sowie in Reiseberichten.20 HR-DAZG-252 Handelskammer Zagreb (Trgovinska komora u Zagrebu).21 Die Handelskammer ist eine wichtige Wirtschaftsinstitution mit Material aus der Zeit 1836–1948 nicht nur für das Gebiet der Stadt Zagreb, sondern auch für die weitere Umgebung. Während des Zweiten Weltkrieges wurde sie zur zentralen Einrichtung für das Gebiet des Unabhängigen Staates Kroatien (NDH).

18 , 1.8.2022. 19 , 1.8.2022. 20 , 1.8.2022. 21 , 1.8.2022. SpiEgElungEn 2.22

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HR-DAZG-279 Städtisches Gaswerk Zagreb (Gradska plinara Zagreb).22 Enthält Material von 1862–1945. In einzelnen Dokumenten wie unter anderem Ansichten, Fotografien findet sich auch die deutsche Sprache. HR-DAZG-292 Zagreber Dampfmühlen AG (Zagrebački parni mlin d. d.).23 Der Fonds enthält Korrespondenz und Rechnungen aus der Zeit vom Ende des 19. bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. HR-DAZG-523 Zagreber elektrische Straßenbahn (Zagrebački električni tramvaj). 24 Im Fonds findet man originale Straßenbahnpläne sowie Korrespondenz auf Deutsch. HR-DAZG-1243 Nationale Mühlen- und Gewerbeindustrie AG (Narodna mlinska i gospodarska industrija d.d.).25 Wichtiges Unternehmen in der Nahrungsindustrie mit Material vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1945. J. RElIGIöSE EInRICHTunGEn HR-DAZG-1241 Verwaltung der Kirche der Hl. Katharina in Zagreb (Ravnateljstvo Crkve Sv. Katarine u Zagrebu).26 Im Fonds befindet sich in drei Archivboxen Material aus der Zeit von 1667 bis 1972. Deutsch ist sporadisch vertreten in Dokumenten zu Missionsstiftungen, zur Kirchdienerwohnung, in Rechnungen und Ähnlichem. K. aDElS-, FamIlIEn- unD pERSonEnFonDS In Personen- und Familienfonds findet sich deutsches Material in Korrespondenzen, persönlichen und beruflichen Dokumenten sowie anderen Einheiten. An dieser Stelle sollen auch im Umfang kleine Fundstellen mit deutscher Sprache genannt werden, da es nützlich scheint, diese zu erwähnen. (Dies ist vor allem möglich aufgrund der guten Hilfs- und Informationsmittel, die für diese Fonds existieren).27 Dokumente auf Deutsch finden sich auch in anderen Fonds dieser Klasse, die hier nicht beschrieben sind, da sie weniger relevant erscheinen. pERSonEnFonDS HR-DAZG-835 Stjepan Delić.28 Stjepan Delić war ein mit Auszeichnungen geehrter Soldat und Oberst sowie Teilnehmer am Ersten Weltkrieg. Deutsch findet sich in persönlichen Dokumenten einschließlich seiner Ernennungen und Auszeichnungen, in Dokumenten, die während seines Militärdienstes entstanden, in eigentumsrecht lichen Dokumenten, in seiner Korrespondenz sowie in unveröffentlichten Manuskripten wie etwa Sprachstudien. Deutsch ist auch ein Teil der Korrespondenz und eigentumsrechtliche Dokumente seines Vaters und seiner Mutter sowie ein Teil der eigentumsrechtlichen Dokumenten der verwandten Familie Kamenar.

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, 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. 26 , 1.8.2022. 27 Den Großteil der Inventare der Personen- und Familienfonds, aus denen die Informationen für diesen Text übernommen wurden, erstellte die Archivrätin Branka Molnar. 28 , 1.8.2022.

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HR-DAZG-846 Lazarus von Mamula.29 Erhalten sind Dokumente dieses Soldaten, Obersts und Generalmajors sowie späteren Leutnants und Feldmarschallleutnants, des Teilnehmers an Kriegseinsätzen unter anderem gegen Italien sowie 1848 gegen Ungarn. Ban Josip Jelačić ernannte ihn zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Kroatien und Kaiser Franz Joseph I. zum Kommandierenden General von Dalmatien, 1859 zum Gouverneur von Dalmatien. 1865 wurde ihm der Rang eines Feldzeugmeisters zuerkannt. In deutscher Sprache sind die Dokumente seiner Auszeichnungen, biografische Dokumente und Korrespondenz aus der Zeit von etwa 1850 bis 1865. HR-DAZG-847 Albert Nugent.30 Albert Nugent war ein dekorierter Soldat und Zeitgenosse der Geschehnisse der 1840er-Jahre, insbesondere der militärischen und politischen Ereignisse des Jahres 1848. Das Material ist fragmentarisch erhalten, kann aber zur Illustration der Geschehnisse von 1848 dienen. Deutsch sind dabei die Dokumente, die während seines Militärdienstes entstanden sind, sowie ein Teil seiner Sammlung (Druckerzeugnisse), zumeist aus der Zeit von 1848, aber auch von 1850/1851, sowie Dokumente, die sich auf übrige Mitglieder der Familie Nugent beziehen (1803–1880). HR-DAZG-841 Imbro Josipović.31 Imbro Josipović war ein Abgeordneter der Nationalpartei (Narodna stranka) im Kroatischen Parlament (kr. sabor) und von 1889 kroatisch-slawonisch-dalmatinischer Minister ohne Portfolio in der Zentralregierung in Budapest. Auf Deutsch ist die Korrespondenz mit Đuro Deželić, Fran Folnegović und anderen, Dokumente zum Meliorationsprojekt im Lonjsko polje, Belege, Einladungen – alle aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. HR-DAZG-838 Ilija Guteša.32 Ilija Guteša war Teilnehmer an den antideutschen Demonstrationen von 1859 und ab 1862 Abgeordneter im Kroatischen Sabor. Er organisierte humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im bosnisch-herzegowinischen Aufstand 1877 und wurde im selben Jahr zum Mitglied der »bosnisch-herzegowinischen Nationalregierung« ernannt. Auf Deutsch ist ein Teil seiner persönlichen Dokumente sowie Dokumente seiner humanitären wie politischen Arbeit – alles rund 15 Dokumente: Heimatschein (1854), Hilfe an Hungernde in der Lika (1874), Hilfe für Menschen in der Krajina (1881). HR-DAZG-1300 Kosta Jovanović.33 Kosta Jovanović war Mitte des 19. Jahrhunderts ein diensthabender Beauftragter der Südarmee Jelačićs und Teilnehmer der militärischen und politischen Ereignisse dieser Zeit. Das fragmentarisch erhaltene Material ist zumeist deutschsprachig: Bitten um Auszeichnungen mit Beschreibungen der Leistungen (1848?), Korrespondenz mit Ban Jelačić (1849), Albert Nugent (1849), Patriarch Josif Rajačić (1848–1849), der Gemeinde Palanka (1849), Brigadeoberst Puffer (1849), dem Freiwilligenkorps der Batschka (kr., sr. Bačka, 1849) und anderen aus der Zeit von 1848/1849. Deutsch sind weiterhin Rundschreiben der k. k. Militärkommission in Palanka 1849, Anweisung des k. k. Beauftragten der königlichen Hilfstruppen in Ungarn 1857, ein Schreiben von Ivan Medenac an Patriarch Rajačić 1852, eine Liste der Freiwilligen im Freiwilligenkorps der Batschka 1849, ein

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, 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022.

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Bericht von Šimun Dobrich aus dem Freiwilligen-Bataillon 1849 und eine geringe Menge weiteren Materials. HR-DAZG-851 Josip Pliverić.34 Josip Pliverić war Experte für Staatsrecht und einer der Begründer des zeitgenössischen Verfassungsrechts in Kroatien. Auf Deutsch ist seine Korrespondenz erhalten sowie ein Konzeptpapier zu Finanzfragen in Ungarn – alles aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. HR-DAG-1015 August Roth.35 August Roth war Handelsreisender und später Direktor der Ersten Kroatischen Ölfabrik AG in Zagreb. Auf Deutsch ist ein Teil seiner Korrespondenz aus der Zeit zwischen 1930 und 1942. HR-DAZG-852 Stjepan Radić.36 Stjepan Radić war ein wichtiger kroatischer Politiker zum Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und während des Königreiches Jugoslawien. Auf Deutsch ist etwa Material mit biografischen Angaben, ein geringer Teil seiner Korrespondenz, viele Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitte sowie Broschüren. HR-DAZG-861 Rudolf Vrbanić.37 Rudolf Vrbanić war Direktor der Zagreber Strom- und Wasserwerke. Seine Frau war Miteigentümerin der Mineralwassermarke Jamnica. In deutscher Sprache sind eine Bewertung der Produktion der Quellen von Vrućica (o. J.), zahlreiche Dokumente seiner Korrespondenz (1901–1944), etwas Korrespondenz von Mija und Ljuboslav Krešić (1871–1930), ein Projekt einer Wasserleitung Karlstadt (kr. Karlovac)–Zagreb (1929–1930), Broschüren und Formulare (1919– 1933), Zeitungsausschnitte (1901–1944), Traueranzeigen (1891–1943), eine Hausordnung (o. J.) und eine Autobiografie (o. J.). FamIlIEnFonDS HR-DAZG-818 Familie Blažeković.38 Deutsch findet sich in militärischen Dokumenten von Ivan Blažeković (1805/1827), in Bewertungen der Herrschaft Vukovina (1852) und in Gerichtsprotokollen (1788/1813). HR-DAZG-819 Familie Bušić.39 Deutsch ist vertreten in Dokumenten, die den beruflichen Tätigkeiten von Otmar Bušić (1890/1894) entstammen, im Diplom der Medizinischen Fakultät für Josip Paurich (1863), im Anschreiben des Kriegsministeriums (1863), in einem Teil der Sammlung von Postkarten mit diversen Motiven (Städte, historische Ereignisse, Karikaturen, Erotika unter anderem) aus dem 20. Jahrhundert. HR-DAZG-825 Familie Jelačić.40 In diesem Fonds findet man zahlreiche deutschsprachige Dokumente diverser Mitglieder der Familie Jelačić (aus mehreren Zweigen der Adelsfamilie) sowie ihr verwandter Familien und Freunde aus der Zeit vom 18. bis 20. Jahrhundert. Deutsch ist vertreten in Einheiten wie dem Stammbaum des Hauses Jelačić, in persönlichen Dokumenten, Beiträgen zu Biografien, Dokumenten zur Erteilung von Adelstiteln und Auszeichnungen, zu beruflichen Tätigkeiten, zum Militärdienst, in eigentumsrechtlichen Dokumenten und Dokumenten zu Besitztümern, Rechtsstreiten, Korrespondenzen, Reden und technischen Dokumentationen. 34 35 36 37 38 39 40

, 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022.

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Unter den Dokumenten, die nicht direkt mit Familienmitgliedern verbunden sind, finden sich etwa auch Unterlagen zur Ludovika-Militärakademie in Budapest, zu einer religiösen Stiftung der Barmherzigen Brüder von 1810 sowie zu politischen und militärischen Ereignissen von 1848–1850. Unter anderem ist darin auch das Tagebuch, das Wilhelm Hugo von Hompesch-Bollheim unter dem Titel Tagebuch für Adolphine gehalten zusammenstellte, mit Beschreibungen der Ereignisse vom 30. September bis 6. November 1848; das Tagebuch Ein kleines Tagebuch aus grosser Zeit – von Herman F. Dahlen (Beschreibung der Ereignisse vom 6. September bis 2. Dezember 1847) und eine Abschrift (beide Tagebücher entstanden wahrscheinlich um 1860). Im Quellenmaterial finden sich auch diverse Bücher und Broschüren, beispielsweise J.  Zajączkowski: Secularfeier des Mariatheresien-Ordens (1857), Eligius von MünchBellinghausen: Prolog für die Säcularfeier (1857) sowie Pressematerial wie etwa Dokumente über den Tiroler-Radetzky-Verein (enthält Zeichnungen von Gewehren, 1850). Es finden sich auch Dokumente zu Personen, die familiär oder freundschaftlich mit Mitgliedern des Hauses Jelačić verbunden waren, etwa zu Levin Rauch, Marija Rauch, Christian Baron Steeb, Franka Kalnoky, Oberstleutnant Andrija Szaraga, Graf Lillienberg sowie zu den Familien Christallnigg und Egger, Portner, Rauch und Knežević (Knesevich). Im Fonds werden auch zahlreiche Fotografien von Familienmitgliedern, verwandtschaftlich oder freundschaftlich verbundenen Personen als auch Theaterkünstlern der Zeit von etwa 1870 bis 1910 aufbewahrt. Auf Deutsch ist ein Teil der Dokumente, die mit den Familienbesitztümern verbunden sind: Vukovina und Svetice, Jankomir, Molvice, Samobor, Domaslovac, Golubovac, Oroslavje, Prečno, Novi Dvor und andere sowie von Besitztümern verwandter Familien. HR-DAZG-1013 Familie Vukelić.41 In diesem Fonds sind besonders die unveröffentlichten literarischen Werke der Schriftstellerin Vilma Vukelić (geb. Miskolczy) wertvoll sowie jene ihres Mannes Milivoje Vukelić. Auf Deutsch ist illustratives biografisches Material von Julije Miskolczy (Zeitungsartikel, 1902, 1907) sowie publizistische Arbeiten von ihm (1890). Deutschsprachig ist auch ein Teil des Materials zu Milivoje Vukelić von 1908 bis in die 1930er-Jahre: Romane und Erzählungen, Gedichte, Literaturkritiken sowie weitere literarische Arbeiten. Auch ist ein großer Teil des literarischen Schaffens von Vilma Vukelić auf Deutsch: Romane (1930er–1950er-Jahre), Zeitungsartikel (1900/1940), Gedichte (1890/1952), Übersetzungen (1890er/1940er-Jahre), Literaturkritik (1923), Notizen (1908–1940), Memoiren (1898–1940) sowie Korrespondenz (1899–1955) und illustratives biografisches Material (1892–1895). Es gibt zudem Material in deutscher Sprache zu Mitgliedern der Familie Ullmann (1880–1898, drei Stücke). Die Serie Sonstiges enthält Übersetzungen von Gedichten ins Deutsche (1950?) und Druckerzeugnisse (1896/1955). HR-DAZG-1018 Familie Wundszam.42 Auf Deutsch sind Dokumente von Olga Katičić, Ehefrau von Aleksandar Wundszam, von Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1932: Prosawerke, Gedichte, Notizen und Konzepte, Korrespondenz und andere Dokumente (Rechnungen, Rezepte und Zeugnisse) sowie Dokumente über die Krankenhausbehandlung von Gizela Wundszam, der Tochter von Alexander Wundszam, aus dem Jahr 1930 und diverses Pressematerial (Werbekataloge für Krankenhäuser und Kurorte in Wien von 1930 und die Deutsche Zeitung für Briefmarkenkunde von 1935). 41 , 1.8.2022. 42 , 1.8.2022. SpiEgElungEn 2.22

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HR-DAZG-834 Familie Zrinski.43 In deutscher Sprache ist nur das Zeugnis Baron Gideon Laudons für den Adligen Rauch für hervorragende Führung im Militärdienst aus dem Jahr 1759. HR-DAZG-831 Familie Stepanić.44 Deutsches Material findet sich im Teil der eigentumsrechtlichen Dokumente von Matija und Ladislav Stepanić (1770/1856, Latein, Deutsch und Kroatisch). Es handelt sich dabei um eine kleine Menge an Material. HR-DAZG-823 Familie Deželić.45 Folgendes Material ist in deutscher Sprache: eine Urkunde aus dem Jahr 1881, die Đuro Deželić den Ritterorden Franz Josephs I. verleiht, der Personalausweis von Antonija (Tonka) Deželić aus dem Jahr 1916 und ein kleiner Teil der Korrespondenz von Antonija aus dem Jahr 1932. In der Serie Sammlung Velimir Deležić befindet sich die Sammlung Autographen, die auch die Korrespondenz verschiedener berühmter Persönlichkeiten aus der Zeit von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 1915 enthält. Deutsch ist auch vertreten in einer kleinen Einheit Andere Schriften aus dieser Sammlung 1859/1925. Weiterhin findet sich deutsches Material in der Sammlung Velimir Deležić in der Einheit Gesichter von 1903/1940, die Zeitungsausschnitte und Notizen von V. Deželić über einige wichtige zeitgenössische Personen enthält; ebenso in der Sammlung Portraits 1920/1940 (enthält Fotografien und Zeitungsausschnitte mit Reproduktionen von Porträts seiner Zeitgenossen, einschließlich der Geburts- und Sterbedaten) und in der Sammlung Länder 1919/1939 (Zeitungsausschnitte zu geografischen Orten, teils begleitet von Notizen von V. Deželić). HR-DAZG-830 Familie Spišić.46 Im Fonds dieser Adelsfamilie aus der Region Turopolje findet sich ebenso Material in deutscher Sprache: eine Liste der in den Archiven der Gespanschaft Zagreb hinterlegten Dokumente (1813), Eigentumsdokumente von Gustav Spišić (1851), Traueranzeigen verschiedener Mitglieder der Familie Spišić und verwandter Familien aus den Jahren 1837–1924 sowie Traueranzeigen anderer Personen aus der Zeit 1850–1955. Hier ist auch die Proklamation über die Art des Loskaufs von Robot und Zehent aus dem Jahr 1848 in kroatischer und deutscher Sprache zu finden sowie ein kleiner Teil weiteren Materials. HR-DAZG-832 Familie Škrlec.47 Eine Adelsfamilie aus Lomnica, Velika Gorica und Zagreb. In deutscher Sprache gibt es einen kleinen Teil der Unterlagen über Grundbesitz und Korrespondenz aus der Zeit vom 18. Jahrhundert bis in die 1870erJahre und andere Unterlagen sowie auch ein Suchbefehl von 1851 in der Serie Fonds Balaško. HR-DAZG-1002 Familie Turković.48 Wohlhabende Kaufmannsfamilie aus Kraljevica, Karlovac, Zagreb und Kutjevo. In deutscher Sprache sind ein Teil von Personaldokumenten, Korrespondenz, eigentumsrechtlicher Dokumente, biografische Anhänge und Buchhaltungsunterlagen verschiedener Mitglieder der Familie Turković aus der Zeit 1852–1944 (auch ein Teil der Dokumentation zum Streit von Ivan Nepomuk Turković mit der türkischen Regierung 1856/1867). In Deutsch ist zudem ein Teil der Dokumente des Gutes Kutjevo 1882/1934, der Kalniker Kohlenstoff AG 1885/1917, der Zagreber Brauereien und Malzfabrik 1892/1906, der Ziegelei 1893/1904, 43 44 45 46 47 48

, 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022.

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Familienkostenbücher 1870/1948, verschiedene Veröffentlichungen 1869/1945 (Broschüren, Zeitungen, diverse Berichte, Hochzeitsanzeigen, Prospekte, Theaterprogramme unter anderem). Auch Teil der Dokumentation zu Matija Raslić 1892– 1893, diverse Briefe und Postkarten 1881/1932, Schriftfragmente, Konzepte, Notizen und Schulhefte 1880/1946 und diverse Traueranzeigen 1904–1945. HR-DAZG-1010 Obitelj Gelinek.49 Deutsch ist in allen Einheiten vertreten, in persönlichen und eigentumsrechtlichen Dokumenten, in solchen zum Wehrdienst, zu Ernennungen und Auszeichnungen, in Arbeitsdokumenten, Korrespondenz, biografischem Material und in anderen Dokumenten in Verbindung mit Hubert (österreichisch-ungarischer Armeeoffizier), Camilla (seine Frau) und Alfonso Gelinek (ihr Sohn) aus der Zeit von 1863 bis 1939. HR-DAZG-822 Familie Čučković.50 In deutscher Sprache ist ein Teil der persönlichen Dokumente verfasst sowie der Korrespondenz; zudem von biografischem Material als auch eigentumsrechtliche Dokumente, Rechnungen verschiedener Mitglieder der Familie Čučković (1846/1966) und ein Fragment eines Aufgabenheftes von Uroš Čučković aus den 1880er-Jahren sowie ein Teil von Dokumenten über das Haus in der Visoka Straße 6 in Zagreb (1869/1883). I. GESEllSCHaFTEn unD VEREInE In den Beständen der Zagreber Zünfte ist auch Material in deutscher Sprache vorhanden: in Gesellen- und Meisterbriefen, Diplomen, Reisebüchern, Konzessionsbüchern, Briefen, Zeugnissen, Rechnungen, Verträgen, Protokollen, Anträgen und vielem mehr. Das Material stammt aus dem 18. und 19. Jahrhundert.51 HR-DAZG-812 Bürgerliche Schützengesellschaft in Zagreb.52 Obwohl dieser Fonds nur wenig Archivmaterial enthält, ist er doch relevant, da er die Geschicke einer der ältesten Gesellschaften in Zagreb widerspiegelt. Aus dem Material ist eine Korrespondenz aus der Zeit von 1845–1860 in deutscher Sprache erhalten sowie Einladungen zu Schützenfesten von 1826–1911. l. SammlunGEn Die deutsche Sprache ist sporadisch in folgenden Sammlungen vertreten: Druckerzeugnisse, Archivalien, Memoranden, Urkunden, Zagreber Theatralia, Urbarialia und Karlić Petar. HR-DAZG-845 Sammlung Alfred Makanec.53 In dieser Sammlung des Amateursammlers Alfred Makanec finden sich diverse interessante und wertvolle Dokumente in deutscher Sprache wie Verordnungen und Verlautbarungen von Karl VI., Maria Theresia, Joseph II., Leopold II., Franz II. und Ferdinand V. aus dem 18. und 19. Jahrhundert, eine Abschrift der Proklamation von Ban Ignaz Gyulay aus dem Jahr 1809, Verfügungen der Ungarischen Hofkammer aus dem 18. und 19. Jahrhundert, Proklamation der Direktion für das österreichische Küstenland aus dem Jahr 1830, Schriften der Provinz Fiume aus dem 18. Jahrhundert, Schriften aus dem frühen 19. Jahrhundert, die sich auf die Illyrischen Provinzen und das Königreich Illyrien beziehen. Es gibt auch Proklamationen, Urkunden und verschiedene Dokumente der Stadtver49 50 51 52 53

, 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022. , 1.8.2022.

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waltungen aus dem 18. und 19.  Jahrhundert (Csakathurn (kr. Čakovec), Kopreinitz (kr. Koprivnica), Agram (kr. Zagreb)), zudem die Akten der Adelsfamilien Auersperg, Erdődy, Morsciano und der Domäne Ozalj aus dem 18. und 19. Jahrhundert. In der Serie Zeit von der Abschaffung des Feudalismus bis 1918 finden sich Verlautbarungen, Orden, Manifeste Franz Josephs I. aus dem 19. und 20.  Jahrhundert. Das Material umfasst auch die Verfassung der Militärgrenze (Ustav krajiški) von 1881, Proklamation und Memoranden der Nationalversammlung in Zagreb von 1848 sowie Urkunden, Proklamationen, Anordnungen und Protokolle des Ban-Rates von 1848–1850 und der Ban-Regierung, einen Brief an den Justizminister von 1851/1852 sowie Schreiben des k. k. Statthalters in Zagreb von 1854–1860. Im Archivmaterial gibt es in deutscher Sprache auch einige Schriften der k.  k. Ministerien aus der Zeit von 1850–1860 sowie anderer Verwaltungsorgane aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zum Beispiel der Bergbaugesellschaft oder des k. k. Zentralen Finanzamtes in Zagreb und vieles mehr. Des Weiteren finden sich hier Dokumente von Stadtverwaltungen aus der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts (Koprivnica, Zagreb) sowie Dokumente aus Österreich-Ungarn, Bosnien-Herzegowina (18.–19. Jahrhundert) und Serbien (19. Jahrhundert), verschiedene Briefe an die Justiz, Militäreinheiten, Institutionen und Körperschaften sowie Militärgemeinschaften aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Interessant sind die Militärgerichtsakten im Matačić-Keglević-Prozess aus dem 19.  Jahrhundert und die Akten im Prozess gegen Mitglieder des Jugoslawischen Komitees von 1915–1918. Hinzu kommen Schriften von Bildungs- und Kultureinrichtungen, Vereinen und verschiedenen Personen aus dem 19. Jahrhundert. Einige Gedichte aus dem 18. und 19. Jahrhundert und einige Zeitungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert sind ebenfalls erhalten. HR-DAZG-869 Kartografische Sammlung.54 Die Sammlung ist sehr reich und besteht aus etwa 5.000 Stücken. In der Sammlung befinden sich Sonderserien mit einer Vielzahl von Karten in deutscher Sprache aus dem 19. und 20. Jahrhundert: Österreichische und deutsche Spezial-, General- und Übersichtskarten, Österreichische Schnittfotografien (1912–1913), Skizzen und Situationspläne von Kriegsoperationen (in dieser Serie gibt es deutsche Karten hauptsächlich aus der Zeit von 1870–1913, aber auch bis 1918), Kriegskarten (1877/1878 bis überwiegend 1918), Katastralkarten des österreichischen Stabilkatasters, Verkehrskarten, historische Karten. Karten in deutscher Sprache, die teilweise österreichische oder deutsche Regionen zeigen, finden sich zudem in den Serien Pläne verschiedener Städte, Katasterkarten und in anderen Serien. HR-DAZG-870 Sammlung von Matrikelbüchern aus dem Zuständigkeitsbereich des Staatsarchivs in Zagreb.55 Diese Sammlung enthält mehrere Bücher in deutscher Sprache (obwohl Register in lateinischer und kroatischer Sprache aufgrund meist identischer Meldeformulare relativ einfach für Forscher aus anderen Sprachgebieten zu durchsuchen sind). Dies sind Register von evangelischen Christen, von Juden und der Militärseelsorge in Zagreb. Diese Matrikeln deckten nicht nur die Stadt Zagreb ab, sondern auch die weitere Umgebung. HR-DAZG-1122 Sammlung von Baudokumenten.56 Diese Sammlung enthält eine große Zahl von Entwürfen, Bau- und Nutzungsgenehmigungen und dazugehörige 54 , 1.8.2022. 55 Eine detaillierte Liste dieser Bücher ist zugänglich unter: , 1.8.2022. 56 , 1.8.2022.

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hORvat: dEutSchSpRachigE QuEllEn iM StaatSaRchiv in ZagREB

Dokumentationen für Gebäude, die in Zagreb und Umgebung vom 19. Jahrhundert bis 1967 errichtet wurden. Auf einigen älteren Entwürfen aus dem 19. Jahrhundert finden sich Beschreibungen. HR-DAZG-1301 Sammlung von Musiknoten aus dem Werk von Sigmund Oskar.57 Diese Sammlung ist vollständig auf Deutsch. Es handelt sich um Kopien von Oskar Sigmunds Notenschriften aus der Zeit von 1919–2008, die eine wertvolle Quelle für die Kirchenmusik darstellen. Die Werke sind meist für Orgel und Klavier geschrieben, weniger für Violine und Cembalo, und ein Teil ist für a cappella Gesang. HR-DAZG-840 Sammlung Slavko Ježić.58 Diese sehr kleine Sammlung ist teils auf Deutsch. Besonders wertvoll darin ist das Reglement Maria Theresias von 1748 (das sogenannte Engelshofener Reglement). FaZIT Deutschsprachiges Material ist in verschiedenen Materialklassen des Staatsarchivs in Zagreb vertreten, in einer Vielzahl von Fonds und Sammlungen. Wertvolles Material in deutscher Sprache wird in bestimmten Fonds und Sammlungen verwahrt, unter anderem in den Beständen der Stadt Zagreb, des Substitutions-Bergamtes, der Sammlung Alfred Makanec und der Kartografischen Sammlung. Der größte Teil des deutschsprachigen Materials in den Beständen des Staatsarchivs in Zagreb ist nicht von herausragender Bedeutung für die allgemeine historische Forschung, sondern eher für einzelne Spezialforschungen zu konkreten natürlichen oder juristischen Personen oder zu einer bestimmten Beziehung zu den Behörden in Zagreb und Umgebung. Deutschsprachiges Material tritt dabei in den meisten Fällen unter kroatischsprachigem Material sporadisch auf und ist für Forschende ohne Kenntnisse der kroatischen Sprache eher schwer zugänglich.

Aus dem Kroatischen von Heiner Grunert Kontakt Državni arhiv u Zagrebu Opatička 29 10000 Zagreb, Kroatien Telefon: + 385 1 4807 150 Fax: + 385 1 4807 157 E-Mail: [email protected] Webseite: www.daz.hr

DR. kataRina HoRvat ist seit 2003 im Staatsarchiv in Zagreb mit dem ordnen und Bearbeiten von archivmaterial betraut. 2015 erhielt sie die Qualifikation einer oberarchivarin. Sie hat an Konferenzen von archivaren und Historikern teilgenommen und mehrere historische und archivwissenschaftliche artikel veröffentlicht. Im Dezember 2018 verteidigte sie an der philosophischen Fakultät der universität Zagreb ihre Doktorarbeit »Hausangestellte in Zagreb 1880–1914«.

57 , 1.8.2022. 58 , 1.8.2022. SpiEgElungEn 2.22

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Archivalisches Erbe der Universität Zagreb Von Vlatka Lemić

EInlEITunG Archive sind einzigartige Informationsquellen und Bewahrer der Erinnerung. Sie sind unverzichtbar für das Verständnis der Vergangenheit und entscheidend für die Dokumentation der Gegenwart. Deshalb sind sie ein integraler Teil einer jeden Institution und stellen unentbehrliche Zeugen ihrer Entstehung, Entwicklung und ihres Handelns dar. Die Geschichte der Universität Zagreb (kr. Sveučilište u Zagrebu) ist in vielen Archivaufzeichnungen dokumentiert, die ihre organisatorische Entwicklung und ihre Tätigkeit sichtbar machen. Allerdings entspricht die Problematik der Bestandserhaltung und der Zugänglichkeit des universitären Archivguts dem Zustand des Archivwesens in Kroatien insgesamt: Es existiert eine Zweiteilung und fachliche Uneinheitlichkeit zwischen dem Netzwerk staatlicher Archive und den anderen Institutionen, die Archivgut bewahren. Das geltende Gesetz über Archivgut und Archive in seiner Fassung aus dem Jahr 2018 legt wie auch frühere Regelungen in Kroatien fest, wie mit unterschiedlichem Archivgut umzugehen ist. Allerdings befindet sich Archivgut, das außerhalb des öffentlichen Archivnetzes aufbewahrt wird, aufgrund verschiedener historischer Umstände, die auf die Entwicklung und Organisation des Archivwesens in Kroatien eingewirkt haben, mehrheitlich praktisch außerhalb der Reichweite von Archivfachleuten. Das gilt auch für die Archive von akademischen Institutionen und Bildungseinrichtungen. Daher organisieren die Herkunftsinstitutionen, in denen das Archivgut liegt, es ihren Erfordernissen entsprechend und erschließen es auf Basis ihrer Fachstandards. Dabei spielen sowohl ihre Möglichkeiten als auch ihre Bereitschaft, mit dem zuständigen staatlichen Archiv zusammenzuarbeiten, eine entscheidende Rolle. Universitätsarchive werden in den fachlichen Analysen der Archivkunde in Kroatien regelmäßig als Modell für die Errichtung spezialisierter Archive herausgehoben, und die Frage des Archivs der Universität Zagreb wurde im Laufe der Zeit mehrmals aufgegriffen. Unter den neueren Initiativen sticht diejenige aus dem Jahr 1992 hervor, bei der die Universitätsverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Kroatischen Staatsarchiv (kr. Hrvatski Državni Arhiv, im Folgenden: HDA / HR-HDA), dem damaligen Archiv Kroatiens und zuständigen staatlichen Archiv für alle Einrichtungen der SpiEgElungEn 2.22

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Universität, eine Studie zu den Voraussetzungen der Gründung und den Aufgaben eines Archivs der Universität Zagreb angefertigt hat. Darin sind die fachlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Tätigkeit einer solchen Einrichtung innerhalb des Netzwerks staatlicher Archive dargelegt. Diese Idee ist bis heute nicht realisiert worden, doch der erste konkrete Schritt in diese Richtung ist 2019 mit der Gründung des Zentralbüros für Archivgut der Universität Zagreb gemacht worden. Es soll die Handhabung von Archivgut an der Universität erforschen und weiterentwickeln sowie die Idee eines Universitätsarchivs vorantreiben. Dass das Archiv als Thema 2019 im Jahr des 350. Gründungsjubiläums wieder aktuell wurde, ist eine symbolische Hinwendung zur Bedeutung, die der Erhalt und die Zugänglichkeit von Archivgut besitzt. Im Zuge dessen ist in der Geschichte der Universität das erste Mal auch ein Archivar eingestellt worden, was zugleich auch den Beginn der systematischen und professionellen Erhaltung, Erschließung und Nutzung des Archivguts der Universität Zagreb darstellte. HISToRISCHE EnTWICKlunG DER unIVERSITäT ZaGREB Die Universität Zagreb ist die älteste Universität, die ohne Unterbrechung in Kroatien besteht, und eine der wichtigsten und ältesten kroatischen akademischen Institutionen. Ihre Geschichte beginnt am 23. September 1669, als sie als Jesuitenakademie in der Königlichen Freistadt Agram (kr. Zagreb) per Dekret des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches und ungarisch-kroatischen Königs Leopold I. gegründet wurde und ihr der Status sowie die Vorrechte einer universitären Einrichtung zuerkannt wurden. Die Entscheidung wurde vom Sabor [kroatisches Parlament] des kroatischen Königreichs am 3. November 1671 bestätigt. Auf Basis dieser Ereignisse gilt das Jahr 1669 als Gründungsjahr der Universität und der 3. November als Dies academicus. Bis zur Auflösung des Jesuitenordens existierten an der Akademie zwei Studienrichtungen: Philosophie und Theologie. 1776 gründete Kaiserin und Königin Maria Theresia per Dekret die Akademie der Wissenschaften, die drei Fakultäten umfasste: die Philosophische, Theologische und Juristische Fakultät. Auf Anregung des Bischofs Josip Juraj Strossmayer, der ein großer Mäzen von Kunst und Wissenschaft war, schuf der Sabor 1861 die Gesetzesgrundlage für die Gründung der Universität Zagreb. Kaiser Franz Joseph I. unterschrieb 1869 das Gesetz zur Universitätsgründung, fünf Jahre später wurde ein neuer Gesetzestext erarbeitet, der dank des Bans Ivan Mažuranić am 5. Januar 1874 vom Herrscher angenommen wurde. Auf dieser Grundlage wurde am 19. Oktober 1874 die moderne Universität Zagreb feierlich eröffnet und aus diesem Anlass ein Gedenkbuch ausgefertigt, in dem Glückwünsche verschiedener Honoratioren, Professoren und Studenten abgedruckt sind, die an dem Ereignis beteiligt waren.1 Im Gesetzestext von 1874 war festgelegt, dass die Universität Zagreb vier Fakultäten haben sollte: die juristische, theologische und philosophische nahmen sofort den Betrieb auf, während die medizinische erst 1917 eingerichtet wurde. Verschiedene politische, rechtliche und organisatorische Umwälzungen haben seitdem die Tätigkeit der Universität geprägt. Im Rahmen der jeweils geltenden akademischen Vorschriften haben sich neue wissenschaftliche Disziplinen entwickelt und wurden neue Einrichtungen der Universität gegründet, wozu umfangreiche Literatur vorliegt. Oft 1

Sveučilište u Zagrebu [Universität Zagreb], , 12.10.2022.

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hing es von den finanziellen Umständen und dem verfügbaren Fachpersonal ab, ob neue Studienfächer und Lehrstühle etabliert werden konnten. So waren kurz nach den Neugründungen von Einrichtungen häufig Professoren und Wissenschaftler aus der gesamten Habsburgermonarchie oder anderen Teilen Europas beteiligt. Häufig waren diese ersten Dozenten und Lehrkräfte neuer Studienrichtungen der Universität Zagreb an den Universitäten in Wien, Graz, Prag oder an anderen europäischen Universitäten ausgebildet worden. Die beste Quelle, um dieses Thema historisch zu untersuchen, sind universitären Vorlesungsverzeichnisse, die seit 1874/75 regelmäßig veröffentlicht werden und sowohl Angaben über die akademische Struktur und die universitären Einrichtungen als auch über die Dozenten, Vorlesungen, Studenten, andere Angestellte der Universität und aller Fakultäten enthalten sowie über eine Vielzahl weiterer Fragen Auskunft geben, die mit Lehre und Forschung in Verbindung stehen. Mit den Vorlesungsverzeichnissen liegen diese Informationen in gedruckter Form vor. Daneben sind sie aber auch in Unterlagen des Universitätsarchivs vorhanden, da sie häufig im Zuge der Korrespondenz von Angestellten der Universität mit den Fakultäten, universitären Einrichtungen und anderen mit der Universität verbundenen Organisationen (Universitätsbibliothek, -vereinigungen, -stiftungen) erfasst wurden. Von diesen Anfängen aus haben sich im Laufe von 150 Jahren bis heute unter dem Dach der Universität etwa 40 Einrichtungen entwickelt. Neben den Fakultäten und Akademien der Universität Zagreb2 existieren außerdem Studentenwerke in Zagreb, Sissek (kr. Sisak) und Warasdin (kr. Varaždin), das Universitätsrechenzentrum in Zagreb, das Zentrum für Postdiplomstudien Dubrovnik sowie verschiedene Forschungseinrichtungen. Die Zagreber Universität ist die Schirmherrin verschiedener Organisationen (zum Beispiel der Gesellschaft der Universitätslehrer, der Kroatischen Alumni-Vereinigung AMAC3, des Kroatischen Akademischen Sportvereins Mladost [ Jugend] – HAŠK Mladost). In den verschiedenen Studiengängen sind etwa 70.000 Studierende eingeschrieben, die in mehr als 80 Studentenvereinigungen organisiert sind. Außerdem präsentiert sich die Universität Zagreb medial wie zum Beispiel mit der Fernsehsendung Sveučilišni Zagreb [Das universitäre Zagreb] und in der von ihr herausgegebenen Zeitung Universitas. Das Wirken der erwähnten Einrichtungen wie auch das vieler weiterer Universitätsgremien und Organisationseinheiten, die es zu verschiedenen Zeiten gegeben hat, ist in den Archivmaterialien dokumentiert, die im Laufe ihrer Tätigkeiten entstanden sind, aber auch in vielen gedruckten Publikationen der Universität. Da die Universität wissenschaftliche, lehrende, kulturelle, gesellschaftliche und viele weitere Aufgaben wahrnimmt, hat auch das Universitätsarchiv vielfältige Funktionen: als Bewahrer des 2

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Fakultät für Architektur, Fakultät für Bauwesen, Fakultät für Bergbau, Geologie und Erdöl-Ingenieurwesen, Fakultät für Chemieingenieurwesen- und Verfahrenstechnik, Fakultät für Elektrotechnik und Informatik, Fakultät für Ernährungswissenschaften und Biotechnologie, Fakultät für Erziehungswissenschaften und Rehabilitation, Fakultät für Forstwissenschaft und Holztechnologie, Fakultät für Geodäsie, Fakultät für Grafik, Katholische Theologische Fakultät, Fakultät für Kinesiologie, Fakultät für Kroatische Studien, Landwirtschaftliche Fakultät, Fakultät für Lehrerbildung, Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik, Medizinische Fakultät, Metallurgische Fakultät, Naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät, Fakultät für Organisation und Informatik, Pharmazeutisch-Biochemische Fakultät, Philosophische Fakultät, Fakultät für Philosophie und Religionswissenschaften, Politikwissenschaftliche Fakultät, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Fakultät für Textiltechnologie, Fakultät für Verkehrswesen, Veterinärmedizinische Fakultät, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Fakultät für Zahnmedizin, Akademie für Bildende Kunst und Musik-Akademie, Akademie für Darstellende Künste. Udruga AMAC – Almae Matris Alumni Croaticae [Kroatische Alumni-Vereinigung].

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institutionellen Gedächtnisses, als Akteur des Lehr- und Forschungsbetriebs sowie als zentrale Informationsstelle, die der Öffentlichkeit die historischen Quellen der Universität zugänglich macht. aRCHIValISCHES ERBE DER unIVERSITäT ZaGREB Das Fehlen eines spezialisierten Universitätsarchivs, verschiedene ererbte Umstände sowie die kroatische Archivpraxis haben dazu geführt, dass sich das archivalische Erbe der Universität Zagreb trotz ihres 350-jährigen Bestehens zu großen Teilen außerhalb des Einflusses professioneller Archivare befindet und der breiten wissenschaftlichen und kulturellen Öffentlichkeit unbekannt ist. Die über 20.000 laufenden Meter bisher bewahrten Archivguts sind während der Arbeit der verschiedenen Universitätsgremien sowie anderer natürlicher und juristischer Personen in verschiedenen historischen Zeiträumen entstanden. Die Archivmaterialien werden an mehreren Orten aufbewahrt und es besteht über sie weder eine vollständige Informationsquelle noch eine lückenlose archivarische Erfassung. Die Archivbestände der Universität Zagreb, das heißt die bestehenden Verzeichnisse der Bestände sowie die Informationsquellen für Nutzer darzustellen, ist nicht einfach, denn solche Informationen sind bisher weder systematisch erfasst noch an einer Stelle vollständig vorhanden. Die ältesten Archivmaterialien sowie kleinere Sammlungen von Materialien einzelner Fakultäten und Gremien, die im Rahmen der Universität Zagreb tätig waren, liegen im Kroatischen Staatsarchiv, während die meisten Aufzeichnungen und Dokumente in den zuständigen Einrichtungen aufbewahrt werden. Als zuständiges staatliches Archiv hat das HDA das Archivgut der Universität auf regulärem Wege und in geringerem Umfang durch Ankauf übernommen. Es ist in folgenden Fonds und Sammlungen organisiert und nach archivarischen Standards erfasst:

– HR-HDA-132, Bausektion zur Errichtung der medizinischen Fakultät in Zagreb (Građevinska sekcija za izgradnju Medicinskog fakulteta u Zagrebu), 1919–1929, kut. [Box] 14, 1,4, 1919–1929. – HR-HDA-500, Königliche Akademie der Wissenschaften (Orthodoxe Akademie) (Kraljevska akademija znanosti (Pravoslavna akademija)), 1776–1874, knj. [Buch] 62, kut. 25, 6,9, SI, 1777–1874. – HR-HDA-501, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zagreb (Pravni fakultet Sveučilišta u Zagrebu) (1874–): Opći spisi [Allgemeine Aufzeichnungen], 1874–1955; Zulassungsunterlagen (Zapisnici o odobrenju upisa), 1950–1960; Exmatrikulationsunterlagen (Apsolutoriji), 1876–1946; Einschreibungsunterlagen (Nacionali), 1876–1946; Buchhaltungsunterlagen (Računovodstvena dokumentacija), 1935–1957; knj. 656, kut. 220, 48, AP, 1874–1961. – HR-HDA-502, Philosophische Fakultät Zagreb: Prüfungskommission zur Abnahme der Fachprüfungen für Lehrer an Mittelschulen (Ispitna komisija za polaganje stručnih ispita za zvanje profesora srednjih škola Filozofskog fakulteta u Zagrebu), 1872–1893/1946: Allgemeine Aufzeichnungen (Opći spisi), 1872–1946; Prüfungsmaterialien  – Dossiers (Materijali s ispita  – dosjei); Berichte, Unterrichtspläne (Izvještaji, nastavni planovi); Liste der Kandidaten, die die Lehrerprüfung abgelegt haben (Popis kandidata koji su položili profesorski ispit), 1872– 1945; kut. 250; 25. PrP, 1872–1893/1946. – HR-HDA-1524, Technische Fakultät Zagreb (Tehnički fakultet Zagreb), 1926– 1956, kut. 6, svež. 1, 0,7, 1903/1955. 46

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– HR-HDA-1726, Institut für anorganische und organische Chemie der Universität Zagreb (Institut za anorgansku i organsku kemiju Sveučilišta u Zagrebu), 1959–1974, kut. 61, 6,1. PrP, (1958) 1959–1974 (1975). – HR-HDA-1612, Forschungszentrum Migration des Insituts für Geografie der Universität Zagreb (Centar za istraživanje migracija instituta za geografiju Sveučilišta u Zagrebu), 1970–1987, kut. 2, svež. 29; 3, 1970/1987. – HR-HDA-1656, Institut für Informationswissenschaften Zagreb (Institut informacijskih znanosti u Zagrebu), 1988–1994: Ständige Ausstellung ausländischer wissenschaftlicher und Fachliteratur am Rektorat der Universität Zagreb (Stalna izložba strane naučne i stručne literature pri Rektoratu Sveučilišta u Zagrebu), 1953–1957; Internationale ständige Ausstellung von Publikationen der Universität Zagreb (Internacionalna stalna izložba publikacija Sveučilišta u Zagrebu), 1957–1967; Referenzzentrum der Universität Zagreb (Referalni centar Sveučilišta u Zagrebu), 1967–1988, knj. 37, svež. 183; 23, (1953–1987) 1988/1994. – HR-HDA-1932, Filmsammlung des Ethnologischen Institus der Philosophischen Fakultät Zagreb (Zbirka filmova etnološkoga zavoda Filosofskog fakulteta u Zagrebu): 37 Filme, eine Kartothek, Kurzfilme, 1931–1970. – HR-HDA-1935, Sammlung von studentischen Arbeiten der Akademie für Darstellende Künste (Zbirka studentskih radova Akademije dramske umjetnosti u Zagrebu), 339 Filme, eine Kartothek, zwei Spielfilme, 147 Kurzfilme, 195 Dokumentarfilme, 1968–2005.4 Neben dieser relativ geringen Anzahl von Beständen und Sammlungen universitärer Provenienz gibt es im HDA weitere universitätsbezogene Quellen, die in Dokumentationseinheiten anderer Provenienz verwahrt werden (Verwaltung und öffentlicher Dienst, Bildung und Erziehung, Kultur, Wissenschaft und Information, Guts-, Familien- und persönliche Archive, Sammlungen von Originalarchivmaterial und weitere). Sie sind gemäß der Klassifikation von Archivbeständen und Sammlungen im 2006 publizierten Überblick über die Archivbestände und Sammlungen der Republik Kroatien verzeichnet. Das häufig dargestellte Diplom des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches und ungarisch-kroatischen Königs Leopold I. vom 23. September 1669, das der damaligen Jesuitenakademie in der freien Königsstadt Zagreb den Status und die Privilegien einer Universität zuerkannte, sowie die Aufzeichnungen über die Tätigkeit dieser Hochschuleinrichtungen befinden sich im Fonds des Jesuitenklosters Zagreb (HR-HDA-665). Der Beschluss des Sabor vom 3. November 1671 (Art. 10), mit dem er Leopolds Privileg für die Jesuitenakademie bestätigt, gehört zum Fonds des Sabor des Königreichs Kroatien, Dalmatien und Slawonien (HR-HDA-1). Zahlreiche Dokumente zu verschiedenen Tätigkeitsbereichen der Universität, insbesondere zu einzelnen Personen, Institutionen und Ereignissen, befinden sich in Dokumentationseinheiten unterschiedlicher Verwaltungseinrichtungen, in Familiennachlässen, persönlichen Archiven, Hemerotheken sowie in Sammlungen, die in verschiedenen Gedächtnis- und Wissenschaftseinrichtungen verwahrt werden.

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Die Daten wurden aus folgenden Publikationen übernommen: Pregled arhivskih fondova i zbirki Republike Hrvatske, Bd. 1 [Übersicht über die archivalischen Fonds und Sammlungen der Republik Kroatien, Heft 1]. Zagreb 2006; Hrvatski arhivski informacijski sustav [Kroatisches Archivinformationssystem], , 12.10.2022.

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Beispiele hierfür sind der seit 160 Jahren bestehende Fonds der Pädagogischen Akademie Petrinia (kr. Petrinja), der im Staatsarchiv in Sissek aufbewahrt wird,5 der Fonds des Zagreber Universitätskomitees der Kommunistischen Partei Kroatiens/des Bundes der Kommunisten Kroatiens im Staatsarchiv in Zagreb,6 verschiedene Handschriften sowie die Dissertationssammlung der Universität Zagreb in der Nationalund Universitätsbibliothek (kr. Nacionalna i Sveučilišna Knjižnica). Darüber hinaus bewahren die Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste (kr. Hrvatska Akademija Znanosti i Umjetnosti) wie auch verschiedene andere Archive, Museen, Institute und weitere kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen die Nachlässe zahlreicher Professoren und Rektoren der Universität Zagreb, die prominente Staatsbedienstete und Akademiker waren und aktiv am wissenschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilgenommen haben. Im Archiv des Rektorats der Universität werden etwa 1.500 laufende Meter Archivmaterial aus der neueren Zeit des Universitätslebens von 1874 bis heute aufbewahrt: Verwaltungs- und Finanzunterlagen, Unterlagen der Universitätsorgane, Daten zu Studierenden sowie zu Teilnehmern an fachlichen und wissenschaftlichen Aktivitäten, verschiedene Sammlungen von Druckschriften und Veröffentlichungen sowie weitere Dokumentationseinheiten, die während der Tätigkeit der Universität und der angegliederten Einrichtungen entstanden sind. Nachdem 2019 das Zentralbüro für Archivgut der Universität ihre Arbeit aufnahm, wurden grundlegende Archiv- und Dokumentationseinheiten als Grundlage für die zukünftige archivarische Bearbeitung der an der Universität aufbewahrten Bestände identifiziert, und zwar folgende: – Universität Zagreb (Sveučilište u Zagrebu), 1669–, 1.200 laufende Meter, 1866– 2019. – Quästur der Universität Zagreb (Kvestura Sveučilišta u Zagrebu), 1874–1915, 4 kut. SI., 1874–1915. – Rektorenkonferenz (Rektorski zbor), 1993–. – Studentenrat der Universität Zagreb (Studentski zbor Sveučilišta u Zagrebu), 2006–. – Stiftung der Universität Zagreb (Zaklada Sveučilišta u Zagrebu), 2010–. – Alumnivereinigung der Universität Zagreb (Savez alumni Sveučilišta u Zagrebu), 2002–. – Sammlung von Publikationen der Universität Zagreb (Zbirka publikacija Sveučilišta u Zagrebu), 1939–2019: Alma Mater Croatica, 7 knj., 1939–1942; Universitätsbote (Sveučilišni vjesnik), 80 kom., 1955–2007; Die kroatische Universität (Hrvatsko Sveučilište), 31 kom., 1971; Universitas – Kroatische Universitätszeitung (Universitas – hrvatske sveučilišne novine), 115 kom., 2009–. – Sammlung von Druckschriften der Universität Zagreb (Zbirka Tiskovina Sveučilišta u Zagrebu), 1874–, Jahrbücher, Gedenkbücher, Antrittsreden, Regelwerke, Ordnungen, Richtlinien, Verschiedenes (Godišnjaci, Spomenice, Inaguralni govori, Pravila, Propisi, Upute, Razno). 5 6

Staatsarchiv Sissek (Državni arhiv Sisak, i. F.: HR-DASK) HR-DASK-992, Universität Zagreb, Fakultät für Lehrerbildung, Pädagogische Akademie Petrinja (Sveučilište u Zagrebu, Učiteljski fakultet, Pedagoška akademija Petrinja – Petrinja), 1962–1981, 1997–2007, knj. 20, reg. 21, svež. 52, fasc. 2, 5,6 d/m. PrP., 1962/2007. Staatsarchiv in Zagreb (Državni arhiv u Zagrebu, i. F.: HR-DAZG) HR-DAZG-685, Universitätskomitee des Bundes der Kommunisten Zagreb (Sveučilišni komitet Saveza komunista Hrvatske Zagreb), 1945–1979, 26 knj., 72 kut; 8,5 d/m. SI, 1948/1979.

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– Sammlung von Personalakten der Universität Zagreb (Zbirka personalija djelatnika Sveučilišta u Zagrebu), cca 350 kut. AI, 1874–2010. – Sammlung von Fotografien der Universität Zagreb im 20. Jahrhundert (Zbirka fotografija Sveučilišta u Zagrebu. 20. st.): Fotoalben, Fotografien (Fotoalbumi, Fotografije), SI. – 300-Jahrfeier der Universität Zagreb (Proslava 300-te obljetnice Sveučilišta u Zagrebu). Mit dem Jahr 2019 begann so auch die archivarische Erschließung dieser Bestände und es wurden Inventare erstellt, welche die Nutzung der Archivmaterialien erleichtern. Die meisten Materialien zum Wissenschafts- und Lehrbetrieb der Universität lagern unter verschiedensten Bedingungen in den einzelnen Einrichtungen und verfügen nicht über öffentlich zugängliche Findmittel. Aus den verfügbaren Daten des zuständigen Archivs HDA und gemäß der Angaben einzelner Fakultäten und Akademien ist ersichtlich, dass für die meisten Einrichtungen keine Informationen über das von ihnen aufbewahrte Archivgut vorliegen. In den Einrichtungen, die ihre Bestände dokumentieren, umfassen sie meist Unterlagen zu den Studierenden, allgemeine Buchhaltungs- und Finanzdokumente sowie Personalakten und Material der Vorgänger. Aus der bisherigen Forschung und der alltäglichen Praxis ist bekannt, dass an einigen Fakultäten zahlreiche persönliche Nachlässe und wertvolle Sammlungen vorhanden sind, die vereinzelt an den Instituten, in deren Bibliotheken oder Archiven gefunden werden, zu denen aber keine Archivverzeichnisse oder sonstige Informationen vorliegen. Die wenigsten Informationen gibt es zur zurückliegenden wissenschaftlichen und fachlichen Arbeit einzelner Fakultäten, und obwohl ein erheblicher Teil der Fakultäten spezielle Institute, Zentren, Laboratorien, Kabinette, Sammlungen, Archivsammlungen, Bibliotheken und andere Organisationseinheiten besitzt, verfügt der archivarische Dienst häufig kaum über Informationen zu Art und Umfang des Materials, das in den Fakultäten entstanden ist. Aus den zugänglichen Daten lässt sich zudem schließen, dass die Quellen für die Forschungstätigkeit und andere fachliche Tätigkeiten der Fakultäten (wie Projekte, Studien, Gutachten und Überwachungsarbeiten, Planungen, Untersuchungen und Analysen, Expertisen und Consulting, Planung und Pflege von Datenbanken, diverse Fachtätigkeiten und Dienstleistungen sowie durch besondere Gesetze und Verordnungen geregelte Aufgaben), Quellen für ihre Publikationstätigkeiten sowie für zahlreiche andere Aktivitäten außerhalb der Fakultäten selbst meist unbekannt sind. Was die Existenz eines Universitätsarchivs für die bessere Erhaltung und Zugänglichkeit von Archivbeständen der Universität bedeuten würde, wird deutlich, wenn man Folgendes hinzunimmt: Das erfasste Material ist unerschlossen, es fehlt an Personal und die fachliche Ausbildung des vorhandenen Personals steht nicht mit den Aufgaben in den Fakultätsarchiven in Einklang. Darüber hinaus sind die archivarischen Regelwerke und Prozesse für den Erhalt und Zugang zum aufbewahrten Archivgut uneinheitlich. aRCHIVQuEllEn DER unIVERSITäT ZaGREB Im InTERnET Einer der ersten Schritte hin zur Öffnung für die Allgemeinheit war die Einrichtung einer Webpräsenz des Universitätsarchivs im Juni 2019. Neben der Erfassung und Digitalisierung von Archivbeständen legte das Büro für Archivgut auch virtuelle SpiEgElungEn 2.22

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Sammlungen an. Auf der digitalen kooperativen Plattform Topothek wurde ein virtuelles Archiv der Universität Zagreb erstellt.7 Es dient dazu, das reiche archivalische Erbe öffentlich zu präsentieren, das im Zuge der Geschichte, Entwicklung, organisatorischen Veränderungen und Tätigkeit der Universität entstanden ist und das heute in verschiedenen öffentlichen, privaten, lokalen und spezialisierten Sammlungen bewahrt wird. Die in der Topothek der Universität Zagreb präsentierten Archivquellen sind unterschiedlicher Herkunft: aus dem Rektorat und einzelnen Einrichtungen der Universität, aus staatlichen Archiven, Bibliotheken, Museen, aus Vereinen sowie akademischen Einrichtungen. Die Vielzahl und Vielfalt der Archivalien, mit denen das Wirken der Universität Zagreb und der mit ihr verbundenen Institutionen dokumentiert ist, zeugen von ihrer Bedeutung für das wissenschaftliche, kulturelle und soziale Leben der Stadt Zagreb und der Republik Kroatien. Hinter der Topothek steht die Idee, Material, Erinnerungen und Wissen zu sammeln, das in verschiedenen öffentlichen, privaten, lokalen sowie anderen unbekannten Quellen verstreut liegt, und sich aktiv an der Bekanntmachung und Veröffentlichung des kroatischen Kulturerbes zu beteiligen, nämlich durch die Präsentation der Universität Zagreb als Informationszentrum für die Gemeinschaft aus Hochschulen und Wissenschaften sowie für die Gesellschaft insgesamt. Die Topothek der Universität Zagreb steht allen offen, die an einer Zusammenarbeit bei der Sammlung und Veröffentlichung weiterer Dokumente interessiert sind. Das Archivbüro der Universität setzt sich für das Wachstum des virtuellen Archivs ein und macht es national und international bekannt. Das Archivmaterial der Universität ist auch auf dem Portal Vizbi (Virtuelle Sammlungen der Universität Zagreb, kr. Virtualna zbirka Sveučilišta u Zagrebu – im Folgenden: Vizbi.UNIZG) verfügbar, das 2020 von der Zentralstelle für die Koordinierung der Bibliotheken der Universität Zagreb in Zusammenarbeit mit dem Archivbüro und den Fakultäten ins Leben gerufen wurde. Im Rahmen dieses Projekts wurde Material aus dem Rektorat, den Universitätsarchiven und Fakultätsbibliotheken digitalisiert, das im Indigo-System beschrieben und veröffentlicht ist und auf dem Vizbi. UNIZG-Portal auf der Website der Universität Zagreb8 zur Verfügung gestellt wird. Als technische Lösung wurde das System Indigo der Firma ArhivPro gewählt. Diese Plattform ermöglicht die Erstellung einzelner Datenbanken, digitaler Objekte und Metadaten bei gleichzeitiger Schaffung eines gemeinsamen Darstellungssystems über einzelne Datenbanken, virtuelle Sammlungen, wissenschaftliche Bereiche, unterschiedliche Materialarten hinweg und lässt die Suche nach Werktiteln oder Personennamen zu. Auf der Grundlage des Indigo-Systems wird für die bibliografische Beschreibung das UNIMARC- und ISBD-Format genutzt und auch das ISAD(G)Format für die mehrstufige Beschreibung von Archivmaterial ist im System implementiert. Das Portal Vizbi.UNIZG bietet Zugriff auf Archivquellen, die sich physisch in den Bibliotheken, Archiven und Museumssammlungen der Universität befinden und ermöglicht die Suche über folgende digitale Sammlungen hinweg: Rektoren der Universität, Dissertationen, Universitätslehrbücher, Arbeitsberichte, Vorlesungsverzeichnisse und so weiter.

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Die digitale Plattform Topothek ist zugänglich unter: , 12.10.2022. Vizbi.UNIZG: , 12.10.2022.

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lEMić: aRchivaliSchES ERBE dER univERSität ZagREB

VERFüGBaRKEIT Von maTERIal DES unIVERSITäTSaRCHIVS unD DEuTSCHSpRaCHIGE QuEllEn Das Archivgut des Rektorats der Universität befindet sich derzeit an drei Standorten, doch es ist geplant, das Archiv adäquater unterzubringen, so dass sich das Magazin, die Arbeitsräume (Büros und Räume zum Bearbeiten des Archivguts) und die Räume zur Benutzung (Lesesaal, Vortragsraum und Ausstellungsräume) an einem Ort befinden. Das Material steht nach vorheriger Anmeldung zur Recherche in den Räumen des Archivs und im Archivbüro im Rektorat unter der Adresse Trg Republike Hrvatske 14 zur Verfügung. Auf der Webseite der Universität sind zudem die Inventare, Hinweise zur Benutzung sowie digitalisierte Archivmaterialien zugänglich. Das Archivbüro arbeitet systematisch an der Erfassung des Archivguts der Universität und erstellt einen thematischen Archivführer. Ein solcher Leitfaden ist für die Nutzung und Recherche dieser Quellen notwendig, da die meisten Archivmaterialien und Unterlagen der Universität an unterschiedlichen Standorten aufbewahrt werden und der Zugang zu den Materialien und Informationen von Fall zu Fall variiert. Für thematische Recherchen, wie etwa in deutschsprachigen Quellen der Universität, existieren zahlreiche Quellen, die im Moment nur durch eine umfassende Recherche über alle universitären Einrichtungen hinweg zugänglich sind. An der Philosophischen Fakultät gibt es beispielsweise Material zu den Anfängen des Lektorats für deutsche Sprache unter Julije Šajatović aus dem Jahr 1876 sowie Material zur Gründung des Lehrstuhls für Germanistik im Jahr 1895, die beide an der Vorgängereinrichtung der Philosophischen Fakultät angesiedelt waren. Die Ausbildung an der Zagreber Germanistik wurde bereits 1897 mit der an anderen deutschsprachigen Universitäten der österreich-ungarischen Monarchie gleichgestellt. Im Universitätsarchiv am Rektorat wurden bei der Erstellung des analytischen Inventars anlässlich der 300-jährigen Jubiläums der Universität Zagreb9 zugängliche Unterlagen aus folgenden deutschen Institutionen und von folgenden Personen erfasst: Rektorenkonferenz der Bundesrepublik Deutschland, Universität Freiburg, Universität Rostock, Regierung der Bundesrepublik Deutschland, Generalkonsul der Deutschen Demokratischen Republik in der Sozialistischen Republik Kroatien und der Sozialistischen Republik Slowenien, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Universität Bonn, Universität Greifswald, Universität Stuttgart, Technische Universität München, Technische Hochschule Aachen, Wolf D. Behschnitt (deutscher Historiker, 1941–), Technische Universität Braunschweig, Universität Rostock, Bergakademie Freiberg, Technische Universität Dresden, Institut für Hochschulbildung und -ökonomie, Wilhelm Keilbach (deutscher Theologe und Philosoph, 1908–1982), Universität München, Universität Hamburg, Zoran Rant (Professor der Technischen Universität Braunschweig, 1904–1972), Deutsche Bücherei Leipzig, Hochschule für Verkehrswesen Friedrich List und weitere. Der deutsche Philosoph Ernst Bloch (1885–1977), Professor an den Universitäten Leipzig und Tübingen sowie seit 1969 Ehrendoktor der Universität Zagreb, hielt bei der Feier zum 300-jährigen Jubiläum der Universität Zagreb eine Rede. Der deutsche Physiker Werner Karl Heisenberg (1901–1976), Professor für Theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Träger des Nobelpreises für Physik 1932, war ebenfalls seit 1969 Ehrendoktor der Universität Zagreb.

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Das Inventar hat Velimir Veselinović für das Zentrale Archivbüro erstellt.

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Das Material in dieser Sammlung enthält Ansprachen und Glückwunschschreiben, welche die Universität Zagreb anlässlich der Feier ihres 300-jährigen Jubiläums von Institutionen und Einzelpersonen aus dem Ausland erhalten hat, sowie Akten, die oft Dankesschreiben von Institutionen enthalten, die eine Festschrift oder Gedenkplakette als Geschenk erhalten hatten. Die Dokumente sind in ihrer ursprünglichen Form in deutscher Sprache verfasst oder wurden übersetzt. Die Unterlagen umfassen darüber hinaus auch Schreiben von Einrichtungen der Universität zu Vorschlägen von Gästen aus dem Ausland, Korrespondenz der Universität Zagreb mit ausländischen Institutionen über ihre Teilnahme am Festprogramm anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Universität Zagreb und eine Liste der ausländischen Gäste, die der Einladung gefolgt sind. Aus den beschriebenen Beispielen wird deutlich, dass der jetzige Zustand nicht weiter andauern sollte. Derzeit wird das Archivgut universitärer Provenienz an unterschiedlichen Orten (meist außerhalb des Archivs) aufbewahrt und verfügt nicht über eine umfassende Informationsquelle oder archivarische Verzeichnung des Materials und seiner Urheber. Oft lagert es unter ungeeigneten Bedingungen, ist nicht erschlossen, nicht kontextualisiert und wird nicht fachlich angemessen gepflegt. Deshalb ist ein Universitätsarchiv notwendig, das entsprechend der internationalen Praxis und Tradition von Universitätsarchiven und als zentrales Informationszentrum der wissenschaftlichen Gemeinschaft sowie der Gesellschaft insgesamt fungieren sollte. Aus dem Kroatischen von Ulrike Schult. Kontakt Universität Zagreb / Sveučilište u Zagrebu Trg Republike Hrvatske 14 10000 Zagreb, Kroatien E-Mail: [email protected] Webseite: www.unizg.hr

DR. vlatka lemić ist leiterin des Zentralbüros für archivgut der universität Zagreb. Sie ist archivberaterin und Dozentin im Studiengang archivwissenschaften an der universität Zagreb und nimmt aktiv an unterschiedlichen fachlichen und internationalen projekten in den Bereichen Kultur, archivwesen und Digitalisierung von Kulturerbe teil (Time machine, Kreatives Europa, Erasmus+, DaRIaH, aERI und weitere). Sie ist autorin von etwa einhundert Fachartikeln sowie Redakteurin der Zeitschrift @rhivi. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins ICaRuS (International Centre for archival Research) sowie Vorsitzende von ICaRuS Kroatien, mitglied des Vorstands von EuRBICa (European Regional Branch of the International Council on archives) und EGSaH (Expert Group on Shared archival Heritage), mitglied von Expertengremien beim ICa (International Council on archives) und bei Time machine sowie mitglied des Beirats der Europeana.

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Projekt der Digitalisierung deutschsprachiger Zeitungen Die Drau und Slavonische Presse Von Tihomir Engler und Thomas Möbius

EInlEITunG Im Beitrag wird über die Durchführung des von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziell unterstützten Projekts der Digitalisierung der deutschsprachigen Zeitungen Die Drau und Slavonische Presse sowie des Kalenders Essegger Bote berichtet. Es handelt sich um ein Teilprojekt, das von 2017 bis 2019 im Rahmen des Leitprojekts »Spuren deutscher Sprache, Literatur und Kultur in Kroatien« durchgeführt wurde, das die Institute für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Josip-Juraj-Strossmayer-Universität Osijek im Zuge ihrer vom DAAD geförderten Germanistischen Institutspartnerschaft (GIP) organisierten. Die systematische Erfassung aller deutschsprachigen Druckwerke  – der erste Schritt ist die Digitalisierung der Drau, der Slavonischen Presse und des Essegger Boten – ist eine wichtige Quelle zur Erforschung nicht nur der Entwicklung des Druckwesens und der Lesegewohnheiten in der südöstlichen Peripherie des deutschen Sprachraums, sondern gestattet auch Einblicke in kulturelle Gepflogenheiten, in die sprachliche Eigenart sowie in den kulturellen Transfer zwischen der kroatischen und der deutschsprachigen Bevölkerung auf dem Boden der heutigen Republik Kroatien. »SpuREnSuCHE«-pRoJEKT alS WISSEnSCHaFTlICHER RaHmEn DES DIGITalISIERunGSpRoJEKTS 2016 wurde eine Partnerschaft zwischen dem Institut für Germanistik der Universität Gießen und der Abteilung für deutsche Sprache und Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Osijek angebahnt, die von 2017 bis 2020 durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst in Form eines GIP-Projekts auch finanziell unterstützt wurde. Die Partnerschaft zwischen den angeführten Instituten wurde zum einen im Bereich der Mobilität von Studierenden, zum anderen durch die Teilnahme von Lehrenden an Unterrichtsveranstaltungen der Partnerinstitutionen sowie durch die gemeinsame Arbeit an der Aktualisierung von bestehenden Lehr- und Lernangeboten an der kroatischen Partnerhochschule realisiert. Der dritte KooperaSpiEgElungEn 2.22

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tionsbereich umfasste die Durchführung des wissenschaftlichen Forschungsprojekts »Spuren deutscher Sprache, Literatur und Kultur in Kroatien«. In der Anfangsphase der Kooperation stand der Ausbau des Mobilitätsnetzes im Vordergrund. Ab dem Wintersemester 2017 beteiligten sich Austauschstudierende am Unterricht der Partnerinstitutionen, um teils ihre Sprachkompetenzen und Kulturkenntnisse zu vertiefen, teils germanistisches Fachwissen durch Schulpraktika zu erweitern. Den kroatischen Studierenden diente der Aufenthalt an der Universität Gießen zugleich zur Ausarbeitung ihrer Diplomarbeiten. Darüber hinaus wurden 2020 Schritte in Richtung einer gemeinsamen Betreuung von Doktoranden durch Forschende beider Institutionen unternommen, 2021 wurde ein Beratungssystem für kroatische Studierende bei der Ausfertigung der Abschlussarbeiten im Rahmen ihres Bachelor- und Masterstudiums entwickelt. In dieser Projektphase wurde auch eine Reihe von Gastbesuchen und -veranstaltungen der Lehrenden an beiden Partnerhochschulen durchgeführt, die die Grundlage für die gemeinsame Ausarbeitung von Lehr- und Lernmaterialien beziehungsweise von Studienmodulen legten. Eine weitere wichtige Aktivität war die Anschaffung von Unterrichts- und Forschungsliteratur, mit der vor allem die Bestände der Fakultäts- und Abteilungsbibliothek an der Philosophischen Fakultät in Osijek aufgestockt wurden. Das leitende Forschungsprojekt der GIP-Partnerschaft »Spuren deutscher Sprache, Literatur und Kultur in Kroatien« widmete sich der Erforschung der Migration deutschsprachiger Zuwanderer auf das Territorium der heutigen Republik Kroatien seit dem 18.  Jahrhundert. Es ist ein forschungsintensives und gleichzeitig bislang wenig beforschtes Thema. Deutschsprachige Siedler tauchten schon ab dem Spätmittelalter in Kroatien auf, die Einwanderer stammten aus allen sozialen Schichten, sie vermischten sich im Ansiedlungsraum teilweise mit der einheimischen Bevölkerung. Diese erste Welle der Ansiedlung von Deutschen ließ jedoch infolge der Eroberungen durch die osmanische Militärmacht in Südosteuropa nach. Nach der Befreiung der Territorien von osmanischer Herrschaft kam es zu weiteren größeren Einwanderungswellen der Deutschen (1722–1727; 1768–1771; 1784–1787) in einen breiteren Raum um Banat, Batschka (kr. Bačka), Baranja und Syrmien (kr. Srijem). Im Unterschied zu den Einwanderungen bis zum 18. Jahrhundert handelte es sich hier um die Zuwanderung von ganzen Familien, die auf den Erhalt ihrer kulturellen Identität bedacht waren und im Siedlungsbereich kulturelle und sprachliche Inseln bildeten, die sich bis zum 20. Jahrhundert hielten. So überwog in Esseg[g]/Essek (kr. Osijek, ung. Eszék), der ältesten deutschen Stadt im Nordosten Kroatiens, der deutsche Bevölkerungsanteil, was große Auswirkungen auf das dortige kulturelle und wirtschaftliche Leben hatte, da die deutsche Sprache das wichtigste Kommunikationsmittel zwischen den in der Stadt lebenden Ethnien war. Personen mit Deutschkenntnissen genossen ein hohes Ansehen in den damaligen von Kroaten besiedelten Regionen (mit Ausnahme Dalmatiens) nicht nur in der Geschäftswelt, sondern auch in höheren gesellschaftlichen Kreisen, sodass Deutsch in vielen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens eine große Rolle spielte und aus der deutschen Kultur zahlreiche Impulse für die Erweiterung und Bereicherung der kroatischen Kultur kamen. Dieser Kulturtransfer vollzog sich durchaus auch in entgegengesetzter Richtung und ist bis zum Zerfall Österreich-Ungarns zu beobachten. Trotz des allmählichen Verschwindens der Deutschen aus Jugoslawien beziehungsweise Kroatien im 20. Jahrhundert sind die Spuren ihrer Präsenz, ihrer kultu54

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rellen und wirtschaftlichen Leistungen noch immer nachweisbar und bemerkbar. Im heutigen Leben Kroatiens ist das an der großen Nachfrage nach Deutschunterricht – Deutsch ist nach Englisch die am häufigsten gelehrte Fremdsprache  – erkennbar. Obwohl die Bedeutung des Deutschen im sprachlichen, literarischen und kulturellen Bereich groß war, sind Forschungen zu diesem Thema rar; sie wurden im größeren Umfang ohnehin erst seit den 1990er-Jahren möglich, nachdem es in Kroatien zur demokratischen Wende kam und Forschungsquellen, insbesondere jene in kroatischen Staatsarchiven und anderen öffentlichen und privaten Dokumentensammlungen, zugänglich wurden. Das Leitprojekt der GIP-Partnerschaft »Spuren deutscher Sprache, Literatur und Kultur in Kroatien« knüpfte an die Ergebnisse früherer Forschungsprojekte an: zum einen an die Ergebnisse der Projekte »Deutschsprachige Literaturbeziehungen« (1996–2002; 2002–2006) und »Gedächtnis und Identität – kroatisch-deutschsprachiger Kulturtransfer« (2007–2011), welche die Germanisten der Universität Zagreb leiteten und worin die deutsch-kroatischen Beziehungen im 19. Jahrhundert im literarischen Bereich beziehungsweise im Rahmen des Theater- und Zeitschriftenwesens erforscht wurden. Zum anderen konnte auf den Forschungsbeiträgen der Osijeker Germanisten aufgebaut werden, die in Zusammenarbeit mit der Landsmannschaft der Donauschwaben in Kroatien entstanden sind und die Präsenz von deutschen Sprachinseln und ihren kulturellen Einfluss in der Region Slawoniens dokumentieren. Zum dritten gibt es eine Reihe von kroatischen Historikern, die sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten mit den Deutschen und ihren Auswirkungen auf die einheimische Kultur beschäftigten. Da solche Forschungen zumeist nur selektive Einblicke bieten, bemühte man sich im Rahmen des Leitprojekts darum, die festgestellten Forschungslücken zu füllen, weshalb auch eine Bandreihe bei Peter Lang ins Leben gerufen worden ist. Die Reihe dient als Publikationsorgan des Leitprojekts und stellt die Ergebnisse der Forschungen zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Minderheit in Kroatien vor: zum einen die Ergebnisse aus Forschungen zu den historischen Wurzeln der deutschen Migranten und zum anderen zu dem durch die Einwanderer ausgeübten Einfluss auf die einheimische Sprache, Literatur und Kultur beziehungsweise zum gegenseitigen Kulturtransfer. Da es sich beim »Spurensuche«-Projekt um ein interdisziplinär angelegtes Projekt handelt, lud man zur Teilnahme an der Projektarbeit neben Germanisten Wissenschaftler aus anderen Fachbereichen ein, sodass zuletzt in sechs Forschungsbereichen – Geschichte, Sprache, Literatur, Theaterwesen, Schulwesen und Kultur – zeitweise bis zu 30 Wissenschaftler nicht nur von der Universität Osijek, sondern auch von anderen kroatischen außeruniversitären Institutionen wie zum Beispiel Museen oder staatlichen Archiven mitwirkten. mETHoDoloGISCHE VoRüBERlEGunGEn Zum DIGITalISIERunGSpRoJEKT alS TEIl DES »SpuREnSuCHE«-pRoJEKTS Die Quellen, mit denen es die Forscher im »Spurensuche«-Projekt zu tun haben, sind umfangreich: Sie reichen von diversen Verwaltungsurkunden und historischen Niederschriften wie Dekreten, Verträgen, Amtsregistern und Schulberichten, die teilweise oder ausschließlich in deutscher Sprache verfasst wurden, über deutschsprachige Druckwerke wie Bücher, Zeitschriften, Tageszeitungen, Periodika und Plakate bis hin zu Resten des materiellen Kulturerbes in Form von Volkstrachten, Bauarten von Häusern und sonstigen materiellen Artefakten, welche die Präsenz von ZuwanSpiEgElungEn 2.22

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derern aus dem deutschsprachigen Kulturraum bestätigen. Die angeführten Quellen wurden im unterschiedlichen Umfang gesichtet, bewertet und zugänglich gemacht. Dass aber zahlreiche Funde noch ausstehen, belegt unter anderem die 2012 von Mirko Ćurić entdeckte Übersetzung von Karl Mays Erzählung Three carde monte, die 1880 in der Zeitschrift Sriemski Hrvat [Syrmischer Kroate] aus Vukovar veröffentlicht wurde. Der Fund wäre nichts Außergewöhnliches, würde es sich dabei nicht um die weltweit erste Übersetzung eines Textes von Karl May handeln, sodass nach dieser Entdeckung an die Stelle der bisherigen französischen Übersetzung die wiederentdeckte, seinerzeit von Nikola Tordinac geleistete kroatische Übersetzung an die Spitze der Karl-May-Übersetzungen zu stellen ist. Es sind noch weitere Funde zu erwarten, die ein neues Licht auf den Kulturtransfer im kroatischen Sprachraum werfen werden. Im engen Zusammenhang damit steht auch das Problem, dass das Forschungsmaterial in unterschiedlichen staatlichen Institutionen wie Museen, Bibliotheken und Archiven, aber auch in privaten Sammlungen in und außerhalb Kroatiens aufbewahrt wird. Ein schneller und effizienter Zugriff zu diesen Materialien wird zusätzlich erschwert beziehungsweise unmöglich gemacht, weil einige der Institutionen nur über einen Zettelkatalog oder gar keine Kataloge verfügen, wie im Fall einiger kirchlicher Bibliotheken in Kroatien. Die »Metropolitana«-Bibliothek des Agramer Erzbistums umfasst zwar rund 60.000 Titel, darunter sogar 150 Manuskripte aus der Zeit vom 11. bis zum 16. Jahrhundert, hat aber nur einen zentral geführten Zettelkatalog. Die Problematik der Quellensichtung ist eng verbunden mit jener der Erfassung von Forschungsergebnissen, die im Rahmen vorhergehender Forschungsprojekte oder individueller Nachforschungen zur Präsenz der deutschsprachigen Einwanderer im kroatischen Sprachraum entstanden sind. Die Mehrzahl der Ergebnisse ist von unterschiedlicher Reichweite und an unterschiedlichen Stellen – in Fachzeitschriften, Jahrbüchern, Tagungsbänden oder Monografien – veröffentlicht worden. Um diesen Forschungsnachteil wettzumachen, sind neben der zentralen Erfassung der Forschungsquellen auch die erzielten Ergebnisse an einer Stelle zu bündeln, um dadurch ein nachhaltiges Fundament für künftige Forschungen zu legen. Darüber hinaus bemüht man sich in derartigen Projekten auch um eine interdisziplinäre Erfassung der Quellen, um den Zugang zum Forschungsmaterial einer größeren Anzahl von Forschenden aus unterschiedlichen Fachbereichen zu ermöglichen. Auf Basis dieser Problematik wurden dem »Spurensuche«-Projekt zwei methodologische Überlegungen zugrunde gelegt. Der erste Leitsatz des Projekts war die Regionalisierung der Forschungsarbeit, wonach das Auffinden und die Bearbeitung des Forschungsmaterials sukzessiv nach einzelnen Regionen zu erfolgen hat. Dementsprechend wurde der Fokus zuerst auf das Forschungsmaterial vor Ort, folglich demjenigen aus Slawonien, gerichtet, um von örtlichen Bedingungen ausgehend ein Modell zu etablieren, das später auch für die Erfassung des Forschungsmaterials aus dem Nordwesten Kroatiens sowie aus dem Gebiet der ehemaligen Militärgrenze tauglich sein sollte, um es schließlich in der Endphase des Projekts auch auf Istrien, Kvarner und Dalmatien anzuwenden. Die zweite methodologische Überlegung bezog sich auf die Notwendigkeit, das Forschungsmaterial zentral zu verwalten, um dadurch Forschenden aus unterschiedlichen Fachbereichen einen leichteren Zugang zu ermöglichen. Zur Lösung der genannten Herausforderungen wurde im Rahmen des »Spurensuche«-Projekts der Beschluss gefasst, ein Teilprojekt zur digitalen Erfassung von Forschungsquellen und -ergebnissen durchzuführen. Dies war auch mit der Intention 56

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verbunden, dass nach erfolgreich durchgeführter Digitalisierung das Forschungsmaterial keinen weiteren Nutzungsschäden ausgesetzt ist und durch seine Freischaltung auf entsprechenden Portalen den in- und ausländischen Forschern jederzeit zur Verfügung steht, wodurch auch die Nachhaltigkeit des Leitprojekts gewährleistet ist. DaTEnERHEBunG Zu DEuTSCHSpRaCHIGEn ZEITunGSBESTänDEn auS KRoaTIEn unD auSWaHl DES Zu DIGITalISIEREnDEn QuEllEnmaTERIalS Nach Klärung der methodologischen Vorgehensweise erfolgte der zweite Schritt in der Vorbereitung des Teilprojekts. Als geeignetes Forschungsmaterial erschienen vor allem Zeitungen, deren Daten durch die Digitalisierung vor einem weiteren zeitbedingten Verfall gerettet werden sollten. Man führte deshalb eine Erhebung zu den in Kroatien veröffentlichten deutschsprachigen Zeitungen durch, wobei festgestellt wurde, dass im Zeitraum vom Erscheinen der ersten Zeitungen im Jahr 1786 bis 1945 im Gebiet des heutigen Kroatiens mehr als hundert deutschsprachige Zeitungen herausgegeben wurden. Die meisten von ihnen waren nur kurzlebig, wie beispielsweise die älteste deutschsprachige Zeitung Kroatischer Korrespondent. Von dieser Zeitung sind im Jahr 1789 insgesamt 60 Nummern herausgegeben worden, die von der Niederlassung des Wiener Verlagshauses von Johann Thomas von Trattner in Agram (kr. Zagreb) redaktionell betreut wurden und zweimal wöchentlich, mittwochs und samstags, um 16 Uhr erschienen. Nur einige deutschsprachige Zeitungen konnten sich mit der Zeit etablieren und langfristig erscheinen. Unter diesen heben sich drei Zeitungen hervor: Zum einen die Agramer Zeitung, die in der kroatischen Hauptstadt Agram von 1826 bis 1912 unter mehreren Namen erschien und den Nordwesten Kroatiens mit Neuigkeiten versorgte. Zum anderen bestanden kontinuierlich noch die Zeitungen Die Drau (1868– 1932) und die Slavonische Presse (1885–1919) in Osijek als dem zweitgrößten Zentrum der deutschsprachigen Volksgruppe in Kroatien. Deutschsprachige Zeitungen wurden auch in kleineren kroatischen Ortschaften veröffentlicht, die aber nur von kurzer Dauer waren: So wurde beispielsweise Der Pilger (1841–1847) in Karlstadt (kr. Karlovac), Der Lucifer (1848) in Warasdin (kr. Varaždin), Fiumaner Zeitungen (1867) in Rijeka (it.  Fiume), Südslawische Zeitung (1871) in Sissek (kr.  Sisak), Der Syrmier Bote (1868– 1869), Syrmier Zeitung (1879–1880) und Syrmier Post (1881–1889) in Wukowar (kr.  Vukovar) veröffentlicht. Mit dem Entstehen des Fremdenverkehrs an der Adria wurden auch deutschsprachige touristische Zeitungen gegründet, wie zum Beispiel die Illustrierte österreichische Riviera Zeitung in Pola (kr. Pula, 1904–1906), die Kur- und Bade-Zeitung der österreichischen Riviera in Abbazia (kr. Opatija) (1906–1914) oder die Brioni Insel-Zeitung (kr. Brijuni, 1910–1913). In der Projektvorbereitung wurde auch überprüft, wo die Zeitungen aufbewahrt werden, ob der Zugang zu den einzelnen Zeitungsnummern möglich ist und in welchem Zustand sich die einzelnen Nummern befinden. Als primäre Aufbewahrungsorte erwiesen sich neben der zentralen kroatischen Bibliothek  – der National- und Universitätsbibliothek in Zagreb (NSK)  – die Bibliotheken der einzelnen kroatischen Universitäten, die Volksbibliotheken in kleineren und größeren Ortschaften, die Druckwerke in unterschiedlichem Umfang und aus verschiedenen Zeiträumen aufbewahren. Darüber hinaus gibt es noch Bibliotheken einzelner Institutionen aus diversen Fachbereichen, wie zum Beispiel jene der Kroatischen Akademie der Künste und Wissenschaften oder des Kroatischen Staatsarchivs. Dass Auffinden von Aufbewahrungsorten war auch mit Überraschungen verbunden, wie im Fall der Esseker deutschsprachigen Zeitungen. Exemplare dieser SpiEgElungEn 2.22

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Zeitung wurden nicht wie erwartet in der Stadt- und Universitätsbibliothek von Osijek gefunden, sondern in der Bibliotheksabteilung des regionalen Museums von Slawonien, wo große Bestände an Druckwerken, insbesondere von Zeitungen, durch diverse Schenkungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts vorhanden sind. Anhand dieser Vorerhebungen zu den Bestandsorten der deutschsprachigen Zeitungen in Kroatien wurde ersichtlich, dass einige Periodika, meistens diejenigen von kurzer Dauer und die in kleineren Ortschaften erschienen waren, nicht mehr zu finden sind beziehungsweise in den Katalogen der kroatischen Bibliotheken nicht vorkommen. Von den gefundenen Zeitungen liegen die meisten in der National- und Universitätsbibliothek von Zagreb in Papierform vor. Dort wurden einige Zeitungen auf Mikrofilmen gespeichert, wenige auch digitalisiert. Die Digitalisierung erfolgte zusammen mit kroatischen historischen Zeitungen im Rahmen des 2008–2009 durchgeführten Projekts zur digitalen Sammlung »Alte kroatische Zeitungen« der National- und Universitätsbibliothek Zagreb. Um die Zeitungen in digitaler Form auch öffentlich zugänglich zu machen, wurde auf der Internetseite der Bibliothek ein Portal aufgebaut, das sukzessive durch neues digitalisiertes Pressematerial erweitert wird. Auf diesem Portal befindet sich im größeren Umfang nur die im 19. Jahrhundert führende deutschsprachige Agramer Zeitung, deren digitalisierte Bestände auch teilweise im Rahmen des virtuellen Zeitungslesesaals der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien (ANNO) zugänglich sind. Andere in Kroatien veröffentlichte deutschsprachige Zeitungen wurden demgegenüber nur vereinzelt oder überhaupt nicht digitalisiert. Zwei Beispiele sind dafür repräsentativ: zum einen die von 1841 bis 1847 erschienene kommerzielle und belletristische Zeitschrift Der Pilger aus Karlovac, die in der National- und Universitätsbibliothek Zagreb auf Antrag der Stadtbibliothek »Ivan Goran Kovačić« in Karlovac anhand der Mikrofilme digitalisiert wurde. Das zweite Beispiel sind eben die regionalen Zeitungen Die Drau und Slavonische Presse aus der Hemerothek des Museums in Osijek, die zwar nicht komplett, jedoch in umfangreichen Jahreseinbänden erhalten sind und von denen weitere Exemplare in der National- und Universitätsbibliothek in Zagreb liegen. Zusammenfassend ist zur Aufbewahrung von deutschsprachigen Zeitungen festzustellen, dass diese in Kroatien überwiegend in Papierform erhalten und nur teilweise in Katalogen öffentlicher Bibliotheken erfasst und klassifiziert sind. Da es aber diverse weitere Aufbewahrungsorte ohne ausreichende Katalogisierung gibt, scheinen neue Funde ziemlich wahrscheinlich zu sein. Ferner befindet sich die Digitalisierung der Printmedien in Kroatien im Aufbaustadium, wobei sich diese auf die Mikrofilme von Zeitungen aus den 1970er-Jahren stützen kann, deren Qualität jedoch fraglich ist. auFBau unD DuRCHFüHRunG DES DIGITalISIERunGSpRoJEKTS In Anbetracht der beschriebenen Situation entschied man sich dafür, im Teilprojekt »Digitalisierung der in Kroatien vom 18. bis 20. Jahrhundert veröffentlichten deutschsprachigen Zeitungen« die oben erwähnten Die Drau und Slavonische Presse zu digitalisieren. Man wählte beide aus, weil es sich neben Agramer Zeitungen um die auflagenstärksten, kontinuierlich erscheinenden deutschsprachigen Regionalzeitungen handelt, die einen guten Einblick in die kulturellen, literarischen und sprachlichen Gepflogenheiten deutschsprachiger Zuwanderer im Nordosten Kroatiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bieten. Überdies liegen die Zeitungen in großem

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Umfang sowohl im Museum Slawoniens in Osijek in Papierform als auch in der National- und Universitätsbibliothek in Zagreb sowohl in Papierform als auch auf Mikrofilmen vor. Darüber hinaus entschied man sich auch für die Digitalisierung des Kalenders Essegger Bote, der gleichfalls im Museum Slawoniens in mehreren Bänden vorhanden ist. Da es sich beim Digitalisierungsprojekt im kroatischen Kontext um Neuland handelte, zielte das Projekts auch darauf ab, technische, juristische und organisatorische Probleme zu identifizieren und Lösungen zu finden, um auf diese Weise ein Modell zur Digitalisierung weiterer deutschsprachiger Druckwerke in Kroatien zu entwickeln. Es handelt sich um Fragen wie zum Beispiel nach den regionalen Ausleihmodalitäten von Zeitungsbeständen zu Digitalisierungszwecken oder nach der Einhaltung von Qualitätsstandards bei der Digitalisierung von Zeitungen seitens der regionalen Digitalisierungsfirmen. Das zweite Ziel des Digitalisierungsprojekts lag darin, die Nachhaltigkeit durch den Aufbau eines virtuellen Zeitungsportals zu gewährleisten, mit Angaben zu allen in Kroatien erschienenen deutschsprachigen Zeitungen und möglichst auch zur Forschungsliteratur über die deutschsprachigen Zuwanderer und ihre Kultur. Das Portal steht damit auch einer interessierten Öffentlichkeit zur Erforschung der deutschen Kultur, Literatur und Sprache innerhalb des kroatischen Kulturraums samt Forschungsquellen und -daten zur Verfügung. Das Portal ist eine Anlaufstelle zur Suche nach weiteren Forschungsmaterialien und -quellen, aber auch ein Rechercheinstrument zu weiterführenden Entwicklungstendenzen in einzelnen Forschungsbereichen. Als Beispiel dafür kann der bereits erwähnte Fall der wiederentdeckten Übersetzung von Karl Mays Erzählung dienen. Diesbezüglich stellt sich die Frage nach den Gründen, warum Nikola Tordinac als Priester aus dem Ort Đakovo gerade nach diesem abenteuerlichen Erzählstoff gegriffen und den Text übersetzt hat und warum sich die Zeitung dazu entschieden hat, gerade diese Übersetzung zu veröffentlichen. Handelt es sich hierbei um einen Zufall oder lassen sich anhand der Erfassung weiterer Quellen aus dieser Zeit bestimmte Übersetzungsstrategien und -muster feststellen, die uns derzeit noch unbekannt sind, die aber anhand weiterer Quellen den Rückschluss zulassen, dass die Übersetzung von Karl Mays Erzählung doch kein Zufall war? Um die Digitalisierung der angeführten Zeitungen konkret durchzuführen, wurde im ersten Schritt ein Partnernetz von Institutionen aufgebaut, das zum einen vom Institut für Germanistik der Universität Gießen und von der Abteilung für deutsche Sprache und Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Osijek als Organisatoren der wissenschaftlichen Tätigkeit im Teilprojekt getragen wurde. Zum anderen bewilligte die Beauftragte für Kultur und Medien der deutschen Bundesregierung die finanzielle Unterstützung des Projekts und zum dritten wurden das Museum Slawoniens in Osijek und die National- und Universitätsbibliothek in Zagreb als Eigentümer der zu digitalisierenden Zeitungsbestände in das Projektnetz eingebunden. Auf Basis von Vergleichsangeboten kroatischer Dienstleister wurde die Firma ArhivPro d.o.o. aus Kopreinitz (kr. Koprivnica) mit der Digitalisierung beauftragt. Diese Firma wurde einerseits wegen ihres günstigen Angebots und ihrer guten digitalen Ausstattung ausgewählt, andererseits wegen ihres Renommees in der Digitalisierung von Beständen zahlreicher kroatischer Institutionen, wie zum Beispiel der National- und Universitätsbibliothek in Zagreb oder der Kroatischen Akademie der Wissenschaften und Künste. SpiEgElungEn 2.22

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Für eine präzisere Kostenkalkulation wurde zu Projektbeginn der Umfang des zu digitalisierenden Materials eingeschätzt. Die Drau erschien von 1868 bis 1869 einmal wöchentlich, von 1870 bis 1889 dreimal wöchentlich und von 1908 bis Juni 1929 an allen Werktagen. Zwischen 1932 und 1933 sowie 1936 und 1938 wurde die Zeitung wiederbelebt. Grundsätzlich wurde sie auf vier Seiten gedruckt, sie konnte aber durch weitere, meist mit Werbung bedruckte Seiten einen Umfang von acht, zwölf oder sogar 16 beziehungsweise 20 Seiten erreichen. Ab 1896 erschien die Zeitung auf acht Seiten, wobei einzelne Nummern durch Werbeseiten wiederum erweitert wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Grundumfang der Zeitung auf vier Seiten reduziert. Anhand dieser Angaben lässt sich der Gesamtumfang der Drau in den 67 Jahren ihres Erscheinens auf 11.333 Nummern beziehungsweise 83.896 Seiten beziffern. Die zweite regionale Zeitung, Slavonische Presse, wurde rund 20 Jahre nach der Drau gegründet. Sie erschien von 1885 bis 1893 dreimal wöchentlich  – dienstags, donnerstags und sonntags –, dann als Tageszeitung (außer montags) und wurde schließlich 1922 eingestellt. 1928 und 1929 wurde die Zeitung zwar wiederbelebt, es erschienen aber nur 21 Nummern. Insgesamt konnten 9.881 Nummern der Slavonischen Presse identifiziert werden, wobei die Zahl der gedruckten Seiten schwieriger festzustellen war: So wie Die Drau wurde auch die Slavonische Presse auf vier Seiten gedruckt, allerdings konnte dieser Umfang immer wieder nicht nur durch Werbematerial, sondern auch durch andere feuilletonartige Beiträge erweitert werden, sodass die Seitenzahl einzelner Nummern noch stärker divergiert als bei der Drau – so umfasst zum Beispiel die Sonntagsausgabe der Slavonischen Presse vom 2. April 1899 insgesamt 24 Seiten. Zugleich ist ab dem Jahr 1910 festzustellen, dass die Slavonische Presse grundsätzlich auf acht Seiten gedruckt wurde, bevor sie dann aber 1920 kurz vor ihrer Einstellung auf nur noch zwei Seiten reduziert wurde. Zieht man alle Abweichungen in Betracht, liegt die Gesamtzahl der gedruckten Seiten bei rund 65.700. Nicht zuletzt sind auch die Daten zum Kalender Essegger Bote zu erwähnen. Der Jahreskalender ist allem Anschein nach von 1889 bis 1915 herausgegeben worden und liegt im Museum Slawoniens für die Zeiträume 1897–1898 und 1901–1915 in Papierform vor. Anhand dieser Exemplare ist anzunehmen, dass der Kalender im Umfang von durchschnittlich 250 Seiten gedruckt wurde, was insgesamt 6.570 Seiten ergibt, die zu digitalisieren waren. Es waren schätzungsweise 21.241 Nummern der Zeitschriften sowie des Kalenders mit insgesamt 156.346 Seiten zu digitalisieren. Zu Beginn des Projekts 2017 stellte dies eines der größten Digitalisierungsprojekte in der Republik Kroatien dar. Den größten Teil der Nummern und der einzelnen Kalenderexemplare stellte das Museum Slawoniens in Osijek zur Verfügung. Obwohl einige der im Museum nicht vorhandenen Nummern in der National- und Universitätsbibliothek in Zagreb ermittelt werden konnten, standen trotz intensiver Suche in diversen kroatischen Bibliotheken noch 464 Nummern der Drau und 436 Nummern der Slavonischen Presse sowie zehn von insgesamt 27 Jahrgängen des Essegger Boten aus, die unauffindbar blieben. Ferner wurden einige Seiten beziehungsweise Nummern nicht digitalisiert, weil sie zu beschädigt waren und ihre Digitalisate wegen des schlechten Zustands des Originals nicht der vorgeschriebenen Qualität entsprochen hatten. In der Durchführung des Teilprojekts bemühte man sich um eine hochwertige Digitalisierung der Zeitungen nach den Vorgaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Der technische Teil umfasste das Scannen von einzelnen Nummern 60

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EnglER, MöBiuS: digitaliSiERung dEutSchSpRachigER ZEitungEn

100.00 80.000

83.896 65.700

60.000 40.000 20.000

6.750

0

 Die Drau  Slavonische Presse  Essegger Bote abb. 1: Geschätzter umfang der zu digitalisierenden Bestände

in Papierform beziehungsweise die Digitalisierung der Mikrofilme. Eine große Herausforderung stellte die Frakturschrift der Zeitungen dar, was den Einsatz einer speziell angepassten OCR-Software erforderlich machte. Dadurch konnte eine Transkriptionsrate von 95 Prozent erzielt werden, die übrigen Lesefehler wurden manuell korrigiert. Die Digitalisierungsarbeiten der insgesamt 147.460 Seiten dauerten zwei Jahre (2017–2019). Von der Drau wurden 80.461 Seiten gescannt, dies entspricht 10.869 Ausgaben, was 54,6 Prozent der gesamten Zahl der im Projekt digitalisierten Seiten ausmacht. Als größere Lücken sind die ersten vier Erscheinungsjahre 1868–1871 geblieben, aus denen nur eine Nummer erhalten ist, außerdem die Jahre 1930–1931, 1934 und 1935. Im Rahmen des Projekts sind jedoch 95,91 Prozent der geschätzten Gesamtausgabe digitalisiert worden. Von der Slavonischen Presse wurden insgesamt 9.445 Nummern beziehungsweise 62.801 Seiten digitalisiert, was im Projekt 42,6 Prozent der gesamten Anzahl der digitalisierten Seiten entspricht. Die Lücke in der Digitalisierung dieser Zeitung bilden die Nachkriegsjahre, während die Zeitungsausgaben von 1885 bis 1922 fast vollständig erhalten sind und deshalb auch erfolgreich digitalisiert werden konnten. Mit 95,5 Prozent ist der Prozentsatz der digitalisierten Bestände dieser Zeitung sehr hoch. Zum Kalender Essegger Bote konnte man leider neben den Exemplaren aus dem Museum Slawoniens keine weiteren Ausgaben finden, sodass nur 17 Jahrgänge mit insgesamt 4.198 Seiten digitalisiert wurden, während die ersten zwölf Jahre mit Ausnahme von 1897 und 1898 als Lücke geblieben sind, was einer Digitalisierungsquote von 63 Prozent entspricht. Für die Nachhaltigkeit des Projekts wurden die Digitalisate samt den erforderlichen Daten zuerst auf Wechseldatenspeichern hinterlegt und zugleich die digitalisierten Zeitungen auf mehreren virtuellen Portalen zur Verfügung gestellt. Zu diesem Zweck wurde auf der Internetseite des Museums Slawoniens die digitale Sammlung »Esseker deutschsprachige Zeitungen« eingerichtet, wo die digitalisierten Zeitungen SpiEgElungEn 2.22

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thEMa: aRchivE in KROatiEn

100.00

80.461

80.000

62.801

60.000 40.000 20.000

4.198

0  Die Drau  Slavonische Presse  Essegger Bote abb. 2: anzahl der digitalisierten Seiten

in Form von Bildern und in Transkription zu lesen sind, außerdem ist der Inhalt durchsuchbar. Die Digitalisate wurden außerdem in die digitale Sammlung »Alte kroatische Zeitungen« der National- und Universitätsbibliothek eingebunden. In Deutschland sind sie auf der gemeinsamen Internetseite des Instituts für die Zusammenarbeit in Mittel- und Osteuropa (KOMIOS) aus Bratislava und des Digitalen Forums für Mittelund Osteuropa (DiFMOE) aus München gespeichert, wo digitalisierte historische Druckwerke aus der mittel- und osteuropäischen Region aufgenommen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Mit dem Digitalisierungsprojekt ist ein großer Schritt in der Erkundung und der digitalen Vorstellung des kulturellen Erbes deutschsprachiger Zuwanderer in Kroatien unternommen worden, denn die im Projekt digitalisierten Zeitungen Die Drau und Slavonische Presse sowie der Kalender Essegger Bote sind in der DiFMOE-Sammlung die einzigen aus Kroatien stammenden Digitalisate. auSBlICKE Das Digitalisierungsprojekt ermöglicht für zukünftige Forschungen vor allem einen leichteren Zugang zu den Daten. Bereits während der Arbeit an der Digitalisierung der Zeitungen entstanden mehrere Promotionsprojekte, die sich mit der Auswertung der neuen Daten beschäftigen. Gleichzeitig entwickelte sich während des Projekts die Einsicht in einen weiteren Handlungsbedarf, da zahlreiche deutschsprachige Zeitungen noch nicht in digitaler Form, sondern nur in Papierform vorliegen und damit nach wie vor vom Zerfall bedroht sind. Dies betrifft zum Beispiel die auflagenstärkste und nur teilweise digitalisierte Agramer Zeitung. Darüber hinaus sind sowohl in Kroatien selbst als auch in den Nachbarländern weitere bis 1945 veröffentlichte Zeitungen ausfindig zu machen und diese gleichfalls zu digitalisieren. Ferner ist die beim Museum Slawoniens in Osijek aufgebaute Internetseite »Esseker deutschsprachige Zeitungen« sowohl mit

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EnglER, MöBiuS: digitaliSiERung dEutSchSpRachigER ZEitungEn

der Sammlung von bibliographischen Daten zur einschlägigen Forschungsliteratur als auch mit durchsuchbaren Digitalisaten weiterer deutschsprachiger Zeitungen zu ergänzen, um auf diese Weise eine zentrale Forschungsstelle beziehungsweise Anlaufstelle für weitere Forschungen in Kroatien aufzubauen. Kontakt Dr. Tihomir Engler Josip-Juraj-Strossmayer-Universität Osijek Philosophische Fakultät Abteilung für deutsche Sprache und Literatur E-Mail: [email protected] Dr. phil. habil. Thomas Möbius Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Germanistik E-Mail: [email protected]

tiHomiR engleR (Jg. 1965) ist seit 2014 Dozent an der philosophischen Fakultät der Josip-Juraj-Strossmayer-universität Esseg/osijek und unterrichtete viele Jahre an der pädagogischen Hochschule Tschakathurn/Čakovec sowie an der polytechnischen Hochschule Warasdin/ Varaždin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören deutsche und kroatische Kinder- und Jugendliteratur, medien- und literaturdidaktik sowie deutsche prosa des 20. Jahrhunderts. tHomas möBius (Jg. 1963) ist professor für Germanistische literaturdidaktik an der Justusliebig-universität Gießen. Er war über zehn Jahre lang als Gymnasiallehrer an in- und ausländischen Schulen tätig; seit 2002 wirkte er zunächst als akademischer oberrat, später als professor an pädagogischen Hochschulen und universitäten. Seine Forschungsschwerpunkte sind literatur- und mediendidaktik, insbesondere digitale medien im Deutschunterricht, Didaktik älterer deutscher literatur, empirische Forschungen zum literarischen lernen sowie Kinder- und Jugendliteratur.

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Historische Quellen zur deutschen Sprache im Schulwesen der Stadt Esseg/Osijek im Staatsarchiv Osijek und im Museum Slawoniens Osijek Von Ljubica Kordić

Zum mulTIKulTuREllEn unD mEHRSpRaCHIGEn mIlIEu DER STaDT ESSEG/oSIJEK Die kulturelle Identität Osijeks (dt. Esseg[g]/Essek, ung. Eszék) ist von Mehrsprachigkeit und Multikulturalität geprägt. Als Einwohner der Stadt werden in ersten schriftlichen Quellen aus dem Jahr 1688 Illyrer, Slawen, einige Deutsche und wenige Ungarn erwähnt.1 Nach der Befreiung von den Osmanen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann die Besiedlung durch eine deutsche Bevölkerung, die in drei Phasen organisiert wurde. Bereits 1719 hatte sich die Einwohnerzahl im Vergleich zu 1698 vervierfacht. Der Anstieg war hauptsächlich auf die Innere Stadt (Militärfestung, kr. Tvrđa) und die Unterstadt zurückzuführen.2 Laut Mažuran wurde die Festung im Jahr 1709 zu 52,4 Prozent von Deutschen, zu 27,8 Prozent von Kroaten und zu rund 20 Prozent von Serben, Italienern, Tschechen, Ungarn und Franzosen bewohnt. In der Oberstadt (kr. Gornja Varoš) lebten 81 Prozent Kroaten, 10,2 Prozent Deutsche, 2,9 Prozent Ungarn und 5,9 Prozent andere Nationalitäten, und in der Unterstadt (kr. Donja Varoš) waren gleichermaßen Kroaten, Deutsche und Serben und in geringerem Maße Ungarn, Tschechen und Franzosen vertreten.3 In der Militärfestung von Esseg ließ sich Militär- und Verwaltungspersonal aus Österreich und Ungarn nieder. Die Besiedlungen veränderten die ethnische und soziale Struktur der Stadtbevölkerung. Laut historischen Quellen aus dem Staatsarchiv Osijek stieg in der zweiten Besiedlungsphase um 1900 die Einwohnerzahl in der Inneren Stadt Osijek (Militärfestung) um 127 Prozent. Die Volkszählung von 1900 zeigt, dass 53,88 Prozent der Bevölkerung von Esseg deutschsprachig waren.4 Nach Angaben des kroati1 2 3 4

Helena Sablić-Tomić: U osječkom Nutarnjem gradu – In der Inneren Stadt von Essek. Zagreb 2017. Ive Mažuran u. a.: Od turskog do suvremenog Osijeka [Vom türkischen zum modernen Osijek]. Zagreb 1996, S. 35. Ive Mažuran: Nastariji Zapisnik općine Osijek – Tvrđa [Die älteste Aufzeichnung der Gemeinde Osijek – Militärfestung] 1705.–1746. In: Građa za historiju Osijeka i Slavonije [Material zur Geschichte Essegs und Slawoniens] (1965) H. 1, S. 35. Mažuran u. a.: Od turskog do suvremenog Osijeka, S. 158.

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thEMa: aRchivE in KROatiEn

schen Statistikamtes hatte 1857 die Stadt 20.858 Einwohner, von denen Kroaten und Serben etwas weniger als die Hälfte ausmachten. Daneben lebten 3.272 Deutsche, 438  Ungarn, 36 Italiener und 588 Angehörige anderer Nationen in Esseg. Aus der Volkszählung von 1890 wird ersichtlich, dass die Zahl der deutschen Bevölkerung (nun 10.657) dreimal höher lag als 33 Jahre zuvor, während es 5.516 Kroaten, 1.602 Serben und 1.378 Ungarn gab.5 Diese Daten sind Ergebnis der systematischen Ansiedlungs- und Sprachenpolitik sowie der Tradition von institutioneller Vermittlung der deutschen Sprache in Esseger Schulen. Durch die gegenseitige Beeinflussung von Kulturen und Sprachen (Kroatisch, Serbisch, Deutsch, Ungarisch) entstand eine eigentümliche Stadtsprache – das Esseker Deutsch (Essekerisch). Nach 1945 fiel die Zahl der deutschsprachigen Bürger beträchtlich, und die Kommunikation auf Essekerisch war verboten. VolKSSCHulEn In ESSEG unD DIE DEuTSCHE SpRaCHE Über die Volksschulen in Esseg im 18. und 19. Jahrhundert geben die im Staatsarchiv Osijek aufbewahrten Quellen Auskunft. Jesuiten- und Franziskanerchroniken liefern die frühesten Informationen über das Schulwesen, da die Gründung der ersten Schulen historisch mit den Aktivitäten dieser beiden kirchlichen Orden verbunden war. Sie waren auch für die Wiederherstellung nicht nur der geistlichen, sondern auch der allgemeinen kulturellen und pädagogischen Entwicklung der Stadt verantwortlich, nachdem die Osmanen Esseg und Slawonien verlassen hatten. Weitere im Staatsarchiv Osijek vorhandene Daten zur Geschichte des Grundschulwesens in Esseg finden sich in den Matrikeln »der Grundschule in der Oberstadt Esseg in der Straße der Heiligen Anna« (für die Schuljahre von 1863/1864 bis 1867/1868) im »Fundus D« – einer Dokumentensammlung unter dem Titel Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen und -organisationen, Buch II. Im Diarium Societates Jesu wird das Jahr 1711 als Baujahr der Grundschule im Stadtviertel Militärfestung genannt. Als erster Lehrer wurde David Heimb eingesetzt und unter den aufgeführten Lehrern werden Đuro Killing und Franjo Kluch erwähnt, die auf Deutsch unterrichteten.6 Erst später wurde die kroatische Sprache als zweite Unterrichtssprache eingeführt, »weil Gottesdienste in kroatischer Sprache gehalten werden«7. Weitere verfügbare Daten beziehen sich auf das Jahr 1837, als es in jedem der vier Stadtviertel Essegs eine öffentliche Volksschule gab. Nach den Daten des Amtsblatts für öffentliche Grundschulen für das Schuljahr 1877/1878 (Fundus D) war Kroatisch in 95,23 Prozent der Schulen in Kroatien Unterrichtssprache. In 3,28 Prozent der Volksschulen war Deutsch die Unterrichtssprache, in 1,04 Prozent Ungarisch. 1889 wurde in 96,6 Prozent der öffentlichen Schulen auf Kroatisch oder Serbisch unterrichtet, in 2,6 Prozent auf Deutsch und in 0,6 Prozent auf Ungarisch. Zehn Jahre später war der Prozentsatz der Schulen mit Ungarisch als Unterrichtssprache gleich geblieben, während Kroatisch oder Serbisch jetzt in 97,38  Prozent der öffentlichen Schulen und Deutsch in nur 1,6  Prozent der Schulen als Unterrichtssprache verwendet wurden. 1909 waren Kroatisch oder Serbisch überwiegende Unterrichtssprachen (in 98,56 Prozent der Schulen), Deutsch hingegen nur in 1,1 Prozent und Ungarisch weiterhin in 0,6 Prozent der öffentlichen Volksschulen. 5 6 7

Božo Plevnik: Stari Osijek [Altes Esseg]. Osijek 1987, S. 87. Sablić-Tomić: In der Inneren Stadt, S. 128. Ebenda.

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KORdić: SchulwESEn in OSijEK

Fächerliste für die 1., 2. und 3. Klasse der oberstädtischen Volksschule Heilige anna im Schuljahr 1863/64. »Ilirski jezik« (Illyrisch bzw. Kroatisch) wurde in der 1. Klasse, und Illyrisch und Deutsch (Ilirski jezik, němački jezik) in der 2. und 3. Klasse unterrichtet. Quelle: »Die Register der allgemeinen Volksschule St. anna in der oberstadt« vom Schuljahr 1863/1864 bis 1867/1868 – HR-DaoS_Fundus D

Im Staatsarchiv Osijek befinden sich »Die Register der Allgemeinen Volksschule St. Anna in der Oberstadt« aus den Schuljahren 1863/1864 bis 1867/1868. Demnach wurden in der ersten Klasse die Fächer »Grundlagen des Religionsunterrichts«, »Grundlagen des Rechnens«, »Grundlagen des Schreibens« und Illyrische Sprache (Kroatisch) unterrichtet. In der zweiten, dritten und vierten Klasse kam auch Deutsch (Němački jezik) hinzu. Auch heute trägt die Schule den Namen der Heiligen Anna (Osnovna škola Svete Ane u Osijeku). In privaten Volksschulen waren die Verhältnisse aufgrund der politischen Umstände und der homogenen ethnischen Struktur der Schüler etwas anders gelagert. So nahm hier von 1887 bis 1909 Kroatisch oder Serbisch als Unterrichtssprache zugunsten des Deutschen ab. In Kroatien hatten 1877 von insgesamt 45 Privatschulen 30 oder 66,6 Prozent der Schulen Kroatisch oder Serbisch als Unterrichtssprache, in neun privaten Volksschulen war es Deutsch (20 Prozent) und in sechs (13,33 Prozent) Ungarisch. Im Schuljahr 1898/1899 betrug der Anteil von Kroatisch beziehungsweise Serbisch an den Unterrichtssprachen 34,8 Prozent, Deutsch 43,5 Prozent und Ungarisch 21,5 Prozent. Im darauffolgenden Jahr stieg der Anteil der Schulen mit Kroatisch oder Serbisch als Unterrichtssprache im Vergleich zu denen mit Deutsch an (45,46  Prozent zu 21,21  Prozent). Ungarisch war damals die Unterrichtssprache in einem Drittel der Schulen. Zehn Jahre später nahm die Zahl der privaten Volksschulen mit Ungarisch als Unterrichtssprache wesentlich zu (73,97  Prozent), während Kroatisch oder Serbisch als Unterrichtssprache in 20,55 Prozent und Deutsch nur in 5,48 Prozent verwendet wurden.8 Unter den privaten Volksschulen in Esseg nahm die 8

Die Daten wurden dem im Fundus D im Staatsarchiv Osijek aufbewahrten Amtsblatt für öffentliche Grundschulen für das Schuljahr 1877/1878 entnommen.

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jüdische Privatschule, in der seit ihrer Gründung 1856 auf Deutsch unterrichtet wurde, einen herausragenden Platz ein. Zu den religiös ausgerichteten Privatschulen gehörte die Serbisch-Orthodoxe Schule (Serbische Religionsschule) in der Unterstadt Essegs, die einigen Quellen zufolge bereits seit 1716, nach Josip Bösendorfer9 erst seit 1746 bestand. Historische Quellen besagen, dass der Lehrer Joan Sastaveczki und der »Pop«10 Nikolaj Mihajlović den Unterricht leiteten. Interessanterweise war die Unterrichtssprache in der ersten und zweiten Klasse Serbisch, in der dritten und vierten Klasse aber Deutsch und Latein. Laut Bösendorfer erhielt die Unterstadt 1723 die erste öffentliche Volksschule. Der erste Lehrer war Anton Stubenrauch, der Unterricht verlief auf Deutsch.11 1756 schloss die Schule einen Vertrag »mit dem deutschen Lehrer Josip Nussbaum«, 1787 wurde der Lehrer Johann Chavrak eingestellt.12 1883 erhielt die Volksschule ein neues Gebäude in der Crkvena-Straße, in der zeitweise auch die Lehrerschule untergebracht war. Im Juli 1941 beschloss die damalige Regierung des Unabhängigen Staates Kroatien, die Serbische Religionsschule mit der Schule in der Crkvena-Straße zu einer Volksschule zusammenzulegen. Heute ist es die Grundschule Jagoda Truhelka. Während der kurzen Herrschaft des Unabhängigen Staates Kroatien (1941–1945) bestand in Osijek die Deutsche Volksschule in Essegg  III. Schüler wurden nach ethnischer Zugehörigkeit angemeldet. Unter ihnen gab es »Kinder, die nichts mit Deut schen zu tun haben«, so kommen unter den immatrikulierten Schülern einige kroatische Nachnamen vor, die nach deutscher Orthografie geschrieben wurden: Kovats, Kralj, Križan, Kozkar, Schimitsch, Josipovitsch, Forsteritsch, Opantschar.13 DIE DEuTSCHE SpRaCHE an GymnaSIEn In ESSEG Die Sekundarschulen in Kroatien und Slawonien wurden bis 1918 auf der Grundlage der in Wien verfassten Schulordnungen organisiert, in deren Rahmen 1777, 1806, 1849 und 1908 Schulreformen durchgeführt wurden. Die Veränderungen in der Sprachenpolitik, die durch diese Reformen implementiert wurden, lassen sich an der Tätigkeit des klassischen Gymnasiums in Esseg gut nachvollziehen. Die 1729 von den Jesuiten gegründete Kleine Lateinschule entwickelte sich später zum Großen Kaiserlich-Königlichen Gymnasium. Neben diesem klassischen Gymnasium (bekannt als Großes Gymnasium) bestanden in Esseg bis zum Ersten Weltkrieg das Königliche Realgymnasium (auch als Männerrealgymnasium – kr. Muška realka – bekannt) und das Mädchenrealgymnasium (kr. Djevojačka gimnazija/Djevojačka realka). HISToRISCHE QuEllEn Zu DEn ESSEGER GymnaSIEn Im STaaTSaRCHIV oSIJEK unD Im muSEum SlaWonIEnS oSIJEK Historisches Material, das als Quelle für die Sprachenpolitik im Sekundarunterricht in Esseg dient, umfasst die Bestände des kaiserlich-königlichen Gymnasiums, des Königlichen Realgymnasiums und des Mädchenrealgymnasiums. Das Material ist

9 10 11 12 13

Josip Bösendorfer: Pravoslavni element kao sekundarni faktor u oblikovanju građanskog staleža u Osijeku [Das orthodoxe Element als sekundärer Faktor bei der Entstehung der bürgerlichen Schicht Essegs]. In: Osječki zbornik [Esseger Journal] 2–3 (1948), S. 48–133. »Pop« ist eine pejorative Bezeichnung für einen orthodoxen Priester, zumeist in informeller Kommunikation gebraucht. Es ist ungewöhnlich, dass dieser Ausdruck in einem offiziellen Dokument erscheint. Bösendorfer: Pravoslavni element. Kamilo Firinger: Deutsche Volksschule in Essegg III – Njemačka pučka škola Osijek. In: Školstvo: Prosvjetne, kulturne i znanstvene ustanove i organizacije [Schulwesen. Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen und -organisationen] 2. Državni arhiv Osijek [Staatsarchiv Osijek]. (Fundus D), 1968, S. 88. Ebenda, S. 53.

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KORdić: SchulwESEn in OSijEK

lehrerschule und Volksschule in der Crkvena-Straße – zweisprachige Inschrift. Quelle: Staatsarchiv osijek, Signatur: DaoS 2092_1–100

teilweise im Museum Slawoniens Osijek verfügbar, am umfangreichsten aber im Staatsarchiv Osijek. Zu diesem Material gehören die Jahrbücher und Kataloge der österreichischen Jesuitenprovinz, darunter die Annalen des Jesuitenordens Diarium missionis Essekiensis Societato Jesu coeptum anno 1764 scholastico exeunte 1763 usque ad annum 1771. Für die Forschung wertvolle Daten liefert auch das Manuskript Historia Gymnasii Regii Essekiensis des damaligen Rektors Antun Ustia, das sich in der National- und Universitätsbibliothek Zagreb befindet. Diese historischen Dokumente stellen eine Herausforderung für die Forschung dar, da sie zum Teil sehr schwer lesbar sind. Dazu zählt auch die Korrespondenz der Gymnasialdirektion von 1850 und 1851 mit dem Ministerium für Cultus und Unterricht. Besonders wertvoll sind in diesem Zusammenhang die alten Matrikeln der Gymnasien in Osijek. Um den breiteren Kontext darzustellen, in dem sich die Sekundarschulbildung in Esseg entwickelt hat, wurden die relevanten Gesetze und andere Rechtsvorschriften analysiert, die die Sprachpolitik in den kroatischen Regionen vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Entstehung der modernen Republik Kroatien geprägt und geregelt haben. Sie sind in der Bibliothek der Fakultät für Rechtswissenschaften der JosipJuraj-Strossmayer-Universität zu finden. Eine reichhaltige Datenquelle für das Schulleben, die Unterrichts- und Fremdsprachen, aber auch über die kulturellen Aktivitäten der Schulen, ihrer Lehrer und Schüler bilden die Jahresberichte der Esseger Gymnasien. Sie wurden regelmäßig ab dem Schuljahr 1851/52 herausgegeben und enthalten detaillierte Informationen zu Studierenden, beruflichen Qualifikationen und Pflichten der Lehrenden, Curricula und deren Änderungen. Die geförderten pädagogischen Werte lassen sich indirekt aus den Themen der schriftlichen Aufsätze in Deutsch und Kroatisch sowie den Aufsatzthemen in den Maturaprüfungen ablesen. Schulordnungen beziehungsweise Bildungsgesetze, durch die auch Schulreformen eingeführt wurden, informieren über Unterrichtsorganisation und -sprachen, Wochenstunden pro Klasse und sogar methodische Herangehensweisen. Dies gilt insbesondere für Ratio educationis von 1777 und den Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Österreich des SpiEgElungEn 2.22

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Ministeriums für Cultus und Unterricht aus dem Jahr 1849. Besonders relevant für die methodische Herangehensweise an den Sprachunterricht sind die Instructionen für den Unterricht an den Gymnasien in Österreich von 1884 und das Programm des Lehrervereins für Real- und Klassische Gymnasien von 1906. Neben den Primärquellen bildet die Sekundärliteratur eine wichtige Informationsquelle zum Bildungswesen der Stadt und den Stellenwert der deutschen Sprache in den Grund- und Mittelschulen in Esseg, ohne die das Gesamtbild nicht vollständig wäre. Hierzu zählen vor allem die Arbeiten von Tomo Matić14 und Ive Mažuran15. Eine wahre Fundgrube historischer Daten zu den Aktivitäten der Esseger Gymnasien stellen die Werke von Lokalhistorikern dar, vor allem von Josip Bösendorfer16 und Kamilo Firinger17, aber auch von Vesna Burić18, Stjepan Sršan19 sowie einige Werke von Božo Plevnik 20 und Zlata Živaković-Kerže21. Stjepan Sršan ist für die Systematisierung der historischen Quellen im Staatsarchiv Osijek zu danken, insbesondere für seine Übersetzungen der Annalen und Protokolle der Gemeinde Esseg aus dem Lateinischen und Deutschen.22 Aus diesen Quellen erfahren wir über weitere historische Aspekte des öffentlichen und kulturellen Lebens der Stadt. Auch die Forschungen des Esseger Germanisten Velimir Petrović (zur essekerischen Sprechart)23 und von Vlado Obad (zu deutschsprachigen Schriftstellern aus Esseg)24 sowie neuere soziolinguistische Studien – in der Sammelreihe Spuren deutscher Sprache und Kultur in Kroatien25 bei Peter Lang erschienen – trugen zur Aufklärung der Rolle des Deut-

14 Tomo Matić: Osječka humanistička gimnazija od osnutka do godine 1848 [Das Esseger humanistische Gymnasium ab seiner Gründung bis 1848]. In: Rad JAZU [Werk der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und Künste] 257 (1937), S. 1–82; ders.: Prva osječka gimnazija [Das erste Esseger Gymnasium]. In: Hrvatski list [Kroatische Zeitung] 18 (1937), S. 18–25. 15 Mažuran: Najstariji zapisnik općine Osijek – Tvrđa; ders.: Srednjovjekovni i turski Osijek; ders. u. a.: Od turskog do suvremenog Osijeka. 16 Josip Bösendorfer war ein Esseger Historiker und lange Zeit Direktor des Staatarchivs Osijek. Er hat zahlreiche Originalmaterialien vom Deutschen ins Kroatische übersetzt, so auch »Urbar osječkih isusovaca 1746/47« [Urbar der Esseger Jesuiten]. In: Vrela i prinosi [Quellen und Beiträge] 5 (1935), S.  2–7. Vgl. Bösendorfer: Crtice iz slavonske povijesti s osobitim obzirom na prošlost županija: križevačke, virovitičke, požeške, cisdravske baranjske, vukovske i srijemske, te kr. i slob. grada Osijeka u srednjem i novom vijeku [Notizen aus der Geschichte Slawoniens mit besonderem Bezug auf die Geschichte der Gespanschaften Kreu(t)z, Wirowititz/Vöretz, Cisdrau-Baranya, Wukowar und Syrmien sowie der kaiserlich-königlichen Freistadt Esseg im Mittelalter und in der Neuzeit]. Osijek 1910; ders.: Koje su javne škole u Osijeku osnovali isusovci? [Welche öffentlichen Schulen Essegs wurden von den Jesuiten gegründet?]. In: Narodna starina [Volksaltertum] 12 (1933) H. 31, S. 130f. 17 Kamilo Firinger: Počeci osječkog školstva [Die Anfänge des Esseger Schulwesens]. In: Život i škola [Leben und Schule] (1956) H. 1–2, S. 22; ders.: Osječka Gimnazija [Das Esseger Gymnasium] (1729–1929). In: Život i škola [Leben und Schule] (1956) H. 7–8, S. 1–9. 18 Vesna Burić: Stara gimnazijska knjižnica kao cjelina u knjižnici Muzeja Slavonije [Die alte Gymnasialbibliothek als Einheit in der Bibliothek des Museums Slawoniens]. In: Osječki zbornik 21 (1991), S. 175–199. 19 Stjepan Sršan: Gimnazije u Osijeku [Gymnasien in Esseg] 1729–1945. Osijek 1996. 20 Plevnik: Stari Osijek. 21 Zlata Živaković-Kerže: Svaštice iz staroga Osijeka [Allerlei aus dem alten Esseg]. Osijek 2001. 22 Stjepan Sršan: Osječki ljetopisi [Esseger Jahrbücher] 1686–1945. Osijek 1993; ders.: Zapisnik općine OsijekTvrđa od 1745. do 1770. godine [Aufzeichnungen der Gemeinde Esseg-Militärfestung von 1745 bis 1770]. Osijek 1987; ders.: Zapisnici općine Osijek / Prothocollum des Stadt-Raths zu Esseg 1786–1794. Osijek 1996. 23 Velimir Petrović (Hg.): Essekerski tekstovi – Essekerische Texte. Osijek 2011. 24 Vlado Obad: Slavonska književnost na njemačkom jeziku [Slawonische Literatur in deutscher Sprache]. Osijek 1989; ders.: »Essekersko građanstvo u djelima Vilme Vukelić« [Essekerisches Bürgertum in den Werken von Vilma Vukelić]. In: Književna revija [Literarische Revue] 43 (2003), S. 101–120. 25 Thomas Möbius, Tihomir Engler (Hgg.): Zwischen Assimilation und Autonomie: neuere Forschungsaspekte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Minderheit in Kroatien. Berlin 2019; Ivana Jozić u. a. (Hgg.): Aspekte kultureller Identität. Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Minderheit in Kroatien. Berlin 2019.

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schen für die Entwicklung des Schulwesens und der Kultur in der Geschichte Essegs bei. Auch die in den letzten Jahren erschienenen Artikel von Sergej Filipović über das Schulwesen in Osijek sind in diesem Kontext zu nennen.26 DIE DEuTSCHE SpRaCHE Im KaISERlICH-KönIGlICHEn (GRoSSEn) GymnaSIum Zu ESSEG Der deutschen Sprache fielen im mehrsprachigen Stadtmilieu und im städtischen Schulwesen in verschiedenen historischen und politischen Epochen unterschiedliche Rollen zu. Aus den Annalen des Jesuitenordens, der die Schule gegründet hat, erfahren wir, dass von Anfang an Deutsch und Kroatisch Unterrichtssprachen in der ersten und zweiten Klasse waren. In den höheren Klassen wurde Deutsch beim Übersetzen in den Lateinstunden verwendet. Die ersten Gymnasiallehrer waren Deutsche. In der Anfangszeit wurden auch die Theatervorstellungen auf Deutsch aufgeführt, um  – wie es mit Bezug auf die erste Aufführung, »Mendax adolescens correctus« (»Der korrigierte junge Lügner«) am 6. Februar 1766 heißt – »das illyrische Volk in dieser Sprache zu unterrichten, was der Wunsch unserer Kaiserin und Herrin ist«27. Diese Urkunde belegt, dass die damalige autochthone Bevölkerung Essegs »natio illyrica« war, aber auch, dass das Jesuitengymnasium und seine Schulbühne mit ihren Theateraufführungen die deutsche Sprache förderten. Gleichzeitig wurden Kroatisch und Latein an den Gymnasien anderer kroatischer Städte wie Agram (kr. Zagreb) und Poschegg (kr. Požega) verwendet.28 Nachdem der Unterricht am Esseger Gymnasium nach den Vorschriften des Ratio educationis totusque rei literariae per regnum Hungariae et provincias eidem adnexas aus dem Jahr 1777 organisiert worden war, wurde Deutsch zu einem selbständigen Unterrichtsfach, wie aus frühen Schriftstücken des Gymnasiums aus dem Jahr 1810 hervorgeht, wonach die deutsche Sprache (Ex Lib. Germ.) in der ersten grammatischen Klasse unterrichtet wurde. Allerdings änderte sich in den kommenden Jahren der Name des Faches: »Grammatica Germanica«, »Studio Linguae Vernaculae«, »Grammmatica Vernacularis«. Nach dem Beschluss der neuen Schulordnung von 1806 für kroatische und ungarische Schulen wurde aus Wien für kroatische Gymnasien Ungarisch als Landessprache »empfohlen«. Schuldokumente weisen erst 1822 auf Ungarisch als Schulfach hin (»Studio Linguae Hungaricae«). Ab diesem Jahr wird Deutsch als Fach in der ersten Klasse nicht mehr erwähnt, es ist aber anzunehmen, dass es weiterhin in dieser Klassenstufe parallel zum Kroatischen als Unterrichtssprache verwendet wurde. Dies belegen die Angaben in der Matricula für das Schuljahr 1830/31, wo unter dem Titel Exhortatores die Namen Eugenius Majerik für Latein, Joannes Loncsarevich für Deutsch und Andreas Rasztovich für Kroatisch verzeichnet sind. Die Exhortatores hielten die sogenannten Exhorten (moralische Unterweisungen) ab, die in den unteren Klassen auf Deutsch und Kroatisch und in den oberen auf Latein gehalten wurden. Nachdem 1833 im kroatischen Parlament Ungarisch als offizielle Sprache Kroatiens anerkannt wurde, sind in den Schulakten des Gymnasiums 26 Sergej Filipović: Pregled radova napisanih o povijesti osječkog školstva i doprinos dr.  sc.  Ive Mažurana [Überblick der Arbeiten über die Geschichte des Schulwesens in Osijek und Dr. Ive Mažurans Beitrag]. In: Književna revija 54 (2014) 3, S. 108–121; ders.: Osječko srednje školstvo od 1729. godine do početka prvog svjetskog rata [Osijeker Mittelschulen von 1729 bis zum Ersten Weltkrieg]. In: Essehist 2 (2010) H.  2, S. 44–51. 27 Sršan: Osječki ljetopisi, S. 239. 28 Matić: Osječka humanistička gimnazija, S. 8. SpiEgElungEn 2.22

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keine Spuren der deutschen Sprache mehr zu finden. Im Zeitraum von 1835 bis 1860 wurde das nationale Bewusstsein des kroatischen Volkes gestärkt. Diese Bewegung resultierte unter anderem in der Anerkennung der kroatischen Sprache als Unterrichtssprache, während Latein nur als ein Mittel zur Entwicklung intellektueller und sprachlicher Leistungen der Gymnasialschüler galt. In der Geschichte des Schulwesens des Habsburgerreiches stellt das Jahr 1849 einen Wendepunkt dar: In diesem Jahr wurde Der Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Österreich veröffentlicht, der fast drei Jahrzehnte lang mit kleineren Veränderungen gültig blieb. Dadurch wurde die institutionalisierte Vermittlung von anderen lebenden Fremdsprachen offiziell anerkannt. Latein behielt auch weiterhin seine privilegierte Stellung in den klassischen Gymnasien und seine Grammatik diente lange Zeit als Basis für die Vermittlung grammatischer Strukturen und Kategorien anderer Sprachen. Am Esseger Gymnasium wurde ab 1849 Kroatisch als Muttersprache unterrichtet. Deutsch wurde von allen Schülern gelernt, obwohl es laut Entwurf ein Wahlfach und erst dann obligatorisch war, wenn die Eltern dem zugestimmt hatten. Innerhalb der mehrsprachigen Bevölkerung Essegs bildeten die Deutschen einen beträchtlichen Teil, und im alltäglichen Umgang in den Geschäften, Behörden und auf den Straßen konnte man genauso viel Deutsch wie Kroatisch hören. Deswegen hatte Deutsch sowohl in der Stadt als auch am Esseger Gymnasium die Stellung der zweiten Sprache in einer bilingualen Umgebung. In der kurzen historischen Etappe des Bachschen Absolutismus (1854–1860) erfolgte eine offizielle Germanisierung der nicht deutschsprachigen Bevölkerung. Deutsch war Unterrichtssprache am Obergymnasium, während am Untergymnasium Kroatisch als Unterrichtssprache beibehalten wurde. 1854 wurde die Schule in ein achtklassiges Gymnasium umgewandelt (Großes Gymnasium) und die erste Reifeprüfung abgelegt. Kroatisch und Deutsch wurden von allen Schülern gelernt und fungierten als Erstoder Zweitsprache, abhängig davon, welcher Sprachgruppe der Schüler angehörte. Schüler kroatischer und deutscher Herkunft waren gleichermaßen am Gymnasium vertreten. Laut dem Jahresbericht von 1857 gab es am Gymnasium 132 Kroaten, 119 Deutsche und neun Ungarn. Das Ende dieser Etappe kennzeichnete eine allmähliche Anerkennung des Kroatischen als offizielle Sprache. Am Beispiel des Esseger Gymnasiums wird dies im Schulbericht – der zuvor ausschließlich auf Deutsch verfasst worden war – ersichtlich, der für das Schuljahr 1860/61 einen wissenschaftlichen Artikel eines Gymnasiallehrers auf Kroatisch enthält. 1861 wurde Kroatisch durch den Beschluss des kroatischen Parlaments zur offiziellen Sprache in Kroatien-Slawonien. Deutsch erhielt nun die Stellung einer Fremdsprache und der Unterricht reduzierte sich am Großen Gymnasium auf zwei Wochenstunden. Die Schuldokumentation weist jedoch darauf hin, dass die deutsche Sprache an dieser Lehranstalt in einem viel höheren Maße als gesetzlich vorgeschrieben vertreten war. Die Titel der Lehrbücher für einige Fächer, beispielsweise Geschichte, Mathematik, Biologie, zeugen im Schulbericht von 1870 davon, dass die deutsche Sprache noch jahrelang bei der Vermittlung einiger Unterrichtsgegenstände verwendet wurde. Obwohl seit den 1860er-Jahren die deutsche Sprache in Kroatien offiziell eine Fremdsprache war, behielt sie in Esseg und im Unterricht des klassischen Gymnasiums die Funktion einer »Hilfssprache«. Wegen einer beträchtlichen Zahl an Schülern deutscher Herkunft wurde diesen bis 1918 gestattet, alle Prüfungen auf Deutsch abzulegen. Nach der Gründung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen im Dezember 1918 wurde das Gymnasium auf ein vierklassiges Gymnasium verkleinert 72

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und 1927 aufgelöst. 1998 wurde das klassische Gymnasium in der Republik Kroatien von Neuem aufgebaut. In Esseg bestanden auch zwei Realgymnasien (Realschulen): das 1870 gegründete erste Realgymnasium (Männergymnasium), das im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen Staatliches Männergymnasium hieß, sowie das Mädchengymnasium, das 1917 eröffnet wurde. An beiden Gymnasien wurden Französisch und Deutsch als obligatorische Fremdsprachen und Latein und Englisch in oberen Klassen als »relativ-obligate Fächer« unterrichtet. Im Schuljahr 1921/22 konnte Ungarisch als nicht obligatorische Sprache am Mädchengymnasium gewählt werden. auSBlICK Am Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich die nationale Struktur der Bevölkerung Essegs. Die meisten Personen deutscher Zugehörigkeit flüchteten, und die Zurückgebliebenen durften in der Öffentlichkeit nicht mehr Deutsch sprechen. Diese Ereignisse beeinflussten auch den Lehrplan des Mädchengymnasiums, das noch mehrere Nachkriegsjahre bestehen sollte. Laut dem Schulbericht für das Jahr 1944/1945 wurde Russisch statt Deutsch als Pflichtfach eingeführt und Deutsch nur noch in der vierten Klasse als Pflichtfach für die Abiturientinnen beibehalten. Im selben Jahr wurde erstmals in der dritten Klasse Englisch neben Latein als Wahlfach eingeführt. In einer der vier dritten Klassen wurde zudem Französisch als Wahlfach angeboten. Die Tradition der Vermittlung mehrerer Fremdsprachen wurde an diesem Gymnasium, das heute den Namen II. Gymnasium (II. gimnazija Osijek) oder Sprachgymnasium trägt, somit weiter fortgesetzt. lISTE DER Im STaaTSaRCHIV oSIJEK ZuGänGlICHEn QuEllEn Zum SCHulWESEn In DER STaDT: 1. Arhivska građa Velike gimnazije u Osijeku [Archivmaterial des Großen Gymnasiums in Osijek] (1729–1920), Fundus 157, Kutija [Box] 1–70: – kutija 7, spis br 180 od 14.10.1860 [Box 7, Schriftstück Nr. 180 vom 14.10.1860], spis br.199, od 28.10.1860 [Schriftstück Nr. 199 vom 28.10.1860], spis br. 159 od 10.9.1860 [Schriftstück Nr. 159 vom 10.9.1860], Državni arhiv u Osijeku [Staatsarchiv Osijek] (i. F.: HR-DAOS); – kutija 8, spis br. 148 od 11. rujna 1862 [Box 8, Schriftstück Nr. 148 vom 11. September 1862], HR-DAOS; – kutija 26, spis br. 21 [Box 26, Schriftstück Nr. 21], HR-DAOS; – kutija. 27, spis br. 1087/1880 [Box 27, Schriftstück Nr.1087/1880] HR-DAOS; – kutija 55, spis br. 116 od 17. prosinca 1909 [Box 55, Schriftstück Nr.  116 vom 17. Dezember 1909], HR-DAOS; – kutija 56, spis br. 80 od 17. rujna 1910 [Box 56, Schriftstück Nr. 80 vom 17. September 1910], HR-DAOS; – Kutija 57, spis br. 395 od 3. rujna 1911 [Box 57, Schriftstück Nr. 395 vom 3. September 1911], HR-DAOS; – kutija 61, spis br. 369 od 5. lipnja 1915 [Box 61, Schriftstück Nr. 369 vom 5. Juni 1915], HR-DAOS; – Glavno izviješće o stanju u Kr. vel. gimn. u Osijeku za šk. god. 1908/1909, spis br. 447 [Hauptschulbericht über das K. Große Gymnasium in Osijek im Schuljahr 1908/1909, Schriftstück Nr. 447], HR-DAOS; SpiEgElungEn 2.22

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2. 3. 4.

5. 6. 7. 8.

– Glavni katalozi od 1. do 8. razreda Kraljevske velike gimnazije u Osijeku 1908– 1925, arhivska građa Državnog arhiva u Osijeku [Hauptkataloge von der 1. bis 8. Klasse des K. Großen Gymnasiums in Osijek 1908–1925, Archivmaterialien des Staatsarchivs Osijek]; – Imenici od I. do VIII. razreda Kraljevske velike gimnazije u Osijeku od 1860 do 1908 godine, arhivska građa Državnog arhiva u Osijeku [Klassenbücher von der I. bis zur VIII. Klasse des K. Großen Gymnasiums in Osijek von 1860 bis 1908, Archivmaterialien des Staatsarchivs Osijek]; – Fond Velike gimnazije 157, Zapisnici o ispitu zrelosti Velike kraljevske gimnazije u Osijeku 1854–1916 [Fundus des Großen Gymnasiums 157. Protokolle zur Reifeprüfung des Großen Gymnasiums in Osijek 1854–1916], HR-DAOS; – Fond Velike Gimnazije 157 [Fundus des Großen Gymnasiums 157], »Protocolla et Matriculla pro Anno scholastico MDCCCXIII«, HR-DAOS; – Zapisnik II. s I. Klasifikacijske sjednice od 23. listopada 1909, spis br. 80, HRDAOS [Protokoll II. der I. Klassifikationssitzung vom 23. Oktober 1909, Schriftstück Nr. 80] HR-DAOS. Diarium Missionis Essekiensis Societatis Jesu coeptum anno 1764 scholastico exeunte 1763 usque ad annum 1771. Archivmaterialien des Staatsarchivs Osijek. Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Österreich. Vom Ministerium des Cultus und Unterrichts. Wien 1849. Fond D »Školstvo«: Prosvjetne, kulturne i znanstvene ustanove i organizacije, II. Knjiga [»Fundus D« des Staatsarchivs Osijek – Schulwesen: Bildungs-, Kulturund Wissenschaftseinrichtungen und -organisationen, Buch II]; Matice (matične knjige) »Obće pučke škole u Osijeku Gornji grad u ulici Svete Ane« za školske godine 1863/1864 do 1867/1868 [Die Register der Allgemeinen Volksschule in der Oberstadt Osijek in der St. Anna-Straße vom Schuljahr 1863/1864 bis zum Schuljahr 1867/1868], HR-DAOS. »Franjevački ljetopisi«, u: Stjepan Sršan: Osječki ljetopisi 1686–1945. Osijek 1993 (Übersetzung vom Latein) [Annalen des Franziskanerordens. In: Stjepan Sršan: Esseger Annalen 1686–1945, Osijek 1993]. Instructionen für den Unterricht an den Gymnasien in Österreich. Einzige, vom k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht autorisierte Ausgabe. Wien 1884. Ratio educationis totiusqe rei literariae per regnum Hungariae et provincias eidem adnexas. Tomus I. Vindobonae MDCCLXXVII. Zbirka razglednica, Državni arhiv Osijek, elektronski zapisi HR-DAOS 2092, 1–124 [Ansichtskartensammlung des Staatsarchivs Osijek, elektronische Daten HR-DAOS 2092, 1–124].

lISTE DER Im muSEum SlaWonIEnS In oSIJEK ZuGänGlICHEn QuEllEn Zum SCHulWESEn: 1. Diarium sive protocollum venerabilis conventur S. Crucis Inventae Essekini intra muros ab anno 1686 usque ad annum 1851. In: Narodna starina 35 (1916). 2. Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Österreich. Vom Ministerium des Cultus und Unterrichts. Wien 1849. 3. Firinger, Kamilo: »Humanistička gimnazija u Osijeku«, feljton Glasa Slavonije [Humanistisches Gymnasium in Osijek, Feuilleton in Glas Slavonije] 1966. 4. Godišnja izvješća Kraljevske velike gimnazije u Osijeku od školske godine 1851./1852. do 1918./1919., Muzej Slavonije u Osijeku: Muzejska građa osječke Ve-

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like gimnazije [ Jahresberichte des Königlichen Großen Gymnasiums in Osijek vom Schuljahr 1851/1852 bis zum Schuljahr 1918/1919, Museum Slawoniens in Osijek: Museumsmaterialien des Osijeker Großen Gymnasiums]. 4. Instructionen für den Unterricht an den Gymnasien in Österreich. Einzige, vom k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht autorisierte Ausgabe. Wien 1884. 6. Izviešće o Kraljevskoj velikoj gimnaziji u Oseku koncem školske godine 1871/72 [Bericht über das Königliche Große Gymnasium in Osijek am Ende des Schuljahres 1871/72]. 7. Nastavni vjesnik [Lehrnachrichten] No. 14/1907 und No. 18/1910. 8. Programm des K. k. Gymnasiums zu Essegg. Agram 1855. 9. Programm des Kais. königl. Staats-Gymnasiums zu Essek, 1856. 10. Programm des Kais. königl. Staats-Gymnasiums zu Essek, Carl Lehmann, 1857. 11. Ratio educationis totiusqe rei literariae per regnum Hungariae et provincias eidem adnexas. Tomus I. Vindobonae MDCCLXXVII. 12. Zbirka razglednica, Muzej Slavonije Osijek, elektronski zapisi MSO [Ansichtskartensammlung Museum Slawoniens Osijek, elektronische Daten MSO]. QuEllEn In DER BIBlIoTHEK DER FaKulTäT FüR RECHTSWISSEnSCHaFTEn DER JoSIp-JuRaJ-STRoSSmayER-unIVERSITäT In oSIJEK unD DER naTIonalunD unIVERSITäTSBIBlIoTHEK In ZaGREB: 1. Ustav Kraljevine Srba, Hrvata i Slovenaca. Beograd 1921 [Verfassung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen, Belgrad 1921]. 2. Ustav Federativne Narodne Republike Jugoslavije. Dano u Beogradu, glavnom gradu Federativne Narodne Republike Jugoslavije 31. januara 1946 [Verfassung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. Gegeben in Belgrad, der Hauptstadt der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien am 31. Januar 1946]. 3. Ustav Federativne Narodne Republike Jugoslavije, 1963 [Verfassung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, 1963]. 4. Ustav Socijalističke Republike Hrvatske, Zagreb 1963 [Verfassung der Sozialistischen Republik Kroatien, Zagreb 1963]. 5. Antun Ustia (1777): Historia Gymnasii Regii Essekiensis. Izvadak iz povijesti Kraljevske Gimnazije u Osijeku koju je započeo Anton Ustia, svećenik dokinute Družbe Isusove i ravnatelj iste gimnazije koja je sukcesivno nastavljena po ostalim ravnateljima [Ein Auszug aus der Geschichte des Königlichen Gymnasiums in Osijek, von Anton Ustia begonnen, einem Priester des aufgegebenen Jesuitenordens und Direktor desselben Gymnasiums, das im Folgenden von anderen Direktoren weitergeführt wurde]. Original auf Mikrofilm. Zagreb: National- und Universitätsbibliothek in Zagreb.

ljuBica koRDić ist außerordentliche professorin an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Josip-Juraj-Strossmayer-universität in Esseg/osijek. Zu ihren Forschungsgebieten gehören mehrsprachigkeit und minderheitensprachen. Ihre neueste monografie über die historische Rolle der deutschen Sprache im Schulwesen und im öffentlichen leben Essegs erschien 2021.

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Archival Material in German in the State Archives in Pazin By Maja Milovan

aBouT THE STaTE aRCHIVES In paZIn The State Archives in Pazin (Mitterburg in German, Pisino in Italian; Državni arhiv u Pazinu, henceforth: DAPA) is a public institution and performs a public archival service as one of 13 state archives in Croatia. Its jurisdiction is limited to the territory of the County of Istria. DAPA was founded as the Istrian Archives – Pazin on 20th October 1958 by the Decision of the People’s Committee of the Pula (Pola in Italian, Pulj in Slovenian) District. It consists of the following organizational units: Directorate, Department for Arranging and Processing of Archival Material until 1945, Department for Arranging and Processing of Archival Material since 1945, Department for Protection of Archival and Documentary Material Outside the Archive, Department for Documentation and Information Affairs with Library and Department of IT Support, Department of Archival Material Protection, Conservation and Restoration and Department of Digitization and Microfilming, Department of Church Materials and Department of General Affairs. The archive’s remit has not changed since its establishment, but the name has changed three times: from 1960 to 1993 the archive operated under the name Historical Archives – Pazin, from 1993 to 1997 as the Historical Archives of Pazin, and since 1997 as the State Archives in Pazin. The material stored in DAPA is invaluable for the study of Istrian history and historical relations in view of the many changes in the administrations of the Istrian region (the Venetian Republic, the First Austrian Administration (1797–1805), the French Administration (1806–1813), the Second Austrian Administration (1813– 1918), the Italian Administration (1918–1943/1945) – to name just a few) and considering the significant strong influences that those governments left behind. Consequently, the archival material in the fonds and collections of DAPA is written in a number of different languages: Latin, Croatian, Italian, German, French and Slovenian. The preserved material has been written mostly in Latin script, with Glagolitic inscriptions and several Cyrillic inscriptions, which are very important for Croatian history. SpiEgElungEn 2.22

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DAPA preserves over 1,000 archival funds and collections, or about 5,000 running meters of archival material that provides an overview of Istrian history from the 13th century to the 1980s from various fields, including from administrative history, political and social history, judicial and military history, schooling, education, culture, public health and the economy. The oldest archival document held in DAPA forms part of the HR-DAPA-797 Collection of Documents, and is an almost illegible fragment of a document that most likely represents a notarial contract, created in Pula around 1200. aRCHIVal maTERIal In Dapa WRITTEn In GERman Due to Austria’s long rule over the region of Istria and the strong influence of AustroHungarian political activity, the DAPA holds a significant amount of archival material written in German. Some of the largest and most important fonds and collections held in DAPA were written in German, including valuable archival material, such as the land register of the Pazin principality from 1571. Other valuable and extensive documents include registers of births, marriages and deaths of the Pula Navy; these registers are exclusively in German. For greater clarity, German-language archival material held in DAPA will be henceforth presented chronologically according to the classification presented in the Review of archival fonds and collections of the Republic of Croatia, by the fonds and collections in which the material is located.1 This paper will thus list only those archival fonds and collections in which registered material is written in German. It should be noted that in some of these fonds German is heavily represented, whereas in some cases only a few documents preserved within the fond are written in German while other materials are written in another language, usually Italian or Croatian. However, regardless of the amount of material written in German within the fonds, the fonds in each category are all presented in chronological order.

A. Administration and public services A.1.2.6. Venetian municipal administration up to 1797

– HR-DAPA-8 Notaries of Poreč (Parenzo in Italian) 1433/1820 [1821/1841] – HR-DAPA-811 Podestat of Labin (Albona in Italian) and Plomin (Fianona in Italian) municipalities 1512/1797 [1797/1814]

A.1.3.6. First Austrian Municipal Administration (1797–1805) – – – –

HR-DAPA-14 Municipality of Buje (Buie in Italian) 1801/1805 HR-DAPA-15 Municipality of Labin 1802/1805 HR-DAPA-16 Municipality of Novigrad (Cittanova in Italian) 1797/1805 HR-DAPA-17 Municipality of Poreč 1797/1805

A.1.4.2. Provincial administration until 1797.

– HR-DAPA-12 Pazin Principality [1539] 1571/1848 [1849/1937]

A.1.6.6. French municipal administration (1806–1813)

– HR-DAPA-21 Municipality of Poreč [1800/1803] 1806–1813

A.1.7.3. Second Austrian Regional and District Administration (1813–1918) – – – –

1

HR-DAPA-24 Istrian District in Pazin 1826–1860 HR-DAPA-25 Labin District Commissariat 1814/1849 [1850] HR-DAPA-26 Poreč District Commissariat 1814–1849 HR-DAPA-27 County Government (Captaincy) in Pazin 1868–1918

Josip Kolanović (ed.): Pregled arhivskih fondova i zbirki Republike Hrvatske. Vol. 1. Zagreb 2006.

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MilOvan: StatE aRchivES in paZin

The oldest document in Dapa: agreement between a monastery and the Kaptol in pula, 1200. HR-Dapa-797 Collection of Documents 1200/1842, 1.

urbar of the pazin principality from 1571. HR-Dapa-12 principality of pazin [1539] 1571/1848 [1849/1937], box nr. 35.

– – – –

HR-DAPA-28 County Government (Captaincy) in Poreč 1868-1918 HR-DAPA-29 County Government (Captaincy) in Pula 1899/1917 HR-DAPA-30 District Commission for Support in Pazin 1914–1918 HR-DAPA-849 Railways in Istria 1871/1978

– – – – – – – – – – –

HR-DAPA-432 Belaj District Commissariat 1814–1850 HR-DAPA-433 Pazin District Commissariat 1814–1849 HR-DAPA-434 Pula District Commissariat 1814/1849 [1850] HR-DAPA-437 Buje District Office 1854–1868 HR-DAPA-438 District Office Pazin 1854/1868 HR-DAPA-439 Pazin County School Council 1869/1917 HR-DAPA-442 Poreč County School Council 1869/1918 HR-DAPA-445 District Forest Inspection in Pazin 1873/1893 HR-DAPA-446 District Office Poreč 1854–1868 HR-DAPA-847 District Captaincy in Pazin 1849/1854 HR-DAPA-921 Rovinj (Rovigno in Italian) District Commissariat 1814–1849 [1850/1884]

A.1.7.4. Second Austrian District Administration (1813–1918)

A.1.7.5. Second Austrian City Administration (1813–1918) – HR-DAPA-40 Municipality of Pula 1845/1918 – HR-DAPA-41 Rovinj Municipality 1815–1918 [1919–1939]

A.1.7.6. Second Austrian Municipal Administration (1813–1918) – HR-DAPA-35 Municipality of Labin 1813/1918

A.3.2.4. Italian District Administration (1918–1943)

– HR-DAPA-60 Civil Commissariat in Pula 1918–1922

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thEMa: aRchivE in KROatiEn

A.3.2.6. Italian Municipal Administration (1918–1943)

– HR-DAPA-64 Municipality of Grožnjan (Grisignana in Italian, Krisingan in German) 1918–1945 – HR-DAPA-70 Vodnjan (Dignano in Italian) Municipality [1850/1917] 1918–1943 [1944–1945]

A.5.3. District and county administration (1945–1990)

– HR-DAPA-81 Regional Commission for War Damage in Istria [1945] 1946–1947

B. Judiciary B.1.8. Notaries until 1848.

– HR-DAPA-73 Notaries of Buzet (Pinguente in Italian) 1881–1943 – HR-DAPA-538 Notaries of Labin 1869/1942 [1943–1954] – HR-DAPA-540 Notaries of Poreč 1852/1944 [1947]

B.2.3. Kotor and Municipal Courts (1848–1918)

– HR-DAPA-253 Vodnjan District Court [1810–1848] 1849/1945

B.2.8. Notaries (1848–1918)

– HR-DAPA-74 Notaries of Pazin 1858/1943

B.3.8. Notaries (1848–1918)

– HR-DAPA-914 Notary Chamber in Pula 1864/1872

D. Upbringing and education D.4. Primary/elementary schools

– HR-DAPA-575 Brijuni elementary school (Brioni in Italian) 1913/1945

G. Economy and banking D.2.1.2. Economic and business associations (1945–1990) – HR-DAPA-317 Pula Tourist Board 1955–1965

G.2.8. Transport and communications (1945–1990)

– HR-DAPA-323 »Kvarner« company for navigation, transport and international shipping Umag 1954–1963

K. Noble, family and personal archives K.2. Family archives

– HR-DAPA-444 Family Štifanić 19th–20th century – HR-DAPA-806 Family Hütterott 1836/1945

K.3. Personal archives

– HR-DAPA-904 Personal fund of Antun Hrvatin 1890/1940 – HR-DAPA-927 Personal fund of Ante Dobrila 1879/1991 – HR-DAPA-1001 Stojan Brajša 1874/2012

L. Collections of original archival material L.1.1. Documents

– HR-DAPA-797 Collection of documents 1200/1842

L.1.3. Registry books

– HR-DAPA-429 Collection of registers 1536/1923

L.1.4. Maps

– HR-DAPA-798 Collection of geographical maps 19th–20th century

L.1.9. Printed materials

– HR-DAPA-799 Collection of posters and other printed materials 1734/1999

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MilOvan: StatE aRchivES in paZin

L.1.10. Other

– HR-DAPA-970 Sheet music by the conductor, composer and music pedagogue Nello Milotti 20th–21st century

L.2. Thematic collections

– HR-DAPA-800 Cadastre of Istria 1817–1960

M. Collections of supplementary copies of archival material M.3. Copies of archival material from foreign institutions

– HR-DAPA-862 Collection of copies of material from foreign archives and institutions 1960/2007

M.4. Copies of archival material from Croatian institutions

– HR-DAPA-861 Collection of copies of material from archives and institutions of the Republic of Croatia 1539/2004

This brief review has provided information related to German-language material in DAPA. In addition to the fonds listed, it is possible that there are a few other fonds with archival material is written in German. This list should thus be taken as a framework and informative guide providing basic information related to German material in DAPA. Contact State Archives in Pazin Vladimira Nazora 3 52000 Pazin, Croatia Telephone: + 385 52 624 077 Fax: + 385 52 624 472 E-mail: [email protected] Website: www.dapa.hr

maja milovan, senior archivist, studied latin language and Roman literature as well as Croatian language and literature at the Faculty of philosophy in pula. She has been employed at the State archives in pazin since 2009, and since 2010 she has been the head of the Department for Documentation and Information affairs with library.

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Historische Quellen zur Erforschung der Habsburgermonarchie in Dalmatien aus dem Staatsarchiv Zadar Von Ankica Strmota und Dubravka Kolić Die historischen Quellen zur Erforschung der österreichischen Herrschaft in Dalmatien sind fast vollständig im Staatsarchiv Zadar (it., dt. hist. Zara; im weiteren Text DAZD) aufbewahrt.1 Dieses Archivgut ist sowohl Ausgangspunkt als auch unerlässliche Quelle für historische Forschungen zur Geschichte der heutigen Länder Bosnien und Herzegowina und Montenegro vom Ende des 18. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. In einem weiteren Sinne ist dieses Archiv aber auch unumgänglich für die Erforschung der Politik der österreichisch-ungarischen Monarchie, worauf nachfolgend im Einzelnen eingegangen werden soll. EInE KuRZE GESCHICHTE DER InSTITuTIon unD DES aRCHIVGuTES Das Archivgut, das im Staatsarchiv Zadar aufbewahrt wird, besonders jenes, welches den Klassifikationssammlungen2 A.1.3, A.1.7 und B.2 zugeordnet ist, ist nicht nur aufgrund seiner Datenmenge, sondern insbesondere seines Informationsmaterials von großer Bedeutung. Die wertvollsten Dokumente zur Erforschung der ersten und zweiten österreichischen Herrschaft in Dalmatien findet man nicht nur in den drei wichtigsten Klassifikationsgruppen, sondern auch in anderen Klassifikationsgruppen, wie zum Beispiel in den Archivbeständen der Gruppe  K (Personalarchive aus privaten Nachlässen und aus Familienarchiven) und in jenen der Gruppe L (Sammlungen des ursprünglichen Archivgutes). Für die Zeit der österreichischen Herrschaft in Dalmatien, besonders für die Zeit der zweiten österreichischen Herrschaft, ist es wichtig zu erwähnen, dass das Staats-

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Dieser Aufsatz erschien zum ersten Mal in Aneta Stojić, Anita Pavić Pintarić (Hgg.): Kroatiens Küste im Lichte der Habsburgermonarchie. Wien 2017, S. 309–331. Abgedruckt hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags new academic press. Einen Überblick über das archivarische Klassifikationssystem kann man in Josip Kolanović (Hg.): Pregled arhivskih fondova i zbirki Republike Hrvatske [Überblick der Archivbestände und Sammlungen der Republik Kroatien] (Zagreb 2006, S. XXXIX-XLVI) oder auf der offiziellen Web-Seite des Staatsarchivs: finden.

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archiv Zadar ein besonderes Wachstum erlebt hat. Die positiven Folgen davon zeigen sich noch heute in der großen Zahl der Dokumente, die es aufbewahrt.3 Obwohl DAZD als eine Anstalt im Jahre 1624 beim Amt der Provveditori generali4 in Dalmatien gegründet wurde, übte das Archiv seit seinem Bestehen nur eine administrative Funktion aus. Das Amt der Provveditori generali war die Hauptverwaltungsbehörde in der damaligen venezianischen Provinz Dalmatien. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte es neben der administrativen auch eine wissenschaftliche Funktion, was dem Archivgut einen wertvollen wissenschaftlichen Impuls, hauptsächlich im historiographischen Sinne, gab. In der Zeit der österreichischen Herrschaft in Dalmatien wurde ein Bestandskatalog der Archivbestände angelegt. Das Schriftgut wurde in mühevoller Arbeit geordnet und katalogisiert. Leider wurde in diesen Zeiten auch ein großer Teil des wertvollen Archivgutes, das aus der Zeit der venezianischen Herrschaft auf diesem Gebiet stammte, vernichtet. Diese Vernichtung fand zwischen 1824 und 1827 statt. In einer öffentlichen Versteigerung in Venedig wurden 1.097 Dokumentenbünde aus dem Archiv aus Zadar5 verkauft oder vernichtet; es handelte sich um Gerichtsstrafschriften venezianischer Kapitäne in Zadar, Schriften von Strafprozessen, die unter administrativer venezianischer Zuständigkeit standen und letztendlich Urkunden und Registereinträge, die aus der Tätigkeit venezianischer Buchhandlungen hervorgingen. In der Literatur ist dieses Verfahren immer auf eine negative Art und Weise beschrieben worden. Der Verlust wurde zwar bedauert, aber als leichtsinniges Verfahren dargestellt, was nicht den Tatsachen entspricht. Das Verzeichnis aller Dokumente, die vernichtet werden sollten, wurde nämlich von einer Fachkommission, die die damalige Regierung gründete, erstellt. Das erste, viel kürzere Vernichtungsverzeichnis, wurde abgelehnt; diese Tatsache übte einen großen Einfluss auf die Fachleute aus, die im zweiten Versuch das oben genannte Verzeichnis beträchtlich erweiterten.6 Nach Erstellung der Liste wurde eine Inventarisierung, das Inventario generale, vorgenommen.7 Diese Bestandsaufnahme inklusive der darin enthaltenen Angaben, beweisen, dass die im Staatsarchiv tätigen Archivare die archivarischen Theorien und Prinzipien, die in den anderen europäischen Ländern angewandt wurden, kannten. Dank des sehr modernen und fortschrittlichen Archivprinzips achtete man auf den Fundus. Das Schriftgut, das als Resultat einer Verwaltung (eines bestimmten Amtsgeschäftes) entstand, darf auf keinen Fall mit einem anderen, das in einem anderen Amt entstand, zusammenkommen, ohne dass sich die Zuständigkeit eines Amtsgeschäfts ändert. Betrachtet man die ältesten einflussreichsten archivarischen Prinzipien, das »Prinzip der Herkunft« und das »Prinzip der Reihenfolge« der drei Holländer Muller, Feth und Fruina in ihrem Handbuch aus dem Jahr 1898, so leisteten die Archivare in Zadar mit ihren Inventario generale eine Pionierarbeit. Diese Prinzipien wurden von der Archivgeneration im Staatsarchiv nach dem Zweiten Weltkrieg

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Josip Kolanović (Hg.): Vodič Državnoga arhiva u Zadru [Führer durch das Staatsarchiv in Zadar]. Buch I. Zadar 2014, S. 30f. Archivbestand HR-DAZD-1 Generalni providuri za Dalmaciju i Albaniju u Zadru [Generalverwaltungen für Dalmatien und Albanien in Zadar]. In der Literatur wie auch in vielen Dokumenten wird der italienische Name Zara für die Stadt Zadar benutzt. Aus dem Archivbestand HR-DAZD-251 Državni arhiv u Zadru [Staatsarchiv in Zadar] (1624–2015). Ante Usmiani: Opći inventar Zadarskog arhiva iz 1828. Godine [Allgemeines Inventar des Archivs von Zadar aus dem Jahr 1828]. Arhivski Vjesnik [Archivzeitschrift] 19–20 (1976–1977), S. 279–294.

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aufgegeben. Dies schadete der Entwicklung und der genaueren archivarischen Bestandsaufnahme.8 In den 1980er-Jahren musste dieses Verfahren offiziell aufgegeben werden, nachdem die Trennung der Archivbestände und ihre Einzelinventarisierung eingeführt wurden. Diese Prinzipien wurden auch an den Archivbeständen aus der Zeit der ersten und zweiten österreichischen Herrschaft in Dalmatien, besonders der niedrigen Behörden, angewandt.9 Der Wechsel der Verwaltung sowie Kriegsursachen und politische Zugeständnisse waren immer kritische Phasen für die Sicherheit der Archivalien und die gesamte Archivarbeit. Die historische Phase von 1824 bis 1827, die bereits beschrieben wurde, hatte die Vernichtung des Schriftgutes (beziehungsweise Archivgutes) der venezianischen staatlichen Institutionen zur Folge. Das gleiche Schicksal erlebte hundert Jahre später auch das Schriftgut, das in der Zeit der österreichischen Regierung in Dalmatien entstanden war. Aufgrund des Vertrages von Rapallo vom 12.  November 1920 zwischen dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) und dem Königreich Italien wurde die Stadt Zadar mit ihrer näheren Umgebung und der Insel Ladesta (kr. Lastovo) dem Königreich Italien zugewiesen. Laut Artikel 2 dieses Vertrags sollte eine separate Konvention eine Entscheidung über eine ordentliche »Verteilung der Archive« herbeiführen. Diese Rechtslage wurde mit einem Vertrag zwischen dem Königreich SHS und dem Königreich Italien in Rom am 23. Oktober 1922 geregelt. Die Artikel  25–31 des Vertrags regulierten die »Verteilung der dalmatinischen Archive«. Das bezog sich auf alle administrativen Akten, die nach dem 1. Januar 1878 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges beziehungsweise bis zum Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie entstanden sind. Diese Schriften waren für den normalen Ablauf der Verwaltungsbehörden im neugegründeten Staat, dem Königreich SHS, grundlegend. Artikel 31 der oben genannten Konvention besagte, dass das alte Schriftgut lediglich eine Erinnerung und ein Hinweis auf die Zeiten der venezianischen Herrschaft und ihres Adels auf diesem Gebiet und nicht Gegenstand der Verteilung sei. Diese Urkunden wurden zum Eigentum des Staates Italien erklärt. Artikel 27b dieser Konvention sah vor, dass das Schriftgut (1864–1918) des dalmatinischen Landtags, des Wirtschaftsrats sowie der Gemeinde Zadar im Allgemeinen an das Königreich SHS falle. Die Mitglieder der gemischten Kommission, die diese Verhandlungen über »die Archivverteilungen« führten, waren Fachspezialisten beider Seiten: des Königreich SHS und des Königreich Italien. Der Staat SHS entsandte Dr.  Antun Dulibić, Gerichtsrat und Politiker aus Šibenik (it. Sebenico). Er war Präsident der Kommission. Die Kommissionsmitglieder hielten zwei Sitzungen in der Zeit vom 21. Juli bis 22. November 1924 und vom 3. Juli bis 8. November 1926 ab. Die italienische Delegation verlangte die Verteilung des Schriftgutes von 12  Behörden, die ihren Sitz in Zadar hatten: die Dalmatinischen Statthalter (I.  R. Luogotenza), die Kreishaupt8 9

Vgl. Jozo Ivanković: Priručnik iz arhivistike [Handbuch der Archivwissenschaft]. Zagreb 2010, S. 73. Josip Kolanović: Arhivski fondovi i zbirke u arhivima i arhivskim odjelima u Socijalistickoj Republici Hrvatskoj [Archivfonds und Sammlungen in Archiven und Archivabteilungen in der Sozialistischen Republik Kroatien]. In: Sredoje Lalić: Arhivski fondovi i zbirke u arhivima i arhivskim odjelima u SFRJ [Archivfonds und Sammlungen in Archiven und Archivabteilungen in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien]. Beograd 1984, S. 321–342; ders. (Hg.): Pregled arhivskih fondova i zbirki Republike Hrvatske [Überblick der Archivbestände und Sammlungen der Republik Kroatien]. Zagreb 2006, S. 877–914.

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mannschaft (I. R. Capitanato distrettuale di Zara), der Landtagsausschuss (Dalmatinski sabor. Zemaljski odbor), das Berufungsgericht (I. R. Corte d’Appello), das Landesgericht (I. R. Tribunale Provinciale in Zara), das Kreisgericht (Giudizio di distrettuale), die Staatsanwaltschaft (Procura di Stato), die Landesfinanzdirektion (I. R. Intendenca provinciale della Dalmazia), die Finanzanwaltschaft, das Finanzinspektorat, das Finanzamt, das Landeskataster, die Katastermappen, die Post- und- Telegraphendirektion, das Post- und Telegraphische Amt, das Hafenamt, die Marine- und Heeresbehörde. Aus der Korrespondenz der Kommissionsmitglieder für die Verteilung der Schriften sieht man, wie aus dem Nachlass des dalmatinischen Landesguberniums die wertvollsten Schriften entfernt wurden, bevor die Kommission ihre Arbeit begann. Es handelt sich um das Schriftgut, das sich auf die kroatischen nationalen Bestrebungen bezieht, sowie die Schriften, die einen Überblick über die Rolle der italienischen Bürokratie im dalmatinischen politischen Leben in den letzten 40 Jahren der Herrschaft der Habsburgermonarchie auf diesem Gebiet gaben. Die Schriften über Verhaftungen während des Ersten Weltkriegs, über Internierungen, politische Gerichtsprozesse, die Kolonialisierung von Boka kotorska (die Bucht von Kotor), den Anschluss von Bosnien und Herzegowina, das Attentat in Sarajevo, die Kriege im Balkangebiet, die »Hendel-Affäre«, die Organisation »Sokol«, den Dubrovnik-Besuch des Kronprinzen Franz Ferdinand und montenegrinischen Kronprinzen Danilo und die Klärung der offenen Frage der Amtssprache, sowie andere politische Schriftgüter sind verschwunden.10 Es besteht der begründete Verdacht, dass das Schriftgut der Statthaltereipräsidialakten (sogar Geheimakten) kurz vor dem Untergang der Monarchie bewusst vernichtet oder aus Zadar nach Wien und Graz gebracht wurde.11 Nachdem die Kommission den ersten Teil der Verteilung der Schriften beschlossen hatte, wurden die Archivalien mit Schiffen nach Split (it. Spalato), ein kleiner Teil auch nach Biograd, Šibenik und Preko gebracht. Für diesen Teil des Schriftgutes, der sich im Besitz des Königreichs SHS befand, wurde ein Verzeichnis erstellt. Dem Staat SHS wurden so alle Registraturbücher (Verwaltungsbücher) der Statthalterei Dalmatien, die die Zeitspanne von 1878 bis 1918 umfassen (insgesamt 420 Bücher), zurückerstattet. Dass es sich bei den Archivalien, die aus Zadar geliefert wurden, um eine große Menge handelte, beweist auch die Tatsache, dass das Schriftgut der Statthalterei Dalmatien und des Landesausschusses aus Zadar Anfang Oktober 1924 in zwei Güterzugwaggons transportiert wurde. Zwischen 3. Juli und 8. November kam es zu einer weiteren Übergabe von Dokumenten. Insgesamt handelte es sich um 1.601 Schriftsammlungen der Statthalterei und Verwaltungsschriften anderer Behörden. Insgesamt wurden die Archivalien in 7,5 Güterzugwaggons transportiert, die meisten davon nach Split. Für diese Archivalien wurden 160 Verzeichnisse erstellt.12 Der größte Teil der Archivalien ging in Split bei zwei Bränden nach 1945 verloren. Gerettet wurde nur das Archiv der Katastermappen, das heute im Staatsarchiv in

10 Šime Peričić: Podjela zadarskih »arhiva« izmedu Italije i Kraljevine SHS [Die Aufteilung der »Archive« von Zadar zwischen Italien und dem SHS-Königreich] (1924–1925). In: Arhivski vjesnik 21–22 (1979), S. 357–374. 11 HR-DAZD-99 Pokrajinsko financijsko ravnateljstvo [Regionalfinanzdirektion] Band 88 Nr.  2414 vom 1.6.1915 und Band 89 Nr. 1036/Pov. vom 6.2.2015. 12 Ebenda.

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Split aufbewahrt ist.13 Der Architekt Marasović brachte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Teil der Statthaltereischriften, die sich auf den öffentlichen Bau beziehen, aus Split nach Zadar zurück. Im Zuge dieser »Verteilung der Schriften« kam es in der Geschichte des Staatsarchivs Zadar zu einer der größten Vernichtungen des Schriftgutes der österreichischen Provinzen (Herkunft). Als größten Verlust empfindet man heute die Vernichtung der Protokolle und Indices (Verwaltungsbücher) der Statthalterei Dalmatien von 1878 bis 1918, die vollständig, der Reihe nach, nach Split geliefert wurden, wo sie spurlos verschwanden. Diese Tatsache bereitet bei der archivarischen Bearbeitung der erhaltenen sogenannten »geteilten Schriften« auch heute noch Probleme.14 Für die Erforschung des Schriftgutes der dalmatinischen Statthalterei ist es wichtig, dass ein Teil der damaligen verteilten Dokumente aus Wien nach Zagreb zurückgebracht wurde. Dies geschah aufgrund des Vertrages, der zwischen der Regierung SHS und der österreichischen Regierung im Jahre 1923 (Vertrag von Saint Germain, Artikel 93, 194 und 196) geschlossen wurde.15 Nach dem Zweiten Weltkrieg begann man, über die Rückerstattung des entwendeten Schriftgutes aus dem Staatsarchiv Zadar zu verhandeln.16 Die Historiker Grga Novak und Stjepan Gunjača nahmen an den Verhandlungen teil. Die erste Rückgabe des Schriftgutes ereignete sich am 9. März 1947. Von Wien aus wurde durch das Auswärtige Amt und die Rückerstattungsdelegation der FNR Jugoslawien ein Teil der Präsidialgeheimakten nach Zadar zurückgebracht. Die genaue Anzahl des zurückgeführten Schriftgutes ist nicht angegeben, aber es ist bekannt, dass es den Zeitraum zwischen 1883 und 1914 betrifft.17 Nach dem Vertrag von Saint German traf die österreichische Regierung die Entscheidung, dass das gesamte Archivgut aus der Zeit der Besetzung Serbiens und Montenegros, sowie die Schriftgüter, die auf dem Gebiet der anderen österreichischen Provinzen in der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie und in der Zeit des Ersten Weltkrieges entstanden und nach Österreich gebracht wurden, diesen Ländern nach dem Prinzip der Provenienz (Herkunft) rückerstattet werden müsse. Für das Staatsarchiv Zadar war Artikel 6 dieses Vertrags besonders wichtig. Diesbezüglich wurde noch im Jahr 1958 ein besonderer Vertrag – das Protokoll zwischen Österreich und der Sozialistischen Republik Jugoslawien – geschlossen, der festlegt, dass die österreichische Seite den Restbestand der Archivalien und Kulturgüter, der während des Ersten Weltkrieges aus den Ländern entwendet und nach Österreich gebracht wurde, dem Staat Jugoslawien wieder rückerstatten müsse. Die Umsetzung des Protokolls begann erst im Jahre 1974.18

13 Nataša Bajić-Žarko: Arhiv mapa za Istru i Dalmaciju. Katastar Dalmacije [Kartenarchiv für Istrien und Dalmatien. Der Kataster von Dalmatien] 1823–1975. Split 2006. 14 »Geteilte Schriften« stellt einen umgangssprachlichen Ausdruck dar, der bis heute geblieben ist. Ihre Untersuchung ist somit erschwert. Vgl. Dubravka Kolić: Carsko Kraljevsko Namjesništvo u Zadru 1814.– 1918. Institucija i gradivo [k. k. Statthalterei Dalmatien in Zadar. Institution und Archivgut]. Zadar 2010. S. 159f. 15 Josip Nagy: Arhivski ugovori [Archivarische Verträge]. In: Vjesnik Kr. Državnog arkiva u Zagrebu [Zeitschrift des königlichen Staatsarhivs in Zagreb] 2 (1926), S.  82–114. 16 HR-DAZD-251 Državni arhiv u Zadru, 40/1946. 17 HR-DAZD-251 Državni arhiv u Zadru Nr. 279/1947, 100/1948. 18 Josip Kolanović: Croatian archival heritage in archival treaties  – Principles and practice. International round table. Current tasks of the archives at the time of transition. Archives of Macedonia (Broschüre). Ohrid 1996, S. 85f. SpiEgElungEn 2.22

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Ein weiterer dramatischer Moment in der langen Geschichte des Staatsarchivs Zadar ereignete sich am 8. September 1943, als Italien die Kapitulation unterschrieb. An diesem Tag entsandte die italienische Regierung Professor Giorgio Cencetti und den Staatsarchivar Giovanni Cabizzu nach Zadar. Sie sollten die wertvollsten Archivgüter, die ihrer Meinung nach für den italienischen Staat als Beweis für die Zugehörigkeit Zadars zu Italien galten, sowie generell für die italienische Historiographie wichtig waren, nach Italien bringen. Von großer Hilfe bei dieser Arbeit erwies sich der damalige Direktor des Archivs in Zadar, Dr. Giuseppe Praga. Man erstellte ein Verzeichnis des Schriftgutes, das nach Italien übertragen werden sollte.19 Aus dem Schriftgut der österreichischen Provinz (aus der Zeit der österreichischungarischen Monarchie), die einen kleinen Teil des Archivbestandes der Regierung von Dalmatien enthält, ist Folgendes zu nennen: 33 Dokumentensammlungen der Präsidium-Geheimakte und sieben Bände der Präsidialakte, dazu noch ein Schriftenbund, der sich auf Geheimgesellschaften oder auf Flaggen- und Sprachgebrauch in Dalmatien, auf politische Reisen und auf Denkmäler und Theater bezieht. Aus Zadar waren für Italien ein Bund der »alten Archivalien« und noch einige nicht genau beschriebenen Schriftenbünde sowie 16 Registraturbücher/Protokolle der Statthalterei vorgesehen. Das Schriftgut, das Cencetti nicht nach Italien brachte, wurde aus dem Gebäude der italienischen Präfektur in den Keller einer Kaserne beim Stadttor (heutiges Archivgebäude) gebracht. Hier wurden die übrigen Archivalien von 1943 bis 1944 aufbewahrt, als die Partisanen in die Stadt einfielen. In dieser Zeit war Zadar fast unbewohnt, denn die gesamte Bevölkerung verließ die Stadt wegen der mehrmaligen Bombardierungen durch die Alliierten (Briten und Amerikaner). Heute gibt es keine genauen Angaben darüber, ob ein Teil der genannten Archivalien vernichtet worden ist. Aber es ist ganz sicher, dass alle Dokumente österreichischer Herkunft, die Giorgio Cencetti nach Italien brachte, später im Zuge der Restitutionsverhandlungen zwischen dem damaligen Jugoslawien und Italien nach Zadar zurückgebracht wurden. Dieses Archiv hatte im Laufe seiner Geschichte aber auch einige wenige glückliche Momente. So 1894, als auf Bescheid des damaligen Statthalters Nikola Nardelli aus Dubrovnik ein Teil des Archivs, die Bibliothek (Bibliotecca dell’Archivio generale degli atti antichi presso I. R. Luogotenenza Dalmata) gegründet wurde. Die Bibliothek hatte das Recht, in der Zeitspanne von 1895 bis 1913 ein Exemplar aller schriftlichen Ausgaben, die im Königreich Dalmatien erschienen sind, zu verlangen. Dank dieses Bescheids verfügt die Archivbibliothek Zadar heute über sehr wertvolle Sammlungen der dalmatinischen und Zadarer Periode, zusätzlich noch über Gesetzessammlungen, Schematismen und Almanache, die sich inhaltlich auf Dalmatien, wie auch teilweise auf die ganze Monarchie beziehen. Dieser Teil des Bibliotheksfundus ergänzt auf eine besondere Weise das Schriftgut aus der Zeit der ersten und zweiten österreichischen Herrschaft in Dalmatien. Am Ende der zweiten österreichischen Herrschaft in Dalmatien gab das Archiv die Zeitschrift Tabularium heraus, die neben der Zeitschrift Vjesnik Zemaljskog arhiva u Zagrebu [Zeitschrift des Nationalarchivs in Zagreb], eine der ersten archivarischen Zeitschriften auf diesem Gebiet war.20 19 Vgl. Kolić: Carsko Kraljevsko Namjesništvo u Zadru, S. 89f. 20 Vgl. Mirisa Katić-Piljušić: Knjižnica Državnog arhiva. Od Namjesničke do specijalne arhivske knjižnice [Die Bibliothek des Staatsarchivs. Von Gouverneursbibliothek zur Spezialarchivbibliothek]. In: Arhivski

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Aus dem Obengenannten ist ersichtlich, dass eine präzise Darstellung der Identifikationsdaten, Geschichte und des Inhalts der Archivbestände nicht einfach ist. Deswegen geben wir im weiteren Text eine Darstellung jener Archivbestände, deren Ursprung in der Zentralverwaltungsbehörde beziehungsweise Zentralgerichtsbehörde begründet liegt. DIE ERSTE öSTERREICHISCHE HERRSCHaFT In DalmaTIEn (1797–1805) Die erste österreichische Herrschaft in Dalmatien begann im Jahr 1797, nachdem Napoleon in seinem siegreichen Kriegspfad in europäischen Ländern die fast vier Jahrhunderte andauernde Vormachtstellung der Republik Venedig in Dalmatien beendet hatte. Den Krieg unterbrach der Vorfriede von Leoben zwischen Frankreich und Österreich, auf dessen Grundlage der Friedensvertrag in Campo Formio geschlossen wurde. Nach Bestimmungen des Vertrags in Campo Formio übernahmen die Österreicher am 12. Mai 1797 die Herrschaft über Dalmatien und begannen mit der Bildung einer Zivilregierung. Das Archiv, das bis zu ihrer Ankunft ein Teil des Amtes des Provveditori generali war (Archivio generalizio), wirkte weiterhin als Teil des höchsten Verwaltungsamtes, der Königlichen Kommission für Istrien, Dalmatien und Albanien (I. R. Kommission aulica per l’Istrien, Dalmatien ed Albanien) bis 1798, später als Teil der Regierung für Dalmatien (I. R. Governo della Dalmazia) im Zeitraum von 1798 bis 1806, als die Kriegsereignisse auf den europäischen Schlachtfeldern eine neue Veränderung in der Verwaltung von Dalmatien bewirkten. Aufgrund des Friedensvertrages von Posen (pl. Poznań) zwischen Österreich und Frankreich, besetzten als Folge der Niederlage der österreichischen Armee bei Austerlitz (tsch. Slavkov u Brna) im Januar 1806 französische Truppen Dalmatien und daraufhin begann die Organisation der französischen Verwaltung in dieser Provinz. Die politische Änderung wirkte sich nicht auf das Funktionieren des Archivs und auf seinen Status aus, weil es weiterhin im Rahmen der französischen obersten Verwaltungsbehörde im Jahr 1806 als Teil der französischen provisorischen Organe (Governo provvisorio francese) und bis 1809 als Teil des Amtes der Provveditori generali (Provveditoria generale della Dalmazia) wirkte. Es gibt keine Informationen über die Vernichtung des Archivgutes der Institutionen, die von den österreichischen Behörden gegründet wurden, aber die Schriften aller neun Archivbestände, der Klassifikationssammlung A.1.3.2. (Provinzverwaltung in Dalmatien) und zwei Archivbestände der Klassifikation B.1.2. ( Justiz bis 1848), sind in gleicher Weise mit anderen Archivbeständen der Regierungszeit von Vincenzo Dandolo, General-Providur des französischen Dalmatien, abgelegt. Es ist schwierig, die Archivbestände der Institutionen der Provinzverwaltung nach ihrem Wert zu ordnen, weil alle Dokumente erstklassige Daten enthalten, die sich auf ganz Dalmatien in der damaligen unruhigen Zeit des politischen Wandels beziehen. Der Archivbestand der Königlichen Kommission für Istrien, Dalmatien und Albanien sowie der Archivbestand der Regierung für Dalmatien enthalten spezifische Informationen über die Art und Weise, wie die österreichischen Behörden die neue Organisation der Justiz und der Verwaltung in der Provinz durchführten, sowie alle anderen regelmäßigen Zuständigkeitsbereiche

vjesnik 53 (2010), S. 111–136; dies.: Knjižnica Državnog arhiva u Zadru – Bibliothek des Staatsarchives in Zadar. In: Dubravka Skender, Vilenka Jakac-Bizjak, Margherita Palumbo (Hgg.): Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Eine Übersicht über Sammlungen in ausgewählten Bibliotheken. Bd. 9: Kroatien, Slowenien, Italien. Hildesheim u. a. 2001, S. 138–142. SpiEgElungEn 2.22

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der Verwaltung: Gesundheit, Bildung, Recht und Ordnung, Eigentumsverhältnisse, Kirche, Architektur, Staatsgüter, Militär, öffentliche Wohltätigkeitsverbände und dergleichen. Diese Klassifikationsgruppe zeichnet sich durch folgende Besonderheit aus: Die Dokumente aus dem Amt der Regierungsminister/Gerichtskommissare Peter Goëss und Thomas de Brady waren als separater Archivbestand registriert, während alle anderen Dokumente, die zur Zeit anderer Regierungsminister der Epoche, wie auch in der Zeit der zweiten österreichischen Herrschaft entstanden, in den Archivbestand der Regierung integriert wurden. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden im Inventario generale aus dem Jahr 1828 aus diesem Zeitraum nur drei Archivbestände registriert:21 – Spisi Dvorske komisije, guvernera Thurna i najizvrsnije austrijske Vlade (Atti del’ Aulica Commissione, Thurn, e del’Eccelentissimo Governo Austriaco) – Spisi Austrijskog računovodstva koji sadrže i predmete javne uprave (Atti della Ragionateria Austriaca, Comprendenti oggetti d’Amministrazione pubblica) – Spisi austrijskog Mjesnog starješinstva (in diesem Fall denkt man an die Atti della Superiorità Austriaca HR-DAZD-50). Das Inventario generale ist in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Tabularium als Rundschau des Archivgutes aus dem Archiv der alten Akten in Zadar erschienen. In dieser Rundschau wurden die Archivalien der ersten österreichischen Regierung in Dalmatien in acht Administrationsbestände und einen Gerichtsbestand verteilt.22 Die Situation blieb bis 1984 unverändert, als die Archivbestände der Verwaltungsbehörden aus der Zeit der ersten österreichischen Regierung in gleicher Weise wie heute definiert wurden.23 Die Archivbestandszahl der Verwaltung stieg von 8 auf 9, weil der Archivbestand HR-DAZD-37: Komorna uprava za Dalmaciju (I.  R. Ammiistrazione camerale in Dalmazia) und HR-DAZD-37: Ravnateljstvo desetina za Dalmaciju (I. R. Direzione decimale in Dalmazia) früher als ein Bestand angezeigt wurde. Nachfolgend werden die Archivbestände der Provinzverwaltungsbehörden in Dalmatien aufgeführt: – HR-DAZD-32: Dvorska komisija za Istru, Dalmaciju i Albaniju (1797.–1798.) (I. R. Commissione Aulica per l’Istria, Dalmazia ed Albania 1797–1798) – HR-DAZD-33: Vlada za Dalmaciju (1798.–1806.) (I. R. Governo della Dalmazia 1798–1806) – HR-DAZD-34: Dvorski komesar za Dalmaciju P. Goëss (1802.–1804.) (I. R. Commissario Aulico conte di Goëss 1802–1804) – HR-DAZD-35: Guverner Dalmacije barun T. de Brady (1804.–1806.) (Governatore della Dalmazia barone Tommaso de Brady 1804–1806) – HR-DAZD-36: Komorna uprava za Dalmaciju (1804.–1806.) (I. R. Amministrazione camerale in Dalmazia 1804–1806)

21 Usmiani: Opći inventar Zadarskog arhiva, S. 288. 22 Josip Alačević: L’archivio degli atti antichi presso la I.  R. Luogotenenza Dalmata [Das Archiv der alten Bestände bei der I. R. Statthalterei Dalmatien]. In: Tabularium 1 (1901), S. 4–5. 23 Ante Milošević: Opis arhiva c. k. dalmatinskog namjesništva u Zadru [Beschreibung des Archivs der k. k. der dalmatinischen Statthalterei in Zadar]. In: Vjesnik kr. hrvatsko-slavonskog-dalmatinskog Zemaljskog arkiva [Zeitschrift des k. k. Kroatisch-slawonisch-dalmatinisches Nationalarchivs] 18 (1916), S. 29–40.

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– HR-DAZD-37: Ravnateljstvo desetina za Dalmaciju (1802.–1806.) (I. R. Direzione decimale in Dalmazia 1802–1806) – HR-DAZD-38: Fiskalni savjetnik (1797.–1806.) (I. R. Consigliere e procuratore fiscale 1797–1806) – HR-DAZD-39: Centralna blagajna u Zadru (1797.–1806.) (I. R. Cassa centrale in Zara 1797–1806) – HR-DAZD-40: Računovodstvo Vlade Kraljevine Dalmacije (1798.–1806.) (I. R. Ragioneria governiale del Regno di Dalmazia in Zara 1798–1806) Bezirksverwaltung Das Archivgut der Bezirksverwaltung zur Zeit der ersten österreichischen Herrschaft enthält neun Archivbestände der Bezirksverwaltungen (Superiorità Locale) und einen Archivbestand der Fiskalkammer. Nach einem Entscheid des Gouverneurs Thurn vom 17. Dezember 1797 wurde ein Gericht erster Instanz (Tribunale di prima Istanza) für die Stadt Zadar gegründet. Nach Vorbild von Zadar wurde die ganze Provinz Dalmatien im Februar 1798 in 21 administrativ-gerichtsterritoriale Einheiten geteilt, die unter dem Namen Superiorità Locale wirkten und die Instanz Verwaltungs- und Justizbehörden in Dalmatien darstellten. Rechtliche Angelegenheiten wurden getrennt von der Verwaltung, aber innerhalb derselben Institution durchgeführt, außer in Zadar, wo das Gericht erster Instanz unabhängig wirkte. Sitze der Bezirksverwaltung (Superiorità Locale) befanden sich in Cres, Krk, Rab, Pag, Zadar, Nin, Novigrad, Skradin, Šibenik, Knin, Sinj, Trogir, Split, Klis, Omiš, Brač, Korčula, Imotski, Makarska, Poljica und Metković. Für jede dieser Einheiten hat Thurn, im Namen des Herrschers, einen speziellen Befehl freigegeben. Der Name »Superiorità Locale« bezeichnet die administrativ-territoriale Einheit der ersten Instanz, die administrative und gerichtliche Angelegenheiten erledigte, die später Bezirk genannt wurde. Untere Verwaltungs- und Gerichtseinheiten gab es nicht, aber Verwaltungsfunktionen auf der unteren Ebene übten die Offiziere territorialer Kräfte (Oberste, Sirdare, Harambaschen) und zum Teil auch die Pfarrer aus. Superiorità Locale kommunizierten am häufigsten mit der zentralen Verwaltungsstelle, dann mit der Finanzkammer in Zadar, die Steuergeld in ihrem Zuständigkeitsbereich sammelte; mit anderen Superiorità Locale, kirchlichen Einrichtungen, Militärkommandos in Zadar und einzelnen Beamten der Forza Territoriale. Von den damaligen 21 Superiorità Locale bewahrt das Staatsarchiv das Archivgut von 9 Superiorità Locale auf.24 Im Jahre 2005 übergab das Archiv Zadar dem Staatsarchiv Šibenik zwei Schachteln mit Archivalien der Superiorità Locale Šibenik, weil in Šibenik ein großer Teil der Dokumente dieser Bestände aufbewahrt wurde. Es ist hier wichtig zu betonen, dass die Archivalien der Bestände Superiorità Locale nicht zusammen mit den von diesen Behörden erledigten Aufgaben aufbewahrt wurden. Meistens ist dieser Teil der Archivalien, die sich auf die Verwaltungsfunktion beziehen, aufbewahrt, sehr selten aber die gerichtlichen Schriften dieser Behörde. Die Archivalien der Behörden kamen in verschiedenen Perioden ins Archiv: Ende des 19. Jahrhunderts die SL Korčula, Makarska und Split, Pag (Verwaltungsschriften), im Jahre 1902 Brač, im Jahre 1904 Knin, im Jahre 1947 Rab, im Jahre 1949 Pag (Justizschriften), im Jahre 1950 Skradin. Die Archi24 Dubravka Kolić: Mjesno starješinstvo Makarske [Die Bezirksverwaltung von Makarska] 1798–1809. In: Arhivski vjesnik 48 (2005), S.  145–168; dies.: Mjesno starješinstvo Šibenika [Die Bezirksverwaltung von Šibenik] 1798–1806. Murterski godišnjak [Das Murterer Jahrbuch] 4 (2006) S. 151–180, hier: S. 156. SpiEgElungEn 2.22

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valien des Bestandes Superiorità Locale Zadar wurden dem Archiv mit den Archivalien der Provinzregierung der damaligen Gubernien schon zur Zeit der französischen Regierung in Dalmatien, als Vincenzo Dandolo Provveditore generale war, übergeben. Hier ist wichtig zu erklären, dass die Dokumente dieser Behörden mit Dokumenten der anderen Verwaltungs- beziehungsweise Gerichtsbehörden zusammengefügt wurden. Viel später wurde dieses Archivgut nach Erforschung der Organisation der Verwaltung und Justizbehörden dieser Zeit in Dalmatien getrennt und als einzelne Archivbestände nach den internationalen archivarischen Normen beschrieben.25 Das Archivgut der Fiskalkammern Hvar, Split und Šibenik enthält Buchhaltungsschriften und Bücher. Ins Archiv kamen sie zusammen mit Archivalien anderer Institutionen aus verschiedenen Epochen wie zum Beispiel Archivalien der Fiskalkammer Hvar im Jahre 1902, der Fiskalkammer Split Ende des 19. Jahrhunderts und der Fiskalkammer Šibenik im Jahr 1949.26 Nachfolgend werden die Archivbestände der Bezirksverwaltungsbehörde und Bezirksjustizbehörde angeführt:27 – HR-DAZD-41 Mjesno starješinstvo Brača u Supetru (1798.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Brazza 1798–1806) – HR-DAZD-42 Mjesno starješinstvo Knin (1798.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Knin 1798–1806) – HR-DAZD-43 Mjesno starješinstvo Korčula (1798.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Curzola 1798–1806) – HR-DAZD-44 Mjesno starješinstvo Makarska (1798.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Macarsca 1798–1806) – HR-DAZD-45 Mjesno starješinstvo Pag (1798.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Pago 1798–1806) – HR-DAZD-46 Mjesno starješinstvo Rab (1798.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Arbe 1798–1806) – HR-DAZD-47 Mjesno starješinstvo Skradin (1798.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Scardona 1798–1806) – HR-DAZD-48 Mjesno starješinstvo Split (1797.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Spalato 1797–1806) – HR-DAZD-50 Mjesno starješinstvo Zadar (1797.–1806.) (I. R. Superiorità locale di Zara 1797–1806) – HR-DAZD-52 Fiskalna komora Hvar (1797.–1806.) (Camera fiscale di Lesina 1797–1806) – HR-DAZD-53 Fiskalna komora Split (1797.–1806.) (Camera fiscale di Spalato 1797–1806) – HR-DAZD-54 Fiskalna komora Šibenik (1797.–1806.) (Camera fiscale di Sebenico 1797–1806) Das Archivgut der Justizbehörden aus der Zeit der ersten österreichischen Regierung in Dalmatien Das Archivgut der Justizbehörden ist viel schlechter erhalten als das Archivgut der Verwaltungsbehörden. Das bezieht sich auf die gerichtlichen Archivalien aus den 25 Kolanović (Hg.): Vodič Državnoga arhiva u Zadru, S. 196f. 26 Ebenda, S. 190. 27 I. R. Superiorità locale ist der ursprüngliche Name dieser Behörde.

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Zeiten beider österreichischer Herrschaften in Dalmatien. Beispiel dafür liefern die Archivbestände der Superiorità Locale, deren Verwaltungsschriften bis heute ziemlich gut aufbewahrt sind. Das gerichtliche Schriftgut ist jedoch vernichtet worden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass diese zwei Arten der Schriften schon am Entstehungsort, das heißt im Gericht, selbst getrennt archiviert (abgelegt) und von Anfang an im historiographischen Sinne getrennt behandelt wurden. Nach den Gerichtsreformen in den 1820er-Jahren wurden in Dalmatien Bezirksgerichte gegründet. Ein Teil dieses Justizschriftenguts ist schon bei den neugegründeten Bezirksgerichten vernichtet worden; ein Teil verschwand auf unbekannte Weise im Zuge der schon früher in diesem Artikel beschriebenen Schriftenverteilung nach dem Vertrag von Rapallo (zwischen 1924 und 1927). Die große Vernichtung der Archivalien der Justizbehörden aus verschiedenen Epochen in Dalmatien ereignete sich im Jahre 1945, als ein Richter die Vernichtung der Justizarchivalien in der Papierfabrik in Sušak bei Rijeka beauftragte. Dieses Verfahren stellt im historiographischen Sinne einen großen Missbrauch dar. Leider blieb das Schicksal unzähliger Archivalien bis heute völlig unbekannt.28 Nur zwei Justizarchivbestände des Friedensgerichts29 (damals »Giudizio di pace« genannt), das in Supetar auf der Insel Brač und in Obrovac wirkte, sind aufbewahrt. Archivbestände der Justizinstitutionen: – HR-DAZD-220 Prvostupanjski sud u Zadru (1798., 1806.–1813.) (Tribunale di prima istanza in Zara 1798, 1806–1813) – HR-DAZD-217: Prizivni sud u Zadru (1798.–1815.) (I. R. Corte d’ Appelo 1798–1815) – [0232] Pomirbeni sud u Supetaru na Braču (1798.–1819.) (Giudizio di pace della Brazza 1798–1919) – [0236] Pomirbeni sud Obrovac (1798.–1813.) (Giudizio di pace d’Obrovazzo 1798–1813) DIE ZWEITE öSTERREICHISCHE HERRSCHaFT In DalmaTIEn 1813–1918 Nach einer kurzen Zeit der französischen Herrschaft in Dalmatien 1806–1813 erfolgte eine lange und für die Geschichte Dalmatiens sehr wichtige Epoche der zweiten österreichischen Herrschaft. Österreich erhielt diesmal Dalmatien auf dem Schlachtfeld und nicht über Verhandlungen.30 Der Zeitraum zwischen 1813 und 1817 ist der Zeitraum eines Provisoriums, in dem Wien die beste Lösung für den Status von Dalmatien innerhalb der Monarchie suchte. Entschieden wurde, dass das Königreich Dalmatien ein österreichisches Bundesland direkt unter der Verwaltung Wiens werde. Erneut wurden die Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllt, Dalmatien mit dem Rest Kroatiens zu vereinen. 28 Kolanović (Hg.): Vodič Državnoga arhiva u Zadru, S. 31f. 29 Zu dieser Zeit wurde in den Ortschaften, die Zentrum des Kreises waren, sogenannte »Friedensgerichte« (Giudizio di pace) eingerichtet, die sowohl in Zivil- als auch in Strafprozessen urteilten, wenn die Summe, um die es sich handelte, 25 Fiorini nicht überschritt, ohne Recht auf Einspruch. Die Friedensgerichte hatten eine lange Tradition in Dalmatien. Österreich behielt diese Friedensgerichte in der Zeit seiner Herrschaft in Dalmatien bei. Vjekoslav Maštrović: Razvoj sudstva u Dalmaciji u XIX. stoljeću [Die Entwicklung der Justiz in Dalmatien im 19. Jahrhundert]. Zagreb 1959, S. 36f. 30 Stjepan Antoljak: Kako je nastala austrijska pokrajina Kraljevina Dalmacija [Wie die österreichische Provinz des Königreichs Dalmatien entstand]. In: Zbornik Hrvati u proslosti [Sammlung: Kroaten in der Vergangenheit]. Hg. von Stjepo Obad. Split 1992, S. 829–837. SpiEgElungEn 2.22

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Unabhängig vom Provisorium in der Provinz begannen Verwaltung und Justiz in Dalmatien zu wirken. Das Archivgut aus diesen Anfangsjahren der zweiten österreichischen Herrschaft ist sehr fragmentarisch aufbewahrt, und heute ist es in 23 Archivbeständen der Bezirks- und Kreisverwaltung und 12 Archivbeständen der Justiz registriert. Neben diesen drei Hauptgruppen enthält das Archivgut der zweiten österreichischen Herrschaft einen Bestand der Klassifikationsgruppe  D (Bildung), drei Bestände der Klassifikationsgruppe E (Kultur, Wissenschaft und Information) zwei der Klassifikationsgruppe G (Wirtschaft und Banken) drei Bestände der Klassifikationsgruppe I (Gesellschaften, Vereine, Verbände) und einen Bestand der Klassifikationsgruppe Gruppe  J (religiöse Institutionen). In der Literatur findet man die Angabe, dass die österreichischen Institutionen beziehungsweise Beamten einen großen Teil der entstandenen Akten für aktuelle Schriften hielten und diese deshalb nicht im Archivio degli atti antichi aufbewahrten (ablegten), was wahrscheinlich die Ursache für ihre spätere Registrierung als Archivgut ist. Ein Überblick dieser Bestände wurde erst im Jahre 1955 angelegt, es handelte sich um nur zehn Bestände,31 während Inhaltsverzeichnisse (Archivarischer Überblick) des Archivgutes des Staatsarchivs Zadar (das in einem großen Buch mit allen anderen Archiven in der Republik Kroatien gedruckt wurde) aus dem Jahr 1984 und 2006 (eine überarbeitete Ausgabe) 47 Archivbestände enthalten. Als von 2009 bis 2013 ein Führer durch das Staatsarchiv Zadar mit der archivarischen Bearbeitung und Erforschung der Verwaltung in Dalmatien vorbereitet wurde, wurden aus dieser Zeit noch 13 Bestände separat registriert. Zu diesem Anstieg ist es durch die Trennung einzelner Einheiten der Sammlung Miscellanea (HR-DAZD-377) gekommen. Der Bestand HR-DAZD-88 k. k. Landesgubernium/Statthalterei Dalmatien, der mit den Beständen HR-DAZD-89, 563, 564, 90, 561, 543, 562, 566, 551, 91, 92, 93, die wiederum eine integrative Einheit mit dem Bestand DAZD-88 bilden, insgesamt aus 768 Laufmetern besteht, ist der mit Abstand wertvollste und größte Archivbestand, den die österreichische Verwaltung in Dalmatien schuf. Es handelt sich um eine große Menge wertvoller Archivalien, die dieses Archiv trotz des großen Schadens im Zuge der Schriftenverteilung (1924–1927) bis heute aufbewahrt.32 Das Archivgut des Landesguberniums/der Statthalterei enthält Daten für ganz Dalmatien. Aufgrund der besonderen Beziehung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zu Bosnien und Herzegowina und Montenegro besteht ein großer Teil der Dokumente aus politischen, militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Berichten über die Situation in diesen Ländern. Man kann sagen, dass es keinen Bereich des menschlichen Alltags gibt, für die wir in diesen Dokumenten nicht Informationen über das wirtschaftliche, kulturelle, pädagogische, soziale, religiöse und politische Leben der Provinz finden können. Die beste Darstellung der Inhalte dieser Dokumente sind Klassifizierungsentwürfe, die in Ämtern der Statthalterei während der 104 Jahre ihrer Tätigkeit angewandt wurden.33 Die anderen Bestände der Landesverwaltung beziehen sich auf ganz bestimmte Bereiche der Verwaltung, wie zum Beispiel auf die öffentlichen Finanzen, die 31 Dinko Foretić: Kratki historijat i Opći inventar Državnog arhiva u Zadru [Kurze Geschichte und allgemeines Inventar des Staatsarchivs in Zadar]. In: Arhivist 1 (1955), S. 27–48. 32 Kolić: Carsko Kraljevsko Namjesništvo u Zadru, S. 159f. 33 Dubravka Kolić: Razredbeni/klasifikacijski sustavi C. K. Namjesništva u Zadru od 1814. do 1918. godine [Klassifikation/Klassifikationssysteme der k. k. Statthalterei in Zadar von 1814 bis 1918]. In: Arhivski vjesnik 52 (2009), S. 25–66.

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Umsetzung der öffentlichen Ordnung, die Aufsicht über Maße, Gewichte, Waagen und andere Messinstrumente, Katasterangelegenheiten und Geschäfte von Bergbauunternehmen. Zu den inhaltlichen Einheiten zählt das Schriftgut des Landesausschusses in Zadar, der Führungskraft und Verwaltungsorgan des dalmatinischen Landtages war und durch kaiserliches Patent im Jahre 1861 konstituiert wurde. Den gleichen inhaltlichen Unterschied macht auch der Archivbestand des italienischen Konsulats, das in Zadar von 1867 wirkte und sich mit rechtlichen oder privaten Angelegenheiten der italienischen Bürger befasste, die in Dalmatien zu dieser Zeit lebten und arbeiteten. Das Schriftgut des Landesguberniums/der Statthalterei (Archivbestand HRDAZD-88), wie auch die Archivalien, die mit der Tätigkeit ihrer Abteilungen erstellt wurden, wurden dem Archiv sofort nach Beendigung der Arbeit der Kommission für die Verteilung der Schriften (1924–1927) geliefert, eine Ausnahme waren die Archivalien der Bauabteilung, des k. k. Eichamtes in Zadar, der k. k. Polizeidirektion und des k. k. Landesschulrates. So wurde zum Beispiel das Schriftgut der Statthalterei – Bauabteilung nach der Schriftenverteilung nach Split transportiert, kam dort auf eine unbekannte Art und Weise in die Hände des Ingenieurs Marasović, der sie nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in das Staatsarchiv Zadar zurückbrachte. Ein sehr interessantes Schicksal erlebte auch der Bestand der k. k. Direktion für die Katastervermessungen in Zadar (1823–1839). Die Kommission für die Schriftenverteilung übergab dieses Schriftgut nämlich vollständig den Verwaltungsbehörden des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS). Es befindet sich auch heute noch in Split, das Staatsarchiv Zadar bewahrt nur die Katasterskizzen auf.34 Diese (unvollständige) Skizze der Katasterkarten kaufte das Staatsarchiv Zadar 1930 von Giovanni Pouchie. Er hatte sie von seinem Vater, einem Landvermesser, der wahrscheinlich an ihrer Entstehung beteiligt war, geerbt (HR-DAZD-251 Državni arhiv u Zadru, Opći spisi, 1927–1943). Über die Archivalien des italienischen Konsulats wissen wir nur, dass die österreichischen Behörden 1915 diese Archivalien konfiszierten, als Italien gegen die Österreichisch-Ungarische Monarchie in den Krieg trat. Die österreichischen Beamten bewahrten die Schriften im Gebäude der Statthalterei auf; aus diesem Gebäude wurden sie dem Archiv im Jahre 1928 übergeben. Der einzige Archivbestand, über den bis heute unbekannt ist, wie er ins Archiv kam, ist der Archivbestand: HR-DAZD-94, Der dalmatinische Landtag-Landesausschuss in Zadar (1861–1913). Archivbestände der Landesverwaltung: – HR-DAZD-88 Vlada / Namjesništvo za Dalmaciju (1813.–1918.) (k. k. Landesgubernium Dalmatien/k. k. Statthalterei Dalmatien 1813–1918) – HR-DAZD-89 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Građevinski odsjek (1820.–1918.) (k.  k. Landesgubernium Dalmatien/k.  k. Statthalterei Dalmatien. Bauabteilung 1820–1918) – HR-DAZD-563 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Sanitarni kordon prema turskoj granici (1820.–1821.) 34 Mirela Slukan Altić: Povijest stabilnog katastra Dalmacije povodom 170-te obljetnice Arhiva mapa za Dalmaciju [Geschichte des stabilen Katasters von Dalmatien anlässlich des 170-jährigen Bestehens des Kartenarchivs für Dalmatien (1834–2004)]. In: Građa i prilozi za povijest Dalmacije [Materialien und Beiträge zur Geschichte Dalmatiens] 19 (2004), S.  7–47; Bajić-Žarko: Arhiv mapa za Istru i Dalmaciju; Inventar. SpiEgElungEn 2.22

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(k. k. Landesgubernium Dalmatien/k. k. Statthalterei Dalmatien. Sanitätskordon nach der türkischen Grenze 1820–1821) HR-DAZD-564 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Razgraničenje na području Kleka i Sutorine (1833.–1880.) (k. k. Landesgubernium Dalmatien/k. k. Statthalterei Dalmatien. Abgrenzung auf dem Gebiet Klek und Sutorina 1883–1880) HR-DAZD-90 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Zaklade u Dalmaciji (1813.– 1918.) (k.  k. Landesgubernium Dalmatien/k.  k. Statthalterei Dalmatien. Stiftungen in Dalmatien 1813–1918) HR-DAZD-561 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Primaljska škola u Zadru (1820.–1904.) (k.  k. Landesgubernium Dalmatien k.  k. Statthalterei Dalmatien. Hebammenschule in Zadar 1820–1904) HR-DAZD-543 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Društva u Dalmaciji (1833.–1918.) (k.  k. Landesgubernium Dalmatien/k.  k. Statthalterei Dalmatien. Die Gesellschaften in Dalmatien 1833–1918) HR-DAZD-562 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Kazališta u Dalmaciji (1805.– 1904.) (k. k. Landesgubernium Dalmatien /k. k. Statthalterei Dalmatien. Die Theater in Dalmatien 1805–1904) HR-DAZD-566 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Arheološki muzej u Zadru (1836.–1920.) (k. k. Landesgubernium Dalmatien/k. k. Statthalterei Dalmatien. Das archäologische Museum in Zadar 1836–1920) HR-DAZD-551 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Zadruge u Dalmaciji (1865.– 1914.) (k. k. Landesgubernium Dalmatien/k. k. Statthalterei Dalmatien. Die (gewerblichen und landwirtschaftlichen) Genossenschaften in Dalmatien 1865–1914) HR-DAZD-91 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Dijecezanski spisi (1813.–1918.) (k. k. Landesgubernium Dalmatien/k. k. Statthalterei Dalmatien. Diözesanschriften 1813–1918) HR-DAZD-92 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Feudalna komora i Pokrajinska komisija za alodizaciju feuda 1813.–1918.) (k. k. Landesgubernium Dalmatien/k. k. Statthalterei Dalmatien. Feudalkammer und Allodialisierungs-Landeskommision (1813–1918) HR-DAZD-93 Vlada/Namjesništvo za Dalmaciju. Odjel za heraldička pitanja i Heraldička komisija u Zadru (1816.–1887.) (k.  k. Landesgubernium Dalmatien/k.  k. Statthalterei Dalmatien. Abteilung für heraldische Fragen und die Heraldische Kommission in Zadar 1816–1887) HR-DAZD-94 Dalmatinski sabor – Zemaljski odbor u Zadru (1861.–1913.) (Der dalmatinische Landtag – Landesausschuss in Zadar, 1861–1913) HR-DAZD-95 Baždarski ured u Zadru (1876.–1918.) (k. k. Eichamt in Zadar 1876–1918) HR-DAZD-496 C. Kr. Pokrajinski rudarski ured (1819.–1918.) (k. k. Revierbergamt 1819–1918) HR-DAZD-382 Uprava katastarskih izmjera u Zadru (1823.–1839.) (k. k. Direktion für die Katastralvermessung in Zadar 1823–1839) 96

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– HR-DAZD-97 Redarstveno ravnateljstvo u Zadru (1814.–1918.) (k. k. Polizeidirektion in Zadar 1814–1918) – HR-DAZD-98 Pokrajinsko školsko vijeće u Zadru (1869.–1918.) (k. k. Landesschulrat in Zadar 1869–1918) – HR-DAZD-99 Pokrajinsko financijsko ravnateljstvo u Zadru (1813.–1918.) (k. k. Finanz-Landesdirektion in Zadar 1813–1918) – HR-DAZD-100 Pokrajinsko državno računovodstvo u Zadru (1819.–1866.) (k. k. Landes-Staatsbuchhaltung in Zadar 1819–1866) – HR-DAZD-101 Predsjedništvo uprave državnih dobara u Trstu (1840.–1854.) (k. k. Küstenländische-dalmatinische Kameral-Gefällen-Verwaltung in Triest 1850– 1854) – HR-DAZD-116 Talijanski konzulat u Zadru (1867.–1915.) (Das italienische Konsulat in Zadar 1867–1915) Kreisverwaltung Die Archivbestände dieser Klassifikationsgruppen bestehen aus dem Schriftgut der Institutionen, deren Territorial- und Verwaltungszuständigkeit variierte. Das Kreisamt in Zadar sowie die Bezirksämter in Zadar, Obrovac, Pag und Rab und die Gemeinden Sali und Zadar stellen niedrige Territorial- und Verwaltungsebenen dar. Sehr oft handelte es sich um inhaltlich gleiche oder ähnliche administrative Angelegenheiten, die oft auch auf einer höheren Ebene eines Kaiser- oder Ministerbefehls aus Wien begonnen haben. Heute ist die Rede von Archivbeständen, die ziemlich groß sind und für die in den meisten Fällen keine Hilfsapparate aufbewahrt sind. Der Archivbestand HR-DAZD-111 Komesarijat Vlade Korčula (I.  R. Commisariato di Governo di Curzola), obwohl er nur eine Archivschachtel enthielt, stellt im historiographischen Sinne einen wertvollen Schatz dar, weil er vom Bestehen einer Administration zeugt, über die keine gesetzliche Regulierung gefunden werden konnte, aber ganz sicher ist, dass diese Institution im Jahre 1820 verschwunden ist; denn in diesem Jahr trat das Gesetz über die Preturen (Bezirksgerichte) in Kraft. Kreiskommissariate erledigten die administrativen und gerichtlichen Angelegenheiten im Kreis. Diese wurden im Jahre 1817 in Pag, Šibenik, Hvar, Korčula und Vis gegründet.35 Über die spezifische Organisation der Verwaltung und Justiz in Dalmatien zeugen auch die Serdarien. Das waren kleine administrative Einheiten der Forza Territoriale – diese Behörde kam noch in der venezianischen Zeit auf dieses Gebiet und stellt eine Militär-Verteidigungskraft dar. An der Spitze einer Serdarie stand der Serdar. Die Aufgabe der erwähnten Beamten war, Frieden und Ordnung aufrecht zu erhalten. Jedes Dorf hatte einen Harambascha und zwei Boten.36 Archivbestände der Kreisverwaltung: – HR-DAZD-102 Okružno poglavarstvo u Zadru (1816.–1865.) (k. k. Kreishauptmannschaft in Zadar 1816–1865) – HR-DAZD-103 Financijsko ravnateljstvo u Zadru (1854.–1918.) (k. k. Finanzintendanz in Zadar 1854–1918) 35 Kolanović (Hg.): Vodič Državnoga arhiva u Zadru, S. 385f. 36 Tado Oršolić: Seoske straže i poljsko redarstvo u kopnenoj Dalmaciji [Dorfwächter und Feldpolizei auf dem dalmatinischen Festland]. In: Radovi Zavoda povijesnih znanosti HAZU u Zadru [Werke des Instituts für Geschichtswissenschaften der Kroatischen Akademie der Wissenschaften und Künste (HAZU) in Zadar] 49 (2007), S. 467–481. SpiEgElungEn 2.22

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– HR-DAZD-105 Kotarsko školsko vijeće u Zadru (1869.–1918.) (k. k. Bezirksschulrat in Zadar 1869–1918) – HR-DAZD-111 Komesarijat Vlade Korčula (1813.–1819.) (k. k. Kommissariat der Regierung Korčula 1813–1918) – HR-DAZD-106 Kotarsko poglavarstvo Obrovac (1823.–1868.) (k. k. Bezirkshauptmannschaft in Obrovac 1823–1868) – HR-DAZD-107 Kotarsko poglavarstvo Pag (1816.–1868.) (k. k. Bezirkshauptmannschaft in Pag 1816–1868) – HR-DAZD-108 Kotarsko poglavarstvo Rab (1823.–1868.) (k. k. Bezirkshauptmannschaft in Rab 1823–1868) – HR-DAZD-109 Kotarsko poglavarstvo Zadar (1821.–1868.) (k. k. Bezirkshauptmannschaft in Zadar 1821–1868) – HR-DAZD-104 Kotarsko poglavarstvo Zadar (1868.–1918.) (k. k. Bezirkshauptmannschaft in Zadar 1868–1918) – HR-DAZD-112 Serdarija Nin (1820.–1850.) (Serdaria di Nona 1820–1850) – HR-DAZD-113 Serdarija Pag (1820.–1850.) (Serdaria di Pago 1820–1850) – [0114] Serdarija Rab (1820.–1850.) (Serdaria di Arbe 1820–1850) – HR-DAZD-115 Općina Zadar (1864.–1918.) (Die politische Gemeinde Zadar 1864–1918) – HR-DAZD- 499 Općina Sali (1844.–1918.) (Die politische Gemeinde Sali 1844–1918) Justiz 1820/1848: – HR-DAZD- 215 Zemaljski sud u Zadru (1869.–1918.) (k. k. Oberlandesgericht in Zadar, ital. I. R. Tribunale Provinciale di Zara) – HR-DAZD-222 Kotarski sud Biograd (1876.–1918.) (Giudizio distretuale di Biograd, Bezirksgericht in Biograd 1876–1918) – HR-DAZD-229 Kotarski sud Rab (1820.–1918.) (Giudizio distretuale di Arbe, Bezirksgericht in Rab 1820–1918) – HR-DAZD-231 Kotarski sud u Zadru (1820.–1918.) (Giudizio distretuale di Zara, Bezirksgericht in Zadar 1820–1918) – HR-DAZD-244 Posadni sud u Zadru (1879.–1918.) (k. k. Garnisonsgericht in Zadar 1879–1918) – HR-DAZD-221 Kotarski sud (Sreski sud) Benkovac (1847.–1943.) (Giudizio distretuale di Benkovac, Bezirksgericht Benkovac 1847–1943) – HR-DAZD-223 Kotarski sud (Sreski sud) Drniš (1820.–1943.) (Giudizio distretuale di Drnis, Bezirksgericht in Drniš 1820–1943) – HR-DAZD-224 Kotarski sud (Sreski sud) Knin (1820.–1943.) (Giudizio distretuale di Knin, Bezirksgericht in Knin 1820–1943) – HR-DAZD-396 Kotarski sud (Sreski sud) Nin (1940.–1943.) (Giudizio distretuale di Nona, Bezirksgericht in Nin 1940–1943) – HR-DAZD-226 Kotarski sud (Sreski sud) Obrovac (1820.–1949.) (Giudizio distretuale d’Obrovazzo, Bezirksgericht in Obrovac 1820–1949) 98

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– HR-DAZD-227 Kotarski sud (Sreski sud) Pag (1820.–1943.) (Giudizio distretuale di Pago, Bezirksgericht in Pag 1820–1943) – HR-DAZD-228 Kotarski sud (Sreski sud) Preko (1927.–1943.) (Giudizio distretuale di Preko, Bezirksgericht in Preko 1927–1943) Erziehung und Ausbildung In dieser Klassifikationsgruppe ist nur ein Archivbestand registriert und diese Tatsache trägt zur Bedeutung der Thematik bei. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist in Dalmatien besonders vom Kampf für die Einführung der kroatischen Sprache in Verwaltung, Justiz und Bildung geprägt, und man kann sagen, dass die österreichischen Behörden in dieser Frage Verständnis zeigten und langsam den Anforderungen der Kroaten genügten. Miho Klaić äußerte als Landtagsabgeordneter im dalmatinischen Landtag im Jahre 1890 seinen Vorschlag, im Gymnasium von Zadar Kroatisch als Unterrichtssprache einzuführen, weil dieses zu der Zeit sehr bekannte Gymnasium, wie er sagte, nicht nur Schüler aus Zadar, sondern auch Schüler aus den Gebieten von der Insel Rab bis zum Fluss Krka besuchten, wo der Unterricht an Volksschulen auf Kroatisch gehalten wurde. Dank der Anstrengungen der kroatischen Landesabgeordneten und des ganzen Volkes fand die Regierung in Wien eine Notlösung. Aufgrund der kaiserlichen Verordnung vom 23. September 1896 wurden nämlich Kroatisch oder Serbisch mit Anfang des Schuljahres 1897/1898 an dem niedrigeren Gymnasium in Zadar als Unterrichtssprachen eingeführt. Der Gymnastikverein »Sokol« überlies dieser Schule seine Räumlichkeiten. So wurde das Gymnasium aufgrund der kaiserlichen Verordnung vom 3. September 1900 Anfang des Schuljahres 1901/1902 zu einem k. k. Klassischen Gymnasium mit Kroatisch als Unterrichtssprache. Im Staatsarchiv Zadar ist das Schriftgut dieser Anstalt von Anfang bis zum Ende ihrer Tätigkeit aufbewahrt.37 Archivbestände der Gymnasien, Realschulen: – HR-DAZD 246 Hrvatska gimnazija – Zadar (1897.–1921.) (Kroatisches Gymnasium in Zadar 1897–1921) Kultur, Wissenschaft und Informierung Das Archivgut, das nachfolgend dargestellt wird, entstand durch die Tätigkeit verschiedener Institutionen, Anstalten, Gesellschaften, die nicht direkt von der Politik abhingen. Diese unterschiedlichen Behörden spielten eine große Rolle im Alltagsleben der damaligen Bevölkerung in der österreichischen Provinz Dalmatien. Aufgrund des langen Bestehens des Staatsarchivs sind seine Archivbestände für Forscher unterschiedlicher Fächer heute sehr interessant. In der heutigen Republik Kroatien besteht kein anderes Archiv, das das Schriftgut im Laufe seiner langen 400 Jahre alten Geschichte aufbewahrt. Das ist der beste Beweis dafür, dass diese Institution das kollektive Gedächtnis des gesamten Volkes darstellt. Die Archivbestände der anderen Klassifikationsgruppen enthalten sowohl Informationen über die Vorliebe der Bürger von Zadar für das Theater als auch über die jahrhundertealte Tradition des Herstellens von Likören, über ihre Bemühungen, die 37 Ljubomir Maštrović: Povijesni pregled školstva u Zadru [Historische Überblick des Bildungswesens in Zadar]. In: Jakša Ravlić (Hg.): Zbornik Zadar: geografija, saobraćaj, povijest, kultura [Sammlung Zadar: Geografie, Verkehr, Geschichte, Kultur]. Zagreb 1964, S. 487–527. SpiEgElungEn 2.22

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landwirtschaftliche Produktion auf ein höheres Niveau zu bringen und die Armut zu überwinden, die im Laufe der Jahrhunderte die Bevölkerung von Dalmatien traf. Das Schriftgut der persönlichen und familiären Archivbestände liefert Informationen über das Leben der Einwohner von Dalmatien, die nicht unbedingt mit der Tätigkeit der administrativen und gerichtlichen Institutionen zu tun haben. Aus diesen Schriften lässt sich etwas über die kirchlichen Angelegenheiten erfahren sowie darüber, was man damals aß, wie man sich kleidete und wie viel man dafür ausgab; wir erfahren über Gewohnheiten der intimsten Momente: Geburt, Heirat und Tod. Das Archivgut, das als Nachlass einzelner Familien bis heute aufbewahrt ist, stellt auch eine erstklassige Quelle für die Erforschung der Katastralbeziehungen beziehungsweise Landesbeziehungen in Dalmatien dar, die spezifisch waren und sich im Ganzen von den Landesbeziehungen im Rest Kroatiens unterschieden. Diese spezifischen Verhältnisse der »Feudalbeziehungen« (Agrarbeziehungen) in Dalmatien hatten einen großen Einfluss auf die wirtschaftliche Situation der Provinz. Insbesondere zu nennen sind die Familienarchivbestände der Familie Borelli und Familie Lantana, die sehr viele Informationen über Landesverhältnisse enthalten. Eine wertvolle und interessante Quelle für unterschiedliche Forschungen stellen die Sammlungen des Archivgutes dar, die nach dem inhaltlichen Prinzip in Archivbeständen getrennt sind. Diese Sammlungen umfassen die Zeit der beiden österreichischen Herrschaften in Dalmatien. Das sind: die Sammlung der Standesämter (Geburts-, Sterbe- und Heiratsregister) für ganz Dalmatien, die Sammlung der geographischen und topographischen Karten, die Sammlung der Zeitungen, die Sammlung der Musikalien, die Sammlung der Photographien, die Sammlung der Bauskizzen, die Handschriftensammlung, die Sammlung der Graphiken, die Sammlung der Dokumente für die Inseln und die Diözese Šibenik. Archivbestände der Kultur, Wissenschaft und Informierung: – HR-DAZD-251 Državni arhiv u Zadru (1624.–2015.) (Staatsarchiv Zadar 1624–2015) – HR-DAZD-515 Plemićko kazalište u Zadru (1781.–1883.) (Teatro Nobile in Zadar 1781–1883) – HR-DAZD-252 Kazalište »Verdi« u Zadru (1865.–1944.) (»Verdi-Theater« in Zadar 1865–1944) Andere Archivbestände aus der Zeit der Habsburgermonarchie im Staatsarchiv Zadar Archivbestände der Wirtschaft: – HR-DAZD-260 Tvornica maraskina »Francesco Drioli« (1768.–1943.) (Maraskinofabrik »Francesco Drioli«–Zadar 1768–1943) – HR-DAZD-404 Tvornica pića »Excelsior« Zadar (1821.–1944.) (Getränkefabrik »Excelsior« Zadar 1821–1944) Archivbestände der Vereine, Verbände, Gesellschaften, Genossenschaften: – HR-DAZD 335 Bratovštine u Dalmaciji–Zadar (13.–20. st.) œ.1 (Brüderschaften in Dalmatien–Zadar 13.–20. Jh.) – HR-DAZD 498 Središnje agronomsko društvo Zadar–Zadar (1850.–1872.) œ.1 (Zentrale Agrargesellschaft Zadar–Zadar (1850–1872) – HR-DAZD 567 Matica dalmatinska–Zadar (1863.–1927.) 100

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Archivbestände der religiösen Institutionen: – HR-DAZD-341 Pravoslavna eparhija Zadar (1808.–1921.) (Orthodoxe Diözese Zadar 1808–1921) Familien- und persönliche Archivbestände: – HR-DAZD-509 Familie Banchetti–Tisno (1697–1865) – HR-DAZD-344 Familie Begna–Zadar (1701–1900) – HR-DAZD-346 Familie Bergelić-Sutivan na Braču (1717–1847) – HR-DAZD-348 Familie Borelli-Galbiani. Vranski feud–Zadar (1452–1899) – HR-DAZD-350 Familie Difinco-Micateo-Manfrin–Šibenik, Zadar (1464–1854) – HR-DAZD-352 Familie Draganić-Vrančić–Šibenik (1401–1900) – HR-DAZD-353 Familie Erco–Zadar (1801–1900) – HR-DAZD-355 Familie Filipi–Zadar (1701–1900) – HR-DAZD-495 Familie Karaman–Split, Zadar (1617/1885) – HR-DAZD-356 Familie Katić–Ždrelac, Zadar (1401–1800) – HR-DAZD-359 Familie Lantana–Zadar (1260–1897) – HR-DAZD-361 Familie Nimira–Rab (1409–1869) – HR-DAZD-431 Familie Novaković–Benkovac (1826–1956) – HR-DAZD-363 Familie Papafava–Zadar (1800–1927) – HR-DAZD-493 Familie Pekota–Zadar (1798–1889) – HR-DAZD-497 Familie Petricioli–Sali, Zadar (1637–1963) – HR-DAZD-556 Familie Petrović-Stamać–Zadar (1837–1968) – HR-DAZD-345 Familie Rolli–Zadar (1701–1900) – HR-DAZD-365 Familie Stocco-Gossetti–Zadar (1624–1851) – HR-DAZD-366 Familie Zanchi–Zadar (1333–1905) – HR-DAZD-370 Lorini, Petar, Fisch Experte (1850–1921) – HR-DAZD-371 Ljubić, Šime, Historiker (1822–1896) – HR-DAZD-581 Maschek, Luigi, Statthaltereirath (1827–1887) – HR-DAZD-372 Sinobad, Filip, Grundbesitzer (1852–1930) – HR-DAZD-376 Vučetić, Kuzma, Priester, Historiker (1864–1948) Sammlungen des ursprünglichen Archivguts: – HR-DAZD-378 Matične knjige (1565.–1943.) (Standesregister 1565–1943) – HR-DAZD-383 Kartografska zbirka (1675.–1959.) (Kartographische Sammlung 1675–1959) – HR-DAZD-384 Nacrti građevinskih objekata u Zadru (1801.–2000.) (Bauskizzen der Gebäude in Zadar 1801–2000) – HR-DAZD-479 Zbirka rukopisa XIII.–XX. st. (Handschriftensammlung 13.–20. Jh.) – HR-DAZD-385 Zbirka fotografija (1860.–2000.) (Sammlung der Photographien 1860–2000) – HR-DAZD-386 Zbirka tiskovina/Stampata (1608.–1959.) (Pressesammlung/stampata 1608–1959) – HR-DAZD-377 Miscellanea (1001.–2001.) – HR-DAZD-552 Grafička zbirka (16. st.–1827) (Sammlung der Graphiken 16. Jh.–1827) SpiEgElungEn 2.22

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– HR-DAZD-379 Muzikalije (1801.–1900.) (Sammlung der Musikalien 1801–1900) – HR-DAZD-358 Zbirka obitelji Marcatti. Zapisi o Skradinskoj biskupiji (1785.–1856.) (Sammlung der Familie Marcatti. Aufzeichnungen über die Diözese Skradin 1785–1856) – HR-DAZD-362 Zbirka obitelji Novak. Zapisi o povijesti Hvara i Brača (1453.–1815.) (Sammlung der Familie Novak zur Geschichte von Hvar und Brač 1453–1815) Kontakt: Državni arhiv u Zadru Ruđera Boškovića 1 23000 Zadar, Kroatien Telefon: +385 23 211 530 Fax: +385 23 214 908 E-Mail: [email protected] Webseite: www.dazd.hr

DuBRavka kolić, seit 2003 staatlich geprüfte archivarin an der abteilung für den Schutz und die Bearbeitung des archivgutes von 1797 bis 1918 des Staatsarchives in Zadar. Seit 2013 leiterin dieser abteilung. Sie studierte Geschichte und Soziologie an der philosophischen Fakultät in Zadar. Im Jahre 2008 verteidigte sie ihre masterarbeit Cesarsko Kraljevsko Namjesništvo u Zadru 1814.–1918. Institucija i gradivo (k. k. Statthalterei Dalmatien in Zadar. Institution und archivgut), im Jahre 2018 ihre Dissertation Institucije i gradivo za vrijeme druge austrijske uprave u Dalmaciji od 1814. do 1868. (Institutionen und archivgut während der zweiten österreichischen Regierung in Dalmatien von 1814 bis 1868) an der universität Zadar. Teilnahme an internationalen archivarischen Kongressen in Dubrovnik (2005) und opatija (2013). Veröffentlichungen in archivarischen Zeitschriften, zum Beispiel zu Geschäftsgang / Klassifizierungssystem der k. k. Statthalterei in Zadar von 1814 bis 1918, arhivski vjesnik, 52 (2009), Imperiale Regia Superiorità locale di macarsca 1798.–1806., arhivski vjesnik, 48 (2005). mitherausgeberin eines Führers durch das Staatsarchiv Zadar – Teil I und II (2014). ankica stRmota, seit 1997 staatlich geprüfte archivarin an der abteilung für den Schutz und die Bearbeitung des archivgutes von 1797 bis 1918 des Staatsarchives in Zadar. Sie studierte Germanistik und Geschichte an der philosophischen Fakultät Zadar. Zahlreiche publikationen in archivarischen Zeitschriften, darunter Instruktionsentwurf für die Behandlung und Manipulation der Präsidialkanzleigeschäfte des Königreiches Dalmatien während der »zweiten österreichischen Herrschaft« (1814–1918), arhivski vjesnik (Zagreb) 51/2008. mitarbeit am Handbuch Pregled arhivskih fondova i zbirki Republike Hrvatske (überblick über die archivbestände und archivsammlungen der Republik Kroatien, 2006) sowie an der Redaktion des ausstellungskatalogs Dalmacija 1848/49 (Dalmatien 1848/49).

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Deutschsprachige jüdische Zeitungen in Novi Sad, 1921–1941 Von Carl Bethke

DIE JuDEn In noVI SaD Novi Sad (dt. Neusatz, ung. Újvidék) ist die Hauptstadt der autonomen Provinz Vojvodina, die seit 1945 jene Teile Serbiens umfasst, die einst Teil des Habsburgerreiches waren, insbesondere die historisch zu Ungarn gehörenden Regionen Banat und Batschka (sr. Bačka, ung. Bácska) nördlich der Donau. Die Batschka, zu der Novi Sad gehört, ist die größte und einwohnerreichste der Teilregionen. Vor 1918 lag der serbische Bevölkerungsanteil in diesem Gebiet nach Berechnungen von Andrija Bognar auf der Grundlage der Volkszählung von 1910 bei 20,56  Prozent  – noch nach dem Anteil der deutschen und weit hinter jenem der ungarischen Muttersprachler. Bis heute bildet dort das ungarische Mehrheitsgebiet im Norden eine kompakte Region, dazu kommen Orte mit kroatischen, ukrainischen, slowakischen sowie – im Banat – tschechischen und rumänischen Mehrheiten. Konfessionell war in der Vojvodina keine der großen Sprachgruppen nur einer Kirche zuzuordnen, jede Konfession umfasste bis 1945 Angehörige mehrerer Sprachgruppen.1 Der serbische Ethnograph Jovan Cvijić gab 1919 in seiner Schrift La Batchka an, dass in diesem Gebiet 1910 etwa 9.000 Juden mit ungarischer und 6.882 Juden mit deutscher Muttersprache lebten.2 Für Novi Sad, wo die Ungarn damals die stärkste Sprachgruppe stellten, bezifferte die Volkszählung den Anteil der ungarischen Muttersprachler unter den 2.326 Juden mit 72  Prozent und den der deutschen Muttersprachler unter ihnen mit 26,06 Prozent, also 602 Einwohnern der Stadt.3 Angesichts 1

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Andrija Bognar: The Status of Hungarians in Vojvodina from 1918 to 1995. In: Aleksander Ravlić (Hg.): Southeastern Europe 1918–1995. An International Symposium. Zagreb 1995, S.  86–103, hier: S.  90; vgl. Károly Kocsis, Saša Kicošev: Ethnic Map of Present Territory of Vojvodina. Budapest 2004; zur Regionalgeschichte: Dimitrie Boarov: Politička istorija Vojvodine [Die politische Geschichte Vojvodinas]. Novi Sad 2002; zu Novi Sad: Ágnes Ózer: Neusatz/Novi Sad. Kleine Stadtgeschichte. Mit einem literarischen Essay von László Végel. Regensburg 2022, S. 128–134. Jovan Cvijić: La Batchka [Die Batschka]. Paris 1919, S. 21. A Magyar Szent Korona országainak 1910. évi népszámlálása. Vol. 5. Részletes demográfia. Budapest 1916, Tabelle 22: A jelenlevő népesség anyanyelve, összevetve a vallással [Die Volkszählung in den Ländern der heiligen ungarischen Krone 1910. Vol. 5: Detaillierte Demografie, Tabelle 22: Die anwesende Bevölkerung

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der langen Zugehörigkeit zu Ungarn verwundert es nicht, dass die Zahl der Juden mit »serbokroatischer« Muttersprache, berechnet nach der jugoslawischen Volkszählung, auch 1931 mit 434 Personen relativ gering war, gegenüber demnach 1.292 Juden mit ungarischer sowie 1.279 Juden mit deutscher Muttersprache. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich diesen Angaben zufolge die Zahl der Juden deutscher Muttersprache in der Stadt im Zeitraum 1910–1931 mehr als verdoppelt haben soll, ihr Anteil an der Gesamtzahl der Juden sich demnach auf 40 Prozent erhöht hätte.4 Wie ist dies zu erklären? Selbstverständlich sind Daten aus Volkszählungen zur Entwicklung von Muttersprachen und Konfessionen nicht das genaue Abbild der sozialen Realität, sie lassen sich leicht als ungenau, nur deklarativ oder askriptiv oder als »manipuliert« kritisieren. Allerdings wird auch in Interviews mit Überlebenden des Holocaust aus Novi Sad Deutsch als Erst- oder Familiensprache genannt.5 Bis in die Zwischenkriegszeit war es so präsent, dass zum Beispiel Pavle Šosberger (geboren 1920) Deutsch, »ich weiß nicht wie«, als Kind auf der Straße lernte.6 Vor allem aber erschienen ab 1921 mehrere deutschsprachige jüdische Zeitungen mit durchweg zionistischer Orientierung: Das Jüdische Volksblatt (1921–1924, Novi Sad), Israel (1925– 1928, Subotica) und die Jüdische Rundschau (1935, Novi Sad). Auch die Jüdische Zeitung/Jevrejske Novine (1935–1941, Novi Sad) war überwiegend deutschsprachig. Versuche einer jüdisch-ungarischsprachigen Zeitung erwiesen sich als kurzlebig, obwohl vor (und nach) 1918 viele Juden in ungarischsprachigen Zeitungen als Journalisten und Redakteure tätig gewesen waren, aber nur vereinzelt bei deutschsprachigen Blättern.7 Zugleich enthalten die Historiografien unterschiedlicher Provenienz keine Hinweise auf eine konfessionsübergreifende »deutschsprachige community«, und so blieb der Anteil der Juden an den Deutschsprachigen Novi Sads – der laut den angeführten Zahlen im Jahr 1931 14,03  Prozent ausmachte  – meist unerwähnt. Es soll daher nach weiteren Bedeutungen von »Deutschsprachigkeit« gefragt werden, die offenbar mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Novi Sad verbunden sind.8

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nach Muttersprache, verglichen mit der Religionszugehörigkeit], , 22.9.2022. Publikationsstelle Wien (Hg.): Die Gliederung der Bevölkerung des ehemaligen Jugoslawien nach Muttersprache und Konfession nach den unveröffentlichten Angaben der Zählung von 1931. Nur für den Dienstgebrauch! Wien 1943, S. 53; vgl. Harriet Pass Freidenreich: The Jews of Yugoslavia. A Quest of Community. Philadelphia 1978, S.  221; Savezna Republika Jugoslavija, Savezni zavod za statistiku: Beograd: Popis [Volkszählung] 1991, darin: Nacionalni Sastavi Stanovništva Jugoslavije [Die nationale Zusammensetzung der Bevölkerung Jugoslawiens] 1921–1981. Beograd 1998 (CD-Rom); Republički zavod za statistiku: Popis [Volkszählung] 1931, , 30.9.2022. Beispiele: United States Holocaust Memorial Museum: Oral History Interview with Egon Stajner, , 30.9.2022; United States Holocaust Memorial Museum: Oral History Interview with Eili Ofner and Francis Ofner, , 30.9.2022; United States Holocaust Memorial Museum: Oral History Interview with Jelka Lederer-Lukic, , 30.9.2022; Alexander Rosenberger, geboren 1927 in Novi Sad, berichtet, dass sein Vater bis 1937/38 mehr im deutschen Schachklub als in der Synagoge aktiv war: United States Holocaust Memorial Museum: Oral History Interview with Alexander Rosenberger, , 5.10.2022. Pavle Šosberger: Život kako sam ga ja video [Das Leben, so wie ich es gesehen habe]. Novi Sad 2005. Pavle Šosberger: Jevreji u Vojvodini. Kratak pregled istorije Vojvođanskih Jevreja [ Juden in der Vojvodina. Kurzer Überblick der Juden von Vojvodina]. Novi Sad 1998, S. 153–168. Das Interesse an »geteilter« deutsch-jüdischer Geschichte in Osteuropa ist in den letzten zehn Jahren stark gestiegen, vgl. Carl Bethke: (K)eine gemeinsame Sprache? Aspekte deutsch-jüdischer Beziehungsgeschichte in Slawonien, 1900–1945. Münster 2013; Tobias Grill: Jews and Germans in Eastern Europe. Shared and Comparative Histories. Berlin 2018; Shared Histories: Deutsche und Juden im östlichen Europa  – Aspekte einer historischen Verflechtung?, , 30.9.2022.

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BEthKE: dEutSchSpRachigE jüdiSchE ZEitungEn in nOvi Sad

Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die kaum als Quelle berücksichtigten deutschsprachigen jüdischen Zeitungen Novi Sads gegeben, um weitere Forschungen anzuregen.9 Die Juden der Vojvodina sind historisch fast durchgehend aschkenasischer, also mitteleuropäischer Prägung, viele Familien stammten aus Deutschland oder Böhmen beziehungsweise führten sich darauf zurück.10 Einige waren, zum Beispiel als Kaufleute, bereits an der Versorgung der kaiserlichen Truppen im 18. Jahrhundert beteiligt. Auf dem Gebiet Novi Sads gab es schon damals eine Synagoge.11 Die Politik des Reformkaisers Joseph II. sowie die ungarische Nationalbewegung ebneten den Weg zur 1867 erlangten Emanzipation. Einige Juden waren als Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Hoteliers und auch Landbesitzer angesehen und wohlhabend, ebenso wird aber auch von sozialen Spannungen innerhalb der Gemeinde berichtet.12 Im Bürgertum förderte das Emanzipationsversprechen der liberalen ungarischen Revolution von 1848 die sprachliche und kulturelle Assimilation, was zu Vorhaltungen und Konflikten mit serbischen Politikern wie Jaša Tomić führte, geschäftliche Konkurrenzen verstärken dies weiter.13 Auch die Nachkommen anderer deutschsprachiger Einwanderer in Ungarn assimilierten sich im 19. Jahrhundert in großer Zahl, vor allem in den Städten, jedoch mit nachlassender Tendenz in den Peripherien, wo nur wenige Magyaren wohnten. Im Fall von Novi Sad kam hinzu, dass hier eine serbische Gemeinde mit reicher Tradition bestand, was die Durchsetzung der ungarischen Nationalsprache in der Stadt ebenso bremste oder verzögerte, wie die multilinguale und -konfessionelle Struktur ihrer Bevölkerung insgesamt. In der jüdischen Gemeinde wurde 1866 von Jiddisch auf Hochdeutsch umgestellt, dann ging man zur Zweisprachigkeit über: »[…] there developed a linguistic assimilation to bilingualism in German and Hungarian (among the Jews, who had previously spoken only one language, and whose mother tongue was Yiddish or one or the other of those languages), and from unilingualism to the language and culture of the Magyars (among Jews who were raised within the German culture).«14 1918/20 war »der politische, und besonders der kulturelle Übergang von der österreichisch-ungarischen Herrschaft für die jugoslawischen Juden kein bisschen einfach«, so der damals 90-jährige Cvi Loker 2005, in dessen Elternhaus in Novi Sad einst deutsch gesprochen wurde. 1921 wurde die jüdische Schule verstaatlicht,15 zugleich war das neue Königreich bestrebt, Juden und Deutsche von ungarischen 9 10 11 12 13 14 15

Vgl. Bethke: (K)eine gemeinsame Sprache?, S. 172–174; ders.: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina 1918–1941. Identitätsentwürfe und ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden 2009, S. 324f. Josip Holländer: Jevrejski almanah za godinu 5689 [ Jüdischer Almanach für das Jahr 5689] (1928/29) 4, S. 53–58, hier: S. 54. Maren Frejdenberg: Vojvodina Jewry in the 18th century. In: Zvi Loker (Hg.): History of the Jews of the Vojvodina Region of Yugoslavia. Tel Aviv 1994, S. 5; vgl. Šosberger: Jevreji u Vojvodini, S. 11–15. Wieland Köbsch: Die Juden im Vielvölkerstaat Jugoslawien 1918–1941. Münster 2013, S.  114–133, hier: S. 121, S. 124. Joseph Loewinger: The Jews of Vojvodina in the 19th and early 20th Centuries. In: Loker (Hg.): History of the Jews of the Vojvodina Region, S. 8–11, hier: S. 10; nach dem Vorsitzenden der Radikalen Partei wurde 1924 ein Ort benannt: Lazar Rakić: Jaša Tomić 1856–1922. Novi Sad 1986, S. 78–93. Novi Sad. In: Zvi Loker (Hg.): Encyclopaedia of Jewish Communities: Yugoslavia (Serbia) Translation of »Novi Sad« chapter from Pinkas ha-kehilot Yugoslavia. Jerusalem 1988, , 30.9.2022, S. 178–192; Interview Cvi Loker, 2006. Dušan Mihalek: Devedeset godina Cvi Lokera [Cvi Lokers 90 Jahre], , 30.9.2022.

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Schulen fernzuhalten: Doch heißt es ebenso, dass die Juden ihre Kinder auch nicht in deutsche Schulen schickten, »although it would have been the easy and natural thing to do. The Jews preferred that the younger generation adapt to the new language [Serbian] and be educated in the same public institution as most of the other children«.16 Der zionistische Impuls dagegen hatte wegen der Integration der Juden in das ungarische Nation-Building-Projekt die Vojvodina erst relativ spät erreicht. Lokers Vater Wilhelm gehörte  – wie Jehuda Leib Brandeis, Sigmund Handler, Mathias Sattler und andere – dem am 7. März 1919 gegründeten Jüdischen Nationalverband an, der über den am 21. Februar 1921 entstandenen Jüdischnationalen Distrikt in der Vojvodina auch im Umland Fuß zu fassen suchte. Die Anhänger waren oft Russland-Heimkehrer und Familien mit ostjüdischem Hintergrund, die Vereinssprache war deutsch.17 Zum Bund der Zionisten Jugoslawiens mit Sitz in Zagreb hielt man Distanz: »The National Association established cultural ties and mutual visits with the Zionist centers in Vienna and Berlin, and refused to be subordinate to the National Zionist Union in Zagreb, whose instructions were written in Croatian, a language foreign to them.«18 Novi Sad selbst hatte ein reichhaltiges jüdisches Gemeindeleben mit vielen Aktivitäten und Institutionen. Im Verlauf der 1920er-Jahre erstarkten die Zionisten innerhalb der Gemeindeleitung und erlangten schließlich die Mehrheit, gewiss mit Wohlwollen der Belgrader Regierung, der an der Schwächung des ungarischen Einflusses gelegen sein musste.19 Die Beziehungen zu den Deutschen waren vor 1933 offenbar gut, wie Freundschaften und geschäftliche Kontakte zeigen, selbst die Tochter des deutschen evangelischen Pastors besuchte die jüdische Schule.20 DaS »JüDISCHE VolKSBlaTT« Das Jüdische Volksblatt wurde ab 14. Januar 1921 vom Jüdischnationalen Distrikt der Vojvodina beziehungsweise ab Nummer 22/1923 vom Jüdischnationalen Verband Novi Sad als dessen Organ herausgegeben. Die Ausrichtung war zionistisch. Die Gründung ging auf Bargiora Brandeis und Sigmund Handler zurück. Handler (1875– 1944) war ein Rechtsanwalt aus Novi Sad, von dem gesagt wird, dass er den Zionismus nach Novi Sad gebracht habe. Er war als österreichisch-ungarischer Offizier in sowjetischer Gefangenschaft zur Vorstellung »von den Juden als Nation, nicht nur als Konfession« gelangt und hatte nach der Rückkehr gleichgesinnte junge Leute um sich gesammelt. Das Jüdische Volksblatt erschien jeden Freitag auf vier Seiten, anfangs mit dem Untertitel »Freie jüdische Wochenschrift für die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der jüdischen Nation in Jugoslavien«, ab der Nummer 20 wurde dieser Untertitel in »im Königreich SHS« geändert. 1922 fiel ab Nummer 7 auch dieser Untertitel weg und wurde durch die programmatische Formel des Jüdischen Weltkongresses (1897) ersetzt – »Der Zionismus erstrebt für das jüd. Volk die Schaffung einer rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina«. Das Jüdische Volks-

16 Novi Sad. In: Loker (Hg.): Encyclopaedia of Jewish Communities, S. 183. 17 Ebenda Rafailo Blam: Jevrejska kulturno-umetnička društva i njihov značaj za održavanje jevrejstva u Jugoslaviji [ Jüdische Kultur- und Kunstvereine und ihre Bedeutung für die Erhaltung des Judentums in Jugoslawien]. Beograd 1973, S. 31. 18 Loker (Hg.): Encyclopaedia of Jewish Communities, S. 185. 19 Budget der Israelischen [sic!] Kultusgemeinde in Novi Sad. In: Israel, 8.1.1926; Šosberger: Jevreji u Vojvodini; Ózer: Neusatz/Novi Sad, S. 130f. 20 Loker (Hg.): Encyclopaedia of Jewish Communities; Oral History Interview with Eili Ofner and Francis Ofner; Oral History Interview with Jelka Lederer-Lukic.

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blatt war die erste21 und zunächst auch einzige jüdische Zeitung in Novi Sad, ihr Name knüpft an meist zionistische Vorläufer seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland beziehungsweise Wien22 sowie Mährisch-Ostrau (tsch. Ostrava) und Budapest an. Die zeitliche Nähe zum damals neuen Deutschen Volksblatt aus Novi Sad ist auffällig. Laut Ivan Ninić erschien das Jüdische Volksblatt auf Deutsch, da »die Masse der Juden nicht genug Serbisch konnte«, Zvi Loker meint, dass es nicht genug Autoren gab, die Serbisch konnten.23 Eigentümer war die Cherut-Verlagsgesellschaft, gedruckt wurde das Blatt bei Hirschenhauser & Pillischer. Seit der Ausgabe 1/1923 stand ihm ein Kuratorium vor, dem Béla/Becalel Fürst, Benő Hirschenhäuser, Wilhelm Locker, Matija Löwy und Oskar Mérő angehörten. Als verantwortliche Redakteure erschienen ab Nummer 161/1921 Ignatz Balázs, ab Nummer 13/1922 Adolf Schreiber, ab Nummer 20/1922 Arpad/Árpád Lederer und ab Nummer 17–18/1924 Matija Löwy, auch Becalel Fürst wird als Redaktionsmitglied genannt.24 Ab Nummer 7/1922 führte das Blatt auch jüdische Jahreszählung im Titel.25 Als letzte Nummer erschien am 23. August 1924 eine Sonderausgabe. Die Hauptabgrenzungslinie des Blattes bestand gegenüber den weiterhin ungarisch orientierten »Assimilationisten«26 (während nähere Begründungen für die Reaktivierung des Deutschen nicht gegeben wurden).27 Verständnis wurde zum Beispiel für jene geäußert, die sich über die Verwendung des Ungarischen durch jüdische Studenten an der Universität Zagreb mokierten.28 Die Distanzierung von der ungarischen Orientierung bezog sich auch auf die Ungarische Partei und die ungarischen Zeitungen vor Ort – zumal wenn Juden Redakteure oder Eigentümer waren, wie bei Vajdaság29 und Délbácska ( J. Mayer). Zugleich verband sich dies mit Kritik an den »Novisader Kultusbonzen«30, also an der Gemeindeleitung und dem Rabbiner Dr. Henrik Kis,31 denen das Volksblatt mangelnde Förderung des Zionismus vorwarf, was schließlich zum Bruch mit dem Initiator Handler führte.32 Insbesondere sprach sich das Blatt für das Erlernen des Hebräischen in der Schule aus33 und bewarb dessen 21 Jevrejski Muzej u Beogradu (Hg.): Jevrejska štampa na tlu Jugoslavije do 1941. godine [ Jüdische Presse auf dem Gebiet Jugoslawiens bis zum Jahr 1941]. Belgrad 1982, S. 16. 22 Wikisource: Zeitschriften ( Judaica), , 29.9.2022; Jüdisches Volksblatt, , 29.9.2022. 23 Ivan Ninić: Nestanak najdražih [Das Verschwinden geliebter Menschen]. In: Mi smo preživeli: Jevreji o Holokaustu [Wir haben überlebt. Juden über den Holocaust] 4 (2007), S. 299–308, hier: S. 305; Mihalek: Devedeset godina, S. 4. 24 Ninić: Nestanak najdražih, S.  305; Pavle Šosberger: Novosadski Jevreji. Iz istorije jevrejske zajednice u Novom Sadu [Die Juden von Novi Sad. Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Novi Sad]. Novi Sad 1988, S. 108; Biljana Albahari: Pregled jevrejske periodike u Srbiji (od 1888. do 2019. godine) [Überblick jüdischer Zeitschriften in Serbien von 1888 bis 2019]. Beograd 2019, S. 23. 25 Sigmund Handler wurde 1944 in Budapest ermordet, seine Frau und die drei gemeinsamen Kinder bei der Razzia in Novi Sad 1942, ebenso Ignatz Balázs und Arpad Lederer. Adolf Schreiber überlebte und starb in Israel. E-Mail-Korrespondenz Carl Bethke–Vera Ungar, Jevrejska opština ( Jüdische Gemeinde) Novi Sad, 12.9.2022. 26 Bethke: (K)eine gemeinsame Sprache?, S.  172–174; Délbácska und die Juden. In: Jüdisches Volksblatt, 8.12.1922. 27 Das Triennium. Drei Jahre Jüdisches Volksblatt. In: Jüdisches Volksblatt, 11.1.1924, S. 1. 28 Die Sprache der jüdischen Hochschüler in Zagreb. In: Jüdisches Volksblatt, 7.3.1924, S. 4; vgl. auch Bethke: (K)eine gemeinsame Sprache?, S. 145f. 29 Die Kultusgemeinde und die Jahreskonferenz. In: Jüdisches Volksblatt, 4.6.1923, S. 3; Loker (Hg.): Encyclopaedia of Jewish Communities, S. 184. 30 Der Empfang des Grandrabins und die Novisader Kultusbonzen. In: Jüdisches Volksblatt, 11.4.1924, S. 2. 31 Die Kultusgemeinde und der Zionismus. Repräsentantensitzung. In: Jüdisches Volksblatt, 25.6.1923, S. 3. 32 Die Zionisten und die Kultusgemeinde. In: Jüdisches Volksblatt, 4.4.1924, S. 5. 33 Randbemerkungen zur jüdisch-religiösen Frage in Jugoslawien. In: Jüdisches Volksblatt, 6.7.1923, S. 3. SpiEgElungEn 2.22

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Verbreitung,34 gemäß dem Kurs der zionistischen Jugendorganisationen, die die Mitglieder zum Spracherwerb verpflichteten.35 Gegenüber dem Staat und zumal dem Königshaus nahm das Jüdische Volksblatt eine loyale Haltung ein und verwahrte sich gegen latent gegenteilige Unterstellungen durch die Belgrader Zeitung Politika.36 Allerdings beklagte es die Abschiebungen und Delogierungen von Juden nach 1920, zumal angesichts der gleichzeitigen Aufnahme einer großen Zahl russischer Emigranten:37 »Wir Juden der Vojvodina ertragen ohnmächtig und stumm die von Zeit zu Zeit sich wiederholenden Beschimpfungen der hierländischen Presse. Schwach, unorganisiert erdulden wir wortlos behördliche Verfolgungen, massenhafte Vertreibungen jüdischer Familien aus ihren Heimen.« Mehrfach hatte sich die Zeitung mit Antisemitismus zum Beispiel im serbischen Blatt Jedinstvo auseinanderzusetzen,38 ebenso in der Zeitung der Radikalen Partei Zastava, da das Jüdische Volksblatt grundsätzlich empfahl, keine Partei zu wählen, außer der jüdischen:39 »Parteien und Politiker der Wojwodina treten an die Juden der Wojwodina heran, deren Vertreter in Bosnien und in der Wojwodina Hunderte und Hunderte jüdischer Familien brotlos und obdachlos machen.« 40 In eine weitere Kontroverse war der bekannte serbische Schriftsteller Miloš Crnjanski involviert, dieser hatte demnach in der offiziösen Politika behauptet, dass die jüdischen Kapitalisten der Vojvodina gefährlicher seien als die ungarischen Bauern und Intellektuellen – da »die Juden Kapital- und Orfeumanschluss an Budapest und Wien suchen und fänden und damit eine Art Irredenta betreiben«.41 Durchaus spezifisch war die Haltung des Jüdischen Volksblatts zu den damals erstarkenden »schwäbischen« Aktivitäten und Gruppen in der Vojvodina: nämlich Schweigen – man ging also auf deren organisatorische oder programmatische Entwicklung nicht ein. Auf ein gespanntes Verhältnis deuten die (knappen) Hinweise auf die Kultur- und Musikveranstaltungen des »Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes« nicht hin.42 Bemerkenswert war ein Artikel vom 7. März 1924, der sich mit den Hinweisen Belgrader Blätter auf die »täglich zunehmende Hakenkreuz-Agitation« in Neu-Werbaß (sr. Novi Vrbas) beschäftigte  – einer schwäbischen Hochburg in der Mittelbatschka, unter anderem Standort einer deutschen Oberschule und später der deutschen Lehrerbildungsanstalt: »Es stammt diese von Studenten, die in Deutschland, anstatt ihrem Studium nachzugehen, sich das schamlose Hetzen gegen Juden angeeignet haben.« Anlässlich einer Unterhaltungsveranstaltung der jüdischen Jugend 34 35 36 37 38 39

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Sollen wir Hebräisch lernen? In: Jüdisches Volksblatt, 2.3.1923, S. 1; vgl. ebenda, 22.9.1922. Der II. Kongress der jüd. Jugendvereine in der Wojwodina. In: Jüdisches Volksblatt, 20.4.1923, S. 3. Dr. Alcalay in Novisad und die Belgrader »Politika«. In: Jüdisches Volksblatt, 18.4.1924, S. 2. Mirko Kabiljo, Beograd: Russeninvasion. In: Jüdisches Volksblatt, 24.11.1922, S. 3; vgl. dazu Bethke: (K)eine gemeinsame Sprache? Dr. J. Dohany: Juden und serbische Presse in der Vojvodina. In: Jüdisches Volksblatt, 24.11.1922, S. 1. Ivo Goldstein: Types of Antisemitism in the Territory of Former Yugoslavia (1918–2000). In: Wolf Moskovich, Oto Luthar, Irena Šumi (Hgg.): Jews and Slavs. Bd. 12; Jews and antisemitism in the Balkans. Bd. 19. Ljubljana 2004, S. 9–27, hier: S. 11; Deklaration des jüdisch-nationalen Verbandes für die Vojvodina. In: Jüdisches Volksblatt, 2.3.1923, S. 1; Cvi Loker: Jevrejska Partija u skupštini SHS 1923 godine [Die Jüdische Partei im SHS-Parlament im Jahr 1923]. In: Jevrejski Pregled godine [ Jüdische Revue] Ševat/Ardar 5769, 5; Bethke: (K)eine gemeinsame Sprache, S. 94. Julius Dohány: Die Jüdische Wahlparole. In: Jüdisches Volksblatt, 16.2.1923, S. 1; vgl. Šosberger: Jevreji u Vojvodini, S. 194. Die »gefährlichen« Juden der Vojvodina. In: Jüdisches Volksblatt, 25.6.1923, S. 2; vgl. Loker (Hg.): Encyclopaedia of Jewish Communities, S. 183. Die Neusatzer Ortsgruppe des Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes. In: Jüdisches Volksblatt, 24.11.1922, S. 2.

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hatten diese Flugblätter verteilt, welche die noch halbwegs bestehende Einigkeit der Novi Vrbaser Bürgerschaft stören sollten – so das Jüdische Volkblatt. Doch: »Die Intelligenz von Novi Vrbas war aber klug genug, demonstrativ an dieser Veranstaltung, teilzunehmen, um dadurch diesen Burschen die gebührende Lehre zu erteilen. Auch die jüdische Jugend zeigte sich erkenntlich, indem sie 50  Prozent des Reinertrags einer Novi Vrbasser deutschen Institution zukommen ließ.« 43 WEITERE JüDISCHE ZEITSCHRIFTEn Ebenfalls freitags und auf Deutsch erschien 1925–1928 die zionistische Wochenzeitung Israel. Chefredakteure waren M. Fridman und ab 14. August 1925 Pinkas »Marthef« Keller (1920–1924 Rabbiner in Poschegg/Požega), Herausgeber war das Hauptrabbinat in Bačka Topola (ung. Topolya) im ungarischen Mehrheitsgebiet, ab 1926 befand sich der Sitz der Redaktion in Subotica (dt. Maria-Theresiopel, ung. Szabadka), wo das Blatt gedruckt wurde, sowie in Novi Sad. Zwar gab es keine personellen Überschneidungen und die Blattlinie ließ nun die Einigung der zionistischen Gruppen Jugoslawiens erkennen.44 Auffallend ist, dass eine Zeitung mit diesem Profil in der Vojvodina wiederum auf Deutsch erschien, was sich, wie beim Volksblatt, mit der Distanzierung von der ungarischen Identität verband – wobei Subotica noch weit ungarischer geprägt war als Novi Sad.45 Novi Sad galt wie Osijek (dt. Esseg, ung. Eszék) bereits als Hochburg des Zionismus: »Wie gern möchten wir schon einen Antizionismus in den anderen jüdischen Gemeinden der Vojvodina sehen! ›Antizionismus‹ setzt ja voraus, dass die positive Seite der Idee schon reale Kraft besitzt.« 46 Diese Gemeinden wurden von der Redaktion beneidet: »wie können sie uns mit Osijek oder Novi Sad vergleichen«.47 Die Jugoslavische Jüdische Rundschau. Wochenblatt der Gegenwart erschien vierzehntäglich in Novi Sad vom 11. Oktober bis 3. November 1935 auf zunächst vier, dann sechs Seiten. Herausgeber und Redakteur war Ernst Fodor, in Zusammenarbeit mit Rabbi Lazarus Roth. Die Ausrichtung war zionistisch, wobei die Zeitung dem Editorial der ersten Ausgabe nach zugleich ihre politische Neutralität betonte.48 Die erste Ausgabe erschien anlässlich des Thoraweihefestes beziehungsweise des 30-jährigen Jubiläums der neuen Synagogengemeinde.49 Die weiteren Texte waren der Loyalität gegenüber dem König50 sowie den Zielen des Zionismus gewidmet: »Dort im fernen Osten werden wir uns das Heim der seelischen Reinigung und Befriedigung

43 Hakenkreuz-Agitation in Novi Vrbas. In: Jüdisches Volksblatt, 7.3.1924, S. 7. 44 Unser Weg. In: Israel, 3.7.1925, S. 1. 45 Bethke: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina, S.  326; ders.: (K)eine gemeinsame Sprache?, S. 174; Dušan Jelić: Kratak pregled istorije subotičkih Jevreja i njihovog doprinosa razvoju grada [Ein kurzer Überblick der Geschichte der Juden von Subotica und ihres Beitrags zur Entwicklung der Stadt]. In: Zbornik Jevrejski istorijski Muzej [Sammelband des Jüdischen Historischen Museums] 5 (1987), S. 103. 46 Marthef: Die Kultusgemeinde in Novi Sad. In: Israel, 2.10.1925, S. 1f.. 47 Das Jüdische Altersversorgungsheim in Osijek macht erfreuliche Fortschritte. In: Israel, 5.8.1927. 48 Vorwort. In: Jugoslavische Jüdische Rundschau, 11.10.1935, S. 1; Šosberger: Novosadski Jevreji, S. 110f. 49 Thoraweihefest in der Synagoge zu Novi Sad. In: Jugoslavische Jüdische Rundschau, 11.10.1935, S. 3; Dreifache Feier in Novi Sad. Einweihung der Dritten Synagoge, Rabbiner- und Gemeindenotärjubiläum am 8. September 1909. In: ebenda, 25.10.1935, S. 1; vgl. Novi Sad. An Overview of the Jewish Cultural Heritage. Novi Sad o. J., S. 8f. 50 König Alexander von Jugoslavien, 1888-1834. In: Jugoslavische Jüdische Rundschau, 11.10.1935, S. 1. SpiEgElungEn 2.22

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aufrichten.«51 In der dritten Nummer wurde der Reisebericht Nach Jerusalem von Ludwig August Frankl (Wien 1880) abgedruckt. DIE »JEVREJSKE noVInE / JüDISCHE ZEITunG« Vom 4. Mai 1935 erschien bis 1941 zunächst unregelmäßig und ab August 1941 wöchentlich freitags auf vier bis acht Seiten die Jevrejske Novine, ab dem 25. Oktober 1935 mit dem Untertitel Jüdische Zeitung. Sie war das Organ der Ortsgruppe des Bundes der Zionisten in Novi Sad beziehungsweise des Sekretariates des Bundes der Zionisten in der Vojvodina. Gedruckt wurde das Blatt bei Farkas und Delbrück. Als Herausgeber und Redakteur nennt das Impressum anfangs Nandor/Nándor Lustig, dann Alexander Hajdu, ab Ende 1935 Emil Königstädtler, sowie von Juli 1936 bis 1940 Martin Weltmann. 1940 wurde die Ortsgruppe der zionistischen Organisation der Vojvodina selbst zu Eigentümern der Zeitung, mit Nikola Fuchs als Redakteur; zu den Mitarbeitern zählten zeitweise auch Ernest Friedmann sowie von 1937 bis 1939 Cvi (Tibor) Locker.52 Ein Artikel von 1938 verstand die Zeitung und die zionistischen Aktivitäten in Novi Sad in Kontinuität zum Jüdischen Volksblatt und deren Herausgebern.53 Das Blatt war zweisprachig, überwiegend waren die Artikel jedoch auf Deutsch, einzelne Ausgaben erschienen nur auf Deutsch. Der Lage in Jugoslawien waren – soweit es nicht um jüdische Themen oder das Gemeindeleben ging54 – insgesamt nur relativ wenige Artikel gewidmet. Ein thematisches Anliegen von Jevrejske novine war es, auf die Radikalisierung des Antisemitismus, die vom nationalsozialistischen Deutschland ausging, auch in weiteren Staaten aufmerksam zu machen, so in Ungarn,55 Rumänien und Polen.56 Denn das Ziel, für das die Zeitung warb, war der Zionismus und die Auswanderung der europäischen Juden nach Israel angesichts ihrer fast überall prekär werdenden Lage. Positiv gewürdigt wurde vor allem die Rolle der USA;57 gegen Großbritannien richteten sich in Jugoslawien Protestversammlungen wegen der Einwanderungsbeschränkung in Palästina.58 Zumal 1936–1938 und erneut 1940/1941 fällt die dominante Berichterstattung über Erez Israel, auch auf den Titelseiten, besonders ins Auge: Themen dabei waren unter anderen die britische Mandatspolitik, Fragen der politischen und ökonomischen Entwicklung beziehungsweise des Landesausbaus und der Einwanderung59 sowie die Beziehungen zu den Arabern und bereits militärische Auseinandersetzungen.60 1940 lag der Zeitung das Magazin Palästina im Bilde bei.61 Vom radikalen Revisionismus der Jabotinsky-Richtung hatte man sich stets distanziert,62 vielleicht spiegelte sich das Selbstverständnis im von Joachim Stutschewsky verfassten Text »Musik 51 Jaum Hakipurim. In: Jugoslavische Jüdische Rundschau, 25.10.1935, S. 1; Nach Jerusalem, , 12.10.2022. 52 Šosberger: Novosadski jevreji, S. 109; Jevrejski Muzej: Jevrejska štampa na tlu Jugoslavije, S. 31; Albahari: Pregled jevrejske periodike, S. 49. 53 Blick auf zwanzig Jahre. In: Jevrejske novine, 31.3.1938. S. 4. 54 Jüdisches Volksleben in Novi Sad. In: Jevrejske novine, 27.10.1936, S.  2; Jüdisches Kulturleben in der Wojwodina. In: ebenda, 10.12.1937, S. 4; JRZ gegen Antisemitismus. In: Jevrejske novine, 11.3.1938, S. 1. 55 Die Wirkungen des ungarischen Judengesetzes. In: Jevrejske novine, 29.9.1939, S.  2; vgl. Slowakei. In: ebenda, 9.2.1940, S. 2. 56 Neue antijüdische Unruhewelle in Polen. In: Jevrejske novine, 3.9.1937, S. 3. 57 Die demokratische USA für die Politik des jüdischen Nationalheims. In: Jevrejske novine, 28.10.1938. 58 Protestversammlungen in Jugoslawien. In: Jevrejske novine, 16.9.1936, S. 2. 59 Die Errichtung von 13 Siedlungen in 3 Monaten. In: Jevrejske novine, 3.9.1937, S. 3. 60 Grosse Kämpfe in den Bergen von Galiläa. In: Jevrejske novine, 30.12.1937, S. 1; vgl. ebenda, 26.1.1940, S. 2. 61 Tel Aviv. Hauptstadt des jüdischen Palästina. In: Palästina im Bilde, 14.6.1940, S. 1. 62 Warum NICHT Revisionismus. In: Jevrejske novine, 15.8.1935, S. 4.

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und Volkstum«. Im Sinne des kulturellen Nationsverständnisses betonte er »in Zusammenhang mit den Ereignissen der letzten Zeit« den »deutlichen Trennungsstrich« zwischen einem Begriff nationaler Kunst und der »Rassentheorie«: So sei zum Beispiel die russische, tschechische oder polnischen Prägung von Musik relevant, nicht aber die »slawische« Herkunft der Komponisten.63 Unter der Überschrift »Unser Widerstand wird nie gebrochen werden!« warnte Jevrejske novine, dass der »Amoklauf« 1933 begann, doch »seine blutigsten Episoden stehen erst bevor«. Als Mittel des Widerstandes, nicht als Flucht, verstand Jevrejske novine den »Neuaufbau, das gelobte Land«.64 Fast noch »optimistisch« ging Jevrejske novine zum Beispiel am 8. November 1935 in zwei Artikeln punktuellen Vorbehalten gegen die Nazi-Politik nach, unter Reichswehr-Offizieren sowie aus wirtschaftlichen Gründen bei der Frankfurter Zeitung.65 Erst angesichts der Radikalisierung der Gewalt nach dem Anschluss 1938 nannte die Zeitung die Dimensionen in bis dahin vermiedener Offenheit und Schärfe, auch auf Titelseiten und in Schlagzeilen, beim Namen66 – bald auch im Rahmen ihrer Deutschland-Berichterstattung insgesamt.67 Damals trafen immer mehr jüdische Flüchtlinge aus dem Reich ein. Ihre Unterstützung durch die Gemeinde in Novi Sad wurde68 – da die Weiterreise per Schiff über die Donau seit Kriegsausbruch 1939 unmöglich war69 – zur Daueraufgabe, zum Beispiel im Fall der Wiener Juden in der Mühle in Šabac (dt. hist. Schabatz).70 Bald gab Jevrejske novine erste Informationen weiter über die »ungeheuren Blutopfer unter den Juden Polens«.71 Bemerkenswert war auch der Artikel »Hitlers Plan der Schaffung eines ›Jüdischen Reservats‹ im Kreis Lublin« (3. November 1939)«, der Berichte aus Wien und der westlichen Presse zusammenfasste. Die Glosse »Umsiedlung der Bevölkerung und Palästina« (15. November 1940) stellte bitter ironische Bezüge her zur Umsiedlung von Deutschen aus dem sowjetischen Machtbereich sowie zum Prinzip »Bevölkerungsaustausch« seit dem Lausanne-Vertrag  – wobei man beklagte, dass den Juden jedoch ihr Recht auf Bildung einer nationalen Heimstatt verwehrt blieb. »Während rings um uns Krieg und Mord wüten, sind wir bisher Gottlob [sic!] vom Schlimmsten verschont geblieben«, hieß es am 15. Februar 1941. Umso mehr gab es, so die Autoren, Anlass und »wahrlich äußersten Imperativ« beim Aufbau von Erez Israel mitzuarbeiten.72 1940 führte auch Jugoslawien im Bildungsbereich und Lebensmittelhandel antisemitische Gesetzesverordnungen ein. Emil Königstädtler brachte diese in Jevrejske novine mit Kampagnen der Belgrader Blätter Vreme und Balkan gegen sogenannte 63 Joachim Stutschewsky: Musik und Volkstum. In: Jevrejske novine, 15.12.1939, S. 4. 64 Unser Widerstand wird nie gebrochen werden. In: Jevrejske novine, 13.9.1940, S 3. 65 Kampf gegen tote Juden. Deutsche Reichswehr gegen Schändung der Toten. In: Jevrejske novine, 8.11.1935, S. 2; Völlige Enteignung der Juden in Deutschland. »Deutschland wird Schaden leiden« schreibt die Frankfurter Zeitung. In: ebenda, S. 4; vgl. Oberrabbiner Joachim Prinz aus Berlin in Jugoslawien. In: ebenda, S. 2 (u. a. Vortrag in Novi Sad). 66 Dachau und Wien – Zwei jüdische Höllen. In: Jevrejske novine, 17.6.1938, S. 4; Ein Zehntel der Wiener Bevölkerung zu Bettlern gemacht. In: ebenda, 8.7.1938, S. 2; als Einschnitt in Novi Sad: Interview Rosenberger. 67 Der Vernichtungsfeldzug gegen die Juden in Deutschland. In: Jevrejske novine, 6.5.1938, S. 2. 68 Die Juden und die jüdische Gemeinde in Novi Sad. In: Jevrejske novine, 22.9.1939, S. 2. 69 Das Schicksal der Flüchtlingsschiffe auf der Donau. In: Jevrejske novine, 29.12.1939, S. 1. 70 Report 1941. In: Jevrejske novine, 15.1.1941, S. 3; Interview Rosenberger. 71 Die Lage der Juden des ehemaligen Polens. In: Jevrejske novine, 20.10.1939, S. 2. 72 Im Dunkel der Gegenwart. In: Jevrejske novine, 15.1.1941, S. 3. SpiEgElungEn 2.22

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Lebensmittelspekulanten in Verbindung. Doch habe, spottete Königstädtler, die Vreme »kein Glück«, da die Zuordnung deutscher Familiennamen als jüdisch offenbar mitunter misslang: »Ein anderes mal veröffentlicht dasselbe Blatt in großer Aufmachung einen Bericht über den Zemuner Fleischhauer Schwarz, in der Meinung, dass es sich um einen jüdischen Spekulanten handelt.«73 Von der Kommentierung schwäbischer und deutschnationaler Aktivitäten in der unmittelbaren »Nachbarschaft« hielt sich Jevrejske Novine, wie ihre Vorgängerblätter, fern – auch als dort der Antisemitismus immer offener hervortrat. Eine Ausnahme war die Kontroverse Anfang 1940 zwischen den Zeitungen Deutsches Volksblatt und Volksruf. In dieser lebten die jahrelangen Konflikte zwischen der Leitung des Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes und den radikalen NS-Aktivisten (»Erneuerer«) noch einmal auf. Der Anlass war, dass das konservative Volksblatt, die Tageszeitung der Deutschen Jugoslawiens, nach wie vor jüdische Anzeigenkunden hatte und sich dies auch nicht verbieten lassen wollte, solange keine staatlichen Gesetze dagegensprachen. Die Unterstützung durch jüdische Anzeigenkunden war für das Volksblatt auch damals noch so wichtig, da sich dieses durch die Kampagne der »Erneuerer« in ihrer Existenz gefährdet sah. Jevrejske novine sprach dem Volksblatt für diese Worte Dank und Respekt aus, mit Blick auf das »Erneuerer«-Blatt Volksruf hieß es, man sehe jetzt, wieweit der Idealismus gewisser Antisemiten tatsächlich reiche – gemeint war, dass diese offenbar bereit waren, das Erscheinen des Volksblattes, um ihrer antisemitischen Ziele willen, in Frage zu stellen.74 EpIloG Die Ermordung der Juden Novi Sads während der »Razzia« im Januar 194275 erfolgte im jugoslawischen Vergleich relativ früh und nahm im ungarischen Fall den Holocaust um zwei Jahre vorweg. Er betraf eine Gruppe, die überwiegend ungarisch- und deutschsprachig war, also eine Minderheit, die Ungarn und Deutschland kulturell nahestand. Dies verbindet sich mit einer weiteren Auffälligkeit: Die Ermordung dieser Menschen fand inmitten einer Großstadt statt, trotz Ausgangssperre, in Hörweite einer breiten Öffentlichkeit. Dies geschah in Übereinstimmung mit dem Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten, bedeutet zugleich aber vor dem dargestellten Hintergrund eine Absage an das kultur- und vor allem sprachorientierte Volks- und Nationsverständnis, das sich im 19.  Jahrhundert in Deutschland und Ungarn zunächst verbreitet hatte. All dies spricht nicht dafür, den Antisemitismus als bloße, wenn auch sehr radikale Variante des bürgerlichen Nationalismus misszuverstehen. Gerade mit Blick auf die deutsche Sprache verweist das Beispiel der hier vorgestellten Zeitungen darüber hinaus aber auch auf andere, zumindest erweiterte Bedeutungen und Semantiken des Attributs »Deutschsprachigkeit« als soziales »Zeichen«  – jenseits der bekannten Diskurse um deutsche Minderheiten in ihren unterschiedlichen politischen Einfärbungen. Denn angesichts des vor 1914 bereits weitverbreiteten Bekenntnisses zur ungarischen Sprache sowie deren zunehmender Verwendung als 73 Lebensmittelspekulanten. In: Jevrejske novine, 3.10.1940, S. 2; Novi Sad. In: Loker (Hg.): Encyclopaedia of Jewish Communities, S. 190. 74 Ein Selbstbekenntnis des Deutschen Volksblattes. In: Jevrejske novine, 21.3.1940, S. 4; vgl. Bethke: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina, S. 408. 75 Árpád von Klimó: Remembering Cold Days: The 1942 Massacre of Novi Sad and Hungarian Politics and Society, 1942–1989. Pittsburgh 2018.

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BEthKE: dEutSchSpRachigE jüdiSchE ZEitungEn in nOvi Sad

Umgangs- und Muttersprache, war die Rückkehr zum Deutschen unter den Juden Novi Sads nach 1918 zwar markant und symbolträchtig – und wohl nicht nur pragmatisch begründet. Doch bedeutet ihr Gebrauch nicht eine starke Hinwendung zu den Deutschen (oder gar »Schwaben«) als Gruppe. Deutsch stand hier vielmehr für die Aufkündigung des zuvor hier ungarisch vorgeprägten Assimilationspfades, dies jedoch mit dem Ziel der »Rückkehr« zu einem genuin jüdischen Selbstbewusstsein.76 Allerdings weist dieser »Pfad« im Kontext der Vojvodina in der Tat einige strukturelle Gemeinsamkeiten auf mit dem deutsch-schwäbischen Nationalismus der 1920erJahre: Auch dieser war geprägt von der Abgrenzung zur bis dahin üblichen Assimilation in die ungarische Nation, was mit einer grundsätzlichen Anerkennung der Nachkriegsverhältnisse einherging, und diesem, wie im Fall der Zionisten, das Wohlwollen durch die Belgrader Regierungen ermöglichte. Die Geschichte der hier vorgestellten deutschsprachigen jüdischen Zeitungen Novi Sads ist bisher kaum bearbeitet worden: Einerseits blieb bei der Erforschung »deutscher Kultur und Geschichte im Osten Europas« die deutschsprachige jüdische Kultur und Geschichte aus unterschiedlichen Gründen oft außen vor; für bestimmte Regionen gilt dieses Defizit für städtische Lebenswelten und Milieus überhaupt. Jedoch hat sich auch die jugoslawische Historiographie diesen Quellen nicht zugewandt, zumal insoweit diese sprachlich nicht zugänglich waren, vielleicht auch weil Zionismus im sozialistischen Jugoslawien nicht geschätzt wurde. In diesem Bereich sind künftig sicher noch viele interessante Forschungen durchführbar.

DR. caRl BetHke war wissenschaftlicher mitarbeiter an der Freien universität Berlin (1999– 2007), akademischer Rat an der universität leipzig (2007–2011) und BKm-Juniorprofessor für Geschichte und Kultur der Deutschen im osten Europas an der universität Tübingen (2012– 2017). Von 2018 bis 2022 führte er ein Forschungsprojekt an der universität leipzig durch. Er war einer der Kuratoren der Sonderausstellung Flucht, Vertreibung, Versöhnung am Deutschen Historischen museum in Berlin. Zudem ist er autor und Herausgeber zahlreicher Bücher und aufsätze über minderheiten sowie über Sprachenvielfalt in Südosteuropa.

76 Péter Varga: Man sprach Deutsch und fühlte nicht magyarisch. Deutsch-jüdische Assimilationsprozesse in Autobiographien ungarischer Juden, , 10.10.2022. SpiEgElungEn 2.22

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Aufsätze

Geschichte – historische Wahrnehmung – Historiografie Zur Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit der ersten westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen Von Adinel C. Dincă1

auSGanGSlaGE 1905 führte eine interdisziplinäre wissenschaftliche Expedition – damals »Fahrt in die Heimat der Ahnen«2 genannt  – eine Gruppe siebenbürgischer Gelehrter, die unter anderem lokale Dialekte der deutschen Sprache erforschten, in den Westen des europäischen Kontinents, nach Luxemburg,3 auf der Suche nach dem Ursprung der »sächsischen« Gemeinschaften in Siebenbürgen. Dieses Gefühl des gemeinsamen Ursprungs ist auch ein Jahrhundert später noch virulent: Luxemburg und Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszében) begründeten ihre Doppel-Bewerbung um den Titel »Kulturhauptstadt Europas 2007« mit ihren gemeinsamen mittelalterlichen Ursprüngen – ein starkes Argument, das nach Einschätzung der Kommission der Europäischen Union letztlich die Grundlage für die spätere Zusammenarbeit bildete.4 Der kulturpolitische

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Die vorliegende Studie entstand im Rahmen des Projekts UEFISCDI, cod PN-III-CEI-BIM-PBE-20200024: »›Migrația inversată‹: coloniștii valoni din Transilvania medievală și identitatea lor culturală (secolele XII–XIV)« [Die ‚umgekehrte Migration‘. Walonische Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen und ihre kulturelle Identität (12.–14.  Jahrhundert)], (2021–2022). Mein Dank gilt Prof.  Dr. Konrad Gündisch für zahlreiche Anregungen zu einer Kurzfassung dieses Textes. Wolfgang Dahmen, Johannes Kramer: Ein fruchtbarer wissenschaftlicher Irrweg: Die Herkunft der Siebenbürger Sachsen aus Luxemburg. In: Wolfgang Dahmen (Hg.): Germanisch und Romanisch in Belgien und Luxemburg. In: Romanistisches Kolloquium VI. Tübingen 1992, S. 84–97. Heute das Großfürstentum Luxemburg, das sich 1815 aufgrund der Beschlüsse des Wiener Kongresses konstituiert hat und 1839 durch die Abgabe seiner französischsprachigen Gebiete an Belgien ein sprachlich homogener Staat geworden ist. Monica Stroe: Sibiu, European Capital of Culture 2007. Saxonness as a Romanian Cultural Brand. In: Susanne Küchler, László Kürti (Hgg.): Every Day’s a Festival. Diversity on Show. Wantage UK 2011, S. 83–112; dies.: Sibiu, Capitală Europeană a Culturii 2007. Germanitatea sașilor ca brand cultural românesc [Hermannstadt, Kulturhauptstadt Europas 2007. Das Deutschsein der Sachsen als rumänisches kulturelles Markenzeichen]. In: Ovidiu Oltean, Remus Gabriel Anghel, Christian Schuster (Hgg.): Reinventând germanitatea. Etnicizare, mobilitate și împrumut cultural la marginea Europei [Die Wiederentdeckung des Deutschseins. Ethnisierung, Mobilität und kulturelle Entlehnung am Rande Europas]. București 2017, S. 69–98.

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Vorwand, dessen historischer Hintergrund von Seiten der Wissenschaft bald nuanciert und abgemildert wurde,5 rückte den Mythos von der »Urheimat« der Siebenbürger Deutschen wieder in den Vordergrund und eröffnete auf internationaler Ebene eine neue Diskussion über die ethnische Zugehörigkeit und die Herkunft der ersten westlichen Siedlergruppen im mittelalterlichen Siebenbürgen. Werke, die auf historische Primärquellen – sowohl schriftliche als auch Artefakte der materiellen Kultur – rekurrieren, und deren Wahrnehmung durch moderne Ausgaben, Übersetzungen oder selektive Synthesen oder Interpretationen vermittelt wird, die sich aus der idealisierten Erinnerung an historische Ereignisse ergeben, beanspruchen eine Lesernische, die zwischen streng wissenschaftlichen Studien und Belletristik angesiedelt ist, bei der historische oder phantastische Romane mit geschichtlichem Bezug in letzter Zeit immer beliebter werden.6 Obwohl die akademische Welt dieses Problem schon seit mehreren Jahrzehnten als geklärt betrachtet, hat die Frage nach der Herkunft der Siedler, die sich zuerst in der Hermannstädter Gegend und dann (ohne genaue chronologische Anhaltspunkte) im Burzenland (rum. Țara Bârsei, ung. Barcaság), zwischen der Großen und der Kleinen Kokel (rum. Târnava Mare/Mică, ung. Nagy-/Kis-Küküllő) und dem Gebiet um Bistritz (rum. Bistrița, ung. Besztercze) niedergelassen haben, die breite Öffentlichkeit vor allem seit 2007 fasziniert: Eine Vielzahl von Amateur- oder Gelegenheits-Historikern,7 die mehr oder weniger mit der tatsächlichen Forschung vertraut sind, haben die Thematik voller Begeisterung als Neuentdeckung präsentiert.8 Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Eine solche fantasiereiche Veröffentlichung veranlasste beispielsweise Harald Zimmermann (1926–2020) zu einem entschiedenen Widerspruch, einen Historiker, der unter den europäischen Mediävisten vor allem wegen seiner präzisen kritischen Editionen und Interpretationen hoch geschätzt wird, die sich streng auf sorgfältig analysierte Primärquellen stützen. Der 5 6 7

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Fernand Fehlen: La Colonisation de la Transylvanie par les Luxembourgeois – ou l’Invention d’un Passé Commun. In: Transilvania 8–9 (2007), S. 25–29. Siehe Dana Percec u. a (Hgg.): O poveste de succes. Romanul istoric astăzi [Eine Erfolgsgeschichte. Der historische Roman heute]. Timişoara 2011; Adriana-Ana Mureşan, Liliana Bărăscu: Romanul istoric în literatura universală [Der historische Roman in der Weltliteratur]. Cluj-Napoca 2016. Neben zahlreichen anderen der Gymnasiallehrer und Illustrator Jean-Paul Van der Elst sowie der Neurologe und Kunsthistoriker Jan De Maere. Ersterer ist Autor eines Buches mit dem Titel: De Lage Landen in Transsylvanië. Nederlanders, Vlamingen en Walen in de kolonisering van Transsylvanië. Merchtem, 2013, sowie zahlreicher Artikel in rumänischen Periodika. Der Zweiter, der sich eher beiläufig für historische Themen interessiert, hat 2013 folgenden Essay veröffentlicht: »Flandrenses, Milites et Hospites«. A History of Transylvania, , 4.3.2022. Siehe auch die Veröffentlichungen des unabhängigen Forschers Pierrot Frisch: Auswanderung zwischen Rhein und Maas nach Siebenbürgen. Sibiu 2005; ders.: Casa regală arpadiană din Ungaria și dinastia conților din Vianden în perioada 1205–1250. Colonizarea Transilvaniei [Das Königshaus der Arpáden in Ungarn und die Grafendynastie von Vianden 1205–1250. Die Besiedlung Siebenbürgens]. In: Transilvania 8–9 (2007) S. 57–72 (deutsch S. 30–56). Ein anderer Laie, mit theologischer und historischer Spezialisierung, der jedoch seit den 1980er-Jahren als Journalist arbeitet und sich in zahlreichen Publikationen zu diesem Thema geäußert hat, ist Wilhelm Andreas Baumgärtner: Der vergessene Weg. Wie die Sachsen nach Siebenbürgen kamen. Sibiu 2007; ders.: Eine Welt im Aufbruch. Die Siebenbürger Sachsen im Spätmittelalter. Sibiu 2008. Der Autor betont in den Vorworten zu seinen Büchern, es gehe ihm nicht um wissenschaftliche Studien für Fachleute, vielmehr um die Popularisierung historischer Ereignisse in einer flüssigen Sprache und einer für die breite Öffentlichkeit leicht verständlichen Form. Die jüngste Wiederaufnahme des Themas der Ursprünge der westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen und eine kritische, aber die Quellenlage außeracht lassende Synthese der Geschichtsschreibung zu diesem Thema stammt von Otto Weber: Die Herkunft der Siebenbürger Sachsen. München 2018. Jean-Paul Van der Elst: The Low Countries in Transylvania. The Dutch, the Flemings and the Walloons in the History of Transylvania (11th–12th–13th century). In: Transilvania 3 (2013), S. 37–43, hier: S. 37.

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renommierte Mediävist mit siebenbürgischen Wurzeln,9 der in ständigem Austausch mit dem akademischen Leben und den Historikern in Rumänien stand,10 hat die vom Chemiker und Ethnografen Horst Klusch (1927–2014) vorgebrachten Argumente zur frühen Ansiedlung der Sachsen auf siebenbürgischem Gebiet dekonstruiert und aufgezeigt,11 dass dieser Autor die dokumentarischen Belege ignoriert und die meisten Informationen aus dem veröffentlichten Archivmaterial falsch interpretiert hat. Abgesehen von den erwähnten Unzulänglichkeiten, veranschaulicht dessen Arbeitsweise, die die Produkte und Ansichten begeisterter Amateure weiter angeregt hat, den verführerischen Charakter des Themas für die breite Öffentlichkeit, indem sie zwei etwa 2000 Kilometer weit voneinander entfernte Punkte auf der Landkarte Europas miteinander verbindet: die historische Provinz Siebenbürgen und das RheinMosel-Gebiet, eine Region, deren Teile sich heute auf Deutschland, die Niederlande, Belgien und Luxemburg erstrecken. Der vorliegende Beitrag, der eine Überprüfung vorschlägt, versteht sich als notweniges Plädoyer für eine methodische Neuausrichtung bei der Beurteilung der ethnischen Zugehörigkeit und Herkunft der ersten westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen, indem verschiedene Arten von Quellen intensiv befragt und der Dialog zwischen älteren oder neueren Forschungen in Rumänien und insbesondere in Europa besser miteinander abgestimmt werden. Es geht also keineswegs um eine erschöpfende, kritische »Autopsie« der einschlägigen Historiografie, vielmehr darum, selektiv jene historiografischen Topoi aufzugreifen, die im akademischen Diskurs erstarrt sind, weil sie durch parahistorische Plädoyers im kulturpolitischen oder künstlerischen Raum fehlgeleitet wurden. Die Forschungsperspektiven, die bei dieser Gelegenheit vorgeschlagen werden, um die wiederholte Blockade von Quellen und Interpretationen zu überwinden, umfassen ein breites Spektrum an methodischen Fragen, die sowohl die materielle Kultur – die Schaffung, die Verwendung und den Austausch von Objekten – als auch Verhaltensweisen betreffen – Normen und Rituale, die die Menschen hervorgebracht und an denen sie teilgenommen haben, sprachliche Elemente wie Anthroponyme, Toponyme und Dialekt, kirchliche Einrichtungen (Pfarrkirchen und klösterliche Strukturen, Heiligenverehrung und Liturgie) – als auch sozioökonomische und institutionelle Zusammenschlüsse oder der Gruppenzusammenhalt. HISToRIoGRaFIE Die heutigen, in ost-westlicher Richtung verlaufenden europäischen Tendenzen der Arbeitsmigration werden in der Öffentlichkeit in komplexen Debatten thematisiert, die kontrovers diskutierte Fragen nach temporärer und zirkulärer Mobilität, sozia-

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Harald Zimmermann (Hg.): Franz Zimmermann: Zeitbuch. Autobiographische Aufzeichnungen eines Hermannstädter Archivars (1875–1925). Köln u. a. 2013; Konrad Gündisch: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult Harald Zimmermann (1926-2020). In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 43 (2020), S. 215–216.) 10 Harald Zimmermann: Gegen neue siebenbürgische Geschichtstheorien. Eine Stellungnahme zu Horst Klusch. In: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 54 (2011), S. 168–180, hier: S. 180: »Natürlich soll niemandem verboten werden, sich aufgrund anderer ›Informationsquellen‹ sein Geschichtsbild mehr oder weniger phantasievoll auszuschmücken, aber das sollte dann nicht als ›Forschung‹ und ›Wissenschaft‹ ausgegeben werden.« Mit einer ähnlichen Mahnung wandte sich der Theologe und Germanist Karl Kurt Klein († 1971) in den 1930er-Jahren gegen wissenschaftlich unbelegte Behauptungen seiner Zeitgenossen: »Aus vorgefassten ›Theorien‹, zu deren Untermauerung dann ›Tatsachenmaterial‹ geliefert wird, entstehen die berüchtigten Geschichtslegenden.«; ders.: Geschichtswissenschaft und naturwissenschaftliche Pseudohistorie. In: Siebenbürgische Vierteljahrsschrift 55 (1932) H. 4, S. 324. 11 Horst Klusch: Zur Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen. București 2001. SpiEgElungEn 2.22

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ler Sicherheit, Grenzmanagement, Solidarität und kultureller Identität aufwerfen.12 Vor etwa 900 Jahren verlief das gleiche Phänomen hingegen in entgegengesetzter Richtung: Das Fachwissen über Bau- und Landgewinnungstechniken, die für den Städtebau und die Befestigungen entlang der neuen Handels- oder Kreuzzugsrouten benötigt wurden, sowie die Erfahrungen mit der Verwaltung kirchlicher Institutionen, die in einem neu christianisierten Land unerlässlich waren, führten zu einer Bevölkerungsverlagerung in die östlichen Randgebiete des lateinischen Europas von der Rigaer Bucht bis zu den Karpaten,13 also in reiche, aber gefährdete Regionen mit geringerer Bevölkerungsdichte. Diese Siedler, die hauptsächlich, aber nicht ausschließlich aus dem deutschen Sprachraum kamen, genossen weitreichende steuerliche und rechtliche Immunitäten sowohl weltlicher als auch kirchlicher Art, die ihnen die lokalen Herrscher gewährten und ihnen somit attraktive Bedingungen für ein besseres Leben anboten, um ihre Eingewöhnung in ihrer neuen Heimat zu erleichtern. Eine solche »Baustelle«, ein Gebiet, das erst entdeckt und ausgebaut wurde, war Siebenbürgen, die »terra ultra/trans silvam« oder »das Land jenseits des Waldes«, wie es in einer Urkunde aus dem späten 11. Jahrhundert genannt wird,14 damals eine neue und noch unsichere Gebietserweiterung des Königreichs Ungarn, deren Name ebenfalls eine West-Ost-Perspektive verrät. Die Ausdehnung des politischen Raums Siebenbürgens und seine Einbindung in den Entstehungsprozess des lateinischen Europas15 wird erst in den letzten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts genauer festgelegt, als der erste königliche Beamte, ein Verwaltungs- und Militärbefehlshaber der Provinz, Wojwode (rum. voievod) genannt, in den Quellen erwähnt wird (»Leustachius voy12 Die Bibliografie zu diesem Thema würde den Umfang dieses Artikels sprengen. Zum Phänomen der Einwanderung im mittelalterlichen Ungarn siehe allgemein Jörg Hackmann, Christian Lübke: Die mittelalterliche Ostsiedlung in der deutschen Geschichtswissenschaft. In: Jan M. Piskorski (Hg.): Historiographical Approaches to Medieval Colonization of East Central Europe. New York 2002, S. 179–217; Nora Berend: Immigrants and Locals in Medieval Hungary. 1lth–13th  Centuries. In: Klaus Herbers, Nikolas Jaspert (Hgg.): Grenzräume und Grenzüberschreitungen im Vergleich. Der Osten und der Westen des mittelalterlichen Lateineuropa. Berlin 2007, S.  205–218; István Petrovic: Foreign Ethnic Groups in the Towns of Southern Hungary. In: Derek Keene, Balázs Nagy, Katalin Szende (Hgg.): Segregation  – Integration  – Assimilation. Religious and Ethnic Groups in the Medieval Towns of Central and Eastern Europe. Farnham 2009, S. 67–88; Christian Lübke: Östliches Europa (Kolonisationen). In: Michael Borgolte (Hg.): Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch. Berlin, Boston 2014, S. 181–192. 13 Harald Zimmermann: Die deutsch-ungarischen Beziehungen in der Mitte des 12.  Jahrhunderts und die Berufung der Siebenbuerger Sachsen. In: Konrad Gündisch (Hg.): Siebenbürgen und seine Hospites Theutonici. Vorträge und Forschungen zur südostdeutschen Geschichte. Wien, Köln 1996, S.  83–101; Konrad  G. Gündisch: »Saxones« im Bergbau von Siebenbürgen, Bosnien und Serbien. In: Gerhard Grimm, Krista Zach (Hgg.): Die Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa. Geschichte, Wirtschaft, Recht, Sprache. Band 2. München 1996, S. 119–132; Martyn Rady: The German Settlement in Central and Eastern Europe during the High Middle Ages. In: Roger Bartlett, Karen Schonwalder (Hgg.): The German Lands and Eastern Europe. Essays on the History of their Social, Cultural and Political Relations. New York 1999, S.  11–47; Miloš Marek: Románske obyvateľstvo na Slovensku v stredoveku (Valóni, Francúzi, Taliani, Španieli) [Die romanische Bevölkerung der Slowakei im Mittelalter (Wallonen, Franzosen, Italiener, Spanier‘)]. In: Historický časopis 52 (2004) H. 4, S. 601–630; René Richtscheid: Motive zur Auswanderung ins Arpadenreich nach lotharingischen Quellen. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde  27 (2004) H. 1, S. 1–14; Enno Bünz: Die Rolle der Niederländer in der Ostsiedlung. In: ders. (Hg.): Ostsiedlung und Landesausbau in Sachsen. Die Kührener Urkunde von 1154 und ihr historisches Umfeld. Leipzig 2008, S.  95–142; Andrea Fara: La formazione di un’economia di frontiera. La Transilvania tra il XII e il XIV secolo. Napoli 2010, hier: S. 59–106. 14 Documente privind Istoria României. Seria C. Transilvania, Veacul XI, XII și XIII [Quellen zur Geschichte Rumäniens. Reihe C. Siebenbürgen. 11., 12. und 13. Jahrhundert]. Band 1. București 1951, Dok. 1. 15 Robert Bartlett: The Making of Europe. Conquest, Colonization and Cultural Change 950–1350. London 2003; John Hudson, Sally Crumplin (Hgg.): »The Making of Europe«. Essays in Honour of Robert Bartlett. Leiden, Boston 2016.

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voda«, 1174).16 Die komplexe kulturelle, soziale und politische Geschichte dieses Gebiets, die mit der Herrschaft der ungarischen Krone (bis 1526), dem osmanischen Protektorat (bis 1699), der habsburgischen und später der österreichisch-ungarischen Herrschaft (bis zum Ersten Weltkrieg) und dem heutigen rumänischen Staat zusammen mit den historischen Provinzen Walachei und Moldau verbunden ist, hat im Laufe der Jahrhunderte den perfekten Schmelztiegel für den Ausdruck kultureller Identitäten in Form von sprachlicher und konfessioneller Pluralität geschaffen. Die erste Welle »königlicher Gäste« (»hospites regni«) betraf etwa 500–520 wallonische, flämische und deutsche Familien aus den Diözesen Lüttich, Trier und Köln, die heute in in Luxemburg, Belgien, den Niederlanden und Westdeutschland liegen. Sie wurden während der Regierungszeit von König Géza II. von Ungarn (1141–1162) eingeladen, sich den verschiedenen Gruppen von Provinzbewohnern anzuschließen.17 Unter der Führung von – in anderen Siedlungsgebieten, etwa in Schlesien so genannten  – Lokatoren (»locatores«) zogen sie los und ließen sich im südlichen Siebenbürgen, im südlichen Siebenbürgen zwischen Broos (rum. Orăştie, ung. Szászváros), Draas (rum. Drăuşeni, ung. Homoróddaróc) und Boralth (rum. Baraolt, ung. Bárot) mit dem Vorort Hermannstadt, während eines Zeitfensters nieder, das von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum Beginn des darauf folgenden Jahrhunderts reichte und offenkundig in mehreren Phasen stattfand.18 Eine zweite kompakte flämische und wallonische Gruppe scheint mit einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Klosterlandschaft der Region verbunden zu sein, der Abtei von Kerz (rum. Cârța, ung. Kerc)19, einer Zisterziensergründung, aber auch indirekt mit Elementen des Deutschen Ordens im benachbarten Burzenland.20 Die Anwesenheit germanischer (»Theutonici«, später »Saxones«), flämischer (»Flandrenses«) und »lateinischer«/»wallonischer« (»Latini«)21 Siedler wird in päpstlichen und königlichen ungarischen Quellen bereits Ende des 12. Jahrhunderts und in 16 Documente privind Istoria României. Seria  C. Transilvania, Veacul  XI, XII și XIII. Band  1, Dok.  202; Zsigmond Jakó: Codex Diplomaticus Transsylvaniae. Diplomata, epistolae et alia instrumenta litteraria res Transsylvanas illustrantia / Erdélyi Okmánytár. Oklevelek, levelek és más írásos emlékek Erdély történetéhez. Band 1. Budapest 1997, Nr. 12. 17 Konrad  Gündisch, unter Mitarbeit von Mathias Beer: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen. München 22005 S. 28–46. 18 Franz Zimmermann, Carl Werner, Georg Müller (Hgg.): Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Band 1, 1191–1342. Hermannstadt 1892, Dok. 2: »priores … omnes … alii Flandrenses«. 19 Beatrix Romhányi: The Role of Cistercians in Medieval Hungary. Political Activity of Internal Colonization? In: Annual of Medieval Studies at the CEU, 1993–1994, S. 200–204. Eine moderne Perspektive zu diesem Thema: Adinel C. Dincă, Chris Schabel: The Cistercian Mission in Transylvania. In: Frankokratia 2 (2021), S. 31–62. 20 Harald Zimmermann: Der Deutsche Orden im Burzenland. Eine diplomatische Untersuchung. Köln, Weimar, Wien 22011; Adrian Ioniţă u. a.: Feldioara – Marienburg. Contribuţii arheologice la istoria Ţării Bârsei / Archäologische Beiträge zur Geschichte des Burzenlandes. Bucureşti 2004; Konrad  Gündisch (Hg.): Generalprobe Burzenland. Neue Forschungen zur Geschichte des Deutschen Ordens in Siebenbürgen und im Banat. Köln, Weimar, Wien 2013. Eine ausführlichere Erörterung bei Erik Fügedi: La formation des villes et les ordres mendiants en Hongrie. In: Annales. Economies, sociétés, civilisations 25 (1970) H. 4, S.  966–987; Harald Roth: Kronstadt  – eine Gründung des Deutschen Ordens? In: Gündisch (Hg.): Generalprobe Burzenland, S. 99–106, v. a. S. 102–104. 21 Die Bedeutung des Begriffs »Latinus, -i« erweist sich als problematisch, da die meisten Autoren von der Hypothese des wallonischen (romanischen) Ethnikums des »Johannes Latinus« aus Heltau (rum. Cisnădie, ung. Nagydisznód) zu Beginn des 13. Jahrhunderts ausgehen. Andere deuten »lateinisch« als »italienisch«, siehe Rady, The German Settlement in Central and Eastern Europe during the High Middle Ages, S. 42, Anm. 13: »This Johannes was clearly an Italian as the names of both his son and grandson, Corrado and Gianino respectively, suggest.« Siehe das Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Band 1. Dok. 15, Dok. 16, Dok. 63, Dok. 89. SpiEgElungEn 2.22

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den ersten Jahrzehnten nach 1200 erwähnt.22 Diese (vermutlich) ethnisch und sprachlich getrennten Gruppen bildeten die Grundlage für die Identitätskonstruktion der »Siebenbürger Deutschen«, die heute unter dem Namen »Sachsen« bekannt sind. Der Begriff »Saxones« bezog sich im Mittelalter jedoch auf einen rechtlich privilegierten Status, ohne notwendigerweise eine ethnische Zugehörigkeit zu implizieren. Die in dieser Zeit gegründeten Siedlungen wurden allmählich deutschsprachig, und in einem langen nachmittelalterlichen, auch ideologisch mitgeprägten Selbstfindungsprozess entwickelte sich das Bewusstsein einer »einfarbigen«23 ethnischen Zugehörigkeit der Siebenbürger Sachsen, mit einer kollektiven Identität, die sich nach der Mitte des 16. Jahrhunderts um die lutherische Kirche und insbesondere nach der Bekräftigung des Nationalgefühls im 19. Jahrhundert herausbildete. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach drei Jahrzehnten Forschung zu diesem Thema, konnte Karl Kurt Klein (1897–1971) konstatieren, dass die Siebenbürger Sachsen weder einen homogenen Ursprung, eine (einzige) Urheimat noch eine lineare Sprachentwicklung hatten.24 Kleins Forschungen sowie die von den Archäologen Kurt Horedt (1914–1991)25 und Thomas Nägler (1939–2011)26 aufgedeckten und ausgewerteten materiellen Zeugnisse werden in den neueren Zusammenfassungen einer reichhaltigen Geschichtsschreibung, die auf leicht zugängliche Schlussfolgerungen erpicht ist, immer noch als »status quaestionis« zitiert,27 obwohl sowohl die 22 Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Band 1, Dok. 1, Dok. 2, Dok. 5, Dok. 15, Dok. 16, Dok. 17, Dok. 43. 23 Ein früher Beleg für diese Denkweise findet sich bei Valentin Franck von Franckenstein: Bericht über die Herkunft der Einwohner, insbesondere der Sachsen, in Siebenbürgen, Hermannstadt 1696, dann von Georg Jeremias Haner: Königliches Siebenbürgen, Erlangen 1763, weiterentwickelt und nuanciert erst dann vom deutschen Historiker August Ludwig von Schlözer aufgegriffen und bekannter gemacht: Kritische Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. 3 Bände. Göttingen 1795–1797, v. a. in Band 3 (1797), S. 209, wo die in den Quellen genannten »Flandrenses«, »Theutonici« und »Saxones« als »Deutsche« bezeichnet werden, die »Latini« hingegen als »Italiener«. Siehe auch Ioan Lupaș: 50 butelii vin de Tokay pentru o istorie a Sașilor ardeleni [50 Flaschen Tokayer für eine Geschichte der Siebenbürger Sachsen]. In: Anuarul Institutului de Istorie Națională 5 (1928–1930), S. 468–470. Eine ähnliche Erklärung auch bei Nicolae Iorga: Ce sînt și ce vor sașii din Ardeal [Was die Siebenbürger Sachsen sind und was sie wollen]. București 1919, S. 11: »Sașii sînt o ginte germană… își trag obîrșia din ginta germană a Franconilor-de-Mijloc.« [Die Sachsen sind ein deutscher Stamm… sie leiten ihren Ursprung vom deutschen Stamm der mittleren Franken ab.]. Die rumänische Volkszählung von 1930 betrachtete die deutsche Minderheit als muttersprachliche Einheit mit ca. 745.000 Menschen; siehe das Cuvânt introductiv [Einführungswort] der Herausgeber zu Mathias Beer, Sorin Radu, Florian Kührer-Wielach (Hgg.): Germanii din România: migrație și patrimoniu cultural după 1945 [Deutsche in Rumänien. Migration und kulturelles Erbe nach 1945]. București 2019, S.  11. Siehe auch James Koranyi: Migrating Memories. Romanian Germans in Modern Europe. Cambridge 2021, S. 22–62. 24 Ein Überblick der Werke zum Ursprung und zur Ansiedlung der Sachsen bei Klaus Popa: Karl Kurt Klein und die Problematik der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen, , 12.3.2022. 25 Kurt Horedt: Siebenbürgen im Frühmittelalter. Bonn 1986; ders.: Das frühmittelalterliche Siebenbürgen. Innsbruck 1988. 26 Thomas Nägler: Așezarea sașilor în: Transilvania. București 1981 (auch in deutscher Sprache: Die Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen. Bukarest 1979); ders.: Românii și sașii până la 1848 (Relații economice, sociale și politice) [Rumänen und Sachsen bis 1848 (wirtschaftliche, soziale und politische Beziehungen)]. Sibiu 1997. 27 Unter anderen Florin Curta: Eastern Europe in the Middle Ages (500–1300). Leiden 2019, S. 378–379; Fritz Mitthof, Peter Schreiner; Oliver Jens Schmitt (Hgg.): Handbuch zur Geschichte Südosteuropas. Band 1. Berlin 2020, S. 764–765; Ulrich A. Wien (Hg.): Crossing Borders – Impact of Reformation in Transylvania since the 1520s. Diversity of Faith and Religious Freedom in the Ottoman Zone of Influence. Göttingen 2022, »Introduction«, S. 15–52. In seiner Rezension zur Arbeit von Nora Berend: The Expansion of Central Europe in the Middle Ages. Farnham, Burlington 2012, unterstrich Florin Curta die geringe Zahl der zitierten Werke im Kapitel zu Transsilvanien: »Conspicuously missing are any studies about ›Germans‹ in the Kingdom of Hungary, particularly in Transylvania… Perhaps this would have offered a much-needed

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Interpretation mittelalterlicher Texte als auch moderne Methoden im Bereich der Linguistik und Toponymie und neuere archäologische Entdeckungen die Aussagen von vor zwei oder drei Generationen relativieren können. GESCHICHTSDEuTunGEn Historiografische Theorien zur Herkunft der westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen reichen bis weit in die Frühe Neuzeit zurück. Fonetische Übereinstimmungen zwischen siebenbürgischen Toponymen und verschiedenen Zeichen, die in mittelalterlichen Inschriften oder Orten im westeuropäischen Raum erwähnt werden, spielten eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung von imaginären Beziehungen.28 Sogar die Etymologie des deutschen Provinznamens »Siebenbürgen« (übersetzt aus dem lateinischen »Septem castra«29), wurde im Laufe der Zeit mit »Zevenbergen« in den südlichen Niederlanden verwechselt, ein Irrtum, der dazu führte, dass »Maximilian van Sevenbergen« (†  1538)  – Autor der ersten Beschreibung der MagellanReisen30  – in Texten aus dem 16.  Jahrhunderts als »Maximilianus Transylvanus« geführt wurde. Diese Ungenauigkeit, die auch von Zeitgenossen wie Nicolaus Olahus unterstützt wurde, der ihn in einem Brief von 1534 mit emotionalem Nachdruck als »noster Maximilianus Transylvanus«31 titulierte, hat über die Jahrhunderte ihren verführerischen Beigeschmack behalten und wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg wissenschaftlich richtiggestellt.32 Zeitgenössische Berichte über die Ereignisse erwähnen Personen, die vom Niederrhein ins ungarische Königreich zogen. Die am häufigsten genannten Namen sind Anselm de Braz aus der Gegend von Lüttich (frz. Liège, fläm. Luik) im Jahr 1103 und

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corrective to such stubborn myths as that uncritically reproduced by Martyn Rady…«. In: Canadian Slavonic Papers / Revue canadienne des slavistes 55 (2013) H. 3–4, S. 525–526. Dieses Argument liegt übrigens allen Annahmen über die Verwandtschaft des sächsischen Dialekts mit verschiedenen anderen »Sprachinseln« in Westeuropa zugrunde; es wird in der Wissenschaft immer noch mit einer gewissen Zurückhaltung akzeptiert. Siehe Magda Devos: Naamkunde [Onomastica]. In: Jan Art (Hg.): Hoe schrijf ik de geschiedenis van mijn gemeente? Deel 3a: Hulpwetenschappen. Gent 1995, S. 215– 277; Éva Kovács: Toponymic Findings in Latin-language Medieval Hungarian Charters. Classification, Structural and Motivational Features In: Voprosy onomastiki/Problems of Onomastics  16 (2019) H.  4, S. 123–133. »1242: Eodem anno Tartari in Ungaria, terra scilicet Septem castrorum, civitatem dictam Hermanii villam in Aprili expugnantes, usque ad centum ibi peremerunt…«. Monumenta Germaniae Historica. SS  XVI. Hannover 1859, S. 34; »1285: Eodem anno Tarthari terram Ungarie que dicitur Septemcastris, intraverunt et multos christianos captivaverunt et occiderunt.« Monumenta Germaniae Historica. SS XIX. Hannover 1866, S. 684; »1296: maister Dietrich von Siebenburgen«. Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Band  1, Dok.  273. Eine ausführliche Erörterung bei Hans Meschendörfer: Siebenbürger. Der Name und seine Träger in Europa vom 13. bis 17. Jahrhundert. Heidelberg, Hermannstadt 2001. De Moluccis Insulis. Erstausgabe 1523. Arnold Ipoly: Oláh Miklós levelezése [Die Korrespondenz von Nicolaus Olahus]. In: Monumenta Hungariae Historica. Diplomataria. Band 25. Budapest 1875, S. 452. René Goffin: Van Sevenbergen. L’humaniste Transilvain était belge. In: Brabantica 3 (1958) H. 2, S. 171– 174. Siehe auch Gilbert Tournoy: Il primo viaggio intorno al mondo de Magellano nella relazione di Massimiliano Transilvano. In: Camoenae Hungaricae 2 (2005), S. 79–92. Neuere Literatur zum Thema: Anne Rolet, Stéphane Rollet: De la quête d’Orphée à la naissance d’Athéna, sous le regard de la divina sophia. Essai d’interprétation symbolique du décor de façade du palais de Maximilien Transsylvain à Bruxelles. In: Humanistica Lovaniensia 60 (2011), S. 161–193, hier: S. 162, Anm. 1, und István Rákóczi: Texto e paratextos à volta da viagem de Fernão de Magalhães: Maximilianus Transilvanus. In: Lapo Casetti, Michela Graziani, Salomé Vuelta García (Hgg.): Nel segno di Magellano tra terra e cielo: Il viaggio nelle arti umanistiche e scientifiche di lingua portoghese e di altre culture europee in un’ottica interculturale. Firenze 2021, S. 103– 117, besonders S. 105.

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Hezelo aus der Nähe von Merkstein im Jahr 1148.33 Aufgrund der offensichtlichen etymologischen Beziehung zwischen »Braz« und »Broos«, dem deutschen Namen der Stadt Orăștie, wurde angenommen, dass Anselm sich dort niedergelassen hätte,34 während Hezelo den Ort Hetzeldorf (rum. Ațel) gegründet habe. Diese Theorien wurden bald widerlegt,35 aber für Geschichtsinteressierte bleibt die Versuchung bestehen, die ersten Siebenbürger Sachsen mit den Namen von Orten in ihrer Heimatregion oder denen ihrer angeblichen Gründer in Verbindung zu bringen.36 Bereits 172137 wird »Hermanus Norimbergensis«, einer jener Kleinadligen, die im Gefolge von Königin Gisela († 1060) aus Franken an den ungarischen Hof kamen, mit der Gründung von Hermannstadt in Verbindung gebracht, das in den Quellen jener Zeit »villa Hermanni«38 (»Hermannsdorf«) genannt wird. Im Jahr 1838 fügte der Herausgeber der Ofener Chronik39 eine klärende Anmerkung zu dem Abschnitt über dieselbe Person: »Hermanus Cibinii in Transsilvania, Germanis Hermanstadt conditor«, wodur die Verbindung zwischen Hermann von Nürnberg und dem Gründer der gleichnamigen siebenbürgischen Stadt hergestellt wird.40. Seine ethnische Zugehörigkeit schwankte jedoch in der Vorstellung der Siebenbürger Deutschen weiterhin zwischen flämisch und fränkisch, wie das 1883 veröffentlichte Theaterstück des sächsischen Schriftstellers Michael Albert (†  1893) mit dem Titel Die Flandrer am Alt41 zeigt, dessen Hauptfigur eben »Hermann« ist. In der neueren Geschichtsschreibung wird der Protagonist jedoch als Vorfahre der Familie Lackfi identifiziert, die sich in 33 Der dokumentarische Text über Anselm de Braz wurde erstveröffentlicht in Wilhelm Ritz: Urkunden und Abhandlungen zur Geschichte des Niederrheins und der Niedermaas. Aachen 1824, Dok.  46, S.  61, anschließend aufgegriffen und publiziert vom deutschen Historiker Wilhelm Wattenbach: Ein Streifzug durch den Ardennenwald. In: Archiv des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde N. F. 1 (1854), S. 81–87, hier: S.  84. Die Information zu »Hezelo de Rucelenfelt« (heute: Merkstein, Deutschland) wurde aufgezeichnet in den Annales Rodenses, der Chronik des Klosters Rolduc (dt. Klosterrath) in der südniederländischen Provinz Limburg; die Quelle wurde ediert in Monumenta Germaniae Historica. SS XVI, Dok. 1148, S. 719–720. Siehe auch Karl Kurt Klein: Anselm von Braz und Hezelo von Merkstein. Die ersten Siebenbürger Sachsen. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 14 (1965), S. 161–168 (neu abgedruckt in ders.: Saxonica Septemcastrensia. Marburg 1971, S.  160–167); Nägler: Aşezarea saşilor, S.  94–102; Harald Zimmermann: Die deutsche Südostsiedlung im Mittelalter. In: Günther Schödl (Hg.): Land an der Donau. Berlin 1995, S. 32. 34 Karl Kurt Klein: Luxemburg und Siebenbürgen. Köln 1966, S. 30–34. 35 Rudolf Mark: Sind Anselm von Braz und Hezelo von Merkstein die ersten Siebenbürger Sachsen gewesen? In: Zur Rechts- und Siedlungsgeschichte de Siebenbürger Sachsen. Siebenbürgisches Archiv  8 (1971), S. 261–268. 36 Die Genealogie einer vermeintlichen Lokatorenfamilie aus der Gegend von Köln, die sich in Siebenbürgen niedergelassen haben soll, bei Otto Weber: Heimatbuch Bell in Siebenbürgen. München 2012 (in rumänischer Übersetzung ders.: 5 Naționalități, 4 Religii, 1 Castel. Buia în Transilvania [Fünf Nationalitäten, vier Religionen, eine Burg. Bell in Siebenbürgen]. Cluj-Napoca 2017. 37 Franz Groß: Continuatio geographicae globi terraquei synopsis, quaesitis comprehensae, Graz 1721, S. 232: »In Transylvania Saxonum Cibinium Szeben Germ. Hermanstadt, cuius conditor Hemanus Norimbergensis ei An. 1160. nomen fecit, prout est coniicere ex sigillo publico, cui infertum: Sigillum civium de villa Hermani.« 38 Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Band 1, Dok. 38 (1223). 39 József Podhradczky (Hg.): Chronicon Budense. Buda 1838, S. 51. 40 Diesen Augenblick hat der deutsche Künstler Georg Bleibtreu (1828–1892) im Jahr 1883 in einer Lithografie festgehalten, die sich heute in der Kunstsammlung des Nationalen Brukenthal-Museums in Hermannstadt befindet. Siehe Konrad Klein: »seine Kunst in den Dienst unserer nationalen Sache gestellt«. Anmerkungen zu Georg Bleibtreus Historienbild »Die Einwanderung der Sachsen«. In: Die Sachsen und ihre Nachbarn in Siebenbürgen. Studia in Honorem Dr. Thomas Nägler. Alba Iulia 2009, S. 287–298. 41 Michael Albert: Die Flandrer am Alt (Festspiel zur 700-Jahr-Feier d. Einwanderung d. Sachsen nach Siebenbürgen). Hermannstadt 1883. Siehe auch Helmut Protze: Die Flandrer am Alt. Flandrenses und Rhenenses im mittelalterlichen Siebenbürgen. In: Gerhard Worgt, Helga Hipp (Hgg.): Niederlandistik und Germanistik. Tangenten und Schnittpunkte. Festschrift für Gerhard Worgt zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main 1992, S. 43–54.

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dem heute wüsten Dorf Hermán in der Nähe von Szombathely im Komitat Baranya (Ungarn) niederließ.42 So wird die Rolle des Stadtgründers im südlichen Siebenbürgen an einen bestimmten, historisch und kulturell weniger profilierten Lokator Hermann abgetreten.43 Die diskretionäre Interpretation der mittelalterlichen Textquellen prägte die Geschichtsschreibung bis zum Ende des 19.  Jahrhunderts,44 als unter dem Einfluss der positivistischen Philosophie und der Profilierung der historisch-philologischkritischen Methode eine Reihe von deontologischen Forderungen an die professionelle Geschichtsschreibung gestellt wurden.45 Der Subjektivismus in der Betrachtung vergangener Ereignisse breitete sich jedoch in ganz Europa unter dem Einfluss der nationalistischen Romantik aus. So zitierte der belgische Jurist Ferdinand J. Hénaux (1815–1880) bereits 1843 eine Episode aus dem 15.  Jahrhundert,46 in der von der Ankunft ungarischer Pilger in Lüttich berichtet wird, die den lokalen wallonischen Dialekt fließend sprachen. Die Begegnung soll die Stadtverwaltung veranlasst haben, in den Archiven der Kathedrale nach Beweisen für die hungerbedingte Auswanderung um die Mitte des 11. Jahrhunderts in den Osten des Kontinents bis nach Erlau (ung. Eger) in Ungarn zu suchen. Hénauxs Erzählung basiert auf einer mittelalterlichen Chronik von Jean de Stavelot oder »Johannes Stabulensis« († 1449).47 Da der 42 András W. Kovács: Voievozii Transilvaniei în perioada 1344–1359 [Die Wojwoden Siebenbürgens 1344– 1359]. In: Dumitru Țeicu, Rudolf Gräf, Adrian Magina (Hgg.): Itinerarii istoriografice. Studii in onoarea istoricului Costin Feneșan [Historiografische Itinerare. Festschrift zu Ehren des Historikers Costin Feneșan]. Cluj-Napoca 2011, S. 37–65, hier: S. 40, Anm. 16 (mit weiterführender Literatur). 43 Paul Philippi: Ecclesia Theutonicorum Ultrasilvanorum. In: Altera 1 (1995), S. 125–152, hier: S. 177: »Poate că ni s-a păstrat numele din unele toponime săseşti sau româneşti: Eppo (villa Epponis = Neppendorf/Turnişor); Hermann (villa Hermanni = Hermannstadt/Sibiu); Humbert (villa Humberti = Humbertsdorf/Hammersdorf/Guşteriţa); Christian (insula Christiani = Großau [au=insula] = Cristian); ş. a.« [Vielleicht sind die Namen in einigen sächsischen oder rumänischen Ortsnamen erhalten geblieben: Eppo (Villa Epponis = Neppendorf/Turnișor); Hermann (Villa Hermanni = Hermannstadt/Sibiu); Humbert (Villa Humberti = Humbertsdorf/Hammersdorf/Gușterița); Christian (insula Christiani = Großau [au=insula] = Cristian); usw.]. Hervorzuheben ist auch die Suche nach Erklärungen für Toponyme infolge von Zwangsübersetzungen wie »satul ciocanelor« für »Hammersdorf« (rum. Gusteriţa, heute ein Stadtteil von Hermannstadt), siehe Ioan Cosmin Ignat: Un monument mai puţin cunoscut al Sibiului: biserica fortificată din Gușteriţa [Ein kaum bekanntes Denkmal Hermannstadts, die Hammersdorfer Wehrkirche]. In: Buletinul Cercului de Medievistică »Radu Popa« 8–9 (2009–2012), S. 57–64, hier: S. 58. Der Name »Hammersdorf« ist jedoch erst anderthalb Jahrhunderte nach der ersten Erwähnung des Dorfes als »villa Humperti« belegt; für eine Erklärung der Namensentwicklung nach den Dialektregeln der deutschen Sprache siehe Fritz Zimmermann: Zur Geschichte und Topographie des Burgenlandes im 11. Jahrhundert. In: Burgenländische Heimatblätter 19 (1957), S. 60–66, hier: S. 64. 44 Ein Überblick zur sächsischen Historiografie vom 16. bis 18.  Jahrhundert bei Nägler: Aşezarea saşilor, S. 103–106; Adolf Armbruster: Dacoromanica-Saxonica. Cronicari români despre sași. Românii în cronica săsească [Dacoromanica-Saxonixca. Rumänische Chronisten über die Sachsen. Die Rumänen in der sächsischen Chronistik]. București 1980; Edit Szegedi: Tradiție și inovație în istoriografia săsească între baroc și iluminism [Tradition und Erneuerung in der sächsischen Historiografie zwischen Barock und Aufklärung]. Cluj-Napoca 2004, S. 247–314; Robert Dimitriu: Die Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen und das sächsisch-rumänische Verhältnis im mittelalterlichen Siebenbürgen im Spiegel der rumänischen Historiographie. In: Piskorski: Historiographical Approaches to Medieval Colonization of East Central Europe, S.  219–258. Zur Theorie der dakischen Herkunft der Siebenbürger Sachsen siehe Karl Kurt Klein: Das »Rätsel der siebenbürgischen Sprachgeschichte«. Die Goten-Geten-Sachsengleichung in der Sprachentwicklung der Deutschen Siebenbürgens. In: Südostforschungen 11 (1952), S. 84–154 (Nachdruck in ders.: Transsylvanica. Gesammelte Abhandlungen und Aufsätze zur Sprach- und Siedlungsforschung der Deutschen in Siebenbürgen. München 1963, S. 90–139). 45 Friedrich Müller: Wandlung der geschichtlichen Hauptaufgaben unseres Volkes im Laufe seiner Entwicklung und seine Anpassung daran. In: Siebenbürgische Vierteljahresschrift 55 (1932), S. 286–299; Konrad Gündisch: Franz Zimmermann, der Anti-Teutsch. In: Siebenbürgische Zeitung, 15.2.2010, S. 7. 46 Ferdinand J. Hénaux: Études historique et littéraires sur le wallon. Liège 1843, S. 39–40. 47 Jean de Stavelot: Chronique. Hg. von Adolphe Borgnet. Bruxelles 1861, S. 595–596. SpiEgElungEn 2.22

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moderne Text zu einer Zeit verfasst wurde, in der es, parallel zur flämischen patriotischen Bewegung, in erster Linie darum ging, das Selbstbewusstsein zu stärken und die wallonische Sprache und das wallonische Erbe zu bewahren, wurden solche patriotisch-identitären Ansichten, die in der historischen Vergangenheit verankert waren, eine Zeit lang als gültig angesehen und sogar gefördert. 1865 beschrieb der Sekretär der belgischen Botschaft an der Hohen Pforte, Graf Émile de Borchgrave (1837–1917), in seinem den belgischen Siedlern in Ungarn und Siebenbürgen gewidmeten Aufsatz,48 der unter der Schirmherrschaft der Königlichen Akademie in Brüssel veröffentlicht wurde, das von Hénaux beschworene Moment und bemühte sich sowohl um eine etymologische Analyse der Beziehung des Namens »Siebenbürgen« zu Eponymen im deutschsprachigen westeuropäischen Raum 49 als auch um eine detaillierte Analogie zwischen den Anthroponymen aus dem frankophonen Moselgebiet und den Namen der Bewohner der sächsischen Dörfer in Siebenbürgen, aber auch von Orten mit einem gemeinsamen phonetischen Hintergrund.50 Auf einem ähnlichen Ansatz beruhten die Forschungen des Sprachwissenschaftlers Gustav Kisch (1869–1938), die sich auf die Beobachtungen des luxemburgischen Jesuiten François-Xavier de Feller (1735–1802) stützten: Während einer Reise nach Siebenbürgen in den Jahren 1768–1769 stellte jener eine »Übereinstimmung« der dortigen Dialekte mit denen seiner Heimat fest51 und schloss daraus, dass Luxemburg der Ursprungsort der westlichen Siedler in Siebenbürgen gewesen sein könnte. Um 1900 untersuchte Gustav Kisch in seiner Dissertation unter den ideologischen Vorzeichen der Zeit die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den im luxemburgischen Raum gesprochenen deutschen Dialekten und den siebenbürgischen Mundarten bis hin zu einer sehr genau umschriebenen Bestimmung einzelner Herkunftsorte. So ermittelte er beispielsweise eine Parallele zwischen der in Echternach gesprochenen Sprache und dem Dialekt der Sachsen in Bistritz.52 Die von Kisch aufgestellten Hypothesen wurden auch in Luxemburg,53 das sich in einem ähnlichen Konstruktionsprozess einer staatlichen und kulturellen Identität auf ethnolinguistischer Grundlage befand, mit Begeisterung aufgenommen. Trotz der Ablehnung von Kischs These durch die 48 Émile de Borchgrave: Essai historique sur les colonies belges qui s’établirent en Hongrie et en Transylvanie pendant les XIe, XIIe et XIIIe siècles. Bruxelles 1871. 49 Ebenda, S. 54: »le Siebengebirge, vis-à-vis de Bonn, Sieben berge entre Hildeshein et Alfeld, Siebenberge en Bohême, Zevenbergen près de Breda, dans le Brabant septentrional, Zevenhuisen et Zevenwouden dans les Pays-Bas, Zevenberg, près Ranst (Anvers), Zevenborre, Zeveneeken, Zeven hoek, Zevenkote, Zevenstene, Zeventorens, etc., dans la Belgique flamande, les Sieben Bergstädte dans le Harz et les mêmes en Hongrie«. 50 Ebenda, S. 57–65. Solche Listen von Anthroponymen oder Toponymen sind in der aktuellen Geschichtsschreibung immer noch präsent und stammen gerade aus der Fülle der von der wissenschaftlichen Community angenommenen Konjunkturhistoriker, siehe etwa den Artikel des pensionierten Forstingenieurs Walter Schuller: Wüstungsnamen im Dienst der siebenbürgisch-sächsischen Herkunftsforschung. Ein Zwischenbericht. In: Ţiplic, Gündisch (Hgg.): Die Sachsen und ihre Nachbarn in Siebenbürgen, S. 255–260. 51 François Xavier de Feller: Itinéraire, ou voyages de Mr. L’abbé de Feller en diverses parties de l’Europe. Band 1. Paris 1820, S. 277: »Ces Saxons parlent allemand; mais leur langage propre est l’allemand de Luxembourg, avec quelque changement: ce qui me fait croire que les Luxembourgeois sont aussi une colonie Saxonne. L’étonnement de ces Saxons, ainsi que le mien fut extrême, quand nous découvrîmes l’identité de ces langues.« 52 Gustav Kisch: Epternach. In: Korrespondenzblatt des Vereins für siebenbürgische Landeskunde 26 (1903) H. 11, S. 149f. Der luxemburgische Ort hat für die Bistritzer eine doppelte Bedeutung. Auf einer Seite jene eines in Echternach verfassten liturgischen Manuskripts (heute in der Bibliothèque Nationale de France, Ms. Lat. 8917, fol. 101v) mit Ersterwähnung der nordsiebenbürgischen Stadt: »oppido quod Nosa dicitur«, die von den Mongolen am 2. April 1241 geplündert wurde. 53 Martin Schweisthal: Les Francs des bords de la Moselle et leurs descendants de Transylvanie. Note complémentaire sur les Francs de la Moselle. Arlon 1904.

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Wissenschaft in einer Reihe von geographisch-linguistischen Analysen, die mit Argumenten belegten, dass die Dialekte der Siebenbürger Sachsen im Laufe der Zeit auch von bayerischen oder anderen Einflüssen aus dem mittel- oder norddeutschen Raum beeinflusst worden waren,54 führte diese Interpretationslinie zum »Topos« verwandter »Sprachinseln«, der sich bis heute im kollektiven Gedächtnis festgesetzt hat.55 Diese Idee wird mit jeder popularisierenden Arbeit aufgefrischt. Neuere Untersuchungen des Vokabulars und der liturgischen Praktiken56 auf der Grundlage von in Siebenbürgen verwendeten Handschriften weisen vielmehr auf Parallelen zum Magdeburger Raum hin, was die Hypothese bestätigen würde, dass Siedlergruppen vor ihrer Ankunft in Siebenbürgen einige Zeit zwischen Elbe und Saale verbracht haben – eine ältere und mit Vorsicht zu akzeptierende These.57 Die Forschung, die noch im Gange ist, kann von der Öffentlichkeit als widersprüchlich und provisorisch wahrgenommen werden. Der gegenwärtige historiographische Konsens58 hält es für wahrscheinlich, dass Siedler verschiedener Ethnien und Sprecher verschiedener Sprachen – germanischer und romanischer –, in Etappen, in kleinen Gruppen, aus allen Regionen des damaligen römisch-deutschen Reichs ankamen und in Siebenbürgen zu einer großen Gemeinschaft mit einem originellen, komplexen und ausgeprägten Identitätsprofil verschmolzen sind. In den letzten zehn Jahren ist der immer noch unklare Kontext, in dem die Migration aus den westeuropäischen Ländern in den Osten in der Mitte des 12. Jahrhunderts erfolgte, nicht ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden, und sein wissenschaftlicher Einfluss hat sich in der Regel auf die Vermittlung früherer sprachlicher Daten beschränkt, wie kürzlich veröffentlichte Arbeiten zeigen.59 Diese Tatsache lenkt die Aufmerksamkeit des zeitgenössischen Forschers auf parallele Historiografien, die (manchmal üppig)60 um das Thema herum entwickelt wurden: Während sich 54 Siehe auch Ernst Schwarz: Die Herkunft der Siebenbuerger und Zipser Sachsen. Siebenbürger und Zipser Sachsen, Ostmitteldeutsche, Rheinländer im Spiegel der Mundarten. München 1957; Karl Kurt Klein, Helmut Protze, Hellmut Klima: Siebenbürgische Mundart. Berlin 1959. Jüngere Studien zum Vokabular bzw. zur Literatursprache der deutschen mittelalterlichen Manuskripte in Rumänien: Balázs J. Nemes: Mittelalterliche deutsche Handschriften in Rumänien. Erschließung, Katalogisierung und Verwertung für eine regional orientierte Literaturgeschichte (Eine Projektidee). In: Ernest W. B. Hess-Lüttich, Anita Czeglédy, Ulrich Langanke (Hgg.): Deutsch im interkulturellen Begegnungsraum Ostmitteleuropa. Frankfurt am Main 2010, S. 169–196; ders.: Mittelalterliche deutsche Handschriften in rumänischen Bibliotheken. Eine vorläufige Bestandsübersicht. In: Astrid  Breith u.  a (Hgg.): Manuscripta germanica. Deutschsprachige Handschriften des Mittelalters in Bibliotheken und Archiven Osteuropas. Stuttgart 2012, S. 61–72; ders.: Das »Mediascher Predigtbuch«. Miszelle zu einem Plenar mit Perikopen in deutsch-lateinischer Mischsprache aus Siebenbürgen am Vorabend der Reformation. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 38 (2015), S. 31–36. 55 Die Artikel von Richard Huß (1885–1941) setzten in den 1920er-Jahren den von Kisch eingeschlagenen Weg fort, die Suche nach sprachlichen Parallelen zwischen Luxemburg und Siebenbürgen, vor allem im Gebiet Bistrita-Gebiet, ein Thema, das in der Zeitschrift kritisch diskutiert wurde bei Klein (Hg.): Luxemburg und Siebenbürgen, S. 1–111. Siehe auch Norbert Richard Wolf: Beiträge zur Geschichte der siebenbürgischen Mundartforschung? Orend contra Klein. In: Orbis 23 (1974), S. 75–80. 56 Karl Reinerth: Das Heltauer Missale (Cod. Heltensis Nr. 8/13/m saec. XIV). Eine Brücke zum Lande der Herkunft der Siebenbürger Sachsen. Köln 1963. 57 Nägler: Aşezarea saşilor, S. 129, S. 295, Anm. 96. 58 Gündisch, Beer: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen, S. 33; Paul Philippi: Die unbequeme Besonderheit unseres Eigenlebens. Vortrag zur 850-Jahr-Feier der Einwanderung der Siebenbürger Sachsen. In: ders.: Kirche und Politik. Sibiu 2006, S. 283–287. 59 Zum Beispiel Zsuzsanna Cziráki: Az erdélyi szászok története [Geschichte der Siebenbürger Sachsen]. Kozármisleny 2006; László Pósán: Niederländische Kolonisten in Ungarn in der Arpad-Ära. In: Acta Neerlandica – Bijdragen tot de Neerlandistiek 14 (2017), S. 7–22. 60 Siehe zum Beispiel Andrei Adrian Rusu: Rezension zu: Maria Crîngaci Ţiplic: »Oaspeții germani« în sudul Transilvaniei. Istorie, arheologie și arhitectură (secolele XII–XIII). București 2011, 395 S. + 7 h. + 55 pl. In: SpiEgElungEn 2.22

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die ungarischen Historiker beim Thema der mittelalterlichen Siedler in den ungarischen Kronländern61 vor allem auf lokale Untersuchungen stützen, blieb die Herangehensweise der Siebenbürger Sachsen, die dem von frühen eigenen Geschichtsgelehrten auferlegten Forschungsmodell der »Landeskunde« treu, dem Identitätsdiskurs des frühen 20.  Jahrhunderts verhaftet,62 und verdrängte die nicht-deutschen Elemente ihres kulturellen Erbes. Ebenfalls entsprechend einer beachtlichen kulturellen Tradition wurden sächsische Ortsmonografien führenden Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft anvertraut, die meist nicht als Historiker ausgebildet waren. In dieser historiographischen Landschaft, die ein fragmentarischer Dialog kennzeichnet, ist auch festzustellen, dass die rumänischen Historiker – Autoren solider rekonstruierender Beiträge – (bisher) passiv die Schlussfolgerungen und Interpretationslinien nacherzählt haben, die in den Generationen vor Klein, Horedt und Nägler gezogen worden waren.63 Der Scheidungsprozess zwischen den beiden Modi des historischen Diskurses, dem akademischen und dem populären, ist äußerst komplex und langwierig: Die Geschwindigkeit der Informationsverbreitung im Online-Bereich, die riesige Anzahl an dokumentarischen Ressourcen und die Schwierigkeiten bei der Nachverfolgung regionaler historiografischer Emanationen begünstigen jene knappen, enzyklopädiAnnales Universitatis Apulensis. Series Historica 16 (2012) H. 1, S. 371–384. 61 György Székely: Wallons et Italiens en Europe centrale aux XIe –XVIe siècles. In: Annales Universitatis Scientiarum Budapestinensis. Sectio Historica 6 (1964), S. 3–71; Gyula Kristó: Nichtungarische Völker im mittelalterlichen Ungarn. Herne 2008. Manchmal bleiben Diskussionen zu diesem Themenspektrum an bestimmten, schwer durchschaubaren Detailaspekten hängen. Die ungarische Geschichtsschreibung streitet sich noch immer mit der polnischen über die Stellung des »Franco, episcopus Bellagradensis« in der bischöflichen Hierarchie, der in der Chronik des wallonischen Klosters St. Hubert in den Ardennen erwähnt wird, siehe Monumenta Germaniae Historica, SS VIII. Hannover 1848, S. 579. Die umstrittene Identifizierung wurde zum Gegenstand zahlreicher Spekulationen in der Forschung über die früheste Erwähnung eines möglichen flämischen Bischofs in Siebenbürgen (1075–1081) oder des angeblichen Bistums Białogard in Westpommern. Siehe auch Tibor Szőcs: A 14. századi krónikaszerkesztmény interpolációi és 11. századi okleveleink [Interpolationen in einer Chronik aus dem 14. Jahrhundert und unserer Quellen aus dem 11. Jahrhundert]. In: Fons 14 (2007), S. 59–95, hier: S. 80; Dániel Bagi: Królowie węgierskie w Kronice Galla Anonima [Ungarische Könige in der Chronik des Gallus Anonymus]. Kraków 2008, S. 122–124. 62 Ein Blick auf die Herausbildung eines Identitätsdiskurses der Siebenbürger Sachsen etwa bei Paul Philippi: Von Deutschtum und Zukunft der Siebenbürger Sachsen. Referat auf der Tagung der Evangelischen Akademie Berlin, November 1965. In: Gerhard Möckel (Hg.): Siebenbürgisch-Sächsische Geschichte in ihrem neunten Jahrhundert. Gespräch in der Zerstreuung. München 1977, S. 73–93; Harald Roth: Autostereotype als Identifikationmuster. Zum Selbstbild der Siebenbürger Sachsen. In: Konrad Gündisch, Wolfgang Höpken, Michael Markel (Hgg.): Das Bild des Anderen in Siebenbürgen. Stereotype in einer multiethnischen Region. Köln u. a. 1998, S. 178–191; Sascha Davis: »Our Faithfully Kept, Age-Old Inheritance«. Transylvanian Saxon Folk Customs, Particularism and German Nationalism between the Wars. In: Evan Smith (Hg.): Europe’s Expansions and Contractions. Adelaide 2010, S. 199–220. 63 Ioan M. Țiplic: Contributia pecenegilor, secuilor şi saşilor la constituirea frontierei de sud a Transilvaniei/ Contribution of the petchenegs, Seklers and Saxons to the formation of southern Transylvania Frontier. In: Studia Universitatis Cibiniensis. Series Historia  1 (2004), S.  72–73; Maria Emilia Țiplic: »Oaspeții germani« în sudul Transilvaniei. Istorie, arheologie și arhitectură (secolele XII–XIII) [»Deutsche hospites« in Südsiebenbürgen. Geschichte, Archäologie und Architekt (12.–13. Jahrhundert]. București 2011; Ioan-Cosmin Ignat: Bisericile fortificate săsești. Scurtă analiză istoriografică [Die sächsischen Wehrkirchen. Eine kurze historiografische Analyse]. In: Studia Universitatis Cibiniensis. Series Historica  10 (2013), S.  127– 136. Wir sollten auch nicht die Fälle ignorieren, in denen das siebenbürgische Mittelalter gänzlich in den rumänischen historiografischen Diskurs integriert wurde, mit Aussagen wie: »Annales Rodenses, 1100– 1157, pergament, menționând donația lui Hezels, probabil originar din Ațel (Hetzeldorf ), jud. Sibiu« [»Die Annales Rodenses, 1100–1157, ein Pergament mit der Erwähnung Hezels, vermutlich aus Ațel (Hetzeldorf ) im Bezirk Sibiu stammend«]. In: Virgil Cândea: Mărturii românești peste hotare. Creații românești și izvoare despre români în: colecții din străinătate [Rumänische Zeugnisse im Ausland. Rumänische Werke und Quellen zu Rumänen in ausländischen Sammlungen]. București 2010. Band 2, S. 251.

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schen Zusammenfassungen in Weltsprachen, die in einem begrenzten, leicht zu erfassenden Umfang eine Auswahl von Daten präsentieren, welche die Autoren als relevant erachteten. Aber frei von den methodischen und ethischen Zwängen, die sich jede wissenschaftliche Disziplin auferlegt, wählen diese Autoren aus der Fülle an Quellen in erster Linie Details aus, mit denen sie die Neugier des Lesers wecken, wobei sie manchmal den historischen Diskurs manipulieren, um einen augenblicklichen »Trend« zu unterstützen oder zu widerlegen. Diese Praxis, die durchaus auch in akademischen Kreisen verbreitet ist, wurde im Fall der öffentlichen politischen Praktiken beobachtet, die anlässlich der Feierlichkeiten 2007 in den Kulturhauptstädten Hermannstadt und Luxemburg gefördert wurden, wobei die Beamten der Kulturministerien des Großherzogtums Luxemburg und Rumäniens bewusst auf die Öffentlichkeitswirkung und die implizite finanzielle Unterstützung setzten, die durch die Wiederbelebung der Vorstellung einer ethnolinguistischen Verwandtschaft in der breiten Öffentlichkeit erzeugt wurde.64 ZuRüCK ZuR mETHoDE Um die spezifischen »Marker« der kulturellen Identität im Hinblick auf das mehrdimensionale Bewusstsein von der ethnischen Herkunft im selbstreferentiellen soziokulturellen System der westlichen Siedler im mittelalterlichen Siebenbürgen herauszuarbeiten und zu umschreiben, müssen wir über die derzeitige historiographische Ebene hinausgehen, die überwiegend deskriptiv-abendländisch und repetitiv ist. Eine kurze »Horizonterkundung« im Rahmen einiger aktueller Bereiche der internationalen Mediäwistik kann einige in den letzten Jahrzehnten entwickelte historiografische Theorien fördern, die für die Formulierung eines interdisziplinären Rahmens zum Verständnis der wenigen uns zur Verfügung stehenden Quellen mit Hilfe historischer, archäologischer, anthropologischer und linguistischer Ansätze nützlich sind. Neben der erneuten Lektüre der schriftlichen Quellen, von denen viele vor hundert Jahren ediert wurden, der genauen Beschreibung der materiellen Belege und der Verbesserung der sprachgeschichtlichen Instrumentarien können auch die Soziologie und die Kulturanthropologie wertvolle Anregungen liefern. Selbst wenn es keine quantitativen Fortschritte bei den direkten historischen Beweisen gibt, kann der durch die Interdisziplinarität erzwungene Paradigmenwechsel zu einem besseren Verständnis der Vorgänge vor acht oder neun Jahrhunderten beitragen. Die Diskussion über den demografischen Beitrag des Westens im mittelalterlichen Siebenbürgen muss in jedem Fall erweitert werden um die »Motivationsfaktoren« der Mobilität, die Lösungen zur Bewältigung der Auswanderung, die Aushandlung von Identitätsspannungen im Rahmen des Akklimatisierungsprozesses, die Phasen der Akkulturation (Kontakt, Konflikt, Anpassung) und die für Minderheitengruppen spezifische Gruppendynamik, die Solidaritätsnetze – die Aufrechterhaltung des Kontakts mit den Herkunftsorten über Handelswege und Weiterbildung im Ausland  – und den Gruppenzusammenhalt zu verstehen, die sich in verschiedenen Arten von 64 Fernand Fehlen: Luxemburg und Siebenbürgen. STADE. Études Sociologiques et Politiques sur la société luxembourgeoise, Working Paper 1-07 (2007), , 13.3.2022; Pit Péporté u. a. (Hgg.): Inventing Luxembourg. Representations of the Past, Space and Language from the Nineteenth to the Twenty-First Century. Leiden 2010, S. 311–313; Philippe Henri Blasen: Die Siebenbürger Sachsen im Blick der Luxemburger. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 35 (2012) H. 2, S.  213–219; Dragoş Dragoman, Philippe Vaesken: Capitales culturelles européennes et la promotion de l’identité? Comparer le Luxembourg et la Roumanie. In: Transilvania 1 (2015), S. 1–10. SpiEgElungEn 2.22

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historischen Quellen widerspiegeln. Nicht zuletzt ist zu betonen, dass die Untersuchung der westlichen Auswanderung ins mittelalterliche Siebenbürgen auch die Konzentration in den historiografischen Räumen der »Heimatländer« der Vorfahren der Siebenbürger Sachsen erfassen muss, sei es in Belgien, den Niederlanden, in Österreich, Deutschland, Luxemburg usw. Ein erster methodischer Vorschlag bezieht sich auf die Identifizierung und Umschreibung von Schlüsselbegriffen. Ein geeignetes Beispiel könnte die Bedeutung des Begriffs »Wallonen« sein, der mit Personen assoziiert werden kann, die einer ethnischen Gruppe angehören, eine bestimmte Sprache sprechen, aus einer bestimmten politischen Entität oder einem bestimmten geografischen Gebiet stammen, einer sozialen oder rechtlichen Kategorie angehören usw. Ein solcher Ansatz wurde in der belgischen Geschichtsliteratur bereits initiiert,65 aber es fehlt die regionale Antwort auf das Zielgebiet der flämischen und wallonischen Siedler des Mittelalters. Breitere Diskussionen über die eigentliche Definition von »Ethnizität« im Mittelalter,66 aber auch über die Phasen »ethnischer Migration«67 oder »ethnisch-grenzüberschreitender«68 und »ethnisch-kommerzieller«69 Beziehungen wurden bereits initiiert, die neue Rahmenbedingungen für Forschung, Zusammenarbeit und wissenschaftlichen Dialog in einem gesamteuropäischen Rahmen anbieten. Die territorialen und institutionellen Strukturen der Kirche, wie die königliche »praepositura« des heiligen Ladislaus, die um 1190 gegründet wurde und ausdrücklich mit den flämischen Pionieren in Verbindung gebracht wird, die Pfarrkirchen und die dazugehörigen Artefakte, etwa liturgische Codices, wie das handgeschriebene Heltauer Missale, die »vasa sacra« und die Keramik,70 Heiligendarstellungen wie die der heiligen Walpurgis oder des heiligen Servatius auf Gegenständen und in künstlerischen Räumen71 bis hin zum Mönchsleben, wodurch die Prämonstratenser von Kronstadt (rum. Brașov, ung. Brassó) nach dem Catalogus Ninivensis an die flämische Abtei Ninove angebunden oder das Zisterzienserkloster Kerz (rum. Cârța, ung. Kerc), über seinen Abt »Johannes de Flandria«72 in der Mitte des 14.  Jahrhunderts an jene Geschichtsregion, müssen als kulturelle Meilensteine in den breiteren Geschichts65 Siehe beispielsweise die Prämisse von Sébastien Dubois: L’espace wallon avant l’invention du concept de »Wallonie«. Éléments pour une réflexion sur la notion de région (XVIIe –XIXe siècles). In: Luc Courtois, Jean Pirotte (Hgg.): Apports de l’histoire aux constructions identitaires. Appartenances, frontières, diversité et universalisme. Louvain-la-Neuve 2013, S. 195–212. 66 Robert Bartlett: Medieval and Modern Concepts of Race and Ethnicity. In: Journal of Medieval and Early Modern Studies 31 (2001) H. 1, S. 39–56; Florin Curta: Review of »Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen« by Sebastian Brather. Berlin, New York 2004, in: Archaeologia Bulgarica 10 (2006) H. 1, S. 91–94. Eine jüngst veröffentliche Synthese mit methodischen Anregungen: Claire Weeda: Ethnicity in Medieval Europe 950–1250. Medicine, Power and Religion. Woodbridge 2021. 67 Rogers Brubaker: Migrations of Ethnic Unmixing in the »New Europe«. In: International Migration Review 32 (1998) H. 4, S. 1047–1065. 68 Florin Curta (Hg.): Borders, Barriers, and Ethnogenesis. Frontiers in Late Antiquity and the Middle Ages. Turnhout 2006. 69 Christian Lübke: Ethnic Diversity in East Central Europe and the Beginnings of the Economic Change in the High Middle Ages. In: José Angel Sesma Muñoz u. a. (Hgg.): Movimientos migratorios, asentamientos y expansion (siglos VIII–XI). En el centenario del profesor José María Lacarra, 1907–2007: XXXIV Semana de Estudios Medievales, Estella 16 a 20 de julio des 2007. Pamplona 2008, S. 289–304. 70 Cora Dietl, Balázs J. Nemes, Adinel C. Dincă: Heltau. In: Cora Dietl, Anna-Lena Liebermann (Hgg.): Lexikon der mittelalterlichen Literatur in Ungarn und Rumänien. Berlin, Boston 2015, S. 182–185. 71 Von Interesse sind aktuelle Restaurierungsarbeiten in der Pfarrkirche von Heltau, in der eine zusammenhängende Schicht vorreformatorischer Malereien aufgedeckt worden ist. 72 Franz Zimmermann, Carl Werner, Georg Müller: Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen 1342–1390. Band 2. Hermannstadt 1897, Dok. 922.

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diskurs integriert und mit den neuesten historischen und archäologischen Forschungen verknüpft und aktualisiert werden. Der identitätsstiftende Nachhall der wallonischen und flämischen Siedler lässt sich in Siebenbürgen bis in die letzten Jahre des 14.  Jahrhunderts nachweisen, was eine Annäherung an das Thema über eine lange Zeitspanne hinweg ermöglicht, in der sich Hinweise auf die Anfänge bestimmter Institutionen leichter aus der Art und Weise entschlüsseln lassen, wie sie ihre Reife oder sogar Vollendung fanden.73 Ein breiterer historiographischer Ansatz,74 der sich auf eine erneute Lektüre und Analyse der Quellen, aber auch der makro-historischen Zusammenhänge stützt,75 kann kausale Zusammenhänge zwischen der Verschlechterung des Klimas um 1300, der darauf folgenden Agrarkrise oder dem durch den »Schwarzen Tod«76 verursachten Bevölkerungsrückgang und den regionalen Auswirkungen des Endes einer Phase der Binnenmigration herstellen.77 Die mittelalterliche Gesellschaft steht auch in engem Zusammenhang mit Themen, die im disziplinären Rahmen der Soziologie, der Anthropologie oder der angewandten Linguistik diskutiert werden, wie zum Beispiel der postkolonialen Theorie78 (einschließlich der postkolonialen Ausbeutung der Mediävistik79): Kulturkontakte, Vermischung, Transkulturalisierung oder Hybridisierung,80 Kreolisierung,81 Kultur73 Zur modernen Wahrnehmung der mittelalterlichen Symbole und ihrer Einbettung in die symbolische Identitätslandschaft siehe Sacha Davis: East-West Discourses in Transylvania. Transitional Erdély, German-Western Siebenbürgen or Latin-Western Ardeal? In: Alexander Maxwell (Hg.): The East-West Discourse. Symbolic Geography and its Consequences. Bern 2011, S. 127–154; Krista Zach: »Wir wohnten auf dem Königsboden…«. Identitätsbildung bei den Siebenbürger Sachsen im historischen Wandel. In: Gerhard Seewann (Hg.): Minderheitenfragen in Südosteuropa. Beiträge der Internationalen Konferenz »The Minority Question in International Perspective 1900–1990«. Inter University Center, Dubrovnik, 8.–14. April 1991. München 1992, S. 115–137; Cristian Cercel: Transylvanian Saxon Symbolic Geographies. In: Civilisations 60 (2012) H. 2, S. 83–101. 74 Piotr Górecki: Ambiguous Beginnings: East Central Europe in the Making, 950–1200. In: Thomas F. X. Noble, John Van Engen (Hgg.): European Transformations. The Long Twelfth Century. Notre Dame, IN 2012, S. 194–228; ders.: People, Land and Settlement »East of the Elbe«, 1150–1310. A Very Large Subject in a Very Small Place. In: Sunhild Kleingärtner, Sébastien Rossignol, Donat Wehner (Hgg.): Landscapes and Societies in Medieval Europe East of the Elbe. Interactions between Environmental Settings and Cultural Transformations. Toronto 2013, S. 204–225. 75 Methodologische Vorschläge im Band: Société des historiens médiévistes de l’Enseignement supérieur public (Hg.): Être historien du Moyen Âge au XXIe siècle: XXXVIIIe Congrès de la SHMESP (Cergy-Pontoise, Évry, Marne-la-Vallée, Saint-Quentin-en-Yvelines, 31 mai–3 juin 2007). Paris 2008. 76 Karlheinz Blaschke: Brüche in der Entwicklung der Kulturlandschaft in Sachsens Siedlungsforschung. In: Archäologie – Geschichte – Geographie 13 (1995), S. 67–75. Siehe auch die unterschiedlichen methodischen Anregungen in den Beiträgen des Bandes von Dominik Collet, Maximilian Schuh (Hgg.): Famines During the »Little Ice Age« (1300–1800). Socionatural Entanglements in Premodern Societies. Cham 2017. 77 Piskorski: Historiographical Approaches to Medieval Colonization of East Central Europe; Felipe Fernández-Armesto (Hg.): Internal Colonization in Medieval Europe. The Expansion of Latin Europe, 1000– 1500. Aldershot 2008. 78 John Dagenais: Decolonizing the Middle Ages. Introduction. In: Journal of Medieval and Early Modern Studies 30 (2000) H. 3, S. 431–448; Peter Johanek: »Ostkolonisation« und Städtegründung – Kolonialstädte in Ostmitteleuropa? In: Horst Gründer, ders. (Hgg.): Kolonialstädte, Europäische Enklaven oder Schmelztiegel der Kulturen? Münster 2001, S. 27–50; Simon Gaunt: Review: Can the Middle Ages Be Postcolonial? In: Comparative Literature 61 (2009) H. 2, S. 160–176. 79 Nadia R. Altschul: Postcolonialism and the Study of the Middle Ages. In: History Compass 6 (2008) H. 2, S. 588–606; Kathleen Davis, Nadia R. Altschul (Hgg.): Medievalisms in the Postcolonial World. The Idea of »the Middle Ages« Outside Europe. Baltimore 2008. 80 Eine methodologische Theoriebildung bei Philipp Wolfgang Stockhammer (Hg.): Conceptualizing Cultural Hybridization. A Transdisciplinary Approach. Heidelberg u. a. 2012, vor allem das Kapitel Conceptualizing Cultural Hybridization in Archaeology (S.  43–58). Siehe auch Peter Burke: Cultural Hybridity. Cambridge 2009. 81 Charles Stewart (Hg.): Creolization. History, Ethnography, Theory. London 2016. SpiEgElungEn 2.22

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landschaften,82 »Kleingruppenkultur«83 oder Netzwerkbildungen unterschiedlicher Art84 sind allesamt mögliche Strukturelemente für die Interpretation der historischen Realitäten Siebenbürgens. Eine vergleichende Analyse der europäischen Peripherie, die der inspirierenden Anregung von Anna Adamska folgt,85 würde einen besseren Dialog der jüngsten regionalen Beiträge ermöglichen und eine Rekontextualisierung historischer Phänomene in größeren geografischen Räumen erlauben.86 In dieser Aufzählung zeitgenössischer historiografischer Tendenzen bei der Untersuchung von Aspekten, die mit der ethnischen Zugehörigkeit der ersten westlichen Siedler des mittelalterlichen Siebenbürgen zusammenhängen, müssen nicht zuletzt jene Informationen erwähnt werden, die den Forschern durch moderne Technologien zur Verfügung stehen: Die forensische Anthropologie87 oder genetische Analysen88 eröffnen neue Diskussions- und Vergleichsfelder. Der Übergang vom historiographischen Recycling zum kreativen Upcycling der Daten, die durch die erschlossenen und aufgearbeiteten Schriftquellen zur Verfügung gestellt werden, kann eine Diskussion über zusätzliche Forschungsbereiche eröffnen, die sich auf die Präsenz westlicher Siedler in den verschiedenen Regionen Siebenbürgens oder auf spätmittelalterliche kulturelle »Marker« des Widerstands und/oder der Assimilation der nichtdeutschen Bevölkerung in die »sächsische« Gemeinschaft konzentrieren. Die westlichen Siedler, die von der Mitte der Arpadenzeit bis zum Beginn der Anjou-Herrschaft in Ungarn nach Siebenbürgen kamen, gaben dieser Region ein klar umrissenes kontinentales Profil, weshalb die historiografische Antwort lauten muss, die Bequemlichkeit eines vorwiegend lokalen Ansatzes aufzugeben und sich mit Entschlossenheit in die Geschichte des mittelalterlichen Europas zu begeben. Aus dem Rumänischen von Tobias Weger 82 Michael Jones: The Concept of Cultural Landscape. Discourse and Narratives. In: Hannes Palang, Gary Fry (Hgg.): Landscape Interfaces. Cultural Heritage in Changing Landscapes. Dordrecht 2003, S. 21–51; Joan Paul Rubiés: Medieval Ethnographies. European Perceptions of the World Beyond. Farnham 2007; Paul Niedermaier: Habitatul medieval în Transilvania [Der mittelalterliche Lebensraum in Siebenbürgen]. Bucureşti 2012; José Carlos Sánchez Pardo, Emmet H. Marron, Maria-Emilia Crîngaci-Ţiplic (Hgg.): Ecclesiastical Landscapes in Medieval Europe. An archaeological perspective. Oxford 2020. 83 Adrian Holliday: Small Cultures. In: Applied Linguistics 20 (1999) H. 2, S. 237–264. 84 Eine Zusammenstellung von einschlägigen Arbeiten mit interessanten Forschungsanregungen bei Anu Mänd, Marek Tamm (Hgg.): Making Livonia. Actors and Networks in the Medieval and Early Modern Baltic Sea Region. Abingdon 2020. 85 Anna Adamska: Intersections. Medieval East Central Europe from the Perspective of Literacy and Communication. In: Gerhard Jaritz, Katalin Szende (Hgg.), Medieval East Central Europe in a Comparative Perspective: From Frontier Zones to Lands in Focus. London 2016, S. 225–238. 86 Ein Beispiel im Sinne einer vergleichenden Analyse verschiedener früher Siedlungsgebiete in Südosteuropa, aber auch in den mittelöstlichen Teilen des Kontinents, liefert Konrad G. Gündisch: Saxones de Carpona Saxones de Cibinio. Karpfen/Krupina und Hermannstadt/Sibiu im Mittelalter – ein Vergleich, < h t t p s : // w w w. e k r - g e s i c h t e r. e u /a p p /d o w n l o a d /16 4 6 0 2 4 8 7 25 / S a x o n e s + C o r p o n a + C y b i n i o . pdf?t=1508652416>, 10.3.2022. Ein methodischer Rahmen für diese Art von Untersuchung auf breiterer Ebene, der sich auf die Gründung der siebenbürgischen Bistumsinstitution konzentriert, bei Adinel C. Dincă, Mihai Kovács: Latin Bishoprics in the »Age of Iron« and the Diocese of Transylvania. In: Daniela Marcu Istrate, Dan Ioan Mureșan, Gabriel Tiberiu Rustoiu (Hgg.): Christianization in Medieval Transylvania. A Church Discovered in Alba Iulia and its Interpretations. Leiden 2022, S. 316–354. 87 Daniela Marcu Istrate, Mihai Constantinescu, Andrei Dorian Soficaru: The Medieval Cemetery from Sibiu (Hermannstadt), Huet Square. Archaeology, Anthropology, History. Büchenbach 2015. 88 Ligia Barbarii, Carmen Constantinescu, Burkhard Rolf: A study on Y-STR haplotypes in the Saxon population from Transylvania (Siebenbürger Sachsen). Is there an evidence for a German origin? In: Romanian Journal of Legal Medicine 12 (200) H. 4, S. 247–255; Alexandra Gînguță u. a.: Mitochondrial DNA Profiles of Individuals from a 12th Century Necropolis in Feldioara (Transylvania). In: Genes 12 (2021) H. 3, S. 436, , 12.3.2022.

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aDinel c. Dincă, Dr. habil., wissenschaftlicher Forscher zweiten Grades (cercetător ştiinţific gradul II), wissenschaftlicher mitarbieter am Geschichtsinstitut »George Barițiu« der Rumänischen akademie in Klausenburg (Institutul de Istorie »George Barițiu« al academiei Române, Cluj-napoca) und universitätsdozent an der dortigen Babeș-Bolyai-universität. Er leitet das an dieser Hochchule ansässige Zentrum Trans.Script für mittelalterliche paläographie und Kodikologie. Von ihm stammen zahlreiche Studien zur mittelalterlichen Geschichte Siebenbürgens und Südosteuropas, zur mittelalterlichen Quellenkunde, zur Rechts- und Kulturgeschichte sowie zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schriftkultur und den lesestoffen dieser Zeit in Siebenborgen. E-mail: [email protected].

History – Historical Perception – Historiography. The Origin and Ethnicity of the First Western Colonists in Medieval Transylvania (Abstract) 900 years ago, the direction of workforce migration in Europe was the opposite of today: the expertise needed for urban development along the new trade routes generated a transfer of population from the west to the sparsely populated eastern peripheries of the Christian Latinitas. These settlers enjoyed a wide range of fiscal and ecclesiastical immunities and privileges granted by local rulers, thus providing attractive conditions for a better life in their new homelands. One of these environments under construction was Transylvania, at that time a new territorial addition to the Kingdom of Hungary. The first wave of »royal guests« – ca. 2,600 Walloon, Flemish and German colonists from today’s Belgium, Luxembourg, and the Low Countries – settled around Sibiu after 1150. During the last century, however, little academic analysis has been attempted to challenge or further appreciate these affirmations. The purpose of this paper is to underline the necessity of bringing a fresh view on the assessments concerning the origin and ethnicity of the first wave of colonists in mediaeval Transylvania, through updated methodological suggestions and an interdisciplinary apprehension of historical sources, material culture, linguistic elements, church institutions, and social structures.

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Liviu Rebreanu und das Dritte Reich Von Daniela Laube, Euro Schulen Bielefeld Ausgehend von umfangreichen Recherchen in deutschen und rumänischen Bibliotheken und Archiven (Bibliothek der Rumänischen Akademie der Wissenschaften, CNSAS, Archiv des rumänischen Außenministeriums, Archiv der Gesellschaft der rumänischen Schriftsteller, Staatsarchiv – alle mit dem Sitz in Bukarest – und Landesbibliothek Kiel, Bundesarchiv und Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin) stellt der vorliegende Aufsatz eine wenig bekannte Seite des rumänischen Autors Liviu Rebreanu dar, dessen Roman Der Wald der Gehenkten 2018 einen großen Erfolg im deutschsprachigen Raum genoss. Es handelt sich dabei um seine Kollaboration mit dem Dritten Reich in seiner Eigenschaft als Landessprecher Rumäniens im Rahmen der Europäischen Schriftstellervereinigung in Weimar und als Generalintendant aller Theater in Rumänien. Zugleich war Rebreanu der am meisten rezipierte rumänische Autor im Dritten Reich und ein Antreiber der rumänischen Kulturpropaganda im Ausland nach dem Ersten Weltkrieg bis 1944. DER BEKannTHEITSGRaD lIVIu REBREanuS In DEuTSCHlanD Im Jahre 2018 veröffentlichte der Zsolnay Verlag, Wien, den Roman Der Wald der Gehenkten von Liviu Rebreanu. Dieser Roman, der schon 1922 in Rumänien erschienen war, wurde von den deutschen Medien sehr positiv aufgenommen. Wirft man einen Blick auf das Kulturmagazin perlentaucher.de,1findet man eine Zusammenfassung der wichtigsten Rezensionen. Egal ob man den Tagesspiegel, den Deutschlandfunk, die Neue Zürcher Zeitung oder die Süddeutsche Zeitung liest, ist man beeindruckt von der guten Kritik, die der Roman Rebreanus erntet. Die Rezensenten loben die psychologische Erzählkunst, die Sprache, die vielfältigen Figuren, die »einzigartige emotionale Wucht« am Ende des Romans, während die Auftaktszene auf dem Galgenhügel an Shakespeare und Beckett erinnere. Noch zwei weitere Verdienste verdeutlicht der Rezensent Daniel Henseler. Das erste liegt in der Komposition: »Dieser Roman erinnert an eine antike Tragödie […]. Dass es dem Autor […] gelingt, die Spannung bis zu den allerletzten Zeilen aufrecht zu erhalten, ist eines der großen

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Verdienste des Romans.«2 Das zweite liegt in der aktuellen Thematik: »Vor allem aber greift der Autor ein Thema auf, das nichts von seiner Gültigkeit verloren hat: die Frage nach Loyalität und Zugehörigkeit zu einer Kultur, einem Land, einer Nation.« Der Roman wird als ein expressionistisches Meisterwerk gefeiert und von den Hanser Literaturverlagen, zu denen ja Zsolnay gehört, als »ein Klassiker der Weltliteratur aus Rumänien und eine große Wiederentdeckung«3 gelobt. Liviu Rebreanu ist kein Unbekannter im deutschsprachigen Raum, obwohl die Begeisterung für seinen Roman das vermuten lassen könnte. Er wurde ab 1960 in der DDR mit allen seinen Werken über die Kriegs- und Bauernproblematik übersetzt. Sein Roman Der Aufstand, der bei Volk und Welt erschien 4, erlebte sogar eine zweite und dritte Auflage. Auch Der Wald der Gehenkten wurde ebenda, im zweitgrößten belletristischen Verlag der DDR, 1966 veröffentlicht und galt als Antikriegsroman. In der Bundesrepublik erschien 1952 nur sein Roman Adam und Eva, sein einziges Werk, das kein Bauernthema behandelt. Zudem war Rebreanu in der Anthologie Doina, Doina vertreten, in der die Auswahl der Texte nach motivischen Schwerpunkten geordnet ist. Hier stehen im Mittelpunkt das Bodenständige und »das spezifische Gefühl […], das den Namen ›dor‹ trägt«5 und ähnlich wie die Sehnsucht zu verstehen ist. Wenig bekannt ist allerdings, dass Liviu Rebreanu der am meisten rezipierte rumänische Autor im Dritten Reich war. Besonders sein Roman Die Erde, die trunken macht [Ion] erfreute sich eines großen Erfolgs und wurde in die Gattung der Blut- und Boden-Literatur eingestuft. Einem Brief der Wiener Verlagsgesellschaft ist zu entnehmen, dass »die deutsche Übersetzung von Ion im deutschen Leserpublikum sehr großem Interesse begegnet. Das Buch wurde von einer großen Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften zur Besprechung angefordert. Ein Referent des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda stellte es im Rahmen seines Vortrags über das literarische Schaffen der Völker Südosteuropas besonders heraus. Auch die Buchhandlungen haben sich für das Buch sehr eingesetzt.«6 Laut einem Brief von Sextil Puşcariu7 in seiner Eigenschaft als Leiter des Rumänischen Instituts in Deutschland war der Roman innerhalb von ein paar Wochen komplett ausverkauft, so dass er ihn in Berlin gar nicht mehr kaufen konnte. Dass der Roman in sehr kurzer Zeit vergriffen war, steht auch in einem Brief der Wiener Verlagsgesellschaft vom August 19418: »[…] heute bereits fast zur Gänze ausverkauft.« Nach dem Roman wollte man ein Theaterstück machen, und Pușcariu nahm deswegen Kontakt mit einem deutschen Theaterdirektor auf, dessen Namen er nicht verriet. In einem weiteren Brief9 kam er noch einmal darauf zurück. Offensichtlich wurde aus dem ursprünglichen Projekt nichts, und er hatte vor, Eckart von Naso, dem Dramaturgen der Staatlichen Schauspiele, der übrigens eine sehr lobenswerte Rezension über Die Erde, die trunken macht in Velhagen und Klasings Monatshefte geschrieben hatte, die Übersetzung des Theaterstückes in der Bearbeitung von Mihail Sorbul zu schicken. Aus einem Brief des Chef2 3 4 5 6 7 8 9

, 4.6.2021. , 5.6.2021. Liviu Rebreanu: Der Aufstand. Berlin 1962 (²1976, ³1984). Kurt Schebesch (Hg.): Doina, Doina. Eine Anthologie rumänischer Literatur aus Vergangenheit und Gegenwart. Rautenberg 1969, S. 12. Brief an Rebreanu vom 27.8.1941, S 31/CMLXXXII, BARB. Brief an Rebreanu vom 26.11.1941, S 73 (3)/CMLXVIII, BARB. Brief vom 18.8.1941 an Hans Richter, S 31/CMLXXXII, BARB. Brief an Rebreanu vom 11.5.1942, S 73 (4)/CMLXVII, BARB.

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dramaturgen des Württembergischen Staatstheaters in Stuttgart10 geht hervor, dass im Rahmen einer Veranstaltung dieses Theaters über Rumänien auch das Vorlesen eines Kapitels aus Die Erde, die trunken macht geplant wurde. Außerdem war vorgesehen, Rebreanus Werke in weitere Sprachen zu übersetzen und zu veröffentlichen. Aus einem Brief Rebreanus an die Wiener Verlagsgesellschaft11 geht hervor, dass dieser einverstanden war, aus Die Erde, die trunken macht ein Libretto zu machen. Er bedankte sich zugleich für den Vertrag für die Herausgabe dieses Romans in Holland. Etwas später bat Anton Algatzy den rumänischen Autor, ihm »möglichst umgehend einige Notizen betreffend den Inhalt Ihrer wichtigsten Werke« für den Verlag Dagens Böcker in Stockholm zu schicken, »da wir großen Wert darauf legen, dass auch Ihre Bücher in schwedischen Ausgaben erscheinen.«12 Bis 1944 erschienen noch von ihm Der Aufstand (Wien 1942), Die Beiden (Wien 1944) sowie der Novellenband Die Einfältigen (Wien 1943). Viele seiner Erzählungen wurden in Anthologien aufgenommen. lIVIu REBREanuS oppoRTunISTISCHES VERHalTEn WäHREnD DES ERSTEn WElTKRIEGS unD SEInE KonTaKTE Zu EInFluSSREICHEn DEuTSCHEn BEamTEn Rebreanu ist bekannt für sein opportunistisches Verhalten während des Ersten Weltkrieges, als er an den von Deutschland finanzierten Zeitungen Ziua [Der Tag] und Moldova mit literarischen Beiträgen und Theaterartikeln mitwirkte, um seine finanzielle Situation zu konsolidieren. Es muss hier angemerkt werden, dass er erst nach dem Erscheinen seines Romans Ion 1920 bekannt wurde. Zu seinem opportunistischen Verhalten zählt auch sein Verbleiben in Bukarest (rum. București) während der deutschen Besatzung in Rumänien, als er sein eigenes Kulturblatt Scena [Die Szene] herausgab, nachdem er allerdings die schlechte Behandlung der Rumänen in Siebenbürgen durch die Ungarn in der Zeitung Universul literar [Das literarische Universum] scharf kritisiert hatte13. Rebreanu stand auch nach dem Ersten Weltkrieg mit hohen deutschen Beamten in Kontakt, wie der einzige erhaltene Brief von Gerhard Mutius, dem damaligen deutschen Gesandten in Bukarest, bestätigt. Hier wird auf einen früheren Brief von Rebreanu an ihn verwiesen, der nicht erhalten ist. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass der Schriftsteller, der inzwischen in Rumänien mehrere Romane14 veröffentlicht hatte und berühmt geworden war, eine Übersetzung seiner Werke in Deutschland anstrebte: Je viens de recevoir votre aimable lettre et les deux volumes, dont on m’a déjà parlé et dont je désire connaître ardemment la traduction allemande [...]. J’espère que votre Ion trouvera un écho analogue chez nous et que la traduction allemande lui servira à être connue dans d’autres parties du monde.15

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Brief an Rebreanu vom 4.07.1942, S 33/CMLXXXII, BARB. Brief von 1942, genaues Datum fehlt, S 55/CMLXXII, BARB. Brief vom 11.1.1943, S 62 (4)/CMLXXXI, BARB. Siehe Lucian Boia: »Germanofilii«. Elita intelectualǎ româneascǎ în anii Primului Rǎzboi Mondial [Die »Germanophilen«. Die rumänische Elite zu Beginn des Ersten Weltkrieges Berlin 2014]. București 2013, S. 288–291. 14 Liviu Rebreanu: Ion. București 1920; ders.: Pădurea spânzuraţilor [Der Wald der Gehenkten]. București 1922; ders.: Adam și Eva [Adam und Eva]. București 1925. 15 Brief vom 18.2.1927, S  62 (1)/CMLXXXI, Bibliothek der Rumänischen Akademie der Wissenschaften Bukarest (Biblioteca Academiei Române din București, im Folgenden: BARB). SpiEgElungEn 2.22

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Offensichtlich fand Rebreanu in Mutius, der nicht nur Diplomat, sondern auch Philosoph war, einen Fürsprecher für die deutsche Übersetzung seines Romans Ion, was bislang gar nicht bekannt war. Das Projekt wurde aber aus unbekannten Gründen nicht konkretisiert. Horst Schuller Anger weist in einem Aufsatz von 198516 darauf hin, dass um 1926 eine deutsche Übersetzung des Romans Ion tatsächlich im Manuskript vorlag und deutschen Verlagen, unter anderem Zsolnay, angeboten, aber nicht angenommen wurde. Auch der Schriftsteller Hans Friedrich Blunck, der erste Präsident der nationalsozialistischen Reichsschrifttumskammer, schätzte den Roman Ion ganz besonders und wollte ihn 1938 im Verlag seines Bruders erscheinen lassen.17 Warum eine deutsche Veröffentlichung damals nicht zustande kam, ist nicht bekannt. lIVIu REBREanu unD DIE EuRopäISCHE SCHRIFTSTEllERVEREInIGunG In WEImaR Nach der Gründung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Bukarest (DWI) im April 1940 nahm Rebreanu regelmäßig an dessen Veranstaltungen teil,18 wie er selbst in seinen Memoiren berichtet.19 Schon vor der Gründung des DWI besuchte er Veranstaltungen mit Bezug zu Deutschland: Karl Supprian, Leiter des DAADBüros in Bukarest bis zur Gründung des DWI und ab dem 6.  April 1940 dessen Generalsekretär, schickte ihm im Februar 1940 »zur Erinnerung an den Besuch von Friedrich Schnack«20 ein Büchlein des deutschen Autors mit einer Widmung. Wie aus Liviu Rebreanus Personalakte im CNSAS21 hervorgeht, verlangte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda von der deutschen Gesandtschaft in Bukarest schon 1938 Informationen über Rebreanu und insbesondere über seine Einstellung zum Nationalsozialismus, um Übersetzungen aus seinem Werk veröffentlichen zu können. Liviu Rebreanu behielt sein opportunistisches Verhalten auch während des Zweiten Weltkrieges bei. Er übernahm die Leitung der Zeitung Viaţa [Das Leben], die vom rumänischen Ministerium für nationale Propaganda (Ministerul Propagandei

16 Horst Schuller Anger: Liviu Rebreanu in deutscher Übersetzung. In: Volk und Kultur 35 (1985) H. 12, S. 14. 17 Siehe die Korrespondenz Bluncks mit Rebreanu im Nachlass Hans Friedrich Blunck in der Landesbibliothek Kiel und die beiden Briefe von Barthold Blunck an Rebreanu in der Akademie-Bibliothek in Bukarest, S 30 (1)/CMLVII und S 30 (2)/CMLVII. In dem Brief vom 23.11.1938 forderte Barthold Blunck Rebreanu auf, das Manuskript von Ion in deutscher Übersetzung zwecks einer Veröffentlichung in Deutschland zu schicken. In dem Brief vom 20.12.1938 erinnerte er ihn an seine Bitte vom 23.11.1938 und zeigte sich interessiert an der Herausgabe der Gesamtwerke Rebreanus. 18 Rebreanu war bei der Eröffnung des DWI anwesend: »Seara [Sâmbătă, 6 aprilie 1940] deschiderea institutului germano-român cu Gamillscheg.« [»Am Abend [Samstag, 6. April 1940] die Eröffnung des DeutschRumänischen Instituts mit Gamillscheg«]. Liviu Rebreanu: Opere [Werke]. Band 17. București 1998, S. 324. Seine Anwesenheit bei der Eröffnung wird vom Bukarester Tageblatt vom 7. April 1940 bestätigt. 19 Am 23. Mai 1940 nahm er an dem Vortrag von Herbert Cysarz über Nietzsche teil. Rebreanu: Opere. Band 17. București 1998, S. 330. Am 11. Oktober 1940 aß er mit Hans Carossa, der auf ihn einen schlechten Eindruck machte: »fără nici o strălucire […], modest, timid, medic de provincie« [»ohne jeden Glanz, bescheiden, schüchtern, Provinzarzt«]. Ebenda, S. 349. Am 16. Oktober 1940 war er im DWI, um einen Vortrag von Nichifor Crainic über die rumänische Seele zu hören, S.  350. Laut dem Bukarester Tageblatt vom 4.11.1941, S. 3, hielt Rebreanu am 3.11.1941 eine Rede bei dem Abendessen, das der Kreis um die Zeitschrift Gândirea [Das Denken] dem Leiter des DWI in Bukarest, Prof. Gamillscheg, nachträglich zu dessen Geburtstag gab. 20 Brief an Rebreanu vom 13.2.1940, S 64/CMLXXVII, BARB. 21 Siehe die Akte I 497957, Mitteilung der dritten Gruppe des Detektivskorps vom 8.10.1938, S. 48, Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii (Nationaler Rat für das Studium der Securitate-Akten, im Folgenden: CNSAS).

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naționale) finanziert wurde. Laut einer Mitteilung der rumänischen Staatssicherheit vom Januar 194222 war seine finanzielle Beteiligung bei Viaţa sehr gering, für ihn war die Zeitung eine zusätzliche Einnahmequelle. Er bekam laut einer anderen Mitteilung der rumänischen Staatssicherheit 30.000 Lei im Monat,23 obwohl er selbst kaum einen Artikel verfasste. In diesem Fall ließ er seine Berühmtheit als Schriftsteller für politische Zwecke instrumentalisieren. Inzwischen war er zum Direktor des Nationaltheaters in Bukarest und zugleich aller Theater in Rumänien ernannt worden. Seine deutschfreundliche Haltung bewirkte, dass er zur Konstituierung der Europäischen Schriftstellervereinigung in Weimar24 eingeladen wurde. Obwohl der Leiter des DWI Bukarest, der Sprachwissenschaftler Ernst Gamillscheg, Vorschläge für das erste Dichtertreffen in Weimar machte und andere Autoren gegenüber Rebreanu bevorzugte,25 waren die deutsche Gesandtschaft in Bukarest und das deutsche Propagandaministerium anderer Meinung. Die Korrespondenz Rebreanus mit verschiedenen Kulturbeamten der deutschen Gesandtschaft zeigt, dass der Schriftsteller die Einladung zum Dichtertreffen in Weimar und die sonstigen Informationen zur Veranstaltung von der deutschen Gesandtschaft erhielt. Beim ersten Dichtertreffen 1941 konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein und wurde vom Präsidenten der rumänischen Schriftstellervereinigung Nicolae I. Herescu vertreten. Offensichtlich gab es auch andere rumänische Autoren, die die Gründung einer europäischen Schriftstellervereinigung unter der deutschen Hegemonie für sinnvoll hielten. Einer im Bukarester Tageblatt veröffentlichten Notiz ist zu entnehmen, dass »als Antwort auf das abgesandte Begrüßungstelegramm anläßlich des Dichtertreffens in Weimar die rumänischen Dichter Liviu Rebreanu, Ioan Alexandru Brătescu-Voinești, Nichifor Crainic, Ion Pillat, Vasile Voiculescu, Ionel Teodoreanu, Tudor Arghezi, Ion Minulescu und I. M. Sadoveanu von den deutschen Dichtern Hanns Johst, Hans Carossa und Bruno Brehm ein Telegramm erhielten, in dem die in Weimar versammelten deutschen Dichter ihren rumänischen Kameraden für die Grüße danken […].«26 In seinem Tagebuch schilderte Rebreanu den Verlauf des zweiten Dichtertreffens in Weimar, an dem er sich aktiv beteiligte. Unter anderem setzte er sich dafür ein, dass die Mitglieder der neuen Europäischen Schriftstellervereinigung keine Propaganda für Europa machen sollen, wie der Generalsekretär Carl Rothe vorschlug, sondern nur Literatur. Rebreanu regte an, dass jedes Land 20 Mitglieder , die kleinen Länder 10, entsenden. Er schlug ebenso vor, dass die Schriftsteller der neuen Europäischen Schriftstellervereinigung keine Mitglieder des PEN-Clubs sein durften. 22 Siehe seine Akte beim CNSAS I 497957, S. 19. 23 Ebenda, Mitteilung vom 4.12.1941, S. 17. 24 Über die Europäische Schriftstellervereinigung in Weimar und die einzelnen Landesgruppen siehe FrankRutger Hausmann: »Dichte, Dichter, tage nicht!« Die Europäische Schriftstellervereinigung in Weimar 1941–1948. Frankfurt am Main 2004. 25 Die Reihenfolge ist bei Gamillscheg die folgende: Ion Pillat, Alexandru Philippide, Ion Marin Sadoveanu, N. I. Herescu, Ionel Teodoreanu, Liviu Rebreanu, Vasile Voiculescu; Schreiben vom 17.9.1941 an Dr. Feist bezüglich der Einladung von Dichtern und Schriftstellern nach Weimar, Fond Institutul german de știinţǎ, Arhivele Diplomatice ale Ministerului Afacerilor Externe (Archiv des rumänischen Außenministeriums Bukarest, im Folgenden: FIGȘ AMAE). Bei dieser Gelegenheit wird deutlich, dass Gamillscheg Ion Pillat bevorzugte. Er erwähnte als Argumente für seine Einladung seine Übersetzungstätigkeit aus der deutschen Lyrik, seine Zugehörigkeit zur »besten rumänischen Gesellschaft« und seine Unterstützung für die Veranstaltungen des DWI (er hatte den Rektor Willy Hoppe anlässlich einer Vortragsreise auf seinem Landsitz in Balcic beherbergt). 26 Dank und Gruß deutscher Dichter. In: Bukarester Tageblatt, 10.12.1941, S. 2. SpiEgElungEn 2.22

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Bemerkenswert sind seine Kommentare über die teilnehmenden Schriftsteller, gerade weil es sonst kaum Aufzeichnungen der eingeladenen Autoren gibt27. Laut Rebreanu fand am 25. März 1942 um 19 Uhr ein Kennenlernen-Essen statt. Das gute Essen wurde in einem besonderen Salon eines Weimarer Hotels serviert. Unter den Gästen traf er Giovanni Papini und vermerkte dazu: »interessant, sehr kurzsichtig, […] er hat mit mir gerne über Rumänien gesprochen« und über seinen Roman Gog, der von Alexandru Marcu ins Rumänische übersetzt worden war. Anwesend waren noch die Bulgarin Fani Popova-Mutafova, »klein, dick, […] aber auch dumm und sicherlich ohne Talent«, Arvi Kiwimaa, »echter Finne, ein feiner, zarter, bescheidener, bewundernswerter Typ«; Örnulf Tigerstedt, »lebhaft, sympathisch, geschwätzig, ein Schwede aus Finnland […]. Kein Ungar […].«28 Rebreanu ließ sich von der propagandistischen Inszenierung in Weimar anstecken und war davon tief beeindruckt: Am 26. März, nach dem ersten Arbeitstag der neuen Vereinigung, lasen die Schriftsteller im Wittumspalais, dem ehemaligen Wohnsitz der Herzogin Anna Amalia, Werke von Goethe, Schiller, Herder, Wieland sowie gegenwärtige Literatur. In dem mit Kerzen beleuchtenden Salon wurde die Chromatische Fantasie und Fuge von Bach gespielt. Am nächsten Tag wurde um 11 Uhr Goethes Haus besichtigt: »Es war eine große Freude und ein großes Glück. Vielleicht der stärkste Eindruck in meinem Leben […] Es ist unmöglich hier über so ein starkes Erlebnis zu schreiben.«29 Ein Brief von Wilhelm Ruoff vom deutschen Propagandaministerium an Rebreanu belegt, dass die aktive Beteiligung des rumänischen Autors an dem Dichtertreffen in Weimar von der deutschen Seite sehr geschätzt wurde: Ich darf Ihnen sagen, dass wir alle sehr froh in Weimar waren, in Ihnen einen so lieben Gast und Vertreter Ihres Landes in unserer Reihe zu haben! Und Sie haben bei Ihrer Tischrede am letzten Tag so kompakt und von Grund auf gesprochen, dass ich Sie noch einmal dazu beglückwünsche. Ich wollte, ich könnte über meine eigene Nation und in meiner eigenen Sprache die Dinge auch einmal so kurz, eindringlich und wahr zusammenfassen.30

Rebreanu selbst erwähnt in seinem Tagebuch, dass er am letzten Tag des zweiten Dichtertreffens in Weimar eine kurze Rede hielt: Ich habe einen sehr starken Eindruck gemacht. Ein Applausgewitter hat mich unterbrochen, als ich die rumänischen Soldaten erwähnt habe, und am Ende hörte der Beifall gar nicht mehr auf. Hans Carossa kam extra, um mir zu danken und zu gratulieren. Genauso verschiedene andere Leute. Rothe verlangte den Text fürs Archiv und Ruoff nahm ihn, um ihn zu veröffentlichen […].31

27 Bekannt sind nur die Aufzeichnungen von Arvi Kivimaa über das erste Dichtertreffen in Weimar, an dem Liviu Rebreanu nicht teilnehmen konnte. Sie erschienen 1944 im Karl H. Bischoff Verlag, Berlin, Wien, Leipzig: Europäische Dichterreise durch Deutschland. Reiseeindrücke eines finnischen Schriftstellers in Deutschland. 28 Liviu Rebreanu: Opere. Band 18. București 1998, S. 68. 29 Im Original: »A fost o mare bucurie și fericire. Poate cea mai puternică impresie din viaţa mea […] E imposibil să notez aici o trăire atăt de puternică.« Liviu Rebreanu: Opere. Band 18. București 1998, S. 70. 30 Brief vom 26.4.1942, S 26/CMLXXV, BARB. 31 Im Original: »Am făcut o impresie foarte puternică. M-a întrerupt o furtună de aplauze când am pomenit de soldaţii români, iar la sfârșit aplauzele nu mai conteneau. Hans Carossa a venit special să-mi mulţumească și să mă felicite. Tot așa diverși alţii. Rothe mi-a cerut textul pentru arhivă, iar Ruoff l-a luat să-l publice […].« Liviu Rebreanu: Opere. Band 18. București 1998, S. 72.

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Wie dem 20. Band seiner gesammelten Werke zu entnehmen ist,32 erschien ein Auszug dieser Rede in der Berliner Börsenzeitung und wurde als politisch sehr wichtig eingestuft. Rebreanu erkannte die militärische und kulturelle Überlegenheit Deutschlands gegenüber anderen Ländern sowie seine führende Rolle in Europa an: »Wir vertrauen vor allem den deutschen Schriftstellern. Deutschland ist tatsächlich das Herz Europas. Wie auch im Krieg, muss Deutschland auch in der Kultur der Führer Europas sein.« Der Brief von Ruoff beweist zugleich, dass er Rebreanu sehr geschickt umwarb. Er kündigte seine Absicht an, seinem rumänischen Freund eine Bildseite zu widmen. Dafür verlangte er ein paar gute Fotos, »vielleicht eins, das Sie bei Ihrer Arbeit im Theater […] zeigt.«33 Tatsächlich erschien in der Europäischen Literatur, dem Presseorgan der Europäischen Schriftstellervereinigung, ein großformatiges Foto Rebreanus, das ihn in seinem Büro im Nationaltheater in Bukarest zeigt. Ruoff versprach auch, Werke Rebreanus in der Zeitschrift der ESV und in Das Reich zu besprechen. Noch vor dem zweiten Dichtertreffen in Weimar reiste der rumänische Autor erstmals in Deutschland. Wie aus einem Brief des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda34 hervorgeht, wurde von Ernst Gamillscheg und Dr. Wilhelm Ruoff aus dem obengenannten Ministerium anlässlich der deutschen Buchausstellung in Bukarest 1940 vorbesprochen, welche rumänischen Schriftsteller in der kommenden Zeit in Deutschland besonders förderungswürdig seien. Das Propagandaministerium plante, »im kommenden Winter einen rumänischen Schriftsteller, Publizisten oder Forscher« bekannt zu machen, »der uns in seinem Werk und in seiner Haltung nahesteht«. Gewünscht war ein Vortrag über Rumänien in Begleitung von Proben aus dem Werk des Autors. Es ist nicht bekannt, welche Empfehlung Gamillscheg aussprach. Der Schriftsteller, der nach Deutschland kam, war jedenfalls Liviu Rebreanu, der darüber in seinem Tagebuch ausgiebig berichtet.35 Als eitle Persönlichkeit ließ er sich von den großen Ehren, die ihm zuteilwurden, überwältigen. Obwohl er sonst sehr nüchtern seine Eindrücke notierte, zeigte er sich im Falle der DeutschlandReise sehr emotional. Am 5. Januar 1942 reiste er ab und wurde von Prinz Solms von der Deutschen Gesandtschaft Bukarest zum Bahnhof begleitet. In Berlin nahmen ihn Dr. Ruoff und Dr. Henning vom Propagandaministerium in Empfang. Am 9. Januar 1942 las er im Radio einen längeren Absatz seines Vortrages. In der Fichte-Gesellschaft nahmen an seinem Vortrag unter anderem der Leiter der Kultursektion im Auswärtigen Amt und der Generaldirektor der deutschen Theater teil. Von Berlin fuhr er weiter nach München, Stuttgart, Leipzig, Görlitz, Breslau. Überall hatte er großen Erfolg. In Dresden wurde er im Hotel Bellevue untergebracht, dem schönsten Hotel, das er je gesehen hatte. Bei seinem Vortrag Rumänische Heimat, der im ersten Heft der Europäischen Literatur veröffentlicht wurde, war auch der Schriftsteller Gerhart Hauptmann anwesend. Nach einer kurzen Präsentation des rumänischen Volkes, seiner Sprache und der Entwicklung seiner Literatur bezog sich Rebreanu auf die deutsch-rumänische Freundschaft:

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Liviu Rebreanu: Opere. Band 20. București 2000, S. 302. Ebenda. Brief an das Auswärtige Amt vom 24.4.1941, FIGȘ AMAE. Liviu Rebreanu: Opere. Band 18. București 1998.

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Das neue Reich ist die erste Großmacht, die sich auf dem Gipfel ihrer Kraft nicht nur den politischen und wirtschaftlichen Belangen unseres Landes zuwendet. Es ist das erste Mal, dass ein großes Volk sich wahrhaftig der rumänischen Seele nähert und wahrzunehmen versucht, was diese der europäischen Kultur zu bieten vermag […]. Wir Rumänen setzen unsere Hoffnung auf […] das neue Deutschland, das für Ehre und Gerechtigkeit ficht.36

Dass zwischen Rebreanu, dem DWI Bukarest und der deutschen Gesandtschaft sehr gute Beziehungen bestanden, wird auch aus einem Artikel in Viaţa ersichtlich37, der nach seiner Rückkehr aus Deutschland darüber berichtet, wie er von der Gesellschaft der rumänischen Schriftsteller gefeiert wurde. Zu den eingeladenen Personen zählten der Kulturattaché Dr.  Feist von der deutschen Gesandtschaft sowie Mitglieder des DWI: Ernst Gamillscheg, Günther Reichenkron und Günther Spaltmann. Ab diesem Zeitpunkt erhielt Rebreanu Anfragen zur Mitarbeit an deutschen Zeitungen38 und Einladungen nach Deutschland.39 Inzwischen avancierte er zum Landessprecher der rumänischen Gruppe der ESV und durfte die anderen rumänischen Schriftsteller für das nächste Dichtertreffen in Weimar vom 6. bis zum 8. Oktober 1942 vorschlagen 40. Einem Artikel im Bukarester Tageblatt41 ist zu entnehmen, dass außer Liviu Rebreanu noch die Autoren Ion Marin Sadoveanu, Nicolae I. Herescu und Ionel Teodoreanu, inzwischen Vizepräsident des rumänischen Schriftstellerverbands, eingeladen wurden. Rebreanus Tagebuch erweist sich auch in diesem Fall als wichtiges Zeitdokument. So erfährt man, dass Rebreanu zusammen mit Ion Marin Sadoveanu schon am 1. Oktober 1942 mit dem Zug von Bukarest nach Berlin fuhr. In Berlin wurden sie im Hotel Bristol untergebracht und von Ruoff zum Mittagessen eingeladen. Herescu kam erst am 4. Oktober an. In Weimar trafen sie zwei Tage später ein. Am nächsten Tag um 11 Uhr begann die erste Sitzung der europäischen Schriftsteller. Carossa und Papini waren diesmal nicht anwesend, Rebreanu wurde »mit Beharrlichkeit ein Platz im Präsidium angeboten.« 42 Moderator war der Finne Kivimaa. Emilio Cecchi hielt einen Vortrag über die italienische Literatur, gefolgt von den Berichten der Landesvertreter. Zum Empfang des Bürgermeisters um 20  Uhr wurde auch Rebreanu zusammen mit Kivimaa, Cecchi und ein paar deut36 Europäische Literatur 1 (1942) H. 1, S. 7. 37 Domnul Liviu Rebreanu, directorul ziarului nostru, a fost sărbătorit de Societatea Scriitorilor Români [Herr L.  R., der Direktur unserer Zeitung, wurde vom Rumänischen Schriftstellerverband geehrt]. In  : Viaţa, 9.3.1942. 38 Schon am 22.1.1942 wandte sich Der getreue Eckart an Rebreanu, um ihn für eine Mitarbeit zu gewinnen. Der getreue Eckart »soll als Zeitschrift für den Südosten ausgebaut werden. Es wäre daher besonders zu begrüßen, wenn ein Dichter von so hohem Range wie Sie im Eckart das Wort ergriffe«, S 59 (1)/CMLXXI, BARB. Rebreanu stand in Verbindung mit Wille und Macht laut S 32/CMLXXXII und mit der Donauzeitung, in deren Ausgabe vom 8.6.1943 ein Artikel von ihm und sein Porträt abgedruckt wurden, laut S 63/ CMLXXXI, Brief vom 11.6.1943, BARB. Im Auftrag des Präsidenten der Fichte-Gesellschaft wurde er für Januar oder Februar 1944 wiederum eingeladen, einen Vortrag zu halten und aus seinen Werken vorzulesen: »Den Termin der Lesung und Ihre Fahrt nach Berlin bitte ich Ihrerseits zu bestimmen. Wenn ich einen Wunsch in dieser Hinsicht äußern darf, so wäre der Januar oder Anfang Februar besonders geeignet.« Brief von Otto Henning vom 22.11.1943, S 15 (a)/CMLXIII, BARB. 39 Siehe den Brief der deutschen Gesandtschaft Bukarest an Rebreanu vom 4.9.1942, S  62 (3)/CMLXXXI, BARB. In der Anlage befindet sich eine persönliche Einladung Baldur von Schirachs, des Reichsstatthalters in Wien, zur Teilnahme an der Gründungsveranstaltung des Europäischen Jugendverbandes in Wien vom 14. bis 18.9.1942. 40 »Die Mitteilung über die einzuladenden rumänischen Persönlichkeiten, bitte ich Sie mir sobald als möglich spätestens aber bis Ende dieses Monats bekanntzugeben.« Brief von Anton Algatzy an Liviu Rebreanu vom 17.8.1942, S 9 (1)/CMLVI, BARB. 41 Europäische Schriftsteller treffen sich in Weimar. In: Bukarester Tageblatt, 2.10.1942, S. 3. 42 Liviu Rebreanu: Opere. Band 18. București 1998, S. 75.

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schen Kollegen eingeladen. All diese Einzelheiten beweisen die große Bedeutung, die dem rumänischen Autor zugemessen wurde. Mit Ruoff vereinbarte Rebreanu, dass dieser monatlich Informationen über die rumänische Bewegung und alle zwei bis drei Monate einen literarischen Beitrag für die Europäische Literatur erhalten solle. Tatsächlich finden sich in den Ausgaben der Europäischen Literatur von 1942 bis 1943 mehrere Aufsätze, Rezensionen zu rumänischen Werken oder einfache Ankündigungen von Neuerscheinungen.43 DIE RumänISCHE SEKTIon DER EuRopäISCHEn SCHRIFTSTEllERVEREInIGunG Am 29.  November 1942 leitete Liviu Rebreanu im Nationaltheater in Bukarest die Gründungsveranstaltung der rumänischen Sektion der Europäischen Schriftstellervereinigung in Anwesenheit von Carl Rothe,44 nachdem er die rumänischen Autoren bereits am 26.  August 1942 in sein Büro im Nationaltheater eingeladen hatte, um Besprechungen hinsichtlich der Konstituierung der rumänischen Sektion der ESV zu führen. In seiner Rede nahm er Bezug auf das zweite Dichtertreffen in Weimar, lobte Deutschland als »Herz Europas« und sprach in einem pathetischen Ton offen von der Wiedervereinigung mit Siebenbürgen: Unsere Soldaten kämpfen nicht für Ruhm im Kaukasus […], sondern nur für die Wiedergewinnung dessen, was uns seit ewig gehört, für die Wiedervereinigung dessen, was unseren Körper verstümmelt hat. Die Rumänen bluten und sterben dort, wohin ihr Schicksal sie treibt, nur um unsere Rechte zu erlangen, ohne die unser Volk nicht mehr leben könnte.45

Bei der Gründung der rumänischen Sektion der ESV hielt Carl Rothe eine Ansprache und las aus seinem Roman Olivia vor. Ion Marin Sadoveanu bot den Anwesenden eine Darstellung der deutschen zeitgenössischen Dichtung von Gerhart Hauptmann, Paul Ernst, Erwin Guido Kolbenheyer, Hanns Johst über Hans Carossa, Rudolf Binding und Carl Rothe an. Ion Pillat, Alexandru Philippide und Ionel Teodoreanu lasen aus eigenen Werken vor. Schauspieler rezitierten Gedichte von europäischen Dichtern wie Goethe, Rilke, Stefan George, Carossa, aber auch von Paul Claudel und

43 In Ausgabe 8/1942 der Europäischen Literatur werden die Bedeutung und die Schönheit der Donau durch die Erzählung In der Balta von Emanoil Bucuţa veranschaulicht. In Ausgabe 4/1943 werden die Gedichte Wir von Octavian Goga und Abendmüde Vögel von Mihai Eminescu veröffentlicht. Eine Darstellung der Tendenzen der rumänischen Gegenwartsliteratur findet man bei Pompiliu Constantinescu: Rumäniens Schriftum 1942. In: Europäische Literatur 2 (1943) H. 5, S. 17-18. Oskar Walter Cisek präsentiert das Werk von Mihail Sadoveanu unter dem Titel: Das Bildnis eines Dichters. In: Europäische Literatur 2 (1943) H.  8, S. 10-11. 44 Aus den Briefen Anton Algatzys an Rebreanu vom 23.11.1942, S 9 (4)/CMLVI und vom 25.11.1942, S 9 (5)/ CMLVI, BARB, erfährt man Details über das Programm des Besuchs Rothes in Rumänien. Nach der Kundgebung der ESV um 11 Uhr im Nationaltheater und einem Essen in »Cina« nahm Rothe an der Aufführung von Iphigenie in Delphi von Gerhart Hauptmann im Nationaltheater teil. Am 30.11.1942 fand im Athenäum ein Cellokonzert mit Ludwig Hoelscher statt. Am 1.12.1942 gab es ein Essen im kleinen Kreis in der Privatwohnung von Rebreanu und auch ein Essen in der Deutschen Gesandtschaft. Am selben Tag war noch ein Besuch des Verlags und der Buchhandlung »Cartea Românească« beziehungsweise der deutschen Buchhandlung Buchholz vorgesehen. Am 2.12.1942 wurden die Zeitungsbetriebe Universul, Timpul und Viaţa besucht. Um 17  Uhr gab es einen Tee beim Dichter Ion Pillat. Rothe wurde zudem noch von den Ministern Alexandru Marcu und Ion Petrovici empfangen. 45 Im Original: »Soldaţii noștri nu luptă pentru măriri în Caucaz, […] ci numai pentru redobândirea a ceea ce este al nostru dintotdeauna, pentru reîntregirea a ceea ce s-a mutilat din trupul nostru. Românii sângerează și mor pe unde îi îndreaptă destinul numai pentru izbândirea dreptăţii noastre fără de care neamul nostru n-ar mai putea trăi.« Ms 4062, S. 32, NL Liviu Rebreanu, BARB. SpiEgElungEn 2.22

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Charles Baudelaire. Das Programm endete mit dem Dritten Brief des Nationaldichters Mihai Eminescu.46 Wie stark politisiert diese Veranstaltung war, sieht man an den eingeladenen Gästen: der Gesandte Killinger stand mit seiner Frau an der Spitze der Angehörigen der Deutschen Gesandtschaft. Der Gesandtschaftsrat Stelzer, der Generalkonsul von Weyssenhoff, der Kulturattaché Müller, der Presseattaché Welkisch und der Sachbearbeiter für Schrifttum, Anton Algatzy, waren ebenfalls anwesend. Mit einem Bleistift notierte Rebreanu auf dem Brief Algatzys an ihn vom 25.  November 1942 noch die Namen der DWI-Mitglieder Gamillscheg, Supprian und Sacher. Offensichtlich äußerte er den Wunsch, auch diese einzuladen. Zum Essen in der Deutschen Gesandtschaft waren von Algatzy ursprünglich Liviu Rebreanu, Nicolae I. Herescu, Ionel Teodoreanu, Ion Pillat und Nichifor Crainic vorgeschlagen. Rebreanu ergänzte die Liste  – ebenfalls mit Bleistift  – um Camil Petrescu, Dragoș Protopopescu, Alexandru Philippide, Vasile Voiculescu und Dem Theodorescu.47 Dass der Anglist und Schriftsteller Dragoș Protopopescu vorgeschlagen wurde, überrascht, da er kein Mitglied der ESV war. Allerdings war er Legionär, und 1934 verbrachte er wegen seiner Zugehörigkeit zur Eisernen Garde einige Zeit im Gefängnis Jilava. Rothe fühlte sich sehr wohl in Rumänien, denn er sprach Rebreanu wegen einer neuen »Dienstreise« an, die er privat nutzen wollte: »Ob ich meine stille Absicht, im nächsten Frühjahr noch einmal hereinzuschauen und mich etwas auf dem Lande und im Delta umzutun, wahrmachen kann und darf?« 48 Diese Reise fand allerdings nicht statt, weil Rebreanu zunehmend krank wurde. Die rumänische Sektion der ESV hatte ambitionierte Pläne. Wie aus einem Bericht Anton Algatzys hervorgeht, »beabsichtigte [Rebreanu] für diesen Herbst [1943] mit einem umfangreichen Vortragsprogramm an die rumänische Öffentlichkeit zu treten.« 49 Algatzy nahm in einem Brief an Rebreanu als Leiter der rumänischen Landesgruppe der ESV wieder darauf Bezug: Hans Friedrich Blunck »wird am 17.10. [1943] vormittags im Rahmen der von Ihnen veranstalteten Kundgebung der ESV aus seinen Werken lesen.«50 Erstaunlich ist, dass weder in den veröffentlichten Lebenserinnerungen von Hans Friedrich Blunck noch in Liviu Rebreanus Tagebuch51 etwas darüber zu finden ist. Blunck beschreibt ausführlich seinen Besuch in Rumänien 1938 anlässlich der deutschen Woche in Bukarest. So erwähnt er auch, dass beim Gastmahl von Ion Sângiorgiu auch Rebreanu mit ihnen zu Tisch war. Auffällig ist, dass gerade die Schriftsteller, die damals Blunck große Ehre erwiesen, auch der rumänischen Sektion der ESV angehörten. Ion Marin Sadoveanu hielt schon 1938 in Anwesenheit Bluncks eine Rede über die rumänische Literatur der Gegenwart und begleitete den Gast überall hin. »Bis in die Nacht saßen wir bei guten Gesprächen, dann beim Spiel der Nai, der Panflöte der Zigeuner, unterm Vorsitz von Herescu, dem ehrwürdigsten der Dichter Bukarests, beisammen. Mit uns der Lyriker John Pillat, der Hitzkopf, mit

46 Für weitere Einzelheiten siehe: Europäische Dichtung als Gabe und Aufgabe. In: Bukarester Tageblatt, 1.12.1942, S. 3. 47 Siehe den Brief Algatzys an Rebreanu vom 25.11.1942, S 9 (5)/CMLVI, BARB. 48 Brief an Liviu Rebreanu vom 27.11.1943, S 23 (2)/CMLXXV, ebenda. 49 Bericht Algatzys an das Auswärtige Amt über die Schrifttumspolitik in Rumänien für die Zeit vom 1.6.41 bis 31.7.43, R 51/125, Bundesarchiv Berlin. 50 Brief Algatzys vom 21.9.1943, S 62 (5)/CMLXXXI, BARB. 51 Liviu Rebreanu erwähnt in seinem Tagebuch flüchtig, dass nach Hans Friedrich Blunck 1938 die Franzosen Georges Duhamel, André Thérive und Jean-Louis Vaudoyer eine Woche später in Bukarest waren, Liviu Rebreanu: Opere. Band 17. București 1998, S. 295. Es gibt keine Zeile über den Besuch Bluncks 1943.

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uns Professoren der Universität, wie Dimitriu und Crainic.«52 Nur ein Brief von Hans Friedrich Blunck an Nichifor Crainic bestätigt den Besuch in Bukarest im Oktober 1943: »Nach Heimkehr möchte ich Ihnen in Erinnerung an unsere langjährige Verbundenheit und in Freude an unsere Begegnung meinen herzlichen Dank sagen für Ihre Begleitung in den Bukarester Tagen und für die Gespräche, die ich mit Ihnen über Schicksal und Zukunft unserer Völker führen durfte.«53 Eine Recherche in der Bukarester Presse förderte lediglich eine Notiz über diesen Besuch in der größten Zeitung Universul [Das Universum]54 zu Tage. Dort wird bestätigt, dass Blunck infolge einer Einladung der rumänischen Landesgruppe der ESV Bukarest besuchte. Er traf die rumänischen Kollegen in der deutschen Gesandtschaft und bei den Veranstaltungen, die von Liviu Rebreanu und Nicolae I. Herescu organisiert wurden. Im übervollen Saal der Carol  I.-Stiftung las Blunck aus seinen Werken, nachdem Ion Marin Sadoveanu ihn dem Publikum vorgestellt hatte. Blunck besuchte das Dorfmuseum in Bukarest, den Verlag »Cartea Româneascǎ« [Das rumänische Buch] und die Zeitung Universul. Im Nationaltheater wohnte er der Aufführung von Friedrich Schillers Maria Stuart bei. Ebenfalls im Nationaltheater las die Schauspielerin Lilly Popovici sein Märchen Die Geranie am Fenster vor. Andere Veranstaltungen der rumänischen Sektion der ESV fanden nicht mehr statt, da Rebreanu schwer krank wurde und im Herbst 1944 verstarb. Laut Frank-Rutger Hausmann55 gibt es im Nachlass Carl Rothes eine Liste mit den rumänischen Autoren, die von Rebreanu als Mitglieder der ESV vorgeschlagen wurden: Tudor Arghezi, Nichifor Crainic, Nicolae I. Herescu, Camil Petrescu, Cezar Petrescu, Alexandru Philippide, Ion Pillat, Ion Marin Sadoveanu, Mihail Sadoveanu, Ion Sângiorgiu, Dem. Theodorescu, Ion Valerian. Diese Liste wurde von Rebreanu als Sprecher der rumänischen Sektion der ESV unterschrieben. Laut einem Brief Carossas an Rebreanu wurden die rumänischen Autoren im Mai 1943 in die ESV berufen und erhielten die Bescheinigung per Post zugeschickt. Hans Carossa gratulierte Liviu Rebreanu für die großen Namen, die er für die ESV gewonnen hatte. Tatsächlich gehörten zur ESV sehr bekannte Autoren, die zum großen Teil bis heute in den rumänischen Lehrbüchern stehen: Ich habe mich sehr gefreut über diese wirklich namhafte und gewichtige Gruppe, die Sie für unsere Sache gewonnen haben […]. Haben auch Sie darum einen ganz herzlichen Dank dafür und überhaupt für Ihre Mühe und Anteilnahme, die Sie neben der Bürde Ihrer Ämter und Ihrer eigenen Arbeit uns gegenüber so vielfach bezeugt haben.56

Wie ein gedrucktes Vortragsprogramm des Deutsch-Rumänischen Kulturinstitutes »Simion C. Mândrescu« beweist, beschäftigte sich Liviu Rebreanu schon 1938 mit

52 Hans Friedrich Blunck: Unwegsame Zeiten. Lebensbericht. Band 2. Mannheim 1952, S. 556. 53 Brief von Hans Friedrich Blunck vom 5.11.1943, Cb 92. 56: 14a, 01, NL Hans Friedrich Blunck, Landesbibliothek Kiel. 54 Vizita scriitorului german Hans Friedrich Blunck [Der Besuch des deutschen Schriftstellers H. F. B.]. In: Universul, 23.10.1943, S. 7. 55 Hausmann: »Dichte, Dichter, tage nicht!«, S. 335. Ich wollte mir gerne die Korrespondenz bezüglich der rumänischen Autoren im NL Rothe anschauen, aber das war nicht möglich. Arnold Rothe, der Sohn von Carl Rothe, verneinte, dass im NL seines Vaters Briefe rumänischer Schriftsteller vorhanden seien. Selbst als ich ihm mailte, dass ich die Informationen darüber aus dem Buch von Hausmann hätte, war er nicht bereit, mir diese Briefe zur Verfügung zu stellen. 56 Brief Hans Carossas an Liviu Rebreanu vom 18.5.1943, S 51/CMLVIII, BARB. SpiEgElungEn 2.22

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der Persönlichkeit und dem Werk Hans Carossas. Er hielt im Rahmen dieses Institutes am 14. Dezember 1938 einen Vortrag mit genau diesem Titel. Wie ein erhaltenes Manuskript im Nachlass Rebreanus zeigt, übersetzte der rumänische Autor die Rede, die Carossa bei dem zweiten Dichtertreffen in Weimar hielt, ins Rumänische. Ob er vorhatte, sie in seiner Zeitung zu veröffentlichen, ist nicht bekannt. Wieviel Macht Rebreanu durch seine Position als Leiter der rumänischen Landesgruppe der ESV hatte, sieht man auch an einem Brief Carl Rothes an ihn, in dem mitgeteilt wurde, dass man durch eine Stiftung jedes Jahr zwei ausländische Schriftsteller für sechs Monate nach Deutschland einladen könne. Für das Jahr 1943 hatte Hans Carossa eine öffentliche Ausschreibung veröffentlicht, aber für 1944 wollte Rothe einen rumänischen Autor einladen und bat Rebreanu um einen Vorschlag. Das Stipendium war sehr attraktiv und belief sich auf 6.000 RM, die in Monatsraten von je 1.000 RM ausgezahlt wurden. Außerdem durfte sich der Stipendiat den Ort seines Aufenthaltes selber aussuchen, ihn wechseln oder im Rahmen der Mittel beliebig reisen. Rothe empfahl einen jüngeren Schriftsteller, »dessen Begabung und bisherige Leistung ein Versprechen und eine Chance bedeuten«57, aber er war auch nicht abgeneigt, einen älteren auszuwählen: »dann würde ich an eine Gestalt etwa von der Persönlichkeit und Leistung Teodoreanus denken […].«58 Es ist nicht bekannt, ob ein rumänischer Autor in den Genuss des Stipendiums kam. Im Nachlass Rebreanus gibt es keine weiteren Informationen darüber, und Hausmann erwähnt nur, dass Ion Marin Sadoveanu als Stipendiat Mihail Chirnoagǎ empfahl. Den oben erwähnten Brief gibt es im Nachlass Rothes offensichtlich nicht mehr. Es ist anzunehmen, dass aus gesundheitlichen Gründen Rebreanu sich nicht mehr um die ESV kümmerte, und so durfte sein guter Freund Ion Marin Sadoveanu den Vorschlag für den rumänischen Stipendiaten machen. Im Nachlass Rebreanus gibt es noch zwei Briefe Herbert Böhmes, des nationalsozialistischen Kulturfunktionärs und Lyrikers, die von Interesse sind. Im ersten Brief vom 24. Februar 194359 informierte er Rebreanu darüber, dass er im Auftrag der ESV einen Gedichtband herausgeben sollte. Für diesen Band, der den Titel Anruf Europas und ein Vorwort von Hans Carossa hätte haben sollen, wurden Gedichte der wichtigsten Vertreter der ESV über aktuelle Themen der Gegenwart vorgesehen. Die ausländische Lyrik wollte man sowohl in der Originalsprache als auch in deutscher Übersetzung drucken. Böhme verlangte von Rebreanu vier Gedichte und kurze Angaben über seinen Lebenslauf und seine Werke. In einem weiteren Brief vom Mai 194360 klagte Böhme, dass er von Rebreanu immer noch keine Antwort erhalten habe. Warum Rebreanu sich nicht zurückmeldete, ist nicht bekannt. lIVIu REBREanuS moBIlISIERunG FüR RumänISCHE KulTuRpRopaGanDISTISCHE ZWECKE naCH DEm ERSTEn WElTKRIEG BIS 1944 Liviu Rebreanu, der aus Siebenbürgen stammte und eine deutsche Schule besuchte, hatte im Ersten Weltkrieg eine deutschfreundliche Einstellung, die er bis zum Ende seines Lebens behielt, obwohl er schon immer sehr opportunistisch war, wie Ion Simuț in seinen Aufsätzen Revizuiri. Liviu Rebreanu: o conștiinţǎ politicǎ vulnerabilǎ

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Brief vom 27.11.1943, S 23 (2)/CMLXXV, BARB. Ebenda. S 40 (1)/CMLVII, BARB. Brief vom 3.5.1943, S 40 (2)/CMLVII, BARB.

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[Überarbeitungen. Liviu Rebreanu: ein verletzliches politisches Gewissen]61 und Liviu Rebreanu – un filogerman consecvent (I) [Liviu Rebreanu – ein konsequenter Germanophiler (I)]62 gezeigt hat – er durfte in jedem Regime hohe Positionen bekleiden: Carol II., den er in seinem Tagebuch nach dessen Abdankung heftig kritisierte, empfing ihn in einer Audienz und ließ sich in kulturellen Angelegenheiten schon 1930 von ihm beraten. Während der Legionärsregierung nahm Rebreanu am Begräbnis von Corneliu Zelea Codreanu teil und distanzierte sich von seinen jüdischen Verlegern, und in der Antonescu-Ära wurde er Direktor aller Theater in Rumänien und Leiter der Zeitung Viaţa. Laut Simuţ hatte Rebreanu ein einziges dauerhaftes Credo, die freundliche Einstellung zu Deutschland: »[…] sein gesamtes Leben lang deutschfreundlich […], hat er in allen, die erst in seiner Privatsphäre, im Tagesbuch und selten in der Öffentlichkeit unterstützt hat, die deutsche Einstellung gelesen – sein einziger fester Boden für seine politischen Überzeugungen«.63 Ob das wirklich stimmt, ist fraglich. Wer sich mit seinen Tagebüchern vertraut gemacht hat, weiß, dass Rebreanu auch für Italien und den italienischen Faschismus eine große Sympathie hatte wie es seine einer Rede im Oktober 1942 in Rom belegt: Für uns Rumänen ist jedes Zeichen der besonderen Freundschaft Italiens eine Freude, die uns umso teurer ist, als wir Italien nicht erst seit heute oder gestern lieben, sondern schon immer, wie unsere echte Mutter und wir glauben an Italiens hervorragendes Schicksal. […] Das neue Italien, das Werk des triumphierenden Faschismus, hat einen neuen Italiener geschaffen, für den die Heimat über alles in der Welt steht. Dieser neue Italiener hat die Bewunderung der Menschheit ausgelöst […].64

Auch Frankreich gehörte zu den von Rebreanu bewunderten Ländern. Anlässlich einer Ausstellung des französischen Buches in Bukarest drückte er seine Sympathie für die französische Kultur aus und stellte zugleich den großen französischen Einfluss auf die Entwicklung der rumänischen Literatur heraus: Das französische Buch ist das elitäre Essen der rumänischen Seele, seit wir ein kulturelles Bewusstsein haben […]. Das französische Buch […] hat den rumänischen Herzen die tiefe Liebe zur französischen Kultur und zu Frankreich eingeflößt, es hat unsere Seelen so sehr erobert, dass sich heute der Franzose, der nach Rumänien kommt, dort zu Hause fühlen kann.65

61 Ion Simuţ: Revizuiri. Liviu Rebreanu: o conștiinţǎ politicǎ vulnerabilǎ. In: România literarǎ 6/2000, S. 12-13. 62 Ion Simuţ: Liviu Rebreanu – un filogerman consecvent (I). In: Cuvântul 6 (2000) 1, S. 11. 63 Im Original: »[…] filogerman de-o viaţǎ […] a citit în toţi cei pe care i-a susţinut în intimitate, în jurnal, și foarte rar în public, filiera germanǎ – singurul teren ferm al convingerilor sale politice.«Ion Simuţ: »Revizuiri. Liviu Rebreanu: o conștiinţǎ politicǎ vulnerabilǎ« Ebenda. 64 Im Original: »Pentru noi românii orice gest de amiciţie deosebită din partea Italiei e o satisfacţie, cu atât mai scumpă cu cât noi iubim Italia nu de azi sau de ieri, ci dintotdeauna, ca pe adevărata noastră mamă și credem în destinul ei superb […]. Italia nouă, opera fascismului triumfător, a creat un italian nou pentru care patria e mai presus de toate în lume. Acest italian nou a stârnit admiraţia omenirii…« Auszug einer Rede, die Rebreanu in Rom am 22.10.1942 vor dem Minister für Volkskultur Alessandro Pavolini hielt. 65 Im Original: »Cartea franceză e hrana de elită a sufletului românesc, de când am început să avem o conștiință culturală […] Ea, cartea franceză, […] a strecurat în inimile românești dragostea adâncă pentru cultura franceză și pentru Franţa, ne-a cucerit sufletele atât de mult că azi francezul care vine în România se poate simţi ca acasă la el.« Liviu Rebreanu: Opere. Band 20. București 2000, S. 133. Diese Rede hielt Rebreanu wahrscheinlich zwischen 1925 und 1930, das genaue Datum ist nicht bekannt. SpiEgElungEn 2.22

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Über den Schriftsteller Georges Duhamel, der 1931 Rumänien besuchte, schrieb er einen Artikel in Cuvântul [Das Wort] und unterhielt mit ihm gute Beziehungen auch in den nächsten Jahren. Bei den Lesungen französischer Autoren war er bis spät in den 1930er-Jahren ebenfalls anwesend, und die Angebote des Französischen Kulturinstituts in Bukarest nahm er ebenso gerne wahr.66 Bekannt ist zudem seine Rede zu Ehren von André Maurois, die er in seiner Eigenschaft als Präsident der rumänischen Schriftstellervereinigung hielt. Auch hier  – wie auch in anderen Reden – fällt sein Bestreben auf, Propaganda für Rumänien und für die rumänische Kultur zu machen: Man sagt mit Recht, dass wir ein Agrarland sind […], aber wir glauben, dass wir auch eine bescheidene Literatur haben, wir haben Kunstwerke, wir haben eine Theaterbewegung. Sie kennen uns nicht, und es stimmt, dass das nicht Ihre Schuld ist. Trotzdem konnte das Werk dieses enfant terrible, das Panait Istrati heißt, Ihnen eine Idee davon geben, wie unsere Literatur sein kann, genauso wie De Max, Fräulein Ventura und Frau Elvira Popescu Ihnen enthüllen konnten, wie unser Theater sein kann. Und weil wir unter Schriftstellern sind, kann ich es mir erlauben zu sagen, dass diese kleine Literatur Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Sympathie verdient.67

Die bisherige Präsentation macht eindeutig, dass Rebreanu sehr früh für Propagandazwecke zur Verfügung stand. Erhalten ist auch ein Brief Alexandru Marcus,68 damals zuständig für Presseangelegenheiten bei der Präsidentschaft des Ministerrates, in dem Rebreanu gebeten wurde, mit Boris Reicher, dem Präsidenten der Gesellschaft für die Verbreitung der Kultur unter den Juden in Rumänien, zusammenzuarbeiten, um eine Intensivierung der Kulturpropaganda bei den Juden in Bessarabien zu erreichen. In den 1940er-Jahren reiste er nicht nur nach Deutschland, sondern auch nach Kroatien, Italien, Finnland und Schweden. Von der Bedeutung der Propaganda im Ausland war Rebreanu tief überzeugt. Erhalten ist sein Bericht an die Rumänische Akademie der Wissenschaften, in dem er signalisierte, vor kurzem habe ein ungarischer Historiker ein umfassendes Werk in französischer Sprache veröffentlicht, in dem dieser die Anrechte der Rumänen auf Siebenbürgen in Frage stelle. Ein französischer Professor, der jahrelang an der Universität Klausenburg (rum. Cluj-Napoca) tätig war, schrieb ebenfalls ein Buch über Rumänien, in dem er die ungarischen Ansprüche auf Siebenbürgen rechtfertigte. Rebreanu wandte sich an die Akademie der Wissenschaften, um eine Gegenpropaganda in Gang zu setzen: Propaganda und Gegenpropaganda sind heute stärkere Waffen als Kanonen und Flugzeuge. In diesen Fällen glaube ich, dass die Rumänische Akademie der Wissenschaften am stärksten aufgerufen ist zu reagieren […] Sie könnte die Initiative ergreifen, gut dokumentierte Repliken zu verfassen, die das richtige Echo auch jenseits der Grenze hätten. Solche

66 Eintragung vom 21.51940 in: Liviu Rebreanu: Opere. Band 17. București 1998, S. 328. 67 Im Original: »Se spune, e drept, că suntem o ţară agricolă […], dar credem că avem și o modestă literatură, avem opere de artă, avem o mișcare teatrală. Nu ne cunoașteţi, și e drept că nu din pricina dv. Totuși, opera acelui enfant terrible, care se numește Panait Istrati, v-a putut procura o idee de ceea ce poate fi literatura noastră, după cum De Max, d-ra Ventura și d-na Elvira Popescu, v-au dezvăluit ceea ce poate fi teatrul nostru. Și fiindcă suntem între scriitori, îmi pot permite să vă spun că această mică literatură e vrednică de atenţiunea dv. și vă merită simpatia.« Dreptatea«, 13.4.1929, S. 2, unter dem Titel »Die Rede von Herrn Rebreanu«. 68 Brief vom 27.6.1930, S 15 (3)/CMLXV, BARB.

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Bücher, von bedeutenden Historikern ausgearbeitet, ohne Polemik und richtig dokumentiert […], würden der rumänischen Sache dienen.69

Trotz seiner menschlichen und politischen Schwächen kann man Rebreanu Patriotismus nicht absprechen. Siebenbürgen war seine Heimat. Diese Region Rumäniens spiegelt sich in seinem Werk stets wider, und seine Liebe dazu erklärt er offen: »Ich kann behaupten, dass mein Werk ohne Siebenbürgen nicht existieren könnte. Ohne dadurch regional zu sein, ist das Siebenbürgische  – in allem, was Wertvolleres besitzt – mein ganzes Werk.«70 Liviu Rebreanu behielt seine deutschfreundliche Einstellung nicht nur dank einer Reihe subjektiver Gründe wie seiner siebenbürgischen Herkunft und der Vertrautheit mit der deutschen Sprache, sondern auch einer Reihe objektiver Faktoren. Nach der Kapitulation Frankreichs war Deutschland die größte Macht in Europa geworden. Zwischen Juni und September 1940 verlor Rumänien große Gebiete an seine Nachbarn Ungarn, Sowjetunion und Bulgarien. Rebreanu, der davon sehr betroffen war, hoffte auf eine Revision durch Deutschland: »Wir trösten uns in der Hoffnung, dass die Deutschen uns bei dem allgemeinen Frieden Recht verschaffen werden.«71 Gerade sein Roman Der Wald der Gehenkten galt als ein Propagandabuch für die Wiedergewinnung Siebenbürgens. Es gibt konkrete Beweise, dass er sich sehr um seine Veröffentlichung im Reich bemühte. Der Schriftsteller Friedrich Snack, der im Frühjahr 1940 eine Rumänienreise mit Dichterlesungen unternahm, wurde von Liviu Rebreanu in Bukarest betreut. Er machte den Hohenstaufen-Verlag aus Stuttgart auf den oben erwähnten Roman Rebreanus aufmerksam. Dieser Verlag, der in seinem Programm auch südosteuropäische Literatur berücksichtigte, wandte sich an den Leiter des DWI, Ernst Gamillscheg, um das Manuskript zu erhalten. »Von Herrn Friedrich Schnack erfuhr ich nach Rückkehr von seiner Rumänien-Reise, dass eine deutsche Übersetzung des Romans ›Der Wald der Gehenkten‹ von Liviu Rebreanu beabsichtigt ist. […] Wir dürfen daher an Sie unsere Bitte wiederholen, uns das Manuskript einzusenden.«72 Gamillscheg schrieb zurück,73 der Roman sei für eine Veröffentlichung im Deutschen nicht geeignet; er habe seine Ansicht auch dem deutschen Propagandaministerium schon bekanntgegeben. Stattdessen empfahl er zur Veröffentlichung eine Anthologie rumänischer Lyrik in der Übersetzung von Artur Bosch aus Hermannstadt, an dem der Verlag kein Interesse hatte. Dass Gamillscheg sich gegen den Wald der Gehenkten aussprach, der in Rumänien sehr geschätzt wurde, lag sicherlich an dessen Inhalt. Rebreanu schildert hier den Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie und rückt einen

69 Im Original: »Propaganda și contrapropaganda sunt azi arme mai puternice decât tunurile și avioanele. Ȋn cazurile acestea eu cred cǎ Academia Românǎ e cea mai chematǎ sǎ reacţioneze […] Ea ar putea lua iniţiativa unor replici serios documentate care sǎ aibǎ rǎsunetul cuvenit și dincolo de graniţǎ. Astfel de cǎrţi, elaborate de istorici valoroși, nu de polemicǎ, ci de documentare corectǎ […] ar servi cauza româneascǎ.« Liviu Rebreanu: Opere. Band 20. București 2000, S. 379. 70 Im Original: »Pot să afirm că opera mea nu ar putea exista fără Ardeal, care-i dă totul. Fără să fie locală prin aceasta […], ardelenismul – în ce are mai preţios – e toată opera mea.« Convorbire cu Dl. Liviu Rebreanu (II). In: Liviu Rebreau: Opere. Band 20. București 2000, S. 29. 71 Im Original: »Ne consolǎm sperând cǎ germanii, la pacea generalǎ, ne vor face dreptate.« Liviu Rebreanu: Opere. Band 17. București 1998, S. 335. 72 Brief vom Hohenstaufen-Verlag vom 24.4.1940 an Ernst Gamillscheg, FIGȘ AMAE. 73 Brief vom 5.5.1940, ebenda. Der genaue Text lautet: »Meiner Meinung nach eignet sich der Roman ›Der Wald der Gehenkten‹ von Rebreanu nicht für eine Veröffentlichung in deutscher Sprache. Ich habe diese meine Ansicht auch dem Propagandaministerium gegenüber ausgesprochen.« SpiEgElungEn 2.22

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rumänischen Offizier aus Siebenbürgen, damals Teil der Habsburgermonarchie, in den Vordergrund, der als Deserteur während des Ersten Weltkrieges hingerichtet wurde, weil er nicht auf die Rumänen aus dem Königreich Rumänien schießen wollte und sogar versuchte, zu diesen überzulaufen. Ernst Gamillscheg war  – genauso wie Apostol Bologa, die Hauptperson des Romans – im Ersten Weltkrieg Leutnant in der habsburgischen Armee und es ist anzunehmen, dass er dem Ansehen der k. u. k. Monarchie nicht durch den Druck des Romans schaden wollte. Außerdem drohte in dieser Zeit die Teilung Siebenbürgens, der nördliche Teil fiel infolge des Zweiten Wiener Schiedsspruchs ein paar Monate später an Ungarn. Die Deutschen vermieden es stets, eine offensive Propaganda für Siebenbürgen vonseiten Ungarns oder Rumäniens zu unterstützen. Durch Umwege versuchte man aus Rumänien, dennoch die Veröffentlichung des Romans in Deutschland zu erreichen, gerade weil dieses Werk als ein Propagandainstrument für Siebenbürgen betrachtet wurde. So bat Hermine Pilder-Klein, die Übersetzerin des Waldes der Gehenkten, Edit von Coler, Gestapo-Agentin und Sonderbeauftragte für Rumänien, bei der Veröffentlichung zu helfen74. Sie schickte ihr eine Inhaltsübersicht des Romans, der damals beim Wolfgang Krüger Verlag lag. Erhalten sind auch Briefe des rumänischen Propagandaministeriums an das Rumänische Institut in Berlin75, in dem der Druck des Romans in Deutschland als sehr wichtig für die rumänische Propaganda für Siebenbürgen dargestellt wurde: »Um mit Hilfe der Literatur eine rumänische Propaganda in Bezug auf unsere Situation gegenüber den benachbarten Ländern durchzuführen, möchte Herr Propagandaminister den Druck der Romane Die Russin von Gib Mihǎescu und Der Wald der Gehenkten von Liviu Rebreanu in Deutschland. Der erste wurde zur Übersetzung gegeben und wird Ihnen bald zugeschickt werden. Der zweite wurde vor längerer Zeit von Frau Pilder Klein übersetzt, die auch ein Vertragsprojekt mit dem Hohenstaufen-Verlag in Stuttgart gemacht hatte. Der Verlag hat aber vor kurzem den Vorwand gefunden, dass das Deutsche Propagandaministerium keine Bewilligung für Bücher über den Krieg ausstellt. Die Verhandlungen mit dem Wolfgang-Krüger Verlag in Berlin-Nikolassee sind ebenfalls gescheitert. Aber weil dieser Roman unbedingt erscheinen muss […], bitten wir Sie alle nötigen Schritte zu unternehmen.76« Liviu Rebreanu bemühte sich selbst um das Erscheinen seines Romans in Deutschland und schickte im Oktober 1942 das Manuskript vom Wiener Verlag, bei dem sich mittlerweile sein Roman befand, zu Steiniger nach Berlin.77 Die Wiener Verlagsgesellschaft, die schon mehrere Werke Rebreanus veröffentlicht hatte, konnte den Wald der Gehenkten nicht erscheinen

74 Brief von Hermine Pilder-Klein an Edit von Coler, 23.5.1940, ED 374/4, Institut für Zeitgeschichte München. 75 Briefe vom 14.1.1941 und besonders vom 24.2.1941, MPN Studii și documentare 114, S. 29, Staatsarchiv Bukarest. 76 Im Original: »Pentru realizarea, cu ajutorul literaturii a unei propagande româneşti în legǎturǎ cu situaţiunea noastrǎ faţǎ de popoarele învecinate, Dl. Ministru al Propagandei doreşte sǎ se tipǎreascǎ în Germania romanele: ›Rusoaica‹ de Gib Mihǎescu şi ›Pǎdures Spânzuraţilor‹ de Liviu Rebreanu. Primul a şi fost dat la tradus şi vi se va trimite. Cel de al doilea a fost tradus mai de mult de D-na Pilder Klein, care fǎcuse şi un proiect de contract cu Hohenstaufen-Verlag din Stuttgart. Editura însǎ a pretextat în urmǎ cǎ nu se dau autorizaţii de cǎtre Ministerul Propagandei German pentru cǎrţi cu subiect de rǎzboiu. Tratativele duse cu editura Wolfgang Krüger din Berlin-Nikolassee, au eşuat deasemenea. Cum însǎ acest roman trebue neapǎrat sǎ aparǎ […], vǎ rugǎm sǎ binevoiţi a face Dv. toate demersurile necesare.« In MPN Studii şi documentare 114, Brief vom Rumänischen Propagandaministerium vom 24.2.1941 an den Direktor des Rumänischen Instituts in Berlin, S. 29, Staatsarchiv Bukarest. 77 Liviu Rebreanu: Opere. Band 18. București 1998, S.76.

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lassen. Der Verlag Steiniger, bei dem inzwischen das ehemalige DWI-Mitglied Günther Spaltmann als Lektor tätig war, mit dem Rebreanu gut befreundet war und der als Übersetzer rumänischer Literatur auftrat, konnte den Roman auch nicht veröffentlichen, so dass er während des Zweiten Weltkriegs nicht erschien. lIVIu REBREanuS RollE In FRaGEn DER DEuTSCHEn KulTuRpolITIK In RumänIEn WäHREnD DES ZWEITEn WElTKRIEGES mIT BESonDERER BERüCKSICHTIGunG DES THEaTERS Durch die Kooperation mit deutschen Persönlichkeiten und Stellen und seine Mitgliedschaft in der Europäischen Schriftstellervereinigung hatte Rebreanu große finanzielle Vorteile, was seine Einstellung zu Deutschland begünstigte. Dafür musste er allerdings einen Preis zahlen. Er wurde immer wieder von deutschen Stellen kontaktiert, um die deutsche Kulturpropaganda voranzutreiben. So wurde er von der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest mit der Bewertung der rumänischen Übersetzung des Romans Die große Fahrt von Hans Friedrich Blunck beauftragt und gefragt, ob dieses Werk »als erste repräsentative Übersetzung aus der deutschen Literatur« im Verlag der Königlichen Stiftung erscheinen könne.78 Noch viel mehr versuchte man, Einfluss auf ihn in seiner Eigenschaft als Generalintendant zu nehmen, um deutsche Theaterstücke oder deutsche Musik an den rumänischen Bühnen spielen zu lassen. Wie ein Brief vom August 194279 beweist, wurden Liviu Rebreanu zwei Lustspiele mit der Frage geschickt, ob sie in einem Bukarester Boulevardtheater unterzubringen wären. Es handelte sich dabei um Die weiße Dame des österreichischen nationalsozialistischen Autors Friedrich Schreyvogl und um Wie führe ich eine Ehe? von Axel von Ambesser. Der Brief endete mit: »Ich hoffe, meine Sendungen demnächst fortsetzen zu können.« In einem Brief vom Dezember 1943 wurde Rebreanu gefragt, ob ein Gastspiel der Wiener Staatsoper im Nationaltheater in Bukarest stattfinden könne und ob der Generaldirektor Böhme die Bukarester Philharmonie im Februar 1944 dirigieren dürfe.80 Einem weiteren Brief 81 ist zu entnehmen, dass die Aufführung der Staatsoper Wien mit Così fan tutte für den 20. und 22. März 1944 endgültig festgelegt wurde. Während Liviu Rebreanus Zeit als Generalintendant der rumänischen Theater wurden deutsche Theaterstücke gezeigt, die selten oder gar keinen politischen Charakter hatten. So wurde Schillers Maria Stuart im Nationaltheater in Bukarest mit der besten Besetzung und in der Regie von Paul Mundorf gespielt. Don Carlos mit über 50 Aufführungen gehörte zu den erfolgreichsten Stücken des Jahres 1943. Goethes Faust in einer neuen Inszenierung wurde 1942 präsentiert. Der Darsteller des Faust, der bekannte Schauspieler George Vraca, hatte einen solchen Erfolg, 78 Siehe den Brief von Dr.  Feist vom 14.7.1942 an Rebreanu, S  27 (1)/CMLXI, BARB. In dem Brief vom 20.9.1942 an Rebreanu, S 9 (3)/CMLVI, BARB, nimmt Algatzy Bezug auf das Programm von Übersetzungen aus der deutschen Literatur, das mit Ovidiu Papadima von den Königlichen Stiftungen vereinbart worden war. Das Programm enthielt 19 Titel, die meisten davon mit stark nationalsozialistischem Hintergrund. Die Oktoberausgabe 1942 der Revista Fundaţiilor Regale gab bei »Note« die Absicht bekannt, genau diese 19 Bücher ins Rumänische zu übersetzen. Es ist allerdings nichts davon erschienen. In der veröffentlichten Korrespondenz Liviu Rebreanus mit Anton Algatzy findet sich nur der Text des erwähnten Briefes ohne die 19 Titel (Niculae Gheran (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Emese Cîmpean, Rodica Lǎzǎrescu, Andrei Moldovan und Lorenţa Popescu: Scrisori cǎtre Liviu Rebreanu, Bd. A-B, Bucureşti 2014). Die Herausgeber wollten durch den zensierten Text vermieden, dass Liviu Rebreanu in der rumänischen Öffentlichkeit als Kollaborateur mit dem Dritten Reich wahrgenommen wird. 79 Brief von Dr. Minssen von der Deutschen Gesandtschaft Bukarest vom 10.8.1942, S 62/CMLXVI, BARB. 80 Brief von Generalkonsul Freiherr von Gregory vom 11.12.1943, S 59 (1)/CMLXII, BARB. 81 Brief von Gregory an Rebreanu vom 1.3.1944, S 59 (2)/CMLXII, BARB. SpiEgElungEn 2.22

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dass er mit der Aufführung eine Tournee durch Rumänien unternahm. Gerhart Hauptmanns Iphigenie in Delphi wurde wegen der besonderen Ansprüche, die das Stück an die Zuschauer stellt, nur zehnmal gespielt. Hans Hömbergs Kirschen für Rom und Max Halbes Jugend wurden vom Publikum des Nationaltheaters gut aufgenommen. Auch Die Nibelungen von Friedrich Hebbel gehörten zum Repertoire. Zum 150. Geburtstag Franz Grillparzers wurde Des Meeres und der Liebe Wellen im Nationaltheater gezeigt. All diese Titel, selbst wenn hauptsächlich Maria Stuart, Die Nibelungen und Don Carlos zum Zweck der Propaganda von den Nazis instrumentalisiert wurden, stehen für ein klassisches Repertoire. Obwohl Rebreanu selbst in einem Interview erklärte,82 dass er allen Theatern empfahl (nicht befahl), in jeder Spielzeit ein deutsches Theaterstück zu spielen, und das Nationaltheater in Bukarest mehrere deutsche Autoren inszenierte, kann man nicht von einer Dominanz deutscher Theaterstücke reden. Besonders in den kleineren Theatern wurden nicht selten Stücke jüdischer Autoren dargeboten. Aus einem Bericht des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda geht hervor, dass »beispielweise im November 1941 der jüdische Schwank von Sturm und Färber Extemporale getarnt gespielt und als Autor der Übersetzer Paul Gusty genannt worden sein soll. Das Teatrul Sărindar spiele mit Vorliebe jüdische Schwänke von Arnold und Bach und gebe sie als deutsche Werke aus […]. Hoffmanns Erzählungen von Offenbach seien in der Staatsoper Temeschburg aufgeführt worden, Das Dreimäderlhaus in der Staatsoper Bukarest.«83 Rebreanu blieb seinem Motto: »Wir sollen aus dem Theater jede Beschäftigung, die der Kunst fremd ist, entfernen. […] Ich will von der Politik nichts wissen.«84 treu. Das erklärt, weshalb zu seiner Zeit auch französische, englische85 und sogar amerikanische Autoren86 gespielt wurden. Erhalten ist sein Brief vom 22.  März 1944 an Eugene O’Neill, in dem er über den großen Erfolg des Nationaltheaters Bukarest mit Trauer muss Elektra tragen berichtete. Die Karten waren einen Monat im Voraus schon vergriffen. Mit Recht bemerkt Niculae Gheran, dass die Freiheit, die sich Rebreanu nahm, das Meisterwerk eines zeitgenössischen amerikanischen Autors spielen zu lassen, in den Achsenländern beispiellos war.87 Die Akten, die im Archiv der rumänischen Schriftstellervereinigung aufbewahrt werden, zeigen, dass Rebreanu sich für einen gleichberechtigten Austausch von Theaterstücken einsetzte. Mit Geld des Propagandaministeriums ließ er rumänische Theaterstücke ins Deutsche übersetzen. In seiner Position als Sprecher der rumänischen Abteilung der ESV hatte er die Hoffnung, in Deutschland sowie in den anderen Ländern, deren Autoren der ESV angehörten, rumänische Dramatik auf die Bühnen zu bringen. Bezugnehmend auf das Dichtertreffen in Weimar schrieb Liviu Rebreanu im März 1942 in seinem Tagebuch:

82 Puncte de vedere asupra teatrului românesc [Standpunkte zum rumänischen Theater]. In: Liviu Rebreanu: Opere. Band 20. București 2000, S. 76. 83 Bericht für das Auswärtige Amt vom 27.5.1942, R  61427, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (im Folgenden: PAAA). 84 Siehe Ioan Masoff: Teatrul românesc. Privire istorică [Das rumänische Theater. Eine historische Übersicht]. Band 8: Teatrul românesc în perioada 1940–1950 [Das rumänische Theater 1940–1950]. București 1981, S. 23. 85 Shakespeare, aber auch der moderne Keithe Winter. 86 Schon am 16.5.1941 zeigte das Nationaltheater in Bukarest zum ersten Mal das Stück Unsere kleine Stadt von Thornton Wilder. Am 22.12.1943 fand im Nationaltheater die Uraufführung von Trauer muss Elektra tragen von Eugene O’Neill statt. 87 Siehe Liviu Rebreanu: Opere. Band 18. București 1998, S. 416.

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Mit Tigerstedt […] verbleiben wir so, dass er mir ein Theaterstück schickt, das wir spielen und bei der Uraufführung sein Autor kommen soll; umgekehrt sollen auch wir rumänische Theaterstücke schicken. Knittel, der Schweizer, […] bittet mich, seinem Repräsentanten zu helfen, um seine Werke in Rumänisch zu veröffentlichen, und er lädt mich in die Schweiz ein. Aber dies nimmt kein Ende mehr.88

Von den ursprünglich 20 von der Gesellschaft der rumänischen Komponisten vorgeschlagenen Theaterstücken wurden infolge des Auftrags Rebreanus 15 übersetzt. Bei der Auswahl der Theaterstücke spielten der erzielte Erfolg bei den rumänischen Zuschauern und der spezifisch rumänische Charakter eine Rolle.89 Sie wurden den bekanntesten ausländischen Verlagen zugeschickt. Bis November 1944 wurden nur Patima roșie [Rote Leidenschaft] von Mihail Sorbul und Veste bună [Gute Nachricht] von Miron Ștefănescu in Finnland gespielt.90 Konkret weiß man, dass das Stück von Sorbul schon 1942 dem Berliner Verlag für Bühne, Film und Funk Die Drehbühne Wilhelm Wreede91 angeboten, aber nicht übernommen wurde. Aus dem schon erwähnten Brief von Sextil Pușcariu, aber auch aus den Briefen des Übersetzers Günther Spaltmann92 geht hervor, dass Rebreanu selbst den Ehrgeiz hatte, in Deutschland gespielt zu werden. Es ist aber nicht bekannt, dass eines seiner Theaterstücke bis 1944 auf einer deutschen Bühne gezeigt worden wäre. Allerdings wurde er noch im Sommer 1942 als Theaterorganisator, Kulturreformator und Theaterleiter in einem Artikel in der Bühne sehr gepriesen: Und der Freund Deutschlands, der er seit jeher war, erscheint uns durch sein Werk und durch seine gerade im Theaterleben ausgeschöpfte Lebensleitung als der Führer und Ritter in all jenen gemeinsamen Strebungen, die Deutschland mit dem im Osten zu gemeinsamen Waffengang angetretenen Rumänien verbinden.93

Hier ging es darum, dass er in Rumänien deutsche Theaterstücke inszenieren ließ und sich lobend über die deutsche Spielkunst in der rumänischen Presse äußerte. Nicht zu übersehen ist auch, dass in der Zeitschrift des Nationaltheaters Aufsätze über die deutsche Dramatik veröffentlicht wurden. So finden sich zum Beispiel in der Ausgabe 1941–1942 Aufsätze von Pericle Martinescu über Schiller94 und Max Halbe95 und ein Aufsatz von Aurel Călinescu über das deutsche Theater in Rumänien.96 88 Im Original: »Tigerstedt […] rămâne să-mi trimită o piesă pe care s-o jucăm și la premieră să vie autorul; în schimb să trimetem și noi piese românești. Knittel, elveţianul, […] mă roagă să ajut pe reprezentantul său pentru publicarea operelor lui în românește și mă poftește în Elveţia. Dar astea nu se mai sfârșesc.« Liviu Rebreanu: Opere. Band 18. București 1998, S. 72. 89 Siehe den Brief der Gesellschaft der rumänischen Komponisten an den Präsidenten der Dramatikergesellschaft vom Februar 1942, S.S.R. (Gesellschaft der rumänischen Schriftsteller), 2/1942, inv. 11, S. 12, Bukarest. 90 Laut dem Brief vom 15.11.1944 von der Gesellschaft der rumänischen Komponisten an den Präsidenten der Dramatikergesellschaft, S.S.R. 1/1944, inv. 13, S. 4. 91 Siehe den Brief der Drehbühne Wilhelm Wreede vom 30.5.1942 an die Gesellschaft der rumänischen Komponisten, S.S.R. 2/1942, inv. 11, S. 60, Bukarest. 92 Briefe an Rebreanu vom 29.3.1943, S (5)/CMLXIII und vom 24.7.1943, S 1 (3)/CMLXXVII; BARB. 93 Dr. P. Gerhardt Dippel: Begegnung mit Liviu Rebreanu. Der Dichter und Generalintendant der rumänischen Staatstheater in Deutschland. In: Die Bühne, Nr. 11, 15.6.1942, S. 208. 94 Pericle Martinescu: Teatrul lui Schiller și Don Carlos [Das Theater Schillers und Don Carlos]. In: Teatrul Naţional, Juni 1941–1942. 95 Pericle Martinescu: Max Halbe și teatrul naturalist german [Max Halbe und das deutsche naturalistische Theater]. In: Teatrul Naţional, Dezember 1941–1942. 96 Aurel Călinescu: Teatrul german în România [Das deutsche Theater in Rumänien]. In: Teatrul Naţional, November 1941–1942. SpiEgElungEn 2.22

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Liviu Rebreanus Tätigkeit für die Förderung der rumänisch-deutschen Zusammenarbeit wurde politisch von deutschen Stellen belohnt; der Gesandte Killinger überreichte ihm im Mai 1943 das von Hitler verliehene Verdienstkreuz des Deutschen Adlers.97 Auch in Rumänien wurde Rebreanu große Ehre erwiesen, der König verlieh ihm die Medaille für Kultur im Kommandeursrang.98 Auch Ernst Gamillscheg schätzte Liviu Rebreanu als Schriftsteller und schlug ihn schon im Mai 1940 für eine deutsche Ordensverleihung vor, um seine Deutschfreundlichkeit zu verstärken: Professor Gamillscheg hat sich dazu wie folgt geäussert: […] Als hervorragender Vertreter des Geisteslebens wäre in erster Linie an den Schriftsteller Liviu Rebreanu zu denken, von dem jetzt endlich auch deutsche Übersetzungen erscheinen sollen, wofür sich Prof. Gamillscheg einsetzen wird.99

Tatsächlich wurde Rebreanu Gründungsmitglied der Rumänisch-Deutschen Gesellschaft, die am 29. Juli 1942 in der Bukarester Rechtsfakultät feierlich gegründet wurde.100 Gamillscheg trug sehr wahrscheinlich zur Veröffentlichung von Die Erde, die trunken macht im Reich bei: Rebreanu schrieb am 15. Mai 1940 in sein Tagebuch: »Ich war bei Pillat zu Tisch mit Gamillscheg, Voiculescu, Herescu. Der Deutsche beteuert mir, dass ›Ion‹ unbedingt im Herbst auf Deutsch erscheint.«101 Obwohl Ernst Gamillscheg für die propagandistische Zeitschrift Berlin, Rom, Tokio von den rumänischen Kulturpersönlichkeiten den Geografen Simion Mehedinţi empfahl, widmete die Zeitschrift 1943 Liviu Rebreanu eine ganze Seite. Offensichtlich hatte er noch einflussreichere Fürsprecher als Gamillscheg. Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass dem rumänischen Autor wie keinem anderen Rumänen große Ehre im Reich erwiesen wurde. Dafür trat Liviu Rebreanu für die politischen und kulturellen Ziele Deutschlands öffentlich ein, obwohl er sonst als zurückhaltend bekannt war. Die Option Rebreanus für Deutschland war persönlich, kulturell und politisch motiviert. Durch seine Kooperation mit deutschen Stellen verstärkte er seinen Ruhm in Rumänien und im Ausland und genoss große finanzielle Vorteile. Die deutsche Kultur war ihm sehr vertraut und stellte für Rumänien ein Vorbild dar, das nach der Kapitulation Frankreichs das einzig tragfähige Modell war. Anderseits fühlte er sich mit Siebenbürgen sehr verbunden, wie sein ganzes Werk beweist, und im politischen Kontext des Zweiten Weltkrieges hatte er die Hoffnung, dieses Territorium mit deutscher Unterstützung wieder als Teil Rumäniens zu sehen. Außerdem war Rebreanu vom Sinn der Auslandspropaganda sehr überzeugt und praktizierte sie aktiv. Man stellt sich die Frage, wie Rebreanu reagiert hätte, wenn nicht Deutschland die zunächst siegreiche Nation gewesen wäre, sondern Frankreich oder Italien. Diese Frage bleibt offen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er in diesem Fall nicht mehr für Deutschland optiert hätte, scheint plausibel. Kommt man jetzt zum Roman Der Wald der Gehenkten zurück, muss man bemerken, dass der Versuch, ihn zwischen 1940 und 1944 zu veröffentlichen, vergeblich blieb. Als Propagandainstrument für die Wiedergewinnung Siebenbürgens wurde

97 Deutsche Zeitung, 15.5.1943, S. 6. 98 Bukarester Tageblatt, 20.2.1943, S. 4. 99 Schreiben Karl Supprians an den Gesandtschaftsrat Stelzer betreffend Ordensverleihung an Rumänen vom 22.5.1940, FIGȘ AMAE: 100 Bukarester Tageblatt, 29.7.1942, S. 3. 101 Liviu Rebreanu: Opere. Band 17. București 1998, S. 236.

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er vom deutschen Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda stets zurückgewiesen. Er erschien dafür 2018 in einer neuen Übersetzung und begeisterte die anspruchsvollsten Rezensenten des deutschsprachigen Raums. Es ist kein Zufall, dass dieser Roman 2018 veröffentlicht wurde. Dieses Jahr markierte ein Jahrhundert seit der Entstehung Großrumäniens, war also ein Jubiläumsjahr. Genau 100 Jahre zuvor war Siebenbürgen ein Teil Rumäniens geworden. Rebreanu hätte sich sicherlich sehr gefreut zu wissen, dass sein Roman gerade zu diesem Anlass neu erscheinen konnte.

Daniela lauBe, Dr. phil.: 1996–2000 Studium der Germanistik und russischen philologie in Cluj-napoca (Rumänien), 2002-2007 promotion in der deutschen literaturwissenschaft an der universität Jena. Titel der Doktorarbeit: »Die Rezeption der rumänischen literatur in Deutschland zwischen 1945 und 1989«. lektorin für Rumänisch und wissenschaftliche mitarbeiterin am Institut für Romanistik der Friedrich Schiller universität Jena, postdoktorandenstipendium von der Fritz Thyssen Stiftung für das eigene Forschungsprojekt »Deutsch-rumänische Wissenschafts- und Kulturbeziehungen in der Zeit des nationalsozialismus. Kulturtransfer und Bildervermittlung«. Sprachexpertin für Rumänisch und Russisch am Bundesamt für migration Bern, ab Januar 2022 Dozentin für Gesundheit und Soziales bei den Euro Schulen in Bielefeld. E-mail: [email protected]

Liviu Rebreanu and the Third Reich (Abstract) Based on the extensive research in German and Romanian archives and libraries, this essay presents a little-know side of the Romanian author Liviu Rebreanu, whose novel The Forest of the Hanged enjoyed great success in the German-speaking countries in 2018. This is about his collaboration with the Third Reich as a spokesman for Romania within the framework of the European Writers’ Association in Weimar and as a general director of all theaters in Romania. At the same time Rebreanu was the most received Romanian author in the Third Reich and a promoter of Romanian cultural propaganda after the First World War until 1944. His novel Ion in particulary was a huge success in the Third Reich.

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Projektwerkstatt

Erzählen von Hamroth Zugehörigkeitskonzepte bei Kindern von »(Spät-)Aussiedler:innen« Von Bianca Hepp, Eberhard-Karls-Universität Tübingen In meinem Dissertationsprojekt ›Erzählen von Hamroth1. Zugehörigkeitskonzepte bei Kindern von »(Spät-)Aussiedler:innen« (Arbeitstitel)‹ betrachte ich Verortungsstrategien junger Menschen, deren Eltern und Großeltern aus dem Dorf Hamroth (rum. Homorodu de Jos) in Rumänien nach Deutschland ausgewandert sind. Meine Leitfrage ist, auf welche Weise sich diese Verortung in Diskursen und Praktiken äußert. Dabei ist interessant, wie die Verortung räumlich, zeitlich und sozial verflochten wird. In diesem Werkstattbericht führe ich kurz in das Thema ein. Anschließend zeichne ich die Eingrenzung meines Forschungsdesigns unter dem Einfluss der Covid-19-Pandemie nach und schildere meine Einbindung in das Forschungsfeld. Zum Abschluss präsentiere ich eine Arbeitshypothese und formuliere meine daraus resultierende Forschungsfrage. Hamroth liegt heute in Nordwestrumänien im Kreis Sathmar (rum. Satu Mare). In dieser Gegend sollen die ›Sathmarer Schwaben‹ zu finden sein, die Nachkommen der Kolonist:innen, die von 1712 bis 1815 vom ungarischen Grafen Alexander Károlyi und seinen Nachfahren angeworben wurden. In den folgenden beiden Jahrhunderten wechselte das Gebiet immer wieder seine Zugehörigkeit zwischen Ungarn und Rumänien. Aufgrund dieser Vergangenheit und der daraus hergeleiteten sprachlichen Überlappung gelten die ›Sathmarer Schwaben‹ vor Ort als »fast gänzlich erloschen«.2 Ein weiterer Grund dafür ist der ›Exodus‹3 der deutschsprachigen Minderheit Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre. Auch die ›Schwaben‹ aus Hamroth sind zu einem Großteil in den 1980er- und 1990er-Jahren nach Deutschland ausgewandert. Zu dieser Zeit ermöglichten (und förderten) die Migrationsregime der Bundesrepublik und des sozialistischen Rumäniens beziehungsweise seines Rechtsnachfolgers die

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Im weiteren Verlauf des Textes werde ich den deutschen Namen verwenden, da dieser im Feld gebräuchlicher ist und es in meinem Projekt um die Konzeption des Ortes als deutsches beziehungsweise schwäbisches Dorf gehen soll. Gwénola Sebaux: (Spät-)Aussiedler aus Rumänien, , 4.10.2022. Ebenda.

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Aus- beziehungsweise Einreise Angehöriger der deutschen Minderheit unter der Annahme eines ›Kriegsfolgenschicksals‹. Ab den späten 1980er-Jahren reiste ein Großteil der deutschen Minderheit nach Deutschland aus. Auf der Basis des Bundesvertriebenengesetzes, das unter anderem die »Volkszugehörigkeit« 4 definiert, war es möglich, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Diese Rechtsgrundlage ermöglichte in den Jahren 1950–2016 über 4,5 Millionen Menschen5 die Migration nach Deutschland, so auch den ›Schwaben‹ aus Hamroth.6 Heute leben hauptsächlich Rumän:innen ganzjährig in Hamroth. Im Sommer reisen jährlich ehemalige Bewohner:innen in ihren Herkunftsort und verbringen dort Wochen bis Monate. Sie treffen Bekannte, halten ihre Häuser instand und führen andere Erledigungen durch, wie beispielsweise die Pflege der Familiengräber auf dem Friedhof des Orts. Viele bringen oder brachten ihre Kinder mit, die vor allem in Baden-Württemberg aufgewachsen sind und den Bezug zu Rumänien hauptsächlich durch deutsche Medien, Erzählungen über Hamroth und ihre eigenen Erfahrungen vor Ort herstellen. Um das Dorf hat sich nicht nur diese transnationale Mobilität7 zwischen Deutschland und Rumänien entwickelt. Zweimal im Jahr (aus Anlass der Faschingsfeier im Februar und der Kirchweihfeier im September) werden von der Heimatortsgemeinschaft (im Folgenden HOG) Hamroth e.  V. an verschiedenen Orten in Baden-Württemberg Feiern veranstaltet. Um diese Ereignisse herum wird das Feld in seinen Praktiken und Erzählungen für mich sichtbar. Das endgültige Thema der Dissertation wurde im Verlauf der Forschungsarbeit immer mehr zugeschnitten. Das hängt mit der offenen Herangehensweise zusammen; durch sie sollen vorgefasste Meinungen über Forschungsfelder vermieden und eine Analyse nah am Feld, das während der Datenerhebung erst erkundet wird, durchgeführt werden.8 Auf diese Weise wird die Repräsentativität und Fruchtbarkeit einer Ethnografie unterstützt.9 Die Dissertation entsteht an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen am Ludwig-UhlandInstitut für Empirische Kulturwissenschaft. Sie wird von Prof. Dr. Reinhard Johler und Dr. habil. Mathias Beer betreut. Zur Erhebung des Materials war ursprünglich ein multimethodisches Vorgehen mit einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen teilnehmender Beobachtung und Interviews geplant. Der Besuch von mehreren, im angedachten Erhebungszeitraum vom Frühling 2020 bis zum Herbst 2021 stattfindenden Feiern der HOG Hamroth e.  V. in Böblingen und Nürtingen (Baden-Württemberg) sowie der ausgedehnte 4 5 6 7

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Dazu zählen Kriterien wie Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur, die glaubhaft als ›deutsch‹ nachgewiesen werden müssen. Vor allem aus der damaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten, Polen, Rumänien und den Nachfolgestaaten der damaligen Tschechoslowakei. Bundeszentrale für politische Bildung: Zuzug von (Spät-)Aussiedlern und ihren Familienangehörigen. In absoluten Zahlen, nach Herkunftsgebieten, 1950 bis 2016. o. O. 2018, , 24.7.2021. Ich beziehe mich hierbei auf das Konzept der Transnationalität nach Thomas Faist, Margit Fauser und Eveline Reisenauer, die internationale Migration nicht als abgeschlossenen Prozess und an eine Richtung gebunden definieren, sondern als »grenzüberschreitende Praktiken«, an denen die Verschränkungen zwischen Migrant:innen und Nicht-Migrant:innen sichtbar werden. Durch diese Perspektive wird auch ein Denken in abgeschlossenen Arealen aufgebrochen (Thomas Faist, Margit Fauser, Eveline Reisenauer: Das Transnationale in der Migration. Eine Einführung. Weinheim 2014, S. 11–28). Christine Bischoff, Karoline Oehme-Jüngling: Fragestellungen entwickeln. In: dies., Walter Leimgruber (Hgg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern 20141, S. 32–52, hier: S. 51f. Georg Breidenstein u. a.: Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz u. a.22015, S. 19.

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Besuch des Dorfes in Rumänien im Sommer 2020 waren in meinen Forschungsplan integriert. Die von mir erwarteten Feldereignisse traten jedoch infolge der Covid19-Pandemie nicht ein. Die ins Visier genommenen Feiern der HOG im September 2020 und Februar 2021 fielen ersatzlos aus. Im gleichen Zeitraum von März 2020 bis April 2021 waren Reisen ins Ausland von so vielen Unsicherheiten geprägt, dass es nicht möglich war, ein Zeitfenster für die Reise zu finden. Ebenso war es unmöglich, Gastfamilien zu finden, bei denen ich für die Zeit der Erhebung hätte wohnen können. Alle meine Kontaktpersonen fuhren in diesem Jahr entweder nicht nach Hamroth oder entschieden sich spontan für die Reise – zu spontan für mich. In letzterem Fall fiel der Aufenthalt eher kurz aus und die Personen reisten nur mit engsten Familienmitgliedern. Die Forschungsreise fand stark verkürzt im August 2021 statt, Feiern der HOG konnte ich nur an zwei Terminen im Februar 2020 und September 2021 besuchen. Aufgrund des starken Ungleichgewichts der vorhandenen Daten sah ich mich gezwungen, eine Anregung von Wolfgang Kaschuba aufzugreifen, der als Alleinstellungsmerkmal der Kulturwissenschaft eine »weiche« und »anschmiegsame« Methodik der Feldforschung sieht.10 Der Ausrichtung am Feld und seinen Gegebenheiten in der Datenerhebungsphase wird daher durch eine Konzentration auf die Analyse des Selbstverständnisses der Interviewpartner:innen in den Interviews Rechnung getragen. Sie werden durch Feldforschungsprotokolle, Dokumente des Feldes und Sekundärliteratur kontextualisiert. Die pandemiebedingten Umstände stellten sich während der Analyse als Katalysatoren heraus – es handelte sich um einen Ausnahmezustand im Feld, der im Material immer wieder in Kontrast mit dem »Normalzustand« gestellt wird. Diese Vorstellungen von einem »Normalzustand« enthalten beispielsweise Zukunftsideen, aber auch Verortungen. Das derzeitige Forschungsdesign hat sich von ethnisierenden und statischen Konzepten der Generation, Identität und Erinnerungskultur hin zu einer Eingrenzung wegentwickelt, die die Heterogenität und Wandelbarkeit des Feldes betont. Während ursprünglich geplant war, mit möglichst vielen Menschen aus allen Altersgruppen zu sprechen, konzentrierte ich mich später auf Interviews mit Personen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Dies hat mehrere Gründe: zunächst sah ich dort schlicht eine Forschungslücke, zum anderen fiel mir der Feldzugang aufgrund des ähnlichen Alters besonders leicht. Außerdem war die Konzentration auf diese Gruppe im Zuge der Vorsichtsmaßnahmen während der Pandemie eine Folge ethischer Überlegungen, um Angehörige von Risikogruppen zu schützen. Ein weiterer Punkt ist, dass ich mit meinem offenen Forschungsdesign den Dynamiken des Feldes folgen wollte, das mich in einer bestimmten Rolle verortete und mir passende Kontakte zuspielte. Bei der fokussierten Gruppe handelt es sich um Personen, deren Eltern und Großeltern in den 1980er- und 1990er-Jahren nach Deutschland gekommen sind. Sie selbst wurden in Deutschland geboren und als Kinder auf die Feiern der HOG und die Reisen nach Hamroth mitgenommen. Mittlerweile sind diese Menschen im Erwachsenenalter und können mehr oder weniger selbst entscheiden, ob sie weiterhin teilnehmen. Einige gaben an, dies weiterhin zu tun, andere wiederum, sich von allem rund um Hamroth zu distanzieren, was auch das Erlernen von Sprachen wie Rumänisch und Ungarisch, das Beteiligen an Gesprächen über Hamroth oder das Essen von »typischen« Gerichten beinhaltete. Mich interessierten die Gründe dafür und 10 Wolfgang Kaschuba: Einführung in die Europäische Ethnologie. München 42012, S. 99f. SpiEgElungEn 2.22

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dagegen, die Grundlage für eine Analyse der Dynamiken und Hierarchien des Feldes bildeten. Auf diese Weise konnte ich Selbstkonstruktionen erkunden. Sie bezogen sich auf Kontexte innerhalb des Forschungsfeldes mit seinen Symboliken, Vernetzungen und Rollen, aber auch auf gesamtgesellschaftliche Ordnungen. Mein Körper wurde dabei zum Forschungsinstrument, da die erhobenen Daten auf meinen Erfahrungen basieren. Sie nehmen eine entscheidende Rolle bei der Genese dieser Daten ein, nicht nur in Interviews, sondern auch während der Teilnehmenden Beobachtung.11 Durch meine Beziehungen zu so genannten Gatekeepern, der Familie meines Partners, die in der Community hohes Ansehen genießt, konnte ich leicht Teil des Feldes werden und es in der Rolle des »Kindes« einer bestimmten Familie kennenlernen.12 Mein Partner bildete in den Gesprächen, die ich dort führte, ebenfalls immer wieder einen Bezugspunkt  – beispielsweise, als mir zwei Interviewpartnerinnen erklärten, er könne mir sicherlich das Csárdás-Tanzen beibringen, denn schließlich könne er das als Kind eines Hamrothers.13 In solchen Momenten zeigt sich, dass auch ich Bezugspunkt im Material bin, um Rollenvorstellungen und Beziehungen zu verhandeln: wir thematisieren, dass ich als »Nicht-Hamrotherin« das Tanzen erst erlernen muss. Auf diese Weise kann ich herausarbeiten, welche Erwartungen an Veranstaltungen, Beziehungen und den Ort Hamroth und seine Besucher:innen gerichtet werden. Die fast einhelligen Vermutungen, dass die Feiern aufgrund des Mangels an jungen Besucher:innen bald eingestellt würden – einer der wichtigsten Gründe: die Verbundenheit zu anderen Festteilnehmer:innen fehle14 – stehen im Kontrast zu den Schilderungen von Elementen, die an den Veranstaltungen Freude bereiten, wie beispielsweise die Möglichkeit zu tanzen, ein bestimmtes musikalisches Repertoire und ein bestimmter Umgang mit alkoholischen Getränken.15 Ähnlich verhält es sich bei den Besuchen in Hamroth: einerseits wird die entspannende Wirkung dieses Orts aufgrund der Abgeschiedenheit gelobt,16 andererseits machen Interviewpartner:innen seit Jahren Urlaub in Gebieten, die man als touristisch ansprechender bezeichnen könnte. Diese Widersprüche bringen mich zu der Arbeitshypothese, dass die Praktiken und das Wissen rund um Hamroth in einzelne Versatzstücke aufgeteilt werden können. Manche davon lassen sich in das eigene Selbstbild gut integrieren, zum Beispiel die Fähigkeit, Kreistänze oder Csárdás tanzen zu können, oder die Herkunft der Familie, die in einer Mehrheitsgesellschaft als Alleinstellungsmerkmal fungieren kann, in der »deutsch« die Norm darstellt. Andere passen nicht so gut in das »kuratierte« Bild der jeweiligen Person. Was zum Selbstbild passt, liegt daran, welcher Wert der jeweiligen Aktivität beigemessen wird, und das kann von Person zu Person unterschiedlich sein. So wird bei einer Person das Csárdás-Tanzen zu einer »wertvollen« Ressource der Selbstkonstruktion, während es eine andere Person eher peinlich findet – in jedem Fall sind starke Gefühle mit im Spiel.

11 Breidenstein u. a.: Ethnografie, S. 37. 12 Ebenda, S. 63. 13 Es war eher umgekehrt, so dass ich ihm den Tanz beibringen musste, was noch deutlicher die Selbstverständlichkeiten des Feldes zeigt. Interview mit Katharina und Vanessa, 16.9.2020; alle Namen wurden aus Datenschutzgründen geändert. 14 Interview mit Laura, 7.9.2020. 15 Interview mit Amelie, 3.2.2021. 16 Ebenda.

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Mein Erkenntnisinteresse liegt daher in folgenden Fragen: auf welche Weise setzen Feldteilnehmer:innen sich so zu Hamroth in Bezug? Welche Verbindungen lassen sich zu gesamtgesellschaftlichen Einwicklungen ziehen und welche Feldrollen werden wie verhandelt? Im Rahmen der Dissertation, die gerade entsteht, werde ich diese Fragen bearbeiten.

Bianca Raffaela Hepp ist zurzeit Doktorandin an der Eberhard-Karls-universität Tübingen. Sie studierte zunächst Südslawistik und Südosteuropastudien an der Friedrich-Schiller-universität Jena, wo sie 2019 ihren master erwarb. Seit 2019 ist sie wissenschaftliche mitarbeiterin am ludwig-uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft an der Eberhard-Karlsuniversität Tübingen und am dortigen Zentrum für deutsche Geschichte und Kultur in Südosteuropa (ZDGS). E-mail: [email protected]

Narrating about Hamroth: Concepts of Belonging among Children of »(Late) Resettlers« (Abstract) The article presents a Ph.D. project on localization strategies of young people whose parents and grandparents emigrated from the village of Hamroth (in Romanian: Homorodu de Jos) in Romania to Germany. The project examines how this localization is expressed in discourses and practices. It is interesting to note how this localization is intertwined spatially, temporally, and socially. This workshop report briefly introduces the topic and then traces the narrowing of the research design under the influence of the Covid 19 pandemic. It then shows how the researcher’s involvement in the research field was helpful in being able to explore roles and hierarchies of the field. From the material thus collected, the working hypothesis emerges that practices and discourses surrounding Hamroth experience varying degrees of value creation as resources of self-construction. Therefore, the research interest is in which way field participants relate to Hamroth, which connections can be drawn to overall societal developments, and which field roles are negotiated and how.

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Rezensionen Ingeborg Geyer, Barbara piringer (Hgg.): Sprachinseln und Sprachinselforschung heute (Beiträge zur Sprachinselforschung, Bd. 25). Wien: praesens Verlag 2021. 319 S.

Der Jubiläumsband Sprachinseln und Sprachinselforschung heute erschien im Auftrag des Vereins der Freunde der im Mittelalter von Österreich aus besiedelten Sprachinseln und fasst Vorträge einer internationalen Tagung zusammen, die in Wien vom 23. bis 24.  November 2018 anlässlich des 45-jährigen Jubiläums des Vereins stattfand. Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Italien, Österreich und Ungarn stellten ihre Forschungsprojekte zur Sprachinselforschung aus unterschiedlichsten Perspektiven vor. Jeder Beitrag wurde auch ins Italienische übersetzt, entsprechend den Sprachen dieses Vereins. Aus dem Beitrag der Vorsitzenden Ingeborg Geyer (Wien) geht hervor, dass der Verein seinen etwas umständlichen Namen bei der Gründung 1973 bekam. In ihrem Artikel werden die Aufgaben und die Umsetzung der Ziele des Vereins erläutert, der zahlreiche Kontakte zu örtlichen Organisationen und wissenschaftlichen Institutionen pflegt, um die Sprachforschung, die Sprachpflege und die Dokumentation der deutschen Sprache in ihren Gebieten zu fördern. Durch seine Publikationen und die jahrzehntelange Sammeltätigkeit werden SpiEgElungEn 2.22

Impulse gesetzt, die sich auf das sprachliche Selbstbewusstsein positiv auswirken. Anliegen der Vereinsleitung ist es, die linguistische Sprachinselforschung in Zukunft weiterhin zu fördern und die Forschergemeinschaften mit den lokalen Einrichtungen vor Ort zu vernetzen. Elisabeth Knipf-Komlósi (ELTE, Budapest) geht in ihrem Beitrag Ein Umriss zur deutschen Sprachminderheitenforschung der Gegenwart zunächst auf die begriffliche Uneinheitlichkeit von Sprachinsel und Sprachminderheit ein. Nach einem kurzen Überblick zu Forschungsgeschichte und -methoden der Sprachinselforschung in Ungarn werden die aktuellen Forschungsaufgaben der Sprachinsel-/Sprachminderheitenforschung erläutert. Die Autorin ist der Meinung, dass der Begriff »Sprachinsel« in unserer globalisierten und vernetzten mobilen Welt nicht mehr gebraucht werden kann. Anstelle der Wesensmerkmale der frühen Phase der Sprachinselforschung (Arealität, Territorialität, räumliche Abgrenzung von der Umgebung, sprachlich-kulturelle Isoliertheit) treten neue Merkmale auf; aus diesem Grunde wäre es treffender, den Oberbegriff »Minderheitensprache« zu gebrauchen, denn dieser umfasst die gesprochenen sprachlichen deutschen Varietäten, Ortsdialekte sowie die Dialekt- und Kontakterscheinungen und Mischvarietäten. In Ostmitteleuropa hat jede Region mit einer deut161

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schen Minderheit ihre eigene Prägung wie zum Beispiel die russlanddeutsche Kontaktvarietät, Rumäniendeutsch oder Ungarndeutsch. Auch Sebastian Franz (Augsburg) stellt in seinem Beitrag Deutsch, oder? das vom Inselbild getragene klassische Konzept in Frage und kritisiert die Vorstellung der Insel und die damit verbundenen gängigen Konzeptionen (Abgeschlossenheit, Altertümlichkeit, Konservativität). Als unzutreffend erachtet er auch das Merkmal Isolation sowie die Annahme, dass die »Sprachinselmundarten« ältere Sprachzustände des Binnenraums konservieren. In seinen Anmerkungen zum Terminus Identität in einer Sprachinselsituation wird betont, dass bei der Identitätsbildung auch die Mehrheitssprache eine wesentliche Rolle spielt. Die Minderheiten handeln in einem dauerhaften Wechselspiel mit ihrer direkten Umgebung ihre Identität stets neu aus und entwickeln dabei ein originäres Selbstkonzept. Im Fersental/Bersntol1 bezeichnen sie sich als »Mócheno« oder »Bersntoler«, zu ihrer Sprache sagen sie »Móchenisch« oder »Fersentalerisch« oder »Bersntolerisch«. In der Westukraine benennen die »Schwoben« ihre deutschbasierte Varietät »Schwobisch« oder »Schwäbisch«, auch wenn es sich dabei nicht um schwäbische Varietäten handelt2. Im Beitrag Sprachdokumentation und linguistische Forschung in Luserna3 anhand von 40 Jahren Tonaufnahmen geht es um das Projekt ADOC (Archivo Digitale Online Cimbro/Zimbrisches OnlineDigitalarchiv), das zwischen 2017 und 2018 durchgeführt wurde und dessen Ziel der Aufbau eines Digitalarchivs war. 1 2 3

Auf Italienisch Valle del Fersina oder Valle dei Mocheni; eine der deutschen Sprachinseln in Norditalien, in der Region Trentino-Südtirol. »Sprecherschwaben«, vgl. Erb 1994: S. 271 Lusern (italienisch Luserna) ist eine Sprachinsel der Zimbern in Norditalien. Sie sprechen die bairische Sprachvarietät Zimbrisch.

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Der Beitrag wurde von zwei Autoren verfasst. Ermenegildo Bidese (Trient) schreibt über die Dokumentationsmaterialien, die in drei Kategorien aufgeteilt werden: Es handelt sich um 60 Tonaufnahmen, die in den Jahren 1952 bis 1982 von Eberhard Kranzmayer und Maria Hornung zusammengetragen wurden, und um schriftliche Zeugnisse (Märchen, Sagen, Geschichten und Volkserzählungen), die schon Ende des 19. und Anfang des 20.  Jahrhunderts veröffentlicht wurden und den Volksglauben der zimbrischen Gemeinschaft darstellen. Die dritte Kategorie besteht aus Fotos und Diapositiven, die in verschiedenen Archiven der Vereine von Lusern aufbewahrt sind. Francesco Zuin (Udine) beschreibt den Prozess der Bearbeitung der unterschiedlichen Dokumente. Man bekommt Lust eigene Materialien mit denselben Methoden und Verfahren zu bearbeiten und zu veröffentlichen, denn der Bearbeitungsprozess wird auch mit Beispielen illustriert und das Katalogisierungsschema für die Tonaufnahmen vorgeführt. Interessant erscheint auch die zweite Bearbeitungsphase, in der die Aufnahmen mit Hilfe des vom MaxPlanck-Institut für Psycholinguistik zur Bearbeitung sprachlicher Dateien entwickelten Programms ELAN überarbeitet werden, da dieses Programm eine dreistufige Analyse der Tonspur ermöglicht. Unter folgender Internet-Adresse kann das Archiv aufgerufen und konsultiert werden: http://mediateca.istitutocimbro. it/ADOC.page. Márta Müller (ELTE, Budapest) schreibt zum Thema Sprachlandschaftsforschung über die Mehrsprachigkeit der Deutschen in Ungarn und erforscht Citycape und Schoolscape in Werischwar/Pilisvörösvár in der Umgebung von Budapest. Die Sichtbarkeit der inneren und äußeren Mehrsprachigkeit der hier lebenden Deutschen wurde untersucht, indem Aufschriften und Schilder auf den Straßen und GasSpiEgElungEn 2.22

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sen des historischen Stadtkerns und in den öffentlichen Kultur- und Bildungseinrichtungen (städtische Bibliothek, Kulturhaus, sämtliche Kindergärten, Grund- und Mittelschulen) fotografiert wurden. Hier tauchen die Fragen auf, welche Varietäten des Deutschen bzw. welche Sprachen visuell in der Siedlung anzutreffen sind, in welchem Verhältnis diese stehen, welchen Status sie haben und welche Funktion sie erfüllen. Ein Ziel der Untersuchung war, die Verteilung zwischen der lokalen bairischen Mundart und der Standardsprache auf Schildern zu vergleichen. Es entstanden 795 Fotos, davon 221 (28 Prozent) auf öffentlichen Plätzen und 574 (72 Prozent) in den Bildungseinrichtungen. Im Beitrag werden die Ergebnisse der Untersuchung präsentiert. Philipp Stöckle (Wien) führte vom Dezember 2015 bis Januar 2016 eine empirische Studie bei den Nachfahren deutscher Auswanderer in Sao Bento du Sul durch. Ziel seines Beitrags Deutsch in Sao Bento du Sul (Brasilien) ist, einen Einblick in die Variationen der verschiedenen deutschen Varietäten als auch zwischen Deutsch und Portugiesisch zu geben sowie eine Einschätzung zum Stellenwert des Deutschen im Sprachleben von Sao Bento vorzunehmen. Es werden einige Hintergründe zur Geografie, Geschichte und Kultur dargelegt, ein kurzer Überblick zur sprachlichen Situation in Sao Bento geliefert und die Interviews ausgewertet. Wilfried Schabus (Wien) führt uns in seinem Beitrag Die sprachlichen Verhältnisse bei den Hutterern in Kanada in das Leben der Hutterer heute ein, präsentiert kurz ihre Geschichte und beschreibt die Entstehung dieser Wandersprachinsel. Anschließend stellt er das Schrifttum der Hutterer und dessen Überlieferungen vor. Ausführlicher geht er auf das »Hochdeutsch« der Hutterer und ihren hutterischen Alltagsdialekt (HuttDt) ein. Eine SpiEgElungEn 2.22

wichtige Frage ist auch das konfessionelle Bildungssystem (»Kleine Schule«, »Deutsche Schule«), und er befasst sich mit der Entstehung einer neuen Schriftsprache, der Standardisierung des HuttDt. Anthony Rowley (München) berichtet im Beitrag Meine Arbeit im Fersental aus seiner persönlichen Perspektive über seine 40 Jahre andauernden Kontakte, die Erlebnisse und Forschungstätigkeit vor Ort. Letztere begann er als Student 1973, als er erstmals nach Trient und ins Fersental reiste. In den darauffolgenden Jahren konnte er viele Familien kennenlernen und sich in der linguistischen Feldarbeit üben. Obwohl er Brite ist, hielten ihn die Leute schlicht für einen Deutschen und er erlernte auch das Fersentalerische. Die Aufnahmen hat er mit einem UHERAufzeichnungsgerät der Uni Regensburg gemacht, das damals zwar modern war, aber sehr schwer, besonders wenn man zum Gesprächspartner steil bergan steigen musste. Im Werdegang des linguistischen Feldforschers können auch die Kontakte und die Zusammenarbeit mit namenhaften Experten wie Robert Hinderling, Peter Wiesinger, Maria Hornung, Giuilana Sellan, Ludwig Eichinger, Hans Tyroller und anderen verfolgt werden. Die vorliegende Rundschau über die früheren Sprachinselgebiete einiger Nachbarländer Österreichs und auch aus zwei anderen Regionen der Welt zeigt ein in jeder Hinsicht vielfältiges Bild, das dank der unermüdlichen Forschungstätigkeit von Wissenschaftlern, dank des Vereins, dem an dieser Stelle herzlich gedankt und eine Gratulation ausgesprochen wird, erforscht, dokumentiert und auch publiziert wurde. Dadurch konnten viele der wertvollen sprachlichen Besonderheiten für die heutige Forschung als Motivation, aber auch der Nachwelt eine frühere sprachliche Etappe – auch abgeschiedener Gebiete  – erhalten bleiben. Hoffentlich wird der Jubiläumsband viele 163

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Leserinnen und Leser finden, vor allem aus jenen Gebieten und Fachkreisen, in denen heute noch deutsche Minderheiten leben und diese weiterhin  – unter völlig anderen Lebensumständen  – erforscht, dokumentiert und den Interessenten vorgestellt werden. Adelheid Manz arne Karsten: der untergang der welt von gestern. wien und die k. u. k. Monarchie 1911–1919. münchen: Verlag C. H. Beck 2019. 269 S., 18 abb., 4 Karten.

In unserer Zeit der politischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Unsicherheit, der »Zeitenwende«, von einer Epoche der Stabilität und des (längeren, aber nicht ununterbrochenen) Friedens in Europa zu einer befürchteten Instabilität wegen kriegerischer Auseinandersetzungen, sucht man nach historischen Beispielen für ähnliche Momente und für deren Bewältigung. Man will erfahren, wie es früher war, wie Fortschrittsoptimismus und Zukunftsängste zusammenpassten, was damals schieflief, warum die Menschen etwa um die Wende vom 19.  zum 20.  Jahrhundert recht sorgenfrei und fortschrittsgläubig in die Zukunft sahen und warum Europa kurz danach schlafwandlerisch in den Ersten Weltkrieg geschlittert ist. Da greift man interessiert zu diesem nicht allzu umfangreichen Buch, dessen Klappentext viel verspricht: »Arne Karsten erzählt in seinem glänzend geschriebenen Buch eine andere Geschichte des großen Epochenumbruchs jenseits der hohen Politik.« Wird dieses Versprechen eingelöst? Bei der Schilderung des »Untergangs der Welt von gestern« in der Habsburgermonarchie zwischen 1911 und 1919 konzentriert sich Karsten auf die Biographien von Arthur Schnitzler und seiner geistreichen jungen Freundin, der Bankierstochter Stephanie Bachrach, die er sorg164

fältig und einfühlsam nachzeichnet, oft aufgrund ausführlicher Zitate. Allerding lässt er auch andere Zeitzeugen zu Wort kommen. Der Autor hat für sein Thema sorgfältig die zeitgenössische Belletristik und die Fachliteratur, weniger Originalquellen, studiert (Bibliographie, S.  248– 262) und bietet einen guten Einblick in die Entwicklung »Kakaniens« (der so von Robert Musil verballhornten k. u. k.Monarchie), insbesondere im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, mit sehr ausführlichen Rückblicken auf die vorhergehende Zeit und knappen Ausblicken auf die ersten Jahrzehnte der Zwischenkriegszeit, bis zu Schnitzlers Tod (1931). Ob Arne Karsten aber wirklich »ein brillanter Beobachter der gesellschaftlichen Krisen dieser Epoche« ist, bleibe dahingestellt. Das in fünf Kapitel (»Im Wien der späten Kaiserzeit – Die höhere Tochter«, »Balkanwirren und die Folgen  – Ein armes Mädel«, »Der Weltenbrand  – Krankenschwester im Krieg«, »Dem Ende entgegen  – Zerrüttung«, »Spiegelungen und Nachklänge«) gegliederte Buch versucht den Spagat zwischen den Biografien von zwei Persönlichkeiten, die in den historischen Kontext eingebettet werden, und einem geschichtlichen Sachbuch über den Untergang des Habsburgerreichs. Der Leser wird dadurch verwirrt, muss selbst versuchen, zu unterscheiden: Zwischen den detaillierten Schilderungen des Lebens und Wirkens von Arthur Schnitzler (einschließlich recht ausführlicher Analysen von Werken des Schriftstellers) sowie von Stephanie Bachrach einerseits – die laut »Prolog« den »äußeren Rahmen« der Darstellung bilden (S. 9) – und der Herstellung der allgemeinen Zusammenhänge der Weltgeschichte, insbesondere des Nieder- und Untergangs der österreichisch-ungarischen Monarchie andererseits. Hier setzt der Autor dem Klischee vom »kern- und wurzelfaulen« Habsburgerreich in den letzten JahrSpiEgElungEn 2.22

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zehnten seines Bestehens die zukunftsträchtigen Aspekte eines übernationalen Staatsverbandes entgegen, wie sie der Bankier Rudolf Sieghart beschrieben hat: »In Wirklichkeit ist das alte Österreich in der Zeit, die ich schildere, durchaus kein Zwangsstaat, sondern ein gut verwalteter Nationalitätenstaat gewesen, der in der verfassungsrechtlichen und verwaltungstechnischen Lösung des Zusammenlebens von acht Nationen viel weiter gekommen war als andere Staaten in ähnlicher Lage«. (S. 36f.) In diesem Kontext kritisiert Karsten die ebenso egozentrische wie kurzsichtige, von Magyarisierungsbestrebungen getriebene Politik der Budapester Regierungen nach dem österreichischungarischen Ausgleich von 1867. Unter anderem beschuldigt er Graf István Tisza wegen seiner »rein magyarische[n] Kirchturmpolitik«, er gehöre »dadurch – darüber kann leider kein Zweifel bestehen – zu den Totengräbern des Habsburgerreiches«. (S.  41) Geradezu hämisch klingt ein weiteres Urteil Karstens über die ungarische Politik: »Das visionäre Ziel, das viele ungarische Politiker in den letzten Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, wenn auch nicht immer offen eingestanden, so doch im Stillen zäh verfolgten, die definitive Lösung von Wien, sie [korrekt: es, nämlich das Ziel] war tatsächlich erreicht, als Mihaly [korrekt: Mihály] Graf Károlyi am Tag von Tiszas Ermordung die Unabhängigkeit Ungarns ausrief. Doch schon sehr bald belehrten die Bestimmungen der Pariser Verträge die nationalstolzen Ungarn mit einer gewissen Brutalität darüber, dass ihr traditionelles Selbstbewusstsein und die politische Stellung der geschlagenen Nation in ein Missverhältnis geraten waren. Ungarn verlor rund zwei Drittel seines Staatsgebietes, das es zu Zeiten der untergegangenen Habsburgermonarchie so gern als ›heilig‹ reklamiert hatte«. (S. 175) Eine differenzierendere BetrachSpiEgElungEn 2.22

tung wäre einer geschichtlichen Analyse würdiger gewesen. Ich neige dazu, die gelegentlich nostalgisch verklärte oder kritisch überzogene geschichtliche Darstellung nur als Umrahmung der Biographien von Schnitzler und Bachrach einzustufen, die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit Arne Karstens stehen. Das legt auch der abschließende »Dank« nahe, aus dem hervorgeht, dass das vorliegende Buch aufgrund der Lektüre von Schnitzlers Tagebüchern in der Wuppertaler Schnitzler-Forschungsstelle und von »anschließende[n] Studien in nicht allzu langer Zeit […] entstanden« ist. (S. 201) Und das wiederum führt zur Frage, warum der Buchtitel irreführend nur auf den historischen Rahmen hinweist, aber nicht auf Schnitzler und Bachrach. Kurzum, beim Versuch, eine Konzeption des Buches zu erkennen, muss ich leider feststellen, dass eine solche nicht erläutert und schon gar nicht methodisch untermauert wird. Hier ließe sich mit Arthur Schnitzler fragen: »Man steht im Leben immer wieder vor der Wahl, es sich selbst leicht und den anderen schwer zu machen – oder umgekehrt. Aber hat man denn eine Wahl?«. (S. 9) Karstens Aussagen über die Bedeutung Schnitzlers als Beobachter und Kommentator des Zeitgeschehens sind widersprüchlich und belegen meines Erachtens die Konzeptionslosigkeit des Buches. Einerseits soll laut Prolog »im Folgenden Arthur Schnitzlers Sicht auf die gesellschaftliche und politische Entwicklung in den Jahren zwischen 1911 und 1919 rekonstruiert werden«, da er »einer der sensibelsten und psychologisch hellsichtigsten Diagnostiker der spätbürgerlichen ›Welt von gestern‹ mit all ihren Brüchen, Ambivalenzen und Widersprüchen« (S. 7) gewesen sei. Andererseits bescheinigt ihm der Autor im Kapitel »Kritik und Selbstkritik«: »Im Gegensatz zu den meisten seiner Autorenkollegen im Wien des fin de siècle ver165

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sagte er sich die Publikation von Buchrezensionen ebenso wie Stellungnahmen zu politischen, künstlerischen oder kunsttheoretischen Problemen«. (S. 181) Angesichts dieses Urteils drängt sich doch die Frage auf, warum Schnitzler in diesem Buch so oft zitiert wird, auch mit Äußerungen zu weltpolitischen Themen. Und letztlich stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Schnitzler bemüht werden musste, um den Untergang »Kakaniens« am Beispiel einer Person nachvollziehbar zu machen. Ob ein Sachbuch – wenn es denn als ein solches konzipiert wurde  – wirklich mit über 580 Anmerkungen versehen werden musste, die nicht als Fußnoten, sondern im Anhang (S.  207–247) zu finden sind und dem interessierten Leser ein ständiges Hin- und Herblättern zumuten, bleibt anzuzweifeln. Immerhin belegen sie, dass von diesem Buch keine neuen Erkenntnisse, wohl aber eine gut recherchierte Zusammenfassung des heutigen Kenntnisstandes zu erwarten sind, wobei die Exkurse zur Frage der italienischen Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges oder zur Rolle des ungarischen Nationalismus als Totengräber der Habsburgermonarchie zwar ausführlich, aber doch sehr einseitig ausfallen. Gelegentlich ist es von Vorteil, wenn ein Klappentext nicht mehr verspricht, als das Buch zwischen den beiden Deckeln zu halten vermag. Im vorliegenden Fall sollte man das Buch lieber nicht an den Ankündigungen messen, denn lesenswert und informativ ist es allemal, ganz besonders die Lebensbeschreibung der unverdient in Vergessenheit geratenen Stephanie Bachrach. Konrad Gündisch

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norbert Mappes-niediek: Europas geteilter himmel. warum der westen den Osten nicht versteht. Berlin: Ch. links Verlag 2021. 300 S.

In Zeiten geradezu abgründiger Ratlosigkeit helfen gute Bücher weder aus dem Abgrund heraus noch darüber hinweg, sie helfen aber beim Blick hinein, gegen den Schwindel, der einen dabei erfasst. Tröstlich ist das nicht, doch man lernt auf Trost verzichten, weil man erkennt, wie müßig er immer schon war. Norbert Mappes-Niediek greift mit so viel journalistischer Verve auf tausendjährige Geschichte zu, dass sie beim Lesen unausweichlich erscheint, dass einem zugleich aber aufgeht, dass es nie deshalb so gekommen ist, weil es nicht anders, sondern gerade weil es anders hätte kommen können. Diese Dialektik ist verquer wie all das Bedrückende, von dem dieses Buch so erfrischend handelt. Der Autor holt entlegene Ereignisse herein in den beengten Horizont unseres dem Tage verhafteten Verständnisses und breitet sie so aus, dass wir sie selbst greifen und begreifen können: als stets ebenso verstörend wie zwingend, ebenso kontingent wie konsequent. Ob Westen oder Osten, die Welt war immer schon die Welt, der Himmel nicht nur nach Christa Wolf geteilt, und das Verständnis aller für alle, füreinander  – das war immer schon ein großer unerfüllter Wunsch. Als unerfüllbar aber will der Autor den Wunsch nicht gelten lassen, sonst hätte er das Buch nicht geschrieben. In diesem (Kriegs-)Frühling, da ich daran sitze, verkündet der Sänger Sting, er werde seinen Song Russians mit zwei ukrainischen Cellisten neu orchestrieren, Robert Mappes-Niediek aber zitiert die »Lyrics« gerade als vermeintlich einfühlsame, dabei ungelenk plakative Beschwörung jenes unerfüllten Wunsches: »We share the same biology / regardless of ideology«. (Etwa: Wir gleichen uns SpiEgElungEn 2.22

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in der Biologie, ungeachtet aller Ideologie  – S.  21.) Und er lässt den Schweizer Stephan Sulke mit der Ballade vom Mann aus Russland einstimmen: »Der Mann aus Russland konnte lachen, fröhlich sein und Witze machen, war ein Mensch genau wie ich und du«. (S. 20f.) Darf einem dabei das Lächeln gefrieren? Dann jedoch geht der Autor weit zurück und erzählt von der ost-westlichen Kirchenspaltung 1054 in Konstantinopel, wo der Papstgesandte Humbert von Moyenmoutier und der Patriarch Michael Kerullarios sich über ihr jeweiliges Verständnis von christlichem Heil heillos zerstritten haben: »Der Westen erhob Anspruch auf die Anerkennung einer allgemeingültigen Wahrheit. Der Osten erhob Anspruch auf seine Besonderheit. Der Westen forderte Unterwerfung, der Osten forderte Respekt«. (S. 29) Die nach wie vor virulente Folge: »Zwar treffen in der Gegenwart längst nicht immer der anmaßende Prediger und der bockige Intrigant aufeinander, wenn in Europa Ost und West einander begegnen. Aber wenn sie es tun, und sie tun es immer wieder, rufen sie auf beiden Seiten vertraute Bilder wach. Selbst dann, wenn Osteuropa ausnahmsweise auftrumpft, wie unter Lenin oder Viktor Orbán, hat es als wichtige Karte die Erinnerung an erlittene Kränkungen auf der Hand«. (S.  31) Die Aufzählung von Predigern und Intriganten ist damit längst nicht abgeschlossen, Wladimir Putin hat gerade einen bluttriefenden Thron »erobert«. Die »vertrauten Bilder« sind allesamt blutig eingefärbt, Schriftsteller von Milan Kundera über Czesław Miłosz und György Konrád bis zu Theodor Fontane werden als Zeugen aufgerufen für die Verheerungen und Versehrungen und die unüberbrückbaren Spaltungen zwischen und in den Ländern des Ostens und die Kluft gegenüber dem Westen. Einen »Unschuldskomplex« diagnostiziert der Ungar György Dalos in gewohnt poinSpiEgElungEn 2.22

tierter Art: »›Immer wurden wir bedrängt‹, glossiert [er] das Geschichtsbild [nicht nur] seiner Landsleute: von Mongolen, Osmanen, Habsburgern, Sowjets, Serben. […] Dass ›die Serben‹ an etwas schuld sein könnten, kam keinem Serben in den Sinn. Gehandelt hatten ja nicht ›die Serben‹. Gehandelt hatte Slobodan Milošević. […] In der Erinnerung an das Kriegsgeschehen ist jedes Volk gleichermaßen unschuldig«. (S. 92) Das Ergebnis fasst Norbert MappesNiediek in ein düsteres Panorama: »Was Weltkriege, Hungersnöte und organisierter Massenmord in Osteuropa angerichtet haben, kann man sich im historisch viel stabileren Westen nur schwer vorstellen. In Deutschland können viele Familienforscher ihre Vorfahren bis in den Dreißigjährigen Krieg zurückverfolgen. In Osteuropa hat dieser Dreißigjährige Krieg, der alles durcheinanderbrachte, im 20.  Jahrhundert stattgefunden, dreihundert Jahre später. Flucht und Vertreibung, ›Bevölkerungsverschiebungen‹, wie es beschönigend heißt, haben riesige Landstriche ent- und andere bevölkert«. (S. 94) Was schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg schier aussichtslos erschien, wurde durch die Spaltung Europas in zwei verfeindete Blöcke für ein halbes Jahrhundert dergestalt zementiert, dass die Öffnung der 1980er-Jahre wie ein Wunder wirkte. Als sich der Westen darob allerdings genügsam die Augen gerieben hatte, sah er sich eigensinnigen »Gefühlsnationen« gegenüber, das Wunder musste ihm alsbald wie eine Fata Morgana dünken. Er »reagierte auf das eigentümliche Selbstverständnis der osteuropäischen Nationen nach 45 Jahren Blockkonfrontation überrascht und verständnislos. ›Die Stämme sind zurückgekehrt‹, urteilte mit Blick auf das östliche Europa schon 1992 der amerikanische Sozialphilosoph Michael Walzer«. (S. 120) Das Befremden dauert fort, der Verwerfungen ist kein Ende, die Globalisierung 167

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ist »globaler« noch als der Globus, denn sie hat keine einigermaßen überschaubare Oberfläche, sondern spielt sich in ungeahnten Schichtungen und Verschiebungen ab, die nicht mit vergleichsweise einfachen Modellen wie jenem des Kalten Krieges, des Klimawandels oder der Technologiesprünge zu fassen sind. Die Wende zur Marktwirtschaft und die Arbeitsmigration führen mitnichten zum Wohlstand in der Fläche, sondern vertiefen die Gegensätze: »Für die Unterschiede zwischen den Ländern kann Europas Ost-Entwicklungsmodell nichts; sie sind historisches Erbe. Hervorgebracht hat das Modell aber weit krassere Unterschiede als die zwischen Ost- und Westländern: die innerhalb der Staaten selbst – zwischen Stadt und Land, meistens auch zwischen innerstaatlichem Westen und innerstaatlichem Osten«. (S. 147) Mit dem Rückblick auf die vier Muster – und Schocks – der wirtschaftlichen »Wende« im Osten (Restitution, Buyout, Teilhabe-Coupons und Feilbieten auf dem Weltmarkt) leitet Norbert Mappes-Niediek seine Gesamtschau der zahlreichen Aporien ein, mit denen sich die Völker, Völkerschaften, Nationen und Minderheiten der »europäischen Welt« konfrontiert sehen  – allerdings gerade unter peinlicher Vermeidung des Blickkontaktes miteinander, denn: »Nicht Fremdheit produziert die hartnäckigsten Missverständnisse, sondern Ähnlichkeit«. (S.  219) Das geht bis zu den Auffassungen von der Transzendenz, von denen man meinen sollte, sie seien so etwas wie allgemein menschlich. Weit gefehlt: Die profunde Uneinigkeit zwischen Michael Kerullarios und Humbert von Moyenmoutier setzt sich bis heute fort: »Wenn der Heilige Geist nur vom Vater ausgeht, dann ist dieser Geist so fern, so fremd und so unergründlich wie der Vater selbst, der Gott des Alten Testaments, der oft unverständliche, grausame Dinge tut  – die östliche Sicht. Geht der Hei168

lige Geist dagegen vom Vater und vom Sohne aus, dann muss er irgendwie mit dem menschlichen Verstand kompatibel sein«. (S. 223) Alsdann: Gott befohlen! Wie viel man sich gegenseitig zu verdanken hat, vergisst niemand, der auch nur einiges davon weiß (etwa von der europäischen Aufklärung), und doch übertrifft »man« sich im Leugnen und Verdrängen, ja wird zunehmend flinker darin, desto drängender die Not. Und an der ist es, ja sie ist gar ärger noch, als Norbert Mappes-Niediek sie zu der Zeit, als er das Buch schrieb, konnte heraufdüstern sehen. Wohl noch näher als ihm damals geht einem deshalb heutigen Tags seine Beschwörung des Toleranz-Paradoxons: »›Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz‹, schrieb Karl Popper […] über die ›offene Gesellschaft und ihre Feinde‹. ›Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden.‹«. (S. 248) Die Duldenden kann das nicht trösten. Mag es den Lesenden und Angesprochenen zur Stärkung gereichen. Georg Aescht hellmut Seiler (hg.): Schwebebrücken aus papier. anthologie rumänischer lyrik der gegenwart. aus dem Rumänischen übersetzt und herausgegeben von Hellmut Seiler. Berlin: Edition noack  &  Block im Frank  &  Timme Verlag 2021. 378 S. aurelia Merlan, joshua ludwig (hgg.): Rumänische lyrik. von der Romantik bis zur gegenwart. Eine anthologie. Rumänisch/deutsch. Berlin: Edition noack  &  Block im Frank  &  Timme Verlag 2021. 446 S.

Die Poesie ist ein aussterbendes Genre. Es lebe die Poesie! Was ist ein Gedicht? Das Gedicht ist eine unaufhörliche Suche nach Antworten auf existentielle Fragen. Um auf die Fragen SpiEgElungEn 2.22

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zu antworten, ist der Dichter oftmals versucht, aus der Enge des mal bescheidenen oder hermetischen, mal direkten oder provokativen Wortes auszubrechen. Denn das Leben wird seit jeher von äußeren Umständen erschüttert, Kriege, Naturgewalten, politische Kämpfe, unentzifferbare Geheimnisse, Dichter befinden sich auf einer ständigen Suche nach Antworten, nach neuen Wegen, die sie sich und anderen verständlich machen, indem sie ihnen eine wörtliche Form verleihen. Zwischen Trost und Leid, zwischen Hilflosigkeit und Revolte, Dichter finden in Wörtern die Kraft und die Entfesselung, um denjenigen, die sie lesen, Hoffnung zu schenken. Das Gedicht ist ein Manifest, ein Schrei, eine Hoffnung. Wenn das Gedicht es schafft, das Herz oder den Verstand der Leserinnen und Leser zu berühren, dann wird es zu einem Gewinn, einem »Mehrwert«, dann hat der Dichter oder die Dichterin seine oder ihre Mission als Botschafter bzw. Botschafterin erfüllt. Was kann das Gedicht heute für Informationen übermitteln, die andere Sprachmedien nicht übermitteln können? Worin besteht sein Zauber? Aus dem antiken poiesis stammend, bedeutet Gedicht zunächst Erschaffung. Es wird als spezifische Erkenntnis definiert, die sich auf künstlerische Weise artikuliert, und durch konzentrierte Sprache in vielfältigen Bedeutungen und suggestiven Werten des Wortes ausgedrückt: besonderes Wissen, affektive Erkenntnisse, Essenzen aus dem realen Leben in reine Sprache übertragen. Als Ausdrucksmittel benutzt das Gedicht den Reim, der überkreuzt, parallel, umarmend sein kann, was dem Gedicht eine Tonalität gibt. Eine andere Modalität des Ausdrucks ist das Versmaß, aus dem die Musikalität entspringt: die rhythmische Sukzession und Wiederholung der betonten und unbetonten Silben innerhalb eines Verses (jambisch, trochäisch, daktylisch und andere). Wie schön drückte sich einst Mihai SpiEgElungEn 2.22

Eminescu in seinem Gedicht Der zweite Brief aus, einem so genannten klassischen (oder weißen) Vers folgend: »Du fragst, warum meine Feder in der Tinte ruht? / Warum der Rhythmus mich nicht weg von meinen Pflichten holte? / Warum sie in den vergilbten Blättern schläft, / die steigenden Jamben, die Trochäen, die sprunghaften Daktylen?«.1 Beide vorliegenden Anthologien haben ihren Schwerpunkt auf der historischen Chronologie der rumänischen Lyrik. Seit dem umfangreichsten in deutscher Sprache erschienenen Sammelband von Dieter Schlesak (Hg.) Gefährliche Serpentinen von 1998 gab es einige wenige schmale Lyrik-Anthologien mit Übersetzungen aus der rumänischen Lyrik oder als zweisprachige Ausgaben angelegt, die sich sowohl der klassischen als auch der modernen rumänischen Dichtung widmen sowie einige neuere Stimmen dieser im deutschen Sprachraum weniger bekannten Dichtung enthalten. Dabei gilt es sowohl Stimmen des Exils 1945 bis 1989 einen Raum zu geben als auch der Vielfalt der nach 1989 entstandenen Dichtung gerecht zu werden. Eines der rekurrenten Themen in der rumänischen Lyrik ist die Kunst des Dichtens, im weiteren Sinne auch die Reflexion der eigenen Dichterexistenz, oder die Quellen der lyrischen Inspiration. In einer Sprache, die so lange eine marginale Rolle spielte, spürt man, dass das Bedürfnis nach sprachlicher, lyrisch-literarischer Reflexion eine kulturelle Konstante und ein Grundbedürfnis ist. Eine der Lesarten, der man anhand der beiden neuen Lyrikanthologien folgen kann, ist die Ars Poetica, ein alter Topos. 1

De ce pana mea rămâne în cerneală, mă întrebi? / De ce ritmul nu m-abate cu ispita-i de la trebi? / De ce dorm, îngrămădite între galbenele file, / Iambii suitori, troheii, săltărețele dactile? M. Eminescu: Scrisoarea a  II-a [Der zweite Brief ]. In: Poezii [Gedichte]. Bukarest 1971, S. 120. (Dt. Übersetzung I. B.).

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Öffnen wir das Buch Rumänische Lyrik: Von der Romantik bis zur Gegenwart. Eine Anthologie Rumänisch/Deutsch, herausgegeben von Aurelia Merlan und Joshua Ludwig, eine der beiden Neuerscheinungen des Jahres 2021, die anhand von 22 Dichterporträts Einblicke in eine Fülle rumänischer Lyrik gewähren. Die zweisprachige Anthologie setzt mit dem romanistisch-impressionistischen 1848er Vasile Alecsandri in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, gefolgt von Mihai Eminescu (den man nicht unbedingt mit dem altmodischen Etikett »Nationaldichter« – S. 23 – versehen müsste, seine einzigartige Poetik und sein innovativer spätromantischer Stil beschreiben ihn zur Genüge), dem Gegenspieler Eminescus Alexandru Macedonski und George Coșbuc, die für die rumänische Lyrik wegweisend sind. Es folgen modernere Autoren wie Octavian Goga, Ion Minulescu, Ion Pillat, George Bacovia, Tudor Arghezi, Ion Barbu, Nicolae Labiș, bis ins 20.  Jahrhundert hinein mit Nina Cassian, Lucian Blaga, den wichtigsten Vertretern der 1960er Generation Marin Sorescu, Ștefan Augustin Doinaș und Nichita Stănescu. Auch marginale, selbst im rumänischen Kontext weniger bekannte, lange Zeit verschwiegene Dichter wie Ion Vinea, Eugen Ionescu, Tristan Tzara finden hier einen Platz, obwohl sie eher den internationalen Avantgardisten angehörten. Schließlich runden Ana Blandiana, Mircea Dinescu und Mircea Cărtărescu das Bild ab, Dichter, die bis in die 1990er-Jahre hinein oder darüber hinaus gewirkt haben. Die Gegenwart der letzten 25 Jahre bleibt jedoch ausgespart. Die Übertragung ins Deutsche ist eine interlineare Übersetzung, die manchmal gelungen ist, manchmal ein wenig steif wirkt. »Die Dürre hat jeden Windhauch getötet. / Die Sonne ist geschmolzen, auf die Erde geflossen«, »Es zeigte sich springend, es blieb stehen, / sah sich um mit einer Art Angst«, »Ich sag Vati, ich 170

bin durstig, er bedeutet mir, zu trinken«. (S. 314)2 Jedoch erklärt sich der pragmatische Ansatz aus dem Entstehungszusammenhang als Projekt an der LudwigMaximilians-Universität in München. Es soll zunächst den Einstiegsstudierenden den Zugang zur rumänischen Sprache erleichtern. Einige der 22 vertretenen Dichter sind in verschiedenen Anthologien bereits in Teilen übersetzt worden, andere sind im deutschen Sprachraum bislang weitgehend unbekannt. Die Anthologie nimmt sich vor, eine unsichtbare Entwicklungslinie nachzuzeichnen, um wichtige Etappen zu skizzieren, ohne diese explizit zu nennen. Kurze biobibliographische Angaben runden das Bild ab und meiden die Vertiefung oder wertende Urteile, eine seriöse Studienausgabe von großem Nutzen. Im gleichen Verlag erschien der vom Dichter Hellmut Seiler herausgegebene und übersetzte Band Schwebebrücken aus Papier. Anthologie rumänischer Lyrik der Gegenwart. Die Anthologie ist einsprachig Deutsch und zeichnet sich durch hervorragende Übersetzung aus. Die von kurzen biobibliographischen Informationen begleiteten Porträts der Autorinnen und Autoren setzen genau an dem Punkt an, an dem der zuvor vorgestellte Band aufhört. Im vorangestellten gelungenen Essay stellt der Literaturkritiker Alex Cistelecan diese Dichtung in den Gesamtkontext der rumänischen Literatur. »Die rumänische Lyrik ist eine der jüngsten in Europa« (S. 5), schreibt er und zeichnet ihre Entwicklung aus der Geburt der rumänischen Aufklärung zu Beginn des 19.  Jahrhunderts nach. Der Titel des Bandes ist eine treffende Metapher: Schwebebrücken aus Papier. So eröffnet Ana 2

Seceta a ucis orice boare de vânt. / Soarele s-a topit și a curs pe pământ; Ea s-arătă săltând și se opri / Privind în jur c-un fel de teamă; Spun tatii că mi-e sete și-mi face semn să beau. Nicolae Labiș: Moartea căprioarei [Der Tod des Rehs], S. 314f. SpiEgElungEn 2.22

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Blandianas Dichtung diesen Band, die im Gedicht Biografie ihren Werdegang als Lyrikerin beschreibt: »Als Kind hatte ich beobachtet, dass die Blätter / im Rhythmus meines Gedankens zittern«. (S.  26) »Ich habe das Recht nicht mehr stehenzubleiben. / Jedes unausgesprochene Gedicht, jedes nicht gefundene Wort / bringt das Universum, das an meinen Lippen / hängt, in Gefahr«. (S.  26) Als Kind, also zu Anfang ihres Dichtens, folgten ihr ihre Brüder und Schwestern im Geiste, sie bewunderten sie, sie stimmten ihr zu und ja, imitierten sie sogar. Verfolgt wurde sie von Raubtieren, von Feinden (die bekannten politischen Umstände der Diktatur, der Geheimdienst, die Zensur, die Funktionäre des Kommunismus), dann erschrak sie, aber es war zu spät. Sie hatte diesen Weg bereits eingeschlagen, auf dem sie nichts mehr aufhalten konnte. Es bleibt ihr Dichterinnenrecht, diesen als ein Ideal für sich selbst auserkorenen Weg stetig weiterzugehen. Das Wort besitze die Macht des Magiers, Wunder zu vollbringen. Denn wenn man nichts schreibt, wenn man nichts sagt, dann ist die Welt in Gefahr, dann wird das Wort vom reinen Instinkt übernommen: »Eine einfache Zäsur des Verses / würde den Zauber aufheben, der die Gesetze des Hasses bannt, / und alle, verwildert und einsam, zurückwerfen / in die feuchte Grotte der Instinkte«. (S. 26) Die Poesie als Manifest. Welch Zartheit, wieviel Musikalität, welch Harmonie atmen die Verse in Draußen auf den Hügeln, um die Verbrüderung mit der Natur, die Freiheit des Körpers und der Gedanken zu besingen: »Draußen auf den Hügeln findet meine Seele / ihren Atem wieder«. (S. 23) In Geschlossene Kirchen durchdringt ein Gefühl der Melancholie die Verse, ein Bedauern über die Gleichgültigkeit vieler Zeitgenossen, die ein unruhiges Konsumleben führen, keine Zeit haben, um den Blick in einer anderen historischen Dimension umherschweifen zu lasSpiEgElungEn 2.22

sen »und ohne sich zu fragen / wer jener ist der irgendwann / in einem so großen Haus gewohnt hat«. (S.  19) Hinter dem Gefühl des Schmerzes lugt eine zivile Verpflichtung hervor, die uns daran erinnert, dass wir nicht geschichtslos geboren sind. In Animal planet lanciert sie einen Aufruf zum zivilen Ungehorsam: Man darf die Augen nicht verschließen und nicht untätig bleiben angesichts der Ungerechtigkeiten, der Gesetzlosigkeiten, der Monstrositäten! Denn wenn man diese passiv betrachtet, macht man sich mitschuldig. »Wie schwer ist es doch, einem Engel die Flügel zu streicheln!« (S.  15), heißt es in einem anderen Gedicht: der blandiansche Engel, eine Veranschaulichung des dichterischen Ideals. Das Ideal lässt sich nur erspüren, nicht erreichen. Nicht die Idee dominiert in ihren Gedichten, sondern das innere, das intensive Erleben: »[…] und von allen Sinnen wach nur der Traum vom Tasten bleibt, / einem Engel, ohne ihn zu erschrecken, über die Flügel zu streicheln […]«. (S. 15) Nur Unsensible bleiben von einem solchen Vers unberührt. Im Fortgang der Anthologie lobt Adrian Popescu in Die Straße den ersten freien demokratischen Frühling: »Es schien der Morgen der Welt zu sein, / und über uns schütteln sich / sämtliche Zweige / der Kirschbäume Osteuropas«. (S. 264) Dieses Symbol des Lebens, des Friedens, der Freiheit, der Einigkeit: »und wir hielten uns an der Hand, waren uns sicher, dass die Straße / niemals enden würde, / oder, gut, sagen wir, / erst nach sehr langer Zeit …«. (S. 264) Im Gedicht Der Leib, die Seele schildert er das Drama des Menschen: Der Leib wird alt, aber die Seele mit ihren Wünschen, mit den Träumen bleibt jung, voller Ideale, voller Illusionen. Ioana Ieronim entführt uns in Das Alter eines Schreibers in die Antike mit Verweis auf den tragischen Poeten Euripides, einem der drei Großen der klassischen griechischen Tragödie. Im Zentrum dieser 171

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Stücke steht der Mensch, der von seinen Leidenschaften dominiert wird: »wie bei Euripides in der Höhle / und dem Leben selbst, dem gierigen, verschwenderischen?«. (S. 144) Die Anthologie versammelt 215 Gedichte von 36 Dichtern: Ihre Namen Codruț (rum. Wäldler), Ursu (rum. Bär), Moldovan (rum. Moldauer), Mureșan (rum. von der Marosch), Blandiana (Pseudonym mit Verweis auf Herkunftsort der Mutter) und viele andere erschreiben eine Geografie der rumänischen Lyrik in einer »poetischen Landschaft«. (S. 7) Es sind meist etablierte Dichter der älteren Generation, die den Kommunismus noch bewusst erlebt haben. Entsprechend schwebt das Politische immer im Existentiellen mit. So im Gedicht Ein dummer Tag von Matei Vișniec: Eine zugespitzte kafkaeske Situation, die vor dem historischen Hintergrund der rumänischen Geschichte interpretiert werden kann. Das lyrische Ich beklagt, seine Habe in einem Hotelbrand verloren zu haben. Sein Koffer, vielleicht sein Körper, oder seine gesamte Existenz, alles zerstob zu Asche. Niemand hilft, und als es auch noch zu regnen anfängt, wird es »wegen Störung der zerstörerischen Ordnung« (S.  355) verhaftet. Das Urteil wurde in Abwesenheit des Richters gefällt und dem Angeklagten wurde leider verboten, sich zu verteidigen, denn »mir wurde gesagt ich sei noch nicht geboren«. (S. 355) Vișniecs Gedicht Die Katastrophe kann nicht mehr aufgehalten werden ist eine aufrüttelnde Mahnung die Macht der Literatur nicht zu unterschätzen: »sobald das Wort nichts anfängt sich Fragen zu stellen / kann die Katastrophe nicht mehr aufgehalten werden«. (S. 354) Dies ein Beispiel für die Tipp- oder Setzfehler, die sich im Band eingeschlichen haben: »nichts anfängt« mit einem überflüssigen »s«. Ileana Mălănciou nimmt in Hieronymus’ Sohn Bezug auf den niederländischen Maler Bosch, dessen moralisierende Al172

legorien satirisch die menschliche Gesellschaft aufs Korn nehmen. Simona Popescu verbirgt hinter der titelgebenden Metapher unbestrittene Wahrheiten aus dem Leben. Der Keller erzählt von einem Untergeschoss im übertragenen Sinn, in dem Dinge aufbewahrt werden, die wir eigentlich nicht mehr brauchen. Die Dinge unter der Oberfläche stehen für die unergründlichen Geheimnisse des Körpers, für die verborgenen Gefühle, die Reichtümer der Seele, die darauf warten eines Tages ans Licht zu gelangen. »Nein, Herr Goethe, / das Schreiben kommt nicht von einem ›Überschuss des Sprechens‹ / das Schreiben rührt von einem Überschuss / der unausgesprochenen Musik, die in dir schlummert.« (S. 275) Andrei Zanca führt uns in eine apokalyptische Vision im letzten Gedicht des Bandes, Wanderungen, und bietet seiner Angst vor der atomaren Katastrophe Raum. Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl ist das Betreten der Zone immer noch verboten: Ein »radioaktives Naturreservat… // niemand weiß was dort geschieht, in jener Zone. / vielleicht nur die Vögel die sie ohne anzuhalten überfliegen«. (S.  362) Das Gebiet ist gleichzeitig mysteriös und das Leben läuft erschreckend normal weiter: »auf einem Hügel der nahen Stadt spielte ein Mädchen / namens Maraika. sie trug ein blaues Kleidchen / mit weißen Tupfen. // sie spielte allein«. (S.  362) Dystopische Visionen werden wahr, denn tatsächlich »weiß niemand mit Sicherheit, was dort geschieht« (S. 362), »die Wesen … jene Tiere … haben sich schrecklich vermehrt … / sie sind irgendwie anders … was wird wohl geschehen / wenn sie sich eines schönen Tages entschließen die Zone zu verlassen?«. (S. 363) Eine atomare Katastrophe ist immer ein globales Drama mit unberechenbaren Folgen. Andrei Zanca schließt den Band mit einem »Vermächtnis«. In seinem Gedicht April (S.  358f.) beschreibt er die dramaSpiEgElungEn 2.22

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tische Trennung eines sterbenden Vaters von seinem Sohn: ein unermesslicher Reichtum an Gefühlen, die er seinem Sohn zuflüstert, Geheimnisse, Offenbarungen, Ratschläge, Wünsche in verschiedenen Tonlagen. Dieses Zuflüstern ist für den Sohn ein wahrer Schatz, den er im Verborgenen seiner Seele aufbewahrt. Am Ende dieses lyrischen Wegs blickt man zurück und betrachtet die Schaufenster links und rechts. Viele lyrische Perlen bleiben im Gedächtnis: die Gemälde des Hieronymus, die Maraika, Künderin des Todes, in wilde Tiere verwandelte Menschen, Kirchen, Klöster, Keller und andere geheimnisvolle Orte. Manche Schaufenster lassen einen Blick ins Innere zu, manche verstecken sich hinter opaken Fensterscheiben und gewähren niemanden den Eintritt, man bleibt ungerührt davorstehen. Man müsste noch einmal diese Straße entlanglaufen, immer wieder stehen bleiben, in die Schaufenster blicken und sich anstrengen, das zu sehen, was beim ersten Blick nicht ersichtlich war. Auf diesem Weg würde sich ein dritter Band mit den neuesten jüngsten Dichterstimmen aus Rumänien hervorragend einreihen. Die neue Poesie liest sich wie Prosa, die Grenzen sind fließend, der Lesefluss zuweilen auch. Es ist ein bisschen schade um die alten gereimten, rhythmisierten Verse, in denen das Herz dachte und litt, heute vom Hirn ersetzt, und wir allzu genau erfahren, wie Gefühle, Poesie und Liebe verschmelzen. Aber erfahren wir dies wirklich? Oder sollten wir ab und zu wieder die späten Romantiker, die frühen Symbolisten, die abgedrehten Surrealisten zum Wohlbefinden unserer Seelen lesen? Die vorliegenden Anthologien tragen ihr Eigenes dazu bei, sich in das lyrische Denken hineinzuversetzen, und bestätigen die zum Klischee erstarrte, aber dennoch zutreffende Aussage des rumänischen Dichters Vasile Alecsandri: »Der Rumäne ist als Dichter geboren«. Lesend SpiEgElungEn 2.22

können wir in beiden Bänden erahnen, was zwei Jahrhunderte rumänische Dichtung zu dieser Welt beitragen. Wie einst George Coșbuc schrieb: »Kind, vertrau den schreibenden Dichtern / denn ihnen ist die Gabe zuteil / das Ganze besser zu hören, lebendig zu erleben / des Lebens Schmerz zu erspüren. // Sie können wie Wogen Strände fluten / im Rückzuge bettet der Sand sich fein / Von Wellen verstreut an den Ufern / werden Perlen Ingrid Baltag verstreut ganz allein«.3 Stefan Sienerth: Bespitzelt und bedrängt  – verhaftet und verstrickt. Rumäniendeutsche Schriftsteller und geisteswissenschaftler im Blickfeld der Securitate. Studien und aufsätze. Berlin: Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche literatur 2022. 714 S.

Nach der Lektüre des jüngst erschienenen Buchs von Stefan Sienerth ist die Versuchung groß, Goethes hymnischen Appell »Edel sei der Mensch, / Hilfreich und gut!« zu hinterfragen. Bis auf wenige Lichtblicke breitet sich auf Hunderten von Buchseiten des Menschen Erbärmlichkeit aus  – durchsetzt von menschlichem Elend und Leid, gefolgt von Gram und Gewissensbissen. Fundamentale Fragen bäumen sich vor uns auf: Was macht aus dem Menschen ein unglückliches und zerrissenes, ein verirrtes und verführtes Wesen? Wie kommt es, dass der Einzelne so ohnmächtig und wehrlos in den Strudel der Zeitläufte gerät? Was kann ihn erretten?  – Mit viel Verstand und Verständnis nähert sich der Autor einem verminten Terrain. 3

Copilă, tu crede poeții ce scriu, / Căci lor li s-a dat o putere / S-audă mai bine, să simtă mai viu / Întreagă a lumii durere. // Ei sînt ca oceanul ce-neacă vrun mal, / Dar cînd se retrage, el lasă / Mai fin nisipișul, și-aduse de val / Ici-colo, și perle ne lasă. George Coșbuc: Copilă, tu crede poeții ce scriu … [Kind, vertrau den schreibenden Dichtern …]. In: Cîntece de vitejie (Poezii II) [Lieder der Tapferkeit (Gedichte  II)]. Bukarest 1966, S. 413. (Dt. Übersetzung I.B.)

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Zum Forschungsfeld des Germanisten Stefan Sienerth, langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter, später Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Ikgs), gehört unter anderem die rumäniendeutsche Literatur und die Frage, wie sich diese »im Spiegel- und Zerrbild der ›Securitate‹« (so der Titel eines Forschungsvorhabens des Ikgs) ausnimmt. In zahlreichen Publikationen sowie Tagungsbeiträgen und Vorträgen führt Stefan Sienerth die »geschichtliche Wahrheit über eine der perfidesten und perversesten kommunistischen Diktaturen Osteuropas« (S.  10) vor  – so auch im vorliegenden. Dabei geht es ihm nicht darum, möglichst viele Mitläufer, Spitzel und Denunzianten an den Pranger zu stellen: Mit seiner profunden Recherche und differenzierten Darstellung deckt er die Komplexität des Sujets auf und weist auf die Bedeutung der kontinuierlichen Aufarbeitungsarbeit eines der düstersten Kapitel in der Geschichte der Rumäniendeutschen hin. »Wissen über das Getriebe eines brutalen Machtapparats« (S. 10) zu vermitteln – darum geht es. Daher auch der Appell des Autors, diese Forschungsarbeit nicht abbrechen zu lassen und sie der jüngeren Generation, für die jene Lebensverhältnisse hinter dem Eisernen Vorhang heute kaum nachvollziehbar sind, zugänglich zu machen. Einen Schritt in die richtige Richtung tut Sienerth mit dieser Publikation: Das Werk bündelt seine jahrzehntelange Arbeit  – ein Quellenverzeichnis am Ende des Bandes zeigt auf, wo die Aufsätze erstmals publiziert worden sind, darunter Zeitschriften wie Spiegelungen, Text+Kritik und andere sowie zahlreiche wissenschaftliche Monografien, Sammelund Tagungsbände. Dass Sienerths Forschungsergebnisse kompakt vorliegen, erleichtert künftige Recherchen erheblich. Wertvoll ist der Band auch für jene 174

Leserschaft, die mit der Geschichte, Literatur und Kultur der Rumäniendeutschen nicht oder nur marginal vertraut ist. Für sie gibt es im dritten Abschnitt des Buches, betitelt Allgemeines, Weiterführendes, Methodisches, einen Aufsatz, der auf die historischen Details zur Siedlungsgeschichte der deutschen Minderheiten in Rumänien eingeht. Zudem wird in diesem Teil das Zusammenspiel der vielen Faktoren durchleuchtet, die das erfolgreiche Agieren des rumänischen Geheimdienstes über Jahrzehnte ermöglichten. Bevor man in die ersten beiden Hauptabschnitte des Buches einsteigt, empfiehlt es sich diesen dritten Abschnitt zu lesen. Während in Letzterem allgemeine Anmerkungen zur Entstehung des Apparats Securitate und zur Frage, weshalb dieser für ein verbrecherisches Regime notwendig war, zum Tragen kommen, werden in Ersteren (betitelt Oskar Pastior – sein Kreis und seine Generation und Im Umkreis des Kronstädter Schriftstellerprozesses aus dem Jahre 1959) zahlreiche konkrete Beispiele genannt – Menschen, die den Machtmissbrauch jenes Regimes toleriert, geduldet oder erlitten haben. Nichts bleibt abstrakt, alles wird belegt: Die Aktenberge erzählen von tragischen Lebensgeschichten. Steile Karrieren entpuppen sich als Vorlage für fatale Abstürze, wie im Fall des Schriftstellers und Publizisten Paul Schuster, der trotz kommunistischer Gesinnung, mit der er seine siebenbürgisch-sächsischen Landsleute brüskiert und provoziert, ins Visier der Securitate gerät. Aus der Verehrung seines »Meisters« (S. 172) Moses Rosenkranz als »integre Persönlichkeit« (S.  172)  – er »habe sich nie kaufen lassen, weder mit Geld noch mit schönen Worten« (S.  172)  – macht Paul Schuster keinen Hehl. Vor seiner überstürzten Ausreise aus Rumänien 1961 überlässt Rosenkranz dem Verehrer und Freund Paul seinen dichterischen Vorlass, der Letzterem samt seiner Korrespondenz SpiEgElungEn 2.22

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mit dem »Meister« zum Verhängnis wird. Schuster ist auf Schritt und Tritt umgeben von Spitzeln, die sich bei ihm als Freunde einschmeicheln (zum Beispiel »Johann Wald«) oder die ihm wegen ihrer Dienste unentbehrlich werden (zum Beispiel seine ihm nahestehende Daktylographin, bei der Securitate als »Marga« bekannt). Selbst als Schuster nach einer Vortragsreise in die Bundesrepublik Ende 1971 nicht mehr nach Rumänien zurückkehrt, lässt ihn die Securitate weiter observieren  – ausgerechnet ihn, der Rumänien »mehr als so mancher Sachse« (S.  200) liebt und der seine »politischgedankliche Einstellung« (S.  200) nicht ändert: Auch in Deutschland bleibe er ein »überzeugter Kommunist« (S.  201), wie er seine Eltern  – und selbstredend auch die mitlesende Securitate – in einem Brief wissen lässt. An diesem Beispiel wird klar: Dem rumänischen Machtapparat mit seinem Repressionsorgan Securitate geht es um den Aufbau einer Herrschaft von Angst und Terror. Verwirrend nimmt sich das Curriculum vitae des Heinz Rottenberg aus. Der aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammende homosexuelle Literaturhistoriker nennt sich ab 1947 Heinz Stănescu und bespitzelt unter den Decknamen »Abrud«, »Silviu«, »Traian« namhafte Persönlichkeiten der siebenbürgischsächsischen Öffentlichkeit wie Erwin Wittstock und Harald Krasser. Er denunziert Lyriker wie Oskar Pastior und Georg Hoprich, horcht Wissenschaftler, Schriftsteller und Journalisten aus Österreich und der Bundesrepublik aus, die sich mit der Kultur und Geschichte Südosteuropas beschäftigen (unter anderem Erich Beck, Ute M. und Anton Schwob), auch Koryphäen wie der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich oder die Schriftsteller Martin Walser und Heinar Kipphardt bleiben nicht verschont. Von 1953 bis 1976 berichtet der eifrige Informelle Mitarbeiter (IM) Stănescu »aus ÜberSpiEgElungEn 2.22

zeugung« (S. 231) und »mit großer Hingabe« (S. 231). Seinen Auftrag erledigt er so gründlich, dass sich sein Auftraggeber genötigt sieht, »›Silvius‹ informativen Eifer zu zügeln«. (S. 231) Vielfach verstrickt ist auch die Vita des Historikers Carl Göllner, der als Spitzel unter dem Decknamen »Florescu« agiert und auf seine Landsleute angesetzt wird. In seinen Publikationen und Vorträgen interpretiert und inszeniert er die Geschichte der Deutschen in Rumänien im Sinne der vorherrschenden Ideologie  – stets hat er das propagandistische Desiderat der »›Verbrüderung‹ mit der rumänischen Mehrheitsbevölkerung« (S.  582) und den »gemeinsamen Kampf gegen die ›Unterdrücker‹« (S.  582) vor Augen. Seine berufliche Tätigkeit erlaubt es ihm zudem, von im Ausland stattfindenden Tagungen zu profitieren und darüber seinem geheimdienstlichen Auftraggeber Rechenschaft abzulegen  – »er dürfte bestimmt zu den am häufigsten im Ausland weilenden Siebenbürger Sachsen mit rumänischem Reisepass gehört haben« (S.  582). Als Spitzel »Florescu« tut er seine »Pflicht und Schuldigkeit« (S.  583), besticht durch »mit Nachdruck und Pathos vorgetragene Tiraden zwischen Überzeugung, Lüge und heuchlerischer Anbiederung« (S.  576), gerät dabei aber selbst unter Verdacht, so dass sich an seinem Fall die Paranoia der Securitate am ergiebigsten aufdecken lässt: Unter dem Decknamen »Gunther« wird »Florescu« nun seinerseits verfolgt und bespitzelt: »Um sicher zu gehen, dass er sich der geheimdienstlichen Kontrolle nicht entziehe, solle er rund um die Uhr und mit allen verfügbaren technischen und operativen Mitteln observiert werden« (S.  584)  – es werden keine Kosten und Mühen gescheut, die Gesinnung des Spitzels auf die Probe zu stellen. Die Vergangenheit des gebürtigen Mediaschers wird bis ins kleinste Detail rekonstruiert, um sicherzugehen, dass der bereits 175

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vor Beginn des Zweiten Weltkrieg umtriebige Siebenbürger kein Agent des englischen Geheimdienstes ist. Sogar ein »traditions- und erfahrungsreiches Unternehmen« (S. 589), das westdeutsche Observationsbüro Genter Co Internationale Detektiv Büro, wird während Göllners Münchner Aufenthalt im Juni 1971 auf ihn angesetzt. Die Verfolgungsakte »Gunther« liest sich wie ein Detektivroman – von Sienerth auf mehreren Seiten akribisch dargelegt. Wie Heinz Stănescu wird auch Carl Göllner in seinem Eifer gebremst und von der Securitate angehalten, »er solle aufhören, sich öffentlich zu engagieren« (S.  567), damit sein Umfeld nicht Verdacht schöpfe; seine Aufgabe sei die eines »politisch möglichst reservierten, unbeteiligten Wissenschaftlers« (S.  567), nur so könne er Kollegen und Freunde unauffällig aushorchen. Perfidie und Paranoia kommen auch im Kapitel über die Lebens- und Familiengeschichte Erwin Wittstocks nicht zu kurz. Dabei geht Sienerth unter anderem auf die Intention der Securitate ein, im Kronstädter Hotel ARO den IM »Florescu« mit dem renommierten Schriftsteller zusammenzubringen, um gleich beide abzuklopfen: den Verfasser, der sich unter anderem mit dem damaligen TabuThema, der Deportation der Rumäniendeutschen in die sowjetischen Arbeitslager, auseinandersetzt (sein Buch Januar ’45 oder Die höhere Pflicht wird bis 1998 unveröffentlicht bleiben), und den Spitzel, an dessen »Ehrlichkeit« der Geheimdienst zu zweifeln beginnt. Erwin Wittstock ist von einem ganzen Schwarm Informeller Mitarbeiter umgeben  – deren Decknamen sind zwar bekannt, aber nicht immer wie im Falle »Florescus« ihre richtigen Namen. Einer der fleißigsten Spitzel ist »Virgil Ionescu«, der eine Reihe »als ›Referate‹ und ›Rezensionen‹ bezeichnete Analysen zu einzelnen literarischen Werken von Erwin Wittstock« (S. 316) verfasst, ja sogar 176

Romanabschnitte ins Rumänische übersetzt, und dem Schriftsteller eine »antiziganistische«, »antisemitische«, »antirumänische Haltung« bescheinigt – diese und viele weitere »Unterstellungen« (S. 318) trägt Sienerth zusammen. Unterstellungen werden auch dazu führen, Hermine Pilder-Klein zu belasten – mit der Folge, dass die berühmte Übersetzerin vier Jahre im Frauengefängnis Miercurea Ciuc einsitzt. Ihr widmet Sienerth ebenfalls einen Aufsatz. Stolz auf ihren an der Universität Innsbruck lehrenden Bruder verteilt Hermine unter Verwandten und in ihrem Hermannstädter Freundeskreis die von Karl Kurt Klein am 26.  Mai 1957 im Düsseldorfer Landtag gehaltene Rede. Die Festansprache anlässlich der Feierlichkeiten zur Übernahme der Patenschaft über die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen durch das Land Nordrhein-Westfalen ist zwar »politisch eher unverfänglich und ohne jede Polemik gegen das nach dem Zweiten Weltkrieg in Rumänien installierte Regime« (S.  411), wird jedoch für seine in Rumänien verbliebenen Geschwister zum Verhängnis. In einem Prozess Anfang 1960 wird Gustav Adolf zu zwanzig Jahren »schwerer Haft« (S. 426) verurteilt. Und obwohl Hermine seit den 1930er-Jahren durch die Übersetzung bedeutender rumänischer Schriftsteller wie Ion Creangă, Ion Luca Caragiale, Mihail Sadoveanu eine allseits geschätzte Vermittlerin zwischen deutscher und rumänischer Kultur ist, wird sie zu sechs Jahren Haft verurteilt. Zeitweilig teilt Hermine Pilder-Klein eine der »stark belegten Zellen« (S. 428) unter anderem mit Grete Löw, eine »an Fragen der Literatur, der Philosophie und der bildenden Kunst interessierte« (S. 24) Arbeitskollegin Oskar Pastiors in Hermannstadt. Als der Dichter zu seinem Germanistik-Studium in Bukarest aufbricht, überlässt er Grete seine frühen Gedichte – Impressionen aus dem sowjeSpiEgElungEn 2.22

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tischen Arbeitslager, in das er als 17-Jähriger verschleppt worden war. Durch einen Rumänienbesuch ihres seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Linz lebenden Bruders gerät Grete Löw ins Visier der Securitate. Die Gedichte »antisowjetischen Inhalts« bieten einen guten Grund, sie zu verhaften. Zur selben Zeit wird der etwas ältere, unauffällige, zurückgezogene Bukarester Germanistik-Student Oskar Pastior durch die zielstrebige Bespitzelung »Silvius« (siehe oben) bei der Securitate aktenkundig. Während es im Fall Grete Löws lediglich bei einem »IM-Vorlauf«, »der der eigentlichen Anwerbung vorausging« (S.  36), bleibt, Grete als IM der Securitate nicht rekrutiert werden kann – wie Erwin Wittstock und Hermine Pilder-Klein beweist auch sie »Standfestigkeit« (S.  45) und wird 1959 zu sieben Jahren Gefängnisstrafe verurteilt –, gibt ihr Freund Oskar Pastior im Juni 1961 eine »schriftliche Verpflichtungserklärung« ab: »Darin hatte sich Pastior  – im Sprachgebrauch seiner Auftraggeber – bereit erklärt, er werde, um sich zu ›rehabilitieren‹, durch konkrete Taten seine Loyalität gegenüber dem volksdemokratischen Regime der Rumänischen Volksrepublik beweisen«. (S.  55) Unter dem Decknamen »Otto Stein« liefert der unter großen Druck geratene Dichter der Securitate Informationen  – bis 1968, als es ihm gelingt, sich  – einer Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Literatur folgend  – in die Bundesrepublik abzusetzen. Es gebe »bislang kein bzw. kaum relevantes Material« (S.  56), »aus dem hervorginge, Pastior habe diese Schriftsteller in irgendeiner Weise belastet« (S. 56) – eine wichtige Auskunft, da unter den Schriftstellern (Alfred MargulSperber, Oskar W. Cisek, Paul Schuster, Alfred Kittner) auch sein Freund, der talentierte Poet Georg Hoprich, ist, dessen Inhaftierung und – nach der Freilassung  – dessen Selbstmord nicht auf »inSpiEgElungEn 2.22

kriminierende Berichte« (S.  56) Pastiors zurückzuführen sind. Pastior sei »vorwiegend darauf bedacht [gewesen], durch seine Berichte möglichst niemanden zu schaden«. (S. 56) Im Rückblick auf seine Deportationsjahre im Donbass schreibt Oskar Pastior den für Sienerths Text titelgebenden Satz auf: »Ich habe Angst vor unerfundenen Geschichten«.  – In Sienerths vorliegendem Opus sind derer nebst der hier gestreiften noch einige andere zusammengetragen. Sowohl für Kenner der Materie als auch für Anfänger stellen sie ein faktenreiches Material dar, durch das die fatalen Folgen der kommunistischen Herrschaft in Rumänien für den einzelnen Menschen eindrücklich veranschaulicht werden. So wie in seinen früheren Publikationen geleitet Sienerth auch in diesem Buch der Grundsatz: »Die Aneignung der jüngeren und jüngsten rumäniendeutschen Geschichte muss auch die Bereitschaft einschließen, diese Periode als Ganzes in den Blick zu nehmen, sich neben den schönen auch den dunklen Seiten dieser Vergangenheit zu stellen. Denn es war beileibe nicht bloß eine Leidens- und Heldengeschichte, die die Deutschen Rumäniens nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durchschritten und durchlitten haben. Neben Deportation, Enteignung, Unterdrückung, Ausgrenzung und Aussiedlung gab es Verweigerung, Widerstand und Auflehnung gegen das kommunistische System, doch ebenso Schweigen, Anpassung, Zustimmung, Kollaboration und Komplizenschaft, ja mitunter Verstrickung, Verrat und Niedertracht. Zum Bild dieser Gemeinschaft, deren kulturelles Gedächtnis sich gern aus heroischen und OpferNarrativen speist, gehören auch diese Schattenseiten«. (S. 17f.) – Denn wie der Dichter einst verkündete: »[…] allein der Mensch / Vermag das Unmögliche:/ Er unterscheidet, / Wählet und richtet«. Ingeborg Szöllösi 177

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Die Brücke Von Kornelija Čilić Für Louis Am Bahngleis Nummer 7 stehen wir im Morgennebel und sagen kein Wort mehr. Die ganze verdammte Nacht haben wir geredet, und was er sagte, wollte ich nicht glauben, und was ich sagte, konnte er nicht verstehen. Sein Zug fährt ein, das grelle Licht der Scheinwerfer trifft mich unvorbereitet wie die ersten Salven des Krieges. Ich werfe einen Blick noch auf seine Hände und frage mich, wie viele Menschen diese Hände getötet haben und wieso sie unschuldig scheinen wie alle anderen Hände auch. »Also«, sagt er etwas zögernd, als er in den Waggon steigt, »du solltest zurückkommen, trotz allem«. »Ich weiß nicht«, sage ich und weiß es doch. Ich muss lächeln, und dieses Lächeln tut weh. Der Zug fährt ab, die roten Lichter des letzten Wagens sind nur noch kleine verschwommene Punkte auf ihrem Weg in ein fernes Land. Ich bleibe zurück, vom Nebel gefesselt, in mir Erinnerung an Farben, die nie ganz verblassen, wacher als zuvor. Denn es gab auch eine andere Zeit. Damals. Wie im breitesten Sonnenschein strahlte sie unentwegt, voll Zuversicht, zeitlos, und nie konnten wir so richtig die Legende glauben, dass diese gewaltigen Steinblöcke nur Eiweiß verband. Wie oft saßen wir da, du und ich, Selma, und ließen uns von ihr verzaubern, ehe wir Hand in Hand durch die Mahala schlenderten, uns nach schönen Männern umschauten, lachend, im Alten Turm einen Kaffe mit Rahatluk bestellten. Und immer dachte ich, nein, das mach ich nicht wieder, es ist viel zu süß, aber dann tat ich es doch, denn Rahatluk gehörte einfach dazu, wie du zu mir, wie die Brücke zu Mostar, wie zu uns die letzten Tage der Jugend. Jetzt ist alles anders: Die Zeit ist eine unansehnliche Kette aus grauen, nicht zu Ende geschliffenen Steinen. Immer gleich. Belanglos.

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Doch ab und an bist du immer noch da, Freundin und Geliebte zugleich. In meinen Träumen kommst du mir entgegen. Schreitest über die Brücke, über die unglaublich weiß glänzenden Steine, in denen sich alles spiegelt: Gesichter und Himmel. Und die Farben sind dann bunter als sonst. Selma, dein Name wie Sevdah, deine Augen wie Erde, und erst dein Haar! Dein Haar: ein Wasserfall. Du liebtest Rilke, schriebst Gedichte, die du mir an unmöglichen Orten und zu unmöglichen Zeiten vorlesen wolltest, und manchmal sagte ich »Nein, nicht jetzt.« Du lerntest Deutsch, zweimal die Woche, abends an der Uni, »wegen Rilke«, sagtest du, und weil du mit mir nach Heidelberg fahren wolltest, nächsten Sommer, bestimmt. Voll Zukunft warst du, voll freudiger Leichtigkeit so oft, und dann immer wieder und ganz unverhofft voll Traurigkeit. Namenlos und unergründlich kam sie über dich her in den Abendstunden wie eine blaue Flutwelle, wir sprachen nie darüber, ich weiß nicht warum. Doch dann bekam deine Melancholie einen Namen, ahnten wir es, warteten wir darauf? Die Menschen fragten uns die früher nie gestellten Fragen: »Was bist du, Serbin, Kroatin, Muslimin?« In den Kneipen saßen die Männer jetzt an getrennten Tischen, dieselben Männer, die früher zusammensaßen, und waren verändert. Eine düstere Ahnung zog über die Dächer von Mostar. »Ich habe Angst«, sagtest du, deine Stimme leise und sanft, in deinen langen dunkeln Wimpern zwei, drei Tränen verfangen. Ich tröstete dich, ich hielt dich fest, in den lauen Sommernächten lagen wir lange wach, und die Tage danach waren still und kostbar. Wir gingen schwimmen, du warst verliebt und ich nicht, und es war wie immer. Denn noch waren die Tage voller Sonnenschein in jenem September, und die tollkühnen Jungs sprangen von der Alten Brücke, setzten ihr Leben aufs Spiel für Baksis von Touristen. Die immer weniger wurden. »Sie sind verrückt«, sagte ich trocken, »für ein paar Dinar …« »Das ist es nicht«, sagtest du, dein Blick erfüllt mit Sehnsucht, deine Stimme voller Leidenschaft. Du sagtest nichts mehr, doch ich wusste es sofort, dass du auch den Sprung wagen wolltest und dass es nichts gab, was dich würde zurückhalten können. »Sei nicht verrückt, bitte, es ist gefährlich«, flehte ich dich dennoch an, aber du hörtest nicht auf mich. »Komm, lass uns zusammen springen!«, sagtest du noch, aber dafür war ich zu vernünftig und ahnte nicht einmal, dass meine verdammte Vernunft nur Angst war. Ich blieb am Ufer, dein zurückgelassenes Kleid ein Anker in meinen Händen, sah, voller Entsetzen und Bewunderung, dich dort oben stehen, bereit, wild entschlossen, als ob du wusstest, dass du nie mehr so nah am Himmel stehen würdest. Dein schöner Körper im warmen Licht der Dämmerung fast golden. Ich hielt den Atem an, schaute zu, wie er sich langsam biegt, schwebt, eine ganze Ewigkeit, um dann, den letzten Sonnenstrahlen gleich, den Flussspiegel zu brechen. Lange, viel zu lange für mein banges Herz bliebst du tief in grünen Fluten verborgen, ehe ich dich wieder auftauchen und langsam zu mir schwimmen sah. Tief atmend 180

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KORnElija Čilić: diE BRücKE

und erschöpft ließest du dich neben mir auf heißen Sand fallen, glücklich wie ich dich noch nie sah. Wassertropfen glänzten wie Kristalle auf deiner dunklen Haut. Pulsierend deine Ader: als ob Tausend kleine Flussfische in ihnen Zuflucht fanden. Muscheln an Deinem Bauch, zwischen Deinen Beinen, du eine Flussnymphe, zeitlos meine Sehnsucht. Und Sand, grober Sand an deinen kleinen festen Brüsten, die ich nie berührte, nicht einmal ahnen durfte ich mein Verlangen, damals. Du lächelst mich an, dein Blick jetzt träumerisch, streifst dein geblümtes Sommerkleid über den immer noch nassen Körper. Wir gehen schweigend ein Stück des Weges zusammen, dann bleibe ich zurück und schaue dir nach, wie du über die Brücke nach Hause läufst, dich kurz umdrehst und mir zuwinkst, wie so oft, ein letztes Mal, bevor der Krieg kam und die blauen Regen sich ergossen über die unselige Stadt. Am nächsten Tag wartete ich wie immer auf dich, mein Schatten immer länger, ein düsterer Engel. Aus der Ferne hallte schon höhnisch das Dröhnen des aufkommenden Krieges, unwirklich und grausam. Du kamst nicht. Ich suchte dich auf den Wiesen, hinter den alten Mauern, an den Orten, wo du mit deinen vielen Liebhabern schliefst, überall wo du und ich mal zusammen waren. Ich rannte verzweifelt, rief nach dir, Selma, Selma, an den Ufern von Neretva hinterließen wir keine Spuren im Sand. Die sieben Brücken der Stadt stumm leidend. Über mir der grollende Himmel, um mich herum Rauch, zerfurchte Steine, Menschen auf der Flucht schreiend, betend, fluchend. Inmitten der schwarzen gespenstischen Ruinen, in einer engen dunkeln Gasse dachte ich für einen Augenblick, dich zu sehen, langsam und ruhig davon schreitend. Ich rief deinen Namen, doch es war nur ein Hirtenknabe mit deiner Gestalt. Er blieb stehen, drehte sich um. »Selma ist tot, schon drei Tage tot.« sagte er, in seinem blassen schmalen Gesicht deine ruhig traurigen Augen. Es folgten Tage wie im Traum, alle gleich, Donner, Detonationen, scharfes Peitschen der Geschosse, in der Luft der süße Duft des Todes. In den Nächten aus schwarzer Seide sah ich dich liegen am Ende der Straße, als ob du schlafen würdest, kein Blut auf deinen Schläfen, nur ein Tropfen, eine winzige Rose aus Purpur auf deiner Stirn, deine Haut wie Porzellan. Dein Haar lebendig. Dein letzter Liebhaber kam vorbei, ich mochte ihn nicht, wie ich keinen deiner Liebhaber je mochte, aber in jener Nacht war ich so verdammt allein und dankbar, jemanden zu haben, mit dem ich über dich reden konnte, wir weinten, wir lachten auch ein wenig, tranken den schweren Rotwein. Seine Lippen auf meinen, seine Hände schwer und spröde auf meiner Haut, ein schmerzhaftes Verlangen durchdrang mich, ich hoffte ein Stück von dir in mir zu spüren, aber ich spürte nichts. Danach lagen wir noch lange reglos, ohne uns zu berühren, Schweiß und Verzweiflung hinterließen dieselben herben Spuren auf unserer Haut. Tränen liefen SpiEgElungEn 2.22

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über meine heißen Wangen, Tränen, die er nicht bemerkte. Er nicht und kein anderer nach ihm. Er ging, als der Morgen anbrach, und ich sah ihn nicht wieder in jenem Herbst und in jenem Krieg, der nicht unserer war und irgendwie doch. Ich blieb zurück, nichts bereuend, mit einer seltsamen Gewissheit: Du warst mir die Heimat, die ich von nun an in fremden Händen und fremden Augen suchen werde. Draußen, vor der Tür, die unendlich grüne Wiese von gestern, übersät mit dunklen Wunden. Die noch warme Erde nackt unter dem bleiernen Himmel. Die sechs Brücken längst begraben unter den wilden Neretvafluten, nur die Alte Brücke stand da, immer noch, fest und stolz und trotzig. Mit der Nacht kam die Stille wie ein Gespenst, sanft und geheimnisvoll. Blaue Regen fielen über Mostar, verwandelten die Mahala in funkelnde Spiegelbilder, die Steine glatt und glänzend. Traumwandelnd ging ich über die Brücke, die durch Jahrhunderte geschliffenen kühlen Steine mit nackten Sohlen berührend. Steine, die Erinnerung trugen an Schritte von uns, Selma, und an all die Schritte vor uns, von Paschas, Derwischen, Liebhabern, Kriegern. Steine, über die sich tausend Sehnsüchte ergossen, milde Regen und immer wieder das Silber des Mondes. Es war das letzte Mal, dass ich über die Brücke ging. Am Tag danach trafen sie die ersten Kanonenkugeln mit unbändiger Wut, immer und immer wieder, unerbittlich, zwei lange Tage, bis sie ächzend und aufheulend in sich zusammenbrach. Ich fühlte alles Menschenleid verblassen vor dem Leiden dieser gewaltigen alten Steine. Menschen, zusammengetrieben wie Vieh, verdammte arme Seelen, die schon bald niemand vermissen wird. Keine Träume blieben uns und keine Tränen, nur ein dumpfer, träger Schmerz. Ich verließ Mostar, ohne einen Blick in den Abgrund zu wagen. Durch verschmierte Scheiben sah ich zum letzten Mal den geliebten Fluss geheimnisvoll schimmern, sein Grün tief wie Trauer und melancholisch wie die Lieder, die wir sangen. Alle zusammen, damals, Bosnier, Serben, Kroaten, alle zusammen, ohne zu wissen, wer wir waren. Ajsi ajsa jamaha, konja jasi subasa. Und während die schäbigen Wagons das geschundene Land verlassen, fließt die Neretva ruhig weiter, trägt immer noch unsere Stimmen, in den Schluchten werden sie zu Gespenstern. Ich bin in einer anderen Welt angekommen. Sprachlos, diese Welt und ohne Geheimnisse. Jahre vergehen, alle gleich, nur verzweifelte Versuche, die Veränderung zu leben in vorbeiziehenden Wolken. Mohnfelder, Hirtenflöten, klare Sterne, reife rote Äpfel: Düfte, Klänge und Farben der Heimat, schon fast verloren. Nur noch Warten. Worauf? Es gab Zeiten, in denen ich es vergaß: In fremden Händen und in fremden Augen, Selma, wollte ich dich suchen. 182

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KORnElija Čilić: diE BRücKE

Unerwartet stand er eines Tages vor meiner Tür, dein letzter Liebhaber, vom Krieg gezeichnet. Wir schauten uns lange an, schweigend, berührten uns nicht, und dennoch: in mir die Erinnerung an seine Hände, ein brennendes Mal. Dann trat er hinein, und als ob es gestern war, dass er fortging, sank er müde auf mein Bett, zündete sich eine Zigarette an, zog den Rauch tief und bedächtig ein und sagte unvermittelt, mit herber fester Stimme: »Selma lebt«. Ungläubig stand ich da, gelähmt, dachte nur, das kann nicht sein, ich würde es spüren, wenn du noch lebtest, doch er erzählte erbarmungslos weiter: Leute hätten dich gesehen, am anderen Ufer, an der Ostseite der Neretva, du würdest jetzt lange Kleider tragen, dein Haar mit einem dunklen Tuch bedecken. Seine Worte klirrend und schmerzend wie Glasscherben. Dein Haar tot unter dem schwarzen Tuch, dein Haar, das sich nie bändigen ließ. Selma, unter dem grausamen Tuch dein Haar tot. «Du lügst!«, schrie ich ihn fassungslos an, immer und immer wieder, bis ich weinend zusammenbrach. Er schaute mich verständnislos an. »Ich dachte, du freust dich«, sagte er nur, gleichgültig. Ohne meine Verzweiflung zu beachten, erzählte er weiter, jetzt mit einer freudig erregten Stimme: »Und die Brücke wird wieder aufgebaut, ganz so wie sie einmal war!« »Nichts wird so, wie es einmal war«, sagte ich »nicht die Brücke, und wir auch nicht, begreifst du das nicht?« Aber er hörte mir nicht zu und redete die halbe Nacht die Zukunft schön, und ich unterbrach ihn nicht mehr. Die Brücke wird wieder dastehen, eines Tages, gewiss, als wäre nichts geschehen, als ob es dieselbe Brücke unter demselben Mond wäre, trotzig und stark, aber ohne Stolz, ohne Würde. Die spröden Steine werden nicht mehr glänzen, unter dem leeren Himmel werden sie keine Erinnerung haben. Jahrhundertalte Schritte für immer verloren. Aber wir werden keine andere Brücke haben, und es wird diese neue Brücke sein, über die ich dich, Selma, vielleicht eines Tages werde kommen sehen. Und es wird diese Brücke sein, von der ich den einst verweigerten Sprung wagen werde. In die kalte Ewigkeit des Wassers eintauchen, die ganze verfluchte Welt wieder in mir spüren. Leben.

koRnelija Čilić, geboren 1953 in Zagreb (Kroatien), ist autorin, menschenrechtsaktivistin und ehrenamtliche Flüchtlingshelferin. Zum Journalistik-Studium wurde sie im damaligen Jugoslawien nicht zugelassen. nach ihrem Diplom im Fach Ethnologie an der philosophischen universität Zagreb hat sie als künstlerische Fachberaterin beim Internationalen Folklorefestival Zagreb gearbeitet. 1981 zog sie nach münchen, wo sie erste aufnahmeleiterin beim ZDF-Kulturmagazin Mona Lisa war. Seit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien ist Kornelija Čilić als autorin und Filmemacherin tätig und setzt sich für ein buntes und multikulturelles Europa ein.

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Mehr Licht! Von Kaltërina Latifi Aus der Ferne leuchtete ein Licht. War das ein Lichtzwinkern? Als würde es mir zublinzeln, flackerte es hinter der keltischen Ruine, die majestätisch zu ruhen schien dort oben, Hunderte Meter über dem Meer, direkt an den Kliffen. Aber auch ich war jetzt hier oben, hätte nur loslaufen müssen, hin zum Licht. Was würde mich dort erwarten, fragte ich mich. Was anderes konnte dort ruhen als diese steinerne Ruine; was war es, das mir bis hierher die Sonne reflektierte? Hatte ich dort früher nicht so manche einsame Stunde verbracht? Hatte ich nicht stundenlang an den Hängen gesessen in der Sommerhitze und hinausgestarrt, im Glauben, ein paar kühle Spritzer der Brandung auf der Haut zu spüren? Hatte ich nicht geblinzelt des mich blendenden Lichts wegen? Das hatte ich, ja, aber ein Leuchten wie dieses hatte ich nie gesichtet. Vielleicht war ich zu lange weggeblieben, vielleicht musste alles vorher verblassen, ich es hinter mir lassen, um unverhofft zu sehen, was ich jetzt sah. Oder war das nur eine optische Täuschung? Es war still, und es war heiß, ich hörte die eigenen Schritte beim Gehen. Wohin ich ging? Ich wusste es nicht. In Innenräumen hielt ich es seit längerer Zeit kaum aus. Mir kam es nämlich oft vor, als würde das Leben an mir vorbeirauschen, während ich hinausschaute, um mir so vorzutäuschen, ich würde teilhaben an dem, was da draußen geschah. Doch einmal vor der Tür wusste ich nicht, wohin, wohin mit mir selbst. Was tun? Und wozu? – fragte ich mich. Daher hatte ich mit mir selbst einen Kompromiss geschlossen: Bus fahren. So war ich drinnen und draußen zugleich. Wenn mich der Drang überkam, etwas vom Leben zu sehen, stieg ich in den nächsten Bus, eilte die Treppe des Doppeldeckers hoch, und welch ein Glück, wenn ich einen der Plätze ganz vorne an der Windschutzscheibe ergatterte. Ein dreidimensionaler Einblick ins Draußen. Ich mittendrin und doch außen vor, so hatte ich es gerne. Nun stand ich hier auf der Hochebene und stutzte meine blaue NY-Kappe zurecht. Ein anstrengender Anstieg den Kliffen entlang. Ich musste wiederholt innehalten, um vor lauter atemberaubender Aussicht nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Denn ich ging in eine Richtung und schaute in eine andere. Das weite, schier unendliche Meer, das uns umgab: Es kannte keine Wege, dachte ich mir, die wir hätten begehen 184

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KaltëRina latiFi: MEhR licht!

können, keine Sackgassen, Straßenecken; es unterschied nicht zwischen Landstraßen oder Autobahnen, bot weder Boulevards noch Chausseen an. Es war eins, in sich stimmig; das Meer kannte nur die Himmelsrichtungen. Dabei fiel mir auf, dass es so einfach nicht war. Gab es nicht so etwas wie Meerengen und Seeschifffahrtstraßen? War das Meerstück zwischen hier, wo ich war, und dort, wo ich herkam, nicht so ein Sund? Ich hatte das Zimmer kurz nach dem Frühstück verlassen, weil ich das Gefühl hatte, etwas rufe mich: Dort draußen wartet etwas auf dich. Wenn die Stunden vergehen sollten, wenn ich nicht ständig auf die Uhr schauen wollte, um zu sehen: ob Zeit vergangen war und wie viel und wofür, lief ich diesen einen Weg, der unten am Strand begann und wellenartig entlang den Riffen weiterging, mit heftigen Anstiegen und ebensolchen Abstiegen, engen Pfaden, Gestrüpp, an dem man sich die Haut aufritzte. Lange Hosen waren also Pflicht. Umso freizügiger die Arme bei dieser Hitze. Viel Sonnencreme, etwas Bargeld in der Tasche. Und auf und los! Worauf wartest du noch? Die Erfahrung hatte mich aber gelehrt, dass nach dieser ersten Euphorie die Ernüchterung einsetzte. War’s denn da draußen so viel anders als hier drinnen? Was gab’s dort, das mir hier fehlte? Wonach war ich auf der Suche? Daran hing alles: Ich meinte, ich würde, einmal tätig geworden, das Zeichen schon erkennen: es würde mir jemand zufallen, ein wie auch immer gearteter Wink mir Orientierung geben, es würde etwas geschehen, so dass ich abends würde sagen können: Was für ein Tag, und wie ich heute gelebt habe! Ich hätte mich zum Beispiel den ganzen Tag herumchauffieren lassen können, oder, wie sie’s hier nannten, einen lift erhalten, to get a lift, von a nach b, dann von b wieder zurück nach a: Die Strecke noch einmal in umgekehrter Richtung fahren. Ich erhielt ja viel mehr als nur eine Mitfahrgelegenheit. Diese Freifahrten waren wortwörtliche Erhebungen. Von dort oben hatte ich den Eindruck, unser Bus würde wie eine dynamische Lichtkugel alles um sich beleuchten und scharfstellen, während das Entfernte immer mehr in der Tiefe verblasste. Seltsamerweise hatte das nicht zur Folge, dass ich meinen Blick auf das Naheliegende geworfen hätte. Je unschärfer die Dinge wurden, umso eindringlicher musste ich dorthin schauen. Was liegt in dieser unfassbaren Ferne? Dabei schmunzelte ich, weil mir in den Sinn kam, wie mir Vivian einmal von einem Mann erzählte, der nachts draußen unter einer Straßenlaterne herumlungerte. Als Vivian ihn fragte, was los sei, meinte er, er suche nach seiner Brieftasche. Ob er helfen könne und wo er sie denn genau verloren habe. Im Gasthof nebenan. Aber hier sei mehr Licht, meinte er, hier sehe man besser. Hinschauen, wo es hell ist, immer dem Lichte nach. Dort suchen, wo man in Wirklichkeit nichts verloren hat, sagte Vivian zu mir damals. So könne man sich eben auch im Licht verlieren, da wo’s hell ist und alles deutlich erkennbar, während unterdessen die Antworten in der Dunkelheit verwesten. Soweit das Auge reicht, hieße es, aber bis dorthin reiche es eben nicht. Mein Auge reichte nur bis an den Horizont. Eines Tages war’s mir unerträglich schmerzhaft ins Bewusstsein gedrungen, dass ich gehen musste, ganz nach der Rilkeschen Devise: Du musst dein Leben ändern. Bei mir hieß das: loslassen, gehen, andere Lebensräume betreten. Nicht dass ich viel von Rilke verstanden hätte. Aber Vivian tat es. Immer das passende Zitat zur Hand. Mir waren vor allem die mahnenden Worte über der Eingangstür der Kirche aufgefallen. SpiEgElungEn 2.22

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Gedenke zu leben. Was für ein sonderbares Wort, gedenke. Eine intensivierte Form des Denkens, mehr als nur ein Erinnern, ja eine Aufforderung sich zu besinnen, sich vor Augen zu führen, dass man nur dieses eine Leben hat auf Erden. Die Kirche habe ich nie betreten, auch dann nicht, als man sie in ein Theater umgewandelt hat. Ich lief aber regelmäßig daran vorbei und fragte mich, wann ich wieder zu leben beginnen würde. Oder hatte ich das Leben verlernt? Zu lange hatte ich gezögert, hatte am Alten festgehalten, hatte gehofft, dass sich mein Leben dort, wenn ich nur mehr liebte, mehr arbeitete, mehr dazugehörte, noch mehr ankam, als Erfolgsgeschichte erweisen könnte. Hat sich doch gelohnt! Hast ausgeharrt! Bist am Ball geblieben und hast dich durchgesetzt. Bravo! Auf einmal ist man CEO oder sonst was, hat eine vielversprechende Position inne, von der man sich gar nicht mehr losreißen kann. Es würde zu viel Mut abverlangen. Man will die Menschen nicht enttäuschen, die so viele Hoffnungen in einen gesetzt haben und nun Bestätigung verlangen für ihr langjähriges Vertrauen in dir. Eine Bestätigung, die du ihnen schuldig bist. Was war zuerst da? Was du ausstrahltest und in Ansätzen von dir selbst hervorgebracht wurde, oder was die anderen in dir sehen wollten und du meintest erfüllen zu müssen? Wenn wir Vorzeichen von Talent wahrnehmen, wollen wir naturgemäß fördern. Es ist immer alles gut gemeint. Sehen wir aber den einzelnen Menschen noch mit all seinen Ecken und Kanten? Pralle Sonne, als ich am Rand des Pfades stand. Es hätten nur ein paar Schritte genügt, um hunderte Meter in die Tiefe zu stürzen. Aber ich wollte mich nicht fallenlassen, nur einen kurzen Blick in diesen Schlund werfen, sehen, wie die Wellen sich brachen unten am Felsen; ich konnt’s bis hierher hören, das gewaltige Aufschlagen, ein raunendes Plätschern und Schäumen, wild tobende Wassermassen, die sich wieder ins Innere des Meeres zurückzogen, um anderen Wassermassen Raum zu schaffen. Bis zur letzten Hochebene waren es noch ein paar Kilometer, wie viele wusste ich selbst nicht genau, obschon ich diesen Weg doch so oft gelaufen war. Jedes Mal, wenn ich eine neue Ebene erreicht hatte und sich mir eine Aussicht bot, kam’s mir vor, als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen, wie neu. Sobald ich aber ein paar Meter weitergelaufen war, kam die Erinnerung und die Gewissheit, dass es dort drüben, wo sich der Weg verengte, weiterging, und dass ein erneuter Anstieg erfolgen würde, ich wusste genau, wo ich war. Beeindruckend war, wie das, was da unten vor sich ging, die Stille hier oben verstärkte. Eine hörbare Stille. Je wilder dort, umso sanfter hier. Ich stellte mir vor, die Natur würde atmen. Ein Rauschen. War das ihre Sprache, die wir nur so vernehmen konnten? Was sagte sie? Die Blätter rauschten, der Wind setzte das Gestrüpp in Bewegung. Während ich stillstand und um mich sah, diese sanften Schwingungen wahrnahm, einen raren kühlenden Windstoß am Nacken spürte, kam es mir vor, als wäre da etwas, ich weiß selbst nicht was, das sagte: hier bist du. Du musst nicht weiter. Hier ist alles. Nirgendwo ist mehr als hier. Bleibe doch, ruhe doch, was willst du nur anderswo als hier. Ich konnte es nicht bestimmen, was war es? Der Wind? Das Gesträuch? War es der Moment? Ich konnte es nicht sagen. Es war alles, und es war nichts. Vielleicht sollte ich zurückkehren, sollte ich? Aber ich wollte nicht. Weitergehen war mir in diesem Moment auch nicht möglich. Also blieb ich stehen und sah hinüber zum Horizont, versuchte seine Linie mit meinem Auge aufzureißen. Freie Aussicht, keine Wolke am Himmel. Pralle Sonne auf der Haut. Ich wagte mich weit hinaus an die Kliffe, setzte mich auf einen der großen Steine und starrte in die Weite. 186

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KaltëRina latiFi: MEhR licht!

kaltËRina latifi, 1984 in priština im Kosovo geboren, ist literaturwissenschaftlerin und publizistin. als Fünfjährige emigrierte sie mit ihren Eltern in die Schweiz. 2007 zog sie studienhalber nach Deutschland. nach ihrer promotion an der universität Heidelberg ging sie nach london, wo sie seither als Research Fellow an der Queen mary university of london tätig ist. parallel dazu habilitiert sie sich derzeit an der universität Göttingen mit einer arbeit zur ästhetik des Fragments. Seit 2021 schreibt latifi regelmäßig Kolumnen für die Schweizer Wochenzeitschrift Das Magazin, in denen sie ein besonderes augenmerk auf die perspektive von menschen mit migrationshintergrund richtet. Im Frühjahr 2022 erschien ihr prosaband Tungjatjeta. Prosaszenen einer Jugend.

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Zwei Erzählungen aus dem Band Weihnachten an der Donau Von Noémi Kiss

Der wurmstichige Grabpfahl »Die Liebe wird nie weniger.« »Das Wasser hat sie fortgeschwemmt.« Inschrift auf dem Grabstein von Eszti Pál. Am Dorfrand, wenn man in Richtung des großen Donauarms stapft, erstreckt sich am Hang, unter Fichten und Akazien, der calvinistische Friedhof. Vorne weiße Marmorgräber, darauf blütenverzierte Glasvasen. Drei Engländer haben hier gewohnt, alle sind sie letztes Jahr gestorben. Einer von ihnen ist ertrunken, er war noch ganz jung, nicht einmal verheiratet. Hinten die Kindergräber und die Suizidenten. Seitlich, am krummen Weg ein Toter der Revolution von 1956, danach kommen die Covidtoten. Alles frische Gräber, die Erde ist noch feucht. Sogar den Spaten hat man dort gelassen. Und die Zweige von den Kränzen, ein paar gelbe Bänder. Es nieselt der Winterregen. Als wir am Fluss wohnten, war der Winter in einem der Jahre ganz mild gewesen, ständig hatte ein lauer Wind geweht. Dabei tun Zyklon und Winterregen dem Blutdruck nicht gut. Der Mann war morgens zur Latrine hinausgegangen, dort hatte er dann den ganzen Vormittag gesessen, und als endlich jemand von der anderen Seite des Hügels sein Stöhnen und Brummen vernahm, kam jede Hilfe zu spät. Die Häuser waren auf Dünen errichtet, manche wohnten im Überschwemmungsgebiet, die Wasserwerke hatten ein Auge zugedrückt und die Leute ihre Häuser ohne Baugenehmigung hochgezogen. Im Dorf lebte ein Flussschiffer, der zwar schon morgens ein paar Pálinka intus hatte, aber etwas vom Wiederbeleben verstand. Er, der Zsombor, wurde gerufen, sich den erkalteten Körper anzusehen. Zsombor war ein starker, breitschultriger Donauschiffer, er sagte seinem Kollegen von der Fähre Bescheid, dann packten sie den Leichnam bei Armen und Beinen und trugen ihn ins Haus. Tun konnte man nichts mehr, der alte Hudák war nicht wiederzubeleben. Es wäre überflüssig gewesen, ihn durch Nase oder Mund zu beatmen; mit grau getünchtem Gesicht lag er auf dem kalten Steinfußboden in seiner Stube. Starr, voller brombeerblauer Flecken. Er hatte zu viele rote Blutkörperchen, der Alte, Gott gebe ihm die ewige Ruhe. 188

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nOéMi KiSS: dER wuRMStichigE gRaBpFahl

Sonst goss der Novemberregen die Blumen, die Chrysanthemen, die Astern, die Studentenblumen und Dahlien, doch jetzt erstrahlte der Friedhof sogar noch Mitte Januar in einem bunten Farbenreigen. Manch einen beerdigte man mit Zigaretten und Pálinka, ja man legte sogar ein vom Schlachtfest übriggebliebenes Haxenstück neben den Blechchristus, denn im Winter zu sterben war sehr einsam. Die Seelen zitterten. Der Engel fror. Alle, die auf dem Hügel in den kleinen Holzhäusern wohnten, bereiteten sich auf den Ferkelbraten an Silvester vor. Wer sich vollkleckerte oder wegen des vielen Pálinka hinfiel, musste eine Münze in den Brunnen werfen. Die Leute sangen und weinten mit viel Leidenschaft. Das hier waren nicht die vom Staat zur Familiengründung geförderten Häuser, die befanden sich am Ortseingang, dort, wo die Straße asphaltiert war. Hier auf den Dünen hatte man nicht einmal eine Küche, der Braten wurde meist in einem Ofen im Garten zubereitet. Schlamm gab es auf den Dünen, lehmige Erde und Sand. Was übrigblieb, das Blut und die Ferkelfüße, wanderte in die Jauchengrube. Die Därme fraßen die Katzen. Oh, diese Sülzen, seufzte der alte Hudák, der den Advent kaum erwarten konnte, denn er lebte allein. Zur Weihnachtszeit aber kamen die Nachbarn reihum und brachten ihm alle etwas vorbei. Doch jetzt nicht mehr, der alte Hudák schläft im Boden. Er war als Letzter übriggeblieben, doch schließlich hat man auch ihn begraben. Der alte Hudák wurde auf dem calvinistischen Friedhof bestattet. Es dauerte Monate, bis seine Familie endlich Zeit fand, die Bestattung zu organisieren. Eingeäschert wurde er in Dunabogdány. Die Pandemie ging um, und wer sich mit dem Virus ansteckte, durfte das Haus zwei Wochen lang nicht verlassen. Jeder in der Straße, ja sogar jeder im Dorf steckte sich an, da alle im Dorfladen einkauften. Dort hatte sich Omikron breitgemacht, beim Zucker oder auf den Tiefkühltruhen, vielleicht aber auch in der Fleischtheke, wo die Fliegen herumschwirrten. Doch dann kam endlich der Tag der Bestattung. Eine Woche davor hatte der Dorfverwalter den Holzschuppen des Alten umgeräumt und dabei einen Grabpfahl gefunden. Ein altes, etwas wurmstichiges Stück. Der Friedhofswächter (ich glaube, er hieß Somorja) hatte ihn lackiert, und so begleitete man ihn mit dem Pfahl auf seinem letzten Weg. Alles packte man fein säuberlich in das Grab: das Tuch, die Urne und alle Geheimnisse des alten Hudák. Dazu seine Gummistiefel und die Angelrute. Darum hatte er gebeten, im Dreher immer wieder daran erinnert, würde er sterben, auch dann bräuchte er seine Angelrute! Im Jenseits gibt’s viele Christusse und viele Fische! Nur dass der alte Hudák auch ein verdammt großes Geheimnis hatte, das flüsterte man sich, als wir noch im Dorf wohnten, schon seit Jahren zu. Da jedoch keiner genau beweisen konnte, was da eigentlich gewesen war, schwieg man lieber laut. So wurde das kleine Geheimnis mit der Zeit zu einem stummen, großen Geheimnis. Dreckig und verdammt. Am Tag der Bestattung aber, als die Nachbarn am Gartenofen ihren Pálinka tranken, kam die Geschichte dann doch zur Sprache. Die Eszti Pál, die muss das gewesen sein, ihr Grab ist da hinterm Holztor, gleich neben der Leichenhalle, die ist auch im Winter gestorben. Wenn das kein Beweis dafür ist, dass die mit dem Hudák verwandt war, oder wenigstens seelenverwandt. Die Donau hat sie fortgeschwemmt. Also, die Eszti Pál war die Tochter vom Hudák, so erzählte man sich. Jemand aber meinte, seine Geliebte, und wieder andere sagten, die

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beiden hätten in wilder Ehe gelebt. Seine Tante hätte sie auch sein können, denn die Eszti Pál war ohne Alter. Ungeschminkt ging sie nicht aus dem Haus, und ihr wahres Gesicht ließ sich unter der Puderschicht einfach nicht ausmachen. Als sie das Wasser im großen Flussbett zehn Tage lang bis nach Csepel getrieben hatte, brachte man ihren zierlichen, bleichen Körper in Gaze gewickelt mit dem Leichenwagen von der Brücke zurück. Damals hatte der alte Hudák sieben Tage lang Tränen in den Augen. Dann verschwand er für einen Monat. Angeblich irrte er im Auwald umher. Als er zurückkam, war seine Laune schon etwas besser, vielleicht hatte er mit seiner Wanderung Abschied von den schönen Erinnerungen genommen. Hatte den traurigen Verlust in den Fluss rinnen lassen. Trotzdem tuschelte man immer wieder, er sei ganz am Boden zerstört, habe den Tod von der Eszti Pál nicht verwunden, ja, könne es kaum erwarten, selbst unter die Erde zu gelangen. Nur dass Eszti bestimmt in den Himmel gekommen sei, bei ihm sei das aber gar nicht so sicher, und das erfülle ihn wieder und wieder mit endloser Bitterkeit. Doch einen Teil seines Kummers habe er auf seiner Wanderung schon hinter sich gelassen. Ein verdammt großes Geheimnis – auch das sagte man – habe so schwer auf seinem Rücken gelastet, ihm so sehr auf die Ohren gedrückt, dass ihm in der Musikkapelle manchmal der Kopf dröhnte. Das war auch der Grund für seinen schwankenden Blutdruck. Es machte ihn ganz krank. Eine innere Stimme, Esztis Stimme, sprach zu ihm: Ich werde nie weniger! Flüsterte sie. Zuweilen irrte der alte Hudák nachts im Pyjama umher, dabei war er wegen seines Zuckers schon auf beiden Augen blind, er suchte die Eszti am Ufer, ging sogar ins Wasser, drehte sich im Kreis, mit ausgebreiteten Armen, doch Eszti war Dunst, war Luft und Strömung. Strudel und Neer. Niemand konnte sie mehr ins Leben zurückbringen, die Donau strömte stets nach innen. Jetzt, da er und die Eszti Pál zusammen auf dem Friedhof lagen, fand er seine Ruhe. Die eine hatte das Wasser, den anderen das Weihnachtsfest mitgenommen. Vor ein paar Monaten sind wir in die Stadt gezogen. Der lehmige Geruch des DonauUfers aber begleitete mich wie eine Dunstwolke überall hin. Der Duft des Sumpfes hatte sich unauswaschbar in meinen Kleidern festgesetzt. »Geburt ist gleich Begräbnis, Gevatter Tod ein Säugling.« Auch das hatte mir die Eszti Pál beigebracht. Im Dorf waren, wohin man auch blickte, Dünen, alles war aus Sand und Lehm, der Beton und der Asphalt in der Stadt hingegen weckten keinerlei Erinnerungen in mir, entgeistert irrte ich umher, fremd, wie ein Mensch aus Glas. Ich trieb nur dahin wie die Eszti Pál und ihr Geheimnis in dem breiten Fluss.

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nOéMi KiSS: dER nEBElMann

Der Nebelmann Lange Schenkel hatte er wie König Eduard. Seine Haare waren rot und zerzaust, und obwohl er nichts Königliches ausstrahlte, hatte jeder Respekt vor ihm. Seine langen Beine streiften die Spitzen der Stachelbeersträucher, ständig waren sie mit Kratzern übersät. Aber die konnten auch von den Wildkatzen stammen oder von den tollwütigen Füchsen, die nicht selten in dieser Gegend umherstreiften. Der Nebelmann wohnte am Damm und umarmte gern die Tiere. Er mochte sie lieber als die Menschen. Auf dem Damm hütete er die Vorhängeschlösser. Wenn das Hochwasser nahte, öffneten die Dorfbewohner das Lager und die zwanzig Kilo schweren Sandsäcke wurden rausgeholt. Winters wie sommers schlief er in einem Schuppen auf der Matratze, doch wenn der Wasserstand stieg, zog er ans Flussufer in ein Leinenzelt, um auch in der Nacht die Bewegung des Wassers, das leise Rauschen zu hören. Sein Holzschuppen war aus Balken gebaut, so wie im Karpatengebirge die Bauernhäuser weit ab von den Dörfern. (Später einmal, im Alter, wollte er gern in Siebenbürgen leben, in den Bergen, deshalb suchte er bei Niedrigwasser meist den ganzen Tag nach römischen Münzen im Schotter.) Im vergangenen Jahr hatte man in der Nähe des Damms mehrere Holzhütten errichtet, zum Unmut der Dorfbewohner. Im Winter wohnte in einer dieser Hütten sogar ein krankes Pferd, das noch dazu hustete, als hätte es Asthma. Im Frühjahr packte es der Nebelmann an der Mähne und führte es hinaus auf eine Koppel. Dort stand der dämpfige Klepper dann bis zum Herbst. Hin und wieder löste sich dieser Eduard einfach in Nebel auf. Nichts und niemand konnte der Dammwächter sein, unsichtbar, und das machte ihn noch viel gefährlicher. Viele fürchteten, er könnte plötzlich aus dem Nichts hervortreten. Es war erschreckend, wie er so verschwand, und wenn er dann mit einem Mal wieder auftauchte, aus dem Nebel hervortrat, dann sprühten seine Augen Funken. Er ärgerte die Eindringlinge, schikanierte sie regelrecht. Sobald die illegalen Kajakfahrer das Ufer betraten, fiel er über sie her. Er kam aus einer Wolke oder aus dem kalten feuchten Dunst des morgendlichen Flusses. Auf einmal stand er mit dem Spaten in der Hand vor ihnen. Schlüpfte in der Morgendämmerung unter dem roten Himmelsrand hervor. Der Nebelmann hatte einen mit Perlen bestickten Indianermantel aus Leder, den er sich in Nagymaros hatte anfertigen lassen. Zog er den an, war er noch furchterregender. Eines Winters waren zwei blonde Mädchen aus dem Dorf verschwunden, sie hatten beide die zweite Klasse besucht. SpiEgElungEn 2.22

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Eduard konnte die Fremden, die Eindringlinge aus der Stadt nun einmal nicht ausstehen. Der Bürgermeister mochte ihm vielleicht einmal flüchtig gesagt haben, er dürfe Jagd auf diese Leute machen, aber wer weiß schon, ob das wirklich stimmte. Er behauptete dennoch, die Erlaubnis zu haben, die böswilligen Menschen zu vertreiben, um sich, falls nötig, selbst zu schützen. Der Bürgermeister persönlich hätte ihn damit betraut, sich diejenigen, die am Ufer ihren Abfall wegschmissen, zu schnappen. Diejenigen, die bei Hitze ein Feuer anzündeten, zu vertreiben. Diejenigen, die Altöl, Autoreifen oder Bauschutt dorthin brachten, zu verprügeln. Und denjenigen, die mit dem Auto ins Überschwemmungsgebiet fuhren, die Reifen aufzustechen. Die Störenfriede mussten bestraft werden. Damit die Bürger ihre Ruhe hatten. Unsichtbar sein, verschmelzen, verschwinden. Wie eine langgestreckte, breite, angeschwollene Welle, die das Ufer umspült. Die starke Strömung flaut ab, schwindet. Das Wasser plätschert ruhig dahin und dringt zwischen die Steine. In solchen Momenten kommt die Flusslandschaft zur Ruhe, wird sanft, bis sie dann durch eine erneute Welle wieder aufgeschreckt wird. Mit einem ständigen Strudeln und Wirbeln treibt der Fluss dahin. Er bedeckt die Äste der ufernahen Bäume, die sich wie Spieße über das Wasser neigen. Die Pappeln und Weiden, eine biberzerfressene, umgekippte Baumreihe. Die hohlen Wurzeln, die vom Holzwurm zernagt sind, an denen die Spechte klopfen, das Versteck der Füchse. Ganz bis zum kieseligen Muschelufer reichen die Wurzelkammern der Bäume. Dort wohnen die Bienenfresser, die Bachstelzen und die Rotkehlchen. Doch auch im Winter gibt es genügend Vögel, am frühen Morgen flattern sie bei minus zwanzig Grad ans Flussufer zum Trinken. Über dem Fluss liegt der Dunst, er zieht bis übers Ufer, zum Damm hinauf, wo der Spaten des Nebelmannes ruht. Die Mädchen waren an Neujahr verschwunden. Zuerst verstand niemand, wie das möglich war, denn sie kannten das Gelände gut. Ständig waren sie am Flussufer unterwegs gewesen. Sie wollten zum Damm, wie schon so oft. Sie hatten Messer und Perücken mitgenommen, sogar ihre Handys. Zu Hause hatten sie gesagt, sie wollten einen Indianerfilm drehen. Natürlich war ihre Fantasie schmutziger, neuerdings waren sie ständig auf TikTok unterwegs. Ihre Eltern hätten sie vergebens, bremsen wollen, immer hielten sie ihre Handys unter der Bettdecke versteckt. Sie wären sogar bis ans Ende der Welt gegangen. Einen Skalp wollten sie, vielleicht einen Frosch häuten oder aber einen Biber, was ihnen gerade über den Weg lief, ihm das Fell abschneiden, wenn möglich sogar die Kopfhaut, wie Brad Pitt im Western an Weihnachten. Sie waren davongelaufen, wie Kinder es eben tun. Eine geheime, freie Welt. Sie wollten jemanden quälen, es war verlockend, ein kalter Genuss. In jenem Winter stand das Wasser an der Insel so niedrig, dass man in den gefrorenen Auswaschungen leicht römische Münzen sammeln konnte. In den Alpen hatte es stark geschneit, es war eisig kalt. Das Wasser war so sehr zurückgegangen, dass der Fluss fast im ganzen kleinen Donauarm seinen Bauch zeigte. Das Suchen nach römischen Münzen lohnte sich, die Münzsammler tauchten immer dann auf, wenn der Wasserstand niedrig war. Sie sammelten für Politiker, für ungarische und ukrainische Oligarchen, vor denen man sich im Dorf fürchtete, denn es hieß, sie würden, bekämen sie keine Münzen, vor Wut alle Grundstücke aufkaufen und die Spitze der Insel 192

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zubetonieren. Einmal hatten sie schon einen Teil des Auwaldes gefällt. Der Nebelmann meldete das damals sofort dem Bürgermeister, er habe gesehen, wie sie mit dem Jeep gekommen und den Leuten vom Nationalpark Befehle erteilt hätten. Hastig berichtete er davon im Bürgermeisteramt, ja, die waren das, die Münzsammler, die manchmal am Golfplatz aßen. Man lobte ihn. Danach besorgte er sich sogar eine Schrotflinte, um denjenigen, die den Fluss ausraubten, einen Schreck einzujagen. Es passierte am ersten Tag des neuen Jahres. Unser Nebelmann wusch gerade Münzen, er hockte in Stiefeln am Fluss, in der Nähe des Damms, als die beiden Zweitklässlerinnen im Auwald eintrafen. Sie trugen Schals und Mützen, Pelzmäntel zum Indianerspiel. Sie machten alles genauso, wie sie es bei ihren Eltern gesehen hatten, aus abgebrochenen Zweigen bauten sie eine Hütte, dann ließen sie sich an dem mächtigen, höhlenartigen, morschen Wurzelwerk eines Baums nieder. Sie zündeten ein Feuer an und warteten auf die Beute. Wintermöwen flogen über dem Wasser. Ein Fisch würde es auch tun, dachten sie, so lange warteten sie schon, hatten aber weder einen Frosch noch einen Biber erlegt. Da nahmen sie aus dem Rucksack die Angelschnur und den Kescher zum Eisfischen. Bei Hochwasser riss der große Fluss alles mit, doch bei Niedrigwasser bildete er Strudel, das Wasser wirbelte und schäumte. Der Rand der Strömung hatte zum neuen Jahr eisige Furchen gebildet, ein scharfer Wind heulte. Die Mädchen brachen mit den Stiefeln das Eis am Ufer auf, dann holten sie die Köder hervor. Als sie die Angelschnur ins Wasser warfen, rieselte der Schnee bereits. Der Wind wurde immer stärker, es schneite schon in dichten Flocken, und der Rand des sich zurückziehenden Wassers war kaum mehr zu sehen. Es dauerte nur ein paar Minuten, und schon hatte ein Fisch angebissen, es muss ein großer Karpfen gewesen sein, da er heftig an der Angelschnur zerrte. Also wickelte eines der Mädchen sich die Schnur um den Arm und rannte auf dem vereisten Ufer los, dem Zerren des Fisches folgend. Es muss schon fünfzig Meter weit gelaufen sein, als die Freundin verzweifelt hinterherrannte. So liefen sie das zugefrorene Ufer entlang und betraten, ohne es zu merken, den Fluss. Der Fisch zerrte die beiden hinter sich her, hinein ins Wasser. Die Mädchen verloren sich vollkommen im Nebel, der Wind, der Schnee sogen sie in sich auf, und das eiskalte, wirbelnde Wasser zog sie tief hinab in den Magen des Flusses. Vergeblich schrien sie, es hörte sie niemand. Eine stumme, winterliche, kalte Stille lag über dem dunstigen Fluss. Wie Hunderte, Tausende von Nadelstichen und Messerhieben zerstach die eisige Strömung ihre Haut. Er grub gerade Steine aus, als er aus der Ferne ein Knirschen im Schotter vernahm. Als würde jemand mit schweren Schritten auf ihn zulaufen, aber nein, er hatte sich geirrt. Es war wohl nur ein Fuchs oder ein Wildschwein gewesen. Mit einem Mal wurde der Nebelmann auf ein leises Wimmern aufmerksam. Doch er maß ihm keine Bedeutung bei. Er brach weiter das Eis auf, da er an jenem Tag schon zwei Münzen im ausgewaschenen Flussbett gefunden hatte. Stunden vergingen. Heftiger Wind und Schneesturm wirbelten das Leben des Dorfes an jenem Neujahrstag auf. Die Mädchen sind verschwunden, riefen die Leute. Sie kamen der Reihe nach aus ihren Häusern, hinaus an den Damm, der Flurwächter suchte mit seiner Kopflampe nach ihrem Lager. Die Dorfbewohner fanden es auch, SpiEgElungEn 2.22

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ebenso ein Stück der Angelschnur, den Rucksack und das erloschene Feuer, das Messer zum Häuten und die beiden Handys, die auf Videoaufnahme gestellt waren. Den mörderischen Film sollte nämlich die ganze Klasse sehen, die Mädchen hatten ihren Angelausflug auf Viber übertragen. Natürlich war der Nebelmann vorgeladen worden, doch er hatte nichts gesehen. Woher hätte er denn wissen sollen, wessen leise Schreie das gewesen waren, es hätte auch ein Spiel sein können, am Damm wurde immer gespielt, diese Stelle am Ufer mochten die Kinder am liebsten. Der Nebelmann war’s, flüsterte man sich im Dorf zu, er hat die Kinder gefressen. Spuck die Kinder aus! Eduard, du Menschenfresser! Nein, er war es nicht gewesen, auch wenn man ihn nach Szentendre in Untersuchungshaft brachte. Er stritt alles ab. Fünf Tage später, am 5. Januar, wurden die beiden kleinen Körper bei Paks ans Ufer geschwemmt. So lange ließ der bösartige Fluss einen Menschen sonst gar nicht treiben, es war sonderbar, dass die beiden kleinen Körper so lange durchgehalten hatten. Vielleicht hatte die Strömung in dem Flussbett keine Stelle gefunden, um die beiden in der frostigen Kälte des neuen Jahres ans Ufer zu tragen. Der Nebelmann weinte, er weinte nur und weinte. Ein Tränenmann war er, ohne Königreich, Eduard Langschenkel. Aus dem Ungarischen von Eva Zador

noémi kiss studierte Hungarologie, Komparatistik und Soziologie an der universität miskolc und ist seit 2000 wissenschaftliche mitarbeiterin in der abteilung für Komparatistik. Sie promovierte 2003 mit einer arbeit zu paul Celans Rezeption in ungarn und verbrachte im Rahmen ihrer promotion zwei Jahre an der universität Konstanz. neben ihren Büchern veröffentlichte sie auch einzelne Erzählungen und Essays auf Deutsch und Englisch. Zudem übersetzt sie aus dem Deutschen (u. a. Ilma Rakusa, peter Weber, monica Cantieni). Von Dezember 2013 bis mai 2014 weilte sie als Writer in Residence des literaturhauses Zürich und der Stiftung pWG in Zürich. Ihr literarisches Reisetagebuch Schäbiges Schmuckkästchen wurde 2015 von der Darmstädter Jury zum Buch des monats Juni gewählt. Zuletzt erschien auf Deutsch Balaton. Novellen (Berlin u. a. 2021). Die obigen Erzählungen erschienen in ihrem neuen Band Karácsony a Dunán [Weinachten an der Donau] (Budapest 2022). eva ZaDoR, geboren 1966 in Frankfurt an main, studierte in Göttingen Germanistik und Finnougristik. Sie arbeitet seit 1995 als freie übersetzerin und lektorin. Sie ist außerdem redaktionelle mitarbeiterin der Zeitschrift Három Holló / Drei Raben für ungarische literatur und Kultur in deutscher Sprache. Seit 2006 ist sie beratend für das übersetzungsprogramm des Budapester Balassi-Instituts tätig. Sie hat u. a. Werke von Géza ottlik, lászló márton, noémi Kiss, anna Terék und Ferenc Barnás ins Deutsche übertragen. 2021 wurde sie mit dem Tibor-DéryPreis für ungarische Literatur ausgezeichnet.

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Alexandru Bulucz

Rumänische Büffel. Zu Paul Celans »Coagula« Auch deine Wunde, Rosa. Und das Hörnerlicht deiner rumänischen Büffel an Sternes Statt überm Sandbett, im redenden, rotaschengewaltigen Kolben. Paul Celan: Coagula I Dragosch, ich denke an Langosch mit Sauerrahm, hetzt ganz schön rüd auf den Ochsen am Fluss seine Rüden, verheizt sie, schaut zu, wie ein Jagdhund ertrinkt, es ist Molda, sein Liebling, sein Schätzchen, u. Schatz auf Rumänisch heißt Dragă. Dann tauft er den Strom in den heutigen Sereth auf »Moldau«, steigt ab von dem Pferde, behauptet, nach Köpfung des Ochsen, das Wappen gegründeten Landes mit Kopf mit Gehörn. Smetana ertönt, seine Moldau, sie schließt mit der Elbe gen Nordsee sich kurz o. lang u. sie fließt als Smântână, Smântână heißt Schmand auf Rumänisch. Der Kopf mit Gehörn, der Heraldik Trophäe, sie prangt seit der Zeit in den Wappen von Fürstentum, Kronland u. auch Republik. SpiEgElungEn 2.22

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II Indessen die glühende Zunge des Ochsen im Mund eines Plätteisens steckt, darin Majka sie schob, um zu bügeln die Hemden. III »Büffelicht«, liest du im Grimm, was für »grob« stehe, »roh« wie die Büffel, siehst Sterne jedoch u. erträumst dir ein dreifaches L u. erfreust dich am Glanz ihrer Augen, die dunkel, u. Hörner, die lang u. hinten geschwungen, am Lichte, das Rosa zurückwarf durchs Gitter an Paul, Sonitschka u. mich. IV »Büffelicht«, liest du im Grimm, was für »grob« stehe, »roh« wie die Büffel, siehst Sterne jedoch u. erträumst dir ein dreifaches L u. erfreust dich am Licht, das zurückwirft die fettigste Milch aus dem Glas auf die Netzhaut des Bauern, der fährt mit der Rechten die knochigen Kruppen entlang, u. dann hackt er die Maisstängel weiter u. schneidet Kartoffeln u. Rüben u. füllt in die Kübel den Mais.

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alExandRu BulucZ

V »Büffelicht«, liest du im Grimm, was für »grob« stehe, »roh« wie die Büffel, siehst Sterne jedoch u. erträumst dir ein dreifaches L u. erfreust dich am Licht, das zurückwirft die Rahmschicht gekochter erkalteter Milch aus dem Topf auf die Netzhaut des Kindes, es hasst die Trophäe, das Büffelgehörn.

aleXanDRu BulucZ, 1987 in Karlsburg (rum. alba Iulia) geboren, studierte Germanistik und Komparatistik in Frankfurt am main. Er ist lyriker, übersetzer und publizist, Redakteur bei der online-Zeitschrift Faust-Kultur. 2017 agierte er als mitherausgeber der Zeitschrift Die Wiederholung, die sich in ihrer vierten ausgabe dem Werk von Werner Söllner zuwandte. 2019 erhielt er den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis, 2020 ein arbeitsstipendium des Berliner Senats und 2022 bei den 46. Tagen der deutschsprachigen literatur in Klagenfurt den Deutschlandfunk preis. Zuletzt erschien 2020 sein Gedichtband was Petersilie über die Seele weiß.

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Franz Hodjak

Blöder Tag Wir spucken von der Brücke ins Wasser wie in der Kindheit, damit wir diesen blöden Tag vergessen. Wir wischen den Staub von den Schuhen. Lieber etwas verändern, statt zu flüchten, das sagt sich leicht daher. Nun kraulen wir den Bart der Weiden, suchen auf dem Heimweg wilde Kräuter, Wurzeln, Beeren. Damit würzen wir die Träume, die uns der Schnaps in den Schlaf schmuggelt. Am Anfang steht die Wut, am Ende die Sehnsucht, und was schiefläuft, soll den Teufel glücklich machen. Und wenn bei der Beerdigung niemand weint, hat der Tod etwas falsch gemacht.

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FRanZ hOdjaK

Umwege In den Kastanienbäumen blühen jetzt Kerzen und keine Mikrophone mehr. Wir kommen aus der Angst über einige Umwege nach Berlin. Wir sind Quereinsteiger im Trinken von Kokosmilch, im Tragen von Orden, im Verschenken von Träumen, im Schieben von Kulissen. Der Unsinn wird überall mit Förderprogrammen unterstützt. Wichtig ist der positive Blick. Manchmal kommen wir uns vor, als säßen wir in einem Ei, aus dem wir nicht schlüpfen können. Wir werden immer reicher, zählt man den Reichtum der Sprache dazu. Und die Hoffnung bringt uns ins Haus, der Tod trägt uns wieder hinaus.

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Blumen für die Ertrunkenen Mit dem Boot rund um Rügen kurven. Der ganz großen Liebe wegen. Oder gibt es nur die ganz kleine Liebe? Die Schaumkronen auf den Wellen sind wie Blumen für all jene, die von Wirbeln hinab gezogen wurden vor Rügen und in der Umgebung und die seit eh und je hier ertrunken sind.

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FRanZ hOdjaK

Schneewalzer Winter. Die ganze Welt tanzt den Schneewalzer, die Schneeflocken, die Rehe, die Rabenvögel, die Kitze. Ich tanze vor dem Fenster und blicke durch die Eisblumen in den Flockenwirbel. Man tanzt und tanzt über den Rand der Welt hinaus, wo die Sterne den Schneewalzer mittanzen, und im Ballsaal des Universums wird weiter getanzt, bis ans Ende der Welt, das sowieso nie kommt.

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Durch das Ried der Zeit Mit Brahms durch die Nacht. Mit entkoffeiniertem Kaffee und einer Menge Luftzigaretten. Ein Teil der Erinnerungen kommt auf Storchenfüßen durch das Ried der Zeit. Ein anderer Teil rettet sich wie Frösche mit großen Sprüngen ins Wasser. Man weiß, wie es ist auf der Flucht. Mit dem Zug kam man an im absoluten Zufall. Von dort kam man an einen Punkt, von dem es in alle Richtungen ging, mal kam man an am Ziel, mal ging es am Ziel vorbei. Irgendwann bestimmte man nicht mehr selbst die Richtungen, sondern wurde von ihnen mitgenommen. Das ging so weiter, und man wird nie erfahren, wo und wann man irgendwo ankommt oder nicht.

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Durch die Camargue wie ein Vagant Wenn es draußen kalt ist und dunkel, ist es so weit und eine andere Zeit beginnt. Erinnerungen schlagen wie Blitze ein. Durch die Welt führen Wege, die dich dort vorbeiführen, wo an der Wand das Bild der Mutter hängt. Du fühlst dich leicht, als könntest du davonfliegen wie ein Engel oder durch die Camargue wandern wie ein Vagant. Du triffst auf Bilder von dir, die dich verständnislos anblicken. Die Jahre, die noch kommen, werden dich weiter verändern. Verändern wirst auch du dein Verhältnis zu dir, zu deinen Wünschen, den Niederlagen, dem Tod, zu den Farben. Bald ist es Winter, und auch du musst sehen, wo deine Gedanken eine Bleibe finden.

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Diffuses Licht Das Morgenlicht kühlt wie ein Regenschauer das Liebesfieber, und du fragst dich. weshalb gerade jetzt, da du eine Spur entdeckt hast, die zu etwas Großes hätte führen können. Du musst nun raus, und im Park tanzt du das Glück von der Seite an. Müde setzt du dich auf die Bank neben die Hoffnung, die sich auch auf dieser Bank ausruht.

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FRanZ hOdjaK

Räuberleiter Der August lässt die Türen offen, jeder kann sich an den reich gedeckten Tisch setzen. Es ist, als hätte der frühe Dalí den August gemalt. Hinter jedem Fenster sind kleine Welten, die unsichtbare Fäden miteinander verbinden, die den Sommer zur Jahreszeit der Liebe küren. Zuweilen hält die Erinnerung die Räuberleiter, damit wir durchs Fenster steigen und sehen, ob wir noch die sind, die wir waren.

fRanZ HoDjak wurde 1944 in Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. nagyszeben) in Rumänien geboren. nach dem Studium der Germanistik und Rumänistik in Klausenburg (rum. Cluj-napoca, ung. Kolozsvár) wirkte er bis zu seiner ausreise in die Bundesrepublik Deutschland (1992) als lektor der deutschsprachigen abteilung des Dacia Verlags. Er lebt heute als freiberuflicher Schriftsteller in usingen bei Frankfurt am main. Franz Hodjak zählt zu den produktivsten und erfolgreichsten literaten aus Rumänien; sein Werk wurde mit mehreren literaturpreisen ausgezeichnet. Er veröffentlichte zahlreiche Bände (Gedichte, Erzählungen, Romane, Kinderbücher, aphorismen sowie ein monodrama) und übersetzte bedeutende rumänische autorinnen und autoren – unter anderem adrian popescu, Ion Barbu, Eugen Jebeleanu, ana Blandiana – ins Deutsche. nach längerer pause erschienen 2022 vier neue Gedichtbände: Was nie wieder kommt (Verlag Stadtlichter presse), Gedenkminute für verschollene Sprachen (leipziger literaturverlag), Hin und nicht zurück (Vorwerk 8) und Alles wurde privatisiert, selbst die Funklöcher und die Schatten in Platons Höhle (SchumacherGebler). SpiEgElungEn 2.22

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Edith Ottschofski

impromptu durch die sprossen der mädchenkammer schimmert nicht mehr der ahornbaum rauscht nicht mehr im wind, flüstert nicht im regen wir wiegen uns nicht mehr in seinem blatt baumeln in einer staubigen erinnerung verschüttete trautheit knistert auf der haut vormals selige sekunden wiegen vormals bittere auf während die zwischenjahre schwerer wiegen mäandern die seitdem wechselhaften wege im wiegeblick auf den kahlen hinterhof

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Edith OttSchOFSKi

amours d’antan süßlicher passé-geschmack weicher modder in dem brack einsamkeit vor der dich scheut oder freud, die die stunde gebeut?

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vorhin den windhauch eines fremden atems spüren weiche warme haut berühren wachen im wohligen dunkel das dich eine weile versteckt versunkenes verlangen aufdeckt vergänglich verstrickt volatil verliebt

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Edith OttSchOFSKi

sich herzen Für Else Lasker Schüler ein mürber heißer stern zerstiebt während dein kopf auf meinem arm ruht müdesüß und dein atem kurz aussetzt an so einem tag spürst du dein alter nicht, hast du gesagt sich erinnern ahnen atmen amen

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forensischer fado der schlaf flieht dich seit tagen seit dich gesichte tragen seziere diese recycelte amourette analysiere sie argusäugig nicht dass du wieder deine wunden leckst trennungssäumig

eDitH ottscHofski, 1964 in Temeswar (rum. Timișoara) geboren, reiste nach dem Studium an der universität Temeswar 1990 nach Deutschland aus und lebt seit 1995 unter anderem als autorin und übersetzerin in Berlin. Sie verfasste literaturfeatures über Ion luca Caragiale, Gellu naum oder oskar pastior und publizierte die Gedichtbände der schaum der wörter (2010), im wohlklang unverhohlen, (2018), Clipe. Augenblicke. Clins d’oeil (2021), saumselige annäherung (2022). Im Jahr 2016 erschien ihr Roman Luftwurzeln. Zudem veröffentlichte sie zahlreiche Rezensionen über rumänische und rumäniendeutsche literatur und darüber hinaus.

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Traian Pop

auf allen vieren durch Europa es ist nacht und man darf die augen nicht öffnen (sonst ist der traum gleich wieder futsch) es ist nacht traian junior weigert sich sei’s auch nur zeitweilig in der mausefalle – wie er sagt – Jägerstraße 3 zu wohnen es ist nacht auf der autobahn einundachtzig sind die letzten öl- und blutflecken weggewaschen worden die gefahr ist nicht so groß wie am neunten mai dem jahrestag zum ende des zweiten weltkriegs die deutsche welle sendet live von den irakern den albanern den serben bei denen es ist wie’s nun mal ist es ist nacht und man darf die augen nicht öffnen der schrecken hat sich ans werk gemacht abgekippt wird der laster mit ohnmächtigen zuschauern jedenfalls auf dem ersten parkplatz mit wc und trinkwasser grad richtig für die erste livesendung es wird gesendet es wird gesendet es wird live gesendet live live live Ludwigsburg, Dezember 1999

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der deserteur ich weiß nicht wie es kam aber just ihm gelang der zug just als niemand mehr glaubte dass man noch etwas tun könnte man munkelt er habe ein bataillon rekruten genommen und jedem kandidaten auf den heldentitel einen napf zugeteilt in den er seine erinnerungen speien konnte wie es ihm grad passte im schwall oder nach und nach zum frühstück zu mittag und am abend er habe sie eine weile speien lassen und danach befohlen sie sollten der reihe nach ihre näpfe vorzeigen einer nach dem andern unbedingt einer nach dem andern damit eine sturmabteilung zustandekommt jene mit braveren erinnerungen gelangten so in die letzte reihe jene mit weniger braven erinnerungen in die mitte und jene mit stürmischeren erinnerungen nach vorn man munkelt er habe ihnen weiterhin befohlen den inhalt ihrer näpfe vorzuzeigen mit allen konsequenzen natürlich jene in der ersten reihe täglich jene in der zweiten wöchentlich und jene hinten einmal im monat sicher ist dass er als alle rekruten in der hinteren reihe des bataillons angelangt waren desertierte Ludwigsburg, Juli 1999

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tRajan pOp

umleitung der oberste träger spuckte in die offene hand und fragte mich mit professioneller gelassenheit was ich hinter der absicht verberge pakete zu schleppen die junge ärztin ohne eine spur von interesse im blick hieß mich die winzigen buchstaben an der gelben wand vorlesen worauf sie mir erklärte sie habe kein mittel gegen den auch nur zeitweiligen realitätsverlust der altersdekan der bettler maß wog und maßregelte mich mit blicken worauf er mich anherrschte ich sollte abhauen sonst rufe er die polizei (wer bei meiner mutter seligkeit hat mich auch geheißen in der kirche zu schreien) wer nicht arbeitet soll auch nicht essen sprang einer ihm bei besoffen vor lauter jugend nimm die umleitung und geh ganz einfach zum teufel geh selber antwortete ich als ich sicher war dass er mich nicht hören konnte Cannes, Juni 1998

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herr feldwebel herr feldwebel keinen meter fünfzig groß ein kind (es ist dein sohn) kniet im staub der gosse und hat in die hosen gepinkelt fürchtest du nicht es würde deine funkelnagelneuen stiefel beschmutzen herr reservist keinen meter fünfzig groß ein kind kotzt noch im mannesalter den dreisatz aus den es morgens mittags und abends zu schlucken gezwungen wird fürchtest du nicht es würde deine funkelnagelneuen stiefel beschmutzen herr feldwebel keinen meter fünfzig groß ein kind gebliebener bereitet sich auf seine entlassung vor nach dem zapfenstreich fürchtest du nicht es würde deine funkelnagelneuen stiefel beschmutzen herr reservist weder war noch bin noch werde ich wohl jemals berufstaucher selbst wenn mich mein los in die tiefen zerrt jetzt da ich wiederkehre den mund voller schlamm bist du sicher dass du mir mit deinen funkelnagelneuen beschlägen nicht die zehen zermalmst oder mich hetzt indem du in meiner brust die bombe zündest die unter der spannung zwischen erlebnis- und erinnerungsintensität tickt ich sehne mich nach meiner jugend und habe mitleid mit dir herr feldwebel (der reserve?) Ludwigsburg, August 1998

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tRajan pOp

ich habe gelogen ich habe gelogen leute ich habe gelogen euren wein habe ich getrunken und keinen heller gezahlt brot und salz habe ich verschlungen und nicht gefragt was mir zusteht die grieben habe ich auf dem kleinen feuer der sehnsucht schmoren lassen und keine träne vergossen sie zu schüren ich habe gelogen liebe leute ich habe gelogen ich für meinen teil habe nie fisch gegessen ebenso wenig algen obwohl mein mund voller flüche steckt und wenn ich es euch sage so nicht im namen irgendeines grundsatzes sondern nur um auch mitzureden ach woher wir haben dich belogen wenn du’s unbedingt wissen willst Temeswar, 2. November 1999

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wenn die lebenden in mein gedächtnis einziehen werden wenn die lebenden in mein gedächtnis einziehen werden lasst mich so unverschämt bleiben wie ich bin wozu auch den pelz des grauen wolfs mit dem des grauen lammes vertauschen wenn ich vorgeben werde dass ich für immer hier bleiben will dann lacht los und dreht mir den rücken niemand lügt unverfrorener als ich und ihr habt nichts zu verlieren selbst wenn die moral des mittags etwas anderes vorgibt niemand weiß besser als sie was für dinge ich in den taschen mitgehen lasse kleptoman wie ich bin so halbwegs gegangen wenn ich gehen werde sagt mir es tut euch nicht leid so viel und nicht mehr selbst wenn er euch mit süßigkeiten oder keksen bewirten wird die euch glauben machen sollen dass ein angebeteter lebender schwerer zu ertragen ist als das ungebärdige vorbild aus fleisch und blut ja aber sie sind umgezogen alle lebenden der welt sind in dein gedächtnis eingezogen oder schien es ihnen nur Ludwigsburg, Februar 2000

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tRajan pOp

erotische spielchen sind sie sicher dass sie in der absurden annahme ich sei der geeignetste zum schleppen der säcke mit maismehl und sie hätten die tagelöhner auszusuchen und wüssten dies mich wählen würden (?) lügen sie nicht wenn sie hand aufs herz behaupten dass sie unter all den möglichen erwählten dieses pechschwarzen tagesanbruchs genau mich wählen würden damit ich im teerkessel rühre im bewusstsein dass nur ich es zu tun vermag wie’s sich gehört (?) ist es nicht etwa vorschnell wenn sie mir das blaue vom himmel versprechen im bewusstsein der tatsache dass ich als einziger ein recht darauf habe selbst wenn ich die besitzurkunden verschusselt habe (?) alsdann glaube ich mit verlaub nicht dass sie irgendeiner sache sicher sind oder irgendwann gewesen sind Ludwigsburg, April 2000 Aus dem Rumänsichen von Georg Aescht

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tRaian pop, geboren 1952 in Kronstadt (rum. Brașov), ist ein rumänisch-deutscher Schriftsteller, Herausgeber und Verleger. Während seines Studiums der Elektrotechnik an der polytechnischen universität Temeswar und danach war er Toningenieur, Texter, Bühnenarbeiter bei Rock- und Jazz-musikgruppen sowie beim Deutschen Staatstheater Temeswar. parallel dazu veröffentlichte er – unter dem pseudonym Traian Pop Traian, das er als autor seitdem beibehalten hat – aufmüpfige Texte in studentischen und anderen Kultur- und literaturzeitschriften. Er verfasste lyrik und Dramen, dazu zählt auch sein Drama Minciunica in der Stadt der Lügenzwerge, das nach wenigen aufführungen bereits verboten wurde. nach seiner Emigration 1990 nach Deutschland gründete er in ludwigsburg den pop-Verlag, in welchem Bücher und literaturzeitschriften erscheinen. Für sein literarisches Schaffen wurde er mit mehreren literaturpreisen, darunter auch dem andreas-Gryphius-preis 2020, ausgezeichnet. geoRg aescHt, geboren 1953 in Zeiden (rum. Codlea), war Deutschlehrer in Klausenburg (rum. Cluj-napoca), Korrektor und langjähriger Redakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in Bonn. neben seiner feuilletonistisch-publizistischen Tätigkeit ist er als übersetzer und Herausgeber tätig und mitglied der Spiegelungen-Redaktion. Er übertrug aus dem Rumänischen unter anderem Ion agârbiceanu, Gabriela adameșteanu, Ioana pârvulescu, lucian Boia, Filip Florian, norman manea, Gellu naum, andrei pleșu, liviu Rebreanu und mihail Sebastian.

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Die Freiheit des Dichters Dankrede von Bastian Kienitz bei der Verleihung des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises 2022 »Du weißt, wie wohl einem bei Menschen ist, denen die Freiheit des anderen heilig ist.« (Friedrich Schiller) »mich friert, / sagte der kleine vogel« in dem kurzen gedicht vom kleinen, frierenden vogel, welches in dem Gedichtband Ich steh auf den Treppen des Windes von Rolf Bossert im Jahr 2006 veröffentlicht wurde. Vielmehr handelt es sich um eine Ausgabe sämtlicher lyrischer Werke des Dichters, die einen guten Einblick darüber vermitteln, wie der Alltag und das Leben in einer kommunistisch diktatorisch geprägten Welt vonstattenging und gelebt wurde. Dabei nimmt sich der Dichter die Freiheit, diese Realität ungeschönt und ohne jede Form von Verklärung wiederzugeben, was dem sozialistischen Realismus streng genommen entgegenstrebt. Dieser arbeitete mit ideologischen Stilmitteln und Doktrin, die das sozialpolitische Miteinander formte, ohne Raum für andere Denkweisen zu lassen. Ausdrucksstark wiedergegeben in dem Gedicht wer aber ist die realität, welches der Dichter Bossert dankbar Bertolt Brecht zueignete, kommt es hier bereits zu einer selbst erfahrenen und niedergeschriebenen Antwort: »in deinem anzug steckt sie, genosse, ob sie / in deinem kopf / denkt, weiß ich nicht«. Meine Realität heute ist folgende: sprachlos, nervös und dennoch unendlich dankbar, stehe ich vor Ihnen, um überglücklich den Rolf-Bossert-Gedächtnispreis entgegenzunehmen. Gedächtnis, welch ein Wort, ist es doch ein Thema, mit dem ich mich in meinem Lern- und Studienleben intensiv auseinandersetzte. Im Gegensatz zur Empirik, die Worte allenfalls als Mittel zum Zweck nutzt, ist das Wort für den oder die Dichter:in ein Katalysator, mit dem das Innenleben nach außen getragen wird. Dem Dichter Bossert gelang diese Preisgabe des seelisch Unsagbaren auf eine realistisch sehr anspruchsvolle Art und Weise. Der Schreiber outet sich somit immer als ein gewissenhafter Beobachter und im Kern sehr empfindliches Wesen. Hinter dem Eisernen Vorhang des Warschauer Paktes glich diese Realität in etwa der meinigen. Aufgewachsen in Wittenberge, einer mittelgroßen Industriestadt im Norden Brandenburgs, war es der Grenzfluss Elbe, der den Westen, in diesem Fall Niedersachsen, nur einen gefühlten Flügelschlag vom Osten trennte. Hautnah miterlebt, war es in SpiEgElungEn 2.22

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dieser Grenzzone üblich, jeden, der einen Fuß auf das geheiligte Land setzte, zu kontrollieren. Dies mussten selbst wir als Kinder ab und zu bereits miterleben, wenn wir uns freudig auf den Weg zu einem elbnahen Weiher zum Angeln aufmachten. Grenzer waren somit gefühlt immer zugegen beziehungsweise nie weit entfernt. Abseits dieser Ereignisse war das Leben eines Kindes im sogenannten Zonengebiet jedoch relativ frei und unbekümmert oder um es auf den Punkt zu bringen »Seid bereit, immer bereit.« Das Gedächtnis will sich erinnern. Ich erinnere mich stark an den nach Chlor, Chemikalien und Metall riechenden Geschmack in der Atemluft unserer Stadt. Wie hier in Reschitza wurden auch dort Züge, Anhänger und sonstiges schweres Gerät für den damaligen Schienenverkehr zusammengehämmert und durch viele arbeitende Hände verschweißt. Hinzu kam das sogenannte Zellwollwerk, dessen Ausdünstungen bei günstigen Windverhältnissen in jede Hautpore der circa 40 000 Einwohner fassenden Stadt drangen. Ungeachtet dessen vervollständigte sich das Bild durch zwei weitere Großbetriebe, die Ölmühle sowie das weltbekannte Singer Nähmaschinenwerk. Mir persönlich sind Worte wie »wunden im straßenpflaster, / kein pflaster drüber; die schienen / entwurzelt (metapher? alteisen?) / nein, es ist frühling« aus dem Gedicht splaiul independenței, frühjahr 1975 somit durchaus bewusst, ja direkt nachvollziehbar. Gleiches gilt für den Textauszug: »Auf hellem Feld ein Gartenzwerg. / daneben stampft die Industrie. / Ein Kunststoffgalgen auf dem Berg. / Ein Land geht langsam in die Knie.« aus dem Vierzeiler von Rolf Bossert. Ich schreibe aus Protest, lautet das Motto des Dichters, wenn er sich mit wachsamem Auge nach außen orientiert. Dabei kann eine Szene, ein Ausschnitt oder eine Momentaufnahme ungeschönt und sehr realitätsnah wiedergegeben werden oder diese wird zugespitzt, polemisiert beziehungsweise anderweitig hervorgehoben. Umweltpolitische Bedenken, die bereits vor mehr als 40 Jahren in den Industrienationen der östlichen und westlichen Hemisphäre offen zutage traten, haben sich heute nur umso mehr manifestiert und bestätigt. Wir reden konkret über Artensterben. Diese vom Menschen herbeigeführte Katastrophe sollte mittlerweile selbst den größten Kritikern bei einem Abendspaziergang und Lausch in einer von Hitze begünstigten Landschaft aufgefallen sein. Hier sind alle an Land, im Wasser oder in der Luft lebenden Organismen gleichermaßen betroffen. Während die im Wasser lebenden Fische, Weichtiere oder andere Taxa heutzutage massenweise der Überfischung, Übersäuerung der Ozeane sowie der Umweltverschmutzung zum Opfer fallen, wird den Landlebewesen gleiches Schicksal zuteil. Im Kreislauf der Natur hängt alles miteinander zusammen und somit ist es verwerflich zu glauben, dass die Intention, eine Art zu retten, genügend und ausreichend wäre. In dem der Jury vorgelegten Gedicht Mythos erforscht, erklärt, explodiert wird dieser Daseinszustand anhand eines Haies offensichtlich. Das als Blankosonett gestaltete Werk, eine vom Dichter entwickelte Synthese aus dem für das Drama üblichen Blankvers sowie dem Sonett, ist gleichzeitig ein Bildgedicht. Pate stand hier eine von Damien Hirst, einem zeitgenössischen britischen Bildhauer, Maler und Konzeptkünstler herausgegebenes Werk, welches in einer eigenen Ausstellung veröffentlicht wurde. Zu sehen ist ein dreigeteilter stromlinienförmiger Hai, der nunmehr ein ausgestopftes Dasein fristet. Der Umstand, dass von den derzeit 380 bekannten Haiarten circa 70 vom Aussterben bedroht sind, wirft ein ganz anderes Licht auf diese Präsentation. Die Konzeptkunst erklärt sich mittels der Überschrift nahezu selbst und zeigt auf faszinierende Art und Weise ein zutiefst verletztes Tier. Während die meisten Haie der Überfischung sowie dem Beifang zum 220

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Opfer fallen, geht es vielen anderen Lebewesen auf unserem Planeten nicht merklich besser. Dazu zählen ebenfalls die Pflanzen, Pilze sowie andere mehrzellige Organismen. Befeuert durch den Klimawandel sind laut einem UNO-Bericht derzeit 85 Prozent der Feuchtgebiete zerstört, rund die Hälfte aller Korallenriffe verschwunden sowie 23 Prozent der Landfläche ökologisch heruntergewirtschaftet. Das Massensterben findet somit unmittelbar vor unserer Haustür statt. Mit dem Gedicht Sternenstaub. Reflex bewertete die Fachjury gleichzeitig ein Bildgedicht, welches das Thema Waldbrand unmittelbar in den Mittelpunkt stellt. Hier findet ein Artensterben ganz anderer Art statt, die unseres geliebten Waldes. Der Baum, als standortgebundenes Lebewesen, steht diesen sogenannten »unbesiegbaren Superfeuern« schutzlos gegenüber. Zurück bleiben tote, schwarzgelackte Skelette sowie eine Landschaft, die einem dystopischen Höllenritt gleicht. Die Freiheit des einzelnen Individuums steht nunmehr in einem direkten Zusammenhang zu dem ganzen Ökosystem Wald, dessen Massensterben die gesamte Erde und deren Bewohner, also auch uns Menschen betrifft. Ob Nord- und Südamerika, Asien, Australien, Afrika oder Europa, mittlerweile verlieren wir jährlich rund 170 Millionen Hektar dieser wichtigen Ressource. Verbrannte Erde hat der Mensch seit jeher hinterlassen. Ein lebensverachtendes System kennzeichnet sich durch ebenso menschenverachtende Methoden. Dem empfindlichen Dichter bleiben oftmals nur der Rückzug und ein tiefer Fall in die Polemik. »Ein Loblied der Menschlichkeit und des Schnaps« sang Rolf Bossert in dem Gedicht Schulausflug, welches seinem eigenen, späteren Lebensweg einen großen Schritt vorausnahm. Es ist somit ein großer Unterschied, wenn sich Menschen aus reinem Schutzbedürfnis in Isolation begeben oder ihnen die Freiheit unrechtmäßig geraubt wird. In dem von der Jury bewerteten Gedicht Die Artistin, einem Bildgedicht zum gleichnamigen Bild von Ernst Kirchner, wird die Selbstisolation während der CoronaPandemie in den Mittelpunkt gerückt. Ähnliches, jedoch vor einem ganz anderen Hintergrund, musste Rolf Bossert erfahren haben. Die Enge eines diktatorischen Systems wird gleichzeitig durch eine Freiheitsberaubung erfahrbar, die in vielen Gedichten des Autors zum Ausdruck kommt. Das Schreckgespenst des EISERNEN VORHANGS hat sich dem eigenen Leben zufolge bis in die kleinste Nische der kleinen 2-Zimmer-Wohnung gegraben. Hier wird der Raum genauestens auf Zahlen reduziert, indem die einzelne Zimmergröße praktisch abgelesen werden kann: »das kleine zimmer ist sieben komma siebenundachtzig quadratmeter groß das große zimmer ist neun komma achtundachtzig quadratmeter groß«. War dieser Zustand in Bosserts Leben zunächst dem Allgemeinzustand einer Mangelwirtschaft geschuldet, wie es in dem zuvor zitierten Werk Aus meinem Leben eindrucksvoll nachzulesen ist, wurde die Enge später zu einem persönlichen Allgemeinzustand. So heißt es in einem Haiku, einem kurzen japanischen Dreizeiler, aus den späteren Werken des Dichters »Der Raum hat Kanten. / Keine Stimme und kein Ohr, / der Schrei quadratisch.« Apropos Schrei, in dem der Jury vorgelegten Werk Hommage à Grace Kelly wird dieser Zustand in Anlehnung an den von Alfred Hitchcock im Jahr 1954 erschienenen Spielfilm Das Fenster zum Hof klar ausgedrückt. Der durch einen Unfall für kurze Zeit an den Rollstuhl gefesselte Fotojournalist Jeff Jefferies macht seine eigene Einsamkeit und Langeweile zur Obsession, indem er seinen Nachbarn von der gegenüberliegenden Hausseite aus beobachtet. Als dieser ein Messer und eine Säge in Zeitungspapier einwickelt, ist die Schlussfolgerung daraus perfekt: Es muss ein Mord sein. Abgesehen von der Reduzierung des Daseins auf einen Fensterausschnitt, ist die schleichende Suche nach Leben oder etwas erleben zu wollen, die prägnanteste Suche SpiEgElungEn 2.22

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von Freiheit. Was ist Freiheit, ist somit eine Frage, die auf verschiedenste Art und Weise beantwortet oder erlebt werden kann. Kurt Tucholsky, einer der bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik, bringt dies ganz konkret auf den Punkt: »Wer die Freiheit nicht im Blut hat, wer nicht fühlt, was das ist  – der wird sie nie erringen.« Ein Fragezeichen bleibt bei all dem Wirken immer zurück sowie eine große »angebrochene Packung Liebe & Wut / im Raum«. Mit diesem Zitat aus dem Optimistischen Gedicht von Rolf Bossert möchte ich meine Dankesrede beenden und mich nochmals für die mir erwiesene Ehrung bedanken. Der Rolf-Bossert-Gedächtnispreis ist und bleibt dem Gedenken gewidmet, welches uns heute wieder viel schneller in die Realität zurückgeholt hat, als wir es wahrscheinlich zuvor vermutet hätten. Danke sehr!

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Die Artistin Blankosonett zum gleichnamigen Werk von Ernst Ludwig Kirchner dein Blick streift durch die Zimmerleere der Einsamkeit, ganz ohne Publikum durchschneidest du die grüne Lichttapete und Schnittmenge, die einen Anker sucht verortet zwischen Raum und schrägen Fluchten begradigt mittlerweile durch das Nichts das feinen Staub ansammelt und dort liegt wo es vergessen wird, im Ungenutzten jetzt träumst du dich in einen Augenblick dahinter, wo der Wein von letzter Nacht am alten Platz in deinem Zimmer steht nur deine Katze streckt bereits verschlafen die Glieder aus und legt sich wieder hin: ich tröste dich – mein Stern – und das Gedicht…

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Mythos erforscht, erklärt, explodiert Blankosonett zum gleichnamigen Bild von Damien Hirst seziert steht Leben auf des Messers Schneide im Fleischbeschau der blauen Glasvitrine durchlebt ein König seine letzten Stunden erforscht, erklärt, das Maul weit aufgerissen scheint er ein Held des Ozeans gewesen der nicht mehr hierher wiederkehrt, es schmerzt zu wissen, dass uns dieses schöne Tier verlässt, es war einmal, so wird es heißen wer sich mit uns anlegt, der beißt ins Gras dabei hätt’ ich ihm lieber zugesehen wie er dem wunden Tier nachjagt, mal Strom er könnte schneller als sein Schatten schwimmen ich möchte, dass er deine Blindheit war dir selbst die Krone Schöpfung aufzusetzen…

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Hommage à Grace Kelly Blankosonett zum gleichnamigen Bild von Imi Knoebel das Fenster zum Hof rückt das Tageslicht in eine Nische, die unwirklich scheint um einen Randumriss der Lichtgestalt aus voller Anmut des Bruchweiß zu schälen dies nennt sich Lebensweg im Farbenkreis des Bilderrahmens aus Hausnummer Zehn wo Mr. Jeff seine Leidenschaften teilt die gegenüber wahrheitsgemäß stehen wenn ich dich sehe, durchwebt dieses Bild aus klarer Form die Hommage an die Schrift das auszusagen, was dahinter liegt ein einsames Herz – Hauch im Negligee das sich auf die windstille Seite legt um festzustellen: die Aussicht ist schön…

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Sternenstaub. Reflex Blankosonett zum gleichnamigen Bild von Bernd Zimmer Im Wind, der leise durch das Dickicht streifte weht Sternenstaub durchs Kronendach der Bäume die sich mit schwarzem Lack ummantelt haben und jetzt wie Asche fortgetragen werden zum Himmel, dort wo es den ganzen Sommer mehr Hitze gibt als feuchte Regenschauer die aus den Wolken auf den Boden fallen um das zu nähren, was wir Nahrung nennen Am Fluss, der leise weiter fließt und zeichnet trifft Rot auf Unterholz, das sich entfaltet im Widerschein des heißen Flammenmeeres sprüht es und knistert kleine Feuerfunken die ihren Weg auf fremden Wegen suchen um in der Nacht zum Horizont zu fliegen…

Bastian kienitZ, Dr. rerum naturalium, Jahrgang 1975. Seit 2012 freiberuflicher Fotograf, Filmer, Schreiber und Künstler. Veröffentlichungen von lyrik, prosa und Fotografie in anthologien und literaturzeitschriften (u. a. in: Experimenta, Entwürfe, Kaskaden, Konzepte, Maulkorb und Versnetze). als autor und Dichter erhielt Bastian Kienitz im Jahr 2014 den anerkennungspreis beim Wiener Werkstattpreis 2013 für Zappgedichte. 2022 Gewinner des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises sowie nominierter beim ulrich-Grasnick-lyrikpreis.

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Rolf Bossert zum 70. Von Karin Gündisch Am 16. Dezember 2022 wäre Rolf Bossert siebzig geworden, hätte er noch gelebt. Ich nehme dieses Datum zum Anlass, einen Brief zu veröffentlichen, den er mir am 18.  Februar 1985 aus Bukarest schrieb. Ich war im November 1984 aus Rumänien ausgewandert und lebte damals mit meiner Familie in einem Übergangswohnheim für Aussiedler in Freiburg. Rolf hatte mir schon lange vor meiner Ausreise das Versprechen abgenommen, ihm zu schreiben, falls ich auswandern würde. Er wünschte sich Informationen über das alltägliche Leben, wollte wissen, wie wir, eine Familie mit zwei kleinen Kindern, uns in den neuen Lebensumständen zurechtfanden. Unsere Familien waren befreundet, die Kinder gingen in den Bukarester deutschen Kindergarten. Meine Freundschaft mit Rolf definierte sich aber auch über die Beschäftigung mit der Literatur. Rolf bestärkte mich in dem zeitaufwendigen Unterfangen, ein Tagebuch über das Leben in der Diktatur zu schreiben. Zum Sonntag, den 12.  Februar 1984 (Heft  8), habe ich das vermerkt: »Rolf meinte, er schaffe es nicht, Tagebuch zu führen. Ich sagte, dass ich oft schlampig schreibe und nur das Faktische festhalte, dass ich das aber regelmäßig tue. Auch das sei gut, sagte er.« In diesen Tagebüchern, den Rumänienheften, habe ich auch die zahlreichen Begegnungen mit Rolf und Gudrun dokumentiert. Rolf war von 1979 -1981 im Bukarester Kulturhaus Friedrich-Schiller-Kulturhaus beschäftigt, danach als Lektor im Meridiane und Kriterion Verlag, Gudrun arbeitete im Nationalmuseum der Rumänischen Literatur. Im November 1982 wurde im Schillerhaus, wie wir das deutsche Kulturhaus nannten, der Literaturkreis »Novum« gegründet. Man war bemüht den Anschein der Normalität zu wahren, die Augen davor zu verschließen, dass die Rumäniendeutschen auswanderten und stellte u. a. Geld für Autorenlesungen zur Verfügung. Die erste Lesung in diesem neuen Literaturkreis fand am 15. November 1982 statt. Es las Franz Hodjak, Gerhard Csejka moderierte. Richard Wagner, Herta Müller, Wolfgang Koch, Hellmut Seiler, Johann Lippet wurden eingeladen. Rolf war maßgeblich an der Organisation der Lesungen beteiligt, und die meisten Autoren, die nach Bukarest kamen, übernachteten bei den Bosserts. Ich war bei allen Lesungen dabei und dokumentierte sie in meinen Tagebüchern.

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Am Samstag, den 3. März 1984, waren wir zum Kinderfasching bei Rolf und Gudrun eingeladen. Die Kinder amüsierten sich prächtig und wir, die Erwachsenen, ebenfalls. Hauptgesprächsthema: die literarische Szene der Rumäniendeutschen. Rohtraut Wittstock, die zum Stammpublikum des Literaturkreises gehörte und als Redakteurin des Neuen Wegs für die Kulturseite zuständig, auf der Texte der Autoren im Vorfeld der Lesungen veröffentlicht wurden, war mit ihrer Tochter ebenfalls eingeladen. Irgendwie drehte sich in den Gesprächen immer alles um den kleinen, aber rührigen Literaturbetrieb und auch ums Auswandern. Die Stimmung aus jenen Tagen und Wochen, bevor wir (meine und dann auch Rolfs Familie) auswanderten, ist in dem Tagebucheintrag vom 23. Juni 1984 (Rumänienheft 9), dem Tag, als Rolf den Freund Georg Aescht zum Verzollen seines Ausreisegepäcks begleitete, festgehalten. Samstag, 23. Juni 1984 Gegen neun Uhr abends erschien Rolf  B. ganz unerwartet bei uns. Sternhagelvoll, wie er sagte, aber man merkte es ihm nicht an. Das Gespräch mit ihm war wie immer angeregt. D. brachte die Kinder ins Bett und legte Platten auf, erst ukrainische Chöre, dann Liszt, etc. Wir hörten andächtig und konzentriert Musik und zwischendurch fielen immer wieder Gesprächsfetzen. Rolf äußerte mehrmals die Bitte, wir sollten ihn hinauswerfen, wenn wir schlafen gehen wollten. Es war uns nicht nach Schlaf zumute. Dann rückte er heraus mit dem, was ihn bedrückte: Ich hab’ den Aescht zum Zoll gebracht. Auch der zieht weg. Es tut mir leid um ihn. Wir ziehen auch weg, Rolf, es dauert nur noch ein paar Monate. Ich hab’ nicht gewusst, wie ich es dir sagen soll. Wir haben uns ebenfalls zum Wegziehen entschlossen, im September reichen wir ein.1 Auch ich hab’ nicht gewusst, wie ich es euch sagen soll. Der R. H. hat von unseren Absichten erfahren und hat mir einen Brief geschrieben, in dem er mich fertig macht, weil ich aufgebe. Es ist ja aber nichts mehr zu retten. Es tut mir leid um die Wittstocks, die Reichraths, aber wir können mit unserem Einkommen nicht mehr auskommen. Ich könnte wo immer leben, ich geh’ in den Untergrund, aber die Kinder! Um die geht’s. Ich bin wahnsinnig froh, dass ich verheiratet bin und diese Kinder habe. Es ist aus hier, in wenigen Jahren ist es ganz aus mit uns hier. Ich gebe euch einen Tipp: Ich will aus der BRD nach Dänemark, um mir den Minderheitenstatus zu erhalten. Ich habe da Bekannte und glaub’, das wäre das Richtige für uns. Wir wandern zusammen mit meinen Eltern aus, die Kinder bleiben bei meinen Eltern und wir gehen in den Untergrund oder nach Dänemark… Dort kannst du in der Nacht angstlos spazieren gehen, die Arbeitslosigkeit ist kein Problem, wir haben ja keinen Beruf, Gudrun und ich und du ja auch nicht. Aber du hast deinen Mann und der schlägt sich durch. Die Idee, nach Dänemark zu ziehen, schien mir nicht so abwegig, nur liegt Dänemark im Flachland und ich möchte nach »Siebenbürgen«, in eine Hügellandschaft. Übrigens waren wir uns einig, dass uns vieles in Deutschland nicht gefallen würde. Klaus Hensel geht für ein Jahr nach Italien, Werner Söllner lebt vom Arbeitslosengeld. Rolf wartet, dass sein Buch2 in der nächsten Zeit erscheint, damit er Geld fürs Auswandern hat. Es fällt ihm sehr schwer, das Auswandern. Dir fällt es ja auch verdammt schwer, sagte er.

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Den Ausreiseantrag gestellt. Der Gedichtband Neuntöter (Cluj-Napoca: Dacia Verlag, 1984).

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Irgendwie kam Rolf auf den Tod zu sprechen. Hast du Angst vor dem Tod? Ja. Warum? Mit dem Tod musst du auf Du sein. Ich hab’ einen großen Lebenshunger, ich liebe das Leben, Rolf. Ich lieb’s noch mehr als du, aber ich könnte wann immer sterben. Angst vor dem Tod, sagte ich, und das Gefühl des Nicht-gelebt-Habens… Von Rolf erfuhr ich, dass E. einer der großen Macher sei, der uns nach Deutschland verkaufte. Mit der rechten Hand verkauft er uns, sagte Rolf, und mit der linken Hand schreibt er Leitartikel und eiserne Zeitworte: Landsleute, bleibt hier! Und wenn er ermüdet, wechselt er die Hände, verkauft uns mit der Linken und schreibt Leitartikel mit der Rechten. Es hat lange gedauert, bis wir ihn durchschaut haben, ihn und B., die modernen Sklavenhändler.3 Rolf ist ein Unbequemer. Die Leute von der Securitate haben seinen Eltern nahegelegt, er solle auswandern. Sie wollen ihn loswerden. Wir saßen bis nach zwei Uhr zusammen. Rolf rauchte viel. Immer wieder kam er aufs Auswandern zu sprechen. Rolf sagte noch, dass ich in diesen Tagen den Pionierpreis4 bekommen müsste. M., Jurymitglied für die deutschen Kinderbücher, habe erzählt, er hätte zwanzig Referate über mein Buch geschrieben. Er habe Rolf gefragt: Herr Bossert, hat Ihnen das Buch gefallen? Rolf: Ja. M.: Dann ist es in Ordnung. Ich lese es nicht, mich interessiert es nicht. Mittwoch, 22. August Gudrun und Rolf haben im Juli eingereicht*, ein halbes Jahr nach uns.

BRIEF Von RolF BoSSERT Vom 18. FEBRuaR 1985

Bukarest, 18. Februar 85 Liebe Karin, ich fühl mich regelrecht schuldig: Da trichtere ich Dir vor Eurer Abreise ein, ja nicht zu vergessen, uns einen Brief zu schreiben; Du tust es, und sogar mit einer Promptheit, die ihresgleichen sucht: Und dann sitze ich Trottel mehr als einen Monat, bis ich mich zu einer Antwort aufraffe (Dein Brief kam am 13.1.85 an). Also, der Reihe nach: Dank für Dein Schreiben. Meinen Glückwunsch zum Peter-Härtling-Preis! (Jetzt wird es Dir sicher nicht mehr so schwer fallen, den Verlust des Pionierpreises zu verschmerzen – der übrigens neu vergeben wurde, an Ricarda Terschak für irgendein Puppenstück, glaube ich.) Es freut mich zu hören, daß Ihr sozusagen mit dem rechten Fuß aus dem Zug gestiegen seid u. daß Eure Grundstimmung eine optimistische ist. Von anderen Leuten, die im vergangenen Jahr ausgewandert sind, höre ich eher Gegenteiliges: Sie sind ziemlich frustriert, langweilen sich u. fühlen sich unnütz. Na ja. Über uns gibt es kaum Erfreuliches zu berichten. Ihr werdet ja von dem diplomatischen Krach aus dem Spätherbst gehört haben, sämtliche Ausreisen wurden gestoppt, anscheinend hat man auch die laufenden Anträge nicht weiter bearbeitet. 3 4

Diese Annahme lässt sich im Nachhinein nicht belegen. Preis des Landesrates der Pionierorganisation.

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Jetzt war ja vor einigen Tagen der Genscher da, viel ist nicht durchgedrungen über den Besuch – auch die ausländischen Medien haben sich zurückhaltend u. vorsichtig über die Ergebnisse geäußert –, aber es scheint, daß das diplomatische Kriegsbeil begraben worden ist, und das gibt einem Hoffnung. Es sind nun genau 7 Monate, seit wir eingereicht haben, und noch immer hat sich nichts gerührt. Wir haben uns eben – wie es in der Familientradition zu sein scheint – den denkbar schlechtesten Zeitpunkt ausgewählt. Was soll’s: Gudrun arbeitet noch, allerdings »retrogradiert«5, sie verdient knappe 2000, aber die Kinder gehen in Reschitza zur Schule, u. das ist eine große Erleichterung. Ich glaube, der diesjährige Bukarester Winter (mit Zimmertemperaturen von 3 – 7° C!) hätte sie umgebracht. Ansonsten geht das Leben weiter wie gehabt: Die Langeweile ist nicht so groß, wie ich befürchtet hatte. Ich lese sehr viel und kann auch seit einiger Zeit wieder schreiben. Das tut gut. Ich weiß nicht, wie es um mein Innenleben bestellt sein würde, wenn ich jetzt auch noch in einer Schaffenskrise steckte. Ansonsten, »mica bîrfӑ«6: mein »Freund« A. L., der Schwiegersohn der rumäniendeutschen Literatur, ist in der BRD geblieben, in Hamburg, mit einer seiner Töchter. Daß B. sich abgesetzt hat, wirst Du ja noch hier mitgekriegt haben. Jetzt läßt er sich von obskuren Blättern als größter rumäniendeutscher Schriftsteller feiern, der hier in Rumänien, ach! so arg schikaniert worden ist. Ich werde dieser ganzen Schweinebande von Opportunisten und Kriechtieren zwischen die Augen spucken, wenn ich mal drüben bin! Karinchen, liebes: Ich wüsste nicht, was ich eigentlich noch berichten könnte. Über meine, unsere Befindlichkeit? Das würde dann schon psychologisierende Literatur werden, vor lauter Differenzierungen und Nuancierungen usw. Also kurz: Es ist alles sehr beschissen, aber wir halten durch. Niemals hätte ich gedacht, daß ich einst so weit sein werde wie jene, über die ich immer gelacht habe: die am Radio sitzen, Fremdsender hören und jede – beiläufig hingeworfene – Bemerkung über ihre Situation 100 mal und 1000 mal interpretieren. Das ist es: Wir hängen so grausam in der Luft. Hier gibt es mich nicht mehr (mein Name darf nirgends genannt werden), drüben gibt es uns noch nicht. Das Gefühl des totalen Niemandslands. Es tut schon weh, überhaupt, da man an eine gewisse in die Öffentlichkeit wirkende Aktivität gewohnt war. Nun schließe ich, sonst werde ich larmoyant! Grüß den Dietmar, die Ingrid und den Uwe Rolf Und schreib noch!

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Auf Rumänisch »retrogradat«, zurückgestuft. Rum., ein bisschen Tratsch.

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KaRin gündiSch

kaRin gÜnDiscH, geboren 1948 in Rumänien, studierte Germanistik und Rumänistik in Klausenburg (rum. Cluj-napoca) und Bukarest (rum. București). Sie arbeitete bis zu ihrer auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland 1984 als lehrerin, Journalistin, autorin. Sie lebt als freischaffende autorin in Hamburg. Ihr literarisches Werk umfasst Kinder- und Jugendbücher, die in sieben Sprachen übersetzt und mit zahlreichen preisen im In- und ausland ausgezeichnet worden sind. Sie erhielt u. a. den preis des landesrates der pionierorganisation, den peter-Härtling-preis für Kinderliteratur, den Kinderbuchpreis der ausländerbeauftragten des Berliner Senats, das Stipendium des ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Baden-Württemberg, den mildred l. Batchelder award 2002 für das hervorragendste ins Englische übersetzte und in den uSa verlegte Kinderbuch des Jahres, das Stipendium des Gouvernement du Grand-Duché de luxembourg.

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Gedenken in Neapel – die sizilianische Königin Maria von Ungarn Die Nennung des Königreichs Sizilien ruft anspielungsreiche Assoziationen hervor. Nach den kulturtragenden Griechen fallen einem in den allgemein bekannten Anfängen die eher als Okkupanten angesehenen Sarazenen, also muslimische Völkerschaften ein, dann kamen aus dem Norden Normannen und Germanen. 1266 beschloss der Papst, sein mittelmeerisches Lehen, das ja auch den ganzen Südteil des italienischen Festlands umfasste, in französische Hände zu legen. Sehr bald, in der zweiten Generation, trug zur erfolgreichen Implantierung des Herrschergeschlechts der Anjou auch eine ungarische Königstochter bei – dies, vielleicht weil sie »nur« eine Königsgemahlin war, mengt sich wohl nicht so rasch unter die Gedankenblitze. Nach dem traumatischen Erlebnis der Sizilianischen Vesper, die 1282 recht bald nach der angevinischen Machtübernahme dem Königreich das Eiland entzog, war es in der Namensgebung eigentlich nicht mehr gerechtfertigt. Es gab eine Zwischenlösung, dann die Rede vom Königreich beider Sizilien. Entscheidend ist, dass die Anjou ihre Grablege nicht wie die christlichen Herrscher zuvor in Palermo weiterpflegen konnten, sondern in der neuen Residenzstadt Neapel anlegten. Ein heutiger Reisender kann die Spuren der mittelalterlichen Anjou in der Stadt trotz viel üppigem Barock durchaus entdecken. Er oder sie erblickt in der beliebten Konventskirche S. Chiara den konzeptuellen Endpunkt des Totengedenkens des Geschlechts, wo sich König Robert der Weise nicht lediglich in die Nähe des das Seelenheil fördernden Altars betten lässt, sondern quasi als dessen zentrale Figur inszeniert. Die memoria ist in der Frömmigkeit des Mittelalters ein eminenter Fluchtpunkt jedes möglichst tugendhaften Lebens. Das Gedächtnis an den Verstorbenen, Gebete und Fürbitten an seiner Grabstätte sollen ihm den Weg ins erstrebte Paradies ebnen. Nun verfügten die aus Westfrankreich und zuletzt aus der Provence kommenden Anjou, auch mit späteren Besitzungen in Norditalien und auf der Balkanhalbinsel, über ein sehr versprengtes Herrschaftsterritorium. Fast scheint es, dass ihr dynastisch auf einheitliche Repräsentation angedachtes Totenvermächtnis – nach dem Vorbild von Saint Denis des französischen Königshauses, dem man entstammte – folgerichtig auf mehrere Stätten zerstreut wurde. Wenn wir allein die Kapitale Neapel betrachten, so sind – oder besser waren, denn es blieben nur die ab 1324 entstandenen Grabmale erhalten – die Familienmitglieder außer in der erwähnten S. Chiara auch im Dom, in S. Lorenzo, S. Domenico, S. Giorgio, S. Maria della Croce, S. Pietro a Castello und S. Maria Donnaregina Vecchia bestattet worden. Darüber hinaus entSpiEgElungEn 2.22

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standen noch Grabstätten in der Provence und in Ungarn. Eine Stärkung der Monarchie konnte davon schwerlich ausgehen. Das zuletzt erwähnte Gotteshaus ist das kleinste und besonders bescheiden wirkende, in seinem Namen verweist die Himmelskönigin bedeutungsvoll auf eine weltliche Herrscherin. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe des Doms, wo der Dynastiegründer Charles Ier d’Anjou die ersten drei Familiengräber, unter anderem sein eigenes, anlegen ließ. Nach starker Beschädigung durch ein Erdbeben 1293 erhielt die regierende sizilianische Königin Marie de Hongrie  – der Hof sprach französisch  – die Gelegenheit, sich mit einer großzügigen Zuwendung für einen Neubau als Stifterin eine Grabeskirche zu schaffen, was in seiner Eigenständigkeit ein Novum darstellte. Donnaregina erreicht man durch einen vorgelagerten späteren Kirchenbau, die »nuova«, der kontrastreich in Barock gehalten nun das Diözesanmuseum beherbergt. Etwas versteckt und auch geheimnisvoll liegt die ehemalige Konventskirche der Klarissen, die auf Zurückgezogenheit sehr bedacht waren. Deshalb betritt man das Kirchengebäude durch eine abgedunkelte Zone mit einer zierlich gestalteten Säulenhalle, über die sich kunstvoll Kreuzrippen spannen. Eigentlich dient sie nur als horizontaler Raumteiler, womit die Nonnen durch die darüberliegende Empore den weltlichen Blicken entzogen wurden. Bereits in diesen Segmenten des Gewölbes sind nicht nur die Lilien der Anjou auf meist stark verblasstem blauem Grund, sondern auch die weiß-roten Streifen des ungarischen Königshauses zu erkennen, jeweils gleichberechtigt nebeneinander angeordnet, ebenso wie in der polygonalen Apsis. Die Vereinigung der beiden Dynastien in Person der Königin scheint regelrecht gefeiert zu werden. Man kann sich eines freudigen Gefühls kaum erwehren. Tatsächlich ist die Festigung und der Ausbau dieser herrscherlichen Verbindung der hier bestatteten regina anzurechnen. Sie bestimmt im unteren Bereich die Räumlichkeit. Die Kirche selbst verlor im Lauf der Zeiten ihre Ausstattung, lediglich ein schlichter Altartisch symbolisiert noch ihre einstige Funktion. Marias Grabmal befindet sich an der östlichen Außenwand und nahm wohl einst eine zentralere Position ein. 1270 war die ungarische Prinzessin, französisch gern auch Marie d’Árpád nach ihrem Geschlechternamen bezeichnet, mit dem Thronfolger Siziliens, damals noch Karl von Kalabrien, verheiratet worden. Ihr genaues Geburtsdatum ist unbelegt, doch wird ihr Alter plausibel zu diesem Zeitpunkt aus anderen Quellen auf zwölf Jahre rekonstruiert. In Regierungsverantwortung wäre ihr Gatte als Charles II mit dem Tod seines Vaters 1285 gekommen. Doch da befand er sich in aragonesischer GefangenMaria von Ungarn hat 14 Kinder geboren; alle überlebenden Söhne schaft in Folge des Kriegs um die sizilianische Insel. Der Umstand stellte eine der Lebensprüwurden zu Königen oder souvefungen Marias dar, die der König neben seinem ränen Heerführern bzw. einem Bischof, zwei Töchter Königinnen. ältesten Sohn immer wieder als Stellvertreterin einsetzte. Ein weiterer Beweis ihrer machtbewussten Standesgesinnung lässt sich aus ihrer tatkräftigen Reaktion nach dem Tod ihres Bruder-Königs auf dem ungarischen Thron ablesen. Da er ohne Nachkommen verstarb, setzte sie alle Mittel in Bewegung, die Thronübernahme für ihre eigenen Nachfahren zu sichern. Dieses etwa 66 Jahre währende, gelungene Leben endete am 25. März 1323. Summarisch lässt sich genealogisch anfügen, dass sie 14 Kinder geboren hat; alle überlebenden Söhne wurden zu Königen oder souveränen Heerführern beziehungsweise einem Bischof, zwei Töchter Königinnen. 234

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gEdEnKEn in nEapEl

Das Chorgewölbe von Donnaregina Vecchia, neapel. © Renata SakoHoess

Ihr Erdendasein referiert auch das beeindruckende Grabmonument, denn sie kehrte nicht wie durchaus üblich als Königinwitwe in ihre Heimat zurück. Sie zog es vor, in ihrem Herrschaftsgebiet erinnert zu werden, und ist in Neapel als Maria d’Ungheria heute noch präsent. Zudem wünschte sie, ihren Körper intakt zu belassen, also nicht einmal Teile davon ins Herkunftsland zu senden, wie noch ihr Ehemann oder ihr Schwiegervater. Auf ihren Wunsch wurde Tino di Camaino beauftragt, ein Sieneser Künstler, der bei Giovanni Pisano gelernt und in Pisa und Florenz bereits an prominenter Stelle gearbeitet hatte. Im Zusammenspiel mit Gagliardo Primario, der seine architektonischen Kenntnisse meisterlich einbrachte, errichtete er kurz nach dem monumentalen Grabmal für Katharina von Österreich in S. Lorenzo hier 1326 das zweite gotische Baldachingrab Neapels. Beide wurden stilbildend für den Mezzogiorno, wobei kein Nachfolger ihre Komplexität erreichte. Tino di Camaino hatte seine Grabmalskonzeptionen stetig fortentwickelt. Er gehörte zu den gefragten Bildhauern in diesem Genre, seitdem er auch einen Kaiser, Heinrich VII., kunstvoll zur letzten Ruhe gebettet hatte. Seine Aufbauten speisten sich aus Elementen der römisch-antiken Tradition sowie französischen Einflüssen. Selbstverständlich durften entscheidende religiöse Attribute niemals fehlen, wie jene Heiligen, die als Fürsprecher des Verstorbenen als besonders geeignet erscheinen. Was nun dieses Grabmal in seiner Bildsprache innovativ dastehen lässt, hat die Kunsthistorikerin Tanja Michalsky in ihrer Untersuchung zu Memoria und Repräsentation (2000) dargelegt. SpiEgElungEn 2.22

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Das Grabmal von maria von ungarn in Donnaregina Vecchia in neapel. © Renata SakoHoess

Es ist der Sarkophag, den wir genauer betrachten müssen. Hatten darauf Tinos Pisaner Lehrmeister noch eine Reihe christlich motivierter Reliefs, oft dicht an dicht, herausgearbeitet, so präsentiert uns hier der Sieneser Künstler auf der Schauseite sieben einzelne und durch Säulen voneinander getrennte Figuren. Sie gehen auf sehr weltliche Gestalten zurück. Laut Michalsky sollte damit »in Neapel erstmals eine politische Argumentation im Sinne der legitimen Thronfolge im Reich vorgetragen werden«. Tatsächlich ist mittig und damit zentral hervorgehoben die Repräsentation Ludwigs des Heiligen angeordnet, er war Marias zweiter Sohn. Der eigentliche Thronfolger Karl Martell sitzt ihm zur Rechten, doch verstarb er leider jung. Nachdem Ludwig sich als Franziskaner dem Ordensleben verschrieben hatte, verzichtete er und man übertrug die Thronfolge auf den dritten Sohn Robert, dem er segnend nach links zustimmt und der als regierender König das Zepter aufrecht hält. Übergangen wurde der bereits existierende Thronanwärter Carobert als Nachfahre von Marias Erstgeborenem. Er allerdings avancierte zum erfolgreichen Begründer der ungarischen Anjou-Linie. Insgesamt sind alle neun Söhne Marias vertreten. Was die Darstellung jedoch über eine Art »Familienalbum« hinaushebt, ist die in der Epoche 236

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so erwünschte Vergegenwärtigung einer beata stirps, eines heiligen Geblüts, dem Maria selbst entstammte – ihre Herkunftsfamilie kann etliche Heilige vorweisen – und zu dem sie durch den kanonisierten Sohn beitrug. Ein über den Einzelnen hinausweisender göttlich intendierter Herrschaftsanspruch sollte gestützt werden. Sie selbst ist in den Gesichtszügen zeitlos entrückt und im Ornat der Klarissen wiedergegeben – eine demutsvoll religiöse Geste trotz angevinischer Lilienkrone sowie niedergelegtem Zepter und Globus. Im Übrigen wird Marias Sarg mühelos elegant von den vier Kardinaltugenden getragen, wie es sonst nur männlichen Familienmitgliedern vorbehalten blieb. Auch dies ein Verweis auf ihre bewusste politische Rolle in der mittelalterlichen Männerwelt? Das Camaino-Grab Marias gilt als ein in seinen Proportionen besonders harmonisch komponiertes, ja klassisch schönes. Reizend daran die in Neapel geschätzten römischen Schmuckelemente in Form von glänzenden Mosaiken – sie lassen Sizilien und seine üppig mit Glassteinchen übersäte Königskapelle von Palermo heranrücken. Renata SakoHoess Renata SakoHoess, 1961 in Bratislava (dt. Pressburg) geboren, kam im Herbst 1968 nach Deutschland. Sie studierte Germanistik und Slawistik an der LMU München und lebt hier als Autorin.

Die Razzia in der Šajkaška und in Novi Sad 1942 Die Šajkaška (dt. hist. Tschaikisten-Distrikt) ist ein Gebiet am südöstlichen Zipfel der Batschka (sr. Bačka), zwischen der Donau, der Theiß, dem Großen BatschkaKanal und bis Temerin und Nadalj im Westen, wo seit dem 15.  Jahrhundert die einheimischen Serben mit den Booten (»Tschaike«) an der Grenze Flusswache hielten. Die größte Stadt ist Neusatz (sr. Novi Sad, ung. Újvidék), die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden ist. Ab dem 18. Jahrhundert entwickelte sie sich zum wichtigsten serbischen Kulturzentrum im Habsburgerreich. Im 19. Jahrhundert wurde Novi Sad zum Sitz der Matica srpska (älteste serbische Kulturvereinigung) und des Serbischen Volkstheaters. Wegen ihrer Bedeutung galt die Stadt im Volksmund als »Serbisches Athen«. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor sie für die Serben wegen der Nähe zu Belgrad ein wenig an politischer und kultureller Bedeutung, entwickelte sich aber im neuen Staat zum Zentrum der deutschen nationalen Minderheit. 1929 erfuhr Novi Sad jedoch wieder eine politische Aufwertung durch den Sitz der Donaubanschaft (sr. Dunavska banovina) als eine von neun neuen administrativen Provinzen. Nach der Niederlage und Zerstückelung Jugoslawiens im Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten im April 1941 wurde die Batschka erneut Ungarn eingegliedert. Da Budapest eine Restauration der Lage vor dem Ersten Weltkrieg anstrebte, verlor Novi Sad den ersten Rang gegenüber Sombor (ung. Zombor), dem traditionellen Zentrum der Batsch-Bodroger Gespanschaft. Wegen ihrer mehrheitlich serbischen Bevölkerung (60 Prozent Serben, darüber hinaus rund 10 Prozent Deutsche, fast 10 Prozent Juden, Magyaren und andere verteilten sich auf den Rest) und deren kulturellen Einrichtungen, des Gymnasiums und des Bischofssitzes war die Stadt für die Serben auch im vergrößerten Ungarn von großer Bedeutung. SpiEgElungEn 2.22

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Die Wiedereinführung der ungarischen Oberhoheit in der Batschka ging mit wahllosen Erschießungen und Gewaltexzessen gegen die serbische und jüdische Bevölkerung einher, gefolgt von einer dauerhaften nationalen Diskriminierung und Unterdrückung dieser beiden Gruppen. Die Donauschwaben waren mit der Wiedereinführung der ungarischen Administration nicht zufrieden, beugten sich aber den Anweisungen aus dem mit Ungarn verbündeten Deutschen Reich. Auf die nationalen Bedürfnisse anderer Volksgruppen (Slowaken, Rusinen, Kroaten) war die Budapester Regierung eher geneigt einzugehen und diese in gewissen Grenzen zu tolerieren, solange sie nicht zu offensiv vorgetragen wurden. Der einzige echte Widerstand kam von der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ). Im April 1941 hatte sie in der Batschka etwa 400 Mitglieder, ungefähr 30 Prozent davon Ungarn und der Rest fast nur Serben. Die kommunistische Jugendorganisation zählte rund 1.200 Mitglieder. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion begann die KPJ – auf Moskaus Befehl – mit dem Aufstand gegen die Okkupanten. Er zeigte sich am stärksten in den überwiegend serbisch besiedelten Teilen Jugoslawiens, da das Okkupationsregime überall auf Unterdrückung der Serben basierte. In der Batschka, wo die Serben weniger als ein Drittel der Bevölkerung ausmachten und die KPJ noch schwächer als anderswo war, tobte sich der Aufstand vor allem in Form von Erntebränden und vereinzelten Attacken auf Gendarmen und Soldaten aus. Durch Überläufer unter den ungarischen Kommunisten und mehrere erfolgreiche Polizeiaktionen wurde ein großer Teil der Kommunisten verhaftet und der Aufstand im Herbst 1941 lahmgelegt. Trotzdem konnte Anfang November 1941 die erste Šajkaš-Partisanenabteilung gegründet werden, die zwischen 30 und 60 Mann hatte und in der Nähe der ŠajkašDörfer Čurug (ung. Csurog), Josefsdorf (sr. Žabalj, ung. Zsablya), Đurđevo (ung. Sajkásgyörgye) und Frauendorf (sr. Gospođinci, ung. Boldogasszonyfalva) operierte. Sie war an einigen kleineren Schießereien mit den ungarischen Sicherheitsorganen beteiligt, bei denen es Opfer auf beiden Seiten gab. Am 4. Januar 1942 erlitt die Abteilung eine ernste Niederlage, woraufhin sich ihre Mitglieder in die umliegenden Dörfer zerstreuten. Auf Basis von erfundenen Nachrichten über einen angeblich bevorstehenden Serbenaufstand und einen massenhaften Zulauf aus dem Banat entschloss sich das ungarische Innenministerium dazu, die ganze Gegend zu durchforsten, die Partisanen auszumerzen und die aufsässige Bevölkerung einzuschüchtern. Zu diesem Zweck wurde Verstärkung geholt: Die 15. Infanteriebrigade aus Sombor unter Oberst Josef Grassy wurde nach Novi Sad verlegt und die 21.  Brigade aus Hallasch (ung. Kiskunhalas) nach Žabalj. Der gepanzerte Zug der 2. Kavalleriebrigade patrouillierte entlang der Grenze der Aktionszone. Ferenc Szombathelyi, Chef des Hauptgeneralstabs, ernannte den General-Leutnant Ferenc Feketehalmy-Czeydner, Kommandeur des 5. Armee-Korps in Segedin (ung. Szeged), zum Befehlshaber der gesamten Operation, während der Kommandeur der 9.  Infanterie-Regimente, Oberstleutnant László Deák, mit der Leitung vor Ort betraut war. Die ganze Šajkaška wurde abgeriegelt. Die Razzia, die zehn bis 15 Tage dauern sollte, begann am 6. Januar 1942 mit der Aushebung von Čurug, wo ungefähr 890 Menschen ermordet wurden. An der Tat beteiligten sich auch ungefähr 50 bewaffnete ungarische Zivilisten unter der Führung der örtlichen Notare. Viele Opfer wurden gefoltert, um das Geständnis von ihnen zu erpressen, einen bewaffneten Aufstand geplant zu haben. Ungefähr 400 kamen ums Leben bei einem Fluchtversuch, als die Geiseln aus einer Scheune losgebrochen sind. Ähnlich ging man in anderen Ortschaften des Titeler und Žabaljer Bezirks vor. 238

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Gewöhnlich wurde in jedem Ort ein Identifikationsausschuss gegründet, in dem die angesehensten Ungarn saßen, die die Identität beziehungsweise die politische Zuverlässigkeit der serbischen und jüdischen Bewohner »überprüften« und praktisch über Leben und Tod entschieden. Dabei waren häufig alter Hass, Streitigkeiten, Nationalismus, persönlicher Neid, Habsucht und andere Motive maßgebender als Staatsloyalität der Opfer, die vor ihrer Ermordung oftmals grausam gefoltert wurden. Am stärksten waren Čurug, Josefsdorf, Đurđevo, Mošorin (ung. Mozsor) und Frauendorf betroffen, während prominente, rechtschaffene Ungarn in Nadalj, Kać, Waldneudorf (sr. Budisava, ung. Tiszakálmánfalva), Gornji und Donji Kovilj (ung. Kabol) ihre serbischen Mitbürger vor den Gräueltaten retteten. Insgesamt kamen nach jugoslawischen Nachkriegserhebungen 2.345 Menschen im Šajkaš-Gebiet um, nach offiziellen ungarischen Angaben waren es 2.291. Allerdings waren die Täter damit noch nicht zufrieden. So meldete am 12. Januar 1942 Feketehalmy-Czeydner dem Verteidigungsminister Károly Bartha, dem Innenminister Ferenc Keresztes-Fischer und dem Chef des Hauptgeneralstabs Ferenc Szombathelyi, dass die Partisanen sich nach Novi Sad abgesetzt hätten, so dass man die Razzia auch dort durchführen sollte. Die Minister gaben grünes Licht und in den darauffolgenden Tagen wurde ein Plan ausgearbeitet. Auf der Konferenz in Thomasberg (sr. Srbobran, ung. Szenttamás) am 19.  Januar 1942 beauftragte FeketehalmyCzeydner den Oberst Grassy mit der Durchführung der Razzia in Novi Sad. In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar riegelten Grassys Truppen die Stadt ab und kappten die Telefonlinien. Am frühen Morgen gab Grassy den Beginn der Razzia bekannt und befahl der Bevölkerung, zu Hause zu bleiben und Kirchen, Geschäfte und Gaststätten geschlossen zu halten. Die Stadt wurde in Reviere aufgeteilt und von Patrouillen, geführt von ortskundigen ungarischen Zivilisten, durchgekämmt. Über 20.000 Personen mussten vor dem Identifikationsausschuss erscheinen und diejenigen, die ihre Identität beziehungsweise »Unschuld« nicht beweisen konnten, kamen vor das Standgericht, das Grassy organisierte. Am ersten Tag wurden bis zu 30 Menschen ermordet und durch Eislöcher in die zugefrorene Donau geworfen. Die Entscheidungsträger waren mit den Resultaten jedoch unzufrieden und brachten dies beim Treffen am Abend des 21. Januar zum Ausdruck. Um einen Vorwand für massenhafte Erschießungen zu schaffen, wurden am 22./23.  Januar Schießereien inszeniert, zur »Rechtfertigung« dieser Aktion spielten einige Soldaten »Verwundete«. Den Opfern, die für »Aufständische« erklärt worden waren, steckte man Pistolen und Handgranaten in die Hände und in die Taschen. Am 23. Januar gab es die meisten Toten, nachdem die Menschen direkt zur Schießstätte am Donauufer geführt worden waren. Insgesamt wurden in Novi Sad 1.246 Opfer gezählt (nach ungarischen Angaben 879) – vor allem Angehörige der serbischen und jüdischen Ober- und Mittelschicht. Es kam zu Massenplünderungen durch Soldaten, Gendarmen und ungarische Zivilisten, die teilweise dafür aus entfernteren Orten gekommen waren. Die Versuche des Gespans Péter Fernbach und des Bürgermeisters Miklós Nagy, das Blutvergießen zu stoppen, misslangen. Die Mordaktionen wurden anschließend auch auf andere Ortschaften ausgedehnt. So wurden in Altbetsche (sr. Stari Bečej, ung. Óbecse) zwischen dem 26. und 29.  Januar 110  Juden, 102  Serben und 13  Andersnationale ermordet. Schließlich ordnete der Generalstabschef Szombathelyi das Ende der Aktion an und befahl den Truppen, in ihre Kasernen zurückzukehren. Nach jugoslawischer Erhebung kamen in Novi Sad und in der Šajkaška während dieser »kalten Tage« (wie sie SpiEgElungEn 2.22

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nicht nur wegen der außergewöhnlichen Kälte genannt wurden) 2.578 Serben und 1.068 Juden ums Leben. Nach ungarischer Berechnung waren es 2.550 Serben, 743 Juden, elf Magyaren, 13 Rusinen, sieben Deutsche und 16 andere. Bisweilen wurden ganze Familien ausgelöscht, damit niemand Rache nehmen konnte. Die Juden waren unter den Opfern überproportional vertreten und in Novi Sad und in Stari Bečej sogar zahlreicher als die Serben. Die Aktion hatte mehrere Ziele. Die Partisanenbewegung sollte vernichtet und zugleich die serbische Bevölkerung von weiteren Aufstandsversuchen abgeschreckt werden. Es ist noch nicht geklärt, ob diese Aktion auch als Teil des Holocaust zu betrachten ist, aber ganz sicher war sie als Schlag gegen die jüdische Bevölkerung gedacht. Außerdem gab es auch wichtige außenpolitische Gründe für die Razzia: Man hoffte in Budapest, die Unfähigkeit der deutschen Behörden im Banat unter Beweis zu stellen und das Eindringen der Partisanenbewegung in die Batschka zu verhindern und, um dadurch die Übergabe der Provinz an Ungarn zu bewegen. Noch viel wichtiger war es, dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop und dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, die gerade zu jener Zeit in Budapest weilten, vorzuführen, dass Ungarn nicht imstande sei, so viele Truppen – wie sie verlangten  – an die Ostfront zu schicken, da man stark mit dem Kampf gegen die kommunistischen Gruppen, die aus dem Balkanraum einzufallen drohten, befasst war. Allerdings ging die Rechnung nicht auf. Das Ansehen Ungarns im Ausland schwand weiter wie auch die Möglichkeit einer Loslösung vom Dritten Reich und einer Annäherung an die Westmächte. Im Lande wurde die Situation der Serben zwar weitgehend befriedet, die Aktion führte jedoch zum verstärkten Widerstand. Die ungarische Opposition mit Endre Bajcsy-Zsilinsky protestierte vehement gegen die barbarischen Methoden der Sicherheitskräfte. Unter Druck musste Szombathelyi eine Untersuchung zulassen, die der Reichsverweser Miklós Horthy zunächst im August 1942 stoppte, um die Moral der Offiziere nicht zu untergraben. Trotzdem wurde die (allerdings milde!) Bestrafung der involvierten Gendarmen fortgesetzt. Die Untersuchung wurde im Oktober 1943 wieder aufgenommen, als die ungarische Spitze – nach der Kapitulation Italiens – erneut Versuche unternahm, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Den Familien der ermordeten Serben (nicht aber der Juden!) wurde Entschädigung gewährt und am 14.  Dezember begann der Prozess gegen Feketehalmy-Czeydner und vierzehn weitere Hauptverantwortliche vor dem Königlichen Militärgericht in Budapest. Sie wurden wegen Nichtbefolgung der Befehle und Überschreitung ihrer Machtbefugnisse angeklagt, nicht aber wegen Massenmord. Die vier Erstangeklagten wurden zum Tode verurteilt, die anderen zu zehn bis 15 Jahre Haft. Mitte Januar flohen Feketehalmy-Czeydner, Grassy, Dr. Leó Deák (Batsch-Bodroger Großgespan) und Gendarmenhauptmann Márton Zöldi nach Deutschland, was – wie der Prozess selbst – einmalig in der ungarischen Militärgeschichte war. Sie fanden bei der SS Unterschlupf und kehrten wenige Monate später mit den deutschen Truppen nach Ungarn zurück. Allerdings wurden sie, wie Szombathelyi, der sich beim ersten Prozess noch der Verantwortung entziehen konnte, nach dem Krieg zum Tode verurteilt und nach Jugoslawien ausgeliefert, wo sie hingerichtet wurden. In der Batschka selbst hatte die Razzia auch Folgen am Ende des Krieges. Nachdem die Rote Armee und die Partisanen im Oktober 1944 die Vojvodina befreit hatten, kam es zu Massenerschießungen der einheimischen Ungarn. Die Opferzahl ist nach wie vor umstritten, aber die Schätzungen bewegen sich zwischen 2.000 und 240

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40.000. Allerdings können nicht alle diese Opfer nur als Vergeltung für die Razzia angesehen werden: Die Magyaren (ebenso wie die Deutschen und Serben) wurden in der ganzen Provinz im Rahmen des allgemeinen Vorgehens der Partisanen gegen Kollaborateure, Amtsträger des Okkupationsregimes, an Kriegsverbrechen Beschuldigte und »Klassenfeinde« ermordet. Es steht jedoch fest, dass die Rache in der Šajkaška besonders brutal war. Auch wenn sich die Politik gegenüber der ungarischen Minderheit ab Dezember 1944 zum Besseren wendete, ging die Vergeltung in der Šajkaška weiter: Im Januar 1945 kamen auf Verlangen der serbischen Bewohner die lokalen Magyaren aus Čurug, Mošorin und anderen Orten, die von der Razzia betroffen gewesen waren, in Konzentrationslager, wo sie bis Mitte des Jahres verblieben. Auch anschließend wurde ihnen die Rückkehr in ihre Heimatorte untersagt. In Ungarn veröffentlichte 1964 Tibor Cseres, der selbst als Offizier wenige Tage nach der Razzia die Batschka besucht hatte, den Roman Hideg napok [Kalte Tage], der ins Serbische, Rumänische, Deutsche, Polnische, Französische, Tschechische und Englische übersetzt wurde. 1966 folgte ein gleichnamiger Spielfilm. Ansonsten blieben die Verbrechen an Ungarn in der Vojvodina bis in die 1990er-Jahren unbekannt und unerforscht. Erst im Rahmen der Recherchen der kommunistischen Verbrechen wurden auch diese Ereignisse thematisiert. Mit Blick auf die gegenwärtigen guten serbischungarischen Beziehungen gewinnt man den erfreulichen Eindruck, dass mindestens aus diesen tragischen Vorfällen Lehren für die Zukunft gezogen worden sind. Zoran Janjetović Zoran Janjetović ist Historiker und arbeitet als wissenschaftlicher Berater am Institut für Neuere Geschichte Serbiens (sr. Institut za noviju istoriju Srbije) in Belgrad. Er hat zahlreiche Monografien und Studien zur Geschichte der Donauschwaben veröffentlicht.

Horst Glassl (1934–2022) Wer sich an Horst Glassl erinnert, wird das wohl jederzeit mit einem leichten Schmunzeln tun, denn der stets gutgelaunte, positiv denkende Osteuropahistoriker lässt einem gar keine andere Wahl. Als er am 1. Januar 1934 im böhmischen Silberbach (tsch. Stříbrná) im westlichen Erzgebirge, nahe der Grenze zu Sachsen, zur Welt kam, war dieser Ort eine stattliche Gemeinde im Karlsbader (tsch. Karlovy Vary) Kreis, später Landkreis Graslitz (tsch. Kraslice). Die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Heimat nach Niederbayern erlebte er bewusst mit; diese Erfahrung sollte ihn nachhaltig prägen, so dass sein Interesse an der Geschichte des östlichen Europas und im Besonderen an jener der vormals habsburgischen Länder gut nachvollziehbar ist. Er studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München fürs Lehramt, blieb aber nach der Promotion bei Prof. Georg Stadtmüller mit der Arbeit Der Mährische Ausgleich (Diss. phil. 1965, publ. 1967, Kurzfassungen 1977, 2005) in der Wissenschaft und wurde 1973 mit der Schrift Das österreichische Einrichtungswerk in Galizien (1772–1790) in München habilitiert (publ. 1975). Damit war die Grundlage für eine überaus erfolgreiche akademische Lehrtätigkeit gelegt, denn Horst Glassl konnte das, was vielen Wissenschaftlern an den Hochschulen heute oft fehlt: Er konnte herSpiEgElungEn 2.22

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vorragend unterrichten, er konnte für seine Themen begeistern und seine Studenten und Studentinnen auf spannende Reisen durch die Jahrhunderte und durch Länder und Regionen des östlichen Europa mitnehmen. Modisches theoretisches Geschwurbel war ihm fremd, da er um dessen sehr begrenzte Gültigkeitsdauer wusste, er unterrichtete vielmehr umfassendes, quellenkritisches historisches Wissen, auf dem seine Schüler in unterschiedlichsten Berufslaufbahnen aufbauen und aus dem sie langfristig schöpfen konnten. Zunächst wirkte Glassl als Privatdozent an der Münchener Hochschule für Politik, bis er 1980 außerplanmäßiger Professor am Institut für Geschichte Osteuropas und Südosteuropas an der LMU wurde. Aber nicht nur hier, sondern auch am Ungarischen Institut (UIM) trat er in die Fußstapfen seines akademischen Lehrers Stadtmüller, zunächst als stellvertretender Direktor und ab 1980 für mehr als zwei Jahrzehnte als dessen Direktor. Das UIM war zwar eigenständig und verfügte über erhebliche Bestände, blieb über ihn aber auch in den universitären Betrieb eingebunden. Erstaunlich war Glassls vielfältiges und intensives ehrenamtliches Engagement außerhalb des akademischen Lehrbetriebs – und selbst nach Jahren entdecken jene, die seinerzeit verschiedentlich darin eingebunden waren, noch weitere seiner langfristig und erfolgreich wahrgenommenen Aufgaben. Da ist etwa das Münchener Haus der Begegnung e. V. zu nennen, dessen Vorsitzender er war, aber auch im NewmanVerein nahm er diese Funktion lange Jahre wahr, des Trägervereins eines Münchener katholischen Studentenheims. Er hatte darüber hinaus noch Zeit, sich seit Studienzeiten in unterschiedlichsten Kontexten der Ackermann-Gemeinde zu engagieren, deren Vorsitz er schließlich in den Jahren 2006–2018 übernahm, aber er wirkte auch mit im Kuratorium des Osteuropa-Instituts München, im Beirat des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte, als Mitglied in der Historischen Kommission für die böhmischen Länder, im Collegium Carolinum, und er war sich auch nicht zu schade, als Kassenprüfer beim Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas lange Jahre zum laufenden Betrieb beizutragen. Auch eine Stipendiatengruppe der Hanns-Seidel-Stiftung, wo er als Vertrauensdozent tätig war, erfreute sich seiner regelmäßigen Betreuung. Zu erwähnen wäre noch seine vielfältige redaktionelle Tätigkeit für Zeitschriften wie für Schriftenreihen seit Beginn der 1960erJahre bis in die Zeiten des Ruhestands. Diesen verbrachte er durchaus aktiv, ausgelastet mit Ehrenämtern wie auch mit wissenschaftlicher Arbeit. Im Frühjahr 2019 fand anlässlich seines 85.  Geburtstags und zweier weiterer gleichaltriger Jubilare ein Symposium in Bad Niedernau statt, das sich mit dem Thema »Ausgleich« als Basis für Verständigung und Versöhnung befasste – alle drei hatten sich große Verdienste um die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen erworben. In der letzten Zeit war Horst Glassl allerdings von Krankheit gezeichnet. Er verstarb am 13. März 2022 an seinem langjährigen Wohnort Putzbrunn bei München und wurde am dortigen Kirchfriedhof beigesetzt. Die Erinnerung an ihn im Kreise seiner Schüler wie auch der zahlreichen Einrichtungen, in denen er engagiert wirkte, wird lebendig bleiben – und seine positive Energie wird über das Schmunzeln jener, die sich seiner erinnern, lange nachwirken. Harald Roth Harald Roth hat osteuropäische und neuere Geschichte sowie evangelische Theologie in München, Freiburg im Breisgau, Heidelberg und Seattle, Washington, studiert. 1994 wurde er unter Horst Glassl promoviert. Seit 2013 ist er Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa (DKF) in Potsdam.

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Georg Wildmann. Historiker, Theologe, Philosoph, Archivar, Redner, Dichter, Mensch * 29.5.1929 in Filipowa, † 9.4.2022 in linz Georg Wildmann wurde am 29. Mai 1929 als erster von drei Söhnen des Ehepaars Karl und Anna Wildmann in Filipowa (sr. Bački Gračac) in der Batschka, im damaligen Königreich Jugoslawien, heute Republik Serbien, geboren. Filipowa war zu dieser Zeit eine überwiegend deutschsprachige Gemeinde mit 5.000 Einwohnern. Die Zeit seiner Kindheit im elterlichen Kaufmannsladen hatte Georg als »unbeschwert, traditionell gesprochen: glücklich« in Erinnerung. Höhepunkte waren die Ferienaufenthalte bei seinem Lieblingsonkel Pfarrer Julius in Neu-Palanka (sr. Nova Palanka, heute ein Stadtteil von Bačka Palanka). Auch den feinen Sandstrand an der Donau liebte er sehr. Von seiner Großmutter lernte Georg in dieser Zeit »das häusliche Ungarisch«. Prägend für Georg Wildmann waren die ersten vier Volksschuljahre in Filipowa. Sein geliebter Lehrer Josef Volkmar Senz hatte den acht- bis zehnjährigen Schülerinnen und Schülern »neben der serbischen Geschichte immer auch die deutsche und donauschwäbische Geschichte miterzählt« und dabei – exemplarisch – Prinz Eugen in seiner Bedeutung für das donauschwäbische Volk herausgearbeitet. Als eines seiner ersten Lieder lernte Georg das Lied Prinz Eugen, der edle Ritter kennen und lieben. – Auf Georgs Wunsch hin hat dieses Lied ihn und uns beim Abschied begleitet. In den folgenden vier Jahren am Deutschen Gymnasium in Neu-Werbass (sr. Novi Vrbas) vertiefte Georg auch seine Kenntnisse der serbischen Sprache. Am 21. November 1944 fasste der Antifaschistische Rat der Nationalen Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ) den Beschluss, allen deutschstämmigen Personen  – mit wenigen Ausnahmen – sämtlichen Besitz zu entziehen. Vier Tage später, am 25. November, wurden in Filipowa alle Männer zusammengerufen und in der Kirche eingesperrt. Am nächsten Tag führte man 212 von ihnen, Männer zwischen 16 und 60 Jahren, bewusst oder willkürlich ausgewählt, aus Filipowa hinaus und ermordete sie auf der Heuwiese. Georg hatte die »Gnade der späten Geburt«, wie er es selbst nannte. Er war 15½ Jahre, als er durchs Fenster des Kaufmannsladens den Zug der Männer draußen vorbeiziehen sah. Von November 1944 bis Mai 1946 musste der junge Georg Zwangsarbeit leisten: Holzfällen und Schweine hüten für das Staatliche Waldamt im Bezdaner Wald und in Batsch-Monoschtor (sr. Bački Monoštor)  – »gut bewacht und [mit] kaum etwas zu essen«. Mit einer »Gartenhacke auf dem Buckel« entfernte sich Georg eines Tages von der Arbeit an der Strecke nach Sombor (ung. Zombor) und schleuste sich freiwillig ins Vernichtungslager Gakowa (sr. Gakovo) ein, um seine Familie zu suchen, die allerdings verstreut war. Die Flucht aus Gakowa gelang ihm am helllichten Tag. Anschließend versteckte sich Georg drei Monate lang im Elternhaus in Filipowa, wo die ungarisch-deutschen Großeltern, eine Mischehe, wohnen bleiben durften. Im August 1946 wagte die Familie die Flucht über Stanischitz (sr. Stanišić, ung. Őrszállás) nach Ungarn und im Dezember 1946 nach Linz in Österreich. SpiEgElungEn 2.22

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Aus dieser Zeit nahm Georg vier Besonderheiten mit: seine Fähigkeit, »mit sich allein zu sein«, seine Unfähigkeit, jemanden um etwas zu bitten, das tiefe Wissen um das Geschenk, »leben zu dürfen« und sein Bedürfnis, »allen, denen das Leben genommen wurde, eine Stimme zu geben«. In Linz fand die Familie zusammen. Nach dem Abschluss des Gymnasiums mit Auszeichnung entschied sich Georg für das Studium der Philosophie und Theologie in Linz. Seine philosophische Begabung fiel auf und er wurde schon nach einem Jahr zum Studium an die Päpstliche Universität Gregoriana nach Rom geschickt  – auf einem Freiplatz der ungarischen Erzdiözese Kalocsa, zu der die Batschka bis 1918 gehörte. 1953 erwarb er das Lizenziat in Philosophie und im Oktober 1956 wurde er in Rom vom späteren Kardinal Franz König zum Priester geweiht. »Den Armen die frohe Botschaft bringen« wählte er als Motto und Primiz-Spruch. 1959 – an seinem 30. Geburtstag – promovierte Georg Wildmann mit einer Arbeit über die Katholische Gesellschaftslehre bei Gustav Gundlach. Aus Rom zurück war sein erster Einsatz eine Ferienaushilfe in Holzhausen. Sein erster Kaplansposten in Ebensee brachte ihn in Kontakt mit der Unternehmerseelsorge, der Arbeiterschaft und auch in einen Diskurs mit dem späteren Bundeskanzler Bruno Kreisky. Der Religionsunterricht an Volks- und Hauptschule forderte ihn heraus. Auf diese Altersgruppe war er nicht vorbereitet. Ein überraschender Kaplanswechsel führte ihn in die Pfarre Heilige Familie-Linz. Auch dort war er neben der Pfarrseelsorge als Religionslehrer tätig, unter anderem an der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe der Ursulinen. Ab 1966 lehrte er Philosophie, Sprachphilosophie und Philosophische Ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Diözese Linz. Darüber hinaus wirkte er bei der Linzer Diözesansynode mit, hielt zahlreiche Vorträge und war auch im Radio zu hören. Inmitten dieser arbeitsreichen Zeit lernte er Erika Wendtner, eine Lehrerkollegin, kennen und lieben. Nach einer schwierigen Zeit des Ringens zwischen dem geliebten Beruf und der Liebe zu Erika und seiner Familie suchte Georg Wildmann um Dispens vom Priesteramt an, was im Dezember 1974 gewährt wurde. Bald darauf heirateten die beiden. Georg wurde Professor für Religion und Philosophie an zwei Gymnasien, zuletzt leitete er das Bundesrealgymnasium Linz-Urfahr als provisorischer Leiter. Bereits seit 1961 engagierte sich Georg mit seinem Pfarrerkollegen Franz Schreiber und Paul Mesli für die Filopowaer. Er war Mitautor der acht Bildtextbände über Filipowa und der jährlichen Filipowaer Heimatbriefe, die 2018 in jüngere Hände gelegt wurden. In der Zeit der Neuorientierung erreichte Georg die Anfrage seines ehemaligen Volkschullehrers Josef Volkmar Senz: »Die Donauschwaben würden dich brauchen.« Damit begann für Georg 1982 die Mitarbeit in der Donauschwäbischen Kulturstiftung München, deren vorrangige Aufgabe darin gesehen wurde, eine donauschwäbische Geschichte nach wissenschaftlichen Kriterien zu schreiben. Oskar Feldtänzer, Ingomar Senz und Georg Wildmann übernahmen die jeweiligen Bände. In dieser Reihe »Donauschwäbische Geschichte« konnte Georg Band  V, Die Donauschwaben in Österreich 1944 – 2020, mit großer und ausdauernder Unterstützung seiner Frau Erika – angesichts der fortschreitenden Erkrankung in großer Eile, was Georg sehr bedauerte  – fertigstellen und im Juli 2021 präsentieren. Als zweites Hauptwerk der Kulturstiftung München entstand in den 1990er-Jahren durch ein Autorenteam  – federführend waren Hans Sonnleitner, Karl Weber, Josef Beer und Georg Wildmann  – der vierbändige Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien und eine Kurzfassung davon, die Georg überantwortet war. 244

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Zu donauschwäbischen Themen war Georg Wildmann ein gefragter Vortragender bei Tagungen, Symposien und in wissenschaftlichen Beiräten in Berlin, Ulm und Wien. Auf österreichischer Ebene war er in der Donauschwäbischen Arbeitsgemeinschaft (DAG) vertreten. Für den Verband der altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich (VLÖ) war er als Leiter des Arbeitskreises Kultur tätig und langjähriger Mitarbeiter im Wissenschaftlichen Beirat des Ermacora-Instituts. In der Landsmannschaft Oberösterreich war Georg seit 1983 Mitglied, seit 1987 wurde seine Mitarbeit unter Obmann Hans Holz intensiver angefragt. Landesobmann Ing. Anton Ellmer bat Georg um historische Beiträge zu seinem Informationsblatt Mitteilungen der Landsmannschaft der Donauschwaben in Oberösterreich. Bis zuletzt verfasste er dafür Artikel. Georgs Idee eines landesweiten »Erinnerungstages für Heimatvertriebene« wurde von LH a. D. Dr. Josef Pühringer aufgegriffen. Seit 2008 gestaltete das Ehepaar Wildmann federführend diesen Tag, wenn »die Donauschwaben dran sind«. Die weitsichtige Idee von Ing. Anton Ellmer, den vielen donauschwäbischen Büchern und Unterlagen des »donauschwäbischen Privatgelehrten Georg Wildmann« einen Raum zu geben, griff Bürgermeister und Landesobmann Paul Mahr auf und setzte sie rasch um. 2018 wurde die »Donauschwäbische Bibliothek und Archiv Dr.  Georg Wildmann« in Marchtrenk eröffnet und krönt Georgs Lebenswerk. Viel Verständnis und Nachsicht hat seine Familie für Georgs Arbeits- und Lebensstil und die damit verbundenen zeitlichen Ressourcen gebraucht und aufgebracht. Besonders seit ihrer Pensionierung unterstützte ihn Erika aber auch aktiv und ausdauernd. Georg verfolgte das Leben seiner Kinder mit großem, oft stillem Interesse. Zuletzt brachten seine Enkel Elena und Elias viel Freude in sein Leben. Und schafften es auch immer wieder, ihn aus der geistigen Arbeit »herauszuholen« und mit ihm »Räuber Hotzenplotz« zu spielen. Georg ging am Vorabend des Palmsonntags, am 9. April 2022, liebevoll begleitet von seiner Frau Erika und seinen Kindern Markus und Lisa, heim. Die Verabschiedung fand am 22. April2022 in der Pfarrkirche Christkönig Linz-Urfahr statt. Wir in der Donauschwäbischen Arbeitsgemeinschaft in Österreich bemühen uns, Georgs Auftrag, »Geschichte und Kultur in Erinnerung zu halten und mit Veranstaltungen und Publikationen erlebbar zu gestalten«, weiter zu erfüllen. Denn, wie er schrieb: »Vergessen zu werden wäre unsere zweite Vertreibung.« Maria K. Zugmann-Weber Mag.a Maria K. Zugmann-Weber ist Vorsitzende der Donauschwäbischen Arbeitsgemeinschaft in Österreich.

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Redaktionsnotizen Karl Kaser (1954–2022) Am 11. April 2022 ist der profilierte Südosteuropahistoriker verstorben. Nach seiner Promotion 1980 und Habilitation 1986 erhielt Kaser den Ruf im Jahr 1996 auf den Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz, wo er als Professor für Südosteuropäische Geschichte und Anthropologie tätig war. Bekannt vor allem für seinen Beitrag zur historischen Anthropologie, Kaser war Autor und Herausgeber zahlreicher wichtigen Publikationen, und beteiligte sich federführen an mehreren internationalen Forschungsprojekten. Im Februar 2022 wurde er mit der Konstantin-Jireček-Medaille der Süosteuropa-Gesellschaft für besondere Leistungen in der Südosteuropa-Forschung ausgezeichnet.

Horst Förster (1940–2022) Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Horst Förster, emeritierter Lehrstuhlinhaber für Geographie Osteuropas am Geographischen Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen und ehemaliger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen (IDGL), ist am 21. April 2022 gestorben. Förster habilitierte sich im Jahr 1978 in Bochum und leitete den Lehrstuhl in Tübingen seit 1991. Parallel dazu übernahm er von 1992 bis 2008 auch die Leitung des IDGL. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehörten Regional- und Stadtforschung in den postsozialistischen Transformationsländern Ostmittel-, Südost- und Osteuropas sowie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

»Was bleibet, das stiften die Dichter« Der literaturwissenschaftler Walter Engel wurde 80 / Ein halbes Jahrhundert im ost-West-Dialog Wenn für die meisten deutschen Aussiedler aus Rumänien plötzlich die Welten auseinanderdrifteten, so auch die alte und die neue Heimat, so zählt unser Jubilar Walter Engel zu den wenigen, die es schafften, sich in einem umgestülpten Menschenleben selbst treu zu bleiben. Im Denken wie auch im Handeln. Erinnerungswürdig eine seiner Schaffensstationen, 2014 bei den Deutschen Kulturtagen in Temeswar: Der Referent sprach einfühlsam über die Befindlichkeiten der ausgesiedelten Banater Autoren, blieb jedoch zum Abschluss bei folgendem Bild der Banater deutschen Literatur: ein grünender Baum mit zwei Zweigen. Stefan Sienerth hatte Engels Credo einmal mit dem treffenden Paradoxon »Heimatbezug und Weltoffenheit« erklärt: Und wahrlich: Der Literaturwissenschaftler, Hochschullehrer und Publizist Walter Engel spielte in einer mehr als 50-jährigen Schaffenszeit nicht nur die Rolle des Zeitzeugen und Chronisten des deutschen Kul246

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turgeschehens in Rumänien, er wirkte auch als dessen Mitgestalter ersten Ranges. In allem, was seinen Studien, Aufsätzen, Vorträgen, Rezensionen, Interviews und Buchpublikationen Nachhaltigkeit verlieh, ist ein großzügiges Augenmerk zu erkennen  – auf die traditionsverbundene rumäniendeutsche und Banater Kultur und speziell Literatur, im gleichen Atemzug auch auf die erneuernden Impulse der jungen Generation, in der alten wie in der neuen Heimat. Am Banater mehrsprachigen Kulturgeschehen geschult, auch weiterhin ein hohes Ansehen bei den rumänischen Kollegen Walter Engel 2014 im Temeswarer adam-müller-Guttenbrunn-Haus. © Zoltán pázmány genießend, hat Walter Engel dann als Stiftungsdirektor ein nachhaltiges Projekt eines Ost-West-Dialogs angebahnt und durchgeführt. Walter Engel wurde am 13. November 1942 in Deutschsanktmichael (rum. Sânmihaiu German) im Banat geboren. Nach Abschluss des Lyzeums in Hatzfeld (rum. Jimbolia) folgte ein Germanistik-Rumänistik-Studium an der Temeswarer Universität (1960–1965). Zwei Jahre war er als Deutschlehrer in Heltau (rum. Cisnădie), Siebenbürgen, tätig. 1968–1972 wirkte er als Kulturredakteur der Publikationen Hermannstädter Zeitung und Die Woche. Schon 1969 sollte der junge Publizist seine spätere gehaltvolle Tätigkeit als Literaturwissenschaftler mit einem vielbeachteten Interview mit dem deutschen Schriftsteller Günter Grass, dem späteren Nobelpreisträger, ankündigen. Aus dem Kulturraum Siebenbürgen wechselte Engel 1972 an die Universität Temeswar, wo er bis zu seiner Aussiedlung 1980 als Dozent am GermanistikLehrstuhl wirkte. Schon ein Jahr nach seiner Aussiedlung promovierte er in Heidelberg zum Dr. phil. über deutsche Literatur im Banat 1840–1939. Dieses Thema, sozusagen »im Gepäck« aus der alten Heimat mitgebracht, sollte für den Literaturwissenschaftler und Publizisten das Kernthema seiner Studien, Vorträge, Buchpublikationen und journalistischen Beiträge werden und bis heute, selbst im wohlverdienten Ruhestand, nach einer jahrzehntelangen Schaffenszeit, bleiben. Zu seinem Lebensthema, die deutsche Literatur und Kultur im Osten, speziell in Rumänien, fand er dann 1988 zurück als Direktor der Stiftung Haus des deutschen Ostens, seit 1992 GerhartHauptmann-Haus – Deutsch-Osteuropäisches Forum in Düsseldorf. Als Stiftungsdirektor und Leiter des Düsseldorfer Literaturforums Ost-West (1989–2006) sowie 1995 als Gründer des West-Ost-Journals leistete er einen nachhaltigen Beitrag zur Belebung des Ost-West-Dialogs in etlichen kulturellen Bereichen in Deutschland, Mittel- und Osteuropa. Zu seinen Buchpublikationen zählen unter anderen die Anthologie Von der Heide (Hg.) 1978, die Monografie Franz Ferch sowie die Sammelbände Kulturraum Banat 2007 und Blickpunkt Banat 2013. Walter Engel wurde mit der BundesverdienstmeSpiEgElungEn 2.22

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daille (2005) und dem Donauschwäbischen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg (Ehrengabe, 2007) geehrt. Vor Jahren schloss Walter Engel ein Referat über die Banater deutsche Kultur und Literatur bei einer Kulturtagung im heimatlichen Banat mit den sentenzhaltigen Worten »Was bleibet, das stiften die Dichter«. Man kann diese Worte heute, ohne fehlzugehen, zweifelsohne auch unserem Jubilar und seinem gesamten Schaffen zusprechen. Balthasar Waitz Balthasar Waitz, geboren in Nitzkydorf (rum. Nițchidorf), ist Schriftsteller, Dichter, Übersetzer und Journalist.

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Besprechungen Eigenwillig und übernational Cvetka lipuš: Komm, schnüren wir die Knochen. Gedichte. aus dem Slowenischen von Klaus Detlef olof. Salzburg: otto müller Verlag 2019. 119 S.

Komm, schnüren wir die Knochen, der 2019 im Otto Müller Verlag auf Deutsch erschienen ist, ist der sechste Gedichtband der Kärntner Slowenin Cvetka Lipuš, geboren in Eisenkappel (sl. Železna Kapla), wo sie im mehrheitlich deutsch-, offiziell jedoch zweisprachigen Kärnten ihre Kindheit und Jugend verbrachte. Danach studierte sie in Klagenfurt und in Wien Vergleichende Literaturwissenschaft und Slawistik, zog 1995 für 15 Jahre in die USA und lebt seit 2009 wieder in Österreich, in Salzburg. Obwohl sie nie in Slowenien lebte, schreibt sie ihre Gedichte ausschließlich in ihrer Muttersprache Slowenisch, doch alle ihre bisherigen Gedichtsammlungen wurden auch ins Deutsche übersetzt, in ihre Sprache, die sie erst in der Schule richtig erlernte und die eigentlich ihre »zweite Muttersprache« geworden ist. Lipuš versprachlicht in ihren Gedichten  – die oft Zyklen bilden, mit einem Hauch zum Epischen, zum Erzählen – das Leben zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen, aber man kann in ihnen, wie der slowenische Dichter Milan Vincetič feststellte, »weder Leid der Angehörigen der slowenischen Minderheit in Kärnten spüren, noch eine SpiEgElungEn 2.22

pathologische Bindung an die heimatliche Landschaft. Mehr noch: Ausland ist für die Dichterin nur ein ›lay over‹ mit zwei optimalen Lösungen: bleiben oder zurückkehren«. Ihre Lyrik ist trotz ihrer vielen kulturellen Erfahrungen durch und durch intimistisch und man kann für alle ihre bisherigen Gedichtbände Worte wählen, die man bei dieser äußerst artikulierten Dichterin gern anwendet: kompromisslos, souverän, originell, vor allem aber übernational. Nach den zwei ersten, in Österreich entstandenen Gedichtbänden verfasste sie drei in den USA, in Pittsburgh. Bereits in diesen wurde ihre Sprache offener, die Gedichte länger, auch epischer. Einiges trug dazu ihre amerikanische Erfahrung bei, denn in den USA begann sie sich intensiv mit amerikanischen Autoren auseinanderzusetzen und erfuhr, dass die englischen Texte im Vergleich zu den deutschen viel lockerer sind, weniger verworren. Komm, schnüren wir die Knochen [Pojdimo vezat kosti, 2010] ist der erste Band, der 2010, nach ihrer Rückkehr aus Amerika, erschienen ist. »Wie eine Spinne spinnst du die Worte« (S.  35), meint das Ich und durch die Schau nach innen, zu den Knochen, öffnet es weite Horizonte, indem es in Zwölf Mal Frau Luna diese bittet: »Liebe Silberwangige, lass deinen Zopf herunter, damit / ich zu dir hinaufklettern kann, wenigstens für eine Nacht« (S. 65). Auch in diesem energiegeladenen 249

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Band findet man eine reiche Bildsprache, die in allen Gedichtbänden sehr intensiv bleibt. Die Sprache, oft sehr eigenwillig, ist sehr genau, jedes Wort stimmt und man weiß, dass mit einem anderen Wort alles zusammenbrechen würde. Man kann auch den Hang zum Visuellen beobachten, denn die Bilder generieren reichliche Vorstellungen. Auch der Klang trägt wesentlich zum Erfolg dieser Gedichte bei. Vielsagend ist dabei die Bemerkung des Kritikers Andreas P. Pitteler: »Auch wenn die Slowenischkenntnisse nicht ausreichen, ihre Gedichte zu verstehen, so genügt allein das laute Lesen der Wortkombinationen um die sprachliche Poesie, die Melodik, die sorgfältige Komposition dieser Texte zu erkennen«. Dazu kann man spüren, wie für die Dichterin der Inhalt, die Sprache und der Klang zu einer Bedeutungseinheit verschmelzen, und Klaus Detlef Olof ist es wunderbar gelungen das auf Deutsch nachzudichten. Vor dem Hintergrund der sehr rhythmischen, sprachlich perfektionierten Gedichte rollt sich eine reiche Themenpalette ab: Schon seit der ersten Gedichtsammlung steht bei Cvetka Lipuš existenzielle Thematik im Vordergrund und sie versucht immer mehr das Vergangene an die Oberfläche zu befördern. Thematisch wölbt sich ein Bogen von den Gedichten im ersten Band Schwellen des Tages [Pragovi dneva] aus dem Jahr 1988 bis zu ihrem fünften Band Belagerung des Glücks [Obleganje sreče, 2008]: In der ersten Sammlung steht ein Ich im Mittelpunkt, das sich zwar die ganze Zeit an die Umwelt gebunden sieht. Mit jeder weiteren Sammlung öffnet sich dieses Ich aber mehr und mehr der äußeren Welt. Nun steht nicht mehr das nach innen gekehrte Ich im Vordergrund, sondern dieses Ich, das sich in seinem Zufluchtsort unsicher fühlt, muss manchmal ausbrechen. Das lyrische Ich konzentriert sich auf die existenziellen Grundfragen und ist zugleich an den weiter gefassten Problemen interessiert. 250

Lipuš, die sich mit ihrer eigenwilligen Poetik einen Namen gemacht hat, sucht in jedem Band nach einer neuen Sprache, so auch in Komm, schnüren wir die Knochen. Er enthält 23 Gedichte. Zum ersten Mal ist die Mehrheit der Gedichte selbstständig und nur sieben sind mehrteilig, ohne Untertitel und nur nummeriert. Sehr offensichtlich ist auch hier die amerikanische Erfahrung, sichtbar nicht nur durch englische Titel einiger Gedichte (Let it go, How does it feel, Love stricken, Welcome back, Like a prayer) und die Bemerkung des amerikanischen Rezensenten John K. Cox, dass kein mitteleuropäischer Dichter dem nordamerikanischen Leser mehr imponieren würde als Cvetka Lipuš, sondern auch durch die Auflockerung der Sprache. Tina Škrajnar Petrovič versuchte die ganze Sammlung sehr knapp zusammenzufassen: »Der Körper schmerzt und leidet und auch die Seele leidet, denn auch das Gespräch mit dem Mitmenschen ist oberflächlich und eine peinliche Sache, während im Menschen ›im Brustkorb die Stille pocht‹. Das im Titel enthaltene Schnüren der Knochen stellt eine Welt dar, in der der Mensch den Sinn sucht und sich Instanterlebnissen hingibt, die aber in eine noch größere Entfremdung und Unglück führen«. Mit den Bildern des Alltags dringt Lipuš aber auch zu gravierenden existenziellen Fragen durch, indem sie zum Beispiel Heidegger heranzieht in Ein Handbuch für das Dasein: »Geehrter Herr Heidegger, / Experte für metaphysische Fragen, / wenn ich wie ein Geschoss durch den Raum / meiner Zeit reise, träumt mir mitunter, dass mich / am Ausgang jemand erwartet. Statt eines Ausweises / verlangt er meine Seele und verweist mich ins / Obergeschoss, wo man Sternstaub serviert« (S.  23). Oder im 2. Teil des Zyklus Erwache, Wunde, sagt das Messer vor Rilke warnt: »Geh mir nicht zu Rilke, wenn alles reißt, sich / auflöst, zerfällt, wenn alle zu sich selber / drängen, zurück in den ausgezehrten Kern, wenn SpiEgElungEn 2.22

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/ der Körper auf das Gesetz der Schwerkraft pfeift, / am liebsten den Sternen die Hand schüttelte, / bis zum Verkohlen …« (S. 9). Was Fabjan Hafner für Lipuš’ frühere Gedichtbände feststellte, gilt auch hier: In ihrer »Sehnsuchtslyrik« gibt es einen gewissen Hang zum Grammatikalischen, zum Wissenschaftlichen, wobei sie sich sehr viel Freiheit erlaubt und man von der »Grammatik der eigenen Metaphysik« sprechen kann. Noch entschiedener als in früheren Gedichtbänden versucht Cvetka Lipuš auch mit diesem die gängigen Denkmuster außer Kraft zu setzen, indem sie sieht, dass unsere Welt brüchig geworden ist, die Welt, in der das originelle lyrische Ich in die Tiefe, bis in die Knochen durchdringt und im Zyklus Keine Bange vor der Schlange selbstironisch aufschreit: »Soll ich dir sagen, wie es ist, wenn ich mit / hundertfünfzig die Stunde gegen mich anrenne und / mich dort ein abgenagter Knochen erwartet« (S. 17). Vesna Kondrič Horvat Feuer in Bukarest Catalin Dorian Florescu: Der Feuerturm. Roman. münchen: Verlag C. H. Beck 2022. 361 S.

In seinem 16 Kapitel umfassenden achten Roman zeichnet der 1967 in Temeswar (rum. Timișoara) geborene Zürcher Schriftsteller Catalin Dorian Florescu ein buntes, aber auch bedrückendes Bild der rumänischen Hauptstadt. »Wie eine Faust« umschloss im Jahr 1592 ein dichter Wald jene kleine Stadt, die sich Schritt für Schritt zur Metropole Bukarest (rum. București oder Bucureșci) entwickeln sollte. »Ob es die Hand Gottes war oder die des Teufels, wusste niemand so genau« (S.  5). Die zahlreichen Katastrophen, die die Geschichte der Stadt von Anfang an prägten, lassen aber eher vermuten, dass der Teufel letztlich die Oberhand behielt. SpiEgElungEn 2.22

Die Welt sei nicht mehr als »eine Lichtung in einem unermesslich großen Wald, das Leben ein Grashalm auf dieser Lichtung, der jederzeit niedergetrampelt werden konnte« (S. 6), heißt es gleich zu Beginn. Die Menschen kämpften sich Jahr für Jahr durch ihr irdisches Leben, und wenn sie die vielen blutigen Kriege und verheerenden Plünderungen, die beängstigenden Sonnenfinsternisse und zerstörerischen Stadtbrände überlebten, beginne alles wieder von vorn (S.  8). Das zyklische Geschichtsbild, das hier skizziert wird, und ein von Glauben und Aberglauben durchsetztes, keinesfalls rationalistisches Weltbild sind grundlegend für das Verständnis der im Wendewinter 1989/1990 endenden Geschehnisse des gesamten, a-chronologisch und multiperspektivisch erzählten Romans. In diesem liebenswert-chaotischen, von extremen Wechselfällen der Geschichte gezeichneten Bukarest agieren die männlichen Mitglieder der Familie Stoica seit dem 19. Jahrhundert mit Leib und Seele im Dienst des Gemeinwohls. »Wir sind eine Familie von Feuerwehrleuten, eine Dynastie, wenn man so will« (S.  26). Ihr familiärer Erinnerungsort  – und das zentrale Dingsymbol, das dem Text seinen Titel gibt  – ist der 1892 errichtete Feuerturm, damals das höchste Gebäude weithin, das mehr als vier Jahrzehnte lang als Feuerwache diente. Zu tun hatten sie genug in dieser zwischen Okzident und Orient seltsam oszillierenden, ständig wachsenden und stets unruhigen Stadt. »Nichts war friedlich in Bucureșci, nichts war hier wie ein ruhiger Fluss, dem man sein Leben blind hätte anvertrauen können« (S.  43). Das sehr humorvoll gezeichnete farbenfrohe Bild der pulsierenden Metropole, das der Autor allmählich und unaufdringlich entfaltet, lässt auf gründliche historische Recherche schließen  – die Namen von Straßen und Gassen, von Firmen und Geschäften, von Gerichten und Alltags251

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produkten stimmen, vor allem aber ist die Stimmung, die Atmosphäre, der Sound der Stadt eindrucksvoll eingefangen. Dazu gehören auch der grassierende Antisemitismus – alle politisch verfeindeten Parteien seien sich in diesem Punkt immer einig gewesen – sowie die oft ins Absurde kippenden Heiligenverehrungen. »Bucureșci hatte sich mit so vielen Heiligen eingelassen, dass die Stadt heiliger als Rom selbst hätte sein müssen« (S. 58). Oft lässt Florescu die sogenannten einfachen Menschen erzählen, besonders die zahlreichen Mitglieder der keinem Gläschen Schnaps abgeneigten Familie Stoica. Auch wenn die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem die Zeit des Zweiten Weltkriegs, ausführlich dargestellt wird – im Zentrum von Florescus sprachgewaltiger Liebeserklärung und zugleich herber Abrechnung mit Bukarest stehen eindeutig die Jahre der kommunistischen Herrschaft: die in die 1960er-Jahre hineinreichende Ära des rigiden Stalinismus sowie die bleierne Zeit der CeaușescuDiktatur, als man »zwischen dem ewigen Kommen und Gehen des Stroms, des Wassers, des Gases, der Heizung, der Lebensmittel, der Hoffnung« zu leben hatte (S.  146). Der einzige Fels in der ständig bedrohlichen Brandung der Zeiten – und zugleich ein Memorial für die vielen Toten des 20.  Jahrhunderts  – ist und bleibt der Feuerturm: »Mochten Armeen gekommen sein und die Stadt zermalmt haben, mochten Flugzeuge am Himmel aufgetaucht sein und sie in eine Kraterlandschaft verwandelt haben, mochten Rotarmisten oder Grünhemden sie terrorisiert haben, mögen die Kommunisten Bukarest verunstaltet haben, möge der Mensch vor Hunger und Unglück kriechen, der Turm würde alles stumm und gelassen erdulden. Denn alles schien ein Verfallsdatum zu haben, nur er nicht« (S. 157). Besonders eindringlich geschildert wird das Schicksal des 1932 geborenen 252

Victor Stoica. Als Kind hatte er die Militärdiktatur und Judenverfolgung unter Antonescu und das von amerikanischen Luftangriffen begleitete Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt. »Bukarest versank in jenen Nachkriegsjahren nicht nur in Angst, sondern auch in Elend und Hunger« (S.  275). In den späten 1940er-Jahren etablierten sich die Kommunisten. »Bald ging es mit den Verhaftungen los, aber auch das hielten wir noch für verständlich« (S.  273). Victor entschließt sich, Geschichte zu studieren, während sein älterer Bruder Alex Feuerwehrmann bleibt und später »Securist« wird. »Die goldene Zeit der Denunzianten hatte begonnen« (S.  274). Anfang 1957 trifft es Victor  – man verhaftet ihn im Hörsaal der Universität und wirft ihn als »Klassenfeind« für sieben Jahre ins Gefängnis. Wie grausam es dort zuging, wie selbstverständlich dort tagtäglich gestorben wurde und wie man nur mit hartnäckigem Trotz, verbunden mit List und Tücke und einigem Glück, überleben konnte, wird detailliert und bewegend erzählt – bedrückende Gefängnisszenen, die mit der großen europäischen Kerkerund Lagerprosa des 20. Jahrhunderts allemal mithalten können. Victor bleibt über 1964 hinaus gezeichnet – mit »Eigenheiten« wie: »Dass ich nicht nur zu Hause, sondern auch auf Besuch die Essensreste und die Brotkrümel einsammle, genauso wie in der Zelle. Dass mich das Geräusch eines Schlüsselbundes erschreckt und ich, wenn mir jemand zu nahekommt, reflexartig den Arm hebe. Dass ich, wenn ich einen Streifenpolizisten sehe, zu zittern beginne und die Straßenseite wechseln muss« (S.  144). Als er gebrochen und gedemütigt aus der Haft entlassen wird, hat er weder Freunde noch Arbeit – später darf er als zeitlebens armer, nur durch seine Ehefrau Magda getrösteter Schneider existieren. »Nichts würde sich ändern, und es genügte schon, wenn es nicht noch SpiEgElungEn 2.22

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schlimmer würde« (S.  221). Mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter Iana erlebt er die Perestroika-Epoche, den Aufstand von Temeswar und das Ende der Ceaușescus. Wird es endlich besser? »Der Securist hat Angst. Jetzt fange ich auch an, daran zu glauben«, stellt Victor fest (S. 226). Wurde es besser? Vielleicht. Aber richtig glücklich wird Victor niemals mehr. Ein Schicksal, das er, wie der Text sehr deutlich macht, mit vielen Bukarestern teilt. »Wir haben früh gelernt, bei Carol II., bei Antonescu, vielleicht noch früher, bei den Großgrundbesitzern, den Osmanen, den Russen, den Habsburgern, den Ungarn, wie wertvoll es ist zu schweigen. Es rettet Leben, in erster Linie das eigene. Sich zu ducken, in die Wälder zu flüchten, sich unsichtbar machen, klagen, ohne sich aufzulehnen, sich mit teuflischen Verhältnissen zu arrangieren, das hat dafür gesorgt, dass wir zwar erobert, aber nicht ausgelöscht wurden […] Die kommunistischen Führer waren nicht die Ersten, sie profitierten von einer langen Tradition der Fügsamkeit« (S.  257f.). Aber es gab immer auch eine andere Tradition, und die wird im letzten Satz des Romans noch einmal beschworen. Denn selbst wenn er längst seine ursprüngliche Funktion verloren hat und nur noch als Museum existiert, galt immer und gilt weiterhin: »Der Turm schützt uns« (S. 356). Catalin Dorian Florescu kennt die Geschichte der Stadt Bukarest, die man mit einigem Recht auch als »Stafettenlauf der Diktatoren« (S. 247) betrachten kann, inund auswendig, und gelegentlich prunkt er ein wenig mit seinem profunden Wissen. Dennoch hat man nie den Eindruck, hier wolle jemand Stadtgeschichte oder gar Landeskunde romanhaft bebildern. Historie und Fiktion verschränken sich zu einem plausibel erzählten, dichten Romanteppich. Selbst wo Sarkasmus oder Komik zu ihrem Recht kommen  – im Vordergrund stehen immer die EmpaSpiEgElungEn 2.22

thie mit den Figuren und Erzählstimmen sowie deren bisweilen fast zärtlicher, jedenfalls sehr menschlicher Humor. Man hat sich bestens unterhalten, und man hat viel gelernt – lässt sich Schöneres über einen historischen Roman sagen? Die Stadt Bukarest jedenfalls ist um ein bemerkenswertes literarisches Denkmal reicher. Klaus Hübner Eine Küchenschabe namens nikita Franz Hodjak: Was nie wieder kommt. Gedichte. Wenzendorf: Stadtlichter presse 2022. 79 S.

Man mag es kaum glauben, aber es gibt sie noch, die sogenannte rumäniendeutsche Literatur. Sie wächst weiter an, wenn auch nur schleppend, denn ihre Hauptvertreter – Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen, die bekanntesten von ihnen sind um die siebzig und älter – werden weniger, publizieren weniger, blieben ohne literarische Nachkommen. Irgendwann fanden sich die meisten in Deutschland wieder. Ihre Übersiedlung trug, je nachdem, wann sie erfolgte, Namen wie Flucht, Ausbürgerung, Ausreise oder Emigration. Einige verließen schon in den 1960er- und 1970er-Jahren ihr Geburtsland Rumänien, die meisten in den 1980er-Jahren. Wiederum andere erst nach der rumänischen Zeitenwende des Winters 1989. Zu diesen gehört der Siebenbürger Sachse Franz Hodjak. Geboren im September 1944 in Hermannstadt und damit unmittelbar nach dem Sturz der rumänischen Militärdiktatur des Faschisten Ion Antonescu, durchlebt er seit 1992, das ist das Jahr seiner Übersiedlung nach Deutschland, sein viertes politisches System: Monarchie, Volksrepublik, sozialistische Republik, Demokratie westlicher Prägung. Die Gründe des ungewöhnlich langen Verbleibs des ehemaligen Lektors im sozialistischen Rumänien und seine damit verbundenen Hoffnungen sowie 253

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zerstörten Illusionen mag die Literaturforschung ausdiskutieren. Sie wird auf das Wesentliches erläuternde Nachwort eingehen müssen, das ein anderer rumäniendeutscher Schriftsteller, nämlich Werner Söllner, zu Siebenbürgische Sprechübung beitrug. Der Auswahlband mit Gedichten erschien 1990 bei Suhrkamp und gehört neben sehnsucht nach feigenschnaps, das 1988 in der DDR bei Aufbau herauskam, zu den bekanntesten Büchern von Hodjak, der nicht nur Lyrik schreibt, sondern auch Romane und Aphorismen. Mehr als zwei Dutzend Bücher listet die Bibliografie von Hodjak auf. Und seit 1971, als er mit dem Gedichtbändchen Brachland debütierte, heimste er, und das nur in Deutschland, über zehn Preise, Stipendien und Stadtschreiberämter ein. Er bekam etwa einen der begehrten Unterpreise beim Bachmannpreis in Klagenfurt und war Dozent der renommierten Frankfurter Poetikvorlesung. Und trotzdem: Seit knapp zwei Jahrzehnten ist es seltsam still um ihn. Das hat einen Grund: 2003 veröffentlichte Hodjak seine letzte von insgesamt acht Suhrkamp-Publikationen. Seitdem ist er zum Nomaden zwischen kleineren Independent-Verlagen geworden. Seine neueste lyrische Publikation heißt Was nie wieder kommt und wurde von der Stadtlichter Presse herausgebracht, die auf die Vermittlung von Texten der Beat-Generation spezialisiert ist. Ihren herausragenden Gestalten  – Ginsberg, Burroughs, Kerouac – lag es an der Entwicklung einer neuen Stilrichtung und an solchen brennenden Themen ihrer Subkultur wie Sexualität, Drogen, Jazz, Neoromantik, Neospiritualität, Erweiterung des Bewusstseins, Erforschung des Unbewussten und anderen. Nun ist Hodjak kein Beat-Poet, Paul Celan liegt ihm zum Beispiel viel näher, und doch lassen sich einige dünne Zusammenhangsfäden ausmachen, die ihn 254

in Was nie wieder kommt mit der BeatGeneration verbinden: Zum einen sind seine gut siebzig neuen Gedichte formal nicht auf einen Begriff zu bringen. Sie sind mal kürzer, mal länger, mal in streng strukturierte Strophen unterteilt, mal monolithisch in Gestalt. Es gibt keine Kapitelunterteilungen  – und doch eine Logik, nach der sich der Gedichtband über bestimmte Bilder, Semantiken und/oder Wortgruppen (etwa über das titelgebende Verb »kommen« und sein Pendant »gehen«) von Text zu Text weiterhangelt und zum Ende hin entwickelt. Zum anderen verbindet Hodjak mit der Beat-Generation eine ausgeprägte Liebe zur Musik, von klassischer Musik wie in Klavierfluch (S.  62), Wer spielt wo Rachmaninow (S.  51) und Smetana im Hintergrund (S. 70) bis hin zu Jazz-Musik wie in Jazz-Keller (S.  21) und Übergänge (S.  47): »Als blase [Louis] Armstrong / auf einer Waldlichtung in / seine Trompete. / Eine Weile sitzt du // im Wald und hörst / dem Virtuosen zu. Man / spürt deutlich / wie bei dieser Musik // der Frühling in den / Sommer übergeht«. Und in dem titelgebenden Gedicht (S. 6) hört das lyrische Ich, das in anderen Texten als lyrisches Du auftritt, Janis Joplin. Doch dann hört es mit den Gemeinsamkeiten schon auf, was am deutlichsten beim Thema Religion/Spiritualität zum Ausdruck kommt, die geradezu spöttisch abgelehnt wird wie in Siegeszug (S. 26). Und in Shaka laka (S. 13) werden die »Ewiggestrigen« gegen jene ausgespielt, die von Hegels Begriff der Dialektik überzeugt sind: Die Ewiggestrigen »glauben weiter an / den Papst und die // Verbannung und Verbrennung«. Die Texte, in denen sich Hodjak der Religion annimmt, gehören zu den schwächeren, weil sie in ihrem Moralisieren der religiösen Diversität der Glaubensrichtungen und -praktiken nicht gerecht werden, mit einer Ausnahme vielleicht: In Von Nord nach Süd (S. 43) wird immerhin einem InSpiEgElungEn 2.22

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strument nachgetrauert, das bei religiösen Ritualen Verwendung findet: »Friedhofsglocken / werden gestohlen. Was / ist nur // los? Dass der Mensch / immer mehr verroht, ist bekannt, / aber so? Dass // sich genug Spender / finden, um die Glocken / zu ersetzen, gibt // Hoffnung. Vor allem, / weil auch viele Atheisten / zu den Spendern / gehören«. Dass Hodjak zudem kein ausgesprochen politischer Dichter ist, ist allgemein bekannt. Auch im aktuellen Gedichtband ist er es nicht. Darin dominieren der Alltag, gesellschaftliche Phänomene und die Probleme, die sich, wie es scheint, mit fortschreitendem Alter und überhaupt jenem stellen, der eine Vita contemplativa führt: die in den Vordergrund tretenden Fragen nach Zukunftsperspektiven und Ungewissheiten, das sich verändernde Selbst nach einem Krankenhausaufenthalt und dessen frühzeitigem Abbruch, die bisweilen nostalgischen Gefühle gegenüber Vergangenem, die Einsamkeit, die Trauerarbeit oder die Kindheitserinnerungen an Armut. »Weshalb denkt man so / oft an die Kindheit«, fragt sich das Ich in Verschwundene Schatten (S. 60). Doch es gibt in den Gedichten auch Hoffnung und Zuversicht, die durch unerwartete Praktiken hervorgerufen werden wie beim Schnaps brennen (S.  23) im Oktober, bei dem »offene Rechnungen« beglichen werden: »Hauptsache, / man streitet, versöhnt / sich, begleicht offene Rechnungen. / Der Mensch braucht so eine / Freude«. Hodjaks Poesie ist eine der leisen, der unaufgeregten (zwischen-)menschlichen Töne, fast schon unspektakulär, aber umso eindringlicher, wenn sie sich mit der Undefinierbarkeit von Identitäten und mit den Grenzen von Selbstakzeptanz auseinandersetzt. Dass diese Poesie ihren Ursprung im Überlauten hat, überrascht angesichts eines Dialektik zelebrierenden Lebens keineswegs: In Silbermannorgel (S. 72) wird eine seltene ReSpiEgElungEn 2.22

ferenz an die rumänische Vergangenheit eingestreut: »Schneewehen / erinnern an Zeiten, als auf die Sprache / geschossen wurde. Der Kompass zeigte / zwar den Weg, aber schon nach / wenigen Schritten kam der erste Grenzzaun«. Wo Hodjaks Poesie aphoristisch und sentenzenhaft und dadurch lauter wird, verliert sie wiederum an poetischer Kraft. Das macht aber nichts. Denn dann kommen Bilder, die für alles entlohnen. Ein paar Beispiele: Mikado (S.  40) beginnt so: »Das Glück ist ein Spiel, / und das fragilste / Glück ist das Mikadospiel. / Man lernt wie / das Zittern jede Mühe / zerstört. Es ist eine Zeit, in der / man daran erinnert wird, / was die nächste / Zeit bringen / könnte oder nicht«. Im hochkomischen und vergnüglichen Gedicht Nikita (S. 56) geht es um Küchenschaben als »Strohhalm in der Einsamkeit« und speziell um die Küchenschabe »Nikita«, die bei »Klängen / des Lieds Nikita von Elton John« beerdigt wird: »Nun geht sie den Weg / in den Himmel der Brotbrösel / und Wurstkrümel«. In Birnbaum (S.  58) geht es um die Umarmung eines Birnbaums: »Das geht niemanden etwas / an, ob du in die Klapsmühle / gehörst oder nicht«. Und in Fahnen (S. 73) kommt das vielleicht schönste Bild vor: »Licht hält die Welt zusammen / mit goldenen Spangen«. Alexandru Bulucz »Mit sympathischer tinte geschrieben« Ioana pârvulescu: Wo die Hunde in drei Sprachen bellen. aus dem Rumänischen von Georg aescht. Wien: paul Zsolnay Verlag 2021. 363 S.

Ioana Pârvulescus Roman ist ein Zitat von Dostojewskij vorangestellt, das ein zentrales Thema ankündigt: »Wenn man ins Leben viele solche Erinnerungen mit sich nehmen kann, so ist der Mensch für sein ganzes Leben gerettet«. Dabei schaffen Erinnerungen eine Vergangenheit, 255

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die laut den Schlusszeilen des Buches »mit sympathischer Tinte geschrieben« (S. 361) ist und angehaucht werden muss, um sichtbar zu werden. Einfühlsam und im Bewusstsein ihrer Vergänglichkeit werden die Kindheitserinnerungen der Ich-Erzählerin beziehungsweise von vier Kindern, die in einem Haus in der Strada Maiakowski in Kronstadt wohnen, aufgeschrieben. Der rumänische Originaltitel Inocenții [Die Unschuldigen] bezieht sich auf diese vier Kinder, während der vom Verlag bevorzugte deutsche Titel des Romans die multikulturelle Stadt, die »eine Art rumänisches London« war, da man nicht ohne Regenmantel ausgehen konnte (S. 55), in den Fokus rückt. Die Ich-Erzählerin präsentiert dem direkt angesprochenen lesenden Du (S.  19) die vergangene Welt aus einer kindlich naiven Perspektive: »Weil du nicht in Siebenbürgen aufgewachsen bist und keine Geschwister oder Cousins in der Honterus-Schule hattest, muss ich dir erklären, dass diese Bahnen Glitschen hießen, von glitschen wie rutschen. Auch die Wörter selbst rutschten in Kronstadt von einer Sprache in die andere, mit hoher Geschwindigkeit und Grazie, als trügen sie Schlittschuhe« (S. 287). Damit im Einklang müssen die vier Kinder zusätzlich zu den lokal gesprochenen Sprachen (Rumänisch, Ungarisch, Deutsch) auch ein bisschen Englisch, Italienisch und Französisch lernen. Ihre Sprachlehrerin beziehungsweise Tante spricht sogar Esperanto, und ihr stets ironischer Onkel bemerkt diesbezüglich: »Wenn doch auch die Hunde in drei Sprachen bellten, war es eine Schande, dass wir weniger Fremdsprachen konnten als ein Vierbeiner« (S. 38). In einer der zahlreichen humorvollen Szenen prüft dann die Ich-Erzählerin die Mehrsprachigkeit der Hunde. Als Hauptperson des Romans wird auch das »Haus in der Strada Maiakowski (ehemals und nachmals Sfântu Ioan)« 256

(S. 10) präsentiert. Es hat, wie die anderen Häuser der Straße, ein menschliches Gesicht und einen »Lebenslauf«, auf den das erste Kapitel eingeht und zu dem auch die Vorstellung der Bewohner gehört, dass sie das Haus »frisst« beziehungsweise ausspuckt, da sie durch seinen Mund ein- und ausgehen. Allerdings »[kommen] sehr viele Irrungen und Wirrungen in einem Haus […] von ihnen, von den unsichtbaren Menschen« (S.  53), sodass die mit dem Gebäude verbundenen Geschichten ein von kindlicher Naivität und Ehrlichkeit geprägtes Gesellschaftspanorama ergeben, das aus der sehr reichen Kronstadt-Literatur heraussticht. Die Schilderungen kindlicher Abenteuer wie der »Operation Loch«, während der nach einem im Haus verborgenen Schatz gesucht wird, oder der Geheimgesellschaft GVW (Gesellschaft zur Verbesserung der Welt) lockern die sonst oft bedrückenden Geschichten der Familienmitglieder oder Nachbarn auf, die aus politischen oder privaten Gründen (zum Beispiel wegen einer Mischehe) Widerstand leisten mussten. Mit viel Sprachwitz beleuchtet die Ich-Erzählerin, die Metaphern nicht verstehen kann und sie wortwörtlich deutet, den Alltag in einem unterdrückenden System, in dem sich Kinder historische Ereignisse wie die Deportation des Nachbarn aus mehreren Gesprächen zusammenreimen müssen (S. 99). Sie ist, wie sie mehrfach betont, nicht an der Geschichte interessiert, sondern an Geschichten von erwachsenen Familienmitgliedern und Freunden, die sie immer im Lichte ihrer Lektüren interpretiert. Dabei holt sie 1968 die Geschichte auch ein (S. 131, S. 148) und sie freut sich dank der vorübergehenden Lockerung über die »amerikanische Periode« (S.  153) der Kindheit, in der sie sich auch die Fernsehserie Invaders und deren Folge The Innocents (man denke an den rumänischen Buchtitel) anschauen kann. SpiEgElungEn 2.22

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Die zahlreichen Exkurse zur Stadtgeschichte lassen unterschiedliche Narrative in den Roman einfließen, zugleich reflektiert sich der polyphone Text selbst auf einer Metaebene, als er etwa ausgehend von einem Geheimnis aus der Kindheit nach dem geheimen Leben eines Buches fragt (S.  89). An anderer Stelle wird ein Kindheitsgeheimnis erst nach Jahrzehnten und nur teilweise gelöst (S. 193). Der intertextuelle Horizont reicht im Einklang mit der kindlichen und dann erwachsenen Perspektive der Ich-Erzählerin, Studentin in Bukarest, von Wilhelm Hauff und Karl May bis zur Ilias, Meister Eckhart, Thomas Mann oder Sextil Pușcariu. Der zunächst drohende »Weltuntergang«, das heißt der Abriss des Hauses, bleibt zwar aus, durch den »Tod« einiger Nachbarhäuser kommt es jedoch zu grundlegenden Veränderungen, etwa zur baldigen Auswanderung deutscher Nachbarn. Die Auswirkungen solcher Ereignisse auf den kindlichen Alltag dämpfen die Situationskomik, die durch sprachliche Pointen wie etwa den stets wiederholten Ausdruck des genannten Onkels »Dieses Schwein von einem Ninel!« (S.  47) erzeugt wird. Sobald man das letzte Wort von rechts nach links liest, ist der politische Hinweis entziffert. Ioana Pârvulescus Roman, der von Georg Aescht hervorragend ins Deutsche übertragen wurde, bereichert den literarischen Erinnerungsort Kronstadt um eine neue, kindliche Perspektive: Die erzählten Begebenheiten führen in »eine andere Welt«, in der »Nicht nur die Geschichte, die das Alltagsleben der Menschen in den Hintergrund webt, eine andere [war], auch die Gegenstände, die ihre Handlungen bestimmen, waren anders« (S. 9). In diesem Sinn kommt auch dem personifizierten Haus in der Strada Maiakowski ein besonderes Augenmerk zu. Die Menschen jedoch könnten auch im heutigen Kontext verstanden werden, SpiEgElungEn 2.22

so der Prolog, dessen subtile Ironie sich durch den Roman zieht. Einem Teig ähnlich, mit dem die Stadt verglichen wird (S. 81), verfährt der Text mit literarischen Konstanten: Topoi wie die Zinne, die Glocken von Kronstadt, der Schwarze und der Weiße Turm, das Hotel Aro oder die Karpaten fügt er etwa vor dem Hintergrund einer abenteuerlichen Spionagegeschichte zu etwas Neuem zusammen. Enikő Dácz corona, unter anderem Ilma Rakusa: Kein Tag ohne. Gedichte. Graz, Wien: literaturverlag Droschl 2022. 247 S.

Am 22.  Oktober 2020 notiert die in der Slowakei geborene, mit zahlreichen bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnete Zürcher Schriftstellerin, Essayistin, Literaturkritikerin und Übersetzerin Ilma Rakusa: »Die Sonne ist nicht eckig geworden / sie scheint noch / die Blätter fallen / steigend nur die CoronaZahlen« (S.  7). Damit ist ein Hauptthema ihres jüngsten Buchs angeschlagen, das Gedichte versammelt, die von jenem Herbsttag an bis zum 22.  Februar 2022 entstanden sind. Der Buchtitel Kein Tag ohne ist zwar nicht ganz wörtlich zu nehmen, doch eine Art lyrische Chronik dieser noch nicht so lange zurückliegenden Monate bietet der Band allemal. »Maskenzauber vergiss es / hygienisch taumeln wir durchs Leben / mit Mundschutz Abstandsregeln / total desinfiziert / emotional kastriert / Zombies in viralen Zeiten / kurz davor in Wahnsinn abzugleiten / ach Maskenspiel das anderes meinte: / Verwandlung« (S.  112). Es waren ja nicht nur Pandemie-Monate, »gelockdownte Zeit« (S.  100), sondern auch Zeiten, in denen sich die Weltpolitik erheblich veränderte, und das gewiss nicht zum Besseren. Die Texte sprechen auch von der Rückeroberung Kabuls 257

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durch die Taliban, der brutalen Niederschlagung der Demokratiebewegung in Belarus, den Gewaltmaßnahmen gegen die Uiguren im Westen Chinas, den Entwicklungen in Myanmar oder Kasachstan, dem Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine und anderen Geschehnissen, und deshalb ist es sicher richtig zu sagen, dass Kein Tag ohne auch Ilma Rakusas bisher politischstes Buch ist. Die Fakten sind bedrückend, die Aussichten sind es auch: »[…] ich liege / lausche / in Vorahnung von Karambolagen« (S.  93). Dass ihre der Chronologie nach angeordneten Gedichte noch viel mehr zu bieten haben, deutet die Autorin selber an: »Es sind spontane Notate, Traumprotokolle, Reflexionen über Bilder, Lektüren, politische Ereignisse und pandemische (Ver-)Stimmungen« (S. 239). Ilma Rakusas filigrane, immer konkret im Hier und Heute verankerte Sprachgebilde leben, wie das schon in ihrem Band Impressum: Langsames Licht (2016) zu beobachten war, vor allem durch ihren Rhythmus  – ein lyrisch-musikalisches Dauer-Parlando, das, manchmal verspielt und manchmal verängstigt, den Tagen eine eigenwillige und feinsinnige poetische Form gibt. Was die Sprache des Bandes betrifft, darf man sich gelegentlich an Dichter erinnert fühlen, die normalerweise nicht mit Ilma Rakusa in Zusammenhang gebracht werden, an den späten Jürgen Becker etwa, an Nicolas Born oder Rolf Dieter Brinkmann. Sinnliche Naturbilder, ephemere Augenblicks-Eindrücke werden sprachzauberisch eingefangen, zum Beispiel am 16. Januar 2021: »Schneetaifun Frau Holle / die Straßen gleichen Pisten / wo bleibt der Elch / ich hisse Friedensfahnen / in Kleinsibirien / am Zürichberg« (S.  59). Die geistige Präsenz von literarischen Begleiterinnen und Kollegen verwandelt sich in souverän gebaute Verse  – Marina Zwetajewa, Ilse Aichinger, Friederike 258

Mayröcker, Elke Erb, Thomas Kunst, Clemens J. Setz, Serhij Zhadan und andere Künstlerinnen und Künstler hinterlassen ihre Spuren. Es finden sich Gedichte wie Aichingers grüner Esel mit den Anfangszeilen »Kleist Moos Fasane / wieder folge ich ihren Schlängelpfaden« (S. 62), oder Marina grüßt von fern, das wie folgt beginnt: »Zwetajewa / sie twittert nicht / sie ist weit oben / beim Herrn vielleicht« (S. 72). Immer wieder schmerzhaft spürbar wird die Trauer über unwiederbringliche Verluste, vor allem auch über Menschen, die der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts zum Opfer fielen: »Was bleibt von den Toten? / von Großmutters Bruder / der mit neunzehn fiel / an der Galizischen Front?« (S. 33). Mit der Trauer um Verlorenes verbindet die kosmopolitische Mitteleuropäerin und eminente Osteuropa-Expertin Ilma Rakusa die Sehnsucht nach einem einigermaßen intakten Europa  – heute lebe man eher auf einem »abgedroschenen Kontinent / der sich vor Viren fürchtet und / Wirren obendrein« (S.  14). Das muss man als Feststellung lesen und nicht als billige Klage. »Lamentos bleiben außen vor / es gibt kein Siegen / es gibt Gelingen manchmal in den kleinen Dingen / wenn eine Silbe zu der anderen passt als wär es Liebe« (S. 14). Zu einem gelungenen Tag gehört gewiss auch die Freude an der Enkelin Ella – die nett gemeinten, verniedlichenden Verszeilen, die ihr gelten, zeigen Ilma Rakusa allerdings nicht unbedingt als versierte Lyrikerin. Man könnte die »mit keckem Näschen« ausgestattete Ella (S. 89) zu den kleinen Dingen rechnen, aber sie sorgt für Freude in der Tristesse, und das ist viel. Denn über die großen Dinge, über’s Weltgeschehen, kann kaum Freude aufkommen. »[…] es hagelt Schmerz / aus allen Nachrichtenkanälen / zu viel auf einmal« (S.  20). Was kann man tun? Kann man überhaupt irgendetwas tun? Ist man dem Lauf der Zeiten SpiEgElungEn 2.22

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einfach ausgeliefert? »Sie sagt: ich will / Sie sagt: ich kann / Sie sagt: ich vertraue meinem Immunsystem / Ich sage nichts« (S.  15). Was beim Registrieren eigener Befindlichkeiten und beim Nachdenken über Pandemie, Terrorismus und Krieg nahezu unvermeidlich ist, ist die Angst, und sie erscheint hier als ständige Begleiterin der wechselvollen Zeitläufte, deren Signum »Bitterkeit« heißt (S. 106). »Angst hält mich in Schach / ach / die Nieren« (S. 28). Der Tod ist präsent, auch wenn das Leben scheinbar unaufhörlich weitergeht: »Die Risse sind nicht ahnbar / bis sie plötzlich da sind / zack / das Leben sich teilt in / Davor und Danach« (S.  179). Eine erlösende Alternative ist nicht in Sicht, auch und gerade für Poetinnen und Dichter nicht. »Gedicht, du schaffst es nicht / die Welt zu verändern« (S.  124). Aber es gibt die Sprache, man kann mit ihr spielen, und dann ist doch eine Veränderung in der Welt, wenn auch nur eine winzige – siehe die poetische Reflexion Was sind Grenzen, in der es heißt: »Grenzen also / die Wahrheit ist: / nie werd ich mich an sie gewöhnen / g wie grausam / r wie rau / e wie eng / n wie nötigend / z wie zähmend / e wie eisern / n wie nebulös« (S. 204). In den Wochen vor dem 24.  Februar 2022 geraten die Nachrichten aus der Ukraine immer unabweisbarer ins Blickfeld  – eine ungeheuerliche Zeitenwende bahnt sich an: »[…] ein düsterer Autokrat / mit Allmachtsphantasien / der Ukraina beim Wort nimmt: / Grenzland auf Russisch« (S. 220). Ilma Rakusa hat ihren Gedichten sogar noch ein von schierem Entsetzen geprägtes Postscriptum angehängt, datiert auf den 26.  Februar 2022. Fassungslos verfolgt sie das Geschehen, und ihre Fragen sind die Fragen aller Menschen, nicht nur in Europa: »[…] Bestien der Grausamkeit / sind das Brudermanieren? / dieser Hass im Großformat?« (S. 234). Man weiß und man spürt: Seit 2020 ist die Welt eine andere geworSpiEgElungEn 2.22

den, und fast unmerklich haben auch wir uns verändert. Diesen Prozess anhand der Gedichte von Ilma Rakusa zu reflektieren und den jüngst vergangenen Monaten mithilfe ihrer Lyrik nachzuspüren, sei nachdrücklich empfohlen. Klaus Hübner Mit dem tod auf der Bank Horst Samson: Der Tod ist noch am leben. Gedichte. mit 23 Zeichnungen von Gert Fabritius. ludwigsburg: pop Verlag 2022. 206 S.

»Was sage ich, was // Fange ich an, / Wenn der Tod eines Tages // Vor der Tür steht« (S.  42) könnte die leitende Frage von Horst Samsons sechstem im Pop Verlag erschienenen Gedichtband sein (sieht man von der genreüberschreitenden Sammlung Heimat als Versuchung  – Das nackte Leben ab). Oder aber die Frage danach, wie man als Lebender, Beteiligter oder Unbeteiligter, mit dem allgegenwärtigen Phänomen des Todes umgehen soll. Samsons Antwort ist ein Band, der mit und gegen den Tod spricht, aber auch für und durch ihn und der Auseinandersetzung letztendlich eine Art Optimismus für das Leben abgewinnt, was sich auch in Gert Fabritius’ ironisch gebrochenen, farbenfrohen Illustrationen widerspiegelt. Der Band vereint Gedichte aus fünf Jahrzehnten, manche davon früheren Bänden entnommen, die meisten aber nicht veröffentlichte Texte aus verschiedenen Lebensabschnitten des Autors, wobei Texte aus den letzten zehn Jahren überwiegen. Das Konzept des Bandes lädt indes weniger dazu ein, die Gedichte durch eine biografische Linse zu sichten, als es Samsons frühere Bände getan haben. Nichtdestotrotz können die dem Band vorangestellten, wenigen Anhaltspunkte aus dem Leben des 1954 während der Deportation der Eltern aus dem Banat in der unwirtlichen Tiefebene im 259

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Südwesten Rumäniens geborenen Dichters, der sich im Gedicht Tango Mortis – Ein Triptychon als »Steppenwolf / Vom Baragan« (S.  117) vorstellt, die Texte stellenweise erhellen. Ein tief in der Biografie des Autors verankerter Text ist das laut Notiz im Sommer 1986 konzipierte, dem Schriftsteller und Soziologen Anton Sterbling, einem Mitbegründer der regimekritischen Aktionsgruppe Banat gewidmete und bislang nicht veröffentlichte, mehrteilige Gedicht Verscharrte Zeit. Ode an die Grenze. Das Gedicht vermittelt in schonungsloser, unumwundener Sprache Angst und Verzweiflung einer unter (Publikations-) Verbot stehenden und mit Mord bedrohten Existenz, eine wichtige Ergänzung zu Samsons lyrischem Epos La Victoire (2003), das die Erfahrung des Autors unter der rumänischen Diktatur bis zu seiner Emigration 1987 verarbeitet. In den Gedichten Das Lied vom Tod und Das Zweite Lied vom Tod nimmt Samson das in La Victoire zentrale Motiv des Bahnhofs als Krisenheterotopie wieder auf, arbeitet den Nachklang der Grenzerfahrung über die Jahrzehnte hinweg aus. Die Erfahrungsskala der im Band gesammelten Texte ist jedoch breiter. Zum persönlich Erlebten gesellt sich historisch Überliefertes, erwähnt werden Weltkrieg und Schoah, Kolonialismus und Kommunismus, Krebs und Covid, die Antike und unsere vernetzte Konsumgesellschaft. Östliche, westliche, südliche und nördliche Landschaften und die darin verwobenen menschlichen Schicksale wechseln sich ab. Der Tod erscheint in mannigfaltigen Schattierungen, von Vorahnung zu Gewissheit, vom quälenden Auslaufen der Minuten, dem langsamen Hinsiechen der Landschaften oder des Gedächtnisses zu plötzlichen, irreversiblen Einschnitten in die individuelle oder kollektive Geschichte. Dagegen wirken die allegorischen Repräsentationen des Todes, vom Mann mit 260

der Sense zum Gentleman in Frack und Lackschuhen, weniger befriedigend. Wiederkehrend ist auch das der Lyrik grundlegende Thema der Sprache, des Schreibens im Wettlauf mit der Zeit. »Niemals aufgeben, nichts, // Keinen Satz so lange du lebst« (S. 7), spornt das Eingangsgedicht an, während Die Botschaft der Tauben die Angst davor artikuliert, nicht alles gesagt zu bekommen, bevor es zu spät ist: »Was sage ich, was // Fange ich an, / Wenn der Tod eines Tages // Vor der Tür steht, // Meine Brust aufbricht / Wie eine Kirchentür // Und eine Million Gedichte // In den Himmel flattern?« (S. 42). Doch die Sprache kann nicht immer dem Tod standhalten. Manchmal sind Wörter seine Verbündeten, sind doppelschneidig. »Getarnt als Einschläge«, machen sie aus dem Ich einen »potentielle[n] Mörder auf der Jagd nach Sprache« (S. 7), heißt es im programmatischen ersten Gedicht des Bandes, das mit einem Zitat aus Goethes Faust an das Prekäre der menschlichen Behausung in der Welt erinnert. Wir zerreden die Geschichte und verlieren ihre Spuren »im nicht Beschreibbaren« (S.  59). Oder die Sprache zerredet uns, bis wir nur noch Kopien unserer selbst, »schwer lesbar[e] Plagiat[e]« (S.  97) sind, dem Verschwinden preisgegeben. Im auf die eigene Akte des rumänischen Geheimdienstes anspielenden Gedicht Verrat & Tod ist die Sprache ein Instrument des Terrors, der noch viele Jahre nach dem Entkommen der eigentlichen Bespitzelung durch die Securitate nachwirkt. Wenn »Legenden, / Heldensagen und die Literatur« (S.  28) bleiben, verwebt Samson Homer, Mallarmé, Apollinaire und Nietzsche, aber auch Miklós Radnóti, Fernando Pessoa und immer wieder Paul Celan als sprachliche, bildliche oder namentlich genannte Orientierungspunkte zu einer eigenen Mythologie. Auch bei Samson ist der Tod »natürlich / SpiEgElungEn 2.22

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Ein Meister, ein Genie«, (S. 75) anderswo »ein Meister / Aus doitsche Lande in der Kommunikationsstrategie« (S. 182), aber auch »[e]in Rächer / Aus Griechenland« (S.  27). Das von der Vergangenheit gehetzte Ich ist ein neuzeitlicher Odysseus, beständig den Punkt suchend, an dem die Geschichte anfängt oder zumindest noch nicht untergeht. Das letzte Wort richtet Samson an den Dichter und das literarische Alter Ego Guillaume Apollinaire. Es ist ein Wort

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der Hoffnung angesichts der Unzulänglichkeiten des menschlichen Wesens, das Hoffen auf eine leichte Überfahrt, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, vielleicht auch auf ein mildes Urteil der Nachwelt: »Ich bekreuzige mich, / Ungläubig und leicht / Trunken hoffe ich, / Dass uns die Sonne durchlässt, / Ohne uns die Gurgel zu durchschneiden / Für all das Vernichtende, / Was wir nicht verhindert haben« (S. 186). Raluca Cernahoschi

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Aus dem IKGS Berichtszeitraum März 2022 – September 2022 Spendenaktion für die Bukowina Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Zentrum Gedankendach an der Nationalen Jurij-Fedkowitsch-Universität Czernowitz (ukr. Tscherniwzi) hat das Ikgs nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Wir wollen damit gezielt über das »Netzwerk Gedankendach« in der Region helfen, mit der uns über viele Jahre eine enge Partnerschaft verbindet. Mit den Spenden werden dringend benötigte Güter und Medikamente besorgt. Bis September kamen auf diesem Weg bereits über 270.000 Euro an Spendengeldern zusammen. Mehr Informationen sind auf der Website des Ikgs zu finden. institutsgäste Im März durften wir Dr. Laura Laza und Dr. Ursula Wittstock aus Klausenburg (rum. Cluj-Napoca) als Gastwissenschaftlerinnen im Ikgs begrüßen. Im April war Dr. Diana Cohal aus Jassy (rum. Iași) als Stipendiatin im Institut zu Gast, wo sie zur deutsch-rumänischen Zweisprachigkeit in der Bukowina und zur Entstehung des rumänischen soziopolitischen Wortschatzes forschte. Während März und April unterstützte Laura Schmid (LMU München) das

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Ikgs als Praktikantin, vor allem im Fo-

toarchiv, bei der Spendenaktion »Bukowinahilfe« und im Nachhaltigkeitsprojekt »ikgssustainable«. Im Mai war Zsuzsanna Adrigán (Raab/ Győr und Fünfkirchen/Pécs) als Stipendiatin im Ikgs zu Gast, um an ihrem Dissertationsprojekt zum Sprachverhalten der deutschen Minderheit in den lokalen Presseorganen des Ofner Berglandes von 1990 bis 2019 zu arbeiten. Ab Juni forschte PD Dr. Jochen Töpfer aus Berlin gleich zu zwei Projekten im Rahmen eines Ikgs-Forschungsstipendiums. Er widmete sich den Themen »Religion als Beruf. Rollenbilder und Netzwerke religiöser Eliten in Südosteuropa« und »Friedhöfe als Gesellschaftsbilder«. Assoziierte Wissenschaftlerin des Ikgs Prof. Dr. Raluca Cernahoschi war ebenfalls im Juni für zwei Wochen im Ikgs, um zum Thema »Diskursive Konstruktionen der Südkarpaten« zu forschen. Ab Mitte September durften wir Angelika Hoffmann (Universität Potsdam) als Praktikantin im Ikgs begrüßen, wo sie vor allem im Fotoarchiv arbeitete. lesung mit horst Samson Am 14. März las Horst Samson aus seinen beiden jüngsten Bänden In der Sprache brennt noch Licht und Der Tod ist noch am Leben im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung des Ikgs und des Lyrik SpiEgElungEn 2.22

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Kabinetts München. Es moderierte Niels Beintker vom Bayerischen Rundfunk.

biendeutschen Verein e.  V. in Stuttgart organisiert.

vortrag: »Ost – west Kulturbegegnungen« Im Rahmen der Online-Tagung »Orthodox–evangelische konfessionsverschiedene Ehen und Familien« hielt Ikgs-Mitarbeiterin Dr. Angela Ilić am 24. März einen Vortrag zum Thema »Ost  – West Kulturbegegnungen«. Die Fachtagung war von der Evangelischen Kirche A.  B. in Rumänien und dem Zentrum für Evangelische Theologie Ost in Hermannstadt/ Sibiu in Kooperation mit dem Lutherischen Weltbund organisiert worden.

lehrveranstaltung: »was ist (noch) deutsch?« Ikgs-Direktor Dr. Florian KührerWielach hielt im Sommersemester das Master-Hauptseminar »Was ist (noch) Deutsch?« am Institut für Deutsch als Fremdsprache der Ludwig-MaximiliansUniversität München.

tagungssektion: »die literarische vermessung der Karpaten« Von 19. bis 22. April fand die diesjährige Konferenz der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik online statt, an der sich das Ikgs erneut mit einer eigenen Sektion beteiligte. Das Thema war in diesem Jahr »Die literarische Vermessung der Karpaten« und setze den Themenschwerpunkt der Spiegelungen 1.21 und 2.21 fort. Dr. Enikő Dácz und Prof. Dr. Raluca Cernahoschi organisierten die Sektion und hielten die Vorträge: »›die karpaten wie flecken auf meiner haut‹. Die Karpaten zwischen nationalen und ökokritischen Diskursen bei Thomas Perle« und »Die Karpaten als deutschrumänischer Annäherungsraum«. pd dr. tobias weger am Seminar »Flucht und integration im vergleich« Von 21. bis 24. April nahm Ikgs-Mitarbeiter PD Dr. Tobias Weger als Referent und Moderator am Seminar »Flucht und Integration im Vergleich. Die Dobrudschadeutschen in der DDR und der BRD von 1949 bis heute« teil. Die Veranstaltung fand im Marthahaus in Halle an der Saale statt und wurde vom Haus am Maiberg Heppenheim und dem BessaraSpiEgElungEn 2.22

lehrveranstaltung: »herrschaft, Religionspolitik und glauben im habsburgerreich, im Osmanischen Reich und in den Balkanstaaten (1781–1923)« Im Sommersemester 2022 hielt Dr. Angela Ilić an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz das Hauptseminar »Herrschaft, Religionspolitik und Glauben im Habsburgerreich, im Osmanischen Reich und in den Balkanstaaten (1781–1923)«. lehrveranstaltung: »deutsche Kultur und geschichte im östlichen Europa. geschichte und Erinnerung« PD Dr. Tobias Weger hielt im Sommersemester 2022 eine Vorlesung zum Thema »Deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Geschichte und Erinnerung« an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. vortrag: »die deutschen in Rumänien und ihre vielen wirs« Dr. Florian Kührer-Wielach hielt am 29. April einen Vortrag zum Thema »Die Deutschen in Rumänien und ihre vielen Wirs«. Der Vortrag stand im Rahmen der Jubiläumstagung der Evangelischen Akademie Siebenbürgen Neppendorf (rum. Turnișor), die sich in diesem Jahr dem Thema »Von Minderheit zu Minderheit. Rumäniendeutsche Literatur zwischen Ost und West« widmete und vom 29. April bis 1. Mai online stattfand. Der Vortrag ist auf dem Youtube-Kanal des Ikgs abzurufen.

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projekt »zwischen|grenzen« Das Ikgs war 2021–2022 gemeinsam mit dem Adalbert Stifter Verein München am crossmedialen Projekt »zwischen|grenzen« beteiligt. Ziel des Projekts ist es, kulturgeschichtliches Wissen durch neue digitale Formate zu vermitteln. Dabei nimmt es das Thema »Grenzen« auf vielseitige Weise, etwa in Form von Blogbeiträgen und Podcastfolgen, in den Fokus. vortrag: »Ein nicht eingelöstes versprechen – die umsiedlung der deutschen aus der dobrudscha 1940 und ihre Folgen« PD Dr. Tobias Weger hielt am 4.  Mai einen Vortrag zum Thema »Ein nicht eingelöstes Versprechen  – die Umsiedlung der Deutschen aus der Dobrudscha 1940 und ihre Folgen« am Stadtarchiv Dresden. Der Vortrag fand im Rahmen der Tagung »Versprechen als kulturelle Konfigurationen in politischen Kontexten. Zur Konturierung eines Konzepts« statt, die vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde und dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa von 4. bis 6. Mai organisiert wurde. vortrag: »Kulturelle Brücken schlagen« Am 7. Mai sprach Dr. Angela Ilić im Wiesbadener Rathaus über die Europäische Kulturhauptstadt Novi Sad 2022. In ihrem Vortrag »Kulturelle Brücken schlagen. Novi Sad, Kulturhauptstadt Europas 2022« widmete sie sich der bewegten Geschichte der multikulturellen Stadt Neusatz (sr. Novi Sad, ung. Újvidék). Der Vortrag fand im Rahmen der »Europawoche Hessen 2022« statt und wurde von der Kroatischen Kulturgemeinschaft e. V. Wiesbaden organisiert.

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vortrag: »Banat – atlantis – wunderland – Mittelerde« Ikgs-Mitarbeiterin Dr. Enikő Dácz sprach am 7. Mai zum Thema »Banat  – Atlantis  – Wunderland  – Mittelerde. Orte zwischen Vergangenheit und Zukunft bei Iris Wolff«. Der Vortrag war Teil der Konferenz »Hinwege, Rückwege  – Spurensuche im Werk von Iris Wolff«, die anlässlich der Verleihung des Marie-Luise-Kaschnitz-Preises an Iris Wolff von 6. bis 8. Mai an der Evangelischen Akademie Tutzing stattfand. podiumsgespräch: »deutsche identitäten in Mittel- und Südosteuropa« Am 19. Mai diskutierten die Schriftstellerin Karin Gündisch, Nadine Konnerth-Stanila von der SiebenbürgischSächsischen Jugend in Deutschland und Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung, im Sudetendeutschen Haus München über »Deutsche Identitäten in Mittel- und Südosteuropa«. Der Abend wurde organisiert vom IGKS, der Münchner Volkshochschule, dem Adalbert Stifter Verein und dem Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Es moderierte Ikgs-Direktor Dr. Florian Kührer-Wielach. diskussionsteilnahme bei der Konferenz Europäischer Kirchen Dr. Angela Ilić wurde als Diskussionsteilnehmerin am Online-Diskussionspanel »The Current State of Ecumenism in Europe« eingeladen, der im Rahmen der Vorstandssitzung der Konferenz Europäischer Kirchen/Conference of European Churches am 19. Mai gehalten wurde. Sie sprach über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in Mittel- und Südosteuropa.

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vortrag: »Zwischen imperien, Staaten, Ethnien und Religionen. die dobrudscha als grenzraum im 19. jahrhundert« Am 27.  Mai nahm PD. Dr. Tobias Weger an einer Tagung zum Thema »Die bayerisch-böhmische Grenze als Innovationsraum im ›langen‹ 19.  Jahrhundert« in der Bayerischen Repräsentanz in Prag teil. Dort sprach er zum Thema »Zwischen Imperien, Staaten, Ethnien und Religionen. Die Dobrudscha als Grenzraum im 19. Jahrhundert«. podiumsgespräch: »Oberschlesien und die deutschen. Erinnerung und gegenwart« Am 2.  Juni diskutierten PD Dr. Tobias Weger, Karoline Gill vom Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart und der Politikwissenschaftler Jan Opielka im Sudetendeutschen Haus München über das Thema »Oberschlesien und die Deutschen«. Es moderierte Stefanie Hajak von der Münchner Volkshochschule. vortrag: »brassó ist scheiße. / kronstadt ist eine welt.« Dr. Enikő Dácz hielt am 13. Juni den Vortrag »brassó ist scheiße. / kronstadt ist eine welt. Die literarische Mehrsprachigkeit einer zentraleuropäischen Stadt« am Thementag »Variationen der Mehrsprachigkeit« an der Abteilung für Finno-Ugristik an der Universität Wien. vortrag: »primus truber (1508–1586), ›der slowenische luther‹« Im Rahmen der Fachtagung »Die Reformation der zweiten Generation« sprach Dr. Angela Ilić am 18. Juni in Fresach (Österreich) zum Thema »Bibelübersetzer, Reformator und Brückenbauer Primus Truber«. Veranstalter der Tagung waren die Johannes-Mathesius-Gesellschaft, die Kirchlich-Pädagogische Hochschule Wien-Krems, das Evangelische Forum Fresach und der Museumsverein Fresach. SpiEgElungEn 2.22

Symposium: »der wille zur veränderung – das ist die Realität. 50 jahre aktionsgruppe Banat« Am 23. und 24. Juni fand in Temeswar (rum. Timișoara) das Symposium »Der Wille zur Veränderung – das ist die Realität. 50 Jahre Aktionsgruppe Banat« statt. Im Rahmen der Veranstaltung moderierte Dr. Enikő Dácz eine Podiumsdiskussion zum Thema »Die Aktionsgruppe Banat  – eine postmoderne Wortmeldung? Die Bedeutung der Aktionsgruppe Banat für andere Schriftstellerinnen und Schriftsteller«. »literarischer dialog der generationen« in temeswar Am 24. und 25. Juni fand in Temeswar (rum. Timișoara) ein »literarischer Dialog der Generationen« statt, bei dem sich rumäniendeutsche und ungarndeutsche Autoren und Autorinnen trafen. Es moderierten Prof. Dr. András F. Balogh und Dr. Enikő Dácz. vortrag: »czernowitz/tscherniwzi und die literaturen der Bukowina« Am 28. Juni war der in Czernowitz wirkende Professor für Literatur, Dr. Petro Rychlo, im Literaturhaus Stuttgart zu Gast und sprach dort über »Czernowitz/ Tscherniwzi und die Literaturen der Bukowina«. Die Veranstaltung wurde vom Literaturhaus Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Ikgs und dem Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg organisiert. Es moderierte Dr. Florian Kührer-Wielach. Die Veranstaltung kann auf der Plattform www.dichterlesen.net nachgehört werden. iKgS-Mitarbeiterin dr. angela ilić habilitiert Im Juli habilitierte sich Ikgs-Mitarbeiterin Dr. Angela Ilić an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Mit der Habilitationsschrift »Identitäten in regionalen Zentren der Habsburgermonarchie 1867–1918. Die Fallbeispiele Rijeka

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(Fiume/Reka/St.  Veit am Pflaum) und Maribor (Marburg [an der Drau]« und ihrem Vortrag »Wo sind all die Helden hin? Vom Umgang mit Symbolen der sozialistischen Vergangenheit in Mitteleuropa« erlangte sie die doppelte Venia legendi in den Fächern Neueste Geschichte und Osteuropäische Geschichte. vortrag: »halbmond und Kreuz. politik und alltag in der dobrudscha« Im Rahmen der Mittwochsakademie »Rumänien« der Kreisvolkshochschule Freudenstadt referierte PD Dr. Tobias Weger am 6.  Juli zum Thema »Halbmond und Kreuz. Politik und Alltag in der Dobrudscha«. internationale Konferenz: »Building a nazi Racial community in the SouthEast. Mobility and transnational transfers between nazi germany and the South-Eastern European ›volksdeutsche‹« Von 7. bis 9. Juni fand in Klausenburg (rum. Cluj-Napoca) die Konferenz »Building a Nazi Racial Community in the South-East. Mobility and Transnational Transfers between Nazi Germany and the South-Eastern European ›Volksdeutsche‹« statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom George Barițiu-Institut für Geschichte der Rumänischen Akademie in Zusammenarbeit mit dem Ikgs. Dr. Enikő Dácz hielt den Vortrag »Karl Kurt Klein und Heinrich Zillich als Gestalter des literarischen Transfers zwischen dem Dritten Reich und Rumänien«. nachwuchsseminar und arbeitstagung: »christliche Existenz in totalitären Systemen im 20. jahrhundert« Das Ikgs organisierte gemeinsam mit dem Institut für Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa e. V. (Ikkdos) am 6. und 7. Juli ein Nachwuchsseminar zum Thema »Christliche Existenz in totalitären Systemen im 20. Jahrhundert« in München.

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Zehn Studierende und Doktoranden von der Universität Split nahmen am Seminar teil. Am 6. Juli hielt Mitveranstalterin Dr. Angela Ilić den Vortrag »Christians in Totalitarian Regimes – Selected Portraits: Patriarch Gavrilo (Dožić), Bishop Dr. Nikolaj Velimirović and Bishop Dr. Philipp Popp«. Zahlreiche weitere Persönlichkeiten aus Deutschland und Kroatien sowie Jugoslawien haben die Dozenten und Teilnehmer in ihren Referaten porträtiert und ihre Lebenswege sowie Entscheidungen diskutiert. Zudem besuchte die Gruppe die DenkStätte Weiße Rose in München, die KZ-Gedenkstätte Dachau, und gewann Einblicke in den Nachlass Faulhaber des Erzbischöflichen Archivs München. Am 8. Juli lud das Ikgs gemeinsam mit dem Ikkdos zur eintägigen Arbeitstagung zum gleichen Thema ein. dr. Florian Kührer-wielachs Reise in die Bukowina Seit dem Kriegsbeginn im Februar 2022 engagiert sich das Ikgs München gemeinsam mit der Universität Czernowitz und vielen befreundeten Institutionen und Personen, finanzielle und materielle Hilfe für die ukrainische Nordbukowina zu organisieren. Im Juli hat Ikgs-Direktor Dr. Florian Kührer-Wielach Czernowitz besucht, um Gespräche zu führen, auf akademischer wie humanitärer Ebene Solidarität zu zeigen und sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Seine Reportage kann unter www.ikgs.de/czernowitz2022 nachgelesen werden. Darüber hinaus sind im Zuge der Reise drei Podcast-Folgen für den Ikgs-Podcast »Donauwellen. Der Südostcast« entstanden. vortrag: »der warschauer pakt« PD Dr. Tobias Weger sprach am 22. August auf einem vom Bayerischen Seminar für Politik e.  V. in der Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel am See organiSpiEgElungEn 2.22

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sierten Seminar zum Thema »Der Warschauer Pakt«. tagungssektion: »das neue Fremde/ Eigene. deutschsprachige literarische Felder und akteure in Ostmittel- und Südosteuropa im postimperialen Kontext« Von 2. bis 6. September fand in Konstanza (rum. Constanța) der 12. Internationale Kongress der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens (GGR) statt. Das Ikgs war mit einer eigenen Sektion, die sich dem Thema »Das neue Fremde/Eigene. Deutschsprachige literarische Felder und Akteure in Ostmittel- und Südosteuropa im postimperialen Kontext« widmete vertreten. Für das Ikgs nahmen Dr. Enikő Dácz und PD Dr. Tobias Weger teil. Enikő Dácz referierte über »Positionierungsstrategien in und zwischen literarischen Feldern Kronstadt – Wien – München«, Tobias Weger zum Thema »Postimperiale Kolonialimaginationen. Die Dobrudscha in der Außensicht deutschsprachiger Literaten und Publizisten der Zwischenkriegszeit«. Außerdem hielt Tobias Weger einen Plenarvortrag zum Thema »Kriege, Krankheiten, Katastrophen, Kulturkontakte. Die Dobrudscha als multikulturelle Region im 19. und frühen 20. Jahrhundert« und leitete eine Kongressexkursion, die unter anderem in die bis 1940 zum Teil von Deutschen bewohnte Ortschaft Mihail Kogălniceanu (ehemals: Caramurat) führte. vortrag: »auswirkungen der rumänischen agrarreform von 1921 auf die ländlichen deutschen Kolonisten in der dobrudscha und ihre nachbarn« Am 8. September sprach PD Dr. Tobias Weger in Hermannstadt (rum. Sibiu) zum Thema »Auswirkungen der rumänischen Agrarreform von 1921 auf die ländlichen deutschen Kolonisten in der Dobrudscha und ihre Nachbarn«. Der Vortrag war Teil der vom Arbeitskreis für siebenbürSpiEgElungEn 2.22

gische Landeskunde (AKSL) in Zusammenarbeit mit dem Ikgs organisierten Tagung »Agrarreform in Rumänien im regionalen und internationalen Vergleich in der Zwischenkriegszeit (1918–1938)«. daniel Stadtmüller als Bundesfreiwilligendienstleistender im iKgS Ab 15. September ist Daniel Stadtmüller im Ikgs, um hier seinen Bundesfreiwilligendienst zu leisten. Wir freuen uns auf die Unterstützung im Bereich der Publikationen wie in der Bibliothek! tagung: »Zwischen Bollwerk und Brücke? der habsburgische Südosten Europas. Kultur-Raum-Konzepte seit dem 18. jahrhundert« Von 28. September bis 1. Oktober fand im Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften Hermannstadt (rum. Sibiu) die Tagung »Zwischen Bollwerk und Brücke? Der habsburgische Südosten Europas. Kultur-Raum-Konzepte seit dem 18. Jahrhundert« statt. Neben dem Ikgs traten die Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa e.  V., die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und das Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften Hermannstadt in Zusammenarbeit mit der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg (rum. Cluj-Napoca) als Veranstalter auf. publikationen der iKgS-Mitarbeiter Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Ikgs veröffentlichten zuletzt folgende Beiträge: – Dr. Enikő Dácz: Colonizing a Central European City. Transnational Perspectives on Kronstadt/Brașov/Brassó in the First Half of the Twentieth Century. In: Jenny Watson, Michel Mallet, Hanna E. Schumacher (Hgg.): Tracing German Visions of Eastern Europe in the Twentieth Century

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(Edinburgh German Yearbook 15). Rochester, New York 2022, S. 35–55. – Dr. Enikő Dácz: Kronstadt/Brașov/ Brassó. Eine siebenbürgische Stadt im Dialog der 1920er Jahre. In: Blickwechsel. Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa 10 (2022), S. 14–16. – Dr. Angela Ilić: Isprepletena povijest u multietničkim europskim kulturnim prijestolnicama Rijeka, Novi Sad i Temišvar [Verflochtene Geschichte in den multiethnischen europäischen Kulturhauptstädten Rijeka, Novi Sad und Temeswar]. In: @rhivi 11 (2022), S. 20f.

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– Dr. Florian Kührer-Wielach, Christina von Frankenberg: »17 Ziele, die unsere Welt verändern – die Sustainable Development Goals und ihre Bedeutung für Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen«. In: Nachhaltigkeitsrecht. Zeitschrift für das Recht der nachhaltigen Entwicklung 2 (2022), S. 254f. – PD Dr. Tobias Weger: Die Universität zu Breslau im Spiegel der Presse in den USA (bis 1918). In: Śląska Republika Uczonych/Schlesische Gelehrtenrepublik/Slezská vědecká obec 10. Wrocław 2022, S. 257–292.

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Neuerscheinungen des IKGS Hannelore Baier (Hg.) überwachung und infiltration. die Evangelische Kirche in Rumänien unter kommunistischer herrschaft (1945– 1969). dokumentation Regensburg: Verlag Friedrich pustet 2022, 423 Seiten, EuR 39,95

Die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien (EKR) wurde – wie alle Glaubensgemeinschaften des Landes  – von der herrschenden Rumänischen Kommunistischen Partei (RKP) als Institution eingestuft, die der atheistischen, totalitären Politik im Wege stand; zudem war sie eine identitätsfördernde und die Gemeinschaft sichernde Einrichtung der Siebenbürger Sachsen. Sie behinderte die Integration der deutschen Minderheit in den kommunistischen Transformationsprozess der Gesellschaft. Ziel der RKP war deshalb die Gleichschaltung der EKR: Die Richtlinien gab die RKP vor, als Instrumente für deren Umsetzung dienten die Kultusoberbehörde und der Geheimdienst Securitate. Ihre Strategien und Methoden der Unterwerfung der EKR durch Einmischung und Unterwanderung stießen auf den Widerstand und die Abwehrversuche von Bischof Friedrich Müller. Durch kluges Taktieren und dank guter Beziehungen zu einigen Machthabern des Regimes ist es ihm während seiner Amtszeit (1945–1969) gelungen, die Unterordnung der EKR im kommunisSpiEgElungEn 2.22

tischen Staat auf ein unvermeidliches Mindestmaß zu reduzieren und einige Freiräume für das traditionelle Gemeinschaftsleben der Siebenbürger Sachsen zu bewahren. Enikő Dácz, Florian Kührer-Wielach, oxana matiychuk (Hgg.): Mikrolithen: jenseits von celan/Microlite: dincolo de celan/Мікроліти: Потойбіч Целана . Czernowitz: Bibliothek der deutschsprachigen literatur, meridian des Herzens 2022.

Der vielstimmige Band versammelt die Gewinnertexte des SpiegelungenPreises 2020, die Kurzprosa der Finalisten und die Begründung der Jury. Die ausgezeichneten Autorinnen – Natalie Buchholz, Mariana Codruț und Halyna Jazenko – gehören so wie die Finalisten – Ștefan Bolea, Irina Georgescu Groza, Katharina Hopp, Gregor Stefan Heuwangl, Mykola Iwanow und Maria Mykyzej – unterschiedlichen Generationen an. Neben bereits arrivierten Literatinnen und Literaten freuen wir uns, auch ganz neuen Stimmen Gehör zu verschaffen. Die in drei Sprachen veröffentlichte Minimalprosa knüpft an die Celansche Polyphonie an; einige Texte betrachten seine lyrischen Landschaften thematisch, andere wiederum räumlich durch die unterschiedlichsten Prismen. 269

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Die so zustande gekommenen Brechungen offenbaren einerseits die tiefsitzenden Traumata der Vergangenheit, andererseits die vermeintliche Idylle der Normalität der Gegenwart. Die Grenzen zwischen Außenwelt und subjektiver Wirklichkeit der Figuren lösen sich in einer allgegenwärtig bedrohli-

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chen Atmosphäre auf. Sich solcherart in sprachlicher Vielfalt abzeichnende Facetten eines europäischen Niemandslandes werden in den Illustrationen und Gestaltung Oleh Hryschtschenkos und Olena Staranchuks auf einzigartige Weise visualisiert und reflektiert.

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Ein glänzend geschriebenes grundlegendes Werk

Ludwig Steindorff

Geschichte Kroatiens Vom Mittelalter bis zur Gegenwart 304 Seiten, 35 Abbildungen, Geb. mit Schutzumschlag ISBN 978-3-7917-3132-2 € (D) 29,95 auch als eBook »Das führende deutschsprachige Standardwerk für diese geschichtsträchtige, eng mit Europa verbundene, aber dennoch relativ wenig bekannte Region Südosteuropas, ist fraglos die Geschichte Kroatiens des emeritierten Kieler Osteuropahistorikers Ludwig Steindorff.« IFB »Ludwig Steindorff trägt mit seiner neu aufgelegten Geschichte Kroatiens dazu bei, einem über die Urlaubseindrücke hinaus wenig bekannten Land ein erstaunlich vielfältiges ›Gesicht‹ zu geben, indem er sachkundig und anschaulich den langen Weg eines kleinen standhaften Volkes zu sich selbst und nach Europa beschreibt … Der Autor wird seinem hohen Ziel, am Beispiel Kroatiens mit der ›Geschichte der Anderen‹ und dem gleichzeitigen ›Suchen nach dem Gemeinsamen‹ ein ›Stück europäischer Integrationsarbeit‹ zu leisten, mit diesem gelungenen Porträt in hohem Maße gerecht.« DAS HISTORISCH-POLITISCHE BUCH

Verlag Friedrich Pustet Unser komplettes Programm unter:

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Kulturhauptstädte Europas Ágnes Ózer

Neusatz / Novi Sad Mit einem literarischen Essay von László Végel Kleine Stadtgeschichte 176 Seiten, zahlr. z. T. farb. Abb., kart. ISBN 978-3-7917-3224-4, € (D) 14,95 auch als eBook Novi Sad blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, in der die Stadt ihre Staatszugehörigkeit mehrfach gewechselt und viele Kriege miterlebt hat, zuletzt 1999. Die Kleine Stadtgeschichte zeichnet kompakt und beispielreich die Entwicklung der königlichen Freistadt nach, die heute nach Belgrad die zweitgrößte Stadt Serbiens ist. Konrad Gündisch / Tobias Weger

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Temeswar / Timis‚oara Kleine Stadtgeschichte ca. 144 Seiten, 38 Abbildungen, kart. ISBN 978-3-7917-3225-1, € (D) 16,95 erscheint im Februar, auch als eBook Temesvar ist das historische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Temscher Banats. Durch die Jahrhunderte lebten hier Menschen unterschiedlicher Sprachen und Religionen zusammen: Deutsche, Ungarn, Rumänen, Serben und Juden, während der 150-jährigen osmanischen Herrschaft auch muslimische Türken und andere Völker. Dies prägt die Stadt bis heute in besonderem Maße. Die Kleine Stadtgeschichte erzählt die wechselvolle Geschichte Temesvars seit dem Mittelalter bis heute.

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Spiegelungen Die zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas fördert mit wissenschaftlichen und literarischen Beiträgen sowie Informationen aus der Forschungsregion den grenzüberschreitenden Dialog über Kultur und Geschichte, Literatur und Kunst der Deutschen in und aus Ostmittel- und Südosteuropa. Jede Ausgabe widmet sich einem Schwerpunktthema. Einzelhefte können zum Preis von € (D) 17,– / € (A) 17,50 (zzgl. Porto) beim Verlag bestellt werden.

2.20 Konzepte des Kollektiven

1.22 Die Gründung des SOKW

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1.20 Ungarndeutsche heute. Sprache und Zugehörigkeit

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1.21 Transnationale Karpaten (I) 216 S., mit Textabb. ISBN 978-3-7917-3234-3

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2.19 Ästhetik der Mehrsprachigkeit. Südosteuropäischdeutsche Sprachkunst 244 S., mit Textabb. und 8 Seiten Bildteil ISBN 978-3-7917-3063-0

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