115 86 43MB
German Pages 334 Year 1987
URSULA SCHNEIDER
Körperliche Gewaltanwendung i n der Familie
MÜNSTERISCHE BEITRÄGE ZUR
RECHTSWISSENSCHAFT
Herausgegeben i m Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität i n Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen
Dr. H e l m u t Kollhosser
Band 28
Dr. Jürgen Welp
Körperliche Gewaltanwendung i n der Familie Notwendigkeit, Probleme und Möglichkeiten eines strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Schutzes
Von Dipl. Psych. Dr. jur. Ursula Schneider
D U N C K E R
& H U M B L O T
/
B E R L I N
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schneider, Ursula: Körperliche Gewaltanwendung in der Familie: Notwendigkeit Probleme u. Möglichkeiten e. strafrechtl. u. strafverfahrensrechtl. Schutzes/von Ursula Schneider. — Berlin: Duncker u. Humblot, 1987 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 28) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1986 ISBN 3-428-06310-4 NE: GT
D 6 A l l e Rechte vorbehalten © 1987 D u n c k e r & H u m b l o t G m b H , Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, B e r l i n 4 6 D r u c k : Werner H i l d e b r a n d , Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06310-4
Meiner Familie
Vorwort Als ich nach Abschluß meines Ersten Juristischen Staatsexamens anfing, mich im Rahmen meiner Suche nach einem geeigneten Thema für eine strafrechtlichkriminologische Dissertation mit dem Problem der Gewalt in der Familie und seinen Folgerungen für das Strafrecht zu befassen, waren meine Vorstellungen von der Aufgabe einer solchen Untersuchung durch eine überwiegend juristische Sichtweise geprägt. Meine Grundhaltung zu der gewählten Problematik war von vorherrschenden gesellschaftlichen Einstellungen und Wertungen beeinflußt, die leichtere Formen von Gewalt im Umgang mit Familienmitgliedern für unschädlich halten, ihnen sogar eine gewisse „reinigende" Wirkung für Spannungen innerhalb der Familie beimessen und die Eigenständigkeit der Familie gegen Einmischung von außen, insbesondere gegen staatliche Eingriffe, verteidigen wollen. Ich sah es daher zunächst als vordringlichste Aufgabe der Studie an, erlaubte Formen familiärer Gewaltanwendung von verbotenen abzugrenzen und einen weitgehenden Rückzug des Strafrechts aus der Kontrolle dieser scheinbar rein innerfamiliären Vorgänge zu begründen. In Gesprächen mit meinem Vater und teilweise heftigen Diskussionen mit Freunden, die die völlige Gewaltfreiheit des Familienlebens als Voraussetzung der Gewaltlosigkeit des gesellschaftlichen Lebens forderten, kamen mir Zweifel an meiner bisherigen Sicht des Problems. Ein parallel zu meiner Promotion betriebenes Psychologiestudium, in dem ich mich intensiv mit den Ursachen und Folgen aggressiven Verhaltens befaßte, und die Beschäftigung mit kriminologischen Untersuchungen zu Verbreitung, Ursachen und Wirkungen der Gewalt in der Familie brachte mich zu einer völligen und grundsätzlichen Änderung meiner Einstellung zu der Ausübung von Gewalt gegenüber Familienmitgliedern, insbesondere zu dem auch von mir bislang für unverzichtbar gehaltenen Einsatz körperlicher Strafen in der Kindererziehung. Ich erkannte, daß jede Form körperlicher Gewalt in der Familie nicht nur schwere individuelle, sondern auch gesellschaftliche Schäden erheblichen Ausmaßes, wie z.B. Jugenddelinquenz, hervorbringen kann, und daß deshalb ihre Bekämpfung ein zentrales soziales Anliegen und damit eine Aufgabe ist, der sich auch das Strafrecht stellen muß. Meine Dissertation ist in ihrer vorliegenden Fassung Ausdruck dieser Erkenntnis, die sie an den Leser weitergeben will. Die Studie verfolgt eine doppelte Zielsetzung: Sie will zum einen den Nachweis erbringen, daß der Einsatz des Strafrechts notwendig ist, um eine weitgehende und wirksame Kontrolle von körperlichen Gewalttaten innerhalb der Familie zu gewährleisten. Dabei darf sich das Strafrecht nicht auf ein Eingreifen gegenüber den schweren und schwersten Formen der Gewalt in der
8
Vorwort
Familie beschränken, sondern muß auch leichten Formen familiärer Gewaltanwendung mit seinen Normen und Reaktionen entgegentreten. Zum anderen will die Arbeit aufzeigen, daß die strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Mittel, die gegenwärtig bei der Kontrolle familiärer Gewalttaten Anwendung finden, nicht nur unzureichend, sondern sogar schädlich sind. I m Mittelpunkt der Dissertation steht daher die Frage, mit welchen straf- und strafverfahrensrechtlichen Maßnahmen Gewalt in der Familie am wirksamsten bekämpft werden kann. Dem Strafrecht und dem Strafverfahren wird damit eine aktive sozialpolitische Aufgabe bei der Vorbeugung gegenüber familiärer Gewaltanwendung zugewiesen. Die Problematik der Gewalt in der Familie, insbesondere der Kindes- und Frauenmißhandlung, ist in jüngster Zeit aus dem Schonraum rein wissenschaftlichen Interesses herausgetreten und in das Bewußtsein der Öffentlichkeit und die familien- und sozialpolitische Diskussion gelangt. Dies ist einerseits zu begrüßen, da es eine Wandlung der gesellschaftlichen Einstellung anzeigt und Grundlage für die Umsetzung wissenschaftlich erarbeiteter Vorschläge zur Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung in der Praxis ist. Das Erkennen eines sozialen Problems durch die öffentliche und insbesondere die in den Massenmedien veröffentlichte Meinung und die Politik bringt andererseits immer die Gefahr einer „Entwissenschaftlichung" der Diskussion mit sich. Weniger differenzierte Sichtweisen des Problems sind leichter verständlich und setzen sich daher eher durch. Von der Wissenschaft als £wze/maßnahmen im Rahmen einer einheitlichen Gesamtstrategie vorgeschlagene Bekämpfungsansätze werden aus ihrem Zusammenhang getrennt und als „Patentlösungen" vertreten. Indem die vorliegende Studie versucht, einerseits die Notwendigkeit eines strafrechtlichen Eingreifens gegenüber Gewalt in der Familie nachzuweisen und andererseits die großen Gefahren aufzuzeigen, die mit dem Einsatz des Strafrechts bei der Kontrolle familiärer Prozesse verbunden sind, bemüht sie sich um die Erarbeitung eines differenzierten Standpunkts in der oft allzu kategorisch geführten Diskussion um „Hilfe oder Strafe". Mein Dank gilt meinem „Doktorvater", Herrn Prof. Dr. Johannes Wessels (Münster), der meine Untersuchung durch seine Gesprächs- und Kritikbereitschaft wesentlich gefördert hat. Sein Rat hat mich insbesondere zur Entwicklung meiner im vierten Teil (D) dieser Arbeit unterbreiteten Vorschläge zu alternativen Reaktionen des Strafrechts auf Gewalt in der Familie ermutigt. Herrn Prof. Dr. Heinz Schöch (Göttingen) danke ich für die Erstattung des Zweitgutachtens und für seine detaillierten kritischen Anregungen, die ich bei der Herstellung der veröffentlichten Endfassung meiner Arbeit berücksichtigt habe. Für die Erstellung meiner Dissertation habe ich ein Stipendium der „Studienstiftung des Deutschen Volkes" erhalten. Ihr habe ich nicht nur für diese finanzielle Unterstützung, sondern auch für eine stets großzügige und unbürokratische persönliche Betreuung zu danken. Meine Arbeit ist mit einem Zuschuß der Universität Münster gedruckt worden, die die „Heimat" meiner bisherigen wissenschaftlichen Ausbildung ist.
Vorwort Den Herausgebern der „Münsterischen Beiträge zur Rechtswissenschaft", den Herren Professoren Dr. Erichsen, Dr. Kollhosser und Dr. Welp danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriftenreihe und für die Beratung, die mir insbesondere Herr Prof. Dr. Welp im Zusammenhang mit der Veröffentlichung meiner Dissertation hat zukommen lassen. Besonderen Dank schulde ich meinen Eltern, die mich über viele Jahre hinweg persönlich und wirtschaftlich unterstützt und mir so meine beiden Studien und meine Promotion erst ermöglicht haben. Sie haben mir über manche im Zusammenhang mit meiner Arbeit stehende seelische Krise hinweggeholfen und mich stets zur Weiterarbeit ermuntert. Meinem Vater, Prof. Dr. Hans Joachim Schneider, verdanke ich die Anregung zu dem Thema meiner Dissertation. In vielen Gesprächen hat er mich persönlich und fachlich beraten, mich auf neue Gesichtspunkte hingewiesen und mir geholfen, meine Gedanken zu ordnen. Einen Großteil der einschlägigen Literatur habe ich in seiner umfangreichen Privatbibliothek vorgefunden, deren Benutzung mir meine Arbeit wesentlich erleichtert hat. Meiner Mutter, Hildegard Schneider, danke ich nicht nur für ihre geduldige persönliche Betreuung, die mich von häuslichen Aufgaben weitgehend freistellte. Sie hat mir auch bei der Herstellung des Manuskripts und dem Lesen der Korrekturen wertvolle und unverzichtbare Hilfe geleistet. Meinen Eltern und meinem „kleinen", um siebzehn Jahre jüngeren Bruder Marvin Oliver widme ich diese Arbeit. Münster, im August 1987 Ursula Schneider
Inhaltsübersicht
Einführung 1. Aufgabe der Studie
25 25
2. Untersuchungsgang der Studie
27
Teil A
Begriffliche und rechtliche Grundlagen I. Der Begriff der Gewalt
30 30
1. Der psychologische Aggressionsbegriff 2. Psychologische Erklärungsansätze
30
zum aggressiven Verhalten
32
a) Das ethologische Instinktkonzept von Lorenz
32
b) Psychoanalytische Ansätze
33
c) Die Frustrations-Aggressions-Hypothese
35
d) Die Lerntheorie der Aggression
37
3. Gewalt als strafrechtlich
erfaßte Form der sozialen Aggression
II. Der Begriff der Familie
40
1. Der juristische Familienbegriff 2. Der sozialwissenschaftliche
38
40
Familienbegriff
41
a) Die familiäre Beziehungsstruktur
41
b) Die Funktionen der Familie
42
aa) Biologische Funktionen
42
bb) Soziale Funktionen
43
3. Die Familie als strafrechtlich
bedeutsame soziale Gruppe und Institution
III. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
... 45
44
12
Inhaltsübersicht
IV. Formen der körperlichen Gewaltanwendung in der Familie und ihre Einordnung nach dem geltenden Strafrecht und Strafverfahrensrecht 1. Die materiell-rechtliche Familie
Einstufung von körperlicher
47
Gewaltanwendung in der 47
a) Die Strafbarkeit des Angreifers nach §§2231, 223 a, 224, 225 StGB . . . .
47
b) Sonderregeln bei körperlicher Gewaltanwendung im Eltern-Kind-Verhältnis
48
aa) Die Aszendentenkörperverletzung nach §223 I I StGB
49
bb) Elterliches Züchtigungsrecht und Kindesmißhandlung
49
c) Die Strafbarkeit von Familienmitgliedern, die an der körperlichen Gewaltanwendung nicht unmittelbar beteiligt sind
51
2. Die verfahrensrechtliche Handhabung von körperlicher Gewaltanwendung in der Familie: Das Antragserfordernis des §232StGB und die Ausgestaltung der einfachen und der gefährlichen Körperverletzung als Privatklagedelikte 53
Teil Β
Die Notwendigkeit eines strafrechtlichen Eingreifens gegenüber familiärer Gewaltanwendung I. Die Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der von familiärer Gewaltanwendung betroffenen Rechtsgüter 1. Die Elemente des Rechtsgutsbegriffs 2. Die durch familiäre
55
55 55
Gewaltanwendung verletzten Rechtsgüter
57
a) Das Interesse an der Erhaltung der Familie
57
b) Das Interesse an einer angemessenen Kindererziehung
57
c) Die freie Entfaltung der Persönlichkeit
58
3. Die Schutzwürdigkeit Rechtssystem 4. Die Schutzbedürftigkeit ihrer Gefährdung
der betroffenen
Rechtsgüter aufgrund ihrer Wertstellung 59
der betroffenen
Rechtsgüter aufgrund
a) Die Häufigkeit familärer Gewaltanwendung
im
des Ausmaßes 59 60
aa) Statistische Häufigkeit — Verbreitung
60
bb) Individuelle Häufigkeit — Wederholung
66
b) Die besondere Verletzungsanfalligkeit des Opfers
67
c) Die Schäden familiärer Gewaltanwendung
69
Inhaltsübersicht aa) Schäden bei Gewalt seitens der Eltern gegenüber den Kindern . . . (1) Opferschäden (a) Körperliche Opferschäden
70 70 70
(b) Entwicklungsstörungen
71
(c) Seelische Opferschäden
72
(2) Gefährdung und Schädigung nichtbeteiligter Familienmitglieder
74
bb) Opfer- und Drittschäden bei Gewaltanwendung unter Ehegatten oder Lebenspartnern
75
(1) Opferschäden
75
(a) Körperliche Opferschäden
75
(b) Seelische Opferschäden
76
(c) Soziale Opferschäden (2) Gefährdung und Schädigung der Kinder
77 78
cc) Schäden bei Gewaltanwendung unter Geschwistern
79
dd) Schäden bei Gewalt seitens der Kinder gegenüber den Eltern
80
ee) Wirkungen auf den Täter
80
ff) Schäden für den Familienverband gg) Soziale Schäden familiärer Gewaltanwendung
81 82
(1) Soziale Kosten (2) Die sozialen Auswirkungen der Störung der familiären Sozialisationsaufgaben ;.
83
(3) Schäden der moralischen Wertordnung
85
d) Zusammenfassung
86
II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung 1. Die eindimensionalen
82
Verursachungstheorien
a) Übersicht der Erklärungsansätze aa) Individualpathologische Theorien: Das Eigenschaftsmodell und der psychopathologische Ansatz
86 87 87 87
bb) Die psychodynamischen Modelle
88
cc) Die Theorie des sozialen Drucks
88
dd) Die Lerntheorie
89
ee) Rollentheoretische Erklärungsansätze
90
b) Anwendung der Erklärungsansätze auf die verschiedenen Formen familiärer Gewaltanwendung aa) Die Verursachung von Kindesmißhandlung (1) Die individualpathologische Erklärung von Kindesmißhandlung
91 91 91
14
Inhaltsübersicht (2) Die psychodynamische Erklärung von Kindesmißhandlung
92
(a) Das Phänomen der Rollenumkehr als Grundlage der Erklärung von Kindesmißhandlung
92
(b) Das Sündenbocksyndrom
94
(3) Sozialer Druck und Kindesmißhandlung
94
(4) Die lerntheoretische Erklärung von Kindesmißhandlung
95
bb) Rollentheoretische Erklärungen für die Mißhandlung Jugendlicher .
96
cc) Die Verursachung von Partnergewalt, insbesondere Frauenmißhandlung
97
(1) Die
individualpathologischen
Erklärungen
von
Frauenmiß-
handlung
97
(2) Die psychodynamische Erklärung von Partnergewalt
97
(3) Sozialer Druck und Partnergewalt
98
(4) Lerntheoretische Erklärungen von Partnergewalt
98
(5) Rollentheoretische Erklärungen von Partnergewalt (a) Die Ressourcentheorie
99 99
(b) Die Masochismustheorie
100
dd) Die Verursachung von Gewalt gegen Eltern
101
(1) Psychodynamische Adoleszenzkonflikte als Ursachen von Gewalt gegen Eltern (a) Die Mißhandlung der Eltern als Ausdruck psychischer Notwehr
101
(b) Das Phänomen der Umkehrung der Generationshierarchie als Grundlage der Gewalt gegen Eltern
102
(2) Die lerntheoretische Erklärung von Gewalt gegen Eltern ee) Die Verursachung von Geschwistergewalt
101
102 103
(1) Psychodynamische Ursachen von Geschwistergewalt
103
(2) Die lerntheoretische Erklärung von Geschwistergewalt
103
c) Kritische Betrachtung der einzelnen Verursachungstheorien
104
aa) Der mangelhafte Erklärungswert individualpathologischer Theorien
104
bb) Die Mängel der psychodynamischen Ansätze
105
cc) Die Mängel der Theorie des sozialen Drucks
105
dd) Die Mängel lerntheoretischer Erklärungen
107
ee) Die Mängel rollentheoretischer Erklärungen
107
d) Kritische theorien
Gesamtwürdigung
2. Versuch eines integrativen
der
eindimensionalen
Verursachungs108
multidimensionalen
Erklärungsansatzes
109
Inhaltsübersicht a) Die Erklärung der Alltäglichkeit familiärer Gewaltanwendung aa) Konfliktbegünstigende und kommunikationserschwerende Gruppenprozesse und -strukturen innerhalb der Familie
110 110
(1) Häufigkeit der Kontakte und Intimität des Familienlebens
110
(2) Die Verpflichtung zu Liebe und Solidarität
111
(3) Die Familie als soziales Rückzugsgebiet
111
(4) Unbestimmtheit, Vielfalt und Komplexität der gemeinschaftlichen Ziele
112
(5) Erziehungsaufgabe der Eltern
112
(6) Halbfreiwillige Natur des familiären Zusammenschlusses
113
(7) Heterogene Zusammensetzung der Familie und Verschiedenartigkeit der Interessen ihrer Mitglieder
114
(8) Rivalität und Eifersucht
115
bb) Gewaltbegünstigende soziale Normen
115
b) Gewalt gegen Familienmitglieder als Ergebnis und Bestandteil eines Interaktionsprozesses aa) Täter und Opfer
117 117
(1) Die Rolle des Opfers bei Gewalt unter Partnern
118
(2) Die Rolle des Opfers bei Gewalt gegen Kinder
120
bb) Die Rolle der übrigen Familienmitglieder
122
cc) Die soziale Situation der Risikofamilie
122
dd) Situative Tatauslöser
123
3. Zusammenfassung: Die Verursachung familiärer
Gewaltanwendung
III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts 1. Möglichkeiten privaten Schutzes
124 124 124
a) Die Eigenverantwortlichkeit des Opfers für den Schutz seiner Rechtsgüter
124
b) Konfliktbewältigung und Selbstkontrolle durch die Familie
127
c) Nichtorganisierte Fremdkontrolle durch die Gemeinschaft
128
d) Organisierte private Hilfen
131
aa) Frauenhäuser
131
bb) Beratungstelefone, Behandlungszentren und Selbsthilfegruppen fur mißhandelnde Eltern und ihre Kinder
132
cc) Die Unzulänglichkeit organisierter privater Hilfen
133
e) Zusammenfassung: Die Begrenztheit der privaten Kontrolle familiärer Gewaltanwendung
134
16
Inhaltsübersicht 2. Die Möglichkeiten
außerstrafrechtlichen
staatlichen Schutzes
135
a) Mittel des bürgerlichen Rechts bei Gewalt unter Ehegatten: Die Ehescheidung
136
b) Vormundschaftsrichterliche Maßnahmen bei Gewalt gegen Kinder
138
aa) Die zeitweilige Trennung des Kindes von seiner Familie durch Fremdunterbringung nach §§ 1666, 1666 a I BGB
139
bb) Die dauerhafte Trennung des Kindes von seiner Familie durch Freigabe zur Adoption durch das Vormundschaftsgericht nach §1748 BGB
142
cc) Ambulante Maßnahmen: Ermahnungen, Gebote, Verbote und Auflagen nach § 1666 BGB
143
c) Vormundschaftsrichterliche Jugendlicher
Maßnahmen bei familiären Gewalttaten 144
d) Öffentliche Hilfen zur Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung
145
e) Die Vorteile eines strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Schutzes vor familiärer Gewaltanwendung gegenüber einem außerstrafrechtlichen staatlichen Schutz
147
f) Zusammenfassung: Die Unzulänglichkeit außerstrafrechtlicher staatlicher Maßnahmen und die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
148
Teil C
Probleme eines strafrechtlichen Eingreifens gegenüber familiärer Gewaltanwendung
149
I. Die präventiven Aufgaben des Strafrechts
149
1. Die strafrechtlichen Präventionskonzepte 149 2. Die Zuordnung der Präventionsfunktionen zu den unterschiedlichen Stufen strafrechtlichen Wirkens 152 II. Probleme der präventiven Wirksamkeit strafrechtlicher Normen und Rechtsfolgen 1. Probleme der generalpräventiven Wirksamkeit strafrechtlicher ihrer Anwendung im Bereich der Gewalt in der Familie
154
Normen und 154
a) Rechtsbruchfördernde soziale Normen und Gewohnheiten
154
b) Anwendung und Durchsetzung einer Strafrechtsnorm
155
aa) Die mangelnde Unterstützung der Strafverfolgung durch das Opfer und durch (mögliche) Zeugen familiärer Gewaltanwendung
157
bb) Die Kontrollmöglichkeit und -bereitschaft der StrafVerfolgungsorgane
161
Inhaltsübersicht c) Rechtsbruchfördernde und abschreckungshemmende Wirkungen emotionsgeladener Familienkonflikte
163
d) Zusammenfassung
164
2. Probleme der spezialpräventiven Wirksamkeit der Verhängung und des Vollzugs strafrechtlicher Sanktionen als Reaktion auf familiäre Gewaltanwendung . . . 165 a) Die Bedeutung des Dunkelfelds für die spezialpräventive Wirksamkeit strafrechtlicher Sanktionen
165
b) Die Abschreckung des Täters durch die Verhängung von Strafe oder jugendstrafrechtlichen Sanktionen
165
c) Die Resozialisierung des erwachsenen Täters durch Strafverhängung und -Vollzug und die Sozialisierung des jugendlichen Täters durch jugendstrafrechtliche Maßnahmen
167
d) Die Sicherung des Täters durch Verhängung und Vollzug von Freiheitsstrafen
168
e) Zusammenfassung
169
III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens bei familiärer Gewaltanwendung 1. Die strajverfahrensrechtlichen wendung
Hürden bei der Verfolgung familiärer
170 Gewaltan170
a) Das Verfahren gegen Erwachsene
170
aa) Die Verfolgung der einfachen und der Aszendentenkörperverletzung: §§2231, I I StGB
170
bb) Die Verfolgung der gefährlichen Körperverletzung: §223 a StGB . .
172
cc) Die Verfolgung der Kindesmißhandlung: §223 b StGB
172
dd) Die Verfolgung der schweren und der beabsichtigten schweren Körperverletzung: §§224, 225 StGB
173
b) Das Verfahren gegen Jugendliche 2. Die Probleme der Nichtverfolgung
174 von Gewalt in der Familie
175
3. Mängel einer Verfolgung von Gewalt in der Familie innerhalb des Offlzialverfahrens 178 a) Die Vernachlässigung von Opfer- und Familieninteressen
178
b) Die Unzulänglichkeit der Zielsetzung des Offizialverfahrens: Wahrheitsfindung statt Konfliktlösung
181
aa) Das Interesse der Betroffenen an einer Lösung innerfamiliärer Konflikte
181
bb) Das gesellschaftliche Interesse an einer Lösung innerfamiliärer Konflikte
182
cc) Die Vernachlässigung präventiver Einflußmöglichkeiten durch das Offizialverfahren
183
2 U. Schneider
18
Inhaltsübersicht 4. Mängel einer Verfolgung von Gewalt in der Familie innerhalb des Strafantragsund Privatklageverfahrens 185 a) Der Versöhnungsgedanke als Grundlage von Strafantrag und Privatklage
185
b) Die unzureichende Verwirklichung des Versöhnungsgedankens durch Strafantrag und Privatklage
186
c) Die besonderen Belastungen des Opfers und der Familie durch Strafantrags- und Privatklageerfordernisse
189
5. Zusammenfassung: Die Unbilligkeit und Unzweckmäßigkeit der Gestaltung der Strafverfolgung in Fällen familiärer Gewaltanwendung 191 Teil D
Voraussetzungen und Möglichkeiten eines wirksamen strafrechtlichen Schutzes vor familiärer Gewaltanwendung 194 I. Ausgangspunkt: Das Dilemma eines strafrechtlichen Eingreifens gegenüber familiärer Gewaltanwendung
194
Π. Zielvorgaben für ein strafrechtliches Eingreifen gegenüber familiärer Gewaltanwendung und die mit ihnen verbundenen strafrechtsdogmatischen Probleme . . .
196
ΙΠ. Die rechtliche und soziale Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts und Wege zu ihrer Lösung 202 1. Die Problematik der rechtlichen Grundlagen des elterlichen Züchtigungsrechts 202 a) Das elterliche Sorgerecht nach § 1631 BGB
203
b) Das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 611 GG
204
c) Gewohnheitsrechtliche Grundlagen
207
2. Das Problem der strafrechtsdogmatischen Begründung der Sanktionskluft schen Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung
zwi208
3. Die kriminologische Problematik der Anerkennung des elterlichen Züchtigungsrechts: Kausale Zusammenhänge zwischen Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung 210 4. Die soziale Funktion der körperlichen Züchtigung als Mittel der Gehorsamserziehung 213 5. Die pädagogische und lernpsychologische Problematik der Zulassung körperlicher Strafen in der Erziehung 214 a) Die Rolle körperlicher Strafen in der Pädagogik
214
b) Der Stellenwert der Strafe in operanten und sozialen Lernprozessen ..
216
c) Die Unzulänglichkeit der Lernwirkungen körperlicher Strafen
217
d) Schädliche Folgen körperlicher Strafen
221
6. Die Konsequenzen des pädagogischen, psychologischen und moralischen Unwertes körperlicher Strafen für die Erziehungspraxis und für das Recht
223
Inhaltsübersicht 7. Möglichkeiten
und Probleme eines absoluten Züchtigungsverbotes
225
a) Die Gefahr der Wirkungslosigkeit eines Züchtigungsverbotes
226
b) Die mangelnde Durchsetzbarkeit eines Züchtigungsverbotes
227
c) Das Eindringen des Staates in den Privatbereich der Familie
229
d) Die Gefahr des Ausweichens auf bedenklichere Erziehungsmittel
230
e) Das Fehlgehen der „Notwehrprobe"
232
0 Zusammenfassung der Probleme eines absoluten Züchtigungsverbotes und der Weg zu ihrer Lösung
233
8. Grenzen der Geltung, Durchsetzung und Wirkung eines absoluten Züchtigungsverbotes 234 IV. Strafrechtliche Möglichkeiten einer helfenden Reaktion auf Gewalt in der Familie: Die vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
236
1. Begriff und Wesen der „Diversion" 2. Formen der „Diversion " und ihre A nwendbarkeit auf familiäre
236 Gewaltausübung
3. Die rechtlichen Grenzen der vorgerichtlichen „Diversion" a) Die Wahrung des öffentlichen Interesses an einer strafrechtlichen Rechtsbewehrung b) Die Wahrung der Rechte des Beschuldigten
23 8 241
241 242
aa) Die Unschuldsvermutung (Art. 611 MRK)
243
bb) Das Recht auf den gesetzlichen Richter
245
4. Die Gestaltung eines Verfahrens zur vorgerichtlichen „Diversion" von Gewalt in der Familie (Straftaten nach §§223, 223 a, 223 b StGB und Jugendstraftaten) 247 a) Grundanforderungen an die Gestaltung eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens
247
b) Modelle für ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren bei Gewalt unter erwachsenen Familienmitgliedern
248
aa) Das Sühneverfahren im deutschen Strafprozeßrecht
248
bb) Das Vermittlungsverfahren nach amerikanischem Modell
251
cc) Der Einfluß gestalterischer Unterschiede auf die präventiven Erfolgsaussichten der Verfahrensmodelle
257
(1) Erfolgsaussichten bei der Regelung akuter Familienkonflikte
..
258
(a) Die Inanspruchnahme des Sühneverfahrens und der Vermittlungsprojekte bei Familienkonflikten und die Bereitschaft der Betroffenen zur Mitwirkung an den Verfahren
258
(b) Die Regelung von Konflikten in der Verhandlung
263
(2) Die Dauerhaftigkeit der Konfliktregelung und ihre Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Vorbeugung gegenüber weiteren Gewalttätigkeiten
264
20
Inhaltsübersicht (3) Die Aufhellung des Dunkelfelds
266
dd) Zusammenfassung und Ergebnis im Hinblick auf die Gestaltung eines vorgerichtlichen Schlichtungsverfahrens
267
c) Die Ausgestaltung eines informellen Vermittlungsverfahrens bei Gewalt unter erwachsenen Familienmitgliedern
267
aa) Organisation und Beteiligte des Vermittlungsverfahrens
268
bb) Der Ablauf des Vermittlungsverfahrens
269
cc) Inhalt von Vereinbarungen
271
dd) Bewährungszeit und Nachkontrolle
271
d) Die vorgerichtliche „Diversion" von familiärer Gewaltanwendung bei Beteiligung von Kindern oder Jugendlichen
272
aa) Die Notwendigkeit und die Probleme einer Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in das Vermittlungsverfahren
272
bb) Die Notwendigkeit und die Probleme der Bestellung eines Kindervertreters
274
cc) Die Institution des Kinderschutzanwalts und seine Aufgaben im Vermittlungsverfahren
275
(1) Die Wahrnehmung von Kindesinteressen durch die Jugendwohlfahrtsbehörden
275
(2) Die Wahrnehmung von Kindesinteressen durch eine staatlich beaufsichtigte Einrichtung in freier Trägerschaft
277
(3) Die Aufgaben des Kinderschutzanwalts im Vermittlungsverfahren
278
5. Das Verhältnis des informellen fahren
Vermittlungsverfahrens
zum formellen Strafver282
a) Die Zulassung von Fällen familiärer Gewaltanwendung zur Vermittlung
283
aa) Die Entscheidung der StrafVerfolgungsorgane über die „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
283
bb) Die Wahrnehmung des informellen Vermittlungsangebots durch gefährdete Familien
284
b) Das Ruhen des Strafverfahrens während der Vermittlung
285
c) Die Zusammenarbeit zwischen Schlichtungsstelle und StrafVerfolgungsorganen
285
d) Der Fortgang der formellen Strafverfolgung
286
aa) Die öffentliche Strafverfolgung von Strafantrags- und Privatklagedelikten (§§223, 223 a StGB)
286
bb) Die Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153 a StPO oder §§45,47 JGG
288
6. Zusammenfassung: Die vorgerichtliche „Diversion" familiärer dung im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens
Gewaltanwen290
Inhaltsübersicht V. Strafrechtliche Melderegeln zur Erhellung des Dunkelfelds bei familiärer Gewaltanwendung
291
1. Die Notwendigkeit der Mitwirkung des sozialen Nahraums der Familie insbesondere bei der Aufdeckung von Kindesmißhandlung 291 2. Die gesetzliche Verankerung
eines Melderechts
292
3. Die gesetzliche Verankerung
einer Meldepflicht
293
a) Die im Ausland bestehenden Meldepflichten
293
b) Vor- und Nachteile einer Verankerung von Meldepflichten im deutschen Strafgesetzbuch
295
aa) Die Normierung einer Jedermannspflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlungen
295
bb) Die Normierung einer Arztpflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlungen
297
4. Zusammenfassung: Die Zweckmäßigkeit Melderechts
der gesetzlichen Verankerung
eines 302
Schluß: Die Lösung des strafrechtlichen Dilemmas beim Schutz vor Gewalt in der Familie (Zusammenfassung zu Teil D)
303
Literaturverzeichnis
307
Abkürzungsverzeichnis = a. Α. = Abschn. a. F. = = AK = Alt. Am. J. = Psychiatry = Anm. Bay. Oberster GH —
BayObLG Begr. BGB BGHSt. BK BT-Dr. BVerfGE Col. Conn. Diss. DRiZ EEG Einf. Einl. FamR FamRZ Festschr. Fortschr. Med. GA Ges. W. GG GKG GS GVG HdK HeilBerG NW
anderer Ansicht Abschnitt alter Fassung Alternativkommentar Alternative American Journal of Psychiatry Anmerkung
Entscheidungen des Bayerischen Obersten Gerichtshofes, amtliche Sammlung, zitiert nach Band, Jahrgang und Seite = Bayerisches Oberstes Landesgericht Begründer = = Bürgerliches Gesetzbuch = Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, amtliche Sammlung, zitiert nach Band und Seite = Bonner Kommentar = Bundestagsdrucksache = Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, amtliche Sammlung, zitiert nach Band und Seite = Colorado (US-Bundesstaat) = Connecticut (US-Bundesstaat) = Dissertation = Deutsche Richterzeitung = Elektroenzephalogramm = Einführung = Einleitung = Familienrecht = Zeitschrift für das gesamte Familienrecht = Festschrift
=
Fortschritte der Medizin Goltdammer's Archiv für Strafrecht Gesammelte Werke Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gerichtskostengesetz Der Gerichtssaal Gerichtsverfassungsgesetz Handwörterbuch der Kriminologie
=
Heilberufsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen
= = = = = = =
Abkürzungsverzeichnis Hrsg.
111. i.S.d. i.V.m. JA JAMA JGG JR JuS JWG JZ KK KlKrimW LK LR Mass. Med. Klinik Med. Welt Mio. MK MMW MRK Mschr. Kinderheilk. MschrKrim m.w.N.
Ν N.J. NJW NSPCC NStZ N.Y. o.J. Pol. Krim. Praxis d. Kinderpsychologie RdJ Rdn. RGSt. RiStBV SchO Schs-Ztg. SK sog. S/S
23
Herausgeber Illinois (US-Bundesstaat) im Sinne des/der in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter The Journal of the American Medical Association Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau Juristische Schulung Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung Karlsruher Kommentar Kleines Kriminologisches Wörterbuch Leipziger Kommentar Löwe, Rosenberg: StPO-Großkommentar Massachusetts (US-Bundesstaat) Medizinische Klinik Die Medizinische Welt Millionen Münchener Kommentar Münchener Medizinische Wochenschrift Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Menschenrechtskonvention) Monatsschrift für Kinderheilkunde Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform mit weiteren Nachweisen Anzahl der untersuchten Probanden (bei empirischen Untersuchungen) New Jersey (US-Bundesstaat) Neue Juristische Wochenschrift National Society for the Prevention of Cruelty to Children (Britischer Kinderschutzbund) Neue Zeitschrift für Strafrecht New York (US-Bundesstaat) ohne Erscheinungsjahr Polizeiliche Kriminalstatistik für die Bundesrepublik Deutschland
Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie Recht der Jugend Randnummer Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, amtliche Sammlung, zitiert nach Band und Seite Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Schiedsmannsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Schiedsmannszeitung Systematischer Kommentar sogenannte(r) Schönke, Schröder: Strafgesetzbuch-Kommentar
24 StGB Stichw. StPO StVollzG u.a. Vict. Vorw. Zeitschr. f. Sozialpsychol. zit. ZPO ZRP ZStW
Abkürzungsverzeichnis Strafgesetzbuch Stichwort Strafprozeßordnung Strafvollzugsgesetz und andere Victimology — A n International Journal Vorwort
Zeitschrift für Sozialpsychologie zitiert Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
§§ ohne Gesetzesangabe sind solche des Strafgesetzbuches (StGB)
Einführung 1. Aufgabe der Studie Die strafrechtliche Problematik von Gewalt in der Familie wird nur von wenigen Studien behandelt 1 . Demgegenüber haben sich den kriminologischen und psychologischen Problemen familiärer Gewaltanwendung in den letzten Jahren zahlreiche in- und ausländische Untersuchungen gewidmet 2 . In der Tat liegen die meisten Probleme wohl weniger im Bereich der Strafechtsdogmatik als im Bereich der Rechtsanwendung und der Strafrechtsreform und damit im Übergangsfeld zwischen Strafrecht und Kriminologie. In diesem strafrechtlichkriminologischen Grenzbereich ist die vorliegende Studie angesiedelt. Sie betrachtet die strafrechtsdogmatischen Einzelprobleme, die bei der strafrechtlichen Einordnung von Gewalt in der Familie auftreten, als Bestandteile eines rechtlichen, kriminalpolitischen und kriminologischen Gesamtproblems familiärer Gewaltanwendung. Daher bemüht sie sich um die Darstellung der übergeordneten Gesamtproblematik und die Suche nach weitgreifenden Lösungen. Eine umfassende Sichtweise des Problems familiärer Gewaltanwendung ist aus zahlreichen Gründen geboten: — Sämtlichen Formen familiärer Gewaltanwendung ist der soziale Raum gemeinsam, in dem es zu gewalttätigem Handeln kommt. Dieser soziale Raum, die Familie, weist typische Strukturen auf, die gewaltsame Verhaltensweisen begünstigen. — Häufig kommen in den betroffenen Familien mehrere Formen der Gewaltanwendung vor, an denen auch verschiedene Familienmitglieder als Täter und Opfer beteiligt sind. Eine Form der Gewalt geht in eine andere über oder verursacht sie sogar. So kann die Mißhandlung der Frau durch den Mann die Verletzung des Mannes durch die Frau oder die Mißhandlung der Kinder durch die Frau hervorrufen. Diese Formen der Gewaltausübung, die gemeinsam vorkommen und sich wechselseitig bedingen, können auch nur aufgrund einheitlicher Strategien bekämpft werden. 1
Vgl. Klimmek 1970; Albrecht 1981. Vgl. für die Bundesrepublik Deutschland z.B.: Ammon 1979; Petri / Lauterbach 1975; Petri 1981; Mende/Kirsch 1968; Fink 1968; Biermann 1969; Stutte 1971; Bauer 1969; Mätzsch/Brinkmann/Püschel 1980; Wille/Staak/Wagner 1967; Giesen 1979; Büttner/Nicklas 1984. Für das englischsprachige Ausland vgl. insbesondere: Garbarino/ Gilliam 1980; Gelles 1972; Gil 1970; Helfer/Kempe 1972 und 1974; Justice/Justice 1976; Pizzey 1978; Straus/Gelles/Steinmetz 1980; Lynch/Roberts 1982; Gayford 1978. Als Überblick vgl. die Bibliographie von Pelz-Schreyögg 1985. 2
Einführung
26
— Alle Formen familiärer Gewaltanwendung haben gemeinsame psychische und soziale Ursachen 3. — Sämtliche Formen gewaltsamen Handelns in der Familie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht nur das unmittelbare Opfer betreffen, sondern die übrigen Familienmitglieder, insbesondere die nichtangegriffenen Kinder, zu mittelbaren Opfern werden lassen, die seelisch und körperlich gefährdet sind. — Jede Form familiärer Gewalttätigkeit stört die Familie als sozialen Verband. Da die Familie insbesondere im Bereich der Kindererziehung wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllt, führt diese Störung zu schweren sozialen Folgeschäden. — Familiäre Gewalttaten geschehen in einem privaten Raum, der einer sozialen Kontrolle durch formelle und informelle Instanzen kaum zugänglich ist. Strafrechtliche Verbote familiärer Gewaltanwendung sind daher außerordentlich schwierig durchzusetzen. Ihre Einhaltung ist schlecht zu kontrollieren. — Die sozialen Normen zur Gewalt in der Familie sind uneinheitlich und ambivalent. Einerseits wird die Familie als gewaltfreier Raum definiert, andererseits wird die Anwendung von Gewalt innerhalb gewisser Grenzen sozial gebilligt oder zumindest geduldet. — Strafrechtliche Reaktionen auf familiäre Gewaltausübung treffen nicht nur den Täter selbst, sondern die ganze Familie. Sie müssen daher so gestaltet werden, daß sie die Familie als sozialen Verband nicht noch weiter schädigen. Freilich liegt hierin für das Strafrecht auch die Chance, nicht nur auf den Täter einzuwirken, sondern den gesamten sozialen Raum zu erfassen, in dem es zu der Tat gekommen ist. — Die Strafrechsreform und die Strafrechtsanwendung haben sich bislang den Problemen familiärer Gewaltausübung nur wenig gewidmet. Sie konzentrieren sich meist auf die Kontrolle solcher Verhaltensweisen, die als Bedrohung des einzelnen oder der sozialen Ordnung wahrgenommen werden 4 . Gewalt in der Familie ist demgegenüber sozial wenig sichtbar und wird daher kaum wahrgenommen. Wenn sie bekannt wird, so wird sie im allgemeinen nicht als bedrohlich empfunden. Sie gefährdet nur bestimmte potentielle Opfer und kann daher anders als die vielgefürchtete „Straßenkriminalität" nicht jeden unvorhergesehen treffen. Das Bewußtsein ihrer Sozialschädlichkeit beginnt sich erst langsam durchzusetzen. Auf Strafgesetzgeber und -anwender wurde daher bislang nur wenig sozialer Druck ausgeübt, sich dem Problem des Rechtsgüter- und Opferschutzes vor Gewalt in der Familie zu stellen.
3 4
Vgl. Straus 1983 a; 1983 b, 32. Scheerer 1979, 398.
2. Untersuchungsgang der Studie
27
Alle diese Besonderheiten unterscheiden Gewalttaten innerhalb der Familie von Gewalttaten, die außerhalb der Familie begangen werden. Sie verlangen daher eine Sonderbehandlung im Rahmen der Strafgesetzgebung und -anwendung. Das Strafrecht vermag eine aktive Rolle bei der Gestaltung sozialer Verhältnisse zu spielen5. Diese Fähigkeit des Strafrechts muß nutzbringend eingesetzt werden. Dies wiederum ist nur dann möglich, wenn das Strafrecht seine Normen und Reaktionen an den Bedingungen der Wirklichkeit ausrichtet. Das Strafrecht muß sich bemühen, die zur Bewältigung realer Probleme geeigneten Mittel zu finden. Es gilt nicht nur der Satz, daß eine gute Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik ist 6 . Eine gute Kriminalpolitik ist vielmehr auch notwendige Voraussetzung und wesentliches Element einer guten Sozialpolitik. Die Möglichkeiten des Strafrechts auf diesem Gebiet werden von Human- und Sozialwissenschaftlern häufig übersehen. Das Strafrecht wird bei der Lösung sozialer Probleme eher als lästiges Hindernis betrachtet, das es zu umgehen gilt. Unter Juristen wiederum ist es vielfach verpönt, die Lösung sozialer Probleme als zentrale Aufgabe des Strafrechts zu sehen. Beiden Einstellungen, die die Erforschung des Grenzbereichs zwischen Norm und Wirklichkeit hemmen, will diese Studie entgegenwirken. 2. Untersuchungsgang der Studie Aufgabe des Strafrechts ist der Rechtsgüterschutz. Das Strafrecht darf nur dort eingreifen, w o elementare Güter des einzelnen oder der Allgemeinheit gefährdet sind, die aufgrund ihrer Stellung im Wertsy stem des Rechts den Schutz durch Strafe verdienen und wegen der Häufigkeit und Intensität ihrer Verletzung des Schutzes gerade durch Strafe bedürfen 1. Das Vorhandensein eines schutzwür-
digen und schutzbedürftigen Rechtsgutes ist notwendige, indes noch nicht hinreichende Bedingung für das Eingreifen des Strafrechts. Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, daß strafrechtliche Sanktionen nur dort angedroht werden dürfen, wo ein wirksamer Schutz mit anderen Mitteln nicht gewährleistet werden kann. Das Prinzip der Subsidiarität des Strafrechts erlaubt ein strafrechtliches Eingreifen nur dann, wenn ein solches zum Rechtsgüterschutz erforderlich ist. Darüber hinaus wird zumeist die Eignung strafrechtlicher Sanktionen als unverzichtbare Voraussetzung eines strafrechtlichen Einschreitens angesehen. Das Aufstellen dieses Erfordernisses zeugt von einem mangelnden Selbstvertrauen des Strafrechts, seinen Normenund Sanktionenapparat den Problemen der Wirklichkeit anzupassen. Diese geringe Flexibilität stellt indessen kein systemimmanentes Merkmal des Strafrechts dar. Es heißt, vor der Wirklichkeit zu resignieren, wenn trotz der 5
Anderer Ansicht: Steinert o.J., 119ff. v. Liszt 1898, erschienen in der Sammlung strafrechtlicher Vorträge und Aufsätze, Bd. 2, 1905, 246. 7 Sax 1964, 11. 6
28
Einführung
Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes unter Hinweis auf die mangelnde Eignung bestehender Reaktionsmöglichkeiten Maßnahmen unterlassen werden. Das Strafrecht ist vielmehr verpflichtet, geeignete Reaktionen zu finden, wenn sein Einschreiten erforderlich ist, sofern dies ohne Aufgabe der strafrechtlichen Grundprinzipien, wie z.B. des Schuldgrundsatzes, möglich ist. Das Problem der Eignung strafrechtlicher Maßnahmen taucht daher bei der Erörterung des „Ob" eines Eingreifens des Strafrechts noch nicht auf. Erst wenn es um das „Wie" strafrechtlicher Regelungen und Reaktionen geht, sind die in Rede stehenden Mittel am Maßstab der Eignung zu messen. Der Untersuchungsgang dieser Arbeit lehnt sich unmittelbar an die Prüfung der Voraussetzungen strafrechtlichen Eingreifens an. Nach einer Klärung des begrifflichen und rechtlichen Unterbaus im ersten Teil der Studie (A), die auch auf die aggressionspsychologischen und familiensoziologischen Grundlagen des Themas eingeht, befaßt sich der zweite Teil (B) mit dem Problem der Notwendigkeit eines strafrechtlichen Eingreifens gegenüber allen, insbesondere auch den leichteren Formen familiärer Gewaltanwendung. Es wird zunächst herausgearbeitet, welche schutzwürdigen Rechtsgüter durch familiäre Gewaltausübung verletzt werden. Sodann soll die Frage der Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts beantwortet werden. Die Behandlung dieser Frage setzt eine Befassung mit den Ursachen familiärer Gewalttaten voraus. Ohne Kenntnis ihrer Ursachen kann nicht über das „Ob" und „Wie" strafrechtlicher Maßnahmen gegenüber Gewalt in der Familie entschieden werden. Im Rahmen der Erforderlichkeitsdiskussion werden Möglichkeiten des Schutzes vor Gewalt in der Familie überprüft, die außerhalb des Strafrechts bestehen. Das Augenmerk richtet sich dabei sowohl auf Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers und der Familie wie auf private und schließlich auf außerstrafrechtliche staatliche Reaktionen und Hilfen. Es wird insbesondere begründet, warum die Familie heute nicht mehr in der Lage ist, ihre Gewaltprobleme selbst zu lösen und warum außerstrafrechtliche Maßnahmen keinen ausreichenden Rechtsgüterschutz ermöglichen. Alsdann sollen im dritten Teil der Studie (C) die Probleme herausgearbeitet werden, vor die sich das Strafrecht bei einer Kontrolle von Gewalttaten innerhalb der Familie gestellt sieht. Ausgehend von den strafrechtlichen Aufgaben der General- und der Spezialprävention werden die Hindernisse aufgespürt, die die vorbeugende Wirksamkeit des Strafrechts und seiner Anwendung bei der Kontrolle von Gewalt in der Familie begrenzen. Es soll nachgewiesen werden, daß sowohl die Struktur der modernen Kleinfamilie selbst als auch soziale Normen die Gewaltausübung in der Familie begünstigen und eine strafrechtliche Kontrolle erschweren. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den schädlichen Wirkungen der gegenwärtig verfügbaren strafrechtlichen Reaktionen auf den Täter und die Familie. Auch die strafverfahrensrechtlichen Reaktionen werden unter die Lupe genommen. Sie spielen bei der strafrechtlichen Handhabung familiärer Gewaltanwendung eine bedeutsamere Rolle als die im Strafgesetzbuch festgelegten Sanktionen, da es hier nur selten zu einer Verurteilung und Bestrafung des Täters kommt. Gleichzeitig
29
2. Untersuchungsgang der Studie
bietet das Strafverfahrensrecht auch die geeignetsten Ansatzpunkte für Verän-
derungen der Reaktion des Strafrechts auf Gewalt in der Familie. Im vierten Teil der Arbeit (D) werden dementsprechend Vorschläge zur Neugestaltung der strafrechtlichen Kontrolle gegenüber familiärer Gewaltausübung erarbeitet. Es werden zunächst die präventiven Zwecke des Strafrechts und seine Schutzaufgaben kritisch gewürdigt. Sodann wird im einzelnen auf Veränderungsmöglichkeiten eingegangen, die an den unterschiedlichen Stufen strafrechtlichen Wirkens, Normgebung und Reaktion, anknüpfen. Die Gestaltung strafrechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz vor Gewalt in der Familie wird untersucht. In diesem Zusammenhang wird insbesondere das elterliche Züchtigungsrecht auf seine Vertretbarkeit als Rechtfertigungsgrund überprüft. Alsdann werden Möglichkeiten
einer informellen
Reaktion auf familiäre
Gewalttaten
im Rahmen
des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts ermittelt. Sie sollen den Bedürfnissen der betroffenen Familien angepaßt sein. Die Gestaltung der formellen Reaktionen auf Gewalt in der Familie, die auch bei Schaffung eines informellen Reaktionssystems in einigen Fällen der wiederholten oder besonders schweren Gewaltanwendung zum Schutz des Verletzten und zur Verteidigung der Rechtsordnung notwendig bleiben, wird aus der Betrachtung ausgeklammert. Das System informeller Maßnahmen kann zwar nicht alle, aber doch die weitaus meisten Fälle familiärer Gewaltanwendung erfassen. Es soll insbesondere im Frühstadium der gewaltsamen Entwicklung bei leichten und mittelschweren bis schweren Taten eingreifen und eine Wiederholung und Verschärfung der Gewalt verhindern. Formelle Reaktionen sind unter Präventionsgesichtspunkten im allgemeinen weniger erfolgversprechend und sollen deshalb durch ein frühzeitiges, „sanftes" Eingreifen im Rahmen des Strafrechts überflüssig gemacht werden. Die Untersuchung konzentriert sich deswegen auf die Entwicklung informeller Reaktionsformen, die weitgehend dem Notwendigwerden formeller Maßnahmen zuvorkommen sollen. Zum Abschluß der Studie werden Regelungen besprochen, mit deren Hilfe die Anzeigebereitschaft von Zeugen familiärer Gewalttaten, insbesondere bei Kindesmißhandlungen, gesteigert und die Kontrollintensität erhöht werden kann. Die Untersuchung macht an zahlreichen Stellen (ζ. B. Klärung des Gewaltbegriffs, Schäden und Ursachen familiärer Gewaltanwendung, Wirkungen strafrechtlicher Sanktionen, Anforderungen an eine verfahrensrechtliche Reaktion, Diskussion des elterlichen Züchtigungsrechts) eine Beschäftigung mit psychologischen und kriminologischen Fragestellungen notwendig. Auf der Grundlage von tatsachenwissenschaftlichen Erkenntnissen werden Rückschlüsse für die Gestaltung strafrechtlicher Normen und Reaktionen gezogen. Darüber hinaus geht die Arbeit davon aus, daß die einzelnen Elemente eines strafrechtlichen Eingreifens bei Gewalt in der Familie sinnvoll aufeinander abgestimmt werden müssen, daß also Strafrechtsnormen, strafprozessuale Regelungen und mögliche Rechtsfolgen nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Neben der strafrechtlichen Problematik im engeren Sinne werden also strafprozessuale und Rechtsfolgenprobleme angesprochen.
Teil A
Begriffliche und rechtliche Grundlagen I. Der Begriff der Gewalt Gewalt ist eine allgegenwärtige soziale Erscheinung. Sie kann beobachtet, ausgeübt und erlitten werden, ist also für jeden Menschen unmittelbar erfahrbar. Welche seiner Erfahrungen der einzelne mit dem Begriff der „Gewalt" belegt, ist indessen eine Frage der subjektiven Wertung, die von gesellschaftlichen Maßstäben geprägt ist. A m einfachsten und gleichzeitig zutreffendsten wäre es daher, Gewalt zu definieren als alle diejenigen Erfahrungen, die gesellschaftlich als Gewalt angesehen werden. Eine solche Begriffsbestimmung ist
freilich wenig greifbar und legt unmittelbar die Frage nahe, welche Erfahrungen es sind, die gesellschaftlich als Gewalt betrachtet werden. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da es keine mit objektiven Methoden feststellbare einheitliche gesellschaftliche Anschauung über den Gewaltbegriff gibt. Unter psychologischen Gesichtspunkten kann Gewalt als eine Form der Ausübung von Aggression gesehen werden. Allerdings läßt diese Begriffsbestimmung wiederum offen, was unter Aggression zu verstehen ist und welche Formen der Aggression als Gewalt einzustufen sind. U m zu einer handhabbaren Gewaltdefinition zu gelangen, muß daher zunächst das psychologische Verständnis der Aggression umrissen werden. Sodann müssen Maßstäbe für die Beurteilung von Aggressionsformen als Gewalt gefunden werden. 1. Der psychologische Aggressionsbegriff Der Begriff der Aggression ist innerhalb der Psychologie stark umstritten. Er wird auf eine überaus heterogene Klasse von Verhaltensweisen angewandt, die verschiedenste Erscheinungsformen besitzen1. Weitestgehende Übereinstimmung herrscht lediglich darüber, daß nur ein Verhalten, also eine von außen beobachtbare Aktivität des Organismus, die Merkmale der Aggression tragen kann 2 . Prozesse, die sich ausschließlich in der Gedanken- und Gefühlswelt einer Person abspielen, werden nicht als Aggression eingestuft. Der Streit innerhalb der Psychologie entzündet sich im wesentlichen an der Frage, ob zur Definition 1
Fürntratt 1974, 282. Lischke 1972,21; vgl. auch die Definitionen von Buss 1961,1; 1972,23; Karsten 1963, 306; Bandura/Walters 1963, 112; Fürntratt 1974, 283; H. Kaufmann 1965, 353; Baron 1977, 7; anders Lorenz 1963, IX, der den Begriff Aggression auf einen dem Menschen innewohnenden Trieb bezieht. 2
1. Der psychologische Aggressionsbegriff
31
des Aggressionsbegriffes nur auf äußerlich beobachtbare Vorgänge Bezug genommen werden darf 3 oder ob der vom Handelnden beabsichtigte Zweck seines Verhaltens bei der Begriffsbestimmung berücksichtigt werden muß 4 . Der behavioristische Ansatz 5 definiert Aggression als ein Verhalten, das rein faktisch einen Organismus schädigt 6 . Er will damit einen objektiven Maßstab zur Feststellung aggressiver Verhaltensweisen aufstellen. Dies gelingt ihm indessen nicht, da über den Begriff des Schadens Wertungen des Beobachters in die Definition einfließen 7. Darüber hinaus wirft die mangelnde Berücksichtigung der vom Handelnden beabsichtigten Zwecke für die Einordnung menschlichen Verhaltens als Aggression schwerwiegende Probleme auf. So umfaßt der behavioristische Aggressionsbegriff einerseits alle Formen der zufalligen Schädigung, andererseits bleiben Fälle der nur versuchten Schädigung ausgeklammert 8 . Die Behavioristen sehen sich zur Regelung dieser Bereiche zu Zusatzannahmen gezwungen, die jedoch die ursprüngliche Definition aufweichen 9 . Die nichtbehavioristischen Definitionsversuche werden demgegenüber den Fällen der zufälligen und der versuchten Schädigung besser gerecht, indem sie auf die Schädigungsabsicht des Handelnden abstellen 10 . Danach ist Aggression als ein gegen ein anderes Objekt gerichtetes Verhalten zu definieren, das diesem Objekt nach den Vorstellungen des Angreifers Schaden zufügen kann 11. Die Verletzung
des anderen braucht dabei nicht das ausschließliche Ziel des Handelnden zu sein, wie dies bei der sogenannten feindlichen Aggression der Fall ist. Auch dann, wenn die Schädigung nur als Mittel zur Erreichung eines übergeordneten Zieles angesehen oder als notwendiges Zwischenziel erstrebt oder für möglich gehalten wird, liegt Aggression in der Form der instrumenteilen Aggression vor. Beide Formen der Aggression sind freilich nicht völlig eindeutig voneinander abzugrenzen. Sie können auch in einer Gemengelage auftreten. Dies ist gerade bei 3 Behavioristischer Aggressionsbegriff: Buss 1961,1; Bandura 1979a, 16ff.; Selg 1968, 22; Karsten 1963, 306. 4 So Baron 1977,8 ff.; Dollard/Doob/Miller/Mowrer/Sears 1971,19; Fürntratt 1974, 283; H. Kaufmann 1965, 353. 5 Von engl. behavio(u)r = Verhalten. 6 Vgl. die Definitionen bei Buss 1961, 1; Bandura 1979a, 16ff.; Karsten 1963, 306. 7 Lischke 1972, 24 f. 8 Scherer/Abels/Fischer 1975, 3; Schmidt-Mummendey 1976, 10. 9 Vgl. Buss 1961, 4; hierzu kritisch Bandura/Walters 1963, 113f. und Selg 1968, 15. 10 Da hier eine psychologische Definition aggressiven Verhaltens angestrebt ist, werden die Begriffe „Versuch", „Schaden" und „Absicht" nicht im strafrechtlichen Sinne gebraucht. So sind psychische Verletzungen ebenfalls als Schäden im Sinne dieser Definitionsansätze anzusehen. Der verwendete Absichtsbegriff ist in etwa dem strafrechtlichen Vorsatzbegriff unter Einschluß des dolus eventualis und der bewußten Fahrlässigkeit zu vergleichen. 11 Nach der Definition von H. Kaufmann 1965,353; ähnlich auch die Definitionen von Dollard/Doob/Miller/Mowrer/Sears 1971,19; Fürntratt 1974,282f.; Buss 1972,23, der seine frühere behavioristische Definition aufgegeben hat; Schott 1971,132; Baron 1977,7; auch Werbik 1971, 246 stellt auf die Intention des Handelnden ab.
32
A I. Der Begriff der
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aggressivem Verhalten innerhalb der Familie häufig der Fall. So mögen beispielsweise Eltern mit der Züchtigung eines Kindes übergeordnete Erziehungsziele verfolgen und gleichzeitig ihrem Ärger über das Verhalten des Kindes Genugtuung verschaffen.
2. Psychologische Erklärungsansätze zum aggressiven Verhalten Innerhalb der Psychologie ist umstritten, wie Aggressionen zu erklären sind. Es gibt im wesentlichen vier Richtungen: — die Instinktkonzepte der Aggression innerhalb der Ethologie, deren bekanntester Vertreter Lorenz ist, — die psychoanalytischen Ansätze, — die Frustrations-Aggressions-Hypothese und — den lerntheoretischen Ansatz. Die Darstellung dieser Theorien ist nicht nur zum Verständnis des verwendeten Aggressionsbegriffs nützlich, sondern auch zur Analyse gewaltsamer Gruppenprozesse innerhalb der Familie und der durch sie verursachten Schäden notwendig. a) Das ethologische Instinktkonzept von Lorenz
Lorenz nimmt an, daß es sich bei aggressivem Verhalten um eine durch natürliche Selektion entstandene, angeborene Verhaltensdisposition handelt, die wie andere Anlagen die Chancen zum Überleben und zur erfolgreichen Erhaltung der jeweiligen Art erhöht 12 . Er sieht Aggression als natürliches Bedürfnis bei Mensch und Tier an. Wenn sie nicht in Handlung abreagiert werden kann, staut sie sich an. Dadurch kommt es zu einer Erniedrigung der Reizschwelle für aggressives Verhalten. Der Mensch „sucht" sich einen Anlaß, um die angestaute aggressive Energie zu entladen. Es kommt zu unmotivierten Aggressionsausbrüchen. In dieser „Spontaneität" sieht Lorenz die größte Gefahr des Aggressionsinstinktes, weil dieser dadurch unkontrollierbar wird 1 3 . Lorenz' Instinkttheorie ist beständiger und heftiger Kritik ausgesetzt. Ihm wird eine Verharmlosung des Aggressionsproblems vorgeworfen 14 . Dieser Vorwurf ist besonders deshalb tiefgreifend, weil Lorenz seine weitreichenden Thesen nicht ausreichend empirisch und experimentell belegt 15 . Unkritisch schließt er von Tierbeobachtungen auf den Menschen. Er übersieht dabei, daß beim Menschen die Instinktbindung nur gering entwickelt ist 1 6 . Dies macht den 12 13 14 15 16
Lorenz 1963, 35 ff. Lorenz 1963, 77 ff. Rattner 1972, 28. Schneiria 1974, 87; Schmidt-Mummendey 1976, 16. Portmann 1942, 10.
2. Psychologische Erklärungsansätze zum aggressiven Verhalten
33
Menschen für Lerneinflüsse empfänglich 17 . Welche Formen aggressives Verhalten annimmt, ist demgemäß eine Frage der Erziehung. Die Behauptung eines natürlichen und spontanen Aggressionstriebes übersieht alle Lerneinflüsse 18. Der Mensch ist ein kulturell und sozial beeinflußtes Wesen. Sowohl die Kulturgeschichte seiner Gesellschaft wie seine eigene Lebensgeschichte prägen sein Verhalten maßgeblich. Eine Übertragung der Erfahrung mit Tieren auf das Verhalten des Menschen verbietet sich daher 19 . Der ethologischen Instinkttheorie gelingt es überdies nicht, die Vielfalt der Erscheinungsformen menschlicher Aggression zu erklären, die vom boshaften kleinen Scherz bis zu brutalen körperlichen Angriffen reicht 20 . Insbesondere leistet sie auch keinen Beitrag zum Verständnis der Ursachen familiärer Gewaltanwendung als spezieller Ausdrucksform aggressiven Verhaltens. b) Psychoanalytische Ansätze
Freud vertrat im Laufe seiner wissenschaftlichen Entwicklung unterschiedliche Auffassungen zu den Ursachen der Aggression. Er ging von der Triebbedingtheit aggressiven Verhaltens aus. In seinen Ausführungen aus der Zeit vor 1920 betrachtete er aggressives Verhalten lediglich als Mittel, das dem Menschen zur Verfügung steht, um die Ziele der Libido, des Strebens nach Lustgewinn, auch dann erreichen zu können, wenn sich auf dem Wege dorthin Hindernisse zeigen 21 . Die Eindrücke des Ersten Weltkriegs führten bei Freud indessen zu einer Wandlung seines Triebkonzepts und zur „Entdeckung" des Todestriebs — Thanatos —, den er als menschlichen Urtrieb und Gegenspieler des von ihm postulierten „Selbsterhaltungstriebs" — Eros — begreift. Während der „Eros" Urheber allen konstruktiven, lebensbewahrenden Verhaltens ist, wird der „Thanatos" als Triebfeder für destruktives, lebensfeindliches und lebensvernichtendes Verhalten betrachtet. Den Todestrieb sieht Freud als Ergebnis der konservativen Natur der Triebe. Nach seiner Auffassung ist ein Trieb ein dem belebten Organismus innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustands 22 . Die Rückkehr in den leblosen Zustand, der Tod, ist danach Ziel allen Lebens 23 . Dem Streben nach diesem Ziel wirkt jedoch der menschliche Selbsterhaltungstrieb entgegen. Er steht in ständigem Widerstreit zum Todestrieb. Dadurch bewirkt er, daß der Todestrieb sich nicht gegen sein eigentliches Ziel, das Individuum selbst, wenden kann. Er erreicht dies, indem er dafür sorgt, daß der Todestrieb nach außen, gegen Objekte der Umgebung des einzelnen, 17 18 19 20 21 22 23
3
Rattner 1972, 30. Rattner 1972, 15. Lischke 1972, 40; Montagu 1974, 31; Schmidt-Mummendey 1976, 16. Jakobi / Selg/ Belschner 1971, 49. Schmidt-Mummendey 1976, 17 f. Freud 1920, 38. Freud 1920, 40.
U. Schneider
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A I. Der Begriff der
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abgeleitet wird 2 4 . Freud sieht daher den Aggressionstrieb als Abkömmling und Hauptvertreter des Todestriebs an 2 5 . Freuds Ansatz zur Erklärung aggressiven Verhaltens ist auch unter Psychoanalytikern auf Widerspruch gestoßen. Insbesondere seine Annahme eines Todestriebs wird weitgehend abgelehnt 26 . Es wird daraufhingewiesen, daß sich in der klinischen Praxis keine Zeichen für das Vorhandensein eines Todestriebs finden lassen27. Die Triebbedingtheit der Aggression wird demgegenüber in der Psychoanalyse meist anerkannt 28 . Aber auch hierzu gibt es kritische, differenzierende Auffassungen in der psychoanalytischen Literatur. So wird nach der organischen Quelle des Aggressionstriebs gefragt 29 und daraufhingewiesen, daß die Hypothese eines auf Zerstörung gerichteten Aggressionstriebs der wissenschaftlichen Nachprüfung nicht standgehalten hat 3 0 . Teilweise wird die Annahme eines destruktiven Aggressionstriebs abgelehnt, da durch sie die Erforschung der konflikthaften psychodynamischen Prozesse verhindert werde, die aggressivem Verhalten zugrundelägen 31. Aggressives Verhalten wird zunächst nur als Ausdrucksform von „gerichteter Aktivität" gesehen32. Destruktive Aggression beruht nach diesem Ansatz auf einer Störung der zentralen Ich-Funktion des „ad gredi", der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt, die im Dienste der Selbstverwirklichung des Individuums steht 33 . Die Wurzeln dieser Pathologie liegen in der frühen Kindheit. Die zunehmende Aktivität von Babys und Kleinkindern, ihre Versuche, die Umwelt zu erforschen und zu „begreifen" (im wörtlichen Sinne) und ihre Bedürfnisse durchzusetzen, werden von ihren Eltern oft als lästig empfunden. Die Eltern schränken das Forscherstreben der Kinder durch Verbote und Strafen ein. Die Entwicklung der Ich-Funktion des „ad gredi" wird dadurch gehemmt. Die „konstruktive Aggression", die der Selbstentfaltung und dem Wachstum der Persönlichkeit dient, schlägt in zerstörerische Aggression u m 3 4 . Wie alle psychoanalytischen Theorien ist auch dieser Erklärungsansatz aggressiven Verhaltens der Kritik ausgesetzt, empirisch unbeweisbar zu sein.
24
Freud 1924, 376. Freud 1930, 481. 26 Vgl. dazu die Darstellung des Meinungsstandes bei Gillespie 1971. 27 Ammon 1973, 11. 28 Hartmann/Kris /Loewenstein 1949; Mitscherlich 1969; vgl. auch die Darstellung von Ziese 1976, 345 ff. 29 Gillespie 1971, 159. 30 Ammon 1973, 46; dies ist auch ein Hauptkritikpunkt der lernpsychologisch ausgerichteten Literatur: Bandura 1979a, 28; Mummendey 1982, 331. 31 Ammon 1973, 48. 32 Vgl. auch Gillespie 1971, 159. 33 Ammon 1973, 8. 34 Ammon 1973, 15 f. 25
2. Psychologische Erklärungsansätze zum aggressiven Verhalten
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Die beobachtbaren Zusammenhänge zwischen strafendem, einengendem Verhalten der Eltern und aggressiven Äußerungen des Kindes, auf die er verweist, können auch lerntheoretisch erklärt werden. Dennoch stellt dieses psychoanalytische Konzept, das den Stellenwert von Sozialisationseinflüssen bei der Entwicklung aggressiven Verhaltens betont, eine ausbaufähige Grundlage für die Erklärung der Schäden und Ursachen familiärer Gewaltanwendung dar, die in die Diskussion einbezogen werden muß. c) Die Frustrations-Aggressions-Hypothese
Die Frustrations-Aggressions-Hypothese hat, seit sie 1939 von einem Psychologenteam der amerikanischen Yale-Universität aufgestellt wurde 35 , die psychologische Forschung tiefgreifend beeinflußt. Auch in das Bewußtsein der Öffentlichkeit hat sie neben den Triebtheorien Eingang gefunden. Unter Frustration wird ein seelischer Zustand verstanden, der eintritt, wenn eine zielgerichtete Handlung unterbrochen wird 3 6 . Die Frustrations-AggressionsHypothese geht von zwei Grundannahmen aus: (a) Das Auftreten von Aggression setzt in jedem Fall eine vorangegangene Frustration voraus, und (b) das Bestehen von Frustration führt immer zu irgendeiner Form der Aggression 37 . Die zweite Grundannahme wurde dahingehend erläutert, daß Aggression sich nicht immer sofort äußerlich offenbaren muß. Der Grund hierfür liegt darin, daß der Mensch gelernt hat, aggressive Reaktionen unter Kontrolle zu bringen. Diese Reaktionstendenzen werden dadurch aber nicht beseitigt. Die Reaktionen werden vielmehr nur vorübergehend kompensiert, verzögert, entstellt, verschoben oder in sonstiger Weise von ihrem unmittelbaren logischen Ziel abgelenkt 38 . Trotz dieser Einschränkung war insbesondere die zweite Grundannahme heftiger Kritik ausgesetzt. Ihre Verfasser sahen sich daher zu einer weiteren Richtigstellung veranlaßt. Nach dieser Fassung schafft Frustration Anreize zu einer Reihe verschiedener Reaktionen, von denen einer der Anreiz zu irgendeiner Form von Aggression ist 3 9 . Die prägnante und eindeutige Formulierung der Frustrations-AggressionsHypothese, die einen ihrer größten Vorteile darstellt 40 , macht es Kritikern besonders leicht, Schwachstellen aufzudecken. Dabei wird teilweise vergessen,
35 36 37 38 39 40
3*
Dollard/Doob/Miller/Mowrer/Sears 1971. Zimbardo/Ruch 1978, 477. Dollard/Doob/Miller/Mowrer/Sears 1971, 9. Dollard/Doob/Miller/Mowrer/Sears 1971, 10. Miller 1973, 104. Selg 1968, 14.
A I. Der Begriff der
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daß es sich bei der Frustrations-Aggressions-Hypothese nur um eine forschungsleitende Grundannahme und nicht um eine fertige Theorie handelt. Als Hypothese kommt ihr das Verdienst zu, zahlreiche Untersuchungen angeregt und die psychologische Forschung nachhaltig beeinflußt zu haben 41 . Trotz dieses unbestreitbaren Vorzugs ist sie nur von beschränktem wissenschaftlichen Wert, da sie die Frage nach den Ursachen aggressiven Verhaltens weder beantwortet noch überhaupt stellt. Sie erklärt nicht, woher die Aggression kommt, die sich auf Frustration hin entlädt 42 . Sie beschäftigt sich vielmehr nur mit dem Problem, aus welchem Anlaß aggressive Reaktionen auftreten. Ihre Schöpfer wollten ausdrücklich keine Stellung dazu beziehen, ob aggressives Verhalten als angeboren oder als erlernt anzusehen ist 4 3 . Die FrustrationsAggressions-Hypothese macht daher keinerlei Aussagen zu den Ursachen aggressiven Verhaltens. Ferner läßt sie situative Variablen unberücksichtigt, die aggressive Reaktionen verschärfen oder abmildern können 44 . Auch ist sie von vorneherein nicht imstande, alle Formen der Aggression zu erklären. So setzt die instrumenteile Aggression, die der Erreichung eines erstrebten Zieles dient, nicht den Eintritt frustrierender Vorbedingungen voraus 45 . Der Beitrag, den die Frustrations-Aggressions-Hypothese zur Erklärung aggressiven Verhaltens leistet, ist daher schon von ihrem Konzept her sehr beschränkt. In ihrer verallgemeinernden Fassung können die Grundannahmen der Frustrations-Aggressions-Hypothese darüber hinaus nicht beibehalten werden 40 . Frustration ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für das Auftreten aggressiver Verhaltensweisen 47. Aggression ist einerseits nicht immer von identifizierbaren Vorbedingungen abhängig 48 . Sie kann auch spontan auftreten. Ebenso können nichtfrustrierende Geschehnisse aggressives Verhalten hervorrufen 49 . Andererseits hängt auch die Frage, ob eine Person in frustrierenden Bedingungen aggressiv wird, von der persönlichen Vorgeschichte des einzelnen ab 5 0 . Frustrationen können daher zu nichtaggressiven Verarbeitungs- und Verteidigungsreaktionen führen 51 , so z.B. zu konstruktiven Problemlösungsversuchen. Dennoch ist anzuerkennen, daß Frustration ein Faktor aggressiven Verhaltens ist, wenn auch nicht unbedingt der bedeutendste52. 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52
Selg 1968, 14. Selg 1968, 18 f. Miller 1973, 106. Selg 1971, 23 f. Berkowitz 1962, 30 f. Selg 1971, 17. Neidhardt 1974, 18; Buss 1961, 28; Staub 1972, 118. Buss 1961, 28. Berkowitz 1965, 305. Rattner 1972, 17. Neidhardt 1974, 22. Neidhardt 1974, 18; Buss 1961, 28.
2. Psychologische Erklärungsansätze zum aggressiven Verhalten
37
Unter gleichbleibenden Rahmenbedingungen erhöht Frustration die Gefahr, daß es zu aggressiven Handlungen kommt. Dieser Umstand muß bei der Erklärung von Gewalt in der Familie und ihren Schäden berücksichtigt werden. d) Die Lerntheorie der Aggression
Die Lerntheorie zieht zur Erklärung des Erwerbs aggressiven Verhaltens genau dieselben Lernprinzipien heran, die auch für die Entwicklung anderer sozialer Verhaltensweisen gelten 53 . Aggression ist danach als erlernt anzusehen. Viele aggressive Handlungen erfordern besondere Fertigkeiten, die nur aufgrund intensiver Lernprozesse zu erwerben sind 54 . Es gibt zwei unterschiedliche Wege, wie neue soziale Verhaltensweisen in das Repertoire des einzelnen aufgenommen werden können: das Lernen am Erfolg (Verstärkungslernen) auf der Grundlage der Prinzipien des instrumentellen Konditionierens und das Lernen am Modell
(Imitationslernen) 5 5 .
Nach den Grundsätzen des instrumentellen Lernens steht aggressives Verhalten unter der Kontrolle seiner positiven oder negativen Folgen. Es kann auf dem Wege der direkten Verstärkung bekräftigt werden 56 . Aggressive Verhaltensmuster werden insbesondere dadurch eingeübt und verstärkt, daß sie zu dem vom Handelnden beabsichtigten Erfolg führen. Dies verursacht beim Handelnden die Erwartung, in einer ähnlichen Situation durch aggressives Verhalten erfolgreich zu sein. Diese Erwartung wird zum Motiv weiterer aggressiver Handlungen. Es kommt zu einem Kreislauf der Aggression 57 . Demgegenüber können aggressive Verhaltensweisen zum Verschwinden gebracht werden, indem sie nicht belohnt werden. Beim Imitationslernen wird die aggressive Handlung einer Modellperson von einer anderen Person beobachtet und nachgeahmt, in deren Verhaltensrepertoire bislang aggressive Reaktionsmuster auf die von der Modellperson erlebte Situation nicht vorhanden waren. Mit der Übernahme der beobachteten Verhaltensabfolge erhält sie ein Instrument zur Bewältigung ähnlicher Situationen. Am Beispiel des Modells lernt sie, welches soziale Verhalten für die Befriedigung eines Bedürfnisses erfolgreich anwendbar ist 5 8 . Verhaltensmodelle können dabei von verschiedenen sozialen Gruppen vorgegeben werden 59 . Die größte Rolle spielen hier familiäre Lerneinflüsse. Daneben stellt der soziale Nahraum, in dem eine Person lebt und zu dem sie dauernde Kontakte unterhält, 53
Bandura/Walters 1963, 109ff.; Schmidt-Mummendey 1972, 28. Bandura 1976, 204 f. 55 Bandura 1976, 204ff.; Schmidt-Mummendey 1972, 29; Neidhardt 1974, 23; Belschner 1971, 75. 56 Schmidt-Mummendey 1972, 29; Bandura/Walters 1963, 118 ff. 57 Belschner 1971, 59. 58 Belschner 1971, 79. 59 Bandura 1976, 205 ff. 54
38
A I. Der Begriff der
al
eine wichtige Aggressionsquelle dar. Wesentliche Lerneinflüsse gehen ferner von symbolischen Modellen aus. Der Lernende erlebt hierbei keine reale Aggression. Es werden ihm vielmehr nur verbal oder bildlich aggressive Verhaltensmuster vermittelt. Heute nehmen die Massenmedien eine herausragende Position unter den Trägern symbolischer Aggressionsmodelle ein. Das Verhalten des Modells wird vom Beobachter kodiert und im Gedächtnis gespeichert 60. Die Erfahrungen können bei späterer Gelegenheit abgerufen werden und als Anhaltspunkte für das aktuelle Handeln des einzelnen dienen. Obwohl die Existenz von Lerneinflüssen auf aggressives Verhalten durch zahlreiche empirische Untersuchungen belegt wird 6 1 , ist freilich nicht nachweisbar, daß Aggression ausschließlich in Lernprozessen entsteht. Die Tatsache, daß ein Lernen stattfindet, widerlegt daher nicht die Annahme, daß auch psychodynamische Prozesse an der Entwicklung aggressiver Verhaltensbereitschaften beteiligt sein können. Immerhin ist der Lernforschung der Beweis gelungen, daß biologische Mechanismen bei der Verursachung aggressiver Verhaltensweisen keine zentrale Rolle spielen. Der Theorie des sozialen Lernens ist es darüber hinaus möglich, alle Formen der Aggression, individuelle und kollektive, feindliche und instrumenteile, reaktive und spontane, zu erklären 62 . Sie ist auch in der Lage, der aggressionsveranlassenden Wirkung von Frustrationen einen Stellenwert einzuräumen. Nach der Lerntheorie verursachen Frustrationen einen emotionalen Erregungszustand, der zu einer Reihe verschiedener Verhaltensweisen führen kann, deren tatsächliches Auftreten von den Lernerfahrungen einer Person abhängt. Die Lerntheorie erkennt aggressives Verhalten und dessen Beseitigung nicht nur als individuelles, sondern auch als soziales Problem 63 . Da Aggression erlernt wird, ist sie auch verlernbar. Die Lerntheorie läuft damit nicht Gefahr, Aggression als unabwendbares Schicksal der Menschheit hinzunehmen. 3. Gewalt als strafrechtlich erfaßte Form der sozialen Aggression Gewalt ist eine Form der sozialen Aggression. Das Strafgesetzbuch verwendet den Begriff der Gewalt in zahlreichen Straftatbeständen (vgl. insbesondere §§ 239,240 sowie §§ 177,178,234,234a, 235,237,239b, 249,250,252,253,255). Der Gehalt des strafrechtlichen Gewaltbegriffes ist innerhalb von Rechtsprechung und Lehre stark umstritten 64 . Dabei ist insbesondere nicht abschließend geklärt, ob Gewalt immer eine Einwirkung auf den Körper eines anderen 60
Bandura 1979a, 69. Vgl. die Übersicht bei Bandura/Walters 1963, 118 f. 62 Bandura 1976, 203. 63 Belschner 1971, 89. 64 Vgl. die Darstellung der Positionen bei Geilen 1966; Müller-Dietz 1974; Wessels 1986b, § 8 I I I 2; Eser S/S Vorbem §§ 234ff. Rdn. 6ff. 61
3. Gewalt als strafrechtlich erfaßte Form der sozialen Aggression
39
umfassen muß oder ob auch psychische Einwirkungen genügen. Der Begriff der Gewalt wird vom Strafrecht im Rahmen von Willensbeugungstatbeständen benutzt. Gewalt gilt in diesen Tatbeständen als Mittel, das der Täter einsetzt, um die persönliche Entscheidungs- oder Fortbewegungsfreiheit des Opfers einzuschränken oder auszuschließen und um es dem eigenen Willen gefügig zu machen. Alle Definitionen des strafrechtlichen Gewaltbegriffes bringen diesen Zweckgehalt der Gewalt zum Ausdruck. Der Untersuchung körperlicher Gewaltanwendung in der Familie muß demgegenüber ein anderer, nicht zweckgebundener Gewaltbegriff zugrunde gelegt werden. Nach der strafrechtlichen Bedeutungsbildung ist der Begriff der Gewalt auf bestimmte Formen der instrumentellen Aggression zu begrenzen. Aggressives Verhalten gegenüber Familienmitgliedern dient zwar häufig ebenfalls dazu, den Angegriffenen unter den Willen des Angreifers zu zwingen. Die soziale Aggression innerhalb der Familie ist jedoch nicht notwendigerweise auf die Erreichung eines übergeordneten Zieles ausgerichtet. Sie kann auch den Charakter feindlicher Aggression haben. Der Gewaltbegriff, auf den sich diese Studie stützt, muß daher zweckneutral sein und kann sich folglich nicht mit dem strafrechtlichen Gewaltbegriff decken. Körperliche Gewalt ist ein gegen einen anderen Menschen gerichtetes Verhalten, das diesen Menschen nach den Vorstellungen des Angreifers körperlich verletzen soll. Die Ausübung körperlicher Gewalt unabhängig von der Verfolgung bestimmter Zwecke ist von den strafrechtlichen Körperverletzungs- und Tötungstatbeständen (§§223ff., §§21 Iff.) erfaßt, ohne daß das Strafrecht in diesem Zusammenhang jedoch den Begriff der Gewalt verwendet. Nach einem strafrechtlich ausgerichteten Begriffsverständnis müssen fahrlässige Körperverletzungen und Tötungen aus dem Gewaltbegriff ausgeschieden werden. Psychologisch gesehen können entsprechende Fahrlässigkeitstaten zwar auf einer möglicherweise sogar unbewußten feindlichen Neigung des Handelnden gegenüber dem Opfer beruhen. Das Strafrecht unterscheidet indessen nicht zwischen Fahrlässigkeitstaten, die von bloßer Unvorsichtigkeit herrühren, und solchen, die sich aus einer latenten Feindschaft dem Opfer gegenüber ergeben. M i t einer derartigen Differenzierung, die auch Psychologen schwerfällt, wäre das Strafrecht überfordert. Taten, die nach strafrechtlicher Beurteilung als fahrlässig begangen einzustufen sind, sollen daher ohne Rücksicht auf die ihnen zugrundeliegenden psychischen Vorgänge beim Täter aus dem Gewaltbegriff ausgeschieden werden. Körperliche Gewaltanwendung wird somit als eine Handlung definiert, die in dem Vorsatz vorgenommen wird, einen Menschen körperlich zu verletzen. Zu einem körperlichen oder gesundheitlichen Schaden braucht es dabei nicht gekommen zu sein. Ein solcher braucht auch nicht vom Vorsatz des Täters umfaßt zu sein. Es reicht aus, daß der Angreifer beim Opfer körperliche Schmerz- oder Unlustgefühle hervorrufen will. Unter diesen Gewaltbegriff fallen nicht die unter Familienangehörigen üblichen zärtlich gemeinten „Püffe" oder „Kniffe". Auch der strafende „Klaps", der in der Erziehung von Kleinkindern häufig angewendet wird, ist keine
40
A II. Der Begriff der Familie
Gewalt, solange er keine körperlichen Schmerzempfindungen verursacht, sondern ausschließlich eine moralische Mißbilligung ausdrückt.
II. Der Begriff der Familie 1. Der juristische Familienbegriff Der Begriff der „Familie" wird in verschiedenen Gesetzen häufig verwendet (z.B. Art. 6 I und I I I GG, BGB 5. Buch, StGB 12. Abschnitt, ZPO 6. Buch). Eine Legaldefinition dieses Begriffes gibt es gleichwohl nicht. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, daß der Gesetzgeber bei Schaffung dieser Normen die Familie als sozialgeschichtlich gewachsene Institution bereits vorfand. Die Bildung eines juristischen Familienbegriffes ist dennoch notwendig, da ein allgemeiner gesellschaftlicher Konsens darüber, welche Formen des Zusammenlebens als Familie anzusehen sind, heute nur noch in einem Kernbereich besteht. Die Ansichten scheiden sich insbedondere an der Beurteilung nichtehelicher Lebensgemeinschaften, die in den letzten Jahren beträchtlich an Bedeutung gewonnen haben. Das Bürgerliche Recht versteht unter Familie den Kreis der durch Ehe, Verwandtschaft
und Schwägerschaft
verbundenen Personen 1. I m engsten Sinne
faßt das BGB unter den Begriff der Familie die Ehegatten und ihre von ihnen abstammenden oder adoptierten Kinder 2 . Nach dem vom Grundgesetz in Art. 6 I und I I I zugrundegelegten Konzept ist eine von der Rechtsordnung anerkannte natürliche oder gesetzliche Verwandtschaft Voraussetzung, nicht aber abschließendes Merkmal der Familie 3 . Als entscheidend werden die persönliche Bindung und die daraus abgeleitete Verantwortlichkeit innerhalb eines durch Verwandtschaft einander zugeordneten Personenkreises angesehen4. Hierbei wird nicht auf das rein faktische Bestehen von Bindungen abgestellt, sondern auf die Existenz wechselseitiger rechtlicher Ansprüche und Pflichten. Da das Bürgerliche Recht besondere Pflichten zwischen Eltern und Kindern normiert, geht auch das Grundgesetz davon aus, daß die entscheidenden persönlichen Bindungen zwischen Eltern und Kindern bestehen. Damit ist der grundgesetzliche Familienbegriff dem bürgerlich-rechtlichen angeglichen. Auch in der durch den Wegfall eines Elternteils unvollständig gewordenen Familie sowie in der Gemeinschaft zwischen der Mutter und ihrem nichtehelichen Kind besteht eine solche gesetzlich sanktionierte Pflichtenbindung. Der grundgesetzliche Familienbegriff umfaßt sie daher ebenso wie das Verhältnis des nichtehelichen Kindes zu seinem Vater 5 . 1 Erman/Heckelmann Einl. § 1297 Rdn. 4; Soergel/ Siebert /Lange Einl. FamR Rdn. 1. 2 Palandt / Diederichsen Einl. v. § 1297 Anm. 1. 3 Maunz/Dürig/Herzog Art. 6 Rdn. 16 a; Pirson BK (Zweitbearbeitung) Art. 6 Rdn. 20. 4 Pirson BK (Zweitbearbeitung) Art. 6 Rdn. 20.
2. Der sozialwissenschaftliche Familienbegriff
41
Der juristische Familienbegriff ist als Grundlage dieser Untersuchung unpassend, da er an rein formale Kriterien (Verbindung durch Eheschließung und Verwandtschaft, gesetzlich vorgegebene Pflichtenbindung) anknüpft. Es sind nicht diese formalen Kriterien, die die Gewaltanwendung unter Familienmitgliedern zu einem Problem machen, das sich von dem allgemeinen Problem der Gewalttätigkeit unterscheidet. Vielmehr ist es die Tatsache, daß Täter und Opfer in einer dauernden, engen persönlichen Beziehung leben, die eine besondere Behandlung dieses Problemkreises erfordert. Dieses Kriterium berücksichtigt der juristische Familienbegriff nur unzureichend. Er ist zu eng, indem er nicht die, faktische Familie" erfaßt. Zwischen den einzelnen Angehörigen der faktischen Familie bestehen keine Verbindungen durch Eheschließung oder Verwandtschaft. Sie weist aber eine rein tatsächliche Beziehungs- und Pflichtenstruktur auf, die derjenigen der gesetzlich sanktionierten Familie ähnelt. 2. Der sozialwissenschaftliche Familienbegriff Gesellschaftswissenschaftlich gesehen kann die Familie sowohl als „kleine soziale Gruppe"
6
wie auch als gesellschaftliche
Institution
7
begriffen werden.
Gruppen zeichnen sich als soziale Gebilde durch eine bestimmte Beziehungsstruktur zwischen ihren Mitgliedern aus, die sie aus der Gesamtgesellschaft heraushebt. Ein gemeinsames Gruppenbewußtsein, gemeinsame Gruppenwerte und -gebräuche setzen die einzelne Gruppe von anderen sozialen Formationen ab. Während die Gruppe ein personaler Zusammenschluß ist, erhebt sich die Institution in ihrer Organisation über die reinen Personenbeziehungen. Die Institution ist eine von der sozialen Gesamtheit anerkannte Funktionseinheit, die eine gewisse Dauer aufweist und vom Individuum abgelöst besteht8. Untereinander unterscheiden sich Institutionen in ihren Aufgaben. Während die Familie als Gruppe also durch eine bestimmte Beziehungsstruktur zwischen ihren einzelnen Mitgliedern gekennzeichnet ist, läßt sie sich als Institution durch ihre besonderen Aufgaben charakterisieren. a) Die familiäre Beziehungsstruktur
Als Gruppe zeichnet sich die Familie dadurch aus, daß ihre Mitglieder ihre persönlichen Zwecke zugunsten gemeinsamer Ziele und Strebungen zurückstellen. Von anderen Gruppen unterscheidet sie sich durch die ausgesprochene Intimität der familiären Beziehungen9. Das Wesen der Intimität von Gruppen5
Soergel/Siebert/Lange Einl. FamR Rdn. 1; v. Münch/v. Münch Art. 6 Rdn. 4; Pirson BK (Zweitbearbeitung) Art. 6 Rdn. 24; Maunz/Dürig/Herzog Art. 6 Rdn. 16 a. 6 Ciaessens 1972, 57. 7 Schelsky 1955, 26. 8 Schelsky 1955, 27. 9 König 1946, 118.
42
A II. Der Begriff der Familie
beziehungen besteht darin, daß die Gesellungsform für jedes Mitglied aus eigener Erfahrung überschaubar ist und zwischen allen Mitgliedern persönlicher Kontakt besteht, auf dem sich die weiteren Merkmale der Gruppe, wie ihre Solidarität, ihre sozialen Werte und ihre Verhaltensmuster, aufbauen 10 . Die Intimität familiärer Beziehungen reicht freilich noch weiter. In der Familie erfahren sich die einzelnen Mitglieder untereinander in ihrer gesamten Persönlichkeit. Darüber hinaus erfaßt die Familiengruppe selbst ihre Mitglieder bis in Tiefen ihrer Persönlichkeiten, die für fast alle anderen sozialen Gruppen unzugänglich sind 11 . Die Familienbeziehungen haben dabei eine starke emotionale Bedeutung 12 . Sie bieten dem einzelnen einen gefühlsmäßigen Zufluchtsort gegenüber der Versachlichung des außerhalb der Familie wirkenden gesellschaftlichen Lebens 13 . Diese emotionale Intensität einer Beziehung setzt einerseits das Bestehen eines Intimverhältnisses voraus und vertieft es andererseits. Die Familie kann demnach als eine soziale Gruppe definiert werden, die ihre Mitglieder verbindet
durch intime Gefühlsbeziehungen, .
Kooperation
und gegenseitige Hilfe
14
b) Die Funktionen der Familie
Die Familie dient als soziale Institution der Erhaltung und Fortentwicklung der menschlichen Kultur, der gewachsenen menschlichen Werte und Gebräuche. Diesen Zweck erfüllt sie durch Übernahme einer Reihe biologischer und sozialer Einzelfunktionen, die eng miteinander verflochten sind 1 5 . Der Familie kommt daher eine biologisch-soziale Doppelnatur zu 1 6 . aa) Biologische
Funktionen
Biologischer Urgrund familiärer Gesellungsformen bei Menschen und Tieren ist die Zeugung und Aufzucht von Nachkommenschaft. Die Familie erfüllt die Funktionen der Schaffung neuen Lebens ( = Reproduktion) und der Bewahrung bereits bestehenden Lebens. Da der Mensch später reift als jedes andere Lebewesen und keine Instinkte hat, die die Anpassung an seine Umwelt erleichtern, muß er in einer Art Familie leben, die ihn zum Ausgleich seiner natürlichen Hilflosigkeit ernährt, beschützt und unterweist 17 . Die Familie erhält das Kleinkind physisch, wirtschaftlich und emotional. Auch dem erwachsenen Familienmitglied gegenüber erfüllt sie diese Funktionen. Zwar kann der 10 11 12 13 14 15 16 17
Schelsky 1955, 19. König 1955, 144. Goode 1976, 11. Ciaessens 1972, 54. König 1946, 119. Vgl. Goode 1960, 32 ff. Lüschen/König 1965, 12; Ciaessens 1972, 14. Goode 1976, 31 f.
2. Der sozialwissenschaftliche Familienbegriff
43
Erwachsene für seinen eigenen physischen Erhalt in der Regel selbst sorgen. Die Familie übernimmt diese Aufgabe aber dann, wenn er hierzu nicht in der Lage ist. Dies ist insbesondere bei Krankheit der Fall. Darüber hinaus dient die Familie auch dem körperlichen Erhalt des gesunden Familienmitgliedes, indem sie für den einzelnen einen sozialen Raum der Erholung und Freizeit bereitstellt. Ebenso trägt sie für den wirtschaftlichen Unterhalt derjenigen erwachsenen Familienmitglieder Sorge, die sich nicht selbst unterhalten können oder wollen. Für seine emotionale Geborgenheit kann auch der Erwachsene alleine nicht sorgen, da sie sich in der menschlichen Beziehung verwirklicht. Die Familie ist häufig der einzige Ort, an dem der erwachsene Mensch Gefühle frei ausleben kann und auch selbst gefühlsmäßige Zuwendung erfährt. Auch für das erwachsene Gesellschaftsmitglied spielt die Familie demnach eine wichtige daseinserhaltende und -stabilisierende Rolle. bb) Soziale Funktionen
Soll die Familie ihren institutionellen Zweck der Erhaltung und Fortentwicklung der gesellschaftlichen Werte und Gewohnheiten erfüllen, so muß sie neben den biologischen Funktionen wichtige soziale Aufgaben übernehmen. Die überragende soziale Bedeutung der Familie liegt in ihrer Vermittlungsfunktion im Rahmen der Gesamtgesellschaft. Die Familie verklammert das einzelne Gesellschaftsmitglied mit dem weiteren gesellschaftlichen Raum 1 8 . Sie gibt die sozialen Normen und Werte an die in ihr geborenen Nachkommen weiter. Die zentrale soziale Aufgabe der Familie ist die Ausbildung einer gesellschaftsfähigen, sozial integrierten
Persönlichkeit
des jungen Menschen 19.
Innerhalb der
Familie vollzieht sich seine „zweite, soziokulturelle Geburt" 20. Der Mensch gewinnt die entscheidenden Verhaltensmaßstäbe erst durch die Familie 2 1 . Sie ist als soziale Institution damit betraut, einen biologischen Organismus, das neugeborene Kind, zum menschlichen Wesen zu formen 22 . Dies vollzieht sich in einem Sozialisationsprozeß, in dem das Kind die Werte und Kenntnisse seiner Gruppe erwirbt und die seiner Position entsprechenden sozialen Rollen lernt 2 3 . Das entscheidende Ergebnis dieses Prozesses liegt darin, den jungen Menschen dazu zu bringen, die Aufgaben übernehmen zu wollen, die erfüllt werden müssen, wenn die Gesellschaft und ihre Mitglieder überleben sollen 24 . Die Familie ist zwar nicht die einzige soziale Institution, die Sozialisationsfunktionen wahrnimmt. Andere Institutionen, wie Schule und Kindergarten, aber auch 18 19 20 21 22 23 24
Goode 1976, 13. Lüschen/König 1965,13; König 1946, 21. Lüschen/König 1965,16; König 1955, 143ff. Lüschen/König 1965, 16. Goode 1976, 23, 29. Goode 1976, 27. Goode 1976, 42.
44
A II. Der Begriff der Familie
die Massenmedien, haben der Familie wichtige Teilbereiche ihrer Sozialisationsaufgaben abgenommen. Zu dem Zeitpunkt, in dem sich diese Institutionen in den Sozialisationsprozeß einschalten, hat aber die Familie die wichtigsten Grundlagen einer erfolgreichen Sozialisation bereits gelegt. Die elementaren Normen und Werte gesellschaftlichen Zusammenlebens hat das Kind durch Vermittlung seiner Familie schon in den ersten drei Lebensjahren verinnerlicht. Kindergarten und Schule finden bereits ein vorgeformtes Wesen vor. Die Familie wacht auch über die Einhaltung der sozialen Normen. Sie ist eine wichtige Instanz der informellen Sozialkontrolle 25 . Durch die Familie hält die Gesellschaft den einzelnen zur nötigen sozialen Mitarbeit an. Ihre Kontrollfunktion übt die Familie dabei nicht nur gegenüber ihren jugendlichen Mitgliedern aus. Auch der erwachsene Mensch unterliegt der sozialen Überwachung durch seine Familie, die dadurch zum wichtigsten Instrument der Gewährleistung sozialer Ordnung wird. 3. Die Familie als strafrechtlich bedeutsame soziale Gruppe und Institution Wenn es zwischen zwei oder mehreren Personen zu gewaltsamen Handlungen kommt, ist es nicht das Bestehen eines rein formal-rechtlichen Familienverhältnisses zwischen den Beteiligten, das bei der strafrechtlichen Behandlung des Falles besondere Probleme aufwirft. Auch in der rechtlich nicht geschützten, faktischen Familie, etwa in der Lebensgemeinschaft zwischen einer Mutter, ihren Kindern und ihrem Freund, tauchen Konflikte auf, die für ein familiäres Zusammenleben typisch sind und die körperliche Gewaltanwendungen begünstigen können. Zwischen den Mitgliedern einer faktischen Familie bestehen ähnliche wirtschaftliche, soziale und emotionale Abhängigkeiten wie in einer rechtlich legitimierten Familie. Diese Abhängigkeitsbeziehungen lassen die Opfer von Gewalttaten in der Gemeinschaft mit dem Täter verharren und erschweren die soziale Kontrolle von außen. Auch die nicht durch Eheschließung der Eltern oder Elternersatzpersonen verbundene Familie erzieht ihre Kinder und nimmt damit Sozialisationsfunktionen wahr, die gesellschaftlich überwacht und abgesichert werden müssen. Deshalb muß eine Intimgruppe, die familientypische Funktionen erfüllt, vom Strafrecht selbst dann besonders sorgsam behandelt werden, wenn sie rechtlich nicht als Familie anerkannt wird. Sinnvollerweise muß daher bei der Definition des Familienbegriffes auf die oben entwickelten sozialen Kriterien zurückgegriffen werden. Eine Familie ist demnach eine Intimgruppe, die als Institution die Aufgaben der Reproduktion, der physischen, wirtschaftlichen und emotionalen Erhaltung ihrer Mitglieder, der Sozialisierung und der sozialen Kontrolle erfüllt. Unerheblich ist, ob die
Familienmitglieder durch Eheschließung oder Verwandtschaft miteinander verbunden sind. Als Familie sollen auch die unvollständige Familie, das heißt 25
Goode 1976, 17; Lüschen/König 1965, 14f.; H.J. Schneider 1966.
A III. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
45
die Familie, bei der ein Elternteil fehlt, und kinderlose Ehegatten oder Lebenspartner angesehen werden.
III. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes Die Studie befaßt sich ausschließlich mit der rein körperverletzenden Gewalt in der Familie. Sie legt auch auf die Betrachtung der leichteren und mittelschweren Formen der Gewaltanwendung Gewicht, die einen Großteil aller Gewalttaten in der Familie ausmachen. Diese Taten stellen nicht nur wegen ihrer relativen Häufigkeit besondere Anforderungen an das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht. Da ihr Erscheinungsbild weniger dramatisch ist, erfahren sie weniger soziale Aufmerksamkeit als schwere und schwerste Gewalttaten. Ihre Kontrolle ist daher mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Sie werden gesellschaftlich in weit stärkerem Umfang gebilligt oder wenigstens geduldet als schwere Mißhandlungen. Die Notwendigkeit und die Angemessenheit strafrechtlicher Maßnahmen werden für diesen Bereich der Gewalt in der Familie am stärksten bezweifelt. Da das Opfer keine schwerwiegenden körperlichen Schäden erleidet, scheint sein Schutzinteresse hinter den Gefahren zurückzutreten, die strafrechtliche Eingriffe mit sich bringen können. Gleichzeitig haben Strafrecht und Strafprozeßrecht gerade im Bereich der leichten und mittelschweren familiären Gewaltanwendung mehr Möglichkeiten, ihre Maßnahmen den besonderen Bedürfnissen des Einzelfalls anzupassen und auf einer weniger formellen Ebene „sanft" zu reagieren. Sie sind nicht wie bei schweren Gewalttaten durch das Schuld- und das Legalitätsprinzip und das Gebot einer glaubwürdigen Verteidigung der Rechtsordnung gegen schwerwiegende Angriffe zu harten, formellen Reaktionen gezwungen. Die Chancen, bei entsprechender Gestaltung strafrechtlicher und strafprozessualer Maßnahmen eine Wiederholung von Gewalttaten zu verhindern, sind im Bereich der leichten und mittelschweren Gewalt in der Familie im allgemeinen besser als bei schweren gewaltsamen Ausschreitungen. Tödliche Gewalttaten in der Familie werden aus dieser Untersuchung ausgeklammert. Der tödlichen Gewalt kommt eine gesteigerte soziale Aufmerksamkeit zu, die zwar weniger ihre präventive, immerhin aber ihre repressive Kontrolle erleichtert. Der Tod eines Familienmitgliedes kann kaum geheim gehalten werden und führt immer zumindest zu ärztlichen Untersuchungen. Der Einsatz tödlicher Gewalt wird ferner von anderen sozialen Normen gesteuert als die nur körperverletzende Gewalt. Während der Familie in der Gestaltung ihres internen Lebens gesellschaftlich weitestgehende Freiheit zugebilligt wird, die sich vielfach sogar auf die Anwendung körperlich verletzender Gewalt erstreckt, ist die Tötung von Familienmitgliedern von der familiären Autonomie eindeutig nicht mehr gedeckt. Auch in ihren Folgen für den Familienverband unterscheidet sich die tötende von der rein körperverletzenden Gewalt. Sie stellt einen unmittelbaren Angriff auf die strukturelle Vollständigkeit der Familie dar und
46
A III. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
zerstört sie bei Eintritt des Angriffserfolges irreparabel. Die Wiederholungsgefahr ist bei Tötungsdelikten gering 1 . Da die Tötung eines Menschen einen noch zentraleren Wert innerhalb des formellen und informellen Normengebäudes verletzt als die Zufügung körperlicher Schäden, wird der Rahmen strafrechtlicher Reaktionen vom Schutz dieses Wertes bestimmt. Der Gedanke des Familienschutzes und der spezialpräventiven Einwirkung auf den Täter kann nur innerhalb dieses Rahmens Geltung finden. M i t dem Problem der körperlichen Gewaltanwendung in der Familie eng verbunden ist das Problem sexueller Angriffe unter Familienmitgliedern. Sexuelle Angriffe unter den Ehegatten oder Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und von Seiten der Eltern oder Elternersatzpersonen, insbesondere des Vaters oder Stiefvaters, auf die Kinder kommen häufig vor. Sie sind nicht immer mit körperlicher Gewaltausübung verbunden. Bereits aus seiner Abhängigkeit vom Täter kann für das Opfer eine nötigungsähnliche Situation entstehen, die es zwingt, die Handlungen des Täters zu dulden, ohne daß auf dessen Seite der Einsatz von körperlicher Gewalt oder auch nur von Drohung erforderlich wäre. Unabhängig davon, ob sie mit Gewaltanwendung verbunden sind oder nicht, bedürfen sexuelle Mißhandlungen innerhalb der Familie einer besonderen Analyse. Weder ihre Ursachen noch die durch sie beim Opfer und der betroffenen Familie hervorgerufenen Schäden können ohne weiteres mit den Ursachen und Schäden rein körperlicher Mißhandlungen gleichgesetzt werden, die nicht mit sexuellen Übergriffen einhergehen. Der Problembereich der sexuellen Angriffe unter Familienmitgliedern soll deshalb aus dieser Untersuchung ausgeklammert werden. Die rein körperverletzenden Gewalttaten in der Familie, mit denen sich die Studie befaßt, können nach den beteiligten Personen in vier Gruppen von Gewalthandlungen unterschieden werden: (a) die Gewaltanwendung unter Ehepartnern oder Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (Partnergewalt), (b) die Gewaltanwendung der Eltern oder Elternersatzpersonen gegenüber ihren Kindern (Eltern-Kind-Gewalt), (c) die Gewaltanwendung der Kinder gegenüber den Eltern oder Elternersatzpersonen (Kind-Eltern-Gewalt) und (d) die Gewalt unter Geschwistern oder Kindern und Jugendlichen, die wie Geschwister aufwachsen (Geschwistergewalt).
1
Vgl. Göppinger 1980, 615; Kaiser 1980, 403; H. J. Schneider 1987, 811 ff.
1. Materiell-rechtliche Einstufung
47
IV. Formen der körperlichen Gewaltanwendung in der Familie und ihre Einordnung nach dem geltenden Strafrecht und Strafverfahrensrecht Die strafrechtliche Beurteilung und Handhabung von Gewalt in der Familie ist nicht in erster Linie ein Problem fehlender oder lückenhafter Strafbarkeitsnormen, sondern ihrer Anwendung 1 . Körperliche Angriffe innerhalb der Familie sind in der Bundesrepublik Deutschland wie in den meisten anderen Ländern ebenso strafbar wie Gewalttaten, die außerhalb der Familie begangen werden. Lediglich das elterliche Züchtigungsrecht, das von Rechtsprechung und Lehre als Rechtfertigungsgrund anerkannt wird, nimmt bestimmte Formen der körperlichen Gewalt gegen Kinder von der Strafbarkeit aus. A u f verfahrensrechtlicher Ebene sorgen Strafantrags- und Privatklageerfordernisse dafür, daß insbesondere leichtere familiäre Gewalttaten nicht strafrechtlich verfolgt werden. 1. Die materiell-rechtliche Einstufung von körperlicher Gewaltanwendung in der Familie a) Die Strafbarkeit des Angreifers nach §§ 2231, 223 a, 224, 225 StGB
Die Grundregel für die strafrechtliche Beurteilung familiärer Gewaltanwendung ist § 2231. Alle Formen der Gewalt in der Familie lassen sich zunächst tatbestandlich unter § 2231 einordnen 2 . § 223 umschließt demnach ein außerordentlich weites Spektrum von Gewalttaten unterschiedlichster Schweregrade, die von der Zufügung eines vorübergehenden körperlichen Mißbehagens bis zur Verursachung schwerster gesundheitlicher Dauerschäden reichen. Bei der strafrechtlichen Beurteilung familiärer Gewalttaten ist neben dem Grundtatbestand des § 223 die Qualifikation des § 223 a und hier wiederum die erste Tatbestandsalternative von besonderer Bedeutung. Familienangehörige werden häufig mit Gegenständen mißhandelt. Sie werden mit Besenstielen, Pfannen oder Schaufeln verprügelt, mit Küchenmessern angegriffen oder mit kochender Flüssigkeit verbrüht. Derartige Angriffe erfüllen den Tatbestand des § 223 a l l . Alt., wenn die verwendeten Werkzeuge nach der konkreten Art ihrer Anwendung und des Körperteils, auf das sie einwirken, geeignet sind, erhebliche Verletzungen herbeizuführen 3. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn Säuglinge oder Kleinkinder oder schwangere Frauen mit solchen Gegenständen geschlagen werden oder wenn die Opfer so heftig verprügelt werden, daß sie innere Verletzungen oder Knochenbrüche erleiden. Auch wenn harte Gegen1
Vgl. Paulsen 1978, 276. Zur Definition der Tatbestandsmerkmale „körperliche Mißhandlung" und „Gesundheitsbeschädigung" vgl. Wessels 1986 b, § 5 I I 1 und 2. 3 Wessels 1986b, § 5 I I I 1; Stree 1980, 285f.; Hirsch L K § 223a Rdn. 8. 2
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A IV. Formen familiärer Gewalt und ihre strafrechtliche Einordnung
stände zu Schlägen auf den Kopf oder in den Unterleib eingesetzt werden, sind sie als gefährliche Werkzeuge anzusehen. Gelegentlich werden gewaltsame Angriffe in der Familie auch „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" begangen und erfüllen damit § 223 a I 4. Alt. Die 2. und 3. Alternative des § 223 a I ist demgegenüber bei Gewalt in der Familie nur selten gegeben. Es ist nicht üblich, daß der Täter seine Angriffsabsicht planmäßig verdeckt. Vielmehr gehen der Gewalt zumeist deutliche Konflikte zwischen Täter und Opfer voraus oder der Angriff kündigt sich dem Opfer auf andere Weise an. Gemeinschaftlich verübte Körperverletzungen (§ 223 a 12. Alt.) geschehen in der Familie manchmal. Es kommt vor, daß beide Eltern gemeinsam ein Kind mißhandeln oder daß ein Elternteil gemeinsam mit einem halbwüchsigen Kind den anderen Elternteil angreift. Charakteristisch für Gewalt in der Familie ist gleichwohl, daß nur ein Familienmitglied das Opfer angreift, während die übrigen Angehörigen den Vorfall aus Angst vor dem Täter, aus eigener Schwäche oder Gleichgültigkeit oder billigend dulden 4 . Körperliche Gewalt in der Familie kann in schweren Fällen die Tatbestände der §§ 224, 225 erfüllen. Insbesondere bei Kindesmißhandlung kommt es gelegentlich zu Hirnverletzungen, die bei dem Opfer Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit hervorrufen können. Gegen den Kopf geführte Schläge können auch zur Erblindung des Opfers auf einem oder beiden Augen führen. In diesen Fällen ist § 224 tatbestandlich gegeben. Demgegenüber handelt der Täter nur in seltenen Fällen mit dem von § 225 geforderten direkten Vorsatz, dem Opfer die in § 224 bezeichneten Dauerschäden zuzufügen. Das aufgrund von Mißhandlungen chronisch kranke, körperlich oder geistig behinderte Opfer stellt eine starke soziale, emotionale und materielle Bürde für den Täter dar. Es vermag seine familiären Funktionen nicht mehr uneingeschränkt zu erfüllen und bedarf der Pflege und Fürsorge. Es belastet das soziale Ansehen der Familie und ist für den Täter eine dauernde moralische Anklage. Auch will der Täter meist wegen seiner noch vorhandenen emotionalen Bindungen an das Opfer nicht dessen dauernde körperliche oder geistige Schädigung. § 225 ist demnach in Fällen familiärer Gewaltanwendung nur selten erfüllt. Die bei familiärer Gewaltausübung relevanten Strafrechtsvorschriften sind daher in der Hauptsache §§223 I, 223a I 1. und 4. Alt. und § 224. b) Sonderregeln bei körperlicher Gewaltanwendung im Eltern-Kind-Verhältnis
Neben den dargestellten Vorschriften zur strafrechtlichen Beurteilung körperlicher Angriffe gelten für die Ausübung von Gewalt im Eltern-Kind-Verhältnis Sonderregeln. Sie wurzeln in dem Autoritätsaufbau der Familie und in dem Recht und der Pflicht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen und zu pflegen (Art. 6 I I GG). 4
So für die Kindesmißhandlung Van Stolk 1972, 31 ff.; Steele/Pollock 1978, 209.
1. Materiell-rechtliche Einstufung aa) Die Aszendentenkörperverletzung
nach § 223 II
49 StGB
§ 223 I I enthält einen Qualifikationsgrund für die Körperverletzung an Verwandten aufsteigender Linie. Von dieser Qualifikation ist daher die Anwendung körperlicher Gewalt seitens eines Kindes gegenüber seinen Eltern erfaßt. § 223 I I greift allerdings nur dann ein, wenn ein rechtlich anerkanntes, durch Blutsverwandtschaft oder Adoption begründetes Eltern-Kind-Verhältnis besteht. Personen, die rein faktisch die Elternrolle ausüben, werden durch § 223 I I nicht besonders geschützt. Die Qualifikation des § 223 I I beruht darauf, daß das Unrecht einer Körperverletzungshandlung als erhöht angesehen wird, wenn sich diese gegen einen Verwandten aufsteigender Linie richtet 5 . §22311 dient weniger der Verteidigung der körperlichen Integrität der Eltern oder Großeltern. Sie ist schon durch den Grundtatbestand des § 223 I ausreichend geschützt. Vielmehr will § 223 I I die elterliche oder großelterliche Autorität wahren. In der Strafrechtspraxis spielt § 223 I I nur eine geringe Rolle. Zum einen werden die von § 223 I I mit Strafe bedrohten Angriffe oft von Personen verübt, die aufgrund ihres jugendlichen Alters ohnehin schuldunfahig sind (vgl. § 19 StGB, § 3 JGG). Zum anderen handelt es sich bei § 223 I I gemäß § 232 um ein Strafantragsdelikt und nach § 374 StPO um ein Privatklagedelikt, das nur in Ausnahmefällen von Amts wegen verfolgt wird. bb) Elterliches
Züchtigungsrecht
und Kindesmißhandlung
Die vorsätzliche Körperverletzung des Kindes durch seine Eltern erfahrt durch das Strafrecht eine besondere Behandlung. Grundsätzlich ist die Körperverletzung des Kindes nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 223 I, 223 a, 224, 225 strafbar. Im Bereich des § 223 I wird indessen das elterliche Züchtigungsrecht als Rechtfertigungsgrund anerkannt, das den Strafrechtsschutz der körperlichen Unversehrtheit des Kindes durchbricht und daher besondere Beachtung innerhalb einer Untersuchung der strafrechtlichen Handhabung von Gewalt in der Familie verdient. Es wird aus dem Personensorgerecht der Eltern (§§ 1626, 1631 BGB) oder der nichtehelichen Mutter (§ 1705 BGB) abgeleitet und findet hierin seine Grenzen 6. Daher steht nur solchen Personen ein Züchtigungsrecht zu, die eine Erziehungspflicht besitzen. Stiefeltern oder andere Personen, die gegenüber dem Kind eine rein faktische Elternfunktion ausüben, haben kein Züchtigungsrecht, weil dieses grundsätzlich höchstpersönlich und daher seinem Wesen nach nicht übertragbar ist. Jedoch kann der Erziehungsberechtigte die Ausübung des Züchtigungsrechts einer Person anvertrauen, die er mit der Erziehung des Kindes beauftragt hat 7 . Auch Stiefeltern und andere Elternersatzpersonen dürfen daher häufig rechtmäßigerweise ein Kind schlagen. 5
Horn SK § 223 Rdn. 30. Wessels 1986a, § 9 II; Horn SK § 223 Rdn. 11; Hirsch L K § 223 Rdn. 22; Eser S/S §223 Rdn. 18. 7 Maurach/Schroeder 1977, § 8 I I I B. 6
4
U. Schneider
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A IV. Formen familiärer Gewalt und ihre strafrechtliche Einordnung
Die körperliche Bestrafung eines Kindes ist im Rahmen des Erziehungsrechts nur zulässig, wenn sie verschiedene objektive und subjektive Rechtfertigungselemente erfüllt 8 . Zunächst darf die Züchtigung nicht über eine körperliche Mißhandlung im Sinne des § 223 I hinausgehen. Körperverletzungen, die das Merkmal der Gesundheitsbeschädigung erfüllen oder gar nach §§ 223 a, 223 b, 224, 225 qualifiziert sind, können nie unter Hinweis auf das elterliche Züchtigungsrecht gerechtfertigt sein. Die Züchtigung muß durch ein Fehlverhalten des Kindes veranlaßt und nach Art und Umfang zur Erreichung des Erziehungszwecks erforderlich und angemessen sein. Sie darf nicht außer Verhältnis zu dem Fehlverhalten des Kindes stehen und muß auf sein Alter und seinen körperlichen Zustand Rücksicht nehmen. Maßnahmen, die das Kind physisch oder psychisch quälen oder seine Gesundheit schädigen, sind unangemessen und daher unzulässig. Die Züchtigung darf die körperliche Integrität des Kindes nur kurzzeitig beeinträchtigen. Entwürdigende Behandlungen sind zur Erreichung des Erziehungszwecks stets ungeeignet und aus diesem Grunde immer unrechtmäßig. Subjektiv setzt die gerechtfertigte Züchtigung einen Erziehungswillen des Täters voraus. Auch wenn ein Fehlverhalten des Kindes vorliegt und die Züchtigung objektiv angemessen ist, darf der Täter nicht aus sadistischen oder anderen Motiven handeln, die mit der Verfolgung von Erziehungszwecken nichts zu tun haben. Unerheblich für den Erziehungswillen des Täters soll es gleichwohl sein, wenn bei der Züchtigung neben erzieherischen Motiven auch Ärger oder Enttäuschung über das kindliche Fehlverhalten mitspielen 9 . Dem Erziehungsrecht der Eltern, aus dem ihr Züchtigungsrecht abgeleitet wird, entspricht eine Pflicht, das K i n d zu erziehen, es zu pflegen und zu versorgen. Vor groben Verstößen gegen diese Pflicht und Mißbräuchen der Erzieherstellung schützt das Strafrecht das K i n d in § 223 b, der unter anderem die „Kindesmißhandlung" unter eine verschärfte Strafdrohung stellt. Das angegriffene K i n d muß der Fürsorge oder Obhut des Täters unterstehen oder von dem Fürsorgepflichtigen der Sorge des Täters überlassen worden sein. Daher können sich sowohl Eltern wie auch Elternersatzpersonen nach § 223 b strafbar machen 10 . Als aktive Tathandlungen erfaßt § 223 b das Quälen und das rohe Mißhandeln. Unter Quälen wird das Zufügen länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art verstanden 11 . Der Begriff der Mißhandlung in §223b deckt sich mit
8
Zu den Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit der Züchtigung vgl. Wessels 1986a, § 9 II; Eser S/S § 223 Rdn. 29ff.; Hirsch L K § 223 Rdn. 29; Horn SK § 223 Rdn. 13f.; Jakobs 1983, Abschn. 16 Rdn. 33. 9 Hirsch L K § 223 Rdn. 30; Dreher/Tröndle § 223 Rdn. 16; Horn SK § 223 Rdn. 14; Eser S/S § 223 Rdn. 24. 10 Stree S/S § 223b Rdn. 7. 11 Wessels 1986b, § 5 V I 3; Stree S/S § 223b Rdn. 12; Hirsch L K § 223b Rdn. 12; Horn SK § 223b Rdn. 6 f.
1. Materiell-rechtliche Einstufung
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demjenigen des § 223 I. Roh ist eine Mißhandlung dann, wenn der Täter sie aus einer gefühllosen, das Leiden des Kindes mißachtenden Gesinnung begeht 12 . Die Gefühllosigkeit braucht dabei keine dauerhafte Charaktereigenschaft des Täters zu sein. Sie muß sich objektiv in der Verursachung erheblicher Folgen für das Wohlbefinden des Opfers offenbart haben 13 . Die äußerliche Schwere der Tat reicht indessen für die Annahme eines rohen Mißhandelns nicht aus, wenn der Täter in großer Erregung handelt 14 . Auch der Anlaß der Tat entscheidet mit über die Frage, ob ein gefühlloses Handeln des Täters vorliegt. Wenn er auf eine Verfehlung des Kindes reagiert, wird um so seltener eine rohe Mißhandlung angenommen, je schwerwiegender das voraufgegangene kindliche Fehlverhalten war. Auch im Rahmen der Auslegung der Merkmale des § 223 b wird somit auf das Recht der Eltern Rücksicht genommen, ihre Kinder körperlich zu bestrafen. Da die Grenzen der erlaubten Züchtigung in der Regel längst überschritten sind, kann die einschränkende Auslegung des § 223 b meist nicht zur Straflosigkeit der Tat führen, sondern verhindert lediglich eine Verurteilung aufgrund dieser Qualifikation. Gleichwohl ist das „elterliche Züchtigungsrecht" ein zentraler Gesichtspunkt der strafrechtlichen Beurteilung von Eltern-KindGewalt. c) Die Strafbarkeit von Familienmitgliedern, die an der körperlichen Gewaltanwendung nicht unmittelbar beteiligt sind
Bei Gewalttaten in der Familie kann nicht nur der Angreifer selbst strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Auch Familienangehörige, die die körperliche Verletzung des Opfers durch ein anderes Familienmitglied dulden, können sich als Unterlassungstäter oder -gehilfen wegen Körperverletzung strafbar machen. Die Duldung von Gewalttaten durch die nicht unmittelbar beteiligten Familienangehörigen ist gerade in Fällen schwerer und wiederholter Gewaltanwendung typisch. Insbesondere die Mißhandlung von Kindern durch einen Elternteil setzt geradezu voraus, daß der andere Elternteil die Verletzung des Kindes zuläßt. Gewalt unter Geschwistern kann sich gleichfalls nur dann aufschaukeln, wenn die Eltern nicht rechtzeitig schützend eingreifen. Familiäre Gewaltanwendung ist eine Angelegenheit der ganzen Familie 15 . Neben dem Angreifer sind die Familienmitglieder, die die Mißhandlung des Opfers dulden, an der Verletzung beteiligt. Ihre Tatenlosigkeit zeigt den Zusammenbruch der familiären Selbstkontrolle an. Das Strafrecht fordert demgegenüber eine funktionierende Kontrolle innerhalb der Familie. Zwischen den Familienmitgliedern besteht ein Netz strafrechtlich relevanter Garantenpflichten. Eltern und Kinder, Ehegatten und Geschwister haben untereinander Garantenstellungen,
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Stree S/S § 223b Rdn. 12. Wessels 1986b, § 5 V I 3; Hirsch L K § 223b Rdn. 14. BGHSt. 3, 109; Maurach/Schroeder 1977, § 10 I I A. Elmer 1967, 337.
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IV. Formen familiärer Gewalt und ihre strafrechtliche Einordnung
die aus ihrer engen persönlichen Verbundenheit und aus familienrechtlichen Vorschriften folgen. Auch die Mitglieder einer rechtlich nicht anerkannten faktischen Familie sind einander zum Schutz vor rechtswidrigen Angriffen verpflichtet. Ihre Garantenstellung ergibt sich aus ihrem tatsächlichen engen Zusammenleben, das seiner Natur nach auf gegenseitige Hilfeleistung angelegt ist 1 6 . Kraft ihrer Garantenstellung müssen Familienmitglieder ihre Angehörigen vor körperlichen Mißhandlungen schützen, soweit ihnen dies möglich ist. Sie haben daher die Stellung von Obhutsgaranten gegenüber den Rechtsgütern ihrer Angehörigen. Eltern sind darüber hinaus verpflichtet, als Hütergaranten Straftaten ihrer minderjährigen Kinder zu verhindern. Sie müssen also grundsätzlich eingreifen, wenn ein Kind seine Geschwister körperlich mißhandelt. Auch Familienangehörige brauchen freilich keine Schutzhandlungen vorzunehmen, die ihnen nicht zumutbar sind. Ein Eingreifen, das den Garanten selbst in die Gefahr bringt, Opfer von Mißhandlungen zu werden, wird ihm meist nicht zugemutet. Allerdings kommt es für die Entscheidung der Frage der Zumutbarkeit immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwere der zu befürchtenden Verletzungen des Opfers. Jugendlichen ist es ebenfalls in der Regel unzumutbar, sich zum Schutz ihrer Geschwister, der Mutter oder des Vaters gegen einen angreifenden Elternteil zu wenden. Eltern wird hinsichtlich des Einschreitens gegenüber handgreiflichen Auseinandersetzungen unter ihren Kindern ein gewisses erzieherisches Ermessen ähnlich dem Erzieherprivileg des § 184IV einzuräumen sein, das ihnen erlaubt, untätig zu bleiben, wenn sie dies für pädagogisch sinnvoll halten. In jedem Fall müssen Eltern allerdings dann einschreiten, wenn ihren Kindern erhebliche Verletzungen drohen. Familienmitglieder sind demnach untereinander gegenüber Gewalttaten in den meisten Fällen strafrechtlich sogar doppelt geschützt. Es bestehen nicht nur Verbotsnovmen , die aktive körperliche Angriffe verhindern sollen. Vielmehr gibt es auch Gefotanormen, die von den an der Gewalthandlung nicht beteiligten Familienmitgliedern ein Eingreifen zum Schutze des Opfers verlangen. Rechtlich geduldet ist in gewissem Rahmen lediglich die körperliche Züchtigung von Kindern. Wenn trotz dieses doppelten Strafrechtsschutzes die Kontrolle familiärer Gewalttaten insgesamt schwach ist, so ist der Grund hierfür im Bereich der Strafrechtsanwendung zu suchen.
16
Stree S/S §13 Rdn. 25.
2. Verfahrensrechtliche Handhabung
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2. Die verfahrensrechtliche Handhabung von körperlicher Gewaltanwendung in der Familie: Das Antragserfordernis des § 232 StGB und die Ausgestaltung der einfachen und der gefährlichen Körperverletzung als Privatklagedelikte Nur selten werden von den Gerichten familiäre Gewalttaten abgeurteilt. Dies liegt zumindest teilweise an verfahrensrechtlichen Regeln, die die öffentliche Strafverfolgung der entsprechenden Delikte verhindern. Sie verursachen Lükken im strafrechtlichen Schutz vor Gewalt in der Familie. Die einfache Körperverletzung wird gemäß § 232 StGB nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Staatsanwaltschaft das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bejaht. Dieses Strafantragserfordernis betrifft einen Großteil der Gewalttaten innerhalb der Familie. Bei ihrer Entscheidung darüber, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung gegeben ist, beachtet die Staatsanwaltschaft die Vorschriften der Nummern 233, 234 i.V.m. Nr. 86 RiStBV. Nach Nr. 86 I I RiStBV ist ein öffentliches Interesse in der Regel anzunehmen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört ist. Aufgrund ihrer geringen sozialen Sichtbarkeit ruft Gewalt in der Familie meist keine gesellschaftliche Beunruhigung hervor. Daher wird gerade bei Körperverletzungen, die an Familienmitgliedern begangen werden, ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung in der überwiegenden Zahl der Fälle verneint. Hier ist die Stellung eines Strafantrages des Verletzten (§ 771) Voraussetzung der strafrechtlichen Verfolgbarkeit der Tat. Die einfache und die gefährliche Körperverletzung sind darüber hinaus nach § 3741 Nr. 4 StPO Privatklagedelikte. Für diese Delikte gilt das Offizialprinzip nicht; sie werden nicht von Amts wegen durch die Staatsanwaltschaft verfolgt. Der Verletzte kann vielmehr selbst die Anklage erheben. Dementsprechend ist der Staatsanwalt gemäß § 377 StPO nicht zu einer Mitwirkung am Verfahren verpflichtet. Die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft folgt bei Privatklagedelikten nach § 376 StPO dem Opportunitätsprinzip. Die Staatsanwaltschaft klagt die Tat nur dann an, wenn ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Dies wird gerade in Fällen familiärer Gewaltanwendung regelmäßig nicht angenommen. Das Strafantrags- und das Privatklageerfordernis wirken sich auf die Strafverfolgung besonders hinderlich aus, wenn ein Kind verletzt worden ist. In diesem Fall müssen gemäß § 77 I I I StGB für das Kind dessen gesetzliche Vertreter, also in der Regel die Eltern (§ 1629 BGB), den Strafantrag stellen und es nach § 374 I I I StPO bei der Erhebung der Privatklage vertreten. Diese Bestimmungen werfen erhebliche rechtliche und tatsächliche Probleme auf, wenn das Kind von den Eltern selbst oder von Geschwistern angegriffen worden ist. Die Eltern werden kaum geneigt sein, Strafantrag zu stellen und Privatklage zu erheben. Darüber hinaus ist derjenige Elternteil, der das Kind verletzt hat, nach dem Grundgedanken des § 181 BGB an der Vertretung des Kindes bei der
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A IV. Formen familiärer Gewalt und ihre strafrechtliche Einordnung
Stellung des Strafantrages und der Erhebung der Privatklage ohnehin rechtlich gehindert 17 . Ob der nicht unmittelbar beteiligte Eltern teil von der Vertretung des Kindes in entsprechender Anwendung des § 1629 I I 1 BGB ausgeschlossen wird, ist umstritten 18 . Unabhängig von der Lösung dieses rechtlichen Problems ist in der Praxis regelmäßig niemand vorhanden, der gleichzeitig rechtlich befugt und tatsächlich bereit wäre, das Antrags- und Klagerecht des verletzten Kindes wahrzunehmen. Auch wenn ein Fall von strafbarer Gewalt gegen das Kind gegeben ist, scheitert die Strafverfolgung daher häufig an den Strafantrags- und Privatklagevorschriften. Der Strafrechtsschutz des Kindes vor familiärer Gewaltanwendung ist demnach sowohl auf materiell-rechtlicher wie auf verfahrensrechtlicher Ebene erheblich durchlässiger als der Schutz des erwachsenen Familienmitgliedes. Die verfahrensrechtlich bedingten Lücken bei der Strafverfolgung familiärer Gewalttaten allgemein sowie die Unvollständigkeit des strafrechtlichen Schutzes des Kindes vor Gewalt in der Familie sind zentrale Probleme dieser Untersuchung.
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BayObLG NJW 1956, 1608; Boeckmann 1960, 1939; Stree S/S §77 Rdn. 21; Rudolphi SK §77 Rdn. 11; Wendisch L R 2 4 § 374 Rdn. 46; v. Stackelberg K K §374 Rdn. 18. 18
Für den Ausschluß beider Eltern von der Vertretung des Kindes und die Bestellung eines Pflegers: Stree S / S § 77 Rdn. 21 ; Schwoerer Anm. zu BayObLG NJW 1956,1688; für die Zulassung des nicht unmittelbar beteiligten Elternteils als alleiniger Vertreter: BayObLG NJW 1956; 1608; Boeckmann 1960,1939; Rudolphi SK § 77 Rdn. 11; Lackner § 77 Anm. 4a.
Teil Β
Die Notwendigkeit eines strafrechtlichen Eingreifens gegenüber familiärer Gewaltanwendung I. Die Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der von familiärer Gewaltanwendung betroffenen Rechtsgüter Die Aufgabe des Strafrechts wird heute übereinstimmend im Rechtsgüterschutz gesehen1. Für sein Eingreifen müssen vier Bedingungen erfüllt sein: (1) Es muß ein anerkanntes Rechtsgut betroffen sein, (2) dieses Rechtsgut muß aufgrund seiner Werthaftigkeit schutzwürdig und (3) wegen des Ausmaßes seiner Gefahrdung schutzbedürftig sein, und (4) es muß gerade der Schutz durch das Strafrecht erforderlich sein. Gewalt in der Familie darf nur unter diesen Voraussetzungen mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft werden. 1. Die Elemente des Rechtsgutsbegriffs Über die Definition des Rechtsgutsbegriffs besteht in der Strafrechtswissenschaft keine hinreichende Klarheit und Einmütigkeit 2 . Ursprünglich war umstritten, ob der Begriff des Rechtsgutes unabhängig vom positiven Recht bestimmt werden kann 3 oder ob es alleine die Wertentscheidung des Gesetzgebers ist, die ein gesellschaftliches oder Individualinteresse zum Rechtsgut erstarken läßt 4 . Beide Ansätze sind indes zur Formulierung eines sinnvollen, in sich schlüssigen Rechtsgutsbegriffes wenig geeignet. Das positivistische Konzept macht den Begriff des Verbrechens davon abhängig, was die Wertenden zum Gegenstand des Verbrechens erheben. Damit ist der Willkür des Gesetzgebers Tür und Tor geöffnet 5. Der Rechtsgutsbegriff wird zur inhaltsleeren Formel. Eine Überprüfung strafrechtlicher Wertentscheidungen anhand des Rechtsgutskonzepts ist unmöglich, da der Strafgesetzgeber selbst willkürlich Rechtsgüter schaffen kann. Allerdings bereitet auch die inhaltliche Konkretisie1 Wessels 1986a, §112; Jescheck 1978, §1111; J. Baumann/Weber 1985, §3112; Maurach/Zipf 1983, § 1 9 I I A ; Bockelmann 1979, §3; Lenckner S/S Vor §§ 13ff. Rdn. 8 ff.; Lackner Vor § 13 Anm. II; Rudolphi SK Vor § 1 Rdn. 1 ff.; Jescheck L K Einl. Rdn. 4f.; vgl. oben Einführung 2. 2 Jakobs 1983, Abschn. 2 Rdn. 7ff. 3 So Birnbaum 1834, 176; v. Liszt 1888. 4 So Binding 1922, 353 ff. 5 Hirschberg 1910, 65; Schall 1974, 45.
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Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
rung eines vorpositiven Rechtsgutskonzepts unlösbare Schwierigkeiten. Sie ist nämlich nur dann möglich, wenn absolut gültige Werte gefunden werden, die in einer Gesellschaft unabhängig von ihrer Anerkennung durch eben diese Gesellschaft gelten. Da es keine Werte gibt, deren Anerkennung nicht dem sozialen Wandel unterworfen ist, sind nur philosophische Spekulationen über die Existenz absoluter Werte möglich. Ihre Konkretisierung hängt weitgehend von dem subjektiven Wertgefüge desjenigen ab, der vor die Aufgabe ihrer Bestimmung gestellt ist 6 . Ein vorpositiver Rechtsgutsbegriff bietet daher nur eine scheinbare Sicherheit gegenüber willkürlichen Wertungseinflüssen. Die Tendenz in der modernen Strafrechtslehre geht deshalb dahin, bei der Bestimmung des Rechtsgutsbegiffes auf die soziale Bedeutung des geschützten oder zu schützenden Interesses abzustellen7. Indessen ist auch eine solche Ausrichtung an der Sozialschädlichkeit strafrechtlich erfaßbarer Verhaltensweisen nicht vor dem Eindringen subjektiver Wertungen gefeit. In einer breiten Grauzone läßt sich nämlich nicht eindeutig und überzeugend feststellen, ob eine Verhaltensweise sozialschädlich ist oder nicht. Immerhin verhindert das Konzept der Sozialschädlichkeit jedoch, daß Verhaltensweisen lediglich deshalb bestraft werden, weil sie als unmoralisch gelten. Es verlangt, daß immer zusätzliche Aspekte gefunden werden, die die Schutzwürdigkeit eines bestimmten Interesses mit seiner Bedeutung für den Bestand des Gemeinwesens begründen. Damit befindet es sich im Einklang mit den Forderungen des Verfassungsrechts. Das grundgesetzlich verankerte Rechtsstaatsprinzip läßt in seinem materiellen Gehalt die Bestrafung reiner Unmoral nicht zu 8 . Sein Ziel ist materielle Gerechtigkeit 9 . Es dient dem Schutz der Freiheit des Bürgers 10 . Daher darf eine Strafnorm nur dann erlassen werden, wenn sie notwendig ist, um die Lebensbedingungen einer durch ihre Verfassung geformten Gesellschaft zu wahren und zu sichern 11 . Das Strafrecht muß sich in der Balance zwischen dem Schutz lebenswichtiger sozialer Interessen und der verfassungsrechtlich verbrieften Toleranz eines freiheitlichen Rechtsstaates halten. Es darf nicht dazu übergehen, den Bürger zu bevormunden 12 . Daher darf es nur dort eingreifen, wo für ein vom Gesetzgeber positiv bewertetes individuelles oder gesellschaftliches Interesse mit hinreichender Sicherheit ein so hoher Grad an Funktionalität innerhalb des Gemeinwesens angenommen werden kann, daß seine Verletzung das Gemeinwesen selbst oder seine Glieder in ihren Funktionen beeinträchtigen würde.
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Vgl. die Ausführungen von Stratenwerth 1981, Rdn. 53 ff. Schall 1974, 68 ff.; Amelung 1972. 8 Amelung 1972, 318; Rudolphi 1970, 158 ff. 9 v.Mangoldt/Klein Art. 20 Anm. V I 1. 10 Maunz/Dürig/Herzog Art. 20 V I I Rdn. 12. 11 Rudolphi 1970, 159. 12 Otto 1971, 10. 7
2. Die durch familiäre Gewaltanwendung verletzten Rechtsgüter
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2. Die durch familiäre Gewaltanwendung verletzten Rechtsgüter Hinsichtlich der direkt angegriffenen Rechtsgüter bestehen zwischen familiärer und außerfamiliärer Gewaltanwendung keine Unterschiede. Es handelt sich um Taten, die die körperliche Unversehrtheit des Opfers und sein körperliches und gesundheitliches Wohlbefinden beeinträchtigen. Familiäre Gewalttaten verletzen indessen darüber hinaus zusätzliche Rechtsgüter, die weder in der unmittelbaren Angriffsrichtung des Täters noch innerhalb der Schutzrichtung der Normen gegen Körperverletzung liegen. a) Das Interesse an der Erhaltung der Familie
Der Grundgesetzgeber hat den zentralen funktionalen Wert der Familie als sozialer Institution 1 erkannt. Art. 61 GG schützt die Familie nicht nur vor staatlichen Eingriffen, sondern enthält darüber hinaus eine institutionelle Garantie 2 . Der Bestand der Familie wird als überstaatlicher Gemeinschaftswert vom Staat geschützt und stellt somit ein Rechtsgut dar. Dieses Rechtsgut wird durch gewaltsames Verhalten innerhalb der Familie geschädigt. Gewaltsame Interaktionsformen stören die Beziehungen innerhalb einer sozialen Intimgruppe. Dies kann bis zu einer Bedrohung des Bestandes der einzelnen Familiengruppe gehen. Die Störungen familiärer Beziehungen verursachen gleichzeitig eine Gefährdung der sozialen Funktionstüchtigkeit der Familie. Sie kann ihre Aufgaben innerhalb der Gesamtgesellschaft nicht mehr befriedigend wahrnehmen. Gerade an der Erfüllung der familiären Aufgaben haben Staat und Gesellschaft ein zentrales Interesse. Es müssen daher nicht nur Störungen der Familie von außen, sondern auch Gefahrdungen von innen erkannt und abgewehrt werden. b) Das Interesse an einer angemessenen Kindererziehung
Das Interesse der Gesellschaft an einer angemessenen Kindererziehung, die die zentrale soziale Funktion der Familie ist 3 , bringt das Grundgesetz in Art. 6 und 7, insbesondere in Art. 6 II, zum Ausdruck 4 . Mit der Aufnahme dieses Wertes in den Schutzbereich der Rechtsordnung hat der Gesetzgeber seine selbständige Rechtsgutsqualität anerkannt. Gewaltanwendung in der Familie gefährdet die angemessene Sozialisation der Kinder. Diese Gefahrdung ist unabhängig davon, ob sich die Gewalt unmittelbar gegen die Kinder selbst richtet oder nicht. Durch jede gewaltsame Störung familiärer Beziehungen 1
Vgl. oben A I I 2 b). v. Münch / v. Münch Art. 6 Rdn. 5,8; Maunz/ Dürig/ Herzog Art. 6 Rdn. 1 ; SchmidtBleibtreu / Klein Art. 6 Rdn. 1, 2; Pirson BK (Zweitbearbeitung) Art. 6 Rdn. 33. 3 Vgl. oben A I I 2 b) bb). 4 Leibholz/Rinck Art. 6 Anm. 7. 2
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Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
werden die Grundlagen für die Sozialisation der Kinder beeinträchtigt. Eine Familie, die mit Gewaltproblemen fertig werden muß und der es nicht gelingt, ihre Konflikte positiv in normgerechter Weise zu lösen, kann sich ihrer Aufgabe der Kindererziehung nicht in ausreichendem Maße widmen. Der Boden für eine angemessene Sozialisation fehlt. Familiäre Gewaltausübung gibt dem Kind Gelegenheit, selbst am Modell gewaltsame Konfliktlösungsstrategien zu erlernen 5 . Aggressive und destruktive Verhaltensweisen werden ihm vorgeführt und auf diese Weise anerzogen. Die Sozialisation wird in Richtung gewaltsamer Erziehungsinhalte verschoben. c) Die freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das Grundgesetz beurteilt die freie menschliche Persönlichkeit als den obersten Wert 6 und schützt sie in Art. 21 GG. Wie der Begriff der Persönlichkeit definiert werden kann, ist freilich sowohl unter Juristen wie unter Psychologen umstritten 7 . In der Grundgesetzauslegung wird die in Art. 21 GG verankerte „freie Entfaltung der Persönlichkeit" meist als „allgemeine menschliche Handlungsfreiheit" umschrieben 8, ohne daß auf den Begriff der Persönlichkeit näher eingegangen wird. Indem das Grundgesetz von der Entfaltung der Persönlichkeit spricht, läßt es erkennen, daß es Persönlichkeit nicht als statische Gegebenheit, sondern als ein prozeßhaftes psychisches Geschehen betrachtet, das sich verschiedenartig entwickeln kann. Die Psychologie versteht Persönlichkeit als Bedingung menschlichen Verhaltens, die bei jedem Menschen einzigartig und relativ stabil ist und den Zeitablauf überdauert 9. Wenn die Stabilität v o n
Verhaltensmerkmalen und -bedingungen bei der Bestimmung des Begriffes der Persönlichkeit vorausgesetzt wird, so bedeutet dies keineswegs, daß die Persönlichkeit als statisches Gebilde verstanden wird. Ihre Prozeßhaftigkeit wird vielmehr von Persönlichkeitstheoretikern hervorgehoben 10. Insbesondere die lernpsychologisch beeinflußten Persönlichkeitstheorien betonen, daß Persönlichkeit auf Lerneinflüssen beruht und sich mit ihnen verändern kann 1 1 . Die Persönlichkeit des Menschen, die durch seine Einstellungen, Werte und überdauernden Verhaltensmuster gekennzeichnet ist, entwickelt und verwirklicht sich zu wesentlichen Teilen in der Familie. Diese kann das Kind zu einem Menschen erziehen, der zu unabhängigem Handeln, Entscheiden und Urteilen 5
Vgl. oben A I 2 d). BVerfGE 7, 405. 7 Vgl. zur juristischen Auslegung: Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 2 Rdn. 3 ff.; Maunz/ Dürig Art. 2 Rdn. 9 ff.; v. Münch/Niemöhlmann Art. 2 Rdn. 10ff.; zum Meinungsstand innerhalb der Psychologie vgl. Herrmann 1976, 23 ff. 8 Vgl. oben Fn. 7. 9 Herrmann 1976, 25, 29. 10 Vgl. die Darstellung der Persönlichkeitstheorien von Rogers und Kelly bei Pervin 1981, 252ff., 318 ff. 11 Vgl. Pervin 1976, 385ff.; Hjelle/Ziegler 1976, 127ff.; Mischel 1981, 330ff. 6
. Schutzürigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer
erung
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fähig ist. Andererseits kann sie auch einen autoritätsabhängigen, unselbständigen und gehorsamen Untertanen heranbilden. Die Selbständigkeit und die Mitwirkungsfähigkeit des Bürgers, die wesentliche Bestandteile seiner Freiheit darstellen, gehören in einem demokratisch verfaßten Gemeinwesen zu den funktionalen, gesellschaftsstützenden Werten. Gewalt in der Familie kann die Entwicklung des Kindes und Jugendlichen zu einer freien Persönlichkeit hemmen und greift damit einen zentralen gesellschaftlichen Wert an. Die Familie, in der es zu gewaltsamen Gruppenprozessen kommt, bietet dem Kind keine ausreichenden Möglichkeiten, frei verantwortliches Handeln zu erlernen. Seine Entwicklung zu einem volltauglichen Mitglied einer demokratischen Gesellschaft, die von jedem einzelnen eine Lebensführung in freier Verantwortlichkeit verlangt, wird gehemmt. Gewalt in der Familie kann darüber hinaus die Betätigung der durch Art. 2 I I GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit eines jeden Familienmitgliedes behindern und zur Entstehung von Handlungsunfähigkeit und Abhängigkeit des in ständiger Angst lebenden Opfers beitragen. 3. Die Schutzwürdigkeit der betroffenen Rechtsgüter aufgrund ihrer Wertstellung im Rechtssystem Der Grad der Schutzwürdigkeit eines Rechtsguts hängt von seiner Wertstellung im Rechtssystem ab. Je elementarer die Sicherung eines Rechtsguts für die Existenz des einzelnen oder für das gesellschaftliche Zusammenleben ist, desto höher ist seine Stellung im Wertsystem der Rechtsordnung. Bei allen durch familiäre Gewaltanwendung betroffenen Rechtsgütern handelt es sich um solch zentrale Werte. Die körperliche Unversehrtheit des Menschen gehört zu den Mindestbedingungen seiner physischen Existenz. Die Möglichkeit zur freien Persönlichkeitsentfaltung ist unverzichtbares Element der sozialen Existenz des Menschen in einer demokratischen Gesellschaft und Grundvoraussetzung der demokratischen Verfassung des Gemeinwesens selbst. Der Familie kommt als Keimzelle des gesellschaftlichen Lebens zentrale Bedeutung für den Bestand und die Fortentwicklung der Gesellschaft zu. In der Sozialisation der Kinder wird schließlich die Weitergabe und das Fortbestehen der gesellschaftlichen Normen, Werte und Gebräuche garantiert. Allen durch familiäre Gewaltanwendung typischerweise gefährdeten Rechtsgütern kommt somit eine besondere Werthaftigkeit zu, die sie auch als strafrechtlich schutzwürdig erscheinen läßt. 4. Die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter aufgrund des Ausmaßes ihrer Gefährdung In welchem Umfang einem Rechtsgut strafrechtlicher Schutz zuteil werden soll, kann sich nicht nur nach dem Grad der Schutz Würdigkeit des Rechtsguts bestimmen. Zentrale Rechtsgüter, die in einer Gesellschaft selten oder nie verletzt werden oder deren Verletzung keine oder nur geringe Schäden verursacht, bedürfen des strafrechtlichen Schutzes nicht in dem Ausmaß wie
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I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
Rechtsgüter, die häufig und mit schweren Folgen verletzt werden. Das Strafrecht muß sich bei der Beantwortung der Frage, ob und inwieweit strafrechtlicher Schutz zu gewähren ist, daher auch am Ausmaß der realen Gefahrdung eines Rechtguts orientieren 1 . Dieser Gefährdungsgrad ist wesentlich mitbestimmend für die Schutz bedürftigkeit des Rechtsguts. Das Ausmaß der Gefährdung ist einerseits von der Häufigkeit der Verletzung und andererseits von der Art und dem Umfang der durch die Verletzungshandlung verursachten Schäden abhängig. a) Die Häufigkeit familiärer Gewaltanwendung
Sie kann unter zwei unterschiedlichen Aspekten betrachtet werden. Einerseits kann man die Frage stellen, wie viele Fälle von Gewalthandlungen in der Familie in einem gegebenen Zeitraum und einer gegebenen Population (z.B. Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland) vorkommen. Dann ist nach der Verbreitung oder der statistischen Häufigkeit dieser Handlungen gefragt. Andererseits ist für das Ausmaß der Rechtsgutsgefährdung auch ausschlaggebend, wie häufig gewaltsame Verhaltensweisen gegenüber einem bestimmten Opfer, dem Rechtsgutsträger, wiederholt werden. Die individuelle Häufigkeit solchen Verhaltens muß demnach ebenso betrachtet werden. aa) Statistische
Häufigkeit
— Verbreitung
Es ist außerordentlich schwierig, einen Überblick über das statistische Ausmaß des Problems familiärer Gewaltanwendung in der Bundesrepublik zu gewinnen. Inländische Zahlen liegen nur zum Umfang der Gewalt gegen Kinder und gegen Frauen vor, und auch bei diesen handelt es sich meist um Schätzungen. Sichere Daten sind nicht verfügbar, da das Dunkelfeld familiärer Gewaltanwendung, der Anteil von Gewalttaten, die nicht offiziell bekannt werden, außerordentlich groß ist. Eine Verwertung vorhandener Zahlen stößt auf Probleme, weil das Phänomen der Gewaltanwendung innerhalb der Familie ganz unterschiedlich definiert wird 2 . Teilweise werden, wie in dieser Arbeit, alle Formen körperlicher Gewalt einbezogen, teilweise nur solche Formen, die durch bestimmte Umstände der Handlung, ihre individuelle Häufigkeit und/oder die Art der hervorgerufenen Verletzungen besonders qualifiziert sind. Gewonnene Daten sind daher nur begrenzt vergleichbar. Die Kriminal- und die Strafverfolgungsstatistik der Bundesrepublik Deutschland weisen Gewalttaten in der Familie nicht gesondert aus. Lediglich über das Delikt der Kindesmißhandlung bzw. der Mißhandlung von Schutzbefohlenen (§ 223 b) enthalten sie Angaben. Danach sind im Jahre 1985 1424 Fälle von Kindesmißhandlung im gesamten Bundesgebiet polizeilich bekannt geworden 3, 1 2 3
Arzt 1976, 148. Vgl. Gelles 1979b; Giovannoni / Becerra 1979, 77 ff. Pol.Krim, für 1985, 89.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
61
während die Anzahl der wegen Delikten nach § 223 b verurteilten Personen nur 209 betrug 4 . Zwischen 1980 und 1984 verzeichnete die Kriminalstatistik einen Rückgang der polizeilich registrierten Kindesmißhandlungen5. 1985 erreichte die Anzahl der Kindesmißhandlungen allerdings einen vorübergehenden Höhepunkt, um in 1986 wieder auf 1205 Fälle zu sinken 6 . Ob die insgesamt rückläufige Tendenz auf eine nachhaltige Veränderung der Erziehungspraxis hindeutet oder nur auf der sinkenden Geburtenrate beruht, ist ungewiß. Wegen des erheblichen Dunkelfelds gerade im Bereich der Kindesmißhandlung geben die polizeilichen Zahlen nur wenig Aufschluß über den wirklichen Umfang des Problems. Schätzungen, die für das Delikt der Kindesmißhandlung ein Dunkelfeld von 95 % zugrunde legen7, gelangen zu einer Anzahl von mindestens 20 000 8 bis 30000 oder sogar 80000 Fällen 9 in der Bundesrepublik pro Jahr. Eine Hochrechnung der Fälle von Kindesmißhandlung und -Vernachlässigung, die den Stellen der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge und der Familienfürsorge in West-Berlin im Jahre 1975 bekannt wurden, für das gesamte Bundesgebiet ergibt ein Ausmaß von 63 660 Fällen, in denen allerdings auch Kindesvernachlässigungen enthalten sind 10 . Freilich ist zweifelhaft, ob sich die in West-Berlin ermittelten Zahlen unkritisch auf die Bundesrepublik übertragen lassen. Es wird geschätzt, daß 10% aller Verletzungen im Säuglings- und Kleinkindalter auf Mißhandlungen zurückzuführen sind 1 1 . Kindesmißhandlungen, die nach § 223 b strafbar sind, machen nur einen geringen Teil der Gewalt gegen Kinder aus. Nur wenige Untersuchungen geben über die Verbreitung der Kindeszüchtigung in bundesdeutschen Familien Aufschluß. Nach Schätzungen machen in der Bundesrepublik 60-80% aller Eltern regelmäßig von Schlägen als Erziehungsmittel Gebrauch 12 . Eine repräsentative Meinungsumfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach im April 1971 ergab, daß rund 42% der Befragten Schläge als letztes Mittel der Erziehung zuließen. Für 28 % der Probanden gehörten Schläge als notwendiger Bestandteil zur Erziehung. Etwa 26% hielten Schläge als Erziehungsmittel demgegenüber für grundsätzlich verkehrt 13 . Die gegebenen Antworten bringen freilich nur die Einstellungen der Befragten zum Ausdruck. Sie lassen nur bedingt Rückschlüsse auf das tatsächlich geübte Erziehungsverhalten zu. Eine Untersuchung an einer nichtrepräsentativen Stichprobe von Schülern einer 4
Statistisches Bundesamt 1986, 60. Vgl. die Pol.Krim. für 1980, 78; für 1981, 77; für 1982, 77; für 1983, 51. 6 Pol.Krim. für 1986, 109. 7 Vgl. auch Würtenberger 1974, 66. 8 Ammon 1979, 15. 9 Viano 1975, 145 f. 10 Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit 1980, 11 f. 11 Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit 1979, 48. 12 Doormann 1979, 27; Petri 1981, 930. 13 Ergebnisse bei Petri / Lauterbach 1975, 120 f. 5
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Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
Sonderschule für Erziehungshilfe in Köln und ihren Eltern im Jahre 1978 ergab, daß in mehr als der Hälfte der Familien Schläge unter den Straftechniken eine hervorragende Rolle spielten 14 . Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte eine empirische Studie über das Ausmaß selbsterfahrener familiärer Gewalt, die in Berlin an vier nichtrepräsentativen Probandengruppen — Neurosepatienten, Psychosepatienten, Strafgefangenen Jugendlichen und „normalen" Kontrollprobanden — durchgeführt wurde 15 . Die zur Kindesmißhandlung und Kindeszüchtigung in der Bundesrepublik verfügbaren Daten geben insgesamt nur ein vages und lückenhaftes Bild. Gleichwohl weisen sie immerhin auf den beträchtlichen, wenig sichtbaren Umfang des Problems der Kindesmißhandlung hin. Darüber hinaus legen die zur Kindeszüchtigung ermittelten Daten den vorsichtigen Schluß nahe, daß Schläge als Erziehungsmittel immer noch stark verbreitet sind, obgleich sie sich nicht mehr einmütiger und uneingeschränkter Zustimmung erfreuen. Diese Erkenntnisse zur Verbreitung der Gewalt gegen Kinder in der Bundesrepublik können durch englische und nordamerikanische Untersuchungen erhärtet werden. Die für Großbritannien und die USA gültigen Daten dürfen zwar nicht ohne weiteres auf die Bundesrepublik übertragen werden. Sie geben aber wertvolle Anhaltspunkte für Schätzungen zum Umfang von Gewalt in der Kindererziehung. Da die sozialen und familiären Strukturen und Wertvorstellungen in Großbritannien und den USA ähnlich sind wie in der Bundesrepublik, lassen die dort gewonnenen Daten behutsame Rückschlüsse auf das Ausmaß und die Formen des familiären Gewaltproblems auch in der Bundesrepublik zu. Die Anzahl der Kindesmißhandlungen in den USA wird unter Einschluß des Dunkelfelds auf 200000 16 , 250000 17 bis 500000 Fälle 18 pro Jahr geschätzt. Die Züchtigung ist als Erziehungsmittel in den USA außerordentlich verbreitet. 84 bis 97% aller nordamerikanischen Eltern sollen ihre Kinder in irgendeiner Phase der Erziehung körperlich züchtigen 19 . Eine Dunkelfelduntersuchung aus dem Jahre 1965 gelangt zu einer Schätzung von 2,53 Mio. bis 4,07 Mio. Fällen elterlicher Gewaltanwendung gegen Kinder in den USA pro Jahr, die alle Arten von Verletzungen von geringfügigen bis zu tödlichen einschließt 20 . Eine in England durchgeführte Befragung von Müttern ergab, daß 75 % der Mütter vierjähriger Kinder diese mindestens einmal in der Woche schlagen, während dies bei 41 % der Mütter siebenjähriger Kinder der Fall ist 2 1 . 22 % der Siebenjährigen wurden mit Gegenständen wie Stöcken, Rohrstöcken, Gürteln, 14 15 16 17 18 19 20 21
Nelles-Bächler 1981. Petri 1981. Newberger/ Hyde 1979, 326. Viano 1975, 145f; Zalba 1971, 60. Gelles 1978, 172; Maden/Wrench 1981, 210. Gelles 1978, 172; vgl. auch die Ergebnisse einer Umfrage von Erlanger 1979, 487. Gil 1979, 178 f. Newson/Newson 1976, 95.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer G e f h r d u n g 6 3 Riemen, Holzlöffeln, Schuhen und Hundeleinen gezüchtigt 22 . Unter Zugrundelegung offizieller Daten berichteter Fälle wird für England und Wales die Anzahl der Fälle nichtunfallbedingter Verletzungen bei Kindern in einer Größenordnung von 3000 bis 3500 pro Jahr angegeben23. Bei diesen Angaben ist allerdings das Dunkelfeld nicht berücksichtigt. Die genannten in- und ausländischen Zahlen weisen nicht nur auf ein erhebliches Ausmaß von Gewalt in der Kindererziehung hin. Sie lassen auch erkennen, daß sich körperliche Strafen keineswegs in dem vielzitierten „kleinen Klaps" erschöpfen. Kinder werden vielmehr häufig mit Gegenständen geprügelt und erleiden vielfach körperliche Verletzungen. Über den Umfang der Gewalt unter Partnern sind keine offiziellen Statistiken vorhanden. Zuverlässige Schätzungen über das Ausmaß des Problems der Frauenmißhandlung in der Bundesrepublik Deutschland gibt es nicht. Teilweise wird die Zahl der mißhandelten Frauen in der Bundesrepublik auf 1 Mio. jährlich angegeben24, ohne daß jedoch näher die Grundlagen dieser Schätzung beleuchtet werden. Das Problem der Gewalt gegen Männer ist in der Bundesrepublik Deutschland noch völlig unerforscht. Hierzu finden sich überhaupt keine Zahlen. Eine Dunkelfelduntersuchung, die 1982 in sieben Großstädten Kanadas durchgeführt wurde, ergab, daß 10% aller ermittelten weiblichen Opfer von Gewalttaten von ihren Männern angegriffen worden waren 25 . Die Polizei erfuhr von weniger als der Hälfte der Fälle. Für die USA nimmt das „Federal Bureau of Investigation " (Bundeskriminalamt) an, daß die Mißhandlung unter Ehegatten das Delikt mit der größten Dunkelzahl ist 2 6 . Es wird geschätzt, daß in 50 bis 60% aller nordamerikanischen Familien Gewaltanwendungen zwischen den Ehepartnern vorkommen 27 . Von 47 Mio. Paaren in den USA sollen in 1975 bei 1,7 Mio. der Mann oder die Frau ihren Partner mit einem Messer oder einer Schußwaffe bedroht haben. 2 Mio. sollen von ihrem Partner verprügelt worden sein, und 2,5 Mio. sollen sich an gefahrlichen Gewalttätigkeiten beteiligt haben. Dabei wurde überraschenderweise festgestellt, daß in den USA hinsichtlich des Umfangs nur geringe Unterschiede zwischen der Gewalt des Mannes gegen die Frau und der Gewalt der Frau gegen den Mann bestehen28. Auch in England und Wales wurde eine beachtliche Anzahl mißhandelter Ehemänner ermittelt 29 . Damit ist allerdings noch nichts über das Ausmaß der bei den Opfern hervorgerufenen Verletzungen gesagt. Wegen der größeren Verletzbarkeit der Frau ist durchaus die Annahme begründet, daß die mißhandelte Ehefrau im 22 23 24 25 26 27 28 29
Newson/Newson 1976, 104. Castle 1976, 112. Haffner 1977/78, 472. Solicitor General Canada 1985. Bei: D. Martin 1978, 112; Davidson 1978, 5; Moore 1979, 12. Moore 1979, 14. Steinmetz 1977/78, 501 m.w.N. McClintock 1978, 89.
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Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
Durchschnitt schwerere körperliche Schäden davonträgt als der mißhandelte Ehemann. Eine erste bedeutende Dunkelfeldstudie über den Umfang aller Formen familiärer Gewaltanwendung wurde 1976 in den USA durchgeführt 30 . Es wurde eine Zufallsstichprobe von 2143 Familien untersucht, von denen 1146 Familien Kinder zwischen drei und siebzehn Jahren hatten, die zu Hause lebten. Je ein erwachsenes Familienmitglied wurde befragt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen die außerordentlich weite Verbreitung familiärer Gewaltanwendung an. In 28% der Familien war es seit der Eheschließung zu Gewalttätigkeiten zwischen den Partnern gekommen. A m häufigsten sind das Stoßen und das gewaltsame Packen des Partners während eines Streits. In 18% der Familien hatte ein Ehepartner den anderen geschlagen. Bei 5% der Paare hatte ein Partner den anderen heftig geprügelt. A m häufigsten wendeten beide Partner gegenseitig Gewalt an. Bei den Gewalttaten mit der höchsten Verletzungsintensität (heftiges Prügeln, Mißhandlung mit Messer oder Schußwaffe) findet sich allerdings ein leichtes Überwiegen der männlichen Angreifer. 73 % der Befragten gaben an, zu irgendeinem Zeitpunkt eine Form von Gewalt gegenüber ihrem Kind eingesetzt zu haben. Schläge mit der Hand wurden von 71 % der Eltern erwähnt. 20 % hatten ihr Kind mit Gegenständen geschlagen, 8 % hatten es getreten, gebissen oder mit der Faust geschlagen, 4 % hatten es schwer geprügelt, und fast 3% der Kinder waren mit einem Messer oder einer Schußwaffe bedroht worden und ebenso viele waren mit diesen Waffen mißhandelt worden. Die höchsten Raten familiärer Gewaltanwendung fanden sich unter Geschwistern. 82 % aller Kinder, die mit Geschwistern aufwuchsen, hatten alleine in dem der Befragung vorausgehenden Jahr ihre Geschwister gewaltsam angegriffen. Zum größeren Teil handelte es sich um leichtere Begehungsformen. Gleichwohl hatten 40 % der Kinder ihre Geschwister mit einem Gegenstand geschlagen und 16% hatten sie schwer geprügelt. Mit steigendem Alter der Kinder geht die Häufigkeit der Gewaltanwendung zurück. Immerhin hatten aber noch 64% aller 15- bis 17-jährigen ihre Geschwister gewaltsam angegriffen. Zur Gewaltanwendung der Kinder gegenüber den Eltern finden sich in der Studie von Straus, Gelles und Steinmetz nur wenige Ergebnisse. 18% der befragten Eltern gaben an, im Vorjahr von einem ihrer Kinder geschlagen worden zu sein. Dabei läßt sich feststellen, daß das Ausmaß der elterlichen Gewaltanwendung gegenüber den Kindern statistisch eng mit dem Maß der Gewaltausübung der Kinder gegenüber den Eltern zusammenhängt. Je häufiger Eltern ihre Kinder geschlagen haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß das Kind ein Eltern teil angegriffen hat. Straus, Gelles und Steinmetz nehmen an, daß es sich bei ihren Daten eher um Unterschätzungen des Umfangs des Problems familiärer Gewaltanwendung handelt 31 . Diese Annahme begründen sie zum einen damit, daß die Befragten 30 31
Straus / Gelles / Steinmetz 1980. 1980,35.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
65
wahrscheinlich nicht von allen gewaltsamen Vorkommnissen innerhalb ihrer Familie wußten und sich nicht an alles erinnerten, sofern sie davon wußten. Zum anderen handelt es sich bei häuslicher Gewaltausübung um ein Verhalten, von dem nicht gerne gesprochen wird. Aus diesem Grunde werden die Befragten weniger geneigt sein, solche Vorfälle zu berichten. In einer Folgestudie, die auf einer Befragung von 1428 amerikanischen Familien mit Kindern im Alter zwischen 3 und 17 Jahren beruht und die im Jahre 1985 durchgeführt wurde, stellten Straus und Gelles einen Rückgang der Gewaltanwendung gegen Kinder gegenüber den Ergebnissen ihrer Untersuchung aus 1976 fest. Er betrug für alle Formen der Gewalt zwar nur 1,6%. Die schwereren Gewalttaten (severe violence) verringerten sich indessen um 23,6%. Dieser Rückgang umfaßt eine Abnahme der Kindesmißhandlung (very severe violence) um sogar 47,2%. Die Autoren führen diese Entwicklung auf die gesteigerte Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber Kindesmißhandlung zurück 32 . Wissenschaftliche Untersuchungen, Berichte in den Massenmedien und eine gezielte, auf die Bekämpfung von Kindesmißhandlung gerichtete Gesetzgebung 33 haben dazu beigetragen, das öffentliche Bewußtsein für dieses Problem zu wecken. Hinsichtlich der Häufigkeit von Gewalttaten unter Partnern fanden die Autoren beim Vergleich ihrer Untersuchungsergebnisse demgegenüber nur geringe Veränderungen. Auch wenn insbesondere schwere Gewalttaten gegen Kinder als Folge eines langsam einsetzenden Bewußtseinswandels teilweise rückläufig sein mögen, deuten die vorhandenen in- und ausländischen Daten einheitlich daraufhin, daß Gewalt in der Familie außerordentlich weit verbreitet ist. Sie macht einen erheblichen Anteil an der Gesamtzahl der strafrechtlich erfaßbaren Gewalttaten aus 34 . Der überwiegende Teil familiärer Gewalttaten wird weder den Strafverfolgungsbehörden noch den Sozialdiensten bekannt. Dies führt zu einer allgemeinen Unterschätzung ihres erheblichen Ausmaßes. Auch die Intensität und die Schwere körperlicher Angriffe auf Familienmitglieder wird häufig unterbewertet. Leichte Angriffsformen mögen zwar insbesondere unter den nicht offiziell bekanntgewordenen Taten bei weitem vorherrschen. Jedoch ist die Anzahl schwerer und schwerster Mißhandlungen beachtlich. Gewalt zwischen Familienmitgliedern erscheint demnach nicht nur als die bei weitem verbreitetste Form von Gewalt, die ein Mensch im Verlaufe seines Daseins erlebt 35 . Sie ist gleichzeitig die sozial am wenigsten kontrollierte und sowohl in ihrer Häufigkeit wie in ihrer Schwere am stärksten unterschätzte Form der Gewalt.
32 33 34 35
5
Straus/Gelles 1985. Vgl. DeFrancis/Lucht 1974. Vgl. die Untersuchungsergebnisse von McClintock 1978, 88. Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 19.
U. Schneider
66
Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter bb) Individuelle
Häufigkeit—
Wiederholung
Die Wahrscheinlichkeit, daß bei einem Opfer familiärer Gewaltanwendung physische und psychische Schäden hervorgerufen werden, ist um so höher, je häufiger sich gewaltsame Vorkommnisse wiederholen. Insbesondere besteht die Gefahr einer Ausweitung und Verschärfung. Der Täter schreitet zu immer schwereren Formen der Gewalt. Ein einzelnes gewaltsames Vorkommnis ist vom Opfer im allgemeinen leichter und schneller psychisch zu verarbeiten als sich ständig wiederholende Angriffe. Die Wiederholungswahrscheinlichkeit bei familiärer Gewaltanwendung gilt, soweit sie erforscht ist, als außerordentlich hoch. So ist es geradezu ein Charakteristikum der Kindesmißhandlung, daß Kinder wiederholt Gewalttätigkeiten seitens ihrer Eltern erfahren 36 . Die Kinder werden über Monate und Jahre hinweg ständig von ihren Eltern angegriffen. Bei einer landesweiten Untersuchung von 13000 Mißhandlungsfallen, die in den Jahren 1967 und 1968 in den USA bekannt geworden waren, wurde bei mehr als 60% der Kinder bereits eine Vorgeschichte von Mißhandlungen festgestellt 37. Eine Studie in Neuseeland kam zu dem Ergebnis, daß 73 % der untersuchten mißhandelten Kinder bereits mehr als einmal angegriffen worden waren 38 . Eine große Anzahl mißhandelter Kinder hat eine Geschichte immer schwerer und häufiger werdender Gewaltanwendung hinter sich 39 . Zu einer Verschärfung der Gewalt kann es leicht kommen, weil der Täter häufig kindliche Verhaltensweisen „bestraft", die für das Kind nicht oder nur in begrenztem Umfang steuerbar sind. Bettnässen, Erbrechen, Schreien des Säuglings, unsauberes Essen, Verweigerung der Nahrungsaufnahme werden mit Mißhandlungen geahndet. Da das Kind dieses Verhalten nicht kontrollieren kann, erreicht der Täter keine Verhaltensänderung bei ihm und sieht sich veranlaßt, zu immer schwereren Formen der Gewalt zu greifen, um das Verhalten des Kindes zu beeinflussen. Gleichzeitig ruft der Täter durch die Mißhandlung selbst beim Kind Fehlverhalten hervor, das er wiederum gewaltsam bestraft. Auf diese Weise wird ein Kreislauf sich aufschaukelnder Gewaltanwendung in Gang gesetzt. Auch bei anderen, leichteren Formen der Gewalt gegen Kinder ist Wiederholung ein typisches Merkmal 4 0 . Gewaltanwendung gegenüber dem Partner beschränkt sich ebenfalls in der Regel nicht auf ein einzelnes Vorkommnis 41 . Aus der bereits erwähnten, von Straus, Gelles und Steinmetz durchgeführten Dunkelfelduntersuchung ergab sich, daß zwei Drittel aller Paare, die für den Zeitraum des der Umfrage vorausgegangenen Jahres gefahrliche eheliche Gewalttätigkeiten angegeben 36
Zalba 1971,58; Lechleiter 1971,68; vgl. auch die Ergebnisse von Trube-Becker 1964,
1650. 37 38 39 40 41
Gil 1979, 180 f. Fergusson/Fleming/O'Neill 1972, 147. Maden/Wrench 1981, 213. Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 62; Newson/Newson 1976, 96 f. Vgl. auch Solicitor General Canada 1985, 4.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
67
hatten, im Berichtszeitraum mehr als eine Erfahrung dieser Art gemacht hatten 42 . Fast 20% der gewalttätigen Ehemänner und ungefähr 13% der Frauen, die ihre Männer schlugen, hatten ihre Partner im Berichtsjahr zweimal in gefährlicher Weise angegriffen. Bei 47 % der Männer und 53 % der Frauen, die ihren Partner mißhandelten, war dies sogar dreimal oder häufiger der Fall gewesen. Diese Ergebnisse zeigen, daß Gewaltanwendungen in der Familie in der Mehrheit der Fälle auf eingeschliffenen Verhaltensmustern beruhen 43 . Keineswegs handelt es sich um einmalige „Entgleisungen", die das Strafrecht geflissentlich übersehen könnte. b) Die besondere Verletzungsanfälligkeit des Opfers
Die Schutzbedürftigkeit eines bestimmten Rechtsguts kann nicht völlig unabhängig von der Schutzbedürftigkeit des Opfers eines Angriffs gesehen werden. Je hilfloser ein Opfer einer bestimmten Verletzung ausgesetzt ist, desto intensiver ist die Gefährdung seiner angegriffenen Rechtsgüter. Die Gefährdungsintensität ist auch dann stärker, wenn das Opfer aufgrund seiner eigenen Anlagen anfalliger für Verletzungen ist. Eine verstärkte Verletzungsanfalligkeit und Hilflosigkeit des Opfers familiärer Gewalt ergibt sich schon aus seiner materiellen und emotionalen Abhängigkeit vom Täter. Hinzu kommt, daß es gerade das aufgrund seiner körperlichen Merkmale besonders verletzliche Familienmitglied ist, das in verstärktem Umfang Opfer von Gewaltausübung wird. Kinder sind im Alter bis zu drei Jahren am stärksten mißhandlungsgefährdet 1 . Das Kind ist um so opferanfalliger, je jünger es ist 2 . Häufig beginnt die Mißhandlung schon im Säuglingsalter 3. Körperliche Strafen werden gegenüber Kindern im Kleinkindalter öfter angewendet als gegenüber größeren Kindern 4 . Die Opfer der am stärksten gewaltgefahrdeten Altersgruppe sind dem Täter gegenüber völlig hilflos. Sie können den Angriff weder abwehren noch durch eine Besänftigung der Eltern oder durch Flucht vermeiden. Das geringe Alter der Opfer macht sie auch gegenüber gewaltsamen Handlungen verletzlicher. Bei kleinen Kindern sind Verletzungen häufiger ernst oder tödlich als bei größeren Kindern 5 . Daß ausgerechnet Säuglinge und Kleinkinder die Hauptzielscheiben elterlicher Gewalt sind, hat verschiedene Ursachen. Die Geburt eines Kindes stellt neue Verhaltensanforderungen an die Eltern und bewirkt eine Veränderung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation 6 . Das Baby muß „rund um 42
1980,41. Gil 1979, 181 für die Kindesmißhandlung. 1 Raffalli 1970, 142. 2 H.P. Martin 1976a, 28 ff. 3 Vgl. Fergusson/Fleming/O'Neill 1972, 67. 4 Vgl. Newson / Newson 1976; Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 69 ff. 5 Gil 1979, 184; vgl. die Ergebnisse von Fergusson/Fleming/O'Neill 1972, 83. 6 Kadushin/Martin 1981, 235ff; Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 184; Elmer 1967, 336ff.; H.J. Schneider 1975, 64f. 43
5*
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I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
die Uhr" gepflegt und versorgt werden und belastet auf diese Weise das bisherige eheliche Leben seiner Eltern erheblich. Es ist für die Eltern eine ökonomische Bürde und stört häufig die beruflichen Pläne des Vaters oder der Mutter. Die Bewältigung dieser neuen Last haben die Eltern oft nicht gelernt. Sie erwarten von ihrem Kind vielfach ein Verhalten, das seiner Entwicklung nicht entspricht und zu dem es daher nicht in der Lage ist. Auf diese Weise kommt es zu einer dauernden Enttäuschung der elterlichen Erwartungen, die die Eltern zu gewalttätigen Angriffen gegenüber dem Kind reizt. Da sich Säuglinge und Kleinkinder noch nicht hinreichend sprachlich ausdrücken und Sprache nur in beschränktem Umfang verstehen können, sehen die Eltern in körperlicher Gewaltanwendung häufig die einzige Möglichkeit, Kinder dieser Altersgruppe zu disziplinieren und zu erziehen. Zu dem gegenüber Mißhandlung besonders opferanfalligen Kreis von Kindern gehören weiterhin geistig oder körperlich behinderte, mißgebildete oder frühgeborene Kinder 7 . Auch Kinder mit minimalen zentralnervösen Behinderungen sind verstärkt mißhandlungsgefährdet 8. Diese Kinder bedürfen mehr der Pflege und der Fürsorge als gesunde Kinder und stellen damit an die Eltern ungewohnte Anforderungen. Sie irritieren ihre Eltern durch Verhaltensweisen, die von dem Verhalten anderer Kinder ihres Alters abweichen. Sie entwickeln sich langsamer und sind zu manchen Lernleistungen nicht oder nur verspätet nach intensivem Training in der Lage. Die elterlichen Erwartungen befriedigen sie weniger als normale Kinder. Auf elterliche Zuwendung sprechen sie teilweise in geringerem Umfang an 9 . Es gelingt ihnen daher nicht, besorgtes und liebevolles Verhalten ihrer Eltern zu verstärken. Sie vermitteln ihren Eltern nicht das Gefühl, von ihrem Kind akzeptiert zu werden, und die Eltern haben ihrerseits Schwierigkeiten, das Kind zu lieben und zu akzeptieren. Als Ursache elterlichen Fehlverhaltens kommt bei frühgeborenen Kindern noch hinzu, daß sie zumeist sofort nach der Geburt von ihren Müttern getrennt werden und die Eltern während der aus medizinischen Gründen erforderlichen längeren Klinikbehandlung kaum Gelegenheit haben, näheren Kontakt zu ihrem Kind aufzunehmen. Die Entwicklung einer angemessenen Bindung zwischen Eltern und Kind wird auf diese Weise erschwert 10 . Durch Gewaltanwendung seitens des Ehegatten ist besonders die schwangere Frau gefährdet. Zwischen Schwangerschaft und Mißhandlung besteht ein enger Zusammenhang 11 . Häufig markiert die Schwangerschaft der Frau den Beginn ihrer Mißhandlung durch den Ehemann. Wurde die Frau schon vorher gewaltsam angegriffen, so verschlimmert die Schwangerschaft oft die Häufig7 H.J. Schneider 1975, 64; Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit 1979, 33; vgl. die Untersuchungsergebnisse von Lynch und Roberts 1982, 51 f. 8 H.P. Martin 1976a, 28 ff. 9 Vgl. Bolton 1983, 131 ff für das frühgeborene Kind. 10 Bolton 1983, 106ff.; Lynch 1976, 43 ff. 11 Gelles 1975 und 1979a, 111.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
69
keit und die Intensität der Angriffe 12 . Dabei werden gerade solche Angriffsformen gewählt, die auch das ungeborene Kind gefährden. Die Frauen werden in den Unterleib geschlagen oder getreten oder Treppen hinuntergestoßen. In der Folge dieser Angriffe kommt es teilweise zu Fehlgeburten. Oft kommen die Kinder auch behindert zur Welt 1 3 . Es wird angenommen, daß diese Form der ehelichen Gewaltanwendung eine Art von vorgeburtlicher Kindesmißhandlung oder Kindestötung darstellt 14 . Für die Mißhandlung der Frau während der Schwangerschaft sind verschiedene Ursachen verantwortlich. Zum einen kann die aus der sexuellen Enthaltsamkeit während der Schwangerschaft resultierende sexuelle Frustration des Mannes zu gewaltsamen Konflikten unter den Partnern führen. Ferner stellt die zu erwartende Geburt eines Kindes eine persönliche und soziale Belastung für das Paar dar, die Gewaltanwendung begünstigt. Nicht selten ist daher die Tötung des ungeborenen Kindes bewußtes oder unbewußtes Ziel des Angriffs. Die durch biochemische Veränderungen bedingte erhöhte Nervosität und Depressivität der schwangeren Frau begünstigt ebenfalls Ehekonflikte, die in Gewalttätigkeiten ausarten können. Schließlich erhöht die Hilflosigkeit der Frau ihre Opferneigung, da der Mann von ihr keine Gegenwehr zu erwarten hat 1 5 . c) Die Schäden familiärer Gewaltanwendung
Der Grad der Schutzwürdigkeit von Rechtsgütern ist mit davon abhängig, welche Schäden durch ihre Verletzung entstehen. Je schwerwiegender die auftretenden Schäden sind, um so dichter und undurchlässiger muß auch der strafrechtliche Rechtsgüterschutz gestaltet werden. Die Schäden familiärer Gewaltanwendung sind bislang nur teilweise erforscht. Recht zahlreiche und breitgestreute Untersuchungen finden sich für den Bereich der Kindesmißhandlung, während wiederum die Schäden bei Geschwistergewalt und Gewalt gegen Eltern bis heute kaum untersucht wurden. Das Schwergewicht der Forschung liegt auf der Ermittlung der körperlichen und seelischen Schäden, die mißhandelte Frauen oder Kinder erleiden. Bisher wenig ergründet sind demgegenüber die Wirkungen, die familiäre Gewaltanwendung auf die nicht unmittelbar beteiligten Familienmitglieder und den Täter selbst hat. Auch die sozialen Folgen der Gewalt in der Familie werden nur selten zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht.
12
Hilberman/Munson 1977/78, 462, die 60 mißhandelte Frauen untersuchten, berichten daneben allerdings auch von Fällen, in denen die Schwangerschaft der Frau zu einer Unterbrechung der Gewalttätigkeiten führte. 13 Renvoize 1978, 19 f. 14 Hilberman/Munson 1977/78, 462. 15 Gelles 1975, 82 ff.
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Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter aa) Schäden bei Gewalt seitens der Eltern gegenüber den Kindern
(1) Opferschäden Die Schwere der körperlichen und seelischen Opferschäden bei elterlicher Gewaltausübung richtet sich wesentlich nach der Häufigkeit und der Intensität der Angriffe. Während vereinzelte leichte Tätlichkeiten beim Opfer außer momentanen Schmerz- und Unlustgefühlen keine weiteren körperlichen Wirkungen haben mögen, können Opfer schwererer Formen der Gewaltanwendung entsprechend schwere und schwerste physische und psychische Schäden erleiden. Diese Schäden können sich kurz-, mittel- oder langfristig auswirken. (a) Körperliche Opferschäden Weitestgehend erforscht sind die durch Kindesmißhandlung hervorgerufenen unmittelbaren körperlichen Schäden. In den USA wurde bei mißhandelten Kindern ein Krankheitsbild mit mehreren charakteristischen Symptomen gefunden, das als „Battered-Child Syndrome" bezeichnet wird. Dieses Mißhandlungssyndrom umfaßt subdurale Hämatome (Blutergüsse in den Schädelraum unter der harten Hirnhaut), Wachstumsstörungen, Schwellungen der weichen Gewebe und Blutergüsse 1. Typisch für das Mißhandlungssyndrom sind Knochenbrüche in unterschiedlichen Heilungsstadien. Unter den Knochenverletzungen sind weiterhin Blutungen unter der Knochenhaut, Ablösungen der Gelenkstücke der langen Röhrenknochen vom Knochenschaft und das Auskugeln des Knochens aus der Gelenkkapsel verbreitet 2 . Äußerliche Zeichen der Mißhandlung sind Blutergüsse und Hautabschürfungen. Es finden sich auch Brandwunden, die durch das Ausdrücken von Zigaretten auf Händen, Schenkeln oder Gesäß des Kindes hervorgerufen werden 3 . Die schwersten und gefährlichsten Verletzungen, die das Mißhandlungssyndrom umfaßt, sind Schädel- und Gehirn Verletzungen. Bei 10 von 11 aufgrund von Mißhandlungen verstorbenen Kindern, die im Institut für gerichtliche Medizin in Düsseldorf obduziert worden war, wurden als Mitursachen für den Tod der Kinder Verletzungen im Bereich des Schädels und des Gehirns gefunden 4. Charakteristisch sind Schädelbrüche und subdurale Hämatome, die durch harte Schläge auf den Kopf oder heftiges Schütteln der Kinder verursacht werden. Darüber hinaus kommen Verletzungen der inneren Organe (Leber, Milz, Nieren) und Augenverletzungen vor 5 . 1
Kempe/Silverman/Steele/Droegemueller/Silver 1974. Bamford 1976, 53; Hull 1976, 61. 3 Bamford 1976, 56. 4 Trübe-Becker 1964; vgl. auch die medizinische Untersuchung Staak/Wagner 1967. 5 Hull 1976, 65; Maden/Wrench 1981, 214f. 2
von
Wille/
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
71
Bei Gehirn- und Organverletzungen besteht die Gefahr, daß es zu einer dauernden Schädigung des Kindes kommt. In einer englischen Studie ergaben sich bei 30% von 60 nachuntersuchten mißhandelten Kindern dauernde Hirnverletzungen. Es wurden Verzögerungen der geistigen Entwicklung, Hirnlähmungen, Verluste der Seh- oder Hörfähigkeit und Epilepsie festgestellt 6. In einer australischen Untersuchung an 42 stationär behandelten Mißhandlungsopfern wurden 10 Kinder ermittelt, die durch Kopfverletzungen dauernde Schäden wie geistige Entwicklungshemmungen und Krampferkrankungen davongetragen hatten 7 . Bei zwei Dritteln von 101 untersuchten Kindern, die dem „Denver Department of Welfare" (Wohlfahrtsamt der Stadt Denver) als mißhandelt bekannt geworden waren, wurden ernsthafte Verletzungen gefunden. 4 Kinder starben, 11 blieben körperlich und 6 geistig behindert. 9 Kinder waren dauernd entstellt 8 . Bei einer Nachuntersuchung von 56 mißhandelten Kindern, die fünf Jahre nach ihrer Verletzung in den USA durchgeführt wurde, fanden sich bei der Hälfte der Kinder neurologische Abnormitäten, von denen ein Drittel so ernst waren, daß sie das Kind in seinen alltäglichen Tätigkeiten beeinträchtigten 9. In den USA sollen jährlich in 37500 Fällen von Kindesmißhandlung der Tod oder schwere Dauerschäden eintreten. Es wird geschätzt, daß dort mehr Kinder an Mißhandlungen sterben als an Tuberkulose, Keuchhusten, Kinderlähmung, Masern, Diabetes, rheumatischem Fieber und Blinddarmdurchbruch zusammen 10 . (b) Entwicklungsstörungen Neben den unmittelbaren körperlichen Verletzungen und kurz-, mittel- und langfristigen Gesundheitsschäden können bei kindlichen Opfern elterlicher Gewalt Störungen der körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung eintreten. Mißhandlungen gehen vielfach mit einer mangelhaften Ernährung des Kindes einher, in deren Folge Wachstumsstörungen auftreten 11 . Mißhandelte Kinder zeigen daher häufig Wachstumsrückstände, die allerdings in der Regel wieder aufgeholt werden können, wenn es gelingt, die Kinder in einem emotional stabileren Klima in therapeutischen Kinderhorten oder Pflege- oder Adoptivfamilien unterzubringen 12 . Oft finden sich Verzögerungen der motorischen, sozialen, kognitiven sowie der Sprach- und Intelligenzentwicklung des Kindes 13 . Dabei ist allerdings noch weitestgehend ungeklärt, ob diese Störungen 6
Cooper 1978, 17 f. Birrell/ Birrell 1968, 1024. 8 B. Johnson/Morse 1974, 18 f. 9 H.P. Martin 1976b, 74ff. 10 Viano 1975, 145f. 11 Lynch/Roberts 1982, 52 ff. 12 Vesterdal 1981, 82. 13 Kempe/Kempe 1980, 45; Maden/Wrench 1981, 215; Blager/Martin 1976, 85; Lynch/Roberts 1982, 79ff.; vgl. die Untersuchung von Elmer/Gregg 1979, 303. 7
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I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
durch die eigentlichen Mißhandlungsereignisse bedingt sind oder ob sie Produkte des emotionalen Klimas im Elternhaus sind. Bei älteren mißhandelten Kindern treten unabhängig von ihrer Intelligenz und ihrem sozio-ökonomischen Hintergrund Schulschwierigkeiten auf. Ihre schulischen Leistungen bleiben häufig hinter den Ergebnissen zurück, die aufgrund ihrer Intelligenz erwartet werden können 14 . Insbesondere in Fächern, die sprachliche Fähigkeiten fordern, erbringen sie oft schlechte Leistungen 15 . Mißhandelte Kinder leben häufig in einem Familienklima, in dem Lernen nicht nur nicht ermuntert und gefördert, sondern im Gegenteil bestraft wird. Sie können ihre psychomotorischen Fertigkeiten nur in ungenügendem Maße entwickeln. Für diese Kinder ist es gefahrlich, ihre Umwelt zu untersuchen und Fragen zu stellen, da sie damit riskieren, daß ihre Eltern auf solches Verhalten mit körperlicher Gewaltanwendung reagieren. Gerade durch Verhaltensweisen des Kindes, die dem Lernen dienen, fühlen sich die Eltern gestört und versuchen, sie gewaltsam zu unterdrücken. Den Eltern fehlen meist die Geduld und die gefühlsmäßige Hingabe, die sie brauchen, um ihrem Kind etwas beizubringen. Gleichzeitig stellen sie allerdings überhöhte Anforderungen an ihr Kind, die keine Rücksicht auf seine entwicklungsbedingten Fähigkeiten nehmen. Das Kind kann sich bei dem Versuch, etwas zu lernen, nicht leisten, Fehler zu machen, da sie von den Eltern nicht hingenommen werden. Dies führt dazu, daß das Kind sich von vornherein weigert, Lernversuche zu unternehmen. Seine psychischen und geistigen Energien verbraucht es schon bei dem Bestreben, Strategien des physischen und emotionalen Überlebens zu entwickeln. Für altersgerechtes Lernen bleiben kaum freie Energien übrig. Viele mißhandelte Kinder sind durch Angstneurosen am Lernen gehindert 16 . Die Aufzählung dieser Gründe macht deutlich, daß es zu Entwicklungsstörungen aufgrund von Lerndefiziten nicht nur dann kommen kann, wenn ein Kind von seinen Eltern schwer mißhandelt wird. Auch mit dem Einsatz leichterer Gewalt können Lernaktivitäten verhindert werden. Entwicklungsstörungen können also auch bei solchen Opfern elterlicher Gewaltanwendung auftreten, die keinerlei körperliche Schäden erlitten haben. (c) Seelische Opferschäden Kinder, die wiederholt von ihren Eltern mißhandelt wurden, zeigen ein charakteristisches Verhalten, das in der amerikanischen Literatur als , frozen watchfullness" — erstarrte Wachsamkeit — bezeichnet wird 1 7 . Die Kinder ziehen sich zurück, sind ängstlich und passiv 18 . Sie legen damit eine Opferhal14 15 16
Lynch/Roberts 1982, 94. Kempe/Kempe 1980, 59. Vgl. zum Vorhergehenden die Ausführungen von H.P. Martin/Rodeheffer 1976,
98 ff. 17
Ounsted/Oppenheimer/Lindsay 1978, 138ff.; Kempe/Kempe 1980, 47; Vesterdal 1981, 80; Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit 1979, 34.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
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tung an den Tag. Unangenehme und schmerzhafte medizinische Maßnahmen ertragen sie ohne Klagen. Auch Kleinkinder verhalten sich still. Sie plappern und spielen nicht in Gegenwart von Erwachsenen. Sie betrachten wachsam ihre Umwelt und sind ständig auf der Hut vor neuen Gefahren. Ihre starre Aufmerksamkeit ist der Unvorhersagbarkeit des Verhaltens der Eltern angepaßt, die sich von einem Moment zum anderen von zärtlichen Beschützern in Angreifer verwandeln können. Den Kindern fehlt das Urvertrauen in die Regelhaftigkeit ihres Lebens. Sie versuchen ständig, den Forderungen ihrer Eltern gerecht zu werden. Während die Mehrzahl der mißhandelten Kinder ein solch passives, zurückgezogenes, wachsames Verhalten zeigen, gibt es eine kleinere Gruppe von Kindern 1 9 , die sich genau entgegengesetzt verhalten. Diese Kinder sind provokativ, aggressiv und überaktiv. Sie versuchen, die Aufmerksamkeit anderer zu erregen und scheinen bei ihren erwachsenen Betreuern Bestrafungen hervorrufen zu wollen. Häufig ist für sie aggressives, zerstörerisches Verhalten der einzige Weg, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern, wenn auch nur eine abweisende, strafende Aufmerksamkeit, zu erringen. Sie reizen die Personen ihrer Umgebung, um deren Gleichgültigkeit ihnen gegenüber zu überwinden. In der Schule fallen mißhandelte Kinder und deren Geschwister durch unangepaßtes, meist aggressives Verhalten auf 2 0 . Kindesmißhandlung verursacht bei ihren Opfern psychische Langzeitschäden, die vielleicht schwerwiegender sind als die unmittelbaren körperlichen Verletzungen 21. Die Mißhandlung und die Qualität der ihr zugrundeliegenden Eltern-Kind-Beziehung lassen eine gesunde seelische Entwicklung des Kindes oft nicht zu. Damit es gesund aufwachsen kann, muß eine Reihe von psychischen Bedürfnissen des Kindes befriedigt werden 22 . U m Selbstbewußtsein und moralische Wertvorstellungen erwerben zu können, braucht ein Kind Zuneigung und Sicherheit. Es benötigt eine Umwelt, die stabil, verläßlich und vorhersehbar ist. Ein mißhandeltes Kind besitzt eine solche Umwelt nicht. Das Verhalten seiner Eltern ist für das Kind nicht berechenbar. Handlungen des Kindes, die manchmal geduldet werden, sind zu anderen Zeiten Anlaß für schwere körperliche Mißhandlungen. Zuweilen hat die Gewaltanwendung auch überhaupt keine für das Kind erkennbaren Ursachen. Für das mißhandelte Kind ist es daher schwierig, seine Persönlichkeit aufzubauen, da es keine klaren Verhaltensmaßstäbe und keine verläßlichen Modelle besitzt 23 . In seiner strafenden Umwelt lernt es, daß nicht nur seine Handlungen tadelnswert sind, sondern daß es selbst verachtenswert und eine Schande für seine Familie ist 2 4 . 18 19 20 21 22 23 24
Lynch/Roberts 1982, 98 ff. Gray/Kempe 1976, 59 sprechen von 25%; vgl. auch Bach 1978, 2. Lynch/Roberts 1982, 106ff. Lechleiter 1971, 107; Vesterdal 1980, 79. Pringle 1978, 227 ff. Kempe/Kempe 1980, 52. Vesterdal 1981, 80.
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I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
Mißhandelte Kinder verinnerlichen die elterliche Feindschaft und lernen, sich selbst mit derselben Ablehnung und Kritik zu betrachten, die ihnen ihre Eltern entgegenbringen. Deshalb zeigen sie oft selbstzerstörerische Verhaltensweisen, wie Selbstverstümmelung und Selbstbeschädigung, Selbstmordphantasien und -versuche 25. Sie akzeptieren die Rolle des Sündenbocks. Sie fühlen sich schuldig und meinen, sie verdienten Strafe. Aus diesem Grunde haben mißhandelte Kinder eine niedrige Selbsteinschätzung und ein geringes Selbstvertrauen 26. Die Kinder können sich nicht freuen 27 . Auch an sich selbst haben sie wenig Freude, da sie sich gewöhnlich für böse, nicht liebenswert und dumm halten 28 . Sie entwickeln Verhaltensstörungen, wie Schlafstörungen, Überaktivität, inadäquates Sozialverhalten, Aggressivität 29 und Delinquenz 30 . Da ihre Bedürfnisse nach Lob und Anerkennung und der Einräumung altersgemäßer Selbstverantwortlichkeit nicht erfüllt werden, gelingt es den Kindern nicht, Selbstwertgefühl und Eigenverantwortlichkeit aufzubauen. Zu einer solchen Frustration kindlicher Bedürfnisse kann es nicht nur bei Kindesmißhandlung kommen. Auch das Kind, das durch alltägliche körperliche Strafen verunsichert und in seinem Lernen gehemmt wird und das die körperlichen Angriffe als Ausdruck seiner Zurückweisung durch die Eltern auffassen muß, kann psychische Langzeitschäden davontragen. (2) Gefährdung und Schädigung nichtbeteiligter Familienmitglieder Elterliche Gewaltanwendung gegenüber Kindern kann nicht nur Schäden für das unmittelbar angegriffene Opfer (sog. Opferschäden) hervorrufen. Sie kann auch zu einer Schädigung derjenigen Familienmitglieder führen, gegen die sich der Angriff nicht richtet. Opfer elterlicher Gewaltausübung werden zumeist nicht alle Kinder einer Familie in gleichem Maße. Häufig beschränken sich die Angriffe auf ein Kind aus einer Geschwisterschar, das von seinen Eltern als besonders schwierig angesehen oder aus anderen Gründen in die Rolle des Sündenbocks gedrängt wird 3 1 . Dieser Umstand bedeutet aber nicht, daß gewaltsame Angriffe gegenüber einem Kind ohne Auswirkungen auf seine Geschwister bleiben. Wie diese Folgen aussehen, ist noch weitgehend ungeklärt. Es wird angenommen, daß die nichtangegriffenen Geschwister psychisch in ebensolchem Maße geschädigt werden wie das eigentliche Opfer 32 . Das Erlebnis von Tätlichkeiten der Eltern gegenüber dem Bruder oder der Schwester 25
Vgl. die Untersuchungsergebnisse von Green 1980. H.P. Martin/Beezley 1980, 436ff.; Vesterdal 1981, 79ff. 27 H.P. Martin/Beezley 1976a, 105ff.; 1980, 436ff. 28 Kempe/Kempe 1980, 52. 29 Vgl. das Experiment von Reidy 1980. 30 Pfouts/Schopler/ Henley 1981, 95. 31 Green 1981, 154f; Zimbardo/Ruch 1978, 483. 32 Vesterdal 1981, 74; vgl. die Untersuchungsergebnisse von Pfouts/Schopler /Henley 1981, 94 f. 26
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
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verursacht bei ihnen Furcht und vermittelt ein Gefühl der Verwundbarkeit und der mangelnden Geborgenheit. Darüber hinaus bietet ihnen das Verhalten der Eltern ein Lernmodell. Die Kinder lernen, daß Gewalt gegenüber einer schwächeren Person zur Erreichung eines bestimmten Zieles zulässig ist und ohne unangenehme Folgen für den Angreifer bleibt. Es besteht die Gefahr, daß die Kinder dieses Verhaltensmodell innerhalb und außerhalb der Familie nachahmen. Wird das Verhalten innerhalb der Familie imitiert, so ist es wahrscheinlich, daß sich auch die Geschwisterangriffe wiederum gegen das Sündenbockkind richten. Die an dem gewaltsamen Vorfall zunächst unbeteiligten Familienmitglieder können ferner riskieren, daß sich der physische Angriff auch auf sie ausdehnt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie sich bemühen, dem Opfer zu Hilfe zu kommen. Von Müttern mißhandelter Kinder wird berichtet, daß sie selbst durch schwere Gewalttätigkeiten seitens des mißhandelnden Vaters daran gehindert wurden, ihre Kinder zu schützen. Teilweise dulden die Mütter die Mißhandlung des Kindes aus Angst, bei einem Einschreiten selbst von ihrem Mann gewaltsam angegriffen zu werden 33 . Umgekehrt werden zahlreiche Männer zur Zielscheibe von Gewalttätigkeiten seitens ihrer Frauen, wenn sie versuchen, ihre Kinder vor Mißhandlungen durch die Mütter zu schützen 34 . bb) Opfer- und Drittschäden bei Gewaltanwendung unter Ehegatten oder Lebenspartnern
(1) Opferschäden (a) Körperliche Opferschäden Über die körperlichen Opferschäden der Gewaltausübung unter Partnern gibt es nur vereinzelt systematische Untersuchungen, und auch hierbei handelt es sich fast ausschließlich um ausländische Studien. Meist finden sich nur Beschreibungen der Verletzungen, die in bestimmten Einzelfällen aufgetreten sind 35 . Die vorhandenen Untersuchungen beziehen sich ausschließlich auf die körperlichen Schäden schwer mißhandelter Frauen. Sie betrachten damit nur einen kleinen, engumgrenzten Teilbereich ehelicher Gewaltausübung. Über die physischen Folgen leichterer Formen der Gewaltanwendung in der Ehe und die physischen Schäden des mißhandelten Mannes finden sich keine Forschungsergebnisse. In England wurde eine Studie an 100 mißhandelten Frauen durchgeführt 36 . Zum größten Teil handelte es sich um Bewohnerinnen eines Frauenhauses, also 33
Vgl. den Fall bei Ammon 1979, 35f. Steinmetz 1977/78, 507. 35 Vgl. die Beschreibung der körperlichen Opferschäden eines mißhandelten Ehemannes bei Steinmetz 1977/78, 505; zu den Schäden mißhandelter Ehefrauen Pizzey 1976. 36 Gayford 1978. 34
Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
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um solche Frauen, die ihre Mißhandlungen als unerträglich genug empfunden hatten, um ihre Männer wenigstens vorübergehend zu verlassen. Bei allen Frauen fanden sich Blutergüsse. 44 Probandinnen wiesen offene Wunden auf, die ihnen zum Teil mit scharfen Gegenständen wie Rasiermessern oder zerbrochenen Flaschen zugefügt worden waren. Mehr als ein Drittel hatte Knochenbrüche erlitten, und/oder es waren ihnen Zähne ausgeschlagen worden. Die Knochenbrüche umfaßten auch Schädelbrüche. Ein Fünftel der Frauen wies Würgemale auf, und ein weiterers knappes Fünftel hatte Verbrennungen, Verbrühungen oder Bißwunden. Alle Frauen waren zumindest mit Fäusten geschlagen worden. Mehr als die Hälfte war getreten worden, und nahezu die Hälfte war mit einer Waffe oder einem gefährlichen Werkzeug angegriffen worden 37 . Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch eine nordamerikanische Untersuchung an 60 mißhandelten Frauen 38 . Die Frauen waren mit Händen, Füßen, Fäusten, Steinen, Flaschen, Telefonhörern, Eisenstangen, Messern und Schußwaffen angegriffen worden. Ihre Männer hatten sie gekratzt, mit Händen oder Fäusten geschlagen, zu Boden geworfen und bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt. Als körperliche Schäden trugen sie Blutergüsse, blaue Augen, gebrochene Rippen, subdurale Hämatome und Ablösungen der Augennetzhaut davon. Bei einer kanadischen Dunkelfelduntersuchung aus dem Jahre 1982 39 gaben 61 % der befragten Frauen, die von ihren Partnern gewaltsam angegriffen worden waren, an, daß sie aufgrund des Angriffs körperliche Verletzungen erlitten hatten. Demgegenüber hatten nur 24 % der weiblichen Opfer, die von anderen Männern überfallen worden waren, Verletzungen davongetragen. Diese Forschungsergebnisse zeigen erneut, daß sich die Gewalt unter Partnern keineswegs auf die Zufügung momentaner Schmerz- und Unlustgefühle beschränkt. Vielmehr kann es zu schweren körperlichen Folgen für das Opfer kommen. (b) Seelische Opferschäden Auch Art und Ausmaß der seelischen Opferschäden sind bislang nur bei mißhandelten Frauen studiert worden. Dabei wurde festgestellt, daß die Reaktion mißhandelter Frauen derjenigen von Katastrophenopfern ähnelt. 24 bis 48 Stunden nach der Tat kommt es bei den Frauen zu einem emotionalen Zusammenbruch. Sie verfallen in Gleichgültigkeit und Depression und fühlen sich absolut hilflos 40 . Sie verspüren dieselbe lähmende Angst, wie sie auch kennzeichnend für die psychische Reaktion von Vergewaltigungsopfern ist. Für die mißhandelten Frauen kommt indessen die seelische Belastung des dauernden Bedrohtseins durch den nächsten Angriff hinzu. Sie sind daher ständig auf der 37 38 39 40
Gayford 1978, 23. Hilberman/Munson 1977/78, 460 ff. Vgl. oben Β I 4 a) aa); Solicitor General Canada 1985, 5. Walker 1979, 63.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefhrdung
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Hut und unfähig, sich zu entspannen. Schlafstörungen sind die Folge. Viele Frauen müssen auf Dauer mit Tranquilizern und Antidepressiva behandelt werden 41 . Sie fühlen sich ausgelaugt und müde und haben kaum noch die Energie, ihre Hausarbeit zu verrichten und ihre Kinder zu versorgen. Sie sehen sich selbst als unfähig, wertlos, nicht liebenswert an und werden von Schuld- und Schamgefühlen geplagt. Ein großer Teil der von Gayford untersuchten Frauen hatte Selbstmordversuche hinter sich. Fast die Hälfte der Frauen befand sich in psychiatrischer Behandlung 42 . Die psychische Verfassung mißhandelter Frauen wird mit dem Begriff der „erlernten Hilflosigkeit" umschrieben. Im Verlaufe eines Lernprozesses fügt sich die Frau in ihre Opferrolle. Sie nimmt ihre Unfähigkeit wahr, gewaltsame Angriffe ihres Ehemannes zu verhindern. Sie lernt, daß sie den Gewalttätigkeiten ihres Mannes hilflos ausgeliefert ist. Während dieses Lernprozesses wird die von der Frau subjektiv wahrgenommene Hilflosigkeit zur Realität. Die Frau wird passiv, unterwürfig, „hilflos". Dieses Verhalten der Frau äußert sich nicht nur in der Interaktion mit ihrem Partner, sondern in ihrem gesamten Alltagsleben. Sie wird blind gegenüber den Hilfsmöglichkeiten, die sich ihr bieten. Daraus entwickeln sich eine geringe Selbstachtung, Angst und Depression 43 . Die psychischen Schäden mißhandelter Männer sind bislang nicht untersucht. Es läßt sich aber vermuten, daß diese ebenso schwerwiegend sind wie die seelischen Folgen einer körperlichen Mißhandlung für die Frau. Aufgrund des traditionellen Rollenverständnisses werden Jungen in eine aggressive, herrschende Rolle hineinsozialisiert. Ein Mann, der von seiner Frau mißhandelt wird, erfüllt weder die Rollenerwartungen seiner Umwelt noch genügt er seinen eigenen Rollenvorstellungen. Männer werden daher wahrscheinlich psychisch noch schlechter damit fertig, Opfer ehelicher Gewaltanwendung zu werden, als Frauen. Frauen sind eher in der Lage, ihr Opferwerden mit den an sie gestellten Rollenerwartungen zu vereinbaren, als dies bei Männern der Fall ist. Das Gefühl der Unfähigkeit und der Demütigung wird deshalb beim mißhandelten Mann noch stärker hervortreten als bei der mißhandelten Frau. (c) Soziale Opferschäden Über die körperlichen und seelischen Verletzungen hinaus kann das Opfer partnerschaftlicher Gewalt soziale Schäden erleiden. Mißhandelte Frauen und wohl stärker noch mißhandelte Männer werden von ihrer sozialen Umgebung häufig als minderwertig betrachtet. Sie gelten als unfähig, eine gute, harmonische Partnerschaft zu führen. Nicht selten wird ihnen selbst die Schuld an den Gewalttätigkeiten zugeschrieben. Die Personen ihres sozialen Nahraums, ihre Nachbarn, Freunde, Verwandten und Kollegen, zeigen sich für ihre Probleme 41 42 43
Hilberman/Munson 1977/78, 463ff.; Gayford 1978, 25. Gayford 1978, 25. Walker 1979, 45 ff.
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Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
wenig verständnisvoll und lasten sie häufig dem persönlichen Versagen des Opfers an. Da sich Nachbarn, Freunde und Verwandte von den gewaltsamen Vorfällen abgestoßen fühlen, ziehen sie sich von dem Paar zurück. Es kommt zu einer verstärkten sozialen Isolation der Partner. Diese Isolation verhindert gleichzeitig eine wirksame Kontrolle der ehelichen Gewalttätigkeiten von außen. Dem Opfer werden letzte soziale Hilfsmöglichkeiten entzogen. Es wird nicht nur zum Opfer ehelicher Gewalt, sondern auch zum Opfer der Zurückweisung durch seine Umgebung. (2) Gefährdung und Schädigung der Kinder Kommt es in einer Familie zu Tätlichkeiten unter den Partnern, so sind auch immer die Kinder des Paares mitbetroffen. Zum einen besteht die Gefahr, daß sich die Gewalt auf die Kinder ausdehnt. Die Partner befinden sich in der Tatsituation in erhöhter Erregung, so daß oft nur ein kleiner Reiz seitens des Kindes ausreicht, um dieses ebenfalls anzugreifen. Nicht selten sind die Kinder oder ein bestimmtes Kind selbst der Grund dafür, daß es unter den Partnern zu gewaltsamen Streitereien kommt. In solchen Fällen liegt es nahe, daß sich die Gewalt auch gegen die Kinder als die „Gründe allen Übels" richtet 44 . Kinder sind insbesondere dann gefährdet, wenn sie versuchen, zugunsten der mißhandelten Mutter oder des mißhandelten Vaters in den Streit der Eltern einzugreifen. Häufig sind es auch die Opfer von Partnergewalt, die die selbst erfahrene Gewalt an den nächst Schwächeren, das Kind, weitergeben 45. Gleichviel, ob sich die Gewalt auf die Kinder ausdehnt oder nicht, tragen sie häufig schwerwiegende psychische Schäden davon. Das reine Zusehen bei Gewalttätigkeiten verursacht bei den Kindern emotionale Traumata. Sie reagieren mit Schock, Furcht und Schuldgefühlen. Ein großer Teil der Kinder ist ängstlich oder depressiv, und viele müssen psychotherapeutisch behandelt werden 46 . Verhaltensstörungen, wie Bettnässen oder Hyperaggressivität, treten auf 4 7 . Hinzu kommt, daß Eltern, die mit partnerschaftlichen Gewaltproblemen belastet sind, vielfach nicht in der Lage sind, ihren Kindern eine angemessene Pflege und Zuwendung angedeihen zu lassen. Die Kinder werden zumindest emotional vernachlässigt 48. Selbst die äußeren Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen der Kinder fehlen zum Teil. Sie haben keinen gesicherten, geregelten Tagesablauf. Nachts werden sie durch Streitereien ihrer Eltern geweckt. Oft werden sie zwischen Eltern und Verwandten oder Bekannten hin und her geschoben. Entschließt sich eine mißhandelte Mutter, ihren Mann zu verlassen, so nimmt sie meist auch ihre Kinder mit und entfernt sie aus ihrer gewohnten Umgebung. Da 44 45 46 47 48
Vgl. Hilberman/Munson 1977/78, 462. Vgl. die Ergebnisse von Gayford 1978, 25. Pfouts/ Schopler/ Henley 1981, 95. D. Martin 1981, 22 f. Buddeberg 1983, 277.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Geahrdung
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sich Flucht und Rückkehr mehrfach wiederholen können, ist teilweise noch nicht einmal ein geregelter Schulbesuch der Kinder gewährleistet. Bei einer schweizerischen Beobachtung von Kindern schwer mißhandelter Frauen wurde festgestellt, daß die älteren Kinder der Familie besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Die älteren Töchter werden von ihren Geschwistern in die Rolle einer Ersatzmutter gedrängt, während die älteren Söhne für ihre Mütter die Rolle eines idealisierten Partnerersatzes spielen 49 . Die Kinder werden auf diese Weise nicht nur ständig überfordert. Die fehlende Geborgenheit, die die Mädchen in ihrer Herkunftsfamilie erfahren, suchen sie oft durch frühe Heirat zu erlangen. Sie wählen typischerweise Männer, die sich stark und überlegen fühlen und ihnen erlauben, unselbständig zu sein. Die Söhne mißhandelter Mütter erleben sich in ihrer Herkunftsfamilie häufig als hilflos und ohnmächtig, da es ihnen nicht gelingt, ihre Mütter zu schützen. Diese Ohnmachtsgefühle versuchen sie durch Machtphantasien zu überwinden. Sie suchen sich daher Frauen, die ihnen ermöglichen, ihre aggressiven Phantasien auszuleben. Diese Psychodynamik der Partnerwahl bildet eine der Grundlagen für die Weitergabe ehelicher Gewaltanwendung von Generation zu Generation. cc) Schäden bei Gewaltanwendung
unter Geschwistern
Dem Phänomen der Geschwistergewalt ist bis heute von der Wissenschaft, aber auch von der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden. Welche Schäden sie hervorruft, ist daher bislang weitgehend ungeklärt. Geschwistergewalt erschöpft sich keineswegs in harmlosem Zank. Sie umfaßt vielmehr auch Versuche, den anderen zu ertränken, zu vergiften oder seine Kleider in Brand zu setzen50. Straus, Gelles und Steinmetz 51 stellten fest, daß 4,7 % der von ihnen untersuchten Kinder ihre Geschwister schon einmal mit einem Messer oder einer Schußwaffe bedroht hatten. 53 % der Kinder hatten Angriffe mit erhöhter Verletzungsintensität verübt. Geschwistergewalt kann bis hin zur Tötung des Opfers gehen. Dabei sind auch sehr junge Kinder schon dazu in der Lage, ihre Geschwister tödlich zu verletzen 52 . Psychische Folgen von Geschwisterangriffen für das Opfer sind vorerst nur in Einzelfallen bekannt 53 . Dies kann zum einen daran liegen, daß seelische Schäden tatsächlich nicht entstehen. Die angegriffenen Kinder sind häufig noch zu klein, um ihre Gefährdung selbst wahrzunehmen. Sie übernehmen daher die Beurteilung der Gefahr durch ihre Eltern, insbesondere durch die Mütter 5 4 . Diese betrachten gewaltsame Auseinandersetzungen unter ihren Kindern in der Regel als normalen Aspekt der familiären Beziehungen. Häufig beurteilen die Eltern 49
Buddeberg 1983. Tooley 1980, 460. 51 1980,82. 52 Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 90 f. 53 Vgl. die Genese eines Falls von Dunkelangst bei Reiss/Fiedler/Krause/Zimmer 1976, 31 ff. 54 Tooley 1980, 460. 50
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I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
solche geschwisterlichen Streitigkeiten sogar positiv als Übung der Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Freunden und Schulkameraden 55. Da die Eltern also regelmäßig nicht sonderlich aufgeregt oder bestürzt auf Geschwisterangriffe reagieren, betrachten auch die Opfer solcher Angriffe ihre Viktimisierung als normal. Zu psychischen Schädigungen kommt es dann nicht. Die Tatsache, daß seelische Opferschäden bei Geschwistergewalt noch nicht festgestellt werden konnten, kann ihre Ursache indessen auch darin haben, daß die Eltern selten bereit sind, ihre von Geschwistern angegriffenen Kinder auf solche Schäden untersuchen zu lassen56. Wahrscheinlich spielen beide Faktoren eine Rolle. Psychische Schäden von Geschwistergewalt können nicht in jedem Fall ausgeschlossen werden. Es kommt vielmehr auf die Art und die Häufigkeit der Angriffe und auf die Haltung der Eltern gegenüber dem angegriffenen Kind an. Es ist unwahrscheinlich, daß ein Kind, das ständig von seinen Geschwistern unterdrückt und von seinen Eltern abgelehnt wird, weil es sich unterdrücken läßt, keine psychischen Schäden erleidet. dd) Schäden bei Gewalt seitens der Kinder gegenüber den Eltern
Gänzlich unerforscht ist bis heute die Frage, welche physischen und psychischen Schäden Eltern erleiden, die von ihren Kindern gewaltsam angegriffen werden. Wenn ein jüngeres Kind (bis etwa 10 Jahre) seine Eltern angreift, so können sie sich in aller Regel wirksam verteidigen, bevor es zu Verletzungen kommt. Ihre körperliche Überlegenheit und ihre Vorrangstellung innerhalb der Familienhierarchie ermöglichen es den Eltern, das gewalttätige Kind in seine Schranken zu weisen. Anders kann der Fall freilich liegen, wenn Vater oder Mutter von einem halbwüchsigen oder erwachsenen, innerhalb der Hausgemeinschaft lebenden Kind angegriffen werden. Hier ist die psychische und physische Verletzung des Opfers wahrscheinlicher. Schwere körperliche und seelische Schäden können insbesondere dann entstehen, wenn sich das jugendliche oder erwachsene Kind der Mißhandlung eines Eltern teils durch den anderen Elternteil anschließt. Diese Fälle sind keineswegs selten. So wurde von mißhandelten Frauen berichtet, daß sie von ihren Ehemännern und ihren Kindern gemeinschaftlich angegriffen werden 57 . In diesen Fällen sind die körperlichen und psychischen Schäden des Opfers, seine Gefühle der Hilflosigkeit und der Demütigung besonders verheerend. ee) Wirkungen
auf den Täter
Selten wird beachtet, daß Gewalt in der Familie auch auf den Täter schädliche Wirkungen ausübt. Die erstmalige Anwendung von Gewalt gegenüber einem 55 56 57
Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 76 ff. Tooley 1980, 460. Davidson 1978, 120.
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Familienmitglied kann einen bahnenden Effekt für zukünftige Angriffe haben. Wenn ein Mann seine Frau das erste Mal geschlagen hat, scheint es ihm leichter zu werden, seinen Angriff zu wiederholen 58 . Das gleiche gilt für Gewalttätigkeiten der Frau gegen den Mann. Durch den erstmaligen Einsatz von Gewalt gegenüber dem Partner wird ein Verbot gebrochen, das kontrollierend auf die Anwendung von Gewalt wirkt. Dieser Verstoß läßt eine wesentliche Kontrollinstanz für partnerschaftliche Gewaltanwendung wegfallen. Die persönlichen Hemmungen gegenüber dem Einsatz von Gewalt vermindern sich. Die wiederholte physische Bestrafung von Kindern übt auf die Eltern eine brutalisierende, härtende Wirkung aus. Die Eltern gewöhnen sich daran, ihren Kindern Leiden zuzufügen. Der Verlust von Einfühlungsvermögen in der Bestrafungssituation kann sich auf andere Situationen ausdehnen, in denen sich das Kind in Not befindet und elterliche Hilfe braucht. Der Einsatz körperlicher Bestrafung behindert die Übernahme friedlicher und einvernehmlicher Konfliktlösungsstrategien. Die Eltern begnügen sich mit der gewaltsamen Unterdrückung unerwünschter Verhaltensweisen des Kindes, anstatt dem Kind Einsicht in die Fehlerhaftigkeit seines Handelns zu vermitteln und erwünschtes Verhalten zu ermutigen und zu verstärken 59 . Bei allen Formen familiärer Gewaltausübung kann der Einsatz von Gewalt für den Täter einen Lernprozeß in Gang setzen, der zu der Einübung gewaltsamer Verhaltensmuster führt. Gelingt es dem Täter durch den Einsatz von Gewalt gegenüber einem Familienmitglied, das von ihm erstrebte Ziel zu erreichen, oder wird sein Verhalten in anderer Weise verstärkt, so tritt ein Lernen am Erfolg ein. Je häufiger solche Lernerlebnisse auftreten, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß der Täter sein Verhalten wiederholt. ff)
Schäden für den Familienverband
Jede Form der Gewaltanwendung in der Familie stellt eine Störung der innerfamiliären Beziehungen dar. Ob diese Störung nur vorübergehender Natur oder von Dauer ist, hängt von der Fähigkeit der Familie ab, gewaltsame Vorfalle zu verarbeiten. Vereinzelte, leichte Angriffe sind dabei in der Regel einfacher zu bewältigen als schwere oder häufige Angriffe, obwohl auch leichte Formen der Gewalt die Vertrauensbeziehung zwischen Angreifer und Opfer auf Dauer stören oder sogar zerstören können. Schon die einmalige Anwendung von Gewalt kann zu einer Festlegung der Rollenverteilung zwischen Täter und Opfer führen und ihren Status in der Familienhierarchie bestimmen. Welche konkreten Folgen familiäre Gewaltanwendungen für die Familienbeziehungen haben, ist allerdings noch weitestgehend ungeklärt. Sie lassen sich — wenn überhaupt — nur unter größten methodischen Schwierigkeiten erforschen, weil die Qualität der Familienbeziehungen in Wechselwirkung mit dem Auftreten 58 59
6
Walker 1979, 63. Feshbach 1979, 582.
U. Schneider
82
I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
familiärer Gewalt steht. Da neben familiärer Gewalt noch zahlreiche andere, kaum erfaßbare Faktoren auf die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander einwirken, kann der Einfluß von Gewaltanwendung nicht isoliert und genau bestimmt werden. Nachgewiesen ist bislang nur, daß Gewalt eine Ursache für die Auflösung der Familie durch Scheidung oder Trennung der Partner sein kann. In einer nordamerikanischen Untersuchung an 600 Ehepaaren, die einen Antrag auf Ehescheidung gestellt hatten, beklagten sich 36,8 % der befragten Frauen und 3,3 % der Männer über gewaltsame Angriffe seitens ihres Ehegatten 6 0 . In einer anderen Studie an 150 Ehepaaren, die vor der Scheidung standen, wurden in 25 Fällen gewaltsame Vorfalle innerhalb der Familie spontan als Grund für die Erhebung der Scheidungsklage angegeben61. Diese Ergebnisse zeigen, daß Gewalt familiäre Beziehungen so tiefgreifend beeinträchtigen kann, daß die Auflösung der Familie unvermeidbar wird. gg)
Soziale Schäden familiärer
Gewaltanwendung
Die Schäden familiärer Gewaltausübung beschränken sich nicht auf die einzelnen Familienmitglieder oder den Familienverband als solchen. Sie wirken vielmehr in den gesellschaftlichen Raum hinein. (1) Soziale Kosten Jede Form der Rechtsgutsverletzung hat mehr oder minder schwerwiegende sozio-ökonomische Folgen. So stellt die notwendige formelle Sozialkontrolle, die im Gegensatz zur informellen Sozialkontrolle von Institutionen und Personen ausgeübt wird, die mit dieser Aufgabe ausdrücklich betraut sind (z.B.Polizei und Gerichte), einen volkswirtschaftlichen Kostenfaktor dar. Dasselbe gilt für den erforderlichen Ausgleich der Opferschäden, also ζ. B. für die medizinische Versorgung des Gewaltopfers oder die finanzielle Wiedergutmachung von Eigentums- oder Vermögensschäden durch Versicherungen. Führt die Schädigung des Opfers zu einer Minderung seiner Arbeitskraft, so verliert es seinen volkswirtschaftlichen Nutzen ganz oder teilweise und belastet die Gesamtgesellschaft wirtschaftlich. Die sozialen Kosten familiärer Gewaltanwendung werden selten diskutiert. Nichtsdestoweniger haben sie einen beträchtlichen Umfang, der teilweise sogar den Umfang der sozio-ökonomischen Schäden außerfamiliärer Gewalt übersteigt. Die sozialen Kosten familiärer Gewaltanwendung betreffen zunächst die medizinische Versorgung des Opfers. In Australien wurde festgestellt, daß der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt mißhandelter Kinder, deren Verletzungen eine stationäre Behandlung erfordern, weit über dem Gesamtmittel der Dauer stationärer Betreuung liegt 62 .
60 61 62
Levinger 1975, 86. O'Brien 1975, 69. Birrell/ Birrell 1968, 1027.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
83
Eine Untersuchung in den USA ergab, daß die Opfer ehelicher Gewaltanwendung häufiger ambulante und stationäre medizinische Betreuung benötigen als andere Gewaltopfer 63 . Eheliche Gewalttätigkeiten verursachen darüber hinaus relativ mehr Arbeitsausfälle als andere gewaltsame Angriffe 64 . Die formelle soziale Kontrolle familiärer Gewaltanwendung stellt ebenfalls einen beträchtlichen Kostenfaktor dar. In Chikago werden mehr Polizeieinsätze durch Familienkonflikte notwendig als durch andere kriminelle Taten 65 . Darüber hinaus sind Familienkriseneinsätze in den USA die gefahrlichsten Einsätze überhaupt, bei denen die meisten Beamten verletzt oder getötet werden 66 . Für die Bundesrepublik Deutschland liegen hierzu keine Ergebnisse vor. Immerhin lassen die nordamerikanischen Daten darauf schließen, daß familiäre Konflikte einen beträchtlichen Kontrollaufwand erfordern, der als sozialer Kostenfaktor in Rechnung gestellt werden muß. (2) Die sozialen Auswirkungen der Störung der familiären Sozialisationsaufgaben Gewaltsame Vorfalle stören die Funktionsfahigkeit der Familie als Sozialisationsinstanz und als Agentin der informellen Sozialkontrolle und hemmen auf diese Weise die soziale Anpassung und Überwachung der nachfolgenden Generation. Die Erfahrung schwerer Gewalttätigkeiten im Elternhaus steht in enger Beziehung zu dem Auftreten von sozialabweichendem Verhalten und Kriminalität im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter 67. A m stärksten delinquenzgefahrdet sind Kinder und Jugendliche, die selbst Opfer von Mißhandlungen sind oder waren. Aber auch Kinder, die Gewalttätigkeiten unter ihren Eltern beobachten müssen, zeigen eine hohe Neigung zu sozialabweichendem und kriminellem Verhalten 68 . Mißhandlungserlebnisse und Delinquenz verursachen sich zwar wechselseitig. Meist setzt allerdings die Mißhandlung in einem frühen Alter des Kindes ein und geht daher der Delinquenz voraus. Sie bringt einen Prozeß in Gang, in dessen Verlauf das angegriffene Kind antisoziale, aggressive Einstellungen und Verhaltensmuster erlernt. Darüber hinaus stört sie seine psychosoziale Anpassung. Das mißhandelte Kind hat Schwierigkeiten, enge und warme mitmenschliche Beziehungen einzugehen, da ihm das Vertrauen in seine Umwelt fehlt. Es entwickelt Selbstaggressionen und eine geringe Selbstachtung. Für den Aufbau einer angemessenen Selbstkontrolle ist es wichtig, daß das Kind sich mit seinen Eltern identifizieren kann. Das
63
Gaquin 1977/78, 640. Gaquin 1977/78, 640. 65 Fields 1977/78, 646. 66 Langley/Levy 1977, 165; D. Martin 1978, 115f.; Walker 1979, 208; Paterson 1979, 85; Fields 1977/78, 646. 67 Alfaro 1981,188 ff.; Mouzakitis 1981,223 ff.; Wiek 1981,237 ff.; Kopernik 1964,318. 68 Pfouts/Schopler/ Henley 1981, 95. 64
6*
84
Β I. Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter
mißhandelte Kind zieht sich von seinen gewalttätigen und abweisenden Eltern zurück. Hierdurch wird die Entwicklung seines Gewissens, des Überichs, gehemmt 69 . Die Mißhandlung durch die Mutter wirkt dabei stärker entsozialisierend auf das Kind und den Jugendlichen als die Mißhandlung durch den Vater oder Stiefvater. A m stärksten delinquenzgefahrdet sind freilich diejenigen Kinder und Jugendlichen, die von beiden Elternteilen mißhandelt werden 70 . Die Eltern betrachten das Kind häufig als Sündenbock, auf den sie ihre eigenen unannehmbaren Eigenschaften und Phantasien übertragen. In einem Prozeß der sichselbsterfüllenden Prophezeiung akzeptiert das Kind diese Rolle und beginnt, sie durch sozialabweichendes Verhalten auszufüllen 71 . Mißhandelte Kinder und Jugendliche versuchen teilweise auch den Gewalttätigkeiten zu entgehen, indem sie von zu Hause weglaufen. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Kinder als Ausreißer mit delinquentem Verhalten in Kontakt kommen, ist groß 72 . Die Störung der kindlichen Sozialisation durch Gewalt unter den Eltern und der Zusammenbruch der sozialen Kontrolle der gewaltbelasteten Familie über das Kind oder den Jugendlichen setzen ähnliche delinquenzverursachende Prozesse in Gang. Freilich beruhen Gewalt in der Familie und Delinquenz zum Teil auch auf gemeinsamen Ursachen, ζ. B. auf sozialer Isolation und Zerrüttung der Gemeinschaft 73. Es wäre daher verfehlt, lediglich eine gegenseitige Verursachung von Mißhandlung und Delinquenz anzunehmen. Ein wesentlicher sozialer Folgeschaden familiärer Gewalt besteht darin, daß sie sich im Wege der „sozialen Vererbung" fortsetzt 74 . Sie wird über die Kinder von Generation zu Generation weitergegeben. Das Opfer von Kindesmißhandlung neigt dazu, später seine eigenen Kinder gewaltsam anzugreifen 75. Eine wesentliche Ursache hierfür liegt in einem Lernvorgang. Mißhandelte Kinder lernen Gewalt als selbstverständliches Erziehungsmittel kennen. Ihre eigene Sozialisation vermittelt ihnen wesentliche Informationen und Erfahrungen darüber, mit welchen Mitteln Kinder zu erziehen sind. Diese selbst erfahrenen Möglichkeiten der Disziplinierung wenden sie als Ergebnis eines Lernprozesses bei ihren eigenen Kindern an. Auch gewalttätige Ehegatten waren häufig selbst mißhandelte Kinder. So stellte Steinmetz 76 fest, daß die Kindheit zahlreicher Frauen, die ihre Ehemänner gewaltsam angegriffen haben, von Gewalt und traumatischen Erlebnissen geprägt war. Zu einer Fortsetzung der Gewalt in der Familie kann es auch dadurch kommen, daß das mißhandelte Kind seine 69 70 71 72 73 74
Raymond 1981, 242 ff. Pfouts/Schopler /Henley 1981, 95f. Green 1981, 154f. Vgl. die Ergebnisse von Mouzakitis 1981, 230. Garbarino 1981b, 118ff. Goode 1978, 142; H.J. Schneider 1975, 67; Würtenberger 1974, 75; Mergen 1978,
318 f. 75 76
Vgl. die Ergebnisse von Fergusson/Fleming/O'Neill 1972, 147, 158. 1977/78, 506.
4. Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter aufgrund ihrer Gefahrdung
85
Opferrolle akzeptiert und auf diese Weise eine Opferneigung für Angriffe seines späteren Partners entwickelt. Für die „soziale Vererbung" familiärer Gewalt ist es freilich nicht notwendig, daß der spätere Täter oder das spätere Opfer solcher Angriffe selbst in seiner Kindheit Opfer von Mißhandlungen war. Zu einer Fortführung der Gewalt sind auch diejenigen Erwachsenen geneigt, die als Kinder lediglich Zeugen gewaltsamer Angriffe innerhalb ihrer Familie wurden. Ein Kind, das beobachten muß, wie seine Geschwister mißhandelt werden, lernt Gewalt ebenso als Mittel der Erziehung kennen wie ein Kind, das selbst Opfer von körperlichen Angriffen seiner Eltern wird. Kinder, die tätliche Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern erleben, erfahren, daß Gewalt in der Ehe ein angemessenes Mittel zur Durchsetzung gegenüber dem Partner ist. Sie entwickeln aus diesem Grunde die Neigung, als Erwachsene den eigenen Partner zu mißhandeln oder als Opfer Angriffe seitens des Partners zu dulden. Die Familie wird zu einem bedeutenden Trainingsfeld der Gewalt. Gewalt in der Familie ruft wiederum Gewalt hervor 77 . (3) Schäden der moralischen Wertordnung Gewalterfahrungen innerhalb der Familie üben wesentliche Einflüsse auf die Entwicklung von Wertvorstellungen beim Kind aus. Sie prägen die Einstellung des Kindes und des späteren Erwachsenen zur Anwendung von Gewalt. Die Tatsache, daß ein Kind innerhalb seiner Familie das erste Mal Gewalt erlebt 78 , bringt es mit sich, daß Liebe und Gewalt sich in seinem Bewußtsein miteinander verbinden. Es wird ein moralisches Recht zur Gewalttätigkeit gegenüber Familienmitgliedern aufgebaut. Damit wird die Grundlage für die Rechtfertigung von Gewalt in der Familie gelegt. Darüber hinaus lernt das Kind, daß ein bedeutendes Ziel die Ausübung von Gewalt erlaubt 79 . Dies gilt auch für den Einsatz von Gewalt im außerfamiliären gesellschaftlichen Raum. Gewalterfahrungen in der Kindheit stehen daher in Beziehung zu der Bejahung des Einsatzes von instrumenteller Gewalt als Mittel der Problemlösung im Erwachsenenalter. Beispielsweise lassen sich Zusammenhänge zwischen familiärer Gewalterfahrung und der Befürwortung der Todesstrafe feststellen 80. Da Gewalt in der Familie ein außerordentlich weit verbreitetes Phänomen darstellt, ist zu befürchten, daß sie über die von dem einzelnen erlernten Werte das gesamtgesellschaftliche Wertgefüge zugunsten einer Befürwortung eines wie auch immer begrenzten oder unbegrenzten Einsatzes von Gewalt beeinflußt. Die Eindämmung der Gewalt innerhalb der Familie ist daher eine notwendige Zwischenstation auf dem Wege der Verwirklichung einer möglichst gewaltarmen Gesellschaft. 77 78 79 80
Curtis 1963/64; Silver/Dublin/Lourie 1969; Bach 1978, 2. Straus 1977/78, 453. Straus 1977/78, 454. Gelles/Straus 1979, 538.
86
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung d) Zusammenfassung
Insgesamt läßt sich erkennen, daß die reale Rechtsgutsgefahrdung durch alle Formen familiärer Gewalt außerordentlich groß ist. Familiäre Gewalt gefährdet mehr schutzwürdige Rechtsgüter als außerfamiliäre Gewalt. Sie ist sehr weit verbreitet. Typischerweise handelt es sich nicht lediglich um einzelne Angriffe. Vielmehr treten Gewalttaten in einer Familie häufig wiederholt auf. Ihnen fallen oft Kinder und Frauen zum Opfer, die bereits aufgrund ihrer körperlichen Verfassung besonders verletzbar sind. Gewalt in der Familie verursacht schwerwiegende physische und psychische Schäden bei ihren Opfern und führt darüber hinaus zu einer seelischen Beeinträchtigung der übrigen Familienmitglieder. Sie wirkt brutalisierend auf den Täter und kann die Familie zerstören. Schließlich bedingt sie erhebliche gesellschaftliche Kosten und Schäden und wirkt der Entwicklung einer möglichst gewaltlosen Gesellschaft entgegen. Die durch Gewalt in der Familie gefährdeten Rechtsgüter bedürfen mithin aufgrund der statistischen und der individuellen Häufigkeit ihrer Verletzung, der besonderen Verletzbarkeit der Opfer und der durch sie auf individueller und gesellschaftlicher Ebene verursachten Schäden in erhöhtem Maße des Schutzes.
II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung Die Frage, wie ein Schutz der von Gewalt in der Familie verletzten schutzwürdigen und -bedürftigen Rechtsgüter am besten gewährleistet werden kann, ist nur zu beantworten, wenn zuvor die Ursachen familiärer Gewaltanwendung geklärt sind. Denn der Schutz von Rechtsgütern muß in erster Linie bei der Bekämpfung der Ursachen ihrer Gefährdung einsetzen. Es besteht ein beträchtliches Risiko, durch ungezielte Maßnahmen die Ursachen und Bedingungen rechtsgutsgefahrdender Verhaltensweisen noch zu verschärfen und damit die Gefahr für die zu schützenden Rechtsgüter zu erhöhen. Eine Analyse der Ursachen familiärer Gewaltanwendung ist notwendig, um darüber entscheiden zu können, ob ein Schutz durch das Strafrecht erforderlich ist und welche strafrechtlichen Maßnahmen gegebenenfalls eingesetzt werden müssen, um familiärer Gewaltausübung vorzubeugen. Das Auffinden ursachenangemessener Eingriffsstrategien wird dadurch erschwert, daß keineswegs Einigkeit darüber besteht, welche Ursachen für Gewalt in der Familie verantwortlich sind. Hierzu gibt es zahlreiche Ansätze, die auf psychologischen und soziologischen Grundlagentheorien aufbauen. Es finden sich Ableitungen aus den oben 1 dargestellten Aggressionstheorien, die dieselben Stärken und Schwächen wie diese aufweisen.
1
Vgl. A I 2.
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
87
1. Die eindimensionalen Verursachungstheorien Sie richten ihr Augenmerk jeweils auf einzelne, abgegrenzte Einflußfaktoren, die den Prozeß der Entstehung familiärer Gewaltanwendung steuern. Dabei entwickeln sie ihre Ansätze im Rahmen von in sich abgeschlossenen psychologischen und soziologischen Theoriegebäuden. In ihrer ursprünglich reinen Form lassen diese Theorien nicht zu, Querverbindungen untereinander herzustellen. Demgegenüber hat sich in der modernen kriminologischen Literatur weitgehend die Auffassung durchgesetzt, daß keine der einzelnen Theorien für sich ausreicht, um familiäre Gewaltanwendung umfassend zu erklären. Sie werden daher in ihrer unverfälscht radikalen Form nur noch selten vertreten. Dennoch ist es zum besseren Verständnis erforderlich, sie zunächst in dieser Form darzustellen. Nur so können nämlich ihre Vorzüge und Nachteile klar herausgearbeitet und später sinnvolle Verbindungen zwischen den einzelnen Theorien geknüpft werden. Zunächst soll eine Übersicht der wichtigsten Verursachungstheorien gegeben werden, bevor die einzelnen Formen familiärer Gewaltanwendung auf der Grundlage der dargestellten Ansätze erklärt werden. Nicht jede Theorie ist dabei auf alle Formen der Gewalt in der Familie anwendbar. Schließlich werden die Erklärungsansätze einer kritschen Würdigung unterzogen. a) Übersicht der Erklärungsansätze aa) Individualpathologische Theorien: Das Eigenschaftsmodell und der psychopathologische
Ansatz
Sie führen Gewalt gegen Familienmitglieder auf Tendenzen zurück, die der Persönlichkeit des Täters innewohnen, und sind insoweit den ethologischen und den psychodynamischen Triebtheorien der Aggression verwandt. Freilich wird aggressives Verhalten im Rahmen der Triebtheorien weitgehend als normal betrachtet und auf jedem Menschen angeborene aggressive Triebe zurückgeführt. Die individualpathologischen Ansätze sehen demgegenüber Gewaltanwendung in der Form der Mißhandlung von Familienmitgliedern keineswegs als normal an. Im Rahmen des Eigenschaftsmodells wird Gewalttätigkeit vielmehr mit dem Auftreten bestimmter abnormer Persönlichkeitszüge verbunden. Der psychopathologische Ansatz führt familiäre Gewaltanwendung auf psychische Defekte des Täters zurück. Die Psychopathie ist dabei eine nicht-krankheitsbedingte seelische Auffälligkeit. Nach Kurt Schneider, der den Psychopathiebegriff entwickelt hat, sind Psychopathen solche Menschen, die unter ihrer Abnormität leiden oder unter deren Abnormität die Gesellschaft leidet 2 . Individualpathologische Theorien werden insbesondere herangezogen, um Kindes- und Frauenmißhandlungen zu erklären.
2
K. Schneider 1976, 17.
88
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung bb) Die psychodynamischen
Modelle
Sie bauen auf den psychoanalytischen Erklärungen aggressiven Verhaltens auf und sind den individualpathologischen Konzepten insoweit verwandt, als auch sie ihr Hauptaugenmerk auf anomale psychische Funktionen des Täters richten. Indessen haben sie einen ungleich größeren Erklärungswert als der psychopathologische und der Eigenschaftsansatz. Sie begnügen sich nämlich nicht damit, psychische Fehlfunktionen des Täters festzustellen, sondern versuchen auch, sie zu erklären. Entsprechend ihrer tiefenpsychologischen Orientierung richten die psychodynamischen Konzepte zur Erklärung familiärer Gewaltanwendung ihr Hauptaugenmerk auf die Kindheitsgeschichte des Täters. Eine zentrale Rolle spielt die Erkenntnis, daß ein Großteil der Täter von Kindes- oder Partnermißhandlung selbst in ihrer Kindheit psychisch oder physisch mißhandelt oder vernachlässigt worden ist 3 . Die Abhängigkeits- und Geborgenheitsbedürfnisse des Täters wurden in seiner Kindheit von den Eltern nicht befriedigt. Seine Psyche verarbeitet diese ungestillten Bedürfnisse, indem sie sie auf ein anderes Objekt, nämlich das eigene Kind oder den Partner des Täters, verlagert. Dieser psychodynamische Abwehrprozeß der Verschiebung bewirkt auch, daß aggressive Tendenzen, die ursprünglich gegen die eigenen lieblosen und zurückweisenden Eltern gerichtet waren, nunmehr auf das Kind oder den Partner zielen. Neben dem Prozeß der Verschiebung führen auch die Abwehrmechanismen der projektiven
Identifikation
u n d der Projektion
zu einer
Umleitung der aggressiven Impulse des Täters auf ein anderes Objekt. Der Täter identifiziert sich selbst mit seinen strafenden Eltern und meint, eigene ungeliebte Charakterzüge in seinem Opfer zu erkennen. Indem er sein Kind oder seinen Partner schlägt, bestraft er sich selbst in seinem Opfer, da er sich selbst ablehnt. cc) Die Theorie des sozialen Drucks
Sie betrachtet das Auftreten wirtschaftlicher Mangelsituationen als Hauptursache für Gewalt in der Familie. Sie ist der Frustrations-Aggressions-Hypothese verwandt, indem sie eine einfache Beziehung zwischen dem Erleben sozialen und wirtschaftlichen Drucks durch den Täter und familiärer Gewaltanwendung postuliert. Armut, Arbeitslosigkeit, schlechte Berufschancen, nichteheliche Elternschaft, schlechte Wohnverhältnisse, eine große Kinderzahl oder die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder nationalen Minderheit sind frustrierende Bedingungen, die Gewalt in der Familie begünstigen4. Den Zusammenhang zwischen diesen Druckphänomenen und familiärer Gewaltausübung versucht man durch Daten aus empirischen Untersuchungen und Beobachtungen aus der klinischen Praxis zu belegen. 3 Vgl. oben Β I 4 c) gg) (2) und die dortigen Nachweise; ferner Court 1976,28; Ammon 1979; Steele 1976, 14. 4 Gil 1974, 166; Gelles 1979a, 35ff.; Elmer 1967, 335f.; Freeman 1979, 27ff.; Giesen 1979, 43ff.; Fink 1968, 28f.; Schreiber 1971, 95ff.; Bauer 1969, 86ff., der allerdings das eigene Verschulden des Täters an seiner drückenden sozialen Lage betont.
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
89
Der Erklärungsbereich der Theorie des sozialen Drucks beschränkt sich auf die Ermittlung der Ursachen von Gewalt gegen Kinder und Gewalt unter Partnern. Zwischen äußerem Druck und Geschwistergewalt bestehen geringe Zusammenhänge5. Beziehungen zur Gewalt gegen Eltern sind bislang nicht erforscht. Äußerer Druck, der auf der Familie lastet, wird von Kindern anders wahrgenommen als von den Eltern. Da sie für das Wohlergehen der Familie verantwortlich sind, ist es in erster Linie Aufgabe der Eltern, soziale und ökonomische Rückschläge aktiv zu meistern. Die Kinder können demgegenüber weitgehend passiv bleiben. Darüber hinaus erfahren die Eltern äußeren Druck unmittelbar. Was die Kinder wahrnehmen, ist bereits durch das Verhalten und die Berichte der Eltern „gefiltert". Die Eltern spielen für ihre Kinder die Rolle eines „sozialen Stoßdämpfers". Aus diesem Grunde ist anzunehmen, daß sich die soziale und wirtschaftliche Situation der Familie auf kindliche Gewaltanwendung nur indirekt, über zahlreiche vermittelnde Faktoren auswirkt. Die Theorie des sozialen Drucks ist in ihrer Reichweite daher begrenzt. dd) Die Lerntheorie
Sie zieht zur Erklärung familiärer Gewaltanwendung die Prinzipien des Lernens am Modell und des Lernens am Erfolg heran und stellt lediglich eine speziellere Ausformung der lerntheoretischen Begründung aggressiven Verhaltens dar 6 . Die Lerntheorie geht dabei von demselben Ansatzpunkt aus wie die psychodynamischen Theorien. Auch sie mißt nämlich der Tatsache, daß zahlreiche Täter von Kindes- oder Partnermißhandlung in ihrer Kindheit selbst Opfer körperlicher Angriffe waren, eine entscheidende Bedeutung bei. Anders als die psychodynamischen Theorien betrachtet sie indessen nicht die hieraus entstehende, emotionale Mangelsituation des Täters als ausschlaggebende Verbindungsvariable zu familiärer Gewaltanwendung. Sie richtet ihr Augenmerk vielmehr auf das Verhaltensmodell, das dem Kind in einem Elternhaus vorgelebt wird, in dem Gewalt in der Interaktion der Familienmitglieder eingesetzt wird 7 . Durch Beobachtung oder Erfahrung am eigenen Leib lernt das Kind, welchen Herausforderungen mit Gewalt begegnet werden darf, welcher Grad von Gewaltanwendung welcher Situation angemessen ist und welche Mechanismen eingesetzt werden können, um physische Aggression vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen, zu neutralisieren 8. Dem Kind wird ein vollständiges Skript von Verhaltensmustern vermittelt 9 . Darüber hinaus lernt es auch die gefühlsmäßigen Komponenten der Gewalt. Es beobachtet, in welchen affektiven Zuständen Gewalt eingesetzt werden darf. Es sieht, welche Gefühle 5 6 7 8 9
Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 145. Vgl. A I 2 d). Gelles 1979a, 37. Goode 1969, 950 ff. Owens/Straus 1975, 195 f.
90
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
beim Täter mit der Gewaltausübung einhergehen, ob er also beispielsweise Erleichterung oder Schuld empfindet. Schließlich lernt es, die Gefühle des Opfers zu mißachten. Ein Lernen am Erfolg tritt ein, wenn der Täter durch gewaltsames Verhalten sein Ziel erreicht. Das Handlungsziel kann dabei beliebig sein. Oft besteht es darin, das Verhalten des Opfers zu kontrollieren. Wenn das Opfer sich dem Täter beugt, so wirkt dies verstärkend auf das Handeln des Angreifers zurück. Prozesse des Lernens am Modell und des Lernens am Erfolg können zur Erklärung jeder Form der Gewalt in der Familie herangezogen werden. ee) Rollentheoretische
Erklärungsansätze
Während die psychodynamischen Ansätze und die Lerntheorien zur Erklärung familiärer Gewaltanwendung vornehmlich auf die Person des Täters hin orientiert sind, betrachten die an der sozialpsychologischen Rollentheorie ausgerichteten Konzepte Gewalt als Mittel zur Aufrechterhaltung der familiären Autoritäts- und Rollenstruktur 10 . Der Begriff der sozialen Rolle bezeichnet die Gesamtheit der gesellschaftlichen Erwartungen, die sich an die Innehabung bestimmter Positionen knüpfen 11 . Mann/Vater, Frau/Mutter und Kind sind Positionen innerhalb der Familie. Jedes Familienmitglied sowie der soziale Nah- und Fernraum der Familie haben Vorstellungen davon, wie diese Positionen angemessen auszufüllen sind. Auch der Positionsinhaber selbst hegt solche Überzeugungen. Erfüllt er die gesellschaftlichen Erwartungen nicht, so wird er Sanktionen ausgesetzt. Ist er nicht in der Lage, seinen Vorstellungen zu genügen, so empfindet er sich selbst als Versager. Je klarer und einheitlicher eine Rolle definiert ist, um so leichter ist es für den Positionsinhaber, sich rollenkonform zu verhalten und so gesellschaftlichen Sanktionen und eigenen Schuldgefühlen zu entgehen. Die rollentheoretischen Ansätze zur Erklärung familiärer Gewaltanwendung, insbesondere der Mißhandlung von Frauen und halbwüchsigen Kindern (Jugendlichen), knüpfen an die Tatsache an, daß gesellschaftliche Demokratisierungs- und Emanzipationsbestrebungen in jüngerer Zeit die über Jahrhunderte festgefügte familiäre Rollen- und Autoritätsstruktur durcheinander gebracht und zu verstärkter Rollenunsicherheit geführt haben. Im Rahmen eines rollentheoretischen Ansatzes gilt Gewalt als Mittel eines Positionsinhabers, um mit der eigenen Rolle verbundene Autoritätsansprüche zu verwirklichen. Darüber hinaus ist Gewalt eine mögliche Sanktion gegenüber einem Angehörigen, der sich nicht rollenangemessen verhält.
10 11
Goode 1971; O'Brien 1975; Gelles 1972, 136ff. Sader 1969, 209.
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
91
b) Anwendung der Erklärungsansätze auf die verschiedenen Formen familiärer Gewaltanwendung aa) Die Verursachung von Kindesmißhandlung
Von allen Formen familiärer Gewaltanwendung ist die Kindesmißhandlung ursachentheoretisch am stärksten und lückenlosesten erfaßt. Jeder der dargestellten Erklärungsansätze hat Anwendung bei der Analyse der Ursachen von Kindesmißhandlung gefunden. (1) Die individualpathologische Erklärung von Kindesmißhandlung Zur Erklärung von Kindesmißhandlung werden im Rahmen eines psychopathologischen Konzepts Persönlichkeitsstörungen der Eltern angeführt 12 . In einer Studie an 214 Eltern mißhandelter Kinder und 76 Kontrolleltern 1 3 wurde ein Drittel der mißhandelnden Väter als Psychopathen eingestuft. Fast die Hälfte der Mütter galt als neurotisch. Neurosen sind Verhaltensanomalien auf der Grundlage gestörter Erlebnisverarbeitung. Bei der EEG-Untersuchung eines kleinen Samples ( Ν = 35) von mißhandelnden Eltern wurden überdurchschnittlich oft abnormale Gehirnwellenmuster gefunden 14 . Hierbei handelt es sich indessen um ein Einzelergebnis, das nicht durch andere Forschungen bestätigt wurde 1 5 . In einer Untersuchung an 13 wegen Kindesmißhandlung verurteilten Eltern und einer parallelisierten Vergleichsgruppe von 13 nichtmißhandelnden Eltern fand Wright 16 bei den mißhandelnden Eltern eine signifikant niedrigere Intelligenz als bei den Kontrolleltern sowie charakterliche Auffälligkeiten, die er unter dem Begriff „Sick-But-Slick Syndrome" zusammenfaßt: Die Eltern waren psychopathisch gestört, spiegelten aber, wo dies möglich war, psychische Gesundheit vor. Diese Untersuchung und ihre Ergebnisse begegnen gewichtigen methodischen und theoretischen Bedenken. Zunächst ist der kleine Umfang des Samples von untersuchten Personen zu kritisieren. Die Auswahl dieses Samples war überdies dadurch verzerrt, daß nur verurteilte mißhandelnde Eltern untersucht wurden. Da nur ein geringer Anteil aller Kindesmißhandlungen abgeurteilt wird, ist nicht auszuschließen, daß sich die verurteilten Eltern systematisch von den übrigen mißhandelnden Eltern unterscheiden. Darüber hinaus wendete Wright teilweise fragwürdige und innerhalb der Psychologie stark umstrittene Testverfahren, wie den Rorschachtest, an. Schließlich ist unklar, welchen Erklärungswert die Bezeichnung mißhandelnder Eltern als Psychopathen haben soll. 12 13 14 15 16
Giesen 1979, 39ff.; Bennie/Sclare 1969, 975; Smith/Hanson/Noble 1975, 45ff. Smith /Hanson /Noble 1975, 45 ff. Smith/Honigsberger/Smith 1975. Freeman 1979, 24. 1980.
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
92
Im Rahmen eigenschaftsorientierter Erklärungsversuche werden mißhandelnde Eltern als ängstlich, feindlich und depressiv eingestuft. Sie werden durch geringes Selbstvertrauen, Verantwortungslosigkeit und Unzuverlässigkeit gekennzeichnet17. Sie lassen angeblich Impulsivität und emotionale Unreife 18 , eine geringe Frustrationstoleranz und einen Mangel an Affektivität erkennen. Es sind Typologien entwickelt worden, die die Täter anhand von Persönlichkeitsmerkmalen in Gruppen einteilen. Die Gruppe der arbeitsunwilligen, dauernd unzufriedenen und mißmutigen Täter wird von der Gruppe der herrschsüchtigen und rücksichtslos unempfindlichen Täter und von derjenigen der Willensschwachen und Triebhaften unterschieden 19. Eine andere Typologie teilt die Täter ein in gewalttätige Primitive, reizbare Psychopathen, Trinker und Asoziale einerseits, systematische Quäler andererseits und weiterhin in Affekttäter und in Debile 20 . Solche Beschreibungen der Eltern mißhandelter Kinder sind ohne Erklärungswert, da sie lediglich Etikettierungen enthalten. Sie erlauben keine Rückschlüsse hinsichtlich der Vorbeugung und Bekämpfung von Kindesmißhandlung. Überdies können sie leicht mißbraucht werden, um mißhandelnde Eltern als charakterlich minderwertig zu brandmarken und so vom Gros der übrigen Bevölkerung abzuheben. (2) Die psychodynamische Erklärung von Kindesmißhandlung Zur psychodynamischen Erklärung der Kindesmißhandlung werden die Konzepte der Verschiebung,
der Identifikation
mit dem Aggressor
u n d der
Projektion herangezogen. M i t Hilfe dieser Abwehrprozesse werden zwei familiendynamische Phänomene gedeutet, die als Grundlagen von Kindesmißhandlung häufig beobachtet werden. Dabei handelt es sich um das Phänomen der Rollenumkehr
u n d u m das sogenannte Sündenbocksyndrom.
(a) Das Phänomen der Rollenumkehr als Grundlage der Erklärung von Kindesmißhandlung Bei der Erklärung von Kindesmißhandlung wird dem Konzept der Rollenumkehr ein bedeutender Stellenwert eingeräumt 21 . Rollenumkehr wird dabei definiert als eine Vertauschung der Abhängigkeitsrolle
zwischen Eltern und Kind.
Dies äußert sich darin, daß die Eltern von ihren Kindern emotionale Zuwendung und Schutz erwarten 22 . Sie stellen an das Verhalten ihrer Kinder 17
B. Johnson/Morse 1974, 21. Bennie/Sciare 1969, 975; Fontana 1973, 63. 19 Nix o.J., 83. 20 Schleyer 1958, 70 ff. 21 Steele/Pollock 1978b, 172ff.; Van Stolk 1972,20ff.; Felder 1974,83; Vesterdal 1978, 292; Justice/Justice 1976, 40; H.J. Schneider 1975, 68. 22 Morris /Gould 1963, 38. 18
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
93
unrealistisch hohe Anforderungen und sind davon überzeugt, daß selbst Kleinkinder und Säuglinge ihre Wünsche und Befehle verstehen und befolgen können. Die Bedürfnisse des Kindes, seine begrenzten Fähigkeiten und seine Hilflosigkeit werden übersehen. Dieser Vorgang der Rollenumkehr hat seine Ursachen in einer defizitären Entwicklung des „Ichs" der Eltern, das nach dem psychoanalytischen Persönlichkeitsmodell als psychische Instanz die Aufgabe hat, zwischen den Anforderungen der Umwelt und des Gewissens (Über-Ich) des Menschen und seinen triebbedingten Bedürfnissen (Es) zu vermitteln. Mißhandelnde Eltern waren meist selbst ungeliebte, körperlich mißhandelte und seelisch verletzte Kinder. Aufgrund der elterlichen Ablehnung entwickelten sie ein negatives Selbstkonzept und konnten kein „Urvertrauen" in eine grundsätzlich freundliche und hilfreiche Haltung ihrer Umwelt entwickeln. Ihre ungestillten Abhängigkeits- und Zuneigungsbedürfnisse tragen sie an ihr Kind heran. Dabei wird der psychodynamische Mechanismus der Verschiebung wirksam. Eigene Bedürfnisse des Kindes werden zurückgewiesen. Damit wird es ständiger Überforderung ausgesetzt. Gleichzeitig hegen die Eltern ein tiefes Mißtrauen gegen ihr Kind. Da sie in ihrer Kindheit gerade von den ihnen am nächsten stehenden Personen Ablehnung und Mißhandlung erfahren haben, sind sie nicht in der Lage, ihr Kind positiv als essentiell „gutes" Wesen wahrzunehmen 23 . Sie erhoffen von ihm zwar Liebe und Anerkennung, befürchten dabei aber, abgewiesen zu werden. Diese Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, wenn das Kind aufgrund seiner begrenzten Fähigkeiten die überzogenen elterlichen Erwartungen nicht zu erfüllen vermag. Einer Mißhandlung geht zumeist kindliches „Fehlverhalten" voraus. Hierzu zählt nicht nur der „klassische" kindliche Ungehorsam, d.h. der vorsätzliche Verstoß des Kindes gegen sinnvolle und seinen Fähigkeiten angepaßte Anordnungen seiner Eltern. Auslöser für Mißhandlungen sind vielmehr häufig Schreien oder Einnässen des Kindes, Nahrungsverweigerung oder kindgemäße Ungeschicklichkeiten. Diese Verhaltensweisen werden von den Eltern ebenfalls als Ungehorsam interpretiert. Sie setzen bei ihnen verschiedene psychodynamische Prozesse in Gang. Die Eltern fallen auf frühkindliche Phasen ihrer psychosozialen Entwicklung zurück (Regression), in denen sie von ihren eigenen Eltern emotional zurückgewiesen wurden. Das „ungehorsame", schreiende Kind greift das schwach ausgeprägte elterliche Selbstbewußtsein an. I m Schreien des Kindes wird die kritisierende, ablehnende Haltung der eigenen Eltern wiedererkannt 24 . Gegen diese Ablehnung setzt sich der Täter jetzt gewaltsam zur Wehr. Hierbei spielen Prozesse der Identifikation mit dem Aggressor und der Projektion eine Rolle. Beide Prozesse haben ihre Wurzeln wiederum in der frühen Kindheit des Täters. Der Täter, der von seinen Eltern angegriffen wurde, befand sich in einem psychischen Dilemma: einerseits waren seine Eltern die einzigen Personen, von denen er Schutz und Hilfe erwarten konnte, andererseits mußte er sich selbst vor ihrer 23 24
Morris /Gould 1963, 39. Green/Gaines/Sandgrund 1980, 275.
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
Gewalttätigkeit schützen. Die hieraus resultierende Angst bewältigte der Täter psychisch, indem er sich mit der Rolle des Angreifers und nicht mit der Rolle des Opfers identifizierte. Er begann, an den Wert physischer Gewalt bei der Durchsetzung von Autoritätsansprüchen zu glauben 25 . Diese Identifikation mit dem Aggressor wirkt in der Mißhandlung eigener Kinder fort. Der Täter definiert sich als streng und betrachtet übertriebene körperliche Züchtigungen als gerechtfertigt. Die Züchtigung des Kindes hilft ihm darüber hinaus, mit eigenen Minderwertigkeitsgefühlen fertig zu werden. Der Täter projiziert den als minderwertig angesehenen, ungeliebten Anteil des eigenen Ichs auf das „ungehorsame" Kind und bestraft ihn in dem K i n d 2 6 . (b) Das Sündenbocksyndrom Häufig wird beobachtet, daß in einer Risikofamilie nur ein Kind aus einer Geschwisterreihe von seinen Eltern und teilweise auch von seinen Geschwistern mißhandelt wird. Dieses Kind, das sich oft durch Verhaltensauffälligkeiten oder körperliche oder geistige Mängel hervorhebt, ist der „Sündenbock" der gesamten Familie. Alle Familienmitglieder projizieren ihre persönlichen Schwierigkeiten und Zurücksetzungen auf das Sündenbockkind 27 . Bewußt oder unbewußt wird es für alle Fehlschläge verantwortlich gemacht. Seine Viktimisierung dient nicht nur der Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts der einzelnen Täter 2 8 . Sie hat vielmehr auch wesentliche Bedeutung für die Erhaltung der Balance innerhalb der Familienstruktur 29 . Konflikte, die in der Beziehung mit anderen Familienmitgliedern entstehen, werden auf den familiären Sündenbock übertragen und in seiner Mißhandlung ausgelebt. Die Sündenbocktheorie erklärt, warum häufig bisher nicht mißhandelte Geschwister eines mißhandelten Kindes an dessen Stelle treten und zu Opfern familiärer Gewaltanwendung werden, sobald das Kind aus der Familie entfernt wird oder aufgrund seiner Verletzungen stirbt 3 0 . U m nicht an ihren Konflikten zu zerbrechen, muß die Familie in diesen Fällen einen neuen Sündenbock finden. (3) Sozialer Druck und Kindesmißhandlung Den Zusammenhang zwischen sozialem Druck und Kindesmißhandlung hat man durch einige empirische Studien zu belegen versucht. In einer Untersuchung von insgesamt etwa 12500 bestätigten Fällen von Kindesmißhandlung, 25
Steele 1976, 18. Green/Gaines/Sandgrund 1980, 277; zum Konzept der Rollenumkehr vgl. auch Justice/Justice 1976, 55 ff, die diesen Vorgang transaktionsanalytisch erklären. 27 Green 1981, 154f. 28 Wassermann 1974, 249 f. 29 Justice/Justice 1976, 44. 30 Zenz 1979, 206 f.; Fontana 1973, 91 f. 26
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
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die in den USA in den Jahren 1967 und 1968 gemeldet wurden, stellte Gil 31 fest, daß fast 30% der mißhandelten Kinder in Haushalten ohne Vater oder Vaterersatzperson lebten. Die eigene Mutter des Kindes wohnte in über 12 % der Fälle nicht zu Hause. Familien mit vier oder mehr minderjährigen Kindern waren unter den Mißhandlungsfamilien fast doppelt so häufig vertreten wie in der gesamten amerikanischen Bevölkerung. Das Ausbildungs- und Berufsniveau der Eltern war deutlich niedriger als das der allgemeinen Bevölkerung. Fast die Hälfte der Väter mißhandelter Kinder war in dem der Meldung voraufgegangenen Jahr arbeitslos gewesen. Dasselbe galt für 70% der berufstätigen Mütter. Das Einkommen der Familien lag deutlich unter dem nationalen Durchschnitt der USA. 37 % der Familien bezogen zur Zeit der Mißhandlung Sozialhilfe. Zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich des Einkommens sowie der Ausbildungs- und Berufssituation der Eltern mißhandelter Kinder kommen ebenfalls deutsche Untersuchungen 32 . Auch das Kind selbst kann als bedeutende soziale Belastung wirken, insbesondere wenn es frühgeboren, krank, körperlich oder geistig behindert oder zurückgeblieben ist. Seine bloße Existenz bringt die Eltern in Drucksituationen 33 , die Gewalttätigkeiten veranlassen können. (4) Die lerntheoretische Erklärung von Kindesmißhandlung Nach Auffassung der Lerntheorie aktivieren mißhandelnde Eltern in der Erziehung ihrer Kinder Erfahrungen aus ihrer eigenen Kindheit. Hierbei handelt es sich um einen normalen Mechanismus: Alle Eltern neigen dazu, den Erziehungsstil ihrer eigenen Eltern nachzuahmen 34 , da die eigene Herkunftsfamilie die bedeutendste und teilweise sogar die einzige Sozialisationsinstanz ist, die Prinzipien und Techniken der familiären Kindererziehung vermittelt. Gewalt gegen Kinder wird demnach anhand von Verhaltensmodellen der eigenen Eltern gelernt. Neben dem Lernen am Modell spielt das Lernen am Erfolg bei der Verursachung von Kindesmißhandlung eine wesentliche Rolle. Wenn Eltern physische Strafen als wirksame Maßnahmen erkennen, um das Verhalten ihrer Kinder zu kontrollieren, so werden sie dieses Erziehungsmittel beibehalten 35 . Die Nichtreaktion des Partners auf die Mißhandlung eines Kindes signalisiert dem Täter Zustimmung und wirkt daher ebenfalls verstärkend.
31 32 33 34 35
1970, 108 ff.; vgl. auch die deutsche Zusammenfassung 1978c, 247ff. Mende/Kirsch 1968, 21 ff.; Schreiber 1971, 95ff. Vgl. oben Β I 4 b). Steele 1976, 14. Parke 1980, 302.
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung bb) Rollentheoretische Erklärungen für die Mißhandlung Jugendlicher
Mißhandelte Jugendliche waren in vielen Fällen bereits mißhandelte Kinder. Die elterlichen Gewalttätigkeiten gegen sie können daher als Fortsetzung eines Interaktionsmusters verstanden werden, dessen Wurzeln in die Kindheit des Opfers zurückreichen und das auf der Grundlage der bereits dargestellten individualpathologischen, psychodynamischen und lerntheoretischen Ansätze sowie unter Berücksichtigung sozialer Druckphänomene erklärt wird. Häufig hören die Mißhandlungen des Kindes im Verlaufe seines Älterwerdens allerdings auf. Das Kind hat gelernt, elterlichen Wutausbrüchen zu entgehen, steht unter der Obhut und Kontrolle von Kindergarten oder Schule, ist verbalen Argumentationen der Eltern zugänglicher und belastet sie nicht mehr durch die ständige Hilfsbedürftigkeit des Säuglings und Kleinkindes. Schließlich mag es beginnen, sich gegen körperliche Angriffe aktiv und erfolgreich zur Wehr zu setzen. Den Fällen der Zurückbildung der Gewalttätigkeiten gegen Kinder stehen Fälle gegenüber, in denen die Mißhandlungen erst im Jugendalter einsetzen. Sie stehen im Zusammenhang mit dem Prozeß der Ablösung des Jugendlichen vom Elternhaus und können rollentheoretisch erklärt werden. Für die Rollentheorie ist Gewalt ein Mittel, um elterliche Autoritätsforderungen gegen den Jugendlichen zu untermauern 36 . Es wird insbesondere dann angewendet, wenn den Eltern keine ausreichenden anderen Mittel zur Verfügung stehen. Daneben wird Gewalt als Sanktion für rollenunangemessenes Verhalten des Jugendlichen eingesetzt. Der Mißhandlung Jugendlicher liegen miteinander unvereinbare Autoritäts- und Rollenerwartungen von Eltern und Kindern zugrunde. Der Prozeß der Demokratisierung des Familienlebens hat zu einer beträchtlichen Unsicherheit bei der Festlegung der Rollen von Eltern und Kind geführt. Traditionell-autoritäre und modern-liberale Vorstellungen stehen hier nebeneinander. Insbesondere die Rolle des Jugendlichen in der Familie wird von Eltern und Kind unterschiedlich definiert. Den Selbständigkeits- und Selbstbestimmungsansprüchen des Jugendlichen stehen Autoritätsforderungen der Eltern gegenüber. Es herrschen unterschiedliche Vorstellungen, welche Rechte, Freiheiten und Pflichten einem Jugendlichen zukommen. Mädchen werden unter den älteren Kindern häufiger Opfer elterlicher Gewaltanwendung als Jungen 37 . Ursachen hierfür sind geschlechtsspezifische Unterschiede in der Definition der familiären und gesellschaftlichen Rollen männlicher und weiblicher Jugendlicher. Mädchen werden dabei geringere Freiräume zugestanden als Jungen. Zu dem konfliktträchtigen Unterschied in der Definition der Altersrolle des Jugendlichen zwischen Eltern und Kind kommen widerstreitende Erwartungen hinsichtlich der Geschlechtsrolle des Mädchens hinzu, die gewaltmotivierend wirken.
36 37
Garbarino/ Gilliam 1980, 194 ff. Fergusson/Fleming/O'Neill 1972, 71; Gil 1978c, 246.
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cc) Die Verursachung von Partnergewalt, insbesondere Frauenmißhandlung
Zur Erklärung von Partnergewalt finden sich Ansätze innerhalb jeder der bereits dargestellten Theorierichtungen. Sie beschränken sich allerdings meist darauf, die Ursachen der Mißhandlung von Frauen zu untersuchen. Nicht alle Erklärungsansätze lassen sich auf die Verursachung von Gewalt gegen Männer übertragen. (1) Die individualpathologischen Erklärungen von Frauenmißhandlung Zur Erklärung von Frauenmißhandlung werden psychopathologische und eigenschaftstheoretische Konzepte herangezogen, die nicht nur eine Pathologie des Täters, sondern auch eine Pathologie des Opfers behaupten. Auf Seiten des gewalttätigen Mannes soll eine niedrige Frustrationstoleranz ein wesentlicher Verursachungsfaktor sein 38 . Dem Täter mit geringer Frustrationstoleranz wird ein Opfer mit einem charakterlich bestimmten Verhalten gegenübergestellt, das vom Täter als herausfordernd empfunden wird. Diese Koppelung eines hohen Provokationspotentials der Frau mit einer geringen Frustrationstoleranz des Mannes soll für partnerschaftliche Gewaltanwendung bestimmend sein. (2) Die psychodynamische Erklärung von Partnergewalt Für den psychodynamischen Ansatz spielt bei der Verursachung von Gewalt gegen Frauen die Kindheitsentwicklung des Mannes eine wesentliche Rolle. Der Täter trägt an seine Frau Abhängigkeits- und Schutzbedürfnisse heran, die aus einer frühen Phase seiner Ich-Entwicklung stammen und von seiner beherrschenden und zurückweisenden Mutter nie erfüllt wurden. Ein psychodynamischer Verschiebungsprozeß findet statt 39 . Die Beziehung des Mannes zu seiner Frau wird zu einem Spiegelbild seiner ursprünglichen Mutter-Kind-Beziehung. Der Täter steht in einem Konflikt zwischen feindlicher Ablehnung gegenüber seiner Frau und seiner Abhängigkeit von ihr. Solange die Frau seine Abhängigkeitsbedürfnisse befriedigt, gelingt es dem Täter, seine feindlichen Impulse zu kontrollieren. Zu Gewaltanwendung kommt es jedoch dann, wenn seine Bedürfnisse frustriert werden. In dem Verhalten der Frau erkennt er das zurückweisende Verhalten seiner eigenen Mutter, gegen das er sich nunmehr gewaltsam wehrt. Als psychodynamischer Prozeß bei der Verursachung von Ehegattenmißhandlung wird ferner Projektion wirksam 40 . Der mißhandelnde Partner besitzt 38 39 40
7
Gayford 1978, 33. Schultz 1960. Makman 1978, 52.
U. Schneider
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
aufgrund seiner Zurückweisung in der Kindheit ein negatives Selbstkonzept. Eigenschaften, die er bei sich selbst nicht akzeptieren kann, projiziert er auf den anderen Partner. Er bemüht sich unbewußt, bei dem anderen Verhaltensweisen hervorzurufen, die diese projektiven Wahrnehmungen bestätigen. Häufig hat er sogar von vornherein einen Partner gewählt, der solche ihm unannehmbaren charakterlichen Eigenschaften tatsächlich besitzt. Die Angriffe gegen den Partner dienen ihm dazu, eigene Minderwertigkeitsgefühle zu bewältigen. (3) Sozialer Druck und Partnergewalt Eine Beziehung zwischen Ausbildungs- und Berufsstatus sowie Einkommen und Gewalt in der Ehe wurde in einer Studie an 40 wegen ehelicher Gewaltanwendung bekannten Paaren festgestellt, die mit einer Kontrollgruppe von 40 Paaren ihrer Nachbarschaft verglichen wurden 4 1 . A m meisten gewalttätig gegenüber ihren Frauen waren die Männer mit dem niedrigsten Ausbildungsstand, während diejenigen mit der fortgeschrittensten Ausbildung am wenigsten Gewalt gegen ihre Frauen anwendeten. Das gleiche galt hinsichtlich des Berufsstatus der Männer. Schließlich trat Gewalt am häufigsten in Familien der niedrigsten Einkommensschicht auf. Diese Ergebnisse untermauern die These, daß zwischen dem Erleben sozialen Drucks und der Mißhandlung von Partnern ein Zusammenhang besteht. (4) Lerntheoretische Erklärungen von Partnergewalt Nach der Lerntheorie sind für die Verursachung partnerschaftlicher Gewaltanwendung Lernprozesse verantwortlich. Jungen, die sehen, wie ihre Väter ihre Mütter gewaltsam angreifen, lernen, daß Gewalt ein Mittel ist, das Verhalten der Frau zu beeinflussen. Die Rolle des Opfers wird durch dieselben Prozesse gelernt. A m Verhaltensmodell der eigenen mißhandelten Mutter lernen Mädchen, körperliche Angriffe zu dulden. Viele Frauen, die von ihren Männern mißhandelt werden, wuchsen in Familien auf, in denen der Vater die Mutter schlug 42 . Aus solchen Familien kommt freilich auch ein Großteil der Frauen, die ihrerseits gegen ihre Männer Gewalt ausüben. Eine wesentliche Rolle bei der Verursachung partnerschaftlicher Gewaltanwendung spielt neben dem Lernen am Modell das Lernen am Erfolg. Pagelow 43 entwickelt auf der Grundlage dieses Paradigmas ein Modell der primären und sekundären Frauenmißhandlung. Unter primärer Mißhandlung versteht sie den ersten Angriff in einer bestehenden Paarbeziehung, während der Begriff sekundäre Mißhandlung jede Wiederholung physischer Aggression bezeichnet. Für die primäre Mißhandlung sollen nach diesem Konzept Prozesse des Modellernens verantwortlich sein. Demge41 42 43
Gelles 1972. Gayford 1978, 26. 1981, 29ff.
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
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genüber wird sekundäre Mißhandlung durch Mechanismen des Lernens am Erfolg verursacht. Wenn ein Mann das erste Mal Gewalt gegen seine Frau anwendet und dabei keine negativen Konsequenzen erfährt, sondern seine Wünsche gegenüber der Frau erfolgreich durchsetzt, wird sein gewaltsames Verhalten verstärkt. Eine Wiederholung dieser erfolgversprechenden Durchsetzungstechnik wird wahrscheinlicher. Diese Wahrscheinlichkeit wächst mit jeder positiven Verstärkung. Daneben gehen die psychischen Hemmungen gegenüber gewaltsamem Verhalten zurück und wirkungsvolle Rechtfertigungsmechanismen werden entwickelt. (5) Rollentheoretische Erklärungen von Partnergewalt Rollentheoretische Erklärungen sehen eine wesentliche Grundlage der Gewalt unter Partnern in der im Laufe des voranschreitenden Emanzipationsprozesses unklar gewordenen Definition der Familienrollen von Mann und Frau und deren brüchig gewordenen Autoritätsstrukturen innerhalb der Familie. Der Autoritätsaufbau der Familie befindet sich gegenwärtig in einem Übergangsstadium von der patriarchalisch autoritär verfaßten Familie die vor- und frühindustriellen Epoche 44 zu einem an demokratischen Leitbildern ausgerichteten System. Familiäre Autorität ist nicht länger gesellschaftlich vorgegeben, sondern muß individuell erworben werden. Die Aufgabe abstrakter Herrschaftsansprüche und die Anerkennung der Eigenständigkeit der Frau stellen den Mann vor schwerwiegende Probleme. Trotz aller Gleichberechtigungstendenzen herrscht innerhalb der Gesellschaft immer noch das Idealbild männlicher Überlegenheit vor. In die Kindererziehung fließen Normen ein, die vom Mann geistige, körperliche und seelische Stärke fordern. Für den nach diesen Leitvorstellungen sozialisierten Mann stellt das Streben der Frau nach Gleichheit und Unabhängigkeit eine Bedrohung seines männlichen Selbstbildes dar 4 5 . Zwischen Autoritätsansprüchen des Mannes und Gleichberechtigungsansprüchen der Frau kommt es zu Spannungen, die in der Familie, in der Mann und Frau in enger Gemeinschaft zusammenleben, ihren Kristallisationspunkt finden. (a) Die Ressourcentheorie Die Ressourcentheorie versucht, die Mißhandlung von Frauen innerhalb eines übergeordneten rollentheoretischen Rahmens zu erklären 40 . Sie sieht in physischer Aggression eines von mehreren Mitteln (Ressourcen) des Mannes, um Autoritätsansprüche zu verwirklichen und eine familiäre Machtposition zu erlangen. Andere wichtige Ressourcen sind überlegene berufliche oder persönli44 45 46
7*
Vgl. hierzu Rüberg 1965, 16f. Whitehurst 1975. Goode 1971; O'Brien 1975, 70 ff.
100
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
che Fähigkeiten, aber auch die Kontrolle über materielle Güter. Der Mann, der über diese Ressourcen verfügt, wird seltener Gewalt zur Durchsetzung von Vorrangansprüchen einsetzen als der Mann, der keinen Zugang zu diesen subtileren und sozial anerkannten Hilfsquellen besitzt. Diese theoretische Erwägung wird durch empirische Beobachtungen untermauert, nach denen Gewalt häufig in Familien vorkommt, in denen Ausbildung und Berufsstatus des Mannes niedriger als bei der Frau sind 4 7 . Frauen, die im Familienalltag eine aktive, führende Rolle übernehmen, die emotional stärker, intelligenter, gebildeter und beruflich erfolgreicher sind als ihre Männer, sind opfergefahrdet, da sie ihrem Mann ein Gefühl ständiger Frustration vermitteln. Die körperliche Gewaltanwendung stellt für den Mann ein Mittel dar, der Frau, aber insbesondere auch sich selbst seine Überlegenheit zu beweisen und so seine Autorität auch für die Zukunft gewaltsam durchzusetzen. Gewalt gegen Frauen entspringt auf diese Weise einem Widerspruch zwischen dem sozialen Leitbild männlicher Überordnung und den realen Möglichkeiten des Mannes, seinen Überordnungsanspruch durch überlegene Fähigkeiten zu begründen. Da in der männlichen Sozialisation die Anwendung von Gewalt häufig als legitimes Mittel gelehrt wird, um sich gegenüber anderen durchzusetzen, wirken diese Spannungen unmittelbar gewaltmotivierend 48 . (b) Die Masochismustheorie Die Masochismustheorie ist die rollentheoretische Ergänzung der Ressourcentheorie auf der Seite des Opfers. Ein Widerspruch zwischen sozialem Rollenideal und realen Funktionen ist nicht nur auf Seiten des Mannes zu finden, sondern auch auf Seiten der Frau. Die Masochismustheorie geht davon aus, daß das gewalttätige Verhalten des Partners masochistische Bedürfnisse der angegriffenen Frau erfülle 49 . Dabei handelt es sich nicht um einen sexuellen Masochismus der Frau, sondern um einen sozial begründeten „moralischen Masochismus". Das soziale Leitbild männlicher Überlegenheit findet nach der Masochismustheorie sein Gegenstück in dem sozialen Ideal weiblicher Unterordnung. Das Ideal der „schwachen" Frau entspricht vielfach nicht der aktiven, bedeutsamen Funktion der Frau im familiären und beruflichen Leben 50 . Die Masochismustheorie gelangt zu dem Schluß, daß dieser Widerspruch zwischen sozialem Leitbild und Realität bei der Frau zu Schuldgefühlen führt. Diese Schuldgefühle lassen sie männliche Gewaltanwendung dulden und sogar provozieren. Ebenso wie für den Mann als Täter dient Gewalt für die Frau als Opfer dazu, die Welt im Sinne eines traditionellen Geschlechtsrollenideals „wieder geradezurücken". 47 48 49 50
Gelles 1972, 137; O'Brien 1975, 70ff. Straus 1980, 87. Snell/Rosenwald/Robey 1964. Straus 1980, 89.
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
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dd) Die Verursachung von Gewalt gegen Eltern
Beiträge zur Erhellung der Ursachen der Mißhandlung von Eltern durch ihre halbwüchsigen oder jungerwachsenen, abhängigen Kinder hat insbesondere der psychodynamische Ansatz geliefert. Er bewegt sich dabei gleichsam auf seinem ureigensten Gebiet, da er den aggressiven Impulsen des Kindes gegen den einen oder anderen Elternteil im Rahmen der Beschreibung des Ödipus- und seines weiblichen Gegenstücks, des Elektrakomplexes, große Aufmerksamkeit schenkt. Aggressive Neigungen des Kindes entstehen auch aus der Ambivalenz seiner Bedürfnisse nach Abhängigkeit zum einen und seines Strebens nach Selbständigkeit und Lösung vom Elternhaus zum anderen. Neben den psychodynamischen Ansätzen vermag die Lerntheorie Erklärungen zum Entsehen von Gewalt gegen Eltern zu geben. (1) Psychodynamische Adoleszenzkonflikte als Ursachen von Gewalt gegen Eltern (a) Die Mißhandlung der Eltern als Ausdruck psychischer Notwehr Mißhandlungen der Mutter insbesondere durch den Sohn werden auf eine Art psychische Notwehrsituation des Täters zurückgeführt. Der heranwachsende Sohn war in seiner Kindheit starken Einengungen durch die Mutter, emotionaler Deprivation und Härte, teilweise gepaart mit Mißhandlungen, ausgesetzt, die bis in sein Jugendalter hin angehalten haben. Auch unterschwellige sexuelle Forderungen der Mutter sollen eine Rolle spielen. Mit physischer Gewalt verteidigt sich der Sohn gegen tatsächliche oder von ihm wahrgenommene physische, psychische oder sexuelle Angriffe der Mutter 5 1 . Wesentliche Funktion des gewaltsamen Vorgehens gegen die Mutter ist es, eine Loslösung aus einer als übermächtig empfundenen mütterlichen Umklammerung zu erreichen. Hier steht die Eroberung eines persönlichen Freiraums im Vordergrund, die auch Motiv physischer Aggression der Tochter gegen die Mutter sein kann. Das Motiv der Rebellion gegen psychische Abhängigkeit kann ebenfalls der Gewalttätigkeit gegen den Vater zugrundeliegen. Physische Angriffe des Sohnes gegen den Vater sind freilich teilweise notwehr- oder nothilfemotiviert. Der Sohn verteidigt sich selbst oder andere Familienmitglieder, insbesondere seine passive und von ihm abhängige Mutter, gegenüber physischen oder psychischen Mißhandlungen durch den Vater 52 . Diese Eskalation der Gewalt soll dabei auf unverarbeiteten ödipalen Konflikten beruhen: Seit seiner Kindheit sieht sich der Sohn als Beschützer und Partner seiner Mutter. Diese innige Mutter-SohnBeziehung wird durch den mißtrauischen und brutalen Vater gestört. Der physische Angriff gegen den Vater ist daher auch von dem unbewußten oder bewußten Motiv geleitet, seinen störenden Einfluß zu unterbinden. 51 52
Cormier /Angliker/Gagné/Markus 1978, 472f. Cormier /Angliker/Gagné/Markus 1978, 472 f.
102
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
(b) Das Phänomen der Umkehrung der Generationshierarchie als Grundlage der Gewalt gegen Eltern Familien, in denen ein halbwüchsiges oder jungerwachsenes Kind seine Eltern mißhandelt, weisen oft eine strukturelle Besonderheit auf, die als Umkehrung der Generationshierarchie bezeichnet wird 5 3 . Die Eltern sind in diesen Familien nicht in der Lage, die ihnen zugewiesene Autoritätsposition auszufüllen und den Kindern Führung und Sicherheit zu bieten. Ursache für ihre Unfähigkeit, Verantwortung für die Familie zu tragen, sind vielfach Uneinigkeit der Eltern, geistige und körperliche Mängel, Alkohol- oder Tablettenmißbrauch. Die Leitung der Familie wird auf ein halbwüchsiges Kind oder einen Jungerwachsenen übertragen, der seinerseits aufgrund mangelnder Reife, aber teilweise auch wegen zentralnervöser Störungen nicht imstande ist, die Familie zu führen. Er wird auf diese Weise beständiger Überforderung und Frustration ausgesetzt. Gleichzeitig entwickelt er ein Gefühl maßloser Selbstüberschätzung und Allmacht 5 4 . Er verlangt von seinen Interaktionspartnern, daß sie sich seinen Wünschen bedingungslos unterordnen. Gewalttätigkeiten des Jugendlichen gegen seine Eltern stellen vor diesem Hintergrund einen Versuch dar, die Familie zu kontrollieren und die ineffektiven Eltern zu ersetzen. Zugleich bestraft der Jugendliche seine Eltern dafür, daß sie ihn durch beständige Überforderung ausbeuten und seine psychischen Bedürfnisse nach Führung, Halt und Abhängigkeit nicht erfüllen. (2) Die lerntheoretische Erklärung von Gewalt gegen Eltern Für eine lerntheoretische Erklärung von Gewalt gegen Eltern sprechen Untersuchungsergebnisse, die einen engen statistischen Zusammenhang zwischen Kind-Eltern- und Eltern-Kind-Gewalt feststellen 55. Je häufiger Eltern ihr Kind schlagen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß das Kind die Eltern schlägt. Die Kinder lernen durch eigene Erfahrung am Modell der Eltern, ihre Wünsche gewaltsam durchzusetzen. Ebenso folgen ältere Kinder, die sich der Gewaltanwendung des Vaters gegen die Mutter anschließen, gewaltsamen Verhaltensmodellen, die der Vater gesetzt hat. Das gleiche gilt, wenn sie umgekehrt die Mutter unter Einsatz von Gewalt vor den Angriffen des Vaters schützen. Hier haben sie aus dem Verhalten des Vaters gelernt, daß Gewalt ein wirksames Mittel ist, um die Handlungen anderer Personen zu kontrollieren. Darüber hinaus verstärken Eltern das gewalttätige Verhalten ihrer Kinder häufig, indem sie sich ihren Wünschen beugen und den gewaltsamen Vorfall herunterspielen 56. 53 54 55 56
Harbin /Madden 1979. Harbin/Madden 1979, 1290. Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 119. Harbin/Madden 1979, 1289.
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
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ee) Die Verursachung von Geschwistergewalt
Gewalt unter Geschwistern ist bislang nicht ausreichend als soziales und rechtliches Problem erkannt. Entsprechend finden sich nur wenige Überlegungen zu ihren Ursachen. A u f der Grundlage des psychodynamischen Modells und der Lerntheorie werden erste Schritte unternommen, Geschwistergewalt zu erklären. (1) Psychodynamische Ursachen von Geschwistergewalt Der Gewalt gegen Geschwister soll nach psychodynamischen Vorstellungen ein Projektionsprozeß zugrundeliegen. Angreifer ist ein Kind, das von seinen Eltern zurückgewiesen, mißhandelt oder emotional vernachlässigt wird. Das angreifende Kind überträgt Verhaltensweisen oder Charaktereigenschaften, wegen derer es von seinen Eltern abgelehnt wird und die ihm selbst daher unannehmbar erscheinen, auf den Bruder oder die Schwester und bewältigt durch körperliche Aggression gegen das andere K i n d eigene Unzulänglichkeitsgefühle. Daneben wird die These vertreten, daß das Kind, das Geschwister angreift, unbewußte Wünsche seiner Mutter auslebt 57 . Die Mutter selbst ist psychisch daran gehindert, ihren aggressiven Bedürfnissen oder Todeswünschen einem K i n d gegenüber nachzugeben. Unbewußt sendet sie indessen durch ihr Verhalten entsprechende Botschaften aus, die von einem anderen Kind aufgegriffen und verwirklicht werden. (2) Die lerntheoretische Erklärung von Geschwistergewalt Die Lerntheorie erklärt Geschwistergewalt ebenso wie alle anderen Formen der Gewalt in der Familie mit den Prinzipien des Lernens am Modell und des Lernens am Erfolg. Kinder, die selbst von ihren Eltern geschlagen werden, lernen es, zur Duchsetzung ihrer Wünsche jüngere, schwächere Geschwister zu mißhandeln. Steele 58 schildert anhand von Beispielen, wie mißhandelte Kinder die von ihnen erlebte Gewalt gegenüber jüngeren Geschwistern nachahmen. Kinder, die beobachten, wie ihre Eltern sich schlagen oder wie ihre Geschwister verprügelt werden, machen die gleichen Lernerfahrungen. Indem sich ihre Geschwister ihren gewaltsam geäußerten Wünschen beugen, verstärken sie ihr Verhalten. Überdies sind viele Eltern der Auffassung, Kinder müßten im Geschwisterkreis lernen, sich unter Gleichaltrigen bedingungslos, wenn nötig gewaltsam durchzusetzen. Aus diesem Grunde loben und belohnen sie Kinder häufig für gewalttätiges Verhalten.
57
58
Tooley 1977, 25. 1976, 15.
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung c) Kritische Betrachtung der einzelnen Verursachungstheorien
Die dargestellten Theorien zur Verursachung von Gewalt in der Familie haben einen unterschiedlichen Erklärungswert und eine unterschiedliche Reichweite. Sie können nicht unkritisch übernommen werden. aa) Der mangelhafte Erklärungswert individualpathologischer Theorien
Die individualpathologischen Ansätze sind nicht geeignet, die Ursachen von Gewalt in der Familie zu erhellen. Sie betrachten Gewalt als Funktion bestimmter Eigenschaften oder psychischer Abnormitäten, ohne sich mit deren Entstehung zu beschäftigen. Sie sind insoweit nur beschreibend, nicht aber erklärend 59 . Häufig wird nicht einmal zwischen Erklärung und zu erklärendem Verhalten unterschieden 60. Der Charakterzug der Gewalttätigkeit wird für gewalttätiges Verhalten verantwortlich gemacht. Den individualpathologischen Konzepten liegen methodisch anfechtbare Untersuchungen an nichtrepräsentativen Samples aus dem klinischen Bereich zugrunde 61 . Es fehlt an hypothesengeleiteter Forschung 62 . Die Thesen zur Persönlichkeit des Mannes, der seine Frau mißhandelt 63 , beruhen nicht auf Untersuchungen der Männer selbst, sondern auf Befragungen der Frauen über ihre Männer 6 4 . Inhaltlich vermögen individualpathologische Konzepte nicht zu überzeugen. Gewalt in der Familie ist so weit verbreitet, daß sie nicht individualpathologisch erklärt werden kann 6 5 . Indem man Gewalt gegenüber Familienmitgliedern zu einem Problem des Täters individualisiert, wird die Gesellschaft von ihrer Mitverursachung entlastet 66 . Das Eigenschafts- und das psychopathologische Modell sind zu eng, weil sie soziale Einflüsse unberücksichtigt lassen67. Die Rückführung von Kindesmißhandlung auf psychische Defekte der Eltern gibt „normalen" Eltern die Sicherheit, daß sie nicht in Gefahr stehen, ihre Kinder zu mißhandeln. Mißhandelnde Eltern erfüllen die Funktion von Sündenböcken, auf die andere Eltern ihre aggressiven Impulse und Phantasien gegenüber ihren Kindern übertragen können 68 . Die individualpathologischen Erklärungsansätze erfüllen daher wichtige psychische Bedürfnisse der Gesellschaft, indem sie Gewalt in der Familie als persönliches Problem kleiner Minderheiten erscheinen lassen. 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68
Justice/Justice 1976, 42. Freeman 1979, 26. Freeman 1979, 26; Gelles 1979a, 32. Freeman 1979, 25; Gelles 1979a, 35. Vgl. oben Β I I 1 b) cc) (1). Freeman 1979, 138. Pagelow 1981, 21; R. Wolff 1978, 32. Freeman 1979, 138; Lau/Boss/Stender 1979, 109. Freeman 1979, 26; Gelles 1979a, 35. Gil 1970, 16 f.
1. Eindimensionale Verursachungstheorien bb) Die Mängel der psychodynamischen
105
Ansätze
Zur Erklärung familiärer Gewaltanwendung bedienen sich die psychodynamischen Theorien eingeführter tiefenpsychologischer Konzepte. Diese werden innerhalb der modernen Psychologie häufig wegen ihres spekulativen Charakters kritisiert. Tatsächlich beruht die Bewertung eines psychischen Vorgangs als Projektion, Verschiebung oder Regression auf der Interpretation des Untersuchers und nicht auf objektivierbaren Beobachtungen. Dies gilt freilich für jede Erfassung innerer Vorgänge. Will man sich nicht wie die behavioristische Psychologie auf die Betrachtung äußerlich beobachtbarer Verhaltensweisen beschränken, sondern innerpsychische Prozesse analysieren, so benötigt man dafür immer mehr oder weniger spekulative Begriffe. Die Konzepte der Verschiebung, Regression und Projektion, die bei Kindesmißhandlung zum Phänomen der Rollenumkehr führen, stellen eine einleuchtende und nachvollziehbare erklärende Verbindung zwischen dem beobachtbaren übertrieben fordernden Verhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern und der empirisch festgestellten Tatsache her, daß zahlreiche mißhandelnde Eltern in ihrer Kindheit selbst mißhandelt und abgelehnt wurden. Den psychodynamischen Ansätzen kommt daher bei der Erklärung familiärer Gewaltanwendung eine bedeutende Rolle zu. Gleichwohl unterliegen sie gewichtiger Kritik. Sie wurden aufgrund von Untersuchungen an kleinen Samples gewonnen. Die untersuchten Personen befanden sich in psychotherapeutischer oder psychiatrischer Behandlung, so daß die Zusammensetzung der Stichprobe stark verzerrt war 6 9 . Inhaltlich widmen sich die psychodynamischen Theorien fast ausschließlich der Person des Täters. Dem Opfer, der Familie, dem sozialen Nahraum sowie sozialen und ökonomischen Streßfaktoren wird kaum Aufmerksamkeit geschenkt 70 . Auch erklären die psychodynamischen Theorien nicht, warum sich die unbefriedigende Kindheitsentwicklung des Täters gerade in der Mißhandlung von Familienmitgliedern und nicht in anderen Symptomen psychischer Fehlfunktion, wie Neurosen oder Suchtkrankheiten, niederschlägt 71. Ihre theoretische Reichweite ist darüber hinaus zu gering, um leichtere Gewaltanwendungen in der Familie als Massenphänomen zu begründen. Insbesondere die Züchtigung von Kindern und die Gewalt unter Geschwistern sind so verbreitet, daß sie nur in einigen Fällen Ausdruck einer Projektion oder anderer psychodynamischer Verteidigungsmechanismen sein können. cc) Die Mängel der Theorie des sozialen Drucks
Anders als die beiden bisher kritisierten Ansätze beschränkt sich die Theorie des sozialen Drucks nicht darauf, familiäre Gewaltanwendung individualpathologisch auf der Ebene des Täters zu erklären, sondern betrachtet soziale 69 70 71
Gelles 1979a, 32; Freeman 1979, 26. Gelles 1979a, 35; Freeman 1979, 26. Justice/Justice 1976, 40.
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
Verursachungsfaktoren. Sie bietet aufgrund ihrer Einfachheit griffige Ansatzpunkte sowohl für die Forschung wie für sozial- und wirtschaftspolitische Interventionsmaßnahmen. Diese Einfachheit ist indessen gleichzeitig ihre größte Schwäche. Die Theorie des sozialen Drucks erklärt den bestehenden Zusammenhang zwischen äußeren Belastungsfaktoren und Gewalt in unzureichender Weise. Es bleibt unklar, warum Menschen auf Druckerlebnisse mit Gewalt gegen Familienangehörige reagieren 72. Aufgrund ihrer eigenen Unzulänglichkeit vermag die Frustrations-Aggressions-Hypothese nicht, die hier fehlende Verbindung herzustellen. Nicht in allen Familien, die unter schwerem sozialen Druck leben, kommt es zu Gewalt, und nicht alle gutsituierten Familien sind frei von ihr 7 3 . Hier werden offenbar vermittelnde Bedingungen wirksam, die die Theorie des sozialen Drucks nicht berücksichtigt. Daneben wird oft die inhaltliche Richtigkeit der Theorie des sozialen Drucks, nämlich das tatsächliche Bestehen eines Zusammenhangs zwischen der sozialen Position der Familie und Gewalt unter ihren Mitgliedern, angezweifelt. In die Ergebnisse der Untersuchungen und in offizielle Daten, die eine Korrelation zwischen Gewalt in der Familie und ihrer sozialen Lage ausweisen, geht ein gewichtiger systematischer Fehler ein, der zu Zweifeln an ihrer Richtigkeit Anlaß gibt. Die einschlägigen Untersuchungen beziehen sich nämlich nur auf solche Fälle familiärer Gewaltanwendung, die den Behörden oder privaten Organisationen gemeldet wurden. Unterschichtsfamilien und Familien in sozialen Mangelsituationen sind eher in Gefahr, auffallig zu werden, als gutsituierte Mittel- und Oberschichtsfamilien 74. Bessergestellte Familien sind weniger darauf angewiesen, aber auch weniger bereit, offizielle Hilfen in Anspruch zu nehmen. Ihre Möglichkeiten, ihr Gewaltproblem privat, etwa durch Scheidung oder Trennung oder durch Einschaltung privat praktizierender Ärzte oder Psychologen zu lösen, sind größer 75 . Da Gewaltanwendung in Mittel- und Oberschichtsfamilien allgemein als untypisch gilt, sind Ärzte und Behörden eher geneigt, „natürliche" Erklärungen für mißhandlungsbedingte Verletzungen zu akzeptieren. Trotz dieser Bedenken kann nicht davon ausgegangen werden, daß familiäre Gewaltanwendung in allen sozialen Schichten gleich verbreitet ist 7 6 . In ihrer Dunkelfelduntersuchung in den USA, die von den verzerrenden Einflüssen der unterschiedlichen sozialen Sichtbarkeit gewaltsamen Verhaltens in Familien der verschiedenen Schichten frei ist, stellten Straus, Gelles und Steinmetz77 dieselben Beziehungen zwischen Berufsstatus, Arbeitslosigkeit, Einkommen und Gewalt in der Familie fest wie frühere Studien, die 72 73
Freeman 1979, 140. Freeman 1979,27f.; Spinetta/Rigler 1980,138; Zenz 1979,194; Justice/Justice 1976,
45. 74 75 76 77
Zenz 1979, 195; Freeman 1979, 28. Zenz 1979, 195; Fontana 1973, 60 f. Pelton 1981, 27 ff. 1980, 148 ff.
1. Eindimensionale Verursachungstheorien
107
sich auf bekanntgewordene Fälle stützten. So kam Gewalt gegen Kinder in Familien mit einem Jahreseinkommen von mehr als 20000 $ nur halb so oft vor wie in Familien mit einem Einkommen von weniger als 6000 $ pro Jahr. Die Häufigkeit ehelicher Gewaltanwendung war in Familien dieser unteren Einkommensschicht sogar 500% höher als in den wohlhabenden Familien 78 . dd) Die Mängel lerntheoretischer
Erklärungen
Zu den wesentlichen Vorzügen des lerntheoretischen Ansatzes gehören seine positiven Folgerungen hinsichtlich der Möglichkeiten, Verhaltensänderungen herbeizuführen. Ein weiterer Vorzug ist seine Allgemeingültigkeit. Er vermag alle Formen familiärer Gewaltanwendung zu erklären. Diese Allgemeingültigkeit bewirkt indessen auch eine vergröbernde Sichtweise der Verursachungsprozesse. Es führt kein linearer Weg von der Erfahrung zu der aktiven Ausübung von Gewalt. Das zeigt sich an dem Beispiel von Eltern, die in ihrer Kindheit harten körperlichen Strafen unterworfen waren und aufgrund der eigenen leidvollen Erfahrung in der Erziehung ihrer Kinder bewußt keine Gewalt einsetzen. Das Beobachten gewaltsamen Verhaltens bewirkt zunächst nur eine kognitive Speicherung des Erfahrenen. Der Beobachter erweitert damit das Repertoire der ihm bekannten Handlungsweisen. Ob er die ihm gedanklich verfügbaren Handlungen tatsächlich ausführt, hängt von zahlreichen Variablen ab, die die Lerntheorie nur ungenügend berücksichtigt. Eine große Schwäche der Lerntheorie ist es darüber hinaus, daß sie nicht erklären kann, warum einige Erwachsene, die aus gewalttätigen Elternhäusern stammen, das aggressive Verhaltensmodell des Täters nachahmen, während andere die Opferrolle übernehmen. Manche mißhandelte Kinder, Jungen und Mädchen, lernen es, physische Aggression auszuüben, und mißhandeln später ihre eigenen Kinder oder Ehepartner. Andere werden durch Mißhandlung in eine Opferrolle hineinsozialisiert, so daß sie später gewaltsame Angriffe ihres Partners dulden. Die Lerntheorie alleine vermag nicht zu erklären, welche Prozesse für die Auswahl zwischen zwei komplementären Verhaltensmodellen verantwortlich sind. ee) Die Mängel rollentheoretischer
Erklärungen
Die rollentheoretischen Ansätze haben den Vorteil, nicht nur den Täter, sondern auch das Opfer und die Gesellschaft zu betrachten. Dabei werden allerdings zahlreiche spezielle Fragen zur Verursachung familiärer Gewaltausübung außer acht gelassen. Gewalt wird zutreffend als Mittel zur Durchsetzung männlicher oder elterlicher Autoritätsansprüche gesehen. Gleichwohl wird nicht erläutert, warum solche Autoritätsansprüche nur von manchen Männern und von manchen Eltern vertreten werden, während andere bereits ein liberales, gleichheitsorientiertes Rollenverständnis entwickelt haben. Ebenso setzt nicht jeder Mensch, der über keine anderen Ressourcen verfügt, eigene Autoritätsan78
Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 148.
108
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
sprüche gewaltsam durch. Manche Menschen reagieren mit verbaler Aggression, mit sozialem Rückzug oder geben ihre Ansprüche auf. Die Ressourcentheorie erklärt ferner nicht, warum das Mittel der Gewalt verschiedenen Menschen in unterschiedlicher Weise zugänglich ist. Manche Menschen setzen sehr schnell Gewalt ein, um sich durchzusetzen, ohne überhaupt nach anderen Mitteln gesucht zu haben. Andere verzichten eher auf ihre Forderungen, als daß sie auf das letzte Mittel der Gewalt zurückgreifen. Offenbar nimmt die Anwendung von Gewalt im Verhaltensrepertoire verschiedener Personen unterschiedlichen Raum ein. Schließlich kann nicht jede Ausübung von Gewalt in der Familie auf die Durchsetzung von Autoritätsansprüchen oder die Reaktion auf rollenwidriges Verhalten zurückgeführt werden. Frauen und Kinder, die bereits über längere Zeit mißhandelt wurden, versuchen oft, erneuten Mißhandlungen zu entgehen, indem sie sich allen Wünschen und Erwartungen des Täters fügen. Dennoch reicht dies nicht aus, um weitere Angriffe zu vermeiden. Das Verhalten des Opfers scheint hier ohne Einfluß auf die Handlungen des Täters zu sein. Besonders schwerwiegenden Bedenken begegnet die Masochismustheorie. Zum einen ist sie anhand einer sehr kleinen Stichprobe von Frauen entwickelt worden und erlaubt schon deshalb keine Generalisierung auf die Mehrzahl der weiblichen Mißhandlungsopfer. Zum anderen geht sie von überzeichneten Voraussetzungen aus. Zwar herrscht immer noch das Ideal des überlegenen, beherrschenden, starken Mannes. Das Leitbild der unterlegenen, schutzbedürftigen, schwachen Frau hat demgegenüber viel von seiner Verbindlichkeit verloren, sofern hier überhaupt noch von einem entsprechenden Leitbild gesprochen werden kann. Die selbständige, unabhängige, erfolgreiche Frau ist eine durchaus attraktive Figur des modernen gesellschaftlichen Lebens. Das traditionelle männliche Rollenideal findet also auf der weiblichen Seite keine vollwertige Entsprechung. Schließlich ist die Masochismustheorie in ihren Folgerungen gefährlich. Obwohl von den Verfassern der Theorie nicht ausgesprochen, bietet sie eine Rechtfertigung männlicher Gewaltanwendung und der gesellschaftlichen Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Wenn der Einsatz von Gewalt die Bedürfnisse beider Ehepartner befriedigt, so ist ein Eingreifen nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, da es ein eingespieltes eheliches Gleichgewicht zerstört 79 . d) Kritische Gesamtwürdigung der eindimensionalen Verursachungstheorien
Die vorangegangene Einzelkritik der Theorien zur Erklärung von familiärer Gewaltanwendung hat gezeigt, daß mit Ausnahme des psychopathologischen Ansatzes und des Eigenschaftsmodells, die beide rein beschreibende Konzepte vermitteln, alle aufgezeigten Theorien für die Erklärung familiärer Gewaltanwendung nützlich sind. Keine Einzeltheorie ist indessen ausreichend, um das Auftreten von Gewalt in der Familie vollkommen zu erklären. 79
Lau/Boss/Stender 1979, 119.
2. Multidimensionaler Erklärungsansatz
109
Auch eine bloße Kombination der dargestellten Konzepte würde hier nicht genügen. Alle Ansätze lassen nämlich wichtige Gesichtspunkte unbeachtet. Gewalt in der Familie kann mit Rücksicht auf ihre weite Verbreitung als Massenphänomen bezeichnet werden. Die meisten Verursachungstheorien behandeln sie demgegenüber als pathologische Erscheinung des Familienlebens und führen sie auf psychische und soziale Ausnahmezustände zurück. Alleine die Lerntheorie vermag mit ihrem breiten Ansatz auch die alltägliche, sozial unauffällige Gewalt in der Familie zu erklären. Sie beantwortet andererseits nicht die Frage, warum gewaltträchtige Konflikte in besonderem Maße gerade innerhalb der Familie auftreten. Eine Analyse der Ursachen familiärer Gewaltanwendung muß bei der Erklärung der Konfliktneigung der Familie ansetzen. Sie muß versuchen, nicht nur die schweren, sozial sichtbaren Formen der Gewalt in der Familie herzuleiten, sondern auch die Ursachen der wenig wahrgenommenen, leichteren, alltäglichen Gewalt zu erhellen. Die dargestellten Verursachungstheorien beachten zu wenig, daß es sich bei Gewalt in der Familie um ein interaktives Geschehen handelt, an dem neben dem Täter auch das Opfer und die übrigen Familienmitglieder beteiligt sind und auf das der soziale Nahraum der Familie und gesamtgesellschaftliche Bedingungen Einfluß haben. Insbesondere dem Opfer wird wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Alle Theorien scheinen in dem Opfer nur den passiven Erleider von gewaltsamen Angriffen zu sehen. Lediglich die Masochismustheorie bildet eine Ausnahme. Sie ist indessen wegen der ihr zugrundeliegenden falschen Voraussetzungen und ihren gefährlichen Auswirkungen abzulehnen. Das Kind als Opfer von Mißhandlung erscheint als Gegenstand überzogener Erwartungen im Rahmen des psychodynamischen Modells und kann auf der Grundlage der Theorie des sozialen Drucks als „Streßfaktor" in Betracht kommen. Ihm wird damit freilich nur Objektcharakter zugeschrieben. Für die Berücksichtigung der Einflüsse, die das Verhalten des Kindes auf das Verhalten seiner Eltern hat, bieten die dargestellten Theorien keinen Raum. Auch die Beiträge der Opfer von Partner-, Geschwister- oder Kind-Eltern-Gewalt werden nicht untersucht. Die Ursachentheorien richten ihr Augenmerk einseitig auf bestimmte Bereiche von Ursachen und verlieren die Gesamtheit des Interaktionsgeschehens aus dem Blickfeld. 2. Versuch eines integrativen multidimensionalen Erklärungsansatzes Die eindimensionalen Theorien zur Verursachung familiärer Gewaltanwendung müssen zu einem multidimensionalen psychologisch-soziologischen Ansatz zusammengefaßt und erweitert werden, der nicht nur die schwere, sondern auch die „alltägliche" Gewalt in der Familie erklärt.Es muß sich dabei um einen interaktionistischen Ansatz handeln, der insbesondere die Rolle des Opfers bei der Gewaltverursachung berücksichtigt.
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung a) Die Erklärung der Alltäglichkeit familiärer Gewaltanwendung
Eine multidimensionale Theorie zur Verursachung familiärer Gewaltanwendung muß zunächst die Frage beantworten können, welche Mechanismen die Familie gegenüber anderen sozialen Gruppen und Institutionen besonders gewaltanfallig machen. Die Anwendung von Gewalt darf weder als atypisch noch als anomal gesehen werden 1 . Sie stellt eine Form der sozialen Kommunikation für Personen dar, die zu verbaler oder anderer nichtverbaler Kommunikation mit dem jeweiligen Partner nicht in der Lage sind 2 . Sie dient als Mittel der Konfliktlösung, wenn andere Mittel nicht verfügbar sind oder nicht verfügbar scheinen3. Inwieweit sie ein taugliches Mittel zur Konfliktbeilegung ist, kann dahingestellt bleiben. Wesentlich ist, daß sie tatsächlich bei der Bewältigung zwischenmenschlicher Probleme eingesetzt wird. Das Bestehen zwischenmenschlicher Konflikte und die vom Täter wahrgenommene Unerreichbarkeit anderer Kommunikationsmittel wirken gewaltmotivierend. Innerhalb der Familie bestehen Strukturen und ereignen sich Gruppenprozesse, die das Auftreten von Konflikten begünstigen und die wahrgenommenen Kommunikationsmöglichkeiten beschränken. Sie machen die Familie im Vergleich zu anderen sozialen Gruppen und Institutionen besonders gewaltanfallig. aa) Konfliktbegünstigende und kommunikationserschwerende Gruppenprozesse und -strukturen innerhalb der Familie
(1) Häufigkeit der Kontakte und Intimität des Familienlebens Bei der Familie handelt es sich um die engste Form sozialen Zusammenlebens innerhalb einer Gruppe. In der Familie ereignen sich mehr soziale Kontakte als in anderen Gruppen. M i t der Anzahl der Sozialkontakte vergrößert sich die rein statistische Wahrscheinlichkeit, daß Konflikte auftreten 4 . Die Stärke der emotionalen Abhängigkeit innerhalb der Familie läßt die Intensität wachsen, mit der familiäre Konflikte empfunden werden 5 , und schafft ihrerseits Spannungen. Das Eingehen persönlicher Bindungen zu anderen Personen bedeutet stets einen Verlust an eigener Autonomie und Freiheit, der um so größer wird, je enger die Bindung ist. Die Einbuße an Eigenständigkeit kann zu ambivalenten Gefühlen und Verhaltensweisen dem Partner gegenüber führen, die Konflikte hervorrufen. Die Intimität familiärer Beziehungen spiegelt sich auch im geringen Umfang der Verhaltenshemmungen der Interaktionspartner wider. Das Verhalten innerhalb der Familie ist typischerweise weniger von gesellschaft1 2 3 4 5
Campbell 1976, 27. Würtenberger 1974, 76; Neidhardt 1974, 26. Siegert 1977. Straus 1977/78, 451; Bard 1972, 177. Straus 1977/78, 451; vgl. auch Simmel 1983, 206ff.
2. Multidimensionaler Erklärungsansatz
111
lichen Normen beeinflußt als das Verhalten außerhalb. In der Familie „darf man sich gehenlassen". Gefühle dürfen ungehemmter ausgelebt werden. Dies gilt sowohl für positive wie für negative Empfindungen. Unter Fremden werden gewaltsame Impulse unterdrückt. Im Gegensatz hierzu sind die Hemmungen gegenüber physischer Aggression unter Familienmitgliedern verringert. Dies erhöht die Gefahr, daß sich der einzelne innerhalb seiner Familie nicht mehr darum bemüht, gewaltlose Kommunikationsformen zu suchen. Körperliche Angriffe werden vielmehr als die einfachste und schnellste Methode gewählt, einen auftretenden Konflikt zu beseitigen. (2) Die Verpflichtung zu Liebe und Solidarität Die Familie ist innerhalb der Gesellschaft auch normativ als Intimgruppe verankert. Zuneigung und Solidarität sind oberste soziale Leitbilder familiären Zusammenlebens6. Einander zu lieben, ist die zentrale Pflicht der einzelnen Familienmitglieder 7 . Diese Leitidee fördert eine überhöhte Erwartungshaltung der Familienangehörigen. Sie beanspruchen untereinander Liebe, Zuwendung und Einigkeit und erwarten, daß gegenseitige Kontakte ihnen psychische Befriedigung verschaffen. Je höher ihre Ansprüche auf Zuneigung und Solidarität sind, um so mehr wächst die Wahrscheinlichkeit, daß diese nicht erfüllt werden können und um so größer wird die Intensität, mit der die Frustration der eigenen Erwartungen empfunden wird. Eine überhöhte Erwartungshaltung führt dazu, daß die Interaktion zwischen den einzelnen Familienmitgliedern von allen Seiten als unbefriedigend erlebt wird. Die Wahrnehmung der eigenen intrafamiliären Spannungen vor dem Hintergrund des sozialen Idealbildes der harmonischen Familie führt zu Schuldgefühlen 8. Den meisten Menschen erscheint es, daß gute, aufrechte Familien glücklich und einig leben müssen. Das Auftreten von familiären Konflikten ist für sie Hinweis auf ein moralisches Versagen. Diese Gefühle des Mißerfolges und der Schuld belasten die Familie und vertiefen die internen Konflikte weiter. Das Entstehen destruktiven Verhaltens wird auf diese Weise begünstigt9. (3) Die Familie als soziales Rückzugsgebiet Die Familie dient dem einzelnen heute zunehmend als Zufluchtsort vor der Öffentlichkeit 10 . Von ihr wird erwartet, daß sie Geborgenheit vor einer zunehmend unpersönlichen und gleichgültigen Außenwelt vermittelt 11 . Sie ist für die Herstellung und Aufrechterhaltung der emotionalen Balance des 6
Parsons 1964, 237. Goode 1960, 83 f. 8 Sog. Guilt-Over-Conflict-Syndrome, vgl. Sennet 1970, 34. 9 Straus 1977a, 172 und 1977/78, 454f.; U. Baumann/Fehérvâry 1979, 339. 10 Ackermann 1958, 66. 11 Pfeil 1970, 420; Schelsky 1955, 19. 7
112
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
Individuums verantwortlich 12 . Ehen werden geschlossen und Familien gegründet, um den beteiligten Partnern persönliches Glück zu ermöglichen 13 . Die Familie muß Mißerfolge und Zurücksetzungen kompensieren, die der einzelne im beruflichen und gesellschaftlichen Leben erfahrt 14 . Probleme, die nicht zu lösen sind, Empfindungen der Unzufriedenheit, des Ärgers und des Hasses, die außerhalb der Familie versteckt werden müssen, werden in die Familie mitgebracht. Hier ist häufig der einzige Ort, an dem der einzelne ungehindert und ungestraft seine negativen Gefühle ausleben darf 1 5 . Die Familie wird so vielfach zum gesellschaftlich legitimierten „Schuttabladeplatz der Aggressionen" 16.
(4) Unbestimmtheit, Vielfalt und Komplexität der gemeinschaftlichen Ziele Für die meisten sozialen Gruppen und Institutionen ist es kennzeichnend, daß sie aufgrund des Konsenses mehrerer Personen im Hinblick auf die Verfolgung bestimmter begrenzter Ziele gebildet werden (ζ. B. Vereine oder Interessen- und Arbeitsgemeinschaften). Die Ziele, die eine Familie potentiell verfolgen kann, sind demgegenüber sehr zahlreich und vielfaltig. Sie können einfacher und bestimmter, aber auch komplexer und relativ unbestimmter Natur sein. Kennzeichen der Familie ist es, daß bei ihrer Gründung nicht feststeht und wegen der Vielfalt und Komplexität der potentiellen Aufgaben auch noch nicht feststehen kann, welche Ziele sie im einzelnen verfolgen wird. Eine Familie wird auf diese Weise gleichsam „blindlings" gegründet. Welche gemeinsamen Ziele sie verfolgen soll und wie diese im einzelnen gewichtet werden sollen, muß zu einem großen Teil der Zukunft überlassen bleiben. Dies stellt die Familie ständig erneut vor das Problem, neue konkrete gemeinschaftliche Aufgaben zu bestimmen, eine Rangordnung zwischen den zu gleicher Zeit verfolgten Zielen festzulegen und sich über die Mittel zu ihrer Erreichung klarzuwerden. Hierdurch sind Konflikte vorprogrammiert, da die Vorstellungen und Bedürfnisse aller Familienmitglieder zu einem gemeinsamen Plan integriert werden müssen. Eine Übereinstimmung ist um so schwieriger herzustellen, je komplexer die erstrebten Ziele sind 17 . (5) Erziehungsaufgabe der Eltern Konflikte zwischen Eltern und Kindern sind aufgrund der elterlichen Erziehungsaufgabe angelegt 18 . Die Anforderungen und Gebote der Eltern 12 13 14 15 16 17 18
Goode 1976, 199. Rüberg 1965, 15; Begemann 1966, 25. Gil 1978b, 15f.; Ackermann 1958, 66. Farrington 1980, 104. Ammon 1973, 130. Straus 1977/78,451. Newson/Newson 1976, 90.
2. Multidimensionaler Erklärungsansatz
113
widersprechen oft spontanen Wünschen und Bedürfnissen der Kinder. Diese Konfliktsituation wird noch durch das Kommunikationsgefalle verschärft, das zwischen Eltern und Kindern vorherrscht. Den Kindern stehen keine ausgefeilten sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung, die es ihnen erlauben, eigene Wünsche angemessen mitzuteilen. Auch sind sie nicht im selben Umfang wie Erwachsene imstande, verbal geäußerte Wünsche der Eltern zu verstehen. Die Verständigung zwischen Eltern und Kindern ist auf diese Weise erschwert. Deshalb wird sowohl auf Seiten der Eltern wie auf Seiten der Kinder Gewalt als Mittel eingesetzt, der anderen Partei die eigenen Wünsche zu verdeutlichen. Kleine Kinder schlagen auf ihre Eltern ein, um ihre Bedürfnisse durchzusetzen. Umgekehrt schlagen Eltern ihre Kinder, um unerwünschtes Verhalten zu unterbinden oder sie zu erwünschten Verhaltensweisen zu veranlassen. Eltern müssen um so mehr korrigierend eingreifen, je jünger die Kinder sind. Gleichzeitig haben sie geringe Möglichkeiten, sich kleinen Kindern verständlich zu machen. Aus diesen Tatsachen erklärt sich, daß gerade jüngere Kinder besonders gefährdet gegenüber elterlicher Gewaltanwendung sind. Die elterliche Erziehungsaufgabe ist häufig auch Grundlage gewaltsamer Konflikte unter den Eltern. Von allen ehelichen Konflikten arten Streitigkeiten über die Erziehung der Kinder am häufigsten in Gewaltanwendung zwischen den Ehegatten aus 19 . Bei der Sozialisation der Kinder handelt es sich um eine der zentralsten und komplexesten Aufgaben der Eltern. Sie dürfen dieser Aufgabe nicht ausweichen, ohne der sozialen Ächtung anheimzufallen. Gleichzeitig fehlen aber weitgehend gesellschaftlich verbindliche Regeln über die Art und Weise des Sozialisationsvorgangs und die konkret zu erzielenden Sozialisationserfolge. Es bleibt den Eltern selbst überlassen, sich über Mittel und Ziele der Erziehung ihrer Kinder zu einigen, wobei freilich ein starker moralischer und rechtlicher (vgl. § 1626 BGB) Druck zur Einigung besteht. I m Bereich der Kindererziehung kann es unter diesem Druck besonders leicht zu Konflikten kommen. Da sie eine zentrale Aufgabe der Familie betreffen, werden sie besonders intensiv empfunden und können deswegen rasch zu Gewaltanwendung ausarten. (6) Halbfreiwillige Natur des familiären Zusammenschlusses Soziale Gruppen werden in der Regel aufgrund einer Übereinstimmung aller potentiellen Mitglieder gebildet. Bei Wegfall dieses erhaltenden Konsenses können sie im allgemeinen ebenso aufgelöst werden. Der Eintritt einer Person in die Gruppe und ihr Ausscheiden sind aufgrund eines freien Willensentschlusses möglich. Demgegenüber handelt es sich bei der Familie nur um einen halbfreiwilligen Zusammenschluß, für den gleichsam eine „Zwangsmitgliedschaft" besteht 20 . Kinder werden in die Familie hineingeboren. Auch für das 19 20
8
Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 171. Straus 1977/78, 452f.; Ciaessens/Menne 1970, 181.
U. Schneider
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
Ehepaar ist, nachdem es sich einmal für die Gründung einer Familie entschlossen hat, die Möglichkeit freiwilligen Ausscheidens oder freiwilliger Auflösung beschränkt. Selbst die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind in einer Weise miteinander verbunden, die eine willkürliche Trennung erschwert. Sie werden durch Reste einer gefühlsmäßigen Beziehung, Gewohnheit, einen gemeinsamen Lebensrhythmus und gemeinsamen Besitz gehalten. Ferner gibt es soziale Normen, die die Auflösung einer länger bestehenden Lebensgemeinschaft als „Im-Stich-Lassen" des Partners verurteilen. Eltern können sich in aller Regel nicht völlig von ihren Kindern trennen, es sei denn, sie geben ihre Kinder zur Adoption frei. Dies geschieht nur äußerst selten und ist darüber hinaus gesellschaftlich geächtet. Umgekehrt ist es für die Kinder gänzlich unmöglich, freiwillig aus der Familie auszuscheiden, da sie nicht aus eigenem Entschluß die rechtliche Beziehung zu ihren Eltern beenden können. Der Zwangscharakter des familiären Zusammenschlusses führt dann zu Konflikten, wenn das einzelne Familienmitglied ihn als Beschränkung seiner persönlichen Freiheit erlebt. Dies kommt häufig bei jungen Ehegatten und heranwachsenden Kindern vor. Ebenso macht die relative Unauflöslichkeit der Familie bestehende Konflikte unausweichlich und kann so gewaltmotivierend wirken. (7) Heterogene Zusammensetzung der Familie und Verschiedenartigkeit der Interessen ihrer Mitglieder Die Familie setzt sich heterogen aus Personen verschiedenen Alters und verschiedenen Geschlechts zusammen, die ihre eigenen alters- und geschlechtsspezifischen Vorstellungen in die enge familiäre Gemeinschaft einbringen. Hierdurch wird die Familie zu einer „Arena von Wertkonflikten" 21 . Diese treten besonders deutlich im sogenannten Generationenkonflikt zwischen Eltern und Kindern hervor. Aber auch zahlreiche Konflikte zwischen Mann und Frau lassen sich auf geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wertvorstellungen zurückführen. Zu diesen Wertvorstellungen innerhalb der Familie sind in jüngster Zeit Probleme hinzugetreten, die daraus folgen, daß jedes Familienmitglied außer der Familie noch zahlreichen anderen sozialen Gruppen zugehört, deren Ziele und Verhaltensmaximen zum Teil denjenigen der Familie widersprechen. Die moderne Gesellschaft ist stark aufgefächert und spezialisiert. Jeder Mensch repräsentiert daher heute eine Mischung aus höchst unterschiedlichen Gruppeninteressen 22. Die Zugehörigkeit aller Familienmitglieder zu vielfältigen sozialen Lebenskreisen mit eigenen Verhaltensregeln wirken sich zerrüttend auf die Familie aus. Sie ist der Raum, in dem verschiedene untereinander widerstreitende Interessen aufeinandertreffen. Die hierdurch entstehenden Konflikte werden noch verschärft, indem den Familienmitgliedern von der Gesellschaft das „Recht" eingeräumt wird, sich gegenseitig zu beeinflussen und zu erziehen 23. 21 22 23
Straus 1977/78, 452. König 1945, 538 f. Straus 1977/78, 452.
2. Multidimensionaler Erklärungsansatz
115
(8) Rivalität und Eifersucht In einer vollständigen Familie bewerben sich um die Zuneigung jedes einzelnen Angehörigen zugleich immer mindestens zwei andere Familienmitglieder. Diese Personen stehen in einem natürlichen Wettstreit um die Zuneigung des Dritten. Hieraus erwächst ein erhebliches Konfliktpotential. Schon lange ist bekannt und sozial akzeptiert, daß es unter Geschwistern zu Rivalitäten um die Gunst der Eltern kommen kann 2 4 . Insbesondere jüngere Kinder betrachten nachgeborene Geschwister, die einen Großteil der elterlichen Fürsorge und Liebe für sich beanspruchen, als unwillkommene Eindringlinge in eine bis dahin befriedigende Beziehung zu den Eltern. Geschwisterrivalität kann dabei schwere gewaltsame Konflikte hervorrufen 25 . Auch die zwischen einem Elternteil und einem Kind bestehende Konkurrenzsituation um die Zuneigung des anderen Elternteils kann zu Eifersuchtskonflikten führen 26 . Ebenso kann es zu Rivalitäten der Eltern um die Gunst eines Kindes kommen. In all diesen Fällen besteht die Gefahr, daß der scheinbar oder tatsächlich zurückgesetzte Konkurrent die von ihm empfundene Versagung seiner Bedürfnisse nach Liebe und Fürsorge in Aggression gegen seinen Rivalen oder das ihn zurückweisende Familienmitglied umsetzt. bb) Gewaltbegünstigende
soziale Normen
Familienimmanente Strukturen und Prozesse schaffen ein Konfliktpotential und bereiten so eine allgemeine Gefahrdungslage vor, auf deren Boden es zu Gewaltanwendung kommen kann. Daß in der Familie Konflikte vermehrt auftreten, bewirkt freilich allein noch nicht, daß Gewalt als Konfliktlösungsmittel eingesetzt wird. Bei der Auswahl ihrer Konfliktbewältigungsstrategien werden die Familienmitglieder vielmehr von sozialen Normen geleitet, die Gewaltanwendung begünstigen. Sie machen Gewalt als Mittel verfügbar, um eigene Interessen durchzusetzen. Aus dieser Tatsache erklärt sich zum großen Teil die Alltäglichkeit familiärer Gewaltanwendung. Schon die sozialen Normen, die den Einsatz aggressiven Verhaltens regeln, ergeben ein ambivalentes Bild. Einerseits wird Aggression in zunehmendem Maße abgelehnt und bestraft. Andererseits bietet die Gesellschaft eine Vielzahl von Modellen zum Erlernen von Aggression an, in denen aggressives Verhalten als in bestimmten Situationen notwendig und gerechtfertigt dargestellt wird 2 7 . Ähnlich zwiespältig wie die gesellschaftliche Einstellung zur Aggression sind auch die sozialen Normen, die die Gewaltanwendung in der Familie regeln. Während einerseits die Familie als gewaltfreier Raum definiert wird, in dem Liebe, Zuneigung und Solidarität herrschen, gibt es andererseits soziale Normen, die innerfamiliäre Gewaltausübung billigen 28 . Bis zu einem gewissen Grad wird Gewalt in der Familie als 24
Sewell 1975.
25
Vgl. die Fälle von Sewell 1975 und Adelson 1972. Ounsted/Oppenheimer/Lindsay 1980, 501. Neidhardt 1974, 3Iff. Straus 1977a, 172; Straus 1977/78, 454f.; U. Baumann/Fehérvâry 1979, 339.
26 27 28
8*
116
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
normal angesehen und erwartet, daß der Staat ein Eingreifen unterläßt 29 . Die Anwendung von Gewalt erscheint sozial als gerechtfertigt, solange sie bestimmte Intensitätsschranken nicht überschreitet und nicht den hierarchischen Familienaufbau verletzt. A m großzügigsten ist die gesellschaftliche Einstellung gegenüber der Gewaltanwendung unter Geschwistern. Sie wird häufig sozial noch nicht einmal als Gewalt wahrgenommen 30 , sondern bereitwillig als normaler Aspekt familiärer Beziehungen akzeptiert 31 . Geschwisterkämpfe werden als für die normale Entwicklung der Kinder förderlich und notwendig angesehen. Im Umgang mit seinen Geschwistern soll das Kind das erste Mal lernen, sich gegenüber Gleichaltrigen durchzusetzen. Hinsichtlich der körperlichen Disziplinierung von Kindern durch ihre Eltern hat sich in den letzten fünfzig Jahren ein Bewußtseinswandel vollzogen. Die Gesellschaft ist gegenüber gewaltsamen Erziehungsmethoden empfindlicher geworden. Dennoch wird die körperliche Züchtigung von Kindern nicht grundsätzlich mißbilligt. Es werden nur strengere Anforderungen an den Anlaß und das Ausmaß der Züchtigung gestellt. Eine völlig gewaltfreie Kindererziehung wird weiterhin für unmöglich gehalten. Die Anwendung körperlicher Strafen wird beinahe als notwendiger Bestandteil der Kinderpflege und -erziehung anerkannt. Das Recht zur körperlichen Bestrafung von Kindern gehört zu den durch soziale Normen garantierten und gegenüber Eingriffen von außen verteidigten Elternrechten 32 . Gewaltbefürwortende soziale Normen finden sich auch für den Bereich der Gewaltausübung unter Partnern. Sie sind jedoch verdeckter, widersprüchlicher und werden seltener offen ausgesprochen 33. Einerseits wird der Einsatz von Gewalt gegenüber dem Partner gesellschaftlich streng verurteilt. Andererseits gibt es starke unterschwellige Sozialnormen, die solche Handlungen billigen oder sogar ermutigen 34 . Aufgrund einer repräsentativen Umfrage wurde in den USA festgestellt, daß ein Fünftel aller Erwachsenen es für zulässig erachtet, den Ehepartner aus angemessenen Anlässen zu schlagen35. Einer von vier Männern und eine von sechs Frauen halten es unter gewissen Bedingungen für richtig, die Ehefrau zu schlagen. Ebenso betrachten es einer von vier Männern und eine von fünf Frauen als legitim, wenn eine Frau ihren Mann schlägt 36 . Demgegenüber wird die körperliche Aggression gegen Eltern sozial stark verurteilt. Diese Verurteilung erstreckt sich auf alle Formen der Gewaltanwendung. Die soziale Mißbilligung der Gewalt gegen Eltern dient der Erhaltung des familiären 29 30 31 32 33 34 35 36
Straus 1977/78, 444. Vgl. das Beispiel von Straus 1977/78, 444. Steinmetz 1978, 460; Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 79. Gil 1971, 643f.; Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 53. Straus 1977/78, 454; Straus 1977a, 172ff. Straus/Gelles/Steinmetz 1980, 45. D. Martin 1981, 190f. Steinmetz/Straus 1973, 51.
2. Multidimensionaler Erklärungsansatz
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Autoritätssystems. Nicht den Eltern als Personen, sondern den Eltern als Institution gilt der besondere Schutz der sozialen Normen. Einzig in diesem Bereich familiärer Gewaltanwendung findet sich damit eine absolute Restriktion durch soziale Normen. Insgesamt bieten die sozialen Normen zur Gewaltanwendung in der Familie weder ein einheitliches noch ein eindeutiges Bild. Sie wirken gewaltbegünstigend, indem sie Gewaltanwendung, jedenfalls in Teilbereichen, billigen und dem einzelnen kein klares Bild davon vermitteln, was erlaubt und was verboten ist. Für das Strafrecht stellen sie eine besondere Herausforderung dar. M i t Ausnahme solcher Formen der körperlichen Bestrafung von Kindern, die im Rahmen des elterlichen Züchtigungsrechts gerechtfertigt sind, ist der Einsatz von Gewalt in der Familie gesetzlich verboten. Die gewaltfördernden informellen sozialen Normen konkurrieren mit diesen Gesetzesnormen. Sie motivieren und rechtfertigen nicht nur strafbare Handlungen, sondern haben darüber hinaus Rückwirkungen auf das Verhalten der Instanzen der Sozialkontrolle, die die bestehenden strafrechtlichen Normen nicht wirksam durchsetzen. Die Bekämpfung der gewaltbefürwortenden sozialen Normen ist daher eine der vordringlichsten Aufgaben des Strafrechts, wenn es einen effektiven Schutz vor familiärer Gewaltanwendung gewährleisten will. b) Gewalt gegen Familienmitglieder als Ergebnis und Bestandteil eines Interaktionsprozesses
Obwohl das familiäre Zusammenleben besonders konfliktträchtig ist und obwohl die Anwendung von Gewalt als Konfliktlösungsmittel in der Familie innerhalb der oben skizzierten Grenzen gesellschaftlich akzeptiert ist, wird nicht in allen Familien in gleichem Umfang Gewalt eingesetzt. Manche Familien leben völlig gewaltlos. In anderen wird allenfalls im Rahmen der Kindererziehung oder im Streit unter Geschwistern leichtere Gewalt angewendet. Das Ausmaß der familiären Gewaltausübung unterscheidet sich nicht nur innerhalb des von sozialen Normen abgesteckten Rahmens des Zulässigen. Es geht in vielen Familien über das geduldete Maß hinaus. Ein Konzept zur Erklärung familiärer Gewaltanwendung muß daher die Frage beantworten können, warum in bestimmten Familien häufiger und intensiver Gewalt eingesetzt wird als in anderen. Gewaltanwendung ist Bestandteil und Ergebnis eines Interaktionsprozesses, auf den der Täter, das Opfer, die übrigen Familienangehörigen, die soziale Lage der Familie und situative Faktoren Einfluß haben 37 . aa)
Täter und Opfer
Die psychodynamischen Ansätze und die Lerntheorie suchen die Ursachen familiärer Gewaltanwendung in der Persönlichkeitsentwicklung und der Lern37
Dies wird deutlich in der Untersuchung von Büttner/Nicklas u.a. 1984.
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
geschichte des Täters. Beide Theoriegebäude geben nützliche und sinnvolle Erklärungen für die Neigung des Täters, gegenüber seinen nächsten Angehörigen im Konfliktfalle Gewalt anzuwenden. Sie ergänzen sich gegenseitig in ihrem Erklärungsgehalt und sollten daher bei der Erklärung familiärer Gewaltanwendung durchaus nebeneinander in Betracht gezogen werden. Während die psychodynamischen Ansätze die emotionalen Grundlagen familiärer Gewaltanwendung beim Täter aufzeigen, erklärt die Lerntheorie die kognitive und die Verhaltensseite. Da Gewalt in der Familie einer engen Interaktion zwischen Täter und Opfer entspringt, ist sie indessen ohne eine Berücksichtigung der zentralen Rolle des Opfers im Verursachungsprozeß nicht zu erklären. Dabei geht es nicht darum, „Opferschelte" zu betreiben und den Täter von Kindesoder Partnermißhandlung zu entschuldigen. Um das Opfer besser schützen zu können, muß vielmehr geklärt sein, in welcher Weise es an dem Prozeß der Gewaltverursachung beteiligt war. Im folgenden werden daher beispielhaft für alle Formen familiärer Gewaltanwendung die Verursachungsbeiträge der Opfer von Partner- und Kindesmißhandlung erläutert. (1) Die Rolle des Opfers bei Gewalt unter Partnern Die Rolle des Opfers wird am häufigsten im Zusammenhang mit partnerschaftlicher Gewaltanwendung, insbesondere mit Gewalt gegen Frauen, diskutiert. Ein Großteil der Gewalttaten unter Ehegatten entfällt auf solche Streitigkeiten, in deren Verlauf beide Partner handgreiflich werden. In fast der Hälfte der von Straus, Gelles und Steinmetz untersuchten Fälle von Gewalt in der Ehe war es zu gegenseitigen Mißhandlungen gekommen 38 . Hier bestimmt nur der Zufall oder die größere körperliche Stärke eines Partners, zumeist des Mannes, darüber, wer die schwereren Verletzungen davonträgt und daher als Opfer definiert wird. In den Fällen, in denen nur einer der Partner gewalttätig wird, geht dem Angriff gleichfalls häufig ein Verhalten des Opfers voraus, von dem sich der Täter herausgefordert fühlt. Gelles siedelt solche Verhaltensweisen auf einem Kontinuum der Provokationsstärke an, das von Handlungen, die gelegentlich gewaltsame Angriffe auslösen, bis hin zu solchen reicht, die fast unterschiedslos zu Gewaltanwendung führen 39 . A m einen Ende des Kontinuums liegen Klagen des Mannes oder der Frau. Je nachdem, in welchem Zusammenhang sie vorgebracht werden und welchen psychischen Belastungen der Partner sich gerade ausgesetzt sieht, können sie körperliche Angriffe hervorrufen. Andauernde Nörgeleien wirken besonders entnervend. Verbale Angriffe befinden sich etwa in der Mitte des Kontinuums. Sie können Gewalt insbesondere dann herausfordern, wenn sie sich auf Charakteristika und Verhaltensweisen des Partners beziehen, die dieser selbst als kritisch empfindet. Oft wird der Partner mit Schimpfwörtern bedacht und gereizt 40 . Physische 38 39 40
1980, 36 f. Gelles 1972, 157. Gelles 1972, 160.
2. Multidimensionaler Erklärungsansatz
119
Angriffe führen fast ausnahmslos zu gewaltsamen Gegenangriffen. Aus diesem Grunde bilden sie das andere Ende des Provokationskontinuums. Herausfordernde Handlungen des Opfers dürfen freilich auch nur im Zusammenhang der ehelichen Interaktion gesehen werden. Keinesfalls darf das Opfer unter Hinweis auf sein herausforderndes Verhalten alleine für seine Mißhandlung verantwortlich gemacht werden. Klagen, Nörgeleien, verbale Angriffe und Beschimpfungen haben oft einsehbare Gründe. Sie werden wiederum durch das Verhalten des anderen veranlaßt. Wenn das Opfer den Angriff seines Partners nicht provoziert, so wirkt es sehr häufig an seiner Mißhandlung mit, indem es diese duldet und keine entschiedenen Schritte unternimmt, um eine Wiederholung zu verhindern 41 . A u f diese Weise vermittelt es dem Täter eine wichtige Lernerfahrung: Sein Verhalten hat für ihn keine negativen Folgen. Die Duldung wird als Verstärkung empfunden. Das Opfer duldet die Angriffe dabei in aller Regel nicht, weil sie bei ihm selbstzerstörerische Bedürfnisse erfüllen, sondern aus anderen rational und emotional nachvollziehbaren Gründen, denn es ist meist wirtschaftlich, sozial und emotional vom Täter abhängig 42 . Darüber hinaus hat häufig auch die Partnerschaft, in der es zu Gewalttätigkeiten kommt, lohnende und belohnende Aspekte für das Opfer, die es dazu veranlassen, an dem Zusammenleben festzuhalten. Nach ihrer Drei-Phasen-Theorie unterscheidet Walker 43 in Fällen der Frauenmißhandlung drei Phasen der Interaktion zwischen den Ehegatten. In der ersten Phase baut sich die Spannung auf, und es kommt zu geringfügigen Gewaltanwendungen. Dabei haben sowohl das Opfer wie der Täter noch eine begrenzte Kontrolle über das Geschehen. In der zweiten, akuten Phase der Mißhandlung verlieren sie diese, und die in der ersten Phase aufgebaute Spannung entlädt sich in unkontrollierter Gewalt. Die dritte Phase ist geprägt durch das Bedauern des Täters über seine Tat und sein Bemühen um eine Wiedergutmachung. In dieser Phase wird die Frau für die Aufrechterhaltung der gewaltsamen Beziehung „belohnt". Sie meint, ihren Mann nun so zu sehen, „wie er wirklich ist", und glaubt seinen Besserungsbeteuerungen. Diese mögen auch durchaus ernst gemeint sein. Der Täter ist nämlich meist ebenfalls emotional von seinem Opfer abhängig. Die positiven emotionalen Beziehungen zwischen den Partnern werden in der dritten Interaktionsphase wieder aufgefrischt oder verstärken sich sogar. Die Frau glaubt daran, daß ihr Mann sie braucht und daß nur sie ihm helfen kann, sich zu bessern 44 . Umgekehrt traut sie sich nicht die Fähigkeit zu, alleine zu leben und selbständig zu entscheiden. Sie ist häufig zu Abhängigkeit und Passivität erzogen 45 . Der Verlust an Selbstbewußtsein gehört zu den typischen psychischen Schäden des Opfers ehelicher Gewaltanwendung. 41 42 43 44 45
Lion 1977, 127. Lion 1977, 130ff.; Gelles 1979a, 130ff. 1978, 146 ff. Fleming 1979, 94. Fleming 1979, 82.
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Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung
Darüber hinaus räumen mißhandelnde Ehemänner ihren Frauen zumeist nur geringe Möglichkeiten zu eigenverantwortlichem Handeln in der Ehe ein. Alle einigermaßen wichtigen Entscheidungen werden vom Mann getroffen, der seiner Frau nicht selten Unselbständigkeit und Unverantwortlichkeit vorwirft. Die Frau wird hierdurch in dreierlei Weise in Abhängigkeit gehalten: Sie verliert ihr Selbstbewußtsein als Folge der Mißhandlungen selbst. Sie erhält keine Chance, eigenverantwortliches Handeln zu erlernen, und sie übernimmt in einem Prozeß der sichselbsterfüllenden Prophezeiung für sich selbst das Bild der Unselbständigkeit und Unfähigkeit, das ihr Mann ihr vorhält 4 6 . (2) Die Rolle des Opfers bei Gewalt gegen Kinder Eine Analyse von 830 Berichten über Kindesmißhandlungen, die dem „Wisconsin Department of Health and Social Services" (Amt für Gesundheitsund Sozialfürsorge von Wisconsin) in den Jahren 1974 und 1975 bekannt wurden, ergab, daß die Mißhandlung in 77% der Fälle durch die Opfer mitverursacht worden war. In 21 % der Fälle wurde sie durch aggressives Verhalten des Kindes oder Jugendlichen hervorgerufen. Häufige Anlässe waren bei älteren Kindern weiterhin Lügen oder Stehlen, Weglaufen oder zu spätes Nachhausekommen. Jüngere Kinder wurden mißhandelt, weil sie nicht essen wollten, nicht schliefen, erbrachen oder einkoteten, schrien oder weinten 47 . Diese Forschungsdaten zeigen, daß auch Kindesmißhandlung auf einem interaktiven Geschehen beruht. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist ein Ergebnis von aufeinander bezogenen, dynamischen Transaktionen. Das Kind wird von seinen Eltern beeinflußt und beeinflußt seinerseits das Verhalten der Eltern. Es ist nicht ausschließlich reaktives Objekt elterlicher Handlungen, sondern ein aktiver Partner 48 . Auch ein Säugling kann schon ein Verhalten seiner Eltern belohnen, indem er aufhört zu schreien, sich der Mutter oder dem Vater zuwendet, sie anschaut, anlächelt, zu plappern beginnt oder nach ihnen greift. Er kann dadurch das Verhalten der Eltern im Sinne eines Lernens am Erfolg verstärken. Er kann es andererseits aber auch bestrafen, indem er nicht oder in negativer Weise, etwa durch Schreien, reagiert. Selbstverständlich ist der Säugling nicht in der Lage, das Verhalten seiner Eltern bewußt zu lenken. Gleichwohl haben Aktionen und Reaktionen des Säuglings nicht nur Einfluß auf das aktuelle Verhalten der Eltern, sondern bestimmen auch die Qualität der Eltern-KindBeziehung mit. Schon die Reaktionsmuster von Neugeborenen sind sehr verschieden. Sie beruhen auf angeborenen Temperamentsunterschieden, die auf genetische, prä- und perinatale Einflüsse zurückgeführt werden können. Manche Kinder sind „brave" Babys: Sie sind zufrieden, schreien wenig und sind leicht zu trösten, schlafen nachts durch und belohnen ihre Eltern durch 46 47 48
Fleming 1979, 84f, 87f., 93. Kadushin/Martin 1981, 115ff. Kadushin/Martin 1981, 48.
2. Multidimensionaler Erklärungsansatz
121
Zuwendung und Munterkeit. Selbst Mütter und Väter mit geringen erlernten elterlichen Fähigkeiten können mit diesen Kindern angemessen umgehen. Andere Babys gelten demgegenüber als „schwierig". Sie sind unruhig, schreien Tag und Nacht, verweigern die Nahrung und reagieren nicht auf die Zuwendung ihrer Eltern. Liebevolles Verhalten der Eltern wird nicht belohnt und verstärkt. Sie stellen Anforderungen, denen nur besonders geduldige und ausgeglichene Mütter und Väter gewachsen sind 4 9 . Eltern, die unter äußerem Druck stehen oder selbst eine unbefriedigende Kindheit hatten und nun von ihrem Baby emotionale Entschädigung erwarten, sind durch ein solches Verhalten des Kindes überfordert und können zu körperlichen Angriffen gereizt werden. Auch der Säugling kann auf diese Weise unbewußt elterliche Gewaltanwendung veranlassen. Je älter das Kind wird, um so mehr nimmt sein Verhaltensrepertoire zu. Einerseits wächst hierdurch die Gefahr, daß das Kind durch ungeschickte oder unbedachte Handlungen oder durch bewußte Verstöße gegen Ge- und Verbote elterliche Aggressionen herausfordert. Andererseits werden dem Kind aber auch vermehrt Strategien zugänglich, um der Wut der Eltern zu entgehen. Angeborene Merkmale verlieren mehr und mehr an Wirkung auf das Verhalten des Kindes und weichen Umwelteinflüssen. Mißhandlungen verursachen Verhaltensstörungen des Kindes, die ihrerseits wiederum gewaltsame Ausbrüche der Eltern provozieren 50 . Gewalt gegen Kinder ist demnach zwar ein Interaktionsgeschehen, an dem das Opfer teilnimmt. OpfermitVerursachung darf dabei aber nicht mit Opfermitverschulden verwechselt werden 51 . Das Kind ist für seinen mitverursachenden Beitrag nicht, der Jugendliche allenfalls beschränkt verantwortlich. Vielmehr verfügen die Eltern über eine überlegene Einsichts- und Steuerungsfahigkeit. Sie sind eher als das Opfer in der Lage, gefahrliche Interaktionsprozesse zu unterbrechen und Herausforderungen zu entschärfen. Provozierende Handlungen und Haltungen des Kindes oder Jugendlichen sind häufig durch Erziehungsfehler verursacht, für die in erster Linie seine Eltern und seine soziale Umwelt die Verantwortung tragen. Dies wird oft in unbilliger und gefahrlicher Weise verkannt. Insbesondere jugendliche Opfer, die ihre Mißhandlung durch delinquentes Verhalten oder andere Normverletzungen mitverursacht haben, stoßen vielfach auf Unverständnis und Zurückweisung bei Jugendbehörden, Gerichten, Lehrern, Nachbarn und Verwandten. Sie werden so wiederum zu Opfern der Reaktion ihrer sozialen Umgebung, die die Mißhandlung nicht selten als notwendige Disziplinarmaßnahme rechtfertigt 52 .
49 50 51 52
Vesterdal 1978, 293; Kadushin / Martin 1981, 51. Kadushin/Martin 1981, 80. Vgl. Kadushin/Martin 1981, 80. Garbarino/ Gilliam 1980, 191 ff.
122
Β II. Die Ursachen familiärer Gewaltanwendung bb) Die Rolle der übrigen
Familienmitglieder
Auf die Interaktion von Täter und Opfer nehmen die übrigen Familienmitglieder entscheidenden Einfluß. Zum einen kommt es vor, daß sie sich aktiv auf seiten des Täters oder des Opfers an der gewaltsamen Auseinandersetzung beteiligen. Häufiger jedoch wirken sie durch ihre Duldung an gewaltsamen Angriffen mit. Dies geschieht teilweise aus Resignation und Hilflosigkeit, teilweise freilich auch, weil der andere das Verhalten des Täters billigt. Täter und Opfer werden oft von anderen Familienmitgliedern gegeneinander aufgewiegelt. Kinder spielen ihre Eltern gegeneinander aus oder schwärzen ihre Geschwister bei ihnen an 5 3 . Durch Duldung oder Förderung des gewalttätigen Verhaltens oder durch eine aktive Beteiligung an der Mißhandlung des Opfers tragen die übrigen Familienmitglieder zur Verschärfung von Konflikten und zur Wiederholung von gewaltsamen Angriffen bei. cc) Die soziale Situation
der Risikofamilie
Auf die Interaktion der Familienmitglieder wirkt die soziale Situation der Familie ein. Ihr verursachender Einfluß wird von der Theorie des sozialen Drucks betont. Der ökologische Ansatz 54, der als Kombination von Elementen der Theorie des sozialen Drucks und der Lerntheorie gelten kann, richtet sein Augenmerk auf strukturelle Gegebenheiten, die die Nachbarschaften von Familien kennzeichnen, in denen es zu Kindesmißhandlung kommt. Er kann auch zur Erklärung anderer Formen familiärer Gewaltanwendung, insbesondere der Partnergewalt, beitragen. Familien, die mißhandlungsgefährdet sind, leben häufig in Nachbarschaften, die nicht nur durch materielle Armut, sondern auch durch Isolation innerhalb der Gemeinschaft und durch Konzentration von Risikofamilien gekennzeichnet sind. Diese strukturellen Merkmale werden von dem Begriff der „sozialen Verarmung" erfaßt. Das Nebeneinanderleben von Risikofamilien führt dazu, daß die einzelne Familie innerhalb ihrer Nachbarschaft keine adäquaten Verhaltensmodelle für den Umgang mit ihren Kindern geboten bekommt. Die Familien vermitteln sich vielmehr gegenseitig Lernmodelle gewaltsamer Erziehungsstrategien. Ein typisches Kennzeichen der Risikofamilie ist soziale Isolation 55 . Die Familie hat kaum engere Kontakte nach außen zu Nachbarn, Verwandten und Freunden und ist somit der informellen äußeren sozialen Kontrolle entzogen. Auf diese Isolation ist es zurückzuführen, daß Familienmitglieder oft über lange Zeit mißhandelt werden, ohne daß die Nachbarn davon wissen oder sich zu einem Eingreifen entschließen können. Die Isolation und die materielle und soziale Bedürftigkeit aller Familien einer Nachbarschaft bewirken einen Mangel an Nachbarschaftshilfe. Jede Familie hat die gleichen Probleme und Konflikte und kann daher ihren Nachbarn nicht 53 54 55
Fontana 1973, 91 f. Garbarino 1981a, 232. Garbarino /Gilliam 1980, 33 f.; Morris /Gould 1963, 45.
2. Multidimensionaler Erklärungsansatz
123
helfen. Gleichzeitig kann sie selbst aber auch keine Hilfe von ihnen erwarten und muß ihre Konflikte aus eigener Kraft lösen. Die Fülle ihrer materiellen und sozialen Probleme, die familiäre Konflikte verursachen, ihre Abgeschiedenheit von äußerer Hilfe und Kontrolle und der Mangel an adäquaten Verhaltensmodellen innerhalb ihres sozialen Nahraums macht eine Familie besonders gewaltanfällig. dd) Situative Tatauslöser
Die bisher dargestellten Elemente des Verursachungsprozesses familiärer Gewaltausübung schaffen eine Lage erhöhten Risikos. Damit sich die latente Gefahr verwirklicht, bedarf es situativer Auslöser. Viele der genannten verursachenden Elemente können zu Gewaltauslösern werden, wenn sie aktuellen Charakter erhalten. Eine akute Vermehrung des sozialen Drucks, der auf der Familie lastet, ein akuter Angriff auf das schwache Selbstkonzept des Täters, akute familiäre Konflikte oder Herausforderungen seitens des Opfers können die Funken sein, die das gefüllte Pulverfaß zur Explosion bringen. Ein weiterer wichtiger situativer Tatauslöser ist Alkoholgenuß 56 . Er führt zu einer Persönlichkeitsveränderung, die die Hemmungen gegenüber physischer Aggression herabsetzt. Gleichzeitig bietet er eine innere Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt. Häufiger Alkoholgenuß ruft familiäre Konflikte über das Trinken hervor, die insbesondere bei Partnermißhandlung als Verursachungsbedingung eine Rolle spielen 57 . Obwohl er in der Psychodynamik der Tatsituation einen konfliktverschärfenden und gewaltauslösenden Einfluß haben kann, ist Alkohol freilich keine Ursache von Gewalt in der Familie. Auch das Verhalten unter Alkoholeinwirkung ist gelernt und insoweit durch gesellschaftliche Normvorstellungen beeinflußt 58 . Alkoholmißbrauch ist selbst Ausdruck tieferliegender Probleme, die durch den Hinweis auf die Alkoholbedingtheit familiärer Gewaltausübung überdeckt werden. Oft ist übermäßiger Alkoholgenuß nur Folge und Merkmal einer übergeordneten sozialen Drucksituation, in der sich die Familie befindet und unter deren Einfluß es zu Gewaltanwendung kommt. Der Hinweis auf Alkohol trägt also nicht viel zur Erklärung familiärer Gewaltausübung bei. Akute alkoholbedingte Enthemmung kann lediglich dem Täter den gewaltsamen Angriff gegenüber einem Familienmitglied psychisch erleichtern und auf diese Weise eine gewaltauslösende Funktion übernehmen.
56
B. Johnson/Morse 1974, 21; Fontana 1974, 197; Lau/Boss/Stender 1979, 123; D. Martin 1981, 55 ff. 57 D. Martin 1981, 55 ff. 58 Lau/Boss/Stender 1979, 129.
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Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts 3. Zusammenfassung: Die Verursachung familiärer Gewaltanwendung
Gewalt in der Familie entsteht in einem Interaktionsprozeß, an dem neben dem Täter, das Opfer und die übrigen Familienmitglieder beteiligt sind und auf den die soziale Situation der Familie, insbesondere ihre soziale Isolation, Einfluß hat. Das Verhalten der Beteiligten dieses Interaktionsprozesses ist Ergebnis ihrer psychodynamischen Persönlichkeitsentwicklung und ihrer Lerngeschichte. Es wird durch soziale Normen gesteuert, die Gewalt in der Familie uneinheitlich beurteilen und bis zu einem nicht klar bestimmbaren Grade billigen. Daneben begünstigt der Konflikt zwischen traditionellen Vorstellungen über die Verteilung der Autorität in der Familie und überkommenen Rollenidealen einerseits mit modernen, partnerschaftlichen Rollenerwartungen andererseits gewaltsame Auseinandersetzungen. I I I . Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts Da strafrechtliche Maßnahmen nur als ultima ratio staatlicher Tätigkeit in Betracht kommen, wo weniger einschneidende private oder staatliche Mittel keinen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten 1, darf das Strafrecht gegenüber Gewalt in der Familie nur dann einschreiten, wenn weder auf privater Ebene noch auf außerstrafrechtlicher staatlicher Ebene geeignete Möglichkeiten zu ihrer Kontrolle zur Verfügung stehen. 1. Möglichkeiten privaten Schutzes a) Die Eigenverantwortlichkeit des Opfers für den Schutz seiner Rechtsgüter
Die liberal-rechtsstaatliche Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geht in ihren Grundsätzen von der selbstverantwortlichen Freiheit des einzelnen aus. Dieses Prinzip gewährt dem Bürger nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sein Leben in eigener Verantwortung ohne Eingriffe von außen, aber auch ohne fremde Hilfe zu gestalten2. Der Rechtsgüterschutz ist daher nicht in erster Linie Aufgabe des Strafrechts, sondern gehört zu den vordringlichen Obliegenheiten des Rechtsgutsträgers selbst. Eine solche Verpflichtung des potentiellen Opfers zum Selbstschutz ist auch kriminologisch sinnvoll, da das Opfer unmittelbar Tatbeteiligter ist und eine funktionale Mitverantwortung an der Tat trägt 3 . Vom Staat kann nicht erwartet werden, daß er das potentielle 1
A. Kaufmann 1974, 102; Wessels 1986a, § 1 I 2; J. Baumann/Weber 1985, § 3 I I I 2; vgl. oben Β I. 2 ν. Münch 1960, 305. 3 Schafer 1968, 152; vgl. oben Β I I 2 b) aa).
1. Möglichkeiten privaten Schutzes
125
Opfer besser schützt, als es sich selbst zu schützen bereit ist. Der Rechtsgutsträger hat daher die Pflicht, alles zu unterlassen, was andere in die Versuchung der Begehung einer Straftat führen kann 4 . Darüber hinaus muß er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten auch aktiv gegen Straftaten schützen. In der Regel kann das potentielle Opfer seine Gefahrdung schneller erkennen und gezielter auf sie reagieren als der schwerfällige strafrechtliche Kontrollapparat. Ihm stehen daher oft Möglichkeiten zur präventiven Kriminalitätskontrolle zur Verfügung, die den Mitteln des Strafrechts an Wirksamkeit überlegen sind. Das Einschreiten des Strafrechts ist nicht erforderlich und mithin unzulässig, wenn die Rechtsgutsträger im allgemeinen in der Lage sind, bestimmte Beeinträchtigungen ihrer Güter ohne Hilfe des Strafrechts abzuwehren 5. Passiver Selbstschutz besteht für das mögliche Opfer familiärer Gewaltanwendung in dem Unterlassen selbstgefahrdender Handlungen oder in der Vermeidung von Gefahrdungssituationen. Aktiver Selbstschutz heißt demgegenüber Widerstand durch Verteidigung. Die geringsten Probleme scheint die Forderung aufzuwerfen, das Opfer habe Selbstgefährdungen zu unterlassen. Opfer von Gewalt in der Familie sind indessen oft Kinder oder Jugendliche und damit so jung, daß sie für selbstgefahrdendes oder gewaltprovozierendes Verhalten nicht verantwortlich gemacht werden können. Bei ihnen sind die Einsicht in die möglichen Folgen ihrer Handlungen und die Fähigkeit, ihr Verhalten nach ihren bereits vorhandenen Einsichten zu steuern, nicht hinreichend ausgeprägt. Den übrigen Opfern von Gewalt in der Familie ist die Meidung gefährlicher Situationen vielfach nicht möglich oder nicht zumutbar. Ihre praktischen Möglichkeiten, Gefahrdungssituationen zu umgehen, sind begrenzt. Konflikte, die sich bereits aus der Nähe und Intensität des Familienlebens ergeben, lassen sich nicht vollkommen vermeiden 6. Gerade die Intimität innerhalb der Familie macht ihre Mitglieder untereinander sehr verletzlich. Intimität setzt die Öffnung der eigenen Persönlichkeits- und Rechtssphäre gegenüber anderen voraus. Eine solche Öffnung bringt notwendigerweise die Gefahr von Übergriffen mit sich. Innerhalb der Familie kann das mögliche Opfer dem potentiellen Täter nicht ständig aus dem Wege gehen und nicht jeglichen Kontakt mit ihm meiden. Dies gilt in besonderem Maße für Risikofamilien, die häufig unter beengten Wohnverhältnissen und sozialer Isolation leiden. Oft setzt sich das Opfer durch die Wahrnehmung persönlicher Freiheiten und Rechte der Gefahr von Mißhandlungen aus. Zwar darf von jedem Familienmitglied erwartet werden, daß es bei der Ausübung seiner Rechte auf seine übrigen Angehörigen und auf die Funktionen und den Bestand der Familie Rücksicht nimmt. Demgegenüber kann von dem Opfer keine Unterwerfung unter den Willen des Täters verlangt werden, selbst wenn es sich auf diese Weise vor seiner Gewalttätigkeit schützen könnte. Es braucht nicht auf die 4 5 6
Schafer 1968, 152; H.J. Schneider 1975, 185. Hassemer 1981, 22ff.; Schünemann 1978, 32, 41. Vgl. oben Β I I 2 a).
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Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
rücksichtsvolle, abgewogene Wahrnehmung seiner Rechte zu verzichten. Auch kann es nicht zur kritiklosen Hinnahme von Fehlverhaltensweisen des Täters verpflichtet sein, um ihn nicht zu ärgern. Der strafrechtliche Schutz darf dem Opfer selbst dann nicht unter Hinweis auf Möglichkeiten des passiven Selbstschutzes versagt werden, wenn das Opfer den Täter durch aggressive Beschimpfungen, provokative Nörgeleien oder körperliche Angriffe reizt. Sein Verhalten muß ebenso wie das Verhalten des Täters und der übrigen Familienmitglieder in seinem interaktiven Zusammenhang gesehen werden. Das Opfer, das seine Mißhandlung aktiv mitverursacht, ist in den sich aufschaukelnden Interaktionsprozeß oft gleichsam verstrickt. Es gelingt ihm nicht, ohne fremde Hilfe aus diesem Prozeß auszubrechen. Daher kann ihm auch nicht die alleinige Verantwortung dafür auferlegt werden, sein eigenes Verhalten und das Verhalten seiner Interaktionspartner in die Bahnen einer friedlichen Konfliktlösung zu lenken, zumal ihm meist die hierfür notwendigen sozialen Fertigkeiten fehlen. Das potentielle Opfer familiärer Gewaltanwendung hat demnach keine ausreichenden Möglichkeiten eines zumutbaren passiven Selbstschutzes, die ein Eingreifen des Strafrechts überflüssig und unzulässig machen würden. Aktiver Widerstand gegen die drohende oder bereits begonnene Mißhandlung kann und darf von dem Opfer ebenfalls nicht verlangt werden. Mißhandelte Partner, insbesondere Frauen, und von Eltern oder Geschwistern mißhandelte Kinder und Jugendliche sind ihrem Täter typischerweise unterlegen. Sie haben nicht die physische Stärke und psychische Entschlossenheit, sich mit aktiven Verteidigungsmaßnahmen wirkungsvoll zu schützen. Eher besteht die Gefahr, daß sie sich durch Gegenaggression noch intensiveren Angriffen aussetzen. Opfer von Partner- oder Elterngewalt sind in der Regel wirtschaftlich, sozial und emotional vom Täter abhängig, so daß eine Gegenwehr auch aus diesem Grunde wenig ratsam erscheint. Überdies ist es rechtlich und sozial nicht wünschenswert, das Opfer notfalls zur aggressiven oder gar gewaltsamen Abwehr von Angriffen zu verpflichten. Es ist ja gerade das gesellschaftliche und rechtliche Anliegen, innerhalb der Familie einen befriedeten, gewaltlosen Bereich zu schaffen. Diesen Ideen läuft es zuwider, wenn vom Opfer verlangt wird, zu seinem eigenen Schutz erforderlichenfalls Gewalt einzusetzen. Dem Opfer von Partner-, Geschwister- oder Elterngewalt ist daher ein aktiver Selbstschutz regelmäßig nicht möglich oder nicht zumutbar. Alleine Eltern, die von ihren minderjährigen Kindern angegriffen werden, haben oft ausreichende Möglichkeiten, sich aktiv in präventiver und repressiver Weise zu schützen. Ihnen stehen mehr zumutbare Mittel der Selbstverteidigung und Gegenwehr offen als anderen Opfern familiärer Gewaltanwendung. Sie sind ihren Kindern regelmäßig an Kraft und sozialer Macht überlegen. Häufig reichen daher erzieherische Ermahnungen, Strafandrohungen oder vorbeugende, gewaltlose Erziehungsmaßnahmen aus, um aufkommende aggressive Impulse der Kinder zu unterdrücken. Gewaltsame Gegenwehr wird nur selten nötig und braucht auch dann meist nicht über leichte Gewaltanwendung hinauszugehen. Eltern sind schon durch ihre soziale Autoritätsstellung und ihre Machtressourcen vor
1. Möglichkeiten privaten Schutzes
127
tätlichen Angriffen ihrer Kinder geschützt. Es muß ihnen deshalb grundsätzlich selbst überlassen werden, Gewalttätigkeiten ihrer minderjährigen Kinder präventiv und repressiv zu kontrollieren. Eine solche Kontrollaufgabe obliegt ihnen nicht nur als potentiellen Opfern, sondern auch als Erziehern. Sie ohne Einschaltung des Staates oder gar des Strafrechts zu erfüllen, ist ihr Recht und ihre vordringlichste Pflicht. Den Opfern aller anderen Formen familiärer Gewaltanwendung stehen demgegenüber regelmäßig keine hinreichenden und zumutbaren Mittel zur Verfügung, sich vor körperlichen Angriffen zu schützen. Ein strafrechtlicher Schutz darf ihnen daher nicht unter Hinweis auf Selbstschutzmöglichkeiten versagt werden. Da das Opfer im Kriminalitätsverursachungsprozeß eine bedeutende Rolle spielt, müssen alle Maßnahmen, die zum Schutze seiner Rechtsgüter ergriffen werden, freilich auch darauf abzielen, seine Einsicht in seinen Verursachungsbeitrag zu wecken und die im Einzelfalle vorhandenen Möglichkeiten eines zumutbaren Selbstschutzes zu erforschen und zu aktivieren. b) Konfliktbewältigung und Selbstkontrolle durch die Familie
Für die Lösung ihrer internen Probleme ist die Familie im wesentlichen selbst verantwortlich. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, ist sie von Staat und Gesellschaft mit erheblicher Autonomie ausgestattet. Die Fähigkeit der Familie, innere Konflikte in eigener Verantwortung beizulegen und Gewalttätigkeiten unter ihren Mitgliedern zu kontrollieren, hat indessen durch ihre Rückbildung von der Groß- zur Kleinfamilie erheblich gelitten 7 . Die Vielzahl von Bezugspersonen im Verband der häuslichen Gemeinschaft, in der sich das familiäre Zusammenleben im vorindustriellen Europa vollzog, wirkte auf vielerlei Weise hemmend und kontrollierend auf das Auftreten familiärer Gewaltanwendung. Zum einen konnten Konflikte, die gewaltsames Verhalten begünstigten, schon frühzeitig innerhalb des Familienverbandes gelöst werden. Unerfahrenen jungen Eltern und Ehegatten standen ältere, erfahrenere Familienmitglieder als Berater bei. Der Familienverband konnte einen ausgleichenden und mildernden Einfluß auf die Konfliktparteien ausüben und so körperliche Angriffe verhindern. In der Person des Familienoberhauptes stand den einzelnen Familienmitgliedern eine übergeordnete Schiedsrichterpersönlichkeit zur Verfügung, die Spannungen schlichtete und kraft ihrer Autorität bei intrafamiliären Steifigkeiten Entscheidungen treffen konnte. Die moderne Kleinfamilie, die nur noch aus dem Elternpaar und seinen im Haus lebenden unverheirateten Kindern besteht, kennt eine solche Schiedsrichterpersönlichkeit nicht mehr 8 . Auch erfahrene Personen, an die sich der einzelne bei familiären Problemen um Rat und Hilfe wenden kann, sind nicht mehr vorhanden. Die Konfliktparteien sind darauf angewiesen, ihre Spannungen aus eigener Kraft zu lösen. Die größere Anzahl 7 8
Zum Begriff der Großfamilie vgl. Schwägler 1975, 146. H.J. Schneider 1966, 150.
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Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
von Bezugspersonen gewährleistete in der Großfamilie einen stärkeren sozialen Puffer vor Tätlichkeiten. Es gab Personen, die die Partei des möglichen Opfers ergriffen und es so vor körperlichen Angriffen schützten. Die soziale Kontrolle gegenüber Gewalttaten war in der Großfamilie strenger. So läßt sich feststellen, daß in den heute noch bestehenden Großfamilien der arabischen Welt und Indiens 9 , Afrikas 1 0 und der Türkei 1 1 die Wahrscheinlichkeit der Kindesmißhandlung geringer ist als in den dort lebenden Kleinfamilien. Dies wird darauf zurückgeführt, daß in der Großfamilie die Eltern-Kind-Beziehung von den anderen Familienmitgliedern überwacht wird. In die innerfamiliären Prozesse sind eine Vielzahl von Angehörigen des Hauses einbezogen, die ihren Einfluß geltend machen. Die Erreichbarkeit von zusätzlichen Bezugspersonen, die für die Kinder sorgen können, vermindert die Belastung der Eltern. Die Fähigkeit der modernen Kleinfamilie, Gewalt selbst zu kontrollieren, ist demgegenüber gering. Es gibt keine unbeteiligten erwachsenen Bezugspersonen, die Mißhandlungen von Partnern oder Kindern verhindern könnten. Eine grundsätzlich andere Situation ist alleine im Falle der Gewalt unter minderjährigen Geschwistern gegeben. Hier ist es Pflicht der Eltern, schützend und schlichtend einzugreifen. Sie sind mit der nötigen Autorität und Macht ausgestattet, um diese Schutz- und Ordnungsfunktionen gegenüber ihren Kindern wahrzunehmen. Es ist deshalb grundsätzlich Angelegenheit der Familie, nämlich der Eltern und der beteiligten Kinder, (potentiell) gewaltsame Konflikte unter Geschwistern zu lösen oder zu unterdrücken. Diese Möglichkeit der innerfamiliären Konfliktkontrolle muß das Strafrecht respektieren. Nur wenn sich zeigt, daß die Eltern unfähig oder unwillig sind, ihre Schlichterfunktion zu erfüllen, müssen andere Instanzen zum Schutze des Opfers tätig werden. Demgegenüber kann von der Familie nicht erwartet werden, daß sie Probleme der Partnergewalt oder der Gewalt gegen Kinder aus eigener Kraft bewältigt. In diesen Fällen der Gewalt in der Familie muß daher von außen Hilfe geleistet werden. c) Nichtorganisierte FremdkontroUe durch die Gemeinschaft
Wenn eine Familie gewaltverursachende Konflikte nicht aus eigener Kraft lösen kann, ist es in erster Linie Aufgabe einer sie umgebenden Gemeinschaft, ζ. B. der Nachbarschaft oder der Verwandtschaft, ihr bei der Bewältigung ihrer Probleme beizustehen. Diese eher programmatisch anmutende Forderung wird in der modernen europäischen und amerikanischen Industriegesellschaft nicht mehr erfüllt. Grund dafür ist der Rückgang der sozialen Einbindung der Familie in eine außerfamiliäre Gemeinschaft 12 , wie sie im vorindustriellen Europa 9
Mahmood 1978, 283; Poffenberger 1981. LeVine/LeVine 1981. 11 Olson 1981. 12 Van Ussel 1980, 133. Nach Tönnies (1935) 1979, 34 ist „Gemeinschaft" ein Kreis friedlich nebeneinanderlebender Personen, die wesensmäßig miteinander verbunden sind und dies trotz aller Trennung bleiben. „Gesellschaft" ist demgegenüber zwar auch ein 10
1. Möglichkeiten privaten Schutzes
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bestand. Daß die Gemeinschaft bei der präventiven Kontrolle familiärer Gewaltanwendung eine herausragende Rolle spielen kann, zeigt sich am Beispiel einiger nicht oder wenig industrialisierter Länder und Kulturen, wie der Volksrepublik China 1 3 , der Türkei 1 4 und der eingeborenen Stammesbevölkerung Neu-Guineas 15 , Afrikas 1 6 , Südamerikas 17 und Polynesiens18, aber auch des hochindustrialisierten Japan 19 . Dort sind die einzelnen Familien in funktionsfähige Gemeinschaften einbezogen, und Kindesmißhandlungen kommen nur selten vor. Die Gemeinschaft hilft den Familien bei der Milderung äußerer Druckphänomene, wie beispielsweise wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Fallen in einer Familie wichtige Funktionsträger ζ. B. durch Krankheit oder Tod aus oder sind sie in ihren Aufgaben überfordert, so können sie häufig wenigstens vorübergehend im Wege der „Verwandtschafts- oder Nachbarschaftshilfe" von anderen Gemeinschaftsmitgliedern ersetzt werden. Konfliktbegünstigende Lebensumstände der Familie werden so abgebaut. Die Gemeinschaft lindert innerfamiliäre Spannungen, indem sie den Familienmitgliedern bei Konflikten mit Rat und Hilfe zur Seite steht 20 . Auf diese Weise wirkt sie präventiv gegenüber familiärer Gewaltanwendung. Auch die repressive Kontrolle gegenüber Mißhandlungen in der Familie wird in Kulturen mit engen Gemeinschaftsbindungen von der Gemeinschaft wahrgenommen. Gemeinschaftsbezogene bäuerliche Kulturen sind wirtschaftlich auf die Arbeitskraft und den Arbeitswillen aller ihrer Mitglieder angewiesen. Sowohl die Gemeinschaft wie die Familie selbst haben daher ein starkes Interesse daran, daß ein Mitglied nicht so stark durch Mißhandlungen körperlich oder seelisch geschädigt wird, daß seine Arbeitsfähigkeit oder -bereitschaft beeinträchtigt wird. Auch in Kulturen, die ein elterliches oder hausväterliches Züchtigungsrecht grundsätzlich anerkennen, werden gewaltsame Exzesse gegenüber Familienmitgliedern bereits innerhalb der Familie verhindert und bei Versagen der familiären Selbstkontrolle durch die Gemeinschaft geahndet 21 . Eine Gemeinschaft, der die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit ihrer Mitglieder ein unmittelbares Anliegen ist, besteht in Europa und Nordamerika heute nicht mehr. Auch die Abhängigkeit der Familie von der Arbeitsleistung ihrer Kreis friedlich nebeneinanderlebender Personen, die jedoch wesensmäßig voneinander getrennt sind und dies trotz aller Verbundenheit bleiben. 13 Korbin 1981. 14 Olson 1981. 15 Langness 1981. 16 LeVine/LeVine 1981. 17 O.R. Johnson 1981. 18 Ritchie /Ritchie 1981. 19 Wagatsuma 1981. 20 Vgl. hierzu das eindrucksvolle Beispiel der Volksrepublik China: Korbin 1981. 21 May 1978,141; hierfür finden sich noch heute einige Beispiele in Verhaltensmustern der Dorfbevölkerung des Mittelmeerraumes: Loizos 1978. 9
U. Schneider
130
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
Mitglieder, die in der vorindustriellen Epoche selbstregulierend gewaltsame Exzesse verhinderte, ist zurückgegangen. M i t der Rückbildung der Gemeinschaftsform des Zusammenlebens und ihrem Übergang in eine Gesellschaftsform haben die Familie den Zugang zur Öffentlichkeit und die Öffentlichkeit den Zugang zur Familie verloren 22 . Die Familie ist heute ein privater Raum, eine Exklave gesellschaftlichen Lebens. Ihre Gruppenaußenhaut wird zunehmend undurchlässiger für gesellschaftliche Einflußnahme. Die Familie ist gleichsam zur „totalen Gruppe" geworden, in der die einzelnen Mitglieder faktisch fast ohne jeden Schutz durch die Umwelt einander unmittelbar ausgeliefert und psychisch aufeinander angewiesen sind 23 . Sie dürfen mit ihren Problemen nicht mehr an andere Gesellschaftsmitglieder herantreten, und die Gesellschaft enthält sich jeglicher Einmischung in familiäre Angelegenheiten. Es gibt starke soziale Normen, die die Autonomie der Familie betonen und auf diese Weise eine wirksame soziale Kontrolle von außen erschweren 24. Da die „Gesellschaft" ihrem Wesen nach ein Zusammenschluß einander fremd bleibender Einzelpersonen ist, hat sie aufgehört, der Familie die Hilfe bei der Bewältigung und der Kontrolle ihrer Konflikte zu geben, die die „Gemeinschaft" als Kreis einander durch Nachbarschaft, Freundschaft oder Verwandtschaft verbundener Menschen leistete 25 . Die informelle Kontrolle schwerer Formen familiärer Gewaltanwendung wird darüber hinaus dadurch erschwert, daß gerade die Risikofamilie häufig in einer gesellschaftlichen Vereinsamung lebt, die über die allgemeine Tendenz zur Isolation und Selbstisolation der Familie hinausgeht 26 . Sie kapselt sich oft selbst von ihrer Umwelt ab, zeigt ein tiefes Mißtrauen gegenüber ihrer sozialen Umgebung und wehrt jede Anteilnahme ab. Gewaltfamilien zeichnen sich häufig durch eine besonders hohe räumliche Mobilität aus 27 . Sie wechseln überdurchschnittlich oft den Wohnort und können deswegen nirgendwo feste Freundschaften oder Bekanntschaften schließen oder aufrechterhalten. Die Chancen einer nichtorganisierten privaten Außenkontrolle der Familie sind daher insgesamt sehr eingeschränkt. Da die nichtorganisierte informelle Sozialkontrolle demnach nicht länger in ausreichendem Maße funktionstüchtig ist, muß sie durch organisierte Hilfen und Kontrollen unterstützt und nötigenfalls ersetzt werden.
22
Ammon 1973, 131, 134; Habermas 1971, 184, 187. Tyrell 1979, 33. 24 Pizzey 1976, 3Iff. 25 Zur Schwächung des Verwandtschaftssystems und ihren Auswirkungen auf die soziale Kontrolle familiärer Gewaltanwendung: Goode 1960, 76; Fröhner/v. Stakkelberg/Eser 1956, 230, 235; Pizzey 1976, 36f. 26 Vgl. oben Β I I 2 b) cc). 27 Garbarino/Stocking 1980, 8. 23
1. Möglichkeiten privaten Schutzes
131
d) Organisierte private Hilfen
In den letzten Jahren sind von privaten Verbänden verstärkt Initiativen unternommen worden, um familiäre Gewaltanwendung zu verhindern und ihre Opfer zu schützen. Obwohl diese Bemühungen durchaus Erfolge erzielt haben, nehmen sich die bestehenden privaten Hilfsangebote vor dem Hintergrund des Gesamtproblems der Gewalt innerhalb der Familie eher bescheiden aus. Zum einen sind bislang nur Teilaspekte des Problems familiärer Gewaltanwendung, nämlich die Kindes- und die Frauenmißhandlung, ins öffentliche Bewußtsein getreten und haben zu organisierten privaten Hilfen geführt. Darüber hinaus sind diese zumeist in ihren Kapazitäten der hohen Nachfrage nicht gewachsen und überdies in ihrer therapeutischen Konzeption unzulänglich. aa)
Frauenhäuser
Verstärkte Aufmerksamkeit hat in jüngster Zeit die von England ausgehende Frauenhausbewegung gefunden. Frauenhäuser bieten mißhandelten Frauen und ihren Kindern vorübergehende Unterkunft und Hilfe 2 8 . Sie erfüllen damit ein öffentliches Bedürfnis. Für schwer mißhandelte Frauen besteht zu Hause oft akute Leibes- oder sogar Lebensgefahr. Dennoch müssen viele von ihnen bei ihren Männern ausharren, weil ihnen kein Ort offensteht, wohin sie sich wenden könnten, um Unterkunft, Verpflegung, Schutz und Beratung zu finden. Frauen, die sich von ihren Männern trennen wollen, werden durch die FrauenhausInitiativgruppen bei der Arbeits- und Wohnungssuche unterstützt und hinsichtlich der Durchführung eines Scheidungsverfahrens beraten. Es gibt auch Therapieansätze, die den Frauen helfen sollen, ihr verlorenes Selbstwertgefühl wiederzufinden. Die Effektivität der Frauenhäuser bei der Verhinderung ehelicher Gewaltanwendung ist indessen sehr begrenzt. Die Angebote der Häuser richten sich nur an die Opfer und vermögen nicht, die Täter, geschweige denn die Täter-OpferInteraktion, einzubeziehen. Sie greifen überdies erst dann ein, wenn sich die Frauen bereits zu einer — wenn auch teilweise nur vorübergehenden — Trennung von ihrem Partner entschlossen haben. Daher werden sie erst in einem fortgeschrittenen Stadium wirksam, in dem die Beziehung zwischen Täter und Opfer meist bereits so gestört ist, daß kaum eine Besserung mehr zu erwarten ist. Frauenhäuser sind demnach zwar wichtig als Zufluchtstätten für akut gefährdete Opfer und als Übergangswohnheime für solche Frauen, die sich zu einer endgültigen Trennung von ihrem Partner entschlossen haben. Sie können und wollen aber nicht staatlichen Maßnahmen zur Prävention gegenüber Gewalt in der Ehe ersetzen. Einen Beitrag zur Verhinderung ehelicher Gewaltanwendung leisten sie insoweit, als sie die Abhängigkeit des Opfers von seinem Täter und damit den sozialen Zwang zur Duldung von Mißhandlungen mindern. Das 28
9*
Zur Organisation der Frauenhäuser vgl. Metz-Göckel 1979, 427 ff.
132
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
Gros der Verursachungsbedingungen bleibt indessen unberücksichtigt. Insbesondere müssen dem von seiner Partnerin verlassenen Täter Therapieangebote gemacht werden, die ihm helfen, sein Verhalten zu ändern. Er muß die Möglichkeit erhalten, die in seiner Persönlichkeitsentwicklung erworbenen psychodynamischen emotionalen Defekte aufzuarbeiten. Darüber hinaus müssen Versuche unternommen werden, mit ihm gewaltlose Interaktionen und Konfliktlösungsstrategien einzuüben. Geschieht dies nicht, so besteht die Gefahr, daß der Täter seine Partnerin nach ihrer Rückkehr weiterhin körperlich angreift. Selbst nach einer Trennung der Partnerschaft werden manche Frauen weiterhin von ihren Männern verfolgt und mißhandelt. Überdies ist zu erwarten, daß der Täter nach einer Trennung eine neue Partnerin sucht, die er wiederum schlägt. Solange der Täter nicht psychotherapeutisch betreut wird, ergibt sich daher das Risiko, daß lediglich die Rolle des Opfers neu besetzt wird, das Gewaltproblem aber fortbesteht. Freilich sind die Täter von Frauenmißhandlung nur selten bereit, Therapieangebote freiwillig wahrzunehmen. Sie betrachten sich durch soziale Normen zur Gewaltanwendung gegenüber ihren Frauen legitimiert. Mit einer Resozialisierung der Täter wären die Frauenhäuser daher überfordert. Gerade diese Tatsache macht ein Eingreifen der formellen Sozialkontrolle erforderlich. Auch müssen den Angeboten der Frauenhäuser andere therapeutische und praktische Hilfen vorgelagert werden, die eingreifen, solange noch Aussichten auf eine Verhinderung von Gewalt ohne eine strukturelle Zerstörung der Familie bestehen.
bb) Beratungstelefone, Behandlungszentren und Selbsthilfegruppen für mißhandelnde Eltern und ihre Kinder
Private Hilfsangebote zur Verhinderung von Kindesmißhandlung richten sich zumeist an die Eltern mißhandelter Kinder. Der Schutz des Kindes vor Mißhandlung durch die Eltern ist eines der Ziele der im In- und Ausland tätigen Kinderschutzverbände. In der Bundesrepublik Deutschland hat der „Deutsche Kinderschutzbund" in vielen Städten einen Telefonservice eingerichtet, an den sich Eltern und Kinder anonym mit ihren Problemen wenden können. Das Angebot eines anonymen Sorgentelefons ist insofern wichtig und sinnvoll, als es den vielfach sozial isolierten Eltern die Möglichkeit gibt, über ihre Erziehungsprobleme zu sprechen, ohne Ablehnung und Empörung fürchten zu müssen. Den Eltern können auf diese Weise auch weitere Hilfsmöglichkeiten gewiesen werden. Konkrete therapeutische Einflüsse können von einer telefonischen Beratung indessen nicht erwartet werden. Erfolgversprechender ist das breitgefacherte Beratungs- und Therapieangebot der Kinderschutzzentren, die in mehreren Großstädten der Bundesrepublik ebenfalls in Trägerschaft des „Deutschen Kinderschutzbundes" entstanden sind. Neben einer Telefonberatung leisten ihre Mitarbeiter praktische und therapeutische Hilfen in akuten Familienkrisen. Darüber hinaus werden gewaltgefahrdete Familien dauerhaft psychotherapeutisch betreut, und sie werden praktisch unterstützt, ζ. B. bei der
133
1. Möglichkeiten privaten Schutzes
Wohnungssuche oder bei der Abwicklung von Angelegenheiten mit Behörden und Gerichten 29 . In den USA haben sich in vielen Staaten Selbsthilfegruppen mißhandelnder Eltern nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker gebildet 30 . Die „Parents Anonymous " gewähren ihren Mitgliedern praktische und therapeutische Hilfen. Die Eltern ünterstützen sich gegenseitig bei der Findung und Einübung gewaltloser Erziehungsmethoden. Indem sie anderen Familien bei der Lösung ihrer Probleme helfen, lernen Risikoeltern, mit eigenen Schwierigkeiten besser fertig zu werden. Bei akuten Krisen greifen die „Parents Anonymous " sofort zum Schutz der Kinder ein. Durch praktische Hilfen bei der Kinderbetreuung mindern sie die Belastung der Eltern durch die Versorgung und Erziehung der Kinder. Gemeinsame organisierte Unterhaltungs- und Freizeitangebote tragen dazu bei, die soziale Isolation der Risikofamilien aufzuheben. Da alle Mitglieder der Selbsthilfegruppe ähnliche Schwierigkeiten haben, kann der einzelne hier am ehesten Sympathie und Verständnis erwarten. Mißhandelnde Eltern, die unter ihrem geringen Selbstbewußtsein und unter Gefühlen der Minderwertigkeit leiden, werden nicht weiter herabgewürdigt, sondern können sich in einer Selbsthilfegruppe akzeptiert fühlen. Sie brauchen keine Zurückweisung zu befürchten. Der Anschluß an die Gruppe macht es den Eltern leichter, ihr Mißtrauen gegenüber der Umwelt zu überwinden.
cc) Die Unzulänglichkeit
organisierter
privater
Hilfen
Auch wenn diese stellvertretend für andere genannten privaten Hilfsangebote nützlich und sinnvoll sind und zur Verhinderung familiärer Gewaltanwendung Beiträge unterschiedlichen Umfangs leisten mögen, so haben alle bestehenden privaten Maßnahmen gemeinsame Mängel. Zum einen vermögen sie nur im Einzelfall der gewaltgefährdeten Familie zu wirken. Sie beugen allenfalls der gewaltsamen Entladung bestehender Konflikte oder der Wiederholung von Gewalttätigkeiten in bestimmten Risikofamilien vor. Eine gewaltverhindernde — gleichsam „generalpräventive" — Breitenwirkung entfalten sie nicht. Da Gewalt in der Familie durch gewaltbilligende soziale Normen gefördert wird, ist eine Einzelfallhilfe nicht ausreichend, um familiäre Gewaltausübung in diesem ihrem „gesellschaftlichen Keim" zu ersticken. Hilfsmaßnahmen benötigen einen Unterbau konkreter Gewaltverbote, die den gewaltfördernden sozialen Normen entgegengesetzt werden können. Diese normative Grundlage kann nicht alleine durch private Initiativen geschaffen werden, sondern fordert die rechtssetzende Kraft des Staates. 29 Deutscher Kinderschutzbund (Hrsg.) 1984,147 ff.; zu einem gemeinschaftsorientierten Behandlungsprogramm des britischen Kinderschutzbundes vgl. The NSPCC Battered Child Research Team 1976. 30 Kempe / Helfer 1972, 48 ff.; Justice/Justice 1976, 204ff.; Freeman 1979, 114; Starkweather /Turner 1975.
134
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
Auch soweit es lediglich um die Gewährleistung von Einzelfallhilfen geht, kann sich der Staat nicht völlig auf private Organisationen verlassen. Bei den privaten Hilfsmaßnahmen handelt es sich nur um Angebote. Sie gründen sich sowohl beim Anbietenden wie beim Annehmenden auf Freiwilligkeit. Keine private Organisation ist verpflichtet, Hilfsmöglichkeiten zu schaffen, und kein Adressat solcher Hilfen ist verpflichtet, sie wahrzunehmen. Die Schaffung von privaten Hilfsangeboten erfordert ein ausreichendes Problembewußtsein, persönliches Engagement, Fachkenntnis und finanzielle Mittel, die von Privatpersonen und privaten Organisationen nicht ohne weiteres erwartet werden können. Die Annahme von Hilfen setzt einen gewissen „Leidensdruck" bei den Menschen voraus, an die sich das Angebot richtet. Der einzelne muß sein Problem als solches erkennen und bereit sein, an seiner Beseitigung mitzuarbeiten. Eine solche Bereitschaft ist gerade bei den Tätern und Opfern familiärer Gewaltanwendung oft nicht vorhanden. Private Hilfsangebote vermögen daher nicht, den Staat aus der Pflicht zur Gewährung staatlichen Schutzes zu entlassen. e) Zusammenfassung: Die Begrenztheit der privaten Kontrolle familiärer Gewaltanwendung
Die Möglichkeiten einer außerstaatlichen Kontrolle familiärer Gewaltanwendung sind sehr begrenzt. Kindliche Opfer von Gewalt in der Familie können für ihren eigenen Schutz noch nicht verantwortlich gemacht werden. Den übrigen Opfern stehen nur wenige zumutbare Mittel zur Verfügung, um sich selbst passiv oder aktiv zu schützen. Einzig Eltern, die von ihren Kindern tätlich angegriffen werden, haben regelmäßig ausreichende Möglichkeiten, in erzieherischer Weise aggressiven Ausbrüchen der Kinder vorzubeugen oder sie abzuwehren. Ihnen kann daher die Kontrolle gewaltsamer Handlungen ihrer Kinder selbst überlassen werden. Dies gilt auch für die Verhinderung oder Schlichtung von gewalttätigen Geschwisterkämpfen. Staatliche Maßnahmen haben in diesen Fällen nur eine Aushilfsfunktion. Sie dürfen erst dann ergriffen werden, wenn sich erwiesen hat, daß Eltern unfähig oder nicht willens sind, sich oder ihre übrigen Kinder vor den Angriffen eines Kindes der Famile zu schützen. Probleme der Partnergewalt oder der Gewalt gegen Kinder kann die moderne Kleinfamilie im Gegensatz zur vorindustriellen Großfamilie nur in unzureichender Weise aus eigener Kraft oder unter Hilfestellung der Gemeinschaft bewältigen. Es finden sich zwar Ansätze zu organisierten privaten Initiativen zur Bekämpfung dieser Formen familiärer Gewaltanwendung. Von ihnen kann indessen keine verhaltenssteuernde Breitenwirkung erwartet werden. Darüber hinaus vollziehen sich sowohl Angebot wie Annahme solcher Hilfen auf freiwilliger Basis und bieten daher keine zuverlässige Kontrolle. Hier muß die staatliche Sozialkontrolle eingreifen, um einen Rechtsschutz zu gewährleisten 31. 31
Tyrell 1979, 26.
2. Möglichkeiten außerstrafrechtlichen staatlichen Schutzes
135
Konnte sich der Staat zu Zeiten der Großfamilie noch eines Tätigwerdens gegenüber Partnergewalt oder Kindesmißhandlung enthalten, so ist dies heute nicht mehr möglich. So, wie der Staat der Familie Erziehungs- und Versicherungsfunktionen abgenommen hat, zu deren Erfüllung sie nicht mehr in der Lage war 3 2 , muß er ihr nun bei der Kontrolle innerer Prozesse helfen, soweit diese Kontrolle für die Gesamtgesellschaft und den einzelnen wichtig ist und nicht von der Familie selbst geleistet werden kann 3 3 . Zum Schutz der Familie, des einzelnen und gesellschaftlicher Interessen sind daher staatliche Maßnahmen gegenüber Gewalt in der Ehe und Gewalt gegen Kinder erforderlich. Darüber hinaus muß der Staat helfend eingreifen, wenn Eltern bei der Kontrolle gewaltsamer Angriffe ihrer minderjährigen Kinder gegenüber Familienangehörigen versagen. Die Erkenntnis, daß ein staatlicher Schutz vor Gewalt in der Familie erforderlich ist, hat sich in supranationalen politischen Gremien bereits durchgesetzt. Am 26. März 1985 verabschiedete der Europäische Ministerrat eine Empfehlung an die Mitgliedsstaaten des Europarates, in der die Staaten unter Hinweis auf die erhebliche Gefahrdung privater und öffentlicher Interessen durch Gewalt in der Familie zur Einleitung staatlicher und Förderung privater Vorbeugungs- und Behandlungsmaßnahmen aufgerufen werden (Empfehlung N r . R (85) 4). A u f dem Siebten Kongreß der Vereinten Nationen über die Vorbeugung gegenüber Kriminalität und die Behandlung von Straf tätern, der v o m
26. August bis 6. September 1985 stattfand, wurde eine Resolution zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie gefaßt, die der Vollversammlung der Vereinten Nationen zur Beschlußfassung vorgelegt worden ist 3 4 . Auch in dieser Resolution wird betont, daß Vorbeugung und Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung staatliche Aufgaben sind.
2. Die Möglichkeiten außerstrafrechtlichen staatlichen Schutzes Unter den möglichen staatlichen Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz stellen strafrechtliche Eingriffe nach dem Subsidiaritätsprinzip die ultima ratio dar. Sie dürfen nur dort ergriffen werden, wo ein angemessener Rechtsgüterschutz mit Mitteln des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts nicht gewährleistet werden kann 3 5 .
32 33 34 35
König 1946, 43. Tooley 1980, 459. United Nations 1985, Kapitel I C 4. Rudolph! SK Vor § 1 Rdn. 14; Roxin 1966, 382.
136
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts a) Mittel des bürgerlichen Rechts bei Gewalt unter Ehegatten: Die Ehescheidung
Das praktisch bedeutsamste Mittel des bürgerlichen Rechts, um Gewalt unter Ehepartnern zu verhindern, ist die Ehescheidung nach §§ 1565 ff. BGB, die freilich das Bestehen einer Ehe voraussetzt. Eine Scheidung schützt den mißhandelten Ehegatten nicht immer wirksam vor weiteren gewaltsamen Angriffen. Teilweise werden die Mißhandlungen über die Scheidung hinaus fortgesetzt 36. Dies gilt insbesondere dann, wenn die geschiedenen Ehegatten bei Besuchen der Kinder miteinander Kontakt haben 37 . Ein schwerwiegendes Problem stellt auch der Schutz der Ehegatten während der Durchführung des Scheidungsverfahrens dar, das oft langwierig ist. Getrennt lebende Frauen sind gegenüber Mißhandlungen durch ihre Ehemänner besonders stark gefährdet 3 8 . Zwar bieten § 629 I Nr. 5, 7 ZPO die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes39. Sie ist jedoch meist nicht ausreichend, um weitere eheliche Gewalttätigkeiten zu verhindern. Auch unter Einbeziehung der Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes bietet die Ehescheidung daher keinen absolut verläßlichen Schutz vor weiterer Gewalt. Darüber hinaus stellt die Auflösung der Ehe durch Scheidung für die Opfer ehelicher Gewaltanwendung in vielen Fällen keine realisierbare Alternative dar, da die Ehegatten emotional aneinander gebunden und wirtschaftlich 40 und sozial voneinander abhängig sind. Mißhandelte Frauen verfügen zumeist über keine oder keine qualifizierte Berufsausbildung. Sie sind während ihrer Ehe oft jahrelang nicht berufstätig gewesen und haben sich nicht weitergebildet. Die Wiederaufnahme eines erlernten Berufs ist aus diesen Gründen schwierig. Daneben haben die Frauen oft Kinder zu versorgen. Auch Krankheit und Behinderung, die teilweise durch fortgesetzte Mißhandlungen hervorgerufen sein können, spielen eine Rolle 4 1 . Selbst wenn die Frauen während ihrer Ehe berufstätig waren, ist ihr Verdienst häufig nicht ausreichend, um sich selbst und ihren Kindern ein unabhängiges Leben zu ermöglichen. Zwar stehen den gemeinsamen Kindern gegen den Vater Unterhaltsansprüche zu. Auch die Frau kann Unterhalt verlangen, wenn sie nicht selbst für ihren Unterhalt sorgen kann (§ 1569 BGB). Für die Dauer des Scheidungsverfahrens können die Unterhaltspflichten durch einstweilige Anordnung nach § 620 Nr. 4, 6 ZPO geregelt werden. Im allgemeinen ist rechtlich also für den Unterhalt des Opfers ehelicher Gewaltanwendung und seiner Kinder gesorgt. Praktisch bringt eine Scheidung freilich dennoch große ökonomische Nachteile mit sich. Selbst wenn der 36
Freeman 1978, 91 im Hinblick auf die Frauenmißhandlung. Fleming 1979, 167. 38 Solicitor General Canada 1985. 39 Vgl. Zöller/Philippi § 620 Anm. 13. 40 Langley / Levy 1977,118; Chapman 1978,252; Freeman 1979,171; Fleming 1979,83, 166; Gelles 1979a, 103 ff. 41 Fleming 1979, 92 f. 37
2. Möglichkeiten außerstrafrechtlichen staatlichen Schutzes
137
Unterhalt regelmäßig gezahlt wird, ist es den Frauen zumeist nicht möglich, auch nach der Scheidung den in der Ehe erworbenen Lebensstandard aufrecht zu erhalten. Vielfach ist der Verdienst des Mannes sogar zu gering, um für Frau und Kinder das Lebensminimum zu sichern. Schließlich kommen zahlreiche Fälle hinzu, in denen der Mann seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommt. Die ökonomische Abhängigkeit des mißhandelten Mannes von seiner Frau ist regelmäßig nicht so groß wie umgekehrt. Er verfügt zumeist über einen Beruf und eigene Einkünfte. Wichtige Ausnahmen stellen hier allerdings die Fälle der Arbeitslosigkeit oder Erwerbsunfähigkeit des Mannes dar. Es darf aber nicht verkannt werden, daß selbst in einer „Hausfrauenehe" eine gewisse wirtschaftliche Abhängigkeit des Mannes von seiner Frau besteht. Die Frau übernimmt Dienstleistungen, die der Mann nach einer Scheidung entweder selbst erfüllen muß oder nur unter beträchtlichem finanziellen Aufwand auf dem Dienstleistungsmarkt erhalten kann. Insoweit besteht also durchaus eine gegenseitige ökonomische Bindung der Ehepartner. Ein wesentlicher Grund, weshalb mißhandelte Ehegatten an ihrer Ehe festhalten, sind die gemeinsamen Kinder 4 2 . Der Mann wünscht häufig wegen seiner emotionalen Bindung an die Kinder keine Scheidung aus Angst, die Kinder könnten seiner Frau zugesprochen werden. Die mißhandelte Frau andererseits traut sich oft nicht zu, alleine für ihre Kinder zu sorgen. Auch nimmt sie Rücksicht auf die Bindungen der Kinder an den Vater. Sie ist überzeugt davon, daß die Kinder zu einem gesunden Aufwachsen beide Elternteile benötigen. Mißhandelte Ehefrauen werden ferner durch die Furcht vor sozialen Vorurteilen gegen die geschiedene Frau davon abgehalten, eine Scheidung anzustreben 43 . Hinzu kommen eigene Schuldgefühle. Sie meinen, an ihrer Mißhandlung mitschuldig zu sein 44 . Durch die Mißhandlung verursachte Depressionen machen die Frau passiv und handlungsunfähig 45 . Schließlich spielt die Angst vor dem gewalttätigen Mann gerade in Fällen einseitiger schwerer Gewaltanwendung eine bedeutsame Rolle. Die Frauen befürchten, während des Scheidungsverfahrens verstärkten Mißhandlungen ausgesetzt zu sein und auch nach der Trennung von ihren Männern verfolgt zu werden 40 . Sie bevorzugen es daher, bei ihren Männern zu bleiben, weil sie sich einen gewissen Einfluß auf das Geschehen versprechen und gewaltsame Angriffe wenigstens voraussehen können. Auch wenn der Weg der Ehescheidung im Einzelfall praktisch gangbar ist, kann durch die endgültige Trennung allenfalls ein Schutz des konkreten Opfers 42 43 44 45 40
Langley/ Levy 1977, 116; Freeman 1979, 159. Fleming 1979, 86, 90. Langley/Levy 1977, 116; Fleming 1979, 81. Freeman 1978, 92. Langley/ Levy 1977, 121; Fleming 1979, 88.
138
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
vor weiteren Angriffen seines früheren Partners oder seiner früheren Partnerin erreicht werden. Auf Verhalten und Persönlichkeit des Täters und des Opfers werden keine gezielten Einflüsse ausgeübt. Es besteht daher die Gefahr, daß beide in einer neuen Beziehung gegenüber anderen Partnern dieselben Fehlverhaltensweisen zeigen, die in ihrer gelösten Ehe zur Gewaltanwendung geführt haben, und daher wiederum zu Beteiligten ehelicher Mißhandlungen werden. Die Ehescheidung ist darüber hinaus kein Mittel zur Verwirklichung eines Gewaltverbotes in der Ehe. Sie stellt keine Maßnahme zur Ahndung von Normverstößen dar und ist insoweit anders als die strafrechtlichen Reaktionen kein Symbol eines Unwerturteils gegenüber rechtsgutsverletzendem Verhalten. Dies gilt um so mehr nach der Aufgabe des Schuldprinzips zugunsten des Zerrüttungsprinzips im neuen Scheidungsrecht. Die Möglichkeit der Ehescheidung vermag daher nicht, das verbindliche strafrechtliche Verbot von Gewalt in der Ehe und strafrechtliche Reaktionen auf Verstöße gegen dieses Verbot zu ersetzen. Da sie zur Auflösung der Familie führt, ist die Scheidung überdies kein konstruktives Mittel zur Lösung ehelicher Gewaltprobleme. Die Zerstörung des Familien Verbands sollte nur den letzten Ausweg darstellen. Ziel aller Maßnahmen zum Schutz vor ehelicher Gewaltanwendung sollte der Erhalt der Familie sein. b) Vormundschaftsrichterliche Maßnahmen bei Gewalt gegen Kinder
Um Kinder vor elterlicher Gewaltanwendung zu schützen, kommen vormundschaftsrichterliche Maßnahmen in Betracht. Grundlagen hierfür sind innerhalb des bürgerlichen Rechts §§ 1666, 1666a und 1748 I BGB. Innerhalb des öffentlichen Rechts stellt das Jugendwohlfahrtsgesetz eine Rechtsgrundlage für vormundschaftsrichterliche Maßnahmen dar. In ihren Voraussetzungen unterscheiden sich die im JWG vorgesehenen Maßnahmen von den nach bürgerlichem Recht möglichen Eingriffen allgemein dadurch, daß sie kein Fehlverhalten auf Seiten der Eltern, sondern nur eine objektive Gefahrdung der Entwicklung des Kindes voraussetzen. Da in Fällen elterlicher Gewalt gegen Kinder indessen ein solches Fehlverhalten der Eltern gegeben ist, kommen hier vornehmlich vormundschaftsrichterliche Maßnahmen nach dem BGB in Betracht. Nach § 1666 I BGB kann das Vormundschaftsgericht eingreifen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch einen Mißbrauch der elterlichen Sorge gefährdet ist. Die Maßnahmen des Vormundschaftsgerichts, die unter diesen Voraussetzungen getroffen werden, richten sich gegen die sorgeberechtigten Eltern des Kindes. Darüber hinaus ermöglicht § 1666 I S. 2 BGB auch ein Einschreiten gegenüber Dritten, die das Wohl des Kindes gefährden. Daher können vormundschaftsrichterliche Maßnahmen auch gegenüber Personen ergriffen werden, die zu dem Kind lediglich in einem faktischen Eltern Verhältnis stehen. Die Voraussetzungen des § 1666 BGB werden von Personensorgeberechtigten Eltern im allgemeinen nur bei schweren körperli-
2. Möglichkeiten außerstrafrechtlichen staatlichen Schutzes
139
chen Mißhandlungen im Sinne der §§223a, 223 b StGB erfüllt. Einfache Körperverletzungen nach § 223 StGB werden regelmäßig durch das den Eltern im Rahmen ihres Erziehungsrechts nach § 1631 BGB gewohnheitsrechtlich zugestandene Recht gedeckt, das Kind maßvoll zu züchtigen 47 . Demgegenüber erfüllt die Überschreitung des elterlichen Züchtigungsrechts regelmäßig die Voraussetzungen des § 1666 BGB. Auch in der Duldung einer übermäßigen Züchtigung durch den anderen Elternteil oder einen Dritten wird ein Sorgerechtsmißbrauch gesehen48. Personen, die sich zu dem Kind lediglich in einem faktischen Elternverhältnis befinden, kann die Ausübung des Züchtigungsrechts vom erziehungsberechtigten Elternteil übertragen worden sein. Aber auch wenn dies nicht anzunehmen ist, werden leichtere Gewaltanwendungen durch die Betreuungsperson die Voraussetzungen des § 1666 BGB nicht erfüllen, da eine Gefährdung des Kindeswohls nur dann bejaht wird, wenn sich eine erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Entwicklung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen läßt 4 9 . aa) Die zeitweilige Trennung des Kindes von seiner Familie durch Fremdunterbringung nach §§ 1666, 1666a I BGB
Welche Maßnahmen das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 16661 BGB treffen kann, ist gesetzlich nicht näher konkretisiert. Die Auswahl der zu verhängenden Maßnahmen steht vielmehr im Ermessen des Richters. Maßnahmen, die zu einer Trennung des Kindes von seiner Familie führen, dürfen allerdings nach § 1666 a I BGB nur ergriffen werden, wenn die Gefahr für das Kindeswohl anders nicht abgewendet werden kann. Wegen der hohen Wiederholungswahrscheinlichkeit bei Kindesmißhandlung wird ein wirksamer physischer Schutz des Kindes vor weiteren Angriffen häufig ausschließlich durch seine Trennung von dem mißhandelnden Elternteil für möglich gehalten. Die Trennung des Kindes von der Familie hat den Vorteil, daß während ihrer Dauer ein sicherer Schutz des Kindes vor Gewaltanwendung seiner Eltern gewährleistet ist. Diese Aussage macht freilich schon gleichzeitig die Begrenzungen der Schutzwirkungen einer solchen Maßnahme deutlich. Nur für die Dauer seiner Unterbringung ist das Kind vor elterlicher Gewaltanwendung geschützt. In zahlreichen Fällen kehrt das Kind nach einem mehr oder minder ausgedehnten Aufenthalt im Heim oder in einer Pflegefamilie in sein Elternhaus zurück, und es kommt zu einem Wiederaufleben der Mißhandlungsgefahr. Der körperliche Schutz des Kindes wird auch dann durchbrochen, wenn es vorübergehend, etwa zu Wochenendbesuchen oder an Feiertagen, zu seinen Eltern entlassen wird. Ferner ist vor Mißhandlungen seitens seiner Eltern immer nur das untergebrachte Kind selbst geschützt. Vielfach spielte dieses Kind in der Familie eine Sündenbockrolle und trug durch seine Viktimisierung zur Erhal47 48 49
Soergel/Siebert/Lange § 1631 Rdn. 10; Erman/Ronke § 1631 Rdn. 8. Palandt/Diederichsen § 1666 Anm. 4; Erman/Ronke § 1666 Rdn. 8. Soergel/Siebert/Lange § 1666 Rdn. 33.
140
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
tung des familiären Gleichgewichts bei 5 0 . Durch die Herausnahme des Kindes aus der Familie kommt es zu einer Störung dieses Gleichgewichts. Nicht selten wird diese Störung dadurch „behoben", daß ein anderes Kind in die nun freigewordene Sündenbockrolle gedrängt wird und zur Zielscheibe elterlicher Gewaltausübung wird. Der Schutz des einen Kindes durch seine Trennung von seiner Familie kann auf diese Weise die Gefahrdung eines anderen Kindes mit sich bringen. Die Unterbringung eines mißhandelten Kindes im Heim oder in einer Pflegefamilie hat eine Reihe negativer Auswirkungen auf das Kind selbst, auf seine Eltern und Geschwister sowie auf die Beziehungen des Kindes zu seinen übrigen Familienangehörigen. Das mißhandelte Kind kommt zumeist bereits mit schwerwiegenden psychischen Schäden ins Heim oder in eine Pflegestelle. Es hat daher ein erhöhtes Bedürfnis nach Liebe und Zuwendung einer dauernden Bezugsperson, nach einer Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch seine Umwelt, nach gezielter psychotherapeutischer oder sogar psychiatrischer Behandlung. Es braucht das Gefühl, akzeptiert zu werden und in einer sicheren, vorhersehbaren Umwelt angstfrei aufzuwachsen. Diese kindlichen Bedürfnisse erfüllt die Heimumgebung in aller Regel auch bei guter Ausstattung des Heimes und großem persönlichen Einsatz des Personals nicht. Die Kinder sehen sich häufig wechselnden Bezugspersonen gegenüber, zu denen sie keine stabile emotionale Bindung aufbauen können. Erzieher und Therapeuten können aufgrund ihrer Arbeitsbelastung dem einzelnen Kind weder die persönliche Zuwendung angedeihen lassen noch die Anregung und Anleitung geben, die zur Entwicklung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten notwendig sind 51 . Die Erziehung in einer Pflegefamilie ist einer normalen Familienerziehung zwar ähnlicher als die Heimerziehung. Indessen haben mißhandelte Kinder oft Verhaltensstörungen, die ihre Unterbringung in einer Pflegefamilie außerordentlich erschweren. Die Pflegeeltern sind den Verhaltensstörungen des Kindes häufig nicht gewachsen, so daß die Gefahr besteht, daß das Kind von Pflegestelle zu Pflegestelle gereicht wird. Es kommt dann zu einem dauernden Wechsel der Bezugspersonen, der den Aufbau stabiler persönlicher Bindungen verhindert 52 . Zu seiner gesunden Entwicklung braucht das Kind indessen Beständigkeit in seinen Beziehungen53. Da Pflegeeltern Eltern auf Abruf und sich dieser Situation meist voll bewußt sind, wahren sie zu dem Kind gefühlsmäßige Distanz und sind nicht bereit, „emotionale Eltern" des Kindes zu werden 54 . Teilweise stehen die Pflegeeltern den leiblichen Eltern ihres Schützlings überdies ablehnend gegenüber. Eine solche Haltung gefährdet nicht nur die 50 51
Vgl. oben Β I I 1 b) aa) (2) (b). Zu den auftretenden Hospitalisierungsschäden vgl. die Untersuchung von Dührssen
1958. 52 53 54
H.P. Martin/Beezley 1976b, 191. Aravian 1975, 121; Dickens 1978, 152. H.P. Martin/Beezley 1976b, 190.
2. Möglichkeiten außerstrafrechtlichen staatlichen Schutzes
141
ohnehin gestörten Beziehungen des Kindes zu seinen Eltern, zu denen es möglicherweise zurückkehren wird, sondern beeinträchtigt auch das kindliche Selbstbild, das sich anhand des Bildes aufbaut, das das Kind von seinen Eltern hat 5 5 . Unabhängig davon, ob das Kind im Heim untergebracht oder in Pflege genommen wird, führt die Trennung von seiner Familie bei dem Kind und meist auch bei den Eltern und den Geschwistern 56 zu einem Trennungstrauma. Insbesondere für das Kind selbst stellt die Fremdunterbringung eine starke psychische Belastung dar. Mißhandelte Kinder zeigen oft eine sehr enge Bindung an ihre Familien 57 . Sie sind von ihren Eltern emotional in besonders hohem Maße abhängig. M i t der Unterbringung werden ihnen nicht nur die Eltern genommen. Sie verlieren auch die vertraute räumliche und soziale Umgebung. Unter Umständen müssen sie sogar die Schule wechseln. In der Regel ist das Kind nicht in der Lage, die Notwendigkeit der Trennung von seinen Eltern zu erkennen. Es weiß nicht, daß eine solche Trennung seinem eigenen Schutz dienen soll. Es fühlt sich vielmehr abgelehnt, von den Eltern verlassen und bestraft 58 . Auch seine Geschwister empfinden häufig die Trennung des Kindes von der Familie als Strafe für das Kind und fühlen sich selbst ebenfalls durch diese Strafe bedroht 59 . Indem das mißhandelte Kind von seinen Eltern entfernt wird, entfällt die Möglichkeit, auf die Interaktion zwischen Eltern und Kind einzuwirken. Die Eltern können nicht lernen, wie sie gerade dieses — möglicherweise körperlich oder geistig behinderte oder verhaltensgestörte — Kind angemessen pflegen und gewaltfrei erziehen können. Bei Beendigung der Fremdunterbringung wird das Kind daher in der Regel in eine „ungebesserte" Familie entlassen. Allenfalls besteht die Chance, daß sich die äußeren Lebensumstände der Familie durch Zufall, eigene Anstrengungen oder gezielte Hilfen inzwischen erholt haben und somit einige gewalterzeugende Druckphänomene weggefallen sind. Die Trennung des Kindes von seiner Familie führt darüber hinaus zu einer Lockerung der emotionalen Bande zwischen Eltern und Kind. Die Eltern bekommen ein Kind zurück, das ihnen fremd ist und das nicht selten Verhaltensauffalligkeiten zeigt, die durch seine Fremdunterbringung hervorgerufen oder verschärft worden sind. All dies macht das Kind wiederum zu einer opfergeneigten Person für erneute Mißhandlungen. Die zeitlich begrenzte Trennung des Kindes von seiner Familie ist somit in der Regel kein geeignetes Mittel, um Kindesmißhandlung zu bekämpfen.
55 56 57 58 59
Aravian 1975, 119. Vgl. den Fall bei Sinofsky 1975, 111. Zenz 1979, 258. Aravian 1975, 119. Sinofsky 1975, 111.
142
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts bb) Die dauerhafte Trennung des Kindes von seiner Familie durch Freigabe zur Adoption durch das Vormundschaftsgericht nach § 1748 BGB
Nach § 17481 BGB kann das Vormundschaftsgericht die erforderliche Einwilligung eines Elternteils zur Adoption des Kindes ersetzen, wenn dieser seine Pflichten gegenüber dem Kind anhaltend gröblich verletzt hat und das Unterbleiben der Adoption dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde. Wiederholte oder schwere Mißhandlungen des Kindes erfüllen diese Voraussetzungen 60. Da das Vormundschaftsgericht immer nur die Einwilligung des Elternteils ersetzen kann, der sich pflichtwidrig verhält, indessen gemäß § 17471 BGB die Einwilligung beider Eltern erforderlich ist, wird eine Freigabe des Kindes zur Adoption durch das Vormundschaftsgericht nur in den weniger häufigen Fällen möglich sein, in denen beide Eltern durch ihr Verhalten die Bedingungen des § 17481 BGB erfüllen. Größere Chancen für eine gerichtliche Freigabe des Kindes zur Adoption bestehen dann, wenn nur die Einwilligung eines Elternteils ersetzt werden muß. Dies ist insbesondere bei Nichtehelichkeit des Kindes der Fall (§ 1747 I I BGB). In der Praxis wird eine Freigabe des Kindes zur Adoption durch das Vormundschaftsgericht daher dann am häufigsten sein, wenn ein nichteheliches Kind von seiner Mutter mißhandelt wurde. Die Adoption kann ein wirksames Mittel zur Verhinderung weiterer Mißhandlungen des Kindes sein. Sie schafft dem Kind neue, ständige Bezugspersonen, die die leiblichen Eltern rechtlich, sozial und in der Regel auch emotional vollständig ersetzen. Insoweit vermeidet die Adoption wesentliche Nachteile der Unterbringung des Kindes im Heim oder in einer Pflegefamilie. Wird das Kind bereits als Säugling adoptiert oder hatte es aufgrund eines früheren Heimaufenthaltes keine Möglichkeiten, feste Bindungen zu seinen Eltern oder seiner nichtehelichen Mutter zu entwickeln, wird auch die Erfahrung eines Trennungstraumas vermieden. Adoption kann also in vielen Fällen eine wirksame Hilfe für das mißhandelte Kind darstellen. Es darf freilich nicht übersehen werden, daß gerade mißhandelte Kinder wegen der bei ihnen häufig auftretenden Verhaltensstörungen und wegen geistiger oder körperlicher Schäden nur eine geringe Chance haben, Adoptiveltern zu finden 61. Ferner bietet das Mittel der Adoption keine Hilfe für die Eltern oder die Mütter und schützt nicht ihre übrigen Kinder vor Gewaltanwendung. Sie dient auch nicht der Bewahrung und dem Schutz, sondern führt zur Zerstörung der Familie. Daher stellt sie gegenüber strafrechtlichen Maßnahmen weder in ihren rechtlichen noch in ihren tatsächlichen Auswirkungen ein milderes Mittel dar. Sie kommt vielmehr erst dann in Betracht, wenn strafrechtliche Maßnahmen gescheitert sind oder ihr Scheitern mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. 60 61
Erman/Holzhauer § 1748 Rdn. 9. Freeman 1979, 65.
2. Möglichkeiten außerstrafrechtlichen staatlichen Schutzes cc) Ambulante
Maßnahmen:
Ermahnungen,
143
Gebote,
Verbote und Auflagen nach § 1666 BGB
§ 1666 BGB sieht im Falle des Sorgerechtsmißbrauchs auch Möglichkeiten vor, ambulante Maßnahmen zu ergreifen, die für Eltern und Kind geringere Eingriffe als die Fremdunterbringung des Kindes bedeuten. § 1666 a I BGB ordnet sogar die Subsidiarität der Trennung des Kindes von der Familie gegenüber ambulanten Maßnahmen an. Das Gesetz ermöglicht auf diese Weise flexible Reaktionen, die den Bedürfnissen des Einzelfalls angemessen sind. Dennoch ist die Fremdunterbringung des Kindes eine Standardmaßnahme in Fällen der Kindesmißhandlung, soweit sich das Vormundschaftsgericht überhaupt zu einem Einschreiten entschließt 62 . Grund hierfür ist, daß den Gerichten die Risiken einer Belassung des Kindes im elterlichen Haushalt zu groß erscheinen. Gebote, Verbote oder Auflagen können indessen durchaus erfolgversprechende Mittel zur Verhinderung von elterlicher Gewaltanwendung sein. Insbesondere das Instrument der Auflagen ermöglicht es, die im Einzelfall erfolgversprechenden individual- oder familientherapeutischen ambulanten Maßnahmen zu ergreifen. Zur Kontrolle der Einhaltung der Auflagen, zum Schutz des Kindes vor weiterer Gewaltanwendung, zur Unterstützung und Beratung der Eltern sowie zur Gewährung konkreter persönlicher Hilfen kann den Eltern ein Pfleger beigeordnet werden. Der Schutz des Kindes und die präventiven Wirkungen von Geboten, Verboten und Auflagen hängen fast ausschließlich von der inhaltlichen Gestaltung dieser Maßnahmen im Einzelfall ab. Allerdings fehlt es häufig an den sachlichen und personellen Voraussetzungen, um eine wirksame Therapie und Kontrolle zu gewährleisten. Vormundschaftsrichterliche Maßnahmen nach § 1666 BGB insbesondere in Form von Auflagen können demnach im Einzelfall durchaus geeignet sein, ein gefährdetes Kind vor elterlichen Gewalttätigkeiten zu schützen. Eine vorbeugende Breitenwirkung entfalten sie demgegenüber nicht. Diese kann allenfalls von den zivilrechtlichen Normen ausgehen, die die Pflichten von Eltern gegenüber ihren Kindern festlegen. Indessen regelt das Zivilrecht die Elternrechte und -pflichten, soweit sie die Erziehung des Kindes betreffen, nur in sehr allgemeiner Form (vgl. §§ 1626, 1631 BGB) und macht keine klaren Aussagen darüber, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Gewalt in der Erziehung zulässig ist 6 3 . Das Zivilrecht stellt in dieser Hinsicht also keine klaren Verhaltensmaßstäbe auf, an denen sich Eltern orientieren können. Darüber hinaus dringen zivilrechtliche Normen meist nicht so stark in das öffentliche und das Bewußtsein des einzelnen ein wie strafrechtliche Normen, da sie lediglich Pflichten der Bürger untereinander, nicht aber Mindesterwartungen des Staates an die Handlungen seiner Bürger enthalten. Zivilrechtliche Normen und
62 Simitis / Rosenkötter / Vogel / Boost-Muss / Frommann / Hopp / Koch / Zenz 175f.; Zenz 1979, 371 f. 63 § 1631 I I BGB verbietet lediglich entwürdigende Erziehungsmaßnahmen.
1979,
144
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
Reaktionen sind daher nicht ausreichend, um den bestehenden Sozialnormen entgegenzuwirken, die Gewalt in der Kindererziehung fördern. c) Vormundschaftsrichterliche Maßnahmen bei familiären Gewalttaten Jugendlicher
Wenn ein Jugendlicher seine Eltern oder Geschwister mißhandelt, so kommen außerhalb des Jugendstrafrechts gegen ihn Erziehungsmaßnahmen nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz in Betracht. Durch die Anordnung von Erziehungsbeistandschaft (§§ 55, 57 JWG), freiwilliger Erziehungshilfe (§ 62 JWG) oder Fürsorgeerziehung (§ 64 JWG) kann das Vormundschaftsgericht die Voraussetzungen für eine erzieherische Einflußnahme auf den Jugendlichen schaffen. Ein Erziehungsbeistand wird für einen Minderjährigen bestellt, dessen leibliche, geistige oder seelische Entwicklung gefährdet oder geschädigt ist. Gewalttaten des Jugendlichen gegen seine Familienangehörigen können als Zeichen einer Gefährdung oder Schädigung seiner Entwicklung gewertet werden. Erziehungsbeistandschaft kommt allerdings nur bei pädagogischer Erfolgsaussicht in Frage, wenn also zu erwarten ist, daß das Fehlverhalten des Jugendlichen von den Personensorgeberechtigten selbst unter Einschaltung eines Erziehungsbeistandes korrigiert werden kann 6 4 . Aufgabe des Erziehungsbeistandes ist es, den Personensorgeberechtigten bei der Erziehung zu unterstützen (§ 58 I JWG). Erziehungsbeistandschaft darf daher nur dann angeordnet werden, wenn die Eltern zur Zusammenarbeit mit dem Beistand bereit sind und nicht völlig versagen 65. Diese Voraussetzungen sind gerade bei Gewalttaten Jugendlicher innerhalb der Familie häufig nicht gegeben. Insbesondere versuchen die Eltern aus Scham über ihr Versagen oft eher, die Handlungen des Jugendlichen zu vertuschen und eine Einmischung von dritter Seite abzuwehren. In Fällen schwerwiegender familiärer Störungen, die sich in einer Umkehrung der Generationshierarchie ausdrücken 66 , ist die Anordnung von Erziehungsbeistandschaft regelmäßig nicht ausreichend. Ein Erziehungsbeistand kann selbst bei hinreichender persönlicher und fachlicher Befähigung sowie guten äußeren Bedingungen meist nicht mehr leisten als eine gewisse Kontrolle und Beratung der Eltern und des Jugendlichen. Therapeutische Einflüsse sind von ihm nicht zu erwarten. Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung kommen in Betracht, wenn die Verhängung von Erziehungsbeistandschaft nicht ausreicht, um Gefahrdungen oder Schädigungen der Entwicklung des Jugendlichen zu korrigieren. Beide können nur für Minderjährige unter 17 Jahren angeordnet werden. Die Gewährung freiwilliger Erziehungshilfe setzt einen Antrag (§ 63 JWG) und die Kooperationsbereitschaft der Personensorgeberechtigten voraus. Die Anord64 65 66
Potrykus § 55 Anm. 5b. Potrykus § 55 Anm. 5b. Vgl. oben Β I I 1 b) dd) (1) (b).
2. Möglichkeiten außerstrafrechtlichen staatlichen Schutzes
145
nung von Fürsorgeerziehung ist demgegenüber subsidiär. Sie vollzieht sich ohne den Willen der Personensorgeberechtigten. Nach § 64 JWG ordnet das Vormundschaftsgericht für einen Minderjährigen unter 17 Jahren Fürsorgeerziehung an, wenn er zu verwahrlosen droht oder verwahrlost ist und andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen. Die Anordnung von freiwilliger Erziehungshilfe oder Fürsorgeerziehung führt zur Unterbringung des Jugendlichen im Heim oder in einer Familie (§ 71 JWG). Pflegefamilien für Fürsorgezöglinge zu finden, ist außerordentlich schwierig. Die pädagogische Wirksamkeit einer Heimunterbringung muß bezweifelt werden. Im Heim kann der Jugendliche gerade nicht lernen, Konflikte mit Eltern oder Geschwistern zu vermeiden oder konstruktiv zu lösen. Der gewalttätige Jugendliche leidet häufig unter der Zurückweisung durch seine Eltern. Seine Trennung von den Eltern und seine Unterbringung in einem Heim deutet er als erneute Zeichen dieser Ablehnung. Selbstunsicherheit und ein mangelhaftes Selbstwertgefühl des Jugendlichen, die zu den Verursachungsbedingungen von Gewalt gegen Eltern oder Geschwister gehören, können durch eine Heimerziehung in aller Regel nicht ausgeglichen werden. Als Reaktion auf familiäre Gewalttaten Jugendlicher ist Heimerziehung auch deshalb ungeeignet, da sie nur den Jugendlichen, nicht aber seine Eltern und Geschwister zu beeinflussen sucht. Insbesondere das Verhalten der Eltern spielt bei der Verursachung gewaltsamer Angriffe Jugendlicher gegen Familienmitglieder eine entscheidende Rolle. Pathologische Familienstrukturen und -prozesse können durch die Heimeinweisung des Jugendlichen nicht verändert werden. d) Öffentliche Hilfen zur Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung
Bei der Vorbeugung gegenüber familiärer Gewaltanwendung kommt öffentlichen Hilfen eine wesentliche Bedeutung zu. Sie können zur Minderung äußerer Druckphänomene beitragen, die häusliche Gewaltanwendung begünstigen können. Arbeitslosigkeit oder geringes Einkommen der Familie, beengte, qualitativ unzureichende Wohnverhältnisse, der Mangel an Kinderkrippen, Kindergärten und Spielmöglichkeiten außerhalb des Hauses, Überlastung der Mutter bei der Pflege mehrerer Kinder, die vielfach angespannte materielle und soziale Lage unverheirateter Mütter oder alleinerziehender Elternteile werden für das Auftreten gewaltsamer Konflikte innerhalb der Familie verantwortlich gemacht 67 . Hier ist der Staat aufgerufen, durch allgemeine familien-, sozial- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen die Lage der Familien insgesamt zu verbessern und Risikofamilien durch gezielte materielle und personelle Hilfen zu unterstützen. Diese theoretisch vorhandenen Hilfsmöglichkeiten werden freilich durch die konkret verfügbaren wirtschaftlichen Mittel des Staates begrenzt. Darüber hinaus sind sie zur Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung auch nicht ausreichend. Wollte man das Phänomen gewaltsamer Familienkonflikte 67
Vgl. oben Β I I 1 a) cc).
10 U. Schneider
146
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
nur oder in der Hauptsache auf Arbeitslosigkeit, beengte Wohnverhältnisse oder andere ungünstige äußere Lebensbedingungen der Familie zurückführen, so würde man einem naiven Ursache-Wirkungsdenken folgen. Hier sind vielmehr komplexe soziale und individuelle Verursachungsprozesse im Spiel, die durch eine Verbesserung der materiellen und sozialen Lage der Familie alleine nur selten unterbrochen werden können. Erfolgversprechender sind gezielte individual- und familientherapeutische Angebote des Staates. Zur Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung in Form von Kindesmißhandlung ist ζ. B. der Aufbau von Eltern-Kind-Behandlungszentren denkbar, wie sie schon teilweise in den USA und Großbritannien bestehen68. Ein weiteres Beispiel gezielter öffentlicher Hilfen des Staates bei Kindesmißhandlung stellt die Einrichtung des Vertrauensarztes dar, die 1972 in den Niederlanden geschaffen wurde 69 . Vom Staat ernannt, arbeitet er unabhängig von anderen staatlichen Instanzen. Er wirkt selbst nicht an therapeutischen Maßnahmen mit, berät aber die Betroffenen hinsichtlich der verfügbaren Therapieangebote, sammelt Informationen über Ursachen und Erscheinungsformen der Kindesmißhandlung und schlägt Vorbeugungs- und Behandlungsmaßnahmen vor. Er stellt also mehr eine zentrale Informationssammel- und -verarbeitungssteile dar, die die Tätigkeit der verschiedenen sozialen Dienste zum Wohle der Betroffenen koordiniert und dem Staat Hilfen bei der sozial- und kriminalpolitischen Entscheidungsfindung liefert. Die Möglichkeiten öffentlicher Therapieangebote sind vielfaltig. Unabhängig von ihren tatsächlichen Erfolgschancen sind sie dennoch zur Kontrolle familiärer Gewaltanwendung nicht ausreichend. Dies liegt daran, daß es sich auch hier ebenso wie bei den organisierten privaten Hilfen nur um Angebote handelt, die die einzelnen Familien annehmen können oder nicht. Der wesentlichste systemimmanente Mangel einer ausschließlich außerstrafrechtlichen Reaktion auf der Grundlage der Gewährung staatlicher Hilfen ist indessen wiederum das Fehlen
eines Unterbaus
verbindlicher
normativer
Verhaltensregeln,
die den
gewaltfördernden sozialen Normen entgegengestellt werden können. Die Voraussetzungen für öffentliche Hilfsmaßnahmen enthalten keine verhaltensleitenden Normen. Das Vorhandensein klarer verbindlicher Maßstäbe, nach denen der einzelne seine Handlungsweisen ausrichten kann, ist Grundlage der Vorbeugung, wenn es auch alleine zur Verhinderung von Fehlverhalten nicht ausreicht. Auch die Bereitstellung staatlicher Hilfen vermag daher nicht, ein Eingreifen des Strafrechts zu ersetzen.
68 69
Castle 1976, 123; Bean 1971. H.J. Schneider 1979a, 99 f.; Maywald 1979.
2. Möglichkeiten außerstrafrechtlichen staatlichen Schutzes
147
e) Die Vorteile eines strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Schutzes vor familiärer Gewaltanwendung gegenüber einem außerstrafrechtlichen staatlichen Schutz
Strafrechtliche und strafverfahrensrechtliche Regelungen und Maßnahmen haben, soweit es um die Kontrolle familiärer Gewaltanwendung geht, zwei entscheidende Effektivitätsvorteile gegenüber anderen staatlichen Schutzmitteln: — Zum einen hat die Gewährung strafrechtlichen Schutzes für ein Rechtsgut bedeutende symbolische Funktionen. Sie veranschaulicht, daß der Staat unter keinen Umständen bereit ist, die mit Strafe bedrohte Rechtsgutsverletzung hinzunehmen, sondern daß er sie mit den strengsten, ihm zu Gebote stehenden Mitteln ahndet. Strafrechtliche Normen und Reaktionen versprechen daher stärkere wertbildende Wirkungen auf das gesellschaftliche und individuelle Bewußtsein als andere staatliche Maßnahmen. Das Strafrecht setzt durch seine Gebote und Verbote klare normative Verhaltensmaßstäbe, an denen sich die Allgemeinheit und der einzelne orientieren können und sollen. Strafrechtliche Eingriffe sind Antworten auf Verstöße gegen Verhaltensnormen. Demgegenüber sind staatliche Hilfsmaßnahmen Reaktionen auf das Auftreten bestimmter Bedürfnisse, an deren Befriedigung ein gesamtgesellschaftliches Interesse besteht. Die Ehescheidung ist lediglich Folge der Zerrüttung der Ehe, und vormundschaftsrichterliche Schritte sind Reaktionen auf die Gefahrdung eines Kindes oder Jugendlichen, die durch ein Versagen der Eltern bedingt ist. Die Wertbildung durch das Strafrecht ist erforderlich, um die bestehenden gewaltbilligenden Sozialnormen durch ein angemessenes Gegengewicht aufzuwiegen. Darüber hinaus kann die Furcht vor drohenden strafverfahrensrechtlichen Schritten und strafrechtlichen Sanktionen ein wesentliches Motiv für die gewaltgefährdete Familie sein, an staatlichen oder privaten Schutzmaßnahmen mitzuwirken. — Zum anderen steht dem Strafrecht und dem Strafverfahrensrecht mit Staatsanwaltschaft, Polizei und Ermittlungsrichter ein besonders wirksamer Kontrollapparat zur Verfügung. Ähnliche Kontrollmöglichkeiten bestehen weder im Zusammenhang mit der Gewährung staatlicher Hilfen, noch sind sie mit dem Ehescheidungsverfahren verbunden. Die Vormundschaftsgerichte arbeiten zwar mit den Jugendwohlfahrtsbehörden zusammen, die Kontroll- und Ermittlungsaufgaben übernehmen. Ihre Wirkungsmöglichkeiten sind indessen im allgemeinen geringer als diejenigen der Strafverfolgungsbehörden, weil die strafrechtlichen Kontrollorgane durch das Strafprozeßrecht mit umfassenderen Eingriffsbefugnissen im Zuge der Ermittlungen ausgestattet sind. Da sich Gewalt in der Familie „hinter geschlossenen Türen" 7 0 und ohne Zeugen ereignet, ist ihre informelle und formelle soziale Kontrolle wesentlich erschwert. Deshalb muß zumindest die Möglichkeit 70
10*
Vgl. den Titel des Buches von Straus, Gelles und Steinmetz 1980.
148
Β III. Die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
einer zwangsweisen, durchgreifenden Kontrolle bestehen, auch wenn von diesen Mitteln nur ein besonders vorsichtiger Gebrauch gemacht werden sollte, um die Familie nicht weiter zu belasten und zu schädigen. f) Zusammenfassung: Die Unzulänglichkeit außerstrafrechtlicher staatlicher Maßnahmen und die Erforderlichkeit eines Eingreifens des Strafrechts
Weder im Bereich des bürgerlichen Rechts noch im Bereich der öffentlichen Hilfen sind Möglichkeiten für Maßnahmen vorhanden, die alleine zur Bekämpfung der familiären Gewaltanwendung oder einer ihrer Ausprägungsformen ausreichen. In Einzelfallen können die aufgezeigten außerstrafrechtlichen Mittel durchaus sinnvoll sein. Insgesamt vermögen sie indessen keinen hinreichenden Rechtsgüterschutz zu gewährleisten. Die vielfach für besonders wirksam gehaltenen Maßnahmen zur Trennung von Risikofamilien durch Scheidung gewalttätiger Ehepartner, Fremdunterbringung mißhandelter Kinder und Heimerziehung gewalttätiger Jugendlicher lassen die persönlichen und sozialen Bedingungen unangetastet, die dem Gewaltproblem zugrundeliegen. Indem sie die Familie zerstören, sind sie überdies keine konstruktiven Mittel zum Schutz des Opfers und der Familie. Öffentliche Hilfen mildern nur die Einflüsse einzelner Verursachungsfaktoren, wie ζ. B. einer angespannten wirtschaftlichen Lage der Familie. Den Behörden und Gerichten, die außerhalb des Strafrechts tätig werden, fehlen die Eingriffsbefugnisse und der Kontrollapparat der Strafverfolgungsbehörden. Sie sind daher weitgehend darauf angewiesen, von Risikofamilien freiwillig in Anspruch genommen zu werden. Schließlich bauen zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Präventivmaßnahmen anders als strafrechtliche Reaktionen nicht auf einem Fundament verbindlicher Verhaltensnormen auf. Ein solches Normengerüst ist aber notwendig, um die gewaltbilligenden sozialen Normen zu entkräften, die im Prozeß der Verursachung familiärer Gewaltanwendung eine wesentliche Rolle spielen 71 . Aus diesen Gründen ist ein Eingreifen des Strafrechts erforderlich. U m einen effektiven Rechtsgüterschutz auf der Basis des geringsten nötigen Eingriffs zu erreichen, sollten freilich wirksame außerstrafrechtliche Schutzmöglichkeiten genutzt werden.
71
Vgl. oben Β I I 2 a) bb).
Teil C
Probleme eines strafrechtlichen Eingreifens gegenüber familiärer Gewaltanwendung Die Forderung nach einem strafrechtlichen Eingreifen gegenüber familiärer Gewaltanwendung wurde bislang ohne Berücksichtigung der Probleme erhoben, die eine Anwendung des Strafrechts in diesem Bereich aufwirft. Die Erforderlichkeit strafrechtlicher Maßnahmen ist bejaht worden, ohne daß zuvor geklärt wurde, inwieweit das Strafrecht in der Lage ist, sinn- und wirkungsvolle Beiträge zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie zu leisten. Die Eignung „des Strafrechts" zur Verhinderung familiärer Gewaltanwendung kann nicht global beurteilt werden, da es auf verschiedenen Ebenen über Normsetzung, Normanwendung sowie Verhängung und Vollzug von Sanktionen auf sozialschädliches Verhalten einwirkt. Seine Gestaltungs- und Reaktionsmöglichkeiten sind innerhalb des verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens flexibel. Es muß seine konkreten Zielsetzungen und Mittel den zu bewältigenden Problemen anpassen. Dies ist nur möglich, wenn die Hindernisse und die Widerstände, die sich strafrechtlichen Maßnahmen entgegenstellen, ausreichend bekannt sind. Damit Vorstellungen entwickelt werden können, in welcher Weise das Strafrecht bei Gewalt in der Familie sinnvoll eingesetzt werden kann, müssen zuvor die Schwierigkeiten geklärt werden, auf die seine Anwendung in diesem Gebiet stößt und die die Wirksamkeit strafrechtlicher Maßnahmen beeinträchtigen. Effektivitätsprobleme können dabei immer nur im Rahmen von und im Hinblick auf bestimmte Aufgabenstellungen untersucht werden. Die Analyse dieser Hemmnisse setzt daher eine Darstellung der Aufgaben des Strafrechts im Bereich der familiären Gewaltanwendung voraus.
I . Die präventiven Aufgaben des Strafrechts 1. Die strafrechtlichen Präventionskonzepte Ein strafrechtliches Eingreifen gegenüber Gewalt in der Familie muß ihrer Vorbeugung ( = Prävention) dienen. Die Prävention familiärer Gewaltanwendung umfaßt jede Tätigkeit eines einzelnen, einer Gruppe, Organisation oder Institution im privaten oder öffentlichen Bereich, die den Zweck hat, die Häufigkeit oder die Schwere von Gewalt in der Familie zu verringern, und die eine theoretisch oder empirisch begründbare Aussicht hat, diesen Zweck auch zu erreichen. Diese Begriffsbestimmung schließt sich an die allgemeine Definition
150
C I.
e präventiven
a e des Strafrechts
des Begriffs der Kriminalprävention an 1 . Sie macht deutlich, daß Vorbeugung weit über den Wirkungskreis strafrechtlicher Maßnahmen hinausgeht. Strafrechtliche Prävention ist nur ein eng umgrenzter Teilbereich innerhalb der Gesamtmenge präventiver Möglichkeiten. Im Bereich der Verbrechensvorbeugung kommen dem Strafrecht generalpräventive und spezialpräventive Funktionen zu 2 . Generalprävention bedeutet Verhütung sozialschädlichen Verhaltens durch Einwirkung auf die Allgemeinheit, während sich spezialpräventive Maßnahmen an den Täter richten, um eine Wiederholung der Tat zu unterbinden 3 . Die Generalprävention umfaßt eine negative und eine positive Komponente 4 . Häufig wird einseitig der negative (direkte) Bestandteil der Generalprävention, die Abschreckung der Allgemeinheit von der Begehung als kriminell definierter Taten, betont. Abschreckung äußert sich in der Unterlassung einer Handlung als Reaktion auf ihr wahrgenommenes Risiko oder aus Furcht vor Strafe 5. Sie ist nur ein Aspekt der Generalprävention. Würden Straftaten nicht mehr geahndet, so wären mehr Menschen bereit, kriminelle Handlungen zu begehen. Dies ist dort zu beobachten, wo der strafrechtliche Kontrollapparat örtlich oder zeitlich zusammenbricht 6 . Aber selbst wenn eine Bestrafung nicht zu erwarten und damit eine Abschreckung nicht mehr gewährleistet ist, begeht ein großer, wenn nicht der überwiegende Anteil der Bevölkerung keine Straftaten. Dieses Phänomen wäre nicht zu erklären, wenn die Generalprävention nur aufgrund ihres Abschreckungselements funktionieren würde. Die Androhung von Strafe hat vielmehr neben einer möglichen Abschreckung noch zwei weitere positive (indirekte) generalpräventive Wirkungen: Sie kann zu einer Stärkung der moralischen Hemmungen gegenüber dem mit Strafe bedrohten Verhalten führen, u n d sie k a n n die Habitualisierung
rechtstreuen
Verhaltens fördern 7 .
Strafrechtliche Normen gehen in das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung ein 8 . Sie werden im Wege der Sozialisation vermittelt. So werden sie zu individuellen Verhaltensnormen, an die sich der einzelne auch ohne Straferwartung hält. Die Androhung von Strafe stellt ein soziales Unwerturteil über das mit Strafe bedrohte Verhalten dar. Sie symbolisiert der Allgemeinheit und dem Individuum, welches Verhalten nicht mehr sozial akzeptabel ist. Damit übt das Strafrecht
1
Vgl. dazu die Definitionen bei Hess /Brückner 1979, 406; Brantingham/Faust 1976, 284; Kaiser 1980, 322. 2 J. Baumann/Weber 1985, § 3 II. 3 Stratenwerth 1981, Rdn. 18ff.; Blei 1983a, § 100. 4 H.J. Schneider 1981, 711 spricht von den direkten und indirekten Wirkungen des Strafrechts. 5 Gibbs 1975, 2. 6 Vgl. das Beispiel von Andenaes 1974, 16 f. 7 Andenaes 1974, 8; ähnlich auch Sieverts 1977, 7ff.und H. J. Schneider 1987, 367ff. 8 H.J. Schneider 1981, 711; Scheerer 1979, 397.
1. Die strafrechtlichen Präventionskonzepte
151
eine wertbildende, sozialpädagogische Funktion aus 9 . Strafdrohungen können darüber hinaus einen Habitualisierungseffekt, das heißt eine gewohnheitsbildende Wirkung, haben. Der einzelne mag zunächst nur durch die Furcht vor Strafe von einer rechtswidrigen Handlung abgehalten und zu rechtstreuem Verhalten veranlaßt worden sein. Die dauernde Übung gesetzestreuen Verhaltens leitet einen psychologischen Gewöhnungsprozeß ein: Das Individuum verhält sich nicht mehr aus Angst vor Strafe rechtstreu, sondern weil es sich an rechtmäßige Verhaltensweisen gewöhnt hat 1 0 . Die Wertbildungsund die Habitualisierungsfunktion des Strafrechts sind für den Gesetzgeber ungleich bedeutsamer als sein Abschreckungseffekt. Abschreckung setzt die Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer glaubhaften Strafdrohung voraus, während die positiven Funktionen der Generalprävention in ihrem Fortbestehen hiervon in stärkerem Umfang unabhängig sind 11 . Wenn sie die strafrechtlichen Normen anerkannt und als verbindliche Verhaltensmaßstäbe internalisiert und habitualisiert haben, begehen Menschen auch dann keine kriminellen Taten, wenn aufgrund räumlichen oder zeitlichen Versagens des strafrechtlichen Kontrollapparates keine Strafe zu erwarten ist. Die Erzielung dieser positiven sozialpädagogischen Wirkung muß daher im Mittelpunkt der generalpräventiven Funktion des Strafrechts stehen. Die Abschreckung tritt nur als schwächeres Mittel hinzu, wenn das Strafrecht seine sozialpädagogische Zielsetzung verfehlt. Generalprävention gegenüber Gewalt in der Familie bedeutet daher in erster Linie erzieherisches, wert- und normbildendes Einwirken auf die Gesellschaft, die Familie und den einzelnen. Ziel ist es, ein allgemeines Bewußtsein für die Unverletzlichkeit der körperlichen Integrität der eigenen Familienmitglieder zu schaffen. Abschreckung ist eine ethisch minder wertvolle Form der generellen Vorbeugung gegenüber familiärer Gewaltanwendung. Sie ist gleichwohl nützlich und legitim, sofern sie dazu dient, die körperliche Unversehrtheit des einzelnen auch innerhalb seiner Familie zu schützen. Spezialprävention setzt eine kriminalitätsverhindernde Einwirkung auf den Täter voraus. Die spezialpräventive Einwirkung kann dabei in verschiedene Richtungen gehen. Nach der von v. Liszt 12 entwickelten Zwecktheorie kann Spezialprävention zum einen in einer durch Ausübung mittelbaren psychologischen Zwangs hervorgerufenen künstlichen Anpassung des Täters an die Gesellschaft liegen. Eine solche Anpassung kann positiv durch eine Besserung des Täters oder negativ durch seine Abschreckung von weiteren Straftaten erreicht werden. Zum anderen besteht Spezialprävention auch in der Unschädlichmachung des Täters unter Anwendung unmittelbaren mechanischen Zwanges. Der Zweck der Besserung richtet sich dabei an den besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Täter, die Abschreckung an den nichtbesserungsbedürf9
Zimring/ Hawkins 1973, 78. Zimring 1973, 5. 11 Andenaes 1974, 8 f. 12 1883, Nachdruck 1948. 10
152
C I.
e präventiven
a e des Strafrechts
tigen und die Unschädlichmachung an den nichtbesserungsfahigen Täter 13 . Heute tritt der Strafzweck der Sicherung an die Stelle der Unschädlichmachung. Die Persönlichkeit des Täters und die Schwere der Tat entscheiden darüber, welcher der drei spezialpräventiven Zwecke in den Mittelpunkt der Strafzumessungsentscheidung rückt. Strafrechtliche Spezialprävention familiärer Gewaltanwendung kann immer erst Platz greifen, wenn es bereits zu gewaltsamen Angriffen gekommen ist. Sie wendet sich ausschließlich an den Angreifer selbst. Nach ihrer allgemeinen Konzeption beabsichtigt die spezielle Vorbeugung den Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten. Diese Zielvorgabe ist für spezialpräventive Maßnahmen gegenüber familiärer Gewaltanwendung zu weit und zu abstrakt. Das Risiko der Tatwiederholung gefährdet hier nicht in erster Linie „die Gesellschaft", sondern belastet bestimmte oder bestimmbare Opfer. Spezialprävention durch Abschreckung, Besserung oder Sicherung des Täters muß daher im Bereich der Gewalt in der Familie vorrangig dem Schutz der konkret durch eine Wiederholung des Angriffs gefährdeten Familienmitglieder dienen. 2. Die Zuordnung der Präventionsfunktionen zu den unterschiedlichen Stufen strafrechtlichen Wirkens Die Tätigkeit des Strafrechts vollzieht sich auf drei aneinander anschließenden und aufeinander aufbauenden Stufen. Will das Strafrecht familiärer Gewaltanwendung wirkungsvoll vorbeugen, so muß es auf allen Einflußebenen Maßnahmen ergreifen, die der besonderen Problematik des jeweils angesprochenen Aufgabenbereichs Rechnung tragen. Die unterste Ebene strafrechtlichen Einwirkens ist diejenige der Normsetzung. Strafrechtsnormen sind mit der Androhung von Strafen und Maßregeln für den Fall ihrer Verletzung verbunden. Nach dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz „nulla poena sine lege" (Art. 103 I I GG) ist das Bestehen einer strafrechtlichen Verhaltensnorm, gegen die ein Täter verstoßen hat, Voraussetzung seiner Bestrafung. Grundlage des strafrechtlichen Eingreifens gegenüber familiärer Gewaltanwendung ist also deren Erfassung durch die materiellen Verhaltensnormen des Strafrechts. D i e Auswahl und Verhängung von Sanktionen
gegenüber normwidrigem Verhalten ist die zweite, auf der Normsetzung aufbauende Stufe strafrechtlichen Wirkens. Sie ist Ergebnis eines Prozesses der Entscheidungsfindung, der als Strafverfahren rechtlich formalisiert ist. Die Verwirklichung
der verhängten Strafe oder Maßregel
bildet die abschließende
Stufe strafrechtlichen Eingreifens. Das Strafrecht erfüllt auf den drei Ebenen seines Wirkens unterschiedliche präventive Aufgaben 14 . Dies gilt auch für die Vorbeugung gegenüber familiärer Gewaltanwendung. Auf der Stufe der Setzung und Ausgestaltung strafrechtli13 14
v. Liszt (1883) Nachdruck 1948, 29 ff. Stufentheorie: Roxin 1973, 12ff; Müller-Dietz 1979, 30ff.; J. Baumann 1979a, 29.
2. Prävention und Stufen strafrechtlichen Wirkens
153
eher Normen überwiegt der generalpräventive Zweck. Durch die Schaffung allgemeinverbindlicher Handlungsmaßstäbe erstrebt das Strafrecht eine gesellschaftliche Breitenwirkung, die es durch ein Vorgehen gegen den einzelnen Normverletzer niemals erzielen kann. Es versucht, sozialschädlichem Verhalten zuvorzukommen. Die konkrete Strafverhängung dient demgegenüber der reaktiven Rechtsbewährung. Der Bevölkerung soll deutlich gemacht werden, daß das Strafrecht seine Verbote ernst meint. Die Normen des Strafrechts würden ihre generalpräventiven Ziele verfehlen, wenn sie nicht durchgesetzt und ihre Strafdrohungen bei Gesetzesverstößen nicht verwirklicht würden. Auch die „Rechtsbewährung" durch Strafverhängung steht daher im Dienste der Generalprävention (vgl. §§ 47 I, 56 III, 59 I Nr. 3). Das StGB erlaubt die Verfolgung generalpräventiver Zwecke bei der Strafzumessung allerdings nur in einem engen Rahmen. Es läßt generell nicht zu, daß an dem einzelnen Täter zur Abschreckung der Allgemeinheit ein „Exempel statuiert" wird. Statt dessen stehen nach § 46 I S. 2 spezialpräventive Aspekte im Zentrum der Strafzumessungsentscheidung. Das Gesetz verlangt, daß die Wirkungen der Strafe auf das künftige Leben des Täters bei ihrer Auswahl und Bemessung berücksichtigt werden. Den Rahmen für die Verfolgung präventiver Zwecke bildet nach § 46 I S. 1 die Schuld des Täters. Nur innerhalb des Spielraums der schuldangemessenen Strafe dürfen präventive Gesichtspunkte bei der Strafzumessung beachtet werden 15 . A m bedeutsamsten sind die Einflüsse spezialpräventiver Aspekte auf der dritten Stufe, nämlich im Strafvollzug. Generalpräventive Gesichtspunkte bleiben beim Vollzug der Freiheitsstrafe völlig ausgeklammert. Der Strafvollzug darf daher nicht unnötig hart gestaltet werden, um die Allgemeinheit abzuschrecken. Bei der Strafzumessung sind alle drei Aspekte der Spezialprävention, nämlich individuelle Abschreckung, Besserung und Sicherung des Täters, beachtlich. Demgegenüber soll im Zentrum des Strafvollzugs nach dem Willen des Gesetzgebers die Resozialisierung des Gefangenen stehen (§ 2 S. 1 StVollzG). Sie ist Ziel des Strafvollzugs. Daneben wird auch die Sicherung der Öffentlichkeit vor Straftaten des Gefangenen während der Zeit seiner Inhaftierung als Aufgabe des Strafvollzugs anerkannt (§ 2 S. 2 StVollzG) 16 . Den Zweck der individuellen Abschreckung des Täters läßt das Strafvollzugsgesetz demgegenüber bewußt unerwähnt, da es theoretisch umstritten und empirisch ungeklärt ist, inwieweit die Vollstreckung der Strafe eine abschreckende Wirkung auf den Täter ausübt 17 . Innerhalb des Jugendstrafrechts, das bei familiären Gewalttaten jugendlicher und heranwachsender Täter angewendet werden kann (§ 1 i. V.m. §§ 3,105 JGG), gelten die traditionellen spezialpräventiven Strafzwecke nur für die Verhängung und die Bemessung der Jugendstrafe, denn nur sie ist Strafe 15
Spielraumtheorie, vgl.: Roxin 1973; Hirsch L K § 46 Rdn. 12. Calliess / Müller-Dietz § 2 Rdn. 4; Schwind/Böhm § 2 Rdn. 16; Feest AK-StVollzG §2 Rdn. 16. 17 Feest AK-StVollzG § 2 Rdn. 17 ff. 16
154
C II. Probleme der präventiven Wirksamkeit des Strafrechts
im Rechtssinne18. Die Erziehungsmaßregeln (§§9ff. JGG) und Zuchtmittel (§§ 13 ff. JGG) des Jugendstrafrechts haben Erziehungsfunktionen und werden nicht als Strafen angesehen. Erziehung durch jugendstrafrechtliche Maßnahmen umfaßt die Sozialisation des Jugendlichen ebenso wie seine individualpräventive Abschreckung von weiteren Straftaten. Das Jugendstrafrecht verfolgt demnach ähnliche spezialpräventive Reaktionszwecke wie das Erwachsenenstrafrecht, läßt allerdings die Sicherung des Täters aus seinen Zielen ausgeklammert. Während also generalpräventive Aspekte für die Entscheidung der Frage maßgebend sind, ob ein bestimmtes Verhalten unter Strafe gestellt werden soll, gewinnt die Spezialprävention bei der Auswahl und der Verhängung der angedrohten Sanktionen an Bedeutung und wird schließlich in Gestalt des Resozialisierungszwecks zum beherrschenden Ziel des Strafvollzugs. Es gilt zu untersuchen, welche Hindernisse sich dem Strafrecht bei der Erfüllung dieser differenzierten Präventionsaufgaben im Bereich der familiären Gewaltanwendung auf den verschiedenen Eingriffsebenen entgegenstellen.
II. Probleme der präventiven Wirksamkeit strafrechtlicher Normen und Rechtsfolgen 1. Probleme der generalpräventiven Wirksamkeit strafrechtlicher Normen und ihrer Anwendung im Bereich der Gewalt in der Familie a) Rechtsbruchfördernde soziale Normen und Gewohnheiten
Strafrechtlicher Schutz gegenüber familiärer Gewaltanwendung kann am wirksamsten durch positive Generalprävention, das heißt durch Erzielung einer allgemeinen Wertbildungs- und Gewöhnungswirkung, geleistet werden. Der Internalisierung strafrechtlich verbindlicher Normen und der Habitualisierung normgerechten Verhaltens können indessen bedeutende soziale Widerstände entgegenstehen. Einen solchen Widerstand bilden gesellschaftliche Normen, die strafrechtlichen Regelungen widersprechen. Gewaltausübung in der Familie wird durch soziale Normen gefördert, die ihr gegenüber keine hinreichend klare Haltung einnehmen1. Die Existenz gewaltbegünstigender sozialer Normen ist einerseits ein wesentlicher Grund für die Forderung nach einem Eingreifen des Strafrechts. Nur das Strafrecht vermag diesen informellen Normen ein verbindliches formelles Normengerüst entgegenzusetzen und hat so die Chance, sie zu entkräften. Andererseits können diese sozialen Normen die strafrechtlichen Regeln wirkungslos machen. Zwischen strafrechtlichen und gesellschaftlichen Normen besteht ein Wechselwirkungsverhältnis. Zwar wirkt das Recht auf die 18 1
Brunner § 17 Rdn. 1; Eisenberg § 17 Rdn. 36. Vgl. oben Β I I 2 a) bb).
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soziale Wertbildung ein. Umgekehrt üben soziale Normen aber auch bedeutende Einflüsse im Gesetzgebungs- und Gesetzanwendungsprozeß aus. Sie entscheiden wesentlich darüber, ob eine strafrechtliche Regelung von der Bevölkerung angenommen und von den Strafverfolgungsorganen angewendet wird. Wenn sich das Gesetz gegen ein sozial allgemein gebilligtes Verhalten richtet, stehen rechtliche und soziale Normen miteinander in Widerstreit. Die allgemein verbreitete Überzeugung, daß jedes rechtswidrige Verhalten unrichtig sei, wird durch das Gefühl einer höheren moralischen Rechtfertigung überspielt. Es besteht die Gefahr, daß sich auch die strafrechtlichen Kontrollorgane mehr nach den sozialen als nach den rechtlichen Normen richten und nicht gegen rechtswidriges Verhalten vorgehen. Die Wirkungen eines solchen Normenkonflikts lassen sich gegenwärtig klar bei der formellen Kontrolle von Gewalt unter Partnern erkennen. Obwohl Gewalt in der Partnerschaft zumindest in den Industrieländern gesetzlich ebenso verboten ist wie Gewalt unter Fremden, gewähren die Strafverfolgungsinstanzen mißhandelten Partnern nicht uneingeschränkt den vom Gesetz vorgesehenen Schutz2. Sie greifen oft nicht ein oder versuchen lediglich, den Täter zu beruhigen. Die Erzielung eines generalpräventiven Habitualisierungseffektes ist problematisch, wenn ihm eingefahrene soziale Gewohnheiten entgegenstehen. Hier muß das Gesetz nicht nur an rechts treues Verhalten gewöhnen. Es muß auch gesetzlich verpöntes Verhalten abgewöhnen. Mit den sozialen Normen, die Gewalt in der Familie in Grenzen billigen, korrespondieren soziale Gewohnheiten, die von den entsprechenden Normen getragen werden und ihrerseits durch ständige Übung der Verfestigung der Normen dienen. Die Ergebnisse zur Häufigkeit familiärer Gewaltanwendung und zur Einstellung der Bevölkerung ihr gegenüber lassen auf feststehende gesellschaftliche Gewohnheiten bei der Gewaltausübung gegenüber Familienmitgliedern schließen. Demnach wirken sowohl die gesellschaftlichen Gewohnheiten wie die gesellschaftlichen Normen den Bemühungen entgegen, den einzelnen vor familiärer Gewaltanwendung zu schützen. Ein effektiver Rechtsgüterschutz ist hier nur dann möglich, wenn es dem Strafrecht gelingt, sich gegenüber widerstreitenden sozialen Normen durchzusetzen und rechtsgutsgefährdende soziale Gewohnheiten zu löschen. b) Anwendung und Durchsetzung einer Strafrechtsnorm
Die wertbildenden Erfolge des Strafrechts hängen nicht alleine von dem Bestehen eindeutiger Strafrechtsnormen ab. Die Grenzen des gesellschaftlich und rechtlich erlaubten Verhaltens müssen immer wieder durch die Anwendung der bestehenden Normen auf den Einzelfall verdeutlicht werden („Grenzziehungshypothese" )3. Die äußeren Ränder des zulässigen Gemeinschaftsver2 3
Vgl. Strauss 1977/78, 455; Freeman 1978, 78 f. Vgl. H.J. Schneider 1982, 87f.
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haltens werden in der Interaktion zwischen Rechtsbrechern und Vertretern der Sozialkontrolle festgelegt und veranschaulicht. Auf der einen Seite stehen die Rechtsbrecher, die die Grenzen des rechtlich zugelassenen Handelns immer wieder überschreiten und damit auf die Probe stellen. Ihnen treten die Repräsentanten der informellen und formellen Sozialkontrolle gegenüber, die diese Grenzen verteidigen. Wenn Angriffe auf die Grenzen des rechtlich erlaubten Verhaltens nicht oder nicht konsequent genug abgewehrt werden, so verblassen die Grenzlinien im Bewußtsein der Öffentlichkeit, und die verletzte Strafrechtsnorm verliert an wertbildender Bedeutung. Ihre moralischen und pädagogischen Wirkungen werden untergraben. Duldsamkeit der Behörden vermittelt der Allgemeinheit den Eindruck, daß das verbotene Verhalten „so schlimm nicht" sein könne. Das Unwerturteil über eine Tat, das durch die Strafrechtsnorm symbolisiert ist, wird durch das aktuelle Verhalten der Kontrollinstanzen zurückgenommen. Die Abschreckungswirkung einer Strafrechtsnorm beruht ebenfalls wesentlich auf ihrer Anwendung und Durchsetzung durch die Strafverfolgungsbehörden. Die Sicherheit und Schnelligkeit, mit der eine Reaktion der Tat folgt, sind entscheidender als ihre Schwere 4. Die Adressaten einer Strafrechtsnorm werden sie nur dann ernst nehmen, wenn sie davon überzeugt sind, daß die Organe der Strafverfolgung willens und in der Lage sind, die Einhaltung der Norm zu kontrollieren 5 . Wird ein verbotenes Verhalten von den offiziellen Kontrollinstanzen augenscheinlich toleriert, so setzt sich bei der Allgemeinheit ein Gefühl der Immunität gegenüber der Norm und ihrer Anwendung durch. Bei der Entscheidung darüber, mit welchen Mitteln das Strafrecht familiäre Gewaltanwendung am wirksamsten verhindern kann, müssen daher die im moralischen und im tatsächlichen Bereich wurzelnden Mechanismen berücksichtigt werden, die die Fähigkeit und die Bereitschaft der offiziellen Kontrollinstanzen zu einer Durchsetzung der Strafrechtsvorschriften beeinflussen. Über die allgemeine Bereitschaft der Organe der Strafverfolgung, gegenüber familiärer Gewaltausübung einzuschreiten, lassen sich nur hypothetische Aussagen machen, da gegenwärtig ein beachtlicher Anteil aller Gewalttaten innerhalb der Familie aus materiell- oder verfahrensrechtlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt ihrer Kontrolle unterliegt 6 . Diese Aussagen können jedoch auf Beobachtungen über die tatsächlichen Möglichkeiten und die Bereitschaft der Strafverfolgungsinstanzen zum Einschreiten gegenüber den auch gegenwärtig verfolgbaren Fällen familiärer Gewaltausübung und auf ausländische Erfahrungen gestützt werden. Die Möglichkeiten der offiziellen Kontrollinstanzen, Fälle familiärer Gewaltanwendung zu verfolgen, hängen direkt von einer Mitwirkung des Opfers und 4
Gibbs 1975, 6f.; Andenaes 1974,49ff.; H.J. Schneider 1979b, 86 und 1981, 718; vgl. hierzu auch die Forschungsergebnisse von Waldo und Chiricos 1975. 5 Zimring/Hawkins 1973, 158ff., 160ff.; Zimring 1973, 65ff. 6 Vgl. oben A IV 1 b) bb) und 2.
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der inoffiziellen Kontrollinstanzen, insbesondere des sozialen Nahraums von Täter und Opfer und der Ärzte, ab. Die Strafverfolgungsbehörden sind in der Regel, d.h. wenn sie nicht ausschließlich aufgrund eigener Beobachtungen tätig werden, nur das letzte Glied in einer Kontrollkette. aa) Die mangelnde Unterstützung das Opfer und durch (mögliche)
der Strafverfolgung
Zeugen familiärer
durch
Gewaltanwendung
Ein wesentlicher Faktor, der die strafrechtliche Kontrolle tatsächlich ermöglicht oder verhindert, ist das Opfer selbst7. Durch seine Anzeige oder Nichtanzeige der Straftat nimmt es gegenüber dem Strafjustizsystem eine Filterfunktion wahr. Es stellt einen Selektionsfaktor dar 8 , indem es mit darüber entscheidet, ob gegen den Täter eine Strafverfolgung eingeleitet wird oder nicht. Die Bedeutung des Opfers für die Strafverfolgung steigt dabei um so mehr, je geringer die soziale Sichtbarkeit der zu kontrollierenden Straftat ist. Da es sich bei familiärer Gewaltanwendung typischerweise um Taten mit äußerst geringer sozialer Sichtbarkeit handelt, hängt die Möglichkeit ihrer Strafverfolgung häufig ausschließlich von der Anzeige- und Mitwirkungsbereitschaft des Opfers ab. Bei gewaltsamen Handlungen in der Familie ist die Anzeigebereitschaft des Verletzten gering. Ist es bereits mit oder ohne seine Hilfe zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder eines gerichtlichen Strafverfahrens gekommen, so entzieht er häufig im Verlauf des Verfahrens seine Mitwirkung. Im Hauptverfahren macht er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und stellt so Gerichte und Staatsanwaltschaft vor unlösbare Beweisprobleme. Teilweise fehlt es dem Opfer freilich schon an der Fähigkeit, Strafverfolgungsmaßnahmen zu veranlassen und zu unterstützen. Dies ist dann der Fall, wenn es sich bei dem Opfer um ein Kleinkind handelt, wenn das Opfer körperlich oder geistig behindert ist oder wenn es vom Täter daran gehindert wird, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen. Aber auch wenn das Opfer physisch dazu in der Lage ist, die Strafverfolgung zu veranlassen und zu unterstützen, befindet es sich in der Regel in einer psychischen Zwangslage, die es von entsprechenden Schritten abhält. Wegen seiner Abhängigkeit vom Täter muß das Opfer mit Nachteilen rechnen, wenn es sich an die Strafverfolgungsorgane wendet 9 . Es besteht die Gefahr, daß die Gewalttätigkeit des Täters gesteigert wird. An einer Bestrafung des Täters ist dem Opfer häufig nichts gelegen. Die Verhängung einer Geldstrafe schmälert die wirtschaftliche Grundlage der Familie und betrifft so auch das Opfer 10 . Bei der Verbüßung einer Freiheitsstrafe kann der Täter seine Funktionen innerhalb der Familie nicht ausüben und nicht mehr durch Berufstätigkeit oder Sorge für den Haushalt zum Familienunterhalt beitragen. Auch wegen 7
Hindelang/Gottfredson 1976, 57. H.J. Schneider 1975, 31 ff. 9 Vgl. die Ergebnisse der Canadian Urban Victimization Study, Solicitor General Canada 1985, 5. 10 Meulders 1978, 154. 8
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seiner emotionalen Bindungen an den Täter ist das Opfer häufig nicht zu einer Mitwirkung bei der Strafverfolgung bereit. Die Anzeige- und Mitwirkungsbereitschaft des Opfers wird weiterhin von den sozialen Normen beeinflußt, die Gewalt im familiären Umgang billigen. Das Opfer empfindet teilweise seine eigene Schädigung nicht als Unrecht. Vielmehr gesteht es dem Täter eine moralische Berechtigung zu, körperliche Gewalt auszuüben. Viele mißhandelte Frauen suchen die Schuld für ihre Verletzung durch den Ehemann bei sich selbst, in eigenem Fehl verhalten 11 . Es besteht überdies ein soziales Gebot, familiäre Streitigkeiten nicht öffentlich auszutragen 12. Das Opfer ist deshalb bestrebt, nach außen den Eindruck zu erwecken, daß seine Familie die soziale Norm der Einigkeit und Zuneigung erfüllt. Es versucht, dieses Bild aktiv aufrechtzuerhalten oder wenigstens nicht dadurch zu zerstören, daß es mit seinen Leiden an die Öffentlichkeit tritt und Strafanzeige erhebt 13 . Schließlich wird die Anzeige- und Mitwirkungsbereitschaft des Opfers dadurch geschmälert, daß es sich von den formellen Kontrollinstanzen keinen wirksamen Schutz vor weiterer Gewaltanwendung verspricht 14 . Sich an Polizei oder Gerichte zu wenden, hält das Opfer für sinnlos. Teilweise beruht diese Erwartungshaltung auf entsprechenden negativen Vorerfahrungen des Opfers hinsichtlich der Bereitschaft der Kontrollinstanzen, gegenüber dem gewalttätigen Familienmitglied einzuschreiten. Dies ist bei der Frauenmißhandlung häufig der Fall 1 5 . Hier kommt es zu einem Wechselwirkungsprozeß, in dem sich die mangelnde Anzeige- und Kooperationsbereitschaft des Opfers und die mangelnde Verfolgungsbereitschaft der offiziellen Kontrollinstanzen gegenseitig negativ beeinflussen. Freunde, Nachbarn, Bekannte oder Berufskollegen des Opfers oder des Täters sind nur vereinzelt in der Lage und bereit, Strafanzeige zu stellen. Hierfür sind der Verlust der Familie an äußerer Kontrolle allgemein und die soziale Isolierung der Risikofamilie im besonderen bestimmend 16 . Da sich die Gewaltanwendung im Intimbereich der Familie abspielt, gibt es selten Zeugen, die in einem Strafverfahren sachdienliche Aussagen machen können. Nachbarn, Freunde und Verwandte wissen nichts von den durch die Familie selbst sorgsam verheimlichten Vorfällen und haben folglich auch keine Veranlassung, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Ihre Bereitschaft, bei entsprechender Kenntnis familiäre Gewaltanwendung anzuzeigen und bei einem Strafverfahren als Zeugen mitzuwirken, wird durch die sozialen Normen beschränkt, die den Einsatz von Gewalt unter Familienmitgliedern billigen und die Autonomie der Familie hervorheben 17 . Der Familie wird bei der Gestaltung ihres internen 11 12 13 14 15 16 17
Gelles 1972, 58. Freeman 1979, 158 f. Gelles 1979a, 108 für die Frauenmißhandlung. Freeman 1979, 158. Straus 1977/78, 455; Jensen 1977/78, 586; Walker 1979, 206 ff. Vgl. oben Β I I 2 b) cc) und I I I 1 c). Pizzey 1976, 31 ff.; Straus 1977/78, 452; Gottlieb 1980, 43.
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Lebens ein breiter Spielraum zugestanden, der von äußerer Kontrolle freigehalten wird. Das soziale Nichteinmischungsgebot gerät so in direkten Konflikt mit Versuchen des Strafrechts, familiäre Gewaltanwendung zu unterbinden. Die bei der Aufdeckung krasser Mißhandlungsfalle immer wieder beklagte und empört angeprangerte „Gleichgültigkeit" von Nachbarn und Bekannten der Familie beruht oft keineswegs auf Gefühllosigkeit. Vielmehr „verflüchtigt" sich zum einen die Verantwortung für ein Eingreifen, da sie sich auf zahlreiche Personen verteilt. Jeder Nachbar oder Bekannte meint, daß nicht er selbst tätig werden sollte, sondern andere Menschen, die bessere Beziehungen zu der betroffenen Familie unterhalten 18 . Zum anderen befinden sich Personen, die um die gewaltsamen Vorgänge wissen, häufig in einem durch widersprüchliche Normen hervorgerufenen Verhaltenskonflikt. Einerseits werden sie durch Rechtsnormen und soziale Normen, die Hilfe für den leidenden Mitmenschen gebieten, zum Handeln aufgerufen. Andererseits verbietet ihnen die normativ verankerte Eigenständigkeit der Familie eine Einmischung. Die Gesellschaft gibt ihnen keine klaren und eindeutigen Maßstäbe an die Hand, an denen sie ihr Handeln ausrichten können, verurteilt sie aber im nachhinein für fehlerhafte Verhaltensweisen. Nachbarn, Freunde, Verwandte, Bekannte und Berufskollegen sind darüber hinaus meist auf ein Minimum an gedeihlichem Zusammenleben mit dem Angreifer angewiesen und fürchten, es durch die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden zu zerstören. Es besteht eine moralische Verpflichtung zu nachbarschaftlicher und kollegialer Solidarität. Wird diese Verpflichtung durch Erstatten einer Strafanzeige gebrochen, ohne daß der geäußerte Verdacht bewiesen werden kann, so sieht sich der Anzeigeerstatter nicht selten der sozialen Ächtung ausgesetzt19. Er geht somit ein beträchtliches Risiko ein, wenn er sich an die Strafverfolgungsorgane wendet. Diesem Risiko stehen nur geringe Chancen gegenüber, eine tatsächliche Verbesserung der Lage des Opfers zu erreichen. In den seltensten, nur wirklich gravierenden Fällen ist mit einer schnellen und wirksamen Reaktion der Behörden zu rechnen. Darüber hinaus stehen die möglichen Reaktionen zumeist nicht im Interesse des Opfers. Der veranwortungsbewußte Nachbar, Freund, Verwandte oder Kollege kann sich also von einer Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden nur geringen Nutzen für das Opfer versprechen, muß für sich selbst aber erhebliche Nachteile fürchten. Unter diesen Gesichtspunkten ist es verständlich, daß seine Anzeigeund Aussagebereitschaft gering sind. Bei der formellen und informellen Kontrolle familiärer Gewaltausübung kommt dem behandelnden Arzt eine zentrale Stellung zu. Er ist häufig die erste und teilweise auch die einzige außenstehende Person, die mit dem Opfer familiärer Gewaltanwendung befaßt ist. Ihm stehen mehr Möglichkeiten als anderen informellen oder formellen Kontrollinstanzen zur Verfügung, verläß-
18 19
Gottlieb 1980, 43. Kohlhaas 1967, 959; Gebler/Deschamps 1978, 387.
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lieh zu diagnostizieren, ob eine Verletzung unfallbedingt ist oder nicht 2 0 . Der Arzt gehört damit zu den Personen, die unter rein tatsächlichen Gesichtspunkten am meisten zur strafrechtlichen Aufklärung familiärer Gewaltanwendung beitragen könnten. Gleichwohl werden die Ärzte meist bewußt von dem offiziellen Kontrollsystem entfernt gehalten. Sie unterliegen einer Schweigepflicht, die es ihnen verbietet, fremde Geheimnisse preiszugeben, die ihnen im Rahmen ihrer Berufsausübung bekannt geworden sind. In der Bundesrepublik ist diese Schweigepflicht sowohl im ärztlichen Berufsrecht (vgl. z. B. § 26 Nr. 1 HeilBerG NW) wie im Strafrecht (§ 203 I Nr. 1 StGB) verankert. Ihr entspricht im Bereich des Strafprozeßrechts ein in § 531 Nr. 3 StPO geregeltes Aussageverweigerungsrecht, das den Arzt von seiner Mitwirkung im Strafverfahren freistellt. Die Schweigepflicht und das Schweigerecht des Arztes sollen die Herstellung eines vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Arzt und Patient ermöglichen, ohne das eine funktionsfähige Gesundheitspflege nicht aufzubauen und aufrechtzuerhalten ist 2 1 . Nur um eine Strafverfolgung zu ermöglichen, darf der Arzt seine Schweigepflicht nicht brechen 22 . In Fällen familiärer Gewaltanwendung kann indessen der Bruch der ärztlichen Schweigepflicht gerechtfertigt sein, weil regelmäßig die Gefahr einer Wiederholung des Angriffs besteht 23 . Über den Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB hinaus gilt eine Offenbarung unter Bruch der ärztlichen Schweigepflicht als gerechtfertigt, wenn sie das Ergebnis einer richtigen Interessen- und Pflichtenabwägung ist 2 4 . Die Erstattung einer Strafanzeige in Fällen familiärer Gewaltanwendung und die Mitwirkung bei der Aufklärung der Tat durch den Arzt können nach diesem Prinzip gerechtfertigt sein, sofern sie dazu dienen, das Opfer vor weiteren körperlichen Angriffen zu schützen. Der Arzt darf dabei freilich nicht gegen den Willen des Opfers handeln, da er dem Patienten nicht eine Wahrnehmung seiner Interessen aufzwingen darf. Diese Einschränkung gilt nur dann nicht, wenn der Patient dem Handeln des Arztes keinen rechtlich relevanten Willen entgegensetzen kann, wie es insbesondere bei der Kindesmißhandlung der Fall ist. Hier trägt der Arzt alleine die Verantwortung für die Entscheidung darüber, den Behörden Meldung zu erstatten. Tut er dies, so stellt sein Handeln regelmäßig keinen rechtswidrigen Bruch der ärztlichen Schweigepflicht dar, da er zugunsten eines höherwertigen Interesses, nämlich des Schutzes des Kindes vor weiteren körperlichen Angriffen, handelt 25 . Dennoch ist die Bereitschaft der Ärzte zu einer Anzeige familiärer Gewaltanwendung und zu einer Mitwirkung bei der Aufklärung der Tat gering. Immer wieder werden Fälle von Kindesmißhand-
20
DeFrancis/Lucht 1974, 2. Lenckner S/S § 203 Rdn. 3. 22 Lenckner S/S § 203 Rdn. 32. 23 Vgl. oben Β I 4 a) bb). 24 Lenckner 1966, 182ff.; Mösl L K 9 § 300 a.F. Rdn. 14; Woesner 1957, 693f.; Bockelmann 1968, 40f.; Laufs 1978, 75. 25 Kohlhaas 1967, 959; Bockelmann 1968, 47 Anm. 41. 21
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lung bekannt, in denen die Kinder berc i ν mehrfach mit schweren auf Mißhandlung beruhenden Verletzungen ambulant oder stationär behandelt wurden, ohne daß von seiten der Ärzte die Behörden eingeschaltet wurden 26 . Aufgrund mangelhafter Ausbildung und Erfahrung erkennen Ärzte nicht immer, daß die von ihnen diagnostizierten Verletzungen auf Mißhandlungen zurückzuführen sind 27 . Die Eltern mißhandelter Kinder versuchen in aller Regel, die aufgetretenen Verletzungen als unfallbedingt darzustellen. Darüber hinaus bestehen bei Ärzten psychische Widerstände gegen die Erkenntnis, daß die Verletzungen eines kleinen Patienten von Mißhandlungen herrühren 28 . Sie greifen geradezu dankbar jede Möglichkeit einer natürlichen Erklärung der Verletzungen auf, um starke Gefühle der Feindschaft und des Widerwillens gegen die Eltern zu neutralisieren und einer Entscheidung darüber aus dem Weg zu gehen, wie das Opfer vor künftiger Gewaltanwendung geschützt werden kann. Ihr Verhalten wird durch ein Gefühl der Hilflosigkeit bestimmt. Hinzu kommt die Furcht vor rechtlichen und sozialen Sanktionen gegen den Arzt, der seine Schweigepflicht bricht, selbst wenn diese Furcht letztlich unbegründet sein mag. Auch der Arzt sieht sich widerstreitenden Verhaltensanforderungen ausgesetzt. Einerseits spürt er die Verpflichtung, seinen Patienten zu schützen, andererseits ist er selbst aufgrund mangelnder Ausbildung und fehlender Hilfsmittel hierzu nicht in der Lage, schreckt aber auch davor zurück, die Behörden einzuschalten. U m diesem Konflikt zu entgehen, leugnet der Arzt die Mißhandlung häufig vor sich selbst oder zieht sich auf die festgelegte Berufsauffassung zurück, Aufgabe des Arztes seien alleine Diagnose, Behandlung und Heilung der zugefügten Verletzungen 29. bb) Die Kontrollmöglichkeit und -bereitschaft der Strafverfolgungsorgane
Eine bemerkenswerte Zurückhaltung gegenüber dem Einschreiten bei familiärer Gewaltanwendung findet sich nicht nur bei der informellen Sozialkontrolle, sondern auch bei den Behörden, ja sogar bei den Strafverfolgungsorganen. Sowohl die Polizei wie die Staatsanwaltschaft wie die Gerichte sind nur selten dazu in der Lage und willens, in Fällen der Gewalt in der Familie die bestehenden Gesetzesnormen gegen Körperverletzung auszuschöpfen. Für die Gerichte besteht das größte Problem darin, daß Taten familiärer Gewaltanwendung schwer beweisbar sind 30 . Sachliche Beweismittel sind in aller Regel nicht vorhanden. Das Gericht muß sich auf Zeugenaussagen und 26
Trube-Becker 1982, 132 ff. Vgl. Wille/Staak/Wagner 1967, 996. 28 Kempe/ Silverman/ Steele/ Droegemueller/ Silver 1974,6; Raffalli 1970,143; Unwin 1976; Helfer 1978, 70; Giesen 1979, 31; Gebier/Deschamps 1978, 387. 29 Carter 1976a, 51. 30 Cavenagh 1978, 156. 27
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Sachverständigengutachten stützen. Ärztliche Sachverständigengutachten über Art und Ausmaß der Verletzungen sowie über ihre möglichen Ursachen können nur dann erbracht werden, wenn der Sachverständige relativ rasch nach Zufügung der Verletzungen eingeschaltet wird. Dies setzt ein schnelles und zielsicheres Handeln der Beteiligten voraus, an dem es häufig fehlt. Außerdem kann der Sachverständige nur Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Ursachen einer Verletzung machen. Zeugen sind bei familiärer Gewaltanwendung selten vorhanden und verhalten sich zumeist wenig kooperativ. Das Opfer selbst ist oft nicht bereit, gegen den Täter auszusagen, und versucht häufig, den Prozeß zu Fall zu bringen 31 . Hinzu kommt, daß die Richter spüren, daß den Beteiligten mit einer Verurteilung des Täters regelmäßig nicht geholfen ist. Ihre Möglichkeiten und ihre Bereitschaft, die gesetzlich vorgesehenen Sanktionen zu verhängen, sind aus diesen Gründen typischerweise gering. Die zu erwartenden Beweisprobleme beeinträchtigen auch die Möglichkeit und die Bereitschaft der Staatsanwaltschaft, in Fällen familiärer Gewaltanwendung Anklage zu erheben. Bei der Entscheidung über die Anklageerhebung muß der Staatsanwalt den Fall im Hinblick auf den wahrscheinlichen Prozeß verlauf beurteilen. Eine Anklageerhebung setzt voraus, daß nach den bisherigen Ermittlungen bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist 3 2 . Diese Voraussetzung liegt dann nicht vor, wenn sich — wie bei familiärer Gewaltanwendung häufig — absehen läßt, daß sich in der Hauptverhandlung die für eine Verurteilung erforderlichen Beweise nicht werden erbringen lassen. Auf der Ebene der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungstätigkeit üben Beweisprobleme noch keine direkten Einfluß aus. Für die Aufnahme der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nach § 152 StPO genügt ein konkret begründeter Anfangsverdacht. Das gleiche gilt für ein Tätigwerden der Polizei ohne Weisung der Staatsanwaltschaft im Rahmen des ersten Zugriffs gemäß § 163 StPO. Hierfür reicht es aus, wenn es nach kriminalistischen Erfahrungen möglich erscheint, daß eine verfolgbare Straftat vorliegt 33 . Dennoch wirken sich auch im Bereich der reinen Ermittlungstätigkeit die geringen Erfolgsaussichten des Verfahrens negativ auf die Bereitschaft der Beamten zur Untersuchung eines Falles familiärer Gewaltanwendung aus. Eine weitere Erforschung wird für sinnlos gehalten und daher nachlässig betrieben, da mit einem erfolgreichen Abschluß des Verfahrens, d. h. mit einer Verurteilung des Täters, nicht gerechnet wird. Selbst wenn die Polizei bei gewalttätigen Streitigkeiten unter Familienmitgliedern vom Opfer oder von Dritten unmittelbar zum Tatort gerufen wird, zeigt sie nur eine geringe Neigung einzuschreiten 34. Für diese scheinbare Gleichgültigkeit der Beamten ist neben der schon beschriebe31 32 33 34
Field/Field 1973, 224ff. Kleinknecht/Meyer § 170 Rdn. 1. Kleinknecht/Meyer § 152 Rdn. 4. Straus 1977/78, 455; Jensen 1977/78, 586; Walker 1979, 206 ff.
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nen Aussichtslosigkeit eines Verfahrens bestimmend, daß Polizisten Fällen familiärer Gewaltanwendung aufgrund mangelhafter Ausbildung oft hilflos gegenüberstehen 35. Sie werden dadurch demoralisiert, daß das Opfer ein mangelndes Interesse an einer Strafverfolgung zeigt 36 . Dabei darf nicht übersehen werden, daß das Verhalten der Polizei und die Haltung des Opfers miteinander in Wechselwirkung stehen. Teilweise tritt das Opfer der Polizei sogar mit Ablehnung oder offener Feindschaft gegenüber. Polizisten, die bei Partnermißhandlung zugunsten der mißhandelten Frau eingreifen, werden häufig dadurch entmutigt, daß sie eben von dieser Frau angegriffen werden 37 . Das Einschreiten bei gewaltsamen Familienstreitigkeiten ist für sie mit Gefahren für ihre körperliche Unversehrtheit verbunden 38 . Hinzu kommt, daß die Beamten wissen, daß von ihrem Eingreifen kaum ein Impuls für eine dauerhafte Besserung der Lage des Opfers ausgehen kann. Wie die anderen Strafverfolgungsorgane ist auch die Polizei in ihren Einstellungen von den sozialen Normen beeinflußt, die Gewaltanwendung in der Familie billigen und die Autonomie der Familie betonen. Die Beamten sind daher angesichts ihres Dilemmas um so eher bereit, sich auf die Einstellung zurückzuziehen, Gewalt in der Familie sei ausschließlich eine Angelegenheit der Beteiligten. c) Rechtsbruchfördernde und abschreckungshemmende Wirkungen emotionsgeladener Familienkonflikte
Strafgesetzliche Regelungen üben, sofern sie in das Bewußtsein des einzelnen getreten sind, einen Motivationsdruck in Richtung normgemäßen Verhaltens aus. Dieser Druck kann sowohl auf der Eingliederung der Strafrechtsnormen in das Wertsystem des einzelnen als auch auf ihrer Abschreckungswirkung beruhen. Dem durch die Strafrechtsnormen ausgeübten Motivationsdruck zur Vermeidung des Rechtsbruchs können stärkere Motive zur Begehung des Rechtsbruchs gegenüberstehen. Will man die generalpräventive Wirksamkeit einer Strafrechtsnorm abschätzen, so muß man die Verbreitung und die Intensität der Motive berücksichtigen, die der Norm entgegenwirken 39. Gerade innerhalb der Familie finden sich Strukturen und ereignen sich Prozesse, die eine hohe Konfliktgefahrdung verursachen 40. Die entstehenden Konflikte sind starke Motive für gewaltsame Lösungsversuche. Sie wirken dem generalpräventiven Motivationsdruck entgegen, den das Strafrecht ausüben kann, und beeinträchtigen so die strafrechtliche Schutzwirkung. Die generell abschrecken-
35
Langley/Levy 1977, 166; Bard/Berkowitz 1967, 315. Walker 1979, 64 f. 37 Walker 1979, 64f.; Freeman 1978, 84; Field/Field 1973, 228. 38 Langley/Levy 1977, 165; D. Martin 1978, 115f.; Walker 1979, 208; Paterson 1979, 85; Barocas 1973, 635; vgl. oben Β I 4 c) gg) (1). 39 Zimring/Hawkins 1973, 134f. 40 Vgl. dazu im einzelnen oben Β I I 2 a) aa). 36
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de Wirkung einer Strafandrohung beruht entscheidend darauf, inwieweit potentielle Täter fähig sind, sich die Folgen einer Straftat schon vor ihrer Begehung bewußt zu machen. Das Strafrecht droht ein zukünftiges Übel an. Eine psychologische Zwangswirkung kann hiervon nur dann ausgehen, wenn der potentielle Täter auch tatsächlich in die Zukunft denkt. Taten, die typischerweise auf sorgfaltiger rationaler Planung beruhen, sind deshalb besser abschreckbar als Rechtsbrüche, die spontan aus einem plötzlichen emotionalen Impuls heraus begangen werden 41 . Eine Person, die in einem affektiven Gefühlsausbruch handelt, ist meist nicht in der Lage, die Risiken und Folgen ihrer Tat zu bedenken. Die abschreckende Effektivität einer Strafrechtsnorm ist daher um so geringer, je emotionaler und weniger rational bestimmt die Motive der Tat sind, gegen die sie sich richtet. Gerade körperliche Angriffe innerhalb der Familie sind von einem hohen Affektgehalt gekennzeichnet. Eheliche Gewaltanwendung ereignet sich häufig im Verlauf eines intensiven Streits zwischen den Ehegatten. Der kühl durchdachte, rationale Einsatz körperlicher Strafen als Erziehungsmittel gegenüber Kindern ist ebenfalls in aller Regel Fiktion. Die Züchtigung eines Kindes dient vielmehr auch der Befriedigung aggressiver Bedürfnisse der Eltern, die sich durch Ärger über Verhaltensweisen des Kindes oder auch dritter Personen aufgebaut haben 42 . Dieser charakteristisch hohe Emotionsgehalt familiärer Gewalttaten läßt die Abschreckbarkeit solcher Handlungen zweifelhaft erscheinen. d) Zusammenfassung
Beim Schutz gegenüber familiärer Gewaltanwendung ist das Strafrecht vor zahlreiche schwerwiegende Probleme gestellt, die seine generalpräventive Wirksamkeit beschränken. Seinen wert- und gewohnheitsbildenden Folgen wirken soziale Normen und Gewohnheiten entgegen, die familiäre Gewaltanwendung begünstigen. Die Struktur der Familie fördert Konflikte, erschwert die interne Kommunikation und motiviert auf diese Weise zum Einsatz von Gewalt als Konfliktlösungs- und Kommunikationsmittel. Die praktische Durchsetzbarkeit solcher Normen stößt auf Probleme, weil die Möglichkeiten und bisweilen auch die Bereitschaft der Kontrollinstanzen zu ihrer Umsetzung gering sind. Eine abschreckende Wirkung auf die Allgemeinheit kann durch das strafrechtliche Verbot familiärer Gewaltausübung kaum erzielt werden, da diese Taten wegen ihres hohen Emotionsgehalts einer Abschreckung schwer zugänglich sind. Auf all diese wirksamkeitshemmenden Mechanismen hat die kriminalpolitische Gestaltung eines Schutzes vor familiärer Gewaltanwendung Rücksicht zu nehmen.
41 42
Zimring/Hawkins 1973,136; H. J. Schneider 1979b, 86f., 1981, 718, und 1987, 801. Sears/Maccoby/Levin 1975, 245.
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2. Probleme der spezialpräventiven Wirksamkeit der Verhängung und des Vollzugs strafrechtlicher Sanktionen als Reaktion auf familiäre Gewaltanwendung a) Die Bedeutung des Dunkelfelds für die spezialpräventive Wirksamkeit strafrechtlicher Sanktionen
Bereits das große Dunkelfeld familiärer Gewaltanwendung stellt ein schwerwiegendes Hindernis für die spezialpräventive Wirksamkeit des Strafrechts und des Jugendstrafrechts in diesem Bereich dar. Spezialprävention heißt Einwirkung auf den Täter. Eine solche Einwirkung ist nur dann möglich, wenn der Täter bekannt ist und die Beweise gegen ihn für eine strafrechtliche Reaktion ausreichen. Alle Schwierigkeiten, die die Anwendung und Durchsetzung einer Strafrechtsnorm behindern, stellen daher nicht nur ein Hemmnis für die generalpräventive Wirksamkeit der Norm dar, indem sie ihre Glaubwürdigkeit und damit ihren wertbildenden Charakter untergraben 43 . Sie machen gleichzeitig eine spezialpräventive Beeinflussung des Täters durch strafrechtliche Maßnahmen unmöglich. Die besten Behandlungsansätze im Rahmen von Bewährungshilfe oder Strafvollzug bleiben wirkungslos, solange sie nur einen verschwindend geringen Anteil aller Täter erreichen. b) Die Abschreckung des Täters durch die Verhängung von Strafe oder jugendstrafrechtlichen Sanktionen
Ob und wie stark Strafe oder jugendstrafrechtliche Sanktionen individuell abschrecken, hängt weniger von ihrer Schwere als von der Persönlichkeit des Täters mit ihrem sozialen Hintergrund ab. Individuelle Abschreckung wirkt auf der Grundlage einer vom Täter empfundenen Einbuße an Rechten, Gütern oder sozialem Ansehen. Je mehr soziales Ansehen der Täter genießt, je mehr materielle Güter er besitzt und je ungehinderter er seine Rechte praktisch ausüben kann, desto empfindlicher trifft ihn eine solche Einbuße. Erfolgreiche Menschen, die viel zu verlieren haben, sind daher generell leichter abzuschrecken, als erfolglose Menschen, die nichts zu verlieren haben 44 . Die individuelle Abschreckbarkeit eines (potentiellen) Täters hängt deshalb eng mit seinem sozio-ökonomischen Status zusammen 45 . Obgleich Gewalt in Familien aller sozialen Schichten vorkommt, ist sie in Unterschichtsfamilien verbreiteter und äußert sich dort in schwereren Formen 46 . Ein Großteil der Familien, in denen es zu schwerer und schwerster Gewaltanwendung kommt, befindet sich in einer sozio-ökonomischen Mangelsituation, die ihr Leben prägt 4 7 . Täter, die aus 43 44 45 46 47
Vgl. oben C I I 1 d). Zimring 1973, 48; H. J. Schneider 1987, 801. H.J. Schneider 1979b, 87 und 1982, 197. Pelton 1981. Vgl. Β I I 1 a) cc) und 2 b) cc).
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C II. Probleme der präventiven Wirksamkeit des Strafrechts
solchen Familien stammen, gehören daher gerade zu der Personengruppe, die sozial schlecht integriert, wenig angesehen, materiell verarmt und unbeweglich bei der Wahrnehmung persönlicher Rechte ist und aus diesen Gründen durch eine Bestrafung wenig zu verlieren hat. Es ist kaum zu erwarten, daß die Verhängung einer strafrechtlichen oder jugendstrafrechtlichen Sanktion bei ihnen eine nennenswerte Abschreckungswirkung entfaltet. Neben der Persönlichkeit und dem sozialen Hintergrund des Täters entscheiden die Ursachen und Motive einer Tat über die individuelle Abschreckungswirkung einer Sanktion. Die Bestrafung vermag gegenüber Taten, die einer psychischen Anomalie des Täters entspringen oder in hochgradiger Erregung begangen werden, keine Abschreckungswirkung zu entfalten. Bereits der hohe Emotionsgehalt der konkreten Tatsituation familiärer Gewaltanwendung wirkt abschreckungshemmend 48. Darüber hinaus spielen bei Gewalt in der Familie psychodynamische Ursachen eine wesentliche Rolle 4 9 . Der Tat liegen psychische Prozesse zugrunde, die vielfach in der Kindheitsgeschichte des Täters wurzeln. Vorgänge der Verschiebung und der Projektion stehen geradezu in Widerspruch zu vernünftigen Erwägungen und sind einer rationalen Kontrolle nur wenig zugänglich. Im Rahmen der psychodynamischen Verursachungsprozesse ist daher kein Raum für individuelle Abschreckung. Innerhalb von gewaltverursachenden Lernprozessen 50 kann demgegenüber zwar einer möglichen abschreckenden Wirkung von Sanktionen ein gewisser Stellenwert nicht versagt werden. Während Belohnung durch Erfolg ein Verhalten verstärkt und die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens erhöht, wird die Häufigkeit eines Verhaltens durch eine Bestrafung vermindert. Eine wesentliche Voraussetzung der Wirksamkeit von Strafe für das Verlernen eines Verhaltens ist indessen die Konsistenz der Reaktion auf jede Verhaltensäußerung sowie ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Verhalten und Sanktion 51 . Die Reaktion muß jeder zu sanktionierenden Handlung unmittelbar folgen. Selbst wenn die Strafverfolgungsbehörden rasch handeln, was gegenwärtig nur zu wünschen bleibt, kann die erforderliche zeitliche Unmittelbarkeit zwischen dem gewaltsamen Verhalten und der Sanktion nicht erreicht werden. Die Reaktion folgt der Tat erst nach langwierigen Ermittlungen und Verhandlungen. Auch wird niemals eine Auf klärungsquote erzielt werden, die eine zuverlässige Bestrafung jeder Gewaltanwendung ermöglichen würde. Die Kriminalstrafe und die jugendstrafrechtlichen Sanktionen sind demnach viel zu schwerfällige und unzuverlässige Instrumente, um einen Prozeß des „Verlernens" strafbaren Verhaltens in Gang zu setzen. Die Erfordernisse der Schnelligkeit und Zuverlässigkeit der Strafreaktion, die Grundlagen ihrer Lernwirksamkeit sind, werden durch sie nicht erfüllt.
48 49 50 51
Vgl. oben C I I 1 c). Vgl. oben Β I I 1 a) bb). Vgl. oben Β I I 1 a) dd). Zimbardo/Ruch 1978, 156.
2. Spezialpräventive Wirksamkeit strafrechtlicher Sanktionen
167
c) Die Resozialisierung des erwachsenen Täters durch Strafverhängung und -Vollzug und die Sozialisierung des jugendlichen Täters durch jugendstrafrechtliche Maßnahmen
Resozialisierung umfaßt die Erweiterung des Rollenpotentials und -inventars, die Stärkung des inneren Haltes, des Selbstbildes und der Eigenverantwortlichkeit des Rechtsbrechers 52. Er soll durch eine Erhöhung seines sozialen Status ermutigt werden. Der Resozialisierungsprozeß, der im Erwachsenenstrafrecht durch Strafzumessung und -Vollzug eingeleitet werden soll, unterscheidet sich in seinen Zielen insoweit nicht vom Sozialisierungsprozeß, der durch jugendstrafrechtliche Reaktionen gefördert werden soll. Eine soziale Ermutigung des Täters und die Stärkung seines Selbstbildes sind insbesondere bei den psychodynamisch verursachten Fällen familiärer Gewaltanwendung erforderlich. Gerade die geringe Selbstwertschätzung des Täters macht ihn überempfindlich gegenüber solchen Verhaltensweisen des Opfers, die er als Zurückweisung oder Kritik auffaßt, und läßt ihn gewaltsam darauf reagieren 53. Damit er seine Familie akzeptieren kann und nicht übersteigerte Erwartungen an sie heranträgt, muß der Täter zuerst lernen, sich selbst zu bejahen. Die strafende Reaktion der Instanzen der Sozialkontrolle führt demgegenüber regelmäßig zu einer gesellschaftlichen Abwertung und Brandmarkung des Straftäters 54 . Rechtsdogmatisch stellt Strafe zwar nur ein Unwerturteil über die Tat, nicht aber über die Person des Täters dar. Im gesellschaftlichen Leben gilt sie jedoch als Makel, der der Person des Vorbestraften anhaftet. Der psychisch vorgeschädigte Täter wird seine Bestrafung und die mit ihr einhergehende Reaktion seiner sozialen Umgebung daher meist als Ablehnung und Kritik durch Staat und Gesellschaft auffassen, die ihn in seinem negativen Selbstbild eher bestärken, als es abzubauen 55 . Eine Bestrafung ist dazu angetan, das Mißtrauen des Täters familiärer Gewaltanwendung gegen seine Umwelt und damit seine Neigung zur Selbstisolation noch zu verfestigen. Eine bestrafende rechtliche und soziale Reaktion auf Gewalt in der Familie ist demnach besonders risikoreich, weil sie die psychodynamischen Prozesse, die den gewaltsamen Angriff beim Täter hervorgerufen haben, noch unterstützen und verschärfen kann. Die gleichen Bedenken gelten in abgemilderter Form auch für die Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel des Jugendstrafrechts. Sie sind zwar keine Strafen im Rechtssinne und wirken nicht so stark stigmatisierend wie Freiheitsstrafen. Trotz ihrer erzieherischen Zielsetzung enthalten sie jedoch ein Unwerturteil, das der Jugendliche und seine Umwelt häufig auf seine Person und nicht alleine auf seine Tat beziehen. Eine Verschärfung der Ursachen familiärer Gewaltanwendung ist auch in sozialer und ökonomischer Hinsicht zu befürchten. Strafe läßt das ohnehin oft 52 53 54 55
H.J. Schneider 1977, 166. Vgl. oben Β I I 1 a) bb). H.J. Schneider 1977, 166f. Tibbits 1977, 185f.; Nagi 1977, 24.
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C II. Probleme der präventiven Wirksamkeit des Strafrechts
geringe gesellschaftliche Ansehen der Familie weiter sinken und kann auf diese Weise zu einer Verstärkung ihrer Isolation führen. Geld- oder Freiheitsstrafen belasten die Familie wirtschaftlich. Während sich der Täter im Strafvollzug befindet, kann er seine Familie nicht finanziell unterstützen. Er kann seine familiären Aufgaben nicht erfüllen. Es kommt zu einer weiteren Zuspitzung der sozio-ökonomischen Mangelsituation der Familie, die gewaltbegünstigend wirkt. Strafe bietet dem Täter wenig Chancen, gewaltlose familiäre Interaktionstechniken zu erlernen 56 . Auch jugendstrafrechtliche Reaktionen versagen hier häufig. Sie verdeutlichen dem Täter zwar, daß sein Verhalten von der Rechtsordnung nicht geduldet wird, weisen ihm aber meist keine Verhaltensalternativen. Der Vater, der gelernt hat, kindlichen Gehorsam durch körperliche Strafen zu erzwingen, benötigt konkrete Vorschläge und Modelle dafür, wie er das Verhalten seiner Kinder gewaltlos steuern kann. Es reicht nicht aus, ihn mit Verboten zu konfrontieren. Das gleiche gilt bei anderen Formen familiärer Gewaltanwendung. Im Freiheitsstrafvollzug und im Rahmen der Bewährungshilfe werden dem Täter von Gewalt in der Familie kaum angemessene Lernmöglichkeiten geboten. Darüber hinaus kann ihn gerade die strafende Haltung des Staates und seiner Umwelt in seiner Einstellung bestärken, daß Repression ein geeignetes Mittel zur Erzwingung von Gehorsam ist. Diese Einstellung kann wiederum zum Nährboden für weitere gewaltsame Angriffe auf Familienmitglieder werden. Strafe und jugendstrafrechtliche Maßnahmen wirken sich regelmäßig belastend auf das Täter-Opfer-Verhältnis aus. Sie erhöhen damit meist die bestehenden Spannungen in der Familie und können so die Gefahr weiterer gewaltsamer Konflikte mitverursachen. Der Täter sieht oft nicht sein eigenes Verhalten als Grund für seine Bestrafung an, sondern betrachtet das Opfer als Verantwortlichen für seine Verurteilung. Selbst wenn er sich nicht bewußt für die erlittene Sanktion an seinem Opfer rächt, ist nicht zu erwarten, daß er ihm in Zukunft mehr Zuneigung, Verständnis und Achtung entgegenbringen wird. Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe führt darüber hinaus zur Entfremdung zwischen Täter und Opfer. Strafe ist daher gerade bei Gewalt in der Familie wenig geeignet, um zur Resozialisierung des Täters beizutragen. Sie intensiviert vielmehr die gewaltbegünstigenden Bedingungen und wirkt auf diese Weise eher rückfallfördernd als rückfallhemmend. Das gleiche gilt in gemilderter Form auch für jugendstrafrechtliche Maßnahmen. d) Die Sicherung des Täters durch Verhängung und Vollzug von Freiheitsstrafen
Die Sicherung des Täters gehört zu den notwendigen Nebenwirkungen aller Freiheitsstrafen, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Solange der Täter 56
Vgl. Bach 1978, 5.
2. Spezialpräventive Wirksamkeit strafrechtlicher Sanktionen
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in der Strafanstalt verwahrt wird, ist er physisch daran gehindert, die Allgemeinheit durch weitere Straftaten zu gefährden. Auch das Opfer familiärer Gewaltanwendung ist vor seinem Täter geschützt, solange er sich im Strafvollzug befindet. Da die Freiheitsstrafen, die in Fällen der Gewalt in der Familie verhängt und vollzogen werden, in der Regel kurz sind, ist dieser Schutz freilich nur vorübergehender Natur. Dem Opfer wird nicht mehr als eine kurze Atempause gewährt. Nach der Rückkehr des Täters aus dem Strafvollzug ist es ihm wiederum schutzlos ausgeliefert, und es besteht die Gefahr, daß er seine Gewalttätigkeiten noch verstärkt. Die kurzzeitige Sicherung des Täters ist daher nur sinnvoll, um der Familie die Möglichkeit zu geben, während seiner Abwesenheit ungefährdet Maßnahmen zur Auflösung des Zusammenlebens von Opfer und Täter einzuleiten. Mißhandelte Partner oder Eltern mißhandelter Kinder können während dieser Zeit unbedroht die Scheidung oder Trennung betreiben und ein Alleinleben vorbereiten. Insoweit kann auch die kurzzeitige Entfernung des Täters aus der Familie sinnvolle Zwecke erfüllen. Will das Opfer aber weiterhin mit ihm zusammenleben, so fallt die vorübergehende Sicherungswirkung kurzer Freiheitsstrafen gegenüber der wieder auflebenden Gefährdung nach der Entlassung des Täters kaum ins Gewicht. e) Zusammenfassung
Die im Rechtsfolgenkatalog des Strafgesetzbuches und des Jugendgerichtsgesetzes vorgesehenen Reaktionen sind keine effektiven spezialpräventiven Mittel gegenüber familiärer Gewaltanwendung. Schon die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs stößt auf Probleme, die durch die geringe soziale Sichtbarkeit dieser Taten verursacht sind. Darüber hinaus vermag Strafe keine ausreichende Abschreckungswirkung gegenüber Gewalt in der Familie zu entfalten, da die Taten meist emotional motiviert und gesteuert sind. Täter und Opfer befinden sich in einer affektgeladenen Situation, die jeden Gedanken an eine mögliche Bestrafung der Gewalthandlung ausschaltet. Bessernde Einflüsse auf den Täter gehen von der Bestrafung familiärer Gewaltausübung in der Regel nicht aus. Gewalt in der Familie hat psychodynamische, sozio-ökonomische und lernprozessuale Ursachen, die durch Strafe gleich welcher Art nicht gemildert, sondern oft eher verschlimmert werden. Strafe kann daher die bestehenden familiären Konflikte und mit ihnen die Gefahr des Einsatzes von Gewalt in der Familie sogar verschärfen. Der wesenseigene sichernde Nebeneffekt von Freiheitsstrafen ist nur dann hilfreich für das Opfer, wenn es die Zeit der Abwesenheit des Täters zur Lösung seines Zusammenlebens mit ihm nutzen möchte. Ansonsten gewährleisten Freiheitsstrafen nur einen vorübergehenden Schutz für das Opfer. Sobald der Täter aus dem Strafvollzug entlassen wird, lebt die alte Gefährdungssituation unvermindert oder verschärft wieder auf.
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C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens
III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens bei familiärer Gewaltanwendung Strafrechtliche Sanktionen können nur in einem ordnungsgemäßen Strafverfahren verhängt werden. Die Einleitung und Durchführung eines solchen Verfahrens ist daher bereits eine strafrechtliche Reaktion auf familiäre Gewaltanwendung, deren Problematik beleuchtet werden muß. Im Rahmen der Reaktion auf Gewalt in der Familie spielt die Strafverfolgung gegenwärtig eine unbedeutende Rolle. Nur in wenigen besonders schweren Fällen der materiellrechtlich strafbaren familiären Gewaltanwendung kommt es zu einem Strafverfahren. Die ganz überwiegende Mehrheit der Fälle gelangt nicht zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden 1. Das Opfer, seine Familie und andere Zeugen werden nicht nur durch die mangelhafte Eignung der materiellrechtlich vorgesehenen Sanktionen zur Lösung familiärer Gewaltprobleme von einer Teilnahme an der Strafverfolgung abgehalten. Vielmehr können auch verfahrensrechtliche Schwächen ganz wesentlich dafür verantwortlich sein, daß es nur selten zu einer Verfolgung strafbarer Gewalt in der Familie kommt. Die Strafverfolgung familiärer Gewalttaten muß zahlreiche verfahrensrechtliche Hürden überwinden. Bei ihnen liegt einer der Schlüssel für die geringe Strafverfolgungsintensität in diesem Deliktsbereich. Sie führen insbesondere innerhalb des Erwachsenenstrafverfahrens dazu, daß die Strafverfolgung gar nicht erst in Gang kommt oder vorzeitig versiegt, ohne daß Sanktionen irgendwelcher Art verhängt werden können. 1. Die strafverfahrensrechtlichen Hürden bei der Verfolgung familiärer Gewaltanwendung a) Das Verfahren gegen Erwachsene
Nicht jede von einem erwachsenen Täter an einem Familienmitglied begangene und bekanntgewordene Körperverletzung wird in gleicher Weise durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte verfolgt. Es bestehen vielmehr Ausnahmen von dem Recht und der Pflicht des Staates zur Strafverfolgung (§ 152 I I StPO), die nach Schweregraden des verwirklichten Delikts gestaffelt sind. Sie haben eine Filterwirkung, indem sie dazu führen, daß in der Regel nur die schwersten Taten zur Aburteilung gelangen. aa) Die Verfolgung der einfachen und der Aszendentenkörperverletzung: §§ 223 I, II StGB
A m stärksten eingeschränkt ist die Strafverfolgung von Körperverletzungsdelikten, die ausschließlich nach § 2231 strafbar sind oder darüber hinaus noch die Qualifikation des § 223 I I erfüllen. Diese Delikte, auf die der größte Teil aller 1
Vgl. oben Β I 4 a) aa).
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der erfolgung familiärer Gewalt
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familiären Gewalttaten entfallen dürfte, werden nach § 232 StGB nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, die Staatsanwaltschaft bejaht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (vgl. Nr. 233 RiStBV). Da ein solches öffentliches Interesse meist verneint wird, wenn das Opfer ein Familienmitglied des Täters ist 2 , scheitert die Strafverfolgung ohne einen Strafantrag des Verletzten regelmäßig schon vor oder zu Beginn der Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Hat der Verletzte Strafantrag gestellt, was in Fällen familiärer Gewaltanwendung selten vorkommt, so hat die Staatsanwaltschaft grundsätzlich zu prüfen, ob hinreichender Tatverdacht vorliegt. Ist dies der Fall, muß sie öffentliche Klage erheben. Da die einfache und die Aszendentenkörperverletzung indessen nach § 3741 Nr. 4 StPO Privatklagedelikte sind, wird ihretwegen öffentliche Klage nur dann erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt (§ 376 StPO). Im Gegensatz zu § 232 StGB, der für die Einleitung eines Strafverfahrens ohne Strafantrag das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses verlangt, setzt § 376 StPO für die Erhebung der öffentlichen Klage nur das Bestehen eines einfachen öffentlichen Interesses voraus (vgl. Nr. 86 I, I I RiStBV). Familiäre Gewaltanwendung wird von der Staatsanwaltschaft zumeist nicht als Störung des allgemeinen Rechtsfriedens, sondern ausschließlich als Störung des Familienfriedens angesehen, die nur die Betroffenen selbst angeht. Daher wird auch ein einfaches öffentliches Interesse an der Klageerhebung in Fällen der Gewalt in der Familie in der Regel verneint. Die Staatsanwaltschaft verwirft den Antrag des Verletzten auf Erhebung einer öffentlichen Klage und verweist ihn auf den Privatklageweg. Die Privatklage wegen eines Delikts nach § 223 StGB ist erst zulässig, nachdem vor einer Vergleichsbehörde zwischen Beschuldigtem und Verletztem ein Sühneversuch erfolglos unternommen worden ist (§ 380 StPO). Nur wenn im Sühneverfahren kein Vergleich erzielt werden kann, darf der Verletzte Privatklage erheben (vgl. § 380 I 2 StPO). Nach Erhebung der Privatklage entscheidet das Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 383 StPO). Grundsätzlich eröffnet das Gericht das Verfahren, wenn nach den Ergebnissen der vorangegangenen Ermittlungen hinreichender Tatverdacht besteht (§ 203 StPO). Da der Privatklageerhebung meist keine amtliche Beweisermittlung vorausgeht, stützt sich das Gericht bei der Prüfung des Verdachtsgrades weitestgehend auf das Klagevorbringen 3 . Immerhin muß der Privatkläger Beweisangebote machen können, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, daß der Angeschuldigte der Tat überführt werden kann. Gerade bei Gewalt in der Familie ist es oft schwer, ausreichende Beweismöglichkeiten anzubieten. Ist abzusehen, daß die verfügbaren Beweise für eine Verurteilung nicht genügen werden, wird die Klage zurückgewiesen. Nach § 383 I I StPO kann das Gericht das Verfahren ferner wegen Geringfügigkeit der Schuld des Täters einstellen. 2
Vgl. auch Stree S/S § 232 Rdn. 5, allerdings im Hinblick auf die fahrlässige Verletzung eines Angehörigen im Straßenverkehr; oben A IV 2. 3 Kleinknecht/Meyer § 383 Rdn. 3; v. Stackelberg K K § 383 Rdn. 5.
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C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens
Das kann sowohl im Zwischenverfahren wie nach Eröffnung des Hauptverfahrens geschehen. Wird ein Hauptverfahren durchgeführt, so tauchen insbesondere bei leichteren und mittelschweren Fällen familiärer Gewaltanwendung, die keine dauernden und sichtbaren körperlichen Verletzungen hinterlassen haben, oft erhebliche Beweisprobleme auf. Sie haben nicht selten zur Folge, daß der Angeklagte freigesprochen werden muß. bb) Die Verfolgung der gefährlichen Körperverletzung: § 223a StGB
Die gefahrliche Körperverletzung nach § 223a ist zwar kein Strafantragsdelikt, gehört aber wie die einfache Körperverletzung zum Kreis der Privatklagedelikte (§ 374 I Nr. 4 StPO). Die Entscheidung über die Erhebung der öffentlichen Anklage steht im Ermessen der Staatsanwaltschaft 4. Wenn sie die Tat nicht anklagt, kann der Verletzte Privatklage erheben. Die Erhebung der Privatklage wegen eines Delikts nach § 223a setzt nicht die vorherige erfolglose Durchführung eines Sühneverfahrens voraus, ist also ohne vorangehenden Sühneversuch möglich. Im übrigen wird sie ebenso behandelt wie eine Privatklage wegen eines Delikts nach § 223. Auch in den meisten Fällen gefährlicher Körperverletzungen innerhalb der Familie kommt es daher nicht zu einer Beendigung des Verfahrens durch Urteil. cc) Die Verfolgung der Kindesmißhandlung:
§ 223b StGB
Ein Vergleich der Anzahl der polizeilich registrierten Kindesmißhandlungen (1223 im Jahre 1984 und 1424 im Jahre 1985)5 mit der Zahl der wegen Delikten nach § 223b verurteilten Personen (209 im Jahre 1985)6 läßt die mangelnde Effektivität der Strafverfolgung in diesen Fällen erkennen. Obwohl es sich bei der Mißhandlung Schutzbefohlener um ein Offizialdelikt handelt, das von Amts wegen verfolgt wird, kommt es nur selten zu einer Verurteilung des Täters. Sobald der Staatsanwaltschaft eine entsprechende Tat bekannt wird, muß sie zwar ein Ermittlungsverfahren einleiten (§ 160 StPO). In diesem muß sie den Sachverhalt so weit erforschen, daß ihr die Feststellung möglich ist, ob die Voraussetzungen für die Erhebung einer öffentlichen Anklage vorliegen. Das Verfahren muß freilich eingestellt werden, wenn die Ermittlungen keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben (§§ 170, 203 StPO). Ein solcher besteht nur dann, wenn nach dem gesamten Akteninhalt bei vorläufiger Tatbewertung die Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist 7 . Läßt sich absehen, daß die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichen, so darf 4 5 6 7
Peters 1981, §65 I 1. Pol.Krim. für 1985, 89; vgl. oben Β I 4 a) aa). Statistisches Bundesamt 1986, 60; vgl. oben Β I 4 a) aa). Kleinknecht/Meyer § 170 Rdn. 1.
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keine Anklage erhoben werden. Gerade in Fällen von Kindesmißhandlung bestehen oft erhebliche Beweisprobleme, die die Strafverfolgung bereits im Vorverfahren scheitern lassen. In einer Untersuchung der Verfolgungstätigkeit aller Staatsanwaltschaften des Landes Baden-Württemberg in den Jahren 1970/71 an einer repräsentativen Auswahl von vermuteten Kindesmißhandlungsfällen wurde festgestellt, daß knapp die Hälfte aller Verfahren mangels Beweises eingestellt wurden 8 . Bei weiteren knapp 20 % der Verfahren kam es zu einer Einstellung wegen Geringfügigkeit. Sie ist möglich, da es sich bei der Kindesmißhandlung um ein Vergehen handelt, für dessen Verfolgung gemäß §§ 153, 153a StPO das Opportunitätsprinzip gilt. Nach § 153 StPO kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters gering wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Soweit bei geringer Schuld ein öffentliches Interesse an der Verfolgung zu bejahen ist, kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts vorläufig von der Klageerhebung absehen und dem Beschuldigten die in § 153a StPO bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen, sofern diese geeignet sind, das öffentliche Interesse zu beseitigen. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen innerhalb der von der Staatsanwaltschaft gesetzten Frist, so kann die Tat nicht mehr verfolgt werden. Nach Anklageerhebung kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren wegen Geringfügigkeit endgültig (§ 153 II) oder vorläufig (§ 153a II) einstellen. In der Mehrzahl der Kindesmißhandlungsfälle, die strafrechtlich verfolgt werden, kommt es daher nicht zu einem Urteil. Wenn ein Urteil ergeht, so handelt es sich oft um einen Freispruch, da die Beweise für eine Verurteilung häufig nicht ausreichen. dd) Die Verfolgung der schweren und der beabsichtigten schweren Körperverletzung: §§ 224, 225 StGB
Die schwere und die beabsichtigte schwere Körperverletzung sind Offizialdelikte, die von Amts wegen verfolgt werden. Die Staatsanwaltschaft hat die notwendigen Beweise zu sammeln und muß bei hinreichendem Tatverdacht Anklage erheben. Da es sich bei der schweren und der beabsichtigten schweren Körperverletzung um Verbrechen handelt, besteht nicht die Möglichkeit einer Einstellung wegen Geringfügigkeit nach §§ 153,153a StPO. Vielmehr gilt für die Verfolgung uneingeschränkt das Legalitätsprinzip. Freilich darf die Staatsanwaltschaft keine öffentliche Anklage erheben, wenn die Ermittlungen keinen hinreichenden Tatverdacht erbringen. Beweisprobleme führen auch im Bereich der an Familienmitgliedern begangenen schweren und beabsichtigten schweren Körperverletzung gelegentlich dazu, daß Verfahren eingestellt werden müssen oder mit Freispruch enden.
8
U. Baumann/Fehérvâry 1979, 352.
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C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens b) Das Verfahren gegen Jugendliche
Die strafrechtliche Verfolgung von Jugendlichen, die ihre Geschwister, Eltern oder zuweilen auch ihre Kinder mißhandelt haben, scheitert ebenso wie die Strafverfolgung von erwachsenen Tätern familiärer Gewaltanwendung meist daran, daß die Taten den Behörden entweder gar nicht erst bekannt werden oder die Beweise nicht ausreichen, um den Jugendlichen zu verurteilen oder andere jugendstrafrechtliche Maßnahmen zu verhängen. Sofern die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis von einer solchen Tat eines Jugendlichen erhalten und der Jugendliche geständig ist oder andere ausreichende Beweise der Tat vorliegen, besteht eher als im Erwachsenenstrafverfahren die Wahrscheinlichkeit, daß auf die Verfehlung jugendstrafrechtlich reagiert wird. Zwar wird auch das Jugendstrafverfahren in Fällen der Gewalt in der Familie häufig vor oder nach Anklageerhebung eingestellt, und es kommt nicht zu einem Urteil. Das Jugendstrafrecht trifft allerdings zahlreiche Vorkehrungen, die sicherstellen, daß bei der Einstellungsentscheidung erzieherische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Damit sorgt es dafür, daß über eine Verfehlung eines Jugendlichen in aller Regel nicht ohne weitere erzieherische Einwirkung „sang- und klanglos" hinweggegangen wird. Delikte nach §§ 2231, I I werden auch im Jugendstrafverfahren nur auf Antrag des Verletzten verfolgt. Die Möglichkeiten zur staatlichen Strafverfolgung familiärer Gewalttaten Jugendlicher sind indessen weiter ausgebaut, da es im Strafverfahren gegen Jugendliche keine Privatklage gibt. Die Privatklagedelikte der Strafprozeßordnung werden gegenüber jugendlichen Beschuldigten gemäß § 80 I JGG im Wege des Offizialverfahrens verfolgt. Bei der Verfolgung dieser Delikte ist die Jugendstaatsanwaltschaft freilich nicht durch das Legalitätsprinzip gebunden. Sie greift nur dann ein, wenn entweder ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, oder wenn Gründe der Erziehung oder ein berechtigtes Interesse des Verletzten, das dem Erziehungszweck nicht entgegensteht, es erfordern. Ein solches berechtigtes Interesse wird gerade dann häufig gegeben sein, wenn ein Fall von Gewalt gegen Geschwister oder Eltern vorliegt. Hier besteht in der Regel Wiederholungsgefahr, wenn nichts unternommen wird. Auch wenn hinreichender Tatverdacht besteht, der Voraussetzung der Anklageerhebung ist (§ 170 I I StPO), und der Jugendliche die notwendige Verantwortungsreife (§ 3 JGG) besitzt, kann das Jugendstrafverfahren vor Anklageerhebung nach § 45 JGG eingestellt werden, der die §§ 153,153a StPO für das Jugendstrafrecht abwandelt. Eine Einstellung ist abweichend vom Erwachsenenstrafrecht nach § 45 JGG grundsätzlich auch dann möglich, wenn die Strafverfolgung ein Verbrechen zum Gegenstand hat. Die Voraussetzungen des § 45 JGG werden dennoch in aller Regel nur bei leichteren und erstmaligen Verfehlungen gegeben sein 9 . Nach § 45 I I JGG kann der Jugendstaatsanwalt das 9
Brunner § 45 Anm. lc; Schaffstein 1983, § 35 II; Eisenberg § 45 Rdn. 17.
2. Probleme der Nichtverfolgung familiärer Gewalt
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Verfahren ohne Zustimmung des Gerichts einstellen, wenn bereits erzieherische Maßnahmen angeordnet sind, die eine Ahndung der Tat durch den Richter entbehrlich machen (§ 45 I I Nr. 1 JGG). Diese Maßnahmen können in Fällen der Gewalt gegen Eltern oder Geschwister insbesondere von den Eltern selbst, dem Vormundschaftsrichter oder dem Jugendamt getroffen worden sein. Der Jugendstaatsanwalt kann auch mit Zustimmung des Beschuldigten und seiner Erziehungsberechtigten selbst Erziehungsmaßnahmen einleiten. Darüber hinaus eröffnet § 45 I I Nr. 2 JGG die Möglichkeit, das Verfahren unter den Voraussetzungen des § 153 StPO einzustellen. Dann darf es sich bei dem verfolgten Delikt freilich nur um ein Vergehen handeln. Eine Einstellung nach §153 StPO kommt überdies nicht in Frage, wenn erzieherische Maßnahmen erforderlich sind. Wenn ein Jugendlicher seine Familienmitglieder mißhandelt, so beruht dies meist auf dem erzieherischen Versagen der Familie und dem Fehlen einer angemessenen innerfamiliären Kontrolle, so daß erzieherische Maßnahmen gegenüber dem Jugendlichen regelmäßig notwendig sind. Weitere am Erziehungszweck des Jugendstrafverfahrens ausgerichtete Einstellungsmöglichkeiten enthalten die §§ 45 I, 47 JGG. Sie schaffen den gesetzlichen Rahmen für die Durchführung eines formlosen Erziehungsverfahrens vor oder nach Anklageerhebung, wenn der Beschuldigte geständig ist und Staatsanwalt und Jugendrichter eine Verurteilung des Jugendlichen für entbehrlich halten. Letztere Voraussetzung wird bei der schweren oder wiederholten Mißhandlung von Familienmitgliedern in der Regel nicht erfüllt sein. Im formlosen Erziehungsverfahren kann der Jugendrichter dem Jugendlichen Auflagen (§ 15 JGG), bestimmte Weisungen (§ 10 I Nr. 4, Nr. 6 JGG) und Ermahnungen erteilen. Die Verfolgung einer familiären Gewalttat eines Jugendlichen wird somit regelmäßig nur dann nach §§ 45,47 JGG eingestellt, wenn für eine erzieherische Beeinflussung des Jugendlichen Sorge getragen ist. In stärkerem Maße als das Recht des Erwachsenenstrafverfahrens sorgt also das Jugendstrafrecht dafür, daß auf bekanntgewordene und beweisbare Gewalttaten eines Jugendlichen gegen Familienmitglieder in erzieherischer Form strafrechtlich reagiert wird. Freilich bleiben die meisten familiären Gewalttaten Jugendlicher im Dunkelfeld und können daher nicht geahndet werden.
2. Die Probleme der Nichtverfolgung von Gewalt in der Familie Als Hindernisse auf dem Wege einer strafrechtlichen Verfolgung familiärer Gewaltanwendung im Erwachsenenverfahren erweisen sich insbesondere die einschlägigen Strafantrags- und Privatklageerfordernisse sowie die Möglichkeit einer frühzeitigen Einstellung des Strafverfahrens nach §§ 153, 153a StPO. Die bereitwillige Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden gegen die Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens beruht meist auf einer Fehlbeurteilung des öffentlichen Interesses an einer strafrechtlichen Kontrolle von Gewalt in der
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C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens
Familie. Es wird generell erheblich unterschätzt. Da die Familie eine Intimgruppe ist, wird ein gesamtgesellschaftliches Interesse an den Vorgängen innerhalb dieser Gruppe voreilig abgelehnt. Dabei wird nicht berücksichtigt, daß die Familie ein tragender Baustein der Gesellschaft ist. Von ihrer Stabilität hängen die soziale Integration und die Funktionstüchtigkeit des Gemeinwesens ab. Gewalt in der Familie verletzt neben der körperlichen Unversehrtheit des einzelnen Opfers weitere zentrale Rechtsgüter 10 und zeitigt erhebliche soziale Folgewirkungen 11 . Sie lehrt, daß Gewalt ein legitimes Mittel zur Beendigung sozialer Konflikte ist, fördert die Entstehung sozialabweichenden Verhaltens und verursacht beträchtliche soziale Kosten. Daher gefährdet sie gesellschaftliche Belange in wesentlich größerem Umfang als vergleichbare Formen der Gewalt außerhalb der Familie. Sie darf deshalb nicht durch die Verneinung des öffentlichen Interesses an ihrer Verfolgung auf eine Stufe mit Wirtshausraufereien, Nachbarschaftsquerelen oder Bagatelldiebstählen gestellt werden. Gewalt in der Familie stört die Interessen der Gesellschaft in nahezu unsichtbarer und lautloser, dafür aber um so nachhaltigerer Weise. Es besteht daher allgemein ein beachtliches öffentliches Interesse an einer strafrechtlichen Verfolgung familiärer Gewaltausübung. Dieses Interesse kann allerdings nur unter besonderer Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Betroffenen befriedigt werden. Durch die Nichtverfolgung von Gewalt in der Familie wird dem Opfer der Schutz durch das Strafrecht versagt. Diese Tatsache birgt nicht nur eine konkrete Gefährdung des Opfers und der Familie durch weitere gewaltsame Angriffe in sich. Sie beeinflußt auch das Verhalten des Opfers und seiner Familie. Je geringer die Aussicht auf ein Eingreifen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten ist, desto weniger werden sich Opfer und Familie auch nach schweren Angriffen um ihre Hilfe bemühen und desto weniger werden sie zur Mitwirkung an einem eingeleiteten Strafverfahren bereit sein. Wenn das Rechtssystem seinen Schutz verweigert, so wird das Opfer geneigt sein, nach außerrechtlichen Schutzmöglichkeiten zu suchen. Diese sind indessen nur in unzureichendem Maße vorhanden 12 . Viele Opfer sind überdies nicht in der Lage, selbst für ihren Schutz zu sorgen, da sie sehr jung, geistig oder körperlich behindert, materiell unbeweglich oder sozial isoliert sind. Die Opfer verfallen in Apathie und erlernte Hilflosigkeit 13 . Die Verweigerung strafrechtlichen Schutzes läßt das Problem der „Selbstjustiz" auftauchen 14 . Gerichte und Öffentlichkeit sind zuweilen mit Fällen des „Tyrannenmordes" befaßt, in denen Frauen oder halbwüchsige Kinder ihren Mann oder Vater vorsätzlich getötet haben, nachdem dieser sie jahrelang 10 11 12 13 14
Vgl. oben Β I 2. Vgl. oben Β I 4 c) gg). Vgl. oben Β I I I 1. Vgl. oben Β I 4 c) bb) (1) (b). Langley/Levy 1977, 161; Walker 1979, 26f.
2. Probleme der Nichtverfolgung familiärer Gewalt
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körperlich und psychisch mißhandelt hatte 15 . Notwehr und Selbstjustiz liegen hier meist eng beieinander. Die Rechtsprechung reagiert auf dieses Problem, indem sie eine Notwehr unter Ehegatten, die zur Tötung des Angreifers führt, nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zuläßt 16 . Diese Strenge der Grenzziehung zwischen Notwehr und Selbstjustiz, die aus dogmatischen Gründen durchaus notwendig ist, steht in einem Mißverhältnis zu der lockeren Handhabung der Strafverfolgung in Fällen nichttödlicher Gewalt in der Familie. Selbstjustiz kann nur dann mit innerer Berechtigung geahndet werden, wenn sich der Staat seinerseits nach allen Kräften bemüht, die Opfer strafbarer Handlungen vor weiteren Übergriffen zu schützen, damit sie nicht gewaltsame Abwehr- und Selbstschutzmaßnahmen ergreifen. Die gegenwärtige, gegenüber familiärer Gewaltanwendung meist zu duldsame Strafverfolgungspraxis unternimmt keine ausreichenden Schritte, um eine Verschärfung der Gewalt zu verhindern. Sie greift erst dann mit voller Härte durch, wenn es bereits zu einer Eskalation gekommen ist. Das Unterbleiben einer Reaktion der Strafverfolgungsorgane auf Gewalt in der Familie oder die vorzeitige Einstellung eines eingeleiteten Verfahrens beeinflussen das Verhalten des Täters in negativer Weise. Sie bestätigen den Täter in der Auffassung, daß ihm ein Recht zustehe, seine Familienmitglieder körperlich zu disziplinieren. Zumindest geschieht nichts, das seine Fehlvorstellung korrigieren könnte. Die Bemühungen, die der Staat durch seine Organe zur Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten unternimmt, sind allgemein bekannt. Vor diesem Bewußtseinshintergrund macht der Täter familiärer Gewaltanwendung die Erfahrung, daß Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte nur wenig Bereitschaft zeigen, sich mit seinem gewaltsamen Verhalten zu befassen. Er muß auf diese Weise zu der Ansicht gelangen, daß sein Handeln keine „richtige" Straftat sein könne. Andernfalls würden sich die Strafverfolgungsorgane stärker um die Entdeckung und Ahndung entsprechender Vorfalle bemühen. Nichtreaktion oder ein vorzeitiger Abbruch der Verfolgung verstärken den Täter daher in seinem Verhalten und wirken auf diese Weise sekundär gewaltverursachend 17. Die stillschweigende Duldung familiärer Gewaltanwendung durch die Strafverfolgungsbehörden unterstützt diejenigen sozialen Normen, die die Autonomie der Familie betonen und Gewalt als Konfliktlösungs- und Disziplinierungsmittel innerhalb der Familie in Grenzen zulassen. Ein Strafrecht, das nicht durchgesetzt wird, hat keine Chance, seine wertbildende Funktion zu erfüllen und den gewaltfördernden gesellschaftlichen Normen entgegenzuwirken. Die zur Schau getragene Indifferenz der Strafverfolgungsbehörden schreckt anzei15 Vgl. z.B. den bekannten „Bratpfannenfall": BGH NJW 1966, 1823; ferner BGH NStZ 1984, 20. 16 BGH NJW 1969, 802; BGH NJW 1975, 62f., dazu Geilen 1976. 17 Langley / Levy 1977, 161; D. Martin 1978, 127; Walker 1979, 212; Paterson 1979, 82f.; Newberger/Bourne 1979, 147.
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U. Schneider
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C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens
gebereite Nachbarn, Freunde und Verwandte davon ab, sich an die Polizei oder die Staatsanwaltschaft zu wenden. Dies gilt selbst in schweren Fällen familiärer Gewaltanwendung, in denen die Chance auf eine wirksame Strafverfolgung grundsätzlich bestünde. Kein Zeuge ist bereit, sich den Unannehmlichkeiten einer Anzeige und den damit möglicherweise verbundenen Schmähungen und Verdächtigungen durch seine Umwelt auszusetzen, wenn er erwarten muß, daß „doch nichts dabei herauskommt". 3. Mängel einer Verfolgung von Gewalt in der Familie innerhalb des Offizialverfahrens Grundsätzlich können alle materiellrechtlich strafbaren Fälle von Gewalt in der Familie im Offizialverfahren geahndet werden. Zwar entfällt nur ein geringer Teil aller Gewalttaten in der Familie auf Offizialdelikte (§§ 223b, 224, 225), denen im Offizialverfahren nachgegangen werden muß. Bei den meisten Delikten der Gewalt in der Familie ist freilich sowohl eine Strafverfolgung im Offizial- wie im Privatklageverfahren möglich. Es handelt sich hierbei um Strafantrags- (§ 223) und Privatklagedelikte (§§ 223, 223a), die bei Bejahung eines öffentlichen Interesses im Offizialverfahren verfolgt werden. Die Durchführung eines Offizialverfahrens in Fällen familiärer Gewaltanwendung wirft erhebliche Probleme auf. a) Die Vernachlässigung von Opfer- und Familieninteressen
Das Offizialverfahren dient nicht dem Schutz der Interessen von Opfer und Familie in Fällen familiärer Gewaltanwendung. Einleitung und Gang des Offizialverfahrens sind vom Willen des Verletzten unabhängig. Er hat keine selbständige Rechtsstellung im Prozeß und ist im Gegensatz zum Beschuldigten nicht Prozeßsubjekt. Als Zeuge ist er lediglich Mittel zur Wahrheitsfindung. Das gleiche gilt für andere Familienangehörige, die als Mitopfer von Gewalt in der Familie sekundär betroffen sind. Den Interessen des Beschuldigten stehen im Offizialverfahren ausschließlich die Interessen der Allgemeinheit gegenüber. Die Belange des Opfers oder gar Dritter treten völlig zurück. Durch die Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs, der als öffentlich-rechtlicher Anspruch der Rechtsgemeinschaft gegen den einzelnen gilt 1 8 , sollen Wohl und Sicherheit der Allgemeinheit geschützt werden. Das Offizialverfahren soll zu einem Urteil hinführen, das durch die Berücksichtigung der Schuld des Täters die allgemeinen Gerechtigkeitserwartungen erfüllt und damit gleichzeitig der generalpräventiven Rechtsbewährung dient. Ein etwaiges Vergeltungs- oder Wiedergutmachungsbedürfnis des Opfers bleibt unbeachtet 19 . Strafrechtliche Spezialprävention durch Verhängung von Strafen und Maßregeln richtet sich alleine an den 18 19
J. Baumann 1979b, 13; vgl. Rieß 1984, Rdn. 60. Hochheuser 1965, 24f.
3. Mängel der Verfolgung familiärer Gewalt im Offizialverfahren
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Täter und soll die Allgemeinheit vor Rückfalltaten bewahren. Auch in ihrem Rahmen werden Opferinteressen nicht gesondert berücksichtigt. Das Offizialverfahren hat die Aufgabe, den Ausgleich zwischen den schutzwürdigen Gerechtigkeits- und Präventionsinteressen der Allgemeinheit und denjenigen Interessen des Beschuldigten herzustellen, die vor staatlichen Eingriffen grundgesetzlich geschützt sind 20 . In diese doppelte Schutzfunktion des Offlzialprozesses ist das Opfer und sind mittelbar verletzte Dritte nicht einbezogen. Ihre Interessen berücksichtigt das Offizialverfahren nur indirekt und nur insoweit, als sie dem postulierten Interesse der Allgemeinheit an der Bestrafung des Täters entsprechen. Die einseitige Ausrichtung des Offizialverfahrens an der Verwirklichung eines unterstellten Bestrafungsinteresses der Allgemeinheit führt dazu, daß die amtliche Strafverfolgung nichts zur Heilung und zum Ausgleich der Schäden beiträgt, die Opfer und Familie durch familiäre Gewalttaten bereits erlitten haben. Sie bringt dem Opfer und der Familie in aller Regel keinerlei Vorteile, sondern verursacht im Gegenteil oft erhebliche Nachteile. Zwischen den einzelnen Familienmitgliedern, auch zwischen Täter und Opfer, bestehen meist mehr oder minder bedeutende emotionale Bindungen, die durch eine amtliche Strafverfolgung belastet werden, selbst wenn im Ergebnis die Beweise für eine Verurteilung und Bestrafung des Täters nicht ausreichen. Zusätzlich zu den bereits erlittenen körperlichen und psychischen Schäden müssen das Opfer und seine Familie soziale Geringschätzung und Abwertung ertragen, die mit der Einleitung eines öffentlichen Strafverfahrens verbunden sind. Die amtliche Strafverfolgung greift tief in die Intimsphäre der Familie ein und fördert möglicherweise Tatsachen zutage, an deren Geheimhaltung allen Betroffenen gelegen ist. Sie verkörpert eine Bedrohung der Familie durch einen staatlichen Zugriff, der sie strukturell und funktional zerstören kann 2 1 . Eine Vernachlässigung der Belange des Opfers und anderer Personen, die von der Tat und ihren Folgen unmittelbar betroffen sind, ist in Fällen familiärer Gewaltanwendung besonders problematisch. Bei der Verfolgung von Gewalttaten innerhalb der Familie sind die Organe der Strafrechtspflege auf die Anzeigeund Aussagebereitschaft der Betroffenen und der Personen ihres sozialen Nahraums angewiesen. Ohne ihre Mitwirkung kommt ein Verfahren gar nicht erst in Gang oder scheitert an Beweisschwierigkeiten. Der Grad ihrer Bereitwilligkeit, an einem Verfahren mitzuwirken, hängt ganz wesentlich davon ab, welchen Nutzen und welchen Schaden sich die Betroffenen von einem solchen Verfahren versprechen. Eine Zurücksetzung der Interessen von Opfer und Familie im Offizialverfahren kann sich die Strafverfolgung daher nicht leisten, wenn sie nicht die Bedeutung und die Wirksamkeit der strafrechtlichen Kontrolle in Frage stellen will. 20
Vgl. Peters 1981, § 13; J. Baumann 1979b, 17f.; Roxin 1985, § 1 Β II. Zu dem allgemeinen Problem der mangelhaften Berücksichtigung der Interessen des Verletzten im Strafverfahren vgl. Rieß 1984. 21
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Die Ausklammerung der Interessen der Betroffenen aus der öffentlichen Strafverfolgung ist bei familiären Gewalttaten darüber hinaus aus Gründen der Billigkeit bedenklich. Gewalt in der Familie gefährdet nicht die Rechtsgüter beliebiger Gesellschaftsmitglieder. Das Risiko einer Wiederholung der Tat haben vielmehr alleine das ursprüngliche Opfer und seine Familienangehörigen zu tragen. Bei gewaltsamen Angriffen innerhalb der Familie ist die Wiederholungsgefahr besonders erheblich 22 . Das Opfer und seine Familienmitglieder sind diejenigen Personen, die am meisten unter den Folgen einer verfehlten strafrechtlichen Reaktion leiden. Überdies greift bereits das Strafverfahren in die Struktur und die Funktionen der betroffenen Familie ein. Die Durchführung eines öffentlichen Strafverfahrens bringt Gefahren für schutzwürdige, sozial und rechtlich anerkannte Interessen des Verletzten und seiner Familie mit sich. Sie können im Ergebnis ähnlich weitgehend sein wie die Interesseneinbußen, die der Beschuldigte im Rahmen der Strafverfolgung hinnehmen muß. Während das Strafverfahrensrecht der Stellung des Beschuldigten große Aufmerksamkeit schenkt 23 und sie besonders stark ausbaut, um ihn vor ungerechtfertigten Eingriffen in seine rechtlich anerkannten Interessen zu schützen, werden die Belange des unmittelbaren Opfers und anderer Mitopfer übergangen. Wenn bei der amtlichen Strafverfolgung von Gewalt in der Familie die Interessen des Opfers und der Familie außer acht gelassen werden, so hat dies vor dem Hintergrund der generalpräventiven Zielsetzung des Strafrechts paradoxe sozialpsychologische Rückwirkungen. Die öffentliche Strafverfolgung soll der Rechtsbewährung dienen. Sie soll zu einer Verurteilung des schuldigen Täters hinführen. Die Verurteilung symbolisiert die Unverletzlichkeit des angegriffenen Rechtsguts und ist somit ein Bestandteil strafrechtlicher Generalprävention. Eine Rechtsbewährung gegenüber Gewalt in der Familie, die keine Rücksicht auf die Belange der Beteiligten nimmt, kann das Opfer schwer gefährden und zur endgültigen Zerrüttung und Zerstörung der betroffenen Familie führen. Die Unversehrtheit der gefährdeten Familienmitglieder und das Bestehen und die Funktionstüchtigkeit der einzelnen betroffenen Familie werden aufs Spiel gesetzt, um durch eine Bestrafung des Rechtsbrechers die Unantastbarkeit der abstrakten Werte der körperlichen Integrität und der Familie zu verdeutlichen. Die Rechtsbewährung, zu der das öffentliche Strafverfahren hinführen soll, kann auf diese Weise ihren generalpräventiven Zweck nicht erfüllen. Sie veranschaulicht gerade nicht die Unverletzlichkeit der angegriffenen Rechtsgüter, sondern wird Ausdruck ihrer Verfügbarkeit. Damit verliert sie an wertbildender Überzeugungskraft.
22 23
Vgl. oben Β I 4 a) bb). Maiwald 1970, 33.
3. Mängel der Verfolgung familiärer Gewalt im Offizialverfahren
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b) Die Unzulänglichkeit der Zielsetzung des Offizialverfahrens: Wahrheitsfindung statt Konfliktlösung
Das staatlich betriebene Erwachsenenstrafverfahren erfüllt keine eigenen Präventionszwecke 24. Es übernimmt daher auch nicht die Aufgabe, die zwischenmenschlichen Konflikte zu lösen, die Gewalt in der Familie verursachen. Sein Ziel ist es vielmehr alleine, die materiell richtige Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten zu finden, die darüber hinaus im Einklang mit der Prozeßordnung zustande gekommen sein und Rechtsfrieden schaffen muß 2 5 . Aufgabe des öffentlichen Strafverfahrens ist es demnach, die Wahrheit über Tat und Täter zu ermitteln. Diese Aufgabe steht auch im Vordergrund des Jugendstrafverfahrens. Zwar unterstützt das Jugendstrafverfahren im Gegensatz zum Erwachsenenstrafverfahren auch eigene spezialpräventive Erziehungsziele. Zur Lösung zwischenmenschlicher Konflikte ist es gleichwohl nicht berufen. Gerade in Fällen familiärer Gewaltanwendung muß indessen Konfliktlösung eine vorrangige Aufgabe innerhalb der strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Reaktion sein, da sowohl die Betroffenen wie der Staat und die Gesellschaft ein erhebliches Interesse an der Regelung gewaltverursachender Familienkonflikte haben. aa) Das Interesse der Betroffenen an einer Lösung innerfamiliärer Konflikte
Wenn die Betroffenen, ihre Verwandten, Freunde oder Nachbarn sich bei Gewalttaten in der Familie an die Strafverfolgungsbehörden wenden, so geschieht dies in der Regel nicht, weil sie eine Bestrafung des Täters wünschen. Vielmehr verbinden sie mit ihrer Anzeige die Erwartung, daß sich das Eingreifen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten in irgendeiner Weise mäßigend auf das Verhalten des Täters auswirken wird 2 6 . Die Beteiligten rufen die Polizei in akuten Krisenfallen und erhoffen sich von ihr Schutz und Unterstützung bei der Beilegung gefährlicher Familienstreitigkeiten. Sie wollen Hilfe bei der Lösung derjenigen innerfamiliären Konflikte, die gewaltverursachend wirken, und wünschen die Neuordnung der durch den gewaltsamen Angriff gestörten Familienbeziehungen. Die Zielbestimmungen des Strafverfahrens und der strafrechtlichen Sanktionen sehen die Gewährung einer solchen Hilfe indessen nicht vor. Die Feststellung von Schuld und die Verhängung von Strafen sind der Erforschung der Ursachen eines gewalttätigen Konflikts und seiner Beilegung wenig dienlich 27 . Mit seiner traditionellen Aufgabenstellung, die sich in der Ermittlung der Wahrheit und der Anwendung des Rechts erschöpft, bietet das Offizialverfahren den Beteiligten geringe Hilfe und enttäuscht ihre Erwartungen 24 25 26 27
Haberstroh 1979. Roxin 1985, § 1 B. Law Reform Commission of Canada (Research Paper) 1975, 16. Bridenback/Palmer/Planchard 1979, 570.
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und Wünsche 28 . Die äußere Tatwahrheit ist einfach und den Beteiligten hinlänglich bekannt. Die Erforschung der Wahrheit durch die Strafverfolgungsorgane steht daher nicht im Vordergrund des Interesses der Betroffenen. Sie unterstützt den Täter, das Opfer und die Familie nicht bei der Bewältigung ihrer Probleme. Überdies stößt die Justiz bei der Feststellung des wahren Tatverlaufs gerade in Fällen familiärer Gewaltanwendung oft auf unlösbare Beweisschwierigkeiten, die bewirken, daß sich die Wahrheit letztendlich nicht ergründen läßt. Diese Beweisschwierigkeiten sind wiederum vornehmlich auf die mangelnde Mitwirkungsbereitschaft der beteiligten Familie zurückzuführen, die sich von einem Strafverfahren keine Lösung, sondern eher eine Verschärfung ihrer Probleme verspricht. bb) Das gesellschaftliche Interesse an einer Lösung innerfamiliärer Konflikte
Wenn die Strafverfolgung im Offizialverfahren nicht auf bestehende zwischenmenschliche Konflikte eingeht, läßt sie nicht nur die Bedürfnisse der betroffenen Familie unberücksichtigt. Sie vermag auch nicht, ihre vorgegebene soziale Aufgabe in sinnvoller und effektiver Weise zu erfüllen. Zu den Zielen des öffentlichen Strafverfahrens gehört die Wiederherstellung des Rechtsfriedens. Dieses Ziel bringt seine überindividuelle Funktion am deutlichsten zum Ausdruck. Sowohl das materielle Strafrecht wie das Strafverfahrensrecht sehen die Straftat nicht als das Ergebnis eines Konflikts zwischen Einzelpersonen, wie dies gerade bei Gewalt in der Familie der Fall ist. Als Aufgabe des Offizialverfahrens gilt es daher auch nicht, die gestörten Beziehungen zwischen den beteiligten Personen zu heilen oder zu beenden und so „Frieden" zwischen ihnen zu schaffen. Vielmehr wird die Straftat als Ausdruck eines abstrakten Konflikts zwischen Täter und Gesellschaft behandelt 29 . Diese Sichtweise ist grundsätzlich berechtigt, denn strafrechtliche Verhaltensnormen verkörpern soziale Interessen. Mit seinem Norm verstoß greift der Täter die jeweils geschützten gesellschaftlichen Belange an. Dieser Akt der Aggression ruft einen abstrakten sozialen Konflikt zwischen dem Täter und der Gesamtgesellschaft hervor. Das offizielle Strafverfahren ist Voraussetzung und Bestandteil einer geordneten gesellschaftlichen Gegenwehr gegen den Aggressor (Täter) 30 . Im Prozeß der Wahrheitsfindung wird geklärt, ob der Beschuldigte die normativ geschützten gesellschaftlichen Interessen verletzt hat und ob deshalb eine soziale Gegenwehr erforderlich ist. Der Konflikt wird beendet, indem der Staat die gesellschaftlichen Interessen behauptet. Das verletzte Recht wird bewehrt; der gestörte „Rechtsfrieden" wird wiederhergestellt. Die Einstufung der Straftat als abstrakten Konflikt zwischen Täter und Gesellschaft und ihre entsprechende Handha28 29 30
Field /Field 1973, 235. Christie 1977, 3. Vgl. Weigend 1984, 775.
3. Mängel der Verfolgung familiärer Gewalt im O f f i z i a l v e r f a h r e n 1 8 3 bung in der Strafverfolgung ist indessen dann unzureichend, wenn der Tat schwere und andauernde Konflikte zwischen den Beteiligten zugrunde liegen. Familiäre Gewaltanwendung kann nicht wirksam rückfallverhütend bekämpft werden, wenn nicht die zwischenmenschlichen Konflikte gelöst werden, die sie verursachen und die durch sie hervorgerufen werden. Zwar ist es nicht zutreffend, Gewalt in der Familie ausschließlich als Ausprägung eines interindividuellen Konflikts zu sehen und so zu behändein. In einer Gesellschaft, die die körperliche Unversehrtheit des Menschen als einen ihrer obersten Werte anerkennt, verletzt jeder Angriff auf den Körper eines einzelnen soziale Werte und somit gesellschaftliche Interessen. Abgesehen davon gefährdet Gewalt in der Familie noch weitere zentrale gesellschaftliche Werte 31 . Der abstrakte Konflikt zwischen dem Täter von Gewalt in der Familie und der Gesellschaft, der aus der Verletzung sozialer und sozial anerkannter individueller Interessen entsteht, kann indessen nur beendet werden, wenn die konkreten gewaltfördernden innerfamiliären Konflikte gelöst werden. Der gewaltsame Angriff ist gleichsam Ausdruck einer konflikthaften Störung des „Familienfriedens" und stört seinerseits den Rechtsfrieden. In Fällen familiärer Gewaltanwendung ist daher eine Festigung des Rechtsfriedens im amtlichen Strafverfahren ohne eine Wiederherstellung des Familienfriedens nicht zu erreichen 32. Die Gewährung einer Hilfestellung bei der Lösung der bestehenden gewaltverursachenden und -verursachten Familienkonflikte im Rahmen der strafrechtlichen Reaktion entspräche deshalb nicht nur den Interessen der Betroffenen. Sie ist vielmehr auch die Voraussetzung einer wirksamen Wahrung gesellschaftlicher Interessen. Die Strafverfolgung muß daher auf Gewalt in der Familie mit anderen Mitteln und Verfahrensweisen reagieren als auf außerfamiliäre Straftaten, die nicht Ausdruck eines tiefgreifenden Konflikts zwischen Täter und Opfer sind. Konfliktlösung kann in Fällen familiärer Gewaltausübung überdies repressive Abwehrmaßnahmen überflüssig machen. cc) Die Vernachlässigung präventiver Einflußmöglichkeiten durch das Offizialverfahren
Indem das staatlich betriebene Strafverfahren die Lösung zwischenmenschlicher Konflikte aus seinem Aufgabenbereich ausklammert, verschenkt es wertvolle präventive Einflußmöglichkeiten. Gewalt in der Familie entsteht in einem sozialen Interaktionsprozeß, an dem der Täter, das Opfer, ihre Familie und die Personen ihres sozialen Nahraums beteiligt sind. Sie kann nur in einem sozialen Interaktionsprozeß wirksam abgebaut werden. Strafrechtliche Sanktionen richten sich ausschließlich an den Täter und beziehen nicht seine Interaktionspartner ein. Unter der Geltung des Schuldprinzips ist auch nur eine 31
Vgl. ferner oben Β I 2, 3 und 4 c) gg). Vgl. allgemein zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der Interessen des Verletzten bei der Wiederherstellung des Rechtsfriedens: Rieß 1984, Rdn. 68. 32
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Einwirkung auf den Täter möglich. Das Strafverfahren ist demgegenüber ein Interaktionsprozeß, an dem die von der Tat vornehmlich Betroffenen teilnehmen. Innerhalb des strafrechtlichen Reaktionssystems bietet es daher den ersten Ansatzpunkt für eine Einflußnahme auf Täter, Opfer und Familie. Gerichtliche und gerichtsähnliche Verfahren werden traditionell zur Schlichtung und Entscheidung von zwischenmenschlichen Konflikten eingesetzt, wenn die Beteiligten ihre Probleme nicht mehr selbst regeln können. Sie sind ein Modell gewaltloser Streitbeilegung 33. Daher dienen sie nicht nur der Lösung akuter Konflikte. Vielmehr können sie für die Beteiligten auch zu Lernmodellen für die gewaltlose Regelung künftiger Streitigkeiten werden. Gerade die von familiärer Gewaltanwendung betroffene Familie benötigt solche Modelle, die ihr helfen, gewaltlose Konfliktlösungsstrategien zu erlernen. Der Offizialprozeß ist demgegenüber Sinnbild der Autorität des Staates, die sich mit strafenden Eingriffen behauptet. Damit gibt er ein Modellfür die repressive Gegenwehr im Konfliktfalle und verkörpert gerade einen der Mechanismen, die auch bei der familiären Gewaltanwendung häufig wirksam werden. Der offizielle Strafprozeß bietet den Beteiligten daher kein Verfahren, in dem sie die konstruktive Lösung zwischenmenschlicher Konflikte erlernen können. Dem Täter, dem Opfer und der Familie werden keine Techniken zur Regelung ihrer Streitigkeiten vermittelt. Die Beteiligten erfahren in der amtlichen Strafverfolgung meist wenig über die Verursachungsprozesse, die dem gewaltsamen Angriff zugrunde lagen. Da es nicht die Lösung zwischenmenschlicher Konflikte bezweckt, sucht das Offizialverfahren nicht, die Bedingungen dieser Konflikte zu klären. Zur Verhütung des Rückfalls ist es in Fällen familiärer Gewaltanwendung indessen erforderlich, mit den Beteiligten die Prozesse zu klären, die bei der gewalttätigen Verschärfung ihrer Konflikte eine Rolle gespielt haben. Nur wenn Täter, Opfer und Familie über diese Prozesse Bescheid wissen, können sie ihr künftiges Verhalten danach ausrichten und versuchen, eine Ausweitung von Konflikten zu vermeiden. Die prozessuale Wahrheitsfindung verkürzt das Geschehen, das einer familiären Gewalttat zugrunde liegt, indem sie sich punktuell auf den Tatakt konzentriert und als Urheber dieses Aktes nur den Täter berücksichtigt. Zwar müssen im Rahmen der Strafzumessung auch die Lebensumstände des Täters, seine persönliche Entwicklung, seine Tatmotive und die Rolle des Opfers bei der Verursachung der Tat gewürdigt werden. Diese möglichen Verursachungsfaktoren werden aber immer nur unter den Gesichtspunkten der Tatschuld und spezialpräventiver Erfordernisse betrachtet. Der Strafprozeß zieht eine klare Trennungslinie zwischen dem schuldigen Täter und dem unschuldigen Opfer. In der Reaktion auf Gewalt in der Familie ist dieses Vorgehen unangemessen. Es zerteilt das Interaktionsgeschehen, in dem die Tat entstanden ist, und vermittelt den Beteiligten weder ausreichende Informationen noch nutzbringende Techniken, mit deren Hilfe sie künftig gewaltsame Konflikte vermeiden können.
33
Vgl. Seagle 1958, 127 ff.
4. Verfolgung familiärer Gewalt auf Strafantrag und Privatklage
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4. Mängel einer Verfolgung von Gewalt in der Familie innerhalb des Strafantrags- und Privatklageverfahrens a) Der Versöhnungsgedanke als Grundlage von Strafantrag und Privatklage
Ein Großteil aller familiären Gewalttaten kann im Strafantrags- (§ 223) und/oder Privatklageverfahren (§§ 223, 223a) verfolgt werden. Allen Deliktsgruppen, die den Strafantrags- oder Privatklageerfordernissen unterliegen 34 , ist gemeinsam, daß sie Merkmale aufweisen, die das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung im Regelfalle weichen lassen. Bei den Strafantragsdelikten handelt es sich überwiegend um leichtere Straftaten, mit denen der Täter ein ihm persönlich bekanntes, konkretes Opfer treffen will. Die Tat erwächst aus einer mehr oder minder engen und andauernden persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer 35 . Indem das Strafrecht die Verfolgung der Tat von einem Antrag des Verletzten abhängig macht, will es den Beteiligten die Möglichkeit geben, die Angelegenheit privat zu bereinigen und sich zu versöhnen 36 . Dieser Versöhnungsgedanke liegt daher den meisten Strafantragserfordernissen zugrunde 37 . Das Strafrecht erkennt damit die Grenzen seiner Wirksamkeit an und überläßt es Täter und Opfer, ihre bestehenden Beziehungen zueinander zu regeln. Auf den gleichen rechtlichen Grundgedanken fußt die Privatklage. Für den Gesetzgeber ist sie zum einen ein Mittel zur Ausscheidung von Bagatellkriminalität aus der Strafverfolgung 38 . Zum anderen umfaßt der Bereich der Privatklagedelikte wiederum Straftaten mit höchstpersönlichem Charakter 39 . Das sind solche Taten, die nur ein ganz bestimmtes Opfer treffen sollen und oft aus persönlichen Konflikten begangen werden. Es wird angenommen, daß die leichtere Konfliktkriminalität die Belange der Allgemeinheit nur wenig berührt. Dennoch soll dem Verletzten strafrechtlicher Schutz gewährt werden, wenn er dies wünscht 40 . Die Privatklage bietet dem Verletzten daher einerseits die Möglichkeit, seine eigenen Schutzinteressen durchzusetzen. Indem sich der Staat bei der Strafverfolgung der privatklagefähigen Delikte Zurückhaltung auferlegt, will er den Beteiligten gleichzeitig die Gelegenheit geben, sich ohne Einmischung des Strafrechts zu versöhnen 41 . 34 Zu der Einteilung der Strafantragsdelikte vgl. Peters 1981, § 27 II; Stree S/S § 77 Rdn. 4; Maiwald 1970, 34; Rudolphi SK Vor § 77 Rdn. 2 ff. 35 Zu den Funktionen des Strafantrags vgl. Rieß 1984, Rdn. 16. 36 Stree S/S § 77 Rdn. 4; Rudolphi SK Vor § 77 Rdn. 2 f. 37 Maiwald 1970, 36. 38 Vgl. die Motive zur StPO bei v. Hentig 1927,207 und bei Wendisch L R 2 4 Vor § 374, Rdn. 3. 39 Gerland 1901, 27. 40 Maiwald 1970, 47. 41 Maiwald 1970, 48.
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C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens
Strafantrag und Privatklage sollen es dem Opfer ermöglichen, entscheidend an der Strafverfolgung mitzuwirken und so seine für oder gegen eine Strafverfolgung stehenden Interessen zur Geltung zu bringen 42 . Als Privatkläger ist der Verletzte Partei und damit Subjekt des Verfahrens. Daher stehen ihm auch wesentliche prozessuale Rechte zu (z.B. das Recht, Rechtsmittel einzulegen: § 390 StPO; vgl. weiterhin § 3851 StPO). Durch einen gerichtlichen Vergleich mit dem Täter kann er auch solchen persönlichen Bedürfnissen Genugtuung verschaffen, die eine Bestrafung des Täters nicht befriedigen würde. Insbesondere kann er auf diese Weise eine ideelle oder materielle Wiedergutmachung erlangen. Von seiner Grundkonzeption her soll das Privatklageverfahren somit den Interessen des Opfers stärker Geltung verschaffen, als dies im Offizialverfahren geschieht. Daher ist auch die Vorherrschaft des Prozeßzieles der Wahrheitsfindung im Privatklageverfahren gegenüber dem Offizialverfahren abgemildert. Zwar ist es grundsätzlich Ziel des Privatklageverfahrens, gegen den Beschuldigten eine Kriminalstrafe zu verhängen 43 . Auch das Privatklageverfahren steht deswegen unter dem Gebot der Wahrheitsfindung. Grundlage und Gestaltungsmaßstab der Privatklage soll allerdings der Gedanke der Versöhnung zwischen Täter und Opfer sein 44 . Eine erfolgreiche Versöhnung, die sich in der Nichterhebung oder in der Rücknahme der bereits erhobenen Privatklage ausdrücken soll, macht die Aburteilung der Tat und damit die Wahrheitsfindung überflüssig. b) Die unzureichende Verwirklichung des Versöhnungsgedankens durch Strafantrag und Privatklage
Der Versöhnungsgedanke, der dem Strafantrags- und Privatklageverfahren zugrunde liegt, scheint gerade bei der Reaktion auf familiäre Gewaltanwendung einen guten Ansatz zu bieten. Den Beteiligten ist mit einer Versöhnung mehr geholfen als mit einer Bestrafung des Täters. Durch eine Aussöhnung von Täter und Opfer wird auch der gestörte Rechtsfriede wiederhergestellt 45. Da Strafantrag und Privatklage den Beteiligten Gelegenheit zur Beilegung ihrer Streitigkeiten bieten wollen, scheinen sie auf den ersten Blick zur Handhabung familiärer Gewaltanwendung besonders geeignet. Der Versöhnungsgedanke ist im Strafantrags- und Privatklageverfahren indessen nicht folgerichtig und nicht in einer Weise verwirklicht, die einen größtmöglichen Schutz des Opfers sicherstellt. Der Strafantrag gibt den Beteiligten die Möglichkeit, sich unbehelligt von einer Strafverfolgung wieder zu vertragen. Mißlingt die Aussöhnung oder sind die Parteien nicht an ihr interessiert, so kann das Opfer Strafantrag stellen. Diesem Antrag folgt ein Strafverfahren, dessen Ziel es ist, durch Verwirklichung 42 43 44 45
Rieß 1984, Rdn. 14ff., 21 ff. Wendisch L R 2 4 Vor § 374 Rdn. 4; v. Stackelberg K K Vor § 374 Rdn. 1. Maiwald 1970, 33 ff.; Koewius 1974, 40. Maiwald 1970, 36.
4. Verfolgung familiärer Gewalt auf Strafantrag und Privatklage des staatlichen Strafanspruchs den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Das Ziel einer Versöhnung der Parteien wird fallengelassen. Das Opfer wird gleichsam vor die Wahl gestellt, sich entweder aus eigener Kraft und ohne jede Unterstützung des Strafrechts privat mit dem Täter zu arrangieren oder aber eine Strafverfolgung einzuleiten, die dann allerdings vor allem die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bezweckt. Eine Versöhnung der Beteiligten kann in Fällen familiärer Gewaltanwendung zwar den gestörten Rechtsfrieden wiederherstellen und damit eine Bestrafung des Täters überflüssig machen 40 . Umgekehrt kann Strafe aber nie eine Versöhnung ersetzen. In einem der Erhebung des Strafantrags folgenden Offizialverfahren wird den Betroffenen grundsätzlich keine Hilfe zur Lösung ihrer persönlichen Spannungen geleistet. Es trägt im Gegenteil meist zu einer Verhärtung der Fronten bei. Freilich geschieht es oft, daß der Verletzte auf den Privatklageweg verwiesen wird, wenn er Strafantrag wegen einer einfachen Körperverletzung stellt. Im Privatklageverfahren soll wiederum auf eine Konfliktregelung hingearbeitet werden. Der Versöhnungsgedanke findet seinen besonderen Ausdruck innerhalb des Sühneverfahrens. Bei einigen Delikten, so auch bei der einfachen Körperverletzung (§ 223), ist die Erhebung der Privatklage erst zulässig, wenn zuvor zwischen dem Beschuldigten und dem Verletzten ein Sühneversuch vor einer Vergleichsbehörde stattgefunden hat (§ 380 StPO). Die Durchführung eines Sühneversuchs ist Klagevoraussetzung 47. Sie steht im Dienste der Prozeßökonomie, indem sie einer leichtfertigen Erhebung der Privatklage vorbeugen soll 4 8 . Insofern spielt das Sühneverfahren die Rolle eines Hindernisses auf dem Wege des Privatklägers zu den Gerichten. Gleichwohl ist es Ziel des Sühneverfahrens, den Rechtsfrieden ohne Einschaltung der Gerichte wiederherzustellen. Daher hat das Sühneverfahren die Aufgabe, eine gütliche Einigung zwischen den Parteien, Täter und Opfer, herbeizuführen. Sie werden bei der Beilegung ihrer Streitigkeiten staatlich unterstützt. Im Sühneverfahren kommt es weniger darauf an, daß der Sachverhalt richtig aufgeklärt oder die Handlung des Beschuldigten juristisch exakt unter die Strafvorschriften subsumiert wird. Das Ziel der Wahrheitsfindung tritt also zurück. Leitgesichtspunkt des Verfahrens ist vor allem die Versöhnung zwischen den Beteiligten 49 . Die Vergleichsbehörde kann daher auch keine Entscheidungen treffen. Ihre Aufgabe beschränkt sich darauf, zwischen den Beteiligten eine gütliche Einigung in Form eines Vergleichs herbeizuführen. In dem Vergleich verzichtet der Antragsteller in der Regel auf sein Klagerecht, während sein Gegner sich entschuldigen und zivilrechtliche Verpflichtungen eingehen kann. Zur Lösung von Konflikten, die einem strafbaren Angriff unter nahestehenden Personen zugrunde liegen oder durch ihn hervorgerufen werden, ist das Sühneverfahren zwar ein nützlicher 46 47 48 49
a.A. Hochheuser 1965, 41. Roxin 1982, § 61 F I. Wendisch L R 2 4 § 380 Rdn. 29. Jahn 1965, 38 f.
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C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens
Ansatzpunkt. Jedoch ist sein Anwendungsbereich stark eingeschränkt. Nur familiäre Gewalthandlungen, die den Tatbestand der einfachen Körperverletzung erfüllen und von einem Heranwachsenden oder Erwachsenen begangen werden, können im Sühneverfahren verhandelt werden. Es findet daher seinen gesetzlich abgesteckten Haupteingriffsbereich in Fällen der einfachen Körperverletzung unter Ehegatten. Indessen sind auch bei anderen Fällen familiärer Gewaltanwendung staatliche Hilfen zur familieninternen Konfliktregelung erforderlich. Da der Anwendungsbereich der Privatklage den § 223a miterfaßt, ist er weiter als derjenige des vorgeschalteten Sühneverfahrens. Auch innerhalb des Privatklageverfahrens ist eine „Versöhnung" der Parteien durch Vergleich möglich und erwünscht. Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Klagerücknahme (§ 391 StPO) bietet den Parteien und dem Gericht die Chance, das Verfahren mit einer gütlichen Übereinkunft zu beschließen. Ob ein solcher Vergleich, der oft nur durch erheblichen Druck seitens des Gerichts zustande kommt 5 0 , die Spannungen zwischen den Beteiligten auf Dauer zu lösen vermag, ist sehr zweifelhaft. Im übrigen ist auch das Privatklage verfahren ein echtes Strafverfahren, das grundsätzlich das Ziel verfolgt, gegen den Beschuldigten eine Kriminalstrafe zu verhängen 51 . Schon von dieser Zielsetzung her ist es ungeeignet, eine wirkliche Aussöhnung der Parteien herbeizuführen. Der Vergleich ist gleichsam ein Abfallprodukt eines Verfahrens, das in seinen Leitprinzipien und seiner Gestaltung auf Strafverhängung gerichtet ist. Strafantrag und Privatklage geben dem Versöhnungsgedanken eine starre Form. Sie ermöglichen dem Täter und dem Opfer zwar, ihre Streitigkeiten ohne Behelligung durch das Strafrecht beizulegen. Ob die Parteien diese Gelegenheit auch nutzen, interessiert das Strafrecht demgegenüber weniger. Es schreitet ein, wenn es gerufen wird. Läßt der Verletzte die Angelegenheit auf sich beruhen, so wird dies als Zeichen einer wie auch immer gearteten privaten Übereinkunft mit dem Täter gewertet. Indessen gelingt den Parteien keineswegs immer und wohl nicht einmal in den meisten Fällen eine private Versöhnung. Wenn das Opfer dennoch keinen Strafantrag stellt und keine Privatklage erhebt, so sind dafür vielfaltige Motive ausschlaggebend. Dieser Umstand ist schon seit langem bekannt und Anlaß zur K r i t i k 5 2 . Gerade das Opfer familiärer Gewaltanwendung hat zahlreiche zwingende Gründe dafür, keine Strafverfolgung des Täters zu wollen. Selbst wenn es sich tatsächlich mit dem Täter versöhnt hat, bedeutet dies nicht, daß die der Tat zugrundeliegenden Konflikte gelöst sind. Bei Gewalt unter Ehe- oder Lebenspartnern schließt sich der Phase der akuten Gewaltentladung typischerweise eine Phase der Ruhe an, in der der Täter sich um eine Wiedergutmachung der Tat bemüht 53 . In dieser Phase ist es leicht, die Partner zu 50 51 52 53
Koewius 1974, 136 f. Wendisch L R 2 4 § 374 Rdn. 4; v. Stackelberg K K Vor § 374 Rdn. 1. Vgl. bereits Thomsen 1875, 213 ff. Walker 1978, 146fT.
4. Verfolgung familiärer Gewalt auf Strafantrag und Privatklage
189
versöhnen. Die gewaltverursachenden Bedingungen werden durch ein „Vergeben und Vergessen" jedoch nicht aus der Welt geschafft. Eine oberflächliche Versöhnung ist vielmehr gerade gefahrlich, da sie das Opfer an den Täter bindet und daran hindert, aktive Schritte zu seinem eigenen Schutz zu unternehmen. Opfer und Täter werden auf diese Weise in einem Kreislauf der Gewalt festgehalten. Strafantrag und Privatklage leisten demnach einerseits keinen überzeugenden Beitrag zur Versöhnung zwischen dem Täter und dem Opfer familiärer Gewaltanwendung. Vielmehr verläßt sich das Strafrecht gleichsam auf die „Selbstheilungskräfte der Familie" und gibt ihr kaum aktive Hilfestellung, die eine Aussöhnung der Betroffenen fördert. Damit verzichtet das Strafrecht auch darauf, den gestörten Rechtsfrieden wiederherzustellen. Andererseits reicht eine Versöhnung der Parteien gerade in Fällen der Gewalt in der Familie oft nicht aus, um eine Wiederholung des Angriffs zu verhindern. Sie löst nicht die gewaltfördernden Konflikte und Bedingungen. Innerfamiliäre gewaltverursachende Konflikte können weder durch strafrechtliche Zwangsentscheidungen beigelegt werden, noch kann ihre Regelung den Beteiligten alleine überlassen werden, da sie zentrale gesellschaftliche Belange gefährden. Wichtig ist vielmehr, daß innerhalb der verfahrensrechtlichen Reaktion Spielräume geschaffen werden, die es erlauben, der von Gewaltanwendung betroffenen Familie bei der Regelung ihrer Probleme zu helfen. Den Beteiligten sollen ihre Konflikte nicht „weggenommen" werden 54 ; sie sollen bei der Lösung ihrer Streitigkeiten nicht durch Dritte bevormundet werden. Vielmehr sollen sie bei der Konfliktregelung beratend unterstützt werden. Strafantrag und Privatklage bieten hierfür nur unzureichende Ansatzpunkte. c) Die besonderen Belastungen des Opfers und der Familie durch Strafantrags- und Privatklageerfordernisse
Strafantrag und Privatklage machen das Strafverfahren zu einem Hürdenlauf für den Verletzten 55 . Die Belastungen, die mit der Erhebung von Strafantrag und Privatklage verbunden sind, treffen das Opfer familiärer Gewaltanwendung und seine Familie in besonderem Maße. Ist das Opfer ein Kind oder ein Jugendlicher, so besteht nur eine minimale Wahrscheinlichkeit, daß es zu einer Strafverfolgung kommt, da der Minderjährige sein Strafantrags- und Privatklagerecht nicht selbst ausüben kann und in der Praxis meist keine Person vorhanden ist, die berechtigt und bereit wäre, den angegriffenen Minderjährigen bei der Ausübung seines Strafantrags- und Privatklagerechts zu vertreten 56 . Soweit ein erwachsenes Familienmitglied Opfer der Körperverletzung ist, hat es zwar rechtlich die uneingeschränkte Möglichkeit, selbst den Strafantrag zu 54 55 56
Vgl. Christie 1977, 7 ff. Vgl. Rieß 1984, Rdn. 14ff., 21 ff. Vgl. oben A IV 2.
190
C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens
stellen und Privatklage zu erheben. Tatsächlich kann es diese Möglichkeit freilich nur in den seltensten Fällen wahrnehmen, da die strafrechtliche Verfolgung des Täters nicht den Interessen und Bedürfnissen des Opfers und der Familie entspricht. Strafantrag und Privatklage verursachen dabei noch schwerwiegendere Nachteile als eine Strafverfolgung im Offizialverfahren. Hier ist nicht nur an die unmittelbaren Gefahren zu denken, die dem Opfer seitens des Täters drohen. Wenn Aufnahme und Fortführung des Strafverfahrens von der Initiative des Opfers abhängen, wird der Täter in viel stärkerem Maße geneigt sein, es physisch und psychisch unter Druck zu setzen, als wenn die Strafverfolgung vom Willen des Verletzten unabhängig ist. Die Frontstellung zwischen Täter und Opfer muß sich verschärfen, wenn sie sich im Privatklageverfahren als Kläger und Angeklagter gegenübertreten. Das Privatklageverfahren belastet die Familie auch finanziell. Die Kosten des Verfahrens treffen entweder den Beschuldigten (§ 471 I StPO) oder den Kläger (§ 471 I I StPO) oder beide (§ 471 I I I StPO); in jedem Falle hat sie also die betroffene Familie zu tragen. Im Verfahrensgang sind zahlreiche rechtliche Hindernisse aufgebaut, die der Privatkläger überwinden muß 5 7 . Bevor er die Privatklage wegen einfacher Körperverletzung einreichen kann, muß er an einem Sühneverfahren teilnehmen (§ 380 StPO). Will der Verletzte Privatklage erheben, so muß er zunächst einen Gerichtskostenvorschuß leisten (§§ 379a StPO, 67 I G K G ) 5 8 . Im Zwischenverfahren entscheidet das Gericht über die Zulassung der Privatklage (§ 383 StPO). Es hat dabei die Möglichkeit, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen (§ 383 I I StPO). Auch während des Hauptverfahrens ist eine solche Einstellung zulässig. Entscheidend für die Einstellung des Verfahrens nach § 383 I I StPO ist dabei das Maß der Schuld des Täters und keineswegs die Bedeutung der Tat für den Verletzten und die Familie oder der Umfang der Konflikte, die der Tat zugrunde liegen und durch sie verursacht sind. Überdies wird der Privatkläger mit seinem Anliegen in der Gerichtspraxis oft als störend empfunden 59 . Hieraus resultiert vielfach eine Neigung des Gerichts, die Klage, wo immer dies möglich ist, als unzulässig zurückzuweisen. Ist eine Entscheidung in der Sache unumgänglich, so wird das Verfahren durch das Gericht bisweilen verzögert 60 . Ein solches Vorgehen erweist sich bei Straftaten unter Familienangehörigen als besonders unheilvoll, da das Opfer während des Prozesses in der Regel weiter mit dem Täter zusammenleben muß. Zwischen dem Richter und dem Privatkläger entwickelt sich teilweise sogar ein Spannungsverhältnis 61. All dies wirkt auf den Verletzten abschreckend, während sich der Täter durch das
57
Vgl. Rieß 1984, 23 ff. Vgl. dazu treffend v. Hentig 1927, 207: „ M i t welcher Freude sich der Verletzte in die Schwierigkeiten und Belästigungen der Privatklage stürzt, die unter Umständen mit der Leistung eines Kostenvorschusses beginnt, läßt sich leicht ermessen." 59 Koewius 1974, 157. 60 Koewius 1974, 161 f.; Rieß 1984, Rdn. 23. 61 Koewius 1974, 157. 58
5. Zusammenfassung
191
Vorgehen des Gerichts in seinen Handlungsweisen bestätigt fühlen muß. Bei Privatklagedelikten ohne Zeugen bestehen keinerlei Aussichten auf eine Strafverfolgung 62 . Das Opfer ist als Kläger Verfahrenspartei und kann daher nicht als Belastungszeuge in eigener Sache aussagen63. Da es bei Körperverletzungsdelikten innerhalb der Familie in aller Regel keine aussagebereiten Zeugen gibt, sind die Erfolgsaussichten einer Privatklage gerade in diesen Fällen gering. Darüber hinaus hat die Privatklage geringere Erfolgsaussichten als die Offizialklage, da sie sich nicht auf amtliche Vorermittlungen stützen kann 6 4 . Es kann schon fast als juristisches Allgemeingut angesehen werden, daß durch die Errichtung von Strafantrags- und Privatklageerfordernissen strafrechtsfreie Räume geschaffen werden 65 . Diese Erkenntnis trifft auf die Verfolgung von Gewalt in der Familie in besonderem Maße zu. Strafantrag und Privatklage dienen praktisch nur dann der Verwirklichung des Willens und der Interessen des Opfers, wenn diese einer Strafverfolgung entgegenstehen66. Die Unterlassung jeglicher strafrechtlicher Reaktion ist indessen gerade in Fällen familiärer Gewaltanwendung gefährlich und kann eine Wiederholung der Tat begünstigen 67 . 5. Zusammenfassung: Die Unbilligkeit und Unzweckmäßigkeit der Gestaltung der Strafverfolgung in Fällen familiärer Gewaltanwendung Die strafrechtliche Verfolgung familiärer Gewaltanwendung stößt auf zahlreiche Hindernisse, die dazu führen, daß es nur in wenigen Fällen zu einer Verurteilung des Täters kommt. Alle im Bereich der familiären Gewaltanwendung relevanten rechtlichen Regelungen zur Einschränkung der Geltung von Offizial- und Legalitätsprinzip (§ 232 StGB; §§ 374 I Nr. 4, 376, 377 StPO; §§ 153, 153a StPO) machen das Nichtbestehen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung zur Voraussetzung für den Verzicht auf die Durchführung eines amtlichen Strafverfahrens. Gerade bei Gewalt in der Familie ist das öffentliche Interesse ein unsicherer und insgesamt unbrauchbarer Maßstab für die Entscheidung über Verfolgung oder Nichtverfolgung der Tat. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte sind in hohem Maße bereit, ein öffentliches 62
Koewius 1974, 159. Kleinknecht/Meyer Vor § 48 Rdn. 11; Pelchen K K Vor § 48 Rdn. 15. 64 Hochheuser 1965, 60. 65 Vgl. Rehbinder Vorw. zu Koewius 1974, 1; so auch bereits v. Liszt 1877; Binding 1909, 41 ff., Nagler 1909, 173; v. Hentig 1927. 66 Bezeichnenderweise meint Roxin 1985, § 12 Β I I 1: „Durch das Antragserfordernis wird auf das Interesse des Verletzten Rücksicht genommen. Entweder hat der Verletzte wegen Geringfügigkeit kein Interesse an der Strafverfolgung...; oder die Sache liegt so, daß der Verletzte geradezu ein Interesse daran haben kann, daß die Strafverfolgung unterbleibe..." 67 Vgl. oben C I I I 2. 63
192
C III. Probleme der Durchführung eines Strafverfahrens
Interesse an der Strafverfolgung abzulehnen, weil sich die Gewalt in der Intimsphäre der Familie zuträgt und vornehmlich Belange des individuellen Opfers verletzt. Sie fühlen sich in Fällen familiärer Gewaltanwendung überfordert, da es ihnen auf diesem Gebiet an Erfahrung mangelt 68 . Daher wollen die Strafverfolgungsbehörden nicht in Familienprobleme hineingezogen werden 69 . Soziale Verbrechensangst, die ein wesentlicher Motor der Strafverfolgung ist, entsteht nicht, weil das Risiko einer Tatwiederholung nur ein bereits bestimmtes potentielles Opfer und kein beliebiges Gesellschaftsmitglied trifft. Überdies ist Gewalt in der Familie sozial wenig sichtbar, wirkt daher auch nur wenig bedrohlich auf die Öffentlichkeit. Dennoch gefährdet und schädigt sie gesellschaftliche Interessen in erheblichem Maße. Die Verwendung des „öffentlichen Interesses" als Maßstab für die Entscheidung über die Verfolgung einer Straftat ist insofern tückisch, als sie eine deutliche Trennung zwischen öffentlichen und privaten Interessen verlangt, die in dieser Klarheit nicht besteht. Die rechtliche Werteordnung schützt auch private Belange. Angriffe auf private Interessen können erhebliche soziale Folgen haben. Dies gilt gerade für familiäre Gewaltanwendung. Das „öffentliche Interesse" kann hier nur dann verteidigt und geschützt werden, wenn den privaten Interessen des Opfers und der Familie in angemessener Weise Rechnung getragen wird. Die Durchführung eines Strafverfahrens führt in Fällen familiärer Gewaltanwendung meist zu einer endgültigen Zerstörung der Familie. Im Offizialverfahren werden die Interessen des Opfers und der Familie nicht angemessen berücksichtigt. Das Offizialverfahren bezweckt nicht die Konfliktlösung, die bei Gewalt in der Familie vordringlichstes Ziel einer jeden strafrechtlichen Reaktion sein sollte. Damit dient es weder dem Schutz des Opfers vor weiteren Angriffen noch vermag es den gestörten Rechtsfrieden wiederherzustellen. Strafantrag und Privatklage sollen zwar helfen, die Interessen des Opfers im Strafverfahren stärker durchzusetzen, und beruhen auf dem Gedanken der Versöhnung zwischen Täter und Opfer. Indessen schützen sie wirksam nur das Interesse des Verletzten an einer Nichtverfolgung. Mit einem völligen Unterlassen einer Strafverfolgung von Gewalt in der Familie ist allerdings weder dem Opfer- und Familienschutz noch der Wahrung gesellschaftlicher Interessen gedient. Wünscht das Opfer familiärer Gewaltanwendung eine Strafverfolgung, so wird es durch Strafantrags- und Privatklageerfordernisse unangemessen belastet. Der Versöhnungsgedanke ist durch Strafantrag und Privatklage nicht konsequent verwirklicht und fast bis zur Bedeutungslosigkeit formalisiert. Weder das Offizialverfahren noch das Strafantrags- und Privatklageverfahren noch die Nichtverfolgung von Gewalt in der Familie sind demnach generell geeignet, das Opfer und seine Familie zu schützen sowie den „Familienfrieden" und mit ihm den Rechtsfrieden zuverlässig zu sichern.
68 69
Rosenberg 1975, 162. Langley/Levy 1977, 153.
5. Zusammenfassung
193
Die Vernachlässigung der Interessen des Opfers, der Familie und der Gesellschaft, die auf individuelle Konfliktlösung gerichtet sind, ist im Hinblick auf die Hilfsbedürftigkeit des Opfers und der Familie unbillig und überdies unzweckmäßig in Hinsicht auf die Gewährleistung einer wirksamen staatlichen Verbrechenskontrolle. Bei der Verfolgung familiärer Gewaltanwendung sind Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte fast ausschließlich auf die Mitwirkung der betroffenen Personen angewiesen. In der Regel hängt es von der Anzeigeund Aussagewilligkeit des Opfers und seiner Familienmitglieder ab, ob ein gewaltsamer Angriff strafrechtlich verfolgt werden kann. Eine Verwirklichung der im Strafverfahren geschützten Interessen der Allgemeinheit ist daher ohne eine hinreichende Berücksichtigung der Interessen des Opfers und der Familie unmöglich. Die Tatsache, daß das Strafverfahren die Interessen der Betroffenen übergeht, ist demnach ein Grund, weshalb die Strafverfolgung in Fällen der Gewalt in der Familie von den Betroffenen nur selten in Anspruch genommen wird.
13
U . Schneider
Teil D
Voraussetzungen und Möglichkeiten eines wirksamen strafrechtlichen Schutzes vor familiärer Gewaltanwendung I. Ausgangspunkt: Das Dilemma eines strafrechtlichen Eingreifens gegenüber familiärer Gewaltanwendung Gewalt in der Familie bildet eine bedeutende Gefahr für elementare, durch unsere Rechtsordnung anerkannte und geschützte Rechtsgüter 1. Außerhalb des Strafrechts stehen kaum befriedigende Möglichkeiten zur Verfügung, um familiärer Gewaltanwendung vorzubeugen 2. Deswegen ist sein Eingreifen gegenüber Gewalt in der Familie erforderlich. Indessen vermag das Strafrecht mit seinen bislang angewendeten Mitteln seine präventiven Aufgaben in diesem Bereich kaum zu erfüllen. Seiner generalpräventiven Wirksamkeit stehen erhebliche soziale Widerstände entgegen, die es sehr fraglich erscheinen lassen, ob ein strafrechtliches Gewaltverbot in die engen Interaktionen zwischen Familienmitgliedern eindringen und verhaltenssteuernde Wirkungen entfalten kann 3 . Ähnlich zweifelhaft ist der spezialpräventive Erfolg eines strafrechtlichen Vorgehens gegenüber familiärer Gewaltanwendung4. Bei der Bekämpfung von Gewalt in der Familie steht das Strafrecht somit vor einem scheinbar unauflöslichen Dilemma, das sich in der wissenschaftlichen Kontroverse darüber widerspiegelt, ob ein strafrechtliches Eingreifen auf diesem Gebiet sinnvoll oder nutzlos und sogar schädlich ist. Auf der einen Seite wird ein kompromißloses Vorgehen des Strafrechts insbesondere gegenüber der Gewalt gegen Frauen verlangt 5 . Durch die Bestrafung von Frauenmißhandlung soll das Bewußtsein des Täters und der Öffentlichkeit für die Rechte der Frau geschärft und gewaltbilligenden sozialen Einstellungen entgegengewirkt werden. Im Hinblick auf die wertbildende Funktion des Strafrechts hat dieser Gedanke einige Überzeugungskraft. Da die Rechte des Kindes noch unklarer definiert sind als die Rechte der Frau und Gewalt als Erziehungsmittel breite soziale Anerkennung findet, müßte er gleichermaßen für den Bereich der Kindesmißhandlung 1 2 3 4 5
Vgl. oben Β I. Vgl. oben Β III. Vgl. oben C H I . Vgl. oben C I I 2. Fleming 1979, 202ff.; Blair 1979, 116.
D I. Das Dilemma strafrechtlichen Eingreifens bei familiärer Gewalt
195
gelten. Überraschenderweise fordert gleichwohl ein überwältigender Teil von Wissenschaftlern und Praktikern, die mit diesem Problem befaßt sind, unter dem Stichwort „Hilfe statt Strafe" möglichst informelle soziale Reaktionen fern vom Strafrecht 6 . Sie berufen sich darauf, daß strafende Reaktionen die ohnehin gestörte Familie weiter belasten und aus diesem Grunde nicht vermögen, sie für das Opfer sicherer zu machen. M i t derselben Begründung könnte allerdings auch das strafrechtliche Eingreifen gegenüber Partnergewalt abgelehnt werden. Die dargestellten Auffassungen und ihre Gründe lassen den Zwiespalt deutlich werden, in dem sich das Strafrecht bei einer Entscheidung über ein Eingreifen gegenüber familiärer Gewaltanwendung befindet. Einerseits ist sein Einschreiten erforderlich. Andererseits bestehen gewichtige Zweifel an seiner Eignung zur Prävention familiärer Gewaltanwendung. Der Zwiespalt, in dem sich das Strafrecht hinsichtlich seines Vorgehens gegenüber Gewalt in der Familie, insbesondere Partnergewalt und Kindesmißhandlung, befindet, wird in der Praxis von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten gegenwärtig dadurch „gelöst", daß das Problem der Gewalt in der Familie weitgehend ignoriert oder bagatellisiert wird 7 . Bei diesem Vorgehen handelt es sich freilich um die schlechteste aller möglichen Lösungen. Es wird nicht nur dem Opfer kein angemessener Schutz geboten. Vielmehr macht sich das Strafrecht auch selbst unglaubwürdig, indem den vorhandenen Normen keine Geltung verschafft wird. Es wird ein Gefühl der Rechtsunsicherheit erzeugt, das in Verhaltensunsicherheit der Betroffenen umschlägt und auf diese Weise familiäre Gewaltanwendung begünstigt. Das Dilemma des Strafrechts bei der Kontrolle familiärer Gewaltanwendung darf nicht zu einem resignativen Rückzug veranlassen. Vielmehr läßt sich aus ihm die Aufforderung an den Gesetzgeber und die Rechtspraxis ableiten, strafrechtliche Regelungen so auszugestalten und anzuwenden, daß sie ihre präventiven Funktionen auch gegenüber familiärer Gewaltanwendung erfüllen. Daß das Strafrecht in seiner gegenwärtigen Form keinen angemessenen Schutz vor Gewalt in der Familie bietet, heißt nicht, daß es generell ungeeignet ist, diese Aufgabe erfolgreich zu übernehmen. Die Forderung nach „Hilfe statt Strafe" ist zwar insoweit nützlich, als sie ein Gegengewicht zu denjenigen Stimmen bietet, die entrüstet ausschließlich nach Vergeltung rufen. Sie ist jedoch ein Ergebnis einer verzerrten Wahrnehmung der Reaktionswirklichkeit. Derzeit wird nämlich dem Täter, dem Opfer und der betroffenen Familie nicht nur keine effektive Hilfe geleistet. Es gelingt auch regelmäßig selbst in schweren Fällen der Gewalt in der Familie nicht, den Täter zu bestrafen. Die gegenwärtige Lage kann daher eher mit dem 6
Tibbits 1977,185f.; Paulsen 1974, 94; Newberger/Bourne 1979,147; H.J. Schneider 1979a, 99. Diese Forderung wurde auch auf dem Kolloquium über Kindesmißhandlung der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Kriminologie im März 1983 in Interlaken/Schweiz von zahlreichen Teilnehmern vertreten: vgl. die Referate bei Haesler (Hrsg.) 1983; vgl. auch die Empfehlung Nr. R (85) 4 vom 26. 3. 1985 des Europäischen Ministerrates zur Bekämpfung der Gewalt in der Familie, insbes. Ziff. 11. 7 U. Baumann/Fehérvâry 1979, 337 ff. für die Kindesmißhandlung. 13'
196
D II. Zielvorgaben für ein strafrechtliches Eingreifen
Schlagwort „weder Hilfe noch Strafe" umrissen werden. Hilfe und Strafe müssen sich auch keineswegs gegenseitig ausschließen. Das Strafrecht und insbesondere das Strafvollzugsrecht gehen sogar davon aus, daß therapeutische Hilfen für den Täter im Rahmen strafender Reaktionen zu verwirklichen sind 8 . Die Möglichkeiten, die das Strafrecht und der Strafprozeß in dieser Hinsicht bieten können, sind bislang nicht annähernd ausgeschöpft. Es ist sogar anzunehmen, daß viele Alternativen noch unbekannt sind, da sie Wissenschaftlern und Praktikern gegenwärtig im wahrsten Sinne des Wortes „undenkbar" erscheinen. Aus diesem Grunde bestehen einige Aussichten, daß Wege gefunden werden können, wie dem Täter, dem Opfer und der betroffenen Familie im Rahmen eines strafrechtlichen Eingreifens geholfen werden kann.
II. Zielvorgaben für ein strafrechtliches Eingreifen gegenüber familiärer Gewaltanwendung und die mit ihnen verbundenen strafrechtsdogmatischen Probleme Das strafrechtliche Eingreifen bei Gewalt in der Familie muß zwei Ziele verfolgen: — Zum einen muß das Strafrecht zur primären Prävention von familiärer Gewaltanwendung beitragen. Die Primärprävention dient im wesentlichen der Verhinderung von Ersttaten und richtet sich auf die Veränderung kriminogener Bedingungen in der physischen und sozialen Umwelt im ganzen 1 . Die besondere Aufgabe des Strafrechts im Rahmen der Primärprävention besteht darin, durch Wert- und Gewohnheitsbildung und allgemeine Abschreckung ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das familiären Gewalttaten entgegenwirkt. Dabei kommt insbesondere der Wertbildung ein zentraler Stellenwert zu. Sie beugt Straftaten in zuverlässigerer und ethisch höherstehender Weise vor als Gewohnheitsbildung und Abschrekkung. Bei der primären Prävention von Gewalt in der Familie ist sie darüber hinaus besonders wichtig, um den nachweisbaren sozialen Normen und Werten entgegenzuwirken, die familiäre Gewaltanwendung billigen oder in anderer Weise fördern. — Zum anderen kommen dem Strafrecht im Bereich der sekundären Prävention wesentliche Aufgaben zu 2 . Die sekundäre Prävention ist Rückfallverhütung. Sie knüpft an den konkreten Einzelfall von Gewalt in der Familie an und ist auf die Verhinderung der Wiederholung gewaltsamer Angriffe ausgerichtet. Da familiäre Gewaltanwendung oft auf eingeschliffenen 8
Vgl. auch die Ansicht von Böhm 1986, 33. Vgl. Brantingham/Faust 1976; Hess/Brückner 1979, 411; Kaiser 1980, 321 ff., H. J. Schneider 1987, 653 ff. 2 Der Begriff der „sekundären Prävention" wird hier anders verwendet als in dem von Brantingham und Faust 1976 entwickelten Begriffsmodell der Kriminalprävention, das von Hess und Brückner 1979, 411 und von Kaiser 1980, 321 ff. übernommen wird. 1
D II. Zielvorgaben für ein strafrechtliches Eingreifen Verhaltensmustern beruht, die zur häufigen Wiederholung des Einsatzes von Gewalt führen, kommt der Rückfallverhütung eine ganz wesentliche Bedeutung zu. Das Strafrecht kann nur dann einen Beitrag zur Eindämmung der Wiederholungsgefahr bei Gewalt in der Familie leisten, wenn es Spielräume schafft, die es ermöglichen, dem Täter, dem Opfer und der Familie bei der Bewältigung ihrer persönlichen Schwierigkeiten und innerfamiliären Konflikte zu helfen. Die scharfe Waffe einer Bestrafung des Täters muß solange und soweit als möglich als letztes Mittel im Hintergrund in Reserve gehalten werden. Die Erfüllung dieser Aufgaben, die sich bei der Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung stellen, ist für das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht mit einigen Problemen verbunden. Wenn das Strafrecht eine primärpräventive Wertbildung erreichen will, die das Verhalten eines jeden einzelnen steuert, so ist es auf die vermittelnde Mitwirkung der gesellschaftlichen Sozialisations- und Kontrollinstanzen angewiesen. Die Sozialisationsinstanzen unterstützen das Strafrecht, indem sie seine Normen bekannt machen und ihren werthaften Charakter verdeutlichen. Sie üben mit dem einzelnen rechtmäßiges Verhalten ein, indem sie ihm Lernmodelle für rechtmäßige Handlungsweisen bieten, erwünschtes Verhalten belohnen und unerwünschtes bestrafen. Die informellen sozialen Kontrollinstanzen, z.B. Familie und Nachbarschaft, überwachen die Einhaltung der strafrechtlichen Normen. Damit die gesellschaftlichen Sozialisations- und Kontrollinstanzen für die Verbreitung und Einhaltung der strafrechtlichen Verhaltensanforderungen sorgen können, ist es zunächst erforderlich, daß die Normen des Strafrechts eindeutig und klar sind. Das geltende strafrechtliche Gewaltverbot ist für einen bedeutenden Bereich der familiären Gewaltausübung, nämlich für die Gewalt gegen Kinder, durchbrochen. Hier ist das elterliche Züchtigungsrecht als außergesetzlicher Rechtfertigungsgrund anerkannt. Im Hinblick auf die Wertbildungsfunktion des Strafrechts ist die Gestattung von Gewalt in der Kindererziehung aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen werden den Eltern selbst keine hinreichend klaren Verhaltensmaßstäbe an die Hand gegeben, an denen sie ihren Erziehungsstil ausrichten können. Während die Züchtigung straflos ist und als Recht der Eltern gilt, ist die Kindesmißhandlung (§ 223b) verschärften Strafdrohungen ausgesetzt und als Verstoß gegen „natürliche" Elternpflichten verpönt. Zwischen Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung bestehen indessen im Erziehungsalltag keine vollkommen klaren Grenzen 3. Die Meinungen darüber, was noch Züchtigung und was bereits Mißhandlung ist, sind unter Eltern durchaus geteilt. Die beabsichtigte „erzieherische" Tracht Prügel kann in der gefühlsmäßig aufgeladenen Konfliktsituation in eine brutale Mißhandlung des Kindes ausarten 4. Ebenso wie die Kindesmißhandlung verkörpert auch die Züchtigung eine Mißachtung der Persönlichkeit des Kindes. Es wird wie ein Objekt 3 4
Gelles 1980,40; Petri / Lauterbach 1975,97; Vormbaum 1977,373; Nitsch 1977,1611. Williams 1980, 599.
198
D II. Zielvorgaben für ein strafrechtliches Eingreifen
behandelt5. Wenn trotz dieser Zusammenhänge Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung vollkommen entgegengesetzt beurteilt werden, muß dies zu Verwirrungen und MißVerständnissen bei den angesprochenen Eltern führen. Die Sozialisations- und die Kontrollinstanzen sind mit der Vermittlung dieser ambivalenten Rechtsnormen und der Überwachung ihrer Einhaltung überfordert. Die Uneindeutigkeit der Normen erschwert ihre Weitergabe in Sozialisationsprozessen und macht es dem einzelnen schwieriger, ihren Inhalt und ihre Bedeutung zu begreifen. Auf diese Weise verursachen sie einen Zustand der Rechtsunsicherheit. Für die informellen und formellen Kontrollinstanzen ist es eine heikle Aufgabe, normgemäße Züchtigung von normwidriger Mißhandlung zu unterscheiden. Es kommt zwangsläufig zu einer Lockerung der sozialen Kontrolle, die sich z.B. in der Zurückhaltung von Nachbarn niederschlägt, Kindesmißhandlungen anzuzeigen. Die Begrenzung der zulässigen Ausübung von Gewalt auf die Kindererziehung kann darüber hinaus im gesellschaftlichen Bewußtsein verschwimmen. Die Billigung von Gewalt kann „generalisieren", sie kann sich auf andere Formen familiärer Gewaltausübung ausdehnen. Die Zulassung von Gewalt in der Kindererziehung kann damit eine Wurzel für die Duldung von Gewalt in der Familie allgemein werden. Das elterliche Züchtigungsrecht ist daher ein bedeutsames Hemmnis, das die wertbildende Wirksamkeit der vorhandenen strafrechtlichen Gewaltverbote behindert. Es muß deshalb Aufgabe und Ziel der Kriminalpolitik und der Strafrechtspraxis sein, hinsichtlich der Unzulässigkeit von Gewalt in der Kindererziehung klare Regeln zu erarbeiten, die von den Sozialisationsinstanzen in eindeutiger Form weitergegeben werden können und den Kontrollinstanzen das Urteil über Duldung oder Verhinderung bestimmter Erziehungsmaßnahmen erleichtern. Die Verbote familiärer Gewaltanwendung können nach der „Grenzziehungshypothese" nur dann wertbildend wirken, wenn sie bei Verstößen zuverlässig und schnell durchgesetzt werden 6 . Die Forderung nach einem stärker helfenden und weniger strafenden Eingreifen zum Zwecke der Rückfallverhütung im Einzelfall scheint den Erfordernissen einer wirksamen wertbildenden Grenzziehung zu widersprechen. Das Hintanstellen von Strafe zugunsten der Gewährung von Hilfen bei der Bewältigung persönlicher Probleme und innerfamiliärer Konflikte bedeutet einen Verzicht auf das mit der Bestrafung verbundene Unwerturteil über die Tat. Strafe ist die Antwort auf verschuldetes Fehlverhalten; Hilfe ist demgegenüber die Antwort auf Hilfsbedürftigkeit. Indessen besteht zwischen primärpräventiver Wertbildung und rückfallverhütender Hilfe im Einzelfall nur ein scheinbarer Widerspruch. Zunächst fallt ins Auge, daß mit den traditionellen Mitteln des Strafrechts familiäre Gewaltanwendung bislang nicht erfolgreich aus dem Bereich der gesellschaftlich zugelassenen Verhaltensweisen ausgegrenzt werden konnte. Die Ursache hierfür ist darin zu sehen, daß eine verläßliche und rasche Reaktion auf Gewalt in der Familie mit den schwerfalli5 6
Horn 1967. Vgl. oben C I I 1 b).
D II. Zielvorgaben für ein strafrechtliches Eingreifen gen Instrumenten des Strafverfahrens und des strafrechtlichen Sanktionenapparates kaum möglich ist. Das Strafrecht reagiert zu langsam, und zu viele familiäre Gewalttaten entgehen seiner Kontrolle. Wenn die Interessen des Opfers und der beteiligten Familie in der strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Reaktion stärker berücksichtigt werden, steigt die Chance, daß strafrechtliche Normen auch durchgesetzt werden 7 . Die Gewährung von Hilfen im Rahmen des Strafrechts kann Anreize zu seiner häufigeren Anwendung schaffen und damit seinen grenzziehenden Wirkungsgrad verbessern. Darüber hinaus schließt Hilfe zwar nicht das Unwerturteil einer Bestrafung ein. Gleichwohl macht auch ein helfendes Einschreiten des Staates auf der Grundlage eines Verstoßes gegen Strafrechtsnormen deutlich, daß das gezeigte Verhalten nicht geduldet wird. Hilfe im Rahmen des Strafrechts hat den Charakter einer wohlwollenden Mahnung. Das Strafrecht verzichtet mithin keineswegs darauf, seine Ablehnung gegenüber Gewalt in der Familie zum Ausdruck zu bringen, wenn es Spielräume für ein helfendes Eingreifen zuläßt. Die strafrechtliche Mißbilligung wird auch darin deutlich, daß die Möglichkeit einer bestrafenden Reaktion im Hintergrund bestehen bleibt und zur Verfügung steht, wenn die Betroffenen keine hinreichende Bereitschaft erkennen lassen, an unterstützenden Hilfen mitzuwirken. Wenn Strafrecht und Strafprozeßrecht ein Verfahren schaffen, in dem der Täter und das Opfer selbst die Regelung ihrer Schwierigkeiten und Spannungen in die Hand nehmen und zu diesem Zweck einander gegenübertreten, ihre jeweiligen Sichtweisen des Problems dem anderen schildern und nach friedlichen Lösungen suchen, so bietet ein solches Vorgehen sogar besonders gute Möglichkeiten zur Verdeutlichung von bestehenden Strafrechtsnormen gegen familiäre Gewaltausübung8. Die abstrakte Verbotsnorm wird mit Leben erfüllt. Die Beteiligten lernen, welche Folgen die Gewalttat für sie selbst und ihre Familie hat oder haben kann, und der Täter kann die Gefühle seines Opfers besser abschätzen. Der soziale Sinn eines familiären Gewaltverbots kann auf diese Weise besonders wirkungsvoll erhellt werden. Es ist demnach nicht zu erwarten, daß eine helfende Reaktion im Rahmen des Strafrechts einer primärpräventiven Wertbildung durch das Strafrecht entgegenwirkt. Eine vornehmlich helfende Reaktion des Strafrechts auf Gewalt in der Familie scheint auf den ersten Blick nicht mit den traditionellen strafrechtlichen Zielen in Einklang zu stehen. Hilfe dient in erster Linie dem Schutz von Opfer und Familie und damit der Sicherung privater Interessen. Als Aufgabe des Strafrechts gilt demgegenüber der Rechtsgüterschutz 9. Bereits die Definition des Rechtsgutsbegriffs 10 macht deutlich, daß Rechtsgüterschutz nicht zuerst Schutz individueller Interessen sein kann. Erst durch seine soziale Bedeutung wird nämlich ein Einzelinteresse zum Rechtsgut. M i t der Erkenntnis der sozialen 7
Vgl. oben C I I I 2, 3, 4. Vgl. Christie 1977, 8. 9 Vgl. die Nachweise unter Β I. 10 Vgl. oben Β I 1. 8
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D II. Zielvorgaben für ein strafrechtliches Eingreifen
Bedeutung eines individuellen Interesses und seiner Anerkennung als Rechtsgut werden seine Wahrung und Durchsetzung zu einer Angelegenheit der Gemeinschaft. Die Bedürfnisse des einzelnen werden gleichsam „sozialisiert". Dies bedeutet zwar einerseits eine moralische Aufwertung seiner Belange. Auch bietet die solidarische Interessenwahrnehmung durch die Gemeinschaft dem einzelnen allgemein einen stärkeren Schutz, als er ihn selbst aus eigener Kraft gewährleisten könnte. Sie hat andererseits die negative Folge, daß die höchst eigentümlichen Interessen verschiedenster Personen und sozialer Einheiten ihrer individuellen Merkmale entkleidet, zusammengefaßt und unter dem Begriff „Rechtsgut" in eine allgemeingültige Form gepreßt werden. Die konkreten Schutzbedürfnisse der Betroffenen treten völlig hinter den angenommenen Notwendigkeiten des Rechtsgüterschutzes zurück. Das Rechtsgut löst sich von seinem Träger und führt ein eigenständiges Dasein. Rechtsgüterschutz ist mithin der Schutz eines abstrakten Gemeinschaftsgutes. Demgegenüber dient der Opferschutz der Durchsetzung und Sicherung der Interessen des Verletzten in ihrer jeweiligen Eigenart. Sein Inhalt kann nicht allgemeingültig festgelegt werden. Vielmehr erhält er ein durch die Bedürfnisse des Geschützten bestimmtes unterschiedliches Gepräge. Die Erfordernisse des Opferschutzes entsprechen daher durchaus nicht immer den Erfordernissen des Rechtsgüterschutzes. Soweit es um die Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung geht, können die Interessen der Allgemeinheit indessen nicht durchgesetzt werden, ohne daß die Belange der Betroffenen berücksichtigt werden 11 . Der Rechtsgüterschutz und die Wiederherstellung des Rechtsfriedens sind vom Schutz des konkreten Opfers vor weiteren Angriffen und von der Sicherung des „Familienfriedens" abhängig. Insoweit besteht mithin kein Widerspruch zwischen der Forderung nach einer Hilfeleistung im Rahmen des Strafrechts und seiner traditionellen Aufgabe des Schutzes von Gemeinschaftswerten. Die Gewährung von unterstützenden Hilfen an die betroffene Familie soll der Rückfallverhütung dienen. Der Begriff der sekundären Prävention ist weiter als das Konzept der Spezialprävention, die als Ziel staatlichen Strafens anerkannt ist. Spezialprävention durch die Verhängung und den Vollzug von Strafen wendet sich ausdrücklich und ausschließlich an den Täter einer strafbaren Handlung. Eine rückfallverhütende Hilfeleistung in Fällen familiärer Gewaltanwendung muß sich demgegenüber auch an das Opfer, die Familie und teilweise sogar an ihre Verwandten, Freunde und Nachbarn wenden. Ihre Beiträge an der Verursachung von gewalttätigen Angriffen müssen erforscht und ihr Sinn für ihre „funktionale Mitverantwortung" 12 muß geweckt werden. Es muß versucht werden, ihr Verhalten so zu beeinflussen, daß sie nicht wieder Gefahrdungssituationen herbeiführen. Diese Forderung weist über die strafrechtliche Aufgabe der Spezialprävention hinaus, und es ist daher fraglich, ob die sekundärpräventive Einwirkung auf Täter, Opfer, Familie und sozialen Nahraum in Fällen 11 12
Vgl. oben C I I I 3 b) bb). Schafer 1968, 152; vgl. oben Β I I I 1 a).
D II. Zielvorgaben für ein strafrechtliches Eingreifen familiärer Gewaltanwendung zu einem Ziel im Rahmen des Strafrechts erhoben werden kann. Die Anerkennung der Spezialprävention als Aufgabe des Strafrechts ist ein Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung innerhalb der Strafrechtswissenschaft und der Kriminologie, an deren Beginn die „Entdeckung" stand, daß das Verbrechen Ausdruck der Persönlichkeit des Täters ist und Störungen in seiner Erziehung und Persönlichkeitsbildung zur Entstehung von strafbarem Verhalten beitragen. Inzwischen ist die wissenschaftliche Entwicklung über diese Erkenntnis hinausgegangen. Die Forschung hat sich verstärkt den sozialen Ursachen des Verbrechens und den Verursachungsbeiträgen des Opfers 13 zugewendet. Es ist daher zweifelhaft, ob an dem Konzept der Spezialprävention noch weiterhin uneingeschränkt festgehalten werden kann. In Fällen familiärer Gewaltanwendung ist die Einbeziehung des Opfers, der Familie und ihres sozialen Nahraums in die strafrechtliche Reaktion nicht nur sachlich notwendig, um der Rolle dieser Personen im Prozeß der Verursachung und der Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung Rechnung zu tragen. Sie ist auch sinnvoll, weil die Beteiligten, zumindest das Opfer und die Familie, regelmäßig ein besonderes Interesse an der Verhinderung einer Wiederholung des Angriffs haben. Meist müssen oder wollen sie mit dem Täter weiterhin zusammenleben und sind daher durch einen Rückfall selbst unmittelbar gefährdet. Überdies sind Opfer und Familie von einer strafrechtlichen Reaktion gegen den Täter ohnehin in oft erheblichem Ausmaß mitbetroffen. Es liegt daher nahe, diese bisher ebenso unvermeidbare wie unerwünschte negative Nebenwirkung einer Bestrafung des Täters in eine bewußte und positive Einbeziehung der Betroffenen bei der strafrechtlichen Reaktion umzusetzen. Freilich sind die Möglichkeiten der Einbeziehung von Opfer, Familie und sozialem Nahraum in die strafrechtlichen Reaktionen verfassungsrechtlich beschränkt. Die Reaktion des Strafrechts ist nämlich unmittelbar an die schuldhafte Verletzung strafgesetzlicher Verhaltensnormen gekoppelt. Sanktionen können nur als Antwort auf Norm verstoße gegen diejenige Person verhängt werden, die eine Verbotsnorm selbst überschritten hat. Ein mitverursachendes Verhalten, das nicht die Schwelle strafbarer Teilnahme überschreitet, kann daher nicht Anlaß und Gegenstand strafrechtlicher Zwangseingriffe sein. So können beispielsweise dem Opfer keine strafrichterlichen Weisungen erteilt werden. Gleichwohl gibt es rechtlich zulässige Möglichkeiten, das Opfer, die Familie und Personen ihres sozialen Nahraums in strafrechtliche Reaktionen einzubeziehen. Eine präventive Einflußnahme auf diese Personen ist nur insoweit unzulässig, als sie mit zwangsweisen Eingriffen in ihre Rechte verbunden ist. Es können daher Einwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden, die keine rechtliche Belastung darstellen. Hier ist an ein außerstrafgerichtliches Verfahren zur Lösung von gewaltverursachenden Familienkonflikten und zur persönlichen Beratung der Betroffenen zu denken, das dem formellen Strafverfahren vorgeschaltet werden und es bei Erfolg überflüssig machen kann. 13
„Viktimologie" vgl. Schafer 1968; H.J. Schneider 1975.
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
Die Forderungen nach primärpräventiver Wertbildung und der Gewährung sekundärpräventiver Hilfen im Rahmen des Strafrechts schließen sich somit weder gegenseitig aus noch widersprechen sie den traditionellen Aufgaben des Strafrechts. Die anerkannten Ziele des Strafrechts bleiben vielmehr erhalten. Soweit es um die Bekämpfung von Gewalt in der Familie geht, soll das Strafrecht indessen zusätzliche neue Funktionen übernehmen. Diese neuen Aufgaben stellen sich dem Strafrecht insbesondere im Bereich der Reaktion auf familiäre Gewaltanwendung. Im Vordergrund der Reaktion soll nämlich die Gewährung von Hilfen an den Täter, das Opfer, die Familie und ihren sozialen Nahraum zur Lösung gewaltverursachender und -verursachter Konflikte stehen. Strafe soll als letztes Mittel für den Fall zurückgehalten werden, daß die verfügbaren Hilfen nicht angenommen werden oder nicht wirken. Das Strafrecht muß sich diesen zusätzlichen neuen Aufgaben stellen, wenn es sich nicht völlig aus der sozialen Kontrolle von Gewalt in der Familie hinausdrängen lassen will.
III. Die rechtliche und soziale Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts und Wege zu ihrer Lösung Das elterliche Züchtigungsrecht durchbricht den bestehenden gesetzlichen Schutz vor Gewalt in der Familie und die Gewährleistung der körperlichen Sicherheit des Kindes. Für die Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung stellt das elterliche Züchtigungsrecht ein besonderes Problem dar. Es ist einerseits Ausdruck der ambivalenten gesellschaftlichen Einstellung gegenüber dem Einsatz körperlicher Gewalt innerhalb der Familie und insbesondere innerhalb der Kindererziehung und verstärkt andererseits diese allgemeine soziale Haltung. Die Zulassung von bestimmten Formen der Gewalt in der Erziehung erschwert die rechtliche und gesellschaftliche Bestimmung und Ausgrenzung der unerlaubten Gewaltanwendung und behindert das Strafrecht bei der Wahrnehmung seiner primärpräventiven Wertbildungsfunktion 1 . Größtmögliche Klarheit und Eindeutigkeit der normativen Anforderungen des Strafrechts kann durch ein lückenlos geltendes Verbot von Gewalt in der Erziehung erreicht werden. 1. Die Problematik der rechtlichen Grundlagen des elterlichen Züchtigungsrechts Der Einsatz körperlicher Strafen in der Erziehung von Kindern stellt eine tatbestandsmäßige Körperverletzung nach § 223 I StGB dar 2 . Von der Recht1
Vgl. oben D II. a.A. Kienapfel 1961, 101 ff., der die Tatbestandsmäßigkeit der Züchtigung durch Erziehungsberechtigte verneint. 2
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sprechung 3 und der im Schrifttum herrschenden Meinung 4 wird allerdings das elterliche Züchtigungsrecht als Rechtfertigungsgrund anerkannt 5 . Sein Bestehen ist jedoch keineswegs unumstritten. Bedenken gegen das Züchtigungsrecht werden dabei nicht nur auf pädagogische und psychologische Gesichtspunkte gestützt6. Auch in rechtlicher Hinsicht werden Zweifel an der Zulässigkeit der Anerkennung einer elterlichen Züchtigungsbefugnis geäußert 7. Problematisch ist insbesondere die Frage, auf welchen Rechtsgrundlagen das elterliche Züchtigungsrecht aufbaut. a) Das elterliche Sorgerecht nach § 1631 BGB
Die in der Literatur herrschende Meinung sieht das Züchtigungsrecht als Bestandteil des Personensorgerechts der Eltern. Als seine gesetzliche Grundlage wird § 1631 BGB genannt 8 . Diese Vorschrift sagt freilich ihrem Wortlaut nach nichts über die Zulässigkeit des Einsatzes körperlicher Strafen in der familiären Kindererziehung aus. Während § 1631 I I BGB in der bis zum 30. 6.1958 gültigen Fassung dem Vater immerhin die Anwendung angemessener „Zuchtmittel" gestattete, nennt die durch das Gleichberechtigungsgesetz neu gefaßte Regelung diese nicht mehr als Erziehungsmittel. Bereits unter der Geltung des § 1631 a. F. wurde vereinzelt angezweifelt, ob der Begriff „angemessene Zuchtmittel" auch die körperliche Züchtigung umfasse, ob also aus dieser Gesetzesvorschrift ein elterliches Züchtigungsrecht abgeleitet werden könne 9 . Diese Bedenken haben sich nach der Änderung des § 1631 durch das Gleichberechtigungsgesetz im Jahre 1958 und nach der Reform des elterlichen Sorgerechts zum Jahre 1980 noch verstärkt. Zwar beabsichtigte das Gleichberechtigungsgesetz nicht die Umgestaltung des Inhalts des elterlichen Erziehungsrechts. Vielmehr wollte es eine rechtliche Gleichstellung beider Eltern hinsichtlich der Sorge für eheliche Kinder erreichen. Dieser gesetzgeberische Hintergrund der ersten Änderung des §1631 BGB im Jahre 1958 weist daraufhin, daß mit der Umformulierung dieser Vorschrift keine ausdrückliche Stellungnahme gegen den Einsatz körperlicher Strafen in der Kindererziehung verbunden werden sollte. Gleichwohl läßt er aber zumindest eine gewisse Unsicherheit und Unentschlossenheit des Gesetzge3
BGH NJW 1953,1440; BGHSt. 6,263 (264); 11,241 (249); 12,62; OLG Saarbrücken NJW 1963, 2379. 4 Wessels 1986a, §9 II; Maurach/Schroeder 1977, §8 I I I B; Blei 1983b, §14 III; Dreher/ Tröndle § 223 Rdn. 11; Lackner § 223 Anm. 5 b) aa); Eser S/S § 223 Rdn. 16ff.; Hirsch L K § 223 Rdn. 21 ff.; Horn SK § 223 Rdn. 13 ff. 5
Zu seinen Voraussetzungen und Grenzen vgl. oben A IV 1 b) bb). Vgl. insbesondere Petri / Lauterbach 1975; Pernhaupt/Czermak 1980. 7 Mielke 1954; Stettner 1958; Thomas 1977, 183 ff.; Münder 1975, 22ff. 8 So Wessels 1986a, § 9 II; Maurach/Schroeder 1977, § 8 I I I B; Blei 1983b, § 14 III; Eser S/S § 223 Rdn. 18; Hirsch L K § 223 Rdn. 22; Dreher/Tröndle § 223 Rdn. 11; BGHSt. 11, 241 (248 ff.); Soergel/Siebert/Lange §1631 Rdn. 10; Palandt / Diederichsen §1631 Anm. 5. 9 Mielke 1954, 180 ff. 6
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
bers hinsichtlich der Befürwortung solcher Strafen erkennen. Andernfalls wäre es naheliegend und ein leichtes gewesen, die Eltern auch in der Neufassung des Gesetzes zur Anwendung „angemessener Zuchtmittel" zu ermächtigen 10 . Die Tatsache, daß dies nicht geschehen ist, läßt darauf schließen, daß der Gesetzgeber sich bewußt nicht zu der pädagogisch heiklen und damals noch im Fluß befindlichen Frage des Einsatzes von „Zuchtmitteln" in der Kindererziehung äußern wollte. Vielmehr wollte er nicht durch die Fortschreibung der elterlichen Züchtigungsbefugnis in Tendenzen der sozialen Entwicklung und der Rechtsanwendung eingreifen, die auf eine allmähliche Verdrängung körperlicher Strafen aus der Kindererziehung hinauslaufen. Eine eindeutige, weitergehende Stellungnahme für eine „gewalt"-lose Erziehung hat der Gesetzgeber demgegenüber in der Sorgerechtsreform des Jahres 1980 abgegeben. Die Ersetzung des verfänglichen Begriffs der elterlichen „Gewalt" durch den der elterlichen „Sorge" ist in diesem Zusammenhang mehr als lediglich eine sprachliche Verfeinerung. Ihr wird vielmehr vom Gesetzgeber ein Signalcharakter zugedacht 11 . Leitbild der Eltern-Kind-Beziehung ist ein stärker partnerschaftliches Verhältnis 12 . Die Kinder sollen entsprechend ihrem Reifegrad an der familiären Entscheidungsbildung beteiligt und erzieherische Maßnahmen sollen ihnen erläutert werden. Der Erziehungsstil soll nicht mehr auf Befehl und Gehorsam beruhen (vgl. insbesondere § 1626 I I 2 BGB). Zwar ist auch der Reformgesetzgeber nicht den Forderungen nach einem ausdrücklichen Verbot jeglicher Gewaltanwendung in der Kindererziehung gefolgt 13 . Er hat allerdings der gewaltfreien, an der Achtung der Persönlichkeit des Kindes orientierten Erziehung einen eindeutigen Vorrang eingeräumt und sie mit vorbildhaftem Charakter ausgestattet. Auch wenn die körperliche Züchtigung nicht eindeutig verboten wurde, so stellen diese gesetzgeberischen Grundentscheidungen doch verbindliche Leitlinien für die Auslegung des unverändert unklaren Wortlauts des § 1631 I BGB dar. Es ist daher unzulässig, aus dieser Vorschrift weiterhin eine elterliche Züchtigungsbefugnis abzuleiten. b) Das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 I I GG
Das elterliche Züchtigungsrecht wird zum Teil unmittelbar aus Art. 6 I I G G gefolgert und als unverzichtbarer Bestandteil des verfassungsrechtlich aner10
Darauf weist Stettner 1958, 17 hin. BT-Dr. 7/2060, S. 14; BT-Dr. 8/111, S. 13; BT-Dr. 8/2788, S. 36; vgl. dazu auch die Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 8. Wahlperiode, 18. Sitzung vom 17. 3. 77 und 151. Sitzung vom 10. 5. 79; Holtgräve 1979, 665 f. 12 § 1618a BGB: Diederichsen 1980, 1. 13 Vgl. die eine solche Forderung unterstützenden Stellungnahmen der Sachverständigen Baer, Nitsch, Beitzke und Diederichsen in der Anhörung vor dem Rechtsausschuß des Bundestages zum Gesetzesentwurf der SPD/FDP zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, abgedruckt in: Zur Sache 1/78, S. 86f., 118f., 149, 155; ablehnend gegenüber solchen Forderungen zeigt sich der Bericht des Rechtsausschusses, wiedergegeben in Jans/Happe § 1631 BGB Anm. 1 und 2. 11
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kannten „natürlichen" Elternrechts gesehen14. Art. 6 I I GG garantiert ein elterliches Erziehungsrecht und schützt es vor staatlichen Eingriffen. Dieses Erziehungsrecht umfaßt auch das Recht zur Bestimmung des Erziehungszieles und der Erziehungsmittel 15 . Inhaltlich schließt es daher grundsätzlich auch die Befugnis der Eltern ein, körperliche Strafen als Erziehungsmittel zu wählen und einzusetzen16. Indessen ist das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 I I GG keineswegs unbeschränkt. Dieses Grundrecht der Eltern steht vielmehr den Grundrechten des Kindes gleichrangig gegenüber 17. Die Herleitung eines elterlichen Züchtigungsrechts aus Art. 6 I I GG kann unter diesem Gesichtspunkt eine unzulässige Ausweitung der Elternrechtsgarantie zu Lasten des Schutzes der Grundrechte des Kindes 18 aus Art. 2 I I 1 GG darstellen. Zwar entfaltet dieses Grundrecht im Eltern-Kind-Verhältnis keine unmittelbare Drittwirkung 1 9 . Indessen ist der Staat verpflichtet, die grundgesetzlich garantierten Rechtsgüter des Kindes wenn nötig auch gegen Eingriffe der Eltern zu schützen20. Die Anerkennung eines elterlichen Züchtigungsrechts kann daher eine verfassungswidrige Versagung staatlichen Schutzes für das Grundrecht des Kindes aus Art. 2 I I 1 GG darstellen. Züchtigungen greifen immer in die körperliche Unversehrtheit des Kindes ein, die in Art. 2 I I 1 GG gewährleistet ist. Dies gilt auch dann, wenn keine weiteren Schäden verursacht werden. Bereits die Zufügung von Schmerzen, die gerade Zweck der Züchtigung ist, verletzt die körperliche Unversehrtheit des Kindes und betrifft somit den Schutzbereich des Art. 2 I I 1 G G 2 1 . Eine Ausnahme stellt hier nur der leichte „Klaps" dar, der keine Schmerzen zufügen soll, sondern lediglich dazu bestimmt ist, dem Kind in „handgreiflicher" Weise die elterliche Mißbilligung auszudrücken. Abgesehen von dieser Ausnahme kollidiert das aus Art. 6 I I GG hergeleitete elterliche Züchtigungsrecht mit dem Grundrecht des Kindes aus Art. 2 I I 1 GG. In einem solchen Kollisionsfalle begrenzen sich die beteiligten Grundrechte gegenseitig in Wechselwirkung 22 . Das Elternrecht aus Art. 6 I I GG beschränkt daher einerseits das Recht des Kindes aus Art. 2 I I 1 GG, wird aber andererseits selbst wiederum durch dieses eingeengt. Zweifelhaft ist freilich, welche konkre14 Maunz/Dürig Art. 6 I I Rdn. 42; v. Mangoldt/Klein/Starck Art. 2 I I Rdn. 163; zurückhaltender: Richter A K - G G Art. 6 Rdn. 35. 15 v. Münch/v. Münch Art. 6 Rdn. 17. 16 v. Münch/v. Münch Art. 6 Rdn. 18. 17 v. Mangoldt/Klein Art. 6 Anm. IV 5b; Richter A K - G G Art. 6 Rdn. 34a. 18 Zur Grundrechtsfahigkeit und -mündigkeit des Kindes Fehnemann 1967. 19 Maunz/Dürig Art. 2 I Fn. am Ende von Rdn. 59; Hamann/Lenz Art. 2 Anm. A 4; Richter A K - G G Art. 6 Rdn. 34a; zweifelnd Thomas 1977,183, der auf die Ähnlichkeit der Eltern-Kind-Beziehung zur Staat-Bürger-Beziehung hinsichtlich der Machtverhältnisse hinweist; a.A. Krüger 1956, die eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Eltern-Kind-Verhältnis bejaht. 20 21 22
Richter A K - G G Art. 6 Rdn. 34a; Leibholz/Rinck Art. 6 Anm. 7. Maunz/Dürig Art. 2 I I Rdn. 44 entgegen BGHSt. 11, 241 (249f.). v. Münch/v. Münch Art. 6 Rdn. 19; Stettner 1958, 21 ff.
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
ten Schlußfolgerungen sich aus diesem Prinzip der wechselseitigen Einschränkung von Grundrechten hinsichtlich des Bestehens und des Inhalts eines elterlichen Züchtigungsrechts ableiten lassen. Stettner 23 versucht, das Spannungsverhältnis zwischen Elternrecht und Kindesrecht durch die Gewährung einer elterlichen Züchtigungsbefugnis in „erzieherischen Notlagen" zu lösen, in denen das elterliche Erziehungsrecht nicht anders als durch körperliche Züchtigung ausgeübt werden kann. Bei sachlicher Überlegung ist es indessen kaum denkbar, daß in der Erziehung Situationen auftreten, in denen Eltern objektiv kein anderes Mittel zur Steuerung des kindlichen Verhaltens verfügbar ist als die Anwendung von körperlichen Strafen. Freilich muß hier die Ausübung körperlichen Zwangs von der körperlichen Züchtigung unterschieden werden. Wenn Eltern körperliche Machtmittel einsetzen, um das Kind, sich selbst oder andere Personen vor unbedachten Handlungen des Kindes zu schützen, so liegt darin keine bestrafende Züchtigung des Kindes. Es handelt sich vielmehr um eine Schutzmaßnahme, die bildlich als „präventiv-polizeiliches" Eingreifen der Eltern gekennzeichnet werden kann. Die Ausübung körperlichen Zwangs kann in akuten Gefährdungssituationen unumgänglich sein, wenn es beispielsweise darum geht, das Kind von Gefahrenquellen wegzuziehen oder es festzuhalten, wenn es die Eltern oder andere Menschen angreift. Körperliche Züchtigung ist demgegenüber eine Strafe für voraufgegangenes Fehlverhalten und dient zur Steuerung des künftigen Verhaltens des Kindes. Es ist schlechthin keine erzieherische Ausnahmesituation
vor stellbar,
in der die Anwendung
körperlicher
Strafen unbedingt nötig ist. Eltern befinden sich ihren Kindern gegenüber in einer Machtstellung, die sich aus der physischen und geistigen Überlegenheit der Eltern und der wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Abhängigkeit der Kinder ergibt. Vor diesem Hintergrund erscheint es fast paradox, daß der Eintritt von Situationen befürchtet wird, in denen Eltern nur das Mittel der körperlichen Züchtigung bleibt, um das Kind zu beeinflussen. Es gibt eine Fülle von Disziplinarmaßnahmen, mit denen Eltern unangemessene kindliche Verhaltensweisen bestrafen können. Worte, die die Enttäuschung der Eltern über das Verhalten des Kindes ausdrücken, sind eine äußerst wirksame Strafe. Kinder genießen in modernen Familien meist eine Vielfalt von Vergünstigungen und Annehmlichkeiten (z.B. Taschengeld oder andere materielle Zuwendungen; freier Fernsehkonsum; Möglichkeiten, Freunde zu treffen oder einzuladen; Kinobesuche). Wenn Eltern es für notwendig halten, ihr Kind zu bestrafen, können sie ihm auf Zeit das eine oder andere Privileg entziehen. Auch solche Strafmaßnahmen sind freilich nur selten erforderlich. Sobald das Kind ausreichend sprechen kann, ist es in der Lage, kindgemäß formulierte und begründete Verhaltensrichtlinien zu verstehen und einzuhalten. Eltern können erwünschtes Verhalten des Kindes belohnen und damit nachhaltigen erzieherischen Einfluß ausüben. Wenn Mütter und Väter trotz dieser zahlreichen Möglichkeiten manchmal „keinen anderen Rat mehr wissen", als zu körperlichen Strafen zu greifen, so ist der Grund hierfür eben diese ihre Unwissenheit und ihre Ungeduld 23
1958, 21 ff.
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im Umgang mit dem Kind und nicht der Mangel wirksamer Erziehungsmittel. Jugendliche, die sich von Ermahnungen und gewaltlosen Strafen unbeeindruckt zeigen, legen eine solche Gleichgültigkeit regelmäßig nur deshalb an den Tag, weil sie in ihrer Kindheit entweder zu permissiv erzogen wurden und nicht gelernt haben, Regeln einzuhalten, oder durch übertriebene Strenge und Härte ihrer Eltern bereits an Schläge gewöhnt wurden. Im Familienalltag machen sich Eltern häufig gar nicht die Mühe, andere Erziehungsmittel als körperliche Strafen zu finden. „Erzieherische Notlagen", in denen Eltern objektiv nur die Wahl zwischen Züchtigung und Untätigkeit bleibt, gibt es nicht. Elterliche Erziehungsaufgaben können auch ohne den Einsatz körperlicher Strafen in hinreichender Weise wahrgenommen werden. Da die Züchtigung demnach nicht unabdingbarer Bestandteil der Ausübung des elterlichen Erziehungsrechts aus Art. 6 I I GG ist, genießt das Kind auch im Verhältnis zu seinen Eltern den vollen Schutz des Art. 2 I I 1 GG. Daher kann Art. 6 I I GG nicht als Rechtsgrundlage eines elterlichen Züchtigungsrechts herangezogen werden 24 . c) Gewohnheitsrechtliche Grundlagen
Als rechtliche Grundlage der elterlichen Züchtigungsbefugnis wird zuweilen ein entsprechendes Gewohnheitsrecht genannt 25 . Eine Züchtigungsbefugnis der Eltern läßt sich indessen nur dann gewohnheitsrechtlich begründen, wenn der Gewohnheitsrechtssatz nicht gegen die Verfassung verstößt 26 . Die Anerkennung einer elterlichen Züchtigungsbefugnis stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 I I 1 GG dar, da dem Kind ein staatlicher Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit vorenthalten wird. Ein solcher Eingriff ist nur zulässig, wenn die Versagung des Schutzes des Kindes vor körperlichen Angriffen durch seine Eltern von dem in Art. 2 I I 3 GG niedergelegten Gesetzesvorbehalt gedeckt ist. Gesetzliche Regeln, die das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit im Verhältnis zu seinen Eltern einschränken, gibt es nicht. Ein etwaiges entsprechendes „Gewohnheitsrecht" ist kein „Gesetz" im Sinne des Art. 2 I I 3 GG und vermag daher nicht, dieses Grundrecht wirksam zu beschränken 27. Die elterliche Züchtigungsbefugnis kann also keine gewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen, da sie gegen Grundrechtsnormen verstößt. Trotz des Mangels einer rechtlichen Grundlage 28 wird das elterliche Züchtigungs-„recht" von den Gerichten als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund anerkannt. Diese Anerkennung vermag zwar nicht, die erforderliche Gesetzes24 25 26 27 28
Thomas 1977, 183 f. So BGHSt. 11, 241 (249); unentschieden Staudinger/Donau § 1631 Rdn. 31. Vgl. H. Wolff/ Bachof 1974, § 25 III. Maunz/Dürig Art. 2 I I Rdn. 47; v. Münch/Niemöhlmann Art. 2 Rdn. 55. Auf diesen hat bereits Mielke 1954, 180 ff. hingewiesen.
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
grundlage zu ersetzen. Sie schafft aber trotz ihrer verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit eine Rechtswirklichkeit, die in ihren sozialen Wirkungen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung gleichkommt. Die Diskussion um eine „Abschaffung" des elterlichen Züchtigungsrechts ist daher zwar streng genommen gegenstandslos, weil ein solches überhaupt nicht besteht. Gleichwohl können die gerichtliche Praxis und ihre normativen Wirkungen nicht unbeachtet bleiben. Aus diesem Grunde ist weiterhin die Erörterung der strafrechtsdogmatischen, sozialen, pädagogischen und psychologischen Problematik erforderlich, die dem elterlichen Züchtigungs-„recht" in seiner von Rechtsprechung und Lehre anerkannten Form anhaftet.
2. Das Problem der strafrechtsdogmatischen Begründung der Sanktionskluft zwischen Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung Gewalt gegen Kinder wird abhängig von ihrer Intensität und ihren Begleitumständen gesellschaftlich und strafrechtlich völlig unterschiedlich bewertet. Die Strafrechtsdogmatik steht vor der Schwierigkeit, die Gegensätze in der Beurteilung von Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung (i.S.d. § 223b) schlüssig erklären zu müssen. Zwischen der Straflosigkeit der Kindeszüchtigung in der strafrechtlichen Entscheidungspraxis einerseits und der verschärften Bestrafung der Kindesmißhandlung nach § 223b auf der anderen Seite besteht eine Sanktionskluft, die strafrechtsdogmatisch durch entsprechende Unterschiede im Unrechtsgehalt der Handlungen begründet sein muß. Sie ergeben sich zunächst aus der verschiedenen Intensität und Schwere der umfaßten Verletzungshandlungen. In den Bereich der straflosen Kindeszüchtigung fallen nur solche Mißhandlungen im Sinne des § 223 I, die das Kind nicht gesundheitlich schädigen oder quälen. § 223b erfaßt demgegenüber das Quälen oder rohe Mißhandeln des Kindes oder Jugendlichen. Der Hinweis auf die Unterschiede in der Verletzungsintensität der relevanten Handlungen vermag aber nicht zu erklären, warum die Kindeszüchtigung und die Kindesmißhandlung strafrechtlich grundsätzlich anders beurteilt werden als Verletzungen mit jeweils vergleichbarer Schwere, die unter anderen Beteiligten begangen werden. Es müssen besondere Umstände vorliegen, die einerseits den Unrechtsgehalt der mit der Kindeszüchtigung verbundenen Körperverletzung unter die Strafbarkeitsgrenze sinken lassen und andererseits denjenigen der körperlichen Kindesmißhandlung (i.S.d. § 223b) über die Obergrenze des § 223 I hinaus erhöhen. Solche Umstände können sich aus der Besonderheit der persönlichen Beziehung ergeben, in der Täter und Opfer, nämlich Eltern und Kinder, zueinander stehen. Kinder befinden sich ihren Eltern gegenüber in einem rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und emotionalen Abhängigkeitsverhältnis. Im Zusammenwirken mit ihrer physischen Unterlegenheit macht diese Abhängigkeit Kinder besonders angreifbar und daher besonders schutzbedürftig. Jede
2. Die Sanktionskluft zwischen Kindeszüchtigung und -mißhandlung
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Kindesmißhandlung geschieht in Ausnutzung der Abhängigkeit des Opfers und der körperlichen Überlegenheit des Täters. Der Kindesmißhandlung (i.S.d. § 223b) kommt aus diesem Grunde ein höherer Unrechtsgehalt zu als vergleichbar intensiven Mißhandlungen anderer Opfer. Indessen stellt sich auch die Kindeszüchtigung objektiv als Ausnutzung der Abhängigkeit und physischen Schwäche des Kindes dar. Vor diesem Hintergrund erscheint ihre Straflosigkeit unverständlich. Vielmehr läßt sich sogar eine Unrechtssteigerung gegenüber der einfachen Körperverletzung unter anderen Beteiligten begründen. Um die Straflosigkeit der Kindeszüchtigung zu rechtfertigen, müssen sich daher Faktoren finden lassen, die das durch die körperverletzende Handlung begründete und durch die Ausnutzung von Abhängigkeit und Schwäche des Opfers gesteigerte Unrecht ausgleichen. Solche Faktoren werden aus der besonderen familienrechtlichen Beziehung abgeleitet, die zwischen Eltern und Kindern besteht und aus der den Eltern eine einzigartige Kombination von Rechten und Pflichten zuwächst. Während die Kindeszüchtigung beurteilt wird, liegt i n der Kindesmißhandlung
als Ausübung von Elternrechten ein Verstoß gegen Elternpflichten.
Der Unrechtsgehalt der einfachen, nicht gesundheitsschädlichen Körperverletzung wird aufgehoben, soweit die Eltern in Ausübung ihres Erziehungsrechts handeln. Derjenige der Kindesmißhandlung ist gegenüber § 223 gesteigert, da sie zusätzlich einen Verstoß gegen elterliche Obhuts- und Fürsorgepflichten darstellt. Diese Begründung der Sanktionskluft zwischen Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung ist indessen nicht schlüssig, soweit sie in der Züchtigung eine Ausübung des elterlichen Erziehungsrechts sieht. Aus dem elterlichen Erziehungsrecht läßt sich nämlich keine Befugnis zur körperlichen Disziplinierung des Kindes herleiten 29 . Der Hinweis auf das Erziehungsrecht der Eltern vermag daher nicht, die grundsätzlichen Abweichungen in der strafrechtlichen Beurteilung von Kindesmißhandlung und Kindeszüchtigung zu begründen. Unterschiede im Unrechtsgehalt von Straftaten können sich schließlich aus der Verschiedenartigkeit ihrer Motive und Ursachen ergeben. An die Motive der Eltern für die körperliche Bestrafung ihrer Kinder werden dementsprechend bestimmte Anforderungen gestellt, damit die Voraussetzungen einer straflosen Züchtigung erfüllt sind. Es muß ein Züchtigungsanlaß bestehen, und die Eltern müssen mit „Erziehungswillen" handeln, sich also von pädagogischen Motiven leiten lassen. Bei der körperlichen Bestrafung von Kindern spielen indessen erziehungsfremde Motive eine beachtliche Rolle. Sie ist oft Ausdruck der nervlichen Schwäche gereizter Eltern, die auf berufliche und familiäre Frustrationen mit aggressivem Verhalten gegenüber ihrem Kind reagieren 30. Als Antwort auf kindliches Fehlverhalten erfordert sie keine besonderen erzieherischen Fähigkeiten und ersetzt das Bemühen um pädagogisches Verständnis. Rechtsprechung und Strafrechtslehre sind daher zu offenen Zugeständnissen an die Motivation des Züchtigenden gezwungen. Wenn er aus Wut oder Zorn über 29 30
14
Vgl. oben D I I I 1 b). Gil 1978c, 260. U . Schneider
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
die Verfehlung des Kindes handelt, soll dies seinen Erziehungswillen nicht ohne weiteres in Frage stellen 31 . Die Figur des Vaters oder der Mutter, die ihr Kind aus wohl abgewogenen, erzieherischen Gründen „angemessen" züchtigen, kommt einem rechtlichen und sozialen Idealbild gleich, das in der Wirklichkeit kaum Entsprechung findet. Auch Eltern, die ihre Kinder mißhandeln und ihnen schwerste Gesundheitsschäden zufügen, stützen sich bei ihrem Handeln oft auf „erzieherische" Gründe. Diese Berufung auf pädagogische Motive dient dem Täter nicht alleine dazu, Kindesmißhandlungen nachträglich vor sich selbst und vor anderen zu rechtfertigen. Die Tatsache, daß Kindesmißhandlungen in der Regel ebenso durch ein kindliches „Fehlverhalten" veranlaßt sind wie Züchtigungen, läßt deutlich werden, daß auch in der Mißhandlungssituation „erzieherische" Motive wirksam werden 32 . Freilich definieren die Eltern teilweise solche Verhaltensweisen des Kindes als strafwürdige Verfehlungen, die kein Ausdruck eines bösen Willens des Kindes sind 33 . Sowohl die Kindeszüchtigung wie die Kindesmißhandlung werden daher in aller Regel aus einem Gemisch erzieherischer und erziehungsfremder Motive heraus begangen. Die Unterschiede in ihrem Unrechtsgehalt ergeben sich einzig aus den Unterschieden der Intensität der Verletzungshandlungen, die aber nicht ihre qualitativ grundsätzlich verschiedene strafrechtliche Beurteilung, insbesondere nicht die Straflosigkeit der Kindeszüchtigung, zu begründen vermögen. Dieser strafrechtsdogmatische Widerspruch läßt sich nur durch die Beseitigung des „elterlichen Züchtigungsrechts" auflösen. 3. Die kriminologische Problematik der Anerkennung des elterlichen Züchtigungsrechts: Kausale Zusammenhänge zwischen Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung Die Unterschiede in der sozialen und rechtlichen Bewertung von Kindeszüchtigung und Kindesmißhandlung spiegeln eine Verkennung der Tatsachen wider. In der Erziehungswirklichkeit bestehen keine qualitativen Unterschiede zwischen der Züchtigung und der Mißhandlung von Kindern (i. S. d. § 223b), die die Grundlage für die Verschiedenartigkeit ihrer Bewertung abgeben könnten. Körperliche Züchtigung und Mißhandlung sind vielmehr zwei Extreme auf einer Skala der Gewalt gegen Kinder 3 4 . Die Fehleinschätzung dieses Umstandes in der sozialen und rechtlichen Bewertung ist besonders gefahrlich, weil 31
Horn SK § 223 Rdn. 14; Eser S/S § 223 Rdn. 24; Dreher/Tröndle § 223 Rdn. 16; Hirsch L K § 223 Rdn. 30; BGH GA 1963, 82; BayObLG NJW 1979, 1373. 32 Vgl. den Fall bei Garbarino / Stocking 1980, 12 f. 33 Ammon 1979,35 ff. schildert unter Bezugnahme auf die Presseberichterstattung den Fall eines Vaters, der seinen 2 1/2jährigen Sohn totprügelte, weil er sich im Schlaf bloßgestrampelt hatte. 34 Gelles 1980, 40; Williams 1980, 599; ähnlich Petri 1976, 64; Petri/Lauterbach 1975, 97; Vormbaum 1977, 373; Nitsch 1977, 1611.
3. Kriminologische Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
211
zwischen der Billigung der erzieherischen Züchtigung und dem Auftreten von Kindesmißhandlungen ursächliche Zusammenhänge bestehen. Die Züchtigung birgt immer die Gefahr einer Ausweitung und Verschärfung der Gewalt in sich. Was als erzieherische „Tracht Prügel" beginnt, kann der Kontrolle des Züchtigenden entgleiten und zur schweren Mißhandlung ausarten. Diese Gefahr ist um so größer, als jede Ausübung körperlicher Gewalt mit intensiven Emotionen beim Züchtigenden verbunden ist und solche Gefühlsaufwallungen auch bei dem gestraften Kind hervorruft. Der Züchtigende kann sich während des Schlagens immer mehr in Gefühle der Wut oder gar des Hasses dem Kind gegenüber hineinsteigern und deshalb öfter und härter zuschlagen, als er es ursprünglich wollte. Das Schreien des Kindes mag ein übriges dazu beitragen, daß er vollends die Nerven und die Kontrolle über sein Handeln verliert. Viele mißhandelnde Eltern wollen ihre Kinder nicht ernsthaft schädigen. Sie wollen sie züchtigen und sind im nachhinein erschrocken über das Ausmaß der Verletzungen, die sie ihren Kindern zugefügt haben 35 . Die rechtliche und soziale Gestattung der „erzieherischen" Züchtigung erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß ein Teil der Züchtigungen außer Kontrolle gerät und das erlaubte Maß überschreitet 36. Die Gefahr einer Verschärfung der Gewalt besteht nicht nur während des einzelnen Vollzugsaktes einer körperlichen Strafe. Vielmehr kann es zu einem längerdauernden Prozeß der stetigen Intensivierung der Gewalt kommen. Körperliche Strafen führen sowohl beim Züchtigenden wie beim gezüchtigten Kind zur Gewöhnung, je häufiger sie angewendet werden. Immer stärkere „Prügeldosen" werden notwendig, um das Verhalten des härtegewohnten Kindes zu kontrollieren. Gleichzeitig tritt auch beim schlagenden Elternteil ein Brutalisierungseffekt ein. Er wird zunehmend unempfindlicher gegen die Schmerzen und Leiden des Kindes. Seine Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, nimmt ab. Eltern, die ursprünglich Ohrfeigen als Erziehungsmittel einsetzen, können so auf die Dauer dazu übergehen, ihr Kind mit Stöcken und Riemen zu verprügeln, es zu treten oder mit Fäusten zu schlagen. Die Unterschiedlichkeit der sozialen und rechtlichen Beurteilung verschiedener Formen der Gewalt gegen Kinder führt bei Eltern, Verwandten, Nachbarn, Freunden und Bekannten zu einer Normenunsicherheit, die Verhaltensunsicherheit hervorruft. Nur in Extrembereichen kann Gewalt gegen Kinder einigermaßen sicher mit großer Übereinstimmung innerhalb der Bevölkerung und unter den Gerichten als erlaubt oder als verboten eingestuft werden. Zwischen dem eindeutig erlaubten „Schlag aufs Hinterteil" und der eindeutig verbotenen Mißhandlung mit Todesfolge liegt eine breite Grauzone der Gewalt, die sich nicht problemlos einordnen läßt. Wenn Züchtigungen erlaubt werden, so wird damit das Risiko geschaffen, daß einige Eltern das ihnen gewährte Maß an Freiheit falsch einschätzen und die Grenzen des Erlaubten überschreiten 37. 35 36 37
14*
Williams 1980, 599. Jung 1977, 94. Garbarino/ Gilliam 1980, 218.
212
D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
Selbst Eltern, die ihren Kindern schwerste Verletzungen zufügen, stützen sich oft auf ihr Erzieherrecht 38 . Strafrechtlich gesehen befinden sie sich zwar in einem Verbotsirrtum, der in den meisten Fällen vermeidbar ist und deshalb ihr Verhalten nicht entschuldigt. Gleichwohl fördert die Anerkennung eines elterlichen Züchtigungsrechts solche „Verbotsirrtümer", die verhängnisvolle Folgen für die Opfer haben können. Darüber hinaus begünstigt sie auch eine gesellschaftliche Gleichgültigkeit gegenüber schweren Formen der Gewalt an Kindern. Verwandte, Nachbarn und Freunde der Familie billigen Eltern das Recht zu, nach ihrem eigenen erzieherischen Ermessen über Einsatz und Ausmaß körperlicher Strafen zu entscheiden. Sie mögen über die elterliche „Strenge" den K o p f schütteln, sind sich aber nicht gewiß, ob die Eltern den Rahmen des Erlaubten bereits durchbrochen haben. Aus diesem Grunde wenden sie sich nicht an die Polizei oder an das Jugendamt. Die Probleme bei der strafrechtlichen Kontrolle von Kindesmißhandlungen sind zu einem großen Teil auf diese Normenunsicherheit innerhalb der Bevölkerung zurückzuführen, die auf der Anerkennung einer elterlichen Züchtigungsbefugnis beruht 3 9 . Ein kausaler Zusammenhang zwischen „erzieherischer Strenge" und Kindesmißhandlung läßt sich ferner im Rahmen des Phänomens der „,sozialen Vererbung" von Gewalt nachweisen 40 . Gewaltsame Erziehungsmethoden werden über Lernvorgänge von Generation zu Generation weitergegeben. Was in der Großelterngeneration erlaubte Züchtigung war, kann dabei in der Elterngeneration zu Mißhandlung werden. Dies kann zum einen daran liegen, daß die Nachkommen tatsächlich intensivere Formen der Gewalt zur Erziehung ihrer Kinder einsetzen, etwa weil sie ihre Kinder als besonders schwierig empfinden. Andererseits kann der Übergang von Züchtigung zu Mißhandlung auch auf der Änderung der gesellschaftlichen Bewertung der Gewalt in der Erziehung beruhen. Die Gestattung der Züchtigung hat auf diese Weise Auswirkungen auf das Leben und die Erziehung künftiger Generationen. Sie verleiht der Gewalt Dauerhaftigkeit. Zwischen Züchtigung und Kindesmißhandlung bestehen somit ursächliche Zusammenhänge, die durch die Versuche zur säuberlichen Unterscheidung beider Formen der Gewalt in gefahrlicher Weise verdeckt werden 41 . Gesetzgeber, Gerichte, Strafrechtslehre und weite Kreise der Bevölkerung sind sich einig in dem ernsthaften Bemühen, die Kindesmißhandlung zu bekämpfen. Eine wirksame Vorbeugung und Bekämpfung der Kindesmißhandlung ist indessen so lange unmöglich, wie die körperliche Züchtigung ein gebilligter Bestandteil der Erziehung ist 4 2 .
38
Vgl. oben D I I I 2. In gleichem Sinne Trube-Becker 1982, 16; Jung 1977, 94. 40 Goode 1978,142; H. J. Schneider 1975, 67; vgl. oben Β 14 c) gg) (2) und I I 1 a) dd), b) aa) (4). 41 Ähnlich Vormbaum 1977, 373 f. 39
4. Körperliche Züchtigung als Mittel der Gehorsamserziehung
213
4. Die soziale Funktion der körperlichen Züchtigung als Mittel der Gehorsamserziehung Die körperliche Züchtigung unterscheidet sich von anderen Formen der Gewalt durch ihre soziale Bedeutung. Bereits die Bezeichnung „Züchtigung" läßt erkennen, daß dieser Form physischer Gewalt eine besondere gesellschaftliche Aufgabe beigemessen wird. Der Einsatz der körperlichen Züchtigung in der familiären Kindererziehung ist sozial zweckgebunden. Eine stabilisierende, positive soziale Funktion kommt der körperlichen Züchtigung zu, wenn sie die Erreichung des Sozialisationszieles fördert. Der konkrete Inhalt des Sozialisationszieles ist freilich dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen. Er hängt von den jeweiligen Wert- und Rollenstrukturen ab, die in einer Gesellschaft vorherrschen. Der soziale Stellenwert der körperlichen Züchtigung in der Erziehung kann also nur relativ im Hinblick auf den erreichten gesellschaftlichen Entwicklungsstand beurteilt werden. Indessen trägt die körperliche Züchtigung ihren erzieherischen Zweck bereits in sich. Er ist untrennbar mit ihrem Wesen als „physischer Ehrenstrafe" verbunden. Die körperliche Bestrafung zeigt dem Opfer in kraftvoller Weise die Überlegenheit des Züchtigenden 43 . Sie argumentiert nicht und appelliert nicht an den Verstand des Geschlagenen. Er wird vielmehr als Objekt behandelt und muß sich deswegen sozial und geistig minderwertig fühlen. Die Züchtigung macht sich die „instinktive" Neigung des Menschen zunutze, schmerzhafte Übelszufügung zu vermeiden. Seine besonderen geistigen und moralischen Merkmale werden beim Vollzug körperlicher Strafen ausgeblendet. Die Züchtigung spricht den Geschlagenen nicht als vernunftbegabtes Wesen an. Sie ist daher das geeignete Mittel, um solche Geund Verbote durchzusetzen, die „unvernünftig", das heißt nicht rational begründbar, sind. Deshalb besteht die Gefahr, daß willkürlich von ihr Gebrauch gemacht wird. Aus diesen Gründen hat die Züchtigung ihren wesensmäßig vorgegebenen Platz in der Gehorsamserziehung. Sie gewöhnt das Kind daran, seinen eigenen Willen den Wünschen und Befehlen des ihm sozial „Vorgesetzten" unterzuordnen 44 . In einer hierarchisch-autoritär organisierten Gesellschaft macht diese Funktion gerade den pädagogischen Wert der Züchtigung aus 45 . Ungeachtet ihrer moralisch-ethischen Bedenklichkeit „hilft" sie dem Kind, seine Rolle innerhalb einer streng geordneten sozialen Hierarchie anzunehmen und klaglos, ja sogar mit innerer Überzeugung, auszufüllen. Sie fördert die Erreichung des Sozialisationsziels, indem sie das Kind frühzeitig an Gehorsam und an das System der Über- und Unterordnung gewöhnt. In einem demokratisch verfaßten Gemeinwesen, das ohne selbstverantwortliche Mitwirkung des einzelnen an politischen und sozialen Prozessen nicht bestehen kann, hat die 42
Trube-Becker 1982, 16, 141 f.; Stutte 1971, 126; Williams 1980, 598; Petri/ Lauterbach 1975, 95 ff. 43 Darauf weist auch Horn 1967, 55 ff. hin. 44 J. Kaufmann 1910, 13. 45 Pötsch, Lexikon d. Pädagogik 1914, Stichw.: Körperliche Züchtigung.
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
Gehorsamserziehung freilich ihren Stellenwert verloren. Selbst das Berufsleben, das noch am ehesten eine Unterordnung des eigenen Willens unter den Willen des Vorgesetzten verlangt, fordert in einer modernen Industriegesellschaft zunehmend die Entschlußkraft und selbständige Entscheidungsfahigkeit des Berufstätigen. Eine reine Gehorsamserziehung lähmt die Entwicklung von Eigeninitiative und -Verantwortung. Sie erschwert es dem einzelnen, sich in einem System zurechtzufinden, das sich nicht vornehmlich auf Befehl und Gehorsam gründet, sondern eine aktive Teilnahme an Entscheidungsprozessen verlangt. Die kindliche Sozialisation muß daher darauf angelegt sein, das Kind zu Autonomie, Selbstbestimmung und -Verantwortung zu erziehen. Es müssen ihm Modelle demokratischer Entscheidungsfindung gegeben werden 46 . Sie muß das Kind an seiner eigenen Erziehung als aktiven Partner beteiligen 47 . Die Entwicklung eigener Einstellungen und Ansichten des Kindes muß gefördert werden. Der Einsatz körperlicher Strafen in der Erziehung steht geradezu in Widerspruch zu diesen Zielen 48 . Es ist nicht zufällig, daß die Züchtigung als Disziplinarmaßnahme im Strafvollzug, in der Armee, in der Schule, gegenüber Bediensteten und Ehefrauen mit der Rückbildung des hierarchisch-autoritären Staats- und Gesellschaftssystems und seiner bürgerlich-liberalen Umformung immer mehr verdrängt wurde. Vor diesem Hintergrund erscheint die Züchtigung i n der Kindererziehung als Überbleibsel
aus einer vordemokratischen
Gesell-
schaft. Als solches hat sie ihre soziale Funktion verloren. Die besondere gesellschaftliche Aufgabe, die Gewalt in der Kindererziehung erfüllte, nämlich die Gewöhnung an Gehorsam und die Beugung des Willens des Gezüchtigten, rechtfertigte ihre besondere gesellschaftliche Bewertung als erlaubte „Züchtigung". Diese Grundlage für die soziale Billigung der körperlichen Bestrafung von Kindern ist fortgefallen. 5. Die pädagogische und lernpsychologische Problematik der Zulassung körperlicher Strafen in der Erziehung a) Die Rolle körperlicher Strafen in der Pädagogik
Der Einsatz körperlicher Strafen in der Kindererziehung beruht zumindest teilweise auf der Überzeugung, daß sie geeignete Mittel zur Erfüllung pädagogischer Zwecke seien. Es ist bemerkenswert, daß sich diese Ansicht hartnäckig hält, obwohl in der pädagogischen Wissenschaft bereits seit ihren frühen Tagen Stimmen laut wurden, die an der Anwendung körperlicher Strafen in der Erziehung Kritik übten. Die körperliche Züchtigung war zwar bis weit in dieses Jahrhundert hinein ein durchaus übliches und anerkanntes Erziehungsmittel in Familien, Schulen, Klöstern und Lehrbetrieben. Schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts verlangte indessen der Pädagoge Christian Gotthilf Salzmann 46 47 46
Dies sieht auch § 1627 BGB vor. Diesem Leitbild folgt § 1626 I I BGB. Ähnlich auch Münder 1975, 23; vgl. ferner Horn 1967, 55 ff.
5. Pädagogische Problematik körperlicher Strafen
215
den Verzicht auf körperliche Strafen in der Kindererziehung 49 . Bereits einhundert Jahre vor ihm wollte Jean Jacques Rousseau alle sogenannten „willkürlichen" Strafen völlig aus der Erziehung verbannen 50 . Das Kind sollte allein durch Erfahrung lernen. Nur durch die mit seinem Handeln natürlicherweise verbundenen schädlichen Folgen sollte es gestraft werden dürfen. Unzulässig sollten alle Strafen sein, die vom Willen des Erziehers abhängig sind und von ihm dem Kind auferlegt werden 51 . Die Pädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts betrachtete die Strafe insgesamt als außerordentliches Erziehungsmittel, das nur dann angewendet werden sollte, wenn regelmäßige Mittel versagten. Dabei galt die körperliche Züchtigung wiederum als die ultima ratio unter den Strafen. Besondere Bedeutung wurde vielmehr dem „Strafmittel des Wortes" beigemessen, weil es am meisten der geistigen Würde des Menschen entspreche 52. Maria Montessori wandte sich zur Mitte dieses Jahrhunderts scharf gegen jeden Einsatz körperlicher Züchtigung in der Erziehung 53 . Die moderne Pädagogik lehnt körperliche Strafen in der Kindererziehung ebenfalls völlig ab 5 4 . Die bereits seit langem eher vorsichtige und in den letzten Jahrzehnten ablehende Haltung der Pädagogik gegenüber körperlichen Strafen beruht auf einer kritischen Würdigung der Wirkungen dieser Strafen in der Erziehung. Soweit die Pädagogik den Einsatz von Strafe gleich welcher Art überhaupt gestattet, darf die Bestrafung kein Akt der Vergeltung sein, sondern muß den Zweck erfüllen, das künftige Verhalten des Kindes zu beeinflussen. Eltern und Erzieher bestrafen kindliches Fehlverhalten, weil sie davon ausgehen, daß das Kind künftig im Hinblick auf eine erwartete Strafe die unerwünschte Handlung unterlassen werde. Sie wenden Strafe damit als Mittel der direkten Verhaltenssteuerung an. Darüber hinausgehend wird der Strafe, und insbesondere der körperlichen Strafe, von vielen Eltern eine symbolische Kraft beigemessen, die der sittlich-moralischen Erziehung des Kindes nützen soll. Sie soll dem Kind verdeutlichen, daß es „unrecht" gehandelt hat, und bewirken, daß das Kind die gesellschaftlichen Normen und die ihnen zugrunde liegenden Werte selbst als richtig und verbindlich anerkennt. Die körperliche Züchtigung ist indessen ein weitgehend unwirksames Mittel zur Steuerung des Verhaltens und zur morali49
Wiedergegeben bei Netzer (Hrsg.) 1983, 23 f. Rousseau 1762. 51 Dieser Ansicht schließt sich auch Spencer 1861 an, abgedruckt in Netzer (Hrsg.) 1983, 44ff. 52 Mosapp, Lexikon d. Pädagogik 1915, Stichw.: Strafe; Pötsch, Lexikon d. Pädagogik 1914, Stichw.: Körperliche Züchtigung. 53 Montessori 1952, 296 ff. 54 Eine zusammenfassende Darstellung zur ablehnenden Haltung der pädagogischen Bewegung des 20. Jahrhunderts gegenüber der körperlichen Strafe gibt Scheibe 1977, 224ff.; vgl. ferner Scheibe/Ewert, Lexikon d. Pädagogik 1971, Stichw.: Strafe; Scheibe 1977, 361; Netzer 1958, 73 ff.; Pöggeler 1967,102,107ff.; Geißler 1973,146ff.; gegen jede Strafe wenden sich Dreikurs/Cassel 1977, 61 ff. und Gordon 1979, 186 ff; vgl. auch die Wiedergabe des pädagogischen Meinungsstandes bei Maunz/Dürig Art. 2 I I Rdn. 48. 50
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
sehen Erziehung des Kindes. Ihre Untauglichkeit läßt sich auf der Grundlage der modernen lernpsychologischen Theorien und Forschungen nachweisen. Gleichzeitig macht die lernpsychologische Analyse auch die schädlichen Nebenwirkungen körperlicher Strafen deutlich. b) Der SteUenwert der Strafe in operanten und sozialen Lernprozessen
Die behavioristische Lerntheorie ist diejenige psychologische Theorie, die der Belohnung und der Bestrafung bei der Erklärung menschlichen und tierischen Verhaltens den größten Stellenwert einräumt. Sie geht davon aus, daß das Verhalten unter dem Einfluß seiner Folgen steht und alleine durch diese gesteuert wird. Organismen lernen an Erfolg und Mißerfolg. Sie werden als passive Objekte äußerer Lerneinflüsse gesehen, auf die sie gleichsam automatisch ohne Umweg über geistige oder gefühlsmäßige Prozesse reagieren. Zieht eine spontan auftretende Verhaltensweise eine dem Lernenden angenehme Reaktion nach sich, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des gezeigten Verhaltens für die Zukunft. Das gleiche gilt, wenn es dem Lernenden gelingt, durch sein Verhalten einen für ihn unangenehmen Zustand zu beenden oder eine erwartete unangenehme Reaktion zu vermeiden. Demgegenüber nimmt die Verhaltenshäufigkeit ab, wenn auf die gezeigte Verhaltensweise eine Bestrafung folgt oder keine Belohnung stattfindet 55 . Der Behaviorismus sieht diese Form des Lernens, das sogenannte operante Konditionieren, als die Grundlage allen menschlichen (und tierischen) Verhaltens an. Strafen sind vor diesem lerntheoretischen Hintergrund ein Mittel der Verhaltenskontrolle. Zur Erklärung des menschlichen Verhaltens ist die in Tierversuchen entwickelte behavioristische Lerntheorie freilich unzureichend. Zwar lassen sich in der Lerngeschichte eines jeden einzelnen Menschen operante Konditionierungsprozesse nachweisen, wenn z. B. nach einem unliebsamen Erlebnis bestimmte Situationen, Dinge oder Menschen gemieden werden, obwohl bei rationaler Betrachtung von ihnen gar keine Gefahr für den Handelnden ausgeht. Der Behaviorismus berücksichtigt indessen nicht, daß der Mensch nicht lediglich ein „passives Bündel von Reaktionsmöglichkeiten" ist, sondern zur selbständigen Verarbeitung von Informationen ( = Kognition) und zur aktiven Gestaltung seiner Umwelt in der Lage ist 5 6 . Die Bedeutung der Kognition und der Fähigkeit des Menschen zur aktiven Formung seiner Umgebung wird von der „sozialen Lerntheorie" betont, die sich auf den Grundlagen der behavioristischen Lerntheorie und der Theorie des Modellernens weiterentwickelt hat 5 7 . Auch innerhalb der sozialen Lerntheorie nimmt die Strafe einen gewissen, wenn auch kleineren Stellenwert ein als innerhalb des Behaviorismus. Nach der Theorie des 55
Einen Überblick über die Prinzipien des operanten Konditionierens geben Zimbardo/Ruch 1978, 150. 56 Mischel 1981, 93, 97. 57 Bandura 1979b; Mischel 1981, 81 fT., 330ff.
5. Pädagogische Problematik körperlicher Strafen
217
sozialen Lernens ist das Verhalten einer Person abhängig von den Erwartungen, die sie in bezug auf die Folgen ihres Verhaltens hegt, und von ihrer Bewertung dieser Folgen. Die Person reagiert nicht „automatisch" auf einen Umweltreiz, sondern sie wägt die Vor- und Nachteile möglicher Reaktionen ab, bevor sie handelt, und sie ist in der Lage, auf ihre Umwelt einzuwirken. Ihre Erwartungen und ihre Bewertungen der vorausgesehenen Folgen ihres Tuns sind die Ergebnisse voraufgegangener Lernerfahrungen. Wenn eine Person für ein Verhalten belohnt oder bestraft wird, macht sie eine Lernerfahrung, die ihre künftigen Erwartungen und damit ihre Verhaltensweisen beeinflussen kann. Darüber hinaus kann aber auch die Beobachtung von Verhaltensmodellen ihre Erwartungen und Bewertungen leiten 5 8 . Sie kann durch Informationen und Anleitungen lernen, die ihr von anderen Personen gegeben werden. Strafe ist demnach im Rahmen der sozialen Lerntheorie nur eines von vielen Mitteln, die die Erwartungen und Bewertungen steuern, die das Individuum in bezug auf die Folgen seines Handelns hegt. Überdies gilt sie als weniger wirksame und gleichzeitig gefahrliche „Lernhilfe". Bedenken werden dabei insbesondere hinsichtlich der körperlichen Strafe geäußert. Selbst der „Vater" des amerikanischen Behaviorismus John B. Watson 59 lehnt den Einsatz körperlicher Strafen in der Kindererziehung ab, obwohl der Behaviorismus auf den Lernwert von Belohnung und Bestrafung grundsätzlich stärker vertraut als die soziale Lerntheorie. B. F. Skinner , der den Behaviorismus theoretisch und experimentell weiterentwickelt hat und als sein Hauptvertreter gilt, geht sogar so weit, generell den Nutzen von Strafen als Mittel der Kindererziehung anzuzweifeln 60 . c) Die Unzulänglichkeit der Lernwirkungen körperlicher Strafen
Die erzieherischen Ziele, die durch den Einsatz körperlicher Strafen erreicht werden können, sind von vorneherein sehr begrenzt. Körperliche Strafen können allenfalls dazu dienen, unerwünschte Handlungsweisen abzubauen. Dabei führen sie nicht zu einem wirklichen „Verlernen" des Verhaltens, sondern bewirken nur seine zeitweilige Unterdrückung 6 1 . Die Verhaltensmöglichkeit bleibt dem Kind weiterhin verfügbar. Es mag auf diese Möglichkeit zurückgreifen, wenn die Anreize hierfür stark genug werden oder wenn keine Bestrafung zu erwarten ist. Der Abbau unerwünschten Verhaltens ist freilich nur ein Bestandteil des operanten und des sozialen Lernens, der überdies weniger bedeutend ist. Ziele des Lernens und insbesondere des Lernens innerhalb des Sozialisationsprozesses sind in erster Linie der Erwerb neuer Verhaltensmöglichkeiten und der Aufbau erwünschten Verhaltens. Diese Ziele können allein durch die Bestrafung unangemessener Verhaltensweisen niemals erreicht werden. Das K i n d muß 58 59 60 61
Bandura 1979b, 31 ff.; Mischel 1981, 86. 1924, 144 ff. Skinner 1968, 186 ff. Hilgard / Atkinson / Atkinson 1979, 206 f.
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
vielmehr zu „richtigem" Verhalten angeleitet werden 62 . Dies geschieht nach der Überzeugung der behavioristisch orientierten Lerntheoretiker, indem das spontan auftretende erwünschte Verhalten oder auch solches Verhalten, das ihm nahekommt, belohnt wird. Die Theorie des sozialen Lernens betont daneben die Bedeutung von positiven Verhaltensmodellen und verbal vermittelten Anleitungen und Regeln, die dem Kind helfen, gesellschaftlich willkommenes Verhalten zu erlernen und auf diese Weise in den Genuß der entsprechenden Belohnungen zu gelangen. Diese Lernhilfen wirken konstruktiv. Durch sie werden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben. Sie bauen Verhalten auf. Körperliche Strafen wirken demgegenüber repressiv; sie können allenfalls Verhalten unterdrücken. Auch die repressiv-verhaltenssteuernden Wirkungen körperlicher Strafen werden von vielen Eltern erheblich überschätzt. Strafen können nur dann nachhaltig verhaltenskontrollierend wirken, wenn sie konsistent angewendet werden. Sie müssen dem unerwünschten Verhalten jedesmal unvermeidlich folgen 63 . Darüber hinaus müssen sie sich der Missetat zeitlich unmittelbar anschließen64. Auf diese untrennbare Verbindung zwischen Verhalten und Bestrafung des Verhaltens wird insbesondere im Rahmen des operanten Konditionierens großer Wert gelegt. Aber auch für das soziale Lernen ist sie bedeutsam. Bleibt nämlich eine erwartete Bestrafung aus oder erfolgt sie verspätet, so beeinflußt dies die künftigen Straferwartungen und -bewertungen des Kindes. Es lernt, das Risiko einer Bestrafung in Abhängigkeit von bestimmten äußeren Merkmalen der Situation (ζ. B. Anwesenheit der Eltern, gute oder schlechte Stimmung der Eltern) einzuschätzen. Wenn das Kind sich sicher fühlt, hat es keinen Grund, das strafbedrohte Tun zu unterlassen. Eine konsistente Anwendung körperlicher Strafen, die Grundlage ihrer abschreckenden Wirkung in jeder einzelnen Versuchungssituation ist, setzt eine hochgradig kontrollierte Umwelt voraus. Die Eltern müssen das Kind ständig überwachen und sofort strafen, wenn es sich unangemessen beträgt. Diese Bedingungen können in der Kindererziehung nicht erfüllt werden. Eltern erhalten nicht immer von den „Untaten" ihrer Kinder Kenntnis. Wenn sie von ihnen erfahren, sind sie nicht immer in gleicher Weise geneigt, ihre Kinder zu bestrafen. Dies gilt besonders für die Anwendung körperlicher Strafen. Ihr Einsatz hängt nämlich mehr von der sich wandelnden nervlichen Verfassung der Eltern als von dem Verhalten des Kindes ab. Ein Schimpfwort, das das Kind benutzt, mag beispielsweise im einen Falle eine Ohrfeige nach sich ziehen, im anderen Falle Heiterkeit hervorrufen. Inkonsistenz bei der Anwendung körperlicher Strafen ist demnach kein vermeidbarer erzieherischer Fehler. Sie tritt vielmehr notwendigerweise auf, da Eltern ihr Kind nicht ständig unter Kontrolle halten können 62 Anschaulich ist hier das von Skinner 1968,187 verwendete Beispiel: Man kann einem Kind nicht beibringen, wie es seine Schuhbänder knoten soll, indem man es für jeden falschen Versuch bestraft. 63 Buckley/Walker 1970, 34; Skinner 1968, 188. 64 Solomon 1964, 240.
5. Pädagogische Problematik körperlicher Strafen
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und nicht immer gleichmäßig physisch und psychisch zur körperlichen Bestrafung des Kindes bereit und in der Lage sind. Eine dauernde glaubwürdige Strafdrohung, die Grundlage einer dauerhaften, verhaltenskontrollierenden Straferwartung des Kindes ist, kann durch den Einsatz körperlicher Strafen in der Erziehung gar nicht erreicht werden. Die unvermeidbare Inkonsistenz des Gebrauchs körperlicher Strafen in der Erziehung bewirkt nicht nur, daß das Kind zwischen Situationen mit verschiedenen Strafrisiken zu unterscheiden und sein Verhalten danach auszuführen lernt. Sie kann vielmehr dazu führen, daß das strafbedrohte Tun für das Kind einen besonderen Reiz erhält. Auch diese Auswirkung, die vielen Eltern und Erziehern bekannt ist, beruht auf Lern Vorgängen. Das unerwünschte Verhalten hat für das Kind in der Regel angenehme, belohnende Folgen, sonst würde es sich seiner nicht bedienen. Durch Lügen kann es Vorteile erzielen, Naschen stillt sein Verlangen nach Süßem, Schreien und Treten helfen ihm, Aufmerksamkeit zu erlangen und seinen Willen durchzusetzen. Wenn die Bestrafung dieses Verhaltens unterbleibt, gelangen seine belohnenden Folgen zu voller Wirkung. Sie geben Anreize für weitere Verstöße gegen elterliche Weisungen. Unabhängig von diesen Erfolgen des verbotenen Tuns wirkt auch bereits das Ausbleiben einer aufgrund früherer Erfahrungen befürchteten körperlichen Strafe verstärkend. Das Kind lernt, bewußt Situationen auszunutzen, in denen es keine Bestrafung seiner Verfehlungen zu erwarten hat. Für die erhofften lohnenden Folgen seiner Missetat nimmt es das Risiko einer Züchtigung in Kauf. Der Einsatz körperlicher Strafen in der Erziehung will Furcht vor Strafe erzeugen, die das Kind zur Einhaltung gesellschaftlicher Regeln motivieren soll. Furcht vor Strafe erweist sich indessen als schwacher, leicht überwindbarer Antrieb für erwünschtes Verhalten 65 . Sanktionen, die dem Kind von außen, also ζ. B. von seinen Eltern oder Lehrern, auferlegt werden, können niemals eine unanfechtbare und nachhaltige verhaltenssteuernde Wirkung auf das Kind ausüben, da es nicht zu vermeiden ist, daß manche Missetaten der Bestrafung entgehen oder verspätet bestraft werden. Wesentlich wirksamer sind demgegenüber innerpsychische Strafmechanismen. Das Kind wird eher geneigt sein, elterliche Verhaltensmaßregeln und soziale Normen einzuhalten, wenn es bei einem Verstoß gegen sie Schuldgefühle empfindet. Diese Schuldgefühle bestrafen das Kind für seine Handlung, auch wenn äußere Strafen ausbleiben. Das Empfinden von Schuld und seine Koppelung an Normverstöße muß das Kind ebenso erlernen wie den Inhalt einer Norm selbst. Im Verlauf des Prozesses der moralischen Erziehung soll das Kind die geltenden sozialen Normen und Werte verinnerlichen und lernen, seine Handlungen an ihnen auszurichten. Viele Eltern setzen im Rahmen der moralischen Erziehung körperliche Strafen ein, um Normverstöße des Kindes, ζ. B. Lügen oder Stehlen, zu ahnden. Sie wollen ihm das Unrecht seiner Tat „handgreiflich" vor Augen führen, um so Schuldgefühle bei ihm zu erzeugen. Züchtigungen sind indessen wenig geeignet, 65
Berkowitz 1964, 76 ff.
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
beim Kind Schuldbewußtsein zu wecken. Sie können im Gegenteil dazu führen, daß der Strafende und die von ihm vertretenen Normen und Werte selbst zu unangenehmen Reizen für das Kind werden und es ihnen mit Ablehnung begegnet. Psychologische Strafen, wie das Äußern von Enttäuschung über das Verhalten des Kindes, sind weit wirksamer, beim Kind „Gewissensbisse" zu erzeugen 66. Körperliche Strafen helfen dem Kind auch nur wenig, den Inhalt und den Sinn der sozialen Normen zu erfassen, die es beachten soll. Durch körperliche Bestrafung lernt es zunächst nur, daß bestimmte Handlungen, wie das Verprügeln eines Spielkameraden oder das Wegnehmen fremden Spielzeugs, bestimmte Folgen, nämlich Schläge, nach sich ziehen. Es erfährt Zusammenhänge zwischen seinem Handeln und der Reaktion der Eltern, die bei ihm Unlust hervorruft. Dieses rein assoziative Lernen ist eine wenig wirksame Methode zur Erfassung sozialer Regeln. Von der Erkenntnis äußerer Zusammenhänge bis zum Begreifen der ihnen zugrundeliegenden gesellschaftlichen Normen und Werte ist es ein weiter Weg. Das Kind muß sich selbst Hypothesen über die Regeln bilden, denen die elterliche Reaktion gehorcht. Diese Lernaufgabe ist langwierig und besonders anfallig für Irrtümer des Lernenden. Das Kind kann zu fehlerhaften Überzeugungen über die Inhalte sozialer Normen und Werte gelangen. Nur wenn dem Kind begleitende Erklärungen über das Unrecht seines Tuns gegeben werden, erhält es die Möglichkeit, die sozialen Regeln zu erfassen, die es verletzt hat. Gerade in Verbindung mit dem Vollzug körperlicher Strafen unterbleiben solche Erläuterungen jedoch oft. Züchtigungen werden als Erziehungsmittel typischerweise dann verwendet, wenn Eltern meinen, sich dem Kind nicht durch Worte verständlich machen zu können, wenn sie zu wütend oder zu entnervt für Erklärungen sind oder selbst keine vernünftige Begründung für das Verbot wissen, dem sie durch Schläge Nachdruck verleihen wollen. Väter und Mütter, die weniger intellektuelles Einsichtsvermögen besitzen und die sich nicht gut sprachlich ausdrücken können, greifen eher auf Prügel zurück als andere Eltern. Selbst wenn im Einzelfall Erklärungen gegeben werden, ist das Kind häufig zu erregt und zu wütend, um sie zu verstehen und einzusehen. Eine moralische Erziehung, die sich die Neigung des Menschen zur Schmerzvermeidung nutzbar macht, ist ethisch höchst fragwürdig 67 . Sie verdeutlicht dem Kind nicht den gesellschaftlichen oder individuellen Nutzen einer Verhaltensnorm, läßt es nicht ihren Sinn erkennen. Sie verfehlt ihr Ziel, das Kind von der Richtigkeit sozial erwünschten, moralischen Verhaltens zu überzeugen. Nicht die Einsicht in die Schädlichkeit einer Handlung bestimmt es, diese zu unterlassen, sondern die Furcht vor Strafe. Das Kind mag sich zwar „moralisch" verhalten. Es läßt sich dabei aber nicht von vernünftigen Einsichten leiten, sondern von primitiv-instinktiven Neigungen. Seine Handlungen sind nicht altruistisch an der Erhaltung und Mehrung des Nutzens für andere und für die Gemeinschaft ausgerichtet, sondern dienen in egoistischer Weise der Vermei66 67
Berkowitz 1964, 77. Netzer 1958, 74.
5. Pädagogische Problematik körperlicher Strafen
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dung von persönlichen Unlusterlebnissen. Die Motive seines „moralischen" Verhaltens sind daher zutiefst unmoralisch. Eine sittliche Erziehung, die sich körperlicher Strafen bedient, pervertiert damit ihren eigenen Zweck. Der Einsatz körperlicher Strafen in der Erziehung folgt seiner eigenen Ethik, die unabhängig davon ist, wie hochstehend die Ziele sind, die durch ihn erstrebt werden. Die Eltern treten dem Kind als Gesetzgeber, Richter und Strafvollstrecker gegenüber. Das Kind erfährt fühlbar eine absolute Macht der Eltern, die es als Macht der Stärkeren wahrnehmen muß. Diese Erfahrung ist die Grundlage dafür, daß das Kind einen Glauben an das Recht des Stärkeren entwickelt 68 . d) Schädliche Folgen körperlicher Strafen
Körperliche Strafen sind nicht nur weitgehend unwirksam im Hinblick auf die Erzielung nachhaltiger sozial erwünschter Lernerfolge. Sie haben vielmehr schädliche Folgen und Nebenwirkungen, die ihrerseits wiederum auf Lernvorgängen beruhen. Die Züchtigung lehrt das Kind, solche Situationen zu umgehen, die die Gefahr einer Bestrafung mit sich bringen 69 . Alle Merkmale der Bestrafungssituation können auf diese Weise zu unangenehmen, „aversiven" Reizen werden, die das Kind künftig zu vermeiden sucht. Besonders der Züchtigende selbst kann die Bedeutung eines aversiven Reizes erlangen 70 . Das Kind lernt, den Strafenden zu fürchten oder gar zu hassen71. Es kann kein Vertrauensverhältnis entstehen72. Diese Entwicklung ist nicht nur persönlich unbefriedigend für die Beteiligten. Sie ist auch pädagogisch nachteilig, da das Bestehen einer Vertrauensbeziehung zum Kind die Grundlage jeder erzieherischen Einwirkung ist. Ein Vater oder eine Mutter, denen das Kind mit Furcht oder Feindschaft begegnet, verlieren ihre Wirksamkeit als Verhaltensmodelle, an denen sich das Kind ausrichtet 73 . Wenn Eltern vermehrt in bestimmten Situationen strafen, wird sich der Widerwillen des Kindes besonders gegen diese richten. Ein Schulkind, dessen Eltern es durch Ohrfeigen und Schimpfen dazu bringen wollen, seine Hausaufgaben ordentlich und pünktlich zu erledigen, wird daher eine immer stärkere Abneigung gegen seine Schularbeiten entwickeln. Die Aufgaben selbst werden zum aversiven Reiz, zur Strafe 74 . Das durch körperliche 68
Horn 1967. Bugelski 1971, 184. 70 Bandura 1969, 312f.; Watson 1924, 146; Bugelski 1971, 187; in vielen Familien ist die Drohung „Wart! Ich sag's dem Papa!" ein beliebtes Mittel, dessen sich überforderte Mütter bedienen, um kindliches Wohlverhalten zu erzwingen. Wenn diese Drohung Erfolg hat, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, daß das Kind den Vater selbst als „aversiven Stimulus", als „Buhmann", empfindet. 69
71
Watson 1924, 146. Stutte 1971, 131. 73 Bandura/Walters 1963, 97; Bandura 1969, 312. 74 Bereits im 17. Jahrhundert lehnte der Pädagoge Comenius Prügel in den Schulen als Mittel zur Förderung der Lernfreude mit der Begründung ab, Schläge hätten nicht die 72
222
D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
Strafen gelernte Vermeidungsverhalten wirkt selbstverstärkend 75. Es erhält sich über lange Zeit aufrecht und ist nur schwer abzubauen. Das Kind erfährt, daß es durch die Meinung des strafenden Elternteils der erwarteten Strafe entgehen kann. Nach den dargelegten Grundsätzen des operanten Konditionierens und des sozialen Lernens ist die Verhinderung einer unangenehmen Folge ein Verhaltensverstärker. Da das Kind mit seiner Taktik, dem Vater oder der Mutter aus dem Wege zu gehen, Erfolg hat, wird es sie immer wieder anwenden. Es wird dieses Verhalten auch dann beibehalten, wenn objektiv überhaupt keine Strafe zu erwarten steht. M i t der Anwendung körperlicher Strafen ist eine besonders hohe Mißbrauchsgefahr verbunden. Viele Eltern machen nicht nur den Fehler, daß sie ihr Kind schlagen. Sie schlagen auch besonders häufig. Gerade körperliche Strafen unterliegen der Gefahr, als allheilendes Erziehungsmittel verwendet zu werden. Ihre kurzfristige repressive Wirkung tritt im allgemeinen sofort ein. Da Körperstrafen solchermaßen auf den ersten Blick besonders wirksam scheinen, werden sie gerade von pädagogisch ungeübten oder überforderten Eltern als Maßnahmen zur Unterdrückung unerwünschten kindlichen Verhaltens eingesetzt. Sie ersparen den Eltern langwierige Erklärungen. Daher sind sie ein außerordentlich bequemes Erziehungsmittel. Diese Tatsache verleitet die Eltern dazu, sie immer wieder und immer häufiger in erzieherischen Konfliktsituationen anzuwenden. Wenn körperliche Strafen häufig und über längere Zeit hinweg als Antwort auf vielfaltige Verhaltensweisen eingesetzt werden, treten bei ihren Opfern schwerwiegende psychische Fehlentwicklungen auf, die bei verschiedenen Kindern unterschiedlich sein können. Es gibt Kinder, die sich an Prügel gewöhnen und sie zunehmend gleichgültig hinnehmen. Körperliche Strafen immer größerer Intensität werden notwendig, um die Kinder zu beeindrucken und repressive Scheinerfolge zu erzielen. Argumente oder gewaltlose Strafen sind bei ihnen fruchtlos. Sie stellen daher insbesondere ihre Lehrer oft vor unlösbare Disziplinarprobleme. Bei anderen Kindern ist eine gegenläufige Fehlentwicklung zu beobachten. Sie verhalten sich passiv und zurückgezogen. Wenn ein Kind häufig geschlagen wird, besteht die Gefahr, daß sich die Unterdrückungswirkung der Züchtigung auch auf sozial erwünschte Verhaltensweisen ausdehnt 76 . Diese als „Generalisierung"" bezeichnete Folge äußert sich darin, daß das Kind zögerlich und ängstlich wird und in Gegenwart seiner Eltern oder anderer Erwachsener nicht mehr auf Umweltreize reagiert, weil es immer auf der Hut vor Bestrafungen ist 7 7 . Welche Fehlentwicklung eintritt, hängt davon ab, wie das Kind selbst seine häufigen körperlichen Bestrafungen verarbeitet. Für das kleine Kind ist es schwerer, die Reaktionen seiner Eltern Kraft, „den Gemütern Liebe zur Wissenschaft einzuflößen, gar große Kraft hingegen, in ihnen Widerwillen und Abneigung zu pflanzen", in Netzer (Hrsg.) 1983, 17. 75 Bandura 1969, 310. 76 Bandura 1969, 308. 77 Vgl. Skinner 1968, 187.
6. Konsequenzen des Unwerts körperlicher Strafen
223
vorherzusehen und sich vor elterlichen Wutausbrüchen zu schützen. Deshalb wird es eher mit Passivität und Rückzug antworten. Das größere Kind mag demgegenüber am Vorbild von Kameraden mit ähnlichen „Straferfahrungen" lernen, Gleichgültigkeit zu zeigen. Eine besonders bedenkliche Nebenwirkung körperlicher Strafen in der Erziehung ist, daß sie aggressives Verhalten des Kindes fördern 78 . In einer Feldstudie an 450 Kindern und ihren Eltern wurden statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen aggressivem Verhalten der Kinder in der Schule und der elterlichen Züchtigungsbereitschaft nachgewiesen79. M i t der Züchtigung gibt der Strafende dem Kind ein aggressives Verhaltensmodell 80 . Ungewollt zeigt er ihm, wie das Verhalten von Mitmenschen durch Gewalt beeinflußt werden kann. Das Kind lernt körperliche Aggression als ein zulässiges Mittel kennen, den eigenen Willen gegenüber seinen Mitmenschen durchzusetzen. Aus diesem Grund hat die Züchtigung des Kindes gerade als Strafe für aggressive Handlungen eine paradoxe Wirkung: Sie fördert aggressive Verhaltensweisen des Kindes jedenfalls in solchen Situationen, in denen es keine Entdeckung durch die Eltern zu erwarten hat. 6. Die Konsequenzen des pädagogischen, psychologischen und moralischen Unwertes körperlicher Strafen für die Erziehungspraxis und für das Recht Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß körperliche Strafen in der Kindererziehung nicht nur weitgehend unwirksam, sondern sogar schädlich sind. Sie fördern nicht die Erreichung des Sozialisationsziels und führen zu psychischen Störungen und Fehlanpassungen. Aus diesen Tatsachen ergibt sich zwingend die Forderung nach Verzicht auf körperliche Strafen in der Erziehungspraxis. Damit ist nicht die Forderung nach einem Verzicht auf Erziehung verbunden. Eltern können mit einer Vielzahl von Mitteln, insbesondere durch Belohnung erwünschten Verhaltens, durch gewaltlose Bestrafung mißbilligter Handlungen und durch ihr eigenes Vorbild, erzieherisch auf ihre Kinder einwirken 81 . Der Verzicht auf körperliche Strafen darf keineswegs mit Permissivität gleichgesetzt werden. Das Kind kann nur dann in die Gesellschaft hineinwachsen, wenn es lernt, die allgemein anerkannten sozialen Werte und Normen zu beachten. Daher kann ihm nicht gestattet werden, seinen eigenen Neigungen und Bedürfnissen unbegrenzt und in jedem Falle nachzugeben. Wenn ein Kind nicht geführt und sein Fehlverhalten nicht korrigiert wird, so verwahrlost es und nimmt spätestens als Erwachsener die Rolle des gesellschaftlichen Außenseiters an, der nicht in der Lage ist, auf die Wünsche seiner 78 79 80 81
Gugel 1983, 48 ff. Eron/Walder/Lefkowitz 1971, 70ff. Eron/Walder/Lefkowitz 1971,75; Bandura/Walters 1963,194; Bandura 1969, 313. Vgl. oben D I I 1 b).
224
D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
Mitmenschen und die Anforderungen seiner Umwelt einzugehen. Körperliche Strafen sind indes weder wirkungsvoll noch notwendig, um das Verhalten des Kindes in gesellschaftlich erwünschte Bahnen zu lenken. Daß Kinder auch ohne Züchtigung erzogen werden können, zeigt sich besonders eindrucksvoll am Beispiel der japanischen Gesellschaft, die ihre Kinder weitgehend ohne körperliche Strafen zu sozialer Anpassung führt 8 2 . Problematisch bleibt es freilich, aus der Erkenntnis des pädagogischen, psychologischen und moralischen Unwerts körperlicher Strafen die Forderung nach ihrem rechtlichen Verbot abzuleiten. I n der Rechtslehre wird dazu die Ansicht vertreten, es sei nicht Aufgabe des Strafrechts, „zwr Durchsetzung pädagogischer Auffassungen oder weltanschaulicher Postulate kriminalisierend in den familiären Bereich einzudringen ii8 3. Die Strafjustiz sei kein „adäquates Instrument, um im familiären Kleinkrieg'pädagogisch verunsicherte Eltern schon bei jedem körperlichen Übergriff durch kriminalisierende Sanktionen in die
Schranken zu weisen u84. Zunächst erscheint es mißverständlich, die Forderung nach einem Verzicht auf körperliche Strafen in der Erziehung als pädagogische „Auffassung" zu bezeichnen. Diese Formulierung deutet an, daß es sich hierbei lediglich um eine Meinung, eine Ansicht, handelt, die sich in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion befindet. Indessen ist sowohl in der Pädagogik wie in der Psychologie die Beurteilung körperlicher Strafen in der Erziehung schon seit geraumer Zeit keine „Ansichtssache" mehr. Sie wird vielmehr auf der Grundlage empirischer und theoretischer Erkenntnisse allgemein abgelehnt. Es ist allerdings zutreffend, daß das Strafrecht kein Instrument ist, um erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis der familiären Kindererziehung einzuführen und ihre Verwirklichung zu erzwingen. Aufgabe des Strafrechts ist der Rechtsgüterschutz. Daher ist es freilich dann angesprochen, wenn gängige Erziehungsmethoden Rechtsgüter des Kindes verletzen. Dies ist bei der körperlichen Züchtigung der Fall. Rechtsgutsgefahrdende Erziehungsmittel kann das Strafrecht nur dann zulassen, wenn sie höherrangigen Interessen dienen. Aus diesem Grunde soll es auch Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Züchtigung sein, daß sie zur Erreichung eines Erziehungszwecks erforderlich und angemessen ist 8 5 . Der „Erziehungszweck" ist das höherrangige Interesse, das ausnahmsweise solche Verletzungen der Rechtsgüter des Kindes rechtfertigt, die im Dienste dieses Zwecks stehen. Nur soweit er erfüllbar ist, kann die Verletzung von Rechtsgütern gebilligt werden. Die Erkenntnisse der modernen Pädagogik und Psychologie zeigen indessen, daß körperliche Strafen einen solchen Zweck gerade nicht erfüllen, sondern sogar Schäden hervorrufen, die über die Verletzung der körperlichen Integrität des Kindes hinausgehen. Wenn das Verbot körperlicher Strafen gefordert wird, geht es daher nicht um die 82 83 84 85
Vgl. Wagatsuma 1981. Hirsch L K § 223 Rdn. 22. Eser S/S § 223 Rdn. 20; in ähnlichem Sinne Dreher/Tröndle § 223 Rdn. 11. Eser S/S § 223 Rdn. 22.
7. Probleme eines absoluten Züchtigungsverbotes
225
Verwirklichung pädagogischer Überzeugungen mit den Mitteln des Strafrechts. Dies wäre i n der Tat unzulässig. Mit der Erkenntnis, daß körperliche Strafen nicht der Erreichung eines höherrangigen Erziehungszwecks dienen, hat die den Eltern gewährte Befugnis, Rechtsgüter des Kindes zu verletzen, vielmehr ihre innere materielle Rechtfertigung verloren. Erziehungswissenschaftliche Weiterentwick-
lungen haben hier zwingende rechtliche Folgen. Die von der Strafrechtslehre vertretene Auffassung stellt vor diesem Hintergrund einen Widerspruch in sich dar. Einerseits soll es für die Rechtmäßigkeit der Züchtigung ausschlaggebend sein, daß die Strafe der Erreichung von Erziehungszwecken dient. Dabei soll hinsichtlich der Angemessenheit der Züchtigung als Erziehungsmittel sogar das Urteil „pädagogischer Fachkreise" eine richtungweisende Rolle spielen 86 . Andererseits wird die von eben diesen Fachkreisen vertretene und begründete Überzeugung, daß körperliche Strafen als Erziehungsmittel gänzlich ungeeignet sind, als strafrechtlich bedeutungslos eingestuft. Wer die Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ernst nimmt, daß die Züchtigung zu Erziehungszwecken angemessen und erforderlich sein muß, kann bei Berücksichtigung pädagogischer und psychologischer Erkenntnisse nur zur gänzlichen Ablehnung der elterlichen Züchtigungsbefugnis gelangen.
7. Möglichkeiten und Probleme eines absoluten Züchtigungsverbotes Die Forderung nach einer vollkommenen Verbannung körperlicher Strafen aus der Kindererziehung wird von zahlreichen Juristen, Kriminologen, Soziologen, Pädagogen, Psychologen und Medizinern unterstützt 87 . Fraglich ist allerdings, wie eine Ächtung körperlicher Strafen in der Kindererziehung rechtstechnisch vollzogen werden kann. Das elterliche Züchtigungs-„recht" besteht gegenwärtig ohne die erforderliche Rechtsgrundlage. Die körperliche Bestrafung von Kindern ist daher eine zwar gerichtlich anerkannte, aber gleichwohl unerlaubte Erziehungspraxis. Gesetzgeberische Schritte mit dem Ziel, die Züchtigung in den Bereich der Rechtswidrigkeit zu verbannen, sind deshalb unter rechtlichen Gesichtspunkten unnötig und überflüssig. Dennoch sind sie erforderlich, um die von den Gerichten aufrechterhaltene und im Bewußtsein der Bevölkerung verankerte Rechtswirklichkeit abzubauen. Es ist nicht anzunehmen, daß die Gerichte ihre Entscheidungsgrundsätze hinsichtlich der Zulässigkeit körperlicher Strafen in der Erziehung ohne einen ausdrücklichen gesetzgeberischen Schritt in naher Zukunft wesentlich ändern werden. Aus 86
Horn SK § 223 Rdn. 13, 14. Baer, Nitsch, Beitzke, Diederichsen in der Anhörung zum Gesetzesentwurf der SPD/FDP zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, abgedruckt in: Zur Sache 1/78, S. 86f., 118 f., 149, 155; Horn 1967; Trube-Becker 1982,14,141 f.; Stutte 1971,126; Williams 1980, 598; Petri / Lauterbach 1975, 95 ff.; Mielke 1954, 180 ff.; Garbarino/Gilliam 1980, 218 f.; Münder 1975, 21 ff.; Pernhaupt/Czermak 1980; Gil 1978c, 259f.; Netzer 1958, 73ff.; Skinner 1968, 186ff.; Nitsch 1977; Bach 1978. 87
15
U . Schneider
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
diesem Grunde ist der Erlaß eines gesetzlichen Verbots körperlicher Strafen notwendig. Er ist auch wichtig, um der Bevölkerung die Rechtswidrigkeit solcher Erziehungsmethoden bewußt zu machen. Gesetzessystematisch bietet das Familienrecht den richtigen Rahmen und den angemessenen Zusammenhang für die Verankerung eines ZüchtigungsVerbots. Ein Verbot körperlicher Strafen in der familiären Kindererziehung betrifft den Inhalt des Rechts und der Pflicht elterlicher Sorge. Ein familienrechtlich geregeltes Züchtigungsverbot hätte nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung entscheidende Rückwirkungen auf das Strafrecht. Es würde die weitere Anerkennung eines elterlichen Züchtigungsrechts als strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund ausschließen. Die Züchtigung müßte als strafbare Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB beurteilt werden 88 . Der Gesetzgeber, die Gerichte und die Rechtslehre haben sich bislang einer eindeutigen Stellungnahme gegen körperliche Strafen in der Kindererziehung enthalten. Sie lassen das elterliche Züchtigungsrecht vorerst unangetastet. Dieses Zögern darf freilich nicht als Billigung von „Prügelerziehung" mißverstanden werden. Vielmehr werden insbesondere die pädagogischen Bedenken gegen die Anwendung körperlicher Strafen durchaus anerkannt 89 . Wenn dennoch ein absolutes Züchtigungsverbot abgelehnt wird, so geschieht dies im Hinblick auf seine rechtliche und soziale Problematik. a) Die Gefahr der Wirkungslosigkeit eines Zuchtigungsverbotes
Einer Verbannung von körperlichen Strafen aus der familiären Erziehung stehen bedeutende soziale Widerstände entgegen. Sie können zur Wirkungslosigkeit eines Züchtigungsverbotes führen. Ein solches Verbot würde der gesellschaftlichen Entwicklung in mehrerlei Hinsicht vorauseilen 90 . Da das gesellschaftliche Bewußtsein auf eine gänzliche Verbannung körperlicher Strafen aus der Erziehung nicht vorbereitet ist, würde sie in weiten Kreisen der Bevölkerung auf Unverständnis und Ablehnung stoßen 91 . Noch bedenklicher stimmt die Vermutung, daß ein Züchtigungsverbot große Teile der gegenwärtigen Elterngeneration in ihren erzieherischen Fähigkeiten hoffnungslos überfordern würde. Die meisten der heutigen Eltern haben selbst in ihrer Kindheit körperliche Strafen erlebt und sie als wesentliches Mittel der Kindererziehung kennengelernt. Diese Lernerfahrungen prägen ihren Erziehungsstil und begrenzen ihre pädagogischen Fertigkeiten. M i t einem Verbot der Züchtigung würde 88
Eine Ausnahme gilt nur für den „Klaps", der lediglich ein kurzes Unbehagen hervorruft. Er erfüllt nicht das Merkmal der körperlichen Mißhandlung und ist daher schon nicht vom Tatbestand des § 223 StGB umfaßt. 89 Vgl. Soergel/Siebert/Lange §1631 Rdn. 10; Dreher/Tröndle §223 Rdn. 11; Vormbaum 1977, 373. 90
Vormbaum 1977, 374 f. So de With in einem Rundfunkinterview, wiedergegeben in DRiZ 1977, 60; dieser Ansicht schließt sich auch Hirsch L K § 223 Rdn. 22 an. 91
7. Probleme eines absoluten Züchtigungsverbotes
227
das Recht mehr verlangen, als ein Großteil der Eltern einzusehen und zu leisten in der Lage ist. Es steht daher zu befürchten, daß eine entsprechende Regelung nicht befolgt würde. Sie würde ihren Zweck des Kinderschutzes dann verfehlen. Gleichwohl rechtfertigen Wirksamkeitsbedenken nicht den Verzicht auf eine Regelung, die ihrem materiellen Gehalt nach als richtig und notwendig erkannt wird. Andernfalls müßte das Recht immer gegenüber eingebürgerten Unsitten resignieren. Das Recht ist im Gegenteil das letzte Mittel, um soziale Gewohnheiten zu brechen, die anerkannte Rechtsgüter verletzen. Gegenüber gesellschaftlichem Unwissen und Unverständnis muß es daher eine offensive Haltung einnehmen. Die Wirkungschancen eines Züchtigungsverbots werden durch gesellschaftliche Gegebenheiten und persönliche Unzulänglichkeiten der angesprochenen Eltern beeinträchtigt. Anerkannte soziale Normen, die körperliche Strafen in der Erziehung billigen, und der Mangel an erzieherischen Fertigkeiten der Eltern scheinen gegen ein allgemeines Züchtigungsverbot zu sprechen. Indessen handelt es sich hierbei nicht um unveränderliche, statische Bedingungen. Gesellschaftliche Normen unterliegen dem Wandel. Sie können durch gezielte bewußtseinsbildende Maßnahmen beeinflußt werden. Aufklärung und Information können die gesellschaftliche Aufmerksamkeit gegenüber den schädlichen Folgen einer „Prügelerziehung" schärfen. „Gegenwerbung", die moralische Verhaltensmaßstäbe gibt, kann dazu beitragen, ein züchtigungsfeindliches soziales Klima zu schaffen. Das öffentliche Bewußtsein kann auf diese Weise auf ein Züchtigungsverbot vorbereitet werden. Die den angesprochenen Eltern fehlenden erzieherischen Fähigkeiten und Kenntnisse sind erlernbar. Aufklärung, Information und Elterntraining helfen beim Erwerb neuer, gewaltfreier Erziehungstechniken. Freilich können auch breit angelegte Schulungsangebote nicht alle Eltern erreichen. Gerade „Problemeltern", die sich nicht oder wenig für die Erziehung ihrer Kinder interessieren, werden solche Angebote nicht wahrnehmen. Dennoch tragen Informations- und Trainingsprogramme durchaus dazu bei, die Wirkungschancen eines Züchtigungsverbots zu erhöhen. Ein Verbot körperlicher Strafen in der Erziehung ist somit keineswegs von vorneherein zur allgemeinen Wirkungslosigkeit verdammt. Vielmehr kommt es darauf an, die Bevölkerung durch geeignete flankierende Maßnahmen auf ein solches Verbot vorzubereiten. b) Die mangelnde Durchsetzbarkeit eines Züchtigungsverbotes
Bei der Durchsetzung eines Züchtigungsverbotes sind im Bereich des Strafrechts erhebliche Schwierigkeiten zu erwarten. Schon die heute kriminalisierten schweren Formen der elterlichen Gewalt gegen Kinder entziehen sich weitestgehend der Kontrolle durch die Strafverfolgungsorgane. Es wird angenommen, daß die überwältigende Mehrheit aller Fälle von Kindesmißhandlung nicht zur Kenntnis der Behörden gelangt 92 . Ursachen hierfür sind die geringe 92
15*
Vgl. oben Β I 4 a) aa).
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
soziale Sichtbarkeit der Taten, die sich innerhalb der Privatsphäre der Familie ereignen, und die geringe Anzeigebereitschaft der Personen, die Kenntnisse oder Vermutungen über solche Vorfalle haben. Da leichtere körperliche Strafen zu einem großen Teil keine sichtbaren Verletzungsspuren hinterlassen, sind sie wesentlich schwerer nachzuweisen als Kindesmißhandlungen. Die eher züchtigungsfreundliche Haltung der Bevölkerung läßt eine noch geringere Anzeigeund Aussagebereitschaft erwarten. Es besteht daher die Gefahr, daß ein Verbot der Züchtigung nur dazu dient, ein riesiges Dunkelfeld zu schaffen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein solches Verbot nicht nur sinnlos, sondern auch rechtspolitisch bedenklich. Die Nichtbeachtung und Nichtdurchsetzung einer Norm hat schädliche Rückwirkungen auf das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung. Das Recht verliert mit undurchsetzbaren Regelungen an Glaubwürdigkeit. Ein strafrechtlich bedeutsames Verbot büßt als Verhaltensnorm seine generalpräventive Wirksamkeit ein. Ein großes Dunkelfeld nimmt ihm jede abschreckende und sittenbildende Kraft. Die strafrechtliche Verfolgung von Körperverletzungen, die Eltern an Kindern begehen, wird jedenfalls in leichten Fällen nur vereinzelt möglich sein. Diese Folge ist auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten fragwürdig 93 . Wenn die Strafverfolgung auf „Zufallstreffer" angewiesen ist, erhält sie einen willkürlichen Charakter. Es verstößt gegen das Gebot formeller und materieller Gerechtigkeit, nur einige wenige für ein Verhalten zu bestrafen, das von der Mehrheit der Bevölkerung gebilligt und unerkannt praktiziert wird. In welchem Umfang Verstöße gegen ein Züchtigungsverbot aufgedeckt werden können, beruht wesentlich auf der Bereitschaft der Bevölkerung, an einer solchen Aufklärung mitzuwirken. Diese Mitwirkungsbereitschaft ist ebenso beeinflußbar wie die soziale Einstellung zu körperlichen Strafen. Auch sie kann durch bewußtseinsbildende Maßnahmen gehoben werden. Darüber hinaus hängt sie in bedeutendem Maße von der Art der formellen Reaktionen ab, die gegen Verstöße gegen ein Züchtigungsverbot ergriffen werden. Eine Verfolgung und Bestrafung der betroffenen Eltern mit den traditionellen Mitteln des Strafrechts schreckt alle besorgten Nachbarn, Freunde und Verwandten davon ab, die Behörden einzuschalten. Statt dessen ruft sie böswilliges Denunziantentum auf den Plan. Wenn es gelingt, schonende Reaktionsformen zu finden, die die Familie helfend unterstützen, ohne die strafrechtliche Bedeutung eines Züchtigungsverbots zu untergraben, kann die Bereitschaft der Familie und der Personen ihres sozialen Nahraums gesteigert werden, an solchen Maßnahmen mitzuwirken. Indem helfenden Reaktionen der Vorrang vor Strafen eingeräumt wird, können auch die Gerechtigkeitsprobleme gelöst werden, die mit einer zufallsabhängigen Strafverfolgung verbunden sind. Es widerspricht der materiellen Gerechtigkeit, auf Zufallsgrundlage zu strafen. Es widerspricht ihr aber nicht, Hilfsmöglichkeiten zu schaffen, die allen Familien offenstehen. 93
Vormbaum 1977, 379.
7. Probleme eines absoluten ZüchtigungsVerbotes
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c) Das Eindringen des Staates in den Privatbereich der Familie
Der Wegfall des elterlichen Züchtigungsrechts als Rechtfertigungsgrund führt zu staatlichen Eingriffen in die Familie mit strafrechtlichen Mitteln. Diese Tatsache ist sowohl unter verfassungsrechtlichen wie unter kriminologischen Gesichtspunkten bedenklich. Die Familie steht als Institution unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Art. 61 GG verbietet dem Staat störende Eingriffe in die Privatsphäre der Familie und gewährt dem Bürger das Recht, solche Eingriffe abzuwehren 94 . Die Familie soll bewußt als staatsfreier Raum erhalten werden, um dem einzelnen eine eigenverantwortliche Gestaltung seiner privaten Lebensverhältnisse zu gestatten. Das heißt freilich nicht, daß die Familie ein rechtsfreier Raum ist. Die verfassungsrechtlich anerkannten Rechtsgüter des einzelnen genießen auch innerhalb der Familie staatlichen Schutz. Dennoch muß sich der Staat solcher Eingriffe enthalten, die der Familie mehr schaden, als sie dem einzelnen nützen. Die durch ein allgemeines Züchtigungsverbot zugunsten des Kindes und seiner Rechtsgüter erzielten Schutzwirkungen dürfen nicht außer Verhältnis zu möglicherweise auftretenden familienschädigenden Wirkungen stehen, die mit einem solchen Verbot verbunden sein mögen. Als Verhaltensanweisung entfaltet das Verbot körperlicher Strafen selbst noch keine familienschädigenden Wirkungen. Die Gefahr, daß es zu einem Verfall der elterlichen Autorität kommen könnte, besteht nicht. Autorität kann, wo dies für erforderlich gehalten wird, auch durch andere Mittel ausgeübt werden 95 . Familienschädigende Wirkungen können freilich die staatlichen Reaktionen auf den Verstoß gegen das Züchtigungsverbot entfalten. Tatsächlich stellt eine Bestrafung schlagender Eltern im Sinne des strafrechtlichen Rechtsfolgensystems eine schwere Belastung für die Familie dar 9 6 . Hieraus leiten sich auch kriminologische Bedenken gegenüber einem Züchtigungsverbot ab. Die Bestrafung züchtigender Eltern kann nämlich dazu führen, daß sie in eine „Mißhandlerkarriere" hineingetrieben werden. Ein individueller Kriminalisierungsprozeß wird in Gang gesetzt97. Die Eltern glauben immer mehr an ihre erzieherische Unfähigkeit. Sie werden von anderen als kriminelle „Kinderquäler" definiert und übernehmen diese Definition in ihr Selbstbild. Ihr Verhältnis zu ihren Kindern wird belastet. Auf diese Weise kann die Reaktion auf eine anfangs relativ harmlose Züchtigung bewirken, daß Eltern zu immer schwereren Formen der Mißhandlung übergehen. Maßnahmen, die das Kind schützen sollen, bringen es in immer größere Gefahr. Indessen sind die Schädigung der Familie und die Gefährdung des Opfers durchaus keine zwingenden Folgen strafrechtlicher Reaktionen auf Gewalt gegen 94
v. Münch/v. Münch Art. 6 Rdn. 8; Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 6 Rdn. 4. Vgl. oben D I I I 5. 96 Vgl. oben C I I 2 c). 97 Zu Begriff und Verlauf des individuellen Kriminalisierungsprozesses H. J. Schneider 1977, 122. 95
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
Kinder. Es kommt vielmehr entscheidend auf die Art der Reaktion an. Helfende und unterstützende Maßnahmen müssen Strafen in diesem Bereich weitgehend ersetzen, da eine Bestrafung des Täters in den meisten Fällen gerade diejenigen Interessen des Opfers, der Familie und der Gesellschaft verletzt und schädigt, die durch das Eingreifen des Strafrechts geschützt werden sollen. Elterliche Gewaltanwendung gegenüber Kindern erfordert daher ebenso wie andere familiäre Gewalttaten eine andere strafrechtliche Reaktion als Delikte, die außerhalb der Familie begangen werden. Das Strafrecht muß deshalb Raum für ein helfendes Einschreiten schaffen.
d) Die Gefahr des Ausweichens auf bedenklichere Erziehungsmittel
Der Ausspruch eines Züchtigungsverbots nimmt den Eltern ein überliefertes und in weiten Kreisen angewandtes Erziehungsmittel. Erzieherische Konflikte zwischen Eltern und Kindern werden freilich weiterhin auftreten. Diese Spannungslage veranlaßt zu der Befürchtung, daß ein absolutes Züchtigungsverbot Eltern dazu bewegen könnte, auf andere, noch bedenklichere Konfliktlösungsmittel auszuweichen98. In diesem Zusammenhang wird an den „Liebesentzug" gedacht, der teilweise für schädlicher als körperliche Strafen gehalten wird 9 9 . Ein solches Pauschalurteil stellt eine grob vereinfachende Bewertung der erzieherischen Sachlage dar. Zunächst gibt es den Liebesentzug überhaupt nicht als einheitliche Erziehungstechnik. Es lassen sich vielmehr unterschiedlichste Arten des Liebesentzuges beobachten. Schädlich und daher bedenklich sind solche Formen, die dem Kind das Gefühl der Geborgenheit nehmen 100 und Ängste des Verlassenwerdens wecken oder ihm den Eindruck vermitteln, es sei eine böse, hassenswerte Person. Derartige Gefühlsreaktionen rufen aber keineswegs alle Formen des Liebesentzuges hervor. Wenn Eltern ihre Enttäuschung über das Verhalten des Kindes zeigen, wenden sie sich für kurze Zeit emotional von ihm ab. Sie entziehen ihm vorübergehend, oft nur für Augenblicke, ihre Zuneigung. Vor dem Hintergrund einer vertrauensvoll warmen Eltern-Kind-Beziehung ist ein solches Vorgehen unschädlich. Es kann sogar im Rahmen der moralischen Erziehung besonders wirksam sein, da es beim Kind die Entwicklung eines Unrechts- und Schuldbewußtseins hinsichtlich des bestraften Vergehens fördert 1 0 1 . Das Kind hat den Wunsch, die zwischen ihm selbst und den geliebten Eltern entstandene gefühlsmäßige Kluft zu überbrücken. Dieser Wunsch mündet in das Bemühen, sich zu bessern und verursachte Schäden wiedergutzumachen 102 .
98
Soergel/Siebert/Lange § 1631 Rdn. 10. Heinelt 1967, 66. 100 Geißler 1973, 178 f. 101 Berkowitz 1964, 76 ff. 102 Geißler 1973, 178.
99
7. Probleme eines absoluten Züchtigungserbotes
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Anders ist es freilich zu bewerten, wenn ein Kind tage- und wochenlang aus der Familiengemeinschaft ausgeschlossen wird, wenn die Eltern nicht mit ihm reden und den Geschwistern den Umgang mit ihm verbieten, wenn ihm mit Verstoßung und mit dem „Heim" gedroht wird. Streng genommen liegt in den meisten dieser vorgenannten Fälle gar kein Liebes-„entzug" vor. Ein Entzug setzt nämlich begrifflich voraus, daß etwas vorhanden ist, das entzogen werden kann. Eltern, die es fertigbringen, ihr Kind längerdauernd zu meiden und zurückzuweisen, haben zu ihm oft keine Gefühlsbindung, die als Liebe bezeichnet werden könnte. Das Kind muß in einem allgemein kühlen Gefühlsklima aufwachsen. Freilich kann dies schwerwiegende psychische Schäden hervorrufen. Dem Kind werden Möglichkeiten zur Identifikation mit seinen Eltern verweigert. Seine Persönlichkeitsentwicklung wird gehemmt. Es kann sich nicht geborgen fühlen und lebt in ständiger Furcht davor, allein gelassen zu werden. Gleichwohl wird es nicht durch „Liebesentzug" gestraft, sondern leidet unter der allgemeinen „Lieblosigkeit" seiner Umwelt, die in erzieherischen Konfliktfallen nur verstärkt werden mag. Die begriffliche Unterscheidung soll deutlich machen, daß emotionale Zurückweisung in vielen und gerade den schwersten Fällen gar nicht als erzieherische Technik eingesetzt wird, sondern die Eltern-Kind-Beziehung allgemein kennzeichnet. Deshalb wird sie nicht als pädagogische Alternative zu körperlicher Strafe angewendet, die bei einem Verbot der Züchtigung an ihre Stelle treten könnte. Soweit „Liebesentzug" als Disziplinartechnik dient, sollte der Klarheit halber besser von psychischen Strafen gesprochen werden. Solche sind nicht grundsätzlich schädlicher als körperliche Strafen. Vergleiche zwischen körperlichen und psychischen Strafen, die die relative Unbedenklichkeit der Züchtigung herausstellen, gehen vielfach von überzeichneten Gegensätzen beider Strafarten aus. Leichte körperliche Strafen, wie der gelegentliche „Schlag aufs Hinterteil", werden zu schweren psychischen Strafen, wie dem tagelangen Ausschluß des Kindes aus der familiären Gemeinschaft, in Beziehung gesetzt, um die verhältnismäßige Unschädlichkeit der Züchtigung nachzuweisen. Tatsächlich ist jedoch nicht anzunehmen, daß Eltern, die sich leichter körperlicher Disziplinierungstechniken bedienen, nach Verbot der Züchtigung zu schweren psychischen Maßregeln greifen. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß die als Ersatz gewählten psychischen Strafen in ihrem Schweregrad den verdrängten körperlichen Strafen entsprechen. Darüber hinaus steht die körperliche Strafe keineswegs in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zur psychischen Strafe 103 . Der Vollzug der Züchtigung ist meist von Schimpfen oder Drohungen begleitet, die das Kind mindestens ebenso beängstigen wie empfundene körperliche Schmerzen. Auch entspricht die Vorstellung, daß nach einer Tracht Prügel „alles wieder gut" sei, häufig nicht der Familienwirklichkeit 104 . Zwar mag die „Entladung" von elterlichen Aggressionen in Einzelfällen das Klima entspan103 104
Darauf weisen zutreffend Petri / Lauterbach 1975, 64 hin. Dies gilt für alle Strafen: Scheibe 1977, 317 f.
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
nen. Häufiger belastet sie aber die Eltern-Kind-Beziehung. Sie hindert die Eltern nicht daran, dem Kind seine Missetat noch längere Zeit nachzutragen und neben der körperlichen Strafe psychische Strafen zu verhängen. Beim Kind ruft sie Haßgefühle hervor. Überdies ist jede körperliche Strafe für sich genommen auch eine psychische Strafe. Sie enthält „Liebesentzug" und ist Symbol der Zurückweisung. Die Befürchtung, daß bei einem Verbot körperlicher Strafen bedenklichere Erziehungsmittel an ihre Stelle treten könnten, läßt sich somit nicht schlüssig begründen. e) Das Fehlgehen der „Notwehrprobe"
M i t der Aufstellung eines allgemeinen Verbots körperlicher Strafen erhält die bislang als rechtmäßig bewertete Züchtigung ausdrücklich den Charakter eines rechtswidrigen Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Gegen einen solchen Angriff ist Notwehr zulässig. Das geschlagene Kind darf sich selbst gewaltsam gegen die Züchtigung verteidigen. Wegen der körperlichen Unterlegenheit des Kindes und seiner mangelnden strafrechtlichen Verantwortlichkeit wird diese Notwehrbefugnis allerdings in der Praxis nur für Jugendliche von Bedeutung sein. Freilich können auch unbeteiligte Familienmitglieder, etwa der andere Elternteil, Großeltern oder ältere Geschwister, dem gezüchtigten Kind Nothilfe leisten und es durch gewalttätige Abwehr vor dem Angriff in Schutz nehmen. Aufgrund ihrer Garantenstellung gegenüber dem Kind können sie hierzu sogar verpflichtet sein. Auch Außenstehende dürfen eingreifen und das Kind verteidigen. Die entstehende Rechtslage kommt fast einer Umkehrung der gegenwärtig anerkannten „Gewalt"-verhältnisse gleich. Sie ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der elterlichen Autorität höchst bedenklich. Der Einsatz von Gegengewalt führt leicht zur Ausweitung des gewaltsamen Konflikts. Aus der Ohrfeige für das ungezogene Kind kann eine handfeste Prügelei zwischen Angreifer und Nothelfer, oft beiden Eltern, entstehen. Die körperlichen Verletzungen, die die Betroffenen hierbei erleiden können, sind in einem solchen Falle noch der geringere Schaden. Unabsehbar sind die schädigenden Wirkungen des Eindrucks, den eine solche gewalttätige Auseinandersetzung auf das ursprünglich angegriffene Kind haben muß. Da es sich als Ursache des Streits sieht, muß es schwere Schuldgefühle entwickeln. Die Züchtigung wurde als Erziehungsmittel auch deswegen abgelehnt, weil sie dem Kind Lernerfahrungen im Umgang mit Gewalt vermittelt. Viel tiefgreifendere und nachhaltigere Lerneindrücke als die Züchtigung selbst muß ein aus ihrer Abwehr entstehender gewalttätiger Konflikt beim Kind hinterlassen. Daher mag eine Nothilfe das Kind zwar körperlich schützen, psychisch aber gefährden. Gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb der Familie, die aus der Züchtigung entstehen, stören den Familienfrieden weit nachhaltiger als der Angriff auf das Kind. Es besteht die Gefahr, daß das Kind die offensichtliche Uneinigkeit zwischen seinen Angehörigen ausnutzt und beginnt, sie gegeneinander auszuspielen. Die pädagogische Beziehung der Eltern zum Kind wird gestört. Der gemaßregelte Eltern teil büßt auch gewaltlose Möglichkeiten der pädagogischen
7. Probleme eines absoluten Züchtigungserbotes
233
Einflußnahme auf das Kind ein. Das Kind „läßt sich nichts mehr von ihm sagen". Das gleiche Unabhängigkeits- und Machtgefühl entsteht bei Jugendlichen und Kindern, die sich selbst erfolgreich gegen eine körperliche Bestrafung zur Wehr gesetzt haben. Mit der Zulassung von Notwehr und Nothilfe gegenüber jeder Form der körperlichen Bestrafung würde daher ein Großteil der mit einem Züchtigungsverbot erstrebten Ziele in ihr Gegenteil verkehrt. Diese Folgen können weitgehend vermieden werden, wenn mit einem Züchtigungsverbot Regelungen verbunden werden, die das Recht der Notwehr und Nothilfe gegenüber der körperlichen Bestrafung von Kindern beschränken. Die Einschränkung der Notwehr und Nothilfe bei Kindeszüchtigung soll die mit dem Züchtigungsverbot erstrebten Ziele unterstützen. Die Gewaltlosigkeit des Familienlebens soll Leitbild der Regelung sein. Dazu gehört auch, daß Gewalt möglichst nicht mit Gegengewalt beantwortet werden soll. Die Begrenzung von Notwehr und Nothilfe soll das Kind vor schädlichen Einflüssen schützen, die schwerwiegender sind als die Folgen der Züchtigung. Aus diesem Zweck einer Notwehrbeschränkung gegenüber der Kindeszüchtigung lassen sich auch die Grenzen einer solchen Regelung ableiten. Notwehr und Nothilfe dürfen nur insoweit eingeschränkt werden, als der Angriff keine körperlichen Schädigungen des Kindes befürchten läßt. Erlaubt und erwünscht ist die gewaltlose Inschutznahme des Kindes. Gegenüber der Anwendung körperlich schädigender oder lebensgefährlicher Gewalt bleibt auch gewaltsame Notwehr oder Nothilfe zulässig. Der Verteidiger muß allerdings gewaltlose Schutzmittel wählen, wenn sie zur Verfügung stehen und ihr Einsatz die Beendigung des Angriffs erwarten läßt. Der Grundsatz, daß das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht, kann hier nicht gelten 105 . f) Zusammenfassung der Probleme eines absoluten Züchtigungsverbotes und der Weg zu ihrer Lösung
Ein absolutes Züchtigungsverbot wirft kriminalpolitische und kriminologische, verfassungsrechtliche und strafrechtsdogmatische Probleme auf. Die vorgebrachten pädagogischen Bedenken, daß Eltern bei einem Verbot körperlicher Strafen auf noch bedenklichere Erziehungsmittel zurückgreifen könnten, sind nicht stichhaltig. Zweifelhaft erscheinen indes die Wirkungsmöglichkeiten eines Züchtigungsverbotes. Sie können jedoch durch begleitende Aufklärungsund Vorbeugungsmaßnahmen verbessert werden. Die Einhaltung eines Züchtigungsverbotes ist außerordentlich schwer kontrollierbar. Darüber hinaus kann ein solches Verbot Ansatzpunkt für ein Eindringen des Staates in den Privatbereich der Familie sein. Diese Schwierigkeiten lassen sich durch eine schonende Gestaltung der Reaktionen auf Verstöße gegen ein Züchtigungsverbot weitgehend lösen. Die unerwünschte strafrechtsdogmatische Folge, daß ein solches Verbot zur Zulässigkeit der Notwehr und Nothilfe gegenüber der 105
Vgl. zur Beschränkung des Notwehrrechts unter Ehegatten: BGH NJW 1969, 802; BGH NJW 1975, 62f.; BGH M D R 1984, 413; Geilen 1976.
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D III. Die Problematik des elterlichen Züchtigungsrechts
körperlichen Bestrafung von Kindern führt, ist durch eine entsprechende Einschränkung der Notwehrbefugnis vermeidbar. Den Weg eines völligen Verbots körperlicher Züchtigungen in der Kindererziehung ist bereits Schweden gegangen 106 . I m Jahre 1966 wurde das gesetzlich niedergelegte Züchtigungsrecht aus dem schwedischen Eltern- und Vormundschaftsgesetz gestrichen. Die hierdurch entstandene Rechtslage glich der gegenwärtig in der Bundesrepublik bestehenden. Die körperliche Züchtigung war kein gesetzlich gebilligtes Erziehungsmittel mehr, sie war aber auch nicht ausdrücklich verboten. I m März 1979 verabschiedete der schwedische Reichstag ein vollkommenes Verbot körperlicher Strafen in der Erziehung. § 3 I I im 6. Kapitel des Eltern- und Vormundschaftsgesetzes lautet nunmehr: „Die Eltern oder Pflegebeauftragten müssen das Kind seinem Alter und den anderen Umständen entsprechend beaufsichtigen. Das Kind darf keiner körperlichen Strafe oder anderen demütigenden Behandlung ausgesetzt werden." Diese Bestimmung ist am
1. Juli 1979 in Kraft getreten. Besonders bemerkenswert ist, daß der entsprechende von der Regierung eingebrachte Gesetzentwurf die Unterstützung aller Fraktionen des schwedischen Parlaments fand und fast einstimmig mit 259 Jaund nur 6 Gegenstimmen angenommen wurde 1 0 7 . Von den bundesdeutschen Medien wurde diese Entscheidung des schwedischen Reichstags eher mit staunender Skepsis und Ablehnung zur Kenntnis genommen. I m Bundestag stand ein umfassendes Verbot der Gewalt in der Kindererziehung bei den Beratungen über die Reform des elterlichen Sorgerechts nicht ernsthaft zur Debatte. Entsprechende in der Sachverständigenanhörung vor dem Rechtsausschuß geäußerte Anregungen wurden im zusammenfassenden Bericht des Ausschusses an den Deutschen Bundestag nicht übernommen, sondern ausdrücklich zurückgewiesen 108 . Demgegenüber hat der Ministerrat des Europarates in seiner Empfehlung zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie den Mitgliedsstaaten vorgeschlagen, ihr Recht der elterlichen Sorge so zu gestalten, daß die Anwendung körperlicher Strafen in der Erziehung begrenzt oder sogar verboten wird (Ziff. 12 der Empfehlung Nr. R (85) 4 vom 26. März 1985). 8. Grenzen der Geltung, Durchsetzung und Wirkung eines absoluten Züchtigungsverbotes Ein absolutes Züchtigungsverbot ist auch in der Bundesrepublik zum Schutz des Kindes und seiner Rechtsgüter vor gewaltsamen Verletzungen notwendig. Es muß sich auf jeden Einsatz von Gewalt als Erziehungsmittel erstrecken. Nicht betroffen ist lediglich der „kleine Klaps", der keine Gewaltanwendung darstellt. Die manchmal beschönigend als „Klaps" bezeichnete Ohrfeige oder „Tracht Prügel" ist freilich als Form der Gewalt unzulässig. Das Züchtigungs106 107 108
Zetterström o.J., 86ff. Salzer 1979. Vgl. die Nachweise oben unter D I I I 1 a).
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eines absoluten Züchtigungserbotes
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verbot hindert Eltern nicht daran, von ihrer psychischen und sozialen Macht Gebrauch zu machen, um ihre Kinder zu disziplinieren. Es bezieht sich nur auf körperliche Strafen. Wenn Eltern körperlichen Zwang gegen ihr Kind einsetzen müssen, um es selbst oder andere zu schützen, liegt hierin keine Bestrafung des Kindes 1 0 9 . Ob und wieweit im Zusammenhang mit der Ausübung von unmittelbarem Zwang auch die körperliche Verletzung des Kindes gerechtfertigt ist, richtet sich nach den allgemeinen Notwehr- und Notstandsbestimmungen. Zu beachten ist, daß Eltern in Gefahrenlagen nicht nur zur Anwendung von körperlichem Zwang berechtigt sind. Als Obhutsgaranten sind sie sogar verpflichtet, auch unter Einsatz von physischem Zwang gegen ihr Kind Gefahren für seine Rechtsgüter abzuwehren, es etwa vom Rande einer stark befahrenen Straße wegzuziehen. Als Hütergaranten obliegt ihnen die Pflicht, das Kind zu beaufsichtigen und dafür zu sorgen, daß es selbst keine fremden Rechtsgüter gefährdet oder schädigt. Auch zur Erfüllung dieser Pflicht müssen die Eltern notfalls unmittelbaren Zwang einsetzen. Freilich muß die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleiben. Ein Verbot körperlicher Strafen in der familiären Erziehung darf nicht zu einer rigorosen Ausdehnung der Strafverfolgung auf Bagatellangriffe führen. Auch darf es nicht als Hebel zur Übernahme der Kindererziehung durch den Staat mißbraucht werden. Alle dramatisierenden Reaktionen auf Verstöße gegen ein Züchtigungsverbot müssen unterbleiben. Sie schädigen die Familie und das betroffene Kind mehr, als sie ihnen nützen, und sind verfassungsrechtlich unzulässig. Bei der Entscheidung darüber, ob eine strafrechtliche Reaktion im Einzelfall überhaupt eingeleitet werden soll, müssen die verschiedenen Schutzinteressen des Kindes und der Familie sorgsam untereinander abgewogen werden. Keinesfalls darf der von einem Eingriff zu befürchtende Schaden den erwarteten Nutzen überwiegen. Die Reaktion selbst muß so ausgestaltet werden, daß die gefährlichen Nebenwirkungen der zum Schutz des Kindes und seiner Rechtsgüter vor weiteren Angriffen erforderlichen Maßnahmen möglichst gering bleiben. Eine Verfolgung des Täters mit den traditionellen Mitteln des Strafrechts und des Strafprozeßrechts ist in den weitaus meisten Fällen denkbar schädlich für die Familie und zur Vorbeugung gegenüber weiteren Verletzungen des Kindes ungeeignet. Diese kritische Beurteilung der gegenwärtig verfügbaren strafrechtlichen Sanktionen gilt nur für den Bereich der Reaktion auf Gewalt gegen Kinder und Gewalt in der Familie allgemein. Grundsatzaussagen zu den Vor- und Nachteilen staatlichen Strafens sind nicht beabsichtigt und können auch im Rahmen dieser Untersuchung nicht abgegeben werden, da familiäre Gewalttaten die Strafverfolgung vor völlig andere Probleme stellen als außerfamiliäre Kriminalität. Der Erlaß eines Züchtigungsverbots ist nur dann sinnvoll, wenn bei strafrechtlichen Reaktionen auf Verbotsverstöße größtmögliche Sorgfalt und Schonung waltet. Sie müssen mit Maßnahmen der Jugendschutzbehörden und der Vormundschaftsgerichte abgestimmt werden. 109
Vgl. oben D I I I 1 b).
236
D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
Die generalpräventive Wirksamkeit eines Verbots körperlicher Strafen ist begrenzt. Ein gesetzliches Züchtigungsverbot kann nur über die Veränderung sozialer und individueller Erziehungsnormen der Gewalt gegen Kinder präventiv entgegenwirken. Dieser Vorbeugungsbeitrag ist zwar wichtig, aber alleine völlig unzureichend. Daneben sind Maßnahmen der Gemeinschaftsbildung erforderlich, die die soziale Isolation der Risikofamilien aufheben. Darüber hinaus müssen allen (zukünftigen) Eltern Möglichkeiten zum Erlernen gewaltloser Erziehungsmethoden geboten werden. Bereits in den Schulen können Unterrichtskurse in Kindererziehung abgehalten werden, die sich auch mit der Problematik der körperlichen Strafen und ihren Alternativen befassen. Dem Staat kann freilich nicht die gesamte Last der Vorbeugung gegen gewaltsame Erziehungstechniken aufgebürdet werden. Seine Einflußmöglichkeiten sind beschränkt. Wesentliche Beiträge zur Vorbeugung und Kontrolle gegenüber der Gewalt in der Erziehung müssen die Familie und ihr sozialer Nahraum, ihre Verwandten, Nachbarn und Bekannten, selbst leisten. Der Staat kann ihre Anteile — wenn überhaupt — nur höchst unvollkommen ersetzen. Sie tragen eine gewichtige Verantwortung bei der Verursachung der Gewalt an Kindern. Ebenso gewichtig ist daher ihr Beitrag, den sie zur Verhinderung und Bekämpfung kindlichen Opferwerdens leisten müssen. Ein Züchtigungsverbot darf nicht zum sozialen Alibi für andere erforderliche staatliche, gesellschaftliche und individuelle Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalt in der Erziehung werden.
IV. Strafrechtliche Möglichkeiten einer helfenden Reaktion auf Gewalt in der Familie: Die vorgerichtliche „Diversion44 familiärer Gewaltanwendung 1. Begriff und Wesen der „Diversion44 Der geforderte Vorrang von helfenden und unterstützenden Maßnahmen für den Täter familiärer Gewaltanwendung, sein Opfer und die Familie kann im Wege der „Diversion" 1 verwirklicht werden. Unter „Diversion" sind alle Verfahrensweisen zu verstehen, die den Zweck haben, (vermutliche) Straftäter aus dem Prozeß der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung herauszuführen 2. Kriminalität soll möglichst außerhalb der Justiz und ihrer Instanzen in Alternativprogrammen der mehr informellen Sozialkontrolle bewältigt werden 3 . Das reine „Nichtstun", der bloße folgenlose Verzicht auf ein Strafverfah1
diversion = engl.: Umleitung, Ablenkung. Vgl. Alper / Nichols 1981, 39; Law Reform Commission of Canada (Working Paper) 1975, 3 f. 3 Kaiser KIKrimW 1985, Stichw.: Diversion; H. J. Schneider 1987, 854. 2
1. Begriff und Wesen der „Diversion"
237
ren oder seine frühzeitige Einstellung ohne begleitende Maßnahmen zur Einwirkung auf den (vermuteten) Täter ist keine „Diversion" 4 . Es ist vielmehr erforderlich, daß aktive Schritte unternommen werden, um den Kontakt des Straftäters mit dem Justizsystem zu vermindern und auf seine Verfehlung mit anderen Mitteln als mit Strafverfolgung und -Vollstreckung zu antworten. Die Knüpfung des Strafverfahrens an Strafantragserfordernisse ist daher ebensowenig ein Mittel der „Diversion" wie die endgültige, nicht mit Bedingungen verbundene Einstellung des Verfahrens bei Bagatellstraftaten (§ 153 StPO). „Diversion" ist zunächst als Weg der Reaktion auf Jugendstraftaten entwickelt worden 5 . Das gesamte Jugendstrafrecht der Bundesrepublik ist bereits stark auf „Diversion" angelegt, indem es die formelle Bestrafung des jugendlichen Täters hintanstellt. Insbesondere das formlose Erziehungsverfahren nach §§ 45, 47 JGG erfüllt den Zweck, den Jugendlichen aus dem formellen Strafverfahren herauszuhalten 6. Darüber hinaus wird zunehmend die Bagatellkriminalität der offiziellen Strafverfolgung entzogen und mit weniger einschneidenden Reaktionen bedacht (vgl. § 153a StPO). Schließlich werden Diversionsprogramme aufgebaut, die bei der Lösung krimineller Konflikte zwischen Personen helfen sollen, die in einer engen und dauernden zwischenmenschlichen Beziehung miteinander leben 7 . Ein Beispiel hierfür ist im deutschen Strafprozeßrecht das Sühneverfahren (§ 380 StPO) 8 . „Diversion" will das Strafrecht und die strafrechtlichen Reaktionen keineswegs verdrängen oder ersetzen. Sie will nur versuchen, bestimmten Formen der Kriminalität zunächst durch weniger einschneidende, problemangepaßte Maßnahmen zu begegnen. Der endgültige Verzicht auf die Strafverfolgung und -Vollstreckung hängt meist — freilich nicht immer — von den Erfolgen des Diversionsverfahrens ab. Die Entwicklung von Diversionsprogrammen beruht auf der Erkenntnis, daß das Straf justizsystem im Hinblick auf die Kriminalitätskontrolle nur begrenzt leistungsfähig ist 9 . Die formelle strafrechtliche Reaktion soll daher für diejenigen Formen der Kriminalität reserviert bleiben, in denen eine offizielle Strafverfolgung unumgänglich notwendig ist oder von allen möglichen Reaktionsmitteln die größten Chancen hat, general- und spezialpräventive Wirksamkeit zu entfalten. „Diversion" soll dem Strafjustizsystem einen effektiveren Einsatz seiner Kräfte zur Bekämpfung der schweren und der Rückfallkriminalität ermöglichen, indem sie die Justiz von der Kontrolle derjenigen Straftaten entlastet, auf die ebensogut oder sogar besser außerhalb eines formellen Strafverfahrens reagiert werden kann. Darüber hinaus soll „Diversion" die negativen Auswirkungen der förmlichen Strafverfolgung für Täter, Opfer und Gesellschaft mindern. Sie soll helfen, eine kriminelle 4 5 6 7 8 9
Cressey/ McDermott 1976, 71; Walter 1983, 34. H.J. Schneider 1974, 77ff., vgl. insbesondere das Schaubild auf S. 96. Vgl. hierzu Brunner § 45 Rdn. 9 ff. Vgl. Alper/Nichols 1981, 39ff. Vgl. Rieß 1984, Rdn. 25. Walter 1983, 44.
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
Brandmarkung des Täters zu vermeiden 10 . Eine voreilige, scharfe Reaktion des Justizsystems auf leichtere Verstöße und Jugendstraftaten kann Prozesse der sichselbsterfüllenden Prophezeiung in Gang setzen. Der Beschuldigte, der als kriminell angesehen und entsprechend behandelt wird, übernimmt diese Beurteilung in sein Selbstbild und wird in Zukunft geneigt sein, immer häufiger immer schwerere Straftaten zu begehen11. Die kriminelle Stigmatisierung eines Täters von Gewalt in der Familie kann dazu führen, daß er nicht nur seine Familienangehörigen auf zunehmend brutalere Weise angreift, sondern auch außerhalb der Familie Straftaten begeht. „Diversion" soll also Sekundärabweichungen des Täters verhindern, die sich erst infolge einer scharfen Reaktion der Strafverfolgungsorgane entwickeln. Sie ist ein Prozeß der Dekriminalisierung und soll Rückfalle und die Bildung krimineller Karrieren unterbinden. Die Rückfallverhütung dient gerade in Fällen familiärer Gewaltanwendung auch dem Zweck, eine sekundäre Viktimisierung des Opfers zu vermeiden. Daneben soll der Verletzte von den Belastungen befreit werden, die für ihn mit einem Auftreten als Zeuge im Strafverfahren verknüpft sind. Diversionsprogramme sollen eine schnelle und interessengerechte Reaktion auf Jugend-, Bagatell- und Konfliktstraftaten garantieren 12 und damit dem Rückfall vorbeugen. Schließlich wollen zahlreiche Diversionsprojekte zur Gemeinschaftsbildung beitragen, indem sie die gesellschaftliche Beteiligung an der Lösung krimineller Konflikte verstärken. 2. Formen der „Diversion44 und ihre Anwendbarkeit auf familiäre Gewaltausübung Diversionsmaßnahmen können auf verschiedenen Stufen des Strafverfahrens ergriffen werden. Es wird daher die vorgerichtliche von der nachgerichtlichen „Diversion" unterschieden. Schritte zur vorgerichtlichen „Diversion" werden nach der Erstattung einer Strafanzeige, aber vor der Anklageerhebung unternommen 1 . Die Durchführung eines gerichtlichen Hauptverfahrens soll auf diese Weise vermieden werden. Die nachgerichtliche „Diversion" ist demgegenüber darauf gerichtet, die Verurteilung des Beschuldigten zu Freiheitsstrafe oder den Vollzug der Freiheitsstrafe zu umgehen oder zu verkürzen. Die wichtigsten Beispiele für die nachgerichtliche „Diversion" sind im deutschen Strafrecht die Aussetzung der Verhängung (§§ 27 ff. JGG) oder des Vollzugs der Freiheitsstrafe zur Bewährung (§§ 56 ff. StGB, §§ 21 ff. JGG) und die vorzeitige Strafentlassung auf Bewährung (§ 57 StGB, §§ 88, 89 JGG). Auf Gewalt in der Familie soll bereits im Wege der vorgerichtlichen „Diversion" reagiert werden, da schon ihre 10 Alper/Nichols 1981, 39; Blau 1976, 45; Kaiser KlKrimW 1985, Stichw.: Diversion; H. J. Schneider 1987, 854. 11 Sog. „labeling theory", vgl. Cressey/McDermott 1976, 68. 12 Kaiser KlKrimW 1985, Stichw.: Diversion. 1 Kaiser KlKrimW 1985, Stichw.: Diversion.
2. Formen der „Diversion"
239
Verfolgung im Strafverfahren die Familie in ihren Funktionen stört, ihren Bestand in Frage stellt, das Opfer gefährdet und deshalb von negativen sozialpsychologischen Rückwirkungen begleitet ist 2 . Es gibt verschiedene Formen der vorgerichtlichen „Diversion", die sich nach dem Grad ihrer Institutionalisierung und Formalisierung voneinander abheben. Die im In- und Ausland vorhandenen Diversionsprogramme können in justizförmige,
justizabhängige
u n d justizunabhängige
Verfahren unterteilt wer-
den 3 . Innerhalb der justizförmigen Systeme werden alle maßgeblichen Entscheidungen von Angehörigen der Strafverfolgungsorgane getroffen. Sie urteilen nicht nur über die Einstellung oder Aussetzung des formellen Strafverfahrens, sondern erteilen dem Beschuldigten auch Auflagen, Weisungen oder Bußen und überwachen selbst, ob der Beschuldigte ihren Anordnungen nachkommt. Daher ist die vorläufige Einstellung des Verfahrens (§ 153a StPO) eine justizförmige Diversionsmaßnahme. Die justizförmige „Diversion" ähnelt in ihrer Organisation sehr stark der formellen Strafverfolgung und ist deshalb zur Reaktion auf Gewalt in der Familie weniger gut geeignet. Die starke Beteiligung der Strafverfolgungsorgane an der „Diversion" wirkt sich spannungserhöhend auf das Familienleben aus. Programme der justizförmigen „Diversion" sehen in der Regel auch nicht die Einbeziehung des Opfers oder anderer Tatbeteiligter in die Reaktion vor, sondern richten sich ebenso wie die formelle Strafverfolgung ausschließlich an den Täter. Die vorläufige Einstellung der Verfolgung nach § 153a StPO ist hierfür ein gutes Beispiel. Im Rahmen der justizförmigen „Diversion" werden oft Sanktionen über den Täter verhängt, die zwar keinen formellen Strafcharakter haben, jedoch in ihren belastenden Folgen und im gesellschaftlichen Urteil Strafen sehr ähneln. Die ergriffenen Maßnahmen sind im allgemeinen nicht auf eine Lösung der zwischenmenschlichen Konflikte angelegt, die der Gewalt in der Familie zugrunde liegen und die durch sie verursacht sind. Zur Reaktion auf Gewalt in der Familie bieten sich Diversionsprogramme an, die organisatorisch vom Strafjustizsystem getrennt sind. Justizabhängige Programme stehen oft, aber nicht immer, in freier Trägerschaft. Sie werden über die Justiz finanziert, und die Justizbehörden üben eine Aufsicht über die Programme und ihre Mitarbeiter aus, die unterschiedlich streng sein kann. Im deutschen Strafprozeß kann das Sühneverfahren als justizabhängiges Diversionsverfahren angesehen werden. Die Vergleichsstelle ist zwar eine Behörde. Die Schlichter (Schiedsleute) sind aber in den meisten Bundesländern ehrenamtlich tätige Laien, die bei der konkreten Gestaltung des Verfahrens weitgehende Hand2 3
Vgl. C I I I 3 und 4.
Die von Kaiser KIKrimW 1985, Stichw.: Diversion, zur Unterscheidung gewählten Begriffe „legale", „para-legale " und „nicht-legale Diversion" werden nicht übernommen, da sie im Sinne einer Einteilung nach dem Grad der Gesetzmäßigkeit der konkreten Maßnahmen mißverstanden werden können. Die hier getroffene begriffliche Untergliederung entspricht gleichwohl inhaltlich der von Kaiser verwendeten Differenzierung.
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
lungsfreiheit haben. Der Schiedsmann ist kein staatliches Strafverfolgungsorgan 4 , unterliegt aber der Dienstaufsicht der Justizbehörden (§7 1 SchO). Diversionsprojekte, die in freier Trägerschaft und ohne Aufsicht der Strafverfolgungsbehörden arbeiten, sind justizunabhängig. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte haben im Rahmen der justizunabhängigen „Diversion" nur die Aufgabe, geeignete Fälle an die Projekte zu verweisen und ansonsten die Strafverfolgung einzustellen. Sie kontrollieren nicht den Erfolg der unternommenen alternativen Reaktionen. Meist steht es dem weitergeleiteten Beschuldigten sogar frei, ob er an den Diversionsmaßnahmen mitarbeiten will. Eine Wiederaufnahme der Strafverfolgung hat er auch dann nicht zu befürchten, wenn er seine Mitwirkung verweigert. Ein vollkommener Rückzug der Justiz aus der Kontrolle bestimmter Teilbereiche der Kriminalität verbietet sich in der Bundesrepublik schon wegen des hier geltenden Legalitätsprinzips (§ 152 I I StPO). Zwar besteht die Verpflichtung des Staates zur Strafverfolgung nicht ohne Ausnahmen, und es wird Raum für eine „Diversion" gelassen. Das grundsätzliche Bekenntnis der Rechtsordnung zur Strafverfolgungspflicht des Staates läßt es aber nicht zu, daß die Justiz die Aufsicht über Maßnahmen und Wege der „Diversion" völlig aus der Hand gibt. Auch aus Zweckmäßigkeitsgründen empfiehlt sich eine justizunabhängige „Diversion" familiärer Gewaltanwendung nicht. Es besteht die Gefahr, daß sowohl die Strafverfolgung als auch helfende Alternativreaktionen unterbleiben, wenn die Staatsanwaltschaft oder die Strafgerichte nicht den Fortgang und den Erfolg der getroffenen Diversionsmaßnahmen überwachen. Da Gewalt in der Familie individuelle und gesellschaftliche Interessen in hohem Maße verletzt, kann die Justiz sich einer Beaufsichtigung der Reaktion auf familiäre Gewaltanwendung nicht enthalten. Es muß deshalb der Mittelweg einer nicht justizförmigen, aber justizabhängigen „Diversion" gegangen werden. Ein Programm zur „Diversion" von Gewalt in der Familie soll mithin sachlich weitgehend selbständig arbeiten und mit eigenem Personal ausgestattet sein, das nicht den Strafverfolgungsorganen angehört. Es muß jedoch der Rechtsaufsicht der Justizbehörden unterliegen, und die Strafverfolgungsorgane müssen die Erfolge der „Diversion" kontrollieren, um daran ihr eigenes weiteres Vorgehen im konkreten Einzelfall ausrichten zu können. Ein justizabhängiges Verfahren zur vorgerichtlichen „Diversion" familiärer Gewaltanwendung muß in Ablauf und inhaltlicher Gestaltung darauf ausgerichtet sein, einen Ausgleich zwischen den Beteiligten anzustreben. Das heißt zum einen, daß es sich nicht nur an den (vermutlichen) Täter wenden darf. Einseitige, an den Täter gerichtete Auflagen, Weisungen oder Therapiemaßnahmen reichen nicht aus. Vielmehr muß das Diversionsverfahren auch das Opfer, die Familie und — soweit möglich und erforderlich — Personen ihres sozialen Nahraums in seinen Wirkungskreis einschließen. Zum anderen muß es sein Ziel sein, die Ursachen der gewalttätigen Konflikte zu klären. Familiäre Gewalttaten 4
Geerds 1980, 83; Kleinknecht/Meyer § 380 Rdn. 3.
3. Die rechtlichen Grenzen der vorgerichtlichen „Diversion"
241
sollen daher in einem vor- und außergerichtlichen Schlichtungsverfahren verhandelt werden, an dem alle Konfliktbeteiligten mitwirken. Von Rechtswissenschaftlern und Politikern werden gegenwärtig verstärkt Verfahrensmöglichkeiten zur friedlichen, außergerichtlichen Beilegung von strafrechtlich relevanten zwischenmenschlichen Konflikten diskutiert. Die Notwendigkeit einer Schaffung solcher Verfahren oder der Erweiterung bereits vorhandener Modelle wird weithin anerkannt. In seinem Gutachten für den 55. Deutschen Juristentag hat Rieß 5 die Ausdehnung der bestehenden Möglichkeiten zur Regelung von leichteren Konfliktstraftaten im Sühneverfahren gefordert. Die außergerichtliche Konfliktbeilegung soll insbesondere den Interessen des Opfers dienen, dessen Stellung im formellen Strafverfahren nur sehr schwach ausgebaut ist. Auch innerhalb des Europarats und der Vereinten Nationen werden Wege zur Festigung der Rechte des Verletzten in der Strafverfolgung erörtert. Das „European Committee on Crime Problems" (Europäisches Komitee für K r i m i n a -
litätsprobleme) hat den Entwurf für eine Empfehlung des Europäischen Ministerrates an die Mitgliedsländer hinsichtlich der Stellung des Opfers im Strafverfahren erarbeitet. In diesem Entwurf soll auch der Ausbau vorgerichtlicher Verfahren zur Schlichtung krimineller Konflikte vorgeschlagen werden. A u f dem „Siebten Kongreß der Vereinten Nationen über Kriminalitätsvorbeugung und Behandlung des Rechtsbrechers" ( v o m 26. 8. bis 6. 9. 1985) wurde der
Entwurf einer Resolution über die Rechte des Opfers von Straftaten beraten, der der Vollversammlung der Vereinten Nationen zur Verabschiedung vorgelegt worden ist. Dieser Entwurf enthält Empfehlungen für die Schaffung vorgerichtlicher Diversionsprogramme zur Regelung individueller Streitigkeiten 6 . 3. Die rechtlichen Grenzen der vorgerichtlichen „Diversion" a) Die Wahrung des öffentlichen Interesses an einer strafrechtlichen Rechtsbewehrung
Die vorgerichtliche „Diversion" nimmt die formelle strafrechtliche Reaktion für bestimmte Kriminalitätsformen zurück. Die Zurückhaltung, die sich Strafrecht und Strafverfahren in diesen Bereichen auferlegen, dient den Interessen des Täters und des Opfers an einer möglichst wenig dramatischen, ausgleichenden Reaktion und dem Interesse des Staates am Schutz seiner Bürger und an der Entlastung des Justizapparates. Die Möglichkeiten zur Rücknahme der formellen strafrechtlichen Reaktionen sind indessen begrenzt, wenn das Strafrecht nicht an Glaubwürdigkeit verlieren will 1 . „Diversion" bedeutet zwar nicht von vorneherein einen Verzicht auf die Anwendung des Strafrechts, 5
1984, Rdn. 129 ff. United Nations 1985, Ziff. 28 und 33 der „Guiding Principles for Crime Prevention and Criminal Justice in the Context of Development and an New International Economic Order"; Ziff. 5 und 7 der „Declaration of Basic Principles of Justice (a) Relating to Victims of Crime and (b) Relating to Victims of Abuse of Power". 1 Vgl. oben C I I 1 b). 6
16
U . Schneider
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
sondern kann zu einer Form der Rechtsdurchsetzung mit anderen, nichtstrafenden Mitteln werden. Die Auflösung der innerfamiliären Spannungen, die Ziel eines vorgerichtlichen Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewaltausübung sein muß, und die damit verbundene Wiederherstellung des „Familienfriedens" sind überdies Voraussetzungen für eine nachhaltige und dauerhafte Sicherung des Rechtsfriedens vor weiteren gewaltsamen Angriffen 2 . Es gibt aber auch im Bereich der familiären Gewaltanwendung Taten, die den Rechtsfrieden der Gemeinschaft aufgrund ihrer Art und Schwere besonders tiefgreifend stören. Die Schlichtung der innerfamiliären Streitigkeiten in einem außergerichtlichen Vorverfahren reicht deshalb nicht immer aus, um die eingetretene Störung des Rechtsfriedens zu beseitigen. Der Grad der Beeinträchtigung des Rechtsfriedens richtet sich nach dem Ausmaß des verwirklichten Unrechts. Es kann so erheblich sein, daß die Herstellung eines privaten Interessenausgleichs nicht genügt, um die verletzte gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen. Das geltende Recht trifft daher hinsichtlich der Zulässigkeit einer vorgerichtlichen „Diversion" bereits eine Vorentscheidung, die sich an dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat orientiert. Es schließt die vorgerichtliche „Diversion" von Verbrechen im Erwachsenenstrafverfahren aus. Ihre Verfolgung unterliegt dem Offizial- und dem Legalitätsprinzip, das heißt es besteht ein uneingeschränkter Strafverfolgungszwang. Diese Ausschlußregelung ist sinnvoll. Wegen des erheblichen Unrechtsgehalts solcher Taten würde ihre Erledigung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens das öffentliche Rechtsbewußtsein empfindlich stören. Daher sind auch familiäre Gewalttaten, die die Verbrechenstatbestände der §§ 224,225 erfüllen, der vorgerichtlichen „Diversion" entzogen. Für Delikte nach §§ 223, 223a, 223b stellt das Gesetz demgegenüber keinen unbedingten Strafverfolgungszwang auf. Ihr typischer Unrechtsgehalt ist nicht so groß, als daß das Ausmaß der hervorgerufenen Störung des Rechtsfriedens regelmäßig eine strafrechtliche Ahndung der Tat verlangen würde. Sie sind daher der vorgerichtlichen „Diversion" zugänglich. Die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens ist zur Rechtsbewehrung nur in Einzelfallen zwingend erforderlich, wenn die begangene Tat insbesondere wegen ihrer Folgen für das Opfer einen Unrechtsgehalt erreicht, der in seinem Ausmaß demjenigen der §§ 224, 225 ähnelt. Für Jugendstraftaten eröffnen §§ 45, 47 JGG grundsätzlich immer die Möglichkeit einer „Diversion" unter vornehmlich erzieherischen Gesichtspunkten. b) Die Wahrung der Rechte des Beschuldigten
Die Gerichtsförmigkeit des Strafverfahrens stellt eine elementare rechtsstaatliche Garantie für den Beschuldigten dar. „Diversion" kann daher mit einem Verlust der rechtlichen Sicherheiten verbunden sein, die das formelle gerichtliche Verfahren gewährleisten soll. Die Schonung des Beschuldigten, die Vermeidung der Belastungen und Nachteile eines Gerichtsverfahrens, kann auf Kosten seiner 2
Vgl. oben C I I I 3 b) bb).
3. Die rechtlichen Grenzen der vorgerichtlichen „Diversion"
243
rechtlichen Absicherung gehen3. Die Garantien, die ein formelles gerichtliches Verfahren bietet, sollen gewährleisten, daß dem Beschuldigten nicht willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen rechtliche Nachteile auferlegt werden. „Diversion" ist die Reaktion auf strafbares Verhalten mit nichtstrafenden Mitteln. Sie ist gleichwohl immer mit Belastungen für den Beschuldigten verbunden. Eine Konfliktregelung im Rahmen der vorgerichtlichen „Diversion" familiärer Gewaltanwendung erfordert vielfach die Übernahme von Verhaltenspflichten durch die Familie, also auch den Beschuldigten. Die informelle außergerichtliche Reaktion will einen Rahmen für Wiedergutmachung, Therapie und andere sekundärpräventive Maßnahmen schaffen. Ohne Mitwirkung des Beschuldigten können diese sekundärpräventiven Zwecke nicht erfüllt werden. Im Einzelfall muß von ihm die Bereitschaft erwartet werden, sich zu bestimmten Handlungen oder Unterlassungen zu verpflichten und beispielsweise an einer familien- oder individualtherapeutischen Behandlung oder Beratung teilzunehmen, gewisse Abende in der Woche zu Hause zu bleiben oder festgelegte Aufgaben im Haushalt und in der Kindererziehung zu übernehmen. Im Diversionsverfahren sollen dem Beschuldigten daher Leistungen abverlangt werden, ohne daß ihm die rechtlichen Garantien eines Gerichtsverfahrens geboten werden. Dies ist zwar nicht grundsätzlich unzulässig. Die Freiheit der Einführung und Gestaltung vorgerichtlicher Diversionsverfahren wird aber immer durch rechtsstaatliche Regeln begrenzt. Die „Diversion" familiärer Gewaltanwendung in einem justizabhängigen vorgerichtlichen Schlichtungsverfahren muß auf die vor einer rechtskräftigen Verurteilung geltende Unschuldsvermutung ( A r t . 6 I I M R K ) u n d das Recht des Beschuldigten auf den gesetzlichen
Richter (Art. 101 I 2 GG) Rücksicht nehmen. aa) Die Unschuldsvermutung
(Art. 6 II
MRK)
Zum sachlichen Gehalt der Unschuldsvermutung gehört es, daß eine Bestrafung des Beschuldigten nur bei erwiesener Schuld zulässig ist. Solange der Verdächtige nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt er als unschuldig. Die Verpflichtungen, die der Beschuldigte in einem vorgerichtlichen Verfahren zur Regelung von gewaltverursachenden und -verursachten Familienstreitigkeiten eingeht, weil sie einer Konfliktbeilegung dienlich sind, dürfen unter der Geltung der Unschuldsvermutung niemals den Charakter von Strafen im Rechtssinne haben. Strafen sind durch ihre Schuldabhängigkeit gekennzeichnet, durch die sie sich von den Maßregeln der Besserung und Sicherung und von den Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln des Jugendstrafrechts unterscheiden. Maßnahmen, die in einem Diversionsverfahren ergriffen werden, dürfen daher nicht das Ziel haben, ein nicht nachgewiesenes Unrecht auszugleichen oder eine nicht rechtskräftig festgestellte Schuld zu sühnen. Der Beschuldigte darf nicht mit einem Strafmakel belastet werden. Diese rechtsstaatliche Forderung ist durchaus im Sinne der „Diversion". Es gehört gerade zu ihren Zwecken, eine 3
16*
Vgl. Naucke 1976, 30 hinsichtlich des § 153a StPO.
244
D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
Brandmarkung des Täters durch seine Bestrafung zu vermeiden. Insoweit liegen ihre Ziele innerhalb der rechtsstaatlich gesetzten Grenzen. Die Unschuldsvermutung verbietet indessen nicht nur eine vorzeitige formelle Bestrafung des Beschuldigten. Vor seiner Verurteilung dürfen vielmehr auch keine Maßnahmen getroffen werden, die die „persönlichkeitsmindernden Wirkungen" der Strafe vorwegnehmen 4. Einem Verdächtigen dürfen vor seiner gerichtlichen Aburteilung keine Pflichten auferlegt werden, die einem in Wahrheit Unschuldigen nicht zugemutet werden können 5 . Die Unschuldsvermutung enthält eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots 6. Zwangseingriffe in Rechte des Beschuldigten sind daher generell unzulässig, wenn sie nicht zur Erforschung der Wahrheit und zur Feststellung der Schuld notwendig sind. Das konfliktregelnde Diversionsverfahren beabsichtigt demgegenüber keine Schuldfeststellung. Wenn dem Beschuldigten im Rahmen der „Diversion" Pflichten zugewiesen werden, sollen sie sekundärpräventiven Zwecken dienen. Zwangseingriffe in Rechte des Beschuldigten, die eine sekundärpräventive Zielsetzung anstreben, sind unter der Geltung der Unschuldsvermutung verboten. Sekundärpräventive Maßnahmen sind nur dann zulässig, wenn der Beschuldigte freiwillig an ihnen mitwirkt. Innerhalb des Diversionsverfahrens können dem Beschuldigten deshalb keine Verpflichtungen „auferlegt" werden. Er kann sie allerdings freiwillig übernehmen. Eine freiwillige Selbstverpflichtung" des Beschuldigten liegt völlig im Sinne der „Diversion". Freiwilligkeit ist oft gerade die Voraussetzung für die sekundärpräventive Wirksamkeit einer Maßnahme und verleiht ihr ihren ethisch-moralischen Wert. Dies gilt insbesondere für therapeutische Schritte und Wiedergutmachungsleistungen, die die Lösung von innerfamiliären Konflikten fördern sollen. Indessen ist fraglich, inwieweit innerhalb der „Diversion" die notwendige Willensfreiheit des Beschuldigten überhaupt garantiert werden kann. „Diversion" ist die Wegführung geeigneter Delinquenter vom Strafverfolgungssystem und ihre Umleitung in ein informelleres Verfahren mit milderen Reaktionen. Sie setzt daher begrifflich voraus, daß die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung grundsätzlich besteht, jedoch unter bestimmten Bedingungen kein Gebrauch von ihr gemacht wird. Hinter der justizförmigen oder justizabhängigen „Diversion" steht immer die ausgesprochene oder unausgesprochene Drohung einer Strafverfolgung. Die Angst vor Strafverfolgung wird den Beschuldigten deshalb in vielen Fällen dazu bewegen, an bestimmten Diversionsmaßnahmen mitzuwirken 7 . Ob dies bereits eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Beschuldigten bedeutet, kann freilich nicht anhand objektiver Maßstäbe festgestellt werden, sondern ist eine Frage der Wertung. 4
Sax 1959, 987. Roxin 1985, §11 II. 6 Krauß 1971, 173 ff. 7 Darauf weisen auch Dencker 1973,149 und Schmidhäuser 1973,534 in ihrer Kritik an § 153a StPO hin. 5
3. Die rechtlichen Grenzen der vorgerichtlichen „Diversion"
245
Wenn der Beschuldigte sich zur Teilnahme an einem Diversionsverfahren entschließt, so liegt seiner Entscheidung — nüchtern betrachtet — lediglich eine Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde. Sie ist ein normales Element jeglicher Entscheidungsfindung und läßt für sich genommen noch nicht auf eine Beeinträchtigung der Freiheit der Entscheidung schließen, solange dem Beschuldigten nicht zusätzliche Nachteile drohen, falls er sich gegen die Teilnahme an Diversionsmaßnahmen entschließt. Die Weigerung des Beschuldigten, im Rahmen eines Diversionsverfahrens Verhaltenspflichten zu übernehmen, darf daher in einem ordentlichen Strafverfahren nicht etwa als Strafschärfungsgrund in Rechnung gestellt werden. Andernfalls würde auf den Beschuldigten ein unzulässiger Zwang ausgeübt, sich Diversionsmaßnahmen zu unterwerfen. Es darf nur das geschehen, was ohne die Schaffung von Diversionsmöglichkeiten ohnehin geschehen wäre. Das normale ordentliche Strafverfahren belastet den Beschuldigten zwar einerseits, bietet ihm jedoch andererseits alle rechtlichen Garantien. Die „Drohung" eines solchen formellen Verfahrens kann deshalb nicht als unzulässige Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Beschuldigten gewertet werden. Gleichwohl muß sich das Diversionsverfahren davor hüten, die vielfach sogar irrational begründeten Ängste des Beschuldigten vor einer Strafverfolgung auszunutzen, um ihn zur „freiwilligen" Hinnahme unangemessener Rechtseinbußen zu bewegen. Der Beschuldigte darf nicht eingeschüchtert werden, und es muß gewährleistet sein, daß er nicht nur über die Nachteile, sondern auch über die rechtlichen Sicherheiten informiert ist, die mit einem formellen Strafverfahren verbunden sind. Schließlich muß auch im Diversionsverfahren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Da der Beschuldigte an der „Diversion" gleichsam beschränkt freiwillig teilnimmt, gilt auch der Satz „volenti non fit iniuria" nur begrenzt. Dem Beschuldigten dürfen keine Verpflichtungen abverlangt werden, die seine Rechte in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen. Maßstab für die Verhältnismäßigkeit ist zum einen der Grad der Gefährdung von Opfer und Familie, weil die „Diversion" sekundärpräventive Ziele verfolgt. Das Ausmaß der Rechtseinbußen, die der Beschuldigte im Diversionsverfahren übernimmt, darf darüber hinaus nicht die Größenordnung der Nachteile überschreiten, die ihm in einem ordentlichen Strafverfahren auferlegt werden können. Daher dürfen sie nicht außer Verhältnis zu dem möglicherweise begangenen Unrecht stehen. bb) Das Recht auf den gesetzlichen
Richter
Der Sinn der vorgerichtlichen „Diversion" liegt darin, ein Gerichtsverfahren zu vermeiden. Hierin kann ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 1011 2 GG) liegen. Gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 1011 2 GG ist der gesetzlich zuständige Richter. Die vorgerichtliche Diversion wird gerade als Mittel eingesetzt, die zuständigen Gerichte zu entlasten und ihre Einschaltung zu vermeiden. Sie hat den ausdrücklichen Zweck, ein Tätigwerden des gesetzlichen Richters zunächst zu vermeiden. Der Beschuldigte wird nicht in jedem Fall dem zuständigen Gericht zugeführt. Das heißt gleichwohl nicht
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
notwendigerweise, daß er seinem gesetzlichen Richter „entzogen" wird. Von einem „Entzug" des gesetzlichen Richters wird vielmehr erst dann gesprochen, wenn ein Träger hoheitlicher Gewalt dafür sorgt, daß die Verhandlung und die Entscheidung in der Sache einem anderen Richter als dem zuständigen zugeordnet wird, oder wenn ein anderes Staatsorgan die Sache an sich zieht 8 . Zum einen darf also nur derjenige als Richter handeln und entscheiden, der in den allgemeinen Gesetzesnormen und den Geschäftsverteilungsplänen dafür vorgesehen ist 9 . Nur der gesetzlich zuständige Richter darf also richterliche Funktionen ausüben. Art. 101 I 2 G G soll damit verhindern, daß Unbefugten richterliche Aufgaben übertragen werden. Zum anderen darf dem betroffenen Bürger der Weg zu den Gerichten nicht verbaut werden. Er hat einen Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsverfahren mit all seinen gesetzlichen Garantien. Die alleine dem Richter obliegende Funktion ist die Rechtsprechung. Diese w i r d materiell definiert als „staatliche Tätigkeit, durch die Gesetz und Recht mit der Wirkung angewendet werden, daß die Entscheidung auch gegen den Willen eines Verfahrensbeteiligten diesem gegenüber in Rechtskraft erwachsen kann" 10.
In den Bereich der rechtsprechenden Gewalt gehört die Kompetenz, Kriminalstrafen zu verhängen 11 . Sie dürfen nur vom zuständigen Richter ausgesprochen werden. Die „Diversion" zielt demgegenüber gerade nicht darauf ab, den Beschuldigten zu bestrafen. I m Rahmen eines Diversionsverfahrens wird nicht über das Bestehen eines staatlichen Strafanspruchs entschieden. Es ist nicht sein Zweck, eine letztverbindliche Entscheidung in einem zweifelhaften Rechtsverhältnis zu treffen 12 . Da im Diversionsverfahren somit keine richterlichen Aufgaben wahrgenommen werden, liegt insoweit auch kein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter vor. Die „Diversion" darf dem Beschuldigten freilich nicht den Weg zu den Strafgerichten blockieren oder erschweren. Dem Beschuldigten muß immer die Möglichkeit offen bleiben, auf der Durchführung eines ordentlichen Strafverfahrens zu bestehen, ohne daß ihm hieraus Rechtsnachteile erwachsen. Auch Art. 10112 G G verlangt also, daß die Teilnahme an der „Diversion" freiwillig ist und der Beschuldigte in keiner Weise daran gehindert wird, die Gerichte anzurufen.
8
v. Münch/Rauball Art. 101 Rdn. 13. Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 101 Rdn. 8. 10 Bei Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 92 Rdn. 3. 11 BVerfGE 22, 43 (73 ff.). 12 Vgl. die Definition des Rechtsprechungsbegriffes bei v. Münch/W. Meyer Art. 92 Rdn. 8. 9
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
247
4. Die Gestaltung eines Verfahrens zur vorgerichtlichen „Diversion" von Gewalt in der Familie (Straftaten nach §§ 223, 223a, 223b StGB und Jugendstraftaten) a) Grundanforderungen an die Gestaltung eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens
Ein System zur vorgerichtlichen „Diversion" von Gewalt in der Familie muß nach den oben 1 entwickelten Grundsätzen gestaltet werden und die aufgezeigten rechtsstaatlichen Grenzen beachten. Die Betroffenen sollen in einem außergerichtlichen Schlichtungsverfahren die Gelegenheit erhalten, sich in einer Atmosphäre des Vertrauens auszusprechen, ihre Konflikte und Probleme darzulegen und nach Lösungen zu suchen. Die „Diversion" soll einen Dialog zwischen ihnen ermöglichen. Hierfür eignen sich informelle vermittelnde Gespräche vor einem neutralen, sachkundigen Schlichter am besten. In ihrem Verlauf sollen nicht nur akute Konflikte abgebaut werden. Der Risikofamilie fehlt es typischerweise an Kommunikationsstrategien zur gewaltlosen Konfliktlösung. Im Schlichtungsverfahren müssen ihr daher Lernerfahrungen mit Methoden einer friedlichen Auseinandersetzung geboten werden. Soziale Konflikte können nachhaltig nur in Prozessen kooperativer Verhandlungen beigelegt werden 2 . Solche Verhandlungsprozesse sind dadurch gekennzeichnet, daß beide Konfliktparteien ihre Standpunkte darlegen und gemeinsam nach Lösungen für Widersprüche suchen. Der kooperative Prozeß erlaubt es den Parteien, ihre jeweiligen Sichtweisen der Bedingungen darzulegen, die dem Konflikt zugrunde liegen, eigene Gefühle auszusprechen und sie dem jeweils anderen zu Gehör zu bringen. Auf diese Weise ermöglicht er es, seelischen Ballast abzuwerfen, der die eigene Bereitschaft, zu einer Einigung zu gelangen, blockieren würde. Gleichzeitig erleichtert er die Anerkennung berechtigter Interessen des jeweils anderen 3. Ein Schlichtungsverfahren zur „Diversion" familiärer Gewaltanwendung muß daher eine Konfliktlösung innerhalb kooperativer Verhandlungen möglich machen und der Familie so Lernerfahrungen mit gewaltlosen Konfliktlösungsprozessen vermitteln. Die Familie muß ermutigt werden, selbst Wege zur Lösung ihrer Probleme zu entwerfen. Zu diesem Zwecke müssen ihr im Diversionsverfahren Berater und Mittler zur Seite gestellt werden, die in der Lage sind, einen Prozeß kooperativer Verhandlung zu leiten, ihr bei der Erkenntnis zentraler Problempunkte beizustehen und dabei zu helfen, Möglichkeiten zur Regelung ihrer Probleme zu finden. Die Schlichter dürfen nicht die Rolle von „Problemlosem" spielen. Sie haben allein die Aufgabe, das Gespräch zu leiten, zwischen den Parteien zu vermitteln und sie zu beraten.
1 2 3
D IV 2. Deutsch 1976, 172 ff. Vgl. dazu ausführlich Deutsch 1976, 173.
248
D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung b) Modelle für ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren bei Gewalt unter erwachsenen Familienmitgliedern
In der Bundesrepublik Deutschland ist das Sühneverfahren (§ 380 StPO) Modell eines Diversionsverfahrens, an dem die streitenden Parteien aktiv beteiligt werden. Es ist nicht speziell zur Reaktion auf Gewalt in der Familie geschaffen worden. Einfache Körperverletzungen unter erwachsenen Familienmitgliedern fallen aber in seinen Anwendungsbereich. In den USA sind demgegenüber Verfahrensmodelle entwickelt worden, die zwar nicht ausschließlich, aber doch besonders darauf ausgerichtet sind, in Fällen familiärer Gewaltanwendung einzugreifen. Ähnliche Verfahrensmodelle finden sich beispielsweise auch in der Volksrepublik China 4 . Die amerikanischen Verfahrensmodelle beschränken sich wie das deutsche Sühneverfahren auf die Schlichtung von Konflikten unter erwachsenen Beteiligten. Einzelne Programme lassen auch die Teilnahme von Jugendlichen zu. Aus diesem Grunde soll zunächst nur ihre Eignung zur Reaktion auf Gewalt unter erwachsenen Familienmitgliedern untersucht werden. Welche Möglichkeiten sich für die „Diversion" von Gewalt in der Familie bieten, an der als Täter oder Opfer Kinder oder Jugendliche beteiligt sind, soll erst danach erörtert werden. aa) Das Sühneverfahren
im deutschen Strafprozeßrecht
Die StPO schaltet der gerichtlichen Strafverfolgung einiger Privatklagedelikte ein Sühneverfahren vor (§ 380 StPO), in dem eine außergerichtliche Konfliktlösung und Streitbeilegung erzielt werden soll. Das Sühneverfahren soll die Gerichte von Bagatellstraftaten entlasten und dem Beschuldigten den Makel einer formellen Bestrafung mit all ihren ungünstigen Folgen ersparen 5. Darüber hinaus soll es eine interessengerechte Handhabung von zwischenmenschlichen Konflikten ermöglichen, die zu Straftaten geführt haben oder aus ihnen entstanden sind 6 . Das Verfahren beabsichtigt einen Vergleich zwischen den streitenden Parteien herbeizuführen, der die Erhebung der Privatklage überflüssig macht. Beiden Parteien wird die Möglichkeit geboten, ihre konkreten Bedürfnisse zu formulieren und im Rahmen von Vergleichsvereinbarungen zu verwirklichen. Innerhalb des Sühneverfahrens können sie ihre zukünftigen Beziehungen zueinander regeln. Fehlverhaltensweisen beider Parteien kommen zur Sprache und werden erörtert. Eine einseitige Schuldzuweisung unterbleibt. Die zwischen den Parteien bestehenden Bindungen werden so weniger belastet als durch ein Strafverfahren. In den meisten Bundesländern, nämlich in Berlin, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Schleswig-Holstein, obliegen die Durchführung und die Leitung des Sühneverfahrens einem ehrenamtlichen Schiedsmann. In Bayern und Baden4 5 6
Lubman 1967, 1284ff. Geerds 1980, 74 ff., 81 ff. Falke 1977, 91; Geerds 1980, 86; Rieß 1984, Rdn. 129f.
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
249
Württemberg werden die Gemeinde, in Bremen der Rechtspfleger beim Amtsgericht und in Hamburg die „Öffentliche Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle" als Vergleichsbehörde tätig. In jedem Falle ist das Sühneverfahren informell gestaltet. Es bietet beiden Parteien den Vorteil, ihren Streit ausführlich und in persönlicher Atmosphäre unter Vermittlung durch einen neutralen Schlichter zu besprechen und nach Wegen zu seiner Beilegung zu suchen. Der Schlichter selbst kann keine für die Parteien rechtsverbindlichen Entscheidungen treffen. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, eine gütliche Einigung zwischen ihnen zu fördern. Die Erledigung einer Privatklagesache im Sühneverfahren erspart den Parteien die erheblichen Kosten eines Gerichtsverfahrens (vgl. §§ 43, 45 SchO, 91 I I I 1 GKG). Das Verfahren vor dem Schiedsmann wird regelmäßig auf Antrag des Verletzten eingeleitet (§ 20 SchO). Der Schiedsmann darf eine Sühne Verhandlung allerdings auch dann durchführen, wenn sich die Parteien ohne die Wahrung besonderer Formalitäten aus eigenem Antrieb oder auf Aufforderung seitens des Schiedsmanns bei ihm einfinden 7 . Auf den Antrag des Verletzten hin setzt der Schiedsmann Zeit und Ort der Sühneverhandlung fest und stellt den Parteien die Ladungen zu. Der Beschuldigte ist verpflichtet, persönlich an der Verhandlung teilzunehmen (§3811 SchO). Demgegenüber trifft den Antragsteller lediglich die Pflicht, den Schiedsmann rechtzeitig wissen zu lassen, wenn er nicht kommen will (§§ 34, 22 SchO). Verstoßen die Beteiligten gegen diese Pflichten, kann der Schiedsmann eine Ordnungsstrafe verhängen (§ 39 I I bzw. §§ 34, 22 I I SchO). Die Sühneverhandlung findet nur statt, wenn beide Parteien zu dem anberaumten Termin persönlich erschienen sind. Eine Vertretung ist grundsätzlich nicht gestattet (§18 SchO; Ausnahme: § 36 I 2 SchO). Vor dem Schiedsmann wird mündlich und nach Möglichkeit ohne Unterbrechung verhandelt. Rechtsanwälte und gesetzliche Vertreter muß der Schiedsmann als Beistände zulassen (§§ 34,19 S. 2 und § 3813 SchO). Zeugen und Sachverständige sind nicht verpflichtet, an der Verhandlung vor dem Schiedsmann teilzunehmen. Soweit sie erscheinen, kann der Schiedsmann sie freilich hören (§§ 34, 24 SchO). Der Inhalt des im Sühne verfahren erzielten Vergleichs wird von den Parteien ausgehandelt und daher von ihren konkreten Bedürfnissen bestimmt. In der Regel verzichtet der Verletzte auf sein Recht, Privatklage zu erheben. Der Beschuldigte kann die Verpflichtung übernehmen, materielle oder ideelle Wiedergutmachung zu leisten. Darüber hinaus kann der Vergleich auch Regelungen und Versprechungen über das künftige Verhalten der Parteien zueinander umfassen 8. Die Einhaltung des Vergleichs kann im Wege der gerichtlichen Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden (§§ 801 ZPO, 32 I SchO). Dabei sind alle Ansprüche vollstreckbar, die auch auf Grund eines gerichtlichen Urteils der Zwangsvollstreckung unterliegen würden, also auch Ansprüche auf bestimmte Handlungen oder Unterlassungen 9. 7 8
Gain §20 Anm. 1. Falke 1977, 86.
250
D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
Die Verhandlung vor dem Schiedsmann findet meist in dessen Privatwohnung statt. Sie erhält dadurch einen inoffiziellen Charakter. Das Entstehen einer gelösten, vertraulichen Atmosphäre wird erleichtert 10 . Zu Beginn der Verhandlung gibt der Schiedsmann beiden Parteien die Möglichkeit, den Streitfall ungestört und ausführlich aus ihrer jeweiligen Sicht darzulegen. Diese erste Phase des Gesprächs dient dazu, den Schiedsmann über das Vorgefallene zu informieren und bietet den Parteien Gelegenheit, ihre Gefühle zu äußern. Ein solches „Dampfablassen" hilft, vorhandene Spannungen abzubauen 11 . Wenn die Standpunkte beider Parteien geklärt sind, beginnt der Prozeß des Suchens und Aushandelns von Möglichkeiten zur Beilegung des entstandenen Konflikts. Der Schiedsmann hat dabei die Aufgabe, Unterschiede in der Wahrnehmung des Konflikts durch beide Parteien zu erkennen, sie den Beteiligten zu verdeutlichen und mit ihnen gemeinsam auf eine einheitliche Konfliktdefinition hinzuarbeiten 1 2 . Er regelt die Kommunikation der Parteien während des Verhandlungsprozesses und hilft ihnen, sich fair auseinanderzusetzen. Er unterstützt sie bei der Suche nach Wegen zur Lösung ihres Konflikts. Dabei kann er auch eigene Lösungsvorschläge unterbreiten. Oft versucht er, die Einigungsbereitschaft der Parteien zu heben, indem er sie einerseits auf die Vorteile eines Vergleichs und andererseits auf die Nachteile hinweist, die ihnen bei Erfolglosigkeit der Sühneverhandlung entstehen können. Der schließlich erzielte Vergleich ist immer Produkt einer zwar vom Schiedsmann geförderten und vielleicht vorangetriebenen, aber doch letztlich freiwilligen Übereinkunft der Parteien. Seine inhaltliche Rechtsverbindlichkeit erhält er ebenfalls aufgrund des Parteiwillens. Der Schiedsmann ist, anders als seine Amtsbezeichnung es vermuten läßt, nicht befugt, rechtsverbindliche „Schiedssprüche" zu fallen. 1985 wurden in 20462 Strafsachen Sühneverfahren vor den in sieben Bundesländern als Vergleichsbehörde tätigen Schiedsmännern durchgeführt. Zwar gelang es nur in 50 % dieser Fälle, einen Vergleich zwischen den Parteien zu erreichen 13. Jedoch zeigen langfristige Erhebungen, daß nur in etwa der Hälfte der verbleibenden Strafsachen, die erfolglos verhandelt wurden, nach Scheitern des Sühneverfahrens noch Privatklage erhoben wird 1 4 . Außerdem wird eine große Zahl von Fällen bereits vor Aufnahme eines Sühneverfahrens unter beratender Mitwirkung des Schiedsmanns formlos erledigt. Bei den weitaus meisten Konfliktbeteiligten, die sich zu einer Sühneverhandlung einfinden, handelt es sich um Personen, die sich bereits vor der in Rede stehenden Tat kannten. Nur in einem fast verschwindend geringen Prozentsatz aller verhandelten Fälle sind die Parteien indessen Verwandte 15 . Dabei umfaßt 9
Gain § 32 Anm. 2. Jahn 1965, 39 f. 11 Härtung 1969, 95. 12 Falke 1977, 91. 13 Geschäftsübersicht 1985 in der Schiedsmannszeitung 1986, 138 f. 14 Bei Falke 1977, 82. 10
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
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der Begriff „Verwandte" nicht einmal nur die Mitglieder der Kernfamilie, sondern die gesamte blutsverwandte und verschwägerte Sippe. Bei „verwandtschaftlichen" Streitigkeiten wird das Sühneverfahren demnach nur selten in Anspruch genommen. Dies kann zum einen darauf zurückzuführen sein, daß Verwandtschaftskonflikte privat zwischen den Beteiligten beigelegt werden, ohne daß die Einschaltung eines Schiedsmanns für notwendig erachtet wird. Zum anderen kann die geringe Inanspruchnahme des Sühneverfahrens auch daraus folgen, daß es zur Beilegung verwandtschaftlicher Spannungen schlecht geeignet ist. Für diese Auslegung spricht auch die Tatsache, daß die Erfolgsquote des Sühneverfahrens bei Verwandtschaftsstreitigkeiten unterdurchschnittlich niedrig ist 1 6 . Die Erfolgsquote bezeichnet dabei den Anteil der Verhandlungen, die mit einem Vergleich beendet werden. Insgesamt nimmt sie stetig ab, je näher sich die Parteien stehen, und ist bei verwandten Parteien am geringsten. Bei den Streitigkeiten, derentwegen sich Verwandte an den Schiedsmann wenden, handelt es sich in aller Regel um länger schwelende Konflikte. Der Anteil der länger zurückreichenden Spannungen gegenüber den einmaligen Streitigkeiten ist um so höher, je näher sich die Parteien stehen. Gleichzeitig zeigt sich, daß die Erfolgsquote bei der Schlichtung einmaliger Streitigkeiten beträchtlich höher ist als bei der Lösung von Dauerkonflikten 17 . Dies weist darauf hin, daß das Sühneverfahren und die in ihm tätigen oft ehrenamtlichen Schlichter mit der Behandlung tiefverwurzelter und komplexer Konflikte generell überfordert sind. Es ist daher zweifelhaft, ob das Sühneverfahren — das bei der Schlichtung von Streitigkeiten unter Nachbarn oder Bekannten beachtliche Erfolge erzielen mag — in seiner gegenwärtigen Form ein gangbarer Weg zur „Diversion" familiärer Gewalttaten ist. bb) Das Vermittlungsverfahren
nach amerikanischem
Modell
Um die Gerichte zu entlasten und dem Bürger angemessene staatliche Hilfe bei der Lösung kleinerer straf- und zivilrechtlich relevanter zwischenmenschlicher Konflikte zu bieten, sind in den USA in den letzten zehn Jahren Modelle vorgerichtlicher Ausgleichs- und Schlichtungsprogramme entwickelt worden 18 . Sie bestehen zwar nicht allerorts und sind von Bundesstaat zu Bundesstaat und von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich ausgestaltet und organisiert, lassen sich aber auf den gemeinsamen Grundgedanken der formlosen Gewährung staatlicher Hilfen bei der Lösung privater Rechtskonflikte zurückführen. Die Art der rechtlich relevanten Streitigkeiten, die in außergerichtlichen Verfahren erledigt werden, ist verschieden. Teilweise handelt es sich ausschließlich um spezielle zivilrechtliche Auseinandersetzungen. Teilweise werden solch informelle Verfah15
Nach den Ergebnissen von Falke 1977, 83 waren an 5,2% der untersuchten Sühneverfahren Verwandte beteiligt. 16 17 18
Falke 1977, 85. Falke 1977, 85. Alper/Nichols 1981.
252
D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
ren zusätzlich oder ausschließlich zur Beilegung krimineller Konflikte eingesetzt und dienen somit der vorgerichtlichen „Diversion". Die als Mittel der Reaktion auf leichtere Kriminalität geschaffenen Schlichtungsprogramme sollen gerade in solchen Fällen tätig werden, in denen die Beteiligten in einer engen, andauernden Beziehung miteinander leben. Die formelle gerichtliche Reaktion wird hier als unangemessen empfunden, da sie eine Wahrheitsfindung und Schuldzuweisung anstrebt und den streitenden Parteien nicht bei der Beilegung ihres Konflikts hilft 1 9 . Sie vermag daher nicht zu verhindern, daß es auch in Zukunft erneut zu kriminellen Angriffen unter den Parteien kommt. Die Schlichtungsprogramme wollen die Beteiligten bei der Lösung ihrer Konflikte unterstützen. Gleichzeitig wollen sie eine kriminelle Stigmatisierung des Beschuldigten und eine weitere Erhöhung der Spannungen zwischen den Parteien vermeiden. Als Mittel der „Diversion" sollen sie die Belastung der Gerichte mit Kleinkriminalität verringern und die Kosten eines formellen Verfahrens einsparen. Schließlich sollen sie einen schnellen und gerechten rechtlichen Schutz gewähren 20 . An einigen Orten wurden sogenannte „Neighborhood Justice (Nachbarschaftsgerichte)
oder „Neighborhood
Dispute
Settlement
Centers" Centers"
(Nachbarschaftlich orientierte Schlichtungsstellen) geschaffen, die sich oft in freier Trägerschaft gemeinnütziger Organisationen befinden, aber mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Sie arbeiten sachlich selbständig. Organisatorisch sind sie von den Strafverfolgungsbehörden unterschiedlich stark getrennt. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte behalten die Möglichkeit, die Ergebnisse der Schlichtungsverhandlung zu kontrollieren, haben jedoch nicht in jedem Projekt das Recht, Informationen über den Inhalt der Verhandlung und der erzielten Vereinbarungen zu verlangen. Die Justizabhängigkeit der Programme ist also unterschiedlich stark. Aufgrund ihrer örtlichen Lage, ihrer sachlichen Ausrichtung und der Besetzung vieler Projekte mit Laien, die aus dem jeweiligen Bezirk stammen, sollen die Zentren einen gemeinschaftsnahen Rechtsschutz gewährleisten. In ihrer gemeinschaftsnahen Orientierung sollen sie den Verlust an Kontrolle und Unterstützung des einzelnen und der Familie durch ihre Verwandtschaft und Nachbarschaft auffangen. Ihr Ziel ist es einerseits, Lücken in der informellen Sozialkontrolle wenigstens behelfsmäßig zu schließen. Durch die Einbeziehung von Gemeinschaftsmitgliedern in die Rechtspflege und deren Befassung mit Gemeinschaftsbelangen soll andererseits die informelle Sozialkontrolle wiederbelebt werden. Die amerikanischen Modelle eines gemeinschaftsorientierten, auf Konfliktlösung ausgerichteten Rechtsschutzes beginnen langsam auch in England Fuß zu fassen. 1984 wurden die ersten beiden Vermittlungsprojekte im Raum London verwirklicht 21 . Weitere Projekte befinden sich in der Planung 22 . 19 Alper/Nichols 1981, 19; Snyder 1978, 738; Felestiner/Williams 1978, 225; Palmer 1975,101; Bridenback/Palmer/Planchard 1979,570; Dellapa 1977,241; Pines 1977,1211. 20 Dellapa 1977, 242; Salas / Schneider 1979,175; Snyder 1978, 751; Palmer 1975,102.
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
253
Eine der Verfahrensarten, deren sich die amerikanischen Schlichtungsprogramme bedienen, ist die Vermittlung (mediation) zwischen den Parteien. Das Vermittlungsverfahren gewährt den Parteien ein großes Maß an Autonomie bei der Konfliktlösung und ist bemüht, ihre Willensfreiheit nicht durch die Ausübung direkten Zwangs auszuschalten oder zu beeinträchtigen 23. Die beteiligten Parteien stehen als Hauptakteure im Mittelpunkt des Verfahrens. Ihnen obliegt es, selbst Möglichkeiten zur Beilegung ihres Konflikts auszuarbeiten. Der Vermittler hat nur die Aufgabe, ihre Kommunikation zu leiten und zu erleichtern, und ist allenfalls befugt, den Beteiligten Lösungsvorschläge zu unterbreiten, die freilich in keiner Weise verbindlich sind. Wenn die Parteien sich nicht einigen können, scheitert das Verfahren. Der Schlichter hat keinerlei Entscheidungsbefugnis. Die Teilnahme an dem Verfahren ist freiwillig. Ebenso bleibt es dem guten Willen der Betroffenen überlassen, sich an die erzielten Vereinbarungen zu halten. Der abgeschlossene Vergleich ist nicht vollstreckbar. Dies unterscheidet das Vermittlungsverfahren vom deutschen Sühneverfahren. Um dennoch eine Befolgung der Vereinbarungen zu erreichen, sind in den Vermittlungsprojekten der USA Nachfolge- (follow-up-) Verfahren entwickelt worden. Zum einen werden die Parteien angeregt, sich erneut an die Schlichtungsstelle zu wenden, wenn sich ihre Abmachungen als unpraktikabel erweisen sollten. Zum anderen überprüft die Schlichtungsstelle von sich aus die Einhaltung der Vereinbarungen durch schriftliche oder telefonische Rückfragen oder Hausbesuche bei den Beteiligten. Schließlich wird häufig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine „Bewährungszeit" festzulegen. Die formelle Strafverfolgung wird nicht sofort nach Abschluß eines Vergleichs eingestellt, sondern ruht für eine gewisse Probezeit, häufig drei bis sechs Monate. Zu einer endgültigen Einstellung kommt es erst, wenn diese Frist verstrichen ist, ohne daß gegen die erzielte Vereinbarung verstoßen wurde. Wird die Übereinkunft gebrochen, so kann die Strafverfolgung (wieder-)aufgenommen werden. Auch das Vermittlungsverfahren ist also nicht völlig frei von Zwang. Vielmehr wird auf die Beteiligten ein indirekter Druck ausgeübt, sich an die erarbeiteten Abmachungen zu halten. Zweck des Vermittlungsverfahrens ist es, kriminelle Streitigkeiten so beizulegen, wie es der Gerechtigkeitssinn der Beteiligten verlangt. Gleichzeitig soll einem Wiederaufleben des Konflikts vorgebeugt werden, indem seine Ursachen erforscht werden 24 . Dem einzelnen kriminellen Vorfall, der das Verfahren veranlaßt hat, wird nur eine begrenzte Bedeutung eingeräumt. Formelle Regeln werden weitgehend außer acht gelassen. Das Vermittlungsverfahren will kein informelles Abbild des gerichtlichen Verfahrens sein. Es geht ihm nicht um die Ermittlung von Tatsachen und das Erkennen von Verantwortlichkeit und 21 22 23 24
Marshall 1984, 11 f. Marshall 1984, 24 ff. Alper/Nichols 1981, 129ff. Felestiner/ Williams 1978, 227.
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
Schuld. Gegenstand des Verfahrens sind vielmehr die Gefühle und Einstellungen der Parteien, die Ursachen für die gegenwärtige Störung ihrer Beziehungen und die Suche nach Möglichkeiten zum Ausgleich dieser Störungen und ihrer künftigen Vermeidung 25 . Viel stärker als das deutsche Sühneverfahren setzt das amerikanische Vermittlungsverfahren daher das Bestehen enger sozialer Beziehungen zwischen den Parteien voraus. Sein Erfolg ist überwiegend von dem Ausgleichswillen der Beteiligten abhängig. In seinem Ablauf ähnelt es eher der klientenzentrierten Gesprächstherapie, die die Achtung vor den Werten und Bedürfnissen des Klienten betont und vom Therapeuten ein einfühlendes Verstehen der subjektiven Welt des Gesprächspartners verlangt 26 . Die Beteiligten werden ermutigt, ihre im Zusammenhang mit dem Konflikt stehenden Gefühle auszudrücken. Der Vermittler ist bemüht, sich in die Sichtweisen und Gefühle der Parteien hineinzuversetzen. Er muß den Konflikt aus der Sicht der Beteiligten sehen können und darf nicht versuchen, ihr Verhalten im Sinne seines eigenen Wertsystems zu beurteilen oder zu beeinflussen. Nicht der Vermittler muß mit einer erzielten Vereinbarung einverstanden sein und sie für „richtig" halten. Sie muß vielmehr den Bedürfnissen der Parteien entsprechen, die mit ihr leben müssen. Eines der ältesten Vermittlungsprogramme in den USA ist das „Night Prosecutor's Program" (ein von der Staatsanwaltschaft geschaffenes Programm zur vorgerichtlichen Konfliktregelung in Abendsitzungen) in Columbus, Ohio, das seit 1972 besteht und vielen anderen Vermittlungsstellen als Vorbild gedient h a t 2 7 . Es steht unter der Aufsicht und Leitung der örtlichen Staatsanwaltschaft. Als Schlichter werden Jurastudenten tätig, die sich freiwillig zur Verfügung gestellt haben und in Vermittlungstechniken geschult worden sind. Die zu verhandelnden Fälle werden dem Programm von der Staatsanwaltschaft zugewiesen. Das Verfahren ist zur Reaktion auf kleinere Straftaten geschaffen, die aus zwischenmenschlichen Konflikten entspringen. Die Vermittlungsverhandlung findet ein bis zwei Wochen nach der Tat statt. Neben dem Opfer und dem Beschuldigten können auch deren Freunde oder andere interessierte Personen ihres sozialen Nahraums an ihr teilnehmen. Die Anhörung findet außerhalb der üblichen Bürostunden nach Feierabend oder an Samstagen statt, um den Betroffenen eine Beteiligung zu erleichtern. Die Verhandlungen werden im örtlichen Polizeipräsidium durchgeführt. Dieser Ort ist mit Absicht gewählt, um den Parteien die Ernsthaftigkeit des Verfahrens zu verdeutlichen. I n der Verhandlung wird versucht, die Probleme der Parteien durch Diskussion und freiwillige Vereinbarungen zu lösen. Häufig werden die Beteiligten an Sozialdienste weitergeleitet oder an Sozialarbeiter verwiesen, die im Stab des Projektes mitarbeiten. Von der Möglichkeit, eine informelle „Bewährungsfrist" festzuset25
Snyder 1978, 740. Vgl. zu deren Grundlagen Rogers 1951 und als Sekundärliteratur Pervin 1981,243 ff. 27 Palmer 1975, lOOff.; Alper/Nichols 1981, 133ff.; Bridenback/Palmer/Planchard 1979, 571; Blau 1976, 50. 26
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer G e w a l t 2 5 5 zen, wird ebenfalls oft Gebrauch gemacht. Zu den am häufigsten verhandelten Fällen gehören Mißhandlungen, die von Männern an ihren Ehefrauen oder Lebenspartnerinnen begangen werden 28 . Das Programm beruht auf dem Konzept der „Opferkonfrontation". Der Täter soll dazu veranlaßt werden, sich mit dem Opfer, seinen Einstellungen und Gefühlen auseinanderzusetzen. A u f diese Weise soll es dem Täter schwerer gemacht werden, seine Tat durch die Beschuldigung und Herabwürdigung des Opfers, durch Leugnung seiner Schäden und die Verweigerung einer Wahrnehmung seiner Gefühle zu rechtfertigen. Alleine durch dieses Abschneiden von Neutralisationsmechanismen, die dem Angreifer helfen, seine Schuldgefühle abzubauen oder von vornherein zu unterdrücken, kann schon ein wesentlicher Beitrag zur sekundären Vorbeugung gegenüber weiteren Angriffen geleistet werden. Von September 1972 bis August 1973 wurden dem Projekt 3626 Fälle zugewiesen 29 . In 37% dieser Fälle erschienen die Parteien nicht zu dem festgesetzten Termin. Anhörungen wurden in 63 % der Fälle durchgeführt. Nur in 2 % der ursprünglich überwiesenen Fälle kam es schließlich doch zu einem Strafverfahren. A u f diese Weise konnten fast 90 % der Kosten eingespart werden, die durch eine offizielle Strafverfolgung entstanden wären. Diese Zahlen geben freilich nur in bedingtem Maße Aufschluß über den Erfolg des Verfahrens bei der Lösung zwischenmenschlicher Konflikte. Immerhin ist die ermittelte „Rückfall"-quote sehr gering. Der Anteil von Fällen, in denen das Opfer den Beschuldigten erneut wegen ähnlicher Angriffe anzeigte, lag bei 2,5%. Die Anzahl der dem Projekt jährlich überwiesenen Fälle hat sich im Laufe seines Bestehens vervielfacht. Ein stärker gemeinschaftsorientiertes Projekt ist der „Dorchester Urban Court" (Stadtgericht Dorchester) in Boston, Massachusetts 30 . Er wird hauptsächlich von der „ L a w Enforcement Assistance Administration" (Verwaltung zur Unterstützung der Praxis der Strafrechtspflege) des Justizministeriums der Vereinigten Staaten und den Strafjustizbehörden der Stadt Boston finanziert, arbeitet aber im wesentlichen selbständig gegenüber den Strafverfolgungsorganen. Eine der drei Abteilungen des „Urban Court" befaßt sich mit der Schlichtung von strafrechtlich relevanten Streitigkeiten. Die für ein Vermittlungsverfahren in Betracht kommenden Fälle werden der Schlichtungsabteilung von der Staatsanwaltschaft, den Gerichten, der Polizei, den Sozialbehörden oder den Konfliktparteien selbst gemeldet. Formelle Kriterien dafür, welche Fälle an die Vermittlungsstelle verwiesen werden sollen oder können, gibt es nicht. Die Durchführung der Verhandlung ist von einem schriftlichen Einverständnis der Parteien abhängig. Durch ihre Einverständniserklärung gehen sie keinerlei Verpflichtung zur Teilnahme an der Verhandlung ein. Die Sitzung findet ein bis zwei Wochen nach der Erteilung des Einverständnisses der Beteiligten statt. Sie wird von einem Schlichterkollegium, also mehreren 28 29 30
Palmer 1975, 104. Palmer 1975, 106f.; Alper/Nichols 1981, 135. Snyder 1978, 737ff.; Alper/Nichols 1981, 138ff.
256
D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
Schlichtern gemeinsam, geleitet, die nach Möglichkeit in Alter, Geschlecht, Rasse, beruflichem Hintergrund und Familienstand den streitenden Parteien entsprechen sollen. Es handelt sich dabei um ehrenamtlich tätige Laien, die zuvor an besonderen Schulungskursen teilgenommen haben. Die Parteien dürfen ihre Zeugen sowie andere interessierte Personen mitbringen. Anwälte sind zwar zugelassen, werden aber nicht gerne gesehen. Es wird befürchtet, daß Anwälte die Parteien und die Schlichter in ihrem Bemühen um eine Einigung behindern. Wie alle Vermittlungsverhandlungen ist die Sitzung nicht öffentlich. Darüber hinaus wird den Beteiligten auch Vertraulichkeit zugesichert. Die in der Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse werden nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet. Die Parteien müssen selbst zu einer Vereinbarung gelangen, deren Einhaltung nicht gerichtlich erzwingbar ist. Die erzielte Vereinbarung kann auch eine Verpflichtung zur Teilnahme an Therapien oder zur Inanspruchnahme sozialer Hilfsdienste vorsehen. Die Befolgung der Übereinkunft wird von der Schlichtungsstelle überwacht. Sofern der Fall von einem Strafverfolgungsorgan dem Vermittlungsverfahren zugeleitet wurde, wird die entsprechende Stelle über Abschluß und Inhalt des Vergleichs informiert. Die Strafverfolgung wird dann nach Ablauf von zwei bis drei Monaten der Bewährung endgültig eingestellt. Konnte kein Vergleich erreicht werden oder erweist sich die erzielte Vereinbarung auch nach wiederholter Schlichtung als unpraktikabel, so wird der Fall an die Strafverfolgungsorgane zurückgegeben. Wenn das Vermittlungsverfahren auf Veranlassung der Sozialdienste oder der Betroffenen durchgeführt worden ist, werden bei seinem Scheitern keine weiteren Schritte unternommen. Die Strafverfolgungsbehörden werden in diesen Fällen nicht informiert. In den ersten zwei Jahren ihres Bestehens wurden der Vermittlungsstelle des „Dorchester Urban Court" 638 Fälle übermittelt. Diese vergleichsweise geringe Inanspruchnahme wird auf den Widerstand der örtlichen Polizeigewerkschaft gegen die Vermittlungsstelle zurückgeführt. In 438 ( = 69%) dieser Fälle wurde eine Vermittlungsverhandlung durchgeführt. 87 % ( = 381) der verhandelten Streitigkeiten konnten durch Vergleich beigelegt werden. Der erzielte Vergleich wurde wiederum in 85% ( = 324) dieser Fälle während der Bewährungszeit eingehalten. Insgesamt gelang also in etwa der Hälfte der ursprünglich 638 Fälle eine dauerhafte Konfliktlösung 31 . Bei 35 % der an das „Stadtgericht" weitergeleiteten Fälle handelte es sich um Familienstreitigkeiten. Sie bildeten damit die größte Einzelgruppe gemeldeter Delikte. Hierzu gehörten auch Fälle der Gewalt gegen Eltern. Das „Dade
County
Citizen
Dispute
Settlement
Center
(CDSC)"
(Dade
County Zentrum zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Bürgern) in Miami, Florida, arbeitet seit Mai 1975 32 . Es ist von den Strafverfolgungsorganen sachlich weitgehend unabhängig und in seiner Gestaltung gemeinschaftsorientiert. Das Verfahren setzt die freiwillige Mitarbeit der Parteien voraus. 31 32
Bridenback/Palmer/Planchard 1979, 572. Dellapa 1977, 239ff.; Salas/Schneider 1979, 174ff.
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
257
Gegenüber den bereits dargestellten Vermittlungsprogrammen weist es zwei entscheidende Besonderheiten auf. Es setzt als Schlichter berufsmäßige Berater, wie Psychologen, Soziologen und Juristen, ein, die aus der örtlichen Gemeinschaft stammen. Trotz dieser Beteiligung professioneller Schlichter ist es nicht Ziel des Programms, die Vermittlungsgespräche zu therapeutischen Beratungssitzungen auszubauen. Die Schlichter verfolgen erklärtermaßen nicht die Absicht, die Parteien zu „versöhnen". Sie wollen die Beteiligten vielmehr nur dazu bringen, ihre Probleme durchzusprechen, die Wirklichkeit besser wahrzunehmen und die Gefühle und Ansichten des jeweils anderen zu verstehen und zu achten. Wenn eine Therapie oder andere weitergehende Hilfen erforderlich scheinen, werden die Betroffenen an die zuständigen Stellen, z.B. an Ärzte, Psychologen, Selbsthilfegruppen, aber auch an Arbeits-, Wohnungs- und Sozialämter weitergeleitet. Auf diese Weise soll eine langfristige Betreuung gewährleistet werden. 1976 behandelte das Dade County Zentrum 3293 Fälle. In 28 % dieser Fälle konnte keine Verhandlung stattfinden, da die Parteien nicht erschienen. Dieser Anteil ist im Vergleich zu anderen Schlichtungsprojekten verhältnismäßig niedrig, aber gleichwohl beträchtlich. Zur Auswertung der Erfolge des Zentrums liegt eine Studie aus dem Jahre 1977 vor 3 3 . Es wurde eine Nachbefragung der Parteien in 197 während eines Monats verhandelten Fällen durchgeführt. Bei 40% dieser Fälle handelte es sich um Gewalt (24%) oder seelische Quälereien und Belästigungen (16%) innerhalb der Familie. Diese Familienkonflikte machten damit die größte Einzelgruppe aller verhandelten Sachen aus. 69,6 % aller befragten Beschuldigten und 61,4 % ihrer Beschuldiger waren mit dem Ergebnis der Verhandlung wenigstens teilweise zufrieden. Von den an familiärer Gewaltanwendung beteiligten Personen äußerten sogar 76 % Zufriedenheit. 63,4% der Beschuldigten und 57,8% der Beschuldiger erwarteten, daß die erzielten Vereinbarungen in zufriedenstellender Weise eingehalten würden. Der Optimismus der Beteiligten von Familienkonflikten war dabei besonders hoch. Auch die Mitarbeiter des Zentrums glaubten, daß das Programm in Familienkonflikten den meisten Nutzen erbringt. Ob die erzielten Vergleiche tatsächlich eingehalten wurden, konnte allerdings auch in der genannten Studie nicht zuverlässig ermittelt werden. cc) Der Einfluß gestalterischer Unterschiede auf die präventiven Erfolgsaussichten der Verfahrensmodelle
Bei der Gestaltung eines Verfahrens zur vorgerichtlichen „Diversion" familiärer Gewalttaten müssen Erfahrungen mit den dargestellten Verfahrensmodellen berücksichtigt werden. Es ist deshalb notwendig, die Erfolgsaussichten der Verfahren bei der Vorbeugung gegenüber Gewalt in der Familie zu untersuchen und sie mit gestalterischen Merkmalen der Modelle in Verbindung zu bringen. Die Erfolge der amerikanischen Vermittlungsprojekte und des deutschen Sühneverfahrens bei der Vorbeugung familiärer Gewaltanwendung müssen 33
1
Salas/Schneider 1979, 174 ff. U . Schneider
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
dabei nicht nur an dem Beitrag gemessen werden, den sie zum Abbau akut gewaltverursachender Familienkonflikte leisten. Es muß auch die Frage gestellt werden, inwieweit die Verfahren an der Regelung der familiären Beziehungen und Kommunikationsprozesse auf Dauer gewaltvorbeugend mitwirken können. Schließlich müssen ihre Erfolgschancen im Hinblick auf eine Verringerung des Dunkelfelds bei Gewalt in der Familie geprüft werden. Die bereits erwähnten „Erfolgsstatistiken" 34 lassen vielfach nur erkennen, in welchem Maße die einzelnen Verfahren durch informelle „Erledigung" von Streitsachen zur Entlastung der Gerichte beigetragen haben. Sie geben demgegenüber kaum Auskunft darüber, ob die erzielten Vereinbarungen tatsächlich Konflikte abbauen und ihr künftiges Auftreten verhindern. Teilweise wird sogar der Erfolg der Verfahren gleichgesetzt mit dem Ausmaß ihrer Filterwirkung. Alle Fälle, die nicht zu den Gerichten gelangen, gelten als erfolgreich abgeschlossen35, gleichviel ob die Parteien überhaupt an einem Verfahren teilgenommen oder auch ohne eine solche Teilnahme weitere Schritte zur Strafverfolgung unterlassen haben. Die verfügbaren Daten lassen auch nicht zuverlässig erkennen, ob die Verfahren zur Verminderung des Dunkelfelds beitragen. Eine Einschätzung ihrer Erfolgschancen in Abhängigkeit von bestimmten gestalterischen Merkmalen der Verfahren muß sich daher auch wesentlich auf theoretisch begründete Annahmen stützen. (1) Erfolgsaussichten bei der Regelung akuter Familienkonflikte (a) Die Inanspruchnahme des Sühneverfahrens und der Vermittlungsprojekte bei Familienkonflikten und die Bereitschaft der Betroffenen zur Mitwirkung an den Verfahren Die Erfolgsaussichten eines vorgerichtlichen Schlichtungsverfahrens im Hinblick auf eine Beilegung akuter gewaltsamer Familienkonflikte hängen zunächst von dem Grad seiner Inanspruchnahme durch die Betroffenen und von ihrer Bereitschaft ab, bei den Verhandlungen zu erscheinen und an ihnen mitzuwirken. Einerseits werden die gemeinschaftsorientierten Verfahrensprojekte besonders in Fällen familiärer Gewaltanwendung und bei anderen Familienproblemen in Anspruch genommen. Für das Dade County Schlichtungszentrum und die Vermittlungsabteilung des „Stadtgerichts" in Dorchester bilden diese Fälle jeweils die größte Einzelgruppe von verhandelten Konflikten 3 6 . Demgegenüber erweist sich das deutsche Sühneverfahren, was den Anteil der verhandelten Familienstreitigkeiten betrifft, als ausgesprochen unattraktiv für die Betroffenen 37 . Andererseits leiden die gemeinschaftsorientierten Projekte größtenteils 34 35 36 37
Vgl. oben D IV 4 b) aa) und bb). Vgl. Dellapa 1977, 242. Snyder 1978, 762; Salas/Schneider 1979, 177. Vgl. oben D IV 4 b) aa).
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
259
an einer hohen Nichtteilnahmerate 38 . Die Parteien weigern sich, an einer Vermittlungsverhandlung mitzuwirken oder erscheinen nicht zu dem angesetzten Termin. Daß das Vorverfahren in diesen Fällen auch keine konfliktlösenden Erfolge erzielen kann, liegt auf der Hand. Die Teilnahmezahlen für das deutsche Sühneverfahren sehen demgegenüber wesentlich günstiger aus. In 89 % aller Strafsachen, in denen 1985 ein Sühneverfahren eingeleitet wurde, kamen beide Parteien zum Termin 39 . Die Unterschiede bei der Beanspruchung der Verfahren in familiären Konfliktfällen einerseits und bei den Teilnahmeraten andererseits sind auf die verschiedenartige Gestaltung der Verfahren zurückzuführen. Das Sühneverfahren ist ausschließlich als Vor- und Ersatzverfahren für ein formelles Privatklageverfahren geschaffen worden. Seine Durchführung ist daher sowohl im Hinblick auf seinen Zweck wie in der Praxis meist von der Entschlossenheit oder zumindest der Bereitschaft des Verletzten abhängig, eine formelle Strafverfolgung herbeizuführen. Da ein solcher Wille bei dem Opfer familiärer Gewaltanwendung in der Regel nicht vorhanden ist, gelangen diese Fälle gar nicht erst vor den Schlichter. Auch wenn der Wille des Opfers zur Erhebung der Privatklage für die Durchführung des Sühneverfahrens rechtlich nicht zwingend vorausgesetzt wird, muß der Verletzte immerhin die Initiative für die Einleitung des Verfahrens ergreifen. Gerade das Opfer familiärer Gewalttaten hat häufig weder die Möglichkeit noch die Entschlußkraft, sich mit der Bitte um Hilfe an die zuständige Vergleichsstelle zu wenden. Die Übertragung der Initiativlast auf den Verletzten ist daher eine Ursache für die geringe Inanspruchnahme des Sühneverfahrens zur Schlichtung gewaltsamer Familienkonflikte und widerspricht damit nicht nur den Schutzbedürfnissen des Opfers und der gewaltgefahrdeten Familie. Da Gewalt in der Familie erhebliche öffentliche Interessen schädigt, darf es auch nicht alleine von dem Tätigwerden des Opfers abhängen, ob der Staat kontrollierend und vermittelnd einschreitet. Indem es ein unaufgefordertes Tätigwerden der Vergleichsbehörden nicht vorsieht, ist das Sühneverfahren auf die Regelung von Konflikten zugeschnitten, die ausschließlich die Beteiligten betreffen. Für die Reaktion auf familiäre Gewaltanwendung ist diese Verfahrensgestaltung wenig geeignet. Einige der amerikanischen Schlichtungsprojekte übernehmen demgegenüber selbst die Initiative für die Einleitung eines Verfahrens. Die betroffene Familie kann sich nicht nur aus eigenem Antrieb an die Vermittlungsstelle wenden. Die Vergleichsstelle wird vielmehr auch auf Veranlassung dritter Personen, etwa Nachbarn oder Verwandten der Familie, oder der Staatsanwaltschaft tätig und tritt selbst mit einem Vermittlungsangebot an die Familie heran 40 . Hierdurch werden die Einfluß- und Wirkungsmöglichkeiten der Schlichtungsprojekte gesteigert und ihr Wirkungsgrad in Fällen 38
Vgl. Salas/Schneider 1979, 176; Alper/Nichols 1981, 114, 138; Palmer 1975, 107; Snyder 1978, 764. 39 Geschäftsübersicht 1985, Schiedsmannszeitung 1986, 138 f. 40 Vgl. Snyder 1978, 752 f. 1*
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
familiärer Gewaltanwendung im Interesse eines verbesserten Opfer- und Familienschutzes und der Wahrung von Belangen der Allgemeinheit erhöht. Hinsichtlich der Teilnahme der Parteien an der Verhandlung erreicht das Sühneverfahren bessere Ergebnisse als die gemeinschaftsorientierten Vermittlungsprojekte, weil das deutsche Verfahrensrecht einen direkten „Sühnezwang" auf die Beteiligten ausübt. Dem Beschuldigten wird eine Pflicht zur Wahrnehmung des Sühnetermins auferlegt; der Verletzte kann erst nach dem Scheitern des Sühneverfahrens Privatklage erheben. Da das Opfer familiärer Gewaltanwendung selten eine Privatklage anstrebt, trägt der „Sühnezwang" nur wenig dazu bei, den eingeschränkten Wirkungsgrad des Sühneverfahrens bei Gewalt in der Familie zu erhöhen. Er kann darüber hinaus die Rechte des Beschuldigten und des Opfers beeinträchtigen und der Effektivität der Verhandlung abträglich sein. Der Beschuldigte muß sich einem Verfahren unterziehen, das ihm nicht die rechtlichen Garantien eines ordentlichen Strafverfahrens bietet. Zwar kann er nicht zu Strafe verurteilt werden. Auch wird keine Feststellung seiner Schuld getroffen. Er wird indessen möglicherweise dazu gedrängt, belastende Vergleichsbedingungen zu akzeptieren, obwohl er im strafrechtlichen Sinne unschuldig ist. Der Verletzte kann gezwungen sein, an einer völlig aussichtslosen Sühneverhandlung teilzunehmen, nur um nach deren Scheitern Privatklage erheben zu dürfen. Auch wird er häufig veranlaßt, sich mit einem wankenden Vergleich zu begnügen, anstatt auf einer Strafverfolgung zu beharren, die ihm möglicherweise einen stärkeren Schutz vor weiteren Angriffen bieten würde. Die zwangsweise Vorschaltung einer Sühneverhandlung macht es dem Opfer schwieriger, strafrechtlichen Schutz zu erlangen. Dies ist insbesondere in Fällen familiärer Gewaltanwendung bedenklich. Einerseits ist hier das Opfer häufig besonders stark und dauerhaft bedroht. Andererseits hat es nur selten die Kraft und den Willen, die Hürden zu überwinden, die ihm den Zugang zu den Gerichten versperren. Der Sühnezwang kann daher zu einer unangemessenen Belastung und Gefahrdung des durch Gewalt in der Familie Verletzten führen. Er kann außerdem die Bereitschaft der Betroffenen mindern, sich in kooperativer Weise an der Suche nach einem Ausgleich zu beteiligen, und ihr Mißtrauen gegenüber dem Schlichter und dem Verfahren wecken. Die Teilnahme an einem vorgerichtlichen Schlichtungsverfahren muß demnach gerade in Fällen familiärer Gewalttaten dem freien Willen der Beteiligten anheimgestellt werden, um die dargestellten rechtlichen und tatsächlichen Belastungen zu vermindern und die Einigungsbereitschaft der Parteien zu erhöhen. Die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Schlichtung wird in vielen gemeinschaftsorientierten Vermittlungsprojekten stark betont. Sie ist der notwendige Ausgleich für die Übernahme der Verfahrensinitiative durch die Vergleichsstellen, indem sie dafür sorgt, daß der betroffenen Familie nicht in rechtsstaatlich bedenklicher Weise Hilfsangebote aufgedrängt werden und durch wenig erfolgversprechende „Zwangsschlichtungen" in Familienkonflikte eingegriffen wird. Die Hervorhebung der freiheitlichen Gestaltung des Vermittlungsverfahrens darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die eingeräum-
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
261
te Freiheit und Selbstverantwortlichkeit immer nur relativ sein kann. Der Vermittlungsprozeß ist kein „allgemeines und unverbindliches Konfliktlöseverfahren", jedenfalls nicht soweit er Gewalt in der Familie erfaßt. Er ist vielmehr ein Weg zur „Diversion" familiärer Gewaltanwendung. Innerhalb eines Diversionsverfahrens kann eine vollkommene Zwangsfreiheit nicht gewährleistet werden 41 . Teilweise steht die Drohung einer eventuellen Strafverfolgung im Hintergrund, wenn sich die Parteien für die Mitwirkung an einem Diversionsverfahren entscheiden. Die Ambivalenz des Vermittlungsverfahrens zwischen Freiwilligkeit und Zwang wird zwar stellenweise kritisiert 42 . Gerade bei der Kontrolle familiärer Gewalttaten hat die „motivierende" Wirkung der drohenden Strafverfolgung aber auch positive Bedeutung. Unverbindliche private oder staatliche Hilfsangebote nimmt die gewaltbelastete Familie häufig nicht an 4 3 . Die Drohung der Strafverfolgung darf freilich nicht so übermächtig sein, daß sie die Vorverhandlung blockiert. Die Beteiligten müssen die Gelegenheit behalten, sich vertrauensvoll und frei vor dem Schlichter auszusprechen. Der sekundärpräventive Erfolg des Verfahrens ist in Frage gestellt, wenn die Parteien befürchten müssen, daß die im Vorverfahren gewonnenen Erkenntnisse in einem möglicherweise doch noch folgenden Strafverfahren gegen sie verwendet werden. Einige Vermittlungsprojekte sichern den Beteiligten daher die Vertraulichkeit des Verfahrens zu. Die Strafverfolgungsbehörden werden lediglich darüber in Kenntnis gesetzt, ob die Parteien sich einigen konnten und welchen Inhalt ihre Übereinkunft gegebenenfalls hat. Die Vertraulichkeit des Verfahrens ermutigt die Parteien nicht nur, an der Schlichtung teilzunehmen. Sie dient auch ganz entscheidend der Sicherung der Rechte des Beschuldigten. Es wird verhindert, daß er sich durch Erklärungen belastet, die er in einem Verfahren abgegeben hat, das ihm nicht die rechtlichen Sicherheiten des ordentlichen Strafverfahrens bietet. Da das Diversionsverfahren nicht das Ziel hat, Schuld zu ermitteln, dürfen die Aussagen der Beteiligten in diesem Verfahren nicht verwertet werden, um in einem späteren Strafverfahren Schuld festzustellen. Die Vertraulichkeit der Schlichtungsverhandlung muß deshalb nicht nur aus Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern auch aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit gewährt werden. Die erforderliche Kontrolle der Justizbehörden über die „Diversion" wird durch die vertrauliche Handhabung des Vermittlungsverfahrens nicht untergraben. Die Strafverfolgungsorgane werden über das Ergebnis der Schlichtung und gegebenenfalls über den Inhalt des geschlossenen Vergleichs in Kenntnis gesetzt. Sie erhalten damit diejenigen Informationen, die sie für ihre Entscheidung über Aufnahme, Fortführung oder Einstellung des formellen Strafverfahrens benötigen und haben die Möglichkeit, eine Erfolgskontrolle auszuüben. Demgegenüber ist es nicht Sinn des Schlichtungsverfahrens, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten zusätzliche Erkenntnisse zu 41 42 43
Vgl. oben D IV 3 b) aa). Vgl. Felestiner/ Williams 1978, 244. Vgl. oben Β I I I 1 d), 2 d) und e).
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
verschaffen, die die Strafverfolgungsorgane nicht durch eigene Untersuchungen ermittelt haben. Die Verfahrensgrundsätze der Freiwilligkeit und der Vertraulichkeit erweitern die Wirkungsmöglichkeiten der Schlichtungsstelle und ermöglichen es dem Vermittlungsverfahren, eine doppelte Funktion zu erfüllen. Ein vertraulich arbeitendes Vermittlungsprojekt kann einerseits im Rahmen der „Diversion" tätig werden und Fälle übernehmen, die ihm von den Strafverfolgungsorganen überwiesen werden. Andererseits bietet es den Beteiligten grundsätzlich die Gelegenheit, sich direkt an die Schlichtungsstelle zu wenden, ohne daß notwendigerweise die Staatsanwaltschaft von der Angelegenheit erfährt. Insoweit hat das Vermittlungsverfahren den Charakter eines Angebots an die gewaltbelastete Familie. Der Angebotscharakter der Schlichtung außerhalb der Strafverfolgung hat freilich den Nachteil, daß die Parteien das Vermittlungserbieten als unverbindlich betrachten 44 . Dies drückt sich in den hohen Nichtteilnahmeraten der amerikanischen Vermittlungsprojekte aus. Das Verfahren kann nicht immer durchgeführt werden, wenn es notwendig ist, sondern nur dann, wenn die Parteien aus freien Stücken bereit sind, das staatliche Vermittlungsangebot anzunehmen. Da nur innerhalb der staatlichen Strafverfolgungstätigkeit ein gewisser Druck auf die Parteien ausgeübt wird, an einer Vermittlungsverhandlung teilzunehmen, ist die Intensität der Kontrolle, die durch außer- und vorgerichtliche Schlichtungsprojekte im Bereich der Gewalt in der Familie erreicht werden kann, nicht nur von der Attraktivität des Vermittlungsangebots für die Betroffenen, sondern auch von der Intensität der Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane abhängig. Soweit das Schlichtungsverfahren einen Angebotscharakter hat, kann ihm mehr Nachdruck verliehen werden, wenn die Parteien mit der Erklärung ihres Einverständnisses in die Durchführung der Vermittlung gleichzeitig die verbindliche Verpflichtung eingehen, an dem geplanten Verfahren auch tatsächlich teilzunehmen. Auf diese Weise können die Freiheitlichkeit des Verfahrens und die Rechte der Betroffenen hinreichend gewahrt werden. Gleichzeitig wird jedoch verhindert, daß die Parteien nach erteilter Zustimmung „es sich noch einmal anders überlegen". M i t dieser Maßnahme soll unnötiger Verwaltungsaufwand bei der Vorbereitung von Vermittlungsverhandlungen eingespart werden, die dann doch nicht stattfinden. Die ursprünglich erteilte Zustimmung zum Verfahren zeigt an, daß bei den Parteien ein Bedarf nach Schlichtung besteht. An diesem Eingeständnis ihrer Probleme sollen die Betroffenen zu ihrem eigenen Schutz vor künftigen gewaltsamen Konflikten festgehalten werden. Indem von den Parteien eine verbindliche Verpflichtung zur Teilnahme an der Vermittlungsverhandlung verlangt wird, bekommen sie gleichzeitig die Bedeutung und Ernsthaftigkeit des Verfahrens vor Augen geführt. So kann dem Problem des Nichterscheinens vorgebeugt werden, das vielfach die Wirksamkeit der gemeinschaftsorientierten Vermittlungsprojekte beeinträchtigt. 44
Vgl. oben Β I I I 1 d), 2 d) und e).
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(b) Die Regelung von Konflikten in der Verhandlung Gemessen an der Anzahl der erzielten Vergleiche erreicht das Sühneverfahren seine geringsten Erfolge bei der Schlichtung von Verwandtschaftskonflikten. Allgemein erweist es sich bei der Vermittlung in länger schwelenden Streitigkeiten als wenig wirksam 45 . Seine Aussichten, bei gewaltsamen Familienkonflikten die Parteien zu einer Übereinkunft zu bewegen, sind daher gering. Demgegenüber werden dem Vermittlungsverfahren gerade bei Konflikten innerhalb der Familie gute Erfolgschancen eingeräumt 40 . Eine Ursache hierfür ist in der vergleichsweise besseren Ausbildung und Auswahl der Schlichter zu sehen, die in den Vermittlungsprojekten eingesetzt werden 47 . Die im deutschen Sühneverfahren vielfach ehrenamtlich tätigen Schiedsleute können die Parteien nur vor dem Hintergrund ihrer Lebenserfahrung beraten. Eine systematische Schulung von Schiedsleuten findet in der Bundesrepublik nicht statt. Der Bund Deutscher Schiedsmänner führt zwar Ausbildungskurse durch, die aber nicht alle Schiedsleute erfassen. Die Interaktionen und Konflikte, die familiärer Gewaltanwendung zugrunde liegen, sind für den ungeschulten Laien oft nicht nachvollziehbar und verständlich, zumal die als Schiedsleute tätigen Personen weder in ihrer Alters- noch in ihrer Geschlechtsstruktur ihren Klienten entsprechen. So waren beispielsweise in Nordrhein-Westfalen im Jahre 1981 mehr als 1400 Schiedsleute tätig, von denen nur 46 Frauen waren 48 . Frauen sind aber sowohl als Täter wie als Opfer stark an Gewalt in der Familie beteiligt. Sofern in den amerikanischen Vermittlungsprojekten ehrenamtliche Schlichter eingesetzt werden, müssen sie meist zuvor ein Trainingsprogramm absolvieren, das auch eine psychologische Schulung umfaßt. Darüber hinaus werden teilweise Versuche unternommen, Schlichter und Parteien zu „parallelisieren", das heißt die Schlichter so auszuwählen, daß sie den Parteien in Alter, Geschlecht, Rasse und Berufsstand entsprechen. Auf diese Weise soll die Verständigung zwischen den Parteien und den Schlichtern erleichtert werden. Schließlich werden in einigen Projekten professionelle Berater, also ζ. B. Psychologen, als Schlichter oder als Leiter der Schlichtungsstellen tätig. Aufgrund ihrer Ausbildung sind sie der Handhabung schwerer und komplexer zwischenmenschlicher Konflikte eher gewachsen als ungeschulte Laien, die sich auf ihren „gesunden Menschenverstand" verlassen müssen. Da sie über therapeutische Angebote informiert sind, können sie die Parteien besser hinsichtlich notwendiger und erfolgversprechender Therapiemöglichkeiten beraten. Das Dade County Schlichtungszentrum beschäftigt berufsmäßige Schlichter. Die Erfolgsaussichten des Zentrums bei der Lösung von Familienkonflikten werden besonders günstig eingeschätzt. Diese Beurtei45
Falke 1977, 85. Salas/Schneider 1979, 181 f. 47 Die von Weigend 1984, 773 f. geübte Kritik trifft nur auf einen Teil der amerikanischen Vermittlungsprojekte zu, läßt sich demgegenüber auf das deutsche Sühneverfahren übertragen. 48 Donnepp 1981, 117. 46
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lung beruht zumindest teilweise auf der Erwartung, daß berufsmäßige Vermittler eine bessere Chance haben, zur Lösung gewaltsamer Familienkonflikte beizutragen als ehrenamtlich tätige, ungeschulte Schiedsleute. (2) Die Dauerhaftigkeit der Konfliktregelung und ihre Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Vorbeugung gegenüber weiteren Gewalttätigkeiten Eine von einem berufsmäßigen Schlichter geleitete, freiwillige und vertrauliche Vermittlungsverhandlung scheint insgesamt am besten geeignet, akute Familienkonflikte zu regeln. Die Lösung akuter Konflikte ist gleichwohl zumeist kaum ausreichend, um weiterer familiärer Gewaltanwendung vorzubeugen. Es ist anzunehmen, daß im Familienleben immer wieder neue Spannungen auftauchen, die beigelegt werden müssen. Der Einsatz von Gewalt ist ein Symptom für die mangelnde Fähigkeit der Familie, ihre Probleme in verbaler Kommunikation friedlich zu lösen. Ein Verfahren zur Regelung akuter Familienkonflikte soll den Beteiligten daher gleichzeitig Erfahrungen mit Kommunikationstechniken vermitteln, die sie später zur Bereinigung von erneut auftretenden Spannungen einsetzen können. Es muß von den streitenden Parteien eine aktive und tragende Mitwirkung an der Erarbeitung eines Vergleichs verlangen und ihnen damit Lernmodelle für Konfliktlösungstechniken bieten. Voraussetzung für das Erzielen entsprechender Lernerfolge ist allerdings, daß der Schlichter eine direkte Kommunikation zwischen den Parteien ermuntert und unterstützt. Das Sühne- und das Vermittlungsverfahren können die Beteiligten in die Versuchung bringen, nur oder vornehmlich über die Person des Schlichters miteinander zu verhandeln. Im Alltag steht der streitenden Familie indessen meist kein Mittler zur Verfügung, der ihr bei der Lösung ihrer Spannungen hilft. Die Angehörigen sind vielmehr auf eine direkte Verständigung miteinander angewiesen. Der Schlichter muß deshalb die Betroffenen zu einer direkten Kommunikation anleiten 49 . Auch aus diesem Grunde ist es wichtig, im Verfahren professionell geschulte Vermittler einzusetzen. Nicht der Schlichter, der die höchste Vergleichsrate erzielt, ist immer der beste, sondern derjenige, der den Betroffenen zeigt, wie sie ihre Probleme künftig selbst lösen können. Die Vermittlungsprojekte, die Berufsschlichter beschäftigen, haben insoweit wohl die besten Erfolgsaussichten. Die Gestaltung eines vorgerichtlichen Verfahrens zur Regelung gewaltsamer Streitigkeiten innerhalb der Familie muß berücksichtigen, daß Familienkonflikte, die mit gewaltsamen Angriffen unter Angehörigen einhergehen, meist sehr komplexer Natur und oft tief in der sozialen Entwicklung der einzelnen Familie, ihrer Beziehung zu ihrer Umwelt und der Lern- und der Persönlichkeitsgeschichte der Beteiligten verwurzelt sind. Sie können deshalb nicht in einer einzelnen Schlichtungsverhandlung gelöst werden. Die gestörte Familie braucht eine 49
Vgl. Felestiner/Williams 1978, 242.
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dauerhafte professionelle Betreuung. Wenn sich das Opfer familiärer Gewaltanwendung mit dem Täter versöhnt, bedeutet dies noch nicht, daß damit auch die der Tat zugrundeliegenden Spannungen gelöst sind. Es besteht die Gefahr, daß die in einer einzelnen Verhandlung vor einem ehrenamtlichen Schlichter erzielbare „Versöhnung" nur die bestehenden Konflikte verdeckt, aber nicht löst. Sie können jederzeit, insbesondere in Belastungssituationen, Wiederaufleben. Versprechungen und Entschuldigungen reichen nur in den leichteren und einfacheren Fällen familiärer Gewaltanwendung aus, um zu einer dauerhaften Konfliktregelung zu gelangen. Das Schlichtungsverfahren ist daher meist nur dann sinnvoll, wenn es die Weichen für eine längerfristige therapeutische Betreuung und Überwachung der Familie stellt. Dies ist in der Konzeption des Sühneverfahrens nicht vorgesehen. Es wird vielmehr davon ausgegangen, daß der erzielte Vergleich selbst bereits dazu angetan ist, Streitigkeiten beizulegen und Beziehungen zu regeln. Das Selbstverständnis der gemeinschaftsorientierten Vermittlungsprojekte ist den Realitäten demgegenüber vielfach besser angepaßt. Sie wollen oft nur eine erste Anlaufstelle für die konfliktbelasteten Parteien sein und den Streit wenigstens soweit beilegen, daß die akute Gefahr der Gewaltanwendung unter den Beteiligten gebannt ist. Im übrigen sehen sie es als ihre Aufgabe an, die Betroffenen an Stellen weiterzuleiten, die ihnen auf Dauer bei einer Lösung der Ursachen ihrer Konflikte behilflich sind. Wenn dem Opfer und der Familie wirksam geholfen werden soll, können die in einer vorgerichtlichen Schlichtung erreichten Vereinbarungen nur ein erster Schritt zu einer Umgestaltung konflikt- und gewaltverursachender Strukturen und Prozesse in der Familie sein. Auch seinen eingeschränkten Zweck einer Regelung akuter Konflikte und einer Vorstufe zu einem dauerhaften Abbau der Gewaltgefährdung einer Familie kann ein vor einem Schlichter erzielter Vergleich nur erreichen, wenn er von den Beteiligten eingehalten wird. Einige Vermittlungsprojekte sehen daher Verfahren zur Kontrolle der Beachtung der Vereinbarungen vor. Demgegenüber verläßt sich das Sühneverfahren darauf, daß die Parteien im Falle eines Verstoßes gegen die Übereinkunft die Zwangsvollstreckung betreiben können. Die im Grundsatz vorgesehene Möglichkeit einer Vollstreckung der Sühnevereinbarung reicht indessen gerade in Fällen familiärer Gewaltanwendung nicht aus, um die Einhaltung des Vergleichs sicherzustellen. Abgesehen davon, daß nur wenige Beteiligte familiärer Gewaltanwendung geneigt sind, gegen ein Familienmitglied zu vollstrecken, stößt eine Zwangsvollstreckung in solchen Fällen auch regelmäßig auf rechtliche Hindernisse. Aus dem Rechtsgedanken, der § 888 I I ZPO zugrunde liegt, läßt sich ableiten, daß Vereinbarungen, die das intime familiäre Zusammenleben betreffen, nicht vollstreckbar sind. Eine Durchsetzung solcher Vereinbarungen durch die Verhängung von Zwangsgeldern wäre auch kaum geeignet, die Eintracht innerhalb der Familie herzustellen. Ebensowenig darf die etwa übernommene Verpflichtung, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen, vollstreckt werden. Eine solche Verpflichtung greift tief in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen ein und
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kann daher nur freiwillig angenommen und erfüllt werden. Außerdem erfordert eine psychotherapeutische Behandlung einen erheblichen vorbehaltlosen persönlichen Einsatz des „Patienten" und ist daher bei erzwungener Teilnahme erfolglos 50 . Hieraufhat der Gesetzgeber bereits bei der Regelung des § 56c I I I StGB Rücksicht genommen, indem er die Erteilung der Weisung, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, von der Einwilligung des Verurteilten abhängig macht. Die Vollstreckung der in einem Sühnevergleich unter Familienmitgliedern erzielten Vereinbarungen ist mithin bereits aus rechtlichen Gründen nur in seltenen Fällen möglich. Es ist daher wesentlich zweckmäßiger, die Parteien durch eine überwachende und unterstützende Nachbetreuung zu einer Einhaltung der geschlossenen Vereinbarungen zu veranlassen, als ihnen die lediglich theoretische Möglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung ihrer Abreden an die Hand zu geben. Die grundsätzliche Zulassung der Zwangsvollstreckung lenkt von der Notwendigkeit ab, ein entsprechendes Verfahren zur Nachkontrolle zu enwickeln. Sie wird zum Alibi, das eine Nachbetreuung überflüssig erscheinen läßt. (3) Die Aufhellung des Dunkelfelds Da das Sühneverfahren bei gewaltsamen Familienkonflikten nur selten in Anspruch genommen wird, ist nicht davon auszugehen, daß es gegenwärtig einen nennenswerten Beitrag zur Aufhellung des Dunkelfelds leistet. Die Erfolgschancen der gemeinschaftsorientierten Vermittlungsprojekte scheinen hier besser zu sein. Aufgrund ihrer Gestaltung und personellen Ausstattung erweisen sie sich als attraktiver für die betroffenen Familien. Welchen Beitrag sie zur Aufhellung des Dunkelfelds bei Gewalt in der Familie leisten, ist zwar noch nicht hinreichend durch empirische Auswertungsstudien geklärt. Gleichwohl ist die Annahme berechtigt, daß insbesondere die nicht justizförmigen Vermittlungsprojekte aufgrund ihres Angebotscharakters auch außerhalb der Strafverfolgung Fälle behandeln, die niemals in die offizielle Strafverfolgung gelangt wären 51 . Die gemeinschaftsorientierten Programme befriedigen einen Bedarf, der bislang großenteils ungedeckt war, da er von der formellen Strafverfolgung nicht erfaßt wurde. Es wenden sich viele Menschen mit ihren Problemen an die „Neighborhood
Justice
Centers"
(Nachbarschaftsgerichte),
die nie an die
Behörden oder die Gerichte herangetreten wären. Dies mag in besonderem Maße gerade für die Beteiligten familiärer Gewaltanwendung gelten. Die bereits erwähnte Nachbefragung von 197 Klienten des Dade County Schlichtungsprogramms ergab, daß nur die Hälfte der an familiärer Gewaltanwendung beteiligten Personen die Polizei, die Staatsanwaltschaft oder die Gerichte eingeschaltet hätten, wenn ihnen nicht das Vermittlungsverfahren zur Verfügung gestanden hätte 52 . Diese Zahlen und theoretisch begründbaren Vermutun50 51 52
Denski 1958, 2100. Salas/Schneider 1979, 176; E. Johnson 1979, 179. Salas/Schneider 1979, 179.
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer G e w a l t 2 6 7 gen weisen darauf hin, daß die betroffenen Personen den gemeinschaftsorientierten Vermittlungsprojekten mehr Vertrauen schenken als den Strafverfolgungsorganen. Sie scheinen sich von der Teilnahme an einer informellen Vermittlungsverhandlung mehr Hilfe bei der Lösung ihrer Probleme zu versprechen als von einer strafrechtlichen Reaktion. Da die gemeinschaftsorientierten Vermittlungsstellen sachlich selbständig und vertraulich arbeiten, können sich die Betroffenen an sie wenden, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Es ist deshalb anzunehmen, daß diese Programme einen Beitrag zur Aufhellung des Dunkelfelds bei familiärer Gewaltanwendung zu leisten vermögen. dd) Zusammenfassung
und Ergebnis im Hinblick
die Gestaltung eines vorgerichtlichen
auf
Schlichtungsverfahrens
Ein Vermittlungsverfahren, das den Beteiligten größtmögliche Autonomie gewährt und ihren freien Willen beachtet, schafft die günstigste Grundlage für die Regelung akuter Familienkonflikte und bietet den Betroffenen ein Lernmodell für die Lösung zukünftig auftretender Spannungen. Es hat eine Doppelfunktion als Diversionsverfahren im Rahmen der Strafverfolgung und als staatliches Schlichtungsangebot außerhalb der Strafverfolgung. Indem es einen gesellschaftlichen Bedarf befriedigt, den die Möglichkeiten der Strafverfolgung nicht decken, leistet es einen Beitrag zur Aufhellung des Dunkelfelds familiärer Gewaltanwendung. Gleichzeitig mindert die Rücksichtnahme auf die Autonomie und den freien Willen der Beteiligten die rechtlichen und tatsächlichen Belastungen, die ein Diversionsverfahren mit sich bringt. Freiwilligkeit und Selbstverantwortlichkeit können nur in einem vertraulichen Vermittlungsverfahren garantiert werden. Freilich darf die Zusicherung von Vertraulichkeit nicht die Schutzinteressen des Opfers und der Familie beeinträchtigen. U m den Beteiligten auch außerhalb der Strafverfolgung den Ernst des Verfahrens vor Augen zu führen und ihre Teilnahme an bereits angesetzten Verhandlungen zu sichern, soll ihnen mit ihrer Zustimmung zum Verfahren auch eine verbindliche Teilnahmezusage abverlangt werden. Als Vermittler sollen berufsmäßig geschulte Schlichter eingesetzt werden. Die gegebenenfalls erreichten Vereinbarungen zwischen den Parteien sollen nicht vollstreckbar sein. Ihre Einhaltung soll vielmehr im Grundsatz freiwillig sein, jedoch durch nachträgliche Überprüfungen überwacht werden. c) Die Ausgestaltung eines informellen Vermittlungsverfahrens bei Gewalt unter erwachsenen Familienmitgliedern
Zur vorgerichtlichen „Diversion" von Gewalthandlungen unter erwachsenen Familienmitgliedern empfiehlt sich die Durchführung eines Vermittlungsverfahrens, das den oben zusammengefaßten Grundsätzen folgt.
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung aa)
Organisation
und Beteiligte
des Vermittlungsverfahrens
Das Vermittlungsverfahren soll von Schlichtungsstellen durchgeführt werden, die vertraulich und weitgehend selbständig arbeiten. Die Justizbehörden sollen nur die Rechtsaufsicht über sie ausüben, und die Strafverfolgungsorgane sollen die Möglichkeit behalten, die Ergebnisse der Vermittlung zu überwachen. An dem Verfahren sind immer die Konfliktparteien und der oder die Schlichter beteiligt. Problematisch ist die Frage, ob den Parteien das Recht gegeben werden soll, sich anwaltlich vertreten zu lassen. Das Vermittlungsverfahren soll persönliche Konflikte zwischen den Parteien beilegen und das Klima ihres Zusammenlebens bessern. Persönliche Konflikte lassen sich nur in der zwischenmenschlichen Interaktion der Parteien erfassen und lösen. Schon aus diesem Grunde ist eine persönliche Teilnahme der Parteien an der Vermittlung erforderlich. Darüber hinaus kann das Verfahren nicht die erwünschten Lernwirkungen entfalten, wenn die Konfliktbeteiligten nicht mitwirken. Eine anwaltliche Vertretung muß deshalb ausgeschlossen sein. Fraglich bleibt aber, ob den Betroffenen erlaubt werden soll, Anwälte im Verfahren als Berater hinzuzuziehen und zur Verhandlung mitzubringen. Einerseits ist anzunehmen, daß die Anwesenheit und Einflußnahme von Anwälten die Kommunikation der Parteien über intime Familienprobleme nicht fördert, sondern eher stört. Außerdem verteuert die Hinzuziehung von Anwälten das Verfahren für die Beteiligten. Andererseits muß es den Betroffenen freistehen, sich in der Verhandlung durch einen Anwalt unterstützen zu lassen, wenn sie Rechtsnachteile zu befürchten haben. Das Vermittlungsverfahren ist zwar freiwillig und vertraulich und die eingehbaren Verpflichtungen sind nicht vollstreckbar. Von seinem Erfolg kann jedoch die Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abhängen. Deswegen muß der beschuldigten Partei eine anwaltliche Unterstützung gestattet werden. Die Zulassung eines Anwalts soll allerdings von einer vorherigen Rücksprache mit der Schlichtungsstelle abhängig gemacht werden. Diese Rücksprache dient dazu, mit der Partei die Vor- und Nachteile der Teilnahme von Anwälten an der Verhandlung zu erörtern. Gleichzeitig soll sie die Schlichtungsstelle über die Absicht der Partei informieren. Sofern der — informell — Beschuldigte einen Anwalt hinzuzieht, muß es aus Gründen der Parität auch der anderen Partei gestattet werden, zur Verhandlung einen Anwalt mitzubringen. Als Schlichter sollen berufsmäßige Berater, also psychologisch vorgebildete Juristen oder juristisch geschulte Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter, eingesetzt werden. Um einen besseren Bezug der Schlichtungsstelle zu der Bevölkerung ihres Bezirks herzustellen, kann neben dem hauptamtlich tätigen, beruflich geschulten Schlichter ein ehrenamtlicher Beisitzer an der Verhandlung teilnehmen, der aus dem Bezirk stammt, für den die Stelle zuständig ist. Schlichter und Beisitzer sollen sich in einer Weise ergänzen, daß sie den Parteien in Alter und Geschlecht entsprechen. Bei Partnerkonflikten sollen also beispielsweise ein Mann und eine Frau als Schlichter oder Beisitzer an der Verhandlung
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
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mitwirken. Bei gewaltsamen Angriffen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern sollen eine jüngere und eine ältere Person als Schlichter oder Beisitzer tätig werden. Der Beisitzer soll darüber hinaus möglichst aus der Berufsschicht der beteiligten Familie stammen. Wenn die Parteien sich anwaltlich unterstützen lassen, soll der Schlichter Volljurist sein. Die Parteien dürfen Zeugen und weitere Personen mitbringen, die an der Lösung des Konflikts interessiert sind. Die Teilnahme von Nachbarn, Verwandten und Freunden ist im Einzelfall sogar oft erwünscht, da sie die informelle Sozialkontrolle repräsentieren. Schlichter und Beisitzer können auch selbst die Mitwirkung weiterer Personen anregen, denen sie einen Einfluß auf die Entstehung oder die Verhinderung von gewaltsamen Familienkonflikten beimessen. Sie dürfen freilich nicht gegen den Willen der Konfliktbeteiligten zur Teilnahme an der Verhandlung eingeladen werden. Andernfalls würde nicht nur das Vertrauen der Parteien verletzt, sondern auch der Erfolg des Verfahrens gefährdet. bb) Der Ablauf des Vermittlungsverfahrens
Die Schlichtungsstelle wird tätig, sobald sie durch eine informelle Mitteilung Kenntnis von einem Fall familiärer Gewaltanwendung erhält, der in ihren Zuständigkeitsbereich gehört. Mitteilungen können von einzelnen Bürgern, aber auch von privaten Organisationen, Behörden und Gerichten kommen. Die Schlichtungsstelle kann direkt von den an einer Gewalthandlung beteiligten Personen angerufen werden. Auch dritte Personen, wie etwa Nachbarn, Verwandte oder Freunde der Familie, können die Schlichtungsstelle informieren. Auf diese Weise soll zum einen soziale Verantwortung geweckt und unterstützt werden. Zum anderen bleibt die Einleitung eines Vermittlungsverfahrens unabhängig von einer Initiative des Opfers, das oft nicht willens oder in der Lage ist, den ersten Schritt zu wagen und Unterstützung von außen zu beanspruchen. Die Schlichtungsstelle kann ferner von den Strafverfolgungsorganen eingeschaltet werden. Die Durchführung eines Vermittlungsverfahrens ist die regelmäßige Reaktion auf Gewalthandlungen unter erwachsenen Familienmitgliedern. Zu einer Strafverfolgung soll es nur noch in besonders schweren oder wiederholten Fällen kommen. Alle anderen Fälle familiärer Gewaltanwendung überweisen die Staatsanwaltschaft und die Gerichte zunächst zur Verhandlung an die Schlichtungsstelle. Die Fortführung der Strafverfolgung wird von dem Erfolg der Vermittlung abhängig gemacht, den die Schlichtungsstelle dem überweisenden Organ mitteilen muß. Sobald der Schlichtungsstelle ein Fall zugeleitet wird, nimmt sie von sich aus schriftlich Kontakt zu den Beteiligten auf. Sie bietet den Parteien die Durchführung einer Vermittlungsverhandlung an und informiert sie über die^Ziele und den Ablauf der Verhandlung. Den Betroffenen wird Vertraulichkeit zugesichert; sie werden freilich auch auf die Möglichkeit einer Strafverfolgung hingewiesen. Die Schlichtungsstelle fordert die Parteien auf, der Durchführung einer
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
Vermittlungsverhandlung schriftlich zuzustimmen und sich gleichzeitig verbindlich zu einer Teilnahme zu verpflichten. Sobald die Betroffenen ihr Einverständnis erklärt haben, wird ein Verhandlungstermin bestimmt. Er soll innerhalb möglichst kurzer Zeit nach der Anzeige eines gewaltsamen Vorfalls angesetzt werden. Ein schnelles Vorgehen hat den Sinn, die Familie möglichst kurzfristig nach dem Geschehnis anzusprechen, solange die Erinnerung an die Tat und die durch sie hervorgerufenen Gefühle noch frisch ist. Es bietet die Chance, den Täter und seine Familie zu einem Zeitpunkt therapeutisch zu beeinflussen, zu dem sie psychisch am aufnahmefähigsten sind 53 . Gefühle der Schuld und der Schock über das Zusammenbrechen der innerfamiliären Kontrolle wecken bei den Beteiligten die Bereitschaft, an Therapiemaßnahmen mitzuwirken und eine Herstellung oder Wiederherstellung des Ausgleichs, des emotionalen Gleichgewichts innerhalb der Familie, anzustreben. Ein unverzügliches Eingreifen beugt auch der Gefahr der Wiederholung und Verschärfung der Gewalt vor, die während langwieriger Untersuchungen immer besteht. Zwischen der Zustimmungserklärung der Parteien und der Verhandlung sollten daher nicht mehr als zwei Wochen liegen. Bei der Terminierung soll Rücksicht auf die Bedürfnisse der Parteien genommen werden, das heißt der Termin muß mit den beruflichen oder häuslichen Verpflichtungen der Parteien vereinbar sein. Verhandlungen werden daher vielfach nach Feierabend oder an Wochenenden stattfinden müssen. Die Verhandlung ist nicht öffentlich. Zu ihrem Beginn erläutern die Schlichter den Beteiligtön nochmals den Sinn und den Ablauf des Verfahrens. Sie erklären ihnen, daß das Vermittlungsgespräch ihnen helfen soll, ihre Konflikte in einer Weise zu lösen, die ihnen annehmbar erscheint. Danach lassen sie beide Parteien ausführlich und nacheinander zu Wort kommen und das Problem aus ihrer jeweiligen Sicht darlegen. Der weitere Ablauf der Verhandlung richtet sich nach den konkreten Erfordernissen des Einzelfalls. Die Schlichter werden sich bemühen, durch Befragung der Parteien und der mit ihnen erschienenen Verwandten und Bekannten den tieferliegenden Ursachen des Konflikts näherzukommen. Ihre Aufgabe als Vermittler ist es, das Gespräch nach Regeln der Fairneß zu lenken, ohne dabei Gefühlsäußerungen der Beteiligten zu unterdrücken. Sie sollen die Parteien vielmehr ermutigen, über ihre Gefühle zu sprechen und ihre Forderungen an den jeweils anderen klar auszudrücken. Dies trägt zu einem gegenseitigen Verstehen ganz wesentlich bei. Nachdem die Parteien ihre „Basislinie" abgesteckt haben, versuchen die Schlichter, zwischen den gegenseitigen Forderungen der Parteien zu vermitteln. Vorschläge für eine Einigung sollen vornehmlich von den Parteien selbst gemacht werden. Die Schlichter dürfen sie lediglich beraten. Auch anwesende Verwandte und Freunde dürfen sich als Ratgeber in das Vermittlungsgespräch einschalten. Wenn es erforderlich ist, kann die Verhandlung über mehrere Termine ausgedehnt werden. Das Vermittlungsverfahren sollte sich jedoch insgesamt nicht länger als einen Monat hinziehen, da es lediglich ein Mittel der Soforthilfe 53
Alper/Nichols 1981, 41.
4. Gestaltung des Verfahrens zur „Diversion" familiärer Gewalt
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ist. Es soll keine Familien- oder Einzeltherapie ersetzen. Wenn diese erforderlich ist, können die Parteien in der Verhandlung entsprechende Vereinbarungen treffen und von der Schlichtungsstelle an Therapeuten und Sozialdienste weitergeleitet werden. Ob und in welcher Höhe der Familie aus der Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung Kosten entstehen, muß sich nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit richten. cc) Inhalt von Vereinbarungen
Der Inhalt der getroffenen Vereinbarungen richtet sich ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls und den Bedürfnissen der Parteien. Meist werden beide Parteien Verpflichtungen übernehmen. Ihre Übereinkunft wird in erster Linie ihr künftiges Verhalten zueinander regeln. Die Parteien werden sich in jedem Fall verpflichten müssen, gewaltsame Angriffe zu unterlassen. Darüber hinaus können noch weitere Versprechungen über künftiges Verhalten abgegeben werden 54 . Die beschuldigte Partei kann auch Wiedergutmachungsleistungen zusagen. Dabei wird es sich seltener um finanzielle Zuwendungen als eher um immaterielle symbolische Leistungen handeln. Die Betroffenen können sich schließlich zur Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen verpflichten. Wenn die gewaltsamen Familienkonflikte beispielsweise mit Alkohol· oder Drogensucht eines Familienmitglieds zusammenhängen, so kann es die Teilnahme an einer Entziehungskur zusagen. Neben den Parteien können auch ihre an der Verhandlung beteiligten Verwandten und Bekannten Verpflichtungen eingehen. Sie können versprechen, bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen, die zur Verursachung oder zur Verschärfung gewaltsamer Familienkonflikte beitragen. Sie können auch die Verpflichtung übernehmen, die Familie in bestimmter Weise zu unterstützen, etwa zeitweise ihre Kinder zu betreuen oder im Haushalt zu helfen. dd) Bewährungszeit
und Nachkontrolle
Der ausgehandelte Vergleich ist nicht vollstreckbar. U m ihm dennoch Gewicht zu verleihen und Achtung zu verschaffen, überprüft die Schlichtungsstelle während einer festgelegten Bewährungszeit seine Einhaltung. Die Länge der Bewährungszeit wird von den Schlichtern nach Möglichkeit in Übereinkunft mit den Parteien bestimmt. Überprüfungen während dieser Zeit sollen gewährleisten, daß die Betroffenen die übernommenen Verpflichtungen in Alltagsroutine umsetzen, sich also die versprochenen Verhaltensweisen „angewöhnen". Daher soll die Bewährungszeit einerseits so bemessen werden, daß sie die voraussichtliche Dauer dieses Gewöhnungsprozesses abdeckt. Andererseits soll sie überblickbar sein, um den Betroffenen die Annahme des erreichten Kompromisses zu erleichtern und sie nicht von vornherein durch die Androhung langfristiger Kontrollen zu entmutigen. Die Bewährungszeit soll daher 54
Vgl. das Fallbeispiel bei Felestiner/Williams 1978, 237.
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nicht länger als sechs Monate dauern. Die Schlichtungsstelle überprüft die Einhaltung des Vergleichs während dieser Zeit durch telefonische Rückfragen oder Hausbesuche bei den Beteiligten. Dabei geht es weniger darum, eine buchstabengetreue Befolgung des Vergleichs zu sichern. Einzelne Vereinbarungen können sich im Alltag als unpraktikabel oder unnötig erwiesen haben und von den Parteien in ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis aufgehoben worden sein. Wesentlich ist vielmehr die grundsätzliche Funktionstüchtigkeit des Vergleichs. Er muß zur allseitigen Zufriedenheit beachtet werden und darf nicht zu unvorhergesehenen neuerlichen Spannungen zwischen den Beteiligten führen. Der Vergleich muß zum Schutz von Opfer und Familie vor künftiger Gewaltanwendung beitragen. Die tatsächliche Erhöhung der Sicherheit für Opfer und Familie ist daher der wesentliche Maßstab für die Funktionstüchtigkeit des Vergleichs. Wenn die erzielte Vereinbarung gemessen an diesem Kriterium nicht ihren Zweck erfüllt, ist eine Wiederholung des Vermittlungsverfahrens möglich. Den Parteien soll darin geholfen werden, neue praktikablere Vereinbarungen auszuhandeln. Bei einem endgültigen Scheitern des Vermittlungsverfahrens kann es zu einer strafrechtlichen Verfolgung des Falls kommen. Wenn der in Rede stehende Fall durch Überweisung seitens der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts zur Vermittlung gelangt ist, gibt die Schlichtungsstelle ihn nach einem Scheitern des Verfahrens von sich aus an das entsprechende Strafverfolgungsorgan ab. Der Beschuldigte muß dann in einer Weise gegen den Vergleich verstoßen haben, die eine erneute Gewaltanwendung befürchten läßt. Wenn ausschließlich das Opfer oder andere Vergleichsbeteiligte die getroffenen Vereinbarungen nicht einhalten, so kann dies nicht zu strafrechtlichen Schritten führen. Der Beschuldigte hat in diesen Fällen seinen guten Willen bewiesen, und der Vergleich hat immerhin seinen Sinn erfüllt, die körperliche Sicherheit des Opfers zu gewährleisten, auch wenn sich das Opfer und andere Beteiligte nicht an das Vereinbarte halten. Waren die Strafverfolgungsorgane noch nicht mit dem Fall befaßt, so bleibt ihre Einschaltung grundsätzlich der Initiative des Opfers oder der übrigen Betroffenen überlassen. d) Die vorgerichtliche „Diversion" von familiärer Gewaltanwendung bei Beteiligung von Kindern oder Jugendlichen aa) Die Notwendigkeit und die Probleme einer Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in das Vermittlungsverfahren
Sowohl das deutsche Sühneverfahren wie die meisten nordamerikanischen Vermittlungsprojekte beschränken sich darauf, Konflikte unter Erwachsenen zu lösen. Diese Begrenzung auf erwachsene Teilnehmer erscheint zu eng, soweit es um Gewalt in der Familie geht. An einem Großteil aller Fälle familiärer Gewaltanwendung sind Kinder oder Jugendliche aktiv oder passiv beteiligt. Sie werden von ihren Eltern oder Geschwistern körperlich mißhandelt oder greifen ihrerseits Eltern oder Geschwister an. Alle Fälle der Gewalt von und an Kindern oder Jugendlichen in der Familie sind aus der Vermittlung ausgeschlossen, wenn
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sich das Verfahren nur auf die Schlichtung von Konflikten unter Erwachsenen beschränkt. Auch wenn die Kinder einer Familie an den Gewalthandlungen nicht unmittelbar als Täter oder Opfer teilhaben, werden sie häufig seelisch in Mitleidenschaft gezogen oder körperlich gefährdet. Sie sind daher einerseits oft die Mitopfer von handgreiflichen Auseinandersetzungen unter ihren Eltern oder von Mißhandlungen ihrer Geschwister. Andererseits wirken sie vielfach an der Verursachung von Gewalttätigkeiten unter ihren Eltern oder an ihren Geschwistern m i t 5 5 . In allen diesen Fällen der Beteiligung von Minderjährigen an familiärer Gewaltanwendung ist es wichtig, sie in die Reaktion auf den gewaltsamen Vorfall einzubeziehen oder zumindest bei der Reaktion zu berücksichtigen. Zur „Diversion" aller Formen familiärer Gewaltanwendung empfiehlt sich ein einheitliches Verfahren, da in vielen Risikofamilien verschiedene Formen der Gewaltausübung vorkommen. So bringt Gewalt unter Ehegatten oder Lebenspartnern nicht nur eine seelische Gefahrdung der Kinder mit sich. Sie dehnt sich häufig auf die Kinder aus 56 . Umgekehrt kommt es vor, daß ein Elternteil von seinem Partner körperlich verletzt wird, wenn es versucht, seine Kinder vor den Angriffen des anderen zu schützen 57 . Die eine Form familiärer Gewaltanwendung kann in diesen Fällen nicht sinnvoll bekämpft werden, ohne daß auch die andere behandelt wird. Das Bedürfnis nach einer einheitlichen Reaktion auf Gewalt in der Familie spricht daher dafür, das Anwendungsgebiet des Vermittlungsverfahrens auf alle Fälle familiärer Gewaltanwendung auszuweiten und die Teilnahme von Minderjährigen zuzulassen. Die Beteiligung von Kindern oder Jugendlichen am Vermittlungsverfahren stößt indessen auf Schwierigkeiten. Das Vermittlungsverfahren soll Interessengegensätze zwischen den Parteien eines Konflikts ausgleichen. Sein Sinn beruht auf dem offenen Gespräch der Parteien miteinander und auf der freien Aushandlung von Vereinbarungen unter ihnen. Indem das Vermittlungsverfahren die Autonomie der Parteien respektiert und betont, verlangt es gleichzeitig, daß die Beteiligten über die Fähigkeit zu selbstverantwortlichem Handeln und Entscheiden verfügen. Kinder und Jugendliche haben nicht die Einsichtsreife und die Handlungsspielräume, die das Vermittlungsverfahren von den Parteien fordert. Das Verfahren setzt ein ungefähres Kräftegleichgewicht der Beteiligten voraus 58 . Sie müssen ihre Wünsche an den jeweils anderen kennen und in der Lage sein, diese klar zu formulieren. Ferner müssen sie gegenüber dem anderen über hinreichende soziale Macht verfügen, um ihren Forderungen Gehör und Geltung zu verschaffen. Gleichzeitig müssen sie die Möglichkeit zur Einsicht in eigene Fehlverhaltensweisen und die Fähigkeit zu deren Änderung haben. Die persönlichen Voraussetzungen, die ein Vermittlungsgespräch erst sinnvoll 55 56 57 58
18
Vgl. oben Β I I 2 b) bb). Vgl. oben Β I 4 c) bb) (2). Vgl. oben Β I 4 c) aa) (2). Alper/Nichols 1981, 22. U . Schneider
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
machen, sind bei Kindern und Jugendlichen somit nicht oder nur eingeschränkt vorhanden. Eine eigenverantwortliche Beteiligung von Kindern oder Jugendlichen am Vermittlungsverfahren ist daher ausgeschlossen. Die Wahrung der Interessen des Kindes obliegt grundsätzlich den Eltern, jedenfalls soweit sie erziehungs- und vertretungsberechtigt sind. Wenn Eltern als streitende Parteien an einem Vermittlungsverfahren teilnehmen, sind sie daher auch verpflichtet, in der Verhandlung und in ihrer Übereinkunft den Belangen ihrer minderjährigen Kinder Rechnung zu tragen. Es ist indessen möglich, daß die Interessen der Kinder den Bedürfnissen der Eltern widersprechen. Dies kommt insbesondere dann vor, wenn in Fällen der Eltern-Kind-Gewalt oder der Kind-Eltern-Gewalt Eltern und Kind einander als Parteien gegenüberstehen. Hier können die Eltern die Vertretung des Kindes nicht übernehmen, da sie selbst Parteien des Verfahrens und des abzuschließenden Vergleichs sind. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 181 BGB. Aber auch wenn das Kind wie in Fällen der Gewalt unter seinen Eltern nur als Nebenbeteiligter des Verfahrens in Betracht kommt, ist es oft den Eltern nicht möglich, seinen Interessen Geltung zu verschaffen. Sie sind häufig derart mit ihren eigenen Problemen und Konflikten beschäftigt, daß es ihnen nicht gelingt, den Belangen ihrer Kinder die erforderliche Beachtung zu schenken. Nicht in jedem Fall kann daher die Vertretung der Interessen des Kindes alleine den Eltern überlassen werden. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Vermittlungsverfahrens auf alle Fälle familiärer Gewaltanwendung und die Zulassung von Minderjährigen als Beteiligte ist demnach einerseits zweckmäßig und notwendig. Andererseits sind Kinder und Jugendliche zu einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihrer Interessen im Verfahren nicht in der Lage und können auch durch ihre Eltern nicht immer ausreichend vertreten werden. bb) Die Notwendigkeit und die Probleme der Bestellung eines Kindervertreters
Die Probleme, die die Beteiligung von Minderjährigen am Vermittlungsverfahren aufwirft, können entscheidend gemildert werden, wenn den betroffenen Kindern oder Jugendlichen eine Person zur Seite gestellt wird, die sie bei der Aushandlung und beim Abschluß der Vermittlungsvereinbarungen vertritt. Indessen bestehen gegen die Hinzuziehung eines Vertreters der Kindesinteressen Bedenken. Zum einen ist sie nicht in jedem Fall erforderlich. Die Tatsache, daß Eltern als Beteiligte familiärer Gewaltanwendung an einem Vermittlungsverfahren teilnehmen, läßt nicht ohne weiteres darauf schließen, daß sie nicht willens oder nicht fähig sind, die Belange ihrer Kinder zu erkennen und zu berücksichtigen. Die Bestellung eines Kinderschutzanwaltes bedeutet ferner einen äußeren Eingriff in das Familienleben, der innerhalb des Vermittlungsverfahrens vermieden werden soll. Er beeinträchtigt das Recht der Eltern, autonom über das Wohl ihrer Kinder zu entscheiden, und steht daher in einem Spannungsverhältnis zu den Grundlagen des Vermittlungsverfahrens, das den Parteien gerade
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die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung belassen will. Überdies kann nicht garantiert werden, daß ein bestellter Kinderschutzanwalt tatsächlich in der Lage ist, die Interessen des Kindes hinreichend zu vertreten. Er ist mit dem Kind, seinen individuellen Bedürfnissen und der Familie in der Regel wenig vertraut. Daher kann er oft nur feststehende Ansichten darüber zum Ausdruck bringen, was im allgemeinen zum „Wohle des Kindes" erforderlich ist. Gleichwohl kann er immerhin erreichen, daß die Kindesinteressen zum Gegenstand der Vermittlungsverhandlung gemacht und die Beteiligten dazu veranlaßt werden, über die Bedürfnisse des Kindes nachzudenken und sie zu würdigen. Aus diesem Grunde soll in Fällen, in denen es allem Anschein nach erforderlich ist, ein Kinderschutzanwalt hinzugezogen werden. Seine Einschaltung ist immer notwendig, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher selbst Opfer oder „Täter" von Gewalt in der Familie ist. In anderen Fällen familiärer Gewaltanwendung, insbesondere bei Gewalttätigkeiten zwischen den Eltern, ist seine Beteiligung nötig, wenn der gewaltsame Konflikt der Parteien das Wohl eines Kindes gefährdet und die Eltern die Interessen des Kindes in der Vermittlungsverhandlung nicht hinreichend zur Geltung bringen. Wenn an der Verhandlung dritte Personen, wie etwa Großeltern oder andere Verwandte, mitwirken, die aus eigener Initiative die Interessen des Kindes wahrnehmen, kann auf die Bestellung eines Kindervertreters verzichtet werden. Die Übernahme sozialer Verantwortung durch Verwandte und Bekannte für die Familie hat Vorrang gegenüber Eingriffen in Angelegenheiten und Zuständigkeiten der Familie von außen. cc) Die Institution des Kinderschutzanwalts und seine Aufgaben im Vermittlungsverfahren
In der „Diversion" familiärer Gewaltausübung spielt die Bestellung eines unabhängigen Interessenvertreters für das Kind oder den Jugendlichen eine zentrale Rolle. Ohne ihn geht ein vorgerichtliches Verfahren zur Konfliktlösung in weitgehender Selbstverantwortung der Familie in vielen Fällen zu Lasten des Schutzes der beteiligten Kinder. Es muß daher geklärt werden, welche Person oder Institution die Funktionen des Kinderschutzanwalts im Vermittlungsverfahren wahrnehmen soll und wie seine Befugnisse beschaffen sein sollen. (1) Die Wahrnehmung von Kindesinteressen durch die Jugendwohlfahrtsbehörden Es liegt nahe, die Aufgabe der Vertretung des Kindes im Vermittlungsverfahren den Jugendwohlfahrtsbehörden zuzuteilen. In der Bundesrepublik sind sie die Organe der öffentlichen Fürsorge für das Kind. Sie werden zu seinem Schutz tätig und veranlassen oder unterstützen öffentliche oder private Maßnahmen, die der Förderung und der Erziehung des Kindes dienen (vgl. §§ 4ff. JWG). Sie verfügen über eine Organisation, die die strukturelle Eingliederung der Institution des Kinderschutzanwalts erlaubt, ein Informationssystem, das seine Arbeit erleichtern würde, und über qualifizierte Mitarbeiter, die die Aufgaben des 18*
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Kinderschutzanwalts übernehmen könnten. Aus diesen Gründen scheint es sich anzubieten, die Zuständigkeit der Jugendwohlfahrtsbehörden entsprechend zu erweitern. Gleichwohl sprechen beachtliche Gesichtspunkte gegen die Übernahme der Aufgaben des Kinderschutzanwalts durch die Jugendwohlfahrtsbehörden. Die Funktion der Jugendwohlfahrtsbehörden ist weder rechtlich noch in der gesellschaftlichen Anschauung einseitig und eindeutig auf die Wahrnehmung der Interessen des Kindes festgelegt. Das Gesetz sieht es als Aufgabe der öffentlichen Jugendhilfe, die in der Familie begonnene Erziehung des Kindes zu unterstützen und zu ergänzen ( § 3 1 1 JWG). „Erziehung" steht als Recht indessen gleichzeitig den Eltern wie dem Kinde zu. Das Kind genießt ein Recht auf Erziehung ( § 1 1 JWG), die Eltern haben ein Recht zur Erziehung (§ 1 I I JWG). Beide Rechte hat die öffentliche Jugendhilfe zu wahren und zu fördern. Obwohl die Rechte einen einheitlichen Bezugspunkt, nämlich die „Erziehung", haben, können sie im konkreten Einzelfall durchaus miteinander in Konflikt geraten, da „Erziehung" aus der Sicht der Eltern und des Kindes vollkommen verschieden definiert werden kann. Als staatliche Organe bringen die Jugendwohlfahrtsbehörden zusätzlich noch einen dritten, staatlichen Erziehungsbegriff ins Spiel, der keinem der beiden genannten zu entsprechen braucht. Die Jugendwohlfahrtsbehörden dienen nach ihrer rechtlichen Grundkonzeption also sowohl dem Schutz der Interessen des Kindes wie der Wahrung von Elterninteressen wie der Verwirklichung von staatlichen Belangen. Die vorgezeichnete Gefahr einer Interessenkonfusion läßt eine Übernahme der Vertretung des Kindes im Vermittlungsverfahren durch die Jugendwohlfahrtsbehörden wenig ratsam erscheinen. Die Betrauung der Jugendwohlfahrtsbehörden mit der Funktion des Kinderschutzanwalts bringt ein starkes formelles Element in den ansonsten informell gestalteten Vermittlungsprozeß. Ein Tätigwerden des Jugendamtes wird insbesondere von Risikofamilien meist als bedrohlich empfunden. Das Jugendamt wirkt nämlich an Zwangseingriffen des Vormundschaftsgerichts gegenüber Risikofamilien mit (vgl. § 48 I I JWG). Die Einschaltung von Mitarbeitern des Jugendamtes als Kinderschutzanwälte muß zwar nicht unbedingt eine Gefährdung der Familie durch Zwangseingriffe seitens des Vormundschaftsgerichts und des Jugendamtes mit sich bringen. Die subjektiv begründete Angst der Familie vor entsprechenden Maßnahmen reicht indessen schon aus, ihr Vertrauen zu dem behördlichen Kinderschutzanwalt zu zerstören. Das Tätigwerden des Jugendamtes wird von den betroffenen Familien meist mit einer Gefahrdung der Elternrechte in Verbindung gebracht. Zu Recht oder zu Unrecht wird eine mögliche Fremdunterbringung des gefährdeten Kindes befürchtet. Jugendliche, die ihre Eltern oder Geschwister angegriffen haben, fühlen sich durch die Möglichkeit einer Anordnung von Fürsorgeerziehung bedroht. Im Bewußtsein des sozialen Nahraums, der Nachbarn, Verwandten und Bekannten der Familie, hat das Eingreifen der Jugendbehörden häufig den Charakter von Strafmaßnahmen gegenüber erzieherisch unfähigen Eltern und verwahrlosten, unbotmäßigen Kindern und Jugendlichen und wirkt daher stark
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stigmatisierend. Das Jugendamt wird von der betroffenen Familie deshalb nicht als Helfer der Eltern und Schützer des Kindes empfunden, sondern eher als Gegenspieler abgelehnt, der noch dazu über überlegene Machtmittel verfügt. Zu einem Beamten des Jugendamtes, der als Kinderschutzanwalt tätig ist, wird die Familie daher häufig kein Vertrauen haben. Der Erfolg des Vermittlungsverfahrens ist aber gerade davon abhängig, daß ein offenes, vertrauensvolles Gespräch zwischen den Parteien zustande kommt. Aus diesem Grunde ist eine Übertragung der Tätigkeit eines Kinderschutzanwalts auf die Jugendwohlfahrtsbehörden nicht ratsam. (2) Die Wahrnehmung von Kindesinteressen durch eine staatlich beaufsichtigte Einrichtung in freier Trägerschaft Der informelle Charakter des Vermittlungsverfahrens kann am besten gewahrt werden, wenn die Aufgaben des Kinderschutzanwalts einer weitgehend selbständigen, nichtstaatlichen Einrichtung anvertraut werden. In Schweden gibt es seit den siebziger Jahren die Institution des Kinderombudsmanns 59 . Sie wurde vom schwedischen Kinderschutzbund „Rädda Barnen" ins Leben gerufen und wird von ihm getragen. Der Schwerpunkt der Aufgaben des Kinderombudsmanns liegt weniger auf der Einzelfallarbeit, also dem Schutz der Interessen einzelner Kinder in konkreten Mißhandlungsfallen. Er setzt sich vielmehr gegenüber dem Staat und den gesellschaftlichen Institutionen für die Belange der Kinder ein. Er informiert die Öffentlichkeit über die Bedürfnisse der Kinder und ihre Lebensbedingungen, übt Einfluß auf Behörden und Politiker aus, die Situation der Kinder zu verbessern, veranlaßt Aktionen zur Veränderung ihrer Lebensumstände und unterstützt die Forschung über Kinder. Im Bereich der Einzelfürsorge hilft er Kindern, die zu Problemgruppen gehören, also z.B. Gastarbeiterkindern, Pflegekindern und mißhandelten Kindern, und unterhält ein Sorgentelefon für Kinder. Rechtliche Befugnisse hat er nicht. Der Kinderombudsmann kann nur bedingt als Vorbild für die Gestaltung der Institution des Kinderschutzanwalts dienen. Der Kinderschutzanwalt soll in erster Linie Einzelfallarbeit leisten und die Rechte und Interessen von Kindern aus Gewaltfamilien im Vermittlungsverfahren wahrnehmen. U m diese Aufgaben eines Vertreters des Kindes erfüllen zu können, benötigt er entsprechende rechtliche Befugnisse, die denjenigen eines Ergänzungspflegers (§ 1909 BGB) ähneln. Diese Befugnisse können ihm nur vom Staat verliehen werden. Eine private Institution kann daher die Aufgaben des Kinderschutzanwalts nicht aus eigenem Entschluß an sich ziehen, sondern bedarf der staatlichen Anerkennung. Die Gewährung staatlicher Anerkennung und die Verleihung von Eingriffs- und Vertretungsbefugnissen durch den Staat machen die Sicherstellung einer staatlichen Aufsicht notwendig. Wegen der Nähe des Amtes eines Kinderschutz59
Rädda Barnen 1980.
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anwalts zu den Befugnissen eines Ergänzungspflegers bietet es sich an, dem Vormundschaftsgericht die Aufsicht über die Amtsführung des Kinderschutzanwalts zu übertragen, da es auch die Tätigkeit des Pflegers überwacht (§§1915, 1837 BGB). Diese sinnvolle und notwendige gerichtliche Kontrolle führt freilich dazu, daß das Vormundschaftsgericht in die Tätigkeit des Kinderschutzanwalts und in seine Fälle Einblick hat und auf indirektem Wege eingeschaltet ist. Dies kann eine Bedrohung der Familie durch vormundschaftsgerichtliche Zwangseingriffe bedeuten. Zwar liegen nicht in jedem Falle familiärer Gewaltanwendung die Voraussetzungen für ein direktes Einschreiten des Vormundschaftsgerichts gegenüber der Familie vor. Dennoch sind für die Fälle, in denen diese Voraussetzungen gegeben sind, Sperren notwendig, die ein unmittelbares Eingreifen des Vormundschaftsgerichts für die Dauer des Vermittlungsverfahrens verhindern. Kann das Vermittlungsverfahren erfolgreich abgeschlossen und eine etwa vorhandene Gefährdung des Kindeswohls hierdurch abgebaut werden, so entfallen ohnehin die Voraussetzungen für vormundschaftsrichterliche Maßnahmen. Ein von einer privaten Organisation getragener Kinderschutzanwalt kann auch dann, wenn er unter staatlicher Aufsicht steht, eher das Vertrauen der betroffenen Familie gewinnen. Anders als die Jugendwohlfahrtsbehörden kann er von sozialen Vorurteilen unbelastet arbeiten. Die Einschaltung des Kinderschutzanwalts ist für die Familie daher nicht mit den stigmatisierenden Nebenwirkungen jugendbehördlicher Eingriffe verbunden. Er hat eine bessere Chance, als Beschützer des Kindes anerkannt zu werden. Seine Tätigkeit kann weitgehend frei von bürokratischem Aufwand gestaltet werden und wahrt den informellen Charakter des Vermittlungsverfahrens. Als Träger der Institution des Kinderschutzanwalts kommen die Kirchen, private Wohlfahrtsverbände, insbesondere die Kinder- und Jugendschutzverbände, in Frage. Von Ort zu Ort können auch unterschiedliche Träger zugelassen werden, solange die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen den Kinderschutzanwälten sichergestellt werden kann. (3) Die Aufgaben des Kinderschutzanwalts im Vermittlungsverfahren Der Kinderschutzanwalt nimmt im Vermittlungsverfahren die Interessen des Kindes wahr und vertritt es bei der Abgabe von Erklärungen. Für Kinder und Jugendliche, die von familiärer Gewaltanwendung betroffen sind, erhebt er den Antrag auf Einleitung eines Vermittlungsverfahrens. Er nimmt Meldungen von Verwandten, Freunden, Bekannten und Nachbarn der Familie entgegen und entscheidet darüber, ob er für das betroffene Kind den Antrag auf Durchführung eines Vermittlungsverfahrens stellen will. Auch der Minderjährige selbst kann sich an seinen Kinderschutzanwalt wenden. Der Kinderschutzanwalt beantragt ein Vermittlungsverfahren, wenn er dies zum Schutze des Kindes für erforderlich hält. Falls er ein Vermittlungsverfahren nicht für notwendig
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erachtet, kann er die Eltern in einem Brief informell ermahnen. Die Möglichkeit der informellen Ermahnung soll dem Kinderschutzanwalt insbesondere eine sachgerechte Handhabung derjenigen Fälle der Gewalt an Kindern ermöglichen, die nach der gegenwärtigen Rechtspraxis und den herrschenden sozialen Normen als erzieherische Züchtigung gestattet sind. Die Einleitung eines Vermittlungsverfahrens ist hier oft eine unnötig weitreichende Reaktion, die auf soziales Unverständnis stoßen würde. Es muß deshalb ausreichen, die oft lediglich unwissenden Eltern über die Rechte ihrer Kinder zu informieren und sie auf ihre Pflicht hinzuweisen, diese Rechte zu wahren. Freilich kann bereits eine Ermahnung der Eltern durch den Kinderschutzanwalt dazu beitragen, sie erzieherisch zu verunsichern, und bei ihnen das stark belastende Gefühl hervorrufen, ihr Umgang mit ihren Kindern werde von außen überwacht. Eine allzu rasche und vorbehaltlose Bereitschaft des Kinderschutzanwalts, die Eltern zu ermahnen, kann auch neugierige oder böswillige Nachbarn und Bekannte der Familie dazu anregen, unbegründete oder voreilige Meldungen zu erstatten, um der Familie Schwierigkeiten zu machen. Eine Kontrolle elterlicher Erziehungsstile durch den Staat und die Gemeinschaft ist zwar notwendig. Sie darf aber nicht so straff sein, daß sie die Eltern in ihren erzieherischen Bemühungen beirrt, einschüchtert oder lähmt und die Beziehungen zu ihren Kindern einerseits und zu ihren Nachbarn und Bekannten andererseits belastet. Der Kinderschutzanwalt soll die Eltern daher nur ermahnen, wenn sich Anzeichen dafür ergeben, daß sie nachhaltig oder dauerhaft gegen das Züchtigungsverbot verstoßen. Dieser Grundsatz der Zurückhaltung muß auch beachtet werden, wenn der Kinderschutzanwalt die Eltern ermahnen will, weil sie gewalttätige Streitigkeiten zwischen ihren Kindern zulassen. Die Ermahnung soll ein Verzeichnis derjenigen Stellen enthalten, an die sich Eltern bei Erziehungsproblemen wenden können. Sie hat den Charakter einer informellen Aufforderung an die Eltern, in Zukunft das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit zu achten, und ist nicht mit Eingriffen in Elternrechte verbunden. In Fällen leichter, aber häufiger Gewaltanwendung gegen Kinder soll der Kinderschutzanwalt erst nach erfolgloser Ermahnung der Eltern einen Antrag auf Durchführung einer Vermittlungsverhandlung stellen. Wenn der Minderjährige nicht selbst Partei des Verfahrens ist, also vor allem in Fällen der Gewalttätigkeit unter den Eltern, ist der Kinderschutzanwalt in erster Linie Berater der Beteiligten. Er wird hinzugezogen, wenn die Schlichter oder ein Elternteil dies für notwendig halten oder wenn er selbst in Vertretung der Kinder die Vermittlung beantragt hat. In der Vermittlungsverhandlung hat er ein Mitsprache- und Fragerecht. Vor oder nach der Verhandlung kann er sich über den Fall und das Wohlergehen des Kindes informieren, hat aber keinerlei Zwangsbefugnisse. Er kann auch keinen indirekten Druck ausüben, da der Erfolg des Verfahrens alleine davon abhängt, ob die streitenden Parteien, Täter und Opfer der Gewalthandlung, zu einer Übereinkunft gelangen können. In Einzelfällen kann es erforderlich sein, Kinder oder Jugendliche am Vermittlungsverfahren persönlich zu beteiligen, sofern ihre geistige und seelische Reife
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dies erlaubt. Sie können angehört werden, um ihre Bedürfnisse oder auch ihre Sicht des Problems zu erfragen. Ihre Teilnahme an der Verhandlung kann insbesondere dann erforderlich sein, wenn sie aktiv zur Verschärfung des Konfliktes unter den erwachsenen Parteien beigetragen haben. Grundsätzliche Bedenken gegen eine Beteiligung von Minderjährigen an der Verhandlung bestehen nicht. Kinder und Jugendliche, die Zeugen von Gewalttätigkeiten unter ihren Eltern oder anderen erwachsenen Familienmitgliedern sind, werden durch die Teilnahme an einer friedlichen Verhandlung von Konflikten im allgemeinen nicht geschädigt oder negativ beeindruckt. Eher sind hier positive pädagogische Wirkungen zu erwarten. Freilich können sie nicht in jedem Falle und nicht unbegrenzt an der Verhandlung beteiligt werden. Ihre Teilnahme muß sich nicht nur nach ihrer Einsichtsreife richten, sondern auch nach ihrer Fähigkeit, die zur Sprache kommenden Probleme und Konflikte seelisch zu verarbeiten. In erster Linie entscheiden die erziehungsberechtigten Eltern darüber, ob ein Kind oder ein Jugendlicher an der Verhandlung teilnehmen soll. Wenn an der Verhandlung ein Kinderschutzanwalt mitwirkt, hat er jedoch ein Vetorecht gegen die Einbeziehung von Minderjährigen in das Verfahren. Er kann die Teilnahme von Kindern oder Jugendlichen auch gegen den Willen der Eltern verhindern oder dafür Sorge tragen, daß bestimmte Probleme nicht vor den Ohren Minderjähriger verhandelt werden, wenn er eine Gefährdung des geistigen oder seelischen Kindeswohls befürchtet. Sofern an der Verhandlung kein Kindervertreter mitwirkt, haben die Schlichter das Recht, Kinder und Jugendliche aus demselben Grund als Teilnehmer der Verhandlung zurückzuweisen oder sie von bestimmten Gesprächsteilen auszuschließen. Wenn der Minderjährige selbst als Angreifer oder Opfer Partei des Verfahrens ist, erklärt der Kinderschutzanwalt für ihn das Einverständnis in die Vermittlung. Er vertritt das Kind bei der Aushandlung und dem Abschluß eines Vergleichs. Dem Kind soll eine persönliche Teilnahme an der Verhandlung und eine Mitsprache ermöglicht werden, soweit sein Reifegrad dies zuläßt und davon keine negativen Auswirkungen auf die Psyche des Kindes zu erwarten sind. Der Kinderschutzanwalt kann der persönlichen Beteiligung des Kindes oder des Jugendlichen widersprechen, wenn er eine Gefährdung seines seelischen Wohls oder der sekundärpräventiven Ziele des Verfahrens erwartet. Beim Abschluß des Vergleichs wird der Minderjährige von seinem Kinderschutzanwalt vertreten. Das bedeutet, daß ohne die Zustimmung des Kinderschutzanwalts kein Vergleich abgeschlossen werden kann. Verweigert er sein Einverständnis, so scheitert das Verfahren. Zwar sind die getroffenen Vereinbarungen nicht rechtlich bindend. Ihr Abschluß setzt daher grundsätzlich nicht die Geschäftsfähigkeit der Parteien voraus. Eine sachkundige Vertretung des Kindes oder des Jugendlichen ist indessen wegen der weitreichenden Auswirkungen erforderlich, die Erfolg oder Mißerfolg des Vermittlungsverfahrens für die Möglichkeit einer Strafverfolgung haben können. In Fällen der Eltern-Kind-Gewalt wird der abgeschlossene Vergleich meist nur einseitige Verpflichtungen der Eltern enthalten. Verpflichtungen des Kindes
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oder des Jugendlichen sind allerdings möglich, sofern sie sinnvoll sind und seinen Reifegrad berücksichtigen. Ein mißhandelter Jugendlicher kann beispielsweise versprechen, bestimmte provozierende Handlungen zu unterlassen. Es kann auch vereinbart werden, das Kind in therapeutische Betreuung zu geben. Wenn es sich bei dem Opfer um einen Jugendlichen handelt, muß er mit der Übernahme von eigenen Pflichten einverstanden sein. Andernfalls wären Verstöße gegen die ausgehandelte Vereinbarung vorprogrammiert. Aus diesem Grunde soll auch der Kinderschutzanwalt, der ein Kind unter 14 Jahren vertritt, keine Verpflichtungen für das Kind akzeptieren, denen es sich ernsthaft widersetzt. In diesem Falle müssen andere Einigungsmöglichkeiten gesucht werden. Wenn Gewalttätigkeiten eines Jugendlichen gegen seine Eltern oder Geschwister zur Verhandlung stehen, muß der Jugendliche im Rahmen seiner geistigen und seelischen Fähigkeiten aktiv am Verfahren beteiligt werden. Er soll an der Aushandlung und am Abschluß einer Vereinbarung in verantwortlicher Weise mitwirken. Der Kinderschutzanwalt soll ihn lediglich unterstützen und darauf achten, daß die Belange des Jugendlichen ausreichend Gehör und Beachtung finden. Als bestellter Vertreter des Jugendlichen muß er dem erzielten Vergleich zustimmen. Er soll jedoch nicht über den Kopf des Jugendlichen hinweg und gegen dessen Willen Vereinbarungen mit den Eltern treffen. Daher sind hier sowohl das Einverständnis des Jugendlichen wie das seines Anwalts erforderlich, um einen Vergleich abzuschließen. An einem Vermittlungsverfahren wegen Gewalt unter minderjährigen Geschwistern sind auch die Eltern als Parteien beteiligt. Ihnen obliegt in erster Linie die Kontrolle von Geschwisterstreitigkeiten. Daher sind es auch die Eltern, die wegen Verletzung ihrer Garantenpflichten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn es zu Mißhandlungen unter ihren Kindern kommt. Die Reaktion auf Gewalt unter minderjährigen Geschwistern soll deshalb ähnlich der Reaktion auf Eltern-Kind-Gewalt gestaltet werden. Es soll also ein Vermittlungsverfahren unter Beteiligung der Eltern und der Kinder als Parteien durchgeführt werden. Damit der Kinderschutzanwalt die Interessen des Minderjährigen im Vermittlungsverfahren vertreten kann, muß er sich über die Lebensumstände sowie über die körperliche, geistige und seelische Verfassung des Kindes ein Bild machen. Er hat daher das Recht, das Kind zu sehen und mit ihm zu sprechen. Problematisch ist die Frage, ob dem Kinderschutzanwalt auch die Befugnis zugestanden werden soll, eine medizinische oder psychologische Untersuchung des Kindes anzuordnen. Einerseits sind solche Untersuchungen häufig erforderlich, um die notwendigen Informationen über den körperlichen oder seelischen Gesundheitszustand des Kindes zu gewinnen. Andererseits stellt die Anordnung dieser Untersuchungen einen erheblichen Eingriff in Rechte der Eltern und des Kindes dar. Es bestehen gewichtige rechtsstaatliche Bedenken dagegen, einer nichtstaatlichen Institution derartig tiefgreifende Eingriffsbefugnisse zu erteilen
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und sie in ihr Zweckmäßigkeitsermessen zu stellen. Hier ist eine Verstärkung der staatlichen Kontrolle notwendig. Der Kinderschutzanwalt darf nur dann eine medizinische oder psychologische Untersuchung anordnen, wenn das aufsichtsführende Vormundschaftsgericht ihm im Einzelfall eine entsprechende Befugnis erteilt hat. Eine Einschaltung des Vormundschaftsgerichts erübrigt sich freilich, wenn sich die Sorgeberechtigten mit einer Untersuchung des Kindes einverstanden erklären. Sofern der Kinderschutzanwalt einen Minderjährigen vertritt, der das Opfer familiärer Gewaltanwendung geworden ist, kann er an der Überwachung der Einhaltung des Vergleichs und der Sicherheit des Kindes mitwirken. Er kann sich in den Vergleichsvereinbarungen die Rechte einräumen lassen, der Familie während des Kontrollzeitraums Hausbesuche abzustatten, das Kind zu sehen und zu sprechen. Wie alle im Vermittlungsverfahren abgeschlossenen Übereinkünfte sind auch diese Vereinbarungen nicht rechtsverbindlich, das heißt die Familie kann nicht zu ihrer Einhaltung gezwungen werden. Widersetzt sie sich der Überwachung, so kann der Kinderschutzanwalt den Fall allerdings wegen eines Scheiterns der Vermittlung an die Strafverfolgungsorgane weiterleiten. 5. Das Verhältnis des informellen Vermittlungsverfahrens zum formellen Strafverfahren Die Diversionsfunktion des Vermittlungsverfahrens macht es notwendig, daß es in den Ablauf der Strafverfolgung eingepaßt und mit ihm koordiniert wird. Daneben soll das Vermittlungsverfahren auch den Charakter eines Angebots des Staates an die gefährdete Familie haben, sie bei der Lösung ihrer innerfamiliären Konflikte zu unterstützen 60 . Als informelles Konfliktregelungsverfahren muß es jeder Familie offenstehen. Es wendet sich auch und gerade an solche Familien, die keine Strafverfolgung wollen, und versucht, Fälle zu erfassen, die bislang im Dunkelfeld familiärer Gewaltanwendung lagen. Der Angebotscharakter des Vermittlungsverfahrens verlangt, daß es unabhängig von einer Strafverfolgung durchgeführt werden kann. Die Vermittlungsstelle muß also auch von der betroffenen Familie direkt angerufen werden können und in diesen Fällen ohne Einschaltung der Strafverfolgungsorgane vermitteln. Die zweifache Orientierung des Vermittlungsverfahrens muß bei der Entscheidung der Fragen berücksichtigt werden, welche Fälle der Gewalt in der Familie der Vermittlung zugänglich sind und welche strafrechtlichen Folgen ein Scheitern der Vermittlung nach sich ziehen kann.
60
Vgl. oben D IV 4 b) cc) (a) und dd).
5. Verhältnis des Vermittlungs- zum Strafverfahren
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a) Die Zulassung von Fällen familiärer Gewaltanwendung zur Vermittlung aa) Die Entscheidung der Strafverfolgungsorgane über die „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
Eine „Diversion" ist nur in denjenigen Fällen familiärer Gewaltanwendung möglich, für die kein Strafverfolgungszwang besteht. Gewalttaten nach §§ 224, 225 sind deshalb von einer vorgerichtlichen „Diversion" ausgeschlossen61. Fälle der einfachen oder der gefahrlichen Körperverletzung innerhalb der Familie (§§ 223, 223a) sollen demgegenüber grundsätzlich der Vermittlung zugeleitet werden. Eine „Diversion" kommt lediglich dann nicht in Frage, wenn die Tat aufgrund der Schwere des verwirklichten Unrechts den Rechtsfrieden so nachhaltig stört, daß er durch einen privaten Interessenausgleich alleine nicht wiederhergestellt werden kann. Dies kann beispielsweise angenommen werden, wenn der Angriff schwerwiegende und dauerhafte körperliche oder geistige Schäden beim Opfer hervorgerufen hat, die nicht von §§ 224, 225 erfaßt sind. Gleichwohl muß die Staatsanwaltschaft oder das befaßte Gericht bei der Entscheidung über eine „Diversion" auch in diesen Fällen die Interessen des Opfers und der Familie berücksichtigen. Eine vorgerichtliche „Diversion" sollte möglich sein, wenn es sich bei der Tat offenbar um einen einmaligen Vorfall handelt, und die Familie den Willen zum Zusammenhalt und zum Ausgleich zeigt. Abgesehen von den schweren Fällen der §§ 223, 223a empfiehlt sich eine Vermittlung dann nicht, wenn sie von vornherein aussichtslos erscheint. Da die konkreten Erfolgsaussichten einer Vermittlung für die überweisenden Strafverfolgungsorgane schwer zu beurteilen sind, soll eine Weitergabe nur dann unterbleiben, wenn die Familie wegen ähnlicher Gewalttaten zuvor bereits an einem Vermittlungsverfahren teilgenommen hat. Im übrigen bildet das Erfordernis der Einwilligung der Betroffenen in die Vermittlung ein wichtiges Regulativ, um wenig erfolgversprechende Fälle zurückzuhalten. Kindesmißhandlungen (§ 223b) sind ebenfalls der vorgerichtlichen „Diversion" zugänglich und können demnach von den Strafverfolgungsorganen zur Vermittlung an die Schlichtungsstelle überwiesen werden. Ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Entscheidung über den Verzicht auf ein gerichtliches Verfahren muß hier noch mehr als in anderen Fällen familiärer Gewaltanwendung der Schutz des Opfers sein. Dieser Gedanke muß auch dann im Vordergrund stehen, wenn die Schwere der Tat eine Bewehrung des Rechts durch die Bestrafung des Täters zu erfordern scheint. Auch schwere Taten sollen nicht verfolgt werden, wenn die Interessen des Opfers im Einzelfall eine „Diversion" verlangen. Über die Schutzbedürfnisse des mißhandelten Kindes wacht im Diversionsverfahren der Kinderschutzanwalt. Staatsanwaltschaft und Gerichte sollen ihn zuvor befragen, wenn sie sich gegen eine „Diversion" und für eine formelle Strafverfolgung entscheiden wollen. Halten die Strafverfolgungs61
Vgl. oben D IV 3 a).
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung
organe eine formelle Verfolgung nach Rücksprache mit dem Kinderschutzanwalt nicht für erforderlich, so überweisen sie den Fall zur Vermittlung an die Schlichtungsstelle. Der Kinderschutzanwalt willigt für das Kind nur dann in eine Vermittlung ein, wenn eine vorgerichtliche „Diversion" nicht schutzwürdige Interessen des vertretenen Kindes gefährdet. Falls zum Schutz des Kindes eine Strafverfolgung erforderlich ist, verweigert er seine Einwilligung in das Vermittlungsverfahren. Über die „Diversion" von familiären Gewalttaten nach §§ 223,223a entscheidet die Staatsanwaltschaft alleine. Sie bedarf für eine Weiterleitung an die Schlichtungsstelle nicht der Zustimmung des Gerichts, da eine öffentliche Strafverfolgung dieser Strafantrags- und Privatklagedelikte ohnehin nur möglich ist, wenn die Staatsanwaltschaft ein öffentliches Interesse hieran bejaht. Ist der Fall bereits vor Gericht gelangt, kann auch das Gericht ihn zur Vermittlung weiterverweisen. Das Gericht muß hierzu allerdings die Zustimmung der Staatsanwaltschaft einholen, sofern diese Klage erhoben hat, weil es das Ausmaß des verwirklichten Unrechts verlangt oder weil sie eine Vermittlung für aussichtslos hält. Fälle des § 223b kann die Staatsanwaltschaft nur mit Zustimmung des Gerichts an die Schlichtungsstelle verweisen. Es handelt sich hier um Offizialdelikte, deren Verfolgung nicht alleine in das Ermessen eines Strafverfolgungsorgans gestellt werden kann. Daher bedarf auch das Gericht der Zustimmung der Staatsanwaltschaft, wenn es einen Fall des § 223b nach Klageerhebung zur Vermittlung weiterleiten will. bb) Die Wahrnehmung des informellen Vermittlungsangebots durch gefährdete Familien
Das staatliche Vermittlungsangebot richtet sich an alle gefährdeten Familien, ihre Verwandten, Freunde, Bekannten und Nachbarn. Eine Vermittlung muß daher in jedem Falle möglich sein, wenn sich die betroffenen Personen aus eigenem Antrieb an die Schlichtungsstelle wenden. Es ist gleichgültig, welchen Straftatbestand die gewaltsame Handlung erfüllt. Auch solchen Familien, in denen es zu schweren Gewalttaten kommt, die möglicherweise sogar die Tatbestände der §§ 224, 225 erfüllen, müssen die Schlichtungsstellen Hilfe und Unterstützung gewähren. Gleichermaßen sollte eine Vermittlung auch in solchen Fällen der Gewalt in der Familie möglich sein, die nicht der Strafverfolgung unterliegen. Hier ist insbesondere an gewaltsame Angriffe seitens strafunmündiger Kinder oder nicht verantwortungsreifer Jugendlicher (§ 3 JGG) zu denken. Darüber hinaus ist es unter Präventionsgesichtspunkten erforderlich, daß das Vermittlungsangebot auch den Familien zugänglich ist, in denen es noch nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen ist. Es erscheint sinnwidrig, eine Vermittlung erst zuzulassen, nachdem sich eine gewaltsame Ausdehnung der schwelenden Konflikte vollzogen hat. Die primäre Prävention muß immer Vorrang vor der sekundären Prävention genießen. Daher muß das Vermittlungsverfahren gerade auch solchen Familien offenstehen, die sich durch innerfamiliäre
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Spannungen gefährdet sehen und die einer gewalttätigen Entladung ihrer Konflikte vorbeugen wollen. Ein Vermittlungsverfahren darf nur in Ausnahmefallen mit besonderen Gründen versagt werden, etwa wenn sich konkrete Hinweise darauf ergeben, daß das geäußerte Hilfsverlangen nicht ernsthaft ist. b) Das Ruhen des Strafverfahrens während der Vermittlung
Das Vermittlungsverfahren soll dem gerichtlichen Prozeß zeitlich vorgelagert sein und tunlichst schon vor Eröffnung oder zu Beginn des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens durchgeführt werden. Wenn bereits ein formelles Strafverfahren eingeleitet ist, muß eine Verweisung des Falles zur Vermittlung an die Schlichtungsstelle in jeder Lage des Verfahrens möglich sein. Während des Vermittlungsverfahrens soll die formelle Strafverfolgung ruhen. Zum einen steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest, ob eine formelle Verfolgung sich überhaupt noch als erforderlich erweisen wird. Zum anderen stören polizeiliche, staatsanwaltschaftliche und richterliche Untersuchungsmaßnahmen den Ablauf des Vermittlungsverfahrens und gefährden seinen Erfolg. Es muß den Strafverfolgungsorganen allerdings gestattet bleiben, auch während der Dauer des Vermittlungsverfahrens und der sich anschließenden Bewährungszeit Maßnahmen zur Sicherstellung von Beweisen zu treffen, sofern ein Verlust dieser Beweismöglichkeiten zu befürchten ist und die Erfolgschancen eines eventuell nachfolgenden gerichtlichen Strafverfahrens von ihnen abhängen. Wenn das Vermittlungsverfahren erfolgreich abgeschlossen werden kann, wird die Strafverfolgung in der Regel eingestellt. Nur in besonders schweren Fällen kann wegen des hohen Unrechtsgehalts der Tat eine Fortsetzung des formellen Verfahrens erforderlich sein. Als Erfolg der Vermittlung ist es zu werten, daß die Parteien einen Vergleich vereinbart haben und es während der Bewährungszeit nicht zu einer erneuten körperlichen Gefährdung des Opfers oder anderer Familienmitglieder durch den Beschuldigten gekommen ist.
e) Die Zusammenarbeit zwischen Schlichtungsstelle und Strafverfolgungsorganen
Die Schlichtungsstelle soll in ihrer Arbeit unabhängig von einer Kontrolle der sachlichen Zweckmäßigkeit ihres Vorgehens durch die Strafverfolgungsorgane sein. Soweit die Schlichtungsstelle auf Veranlassung von Staatsanwaltschaft oder Gerichten mit der „Diversion" von Straftaten betraut wird, muß indessen eine Zusammenarbeit zwischen ihr und den Strafverfolgungsorganen gewährleistet werden, die einerseits der Staatsanwaltschaft und den Gerichten ermöglicht, über Fortgang oder Einstellung des Strafverfahrens zu befinden, jedoch andererseits nicht die Vertraulichkeit der Vermittlungsverhandlung gefährdet. Die Entscheidung von Staatsanwaltschaft und Gerichten über ihr weiteres Vorgehen bei der strafrechtlichen Verfolgung eines Falles familiärer Gewaltanwendung, der der Vermittlung zugewiesen wurde, ist vom Erfolg des Vermitt-
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lungsverfahrens abhängig. Die Schlichtungsstelle muß das mit der Sache befaßte Strafverfolgungsorgan daher über den Ausgang der Vermittlung und die Bewährung während der festgelegten Frist informieren. Sie gibt den Fall an das überweisende Organ zurück, wenn die Vermittlung scheitert, weil die Parteien ihr nicht zugestimmt haben, sich nicht einigen konnten oder wenn trotz einer Einigung die Gefährdung des Opfers nicht beseitigt werden konnte. Außerhalb eines laufenden oder drohenden Strafverfahrens muß das Vermittlungsangebot jeder betroffenen Familie offenstehen. Der freiwillig vermittlungsbereiten Familie darf aus ihrer Bemühung um eine informelle Konfliktregelung mit Unterstützung der Schlichtungsstelle kein Nachteil erwachsen. Fälle der Gewalt in der Familie, die auf eigene Initiative der Beteiligten in die Vermittlung gelangen, dürfen grundsätzlich nicht an die Strafverfolgungsorgane weitergeleitet werden. Auch wenn eine Vermittlung erfolglos ist, müssen die weiteren Schritte der beteiligten Familie und den übrigen Betroffenen vorbehalten bleiben. Es ist eine Sache des Opfers und anderer Zeugen, Strafanzeige zu erheben. Für beteiligte Kinder kann der Kinderschutzanwalt Anzeige erstatten. Gleichwohl muß es der Schlichtungsstelle möglich sein, in Ausnahmefällen von sich aus die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, wenn sich konkrete Hinweise dafür ergeben, daß dem Opfer oder anderen Familienmitgliedern ohne ein Eingreifen der Strafverfolgungsorgane weitere schwerwiegende körperliche Verletzungen oder sogar tödliche Mißhandlungen drohen. d) Der Fortgang der formeUen Strafverfolgung
Die formelle Strafverfolgung kann nach einem Scheitern der Vermittlungsbemühungen fortgeführt werden. Die Vermittlung gilt als gescheitert, wenn die Parteien der Verhandlung nicht zustimmen, sich im Verfahren nicht einigen können oder die erzielte Vereinbarung nicht einhalten und es erneut zu einer Gefahrdung des Opfers oder anderer Familienangehöriger kommt. Bei Gewalttaten in der Familie, die wegen eines Scheiterns der Vermittlung doch noch zur Strafverfolgung anstehen, handelt es sich in aller Regel um Delikte nach §§ 223, 223a, 223b, für die es keinen Strafverfolgungszwang gibt. Der Spielraum, den das Recht den Strafverfolgungsorganen insoweit läßt, wird bereits durch die Vorschaltung des Vermittlungsverfahrens genutzt. Es stellt sich daher die Frage, ob ein Verzicht auf die Strafverfolgung auch dann möglich bleiben soll, wenn Vermittlungsbemühungen erfolglos gewesen sind, oder ob in solchen Fällen nicht immer ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht werden muß. aa) Die öffentliche Strafverfolgung von Strafantragsund Privatklagedelikten (§§ 223, 223a StGB)
Die Verfolgung von Delikten nach §§ 223,223a im öffentlichen Strafverfahren ist davon abhängig, daß die Staatsanwaltschaft ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht (§ 376 StPO; § 232 StGB verlangt sogar das Bestehen
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eines besonderen öffentlichen Interesses). Bei der Reaktion auf familiäre Gewalttaten ist das öffentliche Interesse daraufgerichtet, daß die Beteiligten zu einem konfliktlösenden Ausgleich gelangen. Dieser Interessenlage, die sich regelmäßig mit den Bedürfnissen der betroffenen Familien deckt, wird durch die Einführung eines vorgerichtlichen Vermittlungsverfahrens Rechnung getragen. Ein Scheitern der Vermittlung bedeutet indessen nicht in jedem Falle, daß die Ausgleichsinteressen der Familie und der Gesellschaft nicht erfüllt werden. Die Familie mag auf einem anderen Wege als durch Vermittlung, etwa durch interne, selbständige Konfliktregelung, zu einem Ausgleich gelangt sein, oder die Trennung der Familie kann das Vermittlungsverfahren überflüssig gemacht haben. In diesen Fällen sind die öffentlichen Interessen meist befriedigt, und es kann trotz eines Scheiterns der Vermittlung von einer Strafverfolgung abgesehen werden. Aber selbst wenn den Gemeininteressen nicht durch eine wie auch immer geartete Konfliktregelung Genüge getan worden ist, bedeutet dies noch nicht, daß in solchen Fällen immer ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht. Die mit Strafantrags- und Privatklageerfordernissen verbundene Durchbrechung des Strafverfolgungszwangs bietet den Strafverfolgungsorganen die Chance, auf Gewalt in der Familie flexibel zu reagieren und die Entscheidung über ein Eingreifen an den Gesichtspunkten des Einzelfalls auszurichten. Das Scheitern der Vermittlung kann daher nicht automatisch zu einer Bejahung des öffentlichen Interesses an der Verfolgung familiärer Gewalttaten führen, die Strafantrags- und Privatklageerfordernissen unterliegen. Vielmehr soll der Spielraum der Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung über die Strafverfolgung von Delikten nach §§ 223, 223a erhalten bleiben. Bei ihrer Ermessensentscheidung über die Aufnahme und Fortführung der öffentlichen Strafverfolgung von solchen Gewalttaten in der Familie muß die Staatsanwaltschaft einerseits das Interesse der Öffentlichkeit an einem lückenlosen und glaubwürdigen Rechtsgüterschutz beachten. Andererseits muß sie die Belange und Bedürfnisse des einzelnen Opfers und der einzelnen Familie würdigen. Das bedeutet zunächst, daß die Störungen und Gefahrdungen der Familie, die eine formelle Strafverfolgung mit sich bringt, nicht außer Verhältnis zur Schwere der Tat stehen dürfen. Die Schwere der Tat darf dabei nicht nur an dem Ausmaß der körperlichen Schäden gemessen werden, die das Opfer erlitten hat. Vielmehr müssen auch die psychischen Verletzungen des Opfers und der Grad der psychischen Beeinträchtigung anderer Familienmitglieder durch die Gewalttätigkeit beachtet werden. Daneben sind die Häufigkeit gewaltsamer Angriffe und ihre Auswirkungen auf die Familiendynamik zu berücksichtigen. Ein wesentlicher Zweck der strafrechtlichen Reaktion auf Gewalt in der Familie besteht darin, dem Täter das Unrecht seiner Tat vor Augen zu führen, ihm zu verdeutlichen, daß er gegen rechtliche Normen verstoßen hat. Die Strafverfolgungsinstanzen müssen daher bei ihrer Entscheidung über formelle Reaktionen auch die Einstellung des Angreifers zu seiner Tat würdigen. Ist der Täter von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt, so spricht dies für die Notwendigkeit eines strafrechtlichen Eingreifens. Ferner sollen die Strafverfolgungsbehör-
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den ihre Entscheidung daran ausrichten, ob und in welchem Ausmaß im Einzelfalle eine informelle Kontrolle familiärer Konflikte durch die Familie selbst und durch ihren sozialen Nahraum gewährleistet ist. Wenn bereits ein Vermittlungsversuch gescheitert ist, bedeutet dies nicht unbedingt, daß die Familie unwillig oder unfähig ist, ihre Konflikte selbst zu steuern und zu kontrollieren. Schließlich soll bei der Entscheidung auch den Wünschen des Opfers Aufmerksamkeit geschenkt werden. Auf diese Weise kann dem Opfer, das eine Strafverfolgung wünscht, in vielen Fällen die Last der Privatklage abgenommen werden. Die Verfolgung einer familiären Gewalttat im Privatklageverfahren soll wegen der besonderen Belastung des Opfers eine Ausnahme sein. Für die strafrechtliche Verfolgung familiärer Gewalttaten, die Strafantrags- und Privatklageerfordernissen unterliegen, können demnach die allgemeinen verfahrensrechtlichen Regeln gelten. Bei ihrer Entscheidung über die Aufnahme der Strafverfolgung und die Erhebung der öffentlichen Klage geht die Staatsanwaltschaft allerdings von differenzierten Kriterien aus, die die Bedürfnisse der betroffenen Familie stärker beachten. Die Durchführung eines vorgeschalteten Vermittlungsverfahrens darf die Strafantrags- und Privatklagerechte des Verletzten nicht beeinträchtigen. Daher muß während der Durchführung des Vermittlungsverfahrens und während der anschließenden Bewährungszeit der Ablauf der Strafantragsfrist (§ 77b) ruhen. Dem Verletzten soll die Möglichkeit erhalten bleiben, bei einem Scheitern der Vermittlung Strafantrag zu stellen. Die Erhebung einer Privatklage ist ohnehin nicht fristgebunden. Ein gescheitertes Vermittlungsverfahren ersetzt den nach § 380 StPO erforderlichen Sühneversuch. Es wäre sinnlos und würde die Beteiligten über Gebühr belasten, zusätzlich die Teilnahme an einer Sühneverhandlung zu verlangen. Die Verfolgung von Strafantrags- und Privatklagedelikten, die von einem Elternteil an seinem Kind verübt werden, stößt gegenwärtig auf erhebliche Schwierigkeiten, da in der Praxis regelmäßig niemand vorhanden ist, der den Minderjährigen bei der Erhebung von Strafantrag und Privatklage vertritt 6 2 . Hier kann die Institution des Kinderschutzanwalts Abhilfe schaffen. Ihm kann generell das Recht eingeräumt werden, Kinder und Jugendliche, die von ihren Eltern körperlich angegriffen werden, bei der Ausübung ihres Strafantrags- und Privatklagerechts zu vertreten. Bei seiner Entscheidung über die Erhebung von Strafantrag und Privatklage prüft der Kinderschutzanwalt, ob eine Strafverfolgung zum Schutz des Kindes erforderlich und sinnvoll ist. bb) Die Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a StPO oder §§ 45, 47 JGG
Straftaten nach § 223b, die dem Erwachsenenstrafrecht unterfallen, sowie Jugendstraftaten werden im Offizialverfahren verfolgt, unterliegen aber keinem Strafverfolgungszwang. §§ 153, 153a StPO und §§ 45, 47 JGG eröffnen Diver62
Vgl. oben A IV 2.
5. Verhältnis des Vermittlungs- zum Strafverfahren
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sionswege. Problematisch ist, ob nach dem Scheitern eines Vermittlungsverfahrens im formellen Strafverfahren noch eine Diversion nach diesen Vorschriften möglich bleiben soll. Das Scheitern des Vermittlungsverfahrens schließt zwar die Voraussetzungen der §§ 153, 153a StPO oder §§ 45, 47 JGG nicht automatisch aus. Es ist aber fraglich, ob nach einem gescheiterten Vermittlungsverfahren eine „Diversion" nach §§ 153,153a StPO oder §§ 45, 47 JGG noch sinnvoll ist, denn mit dem Vermittlungsverfahren hat bereits ein Diversionsversuch stattgefunden. Die Nachschaltung eines zweiten Versuches kann das Vermittlungsverfahren in den Augen der Beteiligten und der Strafverfolgungsorgane entwerten und damit möglicherweise auch die Einigungsbereitschaft der Parteien in der Vermittlung verringern. Nach dem Scheitern eines Diversionsverfahrens erscheinen auch die Erfolgsaussichten eines zweiten Diversionsversuches gering. Indessen würde es eine Benachteiligung des Beschuldigten bedeuten, wollte man eine „Diversion" nach §§ 153, 153a StPO oder §§45, 47 JGG nach dem Scheitern eines Vermittlungsverfahrens ausschließen. Der Erfolg der Vermittlung hängt nicht alleine vom Verhalten des Beschuldigten, sondern auch vom guten Willen der übrigen Beteiligten ab. Es belastet den Beschuldigten in unbilliger Weise, wenn er als Folge des Scheiterns der Vermittlung die Chance einer Einstellung der Strafverfolgung nach den allgemeinen Regeln verliert 63 . Darüber hinaus beruht die „Diversion" nach §§ 153,153a StPO und §§ 45,47 JGG auf Grundgedanken, die sich in ihrer Gewichtung nicht völlig mit den Zwecken des Vermittlungsverfahrens decken. §§ 153,153a StPO wollen in erster Linie die Strafverfolgungsorgane entlasten und haben daneben die durchaus erwünschte Wirkung, daß sie den Täter schonen, dem eine geringfügige Verfehlung zur Last gelegt wird 6 4 . Das informelle Erziehungsverfahren des Jugendstrafrechts soll eine behutsame erzieherische Einflußnahme auf den beschuldigten Jugendlichen ermöglichen und die belastenden Folgen einer Verurteilung vermeiden 65 . Das Vermittlungsverfahren ist demgegenüber an den Bedürfnissen der Familie orientiert. Wenn ein Ausgleich innerhalb der Familie durch Vermittlung nicht herzustellen ist, bedeutet dies nicht, daß die vergleichsweise eingeschränkten Zwecke einer „Diversion" nach §§ 153,153a StPO oder §§ 45,47 JGG nicht dennoch erreicht werden können. Die Möglichkeit einer „Diversion" nach den allgemeinen Regeln muß daher erhalten bleiben. Bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung, die auch im Rahmen dieser Vorschriften notwendig ist, sind freilich wiederum die Belange der Familie zu berücksichtigen. Ist das Scheitern der Vermittlung mit einem Fortbestehen der Gefahrdung von Opfer und Familie durch weitere Gewaltanwendung verbunden, so spricht dies für die Annahme eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung.
63 64 65
19
Darauf weist auch Weigend 1984, 780 hin. Meyer-Goßner LR § 153 Rdn. 1, § 153 a Rdn. 2 ff. Brunner §45 Rdn. 4, 9 ff. U . Schneider
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D IV. Vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung 6. Zusammenfassung: Die vorgerichtliche „Diversion" familiärer Gewaltanwendung im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens
Zur vorgerichtlichen „Diversion" familiärer Gewalttaten, die die Tatbestände der §§ 223, 223a, 223b erfüllen oder in den Geltungsbereich des JGG fallen, soll ein informelles Vermittlungsverfahren geschaffen werden. Es wird von Schlichtungsstellen durchgeführt, die fachlich von den Strafverfolgungsorganen unabhängig sind, jedoch unter der Rechtsaufsicht der Justizbehörden stehen. Die Bedeutung und die Komplexität der verhandelten innerfamiliären Konflikte machen es erforderlich, daß als Schlichter berufsmäßige Berater tätig werden. Sie können mit ehrenamtlichen Beisitzern zusammenarbeiten, die aus dem Bezirk der Schlichtungsstelle stammen. Die Durchführung des Verfahrens ist von der Einwilligung der Konfliktparteien abhängig. Ziel des Verfahrens ist es, aktuell gewaltverursachende und -verursachte Konflikte innerhalb der Familie zu regeln. Darüber hinaus soll das Verfahren der Familie ein Lernmodell für Möglichkeiten der friedlichen Konfliktlösung in kooperativen Verhandlungen geben. Schließlich soll es der Familie Wege zu einer längerfristigen therapeutischen und sozialen Betreuung weisen. Das Vermittlungsverfahren gewährt den Parteien weitgehende Autonomie bei der Lösung ihrer Konflikte. Alle Regelungen müssen von ihnen selbst erarbeitet und vereinbart werden. Der Schlichter spielt lediglich die Rolle eines Mittlers, der eine faire Verhandlung gewährleisten und den Ausgleich zwischen den Parteien fördern soll. Die Einhaltung der im Vermittlungsverfahren getroffenen Vereinbarungen kann nicht gerichtlich erzwungen werden. In der Regel legt der Schlichter allerdings eine Bewährungszeit fest. Während dieser Zeit wird die Befolgung der erzielten Vereinbarungen von der Schlichtungsstelle überprüft. Wenn es während der Bewährungszeit nicht zu einer erneuten körperlichen Gefahrdung des Opfers oder anderer Familienmitglieder kommt, wird die Strafverfolgung endgültig eingestellt. Das Vermittlungsverfahren wendet sich auch an solche Familien, die sich keiner drohenden Strafverfolgung ausgesetzt sehen. Es ist vertraulich. Die Schlichtungsstelle darf nur in Ausnahmefallen von sich aus die Strafverfolgungsorgane einschalten. Sie hat dieses Recht nur dann, wenn das Eingreifen der Strafverfolgungsorgane erforderlich ist, um besonders schwerwiegende Gefahren für Leib oder Leben eines bedrohten Familienmitglieds abzuwenden. In aller Regel werden die Strafverfolgungsbehörden nur dann über den Erfolg des Verfahrens informiert, wenn sie in dem vermittelten Fall bereits tätig sind. Der Inhalt der Verhandlungen ist immer geheim. Die Strafverfolgung unterbleibt regelmäßig, wenn das Vermittlungsverfahren und die Bewährungszeit erfolgreich verlaufen sind. Andernfalls kann das formelle Strafverfahren (wieder-)aufgenommen werden. Die Strafverfolgungsorgane behalten jedoch die Möglichkeit, die Erhebung der öffentlichen Anklage nach §§232 StGB, 376 StPO abzulehnen oder das Verfahren nach §§ 153, 153a StPO oder §§ 45, 47 JGG einzustellen. Bei ihrer Entscheidung für oder gegen eine Strafverfolgung müssen sie allerdings den Interessen des Opfers und der Familie zentrale Beachtung schenken.
1. Rolle des Nahraums bei der Aufdeckung von Kindesmißhandlung
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Minderjährige Familienangehörige werden im Vermittlungsverfahren durch einen Kinderschutzanwalt unterstützt und bei der Abgabe von Erklärungen vertreten. Der Kinderschutzanwalt nimmt die persönlichen Interessen des Kindes oder Jugendlichen wahr. Vielfach ist auch eine persönliche Teilnahme des Minderjährigen am Verfahren erforderlich. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Minderjährige an dem gewaltsamen Angriff oder an seiner Verursachung beteiligt war. Das Ausmaß der persönlichen Teilnahme des Minderjährigen richtet sich freilich nach dem Grad seiner geistigen und seelischen Reife. Auch muß in der Verhandlung besondere Rücksicht auf minderjährige Gesprächsteilnehmer genommen werden. Für die erforderliche Rücksichtnahme hat der Kinderschutzanwalt zu sorgen. Als Institution wird der Kinderschutzanwalt von privaten Verbänden getragen. Er arbeitet unter der rechtlichen Aufsicht des Vormundschaftsgerichts.
V. Strafrechtliche Melderegeln zur Erhellung des Dunkelfelds bei familiärer Gewaltanwendung 1. Die Notwendigkeit der Mitwirkung des sozialen Nahraums der Familie insbesondere bei der Aufdeckung von Kindesmißhandlung Eine wirksame sekundäre Prävention familiärer Gewaltanwendung durch das Strafrecht setzt eine Aufhellung des in diesem Bereich bestehenden erheblichen Dunkelfelds voraus. Ein noch so ausgeklügeltes Reaktionssystem verspricht wenig Erfolg, wenn Lücken in der strafrechtlichen Kontrolle seine Anwendung verhindern. Ein umfangreiches Dunkelfeld hemmt auch die primärpräventive Wirksamkeit von Strafrechtsnormen, die nur dann wert- und gewohnheitsbildende und abschreckende Bedeutung erlangen, wenn sie durchgesetzt werden 1 . Eine Aufhellung des Dunkelfelds familiärer Gewaltanwendung ist nur bei einer Erhöhung der Anzeige- und Mitwirkungsbereitschaft des Opfers, der Familie und der Personen ihres sozialen Nahraums möglich. Zu einer solchen Steigerung soll bereits die Schaffung eines Diversionssystems 2 beitragen, das den Familien auch außerhalb der Strafverfolgung Unterstützung anbietet. Die Bereitschaft, familiäre Gewaltanwendung zur Kenntnis der Behörden oder zumindest der Schlichtungsstellen zu bringen, wird in dem Maße zunehmen, in dem die Betroffenen kompetente Hilfe bei der Lösung ihrer Probleme erwarten können. Das vorgeschlagene Reaktionssystem kann sich freilich nicht vollkommen darauf verlassen, daß Familien mit Gewaltproblemen aus eigenem Antrieb an einem Vermittlungsverfahren teilnehmen. Viel weniger kann davon ausgegangen werden, daß sie sich in schweren Fällen familiärer Gewaltanwendung freiwillig der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen. Schlichtungsstelle und 1 2
19*
Vgl. oben C I 1, I I 1 b), 2 a). Vgl. oben insbes. D IV 4b) cc) (3).
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D V. Strafrechtliche Melderegeln
Strafverfolgungsorgane sind insoweit auf die Mitarbeit des sozialen Nahraums der Familie, von Nachbarn, Freunden und Verwandten angewiesen. Meldungen aus diesem Personenkreis sind um so notwendiger, je stärker das Opfer gefährdet ist, je dringender also sein Schutz ist, und je weniger das Opfer selbst in der Lage ist, Hilfe bei der Schlichtungsstelle oder den Strafverfolgungsbehörden zu suchen. Diese Bedingungen liegen insbesondere in Fällen der Kindesmißhandlung vor. Zwar soll es hier dem Kinderschutzanwalt obliegen, für den Schutz eines gefährdeten Kindes einzutreten. Allerdings muß auch er erst Kenntnis von entsprechenden Gefahrdungen erhalten, bevor er einschreiten kann. Kindesmißhandlungen werden von der betroffenen Familie häufig nicht nur vor anderen verborgen gehalten, sondern auch vor sich selbst geleugnet. Die Bereitschaft von Risikofamilien, sich aus eigenem Antrieb an die zuständigen Stellen zu wenden, darf daher nicht überschätzt werden. Meldungen von Außenstehenden sind bei Kindesmißhandlungen besonders wichtig, da das Opfer als Kontrollfaktor ausfallt. Bei der sozialen Kontrolle von Kindesmißhandlungen spielt der Arzt eine Sonderrolle, weil er oft der einzige ist, der das mißhandelte Kind zu Gesicht bekommt. Er hat gegenüber seinen kleinen Patienten eine besondere moralische und rechtliche Verantwortung, über ihr körperliches und seelisches Wohl zu wachen. Sein Verantwortungsbereich ist umfassender als derjenige von Nachbarn oder Freunden, Lehrern oder Kindergärtnerinnen. Es spricht daher einiges dafür, neben diesen Personen des sozialen Nahraums des Kindes und der Familie insbesondere Ärzte zur Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzanwalt, der Vermittlungsstelle und den Strafverfolgungsbehörden aufzufordern. 2. Die gesetzliche Verankerung eines Melderechts Nachbarn, Bekannte, Verwandte, Erzieher und Ärzte, die über eine Kindesmißhandlung Auskunft geben können, sehen sich meist in einen tiefen Verhaltenskonflikt gestürzt. Einerseits möchten sie dem mißhandelten Kind helfen und zu seinem Schutz beitragen. Andererseits schrecken sie vor einer Information der Behörden zurück, da sie hiervon soziale und rechtliche Nachteile für sich selbst befürchten 3. Teilweise ergreifen diese Personen eigene Hilfs- und Kontrollmaßnahmen, beispielsweise indem sie mit den Eltern über ihr Problem reden. Dieses Verhalten muß vom Recht nicht nur respektiert, sondern wegen des hohen Wertes der informellen Sozialkontrolle sogar gefördert werden. In vielen Fällen unternehmen sie indessen überhaupt keine Schritte zum Schutze des Kindes. Der Verhaltenskonflikt, in dem sich der Zeuge einer Kindesmißhandlung bei seiner Anzeige befindet, wird durch strafrechtliche Verbotsnormen mitverursacht. Ein Zeuge, der eine Kindesmißhandlung meldet, gerät leicht in die Gefahr, den Tatbestand des § 186 zu erfüllen. Ein Arzt, der seine Schweigepflicht bricht, verwirklicht darüber hinaus den Tatbestand des 3
Vgl. oben C I I 1 b) aa).
. Die gesetzliche Verankerung eine Meldecht
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§ 2031 Nr. 1. Da die Behörden bei der Kontrolle von Kindesmißhandlungen auf die Meldebereitschaft der Personen des sozialen Nahraums der Familie angewiesen sind, ist die gesetzliche Verankerung eines entsprechenden Rechtfertigungsgrundes zu erwägen. Die Meldung muß unabhängig von der Erweislichkeit einer Kindesmißhandlung gebilligt werden, wenn der Anzeigeerstatter in gutem Glauben handelt. Bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage ist das Verhalten des Anzeigeerstatters allerdings regelmäßig gerechtfertigt. Der anzeigende Nachbar, Bekannte oder Verwandte macht sich nicht nach § 186 strafbar, da er sich auf den Rechtfertigungsgrund des § 193, die Wahrnehmung berechtigter Interessen, berufen kann. Das Recht zur Erstattung von Anzeigen bei Behörden steht jedermann zu, solange die Anzeige nicht jeder vernünftigen Grundlage entbehrt 4 . Auch der anzeigende Arzt macht sich nicht nach § 203 I Nr. 1 strafbar, wenn seine Meldung das Ergebnis einer richtigen Interessen- oder Pflichtenwahrnehmung ist 5 . Dies ist bei dem Verdacht der Kindesmißhandlung regelmäßig der Fall. Dennoch kann die Lage des Arztes kritisch werden, wenn sich herausstellt, daß keine Kindesmißhandlung vorlag, oder wenn sie sich nicht nachweisen läßt. Ein ausdrücklich verankerter Rechtfertigungsgrund ändert zwar nicht die Rechtslage, trägt aber zu ihrer Klärung bei. Besonders unbefriedigend ist, daß sich der anzeigende Arzt gegenwärtig auf einen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund stützen muß, der in seinem Inhalt unbestimmt und in seinen Grenzen unklar definiert ist. Ein gesetzlich festgeschriebener Rechtfertigungsgrund kann nicht nur diese rechtliche Unzulänglichkeit beseitigen. Er kann auch eine entscheidende Symbolwirkung entfalten 6 . Indem er die Rechtslage für die Ärzte und sonstigen Zeugen klarstellt, trägt er zur Beseitigung bestehender Verhaltensunsicherheiten bei und nimmt Drohungen seitens der betroffenen Familie die Spitze. Schließlich kann er die Einstellung unbeteiligter Bevölkerungskreise gegenüber anzeigenden Nachbarn, Verwandten oder Ärzten positiv beeinflussen. Er macht deutlich, daß der Anzeigende mit Billigung der Rechtsordnung handelt, und schützt ihn auf diese Weise vor Kritik. Die gesetzliche Verankerung eines Melderechts ist demnach zwar nicht unbedingt notwendig, um den Anzeigenden vor Strafverfolgung zu bewahren. Sie ist gleichwohl sinnvoll, um Verhaltensunsicherheiten bei den Betroffenen zu beseitigen und sie vor einer sozialen Verurteilung zu schützen. 3. Die gesetzliche Verankerung einer Meldepflicht a) Die im Ausland bestehenden Meldepflichten
Gesetzlich verankerte, rechtfertigende Melderechte bestehen gegenwärtig bereits in allen Staaten der USA und in zahlreichen Provinzen Kanadas. Die 4 5 6
Lenckner S/S § 193 Rdn. 18. Vgl. C I I 1 b) aa). Freeman 1979, 97; Fontana /Besharov 1977, 77.
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D V. Strafrechtliche Melderegeln
Mehrzahl der US-Staaten und der kanadischen Provinzen sowie zwei Provinzen Australiens (Südaustralien und Neusüdwales) sind indessen in ihrer Meldegesetzgebung über die Normierung eines Melderechts hinausgegangen und haben gesetzliche Meldepflichten für Kindesmißhandlungen eingeführt 7 . Die USBundesregierung legte im Jahre 1963 einen Modellvorschlag für eine gesetzlich verankerte Anzeigepflicht vor 8 . Das Gesetzesmodell enthielt für Ärzte eine Meldepflicht, deren Verletzung es mit Kriminalstrafe bedrohte. In der Folge dieses Vorschlags wurden innerhalb von vier Jahren in allen US-Bundesstaaten Meldegesetze verabschiedet, die Melderechte oder Meldepflichten vorsehen. Diese Übereinstimmung und das Tempo der Gesetzgebung gelten in den USA als außergewöhnlich 9. In Kanada wurde eine Pflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlung zuerst im Jahre 1969 in der Provinz Neufundland durchgesetzt, nachdem andere Provinzen zuvor gesetzliche Melderechte erlassen hatten 10 . Ebenfalls seit 1969 besteht eine solche Meldepflicht in der australischen Provinz Südaustralien 11. Die erlassenen Meldepflichten richten sich in jedem Fall an Ärzte. Teilweise verpflichten sie darüber hinaus auch andere Berufsgruppen, die häufig mit Kindern in Berührung kommen, wie z.B. Krankenschwestern, Erzieher und Lehrer, Fälle von Kindesmißhandlung anzuzeigen. In vielen USBundesstaaten bestehen entsprechende Pflichten sogar für jedermann. In den letzten Jahren läßt sich in der Gesetzgebung zur Bekämpfung der Kindesmißhandlung die Tendenz erkennen, von Melderechten zu strafbewehrten Meldepflichten überzugehen und überdies den Kreis der Pflichtigen auszudehnen12. Die ärztliche Meldepflicht wird in den USA auch von Medizinervereinigungen bejaht, die sogar vielfach für eine Erweiterung des Kreises der Pflichtigen eintreten 13 . Teilweise werden entsprechende Meldepflichten auch für Fälle der Partner- und Ehegattenmißhandlung gefordert 14 . Der Zweck der bestehenden Meldegesetze für Kindesmißhandlung liegt darin, die Früherkennung gefährdeter Kinder und Familien und das Eingreifen zum Schutz des Kindes und zur Unterstützung der Familie zu erleichtern 15 . In der bundesdeutschen Literatur wird eine Pflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlung ganz überwiegend 7 Freeman 1979,95 ff.; vgl. für die USA insbesondere: DeFrancis / Lucht 1974; Paulsen 1974, 97ff.; für Kanada: Van Stolk 1972, 58 ff. 8 Abgedruckt bei Freeman 1979, 242 f. 9 Paulsen 1974, 98. 10 Van Stolk 1972, 61. 11 Freeman 1979, 106 Anm. 144. 12 DeFrancis/Lucht 1974, 173 f. 13 American Academy of Pediatrics 1966. 14 Kutun/Dunn 1977, 280. 15 Vgl. ζ. Β. die Zweckbestimmungsklauseln der Meldegesetze von Alaska, Colorado, Connecticut, Delaware, Georgia, Idaho, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, Montana, New Hampshire, New Mexico, New York, North Carolina, Pennsylvania, Rhode Island, Tennessee, Utah, Vermont und Washington, zusammengestellt bei DeFrancis/Lucht 1974, 3 Iff.
3. Die gesetzliche Verankerung einer Meldepflicht
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abgelehnt 16 . Die oft wenig begründete pauschale Zurückweisung solcher Meldepflichten beruht teilweise auf einer fehlerhaften Einschätzung des Zwekkes einer entsprechenden Regelung. Die Meldepflicht wird vornehmlich im Hinblick auf das Ziel der Erleichterung einer Strafverfolgung der Eltern abgelehnt 17 . Dieser Zweck tritt jedoch in den nordamerikanischen, kanadischen und australischen Meldegesetzen völlig hinter dem Zweck des Schutzes von Kind und Familie zurück 18 . Eine Meldung zum Zwecke der Strafverfolgung der Eltern wird auch von englischsprachigen Autoren abgelehnt, die Anzeigepflichten ansonsten aufgeschlossen gegenüberstehen 19. b) Vor- und Nachteile einer Verankerung von Meldepflichten im deutschen Strafgesetzbuch
Die Einführung strafbewehrter Pflichten zur Anzeige von Kindesmißhandlungen läßt sich sozial- wie rechtspolitisch nur unter dem Gesichtspunkt des Kinder- und Familienschutzes rechtfertigen. Der Bürger ist kein Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft. Seine Handlungsfreiheit darf nicht zu dem Zweck eingeschränkt werden, die Strafverfolgung von bestimmten Delikten zu verstärken. Dieser Zweck vermag auch nicht, eine Verpflichtung des Arztes zur Preisgabe der ihm bekanntgewordenen Privatgeheimnisse zu begründen. Die Schaffung einer Meldepflicht ist daher nur dann zulässig, wenn sie dem Schutz des Kindes und der Sorge für die gefährdete Familie dient. Damit eine Pflicht mit entsprechender Schutzrichtung nicht leerläuft und ihren Zweck verfehlt, muß ein leistungsfähiges soziales System zur sekundären Prävention von Kindesmißhandlung vorhanden sein. Alleine unter dieser Voraussetzung ist die Einführung von Meldepflichten überhaupt vertretbar 20 . Dennoch bleibt fraglich, ob eine Anzeigepflicht mit sekundärpräventiver Zielsetzung sinnvoll ist. Diese Frage kann nicht ohne Rücksicht auf die konkrete Gestaltung einer Meldepflicht beantwortet werden. aa) Die Normierung einer Jedermannspflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlungen
Die im Ausland bestehenden Pflichten zur Anzeige von Kindesmißhandlungen sind inhaltlich verschieden gefaßt. Die bedeutendsten Unterschiede bestehen hinsichtlich des Kreises der Meldepflichtigen. U m eine breitangelegte 16
Kohlhaas 1967,959; Becker 1968,143 f. und 1975,70; Mätzsch/Brinkmann/Püschel 1980,1346; Nitsch 1977,1612; Albrecht 1981, 6; Trube-Becker 1982,130ff.; differenziert: Zenz 1979, 169 ff. 17 Deutlich bei Trube-Becker 1982, 132 f. 18 Eine entsprechende Zweckbestimmung findet sich nur im Meldegesetz des Staates Wyoming, vgl. bei DeFrancis / Lucht 1974, 169. 19 Paulsen 1974, 98ff.; DeFrancis 1974, 108; DeFrancis/Lucht 1974, 175; Fontana/Besharov 1977, 60ff; Reinhart/Elmer 1964, 361. 20 Fontana/Besharov 1977, 71; Freeman 1979, 96.
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D V. Strafrechtliche Melderegeln
Kontrolle von Kindesmißhandlungen zu gewährleisten, kommt die Einführung einer Jedermannspflicht zur Meldung entsprechender Fälle in Betracht. In den USA haben sich in zahlreichen Bundesstaaten durch gesetzgeberische Veränderungen Jedermannspflichten aus ursprünglich bestehenden Arztpflichten entwickelt. Der Kreis der Pflichtigen wurde im Hinblick auf die Tatsache erweitert, daß nicht nur Ärzte Kenntnis von Kindesmißhandlungen haben 21 . Gegen eine Jedermannspflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlungen wird die Befürchtung geäußert, sie könne zu einer „unzuträglichen Einmischung in fremde Familienverhältnisse" und zu „Denunziationen" führen 22 . M i t der Etikettierung eines Verhaltens als „Denunziation" sollte äußerst vorsichtig umgegangen werden. Ein Rechtsstaat, der bei der Kontrolle kriminellen Verhaltens auf die Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen ist, kann es sich nicht leisten, diese Mitwirkung als Denunziation brandmarken zu lassen. Dieses Urteil darf allenfalls böswillige Falschbehauptungen treffen, die von Meldepflichten ohnehin nicht gedeckt sind. Solange die Meldung einen tatsächlichen Wahrheitsgehalt hat, ist es gleichgültig, ob der Anzeigeerstatter aus moralisch hochwertigen Motiven handelt oder nicht. Für den Schutz eines Kindes vor Mißhandlung sind die Motive eines Anzeigeerstatters ohne Bedeutung. Die „Einmischung" in fremde Familienverhältnisse zur Verhinderung von Kindesmißhandlungen darf auch nicht in jedem Falle als „unzuträglich" bezeichnet werden. Ein vornehmlich von Neugier oder Schadenfreude getragenes „Ausspionieren" von Nachbarn oder Bekannten ist freilich geeignet, das Mißtrauen der Familie gegenüber ihrer Umgebung zu stärken. Demgegenüber ist die gutwillige Anteilnahme an innerfamiliären Vorgängen als Ausübung informeller Sozialkontrolle notwendig und erwünscht, um die Isolation der Risikofamilie zu durchbrechen. Schwerer wiegen die Bedenken, daß allzu eilfertige Anzeigen von Kindesmißhandlungen in manchen Fällen die spontane Zurückbildung der Gefährdung des Kindes und einen Prozeß der Selbstheilung der Familie stören können. Es ist anzunehmen, daß es eine Anzahl von Fällen gibt, in denen die Mißhandlung eines Kindes ein einzelner, unter Ausnahmebedingungen begangener, von den Eltern tief bedauerter Übergriff ist. Ein voreiliges Einschreiten von außen kann hier mehr Schaden als Nutzen bringen. Die Gefahr der Behinderung eines spontanen Rückbildungsprozesses kann indessen durch eine schonende Gestaltung der Reaktionen auf entsprechende Anzeigen gemildert werden. Überdies ist nicht zu befürchten, daß Meldungen häufig vorschnell und leichtfertig erstattet werden. Eher ist zu erwarten, daß Meldepflichten für jedermann nur geringe Wirksamkeit entfalten. Zum einen besteht die Gefahr einer „ Verflüchtigung" des Pflichtigen. Wenn jeder als Pflichtiger gefordert wird, kommt es schnell dazu, daß sich keiner von einer Pflicht angesprochen fühlt. „Jedermannspflichten" werden leicht zu „Niemandspflichten" 23 , da jeder seine Verantwor21 22
DeFrancis/Lucht 1974, 174. Becker 1968, 143 f.
3. Die gesetzliche Verankerung einer Meldepflicht
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tung auf andere abwälzt. Die Befolgung allgemeiner Meldepflichten ist darüber hinaus kaum zu kontrollieren. Nur in den wenigsten Fällen kann nachgewiesen werden, daß ein Nachbar, Verwandter oder Arzt eine Anzeige wider besseres Wissen unterlassen hat. Schließlich besteht die Gefahr, daß eine Meldepflicht den Verhaltenskonflikt des Zeugen nicht löst, sondern vergrößert. Personen aus dem sozialen Nahraum der Familie werden oft durch persönliche Rücksichten auf die mißhandelnden Eltern von einer Anzeige abgehalten. Eine Meldepflicht kann Freunde und Verwandte der Familie in einen schweren Konflikt zwischen Loyalität und Pflichterfüllung stürzen. Unter diesen Gesichtspunkten ist es zweifelhaft, ob eine allgemeine Meldepflicht für Kindesmißhandlung tatsächlich in befriedigendem Ausmaß befolgt würde. Allgemeine Pflichten zur Anzeige von Kindesmißhandlung passen nicht in ein Reaktionssystem, das auf die Anerkennung und Stärkung der informellen Sozialkontrolle angelegt ist. Eine generelle Meldepflicht schwächt oder blockiert die informelle Sozialkontrolle. Sie zwingt Nachbarn, Freunde und Verwandte auch dann zu einer Einschaltung der Behörden, wenn sie selbst bereit sind, die Familie zu unterstützen und auf den Schutz des Kindes zu achten. Initiativen zur privaten, informellen Hilfe sind zwar selten, sollten jedoch vom Recht unbedingt anerkannt und gefördert werden. Die Einführung von Meldepflichten erlaubt es dem sozialen Nahraum der Familie, sich auf minimale Kontrollfunktionen, nämlich die Weiterleitung der Familie an die Behörden, zu beschränken. Sie übergeht und unterdrückt die private Hilfsbereitschaft von Bekannten und Verwandten. Damit fördert sie nicht die Übernahme sozialer Verantwortung gegenüber der gefährdeten Familie — sofern sich diese überhaupt durch Strafdrohungen fördern läßt —, sondern baut sie ab. Da Maßnahmen der informellen Sozialkontrolle den Vorrang vor einem Eingreifen der Behörden genießen sollen, muß eine allgemeine Meldepflicht abgelehnt werden, die lediglich der Ausweitung der formellen Kontrolle von Kindesmißhandlung dient. bb) Die Normierung einer Arztpflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlungen
Wenn eine allgemeine Pflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlungen abgelehnt wird, ist damit noch nicht über solche Meldepflichten entschieden, die lediglich bestimmte Berufsgruppen, insbesondere Ärzte, ansprechen. Der Arzt verfügt aufgrund seiner beruflichen Ausbildung und Aufgabe über außergewöhnliche Möglichkeiten zur Erkennung von Kindesmißhandlungen. Gegenüber seinen kleinen Patienten hat er gleichzeitig eine besondere rechtliche Verantwortung. Diese Tatsachen rechtfertigen es, den Arzt stärker in die Pflicht zu nehmen als Nachbarn, Bekannte und Verwandte der Familie 24 . Hinsichtlich 23 24
Paulsen 1974, 98; Freeman 1979, 97. a. Α. Kohlhaas 1967, 959.
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D V. Strafrechtliche Melderegeln
der Entscheidung über die Anzeige von Kindesmißhandlungen räumt das Recht dem Arzt gegenwärtig ein kaum überprüfbares Ermessen ein. Für die Ausschaltung des ärztlichen Ermessens durch Festlegung einer Meldepflicht spricht die Tatsache, daß die Entscheidung über die Anzeige einer Kindesmißhandlung nicht alleine nach medizinischen Gesichtspunkten getroffen werden kann. Der Arzt ist in aller Regel nicht in der Lage, die künftige Gefährdung des Kindes zu beurteilen 25 . Beläßt man ihm dennoch die Freiheit, über die Weiterleitung des Falles an Behörden und Hilfsorganisationen nach seinem Ermessen zu befinden, so besteht die Gefahr, daß er verhängnisvolle Fehlentscheidungen trifft. Eine ärztliche Meldepflicht soll demgegenüber eine Gleichbehandlung aller Patienten sicherstellen. Sie soll verhindern, daß sich der Arzt bei der Entscheidung über eine Anzeige von Vorurteilen leiten läßt 2 6 . Darüber hinaus vereitelt sie, daß mißhandelnde Eltern ihre Kinder bei erneuten Verletzungen immer wieder zu einem anderen Arzt oder in eine andere Klinik bringen 27 , damit beim behandelnden Arzt kein Verdacht entsteht. Die Meldepflicht soll verhüten, daß Ärzte mit einer Anzeige zuwarten, bis ihnen das Kind zum wiederholten Male mit unerklärlichen Verletzungen vorgestellt wird. Häufig bekommt der Arzt das Kind nämlich kein zweites Mal mehr zu sehen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Beseitigung der Ermessensfreiheit des. Arztes sinnvoll. Es soll sichergestellt werden, daß der Arzt die Anzeige einer Kindesmißhandlung nicht aus unsachgemäßen Gründen unterläßt. Die Normierung einer Meldepflicht ist allerdings kaum geeignet, den ärztlichen Ermessensspielraum tatsächlich einzuschränken. Da sich Verletzungen einer solchen Pflicht kaum nachweisen lassen, kann auch die Einhaltung der Anzeigepflicht nicht wirksam kontrolliert und durchgesetzt werden. Praktisch ändert die Einführung einer Meldepflicht nichts an der Ermessensfreiheit des Arztes, sondern rückt nur ihre Ausübung in den Raum des Illegalen. Die Festlegung einer Anzeigepflicht erleichtert es dem Arzt lediglich, seine Meldung gegenüber der betroffenen Familie zu rechtfertigen 28 . Er kann sich darauf berufen, daß ihn das Gesetz zur Abgabe einer Meldung zwinge, und damit dem Eindruck entgegenwirken, das ihm entgegengebrachte Vertrauen böswillig zu brechen. Es gibt zahlreiche Gründe, die für die Beibehaltung eines legalen Ermessensspielraums des Arztes bei der Anzeige von Kindesmißhandlungen ins Feld geführt werden. Seine Entscheidungsfreiheit erlaubt es dem Arzt zu prüfen, ob Möglichkeiten für eine informelle Hilfe bestehen29. Er kann sich bemühen, in Gesprächen auf Eltern einzuwirken. Teilweise unternehmen Ärzte auch verschleierte Versuche, das Mißhandlungsrisiko zu kontrollieren, indem sie gefährdete Kinder unter einem Vorwand in die Klinik einweisen oder zu 25 26 27 28 29
Paulsen 1974, 98 und 1978, 291. Reinhart/Elmer 1964, 359. Reinhart/Elmer 1964, 360. Reinhart/Elmer 1964, 359; Paulsen 1974, 98. Trube-Becker 1982, 128.
3. Die gesetzliche Verankerung einer Meldepflicht
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wiederholten Untersuchungen einbestellen. Indessen liegt eine wirksame Hilfe und dauerhafte Kontrolle meist nicht im Einflußbereich des Arztes. Der Hausarzt, der die Familie kennt und dessen Ratschläge auch bei familiären Problemen gesucht und ernstgenommen werden, wird immer seltener. Im Gesundheitswesen findet eine Spezialisierung und Anonymisierung statt. Der Arzt kennt seinen Patienten nur noch aus dem Krankenblatt, und der Patient würde eine Einmischung des Arztes in seine „privaten" Probleme empört ablehnen. Der Arzt hat demnach nur geringe Mittel, um zu einer informellen Kontrolle von Kindesmißhandlung beizutragen. Außerdem fehlt ihm auch oft die Bereitschaft, in familiäre Probleme einzugreifen. Gelegentlich wird darauf hingewiesen, daß die Normierung einer Pficht zur Anzeige von Kindesmißhandlung das Verhältnis zwischen Arzt und Patient stören könne 30 . Von einer Meldung werden in erster Linie die Eltern des mißhandelten Kindes Nachteile befürchten. Patient ist demgegenüber das mißhandelte Kind selbst. Es erscheint vor diesem Hintergrund zumindest mißverständlich, von einer Störung des Arzt-Patient-Verhältnisses durch eine ärztliche Pflicht zur Meldung von Kindesmißhandlung zu sprechen. Allerdings besteht die Gefahr, daß Eltern ihre mißhandelten Kinder seltener zum Arzt bringen, wenn sie mit einer Anzeige seitens des Arztes rechnen müssen 31 . Diese Befürchtung ist das verbreitetste und wesentlichste Argument gegen eine ärztliche Berichtspflicht. Nach den in den USA unter der Geltung einer Meldepflicht gemachten Erfahrungen scheint sie sich indessen nicht zu bewahrheiten 32 . Die Zahl der von Ärzten angezeigten Mißhandlungsfalle hat dort insgesamt zugenommen. Dies ist ein Anzeichen dafür, daß ärztliche Meldepflichten keine abschreckende Breitenwirkung auf mißhandelnde Eltern entfalten. Auch unter der gegenwärtigen Rechtslage müssen nämlich gewalttätige Eltern bereits mit einer Anzeige durch den Arzt rechnen. Aus diesem Grunde suchen die Eltern in aller Regel, die Verletzungen des Kindes dem Arzt gegenüber durch falsche Schutzbehauptungen zu erklären. Sie vertrauen darauf, daß der Arzt ihren erdachten Erklärungen Glauben schenkt. Diese Zuversicht bewirkt, daß sie sich von der Möglichkeit einer Anzeige nicht abschrecken lassen, ihr Kind zum Arzt zu bringen. Überdies haben viele Eltern das dringende Bedürfnis und den ehrlichen Willen, ihrem verletzten Kind zu helfen, auch wenn sie ihm die Verletzungen selbst zugefügt haben. Sie sind von Entsetzen und Schuld über ihre unkontrollierte Entgleisung erfüllt und empfinden tiefes Mitleid mit ihrem mißhandelten K i n d 3 3 . Der Gang zum Arzt ist für sie ein Akt der Wiedergutmachung, von dem sie sich auch durch die Gefahr einer 30
Trube-Becker 1982, 130. Freeman 1979,96; Reinhart/Elmer 1964, 360; Kohlhaas 1967,939; Becker 1975,70; Mätzsch/Brinkmann/Püschel 1980, 1346; Fontana/Besharov 1977, 63. 32 Van Stolk 1972, 61; Zenz 1979, 170. 33 Auf dieses als ambivalent eingestufte Verhalten vieler mißhandelnder Eltern weisen auch Wille, Staak und Wagner 1967, 993 f. hin. 31
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D V. Strafrechtliche Melderegeln
Entdeckung nicht abhalten lassen34. Gleichwohl wird es immer eine nicht überprüfbare Zahl von Einzelfällen geben, in denen mißhandelte Kinder sterben, Dauerschäden zurückbehalten oder unnötig leiden, weil ihre Eltern sie aus Furcht vor Entdeckung nicht zum Arzt bringen. Andererseits gibt es aber auch eine kaum feststellbare Anzahl von mißhandelten Kindern, die durch pflichtgemäße Meldung an die Behörden vor Tod, Verstümmelung oder Leiden bewahrt werden könnten. Ebenso wie eine allgemeine Berichtspflicht kann auch eine ärztliche Meldepflicht dazu führen, daß durch verfrühte Anzeige bei den Behörden ein Prozeß der spontanen Selbstheilung der Familie und Rückbildung der Mißhandlungsgefahr behindert wird. Die Meldung einer Kindesmißhandlung bei den Behörden durch den Arzt wirkt in erheblichem Maße stigmatisierend 35. Auch wenn ihre Umgebung hiervon nichts erfahrt, so leidet jedenfalls die Selbstachtung der Familie unter der Benennung als Mißhandlungsfamilie. Sorgsam aufgebaute Mechanismen zur Leugnung des Problems und Rechtfertigung des eigenen Verhaltens werden zerstört. Ob ein Prozeß der sichselbsterfüllenden Prophezeiung in Gang kommt, der das Mißhandlungsproblem der Familie verschärft, hängt indessen wesentlich von der Reaktion des Meldungsempfangers ab. Der klare Ausspruch eines Mißhandlungsverdachts durch den Arzt kann darüber hinaus geradezu eine Erleichterung für die Eltern darstellen 36 . Das Problem liegt offen auf dem Tisch und kann nun von den Beteiligten behandelt werden. Die an Hilfs- und Schutzeinrichtungen gerichtete Meldung bringt der Familie Hilfen, nach denen sie oftmals lange versteckt und vergeblich gesucht hat. Umstritten ist die Wirksamkeit ärztlicher Meldepflichten. Es ist zweifelhaft, ob die Einführung von Berichtspflichten tatsächlich zu einer beachtenswerten Steigerung der Meldebereitschaft der Ärzte führt. Nach den gegenwärtigen empirischen Ergebnissen läßt sich die Frage nach dem Erfolg von Meldepflichten nicht klar beantworten. Seit der Einführung von Meldegesetzen, die unterschiedlich umrissene Melderechte oder -pflichten umfassen, ist die Anzahl der Meldungen im landesweiten Durchschnitt der USA gestiegen. Von 1967, dem Jahr, in dem die Meldegesetzgebung in allen US-Bundesstaaten zu einem vorläufigen Abschluß gekommen war, bis 1968 betrug der Anstieg der Berichtszahlen durchschnittlich 10,41% 37 . Vor dem Hintergrund des riesigen Dunkelfelds von Kindesmißhandlungen ist diese Steigerung freilich eher bescheiden. Bedeutender sind die Unterschiede in den Berichtszahlen der Jahre 1968 und 1972. Hier finden sich in einigen Bundesstaaten geradezu dramatische Veränderungen. In Rhode Island, das eine nichtstrafbewehrte Berichtspflicht für Ärzte vorsieht, stieg die Anzahl der Meldungen von null in den Jahren 1967 34 35 36 37
Paulsen 1978, 293. Newberger/ Hyde 1979, 331. Newberger/Hyde 1979, 331. Gil 1970, 96 ff.
3. Die gesetzliche Verankerung einer Meldepflicht
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und 1968 auf 2060 im Jahre 1972. In Florida, das eine strafbewehrte Berichtspflicht für Ärzte und bestimmte andere Berufsgruppen eingeführt hat, steigerte sich die Anzahl der Anzeigen sogar von zehn im Jahre 1968 auf 29964 im Jahre 1972 38 . In einigen Staaten läßt sich demgegenüber ein nennenswerter Rückgang der Berichtszahlen feststellen. Unter der Geltung einer allgemeinen nichtstrafbewehrten Meldepflicht sind in Texas die Anzeigezahlen von 1282 im Jahre 1968 auf 1027 in 1972 gesunken. Eine Tendenz zur geringeren Wirksamkeit von allgemeinen gegenüber speziellen Berichtspflichten lassen die statistischen Ergebnisse insgesamt nicht erkennen. Auch eine höhere Wirksamkeit strafbewehrter Berichtspflichten gegenüber nichtstrafbewehrten Pflichten oder Melderechten läßt sich nicht nachweisen. In 18 von 29 Bundesstaaten, die eine strafbewehrte Meldepflicht aufstellen, sind die Berichtszahlen zum Teil erheblich angestiegen. Teilweise beachtliche Steigerungen finden sich indessen auch in 15 von 21 Staaten, die nichtstrafbewehrte Berichtspflichten oder Melderechte vorsehen 39. Die statistischen Ergebnisse lassen es fragwürdig erscheinen, ob die Normierung von Meldepflichten einen nennenswerten Einfluß auf die Anzahl der Anzeigen ausübt. Die bemerkenswerten Steigerungen der Berichtszahlen können ebensogut auf eine Veränderung der Einstellung der Bevölkerung gegenüber Kindesmißhandlung zurückzuführen sein, deren Ergebnis auch die Einführung von Meldepflichten ist. Zur Erhöhung der Meldebereitschaft können eine gesteigerte Wachsamkeit, eine eindeutigere Ablehnung gewaltsamer Erziehungsstile und eine Verbesserung der sozialen Hilfe für mißhandelnde Eltern und ihre Kinder beigetragen haben. Diese Erfolge lassen sich auch auf anderem Wege als durch Berichtspflichten erreichen. Eine Befragung von Ärzten in Washington D. C. ergab starke Hinweise darauf, daß die bestehende ärztliche Berichtspflicht nur unzulänglich befolgt wird 4 0 . Ein Fünftel aller befragten Ärzte gab an, bei der Untersuchung eines verletzten Kindes selten oder nie die Möglichkeit einer Mißhandlung in Betracht zu ziehen. Die Hälfte der Ärzte war über das Berichtsverfahren unzureichend informiert. Etwa ein Viertel der Befragten wollte auch bei Verdacht einer Mißhandlung keine Meldung erstatten. Als Gründe hierfür wurden am häufigsten Zweifel an der Diagnose, die Sorge vor nachteiligen Wirkungen auf die Familie und vor eigenem Zeitverlust und Unannehmlichkeiten genannt. Die Ärzte zeigten demnach eine mangelhafte Aufmerksamkeit gegenüber der Möglichkeit einer Kindesmißhandlung und geringe Anzeigebereitschaft. Freilich ist die zitierte Untersuchung fast unmittelbar nach der Verabschiedung eines entsprechenden Meldegesetzes in Washington D. C. im Jahre 1966 durchgeführt worden. In den Jahren des Bestehens der Meldepflichten kann sich die ablehnende Haltung der betroffenen Ärzte gewandelt haben. 38
Newberger/ Hyde 1979, 329. Vgl. die Gesetzgebungsübersicht bei DeFrancis / Lucht 1974,18 f. und die Statistiken bei Newberger/Hyde 1979, 329. 40 Silver /Barton /Dublin 1967. 39
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Weder die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit von ärztlichen Meldepflichten noch ihre Unzweckmäßigkeit und Unwirksamkeit lassen sich demnach mit hinreichender Sicherheit belegen. Die Einführung einer ärztlichen Pflicht zur Anzeige von Kindesmißhandlung erscheint vor diesem Hintergrund freilich als eher zweifelhaftes Mittel des Kinderschutzes. Zwar ist ungeklärt, ob eine ärztliche Berichtspflicht das Verhältnis zwischen Arzt und Familie beeinträchtigt. Indessen darf das Risiko einer solchen Störung nicht durch Maßnahmen eingegangen werden, die nicht nachweislich zur Verbesserung des Schutzes des Kindes und der Hilfe gegenüber der Familie dienen. Bei der informellen und formellen Kontrolle der Kindesmißhandlung kann der Arzt eine wesentliche Rolle spielen. Für die sozial isolierte Mißhandlungsfamilie ist er oft das einzige Bindeglied zum außerfamiliären gesellschaftlichen Raum. Er ist damit häufig auch der einzige Kanal, über den Gemeinschaft und Gesellschaft Einfluß auf die Familie ausüben können. Dieser Kanal darf nicht unnötiger- und leichtfertigerweise in die Gefahr einer Verschüttung gebracht werden. Er muß im Gegenteil ausgebaut werden. Der Arzt muß befähigt werden, die Familie sinnvoll zu beraten. Eine Verbesserung der medizinischen Aus- und Weiterbildung soll die Aufmerksamkeit des Arztes gegenüber dem Kindesmißhandlungssyndrom stärken und ihm bei seiner Diagnose helfen. Durch psychologisches Training soll er in die Lage versetzt werden, die Möglichkeit einer Kindesmißhandlung zu akzeptieren, seinen Verdacht gegenüber der Familie in angemessener Form zu äußern und mit ihr über Hilfsmöglichkeiten zu reden. Er muß über die bestehenden Hilfsangebote informiert sein. Dasselbe gilt auch für andere Berufsgruppen, die häufig mit Kindern in Berührung kommen. In vielen Fällen können der Arzt oder andere Personen der Familie freilich nur dann beratend weiterhelfen, wenn ein Netz sozialer Hilfsdienste besteht, an die sie die Familie weiterverweisen können. Wenn die Familie keine Bereitschaft zeigt, an der Lösung ihres Problems mitzuarbeiten, muß der Arzt ebenso wie jeder andere Bürger das Recht haben, die zuständigen Behörden oder informelle Hilfsorganisationen, wie den Kinderschutzbund, einzuschalten. 4. Zusammenfassung: Die Zweckmäßigkeit der gesetzlichen Verankerung eines Melderechts Bei der Kontrolle von Gewalt in der Familie ist das Strafrecht auf die Mitwirkung des sozialen Nahraums der Familie angewiesen. Dies gilt in besonderem Maße für die Kontrolle von Kindesmißhandlungen, da hier das Opfer noch weniger als in anderen Fällen familiärer Gewaltanwendung in der Lage ist, Schritte zu seinem eigenen Schutz zu unternehmen. Personen, die Kenntnis von Kindesmißhandlungen haben, sind nur selten willens, die Behörden zu informieren. Zwar wird ihre Meldebereitschaft steigen, wenn sie eine sinn- und wirkungsvolle Reaktion der Behörden erwarten können, die dem Schutz des Opfers dienlich ist. Gleichwohl lassen sie sich oft von einer Meldung abhalten, da sie persönliche Nachteile befürchten. Teilweise haben Zeugen einer
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Kindesmißhandlung Sorge, sie könnten sich mit einer Benachrichtigung der Behörden einer Strafverfolgung aussetzen. Insbesondere Ärzte fühlen sich durch ihre Schweigepflicht gebunden. Es ist daher sinnvoll, den Zugang des Bürgers zu den Behörden durch die Einführung eines allgemeinen Rechts zur Meldung von Kindesmißhandlungen zu erleichtern. Ein solches, gesetzlich verankertes Melderecht dient der Klärung der Rechtslage. Es hat Rechtfertigungswirkung im Sinne des Strafrechts. Daneben soll es eine soziale Symbolwirkung entfalten, indem es das Verhalten des Anzeigeerstatters ausdrücklich billigt. Dieses Melderecht soll auch Ärzten zustehen41. Demgegenüber muß die Einführung einer allgemeinen oder einer auf Ärzte beschränkten Meldepflicht abgelehnt werden. Ihre Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit lassen sich nicht ausreichend sicher nachweisen. Sie verursacht die Gefahr einer Zurückdrängung der informellen sozialen Hilfe für die Familie und kann zu einer Verstärkung ihrer Isolation führen.
Schluß: Die Lösung des strafrechtlichen Dilemmas beim Schutz vor Gewalt in der Familie (Zusammenfassung zu Teil D)
Bei der Bekämpfung von Gewalt in der Familie ist das Strafrecht vor einen tiefen Zwiespalt gestellt. Einerseits verletzt familiäre Gewaltanwendung bedeutsame Rechtsgüter und kann nicht ausreichend mit außerstrafrechtlichen Mitteln bekämpft werden, so daß ein Eingreifen des Strafrechts erforderlich ist 1 . Andererseits wirft die Kontrolle familiärer Gewalttaten mit strafrechtlichen Mitteln schwerwiegende Probleme auf, die an der general- und spezialpräventiven Wirksamkeit und damit an der Eignung strafrechtlicher Maßnahmen zweifeln lassen2. Dieser Zwiespalt darf nicht zu einem Rückzug des Strafrechts aus seiner Kontrollaufgabe führen. Vielmehr müssen strafrechtliche Normen und Reaktionen der besonderen Problematik von Gewalt in der Familie angepaßt werden. Ungeeignete Mittel müssen durch geeignetere ersetzt werden. Da Gewalt in der Familie in einem sozialen Interaktionsprozeß entsteht, an dem Täter, Opfer, Familie und sozialer Nahraum mitwirken und auf den gesellschaftliche Normen und materielle Bedingungen Einfluß haben, kann sich das Strafrecht nicht auf eine Einwirkung auf den Täter beschränken. Die Konzepte der General- und der Spezialprävention, die das strafrechtliche Wirken bestimmen sollen, sind zu eng definiert, um der Bekämpfung familiärer Gewaltanwendung einen sinnvollen Ausgangspunkt bieten zu können. Insbe41 Vgl. Ziff. 8 der Empfehlung Nr. R (85)4 des Europäischen Ministerrates an die Mitgliedsstaaten des Europarats zur Bekämpfung der Gewalt in der Familie. 1 Vgl. oben B. 2 Vgl. oben C.
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sondere die Spezialprävention stellt die Beeinflussung des Täters in den Vordergrund. Eine wirksame Kontrolle von Gewalt in der Familie durch das Strafrecht ist nur dann möglich, wenn es seine präventiven Zielsetzungen erweitert, um auf das Opfer, die Familie und ihren sozialen Nahraum einzuwirken und gesellschaftliche Wertvorstellungen bilden zu können. Das Strafrecht muß der primären und der sekundären Prävention familiärer Gewaltanwendung dienen 3 . Als präventive Mittel stehen ihm Normen und Reaktionen zur Verfügung. Die strafrechtlichen Normen müssen durch Lückenlosigkeit und Klarheit ein Gegengewicht zu den ambivalenten und teilweise gewaltbilligenden sozialen Normen bilden, die familiäre Gewaltanwendung begünstigen4. Gewalt in der Familie ist grundsätzlich ebenso strafbar wie Gewalt außerhalb der Familie. Eine bedeutsame Ausnahme bildet allerdings die Gewalt gegen Kinder, die im Rahmen der Ausübung des elterlichen Züchtigungsrechts straflos bleibt. Obwohl das Züchtigungsrecht spätestens seit der jüngsten Änderung des elterlichen Sorgerechts keine Rechtsgrundlage mehr hat 5 , wird es von den Gerichten immer noch als Rechtfertigungsgrund im Sinne des Strafrechts anerkannt. Diese richterliche Duldung körperlicher Strafen wirft sowohl rechtliche wie soziale Probleme auf. In Rechtsgüter des Kindes darf nur zur Wahrung eines höherrangigen Zwecks eingegriffen werden. Als höherrangiger Zweck kommt die Erziehung des Kindes in Betracht. Da körperliche Strafen ein ungeeignetes und gefahrliches Erziehungsmittel sind, entbehrt ihre Billigung indessen der materiellen Berechtigung 6. Aus diesem Grunde ist die Anerkennung eines elterlichen Züchtigungsrechts rechtlich und sozial unhaltbar. Die Probleme, die ein Verbot körperlicher Züchtigungen aufwirft, können durch eine verbesserte Elternbildung und Öffentlichkeitsarbeit sowie durch eine schonende, auf Hilfe ausgerichtete Gestaltung der Reaktionen auf eine Verletzung des Verbots weitgehend gelöst werden 7 . Die Forderung nach einer helfenden Reaktion des Strafrechts gilt für alle Formen familiärer Gewaltanwendung. Die Hilfeleistung zum Schutz des konkreten Opfers und der Familie steht nicht in Widerspruch zu den allgemeinen Zielen des Strafrechts, die auf Rechtsbewehrung und Schutz von Gemeinschaftsinteressen gerichtet sind. Auch helfende, nichtstrafende Reaktionen können ein Mittel der Rechtsbewehrung sein. Wenn sie der Konfliktlösung innerhalb der Familie dienen, sichern sie gleichzeitig das gesellschaftliche Interesse an der Funktionstüchtigkeit der Familie. Daher müssen Spielräume für ein helfendes, streitschlichtendes Eingreifen im Rahmen der strafrechtlichen Reaktion geschaffen werden. Eine formelle Strafverfolgung familiärer Gewalt3 4 5 6 7
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
zu den Begriffen oben D II. oben D II. oben D I I I 1. oben D I I I 3, 4, 5, 6. oben D I I I 7.
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taten muß durch vorgerichtliche „Diversion" möglichst vermieden werden 8 . Für Gewalttaten, die die Tatbestände der §§223, 223 a, 223 b erfüllen, und für Jugendstraftaten (vgl. §§ 45, 47 JGG) besteht kein Strafverfolgungszwang. Sie können daher durch vorgerichtliche „Diversion" aus der formellen strafrechtlichen Reaktion herausgehalten werden. Innerhalb des bestehenden Strafverfahrensrechts bietet alleine das Sühneverfahren, das der Erhebung der Privatklage teilweise vorgeschaltet ist, einen Ansatzpunkt für die erforderliche Konfliktregelung. In seiner gegenwärtigen Gestaltung ist es indessen bei der Lösung familiärer Konflikte nicht erfolgreich 9. Überdies ist sein Anwendungsbereich stark begrenzt. Daher soll zur vorgerichtlichen „Diversion" familiärer Gewalttaten, die die Tatbestände der §§223, 223 a, 223 b erfüllen oder unter das Jugendstrafrecht fallen, ein informelles Vermittlungsverfahren geschaffen werden. Es soll von fachlich selbständigen, jedoch unter der Rechtsaufsicht der Justizbehörden stehenden Schlichtungsstellen durchgeführt und von speziell ausgebildeten Beratern geleitet werden. Ziel des Verfahrens soll es sein, den Parteien bei der Lösung akuter Familienkonflikte zu helfen, ihnen Lernerfahrungen mit gewaltlosen Konfliktlösungstechniken zu vermitteln und Wege zur Veränderung konkret gewaltverursachender psychischer, sozialer und materieller Bedingungen zu weisen. Minderjährige Verfahrensbeteiligte werden durch einen Kinderschutzanwalt vertreten oder unterstützt. Seine Arbeit wird von nichtstaatlichen Organisationen getragen und steht unter der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts. Ein Vermittlungsverfahren kann auf Veranlassung der Strafverfolgungsbehörden mit Zustimmung der Betroffenen eingeleitet werden. Während der Durchführung des Verfahrens und einer anschließenden Bewährungszeit ruht das formelle Strafverfahren und wird bei erfolgreichem Verlauf der Vermittlung und der Bewährungszeit endgültig eingestellt. Die Betroffenen können sich auch ohne Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden an die Schlichtungsstelle wenden. In jedem Falle ist das Vermittlungsverfahren vertraulich. Die gewonnenen Erkenntnisse werden nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben. Die Staatsanwaltschaft und die Strafgerichte werden allerdings über die Erfolge der Vermittlung informiert, damit sie über Fortführung oder Einstellung der Strafverfolgung entscheiden können. Zur Erhöhung der Kontrolle familiärer Gewaltanwendung und zur Verringerung ihres Dunkelfelds sollen Regelungen geschaffen werden, die die Meldebereitschaft von Zeugen steigern 10 . Personen, die um familiäre Gewalttaten wissen, lassen sich teilweise durch die Angst vor Strafverfolgung von einer Anzeige bei den Behörden abschrecken. Dies gilt in besonderem Maße für Ärzte, die sich durch ihre ärztliche Schweigepflicht gebunden fühlen. Zur Erhöhung ihrer Anzeigebereitschaft empfiehlt sich die gesetzliche Verankerung eines Melderechts, das rechtfertigende Wirkungen im Sinne des Strafrechts entfaltet. 8
Zu Begriff und Formen der „Diversion" vgl. oben D IV 1, 2. Vgl. oben D IV 4b) cc). 10 Vgl. oben D V.
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U . Schneider
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Durch die Einführung eines entsprechenden Rechtfertigungsgrundes sollen die Angst von Ärzten und anderen Zeugen vor negativen rechtlichen und sozialen Folgen einer Anzeige abgebaut und die Rechtslage, wenn nicht verändert, so doch geklärt werden.
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