Kritische Schriften: Teil 1 [Reprint 2015 ed.] 9783111436791, 9783111070759


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German Pages 458 [460] Year 1828

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Vorrede
Inhalt
I. Abriß von den Europäischen Verhältnissen der Deutschen Litteratur. Zum ersten mal gedruckt in London 1825
II. Ueber einige Werke von Goethe
III. Homers Werke von Voß. 1796
IV. Die Gesundbrunnen. Ein Gedicht in vier Gesängen von Neubeck. 1797
V. Der Wettstreit der Sprachen. Ein Gespräch über Klopstocks grammatische Gespräche. 1798
VI. Ueber kritische Zeitschriften. 1798
VII. Beurtheilung einiger Schauspiele und Romane
VIII. Rollenhagens Froschmeuseler
IX. Jakob Balde, ein Mönch und Dichter des siebzehnten Jahrhunderts. 1797
X. Salomon Geßner, Landschaftmaler und Jdyllendichter. 1756
XI. Chamfort. 1796
XII. Ueber den dramatischen Dialog. 1796
XIII. Ueber Shakspeare's Romeo und Julia. 1797
XIV. Urtheile, Gedanken und Einfälle über Litteratur und Kunst. 1798
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Kritische Schriften: Teil 1 [Reprint 2015 ed.]
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Kr i t i s c h e S c h r i f t e n von

August Wilhelm von Schlegel.

Erster Theil.

Berlin, bet

G. R e i me r . 1 8 2 8.

V o r r e d e .

!Ö er Kritiker, aus dessen Schriften man hier eine Auswahl gesammelt findet, stand in seinen jüngeren Jahren in üblem Ruf. M an schilderte ihn wie einen Wütherich, einen Herodes, der an einer Menge unschuldiger Bücher nichts geringeres als einen Bethlehemitischen Kindermord verübt habe. Nachdem dieses Geschrei in Deutschland schon ziem­ lich verschollen w ar, erhob es fich von neuem im Auslande, besonders in Frankreich, auf Veranlas­ sung einer kleinen Französischen Schrift über die Phädra des Racine, und gewisser Vorlesungen über die dramatische Kunst. Ein Pariser Journalist nannte den Kritiker den Domitian der Französi­ schen Litteratur, welcher wünsche, sie möge nur Ein H aupt haben, um es mit einem einzigen Streiche abzuschlagen. Der gelehrte Kunstrichter hatte deir Domitian mit dem Caligula verwechselt, denn diesem wird ja bekanntlich jener grausame Wunsch zugeschrieben. Indessen traf er es vielleicht besser, als er selbst wußte. Die Lieblings-Un­ terhaltung des Domitian, Fliegen zu spießen, möchte ein ganz passendes Bild für eine scharfe Kritik seyn, welche an kurzlebige Erzeugnisse der

litterarischen B etriebsam keit, im

Sonnenschein

des

die

einen Augenblick

Modegeschmacks herumgau­

keln, verschwendet w ird. Jetzt, nach so viel verflossenen Jahren, kann ich die

Schriften

dieses

Kritikers

wie

die

eines

fremden lesen; und ich d a rf es wohl sagen: man h a t, wie mich dünkt, dem M an n e Unrecht gethan. E r hat fein lästiges A m t nicht nur redlich und ge­ wissenhaft, sondern auch m it M äßigung und Scho­ nung verwaltet. M a n würde finden, er habe oft bei weitem zu viel gelobt, wenn alle seine B eurtheilun­ gen aus verschiedenen litterarischen B lä tte rn hier wie­ der abgedruckt wären-

D ieß ist aber nicht geschehen,

weil die S c h rifte n , zu unbedeutend um eine ernst, hafte W ü rdigung zu verdienen, W e lle des Zeitstromes

von der nächsten

verschlungen

worden

sind.

E s ist eine thörichte Gutmüthigkeit gegen die S c h rift­ steller und das P ublicum , Z e it und K räfte an et­ was zu setzen, das von selbst erfolgen muß.

Wo

es achtungswerthe N am en galt, zeigt sich eine nicht geringe S o rg fa lt den.

Es

D en k art quem

die P ille des Tadels zu vergol­

ist w a h r:

wenn

eine

gemeine,

platte

sich in die idealische Poesie breit und be­

hineinlagerte,

wenn

die Erschlaffung aller

sittlichen Grundsätze sich m it edeln Gefühlen brüstete, so wandelte ihn wohl einmal der U nwille a n ; und wenn er sich nicht weiter zu helfen w ußte, so nahm et seine Zuflucht zu einem

lustigen E in fa ll

oder

einer P aro d ie.

D ieß

hat man

ihm

am meisten

verargt, unv es w ar doch gerade das unbedenklichste. W as

G ehalt und

Bestand in

sich h a t , mag der

Scherz umspielen, wie er w ill: es verfängt nicht. N u r wenn der S p o tt a u f den G ru n d

der Wahr»

heit trifft, kann er der Sache, gegen die er gerichtet ist, den G a ra u s machen. Im

E rnst zu reden, ich

besorge

vielm ehr,

meine heutigen Leser möchten hier und da die nö­ thige W ürze vermissen, als

daß

ihnen die Speise

versalzen und überwürzt dünken sollte-

D ie jünge­

ren Zeitgenossen, denen viele Aufsätze eben deswe­ gen

neu

seyn w erden, weil

sie vor einer schon

beträchtlichen A nzahl von Jahren

in

Zeitschriften

erschienen und, seitdem nicht wieder abgedruckt, aus dem Um laufe gekommen sind; Gerücht vernommen haben,

die n u r

durch das

daß damals die kriti­

schen und satirischen Wagnisse eines Kreises von jungen Dichtern und Litteraroren, zu welchem auch ich gehörte, .in Deutschland großes Aufsehen erregt haben; daß von den Vertheidigern des litterarischen Herkommens

der

öffentliche U n w ille

gefährlichen N euerer

aufgerufen

gegen

w orden; —

jüngeren Zeitgenossen,

sage ich, werden

finden,

sey

diese W irkung

ihrer Ursache gewesen.

diese die

vielleicht

außer V e rh ältn iß m it

W a s meinen persönlichen

Antheil an jenem gegebenen oder genommenen A er­ gernisse

betrifft, so würden sie einen hinreichenden

G ru n d auch in den kritischen Aufsätzen, welche

in

diese

S a m m lu n g nicht aufgenommen sind, und in eini­ gen parodischen Gedichten, wozu ich mich genannt, wohl vergeblich suchen.

D er

Geschmack und

Schätzung des Werthes mancher litterarischen

die und

künstlerischen Erzeugnisse hat sich seitdem stark ver­ ändert, und zwar in der damals angedeuteten Rich­ tu n g ; wobei ich weit entfernt b in , m ir irgend et­ was anderes zuzuschreiben, als ein früheres, unab­ hängig gefälltes U rth e il, und die Voraussicht, daß es diese W endung nehmen werde.

Durch den blo­

ßen Wechsel u n d , wie ich behaupten möchte,

den

Fortschritt der Zeiten, bin ich, ohne meinen S ta n d ­ punkt zu verändern,

aus einem als revolutionär

verschrieenen ein völlig constitutioneller Kritiker ge­ worden. S o g a r in Frankreich zeigen sich S ym ptom e, daß die S in n e s a rt des Publikum s

meinen Ansich­

ten von dem bisher für classisch geltenden tragischen T h e a te r,

welche die nationale Eigenliebe anfangs

so

empört haben,

heftig

entgegen neigen möchte.

sich wohl einigermaaßen Im

allgemeinen gilt frei­

lich dort noch das V irgilifche:

manet alta mente repostum Judicium Paridis, spretaeque injuria formae. A ls einige m ir

gewogene

Gelehrte in

P a ris , mich

zvegen 'm einer Indischen Arbeiten zum auswärtigen M itg lied e

der dritten Classe des In s titu ts

vorge­

schlagen hatten, soll ein M itg lied meine Schilderung

des Französischen Theaters aus der Tasche gezogen, und sich gegen die Verbindung m it einem des V e r­ brechens der beleidigten N a tio n schuldigen Fremden nachdrücklich aufgelehnt haben.— D ie Gunst des E n g ­ lischen Publicum s hatte ich vom Anfange an durch meine

Charakteristik Shakspeare's gewonnen,

w o h l, was ich über D ry d e n ,

w ie­

Pope und Addisons

C ato geäußert, einige Kunstrichter der alten Schule ziemlich verschnupft haben mag.

E in Engländer

von sehr gebildetem Geschmack, ein berühmter P a r ­ lam entsredner, sagte m ir , ich sey in der Richtung der nationalen Vorliebe zu weit gegangen, und er könne nicht um hin, mich fü r einen Ultra-Shakspearisten zu erklären. —

D ie

N atio n al-E itelkeit der

J ta liä n e r ist beinahe noch reizbarer als die der F ra n ­ zosen;

die Alpen sind fü r sie meistens die G ränze

der litterarischen W e lt:

wenn

einmal

transalpinisches U rtheil nach It a lie n

zufällig ein gelangt,

so

erregt es eben deswegen die Aufmerksamkeit um so stärker.

Da

nun das Theater die schwache S e ite

der Italiänischen L itte ra tu r ist, lebhaften Widerspruch finden.

so mußte ich dort Selbst mein Ueber-

setzer, G h erard ini, hat sich nicht enthalten können, an G rü n d en schwache aber im T o n ziemlich unhöfliche W iderlegungen beizufügen. g an i-C es a, bestreitet

E in F lo re n tin e r, P a -

in einer eignen S c h rift über

das tragische Theater der J ta liä n e r so zu sagen, a u f allen B lä tte rn .

meine

Lehren,

Einzelne sind mei,

«er Ansicht beigetreten: junge talentvolle M ä n n e r, w as im m er das Wirksamste ist, auf ausübende W eise. D ie Z e it dürfte wohl kommen, wo m eine Bildnisse von M ctastasio und Alfieri in I ta lie n nicht m ehr so unverzeihlich scheinen werden als jetzt. B e i neuen H ervorbringungcn von Schriftstel­ le r n , die zum erstenmale au ftreten , hat der K ri­ tiker am wenigsten zu befürchten, daß die Leser gegen ihn P a r te i nehmen werden. D a die öffent­ liche M eynung sich noch nicht festgesetzt hat, so be­ trachten sie ihn n u r als einen vorläufigen Bericht­ erstatter, und behalten sich allenfalls die Revision des vorgeschlagenen Urtheilspruches vor. Gleichwohl d a rf gerade hierbei Eifersucht und eigennützige P a r ­ teilichkeit am sichersten ihr S p ie l treiben. E ine ein­ seitige S childerung kann durch künstlich ausgew ählte P ro b e n scheinbar bestätigt w erden, und dem noch unberühm ten T a le n t auf eine Zeitlang den Z u tritt zur M itw erbung um den öffentlichen Beifall versperren. D a s gewagteste Unternehmen der K ritik scheint der W iderspruch gegen eine durch lange V erjährung befestigte M ey n u n g über K unst- und Geisteswerke zu seyn: denn hier hat der einzelne, dem Anschein nach, unzählbare Tausende von S tim m en gegen sich. A ber das längst Vergangene erregt selten lebhafte Leidenschaften. W enn vollends bas fra g ­ liche W erk sich zugleich aus einem entfernten Z e it­ alter und von einer fremden N ation herschreibt, so

läßt m an sich den Widerspruch wohl gefallen.

D ie

Zeitgenossen sind fü r das gangbare U rtheil nicht ver­ antwortlich: sie haben es schon fertig überkommen, haben es a u f Glauben gelten

lassen,

und werden

nun

erst zu einer selbstthätigen P rü fu n g aufgefo-

dert.

Auch liegen ja in der Geschichte des Geschmacks

die Beispiele des auffallendsten

Wechsels zwischen

Bewunderung und Herabsetzung zu Tage: in den bil­ denden Künsten und in der M usik noch mehr als in der Poesie.

In

jenen hat man so manches ehemals

beinahe vergöttert, was uns jetzt n u r flüchtig anzuse­ hen oder anzuhören schon zur Q u a l gereicht. A u f der andern S e ite sind vermöge derselben Ausartung des Geschmacks die erhabensten Werke des mensch­ lichen Geistes verkannt und vernachlässigt worden. H a t es nicht eine Z e it gegeben, wo P ietro da C ortona fü r einen ganz andern M ak er galt als R a ­ phael? W o m an jenem die schöpferische K ra ft und F ü lle

zuschrieb,

diesen kalt und steinern nannte?

W o der hohe S in n der A n tik e , die man nur als antiquarische Seltenheit chen

Bestechungen

w a rd ?

schätzte, gegen die sinnli­

B e rn in i's

Und solche Urtheile

Meisterwerke gefällt worden. teratu r

ist es

fü r

nichts

geachtet

sind im Angesicht der M i t der schönen Lit­

etwas andres: sie ist national und

an den Entwickelungsgang einer Sprache gebunden. M a n nim m t vorlieb,

bis m an etwas besseres ken­

nen gelernt hat.

einem Lande, wo der Caffee

In

«och nicht bekannt geworden wäre, würde vielleicht ein Kaufmann

Glück machen,

der m it Cichorien

handelte, und sie für den ächten Mokha ausgäbeDoch hat man auch Rückfalle und Ausartungen der Litteratur und des Geschmacks darin erlebt, und zwar nicht bloß vom Großen und Einfachen zum Ucberladenen,

Ueppigen und Verkünstelten,

was

sich am leichtesten begreift; sondern auch zum F la ­ chen, Gemeinen und Geistlosen. wäre

übel daran,

D e r Kunstrichter

der die Zeiten nach der Reihe

befragen wollte: er würde statt eines Orakels nur ein vervielfältigtes, verworrenes und mißlautendes Echo vernehmen. an der

E r darf und soll sich allerdings

Geschichte orientiren, seinen S in n

Vergleichungen schärfen. sein eignes seyn;

durch

Aber sein Urtheil muß

das Urbild der Vollkommenheit

muß seinem Geiste inwohnen: sonst fehlt ihm ein zuverläßiger Maaßstab für die Arten und Grade der Annäherung. D as K ritik

Mißlichste von allem ist,

gegen altere

Zeitgenossen

zu

eine scharfe richten,

die

schon seit geraumer Zeit im Besitz des Beifalls und des Ruhmes waren.

H ier mischt sich in die

Theilnahme des zuschauenden Publicums ein mo­ ralisches Gefühl, das an sich löblich ist, aber durch ein Mißverständniß auf litterarische V o rfälle über­ tragen wird.

E s ist als ob ein angesehener M a n n

seiner Aemter und Würden

tntfcfot werden sollte.

ohne förmlichen

Rechtsgang,

und

ohne daß eine

bis jetzt verheimlichte Schuld entdeckt worden w äre. Ic h habe dergleichen K ritiken eigentlich niemals ab­ gefaßt:

aber m an hat geglaubt/ ich mache M ie n e

d azu, und das hat m ir schon Anfeindungen genug zugezogen.

E in nun längst vergessener Schriftstel­

ler von ziemlich eilfertiger Feder bediente sich des liebreichen Ausdrucks: machten

M ü th w ille n ,

»ich strebe in meinem g e , die wohl erworbenen Lor,

beern von W ielands grauem H au p te zu re iß e n ;» und

indem

er

eine solche Beschuldigung anonym

in der gelesensten Zeitschrift vorbrachte, ( J e n A llg . L itt. Z eitu n g , 1 7 9 9 . N r . 3 7 2 . S - 4 7 5 .) wußte er sich noch viel m it seiner M o r a litä t.

M a n w ird in

allen meinen kritischen Schriften kaum ein Dutzend Zeilen

fin d en ,

welche

W ielan d

betreffen:

was

konnten diese gegen einen so weit verbreiteten und a u f der Grundlage von fünfzig B änden aufgebau­ ten R u h m ausrichten? W en n die Lorbeer« seitdem heruntergefallen sind, so kam es vermuthlich daher, daß sie welk und mürbe waren.

S o viel ich w eiß , ist

noch keine gründliche K ritik der Wielandischen W erke vorhanden, w orin gezeigt w ü rd e, wie er das I d o l des

Deutschen

P ublikum s

bis dreißig J a h re

geworden und zwanzig

geblieben; und was er fü r die

Ausbildung der Sprache, des V e rsb au es, der F o r­ men

unserer Poesie wirklich geleistet.

wohl an

der Z e i t ,

Es

wäre

von der allzugroßen Vernach-

läßigung

dieses von manchen Seiten liebenswürdi­

gen S chriftstellers abzumahnen. W iew ohl das meiste in den folgenden Bänden enthaltene aufgehört hat, in Deutschland paradox zu seyn, so schmeichle ich m ir dennoch, daß es da­ ru m nicht tr iv ia l geworden ist.

D ie Aufgabe der

litterarischen und K unst-Kritik ist ja nicht, wie es vo n der philologischen und historischen K r itik d in g s g i l t ,

aller­

die scharfsinnige und gelehrte F ü h ru n g

eines schwierigen Erweises.

D ie Bem ühung des

K ritik e rs v e rlie rt dadurch nichts an ihrem W e rth , daß das U rth e il unverbildeter, unverwöhnter und vo ru rth e ils fre ie r Leser des Gedichtes oder Betrach­ ter des Kunstwerkes schon im voraus m it dem seinigen übereinstimmt.

M a n suchte nur einen S p re ­

cher der gemeinsamen Empfindungen, w eil die M i t ­ theilung

und Verständigung darüber den

erhöht.

D ie Aufgabe ist,

Genuß

fü r den G esam t-Ein­

druck, der aus einem unendlich feinen Gewebe ein­ zelner Eindrücke zusammengesetzt ist, den angemes­ sensten Ausdruck zu

fin d e n ;

diese W irku n g

des

Kunstwerkes aus den Anlagen der menschlichen N a ­ t u r , aus den Foderungen des äußern S in n e s , der E in b ild u n g s k ra ft,

des Geschmacks, des Verstandes

und des sittlichen G efühls, re n ;

befriedigend zu erklä­

und überall von dem besonderen F a ll

auf

allgemeine Wahrheiten und Grundgesetze zurückzu­ weisen.

M a n schätzt die Verbindung des philosophi-

schen Geistes mit der praktischen Einsicht, wie die» scs oder jenes anders und besser hätte gemacht werden können, oder w arum das G anze, so wie es ist, vollendet erscheint. D enn mit abstracten und hohlen Theorien ist wiederum nichts ausgerichtet. Unter allen Aufgaben der Kritik ist keine schwie­ riger, aber auch keine belohnender als eine treffende Charakteristik der großen Meisterwerke. Wie die schöpferische Wirksamkeit des G enius immer von einem gewissen Unbewußtseyn begleitet ist, so fällt es auch der begeisterten Bew underung schwer und, je ächter sic ist, um so schwerer, zu besonnener K larheit über sich selbst zu gelangen. Am besten wird es dam it gelingen, wenn die Betrachtung nicht vereinzelt w ird, sondern vielmehr den mensch­ lichen Geist in dem Stufengange seiner Entwicke­ lung bis zu dem G ipfel hinauf begleitete M it einem W o rte, die Kunstkritik muß sich, um ihrem großen Zwecke Genüge zu leisten, m it der Geschichte, und so fern sie sich au f Poesie und Litteratur be­ zieht, auch m it der Philologie verbünden. M ein Versuch über die dramatische Kunst ist bisher der einzige in dieser A rt geblieben. Jetzt wünschte ich, mehr dergleichen unternommen, meine K räfte nicht am einzelnen und zuweilen am unbedeutenden ver­ wendet zu haben. Aber in den nicht vollen neun J a h re n , vom S o m m er 1795 bis zum Frühling 1804, wo ich mich ausschließend dem Schriftsteller»

B eru fe widmete,

während welcher Z e it das meiste

hier gesammelte,

dann

Shakspeare,

C alveron

von

des

Italiänischen

S ta n d e

meine Nachbildungen des

und

und einzelner Stücke

Spanischen

Dichtern

zu

gekommen sind, hatte ich m it mancherlei

Schwierigkeiten und

Beschränkungen zu kämpfen;

und die Anfoderungen des Augenblicks ließen m ir nicht freie M u ß e genug, um Gegenstände von großem Umfange

zur Behandlung

dazu die vorbereitenden S tu d ien

zu

wählen,

und

zu machen.

Es

w a r längst mein Vorhaben, eine Geschichte der b il­ denden Künste in ähnlicher Weise auszuführen, wie ich die Geschichte des Theaters entworfen; bei B e ­ trachtung der Europäischen Kunstschätze, wovon ich die meisten zu sehen Gelegenheit hatte, mein in

beständiges

B e rlin

vor

Augenm erk; und einer

kunstsinnigen

w ar dieß

einige kürzlich Zuhörerschaft

gehaltene Vorlesungen über diesen Gegenstand gaben m ir dazu eine neue Anregung. U nter

meinen

früheren

kritischen

habe ich eine A usw ahl getroffen.

Aufsätzen

W a s in die bett

den jetzt zugleich erscheinenden B ä n d e , und in den d ritte n ,

welcher demnächst folgen w ir d ,

genommen

ist,

nicht auf­

soll nach meiner Absicht nicht von

neuem durch den Druck verbreitet werden. ein

A utor

W enn

seine zerstreuten Schriften weder selbst

gesammelt noch sonst darüber verfügt h at, so läßt es sich allenfalls m it der guten M e y n u n g entschult

tigert, daß nach seinen Lebzeiten, wie zu geschehen pflegt, alles zusammen gerafft w ird, w as jemals seiner Feder entflossen. Nach der obigen Erklärung würde ein künftiger Herausgeber durch das gleiche Verfahren dem Publicum einen schlechten Dienst leisten, und gegen mich ein wahres Unrecht begehen. W ie unvollkommen auch in Deutschland das Eigen­ thum des Schriftstellers anerkannt, wie wenig es durch Gesetze gesichert ist, so wird man ihm doch das Recht nicht abstreiten, sein eigner Beurtheiler zu seyn, an seinen Hervorbringungen zu ändern, wo möglich zu bessern, und was ihm nicht mehr gefällt, ihn nicht mehr befriedigt, ganz bei S eite zu schieben. Vergeblich würde man hoffen, durch die Aufsuchung des hier Weggelassenen eine Aus­ beute des Anstößigen zu gewinnen. Ich mag in diesem oder jenem Stücke meine Meynung geän­ dert haben, manche meiner früheren Aeußerungen jetzt einseitig und übertrieben finden; aber ich habe nie etwas drucken lassen, das ich verheimlichen müßte. Die Anonymität halte ich übrigens für voll­ kommen rechtmäßig, wenn die anonymen Schriften sonst keine Mißbilligung verdienen: ohn« ein solches M ittel seine persönliche Ruhe zu sichern, bliebe wohl manche nützliche aber mißfällige Wahrheit ungesagtF ü r mich machte ich nur selten und ausnahmsweise Gebrauch davon; bei recensircnden Zeitschriften, z- V- der Jenaischen Allgemeinen Litteratur - Zei-

h in g , mußte ich mich der Regel des In stitu ts be­ quemen. Diese Anonymität hob ich nachher selbst wieder auf. Ich hatte in den Ja h re n 1796 — 99 starken Antheil an der L itteratur-Z eitung gehabt, das Fach Der schönen L itteratur dem größten Theile nach besorgt. D a ich sah, daß die H erausgeber, welche mir Dankbarkeit schuldig w aren, statt dessen Cabalen gegen mich und meine Freunde machten, so fand ich mich bewogen, mich öffentlich von der ferneren Theilnahme loszusagen. ( J e n . A. L. Z . 1799. In te llig e n z -B la tt, N r. 1 4 5 .) I n einer weitläuftigen und geschraubten Gegenerklärung ga­ ben die H erausgeber zu verstehen, ich würde mich zu manchen meiner Recensionen wohl nicht gern nennen wollen. H ierau f hatte ich keine andere A ntw ort, als die, das vollständige Verzeichniß in einem Anhange zum Athenäum drucken zu lassen. Ich bemerke h ier, daß die dort aufgezählten R e­ censionen zwar alle von mir durchgesehen und ein­ geliefert worden sind, daß ich aber H ülfe dabei gehabt habe. Wie hätte ich allein einen solchen W ust schlechter Bücher bewältigen können? E rst später in den Jah ren 1804 — 1807, als Goethe die Leitung der Jen . Allg. Lit. Zeitung übernommen hatte, gab ich auf dessen Einladung wiederum einige Beiträge. D er Zeitung für die elegante W elt habe ich in den Jah ren 1802 und 1803 Theater-Artikel und Beurtheilungen ausgestellter Kunstwerke eingesandt.

welche sich nur für die Unterhaltung des Tages eigneten. I n den Heidelberger Jahrbüchern habe ich meine Recensionen immer unterzeichnetD a s Athenäum unternahm ich m it meinem B ruder Friedrich von Schlegel; wir erklärten im voraus» w ir seyen nicht bloß Herausgeber, sondern in der Regel auch Verfasser dieser Zeitschrift. M an wußte also, an wen man sich zu halten hätteW ir unterzeichneten jeder m it dem Anfangsbuchstaben seines V ornam ens; bei gemeinschaftlichen Ar­ beiten m it beiden. Dieß geschah bei einer Anzahl aphoristischer Bemerkungen und Sätze, welche unter der Ueberschrift F r a g m e n t e dem ersten B ande des A thenäum s eingerückt sind. Eben weil über diese Fragm ente so laut Zeter gerufen worden, habe ich meinen Antheil daran, vollständig ausgeschie­ den , so fern ich mich nach so langen Ja h re n noch a u f mein Gedächtniß verlassen kann, hier als »-Urtheile, Gedanken und Einfälle über Litteratur und Kunst« wieder abdrucken lassen. D ie Leser werden vielleicht auf meine Beisteuer zu dem da­ maligen litterarischen Aergerniß das S prüchw ort anw endbar finden: V iel Geschrei und wenig W olle! Jedem Aufsatze habe ich die Jahrzahl der Ab­ fassung beigefügt, deren Beachtung m ir, wie ich m eyne, günstig seyn wird. D ie in der In h altsAnzeige mit einem Sternchen bezeichneten Stücke

sind nicht ganz von m ir, sondern zum Theil von der H and einer geistreichen F r a u , welche alle Ta» lente besaß, um als Schriftstellerin zu glänzen, deren Ehrgeiz aber nicht darauf gerichtet war. I n den G e m ä l d e n ist der D ialog nebst den angehäng­ ten Gedichten von m ir, die Beschreibungen sind es n u r zum Theil. Ich gedenke dem P ublicum einmal einen kur­ zen Bericht über den G ang meiner Geistesbildung und über meine litterarischen und gelehrten Arbeiten vorzulegen. Dieser Bericht kann vielleicht durch meine genaue Bekanntschaft m it ausgezeichneten Z eit­ genossen einigermaaßen anziehend werden. M ein Lebenslauf ist in eine P eriode höchst merkwürdiger Entwickelungen jeder A rt gefallen, wo tausend E r­ fahrungen m ir die W ahrheit einprägten, daß die Wirksamkeit des Einzelnen meistentheils von gerin­ ger Bedeutung ist. N iem and kennt besser als ich das große M ißverhältniß zwischen meinen Bestre­ bungen und dem wenigen, w as m ir zu leisten ver­ gönnt w ar. Bonn im Februar 1828. A. W- von S c h l e g e l -

Inhalt des ersten Theiles.

Seite. V o r r e d e ........................................................................... I I.

Abriß von den Europäischen Verhältnissen der Deutschen Litteratur. Zum ersteumal gedruckt in London 1825.........................................................1

(AlS Vorrede zu Dohte'S Handbuch der Deutschen Litteratur. Lvnd. ,8-5.) II.

Ueber einige Werke von Goethe.-

1.

Torquato Taffo, ein Schauspiel. 1790. (Götting. Anzeigen von gelehrten Sachen.)

. 15

Zusah. Ueber Tasso'S Leben-geschichte. 1827. . 18 2.

D ie Römischen Elegien. 1785..................... 27 (Jenaische Allgemeine Litt. Zeitung. 1796. Nr. 4 u. f. in einer Recension der Horen. — Charakteristi­ ken und Kritiken, von A. W. und Fr. Schlegel. B . II.)

2>eite. 3. H erm ann und Dorothea. 1797.................... 34 (Jen. M g . Litt. Zeitung, 1797. Nr. 3g3 — 3g6. Charakt. n- Kritiken. D. II )

III. Homers Werke von Voß. 1796.................. 74 (Jen. M g . Litt. Zeitung, 1796. N r. 262 — 267. Charakt. u. Kritiken. 23. H ) Anmerkung zum zweiten Abdruck. 1801. . . 150 Anmerkung zum dritten Albdruck. 1827. . . 154 IV. D ie Gesundbrunnen. Ein Gedicht in vier Gesängen von Neubeck. 1797......................... 164 (Jen. M g . Litt- Zeitung, 1797. N r. 243. Charakt. u. Kritiken. 23. n.) Anmerkung zum dritten Abdrucke. 1827. . . 177 V. D er Wettstreit der Sprachen. Ein Gespräch über Klopstocks grammatische Gespräche. 1798. 179 (Athenäum, eine Zeitschrift von A. W- und Fr. Schlegel. 23- 1) Anmerkungen. 1827................................. 244 VI. Ueber kritische Zeitschriften. 1798. (Athenäum, 23. I )

.

.

. 258

VII. Beurtheilung einiger Schauspiele und R o, matte. 1. * Jffland. D a s Verm ächtnis. D ie Advokaten. Dienstpflicht. 1797............................... 265 (Jen. M g. Litt- Zeitung., >797. N r. >88.) 2. * R om ane und Erzählungen von Friedrich Schulz. 1797........................................ 276 (Jen . M g . Litt. Zeitung, N r. t3o. Charakt. u. Kritiken. 23. H )

Seite. 3* M ode-Rom ane. Lafontaine. 1798. . . 2 9 0 (Athenäum, B . I ) 4 . Romulus von Lafontaine. 1799. . . . 307 (Athenäum, B . n.) 5. Reise durch das mittägliche Frankreich. Vom Frhrn. von Thümmel. 1 7 9 9 - ................. 309 (Athenäum. 25. II.) 6 . Ritter Blaubart und der gestiefelte Kater, von Ludwig Tieck. (I n den Volk-mährchen von Peter Leberecht.) 1797................................... 3 1 1 (Jen. Allg. Litt. Zeitung, 1797. Nr. 333. Charakt. u. Kritiken. 23. II Anmerkung. V III.

1827............................................

318

Rollenhagens Froschmeuseler...................... 322

(Jen. Allg. Litt. Zeitung, 1797. Nr. >44- Charakt. u. Kritiken. 23. II ) IX .

Jakob B alde, ein Mönch und Dichter des siebzehnten Jahrhunderts. 1797......................... 325 (Jen. Allg. Litt. Zeitung, 1797. Nr. 53. Charakt.

u- Kritiken. 23. H ) X.

Salom on G eßner, Landschaftmaler und Jd y llendichter. 1756...........................................................331 (Jen. Allg. Litt. Zeitung, >796. Nr. 3o8. Charakt.

u. Kritiken. 23. II.) XI.

Chamfort.

1796..................................................

338

(Jen. Allg. Litt. Zeitung, >796. Nr. 338 - 340.) X II.

Ueber den dramatischen Dialog. 1796. . 365 (Die Horen, eine Monatsschrift herausgeg. von Schiller, Jahrg. 1796. S t. IV.)

S citf.

Zusah zum neuen Abdruck.

1827........................380

X III* Ueber Shakspeare's Romeo und Ju lia. 1797................................................................ 387 (D ie H oren, Jahrg. 1797. Stück v i. Kritiken. B . I.)

Charakt. 11.

X IV . U rtheile, Gedanken und Einfälle über Lit­ te ra tu r und Kunst. 1798............................... 416 (Athenäum. B . I )

Abri ß von den Eu r o p ä i s c h e n V e r h ä l t n i s s e n der Deut schen L i t t e r a t u r .

Z u m e r s t e n ma l gedruckt i n Lo ndo n 1825. lÖ t e Deutsche Litteratur ist eine der jüngsten unter den Europäischen. Zw ar hat unsre N ation ältere Denkmale ihrer Sprache aufzuweisen a ls die meisten ihrer Nachbarn. Alle Jahrhunderte des M ittelalters hindurch, und ohne Zweifel schon lange vor dem T a citu s, welcher das D aseyn ausführlicher Heldenlieder bezeugt, (denn ausführlich mußten sie seyn , wenn sie die S telle der Jahrbücher ver­ treten konnten) ist in Deutschen W eisen gedichtet worden: oft kunstlos, nicht selten auch m it ausgebildeter K unst, und zuweilen mit eigenthümlichem Schw ünge und (ent# haften, Nachdruck. Aber diese dichterischen Alterthümer sind großentheils verloren gegangen; in den noch vorhan­ denen ist die Sprache dergestalt v era ltet, daß sie selbst von Einheimischen beinahe a ls eine fremde erlernt werden I. Lh.il. 1

muß. Die Epoche einer Litteratur rechnet man gewöhnlich mit Recht von dem Zeitpunkte an , wo die Sprache nach dem Maaße ihrer Entwickelungsfähigkeit zu einer solchen Reife gediehen ist, daß die wegen anderer Eigenschaften bewunderten Werke auch in den Formen des S tils als Muster gelten, und durch ihren mächtigen Einfluß auf die Feststellung des Sprachgebrauchs Jahrhunderte lang unveralret ihren ersten frischen Glanz bewahren können. Dieser Zeitpunkt ist in Italien am frühesten, schon vor fünfJahrhunderten, eingetreten; in Spanien unter Carl V und Philipp II; in England unter der Regierung der Elisabeth; in Frankreich unter Richelieu und Ludwig XIV; bei uns erst seit der M itte des vorigen Jahrhunderts. D aß wir uns daher in Absicht auf de« Reichthum an ausgezeichneten Werken im Fache der eigentlich schönen Litteratur mit manchen andern Nationen noch nicht messen können, ist nicht zu verwundern, und darf uns billiger Weise nicht zum Vorwurfe gemacht werden. Die N atur ist zuweilen sparsamer, zuweilen freigebiger, niemals aber verschwenderisch mit den Gaben des Genius; und es bedarf eines beträchtlichen Zeitraumes, um mannigfaltige Schätze des Geistes anzuhäufen. Indessen hat sich in den seit der oben bemerkten Epoche verflossenen siebzig bis achtzig Jahren eine große Regsamkeit und fruchtbare Fülle offen­ b art; neue und auffallende Erscheinungen sind einander Schlag auf Schlag gefolgt; und wir dürfen nur die Namen Klopstock, Lessing, Winkelmann, W ieland, B ürger, Goethe, Johannes M üller, Herder, Schiller nennen, (der jüngern Zeitgenossen nicht zu erwähnen) um unsre Ansprüche auf Europäische Anerkennung geltend zu machen.

Wenn aber auch unsre L itte ra tu r denen, welche bei Erlernung einer fremden Sprache wie bei einer Erho­ lungs-R eise, n u r Befriedigung der E inbildungskraft und des Geschmacks,

und einen erweiterten K reis belebter

Unterhaltung beabsichten, weniger Anlockungen darböte, als manche andre; so dürften w ir doch dem Denker, dem G elehrten, dem wissenschaftlichen Forscher versprechen, jeder von ihnen werde sich fü r die nicht geringe M ü h e , welche es erfodert, sich m it unsrer Sprache v e rtra n t zu machyt, reichlich belohnt finden.

W ir besitzen nicht n u r

eine große Menge nützlicher und brauchbarer W erke, w o rin alles bisher in verschiedenen Ländern und Z e ita lte rn über irgend einen wissenschaftlichen Gegenstand geleistete fleißig gesammelt, geordnet und gründlich benutzt ist, sondern der Scharfsinn und der Tiefsinn Deutscher Denker hat sich in allen Richtungen thätig b ew ährt; vieles, w as nach altem Herkommen unbesehens fü r w ah r g a lt , hat sich bei erneuerter Sichtung ganz anders gestaltet; und es herrscht bei uns eine Unbefangenheit und Vielseitig­ keit der P rü fu n g , eine Eigenthümlichkeit der Ansichten, die bei andern sonst sehr geistreichen N ationen durch mancherlei Ursachen unmöglich gemacht w ird .

ES ließen

sich w ohl manche Beispiele anführen, daß ausländische Schriftsteller bei ihren Landsleuten bloß dadurch den R u f überlegener

Köpfe

und

origin ale r

Denker erw orbm

haben, daß sie das aus Deutschen Büchern oder aus M itth e ilu n g e n Deutscher Gelehrten geschöpfte sich geschickt anzueignen wußten.

Denn bisher waren P la gia te gegen

Deutsche bequem und m it ziemlicher Sicherheit auszuüben Deutschland, wiewohl nicht bloß geographisch, sondern

auch tu intellektueller Hinsicht im Herzen E u ro p a 's gelegen, ist im m er noch selbst für die nächsten Nachbarn eine terra incognita. Diese A rt zu seyn hat gleichwohl ihre V o r­ theile: reisen doch auch die S o u v erän e in c o g n ito , w eil sie es anziehend fin d en , die Menschen kennen zu lern en , w äh ren d sie von ihnen unerkannt bleiben- W ir sin d , d a rf ich w ohl behaupten, die Kosm opoliten der E u ro ­ päischen C u ltu r: w ir fragen gar wenig d arnach, in welchem Lande zuerst eine neue W ahrheit an s Licht ge­ förd ert w orden ist; w ir werden durch keine Parteilichkeit oder Beschränktheit gehindert, jeden irgendwo gemachten F o rtsch ritt in der Wissenschaft sofort anzuerkennen und i t t benutzen. D ie A usländer haben u ns nicht durch über­ triebene B ew underung zur nationalen Eitelkeit verw öh nt, w ie es unsern westlichen N achbarn zu ihrem Nachtheile w id e rfu h r; hierüber können w ir am wenigsten K lage führen. A u f der andern S e ite sind w ir auch unbeküm­ m ert um ihren T ad el: denn w ir wissen schon im v o ra u s , d aß er meistens a u s Unbekauntschaft, oder a u s einge­ w urzelten V orurtheilen und einseitigen G ew öhnungen h errü h rt. S to lz könnte m an wohl einigen D eutschen S chriftstellern Schuld geben, indem sie, im B ew ußtseyn ihrerU eberlegenhcit, allzusehr au f die Leistungendes A u s­ lan d es in manchen Fächern, a ls ganz unbedeutend, herab­ sehen. E s ist allerdings schwer, sich zuweilen kurz abw ei­ sender E rw iederungen zu enthalten; denn die U rtheile ü ber u n s , welche u ns von au sw ä rts zukommen, la u tm o ft s o , a ls w enn ein Goldschm id, der a u s dem schon g eläu terten M etall allerlei artig e Kleinigkeiten zu häm m ern v erstän d e, aber niem als einen Schacht gesehen h ä tte ,

die Arbeiten des kühnen Bergm annes, der in der Tiefe des Gebirgs nach edeln Erzen g rä b t,

meistern wollte.

W enn zum B eispiel, wie es vor einiger Z e it in Schott­ land geschehen ist, ein berühmter Lehrer dessen, was man in seinem Lande, nicht eben passend, Philosophie nennt,

über die neueren

Deutschen Philosophen von

K a n t bis au f unsere Z e it wegwerfend ab urtheilt, die Sprache zu kennen,

ohne die Schriften

ohne

gelesen zu

haben, ohne auch nur das Bedürfniß ächter Speculation zu ahnden, welches jene große und merkwürdige Bewe­ gung

der Geister hervorgerufen,

so haben w ir nichts

weiter d a ra u fz u a n tw o rten , als daß er noch gar nicht w e iß , wovon die Rede ist, und daß diese D in g e weit über seinen H orizont hinausliegen. D ie M än g el unserer wissenschaftlichen L itte ra tu r bin ich nicht gesonnen abzuläugnen: es w a r immer mein Be­ streben , mich zu einem Europäischen Gesichtspunkte fü r alle Erscheinungen des Jahrhunderts zu erheben.

D ie

Gründlichkeit des gelehrten Sam m elns w ird oft nicht von einem gewandten T a le n t der M itth e ilu n g begleitet; die Masse der Gelehrsamkeit hat zuweilen den Geist nie­ dergedrückt, so daß er sie nicht zu einer edeln und zier­ lichen F orm verarbeiten konnte; bei d e« unverkennbaren Tiefsinn des Gedankens verm ißt man nicht selten auschauliche K larheit der Darstellung.

D ie Deutschen S c h rift­

steller, wie ihre Landsleute überhaupt, wenden meistens nicht genug S o rg fa lt a u f die äußere Erscheinung dem Publicum gegenüber, und deswegen gleicht ih r V o rtra g der vernachläßigten typographischen Ausstattung ih re r Bücher.

Das

Bestreben

ueu zu seyn,

was

bei

der

allgemein verbreiteten A u fklä ru n g , bei der regen wissen­ schaftlichen Thätigkeit nicht leicht is t, hat zuweilen zu absichtlicher Paradorke ve rle ite t;

manchmal hat sich auch

angebohrne O r ig in a litä t, verstärkt durch eine eingezogne Lebensweise, m it fantastischer Seltsamkeit kund gegebm, und der Enthusiasmus fü r das Schöne und Erhabene, wozu unsre N a tio n einen vorwaltenden Hang h a t,

ist

in Schwärmerei ausgeartet. Ueberhaupt hat der Geist der Deutschen mehr eine spekulative als praktische Richtung genommen. Dieß hat seinen G rund theils in ihren natürlichen Anlagen, theils itt äußern Umständen, in gesellschaftlichen und nationa­ len Derhältnissen.

Vielleicht könnte daher die Bekannt­

schaft m it unsrer L itte ra tu r fü r eine N a tio n , bei welcher gerade das Gegentheil S t a tt fin d e t, als ein heilsames Gegengewicht betrachtet werden.

D enn die bei jeder Ge­

legenheit ungehörig wiederholte F ra g e: W ozu läßt sich dieß in der S ta a ts - oder H ausw irthschaft, in den Ge­ werben und mechanischen Künsten oder im Handel gebrau­ chen? ist ertödtend fü r die Philosophie, fü r dieses unei­ gennützige und von keiner Rücksicht abhängige Streben des Geistes, überall die P rincip ie n in ihrer E inheit zu begreifen.

Ic h weiß jene Redensarten nicht besser a ls

m it Falstaffs Rede über die Ehre zu vergleichen.

W enn

man eine formlose Anhäufung wirklicher oder vermeynter Erfahrungen m it dem Namen der Wissenschaft adelt, so entflieht aus ih r unvermeidlich der philosophische Lebens­ funke; sie sinkt zum rohen E m pirism us herab, und die Verachtung der Spekulation muß am Ende nachtheilig a u f die praktischen Anwendungen zurückwirken.

D aS heutige E uropa ist mündig geworden durch die Besitznahme von der reichen geistigen Erbschaft, welche Griechenland und Rom uns hinterlassen hatten; durch die Reformation und den dadurch veranlaßten und Jah rh un ­ derte lang fortgesetzten K am pf der Meynungen, auch solcher M eynungen, welche au f den ersten Blick nicht an die R e­ ligion und kirchliche Verfassung geknüpft zu seyn scheinen; durch die außerordentliche mti> in allen vorhergehenden Zeitaltern beispiellose E ntfaltun g der beobachtenden und berechnenden Naturwissenschaften; endlich durch die seit Vasco de G am a und Columbus begonnene und jetzt bei­ nahe zur Vollendung gebrachte Entdeckung der W elttheile und Oceane, und die dadurch möglich gemachte Bekannt­ schaft, ja den thätigen Verkehr m it den gesamten mensch­ lichen Bewohnern unsers Planeten. Welche bedeutende Rolle Deutschland bei der E n t­ wickelung der drei ersten charakteristischen Bestandtheile Europäischer C u ltu r gespielt h a t, bedarf kaum einer E r ­ innerung.

Zum W elthandel und folglich zur Weltumseg-

luiig waren die Deutschen durch ihre geographische Lage weniger berufen; jedoch haben sie keine Begünstigung der Umstände versäumt, um auch zur Erforschung der Länder und Meere ihren B eitrag zu liefern; und ein einziger Weltumsegler der Wissenschaft, wie Alexander von H um ­ boldt, wiegt manche berühmte Namen auf. S o erfindsam die Deutschen bei den ersten Fortschrit­ ten der Physik auf dem Wege des Experiments sich gezeigt haben, so muß man es doch eingestehcn, daß die neueste Z e it an wichtigen und folgereichen Erfindungen und E n t­ deckungen fü r manche Fächer, namentlich fü r die Chemie

und ihre Anwendung au f Technik und Mechanik, in andern Ländern fruchtbarer w a r , a ls bei u n s ; und wo dieß der F a ll ist, w ird es sich auch jedesmal aus dem M a n g e l an M itte ln und Anregungen erklären lassen.

A u f die Gestal­

tung andrer Theile der Naturwissenschaft haben Drusche Forscher sich einen überwiegenden E influß erworben, w ie zum Beispiel sogar die Deutsche Kunstsprache der M i ­ neralogie und Geologie als classisch überall eingeführt worden ist. Z u den glänzendsten S eiten und Leistungen gehören die philologischen und historischen Untersuchungen aller A rt:

ein Gebiet von unermeßlichem Umfang.

I n der

K ritik und Auslegung classischer Texte haben sich nach der Reihe Italiänisch e,

Französische, Holländische und

Englische Gelehrte hervorgethan: niemand w ird jedoch in Abrede seyn, daß dieß gelehrte Geschäft gegenwärtig in Deutschland m it der regsten Thätigkeit und anerkannt glücklichem E rfolge betrieben w ird .

Noch mehr: aus der

Verbindung gründlicher K ritik des Einzelnen m it einer philosophischen Betrachtungsart deS Ganzen ist uns seit W inkelmann und Lessing ein tieferes Verständniß classischen Alterthums

aufgegangen,

und

der

des

wieder

erweckte Geist jener kräftig und harmonisch ausgebilde­ ten Menschheit spricht vernehmlicher und eindringlicher zu dem unsrigen. V o rm a ls , da unser H orizont kaum über die S ä u ­ len des H ercules, und über die Küsten des M itte llä n ­ dischen

Meeres

hinausreichte, genoß

geschichte das traurig e V o rre c h t, ger seyn zu dürfen:

die alte

W e lt­

beschränkt und ma­

m it dem Anwachs unsrer Länder«

und Völkerkunde sind die Anfoderungen an sie in dem­ selben Maaße gesteigert.

T e n n die Aufgabe ist keine

geringere, als die gegenwärtigen Zustände des M e n ­ schengeschlechts in allen W elttheilen

aus der Vergan­

genheit, und zwar so viel möglich aus der entferntesten Vergangenheit zu erklären.

Viele von den kümmerlich

vollgeschriebenen, gchaltkeeren, o ft n u r m it Namen und Jahreszahlen angefüllten B lä tte rn der ehemals sogenann­ ten Univcrsal-Geschichte müssen überdieß noch als apokryphisch durchstrichen werden. H ie rin übt die historische K r itik ih r A m t unerbittlich aus.

M a n kann w ohl sagen,

diese sey eine Kunst von ganz neuer E rfin du ng ; wenig­ stens ist sie nie m it solcher Schärfe und Umsicht zugleich ausgeübt worden wie fetzt.

Aber die historische K r itik

ist keineswegs bloß n e g a tiv, sie ist auch a u f die E n t­ deckung des bisher verborgenen oder fü r ganz verloren geachteten gerichtet: und eben in der Zusammenstellung vereinzelter Bruchstücke, und in der Restauration eines historischen Ganzen aus ihnen, legt sie die stärksten P ro ­ ben ihrer Meisterschaft ab.

Jener scheinbare Verlust an

ehemals w ahr geglaubten Thatsachen, die sich nun ein­ m al nicht retten lassen, w ird reichlich ausgewogen durch die H offnu ng , m it H ülfe sonst verwahrloster oder nicht gehörig benutzter M it t e l, tiefer in die Geschichte der U r­ w elt einzudringen, und ih r geheimnißvolles D unkel auf­ zuhellen. Solche M itte l sind: die Erforschung und D eu­ tung der Denkm ale;

die Vergleichung der S prachen,

welche von der Herkunft und Verwandtschaft der Völker Zeugniß geben; endlich die Vergleichung der Sagen, um zu entscheiden ob und in wie fern ächte n u r in s W under-

bare «nd Sinnbildliche umgekleidete Erinnerungen der Vorzeit in ihnen niedergelegt sind. Alles obige g ilt nicht bloß von den äußerlichen Ereignissen und Umwälzungen, w om it sich die politische Geschichte vorzugsweise beschäf­ tig t: den Wanderungen der Völker, ihren Ansiedelungen, Kriegen und Eroberungen, der Entstehung, dem Wachs­ thum und dem Untergange der S ta a te n ; sondern in noch w eit höherem Grade von der Geschichte der C u ltu r über­ h a u p t, von der Geschichte der Religionen «nd Gesetzge­ bungen, der Wissenschaften, der mechanischen und b il­ denden Künste, des Gewerbfleißes und des Handels. F ü r alle diese Gegenstände, durch deren Aufnahme in ihre Darstellungen die Weltgeschichte erst einen Gehalt be­ kömmt, ist in einem kurzen Zeitraum viel geleistet w or­ den- vornämlich in Deutschland.

Jedoch bleibt unüber-

sehlich v ie l zu thun ü b rig , und mehrere Menschenalter werden nicht hinreichen, um die jetzt von allen Seiten herbeigeschafften M ate ria lie n zu sichten und zu ordnen. D ie Aufgabe, das Menschengeschlecht über seine bisherige irdische Laufbahn

aufzuklären, bleibt immer eine der

edelsten «nd würdigsten fü r den denkenden G eist, sollte sie auch in aller Folgezeit n u r approxim ativ gelöst wer­ de» können. D ie historische K r itik m uß , wenn sie gedeihen soll, einer vollkommenen Autonomie genießen; das heißt: sie muß keiner fremden A u to ritä t gehorchen, sondern über das Glaubwürdige nach den von ih r selbst ausgemittel­ te« Beweisgründen entscheiden dürfen.

Dieses g ilt frei­

lich von allen Wissenschaften, und man sollte denken, cs verstände sich von selbst.

Indessen haben sich hier und

da auffallende, im neunzehnten Jahrhundert ganz uner­ wartete Erscheinungen hervorgethan, welche allerdings Versuche, daS Zeitalter wieder zur Unmündigkeit zurück­ zuführen, und Hemmungen der intellectuellen Freiheit be­ sorgen lassen. W ir hoffen zwar, kein Astronom werd« künftig das Schicksal Galilei's erfahren, aber wir möch­ ten den Geschicht- und Naturforschern tu andern Fächern, dem Geologen zum Beispiel, nicht überall die gleiche Sicherheit zusagen. D ie, welche von Seiten der Wis­ senschaft Gefahr für ihnen theure Ueberzeugungen be­ fürchten , sind in einem Mißverständnisse befangen. Die Wahrheit ist nur Eine, und kann nie mit sich selbst in Widerspruch gerathen. Wer aber die freie Prüftrng, eS sey auf welchem Gebiete es wolle, untersagt, der muß eingestehn, er sey entschlossen, angeerbte Meynungen blindlings für Wahrheit anzunehmen. W ir Deutsche haben Ursache, uns wegen des bet uns bestehenden Verhältnisses der Wissenschaft zum S ta a t und zur Kirche glücklich zu schätzen. Durch die schon im Westphälischen Frieden auf immer festgesetzte politische Gleichheit der verschiedenen Religionsparteien w ar die Toleranz längst gesichert. Die Preßfreiheit ist bis jetzt nur in wenigen S taaten des Deutschen Bundes als ein verfassungsmäßiges Recht anerkannt: aber der größte Theil Deutschlands ist, der That nach, im Besitz einer sehr ausgebreiteten Denk- und Lehrfreiheit. Ein unsterblicher Monarch, Friedrich der G roße, hat hierin den To« angegeben. E r behauptete für sich selbst das königliche Recht, seine Meynungen freimüthig zu äußern: aber er wollte cs nicht allein besitzen, er gestand es jedem seiner

Unterthanen zu. E r hat dadurch auch auf unsre L itte ra tu r, die er nicht kannte, die er sogar zu kennen verschmähte, entschieden fördernd gewirkt. Glücklicher S ta a t, wo man e s , wie ein Mahrchen aus dunkler Ferne, erstaunt und zweifelnd v e rn im m t, daß die Schriften eines weisen und rastlos thätigen Fürsten, dem das Land die Gründung seines R uhm es, und den größten T h e il seines Flores verdankt, anderswo in dem In d e r verbotener Bücher aufgeführt werden! Nach solchen Beyspielen muß es in Deutschland altfränkisch und lächerlich erscheinen, die freieste E rö rte ­ rung theoretischer Meynungen durch Machtsprüche hemmen zu wollen. E in , wenn ich so sagen darf, friedlicher C onflict der abweichendsten Ansichten ist daher der auszeichnende Charakter unsrer L itte ra tu r geworden.

Dabei dürfen

w ir es aber m it W ahrheit rühm en, daß diese große wissenschaftliche F reiheit n u r äußerst selten leichtsinnig, und m it einem

gewissen,

dem

öffentlichen

Anstande

trotzenden Cynism us gemißbraucht worden ist. Diese flüchtigen Umrisse, w om it ich den heutigen Zustand des litterarischen und wissenschaftlichen Deutsch­ lands und sein V erhältniß zu dem Geiste des Zeitalters zu schildern versucht habe, machen keinen Anspruch darauf, ihren Gegenstand zu erschöpfen-

S ie sollen n u r dazu

dienen, ein bibliographisches Repertorium unsrer L itte ­ ra tu r

bei dem englischen' Publicum einzuführen.

Ic h

versprach dieß dem achtungswürdigen S a m m le r, dem jüngst verstorbenen Buchhändler B o h te , dessen frühzei­ tig e r Tod fü r den litterarischen ein

wahrer Verlust

ist.

Verkehr beider Länder

D ie Auswahl der Bücher ist

großentheils zweckmäßig, der Druck der Namen und

T itel correct; wo cß thu ul ich w a r, sind kurze Urtheile au s dem beredten und geistvollen Werke der F ra u von S ta e l über Deutschland, aus geschätzten Englischen Z eit­ schriften, oder auch aus Teutschen Bibliographien bei­ gefügt. Allen Freunden der Deutschen L itteratur in E ngland darf ich dieses Repertorium als ein brauchbares Handbuch empfehlen. D e r gegenwärtige Zeitpunkt ist vielleicht g ü n stig , um den Erzeugnissen des Deutschen Geistes einen allgcmeinern Eingang in E ngland zu verschaffen. V or einer Anzahl Ja h re hat man die Sache dort von der unrechten S eite angegriffen. P opuläre Romane und Schauspiele w urden durch Uebersetzungen und Vorstellungen a u f der Bühne nach England verpflanzt. N un erhoben sich, nicht ganz mit Unrecht, Klagen über deren Unsittlichkeit; aber der Schluß davon auf die gesamte Deutsche L itteratur w ar sehr übereilt. M an wußte nicht, daß diese nun vergessenen Erscheinungen des Augenblicks in Deutsch­ land zw ar bei gewissen Lesern und Zuschauern beliebt, aber keinesweges von der N ation hochgeachtet seyen. H ierauf kam die S p erre des Continental - S y ste m s, wodurch Napoleon das W o rt des alten D ichters: toto divisos orbe Britannos, an seinen standhaftesten G egnern zu verwirklichen suchte. S e it der Herstellung des E u ­ ropäischen Friedens hat eine große Anzahl gebildeter Engländer Deutschland bereiset, und manche haben viel­ leicht eine gewisse Neigung dazu gefaßt. D er zu früh verewigte Lieblingsdichter E nglands (ber auch die herr­ lichen Rheingegenden, in welchen ich dieses schreibe, so malerisch gepriesen) und unser Goethe haben sich, wiewohl

ohne persönliche Bekanntschaft, gegenseitig Anerkennung und B ew underung gegeben.

Zeichen der V o n verschie­

denen unsrer dichterischen O rig in a l-W e rk e sind geistreiche und

gelungene Uebersetzungen erschienen,

u n te r denen

die des Faust vo n Lord F . Leweson G o w e r ein ausge­ zeichnetes T a le n t bei einem sehr schwierigen Unternehmen bew ährt.

D ie V e rtheurung Deutscher Bücher durch den

d a ra u f gelegten Z o ll scheint fü r eine begüterte N a tio n ein geringes H in d e rn iß zu seyn; sie erschwert aber den­ noch de« litterarischen V e rk e h r, w e il der B uchhändler Bedenken tragen m u ß , ohne besondere Bestellung Bücher kommen zu lassen, deren Absatz ungewiß ist, und die er nich t ohne großen V erlust a u f das senden kann.

feste Land zurück­

E s ist nicht zu läugnen, ein Z o ll a u f die

E in fu h r frem der Gedanken, welche stet seyn sollte w ie Licht und L u f t , h a t immer etwas barbarisches; und m an d a r f w o h l die H o ffn u n g hegen, diese so w ie manche andre a u s einem engen System hervorgegangenen Beschränkun­ gen des H andelsverkehrs nächstens aufgehoben zu sehen.

Ueber

e i ni g e W e r k e v o n Goethe.

Tvrq uato

Lasso,

ein Schauspiel. 1790. f Ö c r Gedanke, den Charakter eines wirklichen Dichters zum Gegenstände einer dichterischen Darstellung zu machen, hat etwas so natürliches und auffallend anlockendes, daß man sich wundern muß, ihn nicht häufiger benutzt zu finden. S o wie ein Dichter am fähigsten ist, einen andern auszulegen, wie er oft einen dichterischen Zug mit leben­ digem Gefühl auffaßt, der Andern nur verworrene Ahn­ dungen erregt, so wird er auch tiefer ergründen, wie sich in einer Dichterseele die Triebe zart in einander weben; feiner belauschen, wie da die Regung sich allmälig zur T hat bildet: hiebei vorausgesetzt, daß der Dichter, dessen Charakter dargestellt werden soll, nicht ein gewöhnlicher Mensch im Leben sey; daß der Schwung und die besondre Richtung seines G enius sich auch in Eigenthümlichkeiten der Denkart und Lebensweise äußern.

Dieß w ar gewiß

m it T o r q u a t o

T a s s o , den Goethe zur Hauptperson

eines jetzt zum erstenmal gedruckten Schauspiels gemacht h a t, in hohem Grade der Fall.

Seine seltsamen und

unglücklichen Schicksale wurden durch seinen Charakter veranlaßt, und eben die Eigenheiten seines Temperaments und seiner O rg a n isa tio n , die diesen bestimmen helfen, hingen auch m it seinem dichterischen Talent zusammen. S e in leicht aufflammender Enthusiasmus zeigte sich im Leben als höchst reizbare Empfindlichkeit; die stille keusche W ürde seines S t ils als schüchterne Bescheidenheit, m it Künstlcrstolz gemischt; der hohe Ernst in dem Ton seiner Gedichte als Hang zur Einsamkeit und

Betrachtung.

D erjenige Zug seines Charakters, den man aus seinen Werken am wenigsten vermuthen sollte, ist das grillen­ hafte düstre M iß tra u e n gegen die Menschen, das ihn ewig quälte, und wie einen rastlosen Flüchtling durch das Leben hinjagte.

Nicht nur die Persönlichkeit des

Tasso, wie man sie aus der Geschichte kennen lernt, hat Goethe treu und w ahr in seinem Bildnisse zusammenge­ fa ß t, sondern auch feinere S chattirungen, die er n u r durch tiefes S tu d iu m derWcrke des Dichters wahrnehmen konnte, auszudrücken gewußt.

Selbst auf einzelne Stellen

der Gedichte seines Helden hat er angespielt. was Tasso vom

S o ist z. B .

goldenen Zeitalter sagt, größtentheils

aus dem bezaubernd schönen Chor im ersten Act des Amintagenommen. Manche Schönheiten dieser A rt müssen freilich fü r Leser verloren gehen, die den Tasso nicht als D ichter kennen, wenn ihnen gleich immer die Feinheit und S o rg fa lt in der Behandlung des ganzen Charakters sichtbar bleibt.

Eine

andre Classe von

Schönheiten,

welche n u r von Kennern der Lebensgeschichte des Tasso gefühlt werden können, machen die Benutzungen kleiner historischer Umstände aus, die den Leser a u f den Schau-platz hinzaubern, und ihm das Ganze m it anschaulicher W ahrheit vorbilden.

Hiebei ist der Dichter w eit mehr

dem neuesten Biographen des Tasso, dem Abatc Se« r a fft, als dem, aus welchem säst alle übrigen geschöpft haben,

dem Giambatista M anso, gefolgt.

A us der

Lebensbeschreibung des letzten schreiben sich viele rom an* hafte Erzählungen her, die zum T h e il von jenem, der m it großem Fleiß gesammelt und geprüft zu haben scheint, verworfen werden.

Serassi läugnet das Liebesverständ-

niß der Prinzessin Leonora m it dem Tasso, wovon so viel erzählt worden w a r ; er behauptet, sie habe nie etwas anders fü r ihn empfunden als Freundschaft, Bewunde­ rung fü r sein T ale nt, und Wohlgefallen an seinem geist­ reichen Umgänge.

Unser Dichter hat zwar ihrer Neigung

eine etwas andre Farbe geliehen; aber auch in seiner Darstellung gestattet sie den leidenschaftlichen Gefühlen ihres G ünstlings nicht, die Schranken der Ehrerbietung zu überschreiten. D e r P la n des Stücks ist sehr einfach: gerade n u r so v ie l H a n d lu n g , als erfodert w urde, um de» Charakter des Tasso sich völlig entwickeln zu lassen.

Ohne daß un­

erwartete Ereignisse oder mächtige Leidenschaften zu H ülfe gerufen w ürd e n , um den Knoten zu schürzen, stießt alles aus dem Contrast zwischen den Charaktern des Tasso und des Antonio M ontecatino, welcher Secretär beim Herzog Alfonso w a r , leicht und natürlich her. nicht ganz befriedigend.

i. rh«i.

D e r Schluß ist

D a s schöne G leichniß, w o rin

2

Tasso sich und den Antonio schildert, kann die dauernde D isharm onie zwischen ihnen nicht auflösen, durch die der erste in so quälende Lagen gerieth. F ü r die Bühne scheint der Verfasser das Stück überhaupt nicht bestimmt zu haben: ein Schauspiel, das sich mehr durch sorgfältige A usführung, durch Feinheit und Zierlichkeit des D ialo g s, durch Sittensprüche, die m it Attischer U rbanität vorge­ tragen sind, a ls durch überraschende A u ftritte, durch Kühnheit und K ra ft, auszeichnet, muß auch nothwendig a u f den Leser stärker w irken, a ls au f den Zuschauer. Aber auch jener w ird mehr bei der einschmeichelnden An­ muth einzelner S tellen verw eilen, als in das Interesse des Ganzen hineingezogen werden. Keine der handeln­ den Personen ist so geschildert, daß man ihr W ohl und W ehe mit vollem Herzen zu dem scinigen machen könnte. Tasso selbst erregt nur eine mit Unmuth über sein g ril­ lenhaftes Betragen gemischte Theilnahme; und die P r in ­ zessin äußert zu m atte, kränkliche Gefühle, als daß inan lebhaften Antheil daran sollte nehmen können.

Zus at z . Ueber T a s s o 's Lebensgeschichte. 1827.

S e it ich die obigen Bemerkungen schrieb, hat wie­ derholte Lesung der lyrischen Gedichte Tasso's mich über­ zeugt, daß der Abate S erassi, wenn er auch mit Recht manche Erzählungen des M anso verw arf, gleichwohl im Verneinen dessen, w as zuvor allgemein geglaubt worden

w a r, viel zu w eit gegangen ist. S e in W erk, zum ersten­ m al gedruckt im I . 1785, ist einer Prinzessin aus dem Hause Este, der Erzherzogin M a r ia Beatrice, zugeeignet und sichtlich dafür bestimmt.

B e i einer Geschichte, w o rin

mehrere Personen des Hauses Este a u f eine ihrem R u f nicht Vortheilhafte Weise verflochten sind, muß dieser Um­ stand, wo nicht gegen die Redlichkeit, doch gegen die F re i­ m üthigkeit des Biographen Bedenke» erregen. Auch stellt er alles, was den H o f der Herzoge von F e rra ra b etrifft, die aus jenem erlauchten Hause abstammten, in das gün­ stigste Licht. D en Abate mochte überdieß sein S ta n d und sein A lte r geneigt machen, alles anstößige möglichst bei S e ite zu schieben.

Wenn man sein Buch liest, so sollte

es scheinen, alle Italiänischen Prinzessinnen und vorneh­ men Damen wären damals tugendhaft, die sämtlichen Fürsten m ild e , gerecht, großmüthig und M uster aller ritterlichen und fürstlichen Tugenden gewesen.

A n schrift-

ltchen Zeugnissen hiefiir konnte es ihm nicht fehlen: denn seit die letzten Funken der alten F reiheit Ita lie n s erlo­ schen w a re n , längst vo r dem Z eita lter Tasso's, gab eS nie ein mehr m it Schmeichlern überschwemmtes Land. Aber die allgemeine Zeitgeschichte und so viele einzelne w ohl beglaubigte Züge stellen uns ein ganz andres B ild auf.

S o llte n die S itte n des Hofes von F e rra ra viel

besser gewesen seyn als die der Mediceer? D e r Umstand, daß Ariosto die einzelnen Gesänge seines rasenden R o ­ la n d ,

denen überall lüsterne Schilderungen,

zuweilen

auch derbe Unanständigkeiten eingestreut sind, bei Hofe vo r

einem gemischten Kreise von Herren und Damen

vorlesen d u rfte , beweist, daß

unter dem Vorgänger

Alfonso's der gesellschaftliche Ton in F e rra ra nicht eben der ssttsamste w ar. D er Abate © trafst ist eifrig be­ m ü h t, den unbescholtenen R u f der Prinzessin Leonora von Este zu retten, nnd ungehalten auf die B iographen T affo's wegen ihrer dreisten Behauptungen von seinem nicht ganz geheim gebliebenen Glück. D ieß läß t m an billig dahin gestellt seyn. Die Prinzessin w ar unver­ m ählt, und schon auf der Neige ihrer Jugendjahre, a ls der liebenswürdige und leidenschaftliche Jü n g lin g T o r­ quato Tasso zuerst in F errara a u f tr a t; sie ließ sich seine «etherischen, nicht bloß ihrem Geist sondern ihren Reizen gewidmeten Huldigungen gefallen; auf ihre und ihrer älteren vermählten Schwester Lucrezia Empfehlung nahm ihn der Herzog in seine D ienste, und sie pflegte fortw ährend mit ihm des vertrautesten Umgangs. T afso's verliebte Jugendgcdichte sind von einer fri­ sche» Lebensader durchströmt: es offenbart sich d arin ein entzündliches Herz, eine bewegliche E inbildungskraft, bereit von jedem neuen reizenden Gegenstände zum E n t­ zücken hingeriffen zu w erden; kühne Wünsche sind m it einer jugendlichen Zuversicht ausgesprochen, welche V er­ wöhnung durch gewährte Wünsche verräth. A uf T reue und entsagende Hingegebenheit mochte bei ihm schwerlich zu rechnen seyn. I n einem ziemlich leichtfertigen Liede au die D ienerin einer vornehmen D am e sagt er: AI sin si volge ogni femmineo ingegno.

D er D ichter, der die zartesten Regungen weiblicher H er­ zen in seinem befreiten Jerusalem so rührend zu enthül­ len verstand, w a r auch Meister in Schilderungen ganz

anderer A rt. sein Pinsel hat sich dem schwelgerischen Rausch der Sinne nicht entzogen. Wenige kennen viel­ leicht sein M adrigal: Tirsi morir volea; aber wer kennt nicht Rinaldo und Armida? M an weiß, daß er den Bedenklichkeiten seiner Freunde mehrere Strophen auf­ geopfert hat, die in einem heroischen ja gewissermaßen heiligen Gedichte anstößig schienen; »nd doch ist noch genug stehen geblieben. D er Abate Serassi hat mit lobenswerthem Fleiße Originalbriefe und andre schriftliche Urkunden beige­ bracht, aber er hält sich dabei allzu sehr an den Buch­ staben. Ich lese, durch die conventionellen Formen des Briefstils und den Zwang der Verhältnisse hindurch, oft etwas ganz anders in Tasso's Briefen, als er daraus fol­ gert. Wie hat man zum Beispiel den Poltergeist, über dessen Diebstähle und Quälereien Tasso in seiner Ge­ fangenschaft Klage führt, im Ernst als einen Beweis seiner Verrücktheit anführen können? E s sind verdeckte Anklagen seiner Kerkermeister, die er nicht offen vorzu­ bringen wagte, weil seine Briefe erbrochen werden konnte«, und weil er ganz in ihrer Gewalt war. Ueber die Ursachen des unversöhnlichen Hasses, welchen der Herzog auf einen M ann w arf, der lange seine ausgezeichnete Gunst genossen, seine Person und seinen Hof verherrlicht, ihm ein unsterbliches Werk zu­ geeignet hatte; über die Beleidigungen, welche er so grausam rächte, indem er den Tasso unter dem lügen­ haften Vorwände des Wahnsinnes in ein Irrenhaus einsperrte, und ihn, taub für die nachdrücklichsten Ver­ wendungen der Großen Ita lie n s, taub für die Stimme

der allgemeinen Bewunderung, welche den Namen

deS

Unglücklichen im Kerker schmachtenden schon damals w eit über

die Alpen t r u g ,

mehr

als sieben Jahre darin

festhielt, bis sein M u th und seine K ra ft gebrochen w a r, und nur noch ein Schatten des großen Torquato in der W e lt umherirren konnte: über diese geheimen Ursachen sind mancherlei Vermuthungen vorgebracht worden. D ie Sache w ird sich wohl niemals mit vollkommener Gew iß­ heit ausmitteln lassen, eben so wenig als warum A u gustus den O v id iu s nach T o m i verbannt hat.

W enn

ein tyrannischer Fürst eine H o f-In trig u e in ewige V e r­ gessenheit begraben wissen w i l l , so kann es seiner W illkühr auch nicht an M itte ln fehlen, die Beweise aus dem Wege zu räumen.

Und als ein T yran n hat sich Alfonso

in seiner Behandlung des Tasso gezeigt; das Verfahren des Augustus gegen den Römischen Dichter erscheint da­ gegen noch milde. D er

Abate Serassi findet den einzigen G rund in

den Beleidigungen, welche Tasso bei seiner letzten Rück­ kehr nach F e r r a r a , in einem Augenblicke leidenschaftli­ cher Auftvallung gegen den Herzog und seinen H o f öffent­ lich ausstieß.

D ie ß heißt.den Vorw and mit dem w ah­

ren Grunde verwechseln.

Offenbar hatte Tasso sich die

Ungnade des Herzogs schon vor seiner Flucht von F e r­ ra ra

zugezogen; seine Rückkehr w a r

ein

verwegener

S treich: vielleicht glaubte er, an seinem Ruhm , an der ehemaligen Gunst der Prinzessin ein sichres Geleit besitzen. n ic h t,

M an

verweigerte ihm den Z u tr itt

zu

bei Hofe

aber ein kalter ja verächtlicher Empfang w a r

darauf angelegt,

sei» stolzes Gemüth

zu einem

wilden

Ausbruche zu reizen, und so gelang cs, die Schuld sei­ nes Unglücks auf ihn zu wälzen. D er Herzog konnte ihn mit vollem Recht au s seinen S taaten verbannen, er konnte ihn vor Gericht stellen, jedoch that er keines von beiden. Tasso wurde als ein Verrückter eingesperrt, und in seiner Behandlung nichts versäum t, wodurch man Menschen wirklich verrückt machen kann: im vollen Besitz seiner hohen Gcistrsgaben hat er die Probe sieg­ reich bestanden. Andre haben die Ursache in Tasso's Verhältnisse zu der Prinzessin Lconora gesucht. D ieß ist ganz u n ­ glaublich. W ie hätte der Herzog sich erst nach so lan­ gen Jah ren an einem Verhältnisse gestoßen, das sich unter seinen Augen gebildet h atte, und schon ziemlich aufgelöst w a r? E in S o n e tt des Dichters bezieht sich auf die Klage der Prinzessin, sie werde nicht mehr von ihm besungen. E r redet darin von seinen trilu stri affa n n i, seiner seit drei Lustren erlittenen Liebcsqual. D ieß ist die Sprache eines dienenden R itterS. D ie Zeitangabe ist nicht genau zu nehm en, denn fünfzehn Ja h re nach der ersten Bekanntschaft w ar Tasso schon im G efängniß; aber das S o n e tt beweist w enigstens, daß die Prinzessin noch in später Zeit seine dichteri­ schen Huldigungen lebhafter wünschte, als er sie zu leisten bereit w ar. Schon nach seiner Flucht ließ sie ihm sagen, daß sie nichts fü i ihn zu thun vermöge. S ie starb im fünf und vierzigsten Jah re ihres Lebens, im zweiten seiner Gefangenschaft. Einiges Licht gewährt vielleicht folgendes S o n ett, d as ich im O riginal und m einer treuen Uebertragung hersetze.

O d i, F ilii, che tnona! od i, che in gelo II vapor di 1A su converso piove! Ma che curar dobbiam, che faccia Giove? Godiam noi qul, s’egli e tnrbato in cielo, Godiamo amando, e un dolce ardente zelo Queste gioje nottarne in noi rinnove ; Tema il volgo i suoi tu on i, e porti altrove Fortuna o caso il suo fnlmineo telo. Ben solle ed a se stesso empio e colui Che spera e tem e; e in aspettando il male Gli si fa incontro, e ßua miseria aslretta« Pera il mondo e rovini- a me non cale, Se non di quel, che piu piace e diletta. C h e, se terra sarb, terra ancor fui.

H ö r ', sphylli-, wie e- bonnett! hör' von droben D ie D ü n s t', in Eis verwandelt, niederrinnen! W a - aber soll unS kümmern Zeus Beginnen? Freun wir un- hier, mag er im Himmel toben! Freun wir un- liebend! laß unS neue Proben D e r süßen G lut in nächt'ger Lust gewinnen! S e i n Donner schrecke nur des Pöbels S i n n e n , V on Glück und Zufall weit umher gestoben. W ohl thöricht und sich selbst ist zur Beschwerde, W e r hofft und fürchtet, u n d , dem er entgegen E rw artend sieht, sein Schicksal übereilet. D ie W e lt geh' unter: mir ist nur gelegen An dem, was mehr Genuß und Lust ertheilet; D e n n , muß ich Erde seyn, ich war ja Erde.

Niemand wird wohl glauben, ein so gewaltsam leidenschaftliches Gedicht sei ohne eine Veranlassung aus der Wirklichkeit in die blaue Lust hinein geschrieben worden. W aS w ar nun diese Veranlassung? Ich weiß

keine andre natürliche und wahrscheinliche Deutung zu finden als folgende. Tasso wußte die Ungnade des Her­ zogs, und sah einem nahen Ausbruche entgegen; er war Alfonso's Nebenbuhler, und zwar ein begünstigter Neben­ buhler; aber er ließ sich durch die Furcht vor der Rache des Mächtigen uicht abhalten, der Befriedigung seiner Leidenschaft nachzugehn. Wenn man meine Deutung gelten läßt, so kann man dem Sonett keinen andern Zeitpunkt anweisen als vor der Flucht von Ferrara. Durch die trotzige Gesinnung, welche sich darin offen­ bart, mochte Tasso bei mehreren Gelegenheiten allmälig die Last eines unversöhnlichen Hasses von Seiten des Fürsten auf sich laden. Vermuthlich lesen wir in seinen Werken nur eine Auswahl seiner viel zahlreicheren Jugendgedichte. Man­ che mochte er ausschließen, weil er in reiferen Jahren sie nicht ausgezeichnet genug fand: denn schwerlich konnte die Freigebigkeit der Muse mit den Ansprüchen so vieler Schönen auf dichterische Lobsprüche gleichen Schritt hal­ ten; andre, weil sie den Schleier geheimer persönlicher Verhältnisse allzusehr lüfteten. Sie sind ohne Zeitan» gäbe ans uns gekommen, meistens auch ohne den Na­ men der Personen, an die sie gerichtet waren. Einzelne Vorfälle mit völliger Bestimmtheit der Umstände lassen sich daher selten ausmitteln. Aber von der Sinnesart, den Gemüthsstimmungen und Lagen des Dichters geben sie ein allgemeines Zeugniß, welches ein Biograph, der nicht bloß bei Aeußerlichkeiten stehen bleiben w ill, nicht vernachläßigrn darf. Einige der im Kerker ge­ schriebenen kann man nicht ohne die tiefste Rührung lesen-

Diese Andeutungen haben keinen andern Zweck als zu zeige»/

daß nach dem Abate Scrassi sich noch eine

n e u e , anziehende und tiefer eingehende B iographie Tasso's schreiben ließe, die nicht gerade wie jene ein schwer­ fä llig e r Q u a rtb a n d zu seyn brauchte; fe rn e r, daß durch unsern großen D ich te r der fü r die dramatische D a rs te l­ lu n g

günstige

S t o f f dieser

tragischen

noch keinesweges erschöpft ist.

Lebensgeschichte

W er sich an diese A u f­

gabe wagen w o llte , uiüßte freilich die Vergünstigung eines

freieren Wechsels von O r t und Z e it zu H ü lfe

nehmen, welchen das Beispiel der Englischen und der Spanischen B ühne gemacht hat.

auch a u f der

unsrigen

einheimisch

D e n n n u r aus dem Gegensatz einer so

glänzenden J u g e n d , wo die M u se , die Liebe und das G lück den rdeln J ü n g lin g

a u f ihren F ittig e n gemein­

schaftlich em porzutragcn schienen, m it so herben nachherig e n Leiden könnten die erschütterndsten Eindrücke be­ w ir k t werden.

A ls S tu d iu m hiebei empfehle ich beson­

ders die lyrischen Gedichte, dann auch die Rückkehr zu dem älteren B iographen Giambatista M ansv, der ja doch den Tasso, wenn auch erst in seinen letzten Lebensjahren, persönlich gekannt hat.

B e i allgemein bekannten Bege­

benheiten ist es mißlich fü r den dramatischen D ic h te r, auffallend von dem wahren Gange der Geschichte abzu­ w eichen, z. B . eine selbst erfundene Katastrophe u nter­ zuschieben, w ie es S c h ille r in der J u n g fra u von O rleans gethan.

A lle in über Tasso's Leben w a lte t in vielen

Stücken der

Z w e ife l,

es ist den meisten Zuschauern

nicht genau bekannt: der romantische Tragiker kann sich dabei seiner künstlerischen Rechte unbedenklich bedienen.

2.

Di e Römi s che n El e gi e n. 1795. Diese Elegien sind eine m erkwürdige, neue, in der Geschichte der Deutschen Poesie, ja m an d arf sagen, der neueren überhaupt einzige Erscheinung. Unbestochen vom Nationalstolze kann der Deutsche wohl behaupten, daß seine Sprache, im Ganzen genommen, die treuesten poetischen Nachbildungen der A lten, daß sie allein O ri» ginalwerke im ächten antiken S til aufzuweisen hat. M a n begreift n ich t, m it welchem S in n e die E ngländer den Griechischen Homer gelesen haben müssen, um P o p e 's zierlich geglättete Reime nur für eine Uebersctzung deS A ltvaters der S än g er gelten zu lassen, geschweige dann, um zu glauben, er gewinne nicht wenig durch die neu­ modischen Verfeinerungen der kräftigen E in fa lt, w om it Jliu m erobert und die I lia s gesungen w ard. Nicht ohne Lächeln erfährt man aus der Ueberschrift gewisser Englischen O d en , daß sie Pindarisch sind; und es kann n u r M itleiden einstoßen, wenn die Franzosen sich dün­ ken, von einem höheren Gipfel der Kunst und Vollen­ dung auf die tragische Bühne der Griechen herabzusehen. E s gehört ein freier und nüchterner Blick bei einer u n ­ verfälschten Empfänglichkeit dazu, das G roße und Schöne richtig zu erkennen und rein zu fühlen, welches u n s au s unermeßlich weit von dem unsrigen abstehenden Z eital­ ter wie a u s einer fremden, für immer zerstörten W elt anspricht, über deren räthselhafte Wirklichkeit alle T rüm -

mer ihrer unsterblichen Denkmale, noch so gewissenhaft befragt, keinen vö llig genügenden Aufschluß ertheilen. E s nachahmen wollen ist ein edles, aber mißliches Be­ mühen.

D ie ursprünglichen, einfach schönen Formen

der alten Kunst haben das Schicksal aller Formen ge­ habt, ihren Geist zu überleben. Fehlt es ihrem heutigen Bewunderer an der Zaubergewalt,

diesen aufs Neue

hervorzurufen, so ist es vergeblich, daß er sie nachzu­ bilden sucht; er umarm t in ihnen, wie in köstlichen U r­ nen, n u r die Asche der Todten. W a r das Antike doch neu, da jene Glücklichen lebten! N ur

an der lebenden W e lt kann sich die B ru st des

Künstlers und Dichters erwärm en; n u r eigne Ansichten des W irklichen treten wie unabhängige Wesen h e rv o r, wenn sie der Spiegel einer reinen, lichthellen Fantasie zurück w irft.

D ie kühle Begeisterung dessen, der wahre

Verhältnisse seines Daseyns darzustellen vorgiebt, und sich doch in einem willkührlich erborgten, aber gelehrt beobachteten, Evstum g e fä llt, mag den A ntiquar ent­ zücken. D e r unbefangene Freund des Wahren und Schö­ nen, welcher nicht an diesen oder jenen Aeußerlichkeiten hängen bleibt, sondern in das Innere dringt, w ird h in ­ gegen wünschen, daß sich eigenthümlicher Geist immer in der angemessensten,

natürlichsten,

eigensten F orm

offenbare. Und das ist es eben, was an diesen Elegien be­ zaubert, was sie von den zahlreichen und zum T he il sehr geschickten Nachahmungen der alten Elegiendichtcr in Lateinischer Sprache wesentlich unterscheidet: sic sind

o rigin al und dennoch ächt antik.

D e r G e n iu s , der in

ihnen w a lte t, begrüßt die A lten m it freier H u ld ig u n g ; w eit entfernt von ihnen entlehnen zu w o lle n , bietet er eigene Gaben d a r, und bereichert die Römische Poesie durch Deutsche Gedichte.

Wenn die Schatten jener nn-

sterblichen T riu m v irn unter den Sängern der Liebe in das verlaßne Leben zurückkehrten, würden sie zwar über den Frem dling aus den Germanischen W äldern erstaunen, der sich nach achtzehn Jahrhunderten zu ihnen gesellt, aber ihm gern einen Kranz von der M y rte zugestehn, die fü r ihn noch eben so frisch g r ü n t , wie

ehedem

fü r sie. V on den elegischen Dichtern der Griechen, sowohl den frühern Ionischen, als den A le x a n d rin e rn , haben sich n u r Bruchstücke erhalten.

Aber selbst nach diesen

wenigen Proben scheint der Ausspruch Q u in tilia n s : » In der Elegie nehmen w ir es sogar m it den Griechen a uf;« doch etwas gewagt zu seyn.

Indessen hat nicht leicht

eine andere D ic h ta rt, nachdem die Musen in Griechen­ land verstummt w a re n , sich m it so ausgezeichnetem Ge­ deihen aus Römischem Boden verbreitet.

P ro p c rtiu s

läß t m itten unter der verzehrenden G lu t der S in nlich ­ keit eine gewisse ernste Hoheit hervorstrahlen; T ibu llu S rü h rt durch schmachtende W eichheit; die sinnreiche und gewandte Ueppigkeit des O v id iu s ergötzt o ft und ermü­ det zuweilen, wenn er die Gemeinplätze der Liebe zu lange auöspinnt.

D e r Charakter unsers D ichters ist eigentlich

keinem von allen dreien ähnlich.

Ueber den letzten erhebt

ih n der Adel seiner Gesinnungen am weitesten; aber er ist auch männlicher in den Gefühlen a ls T ib u ü u s , und in

Gedanken und Ausdruck anspruchsloser und klarer als P ro p e rtiu s .

Ob er gleich nicht verhehlt, daß er sich

die süßeste Lust des Lebens zum Geschäfte macht, so scheint er doch n u r m it der Liebe zu scherzen.

S ie unterjocht

ihn nie so, daß er dabei die offne Heiterkeit seines Ge­ müths einbüßen sollte.

In

der ersten Elegie schweifen

seine Wünsche nach einer noch unbekannten Geliebten um­ her, und in der zweiten hat er sie nicht n ur gefunden, sondern schon jede Gewährung erlangt.

Es ist w a h r,

einige Umstände, die er d arin gegen das Ende erwähnt, vermindern das Wunderbare eines so schnellen Sieges beträchtlich.

S e in G efühl ist duldsamer, als das seiner

Römischen Vorgänger, welche bei jeder Gelegenheit ihren Abscheu gegen den Eigennutz der Schönen nicht stark genug zu erklären wissen.

Doch erscheint nachher die ge­

fällige R öm erin so schön, so liebenswürdig, ja selbst so zärtlich und edel, daß der Geliebte die fremden T rie b ­ federn ihres Betragens, die sich unter die Liebe mischen, w o h l entschuldigen oder vergessen kann.

Seine Leiden­

schaft würde ihrer eignen N a tu r widersprechen, wenn sie heldenmüthige Aufopferungen foderte.

Nicht jugendlich

herbe und aufbrausend, sondern durch den E in fluß der Z e it gem ildert, wünscht sie die Freude wie eine reife Frucht zu Pflückern

S ie ist sinnlich und zärtlich, schlau

und offenherzig; und schwärmt in ihrem M uth w ille n so lieblich fü r das Schöne, daß selbst der strenge S itte n ­ richter M ühe haben müßte, Falten auf die dazu gewöhnte S t ir n zu zwingen, um seinen Bedenklichkeiten und W a r­ nungen Nachdruck zu geben. I n seiner genügsamen F röh­ lichkeit ist der Sänger friedlich gegen alle Menschen ge-

sinnt und möchte sich nicht gern an irgend etwas Argem schuldig wissen.

E r bleibt seinem Wahlspruche tre u :

Nos venerem tntam concessaque furta canem us, In q u e meo n a lla m carm ine crimen e rit.

D aß R o m , die alte Heim at der Elegie, die Scene dieser Darstellungen is t, erhöht noch um vieles ihren Reiz.

Manches wie ohne Absicht eingeflochtene B ild

fremder S itte n giebt ihnen Neuheit.

D e r E in flu ß eines

milderen Himmels, unter den der Leser sich selbst versetzt fü h lt, fodert ihn erwärmend zum Antheil an sinnlicher Lust und Liebe auf.

D ie W ahrheit, welche dort überall

dem betrachtenden Blicke entgegenkömmt, gleichsam a uf jedem Bruchstücke eines alten W erks eingcgraben steht, in jeder verloschnen S p u r ehemaliger Herrlichkeit sich entziffern lä ß t: alle menschliche Größe muß untergehen; diese W ahrheit ve rlie rt am jugendlichen Busen der Schön­ heit ihre M acht zu schrecken, ja sie w ird eine Einladung dem allgemeinen Loose der Vergänglichkeit zuvorzueilen, und die Freuden des Lebens zu haschen.

D ie Blume

welkt am Abend, wie der ehrwürdige Tempel nach J a h r­ tausenden einstürzt: Freue dich also, Lebendiger der Lieberwärmeten S tä tte , Ehe den fliehenden Fuß schauerlich Lethe dir netzt. Auch darin begünstigt den D ichter der Aufenthalt in der ewigen S ta d t, wo das classische Alterthum noch immer sich selbst zu überleben scheint, daß die ihn um­ gebenden Gegenstände eine freundliche Gegenwart aus gewisse A r t m it einer idealischen Vergangenheit verknü­ pfen-

Vorzüglich ist die Erscheinung der alten G ö tte r,

statt daß fie sonst, wenn der Dichter sie unter den Aus­ druck eigner Leidenschaft mischt, entweder als hergebrachte Redefigur n u r einen schwachen, oder, als etwas fremd­ artiges und w illkührlich ersonnenes, einen störenden E in ­ druck macht, in hohem Grade natürlich und täuschend. D ie E inbildungskraft gesteht diesen Wesen gern eine sicht­ bare G e ge nw a rt, ein noch fortdauerndes persönliches Daseyn an einem Orte zu, wo sie einst so glänzend ver­ ehrt w u rd e n , wo man zum T heil noch ihre Wohnungen ze ig t, und ihre Gestalten aufbew ahrt, vor deren über­ menschlicher M acht das Volk sich ehemals niederwarf, wie der Künstler noch jetzt ihre übermenschliche Schönheit anbeten muß.

S o g a r die kühne Begeisterung, welche den

D ic h te r, indem er reineren Aether einzuathmen g la u b t, m it einem S chritte vom C apitolium zum O lym p hinauf­ fü h rt , hat hier noch das Ergreifende der W ahrheit. N u r von solchen Beurtheilern, die ihre Begriffe von den D ichtarten mehr aus neueren Theoristen als aus den M ustern des A lterthum s geschöpft haben, steht der E in ­ w u r f zu erw arte n, diese Gedichte seyen keine Elegien. E s loh nt nicht sonderlich die M ü h e , um Namen zu streiten: eine Sache bleibt dennoch, was sie an sich is t, man nenne sie wie man w ill.

M a n könnte also immer­

hin jene Behauptung zugeben, ohne daß etwas mehr daraus folgen w ü rd e , als daß ein Versehen bei der Ueberschrift vorgefallen sey.

A llein das W o rt Elegie ist

den Griechen abgeborgt, und es fra g t sich, wer mehr Recht h a t: der K ü n stle r, der es im S inne der E rfinder a u f die Schöpfungen seines Geistes anwendet, oder der K unstrichter, der die Bedeutung nach bett Bedürfnissen

seiner Theorie eigenmächtig abändert und festsetzt? Nach einer ziemlich gemeinen Meynung muß man nothwendig Seufzer der Wehmuth hören lassen, um a u f den Namen eines elegischen Dichters Anspruch zu haben.

D ie Elegie

hätte in der T h a t S to ff zu klagen, wenn man sie a u f diesen kläglichen T o n beschränken wollte.

W ie s ihr doch

schon H o ra tiu s neben der Klage auch die Freude erhör­ ter Liebeswünsche zum Gebiet a n , und w ir finden meh­ rere dergleichen Jubeüieder unter den Gedichten, welche das

Alterthum uns als Elegien überliefert hat.

S ie

umfaßt also ganz entgegengesetzte Stim m ungen des G e­ m üths; und wenn sie meistens von einem Liebenden als B o tin

an

den Gegenstand seiner Leidenschaft gesandt

w ird , so verläßt sie doch auch nicht selten diesen K re is . Schon M im nerm us, wo nicht der E rfinder des elegischen SylbenmaßeS, doch der V a te r der E le g ie , »der in der Liebe mehr g alt als H om crus,« hat in seiner D ich tart die Siege der S m yrn äer besungen; T ib u llus feiert Ge­ burtstage und frohe ländliche Feste; und wer vermöchte die Schlacht bei Actium erhabener zu schildern als P ro pertius? D ie Benennung hing bei den Alten an der me­ trischen Form .

Diese kann freilich kein unterscheidendes

M erkm al des innern Wesens liefern: wie die elegische denn auch häufig zum Lehrgedicht und zum Epigram m ge­ braucht worden ist; allein sie hat doch einen bedeutenden Einfluß

a u f Gang und Wendung der Gedanken, und

auf die Farbe des Ausdrucks.

Hieraus entsteht erwas

gemeinschaftliches in der Behandlung sehr verschiedenar­ tiger Stoffe, das sich indessen leichter fühlen als bestimmt erklären läßt.

i.rliiN.

Gehören einige aus der Reihe dieser Ge«

3

dichte eher in eine Sammlung wie die Anthologie? oder soll « an einige Stücke der Anthologie lieber Elegien als Epigramme nennen? E s kömmt wenig darauf an. N ur das würde zum Tadel berechtigen, wenn man dem Dich­ ter Mishelligkeit zwischen dem Inhalt und der äußeren Form darthun könnte. W er würde wohl diese lieblichen Dichtungen vernichtet zu sehen wünschen, wenn etwa gewisse Theoristen einmüthig aussagen sollten, sie seym in keines der von ihnen eingerichteten Fächer hineinzuschieben? Möchten doch lieber alle willkührlichen Theorien der Kunst zu Grunde gehen, als daß ihrem Eigensinne ein einziges wahrhaft schönes Kunstwerk aufgeopfert werden sollte!

3.

Hermann

und D o r o t h e a . 1797 .

Obgleich dieß Gedicht seinem Inhalte nach in der uns umgebenden Welt zu Hause ist, und, unsern S it­ ten und Ansichten befreundet, höchst faßlich, ja vertrau­ lich die allgemeine Theilnahme anspricht: so muß es doch, was seine dichterische Gestalt betrifft, dem Nichtkeuner des Alterthums als eine ganz eigne, mit nichts zu vergleichende Erscheinung auffallen, und der Freund der Griechen wird sogleich an die Erzählungswcise des alten Homerus denken. Sollte dieß weiter nichts auf

sich haben, a ls eine willkührliche Verkleidung des S ä n ­ gers in eine fremde altväterliche T ra ch t?

S o llte die

Aehnlichkeit bloß in Aeußerlichkeiten deS V o rtra g s lie­ gen?

E s wäre wenigstens nicht b illig , vor der Unter­

suchung so zu vermuthen: jene, auch dem obersiächlichen Betrachter sich darbietende, Wahrnehmung muß uns da­ her ein W in k seyn, sie weiter zu verfolgen.

Wenn ein

Werk nach der aus ihm hervorleuchtenden künstlerischen Absicht zu beurtheilen ist, so d a rf die Rücksicht auf das homerische Epos hier so wenig ein überflüßiger Umweg scheinen, daß sie vielmehr das sicherste, ja das einzige, M itte l sey« möchte, ein so v ie l möglich von allen E in ­ flüssen eines einseitigen modernen Geschmacks gereinigtes U rth e il über den dichterischen W e rth von Hermann und Dorothea zu bilden. Gäbe es eine gültige Theorie der Poesie, w o rin die Vorschriften dieser Kunst aus den unabänderlichen Gesehen des menschlichen

Gemüths

hergeleitet, nach

dessen nothwendigen Richtungen die ursprünglichen D icht­ arten

bestimmt

uud ihre

ewigen Gränzen festgestellt

w ären: so würden w ir auch über das Wesen der epi­ schen G a ttu ng

im Klaren seyn, und der Kunstrichter

hätte n u r die schon bekannte Lehre a u f einen vorliegen­ den F a ll anzuwenden.

B is eine solche Wissenschaft zu

Stande gebracht seyn w ir d , muß man zufrieden seyn, sich über Sätze, die man unm ittelbar zu einer Kunst­ beurtheilung braucht, m it dem Leser nothdürstig ver­ ständigt zu haben.

Nicht n u r dieß; sondern

was eine

K r itik am besten leitet und beurkundet, die Vergleichung m it classischen V o rb ild e rn , ist dadurch sehr erschwert

w orden, daß man diese seit Jahrhunderten durch das M edium irrig e r Kunstlehren angesehen, angebliche T u ­ genden au ihnen gepriesen, und was sich als ihre erste Vollkommenheit bewähren dürste, getadelt oder gar nicht erkannt hat.

Eine Geschichte der alten Poesie, w o rin ,

m it H inw egräum ung so vielfach gehäufter und tie f ge­ w u rz e lt» V o ru rth e ile ,

ih r Gang nach der W ahrheit

und m it durchgängiger Beziehung auf jene Wissenschaft verzeichnet wäre, würde vielleicht darthun, daß die G rie ­ chen durch eine ganz einzige Begünstigung der N a tu r (bereit sie sich stolz bewußt waren, wenn sie im Gegen­ satz m it hellenischer Eigenthümlichkeit alle übrigen Völker Barbaren nannten) auch hier die P flich t des Schönen aus freier Neigung e rfü llt, und eine Reihe eben so v o ll­ endeter U rbilder

fü r die Hauprgattungen der Poesie,

wie fü r die verschiednen S tile der B ildnerei und B a u ­ kunst aufgestellt haben: wodurch denn die ziemlich allge­ meine M e yn u n g , die den alten D ichtern ein unverjährbares, fast ungemeßnes, Ansehen zugesteht, erst in E r ­ kenntniß verwandelt werden würde.

WaS das home­

rische Epos anlangt, so liegt es dem Theoristen ob, sein Wesen a u f die ersten Gründe der Poetik zurückzuführen und an diesen zu p rü fe n ; dem Geschichtschreiber der Griechischen Poesie,

es nach seinem Ursprünge zu er­

klären, das h eiß t, dessen nothwendige Entstehung aus einer bestimmten S tu fe der B ildung zu zeigen, und cs in das richtige Verhältniß zu rücken.

m it den folgenden S tu fe n

W ir begnügen uns hier m it dem Versuch,

in aller Kürze eine in sich zusammenhängende Charak­ teristik der ursprünglichen epischen G a ttu ng zu entwerfen,

und davon zu der F rag e überzugchn, wie der D ichter die Aufgabe gelöst h a t, jene in unserm Z eitalter und unsern S itte n einheimisch zu machen. W ir müssen hiebei zuvörderst alle gangbaren und in unsern Lehrbüchern immer wiederhohlrcn B egriffe von der sogenannten E popöe gänzlich bei S e ite setzen. M a n h a t dem H om er die unverdiente E h re erze ig t, ihn zu deren S tif te r zu machen: und wie m an dieses künstliche, a u s grundlosen theoretischen B ehauptungen und M iß ­ griffen einer beabsichteten Nachahm ung zusammengesetzte G ebäude fü r die w ürdigste, umfassendste und prachtvollste S chöpfung derD icbterkraft au sg ieb t; so pflegt auch jener schlichte A ltv ater u n ter den Baum eistern solcher E popöen obenan zu prang en. D ie historischen Untersuchungen eines scharfsinnigen K ritik ers über die Entstehung und F o rtp flan zu n g der Homerischen G esänge, die vor kurzem die Aufmerksamkeit aller derer au f sich gezogen haben, welche F ortschritte in den Wissenschaften zu erkennen wissen, geben u n s zum Glücke einen festen P u n k t, w ovon die künstlerische B etrachtung des H om er in einer ganz entgegengesetzten R ichtung ausgehen kann. W enn die I l i a s und Odyssee a u s einigen g ro ß e n , fü r sich B estand habenden Stücken zusammengeschoben, und diese w iederum , wo Lücken blieben, durch kleinere S te lle n , (nicht imm er zum geschicktesten) an einander gefügt sind: so hätte m an j a , indem m an n u r im m er den wohlbcrechneten B a u des G anzen a n stau n te, ein frem des V erdienst, d as dem H o ­ merischen Z eitalter nicht zukommt, und nach dem G rad e seiner B ild u n g nicht zukommen konnte, d as obendrein in dem M aaß e g ar nicht einm al vorhanden is t, fü r d a s

wichtigste bei der ganzen Sache gehalten.

S o wenig

gegründet ist die gutherzige K lage, welche man oft von Freunden des Dichters führen h ö r t: durch obige Behaup­ tungen geschehe ein Einbruch in das Heiligthum des ehr­ würdigen A lte n ; man zerreiße ihnen ihren Homer: daß vielmehr seine Rhapsodien dadurch erst von den fremdartigen Banden des Ganzen erlöst werden.

M aaß, V e r­

hältniß und O rd n u n g , Vorzüge, die Homer selbst am Gesänge rü h m t, ( 06. V I I I , 489. 496.) w ird man noch in den kleinsten Theilen seines Epos gewahr, da man sie hingegen in der zusammengesetzten Länge der I l i a s »ttb Odyssee nicht selten aus den Augen verliert.

E in

M a n n , der zwar keineswcges befugter Richter über Poesie w a r, am wenigsten über antike, aber durch seinen Verstand auch d a , wo der Gegenstand w eit außer seiner Sphäre la g , sich o ft überlegen bewiesen h at, V o lta ire , sagt vom H om er: Malhenr ä qai l ’im iterait dans l ’economie de son poeme! Henreux qai peindrait les details comme lu i!

E s versteht sich, daß die epische Rhapsodie, wie

jede D ic h ta rt, nicht ohne ihre eigenthümliche poetische E inheit bestehen kann. N u r muß man diese nicht in einem Verstandesbegriffe suchen, wie meistens in den Theorien geschieht, wo denn auch der Unterschied zwischen der lyrischen E in h e it,

der epischen und der dramatischen

gänzlich verloren geht.

N u r durchgängige Vollständig­

keit und innere Wechselbestimmung des Ganzen und der Theile kann die V ernunft befriedigen; und diese höchste poetische Einheit haben die Griechen in der durchaus selbständigen und in sich beschlossenen Organisation ihrer Tragödie erricht.

D ie epische Einheit bezieht sich nicht

a u f die V e rn u n ft, die im Homerischen Z e ita lte r

noch

ltngst nicht genug geübt w a r , «m solch eine Foderung an ein dichterisches Werk zu machen; sondern sie g ilt n ur die Fantasie, d.

h. sie ist nichts w eiter

sichtbare Begränzung.

als U m riß ,

D aher läß t sie sich denn auch

nicht absolut bestimmen: sie kann vergrößert und erweitert werden, b i- die Masse der Anschauungen die sinnliche Auffassungskrast übersteigt; und A ristoteles, (der doch, wie man w e iß , dem epischen Gedicht die Gesetze der Tragödie vorschreiben wollte) findet nur deswegen, Homer habe wohl gethan, nicht den ganzen Trojanischen K rieg in Einem Gedichte zu behandeln, weil eS dann nicht mehr leicht übersehbar (evovvonrog) gewesen seyn würde. der

andern S eite ist

die epische E inheit

A uf

auch theil-

b a r: kleine Stücke der J lia S und Odyssee enthalten sie noch in

sich; Episoden

von

wenigen Zeilen

(z. B .

11. I V , Sya — 3g8.) können fü r sich als ein vollständiges E pos betrachtet werden, und sind wahrscheinlich meisten* theils Auszüge aus längeren nicht mehr vorhandnen. W e it entfernt also, daß es gewaltsamer M it t e l bedurft hätte, um einzelne Rhapsodien zu größeren Ganzen zu­ sammen zu heften, in denen Uebereinstimmung und leben­ diger Zusammenhang schon durch die S a g e gegeben w a r, ist diese Leichtigkeit der Theilung und Vereinigung viel­ mehr eine natürliche Eigenheit der G attu n g , nach welcher sie Pindarus sehr schicklich

q u jitu

i n y benennt.

W ä re der Gegenstand des Epos eine einfache u «theilbare H andlung; so leuchtet es e in , daß diese T ren n ­ barkeit und Vermehrbarkeit (m an erlaube uns den A u s ­ druck) sich mit dem Wesen desselben nicht vertragen könnte;

aber das darin Dargestellte ist immer eine M ehrheit: es sind Vorfälle, Begebenheiten. Aristoteles sagt: «der epi­ schen G attung gemäß nenne ich die Vielheit der Fabeln.» (ijionoäxov Sh Xdyo» ro noXvfiv&ov.) Bloß physische Bege­ benheiten, bei denen nicht Menschen thätig, und zwar ihrem Charakter gemäß thätig wären, würden freilich wenig an­ ziehendes für den Geist haben. Allein es ist gewiß, daß w ir bei dem Bemühen, uns ein Geschehenes zu erklären, die Triebfedern und Beweggründe des Thuns gar nicht als vom Menschen hervorgebracht und abhängig, sondern als in ihm gewirkt denken; sie also auch nicht von der gesamten Masse der bewegenden N aturkräfte, als etwas entgegengesetztes, absondern. Handlung im strengeren S in n e , daö heißt: Richtung der Kraft durch einen freie« Entschluß, würde demnach eine in der Erfahrung vor­ kommende Thätigkeit erst durch den Standpunkt der B etrachtung, und in der Poesie durch den Standpunkt der Darstellung werden. Die Beantwortung der F ra g e : ob die Idee der Freiheit des Willens in der poetischen D a r­ stellung nur durch Versinnlichung ihres Gegentheils erschei­ nen , ob eine durch jede äußere Gewalt unüberwindliche Selbstbestimmung ohne die Entgegensetzung einer unver­ meidlichen Bestimmung von außen, d. h. des Schicksals, anschaulich gemacht werden kann? und ihre Anwendung auf die Griechische Tragödie liegt außerhalb unsers Weges. Doch wird eine merkwürdige Andeutung im Wilhelm Meister über den Unterschied des Romans (d er so viele Analogie mit dem epischen Gedichte hat oder haben sollte) und des D ram a jeden forschenden Kunstrichter zu

weiterem Nachdenken auffodern. »Im R om an« ,

wird

daselbst behauptet, »sollen vorzüglich Gesinnungen und »Begebenheiten vorgestellt werden, im D ram a Charakter »und Thaten; man könne dem Z u fa ll im Roman gar »wohl sein S p ie l erlauben, das Schicksal hingegen habe »nur im D ram a S ta tt.«

W ie zufällig in Homers Ge­

sängen der ganze Hergang der Geschichte erscheint; selbst d a , wo etwas einer entscheidenden Schickung ähnliches vorkom m t, (w ie II. V I I I , 6 6 — 77.) lieg t am Tage. D e r Unterschied der epischen und dramatischen D icht­ a rt,

welche neuere Theoristen unter dem Namen der

pragmatischen dem Wesen nach fü r einerlei erklärt haben, möchte also doch, wenigstens wenn w ir dabei stehen bleiben, was Epos und Tragödie bei den A lten wirklich w a r, etwas tiefer liegen als in der äußern F o rm , a ls d a rin , »daß die Personen in dem einen sprechen, und daß in dem andern gewöhnlich von ihnen erzählt w ird.« Urberhaupt ist «s vergeblich, aus dem B e g riff der Erzählung und des D ialog s die höchsten Vorschriften fü r jene D ichtarten entwickeln zu wollen.

Dieß könnte n u r in dem F a ll

gelingen, wenn die Kunst nichts weiter als eine leidende Nachahmung der N a tu r w ä re , wozu man sie leider o ft genug herabgewürdigt hat. D a sie aber eine selbstthätige, nach Gesetzen des menschlichen Gemüths erfolgende, Um­ gestaltung der N a tu r ist; so muß die poetische Erzählung, der poetische D ia lo g erst durch das Wesen der D ichta rt, die sich beider bedient, seine Bestimmung empfangen. D ie dieser immer untergeordnete Rücksicht aus die gewöhnliche W irk ­ lichkeit t r i t t nur da ein, wo von der kunstgemäßen W a h r­ heit der Darstellung die Rede ist. I m alten D ra m a erzähle« die Personen häufig, im Homerischen Epos werden siefast

beständig redend eingeführt, und in lyrischen Gedichten kommt sowohl Erzählung als Gespräch vor: aber wie durchaus verschieden in jeder von diesen Gattungen! D er epische Dialog ist eben so wenig ein bloß natürlicher, als der tragische, dem ergänz entgegengesetzt ist; beide sind bis in ihre feinsten Bestandtheile nach dem Charakter des schönen Ganze», wozu sie gehören, gebildet. M an hört zuweilen von Homers kühner Begeisterung, von seinem raschen wilden Feuer nicht anders reden, als ob er etwa ein Dithyrambendichter oder gar ein enthu­ siastischer Prophet gewesen wäre. E s scheint wohl, daß hiebei Verwechselung der besungenen Gegenstände mit der Person des Sängers zum Grunde ließt. Seine Helden haben allerdings gewaltige Leidenschaften, aber er selbst erscheint völlig leidenschaftlos: was er erzählt, muß jedem fühlen­ den Hörer Theilnahme abnöthigen, aber er selbst äußert die seinige nie. Wie ein bloß beschauendes Wesen steht er über seinen Helden und über seinen Göttern, ordnet und trägt die in seinen mächtigen Tönen lebende Welt mit göttlicher, d. i. rein menschlicher Besonnenheit und Ruhe. Wie unter dem heitern umgebenden Himmel findet in dem Umfange seines Geistes jedes Ding eine schickliche Stelle, und erscheint in seinem wahren Lichte. M it Einem W orte: das Homerische Epos ist ruhige Darstellung des Fort­ schreitenden. E s ist niemals Darstellung des Ruhenden, oder sogenanntes poetisches Gemälde. Dieses ist dem Homer so fremd, daß, wo er beschreibt, er es auf eine Art thut, die das Ruhende in Fortschreitendes verwandelt. Z .B . die Figuren auf dem Schilde des Achill; wiewohl die­ ser in den letzteren späteren Gesängen der Ilias vorkommt,

und jener Homer, von dem die ersten Rhapsodim herrüh­ re n , ihn schwerlich so gedichtet hätte.

D ie über eine

stürmische Theilnahme erhabne, und weder durch augen­ blickliches Anspannen noch Nachlassen veränderte Gemüths­ lage des Sängers macht zuerst alle Theile seines Gegen­ standes a u f gewisse Weise einander gleich; sie verleiht ihnen einerlei Rechte a u f die D arstellung: die weniger bedeutenden, aber zum stätigen Fortgänge nöthigen (z B . das Aufistehn, zu B e tt gehn, Essen, T rin k e « , Hände­ waschen, das Anlegen der Fußsohlen, Kleider und W affen u. s. w .) , werden nirgends ve rd rä ng t, und behaupten dicht neben den wichtigsten den ihnen zugemeßnen R aum . D ie Zeitverhältniffe der W irklichkeit werde« aufgehoben, und alles fü gt sich in eine nach den Gesetze« schöner A n ­ schaulichkeit geordnete dichterische A e itfo lg e ,

wo d a-

Dauernde, wenn die Einbildung es auf einmal erschöpfe« kann, n u r einen M om ent der Darstellung einnim mt, und das noch so schnell Vorübergleitende bis zur vollendeten Entfaltung des in ihm sich drängenden Lebens festgehal­ ten w ird .

Nirgends ein S tillstand des GesangeS; aber

auch nirgends ein «nzeitiges F o rte ile n , sondern daS schönste Gleichgewicht und M aaß der stätigen und uner­ müdlichen Bewegung.

D e r Sänger ve rw e ilt bei jedem

miste der Vergangenheit m it so ««getheilter Seele, a ls ob demselben nichts vorher gegangen w ä re , und auch nichts darauf folgen sollte, wodurch das Erquickliche einer lebendigen Gegenwart überall gleichmäßig verbreitet w ird . I n jedem Augenblicke ist daher zugleich sanfte Anregung und B eruhigung; und das epische Gebiet gleicht einem G arten deS A lcino u s, wo die Früchte ununlerbrocheu

nach einander reifen, und jede zu ihrer Zeit sich willig vom iBaume löst, um dem Genießenden in die Hand zu fallen. Don diesem innern geistigen Rhythmus im Dortrage des Epos ist der demselben eigenthümliche Vers nur Aus­ druck und hörbares Bild. Aristoteles nennt ihn das ruhigste und am meisten Gewicht habende unter de« Sylbenmaaßen. (ro yao ^Qto'Cxov araai/uioTttTOv xoti oyxcodeoTUTov tcov /lcstqcov eoTi). Der Griechische Hexameter hat weder einen fallenden Rhythmus, wie z. B. der trochäische Tetrameter, der daher leidenschaftlich mit fortreißt (xirtjTixov, oQxrjGTLxöv); noch einen steigenden, wie der jam­ bische Trimeter, der sich bei einem gehaltnen Hinanstre­ ben doch entschieden rüstig und gleichsam handelnd zeigt (rcoaxTixov ; natum rebas agendis) ; sondern er ist schwe­ bend, stätig, zwischen Derweilen und Fortschreite« gleich gewogen, und kann deswegen, ohne zu ermüden, den Hörer auf einer mittlere« Höhe in ungemeßne Weiten forttragen. Seine Mannichfaltigkeit, die überdieß an dem ursprünglich nach einem Zeitmaaße gesungenen Verse weit weniger hervorstechen konnte, ist dabei wohl nur Nebensache. Warum unter dem reichsten epischen Wechsel eine so einfache metrische Formel unzählig oft wiederkeh­ ren darf, da eine noch so beschränkte Pindarische Ode nicht ohne vielfach verschlungene Strophen bestehen kann; möchte denen schwer fallen zu erklären, die in der Theorie des Sylbenmaaßes vom Grundsatz der nachahmenden Har­ monie ausgehn, und dadurch hier wie überall den Künstler zum bloßen Copisten der Natur machen. Ist aber das Sylbenmaaß, ganz allgemein mit Abstraction von allen be-

sondern Bestimmungen genommen, die Erscheinung des Beharrlichen im Wechselnden, verkündigt es die Iden­ tität des Selbstbewußtseyns; so ist es klar, daß dieses im Zustande der hellsten Besonnenheit (der Unterscheidung des Selbst von den in ihm vorgestellten Objecten) stärker hervortritt, als in einer von Regungen durchdrungenen, strebenden Seele. Die äußern Gegenstände schreiben dem menschlichen Gemüthe in der Kunst, wo sie ihm bloß Stoff sind, das Gesetz nicht vor, sondern sie empfangen es von ihm; und so ist es auch in Ansehung des Sylbenmaaßes. Aristoteles bemerkt sehr richtig, daß der Jambe am mei­ sten den dialogischen Ton (Uxnxq uy/noviu) an sich habe, wovon der Herameter sich weit entferne; dieser sei der erzählenden Darstellung geeignet, und es würde sich nicht schicken, ein Epos in einem andern Sylbenmaaße, oder gar in gemischten Sylbenmaaße« (z. B- die Erzählung in Hexametern, die Reden in Trimetern) zu dichten. Dennoch rühmt er es am Homer, daß er in eigner Person so wenig als möglich sagt, und nach einer kurzen Borrede sogleich einen Man« oder eine Frau redend einfährt. Wie stimmte dieß nun zusammen, wenn der Dialog im EpoS nicht in so fern seine Natur ablegen müßte, daß seine unstäte Flüchtigkeit durch die gleichförmige Ruhe der Darstellung gefesselt wird? D a die Reden bei weitem den größten Theil der Homerischen Gesänge einnehmen, so ist cs für den rich­ tigen Begriff der Gattung eine Hauptsache, ihre« Cha­ rakter recht zu fassen. Selbst in de» kürzesten und leidenschaftlichsten ließe sich bei einer feinen Zergliede­ rung etwas nachweisen, wodurch sie episirt sind. I n

den ausführlicheren

findet man

alle wesentliche« E i­

genschaften der ganzen Rhapsodie deutlich ausgedrückt. M a n bemerkt kein Hinstreben zu einem H auptziel, wenn dieß auch in dem In h a lte der Rede vorhanden is t; jedes, wodurch das Folgende vorbereitet w ird , scheint doch n u r um sein selbst w illen da zu stehn: ganz das verweilende Fortschreiten, die sinnlich belebende Umständlichkeit, die besonnene A n o rd n u n g , die leichte Folge, die lose Ver­ knüpfung, wie im Epos überhaupt.



diesem S in ne

sind auch die zusammengesetzten B e iw ö rter und die E p i­ soden zu nehmen, die in leidenschaftlichen Reden, wenn man die Darstellung als bloße N a tu r verstehen sollte, sehr fehlerhaft seyn würden, und o ft unverständig genug getadelt worden sind.

D ie W illig ke it des epischen S ä n ­

gers zu Episoden überzugehn, wo sie sich irgend gefällig anschlingen lassen, liegt d a rin , daß die Gegenstände sich seiner nie bemeistern: er kann sich daher selbst in dem entscheidendsten Augenblicke leicht abmüßigen, um der Fan­ tasie etwas entfernteres nahe zu rücken.

W a s von der

Rede und Episode, g ilt auch vom Homerischen Gleich­ nisse; es dient nicht bloß, sondern genießt im schönen völlige« Umrisse freies Leben, und ist gleichsam ein Epos in verjüngtem Maaßstabe.

Mancher w ird es vielleicht

zu w eit getrieben fin de n , wenn w ir behaupten, auch in der Homerischen W ortstellung und W o rtfü g u n g , der faßlichsten, losesten, aber gefälligsten, die sich denken lä ß t , erkenne man die Verknüpfungsweise der Rhapso­ d ie , und die Sprache sei durch die feinen ausfüllenden P artikeln und den vielsylbigen Ueberfluß ihrer Biegungen einzig gemacht, die stätige, sanft hingleitende Folge z«

bezeichnen. Aber von der erstaunenswürdigen Consequenz dieser bloß durch eine« glücklichen In stin kt gefundnen und zur Vollendung gebrachten D ichtart kann es unter andern ein Beispiel seyn, daß die Redesigur, wo die gegen­ w ärtige Z eit statt der vergangenen gebraucht w ird , die einem lebhaften Erzähler so natürlich is t, und deren stch schon V ir g il fast unaufhörlich bedient, Ilia s

und Odyssee nicht ein

in der ganzen

einziges M a l vorkommt.

Apollvnius enthält sich derselben auch,

w e il er der H o ­

merischen F o rm , die nun fteilich, nachdem der Geist ent­ wichen, zur Formel geworden w a r , V ir g il.

treuer bleibt als

E r ist matt und kalt; das am meisten S u m m a­

rische im Homer ist lebendiger alö die Ausgesührteste bei ihm. Ueberhaupt verbrauchten die spätern epischen Dichter zu kurzen Werken sehr viel mythischen S to ff: das Geheim­ niß der schönen Entfaltung w a r verloren gegangen. V ir g il sckmf m it Römischem Nachdrucke eine ganz eigne A rt der Epopöe. An ihm, der dm Neuere« weit mehr V orbild geworden ist als Hom er, kann man den Unterschied der vermischte« G attung, der w ir jenen Namen gebe«, von dem reinen ursprünglichen Epos auffallend zeigen. Abge­ sehen von der künstlicheren Verknüpfung des Ganzen, und dem Bestreben, tragische Nothwendigkeit in die Handlung zu bringen, hört man in der Aeneis gar nicht jenen ruhige« Rhythmus des V ortrags.

V irg il verräth oder affectirt

Theilnahme, und geht darin bis zu m anierirten A usru ­ fungen über und an seine Helden. (IV , 4°8. sqq.) S eine Sprache hat Feierlichkeit, H o h e it,

P ra c h t, wom it er

selbst gemeine Dinge zu überkleiden sucht; da hingegen Homers Ausdruck kräftig, aber ein fältig, niemals pran-

gend und übertreibend, und durchaus n u r durch E ntfaltung veredelnd ist. D ie ruhigen Reden beim V irgil sind rhe­ torisch , die leidenschaftlichen mimisch; sie ahmen nämlich d as Stürmische und Unordentliche der Gemüthsbewe­ gungen unmittelbar nach. E r ist stellenweise mehr oder weniger Homerisch: wo der S to ff ihn zur Ruhe veranlaßt, wie bei den W ettspielen im fünften Buch vorzüglich; am wenigsten in der mit Recht bewunderten Geschichte der D id o , einem tragischen Bruchstücke, das nicht nur der am wenigsten Homerische, sondern geradezu der modernste T heil seines Gedichtes heißen kann. B ei den obigen Betrachtungen über das alte E pos ist mit Fleiß nicht von dem mythischen Elemente desselben, noch weniger von dem, was bloß national und local darin ist, die Rede gewesen. M an darf sich nicht w undern, daß die modernen Nachfolger Homers das Absonderungsver­ m ögen, die Darstellung vom Dargestellten, F orm und S t i l vom In h a lte zu scheiden, nicht besessen zu haben scheinen, da es den Theoristcn der Epopöe, welchen Homer doch immer die oberste A utorität ist, so offenbar daran gefehlt hat. I n das Heroische, in das W under­ bare, in das Erhabene, in die Wichtigkeit der H andlung, in dm Umfang des Gedichts, in die W ürde der Perso­ n e n , in die Feierlichkeit des T o n s, und w orein nicht alles? hat man das Wesen der Epopöe gesetzt. Beson­ ders hat man d as W underbare, w orunter man hier die Dazwischcnkunft der höheren Wesen verstand, zu einer unerläßlichen Bedingung gemacht. I n der alten Tragödie erscheinen die G ötter häufig; sie streiten für und wider einen Helden, wie in den Eumeniden des Aeschylus;

ober die Scene spielt auch ganz in der G ö tte rw e lt, wie im Prometheus.

Dennoch kann man sie deswegen nicht

in dem S in ne wunderbar nennen wie das Homerische E pos: w eil dort die G ötter m it den Menschen in dem­ selben Bezirke der Nothwendigkeit stehn und handeln; in

dem letzten hingegen erscheint die E in w irku n g der

G ötter in noch höherem Grade zufällig als das Thun der Menschen. W enn das Wunderbare (üristot. koet. e. 24.) vorzüglich aus dem Grundlosen e ntspringt, was über den uns erklärbaren Lauf der Dinge hinausgeht; so mußte allerdings in Homers Z eitalter ein Ueberfluß daran vorhanden sepn.

Denn man begriff sehr wenig von der

Kette der Ursachen und Wirkungen in der N a tu r : darum ließ man sie durch lebendige Wesen verrichten; der Mensch hatte sich noch nicht zum Bewußtseyn der vollständigen Selbstbestimmung durch Freiheit erhoben, daher gestand er den G öttern E influß a u f feine Entschließungen zu. Aber wer bestimmte nun das W ollen der G ö tte r?

ES

scheint, sie hätten dazu wieder ihre G ötter nöthig gehabt, und so ins Unendliche fo rt.

Is t die selbstthätige Unab­

hängigkeit der ganz menschlich vorgestellten G ö tte r be­ greiflich, so wäre die der Mensch«»

auch gewesen.

Kann ein Dichter im Z-icalter der erleuchteten V ernunft uns zu diese» S tu fe ihrer Kindheit zurückversetzen wollen? Ganz richtig hat man bemerkt, daß Homers Helden we­ niger groß sind, w eil sie so vieles nicht durch sich selbst ausführen. W enn das Bemühen der O lym pier, fü r und wider sie, uns einen Schimmer höherer W ürde um sie her zu verbreiten scheint, so versetzen w ir uns nicht genug t« die Homerische Denkart. 1. Theil.

D am als mischten sich ja die #

G ö tte r in die gemeinsten H ändel des Lebens; sie w aren so w ohlfeil, daß Autolykus durch die G unst deS Hermeö m it D ieberei und M eineid geschmückt seyn konnte, (0- S ofern das Buch eine Theorie der classischen M e trik enthält, maaße ich m ir kein U rth e il darüber a n ; in

die Deutsche Prosodie aber hat

der Verfasser gründliche Einsicht bewiesen.

Auch über

die P u n k te , w o rin Apel von der Dossischen Zeitmessung abweicht, bin ich ganz m it ihm einverstanden.

weniger auch von andern D e rs a rte n ; es fand ebenfalls in

der Griechischen und Lateinischen Sprache S ta tt.

W e r verm ißt aber diese W ö rte r im Homer oder im V ir g il? D ie Alten beobachteten das Gesetz so unverbrüchlich, daß sie zuweilen widerspänstige

Personennamen

gebrochen

haben, um die erste H älfte in die letzte S telle des Hexame­ ters zu bring e n , an welcher allein der Trochäe stehn darf. D ie Schw ierigkeit, welche allerdings sehr groß bleibt, bis man mehr E rfa hrun g

und Uebung erworben h a t,

w ird jedoch durch richtige Ausdehnung des B e g riffs der Länge und Beschränkung des B e g riffs der M itte lz e it be­ trächtlich verm indert.

D e r vornehmste K u n s tg riff besteht

d a r in , sowohl die tie fto nigcn , oder sonst unvollkommnen Längen, als die w irklich mittelzeitigen S y lb e n , bald in die Thesis des Spondeen, bald, an gewissen Stellen des V erses, wo der R hythm us sie hebt, in die Arsis zu schieben, dam it das O h r gehörig g e fü llt, und keine tro chäische Bewegung wahrgenommen werde. A us dem obigen geht zur Genüge

h e rvo r, daß es,

schon des Sylbcnmaaßes wegen, bei der Vossischen Uebersetzung des Homer nicht fü r alle Zukunft sein Bewen­ den haben kann.

Auch sind bereits mehrere Proben neuer

Verdeutschungen, m it Beobachtung des strengeren m etri­ schen Gesetzes, an das Licht getreten: zuerst von W o lf, dann von den Herren Kannegießer und Schwcnck.

D ie

ersten bedürfen meines Lobes n ich t; die der beiden letzt­ genannten Gelehrten empfehle ich angelegentlich der A u f­ merksamkeit der Kenner.

E ine ins

einzelne gehende,

zergliedernde, alle Rücksichten erwägende Vergleichung dieser Nachbildungen m it der Vossischen und dem O ri-

g ln a l, würde eben so viel R au m erfodern a ls die vor­ stehende Beurtheilung.

Theilweise habe ich sie angestellt/

und möchte unbedenklich nicht wenige Lesearten fü r vor­ züglicher als die Dossischen erklären, wiewohl an Ausdruck und Versbau noch manches ausgestellt werden kann. ö ) B e i einer Probe ist dieß gar nicht anders zu e rw a r­ ten. Völlige Sicherheit und verhältnißmäßige Leichtigkeit, ich sage es aus eigner E rfa h ru n g , e rw irb t man nur im Fortgange einer so schwierigen Arbeit.

E in kleines ver­

einzeltes Stück erfodert folglich im V erhältniß einen w eit größeren Aufw and von S tu d iu m , M ü h e und Z e it als das umfassende G a n z e ,

beharrlich unternommen, und

in stätiger Zeitfolge au sgefüh rt, kosten würde.

M öge

n u r recht bald ein gehörig ausgerüsteter neuer Uebersetzer wenigstens einem der beiden Homerischen Werke seine Liebe, sein T a le n t und seine gesammelte K ra ft zuwenden! Ic h befürchte nicht den V o r w u r f von meinen Lesern, ich habe sie, in diesem und den beiden vorhergehenden Aufsätzen, gewissermaaßen zwischen meiner ersten, zweiten und dritten M ein u n g zweifelhaft und und irre gemacht. M a n ist es schon gewohnt, über dieselbe« litterarischen # ) Seitdem sind erschienen: D ie H o m e r i s c h e n H y m n e n , überseht von K. S c h w e n c k , i8a5; «nd D ie e l e g i s c h e n D i c h t e r der H e l l e n e n , nach ihren Ueberreste» über­ seht von Dr. SB. C. W e b e r , Gesetz w ird anerkannt, überall völlig Genüge

1826.

wiewohl geleistet ist.

D a s metrische

demselben noch nicht D ie

Sache scheint

demnach ihren guten Fortgang zu haben. Eine gründliche und alle Fälle erschöpfende Theorie w ird den Schwan­ kungen der Ausübung am besten abhelfen.

I. Theil.

II

Erzeugnisse von verschiedenen Schriftstellern sehr mb, weichende Urtheile gefällt zu sehen. D a müssen sich tfiie Leser denn doch nach ihrem eigenen S in n e entscheiden. S o llte ihnen dieß nun auch einmal mit demselben Schrifft, steller begegnen, so w äre der Schaden so groß nichit, falls es daher rü h rt, daß der Schriftsteller wirklich etw as zugelernt hat. Ueberhaupt ist das U rtheil über dichterische Nachbildungen immer in so fern ein verwickeltes, a ls dabei die doppelte Rücksicht a u f den Eindruck in d>er M uttersprache und a u f die Vergleichung mit dem O rig in a l vorw altet. Auch haben Zeitverhältnisse dabei einigen E in flu ß : das bisher geleistete giebt u n s einen M aaß stab für die Schätzung des neuesten an die H and. Indessen ist mein Urtheil über die vorhandene Uebersrtzung des Homer im wesentlichen sich immer gleich geblieben; n u r von einer möglichen erst noch zu erw artenden Ueber» fetzung haben, durch E rfahrung und Uebung in den alten Sylbenm aaßen, meine Begriffe sich erhöht und er­ w eitert: und vor Kennern würde ich einer Auffoderung, deren Ausführbarkeit durch mein eignes Beispiel darzuth u n , nicht eben au s dem Wege gehn. Ich habe andersw o gesagt, (Indische Bibliothek, Th. II, D ram a nicht mehr für fremdartige, ja entgegengesetzte:, sondern für unzertrennliche Dinge werden gehalten werden.

2.

Romane und Erzählungen von Friedrich Schulz. 1797.

Unter den zahlreichen Rom anen, welche mit jeder Messe unsre Bücherverzeichnisse anschwellen, vollenden die meisten, ja fast alle, den Kreislauf ihres unbedeu­ tenden Daseyns so schnell, um sich dann in die Vergessen­ heit und den Schmutz alter Bücher in den Lesebibliotheken zurück zu ziehen, daß der Kunstrichter ihnen ungesäumt auf der Ferse seyn m uß, wenn er nicht den Verdruß

haben w ill, sein U rtheil au f eine S chrift jn verwende», die eigentlich gar nicht mehr eristirt.

A u f der andem

S e ite w irkt auch der frühzeitigste und noch so gegrün­ dete Tadel n ur wenig gegen die Verbreitung dieser losen W a a re

unter

gerechnet ist. gestillt werden,

solchen Lesern,

au f die dabei eigentlich

D e r bloß sinnliche Romanenhunger muß sey es durch welche N ahrung es wolle.

M i t unüberwindlichem Abscheu gegen die zweite Lesung auch des geistreichsten Buches verbindet sich eine Genüg­ samkeit, die sich selbst das P la t t e , Abgeschmackte und Abenteuerliche gefallen lä ß t, wenn eS n ur neu scheint; und bei der es bloß armseliger Umkleidunge» bedarf, um dem Verbrauchtesten das Lob der Neuheit zu gewinne». S e it sechs oder sieben Jahren stemmen sich alle Recen­ senten des heiligen Römischen Reichs, die in diesem Fache arbeiten, gegen die R itte rro m a n e :

aber die Menge der

ritterlichen Lanzen und Schwerter dringt immer unauf­ haltsamer au f sie ein.

V o r den Fehwgerichten, den ge­

heimen Bündnissen und den Geistern ist vollends gar keine Rettung mehr.

D e r Ehrgeiz des Schriftstellers so­

wohl als des B eurth eilers,

der sich selbst achtet, muß

also darauf eingeschränkt seyn, au f den gebildeteren T heil des Publikums zu wirken.

Diesen hatte F r . Schulz für

sich, seit er durch den kleinen R om an M o r i z seine Lauf­ bahn glänzend eröffnete; diesem sind die Verdienste, die er um unsre L iteratu r durch Uebertragungen, Bearbei­ tungen fremder Werke und eigne Dichtungen erworben, noch in zu frischem Andenken, a ls daß sie nicht gern bei einer Uebersicht derselben verweilen sollten. E s ist auffallend und schon oft

bemerkt w orden,

daß unsre Sprache sich bis jetzt fü r den dichterischen Ge« brauch w e it mehr vervollkom m t hat, a ls fü r den V o rtra g in P rosa. W iederum ist es den Deutschen S chriftstellern im Ganzen im m er noch besser m it den ernsteren G attungen gelungen, welche Schwung und W ü rd e fo d e rn , als m it dem leichten und m untern Tone, w o rin sich die Geistes­ kräfte rhne S p a n n u n g und mühsame A rb e it n u r spielend entfalten, und w o besonders ein aufgeweckter W itz freien R a u m h a t, sich im günstigsten Lichte zu zeigen.

W er

v ie l u n te r A u slä n d e rn gelebt hat, dem kann es nicht ent­ gangen seyn, daß

sich im Französischen und selbst im

Englischen das Gespräch m it einer W a h l der Ausdrücke, einer

Z ierlichkeit der W endungen,

einer F einheit der

Beziehungen und Unterscheidungen führen lä ß t, die man im Teutschen nicht a u f denselben G ra d zu treiben suchen d ü rfte , ohne in Z iererei und S te ifh e it zu verfallen. Diese letzte Erscheinung versteht sich nach der eben erwähnten schon von selbst. D ie K unst der gewandten und unterhaltenden S ch re ib a rt steht m it der Gabe der geselligen M itth e ilu n g in sehr nahem Bezüge, ja in beständiger Wechselwirkung. J e glücklicher jene geübt w ir d , desto reicher w ird diese sich entwickeln, und durch den erhöhten und verfeinerte» gesellschaftlichen Genuß die Geselligkeit selbst verstärken. Aber der S c h rifts te lle r, der fü r die Gesellschaft bilden w i l l , muß selbst durch sie gebildet seyn: und w ie v ie le , u n te r dem großen H aufen derer, die in Deutschland für das Vergnügen der Lescwelr a rb e ite n , sind wohl in der Lage gewesen, in den feineren Verhältnissen des Lebens durch m annichfaltigen und auserlesenen Umgang n ur die unbehülflichc Einseitigkeit ihres Geistes abzuschleifen, ge-

schweige alle Vorzüge des wahrhaft guten T on s sich ganz zu eigen zu machen? W ie viele sind nicht im Gefühle ihrer K ra ft und Deutschheit weit entfernt, sich dieses Bedürftiiffes nur einmal bewußt zu werden? F r . Schulz kennt die W e lt und die Gesellschaft; er hat sich, vorzüg­ lich durch die lebendigen G em älde, Hauptstädten

E uropa's

die er von ein p a a r

entw orfen, als

einen hellen,

geistvollen und vorurtheilsfreien Beobachter gezeigt; und um dieß seyn zu können, muß man unter dem Gewühle verschiedenartiger Denkarten und Bestrebungen, die sich in den Mittelpunkten der Verfeinerung gegen einander reiben und tausendfältig durchkreuzen, Freiheit und Sicherheit bewegen.

sich selbst m it

Diese rege Benutzung

des wirklichen Lebens bei der schon natürlichen Richtung seiner A nlagen, als Schriftsteller ein angenehmer G e­ sellschafter zu seyn, verband er m it einem andern S t u ­ d iu m , das den Verfassern unsrer gewöhnlichen Romane meistens eben so fremd is t: nämlich mit einer ausgebrei­ teten Belesenheit in der Französischen Literatur.

D as

T a le n t, gefällig und lebhaft zu erzählen, ist gewiß n ir­ gends so einheimisch als in ihr.

D a ß Schulz in dieser

Hinsicht, wie er selbst nicht verschweigt, seinen V o r­ bildern viel zu danken h a t,

d a rf seinen Ruhm

nicht

schmälern: denn wer kann zu seiner B ildung die M uster entbehren? Auch ist eS keineswegs eine ängstliche, dem Genius der Sache nicht angepaßte, Nachahmung, wo­ durch sein V o rtra g sich der Französischen M a n ie r nähert. W a s er sich davon au f eine freie A rt angeeignet, hat unter seinen Händen das fremde Ansehen abgelegt. M a n kann, ohne im

geringsten undeutsch zu

werden, das

Schleppende und Schw erfällige, Fehler, denen unsre Sprache durch die N a tu r ihrer W ortfügungen und W o rt­ stellungen n u r allzusehr ausgesetzt ist, m it dem raschen, stüchtigen T ritte

der Französischen Prosa vertauschen.

Nichts würde uns im Grunde mehr von den Vorzügen dieses M usters entfernen als G allicism en; denn keine N a tio n wacht sorgfältiger über die charakteristische R ein­ h eit ihrer Sprache, und verbannt a lle s, was sich nicht m it ih re r allgemeinen Beschaffenheit in Harmonie setzen lä ß t, m it größerer Strenge daraus, als die Franzö­ sische.

Diese K lip p e , a u f die man bei dem Bestreben

nach Annäherung so leicht geräth, hat Schulz mehrentheils glücklich vermieden. Selbst wo er ganz nach fremden Erfindungen arbeitet, überträgt er weniger w ö rtlic h , und erinnert seltner an ein O r ig in a l, als die Deutsche T re u e , die sich sonst auch im Uebersetzen bew ährt, es m it sich bring t.

Vielleicht ist es ihm eben dadurch besser

gelungen, den Eindruck im Ganzen wieder zu geben, wozu in dieser G attung die Ungezwungenheit sehr we­ sentlich mitgehört. Ungeachtet der angeführten Vorzüge würde sich im Einzelnen an der Schreibart dieses geschmackvollen S chrift­ stellers «och manches tadeln lassen.

Besonders haben

w ir bei den Werken der M ad . de la Fayette (der Ver­ fasserin der Henriette von E n gla nd , der Zaide und der Prinzessin von Cleves;) hier und da das Zarte und Natürliche des O rig in a ls in seiner Uebertragung ver­ m ißt.

Blühende Fülle

der Rede steht ihm weder bei

Nachbildungen noch ursprünglichen Darstellungen recht zu Gebote; und da eS ihrer in der gewählten Gattung

Nicht bedarf, so wäre es vortheilhafter gewesen, die An­ sprüche d arau f ganz aufzugeben.

W o er fü r die Schw är­

mereien des Gefühls den innigsten Ausdruck, fü r den Zauber der Schönheit die stärkste Dersinnlichuug zu finden bemüht ist, ergreift er mehrmals statt dessen, dort das K ostbare, hier das Ueberladene, überschreitet auch wohl die Gränzen der nüchternen P rosa, ohne den Leser durch einen ächt dichterischen Schwung fortzureißen, der, gegen die gewöhnliche M eynung, neben der größten Einfachheit S t a t t finden kann. Versehen gegen

Auch sind w ir auf allerlei kleine

die Richtigkeit der Sprache gestoßen;

und doch wäre durchgängige grammatische Genauigkeit hier deswegen eine sehr schätzbare Tugend gewesen, w e il sie, überall wo w ir unsre Sprache

aus eine lebendige

W eise, nicht m it der gemessensten Vorbereitung, behan­ deln : im Gespräche, in freien mündlichen Vorträgen, spgar a u f der B ühne, noch sehr selten unter uns ist. Da

F r.

Schulz sich bei dem,

was unter seinen

Schriften übersetzt oder bearbeitet ist, gar nicht an die neuesten Erscheinungen gehalten, zu denen die unm it­ telbare Nachfrage den bloß mechanischen,

oft in der

L ittera tu r der Sprache ganz unbewanderten Uebersetzer hinzuziehen pflegt;

da er vielmehr Französische O r ig i­

n a le , die zum T h e il schon vor geraumer Z eit ben,

geschrie­

aber unter uns nur Wenigen bekannt geworden

w a re n , in Deutschland verbreitet h a t: so muß billiger Weise die hiebei getroffene W a h l auch m it in gebracht werden, wenn sie glücklich ist.

Anschlag

Freilich scheint

uns dieß nicht immer in gleichem M aaß e der F a ll zn seyn,

und wenn

w ir bei einigen

Erzählungen

gern

anerkennen, daß sie die Verpflanzung durch so geschickte Hände vollkommen verdienten; so müssen w ir hingegen bei andern lebhaft bedauern, daß eö ihm nicht öfter gefallen h a t, seine Einbildungskraft zu eignen E rfin ­ dungen in eine unabhängige Geschäftigkeit zu versetzen. D a s einzige bedeutende Werk von seiner eigenen E rfindung nach dem M o riz

ist die Leopoldine.

S ie

ist vo r einiger Z eit ins Französische übertragen worden, und w ir d , wie man versichert, in Frankreich m it vielem B e ifa ll gelesen. stand.

Dieß ist nicht m ehr, als zu erwarten

Eine gewisse Feinheit des Verstandes, die unter

den Eigenschaften, welche

zur Hervorbringung dieses

Rom ans in Thätigkeit gesetzt werden mußten, sichtbar den Vorsitz fü h r t, ist ungemein geschickt, das W o h l­ gefallen unsrer gewandten Nachbarn zu fesseln.

Auch

ist die Anlage des Ganzen m it Einsicht gedacht und m it Geschicklichkeit ausgeführt; was Richtung auf eiu einziges

Z ie l,

bündigen

Zusammenhang der T heile,

vielfache Benutzung der wenigen ins S p ie l

gesetzten

M it t e l, leises Vorbereiten und stätiges durch alle S tufen hindurchgeführtes Fortschreiten zur endlichen Entwicke­ lung b e trifft, bleibt wenig zu wünschen ü b rig : und auf diese bloß kunstgerechte» Vollkommmenheiten, die von dem eigentlich dichterischen Gehalte einer Schöpfung der Einbildungskraft noch wesentlich verschieden sind, haben Französische Kenner und Kunstrichtcr von jeher einen n u r allzuhohen W erth gelegt, so daß sie in einer vor­ züglich fü r dieselben empfänglichen G attung (der T ra ­ gödie) sich lieber m it leeren Formen

begnügen, als

eine« reichen S t o f f , etwas loser geordnet, sich gefalle«

lassen wollen.

W ir erkennen m it Achtung die Strenge

der Foderungen, welche der Verfasser in diesem Stücke an sich selbst gemacht h a t; allein w ir könnten wünschen, er hätte sich der epischen Freiheiten des Romans (so wenig bis jetzt noch dessen Theorie ergründet is t, d a rf man doch w ohl im V oraus die Behauptung

feststellen:

der Roman unterscheide sich dem innern Wesen nach, nicht bloß durch Gestalt und Einkleidung, vom D ra m a ;) in stärkerem M aaße bedient, und dadurch seiner D ich­ tung mehr Umfang und M annichfaltigkeit gegeben. W ie erfinderisch er auch gewesen ist, in

die engen Gränzen

seines Gegenstandes allen Wechsel zu lege», der sich irgend anbringen

lie ß ; so hat er doch einer gewissen

Einförm igkeit nicht entgehen können.

E r scheint sich in

der T h a t die Sache schwerer gemacht zu haben, als nöthig

gewesen wäre.

D ie

Bedeutung seines fortge­

henden Gemäldes hätte sich w ohl in weniger Umrisse zusammendrängen lassen, und die Darstellung würde freier und schöner seyn, wenn sie nicht alles so gründlich erschöpfte.

F reilich ist eS keine geringe K u n s t, durch

das zu w irke n ,

w as

man verschweigt; denn es setzt

v o ra u s , daß man die E inbildungskraft des Lesers stark genug getroffen

habe,

rechnen zu können.

um

a u f ihre

Selbstthätigkcit

Aber es belohnt sich auch; denn

was man selbst gefunden zu haben g la ub t,

w ird w eit

höher gehalten, a ls das geradezu Gegebene. Diese Be­ merkung fü h rt uns auf einen Hauptmangel des Buchs, der aus einem entbehrlichen Ueberflusse entspringt. erwarten von dem D ich te r,

W ir

daß er uns schneller und

vollkommener m it seinen Personen bekannt mache, als

eS durch ihre Erscheinung in der Wirklichkeit geschehen w ü rd e , aber mehr durch die A rt, wie er sie in H and­ lung setzt, a ls durch seine Betrachtungen über sie. M it jenem M ittel begnügt sich bet Verfasser auch in Ansehung der übrigen Figuren seiner Zusammensetzung; n u r b tt H eldin, die durch das Ganze erzählend eingeführt w ird , ist bemüht, nicht allein den Zustand ihres In n e rn in allen L agen, w orin sie g eräth , genau zu schildern, sondern auch ihre Handlungen au s dem Gewebe der geheimsten Anregungen vollständig zu erklären. D e r Scharfsinn des Lesers wird dadurch vieler M ühe über­ hoben , außer daß die Erklärungen selbst einigemale in s Spitzfindige oder ins Dunkle fa lle n : ab er, wie w ir eben bemerkten, w as der Dichter nicht aus der un­ sichtbaren W elt des innern Menschen in die sinnliche hinüberspielen kann, wollen w ir lieber e rra th e n , a ls es uns sagen lassen. Bei einem entgegengesetzten Ver­ fahren wird nicht bloß der Reiz eingebüßt, der in der lebhafteren Beschäftigung für den Geist liegt; die D a r­ stellung verliert an und für sich. D ie Umständlichkeit des Begriffs verdunkelt die Anschaulichkeit des B ildes. D ie dichterische Ausführung eines Charakters soll der forschenden Zergliederung eines Psychologen S ta n d halten können: sie soll nicht selbst eine solche Zergliede­ rung seyn. D ieß heißt den Commentar mit in den Text bringen. Zum Unterrichte über die Lage, den Zusam­ menhang und die Wirksamkeit der M uskeln ist eine anatomische F ig u r ohne Hautbekleidung vortrefflich; aber welcher Zeichner wird sie als Gegenstand des W ohlge­ fallens aufstellen ?

Erfoderte es indessen der Zweck des Verfassers durch­ a u s , an seinem Hauptcharakter die gerundete Fülle der Umrisse zu zerstöre« / um seinen innern B a u und jeden Bestandtheil der Zusammensetzung einzeln darlege« zu können; so hätte er immer noch besser gethan / dieß Geschäft in eigner Person zu übernehme«/ a ls Lropoldinen Selbstgeständnisse schreiben zu lassen.

Eine A rt

vo n Allwissenheit gehört zu den von jeher behaupteten vnd anerkannten Vorrechten der Dichtung. Niemand fragt also de« Dichter / woher er seine Kenntniß habe, wenn er

auch in

daS Innerste der Gem üther dringt.

H in ­

gegen ist es eine durch das G a n je fortgehende Unwahr­ scheinlichkeit, daß Leopoldine die Geschichte ihrer Kind­ heit so erzählen kann, daß sie von der N a tu r der em­ pfangenen Eindrücke,

von den vielfach verschluognen

Triebfedern ihres Handelns

m it

einer

Feinheit

und

Sicherheit Rechenschaft zu geben w e iß , die dem geüb­ testen Selbstbevbachter im A lte r der Besonnenheit Ehre machen würde. D ie Erinnerung kann nicht weiter reichen, als die G e g e n w a rt: sie kann das nicht zurückrufen, was in den Augenblicken, wo es vorhanden w a r ,

zu weit

im Hintergründe gelegen h a t, um zum Bewußtseyn zu kommen. Und welche Bewegungsgründe konnte sie haben, ihre Geschichte aufzuzeichnen? Schrieb sie etwa fü r den Geliebten, dem w ir sie am Schlüsse in die Arme geführt sehen?

So

hätte

sie wenigstens,

der Schönheit zu

lie b , die feindselige W ahrheit hie und da verschleiern wollen.

M u ß te sie sich nicht scheuen, wenn sie so scho­

nungslos m it sich selbst u m g in g , in ih r Herz thun zu lassen?

ihn allzutiefe Blicke

O d e r fühlte sie gar nicht,

in welchem ungünstigen Lichte

die Schliche ih re r Eigen­

liebe, die auflauernde Wachsamkeit ihres

Eigennutzes,

ihre Verstellung, ihre niedrige Verzagtheit, ihre kläg­ liche Abhängigkeit von der M eynung Andrer, neben der unbefangnen herzlichen Anhänglichkeit des w ilden Knaben erscheinen müßten?

Dieses würde an der erwachsenen

Leopoldine eben die H erzlosigkeit,

vollendet und als

festgesetzten Charakter, verrathen, wozu man die Anlage schon in dem Kinde m it W iderw illen wahrnimm t. Doch hiev.on abgesehn, so fra g t es sich, ob hier die Eigen­ schaften des einzelnen Wesens in einer allgemeineren Beziehung aufgestellt sind, ob Leopoldine überhaupt fü r ein B ild der ersten Entwickelung der Weiblichkeit gelten soll, oder nicht?

I n jenem F alle, fürchten w ir, ist der

Verfasser der Liebenswürdigkeit ihreö Geschlechts sehr zu nahe getreten, und hat w ohl gar die M iß g riffe einer verkehrten Erziehung der armen N a tu r aufgebürdet. Es lä ß t sich außerdem m it

Grunde bezweifeln,

ob diese

einen verschiednen Charakter der Geschlechter im G ei­ stigen vo r dem Zeitpunkte anerkennt, wo sie den Keim der abweichenden Bestimmung körperlich entfaltet? und ob es nicht die schädlichen Folgen aller voreiligen Reife nach sich ziehen m uß, wenn männliche oder weibliche Eigenthümlichkeit durch künstliche Behandlung hcrvorgelockt w ir d , wo noch bloß das unbestimmte Streben der Kindheit herrschend seyn sollte?

F r. Schulz scheint

so w eit von dieser Ansicht entfernt zu seyn, daß im M o riz wie in der Leopoldine der schneidende Gegensatz der Geschlechtscharakter noch vo r dem E in tr it t in das jugendliche A lte r der ganzen Darstellung zur G ru n d -

läge dient. — der

A u f jeden F a ll würde es u n b illig seyn,

Weiblichkeit

die

frühere

Ausartung

des kleinen

selbstsüchtigen Geschöpfes zurechnen zu w ollen, da es in der T h a t unter den unnatürlichsten Verhältnissen aus­ wächst.

D er Anblick dieses so ungleichen und doch nie

geendigten Kampfes zwischen der abgelebten und der Heranwachsenden Verderbtheit hat etwas peinliches. D e r G r a f ist nicht viel w e rth ; aber er würde an dinen auch keine köstliche Eroberung machen.

Leopol­ E r spielt

im V e rla u f der ganzen Geschichte die Rolle eines S isyphus, der sich selbst dazu verdammt h a t, den S te in bergan zu w älzen; und die unsägliche G eduld, die sein Egoism us anfwendet, um den Egoism us eines Kindes an sich zu fesseln, (denn Leopoldinens Herz zu gewinnen konnte er sich doch wohl nicht schmeicheln?) läß t einen A bgrund von Leerheit, Gleichgültigkeit und Langerweile in seiner Seele vermuthen.

M a n nimmt zwar P a rte i

gegen den E rfo lg seiner durchaus unrechtmäßigen und den Zwecken der N a tu r zuwider laufenden Bemühungen; allein wie kann man sich m it W ärme fü r die W ieder­ vereinigung Leopoldinens m it dem treuen F ritz interesst» r e n , den sie gar nicht verdient, da sie ihn jedesmal verläugnet h a t, so o ft ihre Neigung zu ihm m it der kleinlichsten Eitelkeit ins Gedränge kam?

D e r Knabe

ist wirklich (ohne den wohlgerathnen Caricaturzeichnun-gen der gnädigen M am a und des kleinen Christel, der ganz aus Laune

is t ,

einem

Stücke

ih r

Verdienst

und

ein E in fa ll

abzusprechen)

originaler die

einzige

recht behagliche F ig u r des Gemäldes. D e r E in fluß des frühen Aufenthalts in der Räuberhöle a u f seine heroi-

schm Gesinnungen ist meisterhaft dargestellt; indessen verlie rt sich diese Schattirung natürlicher Weise immer m e h r, je länger er außerhalb derselben gelebt h a t; und gegen das Ende ist et nicht mehr ein Seitenstück zum M o r i j , et ist der leibhafte M o riz selbst. G u t , daß der Verfasser beide in einem A lte r vom Schauplatze abtreten lä ß t, wo die ungestümen Aufwallungen der frischen Lebens­ kraft noch fü r

Charakter gelten mögen; er würde sonst

genöthigt gewesen seyn, denselben eine bedeutendere und näher bestimmte Persönlichkeit unterzulegen. M i t der V o rlie b e , welche jeden zu Gegenständen zieh t, die ihm vorzüglich gelingen, läßt F r . Schulz in diesen beiden Romanen seine Darstellungen großentheils im Gebiete der frühesten Jugend, ja des kindischen Alters verweilen.

D ie Geschichte der Kindheit fa ß t nicht selten

große Ausschlüsse über das nachherige Leben eines M e n ­ schen in sich.

S ie kann daher auch als Einleitung oder

Episode in einem Romane unstreitig sehr passend ange­ bracht werden.

O b es aber die E rw a rtu n g des Lesers

vollkommen befriedigt, wenn die Geschichte da abbricht, wo der Mensch erst anfangen soll, m it selbständiger K ra ft seinen W eg

durch die verwickelteren Verhältnisse des

Lebens zu suchen; ob es nicht mehr Anlagen und A n ­ deutungen sind, als ein vollständiger sittlicher Charakter, w as sich an einem Menschen offenbart, bevor auch der Charakter seines Geistes sich durch natürliche Reife und B ildung Is t

festgesetzt h a t,

es m it

wollen w ir

nicht entscheiden.

dem innern Menschen nicht wie m it dem

äu ßern, dessen Schönheit und Vollendung sich nur an Bildungen

erkennen lä ß t ,

die

ih r volles Wachsthum

erreicht haben, weswegen diese auch für die bildende Kunst ein weit höherer Grgenstand sind, als die schwan­ kenden, von der N atur nur flüchtig entworfenen Züge des Kindes? Die Kindheit hat zwei ganz verschiedne S e i­ ten, wovon die eine den Verstand unterhält, die andre das sittliche Gefiihl in Anspruch nimmt: das Kindische und daS Kindliche. M it jenem Namen bezeichnen w ir die Contraste, w oraus die ganze Existenz der Kinder zusam­ mengesetzt ist: z. B. die Gewalt ihrer Begehrungrn neben der Unzulänglichkeit ihrer M itte l; die Kleinheit ihrer Zwecke und der E rn st, womit sie diese Zwecke betrei­ ben; ihre Nachahmung der Erwachsenen, die sich hier in verjüngtem Maaßstabe abgebildet sehen. Hauptsächlich gber liegt das Komische in dem gänzlichen Unbewußt» seyn ihrer eignen Drolligkeit, so wie immer ein lustiger Einfall am stärksten belacht w ird , wenn d er, welcher ihn vorbringt, ernsthaft bleibt. D a s Kindliche hingegen, gleichsam die reine Menschheit in der K nospe, ist etwaS so zartes und einfaches, daß es sich der dichterischen Darstel­ lung zu entziehen scheint, und vielleicht nur m ittelbar durch die R ührung,die es in sinnlich gestimmten N aturen erregt, anschaulich gemacht werden kann. D a Schulzens Romane überhaupt mehr den Kopf als das Herz beschäftigen, so versteht eS sich von selbst, daß der Geist und Ton seiner Dichtungen es gar nicht mit sich brachte, diese S a ite auch nur zu berühren. D a s belustigende im Wesen der Kindheit hat er aber meisterhaft aufzufassen gewußt, seine Kiuderscenen sind eben so anziehend als natürlich erfun­ den, und lebendig mit den fröhlichsten Farben ausgemalt. i . rr» il.

19

Mode-Romane. Lafontaine1798. D e r P u n k t, wo die L itteratu r das gesellige Lebe» am unmittelbarste« berührt, ist der Rom an. offenbart

sich daher am

B e i ihm

auffallendsten der ungeheure

Abstand zwischen den Classen der lesende« M en g e, die mau durch den bloß postulirten B egriff eines P u b lirums in eine Einheit zusammenschmelzt: hier können die Unternehmungen des M eisters, dessen Blick, seinem Zeitalter v o ra u s , in gränzenlose Fernen d rin g t,

dem

regste» und vielseitigsten Streben nach Bildung begeg­ n e « ; so wie eben hier die stumpfe Genügsamkeit des H andw erkers, der nur denselben verworrnen Knäuel der Begebenheiten auf« und abzuwinden versteht, un­ aufhörlich fü r die S ättigu n g tet.

D ie

schlaffer Leerheit arbei­

gesetzlose Unbestimmtheit, wom it diese G a t­

tung nach so unzähligen ^Versuchen immer noch behan­ delt w ird , bestärkt in dem Glauben, als habe die Kunst gar keine Foderungen an sie zu machen, und das eigent­ liche Geheimniß bestehe d a r in ,

sich alles zu erlauben;

während sie doch vielmehr auf die Höhe der Aufgabe hindeutet, die wie eine irration ale Gleichung nur durch unendliche Annäherung gelöst werden kann.

W e r hält

sich nicht im Stande einen Roman zu schreiben?

Daß

nebst vielen und wichtigen Erfodernisscn unter andern auch ein bedeutendes Menschenleben

dazu nöthig ist,

läß t man sich nicht im Traum e einfallen.

W ie könnten

sonst die beliebten Romanenschreiber so fruchtbar, und die fruchtbaren so beliebt seyn? geschrieben zu haben,

w ird

N u r Einen Roman

fü r gar nichts gerechnet:

man muß beinahe m it jeder Messe wieder erscheinen, um uicht auf der Liste der Beliebten ausgestrichen zu wer­ den.

2ch habe sogar von Schriftstellern g ehö rt, welche

gestehn, daß sie au sfallen K räften eilen, den B orrath von R om anen, den sie noch in sich tragen, auszuschüt­ te n ,

ehe die Geläufigkeit ihrer Feder und ihrer Phan­

tasie mit den zunehmenden Jahren erstarrt.

W ie ver­

schieden von der Sprödigkeit des zurückhaltenden G enius, der wie die Löwin nur eins gebiert, aber einen Löwen! Jene dürfen sich nicht brüsten, wenn sie fü r den Augen­ blick vor diesem glänzen: ihr Ruhm w ird ebenfalls er­ starren , sobald sie ihn nicht mehr beständig warm hal­ ten können. B e i so unermüdlichen Ergießungen muß man na­ türlich a u f seltsame H ü lfs m itte l v erfallen , um die A r­ muth an selbständigem Geiste zu bemänteln, und w irk­ lich ist auch bis zur rohesten Abgeschmacktheit unversucht geblieben.

nichts

W e r Romane fertigen kann, ohne

Gespenster zu citiren, und die Riesengestalten einer chi­ märischen V orzeit aufzurufen, wer sich ohne Geheimnisse m it schlichten Leidenschaften behilft, der hält schon etwas a u f sich und sein Publicum.

M acht er sich denn auch

m it Charakter» nicht viel zu schaffen, wenn ihm nur jene in einer gewissen Fülle zu Gebote stehn, so kann er gewiß seyn, den m ittleren Durchschnitt der Lesewclt fü r sich zu gew innen, der fü r das grobe Abenteuerliche

schon zu gesittet, fü r die heitern Kunst noch nicht

ruhigen Ansichten ächter

empfänglich,

starke Bedürfnisse der

Empfindsamkeit hatSolch ein Schriftsteller ist Lafontaine.

W undern

kann man sich also nicht über das große Glück, das er gemacht hat.

D ie Vorliebe fü r Jean P a u l ist schon

etwas v ie l ausgezeichneteres; er bewirthet nicht m it so leichten S peisen, da sich Lafontaine hingegen m it un­ glaublicher Schnelligkeit und in ganzen Bänden auf ein­ m al genießen lä ß t,

besonders wenn man schon einiges

von ihm gelesen h a t, und also gewisse kieblingsschilderungen n u r wie alte Bekannte km Dorbeigeh« begrüßt. Auch kn dem einzelnen Werke wiederholt er die Scenen so reichlich, daß er dem geübteren Leser die H älfte der Z e it erspart, obwohl dem Drucker nichts an der Bogen­ zahl. M a n sollte denken, stlbst die oberflächlichsten Lieb­ haber müßten a u f die Länge diese

schwach verkleideten

Wiederholungen gewahr werden, und die Gewohnheit, sich selbst auszuschreiben, müßte dem Rufe des S c h rift­ stellers Abbruch thun.

Z w a r sollten w ir ihn w ohl nicht

so ernsthaft nehmen.

Dem

fröhlichen M anne ist es

schwerlich um Vortrefflichkeit zu th u n ; er scheint viel­ mehr, so o ft er auch die Ewigkeit als die große Aussicht hinstellt, gar sehr in der Zeitlichkeit befangen zn seyn. Um es dabei noch recht bequem zu haben, macht man sich eine M o ra l, eine Tugend, eine Unschuld, eine Liebe, die ein fü r allemal dafür gelten müssen: ein wenig auf den K a u f gemacht, u n h a ltb a r, aber gut in die Augen fallend. W enn man indessen Lafontaine auch so jovialisch

ansehn w ill, wie er selbst sein Thun und Treiben, so ist es doch nicht gleichgültig, was fü r Begriffe von allen jenen D ingen

er unter die Leute b rin g t,

und eS ist

der M ü h e werth zu fragen, w orin es liegt, daß er m it so viel gutem W illen und Glauben sittlich zu seyn, den schon so mächtigen Hang zur Erschlaffung und Passivität befördert?

E s ist g ew iß, wenn er sich als

Schrift«

stellet strenger zu betrachten w ü ß te , so würde er auch die menschliche N a tu r höher zu halten

verstehn.

In

seinen früheren Sachen schien er eine« zugleich eigen­ thümlichen und gefälligen G ang nehmen zu w ollen, ob er gleich von dem, was ein Gedicht ist, nie einen reinen B e g riff gehabt haben m u ß , da er seine Scenen Gedichte nennen, ja sie sogar als Annäherungen zur tragischen Dichtkunst betrachten konnte. Vermuthlich hatte er schon damals kein höheres Id e a l von dieser letzten als

den

»tragischen Arnaud» ( S t . J u lie n ) und verwechselte mit Poesie die A rt

von F e u e r, welche die Franzosen mit

dem Ausdruck V e rv e bezeichnen, und die er in vollem M aaß e besitzt.

Feinere

Schattirungen

deuteten

bei

allem dem au f A nlagen, von denen m a n , vorausgesetzt daß der Schreiber noch ein Jüngling w a r , eine bedeu­ tende Entwickelung hoffen wie das Gegenstück zu oder K unigunde,

ließ

durfte.

den Samuitischen

entschuldigende

D ie

Heirathen,

man unbeachtet hingehn,

manche einzelne Flecken an seinen ten Erzählungen.

Solche Zugaben,

wie

wehr ausgearbeite­

erste auffallende und nicht zn

Jndelicateffe beging

er an

Julien in

Liebe und Redlichkeit auf der P ro b e , und daß er den R ud o lf von Werdenberg nicht von solchen Auswüchsen

wie die Begebenheit m it Heloisen rein e rh ie lt, zeigt, wie sehr es ihm an S in n fü r die E inheit und orga­ nische B ild u n g eines Werkes fehlte, und daß er sich im mindesten nicht um Zeichnung, sondern n u r um ein üppi­ ges C o lo rit bekümmerte.

D ie bloße Leidenschaftlichkeit,

ohne irgend einen ächt geistigen oder schön sinnlichen Z u ­ satz, liefert ihm dieses hinlänglich.

E r gesteht selbst

in der Vorrede zur zweiten Auflage der G ew alt der Liebe, daß er n u r Eine Empfindung des menschlichen Herzens beleuchte, ( in

welchem S in n

seine sämtlichen

Schriften die G ew alt der Liebe heißen könnten) von dieser n u r ein paar Seiten.

und

Schlimm genug, daß

er von allen n u r die gemeinste und schwächste aufzu­ fassen w ußte!

Schlimm genug, daß die ersten Keime

in einen bloßen Blätterreichthum aufgegangen sind, der ohne S tam m und Frucht sich nie über eine gewisse Höhe erhebt! W enn ihn auch seine Bekanntschaft m it den Alten, die er recht angenehm, man möchte sagen auf weibliche A r t , zu benutzen w eiß , zu strengerem Ernst auflodert, wie in seinen neueren Griechischen Geschichten, so be­ handelt er doch alles m it Spannung, Schlag auf Schlag, bunt durch einander, und spart die Aufopferungen und Tode fü rs Vaterland so wenig wie bei andern Gelegen­ heiten die Küsse.

D ie wechselnden F arb en , das tumul-

tuarische Leben, stehn m it der W ürde des Gegenstandes in solchem S tre it, daß man w ohl sicht, in wie fern er dam it

bekannt w ar.

Eben dieses Farbenspiel ist es

denn doch, und seine blumenreiche Schreibart und strö­ mende Rhetorik, der es nicht an den Grazien der Nach-

läßigkrit feh lt, w as schon so manchen jungen Busen er­ schüttert h a t, und manches ältere Urtheil so v e rw irrt, daß C lara du Plessis der Neuen Heloise an die S eite gesetzt u n d , um seiner

schlechtesten Hervorbringungen

w ille n , Lafontaine m it vieler Anmaaßung zum Künstler geadelt worden ist. (A . L- Z . 98. N o. 47).

E s muß ihm

selbst ein wenig lustig vorkommen, sich von Kunst vor­ schwatzen zu hören, da man eher vermuthen sollte, daß er sich sogar bei den Werken macht.

Anderer wenig

daraus

Laßt ihn doch n u r so gefallen, wie ein frisches

Mädchen, die weder bestimmte Z ü g e , noch Seele in den Augen, aber ein paar recht blühende W angen und artige Lippen hat.

E s ist auch schon mehr begegnet, daß die

edelsten Gestalten unbemerkt stehn blieben, und ein gro­ ßes Gedränge um solch ein Geslchtchen w a r, daS eben jedermann zusagte, w eil nichts darin zu lesen w a r , als w as jedermann versteht.

Seine Schriftstellcrei ist recht

sichtlich die unerzogene »Tochter der N a t u r ,» wäre sehr zu wünschen,

und es

daß das Dargestellte bei ihm

(u n ter andern der dramatische Versuch jenes Nam ens) eben so viel N a tu r an sich haben möchte. K ann denn aber wohl etwas unnatürlicher, und zugleich unsittlicher seyn, als seine Kinderliebschaften? E r nimmt ohne weiteres a n , daß das erste, was sich im Menschen re g t, das Interesse des einen Geschlechtes fü r das andre ist.

W enn ein so frühes Verhältniß

S t a t t findet, so lehrt die Erfahrung wenigstens, daß es sich zuerst als Abneigung offenbart. M a n w ird unter Kindern häufig Absonderungen der Knaben und M ä d ­ chen wahrnehmen.

O der hätten besondre Gewohnheiten

und Antriebe dergleichen Bündnisse gestiftet, so tre n n t eine nachmalige verschiedne B ildu n g sie eben so oft wie­ d e r, als sie glücklich oder unglücklich fü r beide Theile Bestand behalten.

Lafontaine im p ft der gesunden N a tu r

durch seine Voraussetzung eine Reizbarkeit e in , die ih r fremd ist.

W ä re es erst dahin gekommen, daß K inder

bei einer körperlichen Berührung so heftig empfänden wie Lissow und Käthe im F lä m in g , da er ih r die Hand zum schreiben lernen fü h r t, so würde ihre Jugend dem Verwelken näher wie dem Reifen seyn, und Eltern und Aufseher b illig

hie Schuld davon tragen.

Wenn die

Unschuld wie die zarte Blume einer » Schneeflocke ist, die ein Hauch verzehrt,«

(F lä m in g ) so

muß sic bei

jyngeu Geschöpfen durch einen Blick in die meisten sei­ ner Bücher zerstört werden.

In

den moralischen E r ­

zählungen, in der G ew alt der Liebe, im F läm ing , H lara du

in

Plrssis, im W erdenberg, allenthalben vcr-

Ueben sich die K in de r in einander.

Lafontaine ist ih r

wahrer O vid . Bedeutend ist es allerdings, daß er die Liebe so oft in die Zeiten der gedankenlosen Kindheit versetzt.

S ie

trä g t durchgehendS bei ihm etwas von dem Charakter ihres Ursprunges, von leerer Anhänglichkeit und blinder G ew alt an sich, und es laßt sich genau von ihr sagen, was er bei Borde und Anne (im S t . Julien) bemerkt: » Beide

waren ju n g , das ist das ganze Geheimniß. «

Dieses Geheimniß auf halbem Wege stehn bleiben zu heißen, macht denn das Geheimniß seiner Unschuld aus, deren seine H elden, ebenfalls nach einem

eigenen Aus­

druck von ih m , so unbeschreiblich viel haben-

Wenn er

bei der geistigen Liebe recht fein verfahren und psycholo­ gische Einsicht zeigen w ill, so hält er sich bei Anspornun­ gen der E itelkeit, bei jugendlichen W allungen a u f, kurz, er setzt sie zu lauter Zufälligkeiten

herab.

Eben so ist

e r , um hohe Unschuld darzuthun, unerschöpflich im A us­ malen aller Arten von vertrauten Verhältnissen und sinn­ lichen Annäherungen, in denen keine Sinnlichkeit seyn soll, und die ohne Folgen bleiben.

E in

M a h le r w irft

leicht eine schwebende Stellung h in , aber laßt es jemand versuchen, sie in der Wirklichkeit nachzuahmen, so w ird er bald das Gleichgewicht verlieren.

I n dieser angebli­

chen Unschuld hat Lafontaine gänzlich das Wesen schöner Menschheit verkannt.

Je vollkommner die Organisation

is t, um so sicherer müssen auch die S in n e eine edle E n t­ zündbarkeit an sich haben.

F ü rw a h r, so ungestraft au f

sie losarbeiten zu dürfen, verriethe nicht R e in h e it, dern eine große S tu m pfheit der S in n e ,

und

son­ einen

M a n g e l an Fantasie, der nichts weniger wie reizend seyn möchte.

E r aber glaubt der N a tu r ihr Recht erwiese«

und auch die guten S itte n gerettet zu haben, wenn er Kindern sowohl wie Erwachsenen eine Menge V e rtra u ­ lichkeiten e rla u b t, denen man gar nicht zusehn mag, und wenn er sie nicht mehr dabei fühlen lä ß t, als bei einem freundlichen Kopfnicken. B eide, die N a tu r und die gute« S it t e n , haben sich denn doch bitterlich über ihn zu be­ schweren.

Solchen Lesern allein macht er es recht, de­

ren S in n sich nicht vo« so widerwärtigen Vermischun­ gen abwendet, die er in eine schmeichelnde Stim m ung versetzt,

wo

der Lockung kein Widerstand geleistet zu

werden braucht, w eil doch die Tugend unverletzt bleibt.

Man nehme unter einer seine Jacobine im Fläm ing.

Menge

von Beispielen nur

S ie lebt gleich anfangs m it

Lissow in der äußersten Ungezwungenheit.

»Sie bot ihm

»die schöne Wange zum M orgengruß , er nahm

sie

in

»Gegenwart ihrer E lte rn in die Arme und liebkoste ih r. »S ie g in g , wenn sie w ollte, zu ih m , und saß neben ihm »von seinem A rm umschlungen.

Kam ih r V ater dazu,

»so setzte er sich a u f die andre Seite und schlug seinen »Arm gleichfalls um ihren Leib«.

D ie Zuschauer müssen

überhaupt oft bei ihm die Heimlichkeiten der Liebe sanctioniren.

Lissow w a r ein junger M a n n , der Jacobinen

nie gesagt hatte,

daß sie seine F ra u werden könnte.

S ie w ird uns als das reinste, erhabenste Gemüth v o r­ gestellt.

W a s Vertraulichkeit bedeutet, konnte sie indeß

bei ihrer Erziehung wohl nicht umhin zu wissen, und Zurückhaltung von einer jeden, die nicht das erste über­ raschende Geständniß der Liebe oder dessen Folge w a r, mußte die Bewegungen eines so gebildeten jungen M ädchens leiten.

H eilige unwillkührliche Scheu sich hinzuge­

ben , ist Unschuld, nicht Lafontainens unendliche A rglo­ sigkeit im Hingeben, die seine F ra u e n , er mag sie nun

so

edel schildern

G u rli's macht.

als

er w ill,

mehr oder weniger zu

Jacobine treibt sie so w e it, daß sie auch

als Liffows G a ttin dem jungen, schönen und reichen M alth e se r-R itte r, der ih r Hausfreund w a r, »die schöne Wange hin hie lt, wenn er kam und wenn er ging«. Wie unverständig müßte ein sittsames Weib seyn, um sich so zu betragen!

Welche V orw ürfe hätte sie sich zu ma­

chen, wenn ähnliches Unheil wie bei dieser Gelegenheit daraus entsteht!

E in andrer moralischer Hebel des Lafontaine ist die W ohlthätigkeit und überhaupt alle die R ührungen, die aus der rohen Gutherzigkeit entspringen.

N ich t, als ob

er versäumte, in W o rten die gehörige Dosis W eisheit beizumischen; wie er zum Beispiel dem Fläm ing einen alten Grumbach zugesellt, der m it seiner Freigebigkeit haushält:

aber er mag noch so sehr dazu und davon

th u n , er bringt es doch zu keinem edleren M e ta ll in der T u g en d , als zu diesem materiellen Triebe des Gebens; damit lockt er seine Thränen h e rv o r, die zerrütteten Gemüther. n ur

damit beruhigt er

W a s darüber ist, bleibt doch

die trockne M o r a l der Fabel.

D enn freilich weiß

er w o h l, daß sonst noch H e ro is m u s , T h ä tig k e it, W is ­ senschaft, B ild u n g , M ä ß ig u n g dazu gehören kann, aber da er die letzte niemals ü b t, so kommt das alles bei ihm heraus, wie die Beschreibung von ungeheuern Thaten der Tapferkeit,

wo E iner ganze Haufen in die Flucht

jag t oder niedermacht.

Is t so ein Held einmal im S ie ­

g en, so weiß man auch schon, er w ird ohne W unde da­ von kommen.

Sich aufopfern, sich beherrschen u.s. w. ist

leicht gesagt;

es kommt nur darau f a n , zu zeigen, wie

das geschah, und dann kann E in Zug mehr werth seyn wie hundert.

Lafontaine scheint aber so fest überzeugt,

daß in allen D ingen V ie l mehr thut wie W e n ig , als er es in Bücherfabrik-Angelegenheiten seyn darf.

Selbst die

Fehler und T ho rh eiten , m it denen er den Schw all der Tugenden versetzt, vermögen sie nicht zu w ürzen, und eben so wenig ein recht natürliches Konterfei des M en ­ schen hervorzubringen, als diese ein idealisches. 2m Verlaufseiner Schriftstellerbahn ist er a u f mehrere

Auswege verfallen.

E r hat etwa eine launige und an­

tithetische Charakterzeichnung zu Hülfe genommen, oder sich an fremden Mustern erwärmt.

S t. Julien

gründet

sich au f den Landpriester von Wakefield, im Fläming ist etwas S iegfried von Lindenberg, zu Anfang von N a tu r und Buhlerei schimmert viel guter W ille den W erther zu machen hindurch, und was das ergötzlichste ist: er JeanP a u l-R ic h te ris irt seit kurzem m it dem besten Anstande. I s t gleich die Wiegenrede unter den Platanen im S t . J u lie n nicht im Costum, so beweist sie doch, wie viel sich in

dieser G attung mit der bloßen Mechanik thun läßt»

Einige andre A u ftritte , wie die

mit dem Rudern des

Borde und der Fam ilie des C a p itä n s , sind

dafür ganz

im T o n Französischer Em pfindungsart, deren Oberfläch­ lichkeit wenigstens elektrische Funken sprüht. M a n thäte Lafontaine« vielleicht Unrecht,

ihn nach

dem Fläm ing allein zu beurtheilen, obwohl es sein dick­ stes Buch ist.

Eben darum wuchern die Begebenheiten

darin so in die B re ite , und es hat eine Menge Raisonnement, S a tir e , Lehre und Beispiel auf einander gepackt, und das D ro llig e bis auf den Faden abgenutzt werden müssen, so daß nichts wie der Ueberdruß zurückbleibt. Philosophie ist überdieß Lafontainens Sache nicht,

we­

der die strenge noch die humoristische. D ie Universalität, der er hier nachgeht, konnte also nur in allgemeine P la tt­ heit ausarten.

D ü rfte m an,

unter andern, nicht an­

nehmen , daß Hilberts Reden im dritten Theil den Ge­ sichtspunkt angeben sollen, auS denen der Philosoph, oder der gesunde

Menschenverstand,

Fläm ings

Narrheiten

und ehrlicher Leute Enthusiasmus ungefähr so in Eins

zu werfen haben, wie die Vorrede zum Fläming unkri­ tische Hypothesen und kritische Philosophie? Und nun seht, wie leichtfertig er sich dabei ausdrückt. »Hören »Sie einmal jemand, der in Rom gewesen ist! E r er«zählt Ihnen mit einem Entzücken, das an Raserei »gränzt, von einem Kopfe — aus S tein oder aus »Knochen geformt, das ist wohl ziemlich einerlei — und »findet in Apolls Gesicht Stoff zu tagelangem Nachden»ken, zu den erhabenste« Empfindungen. Sollten S ie »den Apoll selbst sehn, so würden S ie glauben, der »Mensch sei nicht bei Sinnen gewesen«. Diese Ansicht ist noch viel weiter ausgeführt, und gehört zu seinen glänz enden Stellen. Ob aber die Leser folgende aus dem Gebiet der M oral zu den glänzenden oder gründlichen rech­ nen werde»? »Du sollst tugendhaft seyn, ist der ewige «Befehl der Vernunft; und du sollst glücklich seyn, der «eben so ewige, eben so strenge Befehl aller unsrer Ge«fühle. Diese beiden — I n s t i n k t e u n s r e r N a t u r »möchte ich sie nennen, diese beiden Grundtriebe unsrer »moralischen und fühlenden N atu r, dürfen einander nie »widersprechen. S ie sind gleich herrschend, gleich ewig, »gleich nothwendig; die beiden großen Lebensströme, »durch die w ir sind, was wir sind. S ie wechseln »ewig ihre N atur mit einander. Die Tugend wird die »Quelle unsers Glückes und aus dem unauslöschlichen «Wunsche sich glücklich zu machen, erhält die Tugend »ihre Stärke. D er eine Befehl ist gleichsam der Nach»foult des andern: der eine tont vom Richterstuhl des «Ewigen; der andre säuselt von dem Meer der ewigen »Liebe zu uns hernieder. Sey tugendhaft! sey glücklich!

«Zwei Töne die zugleich erklingen, und die schönste H a r»monie des W e lta lls bilden;

zwei Ström e aus einer

»Q uelle, die das Paradies einschließen, und sich dann »wieder vereinigen. «ist

to d t,

D e r eine Befehl ohne den andern

schrecklich,

abscheulich.

» T u ge n d ! und die Erde »Menschen in Trümmer.

Sey glücklich ohne

fä llt unter dem

Glück des

S e y tugendhaft ohne Glück.'

»und der T hron der Liebe stürzt unter diesem barbari»schcn Befehle.

Beide gehören ewig zusammen, die bei-

»den Stämme einer W urzel.

S ie haben Eine N a tu r,

»E in Wesen, und befehlen beide, ohne Gründe anzu»geben.

S ey glücklich! n u r ein N a rr fra g t, warum .

»Sey tugendhaft! n u r ein Rasender fra g t nach der U r»sache.

D as

eine erhält die fühlende N a tu r ,

»andre die moralische.

das

Beide machen unser Wesen aus,

«eins und unzertrennlich«.

D a s heißt doch gewiß T u ­

gend und Glück von allen Seiten beleuchten, und ist nun so die gehaltvolle Form dessen, nennt.

was er W eisheit

D e r glücklichste Z u fa ll ist noch die E ile , wom it

er genöthigt ist a u f den letzten Seiten die Französische und die Kantische R evolution abzufertigen.

B ei Jglou

unterdrückt man gern die profane Vermuthung, daß M ig ­ non im W ilh elm Meister auf diese Schöpfung geführt haben möchte, denn es ist nicht zu läugnen, sie macht zu Anfang eine mehr hündische als menschliche Erschei­ n u n g , m it der die nachherige hohe B ild u n g , die er ihr beilegt, nicht aussöhnt.

D en H a n g , groteske Figuren

gleichsam a u f die Spitze des Edlen zu treiben,

hat ek

übrigens m it dem Jtzehoer M ü lle r gemein, so wie meh­ rere unsrer komischen S chriftsteller, auch Wezcl, der

diese beiden bei weitem überwiegt, oft lustig anfangen und so ernsthaft endigen, daß die N atur der Sache und des Buchs gänzlich umgewandelt wird. I h r komisches geht ins betrübte über, denn wer bei Ansprüchen au f beide Gattungen nicht rein komisch zu seyn w eiß, er­ hebt sich auch nicht bis zum Tragischen; und so wird M üller trocken, Wezel trübsinnig und Lafontaine kon­ vulsivisch. S o viel ich weiß, zieht selbst das Lafontainische P u ­ blicum fernen S t. Ju lien dem Fläming vor. Eben durch die Reminiscenzen aus de« Landpriester von Wakefield bekommt er eine bedeutendere Physiognomie. D ie S trich e, welche den Charakter ausdrücken sollen, sind zwar etwas gröber gerathen, und auch nicht immer unter sich zusammenhängend. E s w ar sehr möglich, daß ein M a n n , wie der Landpriester, sich mit allen seinen kleinen Schwächen schilderte. E r hatte grade Ueberlegenheit genug, um mit dem leisen S p o tt über sich selbst, der den Reiz jener Darstellung ausm acht, das Gemälde zu entwerfen. Aber S t. Julien steht unter der H err­ schaft einer Schwäche, die kein so freies Geständniß ver­ träg t, weder was die innere Wahrscheinlichkeit, noch waS die Wirkung betrifft. D ie Furcht übermannt ihn, nicht bis zur Thorheit allein, bis zur Niedrigkeit. D er Land­ priester giebt seine F ra « für nichts anders als was sie ist; S t . Ju lien erklärt die seinige für die beste F ra u fü r ibn in ganz Frankreich. Alle die gemeinen Züge an ihr kann er damit nicht adeln, wie es sein Bestreben ist. I n ihrem Charakter sowohl, wie in dem seinigen, ist au f einer S eite das schlechte, w as da ist, zu schlecht.

auf der andern das Resultat, was herauskommen soll, zu hoch; daraus entsteht ein MisverhLltuiß, woran sich die Unächtheit der Erfindung erkennen läßt. Es kann ein Gegenstand der reifsten Poesie seyn, auch eine sehr gewöhnliche N atur in ihrer vollen Wahrheit und Beschränkung darzustellen; aber das erfodert eine >u. s. w . « S o geht es ganze B lä tte r hindurch. Welche lockenden W o rte !

Könnte man mit W orten allein dich­

te n , so wäre Lafontaine der M a n n . Ganzen ergiebt sich,

Aber aus dem

wie wenig poetischen S in n diese

W o rte im H in te rh a lt haben, und daß sie höchstens als «ine musikalische Verzierung zu betrachten sind.

Jean

P a u l musicirt zuweilen auch so; doch ist es wirklich seine Fantasie die da spielt, nicht bloß eine mechanische Fertigkeit der Hände. tasie, und

Jenes ergreift wieder die F a n ­

oft n u r allzustark;

dieses soll unser Herz

rü h re n , allein wie nicht jedem Freunde der Musik die Fertigkeit genügen w ir d , so möchte sich auch nicht jedes H erz von Lafontaine in Bewegung setzen lassen.

D en

Verstand hat er nie besonders in Anschlag gebracht; er geht nur immer a u f das Herz los, au f ein solches, daswed erK op f noch S in n e hat. Gleichwohl könnte ebender V e r­ stand, wo er sich m it dem Herzen im Bunde befände, ihm manche Beute abwendig machen, da er weder m it der bloßen In n ig k e it zu gewinnen,

noch m it deren bloßem

Schein zu täuschen ist. D a s Ende von S t . Julien ist zu schwach, um etwas anders als den frommen Wunsch zu erregen, daß alle unschuldig Hingerichteten noch einmal auf dieser Erde so lebendig versammelt werden möchten, wie die Aufer­ standenen in dieser Familiengeschichte. Am r. Theil.

ersten ließe sich wohl in N a tu r und Buhle20

m der bessere Lafontaine wieder finden. D er junge M M « ist freilich nicht so ausgezeichnet, wie er dafür gelten soll. E r sehnt sich nach dem Lande, er schmähet die S ta d t, es ist ihm mit seinen Gefühlen zu eng dari«. W a s so eine« Mensche« drückt, das könnte man am Ende wie eine Feder wegblase«. W erthers Leiden gin­ gen ein wenig tiefer, als daß er über das Lächeln eini­ ger artiger Mädchen gegrübelt haben sollte, wen» eS ihm eingefallen w ä re, getrocknete Zasminblüthen aus dem väterlichen G arten z« küssen. W arum braucht Lafontaine hier auch so zur Unzeit To« und Wendun­ gen, die «ine solche Vergleichung, noch so flüchtig, her­ beiziehen ? D azu Paßt nachher der pathetische R uf deS F reundes, der den Eduard Bomston macht, vollkom­ men. » Ich befehle d ir, J ü n g lin g , dort zu bleiben und deine Laufbahn z« vollenden!« D er Jüngling predigt m it Unendlichem Feuer von seinen Gefühlen und der Ew igkeit, und vertheidigt mit leidenschaftlicher Hitze die Eindrücke der Jugend. D a s bringt die Weltleute g ar sehr aus der Fassung, und daraus wird seine große Ueberlegenhcit dargethan. Durch eine wohlthätige Handlung schlägt seine Geliebte allen Verdacht gegen die G üte und Aufrichtigkeit ihres Charakters bei ihm nieder; darüber kann Lafontaine also wieder nicht hin­ aus. W as aber die beiden Mädchen und sonst de« Gang der Geschichte betrifft, so ist W ärme und jener feinere Glanz in der Behandlung, welche von Lafontaine die angenehme Hoffnung erregten, er würde im Fach der Erzählungen vorzüglich werden. W ir haben so we­ nig ausgebildetes darin! Unter dem wenigen erinnert

man sich m it Vergnügen und Bedauern der Bagatellen von A nton W a ll.

W ie viel Anmuth ist nicht besonders

in seiner A n to n ie ! M eisne rs Andenken, an dessen S telle Lafontaine gleichsam t r a t , ist schon ziemlich erloschen.

Seine steife

Eleganz hatte immer etwas todtes an sich.

E r w a r so

geziert und kostbar, als Lafontaine lebendig und unge­ zwungen,

und es ist ihm nie wie diesem gelungen,

der Liebenswürdige zu heißen. ih n

M eisner leicht; aber es

A n Verstand übertraf w a r Verstand von der

trocknen A r t , die den Geist nicht zu fesseln vermag. Lieblingsschriftsteller ist er dennoch gewesen. M e h r kann Lafontaine auch nicht w erden; das ist wenig genug, aber immer zu v ie l fü r die im ganzen so herabziehende Richtung seiner Romane, dene« es an Poesie, an Geist, ja sogar an romanhaftem Schwünge fehlt.

4.

Romulus von Lafontaine. 1799. Es scheint nicht b illig , daß dieser R om ulus im zwei­ ten Bande der Sagen aus dem A lte rth u m , — eigentlich Sagen in das A lterthum h inein, — n u r als RomuluS kurz weg angekündigt w ird .

D a er so vieles ist, dessen

sich der wirkliche nicht rühmen konnte: nicht bloß ge-

recht und milde, sondern zärtlich und gefühlvoll, unend­ lich friedsam, bis zur tugendhaften Pein verliebt, und bis zur Albernheit großm üthig; so sollte dieß auch auf dem T ite l angedeutet seyn, und das Buch könnte, nach dem Beispiele älterer bei unsern ehrenfesten Vorfahren beliebter Romane, Rom uliscus und Rom ulisca heißen. Z u r Vignette die kleinen Z w illin g s b rü d e r, statt der W ö lfin von einer Schafmutter gesäugt.

Wenn nicht

zum Unglücke immer die G ötter genannt w ürden, so dächte man gar nicht unter blinden Heiden zu seyn. F ü r die Liebhaber der Rittergeschichten kommt J lia nach einer neunzehnjährigen Gefangenschaft wieder an das Tageslicht, aus einem unterirdischen Kerker, d e r, m it den gehörigen M o d ifica tio n e n , ein wahres Burgverließ ist.

E s ist abscheulich, wie die Geschichte die ältesten

Römer verläumdet h at: R om ulus hat den Remus fei* nesweges erschlagen,

sondern dieser weiche Jüngling

hat sich aus Heroism us und Bruderliebe selbst entleibt. Auch bei dem verrufenen Raube der Sabinerinnen ist es so unschuldig und liebevoll zugegangen, daß fich die Engel im Himmel darüber freuen mußten.

N u r Amu-

liu s ist und bleibt ein grausamer T yra n n.

Romulus

selbst wäre um ein H aar »kein Mensch geworden, weil er kein S o hn seyn konnte;« aber er kommt zu einer F am ilie, »deren Umarmungen mehr werth sind als alle Heldenthaten der V o r w e lt , « er le rn t die schöne und sympathetisch gestimmte H ersilia kennen,

findet seine

E lte rn w ieder, und nun segnet sein Blick alle Völker; er lehrt seine räuberischen H irte n » ihre E lte rn zu lie­ ben, allen zu helfen und den Armen w ohl zu thun;«

ehe er sich in eine Schlacht einläßt/ bittet er seine Feinde »zu bedenke«/ daß sie Menschen seyen.« Hierauf erbaut er R om , und gründet durch die allerweisesten Gesetze und Einrichtungen die sanften S itte n und friedlichen Gesinnungen, wodurch, wie man w eiß, dieser S ta a t nachher so groß wurde. Und das alles, versteht sich, ohne die geringste Einmischung von V erstand, bloß vermittelst des Herzens. J a das Herz, in der That, — c’est a n merveilleax instrament ! wie Bousslers in seinem Gedichte darüber sagt. Und eine unversieg­ bare Romaneyquelle, kann man hinzufügen.

%>

Reise durch das mittägliche Frankreich, vom Frhrn. v o n T h ü m m e l. 1799.

Als die beiden ersten Theile dieser dichterischen Reise erschienen waren, bewunderte sie ein Bibliothekar der schonen Wissenschaften, der ihre Schönheiten weitläuftig ins Licht stellte, besonders als ein gerundetes und in sich beschlossenes G anzes: nicht das geringste lasse sich weder davon noch dazu thun. D rei neue Theile, die einige Jahre nachher diesem Kunstrichter zum Possen erschienen, und dem Buche einen plötzlichen,

aber, w as meistens damit verbunden zu seyn pflegt, eiaen etwas zweideutigen

R u f verschafften,

ließen die

Möglichkeit einsehen, daß es noch wohl eine W eile fort­ gesetzt werden könne; und das jetzt erschienene sechste Bändchen beschließt man m it der Ueberzeugung,

daß

das W erk seiner innern Einrichtung nach niemals ein Ende zu nehmen braucht.

Doch weit entfernt, in dieser

A rt von Gränzeulosigkeit etwas furchtbares zu finden, w ird man sich gern bequemen, von Z eit zu Z eit mit dem Verfasser einen S treifzu g kn der Provenze zu machen, ja wenn hier der S to ff erschöpft seyn sollte, über das M e e r setzen, und bis in die B arbarei nach unterhal­ tenden Figuren jagen. D ie einzelnen P a rtie n sind artig ausgeführt, aber in dem Ganzen ist nicht mehr Composition,

als Zusammenhang unter den Abenteuern einer

wirklichen Reise zu seyn pflegt, wo auch zuweilen eine reizende Aussicht fü r lange Haide entschädigen muß.

Stunden Weges durch die

Diese Sorglosigkeit der V e r­

knüpfung äußert sich auch in kleineren eingestreuten Verse sind poetische

T h e ile n : die

Spaziergänge aufs

Gerathewohl, und manchmal artet das Fortlcitcn der Gedanken an den Neimen h u n tin g aus.

in ein Englisches

steeple-

An drolligen Einfällen und Erfindungen

fehlt eS nicht: nur manchmal scheint in kleinen Um­ ständen etwas nicht richtig zu seyn, waS dann der An­ schaulichkeit in den W eg t r i t t , da doch der Romancndichter immer nur Großhandel mit Unwahrscheinlichkei­ ten treiben, im einzelnen aber äußerst sorgfältig und genau seyn sollte. — W ie sich ein Berlinischer Visitator und seine Nichten beim Allfange ihrer ersten Seefahrt,

wodurch sie einer großen Erbschaft entgegen reisen, benehmen, erfährt man mit nicht geringem Ergötzen; allein die D iatriebe des Landedelmanns gegen den guten G e­ schmack ist zugleich eine S ünde dagegen, selbst nach Voltaire's toleranter E rklärung über die G attu n g en : denn sie ist langweilig. Ueberhaupt bleibt eS dabei- M arg o t w ar die erste Liebe, und diese empfindet m an n u r Einm al.

.

6

Ritter B laubart und der gestiefelte K ater,

von L u d w i g Tieck. (In den Volksmahrchen von Peter Leberecht.) 1797. W er von unsern Leser» h at nicht in seiner K ind­ heit mit unendlichem Behagen und Entsetzen das be­ rühmte Mährchen von B a rb e -b le u e erzählen hören ? H ier hat es ein Dichter gew agt, gewiß eia Dichter im eigentlichen S in n e , ein dichtender D ichter, diesen u n ­ scheinbaren S to ff zu einer ausführlichen dramatischen D arstellung zu entfalten. E r hat dabei, um dem luf­ tigen N ichts eine örtliche W ohnung und einen Namen zu geben, die Scene nach Deutschland versetzt, und d as

Deutsche Rittercostum gewählt.

Aber wenn man sich

etwa nach dieser Angabe das Buch als einen R itte r­ rom an in

Gesprächen

bestens empfohlen seyn lassen

sollte, so müssen w ir der Täuschung vorbeugen.

D er

Verfasser ist ein wahrer Gegenfüßler unsrer gewappne­ ten ritterlichen S chriftsteller: da diese n u r darauf ar­ beiten, das gemeinste, abgedroschenste als höchst aben­ teuerlich ja unnatürlich vorzustellen, so hat er sich da­ gegen bemüht, das Wunderbare so natürlich und schlicht als möglich, gleichsam im Nachtkleide, erscheinen zu las­ sen.

W ie leicht wäre hier ein Burgverließ nebst den

beweglichsten A usrufungen,

ein geheimer Orden von

B la u b ä rte n , Geister u. dgl. m. anzubringen gewesen? W a s fü r verabscheuungswürdige teuflische Dinge

hät­

ten sich dem vortrefflichen Bösewicht B la u b a rt in den M u n d legen lassen?

Aber nichts von dem allen.

An­

fangs könnte man den R itte r für.nichts weiter als einen rüstigen, heirathslustigen Krieger halten; daß sein B a rt blau ist, daß er m it seinen besiegten Feinden übel um­ springt, und eS eben in der A r t h a t, seine Weiber auf­ zuknüpfen, wenn sie neugierig sind, kömmt n u r so gele­ gentlich und ohne viel Aufhebens an den Tag.

J a wenn

sich die S itte m it dem Aufhängen rechtfertigen ließe, so würde es dem B la u b a rt durch die nachdrücklichen Gründe gelingen, w om it er zu zeigen sucht, Keim der ärgsten Laster.

Neugier sey der

D ieß ist in der N a tu r : nur

tn den schlechten Schauspielen reden die Tugendhafte« von ihren Tugend, und die Bösewichter von ihrer Ab­ scheulichkeit. D ie übrigen Charakter geben sich ebenfalls nicht fü r dieses oder jenes: sie sind wie sie sind, ohne

zu wissen, daß es auch anders seyn könnte. muntern A g n e s ,

welche B laubarts F ra u

D ie der

w ir d , zuge­

sellte Schwester ist unaufhörlich m it ihrem abwesenden Geliebten beschäftigt, während jene nichts von der Liebe begreift, und n u r immer zu reisen und neue Herrlich­ keiten zu sehen wünscht. B rüder

Eben so artig sind die drei

der Agnes zusammengestellt:

der vernünftige

und vorsichtige, der leichtsinnige Abenteurer, und schwermükhig grübelnde.

der

E s ist gar d ro llig , wie der

letzte in der Sprache des gemeinen Lebens tiefsinnig philosophirt, und die Andern in das In n r e seines G e­ müths zu führen sucht, die ihn dann immer nicht ver­ stehen.

Dieser H ang

des Stücks:

ist nicht müßig in dem Gange

die Erscheinung der Brüder

in dem ent­

scheidenden Augenblicke, wo Agnes umgebracht werden soll, w ird dadurch herbeigeführt; S im o n hat nämlich traurig e Ahndungen von dem Schicksale seiner Schwe­ ster gehabt.

Alles w as den wesentlichen T h e il der H and­

lung ausmacht, von der Z e it a n , wo B lau b art abreist und der Agnes die Schlüssel zurückläßt, m it der W a r ­ n un g , nicht in das siebente Zimm er zu gehen, bis zu seiner Rückkehr: wie ihre Neugier von der leisesten A n­ regung allm älig zu einer unwiderstehlichen G ew alt steigt; die Beschreibung ihres E in tritts in die schreckliche Kam ­ mer ; ih r Zustünd der höchsten Angst und erhitzten, zer­ rütteten Fantasie; wie sie dem B lau b art durch schlaue Wendungen den Schlüssel noch einige Z e it vorenthalten w ill; alles dieß ist m it Meisterhand den ächtesten Zügen der N a tu r nachgezeichnet.

M a n könnte wünschen, daß

die vorhergehenden Scenen rascher zu diesem Ziele eil-

teri, und durch das Wegbleiben einiger fast nur episo­ discher Personen hätte das Stück wohl nicht viel einge­ büßt.

W ir meyne« dieß nicht von dem N arren und

dem Rathgeber; sie sind ein paar C aricaturen, die w ir ungern entbehren würden.

D e r N a rr le g itim irt sich

durch genialische Einfälle, und bezahlt allenfalls m it fü r den Platz des sehr weisen, aber sehr wenig gescheidten, Rathgebers.

Bon beiden g ilt, was der Dichter in dem

eben so gefälligen als sinnvollen P ro lo g sagt: W ie Schatten a u f, und abwärts schweben, laßt Durch Traumgestalten euch ergötzen, stört M it hartem Ernste nicht die gaukelnden; und a u f die z« große Länge des Stücks möchten w ir anwenden, was der N a rr von seinem Hange znm P la u ­ dern sagt: »Es ist doch bald vorbei, wenn man redet; »und da lohnts der M ühe nicht, daß man es so genau »nim m t.«

In

der T h a t w ird man beim Lesen durch

die klare besonnene Darstellung so leicht fortgezogen, wie man a u f einem gebahnten Wege führt, dessen Länge man nicht aus dem häufigen R ü tte ln abnehmen kann. H ie r und da sind artige Liederchen eingeflochten, und wenn es nicht unerlaubt wäre, von einem Dichter etwas in einer andern A r t zu fodern, als er hat leisten wollen, so wünschten w ir, der Verfasser hätte seinem Talent von dieser Seite mehr Spielraum gegeben, und auch einen T he il des D ia lo g s , versteht

sich m it aller F reiheit,

versificirt. W enn Lesern, welche durch die ohnmächtige Ueberspannung bloß leidenschaftlicher Darstellungen verwöhnt

sind, T o n und Weise hier zu ruhig und gelinde vorkom­ men sollte, so kann es dem Verfasser ein Beweis seyn, daß er seine

Umrisse recht rein und einfach gezogen hat.

D e n n offenbar ist es nicht M a n g e l, sondern überlegte M ä ß ig u n g , wenn er nicht grellere Farben aufträgt. Ueberhaupt sind aber Kinder im Fache der M ä h rchen wohl die besten K enner, und es ist eine mißliche Sache sie Erwachsenen vorzutragen.

Diese haben mei­

stens schon zu vielerlei im Kopse, um sich einem ganz unbefangenen

S piele

der

Fantasie

können sich nicht vorstellen,

hinzugebe«.

S ie

daß es m it dem bloße»

einfältigen Mährchen gethan sey: sie allegorisiren e s , deuten e s ,

w eil sie meynen, es müsse durchaus «och

etwas dahinter stecken.

B e i dem zweiten, welches P eter

Leberecht, vermuthlich um sich vor V erantw ortung sicher zu stellen, aus dem Italiänischen übertragen zu haben vo rg ieb t,

steckt nun

D ie komische L aun e,

allerdings noch etwas

dahinter.

w om it dieß aus eben der Quelle

geschöpfte Mährchen dram atisirt is t, bleibt nicht in de« Schranken des Gegenstandes stehen.

E s spielt in der

wirklichen W e lt, ja mitten uyter uns, und w as n ur bei Aufführung des Stücks

hinter und vor den Coulissen,

im P arte rre und in den Logen merkwürdiges vorgeht, ist m it a u f den Schauplatz gezogen, so daß man das Ganze, wenn es nicht zu tiefsinnig klänge, daS Schauspiel eines Schauspieles nennen könnte.

E s ist zu befürchten, daß

es den Theoretikern viel N oth machen w ir d , die G a t­ tung zu bestimmen, wohin

es eigentlich gehört.

So

viel sicht man ohne tiefe Kennerschaft r in , daß es eine Posse ist, eine kecke, muthwillige Posse, w o rin der Dich-

ter sich alle Augenblicke selbst z« unterbrechen und fein eignes Werk zu zerstören scheint, um nur desto mehr Spöttereien rechts und links und nach allen Seiten wie leichte Pfeile fliegen zu lassen. Doch geschieht dieß mit so viel fröhlicher Gutmüthigkeit, daß man es ergötzlich finde« müßte, wenn auch Vettern und Basen lächerlich gemacht seyn sollten. Wer also etwa durch di« Lust­ spiele, die man auf unsern Theatern giebt, in eine zu ernsthafte Stimmung gerathen ist, dem können diese Thorheiten als ein gutes Gegenmittel dienen. Der Kater ist für die Hauptrolle anzusehn: er äußert edle Gesin­ nungen und ist doch dabei wrltklug, (seltne Vereini­ gung!) überall beweist er Gewandtheit und Gegenwart des Geistes. Wie rührend wird es geschildert, daß er, um seines Herrn Glück zu machen, sich die gefangene« Kaninchen am Munde abspart, die er alsdann dem Könige als rin Geschenk vom Grafen von Carabas über­ reicht! Auch der König betragt sich mit Würde: man sehe nur den erhabenen Ausdruck seiner Verzweifllung, da das sehnlich verlangte Kaninchen verbrannt ist. Die Prinzessin ist Dilettantin in den schönen Wissenschaften, und wird dabei von dem Hofgelehrten unterstützt. Kurz, alle Personen bis auf den Popanz Gesetz (den am Ende, da er sich in eine Maus verwandelt hat, der Kater verzehrt, und Freiheit und Gleichheit proclamirt;) tragen nach Maaßgabe ihres Standes und ihrer Fähig­ keiten zu dem Eindrücke des Ganzen bei. Ungeachtet aller dieser Schönheiten fällt das Stück doch in dem Stücke selbst durch. Schon ehe die Vorstellung anfängt, erheben sich die Kenner und Kunstrichter im Parterre,

sogar die gewöhnlichen Zuschauer (A o rlks simple travel-

lers) gegen den wunderlichen Anschlag, ein Kindermährchen aufzuführen.

S ie

wollen ein Fam iliengem älde,

Revolutionsstück, oder sonst etwas der A rt sehen.

ein M it

M ü h e besänftigt man sie, ihre Ungeduld unterbricht das Stück immer von neuem; n ur bei einigen empfindsamen und moralischen S tellen w ird geklatscht.

Am Ende des

zweiten Actes bricht ein großes Ungewitter lo s : man trom m elt und p fe ift, der Dichter kommt in Angst her­ vorgelaufen, und da nichts helfen w i ll , muß der Besänftiger m it dem Glockenspiel aus der Zauberflöte erst eine Menge unvernünftiger Thiere au f dem T heater, dann die vernünftigen Zuschauer v o r demselben bezau­ bern.

Z u Anfange des dritte« Actes ist noch alles in

großer V e rw irru n g : der Dichter berathschlagt m it dem Machinisten, w as zu machen sey, und beschwört diesen, das Stück durch eine glänzende Decoration zu retten; da sie merken, daß der Vorhang schon aufgezogen und dieß also vor den Augen aller Zuschauer geschehen ist, laufen sie beschämt davon. scheinen, man hört ihn

Nun

soll der König er­

aber hinter der Scene rufen:

» N e in , ich gehe nicht v o r , durchaus nicht; ich kann »es nicht vertragen, wenn ich ausgelacht werde.«

D ie

Sachen werden leidlich wieder ins G leis gebracht, und eine S cene, w o rin der H o fn a rr und Hofgelehrte vor dem Könige förmlich disputiren, ob das Stück gut oder schlecht sey,

w ird

m it Ruhe angehört.

Am Ende muß

doch die Decoration m it dem Feuer und Wasser aus der Zaubersiöte,

nebst der Hölle

und

dem Himmel

aus dem S piegel von Arkadien noch das beste thun.

D e r Hofgelehrte schließt m it einer gereimten Lobrede auf die Katzen. M a n sieht, es geht ziemlich bunt durch einander: wenn es den Verfasser n u r nicht einmal gereut, sich und andre Unterhalten zu haben!

Denn —

verstehn

w ir ihn anders recht — so hätte er sich ja gar über das

Publicum selbst lustig gemacht.

N un nahm es

zwar, wie bekannt, das heilige Volk von Athen sehr ge­ neigt a u f, wenn man es von der Bühne herunter zum Besten hatte: aber nicht alle Nationen besitzen in glei­ chem Grade die Gabe Spaß zu verstehn; und man w ill behaupten, es sey nicht der ausgezeichnetste und allge, meinste Vorzug unserer Landsleute.

Dem sey w ie ihm

w olle: da das Publicum nicht in Person das Em pfan­ gene vergelten kann, so mögen es die theatralischen Dichter, Schauspieler und Bewunderer th u n , m it denen sich Peter Leberecht besonders in den Stand des Krieges gesetzt hat. Doch sey Scherz die W affe; denn m it Ernst ist solch ein Poltergeist nicht wegzubannen.

Anmer kung. 1827. W iew ohl man berechtigt ist, bei dem berühmten Namen meines Freundes Ludwig Tieck etwas bedeuten­ deres zu erw arten, als eine flüchtige Anzeige von ein paar Jugendschriften, so konnte ich es m ir doch nicht

versagen, Dunen -luffatz hier wieder einzurücken/ eben weil er so frühzeitig geschrieben ist, ehe ich mit dem Verfasser in persönlicher Bekanntschaft, in Briefwechsel ober irgend einem Verhältnisse stand, ja ehe ich nur seinen Namm wußte. Ich freue mich noch jetzt, ich bin gewissermaaßen stolz darauf, zuerst in Deutschland den seltenen dichterischen Genius begrüßt zu haben, der nach­ her mein den Zeitgenossen verpfändetes W ort, aus sei­ ner schöpferischen Fülle sey neues und außerordentliches zu erwarten, so glänzend gelöst hat. Bald suchte ich ihn auf, er wählte seinen Aufenthalt in meiner Nähe, und wie gemeinschaftliche Begeisterung für Poesie und K unst, meistens auch in den Gegenständen der Bewuurung übereinstimmend, uns zu einander geführt hatte, so beseelte sie auch unsern Umgang. Der heitre gesel­ lige Kreis gewann durch den Z utritt andrer schon be­ rühmter oder seitdem berühmt gewordener Freunde eine große Vielseitigkeit. Die immer erneuerte Betrachtung vollendeter Geisteswerke w ar unsre Lieblingsbeschäfti­ gung ; unsre größte Freude, die verkannten oder in Ver­ gessenheit gerathenen Urkunden des Genius zu entdecken; selbst der offen ausgesprochene Widerstreit der Meynun­ gen wirkte anregend auf den Geist. D as meiste, was w ir später ausgeführt oder nicht ausgeführt haben, wurde in diese« Zeiträume entworfen. Zch habe seit­ dem in den geistreichsten und gebildetsten Kreisen gelebt, viele der merkwürdigsten Zeitgenossen in Deutschland und im Auslande kennen gelernt: aber jener freien und fruchtbaren Gemeinschaft der Geister in dem hoffnungstrunfnen Lebensalter wendet sich meine Erinnerung noch

oft mit Sehnsucht zu, wie denn auch mein Freund die­ ses Gefühl in seiner Zueignung des Fantasus ausge­ drückt hat. Tiecks reifere Werke, den Sternbald, die Genoveva, den Octavia«, den Fantasus mit aller darin enthalte­ nen Mattnichfaltigkeit, die Novellen, den leider noch nicht vollendeten Krieg der Cevennen, kann man nicht nach ihrem wahren Werth und Gehalt würdigen, ohne in die innersten Geheimnisse der Poesie einzugehn; und man würde sich dabei nur ungern entschließen, die vernachläßigten Ansprüche der dramatischen und der metri­ schen Technik geltend zu machen, wo die Fülle und Leich­ tigkeit des ersten Wurfes zu sehr in die Breite geht, weil der reichbegabte Künstler sich niemals entschließen konnte, anders als a lla p rim a zu malen. Eine zaube­ rische Fantasie, die bald mit bett Farben des Regen­ bogens bekleidet tti ätherischen Regionen gaukelt, bald in das Zwielicht unheimlicher Ahndungen und in das schauerliche Dunkel der Geisterwelt untertaucht; ein ho­ her Schwung der Betrachtung neben den leisen Anklän­ gen sehnsuchtsvoller Schwermuth; Unerschöpflichkeit an sinnreichen Erfindungen; heitrer Witz, der meistens nur zwecklos umherzuschwärmen scheint, aber so oft er will, seinen Gegenstand siegreich trifft, iedoch immer ohne Bitterkeit und ernsthafte Kriegsrüstungen; Meisterschaft in allen Schattirungen der komischen Mimik, so fern sie schriftlich aufzufassen sind; feine nur allzuschlaue Beob­ achtung der Wirklichkeit und der gesellschaftlichen Derhältniffe: dieß sind die Borzüge, die, bald die einen bald die andern mehr, in Tiecks Dichtungen glänzen. Ich

vergaß noch die Grazie, eine ihm so angebohrne Eigenschaft, daß sie sich wie von selbst einstellt, und daß er ih r nicht entsagen könnte, wenn er auch w ollte. edler Freund seine bisherige

M öge n u r mein

genialische Sorglosigkeit

um daS künftige Schicksal seiner Hervorbrivgungen nicht zu w eit tre ib e n , und uns bald die versprochene S am m ­ lung seiner Werke schenke«!

i . Theil.

21

Rol l enhagens

Froschmeusel er.

^ i e Klage über Dernachläßlgung des Einheimischen und Sucht nach dem Fremden ist so hergebracht unter unserm Volke, daß schon der Urheber des alten Froschmeuselers in der Zueignung die Unvollkommenheit seiner Schreib­ art dadurch entschuldigt: Wenn bis in unser Deutschen Sprachen, Unser Frösch nicht so zierlich machen, 0 o bitt ich habt mit jhn Geduld, E - ist daran die Landarth schuld. Der Griech vnd auch der Römisch Mann, Schawt da- er künstlich reden kan Sein angeborne Muttersprach, Dnd helt da- für ein grosse Sach« Der Deutsch aber lessek vor allen, Wa- frembd ist, sich besser gefallen. Lernt frembde Sprachen, reden, schreiben, Sein Muttersprach mus veracht bleiben.

M it bloßen unveränderten Abdrücken alter Gedichte hat es bis jetzt nicht sonderlich glücken wollen: derglei­ chen Unternehmungen sind fast immer au s M angel an Liebhabern bald liegen geblieben. E s bleibt also fürs erste nur der Weg der Erneaerung und Verjüngung übrig, um sie einem größeren Kreise von Lesern genieß« dar und annehmlich zu machen. R e i n i k e F u c h s ist u ns vor einer Anzahl J a h r e , obgleich in einer treuen Nachbildung, doch so leicht and zierlich behandelt, wie­ dergegeben, daß sich schwerlich rin Fabelbuch auffinde» lä ß t, das für Kinder und Erwachsene ergötzlicher wäre. D e r Dichter des Forschmeuselers verhehlt es nicht, daß er jene- ältere Meisterstück sehr vor Augen gehabt, und damit zu wetteifern gesucht. »Wie der Reinike Fuchs,« sagt er in der Vorrede, »also ist dieß Buch auch ge­ schrieben und gem eynt« W as die Anlage des Ganzen betrifft, hat er sein Vorbild freilich bei weitem nicht er­ reicht. Im Reinike Fuchs geht die Handlung mit leich­ ten Schritten immer steigend fort, die liebliche Fülle der Erfindung ordnet und rundet sich in einfache Umriffe, «nd die Charakter der eingeführten Personen sind selbst in den geringsten Reden und Handlungen meisterhaft gehalten. Um dm lustigen Scherz, womit ein Griechi­ scher Dichter nur einige hundert Verse hindurch gespielt h atte, zu einem großen Buche zu erweitern, und alles hineinzubringen, was er hineinzubringen wünschte, mußte Rollenhagen seine Zuflucht zu der epischen Freiheit der Episoden in einer Ausdehnung nehmen, wodurch alles Verhältniß der Theile in seinem Werke aufgehoben wor­ den ist. Erst im dritten und letzten Buche geht der Krieg

der Frösche und Mäuse vor sich, und hier fängt auch der Dichter eigentlich erst an zu homerisiren. D as erste und zweite Buch ist ganz mit den unendlichen Gesprä­ chen des Königs der Frösche Baußback, Physignathns, und des Kronprinzen der Mäuse Bröseldieb, Psicharpax, ausgefüllt, die nicht so lange dauern könnten, wenn nicht dabei eine beständige Einschachtelung vo« Fabeln und Erzählungen in einander S ta tt fände, so daß man oft nicht mehr weiß, wer der Erzählende ist. Hält man sich indessen an das Einzelne, so findet man überall eine für den Geschmack unsers Zeitalters zwar etwas derbe, aber kräftige, oft kecke und in hohem Grade lebendige Darstellung; einen Schatz von gesundem Verstand, Witz und Erfahrung, von gutgemeynten, gediegenen Lehren und Sprüchen, um die es dem Verfasser hauptsächlich zu thu« war. Ton und dichterische Weise sind im Ganzen die des Hans Sachs, obgleich Rollenhage» ein Menschen­ alter nach ihm lebte, und sein Werk zu den Spätlingen der Meistersängerkunst gehört: denn es erschien gegen das Ende des sechszehnten Jahrhunderts, und schon im ersten Viertel des folgenden wurden durch Opitz und Andre ganz neue Formen und eine verschiedene Art des Ausdrucks in die Dichtkunst eingeführt.

Jakob

Bal de,

e i n M ö n c h u n d D i c h t e r deS s i e b z e h n t e n Jahrhunderts. 1797.

H e rd e r hat sowohl in der Vorrede zu seiner Terpsichore, als in dem schönen Ehrendenkmal, das er ihm noch beson­ ders gesetzt, Balde's Geist mit wenigen, aber treffenden Zügen bezeichnet, und zugleich die nachtheiligen oder vortheilhastcn Einflüsse der äußern Lage auf ihn in der Kürze sehr befriedigend erwogen. Diese letzten Rückflchten darf man nie aus den Augen verlieren, um über die Verdienste des Menschen einen billigen Ansspruch zu thu«. Ueber seine Poesie hingegen ließe sich gar wohl ein davon un­ abhängiges Urtheil fällen; ja sie müßten sogar geflissent­ lich bei Seite gestellt werden, wenn es ein reines Kunst, urtheil seyn sollte. Die Gesetze des Schönen gelten über­ all und zu allen Zeiten: nichts kann den, der sich als einen Eingeweihten in dessen Geheimnisse, als einen Dich­ ter ankündigt, von ihrer Befolgung lossprechen- Bei

Balde erhalten uns noch überdieß die Sprache, w o rin er gedichtet, und die dem Alterthum abgeborgte« Formen die höchsten Foderungen der Kunst gegenwärtig.

Wenn

w ir erst darüber zu einer Entscheidung gelangt sind, in wie w eit er ih n -n Genüge geleistet oder nicht, so kann ein Blick a u f den S ta n d ,

auf das Z e ita lte r, a u f die

ganze umgebende W e lt des Dichters dazu dienen, seine M ängel und Verirrungen zu erklären und zu entschul­ digen. Balde dichtete Lateinisch.

E iner fremde« Sprache

kann man sich a llerdings, auch fü r den dichterische« Ge­ brauch, in dem Grade bemächtigen, lu n d die Beispiele davon sind nicht selten) daß die Vorstellungen und Em­ pfindungen eben so innig m it ihren Zeichen verschwistert und damit eins geworden zu seyn scheine«, als hätten sie sich schon beim Erwachen des Bewußtseyns, an der Quelle des Lebens, zu einander gesellt, und gemein­ schaftlich zum S trom e ausgebreitet.

Beträchtlich anders

verhält es sich, wenn die vom Dichter erwählte fremde Sprache zugleich eine todte ist.

Z w ar haben Sprachen,

die sich bis zur Vollendung entfalteten, das Vorrecht in unsterblichen Denkmalen sich selbst zu überdauern.

Allein

das geistige Leben, das diese Wundergebilde bis in die zartesten Adern durchglüht, kann n ur gefühlt, allenfalls nachgemacht werden, nie sich w ahrhaft mittheilen.

Eine

Sprache, die nicht mehr im Munde eines ganzen Volks ist, kann sich nicht fo rtb ild e n : sie muß bleiben wie sie is t,

oder ausarten; und diese Unveränderlichkeit der,

wenn auch noch so schönen, Züge hat d a , wo w ir unentlehnten R eiz,

ursprüngliche

Bewegung

erwarten,

etwas erstorbenes. Eben dadurch/ daß jede lebende Sprache auf gewiss« Weise unbegränzt und unerschöpflich ist, werden wahre Schöpfungen des Genius a«S ihr und in ihr möglich; sobald sie, vollständig abgeschlossen, über­ sehen werden kaun, muß daS eigentliche Geheimniß des dichterischen ZauberS wegfallen. Balde selbst sah wohl ein, daß dem neuerm Lateinischen Dichter nur die Wahl bleibt, ob er in feinem AuSdrucke der treue Wiederhall eines Römischen Vorbildes, oder auf die Gefahr hin, unlateinisch zu reden, neu und eigenthümlich seyn willIhm war eS nicht darum zu thun, goldene Redensarten der Alten, fertig und glücklich spielend, von neuem zu­ sammen zu würfeln ( was er freilich wohl auch zuweilen als Uebung treiben mochte), fonbent die ganze Kraft eines von seinem Gegenstände erstellten Gemüths «ugeschwächt in Liedern zu ergießen. Er konnte sich daher auch nicht an jener reinen, zierlichen Beschränktheit andrer Neueren begnügen lassen, und nöthigte ohne Bedenken alles, was ihm seine gründliche Gelehrsamkeit, sein um­ fassendes Gedächtniß von Lateinsschen Ausdrücken darbot, wofern er es fär seinen jedesmaligen Zweck irgend taug­ lich fand, sich in Horazische Weisen und Wendungen zu fügen. Wenn Schönheit der Sprache aus einem Gewebe der feinsten Beziehungen beruht, wovon sehr viele nur den Mitlebenden fiihlbar sind: so wird unstreitig manches in Balde's Gedichten auch den geübtesten Sprachkundi­ gen unsrer Tage nicht im Genusse stören, was ein Metius Tarpa, sollte er wieder auferstehe», strenge verdammen würde. Allein da wir den neuerm Dichter gleichsam nicht unmittelbar, sondern durch Dazwischenkunst der alten

emtclfmeit: so haben w ir auch an diesen einen Maaßstab des U rtheils, «ad müssen nothwendig Haltung und H ar­ monie vermissen, wenn w ir Bruchstücke a«S dem Latein des P lautuS oder Eatnllus mit dem des S ta t iu s , M artialis u. s. w. versiochten finden. W ie dem auch sey, es w ar ein Glück für B ald e, daß ihm dieser Ausweg ins Alterthum offen stand. H ätte er nie anders als in seiner Muttersprache geschrieben; so wäre sein ächter Dichter­ geist wahrscheinlich nie erkannt « o rd e n , ja er hätte viel­ leicht in ihm selbst immer geschlummert. D aß seine D eut­ schen Verse so unfein und niedrig find, läßt flch wohl nicht ganz auS dem damaligen Zustande unsrer Sprache im Allgemeinen, aber mehr au s seiner besondern Lage, entschuldigen. M it kräftiger Hand hatte Luther schon früher die Umrisse der Deutsche« P rosa angegeben; Opitz, Flemming und andre protestantische D ichter, die eine ganz neue Bahn für die vaterländische Poefie eröffneten, lebten wie B alde, zur Zeit des dreißigjährigen Kriegs. Doch für den katholischen Geistlichen w ar dieß alles vermuthlich so gut als nicht vorhanden. Aus dem Elsaß gebürtig, hatte er gewiß eine fehlerhafte und rauhe M und­ a rt des Deutschen an stch, die er in B aiern eben nicht verfeinert habe« wird. Auch glaubte er sich nach der G em üthsart des Volkes im südlichen Deutschland, die überhaupt fröhlicher ist, und handgreifliche Schwänke federte, bequemen zu müssen. M an hat ja den Fall öfter gehabt, daß M änner, die von einer geschmacklosen W elt umgeben w aren, den S in n für würdigen Ernst und für Anmuth des Ausdrucks erst mit den alten S p r a ­ chen, wo diese Vorzüge einheimisch sind, einzuathmen

schienen, ttnb ihn nur in diesen Sprachen wieder aus­ hauchen konnten. Ein tiefes, regsames, oft schwärmerisch ungestümes Gefühl; eine Einbildungskraft, woraus starke und wun­ derbare Bilder sich zahllos hervordrängen; ein erfinderi­ scher, immer au entfernten Vergleichungen, an überra­ schenden Einkleidungen geschäftiger Witz; ein scharfer Verstand, der d a, wo er nicht durch Parteilichkeit oder früh angewöhnteDorurtheile geblendet w ird, die mensch­ lichen Verhältnisse durchschauend ergreift; große sittliche Schnellkraft und Selbständigkeit; kühne Sicherheit deGeistes, welche sich immer eigne Wege w ählt, ttnb auch bte ungebahntesten nicht scheut: alle biese Eigenschaften erscheinen in Balde's Werken allzu hervorstecheub, als baß man ihn nicht für einen gebohrnett, unb zwar einen ungewöhnlich reich begabten, Dichter erkennen müßte. Auf ber andern Seite erheben sich nur wenige seiner Lieder zu einer sirckenlosen Vollendung; manche werden durch die seltsamsten Ausschweifungen entstellt. O ft wird sein Ausdruck durch das Bestrebe« nach Kraft und Neu­ heit h art, gesucht und verworren; die Darstellung ist nicht selten überspannt, und mit völliger Aufopferung der Natur und Wahrheit inS ungeheure getrieben; sein Reichthum ermüdet, wenn er zuweilen gar kein Ziel zu finden und nichts zu verschweigen weiß. Von Schonung und dichterischer Enthaltsamkeit scheint er gar keinen Begriff gehabt zu haben: er verweilt manchmal, wie mit Wohlgefallen, bei ekelhaften oder empörenden Schilde­ rungen. Dennoch kann man ihm Gefühl für das Schöne nicht ganz absprechen, das er in einzelnen Stellen bis

auf einen sehr hohe« Grad erreicht. Eher gebrach es ihm wohl an eigentlichem Kunstsinn: wenigstens lassen viele seiner Lieder im Ganzen ihres Baues Rundung, harmonisches Sbenmaaß und zart gehaltene Einheit deS TouS vermissen. Eine witzelnde Spielerei unterbricht dann und wavo den Erguß der Empfindungen, ohne daß man. doch zweifeln kann, es sei ihm der heiligste Ernst damit gewesen. Die Gränze des Schicklichen über­ springt er oft bis i«S Abgeschmackte hinein. Messeicht waren hier alle persönlichen Anlagen zu einem großen Dichter vorhanden: nur eine dichterische Welt und eine dichterische Muttersprache fehlte. Die Summe der für seine Bildung ungünstigen Umstände, ob sie sich gleich in die wenigen Worten zusammenfassen läßt: »Er war ei« Deutscher Jesuit und lebte zur Zeit des dreißigjährigen Krieges in Baiern;« war so groß, das man über das, was dennoch aus ihm geworden, billig erstaunt« muß. Und wer würde untheilnehmend vorübergehen, wenn er auf dem Grabmale des edel» M annes, den so viele Fesseln und Entbehrungen nieder­ drückten, die traurige Geschichte seines Lebens, von ihm selbst geschildert läse? Tristibns imperiis spatio rctinemur in arcto, Et cartam male perdimus acvam.

Salomon Landschaftmaler

und

G e ß n e r, J d y l l e n d i c h t e r.

1796.

W enn sieht,

man Geßners Id y lle n gelesen h a t, und nun wie er

in

der Vorrede dazu den Theokrit fü r

sei« großes V orbild e rk lä rt, so fä llt mau wie aus den W olke«.

E s ist zwar bekannt, daß es ihm an hinläng­

licher Sprachkenntniß fehlte, um den Griechischen Dichter gründlich zu studiren: aber auch so, wenn er ihn nur m it einigem S in n e la s , wie konnte ihm eine so gänzliche Verschiedeyartigkeit entgehn? Fühlte er nicht den unendli­ chen Abstand zwischen schöner Darstellung individueller N a ­ tu r m it den localsten Farben, und einer ganz selbstgeschaf­ fenen Id y lle n w e lt; zwischen naiver E in fa lt, die aber we­ der v o r Rohheit noch vo r Verderbtheit gesichert ist, und dadurch desto reizender w ir d , und empfindsamer und sittlicher Id e a lit ä t ,

wovon dort keine S p u r erscheint?

E r kannte also den Theokrit so gut wie gar nicht,

und

leider zeigen seine Werke auch keine S p u r von Bekannt-

schaft mit den Meisterstücken der romantischen Schäfer­ poesie, bei den Jtaliänern dem Aminta «nd Pastor fido, und bei den Spaniern vorzüglich der Galatea, aus denen er so viel hätt« lerne« können. S ei« Biograph Hottinger ist mit der Aufnahme, die Geßner von jeher in Deutschland gefunden , gar nicht zufrieden, und führt als eine siegende Autorität dagegen den außerordentlichen Beifall a u , der ihm in Frankreich zu Theil geworden. Vorzüglich unglücklich ist seine Ver­ muthung, wodurch erwiese Verschiedenheit, besonders in Hinsicht auf den Tod Abels, erklären will. »Das Fran»zösische Publicum wartet nicht zu, bis seine Journali»sten den Ton angebe«. Es urtheilt selber: »nd urtheilt, »wofern nicht Leidenschaft und Cabale es mißleiten, richtig »und fein. Aber bei einem Publicum von ungebildetem »Geschmacke, und ein solches ist das Deutsche noch immer, »wird ein mittelmäßiges Werk so schnell gehoben, als »ein vortreffliches niedergehalten und gestürzt.« Gerade umgekehrt: in Deutschland herrscht die größte Anarchie im Reiche des Geschmacks, und selbst die gründlichste Kritik vermag «icht das Schlechte zu unterdrücken, und Meisterwerke, wenn keine Empfänglichkeit dafür vorhan­ den ist, zn empfehlen. W ie kann man sich nur überre­ den , daß eine vor dreißig oder vierzig Jahren geschrie­ bene Recension, deren kaum ein paar Litteratoren sich erinnern, jetzt noch der Schätzung eines Gedichtes, das wirklich vortrefflich wäre, Abbruch thun sollte? Dage­ gen ist es bekannt, welch einen Despotismus des Ge­ schmacks im ehemaligen Frankreich Paris über die Provinzen, und wiederum wenige de» Ton angebende

Köpfe über P aris ausübten. Ueberhaupt befürchten wir, daß auf diese Französische Bewunderung ein viel zu großes Gewicht gelegt wird. E s könnte leicht seyn, daß nicht sowohl d as, was Geßner besitzt, als was ihm fehlt, sein Glück bei unsern Nachbarn gemacht hätte. Wann hat man es wohl erlebt, daß sie einem ausländische« Dichter von originaler Energie und kühner Genialität hätten Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie ihn nur begriffen hätten? Alle Französischen Produkte in der höher« lyrischen, der epischen und der tragischen Poesie, die Französische Sprache selbst, beweisen, daß ein sehr witzi­ ges und sinnreiches Volk ohne wahrhaft poetischen Geist seyn kann. Eine einseitige Empfänglichkeit wirft sich ge­ wöhnlich mit desto größerer Gewalt auf ihre Gegenstän­ de, und hält kein M aaß in der Bewunderung dessen, w as in ihrer Sphäre liegt. E s war ein günstiger Um­ stand f i t Geßners Ruhm, daß er eine« gute» Ucbersetzer fand; allein er hatte anch Ln der That durch Uebertragung ins Französische weniger zu verlieren, als die vorzüglichsten Deutschen Dichter. Sein Ausdruck hat keine nationale Eigenthümlichkeit. Poetische Prosa, die nur in einer zu den schönen Verhältnissen der Rhyth« mit untaugliche« Sprache, wie die Französische ist, Feld gewinnen kann, war die ursprüngliche Form seiner Dichtungen. D aß Rousseau so ungemeines Wohlgefal­ len an den Idyllen finden würde, hätte sich voraussehen lassen; eine seltsamere Erscheinung ist e s , daß der Held der Encyklopädie und der Verfasser der Bijonx indiscrets, Diderot, so enthusiastisch dafür eingenommen war. Doch läßt es sich ans seinem Ekel au der couventionel-

k ü Künstlichkeit der Französischen M o b e litte ra tn r, und auch daraus e rk lä rm , daß er künstlerische Zwecke nicht fü r etwas unbedingt Höchstes h ie lt, sondern sie den sitt­ lichen unterordnete.

F ü r diese sah er denn in Geßners

einfacher Unschuld-welt einen S p ie g e l, worin die verfei­ nerte Derderbniß ihre Häßlichkeit erkennen könnte. W enn aber D id e ro t unsern Geßner einen Griechen genannt hat, so giebt das keine« sonderlichen B egriff von seiner Kennt­ niß

der A lten .

D enn w as ist den Griechen fremder,

als diese re in e , aber zugleich auch sinnlich unkräftige, S entim en talität? D ie

Schwächen

der Geßnerischen Poesie gesteht

H ottinger zum T h e il e in , nimm t aber beinahe wieder zurück, waS er gesagt. dieß ist nicht alles.

E s fehlt an Charakteristik.

Aber

D e r Verlust an individueller M a n ­

nigfaltigkeit w ird nicht hinlänglich durch den Gehalt der Id e a le , oder vielmehr des einzigen Schäferiveals ersetzt. Jene Harmonie des innern Daseyns, welche- der W a h r­ heit nach n u r die letzte, schwer errungene, Vollendung der Menschheit seyn kann, verliert erstaunlich an W ürde und Interesse, wenn sie als ein ursprünglicher Zustand, als ein allgemeines Erbtheil der Beschränktheit darge­ stellt w ird .

Dieser V o rw u rf trifft alle sentimentale Schä­

ferpoesie, wenn sie nicht zugleich romantisch ist, aber die Geßnerische in ausgezeichnet hohem G ra d e , eben w eil seine W e lt unschuldiger, kindlicher und goldner ist, als die der meisten vorhergehenden Dichter in diesem Fache. Gleichwohl hätte auch in einer solchen W e lt ein weit hö­ herer G ra d von Lebendigkeit hervorgebracht werden kön­ nen, alö in Geßners Id y lle n . G anz unverdorbene Neigun-

gen können sich dennoch durchkreuzen; aber mit dem völlig aufgehobenen Antagouism schlummert auch die Theilnah­ me saust ei«. Wo ein Geßnertscher Hirt aufLugt zu lie­ ben, da ist gewöhlich schon die Gegenliebe i« voraus bestellt. SB«!« einmal physische Schwierigkeiten vorkom­ men, z. B. im Ersten Schiffer, so ist der Dichter so besorgt, sie zu mildern und auf alle Art zu Hülst za eilen, daß doch kein rechter Knoten der Handlung dar­ aus eutsteht. An die hohe Kunst, womit Guarini mitten unter arkadischen Darstrllungm den mächtigen Hebel deS SchirksalS in Bewegung sttzt, wollen wir gar nicht ein­ mal erinnern. Wenn man sieht, daß eS in GeßuerS größeren Ge­ dichten theils an Handlung überhaupt, theils an Einheit und einem auf innerer Nothwendigkeit beruhmden Zusam­ menhang« der Handlung fehlt; daß in feinen Idyllen oft gar kein wahrer Fortschritt ist; daß sich selbst die Em­ pfindung nicht selten ohne eigentlich melodischen Gang nur hin und her wiegt; daß mehrere Stücke, die er als Idyllen giebt, bet bloßen Naturschilderungen stehen blei­ be« ; wenn «an dazu nimmt, daß er auch für die äußere, aber wesentliche, Form der poetischen Successionen, für die DerSkunst, kein Geschick und keinen Sinn gehabt: so bietet sich natürlich der Gedanke dar, er habe sein eigneTalent mißverstanden, indem er den Stoff zu simultanm Darstellungen, der in seiner Fantasie lag, auf suc­ cessive verwandte. Auch als Landschaftmaler blieb er auf gewisse Art Jdyllendichter, und er hätte es vielleicht »ie in einem andern Sinne werden sollen, als ein Pousfln oder Berghem es waren. Als Gruppen auf einer Land«

schast betrachtet, sind seine H irtenfiguren allerliebst: um der ganze In h a lt eines pragmatischen Kunstwerkes zu seyn, haben sie nicht genug bedeutende, selbständige Le­ bendigkeit.

D ie Ansicht der Quartausgab« m it K upfer­

stichen, wo man Geßner den Zeichner m it Geßner dem D ichter vergleichen ka nn , bestätigt vielleicht dieß U rtheil. D ie leblose N a tu r h ält in seinen Jdyllenlandschaften der lebenden nngefähr das Gleichgewicht, und diese scheint jene nicht entbehren zu können, um anziehend zu seyn. E s w a r also keinesweges eine unbillige Verkennung, wenn Geßner in den Litteraturbriefen rin strenges U r­ theil e rfu h r, wenn schon Bodmer nach der Erscheinung seines D ap hn is m it Anspielung auf die süßliche Flach­ heit deS Gedichtes dem Verfasser selbst den schäftrlichen Namen seines Helden beilegte. W ie viel er in Deutsch, land wirklich noch gelesen, oder nach einem von K in d ­ heit au eingesogenett Glauben aus der Fern« verehrt w ird , ist nicht leicht auszumachen.

-DaS leidet aber kei­

nen Zw eifel, daß sich Geßners Ruhm im Auslande-län­ ger erhalten w ird , als unter uns.

Sobald theils die

ächte mimische Id y lle der A lte n , theils die romantische Schäferpoesie der Neueren a u f dem Boden unserer S p ra ­ che recht einheimisch geworden seyn w ir d , kann nicht mehr von ihm die Rede seyn.

Jene hat man schon an­

gefangen aufzustellen, wiewohl unter einem ungünstigen Local; und wenn w ir

diese nicht durch Deutsche O r i­

ginalwerke bereichern, so ist doch der Zeitpunkt nicht mehr e n tfe rn t, wo man von den ausländischen m it E r ­ folg dichterische Nachbildungen w ird geben können.

Zu

örtlichen Schilderungen des Hirtenlebens bieten die so

eignen, alterthüm lichen, einfachen und kecken S itte n der A lp h irte n , welche Geßner ganz in der Nähe hatte, den reizendsten S to ff d a r , dessen Bearbeitung ihm vielleicht gelungen w ä re , da er im Umgänge ein ausgezeichnetes mimisches T alent gezeigt haben soll * ) ,

wenn ihn nicht

eine falsche Ansicht seiner D ich ta rt irre geleitet hätte. * ) V o n dieser komischen M im ik und der Gäbe des geniali­ schen Scherzes findet sich in Geßners Id y lle n und Land­ schaften nicht die mindeste S p u r ; gleichwohl lä ß t sich »ach den von seinem Biographen beigebrachten Anekdoten, nicht bezweifeln, daß er beides wirklich besessen. Ic h habe n u r eine ganz unscheinbare, vielleicht bisher von niemanden bemerkte, aber wie mich dünkt, entscheidende Probe davon entdeckt. Dieß sind einige m it den Anfangsbuchstaben von Geßners Namen unterzeichnete T itelvignetten zu der Ausgabe der Uebersetzung Shakspeare's von Eschenb ü rg , welche in Zürich in den Jahren >770 u. s. erschienen ist. M a n sehe die V ignetten zu den beiden Theilen von H ein­ rich dem vierten und zu den lustigen W eibern von W indsor. Es ist nicht möglich, auf zwei Z oll großen, flüchtig skizzirten und schmutzig radirten B lä tt e r n , mehr drollige Charak­ teristik anzubringen. Jedes Figürchen le b t, und verkün­ digt feine ganze A r t zu sey». Besonders ist die Muste­ run g, welche Falstaff m it seinen lumpigen Soldaten an­ s te llt, unvergleichlich. Geßner hat hiedurch bewiesen, daß er ein Meister in Carieaturzeichnungen hätte werde» können, wenn er gewollt hä tte; und es wäre zu wünsche», daß den großen und kostbaren Kupferstichen, die in Eng­ land zur Verzierung

der Werke Shakspeare'S erschienest

sind, nur ein Funke dieses Geistes inwohnte.

A nm . z»m neuen Abdruck.

I . Theil.

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C h a m f o r t. 1796.

^Sit der Erw artung, die man häufig und mit Zuversicht geäußert h a t, als müßten die großen politischen Bege­ benheiten in Frankreich eine schnelle und durchgängige Umschaffung der Französischen schönen Litteratur hervor­ bringen, liegt unstreitig viel überspanntes. Zwar ist der seit jenen verflossene Zeitraum biö jetzt noch viel zu kurz und zu unruhig gewesen, um diese Erwartung durch die Erfahrung zuwiderlegen: aber die Frage ist nicht von der Art, daß nur die Erfahrung zu ihrer Entscheidung berech­ tigen könnte. S o sehr auch der Geschmack, als ein Theil de- Nationalcharakters, oder aufs genaueste damit zu­ sammenhängend, den Einflüssen der politischen Verfassung unterworfen seyn muß: so ist doch diese nicht die einzige moralische Ursache, welche den Charakter einer Nation bestimmt, und die physischen Ursachen bestehen unwan­ delbar unter allen Verfassungen. Hiezu kommt, daß jede

bis au f einen gewissen G rad gebildete Sprache ih r Volk Mehr beherrscht, als von ihm beherrscht w ir d , und daß vermittelst einer solchen Sprache, die sich in einer schon festgesetzten Form fo rterb t, entfernte Menschengeschlech­ ter ihren Nachkommen eine Erziehung geben, welche oft von diesen gar nicht wahrgenommen, oft geradezu ge« läugnet w ir d ,

und desto unfehlbarer wirkt.

Da

die

Französische Sprache durch die höchste Verfeinerung a u f eine zierliche Einförmigkeit beschränkt, und bis zur Schwä« chung abgeglättet und zugespitzt ist: so läß t sich bei ih r eben so wenig als bei einer völlig entwickelten O rg a n i­ sation, an eine wesentliche Umgestaltung denken, die keine A usartung wäre.

S o lange aber die Sprache, von der

einen S eite das M edium der geistigen Empfänglichkeit, von der andern das Werkzeug des Dichtrrgeistes und W itzes, feinere Ausbildungen abgerechnet, dieselbe bleibt: wie sollten im Reiche des Geschmacks höhere Fodernngen als bisher gemacht, und wie befriedigt werden können? W ie vieles w ird noch geschehen müssen, wenn die F ra n ­ zösische N a tio n den so tie f eingewurzelten, «nd a u f ge­ wisse A rt gegründeten Glauben aufgeben so ll, daß sie in jeder G attung unübertreffliche M uster der Nachah­ mung besitze? E s giebt indessen Arten der B ild u n g , die n u r in besondern Verhältnissen des geselligen Lebens gedeihen, und in Ansehung dieser kann man ohne Bedenken sage», daß in Frankreich eine neue Epoche der L itteratu r gefangen hat. w ir d ,

an­

D a das nächste Zeitalter geneigter seyn

die Eigenthümlichkeiten der geendigten

Epoche

fremd und klein zu finden, als sie ausschweifend zu be»

wundern, so ist es verdienstlich, alle noch vorhandenen S ch riften, worin sie sich ausspricht, zu sammeln und auf die Nachwelt zu bringen. S ie können nicht nur wichtige Beiträge zur Sittengeschichte liefern, sondern auch durch Vorzüge glänzen, die aus jener erklärt werden müssen, und die man, wo sie sich finden, genießen, aber nicht zurück wünschen d arf, wo sie ausgestorben sind. Dahin gehört eine gefällige, witzige Frivolität, die nur aus dem Mittelpunkte geschmackvoller Ueppigkeit hervor­ gehen samt. S ie war Chamforts Geiste nichts weniger als ftemd; doch hätten wir aller Wahrscheinlichkeit nach in dem, w as von ihm verloren gegangen ist, vorzüglich in seinen Erzählungen und in seinen Episteln der Ninon, «och mehr Anlaß gefunden, ihn mit Köpfen wie Hamil­ ton «ud Boufflrrs zu vergleichen, als in dem Theile dieser Sam m lung, worin er seine Kenntniß der Welt imb der Menschen niedergelegt hat, und zwar zuweilen als witziger und satirischer, aber meistens als ernster Beobachter erscheint. Seine dichterischen Erzeugnisse zeichnen ihn am wenigsten aus. S ie tragen das allge­ meine Nationalgepräge, und die Fesseln der conventio«ellen Französischen Kunstregeln haben seinem originalen Geiste wenig freie Bewegung gestattet. Als Kunstrichter ist Chamfort Akademist und gläubiger Verehrer des classischen Zeitalters unter Ludwig dem vierzehnten. 2n sehtet Philosophie, die er immer nur aphoristisch vorträgt, erkennt man den Zeitgenossen von Voltaire, Helvetius und den Encyklopädisten. Aber seine Ansichten der Ge­ sellschaft und des Lebens überhaupt sind das reine Resul­ ta t seiner Persönlichkeit und seiner Erfahrung. S ie

wurden erst nach seinem Tode in der Sam m lung seiner Werke der W e lt mitgetheilt, und möchten leicht den an­ ziehendsten T h e il seines ganzen schriftlichen Nachlasses ausmachen. E in Z u g , der Chamfort von vielen witzigen Köpfen seiner Z eit unterscheidet, und den der Herausgeber in das Volleste Licht zu stellen bemüht ist , «m ihn dem jetzigen Französischen Publicum zu empfehlen, ist die «»eigennützige W ä rm e , w om it seine Denkart der neuen Ordnung der Dinge entgegen kam. ne» B ildung

D e r ganze T o n sei­

hätte ihn eher davon entfernen müssen,

wenn diese Bildung nicht von einem sehr entschiedenen Charakter begleitet gewesen wäre, in welchem jede Ueber­ zeugung sich zur Neigung erhob.

Triebfeder

des Betragens und zur

E r lebte in der großen W e lt; die A rt

von Glück, welche er gemacht hatte, verdankte er ganz einem litterarischen L u ru s , der n u r in einer Berfassung der Gesellschaft S t a t t finden kann, wo die angesehenste Klasse das Vorrecht h at,

sich nicht

um das Nützliche

bekümmern zu dürfen, und daher einen hohen und aus­ schließende« W e rth

au f bloß glänzende Vorzüge legt.

E r w a r in einem A lter, w o man keine neuen Gewohn­ heiten mehr annim m t, wo die Wünsche und Bestrebun­ gen der meisten Menschen sich a u f ruhigen Besitz des Erworbenen

beschränken, und wo ihnen alles

unw ill­

kommen ist, w as diesen Besitz auch nur entfernter Weise, zu stören droht.

Dennoch hielt ihn weder Einseitigkeit,

noch Eigennutz, noch Eitelkeit a b , seinen Ueberzeugun­ gen eifrig und öffentlich zu huldigen.

Mehrere vorher

berühmte Schriftsteller haben sich bloß aus Ehrgeiz au

hie S ette der R evolution gew orfen, um sich eine noch glänzendere Existenz zu verschaffen, da sie einsahen, daß ihre bisherige ein Ende nehmen müsse; Chamfort hin« gegen scheint dabei gar nichts für sich gesucht zu haben. Gr fühlte bei seiner schwachen Gesundheit keinen B eruf, sich tu die S tru d el der politischen Thätigkeit zu stür­ zen; aber er blieb unter jedem Wechsel der Begeben­ heiten seinen Grundsätzen treu, und a lle s, w a s er für die R evolution sprach oder schrieb, floß auS eignen wah­ ren Gesinnungen. D en stärksten B ew eis hievon gab er dadurch, daß er zuletzt selbst ein Opfer seiner Freimü­ thigkeit wurde. Ueber de« damaligen Zustand der Französischen Litteratur giebt der B ericht, welchen der gelehrte und einsichtsvolle H erausgeber, G in g u en e, von Chamsiorts schriftstellerischer Laufbahn erstattet, manche Auf­ schlüsse. S on st aber haben die S ch riften , wodurch Chamfort hauptsächlich seinen litterarischen R u f erwarb, för « n s gerade am wenigsten Bedeutung. S ie beste­ hen großentheils in theatralischen Arbeiten und akade­ mischen P reisschriften, welche ihm im Jahre 1781 eine S telle in der Französischen Akademie verschaff­ te«. D er darauf folgende Zeitraum bis in die ersten Jahre der R evolution war die glücklichste und glän­ zendste Periode seines Lebens. D er G raf von Vaudreuil, ein liebenswürdiger H ofm ann, der dam als in hoher Gunst stand, w ar Chamforts genauer Freund, und bewog ih n , eine W ohnung in seinem Hause anzuneh­ men, wo er, frei von aller Abhängigkeit, bald dasSchausptel der großen W elt genoß, bald sich in eine» aüsge«

wählteren Zirkel von Freunden zurückzog, bald ruhig seinen Lieblingsbeschäftigungen nachhing. S o wie die politische Gährung zunahm, mußten ihn freilich seine Meynungen und selbst seine Warnungen immer mehr von einem Adel entfernen, der den nahen Fall nicht voraussah; er trennte sich daher nicht lange vor dem Ausbruche der Revolution von Vaudreuil. I n den er­ ste« Jahren jenes Zeitraums bildete sich auch seine ge­ naue Freundschaft mit Mirabeau, die bis zum Tode des letzten fortdauerte. Vielleicht führt den Biographen der Wunsch, seinem Freunde politische Wichtigkeit beizule­ gen, zu weit, wenn er behauptet, Chamforts R ath und Leitung habe auf M irabeau's öffentliche Laufbahn den entschiedensten Einfluß gehabt. Zwar scheinen die seit­ dem herausgegebenen Briefe M irabeau's an Chamfort die Behauptung des Biographen zu bestätigen. M ira­ beau eröffnet sich seinem Freunde nicht nur mit großer Innigkeit und unbegränztem Zutrauen; in den stärksten Ausdrücken erkennt er dessen Ueberlegenheit und das Wohlthätige seiner Leitung an. Allein M irabeau's küh­ ner Geist hatte immer Mühe, von dem leidenschaftliche« Ungestüm, wodurch er eben so unwiderstehlich wirkte, nicht zu Verirrungen hingerissen zu werden. E r mußte daher einen großen Werth auf die Reife, auf die Gabe der kühleren Beobachtung legen, die Chamfort bloß durch Jahre und Erfahrung vor ihm voraus hatte. Auch gehörte er, wie man vorzüglich aus seinen Briefen sieht, zu den auf eine edle Art verschwenderischen Ge­ müthern , die Andern auS der Fülle ihrer Vorzüge erst leihen, was sie von ihnen zu empfangen scheinen. Mira«

beau's ausgebreitete Aufmerksamkeit sogar auf sehr un­ tergeordnete Menschen, um sie zu seine« Zwecken zu be­ nutzen, kaun wohl nicht hieher gezogen werden. Cham« fort war zu tiefer Menschenkenner und fühlte sich zu sehr, um ei« solches Verhältniß nicht zu merken und es sich gefallen zu lassen. Nur freie, auf Uebereinstimmung und Gleichheit gegründete Anhänglichkeit konnte ihn be­ wege«, so uneigennützig für M irabean zu arbeiten. E r hatte beträchtlichen Autheil an dessen früheren Werken, und vorzüglich an der Schrift über den CineinnatusQrden. Noch in späterer Zeit dauerte diese gemein­ schaftliche Wirksamkeit fort. Chamfort hatte eine Rede über die Abschaffung der Akademien ausgearbeitet, welch« Mirabeau halten sollte, als ein plötzlicher Tod ihn hin­ wegraffte. Auch andern Rednern der constituirende« Versammlung stand Chamfort mit seinem Geiste und seiner Feder bei. Die ihn betreffenden Folgen der Revolution, welche ihn bald aus gewohntem Ueberfluffe in die eingeschränk­ teste Lage versetzten, machten ihn in seinem Eifer für sie nicht irre. M an hat ihm im Journal de Paris nach­ gerühmt, er habe alle Misbräuche der alten Regierung sogar an sich selbst leidenschaftlich verfolgt. »Er eifert« »gegen die Pensionen, bis er keine mehr hatte; gegen die »Akademien, wovon die Einkünfte seine einzige Hülfs»quelle geworden waren, bis es keine mehr gab; gegen «alles Weihrauchstreuen und Liebedienern, bis niemand «mehr sich um sein Wohlgefallen bewerben mochte; gegen »den übermäßigen Reichthum, bis er keinen Freund »mehr hatte, der reich genug gewesen w äre, um ihm

«seine Kutsche zu leihen, und ihn zum Essen einzula«laden; er eiferte endlich gegen die F rivolität, gegen »die Schöngeisterei, gegen die Litteratur sogar, bis alle »seine Bekannten, bloß mit den öffentlichen Angelegen»heiten beschäftigt, sich nicht mehr um seine Schriften, »seine Schauspiele, seine Unterhaltung bekümmerten.« I n den unglücklichen Zeiten, wo die anarchische Partei die Oberhand gewann, und mehr und mehr ihre Schrekkensregierung gründete, kehrte sich die kühne Offenher­ zigkeit seiner Reden, die vorher oft von Mund zu Mund gegangen und Sprüchwörter geworden w aren, gegen sie, und seine beißenden Einfälle wurden ihm als S ta a ts­ verbrechen angerechnet. Den Wahlfpruch: Brüderschaft oder der T o d ! erklärte e r: Sey mein Bruder, oder ich schlage dich todt! Auch nannte er es die Brüderschaft Kains und Abels, und da man ihm vorw arf, er wie­ derhole dieß W ort zu häufig, erwiederte er: »Sie haben »Recht, ich hätte zuweilen zur Abwechselung sagen sollen: «die Brüderschaft des Eteokles und Polynices.« Die Tyrannei unter Robcspierre hat sich zwar nicht lange genug einwurzeln können, um, trotz allen Spionen, das freie Reden in P aris selbst an öffentlichen Oertern zu verhindern; aber Chamfort war ein zu ausgezeichneter Kopf, um unbemerkt zu bleiben. Die Stelle eines B i­ bliothekars an der National-Bibliothek, die er noch von Roland hatte, mußte zum Vorwände seiner Verhaftung dienen. M an brachte ihn zugleich mit Barthclemy in das Gefängniß der Madelonetten, ließ ihn zwar nach einigen Tagen wieder lo s, gab ihm aber einen Gen­ darmen zur Bewachung. Seine Kränklichkeit und das

Bedürfniß beständiger Pflege machten ihm ein irnge» fnndes Gefängniß unerträglich, und als ihm der Gen­ darme eine zweite Verhaftung ankündigte, beschloß er ihr durch einen freiwilligen Tod zuvorzukommen- Er entfernt sich unter dem Vorwände Vorbereitungen zu machen, verschließt sich in sein Kabinet, will sich vor die Stirne schießen, aber verletzt nur die Nase und das eine Auge: hierauf venvundet er sich an der Kehle, an der Stelle des Herzens, versucht sich die Adern zu öffueu, hat aber nicht Kräfte genug zu einem tödlichen Streiche. M an läuft hinzu, sucht das Blut zu stillen, und bringt ihn auf sein Bett, wo fein erstes ist, daß er eilte Erklärung über seinen Entschluß zu sterben dictirt und unterzeichnet. Sein Freund Ginguenö, der her­ beieilt, findet ihn zwar in einem fürchterlichen Zustande, aber in vollkommener Gemüthsruhe, und schon wieder gestimmt zu scherzen. »Was ist zu thun?» sagt Chamfort zu ihm: »Da sehen S ie, was es heißt eine ungeschickte Hand »haben. Nichts gelingt einem, nicht einmal sich selbst »umzubringen. « Hierauf erzählt er ihm: »Comment ü »s’etait perfore l ’oeil et le bas du front an lieu de »s’cnfoncer le crane; puis charcuite le col au lieu, »de se le conper; et balafre la poitrine sans parvenir

»& se percer le coeur. « — »Endlich,« fügt er hinzu, »habe ich mich an Seneca erinnert; dem Seneca zu Eh»ren habe ich mir die Adern öffnen wollen. Aber er »war reich, er hatte alles nach Wunsch, ein warmes »Bad, kurz jede Bequemlichkeit. Ich bin ein armer »Teufel, habe nichts pon dem allem: ich habe mir ent« »setzliche Schmerzen verursacht, und da bin ich doch

«noch. Aber die Kugel sitzt im Kopfe, das ist die Haupt« «fache. Ein wenig früher oder später macht nichts aus.« — B ald darauf starb Chamfort an den Folgen seiner W unden, und fand im Tode eine Zuflucht vor ferne» ren Verfolgungen, die ihn sonst ohne Zweifel getroffen hätten. Chamfort gehörte vielleicht zu den Köpfen, die nicht so sehr durch ihre T alente, als durch ihre ganze Per« sönlichkeit original sind, und die man daher mehr an dem, w as sie sagen, als an dem, w as sie schreiben, erkennt. Zu einer ausdauernden Anstrengung scheint er eben nicht gemacht gewesen zu seyn. Bei seinen früheren W erken, wodurch er seinen Ruhm g rü n d ete, spornte ihn fast immer ein äußerer A ntrieb; und w as er nachher gelei« stet, wenigstens w as noch vorhanden ist, scheint großen« theils die Frucht augenblicklicher Eingebungen gewesen zu seyn. Hiezu kommt, daß er sich früher als die meisten Menschen von Täuschungen losmachte, und die Eitelkeit vieler Dinge einsah. D aher seine Gleichgültigkeit gegen Schriftstellerruhm. «Ist es nicht lächerlich,« schreibt er einmal vom Lande, wo er sich hinbegeben hatte, um an den tipitres de Ninon zu arbeiten, wegen deren man ihn drängte, »daß man vernünftig zu leben unternimmt, »um Thorheiten zu schreiben ?« D er künstlerische Genius fühlt ein Bedürfniß der Kunst, und wenn Chamfort nicht bloß als witziger Kopf den dramatischen Dichter machte, so ließ er es schwerlich bei so einzelnen, obgleich gelung« nen Versuchen bewenden. D aß er seine Lebensphilosophie nicht zum schriftstellerischen Geschäft machte, gereicht ihm eher zum Lobe; die liebste und gefühltcste W ahrheit theilt

inan mir mit solchen Menschen gern, von denen man sicher ist ganz verstanden zn werden, «nd scheut sich am meisten, ein Gewerbe damit zu treiben. Unter de« akademischen Schriften Chamforts verdie­ nen seine Lobreden auf Lafontaine und Mokiere ausge­ zeichnet z« werde«. Diese bei den Franzosen so beliebte und so häufig bearbeitete G attung, (auch das jetzige National-Jnstitnt scheint die S itte der Lobfchriften oder Lobreden aufrecht erhalten zu wollen) die unter uns fast gänzlich vernachlässigt worden ist, läßt sich von mehr als Einer Seite betrachten. Selbst ein allzu freigebiges Lob, einem Verstorbenen ertheilt, wird nicht leicht un­ reiner Triebfedern verdächtig, «nd es ist erweckend für Andre, wenn das Andenken des Verdienstes feierlich ge­ ehrt wird. Mag es seyn, daß eine Nation in dieser Gallerie verschönerter Bildnisse von M ännern, welche ihr angehörten, vor allen Dingen sich selbst sucht: so ist doch schon viel dadurch gewonnen, daß ihr« Eigen­ liebe sich an wahrhaft große Namen knüpft, und nicht bei einem verworrenen Dorurtheile von Würde und Ueberlegenheit stehen bleibt, das auch der roheste Barbar haben kann. D er stille Lebenslauf eines Denkers oder Künst­ lers bietet dem Biographen selten eine Reihe auffallender Begebenheiten dar; das ächteste Leben solcher M änner, hat man mit Recht gesagt, ist in ihren Werken aufbe­ wahrt ; aber eine ergründende, ins Einzelne gehende Prüfung und Würdigung findet gewöhnlich nur solche Leser, die das Fach, wozu die Werke gehören, vorzugs­ weise beschäftigt. D as E loge, ein Gemisch aus freier Beurtheilung und biographischen Uebersichten, kaun auch

Andre, die mit einer Kunst oder Wissenschaft nicht ver­ trant sind, auf eine anziehende Art von ihrer Lage und ihren Fortschritten unterrichten, und wenn von Erzeug­ nissen der schönen Litteratur die Rede ist, durch bered­ ten Ausdruck des Gefühls ihre Empfänglichkeit anregen. Aus diesem Bestreben entsteht nun freilich für den Ver­ fasser die Gefahr, an Gründlichkeit zu verlieren, wenn er an Schönheit des Vortrags gewinnt; und die noch schlimmere, übertriebne Lobsucht, ohne eindringende Schärfe des Urtheils, durch frostige Emphase des Tons zu verrathen. Gegen die gewöhnliche Meynung, die so Viele zu unbilligen Urtheilen verleitet, um die Stärke ihrer Kritik zu beweisen, ist es viel leichter, mit Ver­ stand zu tadeln, als geistvoll zn loben. Jenes kann mau thun, und doch bei der Außenseite, gleichsam bei dem technischen Gerüste eines Geisteswerkes, stehen bleiben; dieses setzt voraus, daß man wirklich in das Innere ge­ drungen , und zugleich Meister im Ausdruck sey, um die dem bloßen Begriffe entfliehende Eigenthümlichkeit des geistigen Gepräges zu fassen. Chamfort hat es in beiden Lobschriften in einem nicht gemeinen Grade geleistet; und doch möchte die Cha­ rakteristik Lafontaine's in der Französischen Poesie wohl eine der schwersten Aufgaben dieser Art seyn, wenigstens ungleich schwieriger als die des Mokiere. W as der kraft­ volle Komiker für seine Kunst gethan, ordnet sich leichter in große, in die Augen fallende Massen; man bewun­ dert an ihm eben so sehr die Erfindung, als die Aus­ führung; und die Eigenschaften seines S tils gleichen den Zügen einer stark gezeichneten Physiognomie. Lafontaine's

bescheidne O rig in a litä t mußte m it großer Vorsicht v o r Uebertreibung anschaulich gemacht werden. E r hat wenig erfunden, und die wunderbare Zartheit in der Behand­ lung eines scheinbar geringen S to ffs , die naive Liebens­ w ürdig keit, die Grazie des Unvorbereiteten, (la grace de la soadainete, nach dem eignen Ausdrucke des Dich­ ters) die kunstlose Kunst: alle diese feineren, sanft ver­ schmolzenen Vorzüge entziehen sich einem nicht sehr ge­ fühlvollen Kunstrichter während der Untersuchung.

D as

Einfachste leidet am wenigsten handgreifliche Zergliede­ rung.

Eine der glücklichsten Zusammenstellungen in dem

ganzen Aufsatze, unter vielen sinnreichen Gegensätzen, ist es, wenn gegen V o ltaire's V o rw u rf, Lafontaine habe nicht zu schildern verstanden, die Z eilen, wo dieser A u ­ roren darstellt, wie sie La tete snr son bras, et son bras snr la n n e , Laisse tomber des fleurs, et ne les rdpand pas, zugleich als Widerlegung und als ein B ild der freu nd li­ chen und hingcgebnen Muse des Fabeldichters angeführt werden. D aß in Chamfort's Lobschrift auf Mokiere dieser fü r den größten Komiker aller Zeiten und Völker ausgege­ ben w ird , d a rf von einem Kunstrichter seiner N atio n nicht befremden.

B e i der unumschränkten Herrschaft der äu­

ßerlichen Anständigkeit über N a tu r und G e n ia litä t, die in der Französischen Poetik hergebracht i s t , muß m an sich eher wundern, daß dem Aristophanes noch so leidlich Gerechtigkeit w iderfährt. D ie Schilderung von ihm neigt sich zwar ein wenig zur C a rica tu r, ist aber gar nicht

verfehlt. Ein Irrth u m , wie der, daß die alte Komödie zu Athen nicht unter obrigkeitlichem Schutze gestanden habe, mochte in Frankreich, selbst vor einer Akademie, wohl ohne Rüge durchschlüpfen. An der neueren Ko­ mödie der Griechen und Römer tadelt es Ehamfort, daß darin durch den Gang der Handlung keine bestimmt« M oral gleichsam ausgesprochen wird. »On ne voit point »qa’one grande idee philosophique, ane ve'ritd mfile, »atile a la societe, ait prdside a l’ordonnance de leors »plans.« Als ob nicht eben dadurch die fröhliche Unbe­ fangenheit, der köstliche Muthwille der komischen D a r­ stellung verloren ginge, und als ob sie nicht schon mo­ ralisch genug wirkte, wenn sie eine schöne Freiheit des Gemüthes in uns nährt! Wenn matt, wie Chamfort, die ausdrückliche M oral zu einem Gesichtspunkte der Be­ urtheilung Moliere's macht, so möchte fein Verdienst doch ebenfalls in einem zweideutigen Lichte erscheinen, und die poetische Gerechtigkeit manchmal sehr vermißt werden. WaS Rousseau in de Briefe an d'Alembert selbst gegen seine gesittetsten ©t. *e, hauptsächlich gegen den Misanthropen, in dieser Hinsicht gesagt hat, und worauf Chamfort anspielt, möchte sich dann schwerlich widerlegen lassen. Rousseau betrachtet, ohne allen Be­ griff von schöner Kunst, die Personen des Theaters als wirkliche Menschen, und findet dann ihre Zusam­ menstellung in Moliere's Komödien eben so unsittlich, als die menschliche Gesellschaft in der Wirklichkeit, deren Bild sie ist. E r hat darin gegen jeden Theoristen Recht, der den unbedingten Werth der Form in Kunstwerkm nicht zu behaupten, und ihr den Stoff nicht

g attj zu unterwerfen weiß.

D aß die moralische Nutz­

anwendung nicht jener angehöre , ist daraus klar, daß wahre! Begebenheiten ohne alle Zubereitung durch dar­ stellende K u nst, sie in sich enthalten können; sie ist im D ra m a bloßer S to ff, und zwar eine solche Armseligkeit, daß die schlechteste Sudelei ein Meisterwerk darin über­ treffen kann.

Chamfort nim m t

diese Foderung sogar

in feinen B e g riff der Komödie auf, der aber w eit mehr eine Beschreibung von Zufälligkeiten ist, als er ih r W e­ sen erklärend bestimmt. Eine d ritte Lobschrift ist Chamforts Rede bei seiner Aufnahme in die Französische Akademie.

S ie is t, um

bei den veränderten Zeiten kein Aergerniß zu geben, m it

einigen Auslassungen

abgedruckt.

Eine ziemlich

unnütze Vorsicht: denn wenn die Nachwelt einmal weiß, daß Chamfort Akademist gewesen, so kann es ih r auch kein Geheimniß bleiben, daß er bei seiner Aufnahme dem C ardinal Richelieu und Ludwig dem Vierzehnten den herkömmlichen Weihrauch gestreut. Ohne den Zwang der S itte hätte Chamfort wohl schwerlich seinen Vorgänger zum Gegenstände einer Lobrede gew ählt: aber diese Lob­ rede ist darum nicht weniger gelungen.

D ie Nothwen­

digkeit, in seinem eignen Geiste Hülfsquellen gegen die M agerkeit des S toffes zu suchen, hat den Redner a u f eine ungewöhnliche Höhe gehoben.

Lacurne de S a inte -

P alaye w a r weder D ic h te r, noch Philosoph, noch Ge­ schichtschreiber in dem S in n e , w orin das W o rt eigent­ lich historische Kunst in sich faßt.

Er

w a r ein a n ti­

quarischer G elehrter: man hat von ihm in der Hand­ schrift ein Wörterbuch der ältern Französischen Sprache,

und vierzig FoliobLnde M aterialien zu einem noch viel weitläustigeren der Französischen Alterthümer. S ein ein­ ziges bis dahin erschienenes Werk waren die Abhandlun­ gen über das R itterthum . H ier weiß Chamfort mit einer geschickten W endung in ein fremdes Gebiet zu streifenman g laubt, er rede von dem Buche über das R itterthum ; und er redet doch eigentlich sehr geistvoll und be­ re d t, m itunter auch philosophisch ergründend, von dem Ritterthum e selbst, von seinem W erth und seinen M ängeln. Vortrefflich und sehr gefällig vorgetragen sind die Bemer­ kungen über dessen Einfluß auf die Wiederbelebung der Poesie. H ierauf kehrt er zum S ain te-P alay e zurück, und entw irft ein liebenswürdiges B ild von seinem Charakter vnd einem hervorstechenden Zuge, seiner innigen, frühen «nd bis in das höchste A lter ununterbrochenen Freund­ schaft für einen Zwillingsbruder. Diese seltene B ruder­ liebe ist in hohem G rade w ahr und rührend dargestellt, und selbst d a s , w as auf den Argwohn der Eingeschränkt­ heit und bloß instinktartigen Angewöhnung sichren könnte, hat die Kunst des R ed n ers, und noch mehr sein G efühl, ehrw ürdig zu machen gewußt. D er nächste Aufsatz, welcher dazu bestimmt w a r, im Ja h re 1791 von M irabeau als ein Bericht über die Akademien vor der Nationalversam m lung vorgelesen zu w erden, macht einen schneidenden Abstich gegen den vo r­ hergehende«. Nach einer scharfen P rüfung der angebli­ chen Verdienste der Französischen Akademie träg t der Redner au f ihre Abschaffung an. Zuerst w ird d as, w as einzelne M itglieder für sich geleistet, von den Werken des Collegiums gesondert, womit man es häufig zu veri . Thril. 23

Wechsel« pflegte. D an n werden die Geschäfte der Akade­ mie einzeln durchgegangen: das Wörterbuch der Franzö­ sischen S p ra ch e, die versprochene und nicht gelieferte Grammatik und R hetorik, die Reden bei der Aufnahme, die Complimente, welche die Akademie Personen des H o­ fes machen mußte, die Austheilung von Preisen der P oe­ sie, die Bercdtsamkeit u. s. w ., auch eines Preises der T ug en d , womit Leute au s der bedürftigen Classe für edle Handlungen belohnt wurden. Alles wird in seiner Zweck­ losigkeit und Armuth gezeigt, und diese lag auch in Anse­ hung der meisten Punkte ziemlich offen am Tage. Um den P re is der Tugend zu verwerfen, mußte sich der Redner zu reinen Begriffen von Sittlichkeit erheben, aber sie als W ahrheiten des G efühls aussprechen: er hat dieß m it edler W ärm e, mit hinreißendem Nachdrucke, ganz M irab eau 's w ürdig gethan. Ilic Academie des Inscriptions et BellesLettres glaubte er noch kürzer abfertigen zu können; die Acade'mie des Sciences wird gar nicht erw ähnt; und der Schluß von der Unnützlichkeit der Französischen Akademie a u f alle gelehrten Körperschaften ist ein wenig übereilt. F ü r Sprachkunde und Alterthum skunde, für die N a­ turwissenschaften und die Anwendungen der M athem atik d a ra u f, scheinen gelehrte Gesellschaften, gehörig einge­ richtet, sehr nützlich wirken zu können. Diese Fächer erfodern theils mühsame, sehr ins einzelne gehende F o r­ schungen, theils Erfahrungen und V ersucht, und den dam it verknüpften A ufw and, Reisen, örtliche Besichti­ gungen , u. s. w. F ü r alles dieß w ird der vereinzelte Gelehrte durch den Absatz von Druckschriften, die nu r wenige wissenschaftliche Leser finden, nicht gehörig ent-

schädigt; ja er kann dergleichen Arbeiten gar nicht unter­ nehmen/ wenn ihm nicht a u f andere Weise eine sorgenfreie M uße gesichert ist *).

D e r Zunftgeist, der sich bei einer

solchen A u c to ritä t über die schöne L itte ra tu r unfehlbar ein­ schleicht, und die freie Selbstthätigkeit des Geistes hemmt, ist d ort nicht zu fürchten. S o llte diese Gefahr bei dem jetzi­ gen N a tio n a l - In s titu t vermieden seyn, das in der T h a t eine Akademie, u n d , wo möglich, eine alles umfassende ist? * * )

Wenigstens hat der Dichter Desorgues gewiß

* ) D ie wirklich

nützlichen Akademien zugleich m it der un­

nützen, ja schädlichen Französischen aufzuheben, war aller­ dings eine verkehrte Maaßregel.

Doch wäre sie allenfalls

gerechtfertigt, wenn man ihre Einkünfte zur S tiftu n g von Universitäten auf bett Fuß der besten im protestantischen Europa verwendet hätte.

D ie Akademien sind sehr zeitig

wieder hergestellt worden, weit sie zum Glanze der Haupt­ stadt und zur Repräsentation gehörten. chen Unterricht hingegen is t,

Für den öffen tli­

aus M angel an Einsicht,

meistens auch an gutem W ille n bei den G ewalthabern, nie etwas umfassendes und durchgreifendes geschehen.

D ie

Französische N a tion ist deswegen zu beklagen: sie gleicht hierin einem Menschen, der zwar einen reich und geschmack­ voll gestickten Rock, dabei aber kein Hemd auf dem Leibe hätte.

A n m. z. n. A b d r u c k .

**) Ic h habe Französische Naturforscher, die nicht zu der herr­ schenden Schule gehörten. Klage führen hören, sie hätten durch

wiederholtes Andringen und

öffentliche Auffode-

rungen niemals erlangen können, daß die Academie des Sciences von

ihren Endeckungen die mindeste Kenntniß

genommen, und etwa eine Commision zu deren P rüfung ernannt hätte.

E in M itg lie d dieser Akademie

erklärte

U n re ch t, w enn er in seinem S tra fg e d ich te über den a u s ­ gelassenen P re is

der Poesie diese Vernachlässigung fü r

sehr schädlich h ä lt * ) .

Musikalische W ettkäm pfe ( im

m ir einmal so zuversichtlich, eine noch schwebende S t r e it ­ frage sey durch den Ausspruch seines Collegiums E in fü r allemal abgethan, daß ich mich veranlaßt fa n d , ihm zu erwiedern, die Akademie könne keine W ahrheitspatente ertheilen.

A n m . z. n. A b d r u c k .

* ) D ie Französische Akademie hätte immerhin aufgehoben blei­ ben mögen.

W ährend die physisch - mathematische und die

historisch-philologische Abtheilung des In s titu ts ropa

in

Eu­

die verdiente Achtung genießen, ist sie in P a ris

selbst die Zielscheibe des öffentlichen S p o tte s , und dieß hat sie durch ihre nach der Hofgunst eingerichteten W a h ­ len , ih r hohles Complimentirwesen und andre Lächerlich­ keiten reichlich verdient.

S ie ist das wahre Uhu's - Nest

aller altfränkischen Meynungen in der L itte ra tu r. sprießliches hat sie seitdem eben so wenig vorher.

E r­

geleistet als

Cs versteht sich, daß man die Arbeiten einzelner

M itg lie d e r von denen der Körperschaft unterscheiden muß Der

einzige Raynouard hat mehr für die Geschichte der

Sprache M d die A lterthüm er der einheimischen L itte ra tu r gethan, als die ganze Akademie seit ihrer S tiftu n g .

Daß

das bisherige Wörterbuch unzulänglich sey, wurde vorlängst eingestanden, und die Akademie hat sich anheischig gemacht, ein neues zu liefern. Aber die A rbe it ist unglaublich lang­ sam vorgerückt. S o llte dieß Wörterbuch jemals an das Licht tre te n , so w ird es vermuthlich nicht viel besser ausfallen, als das a lte ,

w eil es nach demselben fehlerhaften Plane

entworfen ist.

Ic h habe hierüber mehrmals m it dem vor­

maligen Secretär der Akademie, S u a rd , gesprochen. Ic h behauptete,

man müsse in

zwei Hauptstucken von dem

Griechischen S in n e des W o rte s ) können n u r vo r einem versammelten Volke schicklich gehalten werden, w eil der

alten M uster abweichen: man müsse für die Bedeutungen der W ö rte r und ihren Gebrauch in der V erb in dun g, S tellen aus den besten Schriftstellern anführen, und man dürfe die Etymologie nicht

ganz ausschließen.

fanden bei ihm keinen Eingang.

M eine Gründe

E r sagte:

» W ir sind

» V ie rzig an der Z a h l, w ir verstehen alle unsre M u tte r­ sprache vollkommen; wenn w ir bezeugen, dieses oder je»nes sey gut Französisch und jenes nicht, so muß man uns »aufs W o r t glauben; w ir brauchen uns auf keine höhere » A u cto ritä t zu berufen.« — Cs.ist gleichwohl k la r: wenn in ein M u ster-W örterb uch nur die gangbaren abgenutz­ ten Redensarten aufgenommen werden,

so muß dieses

immer mehr zur E införm igkeit und zur zahmen Beschränkt­ heit führen.

D ie genialischen Redner und Dichter haben

kühne Zusammenstellungen gewagt, und dadurch die W ö r­ ter gewissermaaßen neu geschaffen, und der A rm uth der Sprache abgeholfen.

Aber dieß w ill man eben nicht. —

W as die Etymologie b e trifft, so gehört die hypothetische und bis zu den entferntesten Graden der Verwandtschaft aufsteigende freilich nicht Ln ein Lericon, dessen H a u p t­ zweck is t, den gegenwärtigen Sprachgebrauch aufzustellen. Cs giebt aber eine ganz grammatische und historische E ty ­ mologie, welche o ft die D e fin itio n des W ortes in sich faßt, und allein über die S tufenfolge der Bedeutungen A u f­ schluß geben kann.

W e it es den Akademikern an dieser

Einsicht m angelte, haben sie oft unglaubliche Fehlgriffe gethan.

S o haben sie zum Beispiel das ganze System der

N egationen, ein so wichtiges Stück der G ram m atik, nicht verstanden. gesetzt,

Cs besteht d a rin , daß eine kleine Bejahung

und durch die verneinende

P a rtike l weggenommen

allgemeine B eifall die Beglaubigung eines Künstlers ist, der fü r die gebildete menschliche N a tu r überhaupt arbeitet.

w ird .

J e kleiner die Bejahung w a r, desto stärker fä llt

NUN die Verneinung aus.

demie w ird

R ie n

I n dem Dictionuairc de l ’Aca-

erklärt durch : n ean t,

nulle

chose.

H interd re in kommt heraus, es bedeute auch Etwas. wäre in der T h a t ein wunderliches W o rt.

D as

Etwas ist die

eigne Bedeutung, die andre bekommt es nur durch die hinzugefügte oder hinzugedachte Verneinung.

Es ist abge­

le ite t von res, und um dieses zu erra th en, brauchte man eben kein Oedipus zu seyn; denn im Provenzalischen sind die Lateinischen Formen res, re , rem, noch ganz beibe­ halten. D ie Akademiker scheinen sich aber an den Ausspruch M o lie re 's gehalten zu haben: E t rie n , comme tu lc sais bien , Ycut dire rien , ou peu de chose. Bei

J a m a is

ist die erste angegebene Bedeutung:

m a ls ; dann: allezeit.

nie­

irgend einm al, und endlich: im m e rfo rt,

M a n sieht, das W o rt wächst gew altig, ungefähr

wie in den Puppenspielen ein kleines Figürchen plötzlich oben einen langen Leib herausstößt, und in kurzem ein Riese w ird.

Jamais, von iam magis, bedeutet zuvörderst

eine Fortdauer. ren.

Solcher Proben ließen sich viele anfüh­

W enn einmal das neue Dictionnaire erscheint, dann

w ird man sehen, ob es jetzt m it der Sprachkunde der Aka­ demiker besser steht als ehemals.

A u f jeden F a lt, und

diese Bemerkung ist schon in Frankreich selbst gemacht w or­ den , muß die Langsamkeit der Ausarbeitung der Vollkom ­ menheit Abbruch thun.

D ie Französische Sprache, die man

wohl für völlig festgesetzt ausgegeben hat, entwickelt sich, wie jede lebende Sprache, nach den Bedürfnissen des menschlj-

S ie setzen daher hohe B ildung und Selbständigkeit des öffentlichen Geschmacks voraus. D ie Sitzungen des N ational-Jnstituts sind noch lange keine Olympischen Spiele. A ußer ein p a a r kleineren Auffätze« enthält der erste B and noch eine Dissertation sor l’imitation de la nature, relativement anx caracteres dans les ouvrages dramatiqaes. S ie erscheint hier zum erstenmale gedruckt, und hätte für Chamfort's R u h m , wenigstens im A us­ lan d e, immerhin unbekannt bleiben möge«. Dieses ästhetische Geschwätz ohne Grundsätze, ja ohne Bestimmt­ heit der Begriffe, mag unter seinen Landsleuten im­ merhin für de la metaphysiqne appliqnde anx beauxarts g elten : w ir Deutschen können nicht- w eiter d araus lernen, als daß die Theorie der schönen K ünste, und namentlich der P o esie, in Frankreich noch in der un­ mündigsten Kindheit ist- W ie sollte es anders seyn, wenn sie dabei von der ihrigen au sg eh en ? D ie völlig schiefen Ansichten des Griechischen und Englischen Thea­ ters sind deswegen selbst von einem so guten K opfe, als che» Geistes. Wenn man Gedanken hat, die man zuvor noch nicht gehabt hatte, so müssen auch die M ittel des Aus­ drucks herbeigeschafft werden. Angenommen nun, daß in dem Dictionnaire die letzten Buchstaben des Alphabets auf der Höhe des Zeitalters stehen, so werde« A und B, vor dreißig Jahren ausgearbeitet, schon ins alte Register zu­ rückgetreten seyn. D ie Französische Akademie gleicht jenem B arbier, der so langsam rasirte, daß der Bart an der einen S eite wieder wuchs, während er mit der andern beschäftigt war. A n m. z. «- A-

Ehamfort w a r, sehr begreiflich. E s wird auf Idealität in der Darstellung der tragischen Charakter gedrungen, aber aus schwachen Gründen und mit so kahlen Anga­ ben der Verhältnisse zwischen gemein« und schöner Na­ tu r , zwischen dieser und dem Ideal, daß die Foderungen des Kunstrichters durch die etres gigaatesques, bouraonffles et chimöriqaes der Französischen Tragödie, wie sie Rousseau ohne Umschweife nennt, vollkommen befriedigt werden. Daß sich Manier in der Kunst nie­ mals zum wahrhaft Jdealischen erheben kann, und daß das vermeynte Jdealische in den Darstellungen Französi­ scher Dichter im höchsten Grade manierirt ist, scheint der Verfasser nicht einmal von Ferne zn ahnden. Chamfort's weitläufige Auszüge aus den Mcmoires und der Vie privee da Marechal de Richelieu können der Lesung dieser widerwärtigen Bücher überheben, und sind besser dazu gemacht, den wahren Gesichtspunkt für ihren Gegenstand anzugeben, als der fremde Geist, welchen der Herausgeber der erstgenannten, Soulavie, ihnen untergeschoben hatte. Dennoch scheint Ehamfort die tiefe Verworfenheit Richelieu's, dieses Helden in jeder Gattung von Infam ie, nicht völlig abgesondert von dem Glanze, den ihr die Sage und die Macht der Meynung verlieh, beurtheilt zu haben. Er spricht noch von der singnlaritö de son caractere et de sa destincc da ihn doch von keiner Seite etwas anderes merkwürdig macht, als die unermüdliche Unverschämtheit, womit er die Verdorbenheit seines Zeitalters benutzte, von der er ein Denkmal geworden ist. Sogar »sein wirkliches T a­ lent, Weiber zu verführen,« gründete sich mehr auf die

verächtliche Schwäche der Ueberwundene«, als auf die Unwiderstehlichkeit des S iegers, und am meisten auf den bis zur Raserei gehenden Hang seiner Landsmän­ ninnen, sich dem Götzen der Mode an den Kops zu wer­ fen. Und wie leicht war diese Eigenschaft für den zu gewinnen, den Geburt und Zufall begünstigten! Daß er neben jener Unverschämtheit wahre Vorzüge besessen, wird man deswegen noch nicht glauben, weil ihn Vol­ taire »in allen Tönen besungen hat.« Es scheint sogar zweideutig, ob Richelieu in der »Kunst, da- Laster zu schmücke», seine Nebenbuhler übertroffen.« W ir wer­ den weder Witz noch Fröhlichkeit bei ihm gewahr, wie bei seinem Vorbilde Hamilton, noch irgend eine S p u r von wahrer Anmuth des Geistes. Seine Laster stehn in ihrer nackten Häßlichkeit da, und es giebt nicht leicht einen Menschen, von welchem es so offenbar w äre, daß sich die Menschlichkeit niemals in ihm geregt hat. W aö ihm Chamfort als etwas bemerkrnswerthes und eigen­ thümliches anrechnet: die dreiste Freimüthigkeit, sich der Nachwelt zu bekennen, ist nur eia Z u g , der seine gänzliche Schamlosigkeit vollendet. Indessen ist hier kei­ ner ausgelassen, der Richelieu in das gehörige Licht stellt, und jeder wird von Bemerkungen über den Geist einer Regierung begleitet, unter welcher so etwas an einem Manne von hoher Geburt gut geheißm, ja be­ wundernd angestaunt ward. Der vierte Theil von Chamfort's Werken enthält lustige Anekdoten, scherzhafte Einfälle, aber auch viele Bemerkungen, Erfahrungen und Lehren, die einer sehr ernsten Prüfung werth sind, und nicht wenige, worin

die Tiefe des Gedankens sich unter einer leichtsinnigen A r t ihn vorzutragen/ anziehend verbirgt. Alle erscheinen jetzt zum erstenmale.

D e r Herausgeber erklärt in einem

eignen Vorberichte die Entstehung dieser S am m lung, und sein Verfahren bei der Ausw ahl und Anordnung. Chamfo rt hatte die G ew ohnheit, täglich Aphorism en, w o rin er die Resultate seines Nachdenkens zusammenfaßte, Anek­ doten und Charakterzüge, die man ihm erzählte oder die er selbst erlebte, witzige Reden von ihm selbst oder von

andern,

a u f Zettel zu schreiben,

und sie durch

einander geworfen in Mappen aufzubewahren, deren er eine beträchtliche Menge auf solche Weise angefüllt hatte. W ie von seinen übrigen P a pie re n, so wurde auch von diesen ein großer T h e il nach seinem Tode entwandt. B e i der Anordnung ist der Herausgeber den v o r­ gefundenen Rubriken gefolgt: sie ist aber dennoch ziem­ lich w illkührlich.

Sonst ist dieses bei weitem der wich­

tigste und anziehendste T h e il von Cham fort's Nachlaß. E in System der M o r a l und Lebensphilosophie würde sich schwerlich aus diesen aphoristischen Bruchstücken zu­ sammenbauen lassen,

und vielleicht haben die einzelnen

Behauptungen dabei gewonnen, befangen in ihrer

daß Chamfort sie un­

ganzen Stärke hinstellte, ohne sich

darum zu kümmern, ob sie gegen seine zu andrer Z e it gefällten Urtheile über verwandte Gegenstände anstießen. E in sehr allgemeiner S a tz, in welchen unzählige E rfa h ­ rungen zusammengedrängt werden, ist immer in einem gewissen S in ne u n w a h r: der verständige Leser weiß doch schon, wie er ihn zu nehmen h a t, und dem Leser ohne U rth e il kann man durch noch so viele schwächende Ne-

benbestimmungen die richtige Anwendung nicht beibrin­ gen. Chamfort w ar sehr weit von dem Irrth u m e ent­ fe rn t, die große W elt, die zum Glück der Ausdehnung nach nur die kleine W elt ist, für das Menschengeschecht überhaupt zu h alten , obgleich viele seiner Sätze, zu wörtlich ausgelegt, veranlassen könnten zu glauben, er sey hierin gewissen, bei allem Scharfsinn höchst einsei­ tigen Beobachtern ähnlich gewesen. S o sagt er im sechs­ ten Capitel den Frauen im allgemeinen viel Uebles nach, aber er meynt offenbar nur die Französischen F ra u e n , n u r die Parisischen, und unter diesen n u r die von hohem S tan d e. M ehrere unter den Anekdoten, welche diese S e ite der Sittenverderbniß n u r in ein allzu grelles Licht stellen, könnten ihn gegen den V orw urf der Uebertreibung rechtfertigen, wenn diese Anekdoten nicht für den im W elt­ laufe Unerfahrenen wiederum etw as unglaubliches hätten. Chamforr gehört nicht zu den einsiedlerischen S itten leh ­ re rn , die eine Verkehrtheit schelten, welche sie nicht selbst beobachtet haben, und denen in ihrer Ferne nichts deut­ lich vorschwebt, a ls der Widerspruch zwischen dem waS ist und w as seyn sollte. S eine Schilderungen der Ge­ sellschaft sind nicht bloß dem G egenstände, sondern auch der Person des Urhebers nach, ein Erzeugniß der vervollkommten V erfeinerung, und er greift diese mit ihren eignen W affen an. A uf der andern S eite gleicht er keineswegs jenen philosophirenden W eltm ännern, die ihren äußern Erfahrungen eine falsche Allgemeinheit ge­ ben , weil sie dieselben in ihrem Herzen bestätigt finden, und die ärgste A usartung gewiffermaaße« in Schutz neh­ men, indem sie behaupten, w as gewöhnlich geschieht,

(Amte gar nicht anders seyn. Vor dem entschiednen Un­ glau bm La Rochefoucauld an alle uneigennützigen Trieb­ federn, an Liebe und Tugend, bewahrte ihn sein Ge­ fühl , ob er eS gleich indem T alent, geheime Schwächen auszuspähen, mit ihm auftiehmen kann. E r verwechselt niemals die aus fehlerhaften Einrichtungen der Gesell, schaft entstandene Mißbildung mit der menschlichen N a­ tu r: er vertheidigt diese, indem er jener den Krieg macht. Alles dieß muß dem Verfasser als sein eignes Ver­ dienst angerechnet werden. Chamfort hatte eS gewiß nicht aus den Lehren der Encyklopädisten geschöpft; noch weniger aus dem Beispiele der damaligen großen W elt: vielmehr hatte seine Denkart sich hinter dem Rücken bei­ der gebildet.

U eb er

den dramatischen D ialog. 1796.

M enschen will man auf de« Theater sehn und hörenwirkliche Menschen, und sie sollen so genau nachgemacht seyn, daß man sie durch keinen einzigen Zug von de» andern außerhalb des Theaters unterscheiden könne. Nichts weiter? D as ließe sich wohlfeiler haben, sollte man denken. Auf Straßen und Märkten begegnen einem ja wirkliche Menschen zu ganzen Haufen, man kann ihnen fast nirgerds aus dem Wege gehe«: und doch hält mau sie für etwas so seltenes und sehenswürdiges, daß mau ein eigenes Gebäude errichtet, rin Gerüst erleuchtet, viele mühsame Anstalten macht, um etwa ei« Dutzend von ihnen vor einer Versammlung, die aus eben dergleichen besteht, zur Schau zu stellen! Wahrlich, man möchte auf den Verdacht kommen, es wiederfahre bloß deswe­ gen einigen wirklichen Menschen eine so unverdiente Aus, zeichnung, um den übrigen einen hohen Begriff von ihrer

eigenen W ichtigkeit zu geben. — » N ein, so ist es nicht gem eynt:

man muß merkwürdige

oder unterhaltende

Eigenschaften haben, wenn man dieser Ehre w ürdig ge­ achtet werden soll.« — D a s wäre denn doch ein Umstand, der die theatralischen Personen stark von den wirklichen, wie sie so gewöhnlich sind, unterscheiden würde.

D enn

jeder gesteht gern e in , m it der gehörigen Ausnahme fü r sich selbst, daß er sie im Ganzen genommen, weder sehr m erkw ürdig,

noch sehr unterhaltend findet.

Aber auch

Menschen, die eins oder das andre in hohem Grade sind, stellen sich doch nicht in ihrem ganzen Lebenslaufe so d a r: es giebt Augenblicke, ja beträchtliche Z eite n, wo der merkwürdige M a n n in seinem Thun ganz alltäglich scheint, und der unterhaltende K o p f zur Langweiligkeit hinabsinkt.

O ft entwickeln sich erst nach einem fortge­

setzten Umgänge die am meisten charakteristischen Eigen­ schaften eines Menschen vollständig und entschieden. M i t den Personen a u f der Bühne muß unsre Bekannt­ schaft in ein paar kurzen Stunden gestiftet werden, und ihren höchsten Punkt erreichen. D azu ist es nun erfoderkich, daß sie in mancherlei, und zwar in solche Lagen versetzt werden, die am geschicktesten sind, das Wesen ihres Cha­ rakters in ein Helles Licht zu stellen. D ichter daher

W ir erlauben dem

(und müssen es, wenn w ir nicht selbst

unsre Absichten durch die Bedingungen, denen w ir ihre A u sführung unterwerfen, vereiteln w o lle n ;)

eine V er­

wickelung , eine Anordnung der Ereignisse zu erfinden, die dergleichen am besten herbeiführt, ob w ir schon sehr g u t wissen, daß im wirklichen Leben interessante Lagen nie oder fast nie so gedrängt, und von gleichgültigen

nicht unterbrochen, a u f einander folgen.

Aber Lagen

sind n u r das entferntere M it t e l, Menschen kennen zu lernen: zunächst kommt es dabei a u f ih r eignes Beneh­ men a n , a u f ihre Gebehrden, Reden und Handlungen. D ie Gebehrden sind die Sache des Schauspielers, nicht des D ichte rs; schon deswegen nicht, w eil ihre schriftliche Bezeichnung bei den gröberen Merkmalen stehen bleiben m uß , und von dem feineren Seelenvollen n u r dem eine Vorstellung zu geben verm ag, der sie schon hat.

D er

D ichter d a rf höchstens einige Anweisungen fü r jenen ein­ streuen : eine Rolle wäre unvollkommen ausgeführt, wenn ein guter Schauspieler aus den Reden und Handlungen nicht hinlänglich einsehen könnte, wie er sie zu spielen hat. *)

W orte werden häufig den Thaten entgegengesetzt,

und in einem gewissen S in ne m it Recht: in so fern sie nämlich Richtungen der W illen skra ft ankündigen, die ent­ weder gar nicht vorhanden sind, oder doch ohne weitere

*)

D ie ausführlichen theatralischen Anweisungen kommen her­ aus wie ein Wechsel, welchen der Dichter auf den Schau­ spieler stellt, w e il er selbst nicht zahlen w ill oder kann. D id e ro t brachte sie zuerst a u f: er war dabei noch einigermaaßen zu entschuldigen, w eil er von den Schauspielern ein ganz andres, w eit ungezwungneres S p ie l federte, als das woran sie gewöhnt waren.

Beaumarchais hat es nachge­

ahm t, Schiller ist nicht frei davon geblieben,

und bei

unsern beliebten Dram atikern ging es bis zum Lächerlichen. Ic h erinnere mich in einem pathetischen Schauspiele ge­ lesen zu haben: geht ab.«

»Er blitzt ihn m it den Augen a n , und

A n m. z. ». A b d r u c k .

W irkungen bleiben.

Aber W o rte können auch Thaten

seyn; die größten Dinge wurden nicht selten bloß durch W o rte verrichtet.

S o wenig in einem Schauspiel müs-

skge Reden geduldet werden dürfe«/ die selbst nicht Hand­ lu n g sind / und die Handlung weder fördern noch aufhal­ te n : so w ird auf der ander» S eite großentheils n ur re« Lend gehandelt, und das muß so seyn, w eil w ir die s ittli­ chen Verhältnisse der Personen zu einander- w o ra u f uns alles ankommt, allein vermittelst gegenseitiger M itth e ilu n ­ gen ihrer Gedanken, Absichten, Gesinnungen einsehen kön­ nen.

Müssen auch Handlungen vorgestellt werden, die

nicht bloß in dergleichen bestehen, so erhalten sie gleichwohl erst durch die vvrhergegangnen oder begleitenden Reden ihren dramatischen W e rth : denn n u r diese können uns Aufschlüsse über die Triebfedern gebe«, worans sie ent­ sprungen sind. Am Ende muß also doch die ganze Darstellung der Charakter bloß durch den D ia lo g

bewerkstelligt

wer­

den: alles was m ittelbar dazu helfen kann, bleibt ohne A nw endung, wen» der Dichter es nicht in D ialog zu verwandeln weiß.

M uß ihm also nicht bei Benutzung

des einzigen M itte ls zu einem so großen und schwierigen Zwecke eine ähnliche Freiheit verstattet werden, wie bei der Anlegung des P la n s ?

D a r f er n ich t, wenn er nur

das Wesen des D ia lo g s schont, die zufälligen Beschaf­ fenheiten so einrichten, wie es ihm am vortheilhaftesten dünkt? D a r f er dabei nicht, nach dem allgemeinen, nie bestrittenen Vorrechte der Dichtkunst, über die Wirklich­ keit hinausgehen,

wenn seine Erdichtungen nur in den

Gränzen der Wahrscheinlichkeit bleiben? D ie Verneinung

dieser FrAge« möchte aller dramatische« Kunst ei« Ende mache«. Zum Wese« des Dialogs gehört zweierlei: awgtttMicft» liche Entstehung der Reden in de« Gemüthern der Spre» chenden, und Abhängigkeit der Wechselreden von einander, so daß sie eine Reihe von Wirkungen und Gegenwirkun­ gen ausmachen. D as erste ist in dem letzten gewisser» maaßen mit enthalten: denn soll meine Antwort ganz s» beschaffen seyn, wie die Rede des Andern sie in mir ver­ anlassen muß, so kann ich sie nicht bestimmt zuvor aus» gesonnen haben, weil ich höchstens nur muthmaaße, w aer sagen wird. Alles Uebrige ist beim Dialog zufällig: die Zahl der Personen, die Länge der Reden, u. s. w. S ogar ein Monolog kann in hohem Grade dialogisch seyn, «nd er sofft« in einem Schauspiele nie etwas anders schei» neu, als was man im gemeinen Leben nennt: »sich mit sich selbst besprechen.« Dabei findet nicht bloß augenblickliche Eingebung S ta tt, sondern auch eine Art von Wirkung und Gegenwirkung, indem man sich gleichsam in zwei Personen theilt. W as die Länge betrifft, so haben wir Dramen, deren Verfasser zu glauben scheinen, die Leb». Hastigkeit des Dialogs bestehe darin, daß ihre Personett immer nur drei Worte hinter einander sagen, «nd sich gegenseitig fast nicht zu Worte kommen lassen; da doch im wirklichen Leben schwerlich ein bedeutendes Gespräch in solchen Brocken zum Vorschein kommt, und das letzte unter gesitteten Leuten gar nicht hergebracht ist. M an kann den Dialog in zwei verschiednen Bedeu­ tungen vollkommen oder unvollkommen nennen r nämlich insbesondere als Dialog; dann in allgemeiner Hinsicht i. Th«».

24

«ach seinem Geh alt und Ausdruck. M it Unvollkommenheiten der einen und der andern Art ist er im gemeinen Umgänge oft reichlich genug ausgesteuert, um Verdruß und Lange­ weile zu erregen. Billig entfernt daher der Dichter alle solche, die nicht aus den Charaktern und Lagen der Per« fönen entspringen. Zufällig begegnet es wohl jedem Menschen, daß er nur mit halbem Ohre hört, und mit halber Besinnung antwortet; daß er sich wiederholen las­ se» m uß, waö der Andere gesagt, weil -er es nicht be­ griffen; daß er immer auf daffelbe zurückkommt, ohne -auf die Gründe deS Andern zu achten; aber nur an de« Zerstreuten, dem langsame« Kopfe, dem Hartnäckige« -ist es charakteristisch. Sobald dialogische Unvollkommen­ heiten dieses sind, kann man sie nicht von der dramati­ sche« Darstellung ausschließen; sie dürfen sogar Hauptgegenstand derselben werden *). Eben dieß gilt von den Mängel« der Reden, für sich, außer dem Zusammenhange deS Gesprächs betrachtet. Dagegen darf der Dichter den Rede» alle Vorzüge verleihen, welche den Charak­ tern und Lagen der Personen nicht widersprechen, und er wird dadurch «ufere Lust unfehlbar erhöhen. Finden wir wohl jemals im wirklichen Leben, wenn sich nicht Eigen­ liebe ins Spiel mischt, daß jemand zu treffend, zu leb­ haft, zu witzig, zu anschaulich, zu seelenvoll spricht? Nur müssen wir ja keine Spuren von Vorbereitung entdecken, die augenblickliche Eingebung muß immer die Muse des * ) S o hat man ein artiges Nachspiel, le Babillard. Aber von Französischen Schauspielern muß man es aufführen sehen: hier sind sie in ihrem Fache!.

Gesprächs bleiben.

Sonst sagen w i r , er rede wie ein

B u ch , und die vortrefflichste« D in g e , die er v o rb rin g t, können «ns keine gesellschaftliche Unterhaltung mehr ge­ währen. ob

er

Einen solchen D ia lo g verwerfen w i r , nicht alS allzu vollkommen w ä re , sondern w eil es

gar

kein D ia lo g ist. D ie Anwendung dieser letzten Bemerkung au f die dra­ matische Kunst macht sich von selbst.

N u n fragt sichs n u r:

kann Poesie des S t il s die Vollkommenheit des D ia lo g s in seiner besondern Eigenschaft vermehren, oder hebt sie vielmehr sein Wesen unvermeidlich auf? E s ist ein grobes aber gewöhnliches Mißverständniß, das Geschmückte und Rednerische m it dem wahrhaft Poetischen fü r einerlei zu halten: leider w ird es durch so viele angebliche Gedichte bestätigt, wo man statt dichterischer Kunst m it rhetori­ schen Künsten abgefunden w ird.

N u r dle anschaulichste

Bezeichnung der Vorstellungen, der innigste Ausdruck der Empfindungen heißt m it Recht poetisch, und dieß ist unsrer N a tu r so wenig sremd, daß man es vielmehr in den unvorbereiteten Reden von Menschen ohne B il­ dung und U nterricht, wenn ihre Einbildungskraft er­ hitzt, oder ihr Herz bewegt ist, oft am auffallendsten wahrnimmt.

Aechte Poesie des S t ils

ist daher nichts

anders als die unmittelbarste, natürlichste Sprache, die w ir nämlich reden w ürden, wenn unsre N a tu r sich im­ m er, von zufälligen Einschränkungen b e fre it, in ihrer ganzen K ra ft und

Fülle offenbarte; sie ist mehr die

Sprache der Seelen als der Zunge«.

H ieraus fo lg t,

daß der Gebrauch einer solchen Sprache den D ia lo g ,

in so fern er eine Reihe von Wechselwirkungen ist.

allerdings vollkommener machen kann-

Je geschickter daS

Werkzeug der M itth e ilu n g ist, Gedanken und Gefühle nicht bloß so ungefähr nach ihrem S to ff und ihrer allgemei­ nen Beschaffenheit anzudeuten, sonder« ihre besonderste, eigenthümlichste Gestalt darzustellen, desto vollständiger versteht man sich gegenseitig, und desto genauer w ird jede Rede d e r, wodurch sie veranlaßt w o rd e n , entspre­ chen.

Eher könnte es Zweifeln unterworfen seyn, ob

sich der poetische Ausdruck m it dem zweiten wesentliche« Kennzeichen des D ia lo g s, der augenblicklichen Entstehung, ve rträ g t.

Ic h bemerke hier zuerst, daß alle Poesie mehr

oder weniger nach den G attungen

Ansprüche darauf

macht, fü r eine zwar ungewöhnliche, aber doch schnelle, ««getheilte, ununterbrochene Eingebung, nicht fü r eine allmälige Hervorbringung gehalten zu w erden; daß die letzte, und nicht die leichteste Kunst des Dichters darin besteht, alle Kunst zu verbergen, und über das tiefste S tu d iu m , die sorgsamste W a h l den Anstand ungezwun­ gener Leichtigkeit zu verbreiten, als hätte er alles nur so eben hingegoffen.

Zweitens- wie aus dem Wese«

jeder D ichtungsart besondre Gesetze des S t ils herfließen, so hat auch das D ra m a die seinigen.

Vieles muß darin

vermieden werden, was schön und vortrefflich w ä re , wenn der Dichter es in seinem eigenen Namen sagte. D ra ­ matische Schicklichkeit ist hier die erste Rücksicht, welcher alle andern nachstche« müssen. Aber nicht genug, daß die poetische Behandlung der W ahrheit des D ia lo g s nicht nothwendig E in tra g th u t, ich möchte behaupten, er könne durch sie noch dialogischer gemacht werden.

D aß den Redende« das, was sie sage«,

in- demselben Augenblicke e in fä llt, erkentten w ir an ge­ wissen M erkm alen, die in der W irklichkeit nicht immer in gleichem Maaße vorhanden sind, zufällig fehlen oder absichtlich nachgeahmt werde« können.

G iebt es nicht

Menschen , welche d a s, w a s sich in der T h a t so eben in ihnen entwickelt, so feierlich und abgemessen vo rtra ge n, a ls hätten sie es zuvor auswendig gelernt,

während

andre durch Jm prom tü's überraschen, w o ra u f sie drei Tage lang gesonnen haben? F ü r das Vergnügen der Un­ terhaltung entscheidet hiebei der Schein mehr als die W a h rh e it; im D ra m a versteht es sich ohnehin schon, daß das Ansehen des Unvorbereitete« in den Reden bloßer Schein ist.

E s beruht aber, außer dem T o n

«nd den Gebehrden, die immer sehr viel thun müssen, auf allerlei kleine», in der Büchersprache nicht erlaub­ ten Freiheiten «nd Nachläßigkeiten; a u f Verschweigun­ gen nnd zuweilen sogar a u f einem scheinbaren M angel an Zusammenhang; a u f der S tellun g, welche so beschaffen seyn m uß , wie die Vorstellungen am natürlichsten nach «nd durch einander rege werden, nicht wie man sie nachgehends am vortheilhaftesten anordnen könnte; a u f ein­ fachen

und

gerade« W ortfügungen.

Künstlich

ver,

siochtene Perioden ( die überhaupt mehr der Beredtsamkeit als der Poesie angehören) verrathen immer eine A r t von Vorbereitung: man kann sie nicht w ohl anfangen, ohne zu wissen, wie man sie zum Ende führen w ill, und dazu muß man schon die ganze Reihe von Sätzen, w oraus sie bestehen, im Zusammenhange überschaut ha­ ben.

Alle diese Merkmale muß der Schauspieldichtcr

Sorge trag en , auch im prosaischen D ia lo g anzubringen-

Behandelt er ihn aber poetisch, so wird er bnrch die Unumschränktere Gewalt über die Sprache, wodurch die Poesie alles, was im Menschen vorgeht, anschaulicher machen geschickt ist, in den Stand gesetzt, die Zeichen der unmittelbaren Entstehung noch entschiedner hervor­ zuheben. Schon wegen der sonstigen Schönheit und Stärke des Ausdrucks müssen sie die Aufmerksamkeit mehr an sich zieh«, weil man nicht gewohnt ist, sie in solcher Gesellschaft anzutreffen; so wie hinwieder jene Vorzüge dadurch, daß sie freiwillige Gaben des Augen­ blicks scheinen, einen ganz eigenen Sauber gewinnen. Das Sylbenmaaß selbst, wenn es nicht an eine steife Regelmäßigkeit gebunden ist, kann durch einen geschick­ ten Gebrauch die Täuschung vermehren helfen: kleine Unebenheiten darin, unerwartete Pausen, dann wieder fortströmende Fülle oder ein sanfter und stetiger Fluß, könne» de« Anstoß, den Stillstand der Gedanken, die rasche Bewegung des Gemüths oder daS Gleichgewicht seiner Kräfte einigermaaßen sinnlich bezeichnen. »Das Sylbenmaaß! Also doch durchaus in Versen?« Freilich, weil Poesie des Stils aus Ursachen, welche zu ergründen hier nicht der O rt ist, ohne geordnete Berhältniffe der Bewegung gar nicht bestehen kann- Der wie­ derkehrende Rhythmus ist der Pulsfchlag ihres Lebens. Nur dadurch, daß die Sprache sich diese sinnlichen Fes­ seln anlegen läßt und sie gefällig zu tragen weiß, erkauft sie die edelsten Vorrechte, die innere höhere Freiheit von allerlei irdischen Obliegenheiten. Soll das Sylbenmaaß im Drama nicht Statt finden, so muß eö ja bei der schlichtesten Prosa sein Bewenden haben. Denn sonst wird

««vermeidlich eine sogenannte poetische Prosa entstehen, «nd poetische Prosa ist nicht nur überhaupt sehr unpoe­ tisch, sondern vollends im höchsten Grade undialogisch. S ie hat die natürliche Leichtigkeit der Prosa verloren, ohne die künstliche der Poeste wieder zu gewinnen, und w ird durch ihren Schmuck n n r belastet, nicht wirklich verschönert-

Ohne F lü g e l, «m stch kühn in die Lüfte zu

hebe», «nd zu anmaaßend fü r den gewöhnlichen G ang der Menschenkinder, fährt ste, unbeholfen und schwerfällig wie der Vogel S tra u ß , zwischen Fliegen und Laufe« über den Erdboden hi«. »Indessen bleibt das Sylbenmaaß im M unde dra­ matischer Personen immer Erdichtung : «nd ist eS nicht die unwahrscheinlichste, die stch denken lä ß t? W ie soll man glauben, daß B ru tu s und Casstus, als ste Cäsarn ermordeten, in ihren Reden ans den Wechsel der langen und kurzen Sylben geachtet haben?« M a n muß gestehn, es ist um nichts glaublicher, als daß C ä s a r, von dem w ir wissen, daß er vor achtzehn Jahrhunderten a u f dem C a p ito l umgebracht worden , vor unsern Augen zu P a ris oder London unter den Dolchen der Berschwornen fällt. D ie angeführten Beiftnele sind nicht gleichartig, w ird man einwenden: hier braucht sich der Zuschauer nur in Gedanken von feinem O r t , seiner Z e it wegzuversetzen, dort w ird ihm zugemuthet, etwas fü r w ahr zu halten, das von dem ewigen Lauf der Dinge abweicht, und schlecht­ hin unmöglich ist.

W ie die Frage eben gestellt w a r ,

würde es sich freilich so verhalten; allein warum sollte m an nicht, eben so gut als man jene Römer Englisch oder Deutsch spreche« lä ß t, ihre Reden in eine Sprache

übersetze« d ürfen , w o rin sich alles, was man sagt, noth­ wendiger Weise und wie von selbst in Verse ordnet ? Und solch eine allen

menschlichen Zungen gemeinschaftliche

M u n d a rt ist ja doch in gewissem Betracht die Poesie. B e i der theatralischen Täuschung, deren eigentliche A r t und Gränzen ich übrigens dahin

gestellt seyn lasse, ohne

mich a u f die Gründe zu berufen, w om it Johnson ih r Daseyn so scharf bestritte» h a t;

bei der theatralischen

Täuschung kommt es gar nicht a u f jene Wahrscheinlich­ keit a n , die man unter mehreren möglichen Erfolgen demjenigen zuschreibt, welcher die meisten Gründe fü r sich h a t, und die sich in vielen Fällen sogar arithmetisch be­ stimme« lä ß t, sondern ans den sinnlichen Schein der W ahrheit.

W a s in jener Bedeutung unwahrscheinlich,

vö llig falsch, ja fast unmöglich is t, kann dennoch wahr zu seyn scheinen, wenn n u r der G rund der Unmöglich­ keit außer dem Kreise unsrer Erkenntniß lie g t, oder »ns geschickt verschleiert w ird .

M i t dem Verstände un­

tersucht, muß das Sylbenmaaß freilich fü r d a s , was es »st, nämlich fü r eine Erdichtung erkannt werden: aber der zergliedernde Verstand und die Täuschung vertragen sich überhaupt nicht zum Besten m it einander; genug wen» der Eindruck des Sylbenmaaßes auf das Gehör bei einem lebendigen Vortrage sie nicht zerstört. D e r Versbau mag den Dichter noch so viele M ühe gekostet haben, wofern sie gelungen ist, so w ird sie im geringsten nicht mehr hörbar seyn, sondern n u r durch Schlüsse vermuthet wer­ den können.

D ie Verse sind bei ihrer Ausarbeitung

nach einer Regel abgemessen worden, aber es wäre höchst fehlerhaft, durch die A r t sie herzusagen, die Aufmerk-

samkeit hauptsächlich a u f diese zu lenken.

S ie kann fühl»

bar bleiben, ohne daß man sich ihrer abgesondert be­ w uß t w ird .

S ie soll dem Wohlklange n ur zur Unter­

lage dienen, und- indem sie die endlose M anvichfaltigkeit der Töne bis zum schönen Wechsel begränzt, dem O h r ihre harmonischen Verhältnisse faßlich machen.

W ie sollte

der Z u h ö re r, ist n u r der In h a lt so beschaffen, daß er seinen Geist lebhaft beschäftigt, nicht vergessenden prosodischen Maaßstab anzulegen, da ihn der Dichtende selbst im Feuer der Em pfindung zugleich beobachte» und verges­ sen kann? D aß dieß möglich sey, w ird nnwidersprechlich durch das Jm provisiren dargethan; ich meyne hier nicht die spätere Kunst der Im provisatoren vom Hand­ w e rk, die man eine poetische Seiltänzerei nennen könnte, sondern das natürliche, zum T h e il dialogische Dichten aus dem S te g re if, das bei mehreren Völkern eine ge­ wöhnliche gesellschaftliche Ergötzung w a r oder noch ist. * )

# ) D a s älteste m ir bekannte und in jedem Betracht der E r­ wägung sehr würdige Zeugniß hierüber enthält der an­ geblich Homerische Hymnus auf den Hermes, B . 54— 56: — &eös 6' Und xcdoy äßidey adtoG xsdiris nUQüJftsyog y tfüte xovqol qßij%cti

nocQCußölcc x€QtOfxiovGt,y.

— der Gott sang schon zu dem Spiele, WaS ihm der Sinn eingab, schnellferrigeS, gleichwie am FestfchmauS Iünglinge wohl sich versuchen mit neckendem Wechselgesange. D ie bekannte Geschichte vom Caedmon beweist, daß bei dm Angelsachsen, einem Volke von so schlichten S itte n , das geseltschaftlicheJmprovissren nach derMahlzeit ebenfalls üblich war. M a n vergleiche Rousseau D k tio n n a ire de M usiquej A rt.

S ehr merkwürdig ist es, und kann gewiffermaaßen für einen historischen Beweis gelten, dass der dramatische Gebrauch des Sylbenmaaßes unsrer Natur nicht sogar fremde sey, daß schon in der frühesten Kindheit der theatralischen Kunst die Reden, welche man noch nicht aufschrieb und auswendig lernte, sondern aus dem Steg« reif erfand» doch schon in Versen, so gut oder so schlecht man sie zu machen verstand, hingeschüttet wurden. **) Alles obige- findet, wie-sich versteht, nur bei eiuer schicklichen W ahl des Sylbenmaaßes S ta tt - es muß weder Improviser. »G*est faire et chanter ihproraptu des chansons, airs et paroles, qu’on accompagne communement d-'une* Guitarre ou dfautre pareil Instrument. II n’y a rien de plus commun en Italic, que de voir deux masques se rencontrer, se defier , s’attaquer , se rip oster ainsi par des Couplets sui* le m6me a ir, avec une vivacite de dialogue, de chant, d'accompagiiement, dout il saut avoir e'te tcmoin pour la comprendre. *) Ausdrücklich sagt dieß Aristoteles (POET. C. IV.) zwar nicht;

allein wenn man zwei seiner S äh e vergleicht: nvoptvtj ovy djt* dqyrjg ctvTOO%£&ict(fTixr] xai aurq ( jJ xpaycud/«) Mit 9 X(Ofj,0)&£ct

n. s. w. und nachher:

ro pthv y d q

TTptu-

%ov %sxQapETQ(p ixQuipTo; so wird es Über allen Zweifel

erhoben. D aß es mit den Atellanischen Spielen bei ih­ rem Ursprünge diese Bewandtniß gehabt, versichert Livius, VII, 2. auf die bestimmteste W eise: Imitari deinde cos iuventus, 8imul inconditis iutcr se iocularia fundentcs versibus; hernach t iuventus ipsa inter se more antiquo ridicula intexta versibus iactitare coepit, quae deinde exodia postea appcllata, conscrtaquc fabellis potissimum Atellauis sunt.

die feierliche Fülle des epische«, noch die melodischen Schwünge der lyrischen haben; es muß den gewöhnliche« S ch ritt der Rede beflügeln, ohn« sich zn auffallend von ihm zu entfernen. Diese Eigenschaften hat der Jam be, der eigentliche dialogische V e r s , w ofür ihn schon die Alten rühmen. * )

Aristoteles bemerkt,

daß man im

Gespräch sehr häufig Jamben einmische, aber selten H era­ meter.

D e r Trim eter der Alten ist zwar noch merklich

von dem Englischen Mank verse und unsern fünffüßigen Jamben unterschieden; aber fü r die beiden Sprachen lei­ sten diese ungefähr eben d a s , w as jener fü r die Griechische und Römische.

Um über die dramatische Untauglichkeit

des Reimes, den das allgemeine U rtheil in England- schon v o r geraumer Z e it, später bei « n s , von der Bühne ver­ bannt h a t, gründlich zu

entscheiden, müßte man wohl

voch tiefer in fein Wesen eindringen, als bisher gesche­ hen.

D aS ist offenbar, daß es sehr fehlerhaft ist, wenn

er der Sym m etrie einer eintönigen D ersart symmetrisch angehängt w ird , wie in den Französischen Trauerspielen. Uebcrhaupt geben diese ziemlich vollständige Muster a b , w ie man sowohl das Sylbenmaaß

als die Poesie des

S t il s im D ra m a n ic h t gebrauchen soll; wenn w ir

sie

anders im Gebiet der Dichtkunst anerkennen, und nicht lieber gerades Weges in die Schulen der Rhetoren, als ihre H e im a t, verweisen wollen. *)

Hunc socci cepere pedem , grandesque cothurui, Alternis aptum sermonibus, et populäres Yincentem strepitus, et natum rebus agendis.

Zusatz z u m n e u e « A b d ru c k .

1827. D ie obigen Bemerkungen sind aus einem Aufsatze fit Schillers H o r e n :

»Etwas über W illia m Shakspeare

bei Gelegenheit W ilh e lm M eisters,« ausgehoben, w orin ic h ,

jedoch ohne Nennung meines noch unbekannte«

N am ens, mein Vorhaben, den Shakspeare zu übersetzen, a u f einem Umwege ankündigte.

D a s Bedürfniß einer

Uebersetzung, w o rin die dichterischen Formen des O rig iu a ls beibehalten wären, schien damals noch nicht sonderlich gefühlt zu werden.

Shakspeare w ar schon vor langen

J a h re n , zuerst von W ieland, dann genauer und vollstän­ diger von Efchenburg, in Prosa übertragen; in dieser Gestalt hatte man ih n , freilich außerdem noch mannichfa ltig verstümmelt und verunstaltet, auf die Bühne ge­ bracht : und selbst in einer so unvollkommenes Erscheinung hatte der hohe Genius seine Zaubergewalt bewäbrt. Auch B ü rg e r blieb in seiner Bearbeitung des Macbeth, die Herengesänge ausgenommen, bei der P rosa; und «och kurz vo r Abfassung meines Aufsatzes gab Goethe im W il­ helm Meister nicht die leiseste Andeutung,

als ob man

wünschen könne, in Deutschland etwas anders als einen prosaischen Hamlet aufgeführt zu sehen. Dieses w ar um so weniger zu verwundern, da durch Lehre und Ausübung der versificirte D ia lo g damals beinahe ganz von unserer Bühne verbannt zu seyn schien.

Lessings Vorurtheil

gege« den Gebrauch deS Sylbenmaaßes im Schauspiel,

— man samt es nicht anders als ein Vorurtheil nennen» und zwar ein ganz persönliches Vorurtheil: denn seine Gründe galten nur das fehlerhafte Beispiel der Franzö­ sischen Tragödie; durch die allgemeine Verwerfung rächte er sich gewissermaaßen für die P ein, welche seine miß­ glückten Anfänge von Trauerspielen in Alexandrinern ihm verursacht hatten; — Lefsings Vorurtheil also hatte in Deutschland nur allzu tiefe Wurzeln geschlagen. S o ­ gar so unabhängige und zu freier Meisterschaft bestimmte Geister wie Goethe und Schiller konnten sich bei dem Eintritt in ihre Laufbahn dem Einflüsse des Zeitge­ schmacks nicht entziehen. Von ihnm ging dieß auf die Schriftsteller vom zweiten Range über, und so weiter auf die belichten Verfertiger von Schauspielen für de« täglichen Verbrauch. E s kam dahin, daß bei dem Ent­ würfe eines dramatischen Werkes, zu welcher Gattung es auch gehören mochte, der prosaische Dialog schon ohne weiteres vorausgesetzt, und dessen Zulänglichkelt für alles gar nicht mehr in Frage gestellt ward. Frei­ lich hatte, wie es zu gehen pflegt, die Form, oder vielmehr in diesem Falle die Abwesenheit jeder metrischen Form auf den Ton der Darstellung zurückgewirkt: alles wurde möglichst in die Nähe der gewöhnlichen Wirklich­ keit, der einheimischen und der heutigen S itte herange­ rückt. Sogar d a , wo die geschichtliche Beschaffenheit des Gegenstandes dieß nicht ganz gestattete, wurde den­ noch die Prosa beibehalten: in Klopstocks Bardieten, die Bardengesänge ausgenommen; im Götz von Berlichingen; im Gerstenbergs Ugolino und M inona; im Ju liu s von Tarents im Faust vom M aler M üller; in

der Medea von Klknger; in Otto von Wittelsbach und so vielen andern Ritterschauspielen. D er Urheber der falschen Theorie hatte selbst im N ath an , jedoch nur ganz leise» wieder eingelenkt. Bei Goethe eilte das Gefühl des künstlerischen Bedürfnisses dem deutlich gefaßten Vor­ haben voran: in die leidenschaftlichen Scenen des Egmont habe« sich die Jam ben eingedrängt, sind aber auf dem halben Wege zur regelmäßigen Verstfication stehen geblieben. M an versichert, die Jphigenia sey zuerst auch in P rosa abgefaßt gewesen, und erst beträchtlich später i« Verse gebracht. Dieselbe Umgestaltung (daneben aller­ dings eine noch wesentlichere) nahm der Dichter mit Erw in und Claudine vor. Allein Goethe's reimlose Jam ­ ben, besonders in der Jphigenia und im Tasso, können bei der vollendete« Zierlichkeit des Ausdrucks und dem gefälligsten W ohllaut dennoch nicht für Muster von dem dramatischen Gebrauche dieser V ersart gelten. S ie sind nicht dialogisch genug; es fehlt darin, w as man in der M ahlerei heurtd nennt; die Perioden schlingen sich in harmonischem Wellengänge durch zu viele Zeilen fort. D e r Gebrauch des Reimes im Faust hingegen, wo er bald kurze Derspaare in Hans-Sachsischer Weise bindet, bald Jamben von verschiedener Länge bis zum Alexan­ driner, mannichfaltig alternirend, begränzt, ist Goethe's eigner, einzig glücklicher Gedanke, mit einer Meister­ schaft durchgeführt, die mich in ein immer neues Erstau­ nen setzt. Die Reime werden g ar leicht zu Gemein­ plätzen ; h ie r, sie mögen nun im idealischen Gebiet der Sprache daheim seyn, oder ins barocke übergehen, sind sie immer neu, bedeutsam und gleichsam die Lichtpunkte

der Darstellung. Auch in der Versiflcation des Faust ist alles unmittelbar und augenblicklich, alles ist Leben, C h arakter,-S eele, Geist und Zauberei. Schiller hatte sich bei seinem Don Carlos zuerst wieder zu einer Art von Versbau bequemt. Aber seine Erklärung über die G ründe, die ihn dazu bewogen, w ar eben so unbefriedigend, als die Jambe« selbst, be­ sonders in de» Schlußfällen und Cäsuren, «achläßig und locker -hingeworfen, oder vielmehr aus einander geschwemmt fi»d. D ie Gewohnheiten der Dichter wirkten wie natür­ lich auf die Schauspieler. Eckhof scheint die Recitation der tragischen Alexandriner in großer Vollkommenheit besessen zu haben: bei der verwandelten Verfassung deS Theaters starb diese Kunst mit ihm aus. Die ausge­ zeichneten Schauspieler des nächsten Zeitraum es, Schrö­ d e r , Brockmann, dann Fleck und Jffla n d , fanden die Prosa schon im ausschließlichen Besitz der B ühne, und waren daher nie veranlaßt, ihrem Gedächtnisse und ihrer Stim m e irgend eine au f den Vortrag von Versen ab­ zweckende Uebung zuzumuthen. Engel pflanzte Lessings Lehre fo rt, er trieb sie in seiner Mimik, wo möglich, «och weiter; (vgl. meine Vorlesungen über D ram at. K. und Litt. III. S . 396.) er sanctionirte sie für die Schau­ spieler, und Engeln w ar geraume Zeit die Leitung des Berlinischen Theaters anvertraut. N ur ein M ann von so großem Ansehen, und der die theatralische Wirkung so ganz in seiner Gewalt hatte, wie S chiller, konnte die Wiedereinführung der Verse durchsetzen. Do» jedem Andern hätten damals die Direktionen versificirte und

vollends theAweise in Reimen abgefaßte Stücke,

als

eben deswegen unbrauchbar, zurückgeschoben. Doch muß­ ten ihm noch die Vorübungen auf dem Weimarischen Theater unter Goethe's Leitung zu H ülfe kommen. A n­ derswo gebehrdeten die Schauspieler sich sehr wunderlich dabei:

ungefähr wie jem and, dem zum erstenmal ein

Ananas dargeboten w ird , und der die unbekannte Frucht m it der

stachlichten Krone voran zum M unde führt.

Insbesondre schienen unsre jungen Helden und ersten Liebhaber überzeugt gewesen zu seyn, es sey die H aupt­ sache bei der Schauspielkunst,

sich m it einer stattlichen

F ig u r au f den B rettern zu spreizen, man müsse m it seiner Person bezahlen; die W o rte der Rolle seyen dabei n ur ein nothwendiges Uebel,

womit man sich so wohl­

feil abfinden dürfe, wie möglich.

S ie wußten durchaus

keine V erm ittlung zwischen dem belebten freien Ausdruck und einer erhöhten Recitation zu treffen, und suchte« also das verhaßte Sylbenmaaß ganz zu vernichten. M a n fand es sehr unbequem, genauer auswendig lernen zu müssen, als es bei der bisherigen platten Prosa nöthig gewesen w a r.

D ie Rollen wurden w ie Prosa ausge,

schrieben, damit nur der rohe N aturalism us des V o r­ trags ja nicht gestört würde.

J ffla n d , ein so vortreff­

licher Schauspieler im charakteristischen Fache,

hat nie­

mals die ersten Elemente des Versbaues begriffen. Ver­ geblich hätte man sich bemüht ihm ins klare zu setzen, daß die Umstellung einiger W ö r te r , irgend ein beweg­ lich eingeschobenes:

o H im m e l!

Ordnung der Verse zerstöre. sche als

oder dergleichen,

die

N u r eine eben so geniali­

besonnene K ünstlerin,

Friederike Unzelmann

nachherige B ethm ann,

kam der Neuerung m it E ifer

entgegen: sie sah darin eine Gelegenheit, ihre Talente von einer neuen Seite zu zeigen;

und ohne eines me­

thodischen Unterrichtes zu bedürfen, bloß vermöge ihres zarten Sinnes fü r W ohllaut und Ebenmaaß, wurde sie auch in der R ecitation der Verse M eisterin. D a seit dreißig Jahren so viel versificirte Schau­ spiele, nicht n ur in reimfreien Jamben sondern auch in mannichfaltigen Reim form en, auf die Deutsche Bühne gebracht worden sind, so hat ohne Zw eifel durch Uebung und Erfahrung auch die Schauspielerkunst von S eite gewonnen.

dieser

Doch artet immer noch zuweilen die

Deklamation in ein Gepolter a u s ;

und es w ird nicht

unnütz seyn, die E rinnerung Shakspeare's zu wieder­ holen , daß selbst im W irbelwinde der Leidenschaft eine gewisse M äßigung und Geschmeidigkeit beibehalten w er­ den müsse.

D ie Versification ist unläugbar ein akusti­

sches H ü lfsm itte l.

Von Meisterwerken der dramatischen

Kunst d a rf keine Sylbe verloren gehen. Dieß kann ohne übermäßige Anstrengung der Stim m e geleistet werden, durch reine A rtic u la tio n , richtige Betonung und

die

Beobachtung der gehörigen Pausen. Wenn unsre Schau­ spieler sich diese Kunst erst ganz zu eigen gemacht haben, dann werden wohl auch die häufigen Klagen über die fehlerhafte akustische Beschaffenheit der Theater wegfallen. B e i der Neigung unsrer Sprache zur Härte kann Bieg­ samkeit der Stim m e und Gelindigkeit der Aussprache nicht genug empfohlen werden.

-Unsre Schauspielerinnen

besitzen diese Eigenschaften häufiger als unsre Schauspie­ ler. I.

Weibliche H auptrollen Shakspeare's, Theil.

eine J u lia , 25

eine Porcia im Kaufmann von Venedig, habe ich schon so vollkommen darstellen sehen, auch von Seiten der Reci« ta tio n , als ich es in jener Z e it, wo ich den Shakspeare zu übersetzen unternahm , schwerlich erwarten durfte. Dieser Blick auf die Zeitumstände und auf die Ge­ schichte unsers Theaters w ird die Leser des vorstehenden Aufsatzes, der zw ölf Jahre vor der Herausgabe meiner Vorlesungen über dramatische Kunst geschrieben w a rd , in den rechten Gesichtspunkt stellen.

Jetzt habe ich fre i­

lich wenig Widerspruch zu befürchten;

damals

aber

standen sehr angesehene Auctoritäten m ir entgegen. D ie Theorie des prosaischen D ia lo g s zu widerlegen, kann immer noch nicht überflüßig scheinen; denn wie sic von D id e ro t, Lessiug und Engel gelehrt, von vielen aus­ gezeichneten Köpfen angenommen w orden, so könnte sie auch einmal wieder aufkommen.

D a s beste Vorkehrungs­

m itte l dagegen ist die deutliche E insicht, w arum und w ie das D ra m a versificirt werden soll. Wenn aber die Ansicht der dramatischen Darstellung und

die Verfassung des Theaters in Deutschland seit

dreißig Jahren so beträchtlich verändert is t, so hat gewiß die Bekanntschaft m it den Werken Shakspeare's in ihrer ächten Gestalt dazu beigetragen.

Jetzt dürste es an der

Z e it seyn, de« Gebrauch der P ro sa , wenigstens theilweise, wieder zu empfehlen.

Shakspeare hat durch die

Einmischung prosaischer und eigentlich mimischer Scenen den dichterischen T he il seiner Schauspiele vortrefflich zu heben gew ußt; das Beispiel des großen Meisters sollte oh*

von dieser Seite fü r uns nicht verloren seyn.

XIII. Ueber

Shakspeare's Romeo und Julia. 1797.

9Ö?an hat viel Gewicht auf den Umstand gelegt, daß Shakspeare die diesem Schauspiel zum Grunde liegende Geschichte sogar in kleinen Besonderheiten ohne alle eigne Erfindung grade so genommen, wie er sie vorfand. Auch mir scheint dieser Umstand merkwürdig, aber in einer andern Hinsicht. Der Dichter, der, ohne auf den Stoff auch nur entfernt Ansprüche zu macken, die ganze Macht seines Genius auf die Gestaltung w andte, setzte ohne Zweifel das Wesen seine- Geschäftes einzig in diese, sonst hätte er fürchten müssen, man werde ihm zugleich mit dem Eigenthum des Stoffes alles Verdienst abspre, chen. E r hatte also feinere, geistigere Begriffe von der dramatischen Kunst, als man gewöhnlich ihm zuzuschrei« den geneigt ist. Aber auch von der Bildung der Z u­ schauer , für die Shakspeare eine so allgemein bekannte und populäre Erzählung (denn dieß war sie dam als)

dramatisch bearbeitete, erweckt es eine günstige Vorstel­ lu n g , daß sie nicht durch materielle Neuheit gereizt zu werden verlangten, und daß es ihnen mehr auf das W ie

als das W a s ankam.

mancherlei

Andeutungen

Vielleicht ließe cs sich aus

wahrscheinlich genug

zeigen,

daß die Engländer in jenem Z eitalter, trotz ihrer

U n­

wissenheit und einer gewissen Rauhheit der S itte n , mehr dichterischen S in n und einen freieren Schwung der E in ­ bildungskraft gehabt haben, als je nachher. I n vielen andern Schauspielen ist Shaklpeare, was den G ang der Begebenheiten b e trifft, irgend einer alten Chronik, oder einer schlechten Uebersetzung des Plutarch, oder einer Novelle m it eben so gewissenhafter Treue ge­ fo lg t, als im Romeo.

W o er bloß Winke benutzt, oder

unabhängig ersonnen zu haben scheint, ist man vielleicht den rechten Quellen noch nicht a u f der S p u r , oder sie können auch verloren gegangen seyn.

Ueber diesen Punkt

haben hauptsächlich die neuesten Herausgeber, Steevens und M a lo n e ,s o viele vorher vernachlässigte Entdeckun­ gen gemacht,

daß sich noch manche erwarten lassen,

wenn m it ihrem forschenden Fleiße fortgefahren w ird . D ie Geschichte R om eos und Juliens w a r aus des Luigi da P o rta ursprünglicher

Erzählung *) von B andello,

"'O D ieß ist sie nä m lich, in so fern ih r keine wahre G e­ schichte zum G runde liegt.

Gerolamo della Corte trä g t

sie umständlich als eine solche in seinen Annalen von V e ­ rona unter der Regierung des Bartolomeo della Scala v o r , behauptet auch das G rabm al der beiden Liebenden (od er was man ihm dafür au sga b), häufig gesehen zu

Boisteau und Belleforest in ihre Novellensammlungen aufgenommen worden. Auch hatte man vor Shakspeare's haben. M an fällt natürlich auf den Gedanken, daß die Novellen-Dichter eine so wunderbare Begebenheit von dem Geschichtschreiber werden entlehnt haben, weit der entgegengesetzte Fall bei diesem gar zu wenig Urtheil ver­ rathen würde. Dennoch scheint es hier wirklich so ge­ gangen zu seyn; denn Gerotamo della C o rte , dem der gelehrte Maffei überhaupt nicht das beste Lob e rth eilt, hat die Geschichte von V erona bis auf das J a h r i56o g efü h rt; die Novelle von Luigi da P o rta ist dagegen schon ftüh in der ersten Hälfte des sechzehnten Ja h rh u n ­ derts erschienen, und ein älteres historisches Zeugniß wird sich schwerlich finden. Cs fehlt an Quellen für die Veroneffsche Geschichte, besonders in dem Zeitraum e, wo das H aus della S cala herrschte. M uratori klagt (Script, rer. Italic. Vol. VIII.)/ daß er nichts als eine kurze Chro­ nik vou P a r i s i u s de C e r e ta habe auftreiben kön­ nen. I n der Fortsetzung dieser Chronik durch einen Un­ genannten wird nicht nur von der Geschichte Romeo'ö und Ju lien s (dieß wäre bei der großen Kürze des B e ­ richtes nicht zu verwundern) sondern auch von den S tr e i­ tigkeiten der Montecchi und Cappelletti nichts erwähnt. W as aber die historische Authenticität noch weit verdäch­ tiger m acht, ist ein negatives Zeugniß des D a n t e . Bartolomeo regierte vom J a h r i 3 oi bis i3o4; D ante kam entweder in dem letztgenannten Ja h re oder nach andern Angaben tut J a h r i3o8 nach V erona, und lebte daselbst beträchtliche Zeit, von Alboino, besonders aber von Cangrande, den B rüdern und Nachfolgern des B artolom eo, begünstigt. D as traurige Schicksal jener Liebenden hätte also noch in sehr frischem Andenken seyn müssen- und

Zeit verschiedene Ü bertragungen in s Englische. D ie welche er, w ie nunmehr ausgemacht ist, w o nicht a u s­ schließend , vorzüglich vor Augen gehabt, h e iß t: The tragicall Hystory of Romeus and Juliet : Contayning in it a rare Example of trne Constancie etc., und ist in Versen abgefaßt. Ih rer S elten h eit wegen hat M alone sie hinter dem Romeo von neuem abdrucken lassen, so daß nun jeder die Vergleichung anstellen kann. Shakspeare hat sie eben nicht zu fürchten. G iebt es doch nichts gedehn­ teres , langw eiligeres a ls diese gereimte Historie, welche S e in G e ist, so wie der reiche S te in der W eisen , I n Schönheit umschuf und in W ürdigkeit.

wäre gewiß wie die Geschichte der Francesca von ihm auf eine oder die andre Art in sein Gedicht eingeflochten worden, wenn es historischen Grund hätte. D ante kennt auch die beiden Geschlechter, aber er nennt sie gemein­ schaftlich als Freunde, wenigstens beide als gibellinisch ge­ sinnt , fn seiner Ermahnung an Kaiser Albrecht, sich Ita lien s anzunehmen. Purg. C. VI. Vieui a vetler Moutccchi u C appelletti, Moualdi e Filippeschi, uom scnza cura; Color gia tristi, e costor con sospetti.

D ie Filippeschi und M onaldi zagen. S o r g lo se r ! komm und steh, schon unterdrückt. D ie Cappelletti und Montecchi klagen. D ie Namen der Familien find in der veränderten Eng­ lischen Schreibung, Caputet und M on tagu e, unverkenn­ bar. S o viel ich weiß, ist diese S telle von niemanden be­ merkt , noch gegen die angebliche Feindschaft, und somit gegen die Aechtheit der Geschichte angeführt worden.

Nur die Freude, diese wundervolle Umwandlung deut­ licher einzusehen, kann die Mühseligkeit vergüten, mehr als dreitausend sechs- und siebenfüßige Jamben durch­ zulesen, die in Ansehung alles dessen, was uns in dem Schauspiele ergötzt, rührt und hinreißt, ein leeres B latt sind. M it der trockensten Kürze vorgetragen, werden die unglücklichen Schicksale der beiden Liebenden das Herz und die Fantasie immer noch treffen; aber hier wird unter den breite«, schwerfälligen Anmaaßunge« einer anschaulich schildernden und rednerischen Erzählung die Theilnahme gänzlich erstickt. Wie viel war nicht wegzuräumen, ehe dieser gestaltlosen Masse Leben und Seele eingehaucht werden konnte! I n manchen Stücken verhält sich das Gegebene und d a s , was Shakspeare daraus gemacht, wie die ungefähre Beschreibung einer Sache zu der Sache selbst. S o ist aus folgender An­ gabe: A coartier, that eche where was highly had in pricc, F or he was courteoas of his Speeche and pleasant of devise. Even as a lyon wonld emong the lambes he ho ld e, Sach was emong the bashfnll maydes Mercatio to beholdc;

und dem Zusatze, daß besagter Mercutio von Kindes­ beinen an beständig kalte Hände gehabt, eine glänzende, mit Witz verschwenderisch ausgestattete Rolle gewordenM an muß strenge auf dem Begriffe der Sd)öpfung aus nichts bestehn, um dieß nicht für eine wahre Schöpfung gelten zu lassen. Einer Menge feinerer Abweichungen nicht zu gedenken, finden wir auch einige bedeutende

Vorfälle von "der Erfindung

des D ichters, z. B . das

Zusammentreffen und den Zweikampf der beiden Neben­ buhler P a ris und Romeo an Julie ns Grabe.

Gesetzt

aber auch, alle Umstände, bis auf die Klötze, die Eapulets

Bedienter

zur

Bereitung

des

Hochzeitmahles

herbeischleppt, wären ihm fertig geliefert, und ihre B e i­ behaltung vorgeschrieben worden, so würde es desto be­ wunderungswürdiger seyn, daß er m it gebundenen Hän­ den, Buchstaben in G eist, eine handwerksmäßige P fu ­ scherei in ein dichterisches Meisterwerk umzuzaubern ge­ wußt. Shakspeare's gewöhnliche Anhänglichkeit an etwas Vorhandenes läß t sich nicht ganz ans der vielleicht von ihm

gehegten M eynung erklären, als ob dieß P flich t

sey, noch weniger aus einem bloßen B e dü rfniffe ; denn zuweilen hak er dreist genug durch einander geworfen, was ihm in der ursprünglichen Beschaffenheit untauglich schien, und seine Erfindsamkeit, besonders in komischen S itu a tio n e n , glänzend bewährt. Welche Fülle und Leich­ tigkeit er gehabt, weiß m a n : konnte ihm sein Ueber# fluß nicht das W ählen und Anordnen erschweren, wenn er

das unermeßliche Gebiet der Dichtung bloß nach

W illkü h r durchschweiste?

Bedurfte er vielleicht einer

äußern Um gränzung, um sich der Freiheit seines Ge­ niu s w ohlthätig bewußt zu w erden? I n der entlehnten Fabel baut er immer noch einen höheren, geistiger» E n tw u r f, w o rin sich seine Eigenthümlichkeit offenbart. S o llte nicht eben die Fremdheit des rohen Stoffes zu manchen Schönheiten Anlaß gegeben haben, indem die n ur durch gröbere Bande

zusammenhängenden Theile

durch die Behandlung erst innere Einheit

gewannen?

Und diese E in h e it, wo sie sich m it scheinbaren W id e r­ sprüchen beisammen findet, bringt eben jenen wunder­ vollen Geist hervor, dem w ir immer neue Geheimnisse ablocken, und nicht müde werden ihn zu ergründen. M i t der letzten Bemerkung ziele ich mehr a u f eini­ ge andre Stücke als

a u f den Romeo.

Dieser ist voll

tiefer Bedeutung, aber doch einfach; es sind keine Räthsel darin zu entziffern. D a ß Shakspeare sowohl durch die be­ stimmte und leicht übersehbare Begränzung der H andlung, als durch eine nicht nur die Theilnahme sondern auch die Neugier spannende Verflechtung,

den bloß technischen

Foderungen an den Mechanismus des D ra m a 's hier mehr Genüge

geleistet h a t, als

er meistens pflegt, ist ein

fremdes und zufälliges V e rd ie n s t: denn es lag in der N o velle, und doch w a r es gewiß nicht diese Beschaf­ fenheit, w as sie ihm zur dramatischen Bearbeitung em­ pfahl.

D a s Zusammendrängen der Z e it, w o rin die B e­

gebenheiten vorgehn, gehört schon weniger zu den Aeusserlichkeiten: sie folgt dem reißenden S trom e der Lei­ denschaften.

D a s Schauspiel endigt m it dem M o rg e n

des sechsten T a g e S , da sich in der Erzählung alles in langen Zwischenräumen hinschleppt.

Doch sollten w ir

Shakspeare'n

nachrechnen, der

diese D in g e

wohl

so genau nicht

m it einer heroischen Nachläßigkeit tr e ib t,

und unter andern die G rä fin Capulet, die im ersten Aufzuge eine junge F ra u von noch nicht dreißig J a h ­ ren is t, im letzten plötzlich von ihrem hohen A lter re­ den läßt. D ie Feindschaft der beiden Fam ilien ist der Angel,

um welchen sich alles dreht: sehr richtig hebt also bie Exposition m it ih r an-

D er Zuschauer muß ihre A us­

brüche selbst gesehen haben, um zu wissen, welch nnübersteigliches H inderniß sie fü r die Vereinigung der Lie­ benden ist.

D ie

E rb itterun g der Herren hat an den

Bedienten etwas plumpe aber kräftige Repräsentantenes ze ig t, wie w eit sie geht, daß selbst diese albernen Gesellen einander nicht begegnen können, ohne sogleich in Händel zu gerathen.

Romeo's Liebe zu Rosalinden

macht die andre H älfte der Exposition aus.

S ie ist vie­

len ein Anstoß gewesen, auch Garrick hat sie in seiner Umarbeitung weggeschafft.

Ic h möchte sie m ir nicht neh­

men lassen: sie ist gleichsam die O uvertüre zu der musi­ kalischen Folge von M om enten, die sich alle aus dem ersten

entwickeln,

Stück w ürde, lyrisch

wo Romeo Ju lie n

nicht in

erblickt.

pragmatischer H insicht,

D as aber

genommen (un d sein ganzer Zauber beruht ja

a u f der zärtlichen Begeisterung, die es athmet) u n v o ll­ ständig seyn, wenn es die Entstehung seiner Leidenschaft fü r sie nicht in sich begriffe. fangs

in

S o llte n w ir ihn aber an­

einer gleichgültigen S tim m ung sehn?

W ie

w ird seine erste Erscheinung dadurch gehoben, daß e r, schon von den Umgebungen der kalten W irklichkeit gesondert, a u f dem geweiheten Boden der Fantasie w an­ d e lt!

D ie zärtliche Bekümmerniß seiner E lte rn ,

sein

unruhiges Schmachten, seine verschlossene Sckw erm uth, sein schwärmerischer Hang zur Einsamkeit, alles an ihm verkündigt den Günstling

und das O p fe r der Liebe.

Seine Jugend ist wie ein Gewittertag im F rü h lin g e , wo schwüler D u ft die schönsten, üppigsten Blüthen um-

lagert.

W ir d sein schneller Wankelmuth die Theilnahme

von ihm abwenden? O der schließen w ir vielmehr von der augenblicklichen Besiegung des ersten H anges,

der schon

so mächtig schien, au f die Allgew alt des neuen Eindrucks? Romeo gehört wenigstens nicht zu den F latte rh a fte n , deren Leidenschaft sich n ur an Hoffnungen erhitzt, doch in der Befriedigung erkaltet.

und

Ohne Aussicht a u f

Erwiederung hingegeben, ffieht er die Gelegenheit, sein H erz a u f andre Gegenstände zu lenken, die ihm B envolio zu suchen a n rä th ; und ohne ein D erhängniß, daS ihn m it widerstrebenden Ahndungen au f dek B a ll

in

Capulets Hause fü h rt, hätte er noch lange um Rosa­ linden seufzen können.

E r sieht J u lie « , das Loos seines

Lebens ist entschieden.

Jenes w a r n u r w illig

gehegte

Täuschung, ein Gesicht der Z u k u n ft, der T ra u m eines sehnsuchtsvollen Gemüths.

D ie zartere In n ig k e it, der

heiligere Ernst seiner zweiten Leidenschaft, die doch ei­ gentlich seine erste ist,

w ird unverkennbar bezeichnet.

D o r t staunt er über die Widersprüche der Liebe, die wie ein fremdes K leid

ihm noch nicht natürlich

sitzt;

hier ist sie mit seinem Wesen zu sehr eins geworden, als daß

er sich noch von ih r unterscheiden könnte.

D o rt

schildert er seine hoffnungslose P ein in sinnreichen Ge­ gensätzen; hier bringt ihn die Furcht vo r der Trennung zur wildesten V erzw eiflu n g ,

ja fast zum Wahnsinne.

Seine Liebe zu J u lie n schwärmt nicht m üßig, sie handelt aus ihm m it dem entschlossensten Nachdrucke. D a ß er sein Leben w a g t, um sie in der Nacht nach dem B alle im G a r ­ ten zu sprechen, ist ein geringes; der Schwierigkeiten, dir sich seiner Verbindung m it ih r entgegensetzen, w ird

nicht gedacht;

wenn sie nur sein ist,

bietet er

allen

Leiden Trotz. J u lia durfte nicht an Liebe gedacht haben, ehe sie den Romeo sah: es ist das erste

Entfalten der jung­

fräulichen Knospe. Ih r e W a h l ist ebenfalls augenblicklich:

Amor’ al cor gentil ratto s’apprende ; D ie Liebe zündet schnell in edlen Herzen; aber sie g ilt fü r ewig. E s wäre unmöglich, sie fü r nichts weiter als ein unbesonnenes im Gedränge

unbestimmter

Mädchen zu halten, die Regungen,

deren sie sich

zum erstenmale bewußt w ir d , gleichviel a u f welchen G e­ genstand verfällt. den , daß

M a n glaubt m it den beiden Lieben­

hier keine Verblendung S t a t t

daß ih r guter Geist sie einander zuführt.

finden kan n , In

Ju lie n s

Hingebung ist noch eine göttliche Freiheit sichtbar. Z ü r ­ net nicht m it ih r , daß sie so leicht gewonnen w ir d : sie ist so jung und ungekünstelt, sie weiß von keiner andern Unschuld,

als ohne Falsch dem R ufe

Herzens zu folgen.

Im

ihres

innersten

Romeo kann nichts ihre Z a r t­

heit zurückscheuchen, noch die feinsten Federungen einer w ah rh aft von Liebe durchdrungenen Seele verletzen. S ie redet offen m it ihm und m it

sich selbst: sie redet nicht

m it vorlauten S in n e n , sondern n ur la u t, w as das sitt­ samste Wesen denken darf. die ungeduldige

Ohne Rückhalt gesteht sie sich

E r w a r tu n g ,

w om it

sie am

nächsten

Abend ihrem Geliebten entgegensieht, denn sie fü h lt, daß holde Weiblichkeit ih r auch in den Augenblicken des T a u ­ mels zur S e ite stehen, w ird .

Im

und jede G ew ährung

heiligen

Gedränge zwischen schüchternen W allungen

und den B ildern ihrer entflammten Fantasie ergießt sie

sich in einen Hymnus an die Nacht, und fleht sie a n , sowohl diesen Regungen als der verstohlnen Vermäh, luug ihren Schleier zu gönnen. Der früheste Wunsch der Liebe ist zu gefallen; er beseelt auch die erste Annäherung Romeo’s und Juliens beim Tanze. E s ist unendliche Anmuth über ihre Reden hingehaucht, wie sie nur aus dem reinsten Sittenadel und natürlicher Schönheit der Seele hervorgehen kann. Wie zart weiß Romeo die Kühnheit seiner Bitten unter Bildern der schüchternen Anbetung zu verschleiern! Gin in der Nähe so vieler Zeugen geraubter Kuß darf uns nicht befremden: man führt Beispiele an, welche zeigen, daß dieß zu Shakspeare's Zeiten nicht für ein bedeutende Vertraulichkeit galt. Vielleicht dachte er aber auch an die freiere Lebensweise südlicher Länder, die ihm hier oft vorgeschwebt hat, so daß durch das Ganze hin eine Italiänische Luft zu wehen scheint. Ich denke, dem Sinne des Dichters gemäß müßte dieß Gespräch so vorgestellt werden, daß Romeo, wie Julie nach dem Tanz ausruht, an der Rücklehne ihres Sitzes steht und sich seitwärts zu ihr hinüber neigt. Gröber kann man wohl nicht miß­ verstehen , als der M aler, der auf einem Bilde der Shakspeare’s - Gallery den Romeo als Pilger verkleidet vor Julien hintreten läß t, weil sie ihn Pilger nennt, indem sie die liebliche Tändelei seiner Anrede fortführt. Die Unterredung im Garten hat einen romantischen Schwung, und doch ist auch hier das Bildlichste und Fantasiereichste immer mit der Einfalt verschwistert, woran man die unmittelbaren Eingebungen des Herzens erkennt. Welche süßen Geheimnisse verräth nus die All-

wissenhcit des Dichters!

Nur

die verschwiegene Nacht

d a rf Zeugin dieser rührenden K la g en , dieser hohen Bctheurungen, dieser Geständnisse, dieses Abschicdnehmens und Wiederkommens seyn.

D ie arme Kleine!

e i l t , den Bund unauflöslich zu knüpfen! —

W ie sie Auch der

Schauplatz ist nichts weniger als gleichgültig.

U nter

dem heitern H im m e l, bei dessen Anblick Romeo Juliens Augen wohl m it S ternen vergleichen konnte,

von den

Bäum en umgeben, deren W ip fe l der M o n d mit S ilb e r säum t, stehen die Liebenden unter dem näheren Einflüsse der N a t u r , und sind gleichsam von den künstlichen V e r­ hältnissen der Gesellschaft losgesprochen.

Eben so w ird

in der Abschiedsscene durch die N achtigall, die

Nachts

a u f einem G ranatbaum singt, ein südlicher Frü hlin g her­ beigezaubert ; und nicht etwan ein Glockenschlag, sondern die S tim m e der Lerche mahnt sie an die feindliche A n­ kunft des Tages. Eine Lage wie d ie, worein Julien die Nachricht von dem unglücklichen Zweikampfe und von Romeo's Verbannung versetzt, ließ sich schwerlich ohne alle H ä r ­ ten und Dissonanzen darstellen; läugnen,

daß

indessen w ill ich nicht

Shakspeare sie weniger gespart habe,

als unumgänglich nöthig w a r. Personen dieses S tü cks,

Johnsons T a d e l:

den

wie bedrängt sie auch seyen,

bleibe in ihrer Noth immer noch ein sinnreicher E in fa ll ü b r ig ,

hat vielleicht bei den Ausbrüchen der Verzweif­

lung Juliens am ersten einigen ich,

bis au f wenige Z e ile n ,

Schein.

Doch glaube

die ich glücklicher Weise

in meiner Ucbersetzung auslassen m ußte, weil sic ganz in Wortspielen bestehn, la ß t sich m it richtigen Begriffen von

der W a h rh eit im Ausdrucke der Empfindungen alles retten. Ic h behalte m ir darüber eine allgemeine Bemerkung vor. Romeo's Q u a l ist noch zerreißender,

w e il er m it

U nrecht, aber doch natürlicher W eise, sich als schuldig anklagen muß.

E s entehrt ihn n ich t,

durchaus nicht mehr mächtig ist. dem Jüng lin ge fodern?

daß er seiner

W e r w ollte dieß von

W a s dem M anne ziem t, weiß

der Mönch w o h l, aber auch, daß er in die Lust redet, und n u r die Amme erbauen w ird .

Doch vergehen dar­

über einige M in u te n , während welcher der Verzweifelnde sich sammeln, und dann a u f den bündigeren Trost hor­ chen ka nn , daß ihm eine J u lia zugesagt w ir d , was die Philosophie uicht vermochte.

Romeo's sanfte M ännlich­

keit giebt sich bel andern Gelegenheiten kund.

Auch ohne

die V e rm ittlu n g der Liebe scheint er über den Haß hin­ weg zu seyn, und an der Feindschaft der beiden F am i­ lien keinen A ntheil zu nehmen. verbunden, läß t

M i t Capulets Tochter

er sich von T y b a lt a u f das schnödeste

reizen, ohne cs zu ahnden.

E r besitzt M u th genug, um

hier feig scheinen zu wollen, und n u r der Tod deS edlen Freundes waffnet seinen Arm . W enn der Dichter uns von dem stürmischen Schmerze der Liebenden nichts erließ , lisch zu sehen,

so ist es dagegen himm­

wie sich dessen Ungestüm am M orgen

darauf in den Entzückungen der Liebe besänftigt h a t, wie diese bei dem wehmüthigen Abschiede zugleich trauensvoll und

ver­

Unglück ahndend aus ihnen spricht.

Nachher ist R om eo, obschon in der V erbannung, nicht mehr niedergeschlagen; die H o ffn u n g , die blühende, ju gendliche H offnung hat sich seiner bemeistert; fast fröh-

lich w artet er auf Nachricht. Ach! cs ist nur ein letz­ ter Lebcnsblitz. wie er selbst nachher solche Aufwallun­ gen nennt. W as er nun von seinem Bedienten h ö rt, verw andelt auch wie ein Blitz sein I n n r e s : zwei W o rte , und er ist entschlossen zum Tode in die Erde hinabzu­ steigen, die ihn eben noch so schwebend trug. Nach dieser unerschütterlichen Entscheidung ist eine Rückkehr in sich selbst nicht am unrechten O rte. D ie Berathschlagung, wie er sich G ift verschaffen soll, und seine Bitterkeit gegen die W elt in dem Gespräche m it dem Apotheker hat etw as vom Tone des Ham let. D a ß Romeo den P a ris an Ju lie n s Grabe treffen m u ß , ist eine von den vielen Zusammenstellungen des gewöhnli­ chen Lebens mit dem ganz eignen selbstgeschaffnen D aseyn der Liebende«, wodurch Shakspcare den unendlichen Ab­ stand des letzten von jenem anschaulich m acht, und zu­ gleich das W underbare der Geschichte beglaubigt, indem er es m it dem ganz bekannten Laufe der D inge umgiebt. D e r gutgesinnte B räu tig am , der Ju lien recht zärtlich geliebt zu haben g lau b t, will ein außerordentliches thun: seine Empfindung w agt sich aus ibrem bürgerlichen Kreise, wiewohl furchtsam, bis an die Gränze des R om anhaften hin. Und doch, wie anders ist seine Todtenfeier a ls die des G eliebten! W ie gelassen streut er seine B lum en! Ich kann daher nicht fragen: w ar es nöthig, daß diese redliche Seele noch hingeopfert w ir d ? daß Romeo zum zweitenmalc wider W illen B lu t vergießt? P a r is gehört zu den P ersonen, die man im Leben lobpreist, aber im Tode nicht unmäßig betrauert; im Augenblicke des S te r ­ bens gew innt er zu allererst unsre Theilnahme durch die

B itt e , in Juliens G rab gelegt zu werden. Romeo's Edelmuth bricht auch hier wie ein S tr a h l aus düstern W olken h e rv o r, da er über dem durch Unglück m it ihm ver­ brüderten die letzten S rgensw orte spricht. W ie J u lie n s ganzes Wesen Liebe, so ist Treue ihre Tugend.

D on dem Augenblicke a n ,

G a ttin w i r d ,

da sie Romeo's

ist ih r Schicksal an das (einige gefesselt;

sie hat den tiefsten Abscheu gegen a lle s , w as sie von ihm

abwendig machen w i ll ,

und fürchtet in gleichem

G rade die G efahr entweihet oder ihm entrissen zu w er­ den.

D ie tyrannische Heftigkeit ihres V a te r s , das G e­

meine im Betragen beider E lte rn ist sehr anstößig; allein es rettet J u lie n von dem Kampfe zwischen Liebe und kindlicher Gesinnung, der hier garnicht an seiner S te lle gewesen w ä re :

denn jene soll hier nicht als aus sittli-

lichen Verhältnissen abgeleitet, S tr e it,

und m it

Pflichten im

sondern in ihrer ursprünglichen R einheit als

das erste Gebot der N a tu r

vorgestellt werden.

Nach

einer solchen Begegnung konnte J u lia ihre E ltern nicht mehr achten; da sie gezwungen w ir d , sich zu verstellen, thut sie es daher m it Festigkeit und ohne Gewissens, Zweifel. D a ß zu ihrem furchtbaren Selbstgespräch, ehe sie den T ran k n im m t,

die Anlage in der Erzählung schon

vorhanden w a r , gereicht wieder zu Shakspeare's Ruhme. Diese oberflächliche Achnlichkeit des Gemeinsten m it dem Höchsten ist der T riu m p h der Kunst.

M i t welcher Ue-

berlegcnheit hat er ein solches Wagestück von Darstellung bestanden!

E rst Ju liens Schauer sich allein zu fühlen,

fast schon w ie im G ra b e ; das Bestreben sich zu fassen; der I . Th»«.

26

so natürliche Verdacht, und wie sic ihn mit einer über al­ les Arge erhabenen Seele von sich weist, größer a ls jener H eld, der wohl nicht ohne seine Zuversicht zur Schau zu tragen die angeblich vergiftete Arzenei austrank; wie dann die Einbildung in Aufruhr gcräth, so viele Schrecken das zarte G ehirn des Mädchens v erw irren , und sie den Kelch im Taum el hinunterstürzt, den gelassen auszuleeren eine zu männliche Entschlossenheit bewiesen hätte. I h r Erwachen im Grabe und die wenigen Augen­ blicke nachher schließen sich, eben durch den Gegensatz, a u f d as schönste hier an- D er Schlum m er, der ihre Lebensgeister so lange gefesselt hielt, hat den T um ult ihres B lu tes gestillt. S ie schlägt die Augen au f wie ein K in d , dem die M u tter etw as versprach und dem da­ von geträum t h a t, m it voller Besinnung sich selbst zu­ rechtweisend über das Grauenvolle um sic her. S ie läß t sich nicht hinreißen von der S tä tte zu weichen, wo sie ihren Geliebten todt sicht, sie fragt nicht, sie weiß dam it genug. W ie eine milde sorgsame Vorsehung, die jedoch nicht mächtig genug ist, um dem feindseligen Zufalle vorzubeu­ gen, steht vom Anfange an B ruder Lorenzo in der M itte der beiden Liebenden. Kein H eiliger, aber ein W eiser in der M önchskutte, ein w ürdiger, sanft nachdenkender A lter, fast erhaben in seiner vertrauten Beschäftigung m it der leblosen N a tu r , und äußerst anziehend durch seine eben so genaue Kenntniß des menschlichen H erzens, die m it einer fröhlichen, ja witzigen Laune gefärbt ist. S o liebenswürdig er sich zeigt, lassen u n s doch seine naivsten Aeußerungen noch eine achtungswürdige G e-

walt in seinem Wesen fühlen. Er hat einen schnellen Kopf, sich in den Augenblick zu finden und ihn zu nutzen; muthig in Anschlägen und Entschlüssen, fühlt er ihre Wichtigkeit mit menschenfreundlichem Ernst, und setzt sich ohne Bedenken Gefahren a u s , um Gutes zu stiften. Wenn er thut, was seine jungen Freunde von ihm verlangen, so giebt er nicht leidend ihrem Unge­ stüme nach, sondern seiner eignen Ueberzeugung, seiner Ehrerbietung vor einer Leidenschaft wie diese, welche sein Herz erräth, wenn er gleich ihre Herrschaft nie an sich selbst erfuhr, oder-wenigstens die geläuterte Atmo­ sphäre seines Daseyns längst nicht mehr von Stürmen getrübt wird. E r thut an Julien eine Federung wie an eine Heldin, ermahnt sie zur Standhaftigkeit in der Liebe wie an eine Tugend, und scheint vorher zu wissen, daß er sich in ihr nicht betrügen wird. Don seinem Orden hat er nichts an sich als ein wenig Verstellungs­ kunst und physische Furchtsamkeit. Indessen muß die letzte wohl auch auf Rechnung des Alters kommen. S ie übermannt und verwirrt ihn so, daß er in der un­ glücklichen Nacht auf dem Kirchhof Julien in dem Grab­ male allein lä ß t, was freilich bei ruhiger Besonnenheit gar nicht zu entschuldigen wäre. Doch ist er gleich darauf in einer Gefahr, der er nicht mehr entrinnen kann, freimüthig und Herr seiner selbst. E s ist sonder­ b ar, daß diesem Mönche bei allen Gelegenheiten religiöse Borstellungsarten eben so weit aus dem Wege liegen, als ihm sittliche Betrachtungen geläufig sind. Wie er den verzweifelnden Romeo zu trösten sucht, bietet er ihm Der Trübsal süße Milch, Philosophie; —

und ftt der That ist die vortreffliche R ede, die er kurz darauf an ihn hält, eine Predigt aus der bloßen Ver­ nunft. Ein einziges M al theilt er Anweisungen auf den Himmel a u s , nämlich wie er den trostlosen Eltern über Juliens vermeynten Tod zuspricht; also bei einem Anlasse, wo es ihm nicht Ernst damit ist. M an sieht hieraus, mit welchem dumpfen Sinne Johnson den Dich­ ter muß gelesen haben, da er meynt, Shakspeare habe an Julien rin Beispiel der bestraften Heuchelei aufstellen wollen, weil sie ihre Streiche meistens unter dem Vor­ wände der Religion spiele. W as für Namen soll man einer so dickhäutigen Fühllosigkeit geben? Mercutio ist nach dem äußern B au der Fabel eine Nebenperson. D as Einzige, wodurch er auf eine bedeutendd Art in die Handlung eingreift, ist, daß er durch seinen Zweikampf mit Tybalt deu des Romeo her­ beiführt, (ein Umstand, den Shakspeare nicht einmal in der Erzählung vorfand) und dazu bedurfte es keines so hervorstechenden und reichlich begabten Charakters. Aber da eS im Geiste des Ganzen liegt, daß die streitenden Elemente des Lebens, in ihrer höchsten Energie zu ein­ ander gemischt, ungestüm aufbrausen, — wie Feu'r und Pulver Im Kusse sich verzehrt;

da das Stück, könnte man sagen, durchhin eine große Antithese ist, wo Liebe und H aß, das Süßeste und das Herbeste, Freudenfeste und düstre Ahndungen, liebkosende Umarmungen und Todtengrüfte, blühende Jugend und Selbstvernichtung unmittelbar beisammen stehen, so wird auch Mercutio's fröhlicher Leichtsinn der schwermüthigen

Schwärmerei des Romeo in einem großen Sinne zugefeilt und entgegengesetzt. Mercutio's Witz ist nicht die kalte Geburt von Bestrebungen des Verstandes, sonder« geht aus der unruhigen Keckheit seines Gemüths unwillkührlich hervor. Eben das reiche Maaß von Fantasie, das im Romeo mit tieftm Gefühle gepaart, einen to* maniischen Hang erzeugt, nimmt im Mercutio unter den Einflüssen eines hellen Kopfes eine genialische Wendung. I n beiden ist ein Gipftl der Lebensfülle sichtbar, in beiden erscheint auch die vorüberrauschende Flüchtigkeit des Köst­ lichsten, die vergängliche Natur aller Blüthen, über die das ganze Schauspiel ein so zartes Klagelied ist. Eben so wohl wie Romeo ist Mercutio zu frühzeitigem Tode bestimmt. E r geht mit seinem Leben um , wie mit einem perlenden W eine, den man auszutrinken eilt, ehe der rege Geist verdampft. Immer aufgeweckt, immer ein S p ö tte r, ein großer Bewunderer der Schönen, wie es scheint, obgleich ein verstockter Ketzer in der Liebe, so muthig als muthwillig, so bereit mit dem Degen als mit der Zunge zu fechten, wird er durch eine tödliche Wunde nicht aus seiner Laune gebracht, und verläßt mit einem Spaße die W elt, in der er sich über alles lustig gemacht hat. Die Rolle der Amme hat Shakspeare unstreitig mit Lust und Behagen ausgeführt: alles an ihr hat eine sprechende Wahrheit. Wie in ihrem Kopfe die Ideen nach willkührlichen Verknüpfungen durch einander gehn so ist in ihrem Betragen nur der Zusammenhang der I n ­ konsequenz, und doch weiß sie sich eben so viel mit ihrem schlaue» Verstände als mit ihrer Rechtlichkeit. S ie ge-

h ö rt zu den Seelen, in denen nichts fest hastet als V o r« rth e ile , und deren S ittlich keit immer von dem Wechsel de- Augenblicks abhängt.

S ie hält eifrig a u f ihre Re­

p u ta tio n , hat aber dabei ein uneigennütziges W ohlgefallen an Sünden einer gewissen A r t , und verräth nicht ver­ werfliche Anlagen zu einer ehrbaren K upp lerin. E s macht ih r eigentlich unendliche Freude, eine Heirathsgeschichte, das unterhaltendste, was sie im Leben w eiß, wie einen verbotenen Liebrshandel zu betreiben.

D a ru m rechnet sie

auch J u lie n die Beschwerden der Bothschaft so hoch an. W ä re sie nicht so sehr a lb e rn , so würde sie ganz und gar nichts taugen.

S o aber ist es doch n ur eine sündhafte

G u tm ü th ig ke it, was ih r den R ath eingiebt: J u lia solle, um der Bedrängniß zu entgehn, den Romeo verläugnen, und sich m it P a ris vermählen.

D aß ihre Treue gegen

die Liebenden die P rü fu n g der N oth nicht besteht, ist wesentlich, um J u lie n s Seelenstärkc vollkommner zu ent­ fa lte n , da sie nun bei denen, die sie zunächst umgeben, nirgends einen H a lt mehr fin d e t, und bei der A usfüh­ ru n g des vom Lorenzo ih r angegebenen Entschlusses ganz sich selbst überlassen bleibt.

W enn a u f der andern S e ite

diese Abtrünnigkeit aus wahrer Verderbtheit herrührte, so ließe sich nicht begreifen, wie J u lia sie je zu ihrer V er­ tra u te n hätte machen können. D a s kauderwelsche Gemisch von Gutem und Schlechtem im Gemüth der Amme ist also ih re r Bestimmung vö llig gemäß, und man kann nicht sagen, daß Shakspeare den bei ih r aufgewandten Schatz von Menschenkenntniß

verschwendet

habe.

Allerdings

hätte er m it Wenigerem ausreichen können, allein Frei^ gcbigkeit ist überhaupt seine A r t , Freigebigkeit m it allem.

außer m it dem, was n u r bei einem sparsamen Gebrauche wirken kann.

D a s V erhältniß seiner Kunst zur N a tu r

erfodert nicht jene strenge Sonderung

des Zufälligen

vom Nothwendigen, welche ein unterscheidendes M e rk ­ mal der tragischen Poesie der Griechen ausmacht.

DaS

obige g ilt auch vom alten Capulct (bei dem die Zugabe von Lächerlichkeit uns zum Theil des ernsteren U nw illens überhebt, den sein Betragen gegen Ju lie n sonst ve rd ie n t;) und von den übrigen komischen Nebenrollen P e te rs , der Bedienten und Musikanten.

D e r gesellige, w ohlm ei­

nende, redliche V c n v o lio , der rohe T y b a lt, der feine, gesittete G ra f P a r is ,

sind bloß nach dem Gesetze der

Zweckmäßigkeit m it wenigen aber bestimmten Zügen ge­ zeichnet.

D e r P rin z ist grade, wie man ihn sich w ün ­

schen möchte, ehrenfest und stattlich.

D a ß ihn der A u ­

genblick des Bedürfnisses immer so auf den Punkt herbei­ r u ft , ist eine theatralische F re ih e it, die nicht nach klei­ nen Wahrscheinlichkeiten berechnet werden d a r f, und den V o rthe il g ew äh rt, daß diese unerwartete Dazwischenkunft unter dem heftigsten S turm e feindseliger Leiden­ schaften wie die eines Wesens aus einer höheren O rd ­ nung der D inge w irk t. zen w ird

D ie letzte Erscheinung des P r in ­

groß und feierlich, weniger durch seine per­

sönlichen Eigenschaften, als durch seine S te llu n g , der eben vollendeten tragischen Begebenheit und den dabei betroffenen Personen

gegenüber.

N icht bloß m it dem

Ansehen eines irdischen R ichters, sondern als W o rtfü h ­ rer der W eisheit und Menschlichkeit, versammelt er das Leiden, die Schuld und die Theilnahme um sich h er, und redet a u f eine dieses ernsten Berufes würdige A rt.

D ie

betrachtende S t ille , welche sein Nachforschen a u f

Ven S tu rm der Entscheidungen folgen lä ß t, ordnet und bekräftiget den verw irrten

Schmerz,

und sein letzter

Aüsspruch drückt ih n , gleichsam zur ewigen Grabschrift der beiden Unglücklichen, m it ehernem G riffe l in die T afel des Gedächtnisses. Lorenzo's Erzählung hat den Kunstrichtcrn Anstoß gegeben, w e il sie n u r das w iederholt, wovon der Z u ­ schauer schon unterrichtet ist.

»Es ist sehr zu beklagen,«

sagt Johnson, »daß der D ichter den D ia lo g nicht zugleich m it der H andlung beschloß.« strophe da is t,

E i j a , sobald die K a ta ­

das heißt, sobald die gehörige Anzahl

Personen zum Tode befördert w orden, d a rf der Vorhang n u r ohne weitere Umstände fa lle n !— Is t cs ein W under, daß man bei so groben körperlichen Begriffen von der Vollständigkeit einer tragischen Handlung nichts von Be­ friedigungen

des Gefühls w e iß ?

H a t uns denn der

Mönch so gar nicht interesstrt, daß es uns gleichgültig seyn könnte, ob die Reinheit seiner Gesinnungen verkannt w ird ?

Noch mehr: die Aussöhnung der beiden F a m i­

lienhäupter über den Leichen ihrer K in d e r, der einzige Balsam tropfe fü r das zerrißne Herz,

w ird n ur durch

ihre Verständigung über den Hergang der Begebenheit möglich.

D a s Unglück der Liebenden ist nun doch nicht

gänzlich ve rlore n; aus dem Hasse entsprungen, w o m it das Stück anhebt,

wendet cs sich im K reisläufe

D inge gegen seine Quelle und verstopft sic.

der

Aber nicht

bloß als nothwendiges M itte l sind die Aussagen

des

Mönches und der beiden Bedienten gerechtfertigt: sie ha­ ben an sich W e rth , indem sie die zerstreuten Eindrücke

des Geschehenen a u f der traurigen W ahlstatt in einen einfachen Bericht zusammenfassen. M a n hat gefunden, Shakspeare habe die Gelegen« heit zu einer sehr pathetischen Scene versäum t, indem er J u lie n nicht v o r Romeo's Tode, in dem Augenblicke wie er das G ift genommen, erwachen läßt.

Große E r ­

findung hätte nicht zu dieser Abänderung gehört, eben so wenig als

zu dem entgegengesetzten Auswege, daß

J u lia erwacht, ehe er noch seinen Tod entschieden hat, nnd daß alles glücklich endigt. Indessen scheint m ir Shak­ speare, sey es aus Treue gegen die E rzählung, welche er zunächst vo r sich hatte,

oder aus überlegter W a h l,

das Bessere getroffen zu haben.

E s giebt ein M a a ß der

Erschütterung, über welches hinaus alles Hinzugefügte entweder zur F o lte r w ir d ,

oder von dem schon durch­

drungenen G em üthew irkungslos abgleitet. B e i der grau­ samen W iedervereinigung der liebenden a u f einen Augen­ blick hätte Romeo's Reue über seinen vorschnellen Selbst­ m ord, J u lie n s Verzweiflung über die erst genährte, dann zernichtete Täuschung, als sey sie am Ziele ihrer Wünsche, in Verzerrungen übergehen Müssen. w o h l,

Niemand zweifelt

daß Shakspeare diese m it angemessener S tärke

darzustellen vermochte; willkomm en,

aber hier w a r alles M ild e rn d e

damit man aus der W ehm uth, der man

sich w illig hingiebt, nicht durch allzu peinliche M ißklLnge aufgeschreckt würde.

W a ru m bürdet man dem schon so

schuldigen Zufalle noch wehr auf? quälte Romeo nicht ru h ig

W a rum soll der ge­

»das Joch feindseeliger Ge­

stirne von dem lebensmüden Leibe schütteln?«

E r h ä lt

seine Geliebte im A rm , und labt sich sterbend m it einem

W ahne ewiger Vermählung.

Auch sie sucht den Tod im

Kusse auf seinen Lippen. Diese letzten Augenblicke müssen «»getheilt der Zärtlichkeit angehören, dam it w ir den Ge­ danken recht fest halten können, daß die Liebe fortlebt, obgleich die Liebenden untergehen. G arrick hat diese Scene nach dem G lauben: je mehr Ja m m e r,

je besser! wirklich umgearbeitet;

allein seine

A u sfü hrun g w ird eben niemanden unglücklich machen: sie ist äußerst schwach. Auch das Erwachen J u lie n s hat er ganz verdorben.

S ie erinnert sich nicht an Loren-

zo's Verheißungen, sondern g la u b t, man wolle sie m it G e w a lt dem P a ris vermählen, und erkennt den Romeo n ich t, der darüber a u s ru ft: »S ie ist noch nicht wieder bei sich — der Himmel helfe ih r !» —

J a w o h l! und

behüte sie vo r ungeschickten U m arbeitcrn!

Nachher wie

der Mönch h e re in tritt, schilt sie heftig a u f ih n , und w ill ihn gar m it ihrem Dolch erstechen. E s ist n u r gut, daß sie sich bald darauf entleibt, denn da sie so ungebehrdig um sich ficht, so weiß man nicht, wie v ie l Un­ heil sie sonst noch angerichtet hatte.

S o n d e rb a r, daß

ein großer Schauspieler dem D ic h te r, den er anbetete, den er sein halbes Leben hindurch studirt hatte, a u f eine so verkehrte A r t etwas anheften konnte! Noch

verdächtiger w ird

G arricks S in n

fü r das

Höchste im Shakspeare dadurch, daß er es fü r nöthig h ie lt,

das Stück von dem u nnatürlichen, tändelnden

Witze zu reinigen, der darin nach seiner M eynung dem Ausdrucke der Em pfindung untergeschoben w ar.

Zw ar

behauptet Johnson ebenfalls: die pathetischen Redenseyer immer durch unerwartete Verfälschungen entstellt; und

daS Ansehn dieser Kunstrichter mag viele verführt haben, besonders da ih r U rthe il der allgemeinen Fassungskraft so herablassend entgegenkommt. selten recht begriffen,

Aechte Poesie w ird ja

und jeder Gebrauch der E in b il­

dungskraft erscheint denen u n n a tü rlich , die keinen F un ­ ken davon besitzen.

M a n v e rg iß t, daß, wenn uns ein

Gegenstand in einer bestimmten Form der Darstellung gezeigt w ir d , jeder T h e il durch dieß M edium gefärbt seyn muß.

M a n nim m t das Dichterische im D ra m a

historisch, da es doch eine Bezeichnungsart ist, deren U nwahrheit gar nicht verhehlt w ir d ,

die aber dennoch

das Wesentlichste der Sache richtiger und lebendiger zur Anschauung zu bringen d ie n t, als das gewissenhafteste P rotokoll.

Eben dadurch fü h rt uns der Dichter mehr

in das In n r e der G em üther, daß er seinen Personen ein vollkommneres O rga n der M itth e ilu n g le ih t, als sie in der N a tu r haben; und da oft die G ew alt der Leiden­ schaft ihren Ausdruck hemmt, und das Vermögen der Aeußerung fesselt, wie lebhaft auch das Verlangen dar­ nach seyn m a g ,

so d a rf er dieß H inderniß aus dem

Wege räumen. N u r den wesentlichen Unterschied zwischen beredten und stummen, nach außen hin strebenden oder a u f den innern Menschen sich concentrirenden Gefühlen hebe er nicht auf.

N ie hat der reiche S tro m seiner B i l ­

der Shakspeare'n über diese Gränze hinweggerissen. W ie Romeo den vermeynten Tod J u lie n s e rfä h rt, sagt er nichts w eiter a ls : Is t eS denn so? ich biet' euch Trotz, ih r S te rn e ! — Eben so a ntw o rte t J u lia

nach

ihrem Erwachen dem

M önche, der ih r das ganze voraefallne Unglück in der E i l gemeldet, und sie zu flieh» beredet h a t: Geh n u r, entweich! denn ich w ill nicht von hinnen.— Beide M a le verräth sich die Starke des G efühls n u r in dem Entschlüsse, wodurch sich die F reiheit dagegen auflehnt. W enn die Liebe sich der Liebe offenbart, so ist es das einzige Anliegen des Herzens, die Ueberzeugung von seiner In n ig k e it dem andern einzuflößen, gleichsam das Bewußtseyn bis zu ihm zu erweitern.

Es verschmäht

dabei die Pracht der Rede, worein hohle Bezeugungen nicht gefühlter Anhänglichkeit sich eben sowohl kleiden können, und w agt sich nicht an das Unaussprechliche; aber es versteht das Geheimniß, dem einfältigen, ja dem bescheidensten Ausdruck eine höhere Seele einzuhauchen. S o llte man diese rührende Herzlichkeit in den Geständ­ nissen , den B ctheurungen,

dem holden Liebesgeflüster

R om ro's und J u lie n s überschn können? J u lia giebt sich m it eben so kindlicher Offenheit h in , wie M ira n d a im S tu r m , und was sie sagt: ist schlichte E in fa lt, Und tändelt m it der Unschuld süßer Liebe.

A llein die Bew underung, die Vergötterung des geliebte» Wesens kann nicht bildlos sprechen; sie muß sich zu den kühnsten Vergleichungen aufschwingen.

M i t dem Z au-

berschlage, der das E in e , was ih r vorschwebt, ausson­ dert und über die ganze übrige W e lt erhebt, hat sie den Maaßstab des W irklichen ve rlo h rcn , und kann bis au die Gränze der D inge schwärmen, so w eit die Flügel

der Fantasie sie n ur tragen wollen, ohne sich einer Ver­ irru n g bewußt zu werden.

Liebe ist die Poesie des Le­

bens : wie sollte sie über ihren Gegenstand nicht dichten? Je entferntere und ungleichartigere B ild e r sie herbei­ ru ft,

desto sinnreicher müssen ihre Gleichnisse scheinen,

und was der müßige W itz mühsam sucht, um zu glän­ zen, darein v e rfä llt die ausschweifende Leidenschaft unwillkührlich. Unbegriffcne Widersprüche liegen im Wesen der Liebe; sie kann sich auch bei der schönsten Erwiede­ rung nicht in vollkommene H arm onie auflösen, und ist daher schon an sich geneigt, sich antithetisch zu äußern. Noch natürlicher ist ih r dieß, sobald äußerliche V er­ hältnisse sie drängen.

E in W ortspiel ist ein Gegensatz

ober eine Vergleichung zwischen dem S in ne der W ö rte r und ihrem K la n g e ; und wie in der Liebe überhaupt das Geistige und das Sinnliche sich innigst zu verschmelzen strebt, wie sie die zartesten Anspielungen des einen a u f das andre wahrnim m t und sich daran w eidet, so kan» sie auch m it Aehnlichkeiten der Töne ahndungsvoll spielen. M a n v e rw irft gewöhnlich alle W ortspiele als etwas kindisches und unnatürliches.

I s t das erste gegründet,

so kann das zweite nicht seyn; und die E rfahrung zeigt a lle rd in g s , daß Kinder sich gern m it den hörbaren Be­ standtheilen der W ö rte r zu schaffen machen, und sie a u f andre Bedeutungen wenden.

D ie Liebe aber in ihrer

unbefangensten Hingegebenheit versetzt die Seele bei ent­ wickelte» Organen und blühender Lebensfülle auf gewisse Weise in de» S ta n d der K in dh eit zurück. w o lle n ,

Ohne es zu

habe ich P e tra rc a s Apologie gemacht, dessen

wunderbare B ild e r und Gleichnisse, immer wiederkeh-

rende Gegensätze und leise mystische Anspielungen auch so vielen Lesern und Kunstrichtern ein Aergerniß gege­ ben haben.

Seine idealische,

ätherische, im Entsagen

schwelgende Anbetung Laura's hat nichts m it der jugend­ lichen K r a ft und G lu t gemein, die Romeo'n und J u lie n fü r einander zu leben und zu sterben tre ib t: aber der S t i l seiner Poesie hat viel Aehnlichkeit m it dem C o lv rit des zärtlichen Ausdrucks in unserm Schauspiele. Ic h möchte noch weiter gehn und behaupten, nicht n ur den Freuden und der süßen P ein einer Leidenschaft, wie die hier dargestellte is t, welche die äußerste E n t­ zündbarkeit der Fantasie voraussetzt, sey kühne B ild . lichkeit und antithetische W o rtfü lle eigen; auch das nie, derwerfendste Leiden, das auS ih r hcrfließt, der herbeste Schmerz über Verlust oder Tod des G eliebten,

ver-

läugne in der A r t sich zu äußern seinen Ursprung nicht ganz. A u s diesem Gesichtspunkte, dessen Nichtigkeit sich durch mancherlei Erfahrungen bestätigen ließe, betrachte man die Scenen, wo die beiden Liebenden über Romeo's Verbannung außer sich sind, und Romeo's letzte Rede: und sie sind gerechtfertigt. Im m e rh in mag der dramatisirende Rhetor bei den frostigen D eklam ationen, die er an die Stelle der E r ­ gießungen entflammter Leidenschaft setzt,

sich ähnlicher

M itte l bedienen: wer irgend Empfänglichkeit h a t, oder bei wem D orurtheile ih r nicht in den Weg treten, der w ird nicht in Gefahr seyn, jene m it diesen zu verwech­ seln;

er hat an der W irkung einen untrüglichen P r ü f­

stein.

Eö lassen sich auch Kennzeichen angeben, allein

ihre Anwendung auf den bestimmten F a ll federt immer

noch einen S in n , den man niemanden geben kann. D a s wesentlichste Kennzeichen ist die N a tu r der dargestellten Empfindungen selbst, ihre Tiefe, ihre Eigenthümlichkeit, ihre Consequenz. rifchen Pomp

Ferner w ird durch allen declamato-

das Bildlose und Abstracte häufig n u r

schlecht verkleidet: denn n u r eine arme Fantasie, die nicht durch das Bedürfniß des Gefühls in Schwung gesetzt w ir d , braucht zu dem Vorsätze, geschmückt zu er­ scheinen , ihre Zuflucht zu nehmen; jedoch es ist ein ver­ gebliches Bemühen , durch den Umweg des todten Be­ g riffs in das Leben zurückkehren zu wollen.

Auch w ird

der D ichter, welcher auf Kosten der W ahrheit und Schick­ lichkeit zu glänzen strebt, die vertrauliche Nachlässigkeit in den Reden,

den S chritt augenblicklicher Entstehung

eher vermeiden als suchen.

E r w ird besorgen, das Un­

bewußtseyn der redenden Personen, daß sie etwas außer­ ordentliches sagen, w eil es fü r ihre Lage höchst n a tü r­ lich is t, möchte den Zuhörer täiischen, und das Gesuchte seinen einzigen W erth verlieren, indem es fü r leicht ge­ funden g ilt.

Im

Romeo bietet sich das Dialogische,

F re ie , aus der Duelle Strömende selbst der bildlichsten und im d a r;

höchsten Grade antithetischen

es im

einzelnen zu entwickeln,

Reden

überall

würde mich zu

w eit führen. D a ich dem Tadel so angesehener Englischer Kunst­ richter habe widersprechen müssen, so fre u t es mich da­ gegen, den Ausspruch eines Deutschen aufstellen zu kön­ nen,

der gewiß unbestechlich durch falschen Schimmer

und ein Antipode alles Fantastischen und Ueberspannten w ar.

Lessing erklärte Romeo und J u lia fü r das

einzige T ra u erspie l, das er kenne, w oran die Liebe selbst habe arbeiten helfen.

Ic h weiß nicht schöner zu schließen,

a ls m it diesen einfachen W o rte n , in denen so viel liegt. J a man d a rf dieß Gedicht ein harmonisches W under nennen,

dessen Bestandtheile n u r jene himmlische Ge­

w a lt so verschmelzen konnte.

E s ist zugleich bezaubernd

süß und schmerzlich, rein und glühend, zart und unge­ stüm , v o ll elegischer Weichheit und tragisch erschütternd.

Urtheile, Gedanken und Einfälle über

Litteratur und Künste 1798.

1. 3 f i t das Herkommen glaubend, Tollheiten bemüht;

und immer um neue

nachahmungssüchtig und stolz a uf

Selbständigkeit; unbeholfen in der Oberflächlichkeit, und bis zur G ewandtheit geschickt im tie f - oder trübsinnig Schw erfälligen; von N a tu r p la tt, nach überschwenglich in

aber dem Streben

Empfindungen und Ansichten,

in ernsthafter Behaglichkeit gegen W itz und M u th w ille n durch einen heiligen Abscheu verschanzt:

a u f die große

Masse welcher L itte ra tu r möchten diese Züge etwa paffen?

2. D ie

schlechten Schriftsteller klagen viel über Ty«

rannet der Recensenten; ich glaube, diese hätten eher die Klage zu führen.

S ie sollen schön, geistvoll, v o rtre ff­

lich finden, was nichts von dem alle« is t; und es stößt sich n u r an dem kleinen Umstande der M a c h t, so gingen i . Theil.

27

die Recensirten eben so m it ihnen um, wie DionysiuS m it den Tadlern seiner Verse. la u t bekannt.

E in Kotzebue hat dieß ja

Auch ließen sich die neuen Erzeugnisse von

kleinen Dionysen dieser A r t hinreichend m it den W orten anzeigen: F ü h rt mich wieder in die Latomien.

3. W ieland hat gemeynt, seine beinah ein halbes J a h r­ hundert umfassende Laufbahn habe m it der Morgenröthe unserer L itte ra tu r angefangen, und endige m it ihrem Untergange.

E in recht offenes Geständniß eines n atü r­

lichen optischen B e tru g s !

4. W ie das Lrbensmotto des poetische« Vagabunden in Claudine von V illa b e lla : » T o ll aber klug!» auch der Charakter mancher genialischer Werke ist: so ließe sich der entgegengesetzte Wahlspruch auf die geistlose Regel­ mäßigkeit anwenden: V e rn ü n ftig , aber dumm!

5. Klopstock ist ein grammatischer P o et, und ein poe­ tischer Grammatiker.

6. Nichts ist kläglicher, als sich dem Teufel umsonst ergeben;

zum Beyspiel schlüpfrige Gedichte

machen,

die nicht einmal vortrefflich sind.

7. Manche Theoristen vergessen bei Frage«, wie dir über den Gebrauch des Sylbenmaaßes im D ra m a , allzu-

sehr, daß die Poesie überhaupt nur eine schöne Lüge ist, von der es aber dafür auch heißen kann: Magnanima menzogna, ov’ or' e il vero Si bello, che si possa a te preporre ?

8.

E s giebt auch grammatische Mystiker. Moriz war einer. 9.

Der Dichter kann wenig vom Philosophen, dieser aber viel von ihm lernen. E s ist sogar zu befürchten, daß die Nachtlampe des Weisen den irre führen möchte^, der gewohnt ist im Lichte der Offenbarung zu wandeln. 10.

Johannes Müller wirft in seiner vaterländischen Geschichte oft Blicke aus der Schweiz in die Weltge­ schichte; seltner aber betrachtet er die Schweiz mit dem Auge eines Weltbürgers. 11.

Sollte sich eine durch Convenieuzen gefesselte Sprache, wie etwa die Französische, nicht durch einen Machtspruch des allgemeinen Willens republicanisiren können? Die Herrschaft der Sprache über die Geister ist offenbaraber ihre heilige Unverletzlichkeit folgt daraus eben so wenig, als man im Naturrecht den ehemals behaupteten göttlichen Ursprung aller Staatsgew alt gelten lassen kann12. M an erzählt,

Klopstock habe den Französische»

Dichter Rouget de Lisle, der ihn besuchte, mit der An­ rede begrüßt: wie er es wage in Deutschland zu erschei­ nen , da sein Marseiller Marsch funfzigtausend braven Deutschen das Leben gekostet? Dieser Vorwurf war unverdient. Schlug Simson die Philister nicht mit einem Eselskinnbacken? Hat aber der Marseiller Marsch wirk­ lich Antheil an den Siegen Frankreichs, so hat wenig­ stens Rouget de Lisle die mörderische Gewalt seiner Poesie in diesem Einen Stücke erschöpft: mit allen seinen übrige» zusammengenommen, würde man keine Fliege todt schlagen. 13. D er Parisischen schönen Welt haben Gcßners Id y l­ le« gerade so gefallen, wie der an haut goüt gewöhnte Gaum sich manchmal an Milchspeisen labt. 14 . M ag es noch so gut seyn, was jemand vom Ka­ theder herab sagt: die beste Freude ist weg, weil man ihm nicht drein reden darf. Eben so mit dem lehrhaften Schriftsteller15. S ie pflegen sich selbst die Kritik zu nennen. S ie schreibe» kalt, flach, vornehmthuend und über alle Maaßen wässericht. N a tu r, Gefühl, Adel und Größe des Geistes sind für sie gar nicht vorhanden, und doch thun sie, als könnten sie diese Dinge vor ihr Richterstühlchen laden. Nachahmungen der ehemaligen Franzö­ sischen Schönweltsversemacherei, sind das äußerste Ziel ihrer lauwarme« Bewunderung. Correctheit gilt ihnen

für Tugend. Geschmack ist ihr I d o l; ein Götze, dem man nur ohne Freude dienen darf. — I n diesem Sinne ist die Kritik unter uns geraume Zeit hindurch, und nicht ohne großes Ansehen, in einer sogenannten Biblio­ thek der schönen Wissenschaften ausgeübt worden.

16. E s giebt Tage, wo man sehr glücklich gestimmt ist, intb leicht Neue Entwürfe machen, sie aber eben so wenig mittheilen, als wirklich etwas hervorbringen kann. Nicht Gedanken sind es; nur Seelen von Gedanken.

17. »Ich will einem Narren niemals trauen,« sagt ein sehr gescheidter N arr beim Shakspeare, »bis ich sein Gehirn sehe.« M an möchte diese Bedingung des Zu­ trauens gewissen angeblichen Philosophen zumuthen; was g ilts , man fände papier m ache, ans Kantische« Schriften verfertigt?

18. Diderot ist im Fatalisten, in den Versuchen über die M alerei, Nnd überall wo er recht Diderot ist, bis zur Unverschämtheit wahr. E r hat die N atur nicht sel­ ten im reizenden Nachtkleide überrascht, er hat sie mit­ unter auch ihre Nothdurft verrichten sehen.

19. S eit die Nothwendigkeit des Ideals in der Kunst so dringend eingeschärft worden ist, sieht man die Lehr­ linge .treuberzig hinter diesem Vogel herlaufen, um ihm,

so bald sie etwa nahe genug wären, daS Salz der Aesthetik auf den Schwanz zu streum. 20.

Moriz liebte den Griechischen Gebrauch der geschlecht­ losen Adjective für Abstracte, und suchte etwas geheim­ nißvolles darin. M an könnte in seiner Sprache von der Mythologie und Anthusa sagen, daß daS Mensch­ liche dem Heiligen sich hier überall zu nähern, und das Denkende im Sinnbildlichen sich wieder zu erkennen sucht, aber sich manchmal selbst nicht versteht. 21 .

D as Trugbild einer gewesenen goldnen Zeit ist eins der größten Hindernisse gegen die Annäherung der gold­ nen Zeit, die noch kommen soll. Ist die goldne Zeit ge­ wesen, so war sie nicht recht golden. Gold kann nicht rosten, oder verwittern: es geht aus allen Vermischun­ gen und Zersetzungen unzerstörbar ächt wieder hervor. Will die goldne Zeit nicht ewig fortgehend beharren, so mag sie lieber gar nicht anheben, so taugt sie nur zu Elegien über ihren Verlust. 22.

Zuweilen nimmt man doch einen Zusammenhang zwischen den getrennten, und oft sich widersprechenden Theilen unsrer Bildung gewahr. S o scheinen die besseren Menschen in unsern moralischen Dramen aus den Hän­ den der neuesten Pädagogik zu kommen. 23.

Es giebt Geister, denen cs bei großer Anstrengung

und

bestimmter Richtung ihrer K r a ft an

fehlt.

S ie werden entdecken,

Biegsamkeit

aber weniges, und

in

Gefahr seyn, diese Lieblingssätze immer zu wiederholen M an

d ringt nicht tie f,

wenn man einen B ohrer m it

großer G e w alt gegen ein B re tt drückt, ohne ihn um ­ zudrehen-

24. Vielleicht muß man, um einen transcendentalen Ge­ sichtspunkt fü r das Antike zu haben, erzmodern seyn. Winkelmann hat die Griechen wie rin Grieche gefühlt. Hemsterhuys hingegen wußte modernen Umfang durch antike Einfachheit schön zu beschränken, und w a rf von der Höhe seiner B ild u n g , wie von einer freien Gränze, gleich seelenvolle Blicke in die a lte ,

und in die neue

W e lt.

25. W ie bequem ist es doch, daß mythologische Wesen allerlei bedeuten, was man sich zueignen möchte! I n ­ dem man unaufhörlich von ihnen spricht, glaubt einen der gutmüthige Leser im Besitz der bezeichneten Eigen­ schaft.

E in e r oder der andre von unsern D ichtern wäre

ein geschlagner M a n n ,

wenn es keine Grazien gäbe.

26. Dichter sind doch immer Narcisse.

27. E s ist a ls wenn die Frauen alles m it eignen H än­ den machten, geräth.

und die M ä n n e r m it dem Handwerks-

28. Manche haben es in Herm ann und Dorothea als einen großen M an g el an Delikatesse getadelt, Jüngling

seiner G eliebten,

daß der

einer verarmten B ä u rin ,

verstellter Weise den Vorschlag th u t, als M a g d in das H a u s seiner guten E ltern zu kommen.

Diese Kritiker

mögen übel m it ihrem Gesinde umgehe«.

29. I h r verlangt immer neue Gedanken?

T h u t etwas

neues, so läß t sich etwas neues darüber sagen.

30. Gewissen Lobrednern der vergangenen Zeiten unserer L itteratu r d arf man kühnlich an tw o rten , wie Sthenelos dem Agamemnon:

W ir rühmen uns viel besser zu seyn

denn unsere V ä te r.

31.

Zum Glück w artet die Poesie eben so wenig au f die Theorie, als die Tugend auf die M o r a l , sonst hätten w ir fü rs erste noch keine Hoffnung zu einem Gedicht.

32. Ehedem wurde unter uns die N a t u r , jetzt w ird das Id e a l

ausschließend

gepredigt.

M an

vergißt zu

o ft,

daß diese D inge innig vereinbar sind , daß in der schönen Darstellung die N a tu r idealisch, und das Id e a l natürlich seyn soll.

33. E s ist ein grobes, doch immer noch gemeines M i ß ­ verständniß, daß man glau b t, um ein Id e a l darzustellen.

müsse ein so zahlreiches Aggregat von Tugenden wie möglich au f einen Namen zusammengepackt, ein ganzes Compendium der M o r a l in einem Mensche» aufgestellt werden; wodurch nichts erlangt w ird als Auslöschung der In d iv id u a litä t und W ahrheit.

D a s Id e a le liegt

nicht in der Q u a n titä t sondern in der Q u a litä t. Grandi« son ist ein Exempel, und kein Id e a l.

3/t. H um or ist gleichsam der W itz der Empfindung.

Er

d a rf sich daher m it Bewußtseyn äußern i aber er ist nicht ächt, sobald man Vorsatz dabei wahrnimmt.

35. D ie Eigenschaft des dramatischen Dichters scheint es zu seyn,

sich selbst m it freigebiger G roßm uth an

andere Personen zu verlieren; des lyrischen,

m it liebe­

vollem Egoismus alles zu sich herüber zu ziehn.

36. D ie M ildthätigkeit ist die schmähliche Tugend, die eS in Romanen und Schauspielen immer ausbüßen m u ß , wenn gemeine N a tu r zum edlen Charakter erhoben, oder g a r, wie in Kotzebue's Stücken, anderweitige Schlechtig­ keit wieder gut gemacht werden soll. man nicht die wohlthätige Stim m ung

W a ru m

benutzt

des Augenblicks,

und läßt den Klingelbeutel im Schauspielhause umhergehn?

37. Noten zu einem Gedicht sind wie lesungen über einen B ra te n .

anatomische V o r­

38. E s h e iß t,

in Englischen und Deutschen T ra u e r

spielen wären doch so viele Verstöße gegen den Geschmack. D ie Französischen sind nur ein einziger großer Verstoß. D enn was kann geschmackwidrigcr seyn, als ganz außer­ halb der N a tu r zu schreiben und vorzustellen?

39Hemsterhuys vereinigt P la to 's

schöne Seherflüge

m it dem strengen Ernst des Systematikers.

Jacobi hat

nicht dieses harmonische Ebenmaaß der Geisteskräfte, aber desto freier wirkende Tiefe

und G e w alt;

den Jnstinct

des Göttlichen haben sie m it einander gemein. D ie D ia lo ­ gen des Hemsterhuys mögen intellectuelle Gedichte heißen. Jacobi bildete keine untadeligen vollendeten Antiken, er gab Bruchstücke vo ll O r ig in a litä t, A del, und In nig keit. Vielleicht w irk t Hemsterhuys Schwärmerei mächtiger, w eil sie sich immer in den Gränzen des Schönen ergießt; hingegen setzt sich die Vernunft sogleich in wehrbaren S ta n d , wenn

sie

die

Leidenschaftlichkeit

des gegen sie

eindringenden Gefühls gewahr w ird.

40. D uclos

bemerkt,

es gebe wenig

ausgezeichnete

W erke, die nicht von Schriftstellern von Profession her­ rühren.

I n Frankreich w ird dieser Stand seit langer

Z e it m it Achtung anerkannt.

B ei uns galt man ehe­

dem weniger a ls nichts, wenn man bloß Schriftsteller w ar-

Noch jetzt regt sich dieß V orurtheil hier und da,

aber die G e w alt verehrter Beispiele muß es immer mehr

lähmen. Die Schriftstellerei ist, je nachdem man fit treibt, eine Infam ie, eine Ausschweifung, eine Tage­ löhnerei, ein Handwerk, eine Kunst, eine Wissenschaft und eine Tugend. 41 .

Die moralische Würdigung ist der ästhetischen völlig entgegengesetzt. D ort gilt der gute Wille alles, hier gar nichts. D er gute7Wille witzig zu seyn, zum Beispiel, ist die Tugend eines Pagliaß. D as Wollen beim Witze darf nur darin bestehen, daß man die konventio­ nellen Schranken aufhebt, und den Geist ftei läßt. Am witzigsten aber müßte der seyn, der es nicht nur ohne es zu wollen, sondern wider seinen Willen w äre, so wie der bourru bienfaisant eigentlich der allergutmüthigste Charakter ist.

»2. Schwerlich hat irgend eine andre Litteratur so viele Ausgeburten derOrigtnalitätssucht auszuweisen als unsre. E s zeigt sich auch hierin, daß w ir Hyperboreer sind. Bei den Hyperboreern wurden nämlich dem Apollo Esel ge­ opfert, an deren wunderlichen Sprüngen er sich ergötzte. 43.

Schöner Muthwille im Vortrage ist das Einzige, waS die poetische Sittlichkeit lüsterner Schilderungen retten kann. S ie zeugen von Schlaffheit und Verkehrt­ heit, wenn sich nicht überschäumende Fülle der Lebenskraft in ihnen offenbart. Die Einbildungskraft muß auSschwei-

fett w ollen ,

nicht dem herschenden Hange der S in n e

kaechtisch nachzugeben gewohnt seyn.

Und doch findet

man unter unS meistens die fröhliche Leichtfertigkett am verdammlichsten; hingegen hat man daS stärkste in dieser A r t verziehen, wenn es m it einer fantastischen M ystik der Sinnlichkeit umgeben w ar. A ls ob eine Schlechtigkeit durch eine T ollhe it wieder gut gemacht w ürde!

44. E s giebt verdiente Schriftsteller, die m it jugendli­ chem E ife r die B ild u n g ihres Volkes betrieben haben, sie aber da firire n w o llte n , wo die K ra ft sie selbst ver­ ließ.

D ieß ist umsonst: wer einmal, thöricht oder edel,

sich bestrebt h a t, in den Gang des menschlichen Geistes m it einzugreifen, muß m it fo r t , oder er ist nicht besser dran als ein Hund im Bratenw ender, der die Pfoten vicht v o rw ä rts setzen w ill.

45. Es

ist

ein erhabener Geschmack, immer die D ing e

in der zweiten Potenz vorzuziehn.

Z . B . Copien von

Rachahmungeu, Beurtheilungen von Recensionen, Z u ­ sätze zu Ergänzungen, Commentare zu Roten.

Uns

Deutschen ist er vorzüglich eigen, wo es aufs V e rlä n ­ gern ankommt; den Franzosen, wo Kürze und Leerheit dadurch begünstigt w ird .

Ih r

wissenschaftlicher U nter­

richt pflegt w ohl die Abkürzung eines Auszugs zu seyn; und das höchste P ro du ct ih re r poetischen K n u s t, ihre T ra g ö d ie , ist

nur die Formel einer

Form .

m 46. D ie Gesellschaften der Deutschen sind ernsthaft; ihre Komödien und S a tire n sind ernsthaft; ihre K ritik ist ernsthaft; ihre ganze schöne L itteratur ist ernsthaft.

Is t

das Lustige bei dieser N a tio n immer nur unbewußt und unw illkührlich? 47. Noch ehe Hermann und Dorothea erschien, verglich m an es schon m it Vossens Luise; die Erscheinung hätte der Vergleichung ein Ende machen sollen; allein sie w ird jenem Gedicht immer noch richtig als Empfehlungsschrei­ ben an das Publicum m it a u f den W eg gegeben.

Bei

der Nachwelt w ird es Luisen empfehlen können, daß sie Dorotheen zur Taufe gehalten hat. 48. M a u kann sagen, daß es ein charakteristisches Kenn« zeichen des dichtenden G enius ist, viel mehr zu wissen, als er w e iß , daß er weiß. 49. 2 m S t i l des ächten D ichters ist nichts Schmuck, alles nothwendige Hieroglyphe. 50. D ie Poesie ist Musik

fü r das innere O h r ,

M a le re i fü r das innere Auge:

und

aber gedämpfte M usik,

aber verschwebende M a le re i51. Mancher betrachtet Gemälde am liebsten mit verschloßnen Augen, damit die Fantasie nicht gestört werde.

52. Don vielen Plafonds kann man recht eigentlich sagen, daß der Himmel voll Geigen hängt.

53. F ü r die so oft verfehlte Kunst, Gemälde mit W orten zu m alen, läßt sich tot Allgemeinen wohl keine an­ dre Vorschrift ertheilen, als mit der M an ier, den Ge­ genständen gemäß, aufs mannichfaltigste zu wechseln. Manchmal kann der dargestellte Augenblick aus einer Erzählung lebendig hervorgehn. Zuweilen ist eine fast mathematische Genauigkeit in örtlichen Angaben nöthig. Meistens muß der Ton der Beschreibung das Beste thun, um den Leser über das W ie zu verständigen- Hierin ist Diderot Meister. E r musicirt viele Gemälde wie der Abt Vogler.

54. D a rf irgend etwas von Deutscher M ahlerei tot Vor­ hofe zu Raphaels Tempel aufgestellt werden, so kommen Albrecht D ürer und Holbein gewiß näher am Heilig« thume zu stehn, als der gelehrte Mengs.

55. Tadelt den beschränkten Kunstgeschmack der Hollän­ der nicht. F ü rs erste wissen sie ganz bestimmt was sie wollen. F ü rs zweite haben sie sich ihre Gattungen selbst erschaffen. Läßt sich eins von beiden von der Engli­ schen Kunstliebhaberei rühmen?

56. Die bildende Kunst der Griechen ist sehr schamhaft, wo es auf die Reinheit des Edlen ankommt. Freilich weiß sie nichts von einer gewissen halben Delicatesse, und zeigt daher die frechen Lüste der S a ty rn ohne alle Ver­ hüllung. Jedes D ing muß in seiner A rt bleiben. Diese unbezähmbaren N aturen waren schon durch ihre Gestalt au s der Menschheit hinausgestoßen.

57. Rubens Anordnung ist oft dithyrambisch, während die Gestalten träge und aus einander geschwommen blei­ ben. D a s Feuer seines Geistes kämpft mit der klima­ tischen Schwerfälligkeit. W enn iu seinen Gemälden mehr innere Harmonie seyn sollte, mußte er weniger Schwung­ kraft haben, oder kein Flam änder seyn.

58. Sich eine Gemäldeausstellung von einem Diderot beschreiben lassen, ist ein wahrhaft kaiserlicher Lurus.

59 . Hogarth hat die Häßlichkeit gem alt, und über die Schönheit geschrieben.

60 . P eter Laars Dambocciaten sind Niederländische Colonisten in Italien . D a s heißere Klima scheint ihr Colorit gebräunt, Charakter und Ausdruck aber durch rüsti­ gere K raft veredelt zu haben.



43 ü



61. D e r Gegenstand kan« die Dimensionen vergessen machen. M a n fand es nicht unschicklich, daß der Olym« pische J u p ite r nicht aufstehen d u rfte , w eil er das Dach eingestoßen hätte; und Hercules auf einem geschnittenen Steine erscheint noch übermenschlich groß.

Ueber den

Gegenstand können n u r verkleinernde Dimensionen täu­ schen.

D a s Gemeine w ird durch eine colossale Ausfüh­

rung gleichsam m u ltip lic irt.

62. W ir lachen m it Recht über die Chinesen, die beim Anblick Europäischer P o rträ te m it Licht und Schatten, fra g te n : ob diePersonen denn wirklich so steckig wären? Aber würden w ir es wagen, über einen alten Griechen zu lächeln, dem man ein Stück

m it Rembrandschem

Helldunkel gezeigt, und der in seiner Unschuld gemeynt hätte: so male man w ohl im Lande der Cimmerier?

63. Kein kräftigeres M itte l gegen niedrige W ollust als Anbetung der Schönheit.

Alle höhere bildende Kunst

ist daher keusch, ohne Rücksicht a u f die Gegenstände; sie re in ig t die S in n e , wie die Tragödie nach Aristoteles die Leidenschaften.

Ih re zufälligen Wirkungen kommen

hiebei nicht in B etracht: denn in schmutzigen Seelen kann selbst eine Vestalin Begierden erregen.

64. Gewisse D inge bleiben unübertroffen, w eil die Be­ dingungen, unter denen sie erreicht werden, zu herabwür-

digend sind. Wenn nicht einmal ein versoffener @a|l* Wirth, wie Jan Steen, ein Künstler wird, einem Künstler

kann man nicht zumuthen, ein versoffener Gastwirth ju werden. 65.

D a s wenige, w as in Diderots Essai snr la peinnicht taugt, ist das Sentimentale. Er hat aber den Leser, den es irre führen könnte, durch seine im* verweichliche Frechheit selbst zurecht gewiesen. ture

66. D ie einförmigste und flachste Natur erzieht am 6e< fleit zum Landschaftmaler. M an denke an den Reich­ thum der Holländischen Kunst in diesem Fache. Armuth macht haushälterisch, es bildet sich ein genügsamer Sinn, den selbst der leiseste Wink höheren Lebens in der Natur erfreut. Wenn der Künstler dann auf Reisen roman­ tische Scenen kennen lernt, so wirken sie desto mächti­ ger auf ihn. Auch die Einbildungskraft hat ihre Anti­ thesen: der größte Maler schauerlicher Wüsteneien, Salvator R osa, war zu Neapel geboren. 67.

D ie Alten, scheint es, liebten auch in der Miniatur das Unvergängliche. D ie Steinschneidekunst ist die Mi­ niatur der Bildnerei. 68.

D ie alte Kunst selbst will nicht ganz wiederkommen, so rastlos auch die Wissenschaft alle angehäufte« Schätze i. Theil.

28

der N atur bearbeitet. Zwar scheint es oft: aber es fehlt immer noch etw as, nämlich gerade das, was nur auS dem Leben kommt, und was kein Modell geben kann. Die Schicksale der alten Kunst indessen kommen mit buchstäblicher Genauigkeit wieder. Es ist als sey der Geist des M ummius, der seine Kennerschaft an den Korinthischen Kunstschätzen so gewaltig übte, jetzt von den Todten auferstanden. 69.

Wenn man sich nicht durch Künstlernamen und ge­ lehrte Anspielungen blenden läßt, so findet man bei alten und neuen Dichtern den S in n für bildende Kunst selt­ n er, als mau erwarten sollte. Pindar kann vor allen der plastische unter den Dichtern heißen, und der zarte S til der alten Dasengemälde erinnert an seine Dorische Weichheit und süße Pracht. P ropertius, der in acht Zeilen eben so viel Künstler charakterisiren konnte, ist eine Ausnahme unter den Römern. Dante zeigt durch seine Behandlung des Sichtbaren große M aleranlagen, doch hat er mehr Bestimmtheit der Zeichnung als Per­ spective. E s fehlte ihm an Gegenständen, diesen S in n zu üben: denn die neuere Kunst war damals in ihrer Kindheit, die alte lag noch im Grabe. Aber was brauchte der von M alern zu lernen, von dem Michel Angelo lernen konnte? Im Ariost trifft man auf starke Spuren daß er im blühendsten Zeitalter der Malerei lebte, sein Geschmack daran hat ihn bei Schilderung der Schön, heit manchmal über die Gränzen der Poesie fortgerissen. Bei Goethe ist dieß nie der Fall. Er macht die bilden-

den Künste zuweilen zum Gegenstände seiner Dichtun­ gen, außerdem ist ihre Erwähnung darin niemals ange­ bracht , oder herbei gezogen- Die Fülle des ruhigen Be­ sitzes drängt sich nicht an den Tag, sie verheimlicht sich auch nicht. Alle solche Stellen hinweggcnommen, würde die Kunstliebe und Einsicht des Dichters in der Gruppirung seiner Figuren, und der einfachen Großheit seiner Umrisse unverkennbar seyn. 70.

Welche Vorstellungen müssen die Theoristen gehabt haben, die das P orträt vom Gebiete der eigentlich schö­ nen Kunst ausschließen! E s ist gerade, als wollte man es nicht für Poesie gelten lassen, wenn ein Dichter seine wirkliche Geliebte besingt. D as P orträt ist die Grund­ lage und der Prüfstein des historischen Gemäldes. 71.

Wenn der Geschmack der Engländer in der Malerei, wie die mechanische Zierlichkeit ihrer Kupferstiche befürch­ ten läß t, sich auf dem festen Lande noch weiterverbrei­ ten sollte, so möchte man darauf antragen, den ohnedieß unschicklichen Namen: historisches Gemälde, abzuschaffen, und dafür theatralisches Gemälde einzuführen. 72.

Die zarte Weiblichkeit in Gedanken und Dichtun­ gen, die auf den Bildern der Angelika Kaufmann an­ zieht, hat sich bei den Figuren mitunter auf eine uner­ laubte Art eiugeschlichen. Ihren Jünglingen fehlt es an

M ännlichkeit, und sie scheinen m it weiblichem Reiz ge­ fallen zu wollen.

Vielleicht waren sich die Griechischen

M alerin n en dieser G ränze oder Klippe ihres Talentes bewußt.

U nter den wenigen, d ie P lin iu s nennt, fü h rt

er von der T im arete, Ir e n e und Lala

nur weibliche

Figuren au.

73. D a man jetzt überall moralische Nutzanwendungen v e rla n g t, so w ird man auch die Nützlichkeit der P o r­ trätm alerei durch eine Beziehung a u f häusliches Glück darthun müssen.

Mancher, der sich an seiner F ra u ein

wenig müde gesehen h a t, findet seine ersten Regungen vo r den reineren Zügen ihres Bildnisses wieder.

Gedruckr bei

F. Thormann in Bonn.