Kritische Gesamtausgabe: Band 12 Predigten 1830-1831 9783110316834, 9783110314021

Schleiermacher preached on a regular basis over a period of forty years. This third section of the Critical Complete Edi

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German Pages 880 [924] Year 2013

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Table of contents :
Einleitung des Bandherausgebers
I. Historische Einführung
1. Schleiermachers Predigttätigkeit der Jahre 1830 und 1831 im Überblick
2. Die Agende, das Gesangbuch und der gottesdienstlich-liturgische Kontext der Predigten
3. Das dreihundertjährige Jubiläum der Confessio Augustana 1830
4. Die Choleraepidemie in Berlin 1831
5. Schleiermachers Predigtdrucke und ihre literarische Rezeption
II. Editorischer Bericht
1. Textgestaltung und zugehörige editorische Informationen
A. Allgemeine Regeln
B. Manuskripte Schleiermachers
C. Predigtnachschriften
D. Sachapparat
E. Editorischer Kopftext
2. Druckgestaltung
A. Seitenaufbau
B. Gestaltungsregeln
3. Quellentexte des vorliegenden Bandes und spezifische editorische Verfahrensweisen
A. Schleiermacher-Drucke
B. Crayen-Nachschriften
C. Oberheim-Nachschriften
D. v. Oppen-Nachschriften
E. Pommer-Nachschriften
F. Schirmer-Nachschriften
G. Simon-Nachschriften
H. Woltersdorff-Nachschriften
I. Zabel-Nachschriften
K. Nicht identifizierte Nachschriften
L. Unbekannte gedruckte Nachschrift
Predigten 1830
Am 01.01. vorm. (Neujahrstag) 2Petr 1,2
Am 17.01. früh (2. SnE) Röm 12,11
Am 31.01. früh (4. SnE) Röm 13,10
Am 21.02. vorm. (Estomihi) 1Kor 13,4–5
Am 28.02. früh (Invocavit) Mt 26,45
Am 07.03. vorm. (Reminiscere) Lk 22,52–54
Am 14.03. früh (Oculi) Lk 22,67–70
Am 21.03. vorm.(Laetare) Joh 18,33–37
Am 28.03. früh. (Judica) Joh 19,10–12
Am 02.04. mitt. (Konfirmation) 1Kor 4,1–2
Am 04.04. vorm. (Palmarum) Lk 23,34
Am 09.04. früh (Karfreitag) Lk 23,39–42
Am 11.04. vorm. (Ostersonntag) Joh 20,17
Am 12.04. früh (Ostermontag) Lk 24,36–43
Am 18.04. vorm. (Quasimodogeniti) Joh 20,23
Am 25.04. früh (Misericordias Domini) Joh 20,24–29
Am 02.05. vorm. (Jubilate) Joh 21,1–4
Am 05.05. früh (Bußtag) 1Kor 3,16–17
Am 09.05. vorm. (Cantate) Joh 21,16
Am 16.05. früh (Rogate) 1Kor 15,6
Am 20.05. vorm. (Himmelfahrt) Hebr 8,1–2
Am 23.05. früh (Exaudi) Apg 1,12–14
Am 30.05. vorm. (Pfingstsonntag) Apg 2,11–13
Am 13.06. früh (1. SnT) Kol 1,1–5
Am 20.06. vorm. (2. SnT) 1Kor 7,23
Am 25.06. vorm. (Säkularfeier der CA) 1Petr 3,15
Am 27.06. früh (3. SnT) Kol 1,3–8
Am 04.07. vorm. (4. SnT) Gal 2,16–18
Am 11.07. früh (5. SnT) Kol 1,9–12
Am 18.07. vorm. (6. SnT) Gal 2,19–21
Am 25.07. früh (7. SnT) Kol 1,13–18
Am 01.08. vorm. (8. SnT) Hebr 10,12–14
Am 08.08. früh (9. SnT) Kol 1,18–23
Am 15.08. vorm. (10. SnT) Jak 5,16
Am 22.08. früh (11. SnT) Kol 1,23–29
Am 29.08. vorm. (12. SnT) Eph 4,11–12
Am 10.10. vorm. (18. SnT) Lk 6,37
Am 17.10. früh (19. SnT) Kol 2,1–7
Am 31.10. früh (21. SnT) Kol 2,8–17
Am 21.11. vorm. (24. SnT; Totensonntag), Lk 2,29
Am 28.11. früh (1. SiA) Kol 2,18–23
Am 05.12. vorm. (2. SiA) Joh 1,12–17
Predigten 1831
Am 16.01. vorm. (2. SnE) Apg 10,36
Am 30.01. vorm. (Septuagesimae) Mt 20,28
Am 13.02. vorm. (Estomihi) Joh 14,9
Am 20.03. früh (Judica) Kol 3,1–4
Am 27.03. vorm. (Palmarum) Hebr 12,3
Am 31.03. mitt. (Gründonnerstag; Konfirmation) Apg 2,41; 1 Petr 3,21
Am 01.04. früh (Karfreitag) Mt 27,40
Am 03.04. vorm. (Ostersonntag) Joh 11,25
Am 27.04. früh (Bußtag) Phil 2,4
Am 08.05. früh (Rogate) Kol 3,5–11
Am 15.05. früh (Exaudi) Kol 3,12–17
Am 29.05. vorm. (Trinitatis) Röm 11,32–33
Am 05.06. früh (1. SnT) Kol 3,18–4,1
Am 12.06. vorm. (2. SnT) Joh 14,27
Am 19.06. früh (3. SnT) Kol 4,2–4
Am 26.06. vorm. (4. SnT) Mt 6,34
Am 03.07. früh (5. SnT) Kol 4,5–6
Am 10.07. vorm. (6. SnT) Röm 12,15
Am 17.07. früh (7. SnT) Kol 4,7–18
Am 24.07. vorm. (8. SnT) Mt 7,1
Am 07.08. vorm. (10. SnT) Mt 7,6
Am 14.08. früh (11. SnT) Mk 1,1–8
Am 21.08. vorm. (12. SnT) Mt 7,9–11
Am 28.08. früh (13. SnT) Mk 1,7–14
Am 04.09. vorm. (14. SnT) 1Tim 4,8
Am 11.09. früh (15. SnT) Mk 1,15–22
Am 18.09. vorm. (16. SnT) Mt 7,12
Am 25.09. früh (17. SnT) Mk 1,23–28
Am 01.10. mitt. (Abendmahlsvorbereitung) Lk 15,7
Am 02.10. vorm. (18. SnT; Erntedank) Lk 12,16–21
Am 09.10. früh (19. SnT) Mk 1,29–38
Am 16.10. vorm. (20. SnT) Lk 14,18–19
Am 23.10. früh (21. SnT) Mk 1,39–45
Am 28.10. nachm. (Goldene Hochzeit)
Am 06.11. früh (23. SnT) Mk 2,1–12
Am 13.11. vorm. (24. SnT) Joh 15,14
Am 27.11. vorm. (1. SiA) Joh 8,56
Am 04.12. früh (2. SiA) Mk 2,13–17
Am 11.12. vorm. (3. SiA) Joh 16,27
Am 18.12. früh (4. SiA) Mk 2,18–22
Am 25.12. vorm. (1. Weihnachtstag) Lk 2,10–11
Am 26.12. früh (2. Weihnachtstag) Lk 2,15–20
Verzeichnisse
Editionszeichen und Abkürzungen
Literatur
Namen
Bibelstellen
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Kritische Gesamtausgabe: Band 12 Predigten 1830-1831
 9783110316834, 9783110314021

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Friedrich Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe III. Abt. Band 12

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Günter Meckenstock und Andreas Arndt, Ulrich Barth, Lutz Käppel, Notger Slenczka

Dritte Abteilung Predigten Band 12

De Gruyter

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Predigten 1830⫺1831

Herausgegeben von Dirk Schmid

De Gruyter

ISBN 978-3-11-031402-1 e-ISBN 978-3-11-031683-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlaggestaltung: Rudolf Hübler, Berlin Satz: Meta Systems, Wustermark Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss GmbH, Mörlenbach ⬁ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Einleitung des Bandherausgebers . . . . . . . . . . . . . . .

IX

I. Historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schleiermachers Predigttätigkeit der Jahre 1830 und 1831 im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Agende, das Gesangbuch und der gottesdienstlich-liturgische Kontext der Predigten . . . . . . . . 3. Das dreihundertjährige Jubiläum der Confessio Augustana 1830 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Choleraepidemie in Berlin 1831 . . . . . . . . . 5. Schleiermachers Predigtdrucke und ihre literarische Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

X

II. Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Textgestaltung und zugehörige editorische Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Allgemeine Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Manuskripte Schleiermachers . . . . . . . . . . . . C. Predigtnachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Sachapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Editorischer Kopftext . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Druckgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Seitenaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gestaltungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quellentexte des vorliegenden Bandes und spezifische editorische Verfahrensweisen . . . . . . . . . . . A. Schleiermacher-Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . B. Crayen-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Oberheim-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . . . D. v. Oppen-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . . . E. Pommer-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . F. Schirmer-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . . . G. Simon-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Woltersdorff-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . I. Zabel-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Nicht identifizierte Nachschriften . . . . . . . . . L. Unbekannte gedruckte Nachschrift . . . . . . . .

XI XIII XVII XXI XXII XXIII XXIII XXIII XXV XXV XXVII XXVIII XXVIII XXVIII XXIX XXX XXXI XXXII XXXIII XXXIII XXXIII XXXV XXXV XXXVI XXXVII XLI XLI

VI

Inhaltsverzeichnis

Predigten 1830 Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am

01.01. 17.01. 31.01. 21.02. 28.02. 07.03. 14.03. 21.03. 28.03. 02.04. 04.04. 09.04. 11.04. 12.04. 18.04. 25.04. 02.05. 05.05. 09.05. 16.05. 20.05. 23.05. 30.05. 13.06. 20.06. 25.06. 27.06. 04.07. 11.07. 18.07. 25.07. 01.08. 08.08. 15.08. 22.08. 29.08. 10.10. 17.10. 31.10. 21.11.

vorm. (Neujahrstag) 2Petr 1,2 . . . . . . . . früh (2. SnE) Röm 12,11 . . . . . . . . . . . früh (4. SnE) Röm 13,10 . . . . . . . . . . . vorm. (Estomihi) 1Kor 13,4–5 . . . . . . . . früh (Invocavit) Mt 26,45 . . . . . . . . . . . vorm. (Reminiscere) Lk 22,52–54 . . . . . . früh (Oculi) Lk 22,67–70 . . . . . . . . . . . vorm.(Laetare) Joh 18,33–37 . . . . . . . . früh. (Judica) Joh 19,10–12 . . . . . . . . . mitt. (Konfirmation) 1Kor 4,1–2 . . . . . . vorm. (Palmarum) Lk 23,34 . . . . . . . . . früh (Karfreitag) Lk 23,39–42 . . . . . . . . vorm. (Ostersonntag) Joh 20,17 . . . . . . . früh (Ostermontag) Lk 24,36–43 . . . . . . vorm. (Quasimodogeniti) Joh 20,23 . . . . früh (Misericordias Domini) Joh 20,24–29 vorm. (Jubilate) Joh 21,1–4 . . . . . . . . . . früh (Bußtag) 1Kor 3,16–17 . . . . . . . . . vorm. (Cantate) Joh 21,16 . . . . . . . . . . früh (Rogate) 1Kor 15,6 . . . . . . . . . . . vorm. (Himmelfahrt) Hebr 8,1–2 . . . . . . früh (Exaudi) Apg 1,12–14 . . . . . . . . . . vorm. (Pfingstsonntag) Apg 2,11–13 . . . . früh (1. SnT) Kol 1,1–5 . . . . . . . . . . . . vorm. (2. SnT) 1Kor 7,23 . . . . . . . . . . . vorm. (Säkularfeier der CA) 1Petr 3,15 . . früh (3. SnT) Kol 1,3–8 . . . . . . . . . . . . vorm. (4. SnT) Gal 2,16–18 . . . . . . . . . früh (5. SnT) Kol 1,9–12 . . . . . . . . . . . vorm. (6. SnT) Gal 2,19–21 . . . . . . . . . früh (7. SnT) Kol 1,13–18 . . . . . . . . . . vorm. (8. SnT) Hebr 10,12–14 . . . . . . . früh (9. SnT) Kol 1,18–23 . . . . . . . . . . vorm. (10. SnT) Jak 5,16 . . . . . . . . . . . früh (11. SnT) Kol 1,23–29 . . . . . . . . . . vorm. (12. SnT) Eph 4,11–12 . . . . . . . . vorm. (18. SnT) Lk 6,37 . . . . . . . . . . . früh (19. SnT) Kol 2,1–7 . . . . . . . . . . . früh (21. SnT) Kol 2,8–17 . . . . . . . . . . vorm. (24. SnT; Totensonntag), Lk 2,29 . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 11 17 23 30 36 44 51 61 69 83 95 101 111 119 130 139 149 158 167 175 188 198 208 217 228 244 254 268 277 287 296 305 313 324 333 346 358 367 378

Inhaltsverzeichnis

Am 28.11. früh (1. SiA) Kol 2,18–23 . . . . . . . . . . . . . Am 05.12. vorm. (2. SiA) Joh 1,12–17 . . . . . . . . . . . .

VII

390 399

Predigten 1831 Am 16.01. vorm. (2. SnE) Apg 10,36 . . . . . . . . . . . . . Am 30.01. vorm. (Septuagesimae) Mt 20,28 . . . . . . . . Am 13.02. vorm. (Estomihi) Joh 14,9 . . . . . . . . . . . . Am 20.03. früh (Judica) Kol 3,1–4 . . . . . . . . . . . . . . Am 27.03. vorm. (Palmarum) Hebr 12,3 . . . . . . . . . . Am 31.03. mitt. (Gründonnerstag; Konfirmation) Apg 2,41; 1Petr 3,21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am 01.04. früh (Karfreitag) Mt 27,40 . . . . . . . . . . . . Am 03.04. vorm. (Ostersonntag) Joh 11,25 . . . . . . . . . Am 27.04. früh (Bußtag) Phil 2,4 . . . . . . . . . . . . . . . Am 08.05. früh (Rogate) Kol 3,5–11 . . . . . . . . . . . . . Am 15.05. früh (Exaudi) Kol 3,12–17 . . . . . . . . . . . . Am 29.05. vorm. (Trinitatis) Röm 11,32–33 . . . . . . . . Am 05.06. früh (1. SnT) Kol 3,18–4,1 . . . . . . . . . . . . Am 12.06. vorm. (2. SnT) Joh 14,27 . . . . . . . . . . . . . Am 19.06. früh (3. SnT) Kol 4,2–4 . . . . . . . . . . . . . . Am 26.06. vorm. (4. SnT) Mt 6,34 . . . . . . . . . . . . . . Am 03.07. früh (5. SnT) Kol 4,5–6 . . . . . . . . . . . . . . Am 10.07. vorm. (6. SnT) Röm 12,15 . . . . . . . . . . . . Am 17.07. früh (7. SnT) Kol 4,7–18 . . . . . . . . . . . . . Am 24.07. vorm. (8. SnT) Mt 7,1 . . . . . . . . . . . . . . . Am 07.08. vorm. (10. SnT) Mt 7,6 . . . . . . . . . . . . . . Am 14.08. früh (11. SnT) Mk 1,1–8 . . . . . . . . . . . . . Am 21.08. vorm. (12. SnT) Mt 7,9–11 . . . . . . . . . . . . Am 28.08. früh (13. SnT) Mk 1,7–14 . . . . . . . . . . . . Am 04.09. vorm. (14. SnT) 1Tim 4,8 . . . . . . . . . . . . . Am 11.09. früh (15. SnT) Mk 1,15–22 . . . . . . . . . . . . Am 18.09. vorm. (16. SnT) Mt 7,12 . . . . . . . . . . . . . Am 25.09. früh (17. SnT) Mk 1,23–28 . . . . . . . . . . . . Am 01.10. mitt. (Abendmahlsvorbereitung) Lk 15,7 . . . Am 02.10. vorm. (18. SnT; Erntedank) Lk 12,16–21 . . . Am 09.10. früh (19. SnT) Mk 1,29–38 . . . . . . . . . . . . Am 16.10. vorm. (20. SnT) Lk 14,18–19 . . . . . . . . . . Am 23.10. früh (21. SnT) Mk 1,39–45 . . . . . . . . . . . . Am 28.10. nachm. (Goldene Hochzeit) . . . . . . . . . . . . Am 06.11. früh (23. SnT) Mk 2,1–12 . . . . . . . . . . . . Am 13.11. vorm. (24. SnT) Joh 15,14 . . . . . . . . . . . .

415 426 435 445 454 467 482 491 500 511 520 529 540 549 560 568 579 589 600 609 621 634 644 656 665 677 686 698 705 709 721 730 745 754 759 769

VIII

Am Am Am Am Am Am

Inhaltsverzeichnis

27.11. 04.12. 11.12. 18.12. 25.12. 26.12.

vorm. (1. SiA) Joh 8,56 . . . . . . . . . früh (2. SiA) Mk 2,13–17 . . . . . . . . vorm. (3. SiA) Joh 16,27 . . . . . . . . früh (4. SiA) Mk 2,18–22 . . . . . . . . vorm. (1. Weihnachtstag) Lk 2,10–11 früh (2. Weihnachtstag) Lk 2,15–20 .

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783 796 805 816 823 834

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849 854 860 862

Verzeichnisse Editionszeichen Literatur . . . . Namen . . . . . Bibelstellen . .

und ... ... ...

Abkürzungen .. ............. ............. .............

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Einleitung des Bandherausgebers Die Kritische Gesamtausgabe der Schriften, des Nachlasses und des Briefwechsels Friedrich Schleiermachers1, die seit 1980 erscheint, ist gemäß den Allgemeinen Editionsgrundsätzen in die folgenden Abteilungen gegliedert: I. Schriften und Entwürfe, II. Vorlesungen, III. Predigten, IV. Übersetzungen, V. Briefwechsel und biographische Dokumente. Die III. Abteilung dokumentiert Schleiermachers gesamte Predigttätigkeit von seinem Ersten Examen 1790 an bis zu seinem Tod 1834. Die Predigten werden chronologisch nach ihrem Vortragstermin angeordnet. Nur die von Schleiermacher absichtsvoll geordneten sieben „Sammlungen“, alle im Verlag der Berliner Realschulbuchhandlung bzw. im Verlag von G. Reimer erschienen (Berlin 1801– 1833), bleiben in dieser Anordnung erhalten und stehen am Anfang der Abteilung. Demnach ergibt sich für die Abteilung „Predigten“ folgende Gliederung: 1. Predigten. Erste bis Vierte Sammlung (1801–1820) 2. Predigten. Fünfte bis Siebente Sammlung (1826–1833) 3. Predigten 1790–1808 4. Predigten 1809–1815 5. Predigten 1816–1819 6. Predigten 1820–1821 7. Predigten 1822–1823 8. Predigten 1824 9. Predigten 1825 10. Predigten 1826–1827 11. Predigten 1828–1829 12. Predigten 1830–1831 13. Predigten 1832 14. Predigten 1833–1834 sowie Gesamtregister Der vorliegende Band enthält 84 Predigten Schleiermachers aus den Jahren 1830 und 1831. Die Editionsgrundlage bilden zum einen Drucktexte Schleiermachers selbst, zum anderen gedruckte und ungedruckte Nachschriften; Autographen Schleiermachers liegen nicht vor. 1

Sofern sich aus dem Zusammenhang nicht etwas anderes ergibt, beziehen sich im Folgenden Zitatnachweise und Belegverweise ohne Angabe des Autors auf Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher.

X

Einleitung des Bandherausgebers

31 der hier gebotenen Predigten werden zum ersten Mal überhaupt veröffentlicht; zu 9 bereits von Schleiermacher selbst in den Druck gegebenen Predigten erscheinen Textparallelen in der Gestalt bislang nicht publizierter Predigtnachschriften. Der Band dokumentiert die gesamte Predigttätigkeit Schleiermachers in den Jahren 1830/31 mit Ausnahme der drei Predigten, die Schleiermacher in seine ‚Sammlungen‘ aufgenommen hat und zu denen es keine anderen Textzeugen gibt2; 14 nachgewiesene Predigttermine lassen sich derzeit nicht mit Texten belegen3.

I. Historische Einführung Auch für die Jahre 1830 und 1831 stellte Schleiermachers regelmäßige Predigttätigkeit nur einen Ausschnitt seiner Wirksamkeit dar. Seine Lehrtätigkeit als Professor der Theologie an der Berliner Universität umfasste in der Regel mindestens zwei fünfstündige Kollegs.4 In der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin war er als Sekretar der seit 1827 vereinigten philosophisch-historischen Klasse mit Fragen der Wissenschafts- und Forschungsorganisation beschäftigt5 und hielt als Mitglied der Akademie einige seiner bedeutenden philosophischen Vorträge, 1830 etwa „Ueber Begriff und Eintheilung der philologischen Kritik“ und die zweite Abhandlung „Über 2

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Vgl. Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung), Berlin 1831, S. 170–190. 191–220; Christliche Festpredigten, Bd. 2 (7. Sammlung), Berlin 1833, S. 195–216; siehe KGA III/2. Es handelt sich um die Predigten am 24. Oktober 1830, 7. November 1830 und 27. Februar 1831. Kasualtermine sind dabei nicht berücksichtigt. Nicht durch Texte belegt sind folgende Predigttermine: 10. Januar 1830 vormittags; 24. Januar 1830 vormittags; 7. Februar 1830 vormittags; 11. Juni 1830 vormittags (Gottesdienst zur Stadtverordnetenwahl); 13. März 1831 vormittags; 4. April 1831 früh; 10. April 1831 vormittags; 17. April 1831 vormittags; 24. April 1831 vormittags; 1. Mai 1831 vormittags; 12. Mai 1831 vormittags; 22. Mai 1831 vormittags; 23. Mai 1831 früh; 20. November 1831 früh. Im Wintersemester 1829/30 las Schleiermacher vierstündig über den 1. Korintherbrief und fünfstündig über das Leben Jesu, im Sommersemester 1830 jeweils fünfstündig Dogmatik und Psychologie, im Wintersemester 1830/31 jeweils fünfstündig Praktische Theologie und über den 2. Korintherbrief, im Sommersemester 1831 gleich dreimal fünfstündig über den Römerbrief, die christliche Sittenlehre und die Dialektik, im Wintersemester 1831/32 jeweils fünfstündig Theologische Enzyklopädie und Einleitung in das Neue Testament. Diese Angaben folgen Andreas Arndt/ Wolfgang Virmond: Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen, SchlA 11, Berlin/New York, 1992, S. 293–330, bes. 326–328. Vgl. KGA I/11, S. XII–XX; Kurt Nowak: Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2002, S. 427–440

I. Historische Einführung

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den Begriff des höchsten Gutes“, 1831 die erste der beiden Abhandlungen „Ueber den Umfang des Begriffs der Kunst in Bezug auf die Theorie derselben“6. Auch publizistisch war Schleiermacher in diesen Jahren stark in Anspruch genommen: Gleich drei seiner wichtigsten theologischen Werke erfuhren in dem Zeitraum 1830/31 eine Neuauflage, die „Kurze Darstellung des theologischen Studiums“7, die ‚Glaubenslehre‘8 und die ‚Reden‘9; fallen die Arbeiten an der vierten Auflage der ‚Reden‘ von 1831 eher gering aus10, hat Schleiermacher sowohl seine Theologische Enzyklopädie als auch seine Dogmatik für die Zweitausgaben faktisch neu geschrieben11. Nicht zuletzt standen seiner Predigttätigkeit zahlreiche weitere pfarramtliche Verpflichtungen zur Seite.12

1. Schleiermachers Predigttätigkeit der Jahre 1830 und 1831 im Überblick Zu Schleiermachers Amtspflichten als Pfarrer der seit 1822 unierten evangelischen Gemeinde an der Dreifaltigkeitskirche gehörte es auch im Zeitraum 1830/31, in der Regel jeden Sonntag einen Gottesdienst zu halten und zu predigen. Für gewöhnlich übernahm Schleiermacher abwechselnd einen Frühgottesdienst um 7 Uhr und einen Hauptgottesdienst um 9 Uhr; dieser Wechsel wurde auch an den durch doppelte Feiertage ausgezeichneten hohen christlichen Festtagen Weihnachten, Ostern und Pfingsten beibehalten. Den jeweils anderen Gottesdienst sowie den Nachmittagsgottesdienst um 14 Uhr hielten in aller Regel Schleiermachers Amtskollegen Philipp Konrad Marheineke (1780– 1846) und Adolf August Kober (1798–1877); Marheineke hatte bereits seit Oktober 1820 die erste lutherische Pfarrstelle inne, Kober bekleidete ab Januar 1824 die dritte, seit 1822 nunmehr weder lutherische noch reformierte, sondern evangelische Hilfspredigerstelle. 6 7 8

9 10 11 12

Vgl. KGA I/11, S. 643–656. 657–677. 725–742 Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen entworfen, zweite umgearbeitete Ausgabe, Berlin 1830 (KGA I/6, S. 317–446) Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, zweite umgearbeitete Ausgabe, Bd. 1–2, Berlin 1830/1831 (KGA I/13,1–2) Ueber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, vierte Auflage, Berlin 1831 (KGA I/12, S. 1–321) Vgl. KGA I/12, S. XXVI Vgl. KGA I/6, S. LXIII–LXIX; KGA I/13,1, S. XIX–XXXIX Vgl. Nowak: Schleiermacher, S. 212–215; vor allem Andreas Reich: Friedrich Schleiermacher als Pfarrer an der Berliner Dreifaltigkeitskirche 1809–1834, SchlA 12, Berlin/New York 1992

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Einleitung des Bandherausgebers

Hin und wieder ließ Schleiermacher sich in den Jahren 1830 und 1831 im Frühgottesdienst durch Kandidaten des Predigtamts, andere Berliner Prediger oder durch Kober vertreten.13 Einmal, am 30. Oktober 1831, hielt Generalsuperintendent Konsistorialrat Dr. Karl Friedrich Brescius (1766–1842) den Hauptgottesdienst, für den Schleiermacher eigentlich zuständig gewesen wäre. Ansonsten erfuhr Schleiermachers regelmäßige Predigttätigkeit nur vier Mal eine nennenswerte Unterbrechung durch Reisen oder Krankheit: Nachdem Schleiermacher am 30. Mai 1830, dem Pfingstsonntag, noch den Hauptgottesdienst gehalten und anschließend zwei Taufen durchgeführt hatte, verließ er am Abend Berlin und verbrachte die folgenden Tage mit Besuchen in seiner früheren Wirkungsstätte Halle und einem viertägigen Harzaufenthalt; am 8. Juni 1830 kehrte er nach Berlin zurück.14 Im Herbst 1830 begab Schleiermacher sich gemeinsam mit seiner Frau auf eine größere Reise nach Süddeutschland und in die Schweiz. Am 30. August war Abreisetag15; über Hof, Nürnberg, Augsburg, Lindau ging es zum ehemaligen Berliner Fakultätskollegen und Patenonkel des am 29. Oktober 1829 verstorbenen Sohns Nathanael, Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780–1849), nach Basel und von dort weiter nach Freiburg, Baden, Stuttgart und vermutlich auch Tübingen.16 Am 7. Oktober traf Schleiermacher wieder in Berlin ein.17 Vom 7. Dezember 1830 bis zum 9. Januar 1831 stand Schleiermacher wegen hartnäckiger starker Diarrhöe unter „Hausarrest“18 und durfte seinen pfarrdienstlichen Verpflichtungen nicht nachkommen. Am 16. Januar bestieg er im Hauptgottesdienst erstmals wieder die Kanzel, nicht ohne der Gemeinde gegenüber sein Bedauern auszudrücken, dass es ihm nicht vergönnt gewesen sei, mit ihr „die schönen Tage der Feier der Geburt unseres Herrn zu begehen“19. Vom 11. bis zum 19. April 1831 schließlich besuchte Schleiermacher seinen ehemaligen Schüler, jetzigen Freund, Amtsbruder und späteren literarischen Nachlassverwalter Ludwig Jonas (1797–1859) in 13

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Am 3. Januar, 14. Februar und 14. November 1830 sowie am 23. Januar, 6. Februar, 20. Februar, 6. März und 31. Juli 1831; alle diese Angaben beruhen auf dem Kalendarium der Predigten Schleiermachers, vgl. KGA III/1, S. 767–1033, bes. 984–1008. Vgl. Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bd. 1–4, Berlin 1863, Bd. 4, S. 400 f.; Tageskalender (SN 450, S. 44. 52); vgl. auch KGA I/10, S. XCIV Vgl. Tageskalender 1830 (SN 450, S. 68) Vgl. Aus Schleiermachers Leben, Bd. 4, S. 401 f. 404 Vgl. Tageskalender 1830 (SN 450, S. 83); vgl. auch KGA I/6, S. LXVI und KGA I/10 S. XCIV Tageskalender 1830 (SN 450, S. 100) Unten, S. 415

I. Historische Einführung

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Schwerinsburg (Pommern), wo Jonas seit 1823 als Pastor wirkte. Diese Reise bedeutete freilich keine Unterbrechung, sondern nur die örtliche Verlagerung seiner Predigttätigkeit: Am 17. April hielt Schleiermacher in Schwerinsburg den Hauptgottesdienst und predigte über einen nicht näher bekannten Abschnitt aus dem 10. Kapitel des Johannesevangeliums.20 In der Regel hielt Schleiermacher 1830/31 seine Predigten über von ihm frei gewählte neutestamentliche Texte. In lediglich rund einem Zehntel der Fälle legte er die Perikope des Sonn- oder Feiertags zu Grunde oder orientierte sich jedenfalls an ihr. Öfter verfolgte er, wie schon mehrfach in den Jahren zuvor, Themen oder biblische Texte über mehrere Sonntage hinweg und bildete auf diese Weise zusammenhängende Predigtreihen: Ausgelöst durch das dreihundertjährige Jubiläum der Confessio Augustana von 1530, hielt er zwischen dem 20. Juni und dem 7. November 1830 im Hauptgottesdienst zehn Predigten zu Bedeutung und Inhalt dieser grundlegenden evangelischen Bekenntnisschrift.21 Vom 13. Juni 1830 bis zum 17. Juli 1831 legte er im Frühgottesdienst in 16 Predigten Vers für Vers den Kolosserbrief aus. Anfang 1831 widmete er, bedachtsam zwischen Weihnachts- und Passionszeit eingeschoben, eine kleine, aus den drei Predigten vom 16. Januar, 30. Januar und 13. Februar bestehende Reihe der Frage nach der Eigentümlichkeit des Lebens des Erlösers: sein Leben sei eine Predigt vom Frieden, so der Skopus am 16. Januar, ein Dienen, so am 30. Januar, und eine einzige Vergegenwärtigung Gottes, so am 13. Februar. Schließlich begann Schleiermacher am 14. August 1831 damit, im Frühgottesdienst fortlaufend Abschnitt für Abschnitt über das Markusevangelium zu predigen. Diese Homilie Schleiermachers sollte seine letzte sein. Er setzte sie bis zum 2. Februar 1834 fort; zehn Tage später starb er.

2. Die Agende, das Gesangbuch und der gottesdienstlich-liturgische Kontext der Predigten Schleiermacher hat in seiner praktisch-theologischen Theoriebildung das Eingebettetsein der religiösen Rede in den Gesamtzusammenhang des Kultus betont:22 Die Predigt ist Teil des Gottesdienstes im Gan20 21 22

Vgl. Tageskalender 1831 (SN 451, S. 24) Siehe dazu Näheres unten, Einleitung I. 3. Vgl. Kurze Darstellung des theologischen Studiums, §§ 279–288 (KGA I/6, S. 425– 428); Die praktische Theologie nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen hg. v. Jacob Frerichs, SW I/13, Berlin 1850, S. 68– 326. 735–776

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Einleitung des Bandherausgebers

zen. Es ist deshalb sinnvoll und sachgemäß, einen Blick auf den gottesdienstlichen Rahmen zu werfen, in dem man sich die Predigten der Jahre 1830 und 1831 vorstellen muss. Am 12. April 1829 war die neue „Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen. Mit besonderen Bestimmungen und Zusätzen für die Provinz Brandenburg“ in den Berliner Kirchen eingeführt worden.23 Dem war – seit 1814, verstärkt seit 1822 – eine langwierige harte und zähe Auseinandersetzung vorausgegangen, an der auch und gerade Schleiermacher in vielfältiger Weise beteiligt gewesen war.24 Erst als Friedrich Wilhelm III. in seiner Kabinettsordre vom 4. Januar 182925 gegenüber der Agendenkommission der Provinz Brandenburg weitgehende Konzessionen hinsichtlich der Variabilität agendarischer Bestimmungen gemacht hatte und entsprechende Passagen in den Text der Agende eingefügt, besonders strittige Formulierungen gestrichen oder entschärft worden waren, hatten die Berliner Prediger im Frühjahr 1829 in Konferenzen der einzelnen Superintendenturen bzw. Stadtteile einer allgemeinen Einführung der Agende zugestimmt. Die Geistlichen der Friedrichstadt hatten sich am 23. Februar entsprechend geäußert, lediglich Schleiermacher hatte ein seine Entscheidung aufschiebendes Sondervotum abgegeben.26 Er hatte sich auch zwei Tage später in seiner Stellungnahme gegenüber dem Konsistorium der Provinz Brandenburg vom 25. Februar ausdrücklich die Freiheit im Umgang mit der Agende vorbehalten27, was ihm seitens des Ministeriums für Geistliche- und Schulangelegenheiten am 3. März weitgehend zugebilligt worden war, woraufhin auch Schleiermacher einer Einführung der Agende nicht länger seine Zustimmung verweigert hatte.28 Wie der gottesdienstlich-liturgische Rahmen tatsächlich ausgesehen hat, in dem Schleiermacher seine Predigten hielt, lässt sich für die Jahre 1830 und 1831 recht genau rekonstruieren.29 Hauptquellen dafür sind zwei Briefe an Joachim Christian Gaß aus dem Frühjahr 23 24

25 26 27 28 29

Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 214; die Agende wird als Anhang in KGA III/3 veröffentlicht. Vgl. Erich Foerster: Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten, Bd. 2, Tübingen 1907, S. 55–210; Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 171–219; KGA I/9, S. X–CXII Abgedruckt bei Foerster: Entstehung der Preußischen Landeskirche, Bd. 2, S. 191 f. Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 211 f. Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 212 f. Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 213 f. Vgl. Bernhard Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt im Festgottesdienst Friedrich Schleiermachers. Zur Rekonstruktion seiner liturgischen Praxis, SchlA 20, Berlin/New York 2002, S. 321–334

I. Historische Einführung

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182930 und an Ludwig Gottfried Blanc vom 5. Mai 183031, in denen Schleiermacher seine Usancen schildert und aus denen zugleich deutlich wird, dass sich durch die Einführung der neuen Agende von 1829 seine Gottesdienstgestaltung und liturgische Praxis nicht wesentlich geändert haben. Schleiermachers Bericht an seinen Vorgesetzten, den Superintendenten Friedrich Samuel Pelkmann, vom 31. Oktober 183232 bestätigt diese Kontinuität und darin seine brieflich gegenüber Gaß und Blanc gemachten Angaben. Danach hatte ein von Schleiermacher gehaltener Predigtgottesdienst in etwa folgende Form:33 Nach einem Gemeindegesang eröffnete Schleiermacher mit dem Eingangsvotum nach Ps 124,8 „Unsere Hülfe sey im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“, dem sogenannten adjutorium. Dem schloss sich ein kurzes Sündenbekenntnis an, das Schleiermacher übergangslos, also ohne abschließendes „Amen“, mit dem deutschen Kyrie „Herr erbarme Dich unser, und erhöre uns gnädiglich“ verband, dem er wiederum unmittelbar das Kollektengebet folgen ließ, das er aus zwei in der Agende vorgesehenen Varianten zusammenzog, wie es die Agende ausdrücklich gestattete34. Von den sich anschließenden biblischen Lesungen hielt Schleiermacher in der Regel lediglich eine, Epistel oder Evangelium, und beendete sie mit dem Votum aus 1Thess 5,23 f. „Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar, und euer ganzer Geist, Seel’ und Leib, werde unsträflich bis auf die Zukunft unseres Herren Jesu Christi behalten. Getreu ist der euch ruft, der wird’s auch thun“. Es folgten ein Predigtlied, die Predigt und das allgemeine Kirchengebet, das Schleiermacher freilich in der alten Form von 1713, die auch die Agende von 1829 noch gestattete35, und wohl meistens nur in Auszügen benutzt hat36. Das „Unser Vater“, der Aaronitische Segen und ein Lied schlossen den Predigtgottesdienst ab. 30 31 32 33

34 35 36

Vgl. Briefwechsel mit J. Chr. Gaß, hg. v. W. Gaß, Berlin 1852, S. 211–213, bes. 212 f. Vgl. Aus Schleiermacher’s Leben, Bd. 4, S. 397–400, bes. 398 f. Abgedruckt bei Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 490 f., und bei Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 327 Ich folge hier im wesentlichen der textlichen Rekonstruktion, die Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 328–332, aufgrund der Äußerungen Schleiermachers und der entsprechenden Textpartien der „Agende“ von 1829 vorgenommen hat. Es handelt sich um die Nummern 7 und 8 der vorgeschlagenen Kollektengebete; vgl. Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen, S. 67 f. Vgl. Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen, Zweiter Theil, S. 65–70 Vgl. Briefwechsel mit Gaß, S. 213: „Nach der Predigt nehme ich, wie ich auch sonst immer that, einen Auszug aus dem auch in den Nachtrag [scilicet: der „Agende“ von 1829] aufgenommenen alten Kirchengebet.“ Vgl. Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 333

XVI

Einleitung des Bandherausgebers

Häufig, vermutlich sogar in aller Regel, hat Schleiermacher an seine Predigt unmittelbar noch ein eigenes, frei formuliertes Gebet angeschlossen, das oft in das agendarische allgemeine Kirchengebet überging. Während die im vorliegenden Band edierten Drucktexte Schleiermachers von dieser Praxis durchgängig nichts erkennen lassen, spiegeln zahlreiche Predigtnachschriften das dadurch wider, dass sie auch die eigens formulierten Gebetstexte beinhalten. In einigen Fällen brechen die Nachschriften im Gebetstext mit einem „und so weiter“ oder „perge perge“ ab, was zwar die Vermutung nahelegt, jetzt gehe Schleiermacher in das agendarisch gebundene Kirchengebet über, allerdings ohne dass sich jeweils mit Sicherheit sagen ließe, wie die Fortsetzung gelautet haben muss.37 Neben dem Früh-, Haupt- und Nachmittagsgottesdienst sah das Unionsstatut für die Dreifaltigkeitsgemeinde von 1822 vor, die Abendmahlsfeier am Tag zuvor um 13 Uhr mit einer gottesdienstlichen Beichtfeier vorzubereiten, zu deren Bestandteilen auch eine ‚Anrede‘ an die Gemeinde gehörte, die im Unterschied zur eigentlichen Predigt nicht von der Kanzel, sondern, wie die Beichtfeier insgesamt, vor dem Altar zu halten war.38 Solche Ansprachen Schleiermachers im Rahmen der Abendmahlsvorbereitung sind sehr selten überliefert. Das kann zufällige Gründe haben. Es mag auch daran liegen, dass gar nicht klar ist, ob es sich bei den im Unionsstatut vorgesehenen Reden jedes Mal um eine freie, eigens formulierte Ansprache oder um eine, agendarisch mehr oder weniger fest vorgegebene, jedenfalls aber gebundene Form handeln sollte. Auch die Agende von 1829 konnte an dieser Stelle unterschiedlich verstanden werden: Einerseits ging sie deutlich von der Beichtrede als freier Ansprache aus, deren Länge sie auf höchstens eine halbe Stunde beschränken wollte, andererseits machte sie derart genaue Angaben zum Inhalt dieser Rede, dass man dies auch als Vorform einer gebundenen Ansprache auffassen konnte.39 Jedenfalls hat Schleiermacher seit 1822 und auch nach Einführung der Agende von 1829 mindestens zwei verschiedene Varianten einer gebundenen Vorbereitungsansprache benutzt40, und möglicherweise nur in Ausnahmefällen, vielleicht zu besonderen Anlässen und eher darüber hinaus als an deren Stelle, eine freie Vorbereitungs37

38 39 40

Das betrifft die Predigten am 4. April 1830, am 20. Juni 1830 (1. AugustanaPredigt), am 21. November 1830, mit Einschränkung auch die Predigt am 25. Juni 1830 (2. Augustana-Predigt). Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 484 Vgl. Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen, S. 33; dazu Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 335 Abgedruckt bei Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 509–512

I. Historische Einführung

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rede gehalten41, wahrscheinlich gleich nach einem Eingangslied und dem liturgischen Eingangsvotum „In Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen“ 42. Für den Zeitraum des vorliegenden Bandes 1830/31 liegt eine einzige freie Rede Schleiermachers zur Vorbereitung auf das Abendmahl vom 1. Oktober 1831 über Lk 15,7 vor. Was die Lieder betrifft, die Schleiermacher in seinen Gottesdiensten singen ließ, so hatte er sich seit 1812 damit beholfen, eigene Liederblätter drucken zu lassen.43 Die in den Gottesdiensten der Jahre 1830/31 verwendeten Lieder hingegen entstammen allesamt dem sog. Berliner Gesangbuch von 1829 44. An dessen Konzeption und Gestaltung hatte Schleiermacher maßgeblichen Anteil.45 Bereits im Dezember 1817 hatte die Berliner Synode die Einrichtung einer Gesangbuchkommission beschlossen und Schleiermacher in das sechsköpfige Gremium gewählt. Nachdem das Konsistorium der Provinz Brandenburg diese Beschlüsse im Mai 1818 genehmigt hatte, nahm die Kommission ihre Arbeit mit der ersten Sitzung am 24. Juli 1818 auf. Die letzte Sitzung fand zwölf Jahre später am 27. August 1829 statt. Anfang November begann der Druck des neuen Gesangbuchs im Verlag von Georg Reimer. Nach Übersendung eines Druckexemplars erfolgte am 16. November 1829 die formelle Genehmigung durch den König und das Ministerium für Geistliche- und Schulangelegenheiten. Am Neujahrstag 1830 wurde das Gesangbuch offiziell eingeführt. Gut 150 der 876 Lieder gingen in ihrer Bearbeitung auf Schleiermacher selbst zurück.46

3. Das dreihundertjährige Jubiläum der Confessio Augustana 1830 Am 25. Juni 1830 jährte sich zum 300. Mal der Tag, an dem die Confessio Augustana auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 verlesen 41 42 43 44

45

46

Vgl. Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 334 Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 335; zur liturgischen Rekonstruktion der von Schleiermacher abgehaltenen Beichtfeiern vgl. insgesamt S. 334–337 Vgl. KGA III/4, S. XXI (dort weitere Literatur) Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen. Mit Genehmigung Eines hohen Ministerii der geistlichen Angelegenheiten, Berlin [1829]; dieses sog. ‚Berliner Gesangbuch‘ wird als Anhang in KGA III/2 veröffentlicht. Vgl. zum Folgenden Ilsabe Seibt: Friedrich Schleiermacher und das Berliner Gesangbuch von 1829, Göttingen 1998; Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 312–315; Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 173–263. 518–745; KGA I/9, S. CXII–CXIV Vgl. Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt, S. 723–745

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Einleitung des Bandherausgebers

und übergeben worden war. In seiner Kabinettsordre vom 4. April 1830 verfügte König Friedrich Wilhelm III., dieses Jubiläum nach dem Vorbild des zweihundertsten Jahrestages von 1730 feierlich gottesdienstlich zu begehen, und forderte den zuständigen Staatsminister für Geistliche- und Schulangelegenheiten, Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770–1840) auf, Vorschläge zur näheren Ausgestaltung der Gottesdienstfeiern zu unterbreiten. Unter dem Datum vom 16. April kam Altenstein dieser Aufforderung nach. Seine Vorschläge wurden angenommen und bildeten die Grundlage für die Bestimmungen, die in der Kabinettsordre vom 30. April 1830 verfügt wurden.47 Danach sollte am Sonntag zuvor, dem 20. Juni, eine Ankündigung der bevorstehenden Säkularfeier von den Kanzeln verlesen, der Festtag selbst am Abend zuvor durch Kirchenglocken feierlich eingeläutet und am frühen Morgen durch Turmblasen eröffnet werden. Vorgesehen waren zwei Gottesdienste, am Vor- und am Nachmittag. Als Lesungen für die Gottesdienste wurden Hebr 13,7–8 als Epistel und Joh 10,12–16 als Evangelium festgelegt. Mögliche Predigttexte sollten sein Röm 10,9–10; Mt 10,18–20; 10,32–33; Apg 26,22–23; 1Petr 1,25; 3,15; 1Kor 1,10; 3,11; Ps 119,46–50. Zum Lied nach der Predigt wurde „Herr Gott, dich loben wir“48 bestimmt.49 Die Geistlichen wurden von den Konsistorien der Provinzen über ihre Superintendenten von diesen Verfügungen in Kenntnis gesetzt.50 An der Berliner Dreifaltigkeitskirche wurde die Säkularfeier am 25. Juni mit drei Gottesdiensten begangen: am Morgen um 7 Uhr durch Marheineke, im Hauptgottesdienst um 9 Uhr durch Schleiermacher und am Nachmittag um 14 Uhr durch Kober.51 Das Jubiläum der Confessio Augustana war nicht ohne kirchenund theologiepolitische Brisanz. Biblisch-konservative, neupietistische und -konfessionalistische Kreise hatten schon das Reformationsjubiläum von 1817 dazu benutzt, ihre Stimme zu erheben und ihre Anliegen zu vertreten, und zwischenzeitlich durch die Auseinandersetzungen um die Union von Reformierten und Lutheranern neue Nahrung und Unterstützung gefunden.52 Der schwelende Gegensatz zwischen 47

48 49 50 51 52

Vgl. Foerster: Entstehung der Preußischen Landeskirche, Bd. 2, S. 240; Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den Bundesstaaten, Erlangen 1831, S. 83 f. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 651 (in eigener Melodie) Vgl. zu diesen Angaben Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier, S. 84 f.; Reich, Schleiermacher als Pfarrer, S. 317 Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 316 Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 319 Vgl. Foerster: Entstehung der Preußischen Landeskirche, Bd. 2, S. 36–43; zu Schleiermachers Beteiligung an den Auseinandersetzungen vgl. Nowak: Schleiermacher, S. 365–368; KGA I/10, S. XV—XXX; XXXVI–XL

I. Historische Einführung

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theologischem Rationalismus und Supranaturalismus53 hatte seit Januar 1830 im sogenannten Hallischen Theologenstreit um die Professoren Wilhelm Gesenius und Julius August Ludwig Wegscheider, ausgelöst durch einen anonymen Beitrag in der von Ernst Wilhelm Hengstenberg herausgegebenen „Evangelischen Kirchen-Zeitung“, einen öffentlichkeitswirksamen Ausdruck und Ausbruch erfahren.54 Angesichts dieser Lage blickte Schleiermacher in seinem gedruckten Sendschreiben an die Breslauer Theologieprofessoren und Konsistorialräte Daniel von Cölln und David Schulz55 mit Erleichterung auf die Feierlichkeiten zum Jubiläum der Confessio Augustana zurück: „Was nun das Fest anbetrifft, so gestehe ich Ihnen gern, auch ich habe ihm unter den gegenwärtigen Umständen nicht mit außerordentlicher Freudigkeit entgegengesehen. Mir war herzlich bange, es möchte unter allem, was gesprochen und geschrieben werden würde, gar vieles recht dazu gemacht seyn, die streitenden Partheien noch mehr gegen einander zu erbittern und zu noch heftigeren Kämpfen aufzuregen, was, menschlichem Ansehn nach, unsere Angelegenheiten auf den Gipfel der Verwirrung bringen müßte. Nur die Besorgniß konnte ich nicht theilen, die Sie gehegt zu haben scheinen, daß diese Feier [...] dazu benutzt werden möchte, eine neue Verpflichtung auf das augsburgische Bekenntniß unter uns einzuführen. Indeß auch meine Befürchtungen hat der Tag selbst gar sehr beschwichtiget. Was Berlin betrifft, so hat die große Theilnahme an dieser Feier, sie war so angelegentlich, daß es wol keine Kirche gab, vor welcher nicht eine Menge von Menschen hätte umkehren müssen, mich angenehm überrascht. [...] Und die Reden dieses Tages anlangend von Kanzel und Katheder herab, so war ich selbst zu sehr bei der ersten beteiligt, als daß ich noch irgend einer andern Feier hätte beiwohnen können; aber soviel ich von dem vernommen, was hier geredet worden, habe ich mich an allem nur herzlich erfreuen können. Denn niemand bei uns scheint über das schöne Wort unseres Königes, daß wir uns an den Geist dieser Bekenntnißschrift von Herzen anschließen56, hinausgegangen zu seyn, 53

54 55 56

Vgl. ausführlich Emanuel Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. 1–5, fotomechanischer Abdruck der 1964 in 3. Auflage in Gütersloh erschienenen Ausgabe, Münster 1984, Bd. 5, S. 3–144 Vgl. KGA I/10, S. LXXXVIII–CXII Vgl. An die Herren D. D. D. von Cölln und D. Schulz, in: Theologische Studien und Kritiken, Jg. 1831, H. 1, Hamburg 1831, S. 3–39 (KGA I/10, S. 395–426) Schleiermacher bezieht sich auf die Formulierung Friedrich Wilhelms III. in seiner Kabinettsordre vom 4. April 1830, nach der „zu dessen [scilicet: des Augsburgischen Bekenntnisses] Geist auch Ich Mich von Herzen bekenne“ (Ammon, Denkmal der dritten Säcularfeier, S. 83).

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Einleitung des Bandherausgebers

und diejenigen, welche uns gern wieder unter die Lehrnorm eines Buchstabens beschwören wollten, haben an diesem Tag unter der evangelischen Geistlichkeit unserer Stadt keinen Dolmetscher gefunden.“57 Schon die letzte Formulierung zeigt, dass Schleiermacher so ganz ohne Besorgnis, die Feier könnte dazu benutzt werden, die Verpflichtung auf das geschriebene Bekenntnis zu erneuern oder zu verschärfen, nicht gewesen ist. Das belegen auch seine Briefe an Gaß bereits vom 9. Dezember 182658 und vom 18. November 183059, die freilich zeigen, dass Schleiermacher eher fürchtete, es werde „Ernst mit der Thorheit und Verkehrtheit eines neuen Symbols für die unirte Kirche“60 und kein Geringerer als der König selbst arbeite es aus61. Vermutlich spielen solche Befürchtungen und Erwägungen eine Rolle, warum Schleiermacher es nicht dabei beließ, das Augsburgische Bekenntnis am verordneten Säkularfeiertag zum Gegenstand seiner Predigt zu machen, sondern das Jubiläum zum Anlass nahm, zwischen dem 20. Juni und dem 7. November 1830 zehn Predigten62 zu unterschiedlichen Aspekten und Themen der Confessio Augustana zu halten, die er 1831 als 6. Sammlung unter dem Titel „Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession“ veröffentlichte.63 Diese Predigten enthalten, nach den Worten Erich Foersters, „die Summe kirchlicher Weisheit“ und „sollten von niemand ungelesen bleiben [...], der in evangelischer Gemeinschaft zum Amt der Leitung berufen, dies Amt in Treue gegen das echte evangelische Bekenntnis führen will“64. Zu den ersten acht dieser sogenannten Augustana-Predigten werden in diesem Band erstmals Predigtnachschriften veröffentlicht, die einen Detailvergleich mit den Druckfassungen ermöglichen. 57 58 59 60 61

62

63 64

An die Herren von Cölln und Schulz, S. 4 f. (KGA I/10, S. 398,6–399,8) Vgl. Aus Schleiermacher’s Leben, Bd. 4, S. 362–364, bes. 363 Vgl. Briefwechsel mit Gaß, S. 228–230, bes. 228 f. Aus Schleiermacher’s Leben, Bd. 4, S. 363 Vgl. Briefwechsel mit Gaß, S. 228 f.: „Leider ist nur zu fürchten, daß alles nichts helfen wird, denn es giebt Spuren (doch laß es ganz unter uns bleiben), daß der König wieder selbst und allein an einem neuen Symbol arbeitet. Wie er nur in diesem Augenblikk allgemeiner Unruhe Zeit und Lust zu dergleichen hat! Gott gebe daß es sich wieder verzieht, sonst bekommen wir den ganzen Tanz noch einmal und schlimmer als bei der Agende.“ Im einzelnen handelt es sich um folgende Termine: am 20. Juni, 25. Juni, 4. Juli, 18. Juli, 1. August, 15. August, 29. August, 10. Oktober, 24. Oktober, 7. November 1830 jeweils im Hauptgottesdienst am Vormittag. Siehe KGA III/2 Foerster: Entstehung der Preußischen Landeskirche, Bd. 2, S. 242

I. Historische Einführung

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4. Die Choleraepidemie in Berlin 1831 Bezüge auf außergewöhnliche öffentliche Ereignisse oder Vorkommnisse des politisch-gesellschaftlichen Lebens sind auffallend selten in Schleiermachers Predigten aus den Jahren 1830 und 1831. Vereinzelt finden sich 1831 Hinweise auf politische Unruhen, die durch die Pariser Juni-Revolution von 1830 ausgelöst worden waren.65 Ansonsten ist es vor allem die Berliner Choleraepidemie von 1831/32, die sich, ausdrücklich oder anspielungsweise, in mehreren Predigten widerspiegelt. Bezüge darauf finden sich in den Kanzelreden vom 26. Juni, 10. Juli, 7. August, 4. September, 9. Oktober und 16. Oktober 1831. Die sogenannte Asiatische Cholera66 hatte sich seit 1817 von ihrem indischen Ursprungsgebiet aus epidemisch auch Richtung Europa verbreitet. 1830 hatte sie Russland, im September Moskau erreicht. Von dort drang sie weiter nach Westen vor. Seit Frühjahr 1831 waren auch Teile Deutschlands betroffen, vor allem die Städte und Großstädte. Im März 1831 war Danzig infiziert, im Juli folgten Pillau und Königsberg. Die ersten Berliner Verdachtsfälle auf Cholera gab es am 28. August in Charlottenburg und am 30. August im Zentrum der Stadt; am 1. September wurde Berlin offiziell für infiziert erklärt. Ab der zweiten Oktoberhälfte ebbte die Epidemie in Berlin deutlich ab; gleichwohl erlag ihr noch am 14. November mit Hegel ihr wohl berühmtestes deutsches Opfer. Erst gegen Ende Januar 1832 galt die Stadt wieder als cholerafrei; am 9. Februar wurde sie offiziell dazu erklärt. Am 19. Februar 1832 fand der vom König bereits im September 1831 beschlossene Dankgottesdienst statt 67; Schleiermacher gab seine bei diesem Anlass gehaltene Predigt 1833 in den Druck.68 Der Choleraepidemie waren in Berlin insgesamt 1426 Menschen, gut sechs Prozent der Stadtbevölkerung, zum Opfer gefallen. Die Erkrankung verlief in etwa dreiundsechzig Prozent der Fälle tödlich. Zu den Maßnahmen, die bereits am 5. April 1831 prophylaktisch zum Schutz vor dem möglichen Seuchenbefall der Stadt ins Auge gefasst worden wa65 66

67 68

Vgl. die Predigten am 8. Mai, 5. Juni, 26. Juni, 10. Juli und 7. August 1831. Erläuterungen dazu finden sich jeweils im Sachapparat. Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf der Darstellung bei Barbara Dettke: Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Bd. 89, Berlin/New York 1995, bes. S. 102 f. 124. 177–180. 209. Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 335–338 Vgl. Predigt am Sonntage Septuagesimä 1832 als am Dankfest nach der Befreiung von der Cholera in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen, Berlin 1833 (siehe KGA III/13)

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Einleitung des Bandherausgebers

ren, gehörte die Schließung aller öffentlichen Räume, darunter auch der Kirchen; auf ausdrücklichen Befehl des Königs wurden dann die Kirchen von dieser Regelung ausgenommen.69

5. Schleiermachers Predigtdrucke und ihre literarische Rezeption 29 der in den Jahren 1830/31 gehaltenen Predigten sind von Schleiermacher selbst zum Druck befördert worden, die vier Predigten vom 29. Mai, 2. Oktober, 27. November und 26. Dezember 1831 gleich doppelt.70 Als Einzeldruck erschien die Predigt vom 5. Dezember 1830. Die Predigten vom 20. Juni, 25. Juni, 4. Juli, 18. Juli, 1., 15. und 29. August, 10. Oktober, 24. Oktober und 7. November 1830 veröffentlichte Schleiermacher als 6. Sammlung unter dem Titel „Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession“. In seine 7. Sammlung „Christliche Festpredigten“ (Band 2) nahm er die Predigten vom 20. Mai 1830, 29. Mai 1831 sowie 2. Oktober, 27. November und 26. Dezember 1831 auf. Überdies ließ er alle Predigten, die er seit dem Trinitatisfest am 29. Mai 1831 in den Hauptgottesdiensten am Vormittag hielt, fortlaufend in Reihen publizieren. Die Textgrundlage lieferte ihm vermutlich vor allem der ehemalige Berliner Theologiestudent Friedrich Zabel, der nach eigener Aussage „im Verein mit einem Freunde die Nachschriften angefertigt, aus welchen der verstorbene Verfasser [scilicet: Schleiermacher] die seit dem Jahr 1830 erschienenen Hauptpredigten edirt hat“71. Die erste ‚Reihe‘ dieser Predigtdrucke72 umfasste die Kanzelreden vom 29. Mai, 12. Juni, 26. Juni, 10. Juli, 24. Juli, 7. August, 21. August, 4. September, 18. September, 2. Oktober, 16. Oktober und 13. November 1831. Innerhalb der zweiten ‚Reihe‘73 erschienen die Ansprachen vom 27. November, 11., 25. und 26. Dezember 1831. Einen Sonderfall schließlich bildete Schleiermachers Kasualansprache zur Goldenen Hochzeit vom 28. Oktober 1831: Sie wurde im Rahmen einer von der Familie des Jubelpaares gedruckten Hochzeits-Festschrift publiziert.74 69 70 71 72 73 74

Vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 331; vgl. insgesamt S. 329–342 Die genaueren Nachweise für alle diese Angaben finden sich in den Predigtköpfen der jeweiligen Predigten. Predigten über das Evangelium Marci und den Brief Pauli an die Kolosser, hg. v. Friedrich Zabel, Erster Theil, Berlin 1835 (SW II/5), S. III f. Vgl. Predigten von Dr. F. Schleiermacher, [Reihe 1, Berlin 1831] Vgl. Predigten von Dr. F. Schleiermacher, [Reihe 2, Berlin 1832] Vgl. Feier der goldenen Hochzeit des Königlichen Geheimen Ober-Finanzrath, Direktor der Königlichen Porzellan-Manufaktur, Ritter des rothen Adler-Ordens 2ter Klasse mit Eichenlaub etc. Herrn Friedrich Philipp Rosenstiel und dessen Frau Louise Elisabeth geb. Decker am 27. und 28. Oktober 1831, Berlin 1831

II. Editorischer Bericht

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Eine literarische Rezeption der von Schleiermacher selbst veröffentlichten Predigten aus den Jahren 1830/31 zu seinen Lebzeiten ist derzeit nicht nachweisbar.75 Posthum erschien 1835 eine Besprechung seiner gedruckten Augustana-Predigten.76 Die nach Schleiermachers Tod von Friedrich Zabel auf Grundlage seiner Predigtnachschriften herausgegebenen Homilien Schleiermachers über den Kolosserbrief und das Markusevangelium sind 1836 besprochen worden.77

II. Editorischer Bericht Der editorische Bericht informiert über die einheitlich für alle Bände der III. Abteilung geltenden Grundsätze78 zur Textgestaltung (1.) und zur Druckgestaltung (2.), außerdem über die Quellentexte des vorliegenden Bandes und die spezifischen Verfahrensweisen angesichts der jeweiligen Textbeschaffenheit (3.).

1. Textgestaltung und zugehörige editorische Informationen Die allgemeinen Regeln der Textgestaltung für alle Textzeugen werden für Manuskripte spezifiziert und zwar in einem abgestuften Verfahren. Die von Schleiermachers Hand geschriebenen Predigtentwürfe und Predigtverschriftungen werden mit ausführlichen Nachweisen zum Entstehungsprozess versehen. Die Nachschriften von fremder Hand erhalten in einem vereinfachten Editionsverfahren nur knappe Apparatbelege. A. Allgemeine Regeln Für die Edition aller Gattungen von Textzeugen (Drucke und Manuskripte) gelten folgende Regeln: 75

76 77

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Johann August Rienäcker: Ueber das Verhältniß zwischen Schleiermacher’s Predigten und seiner Dogmatik, in: Theologische Studien und Kritiken, Jahrgang 1831 zweites Heft, Hamburg 1831, S. 240–254, bezieht sich durchweg auf vor 1830 gedruckte Predigten Schleiermachers. Vgl. Kritische Prediger-Bibliothek, hg. v. Johann Friedrich Röhr, Bd. 16, Neustadt an der Orla 1835, S. 903–914; siehe dazu die Einleitung in KGA III/2 Vgl. Theologisches Literaturblatt, Jahrgang 1836, hg. v. Georg Zimmermann, Darmstadt 1836, Sp. 388–390; Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1836, Bd. 4. Die Ergänzungsblätter dieses Jahrgangs enthaltend, Halle/Leipzig 1836, Sp. 236–239 Vgl. KGA III/1, S. IX–XX

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Einleitung des Bandherausgebers

a. Alle Textzeugen werden in ihrer letztgültigen Gestalt wiedergegeben. b. Wortlaut, Schreibweise und Zeichensetzung des zu edierenden Textzeugen werden grundsätzlich beibehalten. Dies gilt auch für Schwankungen in der Schreibweise und Zeichensetzung, wo häufig nicht entschieden werden kann, ob eine Eigentümlichkeit oder ein Irrtum vorliegt. Hingegen werden Verschiedenheiten in der Verwendung und Abfolge von Zeichen (z. B. für Abkürzungen oder Ordnungsangaben), soweit sie willkürlich und sachlich ohne Bedeutung sind, in der Regel stillschweigend vereinheitlicht. Verweiszeichen für Anmerkungen (Ziffern, Sterne, Kreuze etc.) werden einheitlich durch Ziffern wiedergegeben. Nach Ziffern und Buchstaben, die in einer Aufzählung die Reihenfolge markieren, wird immer ein Punkt gesetzt. Sekundäre Bibelstellennachweise, editorische Notizen und Anweisungen an den Setzer werden stillschweigend übergangen. Dasselbe gilt für Kustoden, es sei denn, dass sie für die Textkonstitution unverzichtbar sind. c. Offenkundige Druck- oder Schreibfehler und Versehen werden im Text korrigiert. Im textkritischen Apparat wird – ohne weitere Angabe – der Textbestand des Originals angeführt. Die Anweisungen von Druckfehlerverzeichnissen werden bei der Textkonstitution berücksichtigt und am Ort im textkritischen Apparat mitgeteilt. Bei den Predigtnachschriften fremder Hand gilt generell die Regel C.g. d. Wo der Zustand des Textes eine Konjektur nahelegt, wird diese mit der Angabe „Kj ...“ im textkritischen Apparat vorgeschlagen. Liegt in anderen Texteditionen bereits eine Konjektur vor, so werden deren Urheber und die Seitenzahl seiner Ausgabe genannt. e. Sofern beim Leittext ein Überlieferungsverlust vorliegt, wird nach Möglichkeit ein sekundärer Textzeuge (Edition, Wiederabdruck) oder zusätzlich ein weiterer Zeuge unter Mitteilung der Verfahrensweise herangezogen. f. Liegt ein gedruckter Quellentext in zwei oder mehr von Schleiermacher autorisierten Fassungen (Auflagen) vor, so werden die Textabweichungen in einem Variantenapparat mitgeteilt. Dessen Mitteilungen sollen in der Regel allein aus sich heraus ohne Augenkontakt mit dem Text verständlich sein. Zusammengehörige Textveränderungen sollen möglichst in einer Notiz erfasst werden. Leichte Ersichtlichkeit von einzelnen Textveränderungen und deutliche Verständlich-

II. Editorischer Bericht

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keit von neuen Sinnprofilierungen sind für den Zuschnitt der Notizen maßgeblich. Der Variantenapparat wird technisch wie der textkritische Apparat gestaltet und möglichst markant mit dem Text verknüpft. g. Hat Schleiermacher für die Ausarbeitung eines Drucktextes eine Predigtnachschrift genutzt, so wird diese Nachschrift, falls sie im Textbestand deutlich abweicht, zusätzlich geboten. Für die beiden Textzeugen gelten die jeweiligen Editionsregeln. B. Manuskripte Schleiermachers Der vorliegende Band enthält keine edierten Manuskripte Schleiermachers. C. Predigtnachschriften Für die Edition der nicht von Schleiermacher stammenden Predigtnachschriften gelten folgende Regeln: a. Abbreviaturen (Kontraktionen, Kürzel, Chiffren, Ziffern für Silben), deren Sinn eindeutig ist, werden unter Weglassung eines evtl. vorhandenen Abkürzungszeichens (Punkt, Abkürzungsschleife usw.) in der üblichen Schreibweise ausgeschrieben. Die Abbreviaturen mit ihren Auflösungen werden im textkritischen Apparat oder im Editorischen Bericht mitgeteilt. Die durch Überstreichung bezeichnete Verdoppelung von m und n, auch wenn diese Überstreichung mit einem U-Bogen zusammenfällt, wird stillschweigend vorgenommen. Abbreviaturen, deren Auflösung unsicher ist, werden im Text belassen; für sie wird gegebenenfalls im textkritischen Apparat ein Vorschlag mit der Formel „Abk. wohl für ...“ gemacht. In allen Fällen, wo (z. B. bei nicht ausgeformten Buchstaben, auch bei verkürzten Endsilben) aufgrund von Flüchtigkeit der Schrift nicht eindeutig ein Schreibversehen oder eine gewollte Abbreviatur zu erkennen ist, wird das betreffende Wort ohne weitere Kennzeichnung in der üblichen Schreibweise vollständig wiedergegeben. b. Geläufige Abkürzungen einschließlich der unterschiedlichen Abkürzungen für die biblischen Bücher werden im Text belassen und im Abkürzungsverzeichnis aufgelöst. Für die Abkürzungen in Predigtüberschriften (zu Ort und Zeit) erfolgt die Auflösung im editorischen Kopftext der Predigt, in den Apparaten oder im Abkürzungsverzeichnis. Der oftmals fehlende Punkt nach Abkürzungen wird einheitlich immer gesetzt.

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Einleitung des Bandherausgebers

c. Unsichere Lesarten werden in unvollständige eckige Klammern (Beispiel: PnochS) eingeschlossen. Gegebenenfalls wird eine mögliche andere Lesart mit der Formel „oder“ (Beispiel: PauchS] oder PnochS) vorgeschlagen. d. Ein nicht entziffertes Wort wird durch ein in unvollständige eckige Klammern gesetztes Spatium gekennzeichnet; bei zwei oder mehr unleserlichen Wörtern wird dieses Zeichen doppelt gesetzt und eine genauere Beschreibung im textkritischen Apparat gegeben. e. Überlieferungslücken. Weist ein Manuskript Lücken im Text oder im Überlieferungsbestand auf und kann die Überlieferungslücke nicht durch einen sekundären Textzeugen gefüllt werden (vgl. oben A.e.), so wird die Lücke innerhalb eines Absatzes durch ein in kursive eckige Klammern eingeschlossenes Spatium gekennzeichnet. Eine größere Lücke wird durch ein in kursive eckige Klammern gesetztes Spatium gekennzeichnet, das auf einer gesonderten Zeile wie ein Absatz eingerückt wird. Eine Beschreibung erfolgt im textkritischen Apparat. f. Auffällige Textgestaltung wird im Editorischen Bericht oder bei Bedarf im textkritischen Apparat beschrieben (beispielsweise Lükken in einem fortlaufenden Satz oder Absatz). g. Offenkundige Schreibfehler und Versehen werden im Text stillschweigend im Sinne der üblichen Schreibweise und ohne Apparatnachweis korrigiert, entweder wenn die Korrektur durch einen zuverlässigen Paralleltext bestätigt wird oder wenn es sich, falls kein Paralleltext überliefert ist, um Verdoppelung von Silben, Worten oder Wortgruppen, um falsche Singular- bzw. Pluralbildung, falsche Kleinschreibung oder Großschreibung von Wörtern, falsches Setzen oder Fehlen von Umlautzeichen, falsche graphische Trennung von Wortbestandteilen oder Verknüpfung von Wörtern, Fehlen des Konsonantenverdoppelungsstrichs, um unvollständige Zitationszeichen (fehlende Markierung des Zitatanfangs oder Zitatendes), unvollständige Einklammerung und Ähnliches handelt. Sind offenkundig bei Streichungen und Korrekturen versehentlich Fehler unterlaufen, so wird der intendierte Textbestand stillschweigend geboten. h. Einzelheiten des Entstehungsprozesses (Streichungen, Zusätze, Korrekturen, Umstellungen und Entstehungsstufen) werden im textkritischen Apparat nicht nachgewiesen, auch nicht der Wechsel von Schreiberhänden und die Unterschiede in der graphischen Gestaltungspraxis. Nicht einweisbare Zusätze oder Anmerkungen auf dem Rand werden in Fußnoten mitgeteilt.

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i. Fehlende Wörter und Zeichen, die für das Textverständnis unentbehrlich sind, werden im Text in eckigen Klammern ergänzt. j. Hervorhebungen bleiben unberücksichtigt. Die thematische Gliederungsübersicht innerhalb einer Predigt wird in der Regel als Block eingerückt. k. Textüberarbeitungen Schleiermachers. Bei einer von Schleiermacher markant und ausführlich bearbeiteten Nachschrift wird sowohl der von Schleiermacher hergestellte Text als auch der zugrunde liegende Text der Nachschrift ediert. Hat Schleiermacher in einer Nachschrift nur vereinzelt Korrekturen, Ergänzungen oder Kommentierungen vorgenommen, so werden diese möglichst gebündelt als Fußnoten mitgeteilt. D. Sachapparat Der Sachapparat gibt die für das Textverständnis notwendigen Erläuterungen. a. Zitate und Verweise werden im Sachapparat nachgewiesen. Für die von Schleiermacher benutzten Ausgaben werden vorrangig die seiner Bibliothek zugehörigen Titel berücksichtigt.79 b. Zu Anspielungen Schleiermachers werden Nachweise oder Erläuterungen nur dann gegeben, wenn die Anspielung als solche deutlich, der fragliche Sachverhalt eng umgrenzt und eine Erläuterung zum Verständnis des Textes nötig ist. c. Bei Bibelstellen wird ein Nachweis nur gegeben, wenn ein wortgetreues bzw. Worttreue intendierendes Zitat gegeben wird, eine paraphrasierende Anführung von biblischen Aussagen vorliegt oder auf biblische Textstellen förmlich (z. B. „Johannes sagt in seinem Bericht …“) Bezug genommen wird. Geläufige biblische Wendungen werden nicht nachgewiesen. Für den einer Predigt zugrunde liegenden Bibelabschnitt werden in dieser Predigt keine Einzelnachweise gegeben. Andere Bibelstellen, auf die in einer Predigt häufiger Bezug genommen wird, werden nach Möglichkeit gebündelt nachgewiesen. Weicht ein ausgewiesenes Bibelzitat vom üblichen Wortlaut ab, so wird auf diesen Sachverhalt durch die Nachweisformel „vgl.“ hingewiesen.

79

Vgl. Günter Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek nach den Angaben des Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer, in: Schleiermacher, KGA I/15, S. 637–912

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Einleitung des Bandherausgebers

E. Editorischer Kopftext Jeder Predigt – ausgenommen sind die gedruckten ‚Sammlungen‘ (vgl. KGA III/1–2) und die Manuskripthefte ‚Entwürfe‘ (vgl. KGA III/3) – wird ein editorischer Kopftext vorangestellt. a. Bestandteile. Der editorische Kopftext informiert über den Termin, den Ort, die ausgelegten Bibelverse, den Textzeugen sowie gegebenenfalls über Parallelzeugen und Besonderheiten. Die Textzeugen werden durch das Genus, die Archivalienangabe und gegebenenfalls den Namen der Autoren/Tradenten von Nachschriften charakterisiert. Sind Autoren und Tradenten verschiedene Personen und namentlich bekannt, werden beide mitgeteilt. b. Verfahrenshinweise. Bei Nachschriften wird gegebenenfalls über vorhandene Editionen des vorliegenden Textzeugen, bei Drucktexten gegebenenfalls über Wiederabdrucke Auskunft gegeben. Bei Wiederabdrucken von Druckpredigten werden keine Auszüge oder Referate berücksichtigt, sondern nur vollständige Textwiedergaben bibliographisch mitgeteilt. Wenn von einer in der jetzigen Publikation als Textzeuge genutzten Predigtnachschrift bereits eine leicht abweichende Version desselben Tradenten ediert worden ist, so wird diese frühere Publikation unter dem Stichwort „Texteditionen“ aufgeführt und als „Textzeugenparallele“ charakterisiert. Wird zu einem Drucktext Schleiermachers eine vorhandene Predigtnachschrift nicht als Textzeuge ediert, so wird diese Nachschrift unter dem Stichwort „Andere Zeugen“ genannt. Die Angaben zum editorisch ermittelten Bibelabschnitt können von den Angaben des Textzeugen abweichen.

2. Druckgestaltung Die Druckgestaltung soll die editorische Sachlage bei den unterschiedlichen Gattungen von Textzeugen möglichst augenfällig machen. A. Seitenaufbau a. Satzspiegel. Es werden untereinander angeordnet: Text des Originals gegebenenfalls mit Fußnoten, gegebenenfalls Variantenapparat, textkritischer Apparat, Sachapparat. Text, Fußnoten und Variantenapparat erhalten eine Zeilenzählung auf dem Rand. b. Die Beziehung der Apparate auf den Text erfolgt beim textkritischen Apparat und beim Variantenapparat dadurch, dass unter Angabe der Seitenzeile die Bezugswörter aufgeführt und durch eine

II. Editorischer Bericht

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eckige Klammer (Lemmazeichen) von der folgenden Mitteilung abgegrenzt werden. Beim Sachapparat wird die Bezugsstelle durch Zeilenangabe bezeichnet; der editorische Kopftext samt vorangestellter Überschrift wird als Zeile Null gezählt. B. Gestaltungsregeln a. Schrift. Um die Predigtnachschriften fremder Hand graphisch von den Drucktexten Schleiermachers sowie von seinen eigenhändigen Manuskripten abzuheben, werden erstere in einer serifenlosen Schrift (Myriad) mitgeteilt. Dies gilt auch für die Fälle, in denen eine Predigtnachschrift nur in Gestalt eines nicht von Schleiermacher autorisierten Drucktextes als sekundärer Quelle vorliegt. Der Text des Originals wird einheitlich recte wiedergegeben. Bei der Wiedergabe von Manuskripten wird deutsche und lateinische Schrift nicht unterschieden. Graphische Varianten von Zeichen (wie doppelte Bindestriche, verschiedene Formen von Abkürzungszeichen oder Klammern) werden stillschweigend vereinheitlicht. Ordinalzahlen, die durch Ziffern und zumeist hochgestellten Schnörkel oder Endung „ter“ (samt Flexionen) geschrieben sind, werden einheitlich durch Ziffern und folgenden Punkt wiedergegeben. Sämtliche Zutaten des Herausgebers werden kursiv gesetzt. b. Die Seitenzählung des Textzeugen wird auf dem Außenrand angegeben. Stammt die Zählung nicht vom Autor, so wird sie kursiv gesetzt. Der Seitenwechsel des zugrundeliegenden Textzeugen wird im Text durch einen senkrechten Strich (|) markiert; im Lemma des textkritischen Apparats und des Variantenapparats wird diese Markierung nicht ausgewiesen. Müssen bei Textzeugenvarianten zu derselben Zeile zwei oder mehr Seitenzahlen notiert werden, so werden sie nach der Position der Markierungsstriche gereiht. Wenn bei poetischen Texten die Angabe des Zeilenbruchs sinnvoll erscheint, erfolgt sie durch einen Schrägstrich (/) im fortlaufenden Zitat. c. Unterschiedliche Kennzeichnung von Absätzen (Leerzeile, Einrücken, großer Abstand in der Zeile) wird einheitlich durch Einrücken der ersten Zeile eines neuen Absatzes wiedergegeben. Abgrenzungsstriche werden – außer bei den gedruckten ‚Sammlungen‘ und ‚Reihen‘ – nur wiedergegeben, wenn sie den Schluss markieren; versehentlich fehlende Schlussstriche werden ergänzt. Die Gestaltung der Titelblätter wird nicht reproduziert. d. Hervorhebungen Schleiermachers (in Manuskripten zumeist durch Unterstreichung, in Drucktexten zumeist durch Sperrung oder Kursivierung) werden einheitlich durch Sperrung kenntlich gemacht.

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Einleitung des Bandherausgebers

e. Der zitierte Bibelabschnitt einer Predigt, der samt Stellenangabe in den Drucken und Manuskripten vielfältig und unterschiedlich gestaltet ist, wird einheitlich als eingerückter Block mitgeteilt, wobei die Bibelstellenangabe mittig darüber gesetzt und in derselben Zeile das Wort „Text“, falls vorhanden, gesperrt und mit Punkt versehen wird. Ist die Predigt verbunden mit Gebet, Kanzelgruß oder Eingangsvotum, so werden diese Begleittexte als Block eingerückt wiedergegeben. f. In Predigtentwürfen Schleiermachers und Dispositionen fremder Hand werden die Gliederungsstufen, die optisch unterschiedlich ausgewiesen sind, einheitlich durch Zeileneinrückung kenntlich gemacht.

3. Quellentexte des vorliegenden Bandes und spezifische editorische Verfahrensweisen Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Zeichen- und insbesondere Kommasetzung der originalen Texte nicht unsern Regeln entsprechen. Oft scheinen Kommata eher eine Sprechpause oder einen gewissen Einhalt zu markieren, als grammatikalisch-syntaktischer Normierung zu gehorchen. Insgesamt bin ich sehr zurückhaltend in Ergänzung oder Streichung von Satzzeichen verfahren. Dieselbe Zurückhaltung habe ich geübt in der Korrektur streng genommen fehlerhafter Syntax, wo eine Constructio ad sensum vermutbar oder gerade noch zu ahnen ist, und in der Ergänzung von Wörtern, die für an heutige Usancen gewöhnte Leser fehlen, etwa Formen der Hilfsverben „sein“ und „haben“ in zusammengesetzten Tempora oder bei anderen elliptischen Formulierungen; in seltenen Fällen erscheint ein erläuternder Hinweis im textkritischen Apparat. Die Angaben der Liednummern aus dem Berliner Gesangbuch80 stehen in den verwendeten Textvorlagen mal linksbündig, mittig oder am rechten Zeilenende. Im edierten Text werden sie, wo sie unmittelbar einer Überschrift folgen, mittig unter die Überschrift gesetzt, in allen anderen Fällen links eingerückt. Das gilt auch für die Drucktexte Schleiermachers, in deren Original die Liedangaben durchgängig mittig erscheinen. Ist einer Gesangbuchnummer das Wort „Gesang“ oder „Lied“ vorangestellt, werden Wort und Num80

Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen. Mit Genehmigung Eines hohen Ministerii der geistlichen Angelegenheiten, Berlin [1829]; vgl. KGA III/2 (Anhang)

II. Editorischer Bericht

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mer in einer Zeile wiedergegeben, auch wenn im Manuskript häufiger die Nummer in einer neuen Zeile steht. Ferner sind Sperrungen und Petitdruck bei Liederangaben in gedruckten Texten beseitigt worden. Bei Eingriffen in den Text erscheint im textkritischen Apparat gelegentlich der Hinweis „so auch SW“ (mit nachfolgender Bandund Seitengabe); mit dieser Formel soll zum Ausdruck gebracht werden, dass, wie der Editor des gegenwärtigen Bandes, so bereits diese erste Edition glaubte, in den Text eingreifen zu sollen, es sich aber bei dem SW-Text selbstverständlich nicht um einen eigenen Textzeugen handelt. Bei den Bibelstellennachweisen im Sachapparat zeigt die Formel „in Verbindung mit“ an, dass in Schleiermachers Bezug auf die zuerst genannte Bibelstelle eine oder auch mehrere andere Bibelstellen derart mit einander verflochten sind, dass sie eine – von Schleiermacher selbst geschaffene – Einheit bilden. Das einem weiteren Bibelstellennachweis vorangestellte „ferner“ ist wörtlich zu verstehen: Der Wortlaut oder Inhalt der folgenden Bibelstelle oder -stellen entfernt sich in irgend einer Weise weiter von dem Bezugstext bei Schleiermacher als die zuvor genannte Bibelstelle bzw. -stellen, ist aber für den exegetischen oder theologischen Kontext von Interesse. A. Schleiermacher-Drucke In den von Schleiermacher selbst autorisierten Drucken der sog. ‚Reihen’ 1 und 281 werden die einzelnen Predigten mit mittig und fett gesetzten römischen Ziffern durchgezählt. Diese Ziffern sind in der vorliegenden Textedition weggelassen worden; die Nummerierung wird im Predigtkopf unter „Textzeuge“ mitgeteilt. An folgenden Terminen basiert der edierte Text auf von Schleiermacher selbst veröffentlichten oder autorisierten Drucken: 05. 29. 12. 26. 10. 24. 07. 21. 04. 81

12. 05. 06. 06. 07. 07. 08. 08. 09.

1830 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831

vorm. vorm. vorm. vorm. vorm. vorm. vorm. vorm. vorm.

18. 02. 16. 28. 13. 27. 11. 25. 26.

09. 10. 10. 10. 11. 11. 12. 12. 12.

1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831

vorm. vorm. vorm. nachm. vorm. vorm. vorm. vorm. früh

Vgl. Predigten von Dr. F. Schleiermacher, [Reihe 1, Berlin 1831]; Predigten von Dr. F. Schleiermacher, [Reihe 2, Berlin 1832]

XXXII

Einleitung des Bandherausgebers

B. Crayen-Nachschriften Die Caroline Crayen zugeordneten Nachschriften, die für den vorliegenden Band berücksichtigt wurden, sind Teil folgender Archivbestände: SBB, SAr 106: Diese Mappe enthält einundzwanzig Predigten, mit Tinte geschrieben auf Papier unterschiedlicher Formate, das kleinste von 10 cm Breite und 17,2 cm Höhe, das größte von 21,5 cm Breite und 35,5 cm Höhe. ABBAW, SN 619: Hierbei handelt es sich um ein Heft im Querformat, das auf 17 Blatt fünf chronologisch nicht geordnete Predigten der Jahre 1822 bis 1830 enthält. Die Crayen-Nachschriften weisen zahlreiche waagerechte Striche auf, manchmal um Zeilen zu füllen, manchmal als Gedankenstriche, manchmal in uneindeutiger Funktion. Bei längeren Zitaten werden jeweils am Zeilenanfang die Anführungsstriche wiederholt, was der edierte Text nicht reproduziert. Bei Seitenwechsel finden sich öfter Wiederholungen von Wörtern oder Teilsätzen, die in der vorliegenden Edition stillschweigend gestrichen wurden; in Fällen, wo dabei der Wortlaut leicht variierte, wurde die jeweils ausführlichere Formulierung stehengelassen. Vielfach ist nicht sicher zu entscheiden, ob es sich bei Artikeln, Pronomina oder Adjektiven um Dativ- oder Akkusativendungen (-em, -en) handelt; hier wurde stillschweigend die (vermutlich) richtige Kasusendung vorausgesetzt. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): allgemein Apostel Christus der, die, das Erkenntniß Erlöser Evangelium Gott -ung

allgem. Ap. Chr. d. Erk. Erl. Evangl. G. -g

Gemeinschaft Geschlecht Glaube Herrlichkeit -lich, -lig Predigt von, vom

Gem. / Gemeinsch. Geschl. Gl. Herrlichk. Pr. v.

An einem Termin liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von Crayen zu Grunde: 03. 04. 1831 vorm.

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C. Oberheim-Nachschriften Die Ludwig Otto Heinrich Oberheim zugeordneten Nachschriften, die für den vorliegenden Band berücksichtigt wurden, sind Teil des folgenden Archivbestands: SBB, SAr 98: Die Mappe enthält drei Doppelblätter im Format 21 cm Breite und 25,5 cm Höhe mit zwei in Tinte geschriebenen Predigten. Folgende Abbreviatur wurde stillschweigend aufgelöst: und

u.

An einem Termin liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von Oberheim zu Grunde: 07. 03. 1830 vorm. D. v. Oppen-Nachschriften Die Elisabeth von Oppen zugeordneten Nachschriften, die für den vorliegenden Band berücksichtigt wurden, sind Teil des folgenden Archivbestands: SBB, SAr 108: Die Mappe umfasst fünf Predigten aus dem Zeitraum 1822 bis 1831, mit Tinte auf Doppelblättern geschrieben. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): Apostel Christus eingeborener Erlöser Johannes der Täufer

Ap. Chr. eingeb. Erl. Joh. d. T.

-lich Paulus und Vater vom, von

Paul. u. / ud. V. v.

An den beiden folgenden Terminen beruht der edierte Text auf einer Predigtnachschrift von v. Oppen: 30. 01. 1831 vorm. 13. 02. 1831 vorm. E. Pommer-Nachschriften Die Pommer zugeordneten Nachschriften, die für den vorliegenden Band berücksichtigt wurden, sind Teil folgender Archivbestände: SBB, SAr 94: Die Mappe enthält achtunddreißig Predigten vom 10. Juli 1829 bis 10. Oktober 1830, mit Tinte geschrieben auf Papier

XXXIV

Einleitung des Bandherausgebers

einheitlichen Formats von 17,2 cm Breite und 21,5 cm Höhe, teils in Doppelblätter, teils in fadengehefteten Lagen. SBB, SAr 99: Hierbei handelt es sich um ein Heft mit grünem Umschlag im Papierformat 18 cm Breite und 22,5 cm Höhe mit acht, römisch gezählten und fortlaufend, d. h. ohne eine Predigt auf einer neuen Seite beginnen zu lassen, und mit Tinte geschriebenen Predigten. Die Nachschriften Pommers weisen gelegentlich falsche Groß- oder Kleinschreibung von Verben, Substantiven oder attributiv gebrauchten Adjektiven auf; selten kommt die Verwechslung von „das“ und „daß“, gelegentlich die von Dativ- und Akkusativendungen bei Artikeln, Pronomina oder Adjektiven vor. Häufig stehen Anführungszeichen nur am Anfang oder am Ende eines Zitats; ebenso fehlen häufig Trennstriche und Punkte am Ende einer Zeile. In allen diesen Fällen sind den editorischen Grundsätzen entsprechend Korrekturen und Ergänzungen stillschweigend vorgenommen worden. Fehlende Kommata am Ende einer Zeile sind nur in solchen Fällen stillschweigend hinzugefügt worden, die den erkennbaren Gepflogenheiten der Kommasetzung des Manuskripts entsprechen. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): Alter Bund Apostel evangelisch Evangelist Evangelium

A. B. Ap. ev. Ev. Ev.

Jakobus Lucas Herr Hebräerbrief

Jakob. Luc. H. / He. / Hr. Hebr.

An folgenden Terminen liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von Pommer zu Grunde: 14. 21. 28. 02. 04. 09. 11. 12. 18. 25. 02.

03. 1830 früh 03. 1830 vorm. 03. 1830 früh 04. 1830 mitt. 04 1830 vorm. 04. 1830 früh 04. 1830 vorm. 04. 1830 früh 04. 1830 vorm. 04. 1830 früh 05. 1830 vorm.

05. 09. 16. 20. 23. 20. 25. 04. 15. 29. 10.

05. 05. 05. 05. 05. 06. 06. 07. 08. 08. 10.

1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830

früh vorm. früh vorm. früh vorm. vorm. vorm. vorm. vorm. vorm.

II. Editorischer Bericht

XXXV

F. Schirmer-Nachschriften Die Karl Friedrich August Schirmer zugeordneten Nachschriften, die für den vorliegenden Band berücksichtigt wurden, sind Teil des folgenden Archivbestands: SBB, SAr 54: Die Mappe beinhaltet achtzehn Predigten der Jahre 1818 bis 1831 auf 187 Blatt, mit Tinte sauber geschrieben auf Papier unterschiedlichen Formats, überwiegend einzeln in Fadenheftung und mit geklebtem Falz. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): Apostelgeschichte Corinther Lucas Matthäus nicht

Apostelgesch. Cor. Luc. Matth. o ˙

An einem Termin beruht der edierte Text auf einer Predigtnachschrift von Schirmer: 16. 01. 1831 vorm. G. Simon-Nachschriften Die Simon zugeordneten Nachschriften, die für den vorliegenden Band berücksichtigt wurden, sind Teil des folgenden Archivbestands: SBB, SAr 118: Die Mappe enthält sieben Predigten, sauber und gleichmäßig und mit Tinte geschrieben auf Papier von 17 cm Breite und 22 cm Höhe in einzelnen Lagen. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): Alter Bund Apostel Apostelgeschichte der, die, das dasjenige diejenige Evangelium evangelisch heilig Neuer Bund Schrift

A. B. Ap. ApGest. (Apostolorum Gestae) d. dasj. diej. E. e. heil. N. B. Schr.

XXXVI

Einleitung des Bandherausgebers

und Christ christlich Christus

u. Xt. χtl. Xt. / Xtus

An den folgenden drei Terminen liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von Simon zu Grunde: 30. 05. 1830 vorm. 18. 07. 1830 vorm. 01. 08. 1830 vorm.

H. Woltersdorff-Nachschriften Die dem ‚Fräulein‘ Woltersdorff zugeordneten Nachschriften, die für den vorliegenden Band berücksichtigt wurden, sind Teil folgender Archivbestände: SBB, SAr 69: Die Mappe enthält fünfzehn Predigten mit Tinte geschrieben, die meisten auf einem Papier im Format 22 cm Breite und 26,5 cm Höhe, die Predigt vom 4. April 1830 (Bl. 11r–18v) als einzige in Fadenheftung im Papierformat 19 cm Breite und 24,2 cm Höhe. SBB, SAr 70: Die Mappe umfasst fünf Predigten, die beiden ersten zusammen in fadengehefteten Lagen, die drei übrigen jeweils auf ineinander gelegten Doppelblättern im Papierformat 21,5 cm Breite und 26 cm Höhe; lediglich das eingelegte Doppelblatt der letzten Predigt ist mit 17 cm Breite und 20,6 cm Höhe kleiner. Woltersdorff verwendet überwiegend einen Doppelpunkt an Stelle eines Abkürzungspunktes. Von daher legte es sich nahe, zahlreiche – aus heutiger Sicht unsinnige – Doppelpunkte im Satz als Punkt zu interpretieren und entsprechend im edierten Text wiederzugeben. Gelegentlich falsche Großschreibung von Wörtern (z. B. attributiv oder prädikativ benutzte Adjektive) ist stillschweigend korrigiert worden, ebenso die gelegentliche Verwechselung von „das“ und „daß“. Der Strich über Konsonanten, der deren Verdoppelung anzeigt, fehlt teilweise; in eindeutigen Fällen ist die doppelte Schreibung stillschweigend vorgenommen worden. Hingegen sind unterschiedliche Schreibweisen desselben Worts beibehalten worden („leidenschaftlich“ neben „leidentschaftlich“). Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt):

II. Editorischer Bericht

Apostel Ausgang Betrachtung Buchstabe Christus Christi christlich Christenthum der, die, das Erlöser Evangelist Evangelium Gott Glaube Gnade -heit Hohenpriester Hohepriester

Ap. / Apst. Ausg. Betr. Buchst. Chr. Chi christ. Christenth. d. Erl. Evangel. / Evangl. Ev. / Evangel. / Evangl. G. Gl. Gn. -h. Hohenpr. Hohepr.

XXXVII

Herr irdisch Israel Jünger Johannes -keit klein -lich Mutter Menschen Sohn Muthwille perge perge Paulus Petrus Predigt Prophet Sohn Sünder sein und von

Hr. ird. Isr. J. Joh. -k. kl. M. MS Muthw. p.p. / pp. Paul. Petr. Pr. Proph. S. S. s. u. v.

An folgenden Terminen beruht der edierte Text auf einer Predigtnachschrift von Woltersdorff: 01. 17. 31. 21.

01. 01. 01. 02.

1830 1830 1830 1830

vorm. früh früh vorm.

28. 27. 01. 01.

02. 03. 04. 10.

1830 1831 1831 1831

früh vorm. früh mitt.

I. Zabel-Nachschriften a. Zabels Edition der Kolosser- und Markushomilien Sowohl Schleiermachers 16 Predigten umfassende Homilienreihe zum Kolosserbrief vom 13. Juni 1830 bis zum 17. Juli 1831 als auch seine große, vom 14. August 1831 bis zum 2. Februar 1834 reichende Homilie über das Markusevangelium, von der in diesem Band die ersten 9 Predigten enthalten sind, hat der ehemalige Berliner Student der Theologie Friedrich Zabel 1835 unter dem Titel „Predigten über das Evangelium Marci und den Brief Pauli an die Kolosser, gehalten von Friedrich Schleiermacher“ in zwei Bänden im Berliner Verlag Fried-

XXXVIII

Einleitung des Bandherausgebers

rich August Herbig veröffentlicht.82 Eine vermutlich nach Drucklegung des Textteils auf einer unpaginierten Seite im Anschluss an das Vorwort eingefügte Mitteilung besagte: „Der Herausgabe der nachfolgenden Predigten haben die Schleiermacherschen Erben und der von dem verewigten Prof. Dr. Schleiermacher mit der Edition seines literarischen Nachlasses beauftragte Prediger Jonas ihre Genehmigung ertheilt.“83 Der zweite Band erhielt dann ein zusätzliches Titelblatt, das ihn als „Friedrich Schleiermacher’s Literarischer Nachlaß. Predigten. Zweiter Band“ auswies. Damit war die Übernahme der Zabelschen Edition in die ‚Sämmtlichen Werke‘ vollzogen.84 Im Gegensatz zu einigen anderen Predigtbänden der ‚Sämmtlichen Werke‘ handelt es sich bei Zabels ediertem Text mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht um das Resultat einer Kompilation verschiedener Textzeugen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass Zabel ausschließlich eigene Nachschriften für den Druck benutzt hat. In der „Vorrede“ des ersten Bandes schreibt er: „Unterzeichneter hat sich zu der selbstständigen Herausgabe der nachfolgenden Predigten nicht eher entschlossen, als bis er die Gewißheit erhalten, daß diese sonst gar nicht oder doch nicht auf genügende Weise würden dem Publikum mitgetheilt werden. Er ist nämlich, wie er weiß, im alleinigen Besitz vollständiger und treuer Nachschriften der von dem seligen Schleiermacher [...] gehaltenen Frühpredigten über das Evangelium Marci und den Brief Pauli an die Kolosser; von Andern sind diese Predigten entweder nur theilweise, oder höchst mangelhaft nachgeschrieben worden; die meisten aber von einzelnen derselben hiesigen Ortes [scilicet: Berlin] circulirenden Nachschriften sind von den seinigen entnommen, und also auch als ihm zugehörig zu betrachten.“ In der „Vorrede“ zum zweiten Band spricht Zabel schlicht von den „von ihm nachgeschriebenen Predigten“ und zieht eben diese Tatsache, dass es sich um von ihm nachgeschriebene Predigten handelt, als Erklärungs- und Entschuldigungsgrund dafür heran, dass er sich für berechtigt gehalten hatte, sie ohne Zustimmung von Jo82

83 84

Die letzten beiden Predigten der Mk-Homilien vom 26. Januar und 2. Februar fehlen in der Edition Zabels (vgl. a. a. O., Bd. 2, S. 190). Sie sind in von Schleiermacher autorisierten Drucken erschienen, denen vermutlich ebenfalls die Nachschriften Zabels zugrunde lagen. Das lässt sich aus dessen Mitteilung entnehmen, er habe „im Verein mit einem Freunde die Nachschriften angefertigt, aus welchen der verstorbene Verfasser [scilicet: Schleiermacher] die seit dem Jahr 1830 erschienenen Hauptpredigten edirt hat“ (a. a. O. Bd. 1, S. IV). Zumindest die Homilie vom 26. Januar 1834 fand tatsächlich im Vormittagsgottesdienst statt, war also eine ‚Hauptpredigt‘. A. a. O., Bd. 1, nach S. VIII (Sperrung der Eigennamen beseitigt) Sie werden, wie üblich, im Folgenden als SW II/5 und SW II/6 gezählt.

II. Editorischer Bericht

XXXIX

nas und Schleiermachers Witwe zu veröffentlichen.85 Die von Zabel publizierten Kolosser- und Markushomilien werden daher im vorliegenden Band editorisch als gedruckte Zabel-Nachschriften behandelt. b. Das Verhältnis zu anderen Textzeugen Zu den acht Predigten der Kolosserhomilie am 13. und 27. Juni, 11. und 25. Juli, 8. und 22. August sowie 17. und 31. Oktober 1830 liegen neben den gedruckten Nachschriften Zabels weitere Nachschriften vor.86 Die Nachschrift Pommers zur Predigt am 27. Juni weist gegenüber dem Text Zabels fast ausschließlich rein orthographische Abweichungen auf. Es könnte sich dabei also um eine der auf Zabel zurückgehenden Nachschriften handeln, von denen er in der „Vorrede“ spricht87. Auch in den anderen sieben Fällen sind die textlichen Übereinstimmungen zwischen Zabel und Pommer so weitgehend, dass man eine Abhängigkeit oder gemeinsame Herkunft von einer Nachschrift vermuten kann. In Kleinigkeiten (z. B. Umstellung von Wörtern, Ergänzungen von Adverbien oder Partikeln) scheint Pommer mitunter den vielleicht ursprünglicheren, gesprochenen Text wiederzugeben, was in einem Fall, der Predigt am 13. Juni, durch einen Vergleich mit der Nachschrift Simon bestätigt wird; an solchen Stellen hat Zabel vermutlich stilistische Verbesserungen für den Druck vorgenommen. Bei den wenigen echten und inhaltlich relevanten Abweichungen, bietet Zabel durchgehend den besseren Text. Besserer Text heißt: Zabels Lesart oder Formulierung stimmt entweder mit einem dritten (oder gar vierten) Textzeugen gegen Pommer überein oder ist inhaltlich sinnvoller. Anders und komplizierter stellt sich das Verhältnis zu Woltersdorff dar. Die vier erhaltenen Parallelnachschriften weisen einerseits in ganzen Passagen ein hohes Maß an wörtlichen Übereinstimmungen mit Zabels Text auf, weichen andererseits in einzelnen Formulierungen, ganzen Sätzen oder kürzeren Passagen so stark ab, dass eine gemeinsame Herkunft beider Nachschriften höchst unwahrscheinlich ist, die vorhandenen Übereinstimmungen also auf von einander unabhängige getreue Wiedergabe des gesprochenen Worts zurückgeführt werden müssen. Zabels Texte enthalten in der Regel ein gewisses Sondergut, also Passagen, Sätze oder Teilsätze, die bei Woltersdorff keine Entsprechung besitzen. Notierenswert sind eine Reihe von Ausführungen Woltersdorffs, die den Text Zabels inhaltlich präzisieren und erklären oder ihm gegenüber eine andere Interpretation nahelegen. 85 86 87

SW II/6, unpaginierte erste Seite der „Vorrede“ Zu den Einzelheiten vgl. die Angaben in den jeweiligen Predigtköpfen Vgl. SW II/5, S. III

XL

Einleitung des Bandherausgebers

Solche Ausführungen Woltersdorffs werden im Sinne einer Erläuterung des im vorliegenden Band edierten Textes im Sachapparat zitiert. Interessant sind zudem einige Stellen, an denen innerhalb von ansonsten (weitgehend) übereinstimmenden Sätzen einzelne religiös-theologische Begriffe durch andere ersetzt sind (das ‚Wort Gottes’ durch das ‚Reich Gottes‘; die ‚Kraft des Evangeliums‘ durch die ‚Kraft Gottes‘); auch in diesen Fällen findet sich ein Hinweis im Sachapparat. c. Editorische Besonderheiten Für die gedruckten Nachschriften Zabels gelten die Grundsätze für die editorische Behandlung von Nachschriften. Zabel hat sich bei der Edition seiner Nachschriften vorgenommen, „nicht nur den ursprünglichen Schleiermacher’schen Inhalt, sondern auch die von ihm gebrauchten Redewendungen und Worte so treu und genau als möglich wiederzugeben. Es war hierbei nicht zu vermeiden, daß manche Ungenauigkeiten und Unebenheiten im Ausdrucke, wie sie der freigesprochenen Rede fast unvermeidlich unterlaufen, und die dem Zuhörer auch weniger bemerklich und störend sind als dem Leser, stehen blieben, auch selbst solche, welche sonst leicht hätten hinweggeschafft werden können.“88 Dazu gehören etwa Anakoluthe, die hin und wieder begegnen. In solchen Fällen hat auch die vorliegende Edition in der Regel nicht in den Text eingegriffen. Zabel hat die einzelnen Predigten der Homilienreihen mit mittig gesetzten römischen Ziffern durchgezählt; diese Ziffern sind im edierten Text weggelassen worden; sie werden im Predigtkopf unter „Textzeuge“ aufgeführt. d. Leittext-Termine An folgenden Terminen liegt dem edierten Text eine gedruckte Nachschrift von Zabel zu Grunde: 13. 27. 11. 25. 08. 22. 17. 31. 88

06. 06. 07. 07. 08. 08. 10. 10.

1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830 1830

früh früh früh früh früh früh früh früh

SW II/5, S. V f.

28. 20. 08. 15. 05. 19. 03. 17.

11. 03. 05. 05. 06. 06. 07. 07.

1830 1831 1831 1831 1831 1831 1831 1831

früh früh früh früh früh früh früh früh

II. Editorischer Bericht

14. 28. 11. 25. 09.

08. 08. 09. 09. 10.

1831 1831 1831 1831 1831

früh früh früh früh früh

23. 06. 04. 18.

10. 11. 12. 12.

1831 1831 1831 1831

XLI

früh früh früh früh

K. Nicht identifizierte Nachschriften Die keinen identifizierten Nachschreibern zugeordneten Nachschriften, die für den vorliegenden Band berücksichtigt wurden, sind Teil folgender Archivbestände: SBB, SAr 119: Die Mappe beinhaltet ein großes Blatt, auf Vorder- und Rückseite quer beschrieben und mehrfach gefaltet; inhaltlich handelt es sich um eine ausführliche Predigtdisposition. Es werden keine Abbreviaturen verwendet. Das Manuskript ist nicht als Leittext der Predigt am 21. August 1831 vormittags verwendet worden. SBB, SAr 97: Die Mappe enthält dreizehn Doppelblätter im Format 22 cm Breite und 26 cm Höhe mit drei Predigten, in Tinte geschrieben; die erste Predigt stammt von anderer Hand als die beiden anderen. An den beiden folgenden Terminen liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von dem zweiten nicht identifizierten Nachschreiber aus SAr 97 zu Grunde: 21. 11. 1830 vorm. 27. 04. 1831 früh Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst: perge perge pp. und u. L. Unbekannte gedruckte Nachschrift Anlässlich des achtzigsten Geburtstags Otto von Bismarcks am 1. April 1895 gab Siegfried Lommatzsch (1833–1897), Schleiermachers Enkel89 und Professor der Theologie in Berlin, die „Konfirmationsrede am 31. März 1831 in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin bei der Einsegnung des Fürsten Bismarck gehalten von D. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher“90 heraus. Die Textgrundlage bildete eine 89 90

Siegfried Lommatzsch war der Sohn von Schleiermachers Tochter Gertrud (1812– 1839) und ihres Ehemanns Carl Bernhard Lommatzsch (1788–1865). Sie erschien unter diesem Titel im Verlag von Georg Reimer, Berlin 1895.

XLII

Einleitung des Bandherausgebers

offensichtlich bereits von Ludwig Jonas (1797–1859), dem Schüler, Freund und literarischen Nachlassverwalter Schleiermachers, für den Druck vorbereitete Nachschrift.91 Die Nachschrift selbst ist vermutlich nach der Drucklegung vernichtet worden; über ihre mögliche Verwendung von Abbreviaturen oder Zuordnung zu anderen bekannten Nachschreibern lässt sich daher nichts sagen. Der von Lommatzsch veranstaltete Druck ist Textgrundlage für den bereits im Titel genannten Termin: 31. 03. 1831 mitt.

* * * Den vorliegenden Band habe ich seit Mai 2011 im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Angestellter der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen an der Schleiermacher-Forschungsstelle der Theologischen Fakultät der Christian-Albrecht-Universität Kiel bearbeitet. Ich konnte dabei auf die umfangreichen Vorarbeiten zurückgreifen, die seit 2003, von der Akademie gefördert, an der Forschungsstelle in Angriff genommen worden sind. Beim Korrekturlesen, beim Erstellen der Verzeichnisse und bei der Recherche nach zeitgenössischen Rezensionen unterstützten mich tatkräftig und zuverlässig Merten Biehl, Tobias Götze, Judith Ibrügger, Christoph Karn, Kirsten Kunz, Michael Usinger und Patrick Weiland. Vielfachen Rat und kollegialen Austausch gewährten mir die regelmäßigen Editionsbesprechungen mit Elisabeth Blumrich, Kirsten Kunz, Patrick Weiland und dem Projektleiter der Predigtedition Prof. Dr. Dr. Günter Meckenstock. Allen Genannten gehört mein herzlicher Dank. Dirk Schmid 91

Vgl. a. a. O., S. 3

Predigten 1830

Am 1. Januar 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Neujahrstag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 2Petr 1,2 Nachschrift; SAr 69, Bl. 1r–2v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 619/1, Bl. 1r–5v; Crayen Keine

Aus der Predigt am Neujahrsf. 30. 2 Petr. 1, 2. Gott gebe euch viel Gnade und Frieden durch die Erkenntniß Gottes, und Jesu Christi unsers Herrn. 5

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An dem heutigen Tage erwarten wol Alle auch in unsrer gemeinsamen Gottesverehrung solche Betrachtungen die sich auf alle verschiednen Theile unsers Lebens und unsrer Verhältnisse anwenden lassen. Wer könnte ein neues Jahr beginnen, ohne, indem er sich in dieser großen Gemeinschaft der Menschen als Mensch fühlt, daß ihm auch das ganze Bild des Zustandes des menschlichen Geschlechts vor Augen stände, in allen verschiednen Abstufungen von Entwiklung und Abstumpfung der Kräfte. Wie könnten wir ein neues Jahr beginnen ohne daß uns am Herzen läge der große Verein unter dem Gesetz dem wir Alle angehören, und wenn es unser beständiges Gebet ist in den Stunden der Andacht daß wir unter dem Schutz des Gesetzes und des uns gegebnen Herrschers heranreifen mögen zu einem Volke Gottes das tüchtig wäre zu allen guten Werken; wie könnten wir da ein neues Jahr beginnen ohne daß diese ganze große Aufgabe als gemeinsames Werk uns vor Augen stände. – Daran schließt sich der Beruf der in jedem engern Kreise gemeinsam ist und darin der unmittelbarere Zusammenhang von Kräften Wirksamkeit und Leiden der sich überall entwikelt, und dann kommen wir erst auf den häuslichen Zustand der jedem der nächste ist: wie könnten wir in Beziehung darauf ein neues Jahr beginnen ohne daran zu denken wie abhängig da Alles ist von dem was nicht von uns abhängt, nämlich unsre dem Augenblik angehörende Stimmung, die 1 Neujahrsf.] Abk. für Neujahrsfest oder Neujahrsfeiertag 15–16 Vgl. Tit 2,14

1r

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Am 1. Januar 1830 vormittags

eben insofern sie etwas Wechselndes ist, auch vom Äußern abhängt, – der Reichthum einzelner Augenblicke wie hängt auch der davon ab, wie grade für uns sich Alles gestaltet, wir wissen er wird sich entfalten, aber wie, das ist uns verborgen. Die Worte des Apostels nun führen uns auf unser inneres Leben auf die wahre christliche Frömmigkeit; der Apostel wünscht nämlich den Gemeinden an die er schreibt: Gnade und Friede durch die Erkenntniß Gottes und Jesu. Wolan, indem wir unsre Aufmerksamkeit auf diese Worte festhalten, wollen wir nicht den besondern Zweck und Beruf des heutigen Tages übersehen. Daß nun indem wir uns dieses wünschen wir uns zugleich auch alles andre wünschen was zu dem richtigen Auffassen und Streben des Lebens gehört, diese Ueberzeugung ist freilich ihrem Wesentlichen nach voraus zu setzen in uns Allen und in sofern bedürfte es also der Erörterung nicht, aber es wird ja hier nicht geredet um irgend Neues mitzutheilen, sondern es ist uns Alles offenbar in Christo, aber erinnern sollen wir uns immer wieder daran was uns noth thut. Auf der andern Seite kann es nicht die Sache einer Stunde sein, Alles was sich hierauf bezieht auszuführen. Es wird uns also nur obliegen daß wir 1. den Inhalt dieses Apostolischen Wunsches näher erwägen 2. die Art und Weise der Anwendung auf unser Leben betrachten die auch schon in diesen Worten angelegt ist. 1. Was also den Inhalt dieses Wunsches betrifft den der Apostel ausspricht so ists eben Gnade und Friede, aber damit nichts dem Fremdartiges darunter gedacht werde, so fügt er hinzu woher ihnen Gnade und Friede kommen kann, nämlich durch die Erkenntniß Gottes und Jesu. Wie es nun mit der menschlichen Sprache und dem Wort überhaupt ist, daß je weiter ihr Umfang je reicher ihr Inhalt ist, je allgemeiner das worauf sie deuten um so leichter auch es ist, daß Einer dabei etwas anderes denkt und darunter versteht als der Andre, und desto verschiedner ist auch die Gebrauchsweise ein und desselben Worts. So müssen wir uns erst darüber zu verständigen suchen was der Apostel unter „Gnade“ meint, er der so erfüllt war von dem was noth thut um die Menschen selig zu machen. – Gnade setzt überall voraus: Einen der da reich ist und Einen andern der bedürftig ist, Einen der hoch steht und Einen der vor ihm sich beugt, aber dann auch daß jener giebt und aufrichtet und dieser empfängt und sich helfen läßt. Und so ist hier die Rede von dem menschlichen Verhältniß zu Gott und Jesu. Wir sind die Bedürftigen und da ist der Reiche, da ist der Hohe und wir sind durch Alles aufgefordert uns vor ihm zu beugen und zu demüthigen. Aber die Gnade ist eben die Mittheilung von Oben an uns. Und wie nun kann Gott sich den Menschen mittheilen? Wie er sie geschaffen hat; geschaffen hat er 11 Wesentlichen] Wesentlichem

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Predigt über 2Petr 1,2

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sie zu seinem | Ebenbilde, wie er der Herr ist über Alles so sollen auch sie herrschen über die Erde. Dazu gehört Kraft und Thätigkeit, wie er eben ist die ewige Kraft und Wirksamkeit und seinem Sohn gegeben hat es in sich zu haben. Was er also mittheilt daß ist das was er hat und was wir bedürfen um das zu werden wozu er uns geschaffen; was wir bedürfen das ist das was er hat. Kraft und Wirksamkeit bedürfen wir und das ists was er uns mittheilt. Und alles was uns als Gnade gepriesen wird ist nichts anderes als eben die Mittheilung der Kraft und Wirksamkeit: und wo es anders aufgefaßt wird da ists nicht richtig, nicht im Sinn des Apostels. – Auf welche Seite also unsers menschlichen Lebens wir unser Auge richten, wir fühlen es und wissen es gleich: nur durch Kraft und Wirksamkeit vermögen wir unsre Stelle auszufüllen, es kann nie etwas andres sein als dies. Das ist auch der apostolische Sprachgebrauch; Alle Apostel verstehen unter dem Worte „Gnade“ diese Mittheilung, und wo der Apostel Paulus redet von seinem göttlichen Beruf das Evangelium zu verkünden, von der Sendung unter alle Völker, da nennt er diesen seinen Beruf und die darin ihm gelingende Wirksamkeit nie anders als die ihm von Gott gegebne Gnade. Und so ist überall die Theilnahme an dem Beruf und an den Mitteln ihn zu erfüllen, darin ausgesprochen, und was wir uns wünschen und erstreben es kann nichts anders sein als Kraft und Wirksamkeit die uns gegeben werden möge von Oben. Ja auch da wo in der Schrift scheint Gnade und thätiges Wirken entgegen zu stehn, es ist doch eben nur Schein; denn wie oft wird gesagt der Mensch werde nicht gerecht durch Werke sondern nur durch Gnade, aber wenn wir überall der Gnade entgegengestellt finden die Werke des Gesetzes so sind eben die Werke nicht als Thätigkeit, nicht als lebendige Wirksamkeit dargestellt, sondern als das Geringere, als eine zu untergeordnete Thätigkeit die eben nur von Außen angeregt ist, also kein inneres Leben hat, da es die Werke sind des Gesetzes welches gegenüber steht dem Glauben der thätig ist durch die Liebe, diese innere Kraft die als die erste Gnadenerweisung in dem Menschen sich bewährt: dieser Glaube also ist Kraft und Wirksamkeit. Wenn der Apostel fragt: „habt ihr den Glauben empfangen durch das Gesetz oder durch den Geist Gottes?“ So ist denn freilich der göttliche Geist die größte allumfassendste Erweisung der Gnade: diese Gnade, diese Mittheilung des Geistes Christi vermöge derer wir des Gesetzes nicht mehr bedürfen und die eben so allein nur im Stande ist uns darüber zu erheben und mit Gott in Gemeinschaft zu bringen und aus uns zu rufen „lieber Vater“. – Aber was sagt der Apostel von dem Geist? daß er 3–4 Vgl. Joh 5,26 14–17 Vgl. vor allem Röm 1,5; 15,15f; 1Kor 15,10; Gal 2,7–9 29 Vgl. Gal 5,6 31–32 Vgl. Gal 3,2: „Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben?“ Entweder liegt hier eine bewusste Umformulierung Schleiermachers oder ein Versehen der Nachschreiberin vor. 37 Röm 8,15; Gal 4,6 37–1 Vgl. 1Kor 12,7

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sich erweisen soll zum gemeinsamen Nutz: und das kann er doch nur durch Wirksamkeit. Also Geist, Glaube, göttlicher Geist ist nichts anderes als Kraft und Wirksamkeit. Und so werden wir denn sagen müssen daß das alles ist dessen wir bedürfen für unser thätig Leben. Alles wird uns aus der Fülle der Gnade zu Theil und haben wir die so haben wir genug und bedürfen nicht erst des Zurufs: „laß dir an meiner Gnade genügen.“ sondern wir fühlen es gleich unmittelbar daß wir daran genug haben weil wir eben uns ganz befriedigt fühlen. Aber der zweite Theil des apostolischen Wunsches führt uns noch unmittelbarer auf das innre Leben. Friede: darunter verstehen wir oft nur den Frieden in unserm Verhältniß untereinander und da stellen wir ihm den Streit gegenüber, aber die Erfahrung zeigt daß es Streit giebt und Kampf wobei der Friede unverletzt bleibt, dazu aber gehört viel Kraft der Liebe von beiden Seiten wenn durch Streit der Friede nicht soll gestört werden, da aber damals als der Apostel den Wunsch aussprach der Glaube erst so wenig verbreitet war also die Kraft der Liebe nicht überall thätig sein konnte, so meint der Apostel diesen Frieden nicht, sondern er meint den Frieden welcher ist die Uebereinstimmung des Willens mit dem göttlichen Willen. Also an und für sich ist der Friede etwas rein Innerliches, darum ists auch der Friede den die Welt nicht giebt weil eben das Innerliche sich nicht durch Äußeres gestalten kann. Der äußre Friede kann immer nur theilweise bestehen aber der innre Friede ist der den der Herr den Seinen verheißen hat und gegeben. Wenn wir in die Vergangenheit zurücksehn und das müssen wir ja um in die Zukunft sehn zu können, was werden wir da anders gestehen als, daß, in so fern die Verheißung des Herrn an uns erfüllt ist, was uns auch begegnen mogte, die ganze Mannigfaltigkeit der Ereignisse und Verhältnisse sie sind nicht im Stande gewesen unsre Seligkeit zu berühren und so wurde der Friede dadurch auf keine Weise gestört. Darum wird das angegeben als der Zweck der Sendung des Herrn daß er uns mit Gott versöhnt und so unsern Willen zur Einheit bringt mit dem Seinen. Wenn wir nun alle Erweisungen | der göttlichen Gnade uns sollen zu nutz machen für uns und andre, so ist das eben nur möglich in so fern der Friede in uns ist; denn wo der fehlt da ist das Auge des Geistes getrübt und der Fuß ist nicht im Stande einen sichern Schritt zu thun[,] die Wirksamkeit ist also gehemmt. Aber daß der Apostel zu der Gnade den Frieden hinzuwünscht das ist nicht ein besondrer Wunsch, sondern Gnade und Friede ist Eins, es kann nicht das Eine ohne das Andre sein. Wo der leben25 mogte] vgl. Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches, Bd. 3, Sp. 553 30 nun] nun sollen 6 2Kor 12,9 19 Vgl. Joh 14,27; vgl. SN 619/1, Bl. 2r–v: „[...] darum setzte denn auch unser Erlöser, nachdem er gesagt: ‚Meinen Frieden gebe ich euch‘ noch hinzu: ‚Nicht gebe ich, wie die Welt giebt!‘“ 21–22 Vgl. Joh 14,27

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dige Glaube ist da ist der Geist Gottes, und der Mensch wird sich bewußt daß er ein Tempel ist worin der göttliche Geist sich wirksam beweiset und wo das ist durch die Gnade des Herrn da ist gewiß auch der Friede, eben weil wir uns dessen bewußt sind daß er nie aufhören wird uns mit seiner Gnade zu segnen, wodurch denn eben der Friede immer vollkommner in uns wird, und so gehört beides unmittelbar zusammen. – Sollen wir nun noch das uns besonders vergegenwärtigen daß Gnade und Friede nur ist in der Erkenntniß Gottes und Jesu? Es scheint freilich überflüssig aber „Erkenntniß“ ist ebenfalls ein gar mannigfacher Deutung fähiges Wort, und es giebt einen Sinn desselben von dem man sagen muß, wenn wir uns die Menschen denken in ihrer mannigfachen Verschiedenheit und Fähigkeit, so sind nicht Alle der Erkenntniß fähig; denn zu solcher Erkenntniß die sich entwikeln muß durch die Thätigkeit der Verstandeskräfte, gehört eine besondre Vorbereitung und Anlage, und der in dieser Beziehung unter den Menschen obwaltende Unterschied ist nicht leicht auszugleichen. Wenn nun Gnade und Friede von solcher Erkenntniß abhinge so wäre nicht Allen wohlgerathen und dem Wunsch des Apostels und noch mehr der Möglichkeit der Erfüllung desselben fehlte die Allgemeinheit die doch zu seiner Anwendbarkeit unumgänglich gehört. Es giebt nämlich eine Erkenntniß Gottes die sich gründet auf die allertiefsinnigsten Forschungen darüber wie sich das Bewußtsein Gottes in dem Wesen des Menschen gestaltet und auf die Art wie es zusammenhängt mit allem übrigen in ihm. Es giebt eine Erkenntniß Jesu die sich darauf bezieht wie er aufgetreten als Mensch und welchen Einfluß sein Erscheinen gehabt hat auf Gestaltung der Verhältnisse der Völker untereinander, der er also ist ein Gegenstand geschichtlicher Betrachtung um zu unterscheiden das Wahre von dem Falschen in den Ueberlieferungen, und überall den Spuren höhrer geistiger Leitung nachzugehn. Das ist allerdings nur solche Erkenntniß deren nicht alle Menschen fähig sind, aber das ist auch nicht die von der Gnade und Friede abhängt. Davon zeugt die Geschichte der christlichen Kirche. Und wie wir es nicht ohne Demüthigung sagen können, daß Viele die ihr ganzes Leben der Erforschung dessen was nöthig ist zu dieser Erkenntniß Jesu gewidmet haben und doch nicht reicher geworden sind an Gnade und Friede, wie wir das nicht ohne Beschämung erkennen können und wie es eine Erfahrung ist von der Unzulänglichkeit der menschlichen Kräfte so dürfen wir doch auch für diese Erfahrung Gott preisen weil sie ein neuer Beweis für die Wahrheit des Worts des Herrn [ist,] daß er sich nicht sowohl den Weisen als vielmehr den Unmündigen an weltlicher Weisheit offenbart habe. Woraus wir denn eben sehn daß die Erkenntniß Gottes und Jesu von welcher Gnade und Friede abhängt nicht der ausschließliche Besitz sei derer die nur in der menschlichen Weisheit reich und stark sind vor Andern. – Die 2 Vgl. 1Kor 3,16; 6,19

37–39 Vgl. Mt 11,25

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Erkenntniß Gottes und Jesu aus der Gnade und Friede kommt das ist die Erkenntniß welche jeder aus seiner eignen Erfahrung haben kann, jeder der in die Gemeinschaft Christi eingetreten ist und in derselben lebt. Aber auch dieses erste Eintreten in seine Gemeinschaft als der erste Beginn der göttlichen Gnade wird uns nicht anders als aus der Erkenntniß Jesu welche die eigne Erfahrung giebt. Wenn die Jünger des Herrn sagten: „wir sahen seine Herrlichkeit“: so sehn wir aus diesem einfachen Wort, wie Beides, nämlich die Erkenntniß und die Art wie sie entstanden, aus der unmittelbaren Erfahrung jedes Einzelnen und aller zusammen hervorgeht. Und so ist auch die Erfahrung von der der Herr selbst spricht die Wurzel der Erkenntniß, nämlich die Erfahrung von der er zu Philippus spricht indem er sagt „wer mich sieht der siehet den Vater.“ Dieser unmittelbare Eindruck den das göttliche Wesen des Erlösers auf ihr Gemüth machte das war die Erfahrung worauf sich die Erkenntniß gründete. Darum laßt uns nicht trennen wollen was der Apostel hier zusammenstellt, nämlich die Erkenntniß Gottes und die Erkenntniß Jesu, und laßt uns nicht fragen ob diese aus jener kommt oder umgekehrt; in solche spitzfindige Betrachtung auch des wichtigsten Gegenstandes leitet uns die Schrift nicht, und am allerwenigsten dann, wenn sich das Herz irgend eines Apostels ergießt in solchem Wunsch für alle Christen. Und so laßt uns denn beides ansehn als Eins wie wir uns dieser Einheit bewußt sind aus eigner Erfahrung. Und laßt uns nun übergehn zum 2. Theil unsrer Betrachtung und die Anwendung von dem Wort des Apostels auf unser Leben in all seinen Richtungen und Beziehungen machen. | 2v

2. Wie das Bewußtsein der Gnade und des Friedens nur möglich ist aus der Erkenntniß Gottes und Jesu darauf laßt uns nun noch unsre Aufmerksamkeit richten in so fern darin die rechte Anwendung des Wunsches des Apostels auf alle Theile unsers Lebens liegt. Unser Leben ist nur das Beides, nämlich das innre Leben des Geistes und das in den mannigfachen Verhältnissen mit Andern. Wenn wir den Inhalt des Wunsches darauf anwenden so ist er Alles umfassend was dazu gehört. Wenn Gnade und Friede uns kommen soll durch die Erkenntniß des Herrn: so laßt uns fragen, wie er gewesen ist überhaupt in seinem Leben auf Erden und als unser Herr. Wie ist er gewesen als der Stifter des neuen im Vergleich mit dem des alten Bundes? Von diesem heißt es in der Schrift: Moses war treu als ein Knecht im Hause des Herrn, von Christo aber: er war treu wie der Sohn im Hause des Vaters. Das ist sein Verhältniß zu Gott seinem himmlischen Vater. Das Wesen aber in dem Verhältniß des Sohnes und Vaters ist eben nichts anderes als die gänz2 welche] welcher 6–7 Joh 1,14; vgl. 2Petr 1,16

11–12 Joh 14,9

35–36 Vgl. Hebr 3,5f

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liche Uebereinstimmung des Willens und des Gegenstandes des Willens für Beide, es ist Eins was sie wollen und was sie bezwecken. Also die Treue des Sohns im Hause des Vaters ist die Genauigkeit der Erfüllung des Willens des Vaters, aus dem Innern des Gemüths des Sohns hervorgehend. Wenn wir es nun so betrachten und trachten die Treue des Sohns recht zu erkennen und dann ihn anerkennen als unsern Herrn und Meister der uns in sein Werk hineinberufen hat, wie sollten wir da nicht in seiner Treue den Maaßstab finden für die unsre. Die Treue besteht darin daß der Beruf vollständig erkannt werde von allen die gemeinsam darin thätig sind und daß keiner über die Grenzen seiner Thätigkeit hinausgehe. Das Letztere wird oft zum Vorwand genommen der Trägheit, aber nur aus Irrthum, den die Jünger des Herrn sich nie haben zu schulden kommen lassen. Sie wollten sich nie und wir sollen uns nie von der Thätigkeit zurückziehn, sondern wie der Sohn ein Recht hat zu schalten im Hause des Vaters, so auch die denen er die Gewalt übergeben hat, und er hat uns Alle berufen mit ihm zu leiden und zu herrschen. Aber freilich indem dieser Beruf ein gemeinsamer ist für uns Alle so muß Ordnung gehalten werden in den verschiednen Theilen des Berufs und was der angewiesene Theil des Einen ist darin muß sich der Andre nicht mischen. So hat der Herr als er auf Erden wandelte selbst die menschliche und nöthige Ordnung aufrecht gehalten und sich nie in ihm menschlicher Weise Fremdes gemischt. Aber in der Verwaltung der Kräfte die Gott in ihn gelegt, da hat er seinen Beruf ganz erfüllt, hat nichts gespaart und nichts gescheut um der Wahrheit die Ehre zu geben. Und wenn wir ebenso treu jeder auf seinen Beruf gerichtet und alle zusammen zu dem einen großen Werke vereint sind daß der Wille des Herrn ausgeführt werde und sein Werk in die Erscheinung trete, dann wird Gnade und Friede reichlich unter uns wohnen und wir werden, treu über weniges, immer über mehr gesetzt werden, und diese Erfahrung können wir Alle machen. Das zweite was uns in dieser Beziehung vom Herrn gesagt wird ist das, daß er nichts von ihm selbst thue, wie er selbst sagt, nicht seinen eignen Willen sondern den Willen des Vaters sei er gekommen zu thun. Dadurch deutet er darauf hin, daß jeder Mensch als solcher einen einseitigen Willen haben kann, der eben weil ihm die Einheit mit dem göttlichen fehlt Willkür ist; daß nun darnach so oft gehandelt wird, daraus entsteht so viel Störung und Uebereilung, und daher kommt auch das Sprichwort, daß es nicht genug sei an gutem Willen wenn die rechte Einsicht fehle. Hat nun der Herr das gesagt, daß er nur thue den Willen des der ihm alle seine Werke zeige: so sehn wir wie die Erkenntniß Gottes und Jesu Eins ist; in der Handlungsweise des Erlösers sehn wir die Handlungsweise Gottes, die Werke des Vaters liegen vor uns in den seinen und auf dieselbe Weise werden wir die Anleitung 27–28 Vgl. Mt 25,21.23 Joh 5,19f

29–30 Vgl. Joh 5,19

30–31 Vgl. Joh 4,34

37 Vgl.

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zur Thätigkeit in ihnen haben wie er[,] in dem Gott wohnte, wenn er eben so in uns lebt. Die großen Werke Gottes in denen überall Ordnung und Gesetz ist, nichts geschieht darin nach Willkür sondern nach großen ewigen Gesetzen. Darum hat der Erlöser die Gemeinde so zusammen gebunden, unter einfacher aber fester Ordnung, zu Ordnung und Sitte und lebendigem Zusammenhang, zu einer zusammenhängenden und gesegneten Wirksamkeit. So wir nun hierin (daß wir nicht das Unsre suchen) der göttlichen Ordnung folgen, denn Gott thut nichts um sein selbst sondern alles um unsertwillen, so werden wir selig sein in der Gemeinschaft mit ihm und in unsrer Gemeinschaft unter einander in der jeder nicht das Seine sucht, nicht seinem eigenen Willen folgt, weil wir an Gnade und Friede genug haben. So werden wir zu einem übereinstimmenden und zusammenhängenden Leben gelangen. So ists wahr, wünschen wir uns Gnade und Friede in der Erkenntniß des Herrn so wünschen wir uns Alles. Und was ein neues Jahr uns bringen möge es wird uns alles nichts anderes offenbaren als Gnade und Liebe und so wird uns Alles zum Heil sein. Und wenn der Wunsch in Erfüllung geht so ists gleich ob wir ihn so ausdrücken oder ob wir uns schöne Erfahrungen wünschen, weil eben jene, nämlich Gnade und Friede, aus der innersten Erfahrung des Gemüths hervorgehn; denn es giebt keine andre Quelle des Heils als Ihn, der Alles ist in Allem.

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2. Sonntag nach Epiphanias, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 12,11 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 69, Bl. 3r–4v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 2. S. nach Eph. 30. Röm. 12, 11. „Seid nicht träge was ihr thun sollt. Seid brünstig im Geist.“ 5

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Diese Worte des Apostels die zu einer ganzen Reihe von einzelnen Ermahnungen und Rathschlägen gehören, sind, wenn wir sie im rechten Sinn und Geist auffassen, nicht so vereinzelt wie sie uns scheinen, sondern alle diese einzelnen Vorschriften hängen zusammen mit dem Ausspruch daß wir Alle ein Leib sein sollen und Glieder untereinander, und eben hievon hängen sie alle ab, in Beziehung nämlich auf die Art wie das auf die verschiednen Geschäfte der Glieder der Gemeinde die ein Leib ist, angewendet werden kann, und in Beziehung auf unser innres Leben wodurch die Hülfsleistung der Einzelnen zum gemeinsamen Werke bedingt ist. Das ist der Sinn in dem der Apostel diese Worte geredet, und daraus geht leicht hervor daß diese beiden Worte der Zurechtweisung nicht getrennt sind sondern unmittelbar zusammenhängen. Denn es giebt keine solche wahre Einheit des Lebens unter den Christen (wie der Apostel sie fordert, indem er sagt: ein Leib und Glieder untereinander, und wie sie aus dem lebendigen Wirken des Geistes Christi hervorgehn muß) wenn die Einzelnen träge sind; aber eben so wenig giebt es ein rechtes Hülfsmittel gegen die Trägheit als nur die Brünstigkeit im Geist. 1. Es bedarf allerdings um das erste sich selbst klar und deutlich zu machen nichts als die allgemeine Erfahrung. Nämlich wo es ein gemeinsames Werk giebt da muß nothwendig die Zusammengehörigkeit der Einzelnen sich 4–5 Vgl. Röm 12,1–13,10

7–8 Vgl. Röm 12,4f

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vermindern in dem Maaße als sie träge sind. Ein gemeinsames Leben kann nur fortbestehen wenn Alle zu dem gemeinsamen Werke auch wirklich ihre Kräfte daran setzen um es auszuführen und um dem Geiste der Gemeinschaft zu genügen. Wenn Einer träge ist in dem was er thun soll so thut er nicht das seine und erfüllt nicht seinen ganzen Theil an dem Werke; und wo das nicht geschieht da ist nur möglich eins von diesen beiden nämlich entweder die Andern übertragen ihn[,] thun das was er thun sollte noch außer dem ihren, oder das Werk stokt, es geht nicht gleichmäßig fort, wird nicht in der Zeit wo es sollte zum Ziel befördert. Ist nun das Letzte der Fall so ists nicht anders als daß man näher nach der Ursach forscht und dann sich die Augen auf die richten die träge sind und ihnen wird dann die Schuld zugeschrieben. Das scheint nun freilich eher möglich zu sein im Kleinen als im Großen, denn je kleiner die Gemeinschaft der Thätigkeit ist um so leichter muß es entdekt werden wer schuldig ist, je größer aber die Gemeinschaft ist, je mehr sich der Antheil der Einzelnen verliert und die Einzelnen von einander entfernt sind oft so daß das was der Eine thut nicht zusammenhängt mit dem was die thun die ihm näher stehn sondern grade mit der Thätigkeit der ihn Entferntesten, ja da kann auch leichter der Einzelne verborgen bleiben und wie seine Trägheit schuld sei an dem Zurückbleiben des Ganzen, es wird nicht zu schätzen sein was der Einzelne thut und ihm nicht beigelegt werden was er vielleicht verschuldet. Damals nun als der Apostel dies schrieb, waren alle Gemeinden klein und leicht zu übersehn, theils aber auch unter einander vereinzelt, so daß die eine nicht auf die andre sehn konnte, jede hatte genug zu thun um in ihren eignen Grenzen den rechten festen Grund zu ihrer Fortdauer zu legen, und eben wie sie noch nicht untereinander enger verbunden waren, so hatten auch die Einen noch weniger Einfluß auf die Andern und überhaupt war das Leben noch so einfach gestellt, daß jeder nur mit denen die ihm die nächsten waren thätig sein konnte, deshalb war alles leichter zu übersehn und eben umsomehr als es so war scheint die Ermahnung des Apostels, nicht träge zu sein, für damals überflüßig; denn je leichter so zu übersehn ist der Antheil des Einzelnen und er selbst es sich sagen kann, daß das Urtheil Andrer nicht verfehlen werde seinen oder vielmehr den Werth seiner Thätigkeit zu bestimmen, um so mehr giebt es einen Trieb zur Thätigkeit für jeden schon weil er sich selbst mehr offenbar wird durch diese Leichtigkeit des Urtheils andrer, und so wird die Trägheit im Zaum gehalten durch die Leichtigkeit des Urtheils. Aber der Geist der den Apostel trieb das Werk des Herrn zu fördern und dabei auf alle Weise die Christen alle zu vereinen eben zu diesem Werke, der sah auch über das unmittelbare Bedürfniß des Augenblicks hinaus, und wenn auch dem Apostel nicht der ganze Zu|stand der Kirche in all ihren Verzweigungen vor Augen lag, so doch ein weitrer Kreis 7 die Andern übertragen ihn] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1163

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der Gemeinschaft als eben schon da war, und darin hat er auf so allgemeine Weise seine Ermahnung gestellt daß keiner träge sein soll in dem was ihm obliegt in dem gemeinsamen Werke. Wir sind nun in ein so großes weites christliches Leben gestellt, daß, abgesehn von dem was in den häuslichen Verhältnissen jedem obliegt und was die bürgerliche Gesellschaft durch den Buchstaben des Gesetzes von ihm fordert, es nicht leicht möglich ist daß Einer beurtheilen kann ob der Andre das thut was in Beziehung auf das Ganze des christlichen Lebens – von ihm gefordert werden kann, sondern jeder sagt sich selbst wohl, daß er dazu nicht geeignet ist das zu beurtheilen, und warnt sich selbst vor dem wodurch er könnte zu falscher Schätzung kommen und das Band der Liebe lösen. Aber eben weil es so ist daß uns die äußern Hülfsmittel so sehr zu statten kommen und ein jeder so steht, um auf falsche Art sich rechtfertgen zu können, um so nothwendiger ists, die Ermahnung zu Herzen zu nehmen, daß keiner soll träge sein in dem was er thun soll, und nicht des anfeuernden Urtheils Andrer bedürfen. Wenn uns nun das Werk des Herrn vor Augen tritt und das kann es ja um so mehr als uns das Ganze, die ganze christliche Gemeinde als der Leib des Herrn gegenwärtig ist, je genauer wir sehn wie darin das äußerlich Entfernteste zusammenhängt – um desto mehr kömmt uns das Wort in den Sinn: „Bittet den Herrn der Erndte daß er Arbeiter sende.“ Und das ist freilich eine Wahrnehmung und ein Wunsch den wir zu hören gewohnt sind und bei jeder Gelegenheit wiederholt er sich aber dies Wort des Apostels daß keiner soll träge sein, soll diesen Wunsch immer gleich in anderes verwandeln nämlich in Thätigkeit, in die tüchtige Anfassung des Werks selbst; denn je kräftiger die Arbeiter sind und je rüstiger und emsiger, je rascher dadurch das Werk von statten geht um desto weniger wird eine große Zahl der Arbeiter vermißt werden. Wenn aber nun eben dabei auch in der christlichen Gemeinde die Schwachheit der menschlichen Natur sich noch so häufig offenbart, daß nicht Alle und daß wir nicht zu allen Zeiten gleich thätig sind, nicht so eifrig und emsig wie es nöthig ist: so ists um so wichtiger daß wir uns überzeugen daß die Einheit des Ganzen muß gestört werden wenn die Einzelnen ihre Stelle nicht ausfüllen. Es ist ein unerschöpfliches Bild von der Einheit des Lebens, wodurch der Apostel das Bild der Gemeinde uns vorstellen will, indem er sagt daß wir Alle durch Christum zu einem Leibe verbunden und Glieder untereinander sind: Er wollte eben dadurch andeuten, daß die rechte zusammenstimmende Thätigkeit der Einzelnen das Wohlbefinden des Ganzen bedingt und daß das Ganze auf die Einzelnen zurückwirkt und sie unterhält und die Lebenskraft ihnen mittheilt: Das ist der Kreislauf des 39 des] Das Wort ist durch einen Tintenfleck unleserlich. 19–20 Vgl. Mt 9,38

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Lebens der um so herrlicher erscheint je geistiger das Leben ist, und es ist doch eben da am geistigsten wo der Geist Gottes lebt, nämlich in der Gemeinde Christi. Und so mögen wir sagen es ist weit weniger des Einzelnen Zufriedenheit mit sich selbst, als das Wohlbefinden des Ganzen und sein Antheil daran als lebendiges Glied desselben was jedem genügt; denn in dem Maaße als das Ganze gesund ist und kräftig und sich eben alle Kräfte darin entwickeln, um so mehr Lebenskraft empfängt jeder um thätig zu sein für das Ganze, je schwächer das ist um so schwächer werden auch die Glieder desselben und es tritt ein der Zustand der Ermattung des Lebens, welches dann erst durch einen allgemeinen Krankheitszustand wieder sich reinigen kann wenn dadurch alle Stokkungen sich auflösen und endlich das Gleichgewicht hergestellt wird durch neue belebende Kraft von Oben die alle Kräfte wieder vereint. Je mehr aber die Einzelnen frisch ans Werk gehn und jeder thut was ihm vorhanden kommt zu thun und was er kann um desto ununterbrochner und kräftger kann das Ganze sich fortbilden verbreiten und heranbauen zur endlichen Vollkommenheit. Es ist also keinesweges die Abhängigkeit der Einzelnen von dem Urtheil Andrer sondern es ist der natürliche Zusammenhang der Einzelnen und des Ganzen worauf die Ermahnung des Apostels sich bezieht, je mehrere träge sind um desto schwächer wird es sein, je wenigere aber um so kräftiger wird das Wohlbefinden des Ganzen und der Glieder Einheit im höhern Grade festgestellt und unterhalten. | 4r

2. Wenn wir nun das betrachten daß die Brünstigkeit im Geist das einzige rechte Mittel ist um uns vor Trägheit zu schützen, so ist auch das im Sinn des Apostels. Es giebt freilich so mancherlei wodurch der Mensch zurückgehalten wird von der Trägheit in dem was er thun soll. Ueberall wo wir die Thätigkeit unterscheiden von dem Erfolg und Gewinn derselben da kann es sein daß in einem gemeinsamen Werke die Liebe dazu stark genug ist von der Trägheit zurückzuhalten oder daß Einige die Trägheit Andrer übertragen denn sonst geht das Werk gar nicht von statten, und wenn die, denen es am meisten am Herzen liegt dann auch das Ihre thun um die Trägheit der Uebrigen zu überwinden, so thun sie doch bis dahin wo das wirklich geschehen ist, mehr als eigentlich ihr Theil ist. Eben so wo irgend ein gemeinsam Leben und Werk ein öffentliches ist um welches Andre gestellt sind als Zuschauer, da nämlich giebt es einen kräftigen Trieb um uns zurückzuhalten von der Trägheit, und um so mehr den Einzelnen nach Ehre verlangt um desto mehr wird er vor Trägheit geschützt sein; denn die Eitelkeit ist ein kräftiger Sporn zur Thätigkeit. Das Leben der Christen nun und ihr gemeinsames Werk ist weder von der einen noch von der andern Art: 30–31 Einige die Trägheit ... übertragen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1163

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Es ist nichts darin, keine Thätigkeit die wir von dem Erfolg derselben unterscheiden könnten denn das Band welches sie vereint ist nichts anderes als der Glaube der thätig ist durch die Liebe, ist der in Allen Alles so ist der Erfolg eben in dieser Thätigkeit da, also Arbeit und Gewinn ist hierin Eins und dasselbe und läßt sich nicht von einander unterscheiden. Eben so wenig ist das Leben der Gemeinde so hingestellt um von Andern die außer ihr sind angeschaut zu werden denn es ist ein unsichtbares, wie denn auch der Herr sagt daß die Welt den Geist Gottes nicht kennen und beurtheilen kann, weil sie ihn nicht sieht. Ist nun das christliche Leben nichts Äußeres so ists eben das innre Treibende des Daseins selbst wodurch Alle zu Einem Werke vereint sind, und weil Andre dieses innre Verbindende nicht sehn können, so sehn sie auch und erkennen das Werk nicht als solches: und das ist ja auch die allgemeine Erfahrung daß die welche außer ihr stehn die christliche Gemeinschaft nicht kennen, und eben alles was aus der Kraft des göttlichen Geistes hervorgeht ganz anders beurtheilen als so wie es ist. Darum ist dergleichen Ehre hier nicht zu gewinnen, es fällt also dieser Sporn zur Thätigkeit ganz weg eben wie jener der von der Hoffnung auf Erfolg ausgeht. – Darum sagt der Apostel „seid brünstig im Geist“: und das ist das Einzige was uns gegen die Trägheit Sicherheit verleiht. – Wie jedes gemeinsame Leben als solches nur besteht durch die Kraft der Liebe, und um so stärker ist als diese Kraft groß ist, und um so schwächer je geringer sie ist: so mögen wir denn, wenn wir das Wort des Apostels in Beziehung auf das christliche Leben betrachten, hinzufügen, daß der Geist das Auge der Liebe ist, denn eben in ihm ist das Vermögen zu sehen was gethan werden muß in jedem Augenblick damit die Gemeinde immer mehr sich ausbilde zu der Aehnlichkeit Christi. Und die Brünstigkeit im Geist ist nichts anderes als der lebendige starke Trieb zur Thätigkeit, ist nichts anderes als in Beziehung auf das Werk das gethan werden soll die schaffende, fördernde und leitende Kraft selbst. So wir also brünstig sind im Geist, das gemeinsame Leben im Herzen tragen dann thun wir immer das gleich auch was wir durch das Vermögen des Geistes sehen daß es gethan werden soll, weil es eben nöthig ist. Und das ist denn so wie der Herr sagt daß was er sähe den Vater thun das thäte er gleich selbst. Und so arbeiten wir denn in seinem Werke; denn das Band der christlichen Kirche, das Leben seiner Gemeinschaft, das ist das Werk welches er durch uns bauen und fördern will, wenn also unser ganzer Trieb darauf geht das zu schauen was wir darin thun sollen und es dann auch wirklich thun, dann sind wir brünstig im Geist; denn es ist eben die Brünstigkeit im Geist die uns treibt frisch ans Werk zu gehn das wir vor uns sehn, und daß so sich immer gleich verwirk8 kennen] korr. aus empfangen 3 Vgl. Gal 5,6

7–9 Vgl. Joh 14,17

32–33 Vgl. Joh 5,19

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licht was sich uns zeigt als nothwendig. Und so soll sich das sehn und das thun immer abwechseln, immer wieder sollen wir uns umschauen aber uns nicht darin verweitläufigen sondern das Erkennen gleich in That übergehn lassen; denn | jemehr das geschieht desto weniger wird eine Versäumniß im Werk des Herrn möglich sein, und um desto sichrer werden die Schwachen übertragen und desto mehr werden sie gestärkt werden: wie wir denn eben dazu zu einer Gemeinde verbunden sind damit wir Alle sollen gleich werden d. h. gleich stark und thätig, so daß jeder mit frohem Muth das thut was er sieht als sein Werk und dabei sich des frischen Lebens in Anderen eben so bewußt ist als des eignen. Also um so brünstiger im Geist Alle sind, um so kräftiger wird die Liebe um so stärker der Glaube und um so freudger wird das Lob und das Preisen Gottes sein, und wir werden Ursach haben zu hoffen und es uns bewußt zu sein, daß nichts diese gemeinsame Kraft überwältigen kann, und sie von einer Zeit zur andern sich mehr offenbaren wird als das große Werk des Herrn, und so werden denn Alle es fühlen daß jeder Einzelne an der Herrlichkeit des Ganzen Theil habe. Wohlan denn, wie wir hier auf Erden sind und auf dem irdischen Gebiet manche Lasten tragen und durch mancherlei Bande damit verknüpft sind so wissen wir wodurch wir veranlaßt werden zur Trägheit, die uns nie laßt zum frohen Bewußtsein kommen: So laßt uns denn brünstig sein im Geist, auf daß keiner sich scheue alle seine Kräfte anzuwenden, wissend daß sie dem gehören der Alles ist in Allem, und zu geben zum gemeinen Nutz. Desto mehr wird das Ganze gedeihen, und jeder wird sich fühlen als ein lebendiger Theil, als ein Glied desselben, und das lebendige Gefühl haben daß durch den Glauben und die Liebe Allen sich immermehr Gott offenbaren wird durch ihn, in dem die Seligkeit begründet ist und durch dessen Namen wir die Seligkeit haben können.

4 eine Versäumniß] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1501 zu korrigieren in läßt 22 Vgl. 1Kor 12,7

26–27 Vgl. Apg 4,12

19 laßt] vielleicht

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4. Sonntag nach Epiphanias, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 13,10 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 69, Bl. 5r–6v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 4. S. nach Eph. 30 Röm. 13, 10. Die Liebe thut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. 5

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Der Apostel Paulus, von dem diese Worte herrühren, weiß überall gar viel Großes und Herrliches von der Liebe zu sagen, und wenn er auf der einen Seite freilich alles auf den lebendigen Glauben zurükführt, so trennt er ihn doch nie von der Liebe, und so ist ihm eben der Glaube der thätig ist durch die Liebe, und die Liebe die aus dem Glauben hervorgeht, das ist ihm die ganze Kraft der Erlösung und des ewigen Lebens. Was rühmt er an so vielen Stellen seiner Briefe alle von dem großen Reichthum der Thätigkeit der Liebe, was er aber hier sagt, das scheint dagegen sehr wenig zu sein, und wir mögen dabei wol fragen: wo soll das Gute herkommen wenn die Liebe eben nichts thut als nur nichts Böses? und wie soll es wahr sein, daß sie von dem Erlöser kommt und als seine Kraft den Seinen mitgetheilt ist, wenn sie eben weiter nichts thut? Daß aber der Apostel hier nur dies sagt: das kommt daher, weil es ihm hier nicht darauf ankommt das innerste Wesen der Liebe und ihre höchste Kraft zu entwickeln sondern weil er sie nur darstellen will in Beziehung auf das Gesetz, dessen sie nun eben aus dem Grunde nicht bedarf, weil sie nichts Böses thut. So laßt uns die Liebe in ihrem Verhältniß zum Gesetz auffassen, wie der Apostel es will. [1.] Es ist von je her darüber Streit gewesen und er wiederholt sich noch jezt ob und in wiefern das Gesetz unter den Christen herrschen soll. So waren 8–9 Vgl. Gal 5,6

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Anfangs viele welche verlangten daß die Christen Alle, welchen Ursprungs sie auch waren, dem Gesetz dienen sollten – womit damals freilich nur das mosaische gemeint war – Paulus aber trat dagegen auf und sagte daß das dem Glauben schade. Auf der andern Seite gab es Viele die gleichsam den Trotz gegen das Gesetz so weit trieben, daß sie meinten der Christ müsse so sich verhalten, daß in seinem ganzen Leben sich zeige daß kein Gesetz etwas über ihn vermöge. Und so finden wir zu allen Zeiten solche, welche das Gesetz als wesentlich ansehn, und Andre, welche meinen daß das Gesetz aufgehoben sei durch den Glauben und die Liebe, und daß diese nun demselben entgegen wirken müßten. Darin nun will der Apostel uns den Maaßstab geben indem er sagt ihr seid einander nichts schuldig als die Liebe, und nun in Beziehung darauf hier sagt wie dadurch das Gesetz in Erfüllung geht, daß die Liebe nichts Böses thut. Wir werden also das ganze Verhältniß des Gesetzes und der Liebe, welches der Apostel aufstellt, finden, wenn wir diese Worte recht genau nehmen. Nämlich auf der einen Seite sagt er, daß die Liebe nichts Böses thue, aber auf der andern Seite, daß dadurch das Gesetz erfüllt sei wenn nichts Böses gethan sei. So sehn wir in dem Ersten die Ohnmacht des Gesetzes, denn es kann eben nicht wirken was die Liebe ganz von selbst thut, und in dem andern die große Kraft der Liebe die schon dadurch das Gesetz erfüllt, daß sie nichts thun kann was dagegen ist, was sie aber thut das ragt weit über alle Erfüllung des Gesetzes hinaus, weil sie eben viel mehr thut als das Gesetz gebietet. – Wenn wir nun fragen: hat denn der Apostel recht darin, daß er sagt, daß die Liebe, dadurch, daß sie nichts Böses thut das Gesetz erfüllt? Daraus sollte man schließen das Gesetz welches er hier meint gebiete nichts bestimmtes sondern verbiete nur das Thun des Bösen, und so, weil die Liebe nichts Böses thue, so bedürfe sie des Gesetzes nicht weil sie schon ganz von selbst nichts dagegen thue, er beziehe sich also hier nur auf das Gesetz, welches wir nach dem Ausdruck der Schrift die zweite Tafel des Gesetzes zu nennen gewohnt sind und die eben lauter Verbote enthält. Aber wenn wir nun zu dem Gebietenden im Gesetz übergehn und halten uns z. B. das vor, daß da gesagt ist: „Du sollst Vater und Mutter ehren“ so müssen wir sagen, daß das ein Gebot ist, welches die Verheißung hat daß wir durch dessen Befolgung geschickt werden zu dem Leben auf Erden. Wenn wir nun dies Gebot gegen die Worte des Apostels richten und fragen: ist die Liebe auch dieses Gesetzes Erfüllung, dadurch, daß sie nichts Böses thut? So müssen wir sagen: ja sie ist es weil in dem Verhältniß der Kinder zu Vater und Mutter der Gehorsam der Kinder das Einzige ist was es dem Vater und der Mutter möglich macht sie zu erziehen und zu leiten; wo der nun fehlt da ist eben dies Fehlen des Gehorsams das Böse was gethan wird, denn dadurch werden die Eltern gehindert ihre Pflicht zu thun an den Kindern | und wer gehin32 Vgl. Ex 20,12; Dtn 5,16

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dert wird an seiner Thätigkeit, dem geschieht Böses. Wenn also die Liebe dem Nächsten nichts Böses thut, so ist sie eben auch dieses Gesetzes Erfüllung. Ist es nun so, so ist die Liebe des ganzen Gesetzes Erfüllung; denn in dem wie es zwischen Vater und Mutter und den Kindern ist da haben wir das ganze menschliche Gesetz, und wie hier so ist überall der Gehorsam der Grund davon daß jedes Gesetz und jede gesetzliche Ordnung bestehen kann. Wenn die bürgerliche Gesellschaft zusammengehalten wird und geleitet nach Recht und Ordnung durch diejenigen die die Gesetze handhaben so ist das Verhältniß zu denen freilich nicht ganz so wie das der Kinder zu Vater und Mutter, denn so groß ist der Unterschied der Einsicht nicht in diesen und jenen: aber in wiefern durch den Gehorsam sich nur darstellen kann das ganze gemeinsame Wesen, so ist hierin dasselbe wie zwischen Eltern und Kindern, denn wo die Leitung ist und das Gebietende auf der einen Seite und das Darineingehen und Billigen und Folgen auf der andern da ist etwas was sich eben so verhält wie in dem Verhältniß zu Vater und Mutter. Darum nennen wir den Kreis in dem wir durch die gemeinsamen Gesetze uns entwickelt haben zu Gliedern der menschlichen Gesellschaft: unser Vaterland oder Mutterland. Und so müssen wir denn das Wort des Apostels unterschreiben; denn alles was sich auf das gemeinsame Leben bezieht und was das Gesetz gebietet, das erfüllt die Liebe alles dadurch, daß sie nichts Böses thut. Wenn nun das aber kaum der Anfang der Liebe ist und nur ihre geringste Thätigkeit und ihr innres Wesen noch nicht dadurch sich offenbart und ihre Kraft nicht dadurch erschöpft wird daß sie nicht Böses thut und doch dadurch das Gesetz erfüllt wird, so sehn wir wie weit darüber hinaus das geht was sie durch ihre Kraft wirkt und wieviel mehr das werth ist wenn die Liebe in dem Menschen lebt und von innen heraus ihn zu allem treibt als wenn der Mensch durch das Gesetz sich leiten läßt. Und eben so sehn wir wie kein Streit sein kann in ihm zwischen dem Gesetz und der Liebe, weil er, indem er durch die Liebe das Gesetz erfüllt und noch mehr thut als es gebieten kann, nicht in Streit mit demselben kommen kann. Wir erfahren zwar in der Welt oft von einem Streit zwischen der Liebe und dem Gesetz, aber wenn wir die Ursach davon erforschen so werden wir allemal gewahr werden, daß das eine falsche oder mißleitete Liebe ist die Einzelnes dem Allgemeinen Wohl vorzieht; denn es kann nicht anders sein als, daß das Gesetz, welches das Ganze im Auge hat, zuweilen dem Einzelnen hart fällt und ihn in solchen Zustand bringt welcher das Mitleiden und Erbarmen hervorruft. Wenn nun dem geholfen werden kann auf solche Weise, daß wir etwas thun für ihn was das Gesetz nicht gebietet was also über dessen Erfüllung hinausgeht, so ist das, daß wir ihm so helfen ganz im Geist der Liebe, wenn wir aber in den Fall kommen, daß wir meinen man könne das Gesetz wol in diesem einen einzelnen Fall umgehen oder 42 einen] einem

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übertreten und dagegen die Liebe walten lassen, so ist das die mißleitete Liebe, weil es dann eben nur das Sinnliche ist womit wir gegen das Gesetz dem andern zu Hülfe kommen wollen, und der Geist der Liebe welcher nicht gegen das Gesetz ist wird uns sagen, daß wir dadurch Böses thun weil wir denen die das Gesetz leiten, in Beziehung auf den dem wir helfen wollen, es ohnmöglich machen, daß sie ihre Pflicht thun: und wenn die Liebe uns ganz durchdringt welche thätig ist noch über die Erfüllung des Gesetzes hinaus dann werden wir gewiß auch auf andre Weise dem zu Hülfe kommen können, als so daß wir etwas gegen das Gesetz für ihn thun. Darum wollen wir uns das zur Regel machen aus Liebe, daß die Liebe dadurch auch wirklich des Gesetzes Erfüllung ist, daß sie keinem Böses thut. Und wir haben darin, daß uns die Liebe treibt alles was das Gesetz verlangen kann ganz von selbst zu thun ohne dessen dazu zu bedürfen, doch keinen Grund gleichsam stolz auf das Gesetz herabzusehen, denn wenn wir sein auch nicht bedürfen um getrieben zu werden, so dient es uns doch immer zum Prüfstein dessen, ob die Liebe schon indem sie darauf sieht dem Nächsten nichts Böses zu thun alles das thut was das Gesetz verlangt. | 6r

2. Das Zweite was in diesen Worten des Apostels liegt ist das: Ist die Liebe schon dadurch daß sie nichts Böses thut also durch ihre geringste Thätigkeit, des Gesetzes Erfüllung und geht das Gute was sie thut weit darüber hinaus, so folgt daraus daß das Gesetz nichts von dem gebieten kann was die Liebe vermöge ihrer innern Kraft thut. Darin liegt auf den ersten Anblick etwas Fremdes: denn wenn wir uns denken irgend ein Gesetz das gegeben ist, so erkennen wir doch in demselben immer das, daß es gegeben ist mit Rücksicht auf das Gute; denn ein Gesetz was nur des äußern vergänglichen Vortheils wegen gegeben wäre, das hieße mit Unrecht ein Gesetz, weil ihm das innre Wesen desselben fehlte. Wenn also jedes Gesetz auf das Gute, auf das wahre gemeinsame Wohl abzweckt, wie sollte es wahr sein, daß das Gesetz nicht gebieten kann was die Liebe thut? Es ist darum nicht möglich weil das Gesetz nicht die Kraft hat die Liebe zu bewirken; ist sie selbst nun noch gar nicht da, so kann von dem was sie thut noch weniger die Rede sein. Es ist nicht möglich daß das Gesetz kann unser Inneres in Bewegung setzen zur Liebe, sie kann hervorgelokt werden, aber geboten kann sie nie werden. Wenn wir nun fragen: was ist das Wesen in allem dem was die Liebe thut? und wir denken uns das Wort des Apostels, daß die Liebe nichts Böses thut, gegenüber den herrlichen Worten die er anderwärts von der Liebe sagt, daß sie ist das Band der Vollkommenheit und malen uns das aus auf alle Weise, indem wir uns vorhalten wie durch ihre Thätigkeit endlich Alles zur Vollkommenheit dessen heranreift der weil er die Liebe ist sie 37–38 Vgl. Kol 3,14

40 Vgl. 1Joh 4,16

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gewirkt hat in denen die an ihn glauben: so dürfen wir wol sagen: daß das das Wesen ist in dem was die Liebe thut, daß sie dadurch die Liebe wirkt und hervorruft, daß also der Erfolg ihres Thuns immer etwas Ganzes, etwas in sich selbst vollendetes ist, wogegen alle einzelnen Erfolge menschlicher Thätigkeit die das Gesetz gebietet, nie auf die Liebe zurückweisen, also auch nie Liebe bewirken, wie auch alles was die Liebe thut so an und für sich als Einzelnes keinen Werth hat, sondern nur dadurch daß es eine Erweisung der Liebe ist, ist es etwas und wirkt, daß wir die Liebe dadurch fühlen und so im Innern angeregt werden zu derselben. Darum, wenn Einer alles was er thut auf solche Weise thäte, daß er verbergen wollte, daß er es aus Liebe thut, so würde die beste Kraft daran verloren gehn. Darum ists wahr, daß nichts geboten werden kann was die Liebe thut weil die Liebe selbst nicht kann geboten werden, und die Liebe selbst nichts thun kann als nur sich offenbaren und nur dadurch Liebe wirken. Und so werden wir denn uns das Leben von seiner äußern Seite verständlich machen durch das Gesetz; denn nur dadurch kann es sich ordnen und in seiner Gemeinsamkeit zusammengehalten werden, aber die rechte Erfüllung des Gesetzes kann nur aus der Liebe kommen. Was das Gesetz wirkt das ist immer nur der Schatten dessen was die Liebe wirkt; darum wird der alte Bund genannt der Bund des Gesetzes und der neue der Bund der Liebe. Das Gesetz ist als solches etwas Äußres, die Liebe aber ist die innre Kraft aus der das hervorgeht was das Gesetz nur ausspricht. Wie denn in der Schrift gesagt ist, daß der Herr vom neuen Bunde mit den Menschen sagt: „Das ist der neue Bund, ich will mein Gesetz, meinen Willen in ihr Herz schreiben.“ Das kann aber nicht anders geschehen als durch die Liebe, Gottes Gesetz d. h. sein Wille wird durch die Liebe der eigne Wille des Menschen, sein Gesetz lebt in ihnen und hat durch die Liebe die Kraft sich daraus zu erweisen im ganzen Leben. Alles was der Herr gethan hat das ging aus der Liebe hervor und so ist alles was die Seinen thun nur dadurch wirklich etwas sich seinem Werk anschließendes daß sie es in der Liebe thun und daß in allem sich die Liebe offenbart, und wenn wir uns zwei Menschen denken die alles thun was sie vermögen, der Eine aus dem Gesetz der Andre aus Liebe; so werden wir fühlen daß der Zweite Herrlicheres thut als der Erste. Wenn alles was das Gesetz gebietet aus | Liebe geschieht, dann verschwindet der Buchstabe des Gesetzes d. h. es hört auf todter Buchstabe zu sein und es wird durch den Geist der Liebe selbst zu Geist, wenn aber das Gesetz als äußeres noch so genau und mit der größten Treue befolgt wird, so läßt uns das kalt und kann keine Liebe hervorbringen. Und eben das, daß die Liebe nicht allein das Gesetz erfüllt sondern noch mehr thut, das besteht darin, daß sie Liebe 8 ist,] ist; 18–20 Vgl. als Hintergrund Hebr 8,5.7.10; auch 10,1 Jer 31,33 und Hebr 10,16

23–24 Vgl. Hebr 8,10 sowie

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hervorbringt. Aber daß das Gesetz so erfüllt wird das kann das Gesetz nicht gebieten, sondern als äußeres kann es auch nur auf seine äußre Befolgung sehn. – Aber freilich wenn wir fragen wo das Gesetz herkommt – sei es göttlich oder menschlich – so müssen wir sagen: es ist nichts anderes als die Kraft der Liebe woraus ein jedes Gesetz hervorgeht wenn es auch oft ein entgegengesetztes Ansehn hat für die die die Nothwendigkeit deß eben nicht einzusehn vermögen. Beim Entstehen menschlichen Gesetzes ists immer so, daß Einer zuerst das Bedürfniß der Gesamtheit erkennt und daß dann die Kraft der Liebe in ihm so mächtig wird, daß er die andern mit sich fort zieht zur Ausführung und Befolgung dessen was er ausgesprochen hat als das was nöthig ist zu thun. Und so ists überall, wo ein Gesetz entsteht, es kann dem nichts anderes zum Grunde liegen als die Liebe, die Liebe ist die innre Kraft desselben; aber wenn es hervortrit da muß es gefaßt werden in den Buchstaben und wo der nun als todter Buchstabe aufgefaßt wird, da wird es dürftig erfüllt und nur äußerlich: wo es aber im Geist der Liebe aufgenommen wird, da geschieht etwas was es nicht gebieten kann, es wird durch die Liebe erfüllt seinem innersten Wesen nach. So ist sie der Geist der alles belebt, alles wird Geist und Leben wo sie waltet und des Gesetzes ganzen Inhalts Erfüllung ist sie dadurch schon daß sie nichts Böses thut und über diese Erfüllung hinaus geht das Gute was sie thut, nämlich das daß sie ihr Leben da hineinbringt wo es noch nicht ist und dadurch ist sie die Kraft der Erlösung und trägt die Ewigkeit in sich selbst. Aber das Gesetz ist auch Geist weil es aus der Liebe hervorgeht und kann eben deshalb nur durch die Liebe erfüllt werden; darum brauchte es nur aufzuhören etwas außer dem Menschen stehendes zu sein um aufzuhören ihm entgegenzustehen: und da es nun Kraft des neuen Bundes mit Gott in unsre Herzen und unsern Sinn gegeben ist: so hört aller Streit auf zwischen der Liebe und dem Gesetz; die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung und die Liebe bringt es hervor, es ist Geist wenn es im Sinn und Geist der Liebe aufgefaßt wird. Darum, was Herrliches die Menschen erzielen, es giebt köstlicheres, und das ist die Liebe, die ist Alles in Allem weil Gott die Liebe ist! Zu der sind wir alle verbunden. – So bleibe sie denn das Band der Vollkommenheit. – So mögen wir dem Geist der Liebe genügen, dann wird es nicht fehlen an des Gesetzes Erfüllung und Vervollkommnung, und so wird Alles der Vollkommenheit Christi immer näher kommen und sein Tempel wird sich herrlich erbauen!

6 deß] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1333 22–23 Vgl. Röm 7,14 26–27 Vgl. Hebr 8,10 (darin Bezug auf Jer 31,33) 1Joh 4,16 32–33 Vgl. Kol 3,14

31 Vgl.

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Am 21. Februar 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Estomihi, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 13,4–5 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 69, Bl. 7r–8v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SAr 94, Bl. 44r–47v; Slg. Wwe. SM, Pommer Nachschrift; SAr 98, Bl. 1r–2v; Slg. Wwe. SM, Oberheim Keine

Aus der Predigt am S. Quinquag: 30. 1 Cor. 13, 4. 5.

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Es ist eigentlich dies ganze herrliche Capitel, diese große ausschließliche Lobrede des Apostels auf die Liebe, welches unsre heutge epistolische Lexion bildet, aber das ist zu viel und zu groß! Kaum daß es Einer über sich gewinnen kann das in einem Stücke zu lesen, so überwältigt wird man von dem tiefen Eindruck, so beengt und erdrückt von dem Gewicht der Gedanken in der Fülle der Aussprüche. Darum würd es noch weniger möglich sein darüber zu reden in einer Stunde; und so ist nur Einiges daraus gewählt um unsrer gegenwärtgen Betrachtung zur Leitung zu dienen, und zwar das wovon der Apostel sagt daß es die Liebe nicht thue: aber auch das nicht alles, sondern nur dasjenige davon, was am unmittelbarsten scheint zusammenzugehören und was uns zu ernster Betrachtung aufregt über unsern dermaligen gemeinsamen Zustand; denn wie würde der Apostel wol darauf gekommen sein – da er so viel zu sagen hat von dem was sie thut – sich so zu verweilen bei dem was sie nicht thut, wenn er nicht vor Augen gesehn hätte, daß in jener Gemeinde ein Irrthum waltete über die Art der Bestrebungen der Liebe, und so hat das, was er hier sagt, Beziehung auf verschiedne frühere Stellen seines Briefs, wo er über den Zustand der Gemeinde redet, der eben nicht so war wie er sein sollte. – So laßt uns im Sinne des Apostels eine Betrachtung anstellen über das, wovon er sagt daß es nicht aus der Liebe sein könne. Daß nun das alles was er hier anführt allerdings auch vorkommt in dem gewöhnlichen Thun und Treiben der Menschen, das ist nicht schwer zu erklären; denn wie da Jeder sorgen muß, sich und die Seinen im gehörigen Zustand der Ordnung zu erhalten und 1 Quinquag:] Abk. für Quinquagesimae

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wie das oft schwierig ist in dem vielfach verwickelten Leben der Welt, da begreifen wir es leicht aus der menschlichen Gebrechlichkeit, wie eben jene Grundsätze die sich auf das Ewige beziehn, in den Hintergrund treten und dagegen das dem Entgegengesetzte waltet. Aber ganz anders ists wenn sich das was nicht aus der Liebe ist, findet, eben in den Gedanken und Empfindungen und Bestrebungen, welche sich auf das Ewige beziehen – da nämlich ists freilich schwer zu entwickeln woher das kommt, und doch war es schon damals so, und ists jezt so: und darum wollen wir dabei stehn bleiben, denn eben davon redet der Apostel. Er bezieht es auf die Verhältniße in der christlichen Gemeinde und da sind es zwei verschiedne Richtungen in welche sich das sondert wovon er sagt, daß es die Liebe nicht thue: und so laßt uns fragen 1. Woher das ist was nicht aus der Liebe ist 2. Wie dem abzuhelfen sei. Um das zu beantworten, laßt uns sehn was wir aus den Worten des Apostels in ihrem Zusammenhange abnehmen können, um uns darüber zu unterrichten.

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1. Wenn der Apostel sagt: Die Liebe eifert nicht, treibt nicht Muthwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungeberdig, suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern: So finden wir das freilich, und so hat er es auch gefunden, schon damals – eben indem sich die Christen beschäftgen mit dem was zu ihrem und der andern Heil leiten soll, wir finden das Muthwillentreiben und Spotten und sich Blähen auf der einen Seite, und das Eifern und sich Erbitternlassen auf der andern, und fragen billig woher das kommt. Wenn wir die christliche Gemeinde von Anfang an betrachten, da finden wir zwei beständig einander gegenüberstehende Richtungen grade in Beziehung auf das was die große Angelegenheit des Heils betrift. Nämlich: Es giebt Christen die nach einer großen Freiheit streben, nach einer Freiheit des Forschens, nach einer Freiheit im Gebrauch aller Gaben des Geistes auf dem Gebiet der Gedanken und der Thätigkeit im Dienst des Herrn, sie wollen nicht gebunden sein durch fremdes Urtheil, nicht fremdem Ansehn folgen, sondern als Diener des Herrn soll Alles ihr eigen Urtheil und Werk sein und aus ihrer Ueberzeugung hervorgehn. Wie wollten wir das tadeln? Es ist ja die Stimme des Evangeliums, daß wir sollen, indem sein Wille der unsre geworden, alles Joch abstreifen und uns durch ihn erheben zu der Freiheit der Kinder Gottes von der der Apostel Paulus immer so groß und herrlich redet. Aber freilich wie es nun andre giebt, die dieser freien Bewegung | des 32 SAr 94, Bl. 44v hat an dieser Stelle statt „Ansehn“ den Begriff „Autorität“. 38 Vgl. bes. Röm 8,21; ferner Gal 5,1.13

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Geistes nicht nachkommen, die nicht gleich wollen so scharf sehn, sondern ängstlich dies und jenes scheuen: da geschiehts dann oft daß jene ihre Freiheit mißbrauchen, und dadurch Vielen zum Aergerniß werden, indem sie meinen auf alle Weise müsse man sie losmachen von den Banden darin sie befangen sind; und so thun sie es denn auf ganz verkehrte Weise; sie suchen sie lächerlich zu machen als solche die hinter ihrer Freiheit zurückblieben und stellen ihre Besorglichkeit dar als begründet in einer Beschränktheit des Geistes. Sie meinen wenn sie nur ihre Brüder dahin bringen können die Fesseln abzulegen, dann würden sie von selbst hineinwachsen in den rechten Gebrauch der Freiheit und darin gedeihen um fortzuschreiten zum Ziele; und darum rühmen sie sich ihrer Einsichten und blähen sich auf, zeigen sich übermüthiger Weise stärker als sie sind; denn sie wollen sich eben groß zeigen damit die Andern in ihrer Kleinheit sich erkennen und ihnen nacheifern mögen. So geschiehts daß sie aus menschlicher Verkehrtheit das thun was die Liebe nicht thun kann. Aber eben so sind die Christen von der dieser entgegenstehenden Richtung von Anfang an in der christlichen Kirche zu finden. Es sind solche die mit großer Sorge und Ängstlichkeit ihre Seligkeit schaffen; sie meinen daß das Heil beschränkt sei auf engem Raum im Gebiete des Geistes; sie haben sich eingewohnt in ein gewisses Gewebe von Gedanken und bestimmten Handlungen, und wollen nichts zu thun haben mit irgend etwas davon Abweichendem; sehen sie daß Andre sich mit dem beschäftigen was ihnen gefährlich vorkommt, so ergreift sie ein Schauer den sie nicht zu überwinden vermögen, tritt Einer aus der Sitte die sie sich festgestellt haben heraus, so meinen sie er trete aus dem Umkreise des Heils heraus und dem Verderben entgegen oder sei schon demselben hingegeben. Beide Richtungen waren auch damals schon vorhanden. In einem früheren Theile seines Briefs hat es der Apostel auf mancherlei Weise mit denen zu thun die sich der Freiheit rühmen, aber auf unrechte Weise. Er sagt: sie haben zwar ganz recht wenn sie sagen z. B. der Götze sei nichts und man könne ohne Gefahr des Gewissens von dem sogenannten Götzenopfer essen. Aber sie übertreiben nun die Sache, indem sie alle Schonung aus den Augen ließen die sie dem Gewissen andrer schuldig waren. Denn wenn solche, die auch von dem Götzendienst hinweg und dem rechten Dienst Gottes in Christo zugeführt waren, in denen aber noch vom alten Wahn ein solcher Eindruck zurückgeblieben war, daß sie nun eben jene Götzen in Verbindung brachten mit der Vorstellung von bösen Wesen, sich entsetzten, und wenn sie ein Schauer ergriff wenn sie das hörten, da lachten jene und suchten sie aufzumuntern zu ihrer Freiheit, und diese ließen sich denn zuweilen auch wol dazu bewegen. Aber wie, was nicht in der eignen Ueberzeugung seinen Grund hat, d. h. nicht aus dem Glauben kommt, Sünde ist: 29–32 Vgl. 1Kor 8,4

32–40 Vgl. 1Kor 8,7–13

40–41 Vgl. Röm 14,23

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so gereichten sie diesen zum Anstoß mit ihrer Ueberredung, und mußten sich Vorwürfe machen über ihren Muthwillen, und statt daß die Gewissen sollten allmählig berichtigt werden, so ward der innre Widerspruch und die Finsterniß noch übler. – Aber eben so finden wir auf der andern Seite d. h. bei denen die mit Sorge ihr Heil schaffen die andern Ausweichungen von der Liebe. Nämlich: wenn sie meinen, daß das so eingeschlossen sei in bestimmte Grenzen was uns durch Christo zu Theil wird, daß nicht alles, alle Kräfte und Gaben darin könnte aufgenommen und dafür wirksam gemacht werden, und sie sind recht fest in dieser ihrer Ueberzeugung, so geschieht es, daß sie sich ausschließlich wollen den Namen der Christen zueignen, und dann nennen sie alle diejenigen „Unchristen“ die nicht grade so sind wie sie, nicht sich derselben Ausdrücke bedienen und ihr äußres Leben eben so einrichten. Und indem sie nun überall das Werk des Herrn fördern wollen, so geschieht es natürlich, daß sie nur wollen ihre Stimme geltend machen in den gemeinsamen Angelegenheiten, und darin Alles ordnen. Was ist das aber anderes als daß sie nur das Ihre suchen, indem sie zu allem was die Andern thun, schlechte Beweggründe voraussetzen und Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft gegen den, den sie allein lieben und an den nur sie glauben. | Was heißt das aber anders als auf zerstörende Weise eifern: und wenn sie dem erst Raum geben, so gehn sie darin immer weiter und lassen sich sogar erbittern durch den Muthwillen der andern, und das kommt nicht aus der Liebe eben so wenig wie jenes Spotttreiben u. s. w. Aber was nicht aus der Liebe kommt das muß die Liebe zurückdrängen; je länger solcher Zustand also währt desto mehr gehn die Gemüther auseinander, trennen sich in allen Bestrebungen und Ansichten, und um desto weniger ists möglich, daß sie ihre Gedanken austauschen in geistiger Weise miteinander verkehren können: und so ist denn das Sichbauen der Gemeinde zum Tempel des Herrn unterbrochen. Und eben das ists was der Apostel schon damals erkannte in der Gemeinde; darum konnte er nichts anderes thun als hier denen an die er eben schrieb noch einmal hinstellen, in Beziehung auf ihr Treiben und Sein, was nicht kann aus der Liebe sein, weil es ihr entgegengesetzt ist und wirkt. Wenn nun aber zwei verschiedne Richtungen der Gemüther in der Art Christum aufzufassen, noch da sind, und die eine immer noch hinneigt zu einer gewissen Abweichung von der Liebe und die andre zur Entgegengesetzten: wie soll dem zu helfen sein! Wenn wir jezt uns das entwickelt haben woraus das kommt was die Liebe nicht thut, so werden wir in dem was das Gegentheil davon ist das suchen müssen wodurch allein dem abzuhelfen ist. Und das sei das: 3–4 Vgl. SAr 94, Bl. 45v: „[...] wurden sie [scilicet: die Schwachen] verwirrt und Finsterniß und Widerspruch noch stärker in ihnen gemacht.“ 28–29 Vgl. 1Kor 3,16f; Eph 2,21f

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2. Womit sollten wir hier anders anfangen als damit, daß wir sagen: Wo die Liebe nicht ist in allem was man thut da kann man auch nicht sagen, daß Christus rein aufgefaßt ist, wie man übrigens ihn preisen und in sein Innres zu versenken suchen möge; denn wenn wir ihn sehn werden wie er ist so werden wir ihm gleich sein; er aber ist die Liebe, weil er das Ebenbild und der Abglanz dessen ist der die Liebe ist. Wo also die nicht ist da ist er nicht seinem innern Wesen nach aufgefaßt: wer also um ihn zu verherrlichen und seine Herrschaft, sein Heil zu verbreiten, noch so viel und noch so Großes thut, was aber nicht aus der Liebe kommt, wozu er sich nicht durch die Liebe gedrungen fühlt, was er auch sagen möge eben zur Entschuldigung seiner Erbitterung[,] er hat Christum nicht gesehen wie er ist. Wenn nun dadurch, daß das geschieht was nicht aus der Liebe ist, ein der Gemeinde unwürdger Zustand entsteht, wie sollen wir anders dem abzuhelfen suchen als so, daß wir ihn aufzufassen suchen wie er ist und in ihm das Gegentheil aufsuchen von dem woraus jenes kommt was eben die Liebe nicht thut. Wie nun aber das das Gegentheil ist von dem was eben in jenen beiden Richtungen,verkehrter Weise sich darthut, so haben wir es auch mit beiden zu thun und mögen also alle Christen gemeinschaftlich anreden und auf gleiche Weise behandeln. Beide Richtungen der Gemüther müssen da sein, und um einander sich ausgleichen zu können, müssen sie in einander das Christliche, wodurch sie eben das sind was sie sind und sein sollen, anerkennen, jede muß es von der andern wissen daß sie eine Richtung sei auf Christum hin; denn ists nicht das Größte was beide Theile suchen mit ihren eigentlichen Bestrebungen! Wenn die Einen suchen die rechte Einsicht in das Evangelium, die rechte Freiheit, die da meint was aus keinem einzelnen Buchstaben, sondern aus dem geistgen Zusammhange des Ganzen uns lebendig entgegenstrahle, das müsse ja die rechte Kraft des Geistes sein: müssen wir nicht sagen daß das löblich sei! Aber das Streben der Andern, der edle Eifer, die würdge Behutsamkeit, die lautere Scheu vor allem Fremdartigen: ist das alles nicht auch groß und herrlich! Wolan, warum fliehn sie einander da sie doch einander bedürfen um sich zu dienen mit den Gaben des Einen Geistes, die verschieden vertheilt sind! Und wie sollten sie nicht auch einig werden und sich erkennen können, wenn jeder nicht sich selbst sehn will in dem Andern, sondern wenn sie auf das sehn was in jedem das von Gott herrührende ist, wie sie es erkennen in dem der der Abglanz seines Wesens ist; wie sollten sie nicht den Glauben der thätig ist in der Liebe erkennen können! Und wenn nun das wornach beide streben nothwendig ist, kann es denn miteinander in Widerspruch stehn, muß nicht jedes in sich haben was des Andern werth ist, bedürfen sie nicht einander um in Christo sich das | Rechte zu zeigen, also sich mitzutheilen einander,! 37–38 Vgl. Gal 5,6

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und das Bestreben der Mittheilung ist das nicht das Wesen der Liebe! Und ist nicht in jeder der beiden Richtungen etwas was sich der andern mittheilen sollte! Denn wenn die Ängstlichen und Strengen nun einmal das Heil als so beschränkt ansehn, müssen wir sie nicht loben, daß sie suchen alles was sich darauf bezieht zu trennen von allem Irdischen und sich allein damit zu beschäftgen, um recht fest zu werden darin was ihre Ueberzeugung ist, und ists nicht die Liebe die sie treibt dafür zu eifern daß Alle es eben so halten mögten, also nur Verirrung wenn sie darin in Beziehung auf Andre zu weit gehn. Wenn die die sich der Freiheit rühmen, dadurch erleuchten und stärken wollen, so wollen wir sagen: wohl das ist löblich, aber fangt doch nicht damit an daß ihr das glimmende Docht auslöscht und das geknickte Rohr zerbrecht! Seht doch auf den der das nie gethan, sondern immer mit der größten und reinsten Liebe das Gegentheil davon. Was ihr thut um eure Meinung mitzutheilen, thut es doch auf solche Weise daß sie es fassen können, und nicht so daß sie sich verbergen müssen; handelt doch wie er der demüthig und sanftmüthig einherging und von dem gesagt ist, daß man nie sein Geschrei auf den Straßen hörte. Es war ihm ein leichtes Gott gleich zu erscheinen, aber, sagt er, er habe Knechtsgestalt angenommen um zu dienen. – Aber wollen wir den Andern etwas anderes sagen? Nein, wir wollen ihnen sagen: Ihr mit eurem strengen Eifer; ihr wollt über mehr gesetzt sein, und das ist gut; aber fangt doch damit an, daß ihr treu seid über Weniges; der Herr ist nicht gekommen um sich dienen zu lassen, sondern um selbst zu dienen, fangt also damit an. Und wie die Liebe langmüthig ist und freundlich, so werft doch die nicht so weit weg die eure Brüder sind und sein wollen, sondern sucht das in ihnen auf worin sie eure Brüder sind; und wie die Liebe nichts anderes ist als das daß das Göttliche überall sich selbst wieder erkennt, so seht doch darauf daß niemand kann Jesum „Herr“ nennen ohne den Geist Gottes. Wolan, wenn Andre anders über Einzelnes denken, verstopft nicht euer Ohr gegen ihre Stimme darüber; denn wenn ihr Denken darüber, sich einigt damit, daß er herrscht, so thun sie es nicht anders als durch den heilgen Geist, ohne den niemand Jesum einen Herrn nennen kann, darum geht überall den leisen Regungen des Geistes nach und knüpft die Belehrungen hieran, und laßt so es sie erkennen daß ihr auch den Geist Gottes empfangen. Wollen sie von ihm nun lernen wie sollten sie nicht eure Brüder sein da sie denselben Geist anerkennen und haben dessen ihr euch rühmet. – 8 mögten] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 553

32 Jesum] Jesu

11–12 Vgl. Mt 12,20 (darin Jes 42,3) 16–17 Vgl. Mt 12,19 (darin Jes 42,2) 18– 19 Wahrscheinlich bezieht Schleiermacher sich auf Mt 20,28 in Verbindung mit Phil 2,7. 20–22 Vgl. Mt 25,21.23 22–23 Vgl. Mt 20,28 27–28 Vgl. 1Kor 12,3

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Seht, wenn wir nur Alle auf ihn sehn, der der ewige Grund ist den Gott selbst gelegt, dann wird in den verschiednen Theilen der Gemeinde sein Friede die Gemüther erfüllen, die Liebe, damit er uns geliebt, sich in unser Herz ergießen; und wenn wir uns mit ihm bewußt sind, daß wir nichts wollen als nur sein Werk fördern in allem und durch alles: wie sollten wir dann immer nur den Unterschied aufsuchen wollen zwischen den Gliedern der Gemeinde, und uns nicht viel lieber an das halten worin wir Eins sind, und von da aus weiter gehn um durch den Austausch der Gedanken, geleitet durch seinen Geist, das zu erörtern worüber wir verschiedner Meinung sind: thun wir das, dann wird allmählig von dem uns Gemeinsamen aus, Alles sich ausgleichen, und der Herr wird uns offenbaren was uns nöthig ist: Das ist die Treue von der aus wir über mehr gesetzt werden, indem wir alles was wir haben als wenig erkennen gegen das was wir uns aneignen können von Andern, und wie sollten wir uns nicht alles anzueignen suchen was der Herr den Seinen verleiht. Wenn der Apostel sagt: „die Liebe sucht nicht das Ihre“: so meint er, sie ist nicht wie ein Mensch der irdischer Weise das Seine sucht; aber die Liebe sucht immer das Ihre; denn Alles ist das Ihre, sie eignet sich Alles an: Wie der Erlöser sagt zu den Jüngern „Es ist Alles euer“: was für Gaben in dem Einen und in dem Andern sich entwickeln was sich diesem und jenem von euch offenbart, was ihr thut und in euch erfahrt, das ist Alles euer, gehört euch Allen gemeinsam. Ja in der Freiheit sich alles anzueignen, in der Sorgfalt alles verkehrte auszuscheiden, in dem lebendigen Bestreben alles zusammzufassen in ein seliges Mittel Alle zu vereinen zu der Nachfolge Christi: darin ists worin alles untergeht was nicht aus der Liebe ist und was sie nicht thun kann. So gehe denn jeder in sich und forsche was die Liebe thut und was nicht, welche Art von Hochmuth und Uebermuth etwa in uns ist, und wenn wir das im Licht der Wahrheit erkennen, dann werden wir zu gleicher Zeit erkennen, daß, von allem was wir haben und besitzen können, die Liebe das Größte ist; denn alles Wissen ist Stückwerk, das Schauen bleibt hier immer unvollkommen. Es bleiben nun diese drei Glaube, Liebe, Hoffnung aber die Liebe ist und bleibt das Größte hier und dort!

1–2 Vgl. 1Kor 3,11 18–19 Hierbei handelt es sich um ein Pauluszitat (1Kor 3,21.22). Auch die anderen Textzeugen (vgl. SAr 94, Bl. 47r–v; SAr 98, Bl. 2v) lassen an dieser Stelle keinen Bezug auf ein Jesuswort erkennen. 29–30 Vgl. 1Kor 13,9 30 Vgl. 1Kor 13,12 und 2Kor 5,7 30–32 Vgl. 1Kor 13,13

Am 28. Februar früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Invocavit, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 26,45 Nachschrift; SAr 69, Bl. 9r–10v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SAr 94, Bl. 48r–52r; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine

Aus der Predigt am S. Invoc. 30.

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Matth. 26, 45. Wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe die Stunde ist hier, daß des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird. Als der Erlöser diese Worte geredet, fährt er fort und spricht zu seinen Jüngern: steht auf, lasset uns gehen. Mit diesen Worten also führt er seine Jünger denen entgegen die gekommen waren um ihn in die Hände der Sünder zu überantworten, und damit beginnt sein Leiden in dem engern Sinn in welchem wir diese Zeit der Betrachtung desselben zu widmen streben. So laßt uns den Sinn der Aufforderung des Erlösers: „seht die Stunde ist da daß des Menschen Sohn in die Hände der Sünder überantwortet wird, wollt ihr nun schlafen?“ jezt näher erwägen. Wir rechnen freilich auch das was der Evangelist unmittelbar vorher erzählt mit hinein, nämlich: wie Jesus nach Gethsemane gegangen und dort einige seiner Jünger zu sich genommen, dann aber sich von ihnen entfernt und allein gebetet habe, öfter aber zu ihnen zurückgekehrt und sie schlafend gefunden. Eben dies Gebet worin er ausgesprochen daß wenn es möglich sei der Kelch vorüber gehn möge, und die Betrübniß seiner Sele pflegen wir mit zu diesen seinen Leiden zu rechnen; aber auf der andern Seite muß es uns offenbar sein, daß, der der ganz Eins war mit Gott, der der nichts von ihm selber that sondern was er den Vater thun sah, daß für den der Augenblick des Gebets in welchem er 9–10 streben] SAr 94, Bl. 48r: pflegen 6 Mt 26,46 5,19

13–19 Vgl. Mt 26,36–39

19–20 Vgl. Joh 10,30

20–21 Vgl. Joh

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seine Sele ihm besonders zuwendete, kein Augenblick des Leidens gewesen sei, vielmehr wenn er auch betrübt war, so ist doch das Gebet selbst die Befreiung von der Betrübniß gewesen, die Erhebung die Erfüllung mit Kraft und Trost die er bedurfte. Und so wollen wir es dabei lassen daß jezt indem er denen die ihn gefangen nehmen entgegenging sein Leiden begann. In diesen Worten nun weckt er seine Jünger aus der Schlaftrunkenheit. Schlafen und Ruhen, das sollen wir im geistigen Sinne des Worts nie: darum machte diese Ermahnung den tiefsten Eindruck auf die Jünger, und wenn wir auch nur von einigen dieselben Worte der Ermahnung überkommen haben, so sind sie doch alle von der Vorschrift voll: seid wachsam und nüchtern: diese ist als große Regel in ihr ganzes Leben übergegangen und hat es geleitet. – Aber es muß ja wol natürlich unsre erste Frage sein weshalb er diese Worte eben in dem Augenblick ihnen zugerufen, warum er sie nicht gelassen und allein denen entgegenging. Hat er sie etwa mitgenommen damit sie ihm Beistand leisten sollten? Davon ist er weit entfernt gewesen, vielmehr ganz im Gegentheil, als sie, aus Mißverstand seiner frühern Rede in Beziehung auf das ihm Bevorstehende, sich mit Waffen versehn hatten, und Petrus hernach, als jene ihre Hände an Christum legten, anfangen wollte für ihn zu kämpfen, so wehrte ihn der Herr und indem er die kleine schon geschehene Verwundung heilte, sprach er warnende Worte in dieser Beziehung zu den Jüngern und sagte daß wenn er es wollte so würde ja sein Vater Legionen Engel senden zu seiner Hilfe. Und so sehn wir ja daß nicht deswegen er sie erweckte sondern gar nicht Hilfe begehrte; den Kelch wollte er trinken den ihm sein Vater bestimmt, und wenn er früher schon diejenigen unkräftig und unfähig gemacht hatte die ihn greifen wollten so war das eben weil er damals wußte daß seine Stunde noch nicht gekommen, und auch damals wandte er keine andre Hülfsmittel an als solche zu denen er Recht hatte: so war es nun in diesem Augenblick nicht, und er hatte nichts womit er oder wodurch er mit Recht sich dem entziehen konnte was nun geschah. Also nicht um sich ihres Beistands zu erfreuen hat er die Jünger erweckt, und das ist denn freilich auch für uns sehr erfreulich; denn wenn das sein Grund gewesen wäre so hätten wir keine Art diese Worte unmittelbar für uns selbst zu benutzen. Wolan, weshalb wollte er seine Jünger mitnehmen? | Weswegen wol anders als einmal, weil er es so immer gehalten hatte weil er sie immer als so mit ihm zusammengehörig hielt und er immer in ihrer Begleitung war gesehen worden; 10–11 Vgl. 1Thess 5,6; 1Petr 5,8 16–17 Vgl. vermutlich Mt 10,34 17–18 Vgl. Lk 22,49 18–19 Vgl. Joh 18,10f 19–20 Vgl. Lk 22,51 20–21 Vgl. Mt 26,52 21–22 Vgl. Mt 26,53 22–23 Vgl. SAr 94, Bl. 48v–49r: „[...] und so sehen wir, daß er nicht nur deswegen die Hülfe seiner Jünger ausgeschlagen, weil ihre Zahl zu schwach gewesen wäre gegen die Menge derer, die ihn zu fangen ausgeschickt waren, sondern weil er solcher Hülfe ganz und gar | nicht begehrte.“ 24–28 Vgl. Joh 6,15; 8,20; ferner Mt 15,21; Mk 3,7; Lk 5,16

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und weil er nicht den Schein auf sie bringen wollte als haben sie ihn im Stich gelassen eben jezt da er in die Hände der Sünder überantwortet ward. Aber dann vorzüglich auch deswegen, daß sie von ihm lernen sollten; das Wort was er öfter zu ihnen gesagt war ihm unvergessen, und in Beziehung darauf handelte er jezt, daß es dem Jünger nicht besser ergehn werde als dem Meister, und hatte er gesagt: „haben sie mich gefasset so werden sie euch auch fassen:“ was ihnen also auch bestimmt war, sie sollten nun gleichzeitig mit ihm dem entgegen gehn was ihn zuerst traf und insofern auf ausschließliche Weise als er der Eine ist über Alle, der Eine ohne Sünde: sie sollten lernen wie der Kelch geleert werden muß den Gott jedem bereitet: sie sollten es anschauen wie auch unter roher feindlicher Gewalt immer auf gleiche Weise sich die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit in ihm zeigte, und wie eben das sein Sieg war über die Welt. Nun denn, in diesem Sinn können wir uns dies Wort zurufen womit er die Jünger erweckte: Ists Zeit zu schlafen, sieh die Stunde ist da wo der Menschen Sohn überantwortet wird in die Hände der Sünder. Es ist ein Wort welches noch einen besondern Sinn hat für einen großen Theil unsrer Brüder in der Christenheit, nämlich in Beziehung auf die sonderbare Sitte, daß grade dieser Zeit der Betrachtung der Leiden des Herrn eine Zeit rauschender Vergnügungen voran geht, welche gar zu leicht eine Zeit wird wo der Mensch eben so unfähig wird sich zu besinnen auf das was auf vorzügliche Weise sein Herz einnehmen soll in dieser Zeit, wie die Jünger des Herrn durch ihre Schlaftrunkenheit unfähig waren seine Stimmung wahrzunehmen. Möge es daher für die nicht zu spät sein, welche sich eine Zeitlang wenn auch schuldlosen doch berauschenden Vergnügungen überlassen, wenn ihnen an der Grenze dieser Zeit die der Betrachtung der Leiden des Erlösers gewidmet ist, zugerufen wird: die Stunde ist hier: wollt ihr jezt schlafen? Die Jünger des Herrn waren auch in dem Fall gewesen nicht vernommen zu haben was er ihnen vorher sagte von seinem Leiden und Tode; was auch seine letzten Reden darüber waren, wie deutlich er auch von dem sprach was ihm unmittelbar bevorstand, wie er auch aufmerksam zu machen suchte auf die herzzerreißende Art wie alles geschehen werde: es war nicht im Stande ihr Gemüth so anzuregen daß sie sich konnten aus der Ruhe reißen. Ja selbst als er sagte seine Sele sei betrübt bis in den Tod, vermochten sie nicht sich über diesen Zustand zu erheben. So ist auch der Zustand der Menschen wenn sie aufs Aeußre hin gerichtet sind mit ihrer Aufmerksamkeit. Die Jünger waren in jener Zeit als der Herr öfter von dem ihm Bevorstehenden sprach zwar nicht abgelenkt von ihm und seinem 5–7 Vgl. Joh 15,20; auch Mt 10,24 Mk 14,34

12–13 Vgl. Joh 1,14

35 Vgl. Mt 26,38;

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Werke aber sie waren doch davon entfernt einzusehen, daß er müsse durch den Tod eingehen zu seiner Herrlichkeit, daß das Weitzenkorn erst in der Erde ersterben müsse um viel Frucht bringen zu können: wie ihr Gemüth davon abgelenkt war, so sind oft in solcher Zeit die den geselligen Freuden des Lebens gewidmet sind, die Gemüther abgeleitet von dem Gegenstand der sie so ausschließlich beschäftigen soll, und was ist das anders als ein Zustand der Schlaftrunkenheit, worin der Mensch unfähig ist von dem getrieben zu werden was ihm unmittelbar gegenwärtig ist. Und so laßt uns in derselben Absicht, wie der Herr es den Jüngern zurief, uns zurufen daß jezt Zeit ist zu wachen, weil des Menschen Sohn überantwortet wird in die Hände der Sünder: denn hierin haben wir die Einleitung in das was weiter geschehen. – Wenngleich dies Wort des Herrn an vielen seiner Jünger für den Augenblick beinah verloren ging, wenn ihm nur ein paar nachfolgten so weit es ihnen vergönnt war, um darauf zu achten wie er sich in der ganzen Kraft des eingebornen Sohnes Gottes benehmen würde vor seinen Widersachern, | so ist doch der Eindruck den eben diese Kraft auf sie gemacht nicht verloren gegangen, sondern die Wirkung desselben war in ihnen allen gleich; überall lesen wir wie sie voll gewesen von dem Eindruck seines Leidens, wie durch den Glauben an ihn sein Vorbild sie belebt, wie das Zeugniß das er abgelegt ihnen die Kraft gegeben ein gleiches zu thun und Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. – Wenn wir nun nicht in demselben Fall sind wie die Jünger, wenngleich jezt das freudigste und offenste Bekenntniß mit keiner Gefahr verbunden ist, so ist doch die Betrachtung der Leiden des Erlösers von der größten Wichtigkeit für uns. Denn wie sehr zeigt sich nicht die reine Hoheit der Sele des Herrn, wie verherrlicht sich nicht der Muth und die Gottergebenheit, ja die Gewißheit davon daß er eben von nun an kommen werde in den Wolken des Himmels, und daß das was er dadurch bewirke nicht überwältigt werden könne durch die größte Gewalt des Bösen: wie zeigt sich das Alles grade hier am herrlichsten und deutlichsten, und wie kann uns das mit Kraft und Muth erfüllen und uns gewaltig stärken in dem Glauben daß es dieser Eine Name ist in dem Alle sollen selig werden. So ist er den Jüngern erschienen in seinem Leiden, so laßt uns auch auf ihn uns hinrichten und seine Hoheit und Herrlichkeit empfinden, die göttliche Kraft dessen dem Gott den Geist gegeben ohne Maaß, in seinem Leiden auf besondre Weise anschauen. Aber laßt uns hiermit noch eine andre dieser sehr nah liegende Betrachtung verbinden. Nämlich: Ist es nur damals geschehen, daß der Herr 6 beschäftigen] beschäfgen 2–3 Vgl. Joh 12,24 21 Vgl. Apg 5,29 29 Vgl. Mt 16,18 31–32 Vgl. Apg 4,12

26–27 Vgl. Mt 24,30; 26,64 34–35 Vgl. Joh 3,34

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überantwortet ist in die Hände der Sünder? Nein, sondern, wie er uns verheißen hat seine geistige Gegenwart bis zum Ende der Tage und wie diese Verheißung in Erfüllung geht, so müssen wir sagen: auf der einen Seite zeigt er sich noch immer in der ganzen Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit, auf der andern Seite aber wird er noch in die Hände der Sünder überantwortet. Denn überall wo das Evangelium nicht frei wirken kann da erscheint er selbst uns gebunden und dahin gestellt wo er gefragt wird ob er wirklich Christus sei: überall wo er mit seinen Reden, Leiden und Wirken zwar in Betrachtung gezogen wird, aber nur so wie Pilatus ihn fragte was Wahrheit sei, nämlich mit der Voraussetzung daß er wol eben so wenig wisse was Wahrheit sei wie andre Menschen, da überall ist er überantwortet in die Hände der Sünder, und da überall auch hören wir die erweckende Stimme des Herrn als Aufruf daß Alle sich besinnen sollen darauf daß es nicht Zeit sei zu schlafen sondern daß sie mit ihm wachen sollen. Aber wozu wachen? Das ist die wichtigste Frage; denn wie oft hören wir sie reden und wie oft handeln auch Christen in dem Sinn wie der Erlöser nicht sagte daß es nicht Zeit sei zu schlafen, wie viele giebt es nicht die, die Betrachtung dessen daß der Herr überantwortet ist in die Hände der Sünder, auf solche Weise aufregt wie damals den Petrus, aber eben so wenig wie damals bedarf der Herr jezt so gewaltthätiger Hülfe um sein Reich zu bauen, und was er den Jüngern gesagt das gilt für immer, daß sein Reich nicht von dieser Welt ist also auch nicht mit weltlichen Waffen kann vertheidigt werden, und das hat er den Jüngern verboten, und welcher Art die Waffen auch sein mögen er will nie mit solchen vertheidigt sein. Wenn wir also sehn daß er überantwortet ist in die Hände der Sünder, wenn wir sehn daß es so viele giebt die ihn nicht anders erblicken wollen als als den der von dem gesunden Verstande und wirklichem Leben ableitet und nur Anlaß giebt zu müßigen Betrachtungen und unnützem Sinnen; nun dann ist nicht Zeit zu schlafen, aber es ist auch nicht Zeit das Schwerdt der Welt d. h. die Waffe des Spottes und leidentschaftlichen Eifers, zu ergreifen, gegen die in deren Hände als in sündge Hände des Menschen Sohn überantwortet ist. Wer irgend so etwas anwenden | will, wem der Herr das zu bedürfen scheint, der entfernt sich von der Regel die der Herr allen seinen Jüngern gegeben, und je weniger er selbst wieder das gut machen kann was er auf diese Weise verschuldet, um desto weniger wird der Herr aufhören dafür zu sorgen, daß er wie Petrus beschämt wird. – Aber freilich ists nicht Zeit zu ruhen und zu schlafen! Wozu nun sollen wir wachen? Nur dazu, daß wenn nun der Herr vor dem Gericht des menschlichen Verstandes steht, wenn der sündge Sinn ihn beurtheilen will, wenn sie wollen Zeugniß 1–2 Vgl. Mt 28,20 4–5 Vgl. Joh 1,14 10 Vgl. Joh 18,38 22 Vgl. Joh 18,36 34–36 Vgl. wohl Joh 18,10f in Verbindung mit Lk 22,51; weniger wahrscheinlich Mt 26,69–75 und Parallelen

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haben von ihm; daß wir dann auch da sind um zu zeugen von ihm, und daß unser Zeugniß auch mit in die Wagschaale gelegt wird bei der Erwägung dessen was er gewirkt, daß wir für ihn mit den Waffen des Geistes kämpfen, mit der Stimme der Wahrheit auftreten weniger gegen die, die ihn schmähen, sondern vielmehr nur um unsrer Seits ihn zu preisen und ihm ähnlich zu wirken. Und wenn wir uns in diesen Schranken halten dann werden wir dazu beitragen daß seine ganze Herrlichkeit immermehr erscheine mitten unter aller Schmach, und unter allem Mißverstand: wir werden dazu beitragen daß immer fester werde der Glaube daß sein Reich nicht werde überwältigt werden sondern es eben gefördert werde durch Leiden. Und wenn wir bedenken wie es sich von Anfang an so verhalten hat, wie der Herr immer in die Hände der Sünder überantwortet ist und seine Herrschaft doch nicht geschmälert ist sondern wie es immer so geblieben ist und immer mehr wahr geworden daß alle Zungen ihn bekennen und alle Knie sich vor ihm beugen: so können wir mit Gelassenheit alles ertragen und wenn wir nur nicht schlafen statt thätig zu sein, die Sache des Herrn in der wir eben arbeiten, dem anheim stellen der endlich alles herrlich hinausführt: und können mit derselben Zuversicht, mit der er alles gethan und gelitten, von ihm zeugen, und mit derselben Gewißheit von der Ewigkeit seines Reichs. So sind wir denn überall ihm nichts schuldig als das, daß wir unser Zeugniß für ihn ablegen durch alles was wir thun, dabei aber alle leidenschaftliche Ausbrüche vermeiden gegen die welche scheinen die Hände an ihn legen zu wollen; denn gewaltthätgen Beistand bedarf er nicht, sondern wie damals will er den Kelch des Leidens trinken, und wie er es gewiß wußte, so sollen auch wir uns darauf verlassen, daß kein Spott u. s. w. hindern kann daß sein Reich immer fester stehe und mehr sich ausbreite. Laßt uns nur immer uns an ihn halten, und immer mit treuem Bekenntniß zu ihm stehen, dann wird er sich allezeit in der ewigen Kraft und Gottheit offenbaren. Und dazu ist die Betrachtung seines Leidens fähig uns aufzumuntern und zu stärken; denn wenn wir da sehn wie er nicht gelassen hat von der Liebe die immer bemüht war die Menschen zu sich zu ziehn, und wie er alles gethan hat um auf seine Jünger zu wirken auch als sein Leiden so nah bevorstand: so werden wir mit Kraft und Zuversicht erfüllt und fest in dem lebendgen Bewußtsein daß er es ist dem der Vater die Selen der Menschen anvertraut hat und in dem Alle seelig werden.

5 ihn] ihm 14–15 Vgl. Phil 2,11.10 17–18 Vgl. Jes 28,29 Feindschaft und kein Haß“

26 Vgl. SAr 24, Bl. 51v: „keine

Am 7. März 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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Reminiscere, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 22,52–54 Nachschrift; SAr 98, Bl. 3r–6r; Slg. Wwe. SM, Oberheim Keine Nachschrift; SAr 94, Bl. 63r–67v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine

Wie wichtig und nothwendig es in der christlichen Kirche sey, daß niemand um der Lehre willen gebunden werde. Tex t . Lucas XXII v. 52 sqq. „Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Aeltesten, die über ihn gekommen waren: Ihr seyd als zu einem Mörder, mit Schwertern und mit Stangen ausgegangen. Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt keine Hand an mich gelegt; aber dieß ist eure Stunde, und die Macht der Finsterniß. Sie griffen ihn aber, und führeten ihn in des Hohenpriesters Haus.“ M. a. Fr. Hier sowol wie auch hernach, als der Erlöser zum Hohenpriester Hannas geführt wurde, beruft er sich darauf, daß er im Tempel öffentlich und nichts heimlich gelehrt habe, und eben deswegen auch darauf, daß man nur diejenigen über seine Lehre fragen möge, die ihn gehört hätten. Nun aber sagt er uns, daß sie itzt Hand an ihn legten und ihn griffen um seiner Lehre willen, das sey eben ihre Stunde und die Macht der Finsterniß. Freilich daß sie ihn nicht aufnahmen; daß seine Rede bei ihnen nichts fruchtete, wie er so oft darüber klagte während seines öffentlichen Lebens, das war die Finsterniß in ihnen, von welcher auch Johannes sagt, daß das Licht in die Welt gekommen sey, aber die Menschen liebten die Finsterniß mehr als das Licht; – aber daß sie Hand an ihn legten um seiner Lehre willen, das erklärt er selbst für die Macht der Finsterniß. Und wenn eben dieses die Art und Weise war, wie nach dem göttlichen Rathe sein irdisches Geschick erfüllt werden sollte, so gehört das auch mit zur Schuld, die er getragen und zur Sünde, die er geopfert an seinem Leibe, daß nämlich um des Lehrens willen ihm Gewalt gethan, und er gebunden und gefangen wurde. Es ist 10–12 Vgl. Joh 18,19–21 Bezug auf Röm 6,10 vor.

18–20 Vgl. Joh 3,19

24 Möglicherweise liegt ein

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dieß zu allen Zeiten ein höchst wichtiger Gegenstand für die christliche Kirche, wir bemerken in dieser Hinsicht die mannigfaltigsten Wege und eine große Aufregung der Gemüther in Beziehung auf das, was bei einer großen Verschiedenheit der Lehre zu thun sey. Lasset uns das festhalten, daß der Erlöser selbst eben das Binden der Lehre und das Gefangennehmen um der Lehre willen für die Macht der Finsterniß erklärt, und daran die Art und Weise erkennen, wie wir uns zu verhalten haben bei großer Verschiedenheit der Lehre. Und das ist ein für unsre Betrachtung geeigneter Gegenstand in dieser Zeit, die dem Andenken an das Leiden des Erlösers gewidmet ist, wie wichtig es sey und wie nothwendig in der christlichen Kirche, daß niemand gebunden werde der Lehre willen, und hiebei lasset uns erstlich sehen, wie sich dieses zu der christlichen | Kirche überhaupt verhält; und zweitens, wie wir dabei unser eigenes Gewissen zu bewahren haben, damit keine Schuld und kein Vorwurf auf uns laste. I. Zuerst werden wir darüber wol gleich einig seyn, daß, wenn es von Anbeginn so gewesen wäre und Recht vor Gott und Menschen, um einer Lehre willen, die abweicht von dem, was vorgeschrieben und herkömmlich ist, Einen zu binden und zu zwingen; so hätte der Erlöser auch nicht lehren dürfen, und so wäre das Reich des Erlösers auf Erden auf die Weise, wie Gott es beschlossen, gar nicht zu Stande gekommen. Der Erlöser, wie der Apostel Paulus von ihm sagt, wurde, als die von Gott bestimmte Zeit erfüllet war, vom Weibe geboren und unter das Gesetz gethan, und er stand auf diesem Grunde des Gesetzes, und sagte deshalb auch immer, er sey nicht gekommen das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen; aber es gab auch damals schon eine Menge von menschlichen Auslegungen des Gesetzes und von menschlichen Zusätzen, die der Herr selbst erklärte für eine Last, welche den Menschen aufgebürdet wäre, und grade die herrschende, einflußreichste, zahlreichste Partei unter seinem Volke war es, welche an diesen menschlichen Zusätzen und Satzungen hing, so daß sie dieselben dem Gesetz gleich stellten. Ungeachtet nun der Erlöser sich von Anfang an offen hiergegen erklärte durch Wort und That, indem weder er selbst sie hielt, noch seine Jünger sie halten lehrte und überall zurückführte zu dem einfachen Inhalt des Gesetzes, so erfreute er sich doch während der ganzen Zeit seines öffentlichen Lebens einer ungestörten Ruhe in dem Vortrag seiner Lehre, und wenn das nicht gewesen wäre, so wäre auch die auf seinen Namen gegründete christliche Kirche nicht zu Stande gekommen. Wenn wir nun sagen: waren doch die, welche auf dem Stuhle des Moses saßen, so eigenwillige, hochfahrende Menschen, wie der Erlöser selbst sie häufig genug darstellt, wie kam es, daß sie duldeten, was gradezu gegen sie gerichtet 20–22 Vgl. Gal 4,4 37 Vgl. Mt 23,2

23–24 Vgl. Mt 5,17

26–27 Vgl. Lk 11,46 und Mt 23,4

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war? Freilich wol zum Theil mit daher, weil es noch Andere gab, die auf entgegengesetzte Weise lehrten, deren Lehre auf mancherlei Weise Irrthum mit einander vermischte; mit diesen mußten sie leben, weil das ganze Volk mit ihnen im Zustande des Druckes war, und darum mußten sie es auch dulden, was jene lehrten ihnen entgegen, und darum mußten sie auch Christum dulden, ungeachtet in seiner Lehre weder ihre eigenen noch auch jener Irrthümer enthalten waren. So, m. th. Fr., hat es Gott gelenkt, daß die Erscheinung des Erlösers in diese Zeit fiel und daß sie nicht eher konnte erfüllt werden, damit er der vollkommenen Freiheit, das Reich Gottes zu verkünden auf seine Weise, sich erfreuen konnte, und auf dieser Freiheit hat vom ersten Anbeginn die christliche Kirche geruht. Ja! nachdem sie den Herrn getödtet und er auferwecket nun den Jüngern befahl, daß sie sollten seine Zeugen seyn, nachdem sie erfüllet wären mit Kraft aus der Höhe, und diese nun auftraten, da wollten jene es ihnen wehren, aber sie fanden in ihrer eignen Mitte einen weisen Widerstand von einem verständigen Manne, welcher sagt: ist der Rath | oder das Werk von den Menschen, so wird es untergehen, ist es aber von Gott, so könnt ihr es nicht dämpfen, auf daß ihr nicht erfunden werdet als die wider Gott streiten wollen. Das war kein christlicher Mann, aber sein Rath war doch der, welcher die christliche Kirche befördert hat und ihre ersten Anhänger begünstigt, und daß diese Stimme immer auch sich geltend machte, das hat die rohe Gewalt von dem erst beginnenden Reich Gottes auf Erden oftmals abgewehrt. Aber laßt uns itzt in einen engeren Raum treten und stehen bleiben bei unserer evangelischen Kirche und fragen, wem diese ihr Daseyn verdankt. Als Luther seine Sätze gegen die herrschend gewordenen Mißbräuche in der Kirche anschlug an die Thüren der Kirche und aufforderte zum Streit darüber, da war es dieselbe Freiheit der Lehre, eben dieser ungezwungene Vortrag dessen, was man für christliche Wahrheit hielt, worauf er Anspruch machte; aber wol zu merken, er machte diesen Anspruch nicht für sich allein, sondern für seine Gegner auch, denn er forderte sie auf, gegen ihn zu streiten. Aber damals waren alle diese Mißbräuche schon lange in die Lehre und Übung der christlichen Kirche verwebt; oft waren die, welche sich früher gegen diese erklärt hatten, im Namen der Kirche verdammt worden und der Freiheit zu lehren beraubt und für Ketzer erklärt, und wenn dieses damals auch so geschehen wäre, wie hätte jemals können unsere freie evangelische Kirche zu Stande kommen, wenn man immer zurückgekehrt wäre zu diesem Binden und Zwingen einer abweichenden Lehre. Darum mögen wir mit Recht sagen: das ist der Grund, auf welchem die ganze christliche Kirche ruht, das ist der Grund, auf welchem aufs Neue auch unsere evangelische Kirche erbauet ist, daß das Wort sich selbst wehren muß, wie es sich auch selbst verkündigen muß, daß es nicht gehindert 12–13 Vgl. Apg 1,8; auch Joh 15,27

13 Vgl. Lk 24,49

16–18 Vgl. Apg 5,38f

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wird durch äußere Gewalt, sondern daß es sich einlasse in den Streit, auf daß aus dem Streit immer herrlicher hervorgehe der Sieg der Wahrheit. Ja! wenn wir nun sagen, daß in der christlichen Kirche und auch in der evangelischen Kirche immer noch nothwendig ist ein Streit gegen den Unglauben, der sich unter den mannigfaltigsten Gestalten regt, und daß es schwierig ist, wie man sich entscheiden soll zwischen den beiden, entweder zu sagen: wer nicht für uns ist, der ist wider uns; oder im Gegentheil das Mildere gelten zu lassen: wer nicht wider uns ist, der ist für uns; so lasset uns da nur das nicht vergessen, daß, wenn wir uns die Freiheit der Lehre hinwegdenken, dann auch gar zu leicht und bald auch die Theilnahme an der Lehre erlischt, daß sie dann, wenn sie nicht mehr lebendig sich hin und her bewegt, nur gar zu bald sich in den todten Buchstaben verwandelt. Der Herr, der seine Kirche regiert, hat sich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten auf mannigfaltige Weise bezeugt. So finden wir, unsre Weise ist die, daß es verschiedene Meinungen gibt, ohne daß das Band der Kirche dadurch getrennt wird; eine andere Weise ist da in anderen Landen, daß, wenn Einer in seiner Lehre im Geringsten abweicht von der aufgestellten, der muß diese Gemeinde verlassen, aber er hat die Freiheit, sich eine besondre Gemeine nach seiner eigenen Meinung zu gestalten, und wenn eine Menge solcher Gestaltungen neben einander bestehen, dann bleibt freilich auch die Kirche in lebendiger Regung. Aber derselbe Herr hat es eingeleitet, daß wir nicht anders können, als mit einander bleiben und die Mannigfaltigkeit, die anderwärts außer uns gestellt wird, in uns selbst tragen; und dieß ist eine stärkere Aufforderung für uns, in Liebe das Band des Geistes festzuhalten und miteinander die Wahrheit zu erforschen und uns deutlich zu machen durch die Liebe. Und das thut uns Noth, weil wir in der ganzen übrigen Gestaltung unseres Lebens nicht die Aufforderung haben, an einander zu halten, wie es anderwärts wol ist unter andren Verfassungen; aber weil es bei uns nicht so möglich ist, daß Einer gleich ein Häuflein um sich sammle, so soll man auch nicht die Lehre binden. Der Apostel Paulus sagt: niemand kann einen andern | Grund legen, außer dem, der geleget ist, welcher ist Jesus Christus, aber was jeder darauf baue, das sey etwas, worüber er Rechenschaft geben muß. Wohlan! wenn jemand sagt, in diesem Streit mit dem Unglauben, der sich überall in dem großen äußerlichen Umfang der Kirche regt, muß man doch zusehen, daß nicht öffentlich unchristliches gelehrt wird – so haben wir hier das Maß, wo das Unchristliche angeht; denn derselbe Apostel, der da sagt, niemand kann einen anderen Grund legen als Jesum, der sagt auch andernwärts, niemand kann Je7 Vgl. Mt 12,30; Lk 11,23 8 Mk 9,40 16–21 Wie Ausführungen in den Vorlesungen über Theologische Enzyklopädie von 1831/32 zeigen, denkt Schleiermacher vor allem an die Verhältnisse in Großbritannien und den USA. 31–33 Vgl. 1Kor 3,11–14 38–1 Vgl. 1Kor 12,3

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sum einen Herrn nennen ohne durch den göttlichen Geist. Wo also Jesus Herr genannt wird, da läßt sich auch etwas von der Wirksamkeit des heiligen Geistes spüren, und wo der ist, da ist auch die christliche Kirche, und wer Jesum nicht mehr einen Herrn nennte, der ist schon aus der christlichen Kirche hinausgegangen und will auch gar nicht darin bleiben; wer ihn aber einen Herrn nennt, von dem mögen wir voraussetzen mit dem Apostel, daß er es thut durch den göttlichen Geist, und wo dieses noch nicht ganz ist, wollen wir denken, daß das, was ihm fehlet, durch Gott ihm werde zu Theil werden, aber nicht ihn binden und zwingen. Jesum einen Herrn nennen, heißt an ihn glauben, und ist dieser Grund gelegt, so kann jeder sehen, was er auf diesen Grund, welcher derselbe ist, bauen wird, und wer auf diesem Grund ist, der ist nicht wider uns, sondern für uns in dem Streite des Glaubens gegen den Unglauben. II. Aber freilich ist es nicht so, daß wir uns eben ganz und gar und allein auf die Leitung der Kirche durch den Herrn verlassen sollen, sondern jeder soll auch daran denken, daß er ihm für sich Rechenschaft geben muß und daß in der Leitung der Kirche durch den Herrn auf den Dienst derer, die ihn einen Herrn nennen, gerechnet ist. Daher müssen wir uns auch zweitens die Frage beantworten, wenn wir davon ausgehen, daß keiner in der Kirche gebunden werden soll um der Lehre willen, insofern sie auf diesen Grund gebaut ist, daß sie Jesum einen Herrn nennt, wie wir denn unser Gewissen bewahren können? Lasset uns hier wieder ein Beispiel nehmen an dem Apostel Paulus. Der wußte hoch zu schätzen den Auftrag, der ihm geworden war von Gott, unter den Heiden das Evangelium zu verkündigen, und es war ein großes Gebiet von Menschen, die ihm anvertraut waren und von denen er Gott mußte Rechenschaft geben. Nun lasset uns hören, wie er den Korinthern schreibt am Ende des ersten Briefes, wo er sagt, es wären unter ihnen Einige, die da sagten, es gebe keine Auferstehung. Das war eine große Abweichung und welche sehr verderblich werden konnte, wie denn auch der Apostel erklärt, wenn das so sich verhielte, so sey die Predigt und der Glaube eitel; aber hat er auch gesagt, es sey seines Amts, die, welche das behaupteten, aus der Gemeine zu entfernen? Er hat sich dieses Rechts bedient, aber gegen einen Solchen, der ein solches Aergerniß gegeben, von dem er in demselben Brief an die Korinther sagt, daß es auch unter den Heiden unerhört wäre, und er will dieses lasterhafte Glied der Gemeinde aus derselben entfernt wissen, damit der Dienst der Gemeinde nicht verlästert werde von den Heiden. Aber hier läßt er doch keine harte Worte hören, sondern er geht, freilich mit Ernst und Würde, doch liebevoll und freundlich in die Sache ein, und fügt keine Art von Gesetz, Verbot oder Vorschrift, was gegen diese Menschen zu thun sey, hinzu. Das ist ein großes 27–28 Vgl. 1Kor 15,12 29–31 Vgl. 1Kor 15,13–19, bes. 14.17 1Kor 5,1–5 34–35 Vgl. 1Kor 5,1 37–40 Vgl. aber 1Kor 5,4f

32–33 Vgl.

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Beispiel, ein wichtiges und bedeutendes, und keiner unter uns wird doch glauben, daß er dem Herrn mehr verantwortlich sey für die große christliche Gemeinschaft, als der Apostel es war für diese und andre Gemeinden, die er selbst gestiftet hatte. Freilich sagt der Herr selbst, es müsse Aergerniß kommen, aber wehe dem, durch welchen es kommt, und das macht wol die Gemüther bange, daß sie denken, wenn wir solche Lehre gewähren lassen, so sind wir gewissermaßen mit solche, durch die Aergerniß kommt; aber der Apostel hat doch nicht darnach gehandelt – wie steht es also hiermit? Gewiß so, daß Lehren, welche an dem | Grunde, daß Jesus der Herr ist, festhalten, wie abweichend sie sonst auch seyn mögen, niemals können ein Aergerniß seyn, sondern daß jeder, der dieses lehrt, im Dienst der Wahrheit ist. Was heißt nun aber „lehren“? nichts anders, als daß wir unsere Überzeugung, die wir in uns tragen, mittheilen und geltend machen wollen auf diese und jene Weise, und was ist das anders, als eben das Große, was der Apostel so ausdrückt: die Liebe Christi dringet uns. So ist für jeden, der Jesum einen Herrn nennt, nichts anderes als die Liebe Christi, die ihm erschienen ist, welche ihn dringet, wie er sie gesehen hat. Nun kann er freilich unrecht gesehen haben, aber er ist doch immer von der Liebe Christi ausgegangen, und kann das wol ein Aergerniß seyn? Was ist es anders als eine Auffoderung, daß die, welche eine entgegengesetzte Überzeugung haben, ihm gegenübertreten sollen, so daß die Forschung in der Schrift, die da ausgeht von dem Grunde, daß Christus der Herr ist, immer lebendig bleibe in der Kirche. Kann, was solche Bewegung veranlaßt, einen solchen Eifer des Gemüthes regt, wol jemals ein Aergerniß seyn? Es ist im Gegentheil eine Erweckung des Gemüths, und es ist ein wichtiges Stück in der Führung der christlichen Kirche, denn nur durch das Entgegentreten der verschiedenen Meinungen kann die Wahrheit immer klarer werden und der Sieg immer fester, nur dadurch kann die Übereinstimmung der Gemüther in Beziehung auf die christliche Wahrheit immer mehr zunehmen. – Aber freilich ein Anderes ist es noch, wenn wir die Sache aus dem Gesichtspunkt ansehen, daß jeder unter uns Seelen hat, die ihm auf besondere Weise von Gott anvertraut sind, die er führen soll zu der Quelle des Lebens und sie bewahren vor allem Bösen; das ist freilich mehr, und ein Andres ist es, wenn wir in Beziehung auf das Allgemeine der christlichen Kirche wohl wissen, daß wir unser Gewissen nur bewahren können, wenn wir alles gelten lassen, was von dem Grunde ausgeht, daß Christus der Herr ist – ganz ein Anderes ist dieses und ein Anderes jenes und darum schien mir diese Betrachtung besonders wichtig für diese Zeit. Bald nämlich kommt die Zeit, wo in unseren verschiedenen Gemeinden in der einen frü33 mehr] SAr 94, Bl. 66v: wahr 4–5 Vgl. Lk 17,1

15 2Kor 5,14

16 Vgl. 1Kor 12,3

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her in der andern später die jungen Christen, die in den Wahrheiten des Glaubens unterwiesen worden, in den christlichen Bund aufgenommen werden und dann werden die jungen Kinder in dieselbe Bahn des Unterrichts eingeleitet, und das ist eine freie Sache, keiner ist gebunden an irgend Einen. Ist nun in einer Stadt wie dieser, bei einer so großen Bevölkerung und bei einer so großen Anzahl derer, die berufen sind, das Christenthum zu lehren und bei der in unserer Kirche herrschenden Freiheit auch nothwendig und natürlich eine große Verschiedenheit der Lehrweise, wie sollen die, welchen die Jugend anvertraut ist, da ihr Gewissen bewahren? Dabei kann freilich nicht die Rede seyn von einem Zwang, der ausgeübt werde, daß Alle gleich und übereinstimmend lehren; aber doch von einem Zwang, daß diese oder jene Lehre nicht gehört werde? Sind die Kinder einmal in die christliche Kirche aufgenommen, dann glauben wir, daß sie fähig sind, selbst Alles zu prüfen, die Geister zu beurtheilen, das Gute festzuhalten und von dem Bösen sich zu entfernen; und das Letzte, was wir hierzu thun können, ist eben dieses, wenn wir sie in diesen letzten Unterricht einweihen, durch welchen sie hernach in die Gemeinde der Christen aufgenommen werden. Das ist freilich eine große Verantwortlichkeit, aber auch hier werden wir doch sagen müssen, wir können auf keine andere Weise das Gewissen bewahren, als wenn wir diese Regel des Apostels festhalten, daß keiner solle über die Gewissen herrschen. Das | sagt er Allen und ganz besonders muß es der Fall seyn in dem Verhältniß der Mündigen, welche die Jugend leiten sollen. Hat sich in den Kindern noch nichts gestaltet und geregt, sind sie noch unbeschriebene Herzen, dann um so mehr müssen die Eltern glauben, daß das, was sie erfaßt, auch den Kindern gut seyn werde, dann sind sie ohne Streit in ihrem Inneren; aber anders ist es, wenn sich in den Kindern schon eine andere Meinung gezeigt hat und die Eltern sie nun an ihre Lehre binden wollen. Wäre das nicht auch ein Binden der Gewissen? Da kann nichts anders gelten, als nur das Wort der Liebe, und je mehr die Eltern sich die Liebe der Kinder erwerben konnten, um desto mehr werden sie sie leiten können; was aber den Schein der äußeren Gewalt hat, ist ein Beherrschen der Gewissen und ein Binden der Lehre. Darum, m. th. Fr., kommt Alles auf das Eine an. Der Apostel Paulus in dem Brief an die Korinther sagt, die Erkenntniß für sich allein und das Wissen für sich allein blähe auf – und in der That werden wir sagen, ein jedes Bestreben, eine Lehre zu binden und zum Schweigen zu bringen, ist nichts anders als ein Aufgeblähtseyn durch das eigene Wissen – und nachdem er in eben diesem Briefe von allen geistigen Gaben – und dazu gehört die Erkenntniß und Weisheit gar sehr – nachdem er von allen geredet hat, sagt er, ihr mögt euch der besten 14–15 Vgl. 1Thess 5,21f 20–21 Vgl. vermutlich 1Kor 10,29 33–35 Vermutlich bezieht sich Schleiermacher hier auf eine Kombination von 1Kor 13,1.9.4. 37– 38 Vgl. 1Kor 12,4–11.28–31 38–39 Vgl. 1Kor 12,8 39–2 Vgl. 1Kor 13,1–3

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dieser Gaben befleißigen, aber hättet ihr sie auch alle und die Liebe nicht, so wäre es doch eitel. Gibt es eine andere Art, wie wir unser Gewissen bewahren können? gibt es eine andre Art, wie wir auf das Gewissen Anderer einwirken können als durch die Liebe? Darum lasset uns auch zuerst vor allen anderen Gaben nach der streben, welcher der Preis zukommt; denn wenn auch Einer alle Gaben hätte, aber er theilte seine Weisheit so mit und auf solche Weise verkündigte er die Wahrheit, daß man sähe, er hätte die Liebe nicht, könnte er da eine Wirkung hervorbringen? Wo die Liebe mangelt, da verliert auch die Wahrheit ihre Kraft und da ist auch das Leben fort und erstorben. Auf der anderen Seite ist auch ebenso wahr, daß wenn freilich der Irrthum manche Gefahr darbietet, wenn irrige Meinungen die Menschen falsch leiten können, die Liebe es ist, welche allen Irrthum unschädlich macht; denn wenn auch etwas Falsches ist, was ein Mensch mittheilt, wenn seine Mittheilung aber den Geist der Liebe verräth, bekommen dann nicht die Menschen etwas, und nicht nur etwas, sondern das Köstlichste? Die Liebe kann sie dringen, die Wahrheit zu erkennen, denn die Liebe ist es, welche da dringt, die Wahrheit zu erforschen. Auf diese Weise werden wir also unser Gewissen bewahren, nie in Versuchung gerathen, die Lehre zu binden, sondern wenn jemand etwas vorträgt, da ist von Gott uns gegeben, daß wir an ihm unsere Liebe beweisen, indem wir suchen, ihn vom Irrthum abzuziehen; aber wir können es nicht anders, als nur wenn er nicht gebunden wird. Die Liebe weiß alle Gefahren aus dem Wege zu räumen und sie ist das Band der Vollkommenheit und das Band der Einigkeit. Mögen die Meinungen noch so verschieden seyn, mögen die, welche die Kraft zu haben scheinen, sich geltend zu machen, auch nicht einig erscheinen, wenn sie nur die Liebe auch geltend machen, dann wird doch die Wahrheit siegen, und wenn aller Streit aufhört, so wird doch in der Liebe die Wahrheit bleiben, wie auch die Liebe es ist, in der allein die Kraft der Erlösung und Heiligung ist. So laßt uns nur unbesorgt seyn und uns nur hüten, die Lehre zu binden, wie Christus gebunden wurde um der Lehre willen. Laßt uns nur, wo wir den Grund finden, daß Jesus der Herr ist, die Zuversicht hegen, daß wir auf diesen Grund in Kraft des Geistes Unvergängliches bauen, und in Beziehung auf die, welche Vergängliches darauf | bauen, die Hoffnung hegen, daß der Herr sie erleuchten werde. Diese Hoffnung und diese Zuversicht bleibt in allem Streit auch die Liebe und von ihr aufs Neue gestärkt, werden wir zusammenhalten und mit einander die Wahrheit suchen, und von ihr getragen sein Reich bauen, von dem wir wissen, daß es die Pforten der Hölle überwältigen werde. Amen. 7/3 30 um 9 Uhr

16–17 Vgl. 2Kor 5,14

23 Vgl. Kol 3,14

37–38 Vgl. Mt 16,18

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Am 14. März 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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Oculi, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 22,67–70 Nachschrift; SAr 94, Bl. 53r–57v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

14. März 1830. Tex t . Lucas 22, 67–70. „Und sprachen: Bist du Christus? Sage es uns. Er sprach aber zu ihnen. Sage ich es euch, so glaubet ihr es nicht; frage ich aber, so antwortet ihr nicht, und laßt mich doch nicht los. Darum von nun an wird des Menschen Sohn sitzen zur rechten Hand der Kraft Gottes. Da sprachen sie alle: Bist du denn Gottes Sohn? Er sprach zu ihnen: Ihr saget es, denn ich bin es.“ M. a. Fr.! Wenn wir uns in unsern Passionsbetrachtungen uns vorzüglich an das halten, was in dieser Zeit der Erlöser selbst geredet und gethan hat, wie wäre es möglich, daß wir diese Worte des Bekenntnisses übergehen könnten, des Bekenntnisses, das er abgelegt, von dem, was er sei und welches zugleich der eigentliche Wendepunkt seines irdischen Geschickes war. Laßt uns aber diesmal nicht sowol eigentlich auf den, für uns alle so klaren und einfachen Inhalt dieses Bekenntnisses sehen, sondern auf die Art und Weise, wie der Erlöser auf der einen Seite in die Vergangenheit zurückruft, und auf der andern Seite in die Zukunft hinaus. Wir finden in unsern evangelischen Nachrichten eine Menge von Erklärungen des Erlösers in Beziehung auf das, was er sei und wozu er gekommen sei, unter den verschiedensten Formen und an den verschiedensten Orten bald deutlicher ausgesprochen bald minder klar und offen dargelegt und auch schon mit eben denen, vor welchen er jetzt in der eigentlichen Versammlung des hohen Raths erscheint, finden wir, daß er in ganz ähnlichen Unterhaltungen begriffen war, und das ist es, worauf er in diesen Worten, die uns Lucas mit solcher Ausführlichkeit allein aufbewahrt hat, zurücksieht. Schon öfter hatten sie solch Bekenntniß von ihm haben wollen

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und ihn gefragt, er solle doch sagen, wer er sei und aus welcher Macht er das sage und thue. Aber wenn wir finden, daß er bald seine Jünger ausgesendet, das Reich Gottes zu verkündigen in Beziehung auf ihn, bald wieder den Menschen | verboten, es solle keiner sagen, daß er Christus sei, bald ganz deutlich selbst davon geredet, bald seine Ansichten von den Offenbarungen des Alten Bundes den Menschen mitgetheilt; so hat er doch früher solch Bekenntniß, wie er es hier thut, nicht abgelegt, sondern ohne daß man sagen könnte, daß er der Wahrheit ausgewichen sei, hat er bald ihre Fragen durch andere Fragen beantwortet, bald hat er ihnen allerdings eine bejahende Antwort gegeben, aber doch nicht solche, wie sie sie eigentlich wünschten und erwarteten. Darin ist denn in vielen Fällen so manches, das uns nicht gut ganz deutlich werden kann, weil wir die Umstände, unter denen der Erlöser bald so bald so anders handelte, nicht genau kennen; darum muß uns so erwünscht sein, daß er hier, ehe er das entscheidende Bekenntniß ablegt: ihr saget es und ich bin es auch, nur auf seine frühere Handlungsweise zurückgeht; denn wir sehen gleich, daß auf keine Weise Widerspruch war in seiner jetzigen und in seiner frühern Handlungsweise, daß er immer derselbe war, der es damals verhüllt auf mancherlei Weise, und derselbe, der es jetzt, auf die feierlichste Weise beschworen, auf die feierlichste Weise auch offenbarte. Laßt uns, m. a. Fr.! hierbei nur das hauptsächlich im Auge halten, wie wir daraus sehen, daß bei allen diesen verschiedenen Handlungsweisen, die äußerlich so sehr von einander abweichen, der Erlöser doch immer derselbe war und immer im Dienste der Wahrheit, und immer, wie er selbst von sich sagt, der Weg und die Wahrheit eben so sehr in irgend einem frühen Augenblick, als er es jetzo war. Es war dieselbe Weisheit, dieselbe Liebe, derselbe Gehorsam, von welchem aus er das eine, und von welcher aus er das andre that, wie er auch nicht anders konnte, als immer der eine und derselbe sein. Es ist eine schwierige Frage, die wol aufgeworfen wird von gut gesinnten Menschen, in wiefern man einem jeden zum Bekenntniß der Wahrheit verpflichtet sei? Sehen wir auf den Erlöser, so sieht man | auf der einen Seite, daß er in Beziehung auf diese Verpflichtung auf die mannigfaltigste Weise gehandelt hat und daß es nicht seine Meinung gewesen, diese Verpflichtung für eine allgemeine anzuerkennen, hingegen auf der andern Seite, wie der Erlöser der gewesen, der durch die Wahrheit die Menschen frei machen sollte, und daß das eben seine Liebe zu uns gewesen ist, daß er jenes Bekenntniß ablegte – wie sollten wir nicht eben diese Verpflichtung haben, durch die Wahrheit die Menschen frei zu machen, und also auch der Wahrheit ein Zeugniß abzulegen und die Wahrheit zu bekennen? Anders hat auch der Erlöser gewiß nicht gedacht und es ist zu allen äußerlich verschiedenen Handlungsweisen seines öffentlichen Lebens der einzige 24–25 Vgl. Joh 14,6

35–36 Vgl. Joh 8,32

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Schlüssel, daß er immer im Dienste der Wahrheit war. Nur werden wir immer genau sehen müssen auf das Verhältniß zwischen dem, der da redet, und dem, der da höret: denn die Worte sind doch nur in so fern ein Bekenntniß der Wahrheit, als der, an den sie gerichtet sind, sie in demselben Sinne versteht, und ein Bekenntniß, das eine Mittheilung ist, das von dem andern nicht in sich aufgenommen wird, ist auch nichts, – und es ist es nur in sofern, als der Hörende damit einverstanden ist. Wo man weiß, daß der andere mit den nämlichen Worten, die für uns das natürliche Bekenntniß unserer Ueberzeugung und unsers Glaubens waren, etwas andres meint, und wir nicht wissen, bei was für Worten und auf welche Weise er das deuten werde, was dieser Meinung entspräche, da sind wir auch nicht fähig, ein Bekenntniß der Wahrheit gegen ihn abzulegen, da muß erst ein näheres Verhältniß angeknüpft werden, damit wir die Vermittlung finden zwischen dieser Wahrheit und der andern Meinung. Darum bestand das Leben des Erlösers darin, daß er auf alle Weise diese Vermittlung suchte, daß er suchte den Menschen ihre Verschiedenheit so weit aufzuschließen, daß sie erst das Bedürfniß der Wahrheit empfänden und dann fähig würden, | die Wahrheit zu verstehen und in sich aufzunehmen. Das ist ihm nun nur bei Wenigen gelungen und darum ist das Häuflein derer so klein, die in der That an ihn glaubten, weil sie in der That bei dem, was er sagte etwas andres dachten, als wozu ihn Gott bestimmt und gesandt hatte, und darum wäre es kein Bekenntniß der Wahrheit gewesen, wenn es so unumwunden geschah, wie er hier es ablegte. Keinesweges können wir dies so meinen, als ob es so wäre, wie jener Schriftsteller des Alten Bundes sagt, daß alles Ding seine Zeit habe, was er aber an seinem Orte und in seinem Zusammenhange mit vollkommenem Rechte sagen konnte, – keinesweges aber, als ob es in diesem Sinne auch verschiedene Zeiten gebe: Zeiten, wo man der Wahrheit dienen muß und Zeiten, wo das nicht nöthig wäre, – sondern auf alle Weise und immer sind wir der Wahrheit zu dienen schuldig und immerdar ist dies das Wesen der Liebe, die Christus empfohlen, daß wir uns die Wahrheit immer mehr deutlich machen, um von der Finsterniß zum Licht hindurchzudringen. Aber wir müssen auch wissen, wie wir in jedem Fall der Wahrheit dienen: daß wir die, an denen wir sie bekennen, nicht durch unser Bekenntniß in solche Gemüthsstimmung versetzen, wodurch sie erst recht unfähig werden, die Wahrheit aufzunehmen. Daß das wohl so geht, ist eine Erfahrung, die wir wohl alle machen, daß es eben deshalb so vielen fruchtlosen Streit giebt und daß durch diesen Streit die Gemüther sich mehr entfernen als sich annähern. Darum kann man nicht sagen, alles Ding hat seine Zeit: der Wahrheit dienen, und der Wahrheit nicht dienen, die Wahrheit bekennen, und die Wahrheit nicht bekennen; – aber wohl kann man sagen, alles Ding hat seine Zeit, wie eben derselbe Schriftsteller des Alten Bundes sagt: 24–25 Vgl. PredSal 3,1–8

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Reden hat seine Zeit und Schweigen hat seine Zeit. Wo das Bekenntniß | der Wahrheit nicht das wirken würde, was es wirken sollte, da ist es besser zu schweigen. Nun kann man sagen, es ist dies eine schwierige Sache, auf diese Weise durch den Dienst der Wahrheit Gottes und seinem Reiche zu dienen, aber dennoch ist und bleibet dies unser Aller und allgemeiner Beruf und ist nicht der Beruf bloß für die mit Weisheit begabte Klasse der Menschen, sondern es ist und bleibet der ewige unauslöschliche Charakter der evangelischen Wahrheit, was der Herr auch selbst sagt; daß er den Weisen dieser Welt es nicht offenbaret hat, sondern den Unmündigen. Aber offenbar ist dies ein schwerer Beruf, und es ist nicht zu läugnen, daß eine große Menge von Verirrungen und Spaltungen in der christlichen Kirche nicht würde erfolgt sein und eine große Menge von Sätzen nicht nöthig gewesen wäre aufzustellen, wenn nicht auf unrechte Weise so oft die Menschen der Wahrheit hätten dienen wollen. Wenn damit sollten Regeln gegeben werden und Vorschriften im Einzelnen, so müßten wir gar kein Ende finden, und es wäre wieder das Meiste von der Art, daß es zum großen Theil könnte unrichtig verstanden und angewendet werden; – aber daß wir immer handeln so mit derselben Einfalt und Sicherheit, daß wir auch in dem letzten entscheidenden Augenblicke mit dem Erlöser so zurücksehen auf das Vergangene, daß wir so nur dienen der Wahrheit im ganzen Leben, – das muß unser Bestreben sein. Wenn wir dem Erlöser im Uebrigen nachfolgen und in seine Fußstapfen treten, so wird das auch hier sein. Wenn uns nur immer darum zu thun ist, auf den Weg der Wahrheit die Menschen zu leiten, sie dem himmlischen Lichte entgegen zu führen, sie von den Banden des Irrthums zu befreien, wenn wir nur das Ihrige suchen und nicht das Unsrige, – o dann wird uns gewiß die Wahrheit auch nicht fehlen, die der Erlöser an sich bewies, und dann werden wir auch das bekennen und nicht bekennen auf das Fragen und | Antworten mit solcher Ruhe zurücksehen, wie er es hier that, um sein letztes entscheidendes Bekenntniß abzulegen. Laßt uns noch einen Augenblick verweilen, m. Fr.! wie der Erlöser in Beziehung auf diesen letzten Augenblick erscheint. Fragte ihn der Hohepriester: bist du Gottes Sohn? und er sagte: ja! so war es doch nicht dasselbe. Denn der hatte sich einen weltlichen König gedacht, der den Glanz und die Herrlichkeit des Volks wiederherstellte, und er hätte aus dem „Ja“ des Erlösers dann etwas anders entnommen. Darum, ehe er die entscheidende Antwort giebt, bereitet er sie vor und sagt ausdrücklich, daß er es nicht so meine, wie der Hohepriester, denn wenn er vorher sagte, wollte ich so handeln wie bisher, euch geradezu antworten oder durch Fragen euch Antworten ertheilen, so würde ich meinen Zweck nicht erreichen, – fährt er so fort, 1 PredSal 3,7 9–10 Vgl. Mt 11,25 26 Vgl. Phil 2,21; ferner 1Kor 10,24 33 Vgl. Lk 22,70; auch Mt 26,63f; Mk 14,61f

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daß er sagt, denn von nun an werdet ihr des Menschen Sohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft Gottes. Darauf konnten die Hohenpriester, die da versammelt waren, auf das deutlichste sehen, daß er sich nicht dasselbige dachte unter dem Christus als sie dachten, und er hatte nun Alles gethan, bei seinem Bekenntniß jedes Misverständniß zu vermeiden, und als sie fragten: bist du der Sohn Gottes? nachdem er von sich geredet, daß sie würden sitzen sehen des Menschen Sohn zur Rechten in der Kraft Gottes, sagt er: du sagest es. Und dies führt uns auf den zweiten Theil unserer Betrachtung: wie der Erlöser von hier auf die Zukunft sieht. Das ist eine merkwürdiges Wort, das er saget: von nun an werdet ihr des Menschen Sohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft Gottes! als ob nun schon Alles vollendet wäre, als ob er nun schon gelitten und gestorben wäre für die Menschen, als ob er auferstanden wäre, wie er selbst sagte, daß es geschehen würde, als ob er schon aufgefahren | wäre in die Höhe zur Rechten Gottes, – so sprach er damals, als ob dies Alles schon geschehen wäre. Wie kann er das gemeint haben? In der That mögen wir sagen, daß mit diesem Bekenntniß Alles, was er zu thun hatte, gethan und vollendet war. Das ist das Eine. Das andre ist dies, daß er diese Worte geredet in Beziehung auf das besondere Verhältniß, in welchem er sie sagt: denn wenn ich sage, er hatte nun Alles vollendet, was er selbst zu thun hatte, so ist unläugbar, daß dieses sein Bekenntniß, wovon das zweite, das er beim Pilatus und auch nicht gerade zu, sondern nach derselben Vorbereitung, ablegte, doch nur eine Wiederholung war, daß dies also das letzte war, was er in seinem öffentlichen Leben gethan hat. Alles übrige war, aber freilich köstliche und segensreiche Aeußerungen seines Gemüths, aber es war nicht mehr That, es war das, was er nach diesem Bekenntniß zu leiden hatte, aber seine That nicht; nun ist die Erlösung seine That und wenn diese That vollbracht war, konnte er sagen, daß alles vollbracht sei, wozu ihn Gott gesandt hatte, und so stellt er dieses Bekenntniß als die letzte That dar, wozu ihn Gott gesandt hatte, wonach er nun nichts mehr zu thun hatte als zu leiden; sein eigentlicher Beruf also war das Bekenntniß, das er hier ablegte. Das zweite aber, und wir müssen beides auf das genaueste verbinden, ist dies, daß er eben das, was er sagt, in besonderer Beziehung sagte auf die, mit welchen er eben redet. Ihr Reich und sein Reich konnte nicht mit einander bestehen; wenn das ihrige fortdauert, konnte das Seinige nicht aufgehen, wenn das Seinige aufging, konnte das ihrige nicht bestehen. Das wollte er ihnen zu verstehen geben, indem sie ihn doch nicht loslassen würden, wenn er ihnen zeigte, daß sie auf ihrem Punkt noch lange nicht da waren, ihn zu verstehen, sondern von diesem Punkt aus würden sie ihn zum Tode führen wegen dieses Bekenntnisses, 14 Vgl. die drei sog. Leidensankündigungen (Lk 9,22; 9,44; 18,31–33 und Parallelen) 22–23 Vgl. Lk 23,3 und Parallelen

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wodurch sie aber sein Reich begründen würden; und so sagt er: von nun an werdet ihr sehen des Menschen Sohn sitzen zur Rechten | der Kraft Gottes, – nun ist es durch euer Handeln, daß ihr mich nicht anerkennt, entschieden, daß euer Reich untergeht und nun wird mein Reich die Gewalt gewinnen, die ihm bestimmt ist, und es wird nicht durch irgend etwas in der Welt überwältigt werden. Aber nun er das sagt und bezieht auf jene That des Bekenntnisses, welche seine letzte gewesen, der er die Kraft zuschreibt, das Reich Gottes zu gründen, von dem es abhängig sei, daß er sitze zur Rechten der Kraft Gottes, – wie anders ist dies zu verstehen, als daß dies Bekenntniß, welches der Herr von sich ablegt, für alle, welche dazu fähig sind, sein Verhältniß zum Menschengeschlecht zu sehen wie es ist, die beständige Quelle des Glaubens an ihn ist, – der Glaube daß das, was er unter den Menschen hervorbringen wollte, nichts anders wäre, als der heilige und wohlgefällige Wille Gottes, der Glaube daß in Allem, was er gethan Gott in ihm gewesen sei – dieser Glaube ist die beständige Quelle des Glaubens aller Christen. Und darum ist es ein so großes Wort und darum die rechte Quelle der Entwickelung der Erlösung, und darum rechnet er von diesem Augenblick an sein Sitzen zur Rechten der Kraft Gottes in der Höhe. Und gewiß, wenn es gleich wahr, es ist das Loos der Menschen auf dieser Erde, daß sie eine feste Ueberzeugung haben von etwas, das nicht die Wahrheit ist, daß sie sich auf die beste Weise einem Irrthum hingeben können, wie wir davon so viele traurige Beispiele sehen, auch auf dem Gebiet des Glaubens und in dem, was das Verhältniß des Irdischen zur höhern Welt berührt, – wenn es nicht zu leugnen, daß aus solcher fester Ueberzeugung von dem, was nicht die Wahrheit ist, viele ihr Leben wirklich gelassen haben, und darin das Sonderbarste, was sich denken läßt, auf der einen Seite die Gewalt der Wahrheit, indem sie der Wahrheit zu dienen glauben, und auf der andern Seite die Gewalt des Irrthums indem sie nicht sehen, daß es ein Irrthum ist, auf die sonderbarste Weise sich vermischt, – wie soll es | möglich sein, daß wir jemals könnten den Glauben, den der Erlöser auf sich selbst ausdrückt, hegen und solch entscheidendes Bekenntniß ablegen? Wir können uns freilich in der Gewißheit des Todes ein solches Bekenntniß abgelegt denken, doch auch von einer irrenden Seele, aber daß der Erlöser dies sagt, das ist das große Geheimniß, der große Werth dieses Wortes. Die, welche zur Zeit des Erlösers lebten, die ihn selbst sahen und hörten, denen in seiner Person die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater erschien, die scheinen freilich einen großen Vorzug vor uns gehabt zu haben, – da wir nur der Schatten davon und die unvollständigsten Züge haben. Aber was haben wir auf der andern Seite? daß wir in der ganzen folgenden Zeit dies vergleichen können mit dem Zeugniß, was der Erlöser von sich selbst abgelegt; daß er in der Gewalt, die er ausübt, in der 36–37 Vgl. Joh 1,14

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Art, wie er seine Kirche regiert, in der Macht, die das Wort Gottes ausübt, von der wir wissen, es ist die Kraft der Wahrheit, der der Sieg nicht entgehen wird, uns erscheint. Darin erscheint uns die Heiligkeit des eingebornen Sohnes vom Vater und darum ist es dies Wort des Bekenntnisses, woran sich der Glaube am unmittelbarsten anknüpft. Und das hat der Erlöser gewiß gewußt, was für ein Theil des ewigen Lebens für die Menschen dies Bekenntniß sein würde, das er selbst von sich ablegt. Niemand war dabei, als die, welche ihn nach diesem Bekenntniß zum Tode führten, und nur aus der zweiten, dritten Hand konnten die Jünger erfahren, was in dem verschlossenen Raum vorging – und so ist es bis auf uns gekommen, und ungeachtet der Erlöser seinen Feinden allein gegenüberstand, so hat er doch das Gefühl, daß durch dies Wort des Bekenntnisses sein Sitzen zur Rechten der Kraft Gottes in der Höhe angehe, daß von nun an durch seine That ihm Gott einen Namen gegeben, der über alle Namen gilt, dieses sein Erhöhen, diese seine himmlische Gewalt über die Menschen hebt er selbst durch die Worte dieses Bekenntnisses heraus, indem nun der Dienst der Wahrheit, dem er sich gewidmet, zu gleicher Zeit vollendet war. Und dies laßt uns auch nehmen zugleich als Trost und Ermahnung. Wenn es unser Wille ist, unser Leben | der Wahrheit zu widmen, wenn wir gekommen sind zu dienen, wie der Erlöser, und uns den Menschen hinzugeben, mit allen Kräften, die uns der Herr verliehen, – dann werden wir mit Liebe dahin kommen, der Wahrheit auf die rechte Weise zu dienen. Je mehr wir dahin kommen, ein rechtes Bekenntniß abzulegen von unserm Glauben, von der Quelle und der Art und Weise unsers Heils, desto mehr können wir hoffen, daß wir auch bestimmt sind, wie wir vereint sind mit Christo zu leiden, so auch mit Christo erhöht zu werden. Denn in solchem Bekenntniß der Wahrheit liegt das Geheimniß der Gewalt, die ihm gegeben ist über Himmel und Erde und über die, die diese Gewalt mit ihm theilen sollen, daß, wie der Apostel sagt, wenn wir mit ihm dienen, wir regieren, wenn wir mit ihm leiden, wir mit ihm herrschen werden. Und desto größer werden trotz aller Hindernisse und Spaltungen die Fortschritte dieses Reiches der Wahrheit sein, und desto mehr wird sich die Herrlichkeit desselben offenbaren, wenn im ganzen Leben der Abglanz der Herrlichkeit Gottes gesehen wird. Darum wollen wir ihn durch unser Leben und Bekenntniß immer mehr verherrlichen und sagen und zeigen, daß wir nichts anders wollen, als mit ihm vereint sein, und daß unsre Hoffnung keine andre ist, als zu ihm zu kommen, der das menschliche Geschlecht nach dem Willen des Vaters leiten und führen wird. Amen.

14 Vgl. Phil 2,9

27–28 Vgl. Mt 28,18

28–30 Vgl. 2Tim 2,12 und Röm 8,17

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Am 21. März 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Laetare, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 18,33–37 Nachschrift; SAr 94, Bl. 68r–73v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

21. März 1830. Das Bekenntniß, welches der Herr ablegt von dem himmlischen Reiche

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Tex t . Joh. 18, 33–37. „Da ging Pilatus wieder hinein in das Richthaus und rief Jesum, und sprach zu ihm: Bist du der Juden König? Jesus antwortete: Redest du das von dir selbst? Oder haben es dir andre von mir gesagt? Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet; was hast du gethan? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darob kämpfen, daß ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von dannen. Da sprach Pilatus zu ihm: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren, und in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.“ M. a. Fr.! Dies ist das zweite gute Bekenntniß, welches unser Herr und Heiland bekannt macht: das erste vor dem Hohenpriester seines Volkes, das war das Zeugniß des Neuen Bundes, gegenüber denjenigen, welche die Rechte und Sitten des Alten zu vertreten hatten. Dies Zeugniß, welches er ablegt vor dem Pilatus, das war das Bekenntniß des himmlischen Reiches vor demjenigen, der die Rechte und Ordnungen der irdischen und mensch1 1830] in der Zeile darüber von Pommers Hand Bist du noch nicht gedruckt? 17–19 Vgl. die voranstehende Predigt am 14. März 1830 über Lk 22,67–70

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lichen Gewalt zu vertreten hatte, und indem also der Herr hier Rechenschaft giebt von seinem Reich, sich ausspricht über die ganze Art und Weise desselben, so lasset uns denn hören, was er selbst hier für ein Bekenntniß ablegt von dem himmlischen Reiche, welches er sein eigenes nennt. Es ist aber besonders zweierlei, worauf wir in den Worten unsers Textes zu achten haben: nämlich der Erlöser redet erstlich von seinem Reich und sich, als dem Könige desselben, dann: zweitens von seinen Dienern; – und so wohl das Eine als das Andre hängt so genau zusammen, daß wir eins ohne das andre unmöglich verstehen können. Wie also Pilatus den Erlöser noch einmal fragt: bist du ein König? so sagt er: mein Reich ist nicht von dieser Welt, aber ich bin ein König. Dazu bin ich geboren und in die Welt ausgegangen, daß ich von der Wahrheit zeuge und die von der | Wahrheit sind, die hören meine Stimme. Und so beschreibt er uns also eben dies Reich, welches er das Seinige nennt, auf diese ganz einfache Weise als das Reich der Wahrheit und weiter nichts, und seine Gewalt, die er ausübt als der König desselben, auf keine andre Weise als so, daß er von der Wahrheit zeuge, und daß die, welche aus der Wahrheit sind seine Stimme hören. Das, m. a. Fr.! ist allerdings etwas Großes, aber doch wird es vielleicht sonderbar auffallen, daß der Erlöser Alles, das ganze Wesen, die ganze Kraft und Herrlichkeit seines Reiches in diesem Einen Worte, daß es die Wahrheit sei, beschreibt. Was er von sich selbst sagt, als der König dieses Reiches, das ist dieses, daß er dazu geboren sei und dazu in die Welt ausgegangen, daß er von der Wahrheit zeuge. Was er von der Wirkung dieser seiner Thätigkeit sagt, ist dies, daß die aus der Wahrheit sind, seine Stimme hören. So unterscheidet er sich denn freilich von allen andern in dieser seiner Aeußerung auf kräftige und bestimmte Weise, indem er seine Erleuchtung nicht darstellt, als ein allmähliges Werk der Zeit, des Unterrichts und der Uebung; seine Bestimmung, die er erlangt hat, von der Wahrheit zu zeugen, und auf diese Weise ein König zu sein, nicht als etwas das ihm erst später zu Theil geworden, sondern er sei dazu geboren und so sei er auch dazu in die Welt ausgegangen. Unter dem letzten allerdings versteht er das öffentliche Leben, das er führte unter seinem Volke, seitdem er anfing das himmlische Reich zu verkündigen, und durch das Erste will er uns gewiß machen, wenn er nicht dazu geboren wäre, so würde er kein besonderes Recht haben von der Wahrheit zu zeugen, wenn das nicht ruhte in einem Unterschied, welcher ein ursprünglicher war, zwischen ihm und allen andern Menschen, wenn auch sein Recht in dieser Beziehung sich so von dem der andern unterscheide, daß er sich könne einen König nennen im Reich der Wahrheit, sondern auf seine Geburt, auf das Ursprüngliche seines persönlichen Wesens führt er dieses zurück. Und, m. Fr.! wenn wir bedenken, wie das das gemeinsame Erbtheil aller Menschen ist, daß die Wahrheit in ihnen vermischt | ist mit dem Irrthum, daß selbst ihr Verlangen nach der Wahrheit sich so leicht verunreinigt

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mit anderm, das sich hineinmischt, so müssen wir wol sagen, das ist in dieser Beziehung unser Trost, daß, wenn das himmlische Reich nichts sein kann als ein Reich der Wahrheit, dieses seinen Ursprung hat, in dem, der nicht in solcher Vermischung der Wahrheit mit dem Irrthum geboren war, indem die Wahrheit nicht konnte mit der Sünde verurtheilt werden, sondern indem sie sich rein dem ganzen Geschlecht der Menschen offenbaren und darstellen sollte. Das ist dasselbe Zeugniß, welches er oft abgelegt hatte unter den Seinigen und vor seinem Volke, daß er gekommen sei, von der Wahrheit zu zeugen, und durch die Wahrheit sie frei zu machen, daß er die ganze Wahrheit, wie sein himmlischer Vater sie ihm gegeben, mitgetheilt habe, daß er nichts von sich selbst könne und so auch seine Lehre nicht seine eigene sei, sondern die seines himmlischen Vaters und daß er eben dazu geboren sei, damit dies durch ihn den Menschen kund würde. Aber, m. Fr.! wenn uns das auf der einen Seite tröstet und erhebt, daß der Erlöser sich darstellt als den, der ausdrücklich dazu geboren ist, sein ganzes eigenthümliches Wesen dazu bestimmt und eingerichtet war, von der Wahrheit zu zeugen, – soll uns nicht auf der andern Seite das wieder bedenklich machen, wenn er sagt, die aus der Wahrheit sind, hören meine Stimme. Wohl ist in diesen Worten etwas, das uns sehr bedenklich und unruhig machen kann und auch das oft gethan hat. Es will uns so gemahnen, als unterscheide der Erlöser von Anfang an Menschen, die aus der Wahrheit sind, und ohne ihn, und von Anfang an zu ihr gekommen sind und solche, die es nicht sind, und als sage er nur von den Ersten, von denen, die schon aus der Wahrheit sind, daß sie seine Stimme hören, woraus von selbst folgt, daß die andern, welche nicht schon aus der Wahrheit sind, sie nicht vernehmen und ihr nicht folgen. Und wie sollten wir uns wol selbst das Zeugniß geben können, daß wir aus der Wahrheit sind, und wenn ein Mensch dies Zeugniß sich selbst geben könnte, wie brauchte der Erlöser dazu | geboren werden auf so verschiedene Weise vor allen andern Menschen, damit er von der Wahrheit zeuge. Sollte das seine Meinung sein, daß von Anfang an das Geschlecht der Menschen auf diese Weise getheilt sei, und zwei verschiedene Arten von Wesen unter derselben Gestalt und Hülle wandelten, daß es einen Theil gebe, die aus der Wahrheit wären und denen der Erlöser auch nichts weiter thun könnte, als indem sie seine Stimme hörten, sie auf diese Weise zusammenzurufen durch seine deutlichere hellere Stimme ihnen das zu erleichtern wozu sie auch ohne ihn, wenn auch später, und nicht so rein und vollständig, doch würden gekommen sein, dann wäre freilich sein Verhältniß zum menschlichen Geschlechte nicht das, wofür wir 29 vor] vielleicht zu korrigieren in von 9 Vgl. Joh 8,32 Joh 7,16

9–11 Vgl. vielleicht Joh 17,8

11 Vgl. Joh 5,19

11–12 Vgl.

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es ansehen, dann trügt uns aber auch unser eigenes Gefühl, das uns dazu anweiset nicht solchen Unterschied unter den Menschen zu machen, und dann uns das Bewußtsein nicht so untröstlich machen, welches wir doch alle haben, daß das erste Werk der Sünde in uns ist, die Wahrheit zu verhüllen und auf die Seite des Irrthums den Sieg zu bringen; – das wissen wir alle von uns, und wie das die allgemeinste, innerste Erfahrung des menschlichen Herzens ist, so müssen wir wol sagen, daß keiner ist, der von der Wahrheit ist, und könnte das einer von sich sagen, wo bliebe dann jenes Wort des Apostels, das er aus den Zeugnissen des Alten Bundes herholt, daß sie alle Sünder sind und allzumal des Ruhmes bei Gott ermangeln; denn wenn doch die Wahrheit es ist, auf die der Erlöser das Wesen seines Reichs zurückführt, so hätten die ja schon den Ruhm, den sie bei Gott haben sollen, die von der Wahrheit sind. So nahe steht dem Erlöser keiner von denen, für die er gekommen ist zu leben, zu leiden und zu sterben, daß er ohne ihn aus der Wahrheit wäre und so fern ist keiner von ihnen und so ausgeschlossen aus dem Bereich seiner Wirksamkeit, daß er nicht durch ihn könnte ein solcher werden, der, weil er der Weg und die Wahrheit | ist, nun auch die Stimme der Wahrheit durch ihn vernehme. Es ist freilich wahr, daß wir auch in dieser Beziehung einen großen Unterschied unter den Menschen wahrnehmen, und es ist gewiß der größte, den es giebt, wenn wir auf der einen Seite Menschen sehen, welchen es niemals ein rechter Ernst ist um die Wahrheit, welche für alle Kleinlichkeiten und Nichtigkeiten gar zu geneigt sind sich selbst zu betrügen, welche das Flüchtigste und Vergänglichste diesem heiligen Gut vorziehen, und auf der andern Seite solche – aber wie selten, – mit Recht können wir sagen, wie selten! – kommt uns solcher zu Gesicht, welcher nicht geneigt ist, irgend eine Abweichung von der Wahrheit bei sich zu dulden, welcher unfähig ist, sich selbst oder andre absichtlich zu hintergehen, welcher zaudert und stockt, so bald er vom Wege der Wahrheit abgeht. Aber doch auch diese Wenige und Auserlesene, welche einen ganz besonders reinigenden Eindruck auf die andern machen, auch diese sind nicht so aus der Wahrheit, daß sie es schon wären, die die Stimme des Herrn vernehmen könnten ohne ihn. Nicht also hat der Erlöser bezeichnen wollen hierdurch einen ursprünglichen Unterschied unter den Menschen, wodurch sich das Menschengeschlecht sonderte in solche, die der Wahrheit zugeführt, und durch sie beseligt werden könnten, und in solche, das ist nicht möglich, sondern was er meint ist das, daß er verschiedene Zustände unter den Menschen unterscheidet, einen solchen, in welchem sie nicht fähig wären, seine Stimme zu hören, und einen solchen, der sie geneigt macht, seine Stimme zu vernehmen. Gehen wir auf 3 dann] zu ergänzen wohl kann oder wird 8–10 Vgl. Röm 3,23 sowie etwa Gen 8,21

34 in] und 17–18 Vgl. Joh 14,6

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die ersten Anfänge des menschlichen Lebens zurück, wie allmählig das Vermögen, die Gedanken zu sondern und sie durch die Sprache festzuhalten, sich ausbildet, so unterscheiden wir alle in den ersten Entwickelungsstufen der Kindheit eine Zeit, wo es noch nicht möglich ist bei dem Mangel an Ernst in den Kindern, solchen Unterschied zu machen zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Wesen und Schein, sondern der entwickelt sich erst im spätern Alter. Auf dieselbe Weise ist es auch hernach. Dieser Zustand, der | freilich nur für die ersten und unvollkommensten Zeiten der Entwickelung des menschlichen Lebens da und nothwendig ist, er setzt sich in vielen Menschen fort und viele bleiben ihr ganzes Leben in derselben stehen. Der andre der entwickelt sich dann in einigen immer auch nur dazu, daß sie lernen das, was zu den Dingen dieser Welt gehört mit Ernst zu behandeln und fest zu halten; in andern aber so weit, daß sie fähig werden, die reine, einige, göttliche Wahrheit zu vernehmen und aufzufassen. Aber so aus der Wahrheit sein, daß sie sie selbst aus sich hervorbrächten, das können wir von keinem sagen, sondern dazu war der Erlöser allein geboren und konnte auch dazu ausgehen in die Welt, daß er von der Wahrheit zeuge. Wie groß aber, m. Fr.! und wie erfreulich dies ist, so glaube ich doch, daß uns allen die Frage nahe genug liegt, wie ist denn die Wahrheit Alles? wo bleibt denn das Wort des großen Apostels, und wie sollen wir sagen, daß er eins sei mit seinem Herrn und Meister, welcher von aller Erkenntniß sagt, daß sie aufhöre, weil sie Stückwerk sei, aber daß die Liebe bleibe? Wenn das Reich Gottes nichts ist als die Wahrheit, wo bleiben denn die drei, die der Apostel beständig im Munde führt, wo bleibet der Glaube, wo bleibt die Liebe, wo bleibt die Hoffnung? Der Erlöser aber saget hier nichts, als daß er gekommen sei, von der Wahrheit zu zeugen. Fragen wir nun, was ist denn das für eine Wahrheit, wie kann das der ganze Ausdruck sein und die vollkommene Bezeichnung seines Reiches, und wie steht es mit dem, was wir alle so gern und mit Nothwendigkeit dazu rechnen? Wenn der Erlöser sagt, wenn die, welche ihn hören, an seiner Rede bleiben so würden sie die Wahrheit erkennen und die Wahrheit würde sie frei machen, dieweil alles andre auf vorübergehende Zustände sich bezieht, der Sohn aber immer im Hause des Vaters bleibe, so wäre es der Sohn, der sie frei macht – nun wohl, da bietet er uns neben | der Wahrheit noch die Freiheit, die aus der Wahrheit kommt; aber wenn wir uns nun fragen, haben wir alles mit dieser Wahrheit und Freiheit, die aus der Wahrheit kommt, und bedürfen wir weiter nichts? so werden wir uns noch nicht getrauen, es zu bejahen. Was ist denn aber die Wahrheit, die er immer gelehrt hat? daß das der Wille seines Vaters sei, daß sie an den glauben sollten, den er gesandt hat, – das war die Wahrheit, von welcher er Zeugniß zu geben gekommen 21–22 Vgl. 1Kor 13,8f.13 24–25 Vgl. 1Kor 13,13 38–40 Vgl. Mt 10,40; Lk 10,16; Joh 5,23f und 6,38f

30–34 Vgl. Joh 8,31–36

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war, daß wer wolle Ruhe finden und Erquickung für seine Seele, der müsse zu ihm kommen. Worauf führt er also denn die Menschen? auf ihr eigenes Bedürfniß und auf seine Hülfe, und dies beides zusammengenommen ist die ganze Wahrheit. Sind die Menschen nicht so weit aus der Wahrheit, daß sie ein Bedürfniß fühlen, welches sie selbst nicht befriedigen können, daß sie an dem nicht genug haben, was sie aus sich selbst schöpfen, sondern daß sie etwas anderes und höheres bedürfen – dann können sie nicht seine Stimme vernehmen. So viel Bewußtsein von ihrem Zustand muß in ihnen sein, so weit müssen sie die Wahrheit ihres eigenen Lebens gefunden haben, daß alles nichtig sei und leer, was sie aus anderer Quelle schöpfen. Diese Wahrheit eines höhern Bedürfnisses müssen sie schon gefunden haben, und wenn sie so weit aus der Wahrheit sind, dann können sie seine Stimme hören. Kurz ehe der Erlöser in die Hände seiner Feinde fiel, sprach er jenes herrliche Gebet, das uns auch Johannes aufbewahrt hat, in welchem der durchgehende und herrschende Gedanke der ist, daß er immer auch redet von der Wahrheit, daß er den Vater bittet er möge die Seinigen heiligen in der Wahrheit, denn sein Wort sei Wahrheit, daß er sich selbst das Zeugniß giebt, er habe ihnen die Wahrheit nicht vorenthalten und das letzte Ziel ist seine Bitte, daß sie unter einander einig seien, wie er und der Vater einig seien, daß sie einander lieben mit der Liebe, mit welcher er sie geliebt, und das hängt alles in diesem Gebet zusammen mit dem, was er von der Wahrheit sagt. Also die Beiden sind | unzertrennlich, die Wahrheit und die Liebe; diese göttliche Liebe wird keiner von der Wahrheit trennen; wer die eine gefunden, der hat nicht noth, daß er die andre festhält, wer in der einen lebt, dem wird die andre nicht entgehen. Heiliget uns der Herr in der Wahrheit, daß wir wissen, alles andre ist nichts, sondern nur das Wort des Herrn, so ist da Geist und Leben, und wollen wir nur in ihm sein, so fühlen wir auch gleich, daß er uns an den Einen gewiesen hat, der geboren ist, um von der Wahrheit zu zeugen; dann fühlen wir es, wie wir aneinander gewiesen sind, um uns Schwache, Gebrechliche, deren Auge so leicht getrübt wird, deren Fuß so leicht strauchelt, bei der Wahrheit festzuhalten, indem wir immer auf den hinsehen, von welchem die Wahrheit ist. Und das ist die Liebe, von welcher der Herr will, daß sie in uns allen sei, das ist die Liebe, die in uns allen sein soll, indem wir uns mit der Liebe lieben, mit der er uns geliebt hat, und er hat uns mit der Liebe geliebt, mit welcher der Vater ihn geliebet hat, indem er ihn sandte zum Heil der Menschen. So sind denn die Wahrheit und die Liebe eins, und was ist der Glaube und die Hoffnung anders als die Sicherheit von diesen beiden in jedem Augenblick des Lebens, als die feste Ueberzeugung, daß so gewiß der Sohn Gottes 1–2 Vgl. Mt 11,28f 14 Vgl. das sog. hohepriesterliche Gebet Joh 17 16–17 Vgl. Joh 17,17 18 Vgl. Joh 17,6–8.14 19–20 Vgl. Joh 17,20–22 20–21 Vgl. Joh 13,34; ferner 17,26 27 Vgl. Joh 6,63 34–35 Vgl. Joh 13,34; ferner 17,26

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gekommen ist in die Welt, so gewiß auch sein Reich bestehen wird, und alle Menschen immer mehr zu der Wahrheit kommen, so daß sie seine Stimme hören. Sehet da, m. Fr.! gebunden stand er da, der Erlöser, vor dem Richter, der ihn fragt, ob er ein König sei, und verlassen von den Seinen, und wissend und schwer es auf dem Herzen tragend, daß er noch vieles ihnen zu sagen hatte, aber er konnte es ihnen nicht sagen, denn sie konnten es noch nicht tragen, – aber doch wußte er, daß er König der Wahrheit sei, doch wußte er, daß er für die Wahrheit ausgegangen sei, doch hatte er die feste Ueberzeugung von der Gültigkeit und Ewigkeit seines Reiches, welches auf der | Wahrheit ruhte. Welche Quelle des Glaubens für uns alle, welches Zeugniß für die Wahrheit unsers Herzens, das uns zu dem treibt, von dem wir fühlen, daß er das Recht hat, sich die Wahrheit zu nennen; – welcher Grund für unsre Liebe, für unsern Glauben, für unsre Hoffnung. Wohlan, m. Lieben, sind wir aus der Wahrheit und hören seine Stimme, so sind wir auch seine Diener, und so lasset uns zweitens hören, was er hier von seinen Dienern sagt. Er sagt, mein Reich ist nicht von dieser Welt; wäre es von dieser Welt, so würden meine Diener wol dafür kämpfen, daß ich den Juden nicht überantwortet würde. Also sie haben nicht gekämpft! Tadelt er sie deswegen? er lobt sie; er beweiset dadurch eben die rechte Art und Natur seines Reichs, daß sie nicht gekämpft haben, und das ist das Einzige, was er hier wenigstens von seinen Dienern sagt. Aber wie, ist nicht der Dienst des Herrn ein beständiger Kampf? geben uns nicht die Apostel überall an die geistige Rüstung durch welche wir zu kämpfen haben? zeigen sie uns nicht die Waffen zum Schutz und zur Vertheidigung, aber nicht zum Schutz und zur Vertheidigung allein, sondern auch zum Angriff? Den Krebs der Gerechtigkeit, den Schild des Glaubens, den Helm des Heils, und das Schwerdt des Geistes? und der Herr lobt seine Diener, daß sie nicht gekämpft? Er will gewiß nicht, daß wir jene geistige Rüstung ablegen sollen; also Wachsamkeit und Treue, das Schwerdt des Geistes, – wer kann sagen, daß der Herr sie nicht oft seinen Jüngern geboten und vorgehalten? Aber wenn sein Reich von dieser Welt wäre, dann mußten seine Diener auch mit irdischen Waffen dafür kämpfen, und wenn er sagt, sie haben nicht gekämpft, so meint er, daß sie nicht mit irdischen Waffen gekämpft und das sollen wir auch nicht, die Jünger, wie der Meister. Dieser beschreibt seine ganze Gewalt so, daß er von der Wahrheit zeuge; das sei seine ganze Macht. Der Jünger sei auch so und wollte nicht als nur von der Wahrheit zeugen und für die Wahrheit; jeder | andre Kampf für dies Reich mit den Waffen der Welt, wäre ein irdischer Kampf, wodurch sein Reich verunreinigt und zersplittert würde. Ach, wenn wir zurücksehen in die vergangenen Zeiten, wie 5–7 Vgl. Joh 16,12 12 Vgl. Joh 14,6 23–24 Vgl. Eph 6,11.13 26–27 Eph 6,14 (Krebs in der Bedeutung von Panzer, Brustharnisch) 27–28 Eph 6,16f

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wenig ist dies große Wort des Herrn befolgt worden, wie oft ist gekämpft worden mit irdischen Waffen für sein Reich, wie oft sind die Menschen durch Gewalt gezwungen worden, den Namen Jesu zu bekennen und vor ihm sich zu beugen. Das war nicht sein Dienst, das war nicht ein ihm wohlgefälliges Werk, aber eben darum ist sein Reich nicht befördert worden. Was ist daraus entstanden, als eine große Menge von Menschen, welche den Schein haben, aber die Wahrheit nicht, und was soll das Reich Gottes mit einem, wenn auch großen und herrlichen Schein. Nun wohl, wenn vergangene Zeiten da gesündigt haben, so mögen wir es beklagen, und Alles, was aus diesem Irrthum hervorgegangen, dem anheim stellen, der alle Werke, welche auf dem Einen Grunde gebauet sind, aber nicht aus den Waffen, mit denen darauf gebaut werden sollte, durch das Feuer zu läutern weiß. Aber mögen wir sagen, für uns ist das keine Ermahnung; jetzt bedarf das Reich der Wahrheit nicht mehr, daß es mit irdischen Waffen ausgebreitet werde und auch wird ihm nicht so widerstanden, daß wir dieses mit irdischen Waffen abwehren müßten. Doch laßt uns das nicht zu früh sagen: nicht nur die Gewalt, nicht nur das Schwerdt sind Waffen dieser Welt, – ach, es giebt ja viele andre, nicht minder gefährliche. Wenn äußerliche Vortheile verbunden werden mit dem Schein des Bekenntnisses zur Wahrheit, wie leicht werden dann die Menschen, die noch nicht aus der Wahrheit sind, verlocket, und auf diese Weise durch Einzelne im Kleinen, aber durch die Menge im Großen, das Reich des Herrn verunreinigt, und es ist nicht sein Dienst, wenn wir auf solche Weise sein Reich fördern wollen. Aber es sind auch nicht bloß die äußern | Vortheile dieser Welt, welche die auszutheilen haben, welche über die Dinge dieser Welt gebieten, sondern es ist Alles, Lob und Ehre, und was einer sonst geben kann und versagen dem andern. Theilen wir Lob und Ehre so aus, daß wir denen, die noch nicht aus der Wahrheit sind und noch nicht die Stimme des Herrn vernommen haben, sie entziehen, welche Lockungen legen wir den schwachen Gemüthern! Und wie voll ist noch von diesem falschen Dienst die gegenwärtige Christenheit, in der wir leben. Es ist nicht etwas allgemein Angenommenes, daß, wer mit uns aller bürgerlichen Rechte und Freiheiten genießen will, in gleichem Umfange, ein Mitglied der Kirche sein muß! Noch einmal komme ich hierbei darauf zurück, wovon ich schon früher gesprochen habe, – wir leben jetzt in der Zeit, wo eine große Menge Christlicher Jugend in die Gemeinde der Christen aufgenommen werden, – fragen wir uns, sind die wohl alle aus der Wahrheit? haben sie alle seine Stimme gehört? ist das ihr wahres Bekenntniß, daß sie sagen, sie nehmen ihn zu ihrem Herrn und 10 dem] denen 31–33 Es ist nicht ... der Kirche sein muß!] Kj Ist es nicht ... der Kirche sein muß? oder ... nicht ein Mitglied der Kirche sein muß! 3–4 Vgl. Phil 2,10

10–13 Vgl. 1Kor 3,11–15

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Meister an? Wollte Gott, wir könnten es sagen! aber wer vermag es? und wenn es auch wahr ist, wer möchte es behaupten? eben weil es ein Zustand ist, wo eine Menge von äußern Vortheilen davon abhängen. Ist das nicht auch ein Kampf für das Reich des Herrn mit fleischlichen Waffen? Wäre es nicht besser, daß so etwas nicht wäre, daß jeder äußerlich seines Weges ungestört gehen könnte, wie er wollte, erlangen, was, und trachten, wonach er wollte, ohne daß irgend etwas Aeußerliches gebunden wäre an das Bekenntniß dessen, der allein ein König der Wahrheit sein will und dessen Reich nicht von dieser Welt ist? So lange das nicht geändert ist bei uns, tappen wir im Dunkeln, können wir niemals sicher sein, daß wir mit dem rechten Geist sein Reich fördern, sondern sind tausend Täuschungen ausgesetzt, und eben deswegen ist die Wahrheit nicht klar und können nicht sagen, daß die christliche Kirche unter uns ein reines Reich der Wahrheit sein oder werden könne. So hat sich der Irrthum der alten Zeiten immer noch fortgepflanzt, freilich gemildert und dem Schein nach geändert; aber er hat sich doch fortgepflanzt bis auf diesen Tag und wir sehen die Möglichkeit noch nicht ein, wie es sich ändern könnte. Aber auch schon das, was wir bisher uns vorgehalten haben, wie schwer ist es zu begränzen, wie wenig können wir sicher sein, die rechte Linie zu treffen, wo sich scheiden die Waffen des Geistes und Fleisches. | Denn wie kann ich sagen, soll mir das gleichgültig sein in Beziehung auf alle Beweise meiner Liebe, meine Freundschaft und Theilname, ob einer aus dem Herrn ist oder nicht? soll ich die Hülfe für das Reich Gottes suchen bei denen, von welchen ich nicht gewiß bin, daß sie aus der Wahrheit sind? soll ich mich nicht denen mehr anschließen, von denen ich Gewißheit habe, daß sie Jünger des Herrn sind, und es recht meinen mit Christus? Welches billige Verlangen des Herzens! wer möchte es tadeln? wer sich selbst eine andre Regel stellen? Aber daß wir nur von einander scheiden das Geistige und Fleischliche. Freilich wenn wir denken, daß überall Alles vom Geist des Herrn ausgeht in der christlichen Kirche, wenn wir nicht unterscheiden können das Irdische und Weltliche vom Geistigen und das Innere von dem Aeußern, so müssen wir wol glauben, daß auch alles Weltliche dann am besten besorgt wird, wenn alle im Dienste der Wahrheit sind! Sollen wir also nicht wünschen, daß am meisten die vermöchten, welche überall den Herrn suchen, sollen wir sie nicht unterstützen in ihren Werken und Unternehmen? Aber doch nicht so, daß wir eine Veranlassung geben, daß ein falscher Schein sich gestalte, daß wir andere verleiten sich das Ansehn zu geben, als wären sie solche, damit sie unserer Hülfe sicher sind, und können wir vertrauen, daß wir immer werden richtig sehen und scheiden. Darum ist das auch, wie es bei dem Herrn war, eine Sache des beständigen Gebets und wir können es nur im Gebet Gott anheim stellen, daß er Alle, die Einfluß haben auf die menschliche Gesell38 können] Kj als können

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schaft, durch seinen Geist erleuchte um hier richtig zu unterscheiden, daß wir nicht auf der einen Seite sein Reich verunreinigen, indem wir durch fleischliche Waffen für dasselbe kämpfen, aber auch auf der andern Seite, daß auch nicht der Eifer gelähmt werde, für sein Reich, daß alles nur gut werden kann, wenn es vom Geiste der Wahrheit geleitet wird; daß wir richtig unterscheiden, aber daß wir uns auch nicht der Gleichgültigkeit hingeben gegen sein Reich, – das muß Sache des Gebets sein. Regeln lassen sich im Allgemeinen dafür nicht geben. Aber so wie wir immer mehr wollen der Wahrheit dienen, so wie wir immer unaufhörlich uns prüfen wollen, ob auch Alles immer aus einem bloß der Wahrheit geweihten Dienst hervorgeht, ob wir auch in allen menschlichen Dingen jedem Gerechtigkeit geben wollen, – aber je mehr sich auch etwas auf das himmlische Reich bezieht, desto mehr dafür streiten, aber nur mit geistlichen Waffen; – wenn unser Wille und unser Herz rein ist, wenn wir nicht mit andern zusammenhalten, sondern mit Gott und dem Herrn, wenn wir im Gebet uns prüfen und seinen Beistand anflehen, – wie sollte da nicht sein Gebet in Erfüllung gehen, daß er uns in der Wahrheit reinigen und heiligen werde, und gereinigt sind wir, wenn wir seinen Dienst nicht durch weltliche Waffen verunreinigen. So möge er uns immer mehr in seiner Wahrheit heiligen; dann werden wir in seinem Dienst sein Reich fördern und gewiß wird es immer reiner und schöner unter uns erblühen! Amen.

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Tex t . Joh. [19], 10–12 „Da sprach Pilatus zu ihm: Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, daß ich Macht habe dich zu kreuzigen und Macht habe dich los zu geben. Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von oben herab gegeben; darum, der mich dir überantwortet hat, der hat es größere Sünde. Von dem an trachtete Pilatus, wie er ihn los machte. Die Juden aber schrieen und sprachen: lässest du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum Könige macht, der ist wider den Kaiser.“ M. a. Fr. Es kann gewiß uns allen nichts wichtiger sein, als so weit nur die Nachrichten die uns nach Gottes Gnade und Weisheit über unsern Erlöser geworden sind, reichen wollen, ihn in allen Augenblicken seines irdischen Lebens, wie er gehandelt, wie er geredet und gedacht hat, so klar und lebendig als möglich vor Augen zu haben, weil es nichts Sicheres für uns giebt, als wenn wir in allen Fällen und in allem, was uns selbst betrifft, unser Auge auf ihn richten. Und wie die Geschichte seiner letzten Tage und seines Leidens uns in dieser Hinsicht mit einer größern Genauigkeit überliefert worden, so giebt es in derselben auch wohl nichts Einzelnes, was wir nicht immer aufs Neue zum fruchtbaren Gegenstand unsers Nachdenkens machen könnten. So auch mit dem, was wir eben gelesen haben. Ich wollte, um unsre Aufmerksamkeit ganz auf den Erlöser zu richten, allein bei seinen Worten stehen bleiben; aber es schien nothwendig, das Folgende hinzuzuziehen, damit uns aus dem Gegensatz sein eigenes Handeln desto deutlicher und heller werde. Wenn wir uns nämlich fragen worauf denn diese Antwort, die Christus dem Pilatus gab, zielte? so ist es offenbar dies, seine 26–9 Vgl. Joh 19,6–9

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Ankläger hatten, nachdem Pilatus schon versichert, nach seinem Urtheil finde er keine Schuld an ihm und keine Ursache des Todes zum Pilatus gesagt, sie hätten aber ein Gesetz nach dem er | sterben müsse, denn er hätte sich selbst zu Gottes Sohn gemacht. Darüber wurde Pilatus, erzählt Johannes, auf besondere Weise aufgeregt und es ergriff ihn ein Schauer, ob nicht doch vielleicht etwas ganz besonders verborgen wäre in diesem Menschen, der auf solche Art in seine Gewalt gegeben war und so nahm er Christus noch einmal vor und sagte: von wannen bist du? Aber der Erlöser antwortete nicht. Dieses, daß er nicht antwortet, da er vor seinem Richter stand, kann uns freilich auch Wunder nehmen, und es hat gewiß seinen Grund nicht darin, daß der Erlöser sich zu sehr über den Pilatus erhaben geglaubt, um ihm Rede zu stehen, denn wie der Apostel Paulus sagt: als die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn als den, welcher unter das Gesetz gethan war, – so hat sich auch der Erlöser überall als solcher bewährt, der unter das Gesetz gethan war und der jedem menschlichen Verhältniß sein Recht wiederfahren ließ. Aber Pilatus hatte schon von ihm und über ihn Erkundigungen eingezogen und war vollkommen von allem unterrichtet, das ihn leiten konnte bei seiner Entscheidung. Nun that er diese Frage aber deshalb, weil die Hohenpriester gesagt, er habe sich zu Gottes Sohn gemacht, von wannen er sei? Das war ein gleichgültiger Umstand für die Sache, darum antwortet Jesus nicht; Pilatus konnte die Sache nehmen wie er wollte, sie konnte nichts dazu beitragen ihn los zu geben, oder zu verdammen. Pilatus aber wundert sich deshalb und nachdem er auch schon vorher seinen Anklägern nicht geantwortet, eben deshalb auch, weil ihre Anklagen nichtig waren, so wundert sich Pilatus doch, daß er ihm auch nicht antwortet, und sagt deshalb: weißt du nicht, daß ich Macht habe dich zu kreuzigen und Macht habe dich los zu geben? Denn das war schon hervorgegangen aus den Anklagen der Abgesandten des hohen Raths, daß sie es auf seinen | Tod angesehen hatten. Nun meint Pilatus, diese Macht, die ihm gegeben sei, fordre doch wirklich so viel Rücksicht von Christo daß er ihm antworte auf seine Fragen? Die Antwort, welche der Erlöser dem Pilatus giebt, versteht man meistens so, als ob er sagen wolle, es sei ihm seine Macht von oben gegeben, wie es denn auch in unserer Uebersetzung steht. Aber Pilatus wußte wohl, daß ihm seine Macht von seinem Oberherrn gegeben sei, und daß die Obrigkeit eine göttliche Einsetzung war, war allen etwas Bekanntes. Der Erlöser redet aber hier nicht von seiner Macht im Allgemeinen, sondern von der Macht, die er über ihn hatte, und zwar der Richterlichen, denn er stand vor ihm an der Stätte des Gerichts. Da sagt er 29 auf ... angesehen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 329

36 redet] redt

12–14 Gal 4,4 23–25 In Joh 18,19–24 antwortet Jesus dem Hohepriester; Schleiermacher bezieht sich vermutlich auf Mt 26,59–63.

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und erinnert ihn daran, daß er an und für sich keine Macht in dieser Beziehung über ihn habe, weil die Macht des Richters erst da anginge, wo gegen das Gesetz etwas begangen ist; aber dergleichen war nicht vor die Ohren des Pilatus gekommen, und auch nicht ein Vergehen gegen die jüdischen Gesetze nachgewiesen, weshalb etwas gegen Jesum konnte ausgeführt werden, wozu die Einwilligung des Pilatus nöthig war. Darum sagt der Erlöser auch, du hast eigentlich keine Macht über mich, aber sie ist dir von Anfang an in dieser Sache gegeben, weil die, welche ganz anders über mich richten sollten, mich dir übergeben haben und darum sagt der Erlöser auch, indem die, welche ganz anders ihn richten sollten, und die dem Pilatus ihn übergeben haben, dieselben waren, darum sagt er, die, welche mich dir überantwortet haben, haben größere Sünde. Fragen wir nun, was war hierbei eigentlich des Erlösers Absicht, indem der Erlöser sagt, die freilich haben die größere Sünde, so sollte er doch daraus nehmen, daß seine Sünde, wenn auch die geringere, doch aber eine wäre, und daß er in Begriff wäre, sich ihrer Sünde theilhaftig zu machen, wenn er ohne weiteren Grund jener Urtheil bestätigen wollte. Und diese Worte thaten auch ihre Wirkung auf Pilatus, und er fühlte wol die eigentliche Absicht und den wahren Sinn der Worte, und wie er noch ergriffen war von der Ahndung, daß doch wol etwas Höheres | in diesem Jesus von Nazareth sei, so sagt Johannes, daß er seitdem besonders danach getrachtet Jesum loszulassen, so daß dieses Wort allein von Anfang an eine Wirkung gethan, wie es denn auch nicht anders sein konnte bei einem Wort des Erlösers. Das ist es eben, worauf ich aufmerksam machen will als auf das eigentliche Thun des Erlösers und diesen Augenblick, daß er nichts Angelegentlicheres hatte, indem er nicht für sich redet, nicht für seine Vertheidigung, was er gegen seine Würde hielt, weil ja gar kein Grund gegen ihn war, indem nicht einmal scheinbar ein Grund gegen ihn dargethan war, aber wie er nun für sich selbst gar nichts redet und thut, so öffnet er seinen Mund nur, um das Gewissen dessen zu wecken vor welchem er stand. Und das ist eben das ganz von sich Absehen, daß das das erste war, was in seiner Seele vorging, so viel als er konnte, für das Gewissen dessen, vor dem er stand und mit dem er zu thun hatte, zu sagen, nicht wie es mit ihm selbst werden würde, nicht was Gott über ihn beschlossen hatte und welchen Einfluß er darauf üben könnte; – aber diesen Einfluß wollte er noch üben, daß er alles that, was er konnte, das Gewissen dessen zu wecken und zu reinigen der über ihn und seine Nebenmenschen richtete. Wenn wir nun auf das Folgende sehen, wie die Abgesandten der Hohenpriester, um die Wirkung dieser Worte des Erlösers zu zerstören zu dem Pilatus sagten, wenn du diesen loslässest, so bist du des Kaisers Freund nicht, so hat das freilich auch den Anschein, als ob sie auch in sein Gewissen 36 der] die

38 um] und

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reden wollten; aber es hat auch nur den leeren Schein. Sie hatten ja da schon vorher gesagt, daß sich Christus habe zum König machen wollen, und Pilatus ihn zweimal gefragt, bist du wirklich ein König? aber nach Allem, was Christus darüber sagte und aus dem ganzen Zusammenhang der Sache wußte er wohl, daß das nicht in solchem Sinne sei, daß irgend etwas wider seinen Oberherrn in diesem Reich des Erlösers enthalten sei, sondern das hatte er als die Wahrheit erkannt, daß der Erlöser es nur meinte von solchem Reich und von solcher Macht, die mit den Dingen | dieser Welt nichts zu schaffen hat. Nun aber waren die Ankläger des Herrn weit entfernt davon, daß sie ihm dergleichen nachweisen konnten, und so hat es auch nur den Schein, als ob sie dem Pilatus ins Gewissen reden wollten; sondern ihre eigentliche Meinung war die, daß wenn er ihn los ließe, sie das vielleicht wenn auch als eine leere, doch scheinbare Anklage gegen ihn gebrauchen wollten, daß er einen los gelassen, der sich für einen König ausgegeben und also seiner Absicht nach einen Aufrührer gegen den Kaiser. So finden wir denn hier den größten Gegensatz den man sich nur denken kann; Christus nur darauf gerichtet was er thun könne, um seinen Richter zu bewegen, daß er nicht sein Gewissen verletzte, seine Ankläger hingegen alles aufbieten, um ihr zu [ ] daß er gegen sein Gewissen handle. Und nun, m. g. Fr.! lohnt es wohl, daß wir uns fragen wohin wir uns denn selbst wenden, daß wir auf das ganze Leben, wie es vor uns liegt, auf Alles, was in der Gemeinde des Herrn und im Umkreis der Dinge, der mit diesen zusammenhängt liegt, daß wir darauf merken, um zu sehen, wie weit wir uns nach dem Bilde des Erlösers in unserm gemeinsamen und öffentlichem Leben und jeder für sich gestalten, oder ob nicht etwas vorkommt, was mehr in der Aehnlichkeit steht mit dem, was die Ankläger des Herrn schaffen. Zuerst ist das Größte und Wichtigste dies, daß es uns in allen gemeinsamen Handlungen sein soll, wie dem Erlöser, das Gewissen oben an zu stellen und alle unsere Kräfte dahin zu richten, daß es allein herrsche. Es ist freilich sehr natürlich, meine geliebten Freunde, wenn einer eine Ueberzeugung für sich gewonnen hat, und auch also gewisse Vorstellungen gefaßt von dem, was gut, nützlich, heilsam, Gott wohlgefällig sei, er alle seine Kräfte daran setzt, das ins Werk zu richten, was er so erkannt, und das Gegentheil abzuwehren. Das ist ein nützlicher und Gott wohlgefälliger Eifer und es sei weit entfernt von mir, den zu mäßigen und zu schwächen. Aber so ist es doch, m. Fr.! daß wir sagen müssen, dieser Eifer beschränkte sich doch auf das, was | unser eigener Antheil ist an dem gemeinsamen Gut und Leben. Aber so wie es darauf ankommt, daß andere mit uns wirken, und daß das Gegenwirken anderer soll überwältigt werden, so lasset uns doch die einfa19 zu] folgt gestrichen wenig und anschließend eine größere Lücke in der Zeile 1–2 Vgl. Joh 19,7

3 Vgl. Joh 18,33.37

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che Frage uns vorlegen, was sollen wir lieber wollen, daß sie mit uns wirken, daß sie auf unsre Seite treten, daß sie befördern helfen, was wir für gut und heilsam halten, aber sie thun es, ohne Ueberzeugung davon zu haben, und wohl gar gegen ihre Ueberzeugung, so daß ein Stachel in ihrer Seele zurück bleibt und wir uns und ihnen Vorwürfe nachher bereiten, die nicht zu tilgen sind. Sollen wir um diesen Preis unsre Ueberzeugung siegen lassen, sollen wir uns da bestreben, daß wir sie auf unsre Seite ziehen, oder sollen wir das als das Höchste halten, daß jeder, was er zu thun und zu wirken hat, handle nach seinem Gewissen. Lasset uns die Frage vorlegen, wenn es doch das Höchste für uns ist, daß die Gemeinde des Herrn allmählig dahin immer mehr komme, sich vor ihm dazustellen ohne Flecken und Tadel, wird das erreicht, wenn jeder auf seine Weise seine Ueberzeugung von dem, was gut und gottgefällig ist, durchzusetzen sucht und durch die Freude, die er daran hat, Flecken in den Seelen anderer entstehen, die er selbst nachher nicht auszutilgen vermag? Da soll uns die Antwort doch nicht schwer fallen, sondern jeder soll sich sagen, lieber den Erfolg Gott anheim stellen, lieber es darauf ankommen lassen, ob das ausgeführt wird, was wir für gut halten, als daran Antheil haben, daß andere gegen ihr Gewissen handeln. Das können wir niemals wieder gut machen, was aber wirklich gut ist und recht und heilsam, das wird der Herr gewiß hinausführen, wenn auch nicht zu unserer Zeit, doch zu anderer. Veranlassen wir aber andre, daß sie gegen ihr Gewissen handeln, dann machen wir uns | einer Sünde schuldig und der größte Theil davon fällt auf uns. Allerdings ist das ein großes Uebel, wenn die Ueberzeugung derer, die Gott gefällig handeln wollen, die alle, wenn auch auf verschiedene Weise von der Liebe zum Erlöser durchdrungen sind, die Alle, denn es handelt sich hier auch von weltlichen Dingen, wollen was recht und gut ist, ein großes Uebel ist es, wenn deren Ueberzeugung weit von einander entfernt ist, und wenn das auch eine Zeitlang ruhig neben einander hingehen kann, so kommt doch früher oder später wol die Zeit, wo diese Verschiedenheit der Ueberzeugung Wirkungen hervorbringt, welche die Freiheit stören. Aber sollte es nicht für den Christen noch ein Band der Einigkeit geben, das alle diese Verschiedenheiten verbindet? Gewiß soll es das; denn sonst gäbe es ja keine allgemeine christliche Kirche. Aber das kann kein andres sein, als daß jeder sein Gewissen bewahrt und daß wir das als die größte Liebe anerkennen, nicht, daß wir suchen, die Ueberzeugung des andern für den Augenblick zu betäuben, um sie für uns zu gewinnen, sondern die größte und rechte Liebe ist die, daß wir jedem helfen sein Gewissen bewahren und daß auch die Anhänglichkeit, der größte Eifer für das, was wir für Recht halten, uns nie dahin bringt, das Geringste zu thun, einen seinem Gewissen untreu zu machen. Freilich, wenn wir jenen Mangel der Einheit, jene Verschiedenheit der Meinungen nie be10–11 Vgl. Eph 5,27; Kol 1,22

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merken an denen, mit welchen zu handeln uns der Herr bestimmt hat, ohne daß uns das schmerzt, und daß jeder es für seine Pflicht halten sollte, daß wir sie PdabeiS helfen, um jeden zu der Ueberzeugung zu bringen von dem, was in den Worten Gottes gegründet ist. Und das soll ja das Bestreben unsers ganzen Lebens sein, und nie sollten wir uns der christlichen Liebe rühmen, wenn das nicht wäre. Aber das ist eine Sache, die sich geziemt für die Zeit der Ruhe, wenn wir in ruhiger Betrachtung uns berathen können mit unsern Brüdern und | Gespräche führen können über dies und jenes. Aber sobald es auf das Handeln ankommt, sobald die Ueberzeugung ins Leben treten soll, dann würden wir uns einer großen Verschuldung schuldig machen, wenn jemals wir einen bewegen wollten, nach unsrer Ueberzeugung zu handeln, wenn sie nicht die unsrige ist; denn dann würde immer sein Gewissen einen Flecken bekommen, der nicht abgewaschen werden kann. Das ist die rechte Art der christlichen Liebe und Wahrheit, wenn sie beide zusammenstehen und wesentlich und unerschütterlich eins sind. Aber fragen wir das Leben, wie viel Ursach haben wir, zu gestehen, daß unser Zustand von dieser Ansicht der Dinge noch weit entfernt ist von dem, was Christus gebietet. Da giebt es so vielen Eifer nicht nur ohne Verstand, denn das ist noch das Geringe, aber auch ohne Liebe gegen die einzelne Seele, mit der wir es eben zu thun haben, immer in der Meinung, das Große und Ganze vor Augen zu haben, immer in der Meinung, die Sache des Herrn zu fördern, aber die einzelne Seele, mit der wir es eben zu thun haben, zerstörend, indem wir sie irre machen in ihrem Gewissen. Das heißt zwei verschiedene große Geschäfte vermischen; aber so wie der Erlöser, mag es nun auf unser Dasein oder Nichtsein, auf unser Wirken oder nicht Wirken, auf unser Fortsetzen oder Aufhören der Thätigkeit in dem Reiche Gottes ankommen, wollen wir mit der größten Sicherheit das thun, sobald wir einem andern gegenüberstehen, und auch dadurch unsre Liebe bekunden, daß wir auf alle Weise dahinstreben für sein Gewissen zu sorgen, daß er nichts gegen dasselbe thue, seine Lage, seine Pflichten und Obliegenheiten recht bedenken, mag es dann für uns oder gegen uns ausfallen. Das, m. g. Fr. ist der einzige Sinn, in dem wir handeln müssen, wenn auch wir unser Gewissen | bewahren wollen, wenn wir die Liebe zur Wahrheit mit der zu den Menschen verbinden wollen, die einzige rechte Art das Reich Gottes zu fördern, – denn worauf soll es anders beruhen, als daß jeder sagt, ich will Gott dem Herrn dienen, was keiner anders kann als nach seiner Ueberzeugung. Und wodurch können wir uns einen bessern Erfolg sichern, wenn es darauf ankommt, irrige Ueberzeugung zu bessern, als wenn wir uns nirgends eindrängen mit unserer Ueberzeugung in das Handeln anderer, damit sie auch nichts anders, als auf die Stimme der Wahrheit, die sie in ihrem Innern vernehmen hören. Ich glaube, daß es nicht nöthig ist, hier 3 wir sie PdabeiS helfen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1093

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viel ins Einzelne zu gehen und Beispiele anzuführen, und die mannigfaltigen Abstufungen anzugeben, in welchen immer noch auch wohlmeinende christliche Gemüther, von diesem einfachen Pfade abweichen und andre zu Handlungen zu verleiten suchen[,] wodurch sie ihr Gewissen verletzen[,] und ihr eigenes Gewissen andern unterzuschieben. Welch großen Schein das auch haben mag von Liebe zum Reiche Gottes und zu Christo, wenn es Gegenstände betrifft, die hiermit in Verbindung stehen, – so müssen wir doch sagen, das kommt aus einem noch nicht recht gereinigten Gemüth. Denn es ist immer das, daß wir zu sehr an einem einzelnen Erfolg hangen und nicht bedenken, daß das Reich Gottes nicht darauf beruht, daß dies oder jenes geschehe, dies oder jenes gehemmt werde. Aber so ist es nicht! Das Reich Gottes kommt nicht mit äußern Geberden und besteht nicht in äußern und einzelnen Dingen, sondern hat keinen andern Grund als die Heiligkeit und Reinigkeit der Gemüther, und diese müssen wir befördern, indem wir uns unsrer selbst entsagen. Das heißt nicht durch Selbstverleugnung Christus nachahmen, wenn wir uns nicht so weit verleugnen können, daß wir für | unsre beste Absicht uns des Beistandes unserer Brüder entschlagen, – wenn sie eine andre Ueberzeugung haben – ich sage, wenn wir diese nicht ertragen können, und dann froh sind, daß es so ist, weil dann nicht die Gewissen verunreinigt werden und jeder sein Gewissen bewahrt, gesetzt auch, es geschieht das Einzelne nicht, wie wir es für gut halten. Wenn wir uns so nicht verleugnen können, dann haben wir es nicht weit gebracht im Reiche Gottes, dann lieben wir an unserm Nächsten nicht ihr eigenes inneres Selbst. So laßt uns denn immer dies Bild des Erlösers fest im Auge halten, lasset uns bedenken, wie wenig ihn Pilatus anging, wie es früher kein Verhältniß zwischen ihnen gegeben hat; wie er wol sehen konnte welchen Ausgang es nehmen würde; doch konnte er den Augenblick nicht verloren sein lassen, wie er so vor ihm stand, noch ein Wort an ihn zu richten um sein Gewissen zu bewahren. Das lasset uns befolgen in allen unsern Angelegenheiten. So wie wir etwas beitragen können für andre, daß wir nie auf etwas andres sehen, als daß sie ihre Gewissen bewahren, dann werden wir gewiß dazu wirken und auf die beste Art, daß, so lange noch eine Verschiedenheit der Ueberzeugung obwaltet, wir doch alle das wissen, worin die wahre reine Gottgefällige Liebe besteht, daß wir den Einzelnen in seinem Innern rein zu halten suchen, damit er nicht verfalle mit seinem Gewissen; denn dann [ ] Aber was hilft uns dieses? wenn vorher einmal wir einen Menschen bewogen haben, gegen sein Gewissen zu handeln. So wird nie im Ganzen die 16 Christus] Christi von etwa vier Zeilen

26 ihn] ihm

27 ihnen] ihm

37 dann] folgt eine Lücke

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Liebe und Wahrheit immer unter uns befestigt werden und beide zusammenstehn und wirken, so werden wir in unserm ganzen Leben und Thun immer dem Bilde dessen näher kommen, der immer in seinem Leben und auch indem er dem Tode entgegen ging, auf nichts anders dachte, als die Seelen, die zu erlösen er gekommen war, zu bewahren, und lasset uns bedenken daß es keine andre Liebe giebt und wir nicht anders sein Reich fördern. Dazu möge er uns alle führen und leiten durch seine Liebe und seinen Geist. Amen.

2 wir] zu ergänzen wohl nie

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Am 2. April 1830 mittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Freitag vor Palmarum, 13 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 4,1–2 Nachschrift; SAr 94, Bl. 74r–82v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Konfirmationspredigt

Confirmationspredigt. d. 2. April 1830. Gesang: 287, 1–5 Rede an die Gemeine 5

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M. a. Fr.! Jährlich kehren uns diese Tage wieder, überall für unsre evangelische Kirche und auch in dieser unserer Stadt zu verschiedenen Zeiten, wo eine Anzahl junger Christen in den Schooß der Gemeine aufgenommen wird. Es sind immer Gott sei Dank, Tage einer allgemeinen Theilname, die doch wol dafür zeugen soll, daß in dem ganzen äußern Umfange der Kirche eine lebendige Ueberzeugung davon ist, worauf das Heil und der Friede der Seele beruht; es sind Tage und sollen Tage sein, vielen Flehens und heißem Gebet gewidmet, weil wir ja wol wissen, daß eben jenes nicht Menschenwerk ist, sondern das Werk der göttlichen Gnade und des Geistes, der von oben kommt. Es sind aber auch Tage einer besondern Rechenschaft, welche die, die zu Dienern des göttlichen Worts verordnet sind, jeder seiner Gemeine und alle ins Gesammt der christlichen Kirche, der sie angehören, schuldig sind, und eben in dieser Beziehung scheint es mir wichtig, mich einmal über das ganze eigentliche Wesen dieser Tage, über das, was dabei von den Dienern des göttlichen Worts kann gefördert werden und was nicht, vor der versammelten Gemeine auszusprechen. Ich weiß dazu nichts besseres, als daß ich mich halte an die Worte des Apostels Paulus, welche wir lesen: 19 auszusprechen] aussprechen 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 287: „Zu dir, Geist Schöpfer, flehen wir“ (Melodie von „Komm, Gott Schöpfer, heiliger Geist“)

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I Cor. IV, 1, 2, „Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener, und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu erfunden werden.“

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Diese Worte m. a. Fr.! beziehen sich allerdings auf das ganze Amt, von dem der Apostel redet; er hat dabei zunächst sich und seine Genossen, die Apostel des Herrn im Sinn, mit denen wir Diener des göttlichen Worts uns allerdings nicht vergleichen wollen, was das Maaß der Gaben des Geistes und den Umfang der Wirksamkeit für die ganze Zeit, daß die Kirche Christi auf Erden bestehen soll, anbelangt; aber denen wir doch gleich sind in ihrem Beruf. Es ist aber gewiß dieses eines der wichtigsten Stücke unsers Amtes, daß wir die christliche Jugend unterweisen und daß wir ihr dann die Thür öffnen in die Gemeine des Herrn. Darum nun ist es billig, daß wir uns fragen, was in dieser Hinsicht kann erachtet werden, sowol in Beziehung auf die einzelnen Seelen, die unserer Leitung anvertraut sind, als in Beziehung auf die ganze Kirche, in die sie treten sollen; was von uns kann verlangt werden und was nicht. | Wenn wir, m. Fr.! den Zustand der christlichen Kirche betrachten, wie er vor uns liegt, welche große Mannigfaltigkeiten der Erscheinung bei der allgemeinen Gleichheit des Namens, denn auf den Einen und denselben Namen taufen sie sich alle; welche Mannigfaltigkeit der Lehre, des Lebens und der Sinnesweise; welch großer Unterschied in der Bahn, die der Geist durchlaufen hat hier und dort. So wie wir nun in dem, was wir zu gleicher Zeit wahrnehmen, weit umher unter allen Völkern, die des christlichen Namens gewürdigt sind, PwieS sehr unterscheiden ein besseres und ein vollkommneres, ein helleres Licht und eine große Masse von Schatten und Dunkel, ein reineres Leben, und eine Mannigfaltigkeit von Flecken und Verirrungen, so ist es auch, wenn wir verschiedene Zeiten mit einander vergleichen. Aber in dieser Hinsicht herrschen zwei verschiedene Ansichten unter uns. Einige gehen davon aus, so wie wir doch nur den Einen Namen haben, auf den sich die Gemeine gründen soll alle Zeit und wir wissen, daß diesem nichts gleich kommt, kein Einzelner, wenn er auch erleuchtet sei und werde von dem göttlichen Geist: so seien auch die natürlich welche ihm die Nächsten und Unmittelbarsten gewesen, auch die Vollkommensten und die ihm an Kraft und Geist am nächsten stehen. Und so sind denn diese voll Bewunderung der ersten Kirche Christi, ihrer Reinheit des Glaubens, ihrer Worte der Liebe, ihrer Hingebung des eigenen Eifers; und an diese schöne Bewunderung schließt sich nur allzu sehr eine düstere Ansicht von dem jetzigen Zustande, so daß er angesehen wird als ein Verfall der christlichen Kirche und als eine Abweichung von der Reinheit des Glaubens und der ungefärb25 PwieS] oder PwirS

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ten Liebe. Wohlan, wenn dem nun wirklich so wäre, m. th. Fr.! sollte es denn immer so bleiben; müßten wir nicht von der göttlichen Gnade hoffen und erwarten, daß es wieder einen Wendepunkt gebe von dem Schlimmern zum Bessern, daß die göttliche Kraft sich dann nicht mehr werde verdunkeln lassen von dem, was in der menschlichen Vernunft und Unvernunft ihr widerstreitet? Daher giebt es denn andre, die einer entgegengesetzten Meinung sind, den Erlöser als den Einen, dem keiner gleich kommt, als den Unvergleichlichen in seinem Verhältniß zu Gott, seinen und unsern Vater, stehen lassen, aber zugeben, die erste Gemeine der Christen, der dieser Ruf noch neu war, die hergekommen waren aus den Fesseln des Judenthums, oder aus dem Wahn | des Heidenthums, sei noch sehr unvollkommen gewesen, nur wenige Einzelne, die Apostel des Herrn und seine Schüler, haben ihm näher gestanden, aber die große Masse der Christen sei sehr weit entfernt gewesen von der Vollkommenheit, die man ihm nur zu sehr beilegt, aber darum sei zu hoffen, daß diese große Masse der Christen immer vollkommener werde, immer mehr durchdrungen von dem Geist des Erlösers und daß so ein Geschlecht nach dem andern dem gemeinsamen Ziel immer näher komme, die Kinder besser seien als die Väter, und so jedes Geschlecht zunehme, bis die Zeit komme, wo die Gemeine des Herrn ihm könne dargestellt werden ohne Flecken und Tadel. Wenn nun die ersten nicht können ohne Hoffnung sein, daß wenn es schlimm geworden ist, es wieder besser werden kann; wenn die letzten zugeben, daß auch die ersten Christen nicht verlassen waren von dem göttlichen Licht, daß immer Einige den Andern den Weg zeigen konnten zu dem, der allein der rechte Weg ist, so mögen wir sagen, daß die Wahrheit in der Mitte liegen mag zwischen beiden. Warum sollen wir nicht zugeben, daß der Geist des Herrn eine große Masse auf einmal nicht durchdringen konnte; warum sollen wir es nicht natürlich finden, daß eine große Menge von Jüdischem sich aus dem frühern eingeschlichen hat, und daß es manche Verdunkelung in der christlichen Kirche gegeben, aber unter diesen unterscheide sich manche helle Zeit, wo der Geist Gottes sich geregt, und das Licht heller geschienen, und der Geist Gottes sich Bahn gemacht hat. Als solch einen Punkt erkennen wir alle die Verbesserung der evangelischen Kirche, in der unsre evangelische Kirche ihren Ursprung genommen hat, und wir müssen diese Zeit sehr herab setzen, wenn wir nicht sagen, darin sei ein so fester Grund gelegt, daß wir hoffen, es werde besser werden mit jedem Geschlecht in Beziehung auf den Geist und das rechte Verständniß des Geistes unsers Herrn. Wenn wir in dieser Hoffnung leben, daß jedes Geschlecht diesem Ziele | immer näher komme, so müssen wir ja hoffen und erwarten, daß so oft junge Christen 3 es] er 19–20 Vgl. Eph 5,27; Kol 1,22

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in die Gemeine aufgenommen werden als rechte Glieder derselben, sie diesen Gang fördern werden, daß sie dem Geschlecht angehören, das schon besser sei, als das, welchem wir selbst angehören, daß sie manche Schaale wegwerfen, die uns noch den Kern verbirgt, von manchem Irrthum und Vorurtheil frei sind, an welchem wir noch hangen, daß sie manches lebendiger ergriffen haben, und daß sich durch sie das Heil in der Wahrheit und lebendigen Liebe immer mehr vervollkommnen werde. Das ist, m. Fr.! eine Hoffnung von der wir uns nicht trennen können und dürfen. Aber wenn wir hierbei zurücksehen auf das Geschäft der Diener des Worts und der Unterweisung der christlichen Jugend, können wir von ihnen verlangen, daß sie sich selbst sollen in Beziehung auf jede solche Gesellschaft, die sie in die Gemeinde der Christen aufnehmen, das Zeugniß geben können, daß in ihnen der Grund gelegt sei, zu einem solchen allgemeinen Fortschritt beizutragen? Wenn ein solcher Anspruch sollte gemacht werden, m. g. Fr.! so weiß ich mich nur zurückzuziehen auf das Wort des Apostels, wir sind auch in diesem Geschäft nichts anders als Diener Christi und Haushalter der Geheimnisse Gottes, und es kann von uns nichts verlangt werden, als daß wir treu erfunden werden. Wir sind Diener Christi, das heißt solche, die überall in ihrem Amte die Menschen ermahnen sollen und darauf hinweisen, daß sie versöhnet sind mit Gott und mit Christo, oder sich sollen versöhnen lassen; wir sind Diener Christi indem wir in seinem Namen die Einladung fortsetzen, die er selbst vorgetragen hat, daß wer Frieden haben wolle für seine Seele, der solle zu ihm kommen, da werde er den rechten Frieden finden. Diese Einladung ergeht von uns immer, so oft das Wort christlicher Lehre aus unserm Munde geht; denn wenn wir reden wollten ohne daß wir Christus darauf bezögen, so hätten wir nicht | in dem Geist des Evangeliums geredet, wir wären nicht Stimmen Christi, sondern ein tönendes Erz, und eine klingende Schelle; das also kann von uns gefordert werden, daß wir überall uns bewähren als solche Diener Christi. Wir sollen aber auch sein Haushalter mit den Geheimnissen Gottes, welche verborgen, aber kund und offenbar geworden, als der Erlöser erschienen war, daß es nicht bleiben konnte mit dem menschlichen Geschlechte bei dem, wozu es gelangt war ohne ihn, daß es nicht bei den Kräften bleiben sollte, die von Anfang an ihm zugetheilt waren; sondern daß es ein neues und besseres werden sollte, indem Gott sandte in die Welt seinen Sohn und mit ihm den Geist der Wahrheit, der es von dem Seinigen nimmt. Dies ist das große Geheimniß, dessen Haushalter wir sind. Aber das Haushalten, m. Fr.! besteht in nichts 24 christlicher] christliche 20–21 Vgl. 2Kor 5,19f 22–24 Vgl. vermutlich Mt 11,28f in Verbindung mit Joh 14,27 27–28 Vgl. 1Kor 13,1 35 Vgl. Gal 4,4; Joh 3,17 u. a. 35–36 Vgl. Joh 16,13–15

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anderm, als dem Mittheilen; denn nicht dazu sind wir Haushalter, um die Geheimnisse Gottes aufzusparen, sie für uns zu behalten, ein gewisses Maaß diesem und jenem zuzumessen, sondern wie der Herr ist unerschöpflich in seiner Freigebigkeit, so will er auch keine andre Haushalter, als die reichlich austheilen und immerdar aus diesem Schatze geben. Aber zu dem Geben gehört auch ein Nehmen; das erste ist das unsre und darin müssen wir treu erfunden werden; das andre ist auf der einen Seite das Werk des göttlichen Geistes, der sich kein Maaß verschreiben läßt, auf der andern das Werk der verschiedensten Umstände und Verhältnisse, unter denen die Einzelnen bis zu diesem Punkte gelangen, wo ihnen die Unterweisung der christlichen Lehre zu Theil wird. Wenn wir uns das Zeugniß geben können, daß wir nichts vorenthalten haben, sondern alles geöffnet, wovon wir jeder fest überzeugt sind, daß es zu dem Heil der christlichen Seelen gereiche, dann sind wir treu erfunden; aber wieviel nun davon in den Seelen haftet, wieviel in das Leben übergeht, wie viel so in ihnen bleibt, daß sie nachher selbst das Mitgetheilte vermehren und ihr Licht leuchten lassen, – das müssen wir dem anheim stellen, von dem Alles kommt und der Alles leitet. An der Hoffnung | aber sollen wir fest halten und jedem Diener des göttlichen Worts soll das Bewußtsein seiner Treue auch die Zuversicht geben, daran fest zu halten, daß auch unter denen, die er eingeführt hat in die Gemeine, solche sein werden, die in dem Kreis, in welchem der Herr sie setzt, ihr Licht so leuchten lassen, daß sie die christliche Wahrheit immer mehr ins Licht setzen und das christliche Leben immer mehr vervollkommnen. Wenn wir nun auf eine andre Weise noch auf das sehen, was die Bearbeitung und das Heil der einzelnen Seelen betrifft, was verlangen wir da? So gewiß, m. Fr.! als wir glauben an eine Erlösung durch Christum, so gewiß glauben wir auch an eine Veränderung, die in dem Menschen vorgeht dadurch, daß er in Verbindung tritt mit Christo, durch den er empfängt Gaben und Kräfte des Geistes, die er sonst nicht haben könnte. Das verstehen wir, wenn wir von einem Stande der Gnade reden, in dem die Christen sich befinden, und diese Umänderung meinen wir, wenn wir unterscheiden die Wiedergeborenen von den natürlichen Menschen. Wie aber der Herr mannigfaltig ist in der Gestaltung seiner Geschöpfe, so ist er auch mannigfaltig in der Art und Weise, wie diese Kreatur in dem Menschen zu Stande kommt; bei Manchen nicht ohne viele Kämpfe mit den Anfechtungen des Fleisches, nicht ohne Zerknirschung der Seele, bei manchen ist es ein stilles Werk des Friedens, wo dann der Geist sich in einem Stande findet, der nichts zu wünschen übrig läßt, als die Fortdauer desselben. Schon hieraus ist ja wol offenbar, daß dieses Werk des göttlichen Geistes nicht kann gebunden werden an irgend einen bestimmten Augenblick, nicht kann hervorgerufen werden durch irgend eine einzelne Handlung. – Als zuerst am Feste der 41–1 Vgl. Apg 2,14–36

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Pfingsten Petrus im Namen der übrigen Apostel das Evangelium predigte und denen die ihn hörten ans Herz legte und sie ihn fragten, was sollen wir thun, daß wir selig werden? Da sagte er ihnen: „Thut Buße und lasset euch taufen auf den Namen Christi, so werdet auch ihr empfangen diese Gaben des göttlichen Geistes, und so wurden an diesem Tage | hinzugethan bei 2000 Seelen.“ Hatten die wol dem Ausspruch des Apostels: „Thut Buße“ hinreichend genüge geleistet, wenn das Verlangen erst entstanden war dadurch, daß er ihnen vorgehalten, daß sie den Herrn des Friedens gekreuzigt? Aber doch, wenn es auch nur ein Anfang war, und sie strebten nach den Gaben des Geistes, so hatte er frischen Muth, und that sie hinzu, und fragen wir: haben sie alle in dieser Zeit die Gaben des Geistes empfangen, so hängt diese Frage mit der ersten wol so zusammen, daß wir sie nicht unbedingt können bejahen. Vertritt nun eben dieses bei den jungen Christen, daß sie das Bekenntniß ablegen, daß sie wollen Buße thun und den Namen des Herrn als den einzigen bekennen, in dem sie können selig werden, daß sie wollen dafür gehalten werden, Mitglieder zu sein der Gemeine des Herrn, wenn diese Handlung die Stelle vertritt von der Taufe, wie sie gehandhabt wurde von den Aposteln und von der Kirche des Herrn in der ersten Zeit, sollen wir denn nun verlangen, und können wir es, daß in allen einzelnen Seelen das Werk der Buße vollendet sei, daß sie nun aller Gaben des Geistes theilhaftig geworden sind, daß sie durch dieses Ja, welches sie jetzt aussprechen wollen, sie die Frage, ob sie an den Namen dessen, auf den sie in der Zeit, als ihr Bewußtsein noch nicht rege war, getauft sind, festhalten wollen, daß sie durch dieses Ja nun auch schon fest seien im Glauben und in der Liebe? Ach, m. Fr.! daß das Herz fest werde, ist ein köstliches Ding, aber daher auch nicht das Werk einer solchen Jugend, und sehen wir auf unser eigenes Leben, wer sollte wol sagen können, daß schon damals er den Weg eingeschlagen, den er nachher ohne Abweichung verfolgt hat, daß er seitdem immer die Ruhe des Christen genossen ohne alle Störung – wer sollte das wol sagen können? Und so mögen wir auch zuversichtlich sagen, das kann von uns nicht verlangt werden, daß wir es bewirken sollen, und es von Allen, die wir in den Lehren des Evangeliums unterwiesen haben, voraussetzen. Wir wissen es ja, daß diese Unterweisung nicht sein kann | eine besondere Bearbeitung der einzelnen Seele, wenn Einer es mit so vielen Vielen zu thun hat; ja, wir wissen aus vielen andern Gründen, daß es nicht möglich ist diesen Eintritt bloß durch unsre Ueberzeugung zu begründen. Denn wieviel Aeußeres hängt nicht damit zusammen, in wie kurze Zeit ist nicht diese Unterweisung der Jugend eingeschränkt, wenn wir auch alles mögliche thun, nicht nur sie zu verlängern, sondern 35 vielen] vielleicht irrtümlich nicht gestrichen 2–3 Vgl. Apg 2,37 3–6 Apg 2,38.41 4,12 25–26 Hebr 13,9

8–9 Vgl. Apg 2,23.36

15–16 Vgl. Apg

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auch sie auszustatten mit allem, was nur immer unsre Gaben und Kräfte uns gestatten, wie kurz doch! Und wenn wir nun finden, daß Einige durch unsre Unterweisung gefördert sind, andre aber weniger, so können wir diese doch nicht zurückhalten, denn wer kann sagen, daß er in solch einem Verhältniß eine genaue Kenntniß hat von jedem, wer kann das verborgene Wirken des göttlichen Geistes so sicher erkennen, und wie viel äußerliche Verhältnisse in unserm bürgerlichen Leben giebt es nicht, wo verlangt wird, daß wer hineintritt, der soll ein solcher sein, daß er kann für sein Thun und Lassen verantwortlich gemacht werden als ein Glied der christlichen Gemeine. Daß dieses gefordert wird in so vielen äußern Verhältnissen, das kann uns auf der einen Seite als eine große Unvollkommenheit erscheinen, aber fragen wir uns: mögten wir es missen? Ich getraue mir nicht, diese Frage mit Ja zu beantworten. Es ist ja schön, daß das öffentliche Leben eine so genaue Verbindung anerkennt zwischen dem Irdischen und Geistigen, daß es einen solchen Werth darauf legt, daß jeder, der in dasselbe eingreifen will, sich als Mitglied des Bundes ausweisen kann, von dem alle Segnungen ausgehen, und diesen innigen Zusammenhang, ich möchte ihn nicht auflösen; aber doch scheint er das zu beschränken, was das Werk dessen ist, was von dem christlichen Leben insbesondere ausgeht. So lasset uns denn das Eine mit dem andern haben und zufrieden sein, daß es so unter uns ist, aber auch nicht mehr von denen fordern, von denen wir dieses Ja verlangen, und von denen, die sie der Gemeine darstellen, als in der Natur der Sache liegt. Wenn wir also sagen wollten, dies Ja, bei dem Glauben zu beharren, in | welchen sie unterwiesen sind, dieses Ja, alle heiligen Pflichten als Mitglieder der christlichen Kirche zu erfüllen, wenn wir sagen wollten, es müsse kommen aus einem ganz festgewordenen Herzen, so würden wir zu viel verlangen; aber wenn wir sagen, das ist zu erwarten, daß es komme aus einem Verlangen und einem Hoffen, aus einem Herzen, das sicher ahndet, daß es auf diesem Wege finden wird, was es vielleicht nicht hatte, welches durchdrungen ist von diesem großen Unterschiede zwischen dem Leben, wo von dem Geheimniß Gottes die Rede ist, und dem, wie es uns ohne dies wäre, daß es aus einem solchen verlangenden, sehnenden und gläubig ahnenden Herzen komme, – ja das können wir verlangen. Ist das auch ein Werk der Treue? Sind auch da die verantwortlich, die das große Geschäft der Unterweisung der Jugend theilen? Um diese Frage zu beantworten, so laßt uns fragen, wie beginnen sie es denn? woher empfangen sie die Jugend, die sie in der christlichen Lehre unterweisen? Welche große Verschiedenheit! Im Ganzen empfangen sie dieselbe aus den christlichen Häusern, denen Gott sie geschenkt hat; im Ganzen empfangen sie sie aus einem frühern kindlichen Unterricht, dem auch zum Theil die Wahrheiten des Heils schon beigemischt waren; – aber welch’ großer Unterschied in Beziehung auf die Ehrfurcht, mit welcher sie diese Gegenstände behandeln, in Beziehung auf den Werth, der ihnen beigelegt wird, in Beziehung auf die Sorgfalt, mit der danach gefragt wird, was denn nun begründet werde in

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ihnen durch diese Unterweisung; – welch großer Unterschied! wie viele Hindernisse auf der einen Seite, wie viel Förderungen auf der andern! Diese Mannigfaltigkeit zur Einheit zu bringen das soll freilich auch das Werk und die Frucht der christlichen Gemeinde sein, daß alle allmählig vereinigt werden zu Einem Sinn und Einem Ganzen und so Eine Herrschaft christlicher Leitung der Jugend immer mehr überhand nehme in allen christlichen Häusern. Aber von den Dienern des göttlichen Wortes allein und von ihrer Treue allein, kann man dies nicht verlangen, und darum müssen sie auch in denen, die sie in die Gemeinde einführen, eine große Mannigfaltigkeit | und vielfältige Abstufung voraussetzen und sich dabei begnügen. Aber gewiß fehlt es nicht, wo diese Treue vorhanden ist, wo dies Wort der Lehre von Herzen gekommen ist, daß es nicht auch sollte wieder zu Herzen gegangen sein; wo ein solches Streben vorhanden ist, das Licht der Wahrheit in ihren Herzen anzuzünden, daß nicht sollte ein Schein davon aufgegangen sein, – fruchtlos kann das Werk niemals sein, wenn es nur mit Eifer getrieben wird! Aber wenn nun der Jugend noch so manche Kämpfe des Lebens bevorstehen, nach den verschiedenen Verhältnissen, bis das Herz fest geworden ist; wenn sie die Laufbahn des christlichen Lebens nun erst beginnen und noch viel vor ihnen liegt, bis sie einen festen Tritt gewonnen haben und man von ihnen sagen kann, daß sie mit jedem Tage dem Ziele näher kommen, – was können wir anders thun, als wenn wir sie mit freudigem Willen aufnehmen, wir sie nun auch begleiten mit unserm christlichen Gebet. Und dazu empfehle ich diese Jugend der Gemeinde, nicht nur der hier anwesenden, nicht nur der, welche sich in diesem Hause zu versammeln pflegt, und darum nicht nur diese Jugend, sondern alle christliche Jugend, die in dieser Zeit in unsere evangelische Kirche aufgenommen wird, dem treuen Gebet Aller, denen das Wohl der Christen am Herzen liegt an ihrem und unserm Ort!

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Die Namen der Kinder Nun empfehle ich sie herzlich dem Gebet und der Theilname der Gemeinde, daß Gott sie zu diesem heiligen Gelübde, welches sie jetzt ablegen wollen, begleite mit seinem Segen, und daß die Wünsche, die wir alle für sie hegen, Erhörung finden wollen oben! Amen. Gesang 344. 17 Vgl. Hebr 13,9 28 Schleiermacher konfirmierte im Jahr 1830 45 Jungen und 41 Mädchen; vgl. Reich: Friedrich Schleiermacher als Pfarrer, S. 436; Wißmann: Religionspädagogik bei Schleiermacher, S. 420. 33 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 344: „Für diese Kinder beten wir“ (Melodie von „Vom Himmel hoch“). Der Text lautet: „Für diese Kinder beten wir, mit heißer Inbrunst, Gott, zu dir, nimm du dich ihrer gnädig an, und leite sie auf ebner Bahn. // Erhalte sie vom Irrthum frei, und mache sie im Glauben treu, und wenn Versuchung ihnen naht, sey du ihr Helfer, Schutz und Rath. // In Schmerz und Kummer tröste sie, und in der Noth verlaß sie nie! Gieb ihnen hier Zufriedenheit, und dort des Himmels Seligkeit.“

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Meine geliebten Kinder! Was ich so eben zu der versammelten Gemeinde geredet habe, das werdet Ihr gewiß | nicht so verstanden haben, als wollte ich es Euch nun in gewissem Sinne gleichgültig machen, was heut mit Euch vorgeht, als hätte ich zu verstehen geben wollen, es komme nicht so viel darauf an, das Versäumte könne wieder gut gemacht werden, was jetzt versäumt sei, das könne in der Zukunft geschehen; denn das Alles ist freilich wahr, aber nicht auf solche Weise wahr, daß es für Euch den heiligen Ernst dieser Stunde irgend verringere, daß es Euch einen leichten Sinn mittheilen könnte in diesem für das ganze Leben der Christen so wichtigen Augenblick. Denn eben indem ich sagte, das „Ja“, das ihr ablegen werdet, sollte aus einem Herzen kommen und aus einem Geist, dem eine gläubige Ahndung wenigstens beiwohnt von dem Heiligen, so habe ich gedacht, das würde und müßte in Euch allen ohne Ausnahme statt finden, daß, so wir finden, daß der Mensch nicht für sich allein gemacht ist, und nicht für sich allein bestehen kann, sondern das Leben aus einem beständigen Geben und Nehmen zusammengesetzt ist, und er um desto weiter reicht und desto reicheres Leben genießen kann, je mehr er in weiterer Gemeinschaft lebt, daß das in Euch allen feststeht, Ihr wüßtet keine andere und bessere um das Heil Eurer Seele ernst zu schaffen, um im Guten und Wahren fortzuschreiten, als eben diese auf dem Namen Christi gegründete, durch das Wort des Herrn erleuchtete, durch seine treuen Diener aus der Finsterniß dem Licht näher gebrachte Kirche, in die ich Euch jetzt aufnehme. Wenn das in Euch feststeht, so eignet Euch auch jenes Wort der Jünger an, als Christus sie fragte, „wollt Ihr auch hinter euch gehen“? und sie ihm antworteten: „wo sollen wir hingehen? Herr, du hast Worte des ewigen Lebens“! Wenn Ihr das auch dem Herrn sagt, der Euch fragt, wollt Ihr nicht denen folgen, die ihr Heil auf nichts anders gründen, als die lebendige Gemeinschaft mit ihm? Wenn Ihr ihm eben so antwortet, dann werdet Ihr Zeitlebens diese Stunde segnen können, dann werdet Ihr die Erfahrung machen von dem Heil, das Euch in ihm geworden, dann werdet Ihr ihm immer treu bleiben, und von ihm empfangen ein geistiges Gut nach dem andern, bis das Herz fest wird und Ihr vollkommen fest werdet in | dem Herrn. Indem ich Euch aber nun, meine theuren Kinder, aus dem Unterricht entlasse, den ich Euch bis jetzt ertheilt habe, so löse ich nun das Band, welches zwischen uns bestanden hat und ich will Euch nicht vorenthalten dieses. Es löst sich für Euch auf vollkommene Weise und ich lasse Euch jetzt in diesem Augenblick ganz frei von mir. Ihr seid mir überwiesen, Einige aus eigener, vorgefaßter Meinung, andre durch einen eben so bestimmten Wunsch und Willen ihrer Eltern und Angehörigen, Andre aber mehr auf Veranlassung der äu23–25 Vgl. Joh 6,67f

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ßern Umstände; – so wenig diese eben deshalb können an mich gebunden bleiben, eben so lasse ich auch Euch Alle frei. Euch gehört jetzt die ganze evangelische Kirche, in die Ihr tretet, zu Eurem Eigenthum, wo Ihr am besten glaubt Erleuchtung zu erhalten für Euren Verstand, lebendige Auffassung Eures Herzens, um im Glauben an das Wort Gottes fest zu werden, – wo Ihr glaubt, dies zu finden, dahin geht und wendet Euch. Ihr seid an mich nicht weiter gebunden, nur das Ziel wollte ich, daß Ihr alle im Auge behaltet als Christen, daß Ihr immer frei werdet im Geist und nicht Knechte des Buchstabens und der Menschensatzung, daß Ihr immer lebendiger werdet in der Liebe und frei von Allem, was nur menschliches Gesetz und äußerer Gebrauch ist, wo Ihr Euch befindet in der Freiheit der Kinder Gottes, wo Ihr Euch dieser Herrschaft christlichen Geistes erfreuen könnt, wo Ihr Euch in diesem Leben des Geistes am besten stärken könnt, da suchet auch Eure Erbauung, die Nahrung und Stärkung seines Geistes. Aber von meiner Seite ist es anders. Ich bleibe Allen denen, welchen ich jetzt die Thüre in die Gemeinde des Herrn eröffne, ich bleibe ihnen verbunden und verpflichtet, so lange Gott mich auf dieser Erde erhält. Sollte durch meine Schuld an Einem etwas verabsäumt sein, sollte zu früh für Einen dieser heilige und große Schritt geschehen sein, – so hat er das Recht sich an mich zu halten, von mir zu jeder andern Zeit zu fordern die Belehrung, die ich ihm schuldig geblieben, von mir zu fordern die Anfassung des Herzens, deren er bedarf um im Glauben fest zu werden. | Und dazu, meine Geliebte, werdet Ihr mir Alle immer gleich willkommen sein bis zum Ende meines Lebens und Wirkens. Aber weder auf mich, noch auf andre Diener des göttlichen Worts sollt Ihr bauen, sondern vor allen weise ich Euch an die heilige Schrift, welche die ältesten Zeugnisse unsers christlichen Glaubens, die eigenen Worte unsers Herrn und Erlösers, die treuen und unverfälschten Züge seines Bildes uns allen aufbewahrt und darstellt. Ihr wisset, meine Lieben, wie ich es in dieser Hinsicht mit Euch gehalten. Ich habe Euch nie einzelne Stellen der heiligen Schrift dazu gegeben, daß Ihr sie einprägen sollt Eurem Gedächtniß, keine solche Werke des Buchstabens habe ich von Euch gefordert, so sehr das auch sonst christliche Sitte ist und Gebrauch in dieser Unterweisung und ich es auch nicht tadle. Wonach ich aber mehr getrachtet, ist dies: Ich habe Euch nach meinen besten Kräften und nach dem Maaß meiner Erkenntniß einzuführen gesucht in den Sinn und Geist der Schrift; ich habe die wichtigsten Abschnitte der Schrift mit Euch gelesen nach ihrem Zusammenhange, und Euch Anleitung gegeben, aus dem Buchstaben den innern Geist und Sinn zu erkennen und festzuhalten, und darum glaube ich, auch ohne daß ich solche Werke des Gedächtnisses von Euch verlangte, nun auch die heilige Schrift Euch empfehlen zu können zu Eurem eigenen Gebrauch. Ihr habt aus öfteren Wiederholungen erfahren, wie unerschöpflich reich der 11 Vgl. Röm 8,21

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Sinn solcher heiligen Worte ist, wie immer in anderer Zusammenstellung man Neues und Neues aus ihnen lernt, und darin offenbart sich noch immer die Göttlichkeit dieses heiligen Buches und die Fülle des göttlichen Geistes, aus welchem es hervorgegangen ist; Ihr werdet, wenn Ihr Euch desselben Fleißes bedient, wenn Ihr nicht die Gelegenheit versäumt, wo ausführlicher aus der heiligen Schrift christliche Wahrheiten entwickelt werden, niemals rathlos sein. Was auch vorkommen mag in Eurem Leben, vergegenwärtigt Euch das Bild des Erlösers; wenn sich etwas Unreines in Eure Absichten | mischen will, haltet Euch sein Bild vor, gedenket an die Lehren, die er und seine Jünger uns gegeben haben, überleget, was sie auf dem heiligen Grund des Glaubens und der Liebe sagen, forschet in Euch selbst nach der Stimme des göttlichen Geistes, der allein Geistiges geistig richten lehrt, und wendet Euch immer zum heiligen Wort der Schrift, o so werdet Ihr immer zunehmen an Erkenntniß und Wahrheit. Insonderheit aber weise ich Euch nun, meine Geliebten, an dieses heilige Gedächtnißmahl des Herrn, mit dessen Genuß Ihr die Erinnerung Eures Taufbundes besiegelt, durch dessen Genuß Ihr zuerst eintretet in die Reihen der Gemeindeglieder des Herrn. Auch hier habe ich Euch nach bestem Vermögen festzuhalten gesucht beim Geist und zu lösen von dem Buchstaben den Geist und allen Streit für den Buchstaben. So sei denn auch hierin alles Leben für Euch Geist, trauet dem verheißenen Segen, den der Herr selbst auf dieses Mahl gelegt hat, und welche die Erfahrung aller Christen bestätigt. Nehmet das ernste Wort des Apostels zu Herzen; daß der Mensch sich zuvor prüfe, ehe er von diesem Brot esse, und aus diesem Kelch trinke. Das menschliche Leben wahrlich ist so verwickelt in allen seinen verschiedenen Gestaltungen, so bunt und so mannigfaltig, es zieht uns so oft in das Vergängliche und Nichtige, daß jeder es nöthig hat, zuweilen einzukehren in sich selbst, Rechenschaft zu geben bei sich selbst und von sich selbst und dazu lasset Euch die Wiederholung dieser heiligen Handlung, die so eigends dazu auffordert, empfohlen sein. Aber auch das will ich nicht gesagt haben, daß es euch werden soll zu einem störenden und beengenden Buchstaben. Es giebt Augenblicke der Erhebung in der versammelten Gemeine der Christen beim Anhören des göttlichen Wortes, wenn irgend etwas besonders das Herz trifft, und sind es Christen, welche mit euch den Bund, | den der Erlöser mit ihnen gemacht hat, an dem Tische des Herrn erneuern wollen, o, dann, auch ohne vorbereitet zu sein auf äußerliche Weise, nahet getrost hinzu und der Segen des Herrn wird Euch niemals entgehen. Und nun indem ich Euch aufnehme 29 eigends] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1534 11–12 Vgl. wohl 1Kor 2,12–15 23–24 Vgl. 1Kor 11,28 37–5 Zum Reformationsjubiläum 1817 war in Preußen die Union von lutherischen und reformierten Gemeinden zur evangelischen Kirche eingeführt und in Berlin am 30. Oktober durch eine gemeinsame Abendmahlsfeier unter Anwesenheit des Königs zum Ausdruck gebracht worden.

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zu Gliedern dieser vereinigten evangelischen Kirche, so werdet Ihr auch in dieser Beziehung freier von den äußern Schranken und von dem Gesetze des Buchstabens als es Eure Vorältern waren. Die Scheidewand, welche die verschiedenen Gemeinschaften der evangelischen Kirche trennte, ist unter uns gefallen; führt Euch Euer Lebensweg hin, wo sie noch besteht, so seid Ihr an keine von beiden gebunden, möget ihr abstammen von Eltern, wie Ihr wollt; wo Ihr sie noch findet, wo Euch das Wort des Herrn am meisten verkündigt wird, wo Ihr am meisten den Geist der Liebe findet, da wendet Euch hin. Und indem Ihr nun eintretet in die Reihe der Christen, welche sich aller Rechte derer, die an den gemeinsamen Herrn und Erlöser glauben, erfreuen, so tretet um mich Alle ein mit dem ganzen vollen Geist der Liebe und als solche, die berufen sind zur rechten Freiheit der Kinder Gottes. Ich habe es nicht unterlassen, Euch hie und da aufmerksam zu machen auf die große Verschiedenheit der Meinungen und Ansichten der Lehre auch in unserer evangelischen Kirche, ich habe mein bestes gethan, um euch fern zu halten von jedem engherzigen Geist, ist habe Euch ausschließlich gewiesen an die Regel des Apostels: Niemand kann Christus einen Herrn nennen, denn nur durch den heiligen Geist; – so sehet denn auch Alle als Eure Brüder an in der Christenheit, die sich zu demselbigen Herrn bekennen, lasset Euch nicht beherrschen durch die Gestalt der Meinung, lasset Euch nicht von der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe trennen, wenn auch ein menschlicher Buchstabe und Urtheil darüber Euch trennt, – suchet, so weit ihr könnt, Alles in der Christenheit zu binden durch den Geist der Liebe, haltet an dem, was in der Gemeinschaft des Herrn Kraft und Leben ist und erhebt Euch über Alles, was Menschen dazu oder davon thun können; – haltet Euch zu denen, | die in Allen das geistige Leben fördern wollen, wie verschieden auch die äußern Formen seien, die sehet alle an als eure Mitarbeiter, hoffet mit ihnen immer fester zu werden, und einigt alles, was durch den Buchstaben getrennt ist, durch den Geist der Liebe, – dann werdet Ihr vollkommene Glieder sein unserer evangelischen Kirche, dann werdet Ihr durch Euer Leben die mannigfachen Uebel der Zeit nicht mehren, sondern mindern, und ihnen entgegen arbeiten in dem ächten, wahren Geist der christlichen Gemeinschaft. Das, meine Geliebte, sind meine letzten Rathschläge an Euch, es wird sich Euch durch dieselben der ganze Zusammenhang unsers bisherigen gemeinsamen Lebens heut wieder vergegenwärtigt haben und auf diesen Grund laßt uns verbunden bleiben in dem Geist und in der Liebe des Herrn. Und nun, meine Geliebte, wie ich meinen ganzen Unterricht geknüpft habe an das alte und einfache Bekenntniß des Glaubens der Christen, wie es uns aus der ersten Kirche überliefert ist, so wiederhole ich Euch dies jetzt um Euch hernach die Frage vorzulegen, ob Ihr Euch zu dem Glauben 12 Vgl. Gal 5,13 in Verbindung mit Röm 8,21

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derselben bekennen und in der Gemeinschaft desselben mit den Gliedern der Gemeinde bleiben wollt, so antwortet mit Eurem freudigen Ja! Das Glaubensbekenntniß: Ich glaube u. s. w. 5

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Indem ich Euch auf dies Bekenntniß in die Gemeinde der evangelischen Kirche aufnehme, frage ich Euch, ob Ihr von Herzen gesonnen seid, alle die heiligen Pflichten zu erfüllen, die Euch die Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe auferlegt, ob Ihr gesonnen seid, Eurem Erlöser lebenslang nachzufolgen, Gott zu lieben von ganzem Herzen und von ganzer Seele und Euren Nächsten als Euch selbst, und treu alle die Mittel benutzen, welche | Euch Gott in der Gemeinschaft mit der Kirche darbietet, auf daß Ihr je länger je mehr gestärkt werdet durch den Glauben. Ist das Euer fester Vorsatz – so antwortet: Ja! Wollt Ihr auch eben dies Gelübde der Gemeinde des Herrn in der Theilname an dem heiligen Abendmahl, welches er den Dienern hinterlassen hat, bekräftigen und so wohl den Genuß dieses, als auch die christliche Gemeinde nicht verlassen, ist auch dies Euer ernster Vorsatz, so antwortet: Ja! So nehme ich Euch denn, nachdem Ihr durch Ablegung dieses Bekenntnisses Euren Taufbund erneuert habt, in die Gemeinschaft der evangelischen Kirche auf und ertheile Euch als verordneter Diener des göttlichen Wortes die Befugniß, an allen Rechten und Pflichten der christlichen Kirche Theil zu nehmen, als solche, deren Haupt ist Christus, dessen Gnade alle über Euch sei, jetzt und immerdar! Amen. Heiliger Gott und Vater! Höre die an, und laß dir wohlgefällig und von dir gesegnet sein das Gelübde, das jetzt gesprochen ist von dieser christlichen Jugend; laß Deinen Geist in ihnen allen walten und wirken, auf daß sie sich aller Segnungen, welche dein Sohn dem menschlichen 4 dies] die 3 Die „Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen“ von 1829 sah innerhalb der Konfirmationsfeier „Das apostolische Glaubensbekenntniß“ vor (Zweiter Theil, S. 9). 5–12 Vgl. Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen 1829, Zweiter Theil S. 9f: „‚Wollet ihr auch die Pflichten erfüllen, zu welchen dieses Glaubens-Bekenntniß euch verbindet, eurem Erlöser lebenslang nachzufolgen, Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe, und euren Nächsten wie euch selbst, und gewissenhaft die Mittel benutzen, die euch Gott gegeben hat, um euch im wahren Christenthum zu stärken? so antwortet: Ja.“ 8–9 Vgl. Mt 22,37–39 (darin Dtn 6,5 und Lev 19,18) 13– 17 Vgl. Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen 1829, Zweiter Theil S. 10: „‚Wollet ihr alle diese Gelübde und Versicherungen mit Jesu heiligem Abendmahl bekräftigen?’ so antwortet: Ja.“ 22 Vgl. Eph 1,22; 4,15; Kol 1,18

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Geschlechte gebracht hat, erfreuen. Laß es ihnen in allen Stunden der Versuchung nicht fehlen an der warnenden Stimme deines Geistes, in allen Widerwärtigkeiten des Lebens nicht fehlen an den tröstlichen Hoffnungen des Glaubens, mitten unter allen Verwickelungen des Lebens niemals fehlen an dem göttlichen Segen der Liebe, die das wahre Band der Vollkommenheit ist, der Liebe, die du uns gegeben hast zum Heil unserer Seelen und für Alle, die berufen sind zur seligen Gemeinschaft. Lasse überall auf dem Wege des Lebens sie suchen und dazu sie benutzen | den Beruf, den du ihnen einst anweisen wirst in der menschlichen Gesellschaft; und gieb ihnen die Gnade, daß sie diesen Frieden genießen überall in ihrem Leben, überall aus dem Wege räumen, was sich demselben widersetzt, damit auch sie in ihrem Leben das Ihre thun, um die Gemeinde des Herrn zu fördern in ihrem Gedeihen, und auf dem rechten Wege zu halten, auf daß sie bereit mit dem Zeugniß vor dir wohlgefällig gewandelt zu haben und im festen Vertrauen auf Deine Gnade dies irdische Leben verlassen können, um sich der seligen Gemeinschaft mit dir und deinem Sohne zu erfreuen in Ewigkeit! Amen. Gesang 346. Einsegnung Vater Unser u. s. w. Gesang 391, v. 4

5–6 Vgl. Kol 3,14 19 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 346: „Geweiht zum Christenthume“ (Melodie von „Nun lob, mein Seel, den Herren“) 22 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 391: „Erbarm dich, Herr!“ (Melodie von „An Wasserflüssen“). Der Text der 4. Strophe lautet: „Ich bin ein Mensch; du kennest mich; wie schwach sind meine Kräfte! doch meine Seele hofft auf dich beim Heiligungsgeschäfte. Du wirst mir gnädig Kraft verleihn, mein Herz je mehr und mehr erneun, vor dir gerecht zu leben. Dafür will ich, dein Eigenthum, o Vater, deines Namens Ruhm in Ewigkeit erheben.“

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Palmarum, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 23,34 Nachschrift; SAr 94, Bl. 83r–89v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Nachschrift; SAr 69, Bl. 11r–18v; Woltersdorff Keine

Wie sind die Worte des Erlösers: „Vater vergieb ihnen; denn sie wissen nicht was sie thun“ zu verstehen? 4 April 1830 Gesang 17. 164. 5

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Tex t . Lucas 23, 34. „Jesus aber sprach: Vater, vergieb ihnen; denn sie wissen nicht, was sie thun.“ Von diesen Worten unsers Erlösers, m. a. Fr.! berichtet uns der Evangelist, daß der Erlöser sie gesprochen habe unmittelbar nachdem man ihn gekreuzigt zwischen den beiden Uebelthätern. Die That, die gegen ihn gerichtet war, die war nunmehr vollbracht, und so wendete sich denn das Auge seines Geistes nun auf dieselbige. Gewiß hat er diese Worte nicht nur gesprochen in Beziehung auf diejenigen, welche das Letzte vollbrachten, ihn an das Kreuz zu heften, wo er seinen Tod finden sollte; denn diese waren nur die Diener der Gerechtigkeit, hätten sie auch gewußt, was sie thaten, sie konnten doch nicht umhin, es zu thun, sie waren nur die willenlosen Werkzeuge und die Schuld ruhte auf andern. Alles also hatte der Erlöser im Auge, was gethan worden war, bis endlich nun die That so weit vollbracht war, als sie in der Menschen Willen stand. Der Name des heutigen Sontags [ ] 19 Sontags] folgt eine Wortlücke; zu ergänzen vielleicht Palmarum oder mit SAr 69, Bl. 11r meine Geliebten 4 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 17: „Mein lieber Gott, gedenke meiner“ (Melodie von „Wer nur den lieben Gott läßt walten“); SAr 69, Bl. 11r nennt stattdessen Nr. 18: „O Gott, du frommer Gott“ (in eigener Melodie); Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 164: „Der am Kreuz ist meine Liebe“ (Melodie von „Freu dich sehr, o meine Seele“) 8– 10 Vgl. Lk 23,33 14–15 Vgl. 2Kor 11,15

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der erinnert uns an jenen letzten Einzug des Erlösers in die Hauptstadt seines Volks, wie er getragen war von den Wünschen und Hoffnungen einer zahllosen Menge, wie seine Jünger und Freunde ihn laut genug verkündigten als den, der da kommen sollte. Aber damals waren schon die ersten Vorbereitungen seiner Widersacher getroffen, damals waren schon ihre Entschlüsse gefaßt und also auch rückwärts von diesem Tage, aber noch mehr von diesem Tage an, was sie seitdem gewirkt und gethan, um es zu vollbringen, das ist es, was er hier meint, indem er zu seinem Vater die Worte spricht: „vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun.“ Wir nun, m. g. Fr.! wir sind auch an das Ende unserer Leidensbetrachtungen gelangt, die ganze Geschichte | derselben liegt vor uns, wir haben nur noch den großen und heiligen Gedächtnißtag übrig, der ganz besonders dem Todes des Erlösers geweiht ist; auch uns geziemt also, nun auf das ganze Werk der Finsterniß, denn anders können wir es doch nicht betrachten, zurück zu sehen. Und davon finden wir nun, daß es der Erlöser so und nicht anders, wie er thut, seinem Vater bezeichnet hat und daß er dies und nichts anders von ihm begehrt, daß er ihnen vergeben möge, weil sie nicht wissen was sie thun. Dieses Wort, m. t. Fr.!, es kann kein unwahres, es kann kein unerhörtes gewesen sein. Laßt uns in den Sinn desselben recht eindringen, laßt es uns zuerst betrachten an und für sich, wie es aus dem göttlichen Gemüth des Erlösers kam; aber dann laßt uns auch auf unser Verhältniß zu demselben achten. Ich sage also, m. a. Fr.! das Wort des Erlösers kann zuerst kein unwahres gewesen sein. Es wäre ein unwahres gewesen, wenn das Nichtwissen, was sie thun, keine Sünde gewesen wäre, denn dann hätte er nicht nöthig gehabt, zu rufen, Vater vergieb ihnen. Was keine Sünde ist, bedarf auch keiner Vergebung. Es wäre ein unerhörtes gewesen, wenn der Vater dem Sohn geweigert hätte, um was er ihn bat; Ja, wenn er nicht in sich selbst schon die vollkommene Gewißheit gehabt hätte, daß es ihm nicht geweigert werden könnte. Das sind also die Stücke, m. g. Fr.! worauf es in Beziehung auf den ganzen großen Sinn dieses Wortes unsers Herrn ankommt und nichts anders. Laßt uns also zuerst bedenken, daß der Erlöser indem er sagt, Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun, eben dieses Nichtwissen, was sie thun, allerdings als eine Sünde, welche der Vergebung bedarf, bezeichnet. Nicht wissen an und für sich, m. g. Fr.! das können wir als keine 16 seinem] seinen 1–2 Vgl. Mt 21,1–10; Mk 11,1–10; Lk 19,29–38; Joh 12,12–19. Die synoptischen Evangelien (Mt, Mk, Lk) kennen nur diesen einen Aufenthalt Jesu in Jerusalem. Von einem „letzten“ Einzug kann nur im Blick auf das Johannesevangelium die Rede sein, weil nach ihm Jesus mehrfach in Jerusalem gewesen ist (vgl. Joh 2,13; 5,1; 7,1–14). 4 Vgl. Mt 21,9; Mk 11,9; Lk 19,38; Joh 12,13 4–6 Dies trifft nur auf die Darstellung im Johannesevangelium zu (vgl. Joh 11,46–57).

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Sünde ansehen; aber thun, wovon wir nicht wissen, was wir thun, und also das Nichtwissen in Beziehung worauf wir doch etwas zu thun haben, das ist die Sünde, welche der Erlöser hier bezeichnet. Wenn der Mensch das Licht der Welt erblickt, so weiß er | noch nichts. Seine Seele ist wie eine unbeschriebene Tafel, Alles, was irgend Wissen und Erkenntniß ist das wird erst allmählig durch die Entwicklung des Lebens in dieselbe hineingezeichnet. Aber wie steht es auch in dieser Zeit um sein Thun? Er thut dann auch nichts, als das, was er willenlos thut, die natürlichen Verrichtungen des thierischen Lebens, mit denen beginnt sein Thun. Das zweite, was er thut, ist schon die Regung der geistigen Natur, welche nach dem Wissen strebt, daß er das Auge öffnet nach den Strahlen des Lichts, um umzuschauen; er erschaut freilich noch nichts, aber das Schauenwollen ist das erste Zeichen, des geistigen Lebens, und mit dem fangen dann zugleich allmählig auch an die freien und willkührlichen Bewegungen, durch die er sich als der Herr seines Daseins, aber freilich als des unmündigen, der noch nicht seinem Willen Raum geben darf, aber doch als der, welcher dazu bestimmt ist, es zu thun, verkündigt. So genau, m. Fr.! hat Gott in die Natur die Uebereinstimmung gelegt, zwischen dem Wissen und Thun, und wo der Mensch sie je verletzt, da ist auch die Sünde. Weiß er und thut nicht nach dem, was er weiß, das ist das, was der Erlöser sagt, der wird doppelte Streiche leiden, denn wem gegeben ist, von dem wird auch gefordert; thut er aber und weiß nicht, was er thut, das ist die Sünde, von welcher der Erlöser hier redet und in Beziehung auf die er sagt, Vater, vergieb ihnen; denn sie wissen nicht was sie thun. Laßt uns jene andre Hälfte jetzt übergehen; ich sage, die andre Hälfte, denn ich glaube nicht, daß einer noch ein drittes aufweisen kann; weiß der Mensch, und thut nicht nach dem, was er weiß, ach, das ist nichts anders, als was der Erlöser kurz vorher, ehe er diese Worte sprach an seinen eigenen liebsten Jüngern bemitleidete und beklagte: der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. Weiß der Mensch, was er zu thun hat, – es ist nothwendig damit eine Regung des Geistes verbunden, das zu thun, was er weiß; denn das wahr zu machen, was er weiß, ist sein Beruf; aber die Willigkeit ist nicht die Kraft; in dem Fleisch liegt nicht die Kraft, sie zum Handeln zu führen und dieses | ist die andere Sünde. Aber diese, m. g. Fr.! nicht wissen, was man thut, das ist die, welche der Erlöser an seinen Feinden fand und in Beziehung auf die er seinen Vater bat: „vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.“ Wissen wir nun, m. a. Fr.! wissen wir etwas, was mehr dem Guten entgegengesetzt sei, kennen wir ein größeres Widerstreben gegen Gott, kennen wir eine größere Nichtachtung und Wegwerfung alles dessen, was einen heilsamen, einen tiefern, einen umwendenden und zu Gott bekehrenden Eindruck auf das Gemüth hätte machen müssen, als den Erlöser der Welt, wie er sich gezeigt 20–21 Vgl. Lk 12,47f

27–29 Vgl. Mt 26,37.40

29 Mt 26,41

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hier, wie er gelebt hatte, wie er geredet und gelehrt hatte, den darzustellen als einen Bösewicht und zum Tode zu führen als einen, der Gott gelästert? Gewiß, m. G., wir wissen nichts Aergeres und wenn wir das Allerschlimmste im Menschen bezeichnen wollen, das Gefährlichste und Widerwärtigste, die größte Feindschaft gegen das Gute, was haben wir für ein stärkeres Wort, wir, die wir uns des Glaubens an den Erlöser, der Gemeinschaft mit unserm Erlöser rühmen, als: ihr werdet ihn zum zweitenmale kreuzigen, und eben dies bezeichnet der Erlöser, daß es nichts anders gewesen wäre als ein Nichtwissen, was sie thäten. Ja, m. g. Fr.! gäbe es ein Erkennen des Bösen als solchem, als das dem göttlichen Willen und deshalb auch dem eigenen Wohl des Menschen, indem der göttliche Wille über denselben ja nichts ist als die Liebe zu ihm, gäbe es ein Erkennen des Bösen als dem allem entgegen und doch eine Liebe und Lust daran, der Erlöser hätte doch keine andre und stärkere Bezeichnung dafür gewußt, so wie wir auch keine andre wissen, als: sie wissen nicht, was sie thun, sie wissen nicht, was sie über sich selbst thun, indem sie überall den eigenen Willen dem göttlichen vorziehen, indem sie sich von der Bahn entfernen, die ihnen vorgeschrieben ist und ihren eigenen Weg gehen, der sie ins Verderben führt, sie wissen nicht, was sie thun, das | umfaßt alles, das ist das stärkste, was von Verdunkelung und Verkehrtheit der menschlichen Seele gesagt werden kann. Und so, m. g. Fr.! aber auch nur so, vereinigt sich das Wort des Erlösers mit unserm eigenen Gefühl, nicht als ob wir glauben wollten, er habe bei sich selbst und also auch, indem er zu seinem Vater geredet, aus Mitleid und Barmherzigkeit die Sünde seiner Feinde geringer darstellen wollen, als sie war. Das kann der, welcher von sich selbst sagt, daß er die Wahrheit war, nicht gethan haben, und wer es gethan hätte, der hätte auch nicht können der Erlöser der Welt sein. Denn achtete er das Böse geringer, als das Wahre, so wußte er ja auch nicht, was er that, indem er unternahm, es weg zu schaffen; licht und hell muß der Erlöser gewesen sein über Alles, was in dem Menschen war, über alles, was böse war, und nur wahr konnte er ja sein gegen sich und gegen seinen Vater. So also nicht, m. G. – Aber indem wir daran denken, daß wir keinen größern und stärkern Ausdruck haben für das Böse, als die Aehnlichkeit mit dem, was damals geschah, und daß wir auch wieder sagen müssen, dem Schlimmsten liegt doch wieder ein Verkennen und Nichtwissen, was man will, zum Grunde, so vereinigt sich sein Wort mit unserm Gefühl. Und so werden wir denn freilich sagen müssen, m. t. Fr.! es ist ein trauriger Zustand, wenn von den Menschen kann und muß gesagt werden: der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach; aber es ist doch die gelindeste Gestalt des Bösen. Aber nicht wissen, was sie thun, das ist das Loos der Feinde des Erlösers, das ist das Werk derer, welche, so weit sie konnten, das Werk des Erlösers zurückhalten wollten, das ist die traurigste, 7 Vgl. Hebr 6,6

25 Vgl. Joh 14,6

38 Mt 26,41

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die dunkelste Gestalt des Bösen. Aber das, m. g. Fr.! müssen wir auch erst recht ins Auge gefaßt haben und es uns lebendig vergegenwärtigen, wenn wir verstehen wollen, daß der Erlöser dennoch sagte, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Hat er das so gemeint, m. g. Fr.! als ob eben dieses Nichtwissen, was sie thun, etwas wäre, das schon von selbst müßte vergeben werden, daß jeder es dem andern müsse zu Gute halten, weil eben und wie Gott es allen zu Gute halte, dann, m. g. Fr.! hätte er auch | seine Bitte nicht gesprochen, dann wäre es auch für ihn etwas gewesen, was sich von selbst verstanden hätte und wie er doch was er mit seinem Vater redete, laut redete, nur um derentwillen, welche es etwa hören konnten, so hat er auch gewollt, daß wir das als seine Bitte ansehen, aber als seine Bitte, zu der er auch ein bestimmtes Recht hatte, und deren Erfüllung er bestimmt erwarten konnte, indem er sie so seinem Vater vorgetragen hat. Und darum führt uns nun das, m. g. Fr.! zu dem andern, daß nämlich dies Wort des Erlösers auch gewiß nicht ein unerhörtes gewesen ist. Die Gewißheit hatte er und hatte sie auch laut ausgesprochen, „du erhörest mich immer“; er konnte nichts anders bitten, als was erhöret war von seinem Vater und er sprach es als Bitte aus, nur um die, welche es hörten. Es war die Gewißheit dann schon in seinem Herzen, so gewiß als er und der Vater eins war, der ihm alles zeigte, und er hatte ihm also auch das gezeigt, und weil er es ihm gezeigt, wußte er es und wie er es wußte mit der lebendigen Zuversicht, sprach er [es] aus. Aber es ist nichts, was an sich selbst schon vergeben wäre, eben deshalb weil es die Sünde ist, eben deshalb um so mehr, weil es die dunkelste Gestalt der Sünde ist. Wie konnte die für und von sich selbst vergeben werden? Denn vergeben ist doch die Sünde nur, wenn sie selbst und in allen ihren Folgen aufgehoben ist und vernichtet; aber erinnern wir uns nicht, so oft wir Gott Dank sagen für die Erlösung durch Christum, wenn wir im Begriff sind, uns zu seinem heiligen Mahle zu nahen, erinnern wir uns nicht immer daran, daß Gott die Sünde nicht konnte ungestört herrschen lassen? Darin liegt aber, daß sie nicht an und für sich selbst konnte vergeben sein. Wenn der Mensch nicht weiß, was er thut, wie sollte es zugehen, daß er das Recht erkennt. Das Recht ist nur Eins; aber unendlich weit breiten sich zu beiden Seiten von ihm aus das Falsche und Verkehrte. Hat er den rechten Weg, die einfache grade Linie des Wahren und Guten verloren, so ist er auch nicht mehr Herr darüber, wie weit er sich von ihr entfernt und weiß er nicht, | was er thut, wie sollte es wol zugehen, und mit welchem Wunder daß er grade auf dieser Einen schmalen Linie wandeln sollte. Weiß der Mensch aber nicht, was er thut, so muß alles sein Thun dem göttlichen hinderlich sein, so muß er selbst, so 8 dann] denn 16–17 Vgl. Joh 11,41f

20 Vgl. Joh 10,30 in Verbindung mit 5,20

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weit seine Kräfte reichen, wie er verkehrten Weges geht, so auch Alles in diese Verkehrtheit ziehen, und betrachten wir in diesem menschlichen Leben alle Verirrungen der Leidenschaften, alle Wirkungen der Vorurtheile, wovon geht es anders aus, als von diesem unseligen Nichtwissen, was man thut; aber der Erlöser konnte sagen, „vergieb ihnen; denn sie wissen nicht was sie thun“, eben deswegen, weil er gekommen war, die Sünde aufzuheben. Aufgehoben aber konnte diese Sünde nur dadurch werden, daß den Menschen die Augen des Geistes geöffnet wurden, um zu wissen, was sie thun, so wie jene Sünde, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach, nicht anders aufgehoben werden kann, als daß eine Fülle von geistiger Kraft den Menschen mitgetheilt wird, um das Fleisch willig zu machen, dem Geist zu gehorchen. Wie nun letzteres in dem Erlöser war, wie die göttliche Kraft, durch welche er selbst ohne Sünde war, und nichts anders that, als den Willen seines Vaters und sich denen mittheilt die sich zu ihm verhalten wollen wie die Reben zu dem Weinstock und an ihn halten, die ihn als das lebendige Brot genießen wollen und sich von ihm nähren, die sein Fleisch essen wollen und sein Blut trinken, damit sie sich ganz mit ihm vereinigen[,] und anders nicht als auf ähnliche Weise konnte auch sie aufgehoben werden. Er mußte wissen, was er that, wie er selbst sagt, der Vater zeige ihm alle Werke, und wie er sie ihm zeige, so thue er sie. So ist er von Anfang an den lichten Weg gegangen zu wissen was er that und auch alles zu thun, was er wußte, als den Willen seines himmlischen Vaters. Aber dadurch, daß er allein das wußte, daß er allein es gethan, dadurch wäre die Herrschaft der Sünde nicht weggenommen; aber darum lud er die Menschen so freundlich ein, bei ihm Ruhe und Erquickung zu suchen, und wodurch? Dadurch, daß er sie frei machte, und warum wollte er sie frei machen? damit sie wüßten, was sie thun; und wodurch wollte er sie frei machen? dadurch, daß er sie | die Wahrheit lehrte. Ist der Mensch frei, der diese nicht kennt? Er ist ein Spiel seiner Leidenschaften und ein Werkzeug seiner Willkühr. Wenn aber der Mensch die Wahrheit erkennt, auf welche andre Weise soll er anfangen, und welche andre soll ihm die heilsame sein, als daß er die Wahrheit seines eigenen Seins und Lebens erkennt, und die erkennen wir in dem, der von sich sagt, er sei die Wahrheit, und der auf dieselbe Weise sagt: die Wahrheit wird euch frei machen, wenn ihr an meiner Rede bleibet, und der Sohn wird euch frei machen und nur der kann euch frei machen. Darauf mußte er zurück sehen, m. Fr.! als er angenagelt war ans Kreuz und diese Worte zu seinem Vater sprach; darauf mußte er zurück sehen, daß er gesandt war, um die Wahrheit zu verkünden wie er seinen Jüngern sagt, er 9 Mt 26,41 14–15 Vgl. Joh 15,5 15–16 Vgl. Joh 6,51, ferner 35 u. ö. 16– 17 Vgl. Joh 6,53–56 19–20 Vgl. Joh 5,19f 24–25 Vgl. vor allem Mt 11,28f 33 Vgl. Joh 14,6 34 Joh 8,32 35 Vgl. Joh 8,36 38–2 Vgl. vermutlich Joh 15,15

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habe ihnen nicht vorenthalten, von dem Willen Gottes, was Gott ihm offenbart habe er ihnen mitgetheilt, und wenn sie seine Gebote hielten, so würden sie in seiner Liebe bleiben, und dann würde ihre Freude vollkommen sein, und das kann nur denen geschehen, welche wissen, was sie thun. Wo sollte in einem Menschen die Freude ungetrübt und vollkommen sein, der in solchem Unbewußtsein hingeht, und so an alle Zufälligkeiten des menschlichen Lebens gewiesen ist und ihnen anheim gegeben, wo sollte der wissen, was er thut, welcher stets in Verwirrung sein müßte zwischen dem, was ihn treibt als Liebe zu sich selbst, welche dann aber auch nicht weiß, was sie thut, und zwischen dem, was ihm die Liebe zu seinem Nächsten zu gebieten scheint, die aber dann auch nicht besser sein kann, als die Liebe zu ihm selbst, und zwischen dem, was ihm vorschwebt ganz dunkel als die Liebe zu Gott. In der Liebe des Erlösers bleiben, heißt in der Liebe bleiben, welche allein dieses alles zusammen recht ist, und das ist das Wissen, was man thut, davon nur kann es ausgehen und darauf beruhen. Wie er nun wußte, was er gethan hatte und wußte daß alles vollbracht war, wie er wußte, daß ihm alle Gewalt gegeben sei im Himmel und auf Erden, und wußte, daß die Wahrheit, die er den Menschen offenbaret, nicht wieder untergehen könnte, daß nun von diesem Kreuz an welchem er hing, das Licht ausgehen werde, welches die ganze Welt erleuchten sollte, um ihnen zu zeigen, was sie thun sollen, so konnte er sagen: „Vater vergieb ihnen; denn sie wissen nicht, was sie thun“; sie | sind noch her aus den Zeiten der Unwissenheit, von welchen der Apostel sagt, daß der Herr sie übersehen habe, bis auf die Zeit, wo er seinen Sohn sandte, in dem die Welt ihr Licht und in dem die Welt ihr Gericht finden könnte, und darum konnte er sagen: vergieb ihnen, denn sie haben noch nicht erfahren können, was sie thun, sie standen zu fern von mir, um von mir erleuchtet zu werden; aber darum, weil die Kraft nun da ist, welche alle Menschen festhalten soll bei dem Wissen, was sie thun, bei dem Bleiben in der Liebe, weil das Licht nun ausgeht, so kann und darf alle Sünde, welche hervorgegangen ist, sei es nun die Schwachheit des Fleisches, oder die Verfinsterung des Geistes, das Nichtwissen, was sie thun, sie kann und darf keine andre Folgen haben. M. g. Fr.! wir dürfen gewiß nur bei diesem Einen Wort stehen bleiben, es in seinem ganzen Umfange auffassen, um zu sagen mit jenen, wahrlich dieser, der so redet, der das aussprechen kann, als die Wahrheit seines Daseins, in dieser Nähe des Todes, wahrlich dieser ist Gottes Sohn gewesen. Doch nun, m. g. Fr.! lasset uns zum zweiten Theil unserer Betrachtung uns wenden, und nun auch unser Verhältniß zu diesem großen Wort des Erlösers recht ins Auge fassen. Wir, m. Fr.! sind in jeder solchen Beziehung, wo der Erlöser sich über die Sünde äußert, allemal in einem doppelten Fall; 2–4 Vgl. Joh 15,10f 16 Vgl. Joh 19,30 17 Vgl. Mt 28,18 17,30 24–25 Vgl. Joh 3,17.19 36 Mt 27,54

22–24 Vgl. Apg

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wir gehören dann mit zu denen, von welchen er redet, denn wir wissen, daß die Sünde noch immer ihr Theil an den Menschen hat und daß wir nicht so frei von ihr sind, wie er allein es war. Aber er lebt doch in uns, und lebt er in uns, so muß er auch in allen seinen Worten in uns leben und so müssen seine Worte auch unsre Worte sein, und mit demselben Recht und aus demselben Grund und in demselben Sinn, wie die Seinigen, müssen sie auch die unsrigen sein. Das ist also das beides worauf wir zu sehen haben, wenn wir unsre Stelle hier richtig finden wollen. Ja, m. g. Fr.! zuerst laßt uns bekennen, wir sind alle noch von denen mehr oder weniger, von welchen der Erlöser sagt, sie wissen nicht, was sie thun, und gewiß wird keiner unter uns sein, der sich davon ganz frei wollte sprechen. Lasset uns doch auf den Gesammtzustand derer, die den Namen unsers Herrn bekennen, sehen: finden wir nicht noch überall Zeichen und Beispiele genug davon, daß gethan wird, was wir doch im innersten Grund des Herzens nicht billigen können, damit Gutes daraus | komme? Das kann aber niemand, ohne daß er auch ein solcher ist, der nicht weiß, was er thut; denn wenn ich das Böse pflanze, wie kann das Gute wachsen? Wenn ich das Böse mehre, wie kann das Gute zunehmen? Finden wir nicht auch noch Beispiele genug, daß das Böse nichts anders kann überwinden; was es auch sei, was wir zu Hülfe nehmen gegen das Böse, neben der reinen Kraft der Liebe, es ist nicht von oben, nicht von dem, der uns berufen hat zu zeugen von seinem Licht und seiner Liebe. Wissen wir, was wir thun, und wollen wir, was wir wissen, so können wir das Böse niemals anders überwinden als durch das Gute. Alle andre Mittel menschlicher Klugheit, alle Leidenschaften, die wir dabei gebrauchen, nicht daß wir sie liebten, sondern nur, daß wir sie einmal anwenden wollen, daß sie uns fühlen das Gute zu thun, – das heißt das Böse überwinden wollen durch das Böse. Wer das thut, der weiß nicht was er thut. Finden wir nicht noch überall Beispiele von einem Eifer ohne Verstand, einen Eifer um das Gute, aber ohne den richtigen Blick eines freien geistigen Auges auf das, wie es kann vollzogen werden. Und wo der nicht ist, da ist ja auch nicht das Wissen, was wir thun. Das, m. th. Fr.! sind die großen Züge, welche sich in unserm öffentlichen und gemeinsamen Leben überall uns noch genugsam darstellen. Aber sehen wir auf das kleine geringfügige Leben der einzelnen Seelen für sich, was giebt es für ein größeres Wort des Herrn in dieser Beziehung als das: „ist dein Auge licht, so ist auch dein ganzer Leib licht.“ Wissen wir immer was wir thun, so wäre auch dieser ganze Leib licht; aber ist es nicht, daß der Geist willig ist und der Leib schwach, finden wir uns nicht auf mancherlei verkehrtem Streben, sind wir noch in dem Falle, daß sich die Gedanken unter einander verklagen und entschuldigen, müssen wir dann nicht bezeugen, daß wir nicht wissen, was wir thun? Das liegt uns also zuerst ob! Gehören wir zu denen, welche nicht 23 Vgl. Röm 12,21

35–36 Vgl. Mt 6,22; Lk 11,34

39–40 Vgl. Röm 2,15

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wissen, was sie thun, so hat freilich der Erlöser auch uns die Vergebung von seinem Vater erfleht, aber können wir sie anders hoffen, kann sie anders wahr werden, als indem wir suchen los zu werden von diesem traurigem Zustande, daß wir nicht wissen, was wir thun? Darin, m. Fr.! lasset uns ein Herz fassen, zuerst was unser eigenes und | besonderes Leben betrifft, immer in uns hinein zu schauen, nicht, m. Fr.! daß ich wollte dazu einladen und auffordern, daß wir uns lange Zeiten des Lebens setzen, um uns selbst zu betrachten, nur zu oft ist das ein Mittel, die Täuschung zu fördern; aber mitten in dem Leben einen Augenblick inne halten, um in uns selbst hinein zu schauen, daß wir es fühlen und ahnen, wenn wir im Begriff sind von dem rechten Wege abzuweichen und einen Augenblick anhalten, daß wir wissen, was wir thun, – das ist die rechte Weisheit des Lebens. Aber wollen wir wissen, wie wir gestellet sind, so lasset uns dem Wort des Herrn folgen als Christen, in das Wort des Herrn hineinzuschauen, das heißt aber nichts anders, als in unsern Erlöser hineinzuschauen. Er ist unser Licht und soll es auch sein und bleiben. Sehen wir auf ihn, so werden wir auch immer richtig sehen in Beziehung auf uns, dann werden wir den Unterschied sehen zwischen ihm und uns; dann wird es uns nicht entgehen, wo wir anfangen, uns von ihm zu entfernen, und die Züge seines Ebenbildes zu zerstören. Das ist die einzige Art, wie wir dahin kommen können zu wissen, was wir thun. Und in unserm gemeinsamen Leben, m. th. Fr.! wo wir noch so viele Verirrungen dieser Art finden, wo die große Mischung der Menschen eine solche ist, daß oft noch die Sünde des Einen zu der des andern hinzutritt, und die Verirrungen und Abweichungen vom rechten Wege größer werden, je mehr sie sich miteinander verbinden, da ist unter den Bekennern des Herrn oft grade das Entgegengesetzte davon, daß jeder dem andern helfen, jeder Erleuchtete den andern aus der Dunkelheit führen und ihn dem Lichte zuwenden sollte. Aber nur in dem Maaße, als wir in der Stille des eigenen Lebens für uns selbst sorgen auf die rechte Art, als wir unsre Augen des Geistes helle machen durch das Anschauen des Erlösers, nur in dem Maaß werden wir auch wirken können in dem äußerlichen Leben, jeder an seinem Ort und an seiner Stelle um dem Nichtwissen ein Ende zu machen; nur in dem Maaß, als uns alle das Zeugniß geben können, daß wir wahr sind gegen uns selbst, wird auch unsre Stimme der Wahrheit Frucht bringen; nur in dem Maaß, als wir dem Herrn folgen, als wir nach der Aehnlichkeit trachten, mit dem, der der Weg und die Wahrheit ist, werden wir auch den Menschen zumuthen können, daß sie die Stimme der Wahrheit von uns vernehmen. | Aber wenn wir mitverwickelt sind in das, wenn die Menschen nicht wissen, was sie thun, wenn uns die Verblendungen derer, mit denen 13 Herrn] so SAr 69, Bl. 17r; Textzeuge: Apostels wovon die 36 Vgl. Joh 14,6

38 wenn die] SAr 69, Bl. 17v:

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wir leben, selbst nahe treten, – dann sind wir, m. G., zweifach in dem Fall des Erlösers und dann können und dürfen wir auch nicht anders als beginnen damit, daß wir denen, von welchen wir sehen, daß sie nicht wissen, was sie thun, so lange wir wissen was wir thun, vergeben, eben dadurch, daß wir sie auffordern, auf dem rechten einfachen Wege des Lichts, der Wahrheit und der Liebe zu bleiben. Denn das ist die einzige Kraft, auf der Alles beruht, daß Wahrheit und Liebe eins und dasselbe sind und diese das Nichtige einsehen; es ist nichts anders als die Liebe, welche auch die Weisheit schafft, welche auch das Auge des Geistes licht macht. Tragen wir diese den Menschen entgegen, sind wir von Herzen bereit, was gut zu machen, mit Aufwand unserer Kräfte, was dadurch verschuldet ist, daß sie nicht wissen, was sie thun; und entäußern wir uns unser selbst, wie der Erlöser, welcher nichts anders wollte, als daß er diente, um mit der Wahrheit in der ganzen Kraft seiner Liebe die Welt selig zu machen, gehen wir den Menschen so entgegen, dann werden wir helfen können, daß sie wissen, was sie thun; dann werden wir frei bleiben von allen Verdunkelungen um uns her; dann wird unser Weg und deshalb auch der Weg der andern uns deutlich sein, dann werden wir sie einigen und sie zu ihm hinführen um in seinem Namen zu handeln, die Sünde aufzugeben, zu wirken in dem Geist, in welchem er gewirkt hat, um die Menschen dahin zu bringen daß sie ihm ähnlich werden, daß sie wissen, was sie thun, daß sie nichts anders wollen, und deshalb auch nichts anders sehen als ihn, weil das Auge ihres Geistes nichts anders sehen will. Sehet da, das, m. Fr.!, das ist die Laufbahn des Geistes, welche vor uns liegt; diese laßt uns betreten! So ermahnet auch der Jünger des Herrn, der Jünger, den er lieb hatte, die Christen, an die er seinen Brief richtet: „ich schreibe euch, ihr Väter, ich schreibe euch, ihr Jünglinge und Kinder, daß ihr den erkennet, den der Vater gesandt hat und daß ihr das Leben habt; ich schreibe euch, daß ihr euch liebet, und in seiner Liebe bleibet.“ Lasset | uns miteinander das Wort des Herrn festhalten, wie es uns den Weg des Lebens zeigt, daß es niemals aufhöre, der Leiter unserer Füße zu sein, lasset uns in allen Bewegungen des Lebens, die uns mitergreifen wollen und in irgend einen leidenschaftlichen Strudel hinabziehn, wo wir nicht wissen, was wir thun, laßt uns ihn da im Auge behalten, und indem wir nichts anders wollen, als seinen heiligen Willen finden, durch ihn das Auge unsers Geistes erleuchten lassen. Lasset uns mit seiner Liebe die Menschen anfassen, dann werden wir sie auch in eine solche Stimmung des Gemüths zu bringen wissen, wo sie der Wahrheit Gehör geben, wo sie 10 was] SAr 69, Bl. 17v: Alles daß

18 um] und

27 und daß] SAr 69, Bl. 17v: auf

12 Vgl. Phil 2,7 25 Vgl. Joh 13,23; auch 19,26 26–29 Es handelt sich nicht um ein wörtliches Zitat, sondern um eine Paraphrase aus 1Joh 2,12f; 5,12; 4,7.16.

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aus dem Zustande nicht zu wissen, was sie thun, errettet werden können, durch die Erkenntniß dessen, der der Weg und die Wahrheit ist. Hat er, als er am Kreuz hing, den Frieden gemacht, die Welt ausgesöhnt mit Gott, alles, was die Menschen scheiden sollte, umgeworfen, auch die große Scheidewand, wodurch sein Volk gesondert wurde von allen andern Völkern der Erde, hat er gewollt dem Vater Anbeter verschaffen im Geist und in der Wahrheit: so werden wir auf ihn sehen und immer mehr erkennen, daß seine Worte Geist und Leben sind, daß wir nur wissen was wir thun, wenn wir Geist und Leben von ihm nehmen und festhalten, wenn wir, wie er suchen eins zu werden mit Gott, und wie er die Menschen zu seinem Vater hinführt, auch wir versuchen die Menschen hinzuziehen zum Vater. So wird denn dessen, was wir nicht wissen, immer weniger werden, und allen, die den Namen des Erlösers bekennen wird der Weg des Lebens hell und klar vor Augen liegen. In Licht und Liebe werden wir ihn wandeln, und die volle Wahrheit, die selige Uebereinstimmung mit Gott, den innern Frieden unserer Seele wird nichts stören können, der wird immer mehr uns zu Theil werden. Vor allem aber laßt uns damit beginnen, daß wir im Voraus vergeben Alles, was die Menschen gethan haben, ohne daß sie wußten, was sie thaten; daß wir alle Widrigkeit aus unserm Herzen verbannen. Dadurch können wir alle Kräfte, die uns zu Gebote stehen, um den Menschen zu | helfen, anwenden und so werden wir dann eins sein mit ihm und das Werk, welches er uns anvertraut hat, auf eine heilsame Weise fördern. Amen. Ja, barmherziger, gnädiger Gott und Vater! Deiner Vergebung hat dein Sohn am Kreuze alle empfohlen, die nicht wissen, was sie thun, damit er deinem heiligen Wege sie entgegenführe. Durch ihn kommt die Vergebung, weil Licht und Wahrheit, weil Glaube und Liebe durch ihn gekommen ist. O so verleihe du uns die Gnade, daß wir Alle festhalten an ihm, daß wir immer auf’s Neue mit ihm verbinden, von ihm lernen, was wir thun, von ihm erleuchtet werden auf deinem Wege und durch seine Liebe fest verbunden gemeinsam dein Werk fördern, bis alles licht wird und alle Finsterniß verschwindet, bis alle Herzen fest geworden sind in der Wahrheit und stark im Glauben und rein und ungefärbter in der Liebe. Das wird die Herrlichkeit deines Reiches auf Erden sein, das wird der Sieg und der Triumph dessen sein, der seines eigenen Lebens nicht geschont hat, um alle Menschen zu dir zu führen. Dazu wolle Dein Geist immer kräftiger uns verbinden, dazu laß die Predigt 28 verbinden] SAr 69, Bl. 18v: verbunden 2 Vgl. Joh 14,6

4–6 Vgl. Eph 2,14

6–7 Vgl. Joh 4,23f

7–8 Vgl. Joh 6,63

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des Worts stets gesegnet sein, und sei gepreiset dafür, daß auch jetzt wir uns wieder an ihm gestärkt haben. u. s. w.

2 Ob sich das „u. s. w.“ auf einen liturgisch formulierten Gebetstext bezieht, ist unsicher. Einen vagen Bezug bietet ein in der „Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen“ von 1829, S. 72 vorgeschlagenes Gebet: „Wir danken Dir, unserm Gott und Vater, daß Du uns jetzt von neuem durch den Unterricht Deines Worts gestärket, erfreuet und getröstet hast. Hilf uns nun auch dies Wort treu bewahren und die Früchte davon in unserm Leben zeigen, damit wir immer reifer zum ewigen Leben und hier und dort selig werden, um Jesu Christi Deines lieben Sohnes, unsers Herrn willen. Amen.“

Am 9. April 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Karfreitag, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 23,39–42 Nachschrift; SAr 94, Bl. 90r–93v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

Charfreitag am 9. April 1830.

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Tex t . Lucas 23, 39–42 „Aber der Uebelthäter einer, die da gehenkt waren, lästerte ihn, und sprach: Bist du Christus so hilf dir selber und uns. Da antwortete der andere, strafte ihn, und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammniß bist? Und zwar wir sind billig darinnen, denn wir empfangen was unsre Thaten werth sind: dieser aber hat nichts ungeschicktes gehandelt. Und sprach zu Jesu: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ M. a. Fr.! Vielleicht, daß sich mancher unter Euch wundert, in der Stille seines Gemüths, daß ich an diesem heiligen Tage, in dieser ersten Stunde frommer, gemeinsamer Betrachtung an demselben, nicht ein unmittelbares Wort des Erlösers habe, worauf ich Eure Gedanken lenke, nicht einmal ein Wort eines seiner liebsten und vertrautesten Jünger, welche doch schon damals von seinem Geiste durchdrungen waren; sondern ein Gespräch zweier sündiger Menschen über ihn und mit ihm. Aber, m. Theuren, diese Worte sind geheiligt durch den Ort, wo sie stehen, empfangen ihre Kraft und Wahrheit durch das Wort, durch das uns allen bekannte Wort des Erlösers, welches auf sie folgt; ja noch mehr, sie geben uns in der Kürze ein vollkommenes Bild von dem ganzen Verhältniß des Erlösers zu dem menschlichen Geschlecht und einen deutlichen Beweis von seiner so besondern Kraft, wie sie sich auch am Kreuz offenbart hat. Der so oft von sich gesagt, er sei gekommen, um die Sünder selig zu machen, zu suchen, was verloren war, der soll hier, wie er unter den Sündern und für dieselben gelebt hat, nun auch zwischen 17–19 „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ (Lk 23,43) 22–23 Vgl. vor allem Mt 9,13; 18,11; Lk 5,32; 19,10

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zwei Sündern sterben, und jeder von ihnen stellt uns dar, die eine Hälfte von denen, für welche und unter welchen der Erlöser gelebt, geredet und gewirkt hat. Der Eine, die, welche nichts anders kennen und begehren, als daß ihnen geholfen werde für das irdische Leben, aus der irdischen Noth, und welche alles Höhere in dem Unverstand ihres Herzens | verleugnen. Bist du Christus, sagt er, glaubst du etwas Höheres zu sein, so beweise es dadurch, daß du dir und uns hilfst aus der Noth des Todes. Wie manche, m. Fr.! waren eben so in einem nicht edleren Drange ihres Gemüthes zu ihm gekommen, auch nur um sich helfen zu lassen aus ihrer irdischen Noth, und wenn er sie dann fragte, „was wollt ihr, daß ich euch thun soll?“ so antworteten sie ihm: Herr, daß ich sehend werde mit meinen Augen des Leibes, daß ich frei werde von diesem oder jenem Uebel, und wenn sie auch nicht grade spotteten über das Höhere und Göttliche, so hatten sie doch eben so wenig Sinn dafür, wie dieser. Und wie Manchem ist nicht der Erlöser zu Hülfe gekommen mit seiner wunderthätigen Kraft, wie Manche hat er von ihren irdischen Leiden befreit, ungeachtet er ihnen nichts Höheres und Größeres verleihen konnte, weil ihr Sinn noch nicht geöffnet war für die Wirkungen seiner geistigen Kraft; aber er that es doch, und sprach zu seinem Vater: „Vergieb ihnen, denn ich kann ihnen noch nichts Größeres geben, weil sie nicht für Mehreres empfänglich sind.“ Wohlan, m. g. Fr.! von diesen wollen wir uns nun hinweg denken, aber nicht ohne uns zu erinnern an dieses Wort: vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun, und wollen uns nun zu der Rede des andern wenden. An diesem sehen wir den ganzen Hergang in der Seele des Sünders, welcher sich dem Erlöser zuwendet und darum auch das ganze Zeugniß seiner Herrlichkeit, wie sie sich in seinem Leben, wie sie sich in seinem Leiden und an seinem Kreuze offenbaret hat, wie sie immer war, und auch immer sein wird bis ans Ende der Tage. Wir wissen nicht, m. Fr.!, was diese beiden begangen haben, daß sie diese Strafe leiden mußten, und es kann auch ganz gleichgültig für uns sein, denn die Sünde ist immer eine und dieselbe ihrem innern Wesen nach, und die Misachtung und Uebertretung des menschlichen Rechts, auf | welcher sie doch ergriffen waren, ist auch immer dieselbe, mögen die äußern Umstände, welche sie so oder so ändern, auch sein, welche sie wollen. In diesem andern Uebelthäter nun aber finden wir nicht einen rohen Menschen, der ganz unbekannt gewesen ist mit allen schönen Erweckungen allen großen Hoffnungen in seinem Volk, der nicht ein Fremdling gewesen ist in dem, was sich in diesen Tagen in Israel begeben, denn er kannte den, welcher neben ihm hing. Seine eigene Lage hat ihn nicht abgehalten, sich auch um den ihm fremden Genossen des Todes zu bekümmern, und wenn wir den Eindruck verfolgen, welchen die Worte des Erlösers auf ihn gemacht haben, so sehen wir, wie ich sagte, den ganzen Hergang, in welchem die 10 Vgl. Mt 20,32

22 Lk 23,34

36–37 Vgl. Lk 24,18

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Erlösung in der Seele des Sünders von Statten geht. Soll er ein solches Wort vernehmen, mag es nun viel oder wenig gewesen sein, was er verbrochen hat, das erste, womit er beginnt, muß immer dieses sein, daß er sich lossagt von sich selbst, und von allen, welche denselben verkehrten Weg gegangen sind. Wir, sagt er zu seinem Genossen, wir verdienen dies wol, was wir jetzt leiden, und nur unsre eigene Schuld büßen wir, und von ihm sagt er sich ganz los, indem er ihm den Vorwurf macht, daß er auch jetzt nicht um Gott sich bekümmere, daß er immer an nichts anders, als an das irdische Leben denke. Sehet da, m. Z., das ist das Erste, was in der menschlichen Seele geschehen muß, wenn sie sich in ein Verhältniß mit dem Erlöser setzen will. Fragen wir nun: woher entsteht uns aber dieses zunächst, was ist die Kraft, welche das in der Seele des Menschen wirkt? so sehen wir es ganz deutlich in den folgenden Worten[,] eben dieses, in welchem er sich und Jenen mit dem Erlöser vergleicht, indem er sagt: „wir verdienen das, was uns begegnet ist, wir haben empfangen, was unsre Thaten werth sind, aber dieser hat nichts Ungeschicktes gehandelt.“ Wenn wir diese Worte, m. a. Fr.! als ein Zeugniß ansehen, welches er von dem Erlöser ablegt, so kann es uns zuerst doch unbedeutend erscheinen, indem wir sehen, daß er den Erlöser davon | frei sprechen will, daß er sich nicht auch gegen menschliche Ordnung vergangen, wie sie; aber wir müssen bedenken, daß er zu jenem Volk gehört, wo göttliche und menschliche Ordnung nicht geschieden waren, sondern eins und dasselbe, wo Recht und Gesetz als von Gott stammend betrachtet wurden, und deshalb konnte er auch menschlich und göttlich Gesetz nicht trennen, und wenn er von dem Erlöser sagt: der hat nichts Ungeschicktes gehandelt, so giebt er ihm da nicht nur ein Zeugniß in Beziehung auf menschliche Ordnung, sondern was er sagt, geht tiefer, sondern er giebt ihm das Zeugniß, daß er nie etwas gehandelt, was dem Göttlichen entgegen war, was nicht aus diesem hervorgegangen, und ihm gemäß gewesen wäre. Es ist, m. a. Fr.! immer nur allmählig, wenn gleich die seligen Augenblicke der Erleuchtung sehr schnell auf einander folgen und sich gleichsam einander jagen, aber doch ist es nur allmählig, wie der Mensch für das erleuchtet wird, was er an dem Erlöser eigentlich hat. Wir müssen sein Dasein immer mit dem Göttlichen vergleichen, und auch wenn wir nun sehen auf das Sein und Leben der Menschen, so finden wir doch immer in ihm die Selbigkeit der menschlichen Natur, auch manche Aehnlichkeit mit menschlichen Gebrechen, und auch manche Züge trefflicher Eigenschaften, alles aber geht aus von dem allgemeinen Bilde menschlichen Lebens, welches uns vorschwebt. Wie sollte das nun nicht das erste gewesen sein bei denen, welche den Erlöser von Angesicht zu Angesicht sahen, daß er ihnen erschien wie ein Anderer, daß aber nie Spuren der Sünde sie in ihm trafen. War erst diese Ueberzeugung in ihnen, daß er nie etwas Ungeschicktes begangen, dann war eben so sicher der Grund des Glaubens gelegt, als wir sagen müssen, wenn wir diesen Unterschied zwischen uns und dem Erlöser

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anerkennen, wenn wir an ihm auch voraussetzen wollen, daß auch ihn der Irrthum und die Sünde wird beschlichen haben, dann ist der wahre volle Glaube an den Erlöser getödtet. Aber wie könnte nur der Mensch zu dieser Ueberzeugung gelangen, aus dem, was er von dem Erlöser sieht und aus dem, was sich ihm verbirgt, ohne auf etwas | noch höheres zurückzugehen; denn das wissen wir, der Mensch, wie er uns immer erscheint, und uns und andern, er kann die Sünde nicht vermeiden, sie ist das gemeinsame Loos aller, und deshalb muß diese Ueberzeugung in sich schließen, daß eine höhere Kraft in dem waltet, welcher so gesichert war gegen jede Sünde, daß Gott dem etwas anders muß mitgetheilt haben, was von dem ersten Anfang seines Lebens an in ihm war. Das, m. G. ist gewiß das dunkle Bewußtsein derer, welche den Erlöser als frei von der Sünde und Schwachheit erkennen, und darum schließt dieses Zeugniß so vieles in sich, als jener sagte: dieser hat nichts Ungeschicktes gehandelt und der Ausdruck war auch ein solcher, daß von einem andern ihn zu gebrauchen sich wohl keiner getrauen darf, und der Ueberzeugung war nun noch, daß er sagte: Herr gedenke mein, wenn du in dein Reich kommst. Diese Ahndung, m. Fr.! von einem geistigen Reich, einer geistigen Gewalt welche von oben kommt, welche hindurchdringen wird durch die Finsterniß des verborgenen Lebens, diese Ahndung einer solchen dem Menschen möglichen, ihnen von Gott bereiteten Seligkeit ist eben so gewiß in der menschlichen Seele, als die Stimme eine Stimme Gottes ist, durch welche wir uns selbst verdammen, denn dieses sich selbst verdammen hätte keinen Sinn, wenn es nicht etwas Besseres gäbe, von welchem der Mensch, wenn er sich von der Sünde treiben läßt, sich entfernt. So ist denn bei diesem der Hergang der Erleuchtung ein und dasselbe [wie] bei allen Andern, wie bei diesem, wie er davon anfing, daß er in sich selbst die Sünde erkannte, in Christo aber die Reinheit und Fleckenlosigkeit, und zugleich die Gewißheit, daß er dem, welcher neben ihm hing am Kreuz, sagen konnte: Herr gedenke mein, wenn du in dein Reich kommst. Wenn er nun aber dieses bat von dem, von welchem er glaubte, er sei der, welcher da kommen sollte, so gab er, indem er diese Bitte that, freilich Zeugniß davon, unter welcher göttlichen Verheißung er aufgewachsen war; er sah dieses Leben, welches der Erlöser jetzt enden sollte am Kreuz nun für den Anfang seines Lebens an [ ] Macht | und Herrlichkeit, und dann sollte er seiner gedenken, und ihn zum Mitgenossen machen dieser Macht und Herrlichkeit. Wir wissen nun, wie der Erlöser dieses abweiset und seine Antwort: es sei keine ferne Zukunft, auf welche er zu harren habe, sondern das Wort Gottes sei ihm nahe in seinem Herzen; heute schon, jetzt schon werde er in dem Paradiese sein und was dazwi34 an] folgt eine Lücke von etwa einer viertel Zeile 31 Vgl. Mt 11,3; Lk 7,19

39 Vgl. Lk 23,43

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schen liege, sei für ihn und für jeden nichts. Wenn uns nun auch weiter nichts gesagt wird, wie können wir zweifeln, daß der, welcher so zu dem Herrn gesprochen, auch dessen Worten werde geglaubt haben und indem wir diese Bitte an den Erlöser gerichtet finden und dieser Worte gedenken, was können wir anders sagen, als daß sein Kreuz auch seine Macht und sein Reich ist? Hingegeben hatte er sich von dem ersten Augenblick seines öffentlichen Lebens an, von da an, wo er auftrat das Evangelium zu verkünden, und sein ganzes Leben war nur eine zusammenhängende Kette von Hingebung; wir finden sie als dieselbe bei dem Spotte der Welt, in seinen Lehren vor dem versammelten Volk, in der Ruhe und Stille des einsamen Lebens und in der unmittelbaren Nähe des Todes, überall eben diese Gewißheit dieser Macht und schon im Anfang seines Wirkens das Wort: „wenn ich werde erhöht sein, werde ich sie alle nach mir ziehen“. Sehen wir, m. Fr.! von dem Kreuz des Erlösers auf sein ganzes Leben, so tritt uns hier etwas Merkwürdiges vor Augen; wie der Erlöser lebte in einer bunten Menge, dann wieder zurückgezogen war und Einzelnen versuchte sein Wort zu verkünden, und was für schöne Augenblicke seines Lebens kennen wir in seinem Zusammensein mit den Einzelnen! Als Nicodemus zu ihm kommt bei der Nacht, welche herrliche Reden wechselt er mit ihm über die Wiedergeburt, daß des Menschen Sohn in die Welt gekommen sei, um zu suchen die Seligkeit der Welt; wenn mitten im Getümmel des Festes sich Fremde wenden an seine | Jünger und den Wunsch äußern, daß sie ihn sehen möchten, da erschloß sich ihm der Blick in die ferne Zukunft, wo aus der Ferne sich die Menschen versammeln würden unter seinem Kreuz und er sprach: Vater, die Stunde ist da, daß du verklärest deinen Sohn. Wie er nun oft Gott Dank sagt, daß er das Geheimniß des Evangeliums den Unwissenden und Verachteten verkündet, den Weisen und Großen aber verborgen, so sehen wir nun hier ihn mit Einem, der als ein Missethäter bezeichnet war, reden. Aber diese einzelne Seele war ihm nicht minder werth, als jede andre, und es war der letzte Genuß seines Lebens, was er zu ihm sagte: heute wirst du mit mir im Paradiese sein. So ist dies noch immer seine [ ] arbeit auf Erden; im Großen geht sie vor sich unter der bunten Menge, bald viel, bald wenig Frucht tragend; aber außerdem wird es immer geben ein Verhältniß des Erlösers zu der einzelnen Seele, ein beseligendes Gespräch mit ihr und jeder thut wohl, wenn er Theil nimmt an beiden. Es ist das große gemeinsame Leben der Christen, an dem wir halten und dessen wir uns freuen müssen, wenn das Wort von Christo verkündet wird, aus dem 31 seine] folgt eine Wortlücke 12–13 Vgl. Joh 12,32 18–21 Vgl. Joh 3,1–21, bes. 17 23 und 17,1 26–27 Vgl. Mt 11,25; Lk 10,21

21–25 Vgl. Joh 12,20–

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sich immer, wie der Apostel sagt, eine bald größere, bald kleinere Schaar entwickelt, welche dann ihr Leben mit ihm führen; aber das soll sich auch keiner unter uns nehmen lassen, daß er für sich allein in fortwährendem Zusammenleben mit dem Erlöser bleibt. Hat er bis zu dem letzten Augenblick sich nicht gescheut, dem Einzelnen sich hinzugeben, daß er diesem eine Versicherung gab, die seinen Glauben bestätigte, – o, so lasset uns nicht zweifeln, daß er immer noch auch uns das thun wird, daß es einen solchen Zusammenhang giebt, durch welchen noch stets das höhere geistige Leben von ihm ausströmt in Alle, denen er lebendig wird in ihrer Seele, und so ist denn das die Erfüllung davon, daß er sagte: „wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen“ – und hätte er das ausschließen wollen, wo Einer sich zu ihm wendet? – „da bin ich mitten unter ihnen.“ Und das Kreuz des Herrn ist Eins und dasselbe | mit seiner Macht und Herrlichkeit und der Verheißung, welche er an den Einzelnen giebt, er giebt sie der ganzen Welt, jedem der ihn bittet, seiner zu gedenken, wenn er in sein Reich kommt, sagt er, daß er schon in seinem Reiche ist. Diesen Trost lasset uns auf’s Neue erhalten, wenn wir uns unter dem Kreuze Christi versammeln. Es konnte nicht anders sein, als daß sein Tod seine Erhöhung war von der Erde und damit vollkommen anfing sein Reich, welches ihm gegeben ist und seine Gewalt im Himmel und auf Erden. Die möge über uns alle walten, und wo wir von menschlicher Schwachheit ergriffen sind, da mögen wir zu ihm sagen: Herr gedenke mein, und da wird uns nie die Verheißung fern sein, die sich auch in dem Augenblick erfüllen muß, weil sie dem Augenblick entnommen ist, daß wir mit ihm sein werden im Paradiese, daß wir eine Herrlichkeit haben werden, die entnommen ist von dem Namen, unter dessen Kreuz sich beugen sollen alle Knie auf der Erde. Amen. Ja, du, der du erhöhet bist von der Erde, um sie Alle zu dir zu ziehen, ziehe sie alle zu dir, die Seelen der Menschen, erfülle sie mit dem höhern Leben, welches dir Gott gegeben hat zum Heil der Welt, und dein Kreuz, welches aufgerichtet ist für Alle, die Heilung suchen für die Wunden des Lebens, das werde immer mehr ein gesegneteres Zeichen für alle Welt, das Auge des Geistes richte sich auf dasselbe, Friede und Segen komme über Alle, die fähig sind ihn zu empfangen. Dazu segne du die Verkündigung deines Wortes, jedes Gespräch der Seele mit dir, daß das Gebet sich erfülle, welches du zu deinem Vater gethan hast, sammle uns alle unter dein Kreuz und laß uns hingehen in der Welt das Heil zu verkünden, daß ihr in dir gegeben ist. Amen.

1–2 Worauf Schleiermacher sich hier bezieht, ist nicht klar. 20 Vgl. Mt 28,18 26–27 Vgl. Phil 2,10 28 Vgl. Joh 12,32

10–12 Mt 18,20

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Am 11. April 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Ostersonntag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 20,17 Nachschrift; SAr 94, Bl. 94r–99v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

I. Ostertag, 11. April 1830. Gesang 237 247

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Tex t . Joh. 20, 17 „Spricht Jesus zu ihr: ‚Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Gehe aber hin zu meinen Brüdern, und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater, und zu eurem Vater, zu meinem Gott, und zu eurem Gott.’“ M. a. Fr.! Die Tage der Auferstehung unsers Herrn, deren Anfang wir heut miteinander feiern, sind uns etwas Geheimes. Von dem Augenblick an, wo er seinen Geist in die Hände seines Vaters befahl, und ausrief: „es ist vollbracht“, und sein Haupt neigte und verschied, bis zu diesem Augenblick, wo wir ihn wieder menschlich redend finden mit einer seiner Getreuen und hernach eben so unter seine Jünger treten sehen, ist uns alles mit einem undurchdringlichen Schleier bedeckt. Wie er der Gewalt des Todes entrissen ist, davon wissen wir nur so viel, daß es geschah durch die Herrlichkeit und Kraft seines himmlischen Vaters; wie aber sein Geist zurückgekehrt sei in dieses menschliche Leben, wie er dem Grabe entstiegen sei, wie der Anfang jener ewigen denkwürdigen Tage gewesen, das ist uns nach dem Rath Gottes verborgen. Keiner war dabei der es enthüllen konnte und keiner hätte ja auch das innere Geheimniß entdecken und mittheilen können. Eben so ist uns auch der ganze Zusammenhang dieser Tage verborgen, ob, und wie der Erlöser, wie wir ihn finden unter seinen Jüngern, zusammenhängend in 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 237: „O auferstandner Siegesfürst, dich wollen wir erheben“ (Melodie von „Was Gott thut, das ist wohl gethan“); Nr. 247: „Auf, singt mit uns, ihr hohen Himmelsschaaren“ (Melodie von „Zerfließ, mein Geist“) 9– 10 Vgl. Lk 23,46 10–11 Vgl. Joh 19,30

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dieser Zeit gelebt und wo er sich aufgehalten. Es ist keine Nachricht davon aufbewahrt. Und eben so ist es auch mit dem letzten Ende dieser Tage; denn es ist nur der Anfang, welchen die Jünger sehen konnten, als die Wolke ihn wegnahm und ihren Blicken verhüllte. So kennen wir denn von dieser ganzen Zeit nur die einzelnen, zerstreuten Augenblicke, von | denen uns gesagt wird, wie er sich seinen Jüngern gezeigt und was er mit ihnen geredet. Wir haben manche Nachricht von Andern; aber es sind nur Erwähnungen, ohne daß wir den Inhalt dieser Tage deutlich erfahren. Wir wissen den Gesammtinhalt von dem, was er mit seinen Jüngern gehandelt, daß er mit ihnen geredet vom Reich Gottes, und davon sind uns nur die wenigen einzelnen Augenblicke übrig, welche uns unser Evangelium beschreibt. In diesem finden wir ihn ganz denselben, unverändert in seiner Liebe; und unermüdet in seiner Lehre; unverändert in seiner ganzen Stellung als der Grund eines Reiches, welches neu vollendet worden durch seinen Tod, und seine Auferstehung. In diesen einzelnen Augenblicken können wir uns von dem, was er mit seinen Jüngern gehandelt hat, das ganze Bild seiner Liebe zu ihnen, seiner Sorge für sie und für Alle, welche durch ihre Worte an ihn glauben würden, uns vergegenwärtigen. Was aber den ganzen Zustand des Erlösers betrifft, wie er sich in diesen Tagen unterschied von seinem frühern eigentlichen irdischen Leben, das, m. t. Fr.! ist unser allgemeiner, unerschöpflicher, und ich möchte eben sagen, beinahe einziger Ostertext, welchen wir uns beständig gegenwärtig halten müssen, was der Apostel Paulus in seinem Briefe an die Römer sagt: „so wir denn mit ihm begraben sind in den Tod, und mit ihm gepflanzt zu gleichem Tod, so werden wir auch der Auferstehung gleich sein, und auch wir in einem neuen Leben wandeln. Also auch ihr haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid, und lebet Gott in Christo Jesu, unserm Herrn.“ So laßt uns denn, m. g. Fr.! auch diesen Augenblick aus der Auferstehungszeit unsers Herrn, dessen Hauptinhalt wir uns vorher vergegenwärtigt haben, in dieser doppelten Beziehung betrachten: 1. in seinem unmittelbaren Inhalt in Beziehung darauf, wie der Erlöser dieses redet zu Maria Magdalena, die vor ihm stand; dann aber auch 2., in der Beziehung auf unser | eigenes Leben, welches in der bezeichneten Weise der Auferstehung des Herrn soll ähnlich sein. Dazu lasset uns denn jetzt unsre Herzen miteinander erheben! I. Diese Worte des Erlösers an die Maria, m. t. Fr.! sind die ersten, welche wir von ihm kennen, seitdem er erstanden war von den Todten. Sie sind gleichsam die ersten Aeußerungen seines neuen Lebens, die ersten 11 beschreibt] beschreiben 3–4 Vgl. Apg 1,9

23–27 Vgl. Röm 6,4f.11

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Zeichen, welche er wieder von sich gegeben, und wodurch er das Band wieder angeknüpft zwischen sich und seinen Jüngern, welches durch den Tod zerrissen war. Zwar hatte er vorher schon die Maria gewecket und sie gefragt: „Weib, was weinest du? wen suchest du?“ das hatte er aber geredet zu ihr gleich wie ein Fremder, ungewiß ob sie ihn erkennen würde, wie sie ihn denn auch nicht erkannte, um sie zur Besinnung und Mittheilung zu bringen über das, was sie so tief bewegte. Aber wenn sie ihm gleich antwortete, so verlor er doch gewissermaßen die Absicht seiner Rede bei ihr und nicht vorher, als er sie bei ihrem Namen rief, ging ihr das Herz auf, daß sie ihn erkannte als ihren Herrn und Meister, und nun erst fing er an in seiner eigenen Person, mit ihrem Wissen, daß er es sei, zu ihr zu reden. Und wie, m. G. redet er zu ihr? Ich bin, sagt er zuerst, ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater, aber, denn das fügt er gleich hinzu, aber ich fahre auf. So erscheint uns dieses recht als die erste Mittheilung über das vollkommene Bewußtsein von der Aehnlichkeit seines gegenwärtigen Zustandes mit seinem frühern Leben, das er, wie er es selbst bekommen hatte nun auch mittheilt. Wenn er sagt: ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater, so vergegenwärtigt er sich dabei, wie seine Jünger und Freunde wol nicht anders erwarten konnten, als daß er schon aufgefahren sei, ganz der Erde entrückt, und zurückgekehrt zu dem, der ihn gesandt. Seine Worte sind so anzusehn, als ob er wußte, sie alle hätten gehört, wie er am Kreuz seinen Geist in die Hände seines Vaters befohlen, und also | nun auch nicht zweifelten, wie ihn denn der Vater immer erhörte, daß das nun auch geschehen sei, aber daß deshalb die Kluft die nicht auszufüllen sein würde, so lange sie noch auf Erden wallten, nun befestigt sei zwischen ihm und ihnen. Dem war aber nicht so. Er war wieder zurückgekehrt in ein menschliches Leben und Dasein, wie er nachher zu seinen Jüngern sagte: „Ich bin nicht ein Geist, schauet mich an, und rühret mich nicht an, ich habe Fleisch und Bein.“ So war er sich dieses bewußt worden, nachdem er dem Grabe entstiegen war, daß ihm Gott, sein Vater, noch etwas vergönne und auftrage, auszurichten auf der Erde, daß er noch nicht ganz zu ihm aufgefahren sei, sondern unter den Menschen wandle; aber doch nur als ein solcher, der im Begriff sei aufzufahren; nicht mehr ganz einheimisch in diesem irdischen Leben, sondern nur noch in bestimmter Beziehung und in bestimmter Absicht da; nicht mehr ganz, wie vorher, denen angehörig, welche am meisten mit ihm gelebt, sondern nun unterwegs schon gleichsam im Begriff aufzufahren zu dem, der ihn gesandt hatte in die Welt. Aber das war nun auch seine erste Aeußerung. Wie er gleich der Maria zeigte und zu erkennen gab, 3–10 Vgl. Joh 20,14–16 21–22 Vgl. Lk 23,46 23 Vgl. Joh 11,42 27–29 Vgl. Lk 24,39. Schleiermachers Verneinung „rühret mich nicht an“ ist entgegen Lk 24,39 vermutlich in Folge des „Rühre mich nicht an“ aus dem Predigttext Joh 20,17 in die Textparaphrase geraten.

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so theilte er sich ihr nun auch so mit, auf daß auch sie erkennen konnte, wie es um das, was sie sah, wie es um seine Anwesenheit auf der Erde beschaffen sei; was für ein Recht sie an ihm habe, und was für ein Recht die Seinigen an ihm hätten, indem er sagt, daß er noch nicht aufgefahren sei. Dieses nun zuerst, dieses aus den Worten unsers Herrn, m. G. lasset uns anwenden, ehe wir weiter gehen, auf unser eigenes Leben. Der Anfang desselben, m. t. Fr.! ist eben so geheimnißvoll, wie der Anfang dieser Tage, die Auferstehung unsers Herrn. Das sagt er selbst, wo er es so deutlich beschreibt in den ersten Zeiten seines öffentlichen Lebens, in seinem Gespräch mit Nicodemo: der Wind weht | wo er will, und du hörest sein Brausen wol, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher der aus dem Geist geboren ist. Und wie wir uns des Erlösers Erwachen von den Todten durch die Kraft des Vaters nicht anders als menschlicher Weise denken können, als ein allmähliges sich Wiederfinden in diesem, demselbigen zwar, aber doch neuem Leben; so ist es auch natürlich und kann nichts anders sein, als daß auch nur allmählig der Gläubige zu einem recht bestimmten Bewußtsein seines vorigen Zustandes kommt. Wie aber nun deshalb, weil wir den ersten Anfang der Wiederkehr des Lebens unsers Erlösers nicht kennen, eben deshalb unsre Gedanken frei umher schweifen und wir uns die mannigfaltigsten Vorstellungen davon bilden können, von denen aber freilich keine genügt, so ist es nun in Beziehung auf unser eigenes Leben in der That und Wahrheit, daß es eine gar mannigfaltige Weise giebt, wie Gott den Menschen aus dem Tod zum Leben führt; bei dem Einen auf plötzliche Weise, bei dem Andern allmählig und unmerklich; bei dem Einen durch manche Erschütterungen und Kämpfe der Natur, bei dem Andern durch eine ganz milde Weise. Aber so wie dieses neue Leben, so verschieden auch in jeden ersten Anfängen, doch in Allen Eins ist und dasselbe, so giebt es auch Ein Bewußtsein desselben, welches in Allen Eins und dasselbe ist: seien es nun die Schmerzen des Bewußtseins der Trennung von Gott, welche der Mensch überwunden hat, indem er durch die Kraft des Höchsten aufgefordert und gewecket wurde zu einem neuen Leben, sei es, daß es ihm erschienen ist, als ob die Schuppen von den Augen seines Geistes fielen und er nun gewahr wurde seine Uebereinstimmung mit Gott und seine Gemeinschaft mit ihm. – So wie das volle Bewußtsein von dem andern Leben da ist, so müssen wir auch wissen, ganz gehören wir nicht mehr dem vorigen Leben, die Herrschaft der Sünde ist gebrochen, sie soll und kann nicht mehr | herrschen in unserm sterblichen Leibe. Das Gesetz in den Gliedern ist überwältigt, und das Gesetz des Geistes verlangt immer mehr und mehr die Herrschaft. Aber was Wunder m. Fr.! wenn es auch solche selige Augenblicke giebt, indem wir uns dieses andern Lebens bewußt werden, wo es uns vorkommt, als wären wir schon 10–12 Joh 3,8

38 Vgl. Röm 7,23

38–39 Vgl. Röm 8,2

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ganz aufgefahren zu Gott, seinem und unserm Vater, als wäre keine Spur und Aehnlichkeit mehr mit dem vorigen Leben in uns; jedoch bald sehen wir, daß dem nicht so ist. Wie Christus gewahr wurde, daß er noch Fleisch und Blut hatte; so werden auch wir gewahr, daß der alte Mensch, wenn gleich überwunden, doch immer noch sich regt, und was können wir denn anders sagen, wie dieses Bewußtsein vollkommen ausdrücken, als darin: Aufgefahren bin ich noch nicht zu meinem und seinem Vater. Die Gemeinschaft ist zwar wieder hergestellt, die Trennung ist überwunden, ich habe das selige Bewußtsein Gott ist in mir, und so kann ich freilich sagen, daß ich im Begriff bin aufzufahren zu seinem und meinem Vater; aber ich bin noch nicht aufgefahren. Es werden noch einzelne Augenblicke genug kommen, wo ich gewahr werde, daß die Sünde noch Zugang in dieses Leben hat, es ist noch nicht allem Regen und Versuchungen entnommen, der Geist ist noch nicht ganz getrennt von dem Irdischen, er fühlt noch sein Dasein, und dies ist nie ohne daß, indem es uns an die Dinge in der Welt heftet, es auch eine Vereinigung hervorbringt in der Seligkeit unsers Bewußtseins von der Gemeinschaft mit Gott. Aber wie nun der Erlöser, als er zu seinem Bewußtsein erwacht war, auch zuerst den Seinigen sich mitgetheilt, und zuerst eine von den Seinigen angeredet um ihr zu sagen, daß er den Tod überwunden, daß er wieder lebe, daß er im Begriff sei aufzufahren – so kann auch der es nicht anders, m. Fr.! welcher mit Christo | begraben ist, aber auch mit ihm erstanden zu einem andern Leben. Und sollte einem solchen wol eine Seele fehlen, die eben so geschickt wäre, diese Nachricht aufzunehmen, wie Maria? Sollte ihm eine Seele fehlen, die eben so bekümmert wäre um ihn, den sie noch todt glaubt, wie Maria, sollte es uns fehlen, da wir doch mit Menschen leben und wissen, in ihr Inneres einzudringen[,] an einem Mittel, sie zum Bewußtsein zu bringen, wie Jesus die Maria, indem er sie beim Namen nannte? Und dann, was können wir seligeres thun, als daß wir ihm eine solche Mittheilung machen! Zwar könnten wir ihnen sagen, wir seien schon aufgefahren, könnten wir ihnen mit Grund sagen, alles sei neu an uns, das Alte sei vergangen und keine Spur davon in uns zu finden – das Zeugniß wäre dann freilich herrlich aber würde Maria sich getraut haben, ihre Augen aufzuschlagen, würde sie fähig gewesen sein die Botschaft, welche der Herr ihr gab, aufzunehmen, wenn er schon wirklich aufgefahren und ihr dann nur Erscheinung gewesen wäre, nicht er selbst, der vor ihr stand? So auch, m. G. können wir nicht sagen, keiner von uns, wenn er nicht das Gefühl, wie er es in den ersten Augenblicken der Seligkeit in sich trägt, ausspricht, sondern, wie er es in seinem ganzen Wandel erfahren hat, keiner ist, der sagen könnte, er sei schon ganz aufgefahren; aber 4 alte] neue 30–31 Vgl. 2Kor 5,17

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wäre es, o, es wäre auch dann die wohlthätige Gemeinschaft nicht und könnte nicht sein zwischen uns und denen, die unsers Zeugnisses bedürfen; so möchte auch wol kein Verkehr möglich sein, wenn so die Menschenkinder auf Erden getheilt wären, einige, die der Erlöser so ganz zu sich gezogen hat, ohne alle Sünde. Nein! Sie könnten dann nicht verstanden, nicht wahrgenommen werden, wären den andern ganz fremd und diese könnten nichts für sich übertragen von ihnen. Wie begeistert wir auch unser neues Leben aussprechen mögen und sagen, daß wir im Begriff sind aufzufahren zu seinem und unserm Gotte, zu seinem und unserm Vater; wie es denn die wahre menschliche Stimme war, die Maria | hörte, die wahre menschliche Gestalt, zu deren Füßen sie im Begriff war, niederzufallen, aber davon abgehalten wurde, indem der Erlöser ihr sagte: rühre mich nicht an, so werden auch die, welche unsere Botschaft vernehmen, immer noch merken, daß wir nicht ganz von ihnen geschieden sind; daß wir, wie sie, recht gut verstehen können, und die Erinnerungen an unsern vorigen Zustand nicht verschwunden sind, wie denn auch die Spuren davon noch in unserm neuen Leben immer wieder kehren, so wird etwas sein in unserm Leben und unserer Rede, wo sie das merken. Aber eben das macht ihnen ein Herz, das öffnet uns die lebendige Gemeinschaft mit ihnen, daß sie wissen, sie können uns verstehen und wir sie, indem das Aehnliche und Selbige einen Uebergang giebt zu dem Verschiedenen. Wie denn der Erlöser nicht überrascht, nicht misvergnügt, nicht gleichsam aufgehalten auf seinem Wege war, sagte, ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater; so m. G., wollen denn auch wir uns beruhigen bei dem Zustande in welchem wir uns befinden; sind wir auch noch nicht aufgefahren, wenn wir nur wirklich unsern Gott lieben im Geiste unsers Herrn, wenn wir nur in der That und Wahrheit sagen können, ich lebe nicht mehr, sondern Christus lebt in mir, aber freilich, was ich lebe in Gott, das lebe ich noch im Fleisch, darum bin ich auch noch nicht ganz aufgefahren, aber ich fahre doch auf, ich weiß, daß ich mich immer mehr erhebe durch die Gnade Gottes, die mich empor trägt über die Sünde, über ihre Gewalt. Ich weiß es, daß es nur noch einige Augenblicke sind, wo sich die Spuren von dem Gott widerstrebenden Gesetz regen, und so sagt denn auch der Apostel wohlbedächtig: nicht, daß wir der Himmelfahrt Christi ähnlich werden, sondern seiner Auferstehung. Wie ihm das vorige Leben fremd war, und wie er alle seine Beziehungen nicht mehr einging, nicht mehr sich zu | schaffen machte mit denen, welche ihm widerstrebt hatten, so wissen auch wir, daß wir nicht in allen Beziehungen die Alten sind, daß wir ein neues Leben begonnen haben, dieses sich immer mehr entwickelt und wir immer näher der Zeit kommen, wo der Herr uns selbst diesem Leben hinweg nehmen kann. 4–5 Vgl. Joh 12,32

27 Vgl. Gal 2,20

33–34 Vgl. Röm 6,5

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Zweitens, aber nun, m. Fr.! lasset uns auch den zweiten Theil in diesen Worten des Erlösers betrachten. Der Erlöser sagt zur Maria nicht nur: ich bin noch nicht aufgefahren, aber ich fahre auf; sondern: gehe hin und sage es meinen Brüdern, ich fahre auf zu meinem Gott und eurem Gott, zu meinem Vater, und zu eurem Vater. Es ist, m. t. Fr.! etwas Eigenthümliches und ein besonderer Nachdruck, welchen der Erlöser offenbar in diese Worte gelegt hat. Pflegte er denn vorher seine Jünger seine Brüder zu nennen? Er sagte ihnen wol, daß sie nicht mehr Knechte wären, sondern Freie, er sagte ihnen wohl, daß sie unter einander Brüder wären; aber Einer sei ihr Herr und Meister. Einmal allerdings, als sie und andre um ihn her waren, um seine Rede zu vernehmen, sagte er: das sind meine Brüder und meine Schwestern, welche das Wort Gottes von mir vernehmen; aber das war eine besondere Veranlassung, indem er erinnert wurde an die, welche ihm durch die Bande der Verwandschaft verbunden waren, und er wollte da nur sagen, daß jenes das engste Band sei, welches ihn an die knüpfte, denen er das Wort Gottes verkündige. Aber hier nennt er sie ausdrücklich seine Brüder, er nennt sie mit diesem zärtlichsten Namen der Freundschaft, mit dem, welcher die vollkommenste Gleichheit ausdrückt, so wie er denn auch sagt: ich fahre aber auf zu meinem Gott und zu eurem Gott, zu meinem Vater, und zu eurem Vater. Das war freilich an und für sich etwas Wohlbekanntes, daß er sie zu seinem Vater führen wollte, welcher auch ihr himmlischer Vater sei, wie oft hatte er so zu ihnen geredet: euer Vater im Himmel und derselbe auch mein Vater; daß es nur einen Gott gebe für sie und für ihn, das war freilich wol und längst | bekannt; aber indem er hier beides auf eine so ausdrückliche Weise sagt in diesem theuren und köstlichen Augenblick, wo gewiß kein vergebliches Wort seinen Lippen entschlüpft ist, was hat er damit gemeint? Nichts anders, m. Fr.!, als indem er sie seine Brüder nennt, als daß die vollkommenste Gemeinschaft zwischen ihnen sei, so wie Gott sein Vater wäre, so wäre er auch der ihrige, aller Unterschied sei nun verschwunden. O, was sollen wir dazu sagen, m. Fr.! wie steigt der Erlöser, er, der doch auf eigenthümliche Weise Gott seinen Vater nennen könnte, und auf ganz eigenthümliche Weise sagen, daß er Eins sei mit ihm, wie steigt er herab zu denen, welche seine Jünger gewesen waren, und indem er zu ihnen herabsteigt, wie hebt er sie zu ihm empor, und dieses jetzt, wo sie gerade glauben mußten, weiter von ihm entfernt zu sein als vorher. Er, der den Tod überwunden hatte, der alles vollendet hatte, was ihm sein Vater befohlen, er, der alle Werke, die er ihm gezeigt, ausgeführt hatte, und sie, deren Beruf eben erst angeht, wie stellt er sie ihm ganz gleich, und 8 Entweder bezieht sich Schleiermacher hier auf eine Kombination aus Joh 15,15 und 8,36, oder in der Predigtnachschrift wäre nach Joh 15,15 „Freie“ in „Freunde“ zu ändern. 9–10 Vgl. Mt 23,8 10–12 Vgl. Lk 8,19–21; ferner Mt 12,46–50; Mk 3,31–35 32 Vgl. Joh 10,30 37 Vgl. Joh 5,19f

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Am 11. April 1830 vormittags

indem er so zu ihnen herabsteigt, will er sie zu sich erheben, sie ihm ganz gleich machen, und jede Trennung aufheben. Wenn uns jene Worte: ich bin noch nicht aufgefahren, an den Ausspruch des Herrn, welchen er that, als er am Kreuze hing, erinnern: Vater in deine Hände befehle ich meinen Geist! so erinnern uns diese Worte, diese Art, wie er seinen Jüngern die freudige Botschaft sendet, gewiß an das große Wort: es ist vollbracht! Dazu war er ja gekommen in die Welt, die Menschen zu sich zu ziehen und so sollte ja auch aller Unterschied aufgehoben sein zwischen ihm und ihnen; hatte der Sohn Gottes sein Leben hingegeben und war auferwecket von den Todten, so sollten auch sie als Kinder Gottes ihm gleich sein und mit ererben seine Herrlichkeit. Ja, m. T. das hat der Erlöser gewollt, das war der Sinn der Worte, welche er an seine Jünger richtete. Er war sich jetzt bewußt, daß er Alles vollendet und also auch, daß das Gebet nun vollendet sei, welches er zu seinem Vater sendete, ehe seine Leiden begannen: „ich will, daß sie unter | einander Eins seien, gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir; ich will, daß die Liebe, damit du mich liebest, sei in ihnen.“ Ist das Gebet erhöret, welch ein Unterschied kann noch sein zu ihm und uns; wenn er uns Alles mitgetheilt hat, uns seinem Vater empfohlen und wenn dieses Gebet erhöret ist. Er ist freilich der Eingeborene, aber indem er in uns lebet, indem er uns zu sich [ ] – ist da auch im Wesen der Sache ein Unterschied, wenn der Sohn Gottes ist und wenn wir Kinder Gottes sind? Mein Gott und Euer Gott, mein Vater und euer Vater, – das sind seine eigenen Worte. Können wir uns diese aneignen m. th. Fr.! ach, was soll uns dann noch fehlen, daß wir nicht sagen können, wir wären aufgehoben zu seinem Vater und unserm Vater? Ist er so der unsrige, wie er der Seinige ist, was kann uns je von ihm trennen? wie könnte je eine Scheidewand sich aufrichten zwischen ihm und uns, wenn doch der Vater in Christo ist und Christus in uns; wenn diese Liebe, mit der der Vater ihn gesandt hat zum Heil der Welt, wenn diese Liebe in uns ist? Aber wozu ist diese Liebe in uns? daß wir eben so, wie er, vollbringen sein Werk, ihn aus uns reden lassen, wo er in uns lebt, die Menschen einladen, daß sie Ruhe finden für ihre Seelen. Steigt der Erlöser so herab zu uns, um uns zu sich zu erheben, o, wie fern, m. T. müssen wir uns halten, wenn wir uns in der That des neuen Lebens bewußt sind, von aller Verkehrtheit des geistigen Hochmuths, der uns trennen möchte von unsern Brüdern. So wie der Erlöser jetzt seine Jünger seine Brüder nennt, so sollen auch wir, wenn das neue Leben in uns aufgegangen ist, nur mit um so zärtlicherer Liebe alle Menschen behandeln, damit sie auf uns hören, damit wir Werkzeuge werden, um ihnen auch dieses neue 17 zu] möglicherweise zu korrigieren in zw[ischen] 20 sich] folgt eine Wortlücke; zu ergänzen nach Joh 12,32 vielleicht zieht oder emporhebt 37 zärtlicherer] zärtlicher 4 Lk 23,46

6 Joh 19,30

14–16 Vgl. Joh 17,21.26

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Leben mitzutheilen. Nicht sollen wir von ihnen uns absondern, was wir ihnen sagen sollen, ist, daß er ihr Vater sei, wie der unsrige, ihr Gott, wie der unsrige, daß sie ihm nahen sollen, der mit seinem theuren Blute uns versöhnet hat, ihm, der seinen Sohn gesandt hat, damit die Welt durch diesen sich mit ihm aussöhnen möchte. Dieser Sinn des Erlösers, mit dem er sich, der Auferstandene, zu den Seinen wandte, möge in uns Allen sein und nur so können wir gesegnete Werkzeuge Gottes sein; nur indem wir wissen, alle die, welche die menschliche Gestalt tragen, alle welche fähig sind, bewegt zu werden in ihren Herzen von der Liebe Gottes, alle die sind derselben Gemeinschaft mit Gott fähig, wie wir, und es ist die Gewalt der zu ihnen herabsteigenden | und sie zu uns erhebenden Liebe, durch welche wir sie dieses Lebens können helfen theilhaftig machen. In eben jenem Gebet, dessen Erfüllung der Erlöser in diesem Augenblick mit solcher Zuversicht aussprach, hat er auch gesagt zu seinem Vater: wie Du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie, und wie konnte er dieses herrlicher bestätigen, als indem er sie seine Brüder nennt. Das ist das Zeichen, welches er zuerst den Seinen gegeben hat, als er wiedergekehrt war in das Leben und das lasset uns mitnehmen von der ersten, und von jeder Feier seiner Auferstehung: wie er von dem Vater gesendet war ohne Sünde, so sendet er uns, so sendet er alle die, welche sich von ihm haben erwecken lassen zu einem neuen Leben, wie der Vater ihn erwecket hat. Nicht kann unser Wort sein, wie das Seine; aber es ist auch nicht das unsere, sondern das Seine, lasset uns dafür sorgen, daß wir nicht leben, sondern er in uns, daß wir nicht reden, sondern er in uns, daß wir nichts dazu thun, was seine Worte verunstalten könnte, sondern daß er in uns lebe, und aus uns rede. O, dann wird auch seine Kraft in uns mächtig sein; dann werden auch wir wirken, um andre Menschen dahin zu bringen, daß sie ihn erkennen, und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden. Amen. Heiliger Gott und Vater! Dir sei Dank und Preis dafür, daß du deinen Sohn vollenden lassen und ihn lebendig gemacht hast im Geist, auferwecket durch deine Kraft und Herrlichkeit, auf daß er die betrübten Gemüther aufrichten und seine im Glauben wankend gewordenen Jünger auf’s Neue erfüllen konnte mit den Kräften des ewigen Lebens. O, laß auch uns immer mehr erfüllt werden mit der Kraft seiner Auferstehung; laß das Bild des Erstandenen unsere Seelen immer mehr reinigen und heiligen, daß wir dessen gedenken, daß wir in ihm den alten Menschen noch sollen begraben sein; aber mit ihm auch auferstanden zu einem neuen Leben, indem wir mit ihm und durch ihn dir allein leben; 37 noch sollen begraben sein] Kj nach ... sein oder ... sein lassen 14–15 Joh 17,18

23 Vgl. Gal 2,20

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Am 11. April 1830 vormittags

wenn du willst unser Vater sein, wie der seine, unser Gott, wie der seine. O, laß uns dieses Trostes, den er selbst uns gegeben hat, voll sein und in der Kraft seines Geistes Zeugen sein seiner Leiden und Auferstehung, damit auch durch uns sein Reich gefördert werde und in uns Schwachen deine Gnade mächtig sei, und wir zeugen, daß alle, in denen du lebst, in diesem Leben schon sich beseligt fühlen, so daß alles, was um sie ist, zu ihrem Besten gereicht und ihnen dient, sie zu dir zu führen. Amen.

5 Vgl. 2Kor 12,9

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Am 12. April 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Ostermontag, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 24,36–43 Nachschrift; SAr 94, Bl. 100r–104v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

II. Ostertag 12. April 1830. Lied 242

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Tex t . Luc. 24, 36–43 „Da sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus mitten unter sie, und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber, und fürchteten sich; meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken? Und warum kommen solche Gedanken in eure Herzen? Sehet meine Hände, und meine Füße, Ich bin es selber; fühlet mich und sehet: denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe. Und da er das sagte, zeigte er ihnen Hände und Füße. Da sie aber noch nicht glaubten vor Freuden, und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen? Und sie legten ihm vor ein Stück vom gebratenen Fisch, und Honigseim. Und er nahm es, und aß vor ihnen.“ M. a. Fr.! Wir wissen was seit der Auferstehung unsers Herrn der Erzählung unsers Textes vorangegangen war. Zuerst hatten seine Jünger die Nachricht davon bekommen, daß er auferstanden sei, hatten selbst gesehen, daß das Grab des Herrn leer war, dann war er der Maria erschienen, und hatte ihr gesagt, was sie seinen Jüngern von seinetwegen sagen sollte; dann hatte er sich zu den beiden gesellt, welche nach Emmaus gingen, und die hatten ihn erst später erkannt, und waren hernach umgekehrt nach Jerusalem. 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 242: „Ueberwinder, nimm die Palmen“ (Melodie von „Sollt’ ich meinem Gott nicht singen“) 16–18 Vgl. Mt 28,1–8; Mk 16,1–8; Lk 24,1–10; Joh 20,1–10 18–19 Vgl. Joh 20,11–18; Mk 16,9f 19–1 Vgl. Lk 24,13– 35

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Am 12. April 1830 früh

Unterdeß war er dem Petrus erschienen, wie diese ihnen erzählten und dann tritt er mitten unter sie. Aber ungeachtet der Zeugnisse glaubten sie doch nicht, und wir finden hier den Erlöser recht gegenüber dem Unglauben seiner Jünger, und da scheint es für die Betrachtung jener heiligen Tage sehr geeignet, daß wir darauf achten, wie sich der Erlöser gegen den Unglauben seiner Jünger bewahre. Zuerst, m. G. kann man zwar nicht sagen, daß sie ganz ungläubig waren, aber sie meinten, sie sähen einen Geist und das war es besonders, wobei der Erlöser sie nicht lassen wollte. Fragen wir nun: hätte denn nicht Gott seine Absicht mit diesen Tagen der Auferstehung unsers Herrn eben so gut erreichen können, wenn er wirklich ein Geist gewesen wäre, wenn er nicht in das menschliche Leben, wie es sich hier so augenscheinlich zeigt, zurück|gekehrt wäre, sondern wäre nur dann und wann seinen Jüngern so erschienen, daß etwas in ihre Sinne fiel, was sie an ihn erinnerte, und daß aber dieses sie so erregte, wie sein wirkliches Auftreten? Solche Fragen, m. B. können wir eigentlich nie beantworten, und immer ist es zwecklos zu fragen, wie und warum dieses oder jenes nicht geschehen sei, und was, wenn es geschehen wäre, die Folge davon sein würde. Eben weil dieses nicht in der göttlichen Ordnung lag, und wir diese nicht zu durchschauen vermögen; aber hier finden wir doch deutlich einen Fingerzeig, daß der Erlöser wollte, sie sollten sich die Sache nicht so erklären. Und davon, m. Fr.! ist der Grund wol auch nicht schwer zu sehen. Denn, was so ganz aus der Ordnung der menschlichen Dinge geht, nicht nur unbegreiflich ist in der Art, wie es entsteht, – denn was wäre da wol in der Natur nicht unbegreiflich? – sondern was auch seinem ganzen Dasein, was sich mit dem Gesetze unsers Seins und Denkens nicht verträgt, das darf nie einen bedeutenden Einfluß auf unsern Willen ausüben, weil eben dieser an feste und sichere Gesetze sich halten soll. Denn wer sein Vertrauen auf etwas dieser Art richtet, der richtet es auf etwas, was ihm heute so, und morgen anders erscheinen kann, was gar nicht so eine feste Gestalt hat, daß es auch in dem menschlichen Gemüth eins und dasselbe sein kann, und worauf sich denn auch, weil es [ ] außer allen Gesetzen geht, nichts gesetzmäßiges bauen läßt. Hier kann nun wol jemand sagen, aber wie war es mit dem Apostel Paulus? Dem erschien ja der Erlöser zu einer Zeit, wo er nicht mehr in diesem menschlichen Leben war, sondern lange nach seiner Himmelfahrt? Zwar, m. A. wissen wir nicht genau, was es mit jener, sollen wir sagen Erscheinung oder Verzückung des Apostels Paulus für eine Bewandniß hat, aber das ist gewiß, wenn nicht diese Zeugnisse von Christi Auferstehung gewesen wären, so würde sich allein | nicht darauf sein 9 hätte] hatte 24 seinem ganzen Dasein] zu ergänzen sinngemäß nach unbegreiflich ist 31 es] folgt eine Wortlücke 33–35 Vgl. Apg 9,1–9; 22,6–11; 26,12–18; Gal 1,11–16

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Glaube gegründet haben. Und darum sehen wir auch in dem Briefe an die Cor., wo er die einzelnen Fälle aufzählt, wie der Herr seinen Jüngern erschienen sei nach der Auferstehung, da fügt er denn auch die ihm gewordene Erscheinung hinzu. Er will sie aber gleichsam nur als einen Anhang zu jenen, als etwas darauf Bezügliches angesehen haben. Der Herr selbst hat sich auch darüber erklärt in der Geschichte von dem reichen Mann und dem armen Lazarus, welche keine andre Abzweckung hat, als uns glauben zu machen, daß auf ein Verkehr mit den Geistern kein rechtes Leben gegründet werden kann, sondern, daß dies allein auf dem Wort Gottes ruht, und darum sagt er, sie haben Mose und die Propheten, laß sie die hören, hören sie die aber nicht so würden sie auch nicht glauben, wenn einer von den Todten auferstände. Und darauf kann kein ächter Glaube gegründet werden. Solchen aber wollte Christus von seinen Jüngern haben, auf diesen nur konnte das Reich Gottes gebaut werden und darum war es ihm so wichtig, seine Jünger von diesem Gedanken zu befreien. Und er fragt sie verwundert, wie denn nach so vielen Zeugnissen solche Gedanken in ihr Herz kommen könnten. Was thut nun aber der Erlöser, um sie hiervon zurückzuführen? Er fordert sie auf, daß sie ihre Sinne sollten zu Hülfe nehmen, sehen und hören, damit sie sich von dem Richtigen überzeugten, daß durch den Sinn der Betastung sie erfahren sollten, er habe Fleisch und Bein, sei nicht ein Geist, sondern ganz zurückgekehrt in das menschliche Leben. Was so in das Gebiet der äußerlichen Wahrnehmung und Erfahrung gehört, dafür giebt es keine andre Entscheidung als die durch unsre Sinne, und das Zusammentreffen derselben auf ein Ergebniß, und wie nun die Jünger den Herrn nicht nur sahen, sondern auch hörten, ihn betasteten und was der Herr sagt, im Zusammenhang war den Frühern und sich auf dieses bezog, so daß sie nicht zweifeln konnten, er sei derselbe, mit dem sie bisher gelebt, da freilich wußten sie es. Aber allerdings hätten sie wol auch ohne das glauben | können, eben weil sie schon so viele Zeugnisse vor sich hatten, deren Uhrheber ja auch nicht ohne Prüfung gehandelt. Die beiden Jünger haben ihnen ja schon erzählt wie Jesus mit ihnen gegangen sei, wie er kein Geist gewesen, wie er sich mit ihnen zu Tisch gesetzt und sie ihn an dem Brotbrechen erkannt, und so erzählen denn auch die Jünger, daß er auch dem Petrus erschienen sei. Wie dies nun geschehen sei, wissen wir weiter nicht, nur daß der Apostel Paulus dieses Zusammentreffen auch erwähnt in dem Briefe an die Corinther; aber Petrus war ja einer von den beiden, welche zuerst Muth und Prüfungsgeist genug hatten, in das leere Grab zu steigen und zu sehen, ob nicht noch Spuren von dem Erlöser da wären. 26 den] Kj mit dem 1–4 Vgl. 1Kor 15,3–9 34 Vgl. Lk 24,13–35

29 eben] aber 5–7 Vgl. Lk 16,19–31 35–36 Vgl. 1Kor 15,5

10–12 Vgl. Lk 16,29.31 36–38 Vgl. Joh 20,3–7

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Das war also ein Mann auf dessen Unerschrockenheit und Ruhe und auf dessen PstS[ ] gebildetes Urtheil etwas zu geben war, aber doch glaubten sie noch nicht. Und nun, statt sie zu schelten über diesen Unglauben, statt unwillig darüber zu sein ist es doch nur ein Ton eines leisen Vorwurfs eines göttlichen Bedauerns, daß der Erlöser zu ihnen sagt: kommen doch noch solche Gedanken in eure Herzen, und um sie nun zu dem Glauben zu bringen, daß er wirklich lebe, so fordert er sie zu der genausten Prüfung auf. Dieses, m. a. Fr.! muß uns ja lehren, – denn wem könnten wir, wie in Allem, so auch hierin, besser folgen als dem Erlöser? – wie wir es mit dem Unglauben zu halten haben, wenn er uns umgiebt in dem Kreis unsers Lebens. Gewiß doch nicht anders, als der Erlöser. Die Auferstehung unsers Herrn ist von Anfang an eine rechte Zielscheibe für den den Christen feindlichen Unglauben gewesen; aber auch ein bedenklicher Gegenstand der Prüfung für eine Menge wohlgesinnter Gemüther, welche an und für sich nicht weit entfernt waren von dem Reiche Gottes, aber denen doch diese Begebenheit zu sehr außer aller Aehnlichkeit zu sein schien mit dem, was uns umgiebt, als daß sie daran glauben könnten. | Wenn aber nun eine Geschichte erzählt wird und so erzählt, so muß man sich doch etwas dabei denken. Mochten sie also denken, die Jünger wären getäuscht worden durch ihren lebhaften Wunsch, den Erlöser zu sehen, oder sie selbst hätten andre getäuscht, so waren das immer sehr unzureichende Erklärungen der Sache. Und wer nur Neigung und Fähigkeit hat, selbst genauer zu prüfen, der wird wol finden, daß er sich dabei nicht beruhigen kann. Aber deshalb können wir keine Ursach haben, uns über diesen Unglauben zu ereifern und ihm solche Voraussetzungen, welche die Liebe beengen, zuzuschreiben. So wie wir das thun, thun wir nicht, wie der Erlöser. Dieser behandelt den Unglauben seiner Jünger nicht so, daß man ihm zuschriebe eine Beschränktheit des Verstandes, welche sich nicht über das Alltägliche erheben kann, oder eine Unlust des Herzens, welche den großen Rathschluß Gottes anzuerkennen hinderlich ist. So that der Erlöser nicht mit seinen Jüngern, sondern was er that, war, daß er sich selbst in ihren Unglauben hineindachte, und ihnen, wie er konnte zu Hülfe kam. Und so nun, wie er, und nicht anders, sollen auch wir diesen Unglauben behandeln. Giebt der Erlöser sich selbst her, seine eigene Person, damit die Jünger daran erfahren konnten, wie es denn wirklich mit seiner Auferstehung beschaffen sei, so sollten wir nicht einmal die Bücher welche hiervon handeln hergeben damit jeder sie genau prüfen könne, untersuchen, wie die Nachrichten zusammenstimmen und welches wol die wahrscheinlichste Erklärung sei? Wenn wir dieses nun ver2 dessen] folgt ein Wortanfang und eine Lücke einer 29 den großen] der große 14–15 Anspielung auf Mk 12,34

2 gebildetes] gebildeten

29 eine]

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weigern, so thun wir nicht, wie der Erlöser. Wenn wir sagen, wer nicht im Voraus an sie glaubt, darf diese Bücher nicht anrühren; wer sie so behandeln will, wie andre menschliche Schriften, der darf nicht an sie gehen, dann handeln wir ganz anders wie der Erlöser mit seinen Jüngern. Und mit seinen Jüngern ebenfalls würden wir das anders handeln, denn denen, welche dieses erforschen, ist doch daran gelegen, zu wissen, wie es sei, | und so sind sie auf dem Wege des Heils. Und wenn es ihnen nur noch darauf ankommt, sich dieses klar zu machen, so folgt ja schon, daß sie gegen den Erlöser selbst, gegen sein ganzes Dasein und seine Lehre nichts einzuwenden haben. Warum wollen wir ihnen dann diese Bücher nicht hergeben zur Prüfung, welche ja jedes Zeugniß vereint in sich, was sich daraus ergiebt; es kann wol nicht unser Glaube sein, welcher uns daran hindert, sondern eigentlich möchte es wol so damit stehen: der Erlöser, weil er es selbst war, der sich der Betastung hingab, der war seiner Sache gewiß, daß wenn die Jünger prüften, sie wol finden mußten, daß er selbst es sei, der vor ihnen stehe. Aber wenn wir die Prüfung dieser Bücher wehren wollen, so ist zu fürchten, daß da noch ein verborgener Unglaube im Hinterhalt liege, und wir am Ende auch wol können in unserm Glauben irre gemacht werden. Können wir das aber nun wohl, so bedürfen wir ja selbst auch neuer Gründe und Zeugen, damit das Herz recht fest werde. – Aber freilich es möchte jemand sagen, der Erlöser ist doch nicht überall gegen den Unglauben so nachsichtig gewesen? Wir finden hernach, daß er eben so mild war gegen einen noch Ungläubigern, welcher außer allen jenen Zeugnissen auch noch das dieses Tages hatte, doch sagt, wenn er ihn nicht selbst sähe, wenn er nicht seine Hand in seine Seite legen, und die Finger in seine Nägelmahle, so wolle er es nicht glauben. Gegen den war er eben so mild, und zeigte sich ihm auch, und gab sich ihm zur Prüfung hin. Aber von diesem Tag der Ostern wo die beiden nach Emmaus gingen und er sich zu ihnen gesellt, da führt er doch eine strenge Rede, indem er sagt: „ihr Thoren, und trägen Herzens, zu glauben alle dem, was die Propheten geredet haben.“ Das ist freilich wahr; aber dieser Unglaube war auch nicht von derselben Art, wie jener andere. Sie sagten, sie hätten zwar gehofft, | Jesus werde Israel erlösen, aber da der nun gekreuzigt sei, so sähen sie wol, daß sie eine eitle Erwartung gehegt. Das war ein andrer Unglaube, ein solcher, der das Höhere in das Gebiet der niederen Dinge zieht und aus diesem ableiten will, der da meint, daß das Reich Gottes kommen werde mit äußerer Geberde, obgleich der Erlöser gesagt, daß dem nicht so sei. In diesem Unglauben war der Herr streng, und wie Ihr wollt hart. Aber deshalb, weil er voraussetzt, daß sie den ganzen Zusammenhang in seinem Leben und den ganzen tiefen Sinn in den Erwartungen seines Volkes nicht so begriffen hatten, wie 20 Anspielung auf Hebr 13,9 24,25 32–34 Vgl. Lk 24,20f

22–26 Vgl. Joh 20,24–29, bes. 25 36–37 Vgl. Lk 17,20f

29–30 Lk

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er es ihnen deutlich gemacht. Wenn nun, m. Fr.! der Mensch so auf das Höhere gewiesen wird, wie die, welche an ihn glaubten, während er lebte, wenn die Herrlichkeit eines reinen unbefleckten Lebens so vor die Menschen tritt, wie es denen geschehen, welche dem Erlöser angehörten, und dann zeigt sich doch, daß das eigentliche Tichten und Trachten ihres Herzens nur auf ein Aeußeres geht, daß es an etwas, das Fleisch ist, hängt, so ist das der schlimme Unglaube, welcher nicht anders ausfährt, als durch Anwendung einer geistigen Gewalt, und darum mußte der Erlöser sie auf die Thorheit hinführen, welche sich nicht losmachen konnte, von den niedrigen Vorstellungen, welche sie umgaben; auf die Thorheit, welche ihm nicht zu folgen vermochte, wie sehr er ihnen auch voranging auf dem rechten Wege des Lebens. Wo wir nun, m. Th. einen solchen Unglauben finden, an dieses höhere, geistige Leben, mit dem ist freilich etwas anders, als mit dem Unglauben in Beziehung auf das, was in das Gebiet der Erscheinung gehört. Denn hier giebt Glaube und Unglaube immer ein Zeichen von dem Tichten und Trachten des Herzens nach dem Wahren. Wer aber nicht glaubt an eine höhere Ordnung des Lebens, der hängt noch ganz an dem Irdischen, kennt noch keine Bedürfnisse, welche über dieses hinausgehen, und glaubt in ihnen seine Befriedigung zu finden, wenn es nur etwas geschmückt und erhoben ist über das Gemeine und Alltägliche. Und das ist die schlechteste Art des Unglaubens, wo wir in Gefahr stehen uns mit dem Geringen zu begnügen, da wir doch das | Höhere haben können. Wenn nun, m. t. Fr.! dies Osterfest niemals von uns gefeiert werden soll, als indem wir denken an das Bild, welches der Apostel aufstellt, indem er sagt, daß unser Leben, indem wir von den Todten erweckt werden, dem des auferstandenen Erlösers gleicht, so lasset uns nun auch in dieser Beziehung eine Anwendung machen von dem, was wir gelesen haben. Wenn die Menschen an das neue Leben nicht glauben können, welches wir der Auferstehung des Herrn ähnlich führen, so können sie freilich verlangen, daß wir ihnen zeigen, wie es nun stehe um dieses neue Leben, um diese Erlösung durch Christum. Und wenn sie fragen, sind denn die, welche an den Erlöser glauben, besser als andre, haben sie die Schwachheiten der alten Natur ganz abgelegt, sobald sie den Namen des Erlösers bekennen, flieht da auf einmal die Sünde aus ihrem Fleisch und Gebein? Wenn sie sagen, sehet doch da und dort hin, wo der Name eures Erlösers nie verkündet ist, was ihr da für herrliche Tugend findet? Ist etwa da der Mensch ohne Liebe, ohne die Neigung, alle die geistigen Gaben, welche Gott ihm mitgetheilt, auf andre zu übertragen? Finden wir nicht überall diese leben14 das Gebiet] dem Gebiet 5–6 Vgl. Gen 8,21; das anlautende „T“ bei „Tichten“ findet sich auch bei Luther und bei schlesischen Dichtern des Barock. 24–26 Vgl. Röm 6,3–11, bes. 4f

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dige Thätigkeit des Geistes, der nach der Wahrheit ringt und das zu vollbringen sucht, was ihm als gut erscheint? So werden wir ihnen das wol zugestehen, und sagen, daß das neue Leben, welches der Erlöser uns bereitet, noch die Gebrechlichkeit und Schwachheit dieses alten Lebens an sich trägt, aber wenn wir sie auffordern wollten, daß sie doch einen Unterschied zugeben sollen zwischen denen, welche an den Erlöser glauben und nach ihm handeln, und zwischen den andern, daß sie doch in der Gemeinschaft, welche seinen Namen bekennen, etwas Christus ähnliches anerkennen, – und das müssen wir ihnen doch zumuthen, wenn wir ihnen unsern Glauben entgegentragen – was sollen wir da mit ihrem Unglauben machen? Sehet da, m. Fr.!, dann handelt es sich auch um etwas, was in das Gebiet der [ ] und Erfahrung gehört, und wenn sie sich nicht eben so davon überzeugen können, wie die Jünger, von der Wahrheit, daß Christus in das Leben zurück gekehrt sei, wie sollen wir | ihnen denn da den Glauben begründen? Dann, m. Fr.! muß das das Zeugniß sein, welches wir vor ihnen ablegen, daß wir unser Leben dem Seinigen ähnlicher machen, daß wir mit ihnen forschen, daß wir sein Bild darstellen, die Menschen nöthigen, daß sie an uns seine Züge erkennen; und wenn auch nur ein schwacher Schatten von der Herrlichkeit, welche uns in ihm erschienen ist, als die des eingeborenen Sohnes vom Vater. Und soll es ihnen eine [ ] werden, so müssen wir uns ihnen zur Prüfung hingeben, und jemehr wir unserm [ ] in seinem ganzen Zusammenhang enthüllen, je weniger wir Anstand nehmen, das, was wir in uns als die Gnade Gottes erkennen, auch dem Erlöser zuzuschreiben, um desto mehr werden wir sie nöthigen zu dem Glauben, und zwar freilich nur in dem Maaße, als das, was wir ihnen zeigen, auch eines solchen Bestrebens würdig ist, als wir die Züge des Erlösers darstellen[,] und diese in unserm ganzen Leben darzustellen, und rein zu erhalten, ist das, was wir ihnen schuldig sind. Sagt man nun, der Unglaube sei dadurch aber doch nicht überwunden, was thut man anders, als daß man das Wort des Herrn selbst Lügen straft, indem dieser sagt: der Glaube überwindet die Welt und überwindet er diese, dann muß er ja auch den Unglauben überwinden. Gehen wir nun zurück auf die Geschichte des Christenthums und sehen, wie dieser Glaube alles überwunden hat, wie er Arme und Reiche, Hohe und Niedrige zu einem gemeinsamen Leben gesammelt, und wir fragen uns: wie ist dieser Glaube entstanden, so müssen wir doch sagen, in den ersten Zeiten war es das lebendige Zeugniß der Jünger, welche den Herrn gesehen und welche die lebendigen Zeugen seines Wiedererscheinens nach dem Tode wa11 der] folgt eine Wortlücke; vielleicht nach einer oben gebrauchten Parallelformulierung zu ergänzen Wahrnehmung 20 eine] folgt eine Wortlücke 21 unserm] folgt eine Wortlücke 18–20 Vgl. Joh 1,14

30 Vgl. Joh 16,33 in Verbindung mit 1Joh 5,4

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ren, welches ihn gründete. Aber als dies Geschlecht vergangen war und auch die ausgestorben waren, welche dieses Zeugniß als aus jener Munde vernommen, fortsetzen konnten, und als allmählig die Bücher erschienen, welche uns das Bild des Erlösers aufbewahren, und die zwar sehr köstlich sind; aber sie erschienen doch erst allmählig, und waren eine ganze Zeit | noch nicht vorhanden. Wodurch ist nun denn dieser Glaube an den Erlöser entstanden? Durch nichts anders als durch dieses Zeugniß der Werke. Es ist etwas in den Menschen, was ihnen sagt, es sei etwas besonderes in denen, welche den Namen des Erlösers bekennen, und wie auch ein solches Leben noch von Schwachheiten verdunkelt wird, es ist doch ein Zeugniß für die Wahrheit des Lebens des Erlösers. Aber je heller es erscheint, so daß wir sagen müssen, alles Gute und Liebe, was uns hier erscheint, ist nichts anderem zuzuschreiben als dem Verhältniß, in welchem wir zu dem Erlöser stehen, ein um so kräftigeres Zeugniß legt er uns ab. Das ist das Zeugniß, welches auch wir ablegen können; aber je mehr wir uns der Prüfung hingeben, je mehr wir uns reinigen von allem, was dem Erlöser nicht angehört, um desto bessere Zeugen seiner Auferstehung werden wir auch sein. Und dazu, m. T. und zu der duldenden Liebe gegen die, welche nicht glauben können, was über das irdische Leben hinaus geht, mögen wir immer geschickter werden. So wollen wir unsern Glauben festhalten, um ihn zu offenbaren, auf daß auch wir das sein, worauf die Jünger des Herrn ihren Ruhm setzten, ähnliche Zeugen seiner Auferstehung, seiner fortwährenden Wirksamkeit durch das Geschlecht seiner Brüder. Dazu mögen wir uns denn immer mehr heiligen durch die Kraft seines Geistes und Wortes. Amen. Lied: 213.

14 er] vielleicht zu korrigieren in es 25 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 213: „Auf, ihr Christen, laßt uns singen“ (Melodie von „Wachet auf, ruft uns die Stimme“)

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Quasimodogeniti, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 20,23 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 94, Bl. 105r–110v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

Die göttliche Ordnung in der Vergebung der Sünden 18. April 1830. Lied 42. 315

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Tex t . Joh. 20, 23. „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ M. a. Fr.! Schon oft habe ich in dieser Zeit, wo wir gewöhnlich ganz besonders des auferstandenen Erlösers gedenken, und uns zurück versetzten in jene Tage, wo er bisweilen seinen Jüngern erschien, um mit ihnen zu handeln vom Reiche Gottes; – oft schon habe ich über diese Worte geredet von dieser Stätte; aber sie sind unerschöpflich, ihrem großen Inhalt nach, und immer wieder ein Gegenstand der tiefsten Bewunderung und der größten Freude; und heute eben so wenig wie ehemals oder künftig werde ich, oder irgend ein anderer im Stande sein, ihren Inhalt ganz zu erschöpfen. Es ist, m. Fr.! was der Erlöser hier sagt, die göttliche Ordnung in der Vergebung der Sünden, welche er uns in wenig Worten vorlegt, und zwar so, daß er zu den Seinigen redet, nicht als ob sie die wären, welche zu empfangen haben, sondern die, welche geben und austheilen, von welchen dieses große Werk, dieses erste Element aller Seligkeit ausgehen und sich verbrei2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 42: „Zeige dich uns ohne Hülle“ (Melodie von „Schmücke dich, o liebe Seele“); Nr. 315: „Uns bindet, Herr, dein Wort zusammen“ (Melodie von „Mein Jesu, dem die Seraphinen“) 9–10 Vgl. die Predigten am 10. November 1811, am 9. April 1820, am 29. April 1821, am 14. April 1822 jeweils vormittags sowie am 16. April 1827 früh

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ten soll. So lasset uns denn dieser Ordnung, so weit es die Kürze der Zeit zulassen wird, in den Worten des Erlösers nachgehen; es ist aber dabei wol zuerst nothwendig, daß wir uns fragen, wem er das eigentlich sagt? weil wir sonst gar nicht im Stande sein können, unsern Antheil und Verhältniß zu dieser Rede des Herrn zu erkennen; zweitens, laßt uns fragen, was er denn damit gemeint hat, – und dann werden wir zuletzt drittens sehen können, was wir denn zu thun haben, damit diese göttliche Ordnung ihren Gang fortgehe?

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I. Was nun die erste Frage betrifft, zu wem der Erlöser dies gesagt hat, so können wir, wenn wir die Erzählung unsers Evangeliums mit einer andern an dieselben Sache, die wir bei dem Evangelium daran finden, vergleichen, ziemlich genau bestimmen, wer denn damals zugegen gewesen und diese Worte aus dem Munde des Herrn vernommen hat. Wir denken freilich zuerst an die Apostel, wenn Johannes sagt: „Des Abends aber desselben Sabbaths, da die Jünger versammelt waren, kam Jesus und trat mitten unter sie.“ Und diese waren denn auch allerdings dort anwesend, bis auf den Einen von dem Johannes ausdrücklich sagt, daß er nicht dabei war, und daß er damals nicht den Herrn gesehen und gehört; aber m. T. es waren gar nicht die Apostel allein, welche versammelt waren, so daß wir etwa glauben könnten, auf | sie habe er ausschließlich dieses große Amt gelegt, sie nur wären es gewesen, welche in dieser Art seine Stelle vertreten sollten auf Erden die Sünden zu vergeben oder sie zu behalten; denn der Evangelist Lucas erzählt uns, daß die beiden Jünger, zu welchen der Herr sich gesellt auf dem Wege nach Emmaus, zur Stunde, wo sie ihn erkannten, umkehrten nach Jerusalem, und hier die 11 beisammen fanden, aber nicht nur diese, sondern auch die bei ihnen waren. Die bei ihnen waren aber, wissen wir aus andern Erzählungen, waren die Brüder des Herrn, welche erst seit kurzem gläubig geworden waren, und die Frauen, welche mit zu der Gesellschaft des Herrn gehörten. Diese waren da zusammen, und zu ihnen insgesammt sagt der Herr die Worte unsers Textes. So ist denn gar nicht daran zu denken, daß der Erlöser eine solche Theilung mit den Seinen machen wollte, wie wir es glauben könnten, wenn die Apostel allein gewesen wären, und daß er ihnen nun dieses aufgetragen, und dann, wenn dieses große Amt nicht sollte untergehen, wäre es auch wol möglich, daß sie wieder andre sich erwählt, denen sie es auftrugen, und hat der Herr 11 an dieselben ... daran finden] Kj von derselben Sache, die wir bei dem Evangelium davor finden 14–16 Joh 20,19 17–18 Vgl. Joh 20,24 22–26 Vgl. Lk 24,13–35, bes. 33 27–28 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf Joh 7,5 und Apg 1,14. 28– 29 Vgl. Mt 28,1–10; Lk 8,1–3; 24,9f; Joh 20,18; Apg 1,14

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selbst solche Theilung gemacht unter den Seinen, daß nur Einige die Sünden vergeben konnten, und die andern sich an sie wenden mußten, dann hätten wir auch ein Recht zu glauben, daß es immer so bleiben solle; aber wenn nun die, zu welchen der Herr dieses sprach, aus allen Theilen einer christlichen Gemeine bestanden, aus seinen nächsten und treuesten Jüngern, und aus solchen, die erst kürzlich sich zu ihm gewendet, aus seinen Anhängern beider Geschlechter, – wie können wir anders sagen, als was der Herr hier geredet, muß sich auf alle beziehen, die an ihn glauben, und auch hier können wir das Wort aus seinem hohenpriesterlichen Gebet anwenden, daß, was er für seine Jünger bat, er für alle bat, die durch sein Wort an ihn glauben. Und so können wir denn nicht anders sagen, als daß der Herr dies gesagt an alle die Seinen, und eine jede Gemeinschaft auf Erden die an ihn glaubt, hat ein Recht sich dieses Wort des Erlösers anzueignen. Aber freilich, wir können das kaum ausgedacht haben, und es uns vergegenwärtigen wollen, so müssen wir auf eine Menge von Schwierigkeiten kommen. Wenn es Alle sind, auf welche diese Rede des Herrn zu beziehen ist, so ist doch kein Einzelner ausgeschlossen, und es sind denn doch nicht Alle, wenn sie nicht Alle | zusammenstimmen. Ist nun eine so große Mannigfaltigkeit unter den Bekennern des Evangeliums die auch nicht soll ausgetilgt werden; giebt es so gar verschiedene Urtheile über einzelne Menschen und über einzelne Handlungen, wie sollen nun in diesem alle zusammenstimmen? und wenn es so ist, soll denn nun doch das sein, was wir gesehen, daß es nicht in jenen Worten liege, daß nur Einigen dieses Recht übertragen sei? Das werden wir wol nicht behaupten; aber es war eben des Erlösers innigste Meinung, indem er dieses sagte, alle die Seinigen mit einander zu verbinden; er wollte, daß Ein Geist sie beseele, indem er dieses große Wort sprach: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Sollen wir uns nun denken, daß ein Einzelner oder einige Wenige erlangen können, daß sich alle andre nach ihnen richten? Von einer solchen Ungleichheit hat der Herr nie etwas gesagt, er der immer zu seinen Jüngern sprach: „unter euch giebt es Keinen welcher der Größte, Keinen welcher der Kleinste ist; keiner soll unter euch sich Meister nennen lassen, sondern ihr seid alle gleich, einer ist nur euer Meister.“ Und wenn nun alle übrigen unter einander einig wären, einer jedoch wollte sich ausschließen und nicht vergeben, sollte es denn auch nicht vergeben sein? Nein, das hat der Erlöser nicht denken und sagen können! So werden wir denn freilich sagen müssen: dieses ganze 32 Größte, Keinen] Größte, Keiner 9–11 Vgl. Joh 17,20 31–34 Hierbei handelt es sich nicht um ein wirkliches Zitat. Schleiermacher bezieht sich vor allem auf Mt 23,8; im Hintergrund stehen weitere Formulierungen aus Mt 11,11; 18,1; 20,26; Lk 9,48; Joh 13,13.

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große Wort hängt denn doch mit seiner Wahrheit ganz ab von der Einheit der Christen unter einander und wir mögen wol sagen, mag es noch so große Verschiedenheiten unter ihnen geben in Beziehung auf einzelne Lehren der Schrift, auf einzelne Gebräuche des Gottesdienstes, und Ordnung der Gemeine, und was ihr immer wollt, mag es in diesen auch Verschiedenheiten geben, so lange die Gemeine in dem einig ist, wie die Sünden vergeben werden, so lange ist sie immer eins, so einig, wie der Herr gewollt hat, daß sie sein soll; aber wenn sich darin ein Zwiespalt erhebt, wenn die einen so, die andern so die Sünden vergeben wollen, dann müssen sie sich trennen und gesondert gehen, jeder kann mit den Seinigen, aber keiner mit den andern zusammenwirken zu dessen großem Werke des Herrn. Hat nun der Herr, welcher seine Kirche leitet, von Zeit zu Zeit gelitten, daß Trennungen in derselben bestanden, daß die, welche eins sein sollen, sich in verschiedene Gemeinschaften gespalten haben, so ist gewiß dieses der einzige wahre Grund, daß sie nicht eins sein konnten in Beziehung auf dieses große | Wort des Herrn; denn alles andre könnte nicht wichtig genug sein, eine solche Trennung zu unterhalten. Wie groß aber auch das Bestreben in der christlichen Kirche gewesen ist, hierin die Einigkeit zu erhalten, das können wir aus wenigen Beispielen deutlich genug sehen. Als am Tage der Pfingsten Petrus auftrat und redete, so redete er nicht für sich allein, sondern für alle, welche versammelt, und von demselben Geiste beseelt waren, und als er nun sprach zu der anwesenden Menge, nachdem ihr seine Worte durch das Herz gegangen waren: „thut Buße, und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zu Vergebung der Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des heiligen Glaubens.“ So war das nicht sein Wort, sondern er sprach aus dem Herzen aller, und alle waren Ein Herz und Eine Seele, und darum nun, als eine solche Menge hinzugethan wurde zu dem Glauben, und dieser die Sünden vergeben wurden, da war das der Wille aller, und alle stimmten überein und nahmen die als ihre Brüder auf, welche sich taufen ließen auf den Namen Christi zur Vergebung der Sünden. Als der Apostel Paulus aus der Gemeine zu Korinth hörte, daß einer unter den Gläubigen ein Aergerniß gegeben, wie er sagte, daß es auch unter den Heiden nicht vorkomme, da ergrimmte er freilich fast im Geist, indem er wußte, daß, weil dieses schon so lange fortdaure der Sünder nicht zu einer Erkenntniß der Sünde gekommen sei, und da sagte er: „ich habe beschlossen im Geist, mit euch zusammen, daß dieser übergeben werden dem Satan 11 zu dessen großem Werke des Herrn] Kj zu dessen großem Werke oder zu diesem großen Werke des Herrn 25 Glaubens] vielleicht mit Apg 2,38 zu korrigieren in Geistes 36 dem Satan] den Seelen 19–20 Vgl. Apg 2,14–36 22–23 Vgl. Apg 2,37 23–25 Apg 2,38 Apg 4,32 30–33 Vgl. 1Kor 5,1 35–1 Vgl. 1Kor 5,3–5

26–27 Vgl.

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zur Rettung seiner Seele.“ Nicht er allein wollte, sondern mit ihm alle Glieder der Gemeine, und wie er überzeugt war, daß sie alle es wollten, so thaten sie auch; aber da er abwesend war, sie aber zugegen, und die Reue des Sünders erblickten, so wollten sie ihm vergeben, und der Apostel sprach dazu: „wem ihr vergebet, dem vergebe auch ich.“ Und so waren sie Ein Herz und Eine Seele, und der Apostel handelte gemeinsam mit der Gemeine und nahm sich nichts heraus vor ihr. So lange dieses ist, so lange die Einheit ist, so lange steht es auch gut um die Gemeine der Christen, und dann sollen wir uns auch nicht einreden lassen, als ob es etwas gebe, was uns von einander scheiden könne; wenn wir hierin gleich sind, in Anderem aber der Eine anders als der Andre, dann saget getrost, der Herr wird uns das | Weitere offenbaren, und wenn wir in dem Einen einig sind, werden wir es auch in dem andern werden. Sehet da, m. Fr.! anders also nicht hat der Herr das aussprechen wollen, als daß es ein gemeinsames Werk aller sei für alle Zeiten, aber darum stellt er es auch so dar, daß Alle dazu mitwirken müssen, wenn es so sein soll, wie er sagt: „welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ So ist es denn gewiß, daß auch wir alle unser Theil daran haben und daß wir alle einander darin gleich sind; aber auch daß wir den größten Fleiß darauf zu wenden haben, daß wir Alle in einerlei Geist die Sünden vergeben, und behalten. II. Aber nun, m. t. Fr.! laßt uns fragen, was denn der Erlöser doch eigentlich damit gemeint hat, wenn er zu seinen Jüngern sagte: „welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Nicht ein Wort der Erläuterung fügt er weiter hinzu, und da war auch keiner unter den Anwesenden, der gefragt: Herr, wie soll solches doch zugehen? der sich gewundert, daß ihm eine so große Sache, wenn auch nicht allein doch mit anvertraut sein soll, und der nicht bescheid gewußt, wie das zu machen. Ist ihnen nun das als etwas bekanntes und was sich von selbst verstehe, erschienen, oder, wie sie damals eine gewisse Scheue hatten vor dem Herrn, getrauten sie sich nicht ihn zu fragen, und warteten was er ihnen von selbst sagen würde, haben sie sich darauf verlassen, daß, was sie noch nicht verstanden, der Geist ihnen erklären würde, welcher sie in alle Wahrheit leiten soll, – wie es auch damit gewesen sein mag, so müssen wir uns doch fragen, was denn der Herr denn hier eigentlich hat sagen wollen; denn das müssen wir ja vor allem wissen, um uns an diese Worte zu halten. Von dem Sünden vergeben, m. F.! müssen wir alle eine Erfahrung haben, wir müssen es wissen in unserm Gemüth, was für ein Unterschied zwischen dem Menschen sei dem die 3–4 Vgl. 2Kor 2,5–10 5 2Kor 2,10 5–6 Vgl. Apg 4,32 Bezug auf Phil 3,15 33–34 Vgl. Joh 16,12f

11–12 Vermutlich

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Sünden vergeben, und denen sie behalten ist. Diesen finden wir freilich auch in den Zeiten des Alten Bundes ausgesprochen: „Als ich meine Sünden verschweigen wollte, sagt der Psalmist, da verschmachteten meine Gebeine, denn deine Hand lag schwer auf mir; da ich sie aber bekannte, warst du treu und gnädig, und vergabst sie mir.“ So also m. Fr.! ist der Unterschied schon damals gewesen, schon damals, wo doch noch nicht | der große Unterschied war zwischen dem Menschen, der aufgenommen ist in das Reich Gottes, welcher den Geist der Wahrheit hat und frei geworden ist durch diesen. Dieser Unterschied war damals noch nicht bekannt, und doch war schon so groß der Unterschied zwischen dem Menschen, dem die Sünde vergeben und denen sie behalten sind. Aber wenn wir fragen, wie denn die Sünde vergeben wird, so müssen wir davon auch eine Erfahrung haben; aber es erscheint uns immer als eine Sache, die vergangen ist zwischen Gott und uns, zwischen Christo und uns, als ein Werk der tiefsten Stille, der größten Verborgenheit, und wenn man uns fragte, wie es denn damit sei, so würden wir nur sagen könne, es gebe nur Einen, der die Sünden vergeben könne, Gott, und nur Einen in dem sie vergeben werden, Christum. Aber ganz anders redet der Erlöser – gewiß nicht, daß er die Vergebung der Sünden einem andern zuschreiben wolle als dem, welcher die Herzen der Menschen in seiner Hand hält, und sie wägt mit gerechtem Maaß; nicht daß er einen andern aufstellen wolle, als sich, um den Gott den Sündern vergebe, für seine Treue, seine Kämpfe, seinen Gehorsam bis zum Tod; aber zu diesem sagt er doch: ihr seid es, durch welche die Sünden vergeben werden; wenn ihr durch die sie vergeben werden sie vergebet, dann sind sie vergeben, und dieses, wie wir vorhin gesehen, bezieht sich ja auf alle, die an ihn glauben, und also auch auf uns. Jedoch nur, m. Fr.! wenn der Geist des lebendigen Gottes, welcher die Sünden vergiebt, in uns lebt, nur, wenn wir mit dem vereint sind, um dessentwillen die Sünden vergeben werden, dann nur können wir hoffen und glauben, daß die Sünde durch uns wird vergeben werden, weil der in uns lebt, um den sie vergeben wird, weil der in uns lebt, welcher die Liebe zu ihm, als wir noch Sünder waren in uns ausgegossen hat. Fragen wir nun: wenn denn durch uns, durch die Gemeinschaft der Gläubigen, dieses große Werk vollbracht wird, sollen wir den Erlöser so verstehen, als ob er habe sagen wollen: meine Kindlein, eine Scheidung muß sein unter den Menschen; Einige muß es geben, welchen die Sünden vergeben sind, und Einige muß es geben, denen sie behalten werden; durch euch nun soll diese Scheidung vor sich gehen, welchen ihr sie vergebt, denen sind sie vergeben, | welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten, weil es auch solche geben muß. Es wird sich wol keiner ge13 vergangen] vielleicht zu korrigieren in vorgegangen 2–5 Vgl. Ps 32,3–5

22–23 Vgl. Phil 2,8

31–32 Vgl. Röm 5,5.8

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trauen, m. Fr.! dem Worte des Erlösers einen solchen Sinn zu geben, als ob er durch dieses schon von vorn herein eine gleich viel ob große oder geringe Menge der Menschen von dem Werk der Versöhnung habe ausschließen wollen, als ob er seinem Werke solche Grenzen habe setzen wollen, daß diesen die Sünden müßten behalten bleiben, er, welcher doch sagt, er sei gekommen, nicht diesen oder jenen, sondern die Welt selig zu machen. Und so müssen wir sagen, wenn durch uns sollen Sünden vergeben werden, so kann das nur geschehen allmählig, in dem Verlauf des Lebens später diesem, früher jenem, aber daß, wenn wir einem die Sünden nicht vergeben können, sie ihm deshalb behalten bleiben, das würden wir, m. Fr.! nicht sagen können, ohne das Werk Christi zu zerstören, und das sagt auch der Erlöser nicht, denn seine Worte lauten nicht: wem ihr sie nicht vergebet, denen bleiben sie behalten, sondern, wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten. Aber hat er uns damit eine Anweisung geben wollen, daß wir sie den Menschen behalten sollen, so hat er damit auch sagen müssen, daß wir denen nicht sollen sein Bild erhalten, daß wir ihnen nicht sein Wort und sein Evangelium predigen sollen; aber das sollen wir immer und Allen thun, und so giebt es auch keinen, dem wir Sünden behalten sollen; sondern das hat der Erlöser andeuten wollen, was für eine große Sache es ist, daß durch uns den Menschen die Sünden vergeben werden, indem er sagt, wenn ihr sie den Menschen behaltet, so bleiben sie ihnen behalten. – So hat denn der Erlöser sagen wollen, daß unter denen, welche an ihn glauben, – denn von denen, welche draußen sind, welche ihm so fern stehen, daß sie das Evangelium von ihm nicht vernehmen können, von diesen kann er nicht geredet haben, – aber das hat er sagen wollen, daß in dem ganzen Umfange der Gemeine keine andre Art sei, die Sünde zu vergeben, als durch die Gemeine, von welcher ja auch nur sein Geist ausströmt, keine andre Art der Vergebung der Sünden, als durch das, was von diesem Geist ausgeht, durch alle die Werke der Liebe, welche er in den Menschen treibt und vollbringet. Ausschließen, m. t. Fr.! hat der Erlöser hierdurch keinen wollen; sondern nur das hat er uns wollen wissen lassen, daß alle Vergebung der Sünden nur von ihm und der Gemeinschaft der Gläubigen, nur von der | Wirksamkeit des Geistes Gottes in den Herzen der Gläubigen ausgehen soll. Aber hat er es denn zweitens nun etwa so gemeint, daß dieses Vergeben der Sünden eine Thätigkeit sein soll, welche von uns ausgehen soll und ohne alle Rücksicht auf die Beschaffenheit dessen, denen die Sünde vergeben ist, und ohne daß er einen Theil daran nehme? Wäre das anders als Unnatürliches, ein zauberhaftes Wesen, dergleichen der Erlöser in seinem Leben nir10 bleiben] bleibe 5–6 Vgl. Joh 3,17

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gend getrieben, nirgend verheißen, nirgend verordnet hat, möge es geschehen, wie es wolle, durch Zeichen, durch Worte, durch Handlungen, wenn wir uns denken, daß der, welchem die Sünden vergeben werden sollen, sein kann, wie er will? Nein, m. Fr.! das hat der Erlöser nicht gewollt, wozu denn hätte er das Amt der Versöhnung gestiftet, das Amt, die Versöhnung zu predigen, wenn auch ohne das die Sünden könnten vergeben werden. Wozu wäre es nöthig gewesen, daß der Erlöser die Menschen eingeladen, zu ihm zu kommen, und Wohnung bei ihm zu machen, wenn sie Ruhe und Erquickung finden wollten für ihre Seelen. Nein, eine solche zauberische Gewalt hat der Erlöser den Seinen nicht geben wollen, sondern wie es schon in dem Alten Bunde heißt, der Mensch muß die Sünde bekennen, er muß sich der Sünde bewußt sein, und so sehen wir hier, wie es ein lebendiger Hergang ist zwischen zweien, und wie keine Willkühr darin ist, ob wir Sünden vergeben oder nicht; sondern bleiben wir treu in dem, was uns der Herr gegeben hat, wuchern wir mit dem Pfunde, welches er uns anvertrauet hat, sind wir treue Haushalter seiner Gemeine, – dann wird die Vergebung der Sünde ausgehen von uns überall, wo sie gewollt wird. Und so ist es, und anders kann es nicht sein, es bleibt dieses das Werk des göttlichen Geistes, aber wir sollen die Werkzeuge davon sein, und durch uns soll es vollbracht werden, und hiervon hat der Herr den Seinigen die Nachricht gegeben in den Worten unsers Textes; denn weiter ist es doch nichts, was er hier thut; er ertheilt ihnen nicht erst die Macht, gebietet es ihnen nicht, sondern erzählt es ihnen nur.

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III. So laßt uns denn nun fragen, was wir zu thun haben, um dieses zu vollbringen. Es ist diese Frage eigentlich schon vorher beantwortet; wir können nichts anders sein, als die Werkzeuge des göttlichen Geistes, und wir haben uns dieses nun mehr aus einander zu legen und zu fragen, was denn der Geist Gottes durch uns thun kann, damit die Sünden vergeben werden. Da können | wir denn nun zurückgehen auf die erste Art, wie es in der Christenheit geschehen, wie das Amt, welches die Versöhnung predigt, sich gebildet hat und wie es wirksam gewesen ist. Das war immer das erste bei den Aposteln daß sie die Menschen suchten zur Erkenntniß der Sünde zu bringen, und dann scheuten sie kein hartes Wort, aber auch das härteste kam immer aus der Zuversicht, daß, wenn die Sünde erkannt sei, so werde sie auch vergeben werden durch Christum. So stellt Petrus den Juden dar, wie sie den Mann, welchen Gott gesandt, überantwortet hätten, 36 welchen] welche 5–6 Vgl. 2Kor 5,18 7–9 Vgl. Mt 11,28f in Verbindung mit Joh 14,23 15– 16 Vgl. das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Mt 25,14–30; Lk 19,12–27) 35–6 Vgl. Apg 3,13–15.17.19

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daß ihn die Heiden tödteten; denselben habe Gott auferwecket und ihn verherrlicht und sie könnten nun auf keinen andern hoffen. Aber das hätten sie gethan in der Unwissenheit, doch nun, sagt er, kommt und lasset euch taufen auf seinen Namen; erkennt, wie unrecht ihr gethan habt, daß ihr den Fürsten des Lebens getödtet, und wenn ihr das thut, so empfanget ihr die Vergebung der Sünden und mit ihr und durch sie die Gaben des Geistes. Und Paulus, als er nach Athen kam, wo die Menschen noch nichts wußten von Christo, wo er sie anfassen mußte bei dem Wahn des Götzendienstes um von diesem sie hinzuführen zu dem einzigen wahren Gott, da sagt er: dieser will eure Unwissenheit übersehen, indem er Allen vorhält den Glauben an den Einen, durch welchen er beschlossen hat, die Welt zu richten, d. h. eben die Welt durch ihn selig zu machen, so sie die Seligkeit von ihm annehmen will. Sehen wir nun auf diese einfache Art, wie die Jünger des Herrn zu Werke gegangen sind, und schließen nur dieses Wort der Unwissenheit recht ins Ohr und Herz, wie können wir denn des Wortes vergessen, welches wir neulich mit einander betrachtet haben: „Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.“ Und wenn wir die Worte unsers Textes an diese knüpfen, so sagt er zu seinen Jüngern: denen ihr die Sünden vergebet, indem ihr sie auf die Quelle ihrer Unwissenheit hinweiset, denen sind sie vergeben, so sie es annehmen. Aber wenn sie es nun annehmen, – denn wir müssen doch alles ins Auge fassen – was sollen wir denn anders thun, als mit Bitten und Flehen sie zur Anerkennung ihrer Sünden zu bringen und ihnen den darzustellen, welcher sie erlöset hat von der Sünde. Aber dieses, m. Fr.! ist nicht zweierlei, sondern Eins und dasselbe. Der Apostel konnte sehr wol sagen zu denen, welche aus dem Alten Bund gekommen waren, das würden sie wol wissen, daß das Gesetz keine Kraft habe, sie von der Sünde los zu machen, sondern | daß durch dieses ihnen nur die Erkenntniß der Sünden käme, und das ist auch wahr: so wie wir uns das Gesetz erhalten, haben wir auch eine Erkenntniß der Sünde, aber nur eine unvollkommene, weil das Gesetz nur ein Schatten ist, welcher nur unsicher und schwankend den Gegenstand abbilden kann, weil es nur ein Buchstabe ist, der den Geist nur unvollkommen zu fassen vermag; die vollkommene Erkenntniß der Sünde ist nur da, wo auch die der Seligkeit ist, in Christo, und wenn die Menschen sich zu ihm hinwenden wollen, wenn sie nicht danach fragen, wo denn der Weg ist, zu ihm zu gelangen, dann sind sie freilich noch nicht solche, daß ihnen jetzt die Sünden können vergeben werden. Was hat uns aber der Erlöser anders sagen wollen, was ist das ganze Geheimniß unsers Wesens, als daß wir nie aufhören sollen, Christum darzustellen, ihn den Menschen zu zeigen in unserm Leben, sein reines Bild ihnen vorzuhalten, damit sie ihn lieb gewinnen, und sich zu ihm wenden, 7–9 Vgl. Apg 17,22–31 10–11 Vgl. Apg 17,30f 16–17 Vgl. die Predigt am 4. April 1830 (Palmarum) über Lk 23,34 24–28 Vgl. Röm 3,19f; ferner 7,7

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und wenn wir das thun in Wort und Werk, so wird es auch nicht fehlen, daß die Sünde vergeben werde den Menschen um uns her nach dem verborgenen Rathschluß seines Wirkens. Aber wie nun beides zusammengehört, die Vergebung der Sünden und die Erkenntniß des Heils, so kann es wol sein, daß, indem den Menschen Christus vorgehalten wird, ihnen dieser nicht zur Erkenntniß kommt, wenn sie den Vergleichungspunkt aus den Augen lassen zwischen dem, was ihnen könne zur Vergebung der Sünden verhelfen und dem, was sie an Christo haben. Darum giebt es denn in der Kirche auch immer dieses beides: das strafende, ernste Wort, welches laut ertönt, je nachdem die Sünde in unsern Kreis fällt, und dieses Amt soll nie aufhören in der christlichen Kirche; denn die Erlösung kann nie wirksam werden, wo nicht die Erkenntniß der Sünde ist, aber wenn dieses auf der einen Seite nöthig ist, und wir nicht davon lassen dürfen, weit seliger bleibt doch das andre, daß wir in der Stille des Lebens, indem wir in Christi Geist suchen thätig zu sein, sein Bild den Menschen darstellen. Das Leben des Christen, wenn es in Gott gelebt wird, wenn er festhält an dem, welcher der Grund und Held des Heils ist, das hat eine | große Kraft. – Ja! je einfacher und stiller es ist, oft eine um desto größere, je mehr es sich allem Geräusch, aller Anmaßung, aller glänzenden Noth und allem glänzenden Elend gegenüber stellt, um desto mehr wirkt es durch die Kraft des Geistes zur Erkenntniß der Sünde; je mehr wir den Menschen ein Beispiel geben von diesem Frieden, welchen der Herr vorher seinen Jüngern zum Gruß brachte, ehe er dieses Wort sprach, desto deutlicher werden wir den Menschen zeigen, wie sie zu diesem Frieden gelangen können, und wie sollten sie es dann nicht einsehen, daß die Sünde der Quell ist von allem Elend und von allem Kummer der Seele, wie sollten sie sich dann nicht die Sünde vergeben lassen und sie ihnen von uns vergeben werden. Aber darum sagt auch vorher der Herr zu seinen Jüngern: „Nehmet hin den heiligen Geist“, nur in dem Maaß, als wir diesen haben, nur in dem Maaß als er uns von der Sünde befreiet nach der Gerechtigkeit und Treue Gottes, welche der Apostel Johannes in seinem ersten Briefe rühmt, indem er sagt: „So wir unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergiebt und reiniget uns von aller Untugend.“ Nur wenn uns selbst so die Sünde vergeben ist, werden wir den Menschen die Sünde vergeben können. Und, m. g. Fr.!, je mehr das geschieht, um desto weniger werden wir nöthig haben, bei den Worten zu verweilen: „welchen ihr die Sünden behaltet, denen sind sie behalten.“ Es giebt freilich und kann nicht geben einen größern Kummer für ein Gott liebendes Gemüth, als wenn es in sich selbst denken muß: „diesem sind die Sünden noch behalten“, aber jemehr wir nur 37 freilich] elliptisch zu ergänzen nicht 22–23 Vgl. Joh 20,21

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darauf wirken, daß sie vergeben werden, um desto weniger wird das auch geschehen, und wo es uns auch zuweilen so deuchten will, wird es uns, wenn wir recht aufmerken und prüfen, anders erscheinen. – Nur recht gearbeitet in dem Werke des Herrn und nicht gefürchtet, es müsse doch immer solche geben, denen die Sünden behalten werden, immermehr die Gemüther angefaßt, die Nothwendigkeit die Sünden zu behalten, wird dann immer mehr aufhören. Aber freilich müssen wir auch in der Tugend Geduld beweisen | und in dieser Beharrlichkeit, denn hier gilt grade das große Wort: lasset uns nicht müde werden Gutes zu thun, nur wer beharret bis an Ende, wird selig. Amen. Lied 312.

9 Vgl. Gal 6,9 9–10 Vgl. Mt 10,22; 24,13; Mk 13,13 11 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 312: „Schütze die Deinen“ (Melodie von „Herzliebster Jesu“)

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Am 25. April 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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Misericordias Domini, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 20,24–29 Nachschrift; SAr 94, Bl. 111r–114v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

25. April 1830 Lied 795 Tex t . Johannis 20, 24–29. „Thomas aber, der Zwölfen einer, der da heißt Zwilling, war nicht bei ihnen, da Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Es sei daß ich in seinen Händen sehe die Nägelmaale, und lege meine Hand in seine Seite, will ich es nicht glauben. Und über acht Tage waren abermal seine Jünger darinnen, und Thomas mit ihnen, kommt Jesus, da die Thüren verschlossen waren, und tritt mitten ein und spricht: Friede sei mit euch. Darnach spricht er zu Thoma: Reiche deinen Finger her, und siehe meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite; und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete und sprach zu ihm: mein Herr, und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: dieweil du mich gesehen hast, Thoma, so glaubest du. Selig sind die nicht sehen und doch glauben.“ M. a. Fr.! Schon in einer unserer letzten Osterbetrachtungen habe ich Gelegenheit gehabt, mich auf diese Worte unsers Herrn und Erlösers zu beziehen; aber es ist wol nicht ungehörig in diesen Tagen, wo wir das Andenken des letzten irdischen Aufenthaltes Christi mit einander feiern, über diese Worte des Herrn besonders zu reden, indem sie uns auf eine ganz ausge2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 795: „Erheb o meine Seele dich“ (Melodie von „Es ist gewißlich an der Zeit“) 17 Vgl. die Predigt am 12. April 1830 (Ostermontag) über Lk 24,36–43, bes. Bl. 102v

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zeichnete Weise nahe anzugehen scheinen. Je mehr wir, welcher Theil des Lebens Christi es auch sei, den wir grade ins Auge fassen, uns immer suchen in die Stelle derer zu versetzen, welche Zeugen seines Lebens gewesen sind, und so wie wir es sind, die auf ihr Zeugniß glauben, wir sie doch immer besonders glücklich preisen, daß sie dem, welcher der Urheber unsers Heiles ist, auf eine so ausgezeichnete Weise nahe gestanden haben, so scheint es hier der Erlöser grade umzukehren, wenn er sagt, die wären selig, welche nicht sehen und doch glauben, da jene es ja sind, welche sehen und glaubten, wir aber die, welche glauben und nicht sehen. Auf der andern Seite aber scheinen sich diese Worte auf das damalige unmittelbare Ereigniß zu beziehen, mit welchem sie in Verbindung gebracht sind, so daß wir leicht schwanken können, ob wir ihnen diesen engen oder jenen weitern Sinn beilegen sollen, und die Frage, was es denn eigentlich sei und wie es gemeint sein könne mit dieser größern Seligkeit derer, die nicht sehen und doch glauben, werden wir uns nur richtig beantworten können, wenn wir diese Rede des Erlösers in ihrem Zusammenhange betrachten, und dazu sei denn diese Stunde uns gesegnet. Fragen wir zuerst, wie viel Recht wir haben diesen Einen unter den Zwölfen, wie es gewöhnlich geschieht, als einen besonders Schwergläubigen | der Ungläubigen zu betrachten, so zerfließt das, wenn wir die Sache näher bedenken, so gut als in nichts. Die andern Jünger haben ja auch nicht geglaubt, als sie die erste Nachricht von der Auferstehung des Herrn erhielten, weil sie nicht gesehen, und sie glaubten nicht nur dem nicht, was die Frauen von denen, welche sie am Grabe sehen, seien es nun Engel oder Menschen gewesen, denn darüber sind unsere Erzählungen verschieden, – gehört hatten, sondern sie glaubten so gar nicht, als Maria selbst den Herrn am Grabe gesehen. Einen Unterschied zwischen ihnen können wir nicht finden und den konnte auch der Erlöser nicht finden. Aber wie ist es denn: hat er sich zuerst der Maria gezeigt, damit sie weniger selig sei, als die andern, wenn sie nur geglaubt hätte, weil sie gesehen, jene aber auch, wenn sie nicht gesehen? und hat der Erlöser nachher sich seinen Jüngern gezeigt und ist ihnen erschienen, entweder bloß, weil er die Hoffnung aufgegeben, sie würden nicht glauben, wenn sie nicht sähen, oder auch, um eben dadurch, daß sie sähen, sie einer geringern Seligkeit theilhaftig zu machen, als wenn sie glaubten, ohne zu sehen! Das können wir uns gewiß auch nicht denken. Denn der, welcher gekommen ist, die Welt selig zu machen, kann nichts gethan haben, durch das einer weniger selig geworden wäre, als wenn er es nicht, oder wenn er anders gethan hätte. So kann 7 wären] waren 8–9 welche sehen und glaubten] Kj welche sahen und glaubten oder welche sehen und glauben 20 der] vielleicht zu korrigieren in oder 26–27 Vgl. Joh 20,11–18

36–37 Vgl. Joh 3,17

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denn also dieses nicht die Meinung des Erlösers gewesen sein. Fragen wir nun aber: hatte denn Thomas unrecht, den Jüngern nicht zu glauben, nachdem sie ihm so umständlich erzählt, was sie gesehn, und daß er dasselbe erst sehen wollte? Das ist wol wahr, m. Fr.! daß er Unrecht hatte, aber es wäre dieses doch kein Mangel des Glaubens an den Erlöser, sondern an die Jünger, und wenn die Seligkeit zwar von dem Glauben abhängt, aber doch von dem Glauben nicht an Menschen, sondern an den Herrn, so könnte er deshalb, weil er ihnen nicht glaubte, nicht weniger selig werden. Und so werden wir denn sagen: wenn es sich handelt von dem Glauben an die Auferstehung des Herrn, so können wir es nicht denken, daß die weniger selig sein sollten, welche gesehen und geglaubt, als die, welche nicht gesehen und doch geglaubt haben; denn was bei diesen dazu kommt, ist ja nur der Glaube an das menschliche Zeugniß. Ohne einen solchen können wir freilich in der Welt nicht bestehen, das Meiste was wir wissen von den weltlichen Dingen, kommt uns doch nur aus den Zeugnissen anderer, und ohne diese | würden wir nicht gehörig wirken, und unsern Platz in der Welt behaupten können; es liegt auch dieser Glaube an das Zeugniß anderer, wenn es nur wohl begründet ist, so in der menschlichen Natur, daß keiner sich ihm entziehen kann; aber niemand wird sagen, daß er der Grund unsrer Seligkeit sei, sondern es ist etwas Natürliches, Nothwendiges, für das Leben Unentbehrliches, aber auch etwas sich von selbst Findendes und Ergebendes, was mit den Angelegenheiten unsers Heils in keinem andern Zusammenhange steht, als alle andre Theile unsers irdischen Lebens, Seyns und Handelns. Was ist denn nun die eigentliche Meinung von diesen Worten des Herrn? Hätte Thomas auf das Zeugniß der Jünger geglaubt, so hätte er die freudige Ueberzeugung eher gehabt als jetzt; doch sie wäre von derselben Art gewesen und es ist kein anderer Unterschied als der der Zeit; so lange hatte er noch in Ungewißheit geschmachtet, so lange hatte er noch nicht mit sich eins werden können und das war denn ein Mangel an Seligkeit, aber der sich nur auf diese Zeit beschränkt, und nicht so, als ob es eine größere Seligkeit wäre, so oder so zu dem Glauben gelangt zu sein. So wäre denn hier jeder Vorzug abgeschnitten und wir können es nicht so ansehen, daß unser Glaube, weil er auf dem Zeugniß der Jünger nicht auf dem eigenen Sehen beruht, uns eines höhern Grades von Seligkeit sollte theilhaftig machen. Aber wenn wir uns den ganzen Unglauben der Jünger vergegenwärtigen wollen, von welchem der Herr hier redet, so müssen wir darauf sehen, was er ihnen vorher gesagt: „sie werden den Hirten schlagen, 2–3 In Joh 20,25 erzählen die Jünger dem Thomas gerade ganz umstandslos, sie hätten Jesus gesehen. Entweder wäre entsprechend zu konjizieren, oder Schleiermacher bezieht sich auf die Vielzahl der nach den einzelnen Evangelien von verschiedenen Personen überbrachten Nachrichten. 37–2 Vgl. Mt 26,31 (darin Sach 13,7) in Verbindung mit Joh 16,32

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und die Herde wird sich zerstreuen; ihr werdet umkehren und jeder in das Seine gehen“, und wie die beiden Jünger, welche dem Herrn auf dem Wege nach Emmaus begegneten, sagten: „wir hatten geglaubt, er würde Israel erlösen, nun aber haben sie ihn gekreuzigt.“ Ihr wahrer Unglaube war also der, daß sie nicht glaubten, der Herr könne Israel erlösen, er könne der nicht sein, für den sie ihn gehalten, und eben das sagt auch der Zuruf des Thomas, als er den Herrn erblickt, wo er ganz von der Auferstehung absieht und ruft: „mein Herr und mein Gott“, und ihm das zuschreibt, was der eigentliche Gegenstand seines Glaubens und seiner Hoffnung gewesen, und da sagt der Herr „du glaubest, weil du mich gesehen hast, selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ und so sagt er auch in demselben Sinn zu den beiden Jüngern: „Ihr Thoren und trägen Herzens zu glauben, dem was geschrieben steht; mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?“ nicht: „mußte nicht Christus leiden und nachher auferstehen?“ | sondern: „mußte er nicht leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen.“ Seine Herrlichkeit aber besteht darin, daß Gott ihm alle Seelen der Menschen gegeben hat, um sie zu erlösen und selig zu machen und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen im Himmel und auf Erden ist. Daß sie in diesem Glauben waren wankend geworden durch seinen Tod und befestigt werden mußten durch seine Auferstehung, das war es, was der Herr im Sinne hatte, und nicht war es seine Meinung, den Thomas besonders zu tadeln, und die andern Jünger zu loben, oder sie in Vergleich mit uns herabzusetzen und die, welche durch ihr Wort an seine Auferstehung glauben würden, höher zu stellen als sie – weder das Eine noch das Andre ist seine Meinung; sondern indem er zu Thomas sagt: „du glaubst, weil du siehest“, so sagt er: „du glaubst wieder, daß ich der bin, welchen der Vater gesandt hat, um die Welt zu erlösen, weil du siehst, daß ich auferstanden bin; aber selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Wollen wir hier also fragen: Wohl! indem der Erlöser eine größere Seligkeit einer geringern gegenüberstellt und die tadelt, welche erst sehen müßten, um zu glauben; wie hätten denn die Jünger, in Beziehung auf die er das sagt, sich der größern Seligkeit theilhaftig machen können? Offenbar nicht wie sie auf die erste Nachricht von der Leerheit des Grabes und von dem, was die Frauen von den Engeln gehört, gleich an die Auferstehung Christi geglaubt hätten; sondern wenn sie in ihrem Glauben an das, was er war und was er ihnen gewesen, sich durch seinen Tod nicht hätten irre machen [lassen], so daß es seiner Auferstehung, seiner Erscheinung vor ihnen, um sie in ihrem Glauben, welcher durch seinen Tod wankend geworden war, zu befestigen, daß es dieses gar nicht bedurft hätte; wenn sie nicht bei sich gedacht und 6 sie ihn] er sie 3–4 Lk 24,21.20

18 ihm] ihnen 12–14 Vgl. Lk 24,25f

18–19 Vgl. Phil 2,9

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gesagt: Nun wohl, Gott hat ihn freilich eher von der Erde genommen, als wir gewünscht und gehofft, wir hätten gewiß noch viel gewinnen können, wenn er uns alles das mitgetheilt, wovon er sagt, daß er es uns noch zu sagen habe, daß wir es aber noch nicht tragen könnten, wir hätten noch reifer und geschickter werden können für unsern Beruf, wenn er noch länger bei uns gewesen wäre; aber der Rathschluß Gottes bleibt doch derselbe, Christus ist immer der, welcher er war, als er mit uns lebte; wir müssen nun an das Werk gehen, welches er uns aufgetragen hat, wir müssen selbst Boten und Zeugen sein wie er gesagt hat bei seinem Leben: „der Geist, welchen der Vater senden wird, der wird zeugen von | mir, und ihr werdet auch zeugen von mir.“ Hätte es so mit ihnen gestanden, dann wären sie die gewesen, von welchen der Herr sagt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Dann wäre ihr Glaube befestigt gewesen ohne ein solches äußere Zeugniß. Aber m. a. Fr.! es giebt doch keinen Glauben, der sich nicht auf etwas stützt, und einen Glauben, von dem wir sagen können, daß er keinen festen Grund hat, können wir auch nur als einen Wahn ansehen, und je mehr der Mensch darauf baut, um so größer erscheint uns auch der Grad von Thorheit und Verblendung; wenn es also nicht das Sehen ist, was ist es denn, worauf das beruht, was der Erlöser sagt: „selig sind die nicht sehen und doch glauben?“ Es ist nichts anders als das [ ] Wort: „so jemand wird meinen Willen thun, so jemand wird den Willen des thun, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben, denn er glaubet an mich“ und so kommt er dann immer wieder auf das Eine und dasselbe, nämlich immer wieder auf den Glauben, und es scheint also, als ob dieser ganz für sich selber gegründet sein sollte ohne weiteres. Aber m. Fr.! wenn wir absehn von dem äußern Zeugniß, so werden wir von selbst geführt auf ein Inneres, und dieses ist das, was der Evangelist Johannes im Anfang seines Evangelium beschreibt, indem er sagt: „wir sahen seine Herrlichkeit als die des eingeborenen Sohnes vom Vater“ denn das war kein äußeres Sehen, wie sie seine Knechtsgestalt sehen konnten, es war das nicht ein äußeres Zeugniß, sondern die Erfahrung von dem Eindruck, welchen der Erlöser selbst auf sie machte. Wenn nun der stark genug gewesen wäre, um auch selbst den Tod des Erlösers zu überwinden, so daß dieser sie nicht hätte irre machen können in dem Glauben, er sei der eingeborene Sohn des Vaters, und sie hätten nur noch zu thun Kraft dieses Glaubens, was er ihnen aufgetragen, dann wären sie solche gewesen, die nicht sehen brauchten, die an der unmittelbaren Erfahrung, welche sie an sich selbst gemacht genug gehabt hätten. 20 Erlöser] Apostel

21 das] folgt eine Wortlücke

3–4 Vgl. Joh 16,12 9–11 Vgl. Joh 15,26f 21–23 Hierbei handelt es sich vermutlich um eine Zusammenstellung von Joh 7,16f; 3,36; 5,24. 29–30 Joh 1,14

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Lasset uns nun fragen, m. Fr.! wenn diese unmittelbare Erfahrung nicht eine solche Reihe bildete, daß sie von da an fortgegangen ist bis jetzt, und wie wir gewiß wissen, bis ans Ende der Tage dauern wird. Wenn diese Erfahrungen, welche die Jünger machten, uns nicht mitgetheilt wären, und was sie gesehen, und woraus ihre innere Erfahrung hervorgegangen und woraus sie auch in andern entstehen konnte und entstanden ist; was hätte dann unser Glaube für einen Grund? Dann wären wir nur solche, welche glauben das, was sie nicht selbst gesehen. Gäbe es diese innere Erfahrung nicht, aber doch einen Glauben an den Erlöser, dann könnte dieser keinen andern Grund haben als dieses äußere Sehen, das Wissen um seine Wunder, wodurch er sich äußerlich bekundet und darin auch | das Wissen um seine Auferstehung, und davon sagt er, es sei zwar gut, daß Thomas das glaube, aber doch nur nach seiner innern Erfahrung, und selig seien die, welche etwas anders als diese innere Erfahrung nicht bedürften, sondern auf dieser fest ständen. Wenn wir also sagen, daß nichts den Glauben überwinden kann, weil der Glaube die Welt überwinde und der Sieg sei, der immer die Welt überwinde, was meinen wir anders, als daß diese innere Erfahrung von Christo, von dem, was er den Menschen mittheilt, so fest sei, so sicher gegründet, daß es nichts gebe, was diesen Glauben aufheben und ausrotten könne, und daß es keines neuen Sehens bedürfe, wodurch dieser Glaube erweckt werde, nachdem er in den Seelen der Menschen sich vereinigt hat, und das ist die Seligkeit, auf der wir stehen, wenn der Erlöser sagt „selig sind die nicht sehen und doch glauben.“ Wollen wir also dieses alles zusammenfassen, m. g. Fr.! so würden wir etwa so sagen müssen: alles äußere sehen, worauf ich einen solchen Glauben an den Erlöser gründen soll, wie der, welcher der beseligende ist, ist immer nur ein unvollkommener Grund des Glaubens, und ist immer nur etwas, was man sich kann gefallen lassen als vorhergehend und den Weg bahnend dem rechten Glauben, und selig sind die, sagt der Erlöser, welche nichts brauchen als diesen Zusammenhang der innern Erfahrung, dieses sich stets wiederholende und sich selbst abgelegte Zeugniß von dem, was Christus ist. So wie nun seine Jünger in ihm die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater sehen, auch ehe sie Wunder von ihm gesehen, so hätten sie in diesem Glauben bleiben können auch ohne Wunder und Zeichen von ihm zu sehen. So sagt er selbst: „wenn ihr nicht meinen Worten glauben wollt und mich anerkennen als den, der gekommen ist, um den Menschen Frieden zu bringen, so glaubt vorläufig meinen Werken, laßt euch durch diese aufmerksam machen und 19 gebe] gab 16–17 Vgl. Joh 16,33 und 1Joh 5,4 31–32 Vgl. Joh 1,14 35–2 Hierbei handelt es sich um eine fiktive Rede, mit der Schleiermacher den Sinn von Joh 20,29 wiedergeben will.

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festhalten, bis euch der wahre Glaube kommt durch das rechte innere Zeugniß eurer Erfahrung.“ So werden wir also sagen müssen: wenn der Herr während seines Lebens auf Erden gar keine Wunder gethan – es ist das nur eine menschliche Art zu reden und nicht nur in diesen Dingen, sondern überall, wenn wir das von einander trennen, was Gott in seinem Rathschluß miteinander verbunden hat, aber wir können uns manches nur so deutlich machen, – wenn wir also sagen: gesetzt der Herr hätte in | seinem Leben keine Wunder gethan, aber die mit ihm waren, hätten seine Herrlichkeit doch festgehalten, dann wäre ihre Seligkeit um so größer gewesen, als ihr Glaube um so reiner war, und sie des äußern Sehens nicht bedurften; hätten sie da sagen können: gesetzt er thut gar keine Zeichen, wir würden doch eben so gewiß sein, daß er der ist, welcher Israel und alle erlösen soll, dann wäre ihr Glaube größer gewesen, als er es war, nachdem sie gesehen; und wenn sie nun, nachdem er am Kreuz verschieden war, in ihrem Glauben gar nicht wären irre gemacht worden, sondern fest in ihnen geblieben, dann wäre ihre Seligkeit um so größer gewesen, weil nichts dazwischen getreten wäre, weil sie nicht verringert worden wäre dadurch, daß sie meinten, der Herr sei nun ganz todt. Wenn sie auch wie jene Samariter, nachdem der Herr mehrere Tage bei ihnen gelebt, – denn es wird uns nicht gesagt, daß er Wunder gethan, zu ihm sagten, wir glauben nicht mehr um der Rede des Weibes, sondern um das, was wir selbst gesehn, was eben auch ihre innere Erfahrung war, wenn die Jünger so auch hätten sagen können nach seiner Auferstehung, es sei schön und dankenswerth, daß der Herr ihnen noch erschienen sei; aber ihr Glaube beruhe nicht darauf, sie wüßten doch, daß er zu der Herrlichkeit bei seinem Vater eingegangen sei, dann wäre ihre Seligkeit um so größer gewesen, weil sie auf nichts beruhte, als auf Christus und dem, was zwischen ihnen schon immer bestand. Und so, m. Fr.! giebt und kann es keinen andern Grund des Glaubens geben, als den, der innern Erfahrung; alles andre ist nur zufällig, kann nur eine Vorbereitung sein auf den eigentlichen Glauben, und das äußere Zeugniß, wie wir es in den Wundern des Lebens des Erlösers finden, steht noch, und ist verwandt mit dem Gesetz, welches, wie der Apostel Paulus sagt, gegeben sei, um die Menschen zusammen zu halten, bis der Glaube komme, denn so waren auch jene Zeichen und Wunder nur dazu, um die Menschen festzuhalten an Christo, bis ihnen der Glaube käme, welcher nur aus der innern Erfahrung hervorgehen kann. Und so ist es denn nichts anders als dieses: „komm und 15 fest in ihnen geblieben] Kj fest in ihm geblieben oder der Glaube fest in ihnen geblieben 12 Vgl. Lk 24,21 18–21 Vgl. Joh 4,39–42 32–33 Vgl. Gal 3,23 36– 1 Möglicherweise spielt Schleiermacher hier auf das „Kommt her und sehet“ an, das nach Mt 28,6 der Engel den Frauen am leeren Grab zuruft.

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siehe“ was wir den Menschen zurufen müssen, nicht daß sie glauben auf das Zeugniß derer, die gesehen haben, sondern was ihnen ihre innere Erfahrung sagt. Das ist das Wahre: „komm und siehe.“ und das der rechte Grund des Glaubens, und den müssen wir festzustellen suchen, und wenn wir das Werk des Herrn fördern wollen, so kann es nur geschehen durch diesen innern Glauben. Wenn wir diesen den Menschen geben könnten, so stände es ganz anders, als es steht; dann wäre der Erlöser es nicht allein, der dieses könnte, sondern wir durch ihn und mit ihm; aber seine Zeugen sollen wir sein, den Ursprung unsers innern Friedens mit der Welt | und mit ihm sollen wir nicht verheimlichen und dadurch es andern möglich machen, auch dahin zu kommen, und wie Christus uns vorgemalt ist durch das Wort der Schrift und durch das Zeugniß der Geschichte, so sollen wir auch die andern zu ihm führen, daß sie seine Kraft erfahren. Das ist der wahre Grund des Glaubens, welcher von Anfang an derselbe war, seine unmittelbare Wirksamkeit auf die Menschen, die immer dieselbe bleibt, vermittelt durch das Wort, so wie damals seine äußere Erscheinung. Zu dieser Sicherheit, welche ganz unabhängig ist von allen äußern Erfahrungen, wollte der Herr die Jünger erheben, indem er sprach: „Selig sind die nicht sehen und doch glauben,“ die zu diesem Glauben daß ich von Gott sei, nichts anders bedürfen als das Zeugniß ihrer innern Erfahrung, welche sich ihnen ergiebt, wenn sie der Einladung daß sie kommen und Erquickung finden sollen für ihre Seelen, Folge leisten. Je mehr wir uns von allem Aeußern losmachen und nur auf diese Erfahrung gehen, welche ja nichts ist als das, was die Geschichte des Christenthums überall zeigt, wenn wir uns darauf gründen, dann stehen wir fest mit unserm Glauben und dann kann ja vieles in der Geschichte des Erlösers ein Gegenstand der Untersuchung und des Zweifels sein und wir können das Alles ruhig gehen lassen, unser Glaube bleibt ein und derselbe, weil er unser eigenes Sein und Leben geworden ist, ganz unabhängig von allem Einzelnen. Darin uns immer fester zu gründen, und auch andre auf diesen sichern Grund des Glaubens zu stellen, das gewiß ist, so wie auf der einen Seite der einzige Anker für uns selbst in diesem Leben, so auf der andern Seite der beste Dienst, welchen wir dem Erlöser leisten können; je mehr wir aber den Glauben der Menschen auf ein Sehen hinwenden wollen, – auf besondere Begebenheiten, um so mehr tragen wir die Schuld, daß ihr Glaube geringer ist, weil er dann immer wieder erschüttert werden kann und dem Zweifel unterliegt, wogegen gegen unsre innere eigene Erfahrung keine Ungewißheit und kein Zweifel aufkommen kann. Dazu bedarf es nichts als des beständigen Fortlebens mit dem Erlöser, des beständig ihn vorgemalt behaltens, des beständigen Zurückgehens darauf, daß wir nur durch ihn der Gaben des Geistes theilhaftig geworden sind, daß wir nur durch die Verbindung mit ihm den Frieden haben, mit Wahrheit 11 Anspielung auf Gal 3,1

21–22 Vgl. Mt 11,28f

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bezeugen, daß die in ihm sind, von dem Tode zum Leben hindurchgedrungen sind, und das ewige Leben nicht erst suchen, sondern es haben in ihm und mit ihm. Amen. Lied 435.

1–3 Vgl. Joh 5,24 4 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 435: „Herr, du bist unsre Zuversicht“ (Melodie von „Preis, Lob, Ehr, Ruhm“)

Am 2. Mai 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Jubilate, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 21,1–4 Nachschrift; SAr 94, Bl. 115r–119r; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Nachschrift; SAr 69, Bl. 19r–20v; Woltersdorff Keine

2. Mai 1830. Lied 41. 462

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Ev. Joh. 21, 1–4. „Darnach offenbarte sich Jesus abermal den Jüngern an dem Meer bei Tiberias. Er offenbarte sich aber also. Es waren bei einander Simon Petrus, und Thomas, der da heißt Zwilling und Nathanael, von Cana aus Galiläa, und die Söhne Zebedäi, und andere zween seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will hin fischen gehen. Sie sprachen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus, und traten in das Schiff alsobald, und in derselben Nacht fingen sie nichts. Da es aber jetzt Morgen war, stand Jesus am Ufer; aber die Jünger wußten es nicht, daß es Jesus war.“ M. a. Fr.! Ich habe diese Geschichte nicht weiter, als nur so weit vorlesen wollen, theils, weil ich voraussetzen kann, daß der weitere Verfolg derselben allgemein bekannt ist, theils, weil ich doch vorzüglich bei dem, was wir wirklich gelesen haben, mit meiner Betrachtung stehen bleiben will. Wir sehen hier, m. g. Fr.! die Jünger des Herrn gerade so, wie wir es gesungen 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 41: „Wie lieblich ist doch, Herr, die Stätte“ (Melodie von „O daß ich tausend Zungen hätte“); Nr. 462: „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“ (in eigener Melodie) 17–2 Schleiermacher bezieht sich auf die 2. Strophe von „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“ (Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 462): „Sie [scilicet: die Christen] gleichen im Aeußern den Kindern der Erde, und tragen auch an sich des Irdischen Bild, sie fühlen wie Andre der Menschheit Beschwerde, oft sehn sie die Sonne der Freude verhüllt; sie stehen und wandeln, sie reden und handeln, wie Jeder es treibet in zeitlichen Dingen, doch kann sie die weltliche Lust nicht bezwingen.“

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haben in unserm Liede, daß sie allen äußerlichen Brauch und alle Geschäfte des irdischen Lebens mit allen andern Menschen theilen. Aber freilich führt uns auch die Erzählung von selbst auf das inwendige Leben der Christen zurück, und sie schließt mit einer fröhlichen und herrlichen Offenbarung des Erlösers an seine Jünger, wie schon die verlesenen Textesworte anzeigen. Indem wir nun darauf achten, wie sie hier dargestellt werden als ihrem irdischen Berufe nachgehend, in der Zeit wo sie den Herrn erwarteten, ob er sich ihnen nochmals zeigen und ihnen Belehrung über das Reich Gottes ertheilen werde, so finden wir in der ganzen Art der Erzählung eine offenkundige Anleitung, uns zu verständigen über das Verhältniß, in welchem der irdische Beruf eines jeden, möge er sein, welcher er wolle, zu unserer Gemeinschaft mit Christo stehe. Das sei es, worauf wir unsre Aufmerksamkeit unter dem Beistand und Segen Gottes richten wollen. Das erste, was aus dem ganzen Ton der Erzählung hervorgeht, ist dieses, daß auch das Werk des irdischen Berufs den Jüngern des Herrn ein Werk ihres freien Willens und was sie mit Lust und Freude erfüllten, gewesen ist. Das sehen wir deutlich ein. Fragen wir, was machten sie denn miteinander, ehe Petrus sprach, ich will hingehen, um zu fischen, so werden wir nichts anders Ursach haben zu vermuthen, als daß sie geredet haben miteinander vom Reiche Gottes, von den großen Dingen, die in jenen Tagen geschehen waren von dem, welcher der Mittelpunkt ihres ganzen Tichtens und Trachtens und der Hoffnung auf die Begründung des Reiches Gottes in ihnen war. Indem ich dies voraussetze, m. t. Fr.! so will ich nicht so verstanden werden, als ob es für uns nichts drittes geben solle, als unsre Thätigkeit | in dem Beruf, der uns nach unsrer Stellung in der menschlichen Gesellschaft angewiesen ist und eine Gesprächsführung, eine Herzensergießung über die Angelegenheiten des Reiches Gottes und des Heils unsrer Seele; – sondern es giebt allerdings noch ein drittes: nicht nur über diese innersten und heiligsten Angelegenheiten sollen wir uns einander mittheilen, was Gott jedem ins Herz gelegt hat, sondern was sollte es werden mit allen menschlichen Dingen in der Welt, wenn wir nicht auch in dem Gespräch über unsre gemeinsamen Angelegenheiten einer des andern Meinung und Gedanken erführen, wenn nicht auch da im Austausche der Gedanken das Beste und Wahre mehr und mehr von uns erkannt würde! Wie sollten wir dazu kommen unserm Herzen zu genügen, die Liebe zu allen Menschen, die in dasselbe ausgegossen ist, zu offenbaren, wie sollten wir dazu kommen zu erfüllen das Wort was ja auch ein Wort der Schrift ist, daß wir uns freuen sollen mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden, wenn wir nicht auch uns bekümmerten um die gemeinsamen Angelegenheiten der Menschen, wenn nicht das ganze Leben offenbar da läge als der gemeinsame Gegenstand der Freude und des Schmerzes? Und so sehen 37–38 Vgl. Röm 12,15

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wir ja auch, m. Fr.! daß der Erlöser selbst es gehalten. Er hat nicht nur die Thätigkeiten des irdischen Berufs geheiligt durch seine Gegenwart, ist mitgefahren mit den Jüngern wenn sie ausfuhren, zu fischen, und hat sich in dem Wechsel seines Aufenthalts für seinen geistigen Beruf die Menschen in das Reich Gottes zu führen mit leiten lassen durch die Bestimmung ihres irdischen Berufs, sondern er hat sich auch den geselligen Freuden der Menschen angeschlossen, bei ihren Gastmahlen Gespräche geführt über das Reich Gottes, hat ihre Geselligkeit und Freude geheiligt, indem er bei solchen Vorstellungen zugegen war. Also meine ich das nicht so, daß wir jenes ausschließen, als ob im Wechsel bloß zwischen jenen beiden allein das Ziel unsrer Bestimmung läge. Aber freilich einen Antheil und einen großen Antheil sollen die innern Angelegenheiten unsers Herzens und die höchsten Angelegenheiten der menschlichen Gesellschaft, – und das sind eben die der Verbreitung des christlichen Sinnes, die Bewahrung und Erhaltung des göttlichen Worts, – einen großen Antheil sollen die haben an unserm Gespräch, und an unserm gemeinsamen Leben, verschieden allerdings nach Maaßgabe der Menschen, verschieden sogar nach Maaßgabe der Umstände, bald mehr hervor tretend wenn das Leben sich in Ruhe bewegt, bald mehr zurück tretend wenn es große | und gemeinsame Angelegenheiten sind, welche das Gespräch der Menschen auf sich ziehen. Ob, und wie hier das Maaß des Reich Gottes möchte getroffen sein, das, wissen wir wol, ist etwas, das keinem Gesetz des Buchstabens unterworfen sein kann, weil keiner den Andern nach einem äußern Gesetz richten kann; sondern das Herz ist es, was jedem sagen muß, ob er ihm Genüge gethan, oder nicht. Der Erfolg welcher daraus für unsre Stimmung hervorgeht, die Freudigkeit unsrer Stimmung muß uns sagen, ob wir die rechte Linie gehalten, oder von ihr abgewichen sind. So können wir denn nicht zweifeln, die Jünger waren vorher gewesen im Gespräch über die Bestimmung des Reichs Gottes, über die Sendung des Herrn, über die große Verheißung, welche er ihnen gegeben, über die Erwartung der Kraft aus der Höhe. Denn es waren die Stunden des Abends, wie wir deutlich daraus sehen, daß, nachdem Petrus gesagt, er wolle hingehen, zu fischen, der Evangelist weiter erzählt, die halbe Nacht hätten sie weiter nichts gefangen; er erwähnt nicht nur der Nacht, in welcher die Jünger gearbeitet, wie denn dieses überhaupt die zur Betreibung ihres Geschäfts geeignete Zeit war, und so waren es vorher die Stunden des Abends gewesen, die sie nach der damaligen Sitte, nachdem sie ihr Mahl gehalten dem geselligen Verkehr der Unterhaltung miteinander widmeten. Da konnten sie wol von nichts anderem geredet haben und nun, wie sie davon reden, tritt Petrus auf und spricht: „ich will fischen gehen.“ Er 10 im] ein 29–30 Vgl. Lk 24,49

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macht also dadurch ihrem Gespräch ein Ende und fordert sie auf zu der Thätigkeit in ihrem irdischen Beruf und sie folgen ihm auch gleich, und sagen: „so wollen wir mit dir gehen.“ Da war keiner, dem es scheint leid gethan zu haben, daß dieses Gespräch schon ein Ende nehmen sollte, keiner, der sagte, laßt uns noch warten mit jenem Geschäft, es wird zeitig genug noch seine Stunde finden; laßt uns noch länger mit einander reden von dem, was uns am meisten bewegt und was uns das wichtigste und größte ist, – sondern wie Petrus sagt: ich will fischen gehen, sprachen auch die andern: wir wollen mitgehen. Es ist m. Fr.! eine sehr weit verbreitete Meinung unter guten und frommen Christen, daß sie meinen, sie könnten der Gespräche und Ergießungen des Herzens über diese allerdings größten und heiligsten Angelegenheiten niemals genug haben, je mehr sie dabei blieben, desto mehr, meinen sie, schaffen sie das Heil ihrer Seele und suchen allen freundlichen Verkehr, welcher nicht hierauf geht, und die Thätigkeiten des irdischen Berufs, eben weil er nur ein irdischer ist, zurück zu drängen und einzuschränken. Dazu geben uns hier die Apostel des Herrn nicht das Beispiel und wir sehen nicht, daß sie so gehandelt haben. Vergleichen wir beides miteinander, so werden wir klar sehen, daß sie recht haben. Es ist nur so viel an allen Reden und Gesprächen, so wol über die Angelegenheiten des Einzelnen, als über die allgemeinen des Reichs Gottes, es ist nur so viel ein Segen und ein wahrer Gewinn dabei, als davon unmittelbar ins Leben übergeht, als daraus eine Erfrischung des Gemüths sich bildet, als der Mensch | dadurch kräftiger und geschickter geworden ist zu jedem Werke. Wie können wir das aber anders erfahren als dadurch, daß wir es machen wie Petrus, sobald wir den Segen eines Gesprächs empfinden frisch an das Werk wieder zu gehen, was jedem von Gott angewiesen ist. Alle fromme erbauliche Gespräche, je mehr sie es sind, je mehr sie also vom Bewußtsein Gottes durchdrungen sind und nicht nur ein Verhältniß der Christen untereinander, sondern ein gemeinschaftliches Verhältniß zu dem Erlöser und zu seinem und unserm Vater in dergleichen Reden sich äußert, desto mehr sind sie doch auch mittelbar oder unmittelbar Gebete, und wenn der Erlöser warnt vor zu langen und durch viele Worte ausgedehnten Gebeten, so können wir dies auch darauf anwenden. Je mehr wir in den erbaulichen Gesprächen glauben zu gewinnen, wenn wir lange Reden machen, von demselben Punkte ausgehen und immer wieder darauf zurückkommen, jemehr wir zu gewinnen glauben, wenn wir recht lange zögern aus diesen Gesprächen zu scheiden, um desto mehr setzen wir uns jener Gefahr aus, vor welcher der Erlöser warnt, um desto mehr sind wir dem 30 äußert,] folgt vermutlich versehentlich nicht gestrichen und Gebeten] ausgedehnte Gebete 32–33 Vgl. Mt 6,7

32–33 ausgedehnten

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ausgesetzt, einen Werth auf bloße Worte zu legen und jemehr wir darauf Werth legen, um desto mehr sind wir auch geneigt andre zu richten nach den Worten und daraus entsteht denn so vieles Uebele, wie wir es alle kennen und uns nahe genug liegt in der christlichen Kirche. Gar vieles davon hat gar keinen andern Grund als das zu lange Verweilen bei der erbaulichen Unterhaltung, als die Ueberschätzung der Worte, welches dazu führt, die Worte des einen mit den Worten des andern zu vergleichen, und dadurch die Linie zu verlieren für das rechte Maaß der Erbauung, welches dazu führt, die Andern nach den Worten zu richten und den wahren Grund ihres Glaubens zu übersehen. Darum laßt es uns immer so machen, wie hier die Jünger. Wer zuerst ausspricht, daß es nun Zeit sei ins thätige Leben überzugehen, der spricht gewiß das aus, was allen das Wahre und Rechte sein soll; wer zuerst das Gefühl der Sättigung des Herzens ausspricht, das Bewußtsein des erlangten Segens, welcher nun auch in das Leben soll eingeführt werden, dem mögen alle folgen, und grade wie die Jünger es hier machen, sich zur Stimme des Petrus wenden und ihm Beifall geben, und so sehen wir nicht nur diese sich mit Leichtigkeit und Freudigkeit von diesen frommen Unterhaltungen über den Erlöser und seine Angelegenheiten wieder zum irdischen Beruf hinwenden, sondern wir sehen auch deutlich, wie es ihnen ein Werk ihres freien Willens ihrer Lust war, und keinesweges ein Werk der Noth oder eine unwillkommene Pflicht, die man nur | ungern erfüllt. Hiervon finden sich in den Reden der Jünger auch nicht die leisesten Spuren, kein Bedauern, daß sie sich nun zu solchen äußerlichen Werken wenden müssen, keine Aeußerung, daß es ihnen an Nahrung fehle sondern es war der freie Wille und Entschluß, derselbe freie Wille mit welchem sie sich dies Geschäft gewählt hatten, derselbe Wille erwachte, so oft es Zeit und Stunde war, an diesem Werke zu arbeiten, und jede einzelne Erfüllung ihrer Pflicht war immer das Erzeugniß dieses Willens und von desselben Beifall und desselben innern Zustimmung begleitet, mit welchem sie sich den Beruf gewählt hatten. Freilich, m. g. Fr.! setzt dies voraus, daß wir uns unsre Thätigkeit in der menschlichen Gesellschaft erwählen mit freiem Entschluß und dem auch hernach folgen und ihm treu bleiben. Ist das überhaupt nicht geschehen, so ist das freilich ein Mangel in menschlichen Einrichtungen, den wir suchen müssen immer mehr zu verbessern, aber dieses laßt uns festhalten, daß der Entschluß zum Beruf geschah in einer Zeit wo wir noch nichts wußten von unserm wahren Heil, und wo die Bewegungsgründe, die uns dazu antrieben[,] vielleicht nicht die würdigsten und reinsten waren: das[,] sage ich, laßt uns nicht sagen. Denn mag es damit sein, wie es wolle, so steht es jedem Menschen an, auf der Bahn fortzugehen, die er angefangen, und wie mannigfach sich die verschiedenen Zweige der Thätigkeit gestalten, der 23 Werken] Worten

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Unterschied zwischen dem einen und dem andern ist allerdings bedeutend genug, wenn wir darauf sehen, daß nicht alle gleich zu Allem geschickt sind, und ein richtiges Verhältniß schwer ist zwischen der Wahl seines Berufs, und der Beschaffenheit des Menschen und seinen äußern Mitteln. Aber in Beziehung auf die große allgemeine geistige Angelegenheit des Heils ist kein solcher Unterschied unter diesen verschiedenen Arten des Berufs, daß wir sagen sollten: hätte ich damals das Heil meiner Seele gekannt, würde ich einen andern Beruf gewählt haben. Denn alles was dazu gehört daß wir unsern Beruf in der Welt erfüllen, muß auch geschehen. Giebt es mancherlei Thätigkeiten von der Art, daß sie scheinen sich zu befassen nur mit dem Ueberflüssigen des Lebens, so laßt uns nicht übersehen, daß hier eine solche mannigfaltige Abstufung und ein so unmerklicher Uebergang erscheint, daß sich nicht die Linie bestimmen läßt, wo das angeht, was nothwendig und überflüssig ist. Freilich giebt es solche Thätigkeiten welche nur auf die Thorheiten und Eitelkeit des menschlichen Herzens sich wenden und ihnen dienen, ja das ist auch etwas, das wir müssen suchen zu verbessern, und wenn sich in diesem Sinne im Gewissen des Menschen etwas regt, gegen seinen Beruf, so mag | er wol Recht haben von diesem Beruf abzugehen, aber das gehört doch zu den seltenern Erfahrungen. Jeder nützliche Beruf gehört doch zu dem, dessen Werke müssen vollbracht werden. Wer sich also den gewählt, er mag ihn gewählt haben aus welcher Ursach er wolle, so soll er auch niemals aufhören seine Freude daran zu haben und das Werk mit Freuden zu erfüllen, und von Allem, was ihm das Liebste und Erquicklichste ist, immer gern wieder dazu zurückzukehren, wie hier die Jünger des Herrn. Es würde auch, m. g. Fr.! sehr unrecht sein und von nachtheiligen Folgen, je häufiger, desto größere und furchtbarere, in der menschlichen Gesellschaft, – wenn wir mit dem Werk des irdischen Berufs nur auf das Nothwendigste sehen. Wir sehen nicht, wie ich es vorher schon erwähnt, daß die Jünger in solcher Noth gewesen wären, und um der Noth der nächsten Nahrung willen ihr Gespräch verlassen, und auf das Meer gefahren sind, um ihren Beruf zu treiben, sondern sie thaten es, weil es Zeit war, in der Stunde ihn zu erfüllen, und sie thaten es mit der Freude, welche die Bestimmung des Berufs erforderte und mit unausgesetzter Treue. Es ist auch nicht solche Trennung zwischen den Geschäften des irdischen Berufs der Menschen und den Angelegenheiten des Reiches Gottes, daß wir mei15 ihnen] ihm 4–8 Vgl. SAr 69, Bl. 20r: „[...] aber in Beziehung auf die gemeinsame große Angelegenheit des Heils ist kein so großer Unterschied in der Art unsers irdischen Berufs, daß Einer sagen könnte sein Beruf ziehe ihn davon ab, mache ihn ungeschickt sich darum zu bekümmern, und hätt er damals als er wählte schon das Heil in Chr[isto] erkannt so würd er einen andern Beruf erwählt haben.“

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nen sollten, indem wir in jenem arbeiten, werden wir getrennt von diesem. Der erste Beruf m. Fr.! den Gott der Herr selbst dem Menschen gegeben, daß er sollte Herr sein über alle Geschöpfe Gottes auf Erden, daß er sich solle bemeistern aller Kräfte, die Gott in diese Welt, die ihm angewiesen war, gelegt hat, dieser große Beruf, den er damals den Menschen gegeben, und der größere freilich, den er ihm damals gegeben hat, als er seinen Sohn in die Welt sandte, um sein Reich zu gründen auf Erden, – diese beruhen doch auf Einen und denselben göttlichen Rathschluß und sind ein unzertrennliches Ganze. Die ersten Thätigkeiten des Menschen, daß er sich mußte selbst Bekleidung und Nahrung suchen und für seinen Schutz sorgen, das Erwachen seines geistigen Auges mitten unter diesen Geschäften sich zu suchen was er brauchen könnte als Mittel zu seinem Zweck, das weitere Erwachen des Geistes um die verborgenen Kräfte der Natur zu ergründen, der herrliche Anbau der Erde, welcher daraus hervorgegangen, das Suchen der Menschen in der Ferne, das Verbreidtern der menschlichen Thätigkeit, vom ersten Punkt ihres Daseins aus, immer in weitere Kreise, wie er das Meer aufsuchte und es durchwanderte um [ ] einander nahe zu bringen und um die Erzeugnisse der verschiedenen Welttheile auszutauschen und die Menschen nahe zu bringen, und die Stimme, die alle diese Geschäfte durchdringt um die Menschen von der Erde empor zu richten zum Himmel vom Irdischen zum Geistigen, die Stimme welche hinübertönt über die Meere, um die Menschen aus dem Schatten und der Finsterniß des Todes zu rufen, | das Alles ist ein unzertrennliches Ganzes; wer Eines stören wollte, würde auch dem andern schaden. Und je treuer wir den irdischen Beruf erfüllen, uns zu Herrn der Erde zu machen, je mehr wir unsre Kräfte und so unsre Zeit in unsre Gewalt bekommen um desto besser und tüchtiger können wir dem Reiche Gottes dienen, um desto besser werden alle Geschäfte desselben von Statten gehen, um desto leichter ist alles herbeizuschaffen, was der geistigen Gemeinschaft des Herrn dienen kann. Darum laßt uns auf diesen großen Zusammenhang sehen, laßt uns immer an unserm Berufe hangen, und laßt uns immer freudig zu ihm zurückkehren, wie hier die Jünger des Herrn thaten. Aber laßt uns auch, m. Fr.! mit derselben Hoffnung uns ihm unterziehen, welche damals die Jünger des Herrn in ihm trugen und die ihnen so schön erfüllt wurde, und auch uns wird erfüllt werden. Denn gewiß das war immer in jenen Tagen der Auferstehung des Herrn ihr Hoffen, daß der Herr sich ihnen wieder zeigen werde. Davon redeten sie, das hatte sie vorher erfüllt, als sie hingingen zum Fischen, und das waren auch ihre Gedanken, als sie treu beim Berufe arbeiteten, und so sehen wir, 7–8 beruhen ... Rathschluß] vgl. Adelung: Wörterbuch , Bd. 1, Sp. 794 eine Wortlücke 34 wurde] wurden 3 Vgl. Gen 1,28; ferner 2,15

22–23 Vgl. Lk 1,79

17 um] folgt

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wie diese Hoffnung ihnen erfüllt wurde, wie der Herr mit seiner segensreichen Gegenwart sie heimsucht; aber wol zu merken, m. t. Fr.! nicht eher, als bis sie in ihrem Berufe etwas Ordentliches geleistet hatten. Als er am Ufer stand, und er ihnen so nahe war, daß sie ihn hören konnten, fragte er sie, ob sie schon etwas gefangen hätten und sie erwiederten ihm: nein. Und da rieth er ihnen dann nicht etwa ab, ihre Arbeit fortzusetzen, und sagte nun laßt es nur gut sein, ich will jetzt mit euch reden, und sie eilten auch nicht gleich ans Ufer, sondern sie arbeiteten noch weiter, und er gab ihnen noch einen guten Rath, um nicht vergebens am Berufe gearbeitet zu haben, und als sie den befolgten, thaten sie einen großen Zug, und als sie nun nicht vergebens gearbeitet, sondern für die Treue in ihrem Berufe belohnt waren, wurde ihnen die noch größere Belohnung, daß der Herr sie heimsuchte mit seiner erfreulichen Gegenwart. Das, m. t. Fr.! ist das allgemeine Gesetz, das sich überall bewährt im Großen, wie im Kleinen und wovon wir auch niemals sollen eine Ausnahme zu machen suchen. Nicht anders freilich, als nur unter der Bedingung und desselben Zusammenhang damit, daß er schon vorher ihnen geistig gegenwärtig gewesen war, daß er der Gegenstand ihres Verlangens war, daß er in ihrer Seele lebte. Nicht anders und deshalb offenbart sich der Herr ihnen hernach, aber doch dessen ungeachtet nicht eher, als bis sie den Pflichten ihres Berufs wirklich Genüge geleistet. Wenn wir uns von dem Gebet, von der Betrachtung des göttlichen Worts, von gemeinsamen Ergießungen des Herzens mit christlichem Gemüthe wieder zum Beruf uns wenden, sollen wir unsre Aufmerksamkeit zwar darauf gerichtet haben; aber verschwindet deshalb jener andre große Gegenstand aus dem Gemüthe? Nein! Wenn auch nicht mehr bestimmt | davon gesprochen wird. Das Herz ist doch nicht von ihm getrennt, in jedem Augenblick der Besinnung können wir uns dessen bewußt werden, daß das innere Leben des Christen seinen Fortgang hat mitten unter den äußern Thätigkeiten, und deshalb kann sich auch immer daran eine herrliche Offenbarung des Erlösers knüpfen. Gewiß hat jeder von uns m. Fr.! schon die Erfahrung gemacht, je treuer er gearbeitet hat im äußerlichen Beruf, desto begieriger werden wir sein dem geistigen Leben sein Recht zu lassen, in dem Ausbruch unsrer Gedanken in der gemeinsamen Richtung des Herzens nach oben auch wieder geistige Kraft und Nahrung zu sammeln. Und je treuer wir gewesen sind, desto frischer wird das Herz sein, den Segen von oben zu PschaffenS und zu dem Erlöser sich hinzuwenden, desto aufgeweckter der Geist, um neue Nahrung bei ihm zu schöpfen. Aber eben so, m. Th. 11 belohnt] belehret 16 desselben] für gestrichen deshalb ; Kj deshalb im 36 PschaffenS] oder PschassenS Kj erhoffen oder schöpfen 4–5 Vgl. Joh 21,5

8–10 Vgl. Joh 21,6

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gehts auch im Großen. Laßt uns zurücksehen auf jene schöne Zeit, wo mitten aus der Dunkelheit eines mannigfachen Aberglaubens, welcher den Geist des Christenthums fast erstickt hatte, das helle Licht des Evangeliums wieder erstand. Was war das für eine Heimsuchung der geistigen Gegenwart des Herrn! Aber was für äußere Anstrengungen waren ihr vorher gegangen, wie hatten sich die Kenntnisse des Menschengeschlechts vermehrt, welche Erfindungen und Entdeckungen waren damals eben gemacht um die Werke des einen Geschlechts auf das andre zu bringen, wie hatte man gesucht immer tiefer einzudringen in die Geheimnisse der Natur und in diese segenvolle Zeit trat auch die segenvolle Heimsuchung des Herrn ein. Und als die Menschen getrieben vom Verlangen die Erde zu beherrschen, die Menschen mehr und mehr zu kennen, entfernte Welttheile aufgefunden hatten, welche bis dahin den Augen der Menschen verborgen gewesen waren, – welche gnädige Heimsuchungen geschahen da! Da erwachte ein neues, kräftiges Verlangen, den unbekannten Brüdern, die nun erst zu Gesicht gekommen waren, das Licht des Evangeliums zu bringen, und sie hinzuführen zu der lebendigen Quelle des Lebens, und dies Verlangen ist seitdem fortgegangen, und wie vielen Geschlechtern ist das Heil des Evangeliums gebracht! Dieses ist die große Ordnung, welche wir nicht stören wollen. Ja, jemehr auf diesem Wege die Menschen fortgehen werden, jemehr sie diesen ursprünglichen Beruf erfüllt haben, den Gott uns allen gegeben hat in den ersten Worten, die er zu den Menschen sprach, desto mehr wird auch das Reich | Gottes gefördert, um desto mehr wird auch für den Erlöser, und dafür, daß er alle Menschen versammle zu sich, Herrlicheres geschehen, als sonst. Und m. th. Fr.! wie der Erlöser seine Jünger zu sich rief, nachdem sie einen großen Zug gethan, gesellte er sich freundlich zu ihnen, und ließ sich bewirthen von dem, was sie gefangen auf seinen Rath. Und da ist das Letzte und Schönste was mit unsrer Erzählung zusammenhängt. Aber was ist es anders, als wenn wir, so viel wir können das Reich des Herrn befördern, Alles treu unterstützen, was auf die geistige Verbesserung der Menschen Einfluß haben kann, alle unsre Kräfte zum Heil der Brüder verwenden und von dem was wir haben, mittheilen. Dann bewirthen wir auch den Herrn mit dem was wir haben, und der Herr nimmt es gnädig an, er läßt es sich wohlgefallen bei uns, und das ist für jeden eine lebendige Heimsuchung seiner geistigen Gegenwart, daran erkennen wir ihn, daß seine geistige Kraft mit uns wirkt, daß sie sich tiefer eingräbt dem Innersten und so laßt es denn beides auf die lebendigste Weise miteinander verbinden, 37 verbinden,] verbinden und 1–4 Gemeint ist die Reformation im 16. Jh. 7–8 Vgl. SAr 69, Bl. 20r: „[...] man fand die Werkzeuge um auf eine leichte schnelle und allgemeine Weise die Gedanken mitzutheilen [...].“ Gemeint ist die Erfindung des Buchdrucks. 22 Vgl. Gen 1,28 25–27 Vgl. Joh 21,10.12f

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das äußre Leben, in welchem wir alles thun und treiben, was der gemeinsame, den Menschen von Gott gegebene Beruf erfordert. Und das innere geistige Leben, welches der erregt hat, der uns alle zu Gott führt, und der gekommen war, die Liebe Gottes in uns auszugießen; diese wird uns dann immer mehr reinigen und segnen, daß sich der Friede Gottes, der allein der seinige ist, auch in Allem offenbare, was wir auch im äußerlichen Leben und unsern weltlichen Geschäften thun. Und dann ist es die Sache Gottes diesen Beruf zu unterbrechen durch besondre Heimsuchung seiner Gnade, welches die schönsten Punkte sind, auf denen das Herz des Menschen mit der innigsten Freude aber doch immer mit dem Vorsatz ruht, das Werk immer wieder von vorn anzufangen. So hat der Herr es geordnet von Anbeginn an; das bleibet die Ordnung seiner Gemeinde bis zum letzten Tage, und dann kann uns nichts fehlen, daß sich der himmlische Ursprung seines Geistes, den sein geistiger Leib durchdringt, der in uns lebt, allen offenbaren soll und dann sein Name von allen Menschen immer mehr gepriesen werden soll, als der Name, der über Alle Namen ist. Amen.

16 Vgl. Phil 2,9

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Am 5. Mai 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Bußtag, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 3,16–17 Nachschrift; SAr 94, Bl. 119v–123v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

5. Mai 1830. Lied 337.

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Tex t . 1 Cor. 3, 16,17. „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid, und der Geist Gottes in euch wohnet? So jemand den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben, denn der Tempel Gottes ist heilig, der seid Ihr.“ M. a. Fr.! wir dürfen diese Worte des Apostels, so wie sie sich aus sich selbst verständlich machen, nur hören, um gleich darüber einig zu sein, wie sehr sie geeignet sind für einen solchen Tag, wie der heutige. Wie stellt sich uns darin dar die hohe Würde der Gemeine des Herrn, der auch wir angehören; sie ist der Tempel Gottes, sie ist heilig, wir sind heilig, weil und in sofern wir demselben angehören, aber zu gleicher Zeit vor welcher großen Gefahr warnet uns dieses Wort des Apostels: „wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben.“ Das aber wissen wir, daß die Sünde der Leute Verderben ist und daß auch sie allein es ist, welche den Tempel Gottes verderben kann, und so wir nun wissen, unser eigenes Bewußtsein es uns allen saget, daß auch wir das in uns haben, was den Tempel Gottes verdirbet, wie sollten wir nicht an einem Tage der Buße und des Gebets auf diese Quelle alles Uebels in uns zurückgehen und uns suchen gemeinsam von dem, was das Verderben des göttlichen Tempels ist, loszumachen und zu reinigen und dadurch aufs Neue zu heiligen Gotte für seinen Tempel. Aber der Apostel hat diese Worte nicht etwa geredet in einer solchen Reihe von einzelnen 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 337: „Sollt’ ich verzagt von ferne stehn?“ (Melodie von „Nun freut euch, lieben Christen gmein“) 14–15 Vgl. Spr 14,34

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zusammenhangenden Ermahnungen, deren jede eben dadurch verständlich ist und in ihrem ganzen Sinn und Umfang gewonnen werden soll, sondern sie sind in bestimmtem Zusammenhang geredet und der ist es eben, auf welchen sich heut besonders unsre Aufmerksamkeit richtet. Nämlich in diesem ganzen Kapitel handelt der Apostel von dem Werthe der Einzelnen, deren sich der göttliche Geist auf besondere Weise bedient in der christlichen Kirche, aber dann auch freilich in Verbindung damit von der so häufigen Einbildung eines falschen Werthes. Er tadelt die Gemeine darüber, daß solche Spaltungen in ihr seien, daß | der eine sich vorzüglich an diesen, der andre an jenen einzelnen Lehrer halte und hat schon ganz im Allgemeinen vor den Worten unsers Textes gesagt: „so ist nun weder der der pflanzet, noch der der begießet etwas, sondern Gott, der das Gedeihen giebt.“ und so sagt er auch nach den Worten unsers Textes: „darum rühme sich niemand eines Menschen, es ist alles Euer.“ Zwischen diesen beiden stehen die Worte unseres Textes mitten inne, ohne daß von irgend etwas anderm die Rede gewesen. Es ist also offenbar, daß der Apostel auch hier ganz besonders dies im Sinne gehabt hat. Die Gemeine Gottes, sagt er, ist der Tempel Gottes, sie ist heilig, eben deshalb weil der Geist Gottes in ihr wohnet; der erwecket seine Gaben auf die mannigfaltigste Weise in diesem und jenem und wie er hernach weiter ausführt, diese Gaben des Geistes sollen sich in jedem bewähren zum gemeinen Nutzen; so wie Alles kommt aus der Fülle des göttlichen Geistes, welcher in der Gemeine des Herrn wohnt, so strömt auch alles wieder in sie aus, um sie als den Tempel Gottes immer mehr zu heiligen und zu reinigen. Es ist aber allerdings ein sich immer wiederholendes, und erneuerndes Verhältniß in der christlichen Kirche daß der Herr sich einige ausrüstet zu besondern Werkzeugen und daß durch diese alle die göttlichen Gaben des Geistes, die Erleuchtung durch das göttliche Wort, die Stärkung der Gemüther, der Zuspruch des Muthes, des Glaubens, der Geduld, der Liebe, daß alle diese geistigen Güter und Segen sich durch einige auf andre ergießen und einige erscheinen als die Geber, andre als die Empfänger, aber in dem Allen, das ist die Meinung des Apostels, soll man immer nur sehen auf den Geist, von dem es kommt, nicht auf den Menschen, durch den es kommt. Und dieses ist dem Apostel von einer so großen Wichtigkeit, daß er davon herleitet das Verderben des Tempels Gottes, von dem er redet, und seine Meinung also die ist, daß aus einer solchen falschen Werthschätzung des Einzelnen in der christlichen Kirche das ganze Eigenthümliche der Gemeine des Herrn, daß sie eben vermöge dieser Einwohnung des göttlichen Geistes in ihr als ein unzertrennliches Ganze der 11 vor] von

29 Segen] für gestrichen Segnungen

8–10 Vgl. 1Kor 3,3–10 12, bes. 12,7

11–12 1Kor 3,7

13–14 1Kor 3,21

20–21 Vgl. 1Kor

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heilige Tempel Gottes ist, könne verloren gehen, und sich verlieren in die Aehnlichkeit mit dem gemeinen menschlichen Werk und Wesen. Wahrlich, m. a Fr.! wenn wir zurück gehen in die Geschichte der christlichen Kirche, so werden wir das sich bestätigen finden von den ersten Anfängen an. Schon in dieser Gemeine, an welche der Apostel seinen Brief gerichtet hat, zeigt es sich, und ohne diese Veranlassung würden wir diese köstlichen Worte aus seiner Feder nicht empfangen haben. Da waren einige Paulisch, andre Apollisch, einige hielten sich zu dem und nannten sich | nach dem, andre nach jenem und so waren sie, statt in Einem Geist verbunden zu sein, getrennt durch eine Verschiedenheit des Geistes, aber nicht des Geistes in der That und Wahrheit, sondern nur eines menschlichen Wesens, an das sie sich hielten und hingen. Wo nur irgend wie solche Eifersucht ist und ein gegenseitiges Achten auf einander und ein Bestreben, dem, welcher an der Spitze eines solchen sich losreissenden Theils der Gemeine steht und die zu ihm gehören, zu vergleichen mit andern, – wie ist es dann möglich, daß nicht das Ansehen gleich sollte abirren von dem einfachen Wege der Wahrheit, daß nicht darüber das entstehen sollte, wovor der Apostel warnt gleich nach den Worten unsers Textes: „wenn sich einer weise dünkt, der werde erst ein Narr in dieser Welt, daß er möge weise sein; denn dieser Welt Weisheit ist Thorheit bei Gott.“ Es steht aber dieses beides in einer solchen genauen Verbindung, daß eines ohne das andre nicht möglich ist und eben in dieser Verbindung ist beides das Verderben des Tempels Gottes, nämlich dieses, daß Einige sich eines Einzelnen rühmen und sich an ihn halten und daß eben der sich weise dünkt. Fängt es damit an, daß einige sich an einen Einzelnen halten, und über dem Werkzeug den Geist, welcher Alles wirkt, vergessen, so kann der ganz unschuldig sein ursprünglich in seinem Sinn, nichts von sich halten, sondern nur sich dessen bewußt sein, daß er das Seinige thut in dem Dienst der Gemeine durch den Gebrauch aller der Gaben, welche der göttliche Geist in ihm gewirkt; aber so wie die Menschen auf ihn halten, was ist da natürlicher, als daß die menschliche Eitelkeit in ihm erwacht, er anfängt auch auf sich zu halten, nicht innerlich aus sich selbst, sondern weil die andern selbst ihn halten, weil es ihm vor Augen gelegt wird, er sei eine besondre Stütze der Kirche, und so kann der innre Sinn in dem Einzelnen verdeckt werden, so daß er nicht mehr auf diese Weise in demselben Sinn, wie vorher, wirkt, und alles selbst Wirken verderblich wird durch dieses Zurücksehen auf sich selbst und dieses auf sich halten. Dann ist es auch natürlich, daß, was ursprünglich eine Weisheit war, welche aus Gott kam, sich umkehrt in die Weisheit der Welt, welche eine Thorheit ist vor Gott; denn ist einmal dieses in die Betrachtung, in das Leben Eines eingegangen, daß ein Theil der Gemeine auf besondre Weise auf ihn halte, so muß er doch anfangen zu fragen, weshalb; denn er kann 7–8 Vgl. 1Kor 1,12; 3,4

18–20 1Kor 3,18f

38–39 Vgl. 1Kor 3,19

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nicht damit anfangen zu glauben, daß der Geist Gottes in ihm allein oder auf besondre Weise sei, denn er wohnt in Allen und in den Einzelnen nur als einem Theil des Ganzen. Aber wenn dann dieses Gleichgewicht aufgehoben wird durch äußere Beweise einer besondern Vorliebe, durch ein Anschließen an einen Einzelnen, was zugleich das Losreissen von andern ist, weil | andre auf dieselbe Weise sich an einen andern halten, dann ist ein solcher Geist der Trennung schon da, daß einer nicht fortfahren kann für die, welchen er etwas besonderes geworden ist, das zu sein, als in so fern er sich zu einem Mittelpunkt für sie macht und das ist die Weisheit der Welt, welche Thorheit ist vor Gott; dann kann er auf nichts andres als darauf sehen, wie er dieses Verhältniß erhalte, in welches er gestellt ist, und wie dieser losgerissene Theil der Gemeine durch ihn und an ihn ein solcher bleibe, und das ist das Verderben des Tempels Gottes, weil es die Einheit des Geistes zerstört. Aber eben so, wenn der Einzelne damit anfängt, durch sich selbst, vermöge seiner Persönlichkeit etwas sein zu wollen in der Gemeine, wenn er die Aufmerksamkeit lenkt nicht auf die Quelle des Geistes, aus der er schöpft, sondern sein will etwas durch seine persönliche Eigenthümlichkeit, – dann ist es [ ] daß er auch die Aufmerksamkeit des Menschen auf das lenkt, wodurch er etwas sein kann, und ist dieses ein solches, was die Augen der Menschen fesselt, was eine Gewalt über die Gemüther ausübt, wie leicht ist dann ein solches Anschließen, aber nie ist es anders möglich, als daß in dem Einen sei eine Weisheit dieser Welt und daß immer mehr und mehr, je länger dergleichen anhält, der Grund des Anschließens an den Einen und des Losreißens von Andern in den untergeordneten Vollkommenheiten des menschlichen Geistes, in den äußern Umständen, kurz weit abliegend von der Wirksamkeit des göttlichen Geistes sei. Diesem Verderben steuert der Apostel und wenn es ein großer Segen war, daß auf ihn selbst, der die Gemeine zu Corinth gepflanzt, ein andrer folgte, der begoß, wenn es ein großer Segen war, daß sich mannigfaltige Gaben in der Gemeine entwickelten, so war es eben der Keim des Verderbens, daß sie anfingen, selbst die Verschiedenheit dieser Gaben zu sehen und den einen vor den andern den Vorzug zu geben. Das regte aber den Eifer des Apostels auf und in dieser Beziehung sagt er, sie sollten nicht dadurch den Tempel Gottes verderben, damit Gott sie nicht verderbe, dadurch nämlich, daß sie den Geist der Einheit verwandeln in einen Geist der Zwietracht. Er hatte freilich durch alles das, was dort vorgegangen war, auch Veranlassung gehabt, vor den Worten unsers Textes zu sagen: „in der Gemeine des Herrn gebe es nur Einen Grund, welchen er in der Gemeine gelegt, nämlich Chri12 an ihn] vielleicht zu verbessern in um ihn ergänzen wohl unvermeidlich oder natürlich 27–28 Vgl. 1Kor 3,7f

30–32 Vgl. 1Kor 12

18 es] folgt eine Wortlücke; zu

37–1 Vgl. 1Kor 3,11

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stus und niemand vermöge einen andern zu legen.“ Das wissen wir auch, und das ist ein ewiges, unverbrüchliches Gesetz, wo ein andrer Grund gelegt wird als Christus, wo gebauet wird | aber nicht auf diesen Grund, mit Wissen und Willen nicht auf diesen, aber auf einen andern, da ist nicht der Tempel Gottes; aber auf diesen Grund kann sehr verschieden gebaut werden. Der eine bauet mit edlen, köstlichen dauerhaften Stoffen, der andre mit vergänglichen und nichtigen, der Herr der sondert und scheidet das durch das Feuer und in diesem Feuer verzehrt sich, was nichtiges gebaut ist auf diesem Grund, was aber mit edlen und köstlichen Stoffen der Natur des Grundes gemäß gebaut ist, das besteht in diesem Feuer. Wie ist das nicht ein wahres und kräftiges Bild von aller Verschiedenheit der Lehre, je nachdem sie genauer oder weniger genau mit dem Grunde zusammenhängt, welchen Gott geleget hat; aber doch meinet der Apostel nicht, daß durch diese Verschiedenheit der Lehre, gesetzt auch, es werde hier oder dort mit Nichtigem gebauet, der Tempel Gottes könne verderben, denn er sagt: „wenn einer nichtig baut, dessen Werk wird freilich zerstört werden, er selbst aber wird selig werden, wiewol durch das Feuer.“ In unserm Texte redet er davon, daß wer den Tempel Gottes verderbe, den werde Gott verderben, und er muß also hier etwas andres meinen, als dort. Lasset uns recht sehen, wie der Apostel dieses stellt. Wollen wir sagen: nachdem er für diese Gemeine den Grund gelegt, nachdem er angefangen auf diesen Grund zu bauen, mit Stoffen würdig der Offenbarung des Herrn und nachdem andre nach ihm gebaut, sei ein solcher Unterschied von seinem frühern Antheil an der Gemeine bei ihm eingetreten, daß es ihm gleichgültig gewesen, ob diesem Gebäude sich etwas anlegte, was bei dem ersten Brande vergehen mußte! Gewiß war ihm das nicht gleichgültig, aber doch sagt er: wer auf diesen Grund bauen will, wer die Absichten hat, auf diesem Grund zu bauen, bauet er dann mit Nichtigem und Vergänglichem, was kann es anders sein als Irrthum oder Unvermögen, und was aus Irrthum entstanden und ungeachtet des Unvermögens daraus geworden ist, das muß vergehen; aber der kann nicht verderben, der mit dem Willen, auf dem Grunde, den Gott in Christo gelegt hat, wieder zu bauen, in der Gemeine des Herrn wirksam gewesen ist, er wird selig werden, wenn gleich durch Feuer. Welches sind die aber, die er für die Verderber des göttlichen Tempels erklärt? Die etwas für sich sein wollen, | die ein verschiedenes Halten auf menschliches Wort und Werk in der Gemeine Gottes nähren, weil sie die Aufmerksamkeit von dem Göttlichen abwenden auf das Menschliche, das doch vergänglich ist und nichtig in sich selbst. Wie wahr ist das Wort des Apostels welches er eben deshalb hinzufügt: „niemand rühme sich eines 32 wieder] vielleicht zu verbessern in weiter 6–10 Vgl. 1Kor 3,12f

16–17 Vgl. 1Kor 3,15

39–1 1Kor 3,21

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Menschen.“ Sobald nach den ersten Zeiten der Apostel die einzelnen Gemeinen anfingen, sich dessen auf eine besondre Weise zu rühmen, daß der oder jener von den Aposteln des Herrn sie gestiftet habe, die andern Gemeinen um sie her gestiftet wären nur von untergeordneten Werkzeugen, sich dessen zu rühmen, daß der oder jener Apostel auf ihrem bischöflichen Stuhl gesessen und die großen Gaben, welche in der ganzen christlichen Kirche sind, auf sie allein beschränkt wären[,] sobald sie sich dessen rühmten, und auf einen Menschen beriefen, wenn gleich auf einen, der dem Herrn nahe gestanden, welcher Keim des Verderbens war da gelegt! Und wo es allmählig dahin kam, daß die Menschen sich Einzelner rühmten als solcher, die besonders geschickt wären die Geistesgaben Gottes fortzupflanzen auf die Gemeine und auf die Einzelnen, und einen solchen Unterschied machten, daß Einige nur diese von Gott erflehen und halten können, die andern aber sie von diesen empfangen müßten, – welcher große Keim des Verderbens war da in die Gemeine des Herrn gelegt! Ein solcher, daß wir sagen müssen, Alles andre sei dagegen nur gering und alles Uebel sei davon ausgegangen, daß man sich eines Menschen rühmte. Aber wie ich vorher sagte, der Fehler liegt nicht immer und allein an dem verkehrten Sinn dessen, an den die andern hielten, sondern auch in denen, welche so auf das Menschliche sehen, und auf das Menschliche halten, daß sie lieber so Menschen vertrauen wollen, welche sie sehen und hören, als auf den göttlichen Geist, durch den allein doch das ganze zusammengehalten werden kann: darum fügt der Apostel hinzu, wenn ihr verhüten wollt, daß der Tempel des Herrn verderbt werde, so rühmet euch keines Menschen, sondern bedenket, daß alles Euer ist. Sehet da, m. Fr.!, das ist es, woran wir uns zu halten haben; alles, was wir wissen ist eine Gabe von oben und für alle göttliche Gaben sollen wir nicht nur dankbar sein, sondern auch bedenken, daß wir Haushalter derselben sind. Wie nun, wenn wir aus menschlicher Schwachheit uns nur an dem halten, was der göttliche Geist durch den einen oder den andern giebt, alles andre von uns entfernt lassen und ungebraucht[,] | sind wir dann Haushalter der göttlichen Gaben, werden wir dann rühmen können, daß wir einen Gebrauch gemacht von dem uns Verliehenen? Wenn wir aufgefordert werden Rechenschaft zu geben von dem, was uns anvertraut ist, und wir wollten auftreten und sagen, ich habe nur das gebraucht, was der mir gegeben hat, wie wollen wir bestehen vor dem, welcher uns nur zu Haushaltern gesetzt hat! Es steht uns in unserer Kirche ein großer Gedenktag bevor, ein Tag der Erinnrung an eine Handlung, durch welche die evangelische Kirche einst 23–25 Vgl. 1Kor 3,21 37–2 Am 25. Juni 1830 jährte sich zum 300. Mal der Tag, an dem die Confessio Augustana auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 verlesen und übergeben worden war. Schleiermacher hielt aus diesem Anlaß im Zeitraum vom 20. Juni bis zum 7. November 1830 zehn Predigten, die er 1831 als 6. Sammlung unter dem Titel „Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession“ veröffentlichte (siehe KGA III/2). Vgl. oben Einleitung I. 3.

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begründet ist, nämlich die Uebergabe ihres Bekenntnisses an das Oberhaupt und die Fürsten des deutschen Reichs. Worin liegt nun die Wichtigkeit desselben? nicht in dem Werk, welches Einer hervorgebracht hat, sondern in dem Geist, welcher es bewirkte, daß eine klare Einsicht in das Wesen des Evangeliums konnte vorgelegt werden, abgesehen von allem, was daraus entstanden war, daß man sich der Menschen gerühmt. Wenn uns das nun etwa wieder dazu gereicht, daß wir uns des Menschen rühmen, wenn wir bei dem menschlichen Werk des Buchstabens stehen bleiben und in dem das Heil suchen, wie weit entfernen wir uns von der Regel des Apostels daß alles unser ist, wir aber auch von Allem sollen Rechenschaft geben. Darum, wenn in der Gemeine nicht eine solche Trennung ist, welche einige unfähig macht, alles zu gebrauchen, da ist eine Rückkehr zu der Unschuld, welche nur dem Geiste Gottes folgt; wo aber ein Geist der Zwietracht ist, lasset uns sehen, ob es nicht daher kommt, daß man auf Menschen hält, und ihnen folgt, lasset uns dem Worte des Apostels folgen: „der ist nichts, welcher pflanzt, welcher begießt, sondern allein Gott, welcher das Gedeihen giebt.“ M. a. Fr.! Viele unter Euch werden sich erinnern, daß ich meist diesen Tag aus dem Gesichtspunkt zu betrachten pflege daß es ein Tag ist, den uns die bürgerliche Obrigkeit eines christlichen Volkes setzt, um das Nachdenken zu lenken auf das was, indem es ein Mangel ist in der christlichen Gemeine, zugleich eine Quelle von Unvollkommenheiten in der bürgerlichen Gesellschaft ist, und um alle in dem Gefühl zu vereinen, daß wie alles in der Gemeine nur durch Gott gedeihen kann, | so alles Menschliche nur dadurch gedeihen kann, daß wir uns Gott weihen. Unsre heutige Betrachtung ist nun mehr in das Innre der christlichen Kirche eingegangen, um uns aufmerksam zu machen auf die Quelle aller Unvollkommenheit, welche sich in ihr entwickelt, damit wir uns von ihr entfernen und nicht Verderber des Tempels Gottes werden, welcher heilig ist. Aber beides liegt auch nicht weit aus einander. Wenn das Christenthum über die ganze Welt eine Fülle von Segnungen verbreitet, welche vorher unbekannt und ungenossen waren; wenn sich überall unter christlichen Völkern entwickelt hat ein Geist der brüderlichen Gleichheit, welcher alle Verschiedenheit ansieht aus dem Gesichtspunkt, daß sie von Gott geordnet sind hier so und da anders, damit das gemeine Wohl aufs Beste könne gehandhabt werden, – wie können wir anders sagen, als daß damit genau zusammenhängt, daß wir uns nicht der Menschen rühmen, sondern nur auf Gott sehen, und seinen Geist, und daß alles, was er gewirket hat, immer vollkommener benutzt werde. Reißt aber in der Gemeine des Herrn das ein, daß man auf Menschen hält und sich der Menschen rühmt, so ist eine unvermeidliche Folge davon, daß man 3 Die Confessio Augustana war im Wesentlichen ein Werk Philipp Melanchthons. 15–17 Vgl. 1Kor 3,7

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auch in der bürgerlichen Gesellschaft aufhört, auf den Geist, welcher sie beseelt, zu halten, sondern sich der Menschen rühmt, und an Menschen hält, daß die menschlichen Verschiedenheiten sich befestigen als das, was etwas wäre für sich, und daß jeder nur das Seinige sucht und das derer, welche ihm am nächsten sind. Dieser edle Geist der christlichen Kirche, alles, auch das köstlichste, was sich in einem Menschen erzeugen kann, nur anzusehen als ein Werk des göttlichen Geistes und es zu loben nur um der Quelle willen, aber alle ohne Unterschied, Große und Kleine, Angesehene wie niedrig gestellt, nur zu betrachten als Diener des Ganzen, als Werkzeuge des Geistes, der durch ihn und für ihn durch das Ganze und für das Ganze gebildet – dieser edle Geist ist es, welcher allein auch unser bürgerliches Verhältniß aufrecht erhalten kann. Sowol der Tempel des Herrn bleibt nur heilig, wo der Geist herrscht, als auch das gemeine Wesen wird nur aufrecht erhalten, wenn jeder nur dem Ganzen dienen will, jeder nur auf das, was diesem förderlich ist, sehen. – Ja, laßt uns noch mehr sagen: es liegt in der Natur der christlichen Kirche, daß immer mehr in ihr der große Unterschied der Einzelnen aufhören soll. Vorher mußte sich Gott Einzelne erwecken, daß sie von ihm zeugten, aber der letzte Einzelne, den er weckte, war Christus der Herr. Darum sagt auch der Apostel: „Alles ist euer, ihr aber seid Christi, wie | Christus Gottes ist.“ Seitdem aber der gekommen ist, so haben wir keines andern Einzelnen zu erwarten. Konnte er nur wenige Einzelne sammeln, um sein Reich gründen zu helfen, mußten diese deshalb sehr ausgezeichnete Werkzeuge sein, so dürfen wir nicht verkennen, wie schnell dieser Unterschied aufhörte, und finden wir Zeiten, wo Einzelne besondern Werth hatten, vor allen andern besonders hervortraten, so waren es gewiß solche, wo ein großes Verderben in den Tempel Gottes eingeschlichen war. Je mehr aber dieser heilig ist, um so mehr werden auch alle durch die Theilname an diesem Geist einander sich wecken, und wenn dazu, daß alle sich entschließen zu sagen: „nur Einer ist unser Meister“ wenn [ ] dazu eine große Demuth auf der einen und ein starker Muth auf der andern Seite gehört, so lasset uns nur freuen, daß wir in einer Zeit leben, wo es keinen kann eine große Ueberwindung kosten, alles so anzusehen. Je weniger nun die Menschen geneigt sind, von dem Einen etwas zu halten, um so mehr wird das Verderben von dem Tempel Gottes fern gehalten und dieser Segen wird sich dann, und kann nicht anders als auf den bürgerlichen Verein verbreiten, weil nur so alles aus dem rechten Gesichtspunkt betrachtet und mit der einzigen Rücksicht auf das gemeine Wohl kann behandelt werden. So möge denn dieser Tag für uns ein Tag der Lust sein, damit wir uns von Allem losmachen, was in dieser Beziehung noch falsches an uns haftet 29 wenn] folgt eine Wortlücke 4 Vgl. Phil 2,21; ferner 1Kor 10,24

19–20 1Kor 3,22f

29 Vgl. Mt 23,8

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und wir sagen können: keiner ist, der sich weise dünke, keiner ist der sich eines Menschen rühme, alles ist unser und wir Christi. Amen. Lied 297.

3 Lied 297] folgt darunter von Pommers Hand Alles Verdienst lehnst du ab – kleines Schleiermacherchen – du allein weißt nicht wie Groß du bist! 1–2 Vgl. 1Kor 3,18.21.23 3 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 297: „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ (in eigener Melodie)

Am 9. Mai 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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Cantate, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 21,16 Nachschrift; SAr 94, Bl. 124r–128r; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

9. Mai 1830. Lied 301. Tex t . Ev. Joh. 21, 16. „Spricht Jesus zum andern mal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Weide meine Schaafe.“ Auch dieses, m. a. Fr.! sind Worte, welche wir nicht leicht übergehen können, wenn wir uns in dieser unserer kirchlichen Zeit an die schönen Erzählungen von dem Zusammensein unsers Erlösers mit seinen Jüngern in den Tagen seiner Auferstehung vorzüglich halten, und wie oft, wie oft sind sie nicht auch schon Gegenstände der tiefsinnigsten und innigsten Betrachtung für die Christen geworden. Es ist aber vorzüglich eine zweifache Richtung, in welcher die Betrachtung dieser Worte sich verbreitet: Einmal, indem wir die Frage des Herrn uns selbst vorlegen und über ihren Sinn und ihre Bedeutung nachdenken, um uns selbst immer mehr zu vergewissern, wie es um unser eigenes persönliches Verhältniß mit ihm steht; aber dann auch, m. t. Fr.! giebt es einen bestimmten Zusammenhang zwischen dieser Frage des Herrn die er seinem Jünger vorlegt und dem Auftrag, den er ihm nachher giebt; denn der war bedingt durch die Antwort, welche er auf jene Frage geben würde. Laßt uns heut, m. a. Fr.! diese Seite besonders zum Gegenstand unsrer heutigen Betrachtung machen und uns die Frage vorlegen, über den Zusammenhang zwischen diesen beiden: der Liebe, welche der 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 301: „Fest steht zu Gottes Ruhme“ (Melodie von „Nun lob, mein Seel’, den Herren“)

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Herr indem er seinen Jünger fragt, und eine bejahende Antwort von ihm verlangt, auch gewiß voraussetzte, und dem Auftrage, den er ihm giebt, seine Schaafe zu weiden. Laßt uns zuerst fragen: worauf denn wol dieser genaue Zusammenhang beruht, und zweitens, die Frage, wem denn wol eigentlich dieser Auftrag des Herrn, seine Schaafe zu weiden, vorzüglich gegeben sei? Wenn wir uns nun, m. a. Fr.! zuerst fragen, wie hängt das zusammen, daß der Herr grade dieses und dieses Eine, die Liebe zu ihm zu der Bedingung macht bei dem Auftrag, welchen er seinen Jüngern giebt, seine Schaafe zu weiden. Weiden d. h. die Schaafe mit Nahrung versorgen und ihnen auch die gehörige Obhut angedeihen lassen. Und wir können auch schon an das Wort nicht denken, m. G. ohne uns zu erinnern, wie der Erlöser sich selbst | ja darstellt, als den guten Hirten, der seine Schaafe weidet, und wenn er also einem oder dem andern den Auftrag giebt, seine Schaafe zu weiden, so ist es nichts geringers in der That, als daß er ihn zu seinem Stellvertreter ernennt, daß er das nämliche thun soll, was er selbst thut. Wenn er nun von der Obhut redet, welche er seiner Heerde angedeihen läßt, von dem vorsorglichen Schutz, mit welchem er über sie waltet, so stellt er sich dar, als den guten Hirten, welcher sein Leben in die Schanze schlägt für seine Schaafe, welcher dem Wolf entgegengeht, um mit ihm zu kämpfen, der die Heerde zerstören und verwüsten will. Und indem er dies selbst von sich sagt, stellt er sich entgegen andern, welche er durch den Ausdruck „Miethling“ bezeichnet, das sind denn solche, welche die Heerde weiden; aber nicht um der Heerde selbst willen, nicht aus Liebe und Zuneigung zu ihr, sondern um des Erwerbes willen, den sie davon haben, und wenn wir uns diesen Gedanken erhalten, so erblicken wir freilich etwas Entgegengesetztes: das Leben ist mehr, als die Nahrung, der Leib mehr, als die Kleidung, und wer etwas nur thut um des Erwerbes und Genusses Willen, welchen es gewährt, der wird Leib und Leben nicht dafür in die Schanze schlagen. So konnte also wol der Erlöser als die erste Bedingung, indem er einem die Vorsorge über seine Heerde anvertraut, die Liebe zu ihm aufstellen. Denn wer ihn liebt, liebt auch die Seinen; wer ihn liebt, der kann freilich nicht anders, als selbst ein Theil der Heerde sein, aber zugleich hat er auch das Miteigenthum an derselben, wie jedes Glied seinen Theil hat an dem Leibe, und das ganze nicht ohne dasselbe bestehen kann, auch das Ganze ihm dient und ihm dienen muß. Die also, welche indem sie den Herrn lieben, auch alles, was sein ist, als das Ihrige ansehn, und seine Heerde als ihren eigenen und größesten Schatz, eben deshalb, weil er die Fülle seiner Liebe und seines göttlichen Lebens darstellt, die, und auch nur die allein sind geeignet, eine solche Obhut über seine Heerde von welcher sie selbst ein Theil sind, zu halten, daß sie selbst und ihres Lebens nicht schonen. Und 12–13 Vgl. Joh 10,1–16

23 Joh 10,12.13

27 Vgl. Mt 6,25

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wenn wir freilich sagen mögen, daß in jenen frühesten Zeiten zunächst der Erscheinung des Erlösers selbst eine solche Liebe durchaus nothwendiger war, weil es da oft nothwendig war und vielen Einzelnen begegnete, daß sie ihr Leben gering achten und hingeben mußten zum Wohl und Besten des Ganzen von welchem sie selbst ein Theil waren, so sei es jetzt ein leichtes um diesen Schutz, welchen die Gemeine des Herrn bedarf | auf Erden, nicht so gewaltig sein die Kämpfe, nicht so mannigfach die Hindernisse, nicht so groß die Schwierigkeiten. Aber so wie auch in dem tiefsten Frieden, in der ungestörtesten Ruhe das Beste der bürgerlichen Gesellschaft der Menschen nicht kann besorgt werden, ohne dieselbe brennende Liebe zum Vaterlande, ohne die innige Gesinnung für das gemeine Wohl, welche ausreicht auch in den stürmischsten Zeiten, grade so ist es auch in der Gemeine des Herrn. Seine Heerde weiden, für die sorgen, welche wie wir ein Theil davon sind, schützend darüber zu wachen, wo wir nur vermögen, um Schaden und Nachtheil abzuwenden, – das können nur die, welche Christus lieben und darum sagt er zu seinem Jünger: hast du mich lieb, nun so weide meine Schaafe. Aber wie, m. g. Fr.! steht es nun mit der Nahrung, welche die Schaafe bedürfen? Wenn wir uns diese Frage vorlegen, so können wir unmöglich anders, als an ein andres Wort denken, wo der Erlöser sagt: er sei das Brot vom Himmel gekommen, welches die Nahrung sei für die Welt, wo er sagt, wer sein Fleisch isset und sein Blut trinket, der habe das Leben; wer das aber nicht thut, der habe auch kein Leben. Ist der nun allein das rechte Himmelsbrot und giebt es für seine Heerde keine andre Nahrung, als nur ihn selbst, – wie kann er einen zu seinem Stellvertreter ernennen, daß auch er seine Heerde versorgen solle mit der rechten, erquicklichen und gedeihlichen Nahrung, welche doch immer nur er selbst ist? Freilich müssen wir uns darüber wundern, und gewiß ist es auch jenem Jünger des Herrn eben so wenig eingefallen, wie es keinem von uns in den Sinn kommen kann, als solle er sich eben so ihnen zur Nahrung hingeben und sie eben so weiden, wie der Herr. Das konnte und wollte er mit Niemanden theilen und in alle Ewigkeit wird er es auch nicht theilen, so gewiß als er das rechte und wahre Brot vom Himmel gekommen ist. Aber wenn er sagt, wenn ihr an mir bleibet, so werdet ihr viel Frucht bringen, so meint er auch hier nichts anders als dieses: liebst du mich, sagt er gleichsam zu seinen Jüngern, so wird auch immer mehr das in Erfüllung gehen, daß du nicht leben wirst, sondern ich in dir, und lebt nun Christus in uns, ja dann können sich auch seine Kräfte, die Kräfte des rechten geistigen und göttlichen Lebens durch uns verbreiten über andre. Dann können wir ihnen zum 14 ein Theil] sein Theil 18 welche ... bedürfen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 697 30–31 Niemanden] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 809 20–22 Vgl. Joh 6,51.53

33 Vgl. Joh 15,5

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Durchgang und zur Mittheilung nicht unsers eigenen, sondern des Einen göttlichen Brodes, der Nahrung des ewigen Lebens werden, indem sie von uns und durch uns empfangen nicht uns selbst, sondern ihn allein, welcher das rechte Brot ist. Aber gäbe es solche | nicht, die ihn so lieben, daß sie nicht mehr begehren selbst zu leben und keine andre Freude haben, als daß er in ihnen lebt, die wissen, daß sie todt wären, wenn er nicht in ihnen lebte. Gäbe es nicht solche, dann hätte der Erlöser auch nicht einem andern den Auftrag geben können: weide meine Schaafe! Wenn wir uns also nun überzeugt halten können, unter dieser Bedingung ist ein solcher Auftrag des Herrn möglich, wo die rechte, volle Liebe ist, ist auch das Vermögen und die Kraft seine Schaafe zu weiden, ihnen Obhut, Schutz und Nahrung mitzutheilen, so entsteht uns noch die andre Frage, nun wol, dieses ist eines, aber hätte es nicht noch etwas anderes gegeben, woran der Herr den Auftrag: so weide meine Schaafe, hätte knüpfen können? Lasset uns einmal fragen und uns umsehen unter allen, denen wir gewohnt sind, ein Lob und eine Tugend beizulegen unter allem, was wir gewohnt sind groß und herrlich zu achten. Doch wie sollen wir hoffen können daß es uns gelingen werde, etwas anders zu finden, wenn wir an die Worte des andern Apostels denken, welcher Alles andre, was er aufgezählet hat, hintenan stellt der Liebe und sagt: hätte ich auch alles dieses und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts nütze, und nichts mehr, als ein tönendes Erz, und eine klingende Schelle; welche man zwar gebrauchen kann, ein Zeichen damit zu geben, aber die fast kein Leben und keine Kraft in sich selbst hat. Aber das wird sich uns noch deutlicher vor Augen stellen und noch mehr bestätigen, wenn wir fragen, was es denn wol sein könnte, dem wir noch einen solchen Preis zuzuerkennen geneigt sein könnten. Zweierlei ist es, worauf immer ein großer Werth gelegt wird unter den Menschen, weshalb sie hoch gestellt werden und geachtet und dem wir also geneigt sein könnten, neben der Liebe eine Stelle einzuräumen. Das sind die Werke auf der einen Seite, das ist die Erkenntniß auf der andern. Was die ersten betrifft, wie sollten wir nicht, wie wir es schon öfter miteinander gesungen, auch immer es wiederholen: der Werke Ruhm muß vor der Gnade schwinden, Verdienst vermag den Weg zum Himmel nicht zu finden. Die Werke, welche aus der Liebe kommen, sind nichts anders als die Liebe selbst, die kann nicht ruhen und rasten, wo sie ist, da erzeugt sie immer Werke, welche ihre Kraft in sich 2 werden] wenden 18–22 Vgl. 1Kor 13,1–3 32–33 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 432: „Der Werke Ruhm muß vor der Gnade schwinden“ (Melodie von „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen?“); der Text der 1. Strophe lautet: „Der Werke Ruhm muß vor der Gnade schwinden; Verdienst kann nicht den Weg zum Himmel finden; dem Gläubgen nur will Gott das ewge Leben durch Christum geben.“

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tragen, aber Werke, die nicht aus der Liebe kommen, vermögen auch nichts, sie sind todt, weil der Glaube nur durch die Liebe thätig ist und also aus dem können andre Werke hervorgehen, als die, welche die Liebe hervorbringt, sie sind todt, weil alles, was nicht aus dem Glauben kommt, welcher durch die Liebe thätig ist, nur | Sünde sein kann, und nichts anders. Was wir also auch sehen mögen, von rühmlichen und herrlichen Werken, die Großes und Vieles geleistet haben für die Gesellschaft der Menschen, wenn wir nach der Quelle desselben forschen, aber wir finden nicht, daß sie aus der Liebe zu dem Herrn gekommen sind; wir wollen ihnen nicht den Werth absprechen in menschlichen Dingen, wir wollen auch von ihnen Gebrauch machen als Gaben Gottes, aber was das Weiden der Schaafe betrifft, dazu können sie kein Recht haben, keinen Anspruch geben, denn dazu ist keine andre Weisheit erforderlich, so wie keine andre Werke dazu taugen können, als die aus der Liebe kommen. Und wie, m. g. Fr.! ist es nun mit der Erkenntniß? Wenn der Erlöser seinen Apostel gefragt hätte: Simon Johanna, sage mir, weißt du auch recht, wer ich bin? hast du es ganz erkannt und durchschaut, und weißt nun gewiß, wofür du mich erkannt hast, und er hätte das Herz und den Muth gehabt, ja zu sagen, wie wol ich es nicht von ihm glaube, denn wie sollte er gewähnt haben, die Tiefen dieser Geheimnisse zu durchdringen; – aber wenn er ja gesagt, würde der Herr denn auch zu ihm gesagt haben, nun erkennst du mich recht, so weide meine Schaafe! Ich glaube es nicht. Erkennen kann der Mensch: was doch seinem innern Gemüth fremd bleibt, es ist dann ein schöner Schatz, den er in sich trägt, aber ein Schatz nicht für ihn, sondern andre. Was wir so erkennen, daß es uns selbst fremd bleibt, und keinen Theil unsers Lebens ausmacht, dafür und damit können wir allerdings sehr gut zu gebrauchen sein, um diese Erkenntniß andern mitzutheilen, um sie einzupflanzen in solche Gemüther, denen sie nicht fremd bleibt. Aber das ist doch immer nicht unser Werk, sondern wir sind in der That dabei immer nur gewesen ein tönendes Erz, und eine klingende Schelle. Der Ton und der Schall ist von uns ausgegangen, der kann auch rein und mächtig gewesen sein, aber was daraus ausgegangen ist, ist unser Werk, ja wir hätten uns auch nicht darum bekümmert, was daraus geworden wäre, denn wenn uns das fremd ist, was wir wissen, so sind ja auch der Zusammenhang und die Folgen uns gleichgültig. Ja es kann eine große Fülle der Erkenntniß geben in Beziehung auf das, was der Herr gesagt in Beziehung auf den Zusammenhang seines Lebens mit den Weissagungen des Alten Bundes, in Beziehung auf die Meinung der Menschen von ihm, und viel Scharfsinn kann dazu gehören, es zusammenzuhal2–3 aus dem können andre Werke hervorgehen] Kj aus dem können andre Werke nicht hervorgehen oder außer dem können andre Werke hervorgehen 2 Vgl. Gal 5,6

4–5 Vgl. Röm 14,23

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ten. Es ist und bleibt eine todte Erkenntniß, die nicht dazu beitragen kann, die Schaafe des Herrn zu weiden. Nur wenn die Liebe das Auge öffnet, | wenn wir deshalb den Herrn erkennen, weil wir ihn lieben, aber ihn nur lieben können, weil wir von ihm erfahren haben. – Ja, das ist die höchste Erkenntniß, aber die hat, wie die Werke, doch ihren Grund nur in der Liebe und nur sie ist es, welche tüchtig macht die Schaafe des Herrn zu weiden. So ist denn, m. Fr.! das Wort des Herrn nicht nur wahr, wie alle seine Worte, sondern auch die Fülle der Wahrheit, wie alle seine Worte vollständig und ganz die Bedingung, unter welcher allein einer Theil haben kann an diesem großen Beruf seine Schaafe zu weiden. Ich sage Theil haben und das führt uns auf die zweite Frage, die wir uns vorlegen wollen: Wem hat denn durch diese Frage und ihre Antwort der Erlöser den Beruf gegeben seine Schaafe zu weiden. Es kann wol niemand auf den Gedanken kommen, daß er damit den Petrus, zu welchem er redet, allein gemeint. Um das ganz abzuweisen und als hätte er vorher gesehen, welche verkehrte Anwendung, welcher Misbrauch von diesen seinen und einigen andern seiner Worte könnte gemacht werden, hat er ihm vorher die Frage vorgelegt: hast du mich lieber, als mich diese haben? und wenn er ja gesagt und der Erlöser hätte ihm da den Auftrag gegeben, seine Schaafe zu weiden, dann möchten wir wol sagen, er hat ihm vorzüglich diesen Auftrag gegeben, weil er ihn mehr liebte, als die andern. Das fand aber Petrus nicht in sich, oder, wie es jedem unter uns geziemt, bescheiden und demüthig zu sein, so wußte er wenigstens, daß er das nicht beurtheilen konnte, weil keiner in die Tiefe des Gemüths eines andern eindringen kann und darum sagt er nur: Herr du weißt, daß ich dich lieb habe, ohne sich über die andern zu erheben, und weil der Ausspruch des Herrn nicht auf diese bejahte Frage sich gründet, so können wir auch nicht sagen, daß der Herr dieses nur für Petrus gemeint. In manchen Fällen finden wir, daß wenn der Herr seine Jünger fragt, Petrus im Namen aller antwortet, und wenn der Herr seinen Jüngern etwas sagt, so sagt er es Petrus allein, und es giebt mehr als ein Beispiel wo der Herr an einer Stelle dem Petrus allein etwas sagt, an einer andern sagt er dasselbe auch den übrigen. Wenn er vorher zu allen seinen Jüngern das große Wort gesprochen: wem ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, wem ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. – Welch großer Theil ist das nicht von dem Weiden der Schaafe, welches er hier zu Petrus sagt, und wie konnte er den ganzen mächtigen diesem Jünger allein gegeben haben? Sondern, wenn er ihm allein etwas sagen wollte, rief er ihn besonders zu sich; was er ihm aber vor Allen sagt, wie hier nach der 16 einigen] einiger 18 Joh 21,15 25 Joh 21,15 33–34 Joh 20,23; vgl. die Predigt am 18. April 1830 (Quasimodogeniti) über diesen Vers

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Mahlzeit, das | sagt er ihm auch im Namen Aller; und wie Petrus auch nicht seine Antwort geben wollte, sich über alle erhebend, sondern so, wie Alle sie geben könnten, nachdem der eine Verräther von ihm entfernt war, so ist auch das, was der Herr sagt, nicht zu ihm allein gesagt, sondern zu ihnen Allen. Aber wie, m. Fr.! vielleicht denen allein, welche er sich ausgewählt hat zu dem Amte, daß sie seine Zeugen sein sollten, welche dazu berufen waren, Gemeinden und Gläubige an den Herrn zu stiften, indem sie eine Heerde zusammenbrachten, sie auch zu weiden, wenn wir uns das einen Augenblick denken wollen; wie soll es mit uns werden? Wer, in so fern wir zur Heerde des Herrn gehören, wer weidet uns? Sagen wir nun, Christus, der Herr selbst, so bleibt das ewig wahr; aber es war auch damals; wozu also, wenn er selbst seine Heerde weidet, ernennt er die Jünger zu seinen Stellvertretern? Deshalb, m. g. Fr.! weil er sie weidet durch sie, weil er keine andre Art und Weise hat zu wirken, seitdem er nicht mehr auf der Erde gegenwärtig ist, als durch das Leben, welches er in den Seinigen führt und darum ist das Seinige in dem Ihrigen und das Ihrige in dem Seinigen, wie er ja sagt: „er werde ihnen das Seinige geben und es ihnen erklären.“ Also verhält sich dieses so und war das der Sinn seiner damaligen Worte, wie denn und auf welche Weise weidet er uns, wenn dieser Auftrag nur seine damaligen Jünger, nur die, welche die Nächsten um ihn gewesen sind, galt? Wohl werden wir sagen, wir haben ihre Worte und durch sie seine Worte und diese Worte der Schrift sind nun unsre Weide. Wenn wir hierbei stehen bleiben, m. g. Fr.! so kommen wir gleich auf etwas andres, nämlich diese Worte der Apostel aus fremden Zeiten und fremden Gegenden, in einer fremden Sprache, sie bedürfen Träger, wodurch sie in die Ohren der Menschen gebracht werden; sie sind nicht allen auf gleiche Weise zugänglich und darum ist überall in der Gemeine eingerichtet das Amt, welches wir den Dienst des göttlichen Wortes nennen, weil die, denen es übertragen wird, den Gemeinen sollen das Wort zugänglich machen, auf daß es leichter in den innern Sinn derselben eingehe. Diesen Dienst des göttlichen Wortes haben die Apostel des Herrn nach seinem Auftrage gestiftet und sollen wir nun sagen – wohl, der Auftrag gilt, wie er damals den Aposteln galt, so allen denen, welche sie, indem sie den Dienst des göttlichen Wortes einrichteten, zu ihren Nachfolgern und Stellvertretern ernannt haben, wie der Herr sie in den Worten unsers Textes zu seinen Stellvertretern ernannt hat. Das, m. g. Fr.! wäre auch wol ganz wahr und richtig, und könnte es sein, wenn wir immer sicher wären, daß die, welche auf dem Wege der äußern Ordnung diesen Dienst erhalten haben, wenn wir sicher wären, daß sie nur solche wären, welche den Herrn lieben, daß nicht ein Miethling unter ihnen 30 derselben] desselben 17 Vgl. Joh 16,14.15

32 Aposteln] Apostel

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wäre, der auch dieses übernimmt, nicht nach dem Triebe seines Herzens, sondern als ein | Miethling. Und wie der Herr sagt, daß vor ihm wären Miethlinge gewesen, so bleibt es auch möglich, daß nach ihm Miethlinge sind, welche in dieses Amt kommen, nicht durch die rechte Thür, sondern ohne die Liebe zu ihm. – Können wir dann sagen, daß die den Auftrag haben, die Gemeinde des Herrn zu weiden? Sie mögen das thun, was ihr Dienst sie nöthigt und in den Stand setzt zu thun, und wir dürfen uns nicht scheuen von ihnen zu hören und zu empfangen, wenn sie aber die rechte Liebe nicht haben, so können sie wol die Erkenntniß des göttlichen Worts verbreiten, wenn sie auch nichts sind als ein tönendes Erz und eine klingende Schelle; wenn gleich es nur ein Klang ist, was wir vernehmen, regt es nur in unserm Gemüth das auf, was er bedeutet, führt er nur unser Herz auf den hin, von dem immer die Rede ist, so werden wir daran gewinnen. Aber sie sind nicht die, welche die Schaafe des Herrn weiden. Eben deshalb, m. g. Fr.! weil dieses möglich ist, und wir wollen auch weiter nichts sagen, als dieses, so kann sich auch der Auftrag des Herrn nicht beschränkt haben auf die, welche vermöge eines äußern Berufs in die Fußstapfen des Apostels treten und ihre Stellevertreter sind. Wäre das, so hätte der Herr noch etwas Weiteres hinzugefügt; aber deshalb war auch der Auftrag des Herrn ein ganz allgemeiner. Wer auf die Frage: hast du mich lieb? Ja sagen kann, zu dem spricht auch der Herr immer: weide meine Schaafe! ohne irgend ein bestimmtes Gebot, ohne einen besondern Kreis, den er ihm anweiset. Ist es auch anders möglich, kann die Liebe zum Herrn anders als mit inniger Liebe hangen an den Seinen? Es ist nicht anders möglich, sie kann nicht anders als die Schaafe des Herrn weiden. Wohlan denn, je mehr also solche sind, die ja sagen können, um desto besser steht es um die Gemeinde des Herrn, um desto sicherer sind wir, es werde der Heerde des Herrn nie mangeln an Nahrung und Weide, diese Vermittelung der Anhänglichkeit an ihn werde nie aufhören, und wenn unter denen, welche das Wort des Herrn zu verkünden, äußerlich berufen sind, noch so viele wären, denen es nicht an Werken und Kenntnissen fehlt, aber ohne die Liebe, so wird es der Gemeine des Herrn doch nicht an denen fehlen, welche sie weiden. Wir Alle sollen dieses thun und so sollen wir auch gutes Muthes sein bei allen Gebrechen und Mängeln in der Kirche des Herrn, und wenn wir den Herrn nur lieben können, wenn wir uns unter einander lieben mit der Liebe mit welcher er uns geliebet hat, um desto weniger werden wir auch etwas anders wollen können bei diesen Gebrechen und Mängeln, als auch die, welche nur äußerlich das Wort des Herrn treiben zu ihm hinzuführen, | sie auch von der Last der todten Erkenntniß und dem Joch der todten Werke zu befreien, und sie zu der rechten Freudigkeit der Kinder Gottes zu erheben. So gewiß also die Liebe zu dem in der Gemeinde des Herrn nicht aussterben wird, der sich 2–3 Vgl. Joh 10,12f

10–11 Vgl. 1Kor 13,1

35–36 Vgl. Joh 13,34

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selbst aus Liebe für uns hingegeben hat, so gewiß der, welcher der Abglanz ist der Herrlichkeit des göttlichen Wesens, nie aufhören wird, geliebt zu werden, so gewiß ist es auch wahr, daß es der Gemeinde des Herrn nie fehlen wird an ihrer Weide, daß sie immer zusammen gehalten wird unter der Obhut der immer weiser werdenden christlichen Liebe, daß sie immer mehr sich entwickeln wird. – So wird denn immer wahr bleiben, daß das Reich des Herrn ewig begründet ist, und auch die Pforte der Hölle seine Kirche nicht überwältigen könne, und so möge nichts, was ihr zu drohen scheint, uns treiben aus der rechten Ausübung des Glaubens und der Liebe, sondern in ihr lasset uns fest werden und sie üben gegen Alle, – wenn auch mit stärkerem Zuge gegen die, welche unsre Glaubensgenossen sind, – doch aber ohne Unterschied gegen Alle und dann werden wir immer geschickter werden, die Schaafe des Herrn zu weiden nach seinem gnädigen uns allen gegebenen Auftrag. Amen. Lied 313.

1–2 Vgl. Hebr 1,3 7–8 Vgl. Mt 16,18 15 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 313: „Seht, was der Herr der Kirche thut“ (Melodie von „Ich bin ja, Herr, in deiner Macht“): „Seht, was der Herr der Kirche thut; er giebet seinen Knechten Muth und reiche Kraft, von ihm zu zeugen. Sie gehen aus, die er gesandt, und machen uns den Herrn bekannt, vor dem sich Aller Kniee beugen; sein ew’ges Evangelium verkünden sie zu seinem Ruhm. // Der Sünde Reich wird untergehn; dein Reich, o Jesu, wird bestehn, und deine Herrschaft ewig währen. Du bist der Kirche starker Schutz, und diesen Felsen wird kein Trutz der Höllenpforten je zerstören. Erhalte sie dir stets getreu, daß sie dein Ruhm und Erbe sey!“

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Am 16. Mai 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Rogate, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 15,6 Nachschrift; SAr 94, Bl. 128v–131v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

16. Mai 1830. Lied 521.

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Tex t . I Cor. 15, 6. „Darnach ist er gesehen worden von mehr denn fünf hundert Brüdern auf einmal, derer noch viele leben, etliche aber sind entschlafen.“ M. a. Fr.! Dieses ganze Kapitel in dem Briefe des Apostels Paulus, von der Auferstehung der Todten handelnd, beginnt damit, daß er die Thatsache von der Auferstehung unsers Herrn der Gemeine, an welche er schreibt, als eine unbezweifelte Wahrheit aufstellt, indem er die verschiedenen Zeugnisse, welche es davon gab, und so weit sie in seinem Gedächtniß lebendig waren, hintereinander aufzählt, und darunter finden sich auch diese Worte, welche einer Begebenheit erwähnen, von welcher uns die Evangelisten kein Zeugniß in ihrem Berichte geben. Aber freilich ist auch dieses nicht so wol eine Erzählung, als vielmehr nur eine Nachricht von etwas, das geschehen sei, ohne es seinem Inhalt nach weiter auseinander zu setzen. Und so scheinen freilich diese Worte an und für sich wenig geeignet ihres Inhalts wegen zum Mittelpunkt unsrer Betrachtung zu dienen. Es verhält sich aber damit so. Zuerst, m. G. erscheint mir dies als eine der Sache angemessene Vorbereitung auf die uns zunächst bevorstehende Feier der Himmelfahrt Christi, und damit hört nun alles auf, was von Nachrichten von ihm und als Zeugniß seines Aufenthalts auf Erden uns mitgetheilt ist. Wenn wir von da an zurück sehen auf alles, was uns in der heiligen Schrift von seinem Leben und Da2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 521: „Eins ist Noth, o Herr“ (in eigener Melodie) 9–11 Vgl. 1Kor 15,5–7

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sein gesagt ist, so werden wir gestehen müssen, solche Nachrichten wie diese, ohne daß uns weiter über den Gehalt der Begebenheiten etwas gesagt wird, giebt es mehrere. Wie oft erzählen nicht die Evangelisten da und dort habe sich der Erlöser eine geraume Zeit aufgehalten, ohne zu sagen, was er gethan! Wie oft erzählen sie nicht, daß sich eine große Menge um ihn versammelt, damit er ihre Kranken heilte und damit er sie belehrte, aber ohne weiteres ans Herz dringendes zu erzählen von dem, was in seinem Verkehr mit den Leuten vorgegangen, noch auch die Worte, die er geredet, uns zu erzählen. Von solchen Beispielen sind die Evangelisten voll auch während des Lebens Christi. Nicht anders ist es auch mit den Erzählungen von den Tagen nach der Auferstehung; sie geben uns überall kein zusammenhängendes Bild, sondern nur einzelne Stunden, die er mit seinen Jüngern | zugebracht, werden erzählt, und Johannes schließt sein Evangelium, indem er sagt: „viele andre Zeichen that Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buche“, – und sagt also ausdrücklich, aber mit einer offenbaren Ruhe und Gleichgültigkeit, als wenn nichts damit verloren wäre, daß er noch viel hätte erzählen können, was er nicht erzählt habe. Das bringt uns denn sehr natürlich auf die Frage, m. g. Fr.! was denn wol das Wesentliche sei in allen Erzählungen und Nachrichten von dem Leben des Erlösers auf der Erde? Der Apostel Johannes, der ihm wol nahe stand, der sagt in seinem I Briefe: jeder, welcher bekennt, daß Jesus Christus sei ins Fleisch gekommen, der sei aus Gott geboren, und damit scheint er nichts anders zum Zeichen dieser Geburt aus Gott zu machen, als die gewisse Ueberzeugung, daß der Herr wirklich und wirklich in menschlicher Gestalt, und als einer, der allen andern gleich gewesen, auf Erden erschienen sei, und gelebt habe. Und alle Nachrichten von der Art, wie sie auch unsre Worte des Textes enthalten, sind auch eben dieses immer zugleich mit[:] Beglaubigungen davon, daß er wirklich der gewesen. So sind es nun diese Worte, auf eine merkwürdige Weise in Beziehung auf die Tage seiner Auferstehung. Denn da finden wir ihn sonst immer nur unter der kleinen Zahl seiner Vertrauten und auch diese, die Zwölfe waren nicht immer beisammen, sondern bald Einzelnen, diesem und jenem erschien er, bald wo er wußte und glaubte, daß sie versammelt sein würden, bald wo einige wenige versammelt waren, und nicht immer grade in Beziehung auf ihn. Der Apostel Petrus aber in einer seiner Reden, welche er an das Volk hielt, wo er ihn als den, welchen Gott zum Herrn und Christ gemacht, darstellt, beruft sich besonders auf seine Auferstehung, sagt es grade heraus[:] nicht etwa Allem Volk sei erschienen, sondern nur denen, welche mit ihm gelebt, gegessen und getrunken, denen sei er auch wieder eben so ein Essender und Trinkender wie sonst 14–15 Vgl. Joh 21,25 22–23 Vgl. 1Joh 4,2 37 Vgl. Apg 2,36 37–38 Vgl. Apg 2,24.31f

35–36 Vgl. Apg 2,14–36 38–1 Vgl. Apg 10,40f

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erschienen. Aber er sagt das so schlicht hin, daß man wol sieht, er war weit davon entfernt, zu glauben, daß einer da sein werde, der ihm das streitig machen würde. Wenn nun, wie der Apostel hier sagt, fünf hundert ihn auf einmal gesehen und nur so wenig Jahre verflossen waren zwischen der Himmelfahrt des Herrn und der Zeit, wo dieser Brief geschrieben ist, so war es eine offenkundige Sache, und von dieser Seite angesehen, sind diese Worte ganz besonders geeignet, die Thatsache außer Zweifel zu setzen. Aber was hülfe es, m. th. Fr.! wenn wir nun eben nichts wüßten als die Thatsache, und wie mag der Apostel Johannes jene andre Worte gemeint haben? Freilich, wie es sich darum handelte, daß ein Mensch, so und so genannt und so und so mit diesem Namen bezeichnet würde, an welchen Namen sich dann eine kleine Reihe von Begebenheiten knüpft, so könnte | das keinen Unterschied machen zwischen denen, die aus Gott geboren sind, und denen, die es nicht sind. Aber was der Apostel meint, ist dieses, daß was wir uns unter Christo denken, der, welcher die Menschen wieder mit Gott vereinigen soll, der, dessen Worte und das, was durch sie bewirkt worden, nicht sollte können überwältigt werden durch eine dunkle menschliche Gewalt, daß er nicht etwa ein Gebilde sei, das die Menschen sich machen, daß er nicht nur ein Gedanke sei, welchen die Menschen aufstellen und aufstellen könnten, um sich vermittelst dieses an der Vorzüglichkeit der menschlichen Natur, in der ein solches möglich sei, zu weiden – sondern, daß er eine wirkliche Thatsache gewesen, von der auch etwas Wirkliches, eine neue Geschichte, ein neues Leben und ein neuer Mensch habe ausgehen können, als von ihrem ersten Ursprung und ihrem ersten Quell. Ja, wenn wir diese Worte so nehmen, dann finden wir ihren rechten Sinn, dann erkennen wir auch die Beziehung auf das, was uns diese große Thatsache beglaubigt, und sie in ihrem ganzen Umfang und in ihrer zeitigen Dauer darstellt. Doch, m. g. Fr.! kann uns sehr leicht diese Ruhe, diese Gleichgültigkeit, mit welcher der Apostel sagt: „viele andre Zeichen that noch der Herr welche nicht geschrieben sind in diesem Buch.“ sie kann uns doch auffallen und uns peinigen. Wie kann jeder bei sich selbst sagen, wenn wir nur von alle dem den Inhalt wüßten, wenn die Evangelisten uns nur die Nachricht geben. – So arg würde es doch wol nicht sein, wie der Apostel Johannes sagt, daß die Welt nicht würde die Bücher fassen können, – aber welch ein viel größerer Reichthum von einzelnen Thaten des Herrn, wie viel mehr Hülfsmittel, um uns das Bild seines eigenthümlichen Seins unter den Menschen vor Augen zu stellen, hätten wir dann nicht! Und wenn doch noch so viele durch das, was wirklich von ihm geschrieben ist, sich nicht bewegen 33–34 wie ... fassen können] am Rand von Pommers Hand Ja wohl Schleierlüfter der Apostel hat hier aufgeschnitten. 17–18 Vgl. im Hintergrund Mt 16,18

29–30 Vgl. Joh 21,25

34 Vgl. Joh 21,25

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lassen, an ihn zu glauben, – wer weiß, bei der großen Verschiedenheit der Menschen, da der eine mehr von diesem der andere mehr von jenem angezogen wird, wie viel Hülfsmittel zu einem Anfang des Glaubens können nicht die, denen es jetzt daran fehlt, haben, wenn wir reichere Nachrichten hätten von dem Dasein des Herrn. Und so könnte denn auch unsre Wißbegierde – denn ich will es nicht mit einem andern Ausdruck bezeichnen – vorzüglich gerichtet sein auf die Begebenheit, von welcher die Worte unsers Textes uns Nachricht geben: wie der Herr, nachdem er auferstanden sich verhalten habe zu einer solchen Menge von Menschen; auf welche Weise diese zusammengebracht seien, da doch das Leben nach seiner Auferstehung ein so verborgenes war; was er da zu ihnen geredet, um sie bei sich im Glauben festzuhalten. – Wer möchte das nicht gern wissen? Aber m. g. Fr.! laßt uns denken an das Wort des Herrn selbst, wenn | er sagt: „das Fleisch ist kein Nütze, aber die Worte, welche ich zu euch rede, sind Geist und Leben.“ Nun ist aber eben sein ganzes irdisches Leben und Dasein als ein Gegenstand der Erzählung und Geschichte nichts anders, als das Fleisch, und das, worauf er uns hinweiset als das Eigentliche, woran wir uns zu halten haben, wovon alle heilsamen Wirkungen ausgehen müssen, sind die Worte, welche er zu uns redet, die seien Geist und Leben. Nicht etwa, m. g. Fr.! als ob ich mich auf einmal auf die Seite derer schlagen wollte, welche glauben, den Erlöser hinreichend bezeichnet zu haben, und ihm alle Ehre angethan, welche ihm gebührt, und seine Würde genügend dargestellt, wenn sie sagen, er sei ein ausgezeichneter und vortrefflicher Lehrer gewesen; denn damit würde der Werth der ganzen Thatsache von seinem Dasein so gut als nichts werden für uns. Denn wenn es sich um eine Lehre handelt, um die Wahrheit der Lehre, so kommt es auf den, der sie ausgesprochen, gar nicht an, ob sie diesem oder jenem gehört, ist gleichgültig, die Wahrheit der Worte muß aus sich selbst ermessen werden, und steht für sich selbst fest. Aber außerdem könnte man freilich noch sagen, wir würden ja selbst der Worte, die Geist und Leben sind, viel weniger haben, wenn mehrere Nachrichten auf uns gekommen wären, und so bindet sich denn auch dieselbe Sehnsucht auch an diese Aeußerung. Aber es sind doch nicht die Worte allein, welche Geist und Leben sind, sondern sein ganzes Dasein und Leben, und wie hat er es wol gemeint, wenn er sein Dasein so mittheilt, daß er sagt, das Fleisch ist kein Nütze, die Worte welche er geredet, sind Geist und Leben? Hat er gemeint, daß alle seine Thaten, sein zusammenhängendes Dasein nichts wäre? Das hat er gewiß nicht meinen können, wie wir auch nicht glauben können und dürfen, daß aller Geist und alles Leben nur von den Worten ausgegangen sei, die er gesprochen, – sondern wie 30 mehrere] Kj nicht mehrere 13–15 Vgl. Joh 6,63

35–36 Vgl. Joh 6,63

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das der einzige Anfang alles Glaubens ist, wie ihn Johannes beschreibt „wir sehen seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit des Fleisch gewordenen Worts, also das Dasein, die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater.“ – So hat er gewiß nicht gemeint, daß diese Herrlichkeit nur an dem Vater wäre sichtbar geworden, sondern an der ganzen Erscheinung dessen, an welchem diese Herrlichkeit ist. Und das sollte der Herr Fleisch genannt haben, was kein Nütze sei? Nein, m. Fr.! Aber so ist es: Alles, was der Mensch verrichtet, alle That hat eine zweifache Seite. Das Aeußere ist das Fleisch, hat also eine [ ] Kraft, etwas auszurichten, was es sei, ob es zehn oder zwanzig, oder hundert, oder tausend mal dasselbe verrichtet, das kann die Ueberzeugung, daß er es vermag, wenn er es nur einigemal gethan, nicht stärken, noch vermindern oder aufhalten. Und so mag der Evangelist Recht haben, wenn er sagt, es komme | gar nicht darauf an, daß wir wissen, wie oft sich diese oder jene wunderthätige Handlung, dieses oder jenes Verkehr mit den Menschen in seinem Leben wiederholt habe, – denn das ist das Fleisch. – Aber das Innre einer jeden That ist doch nichts andres als das Wort, das innre gebietende Wort des Geistes, woraus sie hervorgeht, und das meint er auch, wenn er sagt, die Worte die ich zu euch rede, sind Geist und Leben, – die Worte, die aus meinem Munde hervorgehen und die innerlich von mir gesprochenen Worte, aus welchen die Thaten hervorgehen, – das zusammen ist Geist und Leben; die äußre Erscheinung aber, in ihrer Länge und Breite, die in Zeit und Raum begründeten Verhältnisse, das ist das Fleisch, was kein Nütze ist. Und so mögen wir uns denn daran begnügen, daß es so vieles giebt aus allen Zeiten des irdischen Daseins des Herrn, wovon wir gar nichts wissen; so vieles, wovon wir nur eine Nachricht haben, wie diese in dem Worte unsers Textes; und nur Einzelnes, das wir ganz von dem innersten Anfang an, der sein Gemüth QbewegtR bis zu dem ausgesprochenen Worte des Mundes und bis zu herausgetretenen [ ] des Geistes, uns vergegenwärtigen können, und hieran muß allein sich noch immer der Glaube knüpfen, jetzt wie damals: damals wie jetzt. Aber, m. g. Fr.! die Worte unsers Textes haben noch eine andre Seite, von welcher sie uns merkwürdig sein müssen. Nämlich das besteht noch damit zusammen, daß der Apostel Petrus sagt, daß der Herr sich nicht gewiesen habe allem Volk, sondern nur denen, die an ihn geglaubt, und denen sagt auch Paulus ausdrücklich von den fünf hundert in unserm Text, daß es Brüder gewesen, d. h. solche, welche wirklich an ihn geglaubt haben, die ihn erkannt als den, den Gott zum Herrn und Christ setzte. Eine solche Zahl war also damals schon vorhanden, noch ehe der Herr die Erde verließ, 9 eine] folgt eine Wortlücke 28 herausgetretenen] folgt eine Wortlücke; zu ergänzen vielleicht Taten oder Zeugnissen oder Wirkungen 1–3 Vgl. Joh 1,14

33–34 Vgl. Apg 10,41

37 Vgl. Apg 2,36

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noch ehe der Geist ausgegossen war über seine Jünger, noch ehe die zusammenhängende und regelmäßige Verkündigung des Evangeliums anging. Und zwar war es nicht die Gesammtzahl derer, die an ihn glaubten, sondern nur die, welche mit Leichtigkeit an einen und denselben Ort konnten zusammengebracht werden. So viel also war schon verbreitet, ehe der Herr die Erde verließ, und um so ruhiger, mit um so festerem Glauben – um ganz menschlich einmal von ihm zu reden, – konnte er den Willen und den Rathschluß seines Vaters, dem irdischen Leben ein Ende zu machen, folgen, und mit der vollkommensten Zuversicht sagen, daß ihm nun schon alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben sei, und daß sein Reich nicht könne überwältigt werden durch die Pforten der Hölle. Kurz nach den Worten unsers Textes erzählt Paulus, wie nachher und zuletzt der Herr auch ihm erschienen sei, und nennt sich dabei eine unzeitige Geburt. Jenes nun wird uns in der heiligen Schrift mehr als einmal erzählt, wie durch solche Zusprache des Herrn der Apostel aufgehalten wurde auf dem Wege der Verfolgung, und ganz umgewandelt, nicht nur ein Gläubiger sondern ein Verkündiger des Evangeliums und ein ausgezeichnetes Rüstzeug des Herrn | geworden sei. Wie es mit jener Zusprache des Herrn zugegangen, wissen wir doch nicht, unerachtet wir drei Erzählungen davon haben und noch außerdem diese Aeußerung des Apostels aus seinem eigenen Munde. Aber was er dabei gesagt hat, wissen wir, und das ist das, was auf eine merkwürdige Weise mit der Ansicht von den letzten Tagen des Herrn zusammenhängt, die wir uns eben dargestellt haben. Er sagt nämlich: „Saul, Saul, was verfolgest du mich? es wird dir schwer werden gegen den Stachel auszuschlagen!“ Das war eine bekannte und übliche Redensart, hergenommen von der vergeblichen Anstrengung der Thiere, die im Dienst der Menschen ihren Weg nicht gehen wollen, stätig werden und ausschlagen wider den Stachel, der sie antreibt. – Wenn er ihm also sagt, es wird dir schwer werden, gegen den Stachel zu lecken, so sagt er: alle deine Bemühungen, die du anwendest um das Wachsthum meines Reiches zu hemmen, werden dich zu nichts führen; höre auf, dich in Widerspruch zu setzen mit dem Ganzen des göttlichen Rathschlusses. Das waren die Worte des Herrn und das war es, was der erste Keim war des Nachdenkens, von den Ueberlegungen, die er bei sich anstellte, und die ihn ganz auf den entgegengesetzten Weg brachten. Wie viel er von dem Leben des Herrn wußte, das können wir nicht sagen; unbekannt und verborgen konnte der Herr ihm nicht geblieben sein, aber schwerlich war er eher ein Gegenstand seiner Aufmerksamkeit gewor21 das, was] folgt wir ; entweder versehentlich nicht gestrichen oder zu korrigieren in mir 29 lecken] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 111 und 9f 9–10 Vgl. Mt 28,18 10–11 Vgl. Mt 16,18 11–13 Vgl. 1Kor 15,8 13–18 Vgl. Apg 9,1–22; 22,3–21; 26,12–23 23–25 Apg 26,14; vgl. auch 9,4; 22,7

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den, als da die Gemeinde sich anfing zu bilden, welche er in seinem Eifer für das Gesetz verfolgte. Worauf machte ihn der Herr also aufmerksam? Auf den schon eingeschlagenen Weg, auf den schon fortgeschrittenen Gang der menschlichen Geschichte, welche von ihm ausgehen und gegründet sein sollte. – Darauf weiset er sein Nachdenken und also auch seinen Glauben hin. Und das, m. Fr.! sind die Worte, die uns Allen eben so gesagt sind. Das ist das, was bei uns die Stelle vertreten kann und muß von allen zusammenhängenden Nachrichten über das Leben des Herrn die uns darüber fehlen können, und wie wir uns beruhigen darüber, daß wir so vieles nicht wissen, so laßt uns von allem Einzelnen absehn und uns an diese Worte des Herr halten. Laßt uns darauf sehen, wie gewiß wir es nun wissen, daß keine Gewalt in der Welt im Stande sei, den Lauf der Geschichte zu hemmen, der darin besteht, daß alle menschliche Veredlung, alle Kraft der Liebe, alle Segnungen der Ordnung und des Rechts, der Weisheit und des Verstandes, gelegt werden soll auf den Grund, den Gott selbst in Christo gelegt hat und außerdem keiner einen andern legen kann. Das ist und soll für uns alle immer mehr werden die allgemeine Ergänzung alles Einzelnen, was uns im Zusammenhang der einzelnen Begebenheiten fehlt; das soll uns sein die Ergänzung und Vervollständigung des Glaubens, wenn wir von dem, was seitdem geschehen ist, auf ihn als den Anfang und Vollender des Glaubens zurücksehen, so muß sich dadurch alles vervollständigen, was wir noch gern von ihm wissen möchten. Und | wenn wir in dem Glauben so fest geworden sind, daß wir nicht mehr begehren gegen den Stachel auszuschlagen, dann gewiß erblicken wir auch immer und überall die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater; dann wird uns die Uebereinstimmung zwischen dem Werke, und dem, der es hervorgebracht, zwischen dem Geist und denen, welche an ihn glauben, in ihm leben und sind, und ihm, dem eingebornen Sohn vom Vater, in dem sich die Herrlichkeit des Vaters offenbart; diese Uebereinstimmung wird uns immer klarer werden; und dann werden wir sagen können, es mag noch andre Zeichen gegeben haben, sie sind nicht beschrieben in diesem Buch, und wir verlieren nichts dabei, – Ein Zeichen ist uns gegeben, nämlich daß wir alles von ihm ausgegangen finden und begründet; das wissen wir, daß von Jahrhundert zu Jahrhundert sein Reich fortschreiten wird, daß eine solche göttliche Kraft da ist, welche ein unüberwindliches Reich Gottes auf Erden festgestellt hat[,] und diese ihren Ursprung hat in ihm, davon wollen wir uns überzeugen immermehr durch das Werk, das von Tage zu Tage den 15–16 Vgl. 1Kor 3,11 20–21 Vgl. Hebr 12,2 25 Vgl. Joh 1,14 37– 1 Vgl. Ps 19,3 (vermutlich in Verbindung mit Jes 29,16); möglicherweise liegt auch eine Anspielung auf die 1. Strophe von Friedrich Schillers „Das Lied von der Glocke“ vor: „Fest gemauert in der Erden / Steht die Form, aus Lehm gebrannt. / Heute muß die Glocke werden! / Frisch, Gesellen! seid zur Hand. / Von der Stirne heiß / Rinnen muß der Schweiß, / Soll das Werk den Meister loben, / Doch der Segen kommt von oben.“

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Am 16. Mai 1830 früh

Meister lobt, dann wollen wir auf ihn zurücksehen und seinem Wort, welches sich als Geist und Leben überall bewährt, folgen; – so werden wir den Glauben wirklich haben, der die Welt überwindet und in diesem Glauben vom Tode zum Leben durchgedrungen sein, – und es wird uns nichts irren, was in Einzelnen fehlt, so wie uns nichts irren kann, was wir in dem einzelnen Ganzen des Herrn mit der Gemeine nicht verstehen, und uns immer mehr leiten lassen durch die Worte, die Geist und Leben haben – dann werden wir unzertrennlich an ihm halten und unser Glaube wird eben so klar und lebendig sein, als wenn wir noch so viel wüßten von den Einzelheiten seines irdischen Lebens und seines Daseins. Und so wollen wir ohne alle Klagen, wodurch unsre Freude über seine Erhöhung getrübt werden könnte, dem Tage entgegensehen, welcher das Ende seines irdischen Daseins bezeichnet, und uns vielmehr freuen, daß wir einen Fürsprecher haben bei dem Vater, welcher seinen Frieden bringt denen, die an ihn glauben und mit den Banden der Liebe immermehr vereint, die in ihm ihren gemeinsamen Herrn und Meister erkennen. Amen. Lied 558.

6 Ganzen] Kj Gange 2–3 Vgl. 1Joh 5,4 3–4 Vgl. Joh 5,24 17 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 558: „Wenn ich nur den Heiland habe“ (Melodie von „Herr, ich habe mißgehandelt“)

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Am 20. Mai 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

Christi Himmelfahrt, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Hebr 8,1–2 Nachschrift; SAr 94, Bl. 132r–137v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Drucktext Schleiermachers; Christliche Festpredigten, Bd. 2 (7. Sammlung) 1833, S. 392–416 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 504–518; 21843, S. 503–517. – Predigten. Siebente Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 289–306. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 2, 1873, S. 395–406. – Predigten, ed. Urner, 1969, S. 175–189 Nachschrift; SAr 69, Bl. 21r–24r; Woltersdorff Keine

20 Mai 1830 Lied: 241 247.

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Tex t . Hebräer 8, 1, 2. „Das ist nun die Summa, davon wir reden: Wir haben einen solchen Hohenpriester, der da sitzet zu der Rechten auf dem Stuhl der Majestät im Himmel; und ist ein Pfleger der heiligen Güter und der wahrhaftigen Hütte, welche Gott aufgerichtet hat, und kein Mensch.“ M. a. Fr! Was wir vorher in unsrer epistolischen Lection vernommen haben, daß die Jünger, als der Herr vor ihren Augen aufgehoben wurde, ihm nachsahen gen Himmel fahren, das war ein vergebliches Unternehmen, weswegen sie auch davon abgemahnet und hinweg gelenkt wurden; es war da für menschliche Sinne nichts mehr wahrzunehmen, es war nichts mehr in die sinnliche Vorstellungsweise des Menschen aufzufassen. Der Himmel, das bezeichnet keinen Ort, – es ist das Unendliche, überall Ausgebreitete, über2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 241: „Triumph, Triumph dem Herrn! Er lebt, er lebet“ (Melodie von „Triumph, Triumph, des Herrn Gesalbter sieget“; Nr. 247: „Auf, singt mit uns“ (Melodie von „Zerfließ, mein Geist“) 8–10 Vgl. die in der Perikopenordnung für Christi Himmelfahrt vorgesehene Epistellesung Apg 1,1–11

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Am 20. Mai 1830 vormittags

all Eins und dasselbige. Die Rechte Gottes, zu welcher Er sitzet, das bezeichnet keinen Ort; denn wie Gott überall ist, so ist auch überall seine Rechte, wo seine Macht ist und wo seine Liebe waltet. Aber auch das, worauf sie gelenket wurden von jenem ab, nämlich fest zu vertrauen, daß er wiederkommen werde, wie sie ihn gesehen hatten gen Himmel fahren, das war eben so wenig für die sinnliche Vorstellungsart, welche uns eigen ist, etwas Befriedigendes; denn indem es an das Ende der Tage, an die Grenze der Zeit gestellt wird, so entzieht es sich ebenfalls jedem Wunsch und jedem Verlangen, uns ein sinnliches Bild davon zu vergegenwärtigen. Darum laßt uns halten an solchen Worten, wie wir sie eben vernommen haben aus einem andern Buche der Schrift; denn da wird vom Sinnlichen hinweg unsre ganze Aufmerksamkeit auf das Geistige gelenkt. Was unser Erlöser, nachdem er von der Erde erhoben worden ist, noch immer für uns ist und uns leistet, darauf wird hier unser geistiges Auge gerichtet, wie es selbst auch nur Geistiges ist und sein kann. Und so lasset uns mit einander diese Beziehung, welche hier zwischen Christo, dem gen Himmel Gefahrnen, und uns gesetzt ist, diese lasset uns miteinander näher erwägen. Aber bedenket, m. a. Fr! daß der Verfasser dieses Briefes die Christen, an welche er ihn gerichtet hat, schildert, daß sie noch nicht so weit gedrungen wären zur Vollkommenheit der Erkenntniß, als sie es wol sein könnten der Zeit nach, daß sie immer noch Bedürfniß hätten daß ihnen gereicht würde die Milch des Evangeliums. Aber, sagt er, wir wollen einmal absehen von jenen ersten Anfangsgründen des Glaubens und wollen mit einander zur Vollkommenheit führen, und das eben ist die Einleitung zu dieser ganzen Darstellungsweise des Erlösers, nachdem er mit seinem | eigenen Blut eingegangen sei in das Heilige, das nicht mit Händen gemacht ist, nämlich in den Himmel selbst, als unsers ewigen Hohenpriesters. – Darum werden wir auch müssen vielen unsrer gewohnten Vorstellungen wenigstens für jetzt und in dieser Beziehung den Abschied geben und uns an dem Geistigen halten, und uns zu dem hinwenden, welches unser heiliger Schriftsteller im Auge hat. Lasset uns erstens die Frage beantworten, was es sei, dessen Pfleger unser Hohepriester zur Rechten des Stuhles der Majestät genannt wird; und zweitens, wie er eben zufolge dieser Beziehung der Pfleger dieser heiligen Güter und dieser wahrhaftigen Hütte ist? Zweierlei also ist es, wovon unser Text sagt, daß der Erlöser als unser Hohepriester zur Rechten Gottes der Pfleger davon sei: Heilige Güter und eine wahrhaftige Hütte. Und das, was von ihm gesagt wird in Beziehung auf diese geheimnißvollen Ausdrücke, das hat ein gar bescheidenes Ansehn: 18 welche] welchen

33 der] oder

3–5 Vgl. Apg 1,10f 18–22 Vgl. Hebr 5,12f Hebr 9,12 26 Vgl. Hebr 9,11

22–24 Vgl. Hebr 6,1

25–26 Vgl.

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daß er der Pfleger, Verwalter dieser heiligen Güter, daß er den Dienst verrichtet in dieser wahrhaftigen Hütte; aber doch ist es eben jenes Höchste und Vollkommenste, was der heilige Schriftsteller von ihm zu sagen wußte. So ist es denn zuerst nöthig, daß wir das in’s Auge fassen, welches seien die heiligen Güter, und welches sei die wahrhaftige Hütte? Dieser ganze neutestamentliche Brief, und vorzüglich dieser Theil desselben, der die Darstellung des Erlösers als unsers hohen Priesters enthält, geht aus von einer Vergleichung des Alten Bundes mit dem Neuen, und da eben finden wir auch den Schlüssel zu den Ausdrücken, deren sich der Verfasser in den Worten unsers Textes bedient. Er sagt an einer andern Stelle: Der Alte Bund habe nur gehabt den Schatten der Güter, welche beschieden waren, daß sie kommen sollten, aber nicht das Wesen selbst. Der Alte Bund hatte seine heiligen Rechte und Gebräuche und das Hauptsächliche waren von allen die mannigfaltigen Opfer, die dem Höchsten mußten dargebracht werden. Was aber dadurch erreicht werden sollte, das war die Vergebung der Sünden; aber der Alte Bund hatte davon nur den Schatten, indem durch alle jene Gebräuche und Opfer und Sühnungen nie etwas anders erfolgen konnte, als daß das Gedächtniß der Sünde beständig und noch auf eine vorzügliche Weise jährlich erneuert wurde; aber das Wesen war, daß das Bewußtsein der Sünde selbst hinweggenommen wurde. Das Volk des Alten Bundes hielt sich vermöge der Rechte und Gesetze, die es von Gott, von Jehovah, seinem Herrn und Beschützer empfangen hatte, für ein auserwähltes Volk Gottes. Aber diese Auserwählung sie wurde von demselben Volke vorzüglich doch nur so aufgefaßt, daß Gott es übernommen habe, sie zu leiten durch dies irdische Leben, sie auf dem Wege beschwerlicher Wanderungen zu führen zum Ziele, das er ihnen auf Erden bereitet hatte, sie zu schützen und aufrecht zu erhalten gegen alle | Völker, welche als Feinde seines Namens seine Auserwählten bedrohten, und so sie zu bewahren, bis die Verheißungen könnten in Erfüllung gehen, die er ihrem Stammvater gegeben hatte, daß in ihm selbst sollten gesegnet werden alle Geschlechter der Erde. Und das war, weil nur etwas Irdisches, darum nur ein Schatten der ewigen Güter. Aber, was ein andrer Apostel sagt, ihr seid das auserwählte Volk, das königliche Priesterthum, und was ein andrer Apostel sagt, wir sind wahrhafte Hausgenossen Gottes und Bürger seines Geistes, – unsre lebendige Gemeinschaft mit Gott, dieses beständige Bewußtsein des innigsten Verhältnisses, in welchem wir mit ihm stehen, die Theilname der ewigen, selbstständigen Seligkeit, welche davon die nothwendige Folge ist, – das ist das wahre, das ist das heilige Gut. So, m. t. Fr! ist es gemeint, was 6 neutestamentliche Brief] Ergänzung aus SAr 69, Bl. 21v 10–12 Vgl. Hebr 10,1 Gen 12,3; auch 22,18

18–19 Vgl. Lev 16; 23,26–32; Num 29,7–11 32–33 Vgl. 1Petr 2,9 34 Vgl. Eph 2,19

30–31 Vgl.

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der Verf. unsers Textes sagt, daß unser Hohepriester der Pfleger wäre der ewigen Güter. Ja noch mehr, indem er den Alten Bund, welcher nur den Schatten derselben hatte, mit dem vergleicht, so erinnert er uns daran, daß er nicht etwas unvollkommenes gewesen sei in sich selbst, sondern er sagt ausdrücklich, der Herr selbst habe ihn getadelt und eben darum verheiße und errichte er ein Neues Testament, er habe ihn getadelt, weil er doch nicht habe bestehen können, und verheißen, er wolle thun, nicht wie ehedem, nicht nach dem frühern Bunde, denn sie wären nicht in demselben geblieben, und darum habe er ihrer auch nicht weiter achten wollen vermöge dieses Bundes; aber ein Neues Testament, habe er gesagt, will ich einrichten, ich will meinen Willen und mein Gesetz in ihr Herz und ihren Sinn hineinschreiben, daß da beides lebendig herrschen soll und walten. Es war nur ein Schatten, daß sie ein Gesetz empfangen hatten selbst und unmittelbar vom Himmel herab, daß es ihnen äußerlich gegeben war als ein feststehender Buchstabe und sie zur Erhaltung desselben verpflichtet, indem ihnen Belohnung und Segen vorgehalten wurde auf der einen Seite, Fluch und Strafe auf der andern. Das war nur ein Schatten vom heiligen Willen; das heilige Gut ist nur das, daß wir den Willen Gottes jetzt geschrieben haben mit unauslöschlichen Buchstaben in unserm innersten Sinn, und in unser innerstes Gemüth und in die Tiefe des Herzens, und daß da eben dieser Wille Gottes unser eigener Wille, dieses Gesetz das Gesetz unsers eigenen Lebens ist. Das ist die Summa der heiligen Güter, von welchen unser Verfasser redet und von welchen er sagt, daß unser Hohepriester der Pfleger sei zur Rechten der Majestät Gottes. Und was ist die ewige Hütte? Der Ausdruck erinnert an jenes erste Heiligthum Jehovahs, wie es errichtet war für die Zeit, da das Volk bestimmt war, hin und her zu wandern durch die Wüste, das sich aber bald, als es zur Ruhe und Ordnung gekommen war, als diesem Zustand nicht mehr | angemessen zeigte, und an dessen Stelle hernach gebaut ward jener Tempel, an dessen Fortdauer hernach auch die ganze eigenthümliche Fortdauer des Volks gebunden war. Das war die Hütte, aber nicht die wahrhafte Hütte, sondern nur gemacht, wie der Verfasser nach den Worten unsers Textes sagt, nach dem Bilde, das dem Gesetzgeber des Volks gezeigt war oben; es war nicht die wahrhaftige Hütte, sondern nur das Bild der wahren Hütte, nicht Gott hatte sie aufgerichtet, sondern der Mensch. Worin aber bestand das Wesen derselben, in Beziehung worauf man sagen konnte, daß sie nach 3 vergleicht] so SAr 69, Bl. 21v; Textzeuge: nicht vergleicht 4 nicht] SAr 69, Bl. 21v: nicht nur 19 unserm] vielleicht zu korrigieren in unsern 5–12 Vgl. Hebr 8,7–10 (darin Jer 31,31–34) 16–17 Vgl. bes. Dtn 28 25– 27 Vgl. Ex 25,1–31,11; bes. 26 29–30 Vgl. 1Kön 6; auch 8 32–35 Vgl. Hebr 8,5 (darin Ex 25,40)

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dem ewigen Bilde gemacht war, das droben war. Es war eine Mannigfaltigkeit von Räumen, unterschieden und abgeschlossen unter sich, noch mehr aber und im Ganzen abgeschlossen von dem, was zu dem gewöhnlichen, alltäglichen, irdischen Treiben und Geschäften der Menschen gehörte; – eine Mannigfaltigkeit von Räumen, allein dem Dienst, welchen das Volk Gottes darbringen sollte, gewidmet, aber nicht für Alle gleichmäßig, sondern nach verschiedenen Abstufungen der eine für die Gesammtheit des ganzen Volks, der andre für den Stamm, welchen sich der Herr ausersehen hatte, um den priesterlichen Dienst in seiner Hütte zu versehen, der Allerinnerste, aber der, wohin nur Einer, der Hohepriester, und auch dieser nur in jedem Jahre einmal einging, um das Volk mit Gott zu versöhnen, in welchem aber zugleich alle die heiligen Zeugnisse von dem Bunde, der zwischen Gott und dem Volke bestand, niedergelegt waren, so lange jene erste Hütte und jener erste Tempel bestand. Was ist nun die wahrhaftige Hütte? Das ist, wie ein andrer Apostel sagt, der geistige Tempel Gottes, der aus Menschen, als aus lebendigem Gestein besteht, zu welchem wir alle, die wir Christo angehören, zusammengefügt sind, und der immer höher und herrlicher sich erheben soll, ohne je unzureichend zu werden, wie jene erste Hütte, ohne je von frevelnder Hand entweiht werden zu können, wie es den spätern Tempeln so oft begegnet ist, ohne jemals ein Raub der Zeit zu werden, und zugleich das ganze Band aufzuheben, welches zwischen Gott und Menschen besteht. – Dieser geistige Tempel Gottes, allen solchen Schickungen und allem, was zum menschlichen Verderben und zur irdischen Vergänglichkeit gehört, unzugänglich, und davon abgeschlossen. Dieser geistige Tempel Gottes, in welchem Gott ein Dienst dargebracht wird, aber nicht mehr ein Dienst der Lippen und Hände, nicht mehr ein Dienst der Opfer und Gaben, nicht mehr ein Dienst äußerlicher | Gebräuche, sondern ein Dienst der Anbetung im Geist und in der Wahrheit. Ja, abgeschlossen erscheint uns von Allem, was dem irdischen Leben der Menschen gehört, auch dieser geistige Tempel Gottes, und nichts können wir dahin rechnen, als dasjenige, was zu jener Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit gehört; aber wie er geistig ist, so sind auch seine Schranken nur geistige und sie schließen nichts aus, wie die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit nichts anders ist, als der Glaube, der in der Liebe thätig ist, wie er nichts anders ist, als der Dienst der Gläubigen zur Verherrlichung Gottes, und zur Erweiterung seines Reichs. So nimmt dieser geistige Tempel 9–10 Allerinnerste] Allerunterste zeuge: aus dem Menschen

15–16 aus Menschen] so SAr 69, Bl. 22r; Text-

7–8 Vgl. Ex 27,9–19 8–9 Vgl. Ex 28,1; Dtn 10,6.8; ferner 18,1–5 9–11 Vgl. Lev 16, bes. 2.32.34 11–13 Vgl. Ex 25,16.21 15–18 Vgl. Eph 2,21f oder 1Petr 2,5 28 Vgl. Joh 4,23f 34–35 Vgl. Gal 5,6

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Gottes auch das ganze menschliche Leben ein in seine heiligen Räume, und was in diese gar nicht Eingang finden könnte, und es in einer stärkern Undurchdringlichkeit, als es jene heiligen Mauern waren, und jene köstliche Thüren, von sich stoßen würde, das soll auch gar nicht und nirgends sein im Leben der Menschen. Das, m. t. Fr! das ist die wahrhaftige Hütte, die Gott selbst erbaut hat, und kein Mensch; kein Mensch hätte vermocht, den Gedanken dazu zu fassen; keine menschlichen Kräfte hätten solch geistiges Gebäude errichten können und könnten es halten. Er besteht aber, dieser geistige Tempel, diese wahrhaftige Hütte, weil der Geist Gottes darin wohnt, weil unser ewiger Hohepriester im Himmel der Pfleger darin ist. Aber war auch das nach dem Bilde dieser wahrhaftigen Hütte, daß jene vergängliche in verschiedene Räume abgetheilt war, so daß wie der, der überhaupt nicht zum Volke des Herrn gehörte, nicht Eingang fand auch zu den äußern Räumen derselben, so auch die, welche nicht zu dem auserwählten Geschlecht des Priesterthums gehörten, ausgeschlossen waren vom innern, und so nur der Eine, der Hohepriester, das Allerinnerste einnahm – war diese Sonderung auch nach dem Bilde der wahrhaftigen Hütte? Giebt es hier auch solche Abstufungen, und giebt es hier solch inneres verschlossenes Heiligthum, wohin nicht jeder von uns, die wir zu diesem heiligen Volke, zu diesem auserwählten Priesterthum gehören, dringen könnte? Jeder Vorhang ist zerrissen und darum nennt der Apostel die Gemeine des Herrn das königliche Priesterthum, weil kein Unterschied mehr sein sollte zwischen Volk und Priesterschaft, weil alle Zugang haben sollen zum Heiligthum. Aber giebt es nicht wenigstens Ein innerstes Heiligthum in dieser wahrhaftigen Hütte, wohin der Hohepriester eingeht und nur einmal eingeht, um das große Werk der Versöhnung zu vollbringen? Ja, m. th. Fr! als unser Erlöser Mensch ward, und auf Erden erschien, da konnte | man sagen, und so singen wir ja auch oft in unserm weihnachtlichen Fest: so ist denn nun die heilige Hütte aufgebaut, die Hütte ohne Gleichen und sie ist keine andre, als eben die Menschheit Christi selbst und allein; – das ist ein Raum, in welchen kein anderer dringen konnte, das ist das wahre Heiligthum, in welchem alle Geheimnisse verschlossen sind, alle Siegel und Zeugnisse des ewigen göttlichen Bundes niedergelegt sind. Aber auch diese Hütte ist, wir können sagen abgebrochen, seitdem der Erlöser nicht mehr als Mensch auf der Erde lebt; aber warum sollen wir nicht lieber sagen, nur 4 würde, das] würde. Das

16–17 einnahm] einnahmen

17 Hütte?] Hütte.

21 Vgl. Mt 27,51; Mk 15,38 21–22 Vgl. 1Petr 2,9 28–30 Vgl. die erste Strophe des Weihnachtschorals Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 153 (Melodie von „Mein Salomo“): „So ist denn nun die Hütte aufgebauet, die rein des Höchsten Ebenbild uns zeigt, vor der das Heer des Himmels tief sich neigt, und sie mit freudiger Bewund’rung schauet, weil ihres Gleichen diese weite Welt an Pracht und Herrlichkeit nicht in sich hält.“ 34 Vgl. Mt 26,61; Mk 14,58; auch 2Kor 5,1

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der Vorhang ist auch zerrissen, der den übrigen Raum von derselben sondert. Denn wenn gleich er allein die Fülle der Gottheit in sich trug, so wissen wir doch, daß er in uns Allen lebt und wirkt und daß wir durch die Gemeinschaft mit ihm ihn in uns tragend der Gottheit theilhaftig werden. Und so soll denn freilich und kann keine Sonderung sein in dieser wahrhaftigen Hütte, von der unser ewiger Hohepriester der Pfleger ist. Verschieden sind wir, mehr oder weniger erweiset sich die Heiligkeit, die dieser wahrhaftigen Hütte eigen ist, hier oder dort. Nicht gleich kostbar sind alle die lebendigen Steine, welche zusammengefügt sind zu diesem ewigen Bau; aber gesondert ist nichts; alle sind zusammengefügt und sollen sein und bleiben durch das Band der Liebe in der Einigkeit des Geistes. O, welche große, und herrliche Güter, allein werth, heilig genannt zu werden! o, welche Hütte, welcher Bau, welcher Tempel – diese Gemeinschaft des menschlichen Geistes mit Gott, die nun nie unterbrochen werden soll und niemals aufhören! welche wahrhaftige Hütte! Als derjenige ist er es, der da sitzet zur Rechten des Stuhls der Majestät im Himmel. Wie ich auch schon vorher gesagt habe, m. t. Fr! dadurch wird uns kein Ort bezeichnet, sondern vielmehr aller Unterschied des Orts hinweggenommen. Aber es wird auch in dem, was da ist, was von dem kommt, was da geschieht, wie wir uns menschlicher Weise auszudrücken pflegen, es wird uns darin auch keine Zeit bestimmt, sondern vielmehr alles Zeitliche hinweggenommen. Und wenn der Verf. unsers Textes sagt, daß der Erlöser als unser Hohepriester zur Rechten des Stuhls der Majestät im Himmel der Pfleger dieser heiligen Güter und der wahrhaftigen Hütte ist, so will er nichts anders sagen, als daß er ist auf ewige Weise. Hier giebt es wenig, m. a. Fr!, was wir gebrauchen könnten, um uns den unerforschlichen geheimnißvollen Sinn dieses Ausdruckes zu vergegenwärtigen und am Menschlichen auf menschliche Weise klar und deutlich zu machen. Zweierlei aber können wir wol sagen. Der Hohepriester | zur Rechten des Stuhls der Majestät der Ordner ist und Lenker der ganzen Welt. Wie der Erlöser als der Hohepriester, der da eingegangen ist in das Heilige, das nicht mit Händen gemacht ist, der Pfleger und Hüter dieser Hütte ist, so ist er es nicht auf dieselbe Weise, wie er es war, ehe er in das Heilige eingegangen war, als er auf der Erde lebte und wandelte, sondern wie er es von Ewigkeit her gewesen ist, in der Herrlichkeit die er bei Gott hatte, ehe denn der Welt Grund gelegt war. Nur dies beides weiß ich zu sagen, um den Sinn des Ausdrucks in unserm Texte deutlich zu machen. Wenn wir sagen zuerst, m. t. Fr! daß Gott das ewige allmächtige Wesen noch jetzt alles in der Welt lenkt und ordnet, daß alles geschieht nach seinem Willen, dem nichts widerstreben 36 um] nur 2 Vgl. Kol 2,9

8–9 Vgl. 1Petr 2,5; ferner Eph 2,21

35–36 Vgl. Eph 1,4

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kann, und der immer und ganz in Erfüllung geht, und wir bedienen uns dabei solcher menschlichen Ausdrücke, die nothwendig das Zeitliche mit sich führen und an dem Zeitlichen haften, wenn wir sagen, der Herr wird dies nicht zulassen, oder dies und jenes nicht thun, so denken wir dabei doch immer im tiefsten Herzen, daß das nur menschliche Rede ist, daß dadurch nicht die Wahrheit betheiligt ist, und daß Gott außer allem Mittel Gelegenheit und Zeit ist; aber alles Zeitliche geschieht auf ewige Weise nur so, wie er es auf ewige Weise gewollt und geordnet hat. So stammt alles von ihm her, so kommt alles aus der Einen ewigen Quelle und Fülle seiner Allmacht und ewigen Liebe, so ist alles nur aus seiner Allmacht und durch seine Allmacht begreiflich, und er ist die ewige Kraft die alle Dinge trägt und alles leitet; aber es ist bei ihm, wie kein Wechsel der Finsterniß und des Lichtes, so überhaupt kein Wechsel, kein Wechsel der Thätigkeit und Ruhe, kein Wechsel der Zeit und Verhältnisse, – Alles ist in ihm und Alles ist nur in ihm ewig. Als der Herr auf dieser Erde wandelte und, weil das Licht der Welt erschienen war, die Schatten anfingen, sich zu verlieren und statt des Schattens der heiligen Güter, das Wesen der heiligen Güter zu erscheinen begann, da war der Erlöser wirksam als Mensch, den Gesetzen der Natur unterworfen auf zeitliche Weise. So wirkte er für die einzelnen Menschen, mit denen er lebte; so förderte er in menschlicher Liebe und Freundlichkeit das Gedeihen des ersten Saamenkorns seiner ewigen Wahrheiten, das Gedeihen der Anfänge des Glaubens in den Gemüthern, und so wurde auf zeitliche Weise zeitig der Grund gelegt zu der wahrhaftigen Hütte, und so gingen auf zeitliche Weise zeitig auf die ersten Keime der heiligen Güter. O, wie sollte es denn nicht ein großer und herrlicher Vorzug gewesen sein, in der Nähe dessen zu wirken und zu leben, der allein solches hervorbringen konnte, weil er ein solcher war; wie sollte es einen größern Unterschied gegeben haben, als zwischen den Menschen, denen gegeben war die Möglichkeit, in seiner Nähe zu erkennen die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater! – Kein größerer Unterschied läßt sich denken als zwischen diesen Menschen und denen, die fern von ihm wandelten, | seiner Person nicht ansichtig wurden, zu denen der Ruf von seinem Dasein niemals drang. Aber eben deswegen, damit die heiligen Güter nicht wiederum, indem sie zeitlich blieben, sich in Schatten verwandelten, und dem Wechsel des Lichts und der Finsterniß unterworfen wurden, damit die wahrhaftige Hütte nicht auf zeitlichem Wechsel beruht, darum mußte die zeitliche Erscheinung des Herrn aufhören, und nun in das Heiligthum eingegangen, nachdem er durch seinen blutigen Tod das Werk auf Erden vollendet hatte, nun ist er dort der Pfleger der heiligen Güter, und der Pfleger der heiligen Hütte, und er verrichtet den Dienst in ihr, aber nur auf jene ewige Weise. Einzeln, zeitlich und in unmittelbaren Verhältnissen des zeitlichen 12–13 Vgl. Jak 1,17

29–30 Vgl. Joh 1,14

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Lebens haben wir nichts mehr von ihm zu erwarten. Er ist den menschlichen Dingen entzogen, und er kommt nicht wieder, so lange dieses menschliche Leben währt und dasselbe ist, was es gewesen. Einzeln ist er nirgends mehr und einzeln ist in keinem Augenblick irgend eine Wirksamkeit zu erlangen, einzeln theilt er sich keinem Menschen mehr mit, und darum auch nicht einem vor dem Andern, einzeln und auf zeitliche Weise kann keiner etwas von ihm haben, und von ihm erlangen. Aber er sagt, es ist auch gut, daß ich hingehe und dieses zeitliche Verhältniß aufhebe; denn so ich nicht hingehe, kommt nicht der Geist der Wahrheit, der Geist der Selbstständigkeit in der Thätigkeit des Glaubens und der Liebe, so käme nicht zu euch der Tröster, indem der aber zu euch kommt, um zeitlich euer geistiges Leben zu leiten, zeitig die Mannigfaltigkeit der Gaben zu entwikkeln, in allen Räumen die Schaaren der Gläubigen miteinander zu verbinden; indem der euer geistiges Leben leitet, bin ich euer Hoherpriester, der Pfleger eurer heiligen Güter, und verrichte den Dienst in der wahrhaftigen Hütte auf ewige Weise; d. h. alle heiligen Güter, deren wir uns erfreuen wie wir sie uns vorher in den wesentlichen Umrissen entworfen haben, wie Alles, was wir zu unserm geistigen Leben rechnen, von jenem abgeleitet ist, wie Alles, was Frieden, Seligkeit, lebendige Thätigkeit des Glaubens heißt, nur von ihm kommt und durch ihn gegründet worden ist, so besteht auch alles nur durch ihn, und er bleibt auf ewige Weise der Grund und der Urheber, die Quelle und Fülle unsers Heils. Keiner hat eine wahre und lebendige Gemeinschaft mit Gott, seinem und | unserm Vater, als nur durch ihn; durch sein ewiges die Menschheit und Gottheit miteinander Vereinen, sind wir Alle aufgenommen in die ewige und lebendige Gemeinschaft Gottes. Aber auf zeitliche Weise, durch das Wort seines Mundes, durch besondre, persönliche Offenbarung, wie in jenen herrlichen Tagen nach der Auferstehung, so wirket er nicht mehr, sind wir seiner nicht mehr theilhaftig, die zeitliche Pflege der heiligen Güter überläßt er seinem Wort und Geist; aber er bleibt der ewige Pfleger der heiligen Güter, denn beides hat seinen Grund nur in ihm; denn wie alles von Gott geordnet ist in der Welt, alles an seinem Willen hängt, und nach seinem Willen verläuft, so in der geistigen Welt ist alles durch den ewigen Hohenpriester, der zur Rechten der Majestät im Himmel sitzt, und geistig und ewig alles ordnet. Unsre Seligkeit ist durch ihn begründet und ohne ihn wäre sie nichts, alle Segnungen seines Wortes sind alle in seinem ewigen Hohenpriester zur Rechten Gottes sein, darin alle sind sie gegründet. Darum ist er der Name, der über alle Namen geht, darum sollen alle vor ihm und werden vor ihm, wenn auch keine Erinnrung an die 38 alle] allen 7–11 Vgl. Joh 16,7.13

12–13 Vgl. Röm 12,6; 1Kor 12,4

37 Vgl. Phil 2,9

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bliebe, welche ihn in seinen menschlichen Tagen gekannt haben, so sollen doch alle vor ihm die Kniee beugen, und bekennen, daß er allein der Herr ist. Aber eben so können wir sagen, so wie er schon auf ewige Weise vor seinem Erscheinen auf Erden der Pfleger der heiligen Güter und der wahrhaftigen Hütte war, so ist er es jetzt auch wieder. Als die Welt geschaffen war, und das Entstehen dieser unsrer Erde vollendet dadurch, daß Gott den Menschen geschaffen hatte nach seinem Bilde, da sprach der Ewige, wie er ansah, was er gemacht, es ist alles gut. War damals vor den Augen des Ewigen etwa verschlossen und verborgen der Fall der sündigen Menschen? Das Entstehen und die Gewalt der Sünde? Und doch sprach er: es ist alles gut? Ja er sprach es eben vermöge der Herrlichkeit, die der Erlöser bei ihm hatte, ehe denn der Welt Grund gelegt war, der das Verlorne wieder bringt, der die Folgen des menschlichen Falles hinwegnimmt, der in seiner Herrlichkeit das Bewußtsein der Sünde wegnehmen sollte, daß sie in ihm und im Aufschauen seiner Herrlichkeit untergehen sollte, – in Beziehung darauf konnte er sagen: es ist alles gut. Was aber der Dienst, den der Hohepriester verrichtete einmal im Jahr, daß er vor Gott trat, um das Volk zu vertreten, um die Vergebung der Sünden von Gott zu erbitten, die ungekannten und ungebüßten Sünden zu sühnen, und die Vergebung Gottes | und seine Segnungen auf das Volk herabzuflehen; – das war der Dienst, den der Herr auf zeitliche Weise vollbracht, da er auf Erden war. So ist er bestanden vor Gott während seines ganzen Lebens in der sündigen Gemeinschaft der Menschen, wie unser Verfasser sagt an einer andern Stelle: „mit heißem Flehen und lautem Geschrei betend“, und alles was er that, um die Sünden der Menschen wegzunehmen, ging aus von diesem Mitgefühl der Sünde, auf daß er sein konnte ein mitleidiger Hoherpriester. Eben diesen Dienst verrichtet er in der wahrhaftigen Hütte, und vertritt uns bei Gott, aber nicht auf zeitliche Weise, nicht durch einzelnes Gebet, wie er auch sagt: „ich bitte für euch nicht beim Vater; denn der Vater hat euch selbst lieb.“ Aber er vertritt uns durch sein Dasein, durch das Dasein der ewigen Wahrheit und Liebe in ihm, durch die Beziehung, welche vor aller Ewigkeit gegründet war zwischen ihm und dem Geschlecht der Menschen; durch ihn sind wir vor Gott angenehm gewesen von Anbeginn, und nur in dem Unsündlichen konnte der sündige Mensch Gott angenehm sein, von Anbeginn hat uns Gott geliebt in seinem Sohn, und so vertritt er uns immerdar und immerdar 4 der Pfleger] den Pfleger gestanden

21 bestanden] SAr 69, Bl. 23v, und 7. Sammlung, S. 411:

1–3 Vgl. Phil 2,10f 6–7 Vgl. Gen 1,26f 7–8 Vgl. Gen 1,31 12 Vgl. Eph 1,4 16–20 Vgl. Lev 16, bes. 1.17; auch Hebr 9,7 23–24 Vgl. Hebr 5,7 26 Vgl. Hebr 4,15; ferner 5,2 28–29 Vgl. Joh 16,26f

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bleiben wir die, die ihm angehören, Gott lieb und angenehm durch seinen Sohn, durch ihn und seine Verwandschaft mit ihm sind wir nun Kinder Gottes, wie er der Sohn Gottes ist, und nehmen Theil an den Gütern, die sich auf ihn und sein Dasein gründen. Aber freilich wäre er nicht erschienen auf Erden, hätte er nicht gewandelt unter den Menschen, – was wüßten wir davon, daß wir Gott angenehm wären durch ihn? Wie könnte es solch’ Verhältniß zwischen Gott und den Menschen geben, wie hätte jemals die Scheidewand fallen können, die die Sünde zwischen Gott und Menschen gezogen? Wie würden die Menschen je haben weiter kommen können, als zu dem Schatten der heiligen Güter, immer nur zu einer vergänglichen Hütte, worin sein Dienst sollte verrichtet werden! Erscheinen mußte er, nicht um Gottes Willen, denn der liebte die Welt ewig in ihm; aber um unsert Willen, damit auch uns die Liebe Gottes erschiene; aber nun durch sein Dasein diese heiligen Güter auf Erden begründet sind, nun durch sein Dasein diese ewige Hütte erbaut ist, – konnte sich sein Dasein auf Erden endigen. Aber ewig bleibt er Pfleger dieser heiligen Güter und der wahrhaftigen Hütte; nur in ihm wird uns alles deutlich und der Geist Gottes kann nichts anders thun, als von dem Seinigen nehmen, | und uns erklären. So verrichtet er den Dienst der Fürbitte und Vertretung in der wahrhaftigen Hütte, indem er die Gemeinschaft mit Gott auf ewige Weise darstellt und erhält. Aber zeitlich mußte er erscheinen, versöhnen mußte er uns und durch sein Blut eingehen in das Heilige, damit das Bewußtsein der Sünde ganz fortgenommen würde, damit wir mit ihm gekreuzigt würden und alles mit gekreuzigt würde, was uns von der Gewißheit des Glaubens von Gott und Christo scheiden könnte. So laßt uns denn, m. g. Fr! auch zeitliche Pfleger sein der geistigen Güter und der wahrhaftigen Hütte; lasset uns in der Kraft dieses Geistes, der in uns ausgegossen ist, alle heiligen Güter pflegen und bewahren, in der lebendigen Gemeinschaft mit dem Erlöser durch die Kraft seines Wortes bleiben. Lasset uns die wahrhaftige Hütte als die wahrhaftige auch erhalten, daß alles, was noch Fleisch ist, aus ihr entfernt werde, daß nichts darin herrsche und walte, als die Anbetung Gottes, und der wahrhaftige Dienst Gottes im Geist und in der Wahrheit. So allein werden wir geschickt sein, frei von allem tödtlichen Dienst des Buchstabens, in der innigen Gemeinschaft mit unserm ewigen Hohenpriester zu stehen, und uns dieses innige Verhältniß als der Quelle unsrer Seligkeit bewußt zu werden, damit wir so 28 bewahren,] bewahren; 7–9 Vgl. Eph 2,14–16 17–18 Vgl. Joh 16,13–15 21–22 Vgl. Hebr 9,12 23 Vgl. Röm 6,6; ferner Gal 5,24 24–25 Anspielung auf Röm 8,38f 32–33 Vgl. Joh 4,23f

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immer mehr heranreifen jeder für sich und alle in der Gemeinschaft zu der Gleichheit des vollkommenen Alters mit Christo, damit diese heiligen Güter den künftigen Geschlechtern übergeben werden, damit die wahrhaftige Hütte nicht wieder ähnlich werde dem vergänglichen Schatten menschlicher Dinge, sondern von allem Äußerlichen entfernt bleibe und wir in der gemeinsamen Kraft des Glaubens und der Liebe den anbeten, den Gott gesandt hat um die lebendige Gemeinschaft mit ihm zu begründen zeitlich, wie sie ewig begründet war, in der [er] nun, indem er uns beim Vater vertritt, den Geist in uns ausgegossen hat, indem wir Gott dienen auf zeitliche Weise in der Hütte, damit diese sich immer mehr erhebe als der unvergängliche Bau, damit aller Unterschied des Zeitlichen und Ewigen für uns verschwinde und lebendiger werde die Ueberzeugung, daß durch den Glauben vom Tode zum Leben wir hindurch gedrungen sind, und nun mit dem Glauben das ewige Leben schon haben, mit ihm, unserm ewigen Hohenpriester. Amen.

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Heiliger Gott und Vater! Dein ewiger, gnädiger Rathschluß war, uns diese menschliche Natur, dies menschliche Geschlecht, zu begnadigen in deinem Sohn. Darum hat uns nichts schaden können | das Gift der Sünde, wie tief auch eingewurzelt in der menschlichen Seele; groß ist seine ewige Kraft, um auch das „Bewußtsein der Sünde“ wegzunehmen. Dein gnädiger Rathschluß war es, dich uns zu offenbaren in deinem Sohn, damit er uns erschiene in der Herrlichkeit des eingebornen Sohnes als das Fleisch gewordene Wort. Dein gnädiger Rathschluß war es, daß nur durch Leiden und Tod der sollte und konnte vollendet werden, der viele hinführen sollte zur Seligkeit. O, laß nun nachdem er vollendet ist, und wie er ewig bei dir das Geschlecht der Menschen vertritt, nicht nur diese, sondern alle selig werden vor dir; laß uns nicht müde werden, die heiligen Güter weiter zu verbreiten über unsre Brüder und sie fortzupflanzen von einem Geschlecht zum andern. Laß uns nicht müde werden deine wahrhaftige Hütte immer fester zu bauen, immer mehr zu erweitern, alle Völker der Erde zu derselben einzuladen, damit alle den erkennen, der uns ewig bei dir vertritt, und in seinem Namen selig werden. Ja, er walte ewig unter dem Geschlecht, das er dir auf’s Neue erkauft hat durch sein Blut und erworben zu einem königlichen Priesterthum! O laß uns immer vollkommner werden in dieser hohen Würde, uns von allem losmachen worin wir dir noch unähnlich sind und dem, welchem ähnlich zu sein unser höchster Preis 11–12 verschwinde] so SAr 69, Bl. 24r; Textzeuge: verschwinden 12–14 Vgl. Joh 5,24 22–23 Vgl. Joh 1,14 1,18f 34–35 Vgl. 1Petr 2,9

33–34 Vgl. Apg 20,28; ferner 1Petr

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ist, damit, wenn es auch noch nicht erschienen ist, doch wenn es, wie wir wissen erscheinen wird, wir ihm gleich sein werden; damit wir ihn dann ganz erkennen, wie er ist. Amen. Lied 249, v 4.

1 Vgl. 1Joh 3,2 4 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 249: „Dein Werk, Erlöser, ist vollendet“ (Melodie von „Wie wohl ist mir, o Freund der Seele“); Strophe 4 lautet: „Einst wirst du herrlich wiederkommen. Erlöser, komm! so rufen wir. Im Thränenthal schaun deine Frommen voll heißer Sehnsucht auf zu dir. Mit Wonne sehn sie dir entgegen, erwarten Heil von dir und Segen, und Theil an deiner Herrlichkeit; du wirst den Gläub’gen, die hier weinen, vom Himmel als ihr Freund erscheinen, in Freude wandeln alles Leid.“

Am 23. Mai 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Exaudi, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Apg 1,12–14 Nachschrift; SAr 94, Bl. 138r–142v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Keine

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Lied 307. Tex t . Apostelg. I, 12,13,14: „Da wandten sie um gen Jerusalem, von dem Berge, der da heißt der Oelberg, welcher ist nahe bei Jerusalem, und liegt einen Sabbather Weg davon. Und als sie hinein kamen, stiegen sie auf den Söller, da denn sich enthielten Petrus und Jakobus, Johannes und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, Alphäi Sohn, und Simon Zelotes, und Judas Jakobi. Diese alle waren stets bei einander einmüthig mit Beten und Flehen, sammt den Weibern und Maria, der Mutter Jesu und seinen Brüdern.“ M. a. Fr.! Was wir mit einander vernommen haben, das folgt in der Geschichte der Apostel unmittelbar auf jene ausführliche Erzählung von der Himmelfahrt unsers Herrn und ist bestimmt den Raum auszufüllen zu dieser und dem merkwürdigen Tage der Pfingsten, wo die Verheißung des Herrn die er von seinem Vater empfangen und ihnen gegeben hatte, an seinen Jüngern in Erfüllung ging. In eben dieser Zeit leben wir nun auch jetzt und sehen dem fröhlichen und herrlichen Fest der Ausgießung des Geistes entgegen. Freilich nicht so, m. Fr.! als ob wir an diesem Gedächtnißtage 14 zu] Kj zw[ischen] 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 307: „Hört, die ihr der Gerechtigkeit“ (Melodie von „Machs mit mir, Gott, nach deiner Güt“) 13–14 Vgl. Apg 1,4–11; eine weniger ausführliche Erzählung findet sich bereits in Lk 24,50f. 15 Vgl. Apg 2,1–41 15– 16 Vgl. Apg 1,4f 16–17 Vgl. Apg 2,1–4

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jener großen Begebenheit grade etwas ähnliches zu erwarten berechtigt oder veranlaßt wären. Denn die Gaben des Herrn, wie oft sie sich allerdings in verschiedenem Maaße zu verschiedenen Zeiten an den Gläubigen verklären, sind nicht an gewisse Zeiten und Stunden gebunden; aber doch haben wir nicht ohne Grund diese schönen Tage des Gedächtnisses wichtiger Begebenheiten für die Gemeine des Herrn in dem größten Theil der christlichen Kirche eingeführt, und es ist eine erfreuliche und allgemeine Erfahrung, daß sich immer noch im Zurücksehen auf diese außerordentlichen Gnadenerweisungen Gottes das Herz aufs neue erfrischt, und oft neue Kräfte bekommt. So mögen wir denn fragen, wie sich die Jünger, die eine so bestimmte Verheißung hatten, der sie warten sollten, wie sich denn die in der Zwischenzeit verhielten? Darauf erhalten wir die Antwort in dem, was wir mit einander vernommen haben. Freilich folgt hernach noch eine Erzählung, die uns in eine größere Gesellschaft der Christen einführt, in welcher Petrus auftrat und in Anregung brachte, daß man die durch das Ende des Judas leer gewordene Stelle unter ihnen wieder ausfüllen sollte. Freilich nicht so wohl, weil er es für nothwendig gehalten hätte, daß die nächsten Verkündiger des | Herrn grade diese Zahl ausmachen sollten, wie von Anfang an, – denn sonst hätte doch immer einer erwählt werden müssen, so oft einer durch den Tod aus ihrer Zahl hinweggenommen wurde; sondern um dadurch das Andenken an das verlorne Kind, welches abgefallen war, und das sich immer wieder erneuerte, wenn die Stelle leer blieb, um dieses Andenken zu entfernen, wenn die Stelle nicht mehr wahrgenommen wurde. Deshalb erscheint diese spätere Erzählung doch mehr als eine Nebensache, aber das, was in unserm Texte steht, bezeichnet das ganze Verhalten und Sein der nächsten Jünger des Herrn in dieser Zwischenzeit. Freilich ist es etwas unbestimmtes und was wir uns mannigfaltig ausfüllen können, wenn nur gesagt wird, sie waren einmüthig bei einander im Gebet und Flehen; aber doch, m. t. Fr.! wenn wir einmal darauf sehen, was sie nicht gethan haben, ungeachtet doch, wenn wir uns an ihre Stelle setzen, es manchem einfallen würde, daß es heilsam gewesen, es zu thun, und wenn wir, dies ins Reine und Klare gebracht, auf das Wenige sehen, was uns gesagt wird, so werden wir wol eine hinreichende Anleitung für uns selbst finden. Was ich zuerst meine, ist dies: als die Jünger von der Himmelfahrt zurückkehrten, so konnten sie nicht anders als seine letzten Worte in treuem Gedächtniß haben, und das waren die, daß sie nicht weichen sollten von Jerusalem, bis der Geist über sie kommen, und die Verheißung in Erfüllung gehen würde, die er vom Vater empfangen und ihnen mitgetheilt hatte. Darauf also warteten sie, daß sie nun sollten in den großen Beruf eintreten, daß sie sollten seine Zeugen sein durch den Geist, der über sie kommen würde, so weit das Wort dringen könnte, anhebend von Jerusa13–16 Vgl. Apg 1,15–26

36–39 Vgl. Apg 1,4f

40–1 Vgl. Apg 1,8

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lem. Aber eben in diesem Jerusalem war vor so kurzer Zeit der Erlöser selbst seinen Feinden übergeben, und getödtet worden, und um die unmittelbar darauf folgende Stille unter den Seinigen, nur den Schein, als ob damit die ganze Sache abgemacht wäre, nur dem konnten sie glauben es zu verdanken, daß sie selbst ruhig gelassen wurden und daß niemand weiter sich um sie kümmerte. Wenn sie nun daran dachten, was für ein Beruf ihnen bevorstand, wo sie denn doch wieder öffentlich hervortreten mußten, wie, wenn die Kräfte des Herrn durch sie wirksam würden, dann doch auch die Feinde des Herrn wieder wach werden würden, wenn sie sich erinnerten an andre Vorhersagungen ihres Herrn und Meisters, daß es den Jüngern nicht besser gehen würde als dem Meister und dem Knecht nicht besser als dem | Herrn und daß sie also auch wieder verfolgt werden und den Gefahren des Todes entgegengehen. – Wenn sie daran gedachten, nun so konnte wol nicht anders, wenn auch nicht so wol wegen ihrer selbst, als wegen der Sache, der sie dienten, eine große Sorge in ihnen erwachen, ob nicht die Feinde des Herrn zu mächtig werden würden, ob deren Widerstand nicht zu kräftig würde hervortreten, so daß sie ihn nicht würden bezwingen können. Nun hatte der Herr manche verborgene Freunde, auch unter denen, welche das Volk leiteten, und an den Angelegenheiten des Volks Theil hatten. Diese hatten sich auch thätig bewiesen in dieser letzten Zeit der Noth und des Schmerzes und hatten da öffentlicher als vorher ein Zeugniß abgelegt von ihrer Anhänglichkeit gegen ihn, – so wäre es ja natürlich gewesen, diese aufzusuchen, sich an sie zu wenden, und die Verbindung mit ihnen zu erhalten, um bei Zeiten Nachricht zu erhalten, wo etwas vorbereitet und gerichtet würde gegen sie, um eine Fürsprache zu haben und einen Schutz bei den Mächtigen. Kurz, wir sehen, wie mannigfaltige Veranlassung sie hatten, zu allen Hülfsmitteln menschlicher Klugheit auch in dieser Sache vorbereitend ihre Zuflucht zu nehmen. Aber nicht nur das, was unser Text sagt, enthält unmittelbar nichts davon, sondern wenn wir auch alle Nachrichten zusammennehmen, die uns aus späterer Zeit mitgetheilt sind, wenn wir sehen, wie die Jünger von dem Tage der Pfingsten an wieder öffentlich hervortreten, und wie der Widerstand sich aufs Neue gegen sie erhebt, so finden wir kein besonderes Verhältniß der Jünger zu diesen, wenn auch nicht PmächtigenS, doch herzlichen, verborgenen Freunden Christi, finden keine Spur davon, daß ein Verhältniß mit diesen ihnen zum Schutz oder zur Hülfe gereicht, daß sie es hätten zu erlangen gesucht, um durch sie etwas 3 nur den Schein] Kj nur dem Schein oder um den Schein 34 PmächtigenS oder Pmu)h*tigenS

13 konnte] konnten

10–12 Vgl. Mt 10,24 und Lk 6,40 in Verbindung mit Joh 15,20 18–22 Schleiermacher denkt sehr wahrscheinlich an Joseph von Arimathia (vgl. Mt 27,57–60; Mk 15,42– 46; Lk 23,50–53; Joh 19,38) und Nikodemus (vgl. Joh 3,1f; 7,45–52; 19,39).

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zu erhalten oder abzuwenden. Was sie an die Stelle hiervon setzten, war nichts anders, als daß sie bei einander waren mit Gebet und Flehen; sie verschmähten bei dieser geistigen Angelegenheit alle Aehnlichkeit mit der Art, wodurch menschliche Dinge geleitet werden und indem sie nur dachten an das Amt, welches sie erwarteten, nur warteten des Berufs, der von ihnen erfüllt werden sollte, so überließen sie alles andere dem, dessen Sache es war. Wenn gleich nicht gesagt wird von welcher Art und von welchem Inhalt ihr Gebet und Flehen war, so erkennen wir doch ihre Gesinnung in diesem Stück aus einer andern Nachricht. Nämlich als Petrus und andre, welche im Tempel lehrten, vor den Rath gefordert wurden, und ihnen gesagt wurde, sie sollten das lassen, in diesem Namen zu lehren, sie aber sagten, sie könnten es nicht lassen, sie müßten Gott mehr gehorchen, als den Menschen, und sie ohne | Strafe zurückgelassen waren, da wird erzählt, wie die Jünger gebetet haben und dies Gebet ist nichts anders, als der herzliche Ausdruck des Vertrauens, daß Gott alles thun würde für sein Kind Jesus, daß er es gewiß hinaus führen würde, und daß vergeblich sich alle Macht der Völker dagegen auflehnen würde, und sie erbitten für sich nichts anders, als daß auch sie dazu möchten Dienste leisten dürfen, daß auch durch sie geschehen möchte, wodurch diese große Sache befördert werden könnte. Wenn m. g. Fr.! in der Kirche Christi auch ein solcher Wechsel verschiedener Zeiten statt findet und vielleicht noch lange statt finden wird, wie es uns in der Apostelgeschichte erzählt wird, solche Zeiten, wo sie sich in Frieden und Eintracht baut, und solche, wo sie in großen und heftigen Kämpfen steht, wo aller Muth und alle Kraft womit Gott sein Werkzeug ausrüstet, zusammen genommen werden mußten, um den Sieg davon zu tragen. – Wenn dieser Wechsel beständig statt findet, und allerdings in Zeiten der letzten Art auch eine größere Kraft des Geistes das Bedürfniß würde, das jeder fühlt[,] und wir gern möchten, daß sich jene Verheißung des Herrn erneuerte und der Geist, der die Gemeine leitet und führt, reichlicher ausgegossen würde, wenn wir das wünschen würden, seien es auswärtige oder innere Gefahren, ihr zu drohen scheinen, so laßt uns da zuerst dem Beispiel der Jünger folgen, daß wir nicht suchen durch solche Mittel etwas zu erreichen, welche nicht geistig sind. Die menschlichen Dinge wollen auch menschlich geleitet werden, das geistige aber, wird nur geistig gerichtet, geistig wieder hergestellt, geistig erhalten und geistig bewahrt. Und doch finden wir so häufig, daß in der Gemeine des Herrn auf andre 3 Angelegenheit] Angelegenheit, 13 sie] folgt vermutlich versehentlich nicht gestrichen (vgl. Apg 4,21) nicht 15–16 sein Kind] möglicherweise mit Apg 4,27 zu korrigieren in seinen Knecht 18 dürfen] dürften 9–13 Vgl. Apg 4,1–22 Apg 4,24–30

12–13 Vgl. Apg 4,19 in Verbindung mit 5,29

14–20 Vgl.

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Weise gehandelt wird, daß man in solchen Zeiten nicht glaubt, in Beziehung auf irgend einen Widerstand, der zu besiegen[,] auf die Gefahr, die zu bestehen ist, aber die noch nicht wirklich da ist, und wo wir zum Handeln noch nicht aufgefordert sind, daß wir da nicht geglaubt genug zu haben mit Gebet und Flehen, wie es allein dem Herrn wohlgefällig ist, sondern, daß allerlei menschliche Mittel und Wege eingeschlagen werden, wodurch zuerst das entsteht, daß die großen Angelegenheiten des Herrn ihr eigenthümliches Gepräge verlieren und erscheinen als etwas, was auf alle Weise menschliche Klugheit und menschliche Bedürfnisse, wie alle andre gewöhnlichen Dinge des Lebens, erheische. Ist es möglich, daß dabei der rechte Sinn für die Sache selbst bestehen kann, ist möglich, daß die, welche das Reich Gottes nur für etwas Geistiges ansehn, die nichts anders wollen, als der Wahrheit durch die Kraft des Geistes den Sieg verschaffen, doch auf solche Gedanken kommen | fleischliche Mittel zu gebrauchen; ist es möglich, dadurch den Sieg zu gewinnen, daß sie sich an die Mächtigen der Erde halten, damit sie die zurückhalten, von welchen sie glauben, daß sie ihr Werk zerstören? Die Jünger Christi wußten darin kein anderes Mittel, als vorher Gebet und Flehen, und wenn es zur Sache selbst kam, nichts anders, als das Zeugniß, das sie ablegten, als das Festhalten an ihrem Glauben, und die stärkeren Aeußerungen desselben, um ihn noch andern mitzutheilen. Mögen wir also doch auch nur uns immer darauf beschränken und alles andre fahren lassen, weil wir sonst nur in den Fall kommen, eine reichlichere Ausgießung des Geistes zu verhindern. Denn was würde dann daraus werden, als daß wir denen ähnlich würden, die sich vielmehr gerühmt haben, bei Menschen ihren Beistand zu suchen, als auf Gott zu vertrauen, was und wie er seine Sache führen wird. Das zweite, m. Fr.! was man leicht glauben könnte, daß die Jünger es würden gethan haben in jener Zeit, was sie aber auch nicht thaten, sondern statt dessen ein ganz anderes, wie wir es im ersten Fall gesehn haben, ist dies. Wenn wir die Gesellschaft betrachten, die uns hier dargestellt wird und gesagt wird, daß sie einmüthig bei einander gewesen mit Gebet und Flehen, so waren es die Apostel des Herrn und die Frauen, und die Mutter Jesu und seine Brüder. Daß nun die Apostel des Herrn bei einander blieben und einmüthig waren, das kann uns freilich nicht wundern, – wir müßten denn freilich genauer uns erinnern, wie es noch vor kurzem um sie gestanden hatte: denn nicht lange, ehe der Herr seine Leiden antrat, wird doch noch von ihnen gesagt, daß sie sich gestritten hatten, wo der Größte sein würde im Reiche Gottes, wird noch von ihnen gesagt, daß für ein paar unter ihnen eine besondre Fürbitte eingelegt wurde beim Herrn, er möge ihnen 37 wo] vermutlich mundartlich für wer 36–38 Vgl. Mk 9,33f; Lk 9,46; auch Mt 18,1

38–1 Vgl. Mt 20,20f; Mk 10,35–37

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geben zu seiner Rechten und Linken zu sitzen, und also vorgezogen zu werden vor den übrigen. Daß dies etwas Verkehrtes war, sehen wir aus der Art, wie der Erlöser selbst, diese Verirrungen behandelte. Wenn sie sich stritten, wer der größte sei und sein würde im Reiche Gottes, so stellt er ihnen ein Kind vor, und wenn sie sitzen wollten zu seiner Rechten und Linken, so fragt er sie, ob sie auch den Kelch trinken wollten, den er trinken würde, wenn sie so die Nächsten ihm sein wollten; aber auch dann gab er es ihnen nicht zu sitzen zu seiner Rechten und Linken, denn der Vater habe dieses seiner Macht vorbehalten. So gänzlich drückte er das zurück, daß wir uns nicht wundern können, daß solch Streben auch damals der Grund ihrer Vereinigung nicht gewesen. Hätten sie aber in der ersten Beziehung so gehandelt, wie der Sinn in ihnen gewesen, menschliche Mittel und | Hülfe anzuwenden, um die Sache zu fördern; dann würde auch die Eifersucht in Beziehung auf ein Höherstehen in der Gemeine des Herrn, auf einen größern Einfluß in der Leitung der Angelegenheiten nicht gefehlt haben. Denn beides ist verwandt. Und so sehen wir es zu allen Zeiten unter denen, welche nicht verschmähen, menschliche Mittel zu Hülfe zu nehmen, in den Angelegenheiten des Herrn, daß sie ein solches Bestreben haben, sich hervorzudrängen, mehr sein zu wollen als die andern; wenn es auch nur so wäre, daß sie meinen je höher sie stehen desto mehr würde ausgerichtet werden in der Sache des Herrn. Aber ein andres ist dies, daß wir außer den Aposteln auch noch finden die Frauen, und außer den Frauen auch noch die Brüder des Herrn. Was die Frauen betrifft so finden wir in den ersten Gemeinen doch immer die Ordnung aufrecht erhalten, welche schon lange einheimisch war, nämlich daß die Frauen zu schweigen hätten in der Gemeine; es war also nicht zu erwarten, daß sie jetzt Antheil haben sollten an dem öffentlichen Zeugen von Christo; aber doch werden sie angeführt, sie werden nicht zurückgesetzt, sondern die Apostel stellten sie sich gleich; wo sie einmüthig waren bei einander mit Gebet und Flehen, da waren die Frauen auch. So sehen wir, wenn es gleich eine Ungleichheit geben muß in der christlichen Gemeine selbst in Beziehung nach außen, – denn da müssen einige lehren und öffentlich auftreten, da müssen einige die allgemeinen Angelegenheiten leiten und ordnen, da müssen einige hervortreten in Beziehung auf die Verhältnisse zur Welt und diese ordnen. – Aber diese Geschäfte sollen keinen Einfluß haben auf das einmüthige Beieinandersein, da soll nichts gelten, als die Treue des Herrn, die Kraft der Liebe und des Gebets, und von denen man glaubte, daß das Bild des Herrn in ihnen lebte, daß seine Worte in ihnen lebendig waren, die waren doch in diese Gemeinschaft aufgenommen. Also laßt uns das bedenken, wie diese brüderliche Gleichheit das erste und wesentlichste Erforderniß ist in der Gemeine des 3–5 Vgl. Mk 9,36f; Lk 9,47f; auch Mt 18,2–6 5–7 Vgl. Mt 20,22; Mk 10,38 9 Vgl. Mt 20,23; Mk 10,40 25–26 Vgl. 1Kor 14,34

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Herrn und es gehört hier alles zusammen, daß wir wol sagen müssen, wäre es anders gewesen, so wären die Jünger auch nicht in dem Zustand gewesen, wo die Kraft aus der Höhe sich ihrer so hätte bemächtigen können. Das muß erst feststehen, daß die treue Anhänglichkeit an unsern Meister und Herrn der einzige Maaßstab ist, nach welchem wir die Verschiedenheit würdigen uns zu sehnen nach der Gemeinschaft der Menschen um Gebet und Flehen mit ihnen zu theilen, – dann sind wir erst in solcher Verfassung, daß die Kraft des Geistes sich immer reichlicher ausgießen kann | über uns. Aber die Brüder des Herrn die waren noch vor kurzer Zeit ungläubig gewesen und es muß uns wundern, daß wir sie plötzlich in der Gesellschaft finden, nicht in der allgemeinen, sondern in dieser engsten, wo sie einmüthig bei einander waren mit Gebet und Flehen. So war also auch wol zu erwarten und sie wurden mit den Aposteln zugleich angesehn, daß sie Theil haben würden an dem großen Amt der Verkündigung. Konnten die Apostel sicher sein, daß sie wirklich an den Erlöser glaubten? Ja, wenn wir an ihre frühern Streitigkeiten denken[,] an die Art, wie sie zum Erlöser gekommen waren, sollten wir nicht denken, wenn sie wüßten, ihnen stand bevor, daß sie sollten Zeugniß ablegen von ihrem Herrn und Heiland und das Reich Gottes begründen, sollten wir es nicht natürlich finden, daß sie diese Zeit benutzt hätten um ausfindig zu machen, ob auch alle dasselbe glaubten, ob sie auch dieselbe Vorstellung hatten von Christo, ob auch ihr Zeugniß würde zusammenwirken, und also auch das Zeugniß würde dasselbige sein, und durch eine Verschiedenheit des Glaubens sie nicht würden auseinandergehen und Spaltungen daraus hervorgehen? Daß die Keime zu verschiedenen Ansichten über viele Gegenstände schon in ihnen lagen, sehen wir aus der folgenden Geschichte, wo es ja so viele Gelegenheiten gab, sich mit einander zu verständigen. Und nun hatten sie so schöne Muße, die Zeit der Thätigkeit war noch nicht gekommen, sie waren einmüthig bei einander, da hätte ja jeder forschen können nach dem Glauben des andern, und wenn ihnen die Gleichheit des Herrn so am Herzen gelegen, wenn sie es für nothwendig gehalten hätten, daß alle Einerleiheit der Gedanken und Vorstellungsweise haben sollten, was hätten sie Besseres thun können, als ein gemeinsames Glaubensbekenntniß aufzusetzen, woran sie den Glauben der andern messen konnten. Aber davon scheint ihnen auch gar nichts ins Gemüth gekommen zu sein, dies Bedürfniß scheinen sie nicht gehabt zu haben. Was finden wir aber statt dessen? Sie waren einmüthig beieinander; aber dies schließt nicht so in sich eine Gleichheit der Gedanken und der Vorstellungsweise, sondern nur eine Gleichheit des Bestrebens und Sinnes. Darauf allein kam es ihnen an, jenes ließen sie gewähren und ihre Aufmerksamkeit war gar nicht in demselben Grade darauf gerichtet, daß sie einmüthig sein mußten, daß Christus der Grund ihres Vertrauens sein müsse und 3 Vgl. Lk 24,49

9–10 Vgl. vor allem Joh 7,5; ferner Mt 12,46–48 und Parallelen

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der Gegenstand ihrer Verkündigung, darüber waren sie Eins. Alles andre stellten sie Gott anheim, und kümmerten sich gar nicht darum. Daß sie nicht einmüthig sein könnten | wenn sie nicht mit ihm gelitten, und sein Bild sich eingeprägt, das wußten sie. Aber alles andre stellten sie Gott anheim. Thaten sie recht daran oder nicht? Entweder m. t. Fr.! müssen wir sagen, sie thaten Unrecht daran, oder wir müssen sagen, verschiedene Zeiten erfordern Verschiedenes, oder wir müssen auch sagen, daß auch die Unrecht haben, welche auch jetzt so stark dringen auf eine Gleichheit des Glaubens auf eine Gleichheit der Formeln und Redensarten, als das Einzige, was uns gewiß machen könnte über den Grund unsrer Hoffnung. Aber wir können nicht sagen, daß diese Zeiten verschiedenes erfordern, denn Christus bleibt einer und derselbige gestern und heut und in Ewigkeit und das Verhältniß seiner Jünger, daß sie ihn in sich leben lassen, bleibt dasselbige gestern und heut und in Ewigkeit. Aber schwerlich können wir sagen, daß die Jünger Unrecht hätten, denn wir sehen, daß wenn eine Verschiedenheit der Gesinnung unter ihnen eintrat, so viel Freiheit unter ihnen war, daß sie sich wieder vereinigen konnten. Aber im Voraus darauf zu sinnen, auf die Worte, deren sich der und jener bediente im Gebet und Flehen, um sein Verhältniß zu Christo auszudrücken, auf diese grade zu achten, und auf eine buchstäbliche Einheit zu dringen, davon fiel ihnen gar nichts ein. So werden wir ja auch besser thun, wenn wir ihrem Beispiel folgen und auch nichts darauf halten, sondern darauf, daß wir einmüthig in Beziehung auf die Gesinnung, einmüthig in Beziehung auf den Glauben an Christus, daß wir von keinem andern wissen wollen, als von Christus, daß wir so bei einander sein und bleiben. Der Buchstabe tödtet; aber der Geist macht lebendig. Das Fleisch ist kein Nütze, und auch die Worte nicht, in so fern sie Buchstaben sind, sondern nur die Worte die Geist und Leben sind, die sind es, in welchen die Kraft des Geistes ist. Wenn wir nun dem Beispiel der Jünger des Herrn folgen wollen, so werden wir in Beziehung auf das, was der Herr selbst von der Verheißung, die von seinen Jüngern in Erfüllung gehen soll, sagt, so denken müssen, der Geist soll es von Christo nehmen und das den Seinigen verklären, soll sie erinnern an alles das, was von ihm gesagt, und es ihnen erklären, wovon er ihnen gesagt, daß sie es noch nicht tragen könnten. Das war der eigentliche Sinn und Inhalt der Verheißung, welche Christus seinen | Jüngern gegeben. – Nun wol, könnte der Geist alle an dasselbige erinnern, hat nicht jeder selbst Besonders, was er auffaßt und gehörte nicht grade die Verschiedenheit der Jünger von einander dazu, um das aufzufassen, und sie zu erinnern an alles, was er vorher ihnen gesagt, 30 von seinen] vielleicht zu korrigieren in an seinen 11–12 Vgl. Hebr 13,8 25 2Kor 3,6 25–27 Vgl. Joh 6,63 16,14 32 Vgl. Joh 14,26 33–34 Vgl. Joh 16,12

31–32 Vgl. Joh

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daß sie nun die Gemeine des Herrn an alles erinnern könnten, was von Christus ausgegangen war. Wenn sie vorher schon eine solche Uebereinstimmung gehabt hätten über das, was sie sagen wollten, hätte da nicht manches verloren gehen müssen, was nur durch die Verschiedenheit, die Gott in ihnen gelegt, behalten werden konnte. Die Gaben des Geistes sollen sich alle zu gemeinsamen Nutzen bewähren; aber ein Glied ist nicht der ganze Leib. Und das sagt der Apostel nicht nur in Beziehung auf die thätigen Anlagen der Menschen, auf die Geschäfte in welche sie sich theilen, sondern auch auf ihre innren Anlagen; jeder, der auf Christus zurückgeht, und jeder der seine Worte zu verstehen sucht, der sucht den Herrn der Gemeine deutlich zu machen, der bringt auch seinen Beitrag zum Ganzen, der unentbehrlich ist, wie das Ganze vollständig da sein soll, der ist ein Werkzeug des Geists und kein Werkzeug soll verloren gehen. So laßt uns denn doch an der Einmüthigkeit halten, und uns darin vereinigen, die Einerleiheit aber fahren lassen, denn die suchten die Jünger des Herrn auch nicht. Denn das wäre eine Verachtung der großen Weisheit gewesen, welche den einen so gemacht, und den andern so. So laßt uns denn nie anders, als mit den Augen der Liebe auf diese Verschiedenheit der Ansichten und Vorstellungsweisen sehen, und forschen nach der Einheit des Geistes im Glauben. Wo wir Anerkennung Christi finden, wie sie auch ausgedrückt wird, wo wir ein Zurückgehen auf seine Worte finden, wenn sie auch anders gedeutet werden, da wird immer etwas sein, was der Gemeine nützt, und wenn wir nie versäumen in Gebet und Flehen einmüthig zu sein, wenn jeder sieht nicht auf das seine, sondern nur auf das des andern, so laßt uns auch alle Verschiedenheiten behalten, so laßt uns fest vertrauen, wenn in der That der Glaube durch die Liebe in uns thätig ist, wenn wir dem Geist Christi Raum geben und alles zu erkennen bereit sind, was das Wort seines Geistes ist, daß dann alle jene Verschiedenheit weder uns noch der Gemeine des Herrn schädlich sein wird, sondern der größte Reichthum an den Schätzen des Geistes wird uns durch sie bereitet werden, so | wir nicht aufhören uns zu vereinigen zu Werken der Liebe, so wir nicht aufhören miteinander zu forschen in allen Worten des Herrn, die der Geist aufbewahrt hat und die er uns erklären will. So, wenn wir in diesem Sinn einmüthig bei einander sind mit Gebet und Flehen, und nichts suchen, als das Werk des Herrn auf seine Weise, das heißt geistig zu schaffen, und zu fördern, so werden wir bereit sein, jede stärkere Gnadenerweisung des Geistes aufzunehmen, die er uns mag beschieden haben; wenn wir alles von uns thun, was Spaltungen erregt und uns suchen in Liebe einander zu einigen, dann wird auch der Herr von Zeit zu Zeit reichlicher seinen Geist ausgießen, und durch den kann auch das Band des Friedens und die Einigkeit des 5–6 Vgl. 1Kor 12,7 6–7 Vgl. 1Kor 12,14 10,24 26 Vgl. Gal 5,6 40–1 Vgl. Eph 4,3

23–24 Vgl. Phil 2,4; ferner 1Kor

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Geistes mehr befestigt werden. Wenn wir so einmüthig bei einander sind und mit Gebet und Flehen warten, daß sich die Gnade des Herrn daß sich die Kraft des Geistes an uns erweise, dann werden wir ein gesegnetes Pfingstfest feiern und ein wahres Zeugniß ablegen von dem Herrn, und was wohlgefällig ist dem Herrn und die Gaben des Geistes werden sich bewähren in jedem zum gemeinsamen Nutzen und zur Förderung seines Reichs auf Erden. Amen. Lied 316 Qv.R 5–6.

5–6 Vgl. 1Kor 12,7 8 Das Lied Nr. 316 „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen“ (Melodie von „Dir, dir, Jehova, will ich singen“) hat im Berliner Gesangbuch 1829 nur 5 Strophen. Der Text der 5. Strophe lautet: „Du selber hast in deinem Worte uns diese Bitte in den Mund gelegt; du siehst, wie sie an jedem Orte die Herzen deiner Gläubgen tief bewegt: drum neige dich zu unserm heißen Flehn; erhör uns, Herr, und sprich: es soll geschehn!“

Am 30. Mai 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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Pfingstsonntag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Apg 2,11–13 (Anlehnung an die Festtagsperikope) Nachschrift; SAr 118, Bl. 1r–4v; Simon Keine Nachschrift; SAr 69, Bl. 25r–28r; Woltersdorff Nachschrift; SAr 94, Bl. 143r–147v; Slg. Wwe. SM, Pommer Liederangaben (in SAr 69 und SAr 94)

Predigt, von Dr. Schleiermacher gehalten 30. Mai, am 1. Pfingstfeiertage 1830. Die Gnade unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes, unseres himmlischen Vaters, und die trostreiche Gemeinschaft seines Geistes sei mit uns Allen. Amen!

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Die Worte der heiligen Schrift, die wir zum Grunde unserer Betrachtung legen wollen, lesen wir im 2. Kap. der Apostelgeschichte, wo sie im 11. und den folgenden Versen also lauten: „Wir hören sie mit unsern Zungen die großen Thaten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber Alle und wurden irre und sprachen Einer zu dem Andern: Was will das werden? Die Andern aber hatten es ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.“ Meine andächtigen Freunde, die eben verlesenen Worte sind das Ende der epistolischen Lection des heutigen Tages, welche den ersten Anfang der merkwürdigen Begebenheit erzählt, durch welche die erste Gemeinde des Herrn gegründet und mehrere Tausend zur Zahl der Gläubigen hinzugezählt. Als hernach Petrus aufstand und die versammelte Menge anredete 7 Apostelgeschichte] Aplgesch. 2 Nach SAr 69, Bl. 25r und SAr 94, Bl. 143r wurden vor der Predigt vermutlich die Strophen 1–5 von Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 265: „Geist Gottes, aus des Ew’gen Fülle“ (Melodie von „Wie wohl ist mir, o Freund der Seele“), gesungen. 13–14 Die Perikopenordnung sah als Epistellesung für den Pfingstsonntag Apg 2,1–13 vor. 17– 2 Vgl. Apg 2,14–36

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und ihr auseinandersetzte, was es mit dem zu sagen habe, was sie sähe und was der Gegenstand ihrer Verwunderung war, da war die allererste innigste Bewegung des Geistes schon übergegangen in das, was heilsam war und nütz denen, welche sich versammelten. Aber was vor den verlesenen Worten des Textes erzählt wird, wie der Ort bewegt war, wo die Apostel versammelt waren, wie der Geist sich auf sie setzte auf einen jeden unter ihnen, wie sie begannen die Thaten Gottes zu preisen jeder, wie ihm der Geist gab auszusprechen, das war der allererste Anfang jener Wohnung des Geistes in der Gemeinde des Herrn, welche seitdem fortgewährt hat und fortwähren soll, so daß er in ihr bleibt und lebt bis ans Ende der Tage. Wer möchte nicht, meine andächt. Freunde, von diesen ersten Regungen des Geistes, von dieser ersten Wirkung der Kraft aus der Höhe mehr wissen, als uns die Erzählung giebt? Es ist überall so in der geistigen Welt, meine geliebten Freunde, wodurch etwas entsteht, dadurch allein besteht es auch fort. Wo sich ein neues Leben regt, da hängt alles Andre von diesen ersten Bewegungen ab; sie sind es, worin sich alles Spätere erkennen läßt, woraus Alles zu begreifen ist, was alles Folgende immer schon in sich schließt. Und darum ist es natürlich, daß sich unser Verlangen und unsre Aufmerksamkeit auf diese allererste Regung des Geistes ganz vorzüglich hinwendet. Wollen wir nun stehen bleiben bei dem, wovon wir am wenigsten wissen können aus so wenigen Worten, wie es der Erzähler eigentlich gemeint habe, daß sie mit fremden Zungen redeten, so würden wir gerade das sagen, was am wenigsten zusammenhängt mit den jetzt regelmäßigen und auf natürlichem und ordentlichem Wege fortgehenden Wirkungen | des Geistes in der Gemeinde des Herrn. Es bleibt also nur das Eine übrig, daß sie die Thaten Gottes priesen. So laßt uns denn sehen, meine Geliebten, wenn wir dabei stehen bleiben, wie weit wir alle Wirkung des göttlichen Geistes in den Gemüthern und in der Gemeinde des Herrn zu erkennen vermögen. Die erste Frage, meine andächtig. Fr., die wir uns hiebei vorzulegen haben, wird denn die sein: Sind es alle großen Thaten Gottes, oder welche waren und sind es, die nur so auf die rechte Art gepriesen werden, wenn der Geist Gottes die Herzen bewegt? Wenn wir zurückgehen auf das, was der Apostel Paulus bald im Anfange seines Briefs an die Römer sagt, „daß Gott sich allen Menschen offenbart hat, daß seine ewige Kraft und Gottheit von Allen erkannt werden könne, so sie das wahrnähmen an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt“, wenn er da beide auf gleiche Weise, Juden und Heiden, tadelt und ihnen vorwirft, daß sie des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollten, ermangelten, weil, obschon sie ihn hätten erkennen können, sie ihn doch nicht gepriesen hätten und gedankt, wie sichs ge13 in der geistigen Welt] so SAr 69, Bl. 25r und SAr 94, Bl. 143r; Textzeuge: in dem Geiste, in welchem 4–8 Vgl. Apg 2,1–4 12 Vgl. Lk 24,49 Röm 3,23 39–1 Vgl. Röm 1,21

32–36 Vgl. Röm 1,19f

37–38 Vgl.

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bührt: so sehen wir, daß Paulus hier selbst das Erkennen Gottes, das Preisen göttlicher Thaten und Werke darstellt als etwas, das allen Menschen ohne Ausnahme zugemuthet werden könne und solle, und wozu es also der Regung des erst damals, erst durch Christum den Herrn über die Menschen ausgegossenen Geistes nicht bedürfen könne. Und gewiß, meine andächt. Fr., wenn wir absehen von demjenigen, was das eigene und innerste Herz des Christen bewegt, wenn wir unser Auge öffnen den Werken Gottes entgegen, die uns auf allen Seiten umgeben, wenn wir die Unendlichkeit seiner Schöpfung, so weit der menschliche Geist sie sich allmählig entwickeln kann, betrachten, welche unendliche Macht, die das Alles lenkt, stellt sich da jedem dar! Wenn wir sehen auf den Zusammenhang und die Bewegungen, auf die schöne Uebereinstimmung dessen, was Alles abhängt von Einer Kraft, welche unendliche Weisheit in dieser Zusammenstimmung! Und wenn wir bedenken, daß das ewige Wesen ebensosehr die Schmerzen und den Tod auf sich genommen hat, als die Freuden und das Leben! Und der menschliche Geist, wie reichlich hat er sich nicht oft ergossen in einen Strom von Lobpreisungen des Höchsten, würdig, vom menschlichen Ohr aufgenommen zu werden? Aber wenn wir das hören, wenn wir uns daran erfreuen, wenn wir das bewundern, so sagen wir doch: es ist das Werk des menschlichen Gemüthes, aus dem die Vernunft redet; aber der Geist Gottes ist nicht nothwendig. War denn auch wohl damals Veranlassung für die Jünger des Herrn, sich in diese Lobpreisungen zu ergießen über dieses Werk der Schöpfung, wovon sie weit weniger wußten und verstanden, als jetzt der mäßige Verstand der Jugend schon begreift? Nein! Eins war es, was ihr ganzes Herz erfüllte. Aus der Mitte des Todes heraus hatten sie das Leben geschaut. Aus der Finsterniß war ihnen das Licht aufgegangen. Ihr Herz hatte sich schon lange gesehnt, daß es sich verbreiten möchte | über alle Menschen. Aber freilich sie waren beschränkt noch. Vieles konnten sie noch nicht sehen, so lange der Herr bei ihnen war, und vieles, was er ihnen noch wohl zu sagen hatte, vermochten sie noch nicht zu tragen. Nun aber ging ihnen auf der ganze, freie Blick des Geistes in dieser Einen großen That Gottes. Diese Eine preisen sie, die Erlösung der Menschen durch Christum, das Heil, das ihnen aufgegangen war, die Macht, die er ihnen gegeben hatte und die Verheißung, daß sie Kinder Gottes seien. Das, meine Geliebten, waren die Thaten Gottes, die großen Thaten Gottes, welche sie priesen. Und wie sich ihr ganzes folgendes Leben nur darauf bezog, daß sie berufen waren, seine Zeugen zu sein, Werkzeuge zu sein dieser großen Thaten, wie alle Beschränkungen, denen sie unterworfen gewesen waren, sich verloren in diesem freien Blicke des Geistes, worin sie frei wurden von allen Fesseln: so war in dieser ersten Regung des Geistes vielleicht Manches, was sie selbst noch nicht recht verstanden, wovon sie nicht hätten genaue Rechenschaft geben können, wenn sie es Wort für Wort hätten deutlich machen sollen. 29–30 Vgl. Joh 16,12

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So stellten sie es auch hernach dar: die Ferne würde herbeigerufen werden, die Nacht würde verschwinden, der Friede würde sich überall mittheilen und der Friede Gottes sich verbreiten über die ganze Welt. Anders, meine theuren Fr., ist auch in uns nicht das Regen und Bewegen des göttlichen Geistes. Wenn wir nicht Alles, was uns groß erscheint und wichtig, beziehen auf das Heil Gottes in Christo, wenn nicht Alles, was sonst klein erscheinen würde und unbedeutend, uns groß und ernst und heilig ist, in so fern es in Verbindung steht mit dieser über Alles großen That Gottes, dann können wir noch nicht gewiß sein, daß der Geist Gottes uns trägt und bewegt; dann kann in manchem Augenblick viel Bewegung in uns sein, aber ob das der Geist Gottes ist, der das in uns redet, das können wir nicht wissen, wenn nicht Christus in uns lebt. Aber meine theur. Fr., das ist denn auch immer eine große That Gottes schon. Anders als so finden wir auch nicht, daß Petrus, als er hernach aufstand und die Menge anredete, von dieser Sache gehandelt habe. Gott, sprach er, der hat Jesum zu einem Herrn und Christus gemacht, Gott hat ihm die Verheißung gegeben, welche nun ausgegossen ist über alles Fleisch. Gott wird die herbeirufen, die noch fern sind, und zu jedem sagen: du sollst dich setzen zu meiner Rechten. So wie der Erlöser denn nicht anders von sich redet, als daß er gekommen sei, den Willen seines Vaters zu thun; so wie aus den heiligen Worten und Büchern des alten Bundes nichts so unmittelbar bezogen wird auf die Erfüllung, die Allen geworden ist in Christo, als dies: „von ihm aber heißt es, Herr, ich komme zu thun deinen Willen“; wie Christus sich selbst und seinem Vater von seinem Leben und Wirken keine andere Rechenschaft giebt, als daß er Alles kund that den Menschen, wie er es vom Vater empfangen hatte; wie er sich als das Werkzeug darstellt, die Menschen zu vereinigen mit Gott, aber immer sagt, daß der Vater größer sei als er: so, meine andächt. Fr., wird auch der Geist Gottes, der es von dem seinigen nimmt und den Menschen verkündet, nie anders darüber reden wollen, als Christus. Es ist und bleibt die große That Gottes, die er vollendet hat durch seinen Sohn; es ist und bleibt Gott, der den Erlöser gesandt. Und der, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, | weist uns immer zurück auf den, der sie ihm gegeben hat. Es giebt, meine geliebten Fr., ein schönes besonderes Verhältniß des einzelnen Gemüthes zu dem Erlöser. Er selbst weist uns darauf hin. Wenn er sagt: „wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da will ich mitten unter ihnen sein“, so giebt er uns das zu erkennen. Aber 1 Vgl. Apg 2,39 2 Vgl. möglicherweise Röm 13,12; vielleicht auch Offb 22,5 15–16 Vgl. Apg 2,36 16–17 Vgl. Apg 2,33 mit Bezug auf Joel 3,1–5 17 Vgl. Apg 2,39 17–18 Die Aussage Apg 2,34 (darin Ps 110,1) wird hier auf alle Christen übertragen; vgl. dagegen SAr 94, Bl. 144r: „und alles sammeln zu ihm, zu welchem er gesagt, du sollst dich setzen zu meiner Rechten.“ 19–20 Vgl. vor allem Joh 4,34; 6,38 22–23 Vgl. Hebr 10,9 mit Bezug auf Ps 40,9 24–25 Vgl. Joh 15,15; 17,8 27 Vgl. Joh 14,28; ferner 10,29 28–29 Vgl. Joh 16,14 31–32 Vgl. Mt 28,18 35–36 Vgl. Mt 18,20

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wenn wir dabei allein stehen bleiben, wenn wir über den Sohn, fast möchte ich sagen, beinahe den Vater vergessen und ihn in den Hintergrund stellen, so zerreißen wir den großen und ewigen Zusammenhang der göttlichen Ordnung, so weichen wir von dem ab, was Christus selbst gelehrt hat, und mißtrauisch müssen wir werden, ob es der Geist Gottes sei, der das in uns und aus uns redet. Aber die Erfahrung, meine geliebten Fr., lehrt auch, daß, je mehr wir uns auf das bestimmte Gebiet beschränken, je weniger wir Alles auf das Verhältniß zu Gott zurückführen, um desto weniger auch ist das Gemüth frisch und erweckt zu einem lauten Preise der Thaten Gottes, um desto mehr bleibt jeder bei dem Gebiete des eigenen und einzelnen Gemüths, dessen, wovon dies bewegt wird, dessen, was sich in diesem regt, stehen. Aber der große Gedanke von dem zusammenhängenden Reiche Gottes, die große Vorstellung, die uns allein recht erheben kann, von dem geistigen Tempel, in den wir Alle eingebaut sind, und in welchem doch jeder nur ein einzelner lebendiger Stein ist, da wir doch das rechte Leben nur haben, wenn wir in dem Zusammenhange sind damit, führt uns auch wiederum von der Wirkung des Geistes, der nur in uns, in so fern wir zusammengehören und Alle Theile jenes Einen Ganzen sind, wohnt, zurück auf unser Eigenes und Eigenthümliches. Dies nun, meine geliebten Fr., führt mich auf das Zweite, was mir aus den Worten unsres Textes, wie kurze Andeutungen sie auch nur enthalten, über das ursprüngliche Wirken des Geistes erhellen kann, nämlich: daß die Jünger, als er sie bewegte, die großen Thaten Gottes priesen. Mag die Rede sein, meine andächt. Fr., von den Thaten Gottes und von den Werken Gottes, oder den Eigenschaften Gottes, wir müßten doch sagen: eben deswegen, weil Alles zurückgeht auf die allmächtige Liebe, die das Wesen Gottes ist, so wird auch Gott immer gepriesen, in so fern das, was seine Eigenschaften bezeichnen, in so fern das Werk, so wie es in ihm ist, so wie es in alle Räume und Zeiten eingeht, erkannt und gepriesen wird. Wie beschränkt früher die Ansichten der Jünger waren, als sie zuerst in die Gemeinschaft mit dem Herrn traten, auf welche Weise gleich in den ersten Tagen des Heils die Verheißungen des alten Bundes auf den, der nun gekommen war, angewendet wurden immer in beschränktem Sinn auf das Volk, dem er angehörte, wie sie immer das Allgemeine verkannten und nur stehen blieben bei dem Saamen Abrahams nach dem Fleisch, als ob dies Volk immer und ewig allein das auserwählte Volk Gottes sei: wären sie in dieser Beschränkung geblieben, wie hätten sie können Werkzeuge sein, um das Kreuz und die Erlösung durch Christum bis an das Ende der Welt zu tragen? Aber diese erste Regung des Geistes machte sie frei davon. Jetzt reden sie ohne alle Beschränkung von denen, die da ferne sind und die der Herr 13–14 Vgl. Eph 2,19–22 1 Vgl. Apg 2,39

14–15 Vgl. 1Petr 2,5

37–38 Vgl. Apg 1,8

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herzurufen werde, wenn sie gleich nicht wußten, wie bald, wenn ihnen gleich nicht deutlich war, auf welche Weise. Groß ist das Werk der Erlösung. Es ist der große Wille Gottes, daß das ganze Geschlecht der Menschen selig werde. Es ist die allgemeine Erlösung, die allgemeine Gnade des Vaters über Alles, was Kind heißt auf Erden. O, so laßt uns denn, meine theuren Fr., laßt uns mißtrauen gegen jeden Zusammenhang menschlicher Gedanken, der in unserm Gemüth aufsteigt, der uns den freien Blick in das große, unendliche Werk Gottes hinaus wieder sucht zu | verdunkeln und zu vertrüben, uns wieder zurückzudrängen auf einen geringen und unbedeutenden Fleck. Doch, meine geliebten Fr., wenn wir auf diese ersten Wirkungen des göttlichen Geistes sehen und die ganze Geschichte der christlichen Kirche damit vergleichen, wie oft finden wir nicht diesen Geist wieder in demselben Kampf mit dem Fleisch, wie schwer kann er sich mit seinem ungebundenen inneren Leben den Menschen mittheilen und sie erheben über die Beschränkung, in die sie immer wieder zurückfallen vermöge ihres eigenen dürftigen Sinnes und Gemüthes? Wir finden überall in den Streitigkeiten der christlichen Kirche ein solches Bestreben, das Reich Gottes auf einen engen Raum zu beschränken. Wo dies und jenes anders gedacht, vorgestellt und ausgesprochen wurde, anders sich gestaltet hatte in der christlichen Gemeinde, gleich entstand ein beschränkter Sinn, welcher sagte: das ist nicht Christus. Und so war es immer fast der größte Theil der Christenheit, welcher die großen Thaten Gottes beschränken wollte auf irgend einen einzelnen geringen Raum. Und auch jetzt wieder, meine theuren Fr., sehen wir diese nämliche Beschränkung sich regen und dem Wirken des göttlichen Geistes entgegenstreben. Wenn er sich aber, der Geist Gottes, nicht immer wieder aufs Neue Bahn machte über diesen verkehrten menschlichen Sinn, wenn nicht in jeder Zeit noch Christen lebten von ganz freiem Sinn, von ganz ungebundenen und ungetrübten Augen, um das Christenthum wohlgefällig anzuschauen und Alles zu Einem Ziele führend zu erblikken, wie würde es um die Einheit der christlichen Kirche längst geschehen sein, wie würde jener beschränkte Sinn den Geist Gottes erstickt haben und wie würde bald diese, bald jene Art und Weise zu reden die Grenze gesetzt haben, die großen Thaten Gottes einzuschränken! Das Eine gestaltet sich tausendfältig, aber ist doch immer im Wesentlichen wieder dasselbe. Der Eine Geist redet tausend verschiedene Zungen. Lassen wir nur ihn wirken, dann giebt er uns auch die unmittelbare Erfahrung davon, wie Alles sich erweiset zu demselben Gemeingut; wie er nichts Geringeres zum Ziel hat, als Alle zusammenzufassen unter Einem. Und dies, meine geliebten Fr., bringt mich nun auf das Dritte, was ich noch aus der Andeutung unseres Textes ans Herz lege. Es wird erzählt, daß, als der Geist Gottes sich über die Jünger ergoß, sie anfingen zu reden, 5 Vgl. Eph 3,15

40–2 Vgl. Apg 2,4

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und zu reden von den großen Thaten Gottes, wie der Geist es ihnen gab auszusprechen. Dann erst versammelte sich die Menge um sie mehr und mehr, sie aber blieben in demselben Preise der Thaten Gottes, wie vorher, da keiner zuhörte, so nun, da sie von einer mannigfaltigen Menge umgeben waren, bis denn, nachdem die erste Bewegung der Menge beruhigt war, Petrus aufstand, um in ganz besonnener Rede über das Geschehene und das, was noch geschehen solle, zum Volke zu sprechen. Wie war also jenes erste Lobpreisen der Thaten Gottes? Es war nicht gerichtet an den oder den, sondern ohne Beziehung darauf, ob es gehört wurde oder nicht. Das Herz war voll, darum geht der Mund über, ohne zu wissen, ob ein Ohr geöffnet sei, es zu vernehmen. So, meine theuren Fr., so war das erste Wirken des göttlichen Geistes und erst das zweite war dies, daß nun Petrus nach Maßgabe derjenigen, die vor ihm standen, indem er Rücksicht nahm auf ihre Einsichten und Ver|hältnisse, von demselben und von nichts Anderem, eben so und nicht mehr, wie vorher, sprach. Laßt uns, meine geliebten Fr., diesen Unterschied ja wohl ins Auge fassen, nicht als ob ich das Eine wollte für etwas Geringeres und das Andre allein für etwas Größeres halten, aber so war es und so liegt es in der Natur der Sache. Das Eine war das Ursprüngliche und Erste und das Andre war erst das Abgeleitete und Zweite. Wenn wir das, meine theuren Fr., immer ins Auge faßten und festhielten, dann hätte es nicht von Anbeginn an in der christlichen Kirche so viel Anlaß gegeben, über das zu klagen, worüber wir vorher gesprochen. Woher sind alle Mängel in der Kirche entstanden? Sie sind immer gewesen das Werk einer bestimmten Zeit, um eines bestimmten Bedürfnisses willen, wenn frei von allem Eigendünkel jeder an seinem Ort nach den Verhältnissen redete, wenn man nach Zeit und Ort redete. Sobald wir aber das, was so entstanden ist, für das Ursprüngliche, für die einzige Art halten, wie die großen Thaten Gottes gepriesen werden können, so unterscheiden wir eben nicht jenes Erste von dem Zweiten, und, indem wir das Zweite beschützen und jenes Erste vernachlässigen, so werden wir allen Mißverständnissen, allen jenen Trennungen hingegeben. Wenn wir, o meine andächt. Fr., nichts ins Auge fassen, als das menschliche Gemüth in seiner Mannigfaltigkeit, aber auch, wie es darin eins und dasselbe ist überall, daß es befleckt ist von der Sünde, unfähig, Gott immer gegenwärtig zu haben, wenn wir es so ins Auge fassen und ihm nun das Heil in Christo gegeben wird, wohl werden wir dann sagen, so wird jedes Gemüth und jedes Herz auf eine eigene Weise bewegt werden, wenn der Geist Gottes sich in dasselbe ergießt und es lernt zu Christo Vater rufen und es sich fühlt zurückgekehrt in 15 eben so] ebenso 38 zu Christo Vater rufen] Kj zu Christi Vater rufen oder mit Christo Vater rufen SAr 69, Bl. 27r: Vater rufen durch den Geist Christi 9–10 Vgl. Mt 12,34; Lk 6,45

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die lebendige Gemeinschaft mit Gott. O, welche Mannigfaltigkeit der Sprache überall und zu allen Zeiten! Und wer wollte da Eins dem Andern vorziehen, wo doch jeder inne hat das innere Leben und Weben des Geistes, jeder sagen muß, das kommt nur von dem Einen Geist, der Christum in der Seele verklärt! Es ist der Eine Geist, der alle diese verschiedenen Zungen spricht; und in diesen seinen ursprünglichen Wirkungen, o, laßt uns ihn anerkennen als das, was von Oben gekommen. Aber wenn der Eine redet und der Andre hört, wenn die Worte des Einen bestimmt gerichtet werden an den Andern, wenn das Göttliche menschlich behandelt werden muß, so laßt uns das auch loben, lieben und verehren, aber es ist das Zweite und an dem Ersten allein sollen wir hängen. Denn das ist allein das ursprüngliche und wahre Leben. Denn was durch etwas bedingt ist, hat seinen Werth in seiner Zeit und an seinem Ort; aber daß es ein Werk des Geistes ist, erkennen wir nur an dem Zusammenhang desselben mit jenem ersten Ursprünglichen. 2. Indem uns gesagt wird, daß die Jünger redeten, wie der Geist es ihnen gab auszusprechen, so wird uns damit angedeutet, daß keiner das Wort des Andern nachbildete und nachsprach, daß es nicht war ein Wort aus andern Worten her, sondern ein Wort aus dem innersten Leben des Geistes und der Seele. Aber anders freilich entsteht das Leben nicht, als vermittelst des Wortes. Daß es so und nicht anders ist und daß Christus selbst nichts andres ist, als das Fleisch gewordene Wort, das, meine Fr., ist eines und dasselbe, das Eine und selbe Geheimniß und Allen gleich deutlich. Aber wenn nur durch das Wort das Leben mitgetheilt werden kann, | wie Christus selbst auch nichts Andres hatte, so muß eben das Wort wieder erst ein inneres Leben in dem Menschen werden, und dann kann und soll es auch wieder als Wort aus ihm heraustreten, um Geist und Leben in Anderen zu zünden. Wenn aber das Wort aus dem Worte kommt, wenn wir glauben, wir können nicht besser das Leben des Geistes darstellen, als indem wir Worte eines Andern nachbilden und nachsprechen, wenn man glaubt an solchen Worten das Leben des Geistes zu erkennen: ach, wie nahe sind wir da daran, daß das Wort nichts andres wäre, als der leere Ton, und, die das Wort aus andern Worten bilden und weitertragen, nichts Andres als das klingende Aerz sind! Darum, meine theuren Fr., laßt uns das recht festhalten, daß die Worte Christi nur Geist und Leben sind. Der Geist macht lebendig und aus diesem Leben bringt er dann das Wort hervor, frei und unbeschränkt. Aber der Buchstabe tödtet und ist keinem nütze. Dieser 16 Zu diesem „2.“, das sich vergleichbar auch in SAr 69, Bl. 27r und SAr 94, Bl. 146v findet, fehlt ein entsprechendes „1.“. Gemeint ist vermutlich ein zweiter Aspekt in der Auslegung von Apg 2,4, dessen erster in der unmittelbar zuvor ausgeführten Unterscheidung des unmittelbaren, ursprünglichen Redens von der späteren, ort- und zeitgebundenen Darstellung durch Petrus besteht. 16–17 Vgl. Apg 2,4 22 Vgl. Joh 1,14 33–34 Vgl. 1Kor 13,1 35–36 Vgl. Joh 6,63 37 Vgl. 2Kor 3,6

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ist nur das Fleisch. Je mehr wir an diesem hängen, um desto mehr entfernen wir uns und werden unempfänglich für das freie Wirken des göttlichen Geistes, um desto mehr verlieren wir das freie Leben und schlagen uns selbst wieder in die Fesseln, die die früheren Geschlechter tragen sollten, weit entfernt von jener ursprünglichen Regung des Geistes, dazu den Grund zu legen und die Veranlassung zu geben. Wie könnte es ein schöneres Sinnbild davon geben, von dieser großen Freiheit, von dieser unbeschränkten Mannigfaltigkeit des göttlichen Geistes, als eben das Unerklärliche von der Mannigfaltigkeit der Zungen, nach der der Geist jedem gab auszusprechen, was er in ihm lebendig darstellte. Nur wenn wir das gelten lassen, nur wenn es uns recht ist, daß es so in der christlichen Kirche ist und bleibt, nur wenn wir nicht scheiden wollen den Einen Buchstaben und den andern, sondern nur sehen auf die Einheit des Geistes, aus dem das Eine und Andre hervorgeht, nur wenn wir fragen, ist es Christus, der als Herr gepriesen wird?, nun dann ist es denn auch der Geist, der uns verklärt, es ist dann der Eine Geist, der das wirkt, und wir müssen Alles gewähren lassen, was von ihm kommt, wenn wir nicht das Eine Werk Gottes zerstören wollen. So sollte von Anfang an das Reich Gottes sich als ein freies entgegenstellen dem Buchstaben. Das ist der neue Bund, wird gesagt, den ich mit euch machen will in jenen Tagen, nicht wie der alte, sondern meinen Sinn und Willen will ich in ihr Herz schreiben. Das ist der neue Bund, den der Herr gemacht hat. So laßt uns nicht wieder Buchstaben suchen in Stein gegraben oder mit Dinte auf Papier geschrieben, sondern den Geist laßt uns aufnehmen, wo wir ihn finden, nicht den Buchstaben; denn der gehört dem alten Bunde an. So war es ein freier und heiliger Geist, in welchem sich zuerst dieses höhere Leben in den Jüngern des Herrn aussprach. Ja, aus dem Tode heraus hatten sie das Leben geschaut. Und wäre nicht der Gegensatz zwischen der eigenen Schwachheit und der Kraft Gottes in ihnen gewesen, so wäre auch der Geist nicht hervorgetreten; anders als durch diesen Gegensatz hätte der Geist nicht in ihnen gewirkt. Aber wenn sie nun wären stehen geblieben bei dem Verderben des Fleisches und hätten darüber gebrütet und ihr ganzes Wort wäre nichts gewesen, als ein Darstellen der Sünde der Menschen: | wie würden sie wohl die Wirkung hervorgebracht haben, die ihrer Rede folgte? wie hätten die unter der versammelten Menge, die am wenigsten verstanden von dem, was die Jünger zur Begeisterung entflammte, sagen können: sie sind voll süßen Weins? Ein freies Reden mußte es sein, um Andern sagen zu können: laßt euch helfen und geht ein in das freie Reich der Gnade und des Friedens. Wisset und fühlet es, daß ihr Gott 15 nun] so auch SAr 94, Bl. 147r; SAr 69, Bl. 27v: Nur 19–21 Vgl. Jer 31,31–34, bes. 33; Hebr 8,10

22–23 Vgl. 2Kor 3,3.7

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angenehm seid in seinem Sohn und achtet nicht die Schlacken, die euch noch anhaften, sondern eilet auf der Bahn des Lebens fort in der Freiheit des Geistes. Da nur ist jenes ursprüngliche Leben des Geistes. Und so soll denn auch überall sein dies herrliche Fest der Pfingsten ein Fest der Freude. Mag die Natur draußen uns einen herrlichen Anblick gewähren, mag der heitere Himmel unser Auge ergötzen, oder mögen dunkle Regenwolken die Sonne verhüllen und uns ihren Strahl entziehen, der Geist, dessen Ankunft wir dankbar preisen und segnen, regt sich immer wieder aufs Neue in der Gemeinde des Herrn, und wie wir kein Ostern halten sollen anders, als indem wir uns losmachen von dem Sauerteige des Lebens, so sollen wir kein Pfingsten halten anders, als in dem Bewußtsein der seligen Gemeinschaft Gottes, indem wir nichts fühlen, als den Geist, der da ruft: lieber Vater! In solcher Freiheit der Kinder Gottes laßt uns Pfingsten halten und uns über Alles erheben, was die große Freiheit wieder zurückzudrängen sucht in die engen Schranken des Menschen, damit wir immer mehr zusammenwachsen mit dem lebendigen Tempel, die Nahen und Fernen, Alle mit Allen, die sich Gottes erfreuen als des Gebers des Lebens und die, indem sie wissen, daß sie selbst Fleisch sind, leben des Geistes, der ausgegossen ist über Alle, die an ihn glauben. Amen!

1–2 Vielleicht Anspielung auf Jes 1,25 10–11 SAr 94, Bl. 147v bietet an dieser Stelle „als indem wir uns reinigen von allem Sauerteige der Sünde“. 12–13 Vgl. Röm 8,15; Gal 4,6 19 In SAr 94, Bl. 147v folgt dieses Schlussgebet: „Ja, barmherziger, gnädiger Gott und Vater! Preis, und Dank sei dir für dieses, dein größtes Werk! Es ist vollendet, wir dürfen keines andern warten; der ist erschienen, der das Leben und die Unsterblichkeit gebracht hat; der Geist, den er über die Seinigen erbeten hatte, ist ausgegossen und wird und bleibt uns allen die selige Gemeinschaft mit dir, unserm himmlischen Vater! Vollendet ist dein Werk! Leben und Freiheit sind dem menschlichen Geschlecht wieder gebracht. O, laß uns in der Kraft des Geistes immer mehr hineinschauen in das lebendige Walten der Freiheit, so daß wir in der Kraft der Liebe und in der Einigkeit des Geistes alles überwinden, was uns von andern reißen will, so daß wir jedem, auch dem leichtesten Schein der Knechtschaft des Buchstabens steuern, denn der Vater will nur haben die ihn anbeten im Geist und in der Wahrheit. Dazu verleihe uns deinen Geist, daß dein Geist nichts anders sei, als die Anbetung im Geist und in der Wahrheit, daß uns Worte nichts anders sein, als daß sie dazu dienen, dein Lob zu verkünden, daß wir so den geistigen Tempel bauen, auf daß immer weiter sich die Segnungen der Erlösung deines Sohnes verbreiten und die Zeit bald komme, wo uns alle umschlingen wird das Band der Liebe, welches ist das Band der Vollkommenheit. Das sei und werde immer mehr in uns überall das Werk deines Geistes! Amen.“ Das Schlussgebet in SAr 69, Bl. 28r weicht erheblich ab und ist kürzer. – Nach SAr 94, Bl. 147v folgt „Lied 265,6“, Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 265: „Geist Gottes, aus des Ew’gen Fülle“ (Melodie von „Wie wohl ist mir, o Freund der Seele“).

Am 13. Juni 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

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1. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 1,1–5 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 193–205, Nr. I; Zabel Keine Nachschrift; SAr 69, Bl. 29r–31r; Woltersdorff Nachschrift; SAr 99, Bl. 1r–4r; Slg. Wwe. SM, Pommer (Zabel) Nachschrift; SAr 118, Bl. 5r–6v; Simon Beginn der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 681, 1–6. Meine geliebten Freunde. Nachdem es eine geraume Zeit unterblieben war, habe ich geglaubt, es sei jetzt Zeit, zurückzukehren zu der Gewohnheit, die wir lange beobachtet, in unsern Frühbetrachtungen irgend ein besonderes Buch der heiligen Schrift von Anfang bis zu Ende durchzugehen, zumal mir Wünsche dieser Art zu Ohren gekommen sind; und so habe ich für jetzt den Brief Pauli an die Kolosser ausgewählt. Die wenigen Worte, mit denen wir uns heut beschäftigen werden, lauten vom ersten Verse des ersten Capitels an: „Paulus, ein Apostel Jesu Christi, durch den Willen Gottes, und Bruder Timotheus, den Heiligen zu Kolossä, und den gläubigen Brüdern in Christo. Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesu Christo! Wir danken Gott und dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, und beten allezeit für euch, nachdem wir gehöret haben von eurem Glauben an Christum Jesum und von der Liebe zu allen Heiligen; um der Hoffnung Willen, die euch beigelegt ist im Himmel.“

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Es ist nun dies nur der erste Anfang und noch nicht einmal ganz der Eingang zu diesem Briefe. Der Apostel eröffnet | ihn nach der Sitte und Art der damaligen Zeiten, wie alle Briefe beginnen mit einem guten Wunsch für die, an welche sie gerichtet werden, und so ist dies für die Gemeine in 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 681: „Frieden, ach Frieden, den göttlichen Frieden“ (in eigener Melodie)

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Kolossä und den gläubigen Brüdern daselbst der Wunsch: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesu Christo!“ Die gewöhnliche Art, wie zur damaligen Zeit und in der Sprache, die der Apostel hier redet, die Briefe anfingen, war ein allgemeiner Wunsch, auf das Wohlbefinden gerichtet, auf den glücklichen Fortgang aller Angelegenheiten und Geschäfte. Hier sehen wir gleich in der Art, wie der Apostel diese Sitte anwendet, den geistigen Gehalt seines Wunsches, wie er nicht so sehr auf das Aeußerliche und Irdische, sondern auf das Allerinnerste des Lebens gerichtet ist, indem er wünscht: „Gnade und Friede von Gott!“ Das war freilich auch schon unter dem jüdischen Volke, dem der Apostel durch seine Geburt und Erziehung angehörte, der gewöhnliche Gruß, wenn Freunde und Bekannte sich begegneten, daß sie sich einander wünschten „Frieden,“ aber doch auch nur in dem allgemeinen Sinn, daß auch die Ruhe, die Bequemlichkeit und Leichtigkeit des ganzen äußeren Lebens darunter kann verstanden werden. Nun wissen wir, wenn unser Herr und Erlöser, besonders in den Tagen seiner Auferstehung, als er nicht mehr so beständig, wie vor seinem Tode mit seinen Jüngern lebte, wenn er unter sie trat, es ebenfalls seinen Gruß sein ließ: „Friede sey mit euch!“ aber er erläutert ihn da auf besondere Weise, indem er sagt: meinen Frieden gebe ich euch, nicht wie die Welt ihn giebt, sondern meinen Frieden gebe ich euch. Und einen andern hat der Apostel auch hier nicht im Sinne. Aber ohnerachtet ihm jene Sitte des Erlö| sers unmöglich unbekannt sein konnte, vielleicht auch selbst diese Worte des Herrn, die ich eben angeführt, ihm nicht unbekannt waren, – aber wenn er auch die nicht gewußt: so hätte er doch jenen Gruß des Erlösers nicht anders verstehen können – ohngeachtet ihm das also Alles bekannt war: so wünschte er doch diesen Frieden nicht ausschließlich und allein von Christo, sondern „von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesu Christo.“ Wiewol er also wußte, daß es der Friede Christi sei, den er den Gliedern jener Gemeine wünschen wollte; wiewol er dies weiß und überall sagt, daß wir in die Gnade Gottes nur zurückgeführt sind und mit ihm vereinigt durch Christum: so wünscht er ihnen doch Gnade und Frieden nicht unmittelbar und ausschließlich von Christo, sondern „von Gott dem Vater und unserm Herrn Jesu Christo.“ Ja, es ist in einem gewissen Grade wahrscheinlich, daß der Apostel nur geschrieben hat: „Gnade von Gott unserm Vater,“ und daß die andern Worte erst später der herrschenden Gewohnheit nach hinzugefügt sind. Dem sei aber, wie ihm wolle; ich will nur 25 Erlösers] Elösers 18 Lk 24,36; Joh 20,19.26 19–20 Vgl. Joh 14,27 33–36 Vgl. etwa die Ausgaben des „Novum Testamentum Graece“ von Griesbach 1806 (S. 207), Knapp 1813 (S. 589) und Lachmann 1831 (S. 386), die alle das και κυριου Ιησου Χριστου ohne Angabe von Textzeugen als späteren Zusatz ausweisen.

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aufmerksam machen darauf, daß, wenn der Apostel seine Gedanken auch unmittelbar auf den Erlöser wendet, er doch nicht ihnen so folgt, daß er darüber das Verhältniß zwischen Gott und seinem Sohne irgend in den Hintergrund stellte; sondern wie er sagt: „Gnade von Gott,“ so sagt er auch hernach: „wir danken Gott und dem Vater unsers Herrn Jesu Christi,“ so daß in dem Einen die Fürbitte, und in dem Andern die Danksagung immer zunächst auf Gott bezogen wird. Anders beschreibt er auch nicht das Ursprüngliche in den Wirkungen des göttlichen Geistes, den Christus von seinem Vater erbeten, als daß er sagt: es ist der Geist, der in uns ruft: Abba, lieber Vater! der Geist der Kindschaft, in welchem wir uns unsers Verhältnisses zu Gott bewußt werden. | Und so sollen wir es auch machen! Gewiß der Apostel war überwiegend, seitdem er sich zum Herrn bekehrt, in seinem ganzen Leben und Wirken ausschließlich mit dem Reich Christi beschäftigt, und nur ausnahmsweise richtet er seine Aufmerksamkeit auf weltliche Dinge; aber das Reich Christi, die Predigt des Evangeliums, die Verkündigung und Verbreitung desselben sieht er immer als etwas an, das unter der Obhut Gottes steht, und den Ausdruck, daß Christus der Herr ist, nämlich der Gemeine, auch diesen versteht er nicht so, als ob ein ausschließliches Verhältniß bestände zwischen den Gläubigen und Christo, und sie durch Ihn auf irgend eine Weise gleichsam von Gott dem Vater entfremdet wären; sondern so wie es immer und überall die Liebe Gottes ist, die sich darin verkündet und dadurch selbst preiset, daß er Christum gesandt hat zu uns und für uns, als wir noch Sünder waren: so schreibt er auch Alles unmittelbar Gott zu, was aus dieser Sendung für die Welt und für das allgemeine Heil der Menschen entsteht. Und darum soll das auch unsere allgemeine Regel bleiben, Gebet und Danksagung darzubringen zu Gott unserm Vater im Namen unsers Herrn Jesu Christi; und das ist auch der Fall, wenn gleich diese letzten Worte nicht von dem Apostel herrühren; denn wenn er sagt: „Friede von Gott dem Vater:“ so sieht er auf diese ganze Verbindung, wie ich sie vorher dargestellt, zurück, daß wir Kinder Gottes geworden sind durch den, welcher der eingeborne Sohn Gottes ist, daß es der von ihm uns gewordene und von ihm herabgesandte Geist ist, welcher das Verhältniß der Kindschaft in uns gründet, und unserm Geiste das Zeugniß gibt, daß wir Gottes Kinder sind. Laßt uns aber noch Eins, ehe wir weiter gehen, in den Worten des Apostels wol überlegen! Indem er sagt: „Pau|lus ein Apostel Jesu Christi durch den Willen Gottes, und Bruder Timotheus, den Heiligen zu Kolossä und den gläubigen Brüdern in Christo:“ so nimmt er den Timotheus gleich5 Christi] Chisti 9–10 Vgl. Röm 8,15; Gal 4,6 33–34 Vgl. Röm 8,16

22–23 Vgl. Röm 5,8 in Verbindung mit Gal 4,4

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sam auf in die Gemeinschaft seines Schreibens, als ob dieser Brief eben so von Timotheus als von ihm selbst herrühre. Denn unstreitig, indem er ihn hier im Anfang seines Briefes neben sich aufführt: so will dies etwas Anderes und mehr sagen, als wenn er von ihm am Schlusse des Briefes, als von einem bei ihm Anwesenden, die Gemeine gegrüßt hätte. Und er führt ihn auf als seinen Bruder. Wir wissen aber, wie er ihn anderwärts sein Kind nennt, und es ist uns bekannt aus der Apostelgeschichte, daß er ihn zu seinem Jünger angenommen und ausgebildet durch das Evangelium, und deshalb nennt er ihn sein Kind. Den stellt er sich hier selbst gleich, indem er ihn seinen Bruder nennt. Nun könnte man freilich denken, das sei schon damals gewesen, wie wir es heut zu Tage finden, wo es Lehrer gibt und Schulen, daß jeder Lehrer besonders seine Schüler empfiehlt und geltend machen will, und daß eben so auch der Apostel Paulus den Timotheus bei der Gemeine zu Colossä auf ausgezeichnete Art empfehlen wollte, weil er sein Schüler sei. Aber daß er ihn seinen Bruder nennt, das zeigt uns deutlich, daß er ganz und vollkommen bei der Regel Christi geblieben ist. Timotheus war sein Kind, indem er durch ihn zur rechten Erkenntniß des Evangeliums, zu Christo gekommen war; aber so wie er selbst konnte ein Schüler Christi werden, sich aus den zerstreuten Worten und Nachrichten von Christo sein volles Bild selbst ergänzen, nachdem ihm das Licht der Herrlichkeit des eingebornen Sohnes in seinem Gemüth aufgegangen war: so trat auch das ein, was Christus sagt: „ihr sollt euch nicht lassen Meister nennen, sondern Einer ist Euer Meister, ihr alle seid | Brüder.“ So wie also Timotheus zu einer solchen Selbstständigkeit des Glaubens und der Liebe zu Christo gekommen war: so löste sich auch jenes kindliche Verhältniß, und es bestand nur zwischen ihnen beiden eine zärtliche Erinnerung daran fort; aber in dem ganzen christlichen Leben und Wirken konnte er nichts Anderes sein als ein Mitschüler, Mitdiener, Mitknecht Christi, wie der Apostel selbst, und so stellt er ihn hier auch neben sich. Wie bezeichnet er aber die, an welche er seinen Brief richtet? Er sagt: „den Heiligen zu Colossä und den gläubigen Brüdern in Christo.“ Das letzte nun ist die allgemeine Bezeichnung, die wir auch mit Leichtigkeit uns alle aneignen. So wie wir gläubig sind an Christum: so sind wir auch unter einander Brüder, und eben vermöge jener ursprünglichen Gleichheit kann auch keiner den Andern anders ansehen. Aber wenn der Apostel sagt: „den Heiligen zu Colossä:“ so scheint das etwas Anderes zu sein, und es mag uns wol zu groß dünken, es auch auf uns anzuwenden. Und doch finden wir es nicht anders, als daß es die allgemeine Bezeichnung ist, welche den Christen beigelegt wird, an welche Briefe und Ermahnungen gerichtet werden 6–7 Vgl. Phil 2,22; auch 1Kor 4,17 7–8 Vgl. Apg 16,1–3; auch 19,22; 20,4. Statt „ausgebildet durch das Evangelium“ heißt es bei SAr 69, Bl. 5v „und ihn im Christenthum erzogen und ausgebildet“. 20–21 Vgl. Joh 1,14 22–23 Mt 23,8

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von den Jüngern des Herrn; aber das geschieht ohne Rücksicht auf die mancherlei Unvollkommenheiten, die noch unter ihnen statt fanden, auf den Unterschied der Entwicklung christlicher Einsicht und christlicher Gesinnung, sondern alle, die gläubige Brüder in Christo waren, waren auch heilig. Dies Wort aber will auch hier und in jedem ähnlichen Zusammenhange nichts Anderes sagen, und es hat überall in den Schriften des Neuen Bundes keine andere Bedeutung als die, daß es diejenigen bezeichnen soll, welche in einem besondern Verhältniß zu Gott stehen, von den übrigen ausgesondert sind, und, wie es hernach heißt, errettet sind von der Obrigkeit der Finsterniß und versetzt in das Reich seines lieben Sohnes. Die Schrift weiß also nicht von solchen, die | etwa besonders Heilige wären, ausgezeichnet vor den übrigen; sondern Alle, welche durch Christum in die lebendige Gemeinschaft mit Gott zurückgeführt sind, die sind heilig. Daran, m. Fr., wollen und müssen wir nun auch festhalten. Es gibt keinen andern großen und bedeutenden Unterschied unter den Menschen für uns, die zur Erkenntniß des Reichs Gottes und zur Theilnahme daran gelangt sind, als eben dies, was der Apostel in seinen Worten so stellt und ausdrückt, wie ich es eben erwähnt habe, versetzt zu sein in das Reich seines lieben Sohnes, oder nicht. Alle, die nicht darein versetzt sind, sollen sein der Gegenstand der Liebe, des Eifers, der Thätigkeit, der guten Wünsche aller Christen, damit sie ebenfalls errettet werden von der Obrigkeit der Finsterniß, und versetzt in das Reich seines lieben Sohnes; aber unter denen, welche in dies Reich versetzt sind, einen großen und bedeutenden Unterschied machen, als ob die Einen Heilige wären, die Andern nicht, und die Einen gläubige Brüder wären, die Andern nicht, das ist ganz gegen den Sinn und die Art und Weise dieses und der andern Apostel Christi. Denn, wenn wir nur das ganze Leben der Christen betrachten: so werden wir auch finden, es hat Keiner Ursach, weder sich selbst auf eine bedeutende Weise über die Andern zu erheben, noch in besonderer Demuth und Bescheidenheit Andere so sehr über sich; sondern daß wir alle noch in dem Streit des Geistes und Fleisches begriffen sind, wissen wir. Wie ausgefochten der Sieg des Geistes über das Fleisch ist in dem Einen und dem Andern, dafür haben wir kein Maaß; aber die allgemeine Regel und das allgemeine Maaß ist das: „wer da stehet, der sehe zu, daß er nicht falle,“ womit wir ausdrücken, daß die Möglichkeit des Falles für alle da ist, und wie auf der einen Seite das Reich seines lieben Sohnes für Alle aufgethan ist, | so auf der andern Seite für Alle die Möglichkeit des Falles vorhanden ist. Was soll also für ein großer Unterschied gemacht werden zwischen den Einen und den Andern? Aber wenn nun Alle das Reich des lieben Sohnes als dessen, der uns tüchtig gemacht hat zum Erbtheil der Heiligen im Licht, anerkennen, wenn sie die Förderung ihres geistigen Lebens, das Heil ihrer Seele von Christo erwarten: 9–10 Vgl. Kol 1,13

34 Vgl. 1Kor 10,12

39–40 Vgl. Kol 1,12

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dann sind sie eben so gläubige und heilige Brüder in Christo; – wie vollständig, wie reich die Erkenntniß des Einen im Vergleich mit der Erkenntniß des Andern ist, das ist ebenfalls nicht geeignet, einen solchen großen Unterschied zu machen, als ob die Einen heilig und gläubig, die Andern unheilig und ungläubig wären; sondern wie Alles ein gemeinsames Gut sein soll unter den Brüdern: so haben wir auch in dieser Beziehung uns alle gleich zu stellen und haben keine andere Regel, als daß jeder soll mittheilen, was er hat, und aufnehmen, was sich in Andern gestaltet hat als ihre Erkenntniß Christi und ihre Art, den Glauben an Christus auszudrücken und darzustellen. Der Apostel fährt nun fort: „wir danken Gott und dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, und beten allezeit für euch, nachdem wir gehöret haben von eurem Glauben an Christum Jesum und von der Liebe zu allen Heiligen.“ Wenn der Apostel sich hier ausdrückt, er danke Gott und bete für sie mit seinem Bruder Timotheus, nachdem sie Beide gehört von ihrem Glauben an Christus: so muß uns das gleich deutlich werden aus diesen Worten selbst, daß der Apostel früher noch in keinem unmittelbaren Verhältniß zu dieser Gemeine gestanden hat, daß sie nicht sei eine von denen, die er selbst gegründet hat, daß er auch später noch nicht eine eigene Anschauung von ihr gehabt und im Verhältniß des brieflichen Zusammenhanges mit ihr gestanden hat; sondern daß dieser eben jetzt angehe, weil er nichts weiter von ihr zu sagen weiß, als daß er gehört von | ihrem Glauben und von ihrer Liebe. Wir wissen nun aus andern Aeußerungen des Apostels, daß er sich für das ihm von Gott anvertraute Amt die Regel gesetzt, nicht in eine fremde Arbeit zu gehen. Das kann man im Allgemeinen nicht anders verstehen, als daß er seine Sorge und Mühe auf die Gemeinen wendet, welche er selbst begründet hat, daß er aber nicht gern sich unmittelbar zu schaffen machte mit solchen, die durch andere Diener Christi zum Christenthum waren gebracht worden. Diese seine Regel erscheint allerdings wol auf der einen Seite als eine Beschränkung jener freien und ungehemmten Gemeinschaft, welche unter allen Christen statt finden soll, aber auf der andern Seite erscheint sie uns als Vorsichtsmaaßregel des Apostels, damit, indem er sich selbst eine Wirksamkeit anknüpfte, nicht irgend ein Band besonderer persönlicher Liebe oder Zuneigung könnte gestört oder geschwächt werden. Aber eben deshalb, weil dies immer doch eine Beschränkung der freien christlichen Gemeinschaft war: so sehen wir auch, daß er diese Maaßregel immer nur in dem Grade anwendet, als es jene seine Abzweckung erforderte. Nun lag diese Gemeine zu Colossä in einem Lande, wo viele Gemeinen von ihm gestiftet waren, und so mögen denn wol diese Christen in Colossä von den Gemeinen abstammen, welche der Apostel gegründet, so daß er doch ein besonderes Anrecht an sie hatte und eine 23–25 Vgl. Röm 15,20; 2Kor 10,12–16; auch Gal 2,7

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besondere Aufforderung, auch ihnen mit seinen Gaben und seinen Lehren zu dienen. Was nun die Worte betrifft, daß er alle Zeit für jene Gemeinen bete: so erklärt er sich im Folgenden weiter darüber und setzt den Inhalt des Gebets auseinander. Er fängt damit an, daß er sagt: „wir danken Gott und dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, und beten allezeit für euch, nachdem wir gehört haben von eurem Glauben an Jesum Christum und von eurer Liebe zu allen Heiligen.“ Hier sehen wir, wie der Apostel dies beides nicht | von einander trennt, den Glauben und die Liebe; der Glaube an Christus muß durch die Liebe thätig sein; er wird, indem er thätig ist, mit der Liebe zu Christus auch zugleich die Liebe zu Allen, die Christo angehören, d. h. die Liebe zu allen Heiligen, und der Apostel hat gewiß noch etwas Besonderes bei den Worten „Liebe zu allen Heiligen“ im Sinn. Weil es nämlich damals schon Veranlassung gab zu einer großen Spaltung in den Gemeinen des Herrn, nämlich zwischen denen, welche Christen waren aus dem jüdischen Volke, und denen, welche Christen waren aus den Heiden. Natürlich gab es zwischen diesen beiden manche Trennung. Das sollte aber alles aufhören und in dem Bewußtsein von derselben Kraft verschwinden. Deshalb war es auch die Regel des Apostels, daß er Andere, ja Christum selbst nicht nach dem Fleisch kennen wollte; daß diese Abstammung und die äußern Verhältnisse keinen Zaun setzen sollten zwischen Christen und keine Scheidewand; sondern Christus sollte der sein und immer mehr werden, durch welchen diese Scheidewand niederfiel, wonach ein Volk sich als das auserwählte ansah, und von den übrigen trennte; weil dieses nur dauern sollte bis auf die Zeit der Erfüllung, wenn der käme, der Alle in sein Reich einführen würde. Und so sagt er, er danke Gott, daß er gehört habe von ihrer Liebe zu allen Heiligen, daß sie diese Art von Spaltungen nicht aufkommen ließen, sondern daß sie Alle, die an Christum glaubten, mit derselben gleichen Liebe umfaßten, mochten sie von hier her sein oder von dort her. Betrachten wir nun, wie dies doch ein großer und höchst bedeutender Unterschied war, und wir sehen, wie leicht wir uns hinreißen lassen zu allerlei Spaltungen und Beschränkungen der Liebe, die doch einen weit geringern Grund haben als diesen: so können wir sagen, wir können nicht erwarten, daß das den Beifall des Apostels haben wird, daß er auch von uns eine Liebe zu Allen, die den Namen Christi erkennen und bekennen, | fordere, und so daß wir suchen, sie alle zu Theilnehmern zu machen dessen, was in uns selbst die Quelle des Heils geworden ist, und nur in dieser Liebe zu allen Heiligen drückt sich der Glaube und die Liebe zu Christo vollkommen aus. Nun aber wissen wir, wie der Apostel häufig zu dem Glauben und der Liebe noch ein Drittes, die Hoffnung, hinzufügt, und so thut er auch hier, indem er sagt: „um der Hoffnung willen, die uns beigelegt ist im Himmel,“ 9–10 Vgl. Gal 5,6

19–20 Vgl. 2Kor 5,16

20–21 Vgl. Eph 2,14

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nur daß es undeutlich ist, worauf der Apostel hier die Worte: „um der Hoffnung willen,“ bezieht. Er kann es so gemeint haben, daß er sagt: wir danken Gott alle Zeit um der Hoffnung willen; oder so: wir haben gehört von dem Glauben und der Liebe, welche ihr habt um der Hoffnung willen. Das letzte möchten wir vielleicht nicht allzugeneigt sein zu glauben, weil es uns nicht rein und vollkommen erscheint, daß die Liebe sollte die Hoffnung, etwas noch nicht Erfülltes, zu ihrem Grund haben, sondern wir sind der Ueberzeugung, daß sie auf dem Glauben ruhen muß, mag es auch mit dem Künftigen stehn, wie es wolle. Nun wenn wir zurückgehen in jene erste Zeit der Kirche: so mögen wir wol sagen, daß damals die Richtung auf die Zukunft etwas dem Glauben Unentbehrliches war, denn es war noch nicht erschienen, was Er ist und sein soll, nicht nur, was wir sein werden. Denn so lange noch das Häuflein der Christen so klein war, so lange unter ihnen selbst noch der Streit bestand, ob Alle könnten durch Christum zu Gott kommen, oder ob sie erst müßten aufgenommen werden in das Volk des Alten Bundes: so lange war auch nicht deutlich und klar, was Christus sein soll, und da mußte also hinzugethan werden eine gläubige Zuversicht auf die Macht, die ihm im Himmel und auf Erden gegeben war, auf seine Herrlichkeit, die sich offenbaren sollte. Nun sagt freilich hier der Apostel nicht bloß: um der Hoffnung willen, sondern: „die euch beigelegt ist im Himmel,“ | was nichts anders sein kann, als, um der Hoffnung willen auf das, was für euch bereitet ist im Himmel, und so sind seine Gedanken nicht allein auf die Zukunft der Kirche auf Erden, sondern auch im Himmel gerichtet. Wie wollten wir aber auch, m. Fr., beides trennen? Wie wollten wir einen Unterschied machen zwischen dem Fortschreiten der Gemeine auf Erden, daß sie werden soll ohne Flecken und Tadel, und zwischen der Herrlichkeit, die wir hier nicht erkennen, weil sie über die Bedingungen des menschlichen Lebens hinausgeht? Das trennte denn auch der Apostel nicht, und wenn Alles durch Christum Eins geworden ist: so sind es eben auch Himmel und Erde, und es ist dasselbe von Anfang an, so wie es dieselbe Gnade ist, die uns hier leitet und dort hütet, so auch derselbe Fortschritt. Und deshalb konnte er auch wol sagen, daß es die Hoffnung ist, um die die Christen sich lieben, um der Hoffnung willen, daß sie noch viel herrlichere Erfahrungen machen sollten von dem christlichen Glauben, und um der Hoffnung willen, daß eben dieser das ganze Ziel sei der Bestimmung des menschlichen Geschlechts, nicht nur für diese Welt, sondern ganz im Allgemeinen in alle Ewigkeit hinaus. Wie dieses der Gegenstand seines Dankes und das der Inhalt seines Gebets war: so sehen wir darauf auch seine ganze Thätigkeit und Sorge gerichtet, daß Glaube an Christus und Liebe zu allen Heiligen im Festhalten dieser Hoffnung, die uns Allen beigelegt ist im Himmel, immer mehr das ganze Leben derer leiten soll und erfüllen, welche, errettet von der Obrigkeit der 11–12 Vgl. 1Joh 3,2

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Finsterniß, eingegangen sind in das Reich des lieben Sohnes. In dem Maaß, als er das fand, war es der Gegenstand seines Dankes gegen Gott, und in dem Maaß, als er es noch unvollkommen fand, war es der Gegenstand seines Gebets, zugleich aber auch der seiner Ermahnung und Lehre und seiner ganzen irdischen Thätigkeit. Und darin wollen auch wir ihm folgen, und keinen andern Gegenstand des | Dankes und des Gebetes vor Gott bringen, als den, daß wir immer wachsen mögen im Glauben und in der Liebe und der unzerstörbaren Hoffnung auf Christus. Dann wird auch unsere ganze Thätigkeit in dem Leben keine andere Richtung haben, als auf Ihn, und wir werden erkennen die Gnade dessen, der uns Alle errettet hat aus der Finsterniß, und Alles, was uns sonst anvertraut ist, in das rechte Verhältniß setzen zu dem Reiche Gottes, in welches wir versetzt sind durch den, der uns tüchtig gemacht hat zum Erbtheil der Heiligen im Licht! Amen. Lied 681, 7.

15 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 681: „Frieden, ach Frieden, den göttlichen Frieden“ (in eigener Melodie); Strophe 7 lautet: „Christus, o Herr, der mit mächtigem Walten beruhigt den äußern und inneren Streit, hilf du uns selber das Bündniß zu halten, das Frieden und selige Ruhe verleiht! Ward dieses zum Ziel uns auf Erden beschieden, so führest du einst uns zum ewigen Frieden.“

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Besonderheiten:

2. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 7,23 Nachschrift; SAr 94, Bl. 148r–152v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Drucktext Schleiermachers; Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung) 1831, S. 1–19 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 613–625; 21843, S. 613–625. – Predigten. Sechste Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 1–17. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 1–11. – Kleine Schriften und Predigten, Bd. 3, ed. Gerdes u. Hirsch, 1969, S. 13– 24 Nachschrift; SAr 118, Bl. 7r–10r; Simon 1. Augustana-Predigt

20 Juni 1830 Lied 329 Tex t . I Cor. 7, 23 „Ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.“ 5

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M. a. Fr! Ich war im Begriff, wie ich oft in diesem letzten Theile unsres kirchlichen Jahres zu thun pflege, eine Reihe von genau zusammenhängenden Betrachtungen für unsre vormittägigen Andachten zu beginnen; aber da mahnte mich das Fest, das in diesen Tagen bevorsteht, daß es nöthig sei und rathsam, unsre Gedanken auf dieses schon jetzt vorbereitender Weise zu richten. Denn wie es ein großes und herrliches Fest ist, so ist es 6 genau] so SAr 118, Bl. 7r; Textzeuge: genauer 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 329: „Wort aus Gottes Munde“ (Melodie von „Jesu, meine Freude“) 8 Am 25. Juni 1830 jährte sich zum dreihundertsten Mal der Tag der Übergabe der Confessio Augustana auf dem Reichstag zu Augsburg 1530. Vgl. oben Einleitung I. 3.

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auch ein solches, das seine besonderen Bedenklichkeiten hat, und Gefahren, und das sind diese, in deren Beziehung die verlesenen Worte des Apostels uns werden warnend den richtigen Weg zeigen. Denn wenn wir bedenken, wie wir feiern wollen die Uebergabe der Schrift, welche ein Bekenntniß war der Lehre, welche in der Katholischen Kirche der deutschen Christenheit getrieben wurde, eine Bekenntnißschrift, herrührend von denen, die zuerst vorangegangen waren auf diesem gemeinsamen Wege der Erleuchtung aus dem göttlichen Worte; eines Bekenntnisses an welches sich hernach alle die, denen durch die göttliche Gnade das Licht des Evangeliums in einem hellen Sinn wieder aufging, mehr oder weniger angeschlossen haben. Eines Bekenntnisses auf welches wir uns immer zu berufen pflegen in unsern Verhandlungen und Streitigkeiten mit denen, die uns beschuldigen möchten, daß wir von der rechten Einfalt des Glaubens abgewichen wären. – So ist allerdings die Gefahr nicht gering, daß wir uns wieder in eine Knechtschaft des Buchstabens begeben möchten, und aufs neue, wovor der Apostel warnt, auf’s Neue Knechte der Menschen werden! Nur, wenn wir davon ganz frei sind, nur, wenn wir in der Dankbarkeit gegen Gott, der uns davor bewahret, unsre Ehrfurcht vor denen, welche uns diesen Glauben gegeben haben, festhalten in der Richtung zur Freiheit, zu der wir berufen sind, – so werden wir dies Fest zu unserm eigenen Segen, würdig der Erinnerung und Nachfeier der kommenden Geschlechter begehen, daß es ihnen auch wiederkehrt in gleicher Dankbarkeit gegen Gott, in einem gleich würdigem Genuß der evangelischen Freiheit! Der unmittelbare Zusammenhang der verlesenen Worte m. Fr! hat es freilich zu thun mit den äußerlichen, irdischen Verhältnissen derer, welche in die Gemeine Christi aufgenommen waren; der Apostel sagt: jeder bleibe in dem, worin er berufen ist; ist er als ein | Knecht berufen, so bleibe er darin, aber kann er frei werden, so gebrauche er deßen desto lieber; denn wer als Knecht berufen ist, der ist ein Gefreiter des Herrn und wer als Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi. Wenn er aber hinzufügt: „ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte!“ so kann er das nicht mehr in demselben Sinne nehmen; denn dafür hatte es keine Gefahr damals, daß sich irgend jemand sollte freiwillig in das harte Joch der Knechtschaft des Einzelnen gegen den Einzelnen begeben. Aber schon vorher hatte der Apostel geredet mit tiefem Schmerz und großer Misbilligung, daß sich so viele der Gemeine an Einzelne welche ihnen Diener des Evangeliums geworden waren, auf besondre Weise hingen, der eine an diesen, der andre an jenen, und darum des gemeinsamen Herrn, deß Diener alle waren, fast vergaßen, und statt der Einheit des Glaubens und Geistes in allerlei Spaltun5 Katholischen] SAr 118, Bl. 7r: erneuerten ; vgl. aber BSLK, S. 83c,7–10 26–30 Vgl. 1Kor 7,20–22

34–1 Vgl. 1Kor 1,10–13

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gen zu gerathen in Gefahr waren. Und so groß ist die Gewalt der Gedanken darüber in ihm gewesen, daß, obwol er von etwas anderm redet, er doch wieder dahin zurückkommt, und denen, die als Kinder Gottes berufen waren, die losgesagt waren von allem Joch der Satzungen zuruft: sie sollen nicht wieder Knechte der Menschen werden, da sie so theuer erkauft sein. So laßt uns, m. a. Fr! die Warnung des Apostels wol bedenken, und Erstens den Inhalt derselben recht vor Augen halten und Zweitens auf den Bewegungsgrund, den der Apostel seiner Warnung hinzu fügt, unsre Aufmerksamkeit richten. I. Wir werden aber, was das erste betrifft, die Warnung, daß wir nicht wieder der Menschen Knechte werden möchten, nur dann in ihrem ganzen Umfang verstehen, wenn wir uns das auch aneignen, was vorhergeht, nämlich: „wer als ein Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi.“ Denn so, m. Fr! so sind wir alle berufen, als Freie, um Knechte Christi zu sein! Wenn ich sage: wir alle, so meine ich uns, die wir im Begriff sind, dies schöne Fest der Erinnerung und des Dankes zu begehen; uns, die wir der erneuten evangelischen Kirche angehören, die sich von Anfang an hingestellt hat, als eine freie und würdige und unzerstörbare Stütze der rechten Freiheit der Kinder Gottes. Laßt uns darauf zurück gehen, wie wir alle in diese Gemeinschaft berufen sind! Was ist das Bekenntniß, das uns vorgelegt wurde, als wir in den Tagen der Jugend aufgenommen wurden in die Gemeinschaft der Kirche? Wovon handelt es? Es ist nichts, als die Geschichte Christi, seine Worte und Thaten! Der ganze Kern dieses Bekenntnisses handelt nur von dem, den wir alle erkannt haben in der Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, von dem Gott, den er uns als seinen und unsern Vater offenbart hat, von | dem Geist, den er erbeten von seinem Vater, daß er ausgegossen werde über die Seinen, von seiner Gemeinschaft, von seinem Glauben, von seinem Segen und Verrichtungen. – An nichts andres werden wir erinnert, zu nichts andrem verpflichtet als auf ihn! An keines Menschen Namen sind wir jemals gebunden worden; nach keines Menschen Namen haben wir uns jemals nennen wollen, und wenn es doch hie und da in den gemeinen Gebrauch des bürgerlichen Lebens übergegangen ist, unserm Bekenntnisse den Namen jenes ersten Kämpfers und Streiters Gottes in diesem Kampfe des Lichts mit der Finsterniß hinzuzufügen; so wissen wir wol, daß das niemals etwas andres hat bedeuten sollen, als eine geschichtliche Erinnerung, 8 auf] auch

14 als] Ergänzung aus SAr 118, Bl. 7v

14 Vgl. 1Kor 7,22 25–26 Vgl. Joh 1,14 „lutherisch“ nach Martin Luther.

32–35 Gemeint ist die Bezeichnung

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keinesweges, als ob wir uns auf ihn hätten verpflichten sollen, – denn das würde gegen seinen und andrer Diener des Evangeliums Dank und Willen geschehen sein. Was ist uns überliefert worden, als wir in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen wurden? Kein menschliches Wort und Willen, sondern das Wort Gottes. Wie die ersten Zeugnisse von Christo, ausgegangen von denen, die ihn gesehn, und gehört hatten, um die Segnungen von diesem Wort weiter zu verbreiten, ausgegangen waren von denen, denen er selbst die ersten Aufträge gegeben, seine Gemeinde zu ordnen und in seinem Namen, nicht in dem ihrigen zu leiten. So sind wir als Freie aufgenommen in die Gemeinschaft der Gläubigen, ohne uns irgend einem Menschen zu verbinden, und zu verpflichten. Aber wozu? Dazu, daß wir Knechte Christi seien mit allen denen, die, gleich befreiet von jedem andern Dienst, berufen sind zu dieser edlen Knechtschaft. Wenn wir überlegen, wie der Erlöser selbst sich auf die mannigfaltigste Weise über dies Verhältniß äußert, sich selbst hinstellt als den Herrn und Meister, auf daß alle unter ihm einander gleich sein sollen, als seine Jünger und Diener, unter einander aber Brüder; so sehen wir in dieser Gleichheit, welche er aufstellt als das Gesetz seiner Gemeinschaft, die Freiheit, in welcher wir berufen sind; in dem Verhältniß aber zwischen uns und allen ohne Ausnahme und zwischen ihm eben diese unsre Knechtschaft Christi. Aber welche ist es? Er selbst sagt es den Seinen, und eben so gut zu uns als zu seinen ersten Jüngern: „ich sage nun nicht mehr, daß ihr Knechte seid, sondern ihr seid meine Freunde; denn ich habe euch alles kund gethan, was mir der Vater gegeben.“ Und wie oft sagt er nicht ähnliches, daß es nur Ein Mittel gäbe, wie die Menschen frei werden können, nämlich sie werden frei durch die Wahrheit. Aber er sagt auch dabei, daß er die Wahrheit sei und der Weg und das Leben, und daß also nur der Sohn frei sei, und nur die recht frei seien welche der Sohn frei gemacht. Er macht uns frei, er läßt uns frei, er hält uns auch auf keine äußerliche Weise an sich fest, sondern es ist | nur das geistige Band, welches wir immer aufs neue und in jedem Augenblick knüpfen müssen. Wie es damals war, m. th. Fr! als der Herr bemerkte, daß viele ihm nicht mehr nachfolgten, sondern hinter sich gegangen waren und ihn verließen indem seine Rede zu hart war, wie er damals seine Jünger fragte: wollt ihr auch hinter euch gehen und mich verlassen? und sie sagten: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!“ Das ist die beständige Gemeinschaft, welche sich jeden Augenblick erneuert, jeden Augenblick fortsetzt; immer sagt er das zu den Menschen, denn es fehlet nicht, daß nicht wenigstens eine Zeitlang manche sich wegverirren von ihm, und ihre eignen Wege suchen. Aber so wie er gegen jene nichts gethan hat, als daß er 13–17 Vgl. vor allem Mt 23,8; ferner Joh 13,13 21–23 Vgl. Joh 15,15 25 Vgl. vor allem Joh 8,32 25–26 Vgl. Joh 14,6 27–28 Vgl. Joh 8,36 35 Vgl. Joh 6,60f.66–68

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sie frei ließ wandeln, oft aber, wie er es von sich selbst sagt, daß der Hirte es mache, den Einzelnen nachgegangen sein mag in alle Wüsten, bis er sie wiedergefunden, und sie zurückgebracht hatte in die Heimath der Freiheit, wo es ihnen allein wohl gehen konnte, wo er gewiß allen denen, die sich verirrt hatten, nicht gewehrt hat, wieder umzukehren. – So auch jetzt! Aber eben in dem Gefühl dieser Freiheit müssen wir auch immer diese Frage an uns richten und es wissen, es ist immer unser eigner Wille, unser uns nicht von ihm trennen können, was uns festhält; es giebt kein andres Band zwischen ihm und uns, als das dieser geistigen Liebe, von der er freilich die Quelle ist, von dem wir es empfangen, aber deshalb auch er der Herr und Meister, wir die Diener und die Jünger. Wie wir es singen in unserm schönen Gesange: „Aber wen die Weisheit lehret, Freiheit sei des Christen Theil, Wessen Herz zu Gott sich kehret, seinem allerhöchsten Heil, Sucht allein ohne Schein, Christi freier Knecht zu sein.“ Zu solcher freien Knechtschaft hat er uns berufen, zu der Freiheit die sein Wort verhieß, die er selbst mit seinem göttlichen Munde denen zugeschrieben, welche das Wort Gottes annehmen, das er kund gemacht. An dieser Freiheit sollen wir fest halten, damit nichts sich zwischen ihm und uns stelle. Unmittelbar müssen sie schöpfen können aus der Quelle des Lebens, von einer Vermittlung zwischen ihm und uns, weiß er nichts, sondern an ihm sollen wir bleiben, wie die Reben an dem Weinstock. Dazwischen stellt sich nichts; wie diese durchdrungen werden von der lebendigen Kraft des Stokkes, an welchem sie sind, so auch wir von seiner lebendigen Kraft, ohne daß einer hier unsern Dank gegen ihn zu theilen hätte, ohne daß eine fremde Kraft uns hier zu Hülfe käme, uns im Empfangen, und ihm im Geben. So sind wir als Freie berufen zu der edlen Knechtschaft Christi! Wohlan denn, so laßt uns nur | die Warnung des Apostels zu Herzen nehmen: werdet nicht wieder Knechte der Menschen! Sehet da! Der Apostel hätte die Worte nicht sprechen können, wenn nicht die Gefahr schon damals gewesen wäre. Wie war sie denn? Auf allen Blättern der Apostelgeschichte, in allen Briefen der Apostel vornehmlich dieses Apostels sehen wir sie. Wie klagt er nicht darüber, daß es manche gebe, falsche Brüder, die da kämen die Freiheit der Kinder Gottes zu zerstören, und sie zurück zu führen zur Knechtschaft? Da kamen welche, die sich beriefen auf große Namen, auf die Namen der Apostel, die den Herrn gesehen und gehört hatten, und sprachen, indem sie ihre eigne Lehre verkündeten, so hat Petrus gelehrt, so hat Jakobus gelehrt, das waren die Säulen der Kirche, so treiben es die, und 1–3 Vgl. Lk 15,4 13–15 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 450: „Auf, ihr Christen, Christi Glieder“ (Melodie von „Meine Hoffnung stehet auf Gott“), Strophe 6; der Text weicht orthographisch leicht ab. 16–18 Vgl. Joh 8,31f in Verbindung mit 15,15 21–22 Vgl. Joh 15,5 32–38 Vgl. vor allem Gal 2,4–14; ferner 1Kor 1,11–13

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thun es die, welche die Begebenheiten der ersten Mutter Kirche leiteten, aber wofür erklärt es der Apostel? Für eine gefährliche Antastung der Freiheit der Kinder Gottes; diese soll nicht gebunden werden durch irgend ein Ansehn. Es sei Petrus oder Paulus, sagt er, es sei lebend oder todt, es sei Gegenwärtiges oder Zukünftiges, es ist alles Euer, Ihr aber seid Christi. Alles was der Geist Gottes bewirkt in seinen ausgezeichneten Werkzeugen es ist unser, nicht daß wir ihnen dienen, sondern, daß wir es gebrauchen in der Freiheit der Kinder Gottes, nicht daß wir uns durch sie binden lassen, sondern daß wir was des Geistes ist geistig genießen, aneignen und zu unserm eignen geistigen Leben ausbilden und entwickeln. Und wie der Apostel sich betrübte über die, welche den Christen aus den Heiden wollten die Last auflegen der Gesetze des Alten Bundes, hier eine Regel und dort eine, hier ein Gesetz und dort eins, hier eine Vorschrift und dort eine, hier ein Gebot und dort eins. – Er aber sagt, das soll nicht geschehen, denn der Herr hat die Seinen zur Freiheit berufen von dem Gesetz, weil er das Ziel und das Ende sei des Gesetzes, und ihnen nichts auferlegt, als was nothwendig sei, um das Band der Liebe unverletzt zu erhalten. So ist es von Anfang an der Wille derer gewesen, welche sich des größten Ansehns unter den Gläubigen mit Recht erfreuten, daß keine Knechtschaft entstehen soll. So sagt der Herr selbst, daß keiner solle sein ein Beherrscher der Gewissen und des Glaubens, sondern nichts als Diener sollten sie sein, Haushalter der Geheimnisse Gottes zu Nutz und Frommen derer, die da schöpfen wollten aus der Einen Quelle, aus der ihnen alle Wahrheit fließt, nämlich aus der Offenbarung Gottes in seinem Sohn. Darum hat es auch nicht leicht ein größeres Beispiel gegeben von solcher Freiheit, als eben das Beispiel des Mannes, welcher zuerst in unsern Gegenden das Licht des freien Evangeliums wieder aufgesteckt hat. Ja, wir dürfen es sagen, und sollen es nicht verleugnen, daß er sehr weit gegangen | im Gebrauch der Freiheit, und er hat sich der Worte des Apostels wohl bemächtigt, es ist alles Euer, es sei Petrus oder Paulus, und auf diese Weise gebraucht er auch das Wort Gottes, in so fern es enthalten ist in den Worten, welche die Diener des Herrn überliefert haben. Da ist bald ein Buch von dem er offen sagt, sein Geist könne sich nicht darin schicken, da ein anderes, von dem er sagt, es scheine ihm strohern zu sein. 4–5 Vgl. 1Kor 3,22f 14–15 Vgl. Gal 5,13; ferner 5,1 15–16 Vgl. Röm 10,4 16–17 Vgl. Gal 5,13f; Röm 13,8; Kol 3,14 19–21 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf Mt 20,25–28 in Verbindung mit 23,4–12. 21–22 Vgl. 1Kor 4,1; ferner 1Petr 4,10 29 Vgl. 1Kor 3,22 31–33 Gemeint ist die Offenbarung des Johannes; vgl. die älteste Fassung von Luthers Vorrede zur Offb im Neuen Testament deutsch von 1522, WA Die deutsche Bibel, Bd. 7, S. 404: „meyn geyst kan sich ynn das buch nicht schicken“. Der Text ist in Luthers „Sämtliche Schriften“ von Walch nicht enthalten. 33 Gemeint ist der Brief des Jakobus; vgl. Luthers Vorrede zum Neuen Testament deutsch von 1522, Sämtliche Schriften, hg. Walch, Bd. 14, Sp. 105: „Darum ist St. Jacobs Epistel eine rechte ströherne Epistel [...].“; vgl. WA Die deutsche Bibel, Bd. 6, S. 10.

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Mag er sich darin geirrt haben, aber dieser Freiheit hat er sich bedient und hat sich auch nicht von den Aposteln darin wollen binden lassen, sondern nur, was von Christo kommt, was er deutlich einsah als von Christo kommend, das war die Leuchte seines Fußes, das war es wofür er sein ganzes Leben einsetzte, um die Freiheit, die er selbst gebraucht, auch andern wieder zu verschaffen. Wenn wir, m. Fr! wieder bedenken den Zustand in welchem die christliche Kirche damals war, wie ein großer wesentlicher Theil dieses Bekenntnisses dahin ging, daß die Kirche frei gemacht werden müsse von der Knechtschaft der todten Werke, daß durch diese kein Verdienst bei Gott erworben würde, sondern alles wieder zurück geführt auf die lebendige Kraft des Glaubens, welche durch die Liebe thätig ist. – So erkennen wir, daß die größte Zahl der Christen damals die Freiheit der Kinder Gottes wirklich verloren hatten und Knechte der Menschen geworden waren. Knechte der Menschen waren allerdings alle die, die sich die Last solcher todten Werke auflegen ließen von andern. Glaubten sie auch, daß diese vertraten die gesammte Kirche Christi, so machten sie sich doch zu Knechten der Menschen, wenn sie nicht wagten, sich denselben gleich zu stellen; denn nur Einer ist unser Herr und Meister, alle seine Diener und Brüder unter einander. Wohl! wir wären alle zurück gekommen von dieser Herrschaft der todten Werke, wir ließen sie uns auch nicht wieder auflegen, aber wir ließen uns auflegen ein Joch todter Worte, und todten Glaubens, wir ließen uns binden von einem, der da sagte: so und so sollen sie ausgelegt werden, alles andre sei Anathema. – Das wäre eine nicht minder gefährliche, ja, ich muß es grade heraus sagen, eine noch schlimmere Knechtschaft, als jenes. Denn je edler ist, was verdorben wird, um so schädlicher, um so verderblicher ist das Verderbniß. Nun aber ist das Wort Christi die Quelle des Lebens geworden, sie muß also unversehrt erhalten werden. Die Worte, die ich rede, sind Geist und Leben sagt der Herr. Aber wenn das Wort, das Geist und Leben sein soll[,] gebunden wird an den Buchstaben, den todten, wenn der Geist des Christen, der sich hier so, dort anders äußert, gezwängt werden soll durch eine Regel des Buchstabens, und uns befohlen werden soll, so und nicht anders unsre Vorstellungen auszudrücken, wenn uns Lehren angemuthet werden, wenn man sagen kann, sie befehlen uns zu glauben, wovon sie selbst sich | keine Rechenschaft geben könnten, was sie dabei dächten, – so ist das eine um desto gefährlichere Knechtschaft, weil es uns die rechte Quelle des wahren Lebens und Geistes selbst verdirbt. Das, m. g. Fr! das ist die Warnung des Apostels, daß wir nicht sollen werden 11 welche] SAr 118, Bl. 8v: der 12–13 die größte Zahl der Christen ... hatten ... waren] vermutlich constructio ad sensum 4 Vgl. Ps 119,105 6,63

10–11 Vgl. Gal 5,6

18–19 Vgl. Mt 23,8

27–28 Vgl. Joh

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der Menschen Knechte, die wir alle als Freie berufen sind, um Christi Knechte zu sein, und das in der Freiheit unsers Geistes und Herzens.

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II. Und nun, m. t. Fr! laßt uns unsre Aufmerksamkeit richten auf den Bewegungsgrund, welchen der Apostel seiner Warnung hinzufügt. Ihr seid theuer erkauft, sagt er, darum werdet nicht der Menschen Knechte. Mithin deutet er auf jenen Zustand der Knechtschaft in welcher so viele Geschlechter der Menschen geseufzt hatten: das ist sein einziger Grund statt aller andern; aber laßt uns ihn recht erforschen in seinem ganzen Umfang, was er damit meint, daß er sagt: „ihr seid theuer erkauft!“ An nichts anders können wir denken, als an den, der uns und das ganze Geschlecht der Menschen erkauft hat, als das seinige zu unserm Heil. Aber wodurch hat er uns erkauft? Nämlich wodurch hat er uns erkauft aus diesem Zustand der Knechtschaft, um uns zu versetzen in das Reich der Freiheit der Kinder Gottes. – Wodurch hat er uns erkauft aus dem Reich der Finsterniß? Er sagt es selbst, daß die Freiheit kommt aus der Wahrheit, und die Wahrheit aus dem Wort seines Mundes. Davon legt er seinem Vater Rechenschaft ab in seinem letzten großen Gebet: er habe ihnen alles kund gemacht, was er ihm aufgetragen, sein Wort habe er ihnen gegeben und sein Wort sei die Wahrheit, durch welche und in welcher sie immer mehr sollten geheiligt werden, sie und alle die, welche durch sie an ihn glauben würden. Und, m. th. Fr! wäre es so gegangen, – nur daß es immer thöricht ist, wenn wir uns etwas im Rathschluß Gottes vereinzeln wollen, und scheiden, was Gott zusammengefügt hat. – Aber wäre es so gegangen, daß ohne alles andre er hätte können den Menschen seine Worte mittheilen, so hätte auch sein Wort können die Menschen frei machen; aber es hat ihn gekostet theure Kämpfe! Sein Leben hat er einsetzen müssen, und sein Leben hat er lassen müssen, um alle die Worte und Kraft des Lebens kund zu thun und mitzutheilen die Gott ihm aufgetragen. Denn auch das war eine Kraft des Lebens, daß er sein Leben ließ, daß es freie That war und so Aeußerung seines göttlichen Wesens. Aber in demselben Sinn m. Fr! sagt unser Apostel an einem andern Ort, daß er durch das, was er litte, ergänze, was noch fehle an den Leiden Christi. Zu dem Worte des Herrn welches die Menschen frei macht, braucht nichts hinzu zu kommen, erlöst sind sie alle aus der Knechtschaft durch ihn, erlöst sind sie alle, die erleuchtet sind vom göttlichen Lichte der Wahrheit; aber damit dieser | köstliche Schatz bewahrt bleibe und nicht wieder untergehe, dazu hat es nicht nur der Leiden des Herrn bedurft, sondern dazu hat es auch bedurft der Leiden und Kämpfe aller derer, die vom Anfang des Reichs Christi Zeugen der Wahrheit gewesen sind. So lange Licht und Finsterniß mit einander kämpfen, kämpfen auch die Kinder der Welt mit den Waffen 15–17 Vgl. Joh 8,31f

18–21 Vgl. Joh 17,4.6.8.17.20

31–32 Vgl. Kol 1,24

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der Welt gegen das geistige Schwerdt, dem sie sich nicht unterwerfen, und darum sind sie gekommen, und darum wissen wir nicht, ob nicht noch kommen können Kämpfe und Leiden derer, die da fechten für die Segnungen des Reiches Gottes auf Erden, sei es an diesem Orte der Erde, oder an einem andern, mit den Waffen des Geistes. Es ist ein ungleicher Krieg: mit den Waffen, mit welchen sie angegriffen werden, können sich die Diener Christi nicht vertheidigen; denn sein Reich ist nicht von dieser Welt; aber leiden können sie durch diese Waffen, verwundet können sie werden, das irdische Leben können sie verlieren, und wenn der Apostel sagt: ihr seid theuer erkauft, so hat dem, der da sagt, Alles ist euer, das Gegenwärtige und Zukünftige, so hat dem gewiß vorgeschwebt, daß er nicht der letzte sei, der zu ergänzen habe durch sein Leiden die Leiden Christi, bis das Reich feststehe, ohne daß einer mit den Waffen der Welt und Finsterniß dagegen kämpfe. Diese Kämpfe haben darum auch die zu bestehen gehabt, welche in jenen Tagen der Reinigung und Besserung der Kirche sich selbst hergaben zu Werkzeugen um die Einfalt des Evangeliums den Gemüthern der Menschen wieder nahe zu bringen, und manches edle Blut ist geflossen in jenen Kämpfen, und hat auch noch ergänzen müssen, was da fehlte an den Leiden Christi. So theuer sind wir erkauft, darum laßt uns nicht wieder Knechte der Menschen werden! Je mehr wir das werden, um so mehr fordern wir heraus, daß noch mehr Kämpfe müssen gekämpft werden, daß noch mehr Leiden müssen ergänzen das Leiden Christi, noch mehr Märtyrer der Wahrheit sein müssen; denn obwol der Sieg nicht ausbleiben kann, so wird doch jeder Sieg nur um so mehr erschwert. Und laßt uns auch das nicht übersehen, m. t. Fr! daß wir auch selbst in diesem Kampfe stehen, und daß auch uns gebührt den Preis mitzubezahlen für andre, die mit uns leben und nach uns leben, erkauft freilich nicht von der Knechtschaft der Sünde aber zu ruhigem und heiterm, wo möglich ungestörtem Genuß aller Segnungen des Reiches Gottes. Und was ist der Preis, den wir zu bezahlen haben? Stehen uns Leiden und Verfolgungen bevor? Nein! Haben wir etwas zu besorgen | von denen, welche äußerlich den Namen Christi nicht bekennen? Nein! Haben wir von denen zu fürchten, die leider nicht hinein gegangen sind in das neue Licht, sondern noch haften an den Satzungen der Menschen? Was wir von ihnen zu fürchten haben, das mag nicht der Mühe werth sein zu erwähnen. Aber doch bezahlen wir einen theuern Preis, und sollen ihn bezahlen, damit wir derer nicht unwürdig werden, die vor uns gekämpft haben! Es ist nämlich dieser ganze Zustand unsrer evangelischen Kirche, der voll ist von solchen Verhältnissen, durch die wir alle ergriffen werden, vermöge deren wir auch unsern Preis bezahlen, damit das Reich des Lichtes in seiner Wahrheit fortbestehe. Wäre es möglich, daß wir die wir berufen sind als Freie zu jener edlen Knechtschaft Christi, daß wir alle 4–5 Vgl. SAr 118, Bl. 9v: „sei es von diesem oder von jenem Ende der Erde“. Joh 18,36 10–11 Vgl. 1Kor 3,22 12 Vgl. Kol 1,24

7 Vgl.

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könnten übereinstimmen in Worten, übereinstimmen in den Gebräuchen und Sitten des Lebens, dann möchten wir vielleicht frei sein, und keinen Preis zu bezahlen haben. Aber wie viele Trennungen in den Meinungen und Lehren! wie viele verschiedene Ansichten, welche sich unter einander reiben, daß sie sich fast entzünden möchten zu einem bedenklichen Feuer! Wie viele sorgliche und ängstliche Gemüther, die sich nicht gewöhnen können zu der Freiheit der Kinder Gottes, zu der wir berufen sind! Wie viele deren Gang so fest geworden, daß sie sich nicht umsehen nach äußerlichen Stützen, wie viele Sorgen ängstlicher Gemüther in dieser freien christlichen Gemeine! Soll uns das nicht zu Herzen gehen? ja wol! Soll es uns nicht betrüben und schmerzen, die im heitern Genuß der Freiheit leben können, wenn wir sehen, wie sie sich abquälen, wenn wir sehen, wie die, welche sich an die Kraft des göttlichen Wortes halten sollen, sich umsehen nach äußerlichen Stützen. O, wie soll uns das betrüben! Aber, m. Fr! es ist kein Mittel dagegen, und es soll keines sein! Das ist der Preis, den wir zu bezahlen haben. Wenn wir durch äußerliche Gewalt diese Verschiedenheit zur Einheit zwingen wollten, wenn wir uns unser Leben bequemer machen wollten dadurch, daß wir die Freiheit untergrüben, daß wir die aussonderten, die nicht mit uns übereinstimmten, – o, wie viele würden verloren gehen für das Reich Gottes, wie sehr würde die Freiheit aller bedroht werden! Darum laßt uns denn auch, wenn wir gleich nicht äußerlich zu kämpfen haben[,] diese innern Leiden und Kämpfe gern als Preis bezahlen! Laßt uns Geduld haben in einer Zeit, wo die Herzen immer mehr auseinander | gerissen werden, so daß das Band der Liebe, die Freiheit des Geistes festgehalten werde! Laßt uns diesen Preis gern bezahlen und treu aushalten, daß wir uns bestreben in der rechten Freiheit der Kinder Gottes zu bleiben, ohne daß wir jemals wollen Knechte der Menschen werden, noch weniger je einen selbst machen zum Knecht irgend eines menschlichen Wortes, irgend einer menschlichen Lehre! Denn das ist unsre Freiheit, daß alles unser ist, wir aber Christi! In diesem Geiste lasset uns diesem Fest entgegensehen und uns durch ihn stärken zu der rechten Freudigkeit des Glaubens zur rechten Freiheit derer, welche die Süßigkeit des Lichts der geistigen Seligkeit gekostet haben, und nicht wieder wegwenden von dieser Freiheit ; – dann wird es uns ein würdiger und heiliger Tag sein, und nichts als segenreiche Folgen desselben davon auf die Nachkommen übergehen. So gebe es der Herr! Amen. Heiliger Gott und Vater! Dein Name sei gepriesen, daß du auch uns berufen hast zu der Freiheit der Kinder Gottes und in deinem Licht! 30 Fest] Ernst ; SAr 118, Bl. 10r: festlichen Tage 29–30 Vgl. 1Kor 3,22f

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Laß deinen Geist wirksam sein in uns Allen, in Allen zu stärken und zu heiligen und deine weisen und heiligen Führungen mögen es diesen und den folgenden Geschlechtern immer deutlicher machen, daß nur in der rechten Freiheit der Kinder Gottes das Leben, die selige Gemeinschaft mit dir gedeihe, welche dein Sohn zu leiten und mitzutheilen gekommen ist. Dazu segne u. s. w. Lied 326.

6 Für die Säkularfeier war offiziell das allgemeine Kirchengebet der „Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen“ 1829, S. 8–10, vorgesehen: „Herr Gott, himmlischer Vater! wir bitten Dich, Du wollest Deine christliche Kirche mit allen ihren Lehrern und Dienern, durch Deinen heiligen Geist regieren, daß sie bei der reinen Lehre Deines Wortes erhalten, der wahre Glaube in uns erweckt und gestärkt werde, auch die Liebe gegen alle Menschen in uns erwachse und zunehme. Laß, o Herr, Deine Gnade groß werden über den König, unsern Herrn, den Kronprinzen, die Kronprinzessinn, das ganze Königliche Haus, und alle, die ihm anverwandt und zugethan sind. Erhalte sie uns bei langem Leben, zum beständigen Segen und christlichen Vorbilde. Verleihe unsrem Könige eine lange und gesegnete Regierung. Beschütze das Königliche Kriegesheer und alle treuen Diener des Königes und des Vaterlandes. Lehre sie, stets wie Christen, ihres Eides gedenken und laß dann ihre Dienste gesegnet seyn zu Deiner Ehre und des Vaterlandes Bestem. Segne uns und alle königliche Länder. Hilf einem jeden in seiner Noth, und sey ein Heiland aller Menschen, vorzüglich Deiner Gläubigen. Bewahre uns vor einem bösen, unbußfertigen Tode, und bringe endlich uns Alle in Dein ewiges Himmelreich, durch Jesum Christum unsern Herrn. Amen.“ 7 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 326: „Höchster Gott, dir danken wir“ (Melodie von „Liebster Jesu, wir sind hier“)

Am 25. Juni 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

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Freitag, Säkularfeier der Übergabe der Confessio Augustana, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Petr 3,15 Nachschrift; SAr 94, Bl. 153r–160v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Drucktext Schleiermachers; Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung) 1831, S. 20–36 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 626–636; 21843, S. 626–636. – Predigten. Sechste Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 18–32. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 11–20. – Kleine Schriften und Predigten, Bd. 3, ed. Gerdes u. Hirsch, 1969, S. 25–35 Nachschrift; SAr 118, Bl. 11r–14v; Simon 2. Augustana-Predigt

25 Juni 1830 Dritte Säcularfeier der Uebergabe des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses Gesang 296. 300. Tex t . I Petri 3,15 „Seid aber alle Zeit bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist.“ M. a. Fr! die Begebenheit deren Andenken wir heute feiern, und die ein so bedeutender Schritt war zur festen Begründung unsrer gereinigten evangelischen Kirche, war nichts anders, als ein in dem rechten Geist der Schrift und des christlichen Glaubens gemachte Anwendung von den Worten unsers Textes. Die Fürsten und Stände des deutschen Reichs, in deren Umfang 4 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 296: „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ (in eigener Melodie); Nr. 300: „Ewig weis’ und ewig milde“ (Melodie von „Jesu, der du meine Seele“)

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am meisten der neue Glaube des reinen Evangeliums sich verbreitet hatte und die sich in ihrem Gewissen gedrungen fühlten, das Wort Gottes gewähren zu lassen, und diese Reinigung der Lehre und des Gottesdienstes zu beschützen, waren aufgefordert worden, nach so vielen Verläumdungen, wie es bei solchen Gelegenheiten nicht anders möglich ist, die aufgebracht waren gegen das, was bei ihnen gelehrt wurde, nach so vielen Misdeutungen in Beziehung auf den Zweck dieser Kirchenverbesserung, nun ein öffentliches Bekenntniß abzulegen auf dessen Inhalt man sich verlassen könnte, von dem was abweichend von dem Bisherigen unter ihnen gelehrt wurde. Das war die Verantwortung die ihnen abgefordert wurde, und sie erklärten sich bereit und leisteten sie am heutigen Tage vor drei hundert Jahren in der allgemeinen Versammlung der Fürsten und Stände des damaligen deutschen Reichs. Aber, m. a. Fr! die Ermahnung des Apostels selbst ist eine allgemeine und wenn wir sie nun betrachten als auch an uns ergehend, so ist eben diese Begebenheit für uns Alle von einer solchen Wichtigkeit, wir stehen mit ihr in einem solchen Zusammenhang, weil sie das am meisten geltende und erste öffentliche Bekenntniß und Zeugniß der evangelischen Wahrheit gewesen ist, daß auch wir, indem wir uns die Ermahnung unsers Textes aneignen, auf diese Begebenheit ganz besondere Rücksicht zu nehmen haben. Darum würde mein Vortrag zum christlichen Gedächtniß dieses großen Ereignisses in zwei verschiedene aber wesentlich zusammenhängende Theile zerfallen. Laßt uns: Erstens, diese Begebenheit selbst in Beziehung auf die apostolische Regel unsers Textes ins Auge fassen; aber dann auch: | Zweitens: unser Verhältniß zu dieser apostolischen Ermahnung in Beziehung auf diese Begebenheit vor Augen halten. I. Was das erste betrifft, m. a. Fr! so ist wol nicht nöthig über die Angelegenheit selbst oder über die Schrift, die das eigentliche Werk derselben ist, an und für sich etwas Näheres zu sagen. Wir können sie als etwas allen erleuchteten Christen Bekanntes voraussetzen, und es ist besonders in neuerer Zeit wieder so oft und häufig auf dies Wort des Bekenntnisses zurückgewiesen worden, es ist in Beziehung auf diese heutige Feier durch Druckschriften so oft vor die Augen der christlichen Gemeine gekommen, daß jeder, der an dem heutigen festlichen Tage vor der Gemeinde zu reden hat, sich mit 28–29 Angelegenheit] SAr 118, Bl. 11r: Begebenheit 31–34 Vgl. die Literaturübersicht bei Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den Bundesstaaten, S. 1–21

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gutem Grunde darauf beziehen kann. Aber was nun das Verhältniß derselben zur apostolischen Regel unsers Textes betrifft, so müssen wir zweierlei gar wohl unterscheiden, und jedes für sich betrachten. Einmal, das damals verfaßte Werk, diese Schrift, dieses Wort des Zeugnisses. Auf der andern Seite: die That, durch welche dies als eine öffentliche Verantwortung von dem Grund der evangelischen Hoffnung zu Stande kam. Was das Erste betrifft, m. g. Mitchristen! das Werk dieses Tages, diese Schrift des Bekenntnisses, so dürfen wir wol nicht anders, als mit großer Nachsicht und Geduld dasselbe beurtheilen. Es ist überhaupt eine der schwierigsten Aufgaben, wenn es darauf ankommt, streitige Punkte in den Lehren des Glaubens aus einander zu setzen, alsdann eine Art und Weise des Bekenntnisses in Worten aufzustellen, von denen man mit gewisser Zuversicht sagen möge, man werde sich selbst lange Zeit daran halten können, und also andre auch, von welcher man hoffen dürfte, daß sie in der That das Wahre, mit dem Wesen des Glaubens Zusammenhängende, möglichst rein und vollständig erhalte, so daß die Betrachtung solches Bekenntnisses zugleich könne eine Erweckung zum lebendigen Glauben sein. Dies nämlich, was an und für sich so leicht zu sein scheint, wenn wir auf das große und wahre Wort Beziehung nehmen: wessen das Herz voll, davon geht der Mund über, und das Bekenntniß des Glaubens nichts anders sein soll, als eben dies Aufthun des Herzens, um sich andern kund zu geben mit seinem Innersten, – das wird doch etwas sehr schweres, wenn wir auf die ganze Geschichte der christlichen Kirche zurücksehen. Denn der hat es von Anfang an nicht an Streitigkeiten gefehlt und die meisten Punkte der Lehre sind in einer gewissen, festen Gestalt nur in | Folge von solchen Streitigkeiten schriftlich verfaßt worden. In Streitigkeiten aber sind immer die menschlichen Leidenschaften aufgeregt und wenn man davon auch absehen wollte und glauben, es sei überall die reine besonnene Liebe zur Wahrheit, der sanftmüthige Eifer gewesen, welcher alle geleitet – so bleibt doch das immer wahr, daß der Ausdruck des Glaubens nicht ein unmittelbarer gewesen ist, sondern sich auf das, was streitig gewesen ist, bezieht. Das waren aber immer nur Meinungen, Aeußerungen Einzelner, an welche nachher andre mehr oder weniger Theil nahmen, und so wird die Beziehung auf einzelne Meinungen und Gedanken in das verflochten, was eigentlich nichts sein soll, als ein durch den Mund gemachtes Bekenntniß des Herzens in der schlichten Einfalt des Glaubens. Nach einer solchen und so vielfältig auf diese Weise wieder veränderten und vermehrten Gestaltung der christlichen Lehre in mancherlei Worten allgemeiner Bekenntnisse, war es nun nicht anders möglich, als auf eben diese Rücksicht zu nehmen, wenn ein 12 denen] SAr 118, Bl. 11r: der 19–20 Vgl. Mt 12,34; Lk 6,45

23 der hat] SAr 118, Bl. 11v: da hat 35–36 Vgl. Röm 10,9 in Verbindung mit Eph 6,5

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christliches Bekenntniß des Glaubens sollte abgelegt werden. Aber eine Menge von diesen Vorstellungsarten, worauf sich diese Ausdrücke der älteren Bekenntnisse beziehen, war etwas Veraltetes, und nicht mehr in dem Leben der Christen. – Wie schwierig also wenn man darauf Rücksicht nehmen sollte, wenn das Gegenwärtige in Beziehung auf das Frühere sollte dargelegt werden, wie schwierig mußte es sein, da das Rechte zu finden und sich und andre die an den Worten des Bekenntnisses halten wollten, nicht mehr zu binden, als billig gewesen und recht. Nun aber gab es für die Männer Gottes, denen damals der Auftrag gegeben wurde, dieses Bekenntniß zu verfassen, noch ganz besondre Schwierigkeiten. Es war nur eine kurze Reihe von Jahren erst vergangen seit dem Anfang der evangelischen Lehre; schnell hatte sich das Wort verbreitet, die Darlegung der Misbräuche, die rechte wahre Gestalt des Glaubens, hatte Vieler Gemüther ergriffen. Was that also da Noth? Da gab es ganz andre Bedürfnisse, als von Anfang an auf die Abfassung einer solchen Schrift des Bekenntnisses zu sinnen. Da that es Noth das Häuflein derer, welche an der reinen Lehre halten wollten, zu sammeln, und den Gottesdienst zu ordnen, so daß auf der einen Seite die Misbräuche abgeschafft und auf der andern Seite die andern nicht abgeschreckt wurden durch zu Fremdartiges. Da gab es für die Lehrer eine große Sorge der Sammlung der Gemeine und der Aufsicht über sie; da mußte das große Geschäft in möglichst kurzer Zeit vollbracht werden, die heilige Schrift, auf welche man die Gemeinen allein weisen | wollte, in deutscher Zunge dem Volke zugänglich zu machen. Wenn wir bedenken, in wie wenig Jahren das alles zusammen geleistet werden mußte, wenn wir bedenken, wie klein die Zahl derer war, welche an der Spitze dieses großen Werkes standen, und an die sich die andern anschlossen, wenn wir bedenken, wie sie, indem sie die Bekenntnißschrift entwarfen, Rücksicht nehmen mußten auf die Gegner, welche das Ohr des Kaisers und eines großen Theils der Fürsten und Stände schon besaßen, so ist wol nicht anders möglich als, wie groß auch ihr Eifer gewesen, wie rein sie gestrebt, den göttlichen Geist und ihre eigenen Wahrnehmungen von dem Wesen des christlichen Glaubens in dieser Schrift walten zu lassen; es ist nicht anders möglich, als daß mancherlei Unvollkommenheiten darin sein mußten. Aber wenn wir das nun gern zugeben wollen und eben deswegen freilich sagen, daß nicht alles in demselben den Einsichten entsprechen könne, welche wir jetzt nach einer so langen ruhigen Zeit, welche den Betrachtungen der christlichen Geschichte, welche den Erforschungen der heiligen Schrift gewidmet sein konnte, haben, daß sie diesen nicht ganz ange36 demselben] so auch SAr 118, Bl. 11v; wohl als constructio ad sensum auf „Bekenntnis“ zu beziehen 39 konnte] konnten

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messen sein könne, aber haben wir dies zugestanden, dann können wir doch gewiß uns der großen Vortrefflichkeit dieser Schrift, in Allem, was die Hauptsache ist, erfreuen und sie uns in dieser Beziehung, gern und aufrichtig aneignen. Diese Vortrefflichkeit ist eine zweifache: Einmal es war eine feste, mit großer Umsicht und mit großem Reichthum christlicher Erfahrung in der geistlichen Art des Lehrens gesammelte, abgefaßte Erklärung gegen alle die das christliche Leben verderbende Misbräuche, welche sowohl in die Uebung des öffentlichen Gottesdienstes, als in die durch Menschensatzungen erweiterte Lehre eingeschlichen waren. Ja, so stark und kräftig und dabei doch so wahr und besonnen und von aller Uebertreibung fern war diese Erklärung, daß sie viel beigetragen, noch eine große Menge von Mitgliedern des deutschen Volks diesem Bekenntnisse der gereinigten Kirche zuzuführen, und daß es ein reicher Tag war, um die Seelen zu sammeln unter den alleinigen Schutz und Schirm des göttlichen Wortes. Die zweite und noch wesentlichere Vortrefflichkeit des Werkes ist die, daß es mit rechter Klarheit, mit dem größten Ernst, mit der ausschließendsten Demuth und Ergebung des Herzens den einigen großen Hauptpunkt aufgestellt hat, daß nicht unvollkommenes, äußres Werk, nicht eigenes Verdienst den Frieden mit Gott den Menschen wiederbringen kann, sondern, daß die Gerechtigkeit vor Gott sei nur darin, daß wir in dem rechten, lebendigen Glauben den annehmen und in | uns aufnehmen, den Gott zum Heil der Menschen gesandt hat, daß alles in der christlichen Kirche ankomme auf das Herz allein und auf den Glauben an den Erlöser, und daß wir in der lebendigen Gemeinschaft mit ihm allein das Leben suchen, erwartend, daß aus dieser Quelle alle Thätigkeit der Liebe und alles Gute entspringen müsse, ohne daß wir je darauf zurückkommen, auf die einzelne That und auf das äußerliche Werk irgend ein Verdienst und irgend einen Werth zu legen. Ja, m. t. Fr! das ist der Hauptpunkt, welcher allein zu allen Zeiten die Christen zusammenhalten muß; alle Verschiedenheit unter ihnen ist nichts, wenn sie darin übereinkommen und wieder wenn sie dies fahren lassen wollen, wenn der Mensch wieder in Beziehung auf das Heil seiner Seele sich vereinzeln will, wieder auf sich selbst verlassen wollte aber auf die Unterstützung seiner Vernunft, wenn er sich losreißen wollte von dem, den Gott gesandt hat, um das Heil der Menschen zu begründen. Dann hülfe auch alle Uebereinstimmung, alles feste Zusammenhalten, alle Vortrefflichkeiten der bürgerlichen Einrichtungen, alle menschliche Weisheit nichts, das 2 uns] aus 33 vereinzeln] vereinzelnen in also oder oder 14–15 Vgl. Ps 119,114

33 aber] möglicherweise zu korrigieren

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rechte Wesen des Glaubens, der Geist des Christenthums wäre verschwunden. Dieses beides nun, den lebendigen Glauben festhaltend an dem, in dem wir sehen die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater und in dem sich der ganze Wille Gottes als in seinem ewigen Wort offenbart hat, diesen Glauben festhaltend und hingegen alles andre, worauf der Mensch sonst seinen Werth legen könnte, von sich weisend, das beides zusammengenommen, das ist der wahre Geist dieses Bekenntnisses. Wenn wir daran halten, dann bleiben wir in der wahren und lebendigen Uebereinstimmung mit denen, welche es abgefaßt haben, und dann können wir auch von Einzelnem in demselben abweichen, mag es um ein Weniges besser sein, oder schlimmer; – denn das verschwindet alles gegen dieses Eine und Große. Aber ist nun schon das Werk ein solches, dessen wir uns, wenn wir billig sein wollen, im hohen Maaße erfreuen können, das wir uns seinem Geist und Wesen nach immer noch aneignen können, mit Vorbehalt dessen, daß uns nie der Weg verschlossen werde zu noch richtigerer Einsicht und noch tieferem Eindringen in das Wort Gottes. – Vielmehr noch ist die That, aus welcher das Werk hervorgegangen, eine solche, derer wir uns von ganzem Herzen erfreuen, und die wir nicht genug preisen können. Die That nun war nichts andres, als die Bereitwilligkeit, Verantwortung zu geben von dem Grunde der Hoffnung, die in ihnen war. Wenn wir freilich bedenken, es war damals schon eine Anzahl von deutschen Fürsten, und Städten, deren Unterthanen dem größten Theile nach dieser neuen Lehre zugethan waren; es war eine wohlbegründete Hoffnung, daß sie sich bald durch dies Bekenntniß selbst weiter verbreiten werde unter dem deutschen Volk. Wenn wir bedenken, wie der Kaiser und | die Seinigen diese Sache ins Reine zu bringen suchte, eben weil er der wesentlichen und kräftigen Hülfe des deutschen Volks bedurfte zu andern Angelegenheiten; dann können wir sagen: der Muth gehört nicht zu dieser That, welchen Luther, der einzelne Mönch, bewies als er allein stand gegenüber aller weltlichen irdischen Macht vor Kaiser und Reich und doch sagte er könne nicht anders. Dieser Muth freilich gehörte nicht dazu. Aber laßt uns um so mehr bewundern in allen Aeußerungen der Fürsten und Stände, die in die Bekenntnißschrift verwebt sind, in Beziehung auf ihr Verhältniß zum Kaiser, der damals ihrer 11 um ein Weniges besser sein] so SAr 118, Bl 12r; Textzeuge: besser um ein Weniges sein 14 Aber] in der Zeile darüber mittig, möglicherweise später eingefügt II 19 derer] deren 4 Vgl. Joh 1,14 30–32 Vgl. Luthers Erklärung vor Kaiser und Reich auf dem Reichstag zu Worms vom 18. April 1521, Sämtliche Schriften, hg. Walch, Bd. 15, Sp. 2307f; WA Bd. 7, S. 838

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aller Oberhaupt war, die Art, wie sie in ihrer Verantwortung zu Werke gehen! So werden wir doch sehr loben und preisen müssen die große Bescheidenheit, welche doch mit dem großen und kräftigen Muthe, mit dem sie ihre Verantwortung ablegten, verbunden war. Eine That, würdig an der Spitze unsrer Geschichte zu stehen, weil sie so sehr den Beweis dafür liefert, wie Unrecht die Gegner haben, wenn sie vorgeben wollen, als ob die evangelische Lehre den Grund enthielte zum Ungehorsam der Völker gegen ihre Fürsten und Herren und zu Neuerungen auch in der bürgerlichen Welt. Denn es stand damals schon im deutschen Reiche so, daß eben dies Verhältniß der Oberherrschaft des Kaisers über die andern Fürsten nicht mehr dasselbe war, daß es anfing zu wanken, daß man ohne große Einsicht in den öffentlichen Angelegenheiten voraussetzen konnte, es würde bald ein anderes werden. Dessen ungeachtet ließen sich die Fürsten, welche besonders angesehen waren, nicht verleiten zu einer unehrerbietigen Aeußerung, nicht mit einem Wort überschritten sie das Verhältniß, in welchem sie zu dem Oberhaupt des deutschen Reichs, das sie sich selbst erwählt hatten, standen. Und darin sind sie uns ein Vorbild geworden und wir mögen diese That auch in dieser Beziehung ansehen als den Geist der evangelischen Kirche aussprechend, wie er sich niemals anders in allen ähnlichen Beziehungen ausgesprochen hat. Die That war zweitens deswegen so trefflich, weil wir in der Bekenntnißschrift überall die Neigung deutlich ausgesprochen finden, so weit an ihnen wäre, die Spaltung wieder aufzuheben, die Einheit der Gemeinschaft wieder herzustellen, wenn nur das, wodurch sie ihr Gewissen gebunden fühlten verwahrt würde. Denn nicht anders hatten sie gegen die Misbräuche geredet, nicht als ob es ihre eigne Weisheit und Klugheit gewesen wäre, welche sie darüber erhöbe, nicht als ob sie wollten Andrer Gewissen beherrschen, sondern weil sie selbst nicht wollten gebunden sein, weil sie sich verbunden fühlten nichts über oder neben das Wort Gottes zu setzen. Diese Erklärung, daß es nicht an ihnen liegen solle, die Spaltung aufzuheben, spricht eben so deutlich den Geist der evangelischen Kirche aus, und die That sei | uns auch darin ein Vorbild für alle Zeit. Es ist gewiß die einzig richtige Ansicht der Geschichte, wenn man sagt, daß die, welche Menschensatzungen entfernen wollten, welche die Gemeine des Herrn wieder in unmittelbare Berührung setzen wollten mit ihrem Herrn, und seinem und unserm gemeinschaftlichen Vater, ohne daß etwas anders zwischen sie trete, daß sie von diesem Punkt ausgehend doch nicht strebten, eine neue und abgesonderte Gemeinschaft zu bilden, sondern die Einheit der Gemeinschaft festhalten wollten, sofern nur das ihnen für sich bliebe und für 3–4 Muthe, mit dem sie ihre Verantwortung ablegten, verbunden war] so SAr 118, Bl. 12r; Textzeuge: Muth verbunden war, mit welcher sie ihre Verantwortung ablegten 36 gemeinschaftlichen] gemeinschaftlichem

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ihre Gemeine, worin sie ihr Gewissen gebunden fühlten, und Gott mehr gehorchen müßten, als den Menschen. Das, m. g. Fr! das sei und bleibe immer der Geist und Sinn der evangelischen Kirche. Es war der göttlichen Weisheit nicht angemessen, jene Bemühung mit einem glücklichen Erfolg zu krönen, aber, wenn wir es genau überlegen, so werden wir auch hierin ein Beispiel finden, wie oft der Herr grade dadurch segnet, daß er wohlgemeinte Bemühungen scheitern läßt. Die römische Kirche, welche die Gemeinschaft mit denen, die der gereinigten Lehre zugethan waren, aufgehoben, hat seitdem öfter ihrem Geist und ihrem Interesse angemessen gefunden, solche kleine Gemeinschaften, welche mehr in der Ferne von jenem großen Mittelpunkt der Kirche lebten, und in einzelnen Theilen der Lehre oder des Glaubens abwichen, für sich bestehen zu lassen und jene Abweichungen zu gestatten, so bald sie nur die Gemeinschaft mit jener Kirche festhielten und ihr sichtbares Oberhaupt anerkannten. Wäre damals schon die menschliche Klugheit bei dem Oberhaupt der Kirche so weit gegangen, dies auch damals zu thun; wäre damals so viel Selbstverläugnung in ihm gewesen, daß es sich hätte die Berichtigung dieser Misbräuche gefallen lassen, so wären wir keine besondere Kirche geworden, so wären wir in jener Gemeinschaft geblieben; aber auf wie vielfache Weise würden wir uns gebunden gefühlt haben, wie viele Fesseln wären angelegt worden der reichen Erweisung der Freiheit des Geistes, die den Kindern Gottes geziemt! Dank und Preis gebührt Gott, daß er es so geschickt hat und nicht anders! Aber denselben Trost wollen wir uns auch nehmen in Beziehung auf alle künftige Zeiten. Laßt uns daran halten, daß keine Spaltungen von uns ausgehen sollen; ist es im Rathschluß Gottes gegründet, daß doch eine erfolgen soll, so sind die, welche sie nicht gewollt, diejenigen, welche | ihr Gewissen bewahren, und das Gute, was daraus hervorgeht, werden die, die daran Schuld sind, niemals als das Ihrige ansehen können, weil sie sich eines verletzten Gewissens bewußt sind, sondern es ist nur das Werk Gottes. Wir sollen festhalten an der Einigkeit des Geistes in dem Band der Liebe. Das dritte Treffliche und Preiswürdige an dieser That ist der festausgesprochene Entschluß, nicht anders von dem, was sie lehrten und in der Kirche geordnet hätten, abzugehen, es sei denn, daß sie widerlegt würden aus dem Wort Gottes, welches sie gemeinsam mit ihren Gegnern, aber ohne ein andres menschliche Ansehn ihm gleich zu stellen, an die Spitze des Christenthums stellten. Doch, m. Fr! damit ich nicht misverstanden werde, muß ich mit ein paar Worten meinen eigentlichen Sinn und Meinung über diesen Gegenstand Euch grade und ehrlich eröffnen. Wenn wir die Schrift 12 für sich bestehen zu lassen] Ergänzung aus SAr 118, Bl. 12v 13 gestatten] gestalten 16 wäre] wie 31 Treffliche] Ergänzung aus SAr 118, Bl. 12v 1–2 Vgl. Apg 5,29

30 Vgl. Eph 4,3 in Verbindung mit Kol 3,14

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ansehen wollen als die Quelle des Glaubens, so ist das nicht ohne mancherlei Misverständniß und Irrthum. Denn der Glaube ist älter, als die Schriften des Neuen Bundes; die Gemeinen waren schon zahlreich gesammelt, ehe diese Schriften in diesem Körper des Neuen Bundes vereinigt wurden. Aber freilich ist die Schrift das erste Zeugniß des Glaubens; der Glaube war entstanden durch Christus, wie er redete, wie er lebte, wie er wirkte, und nach ihm entstand er durch die lebendige Predigt des Worts, in so fern sie ihn darstellten den Augen der Menschen, wie er geredet, wie er gelebt, wie er gewirkt, ihn den Lebenden, ihn den Gekreuzigten, ihn den Auferstandenen. Es ist also die lebendige Ueberlieferung des lebendigen Christus, welche für alle Zeiten die lebendige Quelle des Glaubens ist, aus welcher die Schrift so hervorgegangen ist. Und daran laßt uns festhalten; denn es geziemt jedem, seinen Glauben zu gründen auf die eigne Erfahrung des Herzens, welche sich anknüpfen muß an das unmittelbare Verhältniß seiner selbst zum Erlöser, um ihn selbst zu haben und sich anzueignen. Aber wenn ein Streit entsteht darüber, was in einzelnen Lehren als Ausdruck des Glaubens gewesen war in der christlichen Kirche, was im Einzelnen richtig geordnet war in der christlichen Kirche, – ja, dann giebt es keine andre Quelle, woraus dieser Streit zu schlichten ist, als dieses erste Zeugniß des Glaubens, weil er doch solche Lehren betrifft, welche unmittelbar nicht mit jener einzigen, wesentlichen Erfahrung des Herzens zusammenhängen. Insofern also war es eine große Sicher|stellung für alle künftige Zeiten, alles menschliche Ansehn zu verschmähen, und vorausgesetzt den Glauben, der aus der lebendigen Aneignung des Erlösers besteht, in der ganzen Entwicklung der Lehre, in der ganzen Anordnung des Lebens, kein andres Vorbild zu nehmen, kein andres Zeugniß gelten zu lassen, als dieses erste Zeugniß des Glaubens, wie es sich in den Schriften des Neuen Bundes ausgesprochen hat. Indem nun dies damals festgestellt wurde, wo es darauf ankam, der evangelischen Kirche ihren Platz sicher zu stellen in Beziehung auf alle äußerlichen Verhältnisse, so ist das dadurch gewonnen für alle Zeiten, daß wir frei bleiben können, und sollen von allen Banden des menschlichen Ansehns. Und welche ausgehen vom lebendigen Glauben an den Erlöser, und die ihre Darstellung, ihre Worte der Lehre, wie fremd sie uns klingen, wie sehr sie vom Gewöhnlichen abweichen, doch nur gründen auf das Wort der Schrift, – diese stehen mit uns auf demselben Grund und es kann nie eine Ursach geben, sie von unsrer Gemeinschaft auszuschließen. Wo aber nun die Erklärung der Schrift selbst streitig ist, da, m. th. Fr! können und sollen wir dem Geist Gottes weder vorgreifen, noch ihn übereilen, noch ihm Maaß und Ziel setzen, sondern wenn wir in der Zuversicht auf jenes andre Wort 20 betrifft] so SAr 118, Bl. 13r; Textzeuge: enthält

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des Herrn so jemand anders denkt, soll der Geist Gottes es ihm weiter offenbaren, festhalten an den Schriften des Neuen Bundes, wird durch diese beiden Stützen unsere Kirche immer fest und sicher stehen, wird sie in allen Bewegungen ihre Festigkeit nicht verlieren, wird durch den Eifer nie die Liebe unterdrückt, und nie durch eine leere Besorgniß der Eifer gelähmt werden. Diese beiden Stützen sind es, die damals ausgesprochen wurden als die Grundsäulen unsrer evangelischen Kirche; an diesen laßt uns stehen und halten. Aber es ist noch ein Punkt, der trefflich und herrlich ist in jener That. Das ist das Verhältniß, das sich offenbart darin zwischen den Fürsten und Obrigkeiten, welche die evangelischen Gemeinen zu vertreten hatten, zwischen den Lehrern, welche das Bekenntniß aussprachen, und zwischen den Gemeinen, welche sich im Gebet und Flehen zu Gott wandten, damit er das Unternehmen segne. Es giebt wol nicht leicht eine Begebenheit wobei so vieles zu besorgen war und in Acht zu nehmen, wo die Gemüther so sehr beunruhigt waren, und wo jeder so recht seine Stelle festgehalten hätte, als diese. Die Fürsten mischten sich nicht darin, wie die Lehrer das Wort des Bekenntnisses stellten, das Maaß der Lehre | und des Ausdrucks, die Anordnung der Worte, wodurch doch auch ihr Bekenntniß ausgesprochen wurde, die überließen sie ihnen, es auszusprechen; die Pflicht aber, die sie hatten, diese Lehre zu vertreten, die zugleich der Ausspruch ihres Gewissens war, und für ihre Unterthanen zu stehen gegen Kaiser und Reich, sich allein auf den verlassend, der sein Wort würde zu schützen wissen. Diese Pflicht haben sie mit großer Treue festgehalten, haben das Maaß ihres Berufs treulich erfüllt, aber auch den der andern ungestört und ungekränkt gelassen. Die Gemeinen, welche wußten, daß das Licht des Glaubens ihnen angezündet war durch diese Lehrer, welche dankbar erkannten, daß dadurch die Augen des Geistes ihnen geöffnet waren, verließen sich auch im rechten Vertrauen darauf, daß der Herr auch an dieser Stelle ihre Lehrer erfüllen werde mit der rechten Weisheit, und es zweifelte niemand daran, daß er sich von ganzem Herzen werde bekennen können zu dem, was sie als Wort des Herrn aussprachen. Die Lehrer selbst aber gingen mit großer Demuth des Herzens an dieses große und heilige Werk, mit Gebet und Flehen, gestärkt durch die Fürbitte der Abwesenden, immer wieder auf’s Neue bedacht, nachzusehen, ob noch etwas zu berichtigen wären, zögernd, ehe sie es abschlossen, aber im Voraus entschlossen, nachher daran zu bessern, wie es denn auch in der Folge geschehen ist, legten sie das Bekenntniß doch so ab, daß sie nicht wollten daran gebunden sein, sondern sich 1 denkt] so SAr 118, Bl. 13r; Textzeuge: hält schätzen 1–2 Vgl. Phil 3,15

3 unsere] unserer

23 schützen]

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vorbehaltend, daß was sie unter sich noch aufrichten würden, nachdem sie eine besondre Gemeinschaft geworden waren, darin wollten sie nicht gestört werden von denen, die nicht ihres Glaubens waren. Sehet da, m. Fr! eine schöne Uebereinstimmung, ein recht von Gott gesegnetes Werk, wo jeder seine Stelle einnahm und sie erfüllte, und sich verließ auf den Geist Gottes, der in dem Beruf eines jeden waltete. Möchte doch dies rechte Maaß, möchte dies gegenseitige Vertrauen, wie es kein andres ist, als der Geist Gottes, wie es sich damals ausgesprochen hat, niemals weichen von unsrer evangelischen Kirche! Dann würden ihre Fortschritte zum Licht, ihre Segnungen und ihre Freiheit im Leben sicher gestellt sein und bleiben für alle Zeiten! | 158r

II. Und nun m. t. Fr! laßt uns auf den zweiten Theil unsrer Betrachtung sehen, wie wir uns verhalten zu jener Ermahnung des Apostels in unserm Text, daß wir sollen bereit sein Verantwortung zu geben allen, die fragen nach dem Grunde der Hoffnung, die in uns ist, wie wir uns verhalten zu dieser Regel in Beziehung auf die große Begebenheit, deren Andenken wir heute feiern. Wir müssen zweierlei unterscheiden: Einmal unser Verhältniß zu dem Theil der Christenheit, der nicht mit in diese Reinigung des Glaubens und der Lehre eingegangen ist, und an welche auch damals schon dies Wort des Bekenntnisses gerichtet war. Laßt uns in dieser Beziehung vornehmlich dahin trachten, daß wir in dem Maaße, als wir den Geist des Bekenntnisses uns aneignen, auf dieselbe Weise auch eine Verantwortung ablegen können von dem Grunde unsrer Hoffnung. Wenn es damals ausgesprochen ist, daß keine Versammlung von Lehrern der Kirche im Stande sei, das Gewissen zu binden gegen das göttliche Wort; wenn es ausgesprochen worden ist, daß es keinen Gehorsam gebe gegen Lehren der Kirche, welche sie irgend wie festgestellt, wenn sie nicht gegründet wären im Worte Gottes, und solcher Gehorsam gegen Menschensatzungen keinem christlichen Gemüth könne zugemuthet werden, so laßt uns doch ja darauf achten, daß die Zeiten nicht wiederkommen, wo die Mitglieder der römischen Kirche der unsrigen mit Recht den Vorwurf machen können, daß wir auch solchen Gehorsam hätten gegen Lehren, welche Menschen aufgestellt, nur seien sie neuer, die ihrigen älter. Ich sage daß solche Zeiten nicht wiederkommen, denn leider sind sie da gewesen, wie der Mensch sich gar zu leicht hinneigt zu einem Dienst der Knechtschaft gegen das ausgezeichnet Menschliche, was er über sich stellen muß. Ja es sind Zeiten gewesen, wo man die Worte dieser Lehrer, und namentlich die Worte unsers Luther hat gleichstellen wollen der Schrift, und darum den Geist, der in der Schrift forschen wollte, hat binden wollen 39 forschen wollte] folgt, vermutlich durch Textverlust bei der Reinschrift unvollständig nach dem Ausspruch des Apostels nicht immer frei bleiben soll

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an etwas Menschliches. Diese Zeiten sind gewesen; sie sind vorübergegangen; aber laßt uns froh sein und Gott danken, daß sie vorüber sind, und sorgen, daß sie niemals wiederkehren. Darin müssen wir jenem | Bekenntniß treu bleiben, daß wir nichts feststellen, wonach unser Glaube, unsre Lehre soll beurteilt werden, als die Schrift. Wie damals so laut und bestimmt ausgesprochen wurde, daß wir uns auf nichts verlassen wollten, was äußerlich wäre, in Beziehung auf das Heil unsrer Seele und unsern Frieden mit Gott, sondern auf das Allerinnerste und Geheiligste, nämlich auf den lebendigen Glauben; so laßt uns daran festhalten und nicht Veranlassung geben, daß jene nicht sagen mögen, wir seien auch hier ihnen ähnlich geworden, wenn gleich auf andre Weise. Wir legten auch Werth auf gewisse Worte, wir legten auch Werth auf äußerliche Handlungen, nur sei es auf andre Weise. Wenn freilich alles, was das Ansehn hat, eine Herrschaft ausüben zu wollen über das Gewissen auf der einen Seite, auf der andern Seite alles, was menschliche Verderbniß in die Gemüther bringt, was menschliche Eitelkeit und Selbstgefälligkeit in die Gemüther hineinbringt, uns immer auf den einen oder den andern dieser Wege des Verderbens führt; so werden wir freilich gestehen müssen, welchen Theil der Geschichte unsrer Kirche in diesen drei Jahrhunderten wir betrachten mögen, es hat an Abweichungen davon nicht gefehlt. So laßt uns solchen Tag der Ehre würdig gebrauchen, das festzustellen, durch die Gnade Gottes, immer mehr frei davon zu werden. Je größer der Reichthum guter Werke ist in der Kirche, desto mehr nähert sie sich ihrem Ziele. Aber es ist kein Werk ein gutes, in dem der Mensch ein Verdienst sich anrechnet, an und für sich selbst, sondern es hat nichts Werth bei Gott, als die Gesinnung, woraus das Werk hervorgeht. Wenn wir aber ein Maaß anlegen an Worte und Thaten, so sind wir jenem Misbrauche schon anheim gefallen. Es ist gewiß ein großer Seegen, wenn die Christen übereinstimmen in der Art, wie sie ihren Glauben ausdrücken, aber es ist etwas, das niemals kann erzeugt werden auf äußerliche Weise. Soll es ein Zeichen sein, daß die Gemüther einig sind, daß dieselbe Ansicht herrschend geworden ist unter allen, dann muß auch diese Uebereinstimmung in jedem Augenblick frei sein; dann muß sie nicht gebunden sein, | sondern ruhig muß man erwarten, ob sie sich bei jeder Gelegenheit erneuern wird, oder nicht. Und eben so ruhig muß man es ansehen, wenn sich uns etwas anders ergiebt, so es nur gegründet ist in der Schrift. Nur indem wir es so halten in Beziehung auf diese Einheit, werden wir dieselbe Stellung behaupten können gegen den andern Theil der christlichen Kirche, welche damals die Lehrer und Mitglieder derselben nahmen. Und damit hängt auf das genaueste zusammen, wie wir in Beziehung auf unser eigenes, gemeinsames Leben, ohne daß wir nach außen sehen, gegen die Regel des Apostels stehen in unserm Verhältniß zu diesem Be19 diesen drei Jahrhunderten] so SAr 118, Bl. 13v; Textzeuge: diesem drei hundertsten

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kenntniß. Wir sollen Rechenschaft ablegen, wo es gefordert wird[,] von dem Grunde der Hoffnung, der in uns ist. Aber keiner wolle doch die Worte dieses Bekenntnisses für den Grund der Hoffnung halten. Es giebt nur Einen Grund, der ist Christus, und Verantwortung geben von dem Grunde der Hoffnung, der in uns ist, heißt nichts anders, als Verantwortung geben von Christus in der Art, wie wir ihn aufgestellt haben; ob diese von der Art, oder von der Art ist, davor laßt uns nicht uns scheuen; darin laßt uns der Freiheit der Kinder Gottes uns bedienen. Kommen wir immer auf dasselbe, so sei Christus uns ein Zeugniß, wie richtig die gesehen haben, welche damals zuerst die Fahne des reinen Glaubens aufgesteckt. Kommen wir auf etwas andres, – sollen wir glauben, daß damals alles vollkommen gewesen sei, und fertig? daß nichts übrig geblieben sei für die nachfolgenden Geschlechter, sondern der Geist Gottes habe sein Werk damals so vollbracht, daß er nun nichts mehr zu thun habe, als zu wachen und zu hüten, daß es sich auf gleiche Weise erhalte? Das sei ferne von uns; denn das haben die damals nicht gedacht, welche damals ihr Bekenntniß abgelegt, und nicht gewollt. Daß aber dieselbe Gemeinschaft des Geistes, dieselbe Mittheilung unter denen, welche berufen sind, auf vorzügliche Weise in dem Worte Gottes zu forschen, damit sie es in seiner Kraft den Christen mittheilen können, daß dasselbe Vertrauen und dieselbe Einigkeit des Geistes bleiben möge unter uns, das ist der große Gegenstand unsrer Sorge, damit wir eben so als Eine Gemeine bereit sein können zur Verantwortung. Wir haben, m. th. Fr! in dieser Beziehung Größeres zu leisten, als damals zu leisten war. Klein war damals in Vergleich mit der Gegenwärtigen jene Gemeine, und also auch leichter | in der Einheit zu erhalten. Neu war damals der Geist und das Wesen der evangelischen Kirche, und also auch nicht so viel Veranlassung, auf Einzelnes, besonderes zu sehen. Und auch damals schon entstand eine Spaltung, und an jenem Tage wurden solche Christen welche denselben Weg des Glaubens gegangen waren, wegen besonderer Abweichungen aus der Gemeinschaft jenes Bekenntnisses entfernt. Diese Spaltung ist nun unter uns aufgehoben, und wir dürfen hoffen, daß sich diese Vereinigung immer weiter verbreiten wird. Aber indem wir so eine Scheidewand umgeworfen und die Gemeinschaft erweitert haben wir noch Größeres zu leisten, wenn wir feststehen wollen in diesem vorgezeichneten Gange. Darum laßt uns auch weniger, als damals der Fall war, besorgt sein und nicht erschrecken vor Abweichungen; sondern so lange wir in der evan28 solche] SAr 118, Bl. 14r: schon 3–4 Vgl. 1Kor 3,11 7–8 Vgl. Röm 8,21 27–31 Gemeint ist die Trennung in Lutheraner und Reformierte, die anläßlich des dreihundertsten Reformationsjubiläums 1817 in Preußen und anderen deutschen Staaten durch die Union der beiden Konfessionen zu einer gemeinsamen evangelischen Kirche aufgehoben worden war.

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gelischen Kirche sehen das Festhalten an der Hoffnung des Glaubens, immer tiefer einzudringen in die Worte Christi, von dem Eifer, das Evangelium weiter zu verbreiten, nicht zu lassen, – wenn wir darin festhalten, dann werden wir ganz einig sein im Geiste mit denen, die damals unsre Vorgänger waren. So lasset uns gedenken nach unsrer epistolischen Lektion der Lehrer, die auch uns das Wort Gottes gesagt haben, die auch unsre Nachkommen bis in die spätesten Zeiten ehren sollen als theure, auserlesene Rüstzeuge Gottes. Aber laßt uns Eins nicht vergessen, es war damals auch schon etwas Wesentliches in dem Bekenntnisse der Kirche, daß sie keine Art von Priesterthum gestattete sondern eine Hauptlehre war, daß alle Christen Priester wären, und die Diener des Wortes Gottes eben nur Diener des Herrn in der Gemeine, nicht Beherrscher der Gewissen, sondern wo möglich Vorgänger der Lehre, welche das Wort Gottes richtig austheilten für den freien Gebrauch eines jeden. Darum ist es auch natürlich, daß der Unterschied zwischen denen, welche bestellte Diener des göttlichen Wortes sind, und den Gliedern der Gemeine, daß der je länger, je mehr geringer werde. Alle, die an diesem großen und heiligen Amt Theil nehmen, werden und können sich über nichts mehr freuen, als wenn die Fähigkeit, sich über das Wort Gottes zu äußern, die Kenntniß der christlichen Geschichte überall in der evangelischen Kirche verbreitet ist, das Licht des Glaubens | immer mehr verbreitet wird, und nicht mehr einzelne Punkte nöthig sind, von denen es ausging. Dieser Gleichheit sollen wir nachjagen und nur in dem Geist, daß sie dasselbe gesucht und gewollt, lasset uns jener Lehre gedenken; unter uns aber nähere sich alles immer mehr jenem brüderlichen Verhältniß, in welchem die Diener des göttlichen Worts nichts anders seien, als Haushälter der Geheimnisse Gottes, und die den Grund der Hoffnung aussprechen, wie er im Herzen aller ist[,] und welche den Glauben mit möglichster Klarheit und mit den innersten Gründen eines von Gott ergriffenen Herzens aussprechen, wie er im Herzen aller ist. Dann werden wir auch nicht nöthig haben, unser Vertrauen zu setzen auf diesen und jenen Einzelnen, weil es derselbe Geist ist, der in allen derselbe ist. Aber auf den guten Hirten, auf den wir gewiesen sind in unsrer evangelischen Lection, auf den allein laßt uns unser Vertrauen setzen. Der hat damals seine Kirche geleitet von oben herab und diese That und dieses Wort des Bekenntnisses gesegnet, der stand allein 6–7 Vgl. Hebr 13,7f; der Text war in der Kabinettsordre vom 30. April 1830 als Epistel für die Säkularfeier festgesetzt worden (vgl. Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den Bundesstaaten, S. 83f). 8–9 Vgl. Apg 9,15 26–27 Vgl. 1Kor 4,1; ferner 1Petr 4,10 32–33 Vgl. Joh 10,12–16; der Text war in der Kabinettsordre vom 30. April 1830 als Evangelium für die Säkularfeier festgesetzt worden (vgl. Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den Bundesstaaten, S. 83f).

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als einziger Mittler der Gläubigen, als der einzige, in dem wir den Vater schauen und unter dem alle andre Brüder sind, als Herzog des Glaubens vor dem reinen Geist und Gemüth derer, welche dies Bekenntniß ablegten. Er wird denn auch ferner über dieser, seiner Heerde walten, und wird auch die, deren Christenthum noch verunreinigt ist durch Menschensatzungen, hinzuführen, daß sie sich desselben reinen Lichts erfreuen, daß sie an der Freiheit der Kinder Gottes Theil nehmen, sei es auf dieselbe Weise wie wir, oder auf andre Weise. Wir aber wollen unwissend dessen, was der Herr über die Zukunft beschlossen hat, unseres Theiles festhalten, in der Freiheit der Kinder Gottes stehend, uns das Ziel des Glaubens unverrückt vorhalten und uns einigen in dem Glauben an Christus, der unser Heil ist, indem wir ihn bekennen in allen Werken und Worten und Leben, und in der ganzen Gemeinschaft aller Gläubigen. Er hat sich das ganze Geschlecht der Menschen erworben zum Eigenthum, und wenn wir es aussprechen dürfen als eine göttliche Segnung, daß die evangelische Kirche gesetzt sei als eine Stadt Gottes auf dem Berge gebaut, die ihr Licht leuchten lassen soll: so laßt uns unsers Berufes würdig sein, auf daß wir Nachfolger sein derer, die uns das Wort Gottes gesagt haben, dann werden wir uns aller Segnungen jenes Tages, aller Erleuchtung aus dem göttlichen Worte immer mehr erfreuen, und diese Gemeine des Herrn wird ein Zeuge sein, würdig dem Ziele entgegen | zu gehen, welches der ganzen Kirche vorschwebt, sich ihm darzustellen ohne Flecken und ohne Tadel! Amen. Herr, unser Gott! Dein Name sei gepriesen, den du oft und vielfältig verherrlicht hast durch den Mund schwacher Menschen, – dein Name sei gepriesen für jenes herrliche Wort des Bekenntnisses, das vor drei hundert Jahren erscholl in der ganzen Christenheit, das viele verholfen hat zum rechten Licht, viele zurück gebracht zur Einheit des Glaubens, und ein wichtiges Mittel geworden ist, die Gemüther der damaligen Christen in treuer Liebe zu verbinden. Laß uns alle demselben Ziel nachstreben, auf daß noch ferner jenes Wort und jene That des Bekenntnisses im Segen bleibe unter uns. Verleihe uns deinen Beistand, so daß wir keinen Schritt zurück wanken und nicht wieder nachgehen auf irgend eine Weise den falschen Götzen, uns nicht mehr binden lassen durch die Knechtschaft des Buchstabens und der Menschensatzungen. Aber dein Wort bestehe mächtiglich auch in der Zukunft; wir verlassen uns auf nichts anders, als auf die Offenbarung in deinem 23 den] der 26 viele verholfen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1448 31 im] vielleicht zu verbessern in ein 2 Vgl. Mt 23,8 2 Vgl. Mt 2,6 (darin Mi 5,1); Hebr 2,10 13–14 Vgl. vermutlich Tit 2,14 15–16 Vgl. Mt 5,14 21–22 Vgl. Eph 5,27 und Kol 1,22

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Sohn, dessen Herrschaft sei, daß er sich das ganze Geschlecht der Menschen unterwerfe, daß alle unter ihm leben als seine Jünger und unter einander als Brüder daß sich das Licht deiner heiligen Wahrheit immer mehr verbreite, und wo es ist, immer herrlicher strahle! Verleihe aber auch, daß die, welche du gesetzt hast zu Fürsten und Obrigkeiten über christliche Völker, den theuren Beruf, der ihnen obliegt, die Gemeine deines Sohnes zu schützen in Allem, was sie auf Erden bedarf, immerdar erfüllen, wie an jenem Tage des Bekenntnisses: Und so rufen wir besonders deinen Segen herab über unsern König u. s. w. Lied 651

2–3 Vgl. Mt 23,8 9 Vgl. das allgemeine Fürbittengebet in der „Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen“ 1829, S. 9f: „Laß, o Herr, Deine Gnade groß werden über den König, unsern Herrn, den Kronprinzen, die Kronprinzessinn, das ganze Königliche Haus, und alle, die ihm anverwandt und zugethan sind. Erhalte sie uns bei langem Leben, zum beständigen Segen und christlichen Vorbilde. Verleihe unsrem Könige eine lange und gesegnete Regierung. Beschütze das Königliche Kriegesheer und alle treuen Diener des Königes und des Vaterlandes. Lehre sie, stets wie Christen, ihres Eides gedenken und laß dann ihre Dienste gesegnet seyn zu Deiner Ehre und des Vaterlandes Bestem. Segne uns und alle königliche Länder. Hilf einem jeden in seiner Noth, und sey ein Heiland aller Menschen, vorzüglich Deiner Gläubigen. Bewahre uns vor einem bösen, unbußfertigen Tode, und bringe endlich uns Alle in Dein ewiges Himmelreich, durch Jesum Christum unsern Herrn. Amen.“ 10 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 651: „Herr Gott, dich loben wir“ (in eigener Melodie); das Lied war in der Kabinettsordre vom 30. April 1830 als Lied nach der Predigt festgesetzt worden (vgl. Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den Bundesstaaten, S. 83f).

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3. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 1,3–8 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 206–218, Nr. II; Zabel Keine Nachschrift; SAr 69, Bl. 31r–33v; Woltersdorff Nachschrift; SAr 99, Bl. 4r–8r; Slg. Wwe. SM, Pommer (Zabel) Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 795. Tex t . Colosser I, 3–8. „Wir danken Gott und dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, und beten allezeit für Euch, nachdem wir gehöret haben von Eurem Glauben an Christum Jesum und von der Liebe zu allen Heiligen; um der Hoffnung willen, die euch beigelegt ist im Himmel, von welcher ihr zuvor gehöret habt, durch das Wort der Wahrheit im Evangelium, das zu euch gekommen ist, wie auch in alle Welt, und ist fruchtbar, wie auch in euch, von dem Tage an, da ihr es gehört habt und erkannt die Gnade Gottes in der Wahrheit. Wie ihr denn gelernet habt vom Epaphra, unserm lieben Mitdiener, welcher ist ein treuer Diener Christi für euch, der uns auch eröffnet hat eure Liebe im Geist.“

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Ich habe, m. a. Fr., noch Einiges von dem des Zusammenhanges wegen mitlesen müssen, worauf ich schon neulich unsere Aufmerksamkeit gerichtet habe; nämlich, nachdem der Apostel gesagt, daß er Gott und dem Vater unsers Herrn Jesu Christi für diese Gemeine danke und allezeit für sie bete, nachdem er gehöret hätte von ihrem Glauben an Christum | Jesum und ihrer Liebe zu allen Heiligen: so fährt er nun fort: „um der Hoffnung willen, die euch beigelegt ist im Himmel,“ und so muß man denn wissen, worauf sich diese Worte beziehen. Da ist aber, wie sie hier lauten, eine zwiefache Beziehung derselben möglich, und ist zu überlegen, wie es wol der Apostel 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 795: „Erheb o meine Seele dich“ (Melodie von „Es ist gewißlich an der Zeit“) 14–18 Vgl. die Predigt am 13. Juni 1830 über Kol 1,1–5

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möge gemeint haben. Es kann heißen, daß er gehört habe von dem Glauben und der Liebe zu den Heiligen, welche die Colosser hätten um der Hoffnung willen, die ihnen beigelegt sei im Himmel; es kann auch heißen, daß er, nachdem er von ihrem Glauben und ihrer Liebe gehört, Gott danke um der Hoffnung willen, die ihnen beigelegt sei im Himmel. Das ist nun freilich das Erste, daß wir uns fragen, wie der Apostel dies eigentlich gemeint hat, und kommt es nun darauf an, wie groß der Unterschied sei zwischen dem Einen und zwischen dem Andern. Da wird uns allerdings wol, nach unserer Art zu reden, das auffallen, wenn seine Meinung gewesen wäre, daß die Colosser den Glauben an Christus und die Liebe zu den Heiligen nur hätten um der Hoffnung willen, die ihnen beigelegt ist, und daß doch dies ein Gegenstand der Freude und des Dankes sei für den Apostel; denn wenn wir es so denken: so kommen wir auch gar leicht auf den Gedanken, sie würden den Glauben und die Liebe nicht haben, wenn die Hoffnung, die ihnen im Himmel beigelegt ist, und also etwas Entferntes und Zukünftiges nicht wäre, was also in sich schließen könnte, sie hätten in sich nicht einen unmittelbaren Trieb in Beziehung auf jenen Glauben an Christus und die Liebe zu allen Heiligen, sondern nur die Hoffnung locke sie; wäre diese aber nicht: so würden sie auch fern geblieben sein von dem Glauben an Christus und der Gemeinschaft mit den Heiligen. Wenn es nun freilich so wäre, daß beides etwas ganz Verschiedenes wäre und das Eine nur um des Andern willen: so[,] würden wir sagen, sei das nicht die rechte Art, den Glauben an Christus zu haben und die Liebe | zu den Heiligen. Der Erlöser selbst stellt auch beides gar nicht so auseinander, sondern er sagt, die an ihn glauben, hätten schon das ewige Leben, die wären schon durch den Tod hindurchgedrungen, und Aehnliches sagt auch der Apostel in diesem Briefe selbst zu Anfang des dritten Capitels. Seid ihr nun mit Christo auferstanden: so trachtet nach dem, was droben ist, und nicht nach dem, was auf Erden ist. Diese Ansicht der Sache ist wol unstreitig die richtige, wir Alle werden sie in unserm eigenen Glauben vermittelst desselben dafür erkennen, daß nicht das Eine etwas Anderes sei als das Andere, der Glaube und die aus demselben hervorgehende Liebe und die Hoffnung, welche uns beigelegt ist im Himmel; sondern daß wir in diesem lebendigen 20–23 Vgl. SAr 69, Bl. 31r–v: „Wenn es nun freilich so wäre daß das beides etwas Verschiedenes wäre, nämlich der Glaube und das ewige Leben und jener nur das Mittel wäre dieses zu gewinnen dann könnte der Gedanke Raum gewinnen als ob die Hoffnung auf das Zukünftge der Grund sei ihres Glaubens und ihrer Liebe; da aber von solcher Verschiedenheit gar nicht die Rede sein kann, indem sie der Natur der Sache nach nicht sein kann: so ist das durchaus nicht die rechte Art und Weise das zu betrachten.“ 25–26 Vgl. Joh 5,24. Bei SAr 69, Bl. 31v folgt als weitere Erläuterung: „[...] das Leben des Glaubens also sei das Leben welches ohne untergehn zu können immer vollendeter wird und in Beziehung auf welches der leibliche Tod keine Bedeutung habe.“ 27–29 Vgl. Kol 3,1f

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Glauben das ewige Leben jetzt schon haben, so wie auch der Apostel nicht meinen kann, daß die Christen trachten sollen nach dem, was droben ist, um es erst zu empfangen, wenn sie nicht mehr auf Erden wären, aber unterdeß auch nicht nach dem, was hier auf Erden ist; sondern er trennt überhaupt nicht das Irdische von dem Geistigen und Ewigen; dieses aber, wie wir es hier haben durch den Glauben und die Liebe, und wie uns die Hoffnung beigelegt ist im Himmel, ist ganz Eins und dasselbe. Wenn wir es nun so betrachten, und das ist gewiß allein die rechte christliche Art und Weise, denn wie sollen wir sonst können von dem Erlöser selbst sagen, daß in ihm sei Leben hier auf Erden, daß die Hoffnung, die ihm gegeben war in Beziehung auf die Gewalt, die er ausüben soll im Himmel und auf Erden, und sein Sitzen zur Rechten Gottes, nicht etwas Verschiedenes gewesen wäre, da er doch schon in seinem Leben sagt, daß der Vater in ihm wäre, was doch etwas Höheres ist, als sein Sitzen zur Rechten Gottes, – wie nun beides in dem Erlöser nicht getrennt war, das Gegenwärtige und das Zukünftige, | sondern dasselbe: so ist es auch in uns; das ewige Leben, welches wir haben im Glauben und in der seeligen Gemeinschaft mit Christo, ist die Hoffnung, welche uns beigelegt ist im Himmel. Fragen wir nun aber: nun wohl! warum bedient sich der Apostel dieses Ausdrucks, der doch nur auf das Künftige geht; warum dankt er nicht Gott bestimmt in Beziehung auf den Genuß des ewigen Lebens, den sie schon haben; warum sagt er nicht, daß sie in dem Glauben und in der Liebe schon das hätten, was ihnen als das Künftige dargestellt wird? Das, m. g. Fr., haben wir uns wol so zu erklären, daß es freilich jetzt in dieser Beziehung etwas Anderes ist als damals. Das Evangelium war damals noch in seinen ersten Anfängen. Der Apostel beschreibt es zwar in den folgenden Worten auch so, als ob es schon in der ganzen Welt wäre, und überall fruchtbar; das war aber auch seine Art und Weise, in der Fülle des Glaubens das Künftige schon zu sehen in dem Gegenwärtigen; – aber es war der erste Anfang in dem Evangelium, und die, welche sich auf besondere Weise dem Dienst desselben gewidmet hatten auch in Beziehung auf die Verbreitung der Wahrheit in Christo, und das war freilich damals eben wegen dieses ersten Anfangs weit allgemeiner, und alle Christen zu einer größern und mehr unmittelbaren Theilnahme an diesem Geschäft, die Wahrheit des Evangeliums zu verbreiten, aufgefordert, als es dermalen unter uns sein kann; – in jenen ersten Anfängen also, da mußte das gläubige Auge derer, welche dem Evangelio dienen sollten, auf vorzügliche Weise auf das Zukünftige 1–7 Vgl. SAr 69, Bl. 31v: „[...] wie auch der Apostel in jener Stelle nicht meinen kann sie sollten trachten nach dem was droben ist um es erst zu empfangen wenn sie nicht mehr auf der Erde wären, sondern er trennt für diese Welt das Sinnliche und Vergängliche von dem Geistigen, Ewigen.“ 11 Vgl. Mt 28,18 12 Vgl. Kol 3,1 13 Vgl. Joh 17,21; auch 10,30

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gerichtet sein; sie mußten, wie der Apostel hier thut, in dem Gegenwärtigen schon das Zukünftige mit sehen, und das war für sie eben so natürlich, als es zugleich nothwendig war, um die rechte Kraft des Glaubens und den rechten Eifer in Beziehung auf die Angelegenheiten des Evangeliums in ihnen zu erhalten. Dieser Hoffnung war nun der Apostel | selbst immer voll, und mitten unter allen Banden und Beschwerden seines apostolischen Amtes, wie er denn auch damals ein Gefangener war um Christi willen, wie wir aus dem Ende des Briefes sehen, mitten unter diesen Banden war er immer in der Freudigkeit seines Geistes auf die Zukunft gerichtet, wo die Gewalt, welche dem Herrn verliehen ist, sich noch deutlicher auf der Erde darstellen würde, wo noch Mehrere würden aufgenommen sein in die Gemeinschaft der Gläubigen, wo die Fülle der Heiden würde eingegangen sein und nach ihnen auch das ganze Israel. Dieses beständige Sehen auf die Zukunft war das ganze Wesen seines Lebens und seiner Thätigkeit, und er konnte nicht anders, als es bei allen Christen voraussetzen, und wo es nicht war, sie dazu ermahnen, damit sie den ganzen Umfang der Gnade in Christo vor Augen hätten und ihre Liebe zu allen Heiligen auch die Richtung auf die hätte, welche noch nicht herbeigeführt wären zu der Heerde Christi. So mag er es denn so gemeint haben, oder so, daß er Gott danke für ihre Liebe um ihrer und aller Christen Hoffnung willen, nämlich daß auch diese ein Mittel sein werde, das Evangelium weiter zu verbreiten; oder mag er es so gemeint haben, wie er gehört, daß sie den Glauben an Christum bewahren und die Liebe um dieser Hoffnung willen, daß immer mehr alle Menschen Theil haben würden an der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und an der Freiheit der Kinder Gottes; – er mag das so gemeint haben oder so: so hat er den rechten Sinn der christlichen Wahrheit, indem das Gegenwärtige und Zukünftige, vermittelt durch den, der das Ebenbild Gottes war, Eins und dasselbe ist. In diesem christlichen Sinn sind seine Worte geredet, mag er sie so oder anders gemeint haben. Wenn ihm nun aber diese Hoffnung vorschwebt: wie kommt es denn, daß er die Gemeine nur rühmt um ihrer Liebe willen „zu allen Heiligen?“ Denn sehen wir auf diese immer größere Verbreitung des Evangeliums, wie immer Mehrere | sollen an der Seeligkeit durch Christum Theil nehmen: so 6 Banden] SAr 69, Bl. 31v: Leiden 7–8 Vgl. Kol 4,3.18 18–28 Vgl. SAr 69, Bl. 32r: „So also verschwindet der Unterschied zwischen beidem wie er es kann gemeint haben daß er sagt er danke Gott um ihrer Hoffnung willen und mag er es nun so gemeint haben daß er für ihren Glauben und Liebe Gott danke um der Hoffnung willen daß sie darin werden vollendet werden oder mag er gemeint haben um der Hoffnung willen daß immermehr alle Menschen werden zum Gehorsam gebracht werden des Evangeliums, und der Freiheit der Kinder Gottes theilhaftig: immer hat er den rechten und tiefen Sinn der christlichen Wahrheit geredet, denn wie beides durch Christum vermittelt ist, so ists Eins.“

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ist ja eine rechte Freude daran nur möglich im Zusammenhang mit einer Liebe nicht nur zu den Heiligen, welche dieser göttlichen Segnung schon theilhaftig geworden sind, sondern zu allen Menschen. Warum redet der Apostel so beschränkt? Und hätten die Colosser eine so beschränkte Liebe gehabt: warum ermahnt er sie nicht, daß sie ihre Liebe weiter ausbreiten sollten zu allen Menschen, zu einem rechten, lebendigen Trieb, sie alle der Gnade theilhaftig zu machen, und zu einer rechten Freude an den Fortschritten des Evangeliums? Damit nun aber, m. g. Fr., verhält es sich so. Wenn wir denken an die Worte des Herrn, welche er zu den Seinigen sagt, sie sollten sich unter einander lieben mit der Liebe, mit welcher er sie geliebt, und wir fragen uns, was war denn das eigentlich für eine Liebe, mit welcher er sie liebte? waren sie in der That so viel besser als alle andern Menschen, daß er ein vorzügliches Wohlgefallen an ihnen hätte haben können um ihrer selbst willen? Das können wir wol schwerlich sagen; denn Alles, was wir von ihnen wissen, das gibt uns gar nicht ein Bild von einer so ausgezeichneten menschlichen Vortrefflichkeit, und wenn wir dazu nehmen, was er so oft sagt, daß nicht sie ihn erwählt, sondern er sie: so ist ja seine Liebe nicht erst die Folge gewesen von ihrer Vortrefflichkeit, sondern umgekehrt, seine Liebe war das Erste, indem er sie erwählet, und aus dieser Erwählung sind alle die Vorzüge, deren sie sich erfreuten, entstanden. So müssen wir denn wol sagen, warum er gerade sie erwählt hat und nicht Andere, das vermögen wir schwerlich zu entscheiden, und es hat seinen Grund in dem Zusammenhange der Verhältnisse, unter denen der Erlöser lebte; aber nachdem er sie erwählt: liebte er sie als solche, welche er | bestimmt hatte, seine Werkzeuge zu werden, um seine Segnungen auch über Andere zu verbreiten. Mit dieser Liebe liebte er seine Jünger, und so war denn seine Liebe zu ihnen und zu allen Menschen Eine und dieselbe, und er liebte sie nur auf besondere Weise um des Zusammenhanges willen, in dem ihr Beruf stand mit seiner Liebe zu allen Menschen und den beseligenden Wirkungen derselben, und so, sagt er zu seinen Jüngern, sollten sie sich unter einander lieben. Und wenn nun der Apostel die Liebe zu allen Heiligen rühmt: so will er gewiß keine andere gerühmt haben als eben die, welche der Erlöser den Seinigen anbefohlen hat. Er hat also keine Freude an irgend einer aussondernden Liebe, sondern er rühmt die Christen, daß sie die Liebe zu allen Heiligen hätten in Verbindung mit der Hoffnung auf 7 theilhaftig] theihaftig 10–11 Vgl. Joh 13,34; 15,12 17 Vgl. Joh 15,16; auch 6,70; 13,18 22–24 Vgl. SAr 69, Bl. 32r: „[...] das hat seinen Grund zunächst in den Verhältnissen wodurch sie äußerlich einander nah kamen.“ 28–30 Vgl. SAr 69, Bl. 32r: „[...] er liebte sie auf besondre Weise in wie fern sie schon ausgerüstet waren durch Ihn zu dem Amt das er zu stiften erschienen war und zu dem sie von Ihm Kraft und Fähigkeit empfingen nämlich das Amt Alle Ihm zuzuführen damit sie zu Gott kämen.“

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die weitere Verbreitung des Evangeliums, auf die immer größern Segnungen, deren sich das menschliche Geschlecht würde zu erfreuen haben. Und das war auch das einzige Eigenthümliche in der Liebe, welche die Christen hatten; sie liebten sich auf besondere Weise nur in dieser Gemeinschaft eines besondern Berufs, und eine andere besondere Liebe der Christen unter einander würde auch nicht weder den Anweisungen des Erlösers, noch dem rechten Geist des Evangeliums gemäß sein. Lasset uns denn von hier aus unsere Aufmerksamkeit richten auf unseren gegenwärtigen Zustand. Wir sind nun nicht auf dieselbe Weise zur Verbreitung des Evangeliums berufen, unser gemeinsamer Beruf in dieser Hinsicht beschränkt sich darauf, daß wir allerdings auch eine bestimmte Verpflichtung haben, die Segnungen des Glaubens und der Liebe auf das kindliche Geschlecht zu bringen, welches unserer Sorge und Liebe anvertraut ist; aber zur Verbreitung des Evangeliums nach außen unter denen, welche von Christo noch nichts wissen, können wir so unmittelbar nichts beitragen. Wie steht es nun mit unserer Liebe zu allen Heiligen? Sie kann dieselbe | sein, wie jene, indem wir uns miteinander eben jenes gemeinsamen Berufs erfreuen und also uns unter einander deshalb lieben, weil wir auf dieselbe Weise Christo zugethan sind und ihm angehören, weil wir die Träger seines Worts und Bildes sein sollen, welche es so rein als möglich dem künftigen Geschlecht überliefern. Gibt es nun einen Unterschied der Christen in Beziehung auf die verschiedenen Gemeinschaften, in die sie sich gesondert haben: so kann es auch eine besondere Liebe geben unter denen, welche Genossen desselben Glaubens sind, insofern aber nur, als sie in genauerer Theilnahme miteinander, in genauerer Mitwirkung diesen gemeinsamen göttlichen Beruf treiben. Wenn es aber nun innerhalb dieser einzelnen Gemeinschaften der christlichen Kirche noch andere Besonderheiten des Glaubens gibt, indem Einzelne sich mehr mit einander vereinen und sich von Andern mehr ausschließen, von denen wir aber wissen, sie gehören zu dem, was sich in dem Wechsel der menschlichen Gedanken und Ereignisse bald so, bald anders gestaltet, ohne etwas Bleibendes und Festes zu sein: so werden wir eine solche Liebe, welche die so Uebereinstimmenden zu einander tragen, nicht mehr so beurtheilen können, sondern sagen, es sei dabei etwas Bedenkliches, was die Christen entfernen könne von der Liebe zu allen Heiligen, welche mit ihnen zugleich die Haushalter der Geheimnisse Gottes sind; es ist manches Bedenkliche dabei, daß aus einer solchen Absonderung eine Trennung entstehe, und indem der Umlauf der Gedanken, welche die Einen den Anderen mittheilen, ein kleinerer wird, daß das doch nicht auf dieselbe Weise zureiche zu einer Nahrung des göttli21 Bei SAr 69, Bl. 32v folgt: „Wenn es nun aber in Bezug auf diesen gemeinsamen Beruf besondere äußere Gestaltungen desselben giebt so kann auch die Liebe in mehreren Arten und Weisen sich äußern.“ 35–36 Vgl. 1Kor 4,1

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chen und freien Geistes, den wir als Jünger Christi alle haben sollen, und daß es besser sei, sich dieser Liebe zu allen Heiligen zu befleißigen und nicht nur einer Liebe zu den Wenigen, die gerade auf besondere Weise mit uns übereinstimmen. Freilich kann darin ein großer Genuß sein; aber danach sollen wir auch nicht streben; das Werk, zu | welchem wir berufen sind, das ist die Hauptsache, und das wird dadurch gehemmt. Soll schon die Liebe zu allen Heiligen eine solche sein, daß sie sich zugleich auf die Andern erstreckt: so müssen wir uns hüten vor zu großer Sonderung der Liebe; denn die Liebe muß das Große und Ganze umfassen. Haben wir nun an Christo den, welcher der Erlöser ist der ganzen Welt: so ist auch nur die Liebe der Seinigen unter einander die rechte, welche dieselbe ist mit dieser Liebe Christi zu der ganzen Welt, und so beschreibt eben der Apostel die Liebe der Gemeine, an welche seine Worte gerichtet sind, zu allen Heiligen, um dieser Hoffnung willen. Denn nun geht er mit seiner Rede zur Geschichte der Gemeine zurück, an welche er schreibt, weil sie eine solche war, mit der er noch nicht in persönlicher Verbindung gestanden, und er ihnen also eine Rechenschaft geben muß, wie er von ihnen vernommen, und wie er dazu gekommen, ihnen zu schreiben, und so sagt er denn, „sie hätten von dieser Hoffnung zuvor gehöret durch das Wort der Wahrheit im Evangelio, das zu ihnen gekommen sei, wie auch in alle Welt, und fruchtbar sei von dem Tage an, da sie es gehört und die Gnade Gottes in der Wahrheit erkannt hätten.“ In diesem zuvor meint er nun nichts anders, als daß diese Verkündigung des Worts der Wahrheit in dem Evangelio etwas Früheres sei, wovon er gehört, und unabhängig von dem Verhältniß, das er erst jetzt mit ihnen anknüpfe. Wenn wir nun auch fragen, gesetzt auch, wir erinnern uns an das, was ich vorher schon gesagt über die Art, wie der Apostel in der Kraft seines Glaubens und in seinem lebendigen Eifer in den geringen Anfängen der damaligen Zeit schon das Größere, Reichere, Vollständigere in der Verbreitung des Evangeliums sieht, ob nicht doch seine Worte über die Grenze der unmittelbaren Wahrheit gehen, wenn er sagt, das Evangelium sei gekommen in die ganze Welt, und es | sei überall fruchtbar wie in ihnen von dem Tage an, da es gehört, und die Gnade Gottes in der Wahrheit erkannt sei. Ich glaube nicht, daß wir ihm in dieser Beziehung irgend eine Uebertreibung Schuld geben können, daß hier irgend etwas zu viel gesagt sei. Nur freilich müssen wir uns den Ausdruck, daß das Evangelium gekommen sei in alle Welt, nur denken nach dem Maaß, wie der Apostel selbst ihn denken konnte. Viele Völker, zu denen das Evangelium jetzt durchgedrungen ist, und welche sich schon Jahre lang der Segnungen desselben erfreuen, waren ganz außer der Gemeinschaft mit denen, welche es damals hatten; wenn aber der Apostel sagt, „in alle Welt:“ so konnte er nur denken an den ganzen Umfang der 34–35 wir ihm ... Schuld geben] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 289

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Völker, welche unter sich in Gemeinschaft standen, so daß, was irgend wo in diesem Umfang war, angesehen werden konnte als Allen angehörig. Das war nun dazumal das Römische Reich; denn nach dem göttlichen Rathschluß zur Verbreitung des Evangeliums gab es einen so großen Umfang bürgerlicher Gewalt und eine solche Ausdehnung des weltlichen Reichs, vermöge deren nun in diesem ganzen Umkreise Alle in einer solchen Gemeinschaft standen, daß sich leicht von dem einen Theil in den andern Alles verpflanzte, was für das Wohl der Menschen von Bedeutung war. In dem Sinn konnte der Apostel sagen, von dem Tage an, da das Evangelium die Grenzen des jüdischen Volkes überschritten hatte, weil die Juden sich noch sehr abschlossen von den andern Völkern, aber von dem Tage an, da es diese Grenzen überschritten hatte, war es gekommen in die ganze gebildete Welt. Die Gemeine, an die der Apostel schreibt, war selbst ein Beweis von einem solchen Ausgegangensein des Evangeliums in alle Welt; sie war nicht unmittelbar von dem Apostel gestiftet und gewiß auch nicht unmittelbar von einem andern Apostel; denn sonst würde er dessen erwähnen; sondern sie war schon durch diese allgemeine Verbreitung gestiftet. Irgend wie mögen Männer | von dort anderswo zu dem Evangelium bekehrt sein, oder Christen aus einer andern Stadt ihren Wohnsitz zu Colossä genommen und das Evangelium ausgebreitet haben, und als einen solchen, der an der Verbreitung des Evangeliums besonderen Antheil hatte, nennt er im siebenten Verse den Epaphras, indem er sagt: „wie ihr denn gelernt habt vom Epaphra, unserm lieben Mitdiener, welcher ist ein treuer Diener Christi für euch.“ Das war also wenigstens Einer von denen, welche die Gemeine hatten stiften helfen, und so erwähnt auch der Apostel seiner noch am Ende des Briefes, indem er ihn einen Knecht Christi nennt, der allezeit für sie ringe mit Gebet, und großen Fleiß habe für sie und alle in der Nähe befindliche Gemeinen von derselben Art. Das mußte dem Apostel eine große Freude sein, daß das Evangelium schon anfing sich gleichsam von selbst zu verpflanzen und weiter zu verbreiten, ohne daß die, welche einen besondern Beruf dazu hatten, die ersten Verkündiger des Worts und die Säulen der Gemeine sich darum bemühten, und darum war ihm das ein so erfreuliches Bild von der Verbreitung und Fruchtbarkeit des Evangeliums. Aber diese schöne Zuversicht ist eine solche, die wir uns auch aneignen sollen, daß das Evangelium fruchtbar ist in der ganzen Welt, wo es gehört wird, und die Gnade Gottes erkannt in der Wahrheit. Nun sind das freilich zwei sehr verschiedene Punkte, von dem Tage an, wo es gehöret wird, und von dem Tage an, wo die Gnade Gottes erkannt wird in der Wahrheit; aber doch hatte dieser Unterschied nichts, was die Freudigkeit und Zuversicht des Apostels lähmte, sondern er scheint beides in sehr unmittelbare Verbin12–13 Bei SAr 69, Bl. 33r heißt es „die ganze gesittete Welt“. 4,12f 31–32 Vgl. Gal 2,9

25–28 Vgl. Kol

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dung zu setzen. Und das ist doch gerade der rechte Glaube an die Kraft des Evangeliums. Es fällt immer hin als ein von Gott befruchteter Keim, es kann nicht vernommen werden, ohne Eindruck auf das Gemüth zu machen, und wenn auch nachher manche oder alle von jenen unglücklichen Schic|kungen eintreten, welche der Erlöser selbst in seinem Gleichniß erwähnt: so bleibt doch das wahr, daß es nie ohne alle Folgen bleiben kann, daß wenigstens immer ein Stachel in dem Herzen haftet, wenn dem Menschen einmal die selige Berufung zu der Gemeinschaft in Christo ausgesprochen wird. Es ist nicht anders möglich, es muß das Gemüth einen Eindruck bekommen von dem großen Unterschied zwischen dem Tichten und Trachten nach dem, was auf der Erde ist, und zwischen dem Tichten und Trachten nach dem, was droben ist, und das ist die große Fruchtbarkeit des Evangeliums überall. Geduld gehört dann freilich dazu, abzuwarten bis die Frucht sichtbar wird, und so kann denn wol zuweilen den Einzelnen die Zeit zu lang werden. Die möchten sich dann alle spiegeln mit ihrem wohlgemeinten und treuen Eifer an dem Beispiel des Apostels. Dem hat es auch nicht gefehlt, daß er lange vergeblich gearbeitet hat; aber doch ist er immer in der Hoffnung, in der Zuversicht des Geistes geblieben, daß das Evangelium in seiner Fruchtbarkeit sich bewähren würde. Es muß auch jeder, der ein Zeugniß von Christo ablegt, dieser Fruchtbarkeit gewiß sein, weil er ja selbst es weiß, welch eine Kraft dieses Wort hat. Haben wir die rechte Erkenntniß sowol von dem Göttlichen des Worts, als auch von der Gebrechlichkeit der menschlichen Natur, und dabei die Erfahrung von der Kraft des göttlichen Worts in dem Evangelio: so müssen wir auch überall die Zuversicht haben, daß es nirgend kann vergeblich sein. Erscheinen dann auch oft die ersten Früchte uns in einer fremden Gestalt, drückt sich der Glaube in einer Art aus, welche uns nicht gewöhnlich ist, so wir nur merken, es ist etwas von der Kraft des göttlichen Wortes darin, es ist eine Beziehung auf den Erlöser darin: da ist auch schon die Fruchtbarkeit des Evangeliums; wir müssen sie anerkennen, uns ihrer | freuen, unsere Hoffnung muß dadurch belebt werden, und wir müssen eben so ein Zeugniß davon abzulegen im Stande sein, wie hier der Apostel. Mit solcher Freudigkeit laßt uns denn überall auf die Verbreitung des Wortes Gottes auf Erden hinsehen und nur darnach trachten, daß wir in der rechten Liebe zu allen Heiligen, was Eins und dasselbe ist mit der Liebe des Erlösers zu uns Allen, daß wir in dieser treu bleiben. So werden wir auch immer dieselbe Freudigkeit des Geistes haben können in Beziehung auf die Zukunft des Evangeliums, und gewiß sein, daß sich die Kraft desselben 4–6 Vgl. Mt 13,3–8; Mk 4,3–8; Lk 8,5–8 33–34 Statt „die Verbreitung des Wortes Gottes auf Erden“ heißt es bei SAr 69, Bl. 33v „die Verbreitung des Reichs Gottes auf Erden“. 38 Statt „die Kraft desselben“ (scilicet: des Evangeliums) heißt es bei SAr 69, Bl. 33v „die Kraft Gottes“.

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immer mehr bewähren werde an allen Geschlechtern der Menschen, und daß die erkannte Gnade Gottes in der Wahrheit sich immer reichlicher beweisen werde und das Reich Gottes und der Wahrheit in der Kraft des Glaubens und der Liebe immer herrlicher erscheinen werde, bis die ganze Hoffnung, welche uns beigelegt ist im Himmel, sich bewährt nach dem ewigen Rathschluß Gottes. Amen. Lied 491, 9–10.

7 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 491: „Mein Gott, das Herz ich bringe dir“ (Melodie von „Nun sich der Tag geendet hat“), Strophe 9–10: „Hilf, daß ich sey im Glauben treu an Christum, Gottes Sohn, und ihn bekenne sonder Scheu, trotz seiner Feinde Hohn. // Hilf, daß ich sey im Hoffen fest, voll Demuth und Geduld; daß ich, wenn Alles mich verläßt, vertraue Gottes Huld.“

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4. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Gal 2,16–18 Nachschrift; SAr 94, Bl. 161r–166v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Drucktext Schleiermachers; Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung) 1831, S. 37–61 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 637–652; 21843, S. 637–652. – Predigten. Sechste Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 33–53. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 20–32. – Kleine Schriften und Predigten, Bd. 3, ed. Gerdes u. Hirsch, 1969, S. 36–51 Nachschrift; SAr 118, Bl. 15r–18r; Simon 3. Augustana-Predigt

Predigt von Schleiermacher. 4. Juli 1830 Die wichtigsten Artikel (Hauptstücke) der Augsburgischen Confession Lied No. 49. 94. Tex t . Galater 2, 16–18. „Doch weil wir wissen, daß der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesum Christum; so glauben wir auch an Jesum Christum auf daß wir gerecht werden durch den Glauben an Christum, und nicht durch des Gesetzes Werke; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht. Sollten wir aber die da suchen durch Christum gerecht zu werden, auch noch selbst Sünder erfunden werden; so wäre Christus ein Sündendiener. Das sei 4 2,16–18.] 2,16 3 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 49: „O Gott wir ehren deine Macht“ (Melodie von „Es woll’ uns Gott genädig sein“); Nr. 94: „Gott wollte nicht des Sünders Tod“ (Melodie von „Herr Gott, nun loben alle dich“)

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ferne! Wenn ich aber das, so ich zerbrochen habe, wiederum baue, so mache ich mich selbst zu einem Uebertreter.“

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M. a. Fr! Wir haben neulich miteinander das Gedächtniß eines großen und für unsere ganze kirchliche Gemeinschaft bedeutenden Tages gefeiert, die Uebergabe eines öffentlichen Bekenntnisses in welchem Rechenschaft abgelegt wurde vorzüglich von denjenigen Abweichungen in der christlichen Lehre und in christlichem Leben, wozu sich die damaligen Diener des göttlichen Wortes in Verbindung mit ihren christlichen Gemeinen in ihren Gewissen gebunden fühlten. Wir sind nun seitdem, m. a. Fr! auf diesem nämlichen Wege gegangen; nach dem großen damals ausgesprochenen Grundsatz, daß Alles solle gerichtet werden nach dem göttlichen Worte, haben sich die Gemeinen dieses Bekenntnisses untereinander erbauet und das Wesen des christlichen Gottesdienstes gesucht in der Erbauung aus dem göttlichen Worte und die Diener des göttlichen Wortes haben miteinander von einem Geschlecht zum andern immer auf’s Neue darin geforscht, um unter Leitung des göttlichen Geistes in den Sinn des göttlichen Worts immer tiefer einzudringen. Dabei war denn natürlich und dürfen wir es an und für sich nicht als ein Uebel ansehen, wenn unter vielen Christen unserer Gemeinschaft jenes Bekenntniß selbst auf gewisse Weise in Vergessenheit und außer Uebung gekommen ist, so nur der Glaube selbst, der Grund der Gemeinschaft, das Bestreben, Alles nach dem göttlichen Worte zu richten dasselbe geblieben ist. Aber doch veranlaßt uns jene Feier auf dies | Bekenntniß mit unsern Gedanken wieder zurückzugehen, und so habe ich denn geglaubt es möge nach derselben nützlich sein, daß wir eine Zeit dazu anwendeten, uns die Hauptpunkte jenes Bekenntnisses in Erinnerung zu bringen, nicht etwa auswählend das allein, womit wir alle noch jetzt aus vollem Herzen übereinstimmen, sondern, wie es sein mag, das, was uns noch auf dieselbe Weise wahr ist, als auch das, was sich uns schon mehr entfremdet hat. Und einer von den Hauptpunkten dieses Bekenntnisses war der, daß es keine Gerechtigkeit gebe vor Gott durch die Werke des Gesetzes, es sei was es wolle, sondern allein durch den Glauben. Nun aber wäre es, dieses ganz zusammenzufassen, viel zu viel für eine solche Rede und Betrachtung, wir wollen also nur stehen bleiben bei dem einen Theil von dem, worauf uns unser Text hinweiset, nämlich dem Verhältniß des Gesetzes zu dem rechten christlichen Glauben. Das spricht nun der Apostel aus in den Worten unsers Textes auf zweifache Weise: 1., daß nämlich Alle, die an Christus glauben nicht der Meinung sein können gerecht zu werden vor Gott durch Werke des Gesetzes; 2., daß wenn wir das Gesetz unter uns wieder aufrichten, wir dadurch uns selbst als Uebertreter bekennen. 3–5 Vgl. die Predigt am 25. Juni 1830 über 1Petr 3,15 anläßlich der Dreihundertjahrfeier der Übergabe der Confessio Augustana auf dem Reichstag zu Augsburg 1530

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Das sei es also, m. g. Fr! worauf wir unter dem Beistand Gottes unsere Aufmerksamkeit richten wollen.

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I. Der Apostel also sagt zuerst, und das sagt auch jenes Bekenntniß mit klaren Worten, daß kein Fleisch vor Gott gerecht werden könne durch Werke des Gesetzes. Aber freilich indem wir uns dieses zum Gegenstand unsrer Betrachtung machen, so fällt wol einem jeden ein, es komme nicht so wol an auf die Worte, sondern vielmehr darauf, ob auch jetzt noch bei denselben Worten dasselbe gedacht werde, wie damals. Es könnte ja wol sein, daß man schon zur Zeit jenes Bekenntnisses und auch wir jetzt unter den Worten des Gesetzes etwas ganz anderes verstanden hätten, als was der Apostel verstanden hatte, und dann wäre ja von jenen Lehrern des Evangeliums eine falsche Anwendung gemacht von den Worten des Apostels auf die Lehren, auf welche sie in diesem Stück vorzüglich zurück gingen. Darum laßt uns vor allen Dingen sehen, ob und wiefern das, wogegen damals diese Lehre des Bekenntnisses sich richtete, dasselbe ist, was der Apostel im Auge hat. Es ist bekannt, m. a. Fr! um weswillen der Apostel diesen Brief an die Christen zu Galatien geschrieben. Es hatten sich nach der Zeit seiner Verkündigung Lehrer unter ihnen eingefunden, welche behaupteten, daß alle die, welche durch den Glauben an Christus ihre Seligkeit schaffen wollten, demungeachtet verpflichtet wären, das Gesetz, welches dem jüdischen Volk durch | Moses gegeben war, zu beobachten, und darum ging dies Wort des Apostels vorzüglich und zunächst gegen Mosis Gesetz. Davon war zur Zeit unsrer Kirchenverbesserung keine Rede; wogegen aber geeifert ward, weil man darauf drang, daß wieder zum lebendigen Glauben an Christus zurückgekehrt würde, das war dies, daß eine Menge von äußerlichen Werken dem christlichen Volke durch die, welche es leiteten, war vorgeschrieben worden, theils im Allgemeinen, theils den Hütern, Hirten und Leitern der einzelnen Gemeinen anheim gestellt, ihnen einzelne Gebote und Satzungen vorzuschreiben, welche sie beobachten mußten, nämlich eines Theils, um dadurch Genugtuung für unsre Sünden und also Vergebung zu erlangen, andern Theils, um sich dadurch des Wohlgefallens und der Gnade Gottes theilhaftig zu machen und so sich die Hoffnung der Seligkeit zu verschaffen. Gegen solche dem christlichen Volk gebotene Werke, wobei ihnen die Hoffnung gegeben wurde, durch diese Werke gerecht zu werden 10–11 Worten] möglicherweise mit 6. Sammlung, S. 40 zu korrigieren in Werken 12 Lehrern] Lehren 19 Galatien] Galat 4–6 Vgl. CA IV, Die drey ökumenischen Symbola, die Augsburgische Confession, und die repetitio confessionis Augustanae, ed. Twesten, S. 23f; BSLK S. 56

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vor Gott, dagegen eiferten damals die, welche an der Kirchenverbesserung Theil nahmen. Es ist aber beides gar nicht verschieden, sondern ist eins und dasselbige. Laßt uns nur dazu nehmen, was der Apostel in demselben Zusammenhange an einer andern Stelle sagt: wenn ein Gesetz gegeben wäre das da könnte lebendig machen, so wäre Christus vergeblich gestorben und so gäbe es auch keine Erlösung durch Christus und keine Gerechtigkeit aus dem Glauben, sondern dann gäbe es eine Gerechtigkeit aus dem Gesetz. Wenn er aber sagt es gebe keine Gerechtigkeit aus dem Gesetz, so ist doch der eigentliche Grund davon, weil es kein Gesetz giebt, daß lebendig machen kann, und alle Werke des Gesetzes von Grund aus und ihrer Natur nach todte Werke sind. Das, m. g. F. das lasset uns noch näher in seiner ganzen Allgemeinheit erwägen. Was ist denn Gesetz? Wir kennen im eigentlichen und strengen Sinn nur zweierlei Gesetz, wie wir nur zweierlei Gemeinschaften kennen, welche feststehen und bestimmt sind ihrem ganzen Wesen und Inhalt nach. Das eine ist das Gesetz der Gemeinschaft der Ordnung und des Rechts in Beziehung auf die äußerlichen Verhältnisse der Menschen. Das ist das bürgerliche Gesetz. Das andre ist das Gesetz der Gemeinschaft zu welcher die Menschen in Beziehung auf Gott und ihr Verhältniß zu Gott unmittelbar einander verbunden werden. Wenn es in dieser Gemeinschaft Gesetze giebt, so sind sie auch von derselben Natur wie jene, wenn gleich der Inhalt derselben ein anderer ist. Was war nun das Gesetz, was durch Moses dem jüdischen Volk gegeben | war? Es war beides in einem Zusammenhange. In jener Gemeinschaft nämlich war beides ungetrennt. Gott war König des Volks und gab ihm also auch Gesetze in Beziehung auf die äußern Verhältnisse des Lebens; es waren zwar einzelne Männer da, welche das Volk leiteten und regierten, aber das thaten sie nur im unmittelbaren Auftrage Gottes, indem sie seine Befehle verwirklichten; aber eben der König, der Beherrscher, der Gesetzgeber, der welcher die Angelegenheiten des Volkes ordnete, war Gott. Die Gemeinschaft war also eine zweifache, aber in Einem und demselben und es wird also von beiden Arten des Gesetzes gelten, was der Apostel meint; denn indem er das Gesetz Mosis im Sinne hat, so hat er beides im Sinn, wie beides in Einem verbunden war in jenem Gesetz. Aber noch mehr! Im Briefe an die Römer redet er ebenfalls davon, wie die Menschen nicht gerecht werden können vor Gott durch Werke des Gesetzes und da stellt er von vorn herein die Heiden und Juden ganz einander gleich, indem er sagt: die Heiden zwar hätten kein Gesetz gehabt, allein sie seien sich selbst ein Gesetz geworden und so weiset er also hin auf diese allge8 aber] SAr 118, Bl. 15v: also aus SAr 118, Bl. 15v

26–28 es waren ... Befehle verwirklichten;] Ergänzung

4–6 Vgl. Gal 3,21 in Verbindung mit 2,21

37–38 Vgl. Röm 2,14

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meine Einrichtung der menschlichen Natur, daß in jeder menschlichen Gemeinschaft ein Gesetz besteht, um sie zusammen zu halten und zu leiten. Warum aber meine g. F! giebt es denn keine Gerechtigkeit aus dem Gesetz, so es doch ein Gesetz giebt? Indem der Apostel dies leugnet, so ist er auch überall, wenn er es thut darauf bedacht, einen andern Nutzen des Gesetzes klar zu machen, und auf einen andern Zweck und Absicht desselben hin zu weisen, als die Gerechtigkeit und die Seligkeit und zwar unter der Voraussetzung, daß es dennoch einen Nutzen und Zweck des Gesetzes gebe, können wir dem Gesetze folgen, wenn es nur keine Gerechtigkeit schaffen soll. Aber dieser andere Grund und dieser andere Zweck liegt in der äußerlichen Gemeinschaft der Menschen; in jener innern, auf Gott gegründeten kann das Gesetz nur, wie der Apostel sagt, etwas Vorbereitendes sein um die Menschen zusammenzuhalten unter dem Gesetz und der Sünde, bis daß der Größere und Bessere, nämlich der Glaube komme. Warum aber das Gesetz als solches nicht gerecht machen kann vor dem, welcher das Gesetz giebt – denn so wurde doch das Gesetz des jüdischen Volks angesehen, daß es von Gott gegeben sei, – das ist offenbar dies, daß das Gesetz allemal voraussetzt eine Unlust zu dem, was durch das Gesetz geboten ist. Darum kann es nirgend eine Gerechtigkeit geben aus dem Gesetz, und eben so wenig giebt es eine eigentliche Gerechtigkeit im bürgerlichen Leben durch das Gesetz, wie es keine giebt im geistigen Leben durch das Gesetz. Denn wo die Unlust ist zu dem, was geboten wird, da ist doch nicht der Geist und Sinn dessen, was geboten wird und also auch nicht der Geist und Sinn dessen, der das Gebot giebt. Darum ist es auch so leicht das beides miteinander zu vereinigen, was der Apostel sagt und was auf den ersten Anblick und wenn man jedes für sich allein betrachtet so schwer zu vereinigen zu sein scheint. Er leugnet hier, daß es irgend ein Gesetz gebe, welches könne lebendig machen, nämlich lebendig machen in Beziehung auf das, was | der Gegenstand des Gesetzes ist; auf der andern Seite sagt er, das Gesetz ist aller Dinge Geist. Aber Geist und Leben ist doch dasselbe; ist also das Gesetz geistig, so muß es auch lebendig sein. Aber die Meinung dabei ist diese: Das Gesetz ist geistig seiner Natur nach, das heißt in Bezug auf den, in welchem es ist, und von welchem es ausgeht, in Beziehung auf den, welcher es den andern vorhält und vorstellt, und also, wenn er die Macht dazu hat, sie auch dazu verpflichtet. Denn es kann nichts anders sein als der Ausdruck seines Geistes, das Zeugniß seines eigenen Lebens, so wie seiner Erkenntniß und der Richtung seines Willens. So ist 16 wurde] würde 12–14 Vgl. Gal 3,22f 27–28 Vgl. Gal 3,21 29–30 Worauf Schleiermacher sich bezieht, ist nicht ganz klar. Die Passage lautet bei SAr 118, Bl. 16r: „An einer andern Stelle sagt er, das Gesetz sei Geist.“ Vgl. vermutlich Röm 7,14; ferner 8,2

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freilich das Gesetz Geist, und wenn wir uns denken in den bürgerlichen Verhältnissen der Menschen den oder die, welche Gesetze geben, so glauben wir, daß sie es in der That doch nur vermögen, in so fern sie den Geist des Ganzen in sich tragen, in so fern sie von dem Leben und den Bedürfnissen des Lebens die rechte lebendige Erkenntniß haben, in so fern die Lust an dem Wohl der Gemeinschaft im Ganzen sie leitet. In denen ist also das Gesetz allerdings Geist. Wenn nun das, was sie erkennen als zum Wohl des Ganzen nothwendig und gehörig, ein solches ist, wovon sie sehen, daß es auch von selbst schon geschieht, daß die Lust und Liebe dazu schon da ist in denen, welche sie zu leiten haben, dann sprechen sie es auch nicht als Gesetz aus, sondern freuen sich der Uebereinstimmung zwischen ihnen den Leitenden, und denen, die geleitet werden. Oder warum sollten sie es denn als Gesetz aussprechen, so es schon von selbst geschieht; warum sollten sie Belohnungen und Strafen damit verbinden, so Freude daran schon vorhanden ist? In denen also, von denen das Gesetz ausgeht, ist das Gesetz Geist und Leben, in denen aber, an die es gerichtet ist, ist es nur ein Buchstab, etwas Todtes, ist es etwas, das nicht vermag sie lebendig zu machen. Denn nur deshalb wird das Gesetz gegeben, weil eine Unlust vorausgesetzt wird in den Menschen zu dem, was sie thun sollen, und sucht man ihnen die Lust dazu beizubringen, indem man sie von der Heilsamkeit dessen überzeugt, dann giebt man kein Gesetz, sondern dann belehret man. Wenn man aber ein Gesetz giebt, dann ist es verbunden mit Verheißung von Belohnung und Androhung von Strafen. Und so war es auch beim Gesetz des alten Bundes; aber darin wird deutlich ausgesprochen, daß das Gesetz nicht habe eine Kraft lebendig zu machen, weil es etwas Fremdes zu Hülfe nehmen muß; die Kraft des Gesetzes ist die Hoffnung oder Furcht, das Gesetz selbst aber ist ein Todtes, das auch nicht lebendig machen kann. Darum sagt der Apostel, es ist nicht möglich gerecht zu werden durch die Werke des Gesetzes, denn so lange es Werke des Gesetzes sind, sind es auch todte Werke, weil es nicht um des Guten selbst willen gethan wird, sondern um des, was geboten wird. Das sehen wir auch daran, m. g. Fr! daß überall, wo Gesetze sind, man sie auch betrachtet als eine Menge von einzelnen | Geboten, Satzungen oder Vorschriften. Aber wenn es nun wirklich Eins ist, so wird doch auch und muß in ihm sein ein Zusammenhang, und muß das Eine nicht gethan werden können ohne das andre. Und kurz, für die, in welchen das Gesetz Geist ist, muß auch alles nur Eins sein. So wie es aber ausgesprochen wird, eben weil vorausgesetzt wird, daß dieser innere Zusammenhang in denen, welchen das Gesetz gegeben wird nicht ist, kann es nur ausgesprochen werden in einer Mannigfaltigkeit von Geboten, und man hält das Gesetz für vollkommen, wenn auf die verschiedensten Fälle und die mannigfaltigsten 31 des] das

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Umstände Rücksicht genommen ist. Wie wäre das wol nothwendig, wenn das Gesetz in denen, welchen es gegeben wird, Geist und Leben wäre? Da brauchte man ihnen nur das Ganze einfach und im Allgemeinen mittheilen und es ihnen überlassen, daß sie selbst bestimmen, wie jedesmal sie von dem Geiste des Gesetzes aus handeln müßten, um gewiß zu sein, daß sie die Anwendung auf die einzelnen Fälle von selbst finden würden. Mag man also darauf sehen, daß das Gesetz überall die Unlust an dem, was gethan werden soll, voraussetzt und nur unter dieser Voraussetzung gegeben wird, oder darauf, daß das, was Eins und dasselbe ist, doch in einer großen Mannigfaltigkeit von einzelnen Geboten muß vorgelegt werden, so folgt aus beiden zusammen und aus einem wie aus dem andern, daß das Gesetz in der That kein Leben ist und darum auch kein Leben geben kann denen, denen es gegeben worden, wiewol es aus dem Geist und Leben derer hervorgeht, durch die es gegeben ist. Wie kann es also eine Gerechtigkeit geben durch das Gesetz, wenn wir voraussetzen, daß, wo das Gesetz gegeben wird, ist auch ein Widerspruch des Menschen mit sich selbst, und in diesem kann er nicht gerecht sein nach jedem Maaße, wie man es auch verlangt, sondern auch der, welcher die äußerlichen und bürgerlichen Gesetze giebt, der wird doch mit denen, welche das Gesetz befolgen, wenn sie es auch auf das genaueste befolgen, nicht zufrieden sein, sondern wird bei sich immer denken und sagen: ja so möchte ich sie haben, daß ich nicht nöthig hätte, ihnen ein Gesetz zu geben, und wenn freilich nicht Alle auf dieselbe Weise einsehen können, was für das gemeine Wohl ersprißlich ist, so möchte ich doch nichts anders nöthig haben, als daß ich ihnen sagte: sehet, das ist gut, das müßt ihr thun. | Wenn sie nun, ohne daß ihnen Belohnungen oder Strafen vorgehalten würden, aus innerer Lust und Liebe thätig sind, indem sie wüßten, daß, was jener als gut und recht erkennt, und als solches ihnen vorhält, der im Mittelpunkt des Ganzen steht, auch wirklich das Rechte und Gute ist, – dann wären sie gerecht vor dem, der das Gesetz giebt und also nicht eher, als bis er nicht mehr nöthig hätte, ihnen das Gesetz zu geben. Das m. t. Fr! ist der ganze klare Zusammenhang dieser Lehre, der sich wol keiner wird entziehen können, und jeder wird erkennen, daß da keine Gerechtigkeit sein kann, wo ein innerer Widerspruch ist, weil es kein Maaß giebt, welches angelegt werden kann, und keine Sicherheit, ob das, was gemessen werden soll, so ist oder so. Denn wie kann man einen Menschen seinem inneren Sein und Wesen nach darnach messen, wenn er auch noch so vollkommen das Gesetz beobachtet, wenn man ja nicht weiß ob es irgend etwas anders ist, was ihn dazu bewegt, als eben jenes, was das Gesetz zu Hülfe nimmt, nämlich die Furcht vor der Strafe und die Hoffnung auf Belohnung? Wie kann irgend eine Sicherheit dabei sein, da doch durch die 40–41 , nämlich die Furcht ... Belohnung] Ergänzung aus SAr 118, Bl. 16v

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Gewohnheit der Sinn sich abstumpft und das, was dem Menschen mehr anlockend oder abschreckend, was ihm angenehm oder unangenehm gewesen war, ihm so leicht gleichgültig werden kann. Wo also weder die innere Zusammenstimmung ist und Einheit des Lebens noch die Sicherheit, daß in Zukunft noch dasselbe sein werde, was gegenwärtig ist, da kann auch unmöglich eine Gerechtigkeit sein. Und eben so haben nun auch die Diener des göttlichen Wortes, von welchen die Verbesserung der Kirche ausgegangen ist, die Sache damals angesehen. Wie war doch jenes Gesetz in Beziehung auf äußerliche Werke entstanden, abgesehen von dem Gesetz der bürgerlichen Ordnung und Gemeinschaft die es freilich mit den äußerlichen Werken wesentlich zu thun hat? Die Worte unsers Bekenntnisses drücken sich darüber so aus, daß der Mensch nicht könne durch das Gesetz gerecht werden, weil er nicht vermöge das Gesetz Gottes zu halten, noch auch Gott von Herzen zu lieben. Aber wenn er auch vermöchte, das Gesetz zu halten, es wäre aber nichts anders, als eine so aufgestellte Menge von einzelnen Vorschriften und Geboten und könnte sich selbst das Zeugniß geben, daß er sie alle geübt und keines übertreten hätte, so wäre doch keine Gewähr da, ob er auch | das andre gethan, Gott von Herzen zu lieben. Aber das ist kein Gesetz, und kann keines sein, indem keiner es thun kann um eines andern Willen, indem es nicht in der Willkühr des Menschen steht zu lieben oder nicht zu lieben; denn die Liebe ist ein ganz freies und innerliches Leben. Das ist also der eigentliche Hauptpunkt dabei und nicht das Erste. Denn gesetzt auch, das Gesetz könnte auf vollkommene Weise gehalten werden, und die das Gesetz geben, hätten ihre Freude daran, und geben immer mehr äußere Werke auf und sie würden alle erfüllt, so wäre doch eben so wenig Gerechtigkeit und eben so wenig Seligkeit dabei, wenn das Andere und Größere was nicht aufgegeben werden kann, fehlt, nämlich Gott von Herzen zu lieben. Daß aber das nur da ist, wo die Liebe zu Gott durch Christus ausgegossen ist in unsre Herzen, daß, wo diese ist, keiner daran denken kann durch Werke des Gesetzes gerecht werden zu wollen, das ist das, was uns Allen auch schon von selbst klar sein muß und deutlich. Aber eben so haben jene Lehrer gesagt, der Mensch vermöge allerdings das menschliche Gesetz zu erfüllen und ihm gerecht zu werden, und das könne ihm zugemuthet werden, aber daß doch, indem er das Gesetz erfüllt, er noch nicht recht die 27 Seligkeit dabei, wenn] so SAr 118, Bl. 16v; Textzeuge: Seligkeit, was wenn 12–14 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf CA XVIII, Die drey ökumenischen Symbola S. 35f; BSLK S. 73f; auch CA II, Die drey ökumenischen Symbola S. 21f; BSLK S. 53. 29–30 Vgl. Röm 5,5 32–3 Vgl. CA XVIII, Die drey ökumenischen Symbola S. 35f; BSLK S. 73

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bürgerliche Gerechtigkeit habe, sondern nur den Schein davon, indem nur, wenn er das Ganze, dem er angehört von Herzen liebt, er in diesem gerecht ist, so wie er vor Gott nur gerecht sein kann, indem er ihn liebt. So war es denn ein großes Verderben des Christenthums, daß es dahin gekommen war, daß die Lehrer der Gemeine, die Häupter der Kirche den Christen solche äußerlichen Werke auferlegten und sie wieder zurückführten in jene Zeiten der Unmündigkeit, und ihnen die Hoffnung gaben, daß sie durch solche äußerliche Werke würden gerecht werden können vor Gott, – das war, wie es auch in den Worten unsers Bekenntnisses heißt, ein tiefes Verderben und es war die tiefe Lehre von dem Glauben an Christus ganz verdunkelt und in Schatten gestellt und also auch die Seligkeit, die aus dem Glauben hervorgeht. Darum that es Noth, die Christen aufs Neue darauf zurück zu bringen, daß kein Fleisch gerecht sein könne durch äußerliche Werke, sie mögen sein, welche sie wollen, darauf hin zu weisen, daß, so wie | man glaubte, durch das äußerliche Gesetz gerecht zu werden vor Gott oder Seligkeit und Frieden zu erlangen, so wären wir abgefallen von dem Glauben an Christus, und wären wieder zurück getreten unter das, was doch nur eine Vorbereitung sein soll auf das, was nicht mehr aufs Neue kommt, sondern an das wir uns halten müssen, weil es schon da ist. II. Darum müssen wir vorzugsweise als evangelische Christen jenes zweite Wort des Apostels in Acht nehmen „so wir wieder aufbauen, was wir zerstört haben, erklären wir uns selbst für Uebertreter“; so wir, die wir jene Lehre von der Gerechtigkeit aus dem Glauben aufgebaut haben, doch wieder ein äußeres Gesetz aufrichten und Werke des Gesetzes, so erklären wir uns selbst für Uebertreter. Denn wir gerathen in einen neuen Widerspruch mit uns selbst: entweder wir haben Unrecht gehabt zu sagen daß der Mensch nicht gerecht werde durch des Gesetzes Werke und also unrecht gehabt den Glauben an Christus wieder hervorzuziehen, oder wir haben Unrecht, wenn wir diesem Glauben an Christus etwas anderes, das Gesetz, an die Seite stellen, und eine zweite Gerechtigkeit aufstellen neben der ersten. Das sei also das Wort der Ermahnung, was wir uns untereinander zurufen wollen, festzuhalten an jenes Wort des Bekenntnisses, und kein Gesetz, kein äußeres Werk unter uns aufzurichten. Aber laßt uns auch damit dies nicht so ins Unbestimmte gesagt sei, darauf sehen, wie es etwa geschehen kann in unsrer evangelischen Kirchengemeinschaft, daß doch wie35 sei] sein 8–12 Vgl. CA XXVI, Die drey ökumenischen Symbola S. 70; BSLK S. 101,8f; auch CA XX, Die drey ökumenischen Symbola S. 39f; BSLK S. 76,18–77,7

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derum äußere Werke, und Werke des Gesetzes aufgestellt und eine Gerechtigkeit aus den Werken des Gesetzes gebauet wird? Wir dürfen dabei gar nicht auf etwas Ungewisses und etwas bloß Mögliches sehen, denn leider haben wir genug solcher Beispiele am Gegenwärtigen und Vergangenen; denn es hat nie gefehlt, selbst nach der ersten Ablegung jenes Bekenntnisses, an solchen, welche sich Theils an jenes Bekenntniß angeschlossen haben; aber Theils sich noch nicht los machen konnten von der Gewohnheit sich zu halten an äußerlichen Werken und welche daher diese wieder aufrichten wollten. Nun freilich giebt es in unserer Gemeinschaft keine Gesetzgebung; die Diener des göttlichen Worts sind auch in ihrem ganzen Verhältniß zu der Gemeine so gestellt, daß sie nicht können die Gewissen beherrschen, sondern daß sie nur sein können Diener des göttlichen Worts, Haushalter der Geheimnisse Gottes, und das, was Gott den Menschen geoffenbart hat, was allen das gemeinsame ist, ans Licht bringen. Aber was diese nicht können, das können doch die christlichen Gemeinen selbst, das kann jeder in dem Maaß, als die andern auf ihn halten, als er Einfluß ausüben kann auf die Gemüther. Und so laßt uns denn auf zweierlei vorzüglich Acht geben, woraus in unsrer evangelischen Kirche immer weiter versucht worden ist, Werke des Gesetzes und eine Gerechtigkeit aus dem Gesetz aufzurichten. Das Eine ist dies, wenn wir einander beurtheilen nach den äußerlichen Werken, das Zweite ist dies, wenn wir die Lehre in ein Gesetz verwandeln und gerecht sein wollen durch das Gesetz der Lehre. Das sind die beiden Hauptstücke auf die wir besonders zu achten haben, wenn unsre evangelische Gemeinschaft fest bestehen soll auf dem theuren Grund der Gerechtigkeit aus dem Glauben. Was das Erste betrifft so könnte wol jemand sagen, wie sollen wir einen anders beurtheilen, als nach seinen Werken; wenn wir ihn nicht beurtheilen aus seinen Werken, so giebt es keine Beurtheilung, und wo diese nicht ist, giebt es auch kein festes Verhältniß der Menschen untereinander, | und ohne dieses auch keine Gemeinschaft. Wie kann es eine Gemeinschaft geben, wenn nicht die Einzelnen unter sich und das Ganze sie beurtheilen nach ihren äußerlichen Werken? Das hat allerdings einen großen Schein für sich, ja noch mehr, es ist auch wirklich wahr, so wir nur den Faden verfolgen können von den äußerlichen Werken bis zu den Innern, aus welchen es herrührt. Können wir aber das nicht, so ist auch das Beurtheilen nach den äußerlichen Werken ein Auflösen der Liebe. Denn m. g. Fr! das ist einmal 32 beurtheilen] beurtheilt 13 Vgl. 1Kor 4,1

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nicht anders möglich, setzt sich in einer Gemeinschaft ein Urtheil fest nach äußerlichen Werken heißt es, den halten wir für einen guten Christen, weil er dies nicht thut und jenen für ein Kind der Welt, weil er es thut, so verführt man die Menschen sich diesem allgemeinen Urtheil zu unterwerfen, sich unter das Gesetz zu fügen, und so stellt man die Gerechtigkeit aus dem Gesetz auf. Das ist gewiß und es fragt sich nur, in wiefern kann es gerecht sein, die Menschen aus äußerlichen Werken zu beurtheilen? Nur wenn aus den Werken selbst, aus der Art, wie der Mensch sie verrichtet, aus dem ganzen Zusammenhang seiner einzelnen Werke mit seinem übrigen Leben mit Sicherheit sich schließen läßt aus welchem Grunde des Herzens dies oder jenes kommt; denn das bleibt wahr, was der Apostel Johannes sagt: wo die Liebe zur Welt ist, da ist nicht die Liebe Gottes; so wir nur unter jener das begreifen, was dem Reiche Gottes entgegen ist. Aber wissen müssen wir das und überzeugt sein davon, daß dabei eine Liebe zum Grunde liegt, welche mit der Liebe Christi nicht bestehen kann, und also nur in so fern ein Widerspruch sich zeigt zwischen den äußerlichen Werken und dem Glauben an Christus, durch den wir allein gerecht werden und mit der Thätigkeit des Glaubens durch die Liebe, nur dann mögen wir sagen, in diesem Menschen fehlt noch die rechte Thätigkeit des Glaubens, und dann mögen wir nicht etwa von der Gemeinschaft mit ihm uns lossagen, sondern alles thun, um die Gerechtigkeit durch den Glauben in ihm aufzubauen, damit Werke aus ihm hervorgehen in welchen und durch welche der Glaube seine Thätigkeit in der Liebe beweiset. So wie wir aber allgemeine Begriffe von diesen oder jenen einzelnen Handlungen aufstellen, nach welchen wir ohne den ganzen Zusammenhang ihres Lebens zu beachten, die Menschen beurtheilen, so richten wir eben so wieder eine solche Gerechtigkeit aus den Werken auf; dann wird das Band der Gemeinschaft immer enger und beschränkter und einzelne Dinge sind es, nach welchen die Einzelnen sich für gerecht halten und andere für ungerecht. So wir das thun, so bauen wir das Gesetz wieder auf und die äußerlichen Werke, die wir zerstört haben und erklären uns selbst für Uebertreter; dann sind wir, wie der Apostel an einer andern Stelle sagt: „abgefallen von Christus“, weil wir unser Verhältniß zu ihm nach etwas anderm beurtheilen wollen, als aus der innern Richtung des Herzens auf ihn und aus der Kraft der Liebe Gottes, die durch Christus ins Herz der Menschen ausgegossen ist. 11 Johannes] Ergänzung aus SAr 118, Bl. 17v 2–3 Vgl. die etwas andere Gegenüberstellung bei SAr 118, Bl. 17v: „den halten wir für einen guten Christen, weil er dies thut, den für einen schlechten, weil er dies nicht thut“ 12 Vgl. 1Joh 2,15f; ferner 4,4f 31–32 So nicht nachweisbar; vgl. vermutlich Gal 5,4 34–35 Vgl. Röm 5,5

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Das Zweite nun aber, wovor wir uns zu bewahren haben, ist daß wir nicht wieder die Lehre zum Gesetz machen. Es ist aber | darin ein arges Misverständniß, indem man zwei verschiedene Wörter verwechselt. Es ist gebräuchlich, daß man Glaube und Lehre vermischt, und doch sind sie so sehr von einander verschieden. Denn Lehre ist nichts anderes als Auslegung und Erklärung des Glaubens und der Glaube kann in vielen derselben sein, die Erklärung ist aber eine andere, weil dem einen nicht dieselben Worte gerecht sind, wie dem andern, so daß die Lehre verschieden sein kann, der Glaube aber derselbe ist. Wenn wir also Gerechtigkeit aus dem Glauben aufrichten wollen, müssen wir dies aufrecht halten, daß wir nicht die Gerechtigkeit aus der Lehre festhalten; denn die Lehre ist an und für sich auch nur ein todter Buchstabe, und wäre dann nur ein Gesetz, welches nicht lebendig und nicht gerecht machen kann. Das ist das Uebel, welches auf arge Weise eine geraume Zeit hindurch geherrscht hat in unserer evangelischen Kirche, und gerade von einer übertriebenen Verehrung jenes Bekenntnisses ausgegangen ist. Da hat man den Gemeinen gesagt daß dieses Bekenntniß, wie es ein Bekenntniß des Glaubens war, und von dem Glauben ausgegangen, ein unseliges Bestreben, die Worte noch genauer zu bestimmen, sie noch deutlicher zu machen durch andere und Alles was von diesen Worten abwich, auch gleich als Abweichung von dem Glauben darzustellen, und statt des Bandes eine Trennung der Gemeinschaft zu veranstalten. So bildete man sich ein, festzuhalten an der Gerechtigkeit durch den Glauben indem man zugleich die äußerlichen Werke des Gesetzes für wichtig achtete. Nun aber war das nichts anders als ein Bekenntniß des todten Buchstabens, der wahre lebendige Glaube starb unter diesen Worten, und da mußten wieder andre kommen, in denen der wahre Geist des evangelischen Glaubens lebte[,] und auf ein lebendiges christliches Leben dringen, nicht auf das Hersagen des todten Buchstabens. Da sagte man denn von denen, sie wollten die Gerechtigkeit der äußern Gesetze wieder einführen, und suchte, um sich recht in Widerspruch gegen sie zu stellen, gerade am bestimmtesten das zu thun, was aus der Liebe zur Welt herkommt; bis an die äußerste Grenze davon ging man aus trotzigem Widerspruch gegen die, welche das sehen wollten, woraus sich das Gesetz der Liebe offenbarte. 6 vielen derselben] SAr 118, Bl. 17v: Vielen derselbige 8 gerecht] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 574f 17–18 von dem Glauben ausgegangen, ein unseliges Bestreben] Kj von dem Glauben ausgegangen, in seinen Worten den Glauben enthalte, und von da ist denn ausgegangen ein unseliges Bestreben ; vgl. SAr 118, Bl. 17v: Man ist der Meinung gewesen, der Glaube sei in den Worten des Bekenntnisses enthalten, und von da ist denn ausgegangen ein unseliges Bestreben 25–33 Anspielung auf die Pietisten, ihre mit der geforderten praxis pietatis zusammenhängende karitative Tätigkeit und die Auseinandersetzung mit der Gesetzlichkeit ihrer Lebensführung

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Am 4. Juli 1830 vormittags

In solche Verirrungen des Geistes und Lebens ist man auf diesem Wege gekommen und lange Zeit hat dies Verderben gewüthet in unsrer evangelischen Kirchengemeinschaft und nur allmählig haben wir uns aus demselben errettet. So laßt uns ja uns hüten, daß wir nicht auf dieselbe Weise wieder anfangen und den künftigen Geschlechtern einen gleichen Kampf bereiten, daß wir nicht die Worte in dem Glauben für denselben halten und festhalten an jenem Worte des Heilandes daß die Worte, die er redet, Geist und Leben sind; aber das Wort an sich ist nichts als todter Buchstabe und das Fleisch, wovon er sagt, daß es kein Nütze ist. So wir Gerechtigkeit aus Worten erwarten, richten wir auch die Gerechtigkeit | aus äußerlichen Werken wieder auf; denn wer daraus, daß einer auf dieselbe Weise wie der andre redet, ihn beurtheilen will, der stiftet eine Ungerechtigkeit aus den Werken und verwandelt das Allerlebendigste in das Todte, den lebendigen Glauben in das Gesetz des äußern Worts. Sehet da, m. t. Fr! ganz nahe hinter jener schönen That und hinter jenem heilsamen Werk eines solchen Bekenntnisses, welches sich so bestimmt erklärte gegen die Gerechtigkeit aus den Werken, ganz nahe hinterdrein ist gekommen eine Zeit, wo man wieder eine Gerechtigkeit aus dem Buchstaben, aus den Worten der Lehre hat aufrichten wollen. Wie viel Ursach haben wir also uns davor zu bewahren, wenn so leicht auf die hellste Zeit eine solche Zeit des Verderbens kommen konnte! Aber wie es daher gekommen ist, daß man auf Menschen gesehen hat, und die hat zu Vorbildern machen wollen, so müssen wir uns auch davor besonders hüten, und thun wir das ab, so werden wir auch vor jener Zeit sicher sein; halten wir fest an dem Grund, daß das Wort Gottes lebendig mache, wollen wir an nichts halten als an dem lebendigen Glauben, halten wir uns darin einander für Brüder, und allen gleich, die alle mittheilen sollen von den Gaben, welche sie empfangen haben, und so daß alle das Eine Ziel im Auge haben und so, daß keiner glaubt, er habe es schon erreicht, – so wir dies festhalten, dann werden wir davor bewahrt bleiben, dann werden wir uns die Mündigkeit der Kinder Gottes erhalten, dann werden wir die rechte Gerechtigkeit festhalten und nicht wieder Knechte werden des Worts und nicht wieder zurückkehren in jene Zeit der Vorbereitung und der Knechtschaft unter menschliche Satzungen, dann werden wir alle Worte, allen Ausdruck der Lehre nur in so fern werth halten als er die Liebe aufregt und die Thätigkeit des Glaubens durch die Liebe, als er ein Mittel wird der Erbauung, aber 25 jener Zeit] so SAr 118, Bl. 18r; Textzeuge: jenen 8–10 Vgl. Joh 6,63 27–28 Vgl. Mt 23,8 28–29 Vgl. 1Petr 4,10 30 Anspielung auf Phil 3,12 31–32 Vgl. Röm 8,15–21; Gal 4,1–7 34–35 Vgl. Gal 3,23–25 36–37 Vgl. Gal 5,6

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nicht des Streits und des Haders. In diesem Sinn und Geist laßt uns unsre evangelische Kirchengemeinschaft fortbauen, so daß wir uns Alle und im wahren Sinne erfreuen der rechten und lebendigen Freiheit der Kinder Gottes! Amen. 5

Lied 105 V. 8–9.

5 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 105: „Sey hochgelobt“ (Melodie von „Preis, Lob, Ehr, Ruhm“); Strophen 8–9 lauten: „Durch Jesum Christum, unsern Hort, erkennen wir den Weg der Wahrheit, und wachsen immer fort und fort im Lichte zur vollkommnen Klarheit. Du selber bist das glänzend helle Licht, das in dem Sohn die Finsterniß durchbricht. // Lebt in uns Christi Sinn und Geist, dann sind wir auch mit dir verbunden; was ist noch, das uns dir entreißt? wir haben volle Gnüge funden. In ihm sind wir voll Ruh’ und Sicherheit, und schmecken schon des Himmels Seligkeit.“

Am 11. Juli 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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5. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 1,9–12 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 219–231, Nr. III; Zabel Keine Nachschrift; SAr 69, Bl. 34r–36v; Woltersdorff Nachschrift; SAr 99, Bl. 8r–11v; Slg. Wwe. SM, Pommer (Zabel) Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 493. Tex t . Colosser I, 9–12. „Derhalben auch wir, von dem Tage an, da wir es gehöret haben, hören wir nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, daß ihr erfüllet werdet mit Erkenntniß seines Willens, in allerlei geistlicher Weisheit und Verstand: daß ihr wandelt würdiglich dem Herrn zu allem Gefallen, und fruchtbar seid in allen guten Werken, und wachset in der Erkenntniß Gottes und gestärket werdet mit aller Kraft, nach seiner herrlichen Macht, in aller Geduld und Langmüthigkeit mit Freuden, und danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbtheil der Heiligen im Licht.“

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M. a. Fr. Wie nun das Bisherige eigentlich nur der Eingang und die Begrüßung des Apostels an die Gemeine war, und nun also mit diesen Worten, in welchen er über den Inhalt seiner apostolischen Fürbitte sich äußert, zugleich auch seine Ermahnung und der eigentliche Inhalt des Briefes beginnt: so glaube ich, ist es theils im Allgemeinen, theils besonders in Beziehung auf diese Worte und was zunächst auf diese Worte folgt, hier der Ort, daß wir uns mit Wenigem | über die Art, wie wir uns der Schriften des Neuen Bundes zur Erbauung zu bedienen haben, und wie wir bei der Erklärung derselben zu Werke gehen müssen, verständigen, und ich Euch meine Meinung darüber sage. Es ist nämlich, wie die Bücher des Neuen Bundes geschrieben sind, ursprünglich in einer uns fremden Sprache, die erst wie1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 493: „Mein Vater, laß mich deine Gnade merken“ (Melodie von „Der Tag ist hin, mein Jesu, bei mir bleibe“)

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derum, nachdem sie lange Zeit hindurch in ihrer eigentlichen Blüthe nur heidnischen Geist und Sinn ausdrückte, mußte gewendet werden, um dem heiligen Geist in der Verkündigung des Evangeliums zu einem Werkzeuge zu dienen, das er gebrauchen könnte, so ist natürlich, daß über viele Stellen unserer neu-testamentlichen Schriften verschiedene Meinungen, wie sie zu erklären seien, statt finden, und das treu fortgesetzte Forschen sowol derer, die gesucht haben, die Geschichte der christlichen Kirche, als auch den eigenthümlichen Geist der Sprache der Schriften des Neuen Bundes sich zu eigen zu machen, hat es doch noch nicht dahin bringen können, daß Alle in Allem übereinstimmen. Da kann freilich keiner aus einer andern Erkenntniß als aus der, zu welcher er schon gekommen ist, die apostolische Wahrheit erklären. Aber es ist außerdem, daß es eine solche Verschiedenheit gibt, in der ganzen Behandlungsweise der heiligen Schrift ein zweifacher Abweg, den wir suchen müssen zu vermeiden. Nämlich wie wir ja nicht anders sagen können und uns darüber freuen müssen, daß das Evangelium, so wie es in die Welt trat, uns als eine eigenthümliche Offenbarung Gottes in der Person unsers Erlösers gegeben wurde und dadurch zum Wege des Heils geworden ist, es also auch nicht anders möglich ist, als daß Vieles, was bis dahin neu und unerhört war, vermittelst dieser göttlichen Mittheilung unter die Menschen gekommen ist und sich so auch in den Büchern unserer heiligen Schrift ausspricht, – so ist es nun freilich auf der einen Seite sehr natürlich, daß, indem es mancherlei gibt in diesen Aussprüchen und in der Art und Weise, den Sinn des göttlichen Geistes kund zu | thun, was dem natürlichen Menschen auf mancherlei Weise auffällt, ihm fremd zu sein scheint und in Widerspruch zu stehen mit allen seinen gewohnten Gedanken und Ansichten, – da ist es auf der einen Seite natürlich, daß man sich denkt, soll das Wort Gottes sich den Menschen empfehlen: so muß es sich ihnen befreunden; so muß man also suchen, Alles, was man davon entfernen kann, insofern es nicht der Wahrheit dieses göttlichen Worts Abbruch thut, zu entfernen. Das ist richtig und wahr, wenn es ordentlich beobachtet wird; aber es ist oft daraus entstanden die Neigung, den Sinn der Aussprüche der heiligen Männer, welche vom göttlichen Geist getrieben geredet haben, zu verwirren und die Wahrheit des Evangeliums zu verändern, damit sie sich nicht zu weit entfernen möge von dem, was dem menschlichen Verstand in seiner natürlichen Richtung zugänglich ist. Aber eben so auf der andern Seite, je größer der Werth ist, den wir auf diese heiligen Schriften legen, je mehr wir darin die Zeugnisse von dem, was der göttliche Geist durch den Mund der Apostel geredet hat, anerkennen: desto natürlicher ist es, in Alles, auch das scheinbar Kleinste und Unbedeutendste, einen besondern Sinn zu legen, einen eigenthümlichen Werth darin zu suchen und allem ohne Ausnahme einen ganz eigenthümlichen Gehalt beizu29 Statt „der Wahrheit dieses göttlichen Worts“ heißt es bei SAr 69, Bl. 34r „dem Wesentlichen der göttlichen Wahrheit“.

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legen, damit nichts in diesen Büchern erscheine anderer menschlicher Rede gleich, in welcher Manches überflüssig gesagt wird. Das ist natürlich, aber es ist nicht zu leugnen, daß man darin auch könne zu viel thun und auf diese Weise leicht dahin kommen, seine eigenen Gedanken den heiligen Männern Gottes unterzuschieben und nicht mehr sie, sondern nur sich und seine Gedanken zu finden, und indem man es Andern wieder gibt, nun die Reinheit der Verkündigung des Evangeliums auf der entgegengesetzten Seite zu trüben. Vor diesem Beiden also müssen wir uns überall hüten, wenn wir die heilige Schrift zur Erbauung gebrauchen wollen. Es kommt aber dabei auf nichts an, als was der | Erlöser sagt, wenn das Auge hell und einfach sei: so wird auch Alles uns hell erscheinen. Wenn wir nicht anders als auf der einen Seite begierig, den Sinn der Worte der Schrift richtig aufzufassen, auf der andern alles, was menschlich ist, menschlich zu betrachten, zu der Lesung der heiligen Schrift kommen: dann wird eine heilsbegierige Seele nicht leicht einen bedeutenden Irthum weder durch das Eine noch das Andere begehen. Ein Gemüth, welches die Wahrheit des Evangeliums ganz auffassen will, wird bald eine Stimme in sich merken, wenn etwas Wichtiges und Wesentliches übergangen wird, wie auf der andern Seite der reine schlichte Verstand uns bald mahnen wird, wenn wir uns wollen verleiten lassen, durch Künsteleien in die Schrift etwas hineinzulegen, was nicht darin steht. Was nun unsere heutigen Worte betrifft: so sind sie freilich im Ganzen genommen einfach und leicht verständlich, und das Erste, was daraus zu nehmen ist, ist, wie es um den eigentlichen Gehalt und das wahre Wesen christlicher Fürbitte steht. Der Apostel stellt es uns dar, indem er der Gemeine erzählt, seitdem er von ihrem lebendigen Glauben gehört, habe er nicht aufgehört, für sie zu beten. Was finden wir nun in seinem Gebet? Nicht das Geringste von irgend einem irdischen Gehalt, nicht einmal einen Wunsch, eine Bitte um so viel äußern Frieden, als dazu gehörte, daß die Gemeine sich weiter bauen könnte; nicht einen Wunsch, daß es ihnen so wohlergehen möge, daß sie bewahrt blieben vor Verfolgungen und Mißhelligkeiten wegen des Evangeliums, damit sie nicht in Versuchung kämen, es sich leid werden zu lassen, diesen Weg des Heils eingeschlagen zu haben: sondern seine ganze Fürbitte ist rein geistigen Gehalts. Darin nun, m. th. Fr., thun wir es immer noch dem, was wir in unserm heiligen Buche finden, nicht so | gleich, wie wir es von uns verlangen müssen. Es ist freilich natürlich, wie es damals auch nicht möglich erschien, daß die Christen sollten frei bleiben von mancherlei Widerwärtigkeiten, so war es auch wol leichter, 2–6 Vgl. SAr 69, Bl. 34v: „Auch hierin kann man leicht zu viel thun und kommt dadurch in Gefahr seine eignen menschlichen Gedanken den heilgen Stimmen Gottes unterzuschieben und beim Forschen in der Schrift statt alles das zu finden was von dem Herrn zeugt, nur sich selbst und seine eignen Gedanken zu finden [...].“ 10–11 Vgl. Mt 6,22; Lk 11,34

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sich solcher Wünsche vor den Augen Gottes zu entschlagen; denn das liegt in der Natur des Menschen, was wir im hohen Grade für unwahrscheinlich ansehen, das machen wir auch nicht leicht zum Gegenstand unsers Gebets; aber wo vieles ungewiß ist, da hat das menschliche Herz seine Wünsche, und das fromme Herz verwandelt diese Wünsche in Gebete. Aber nicht blos daraus allein haben wir uns das zu erklären; sondern so liegt es, daß Alles, was wir, insofern wir das irdische Leben im Auge haben, Frieden und Freude nennen auf der einen Seite, Widerwärtigkeiten und Leiden auf der andern, davon soll dem Christen das Eine an und für sich nicht lieber sein als das Andere, sondern beides Gott anheimstellend, soll es ihm sein eine Aufforderung, auf eine eigenthümliche Weise in dem einen Fall wie in dem andern zu offenbaren, weß Geistes Kind er sei. Und das ist doch gewiß, je mehr wir diese Fertigkeit in uns aufgebaut haben, je leichter uns das schon geworden ist durch die Ausübung des wahren Christenthums: desto mehr wird auch das Herz sich beschwichtigen in seinen Wünschen, um desto weniger werden wir weder für uns noch für Andere Fürbitten von solcher Art vor Gott bringen, wovon wir das Beispiel in denen, welche von der Kraft des Glaubens durchdrungen in unserer heiligen Schrift sich abgespiegelt haben, nirgends finden. Was ist denn aber der geistige Inhalt dieser Fürbitte des Apostels? Zuerst sagt er, „wir hören nicht auf, für euch zu beten, daß ihr möget erfüllet werden mit Erkenntniß des göttlichen Willens in allerlei geistlicher Weisheit und Verstand, daß ihr wandelt würdiglich dem Herrn zu allem Gefallen und fruchtbar seid in allen guten Werken.“ Hier stellt uns also der Apostel dar | den ganzen Inbegriff des geistigen Lebens in seinem wesentlichen Inhalt, indem er es auf zwei Punkte zurückführt, auf die Erkenntniß des göttlichen Willens und auf das dieser Erkenntniß gemäße würdige Wandeln dem Herrn zu allem Gefallen und fruchtbar zu sein in allen guten Werken. Das ist der ganze Kern des christlichen Lebens nicht nur, sondern überhaupt der ganze Kern aller Wirkungen, welche der göttliche Rathschluß in Christo auf die Menschen hervorbringen soll, die Erkenntniß des göttlichen Willens und dann dieser Erkenntniß gemäß vor dem Herrn würdig zu wandeln und fruchtbar zu sein in allen guten Werken. Das klingt nun allerdings so, als ob das eigenthümliche Wesen des Christenthums in diesen Worten gar nicht liege, sondern als wenn sie nichts anders aussagten, als das, wozu wir auch ohne diese außerordentliche Erleuchtung und Hülfsleistung Gottes hätten kommen können. Denn wenn der Apostel anderwärts sagt, Gott habe sich den Menschen auf ursprüngliche Weise offenbaret, indem er das Vermögen in sie hineingelegt, durch die Wahrnehmung seiner Werke ihn in seinem Wesen und in seiner Kraft zu erkennen: so sagt er in demselben Zusammenhang, daß der Mensch eben deswegen, wenn ihm auch kein Gesetz gegeben wäre, sich selbst zum Gesetz würde, und an die Erkenntniß Gottes 12 Vgl. Lk 9,55

37–40 Vgl. Röm 1,19f

41–42 Vgl. Röm 2,14

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knüpft sich allemal nothwendig die Erkenntniß seines Willens. Diejenigen nun, zu welchen der Apostel hier redet, waren überwiegend vorher Heiden gewesen, wie wir es an mehreren Stellen dieses Briefes ganz deutlich sehen. Allerdings also waren diese aus sich selbst zu keiner rechten Erkenntniß des göttlichen Willens gekommen, sondern sie hatten sich ihre Götter gebildet nach dem Gelüste ihres eigenen Herzens, eines solchen, wie der Apostel sagt, welches die Wahrheit aufhält in Ungerechtigkeit. | Aber wie redet denn der Apostel in dieser Beziehung, wenn er auch denkt an das Volk des Alten Bundes? Er sagt, diese hätten zwar ein Gesetz empfangen, in welchem die Erkenntniß des göttlichen Willens liege, aber das Band sei nicht vorhanden gewesen zwischen dieser Erkenntniß und der Erfüllung des göttlichen Willens und dem würdigen Wandeln dem Herrn zu gefallen und fruchtbar zu sein in guten Werken. Denn, sagt er, wenn ein Gesetz gegeben wäre, das da könnte lebendig machen: so wäre Christus nicht nöthig gewesen in seinem Leben und in seinem Tode, sondern das Leben wäre dann gekommen aus dem Gesetz. Aber es ist offenbar, daß das auch nicht die rechte Erkenntniß des göttlichen Willens sein kann, und darüber äußert sich auch schon die heilige Schrift des Alten Bundes, indem selbst der Erlöser und die Apostel so oft daran erinnern, daß schon das Alte Testament die Erkenntniß des göttlichen Willens in einem äußern Gebot, wie es im Alten Bunde gegeben wäre, unterscheide von dem Neuen Bunde, wo es heißt, daß Gott seinen Willen und sein Gesetz in ihr Herz und ihren Sinn schreiben würde. Und nur von dieser lebendigen Erkenntniß des göttlichen Willens, welche vermittelst der Erleuchtung des göttlichen Geistes der Mensch in sich selbst finden kann, redet der Apostel; denn eine solche nur ist ein natürliches Band zwischen der Erkenntniß und der That, und was in unsern Sinn geschrieben ist, kann nichts Anders sein als die Regel, darnach zu handeln. Eine solche Erkenntniß des göttlichen Willens aber hatte es nicht gegeben; sondern nur, indem die Menschen in Christo, wie er selbst sagt, den Vater sehen: sehen sie auch seinen Willen, offenbart sich ihnen in ihm der ganze wohlgefällige und heilige Wille Gottes, wie der Erlöser sich denn selbst darüber fast überall ausspricht, daß er gekommen sei, den Willen Gottes zu erfüllen, und indem er ihn erfüllte, wie er in sein Herz geschrieben war, so daß nichts Anderes als der göttliche Wille ihn in Bewegung setzte: so sollte er ihn dadurch auch den | Menschen kund thun, und eben daß dieser Wille 35 dadurch] adurch 5–6 Vgl. Röm 1,21–23 7 Vgl. Röm 1,18 9–12 Vgl. Röm 2,12f.17f 13– 16 Vgl. Gal 3,21 in Verbindung mit 2,21 19–22 Vgl. Jer 31,31–33 25–27 Vgl. SAr 69, Bl. 35v: „[...] denn nur hier giebt es solch natürliches Band zwischen der Einsicht und der That, da durch die Kraft Christi der göttliche Wille unser eigner wird, und somit unser Handeln bedingt, uns in Bewegung setzt und je länger desto mehr uns allein treibt und den früher in uns wohnenden Sinn ganz vernichtet.“ 29–30 Vgl. Joh 14,9; ferner 12,45 32–33 Vgl. etwa Mt 5,17; Joh 4,34

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Gottes sein ganzes Leben leitete und in jedem Augenblick die Erfüllung desselben ihn in Bewegung setzte, das war diese Allen, die ihn sahen, erkennbare Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, welcher in seinem ganzen Sinn, Geist und Willen nicht anders konnte als derselbe sein mit seinem Vater. Aus dieser lebendigen Erkenntniß nun des göttlichen Willens entsteht, was der Apostel in die Mitte setzt zwischen dieser und dem würdig Wandeln vor dem Herrn, die ganze Fülle von Weisheit und Verstand, nämlich daß wir auf die rechte Weise alle Verhältnisse unsers Lebens und Alles, worüber wir zu beschließen haben und uns entscheiden sollen, nicht nach Maßgabe des natürlichen Menschen, sondern aus der Fülle des göttlichen Geistes heraus betrachten und beurtheilen, und auf geistige Weise erkennen, wie wir das Alles anzusehn und zu behandeln haben, und diese Richtung des menschlichen Willens in Beziehung auf das geistige Leben, auf das Reich Gottes auf Erden ist die Fülle von geistiger Weisheit und Verstand, die der Apostel auch dieser Gemeine der Christen wünscht, und daraus, meint er, würde hervorgehen, daß sie würdiglich könnten wandeln dem Herrn zu allem Gefallen und fruchtbar sein in allen guten Werken. Indem er nun aber hier redet von dem würdigen Wandeln in dem Herrn: so meint er, wie man überall anzunehmen Ursach hat, wo sich nicht etwas Anderes zu erkennen gibt, den Erlöser damit, der überall von den Seinigen der Herr genannt wird, und so sehen wir aus diesen Worten, wie er in der That ihn allein als die Quelle der Erkenntniß des göttlichen Willens ansieht und als solchen in Erinnerung bringt. Nur, wenn Er uns zur Erkenntniß des göttlichen Willens geworden ist, gibt es auch ein seiner würdig Wandeln; können wir unser Leben so führen, daß das Reich Gottes und das Heil der Menschen dadurch gefördert wird. Es ist aber das Fruchtbarsein in allen guten Werken allerdings noch mehr als jenes. Nämlich das Auge des | Geistes muß nicht nur klar sein, um, was uns vorhanden kommt, von selbst nicht auf sinnliche und fleischliche Weise zu schätzen und zu beurtheilen, sondern zu Fruchtbarkeit in guten Werken gehört noch mehr; denn die Fruchtbarkeit gibt mehr als ihr schon gegeben ist, es ist eine Vermehrung der guten Werke von innen heraus, die eben aus nichts Anderm entstehen kann, als daß wir mit lebendiger Lust und Liebe erfüllt sind zu guten Werken, daß wir jede Gelegenheit wahrnehmen, wo wir das Werk des Herrn fördern können; daß unser Auge, so bald es sich öffnet, sich darnach umsieht, ob ein solches sich darbietet. Je mehr wir Verlangen tragen, darnach zu sehen, je mehr wir in der Art und Weise, alle Verhältnisse des Lebens zu behandeln, den rechten Sinn des Christen zeigen, indem wir jede Gelegenheit wahrnehmen und aufsuchen, die uns vorhanden kommt, zu mehreren guten Werken: das ist die rechte Fruchtbarkeit in guten Werken. Und doch hat nun das wohlwollende Herz des Apostels daran noch nicht genug. Wir sollten denken, er hätte hier zu Ende sein können mit 3 Vgl. Joh 1,14

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seinen Wünschen. Aber nein; er fährt fort: „auf daß ihr wachset in der Erkenntniß Gottes und gestärkt werdet mit aller Kraft, nach seiner herrlichen Macht, in aller Geduld und Langmüthigkeit mit Freuden.“ Das ist nun freilich dem ersten Anschein nach nichts Anderes, als daß er noch einmal zurückkommt auf das Vorige; denn wenn er schon gesagt hat, daß ihr erfüllt werdet mit Erkenntniß seines Willens, und nun noch einmal sagt, daß ihr wachset in der Erkenntniß Gottes: so könnte man denken, es sei zu viel hineingelegt in die Worte des Apostels, wenn man meint, es sei dies noch etwas Neues, sondern das sei nur ein für den, der sein Herz mittheilen will, ganz natürlicher Ueberfluß der menschlichen Rede. Daß ich es aber nicht so ansehe und nicht glaube, zu viel hineinzulegen, ist gegründet in der besondern Wendung, welche er diesem Wunsche | gibt. Nämlich nachdem er ihnen gewünscht hatte, mit Erkenntniß des göttlichen Willens erfüllt zu werden, damit sie würdig wandelten dem Herrn zum Gefallen und fruchtbar seien in guten Werken, fügt er nun hinzu: „daß ihr gestärkt werdet mit aller Kraft, nach seiner herrlichen Macht, in aller Geduld und Langmüthigkeit mit Freuden.“ Geduld und Langmüthigkeit sind christliche Tugenden, die wir zu offenbaren haben, die wir nur im Stande sind zu offenbaren, insofern als die Richtung des menschlichen Lebens im Ganzen oder im Einzelnen uns entgegenstrebt. Die Geduld, so wie der Apostel das Wort überall versteht und meint, setzt zwar nicht voraus, daß uns selbst etwas Mißfälliges und Arges begegne, daß sich uns selbst die Menschen persönlich abgeneigt zeigen und uns ihren Widerwillen deutlich offenbaren; sondern es setzt nur voraus die Nothwendigkeit einer besonderen Anstrengung, wenn wir wollen beharren im Guten; denn die Geduld ist nichts Anders in den apostolischen Schriften, als die unermüdliche Beharrlichkeit in dem, was man begonnen hat, und nicht abzulassen, damit man es bis zu Ende führe, daß man getreu bleibe bis ans Ende. Diese Beharrlichkeit ist die Geduld, die der Apostel meint. Aber indem er die Langmüthigkeit hinzusetzt: so sieht man wol, wie ihm vorgeschwebt hat das Widerstreben der meisten Menschen, die nichts anders als das Irdische suchen, die also auf alle Weise den Christen, die da fruchtbar zu sein gedenken in guten Werken, entgegenstreben und entgegenwirken. Diese Geduld also und diese Langmüthigkeit sieht der Apostel als etwas Höheres an, wozu eine göttliche Stärkung in aller Kraft nach der Fülle der Macht Gottes gehöre, und wozu auch schon vorangegangen sein müsse ein Wachsen in der Erkenntniß Gottes. Diese schließt er an an die Fruchtbarkeit in guten Werken, und will sagen, wenn wir Christum lebendig erkannt haben, und in die Gemeinschaft mit Christo aufgenommen sind, kraft der Er in uns lebt, und | der Wille Gottes in unser Herz geschrieben ist, und wir nun fruchtbar sind dieser Erkenntniß gemäß in guten Werken: dann wird dadurch das geistige Auge immer mehr geöffnet und immer schärfer und richtiger, daß wir immer mehr erkennen von Gott und seinem Willen. Und diese erhöhte Erkenntniß ist selbst die Folge von

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der Fruchtbarkeit in guten Werken, nach den Worten des Herrn, wer über wenig getreu gewesen, wird über viel gesetzt werden; – denn wir sind über Alles gesetzt, was sich uns in unserm innern Sinn offenbaret; er aber sagt, seid ihr über Weniges getreu gewesen, d. h. seid ihr würdig gewesen nach dem Maaß der Erkenntniß des göttlichen Willens, das euch gegeben ist: dann sollt ihr über mehr gesetzt werden, d. h. es wird sich euch immer mehr und reichlicher von dem göttlichen Willen offenbaren. Das, m. g. Fr., ist eine Erfahrung, welche wir ja beständig machen, seitdem unter uns und wir können sagen, in einem großen Theil unserer christlichen Gemeinschaft ein neuer Eifer erwacht ist, das ganze Leben nach dem Gesetz des Herrn einzurichten. Wie viel Herrliches ist da unter uns entstanden, wovon vorher nicht die Rede war; wie vieler Aufgaben, die Gott in unsern Weg gelegt hat, daß wir sie vollbringen sollen, sind wir ansichtig geworden; wie aufmerksam ist man geworden auf die Mängel des menschlichen Lebens und die Mittel, ihnen abzuhelfen; wie viele Fürsorge ist entstanden für die, welche geistig von Kindheit an vernachlässigt sind; wie viele Fürsorge, daß das göttliche Wort freien Lauf habe unter den Menschen; wie viele solcher Aufgaben sind uns vorgekommen, welche uns einen viel größern Kreis von guten Werken, in welchen die Geduld und Langmüthigkeit sich beweisen kann, gezeigt haben. Das ist das Wachsen in der Erkenntniß Gottes, welches aus der Fruchtbarkeit in guten Werken hervorgeht. | Aber freilich, je mehr uns der Wille Gottes deutlich wird, je mehr wir sehen von dem, was uns Gott aufgetragen hat zu thun: um desto mehr treffen wir auch auf Widerstand, um desto schwerer wird es, Andere mit demselben Sinn zu durchdringen, und um desto mehr mischt sich diese geistige Behandlung des Lebens in solche Gebiete, welche davon fremd zu sein scheinen. Da gibt es denn mancherlei Widerstand, und da gibt es Gelegenheit zur Geduld und Langmuth, und die stellt der Apostel hier ans Ende, weil in dem Maaß, als wir wachsen in der Erkenntniß des göttlichen Willens, erst dieser Widerstand hervortreten kann. Aber wenn die Erkenntniß des göttlichen Willens auch eine größere Erkenntniß sein muß alles dessen, wodurch Alles, was zum Glauben gehört, sich thätig beweisen muß, nämlich der Liebe: so ist diese Geduld und Langmüthigkeit nichts Anders als die natürliche Erweisung der Liebe dessen, dem der Wille Gottes deutlich geworden ist, gegen die, welche, weil sie dessen noch nicht fähig sind, demselben auf mancherlei Weise entgegenarbeiten. Worin besteht also die Geduld und Langmüthigkeit? Darin, daß wir nicht müde werden, was uns selbst deutlich geworden ist als göttlicher Wille, auch Andern mitzutheilen, 1–2 Vgl. Mt 25,21 10–11 Statt „nach dem Gesetz des Herrn“ heißt es bei SAr 69, Bl. 36r „nach dem Willen Gottes“. 14–15 Statt „die Mängel des menschlichen Lebens und die Mittel, ihnen abzuhelfen“ heißt es bei SAr 69, Bl. 36r „die Mängel der Erziehung“. 18–20 Vgl. SAr 69, Bl. 36r: „[...] und welche Aufgaben liegen noch vor uns, die auf einen viel größeren Kreis der Thätigkeit hindeuten!“

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daß wir suchen, sie mit derselben Liebe zu entzünden, damit sie mit uns zu demselben Werke sich vereinigen, und aller Widerstand aufhöre; und das ist das Ziel der Geduld und Langmüthigkeit, welche auch nicht anders kann geübt werden als mit Freuden. So führt uns denn der Apostel zu diesem Ziel der christlichen Vollkommenheit und schließt mit dem Bewußtsein desselben, indem er sagt: „Danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbtheil der Heiligen im Licht.“ Wenn wir in unserm Zusammensein, in unserer geistigen Gemeinschaft mit Gott nicht mehr zu etwas Anderm Veranlassung fänden, als Dank zu sagen: das wäre das höchste Ziel der christlichen Vollkommenheit; aber das auch, sagt der Apo|stel, haben wir selbst uns nicht zuzuschreiben, sondern allein dem, der das Wollen gibt und das Vollbringen, ihm, der uns tüchtig gemacht zum Erbtheil der Heiligen im Licht. Das ist also das Ziel, dem auch wir und alle Geschlechter der Menschen immer werden nachzustreben haben, ohne jemals sagen zu können, daß wir es erreicht haben. Haben wir aber auch schon für mehr Dank zu sagen, was uns Gott gewährt hat in geistiger Erkenntniß, an Geduld und Langmüthigkeit: so werden wir doch noch immer Fürbitte auf mancherlei Art darzubringen haben für uns und unsere Brüder. Aber je weniger das der Fall ist, jemehr wir Ursach haben, Dank zu sagen: desto tüchtiger werden wir sein zum Erbtheil der Heiligen in dem Licht, das der Sohn Gottes uns angezündet hat, in welchem wir den Vater sehen. Ist Er es also, der uns tüchtig gemacht hat: so hat er uns doch nur tüchtig gemacht in seinem Sohn, und das ist das, wozu der Apostel in der folgenden Betrachtung übergeht. Und anders soll es nicht sein. Der ewige Vater ist es, dem wir Alles verdanken, aber er hat es uns Alles gegeben durch seinen Sohn, und ihnen beiden sei Preis und Dank für Alles, was sie uns verliehen haben und noch weiter verleihen werden aus der Fülle der ewigen Gnade! Amen. Lied 547, 4. 5.

2–4 Bei SAr 69, Bl. 36v folgt erläuternd „weil eben die Freude, die Freude am Herrn ihre Sele ist.“ 12 Vgl. Phil 2,13 29 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 547: „O höchstes Gut, o Licht und Leben“ (Melodie von „Wie wohl ist mir, o Freund der Seele), Strophe 4 und 5: „Laß deinen Geist mich täglich treiben, Gebet und Flehen dir zu weihn. Dein Wort laß mir im Herzen bleiben, und in mir Geist und Leben seyn; daß ich nach deinem Wohlgefallen in Ehrfurcht möge vor dir wallen, zeuch mein Herz völlig zu dir hin; laß mich in Worten und in Werken auf deinen Wink und Willen merken, und tödt’ in mir den eignen Sinn. // Dich lob’ und lieb’ ich fromm und stille, und ruh als Kind in deinem Schooß. Ich schöpfe Trost aus deiner Fülle, mein Herz ist aller Sorgen los. Ich sorge nur vor allen Dingen, daß ich zum Himmel möge dringen, zu deinem Dienst bin ich bereit. Ach zeuch mich, zeuch mich weit von hinnen; was du nicht bist, laß ganz zerrinnen, und dein mich seyn in Ewigkeit.“

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Besonderheiten:

6. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Gal 2,19–21 Nachschrift; SAr 118, Bl. 19r–22v; Simon Keine Drucktext Schleiermachers; Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung) 1831, S. 62–81 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 653–665; 21843, S. 653–665. – Predigten. Sechste Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 54–70. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 33–43. – Kleine Schriften und Predigten, Bd. 3, ed. Gerdes u. Hirsch, 1969, S. 36–51 4. Augustana-Predigt

Predigt des Dr. Schleiermacher 18. Juli 1830. 9 Uhr.

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Die Worte der heiligen Schrift, die wir zum Grunde unsrer Betrachtung legen wollen, lesen wir im Briefe an die Galater, wo sie im 2. cap im 19. und den folgenden vv. also lauten: „Ich bin aber durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf daß ich Gott lebe; ich bin mit Christo gekreuziget. Ich lebe aber, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebet hat und sich selbst für mich dargegeben. Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn so durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.“ M. and. Fr., die Worte sind die unmittelbare Folge derer, die wir neulich zum Gegenstand unsrer Betrachtung gemacht haben. Der Apostel setzt einander entgegen das Bestreben, gerecht zu werden durch des Gesetzes Werke, als ein nichtiges, indem er sagt, kein Fleisch wird gerecht durch des Gesetzes Werke, und das Bestreben, gerecht zu werden durch den Glauben an Chri13–14 Vgl. die Predigt am 4. Juli 1830 über Gal 2,16–18

16–17 Vgl. Gal 2,16

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stum und das schreibt er nun sich und seinen Genossen zu als solchen, die da suchen durch Christum gerecht zu werden. Von diesen Worten, von diesen Worten des Christenthums, nämlich der Gerechtigkeit durch den Glauben, auf welchen unsre Vorfahren in jenem Bekenntniß, auf welches wir jetzt unsre christliche Aufmerksamkeit mit einander richten, aufs Neue zurückgegangen waren nach manchen in der christlichen Kirche überhandgenommenen Verirrungen, – von dieser Gerechtigkeit durch den Glauben enthalten nun die verlesenen Worte die eigentliche Beschreibung des Apostels. Er selbst stellt aber derselben voran, daß er zuerst sei durch das Gesetz dem Gesetz gestorben und mit Christo gekreuziget, welches er also darstellt als das vollkommne Ende jenes seines früheren Lebens und dadurch aufs bestimmteste ausspricht, wie beides durchaus unverträglich mit einander sei, dem Gesetz leben, auf das Gesetz hoffen, durch des Gesetzes Werke gerecht werden wollen auf der einen Seite und dann gerecht werden wollen durch den Glauben an Christum auf der andern. Jenes mußte erst völlig aufhören. Durch das Gesetz, sagt er, bin ich dem Gesetz gestorben, indem ich mit Christo gekreuziget bin. Diese Einleitung zu der eigentlichen Beschreibung der Gerechtigkeit durch den Glauben dürfen wir nicht übergehen, m. gel. Fr.. Es ist freilich der Ausdruck des Apostels etwas schwierig, „ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, indem ich mit Christo gekreuziget bin.“ Wenn man sich den ganzen Zusammenhang seiner Gedanken, wie er ihn in diesem Briefe und von einer andern Seite her in dem Briefe an die Römer auseinandersetzt, vergegenwärtigt, so ist seine eigentliche Meinung nun diese: Christus war durch das Gesetz gestorben. Denn diejenigen, welche ihn zum Kreuze brachten, waren nichts anderes, als Eiferer um Worte, aber nicht mit dem rechten Verstande; und als solche bezeichnet sie auch unser Erlöser daselbst, indem er von ihnen sagt, sie haben nicht gewußt, was sie thaten. Sie beriefen sich aber darauf, sie hätten ein Gesetz, nach welchem dieser Jesus sterben müßte, und weil sie nun diejenigen waren, die das Gesetz verwalteten, so konnte der Apostel mit Recht sagen, Christus sei durch das Gesetz gestorben. Er meint das also so: Weil das Gesetz habe den Tod Christi hervorbringen können und es also in dem Wesen und der Art des Gesetzes liege, daß es demnach das rechte, wahrhafte, geistige Leben, das, was der Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens ist – denn das war ja Christus in vollem Maaße – daß es das gänzlich verkennen konnte: so hat er sich eben des wegen, weil durch das Gesetz Christus gestorben war, von dem Gesetz losgesagt, sich mit Christo kreuzigen lassen und ist also von dem Gesetz abgestorben durch das Gesetz. Und dies, m. gel. Fr., ist allerdings der Uebergang, der natürliche Uebergang von dem Einen | zum Andern. Alles, was Gesetz ist durch den Menschen, eben 26–28 Vgl. Lk 23,34 28–29 Vgl. Joh 19,7; auch 10,33 (beidesmal mit Bezug vermutlich auf Lev 24,16) 34–35 Vgl. Mt 3,17; Mk 1,11; Lk 3,22

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weil es ihm nur ein Äußerliches ist, nur ein vorgeschriebener allgemeiner Buchstabe, unter den er bald so, bald anders das Einzelne bringt, kann den rechten Unterschied zwischen dem, worin die Kraft des Lebens ist und dem, was dem Tode angehört, ganz und gar verkennen. Und so kann unmöglich der Mensch durch das Gesetz gerecht werden. Nachdem er nun also mit dem Gesetz auf diese Weise ganz und gar abgeschlossen und sich von demselben losgesagt, nicht als ob es auch für ihn kein Gesetz geben solle oder dürfe in menschlichen Dingen; denn er sagt überall, daß die Obrigkeit von Gott eingesetzt sei und daß ihr Gehorsam gebühre; aber nur das Gerechtwerden vor Gott sei ganz und gar nicht das Werk des Gesetzes und in dieser Beziehung sei er ihm völlig abgestorben: – dies schickt er voran und nun erst giebt er die rechte Beschreibung von dem, was er vorher gemeint hat, als er sagte: „Wir, die wir wissen, daß der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesum Christum, glauben nun an Christum, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christum und nicht durch des Gesetzes Werke.“ Von dieser Gerechtigkeit durch den Glauben an Christum giebt er nun in den verlesenen Worten die eigentliche Beschreibung und wir wollen recht betrachten, was wir zu verstehen haben unter dieser Gerechtigkeit durch den Glauben, welches ein Hauptstück unseres gemeinsamen Bekenntnisses ist. Wenn wir nun den Sinn des Apostels zusammennehmen, so ist es zweierlei, worin das Wesen der Gerechtigkeit aus dem Glauben besteht, einmal nämlich, daß wir das Leben Christi in uns haben; denn das ist es, was der Apostel sagt: „ich lebe, aber nicht ich, sondern Christus in mir.“ Und das stellt er nun ganz gleich: im Glauben und im Sohne Gottes leben. Zweitens, daß wir uns in unserm ganzen Verhältniß zu Gott auf nichts anderes verlassen, als eben auf dies Leben Christi, das wir in uns haben. Das sagt er: „ich werfe nicht weg die Gnade Gottes und greife nicht nach irgend etwas anderem; denn so durch das Gesetz die Gerechtigkeit käme, so wäre Christus vergebens gestorben.“ Das, m. gel. Fr., sind also die beiden Stücke, die wir jetzt noch näher mit einander betrachten wollen. Zuerst also das Wesen der Gerechtigkeit durch den Glauben besteht darin, daß wir das Leben Christi in uns haben. Denn das Leben im Glauben ist nichts anderes, als der Glaube an Christum. Es liegt nun freilich in der Natur dieses Wortes und wie man es im Leben gebraucht, daß man sich gar zu leicht weniger darunter denkt, als der Apostel. Aber eben des wegen hat er nun auch diese bündige, kurze und Alles umfassende Erklärung da6 Weise] folgt vermutlich irrtümlich nicht gestrichen sich 8–9 Vgl. Röm 13,1f.7; Tit 3,1; auch Eph 6,5 13–16 Vgl. Gal 2,16 19–20 Vgl. vor allem CA IV, Die drey ökumenischen Symbola, die Augsburgische Confession, und die repetitio confessionis Augustanae, ed. Twesten, S. 23f; BSLK S. 56

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von gegeben, daß man Christum in sich leben habe. Wenn wir uns denken unter dem Glauben an Christum nur irgend ein Bekenntniß oder Wissen darum, was Christus gewesen sei, so kommen wir da zurück auf dasjenige, was der Erlöser selbst sagt: „Nicht Alle, die zu mir Herr, Herr sagen, werden in das Reich meines Vaters kommen, sondern die den Willen thun meines Vaters.“ Ein jedes Bekenntniß mit unseren Gedanken und unserem Verstande, es sei nun daß wir ihm mehr, oder daß wir ihm weniger zuschreiben, wenn es nichts Anderes ist, als dies, so ist es eben nur ein solches Herr Herr sagen, und davon sagt der Erlöser selbst, daß es nicht in das Himmelreich führe, d. h. also auch, daß der Mensch dadurch nicht gerecht werde. Wenn er aber nun sagt: die den Willen thun meines Va|ters im Himmel, so ist eben das der Wille seines Vaters, daß die Menschen an ihn, den er gesandt hat, glauben sollen, und er unterscheidet also das Glauben, welches ein Thun des göttlichen Willens, von jenem Herr Herr sagen, und so ist also dies Thun ein Glauben, welches nicht blos in der Anerkenntniß des göttlichen Willens besteht oder nur in einem Wohlgefallen daran, sondern darin, daß wir ihn aufnehmen. Dies ihn aufnehmen heißt aber: sein Leben in uns aufnehmen. Wie weit das nun verschieden ist von jenem bloßen ihn für irgend etwas, für einen Propheten oder für den Sohn Gottes, was man sich nun eben darunter denken möge, der Eine mehr, der Andre weniger, Anerkennen: – dies bloße Anerkennen in der Vorstellung, das ist nichts. Es muß etwas Andres dabei sein und das ist nichts Andres, als eben dies, daß wir, ihn dafür erkennend, zugleich in diese Gemeinschaft des Lebens mit ihm treten. Das ist aber nicht nur nicht des Gesetzes Werk, sondern es ist überhaupt auch nicht des Menschen Werk und gar kein Werk, sondern wie der Apostel sagt, es ist das ihn aufnehmen. Er ist gekommen nicht nur mit einer Kraft, in Anderen zu leben, sondern auch so, daß er sich von Anfang an den Menschen dazu dargeboten hat, daß er in die Menschen hineingehen wollte mit seiner lebendigen, beseligenden, himmlischen Kraft. So hat er sich ihnen dargeboten als das Brot des Lebens, welches sie essen sollten, um hinfort keinen Hunger mehr zu empfinden, als das lebendige Wasser, von dem sie nur zu trinken brauchten, so würde es gar keinen andern Durst zulassen bei ihnen. Und das versteht eben der Apostel unter dem Glauben, durch welchen er und alle die Seinigen suchten gerecht zu werden, indem sie nun nicht mehr selbst lebten oder durch das Gesetz leben wollten, sondern nur das Leben Christi. Wenn man sich aber gar zu leicht mit einer solchen Vorstellung des Glaubens begnügt, als wenn er nur sei ein geschichtlicher, so ist denn auch freilich es ebenso leicht, daß man sich eine zu geringe Vorstellung macht von dem, was da heißt „gerecht“. Nämlich, m. gel. Fr., das ist eine sehr gewöhnliche Haltung: gerecht sein wirklich vor Gott, d. h. gegen ihn, seine Vollkommenheit und das, was er vermöge seiner 4–6 Vgl. Mt 7,21

29–31 Vgl. Joh 6,35

31–33 Vgl. Joh 4,14

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Vollkommenheit fordert, gerecht zu sein, das könne doch kein Mensch. Es komme also darauf nur an, daß uns Gott für gerecht ansehe, ungeachtet wir es nicht wären. Und so denkt man sich jenen Glauben, jenes Anerkennen des Erlösers als solchen, als das Mittel, wodurch uns Gott für gerecht erkläre, ungeachtet wir es nicht wären. So meint es der Apostel nicht, sondern er sagt: wir suchen gerecht zu werden durch den Glauben an Christum. Und wie sollte man sich auch denken in Gott ein irgend etwas für etwas erklären, was es nicht wäre? Dann wäre ja Gott nicht die Wahrheit; und dann hätten wir auch gar kein Mittel, uns auf ihn zu verlassen; und dann gäbe es keine Möglichkeit, ihm gerecht zu werden, weil wir kein reines festes Bewußtsein davon haben könnten, was das wäre. Gott kann nur für gerecht erklären, die gerecht sind, und gerecht werden durch den Glauben an Christum kann nur geschehen, indem wir suchen gerecht zu werden durch den Glauben an Christum. Das gerecht werden und schon gerecht sein ist ein und dasselbige und läßt sich nicht trennen. Aber freilich die bloße Vorstellung und das bloße Annehmen einer Geschichte oder Lehre bringt als solches keine Veränderung in dem Menschen hervor; dadurch wird nichts in ihm, und wenn wir also unser Vertrauen darauf setzen, so zieht eben der eine Fehler den andern nach sich, und wir haben eine falsche Vorstellung von der Gerechtigkeit, weil wir eine falsche Vorstellung vom Glauben haben, und begnügen uns mit einem todten Glauben, weil wir uns mit einer unvoll|kommnen Vorstellung von der Gerechtigkeit vor Gott begnügen. Der Apostel spricht: Sie sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollten. Das Gegentheil ist, daß wir den Ruhm haben, den wir bei Gott haben sollen, und den können wir nicht haben, wenn es nicht allein die Wahrheit ist, und den können wir nur haben, wenn wir das Leben Christi in uns haben. So wie Christus gerecht ist, so sind wir auch wirklich gerecht bei Gott und werden nicht blos dafür gehalten, eben weil wir das Leben Christi in uns haben. Fehlt uns aber dies, dann giebt es auch durch keinen andern Glauben ein Fürgerechtgehaltenwerden bei Gott. Ich meine, wir dürften nur von der ewigen Wahrheit des höchsten Wesens den rechten Gedanken fassen, um einen solchen Unterschied als etwas ganz Unzulässiges aufzuheben, welches bei Gott und vor Gott unmöglich bestehen kann. PJS nun aber, wenn jemand sagt, können wir denn das behaupten, daß wir nun einen Ruhm bei Gott haben, den wir haben sollten? Ist es denn wahr, daß wir behaupten könnten, wir seien nun keine Sünder mehr, da wir doch noch täglich die Erfahrung von der Sünde machen? Diese Bemerkung beantwortet sich eben dadurch, was der Apostel sagt: doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Mein Leben ist nicht die 34 PJS] oder PZS Abk. vielleicht für Ja oder Jedoch oder Abk. für Zweitens 23–24 Röm 3,23

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Unvollkommenheit, sondern mein Leben ist das Leben Christi in mir. Aber indem sich das wirksam zeigen soll durch mich, so geschieht das dadurch, daß die Gnade mächtig ist in den Schwachen. Diese Schwachheit offenbart sich täglich. Aber indem das Leben Christi durch diese Schwachheit hindurchdringt, so ist dies der Ruhm, den wir bei Gott haben sollen, daß wir bewegt werden durch das Leben, welches das Leben bei Gott ist. Bei dem Herrn ist ein Tag wie 1000 Jahre und 1000 Jahre sind wie ein Tag. Darum ruht auch sein Auge nicht auf einer Zeit, sondern das Auge Gottes ist gerichtet auf das neue Leben, welches über das ganze Menschengeschlecht gekommen ist durch Christum. Wo dies neue Leben ist, da ist auch die Zufriedenheit Gottes, und wo er dies findet, da spricht er gerecht, weil die Gerechtigkeit da ist. Denn die kann nichts Andres sein, als die Freude an diesem Verbreiten aller der Segnungen, die der Erlöser über die Menschen gebracht hat. So wir dies nicht thun, so haben wir auch das Leben Christi nicht; so wir dies thun, so haben wir auch den Ruhm vor Gott trotz der Schwachheit. Denn der Blick Gottes geht auf das Innere und mit diesem Innern, dem Leben Christi in uns, wird dann das Aeußere bedeckt, so daß nichts Andres in uns zu schauen ist, als eben dies Leben Christi. Das, m. theuren Fr., das ist der Sinn des Apostels, wenn er sagt: wir suchen gerecht zu werden durch Christum und durch den Glauben an Christum, d. h. wir leben nicht mehr, sondern Christus lebt in uns. Und das ist dasselbige, als: was wir noch leben im Fleisch, – und indem er sagt „im Fleisch“, so schließt er alle Schwachheit und Gebrechlichkeit des Fleisches mit ein –, das leben wir im Glauben an den Sohn Gottes. Und so sagt er denn auch an einem andern Orte in einer zusammenhängenden und ausführlichen Darstellung von dem innern Widerspruch in dem Menschen und von dem Gegensatz zwischen dem inwendigen Menschen und dem Gesetz in unsern Gliedern dennoch, nachdem er ausgerufen hat: „wer errettet mich von diesem leiblichen Tode!“: „So ist nun nichts Verdammliches in denen, die in Christo Jesu sind.“ | Dies nun, m. andächt. Fr., führt uns auf einen 2. Punkt, nämlich daß wir nun gar zu leicht bei diesem Ausdruck „gerecht werden“ an nichts andres denken, als an die Vergebung der Sünde. Aber es giebt keine Vergebung der Sünde, als mittelst dieses Lebens Christi in uns. Der Apostel Johannes in seinem 1. Briefe sagt: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so ist die Wahrheit nicht in uns; so wir aber unsre Sünde bekennen, so ist Gott treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergiebt und reiniget uns von aller Untugend.“ Aber das sagt er nicht von den Menschen im Allgemeinen, sondern das sagt er von denen, die in der Gemeinschaft mit Christo leben. Von 3 Vgl. 2Kor 12,9 6–7 Vgl. 2Petr 3,8 (mit Anspielung auf Ps 90,4) 19–20 Vgl. Gal 2,17 in Verbindung mit 16 24–27 Vgl. Röm 7,14–25 28–29 Vgl. Röm 7,24 29–30 Vgl. Röm 8,1 35–38 Vgl. 1Joh 1,8f

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diesen sagt er: „wenn wir sagen, daß wir keine Sünde hätten, so wäre die Wahrheit nicht in uns.“ Daher wer in diesem Lichte lebt und wandelt, der sieht in diesem Lichte auch seine Sünde und dieses Sehen ist das Bekennen derselben, und so wir nun diese Sünde bekennen, so ist es nicht weder Gnade, noch Barmherzigkeit Gottes, sondern nur die Treue und Gerechtigkeit Gottes, die Treue, die an seinem ewigen Worte hängt, und die Gerechtigkeit, die nicht anders kann, als das, was gerecht und wahr ist, daß er uns die Sünde vergiebt. Das heißt also, die Gerechtigkeit ist freilich im Glauben an Christum. Und es ist auch gewiß, daß es kein wahres Bekennen der Sünde giebt ohne diesen, weil es kein wahres Erkennen giebt ohne diesen. Aus dem Gesetz kommt die Erkenntniß der Sünde. Aber doch, wie das Gesetz als ein äußerer Buchstabe immer etwas Unvollkommnes ist, so ist auch die Erkenntniß der Sünde aus dem Gesetz nur etwas Unvollkommnes. Denn es giebt die Sünde nur zu erkennen, wo sie in ihrem Anslichttreten dem Gesetz widerspricht. Aber in Christo ist die vollkommne Erkenntniß der Sünde eben deswegen, weil in ihm die Vollkommenheit ist und also Alles, was ihm unähnlich ist, schon dadurch sich als Sünde zu erkennen giebt. Und so können wir freilich nicht anders, als immerdar, indem wir in der Gemeinschaft mit Christo sind, unsre Sünde bekennen. Sondern wir beides, so ist das letzte nur unser Leben im Fleisch und das ist Sünde. Aber es ist auch nur die Treue und Gerechtigkeit Gottes, daß die Sünde vergeben ist, wo das Leben in Christo ist, weil das Leben in Christo da ist und weil mit diesem Leben in Christo der lebendig machende Geist in uns ist, der in uns „lieber Vater“ ruft, aber der auch in uns immer mehr die Vollkommenheit Christi ans Licht bringt. Wollen wir aber die Vergebung der Sünde sondern von diesem Leben Christi in uns, so sind wir in einem ebensolchen Irrthum; und denken wir, daß es einen Glauben giebt, der geringer ist, als dies Aufgenommenhaben des Lebens Christi in uns, so ist die Wahrheit nicht in uns. Dies also, m. theuren Fr., das ist die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, daß nicht mehr wir leben, sondern Christus in uns; und es ist eben die wahre Gerechtigkeit, weil Gott nicht nur auf das sieht und nicht nur das sieht, was das Leben in Christo in uns schon bewirkt hat, sondern weil er es in seiner göttlichen Kraft, die in der Schwachheit mächtig ist; – da ist Christus in uns der Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens und solche sind gerecht. Denn sie haben den Ruhm, dessen sie bei Gott bedürfen, aber den wir nicht anders haben können, als in der Gemeinschaft des Lebens mit Christo. | 33 mächtig ist] zu ergänzen sinngemäß als Anfang des Lebens Christi in uns sieht 1–2 Vgl. 1Joh 1,8 11 Vgl. Röm 3,20; ferner 7,7 4,6 33 Vgl. 2Kor 12,9 35 Vgl. Röm 3,23

23–24 Vgl. Röm 8,15; Gal

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Sollte es nun noch wohl möglich sein, m. gel. Fr., daß wir etwas hinzufügten darüber, was ich als das Zweite gestellt habe, daß wir uns auf nichts andres verlassen, als auf das Leben Christi in uns? Wir sollten es freilich kaum denken, aber der Apostel fügt es doch selbst hinzu, – und es ist wohl eine in der christlichen Kirche sehr häufig sich wiederholende Erfahrung und wird uns ganz besonders klar, wenn wir auf jenen Tag blicken, wo das Bekenntniß der reinen Kirche vor den Augen der christlichen Welt abgelegt wurde, diejenige, die dem ganzen Briefe an die Galater zum Grunde liegt – indem er sagt: Ihr unverständigen Galater! Im Geiste habt ihr angefangen, wollt ihr es denn im Fleisch vollenden? Habt ihr denn so viel um sonst gelitten? So, m. gel. Fr., war es also schon damals in der ersten christlichen Kirche, daß diejenigen, welche geistig angefangen hatten, sich noch hernach wieder überreden ließen und wollten es im Fleische vollenden; daß diejenigen, denen Christus vor die Augen gemalt war, nun doch wieder zurückkehren wollten zum Gesetz und es also im Fleische vollenden. Wenn das nicht in der christlichen Kirche von da an so oft geschehen wäre, wenn nicht immer wieder die Bestrebungen zum Vorschein gekommen wären, sich eine andere Gerechtigkeit zu bauen, als diese aus dem Glauben, zu einer unvollkommenen Gerechtigkeit zurückzugehen, wie sie früher war, wenn dies nicht gewesen wäre, so würde gar keine Veranlassung gewesen sein zu einer solchen Veränderung in der Kirche. Denn alle die Mißbräuche, alle die Verirrungen, von welchen damals die erleuchteten Diener des göttlichen Wortes die Gemeinde reinigen wollten, waren lauter solche vergebliche Versuche gewesen, eine andre Gerechtigkeit aufzubauen, welche keine Nahrung hätten finden können, wenn sie nicht hätten einen andern Stab und eine andre Stütze haben wollen, sondern sich an dieser gehalten hätten, welche ihnen einmal gegeben war von Gott selbst. Worauf nun man gekommen war, indem man sich auf etwas Anderes verlassen wollte, das waren eben wiederum solche äußerlichen Werke, wie die Werke des Gesetzes. Aber es hätte nicht geschehen können, wenn nicht die rechte Ansicht von dem Glauben an Christum wäre verloren gegangen; wenn man nicht unter dem Glauben verstanden hätte eben ein solches Festhalten an dem Buchstaben der Lehre; wäre überall das Leben Christi in den Menschen deutlich und klar gewesen. Und dann hätten sie wohl auch nicht auf etwas Anderes gerathen können, sondern würden bald gefunden haben, das sei nun das rechte, was ihnen fehlte. Aber so weit war man entfernt worden, daß eine so große Leichtigkeit entstanden war, einen solchen Trost und Verlangen unter die Christen zu bringen. Aber wenn nun jene selbstgemachten und gewählten Werke in ihrer Blöße dargestellt wurden, indem man diese Lehre des Apostels vorzog, daß kein Fleisch gerecht würde durch 9–11 Vgl. Gal 3,1.3f 1 Vgl. Gal 2,16

14 Vgl. Gal 3,1

25–26 Anspielung auf Ps 23,4

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das Gesetz, sondern nur durch den Glauben an Christum, so entstand leider in unsrer Kirche selbst ebenso bald ein falscher Trost von einer andern Seite. Auch davon finden wir schon das Aehnliche in der ersten christlichen Gemeinschaft. In seinem 1. Briefe | an die Korinther stellt uns der Apostel dar diejenigen, welche ängstlichen Gewissens waren und deshalb hielten an Tagen und Speisen; Andere aber, welche meinten, daß das Reich Gottes nicht bestehe in Fasten und dergleichen, sondern im Wissen. Aber was war der Apostel da genöthigt geltend zu machen in seinem Briefe? So waren sie eingenommen von der Erkenntniß, daß er ihnen sagen mußte: das Wissen bläht auf; daß er ihnen sagen mußte: das Reich Gottes besteht nicht in Essen und Trinken, sondern in der wahren Gerechtigkeit, in Friede und Freude im heiligen Geist. Und so kam man bald in unserer Kirche zurück auf jenes, daß man die Gerechtigkeit suchte und die Gerechtigkeit durch den Glauben nur in der richtigen Erkenntniß, nur in der gereinigten Lehre, nur in dem Festhalten des Buchstaben, der als die Beschränkung der lebendigen christlichen Einsicht aufgestellt worden. Sagt der Apostel, das Reich Gottes besteht nicht in Essen und Trinken; sagt er, das Wissen bläht auf, so wird er auch sagen, das Reich Gottes besteht nicht in der Klarheit und Sicherheit der Lehre, sondern Friede und Freude im heiligen Geist ist ein ganz anderes Ding, als klare Lehre und richtiger Buchstabe. Allerdings hat jene auch einen Werth, aber nur in dem Sinne, in dem der Apostel sagt: der Geist macht lebendig, der Buchstabe tödtet. Wenn die Lehre also nun nur Buchstabe ist, der äußerlich festgestellt und hingestellt, dann sind das auch Worte, die nicht mehr Geist und Leben sind. Denn es sind nicht mehr Worte aus Christi Leben, sondern solche, die man sich auf eine äußerliche Weise verschaffen kann. Darum nun, so wenig wir uns verlassen dürfen auf Werke des Gesetzes, ebenso wenig sollen wir uns verlassen auf den Buchstaben der Lehre, sondern nur auf das Wort, welches aus dem innern Geist und Leben hervorgeht. Was wir mit den Worten können, ist niemals etwas Anderes, als daß wir Christum verkünden, nicht daß wir ihn vor die Augen malen können, sondern können und wollen wir mit Worten etwas wirken, so kann es nur sein, indem sie das Leben Christi, welches wir wirklich in uns tragen, darstellen. Aber dazu sollen unsere Thaten auch Worte sein. Denn Wort und That ist hier dasselbige. Die That ist nichts, das Wort auch nicht; beides ist nur etwas, in so fern es das Leben Christi darstellt. Verlassen wir uns aber auf das, was es doch nicht ist, so sind wir noch weit entfernt von der Gerechtigkeit aus dem Glauben; so sind wir abgegangen von der richtigen Bahn und achten nicht mehr genug auf das Wesen des Christenthums, nämlich auf den lebendig machenden Geist. Der ist es allein. 4–7 Vgl. 1Kor 8 und 10,23–31 9–10 Vgl. 1Kor 8,1 10–12 Vgl. Röm 14,17; ferner 1Kor 8,8 22 Vgl. 2Kor 3,6 23–24 Vgl. Joh 6,63 30–31 Vgl. Gal 3,1

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Denn wo recht der Geist Christi wohnt, da ist auch Leben. Der Geist und das Leben Christi ist ein und dasselbige. Darum nun, m. theuren. Fr., fühlen wir unsere eigene Schwachheit und Gebrechlichkeit, so sind wir auch nur unsre eignen Richter. Aber der lebendige Glaube an Christum besteht nur darin, daß wir sein Leben aufnehmen so, daß er derselbe damals war, als er auf Erden war, und derselbe heute, und derselbe wird er sein in Ewigkeit. Und nur in diesem | Aufnehmen seines Lebens haben wir die Gerechtigkeit aus dem Glauben an ihn und nur hierin besteht der wahre, lebendige und selig machende Glaube. An dem laßt uns halten, indem er uns geworden ist nicht nur zur Erlösung durch die Vergebung der Sünden, die allein auch nichts wäre, so das Leben aus ihm nichts wäre, sondern zur Weisheit und zur Gerechtigkeit; und als der, der Alles dies uns geworden ist und gewirkt, sei er denn von uns geliebt und gelobt jetzt und in Ewigkeit. Amen!

1–2 Vgl. wahrscheinlich Röm 8,9f

5–6 Vgl. Hebr 13,8

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Am 25. Juli 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

7. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 1,13–18 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 232–243, Nr. IV; Zabel Keine Nachschrift; SAr 69, Bl. 38r–40v; Woltersdorff Nachschrift; SAr 99, Bl. 11v–15r; Slg. Wwe. SM, Pommer (Zabel) Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 100.

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Tex t . Colosser I, 13–18. „Welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsterniß und hat uns versetzet in das Reich seines lieben Sohnes; an welchem wir haben die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden; welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne vor allen Kreaturen. Denn durch ihn ist alles geschaffen, das im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare, beide die Thronen und Herrschaften und Fürstenthümer und Obrigkeiten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und Er ist vor Allen und es bestehet Alles in ihm. Und Er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeine.“ Diese Worte, m. a. Fr., schließen sich noch an das, was der letzte Theil war in dem Wunsch und Gebet des Apostels für diese Gemeine. Als er nämlich gesagt hatte: ich höre nicht auf, für euch zu beten, daß ihr danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbtheil der Heiligen im Licht: so knüpft sich daran diese ganze Darstellung des Apostels, die auch wieder mit demselbigen sich endigt. Nämlich das Erbtheil der Heiligen im Licht, das ist eben diese Gemeine, deren | Haupt als seines Leibes Christus der Herr ist. Und so fährt der Apostel auch hernach fort in den folgenden Worten, die wir nächstens werden zu betrachten haben, und endigt damit, daß 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 100: „König, dem kein König gleichet“ (Melodie von „Schmücke dich, o liebe Seele“) 19–20 Vgl. die Predigt am 8. August 1830 über Kol 1,18–23 20–2 Vgl. Kol 1,22

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derselbige sie nun habe herbeigeführt und versöhnet, auf daß er sie darstellte heilig und unsträflich und ohne Tadel vor ihm selbst. In diesem Zusammenhang also müssen wir die Worte des Apostels betrachten. Indem er nun weiter auseinander setzen will, wie der Vater uns tüchtig gemacht zum Erbtheil der Heiligen im Licht: sagt er zuerst, „er habe uns errettet von der Obrigkeit der Finsterniß und uns versetzet in das Reich seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden.“ Und dann fährt er weiter fort, zu beschreiben eben dies Reich seines lieben Sohnes, in welches wir versetzt sind. Indem er nun zuerst sagt, „Gott der Vater habe uns errettet von der Obrigkeit der Finsterniß und uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes:“ so dürfen wir diesen Gegensatz nicht übersehen, in welchem der Apostel seinen Sinn unmittelbar ausdrückt, wenn er auch nicht ganz genau und buchstäblich ausgesprochen ist. Nämlich der Finsterniß ist entgegengesetzt das Licht. Wenn wir errettet sind von der Obrigkeit der Finsterniß und versetzt in das Reich seines lieben Sohnes: so wird dies eben dadurch dargestellt als ein Reich des Lichts, beides aber, Finsterniß und Licht, für uns dargestellt als eine Gewalt; denn waren wir unter der Obrigkeit der Finsterniß: so waren wir auch in der Gewalt derselben; sind wir versetzt in das Reich des Lichts: so sind wir in der Gewalt des Lichts. Das, m. a. Fr., ist auch die Art, wie der Apostel sich auch anderwärts ausdrückt, indem er sagt, es ginge nun einmal nicht anders, der Mensch müsse | dienen; diene er der Sünde: so sei das Ende der Tod; diene er der Gerechtigkeit: so sei die Frucht davon das ewige Leben. Eben so weiß er auch hier kein Drittes. Entweder wir sind unter der Obrigkeit der Finsterniß und dienen ihr, oder wir sind in dem Reich des Sohnes Gottes und dienen ihm und seinem Reiche. Wie stimmt dies aber damit, was derselbe Apostel sagt von der Freiheit, zu welcher wir hindurchdringen sollen, zu der Freiheit der Kinder Gottes eben in dem Reiche des Lichts? Das scheint freilich auf den ersten Anblick nicht zusammenzustimmen; aber doch werden wir sagen müssen, daß auch in weltlichen Dingen der Mensch sich nicht freier fühlen kann, als wenn er in eine große gemeinsame Ordnung aufgenommen ist, wenn es nur eine solche ist, der er selbst Beifall geben, die er im Innern seines Herzens anerkennen kann. Dann ist er, indem er in diese Ordnung befaßt ist, freier, als er jemals für sich allein sein kann. Beide Gedanken des Apostels, die sich beständig in allen seinen Schriften wieder finden, und von denen ihm der eine eben so werth zu sein scheint als der andere, hängen damit zusammen, daß er eine sehr klare Einsicht und ein sehr tiefes Gefühl davon hat, das sei die göttliche Ordnung, daß der Mensch nicht könne und solle für 21–24 Vgl. Röm 6,19–22 27–28 Vgl. Gal 5,1.13 und Röm 8,21 39–2 Vgl. SAr 69, Bl. 38r: „[...] daß die Menschen bedürfen in einer Gemeinsamen Ordnung verbunden zu sein, daß nicht jeder für sich allein sich bilde sondern zusammen in großer allgemeinsamer Ordnung stehend.“

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sich allein stehen, sondern daß er müsse zusammengefaßt sein in eine größere Gemeinschaft. So versteht er die ganze göttliche Ordnung des Alten Bundes, indem er sagt, die Menschen sollten zusammengehalten werden unter dem Gesetz, bis daß der Glaube käme, der sie dann wieder zusammenhält. Wenn er also hier sagt, der Vater habe sie errettet von der Obrigkeit der Finsterniß: so erinnert er die Gemeine an ihren frühern Zustand. Mochten sie mehr aus ehemaligen Heiden oder ehemaligen Juden bestehen, das war ihm beides in dieser Hinsicht gleich; | sie waren immer in der Gewalt der Finsterniß, indem das rechte Licht weder ihnen leuchtete, noch überhaupt angezündet war in ihren alten Ordnungen. Denn alle waren doch nichts Anders als ein Zusammenfassen der Menschen in Beziehung auf das Irdische, in Beziehung auf die gemeinen Bedürfnisse des Lebens, und durch ein solches Zusammenfassen wurde denn freilich der Blick des Menschen nicht über die Erde erhoben, und sein Sinn nicht zu dem Himmel gewendet, und sein Schritt nicht zu dem Ewigen gelenkt, und das war allerdings eine Gewalt der Finsterniß, aus der die Menschen mußten errettet werden. Und wie nun der Apostel anderwärts sagt, daß, so lange der Sohn, welcher der Erbe ist aller Güter, noch ein unmündiges Kind ist, sei wenig Unterschied zwischen ihm und dem Knecht: so sei es auch gewesen in der Ordnung Gottes, bis daß die Zeit erfüllet wurde, wo Gott seinen Sohn gesandt, auf daß auch wir die Kindschaft empfingen und versetzt würden in das Reich seines lieben Sohnes. Indem er aber dieses beschreiben will als ein solches, das ganz entgegengesetzt sei dem Zustand der Menschen unter der Obrigkeit der Finsterniß, aber auch ganz entgegengesetzt jenem Zustand, welcher der Knechtschaft so ähnlich sei, indem der Geist der Kindschaft nichts Anderes sei, als der Geist der Freiheit, und wir im Reiche Gottes darum uns so frei fühlen, weil wir auch dienen, zusammengefaßt sind in eine große Ordnung, aber sie ist die, in welcher wir die Erweisungen der väterlichen Liebe Gottes wahrnehmen, und in der wir auch immer mitwirken, um sein Reich, das Reich des Lichts, weiter zu fördern – indem er nun dies weiter beschreiben will: so fährt er fort: „an welchem wir haben die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden;“ denn es bezieht sich nun dieses auf das Erste, so wie es ja nichts ist als ein Zurückgehen auf das | Vergangene. Das Erste, daß wir unter der Obrigkeit der Finsterniß stehen, muß ein Ende nehmen, und dies Ende ist die Vergebung der Sünden. Nämlich diese ist nur in dem Bewußtsein, daß das Vorige keinen Einfluß hat auf das Künftige, daß das Alte ganz vergangen ist und ein Neues geworden, wie 3–5 Vgl. Gal 3,23 17–21 Vgl. Gal 4,1.4f 24–26 Vgl. Gal 4,4–7; Röm 8,14–17 26–28 Vgl. SAr 69, Bl. 38v: „[...] und wir vermöge dessen uns frei fühlen, weil wir dienen dem, den wir in unserm innersten Wesen anerkennen als Herrn über uns, ihm dienen in seinem Reich d. h. in der von Ihm gestifteten und von uns als heilsam gefühlten und anerkannten großen gemeinsamen Ordnung [...].“

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der Apostel es anderwärts ausdrückt, daß Gott die Zeit der Unwissenheit übersehen hat, seitdem er der ganzen Welt vorhält den Glauben. Und darum kann die Vergebung der Sünden auch in keinem Andern sein, als in dem, in welchem dies neue Reich ist, in eben dem, welcher das Haupt ist dieser neuen Gemeinschaft als seines Leibes. Nun aber geht der Apostel dazu über, denjenigen selbst näher zu beschreiben, welcher zu dem Allem den Grund gelegt, durch den wir errettet sind von der Obrigkeit der Finsterniß, und in dessen Reich wir versetzt sind. Den beschreibt er also: „welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne aller Kreatur. Denn in ihm ist Alles geschaffen, das im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare, seien es Thronen oder Herrschaften, oder Fürstenthümer oder Obrigkeiten; es ist Alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor Allem und das All besteht in ihm, und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeine.“ Ich habe diese Worte des Apostels nicht genau so gelesen, wie sie unser Luther übersetzt hat, weil er sich nicht genau gehalten hat an die Worte des Apostels. Ich will nicht behaupten, daß der Sinn des Apostels unmittelbar deutlicher geworden sei durch dies sich näher an seine Worte Halten; allein weil dieses eine von den Stellen ist, worin es nicht leicht ist, bestimmt zu zeigen, ob man den Sinn des Apostels genau getroffen hat: so ist es desto nothwendiger, daß man sich auch nicht in Klei|nigkeiten willkührlich von seinen eigenen Worten entferne. Wie nun der Apostel Christus das Ebenbild des unsichtbaren Gottes nennt, ist uns allen etwas Bekanntes und Gewohntes. Es geht Alles darauf hinaus, daß Er ist der Sohn Gottes, denn der Sohn ist das Ebenbild des Vaters. Ob demnach gesagt wird, wir haben in ihm gesehen die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, oder ob gesagt wird, wir haben in ihm gesehen das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, dies beides ist Eins und dasselbige; ob er sagt, in Christo hat sich offenbart die Liebe Gottes, oder ob er sagt, Christus ist das Ebenbild Gottes, das ist beides dasselbige; denn Gott ist die Liebe, und der, in welchem sich auf solche Weise die Liebe Gottes in ihrer ganzen Fülle offenbaret hat, der ist eben dadurch das Ebenbild Gottes. Dies beides ist uns ganz bekannt und klar, wir erkennen es gleich in dem Sinn, in welchem der Apostel es gemeint hat, und wir können darüber kein Bedenken und Zweifel haben. Aber nun fährt er fort, er sei der Erstgeborne aller Kreatur. Hier ist schon eine von den Abweichungen, die sich Luther gewiß aus guter Meinung erlaubt hat, indem er sagt, der Erstgeborne vor aller Kreatur. Es wird aber doch dadurch der Sinn des Apostels ins Dunkle gestellt; denn der ist nicht gemeint, durch 1–2 Vgl. Apg 17,30 2–5 Vgl. SAr 69, Bl. 38v: „[...] darum denn die Vergebung nirgend anders sein kann als in dem Reich dessen der eben das Haupt ist dieses seines neuen Leibes [...].“ 25–26 Vgl. Joh 1,14 28–29 Schleiermacher dürfte sich vermutlich vor allem auf Röm 8,39 und 5,8 beziehen. 30 Vgl. 1Joh 4,16

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den Ausdruck Erstgeborner eine Zeit zu bezeichnen, sondern dieser Ausdruck bezeichnet die Würde, er bezieht sich darauf, daß nach damaliger Ordnung der Erstgeborne einen entschiedenen Vorzug hatte vor allen andern; aber eine Zeit anzugeben, wie der Ausdruck „vor“ es in diesem Zusammenhange andeutet, ist nicht in des Apostels Sinn. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß der Apostel hier redet von unserm Erlöser, von dem Menschen Jesus Christus, welcher zugleich war der Sohn Gottes, aber nicht etwa von dem Göttlichen in Christo als einem Abgesonderten für sich, denn das kommt nirgend in dem Zusammenhang seiner Rede vor. Eben darum haben wir auch wol keine Ursach zu glauben, daß in den | Worten: „in ihm ist alle Kreatur geschaffen, Alles was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare, alles ist für ihn und zu ihm geschaffen,“ ich sage, wir haben keine Ursach zu glauben, als ob der Apostel in diesen Worten habe behaupten wollen einen Antheil, welchen der Erlöser gehabt hat an der Erschaffung der Welt, denn der Erlöser, welcher damals, als die Zeit erfüllt war, vom Weibe geboren ward, der kann doch keinen Antheil gehabt haben an der Schöpfung der Welt. Er sagt auch nicht, daß Himmel und Erde durch ihn geschaffen seien, sondern Alles, was im Himmel und auf Erden ist; und wenn wir auf die weitere Beschreibung achten: so wäre, wenn er an die ganze Schöpfung gedacht, das, was er namhaft macht, Throne und Herrschaften, Fürstenthümer und Obrigkeiten, so wäre doch das nichts, was uns auf diese Gesammtheit der Dinge hinführt; sondern dieses sind doch nur Benennungen für die Ordnung der geistigen Welt, und an diese hat der Apostel hier allein gedacht. Wenn er also sagt: „er ist der Erstgeborne aller Kreatur, denn in ihm ist geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist:“ so werden wir dies „in ihm ist geschaffen“ am Besten verstehen aus dem Folgenden, wo der Apostel im siebzehnten Verse sagt: „es besteht Alles in ihm,“ d. h. Alles ist in ihm erst zu seinem rechten Bestande, zu seinem wahren Wesen gekommen, Alles ist nur wirklich etwas, in sofern es sich auf ihn bezieht, und das gilt von allem Frühern eben so gut als von dem Spätern. Das ist dasselbige, was auch der Apostel anderwärts sagt von den frühern göttlichen Einrichtungen der Welt, daß alles Gesetz, sowol das, was Gott dem Volk des Alten Bundes gegeben, als jedes andere, wodurch die Menschen sich selbst zum Gesetz geworden seien, als solches nur ein Zwischeneingetretenes ist, daß es sein eigentliches Bestehen, sein wahres Wesen nur hat | in Beziehung auf das Reich Christi, daß es nur etwas ist, insofern es nothwendig war, um dieses vorzubereiten, um dieses herbeizu7 An „der Sohn Gottes“ schließt sich bei SAr 69, Bl. 39r an „d. h. der Mensch in welchem Gott wohnte, in welchem das Gottsein und Menschsein so miteinander verschmolzen war, das es zusammen Ein Wesen bildete“. 15–16 Vgl. Gal 4,4 32– 35 Vgl. Gal 3,19.23f; zum nicht-alttestamentlichen Gesetz Röm 2,14f; zur Formulierung vgl. auch die Zweitauflage von Schleiermachers ‚Glaubenslehre’, KGA I/13.2, S. 338,10–13, ähnlich 13.1, S. 104,12–14

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führen, um die Menschen bis dahin, daß die Zeit erfüllet war und Christus erscheinen konnte, zusammenzuhalten, und in diesem Sinne sagt er, sei in dem Erstgebornen der Kreatur Alles geschaffen. Und auch dies Wort ist nicht dasselbige, dessen die griechische Bibel, die doch der Apostel in Gedanken hatte, sich am Meisten bedient von der Schöpfung der Welt, sondern es ist ein solches, das eben so gut angewendet werden kann, um Ordnungen und Einrichtungen in dem, was da ist, zu bezeichnen. Und so stimmt es auch zusammen mit dem, was der Apostel sagt, nicht: „Himmel und Erde,“ sondern: „alles, was im Himmel und auf Erden ist,“ alle göttliche Führungen, Einrichtungen und Ordnungen, das alles sei in diesem Erstgebornen geschaffen, durch ihn und für ihn, in Beziehung auf ihn und vermöge dessen, was er sein sollte, und in diesem Sinn sei er nun vor Allem, d. h. er sei der, der Alles führt, auf den sich Alles bezieht, der Allem vorsteht; so wie er nun auch fortfährt: „in ihm besteht Alles, und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeine.“ In ihm besteht Alles, d. h. nun er erschienen, nun ist alles Andere zu seinem wahren Wesen und Bestehen gelangt, nun ist der ganze Zusammenhang in den göttlichen Ordnungen im Himmel und auf Erden klar und deutlich. Himmel und Erde bezeichnen hier nicht einen Ort; denn der Himmel ist nicht ebenso ein Ort, wie die Erde, sondern was sich auf das Ewige und Geistige bezieht, das ist der Himmel, was sich auf das Irdische und Leibliche bezieht, ist die Erde. So wird beides in der heiligen Schrift häufig gebraucht. Lasset uns, m. g. Fr., einmal fragen, wenn der Apostel hier hätte wollen ein solches Geheimniß offenbaren, wie das wäre, wenn er hätte sagen wollen, wie das Göttliche in Christus schon vor Erschaffung der Welt gewesen und an der | Schöpfung Theil genommen hätte, so daß Gott die Welt geschaffen durch dies ihm Angehörige, ob dies wol in seinen Gedankenzusammenhang hineingehörte, ob er da nicht hätte ganz andere Zurüstungen machen müssen, um den Christen das anschaulich zu machen, an welche er schrieb; ob dies als etwas ganz Unbekanntes mit so wenigen Worten konnte abgethan werden. Fragen wir uns weiter, was hätten sie wol für einen Gewinn davon gehabt, dies zu wissen; wie hätte das hierher gehört, wo er seine Freude an ihrer Bekehrung, seine Wünsche für ihr Wohl darstellt und sein Herz gegen sie ausschüttet? Wie hätte er wol so weit aus dem 3–7 Vgl. dazu die genaueren philologischen Erläuterungen in Schleiermachers Aufsatz „Ueber Koloss. 1, 15–20“, KGA I/8, S. 204,31–205,9 34–3 Vgl. SAr 69, Bl. 39v: „[...] wie hätte er so weit aus dem Wege gehn sollen und reden mit einem Mal von der irdischen Schöpfung die doch hierauf keine unmittelbare Beziehung hat und worauf auch das was er hier sagt gar nicht so ganz und vollkommen paßt. Wogegen, wenn wir es so nehmen daß der Apostel hier spricht von der Alles vollendenden Schöpfung Gottes von dem Reich seines Sohnes worin alles menschliche Leben erst zu seiner Bedeutung, zu seinem wahren Wesen gelangt; wenn wir es so nehmen so müssen wir es ganz in der Ordnung finden was er hier sagt.“

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Wege gehen sollen! Wogegen, wenn wir das Alles mit hineinrechnen in die Beschreibung von dem Reiche seines lieben Sohnes, in welches wir versetzt seien: dann müssen wir Alles natürlich und in der Ordnung finden. Es ist, m. g. Fr., eine sehr schöne Sache, sie kann nicht genug empfohlen werden, und wir halten sie fest als ein theures Vorrecht aller Mitglieder der evangelischen Kirche, daß jeder angewiesen ist, zu forschen in der Schrift; aber daß wir es nur auf die rechte Weise thun mögen, nämlich, nicht um überall bald hie, bald da etwas zu finden, was, je mehr es über die menschliche Vernunft hinausgeht, wir auch gleich Allen aufdringen wollen, gesetzt auch, wir vermöchten selbst nicht, etwas Bestimmtes dabei zu denken; sondern daß wir nur so forschen in der Schrift, daß es gereiche zur Erbauung, daß wir uns die Seligkeit, zu der wir berufen sind, klar machen, daß wir uns belehren über das, was wir sind an dem Leibe, dessen Haupt Christus ist, was wir an diesem sein und thun sollen. Das ist der Zweck alles Forschens in der heiligen Schrift; aber gar nicht solche verborgene Weisheit zu offenbaren, welche gar nicht in den Zusammenhang unseres Lebens eingeht, und zu unserm Wissen und unseren richtigen Vorstellungen nichts Bestimmtes hinzufügt, eben weil es doch nur Worte sind und bleiben, und sich zu keiner klaren Anschauung verarbeiten läßt. | Und weil dies die ganze Richtung und Zweck der heiligen Schrift ist, weil alle heilige Männer, vom Geist Gottes getrieben, nur so geredet haben, daß sich Alles erweise zum Nutzen der Gemeine, eben deshalb kann ich auch nicht glauben, daß jenes, sondern daß dieses der Sinn des Apostels sei. Und das ist denn auch ein recht Großes und Herrliches! Denn was ist uns gesagt von Christus? Nichts Geringeres ist es, als daß Er der Mittelpunkt ist der ganzen geistigen Welt, welches eben die ist, in die auch wir befaßt sind; daß er der Mittelpunkt aller menschlichen Dinge ist nicht nur auf dieser Erde, sondern in der ganzen weitern Entwicklung des Menschengeschlechts; daß sich Alles auf ihn bezieht, daß wir Alles nur recht verstehen als göttliches Werk, als göttliche Ordnung, wenn wir es betrachten in seiner Beziehung auf dieses Reich Christi, in welches wir versetzt sind, nachdem wir errettet sind von der Obrigkeit der Finsterniß; daß das, worauf wir einen rechten Werth legen, nichts Anders ist als der Leib Christi, von welchem er das Haupt ist, d. i. seine Gemeine, daß sich alles Andere auf diese bezieht, daß alles Andere nur insofern etwas Gutes, Wahres und Rechtes ist, als es gänzlich in diese befaßt ist. Wenn uns diese Worte durch Klang und Ton an die ganze Schöpfung Gottes erinnern: was liegt darin, als daß alle wahre Weisheit doch nur darin besteht, Alles in Beziehung zu bringen zu diesem Reich des lieben Sohnes 27 auf] auf auf 15 Statt „verborgene Weisheit“ heißt es bei SAr 69, Bl. 39v „verworrene Weisheit“. 36 Statt „die ganze Schöpfung“ heißt es bei SAr 69, Bl. 40r „die geistige Schöpfung“.

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Gottes, daß wir in allen menschlichen Dingen nur so viel Wahres und Gutes haben, als eine Beziehung zwischen ihnen und dem Reich Gottes ist, daß wir keine andere Vollkommenheit kennen auch in anderen menschlichen Dingen und nach keiner andern trachten, als daß wir Alles, was menschlich ist, auf ihn beziehen und Alles als in ihm und zu ihm geschaffen von uns angesehen wird und behandelt; daß wir in allen Verhältnissen, in allen Ordnungen unsers gemeinsamen Lebens, in Allem, was zu unserm Dasein gehört, nur in sofern das Rechte schaffen, als wir es so behandeln, wie es behandelt | werden muß für das Reich Gottes. Größeres und Umfassenderes konnte der Apostel wol nicht sagen, indem er den beschreibt, der das Ebenbild Gottes ist, als indem er ihn in diesem Sinn den Erstgebornen der Kreatur, den eingebornen Sohn nennt, der, wie es anderwärts in der Schrift heißt, schaltet und waltet in dem Hause Gottes, um dessen willen Alles so gemacht ist, wie es ist, auf welchen sich von Anfang an alles Andere bezogen hat. Ja wir mögen zurückgehen auf die Schöpfung unserer menschlichen Welt, von welcher ja auch gesagt wird, daß Gott, nachdem er sie gemacht, sie ansah, und siehe da, es war Alles gut: so mögen wir sagen, es war Alles gut, insofern es sich bezog auf diesen Erstgebornen der Kreatur, insofern es schon geordnet war, daß er, wenn die Zeit erfüllet war, erscheinen sollte, um die Obrigkeit der Finsterniß aufzuheben, um Alles zu sammeln in das Reich des Lichts, des Friedens und der Seligkeit; es war Alles gut, insofern als eine solche Ordnung schon gegründet war in den natürlichen Dingen, und auch bestimmt, wie weit die Menschen wohnen sollten, wie eng bei einander und wie zerstreut; es war Alles gut, in sofern dieses so geordnet war, daß sich das Reich seines lieben Sohnes überall hin auf Alle verbreiten konnte, und immer mehr erscheinen, daß ihm Gewalt gegeben war im Himmel und auf Erden. Diese Gewalt und Herrschaft des Sohnes Gottes in der geistigen Welt, dieses Geordnetsein der ganzen leiblichen Welt unter die geistige, das ist es, was der Apostel uns hier beschreiben will, und das ist für uns eine Erbauung, das richtet das Auge unsers Geistes auf das Eine, was überall noth ist, daß wir festhalten an dem Zusammenhang des Reiches Gottes, daß wir nun auch wirklich in seinem Reiche leben und ihm in diesem Reiche dienen, daß wir kein anderes Verlangen haben, und keine andere Betrachtungsweise dessen, was um uns her ist, | als in Beziehung auf ihn, daß wir in Beziehung auf ihn die Menschen lieben, in Beziehung auf ihn das thun, was uns obliegt, in Beziehung auf ihn alle unsere Schritte abmessen und alle unsere Handlungen ordnen, immer nur sehen auf dies Ende der Dinge, an welchem sich der Erstgeborne aller Krea12–13 Vgl. vermutlich Hebr 3,4–6, bes. 6 16–17 Vgl. Gen 1,31 26–27 Vgl. Mt 28,18 29 Statt „unter die geistige“ Welt heißt es bei SAr 69, Bl. 40r „für die geistige“. 31 Vgl. Lk 10,42

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tur ganz offenbaren wird und zeigen, wie ihm alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden. So besteht Alles in ihm, und so ist er das Haupt seines Leibes, der Gemeine; aber diese ist es, in welcher alles Menschliche immer mehr soll aufgenommen und verklärt werden, damit Alles errettet werde von der Obrigkeit der Finsterniß und Alles versetzt in das Reich seines lieben Sohnes. Dazu wirkt jeder mit, der ihm dient, dazu ist jeder aufgefordert, welcher sich bewußt ist, daß auch er errettet ist von der Obrigkeit der Finsterniß, und versetzt in das Reich des lieben Sohnes, das ist die Art, wie wir ihn bekennen als den Herrn, das ist es, daß er in uns lebt, und nicht mehr wir selbst. Was Größeres kann es geben, als solche lebendige Verbindung des Menschen mit dem, in welchem Alles besteht, und zu welchem Alles geschaffen ist? Was kann es Größeres und Herrlicheres geben, als versetzt zu sein in das Reich seines lieben Sohnes, und wie wenig es auch scheinbar ist, was wir thun können: wenn wir immer auf den sehen, der das Haupt der Gemeine ist, so werden wir Alles, was wir zu thun haben, so thun können, daß wir eben dadurch in seinem Reiche leben und also auch sein Reich fördern, erhalten und mehren. Dazu möge er denn uns Alle immer mehr aufregen im Innern unsers Gemüths und uns immer mehr gehorsam machen den Antrieben seines Geistes, durch den wir uns dieser seligen Gemeinschaft bewußt sind, und mit dem wir, weil wir wissen, daß wir versetzt sind in das Reich seines lieben Sohnes, ausrufen: Abba, lieber Vater! Amen. Lied 105, 8. 9.

10–11 Vgl. Gal 2,20 11–14 Vgl. SAr 69, Bl. 40r: „Was Größeres könnte es geben als solche lebendige Verbindung mit Gott, als Versetztsein in das Reich des Sohnes Gottes!“ 22 Röm 8,15; Gal 4,6 23 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 105: „Sey hochgelobt, barmherz’ger Gott“ (Melodie von „Preis, Lob, Ehr, Ruhm“); Strophen 8 und 9 lauten: „Durch Jesum Christum, unsern Hort, erkennen wir den Weg der Wahrheit, und wachsen immer fort und fort im Lichte zur vollkommnen Klarheit. Du selber bist das glänzend helle Licht, das in dem Sohn die Finsterniß durchbricht. // Lebt in uns Christi Sinn und Geist, dann sind wir auch mit dir verbunden; was ist noch, das uns dir entreißt? wir haben volle Gnüge funden. In ihm sind wir voll Ruh’ und Sicherheit, und schmecken schon des Himmels Seligkeit.“

Am 1. August 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

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8. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Hebr 10,12–14 Nachschrift; SAr 118, Bl. 23r–26r; Simon Keine Drucktext Schleiermachers; Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung) 1831, S. 82–100 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 666–678; 21843, S. 666–678. – Predigten. Sechste Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 71–87. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 43–53. – Kleine Schriften und Predigten, Bd. 3, ed. Gerdes u. Hirsch, 1969, S. 65–76 Nachschrift; SAr 94, Bl. 167r–172v; Slg. Wwe. SM, Pommer Liederangaben (nur in SAr 94) 5. Augustana-Predigt

Predigt des Dr. Schleiermacher am 1. Aug. 30. 9 Uhr. Die Worte der heiligen Schrift, die wir zum Grunde unsrer Betrachtung legen wollen, lesen wir im Briefe an die Hebräer, wo sie im 10. cap. im 12. v. also lauten:

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„Dieser aber, da er hat ein Opfer für die Sünde geopfert, das ewiglich gilt, sitzet er nun zur Rechten Gottes und wartet hinfort, bis daß seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden. Denn mit Einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiliget werden.“ Meine andächtigen Fr., es ist die vorzüglichste Absicht des heiligen Verfassers dieses Briefes, eine Vergleichung anzustellen zwischen dem Neuen 2 Nach SAr 94, Bl. 167r wurden im Gottesdienst bis zur Predigt gesungen Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 48: „Lob, Preis und Ehre“ (Melodie von „Komm, Heiliger Geist“), und Nr. 382: „Ach mein Jesu, welch Verderben“ (Melodie von „Herr, ich habe mißgehandelt“). 3–5 Tatsächlich handelt es sich um Hebr 10,12–14.

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Bund und dem Alten also, daß er den Alten nur als einen Schatten oder als ein Vorbild, den Neuen aber als das eigentliche Wesen darstellt. Und wie nun das Vertrauen der Mitglieder des jüdischen Volkes in dem Alten Bund vorzüglich auf der ganzen Ordnung ihres Gottesdienstes und auf der priesterlichen Einrichtung und Einsetzung beruht, so hat er es auch ganz vorzüglich mit diesem zu thun, stellt nun dar den Erlöser als denjenigen, der der wahre Hohepriester des menschlichen Geschlechtes sei, und sein Opfer als dasjenige, welches nun allein gelte für alle Zeiten und für Alles, was irgend den Menschen entfernen könnte von Gott. Für uns nun, denen diese ganze Einrichtung etwas Fremdes ist, und also auch schon für die Christen seit einer langen Reihe von Jahrhunderten, seitdem das Wesen des jüdischen Gottesdienstes mit dem Tempel und der ganzen Einrichtung des Landes verschwunden ist, für uns hat das immer etwas Fremdes, uns den Erlöser zu denken zugleich als den Hohenpriester und als das Opfer, welches er darbrachte. Daher wäre es nicht zu verwundern gewesen, wenn man diese ganze bildliche Vorstellung eben deswegen, weil sie sich nur auf jene Vergleichung bezieht, verlassen und eher die so christliche Lehre über diesen Punkt ausgedrückt auf die Weise, wie der Erlöser es selbst in seinem Leben, in seinem Reden oft und viel gethan hat. Eher hätte man sich dies erklären können, als daß man bei derselben Ansicht und Darstellungsweise zwar stehen geblieben, aber dabei das Opfer, von dem der Verfasser hier redet, nicht als dasjenige gelten lassen wollte, welches allein und ewig gelten und durch welches in Ewigkeit vollendet würden Alle, die da geheiliget werden; sondern nun noch andere Opfer als etwas zum Wesen des Christenthums Gehöriges dargestellt. Das ist nun einer von den sehr wichtigen Punkten, in welchen das Bekenntniß unseres Glaubens, mit dem wir uns jetzt beschäftigen wollen, den Mißbräuchen der damaligen Zeit entgegentrat und festgehalten an diesen Worten der Schrift, daß das Opfer Christi das Eine sei, wovon alle andern nur ein Schatten gewesen wären, das Eine, welches ewiglich gelten und durch welches Alle, die da geheiliget werden, vollendet werden. Darum laßt uns nun das Ein Mal uns vollendende Opfer des Erlösers zum Gegenstand unsrer Betrachtung machen. Es kommt dabei auf zweierlei vorzüglich an, 1. wie es denn zu verstehen sei, daß Alle, die da geheiliget werden, durch das Opfer Christi vollendet werden; und dann 2. was für Folgen daraus nothwendig entstehen müssen, wenn man nun neben diesem Opfer noch andere Opfer wiederum in das Gebäude des neuen Glaubens einführt. | 12 dem Tempel und] Ergänzung aus SAr 94, Bl. 167r 1 Vgl. Hebr 10,1

29 Vgl. Hebr 10,1

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Wenn wir uns nun fragen, auf welche Weise denn das Opfer Christi, welches er dargebracht, das Opfer, Ein Mal geschehen am Kreuz, wie er es Einmal vollkommen geleistet, der Grund unsrer Seligkeit geworden sei, wie denn nun durch dasselbige diejenigen, die da geheiliget werden, vollendet werden, so giebt es darüber freilich auch unter den Christen unseres Glaubens gar sehr verschiedene Vorstellungen, was denn natürlich damit zusammenhängt, daß der ganze Begriff eines Opfers uns etwas Fremdes ist, was wir nur aus Sitten und Einrichtungen verstehen können, in die wir uns nicht mehr hineinzuleben vermögen. Es wird da am besten sein, statt uns über diese Verschiedenheit weitläuftig auszulassen, nur bei dem stehen zu bleiben, was wir im Zusammenhang in diesem Text finden. Dazu wird es nun nöthig sein, daß ich noch einige Aussprüche, die im nächsten Zusammenhange mit den Worten unseres Textes stehen, aus demselbigen Kap. unseres Briefes ins Gedächtniß rufe. Der Verfasser fängt nämlich damit an, daß er Worte des Alten Bundes anführt als solche, welche sich beziehen auf den Eintritt des Erlösers in die Welt, die er damals gesprochen hat: „Darum spricht er: Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, den Leib aber hast du mir bereitet.“ Wir dürfen diese Worte nur einer flüchtigen Aufmerksamkeit würdigen, um doch gleich einzusehen, daß des heiligen Schriftstellers Meinung nicht die könne gewesen sein, daß der Leib Christi sollte in demselbigen Sinne ein Opfer sein und werden, wie es die Thiere waren, die in den Zeiten des Alten Bundes geopfert wurden. Denn dann hätte er sagen müssen: „Weil du Opfer und Gaben willst, aber die bisherigen nicht hingereicht haben, so hast du mir den Leib bereitet, damit sie werden vollständig.“ Das ist also nicht seine Meinung gewesen. Der Zweck des Opfers Christi war, die Sünde wirklich wegzunehmen. Es kommt also darauf an, zu sehen, wie er denn dies meint, daß durch das Opfer Christi die Sünde weggenommen werde. Eben diese Worte: „Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, den Leib aber hast du mir zubereitet“ erläutert der Verfasser hernach aus den Worten des Neuen Testaments: „Da sprach ich: Siehe, ich komme, im Buch stehet vornemlich von mir geschrieben, daß ich thun soll, Gott, deinen Willen. Als er gesagt hatte, Opfer und Gaben, Brandopfer und Sündopfer hast du nicht gewollt; sie gefallen dir auch nicht, welche nach dem Gesetz geopfert werden: da sprach er: Siehe, ich komme, zu thun, Gott, deinen Willen, und hebet somit das Erste auf, daß er das Andre einsetze.“ Was ist also seine Meinung, wozu Gott dem Erlöser den Leib bereitet habe d. h. ihn habe auf Erden erscheinen lassen als Einen uns gleichen in Allem, ausgenommen die Sünde, daß er kommen solle, zu thun seinen Willen in dieser heiligen Stätte, wo der Wille Gottes sollte bereitet werden? Als diese heilige Stätte hat er den Leib des Erlösers bereitet. Wenn er nun fortfährt, „in welchem Willen 16–18 Vgl. Hebr 10,5 mit Bezug auf Ps 40,7 38 Vgl. Hebr 4,15 40–2 Vgl. Hebr 10,10

30–35 Vgl. Hebr 10,7–9

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wir sind geheiliget, Ein Mal geschehen durch das Opfer des Leibes Jesu Christi“, an welche Worte sich denn die Worte unseres Textes anschließen, so sagt er denn: wir sind geheiliget dadurch, daß der Erlöser den Worten der Schrift gemäß sein ganzes Leben hindurch den Willen Gottes erfüllt. Er ist gehorsam gewesen bis zum Tode am Kreuz. Und so sagt unser Verfasser anderwärts, er habe durch Leiden Gehorsam geübt, und da er nun vollendet worden, sei er Allen, die ihm gehorsam sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit. Seht da, m. gel. Fr., | das ist also die Vorstellung, die sich dieser heilige Schriftsteller von dem Opfer des Erlösers macht. Er nennt es ein Opfer, weil es ein Tod war. Aber die Kraft des Opfers liegt darin, daß er ist gehorsam gewesen. Und so ist er eine Ursache der Seligkeit Allen denen, die ihm gehorsam sind. Das ist also der Zusammenhang, in den er uns einführt und welchen er uns in seinen Worten darstellt. Alles Frühere, alle unvollständigen Versuche, ein Verhältniß des Wohlgefallens und Friedens zu stiften zwischen Gott und den Menschen, sind nur Schatten gewesen und Bilder. Aber als die Zeit erfüllet war, da sandte Gott seinen Sohn, da bereitete er den Leib Christi, damit in demselben der heilige Wille vollbracht werde. Aber damit wir diesen Willen nun durchschauen möchten, so war es der Wille Gottes, diesen seinen Sohn hinzugeben in den Tod Kraft seines Gehorsams, weil nämlich dies die Grenze des Gehorsams ist. Denn mehr kann der Mensch nicht thun für die Ausrichtung eines fremden Willens, als daß er sein Leben hingebe. Durch unser Festhalten an ihm wird er uns die Ursache der Seligkeit. Und so wie Gott ihm den Leib bereitet hat, damit in diesem heiligen Leibe durch die heilige Seele des Herrn der ganze Wille Gottes geschehe, so sind wir Alle zusammen sein Leib und nur durch seine heilsame Seele sollen wir nun auch den Gehorsam üben und indem wir nun ihm gehorsam sind, so wird er uns die Ursache der ewigen Seligkeit. So hat er mit Einem Opfer Alle vollendet, die geheiliget werden. Aber wodurch werden sie geheiliget? Nur durch ihre Gemeinschaft mit dem, der allein wahrhaft heilig ist. Wodurch werden sie gerecht? Nur durch ihre lebendige Gemeinschaft mit dem, der allein gerecht ist. Wodurch werden sie vollendet? Nur durch ihre Gemeinschaft mit dem, der allein vollendet ist. Es wird nun anderwärts von dem Opfer des Erlösers so geredet, daß er an seinem Leibe unsre Sünde geopfert habe. Wie denn Opfer immer etwas andeutet, so heißt das „an seinem Leibe unsre Sünde geopfert haben“ nur dies: daß wir mit ihm sollen der Sünde und dem Gesetz gekreuziget werden und sie uns, auf daß wir nun allein leben im Glauben. Wir sollen nun geheiliget werden durch das Vertrauen und die lebendige Zuversicht zu dem, der 2 sich denn] SAr 94, Bl. 168r: sich dann 4–5 Vgl. Phil 2,8 5–8 Vgl. Hebr 5,8f 4,4 32–34 Vgl. vermutlich 1Petr 2,24 4,16

15 Vgl. Hebr 10,1 15–16 Vgl. Gal 38–3 Vgl. Hebr 10,19 in Verbindung mit

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uns vorangegangen ist eben durch dieses sein heiliges Opfer in das wahre Heiligthum, auf daß wir hernach die Freudigkeit haben mit ihm im wahren Heiligthum. Und diese Wirkung, wodurch das Opfer des Erlösers uns vollendet, erscheint erst in ihrem ganzen und vollen Lichte, wenn wir unter einander unser selbst wahrnehmen, indem wir uns vereinigen zur Liebe und guten Werken und festhalten an unsrer Gemeinschaft unter einander, wie an unserer Gemeinschaft mit ihm. Seht da, m. theuren Fr., das ist der ganze Zusammenhang der Gedanken, in welchem nun Alles, was dunkel sein könnte, doch wiederum vollkommen klar wird durch die Art, wie es sich auf uns selbst, auf das innerste Bedürfniß unseres Herzens und auf das Zeugniß unseres Glaubens bezieht, so daß jeder, der festhält an der Gemeinschaft mit dem Erlöser, auch einstimmen wird in dies Zeugniß: Ja, das ist das rechte Opfer. Alle werden dadurch geheiliget, indem sie sich in solche Gemeinschaft mit ihm setzen, daß sie nun nicht mehr selbst, sondern er in ihnen lebt; wozu er sich | allseitig dargeboten hat vom ersten Anfang seiner Berufswirkung an. Und so haben wir denn in diesem Glauben auch alle diese schöne Frucht, welche uns der Verfasser unseres Textes selbst aufzeigt, die Freudigkeit zum Eingang in das Heil. Das Heil ist aber nichts Anderes, als die Gegenwart Gottes, und die Freudigkeit zum Eingang in das Heil ist die Freudigkeit zu Gott, daß uns der sei der vollkommene Friede, den nichts mehr stören und trüben kann, und daß wir gern uns in die unmittelbare Nähe Gottes hineinbegeben mit allen unsern Wünschen und Bedürfnissen und daß wir in Christo Gott angenehm sind und daß er allen, die ihn aufnehmen, die Macht gegeben hat, Gottes Kinder zu sein. Kann neben diesem nun noch etwas Anderes gedacht werden? Kann dazu noch etwas Anderes hinzukommen? Und muß nicht, wenn man noch etwas Anderes hinzunimmt, jene Zuversicht schon wieder verschwunden sein? Ja, so ist es und nicht anders und das ist es, was wir nun im 2. Theil unserer Betrachtung näher erwägen wollen. Dazu aber müssen wir nun zurückgehen auf die Beziehung, in welcher eben dieser Gegenstand behandelt ist in jenem ersten Evangelischen Glaubensbekenntniß. Es war nämlich schon seit langer Zeit in der christlichen Kirche fast ohne Ausnahme dahin gekommen, daß man lehrte und meinte, das Opfer Christi, Ein Mal am Kreuz geschehen, sei nicht das ewig gültige für Alles, nicht das, was diejenigen, die geheiliget werden, wirklich vollende, sondern man machte einen Unterschied, indem man sagte, das Opfer Christi habe seine Gültigkeit für das, was man durch den Ausdruck Erbsünde bezeichnet; aber für alle künftigen Sünden der Menschen bedürfe es noch eines andern Opfers und dieses müsse ebenso beständig wiederholt werden, wie sich leider die Sünde der 5–6 Vgl. Hebr 10,24 Joh 1,12

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18 Vgl. Hebr 4,16

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Menschen wiederholt. Es sei kein neues, es sei nur dasselbige, aber beständig wiederholt. Und so trat denn diese Lehrweise in Verbindung mit einer anderen über das heilige Mahl des Herrn, daß nämlich das Opfer des Erlösers immer wieder erneuert würde und diese beständige Erneuerung seines Opfers sei nun eben das Opfer für die wirkliche Sünde der Menschen. Wenn wir nun dieses betrachten, so kann uns nicht entgehen, was für nachtheilige Folgen aus einer solchen Entstellung dieser Lehre der Schrift, die aber in der Schrift selbst auch nicht den geringsten Vorschub hat, was für Verderbniß aus solcher Entstellung entsteht. Nämlich einmal geht dadurch verloren die ganze Kraft dieser biblischen Darstellung von dem Werthe, den der Tod des Erlösers in dem ganzen großen Rath der Erlösung hat. Die Kraft der biblischen Lehre ist nämlich die, daß die menschliche Natur vor der Erscheinung des Erlösers nicht vermochte, dem Geist den Sieg zu geben über das Fleisch, sondern immer mehr unter der Gewalt der Sinnlichkeit und des Fleisches erlag. | Aber daher konnte auch nicht anders als durch die Mittheilung einer neuen Kraft dem gesunkenen Menschen geholfen werden. Und diese Kraft war in dem Erlöser, in dem lieben Sohne Gottes, so daß Alle, die sich ihm hingeben, zur Wirksamkeit ihrer geistigen Kräfte der Seele gelangen. Hier, m. andächtigen Fr., kann niemand den Zusammenhang vermissen, sondern Alles greift in einander ein. Eins ist durch das Andre bedingt. Die Erscheinung des Erlösers, das ihn Erkennen ist die Art, wie jedem diese Hülfe wird. Aber wir erkennen ihn erst ganz als diesen eben in dem Opfer, welches er dargebracht hat. Wenn aber nun eine solche Theilung gemacht wird des Opfers des Erlösers selbst, welches nichts andres gewesen ist, als der Gehorsam des Erlösers selbst, die stärkste Aeußerung der göttlichen Kraft, die in ihm war, um den göttlichen Willen zu vollbringen, und dann noch scheinbare Opfer sein sollen Wiederholungen des Todes Christi in einer ewig unbegreiflichen Handlung, beides aber doch soll zusammengehören und das Eine nichts sein ohne das Andre; so wie man sich dies beides zusammen denkt, das Eine nur für den gemeinsamen Grund der Sünde, aber das Andre nur für jede einzelne Sünde, die aus diesem gemeinsamen Grunde hervorgeht: so ist, indem beides von einander getrennt wird, auch der ganze Zusammenhang aufgehoben. Kann das nur als eine willkührliche göttliche Einrichtung erscheinen, die besonders müßte geoffenbart werden, um geglaubt zu werden, so erscheint denn auch jenes erste Opfer Christi ebenso nur als eine willkührliche Einrichtung. Daran kann sich aber der Glaube nicht halten. Alles Willkührliche bleibt nur ungewiß. Die wahre Kraft des Opfers Christi geht verloren durch diese Zusätze, die nichts Andres waren, als Menschensatzungen, welche keine Vertheidigung finden in der Lehre der Schrift, welche die Lehre der Schrift nicht erläutern, sondern nur trüben und verdunkeln und einen großen Theil unseres Glaubens verscheuchen und hinwegnehmen. Aber es ist nicht nur dies, sondern ebenso ge41–42 verscheuchen ... hinwegnehmen] verscheucht ... hinwegnimmt

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fährlich oder wohl noch gefährlicher ist das, daß auf diese Weise unterschieden wird das, was man als Erbsünde bezeichnet, und die wirkliche Sünde, und noch dazu, auf welche Weise unterschieden? Offenbar so, daß jene dargestellt wird als etwas, was Ein für alle Mal abgethan sei durch das Opfer Christi, diese aber dargestellt als etwas, worauf wir nur unsre Aufmerksamkeit richten müßten. Und eben dieses Scheiden ist das größte Verderben des wahren und lebendigen Christenthums. Denn beides ist von einander gar nicht zu trennen und zu scheiden. Was ist es, das wir durch den Ausdruck Erbsünde bezeichnen, den wir auch in den Worten der heiligen Schrift nicht finden, aber über dessen Sinn wir uns leicht vereinigen können? Es ist der innere Grund in uns Allen, den wir älter denken und früher, als jede Handlung und wirkliche Sünde, ja an dem uns unser Bewußtsein sagt, daß er uns schon mitgegeben ist in die Welt; und daher heißt er Erbsünde. Es kann nicht | anders sein, es muß sich aus demselben die Sünde entwickeln. Wenn das nicht geschähe, so würde der Gedanke seine ganze Wahrheit verlieren und nur ein leeres Wort sein. Aber ebenso, was sind denn die wirklichen Sünden? Wir wissen es, m. andächtigen Fr., und erkennen es immer, daß in der Gemeinschaft Christi kein eigenes Verdienst, weil keine einzelne Handlung, wie gottgefällig und vollkommen sie auch sei, dem Einzelnen selbst gehört, der sie verrichtet, sondern sie ist das Gemeingut und die gemeinsame Kraft, die in Allen wirkt und sich durch Alle äußert. Und keiner kann sich ein gutes und löbliches Werk allein zuschreiben; er wird immer einsehen, wie viel er dazu empfangen hat von Andern und wie wenig er sich selbst zuschreibt. Aber ebenso ist es auch mit der Sünde. Keiner ist allein schuldig in seiner Sünde. Denn auf tausendfache Weise ist er hingerissen von Anderen. Die einzelnen Sünden haben also auch gar keinen Werth besonders und auf sie müssen wir also auch gar nicht unsere Aufmerksamkeit richten außer dem nur, in so fern sie Zeugniß geben von dem innern Verderbniß, welches wir ansehen müssen als unser eigenes. Denn das lebt in uns. Was geschieht also? Die Erbsünde brauche nicht mehr abgethan zu werden, sagt man; aber die einzelne Sünde müßte noch gesühnt werden durch das Opfer Christi. Verweilen wir nun immer bei dem Einzelnen, so muß am Ende auch der wahre Begriff der Sünde verloren gehen, so muß es wiederum leicht werden, auch die Gewissen ängstlich zu machen und für Sünde zu erklären irgend etwas Aeußerliches, was an und für sich keine sein kann. Und dadurch wird das ganze lebendige Christenthum zerstört, die Freiheit der Kinder Gottes wieder in Knechtschaft verwandelt und statt in dem Geiste zu leben, ist es immer nur der Buchstabe, der die Menschen beherrscht, statt das Innere geltend zu machen, ist es immer nur das Aeußerliche, worauf sie Werth legen, und das ist todt, wenn der Geist fehlt, der allein lebendig macht. Darum nun hat sich auch eben diese Lehre mit ihrem beständigen Opfer für die einzelnen Sünden so wenig wirksam bewiesen zur wahren Tilgung der Sünde und zur Verbesserung des

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Innern und eben darum ist nun auch in demselben Maaße, als das Opfer des Erlösers nur auf den innern Grund der Sünde bezogen worden, das auf das Einzelne sich beziehende beständig wiederholt und so wurde eben dadurch die Aufmerksamkeit von dem Opfer des Erlösers abgelenkt. Dadurch nun ist zu gleicher Zeit noch ein Drittes erfolgt, was ein arges Verderben geworden ist in der christlichen Kirche und von welchem sich daher auch die ersten Bekenner unseres Evangelischen Glaubens los sagen wollten. Nämlich es ist dadurch die Gleichheit der Evangelischen Christen aufgehoben worden, indem die Priester sich höher stellten, als das übrige Volk. Dieser Unterschied zwischen solchen, die würdig, diese Opfer für die Sünde Gott darzubringen, und Anderen, die nicht würdig wären, ist nun so weit gegangen, daß jene allein angesehen wurden, als bildeten sie eigentlich die Kirche und die Andern mußten nur der Kirche gehorsam sein. Und die Einen hatten die Gewissen in der Hand und konnten nun vorschreiben, was geglaubt werden sollte und wie gelebt, so daß immer mehr die große Menge der Christen abgelöst wurde von der unmittelbaren Gemeinschaft mit dem Erlöser und ganz allein an die gewiesen, | die sich aufgeworfen hatten zu Priestern, welche Opfer darbrächten für die Sünde. Dies Verderben hat aufs Neue die Kraft des Christenthums aufgeregt und so ist denn dagegen aufgestellt worden das Wort der Schrift: Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid Alle Brüder. In jenem obigen Verhältniß ist aber eine solche Gleichheit gar nicht mehr; da ist nicht Ein Meister, sondern gar viele Meister. Schon ein alter Lehrer der Kirche, m. theuren Freunde, hat einmal gesagt, in dem schönen Gleichniß des Erlösers von dem Unkraut auf dem Acker bedeute das Unkraut eigentlich die verkehrten und verderbten Gedanken; die sollten zur rechten Zeit ausgerottet werden, daß ihre Spur nicht mehr gefunden. Dem mag nun sein, wie ihm wolle, so hatten sich solche verkehrten Gedanken von Zeit zu Zeit schon gesammelt und wir können nicht annehmen, daß dieses Unkraut von demjenigen gesät sei, der den reinen Waizen ausgestreut hatte unter das Menschengeschlecht, sondern es ist gewesen das Werk des Feindes; es war immer noch wiederum das unreine Gewissen, das böse Bewußtsein, welches die Erndte von jener reinen Aussaat zerstören wollte. So war eben jene schöne und große Zeit der Kirchenverbesserung eine solche, wo ein Theil jener Erndte vollbracht wurde, in welcher von den reinen Gewächsen des göttlichen Wortes ein 10–11 diese Opfer für die Sünde Gott darzubringen,] Ergänzung aus SAr 94, Bl. 171r 21 Brüder] so SAr 94, Bl. 171v und Mt 23,8; Textzeuge: Diener 20–21 Vgl. Mt 23,8 23–27 Schleiermacher bezieht sich auf die Auslegung von Mt 13,24–30 (bes. 30) bei Origenes: Commentaria in Evangelium secundum Matthaeum II 2, Opera, ed. Delarue, Bd. 3, S. 444 B; Commentaire sur l’évangile selon Matthieu, ed. Girod, S. 146.

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guter Theil sicher gestellt wurde und aufgehoben in die Scheure der Evangelischen Kirche. Die unrechten und verkehrten Gedanken, die Satzungen der Menschen, welche fern gewesen waren von der rechten Kraft und dem Evangelium, haben wir damals von uns gethan und dabei wollen wir denn auch fest bleiben und dies Eine Opfer des Erlösers wollen wir festhalten und nichts wieder unter uns aufnehmen von jenen verkehrten und entstellten Gedanken. Dann, m. theuren Fr., werden wir auch um so lieber festhalten mit einem Herzen voll Liebe an dieser Gemeinschaft des Glaubens, in welchem wir leben, werden in demselben gern Schwächen und Irrthümer dulden, weil wir ja wissen, wie wir ihnen entgegenarbeiten, und Andere, die nur nicht andre Meister suchen als Christum, wollen wir Alle gern als unsre Brüder, als die Genossen unseres Glaubens ansehen, auf daß nur alle menschliche Meisterschaft fern bleibe, auf daß wir dann in rechter, brüderlicher Gleichheit mit einander leben und, indem wir keinen andern Meister suchen, als Christum, auch Herz und Liebe immer mehr zusammen gehen, auf daß dieser Glaube sich kräftig erweise und die Gemeinde sich immer mehr darstelle als ihm wohlgefällig, als von ihm vollendet, als von ihm gereiniget und vollendet im Geist und in der Wahrheit. Amen!

1 Scheure] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 44 18 In SAr 94, Bl. 172r–v folgt dieses Schlussgebet: „Heiliger Gott und Vater! wir sagen dir Lob und Dank, daß du uns abermals hast Gelegenheit verschafft, uns zu erbauen aus deinem Wort. Wir bitten dich, du wollest nun deine Verkündigung gesegnet sein lassen in der christlichen Kirche, auf daß das Reich deines Sohnes sich immer mehr verbreite und das Licht immer mehr die Finsterniß durchdringe und überall scheine zum Heil der Welt. u. s. w.“ Nach SAr 94, Bl. 172v wurde nach der Predigt gesungen Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 312: „Schütze die Deinen“ (Melodie von „Herzliebster Jesu“).

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9. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 1,18–23 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 244–255, Nr. V; Zabel Keine Nachschrift; SAr 99, Bl. 15r–18v; Slg. Wwe. SM, Pommer (Zabel) Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 110.

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Tex t . Colosser I, 18–23. „Welcher ist der Anfang und der Erstgeborne von den Todten, auf daß er in allen Dingen den Vorgang habe. Denn es ist das Wohlgefallen gewesen, daß in ihm alle Fülle wohnen sollte, und Alles durch ihn versöhnet würde zu ihm selbst, es sei auf Erden oder im Himmel, damit daß er Frieden machte durch das Blut an seinem Kreuz durch sich selbst. Und euch, die ihr weiland Fremde und Feinde waret, durch die Vernunft in bösen Werken; nun aber hat er euch versöhnet mit dem Leibe seines Fleisches, durch den Tod, auf daß er euch darstellete heilig und unsträflich, und ohne Tadel vor ihm selbst; so ihr anders bleibet im Glauben gegründet und vest, und unbeweglich von der Hoffnung des Evangelii, welches ihr gehöret habt, welches gepredigt ist unter aller Kreatur, die unter dem Himmel ist.“ M. a. Fr. Es ist natürlich, daß der Apostel diesen Christen, unter welchen er selbst das Evangelium nicht verkündigt hatte, in seinem Briefe so viel als möglich einen kurzen Abriß | zu geben sucht von der Art, wie er pflegte mündlich und schriftlich das Evangelium von Christo in seinem ganzen Zusammenhang vorzutragen; und davon ist auch dieser Theil seines Briefes ein wesentliches Stück. Er hatte vorher angefangen seine Beschreibung von dem Erlöser mit den Worten des funfzehnten Verses: „welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne aller Kreaturen;“ jetzt geht er 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 110: „Wie herrlich strahlt der Morgenstern“ (Melodie von „Wie schön leucht’t uns der Morgenstern“) 21–22 Kol 1,15

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nun über, gerade da, wo wir heute beginnen, zu einem zweiten Theil seiner Beschreibung, den er eben so anfängt, indem er sagt: „welcher ist der Anfang und der Erstgeborne von den Todten.“ So wie er ihn vorher genannt hatte den Erstgebornen aller Kreaturen: so nennt er ihn nun den Erstgebornen von den Todten, den, welcher zuerst durch den Tod in das neue Leben hindurchgedrungen ist, in welchem und zu welchem wir ihm nun alle nachfolgen sollen, und eben diese Allgemeinheit, die er darin ausspricht, daß er der Erstgeborne sei, und daß er in Allem vorangehe, in Allem den Vorgang habe, welchem also auch alle nachfolgen sollen, das bringt er nun in Zusammenhang mit dem göttlichen Rathschluß der allgemeinen Erlösung durch Christum. So wie er vorher schon gesagt hatte: „er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeine:“ so wiederholt er nun in Beziehung darauf, daß Christus der Erstgeborne von den Todten sei, dasselbige, indem er sagt: „Denn es ist das Wohlgefallen gewesen, daß in ihm alle Fülle wohnen sollte, und Alles durch ihn versöhnet würde zu ihm selbst, es sei auf Erden oder im Himmel.“ Nämlich er sagt, es sei das Wohlgefallen Gottes gewesen, sein ewiger Rathschluß in Beziehung auf diejenigen seiner Geschöpfe, die nach seinem Bilde gemacht wären, daß die ganze Fülle derselben sollte in Christo wohnen, daß sie alle ohne Ausnahme sollten Eins sein in ihm; in welcher Beziehung er vorher gesagt hatte, er sei das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeine. Der Apostel nämlich hat, wie | wir aus dem unmittelbar Folgenden sehen, auch hier im Sinn jenen Unterschied, welcher damals der größte war, der unter den Menschen statt fand, den nämlich zwischen Juden und Heiden, zwischen denen, bei welchen sich die Erkenntniß Gottes und seines Willens erhalten hatte, und denen, die sie verloren hatten, bei welchen sie untergegangen war, und die eben deshalb allerlei verderblichem Wahne hingegeben waren. Nun sagt der Apostel zwar überall, wo er über diesen Gegenstand redet, es sei kein Unterschied zwischen den Einen oder den Andern; ehe sie beide in Christo wohnen und sind und ihr Leben in ihm haben, seien sie vor Gott alle einander gleich, die, denen er sein Gesetz gegeben, und die, welche er so eingerichtet vermöge ihrer menschlichen Natur, daß sie sich selbst mußten ein Gesetz sein; die, welche das Gesetz Gottes empfangen hatten und wußten, daß sie dazu bestimmt waren und dieses Vorzugs theilhaftig, daß es mit der Erkenntniß Gottes zugleich unter ihnen sollte bewahrt werden bis auf die Zeit, wo der rechte Glauben kommen würde, die aber doch nicht im Stande gewesen waren, nicht nur jenes Gesetz zu erfüllen, sondern nicht einmal jene Erkenntniß festzuhalten, indem sie abgeirrt waren in den Wahn der Abgötterei, – also diese wären 6 nun alle] SAr 99, Bl. 15v: in allem 11–12 Kol 1,18 27–28 Vgl. vor allem Röm 1,18–3,30 36 Vgl. Gal 3,23

32 Vgl. Röm 2,14

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vollkommen gleich jenen, und kein Unterschied unter ihnen, sondern sie wären allzumal Sünder und ermangelten des Ruhms, den sie bei Gott haben sollten. Aber er geht nun zurück darauf, daß unter diesen doch immer ein Streit gewesen und ein gegenseitiger Widerwillen; denn die Juden, als das Volk dieses Bundes und stolz darauf, daß die Offenbarung Gottes unter ihnen wohne, verachteten die andern Völker als solche, welche von Gott entfremdet wären; diese aber wiederum verachteten das jüdische Volk deshalb, weil es sich von allen andern trennte und absonderte, weil es in einer gewissen Strenge des äußern Lebens einen Vorzug suchte, und indem es so den andern den Vorwurf einer leichtsinnigen und frevelhaften Art des | Lebens machte: so sahen sie das jüdische Volk an als ein solches, welches mit Haß und Verachtung gegen die andere Welt erfüllt war. Das war der Streit, welcher beständig vor Augen lag, und der den Apostel, seitdem er als Verkündiger des Evangeliums beiden auf gleiche Weise nahete, auch bewegen mußte in dem Innersten seines Herzens, und in dieser Beziehung sagt er, das sei das göttliche Wohlgefallen gewesen, daß die ganze Fülle, mochten sie Juden oder Heiden sein, wohnen sollte in demselben, der vor Allen den Vorgang haben sollte, und daß in diesem Alle sollten versöhnet werden zu ihm selbst, daß Er Alle sollte durch sich vereinigen mit einander, wie sie mit Ihm selber vereinigt seien. Das war nun auch überall, so wie es die Art war, wie der Apostel in der Predigt des Evangeliums zu Werke ging, so war es auch das, worauf er hernach, wenn er eine Gemeine gegründet hatte, seinen ganzen Fleiß und seine Mühe richtete. Immer fing er an, wo er hinkam und Genossen seines Volks fand, da fing er an, das Evangelium zu predigen in ihren Schulen. Ueberall gab es auch solche unter den Heiden, welche sich zu dem jüdischen Gottesdienst, so weit sie konnten und durften, hielten, und namentlich der Vorlesung und Erklärung des göttlichen Worts aus den Schriften des Alten Bundes beiwohnten, um sich in der Erkenntniß des Einen Gottes zu stärken, so daß er, wo er in den jüdischen Schulen predigte, auch immer eine Handhabe fand unter den Heiden. Fand er aber Widerstand unter den Juden: so sammelte er die, welche das Evangelium angenommen hatten oder bereit waren, es anzunehmen, aus beiden ohne Unterschied unter gleichen Ordnungen und Gesetzen in Eine Gemeine, und war also der Vollbringer davon, daß in Christo die ganze Fülle wohnen sollte, und Alles durch ihn versöhnet würde zu ihm selbst. In dem Einen Glauben an Ihn und in der Einen Liebe zu Ihm sollte jener alte Streit ganz aufhören, und Alles, wenn es auch von einander entfernt | gewesen wäre wie Himmel und Erde, sollte in Ihm vereinigt werden zu Einem. Nun aber sagt er weiter, dies göttliche Wohlgefallen wäre nicht anders zu erreichen gewesen, als daß „Christus mußte Frieden machen durch sein Blut am Kreuz.“ Das ist die Art, wie er auch anderwärts diesen Gegenstand 1–3 Vgl. Röm 3,23

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darstellt, und das hängt auf das Innigste zusammen mit dem, was ihn selbst bewegt hatte, und mit der Art, wie er selbst zu dem rechten Zweck und der rechten Erkenntniß des Evangeliums gelangt war, wie er denn von sich sagt, er sei mit Christus durch das Gesetz dem Gesetz gestorben. So lange nämlich die, welchen das Gesetz gegeben war, auf dies Gesetz einen solchen Werth legten, und durch dasselbe, durch die äußere Befolgung in Handlungen und Gebräuchen hofften vor Gott gerecht zu werden: waren sie fern von der wahren Gerechtigkeit vor Gott; und nun meint er, sie müßten auch billig Alle wie er, mit Christo durch das Gesetz dem Gesetze sterben; denn eben dadurch, daß die, welche den Tod des Erlösers herbeigeführt, sich gestützt hatten auf das Gesetz, und das Gesetz also Schuld geworden war an dem Tode dessen, welcher der Anfänger und Vollender des Glaubens, die Quelle des Lebens und der Wiederbringer des Friedens sein sollte, – indem also das Gesetz an seinem Tode Schuld war: hatte sich gezeigt, daß das Gesetz die Menschen nicht führen könnte auf den Weg der Gerechtigkeit, da es keine größere Ungerechtigkeit geben konnte als die, welche durch den Tod Christi geschehen war, als man ihn im Namen des Gesetzes zum Tode führte. Das gehört nun wesentlich zu dieser Gleichheit, welche der Apostel überall ausspricht zwischen den Juden auf der einen und den Heiden auf der andern Seite. Nämlich von den letzten sagt er, sie | hätten die Wahrheit aufgehalten in Ungerechtigkeit, und nachdem ihr Verstand verfinstert war, habe sie Gott dahin gegeben in die Verkehrtheit aller Lüste. Nun aber findet er eben die Ungerechtigkeit auch in denen, welche sich ganz dem Gesetz ergeben hatten und in Beziehung auf dasselbe handelten, und als sie ihren Grund angeben sollten bei Pilatus, weshalb sie Christum gebunden hätten, sagen konnten, sie hätten ein Gesetz, nach dem er sterben müßte, weil er Gott gelästert. Das war dasselbe, was Christus ihnen so oft vorgeworfen hatte in seinen Reden, daß sie es ihm zum Vorwurf machten, da er doch nach der Schrift das Recht habe, so von Gott zu reden, wie er wirklich redete. Da nun aber das Gesetz eine solche verkehrte Auslegung zuließ und sie sich in der That überreden konnten, daß sie recht handelten, indem sie sagten, er habe Gott gelästert, weil er sich zum Sohn Gottes gemacht hätte, und deshalb müßte er sterben: so sagt Paulus, könne jeder inne werden, daß die Menschen müßten dem Gesetz sterben, weil das Gesetz die Menschen dazu verleiten könnte, die Wahrheit aufzuhalten; denn durch nichts konnte sie mehr aufgehalten werden, als wenn der dargestellt würde als ein Lästerer Gottes, in dem sich seine Heiligkeit offenbaren sollte. Hiervon also geht der Apostel auch hier aus; beide seien einander auf diese Weise ganz gleich gewesen, aber nun könnten und sollten auch des4 Vgl. Gal 2,19 21 Vgl. Röm 1,18 21–22 Vgl. Röm 1,21 1,24.26 26–27 Vgl. Joh 19,7 in Verbindung mit Lev 24,16

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halb beide ganz Eins werden durch den und in dem, welcher Alles versöhnen sollte zu Ihm selbst, so daß Alles, was getheilt war und entfernt von einander, Eins würde in Ihm, und in der Einheit des Glaubens an Ihn und in der Einheit der Liebe zu Ihm alle jene Unterschiede völlig verschwänden. Und so sagt er, Er habe Frieden gemacht durch das Blut an seinem Kreuz durch sich selbst, und nachdem Er den Frieden gemacht, sei Er der Anfänger und Erstgeborne von den Todten, um in Allem den Vorgang zu haben. | Es ist bekannt, m. a. Fr., wie der Apostel dieses beides beständig mit einander in Verbindung bringt, das neue Leben, welches wir alle in Christo haben sollen, und das neue Leben, in welches er selbst eingegangen war nach seinem Tode. So stellt er dar die heilige Taufe als das Zeichen und den Anfang der Vereinigung der Menschen mit Christo, indem er sagt, alle die an ihn glauben, würden durch die Taufe mit ihm begraben in seinen Tod, um mit ihm aufzuerstehen zu einem neuen Leben. Wir sehen es überall in den Schriften des Apostels bei genauer Aufmerksamkeit, wie er dieses so als Eins ansieht, zuerst die Auferstehung Christi von den Todten als den Anfang seines neuen Lebens, aber dann auch sein Uebergehen aus dieser irdischen Welt, nachdem er von dem Schauplatz der Erde ganz entfernt war, und sein Sitzen zur Rechten Gottes als das vollkommene Bild dieses neuen Lebens, als den wahren Anfang desselben; und deshalb sagt er, daß, wenn wir mit ihm dem Gesetz sterben, so können wir auch mit ihm nach seinen eigenen Worten, daß alle, die an ihn glauben, das ewige Leben schon haben, vereinigt sein zu demselben Leben, in das er, nachdem er durch seinen Tod den Frieden gemacht, als der Erstgeborene von den Todten eingegangen war, um uns den Vorgang zu geben, um für alle die der Anfänger eines neuen Lebens zu sein, die ihm nachfolgen sollen, aber so, daß sie dieses höheren und neuen Lebens in der lebendigen Vereinigung mit ihm schon hier auf Erden und in dieser Welt theilhaftig würden. Und nun führt der Apostel die Christen noch einmal zurück auf das, was sie vorher waren, um ihnen recht deutlich darzustellen, was sie durch Christum geworden wären, und wie sie das, was sie durch ihn geworden wären, benutzen und fördern sollten, indem er sagt: „und euch, die ihr weiland Fremde und Feinde waret durch die Vernunft in bösen Wer|ken; nun aber hat er euch versöhnet mit dem Leibe seines Fleisches durch den Tod, auf daß er euch darstellete heilig und unsträflich und ohne Tadel vor ihm selbst.“ Die ersten dieser Worte erklären sich nun schon durch das, was ich vorher gesagt. Sie enthalten die Erinnerung an das, was die Christen, welche Heiden gewesen, vorher gewesen waren. Er sagt, sie wären früher entfremdet gewesen in der Feindschaft durch die Vernunft in bösen Werken. 12–14 Vgl. Röm 6,4

22–23 Vgl. Joh 3,16 in Verbindung mit 5,24; ferner 17,3

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Damit nun, m. a. Fr., will der Apostel nicht etwa sagen, daß die menschliche Vernunft nur eine Quelle sei von bösen Werken, sondern er redet hier von der Vernunft, wie er sie beschreibt im ersten Kapitel seines Briefes an die Römer, daß sich nämlich ursprünglich in derselben Gott den Menschen offenbaret habe, weil sie gerade durch diese ihre Vernunft fähig wären, ihn zu erkennen und seine ewige Kraft und Gottheit wahrzunehmen an seiner Schöpfung und an seinen Werken; aber, sagt er, weil nun der Wille der Menschen darauf nicht gerichtet war: so ist auch ihre Vernunft verderbt worden; sie haben sich des Vorzugs, Gott zu erkennen aus seinen Werken vermittelst der Vernunft, nicht bemächtigt, sondern ihr Verstand ist verfinstert worden, aber nur verfinstert durch das verkehrte Tichten und Trachten ihres Herzens. Diesen verkehrten Zustand der Vernunft meint der Apostel, wenn er sagt, sie wären weiland entfremdet gewesen durch die Vernunft in bösen Werken, was dasselbe ist, als wo er sagt, daß sie die Wahrheit aufgehalten in Ungerechtigkeit. Nämlich weil die rechte Kenntniß Gottes unter den Menschen verloren gegangen war, sie sich aber dem doch nicht entziehen konnten, nach dem Höheren zu fragen, von welchem sie selbst wären: so wären sie verleitet, sich solche verkehrte Bilder von Gott zu machen, wodurch sie, indem sie das göttliche Wesen theilten und zerrissen, im Stande gewesen wären, alle Verkehrtheiten, in die sie sich begaben, damit zu entschuldigen, daß sie sie auch denen beilegten, welche | sie für Götter ausgaben. Und so waren es gerade die schlimmsten Werke der Vernunft, wodurch die Menschen sich gewöhnten, das Böse zu entschuldigen, und dadurch immer tiefer auf der einen Seite ins Verderben sanken, auf der andern Seite ihr Verstand immer mehr verfinstert wurde, daß sie Gott nicht erkennen konnten, obgleich er Alles that, daß sie ihn finden und fühlen möchten. An diesen Zustand der Entfremdung durch die Vernunft in bösen Werken erinnert er sie nun, zu gleicher Zeit aber auch an die Feindschaft, welche sie eben deswegen gegen die trügen, die doch die Erkenntniß Gottes bei sich bewahrt hatten und ihnen den Einen Gott immer vorhielten, ihnen also durch ihr ganzes Dasein zum Vorwurf wurden. „Nun aber,“ sagt er, „hat er euch versöhnet mit dem Leibe seines Fleisches durch den Tod;“ versöhnet mit dem, von welchem sie vorher entfremdet gewesen waren, indem sich nun, – denn das ist der Hauptpunkt der Predigt des Apostels überall, – indem sich Gott in seiner Liebe verherrlicht hat dadurch, daß er seinen Sohn gesandt, um die Welt wieder mit sich zu versöhnen, um die Menschen durch die Erkenntniß der Liebe Gottes zu ihm zurückzuführen. So habe er sie versöhnet durch den Tod Christi; keinesweges, als ob der Tod Christi das Einzige wäre oder vorzüglich das, wodurch die Menschen zu Gott geführet würden, vielmehr ist das das Leben Christi gewesen. In 4–5 Vgl. Röm 1,19 5–7 Vgl. Röm 1,20 7–11 Vgl. Röm 1,21 Gen 8,21 14–15 Vgl. Röm 1,18 18–19 Vgl. Röm 1,23

11–12 Vgl.

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ihm, wie er lebte, erschien die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater; in ihm, wie er lebte, ist erkannt die Fülle der Gnade und Wahrheit; in ihm, wie er lebte, sagt er selbst, könne man den Vater erschauen. Diese Offenbarung Gottes war allerdings in seinem Leben; aber die Vereinigung der Menschen, ihre Versöhnung unter einander und ihre Versöhnung mit Gott in der rechten Erkenntniß seiner Liebe war erst ganz und vollkommen in seinem Tode, weil sich dadurch erst die Fülle der Liebe Gottes und dadurch auch erst die Fülle des Gehorsams in Christo, seinem Sohne, | offenbarte, und also, was in seinem Leben unvollkommen angeschaut war, in seinem Tod in rechter Vollendung sich zeigte, und der erst der Bund der Versöhnung der Menschen mit Gott und unter einander geworden ist. Aber dies stellt der Apostel doch nur dar als den Anfang: „Er hat euch versöhnet mit dem Leibe seines Fleisches durch den Tod, auf daß er euch darstellete heilig und unsträflich und ohne Tadel vor ihm selbst;“ so daß wir sehen, wie weit der Apostel davon entfernt ist, die Christen auf eine solche Weise zu beruhigen, daß es mit der Versöhnung, die sie in dem Tode Christi gefunden hatten, genug sei, sondern er habe das nur gethan, um sie darzustellen heilig und unsträflich und ohne Tadel vor ihm selbst. Dazu solle es dann erst kommen mit dem Menschen, wenn auf diese Weise er eingepflanzt ist in die Gemeine, deren Haupt Christus ist, und mit gehört zu der Fülle derer, welche in Christo wohnen: von da an soll es geschehen, daß allmählig immer mehr ein Jeder dargestellt wird heilig und unsträflich und ohne Tadel, und nur daran, daß dies wirklich an uns und in uns geschieht, können wir gewiß werden, daß wir auch zu der Fülle gehören, die in ihm wohnt, daß wir durch ihn mit Gott versöhnt sind. Und dies macht der Apostel abhängig davon, daß er sagt: „so ihr anders bleibet im Glauben gegründet und fest und unbeweglich von der Hoffnung des Evangeliums, welches ihr gehöret habt, welches gepredigt ist unter aller Kreatur, die unter dem Himmel ist.“ Die Heiligung also macht er abhängig von dem Festgegründetbleiben im Glauben und von der Unbeweglichkeit in der Hoffnung des Evangeliums. Diese Hoffnung aber ist keine andere, als die der Vollendung des Reichs Gottes in Christo. Von dieser Hoffnung, sagt er, sollten sie sich durch nichts fortbewegen lassen, und dies ist wieder Eins und dasselbe mit dem Festgegründet sein und bleiben im Glauben. Denn so wir jemals | könnten von der Zuversicht weichen, daß in Christo und durch ihn allein das Reich Gottes vollendet würde in dieser und jener Welt: dann wären wir solche, die eines Andern warteten, und müßten auch wieder irre werden und wanken in dem Glauben an ihn, und könnten nicht festbleiben im Glauben und in der Hoffnung unbeweglich sein, daß 1–2 Vgl. Joh 1,14 2 Vgl. Joh 1,14.17 2–3 Vgl. Joh 12,45; 14,9 4 Statt „Offenbarung Gottes“ heißt es bei SAr 99, Bl. 17v „Zurückführung zu Gott“. 37 Vgl. Mt 11,3; Lk 7,18

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sich in Christo das Reich Gottes vollende. Wie unvollkommen es hier noch erscheine, wie langsam es auch gehe mit unseren Fortschritten in der Heiligung und mit unserer Darstellung der Unsträflichkeit vor ihm: so sollen wir doch dabei bleiben, daß kein Anderer mehr nöthig ist, daß wir keine andere Offenbarung mehr zu erwarten haben, sondern daß alle Fülle des göttlichen Wohlgefallens in Christo wohne. Ist nur unser Glaube an ihn befestigt, daß wir es in der That wissen, und aus seinen Wirkungen wahrnehmen, daß in ihm Gott war, um die Welt mit sich zu versöhnen: so wird auch diese Hoffnung nie von uns weichen, und so lange diese Hoffnung nicht weicht, daß er wie der Anfang, so auch der Vollender ist, Alles zu ihm geschaffen, und Alles versöhnt durch ihn: dann muß unser Glaube an ihn unerschütterlich und fest, und nicht nur das, sondern auch kräftig und lebendig sein, und dann auch diese Vollendung, daß wir heilig und unsträflich und ohne Tadel vor ihm dargestellt werden, immer mehr an uns in Erfüllung gehen. Das ist das Ziel, welches der Apostel den Christen hier vorhält; es ist dasselbe, welches auch uns vorgehalten ist, das wir uns selbst unter einander immer vorhalten müssen in dem gemeinsamen Bekenntniß unsers Glaubens; es ist dasselbe, weswegen Christus der ist, der er ist; und wenn wir ihn erkennen in der Fülle der Gnade und Wahrheit, die durch ihn allein geworden ist: so müssen wir auch die Ueberzeugung haben, daß in ihm das Reich Gottes seine Vollendung erreicht hat, daß wir nichts weiter als in der lebendigen Gemeinschaft mit ihm die Mittheilung seiner Kraft und seines Geistes bedürfen, um, so wir | nur darin beharren, von einem Tag zum andern immer mehr heilig und unsträflich und ohne Tadel vor ihm dargestellt zu werden. Mögen wir denn alle, so gewiß wir in diesem Glauben feststehen, eben so lebendig und kräftig auf dies Ziel der Heiligung hinsehen, und auch das nicht übersehen, daß der Glaube nur insofern einen Werth hat, als er sich kräftig erweiset durch die Liebe, und unsere Heiligung und Zunahme der Unsträflichkeit durch unsern Glauben an den Erlöser bewirkt werde, und daß wir nur mit Freudigkeit auf Ihn hinsehen können, wenn wir darnach trachten und uns von Ihm dahin bringen lassen, daß wir Ihm immer ähnlicher werden, und die Züge seines Ebenbildes als des eingebornen Sohnes vom Vater in uns selbst darstellen, auf daß wir in ihm Eins seien, er in uns und wir in ihm, so wie er Eins ist mit dem Vater. Dazu möge er denn durch diese seine göttliche Kraft nach dem Rath des göttlichen Wohlgefallens uns alle immer mehr führen! Amen. Lied 312.

7–8 Vgl. 2Kor 5,19 10 Vgl. Kol 1,16 19–20 Vgl. Joh 1,14.17 34–35 Vgl. Joh 17,21f 38 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 312: „Schütze die Deinen“ (Melodie von „Herzliebster Jesu“)

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Am 15. August 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

10. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Jak 5,16 Nachschrift; SAr 94, Bl. 173r–178r; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Drucktext Schleiermachers; Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung) 1831, S. 101–119 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 679–691; 21843, S. 679–691. – Predigten. Sechste Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 88–104. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 53–63. – Kleine Schriften und Predigten, Bd. 3, ed. Gerdes u. Hirsch, 1969, S. 77–89 6. Augustana-Predigt

15. August 1830. Lied 798. 399. Tex t . Jakob. 5,16: „Bekenne einer dem andern seine Sünden und betet für einander.“ 5

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M. a. Freunde! In jenem ersten Bekenntniß unserer evangelischen Kirche, mit deren einzelnen bedeutendsten Lehren wir uns jetzt beschäftigen, ist auch eine Bestimmung enthalten in Beziehung auf unser öffentliches gemeinsames kirchliches Leben, welche mit den verlesenen Worten der Schrift zusammenhängt. Es bestand nämlich vorher schon seit langer Zeit eine Nothwendigkeit für alle Christen in unserer abendländischen Kirche, ehe sie zu dem Tische des Herrn gingen, denjenigen von welchen sie sich wollten dieses heilige Mahl des Bundes darreichen lassen, eine, so viel sie nur immer konnten, vollständige Aufzählung ihrer Sünden zu geben und also diesen ihre Sünden zu bekennen. Dies nun ist schon lange eingesehn worden als 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 798: „Licht vom Licht, erleuchte mich“ (Melodie von „Meinen Jesum laß ich nicht“); Nr. 399: „Herr, wie mancherlei Gebrechen“ (Melodie von „Eins ist Noth; ach, Herr, dies Eine“)

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eine Quelle von mancherlei Verirrungen und Verderben, und es gehörte zu dem, was abgestellt wurde bei dem ersten Anfang der evangelischen Gemeine, und geordnet, daß zwar allerdings der Natur der Sache gemäß zum Genuß des Mahles unsers Erlösers als eines Zeichens und einer neuen Versicherung der göttlichen Vergebung das Bekenntniß der Sünden gehöre, daß aber keines weges von den Christen könne oder solle verlangt werden eine Aufzählung der einzelnen Vergehungen. Dies nun ist es was wir heut zum Gegenstand unserer Betrachtung machen. Die verlesenen Worte des Apostels aber enthalten eine Aufforderung und Ermunterung zum Bekenntniß der Sünde einer gegen den Andern, und es ist darin allerdings, wie es die Worte selbst und der ganze Zusammenhang derselben ergeben, das Einzelne gemeint; denn daß wir die Sünde alle in uns tragen, das bedarf keiner erst dem andern zu bekennen, weil jeder, wie er es von sich selbst weiß, es auch von den andern voraussetzt. Hier also finden wir eine Ermunterung zum Bekenntniß der Sünde einer gegen den andern, wie wir sie wirklich begangen haben, damit sie werde ein Gegenstand des Gebets; denn so verbindet sich beides miteinander: „Bekennet euch unter einander eure Sünden und betet für einander.“ Ich will in Beziehung auf diese Worte und auf jene Einrichtung in unserer Kirche: | erstens, von dem Segen des Bekenntnisses, von welchem hier der Apostel redet, meine Meinung auseinander setzen; dann aber: zweitens, eben dies vergleichen mit jener, in unsrer evangelischen Kirche im Widerspruch mit dem, was bisher bestanden hatte, gemachten Einrichtung. Was das Erste betrifft, m. a. Freunde! so vergönnt mir, etwas weiter, als es dazu unumgänglich nothwendig zu sein scheint, in das ganze Verhältniß des Menschen als eines sündigen Wesens einzugehen. Es gehört dazu unstreitig und zwar sehr wesentlich und sehr allgemein eine innere Unwahrheit in dem Menschen, die sich auf die mannigfaltigste Weise verräth; zuerst, und am aller allgemeinsten alsdann, wenn er überhaupt die Sünde als solche nicht anerkennt. Das war derjenige Zustand des Verderbens, welcher dem Apostel Paulus, als er seinen Brief an die Römer schrieb, in den mannigfaltigsten Gestalten vor seinem geistigen Auge stand. Er erklärt ausdrücklich jene Verkehrung der natürlichen Erkenntniß Gottes, wozu das Vermögen in der menschlichen Vernunft lag, daß nun die meisten Geschlechter der Menschen, statt an den Werken den Einen Schöpfer und seine allmächtige Kraft und Gottheit zu erkennen sich das göttliche Wesen zerspalten 23–24 gemachten] gemachte

35 nun] Textzeuge bietet selbst als Alternative an nur

1–5 Vgl. CA XXV, Die drey ökumenischen Symbola S. 67; BSLK S. 97,33–37 5– 7 Vgl. CA XI, Die drey ökumenischen Symbola S. 28f; BSLK S. 66; CA XXV, Die drey ökumenischen Symbola S. 68; BSLK S. 98,27–99,11 36–37 Vgl. Röm 1,20

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und zersplittert hätten in eine Wahrheit, aber in eine solche, in welcher sie zu gleicher Zeit alles verkehrte Tichten und Trachten des menschlichen Herzens wiederfanden, um es eben dadurch, daß sie es auch den Höheren den vollkommeneren Wesen beilegten, zu heiligen. Das ist der Sinn jener Worte des Apostels, wenn er sagt: „die Menschen hätten aufgehalten die Wahrheit in Ungerechtigkeit,“ sich selbst die Wahrheit verdunkelt, Gott nicht erkannt, ihn nicht gepriesen als Gott, weil sie, wenn sie sich dem Reinen gegenübergestellt hätten, auch hätten müssen die eigne Unreinheit und das eigne Verderben erkennen. Wie sie nun dies aber in allen seinen verschiedenen Gestaltungen übertrugen auf die höheren Wesen, die sie sich zum Gegenstand ihrer Verehrung erdacht hatten, so waren sie dessen überhoben, die Sünde als Sünde zu erkennen; es gab für sie nur eine Mannigfaltigkeit von Trieben und Richtungen der menschlichen Natur, welche doch alle etwas Göttliches an sich trugen. Darum, weil die Menschen so ihr geistiges Auge abgewendet hatten von der Sonne der Gottheit, und nicht im Stande waren hinein zu schauen in ihren Glanz, um sie von diesem Verderben zu retten, sandte Gott seinen Sohn, damit | sie die Reinheit und Vollkommenheit in menschlicher Gestalt vor Augen sähen, und indem sie dicht vor ihre Augen träte, genöthigt würden, die Reinheit und Vollkommenheit, die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater zu schauen, in dem Sohn den Vater zu schauen, und zugleich zur Erkenntniß der Sünde zu gelangen, mehr als jedes Gesetz es leisten konnte. Darum m. g. Freunde! können wir das voraussetzen, wo eine lebendige Erkenntniß und Anerkenntniß des Erlösers ist, da ist auch die Anerkenntniß der Sünde, da muß im Allgemeinen wenigstens jene Unwahrheit des menschlichen Gemüths besiegt sein, und der Gegensatz gegen den heiligen Willen Gottes, der dem Menschen ins Herz geschrieben ist, und gegen das, was in seinem Thun und Handeln heraustritt und ihn wirklich bewegt, dieser Gegensatz muß von ihm anerkannt werden. Aber auch das, m. g. Freunde, nur im Allgemeinen! Denn es ist nicht nur der natürliche Mensch, sondern es ist auch der Christ, welcher die Schrift im Auge hat, wenn sie redet von den Gedanken des menschlichen Herzens, die: „sich untereinander bald verklagen, und bald entschuldigen.“ Das Entschuldigen ist ein Verderben der menschlichen Seele, was niemals sein Ende nimmt, und haben wir auch noch so sehr im Allgemeinen die Sünde als das, was sie ist, anerkannt, so ist es doch nicht anders, als daß wir als ein allgemeines Verderben gestehen müssen daß 3–4 Vgl. Röm 1,23 5–6 Vgl. Röm 1,18 6–9 Vgl. Röm 1,21 15 Vgl. Mal 3,20; vgl. auch die erste Strophe des gesungenen Liedes Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 798: „Licht vom Licht, erleuchte mich bei dem neuen Tageslichte! Gnadensonne, zeige dich meinem frohen Angesichte! Deiner Weisheit Himmelsglanz schmücke meinen Sabbath ganz.“ 20 Vgl. Joh 1,14 20–21 Vgl. Joh 14,9; auch 12,45 26–27 Vgl. Röm 2,15 32–33 Vgl. Röm 2,15

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immer im Einzelnen doch wir noch bald diese, bald jene Entschuldigung finden, wenn es darauf ankommt grade das, was zu der alten Gewöhnung des Lebens gehört, was die gewöhnliche Schwachheit unserer Natur ist, als Sünde anzuerkennen. Es ist nicht möglich, daß es eine zusammenhängende Wirksamkeit des göttlichen Geistes, daß es ein wahres Leben Christi in dem Menschen giebt, wenn nicht auch die Neigung wenigstens zu dieser Unwahrheit in ihm gebrochen ist und überwunden, wenn nicht das ernste Flehen seines Herzens ist, daß ihm die Augen geöffnet würden für alles, was Sünde ist an ihm, damit er die allgemeine Anerkenntniß der Sünde auch im Einzelnen an sich selbst vollkommen zur Wahrheit bringe, damit er die Sünde erkenne, um ihrer los zu werden in der lebendigen Gemeinschaft mit Christo und durch die Kraft seines Geistes. Wo also diese Wahrheit in dem Herzen befestigt ist und gesiegt hat, wo die Stimme Gottes im Innern des Menschen | nicht mehr schweigt, wenn Unreines und Verderbliches, dem Geist Gottes Widersprechendes sich in seinem Innern regt, nun wol, da beginnt der redliche Kampf des Menschen gegen die Sünde, die in ihm wohnet, da wiederholt sich in ihm die ganze Geschichte, die der Apostel Paulus so lebendig darstellt im 7. Kapitel seines Briefes an die Römer, daß er in sich erkennt den Willen, der ihm ins Herz geschrieben ist und an dem der innere Mensch ein Wohlgefallen hat, aber daß er immer noch finde bald hier bald da das Gesetz in seinen Gliedern, welches ihn hindert, das Gute, das er erkannt, zu vollbringen, das ihn antreibt, das Böse immer noch zu thun, das er nach seinem inwendigen Menschen nicht will, sondern verabscheut. Indem nun der Apostel diesen Kampf des Menschen in sich selbst darstellt und die Frage aufwirft: „wer wird mich erretten aus dem Leibe dieses Todes?“ so antwortet er: „ich danke Gott, der uns den Sieg gegeben hat durch Christum.“ Und allerdings auch in diesem Kampf, wie er sich gestalte, wie er sich verlängere, wie er sich immer wieder erneuere, und wiederhole, giebt es keinen andern Sieg, als durch den, „der uns allen gemacht ist zur Weisheit und zur Heiligung und zur Gerechtigkeit und zur Erlösung.“ Ja, das sollte die allgemeine Wahrheit eines jeden christlichen Gemüthes sein: „fällt mir etwas Arges ein, denk ich gleich an deine Pein, die erlaubt nicht meinem Herzen, mit der Sünde Lust zu scherzen.“ Und wär uns der Erlöser immer in der Heiligkeit seines Lebens, in der zärtlichen Liebe seines Leidens und Todes immer gegenwärtig, gewiß würde der Kampf immer 10 bringe] bringen 17–24 Vgl. Röm 7,14–23, bes. 21–23 25–26 Röm 7,24 26–27 Vgl. Röm 7,25 29–30 Vgl. 1Kor 1,30 32–33 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 182 (in eigener Melodie), Strophe 1: „Jesu, deine tiefe Wunden, deine Qual und bittrer Tod geben mir zu allen Stunden Trost in meiner Seelennoth; fällt mir etwas Arges ein, denk’ ich bald an deine Pein, diese wehret meinem Herzen, mit der Sünde je zu scherzen.“

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siegreich sein und sich immer zu denen wenden, die in Christo Jesu sind, und es würde sich zeigen, daß in ihnen nichts Verdammliches ist. Und freilich sollen wir auch eine andere Hülfe gar nicht suchen, aber eben deswegen, weil wir uns doch gestehen müssen, daß der Erlöser indem er nicht leiblich unter uns wandelt, auch innerlich uns nicht so gegenwärtig ist, wie er sein sollte und könnte, eben deshalb hat auch der Apostel die Worte unsers Textes geredet zu denen, die in Christo Jesu sind, indem er sagt: „Bekenne | einer dem andern seine Sünde und betet für einander!“ Und ich kann wol sagen, ich wünsche, ja ich vertraue, es wird eine allgemeine Erfahrung sein Vieler unter uns, was für ein Segen in diesem Kampf mit Fleisch und Blut, in diesem Kampf mit der Welt, in welcher wir gern Sieger sein möchten und Helden, was für ein Segen da in dem Bekenntniß liegt. Wenn wir einem andern auch gläubigen Gemüth diese innern Leiden und Kämpfe aufschließen, wenn wir es schauen lassen in die Tiefen und Abgründe des verdorbenen Herzens, wenn wir uns nicht scheuen, Zeugniß abzulegen von unserer Verkehrtheit in dem innigsten Vertrauen, so ist es doch immer ein Heraustreten der Wahrheit, ein Anlehnen der Seele an eine befreundete Stütze, und das vermehrt die eigene Kraft auf segensreiche Weise. Statt des Erlösers, der uns nicht gegenwärtig ist, ist uns ein Bruder im Glauben und in der Liebe gegenwärtig, der die Tiefen unsers Herzens kennt, dessen Auge eindringt in das Innere unsers Gemüths, dessen Ohr sich öffnet dem Seufzen und Klagen unserer gedrückten Seele, dessen freundlicher Mund uns warnen kann, der uns Beistand leisten kann in der Stunde der Schwachheit[,] durch den wir getröstet und erquickt und ermuntert werden können, auszuharren in diesem gewaltigen Kampfe. Sind wir nun, und das sind wir doch, unter einander Brüder und Christen, so ist auch das das eigentliche Verhältniß, in welchem wir zu einander stehen sollen, als die Gemeinschaft zu der wir berufen sind. Solche Bande des Vertrauens, solche Vereinigung zu gegenseitiger Mittheilung sollte es überall geben, und das hat der Apostel ordnen wollen und befestigen in den Worten unsers Textes, indem er sagt: „Bekennet einander eure Sünden,“ und wenn er außer jener Hülfe, die im Bekenntniß selbst liegt, noch hinzufügt: „und betet für einander,“ so stellt er uns dadurch erst den rechten Gipfel der Kraft jenes Hülfsmittels der brüderlichen Gemeinschaft auf. Wenn wir es wissen, daß auch ein anderer die ihm bekannte Noth unsers Gemüths, die uns bewegt, vorträgt im Gebet, daß er mit uns sich vereint in dem Flehen nach einer höhern Hülfe, daß unsere Sorge und Angst er bewegt in einem brüderlichen Herzen, eben das, weil es uns das Bewußtsein giebt von einer Kraft, die größer ist als die unsrige, von einem Bande der Liebe, die uns ziehen will zur Vollkommenheit, welche die Frucht der rechten christlichen Liebe ist, dieses hat, ohne daß wir etwas Wunderbares, | ohne daß wir etwas Widernatürliches dabei 1–2 Vgl. Röm 8,1

39–40 Anspielung auf Kol 3,14

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denken, eine große Kraft und Stärke für jedes gläubige Gemüth. Das ist m. a. Freunde! der Segen des Bekenntnisses der Sünden im Einzelnen den sich keiner sollte entgehen lassen, der noch mit der Sünde zu kämpfen hat, und das haben wir alle! So wie der Apostel diese Worte geschrieben hat nicht an diese oder jene einzelne Gemeine, sondern an alle Gemeinen aus dem ehemaligen Volk des alten Bundes, müssen wir wol fühlen, es ist eine allgemeine Verordnung und [ein] Wunsch für alle Christen zu allen Zeiten, welche er hier aufgestellt hat. Je mehr unsre eigene und die Vollkommenheit der ganzen Gemeine des Herrn, deren Glieder wir sind, uns am Herzen liegt, desto mehr sollen wir auch bereit sein so zu helfen und uns helfen zu lassen, damit wir einander uns stärken zu dem großen Werk der Heiligung. Denn die Gemeine des Herrn kann sich ihm nur darstellen ohne Flecken und ohne Tadel, insofern es die einzelnen Glieder sind, die sich so darstellen unter einander und vor ihm. Und es ist schon ein großer Zuwachs der Reinheit, wenn sich ein solches christliches Vertrauen der einzelnen unter einander zeigt, es ist ein großes Zeugniß von dem Ernst, mit welchem wir die Sünde in uns verfolgen und den Krieg gegen sie führen; es ist ein großer Beweis von der Wahrheit, mit welcher wir suchen das Ziel der Heiligung.

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Wohlan, so lasset uns nun zweitens diesen Segen des Bekenntnisses vergleichen mit jener in unserer Kirche damals getroffenen allgemeinen Einrichtung und Bestimmung. Es ist gewiß, daß überall in der christlichen Gemeine unsers Bekenntnisses die Diener des göttlichen Wortes diejenigen sollen sein können, zu welchen die einzelnen Glieder ihrer Gemeinen das Vertrauen hegen, ihnen das Innere ihres Gemüthes aufzuschließen und sich durch ihre Ermahnung, durch ihren Zuspruch, durch ihr Gebet zu stärken. Dazu sind sie gesetzt! Es ist keines weges die Absicht gewesen, diesen heiligen Dienst des Wortes in der Gemeine so zu begränzen, daß er sich nur auf die öffentliche Verkündigung in unseren Versammlungen, daß er sich nur auf die Darreichung der heiligen Sacramente erstreckt, sondern die Diener des göttlichen Wortes sollen Allen bereit sein zum Rath in der Noth ihrer Gemeinen, | zum Beistand in jedem Kampf, zur Leitung der Gewissen, die sich ihnen anvertrauen. Und wenn es eine allgemeine Erfahrung geworden wäre, daß ein solch Verhältniß des Vertrauens gar nicht statt fände, so wäre das allerdings ein trauriges Zeichen; denn wir könnten kaum glauben, daß es allen Christen gelänge, für das Bedürfniß ihres Herzens einen andern zu finden, zu welchem sie eben so vertrauen könnten, zu dessen christlicher Liebe und Weisheit sie einen eben solchen Zug fühlten, wie zu denen, bei welchen sie doch Gelegenheit haben, in den öffentlichen Versammlungen 18 Wahrheit] Textzeuge bietet selbst als Alternative an Weisheit 4–6 Vgl. Jak 1,1

12–13 Vgl. Eph 5,27 in Verbindung mit Kol 1,22

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der Christen, ihren Verstand am Evangelium und ihre Erkenntniß des menschlichen Gemüths zu erweitern und zu vermehren. Es wäre ein trauriges Zeichen entweder von der Gleichgültigkeit der Einzelnen gegen ihr eigenes Heil, oder von der Beschaffenheit derer, welche jenen Dienst des göttlichen Worts in den Gemeinen versehen. Aber keines weges ist es die Meinung, daß es diese jeder Zeit sein müßten, zu welchen die Christen sich vertrauungsvoll in ihrem Bekenntniß wenden; nein, es kann immer nur sein eine Sache des Herzens, und gewiß, wenn es auch keinen solchen öffentlichen Dienst der Verkündigung des göttlichen Wortes gäbe, so sollte es doch in den Gemeinen keinem fehlen können an solchen, denen er die innersten Geheimnisse seines Herzens aufschließen könnte. Wozu wären in der Gemeine jene heiligen Bande der Liebe, der zärtlichsten Fürsorge, der wachenden Sorge im Umfang des häuslichen Lebens, wozu alle Annäherungen einzelner Christen zu einander, wenn kein solches Vertrauen darin herrschte, wenn nicht in der nächsten Umgebung, nicht in der freien Wahl christlicher Freundschaft jeder solchen Freund finden könnte, dem er seinen Busen erschließen und den er in die traurigen Geheimnisse seines Herzens einführen kann. Das Vertrauen können und sollen wir haben, aber je wichtiger diese Angelegenheit ist, desto mehr möchte ich behaupten, es ist ein rechtes Maaß, an welchem wir unsre Fortschritte am christlichen Leben in der christlichen Vollkommenheit ermessen können. Je weniger es solche Bande der Liebe und des Vertrauens unter den Einzelnen giebt, je weniger einer dem andern seine Sünden bekennt, je weniger wir uns gegenseitig unterstützen und tragen, desto weiter sind wir noch zurück in der christlichen Vollkommenheit, desto mehr sind wir noch entfernt von dem | Ziele der Heiligung, desto mehr wandeln wir noch auf dem Wege des Verderbens. Aber wenn es nun auch in vielen Gegenden die Diener des göttlichen Wortes sind, denen die Gemeineglieder sich anschließen, so hängt doch eben das Bekenntniß im Einzelnen, um Beistand und Trost zu suchen, um sich selbst zu erleichtern und zugleich sich die Stütze eines stärkern Gemüths beizugesellen, so hängt doch das auf keine Weise zusammen mit dem Genuß des heiligen Mahles unsers Bundes, und ein solcher Gebrauch vor dem Genuß desselben die Sünden im Einzelnen aufzuzählen, welche in der vergangenen Zeit begangen wurden, findet auf keine Weise seinen Grund in diesen Worten des Apostels. Wohl hat es auch unsere Kirche anerkannt, daß dem Mahle des Herrn vorangehen müsse das Bekenntniß der Sünden, aber das ist nur das Bekenntniß der Sünden vor Gott; – daß demselben vorangehen müsse die erneuerte Versicherung der Vergebung der Sünden, aber das ist nur die Versicherung welche die christliche Kirche durch den Mund ihres Dieners ausspricht als ihre eigene Zuversicht und 33 ein solcher] von solchem

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welche sie ausspricht im Namen dessen, der allein die Sünden vergeben kann. Das hat der Apostel Johannes im Sinn, wenn er sagt in seinem ersten Briefe: so wir sagen wir haben keine Sünde, betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns. Wie sollten nicht die, welche sich durch das heilige Mahl des Bundes auf’s Neue mit dem Erlöser verbinden wollen, wie sollten diese nicht zuvor aufs Neue unter einander und mit einander die Wahrheit bekennen, daß die Sünde in ihnen ist, und sich los machen von allem Antheil an der allgemeinen Lüge des Menschen, welche ihn täuschen will mit der falschen Versicherung, daß er keine Sünde habe. Aber wie der Apostel hier redet überhaupt von dem Sünde haben, von dem Sündig sein, aber nicht von den einzelnen Handlungen, so fügt er auch nachher hinzu: „so wir aber Gott unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergiebt und reinigt uns von aller Untugend.“ In jeder erneuerten Verbindung mit dem Erlöser beim Genuß dieses heiligen Mahles suchen wir bei ihm, als der einzigen Quelle, an die wir gewiesen sind, die Reinigung von der Untugend; immer aufs Neue, immer in einem höhern Grade streben wir, uns von ihm frei zu machen, um dem Ziel der Vollkommenheit näher zu kommen, und daß denen, welche in der Gemeinschaft mit Christo sind, so sie ihre Sünden bekennen, daß Gott denen die Sünde vergiebt, das rechnet | der Apostel zur Treue und Gerechtigkeit Gottes. An ein menschliches Bekennen der einzelnen Sünden hat er dabei gar nicht gedacht; wohl aber müssen wir sagen, ist jenes Gebot der einzelnen Aufzählung der Sünden eine Quelle mannigfaltigen Verderbens geworden, und dazu wirkt denn gar vielerlei mit, was aber genau zusammenhängt und gar leicht ist, im Allgemeinen einzusehen. Einmal, so gewiß wir es bekennen, daß wir noch Sünden haben, so gewiß ist es auch, daß wir nicht vermögen, die Sünden aufzuzählen; denn sie ist, so wir sie haben, auch überall. Wir würden einen verkehrten Weg wandeln und würden der Vollkommenheit der wir nachjagen, niemals nahe kommen, wenn wir die Sünde nur aufsuchen wollten in einzelnen Handlungen, welche die Sünde hervorgebracht, und in denen sie geherrscht hat. Wir müssen sie vielmehr aufsuchen in Allem, was wir thun, auch in dem, was in dem Bestreben, im Namen Gottes zu handeln, seinen Grund hat. Denn überall ist es die Sünde, und zwar die Sünde so wie sie sich in jedem besonders gestaltet, welcher der Vollkommenheit aller einzelnen Werke und Handlungen hinderlich ist, und eben in dieser Unvollkommenheit, in diesem Mangel finden wir überall am sichersten die Spuren derselben. Darum ist das ganz gewiß ein wahrhaftes Wort: 17 von ihm frei zu machen] Kj von ihr ... oder ... machen zu lassen vielleicht zu korrigieren in welche 3–4 Vgl. 1Joh 1,8 5,15

12–13 Vgl. 1Joh 1,9

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28–29 Vgl. Phil 3,12; ferner 1Thess

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„wer kann wissen wie oft er fehlet.“ und das Bestreben, die Sünden aufzuzählen, wäre ein unendliches, dem wir niemals genügen können. Es kann sich dabei gar nicht handeln von einzelnen zerstreuten Thaten, von einzelnen sündlichen Handlungen, sondern es müßte eine Aufzählung unsers ganzen Lebens sein, so wir sie selbst nicht wissen, und selbst nicht geben können. Aber das ist auch gar nicht der Wille Gottes. Das Leben mit seiner Unvollkommenheit und seinen Mängeln, es will und soll nur einmal gelebt werden: es ist keine Quaal, die uns Gott auflegen wollte, daß wir es noch einmal durchleben sollen, indem wir es in trauriger Erinnerung zurückrufen. Vergessen, was dahinten ist, das dürfen wir, so fern wir nur wahrhaft uns strecken nach dem, was vor uns liegt; aber immer in die Vergangenheit zurück gehen, sie uns vorführen in ihren einzelnen Fehlern und Gebrechen, die wir ja doch im Allgemeinen kennen, das ist eine unnütze Quaal der Gemüther und der Gewissen, die Gott nicht gewollt hat, die der Erlöser nicht geordnet hat, die die Gewissen nur auf unnütze Weise abängstigt, und mit der Freudigkeit der Gewissen Gottes streitet. Das ist das tröstliche Wort des Apostels: „so uns unser Herz verdammt, so ist Gott größer als unser Herz.“ Was könnten wir anders wollen mit aller Aufzählung und Wiederholung unserer Sünden, als die Verdammung unsers Herzens? und die können wir ja mit einem einzigen Griff in unsern Busen haben; aber Gott ist doch größer, als dies arme Herz, und der Vergebung sind doch gewiß ohne solche Aufzählung diejenigen, welche wissen, daß sie in Christo Jesu sind; denn in denen ist | nichts Verdammliches; denen ist die Vergebung ihrer Sünden gewiß, wenn sie auch nicht alles Einzelne in der Erinnerung festhalten, die sich strecken nach der Heiligkeit Gottes und nach dem, was vor ihnen liegt; zufrieden, wenn sie in jedem Augenblick die Hindernisse überwinden können, die in ihren Weg treten. Aber dann auf der andern Seite, wenn es eine unnütze Quaal ist für Gemüther, die zur Aengstlichkeit geneigt sind, welch gefährlicher Vorschub ist es für die, welche zum Leichtsinn hinneigen! welch ein unvollständiges Bild bekommen wir durch die Aufzählung einzelner Sünden, wie die Erinnerung sie giebt; wie leicht ist es, das Gewissen zu beschwichtigen, wenn es sagt: ich bin mir nicht bewußt, daß ich gethan wider Gottes Willen, – wie leicht ist das zu sagen für ein Gemüth, welches sich am meisten scheut, in die Tiefen des verderbten Herzens hinab zu steigen. Nehmen wir nun noch das hinzu, was wieder ein besonderer Wahn der frühern Zeiten ist, von dem wir uns los gemacht haben in unsrer erneuerten Kirchengemeinschaft, daß es außer dem Be27 dann] denn 1 Vgl. Ps 19,13; zitiert auch in CA XI, Die drey ökumenischen Symbola S. 29; BSLK S. 66,7f, und CA XXV, Die drey ökumenischen Symbola S. 68; BSLK S. 99,1f 10– 11 Vgl. Phil 3,13 17–18 Vgl. 1Joh 3,20 22–23 Vgl. Röm 8,1

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kenntniß und außer dem Wunsch der Vergebung und außer dem sich aufs Neue in die allgemeine Quelle des Heils Versenken, noch etwas anderes bedürfe zur rechten Buße, nämlich wieder einzelner andrer willkürlich auferlegter Handlungen! Wer sich denn bei solchen einzelnen Handlungen befriedigt, die leicht sind bei einigem Ernst des Willens zu verrichten, wer durch sie nur meint gerecht zu werden vor Gott, wie muß der vom rechten Wege der Heiligung ganz abkommen, wie muß alles Verständniß vom rechten wahren christlichen Leben verloren gehen! Darum war es so nothwendig, die Christen zu lösen von dieser eben so quälenden als gefährlichen Einrichtung, sie hinzuführen von den einzelnen Handlungen auf den innern Grund des Herzens, von dem menschlichen Bekenntniß zum Bekenntniß vor Gott hin, um bei ihm die Vergebung der Sünden zu suchen, um sich ihrer Gemeinschaft mit ihm aufs Neue zu versichern, aber nicht zu vertrauen auf auferlegte Werke der Genugthuung. Darum nun führt uns auch hier die Einrichtung unserer Kirche immer wieder zurück auf die Eine ewige, rechte Quelle des Heils: daß Christus allein der ist, in der lebendigen Verbindung mit welchem uns das Heil gegeben ist! Er ist es allein, aus welchem unsere Heiligung hervorgehen muß, indem er in uns lebt und wirkt, und Alles, was brüderliche Liebe thun kann, uns zu unterstützen, was ist es anders, als die Wirksamkeit in der Liebe Christi, als eine Wirksamkeit des Geistes, von dem alle Gaben der Liebe und der christlichen Weisheit ausgehen, des Geistes, der es immer nur von Christo und von dem Seinigen nimmt, und es denen, die ihm angehören, verklärt und verherrlicht! Und so möge der Segen des christlichen Bekenntnisses | sich unter uns mehren immer mehr, auf daß wir alle die Wahrheit desselben reichlich erfahren in unserm Herzen und immer mehr der herrlichen Wirkungen desselben theilhaftig werden. Aber die Fülle und Quelle des Heils ist allein in dem, den Gott uns dazu gegeben hat, und gesandt. Kein Mensch soll sich zwischen ihn und uns stellen; von keinem Menschen hängt es ab uns zu geben oder zu versagen den Segen, der in Christo ist, und wenn wir es als Nothwendigkeit, als einen natürlichen Zug des Herzens erkennen, indem wir uns aufs Neue vereinigen mit ihm, in seinem heiligen Mahl, das Bekenntniß der Sünden abzulegen unter einander und mit einander, so ist es die Gemeine des Herrn, welche uns die Vergebung der Sünden zuruft, die aber nur kommt von dem, der treu ist und gerecht, die Sünden zu vergeben, und die Herzen zu reinigen von aller Untugend in denen, welche wahre Gemeinschaft haben mit ihm und seinem Sohn. Die rechte, treue Liebe der Christen unter einander hängt so innig zusammen mit der Befreiung von dem Wahn der menschlichen Satzungen, daß wir sagen können, wir dürfen die Hoffnung hegen, daß auf diesem Grund, auf diesem Recht, daß jeder 21–23 Vgl. Joh 16,14 grund Ex 25,17–22)

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selbst nahen könne zu dem Gnadenstuhle, welchen Christi Liebe uns aufgerichtet hat, das Wesen unsers evangelischen Glaubens ruht, daß in dieser recht erkannten Freiheit der Kinder Gottes wir auch immer am meisten Veranlassung finden werden, uns einander anzufassen in geistlicher Liebe, einander zu nahen in brüderlichem Vertrauen, auf daß allerlei Hülfleistungen jeder dem Andern gebe, jeder von dem Andern empfangen könne nach dem Maaß, wie sie mit einander verbunden sind in rechter christlicher Liebe, und daß die Gemeine eben dadurch immer mehr sich darstellen könne zum Wohlgefallen, wenn auch jetzt noch nicht ohne Tadel und Flecken vor dem Herrn, doch dadurch auf dem Wege der Heiligung immer weiter sich entfernen von aller Liebe zur Sünde, immer mehr nach nichts anderem streben, als nach der wahren, seligen Gemeinschaft mit ihm! Amen. Lied 402, v. 6–8.

9–10 Vgl. Eph 5,27 in Verbindung mit Kol 1,22 14 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 402: „Hüter, wird die Nacht der Sünden nicht verschwinden“ (in eigener Melodie); Strophen 6–8 lauten: „Eignes Licht kann wahres Leben mir nicht geben; Jesus muß die Sonne seyn! Auf mein Herz muß Jesus blicken, es erquicken mit dem wahren Himmelsschein. // Nur daß Keiner möge säumen, wegzuräumen, was sein Angesicht verhüllt. Und soll Jesu Licht den Seinen heller scheinen, sey das Auge rein und mild. // Drum weil hierzu blöde Augen doch nicht taugen, rühre du sie, Heiland, an. Denn das ist die größte Plage, daß am Tage ich das Licht nicht sehen kann.“

Am 22. August 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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11. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 1,23–29 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 256–268, Nr. VI; Zabel Keine Nachschrift; SAr 99, Bl. 18v–22v; Slg. Wwe. SM, Pommer (Zabel) Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 304. Tex t . Colosser I, 23–29. „Welches (Evangelii) ich, Paulus, Diener geworden bin; nun freue ich mich in meinem Leiden, das ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was noch mangelt an Trübsalen in Christo, für seinen Leib, welcher ist die Gemeine; welcher ich ein Diener geworden bin nach dem göttlichen Predigtamt, was mir gegeben ist unter euch, daß ich das Wort reichlich predigen soll. Nämlich das Geheimniß, das verborgen gewesen ist von der Welt her und von den Zeiten her, nun aber geoffenbaret ist seinen Heiligen, welchen Gott gewollt hat kund thun, welcher da sei der herrliche Reichthum seines Geheimnisses unter den Heiden, welcher ist Christus in euch, der da ist die Hoffnung der Herrlichkeit. Den wir verkündigen und vermahnen alle Menschen und lehren alle Menschen mit aller Weisheit, auf daß wir darstellen einen jeglichen Menschen vollkommen in Jesu Christo; daran ich auch arbeite und ringe nach der Wirkung deß, der in mir kräftiglich wirket.“ |

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M. a. Fr. Es sind in diesem Abschnitt unsers Briefes zwei Hauptgedanken, welche auch unserer Aufmerksamkeit ganz würdig sind, nämlich zuerst, daß der Apostel von sich sagt, er erstatte, was noch mangele an Trübsalen Chri4 meinem Leiden] meinen Leiden 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 304: „Gott ist ein Schutz in Nöthen“ (Melodie von „Nun lob, mein Seel, den Herren“)

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sti für seinen Leib, welcher ist die Gemeine, – und dann dasjenige, was er sagt von dem Geheimniß, welches verborgen gewesen ist von der Welt her, nun aber offenbaret. Nämlich das Erste, m. a. Fr., kann uns gar leicht wundern, wie der Apostel hier von seinen Leiden im Verhältniß zu den Leiden Christi redet, es sei nun, daß er es so gemeint habe, als ob an den Leiden Christi selbst noch etwas fehle, was er noch hinzuzufügen habe, so daß er seine Leiden darstellt als eine Fortsetzung der Leiden Christi; oder man mag es auch so verstehen, daß er nur seine Leiden mit den Leiden Christi vergleicht und sagt, er habe nun noch zu ergänzen an seinem Fleisch, was noch mangelt, daß seine Leiden den Leiden Christi gleich kämen für seinen Leib, welcher ist die Gemeine. Im zweiten Fall stellt der Apostel entweder seine Leiden den Leiden Christi gleich ihrer ganzen Art und Abzweckung nach, oder wenigstens vergleicht er sie mit denselben, und dieses ist beinahe dasselbige wie jenes. Wie konnte er nun das wol thun? So viel ist gewiß, m. th. Fr., wenn er von den Leiden Christi vorzüglich die Ansicht gehabt hätte, welche allerdings bei vielen Christen die herrschende ist, als ob Christus durch seine Leiden hätte der Gerechtigkeit Gottes genugthun müssen, indem er vermittelst derselben die Strafe erduldete, welche die Menschen hätten erdulden müssen, – wenn, sage ich, das die Ansicht des Apostels von den Leiden Christi gewesen wäre: so hätte er von seinen Leiden weder das Eine noch das Andere sagen können. Denn alsdann waren auf der einen Seite die Leiden Christi vollständig; denn wenn Er nicht hätte können durch seine Leiden der Gerechtigkeit Gottes genugthun: wo hätte wol das | Fehlende herkommen sollen; wie hätten die Leiden irgend eines Menschen, welcher selbst der Sünde unterworfen war, und also selbst der Genugthuung bedurfte, irgend etwas hinzuthun können, wenn an den Leiden Christi etwas gefehlt hätte? Aber auf der andern Seite hatte Christus durch sein Leiden in diesem Sinne der Gerechtigkeit Gottes genug gethan und sie erfüllt: wie ließe sich dann wol, nachdem dieses gänzlich abgethan war, irgend welches Leiden mit jenem vergleichen? Wir sehen also hierin so viel zunächst, daß das die herrschende Ansicht des Apostels von den Leiden Christi nicht gewesen ist. Wie konnte er denn aber wol und was mußte er von diesem Leiden des Erlösers glauben, wenn er von seinen Leiden so reden sollte, wie er es hier wirklich thut? Unser Erlöser hatte sein ganzes Leben geweiht der Verkündigung des Reiches Gottes als der Erfüllung aller göttlichen Verheißungen, aber lediglich unter seinem Volk. Darauf hatten sich alle seine Lehren, darauf hatten sich alle Erweisungen, wodurch er sich zeigte als den Mann von Gott, wie der Apostel Petrus sagt, alle hatten sich darauf bezogen. Er hatte es oft ausdrücklich gesagt, er für seine Person sei nur gesandt zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel; aber zu glei39 Vgl. Apg 2,22

40–41 Vgl. Mt 15,24; ferner 10,5f

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cher Zeit hatte er gesagt, daß er noch andere Schafe habe, die nicht aus diesem Stalle wären, und die würden auch noch hinzugefügt werden, daß es Eine Heerde sei und ein Hirte; und wie können wir wol anders glauben, als daß ihm dabei vorgeschwebt haben alle Geschlechter der Erde, zu welchen allmählig die Verkündigung des Evangeliums kommen sollte. Freilich anfangs mögen seine Blicke und Pläne wol nur geruht haben auf dem Theil des Volkes Gottes, welcher zerstreut war unter den Hei|den, und auch wol auf denen unter den Heiden, welche sich schon angezogen fühlten zu der jüdischen Verehrung des Einen Gottes und in dieser sich losmachten von dem Wahn der Vielgötterei, welchem sie von Jugend auf gedient hatten. Aber so gewiß er ein festes Bewußtsein hatte von seiner Bestimmung nach dem göttlichen Rath, das ganze Geschlecht der Menschen zu erlösen und zu befreien: so gewiß hat er auch in jenen Worten das ganze Geschlecht der Menschen mit seinem Blicke umfaßt. Indem aber nun seine eigene Lehre und Verkündigung sich blos beschränkt hatte auf das Volk, zu welchem er selbst gehörte: so waren auch seine Leiden nur entstanden aus dem Widerspruch dieses Volks und aus der Widersetzlichkeit desselben, aus seiner Anhänglichkeit an dem, was nun sollte zu Ende gehen, aus ihrer Unfähigkeit, sich einweihen zu lassen in ein solches bloß geistiges Reich Gottes, wie der Erlöser es stiften wollte. Der Apostel Paulus aber war der erste ganz eigentliche Apostel der Heiden. So stellt er sich dar. Aber für ihn wurde nur eben dies eine Quelle von Leiden, die ihm auch kamen von demselben Volke, welchem er angehörte und unter welchem er geboren war, wie der Erlöser. Deswegen hatten sie einen Haß auf ihn geworfen, weil er, indem er das Evangelium predigte in solchen Gegenden, wo Genossen des jüdischen Volks unter Heiden zerstreut waren, und sie beide Eine Gemeine bilden sollten, er nun die, welche nicht in den Banden des Gesetzes lebten, auch lösete von den Banden des Gesetzes, damit sie ganz könnten in Einen Leib zusammengehn mit ihren Brüdern aus den Heiden. Darum wurde er von seinem Volke verfolgt, als ob er das Volk lehrte, abzugehen von dem Gesetz, das er doch selbst hielt, so oft er in dem Lande seines Volkes war. Es kamen ihm also seine Leiden aus derselben Quelle, aus welcher dem Erlöser die seinigen gekommen waren, und insofern diese so gut wie jene aus der Widersetzlichkeit des Volkes des Alten Bundes gegen den her|kamen, in welchem allein alle Verheißungen, die Gott ihm gegeben, in Erfüllung gehen sollten: so konnte er wol seine Leiden mit den Leiden Christi vergleichen. Und wol konnte er auch sagen, daß er an seinem Fleisch leide für den Leib Christi, welcher ist seine Gemeine. Denn es wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht die Heiden auch wären hinzugeführt worden, daß jemals das Reich Gottes recht wäre begründet worden, und also daß es auch jemals wäre recht erbaut worden. Wie die ersten Christen aus dem 1–3 Vgl. Joh 10,16

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jüdischen Volke sich immer noch dachten einen allzuengen Zusammenhang zwischen dem Bunde, den Gott gemacht mit dem Volke in jenen Tagen, als er sie errettete aus der Aegyptischen Knechtschaft, und den Verheißungen, welche sie in den Schriften der Propheten fanden: so wäre, wenn es dabei immer geblieben wäre, und wenn Alle, welche in das Reich Gottes aufgenommen werden wollten, erst hätten durch das Judenthum hindurchgehen müssen, um als Kinder Abrahams erst der Segnungen des Messias theilhaftig zu werden, so würde niemals das rechte Wesen des Reiches Gottes zu Stande gekommen sein, niemals wäre das rechte Gefühl der allgemeinen Gnade Gottes in Christo erweckt worden, niemals die Gleichheit aller Sünder vor Gott erkannt worden, und also auch nicht Gott und Christus so gepriesen, wie es die Natur der Sache mit sich brachte. Darum konnte er mit voller Ueberzeugung sagen, was er litte an seinem Fleisch, das litte er für den Leib Christi, welcher ist die Gemeine, und konnte seine Leiden vergleichen mit den Leiden Christi, weil sie auch ihren Grund hatten in der Widersetzlichkeit der Menschen gegen die Verkündigung, wie sie Christus begonnen hatte, und wie sie an Alle kommen sollte. Aber nun werden wir auch sagen, wie herrlich wir den Apostel verstehen, wenn er sagt, er freue sich in seinem Leiden, das er für sie leide, und wenn er dieser Gemeine sagt, daß er für sie leide, mit welcher er doch, wie der ganze Zu|sammenhang des Briefs lehrt, in gar keinem unmittelbaren Verhältniß stand, für welche er unmittelbar nichts gethan hatte, die bisher unmittelbar noch nicht in dem Kreise seiner Thätigkeit für das Evangelium gestanden hatte, und aus der Verbindung mit welcher ihm nichts Uebles zugeflossen war. Aber freilich verstehen wir das Erste nur recht aus dem Letzten. Er sagt ihnen, er litte für sie, ungeachtet er in unmittelbarer Beziehung mit ihnen nicht stand; aber er sagt es doch ohne weitere Erklärung und war überzeugt, daß sie es doch verstünden. Damit spricht er nun aus die enge Gemeinschaft, welche unter allen Christen statt finden soll; wie wir Alles mit Allen sollen gemein haben, so wie er das sagt von den Gaben des Geistes, daß sie nicht den Einzelnen angehören, auch denen nicht, welchen die Kräfte angehören, auch denen nicht ausschließlich und besonders, welche den begabten Werkzeugen unmittelbar nahe wären; sondern wie alle Gaben gerichtet sind auf den gemeinsamen Nutzen: so dachte sich der Apostel auch solchen genauen Zusammenhang im ganzen Reiche Gottes, daß jeder sich Alles zuschreiben kann. Nun wird uns überall das Leiden Christi zugleich dargestellt als sein Gehorsam, durch welchen Gehorsam er eben im Stande gewesen sei, alle die zu vollenden mit Einem Opfer, die da geheiligt sind. Und auch von dieser Seite konnte der Apostel seine Leiden mit den Leiden Christi vergleichen, denn sie waren auch ihm ein Werk des Gehorsams. Ihm war dieses Predigtamt auf besondere Weise von Gott an30–34 Vgl. 1Kor 12, bes. 4–7

37–39 Vgl. Hebr 10,14; ferner 10,10

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vertraut, und er sagt anderwärts, er müsse Christum verkündigen, er möge es gern thun oder nicht; und so stellt er denn seine Verkündigung des Evangeliums als einen Gehorsam dar, dem er sich nicht entzog, und so war denn sein Leiden um des Evangeliums willen ein Leiden aus dem Gehorsam, wie | das Leiden Christi. Dieser Gehorsam aber war es, kraft dessen er ein solches auserwähltes Rüstzeug Gottes war und blieb; er war das, aus welchem sich alle andern Gaben entwickelten, und war also ein gemeinsames Gut für Alle; und so konnte er allen Christen sagen, daß er für sie litte, zunächst freilich denen, wie es bei dieser Gemeine auch der Fall war, die vorzüglich aus den Heiden waren, aber er konnte es auch denen sagen, welche mit ihm zu demselben Volke gehörten, eben deswegen, weil erst durch seine Art, das Evangelium zu predigen, alle Vorurtheile in seinem Volke überwunden werden konnten, und die Christen aus seinem Volke erst dadurch zu dem freien und frohen Genuß der Gnade Gottes in Christo gelangen. So geht es denn nicht auf diese besondere Gemeine, sondern auf den ganzen Leib Christi, wenn der Apostel sagt, er litte für sie. Und wenn er nun sein Leiden so ansah: wie hätte er dann nicht sagen sollen, daß er sich dessen freue; daß er sich freue, gewürdigt zu werden, in der Aehnlichkeit mit Christo zu leiden, und einen Theil von dem Leiden zu tragen, was gelitten werden mußte, ehe das Evangelium in seiner ganzen Herrlichkeit und Weisheit klar vor den Menschen ins Licht trat. Dazu etwas beizutragen, das ist ja wol das herrlichste Loos für jeden Menschen; und insofern nun alles Leiden immer auch ein Thun ist: so konnte und mußte der Apostel sich seines Leidens eben so freuen, wie aller der Thaten, welche der Geist Gottes durch ihn in dem Reich Gottes und für dasselbe verrichtete. Wenn wir, m. a. Fr., hiervon auf uns selbst zurücksehen: was sollen wir sagen? Die Zeiten des Leidens um Christi willen sind vorüber. Das Reich Gottes ist befestigt; der Name des Erlösers ist ein Gegenstand der Verehrung geworden an allen Enden der Erden, und kaum kommt es noch irgend wo als seltene Ausnahme vor, daß irgend jemand etwas zu leiden hat um Christi willen. Aber freilich werden wir es natürlich | finden, daß eben deswegen, weil wir bei den Jüngern des Herrn eine solche Freudigkeit finden bei dem, was sie um Christi willen leiden mußten, oder vielmehr, leiden durften; weil, wenn wir von ihnen zurücksehen auf uns, auch wir nicht umhin können, die ganze Zeit ins Auge zu fassen, jene ersten Jahrhunderte der Leiden und Trübsale, wo es noch Vieles um Christi willen zu leiden gab, – ich sage, wir müssen es natürlich finden, daß noch immer in den Christen ein Verlangen entsteht, sie möchten auch gewürdigt werden, um Christi willen zu leiden, und dann das sich oft so äußert, wie es nicht zu wünschen wäre, nämlich daß wir uns gar zu leicht einbilden, es sei irgend etwas ein Leiden um Christi willen, was es doch nicht ist. Es gibt aber, um 1 Vgl. 1Kor 9,16

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uns von diesem Irthum frei zu machen, und nicht Leiden, die ihren Grund haben in einem unverständigen Eifer, nur darin, daß wir dies oder jenes auf eine solche Weise überschätzen, was mehr, daß ich so sage, zu den Außenwerken der christlichen Gemeinschaft gehört, als daß es das Wesen derselben ausmachte, – damit wir davon frei bleiben, gibt es Ein Mittel, nämlich wenn wir uns sagen können, daß das, was es auch immer sei, warum uns Leiden treffen, daß die Handlungen oder die Handlungsweise in unserm Leben, wodurch wir zu solchen Leiden gelangen, vollkommen in der Liebe, durch welche der Glaube thätig ist, ihren Grund haben; wenn wir uns vollkommen sagen können, daß wir bei Allem, was wir gethan haben, niemals uns selbst im Auge gehabt, daß wir auch niemals in leidenschaftlichem Eifer gegen unsere Brüder entbrannt sind, daß wir niemals gesonnen gewesen sind, uns von denen zu trennen, mit welchen wir doch vereinigt sind durch das Bekenntniß desselben Namens; wenn wir so vollkommen uns das Zeugniß geben können, daß unsere Liebe durch nichts geschwächt gewesen sei, und es treffen uns dann Leiden: dann mögen wir sagen, es treffen uns Leiden um Christi willen. Und allerdings, wie damals die meisten Leiden ihren | Grund hatten in dem Mißverständniß der Verkündigung des göttlichen Wortes: so ist es und bleibt es freilich noch zu allen Zeiten möglich, daß aus Mißverständniß in der Gemeine des Herrn solche Veruneinigungen entstehen, welche Leiden veranlassen. Aber so weit, wie es jetzt gekommen ist, m. a. Fr., müssen wir freilich sagen, es gibt keine Leiden um Christi willen für die, welche mitten in der Christenheit leben und nicht etwa an den Grenzen derselben; für uns in der Mitte der Christenheit gibt es keine Leiden um Christi willen mehr, indem in Allem, was wir so ansehen, etwas Sündliches zum Grunde liegt, das nicht seine Wurzel hat außerhalb der Gemeine des Herrn, sondern es muß sie haben innerhalb derselben. Nun soll aber das Licht des Evangeliums immer heller unter uns leuchten, es sollen immer mehr alle Mißverständnisse aus dem Wege geräumt werden, es soll immer mehr unmöglich werden, daß wir anders als in der Liebe und durch die Liebe mit einander die Wahrheit suchen, und also soll auch unter uns es gar kein solches Leiden mehr geben, was sich mit irgend einem Schein der Wahrheit als ein Leiden um Christi willen darstellen ließe; und so oft uns daher ein Leiden so erscheint: muß uns das eine Veranlassung geben, zurückzusehen auf den Zustand unseres Gemüths, um zu sehen, worin der Grund davon liegt, daß es noch etwas gibt, was so aussieht, wie Leiden um Christi willen. Aber dagegen bleiben wir immer Genossen der Freude mit denen, welche um Christi willen gelitten haben, und wie in dem Apostel die Freude, daß er zu leiden hatte in der Aehnlichkeit mit den Leiden Christi für die Gemeine, so wie bei ihm diese Freude etwas Herrlicheres und Größeres war, als das Leiden selbst: so können auch wir, indem wir 8–9 Vgl. Gal 5,6

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in die Vergangenheit zurücksehen, uns von Herzen mitfreuen über die Kraft und den Heldenmuth des Glaubens, über diese Beharrlichkeit in dem Dienste des göttlichen Wortes, woraus alle diese Leiden den Verkündigern erwuchsen; und diese Freude soll uns | ein Stärkungsmittel werden in allem dem, was wir, wenn nicht mehr leiden, doch thun können für den Leib Christi, welcher ist seine Gemeine. Das Zweite nun ist, was der Apostel sagt von „dem Geheimniß, welches verborgen gewesen von der Welt her und von den Zeiten her, nun aber ist geoffenbaret worden seinen Heiligen, welchen Gott es hat kund thun wollen.“ Was denn, m. a. Fr., ist dieses Geheimniß, wovon der Apostel hier redet? Er erklärt es selbst, indem er sagt, es ist Christus unter euch den Heiden; Christus, der auch euch, den Heiden, geworden ist die Hoffnung der Herrlichkeit. Das ist nicht nur hier, sondern öfter in den Briefen des Apostels die Art, wie er sich ausdrückt über dieses gleiche Recht der Heiden an den Wohlthaten der Erlösung, daß er es darstellt als ein Geheimniß, welches verborgen gewesen wäre von den Zeiten her und nun erst offenbar geworden. Allerdings läßt auch der ganze göttliche Rathschluß der Erlösung durch Christum sich ansehen als ein solches Geheimniß, welches verborgen gewesen; es hängt aber auf der andern Seite zusammen mit dem Alleroffenbarsten in dem Bewußtsein der Menschen, mit dem Bewußtsein der Sünde. Wo dies unter den Menschen war, indem sie doch von einem höhern Wesen und seiner Nähe und einem Willen desselben irgend eine Erkenntniß und Ahndung hatten: da mußte auch nothwendig sein das Bewußtsein, daß sie einer Hülfe bedürften, um aus diesem Elend herauszukommen, und daran knüpft sich für Alle die Verkündigung, daß in Christo der erschienen sei, welcher diese Hülfe leisten werde; und indem sich dies anknüpfte an das in den Menschen Offenbare: so war es auch ein Offenbares. Aber auf besondere Weise war es schon lange offenbar gewesen in allen jenen Andeutungen und Winken der Propheten von einem künftigen Heil, – Andeutungen, welche der Erlöser selbst und seine Jünger auf ihn und seine Sendung bezogen; aber anders war | das nie aufgefaßt worden von denen, welchen diese Offenbarung Gottes anvertraut war, als nur in Beziehung auf sie selbst und ihre Nachkommen. Die Allgemeinheit der Erlösung, die für Alle ohne Unterschied verheißen war, war ihnen verborgen geblieben, so verborgen, daß, als es nun offenbar wurde, als die Fülle der Heiden anfing einzugehen, sie es nicht begreifen konnten, sondern es für Ungerechtigkeit hielten, welche dem Volke des Bundes entziehen wollte, was ihm allein gegeben war. Wegen dieser allgemeinen Verblendung und dieser daraus hervorgehenden Feindschaft gegen die Verkündiger des Evangeliums unter den Heiden 2–3 Statt „Beharrlichkeit in dem Dienste des göttlichen Wortes“ heißt es bei SAr 99, Bl. 21v „Beharrlichkeit der That, und Herrlichkeit des göttlichen Wesens“. 35 Vgl. Röm 11,25

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nennt der Apostel dieses das Geheimniß, welches nun erst offenbar geworden. Aber wir mögen wol sagen, so lange das verborgen war, war auch das eigentliche Wesen der Erlösung verborgen, und von diesem Gesichtspunkt meint er es auch, indem er sagt, das ganze Wesen der Gnade, daß sie Alle, wie sie in der Sünde gleich wären, sollten in der Erlösung gleich sein, sei ein verborgenes Geheimniß gewesen. Wir, m. a Fr., und unsere Vorfahren seit einer Reihe von Jahrhunderten sind auch Kinder dieses Geheimnisses; wir gehören auch zu denen, welche in ihren Vorfahren fern waren von dieser Verheißung, aber hinzugebracht sind durch den, der jede Scheidewand zwischen den verschiedenen Geschlechtern und Stämmen der Menschen niedergerissen hat. Christus unter uns ist also auch die Offenbarung dieses Geheimnisses, Christus unter uns, wie der Apostel hier sagt, die Hoffnung der Herrlichkeit. Nun aber ist das Geheimniß auch jetzt noch nicht überall unter uns erkannt; nun gibt es auch jetzt noch engere Auffassungen der Erlösung, engere Vorstellungen von der Art der Freiheit der Kinder Gottes, und immer ist noch mehr von diesem Geheimniß zu offenbaren, immer noch etwas zu erklären, immer noch können wir sagen, es ist noch nicht | ganz erschienen, was wir sein werden, noch nicht ganz erkannt, was wir sein sollen. Wie nun der Apostel sagt, darum ermahne er alle Menschen und lehre alle Menschen mit aller Weisheit, auf daß dargestellt werde ein jeglicher Mensch vollkommen in Christo Jesu; daran arbeiteten alle Verkündiger des Evangeliums, daran arbeite und ringe auch er nach der Kraft der Gnade Gottes, die ihm verliehen sei: so soll auch unter uns dieses Geheimniß immer deutlicher anerkannt werden, unter uns auch jede Scheidewand, welche die, so dem Erlöser angehören, trennen will, niedergerissen werden; aber das kann nur geschehen, indem der Mensch vollkommen dargestellt wird in Christo Jesu, indem wir nicht aufhören, einander zu lehren und zu ermahnen in aller Weisheit. Wenn das Geheimniß Gottes, welches jetzt nun offenbar geworden ist, immer noch für Viele seine dunkle Seite hat, wenn es noch Christen gibt, die einen engern Raum abschließen wollen als den eigentlichen Wohnsitz der göttlichen Gnade, und es nicht anerkennen, wie viele Menschen von aller Art der Gnade Gottes in Christo theilhaftig geworden sind, die die verschiedenen Gestaltungen derselben nicht wollen gelten lassen: was können wir Besseres thun, um auch durch unsere Hülfe und unseren Dienst das Geheimniß Gottes klar zu machen, als wenn wir unter uns den Menschen das Geheimniß Gottes vollständig darzustellen suchen in Christo Jesu; denn wo alle Früchte der Erlösung wahrzunehmen sind: da kann doch an der wahren Theilnahme an derselben nicht gezweifelt werden. Und so sind wir denn Alle zu demselben Werk berufen, wozu der Apostel berufen war, und können auch an seiner Freude Theil nehmen. Lasset uns nur unter einander 10–11 Vgl. Eph 2,14

18–19 Vgl. 1Joh 3,2

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Am 22. August 1830 früh

nicht aufhören, uns zu ermahnen und zu reizen zu allen guten Werken, durch welche der vollkommene Mensch in Christo Jesu sich kund gibt, damit aller Welt erscheine, daß es der rechte Glauben ist, der sich in uns thätig | erweist durch die Liebe und in der Liebe. Dann werden wir auch immer mehr erkannt werden als zu dem wahren Leibe Christi gehörig, und indem sein Bild sich immer vollkommener in uns darstellt: so wird auch jeder zugeben müssen, daß in uns sei Christus die Hoffnung der Herrlichkeit! Amen Lied 32, 2–3.

8 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 32: „Herr, vor deinem Angesicht“ (Melodie von „Liebster Jesu, wir sind hier“)

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Am 29. August 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

12. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Eph 4,11–12 Nachschrift; SAr 94, Bl. 179r–184v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Drucktext Schleiermachers; Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung) 1831, S. 120–146 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 692–709; 21843, S. 692–709. – Predigten. Sechste Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 105–128. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 63–78. – Kleine Schriften und Predigten, Bd. 3, ed. Gerdes u. Hirsch, 1969, S. 90–107 7. Augustana-Predigt

29. August Lied 47 315.

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Tex t . Eph. IV, 11, 12. „Und er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche aber zu Propheten, etliche zu Evangelisten etliche zu Hirten und Lehrern, daß die Heiligen zugerichtet werden zum Werk des Amts dadurch der Leib Christi erbauet werde.“ M. a. Fr! Das, was wir eben mit einander gesungen haben und diese Worte des Apostels stehen auf den ersten Anblick in einem sonderbaren Wider3 Eph. IV,11,12.] IV,11,12. 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 47: „Halleluja, Lob, Preis und Ehr’“ (Melodie von „Wie schön leucht’t uns der Morgenstern“); Nr. 315: „Uns bindet, Herr, dein Wort zusammen“ (Melodie von „Mein Jesu, dem die Seraphinen“) 8–5 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 315: „Uns bindet, Herr, dein Wort zusammen“ (Melodie von „Mein Jesu, dem die Seraphinen“), Strophen 2–5: „Der Glaubensgrund, auf dem wir stehen, ist Christus und sein theures Blut; das einz’ge Ziel, worauf wir sehen, ist Christus, unser höchstes Gut. Die einz’ge Regel, die wir kennen, ist sein lebendig kräftges Wort; nach keinem Mann, nach keinem Ort soll je sich die Gemeinde nennen. // Was für ein reich beseligt Leben, mit Gott und seinem heilgen Geist durch Christum in

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spruch. Unser Gesang drückt aus das freudige, volle Bewußtsein des Antheils an dem göttlichen Geist, dessen sich alle Christen erfreuen, der seligen Gemeinschaft, zu der sie vereinigt sind unter dem Schirm und der Leitung des göttlichen Wortes, welches in ihnen allen lebendig geworden ist, zu einem wahren geistigen Leben. Wenn wir dies nun Alle haben und haben sollen, wenn das für uns alle und in uns Allen eine theure Wahrheit ist, welches wir gesungen haben, wenn wir uns so untereinander begrüßen, so oft wir uns sehen, am meisten aber, wenn wir uns hier versammeln als Glieder dieser Gemeinschaft: so müssen wir glauben, was der Apostel in den Worten unsers Textes sagt, das sei vielleicht und gewiß eine weise Einrichtung gewesen für jene ersten Zeiten der christlichen Kirche, daß sie aber jetzt noch von Nutzen sei und heilsam, das scheine sich mit jenem Bewußtsein nicht so zu reimen. Wozu Apostel und Propheten, wenn in uns Allen das göttliche Wort lebt? wozu Evangelisten wenn wir uns aus dem geschriebenen Worte Gottes das Leben des Erlösers und sein ganzes heiliges Bild überall vergegenwärtigen? wozu Hirten und Lehrer, wenn alle des Geistes theilhaftig sind, der Allen die Leuchte ist auf ihrem Wege, – wenn Alle durch denselben von Gott gelehret sind, wie der Herr das vorher sagt, als die ganze volle Herrlichkeit des Neuen Bundes? Aber das Bekenntniß, welches am Anfang unsrer kirchlichen Vereinigung abgelegt ist, und womit wir uns diese Zeit über bis jetzt beschäftigt haben, stellt sich auf die Seite des Apostels. Es ordnet an, daß es geben müsse in der Gemeinde einen regelmäßigen Dienst des göttlichen Wortes, ein Amt der Hirten und Lehrer, und wer nicht auf die gehörige und ordentliche Weise in dies Amt berufen sei, der solle und dürfe auch nicht öffentlich das Wort Gottes verwalten oder die heiligen Sakramente der Kirche austheilen. So lasset uns denn m. a. Fr! mit einander überlegen, wie es um den Werth dieser | Anordnung auch noch jetzt in der christlichen Gemeinschaft steht in Beziehung auf jenen Besitz des göttlichen Geistes, auf jene freie lebendige Gemeinschaft in derselben, auf jenes zusammen gebunden sein durch das göttliche Wort, dessen wir uns alle erfreuen! Aber indem diese Ordnung in jenen Tagen Gemeinschaft schweben, und haben, was er uns verheißt! Was glühen da für sel’ge Triebe! hier schüttet in sein geistlich Haus Gott seine Gnadenfülle aus; hier wohnet er, die ewge Liebe! // Ja, uns liebt Gott als seine Kinder, schenkt uns den Geist, der Vater! schreit; des Sohnes Treue schmückt uns Sünder mit ewiger Gerechtigkeit. Und tritt der Geist mit seinem Oele des Friedens und der Freud’ hinzu: o, dann erquickt uns Trost und Ruh, und neue Kraft stärkt Leib und Seele. // Die sich nach Einem Meister nennen, stehn Alle auch für Einen Mann; vergebens will der Feind sie trennen; in Einem greift er Alle an. Sie fallen betend Gott zu Füßen, und siegen in des Heilands Kraft; denn er will von der Brüderschaft der Heilgen auch nicht Einen missen.“ 17 Anspielung auf Ps 119,105 17–18 Vgl. Joh 6,45 (darin Jes 54,13) in Verbindung mit 14,26 22–23 Vgl. CA V, Die drey ökumenischen Symbola S. 24f; BSLK S. 58,1–7 24– 26 Vgl. CA XIV, Die drey ökumenischen Symbola S. 31; BSLK S. 69

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aufs Neue, als der Ueberzeugung auch der jungen, eben entstehenden Kirche gemäß, abgelegt wurde, so wich sie doch zugleich ab von der Gestalt, welche dieses Amt der Hirten und Lehrer damals im Allgemeinen hatte, und das wird denn das Andre sein, wovon wir uns, um die eigenthümliche Gestaltung dieses Amtes in unserer Kirche recht zu verstehen, werden unterreden müssen. 1. Zuerst also, m. g. Fr! lasset uns fragen, weshalb ist auch jetzt noch ein solch’ ordentliches Amt der Hirten und Lehrer auch in unsrer Kirche eingesetzt und für nothwendig erklärt? Ich sage ausdrücklich das Amt der Hirten und Lehrer, indem ich dasjenige beseitige, was der Apostel vorher sagte. Der Name der Apostel ist in der christlichen Kirche untergegangen, nach jenen ersten Tagen derselben; außer den zwölfen, denen der Herr selbst wegen ihres innigen Verhältnisses zu ihm und wegen des ihnen vorzüglich anvertrauten Berufs diesen Namen seiner Ausgesandten gegeben, theilten nur noch wenige, theils auf besondere Weise berufene, theils vor allen ausgezeichnete Lehrer und Verkündiger des göttlichen Worts, diesen Namen; aber die waren noch Zeitgenossen der Apostel und keiner hat seitdem gewagt, sich denselben anzumaaßen, sondern er steht da in unserer Geschichte als ausgezeichneter Name derer, welche sich dieser besondern Gnade Gottes, theils in dem unmittelbaren Umgang mit dem Erlöser oder im unmittelbar von ihm ausgegangenen oder ihm zugeschriebenen Berufe und für seinen Dienst erfreuten. Wie der Apostel hier auf die Apostel die Propheten und Evangelisten folgen läßt, so waren jene ersten solche, welche vom Geist des Herrn getrieben, durch ihre Verhältnisse an keinen bestimmten Ort gebunden, hier und dort in den christlichen Gemeinden in den öffentlichen Versammlungen das Wort der Schrift erklärten, und wie es heißt bewiesen, überzeugten, daß Jesus sei der Christ, daß in ihm die göttlichen Verheißungen in Erfüllung gegangen, daß auf ihm das Reich gebaut sei und noch gebaut werde, welches die Pforten der Hölle nicht überwältigen werden. Und die, welche Evangelisten genannt werden, das waren solche, welche ebenfalls als Begleiter und Gehülfen der Apostel an keinen bestimmten Ort gebunden, es sich zu einem | erfreulichen und für die angehende Kirche heilsamen Geschäfte machten, was sie gehört aus dem Leben des Erlösers von denen, welche noch Augenzeugen gewesen waren, zu sammeln in ihrem Gedächtnisse und es den Christen zur Erbauung mitzutheilen. Den Erzählungen solcher, wie sie schriftlich verfaßt waren, verdanken wir großentheils unsre Evangelien und haben an diesem Schatz genug, – denn für 1 auch] auf

3 welche] welches

27–28 Vgl. Apg 9,22; 18,28

4 wovon] woran

30 Vgl. Mt 16,18

22 seinen] seine

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hinreichend hat die christliche Kirche, als sie die Sammlung unsrer heiligen Schrift geschlossen, sie stillschweigend erklärt, – an diesen haben wir hinreichend, um uns das Bild des Erlösers aus jenen ersten Zügen zu vergegenwärtigen, und wer noch etwas hinzuthun wollte, würde Gefahr laufen, von dem Eigenen zuzumengen, und dieses heilige Bild eher zu trüben, als es in hellerem Glanze darzustellen. So waren die Apostel für die erste Kirche, so waren die Evangelisten und Propheten, bis sie sich vollkommen ausgebildet hatte, in der Verbindung mit verschiedenen Gemeinden und bis der Anfang gemacht war mit der Sammlung der Schriften des Neuen Bundes. Aber die Hirten und Lehrer, die Aeltesten und Diener, sind von dem ersten Anfang der Kirche geblieben, und so hat denn auch die evangelische Kirche dies Amt nicht stören wollen, sondern es in seiner Heilsamkeit, aber nur in so fern es einer regelmäßigen Ordnung unterworfen wäre, anerkannt. Wenn wir freilich hinsehen auf das, was der Erlöser selbst aus den Worten der Propheten als das unterscheidende Zeichen des Neuen Bundes von dem Alten darstellt, daß nämlich keiner wird nöthig haben, daß seine Brüder ihn lehren, sondern daß alle werden von Gott gelehret sein, – das, m. th. Fr! stellt uns ein solches Ziel der Vollkommenheit vor Augen, wobei wir eines solchen besondern Amtes sollen entbehren können. Demungeachtet hat es die evangelische Kirche nicht zeitig genug geglaubt erklären zu müssen, daß sie diese Ordnung so nicht gerade wie sie damals war, aber so wie sie von den Aposteln des Herrn gesetzt ist und ursprünglich in der Kirche eingerichtet gewesen, auch unter sich bewahren wollte. Lasset uns nun zuerst fragen, thut das denn irgend einen Eintrag, was wir Alle als uns gebührend in Anspruch nehmen, sollen, nämlich, so wie wir Theil haben an dem göttlichen Geist, so wie das Wort Gottes unter uns Allen lebt und waltet, so auch alle von Gott gelehrt sein? Nein, m. t. Fr! keines weges soll dies aufgehoben werden und es ist auch wahrlich nicht die Art, wie die Diener des göttlichen Worts in den christlichen Gemeinden auftreten; es nicht der Sinn, in welchem sie | diesen ihnen übertragenen Beruf verrichten, als ob sie ihre Brüder in Christo etwas Neues lehren wollten, was sie nicht schon wüßten. Wenn unsre Jugend in den Tagen der Kindheit zuerst von ihren Eltern vorbereitet wird, das Bewußtsein des höchsten Wesens, als des Alles Ordnenden und über alles Waltenden in ihren zarten Gemüthern zu erwecken, wenn sie aufmerksam gemacht werden auf alle Theile der menschlichen Gebrechlichkeit und menschlichen Verderbens, wenn dann ihnen zeitig das reine und unbefleckte Bild des Erlösers vorgehalten wird, auf daß eine zarte Liebe im voraus in ihren Herzen entstehe, – wohlan! so liegt es in der Natur unsers Verhältnisses und unsers ganzen Lebens, daß 14–17 Vgl. Joh 6,45 (darin Jes 54,13) 19–23 Vgl. CA XV, Die drey ökumenischen Symbola S. 32; BSLK S. 69,15–70,1; ausführlich im Blick vor allem auf das Bischofsamt CA XXVIII, Die drey ökumenischen Symbola S. 95–119; BSLK S. 120–133

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die wenigsten christlichen Eltern vermögen, dies eben so fortzusetzen, als sie es begonnen haben, den christlichen Sinn zur vollen Klarheit und zur Reife zu bringen, wie sie allerdings immer den ersten Grund dazu legen. Wo ein gemeinsames Bedürfniß ist, da muß auch eine gemeinsame Anstalt sein, demselben abzuhelfen, überall, wo es ein heiliges Band der Liebe und Gemeinschaft giebt. So laßt uns dieses ins Auge fassen als das erste Werk, was den Hirten und Lehrern der Gemeinde obliegt, daß sie diesen von den Eltern angefangenen Unterricht von dem Wesen des Christenthums fortsetzen müssen, daß sie das Bedürfniß des Heils und der Erlösung in den jungen Gemüthern zum Bewußtsein bringen, daß sie sie üben in dem Verständniß der Schrift, auf daß Wahrheit werde das Wort Gottes in ihren Herzen. Wenn dann dies Geschäft vollendet ist, wenn es so vollendet ist, wie es immer sollte vollendet werden unter dem Segen Gottes, wenn wir unsere Jugend aufnehmen in die Gemeinschaft der Christen, – wol wäre zu wünschen, daß es in einem etwas reiferen Alter geschähe, als es die äußern Umstände oft gestatten! – dann sollen diese auch solche sein, welche von Gott gelehret werden. Denn das Wort Gottes wird ihnen gegeben zu ihrem eigenen Gebrauch, sie sind in der rechten Art und Weise desselben unterrichtet worden, sie sind in dem Verständniß desselben geübt, und so sollen und können sie von Gott gelehret sein und darum können sie immer mehr das Bewußtsein der seligen Gemeinschaft, durch welche wir mit einander verbunden sind, erwecken, und aus dem Gesichtspunkt dieser Gemeinschaft das ganze Leben in seinen äußern Verhältnissen betrachten und behalten. Wenn wir uns nun fragen, ob wir verlangen können, daß | sie das Alles leisten ohne irgend eine weitere Anleitung, so wird uns bange sein wenn sie sollten ganz für sich allein auf dies oft so tobende und so stürmische Meer des menschlichen Lebens hinausgesetzt werden, wenn es ihnen ganz überlassen bleiben sollte, so oft es ihnen Noth thut, zu dem Worte des Lebens zurückzukehren, um neue Kraft des geistigen Lebens zu sammeln. Aber auch wir andre, wir Erwachsene in der Gemeine, fühlen wir nicht Alle das natürliche Bedürfniß der Gemeinschaft? liegt es nicht in der Natur der Menschen, sich auszusprechen gegenseitig, besonders über Alles, was uns wichtig ist? würden wir uns selbst genügen wenn wir nicht hätten das Bewußtsein der Gemeinschaft mit dem Erlöser, oder, was natürlich damit zusammenhängt, wenn nur in gemeinsamen Thaten und Werken der Gottseligkeit sich das Band der Gemeinschaft erwiese? Nein! auch im Wort, in der lebendigen Rede, in der gegenseitigen Mittheilung durch das, was in dem Herzen lebt, wollen wir uns unserer Gemeinschaft bewußt werden und fühlen uns eben dadurch in ihr und in dem, was sie bezweckt, gefördert. Aber ist Jeder gleich geschickt, das, was wirklich Allen eigen, auszusprechen? kann in einer so großen Gemeinde jeder sich zumuthen, aufzutreten, um auch seine Ansicht von der christlichen Erfahrung, von diesem oder jenem

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Stück des Glaubens, so daß es allen lehrreich wäre und heilsam mitzutheilen? Ja, wenn wir getheilt wären in lauter kleine, wenig zahlreiche Gemeinschaften, ja, wenn wir Alle, so wie es nur Wenigen vergönnt ist, erhoben wären über die oft so drückenden Sorgen des äußern, irdischen Lebens, ja wenn unter diesen Allen genug könnten geweckt und gebildet werden zu einer freien Mittheilung durch das Wort, – dann, m. t. Fr! möchte es so sein! Aber weder können wir uns solche Vollkommenheit anmaßen, noch möchte es der übrigen Gestaltung des Lebens angemessen sein, daß während wir in Beziehung auf das bürgerliche Leben in einer Gemeinschaft von Millionen stehen, wir für diese Angelegenheiten des Herzens so sollten ins kleine zersplittert werden. Darum, wo eine solche Ungleichheit ist in den meisten Stücken des Lebens, wo eine große Gemeinschaft ist, da muß auch dies bedeutende und heilige Mittel, die Gemeinschaft zu unterhalten, nur Einigen übertragen sein und auf bestimmte Weise geordnet. Das, m. a. Fr! war der Grund, warum – dem Himmel sei Dank! – diese Ordnung gleich von Anfang an in unsrer evangelischen Kirche festgehalten wurde. Denn es fehlte in jener Zeit einer großen geistigen | Aufregung nicht an solchen, welche dieses verschmähten, und darauf allein, daß jeder von Gott gelehret sei, sich stützten, daß jeder von den Gliedern der Gemeinde diese solle erbauen können. Aber eben in Zeiten einer so großen Aufregung überfliegt gar zu leicht das menschliche Herz das richtige Maaß und darum war es ein schönes Werk des göttlichen Geistes, die Gemüther derer, welche diese Gemeinschaft begründet, zu solcher Besonnenheit zu erheben, daß sie diesem stürmischen Anlauf nicht nachgaben, sondern die gute, und alte und ursprüngliche Ordnung festhielten. Wenn der Apostel in den Worten, welche wir vorher in unserer heutigen Sonntagsepistel vernommen haben, von diesem Amt der Hirten und Lehrer, – denn er redet zwar von sich, aber doch in Beziehung auf dieses Amt der Lehrer, welches Eins und dasselbe ist für Alle, wenn er von diesem sagt, es sei ein Amt, welches den Geist theile, so meint er damit allerdings, wie er sich anderwärts äußert: der Glaube kommt aus der Predigt, und der Geist kommt aus dem Glauben, die Predigt aber geht nur von denen aus, die des Geistes theilhaftig sind und ist das Werk des Geistes selbst, der ist es, der sich selbst theilet und verbreitet durch das Wort; – aber ihr werdet wohl gemerkt haben, daß er das keines weges so sagt, als sollte das Wort den Geist mittheilen denen, welche schon Glieder der Gemeine wären, – denn von diesen wußte er, daß sie den Geist 24 nachgaben] nachgeben 25–26 Die Perikopenordnung für die älteren preußischen Lande sah für den 12. Sonntag nach Trinitatis als Epistellesung vor 2Kor 3,4–11; diese Textangabe findet sich auch als sekundäre Randnotiz des Textzeugen. 29 Vgl. 2Kor 3,8 30–31 Vgl. Röm 10,17

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schon empfangen hatten, – sondern er vergleicht nur hier den Neuen Bund mit dem Alten, das Amt, welches den Geist mittheilt, mit jenem Amt des Priesterthums aus dem Alten Bunde von dem er sagt, daß sein ganzes Wesen in Stein gegraben wäre als todter Buchstabe und darum auch das Leben nicht hätte erwecken können, sondern todt bliebe. So ist es also nicht ein solcher Unterschied, den wir damals gesucht haben aufzurichten und festzuhalten, als ob die, welche zu diesem Amt berufen wären, gleichsam Eigenthümer wären und Besitzer des Geistes für sich allein, und als ob die andern durch sie ihn nur empfingen. – Nein! sondern wie der Geist lebendig ist, wo das wahre Bekenntniß Christi ist, wie der Apostel anderswo sagt, wer Christus einen Herrn nennt, und das thun alle die, die aufgenommen werden als Glieder der Gemeinde, der thut es durch den heiligen Geist. Aber was dieser Geist in den Herzen wirkt, wie er sich ausgesprochen hat in den ältesten | Worten der Apostel und Lehrer, dies kund zu geben, dies aufs Neue lebendig zu machen in den Gemüthern, dazu die schönen Stunden der Ruhe und der Sonderung von den Geschäften des äußern Lebens zu einer neuen Verklärung des Innern zu benutzen, – das ist dies schöne, dies gesegnete und erfolgreiche Amt der Hirten und Lehrer. 2. Aber nun, m. g. Fr! lasset uns auch zweitens sehen, wie, indem dies aufs Neue aufgerichtet wurde, damit nach den Worten des Apostels Gott nicht sei ein Gott der Unordnung, sondern ein Gott der Ordnung und des Friedens in der Gemeinde der Heiligen, wie dies damals gleichsam aufs Neue anerkannt wurde, so wichen wir doch zugleich ab von der Art und Weise, wie es damals in der Kirche, von welcher die Neue Kirche ausging, gestaltet war. Lasset uns, m. a. Fr! nicht weitläufig werden über die den meisten von uns doch bekannten großen Verderbnisse über das viele und mannigfaltige Unheil, welches die unrichtige Gestaltung dieses heiligen Amtes in der christlichen Kirche hervorgebracht hat, – Verirrungen und Verderbnisse durch welche die Welt zerrissen worden war, alle Grundsätze des öffentlichen Wohls und der göttlichen Ordnung zerstört, alle Gewissen auf der einen Seite verwirrt, und auf der andern unter tyrannische Gewalt gebeugt, – Verwirrungen, auf welche die Gemüther derer gerichtet waren, welche die Gemeinde Gottes wiederherstellen wollten in ihrer ursprünglichen Gestalt, freilich nicht ohne Flecken und Makel, – denn das wird sie in diesem menschlichen Leben niemals sein! – aber doch dem, was sie sein soll und mit werden, näher und treuer als es leider! der Fall war damals. Es 33 derer] deren 3–5 Vgl. 2Kor 3,6f Eph 5,27

37 mit werden] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 530 10–12 Vgl. 1Kor 12,3

21–23 Vgl. 1Kor 14,33

35 Vgl.

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ist sonderbar und merkwürdig, daß die, welche an der Spitze standen jener großen Abstufung von Leitern und Hirten der Heerde, sich Nachfolger nannten des Apostels Petrus, wie sie sich Statthalter nannten Christi, und daß grade in den Worten eben dieses Apostels ganz deutlich das Gegentheil von dem niedergelegt war, was damals allgemein geschah, aber auch eben darin der Grund gelegt war und nachgewiesen zu derjenigen Gestaltung dieses Amtes, welches in der evangelischen Kirche überall die Oberhand gewonnen hat. Der Apostel Petrus sagt nämlich in seinem 1. Briefe: den Aeltesten verkündige ich als | ihr Mitältester, – wo er sie sich also gleich stellt und nicht zu ihnen redet als von solchen, die ein untergeordnetes Geschäft führten und über die er stände, – also er verkündige ihnen als Mitältester und als Theilnehmer der Herrlichkeit, die offenbart ist, und als Zeuge Christi, daß sie sollten einfältig wandeln im Herzen und nicht über die Gewissen herrschen, sondern Vorbilder der Heerde. Wohlan, m. t. Fr! auf eine zweifache Weise stand die damalige Gestaltung dieses Amtes im Widerspruch mit den Worten des Apostels: denn es war eine Herrschaft der Gewissen auf der einen Seite daraus zubereitet, wovon wir neulich miteinander gehandelt haben, daß eben die Hirten und Lehrer es waren, denen die Gemeinden mußten die Sünden bekennen und von denen sie mußten empfangen die Anweisung dessen, was sie zu thun hatten und auch zu lassen, ohne daß ihnen vergönnt gewesen wäre, es selbst zu entscheiden nach ihren Gewissen aus dem Worte Gottes, und so hatten sie die Gewissen in ihre Gewalt bekommen, daß sie die Unterthanen entbanden von der Treue, die sie der Obrigkeit, welche Gott eingesetzt, geschworen hatten, und dadurch alle menschlichen Dinge verwirret; so hatten sie über die Gewissen geherrscht, daß sie mitten in das stille Heiligthum der Familien eindrangen und nichts geschehen durfte, als was ihnen genehm war, und geschehen mußte, was sie verlangten. Auf der andern Seite hatte man sie außer Stand gesetzt, was sie sein sollten, Vorbilder der Heerde zu werden, daß sie in ganz andre Verhältnisse gesetzt waren als die übrigen Menschen und aus der natürlichen Ordnung des menschlichen Lebens herausgerissen. Dies beides also, das waren die Verderbnisse, an welchen jene heilsame Ordnung in der christlichen Kirche litt und welche in dieser verbesserten Gestalt derselben möglichst sollten aus dem Wege geräumt werden. Indem nun das Bekenntniß frei gegeben wurde, indem allen Christen das Wort Gottes anvertrauet ist, und nicht nur anvertrauet ist, sondern es ihnen zur theuren Pflicht gemacht wird bei ihrer Aufnahme in die christliche Gemeinschaft und diese theure Pflicht ihnen immer wiederholt und ans Herz gelegt 23 ihre] ihrer 8–14 Vgl. 1Petr 5,1–3 17–22 Vgl. die 5. Augustana-Predigt am 1. August 1830 über Hebr 10,12–14 24 Vgl. Röm 13,1

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wird, daß sie selbst sollten das Wort Gottes gebrauchen um ihre Gewissen nach ihm zu leiten und zu schärfen, und aus ihm Kräfte des Lebens und der Heiligung zu schöpfen; – dadurch | war die Herrschaft über die Gewissen aufgehoben; denn die Hirten haben kein Recht, mehr sich zu mischen in die Familien der Christen, als diese selbst es verlangen, – sie sollen und müssen bereit sein Rath zu geben nach ihrer besten Einsicht, Hülfe zu leisten, wo sie können, – aber eine freie und eigene Gewalt dürfen und können sie nicht ausüben. Aber damit auf keine Weise eine Gefahr entstehen könne, daß die Gewalt, welche allerdings der, welcher die höchsten und heiligsten Angelegenheiten des Gemüths leitet, gewinnen kann, daß daraus niemals könne ein Misbrauch entstehen und Gefahr für die bürgerliche Gesellschaft, so sind zweierlei Ordnungen in unsrer evangelischen Kirche aufgestellt: die eine überwiegend in einigen, die andre in andern Gegenden der Kirche nach Maaßgabe des geselligen Lebens. Nämlich wo es ein bestimmtes Geschäft giebt, das im Namen des Ganzen ausgeübt wird, da muß es auch eine Aufsicht geben, und wir selbst, die Hirten und Lehrer würden selbst bald wieder Schaafe werden, die in der Irre gehen, wenn es nicht eine Leitung gäbe, eine Aufsicht der Hirten und Lehrer untereinander: Diese Aufsicht nun ist ein heilsames Werk, in Beziehung auf die unsre Kirche bei ihrem Anfang in Verlegenheit kam, weil nämlich die, welche die Aufsicht geführt hatten in den Ländern, wo zuerst das Licht des Evangeliums aufging, dieser Erneuerung des Lichtes nicht beitraten, sondern den alten Misbräuchen anhingen; es mußte also diese Aufsicht umgestaltet werden, und das ist in einigen Gegenden so geschehen, daß die Hirten und Lehrer selbst in Verbindung mit den Aeltesten der Gemeinden die erwählten, welche die Aufsicht führten für bestimmte Zeiten; – und so blieben sie einander gleich, denn jeder erhielt die Aufsicht nur auf bestimmte Zeit und jeder konnte so gut dazu berufen werden, als der andre. Die andre Ordnung ist die, daß da besonders, wo der größte Theil des Volks und die Herrscher des Landes dem evangelischen Glauben angehören, auch das Amt der Lehrer und Hirten unter Oberaufsicht derer steht, welche das weltliche Regiment haben, eine Oberaufsicht, welche freilich von dem weltlichen Regiment verschieden sein muß, und welche nur ausgeübt werden kann durch solche, die Hirten und Lehrer selbst sind, und durch solche, welche die Stelle der Aeltesten der Gemeine des ganzen Landes vertreten, durch solche als der Kirche angehörend nur kann und sollte geführt werden, aber unter dem Namen und | der Bürgschaft dessen, der die höchste Gewalt hat in weltlichen Dingen. Und so kann denn dort nie eine Anmaßung und ein Eingriff in die bürgerliche Ordnung geschehen, weil sie nur geführt wird auf kurze Zeit, – hier nicht, weil sie selbst unter Aufsicht des weltlichen Regiments ist. Und 16–17 Vgl. 1Petr 2,25 (darin Anspielung auf Jes 53,6)

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wol müssen wir sagen, daß wir Gott nicht genug danken können, daß jede solche Gefahr von uns entfernt ist. Was aber das zweite betrifft, daß die Hirten und Lehrer sollen Vorbilder der Heerde sein, so waren sie dazu außer Stande, weil sie von allen andern bürgerlichen Verhältnissen losgerissen waren, auch nicht einmal das Band der heiligen Ehe schließen durften, und im eigenen Hause als Gatten und als Erzieher der Kinder der Gemeinde zum Vorbild dienen. Was für Misbräuche und Verderbnisse aus dieser Einrichtung entstanden waren, wie genau sie mit jener zusammenhängt, die Herrschaft der Gewissen zu befördern, daß sie über die weltliche Gewalt sich erheben konnten, was für ein großes und sittliches Verderben in dem Stande der Hirten selbst und dadurch auch in den Gemeinden angerichtet wurde, davon haben traurige Erfahrungen vieler Jahrhunderte den Beweis geführt. Aber es waren eben die deutschen Lande, in welchen jenes unnatürliche Gebot am meisten Widerstand fand und sie dadurch am ersten dies widernatürliche Joch abschütteln konnten. Ja, m. t. Fr! es war ein Großes, die, welche den Dienst des göttlichen Wortes in den Gemeinden verrichten sollten auf diese Weise in die natürliche Ordnung des menschlichen Lebens zurück zu führen! Wenn wir daran denken, wie der Geist Gottes welcher in der christlichen Kirche waltet, sich thätig beweisen soll im ganzen Umfang des menschlichen Lebens, wie kraft dieses Geistes nichts anders geschehen soll als zur Ehre Gottes, – so werden wir doch sagen müssen, wenn wir es uns denken als eine heilige Pflicht, daß die, welche ausdrücklich dazu ausgerüstet werden, das Wort Gottes zu erläutern und ans Herz zu legen, die von allen andern weltlichen Geschäften mehr oder weniger frei sind, und mit den nöthigen Kenntnissen ausgerüstet, diese sollen Vorbilder der Heerde sein; – so müssen wir freilich sagen, wenn wir an die mannigfaltigen äußern Verhältnisse denken, so scheint es, daß sie immer nur Vorbilder eines kleinen Theils der Gemeinde sein könnten, derer die ihnen am nächsten stehen in der ganzen Art und Weise das Leben zu führen. Aber, m. t. Fr! was ist für uns Alle die natürliche Ordnung des Lebens, was hat in unsern Gemüthern, den Vorzug: das Band der Liebe, das uns mit den unsrigen vereinigt oder das äußre Band der Geschäfte, der irdischen Thätigkeit, welches unsre äußern Verhältnisse gestaltet? Ja, m. t. Fr! wenn die Rede | ist von der Liebe zu der großen Gemeinschaft der Ordnung und des Rechts der wir angehören, von der Treue in dieser großen Vereinigung der Kräfte, so möchte ich schwerlich entscheiden, was dem andern vorangehen soll! Aber wenn die Rede ist von bestimmten äußern Verhältnissen in dieser großen Gemeinschaft, wie sind diese gering und unbedeutend gegen das, was das häusliche Leben giebt und was es von uns fordert! Werden wir wol jemals sagen, der, welcher sein äußeres Leben mit Geschick treibt, der werde dadurch auch geschickt, ein guter Gatte und 3–4 Vgl. 1Petr 5,3

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Vater zu sein? oder werden wir nicht umgekehrt sagen müssen, wo es gut im Hause steht, wo die rechte Liebe und Treue für die Seinigen, da ist auch der rechte Eifer für das, was zum äußern Bestehen gehört! Wenn also die Hirten und Lehrer Vorbilder sein können im häuslichen Leben, dann sind sie alles, was sie sein sollen! Was sich an dieses anschließt, das hat freilich mehr oder weniger Aehnlichkeit mit dem Leben, was die Glieder ihrer Gemeinde führen, aber es wird dann auch am besten von jenen aus verstanden. Nun freilich kann daraus kein nothwendiges Gesetz gemacht werden, und das ist auch nicht gemacht; aber wie wir es größtentheils doch auch in irgend einem Verderben, in irgend einem unrichtigen Verhältniß des innern Menschen suchen, wenn der Mann sich nicht die Würde des Hausvaters im ganzen vollen Sinn aneignet, und wenn wir nur in besondern seltenen Fällen glauben, daß das ohne seine Schuld dem Menschen von oben verhängt sei, – nun so rechnen wir auch darauf, daß das unter den Dienern des göttlichen Wortes nur Ausnahmen sein werden, von besondern Verhältnissen herbeigeführt, wenn sie nicht auch in dieser Beziehung Vorbilder der Heerde werden. Ach, wie groß es auch immer ist, die Kraft des göttlichen Wortes zu verstehen, wie viel weniger könnte es doch sein, wenn wir nicht, ich will nicht sagen, alle Vorbilder der Heerde werden, aber doch Theilnehmer in derselben werden, wenn sich der rechte christliche Geist des Lebens offenbaren soll, wenn wir nicht auch selbst Theil hätten an allen den mannigfaltigen Sorgen und Schmerzen, die es mit sich führt auf der Bahn des Lebens! Welch ein trockenes, wie wenig aus dem innern Leben hervorgehendes, wie wenig die Christen ergreifendes Geschäft könnte es sein von dieser Stätte zu den Christen zu reden von dem, was uns alle leiten soll in dem Leben! Nicht in der Ungleichheit, welche die Heerde trennt von den Hirten der Gemeinde, liegt die Kraft ihres Berufs, sondern in der Gleichheit, die sie mit einander vereinigt, darin, daß sie dieselben Pflichten zu erfüllen suchen, daß sie denselben Versuchungen zu widerstehen suchen, an dieselbe Ordnung des Lebens gebunden werden, daß sie dasselbige mitleiden, daß sie durch dasselbe miterfreut werden. So redet auch der Apostel, der freilich für seine Person zu jenen Ausnahmen gehört und in den vollen Genuß der Seligkeit des menschlichen Lebens nicht getreten | ist, – aber wer wollte sich auch ihm gleich setzen darin, so alle Verhältnisse des menschlichen Lebens zu umfassen mit derselben Liebe und Treue, wie sollte es uns nicht leicht werden wenn wir sie alle theilen, sagen zu können wo ist einer in der Gemeinde, der etwas leide mit dem ich nicht leide, wo ist einer, der sich erfreut, mit dem ich mich nicht freute, wo ist einer, der sich rühmt, dessen Ruhm ich mir nicht aneignen könnte? Das ist ja das Große 32 den] dem 31–32 Vgl. 1Kor 7,1–7, bes. 7

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in dem Leben der Christen, daß unter ihnen alles gemeinsam ist, und wie der Apostel sagt, dazu bestände dies Amt der Hirten und Lehrer, daß die Heiligen zugerichtet werden sollen zu dem Werke des Amtes, wodurch der Leib Christi gebauet ist. Worauf weiset er uns hin, als auf diese Verbindung des menschlichen Lebens? Und nur so könne dieser Segen bereitet werden, daß die Heiligen zugerichtet werden zu dem Werke des Amtes, wodurch der Leib Christi erbauet wird, und was ist das anders, als die eigene Führung des Lebens unter der Leitung des heiligen Geistes, nach dem Sinn des göttlichen Wortes! Was ist es anders, als das sich immer enger zusammenziehende Band der gegenseitigen Liebe und Gemeinschaft der gegenseitigen Unterstützung, als die Erweckung des auf das Ewige gerichteten Sinnes, der alles Irdische verklärt und in seinem wahren Lichte darstellt? Und so, m. t. Fr! ist denn alles unter uns auch auf solche Weise gemein, daß selbst das, was die Diener des göttlichen Wortes leisten, eben so sehr das Werk der Gemeinden ist, als ihr eigenes. Denn es ist die Gemeinschaft, in welcher sie mit ihnen stehen, es ist die Liebe und das Vertrauen, das sie erfahren, das sie in den Stand setzt, so zu lehren, wie es sich gebührt, so das menschliche Leben aufzufassen und ans Herz zu legen, wie es sich gebührt, so den Sinn des göttlichen Wortes aufzuschließen, so nach den Bedürfnissen der Gemeine zu reden und zu wirken. Und darum, m. g. Fr! ist beides Eins und dasselbe: daß der Herr gesetzt hat einige zu Hirten und zu Lehrern, und daß doch alle von Gott gelehret werden, daß der Leib des Herrn erbauet wird durch den Dienst Einzelner, aber daß eben diese nicht sein können ohne die andern, sondern nur aus dem Leben mit ihnen erst die Kräfte erlangen, die nöthig sind, um jenen Dienst zu leisten. Es ist alles gemein, – so sagt auch der Apostel – nennt euch nach keinem Menschen, haltet nicht auf einen Menschen, es sei Petrus oder Paulus, es sei dieser oder jener, es ist Alles Euer; es ist Allen ein gemeinsames Leben, das uns durchdringt, Ein Geist, der in Allen wirket und waltet; ein jeder muß wirken an seinem Ort zum gemeinsamen Wohl und auf dieselbe Weise darstellen in großer, schöner Ordnung, in einer weitern Verbindung des Geistes diese selige Gemeinschaft des Leibes Christi. Möge sie sich immer mehr verklären durch den treuen Dienst auch der Hirten und Lehrer, mögen diese immer mehr in der Liebe der Gemeinde die Kraft finden das große Amt, das ihnen aufgetragen, nach dem Willen des Herrn zu verwalten, möge sich so immer mehr in seliger Gemeinschaft der Leib des Herrn erbauen zu seiner Herrlichkeit und in inniger Gemeinschaft stehen mit dem Haupt, das ihn allein erhalten und nähren kann! Amen. Heiliger Gott und Vater! ja dir und der Wirkung deines Geistes verdanken wir Alles, was heilige Ordnung ist und wahre Förderung im Guten 26–28 Vgl. 1Kor 3,21f

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in der Gemeinde des Herrn. Laß du sie ferner der treuen Pflege deines Geistes empfohlen sein und segne dazu die Verkündigung des Wortes und die christliche Gemeinschaft überall in der Kirche deines Sohnes! Schaffe ihr auch treue Pfleger und Versorger in Allem, was sie bedarf in ihrem äußern Bestehen, an denen, welchen du Macht gegeben und Gewalt über christliche Völker. Lied 326.

7 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 326: „Höchster Gott, dir danken wir“ (Melodie von „Liebster Jesu, wir sind hier“)

Am 10. Oktober 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

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18. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 6,37 Nachschrift; SAr 94, Bl. 185r–190v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Drucktext Schleiermachers; Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession (6. Sammlung) 1831, S. 147–169 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 710–724; 21843, S. 710–724. – Predigten. Sechste Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 129–148. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 78–90. – Kleine Schriften und Predigten, Bd. 3, ed. Gerdes u. Hirsch, 1969, S. 108–122 8. Augustana-Predigt

10. October 1830. Lied 44 292. Tex t . Lucas 6, 37. „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammet nicht, so werdet ihr auch nicht verdammet.“ M. a. Fr! Wir haben seit dem großen gemeinsamen Fest, das wir mit der ganzen evangelischen Kirche unserer deutschen Länder begangen, eine Reihe von unsern gemeinsamen Betrachtungen dazu angewendet, das Große und Wesentliche in jenem Bekenntniß, das damals die Vorgänger in diesem unserm erleuchteten und gereinigten christlichen Glauben abgelegt haben, uns aufs Neue zur ganzen Zustimmung unsers Herzens zu vergegen2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 44: „Du riefst mich, Vater, aus dem Nichts“ (Melodie von „Herzlich lieb hab’ ich dich, o Herr“); Nr. 292: „Des Herrn Gesetz verkündet den Gemeinen“ (Melodie von „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen“) 6–7 Am 25. Juni 1830 hatte sich zum dreihundertsten Mal der Tag der Übergabe der Confessio Augustana auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 gejährt. Zu den Feierlichkeiten vgl. Friedrich Wilhelm Philipp von Ammon: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den Bundesstaaten. Vgl. oben Einleitung I. 3.

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wärtigen. Daraus aber wollte ich keines weges gefolgert haben, daß wir eben jenes Werk anders ansehen sollten, wie jedes andre menschliche Werk, das nämlich auch habe seine Mängel und Gebrechen, das auch die Spuren an sich trage von allem Menschlichen und immer noch übrig lasse der Wirksamkeit des göttlichen Geistes in der Gemeinde des Herrn vom Guten zum Bessern vom Reinen zu dem noch mehr Geläuterten und Vollkommneren vorzuschreiten. Darum scheint es mir nothwendig, damit wir das rechte Gleichgewicht auch in dieser Beziehung beobachten, auch auf der andern Seite aufmerksam zu machen auf Einiges von dem Mangelhaften und Unvollkommenen, das jenem Werke anklebt. Wir finden gleich im Anfang desselben, daß die damaligen Verbesserer unsers christlichen Lebens sich zu einer Menge von einzelnen Bestimmungen der christlichen Lehre unbedingt bekannten, die aus längst vergangenen Jahrhunderten herrührten und daß sie zu gleicher Zeit, wie es eben damals geschehen war, alle die, welche damit nicht übereinstimmen konnten, laut und öffentlich verdammten. Sehet da, m. g. Fr! hiergegen erklärt sich eben so deutlich und bestimmt das Wort unsers Erlösers, das ich in dieser besondern Beziehung zum Gegenstand unsrer Betrachtung gewählt habe. Es wird wol niemand daran zweifeln, daß eben deswegen, weil hier von dem Verhalten eines Jüngers Jesu zu andern Menschen, also auch gegen die andern, die denselben Herrn bekennen, die Rede ist, die Warnung vor dem Richten und Verdammen eben so sehr gehen müsse auf das, was wir als irrig in den Vorstellungen und Meinungen eines andern ansehen, als auf das, was wir für verkehrt halten müssen in der Führung seines Lebens und in seinen innern Gesinnungen, wie sie sich offenbaren. Wie also der Erlöser auf eine ganz allgemeine Weise sagt „richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet; verdammet nicht, so werdet Ihr auch nicht verdammet“ so können wir wol nicht anders als wünschen, daß jene erleuchteten Männer Gottes, jene auserwählten göttlichen Werkzeuge in der großen Sache des Evangeliums sich von diesem Richten und Verdammen auch hätten frei gehalten, und müssen uns selbst | wecken und mahnen, ihnen darin nicht nachzuahmen, sondern, was sie von Mängeln der frühern Zeit noch theilten, durch den Beistand des göttlichen Geistes von uns zu entfernen. Um uns dies Allen eben so klar und gewiß zu machen, wie es mir selbst ist in meinem Innern, so lasset mich zuerst euch darauf aufmerksam machen: 1. wie wenig hinreichenden Grund jene Männer hatten, allen jenen Bestimmungen der Lehre, die sie vorfanden, beizupflichten; und dann: 11–16 Vgl. CA I–II, Die drey ökumenischen Symbola S. 20–22; BSLK S. 50–53; weitere Verdammungen finden sich CA V, VIII, IX, XI, XVI, XVII, Die drey ökumenischen Symbola S. 25, 27, 28, 30, 33f, 34; BSLK S. 58,11–15; 62,13f; 63,7–9; 67,12– 23; 71,2–26; 72,10–18.

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2. wie sehr sie dennoch Ursach hatten, wenn sie auch dem allem mit voller Ueberzeugung beigestimmt hätten, doch sich an dies Wort des Erlösers zu erinnern und sich des Verdammens zu enthalten.

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1. Indem ich nun, m. Geliebten in Christo mich zu dem ersten Theil unsrer Betrachtung wende, um aufmerksam darauf zu machen, wie wenig ein hinreichender Grund vorhanden war, alle Ausdrücke und Bestimmungen aus so längst vergangenen Jahrhunderten aufs Neue und ohne weitere und besondere Prüfung in das neue Bekenntniß des Glaubens aufzunehmen, so ist es keines weges meine Meinung euch auf den Inhalt aller jener Bestimmungen im Einzelnen zurückzuweisen; – denn darauf kommt es in der That hierbei gar nicht an, – sondern nur auf die Art, wie sie in der christlichen Kirche waren festgestellt, – welche Art eben jenen ersten Bekennern unsers Glaubens aus der Geschichte der Kirche ganz wohl und genau bekannt war. Es waren nämlich zuerst fast ohne Ausnahme solche Bestimmungen der Lehre, welche aus einem heftigen und leidenschaftlich geführten Streit hervorgegangen waren. Müssen wir nicht gestehen, daß, wenn wir auch dabei allein stehen blieben, das gesunde und richtige Gefühl jedem sagen muß, es sei wol nicht im Voraus anzunehmen, daß auf solche Weise die Wahrheit sich Bahn mache und daß sie auf diesem Wege wirklich in ihr rechtes Licht gesetzt werde? Es ist vielleicht nicht das erste Mahl, m. g. Fr! – aber das schadet nicht, – daß ich in eben dieser Beziehung erinnere an eine alte Erzählung aus den Zeiten des Alten Bundes, wo ein Mann Gottes verlangte nach einer nähern und unmittelbaren Offenbarung des Herrn. Da ward ihm die Erscheinung eines heftigen Feuers; aber er spürte, daß in dem Feuer nicht der Herr war; dann trat das Wehen und Brausen eines gewaltigen Sturmes ein; aber wie sehr er ihn erschütterte, er wurde inne, daß darin nicht der Herr war. Aber in einem sanften Säuseln, in einem lieblichen Wehen, in einem belebenden Hauch, da spürte er die Nähe des Ewigen! So, m. th. Fr! so | ist es überall mit dem Menschen, der die Wahrheit sucht! Was sucht er anders in ihr, was will er durch sie, als daß sich ihm eben der Ewige, durch den wir allein sind, die Verwandtschaft, die wir in unserm Geist und Gemüth inne werden, daß sich der in ihr offenbart. Aber im Feuer kommt er nicht, und im Sturm kommt er nicht, und womit wollen wir ein aufgeregtes Gemüth womit einen leidenschaftlichen Eifer besser und passender vergleichen, als mit dem Einen oder dem Andern? Ueberall ist es ein verzehrendes Feuer, überall ein zerstörender Sturm, – und in dem ist der Herr nicht! Je genauer man nun die Geschichte jener Zeit der christli21 Mahl] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 316 22–29 Vgl. 1Kön 19,9–13, bes. 12

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chen Kirche kennt, um desto mehr findet man überall diese Aufgeregtheit der Gemüther diesen leidenschaftlichen hitzigen Eifer, den wir unmöglich an und für sich selbst für das Werk des Geistes Gottes halten können. Doch, wird man sagen, soll es keinen Eifer geben für das Haus des Herrn? ist uns der Erlöser nicht darin vorangegangen mit seinem Beispiel, so daß auch seine Jünger sich nicht enthalten konnten, jene Worte des Alten Bundes auf ihn anzuwenden: „der Eifer um das Haus des Herrn verzehret ihn?“ Er hat ihn freilich nicht verzehret! Er blieb sich immer gleich, immer der, der den Frieden bringen wollte, wenn er gleich wußte, daß er oft nichts anders als das Schwerdt bringen konnte. Er hat ihn nicht verzehrt; er blieb immer in der gleichen Kraft, nach seinem Innern heraus das Wesen und Wirken Gottes den Schein und Abglanz des ewigen Lichtes und der ewigen Liebe zu offenbaren. Aber wohl kann und darf uns der Eifer um das Haus des Herrn verzehren! Ja, wenn wir sehen, daß die, welche in Liebe und in gemeinsamen Glauben miteinander verbunden sein und bleiben, sollen sich unter einander, wie der Apostel schon sagt, [ ] und verzehren, o, dann kann wol eine zehrende Trauer das Gemüth des wahren Christen ergreifen, dann kann das Herz bewegt werden und die innerste Kraft und das Mark der Seele verzehrt werden über solchen Hader; – aber wenn der Eifer des Herrn ausbrach in dem Augenblick, wo seine Jünger dies Wort auf ihn anwandten, so war es nicht gegen Irrende, gegen die er sich kehrte, sondern gegen die, welche die Richtung der Gemüther auf Gott in jenem besondern Heiligthum des Herrn auf welches sie vorzugsweise angewiesen waren in den Zeiten des Alten Bundes, zu stören suchten durch das Getümmel irdischer Geschäfte. Ja, wenn irgend etwas unsern Brüdern den Raum nicht gönnt, sich an der gemeinschaftlichen Quelle des Heils | zu erbauen und zu stärken, wenn diese Gemeinschaft, wozu wir Alle vereint sein wollen, unsre Seligkeit schaffen zu können und Frieden und Liebe, von andern gestört wird, das freilich, das lockt den Eifer hervor. Aber er darf sich nicht auf leidenschaftliche Weise mischen weder in die Untersuchung dessen, was wahr ist, noch in die Untersuchung dessen, was Gottgefällig ist. Diese kann nur das Werk des göttlichen Geistes sein, wenn sie gedeihen soll, und der wohnt einmal nicht in einem leidenschaftlich bewegten Gemüth. So aber waren die Bestimmungen jener Lehren entstanden und schon dies hätte Grund genug sein müssen, ihnen wenigstens so weit zu mistrauen, daß man die nicht verdammte die sie nicht annehmen konnten. 15 bleiben, sollen] vielleicht zu korrigieren in bleiben sollen, 16 sagt,] folgt eine Wortlücke; zu ergänzen wohl nach 6. Sammlung, S. 152 und Gal 5,15 beißen 4–5 Vgl. die sog. Tempelreinigung (Mt 21,12–17; Mk 11,15–19; Lk 19,45–48; Joh 2,13–17) 7 Vgl. Joh 2,17 (darin Ps 69,10) 9–10 Vgl. Mt 10,34 16 Vgl. Gal 5,15 20 Vgl. Joh 2,17 im Kontext von 2,13–17

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Ein zweites, eben so bekanntes, war dies, daß jene Bestimmungen entstanden waren auf großen, zahlreichen Versammlungen christlicher Lehrer, wo die von verschiedenen, entgegengesetzten Meinungen sich gegen einander erklärten. Aber wie kam der allgemeine Schluß zu Stande? wie wurde nun, was wahr sein sollte, festgestellt? Nicht dadurch, daß es etwa dem Einen gelungen wäre, die andern zu überzeugen, sondern dadurch, daß man am Ende die Stimmen zählte, und was die größte Anzahl behauptete, für Recht erklärte. Aber dazu gesellte sich noch ein drittes Uebel, nämlich dies, daß eben so allgemein diese Mehrheit der Stimmen dadurch gelenkt wurde und bestimmt, daß die, welche die weltliche Macht übten in dem Umfang der christlichen Kirche, als ihre Meinung geltend zu machen suchten, wie sie ihnen von diesen oder jenen gegeben war. Späterhin haben jene ersten Männer Gottes, aus deren Eifer und Bekenntniß unsre evangelische Kirche hervorgegangen ist, selbst diesen Satz aufgestellt, daß keine Versammlung der Christen, wie erleuchtet sie auch wäre, wie viel Vertrauen man auch haben könne zu ihrer richtigen Einsicht, befugt sein kann, Sätze des Glaubens festzustellen durch die Mehrheit der Stimmen. Was sollen wir also sagen, als daß sie damals schon das widerriefen, was sie hier setzten; denn waren jene Versammlungen nicht berufen und befugt durch Mehrheit der Stimmen die christliche Wahrheit festzustellen, | so durften auch jene Verbesserer unserer Kirche ihre Festsetzungen deswegen nicht annehmen, weil sie Festsetzungen jener Versammlungen waren. Und doch haben sie es nur deswegen gethan! Sie haben keine Zeit gehabt seitdem der Herr sie zu jener Verbesserung berufen, sich auf’s Neue in alle jene früheren Untersuchungen zu vertiefen; sie hatten nicht aufs Neue gegen einander abgewogen, was für das Eine und das Andre zu sagen war; sie hatten nicht untersucht, ob das Eine und das Andre, dem, was die Schrift darüber sage, – wiewol sie sich über Vieles von diesen Festsetzungen nicht bestimmt äußert, – ich sage, sie hatten nicht die Zeit gehabt, aufs Neue zu untersuchen, wie sich jene menschliche Satzungen zum gesammten Inhalt unserer heiligen Schrift verhalte. Und so können wir es ihnen auch nicht anders anrechnen, als daß es eine Unvollkommenheit war und eine menschliche Schwachheit, daß sie sich jenen menschlichen Bestimmungen so zugesellten, um die Widersprechenden zu verdammen. Aber ihr eigenes Werk hatten sie ja gleich damit begonnen, daß als die weltliche Macht jenem theuren Werkzeuge Gottes, unserm Luther drohte, wenn er nicht widerriefe, daß er ihre ganze Gewalt fürchten solle, er sich doch auf jenes große und herrliche Wort des Apostels zurückzog, man müsse Gott mehr gehorchen denn 7 größte] geringste 12–17 Vgl. vermutlich etwa Luthers Schmalkaldische Artikel II 16, Sämtliche Schriften, hg. Walch, Bd. 16, Sp. 2336; II 2 BSLK S. 421,23–25 38–1 Vgl. Apg 5,29

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Menschen, und könne nicht anders widerrufen, wenn er nicht widerlegt würde aus der heiligen Schrift oder menschlicher Vernunft. Aber jene waren nicht widerlegt worden, die damals anders gedacht hatten, als die weltliche Macht[,] und die wiederum diese zu Hülfe riefen, die hatten keines weges ein größeres Recht, eine solche falsche Gewalt zu gebrauchen, als es damals die Verbesserer unsers Glaubens der weltlichen Macht zugestehen wollten, daß sie kein Recht haben, einen solchen Gehorsam zu fordern. Wenn wir nun auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge in der christlichen Kirche sehen, so müssen wir freilich sagen, das Eine von diesen Uebeln scheint verschwunden, aber es scheint auch nur; das andre übt noch immer natürlicher Weise seinen Einfluß aus und kann nicht anders, als ihn üben. Ich sage, das Eine scheint verschwunden, weil es solche Versammlungen der Lehrer der christlichen Kirche zur Bestimmung dessen, was für wahr und richtig geachtet werden soll, nicht mehr giebt und eben zufolge des als allgemeinen Grundsatz späterhin Ausgesprochenen nicht mehr geben kann. Aber was haben wir statt dessen? Wir haben statt dessen einen großen, allen geöffneten Kampfplatz, wo sich die Meinungen eines jeden vernehmen lassen, in öffentlicher Rede und noch mehr | in öffentlicher Schrift. Ist es nicht wesentlich dasselbe? Ist es nicht auch ein durch einander Reden von mancherlei Stimmen und Zusammentreffen derselben an einem offenen Ort, wo sie sich vernehmen? Ist das nicht eben auch ein solcher Ort, wo sich auch die Leidenschaften geltend machen, wo andre Einflüsse mit ins Spiel gebracht werden, wo es eben so unsicher ist, die Wahrheit nach der Anzahl oder dem Gewicht der Stimmen herauszubringen, und können wir sagen, daß es in diesem offenen Kampfe eine andere Rettung gebe, als das Gebet der reinen Seele, daß sie Gott erleuchten möge, oder, was dasselbe ist, das reine Streben, die Wahrheit zu suchen, aber nicht anders, als in Liebe und in Frieden? Ist es wol möglich, daß in diesem offenen Zusammenreden Alle sich dasselbe als wahr heraus nahmen, um es nun festzustellen? Wie sollten wir denn also, so lange es noch eben so fortgeht, je einem oder irgend einer Anzahl, und sei sie von noch so großem Uebergewicht das Recht geben können, etwas als wahr festzustellen, und die sich davon nicht überzeugen können, zu verdammen? Müssen wir nicht sagen, wir können in dem Maaß sicher sein, nicht etwa die Wahrheit gefunden zu haben für immer und ewig, sondern nur sagen, daß irgend ein Gewinn für sie entstehe, je mehr wir sehen, daß nur rein, nur friedfertig geforscht wird und gestritten, nur in dem Maaße, als es sich kund giebt, es sind wirklich 7 daß sie kein Recht haben] Kj so daß sie [scilicet: die Verbesserer unsers Glaubens] kein Recht haben oder daß sie [scilicet: die weltliche Macht] kein Recht habe 1–2 Vgl. Luthers Erklärung vor Kaiser und Reich auf dem Reichstag zu Worms vom 18. April 1521, Sämtliche Schriften, hg. Walch, Bd. 15, Sp. 2307f; ; WA Bd. 7, S. 838

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Brüder, die mit einander verhandeln, es ist nur die gemeinsame Sache, für die gestritten wird, es ist keiner da, der sich selbst sucht. Aber gewiß, noch weniger kann es solche Sicherheit geben, wenn auf irgend eine Weise eine andere Kraft, als die der Wahrheit in die der Ueberzeugung mit ins Spiel gerufen wird, wenn man Entscheidungen da sucht für das, was wahr sein soll in der Gemeinde Gottes, wo Entscheidungen gegeben werden müssen, aber darüber, was Recht ist und Ordnung in menschlichen Dingen. Dies ist der große und allgemeine Gewinn des Christenthums, daß beides von einander auf das Schärfste und Strengste gesondert wird. Müssen wir nicht unterscheiden die Erleuchtung des Verstandes in Beziehung auf die weltlichen Dinge und die Erleuchtung des innern Menschen, die nur ausgeht vom Geiste Gottes? Es war ein Großes und Wichtiges was die Verbesserer des Glaubens bekannten, daß sie ihre Ueberzeugung aussprachen, der natürliche Mensch sei im Stande, das Gute | und Richtige in menschlichen Dingen nicht nur zu erkennen, sondern auch auszuführen, während er nicht im Stande sei, das Heil zu erkennen, noch in der rechten Liebe unter Kindern Gottes zu wandeln. Wenn dem so ist, wenn das das gemeinsame Bekenntniß unsrer Kirche ist, und will es Gott, immer bleibet, so müssen wir ja sagen, die menschlichen Dinge, alles was sich auf Recht und Ordnung bezieht, können auch geleitet werden durch die Gaben des natürlichen Menschen und diese können in ihrem vollen Maaße da sein und wirksam, während die Erleuchtung des göttlichen Geistes fehlt. Weder die menschliche Macht über menschliche Dinge, noch auch die größte menschliche Weisheit in Gebrauch dieser, kann die geringste Sicherheit geben dafür, daß auch in Sachen des Glaubens und des Heils die rechte Erleuchtung da sei. Darum kann es schon niemals aus rechtem Eifer für die Sache der Wahrheit hervorgehen, wenn man zum Schutze seiner Meinungen, zur Vertheidigung seiner Ueberzeugung, um die Gegner zu beschwichtigen, auf irgend eine, wenn auch noch so mittelbare noch so entfernte Weise, die weltliche Macht zu Hülfe ruft. Wie das nun geschehen war in jenen alten Versammlungen, das wußten die Abfasser jenes Bekenntnisses sehr wohl, und so konnten wir also vermöge ihrer eigenen Grundsätze verlangen, daß sie mehr Mistrauen hätten hegen sollen gegen solche Entscheidung. 2. Doch laßt uns nun im zweiten Theil unsrer Betrachtung zugleich dem Worte unsers Textes näher treten, um indem wir sie auf den Gegenstand unsrer Betrachtung anwenden, uns zu überzeugen, daß diejenigen, welche andre 4 in] möglicherweise zu korrigieren in u[nd] in könnten 36 um] und

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12–17 Vgl. CA XVIII, Die drey ökumenischen Symbola S. 35; BSLK S. 73,2–13

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verdammen, sich dadurch eben selbst verdammen. Wir müssen freilich über den Sinn jenes Wortes uns einigen, wie der Erlöser es gebrauchte und wie es in jenen Formeln und Satzungen unseres und jener alten Bekenntnisse gebraucht worden. Allerdings wohl nicht allgemein in dem härtesten Sinne, daß denen, welche anders denken und meinen als festgesetzt wurde, aller Antheil an dem Heil in Christo, an der durch ihn erworbenen Seligkeit hier nicht nur, sondern auch wol dort abgesprochen wurde, nicht sage ich haben es alle in diesem Sinne gemeint, und wir wollen uns gern an dem gelinderen halten, daß damit gemeint war, daß man sich aller Gemeinschaft mit solchen enthielt, daß man sie ausschloß von der Verbindung der Christen und sie hinaus stellte aus der Gemeinde der Gläubigen, in welcher die Wirksamkeit | des göttlichen Geistes als fortdauernd mit Recht geglaubt wurde. Allerdings m. t. Fr! kann nicht jeder in der Gemeinschaft der Christen sein und der Erlöser selbst, der hier sagt, verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammt, hat uns doch mehrere herrliche und lehrreiche Gleichnisse hinterlassen, welche sich damit endigen, daß, indem die Einen in die Freude des Herrn hineingerufen werden, um belohnet zu werden für ihre Treue, Andre ausgeschlossen und hinausgeworfen werden in die Finsterniß. Und eben dies Ausschließen ist das Verdammen. Wenn wir nun, m. g. Fr! das Herz haben wollen, auch nur in diesem Sinne Andre zu verdammen deswegen, weil sie anders denken als wir, welcher Dünkel liegt dann in Beziehung auf uns selbst darin? Offenbar der, daß wir die Wahrheit gefunden haben, daß wir vollkommen sicher sind, wir können durch unser Zusammensein mit denen, welche anders meinen, durch unsre Wirkung auf sie, durch unser Leben mit ihnen, nichts mehr gewinnen. Hat solche Gesinnung irgend etwas gemein mit der Verheißung, welche der Erlöser den Seinigen gegeben hat in Beziehung auf die Erkenntniß der Wahrheit? Der Geist der Wahrheit, der Tröster, sagt er, der nach mir kommen wird, wird euch in alle Wahrheit leiten. Dies Leiten ist nichts anders als eine fortgehende Thätigkeit, und nirgends hat der Erlöser auch nur im Entferntesten eine Aeußerung gemacht, die uns schließen ließe, daß, so lange seine Gemeinde hier auf Erden wandelt, daß jenes Werk des Geistes jemals sollte vollendet sein, so daß wir seiner Leitung entbehren können. Wissen wir, daß wir immer noch in dieser Leitung begriffen sind, so daß es solche Thätigkeit des göttlichen Geistes auch für uns geben soll, was können wir anders thun was können wir anders wünschen, als daß uns immer mehr Gelegenheit gegeben werde, uns zu üben in der Erforschung der Wahrheit, und daß wir diese Gelegenheit auch benutzen. Schließen wir aber anders Denkende aus unsrer Gemeinschaft aus, so geben wir auch unsre Wirksamkeit auf sie auf, so beschäftigen wir uns nicht mehr mit ihnen, so verschließen wir uns Alles, was mit diesem 14–18 Vgl. Mt 22,1–14; 25,14–30; Lk 14,16–24; 19,12–27 in Verbindung mit 14,16

27–29 Vgl. Joh 16,13

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Gedanken als Grund oder Folgerung zusammenhängt, um auch dieses durch das Licht des göttlichen Geistes zu beleuchten und was auch am Irrthum Wahres sein mag, die Wahrheit, die Wahrheit mit der er zusammenhängt, wie man doch von jedem menschlichen Irrthum voraussetzen kann, uns selbst klar zu machen und anzueignen. Es giebt also solch’ Verdammen nicht anders, als vermöge | solchen Dünkels, als wären wir schon im Besitz der Wahrheit, als hätte der Geist Gottes dies Werk an uns selbst schon vollendet. Und dadurch verdammen wir uns selbst, weil wir das Werk des göttlichen Geistes in unserm Gemüthe stören, weil wir uns die Gelegenheit, Fortschritte in der Erkenntniß der Wahrheit zu machen, selbst nehmen, weil wir den Kreis der christlichen Liebe uns selbst muthwillig verringern, indem wir andre ausschließen. Aber diese beiden gehen immer neben einander, sind auf ewig miteinander verbunden: das göttliche Licht und die göttliche Liebe! Verhärtet sich das Herz gegen die letzte, so erblindet auch das Auge gegen das erste! Verschließen sich die Augen des Geistes gegen das göttliche Licht, auch gegen den entferntesten und leisesten Strahl desselben, so ist es nicht anders möglich, als daß sich auch das Herz verhärtet und verenget, und die Liebe, indem sie ihr Gebiet beschränkt, auch zugleich erkaltet! Und was, m. t. Fr! erkennen wir auch als die Folge, die beständig verbunden gewesen ist damit, wo ein solches Verdammen statt gefunden hat? Eben dies, daß die weitere Untersuchung und Erforschung der Wahrheit ist gestört worden, eben dies, daß der Buchstabe, den man aufgestellt hat, als ein ewig gültiges, dem man nicht widerstreben dürfe, versteinert ist und verhärtet, aber der Geist, der ihm allein Leben giebt, gewichen ist und nichts zurückgeblieben, als der Buchstabe, welcher tödtet! Dieses Band zwischen dem Geist, der lebendig macht, und dem Buchstaben, der nur dann nicht tödtet, wenn er nichts ist als die Hülle dieses Geistes, dies Band zerreißt jeder gewaltsam, der verdammt. Und so und nicht anders ist es geworden! Schlagen wir das Bekenntniß unsers evangelischen Glaubens, wie es damals erfolgt ist, auf, wir lesen die Satzungen und Formeln, der eigentliche Sinn derselben kann sich nur denen aufschließen, die jene alte Geschichte vor Augen haben, aber auch sie lesen sie ohne lebendige Theilnahme, sie gehören einer Zeit an, die nicht mehr ist, und eben deswegen, weil man den Streit entfernt hat über diesen Gegenstand durch jenes Ausschließen und Verdammen hat der Buchstabe sein Leben verloren, vom Geist ist nichts mehr darin, und eben so wenig, wie wir die Spuren der Leidenschaft noch finden, wenn wir absehen vom Verdammen, eben so wenig finden sich die Spuren der Erleuchtung darin und der scharfen Betrachtung. Wo aber immer mehr durch ein solches Verdammen ein verhärteter Buchstabe 22–25 Vgl. 2Kor 3,3.6f

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entsteht, da weicht auch immer mehr Geist und Leben, und wo Geist und Leben nicht ist, da ist nichts als Finsterniß, wie sie jetzt dicht genug lagert über allen damals aufgestellten Formeln. Aber laßt uns nun fragen, wo der Erlöser verdammet in jenen herrlichen Gleichnissen, welche verdammt er? Die, welche | das Pfund, das ihnen anvertraut war, nicht gebraucht hatten, nicht damit gewuchert hatten; aber das thut jeder, der verdammt die, welche anders denken. Aber indem er sie von seiner Gemeinschaft ausschließt, schließt er sie von seiner Wirksamkeit aus. Je mehr er das thut, um so enger wird sein Kreis, um so mehr kann er nur mit denen sich erbauen, die ganz so denken, wie er. So ist es also nur Ein Pfund, das sie gemeinschaftlich haben, und was schaffen sie damit, wenn sie sich so abgeschieden haben von andern, was schaffen sie damit, wenn sie sich nur in dem Maaße und darum sich verbunden haben, weil ihnen derselbe Buchstabe gilt? Ihr eigenes Leben wird nicht dadurch gefördert, weil sie stehen bleiben, wo sie sind, und auf andre wollen sie nicht wirken, weil sie sie ausgeschlossen haben aus der Gemeinschaft. Gleichen sie nicht ganz dem, welcher sein Pfund vergraben hatte, weil der Herr ihm zu hart schien, der da forderte, daß er es benutzen sollte? wird der Herr nicht an jenem Tage sagen: wie? habe ich euch nicht alle jene Irrenden anvertraut in eure Pflege, und Sorgfalt, daß, indem ihr erleuchtet werdet, ihr sie auch sollet erleuchten? statt dessen habt Ihr sie von euch abgesondert und also das Feld nicht bebauet, das ich euch gegeben! Wer wollte bestehen, wenn er darauf keine Rede und Antwort geben kann! wer wollte bestehen, der sich von dem ausgeschlossen hat, was ihm der Herr anvertraut hat, um es in Liebe und Treue mit seinem Licht und seiner Wärme zu pflegen, und zu erleuchten! So laßt uns, wenn wir selbst noch gestellt sind in einen ähnlichen Streit, wenn es auch unter uns eine große Verschiedenheit der Meinungen giebt, lasset uns gar uns hüten vor einem solchen Verdammen, wodurch wir uns selbst verdammen! Lasset uns das recht zu Herzen nehmen, daß es bei aller Lehre, bei aller Ueberzeugung weit weniger ankommt auf den Inhalt, – denn das wissen wir doch, daß kein menschlicher Buchstabe die ewige Wahrheit erschöpft, ganz umfaßt und ausdrückt, – sondern nur darauf, woher er kommt und wohin er fährt. Viele von denen, welche damals verdammt wurden gingen doch eben aus davon, daß sie Gott verherrlichen wollten durch die Art, wie sie ihn darstellten. Ist einmal eine Verschiedenheit der Darstellung, so ist auch das die Folge | 7 Aber] Kj Eben oder Denn 4–6 Vgl. Mt 25,14–30; Lk 19,12–27 33 Vgl. Joh 3,8 (im Kontext von 3,6–8)

16–18 Vgl. Mt 25,18.24f; Lk 19,20f

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davon, daß der Eine das damit vereinigen kann, was der andre nicht damit vereinigt. Sehen wir, daß es einem von Herzen geht, Christum einen Herrn zu nennen in der That und Wahrheit, welches nicht geschehen kann, wie der Apostel sagt, ohne durch den Geist Gottes, und das, was er sagt, erscheint uns falsch, so müssen wir doch glauben, er wisse es zu vereinigen mit seinem Streben, Gott zu verherrlichen, und so lange wir dies finden, können wir ihn nicht verdammen. Eben so kommt es weit weniger auf den Inhalt an, als auf das, worauf er führt. Freilich, wenn einer Meinungen aufstellt, durch die er sich selbst über Christus hinaussetzt, wodurch es auch sei, aber ein solcher, der ist von selbst schon nicht mehr in der Gemeinschaft der Christen, er trennt sich selbst davon, weil er nicht zu demselben Ziele geht, wir aber brauchen ihn nicht davon zu trennen; ja es muß uns lieb sein, daß er sich nicht ganz davon trennt, weil wir ihn dann noch anfassen können. Aber noch viel weniger, wenn Behauptungen, die uns unverständlich sind, doch einen andern zum Herrn hinführen, daß er aufs Neue zu ihm geht, daß er ihn bekennt, bei ihm forscht, wie sollen wir ihn verdammen, wie wenig es uns auch erbaue was er sagt, denn er will ja demselben Ziele zu und kann also auch zu demselben geholfen werden, er kommt mit uns aus demselben Geist und kann also auch mit uns verbunden bleiben. Wenn wir die menschlichen Dinge in den Angelegenheiten unsers Heils aus diesem Gesichtspunkt betrachten, wie wahr werden wir es finden, was er sagt in dieser Beziehung, wer nur nicht wider ihn ist, der nicht ohne ihn sein Heil suchen will, sondern mit ihm und durch ihn, der ist auch für ihn, und wir sollen und müssen ihn pflegen mit Liebe und Treue und mit ihm gemeinsam die Wahrheit suchen. Das war aber auch der innerste Geist derer, welche Gott der Herr zu jener Verbesserung der Kirche berufen hat. Es waren vorübergehende Mängel, nur Verirrungen in Beziehung auf das, worauf sie ihre Aufmerksamkeit nicht hatten richten können, was sie in dieses Richten, was sie in dies Verdammen hinführte. Wir mögen sie entschuldigen; aber wir dürfen ihnen nicht folgen! Wir können es ihnen vergeben, aber wir müssen nicht übersehen, was das Werk ihrer menschlichen Unvollkommenheit und menschlicher Schwäche war. Dazu haben sie selbst uns das | Recht gegeben. Sie haben keinen auf ihr Wort verpflichten wollen, sie haben nur das Werk des Herrn befördert, und das lasset uns mit ihnen suchen und uns nur da zu ihnen gesellen, wohin sie von dem Geist der Gemeinschaft geführet sind, aber in Allem, was die Bande der Liebe trennt, und spaltet, welches das Ganze theilt, da kann nichts anders als menschliche Schwäche und Irrthum vorgewaltet haben, von welchen wir uns frei zu machen suchen müssen. Die Wahrheit mit einander suchen in Liebe, ohne Störung des Friedens dem Ziele entgegen gehen, verbunden das Licht der 2–4 Vgl. 1Kor 12,3 mit Anspielung auf 1Joh 3,18 über zu Mt 12,30 und Lk 11,23

22–23 Vgl. Lk 9,50 im Gegen-

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Wahrheit unter sich theilen, damit es sich Allen deutlicher offenbare; das sei das schöne Werk der Gemeinschaft, zu welcher wir mit einander verbunden sind durch den Gnadenruf unsers Gottes und Heilandes! Amen. Lied 6.

4 Die einzige Strophe von Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 6 (Melodie von „Nun lob, mein Seel, den Herren“) lautet: „Dein Name werd’ erhoben, Gott, Vater der Barmherzigkeit! du, der mir stets von oben auf meine Bitte Kraft verleiht! Mein Wollen und Vollbringen kommt, Höchster, nur von dir; o send’ in allen Dingen auch ferner Hülfe mir, daß ich das Meine thue im Namen Jesu Christ, bis deines Volkes Ruhe mein Theil auf ewig ist.“

Am 17. Oktober 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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19. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 2,1–7 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 269–282, Nr. VII; Zabel Keine Nachschrift; SAr 99, Bl. 22v–26r; Slg. Wwe. SM, Pommer (Zabel) Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 804. Tex t . Colosser II, 1–7. „Ich lasse euch aber wissen, welch' einen Kampf ich habe um euch, und um die zu Laodicea, und alle, die meine Person im Fleisch nicht gesehen haben; auf daß ihre Herzen ermahnet und zusammengefasset werden in der Liebe, zu allem Reichthum des gewissen Verstandes; zu erkennen das Geheimniß Gottes, und des Vaters und Christi, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß. Ich sage aber davon, daß euch niemand betrüge mit vernünftigen Reden. Denn ob ich wol nach dem Fleisch nicht da bin; so bin ich aber im Geiste bei euch, freue mich, und sehe eure Ordnung, und euren festen Glauben an Christum. Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christum Jesum, so wandelt in ihm; und seid gewurzelt und erbauet in ihm, und seid fest im Glauben, wie ihr gelehret seid, und seid in demselbigen reichlich dankbar.“

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M. a. Fr. Es ist gleich in dem Anfang unsers Textes etwas, weshalb wir uns verwundern könnten, wenn wir die Umstände nicht näher betrachteten, weshalb der Apostel es so | habe sagen können, daß er nämlich eine große Sorge habe um diese Gemeine und um andere Christen anderer Orten, die 19 anderer Orten] wohl in Analogie zu „aller Orten“ (vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 928) 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 804: „O Jesu, süßes Licht“ (Melodie von „O Gott, du frommer Gott“)

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er namhaft macht, welche seine Person nicht gesehen hätten; als ob nun eben dieses der Gegenstand seiner Sorge wäre, und als ob deswegen ihnen mancherlei Uebles bevorstehen oder drohen könne, weil sie seine Person im Fleisch nicht gesehen hätten. Es kann uns dieses um so mehr wundern, weil auf der einen Seite der Apostel Paulus im Allgemeinen so gar bescheidentlich von sich zu reden gewohnt ist, sich selbst auf mancherlei Weise zurückstellt wegen seiner spätern Berufung, wegen seiner frühern feindseligen Stimmung gegen das Christenthum und den Stifter desselben, wiewol freilich auf der andern Seite auch wiederum seines Berufes gewiß und sich in seiner apostolischen Würde den Andern gleichstellend. Aber eben weil er sich ihnen gleichstellte: wie konnte er einen so besondern Werth darauf legen, ob Christen und christliche Gemeinen gerade ihn gesehen und gehört hatten, und gerade von ihm das Evangelium empfangen hatten oder nicht, gerade von ihm gelehrt waren oder nicht. Daß das auch nicht seine Meinung ist, sehen wir am Besten aus den letzten der verlesenen Worte, wo er sich ausspricht über die Art, wie die Colosser waren gelehrt worden, und sich ganz zufrieden damit erklärt, indem er sagt: „wie ihr nun angenommen habt den Herrn Jesum Christum: so wandelt in ihm; und seid gewurzelt und erbauet in ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehret seid.“ Die Sache aber, m. g. Fr., ist diese. Der Apostel erklärt sich auch sonst noch öfter dahin, es sei eine Regel, welcher er folge in der Verwaltung seines Amtes, daß er nicht in eine fremde Arbeit gehe, d. h. daß er sich nicht in die weitere Leitung solcher Christen und christlicher Gemeinen mische, die von Anfang an einen andern Verkündiger des Evangeliums gehabt hätten und durch ihn wären gesammelt und zu christlichen | Gemeinen geordnet worden. Wenn das freilich der Fall gewesen wäre mit der Gemeine zu Colossä und den andern, die er hier erwähnt: so würde er seinen Brief an sie gar nicht geschrieben haben. Zwischen diesem beiden also stehen wir; nicht ein Anderer hatte die Gemeine gesammelt, und seine Person hatten sie auch nicht gesehen im Fleisch und waren also durch ihn nicht zum Christenthum gebracht; und da er sich ihrer doch mit solcher Liebe und Treue erinnert: so können wir nicht anders glauben, als sie seien durch solche, die seine Schüler waren, zum Christenthum gebracht worden. Denn es gab in der Nähe viele Gemeinen, die durch den Apostel Paulus auf seinen ersten und spätern Reisen waren gesammelt worden aus Juden und Heiden, und so konnten denn leicht die, an die der Brief gerichtet ist, und die, die er sonst namhaft macht, von Einem aus jenen Gemeinen gesammelt worden sein, im Evangelium unterwiesen und ihre Angelegenheiten geordnet. Weswegen er nun solche Sorge hat, das sehen wir aus dem verlesenen Abschnitte noch mehr; aber es zeigt sich auch in der Folge, daß er bange war, sie möchten auch irre geleitet werden durch solche, die er anderwärts 21–26 Vgl. Röm 15,20; 2Kor 10,12–16; auch Gal 2,7

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als „falsche Brüder“ bezeichnet, welche lehrten, daß außer der Gerechtigkeit aus dem Glauben noch die Gerechtigkeit aus dem Gesetz nothwendig sei, daß Alle, die Christum folgen wollten, noch aufs Neue zur Beobachtung des Gesetzes zu verpflichten wären. Daß dies der Gegenstand seiner Sorge gewesen ist, das sagt er deutlich an einer spätern Stelle, wo er sie ermahnt, daß sie sich nicht sollten ein Gewissen machen lassen über Speise und Trank, ober über bestimmte Feiertage, welches Alles auf das jüdische Gesetz deutet. Mit solchen hatte er vielfältig zu kämpfen in verschiedenen seiner Gemeinen, wie denn der ganze | Brief an die Galater nur aus einer solchen Sorge und aus solchem Kampfe entstanden ist. Nun lasset uns denn weiter sehen, wodurch er denn diese Gemeine am Besten vor jenen Irrwegen glaubte sichern zu können. Er sagt nämlich, „er habe einen solchen Kampf um sie und um Alle, die seine Person nicht gesehen haben, auf daß ihre Herzen ermahnet und zusammengefaßt würden in der Liebe zu allem Reichthum des gewissen Verstandes, um das Geheimniß Gottes zu erkennen und des Vaters und Christi, in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß verborgen lägen.“ Was der Apostel unter dem Geheimniß Gottes versteht, das wissen wir. Es ist nichts anderes, als das so lange verborgen gewesene, damals ans Licht getretene göttliche Geheimniß, der ewige Rathschluß Gottes, die Menschen durch Christum zu erlösen und durch ihn die Welt wieder mit sich zu versöhnen. Diesen, weil der größte Theil der Menschen von einem solchen gar nichts wußte, und das jüdische Volk, welches allerdings eine Ahndung und Andeutung davon hatte, doch durch den Schleier des Gesetzes und der Weissagung nicht hindurchsehen konnte, und jener Rathschluß Gottes ihnen auch verborgen blieb, bis er durch die Zungen der Christen öffentlich gepredigt wurde, den nennt er eben das Geheimniß Gottes. In diesem nun, sagt er, liegen alle Schätze der Einsicht und Erkenntniß verborgen. Nun ist wol gewiß, meine g. Fr., daß der Apostel hier nicht von dem, was wir menschliche Weisheit und Wissenschaft nennen, redet; denn das hängt gar wenig mit jenem zusammen, und die Lehre von der Erlösung hat darauf keinen unmittelbaren Einfluß. Aber wenn Weisheit und Erkenntniß von den Zeugen des Erlösers zusammengenannt werden: so wissen wir auch, daß wir an keine andere Weisheit dabei zu denken haben, als an die Erkenntniß des göttlichen Rathschlusses, wodurch die Menschen mit Gott | versöhnet worden. Diese zum innern Frieden führende Weisheit und Erkenntniß, von dieser sagt er, daß sie in jenem Geheimniß verborgen sei; und daß er dabei nun ganz besonders diese höhere Würde des Erlösers im Auge hat, die er selbst, wie der Herr es ja auch thut, so ausdrückt, daß er sagt, Gott sei in Christo gewesen, und daß er in dem Erlöser, so wie er ursprünglich in seinem Leben den Menschen sich kund gegeben, und so wie er von denen, welche die Herr1 Gal 2,4

5–7 Vgl. Kol 2,16

21 Vgl. 2Kor 5,19

39 Vgl. 2Kor 5,19

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lichkeit des eingebornen Sohnes erkannt, auch wieder verkündet worden, daß er in diesem eine solche Offenbarung Gottes, in welcher jene Weisheit und Erkenntniß verborgen liegen, erkannt hatte und erfahren, das ist der eigentliche Grund, warum er sagt, daß in diesem Geheimniß alle Schätze der Weisheit und Erkenntniß verborgen liegen, daß Gott sich in seiner ewigen Liebe geoffenbaret habe in Christo, und in diesem auch die rechte Erkenntniß des Vaters sei, als dessen, der die Welt mit sich durch Christum versöhnet habe, und wie er anderwärts sagt, damit dieses seinen vollen Nutzen brächte, zugleich das Amt gestiftet, welches die Versöhnung predigt. Nun aber, damit sie eben diese Schätze der Weisheit und Erkenntniß, die in jenem Geheimniß verborgen liegen, in ihrer ganzen Fülle erblicken und finden und sich aneignen möchten, sagt er, er wünsche, und das sei sein Kampf, seine Sorge, daß ihre Herzen ermahnet und zusammengefaßt werden in der Liebe zu aller Reife des Verstandes und allem Reichthum der Einsicht. Sehet da, m. g. Fr., das ist, daß ich mich so ausdrücke, das eigentliche besondere Geheimniß des Apostels in Beziehung auf den Hergang in der menschlichen Seele, welches er uns hier auf eine ganz deutliche Weise mittheilt, wie es aber auch jeder, sobald er nur auf seine Worte merkt, aus seiner eigenen | Erfahrung erkennen und ihm darin beistimmen kann. Er sagt nämlich ganz deutlich und unverholen, daß jene Reife des Verstandes und jener daraus hervorgehende Reichthum der Einsicht in Beziehung auf das, was zu unserm Heil gehört, nur dadurch entstehen kann und den Menschen gegeben werden, daß ihre Herzen zusammengefaßt werden in der Liebe. Beides nun, was der Apostel hier in Verbindung bringt, sind wir nur zu sehr geneigt von einander zu trennen. Darum laßt uns denn sehen, wie es in dieser Beziehung steht mit ihm und uns. Wer wird das nicht oft in seinem Leben gehört haben, und zwar ohne sonderliches Widerstreben gehört und oft auch wol selbst gesagt haben, daß das Beides, Liebe und Verstand, in dem menschlichen Leben nicht durchaus zusammengehöre, daß es viele Menschen gebe, mit großen Gaben des Verstandes von Gott ausgerüstet, welche sie auch benutzen und oft gebrauchen, aber die Liebe fehlt in ihrem Herzen; und eben so auch auf der andern Seite, wie oft hören wir nicht klagen, daß die, in denen diese Liebe sich finde, und denen sie als das ihr innerstes Leben Bewegende so deutlich abzumerken sei, so wenig auszurichten vermöchten auf dem Ort, wohin sie Gott gestellt, weil sie niemals zur rechten Reife des Verstandes und der rechten Fülle der Einsicht gelangen könnten, und ohnerachtet sie die Liebe hätten, doch sehr beschränkt wären auf der Seite des Urtheils, des Verstandes und der Einsicht. Das sind allgemeine und oft gehörte Klagen; aber der Apostel scheint darin gar nicht einzustimmen, sondern der sagt, wenn die Herzen nur recht in 9–10 Vgl. 2Kor 5,18

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der Liebe zusammengefaßt würden: dann kämen sie auch zu der rechten Reife des Verstandes und zu dem Reichthum der Erkenntniß; und so scheint denn das sein eigentlicher Glaube zu sein, daß es diese Kraft der Liebe sei, welche den Menschen zu der Reife des Verstandes führt. Nun ist es wol nicht möglich, m. g. Fr., daß wir sollten von einer rechten christlichen Erfahrung und Ansicht der Welt und der Menschen ausgehend über einen solchen Gegenstand, | wie diesen, ganz verschieden denken, als der Apostel; es kommt also nur darauf an, daß wir uns recht verständigen über die Art, wie wir diese Worte gebrauchen, wenn wir jenes sagen, und wie er sie versteht, indem er dieses sagt. Wenn der Apostel von der Liebe redet: so meint er keine andere als die, welche die Liebe Gottes ist, die in unser Herz ausgegossen ist durch Christum, und die nun eben auch wieder Eins ist und dasselbe mit der wahren Gott ähnlichen und Gott gefälligen Liebe zu den Menschen. Von dieser sagt er, daß der Glaube durch sie thätig sei, und daß ohne diese Thätigkeit der Liebe der Glaube todt sei. Auf den Glauben also geht er doch immer zurück als das Erste, der Glaube ist es, welcher die Liebe in uns hervorruft, und das ist nun eben der Glaube an Christum als an den, in welchem sich die göttliche Liebe offenbaret, und in welchem sie in ihrer ganzen Fülle gewohnt hat, und er saget, daß dieser Glaube in uns die Liebe entzünde und errege. Und darin, m. g. Fr., sind wir mit dem Apostel gewiß einig; und wenn wir klagen über jene Zertrennung zwischen der Liebe und dem Verstande: so meinen wir gewiß auch diese Liebe, nicht bloß jene mitempfindende natürliche Theilnahme, welche der Mensch bei den Schicksalen Anderer hat, nicht nur jene natürliche Verbindung der Menschen, welche auf der Gleichheit ihres Wesens beruht, sondere jene höhere, rein geistige Liebe, die erst durch unsere Liebe zu Christus und unsern Glauben an Christum vermittelt sein muß. Der Apostel nun sagt, wenn die Herzen der Menschen in dieser Liebe zusammengefaßt sind: so gelangen sie auch zu dem Reichthum der Erkenntniß und der Reife des Verstandes in Beziehung nämlich auf das göttliche Geheimniß, in welchem die Schätze der Weisheit und der Erkenntniß verborgen liegen. Und freilich einen andern Reichthum der Einsicht und eine andere Reife des Verstandes als eben die, welche sich auf das Reich Gottes bezieht, hat der Apostel hier nicht im Auge. | Wenn wir, m. a. Fr., dieses festhalten: so werden wir zuerst sagen müssen, daß der Widerstreit zwischen jenen so oft unter uns gehörten Klagen und dieser Aeußerung des Apostels nicht mehr so groß ist. Der Apostel könnte das auch wol zugegeben haben und würde es, daß, wie sehr auch die Menschen angefaßt sein mögen und zusammengehalten durch die Liebe, daraus nicht immer eine Einsicht des Verstandes in weltlichen und 11–12 Vgl. Röm 5,5 14–15 Vgl. Gal 5,6 15 Die Aussage, der Glaube sei ohne die Tätigkeit der Liebe tot, findet sich bei Paulus nicht; vgl. aber Jak 2,17.

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menschlichen Dingen hervorgehe. Und das lesen wir ja so oft auch aus dem Munde des Erlösers in der Schrift, welcher sagt, daß das göttliche Geheimniß der Weisheit, in welchem die rechten Schätze der Erkenntniß liegen, den Weisen dieser Welt verborgen geblieben sei und noch bleibe, und also daß dieses beides, die Reife des Verstandes in Beziehung auf das Reich Gottes, und die Einsicht in Beziehung auf die Dinge dieser Welt nicht beisammen sei; oder anderwärts, wo gesagt wird, daß die Kinder der Finsterniß klüger wären als die Kinder des Lichts. Aber das, m. g. Fr., werden wir wol auch zugeben müssen, daß, wenn diese Liebe das menschliche Herz recht ergreift, und es in dieser zusammengehalten wird, dann auch gewiß die Reife des Verstandes in Beziehung auf das göttliche Geheimniß und die göttliche Weisheit in Christo eine natürliche Folge davon sei. Wie hätte der Erlöser anders sich dessen freuen können und Gott dafür danken, daß er dieses Geheimniß den Unmündigen offenbaret habe, wenn er nicht des festen Vertrauens gewesen wäre, daß nun diesen die Geheimnisse der göttlichen Weisheit sich wirklich erschließen würden, und daß sie dann zur rechten Reife des Verstandes gelangen würden. Fragen wir, was ist es, wozu diese Liebe den Menschen treibt: so gibt uns der Apostel selbst die beste Antwort anderwärts, wo er von sich und den Andern, welche zur Ver|kündigung des Evangeliums berufen waren, sagt, wir können nicht anders, die Liebe Christi dringet uns. Das ist also ein nothwendiger Zusammenhang, dem sich keiner entziehen kann. Was wir an uns selbst erfahren haben, das wollen wir auch verkündigen; die Liebe Christi, die in uns ausgegossen ist, die treibt uns, ihn auch Andern als den Gegenstand ihrer Liebe anzupreisen und ihnen mitzutheilen, was wir von der göttlichen Offenbarung in ihm gefunden haben. Wenn nun aber auch diese Verkündigung nicht anzuschlagen scheint: die Liebe wird doch nicht müde, sie fort und fort zu wiederholen: sie kann es nur, wenn sie noch schwach ist, und es ist das ein Zeichen, daß das Herz noch fester werden muß in der Liebe. Wenn sie aber nicht müde wird, wenn es nun ihr Tichten und Trachten ist, ihr Sinnen und Denken, zu erforschen, woran es liege, daß die Menschen nicht ergriffen werden von ihren Worten, daß sie sich ihnen nicht zuwenden: sollte es ihr wol entgehen, wenn die Schuld davon in dem Mangel an Klarheit der Verkündigung liegt? So ist es denn gewiß die Liebe, welche den Menschen auf sein Inneres zurückführt, auf daß sich die Weisheit Gottes in Christo in dem Menschen immer mehr entwickele; sie regt also den Verstand, nämlich den Verstand in Beziehung auf das Heil in Christo im Innern des Menschen auf und fördert ihn zum Wachsthum und zur Reife, damit, wenn sie durch einen solchen Verstand thätig ist, sie ihres Zieles nicht verfehle. Nun ist aber beides in Christo Eins; die Erleuchtung ist uns durch Christum gekommen, wie uns das Leben durch ihn gekommen ist; er ist das Licht der Welt, wie er 2–4 Vgl. Mt 11,25; Lk 10,21

7–8 Vgl. Lk 16,8

20–21 Vgl. 2Kor 5,14

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das Leben ist; je mehr wir ihn uns aneignen durch die Liebe, in welcher der Glaube sich auf die ursprünglichste Weise thätig beweist: um so mehr muß auch sein Licht aus uns leuchten, um desto leichter muß es uns werden, von dem Geheimniß zu | trennen und abzusondern, was nicht wesentlich dazu gehört, sondern nur eine Art menschlicher Satzung ist, welche die Gewissen verwirret. Das ist die Reife des Verstandes und der Reichthum der Erkenntniß, und es gibt keine andere sichere und rechte Quelle davon, als eben die Liebe, welche in das Herz der Menschen ausgegossen ist, und sie dringet, Christum in ihrem eigenen Innern immer klarer aufzufassen, damit sie ihn Andern verkündigen können. Wenn nun der Apostel sich weiter erklärt, aber auch nur vorläufig: „ich meine aber dieses, daß euch niemand betrüge mit vernünftigen Reden:“ so ist auch das wieder etwas, worüber wir gar leicht in Mißverstand gerathen können. Sollte denn der Apostel wirklich geglaubt haben, daß die Menschen könnten betrogen werden mit vernünftigen Reden, durch die die Menschen irre geleitet werden könnten und hinter's Licht geführt? Am Ende, m. g. Fr., müssen wir doch ein Wort haben für das in der menschlichen Natur, auch in ihrem jetzigen Zustande, wodurch sie fähig geblieben ist, das göttliche Licht in sich aufzunehmen, und wir haben dafür kein bezeichnenderes und höheres Wort als eben dies: Vernunft. Ist sie also nun das, an welches sich ursprünglich der göttliche Geist in dem Herzen der Menschen wenden kann und wenden muß, damit sie zu dem rechten Glauben und zu der Erkenntniß des göttlichen Geheimnisses gelangen: so kann sie nicht auch das sein, wodurch die Menschen betrogen werden. Aber der Apostel hat auch nicht so gesprochen, wie unser Luther ihn hier sprechen läßt, der freilich in Beziehung auf den Gebrauch dieses Wortes sich nicht immer gleich ist, indem er einmal sagt, er begehre, um zu widerrufen, daß er widerlegt werde aus der Schrift oder aus vernünftigen Gründen, aber dann doch wieder die Vernunft darstellt als das, was sich der Kraft des Glaubens widersetzt. So hat er einen doppelten Gebrauch des Wortes, welches allerdings nicht gut ist, weil es leicht zu einem Miß|verständniß Anlaß geben kann, und man da immer fragen muß, was er eigentlich meint. In der Rede des Apostels aber steht hier nichts von der Vernunft, sondern er sagt: „durch wahrscheinliche Reden,“ in denen nun also die Vernunft nicht ist, sondern aus denen heraus das verderbte Herz redet auf irgend eine Weise, welches, wie der Herr sagt, die Quelle ist von argen Gedanken, und das der Apostel auch so darstellt, als ob aus ihm hervorgehen solche Gedanken, die sich 27–28 Schleiermacher bezieht sich auf die Formulierung in Luthers Erklärung vor Kaiser und Reich auf dem Reichstag zu Worms von 1521; vgl. Sämtliche Schriften, hg. Walch, Bd. 15, Sp. 2307f; WA Bd. 7, S. 838. 29–30 Vgl. z. B. Martin Luther: Sämtliche Schriften, hg. Walch, Bd. 20, Sp. 340f; WA Bd. 18, S. 164. 35–36 Vgl. Mt 15,19; ferner Mk 7,21 36–1 Vgl. Röm 2,15

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unter einander bald entschuldigen, bald verklagen. Unter jenen wahrscheinlichen Reden meint er aber dies, was jene Vertheidiger des Gesetzes für ihre Meinung vorzubringen pflegten. Durch diese, sagt er, wünsche er, daß keiner unter ihnen möchte betrogen werden, und fürchtet also, daß das doch möchte geschehen, und zwar, weil er nach dem Fleisch nicht bei ihnen gewesen war. Das Zeugniß konnte er sich geben, daß er es so klar auseinander gesetzt, daß nur der Glaube den Menschen selig mache, und die Gerechtigkeit nur komme aus dem Glauben, und daß es keine andere Rechtfertigung vor Gott gebe als den Glauben, mit dem die Offenbarung Gottes in Christo angenommen werde, daß aber nun neben diesem eine Werthschätzung der Menschen nach den Werken des Gesetzes in Gott gar nicht sei, und daß ein Bestreben, diese Werke des Gesetzes zu Hülfe zu rufen, jener Gerechtigkeit nur nachtheilig sein könne, aber nicht förderlich. Diese Einsicht war keinem Andern in einem solchen Maaße gegeben als ihm, eben weil er vorher wie kein Anderer nach dem Gesetze gelebt und ein Eiferer gewesen war um das Gesetz, weil also er selbst erst mußte ganz von der Vergeblichkeit und Leerheit dieser Gerechtigkeit durch das Gesetz überzeugt sein, um den Glauben an Christum anzunehmen. Darum war er auch vor Andern geschickt, das Evan|gelium von Christo von dieser Seite in das hellste Licht zu setzen. Das Zeugniß konnte er sich wol geben, und darum schrieb er auch diesen Brief, um, was seine Gegenwart nicht hatte ausrichten können, durch das geschriebene Wort auszurichten, und sie dabei festzuhalten, ihr Vertrauen auf nichts Anders zu setzen als auf den Glauben, der durch die Liebe thätig ist. Nun sagt er auch weiter, es sei gar nicht Noth, daß er sie zu diesem Behuf auf einen andern Weg führe, als der ihnen schon gezeigt sei, oder sie anders lehre, als sie schon gelehrt wären, denn er sagt, daß vermöge seiner Gegenwart im Geist er sich freue der christlichen Ordnung, von der er gehört habe, daß sie unter ihnen bestände, und des festen Glaubens an Christum. Der Glaube an Christus ist aber gewiß nicht fest, wenn wir meinen, noch etwas Anderes außer ihm zu bedürfen, und es sei also nur nöthig, daß, wie sie Christum angenommen hätten als die eigentliche Quelle des Heils, so sie auch in ihm wandeln sollten und in diesem Glauben eingewurzelt bleiben und in demselben immer mehr erbaut werden. Aber was er nun hinzufügt, daß sie auch in demselben reichlich dankbar sein sollten, das hat seine Beziehung auf den eigentlichen Gegenstand seiner Rede. Nämlich, m. g. Fr., alle Dankbarkeit kann doch immer nur davon ausgehen, daß man die Wohlthat, für welche man dankt, für das erkennt, was sie ist, und die Dankbarkeit ist desto inniger, je größer die Wohlthat ist, die man anerkennt. Wenn der Apostel hier also redet von der reichlichen Dankbarkeit: so setzt dieses die größte Wohlthat voraus; aber die Dankbarkeit ist nichts anders als die sich laut machende Anerkennung, und sie kann um so weniger etwas Anderes sein, je mehr der, welcher uns die Wohlthat

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erweiset, so zu uns gestellt ist, daß wir ihm nicht auch eine Wohlthat erweisen können. So nun steht der Erlöser zu uns. Wir können ihm nichts erweisen, als nur, daß wir seine Wohl|that anerkennen, und zur rechten Anerkenntniß bringen. Aber die Dankbarkeit gegen ihn ist desto reichlicher, je mehr seine Wohlthat nicht nur von uns anerkannt, sondern auch Andern zur Anerkenntniß gebracht wird. Je mehr wir also Christum verkündigen, wie wir ihn anerkannt haben, nichts davon und nichts dazu thun, rein und lauter die Erfahrung unsers Herzens darlegen, aber nicht auf spitzfindige und schwergestellte Worte etwas geben; – denn das ist nicht die Erfahrung des gläubigen Herzens, sondern das ist ein Hin- und Her-, Hierhin- und Dorthinsehen auf menschliche Auffassungen, wie sie bald so bald anders gewesen sind; die Reife des Verstandes und der Reichthum der Erkenntniß führen immer zu der größten Einfachheit auch in den Aeußerungen über die göttliche Wohlthat in Christo in Beziehung auf das, worauf es wesentlich ankommt; – je mehr wir dieser rechten Einfachheit auch in unsern Aeußerungen treu bleiben, je weniger wir Gewicht legen auf den Buchstaben, der da tödtet, und nur sehen auf den Geist, der da lebendig macht: um desto reichlicher sind wir dankbar, um desto mehr werden wir dazu beitragen, das rechte Licht anzuzünden, um so mehr werden wir selbst feststehen, wie wir gelehret sind und auch Andere befestigen; aber nur um so mehr, als wir in uns selbst überall jenen herrlichen Zusammenhang haben zwischen dem Angefaßtsein in der Liebe und der Reife und Fülle der geistigen Einsicht. Nur in dem, was aus der Kraft der Liebe hervorgeht, ist auch die rechte Einsicht, die Reife des Verstandes über das Reich Gottes; nur, wenn sich in unserer Verkündigung die Kraft der Liebe zeigt, kann sie gesegnet sein, daß auch Andern das rechte Licht über den wahren und lebendigen Glauben an Christum aufgeht und ihre Herzen erleuchtet. So lasset uns denn darauf immer genauer und ernster uns prüfen, ob wir fest zusammengehalten sind in der Liebe, und ob Allem, was wir in Beziehung auf das Reich Gottes thun, nichts Anders zum Grunde liegt als die Kraft der rechten Liebe, in welcher die Schätze | der wahren Weisheit und der Erkenntniß, und des rechten Heils verborgen liegen. So werden auch wir Verkündiger des Evangeliums sein in dem Sinn des Apostels und auch durch unsern Dienst das Reich Gottes gefördert und gebauet werden, wozu Er uns Allen seinen Segen und den Beistand seines Geistes geben wolle! Amen. Lied 19, 4–6.

13 Aeußerungen] Außerungen 16–17 Vgl. 2Kor 3,6 36 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 19: „Vor dich, Herr, will ich treten“ (Melodie von „In allen meinen Thaten“)

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Am 31. Oktober 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

21. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 2,8–17 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 283–297, Nr. VIII; Zabel Keine Nachschrift; SAr 99, Bl. 26r–30r; Slg. Wwe. SM, Pommer (Zabel) Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 790.

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Tex t . Colosser II, 8–17. „Sehet zu, daß euch niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen, und nicht nach Christo. Denn in ihm wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Und ihr seid vollkommen in ihm, welcher ist das Haupt aller Fürstenthümer und Obrigkeit; in welchem ihr auch beschnitten seid, mit der Beschneidung ohne Hände, durch Ablegung des sündlichen Leibes im Fleisch, nämlich mit der Beschneidung Christi; in dem, daß ihr mit ihm begraben seid durch die Taufe, in welchem ihr auch seid auferstanden durch den Glauben, den Gott wirket, welcher ihn auferwecket hat von den Todten; und hat euch auch mit ihm lebendig gemacht, da ihr todt waret in den Sünden und in der Vorhaut eures Fleisches; und hat uns geschenket alle Sünden, und ausgetilget die Handschrift, so wider uns war, welche durch Satzungen entstand, und uns entgegen war, und hat sie aus dem Mittel gethan und an das Kreuz geheftet; und hat ausgezogen die Fürstenthümer und die Gewaltigen, und sie Schau getragen öffent|lich, und einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich selbst. So lasset nun Niemand Euch Gewissen machen über Speise oder über Trank oder über bestimmte Feiertage oder Neumonden oder Sabbather; welches ist der Schatten von dem, das zukünftig war, aber der Körper selbst ist in Christo.“ 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 790: „Der frohe Morgen kommt gegangen“ (Melodie von „Dir, dir, Jehovah, will ich singen“)

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Hier nun, m. a. Fr., nimmt der Apostel die Rede wieder auf, die er schon angefangen hat in den frühern Worten des zweiten Capitels, als er sagte: „ich sage aber davon, daß euch niemand betrüge mit vernünftigen Reden.“ Dasselbige, wie ich mich damals schon darüber erklärt, ist auch wieder dies, „daß euch niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen und nicht nach Christo.“ Wenn wir nun fragen, wovon sollten denn die Christen beraubt werden durch die Philosophie, vor welcher der Apostel sie hier warnt? so können wir die Antwort darauf nirgend anders suchen als in dem zusammengenommen, was wir eben mit einander vernommen haben, und was der Apostel zusammenfaßt in den letzten Worten dieser Rede: „so lasset euch nun nicht ein Gewissen machen über Speise und Trank und dergleichen.“ Die sich also darüber ließen Gewissen machen durch solche Vorspiegelungen und Verführungen nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen, waren dessen beraubt. Fragen wir nun, wessen sie denn beraubt waren: so ist es nichts Anders als das, was der Apostel auch sonst zu nennen pflegt die rechte Freiheit der Kinder Gottes; nämlich daß sie nun frei wären, nicht zu fragen nach einzelnen Vorschriften, nicht zu fragen nach äußern Gesetzen, sei es nun mehr oder weniger, was sie zu thun oder zu lassen hätten, sondern ganz und gar allein darnach, ob Christus in | ihnen lebendig wäre. Das ist die Freiheit der Kinder Gottes, von welcher er sagt, daß sie sich nicht sollten ihrer berauben lassen, indem sie sich ein Gewissen machen ließen über äußere Dinge, und also alle die Gründe, welche die anführen könnten, welche die Menschen wieder unter den Buchstaben des mosaischen Gesetzes bringen wollten, nennt er hier zusammen Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen; woraus wir denn sehen, daß das erste Wort, dessen der Apostel sich hier bedient, auf ganz andere Weise und in ganz anderem Sinne von ihm gebraucht ist, als wir es jetzt zu gebrauchen pflegen. Denn wir verstehen darunter nur, was die Menschen erkennen oder doch wenigstens zu erkennen glauben, indem sie rein auf ihr Inneres und auf das Wesen des menschlichen Geistes zurückgehen, woraus denn solche äußerliche Vorschriften gar nicht entstehen können; aber der Apostel meint darunter nur die Art und Weise, die äußeren Satzungen zu gestalten und auszuschmücken, wie denn die Lehren und Vorschriften der Pharisäer und Sadducäer auch durch den Ausdruck, daß es verschiedene Philosophieen seien, in der Schrift bezeichnet werden. Das also meint der Apostel, und seine ganze Ermahnung hat keinen andern Zweck als diesen, daß die Christen sich nicht wieder unter solche Satzungen der Welt, die nicht nach Christo wären, sollten beugen und gefangen geben und sich ihrer geistigen Freiheit berauben lassen. Es scheint uns nun, wenn wir denken, daß dies der ganze Zweck seiner Rede 3 Kol 2,4

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ist, die Zurüstung dazu gar groß; aber diese ist es auch zugleich, an die wir uns halten möchten, insofern wir glauben könnten, daß der Zweck selbst uns ziemlich fern liege, indem wir nicht mehr in Gefahr wären, uns durch solche Satzungen berauben zu lassen. Was hält der Apostel nun den Christen vor, damit sie sich nicht sollten durch solche Dinge ein Gewissen machen lassen? Er sagt, „daß die ganze Fülle der Gottheit in Christo leibhaftig wohne und daß sie vollkommen | seien in ihm,“ woran sich alles Folgende nur als nähere Erläuterung und Ausführung dieser Worte anschließt. Nun ist freilich nicht leicht zu sehen, wie denn dieses, daß die ganze Fülle der Gottheit in Christo leibhaftig wohne, mit dem unmittelbar zusammenhängt, daß die Christen sich nicht wieder sollten Gewissen machen lassen über solche äußerliche Dinge; aber es ist auch schwerlich zu leugnen, daß diese Worte des Apostels nicht gerade das bedeuten, was wir am Leichtesten dabei denken, daß nämlich der Ausdruck, die ganze Fülle der Gottheit war in ihm, nicht dasselbe sei, was der Apostel sonst deutlich so ausdrückt, daß Gott in Christo war, um die Welt mit sich selbst zu versöhnen. Wenn wir denken, diese Worte, die Fülle der Gottheit wohne in Christo, könnten doch wol nichts Anders bedeuten, als daß die ganze Gottheit in Christo wohne: so werden wir doch schon dadurch wieder bedenklich gemacht, daß dieser Ausdruck: „die Fülle der Gottheit“ darauf gedeutet werden kann, daß die Gottheit könne getheilt werden, daß auch weniger als die Fülle davon könne in Christo gewohnt haben, wie es ja denn auch solche Vorstellungen in der Christenheit gegeben hat; aber das konnte dem Apostel nicht einfallen. Dann werden wir auch bedenklich gemacht dadurch, daß er sagt, die Fülle der Gottheit wohne in Christo „leibhaftig;“ denn leibhaftig konnte doch Gott auch in diesem Sinne nicht in Christo sein, um die Welt mit sich zu versöhnen, und wir müssen also besonders darauf achten, was diese beiden Ausdrücke: „Fülle“ und „leibhaftig“ hier bedeuten. Nun ist die Fülle nichts anders als Reichthum, und wenn der Apostel sagt, die Fülle der Gottheit wohne in Christo: so meint er damit Reichthum an Gaben, welche die Gottheit spenden kann, und der Apostel meint damit, was er sonst sagt, | daß in Christo alle göttlichen Verheißungen Ja und Amen sind, daß Alles, was Gott den Menschen geben könne und wolle, daß das Alles sei in Christo und gar nichts sei davon ausgeschlossen. Und so schicken sich diese Worte ganz genau in den Zusammenhang seiner Rede; denn die, welche die Christen wieder unter das Gesetz bringen wollten, leugneten nicht, daß in Christo den Menschen ein großes geistiges Gut gegeben sei, vielmehr waren sie damit einverstanden; sondern sie meinten nur, daß nicht Alles in Christo gegeben sei, und das will der Apostel widerlegen, indem er sagt: „die ganze Fülle der Gottheit wohnt in Christo,“ und 16–17 Vgl. 2Kor 5,19

33–34 Vgl. 2Kor 1,20

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weiset so zurück, was jene sagten, daß zwar das Höchste in Christo den Menschen gegeben sei, aber man könne dessen nicht theilhaftig werden, wenn man nicht das, was Gott den Menschen vorher gegeben, mit dazu nehme, nämlich das Gesetz. Auch mit dem Ausdruck „leibhaftig“ ist es so, daß sich der Apostel dessen auf ganz eigenthümliche Weise bisweilen bedient. So sagt er in unserm Texte selbst, daß wir wären in Christo beschnitten mit der Beschneidung ohne Hände durch Ablegung des sündlichen Leibes im Fleisch. Wenn wir hier auch wollten das Wort in seinem buchstäblichen Sinne nehmen: so können wir doch nicht sagen, daß wir den Leib abgelegt haben, sondern der Ausdruck: „sündlicher Leib“ bedeutet nichts anders als die Gesammtheit der Sünde, wie sie Eins ist in dem Menschen und zusammengehört und nach Beschaffenheit der Umstände bald diese bald jene in dem Menschen erweckt wird, jeder aber gestehen muß von sich, daß die Sünde ganz in ihm sei. Das nennt er, wo er es recht bemerklich machen will, den Leib der Sünde, und so sagt er auch hier: durch Ablegung des sündlichen Leibes in unserm Fleisch. Eben so sagt er an jener Stelle im Brief an die Römer, wo er den Zustand des Menschen schildert, welcher sich zwar, wenn man recht auf sein Inneres zurückgeht, des Wohlgefallens am göttlichen Gesetz nicht erwehren könne, aber | doch ein Gesetz in seinen Gliedern findet, welches ihn gegen jenes zu handeln antreibt, nachdem er diesen traurigen Zustand ganz beschrieben hat, sagt er: „ich elender Mensch, wer wird mich erretten von dem Leibe dieses Todes?“ Da versteht er unter Tod diesen Zustand der geistigen Ohnmacht, wo der Mensch das auf keine Weise könne, was er doch eigentlich seinem Innern nach will; und weil er das darstellt als Gesetz, das in seinen Gliedern wohnt, und auch wieder als eine untheilbare Kraft, der er nicht widerstehen kann: so nennt er dies, weil es auch ein Mannigfaltiges ist in seiner äußern Gestaltung und Gliederung, wie der Leib Eins ist, wenn man auf die innere Lebenskraft sieht, aber Vieles in Beziehung auf die Erscheinung, darum nennt er das den Leib dieses Todes. Eben so sagt er am Ende unsers Textes, daß das Gesetz der Schatten sei von dem, was zukünftig war, aber der Körper, das heißt, seinem ganzen Zusammenhang nach, das wahre Wesen, das sei in Christo. Wenn er also hier sagt, in Christo wohne leibhaftig die ganze Fülle der Gottheit: so meint er, der ganze Reichthum der göttlichen Gnade sei vollständig und ungetheilt in Christo, in ihm sei die Kraft und Gestaltung davon, und wir hätten sie in ihm ganz und brauchten nichts Anders außer ihm zu suchen. Darum gehören auch diese Worte ganz genau zusammen: in ihm wohnet die ganze Fülle der Gottheit, und ihr seid vollkommen in ihm, d. h. wir 7 Ablegung] Ablegnng 14–15 Vgl. vor allem Röm 6,6 7,24

16–20 Vgl. Röm 7,14–23, bes. 22f

21–22 Röm

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haben an ihm die vollkommene Genüge, wir können Alles in ihm finden, und wenn wir von ihm nehmen, was zu nehmen ist, haben wir Alles und sind vollkommen und bedürfen nichts Anders. Und so werden wir verstehen, wie alles Folgende nichts Anderes ist, als eine Auseinandersetzung hiervon in Beziehung auf jene Verführungen, denen die Christen in jenen Gegenden und in jener Zeit unterlagen. Da war nun also das Erste | dies, daß sie sagten, es müßten sich Alle unterwerfen der Bedingung des Bundes, den Gott mit Abraham gemacht, und als welches Bundes Zeichen er eben eingesetzt habe jenen Gebrauch der Beschneidung. Dagegen streitet der Apostel auch anderwärts aus der Geschichte, indem er sagt, daß Abraham die göttlichen Verheißungen bekommen habe, als von jenem Zeichen des Bundes noch gar nicht die Rede war, und daß sie also auch davon nicht abhängen könnten. Hier sagt er dasselbe auf eine andere Weise, indem wir es darauf beziehen müssen, wenn er sagt, das sei nur der Schatten gewesen, das Wesen davon aber sei in Christo, nämlich die Ablegung des sündlichen Leibes, welche wir nur haben in der Kraft Christi und nicht in uns selbst. Das sei der Körper, das wahre Wesen, daß wir durch ihn in den Stand gesetzt werden, indem er in uns lebt, den sündlichen Leib, den ganzen Zusammenhang der Sünde in unserm Fleisch abzulegen und uns warnen zu lassen und abhalten von allem dem, was dem Leben in Christo zuwider ist, nicht von dem Einen oder dem Andern, sondern von Allem insgesammt, eben weil es dem Leben in Christo zuwider ist, und weil wir der Sünde in ihm abgestorben sind. So sagt er nun auch zweitens von der Taufe, d. h. also der Reinigung in Verbindung mit der Verheißung der Vergebung der Sünde, welche schon Johannes der Täufer gepredigt hatte und eingeführt, und welcher sich auch die unterwerfen mußten, die im Heidenthum geboren, dem Volke des Alten Bundes auf eine nähere Weise angehören wollten, indem nämlich die Vorstellung herrschend war, daß Alle, welche nicht zu diesem Volke gehörten, unrein wären, und Alle erst durch eine äußere Abwaschung sinnbildlicher Weise gereinigt werden mußten durch das Wasserbad der Taufe, um aufgenommen zu werden in die Gemeinschaft des Bundes. Darum sagt der Apostel, | das sei der Schatten gewesen, die wahre Taufe sei in Christo, nämlich nicht im Wasserbad, denn das Wasser thut es freilich nicht, sondern, wie er anderwärts sagt, daß wir mit ihm begraben sind in seinen Tod; wie der Täufling ganz untergetaucht wurde unter das Wasser, so daß er gleichsam verschwunden war: so sollte der alte Mensch begraben werden in Christo; und wie der Täufling rein aufsteht aus dem Wasser: so soll er aufstehen zu einem neuen Leben, das nicht mehr gelebt wird von dem sündlichen Leibe 21 Einen] Einem 8–10 Vgl. Gen 17,1–14

10–13 Vgl. Gal 3,6.15.17f

35 Vgl. Röm 6,4

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im Fleisch, und welche Auferstehung bewirkt werde durch den Glauben an Christum. Und so sagt er ferner, so wie in der damaligen Zeit auch eine Vorstellung unter dem jüdischen Volke herrschend war, wie wir sie auch in den Reden des Herrn öfter angeführt finden, vom Leben nach diesem Tode, als ob es auch noch ganz und gar an jenen Verheißungen hinge, welche dem Stammvater des Volks gegeben waren, weswegen man es bezeichnete, indem man sagte: in Abrahams Schooße liegen, und es so dargestellt wurde, daß Gott besonders ausgewählt habe diesen seinen Liebling und Alle die, welche ihm angehören, – so sagt er nun, die Auferstehung sei auch nicht und das neue Leben im Reiche Gottes sei auch nicht im Gesetz und in der Abstammung von Abraham, sondern die Auferstehung sei in Christo, und es sei dasselbe Leben, das wir jetzt schon vollführen müßten im Geiste mit ihm, nachdem wir nämlich durch die Taufe dem alten Menschen nach begraben sind in seinen Tod und auferstanden zu dem neuen Leben, zu welchem uns Gott mit ihm lebendig gemacht hat, da wir vorher todt waren in Sünde. So sagt er also, Alles das, was man sich so dächte als die Segnungen des künftigen Lebens unter ziemlich sinnlichen Bildern und Vorstellungen und dem leiblichen Zusammenhang mit Abraham, das sei nur der Schatten; das wahre geistige Leben, | das nur die genießen, welche vermöge des Glaubens durch den Tod hindurchgedrungen wären zum Leben, das sei nur in Christo und in keinem Andern, sondern nur in ihm. Eben so fährt er nun fort, „in Christo habe uns Gott geschenkt alle Sünden und die Handschrift ausgetilgt, die wider uns war in Satzungen und hat sie aus dem Mittel gethan und ans Kreuz geheftet,“ d. h. also, die Verzeihung der Sünden, die sei nicht in der Beobachtung des Gesetzes, weder so, als ob die Erfüllung desselben auf der einen Seite in Beziehung auf alle äußern Vorschriften gut machen könnte, was gesündigt sei in dem Leben und Wesen der Menschen, sondern auch, daß keinerlei Art von Opfern und Gaben, im Gesetz geboten, die wirkliche Vergebung der Sünde in sich enthalte und verleihen und die Sünden ungültig machen könnte, wie das im Brief an die Galater so schön auseinander gesetzt ist. Das Alles, sagt er, sei nur der Schatten, in Christo sei das Wesen, in ihm seien uns die Sünden geschenkt, weil sie kein Recht mehr an uns haben, weil wir nicht mehr in der Sünde leben, sondern in Christo und mit ihm und nach seinem Geist. Und so, sagt er, sei nun die Handschrift, die wider uns war in Satzungen, ausgetilgt, aus dem Mittel gethan und ans Kreuz geheftet. Diese Handschrift aber ist nichts anders als das Gesetz selbst in seinem ganzen Umkreis, mit seinen Verheißungen und seinen Drohungen. So sagt der Apostel ander29 sondern auch, daß keinerlei Art] Kj noch auch, daß irgendeine Art 8 Vgl. Lk 16,22

20–21 Vgl. Joh 5,24

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wärts, er sei mit Christo dem Gesetz gekreuzigt, weil nämlich das Gesetz, in dessen Namen und kraft dessen Christus zum Tode verurtheilt war, nicht mehr konnte von ihm angesehen werden als ein gültiges. So sagt er, sei diese Handschrift, wobei er denn ganz vorzüglich die Worte im Sinne hat, die er auch anderwärts anführt: verflucht sei, wer nicht bleibet bei dem Buchstaben des Gesetzes, – die sei aufgehoben und von Christo ans Kreuz geheftet, so daß das Gesetz nun kein Recht weiter über den Menschen haben könne, als ob | nämlich von demselben sein geistiges Wohl abhange, als ob durch dasselbe seine Seligkeit befördert werden könne; indem nämlich der Fürst des Lebens durch dasselbe sei gekreuzigt worden: so könnten wir nun Alle ebenso dem Gesetz absterben mit Christo, so wie der Sünde, und dieses sagt er auf eine so allgemeine Weise, daß es nicht bloß die angehen kann, welche durch ihre Geburt dem jüdischen Volk angehören, sondern wir müssen uns dabei an das erinnern, was er in dieser Beziehung in dem Brief an die Römer sagt, wo er Juden und Heiden ganz gleich stellt, indem er sagt: die Einen haben das Gesetz und haben mit dem Gesetz gesündigt; die Anderen haben kein Gesetz, nämlich nicht, so wie das jüdische Volk, ein ihnen von Gott gegebenes, aber sie sind sich selbst ein Gesetz geworden, d. h. sie haben sich alle selbst ein Gesetz gemacht. Von Allem diesem und von Allem dem, was sich der Mensch selbst macht, so lange es nur ein Gesetz ist, sagt er, daß es keine Kraft hat, daß es nur Erkenntniß geben könne der Sünde, und daß es erst ungültig gemacht werden müsse für den Menschen, ehe das rechte Leben angehe. Dasselbige sagt auch der Erlöser, indem er das ganze Leben, das von ihm ausgeht, beschreibt durch einen Ausdruck der Propheten, die das freilich nur dunkel geschaut, daß es kein Gesetz mehr geben soll, das im äußerlichen Buchstaben bestehe, sondern Gott werde seinen Willen ins Herz der Menschen schreiben, auf daß sie ihn in sich selbst tragen; was der Mensch aber so in sich selbst hat als sein eigenstes innerstes Bestreben und Trieb, das ist kein Gesetz mehr, sondern sein Leben selbst. So lange wir nun noch unter einem Gesetze stehen und ein Gesetz für uns haben: so ist es uns eben nur ein äußerliches; – wir erkennen es, aber es ist nicht die Kraft die unser Leben bewegt; wir erkennen also auch, daß es nicht so in uns ist, sondern wir wünschen nur, daß es in uns sei, welches der Zustand ist, den der Apostel im Briefe an die | Römer beschreibt. Wenn nun diese Handschrift aus dem Mittel gethan und ans Kreuz geheftet ist: so folgt, daß für die, welche durch den Glauben an Christus lebendig geworden und zum Leben erwacht sind, es ein solch äußerliches Gesetz in Beziehung auf ihr geistiges Leben nicht gibt, – denn freilich von der bürgerlichen Ordnung redet der Apostel hier nicht; – aber 1 Vgl. Gal 2,19 5 Vgl. Gal 3,10 5–6 Vgl. Dtn 27,26 16–19 Vgl. Röm 2,12– 14 23–24 Vgl. vermutlich Joh 3,5f; 6,45.63 25–28 Vgl. Jer 31,33; Ez 11,19; 36,26f; auch Jer 24,7 34–35 Vgl. Röm 7,14–23

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das innerliche Leben des Menschen habe kein Gesetz und habe kein Gesetz wider sich, sondern es sei die Kraft des Geistes, der in sein Herz geschriebene Wille Gottes, das Dringen der Liebe Gottes, wobei er nichts anders bedürfe, und in dem er lebe, weil es nichts anders sei als das Leben Christi in ihm. Wenn nun der Apostel gleich im Anfange unsers Textes vor Alles das, was er hier auseinander setzt, die Worte setzt: „welcher ist das Haupt aller Fürstenthümer und Obrigkeit:“ so habe ich diese Worte übergangen, weil wir sie nur verstehen können, indem wir dazu nehmen die folgenden Worte: „und hat ausgezogen die Fürstenthümer und die Gewaltigen und sie Schau getragen öffentlich und einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich selbst.“ Was sind das nun für Fürstenthümer und Obrigkeiten in dem ersten Theil der Worte des Apostels, und was für Fürstenthümer und Gewaltigen in dem andern? Offenbar bedeutet beides dasselbe; aber erst sagt der Apostel von ihnen, Christus sei das Haupt aller Fürstenthümer und Obrigkeiten, und hier sagt er, Christus habe sie öffentlich zur Schau getragen und einen Triumph aus ihnen gemacht. Das scheint zweierlei; denn hat er einen Triumph aus ihnen gemacht: so stellt er sie dar als überwundene Feinde, und vorher sagt er, Christus wäre das Haupt derselben. Er kann aber dem ganzen Zusammenhang nach nichts Anderes meinen, als die Gewalten, welche durch das Gesetz Mosis gestiftet waren, nicht die bürgerlichen Fürsten und Obrigkeiten; denn das sagt der Apostel nirgends, daß Christus das Haupt derselben sei, sondern | die Obrigkeit sei von Gott geordnet, sagt er, und die heidnischen auch, obgleich sie in keinem Zusammenhang mit Christo waren; aber er redet von der Obrigkeit, welche durch das Gesetz gestiftet war, von der Priesterschaft des Volks, welche das Gesetz auslegte und also die Einzelnen in Stand setzte, es zu verstehen. Von diesen sagt er auf der einen Seite, daß Christus das Haupt derselben sei, auf der andern, daß er sie zur Schau getragen und einen Triumph aus ihnen gemacht habe. Auch dies verstehen wir nur durch die letzten Worte des Apostels, wo er den Schatten und den Körper, das Wesen, entgegenstellt. Sie waren der Schatten, weil das Gesetz mit allen seinen Einrichtungen nur davon abhing, daß Gott Alles beschlossen hatte unter die Sünde, bis der Glaube käme an Christum, durch welchen die göttlichen Verheißungen in Erfüllung gingen. So sagt der Apostel nun, Christus habe diese ganze Gewalt und dieses ganze Ansehn zur Schau getragen öffentlich und einen Triumph gemacht aus ihnen und zwar durch seinen Tod, der durch das Gesetz verursacht war und so zeigen sollte und mußte, daß das Leben nicht aus dem Gesetz kommen könnte, sondern vielmehr Ursach werden mußte, daß Alle in Christo dem 21 Mosis] Moses 23 Vgl. Röm 13,1

32–34 Vgl. Gal 3,22f

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Gesetz absterben mußten, wie der Sünde, und darum das Gesetz abgeschafft werden. Aber er sagt nun, insofern in Christo der Körper ist, daß er das Haupt sei aller Fürstenthümer und Obrigkeiten, d. h. alles wirklichen Ansehens unter den Menschen, das auf das geistige Leben gehe, wie er ja auch sagt, von Christo gehe das aus, daß Einige Apostel seien, Andere Lehrer, Andere Propheten, welche Unterschiede das wahre geistige Leben betreffen, und in dieser Beziehung sagt er, daß die ganze Fülle der Gottheit in Christo wohne, daß wir in ihm vollkommen sind, daß er der Herr sei aller der mannigfaltigen Abstufungen der geistigen Gaben, die sich aber alle erweisen sollten zum gemeinsamen Nutzen in der Gemeinschaft der Christen. | Wenn wir nun aber das Alles zusammennehmen, m. a. Fr.: so werden wir doch sagen, wenn gleich der Apostel das unmittelbar so gemeint hat, daß die ganze Fülle der göttlichen Gnade und Gaben in Christo wohne, ohne Ausnahme und vollständig, und wir das Alles zusammennehmen und besonders dabei stehen bleiben, daß jene Handschrift ausgetilgt worden, daß wir von dem Gesetz befreit sind, daß wir durch ihn die Kraft des neuen geistigen Lebens empfangen haben: so müssen wir freilich sagen, das hätte Christus nicht sein können, das hätte nicht von ihm ausgehen können, wenn nicht auch jenes gewesen wäre, daß Gott in ihm war, um die Welt mit sich zu versöhnen. Und das zeigt sich wol am deutlichsten in dieser Befreiung vom Gesetz. Denn das ist die größte Macht, daß uns Christus vom Gesetz befreit hat, daß wir ganz vom Buchstaben gelöset und nur auf das Geistige zurückgeführt sind. Denn es ist nur Gott selbst, der über das Gesetz ist, und es ist der höchste Ausdruck unserer Gemeinschaft mit Gott, daß wir frei sind vom Gesetz, und es ist das nur Wahrheit, insofern der Geist Gottes in uns wohnet; dessen aber sind wir nur theilhaftig durch Christum, der der Herr der Gaben des Geistes ist, und von dem alle diese Gaben des Geistes ausgehen. Wäre nicht auch in diesem Sinne Gott in ihm gewesen: so hätte er uns nicht vom Gesetz befreien können; wäre es nicht die Kraft Gottes in ihm gewesen, welche ihn selbst zum Haupt des ganzen menschlichen Geschlechtes macht: so könnten auch wir nicht von ihm sagen, was er sagt, daß er mit dem Vater kommen werde und Wohnung unter uns machen, – welches nichts anders ist, als daß wir durch seine Kraft mit ihm vereinigt, durch seinen Geist und sein Leben einen innern Antrieb haben, Gott wohlzugefallen, und nicht nur ein inneres Wohlgefallen an dem göttlichen Willen, sondern auch eine Kraft, Gott zu leben mit Christo, nachdem wir der Sünde abgestorben sind mit ihm und durch ihn. Darum finden wir auch unter den Christen bei allen | mannigfaltigen und verschiedenen Vorstel24 über das Gesetz ] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1122 5–6 Vgl. 1Kor 12,28 im Kontext von 12,4f 14,23 37 Vgl. Gal 2,19

9–11 Vgl. 1Kor 12,7

33 Vgl. Joh

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lungen von dem Werth der Erlösung durch Christus dies beides immer zusammen. Diejenigen, welche einen festen Glauben daran haben, daß Gott in Christo war, die den festen Glauben haben, daß eine neue Austheilung göttlichen Lebens und göttlicher Kraft von ihm ausgegangen sei, sind auch darin einverstanden, daß es für die, welche in Christo leben, kein Gesetz mehr gebe, sondern daß es nur aussprechen soll, wonach sich die richten sollen, welche nicht in Christo leben, und in denen das Leben der Sünde noch nicht erstorben ist; die, welche einen so großen Werth Christo nicht zuschreiben wollen, bringen auch die Christen immer wieder unter das Gesetz zurück, wenn sie gleich sagen, es sei das Gesetz der Vernunft, die Stimme ihres eigenen Selbst. Und wir dürfen das nur überlegen, um uns zu überzeugen, ein wie viel größeres Gut das sei, was die Einen behaupten, und wonach die Andern streben; denn wo noch ein Gesetz ist, da ist auch eine Uneinigkeit des Menschen mit sich selbst, und es ist offenbar, daß diese nicht kann aufgehoben werden, so lange nicht solche Kraft eines wahrhaft göttlichen Lebens in dem Menschen ist, nämlich der Geist Gottes, damit er zur Ruhe und zum Frieden komme und nicht mehr nöthig habe, auf das Gesetz und auf den äußern Buchstaben zu sehen. Daher, was wir in den Schriften des Neuen Bundes finden, sind nicht etwa Gesetze für uns, sondern nur Zeugnisse von dem neuen Leben, das wir in uns tragen sollen, und wir sollen uns erinnern, daß es nichts ist als die Regel dieses Lebens, der Sinn, den Gott auch in unser Herz gelegt hat, auf daß, weil dieser nicht immer in uns gleich lebendig und kräftig ist, wir uns an ihnen stärken sollen und dieselbe Kraft in uns erregen. Aber das Gesetz ist aufgehoben, seitdem der Glaube gekommen, und wie wir nun in Allem, was Gesetz ist, immer wieder zurückgeführt werden auf Gott als die Quelle alles Gesetzes: so ist auch dies, daß es kein Gesetz gibt, das schönste Zeugniß und | der höchste Ausdruck davon, daß der Wille Gottes uns nicht mehr etwas Aeußerliches ist, sondern daß wir Gott und den Willen Gottes in uns tragen, und daß wir durch Christum in die lebendige Gemeinschaft mit Gott aufgenommen sind, wie er denn sagt: wer mich siehet, der siehet den Vater, und ich will kommen mit dem Vater und wohnen bei euch. Und darum mußte er auch auf dieselbe Weise, wie er es selbst sagt, den Vater in sich tragen und Eins mit ihm sein; und wäre nicht in diesem Sinne Gott in ihm gewesen: so hätte auch nicht in diesem Sinne können die Fülle der Gottheit und der Reichthum aller ihrer Gaben, Alles, was von Gott den Menschen kommen kann, in ihm ungetheilt und leibhaftig wohnen. Darum nun sei es auch unsere Antwort, die wir uns selbst und Andern geben, wie die Antwort der Apostel, als Christus sie fragte, ob sie auch 39 Antwort] Anwort 31 Joh 14,9 6,66–68

31–32 Vgl. Joh 14,23

33–34 Vgl. Joh 10,30

39–2 Vgl. Joh

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wollten hinter sich gehen: wir bleiben bei ihm, denn er hat nicht nur die Worte des Lebens, sondern auch die Kraft des Lebens, und wir wissen und haben erkannt an dieser Kraft des Lebens, wie wir sie an ihm schauen, daß er ist der Sohn des lebendigen Gottes und daß diese Kraft ist die Quelle des Lebens. So wollen wir uns denn der ganzen Fülle der Gottheit, die uns durch ihn gegeben ist, immer mehr erfreuen und darnach trachten, daß wir vollkommen werden durch ihn, damit unser ganzes Leben und unsere ganze Gemeinschaft ein immer deutlicheres Zeugniß davon ablege, daß wir keines Gesetzes mehr bedürfen für unser geistiges Leben, daß die Handschrift ausgetilgt ist, so wider uns war und uns entgegenstand, und daß wir uns freuen der Gemeinschaft dessen, in dem wir alle geistigen und wesentlichen Güter haben und genießen können. Amen. Lied 443, 2–4.

3–4 Vgl. Mt 16,16 13 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 443: „So hoff ich denn“ (Melodie von „Kommt her zu mir“); Strophen 2–4 lauten: „Herr, welch ein unaussprechlich Heil, an dir und deiner Gnade Theil, Theil an dem Himmel haben; im Herzen durch den Glauben rein, dich lieben, und erfüllet seyn von deines Geistes Gaben. // Dein Wort, das Wort der Seligkeit, wirkt himmlische Zufriedenheit, wenn wir es treu bewahren. Es spricht uns Trost im Elend zu, es giebt dem müden Herzen Ruh, und stärkt uns in Gefahren. // Erhalte mir, o Herr, mein Hort, den Glauben an dein göttlich Wort, um deines Namens willen; laß ihn mein Licht auf Erden seyn, ihn täglich mehr mein Herz erneun, und mich mit Trost erfüllen.“

Am 21. November 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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24. Sonntag nach Trinitatis (Totensonntag), 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 2,29 Nachschrift; SAr 97, Bl. 7r–14v; Slg. Wwe. SM, nicht identifizierter Nachschreiber Keine Nachschrift; SAr 54, Bl. 155r–168v; Schirmer Keine

Lied 653, 1–4. 731. Tex t . Lucas 2, 29 „Herr, nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren, wie Du gesaget hast.“ M. a. Fr. Wenn dieser Tag des Gedächtnisses uns gesetzt ist, um uns daran zu erinnern, welche vor uns in einem abermals vollendeten Abschnitt unsers kirchlichen Lebens den Schauplatz dieser Welt verlassen haben: so ist die Meinung dabei nicht die, daß Jeder nur an diejenigen gedenken soll, welche vielleicht aus seinem nähern Kreise dahin geschieden sind; sondern wie es kein stilles und einsames, sondern ein gemeinsames Fest des Gedächtnisses ist, so sollen wir auch hier, wie immer, wenn wir uns mit einander als Glieder unserer christlichen Gemeinschaft versammeln, dieser ganzen Gemeinschaft gedenken. Wenn wir nun in dieser Beziehung, m. g. Fr., den gewöhnlichen Lauf des menschlichen Lebens uns vor Augen halten, die mannigfaltigen Umstände und Verhältnisse, unter denen die Einzelnen aus diesem Leben abgefordert wurden, so werden wir wohl sagen: es giebt doch, wenn wir mit unserer Betrachtung bei der christlichen Gemeinschaft stehen bleiben, in allen diesen nur wenige bedeutende Unterschiede, welche unsern Blick festhalten: zuerst freilich der zwischen Solchen, die sich schon wegen der Entwickelung, welche die Kräfte ihres Geistes erlangt ha1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 653: „Jauchzt, ihr auserwählten Kinder“ (Melodie von „Wachet auf, ruft uns die Stimme“), das Lied besitzt fünf Strophen; Nr. 731: „Es ist vollbracht“ (Melodie von „Ich hab genug“) 5–7 Veranlasst durch die zahlreichen Toten der Befreiungskriege, hatte König Friedrich Wilhelm III. durch Kabinettsorder vom 24. April und 17. November 1816 in Preußen ein „Allgemeines Kirchenfest zur Erinnerung an die Verstorbenen am letzten Sonntag des Kirchenjahrs“ eingeführt.

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ben, in dem wirklichen Genuß der Güter dieser seligen Gemeinschaft befinden, und denen, welche wir erst auf Hoffnung in dieselbe aufgenommen haben und deren Auge weder nach innen noch nach außen schon so weit geöffnet ist, daß sie das wahre Wesen des menschlichen Heils und Lebens erkennen könnten – ein Unterschied, worauf wir auch sonst schon mit einander an diesem Tage unsere Aufmerksamkeit gerichtet haben. Nächstdem aber giebt es noch einen andern und der ist es, auf welchen ich | heute eure Aufmerksamkeit hinlenken will. Es giebt nämlich immer noch Viele unter uns, deren ganzes Leben auf eine solche Weise beschränkt ist, so sehr von dem täglichen Geschäfte und den irdischen Sorgen desselben eingenommen und ergriffen, daß sie nicht vermögen, ihr Auge weit um sich hinzurichten, daß sie auch mit allen ihren Gedanken, mit allen ihren Empfindungen nur in einen eng beschränkten Kreis des Lebens gebannt sind; aber dann giebt es Andere, denen in dieser Hinsicht ein anderes Loos gefallen ist, welche den ganzen Kreislauf des menschlichen Daseins mehr oder weniger übersehen, in ein großes gemeinsames Leben verwickelt, auch an Allem, was dieses betrifft, ihren innigen und thätigen Antheil nehmen. Wir Alle, m. g. Fr., gehören zu diesen Letzten ohne Ausnahme, auch diejenigen unter uns, welche vielleicht meinen können, in mancher Hinsicht seien sie zu jenen zu zählen; denn es ist uns nichts fremd von menschlichen Dingen, wir sind Alle in diesen großen Kreis des menschlichen Lebens hineingesetzt, daß wir sagen können: es giebt nichts Menschliches, was uns fremd sei; was Bedeutendes geschieht auf unserer bewohnten Erde, davon dringt das Gerücht zu unseren Ohren und ebenso auch das Unsere verbreitet sich überall hin, unser Name wird genannt als der Name eines christlichen Volkes, eines Volkes von großem und aufstrebendem Geist. Für uns Alle aber, m. g. F., indem wir uns aus diesem Gesichtspunkte betrachten, giebt es einen sehr verschiedenen Ausgang des menschlichen Lebens: es giebt Zeiten, welche ganz geschildert werden können durch das schöne, friedliche Wort, welches wir mehr als einmal lesen auch schon in der ersten Gemeinschaft der Christen, daß die Gemeine des Herrn wuchs, daß sie sich der Ruhe erfreuten, daß sie sich baute in tiefem Frieden und daß sie An|sehen und großen Ruf gewann vor der Welt. Wem in solchen Zeiten vergönnt ist, diesen irdischen Schauplatz zu verlassen, von dem dürfen wir hoffen, daß dieser allgemeine Friede, dessen sich Alles erfreut, auch in seiner Seele sein wird; daß er alle diejenigen, welche er zurückläßt bei seinem Scheiden, mit einem getrosten hoffnungsvollen Gemüth empfiehlt der fernern Leitung des göttlichen Worts; daß er, wie er sie denn zurückläßt in einem 22–23 Vgl. Publius Terentius Afer: Heautontimoroumenos 77: „Homo sum: humani nihil a me alienum puto.“ Comoediae, ed. Societas Bipontina, Bd. 1, S. 202; vgl. Comoediae, edd. Klauer/Lindsay, o. S. 30–33 Vgl. vermutlich etwa Apg 5,14; 9,31; 12,24

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solchen Kreise, wo dieses seine beseeligende Wirkung auf die menschlichen Seelen ausübt – er darf es hoffen und hofft es gern, daß diese Zeiten der Ruhe und des Friedens lange dauern werden, daß das ganze Leben des Geschlechtes, welches sein Herz am meisten beschäftigt, wenn er sich von dieser Erde entfernt, in diesem Frieden und in dieser Ruhe hingehen wird. Aber wie oft wird mitten aus diesem schönen und reinen Genuß das Gemüth der Menschen aufgestört, wie schnell entwickeln sich oft unerwartet nach dem Rath des Höchsten mitten in der Ruhe und dem Frieden Zwiespalt und Streit, wie oft breiten sich über große Völker Unruhen aus, welche wir in ihrem ersten Anfange für unbedeutend halten; und wir werden es gestehen müssen: es ist ein ganz anderer Ausgang des Lebens, wenn die, welche den Schauplatz der Erde verlassen sollen, ihn verlassen sollen in einer solchen Zeit unabsehlicher Verwirrungen: die köstlichsten und reinsten Verhältnisse getrübt, überall nichts um die Menschen her als das, was am meisten vermag, ihre Ruhe aus dem rechten Gleichgewicht zu bringen und Zwiespalt und Verwirrung bis in das Innere ihres Gemüthes zu tragen. So ist es uns öfter ergangen, daß plötzlich aus einem stillen Frieden und einer tiefen Ruhe neue Verwirrungen in die Welt getreten sind, von welchen wir nicht wissen, zu welchem Ende sie der verborgene Rath des Höchsten führen wird, | wie näher und immer näher sie auch in unser eignes Leben treten mögen. So lasset uns denn, m. g. Fr., die Frage beantworten, worauf es ankommt, daß auch in solchen Zeiten die, welche abgerufen werden von dem Schauplatz dieser Welt, mit jenem frommen Simeon sagen können: „Herr, nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren, wie Du gesaget hast.“ Wie nun aber zu jedem Abschiede zwei gehören, Einer der abgerufen wird, und Andere, die zurückbleiben: so kann es auch freilich nichts Einseitiges sein, wodurch wir uns diese Frage beantworten, sondern sie wird uns gleich eine zwiefache: wie muß es um uns selbst stehen, wie muß es um diejenigen stehen, welche wir mitten in diesen Verwirrungen des Lebens zu verlassen bestimmt sind? I. Wenn wir uns nun, m. a. Fr., zuerst jene Frage beantworten, in welchem Zustande müssen wir uns selbst befinden, wenn wir auch unter solchen Umständen getrost sollen von dem Schauplatz dieses Lebens scheiden können: so laßt mich zuerst eines Irrthums gedenken, welcher sich sehr häufig findet grade da, wo das menschliche Leben in großen und verwickelten Verbindungen sich erweitert, und welcher auch in der christlichen Kirche schon zeitig überhand genommen hat und sich von Zeit zu Zeit wieder erneuert. Es ist nämlich der, daß der am sichersten und leichtesten im innern Frieden von dieser Welt scheiden wird, welcher sich schon zeitig von ihr zurückgezogen hat, wenn nicht in die gänzliche Einsamkeit der Betrachtung, doch in einen regelmäßigen kleinen Kreis stiller und einfacher Pflichten und Lebensweise. Diese Meinung, m. a. Fr., streitet sehr mit einem Aus-

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spruche des Apostels, welcher sagt: jeder bleibe in dem, worin er berufen ist, ja, der hinzufügt in Beziehung auf die, welche in menschlicher Hinsicht den niedrigsten | und engsten Beruf hatten: Kannst Du aber frei werden, so gebrauche deß viel lieber. Denn was jenes anbetrifft, m. g. Fr., so ist das der erste Beruf aller Menschen, welchen der Stammvater der Menschheit, als er auf dieser Erde, von Gott gebildet, auftrat, unmittelbar von dem Höchsten empfing, daß er solle ein Herr sein über Alles, was auf Erden ist, und daß, um diese Herrschaft auszuüben, er sollte fruchtbar sein und das menschliche Geschlecht sich mehren und über den Schauplatz dieser Erde seine Macht und seine Herrschaft ausbreiten. Sind wir nun Alle zu dieser Herrschaft über die Erde, welche uns Gott anvertraut hat, und als Theilnehmer derselben berufen: so sagt der Apostel uns Allen: Weil wir darin berufen sind, so sollen wir darin bleiben, und uns nicht von der Ausübung dieser Pflichten in dem Maß, als sie uns übertragen sind, in einen engen und kleinen Kreis träge und furchtsam zurückziehen. Vor allen Dingen aber lasset uns auch das andere Wort seiner Ermahnung betrachten. Ist es nicht wahr, daß der Mensch nur desto freier ist, je weiter der Umfang seiner Thätigkeit ist, daß er sich gebunden fühlt, wenn er über weniger Kräfte zu gebieten hat; kannst du also frei werden, sagt der Apostel, so gebrauche das viel lieber, kannst du dich in einen größern Kreis von Thätigkeit erheben, kannst du mehr in den Umfang deines Lebens ziehen, kannst du deine Macht, welche du als Theilnehmer an dem göttlichen Geist ausüben kannst, kannst du diese erweitern, so gebrauche deß viel lieber. Laßt uns also zuerst, m. G., darin einstimmen, daß das eine falsche Weisheit und eine falsche Frömmigkeit sein muß, welche entgegengesetzt redet von diesen Worten des Apostels. Ist es nicht die schnödeste Undankbarkeit, wenn wir das gering achten, was der Höchste uns auf eine solche feierliche Weise gegeben und anvertraut hat, wenn wir ihm gleichsam den Vorwurf machen, diese Erde, welche er der Sorge und Pflege des menschlichen Geistes | anvertraut hat, sei nicht der Mühe werth, daß dieser Geist seine Thätigkeit darauf richtet. Wie! ist es nicht diese Erde, von der aus wir unsere Augen öffnen, um die Werke der göttlichen Schöpfung zu betrachten, seine ewige Kraft und Gottheit schauen können; ist sie nicht der einzige uns bekannte Schauplatz seiner verborgenen Weisheit und seiner für uns ins Unendliche sich erstrekkenden Allmacht, welche wir aber, wenn wir das Auge des Geistes öffnen, eben so sehr in dem Irdischen, als in dem Himmlischen sollen erkennen lernen, und ist es nicht wahr, daß, je mehr der Mensch sich rüstet, um diese Herrschaft über die Erde zu behaupten und zu erweitern, um so mehr auch die Gaben seines Geistes sich entwickeln, des Geistes, welcher die deutlichste Offenbarung ist von der ewigen Kraft und Gottheit dessen, der ihn schuf, 1–2 Vgl. 1Kor 7,20 Röm 1,20

3–4 Vgl. 1Kor 7,21

4–10 Vgl. Gen 1,28

32–33 Vgl.

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die deutlichste, weil die menschliche Natur dazu bestimmt war, daß das Wort Fleisch werden sollte und Alles das dazu gehört, um ihn, den Erlöser, vorzubereiten, was der Apostel uns darstellt als den Gegenstand der ewigen Sorge Gottes, der jedem Geschlecht seine Grenzen gesteckt, um in Ordnung und Frieden diese Herrschaft über die Erde auszuüben. Gäbe es einen Gegenstand, welcher der Mühe werth gewesen wäre, daß Gott nur, als die Zeit erfüllet war, seinen Sohn sandte, den Mann, wie der Apostel sagt, in welchem er beschlossen hatte, den Erdkreis zu richten, wenn das ganze Thun auf diesem Erdkreis etwas Geringfügiges wäre, nicht unserer Bestrebungen und unserer Theilnahme werth? Freilich ist wahr, m. a. Fr., je mehr wir in diesem höheren Kreis des Geistes leben, welcher uns erst durch den zu Theil geworden ist, der das rechte Leben und die Unsterblichkeit ans Licht gebracht hat, je mehr wir in diesen gezogen werden, um so mehr erfüllt sich in unserer Seele und wird uns klar und gewiß, was wir doch ansehen müssen als eine Ahndung, welche sich überall in dem menschlichen Geschlecht wiederfindet und unvertilglich in dasselbe nieder|gelegt ist, daß nicht hier die ursprüngliche Heimath des Geistes sei, daß es noch eine andere für ihn giebt, und andere Wohnungen in dem großen, überall verbreiteten Hause Gottes. Aber wenn das so ist, so lasset uns doch nicht vergessen, daß nur diejenigen ein Recht haben, zu hoffen, daß sie über mehr werden gesetzt werden, und diejenigen ein Recht zu verlangen, daß es geschehen werde, welche über das Wenige, das ihnen anvertraut war, treu gewesen sind. Ist es ein Weniges, was dem Menschen auf dieser Erde obliegt, ist es ein Geringes, wozu der Herr den Menschen berufen hat: wohlan, so lasset uns das beweisen, wenn wir Alles gethan haben, um unsern Beruf zu erfüllen, wenn wir darin gefunden haben Ursache genug zu dem Streite zwischen dem Geist und dem Fleisch, wenn in diesem Kampfe unsere Kräfte erstarkt sind, wenn wir uns, je mehr wir in den Stand gesetzt sind in diesem Beruf, das Rechte von dem Falschen zu unterscheiden und das Rechte zu wählen, um desto mehr wir dann uns selbst sagen können, daß wir reif wären, in die andere Heimath versetzt zu werden, aber doch nur so, wie eine Frucht, die freilich auch schon reif ist, aber doch je länger sie an dem Stamme hängt, je länger sie von ihm Saft und Nahrung an sich zieht, sich der belebenden Wärme der Sonne, der befruchtenden Ströme des Regens erfreut, doch immer noch gewinnt an Reife und Süße. Darum, m. g. Fr., nicht zurückgezogen von der Welt müssen wir sein, nicht das ist uns nothwendig, daß wir die Bahn unsers Lebens auf einen engern Kreis beschränkt haben, daß wir das, was irdisch ist, hinter uns gelassen haben, um in Frieden von dannen zu fahren; nicht das ist uns nothwendig, das ist denen noth1–2 Vgl. Joh 1,14 6–7 Vgl. Gal 4,4 7–8 Vgl. Apg 17,31 18–19 Anspielung auf Joh 14,2 20–23 Im Hintergrund steht das Gleichnis von den anvertrauten Zentnern (Mt 25,14–30; Lk 19,12–27); vgl. bes. Mt 25,21.23.

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wendig, die, obgleich sie ihre Kräfte ihrem Berufe widmeten, doch etwas Anderes gesucht haben, als diesen Beruf, nicht das gemeinsame Wohl der Menschen, nicht das Band der Einigkeit des Geistes in Liebe und Frieden, nicht Erweiterung der menschlichen Gemeinschaft in diesem großen und heiligen Beruf, nur sich selbst | und immer sich selbst, nur diesen engen Kreis, in welchem sie selbst unterschieden waren von Andern und sich mancher Vorzüge erfreuten; die nicht dem göttlichen Beruf nachgegangen, sondern auf eine falsche Bahn abgewichen sind. Die freilich berathen sich selbst am besten, wenn sie sich zeitig genug davon zurückziehen und sie können es nicht zeitig genug thun, aber nicht um in einem trägen Leben zu bleiben, sondern um eine richtige Ansicht zu erlangen von dem, was ihnen obliegt, und ihre Kräfte dem wahren und würdigen Zweck zu widmen, zu welchem sie uns Gott gegeben hat. Wir wissen freilich wenig von dem Leben dessen, von welchem die Worte herrühren, an die wir unsere gemeinsame Betrachtung geknüpft haben; nur das wissen wir, daß er ein Greis war, hochbetagt an Jahren und so mag ihm wohl vergönnt gewesen sein, und darauf machen wir Alle Anspruch, daß, wenn wir nicht mehr dasselbe Maß von Kräften, wie in unsern jüngern Jahren aufwenden können, wir uns in einen engern Kreis der Thätigkeit zurückziehen – das mag auch ihm vergönnt gewesen sein, aber nicht das war es, was ihm den Frieden gab, sondern was von ihm gesagt wird: er hoffte auf den Trost Israels und der heilige Geist war in ihm. Da sehen wir, daß er nicht sich auf sich selbst beschränkt, nicht auf das Wohl der eignen Seele; sondern daß ihm die Angelegenheiten seines Volkes am Herzen lagen, daß er der bessern Zukunft, welche ihm verheißen war, entgegensah und für dieselbe lebte; und wenn der Geist Gottes in ihm war, der ja immer ein lebendiges und thätiges Wesen in den Menschen ist, ihre Kräfte zu leiten, so hat er also auch diesem Wunsche gemäß gehandelt und er ist gewiß ein Solcher gewesen, der in dem Kreise seines Berufes Vielen zum Segen mag gewirkt haben, eben weil er, mit dem Geist Gottes erfüllt, auf den Trost Israels hoffte. Anders also als so werden auch wir nicht vermögen | und haben auch die, welche vor uns den Schauplatz des Lebens verlassen haben, nicht vermogt, zu sagen: „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,“ als wenn sie sich selbst von ganzem Herzen und aus allen ihren Kräften den gemeinsamen Angelegenheiten der Menschen, mit denen Gott sie in einen engern Bund der Thätigkeit gesetzt hatte, gewidmet haben. Aber daß Simeon in demselben Verhältniß war, auf welches wir unsere Aufmerksamkeit richten, das ist gewiß. Ich habe nur die wenigen Worte aus dem Zusammenhange dieser Erzählung gelesen, weil ich gewiß sein kann, daß sie uns Allen gegenwärtig sind. Der auf den Trost Israels hoffte, der sprach: „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesa3 Anspielung vermutlich auf Eph 4,3

21–22 Vgl. Lk 2,25

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get hast, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Gegenwärtig war ihm geworden, was er bisher nur als ein in ferner Zukunft Liegendes mit seinem ganzen Leben umfaßt hatte. Es wird erzählt, es war ihm eine Antwort geworden von dem heiligen Geist, daß er nicht sterben solle, bis er den Gesalbten des Herrn gesehen; die Antwort empfängt aber nur der, welcher frägt, und so sahen wir denn, wie seine Sehnsucht auf dieses Ziel aller Wünsche war gerichtet gewesen. Und das, m. g. Fr., das können wir uns Alle sagen: in demselben Maß, als wir uns alles Menschliche nicht fern halten, also die Führung Gottes mit dem menschlichen Geschlecht uns wenigstens in ihren großen Zügen aus der Geschichte desselben bekannt ist, als wir auch jetzt den Zustand der verschiedenen Völker und Menschen, welche mit uns diese Erde bewohnen, wenigstens im Allgemeinen erkennen, ja auch in Beziehung auf diese großen und bedeutenden Wechsel in den menschlichen Angelegenheiten können wir es sagen: wir haben den Heiland gesehen, und uns darauf, darauf allein verlassen. Diejenigen freilich, welche von diesem Leben scheiden, indem sie aufs neue das menschliche Geschlecht großen Verwirrungen Preis gegeben | sehen, in denen in dem Kreis, zu welchem sie unmittelbar gehört haben, alle Früchte vielfältiger Anstrengung, alle Segnungen fortgesetzter Belehrung auf einmal wieder allen Stürmen des Lebens und allem ungewissen Wechsel, der aus dem Zusammenstoßen der Völker entsteht, ausgesetzt zu sein scheinen, welche so das Leben verlassen müssen und keinen andern Grund der menschlichen Wohlfahrt kennen, als eben diese wohl gemeinten Bemühungen der Menschen in ihrer Vereinigung und das, was sich aus derselben entwickelt: die gleichen dann freilich in solchen Umständen denen, von welchen der Apostel sagt, daß sie wenig oder gar keine Hoffnung haben und eben deshalb traurig sind. Wir aber, m. G., wir haben den Heiland gesehen, wir haben erkannt, daß das, worauf in dem Verhältniß des Menschen zu Gott das Heil und Wohlergehen ruhe, eben darauf beruhe auch sein Heil und Wohlergehen in Beziehung auf den Beruf, welchen Gott dem ganzen Geschlecht angewiesen hat. Wir müssen es wohl gestehen, seitdem der Erlöser in der Welt erschienen ist, seitdem das Christenthum sich unter so viele Völker verbreitet hat, hat doch das menschliche Geschlecht nicht aufgehört zu leiden an vielen Krankheiten, haben Krieg und Zwietracht nie aufgehört, ist immer die Ruhe unterbrochen durch das Geräusch der Waffen, die stille Wirksamkeit des göttlichen Worts immer aufs neue gestört durch den Sturm der menschlichen Leidenschaften – das Alles ist freilich nicht zu leugnen, aber doch wissen wir: der Grund ist gelegt, außer dem kein anderer gelegt werden kann, das ist da und wirksam, wodurch allein jenes rohe Wesen der menschlichen Seele, jene Gewalt der Leidenschaften, jene verderblichen Keime und Neigungen zu Zwietracht und Haß, wodurch dieses allein kann 1 Lk 2,30

3–5 Vgl. Lk 2,26

25–27 Vgl. 1Thess 4,13

38–39 Vgl. 1Kor 3,11

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gedämpft werden. Indem der Erlöser uns beruft zu einer seligen Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, welche in keine Grenzen des Volkes ein|geschlossen ist, seitdem mit ihm auch die Liebe Gottes zu dem ganzen Geschlecht der Menschen in unserer Seele ausgegossen ist, seitdem ist eine höhere Gott ähnliche Kraft in das Geschlecht der Menschen gekommen, welche früher oder später die dunkeln Gewalten besiegt und durch deren Einfluß alles Irdische geläutert wird, so daß in jedem Kampfe immer wieder einiges Böse untergeht, aber das Gute immer reiner daraus ersteht und nicht unterdrückt werden kann, weil es, in diesen Zusammenhang des Heils gebracht, durch keine Kraft der Welt kann überwältigt werden. Ja, meine geliebten Freunde, wenn wir, in diesem Glauben stehend, unsere eignen Handlungen verrichten, und die uns vorgezeichnete Bahn wandeln, von diesem Glauben aus die verwickelten Angelegenheiten der Menschen betrachten, nicht an das Einzelne uns halten, sondern an die großen gemeinsamen Züge, dann werden wir sagen: wir werden, wie es auch um uns aussehe, in Frieden fahren, denn wir haben den Heiland gesehen, der Alles, was die Menschen entzweit, unter seine Gewalt bringen wird, der immer mehr, indem die Menschen sich ihm hingeben, auf daß er in ihnen lebt, und dann auch von ihm zeugen und mit ihm handeln, ein Reich Gottes erbaut, welches unzerstörbar ist, weil Alles nur soll in dem Feuer geläutert werden; aber, wie es auch komme, das wissen wir, daß er es immer herrlich hinausführt, daß immer aus dem Guten und Trefflichen, wenn es verloren zu gehen scheint, ein Besseres und Herrlicheres durch seine Hülfe hervorgeht. So, m. g. Fr., dieser fromme Greis, welchem nur vergönnt war, den Erlöser zu sehen in den ersten Tagen seines Lebens, dem alles was aus diesem damals noch ganz unbekannten Dasein hervorgehen sollte, in eine Zeit fiel, wo er auf dieser Erde zu leben nicht mehr hoffen konnte, aber der so durchdrungen war von dem rechten und wahren Heil für sein Volk und alle Völker, daß er sich freute an dem Scheine des Lichts, | welches bestimmt war, die Welt zu erleuchten; und wie große Verwirrungen er auch vorhersah vor dem Auftreten desselben, welches Vielen in Israel gesetzt sein sollte zu einem Fall und Auferstehen, so war das nicht im Stande, ihm den Frieden zu rauben, welchen er fühlte, als er sagen konnte: meine Augen haben den Heiland gesehen. Und, m. g. F., wir haben ihn näher gesehen als er, wir haben ihn gesehen und kennen ihn in uns selbst; es ist unsere eigne Erfahrung, welche uns diesen Frieden zuspricht, den wir festhalten sollen in der letzten Stunde des Lebens. Alle, die an ihn glauben, wissen es, daß sie nur durch ihn aus dem Tode hindurchgedrungen sind in das Leben, jeder macht die Erfahrung, daß das Leben des Erlösers in seiner Seele manchem Wechsel unterliegt, jeder erfährt und erkennt in sich den Kampf des Flei20–21 Vgl. vermutlich 1Kor 3,12–15 32 Vgl. Lk 2,34 37–38 Vgl. Joh 5,24

21–22 Anspielung auf Jes 28,29

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sches gegen den Geist, aber jeder von uns erfährt auch den Sieg des letztern über das erstere; und woher sind alle Verwirrungen, welche die gemeinsamen Angelegenheiten der Menschen treffen anders, als aus derselben Quelle, aus welcher auch das herfließt, was das Leben der Einzelnen trübt. Wäre das Fleisch nicht, welches gegen den Geist ankämpft, so würde sich Alles in Ruhe und Frieden entwickeln, aber durch das Anstreben jenes gegen die Macht des Geistes entstehen alle solche Kämpfe, aber sie wurden auch immer zu einem gesegneten Ende geleitet, seitdem der Heiland auf der Welt erschien und er hört nicht auf in ihr gegenwärtig zu sein; er ist der, welchem alles Gericht von seinem Vater übergeben ist, und er führt jedes Gericht herrlich hinaus. Denn geschieht es, daß solche Verwirrungen die Angelegenheiten der Menschen treffen und zerstören, dann sieht man, wie die Einen sich neigen auf die Seite des Rechts, der Wahrheit und der Ordnung, und nichts Anderes begehren, als mitten unter allen Verwirrungen des Lebens Gott in seiner Sache zu dienen, und wie Andere sich gefangen nehmen lassen von den eiteln und nichtigen Dingen der Welt. Haben | wir ihn nun gesehen, haben wir ihn so erfahren, wohlan, so ist Alles in uns wie es sein muß, damit wir, unter welchen Umständen es auch sei, in Frieden fahren; wir haben den Heiland gesehen, wir wissen, sein Eigenthum ist das Geschlecht, dem wir angehören, er wird es herrlich hinausführen und immer herrlicher wird er zu seiner segnenden Macht unter den Menschen gelangen. II. Aber nun, m. g. F., wenn es denn so in unserer Seele ist, wenn wir alle menschlichen Dinge aus diesem Gesichtspunkt ansehen, wenn es der Eine Grund des Vertrauens ist, welcher uns in jeder Beziehung festhält und aufrecht, was sollen wir wünschen und wollen von denen, welche wir zurücklassen, wenn uns beschieden ist, auf solche Weise von dem Schauplatz der Erde abzutreten? Wir wissen gar nicht, hatte Simeon oder hatte er nicht Solche, die ihm näher angehörten und ihm auf besondere Weise anvertraut waren, stand er allein und gehörte nur und unmittelbar seinem Volke an, für welches er lebte und sorgte, oder gab es noch einen engern Kreis, welcher auf ihn vorzüglich hinsah; aber wir sehen ihn hier mit der Maria, der Mutter des Herrn. Zu dieser wendet er sich liebreich, denn sie war ihm nicht fern und fremd, da sie das Kind ihm darbrachte, auf welches jene Antwort sich bezog, die er im Geist empfangen hatte, und wie wir von ihr wissen, daß sie alle Worte treu in ihrem Herzen behielt, welche sich auf dieses Kind bezogen, dem so nahe zu stehen sie gewürdigt war, sollte uns hier nicht das Wort des Herrn in das Gedächtniß treten, welches er sprach: das sind meine Mutter und meine Brüder, welche mein Vater mir anvertraut hat. So 10 Vgl. Joh 5,22 32–33 Vgl. Lk 2,34 34–35 Vgl. Lk 2,26 2,19 38–39 Vgl. Mt 12,49f; Mk 3,34f; ferner Lk 8,21

35–37 Vgl. Lk

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erschien dem Simeon die Maria, er erkannte sie als eine Solche, welche das Wort, das ihr von dem Herrn gesagt war, gern bewahrte, und darum wendet er sich zu ihr. Und was sagt er? Er sagt zu ihr: „Dieser wird gesetzt werden zu einem Fall und Auferstehen Vieler in Israel, und es wird ein Schwert durch deine Seele dringen.“ Das sagt er, aber er sagt es ihr, weil er wußte und fühlte, daß sie es zu tragen vermogte. Und darauf, m. Th., kommt es also an in Beziehung auf diejenigen, | welche uns lieb und werth sind, wenn wir sie auf dieser Erde zurücklassen und in Frieden dahin fahren sollen, daß sie auch solche sind, welche das hören können und doch feststehen im Glauben und nicht aufhören, alle ihre Sorgen dem Dienste des Herrn zu weihen, zu welchem sie berufen sind. Ja wohl, m. Fr., ist es ein Anderes, ein stilles und unbewegtes Leben führen, das durch nichts gestört wird und gehemmt, leicht Befriedigung finden in der Erfüllung solcher Pflichten, welche sich nicht für jeden Augenblick unserem Auge zu verwirren drohen, mit menschlicher Sicherheit rechnen können auf das Gedeihen von dem, was wir thun – ein Anderes ist das, in jene Stürme gesetzt zu sein, wo immer wieder aufs neue solche Entscheidungen entstehen, welche den Einen zum Fall, den Andern zum Aufstehen gereichen. Wenn nun hier Einige fallen und dort Einige aufstehen, wer kann uns sicher dafür sein, daß nicht auch unter den Ersten Solche sind, mit denen wir in irgend einem Verhältniß der Natur oder der geselligen Verbindung stehen; wer kann uns dafür stehen, daß diejenigen, mit welchen wir zu wirken berufen sind, zu denen gehören, welche sich aufrichten an jedem Gericht des Herrn. Aber wo dieser Muth, wo dieses Vertrauen ist, da können wir auch mit rechter Ruhe und dem wahren Frieden des Herzens die Unsern zurücklassen mitten unter den Stürmen der Welt. Und ist das nicht, m. g. Fr., die natürliche Frucht des Glaubens; ist er es nicht, welcher überall die Welt überwindet, und wenn denen, welche an ihn halten, wie Simeon der Maria sagt, ein Schwert durch ihre Seele geht, ist er es nicht, der dann doch in festem Vertrauen ihre Seele dem zuwendet, von welchem Alles und auch dieses kommt, sich mit Allem immer der allgemeinen Leitung dessen anheimstellt, der es zu seinem Ziele zu führen weiß, und in dem ganzen Leben nichts Anderes sucht, als zu denen zu gehören, welche sich immer wieder aufrichten, welche Stürme auch das Leben bewegen mögen. Je öfter aber, m. g. Fr., das Leben auf solche Weise erschüttert wird, desto größer ist auch die Übung und die Kraft des Geistes, welche sich eben daraus entwickelt. Wenn oft mehrere Geschlechter der Menschen in einem fortgehenden Wechsel von solchen Verwirrungen auf|gehen auf der Erde und wieder verschwinden, das sind Zeiten, welche eine dauernde Frucht bringen auf lange Zeit, welche ihren Einfluß erstrecken sollen eben durch die Kraft welche sie in der Aufregung einnehmen, auf weite, weite Zeiten. 3–5 Vgl. Lk 2,34f

27 Vgl. 1Joh 5,4

28–29 Vgl. Lk 2,35

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Wohlan denn, m. Fr., wir mögen es wohl sagen, daß Gott sich in dieser Hinsicht nicht unbezeugt gelassen für uns; schon seit mehreren Geschlechtern ist unser Leben ein auf diese Weise bewegtes, ein auf diese Weise geprüftes; um desto mehr können wir uns darauf verlassen, daß Alle, welche mit uns wirklich den Heiland gesehen haben, auch fest stehen werden unter allen Erschütterungen, welche das Leben noch bringen kann, sich nicht werden vertreiben lassen von dem Felsen, auf welchem das Leben der Menschen allein kann sicher und fest erbaut werden. Das ist eine Zuversicht, zu welcher wir ein Recht haben, weil wir Alle der Gemeinschaft der Christen angehören; je mehr wir wissen, daß auch die Unsern dieser Schule des Geistes angehören, daß auch sie den Heiland erkannt haben, um so getroster können wir sie seiner Führung anheim geben, auch wenn wir sie nicht mehr leiten, sie warnen und schützen können. M. g. Fr. Wir beschließen heute ein Jahr unsers kirchlichen Lebens und ein neues beginnt, wir können nicht anders, als von diesem Abschied nehmen in einem ähnlichen Sinn, wie die Worte unsers Textes. Wir wissen es, daß manche Verwirrungen der Welt bevorstehen, der Herr wird sie aber alle leiten und führen zu ihrem Heil, wir wissen es aber auch, daß unter uns das Wort des Herrn sich seine Stätte gebaut hat, daß der Heiland aufgerichtet ist unter uns, auf daß Alle, die auf ihn sehen, fest bleiben in dem Genuß des ewigen Lebens, welches ihnen der Glaube gegeben hat. Wie sollen wir also nicht auch der Zukunft mit einer solchen festen und frohen Zuversicht entgegen sehen. Auch in diesem Jahr, welches wir beginnen, wird Mancher von uns scheiden, aber keine andere Zuversicht wird es geben für die, welche zurückbleiben, als diese. Je mehr wir also das wissen und uns gegenseitig dabei festhalten, auf den, der Alles leitet, zu vertrauen, je mehr wir die Überzeugung in uns stärken, daß er in seinem Sohn eine ewige Ordnung des Heils gestiftet hat, daß alle Verwirrungen herrühren | von dem, was ihn noch nicht erkannt hat, daß in diesem Feuer das menschliche Leben immer mehr muß geläutert werden, aber daß in ihm auch verschwindet, was Nichtiges gebaut ist auf diesem herrlichen Grund, und das, was beharrt, sich zu einem Tempel Gottes im Geist und in der Wahrheit gestalten wird. Lasset uns, so lange uns Gott vergönnt, auf diesem Schauplatz zu wirken, alle Kräfte unseres Geistes treu benutzen, sie denen einflößen, welche mit uns leben, dann bereitet sich Jeder eine selige Stunde des Abschiedes selbst mitten unter den Stürmen der Welt und so werden wir es denn in dem Leben wie in dem Sterben erfahren, daß es einen Frieden giebt, der über alle Stürme des irdischen Lebens erhaben ist, einen Frieden, den wir finden in dem treuen Wirken in dem, wozu uns Gott berufen hat, in der beständigen Bereitwilligkeit, Rechenschaft abzulegen von dem Gebrauch aller Kräfte, die Gott uns 1–2 Anspielung auf Apg 14,17 1Kor 3,12–15

7–8 Vgl. als Hintergrund Mt 7,24f

29–31 Vgl.

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gegeben hat, auf daß wir hinweggerufen werden von einem Werk, das da würdig sei derer, die sich zu dem bekennen, welchen ein herrliches Werk aufgegeben ist, das er zu seinem Ziele führen wird jetzt und ewig. Amen. 5

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Heiliger, gnädiger Gott und Vater! Dir sei Lob und Preis, daß du uns gegeben hast dein Wort, das unter uns lebendig gewordene Wort, den Einen Heiland für das ganze Geschlecht der Menschen, um unsere Hoffnung auf ihn zu bauen und zu seinem Reich diesen Wohnsitz menschlicher Thätigkeit zu gestalten. O! hilf uns zu einer immer deutlichern Erkenntniß deines Lichts und deiner Wahrheit und laß dazu auch überall in der Gemeine deines Sohnes die Verkündigung deines Wortes gesegnet sein. Setze ihr Versorger und Pfleger an allen denen, welchen du Kraft gegeben hast pp. Lied Am Todtenfeste den 21. November 1830 um 9 Uhr.

12 Ob es sich bei dem Gebet um einen liturgisch geformten Text handelt und wie seine Fortsetzung lautet, konnte anhand der von Schleiermacher gewöhnlich benutzten Agenden nicht nachgewiesen werden. 13 Vermutlich wurde an dieser Stelle das zweite der vor der Predigt genannten Lieder gesungen; Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 731: „Es ist vollbracht“ (Melodie von „Ich hab genug“).

Am 28. November 1830 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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1. Sonntag im Advent, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 2,18–23 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 298–310, Nr. IX; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 103. Tex t . Colosser II, 18–23. „Lasset euch niemand das Ziel verrücken, der nach eigener Wahl einhergehet in Demuth und Geistlichkeit der Engel, daß er nie keins gesehen hat, und ist ohne Sache aufgeblasen in seinem fleischlichen Sinn; und hält sich nicht an dem Haupt, aus welchem der ganze Leib durch Gelenke und Fugen Handreichung empfängt, und an einander sich enthält, und also wächst zur göttlichen Größe. So ihr denn nun abgestorben seid mit Christo den Satzungen der Welt; was lasset ihr euch denn fangen mit Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt. Die da sagen: du sollst das nicht angreifen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren, welches sich doch alles unter Händen verzehret, und ist Menschengebot und Lehre; welche haben einen Schein der Weisheit, durch selbsterwählte Geistlichkeit und Demuth, und dadurch, daß sie des Leibes nicht verschonen, und dem Fleisch und seine Ehre thun zu seiner Nothdurft.“ |

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M. a. Fr. Wir beginnen heut mit unserm neuen Kirchenjahre zugleich die Zeit, welche besonders dazu bestimmt ist, unsere Gemüther im voraus anzuschicken auf eine würdige Feier der Geburt Jesu und uns also aufs Neue gemeinsam zu durchdringen von dem Bewußtsein der großen göttlichen Wohlthat, die uns durch ihn ist zu Theil geworden. Wenn ich nun ungern und gewiß nicht ohne besondere und wichtige Veranlassung die eigen1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 103: „Mein Lebensfürst“ (Melodie von „Mein Salomo“)

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thümliche Richtung dieser Zeit in unsern Betrachtungen übergehe: so wollte ich doch auf der andern Seite auch nicht gern die Reihe der Betrachtungen über diesen Brief des Apostels unterbrechen, und so ist es denn etwas besonders Günstiges und Erfreuliches, daß, was unmittelbar in unserm Brief folgt, und was wir so eben vernommen haben, uns so genau auf den Gegenstand unserer festlichen Gemüthsstimmung hinführt. Des Apostels unmittelbarer Zweck ist hier, das zu beendigen, wovon er in dem Vorigen schon gehandelt hat, und die Gemeine, an die er schreibt, auf Christum allein hinzuweisen und vor denen zu warnen, welche noch außerdem glaubten, die Seligkeit suchen zu müssen in der Beobachtung des Gesetzes, noch dazu wie solches mit der Zeit immer mehr und mehr mit menschlichen Satzungen war überladen worden, und zu den ursprünglichen Geboten und Verboten immer neue hinzugefügt waren, welche alle doch das eigentliche Wesen des Bedürfnisses der menschlichen Seele nicht geschaffen hatte. Wenn wir nun die Worte des Apostels auf den Gegenstand dieser festlichen Zeit anwenden wollen: so sind es ganz besonders zwei Punkte, die er uns in denselben ans Herz legt; zuerst nämlich, wie nur die, welche in Christo sind, nichts mehr sollen zu thun haben auf irgend eine Art mit einer Frömmigkeit und Gottesverehrung aus eigener Macht, sie bestehe, worin sie wolle, weil eben das niemals etwas Anderes ist, als, wie der Apostel hier sagt, Menschen Gebot und Lehre. Das zweite ist dies, daß er Christum uns darstellt als | das Haupt eines geistigen Leibes, von welchem der ganze Leib seine Kraft und Ordnung, seine Zusammenfugung und das Gesetz seiner Bewegung erhält und von demselben erhalten wird und durch dasselbe wächst. Beides nun hängt auf besondere Weise so zusammen, daß, wenn die Menschen trachten nach einer Frömmigkeit aus eigener Wahl, sie bestehe nun, worin sie wolle: so gibt sich darin kund ihr Zustand innerlicher Unzufriedenheit mit dem, was sie haben und sind, das Tichten und Trachten nach etwas Besserem; diejenigen aber, welche in diesen geistigen Leib Christi eingefugt sind, die sollen in demselbigen das Bewußtsein der vollen Genüge haben, wie es denen geziemt, welche mit dem zusammenhängen, von welchem gesagt werden kann, es habe Gott gefallen, die ganze Fülle der Gottheit in ihm wohnen zu lassen. Und so laßt uns denn auf diese Punkte in unserer heutigen Betrachtung unsere Aufmerksamkeit richten. Der Apostel hat es nun, was das Erste betrifft, hier zunächst zu thun, wie wir aus der ganzen Art seiner Aeußerungen sehen, mit solchen, die, indem sie die Christen wieder aufs Neue an das Gesetz Mosis binden und auf dasselbige verpflichten wollten, nun noch allerlei eigenthümliche Zusätze zu diesem Gesetz als etwas Nothwendiges wollten geltend machen, indem sie suchten, dadurch, daß sie die gewöhnlichen Bedürfnisse des menschlichen Lebens, alles dasjenige, was zu dem irdischen Bestehen und 32–33 Vgl. Kol 1,19; ferner 2,9

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Wohlbefinden gehört, als etwas darstellten, dessen sich der Mensch bis auf die alleräußerste Nothdurft enthalten müsse, nun so viel als möglich ähnlich zu werden, wie es hier heißt, „der Geistlichkeit der Engel,“ solcher geistigen Geschöpfe, von denen wir voraussetzen, daß sie solche irdische Bedürfnisse, wie unsere sinnliche Natur sie verlangt, nicht haben und sie nicht kennen; und welche, indem sie sich so von der Erde, der sie selbst angehören, und mit der sie zusammenhangen nach der göttlichen Ordnung und Einrichtung, | loszumachen suchten, eine besondere Heiligkeit sich aneignen wollten. Wenn wir nun bedenken, m. a. Fr., wie es um alle Völker und alle Geschlechter der Menschen gestanden hat vor der Ankunft unsers Erlösers, und wie es auch jetzt noch steht um die, zu denen das Wort des Evangeliums noch nicht gedrungen oder bei denen es noch nicht zur rechten Klarheit und Einsicht gekommen ist: so finden wir da überall ein solches Trachten nach einer Frömmigkeit und Gottseligkeit aus eigener Wahl. So wie die menschliche Seele beständig gerichtet ist auf die Erkenntniß des Ewigen und Unerforschlichen, aber freilich das nach den Kräften, welche Gott ihr gegeben, um durch die Wahrnehmung seiner Werke auch zu der richtigen Erkenntniß seiner ewigen Kraft und Gottheit zu gelangen, und je mehr sie ihn sinnlich sich darzustellen bestrebt, um desto mehr dann auch vermöge ihres natürlichen Strebens in einen leeren, verkehrten Wahn verfällt: eben so ist es auch mit dem Bestreben, sich selbst in seinem innersten Gefühl und Bewußtsein in Beziehung auf die Führung des Lebens genug zu thun. Das ist freilich ein sehr natürliches und leicht in einem Jeden entstehendes Bewußtsein, daß, je mehr wir befangen sind von der Lust an dem Irdischen und Vergänglichen, um desto weniger wir auf dem rechten Wege sein können, und desto weniger die Seele, die eines höhern Ursprungs ist und alles Irdische nur als Mittel für dies Höhere betrachten und gebrauchen soll, ihre Bestimmung erreichen kann; aber ebenso geschiehet es denn auch, daß, je weniger sie erleuchtet ist von dem Licht der göttlichen Wahrheit, um desto weniger erkennt sie nun auch den richtigen Weg, welcher immer nur der Eine sein kann, in der Aehnlichkeit der göttlichen Liebe auch das Band der Liebe unter einander festzuhalten und mit denen gemeinsam, die unsere Brüder sind, ein geistiges Leben zu suchen und zu führen; je weniger sie, sage ich, vom Lichte der göttlichen Wahrheit erleuchtet ist, um | diesen richtigen Weg zu finden, sondern sich selbst überlassen: um desto mehr, von der inneren Stimme gewarnt, glaubt sie das Rechte nur zu finden im Widerstreben gegen den Genuß irdischer Dinge, in dem freiwilligen Entbehren alles dessen, was, abgesehen von jener verkehrten Lust, doch nach seinem rechten Gebrauch zu den Nothwendigkeiten des Lebens gehört. Und so entsteht denn, wie auf der einen Seite eine Menge falscher und verkehr18–19 Vgl. Röm 1,20

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ter Vorstellungen eigener Wahl, die sich bald trüber, bald heller, bald schwermüthiger, bald heiterer in dem menschlichen Gemüthe gestalten, und anstatt daß es im lebendigen Bewußtsein von dem Einen, der Alles leitet und trägt durch sein allmächtiges Wort, seine Genüge zu finden sucht, an der Vorstellung einer großen Mannigfaltigkeit höherer Wesen sich hält, in denen sich aber immer die Verkehrtheit der menschlichen Seele in ihrem Tichten und Trachten abspiegelt: – eben so entsteht auf der andern Seite eine Lebensordnung nach eigener Wahl, welche im Gegensatz gegen das natürliche sinnliche Gefühl des Menschen, nur in der Entbehrung der irdischen und sinnlichen Dinge die Zufriedenheit mit sich selbst und die Gerechtigkeit vor Gott sucht und für die innere Stimme des Gewissens Befriedigung erstrebt. Das ist die Frömmigkeit aus eigener Wahl! Und gewiß, so wie die Gemeine, an welche der Apostel schreibt, zusammengesetzt war theils aus solchen, welche in dem Gehorsam des jüdischen Gesetzes geboren und erzogen waren, theils aus solchen, die aus dem Heidenthum zu dem Lichte des Evangeliums gelangt waren: so hat er gewiß dies ganze Bild willkührlicher Frömmigkeit sowol in Beziehung auf das Leben als auf die Lehre aufgestellt. Wenn er nun sagt: „so ihr abgestorben seid mit Christo den Satzungen der Welt; was laßt ihr euch denn fangen mit Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt?“ so sagt er damit eben dies, daß diejenigen, welche in Christo ihr Heil und ihren Frieden gefunden haben, nun auf immer frei sind | von aller solcher Frömmigkeit nach eigener Wahl, sie bestehe, worin sie wolle, und indem sie, wie sie mit Christo gestorben sind, so auch mit ihm auferstanden sind zu einem neuen Leben, nur leben in der Verbindung mit ihm, in dieser Lebensgemeinschaft, in welcher nicht mehr sie selbst leben, eben nach ihrer eigenen verkehrten Wahl, sondern er in ihnen, so daß sein Wille der ihrige ist und auch sein Licht und seine Erkenntniß das ihrige, nun auf immer von allem jenem los seien. Und so zeigt sich uns auch hier, m. g. Fr., dieser große Gegensatz, den wir überall in den menschlichen Dingen finden, daß die Wahrheit Eine ist, das Falsche aber und Verkehrte in tausenderlei verschiedenen einander widersprechenden und durchkreuzenden Gestalten erscheint. So gab es und gibt es noch immer eine große Mannigfaltigkeit von solchen Lehren der Frömmigkeit nach eigener Wahl; aber der Weg zu dem Leben aus Gott und auf Gott ist nur der Eine. Diesen Weg nun hatte die Gemeine, an welche der Apostel schreibt, auch schon gefunden. Sie hatten sich gewendet zu Christo als dem Anfänger und Vollender unsers Glaubens und dem Namen, in welchem allein den Menschen Heil und Seligkeit gegeben ist; aber doch fand er diese Warnung für sie nothwendig. Und wenn wir nun von Anbeginn an uns die Geschichte der christlichen Kirche vor Augen halten: so können wir freilich nicht leugnen, in jeder Zeit und an jedem Orte finden 37 Vgl. Hebr 12,2

37–38 Vgl. Apg 4,12

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wir in derselben auch immer die Spuren von einem Tichten nach falschen Satzungen und einem Trachten nach Frömmigkeit aus eigener Wahl, so daß der Kampf gegen menschliche Satzungen und Lehren, die neben dem einfachen Sinn des Evangeliums sich geltend machen wollen, immer wieder erneuert wird. Wenn es nun so äußerliche Dinge sind, die auf solche Weise in das Gebiet der Frömmigkeit hineingezogen werden, wie der Apostel hier sagt: „du sollst das nicht angreifen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren:“ so kann solches Ueberhäufen von äußer|lichen Vorschriften und Geboten, so wie es schon an und für sich schädlich ist dadurch, weil es den Menschen seinen Frieden auf einem ganz falschen Wege suchen lehrt, auch noch auf eine eigenthümliche Weise das ganze menschliche Leben stören und trüben eben durch die Menge von solchen auf das Entbehren gerichteten Vorschriften. Aber ist es nicht noch viel schlimmer, wenn es nicht äußerliche Dinge sind, sondern wenn es Menschen sind, was auf gleiche Weise behandelt wird; wenn gesagt wird, nicht: das sollst du nicht angreifen, das sollst du nicht kosten, das sollst du nicht anrühren, sondern wenn gesagt wird: mit solchen Menschen sollst du nicht umgehen, mit ihnen keine Gemeinschaft haben, die sollst du nicht berühren, sondern dich von ihnen zurückziehen? Und doch finden wir auch dies immer als eine natürliche Folge von jedem solchem Trachten nach Frömmigkeit aus eigener Wahl. So wie daraus eine falsche Schätzung der menschlichen Handlungen entsteht: so natürlich auch eine falsche Schätzung des menschlichen Werthes. Der, welcher einmal dazu kommt, sein Heil zu suchen in äußerlichen Handlungen oder Unterlassungen, der wird natürlicher Weise dann auch leicht dazu verleitet, daß er die als gefährliche Nachbarn und Genossen des Lebens ansieht, die nicht mit ihm aus denselben Gründen das Nämliche vermeiden oder sich auferlegen, weil er fürchtet, durch sie von dem Wege, den er sich willkührlich gebahnt hat, wieder abgeführt zu werden. Und so gibt es nichts, was so sehr zu einer Trennung der Gemüther hinführt, was so sehr dazu beiträgt, daß der Zusammenhang, der zwischen den Gliedern und Gelenken des Leibes Christi bestehen soll, aufgehoben wird, als Alles, was noch als Menschensatzung und Lehre gelten will. Wenn wir bedenken, m. a. Fr., wie die einfache Wahrheit des Evangeliums, die Lehre von der Seligkeit durch die Gemeinschaft des Lebens mit dem, in welchem sich Gott unmittelbar dem menschlichen Geschlecht als in Einem ihres Gleichen | kund gethan hat, – wie dieses nun, sobald die Menschen in ihm erkennen die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, auch das Bewußtsein ihnen gibt, daß sie nun gefunden haben den, in welchem alle Glaubensverheißungen ihre Bestätigung und Erfüllung finden; so wie das Evangelium in seiner einfachen Wahrheit allen jenen Gebil37–38 Vgl. Joh 1,14

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den, die aus menschlicher Einbildung hervorgegangen sind, allen jenen Gebäuden einer selbstgemachten Frömmigkeit, allen mit so vielen Verkehrtheiten untermischten Vorstellungen von Gott und seinen Umgebungen, wie es, sage ich, Allem diesem gegenüber steht und nun einen solchen geistigen Leib gründen soll, der sich immer mehr verbreitet und bestimmt ist, das ganze menschliche Geschlecht zu umfassen: so müssen wir auch das natürlich finden, wenn wir auf die Gebrechlichkeit und Schwäche des Menschen zurückgehen, daß diese seine alte Neigung sich doch immer noch geltend macht und hervortritt; aber freilich kann das nur in dem Maaße in jedem geschehen, als er in der richtigen Erkenntniß des Evangeliums noch zurück ist, und er seine wahre Befriedigung noch nicht darin gefunden hat. Wie aber sollen wir glauben, daß diese am Besten dadurch zu erreichen ist, wenn wir recht viele Menschensatzungen in die einfache Lehre des Evangeliums bringen; dadurch, daß wir das Band des Friedens und der Liebe an die Uebereinstimmung Anderer mit uns in einzelnen Worten und Redensarten, wodurch wir unsern Glauben ausdrücken, knüpfen? Sehet da, m. th. Fr., das ist der verkehrte Weg, auf welchen doch immer noch so viele Christen zurückkommen, indem sie vergessen, was der Apostel so eindringlich sagt, daß wir mit Christo allen Satzungen der Welt abgestorben sind, und daß wir uns durch nichts mehr sollen binden lassen, was doch nichts ist als Menschengebot und Lehre. Darum haben auch alle diejenigen, welche am Richtigsten die Wahrheit des Evangeliums erkannt haben, welche Gott nach seiner Weisheit | ausersehen hat zu Werkzeugen, um, wenn die rechte Einsicht in das Wesen des Evangeliums an irgend einem Orte oder zu irgend einer Zeit verdunkelt war, das helle Licht wieder zu verbreiten, so sehr davor gewarnt, daß man nicht ihr Wort und ihre Meinung solle geltend machen und sich daran binden; sondern je mehr sie treue und aufrichtige Diener Christi waren: um desto weniger wollten sie für sich etwas gelten, sondern nur Werkzeuge sein, die Menschen unmittelbar auf Christum zurückzuführen, und gönnten es jedem gern, wenn sie nur überzeugt waren, daß er die wahre Gemeinschaft mit dem Erlöser suchte, sich das Wort dafür und die äußerlichen Gebräuche und was sonst damit zusammenhängt, zu gestalten nach seiner eigenen Ueberzeugung aus dem göttlichen Wort, und wie er selbst darin Befriedigung fand. Aber keineswegs war das jemals so gemeint, als ob sich nun die ganze Verbindung der Christen auflösen sollte, indem jeder nun etwas Eigenes für sich habe und haben solle; sondern so gewiß wir mit Christo abgestorben sind allen Satzungen der Welt und nicht mehr suchen sollen Menschengebot und Lehre: eben so sind wir auf der andern Seite darauf gewiesen, die lebendige Verbindung festzuhalten, in welcher wir allein den geistigen Leib 1 allen] alle

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Christi darstellen können. Wenn immer das Wachsthum des Reiches Gottes nur gedeiht in der Verbindung mit dem Haupte, von welchem, wie der Apostel es hier ausdrückt, der ganze Leib seine Handreichung empfängt, durch ihn genährt wird und gelenkt in allen seinen Bewegungen: so ist es ja nicht anders möglich, als daß Alle sich auch müssen unter einander immer mehr verbinden, je mehr sie zu der Ueberzeugung kommen, daß sie Alle dasselbe suchen, und daß es derselbe ist, in Verbindung mit welchem sie die Gerechtigkeit vor Gott und den Frieden ihres eigenen Herzens finden. Nur ist das immer die schwere Weisheit des Evangeliums, zu welcher so Wenige gelangen, richtig zu unterscheiden das Innere von dem Aeußeren, das Wesen von dem | Schein, den Geist von dem Buchstaben; denn das ist gewiß, daß wir ohne dies Verhältniß des Aeußeren zu dem Innern nicht bestehen können; das ist die Art und Weise des Lebens, unter welche wir geordnet sind und gefaßt; wir können uns nicht anders mittheilen als durch das Wort, das Wesen wird uns nicht anders kund, als durch den Widerschein in der äußeren Gestalt, den Geist nehmen wir nicht wahr, als nur vermittelst des Körpers, und so ist uns überall das Aeußere unentbehrlich. Aber wenn wir recht festhalten die Bestimmung der Christen, einen solchen geistigen Leib zu bilden, der aus gar vielen Gliedmaßen besteht, immer wieder aufs Neue wachsend theils durch die gewöhnlichen Mittel der Mittheilung und Lehre, theils in besondern Zeiten durch besondere göttliche Fügung und Veranstaltung; wenn wir bedenken, daß wir bestimmt sind, solchen geistigen Leib zu bilden, der nichts mehr von einem Andern bedarf, sondern Alles, was ihm nothwendig ist, von seinem Haupte empfängt: so werden wir ja dadurch immer von dem Aeußern auf den Geist zurückgeführt, und die christliche Weisheit im Fortschreiten zum lebendigen Christenthum besteht nur darin, daß wir Christum allein suchen als diesen Mittelpunkt, als dieses gemeinsame Haupt des geistigen Leibes, und alles Andere nur so viel achten, als es dazu dient, die Gemeinschaft der Glieder dieses Leibes festzuhalten, und also, daß alle äußerlichen Entbehrungen keinen andern Zweck haben, als den, daß sie uns helfen, als Glieder dieses Leibes eben diesem Leibe zu seiner Erhaltung und zu seinem Wachsthum zu dienen. Dazu dient es nun freilich und ist etwas Unentbehrliches, daß wir vermögen, uns zu entschlagen der Lust an den irdischen Dingen, daß wir vermögen, unter allen äußern Entbehrungen das Werk Gottes fortzusetzen, daß wir nicht durch dies und jenes, was uns unangenehm ist in Beziehung auf das äußere Leben, gestört werden in der Förderung des Werkes Gottes, sondern daß wir fest darauf gerichtet bleiben, – wie der | Apostel das sagt von sich und andern Dienern des Evangeliums, und dies gelten muß zu allen Zeiten von Allen, die sich zu Christo bekennen, daß sie ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren, mag es ihnen gut oder schlimm gehen, im Hunger und im Ueberfluß, im Leiden und in dem Genuß der Dinge der Welt, indem sie der Welt entsagen, und indem sie ihrer gebrauchen, doch

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so, daß sie sie nicht mißbrauchen, – unter allen Umständen doch immer das Werk Gottes zu fördern und auf keine Weise durch sinnliche Hemmungen darin gestört und aufgehalten zu werden. Und daß das eine Sache der Uebung ist, das ist auch unleugbar, und daß wir es als von Gott gegeben betrachten müssen, wenn er auf unsern Weg solche Hindernisse legt, und daß wir das ansehen müssen als einen Theil seiner väterlichen Erziehung und uns dem nicht entziehen wollen, das ist gewiß. Aber so bald wir einen Schritt weiter gehn und in dem willkürlichen Auferlegen von Entbehrungen Befriedigung finden, uns gleichsam sättigen an dem Bewußtsein, daß wir dies können, ohne daß etwas für das Evangelium dadurch gewonnen würde: so sind wir auf dem Wege der Menschen-Satzungen und Lehre, aber nicht auf dem, welcher dazu führt, daß der Leib Christi zusammengehalten werde; sondern in dem Maaß, als wir zu Menschen-Satzungen und Lehren zurückkehren, lösen wir auch das Band der Liebe und Gemeinschaft des Geistes, weil dazu eine eigene Wahl und Willkür uns treibt, und wir nicht mehr mit Allen aus der Einen Quelle schöpfen, und den Einen Weg gehen, und das Eine Leben haben. Sehet da, m. th. Fr., so sehr ist das beides Eins, was der Apostel sagt. Das Erste, daß Christus uns gegeben ist als der, in welchem wir abgestorben sind allen Menschen-Satzungen und Lehren und der aller eigenen Wahl und Willkür ein Ende machen soll; denn sobald der Mensch Christum in der Herrlichkeit des Eingebornen vom Vater erkannt hat: so ist es auch zu Ende mit aller Frömmigkeit aus eigener Wahl, und | wie der Erlöser von sich sagt, daß er nichts von ihm selber thue, sondern nur, was ihm der Vater zeige: so hört auch in den Gläubigen alle eigene Wahl und Willkür auf, und sie können fortan nichts Anderes thun, als was ihnen Christus zeigt. Das Andere, daß er uns gegeben ist als das Haupt des geistigen Leibes, welcher, so wie er sich das ganze menschliche Geschlecht zum Eigenthum erworben hat durch sein hingebendes Leben für dasselbe, so nun auch bestimmt ist, das ganze menschliche Geschlecht zu verbinden – daß er uns zu dem Einen und zu dem Andern gegeben ist, das ist Eins und dasselbe. Denn so lange die Menschen nach eigener Wahl einher gehen: können sie nicht zusammengefügt werden zu Einem Leibe; das kann nur geschehen, wenn sie Einen Mittelpunkt haben, auf den sie Alles beziehen, wenn das gemeinsame Leben in ihnen aus Einer Quelle kommt, und nach Einem Ziel hingelenkt wird. Wo die eigene Wahl und Willkür eintritt: da entsteht eine Trennung der Geister, da hört die Einheit des Leibes auf und muß zerfallen. Und so bestehet denn Alles, was wir hoffen, und wovon wir gewiß wissen, daß es werden und kommen muß, daß nämlich der Leib Christi nicht nur äußerlich immer mehr wachsen, sondern auch innerlich immer vollkommener zugerichtet werde zu der Aehnlichkeit mit Christo, seinem Haupt, daß Alle immer 23–24 Vgl. Joh 5,19f

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mehr hinankommen zu der Reife des männlichen Alters, und Alle immer mehr hineingeführt werden zu der lebendigen Gemeinschaft mit ihm und seinem himmlischen Vater, – daß das immer mehr geschehe auch unter uns und in jedem neuen Jahre unsers kirchlichen Lebens, das hängt davon ab, daß wir nun auch mit ihm allen Menschen-Satzungen und Lehren von Herzen absterben und nichts Anderes suchen, als die lebendige Gemeinschaft mit ihm, als dem Einen Haupte des geistigen Leibes, daß wir in dieser einzig wahren Frömmigkeit ihm ähnlich zu werden und in sein Bild uns zu gestalten suchen, auf keine andere Vollkommenheit, auf | nichts Anders in der geistigen Welt hinsehen als auf den Einen, der uns von Gott gegeben ist, daß wir in Ihm zusammengefaßt werden und durch Ihn mit Gott vereinigt. So möge denn auch in diesem neuen Jahre des gemeinsamen kirchlichen Lebens die Gemeine in der Betrachtung des göttlichen Wortes, in dem Gebrauch aller uns verliehenen Gnadenmittel immer reichere Früchte tragen zum ewigen Leben, und Alles, wodurch wir als Glieder Eines Leibes uns unter einander verbunden fühlen, dazu beitragen, daß wir immer reiner und vollkommener allem Anderen absterben und Alles für Schaden achten, was uns von Christo abführt, auf daß wir immermehr Christo gewonnen und in christlicher Eintracht und treuer Bruderliebe immer mehr verbunden werden als Glieder seines Leibes, damit wir in der That durch und mit einander wachsen eben dies herrliche und selige Wachsthum Gottes! Amen. Lied 517.

22 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 517 (Melodie von „Wie wohl ist mir, o Freund der Seele“) besteht lediglich aus folgender Liedstrophe: „Dich will ich immer treuer lieben, mein Heiland, gieb mir Kraft dazu! will mich in deinen Wegen üben, denn nur bei dir ist wahre Ruh; die Ruh, mit der nichts zu vergleichen, der alle Herrlichkeiten weichen, die uns schon hier den Himmel giebt! Ach nimm für alle deine Treue mein Herz, das dir allein ich weihe, und ewig bleib’s von dir geliebt!“

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Am 5. Dezember 1830 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

2. Sonntag im Advent, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 1,12–17 Drucktext Schleiermachers; Predigt am zweiten Sonntage des Advents 1830, Berlin 1831 SW II/4, 1835, S. 195–208; 21844, S. 270–283. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 5, 1877, S. 159–169 Keine Keine

Predigt am zweiten Sonntage des Advents 1830 in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen von Dr. Fr. Schleiermacher. 5

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Berlin, 1831. Gedruckt bei G. Reimer. | Gedruckt bey J.B.G. Vogel, 1, St. George’s Place, Camberwell. | Text. Joh. 1, 12–17. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben; welche nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind. Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Johannes zeuget von ihm, ruft und spricht: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist, denn er war eher denn ich. Und von seiner Fülle haben wir Alle genommen Gnade um Gnade; denn das Gesez ist durch Mosen gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden. Meine geliebten Freunde! Wenn wir in ein neues Jahr unsers kirchlichen Lebens mit einander übergehen, und weil wir in dieser schönen und fröhlichen Zeit zugleich der Geburts|feier unseres Erlösers entgegensehen, das Jahr damit beginnen, unsere Gemüther hiezu anzuschikken: was wollen wir dabei anders thun, als indem wir uns zeigen als Solche, die wenn sie sich seines Daseins erfreuen, so auch immer

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wieder aufs Neue seiner Ankunft harren, daß wir ihn aufs Neue aufnehmen. Von dieser Aufnahme Christi nun und von den seligen Folgen derselben redet der Apostel in den verlesenen Worten aus dem Anfang seines Evangeliums. Es kann mir freilich nicht in den Sinn kommen, m. g. Fr., den ganzen Inhalt dieser Worte in einer einzigen Betrachtung erschöpfen zu wollen, auch nicht entfernt nur dasjenige alles anzuregen, was in diesen reichhaltigen Worten ruht, welche der vorzüglich geliebte Jünger des Herrn niedergeschrieben hat: aber Einiges wenigstens, und zwar welches so, wie es sich mir in der erneuerten Lesung dieser Worte darbot, sich doch vielleicht nicht von selbst Jedem so dargeboten hat wie manches Andere in dem Inhalt dieser Worte, worauf wir oft und immer wieder zurükkommen – Einiges von diesem wenigstens möchte ich in der heutigen Betrachtung Euch ans Herz legen.

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I. Das Erste sei dieses: Indem Johannes sagt, daß Christus denen, welche ihn aufnahmen, die Macht gab, Kinder Gottes zu werden, stellt er ausdrükklich einen Gegensaz auf zwischen diesen und den Kindern eines Mannes; nicht Solche, sagt er, sollten sie werden die aus dem Willen und Geblüt des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes geboren sind, sondern aus Gott geboren. Wollen wir nun dieses recht verstehen: so müssen wir darauf zurükkgehen, daß der Apostel bei diesem Anfang seines Evangeliums die ganze Welt vor Augen hat, so wie er sie in Beziehung auf den|jenigen, dessen geliebter Jünger er war, erkennt. Sie stellt sich ihm dar als Eine große Finsterniß, aber in seinem Herzen lebte nun das Licht, welches in diese Finsterniß hinein scheint; und seine nächste Welt besonders stellt sich ihm dar als das Eigenthum dessen, den er kennen gelernt hat als das schöpferische Wort, durch welches und um deswillen die Welt gemacht ist; aber er sagt zugleich, daß die Finsterniß das Licht nicht begriff, und daß, als er in sein Eigenthum kam, die Seinigen ihn nicht aufnahmen. Wenn er also nun fortfährt, den Seinigen aber, die ihn aufgenommen, habe er die Macht gegeben Kinder Gottes zu werden, und nicht mehr solche zu sein, die aus dem Geblüt und Willen des Fleisches und aus dem Willen eines Mannes geboren werden: was kann wol anders seine Meinung sein, als daß dieses genau mit jenem ersten zusammenhängt? Daraus meint er sei jene allgemeine Finsterniß entstanden, welche nicht vermochte das Licht zu begreifen; dies zugleich habe die Menschen verhindert ihn aufzunehmen, daß sie mit ihrem ganzen Sinn und Gemüth so gebunden waren an ihre Geburt, 7–8 Vgl. Joh 21,20.24; auch 13,23. 30–31 Vgl. Joh 1,11

27–29 Vgl. Joh 1,3.10

29–30 Vgl. Joh 1,5

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aus dem Willen und Fleisch des Mannes. Die nun also durch ihn die Macht empfangen, Kinder Gottes zu werden, die sollen nun nicht mehr Solche sein. Die Jünger des Herrn konnten damals das ganze menschliche Geschlecht, an welches sie sich wenden sollten, nur theilen in diese beiden Hauptzweige, der eine das Volk des alten Bundes, der andere alle die sehr verschiedenen Geschlechter, welche als Heiden mancherlei verkehrtem Wahn hingegeben waren, in dessen Berauschungen und Verführungen auch die natürliche Offenbarung Gottes an alle Menschen ihnen verschwunden war. – Betrachteten sie nun das ganze so | getheilte menschliche Geschlecht: so konnten sie an beiden Theilen nichts anders sehen als Solche, wie Johannes sie den Kindern Gottes gegenüber beschreibt, welche ganz und gar an diesen menschlichen Bestimmungen allein hingen. Das Volk des alten Bundes, welches glaubte, daß es Gott eigen sei wegen seiner Abstammung von Abraham Gottes Geliebtem, für dieses war, zu dem Samen Abrahams zu gehören, als seine Nachkommen geboren zu sein, der größte Vorzug, ja eigentlich der einzige: aber eben deswegen war auch auf diejenigen, welche mit ihnen Söhne Abrahams waren, ihre Liebe mit allem ihrem Tichten und Trachten ganz allein beschränkt; und in ihrem Hochmuth achteten sie alle Andere um sich her nicht nur gering, sondern auch unrein. Aber nicht anders war es auch unter denen, welche dem Volke Gottes gegenüber standen als heidnische Geschlechter; unter jedem von ihnen herrschte derselbe Sinn. Verschmolzen mehrere kleine Gesellschaften in eine größere zusammen, so erweiterte sich um ein weniges diese Beschränkung; aber jedes sezte seine Freude und seinen Stolz darin, von diesem oder jenem Geblüt abzustammen, und eben diese Abstammung war zugleich die Grenze der Liebe und Theilnahme. Wenn nun der Apostel sagt, daß der Herr denen, welche ihn aufnahmen, die Macht gab, Kinder Gottes zu werden, die nicht so wären wie jene, sondern aus Gott geboren: so will er damit offenbar zugleich dieses sagen, daß in der Aufnahme Christi alle jene Beschränkungen uns verschwinden, daß es dann einen Vorzug der Abstammung für uns nicht mehr giebt; sondern je mehr wir Alle uns nur dessen freuen, daß wir aus Gott geboren sind, je mehr wir nur darnach trachten, dieser Geburt gemäß zu leben, um | desto gewisser wir auch alle menschliche Verschiedenheit dieser unserer Einerleiheit, daß wir aus Gott geboren sind, unterordnen. Dasselbe ist auch die Meinung des Apostel Paulus. Denn wie dem Ausdrukke nach wol nicht leicht zwei von den heiligen Schriftstellern des neuen Bundes so sehr von einander verschieden sind, als die Apostel Johannes und Paulus: so sind auch nicht leicht zwei, die bei allen Verschiedenheiten des Ausdrukks so beständig in allen wesentlichen Gedanken zusammen treffen, als diese beiden Apostel. Wie oft ist nicht Paulus darauf

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gerichtet, diesen Wahn zu bestreiten, von einem Vorzug, welcher denen gebühre, die von Abraham abstammen; wie sagt er selbst ausdrücklich: wenn ich auch Christum gekannt hätte nach dem Fleisch, so kenne ich nun Keinen nach dem Fleisch; also auch ihn nicht. Womit er andeuten will, wenn auch er selbst früher in dem Wahn gestanden hätte, auch der in welchem alle Gottesverheißungen ihre Erfüllung finden, müsse, wenn er erscheinen werde, seinem Volke eben so eignen, wie er aus demselben herstamme: so habe er doch nun diesen Wahn abgeworfen, und erkenne Niemanden mehr nach dem Fleisch. Und dasselbe sagt er auch von einem andern Unterschiede, der nur bisweilen auch mit der Abstammung und dem Geblüt zusammenhing, nämlich dem zwischen Freien und Knechten. Beide will er aufheben für die Gemeine des Herrn: Hier ist weder Jude noch Grieche, weder Knecht noch Freier, ihr seid alle Einer in Christo. Und wie gehört auch das Gegentheil hievon zu jener großen allgemeinen Finsterniß! Denn halten die Menschen auf Abstammung, auf Bevorrechtungen und solche äußere Unterschiede: so hindert sie das sich zu erkennen in ihrer wesentlichen Gleichheit, gleich in der Sünd|haftigkeit, gleich in der Bedürftigleit, gleich aber auch in der Fähigkeit von dem Licht, das in diese Finsterniß scheint, durchdrungen zu werden. Und wie sie sich unter einander nicht erkennen, so sind sie denn auch verhindert Ihn zu erkennen. Wenn der Galiläer sagte, Was kann aus Nazareth Gutes kommen? wenn der Judäer sagte, Aus Galiläa steht kein Prophet auf: wie sollte der Römer in seinem Stolz, der Grieche in seiner Eitelkeit nicht Aergerniß daran nehmen, daß das Heil kommen sollte aus dem verachteten Volke der Juden! Und die Kinder unserer heutigen Menschenweisheit und Kunst, mit den Lebenssäften so vieler Jahrhunderte genährt, mit solcher Kunde von den Geheimnissen der Natur und des menschlichen Geistes: wie könnte man ihnen zumuthen zu glauben, daß noch immer auch ihr Heil ausgehe von einer im Vergleich mit uns so wenig erleuchteten Zeit! Darum muß das aufhören, daß wir aus dem Geblüt solches oder solches Fleisches geboren sein wollen. Aber der Apostel fügt noch hinzu, auch nicht aus dem Willen eines Mannes, und das ist nicht mehr ganz dasselbe. Zunächst hat er wol dabei die einzige Art im Sinne, wie rechtmäßigerweise auch einer, der nicht als ein Nachkomme Abrahams geboren worden, doch konnte der Segnungen des alten Bundes theilhaft werden, nämlich wenn einer aus den Kindern Israels ihn aufnahm als sein Kind, und der war dann also dem Abraham geboren aus dem Willen eines Man3–4 Vgl. 2Kor 5,16 Joh 7,52

13–14 Vgl. Gal 3,28

22–23 Vgl. Joh 1,46

23–24 Vgl.

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nes. Aber sind nicht eben so aus dem Willen eines Mannes auch die geboren, die sich an irgend einen Einzelnen vorzüglich halten, sich ihm hingeben zur Nachfolge seiner Meinungen, seiner Lebensansichten, seiner Handlungsweise? auch solche Abhängigkeit von menschlichem Ansehn | aus geistiger Vorliebe soll nicht sein. Und dies aufzuheben ist von Anfang an das Bestreben derer gewesen, welche das Evangelium verkündigten. Wie sie keine väterliche Lehre und Sazung derer durften gelten lassen, welche auf Mosis Stuhl gesessen hatten: so wollte auch keiner sich selbst an solche Stelle sezen und sich selbst predigen oder predigen lassen, sondern Alle nur Christum; und sich selbst hielten sie nur für Diener derer, denen sie das Heil in Christo empfehlen sollten. Und wie stimmt auch hier wieder Paulus mit Johannes zusammen. Wie warnt er die Christen, daß keiner sollte sagen ich bin Paulisch, ich bin Apollisch, daß sie sich nicht sollten eines Menschen rühmen; sondern, sagt er, Alles ist euer! Was ein Mensch hinzubrachte zu dem Worte Gottes – das ist die Wahrheit die hierbei zum Grunde liegt – enthält allemal zugleich etwas beschränktes, das eines Gegenmittels bedarf von anderwärts her. Darum muß alles unser sein, und das muß aufhören, daß wir aus dem Willen eines Einzelnen geboren sind. Denn beides, m. Gel., trifft auch uns. Was von Anfang an die Menschen hinderte das Licht zu begreifen, das muß auch uns, die wir es begriffen haben, daran hindern, den Herrn wieder aufs neue und immer vollkommner aufzunehmen. Wie aus allem Volk jeder, der das rechte suchte, Gott dazu angenehm war, daß ihm das Evangelium verkündigt wurde: so beruft er auch aus allen Zuständen Menschen zum Dienst seines Wortes. Wie er es von Anfang an auch den Unmündigen offenbarte: so gebraucht er auch jetzt Menschen von den verschiedensten Bildungsstufen und Denkweisen. Der Geist weht wo er will, und wo er auch wehe sollen wir ihn vernehmen. Wir können weder | recht geben noch recht empfangen im Reiche Gottes, wenn wir noch irgend von dem Wahn befangen sind, als wären auch da Menschen von dem Geblüt irgend eines Fleisches oder dem Willen irgend eines Mannes geboren, als gelte da der Maaßstab der Stammes- und Volks-Ehre oder der gesellschaftlichen Vorzüge oder der menschlichen Weisheit viel oder wenig; sondern diese Verschiedenheiten müssen alle verschwinden in dem Einen, nämlich unserm Verhältniß zu der Kindschaft Gottes, durch den Einen welcher allein die Macht dazu geben kann. Es ist eine Thatsache, die niemand verkennen kann, daß jene Beschränkung menschlicher und brüderlicher Liebe, da sie sich immer 8 Vgl. Mt 23,2 13–14 Vgl. 1Kor 3,4; ferner 3,22 28 Vgl. Mt 11,25 29 Vgl. Joh 3,8

14–15 Vgl. 1Kor 3,21

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nur zu dem Nächsten der Abstammung wendete, nur durch die Verbreitung des Christenthums und also von dem Erlöser aus allmählig verschwunden, und so der Sinn für jene ursprüngliche Gleichheit aller Menschen allmählig aufgegangen ist. Oft genug hören wir freilich auch, daß eben dieses, wenn gleich vielleicht später, von selbst ebenfalls würde erfolgt sein. Je mehr sich die Menschen verbreitet hätten über die Erde, je mehr durch mancherlei Erfahrungen von einander und durch gegenseitigen Austausch sie sich mußten gefördert finden: um desto mehr hätten auch die eigenliebigen Vorurtheile von eigenthümlichen Vorzügen verschwinden müssen, und die Einsicht sich verbreiten, daß für Alle nichts wohlthätiger sein könne als friedliche Gemeinschaft. Dies möge immerhin so sein; aber wir wollen hiebei nicht stehn bleiben. Es mag schon etwas großes sein, wenn auch nur diese Schranken niedergerissen werden: aber dadurch sind wir noch nicht aus Gott geboren, wenn wir in allen unsern Brüdern dieselben Ansprüche auf die Herr|schaft über die Erde und dieselben hiezu tauglichen Kräfte des menschlichen Geistes erkennen. Denn alles das ist doch in dem Sinne der Apostel nur Fleisch, und auf diese Weise sind wir also nur von der Freude an der Abstammung von irgend einem besonderen Geblüt übergegangen zu der Freude an der gemeinsamen, aber doch immer natürlichen, von dem Stolz auf irgend Eines Mannes Willen, dem wir folgen, zum Stolz auf die Kraft des gemeinsamen Allen angebornen, aber doch immer nur auf das Irdische gerichteten Willens; es ist zwar die Freude an dem Geschöpf Gottes durch sein Wort, aber doch nur an diesem Geschöpf in seinem unvollkommnen hülfsbedürftigen Zustand. Wenn wir aber Freude haben an dem Herrn, an der Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater: dann wissen wir auch nichts mehr von jenen Beschränkungen, dann ist auch unsere Liebe allen Menschen zugewendet, aber nicht wegen der menschlichen Natur, wie sie immer mehr in jene Finsterniß versinken konnte, immer weniger geneigt wurde das Licht aufzunehmen, wie die ursprüngliche Offenbarung Gottes zwar nicht ganz an ihr verschwunden war, aber doch immer nur in Wenigen, und auch in diesen nur als ein schwacher Schimmer die Finsterniß milderte. Nicht dieser wegen sondern jener Herrlichkeit wegen, an der sie alle theilnehmen sollen, lieben wir sie Alle, wenn wir selbst aus Gott geboren sind. Denn fragen wir uns nun ganz einfach, wer ist denn der, der nicht aus menschlichem Geblüt, sondern aus Gott geboren ist: so weiset uns doch der eine Ausdrukk wie der andere auf die Liebe zurükk. Jenes ist auch eine Liebe, die eine der Abstammung, die andere der Denkweise, zurükkge|hend auf einen Ursprung und umfassend was von diesem herrührt, und in dieser Liebe sind Jene Kinder eines Fleisches, Kinder eines menschlichen Willens. Eben so daher sind wir aus Gott geboren,

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wenn unsere Liebe auf diesen Ursprung zurükkgeht; wenn die Liebe Gottes in unser Herz ausgegossen ist. Und diese Macht giebt uns nur der Erlöser, weil wir erst in ihm die Liebe Gottes erkennen, die seine Herrlichkeit ist, die Liebe die sich dadurch preist, daß Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat, da wir noch Sünder waren. Diese Liebe ist das Licht welches in die Finsterniß scheint; wir erkennen sie erst recht, wenn wir es aufnehmen und wenn es anfängt sie zu verzehren. Nehmen wir es aber auf, so sind wir dann aus Gott geboren; und dann lieben wir auch alle Menschen, nur die Einen als solche die mit uns aus Gott geboren sind, die Andern als solche, welche hingewiesen werden sollen zu dem, der ihnen die Macht geben kann Kinder Gottes zu werden. II. Das zweite, m. g. Fr., ist dieses, daß der Apostel sagt: „das Gesez ist durch Mosen gegeben, Gnade und Wahrheit aber erst durch Jesum Christum geworden.“ Ist nun das Gesez zwar schon durch Mosen gegeben, Gnade und Wahrheit aber erst durch Christum geworden: so folgt, daß Gnade und Wahrheit vorher noch nicht war; so war also in dem Gesez keine Gnade, und in dem Gesez keine Wahrheit. Und auch hier, m. g. Fr., erkennen wir wieder den genauen Zusammenhang zwischen diesem Jünger des Herrn, und jenem Andern den ich vorher genannt habe. Er giebt freilich zu und sagt, das Gesez sei geistig, d. h. es seze Kräfte des Geistes, Gaben des Geistes, geistige Erkenntniß und Verehrung Gottes voraus, in dem, welcher es giebt; aber | der es giebt, der habe keine Kraft mitzutheilen, und so sei es in seinem Erfolg und in seiner Wirkung nicht mehr Geist, weil der, welcher ein Gesez giebt, die Befolgung desselben nur durch sinnliche Einwirkungen herbeiführen kann. So sagt er, in dem Gesez sei keine Gnade, weil das Gesez einen Lohn mit sich führt; wo aber Lohn ist da sei keine Gnade. Das Gesez verheißt Belohnungen und Strafen; beides ist Lohn. So wie der, welcher über das Gesez wacht, ein Recht hat die Strafe zu verhängen über den, welcher das Gesez nicht gehalten: so hat der ein Recht die versprochenen Belohnungen zu fordern, welcher sich rühmen kann, daß er es gehalten hat; und wo ein solches Verhältniß des Rechts ist, da ist keine Gnade. Und mit demselben Rechte sagt auch der Apostel, daß in dem Gesez keine Wahrheit gewesen sei. Wie ein anderer heiliger Schriftsteller sagt, der alte Bund habe nur den Schatten, der neue die Wahrheit und das Wesen der ewigen Güter: so ist auch die Meinung unsers Apostels, in dem Gesez sei keine Wahrheit gewesen, weil Gnade und Wahrheit nur erst durch 1–2 Vgl. Röm 5,5 4–5 Vgl. Gal 4,4 oder Joh 3,17 in Verbindung mit Röm 5,8 20–21 Gemeint ist Paulus. 21–22 Vgl. Röm 7,14 27–29 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf Röm 4,4f. 36–38 Vgl. Hebr 10,1; ferner 8,5

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Jesum Christum geworden. Und das ist auch vollkommen richtig, wenn es sich mit dem Gesez so verhält, daß es zwar geistig ist seinem Ursprunge nach, aber daß es nur durch sinnliche Mittel seine Wirkungen hervorbringt; denn so ist es ja ein Widerspruch. Es anerkennen ist das Werk des Geistes, aber befolgt wird es nur, sofern durch den Lohn die Sinnlichkeit des Menschen gelokkt und durch die Strafe sie zurükkgehalten wird; ja! wenn jemand auf andere Weise das thut, was aus dem Gesez ist, so ist das nicht mehr des Gesezes Werk, was er thut, des Gesezes Werk ist nur das, was wegen der Strafe und des Lohns geschieht und unterlassen | wird. Und in diesem Widerspruch zwischen Geist und Fleisch kann unmöglich die Wahrheit sein. Nur der verworrene Schein, welcher den geistigen Ursprung des Gesezes ahnen läßt, unterbricht in etwas die ursprüngliche Finsterniß; aber wie weit entfernt ist diese Dämmerung von dem Lichte, bei welchem wir, seit es in die Welt scheint, die Liebe Gottes erblikken, und welches Wahrheit und Gnade bringt! Aber weil diese nicht in dem Gesez war, so kann auch da, wo Gnade und Wahrheit sind, das Gesez nicht mehr herrschen; sondern wenn wir auch thun was aus dem Gesez ist, thun wir doch nicht mehr des Gesezes Werk. Und was von dem Gesez gilt, welches durch Moses gegeben war, das gilt auch von jedem andern Gesez, welches Gott durch Andere hat geben lassen; denn von Gott ist das Gesez überall, weil überall die Obrigkeit von Gott geordnet ist zum Schuz der Guten wider die Bösen. Aber Gnade und Wahrheit ist nicht da wo das Gesez ist, und die Herrlichkeit derer, die aus Gott geboren sind, zeigt sich nicht in der Erfüllung des Gesezes, sondern darin, daß sie nicht unter dem Gesez stehn. Das Gesez spricht, Der Herr dein Gott ist ein eifriger Gott, und wer nicht bleibt an allen Worten dieses Gesezes der ist verflucht; wer sie aber hält, dem wird es wohl gehn und wird lange leben auf Erden. Der Glaube spricht, Und wenn sie uns auch hassen und verfolgen um seines Namens willen, wenn es auch dem Jünger nicht besser geht als dem Meister: die Liebe Christi dringt uns also, wir glauben und lieben, darum reden wir; und so wir um Wohlthat willen leiden, ist es Gnade von Gott. Sehet da, dies ist das Leben, von welchem es heißt, das Gesez kann nicht lebendig machen. Darum ist auch von Anfang | an in unserer 29 leben] lebeu 22–23 Vgl. Röm 13,1.3f 26–27 Vgl. Ex 20,5; Dtn 5,9; auch 4,24 27–28 Vgl. z. B. Dtn 11,26–28; 28,15–45 28–29 Vgl. Dtn 5,16; auch 8,11f; ferner Ex 20,12 30–31 Vgl. Mt 10,22–25; auch Joh 15,18–20; ferner 13,16 31–32 Vgl. 2Kor 5,14 32–33 Vgl. 2Kor 4,13 (darin Ps 116,10) 33 Vgl. 1Petr 3,17; ferner Apg 4,9 34– 35 Vgl. Gal 3,21 35–5 Vgl. CA XVIII, Die drey ökumenischen Symbola S. 35f; BSLK S. 73,2–11

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evangelischen Kirche, in welcher alles gebaut ist auf den Glauben, auch das festgestellt worden, daß die Erfüllung des Gesezes auch ein Werk des natürlichen Menschen sein kann, desselben der nicht vermag Gott zu lieben und Gott zu erkennen, und den Willen Gottes zu vollbringen, d. h. eben dessen, der nicht in der Gnade und Wahrheit durch Iesum Christum lebt. Sofern also alles gesezliche Werk und Wesen nur ein Schatten ist, und nur diejenigen im Besiz des Wesens und der Wahrheit, welche aus Gott geboren sind; so muß das freilich Jedem als ein großer und unverkennbarer Vorzug einleuchten. Aber wie? sollen wir auch sagen, das sei ein eben so großer Vorzug, in der Gnade zu stehen und nicht auf Lohn gesezt zu sein? Sollte nicht vielmehr das leztere, man sehe dabei nun auf die Unabhängigkeit oder auf die Sicherheit, etwas besseres sein, als wenn wir von Gott Alles nur als Gnade, als freie Mittheilung hinnehmen müssen, auf die es keinen Anspruch und kein Recht giebt? Wohl, m. g. Fr., wäre es schöner, Ansprüche und Rechte zu haben, wenn sie nur vermöchten, dasselbe zu gewähren! Aber was wir aus jener Fülle nehmen können als Gnade, das sind geistige und innere Güter und Schäze; alles aber, worauf man im eigentlicheren Sinn des Wortes Rechte haben kann oder Ansprüche, das sind immer nur äußere Dinge. Wie denn auch das Gesez nur äußere Dinge verhieß; und auch das Wohlergehn, was es verheißt, ist der Natur der Sache nach nur in einem äußeren Sinn zu nehmen. Bedenken wir aber, woraus das Leben besteht, von welchem gesagt wird, daß das Gesez es nicht geben kann: so finden wir uns auch gleich in einem Gebiet, wo es keine Rechte | und keine Ansprüche giebt. Wer kann auch an Menschen ein Recht haben auf Liebe? wer Ansprüche auf irgend eine Mittheilung des Geistes? der Andere muß sie uns erst einräumen und sie anerkennen, und das heißt doch, wir verdanken alles seinem guten Willen. Nirgend wird mehr und freudiger gegeben, aber auch unbefangener gewiß nirgend und mit weniger Beschämung empfangen und entgegengenommen als in der Gemeinschaft der Gläubigen, die sich als solche betrachten, welche aus Gott geboren sind! Eben deshalb gewiß, weil, wo Keinem etwas eignet, auch am wenigsten von Rechten und Ansprüchen, von Forderungen und Lohn die Rede sein kann. Alle sind gewiesen an dieselbe Fülle, aus welcher sie bald mittelbar bald unmittelbar Gnade um Gnade nehmen können; aber Keiner kann schöpfen für sich ohne zugleich für Andere, alle Gaben bewähren sich zum gemeinen Nuz, alles ist Ein Umlauf des geistigen Lebens, Eine freie Gemeinschaft wahrer und ewiger Güter. Wo nun diese freie Gemeinschaft der Geister, wo diese Mittheilung des Glaubens in der 38–39 Vgl. 1Kor 12,7

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Liebe statt findet, da hören wir denn auch bald die Stimme, nicht nur wider Solche ist das Gesez nicht, sondern auch diese stehen nicht unter dem Gesez; und wenn wir dasselbe achten und ehren auf seinem Gebiete, so räumen wir ihm nichts ein auf diesem Gebiete der Gnade und Wahrheit. Hier, das wissen wir, hat Keiner etwas zu fordern, aber Jeder alles zu erwarten. Wir rühmen uns Alle des Zugangs den wir haben im Glauben zu dieser Gnade darin wir stehn, wir rühmen uns der Hofnung einer immer wachsenden Herrlichkeit. Ein Maaß können wir ihr nicht vorschreiben, eine Grenze ihr nicht sezen, aber das wissen wir, daß sie kein Ende nimmt. Aus uner|schöpflicher Fülle nehmen wir, wie der Eine sagt, Gnade um Gnade; durch immer zuströmendes Licht werden wir, wie der Andere sagt, verklärt von einer Klarheit zur andern. Darum freuen wir uns billig, daß das Gesez nur währen sollte, bis der Glaube offenbart wurde, und daß nun Gnade und Wahrheit überall geworden ist durch Christum, durch den, in welchem Gott war, um die Welt mit sich zu versöhnen, um sie in die Gnade und Wahrheit zurükkzubringen. III. Das dritte endlich, m. g. Fr., sei die Frage, wie wir denn nun zu dieser Macht gelangen, welche Christus uns giebt, solche Kinder Gottes zu werden, aus Gott geboren zu sein und nicht aus menschlichem Geblüt, in der Gnade und Wahrheit lebend und nicht unter dem Gesez? Der Apostel sagt: „Das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit; und von seiner Fülle haben wir Alle genommen, Gnade um Gnade.“ Er stellt nichts zwischen dieses Beides, wir sahen und wir nahmen; denn wenn er sich dazwischen beruft auf das, was Johannes von Christo gesagt, so will er dadurch nur erzählen, wie er und die andern Jünger mit ihm dazu gekommen wären, auf den zu sehen, der als das Fleisch gewordene Wort unter ihnen wohnte. Denn auf ihn sehen, seine Herrlichkeit schauen als die des eingebornen Sohnes vom Vater, und aus seiner Fülle nehmen Gnade um Gnade, und eben aus dieser Fülle die Macht haben Kinder Gottes zu sein, das ist Eines und dasselbe. Und ebenso redet der Erlöser davon, wenn er sich vergleicht mit der Schlange, die Moses in der Wüste aufrichtete. Dieses freilich scheint uns unbegreiflich, daß, | obgleich in der Schlange an und für sich weder eine heilende noch eine stärkende Kraft sein konnte, dennoch die, welche auf die Schlange sahen, Rettung fanden von dem ihnen drohenden Tode; aber das können wir wol begreifen, daß diejenigen, welche auf den 11–13 Vgl. 2Kor 3,18 13–14 Vgl. Gal 3,23–25 35 Vgl. Joh 3,14 (mit Bezug auf Num 21,4–9)

15–16 Vgl. 2Kor 5,19

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eingebornen Sohn sehen, in ihm das ewige Leben finden. Denn seine Herrlichkeit war eine Fülle der Gnade und Wahrheit. Wer mit der Sehnsucht nach Hülfe und mit unbefangenem Auge auf ihn sah, der mußte auch die geistigen Kräfte die in ihm wohnten ahnden, indem sie anfingen auf ihn zu wirken, der mußte erkennen, welche Macht Gott den Menschen in ihm gegeben habe; und so wie mit diesem Anerkenntniß auch die Liebe Gottes in sein Herz ausgegossen wurde, konnte er auch inne werden, daß er nun die Macht habe aus Gott geboren zu sein. Und gewiß, m. g. Fr., ist dies die Erfahrung eines Jeden. Hier ist kein Geheimniß wie dort, sondern der klarste Zusammenhang. Kraft gewahren wir leicht wo sie ist, und am leichtesten die, deren wir bedürfen; und wo wir sie finden, eignen wir sie uns gern an, wenn sie sich uns hingiebt. Darum sobald wir in Christo die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater erkennen, so ist auch, weil er sich uns gern hingiebt, das Band zwischen uns und ihm geknüpft, so bleiben wir bei dem, welcher als das Fleisch gewordene Wort auch Herr ist aller Worte des Lebens, so nehmen wir aus seiner Fülle Gnade um Gnade, und wissen daß wir in ihm Alles finden werden, was wir je noch bedürfen können. Das ist eben das wahre Wesen und die Ordnung des Glaubens; so wie wir auf Christum sehen, müssen wir in ihm die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes anerkennen, und so wie wir sie anerkennen, geht sie auch | in unser eigenes Herz ein; so wie Christus in uns wohnt, strahlt auch seine Herrlichkeit wieder aus uns heraus, und erwekkt auch in Andern zur guten und wohlgefälligen Stunde dieselbe Nothwendigkeit. Lasset uns aber wohl merken, daß der Apostel sagt: „wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als die des eingebornen Sohnes vom Vater.“ Wir sollen die Herrlichkeit des Erlösers nicht sehen als seine eigne; dieser belebende und beseligende Zusammenhang mit ihm soll uns nicht von dem Vater trennen, sondern uns zu ihm hinführen. Wie unbegreiflich ist es, daß so viele Christen dies auf gewisse Weise übersehen können. Wie bestimmt schreibt der Erlöser alles seinem Vater zu! Der Sohn, sagt er, thut nichts aus sich selbst, sondern was er siehet den Vater thun, das thut gleich auch der Sohn, und was er von dem Vater hört, das verkündiget er. So sagt er zu den Seinigen, daß sie nun nicht mehr Knechte wären, sondern sie wären seine Freunde, weil er ihnen Alles kundgethan, was er von seinem Vater gehört habe. Ja als etwas das sich längst von selbst verstände von 14 vom] von 7 Vgl. Röm 5,5 33–34 Vgl. Joh 5,19 38 Vgl. Joh 15,15

34–35 Vgl. Joh 15,15; auch 8,28

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jedem seiner Jünger, sagt er, die Ihn kenneten, müßten auch den Vater kennen. So deutlich muß also in seinem Reden und Thun alles sich auf den Vater bezogen haben; und wenn er sagt, wer ihn sehe, der sehe den Vater, so heißt das doch wol, man könne ihn nicht recht im Sinn tragen, ohne auch des Vaters im innersten zu gedenken, man könne ihn nicht mit Liebe ansehn, ohne auch den Vater zu lieben als den Geber dieser seligsten Gabe. Darum nennt er sich auch die Wahrheit, weil wir in ihm auch jenes höchste und wahrste das ewige Wesen haben. Darum nennt er sich nicht das Ziel, son|dern den Weg, weil wir durch ihn zum Vater gelangen; und nur darum nennt er sich das Leben, weil wie der Vater das Leben ist, so hat er dem Sohn auch die Kraft gegeben, das Leben zu haben in ihm selbst. So führt er die Seinigen zum Vater, als Genossen der Herrlichkeit, die dieser ihm gegeben hat; so übergiebt er sie dem Vater, und legt ihm Rechenschaft ab von seinem Wirken auf sie; und so verheißt er auch ihnen, nicht allein wolle er kommen, sondern mit dem Vater, und Wohnung bei ihnen machen. Daher giebt es auch kein anderes Maaß um zu beurtheilen, wie klar wir die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes schauen, wie reichlich wir von der Macht aus Gott geboren zu sein Gebrauch machen, wie bereitwillig wir aus seiner Fülle nehmen, als daß wir darauf achten, wie sehr wir in dem Sohne den Vater haben, wie treu wir mit dem Sohn in des Vaters Hause walten, wie kindlich wir mit dem Sohn alles in den Willen des Vaters befehlen. In dem Maaß werden wir dann auch in Wahrheit seine Brüder zu nennen sein. Wohlan, m. g. Fr., wenn wir aufs Neue ein Jahr unsers kirchlichen Lebens beginnen, so nehmen wir auch aufs Neue Christum auf. Wenn wir uns hier vereinen, wozu thun wir es, als um mit einander zu schauen in die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater? Nicht als ob dieses Schauen beschränkt wäre auf die Stunden dieser Versammlungen, nicht als ob Christus nur da und dann, wann und wo so Viele in seinem Namen versammelt sind, sich den Seinigen mittheilte: aber doch ist es nicht vergeblich, daß er selbst uns so mit einander als Glieder Eines Leibes verbunden hat; wir dürfen es gestehen, daß wir ein größe|res Maaß nehmen, wenn wir gemeinsam von ihm nehmen, und uns gemeinsam der Macht freuen Kinder Gottes zu sein. So möge denn Keiner, der ihn in der That aufgenommen hat, zweifeln daran, daß er auch diese Macht habe; Jeder der in ihm die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater erkennt, kann auch zu der Gewißheit gelangen, daß er selbst aus Gott geboren ist; Jeder erfreut sich des Rechts Gnade um Gnade zu nehmen, und in der seligen Ge1–2 Vgl. Joh 14,7 12 Vgl. Joh 5,26

3–4 Vgl. Joh 14,9; ferner 12,45 15–17 Vgl. Joh 14,23

7–11 Vgl. Joh 14,6

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meinschaft dessen, durch den uns Gnade und Wahrheit geworden sind an der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit theilzunehmen, und so des Vaters froh zu werden durch den, der uns zuerst den Vater gezeigt hat. So sei denn das auch die Art und Weise, wie wir aufs neue wieder in unserer Gemeinschaft die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater schauen, um denselben in allen Erweisungen seiner Barmherzigkeit und Liebe, und überall seine verborgene Macht und Weisheit zu erkennen. Wie wir in dem Sohne sind, welcher wohl wußte, daß Alles wol gethan ist, was der Vater thut, und alle seine Sorge und seine Noth getrost ihm ans Herz legte: so sollen auch wir alle unsere Sorgen auf den werfen, welcher für Alle sorgt; alles menschliche und irdische nur in Beziehung auf dieses Reich der Gnade und Wahrheit beachten und thun, und auf diese Fülle des ewigen Lebens, wozu uns Allen der Zugang geöffnet ist, aber nur wenn wir eingehn wollen in diesen geistigen Tempel durch die rechte Thüre, nämlich durch den, welchen die Liebe des Vaters in die Welt gesandt hat. Und wenn wir hier immer auch erscheinen um mit einander Danksagung darzubringen: so laßt uns bedenken, daß es auch keine andere Dankbarkeit giebt, weder gegen ihn noch gegen den, welcher | ihn gesandt hat, als daß wir immer mehr nehmen aus seiner Fülle Gnade um Gnade, daß wir Keinen mehr erkennen nach dem Fleisch, daß wir uns nicht mehr unter irgend ein Gesez fügen; aber daß indem wir aus seiner Fülle schöpfen, Jeder nach seiner Macht, Keiner es für sich allein thue, sondern Jeder für Alle und Alle für Jeden, wie der Geist uns zusammen bindet und in Jedem Gaben erwekkt zum gemeinsamen Nuzen. So wollen wir uns auch in diesem neuen Jahre um ihn sammeln, damit wir von ihm empfangen die Fülle der geistigen Gaben, damit wir immer reicher werden an geistigen Gütern in der seligen Gemeinschaft mit dem, welcher uns zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung gegeben ist von oben. Amen.

2 Vgl. Joh 4,23f 1Kor 1,30

10–11 Vgl. 1Petr 5,7

24–26 Vgl. 1Kor 12,7

30–31 Vgl.

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Nachschrift der Predigt vom 16. Mai 1830 früh, SAr 94, Bl. 129v; Pommer – Faksimile

Predigten 1831

Am 16. Januar 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

2. Sonntag nach Epiphanias, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Apg 10,36 Nachschrift; SAr 54, Bl. 169r–180v; Schirmer Keine Keine 1. Teil einer Predigtreihe über die Eigentümlichkeit des Lebens des Erlösers 16. Januar 1831 bis 13. Februar 1831

Am zweiten Sonntag nach Epiphanias 1831.

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Tex t . Apostelgeschichte 10 v. 36 Ihr wisset wohl von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israel gesandt hat und verkündigen lassen den Frieden durch Jesum Christum. 5

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Meine andächtigen Freunde! Es ist mir nicht vergönnt gewesen mit Euch an diesem Orte die schönen Tage der Feier der Geburt unseres Herrn zu begehen, und auch die nächstfolgenden unserer Versammlungen, welche uns an diesen ersten Anfängen seines Lebens festzuhalten pflegen, habe ich fern von Euch verbringen müssen. Nun nähern wir uns bald der Zeit, welche uns zu anderen Betrachtungen, zu den Betrachtungen der Leiden unseres Erlösers auffordert, und nur wenige solcher ihm geweihter Tage sind uns noch übrig, um uns an der Geschichte und den Verrichtungen seines Lebens auf Erden vor seinem Leiden mit einander zu erbauen. Darum nun habe ich zu unserer heutigen Betrachtung einen solchen Ausspruch der Schrift gewählt, welcher uns in wenigen einfachen Worten den ganzen Inhalt dieses Lebens unseres Herrn, so weit es in der Verkündigung des Reiches Gottes bestand, vor Augen hält. Mit diesen wenigen Worten beschreibt ihn uns der Apostel Petrus: „Ihr wisset wohl von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israel gesandt hat, | wie nämlich Gott hat lassen den Frieden verkündigen durch Jesum Christum.“ So lasset uns also mit einander sehen, wie die Predigt unseres Herrn und Heilandes nichts anderes gewesen ist, als eine Predigt des Friedens. Aber ich glaube, m. gel. Fr., daß es nöthig 5–9 Schleiermacher durfte vom 7. Dezember 1830 bis zum 9. Januar 1831 wegen hartnäckiger starker Diarrhöe seinen pfarrdienstlichen Verpflichtungen nicht nachkommen; vgl. oben Einleitung I. 1.

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sein wird, zuerst allerlei Bedenklichkeiten, welche sich gegen diese Beschreibung erheben könnten, aus dem Wege zu räumen, und daß wir dann erst werden recht im Stande sein, die Wahrheit dieser Worte in ihrem ganzen Umfange zu erwägen.

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1. Was also nun das Erste betrifft, m. a. Fr., wie leicht könnte einer, der nicht selbst die Erfahrung gemacht hat von diesem Frieden, welchen Gott hat predigen lassen durch Jesum Christum, der aber sonst wohlmeinend wäre nicht nur für sich und andere, sondern auch von Herzen das Wohl aller Menschen wünschte, der wohl begabt wäre mit Kräften des Geistes, um daran an seinem Theile zu arbeiten, der dabei vor Augen hätte die ganze Geschichte der Menschen und besonders der christlichen Welt, seitdem Gott diese Predigt gesandt hat zu seinem Volk – wie leicht könnte der zu dem Apostel Petrus, wenn er diese Worte von ihm hört, etwas Ähnliches sagen, wie jener Landpfleger der Römer zu Paulus, dem Apostel sagte: „Paule, Deine große Kunst macht | Dich rasend“ – wie leicht könnte dem Petrus einer sagen: „ Petrus, Deine große Vorliebe für Deinen Herrn und Meister, Deine innige Begebenheit gegen ihn verbirgt Dir die Wahrheit und macht Dich zu einem, der da Falsches verkündet und dem sich die rechte Gestalt der Dinge entzieht.“ Denn kaum war die Lehre der Apostel und ihrer Genossen in der Welt erschollen, kaum hatte sie sich über die Mauern Jerusalems und die engen Grenzen des Landes verbreitet, in welchem der Herr selbst gelebt, als schon statt des Friedens ein gewaltiger Streit dagegen entstand, als schon, wie es auch die Jünger in ihrem Gebet zu Gott, ihrem himmlischen Vater ausdrücken, die Völker sich erhoben und sich versammelten gegen sein Kind Jesum. Und welche Ströme von Blut sind nicht geflossen wegen dieser Predigt von dem Frieden; und wie wahr ist es nicht geworden, daß sogar oft die sich mit einander entzweiten, welche am nächsten verbunden waren durch die Bande der Natur und der Gesellschaft. Einer huldigte ihr und der Andere war ihr entgegen, der Friede wurde zerstört unter den Bürgern eines Staates, Feindschaft gepflanzt zwischen Vater und Sohn, zwischen Mutter und Tochter, zwischen Schwester und Bruder, und die ganze menschliche Gesellschaft wurde entzweit | über diese Predigt von dem Frieden. Und oft geschieht es ja noch an den Enden der Erde, wo zuerst diese Predigt von dem Frieden ertönt, daß die Einen sich gegen die Anderen erheben, daß wieder Verfolgungen und Blutvergießen angehen, daß wieder aufs Neue das Blut der Märtyrer die Erde färbt. Und doch ist das die Predigt von dem Frieden? Aber, m. gel. Fr., wenn wir nur nichts anderes zu bedauern hätten, als dieses! Doch wie ist oft Streit entstanden, wie ist doch der Friede zerstört worden, wie hat das Schwert gefressen und gewüthet von der Gemeinde 15 Vgl. Apg 26,24

23–25 Vgl. Apg 4,24–28

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des Herrn selbst aus! wie bald, nachdem sie zahlreich geworden war und mächtig, entstand ein verkehrtes Streben, die Lehre des Herrn auszubreiten durch das Schwert! wie wurde sein Wort vergessen, daß seine Diener nicht kämpfen sollten mit den Waffen der Welt um sein Reich, und wie reichlich haben die, welche den Frieden predigten, das Blut vergolten, welches ihre Vorfahren vergossen bei dieser Predigt! Ja, nicht nur nach außen, sondern auch im Innern ist die Gemeinde der Christen ein beständiger Schauplatz gewesen von Krieg und Verwirrung. Hat nicht Streit um Meinungen, ja sogar um einzelne Worte, die Völker entzweit? ist nicht ebenso | innerhalb der Christenheit der verfolgt worden, welcher dieses und jenes anders verstand in der Lehre des Herrn? und finden wir nicht überall dieselbe Geschichte von abwechselnder Macht und Bedrückung bald des einen, bald des anderen Theiles derer, welche alle Eines sein sollten in ihrer Liebe und Verehrung gegen den Einen? Wie also hat sich Petrus verrechnet, als er sagte, es sei eine Predigt von dem Frieden, welche Gott verkündigen lasse durch Jesum Christum! Wie konnte man nicht vielmehr sagen, der Eine, der so in unscheinbarer Gestalt umherwandelte, nur wenige Jahre eines öffentlichen Lebens unter einem ohnedies schon hinter andern zurückgesetzten und verachteten Volk, der habe in dieser seiner unscheinbaren Gestalt mehr Verwirrung auf Erden angerichtet, als irgend einer der Mächtigen der Erde! der den Frieden in seinen Worten und Mienen trug, der habe einen heftigeren Streit erregt auf Erden, als alle die, welche an nichts dachten, als durch Blutvergießen sich selbst zu erheben und eine Gewalt zu begründen! Und doch ist dieses bei weitem nicht das Größeste und Wichtigste, was man sagen könnte gegen diese Worte des Apostels. Lasset uns | absehen von dem Äußeren und hinblickend auf den inneren Zustand der Gemüther fragen: nun wohl! was hat denn in ihrem inneren Wesen diese Predigt von dem Frieden den Menschenkindern gebracht? Mancher hat sie gefunden in der Unschuld, so weit sich das von den Menschen sagen läßt, eines einfachen Lebens, auf nichts anderes bedacht, als die Bedürfnisse desselben zu befriedigen, und in den wenigen Abwechselungen, welche dasselbe mit sich führte, die Zeit der irdischen Wallfahrt so gut wie möglich auszufüllen. Aber in allen solchen Gegenden der Erde, wie bald haben, nachdem die Christenheit sich weiter ausgebreitet hatte, mit dieser Predigt von dem Frieden zu gleicher Zeit auch die Kenntnisse und der Gebrauch aller der Güter des Lebens Eingang gefunden, welche andere Völker, die schon lange dem Christenthum anhingen, zu genießen gewohnt waren. Wie wurden die einfachsten Gemüther aufgeregt aus der Stille ihres Lebens zu Betrachtungen, denen ihr Geist oft nicht fähig war zu folgen; und indem ihnen nun das Leben mit seinen Gütern und Lockungen zugleich vorgehalten wurde, in3–4 Vgl. Mt 26,52f in Verbindung mit Joh 18,36

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dem sie geführt wurden auf einen Weg, der voller Dornen und Stacheln war, welche Unruhe und welcher Zwiespalt entstand | da in ihrem Innersten! Ja, wo ist wohl einer, der nicht sagen kann, daß sein Leben ein beständiger Kampf sei, dem er sich nicht zu entziehen vermag? Von denen an, welche da sagen können, was der Apostel sagt, daß sie zwar in dem Tiefsten des Gemüthes ein Wohlgefallen finden an dem Willen Gottes, aber ein anderes Gesetz sehen in ihren Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in ihrem Gemüthe – ist so nicht die menschliche Seele ein Schauplatz beständigen Kampfes und hartnäckigen Streites, von diesen an bis zu denen, welche dahin gekommen sind, was jener Apostel selbst von sich rühmt: „so lasset uns denn Gott danken, der uns den Sieg gegeben hat durch Jesum Christum,“ in denen nun nichts Verdammliches ist, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist? Aber welcher Sieg ist es, der ihnen gegeben ist? Der Sieg ist nach dem Kampfe der Anfang des Friedens und welcher Sieg daher ist es, der uns endlich den Frieden bringt? Der Apostel selbst, weit erhaben über das, was sonst wohl die Ruhe und Glückseligkeit des Menschen zu stören pflegt, unter Ehre und Schande, unter guten Gemüthern und unter üblen immer derselbe, unter Hunger und Noth, wie unter Wohlhaben und Freude immer derselbe, | immer gleich unermüdlich in dem Dienste des Herrn, immer nur auf dessen Ehre bedacht, er selbst sagt von sich, daß ihm Gott einen Pfahl ins Fleisch gegeben, auf daß er sich nicht überhebe. Und was müssen wir daraus schließen, als daß auch seine Seele noch ein solcher Kampfplatz gewesen ist, indem das in ihm stak, was er nicht los werden konnte; und was sagt ihm der Herr anders, als er möge das nur behalten, er möge sich genügen lassen an seiner Gnade, die da mächtig sei in den Schwachen. Und so ist es denn, m. th. Fr., dieses letzte allein, woran wir uns werden halten müssen, um die Worte des Apostels in ihrer Wahrheit zu erkennen. Wie war es mit dem, welcher so, wie wir es gelesen haben, die Lehre unseres Herrn bezeugt? Den Kampf, welcher sich selbst gegen ihn erhob, hatte er schon erfahren, er hatte gestanden vor den Mächtigen der Erde, welche mit der Gewalt droheten, um die Predigt wieder zu vertilgen von der Erde; er hatte schon dieses große und gewaltige Wort ausgesprochen, man müsse darin Gott mehr gehorchen als dem Menschen. Den falschen Streit mit den | Waffen dieser Welt für das Reich Christi, ach! leider war er der Erste gewesen, welcher ihn beginnen wollte; er hatte das Schwert gezogen gegen einen von denen, die den Erlöser fangen wollten, und sein Beginnen war von diesem gehemmt worden mit einem mächtigen Wort. Und diesen inneren Streit in dem Gemüthe selbst, diesen heftigen Kampf in seinem Inner5–8 Vgl. Röm 7,22f 10–12 Vgl. 1Kor 15,57 12–13 Vgl. Röm 8,1 vermutlich in Verbindung mit Gal 5,16–18 21–22 Vgl. 2Kor 12,7 25–26 Vgl. 2Kor 12,9 33–34 Vgl. Apg 5,29 35–38 Vgl. Joh 18,10f

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sten, reichlich hatte er davon Erfahrung gemacht, in dem er die bitteren Thränen geweint über einen Augenblick, in dem, wenn auch nur dem Anschein nach, er einen Verrath begangen hatte an seinem Herrn und Meister. Und wie Vieles davon stand ihm noch bevor! Gewiß hat er nicht das Wort des Herrn vergessen, welches dieser zu ihm sprach in den letzten Augenblicken seines Aufenthaltes auf der Erde: „wenn du alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein Anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“ Dem ungeachtet, ungeachtet aller dieser Erfahrungen, ungeachtet aller dieser Ahnungen, welche immer seine Seele beherrschen mußten, sprach er das große Wort aus, die Lehre Christi sei nichts anderes gewesen, als eine Predigt von dem Frieden. – Und unser Erlöser selbst, er war weit entfernt, alle dem fremd zu sein, was | wir uns eben aus der Geschichte der christlichen Welt vorgehalten haben. Er selbst sagt ja: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf Erden. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert;“ er selbst sagt ja, er sei gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden, und er könne nichts lieber wollen, als daß es schon brenne, und so meint er denn, nur durch das Schwert ginge es zum Frieden, durch das brennende Feuer zur seligen Ruhe des einzelnen Gemüthes, wie der verbrüderten Welt. Aber darum unterscheidet er auch seinen Frieden von dem der Welt wie er zu seinen Jüngern sagt: „nicht gebe ich euch, wie die Welt giebt; meinen Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ 2. Und so lasset uns denn, so gerüstet, mit einander fragen, was ist denn das Wesen des Friedens, welchen der Erlöser bringt, und in welchem Sinne kann man denn sagen, indem man alles erschöpfen will und zusammenfassen, daß die Predigt, welche Gott durch ihn hat verkünden lassen eine Predigt des Friedens gewesen sei? Es giebt, m. gel. Fr., ein anderes | Wort, dem Anschein nach von einem viel reicheren und größeren Inhalt, in welchem wir gewohnt sind, alle menschlichen Wünsche und den Gegenstand aller Bestrebungen der Bewohner dieser Erde zusammenzufassen, das ist das Wort „Glückseligkeit“. In diesem fassen wir zusammen eine Menge von Gütern, einen zureichenden Besitz und Genuß von allen Gütern und Gaben des Lebens; aber es ist ein bedenkliches Wort, denn es trägt schon in seinem Inneren die deutlichen Spuren, daß es dem unterworfen sei, was wir nach der Art und Weise unseres irdischen Lebens den Zufall nennen. Bedenken wir, was dieses Wort in sich schließt, sehen wir die Menschen in dem Ringen und Streben nach der Glückseligkeit begriffen und wollten ihnen sagen, daß wir ihnen bringen wollen den Frieden: so würden sie 1–3 Vgl. Mt 26,69–75, bes. 75; Mk 14,66–72, bes. 72; Lk 22,54–62, bes. 62 6– 8 Vgl. Joh 21,18 13–15 Vgl. Mt 10,34; ferner Lk 12,51 15–17 Vgl. Lk 12,49 21–22 Vgl. Joh 14,27

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freilich erwiedern, das wäre eine große, dankenswerthe Gabe, eine unerlaßliche Bedingung, wenn der Mensch mit Erfolg seine Glückseligkeit schaffen wolle, aber weiter auch nichts. Und dieses Streben nach Glückseligkeit, wie mannichfaltig ist es nicht, zu wie vielen Bemühungen fordert es nicht die Menschen auf, wenn ihre irdische Wallfahrt vor ihnen liegt, wenn sie sich den | Weg zeichnen, den sie zu nehmen gedenken; wie mannichfaltige Bilder lachen sie an, und bei näherer Betrachtung, wie leicht wird immer eines verworfen vor dem anderen! Der sucht die Glückseligkeit in dem möglichsten Genuß aller Freuden, welche das Leben ihm darbietet, der Andere, welcher mehr in die Ferne schaut, ist darauf bedacht, wie er zwar so wenig als möglich das Gegenwärtige aufopfere, doch sich am besten das Künftige sichere. Und von den verschiedenen Arten des Genusses, welche Bemühungen zu erforschen, was das Sicherste sei, was am meisten mit Ruhe genossen werden könne, was dagegen das Unbeständigste und Unbefriedigendste, was wiederum das den ganzen Menschen Erfüllendste! welche Sorgen zu wählen unter so vielen, wo jedes Einzelne dem anderen widerstreitet! Hiervon nun, m. gel. Fr., weiß die Predigt des Erlösers nichts, nie hat er gesagt, daß er gekommen sei, die Menschen zu der Glückseligkeit zu führen; aber freilich, wenn wir jene erste, bedenkliche Sylbe weglassen, so sagt er selbst, daß er gekommen sei, die Welt selig zu machen. Und gewiß, wenn | er sagt, er sei gekommen, den Frieden zu geben, so sagt und meint er nichts anderes, und das war auch der Art und Weise, wie man gewöhnlich unter seinem Volke redete, angemessen. Friede war der Gruß, mit dem einer den anderen bewillkommnete, und man faßte in diesem Einen Worte alle Wünsche, welche man für den anderen hegte, zusammen. Die Lehre des Erlösers ist also eben deßwegen eine Predigt von dem Frieden, weil sie darauf ausgeht, die Menschen selig zu machen; diese Seligkeit soll aber sein eine Seligkeit ohne Glück, nicht abhängig von dem Äußeren und deßhalb auch nicht getrübt von dem Äußeren. Der Erlöser selbst hatte diese Seligkeit, denn jeder kann doch nur geben, was er hat, und indem er sagt, er sei gekommen, die Welt selig zu machen, so spricht er auch damit aus, daß er es selbst sei, so wie er sagt, daß er das Wasser geben könne, welches ein Strom des Lebens für die Menschen werden würde, weil es in ihm selbst fließt. Was nun, m. gel. Fr., war diese Seligkeit? Ach! er beschreibt sie uns in einem einzigen Worte, wenn er nämlich von sich sagt: „Der Vater | läßt den Sohn nie allein, er ist und bleibet bei mir, er wohnet in mir; wer mich siehet, der sieht den Vater.“ Sehet da, m. Fr., dieses beständige Gott nahe sein und Gott vor sich und in sich tragen, dieses beständige Verkehren des Herzens mit Gott, dieses seinen Willen in dem Herzen geschrieben haben und auf seine Werke sehen, das ist die Seligkeit, und eine andere giebt es nicht. 19–20 Vgl. Joh 12,47; ferner Mt 18,11; Lk 19,10 37 Vgl. Joh 8,29; 14,10 und 14,9

32–34 Vgl. Joh 7,38

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Aber das ist auch der Friede, denn wer eins ist mit Gott, was könnte dem wohl irgend seine Seligkeit stören, welchen Kampf könnte es geben für den, der eben weil ihn der Vater nicht allein läßt, wie ja der Erlöser auch von sich selbst sagt, auch nie etwas von sich selbst thut, sondern nur immer die Werke thut, welche der Vater ihm zeigt. Wie wäre es möglich, daß es eine größere Ruhe geben könnte, eine größere Sicherheit des Lebens, als wenn so der Mensch Gott immer nahe und gegenwärtig hat, auf die Werke Gottes sieht und die Werke Gottes thut. Wenn wir, m. gel. Fr., jenes Streben nach Glückseligkeit betrachten, wie ich es nur mit wenigen Zügen angedeutet habe, wohl mögen wir darauf noch viel mehr anwenden, als auf den äußeren Kampf, welchen die Jünger des Herrn zu bestehen hatten, jene Worte, die er zu ihnen sprach | „in der Welt habt ihr Angst“. Ja, wer hätte wohl mehr Angst, als der, welcher nach jener vergänglichen Glückseligkeit strebt, der, wenn er nach etwas strebt, schon die Ahnung in sich tragen muß, daß es ihn nicht befriedigen werde, der, wenn er das Eine erreicht hat, immer wieder rastlos zu einem Anderen will! Wenn sich so drängen Bilder menschlicher Bestrebungen und Wünsche, die nicht zu vereinen sind, aber die auf gleiche Weise locken und ziehen, was kann wohl mehr das Herz quälen und ängstigen! In der Welt, insofern sie der Gegenstand dieser Bestrebungen ist, haben wir noch mehr Angst, als insofern sie sich der Verkündigung des Evangeliums entgegenstellt, und auch in diesem Sinne können wir das Wort des Herrn anwenden: „in der Welt habt ihr Angst, aber ich habe die Welt überwunden.“ Er hatte sie überwunden, weil er mit dem Vater verbunden war, weil er immer auf den sah, der über allem Irdischen und Vergänglichen, allem Leiblichen und Zeitigen, als der Unveränderliche und Ewige sich selbst gleich bleibt. Was mehr kann das menschliche Herz vor allen diesen inneren Kämpfen, was mehr vor der zu großen Empfänglichkeit für jeden äußeren Wechsel sichern und mehr darüber erheben, was mehr es in sich selbst grün|den und befestigen, als diese unmittelbare Verbindung mit Gott. Nur dadurch war der Erlöser selig, daß ihn der Vater nie allein ließ, und nur die haben die Predigt von dem Frieden begriffen, welche das Wort begriffen haben, das er zu einem seiner Jünger sagt: „wer mich siehet, der siehet den Vater.“ Er ist uns eben dieses heilige Menschenbild, das nach nichts anderem getrachtet hat, als die Werke Gottes zu thun, das in allem Getümmel der Welt, in allen Bestrebungen, in allen, dem Anschein nach so erfolglosen Bemühungen, die Menschen zu sich zu ziehen, überall nichts vor Augen hatte und im Sinn, als das Werk des Herrn zu thun, überall aber auch deßhalb in der vollkommensten Ruhe und in dem ungestörtesten Frieden wußte, daß der Erfolg in der Hand dessen steht, der sich Tag und Stunde vorbehalten hat, 3–5 Vgl. Joh 5,19f 12–13 Joh 16,33 1 Vgl. Mt 24,36; Mk 13,32

23 Vgl. Joh 16,33

33 Joh 14,9

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so daß er selbst, des Menschen Sohn, sagt er wisse es nicht. Und er hätte auch nicht können die Predigt von dem Frieden bringen, wenn er uns in dieser Ergebung, in diesem Vertrauen auf die Art, wie der Ewige den Erfolg allein in seiner Hand hält, nicht ein Vorbild gewesen wäre. Und wenn wir so nach nichts trachten, als daß wir die Werke Gottes thun, daß wir für das Reich Gottes wirken auf der einen Seite und dann, fern von allem falschen | Vertrauen, von aller Vorliebe für die Bilder, welche unser kurzsichtiges Auge sich selbst schafft, den Erfolg nur Gott anheim stellen: das ist der Friede, der die Welt schon überwunden, das ist die Seligkeit, die nur der Erlöser den Seinigen mittheilt, das ist das Leben, welches in der That das ewige Leben ist, weil es von nichts Zeitlichem und Vergänglichem abhängt, es ist die Fülle der himmlischen Güter in Christo Jesu. Und doch, m. gel. Fr., würden wir den Worten der Schrift und dem Sinne des Herrn nicht entsprechen, wenn wir ausschließend stehen bleiben wollten bei diesem Verhältniß zu Gott; wir müssen auch auf die Verhältnisse des Lebens sehen und uns überzeugen, daß auch in dieser Beziehung die Predigt des Herrn eine Predigt von dem Frieden gewesen ist. Das ist sie denn deßhalb gewesen, weil sie eine Predigt war von der Liebe. Was hat der Herr an die Stelle gesetzt von allen den Geboten und Gesetzen, von allen den äußeren Handlungen, wodurch die Menschen seiner Zeit wähnten, Gott wohlgefällig zu werden und gerecht vor ihm? Ein Gebot, sagt er, gebe ich euch, daß ihr euch unter einander liebet mit der Liebe, mit welcher ich euch geliebet habe; an dieser wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seid. Und sollte es nicht anders sein, als daß sich auch | der Friede der Diener des Herrn mit der Welt, als daß sich auch der Friede der Menschen unter einander doch erbauen müßte auf eine feste und sichere Weise auf diesem Grunde seines Willens und Gebotes, welches war denn die Liebe, mit welcher er die Seinigen liebte? Es war die Liebe, welche nicht das Ihre suchet, sondern das, was des Anderen ist; es war die Liebe dessen, der, wiewohl er in göttlicher Gestalt war, doch das nicht für einen Raub hielt, sondern sich selbst entäußerte und Knechtgestalt annahm; es war die Liebe dessen, der nicht gekommen war zu herrschen, sondern daß er diene und gebe sein Leben zum Lösegeld für viele, diese beseligende, diese befriedigende, diese sich selbst vergessende und hintanstellende Liebe war es, welche er zu dem einzigen Gebote machte für die Seinigen. Wenn wir nur diese festhalten, wenn wir immer durch sie zu handeln vermögen, wo sollte dann der Streit, wo sollte dann die Zwietracht herkommen? Wenn diese Liebe, welche der Erlöser den Seinigen gebietet, unser Leben in allen seinen mannichfaltigen Verhältnissen immer mehr durchdringt, dann wird auch 21–24 Vgl. Joh 13,34f 28–29 Vgl. 1Kor 13,5; ferner Phil 2,4 Phil 2,6f 31–33 Vgl. Mt 20,28; Mk 10,45

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alle Zwietracht verschwinden; wenn in allen Gegen|sätzen, die sich unter den Menschen erheben, jeder sich bemühte, nicht das Seinige zu suchen, sondern nur das, was des Anderen ist, so wäre die Welt nur ein Tempel des Friedens. Ist ein Gegensatz zwischen Herrschenden und Gehorchenden, o daß doch jeder suche was des Andern ist! Wenn doch die Gehorchenden fragen wollten, was des Herrschenden ist, was sie ihm schuldig sind, um ihn in den Stand zu setzen, daß er übersehe, was er selbst zu der Verbesserung ihres Zustandes thun kann; wenn die Herrschenden sehen, was deren ist, die Gott ihnen anbefohlen hat, auf daß sie ihre Kräfte frei machen, damit sie mit ihnen nach dem Willen Gottes wirken und schaffen, um die Herrschaft über die Erde fester zu begründen, die Gott der Herr den Menschen gegeben hat: wo sollte der Streit der Menschen unter einander herkommen? Wenn die Völker gegen einander aufstehen, sie werden aber durchdrungen von dieser Wahrheit, wie sollten sie sich nicht mit einander verbinden? wie sollte ihnen nicht klar werden, daß sie in Frieden, in aller Art gegenseitiger Handreichung sicher wohnen könnten, und daß noch viel mehr von Völkern, als von Einzelnen jenes alte Wort der | Schrift gilt: „wie fein ist es, wenn Brüder einträchtichlich bei einander wohnen“? Giebt es einen Gegensatz und Streit zwischen Reichen und Armen in Beziehung auf Geld und Gut, wenn doch nur beide suchten, was des Anderen ist, die, welche zu geben haben, was denen ersprießlich ist, welche von ihnen empfangen, und die, welche zu empfangen haben, wie sie den Nutzen und die Arbeit jener befördern können: wo sollte da der Streit herkommen? – Und ach, was gar den Streit in der Christenheit und um das Christenthum betrifft, wenn wir noch nicht sicher sind über dieses und jenes in der Lehre Christi selbst, wenn wir uns noch streiten, welches die richtige Auslegung seiner Worte sei: was sagt er selbst zu uns: „wer meine Lehre thut, der wird erfahren, daß sie von Gott sei!“ Was haben wir also einander zu leisten in dieser Beziehung? Ach, daß wir einander darin unterstützen, die Lehre des Herrn zu thun, daß wir einander fördern in der Ausübung christlichen Sinnes und Geistes. Ach, wenn so das Auge des Menschen Licht ist, dann wird auch bald sein ganzer Leib Licht werden; helfen wir uns in diesem Bestreben, dann wird uns auch bald deutlich werden, was wahr ist, und was falsch, was wichtig und was | gleichgültig, je nachdem es mit diesem Thun des Willens des Herrn zusammenhängt. Wohlan denn, m. Fr., so ist es denn, es giebt keinen anderen wahren Frieden, als den der Erlöser bringt. So lange wird Streit sein unter den Menschen, bis sie ihm ganz und allein sich ergeben haben; so lange wird die Welt ein Schauplatz sein von Verwirrungen, als sie noch nicht zu seinen Füßen gesunken ist, der allein der Fürst des Friedens ist; so lange werden 17–18 Vgl. Ps 133,1 27–28 Vgl. Joh 7,17 31–32 Vgl. Mt 6,22; Lk 11,34 40 Anspielung auf Jes 9,5; Jes 9,2–7 ist Epistellesung des 1. Weihnachtstages gewesen.

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wir selbst noch irren und schwanken auf der Bahn unseres Lebens und unser Friede nicht gesichert sein, als das noch nicht wahr an uns ist; daß er ganz in uns lebt und wir in ihm, und wir deßhalb, weil er Eins ist mit dem Vater, auch Gott in uns tragen und nie ferne von ihm sind. Und damit wir das auf alle Weise üben, m. gel. Fr., so lasset uns zurückgehen auf das, was wir vorher in unserer heutigen Sonntagsepistel vernommen haben; welche schönen Vorschriften in Beziehung auf die einzelnen Verhältnisse des Lebens giebt uns der Apostel! Wollen wir das Große und Ganze, laßt uns ja nicht das Einzelne und Kleine vernachlässigen, denn nur der wird über Mehres gesetzt, welcher treu war in dem Wenigen; | lasset uns immer damit anfangen, die Liebe zu üben, welche der Erlöser geboten hat; lasset uns bei jeder feindseligen Bewegung, die in unserem Herzen sich erhebt, uns vorhalten, wie sie gegen diese Liebe streitet, und was ihr zuwider ist, sofort aus uns verbannen. Dann wird uns immer mehr sein Licht leuchten, und je mehr wir so verklärt werden aus einer Klarheit in die andere, um desto mehr werden wir alle, seien unsere Verhältnisse in der Welt, welche sie wollen, scheinbar noch so geringfügig und unbedeutend, um so mehr werden wir beitragen, seinen Frieden zu gründen und alle unter dem zusammenzufassen, der allein den wahren Frieden geben kann und erhalten jetzt und immerdar. Amen. Gnädiger Gott und Vater! wir sagen Dir Lob und Dank, daß wir abermal uns haben erbauen können und stärken in dem wahren Dir wohlgefälligen Glauben aus Deinem Wort. O laß doch durch die Verkündigung desselben alle, welche den Namen Deines Sohnes bekennen, immer mehr gefördert werden in dem wahren, seligen Frieden, den er uns gegeben, und immer kräftiger gestärkt zu der ungefärbten Liebe, | durch die wir allein Dein Reich fördern und uns der Segnungen desselben erfreuen können. Dazu laß denn auch nach Deiner gnädigen Verheißung die öffentliche Verkündigung Deines Wortes gesegnet sein in allen Gemeinden der Christenheit. Schaffe aber auch der Kirche treue Pfleger und Versorger in dem, dessen sie zu ihrem Bestehen bedarf, PanS allen denen, welchen Du Macht gegeben hast über christliche Völker. Insonderheit bitten wir Dich, laß Deine Gnade groß sein über den König, den Kronprinzen und das gesammte königliche Haus, setze es zu einem erfreulichen Vorbilde wahrer christlicher Gottseligkeit und eines darauf begründeten Wohlergehens. Vornehmlich aber bitten wir Dich, Du wollest dem König zu seiner Regierung erhalten und mehren die Erleuchtung seines Geistes, damit er in dem großen Werk, welches 3–4 Vgl. Joh 10,30 5–6 SAr 54, Bl. 179r verweist in einer Fußnote auf Röm 12,7– 16; das entspricht der in der preußischen Perikopenordnung vorgesehenen Epistellesung. 9–10 Vgl. Mt 25,21.23 14–15 Vgl. 2Kor 3,18

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Du ihm aufgetragen hast, erkenne und ausführe, was wohlgefällig ist vor Dir; Du wollest ihm alle seine Völker verbunden halten in treuer, gehorsamer Liebe, damit wir unter seinem Schutze des Namens eines christlichen Volkes von Brüdern immer würdiger werden. Darauf laß denn auch unser aller Tichten und Trachten | gerichtet sein, laß dazu gesegnet sein die geringen Dienste, welche jeder unter uns leisten kann in Deinem Weinberg, laß es uns nicht fehlen an erfreulichen Erfahrungen davon, daß auch wir berufen sind, Dein Reich zu fördern. Nimm Dich insonderheit derer an, welche unter den Trübsalen und Widerwärtigkeiten dieses Lebens ihre Zuflucht bei Dir suchen und, indem auf alle Weise Deine Gnade sich mächtig zeigt in dem Schwachen, laß uns immer fester werden in dem seligen Glauben, daß denen, die Dich lieben, alle Dinge zum Besten gereichen müssen. Amen.

5 Vgl. Gen 8,21; das anlautende „T“ bei „Tichten“ findet sich auch bei Luther und bei schlesischen Dichtern des Barock. 11 Vgl. 2Kor 12,9 12–13 Vgl. Röm 8,28

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Am 30. Januar 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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Septuagesimae, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 20,28 Nachschrift; SAr 108, Bl. 17r–22v; von Oppen Keine Keine 2. Teil einer Predigtreihe über die Eigentümlichkeit des Lebens des Erlösers 16. Januar 1831 bis 13. Februar 1831

Am 30. Januar 31. Lied. 43 – 100 – 111 v. 5–6 Matth. 20. v. 28. Was wir eben mit einander gesungen haben, m. F. von der großen unermeßlichen Herrschaft unsers Erlösers, einer Herrschaft auf welcher unserer Aller 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 43: „Allein Gott in der Höh’ sey Ehr“ (in eigener Melodie); Nr. 100: „König, dem kein König gleichet“ (Melodie von „Schmücke dich, o liebe Seele“); Nr. 111: „Wie sollen wir dir, Vater, danken“ (Melodie von „Die Tugend wird durch’s Kreuz geübet“); Strophen 5 und 6 lauten: „Ach daß wir ganz in Liebe brennten zu dir, dem Herrn in Knechtsgestalt! Ach daß wir besser danken könnten! Die wärmsten Herzen sind zu kalt! O möcht’ uns doch dein Geist entzünden, gäbst du uns göttliches Gefühl! Kein Mensch kann würdig sie empfinden die Liebe ohne Maaß und Ziel. // O habe Dank für deine Liebe! Ich lebe dir allein, mein Heil! Wer jetzt, auch jetzt noch Sünder bliebe, Gericht und Elend wär’ sein Theil. Denn auf den Wolken wirst du kommen, Sohn Gottes und des Menschen Sohn, die Sünder richten und die Frommen erhöhn zu dir an deinen Thron!“ 4–3 Schleiermacher bezieht sich auf Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 100: „König, dem kein König gleichet“ (Melodie von „Schmücke dich, o liebe Seele“). Die sechs Strophen lauten: „König, dem kein König gleichet, vor dem jeder Glanz erbleichet, du, des Vaters Eingeborner, und zum Herrschen Auserkorner, der zu eigen uns erworben, da du bist für uns gestorben, der nun ewig triumphiret und des Reiches Zepter führet. // Himmel, Erde, Luft und Meere sind, o Herr, voll deiner Ehre; über Lebende und Todte herrschen deine Machtgebote; Alles steht in deinen Händen, daß du magst dein Werk vollenden, und auf wunderbaren Wegen führst du uns dem Ziel entgegen. // Größre Wunder sieht man glänzen in des Gnadenreiches Grenzen. Wer vermag sie wohl zu zählen, die von dir erlösten Seelen, die das Wort aus deinem Munde heiligt in dem Gnadenbunde, die gern Alles für dich lassen und, wie du, die Sünde hassen? // In dem Reiche deiner Ehre dienen dir des Himmels Heere; durch frohlockende Gesänge preiset dich der Sel’gen Menge, die dort in des Himmels Auen dein verklärtes Antlitz schauen, und dich unermüdet loben, der

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Seeligkeit beruht, unter deren Schutz das ganze Menschengeschlecht gestellt ist, von welcher Alles, was irgend von Bedeutung ist und groß und uns Gott näher bringt, und in der Gemeinschaft mit ihm erhält, ausgeht, das ist gewiß unserer Aller herzlicher Ausdruck unserer Empfindung gewesen über den, dessen Namen wir bekennen. Aber was sagt er von sich selbst in den eben verlesenen Worten? Fast als ob er alle solche Gedanken entfernen, als ob er sich der Herrschaft entschlagen wolle, sagt er: er sei gekommen nicht, daß er sich dienen lasse, sondern, daß er diene. – War es jenes, war es dieses? und nicht etwa so, daß wir sagen könnten, während er auf Erden gelebt, da habe er jenes dienende Leben geführt und nachher erst, als er aufgehoben worden von der Erde, sei ihm zum Lohn dafür, daß er so lange da gewesen, um zu dienen, sei ihm diese große Herrschaft zu Theil geworden? So sage ich ist es nicht, m. Fr! er war schon damals derselbe Herrscher, derselbe König; er bekennt auch selbst, daß er es sei, und also auch damals gewesen sei, daß er so gehandelt, daß er seine Macht ausgeübt, daß er sein Reich gegründet, als er gefragt wurde, ob er wirklich ein König sei. – So laßt uns denn mit einander erwägen, m. Fr., wie sich dieses beides mit einander verträgt, wie der, dem alle Gewalt gegeben ist, doch von sich sagen konnte, er habe sein ganzes Leben geführt und führe es nicht, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene, | und zweitens besonders sehen, wie die Herrschaft unsers Erlösers von solcher Art ist, daß er in der That auch nicht weiter herrschen konnte, als er im Stande war zu dienen. 1. Theil. Was nun das Erste betrifft, so sagt der Erlöser in den Worten unsers Textes keineswegs, daß er nicht ein Herr sei und herrsche, sondern was er von sich abwendet, ist dieses, daß er sich nicht dienen lasse, sondern diene. Beides aber ist allerdings, wenn wir es genauer betrachten, weit von einander unterschieden. Zunächst war er veranlaßt zu den Worten unsers Textes durch die Bitte der Mutter zweier seiner Jünger, deren Söhnen er gewähren sollte in seinem Reich zu sitzen, dem einen zu seiner Rechten, dem anderen zu seiner Linken. Damit war natürlich auch ein Antheil an seiner Macht in seinem Reiche verbunden, aber doch was ihre Bitte zunächst in sich schloß, das war nur das äußerliche Zeichen dieser Theilnahme, der äußre Schein zum Himmel sie erhoben. // Herr, in allen diesen Reichen! dir ist Niemand zu vergleichen an dem Ueberfluß der Schätze, an der Ordnung der Gesetze, an der Dauer der Regierung, an der Weisheit in der Führung, an den Siegen über Feinde, an Beseligung der Freunde. // Herrsch’ auch, Herr, in meinem Herzen, überwinde Furcht und Schmerzen, steh’ mir bei, wenn ich muß kämpfen, hilf mir alles Böse dämpfen, lehre mich, dich recht zu lieben, freudig dein Gebot zu üben, daß ich mit dir muthig streite, und einst herrsche, dir zur Seite.“ 15–17 Vgl. Mt 27,11; Mk 15,2; Lk 23,3; Joh 18,33– 37 19 Vgl. Mt 28,18 29–32 Vgl. Mt 20,20f

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davon, das Ansehen der Person, das Vornehm- und Ausgezeichnetsein vor Anderen. Das allerdings wird immer zum Theil daran erkannt, wie weit sich einer dienen läßt, oder von wie vielen er sich dienen läßt. Aber von wie Vielen sich auch einer dienen lasse, das schließt noch nicht seine Herrschaft in sich, alles bezieht sich dann auf seine einzelne Person, also nur auf ihn selbst; eine Herrschaft aber muß über den einzelnen Menschen hinausgehn, einen Gegenstand haben, der größer ist als er und sich weiter erstrecken, als auf sein eignes einzelnes Leben. Dies wendet der Erlöser ganz von sich ab; und allerdings Alles, was wir von seinem Leben wissen, zeuget dafür, daß er garnicht gekommen um sich dienen zu lassen, daß er solche Stellung in der Welt, die das erforderte, | nie gesucht und nicht gewollt, und darum sagt er ohne alle Einschränkung, daß es auch nicht so sein sollte unter den Seinigen, daß keiner solle Aufsehen machen für seine Person, sondern, daß die Richtung der Kräfte in seinem Reich eine andere sein sollte als die eines jeden auf sich selbst, und Anderer auf und für irgend einen Einzelnen. Aber, m. Fr. wie ist es mit dem Herrschen? Es giebt freilich ein Herrschen, welches sehr dasselbe ist mit dem Sichdienenlassen, aber das ist ein solches, welches früher oder später sich selbst zerstört und in das Nichts zurückfällt, was es von Anfang an gewesen ist; ein Herrschen, welches dasselbe ist mit einem Sichdienenlassen ist ein solches, das seine Beziehung nur hat auf den, der da herrscht, das wahre Herrschen aber ist niemals ohne eine getreue Fürsorge für die, welche beherrscht werden. Wo wir nur eine natürliche oder auf menschlichen Willen beruhende Herrschaft finden in weltlichen Dingen, wird sie allemal eine solche sein. – Was ist eine natürlichere Herrschaft als die der Eltern über Kinder? Womit beginnt sie? Damit, daß sie ihnen dienen, indem sie das zarte Leben bewachen, die Entwicklung der Kräfte fördern, daß sie Alles thun für die, welche ihnen Gott anvertraute, aber indem sie das thun, herrschen sie allerdings, doch sie üben eine Macht aus zum Seegen derer, welche ihnen gegeben sind; indem sie so ihnen dienen werden jene allmählich ein Werk dieser Liebe und Fürsorge und reifen heran zu der Selbstständigkeit, welche freilich dann auch nicht mehr dieser Herrschaft bedarf. – Und wie ist es mit der Herrschaft über die Menschen in den größeren Verhältnissen des bürgerlichen Lebens? Müssen wir nicht gestehen, daß wo sie so geordnet ist, daß sich Alles nur bezieht auf den Einen oder die Wenigen, die da herrschen, daß Alles um ihretwillen nur da ist, daß alle Kräfte des Ganzen nur hingerichtet werden auf ihren besondern Nutzen, daß da noch vorhanden ist ein sehr unvollkommener Zustand der menschlichen Dinge? Da sind die, welche beherrscht werden, meist weit noch zurück in Beziehung auf die große Bestimmung der Menschen auf Erden, daß sie | nichts anderes können als denen dienen, welche sich so dienen lassen. – Aber wo es gilt eine große Masse von Kräften zusammen zu halten, Ziel und Maaß zu setzen, daß sie sich nicht untereinander aufreiben und zerstören, oder gute Ordnung und Recht und Gesetz hervorzuru-

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fen, damit sie sich gegenseitig unterstützen, um den Zweck der Menschen, das Ziel ihrer Bestimmung, sich die Erde zu unterwerfen, zu erreichen, – wo eine solche Herrschaft ist, da ist auch ein beständiges Dienen, da fühlt es jeder ununterbrochen, der an der Herrschaft Theil nimmt, daß er seine Kräfte gebraucht für Andere, und die schönste Zusammenstimmung ist dies, wenn so viel als möglich jeder an Beidem Theil nimmt, jeder weiß, daß er dient, aber indem er dient, auch hilft herrschen und Ordnung halten. Jemehr so Alles in einander greift, um desto vollkommner ist der Zustand der menschlichen Dinge. Darum haben auch schon große Herrscher, von Gott begabt mit einem hohen Maaß geistiger Kräfte, eine solche Macht unter den Menschen auszuüben, immer erkannt, daß sie nichts sind, als die ersten Diener eines gemeinsamen Reiches und wo ein solcher ein wahrhaft großer Mensch auf einer solchen Stelle gewesen ist, da ist auch seine Wahrheit gewesen, daß er nur diene; umdestomehr hat er aber auch dann verschmäht die Dienste, welche seiner einzelnen Person gereicht waren, um desto weniger gesucht den Glanz darin, daß ihm gedient werde, sondern je mehr er alle Kräfte gebrauchen konnte als Gehülfen des Dienstes, der verrichtet wurde, um desto mehr fühlte er in Allem seine Kraft, die sich wirksam bewies, seine Macht, die er ausübte. Und ist es nun schon so in den Dingen dieser Welt, insofern sie natürlich von der Macht des Geistes ausgehn und ihr unterworfen sind, wie könnte es anders sein in Beziehung auf die Herrschaft unsers Erlösers? verschmähen schon die, welche mit dem rechten Sinn in weltlichen Dingen herrschen, daß ihnen gedient werde, wie viel weniger konnte der Erlöser der Menschen | Werth darauf legen da zu sein, um sich dienen zu lassen, wie viel weniger konnte er sich so hinstellen, daß dies hätte vor den Augen der Menschen diesen Schein gewinnen können? Wie wenig hatte er von dem großen Dienst, den er zu leisten hatte für die Menschheit, indem er herrschte, Zeit übrig, um sich feiern zu lassen als den, dem Viele dienen. Darum sagt er: des Menschen Sohn ist nicht gekommen in die Welt, daß er sich dienen lasse, sondern, daß er diene – aber seiner wahren Herrschaft, seiner geistigen Gewalt, der hat er sich durch diese Worte nicht entsagt, sondern sein Dienen war seinem Herrschen gleich. 2. Theil. Und so laßt uns nun, m. Fr. den zweiten Theil unserer Frage beantworten, nämlich zeigen, daß der Erlöser auch nicht weiter herrschen konnte, als er im Stande war zu dienen, daß sein Dienen und Herrschen: Beides Eins und Dasselbe ist. – Wir erfahren oft, und wenn wir es jetzt nicht mehr so oft 9–14 Anspielung wohl vor allem auf den preußischen König Friedrich II. den Großen (1712–1786), dessen Geburtstag, der 24. Januar, nur wenige Tage vor dieser Predigt lag; vgl. auch KGA I/11, S. 479–490.

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erfahren, weil der menschliche Geist gereifter ist, so erblicken wir es doch häufig in den Geschichten vergangener Zeiten, daß es eine Art zu herrschen giebt, zu fördern das Gute aber wider den Willen derer, die es ausüben. Der, welcher weiter sieht und die menschlichen Angelegenheiten im Großen erblickt, der kann mit dem besten Gewissen anordnen zum Heil und Wohl der Menschen, was sie nur, indem sie der Gewalt folgen, der sie nicht widerstehen können, aber ganz gegen ihren eignen Sinn vollziehen; je weiter der herrschende Geist der Menge voraneilt, um desto öfter tritt ein solcher Fall ein; wider Willen gehorchen die, welche ihnen unterworfen sind, aber wider Erwarten sehen sie auch, oder wenn sie selbst es nicht sehen, die künftigen Geschlechter der Welt, das Gute aus einem solchen Herrschen hervorgehen. | Aber so ist es nicht mit dem Herrschen des Erlösers, er kann nicht herrschen über die Menschen wider ihren Willen, es ist ein freies Verhältniß zwischen ihm und ihnen, er kann seine Güter ihnen nicht aufdringen, durch irgend etwas, das er befiehlt, und was sie nur zu thun brauchten, sondern es muß ihr eigner Wunsch, ihr eignes Begehren vorangehn. Aber was heißt dienen, als einem Anderen thun, was er begehrt? Begehren die Menschen nicht die Herrschaft des Erlösers, so kann er nicht über sie herrschen, eben weil er ihnen nicht dienen kann; strecken aber die Menschen verlangend danach ihre Hände aus, dann ist er da um zu dienen, und er dient ihnen eben dadurch, daß er sie beherrscht. Das ist der große, allerdings eigenthümliche Zusammenhang in dem ewigen Rathschluß Gottes zu unserer Erlösung. Freilich, m. Fr. scheint auch darin etwas zu sein, was gegen die Ansicht und Empfindung einer großen Anzahl von Christen anstrebt. Was ist der Mensch, ehe er unter die Herrschaft des Erlösers kommt? Er ist todt in Sünden! – Das verstehen wir Alle – todt in Sünden ehe er angehaucht wird von Dem, welchem Gott gegeben hat das Leben zu haben in ihm selbst. Was ist der Mensch ehe er unter die Herrschaft des Erlösers gekommen und eben dadurch ein Knecht der Gerechtigkeit geworden ist? – Was sagt der Apostel anders als, dienen muß der Mensch, und er hat nun die Wahl, ob er sein will ein Knecht der Sünde, und dann haben den Lohn derselben, nämlich den Tod, oder ob er sein will ein Knecht der Gerechtigkeit und dann haben die Frucht derselben, nämlich das ewige Leben. – Ist nun der Mensch ein Knecht der Sünde, woher soll ihm kommen das Verlangen nach einem anderen Zustand, den er aber nur durch den Erlöser erlangen könnte, PaberS nur so, daß das ein Dienst des Herrn ist? – Wenn | der Mensch ein Knecht ist der Sünde, aber so weit nicht sieht, daß das Ende derselben ist der Tod, sondern sich begnügt an dem vorübergehenden Lohn sinnlicher Lust, welchen ihm die Sünde immer verspricht; aber biswei19 strecken] folgt vermutlich gestrichen sich 25–26 Vgl. Eph 2,1

27–28 Vgl. Joh 5,26

36 PaberS] oder PebenS 29–33 Vgl. Röm 6,16.18.20–23

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len auch nicht gewährt – wie kann er ein Verlangen haben nach einem ganz anderen Leben, das er garnicht kennt, wovon er nicht die leiseste Ahnung hat in sich selbst? Und wenn es so ist mit dem Menschen ehe er unter der Herrschaft des Erlösers kommt, kann es wohl wahr sein, daß der Erlöser nur dient, indem er anfängt zu herrschen? sollte es nicht so sein, daß er wider Willen sich der Menschen bemächtigt? – Das, meine Fr., das ist allerdings die Ansicht vieler Christen von dieser großen und nichts anderem gleichenden Veränderung, welche mit dem Menschen vorgeht, der aus dem Dienst der Sünde übergeht in den Dienst der Gerechtigkeit unter der Herrschaft Christi – aber es ist doch nicht ohne Uebertreibung: der Erlöser selbst, indem er den Zustand der Menschen darstellt gleich denen, die todt sind und ruhen in den Gräbern, in der Stelle, wo er beides miteinander so wie sein Ausdruck jetzt vor uns liegt, vermischt, den geistigen Tod, und die geistige Auferstehung, und den wirklichen Tod und die wirkliche Auferstehung, redet doch nur so, daß er sagt: Und die Todten in den Gräbern werden hören die Stimme des Menschen-Sohnes; – hören sie sie, so sind [sie] ja nicht ganz todt, ist etwas in dieser Stimme des Menschensohnes, das so erregend auf sie wirkt, o! so muß auch etwas, wenn auch nur in einer entfernten Ahnung, in ihnen sein, von dem Anfang des Lebens, das aus dieser Erregung hervorgeht, so müssen sie noch nicht ganz todt sein, weil sie noch Zeichen des Lebens aufnehmen, wodurch sie selbst zum Leben geweckt werden können. Was sagt Johannes, der theure Jünger des Herrn, wie in ihm, | und in denen, die zu derselben Zeit, wie er, an den Erlöser zu glauben anfingen, dies zu Stande gekommen sei? Wir sahen, sagt er[,] seine Herrlichkeit als die des eingebor’nen Sohnes vom Vater. Wie waren sie dazu gekommen sie zu sehen? Dadurch, daß Johannes ihnen gesagt, das sey das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde hinwegnähme. Wohlan, so mußten sie doch ein Verlangen gehabt haben befreit zu werden von dem Joch ihrer Knechtschaft; so mußten sie dasselbe sagen, was ein anderer Apostel so ausdrückt: Wer wird mich erretten von dem Leibe dieses Todes! Und ohne solch Verlangen ist es nicht möglich, daß das Verlangen nach dem Erlöser einen Anknüpfungspunkt finden kann in der menschlichen Seele; eine Fähigkeit muß da sein sich anzuschließen an den, der sich darbietet, eine Hand muß ausgestreckt sein, um die Kräfte aufzunehmen, ein Ohr geöffnet, um die Stimme zu vernehmen, ein Auge geöffnet, um etwas Besseres zu sehen, als es gewöhnlich sieht, um zu erblicken den Glanz des eingebornen Sohnes vom Vater, und damit erst kann beginnen die Herrschaft des Erlösers. Wenn Er selbst seiner Herrschaft ein so herrliches Ziel steckt, daß es scheint, wenn sie ganz vollendet sein, wenn sie ihr Werk vollkommen erfüllt haben werde, wenn er den treusten, beharrlichsten, fleckenlosesten Gehor10–16 Vgl. Joh 5,24–29 30 Vgl. Röm 7,24

24–25 Vgl. Joh 1,14

26–27 Vgl. Joh 1,35–37

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sam erfährt von denen, über welche er herrscht, dann sei seine Herrschaft vorbei; – denn liegt das nicht in den Worten, die er ausspricht, daß er gekommen sei um die Menschen frei zu machen, und nur die seyen recht frei, die er frei gemacht, der Sohn? wenn er, sage ich, seine Herrschaft selbst so beschreibt, ist es möglich, daß der Mensch frei werden | kann wider seinen Willen, muß nicht ein Verlangen sein nach dem Freisein? Wenn er in der Gewohnheit bleiben will von Anderen in Bewegung gesetzt zu werden, was geschieht ihm dann, wenn so nicht mehr auf ihn gewirkt wird? Wird er dadurch frei? – Nichts anderes geschieht ihm, als daß er aufhört zu leben, weil er auf solche Weise nicht mehr geleitet wird; die Freiheit kann nur in ihm aufgehn durch sein eignes Verlangen danach frei zu werden. Ist es die Herrschaft der Sünde unter der er lebt, so muß er inne werden, daß etwas Besseres in dem Menschen sei, welches ihn in den Stand setzt etwas Besseres zu werden als Knecht der Sünde; wo also der Wunsch des Menschen, wenn auch noch so leise, dem Erlöser entgegen kommt, wo er den Wunsch des Herzens, das Verlangen der geängstigten Seele erfüllen kann, indem er seine Herrschaft über sie beginnt, da dient er eben, indem er herrscht! – Denken wir uns aber zurück in die Zeit, wo der Erlöser auf Erden wandelte, und wo er seine Herrschaft begann, sehen wir auf das Geschlecht der Menschen, wie tief es gesunken war überall sonst in den mannigfaltigsten verderblichsten Wahn, wo irre geleitete Vorstellungen vom höchsten Wesen nur dazu dienten die verkehrten Gesinnungen und Neigungen der Menschen zu nähren, wo Eins das Andere immer tiefer in’s Verderben stürzte, und wir selbst unter dem Volke, in welchem sich die Erkenntniß von einem Gotte erhalten hatte, diese doch ausgeartet war in einen Dienst todter Werke und in einen geistlosen Buchstaben: wie sollte die Herrschaft des Erlösers beginnen, wenn doch das unerläßlich dazu ist, daß der Wunsch der Menschen ihm entgegen kommt? Darum mußte er so geeignet sein, wie es kein anderer war, um eben diesen Wunsch in den Menschen zu erregen, darum war auch das der geheimnißvolle Weg, den die Vorsehung, in der Verbreitung des neuen Lebens ging, daß im Anfang, nicht viele | berufen wurden von denen, die da in der Sättigung der Güter dieses Lebens lebten, die da weise waren vor der Welt, darum dankt der Erlöser dem Vater, daß er zunächst es den Unmündigen offenbarte und denen die Thoren waren vor der Welt; denn die, die sich in ihrem Zustande wohl befanden, die das für Weisheit hielten, was es nicht war, die Genüge hatten an dem, was ihnen die Dinge dieser Erde darboten, die hatten kein Bedürfniß ihres Herzens zu befriedigen, keine Veranlassung, ihr Auge darauf zu richten sich unter die Herrschaft des Erlösers zu begeben; aber er war dann auch, wie kein anderer, geeignet das menschliche Herz, wenn nur irgend eine Empfindung vom verlornen Zustande in der Seele des Menschen war, eben dadurch, daß es 2–4 Vgl. Joh 8,31–36, bes. 36

33–35 Vgl. Mt 11,25

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sich zu erkennen habe, auch mit dem Wunsch der Hülfe zu erfüllen, und darum war sein ganzes Leben auf Erden ein solches, daß er nur suchte zu dienen, aber indem er diente, seine Herrschaft über die Menschen begann und begründete. – Wenn er umherging, im Besitz der von Gott ihm eingepflanzten wunderbaren Kräfte um auch den leiblichen Leiden der Menschen ein Ende zu machen, und mit diesen Kräften nur diente, wenn die Menschen sich zu ihm fanden und ihn baten: Jesus von Nazareth, erbarme dich unser! da that er, was sie begehrten, weil er nicht anders konnte als dienen, wandelte er aber unter einer noch so großen Zahl von Leidenden, die aber kein Herz zu ihm hatten, da schreiben die Jünger von ihm, daß er die Zeichen nicht thun konnte, weil sie keinen Glauben hatten; nicht weil seine Macht nicht größer gewesen wäre, als der Unglaube der Menschen, aber weil ihm da nicht gegeben war ihnen zu dienen, indem nicht das rechte Verlangen aus dem Glauben ihm entgegen kam, | sie keinen Wunsch äußerten sich unter seine Herrschaft zu begeben; und so war sein ganzes Leben das Sinnbild des Einen und Höheren, womit es überall dieselbe Bewandniß hat. Wo er unter den Menschen wandelte, welche sich selbst wohl gefielen in ihren Erkenntnissen und Anordnungen unter dem Volk, ja da predigte er tauben Ohren die Worte, die er vom Himmel holte, und kaum daß sich Einer unter ihnen wunderte, wo er denn die Schrift her hätte, die er nicht nach ihrer Weise gelernt; wie konnte er da herrschen, wo man sich nicht dienen ließ? Aber die, denen es an der Befriedigung auf jenem Wege fehlte, die auch in dem Sinne von jenen zurückgesetzt waren, ohne eigne Kraft und Hülfe, ohne die Einsicht, von welcher sich jene erleuchtet wähnten und ohne Zufriedenheit im Innern, ja die konnten eher ein Ohr haben für jene einfache himmlische Weisheit, die konnten eine solche Größe des Erlösers erkennen, die sich ihnen mit keinem äußeren Prunk aufdrang, die aber auch nichts an sich trug von einem Sichdienenlassen, in diesen konnte der Wunsch entstehen auch von ihm geistig geholfen und errettet zu werden. – Diesen Weg aber, m. Fr. geht die Herrschaft des Erlösers noch immer, wie er in den Worten unseres Textes und den vorangehenden und den späteren im Gespräch mit seinen Jüngern es feststellte unter ihnen, daß sie nicht sich sollten dienen lassen, sondern, wer am meisten Theil haben wollte an seiner Gewalt, der sollte auch am meisten den Anderen dienen; so, und nicht anders ist es noch immer. Die Güter des Heils den Menschen zu geben wider ihren Willen, ist unmöglich, aber es ist auch nichts nöthig, als das eigne Gefühl von der Nothwendigkeit der göttlichen Hülfe, nichts als die eigne Ueberzeugung, daß die Menschen von ihrer Kraft sich nicht helfen konnten, welche die Herzen wendet zu ihm, daß sie in ihm erkennen die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater | der in dem Hause des 6–8 Vgl. Mt 20,31; Mk 10,47f; Lk 18,38f 10–11 Vgl. Mk 6,5; ferner Mt 13,58 19–21 Vgl. Joh 7,15 30–34 Vgl. Mt 20,26f 39–40 Vgl. Joh 1,14

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Vaters, wie in dem seinigen herrscht. Und so gehet auch jetzt die Gemeinschaft der Gläubigen desselbigen Weges in der Welt fort. Freilich kann unter denen, die im Schooß der christlichen Kirche geboren sind, nicht mehr auf dieselbe Weise solch Gefühl von dem Unzureichenden ihrer Kräfte entstehen; nicht so, als ob jetzt der natürliche Mensch ein anderer wäre, als er immer gewesen ist, aber sie erblicken ihn nicht mehr so; von Anfang an erblicken sie die Seegnungen des Erlösers – aber dafür ist durch ihn selbst gesorgt: Blicken wir Ihn an, so erkennen wir auch zugleich den Unterschied zwischen ihm und uns, so unterscheiden wir auch das, was von uns ist von dem, was von Ihm herstammt, und so, indem sich jetzt die Seele zum Erlöser hinwendet, ist sie schon immer unter seiner Herrschaft gewesen und darf nichts als ihre freie Zustimmung dazu geben sich immer von Ihm beherrschen zu lassen und dadurch hindurchzudringen zu der wahren Freiheit der Kinder Gottes. Und darum, wenn das Leben unsers Herrn und Meisters nichts anderes gewesen ist, als daß er gekommen ist den Menschen zu dienen, so lasset uns der Regel, welche er den Seinigen gegeben hat, beständig folgen. Auch wir können seine Gaben nur theilen und an seiner Herrschaft einen lebendigen Antheil haben, wenn wir überall dienen, wenn wir Augen der Liebe auf Alles richten, was noch verloren ist oder in die Irre geht; wenn wir seine Wohlthaten und Liebe verkündigen, dann werden die Augen der Menschen sich auf Ihn richten, um von Ihm seelig frei gemacht zu werden, und jemehr wir das Bewußtsein in uns tragen, daß wir nichts Anderes wollten, als unsern Brüdern dienen, Werkzeuge dessen sein, der, indem er den Menschen zur Hülfe entgegen kommt, seine wahre Herrschaft über sie ausübt, so auch wir immer nur suchen, nicht was das Unsrige ist, sondern was des Andern ist, dann werden auch wir seine rechten Gehülfen sein in der Beseeligung der Menschen, dann werden wir nicht mehr staunen über das Wort, wie es aus dem Munde dessen kam, dem alle Gewalt gegeben ist, sondern erfahren, daß es nichts Seeligeres giebt, als daß wir dazu [da] sind dem zu dienen, der zu nichts Anderem in die Welt gekommen, als daß er ihm heilige und erwürbe ein Volk, das da tüchtig wäre zu guten Werken.

4 Unzureichenden] Unzureichendem 29 Seeligeres] Seeligereres 31 ihm heilige und erwürbe] Kj ihm Heilige erwürbe und oder uns ihm [= für ihn] heilige und erwürbe 25–26 Vgl. Phil 2,4

28–29 Vgl. Mt 28,18

31–32 Vgl. Tit 2,14

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Am 13. Februar 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Estomihi, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 14,9 Nachschrift; SAr 108, Bl. 23r–30r; von Oppen Keine Keine 3. und letzter Teil einer Predigtreihe über die Eigentümlichkeit des Lebens des Erlösers 16. Januar 1831 bis 13. Februar 1831

Am 13. Feb. 31. Johannes 14. 9.

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Größeres als dieses konnte der Erlöser unmöglich von sich selbst sagen, und doch sagt er es zu seinen Jüngern nicht ohne seine Verwunderung darüber zu bezeigen, daß er nöthig habe es ihnen zu sagen: So lange, spricht er, bin ich bei Euch gewesen, und Du kennst mich doch nicht! Wer mich siehet, antwortet er auf den Wunsch, den Philippus ausgesprochen, daß er ihnen den Vater zeigen möge, der siehet den Vater! Und so wie er dies gesagt hat, so konnte unmöglich seine Meinung sein, daß das nur eine Sache sei besonderer ausgezeichneter Augenblicke seines Lebens – wie wir freilich die Menschen nicht anders kennen, als voll solcher Ungleichheiten, daß bald die menschliche Schwachheit, bald das Höhere und Göttliche in ihnen sich offenbart, – sondern, der das von sich sagen mußte, konnte es nur meinen, als die eigenthümliche Bedeutung seines ganzen Lebens, als die zusammenhängende, sich immer gleich bleibende Wahrheit seiner Erscheinung, und so war dann das Zeugniß, das Christus von sich ablegte, daß sein Leben sei eine beständige Vergegenwärtigung Gottes für uns, indem wir in ihm den Vater sehen. [1. Theil] Wenn wir nun die wenigen Betrachtungen, die uns noch übrig sind bis wir zu denen der Leiden des Herrn übergehen, dazu anwenden wollten, uns sein Leben in seiner eigenthümlichen Beschaffenheit vor Augen zu stellen und wir zuerst davon geredet haben, wie sein ganzes Lehren und Anfassen 7–8 Vgl. Joh 14,8

23–1 Vgl. die Predigt am 16. Januar 1831 über Apg 10,36

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der Menschen nichts anders gewesen sei als eine Predigt vom Frieden, und dann davon: daß sein ganzes Leben, ungeachtet der Gewalt, die ihm Gott gegeben im Himmel und auf Erden, nichts anderes war als ein Dienen, aber wie eben darin seine Gewalt sich begründete und offenbarte, so laßt uns nun fragen: wodurch denn ist das | bewirkt, daß er eine solche beständige Vergegenwärtigung Gottes gewesen für Alle, die das Auge des Geistes recht geöffnet hatten, um ihn zu sehen? Es ist dies m. F. nichts Anderes, sondern eben dasselbe; denn fragen wir wie erklärt sich der Erlöser weiter über die Vergegenwärtigung Gottes durch ihn? so finden wir er beruft sich dabei auf seine Worte, die nicht er als Mensch, sondern der Vater durch ihn rede, und auf seine Werke, die nicht er thue, sondern der Vater, der in ihm wohne. Was nun sind diese Worte und diese Werke, die sein ganzes Leben einnehmen? Wir haben alle seine Worte zusammen gefaßt darin, daß sie gewesen sind die rechte lebendige Predigt des Friedens, und seine Werke nichts anders als Dienen, wie er eben gekommen war um zu suchen und seelig zu machen, was verloren war. Und eben in diesem Beiden, dem Dienen und dem Verkündigen, ist das Leben des Herrn eine solche beständige Vergegenwärtigung Gottes gewesen. Beides aber, m. F. ist in sich Eins und dasselbe, und deßhalb war und ist’s diese Vergegenwärtigung, denn wie die Predigt vom Frieden sein Wort war, so war sie auch zugleich das große, kräftige, und herrliche Werk, wodurch er bezeugt, daß er der Grund des Friedens ist und alles Heils für die Menschen und daß wenn sie einen Frieden suchten, für die auf mannigfaltige Weise gedrückte, gequälte, auf mannigfache Weise leidende, hin und her gerissene zerstörte Seele, sie zu ihm kommen mußten. Wie aber sollte und konnte er dieser Predigt vom Frieden anders Eingang verschaffen, als dadurch, daß er den ewigen göttlichen Frieden zeigte in sich selbst? Und das war sein beständiges Werk, daß er sich stets bereit erwies den Menschen zu dienen auf alle Weise, wenn sie ihre Noth vor ihn brachten, | ihr abzuhelfen; immer wünschend freilich, daß sie das Größte von ihm begehren möchten, damit er das Größte ihnen leisten könnte. – So mußte das Werk dem Wort die Gemüther öffnen. Aber das Werk konnte nicht ohne Wort sein. Das Werk mußte sein Wort haben. Die Kraft mußte sich kund geben im Wort und die Menschen, indem sie sich nicht selbst helfen konnten, mußten gewiesen werden an ihn, als an den, an dem sie sich nur halten durften, um zu erstarken durch ihn. Im Wort und Werk also war alles Thun des Herrn zusammengefaßt, und in dem Thun ist er die Vergegenwärtigung Gottes; es ist die That Gottes, die in Ihm uns zur Anschauung kommt, aber auch eben nur in Ihm, denn es ist unmöglich zu denken, daß ohne Ihn, ohne Sein Wirken in den Menschen die Schuppen von den Augen unsers Geistes wegfielen und wir den Ewigen 2–4 Vgl. die Predigt am 30. Januar 1831 über Mt 20,28 2–3 Vgl. Mt 28,18 11 Vgl. Joh 14,10 15–16 Vgl. Mt 18,11; auch Lk 19,10

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überall erkennen könnten; denn die Welt ist zu oft ein Schleier, der ihn uns verbirgt, statt daß wir in ihr, als in seinem Werk, ihn finden sollten, indem wir Ordnung und Frieden überall wahrnähmen, als sich entwickelnd aus jedem Streit. So lange wir die Dinge betrachten als im Streit gegeneinander, so lange wir hören auf das Getöse der Verwirrung, so lange wir sehen die Kräfte der Natur aufgeregt, um sich gegenseitig zu zerstören, so lange erblicken wir Gott nicht in seinen Werken, sondern sie scheinen ihn uns zu verbergen; könnten wir aber den ganzen Zusammenhang übersehen, so würden wir erkennen, wie aus dem Streit die Ordnung hervorgehet und in ihm nichts ist als Frieden und Ordnung, und daß wenn er das Leben in ihm hat, er auch das Leben giebt und also alles Leben von ihm ausgeht, daß er eben auch Allem das Maaß zuvor gegeben hat und wir nur den geringsten Theil von dem übersehen, was ihm der ewige Zusammenhang aller Dinge ist, da eben das, was uns im Streit begriffen scheint und in der Zerstörung, grade dadurch zum Leben hindurchdringt. – | Ja wenn es uns gelänge, den ewigen Gang in seinen Werken zu erkennen, so würden wir nichts anderes finden als das Leben und den Frieden, den Frieden und das Leben! Und wenn wir so, m. g. F. die Geschichte menschlicher Dinge verstehen könnten, in deren verschlungenen Fäden wir so oft vergebens den Ewigen suchen, bald die Gerechtigkeit, die das Gute beschützt und ihm aufhilft, das Böse bestraft und es vernichtet, bald vergebens die Milde, die sich der schwachen Geschöpfe annimmt, vielmehr sie aus einer Noth in die andere zu führen scheint, wenn wir diese Welt der menschlichen Begebenheiten recht verstehen könnten, in welcher uns so oft die Ungleichheit der Kräfte auffällt, und in dieser Ungleichheit so oft das, was sich erhebt und glänzt nur scheinen will für sich, sich selbst nur sucht und Anderes verdunkelt – wenn wir aber den ganzen Zusammenhang verstehen könnten und nicht überall zu sehr auf Einzelnes sähen, als auf Solches, – was würden wir finden – als daß die Macht denen gegeben ist, welche dienen, daß aber auch nur das wahrhaft groß ist und stark, das sich nicht selbst sucht, sondern nur was des Andern ist, das nur das wahrhaft groß ist, das nichts sucht als eben nur zu dienen, den Schwachen zu stärken, den Leidenden aufzurichten und sich selbst zur Stütze darzubieten Allem, was sich daran halten will. Also eben die Macht, welche dient, die würden wir sehen überall, wenn es uns gelänge in der Geschichte der Führung des Menschengeschlechts den Ewigen zu erkennen. – Was meine a. F. was ist es auch anderes, wenn wir uns denken, daß Gott die Allmacht ist und die Liebe zugleich? Die Zerstörung kann der nicht wollen, der das Leben ist, sondern nur den Frieden. Wäre also der Friede nicht das letzte und Ewige, so wäre auch der, der Alles geschaffen hat und geordnet, nicht die Allmacht. Wo Liebe und Allmacht thätig ist, da kann nur der Friede sein und Liebe und Allmacht ist Eins im Wesen Gottes! 10–11 Vgl. Joh 5,26

30–31 Vgl. Phil 2,4

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Was aber ist Liebe | anders als das Dienenwollen und was ihre Thätigkeit als eben Dienen und Helfen – wenn aber die Allmacht es nicht im innersten Geheimniß hätte, daß alles Tichten und Trachten nur darauf gerichtet ist dies Gleichgewicht der Kräfte herzustellen und Alles immer mehr dem näher zu bringen, der die Quelle der Kraft und des Geistes ist – dann wäre die Allmacht die Liebe nicht. – Wenn wir so den Ewigen in seinen Werken erkenneten, so würden wir eben darin nichts anderes finden, als was wir finden in seinem Sohne, so bedürfen wir nichts anders um uns in ihm Gott zu vergegenwärtigen, als daß wir in ihm erkennen die Predigt und die Quelle des Friedens, die geistige Macht gegen die Alles verschwindet, aber die doch nur gekommen war um zu dienen und zu helfen. Sehet da, m. g. F. das ist das große Wort des Erlösers an seinen Jünger, als dieser ihn zu seiner Verwunderung fragte und bat im Namen Aller: Herr zeige uns den Vater, so genüget uns. – Welche Aufforderung scheint in dieser Bitte enthalten zu sein ihnen noch ganz andere und neue Geheimnisse aufzuschließen, die ihnen noch verborgen waren, welch schönes Verlangen, welche Sehnsucht tritt uns aus dieser Bitte entgegen, grade da, als der Herr anfängt zu reden von seinem Scheiden, daß da nichts Irdisches mehr in ihrem Sinn und Gedanken war, daß sie da nicht fragten: wie kannst du von uns gehen ehe du dein Reich aufgerichtet hast? sondern nur baten: Zeige uns den Vater! Er aber wußte nichts anders zu antworten als: So lange bin ich bei Euch gewesen und Du kennst mich nicht? Wer mich sieht, der siehet den Vater! als ob er zugleich hätte sagen wollen: Wer ihn aber in mir nicht siehet, der wird ihn auch nirgend finden, auch wenn sich ihm alle Geheimnisse der Welt erschlössen! – Und das ist es ja, was wir eben mit einander erwogen haben: | Ja sehen wir Ihn in dem Frieden, den der Erlöser predigt und in der Liebe und Macht, die er ausübt, nicht als die ewige Liebe, so werden wir ihn auch in der Natur und der Weltgeschichte, in der ganzen Fülle seiner Werke nicht finden, haben wir ihn aber gefunden in seinem Sohn, lebt der in uns, so finden wir Ihn wie in uns, so überall! Laßt uns nun, nachdem wir so den Sinn des Wortes des Erlösers zu fassen gesucht auch noch fragen: Was entsteht daraus für ein Verhältniß für uns, sowohl zu Gott, seinem und unserm Vater, als zu ihm unserm Erlöser? 2. Theil Was nun zuerst unser Verhältniß zum Erlöser selbst betrifft, so laßt uns wohl bedenken, was er zu seinem Jünger sagt: so lange bin ich bei Euch gewesen und Ihr kennt mich doch nicht! Was sagt er uns damit? Wenn er uns nicht solche Vergegenwärtigung Gottes geworden, daß wir in ihm den Vater sehen, so kennen wir den Vater nicht. – Philippus war einer seiner ersten Jünger, er war ein Freund der beiden, die Johannes der Täufer zuerst zu 13–14 Joh 14,8

40–1 Vgl. Joh 1,35–37

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Christo wies; er selbst ward bald darauf von Christus gefunden, und Christus rief ihm zu, daß er ihm folgen sollte und er folgte auch sogleich, wahrscheinlich, weil er durch jene schon von ihm gehört hatte, so ward auch er ein Jünger des Herrn. Und bald darauf erzählt uns Johannes, daß er den Nathanael gefunden, und ihm gesagt: wir haben den Messias funden! wodurch er ihn bezeichnete als den, auf welchen sich alle Verheißungen beziehen und in dem das das Wesentliche war, von dem die früheren Zeiten nur den vorbildlichen Schatten gehabt. Als solchen hatte ihn Philippus schon erkannt, das sprach er aus, das hatte er längst ausgesprochen, aber er kannte ihn doch nicht. – | Er hatte den Herrn gesehen umringt von Tausenden, die er nicht unerquicket in der Wüste lassen wollte und der Herr hatte ihn gefragt: Wo nehmen wir Brod her, um diese zu speisen und da hatte er gesehen wie der Herr die Aufgabe der sorgenden Liebe zu lösen gewußt, er hatte alle seine Wunder gesehen, denn er hatte ihn begleitet, während seines ganzen Lebens – und er kannte ihn doch nicht! Und jene, die ihn zuerst auf den Erlöser aufmerksam gemacht, die hatten ihm nicht verschwiegen, daß Johannes der Täufer von ihm gesagt: Sehet da, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt – und jetzt hatte der Erlöser selbst geredet von seinem Tode zum Heil der Welt: er kannte ihn also schon als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trug, er kannte ihn aber doch nicht, weil er den Vater nicht in ihm erkannte. – So ist’s auch jetzt noch möglich ihn nicht zu kennen, denn viele suchen den Erlöser nur kennen zu lernen als einen von Gott besonders ausgerüsteten Lehrer der Wahrheit und glauben, daß er gekommen der Menschen Sinn dafür aufzuschließen; mit treuem Ernste suchen sie seine Worte von Allem, was menschliche Unvollkommenheit an sich tragen könnte, zu entkleiden, von ganzem Herzen lassen sie ihm die Ehre, daß er zuerst die Erkenntniß des Guten, der allgemeinen Liebe zu den Menschen, in welcher sich Gott verkläret und offenbart hat, daß er diese zuerst gelehret und eine Verbindung der Menschen gestiftet hat, die nicht begriffen werden kann aus ihrer natürlichen Zusammengehörigkeit des Raumes und der Zeit, sondern ihrem Grund und Zweck nach darüber hinausgeht, – so lehren sie ihn uns kennen, und haben ihn selbst kennen gelernt als den Lehrer der reinen göttlichen Wahrheit – aber wenn er ihnen nicht jene beständige Vergegenwärtigung Gottes geworden, wenn sie glauben, er habe die Menschen nur aufregen wollen Gott | zu suchen und ihn auf anderem Wege kennen zu lernen, – so kennen sie ihn nicht! Und wenn wir alle Erweise von außerordentlicher Kraft, mit der ihn Gott ausgerüstet hatte, in der Geschichte seines ganzes Lebens mit dem größten 1–2 Vgl. Joh 1,43 4–5 Vgl. Joh 1,45; „funden“ stellte schon 1831 einen archisierenden Bezug dar; zeitgenössische Bibelübersetzungen hatten stattdessen „gefunden“. 7–8 Vgl. Hebr 10,1; auch 8,5 10–13 Vgl. Joh 6,1–13, bes. 5 17–18 Vgl. Joh 1,36; auch 1,29 18–19 Vgl. Joh 12,20–25; 13,33; 14,2–4

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Verlangen aufsuchen, und wenn uns auch die kleinste dieser ausgezeichneten Thaten nicht entgeht, und wir wünschen, daß Alles von ihm geschrieben wäre (möchte auch die Welt die Bücher kaum fassen) was er durch diese wunderbaren Kräfte gethan – und wenn wir erkennen, daß Gott die Menschheit auf keinem anderen Wege vollenden könnte, als nur durch ihn, und wenn wir in Allem, was in dem menschlichen Leben des Erlösers sich begeben hat, den Finger Gottes sehen und wenn wir ihn erkennen als das Licht der Wahrheit selbst und als den, der von Gott gesendet, die Thaten Gottes gethan, die geistige Schöpfung vollendet, aber wir nicht Gott selbst in Ihm, so kennen wir ihn nicht. Und wenn wir ihn in den Stunden der Angst des Gemüths, das seiner Schuld und Sünde sich bewußt ist, kennen gelernt haben als den, der uns davon befreit, indem er die Furcht vor Gott wegnimmt dadurch, daß er ihn uns als Vater zeigt, und wir hingen ihm, der diesen Trost uns bereitet, diese Erquickung uns gereicht hat, nun mit der tiefsten herzlichsten Liebe an, aber wir könnten uns dennoch nicht rühmen, daß wir in ihm den Vater sehen, und mit ihm zugleich auch diesen, und in einer geistigen Gemeinschaft mit ihm stehen, gleich der, in welcher er selbst schon, als er noch auf der Erde wandelte, mit ihm stand – so kennen wir ihn doch nicht, haben ihn nicht genug erkannt; denn es muß uns nicht genug sein und soll uns nicht genug sein, daß er die göttliche Wahrheit gelehrt, daß er vermöge seiner geistigen Gewalt in seinen Thaten die begriflichen Naturgesetze | überschritten, daß er das geängstigte Herz beruhigt; Nein mit der Gegenwart, mit dem Leben Gottes muß er uns erfüllet haben und immer von Neuem erfüllen, sonst kennen wir ihn nicht. Darum meine Fr. der Fürst des Friedens, die Quelle alles Lebens muß er uns sein, denn als solchen hat er sich uns offenbaret, und die dienende Liebe und als solche in unserm Herzen walten, denn lebt er so für uns, daß wir in ihm den Vater sehen und mit ihm werden wir dann den Vater haben! Aber unser Verhältniß zu Gott, indem es so nicht auf andere Weise als durch den Erlöser sich gestalten kann und bestehen, soll das nun, in so fern darin das Streben nach immer vollkommnerer Erkenntniß Gottes mitgesetzt ist, soll das in irgend einer Grenze beschränkt sein? Der Apostel Paulus, spricht er nicht, daß der Mensch Gott, seine ewige Kraft und sein unermeßliches Wesen wahrnehmen kann an seinen Werken, so er nämlich eben diese mit seinem verständigen Geist betrachtet? Soll das ganz aufhören, daß wir Gott aufsuchen in der unermeßlichen Größe und wunderbaren Ordnung seiner Schöpfung, daß wir ihn suchen in den uns freilich so oft unbegreiflichen Geheimnissen der Führung der Dinge der Welt, in der Geschichte des Menschengeschlechts, in der uns aber doch so oft das Dunkel der Strahl seiner Weisheit erhellt? Sollen wir nun nicht, da durch Christum unser Auge Licht geworden, Gott überall suchen und ihn finden und sollen wir be3 Vgl. Joh 21,25

32–34 Vgl. Röm 1,20

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schränkt sein ihn zu finden in dem, freilich großen, freilich trostreichen, freilich allein beseeligenden Rathschluß der Erlösung, sollen wir Gott immer nur erkennen in keinem anderen Werk, als in dem in Beziehung auf unsere Sünde und unsere Befreiung von derselben? Soll vergebens das Auge geöffnet sein | für die tiefere Kenntniß der Natur, soll vergebens die große Gemeinschaft der Menschen uns umgeben und der Verkehr des Geistes uns eröffnet sein, soll sich dieser nur auf das Irdische und Vergängliche beziehen und wir in ihm nichts als dieses sehen, und sollen wir Gott so allein in Christo suchen, wie dieser ihn in seinem Leben in sich dargestellet hat? Dann, m. Fr., würden wir den Erlöser schlecht verstehen, der ja eben in Allem leben will und lebt und aus Allem in seinem Wirken uns anspricht, und sich uns und in Ihm Gott zu erkennen giebt. – Er in seinem menschlichen Leben sagte selbst, er sähe immer auf die Werke, die der Vater thue und derselbe werde ihm immer größere zeigen, und was er Ihn thun sähe, das thue er gleich auch – wenn er uns also Gott vergegenwärtigt, indem er sich selbst als den Fürsten des Friedens darstellt, und die dienende Gewalt Gottes, also Eins ist mit Ihm, der in ihm wohnt, so zeigt er sich uns auch als den, der uns in Allem gleich geworden, der menschlicher Weise mußte auf Gott sehen, um seiner inne zu werden in seinen Werken, dessen menschliches Tichten und Trachten immer auf ihn gerichtet war, ihn in sich tragend, aber auch ihn außer sich suchend, und wo er ihn suchte, auch findend. Wie also Er ihn überall suchte und fand, so sollen auch wir ihn suchen in Allem und in jeder Beziehung ihn finden. Nicht vergebens soll immer deutlicher vor uns aufgerollt liegen die Welt Gottes, in der seine wunderbaren Kräfte walten, deren Geheimniß aber immer verständlicher wird, so daß wir ihren Spuren immer mehr nachzufolgen vermögen, wir wollen sie forschend betrachten, um sie immer mehr kennen zu lernen in ihrer Beziehung zu Gott. Nicht sollen wir scheiden das Bestreben den Ewigen zu sehen in den Dingen der Welt und das Verkehren mit denselben | zum Nutzen des irdischen Lebens, sondern Eins soll mit und in dem Andern sich gestalten und entwickeln, wie ja in Allem, was wir thun dies Erkennen Gottes sich offenbaren soll. Alles also kann uns fördern in der Gotterkenntniß, aber ruhen kann und soll das Herz nur in der Grunderkenntniß Gottes, die da ist in Christo Jesu und wenn wir dessen uns nicht bewußt wären, daß darin die vollkommne Ruhe des Gemüthes sein könne, so hätten wir das wahre Wesen der Sendung des Erlösers nicht erkannt. – O! wir hätten gut die Menschen auffordern, auf die Werke Gottes zu schauen, um Ihn daraus zu erkennen, wenn wir es auch vermöchten ihnen Muße und Freiheit zu verschaffen, um aus der Beschränkung ihres Sinnes herauszukommen, und Alles in seinem großen Zusammenhange zu sehen und darin die ewige Liebe zu erforschen; Einer vermag es, und Tausende sind gefesselt an die 13–15 Vgl. Joh 5,19f

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geringsten und gewöhnlichsten Dinge des irdischen Lebens und erringen weder die Muße, noch die Kräfte dazu; wir hätten gut sagen, daß die Geschichte in ihren großen Folgen zeige, daß alle Kräfte zu einem großen Zwecke mitwirken, daß Alles sich einige zum großen Ganzen, und es daraus deutlich werde, daß der Wille des Ewigen der Leiter aller Bewegungen sei; sie können nicht den Faden, der durch die Verwirrung hin zum Zwecke führt, folgen, und wie jenes erstere Forschen Wenige nur vermögen, so ist dieses den Meisten ganz verborgen: Wenn also darin die Ruhe des Herzens, die Genüge des Geistes, die Seeligkeit wäre, ach! so würde sie leider nur das Theil weniger Menschen. Aber dann wäre sie auch nicht das Werk dessen, der gekommen die Welt seelig zu machen, die Mühseeligen zu sich einzuladen und den Armen das Evangelium zu predigen, der als der | eingeborene Sohn Gottes zu den Menschen gesandt war, um sein Werk bei den Unmündigen anzufangen und dann erst später damit hindurch zu dringen zu den Kreisen des menschlichen Lebens, wo auch die weitere Erkenntniß sich in Verbindung setzen konnte mit der Kraft des ewigen Lebens. Wenn wir also nicht anders als durch tiefe Forschungen, nicht durch den Erlöser und seine Vergegenwärtigung Gottes, der Erkenntniß Gottes und der Seeligkeit fähig würden, so wäre der Erlöser doch nicht der Erlöser, und wir müßten noch eines Anderen warten. Es wäre dann leerer Schein, daß er zu den Armen gekommen mit seiner Heil bringenden Predigt des Friedens und der dienenden Liebe, denn ehe ist der Mensch doch nicht erlöst, als bis er zur lebendigen Erkenntniß Gottes, mit dem er in Gemeinschaft kommen soll, gelangt ist. Darum, m. Fr. hat Gott Alles beschlossen unter die Sünde, auf daß er sich Aller erbarme, darum hat er Alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß wenn sein Sohn käme, der Glauben käme, und in dem Glauben der Geist, der da rufet: Abba lieber Vater! und wir in dem Sohn den Vater haben könnten, um uns seiner zu erfreuen und ihn in Wahrheit ganz zu besitzen! – So bleibe es denn der große Beruf der Menschen immer tiefer einzudringen in die Geheimnisse der Welt, die vor uns liegt, in die natürliche und geistige Weltordnung, es bleibe der Vorzug des Menschen, der zum Bilde Gottes geschaffen ist, daß er überall in seinen Werken den Ewigen suche und finde; jede neue Erkenntniß und Erfahrung, jeder tiefere Blick in den Zusammenhang der Geschichte der Menschen ist ein Wink den wir beachten sollen, um in immer reinerem Lichte den Vater zu sehen! Aber | das wird erst eine Kraft für Alle, ein Gemeingut und Besitz, wenn wir es in Verbindung bringen mit der Erkenntniß Gottes in Christo Jesu. Müssen doch auch die Weisen, die fähig sind in die Geheimnisse der Natur einzudringen, müssen die, welche geistige Kraft haben die Verhält11 Vgl. Joh 3,17 und Lk 19,10 11–12 Vgl. Mt 11,28 12 Vgl. Mt 11,5; Lk 7,22 12–13 Vgl. Joh 1,14 13–14 Vgl. Mt 11,25 19–20 Vgl. Mt 11,3; Lk 7,19 24– 26 Vgl. Röm 11,32 und Gal 3,22 27 Vgl. Röm 8,15; Gal 4,6 32 Vgl. Gen 1,27

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nisse des menschlichen Lebens im Großen und im Kleinen zu beurtheilen und zu erklären, und die dazu berufen sind, daß sie Anderen Gott suchen in seinen Werken deutlich zu machen, müssen doch auch sie zugeben, daß sie nur an der Schwelle der Geheimnisse stehen und daß der rechte Schlüssel zur Gotteserkenntniß allein zu finden sei in der Predigt dessen, in dem der Friede Gottes, Gott selbst wohnt, der also die Quelle des Friedens ist und daß sie nur in seiner dienstbaren Liebe die Kraft erkennen, die im Stande ist aufzuschließen das Geheimniß des Rathschlusses des Ewigen. Wie sie dieses bekennen, so erkennen sie auch, daß sie nur da sind zum Dienste der Anderen, denn wie der Friede und die Liebe in ihnen walten, wenn sie die lebendige Erkenntniß Gottes in seinem Sohn haben, so fühlen sie sich wie Eins mit ihm, so auch mit der ganzen Menschheit, die sich zu vereinen, Christus gekommen ist, sie fühlen, daß Allen Alles gleich angehört, daß jeder Strahl der Erkenntniß Alle berühren muß, eben weil sie nun Gott erkennen als die ewige Liebe, wie er früher nie erkannt und gepredigt worden ist. Denn das fängt mit der Erscheinung des Erlösers an; wo er noch nicht erschienen, da ist diese Liebe noch nicht erkannt und noch nicht wirkend, ohne Ihn kann keine Ahnung des Höchsten zur lebendigen Erkenntniß werden, nur in Ihm sehen wir den Vater! Nun aber ist der, in dem sich Gott vergegenwärtigte nicht mehr auf der Erde und keiner kann sagen: zeige uns den Vater und die Antwort hören: | Wer mich siehet, der siehet den Vater! Das leibliche Auge findet auch den Sohn nicht, sollen wir nur einzig gewiesen sein an die Nachrichten und Erzählungen von ihm, die uns aufbewahrt sind, an die einzelnen Züge seines Bildes und an den Buchstaben der Predigt seines Friedens, an sein Wort nur so, wie es geschrieben steht? – Nein, m. F., denn weil das, eben wenn es nicht durch seine Wirksamkeit sich als Geist und Leben verkündigt, immer nur einzelne Züge seines Bildes uns zeigt, darum wird er so selten vollkommen daraus erkannt; aber dazu hat er gestiftet die Gemeinde der Gläubigen, daß in derselben die zerstreuten Züge seines Bildes sich sammeln sollen, und daß diese Einigung darstellen soll seinen Leib, sein Ebenbild; alle seine Züge sollen in der Gemeinde ein Ganzes werden, und jeder soll erfunden werden als ein lebendig Glied an diesem Leibe, dann ist die Wirksamkeit da, in der sein Wort als Geist und Leben sich bewährt, dann ist die Kraft seines Friedens da, und die Gemeinde predigt den Frieden, indem sie sich darstellt als den Tempel seines Friedens und seiner göttlichen Liebe, die nichts anderes kann, als Dienen und Helfen. Ja wie er selbst es nicht für einen Raub hielt, in menschlicher Gestalt Gott gleich zu sein, so sollen auch wir, wenn sein Geist in uns lebt, es wagen, Gott ähnlich zu werden, und wie Er, nichts wollen als dienen, d. h. es nicht für einen Raub, nicht für eine Anmaßung es halten, darin Gott gleich sein zu wollen, daß 27 Vgl. Joh 6,63

37–38 Vgl. Phil 2,6

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(wie wir nun der Gemeinde der Gläubigen angehören, welche erkennet die Erfüllung aller göttlichen Verheißung in ihm) wir nun auch mit diesen göttlichen Gaben nur in seinem Dienste leben wollen, mittheilen aus seiner Fülle also, daß die Predigt des Friedens, die auch im Streit nichts sucht als den Frieden und aus der Verwirrung die Ordnung hervorruft, die | dienende Liebe dieselbe sei, wie in Ihm, so in seiner Gemeinde. Dann wandelt er unter uns, und wie die Gemeinde dadurch Sein Leben lebt, und in Seiner Wahrheit wandelt, so sehen wir dadurch Ihn und in Ihm den Vater! Das ist der große Beruf, den er den Seinigen anvertrauet hat, so in Ihm den Vater darzustellen. Jemehr er so in der That in uns waltet, jemehr so sein Geist uns regiert, je weniger wir irgend etwas Anderes wollen, als sein Reich fördern, und seine göttliche Kraft Allen anschaulich machen, eben in so fern wir aus Ihm hervorgehen, ihm die Ehre geben; um desto herrlicher wird Gott in der menschlichen Welt offenbar werden, um desto mehr werden alle Kräfte sich einigen ihn beständig gegenwärtig zu haben, um desto mehr wird alle Welt seines Lobes voll werden und immer größer die Zahl derer, die Gott dafür danken, daß er seine Liebe geoffenbaret hat in seinem Sohn und sie zurückgeführt hat zu dem, der uns geworden zur Weisheit und Gerechtigkeit, zur Erlösung und zur Heiligung!

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Am 20. März 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Judica, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 3,1–4 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 311–323, Nr. X; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 461.

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Tex t . Colosser III, 1–4. „Seid ihr nun mit Christo auferstanden, so suchet, was droben ist, da Christus ist, sitzend zu der Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, das auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit.“ M. a. Fr. Der Apostel hatte, wie wir uns erinnern müssen, vorher die Christen, an welche er schreibt, ermahnt, daß sie sich nicht wieder sollten verleiten lassen, einen Werth zu legen auf menschliche Satzungen, und hatte ihnen gesagt, daß sie mit Christo wären abgestorben ebenfalls diesen Satzungen der Welt und den äußerlichen Gebräuchen; und nun redet er hier eben wiederum von dem Gestorbensein der Christen, aber dies im Zusammenhange damit, daß er sagt, sie wären mit Christo auferstanden. Das ist die Lehrweise des Apostels, welche wir auch aus andern Stellen seiner Schriften kennen, die uns aber immer wieder in einem etwas anderm Lichte erscheint. Der alte Mensch und der neue Mensch, das ist der große Gegensatz, in welchem sich seine ganze Verkündigung des Christenthums bewegt. | Der alte Mensch ist beides, der Mensch der Sünde und der Mensch des äußern Gesetzes; der neue Mensch ist beides, die neue Kreatur, das geistige Leben, derjenige, in welchem Christus lebt, und der, welcher der Gerechtigkeit dient, der Gerechtigkeit nämlich, die da kommt aus dem 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 461: „Erhebet, Christen, euren Sinn“ (Melodie von „Ich dank dir schon durch deinen Sohn“) 9–13 Vgl. Kol 2,16–23, bes. 20

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Glauben, und die vor Gott gilt. Wenn er nun seine vorigen Ermahnungen damit geschlossen hat, daß er sagt: so ihr nun abgestorben seid mit Christo den Satzungen der Welt: was wollet ihr euch nun wieder fangen lassen mit Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt? mit solchen äußerlichen Vorschriften, jenes nicht zu kosten, jenes nicht anzugreifen, jenes nicht zu berühren: so fängt er nun die Worte unsers Textes damit an, daß, wie sie mit Christo abgestorben wären den Satzungen der Welt, so wären sie nun auch wieder mit Christo auferstanden. Das ursprüngliche Bild dieses Absterbens und Wiederaufstehens das war dem Apostel überall die Taufe, als das Bekenntniß des Menschen, daß ihm nicht mehr genüge an seinem bisherigen Leben und Treiben, wie eifrig er auch bemüht gewesen sei nach der Gerechtigkeit, die da ist aus dem Gesetz, durch welche aber kein Mensch gerecht wird vor Gott. Das Untertauchen in dieser heiligen Handlung war ihm das Sinnbild und Zeichen von dem Ende des bisherigen Lebens, und das Wiederauftauchen als der neue, nun in der Gemeinschaft mit Christo eingeweihte Mensch war ihm das Sinnbild des Auferstehens des Menschen mit Christo zu einem neuen Leben. Darum saget er nun mit solcher Zuversicht zu den Christen, an die er schrieb, weil damals keiner, dem es nicht eine wichtige Angelegenheit und ein wahrhaftes Bedürfniß des Herzens gewesen wäre, einen Anspruch darauf machte, Mitglied dieser neuen Gemeinschaft zu sein, daß sie Alle, welche durch die Taufe Glieder dieses neuen Lebens geworden, durch dieselbe auch wären mit Christo abgestorben den Satzungen der Welt und auferstanden zu einem neuen Leben. | Wir können aber an dieses Wort, welches die Beschreibung unsers ganzen Daseins ist, „Leben,“ doch gar nicht gedenken, ohne zu gleicher Zeit das Bewußtsein zu bekommen, einmal, daß es ein inneres Drängen und Treiben, eine in sich selbst begründete freie Bewegung von mancherlei Kräften sei, auf der andern Seite aber, daß es zugleich ein bedürftiges sei und etwas nöthig habe außer sich selbst, um sich in dem Streit mit allen Kräften in der umgebenden Welt zu erhalten, so lange ihm das Ziel seines Daseins gesteckt ist. Darum, so wie er dieses neuen Lebens, dieses Auferstandenseins mit Christo gedenkt: so mußte ihm auch die Frage entstehen, was suchet denn nun dieses neue Leben, zu welchem wir mit Christo auferstanden sind? und da saget er: „so suchet, was droben ist, da Christus ist, sitzend zu der Rechten Gottes, trachtet nach dem, das droben ist, nicht nach dem, das auf Erden ist.“ Hier fragen wir uns nun billig, so bekannt uns übrigens alle diese Ausdrücke sind, doch einmal, indem wir sie hier wieder lesen, recht genau, was ist denn für ein Gegensatz zwischen dem, was droben ist, und dem, was auf Erden ist? was will es sagen, daß wir sollen trachten nach dem, das droben ist, und nicht mehr nach dem, was auf Erden ist? Ist doch unser 2–6 Vgl. Kol 2,20f

8–17 Vgl. vor allem Röm 6,3–11

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ganzes Leben auf Erden, und die Gemeine des Herrn, der wir angehören, ist auch auf Erden, und jenes große Amt der Verkündigung des Evangeliums, welches der Apostel trieb, und an welches er alle Kräfte seines neuen, von Gott so hoch begabten Menschen setzte, diese Verkündigung war doch auch auf Erden, und aller Segen, welcher aus dieser großen Thätigkeit hervorging, war auch auf Erden; auf Erden sammelte und verbreitete sich die Gemeine Gottes, und wir alle haben ja an diesem Amt ebenfalls Theil. Das war ein allgemeines Wort des Erlösers, | nicht nur zu den Jüngern, die ihn umgaben, sondern zu Allen, welche bis ans Ende der Tage durch ihre Worte an ihn glauben, daß der Geist in der Gemeine des Herrn von ihm zeugen werde, und daß seine Jünger auch von ihm zeugen würden, eben weil sie dieses Geistes theilhaftig wären, und er durch sie zeugen würde. Und so ist also auch das unser Amt, durch unser ganzes Leben von der Kraft des Evangeliums zu zeugen, selig zu machen Alle, die daran glauben. Aber dieses Amt führen wir auch auf Erden, und Alles, was uns Gott zuschickt, alle Versuchungen, die wir zu überwinden haben, alle Werke Gottes, die wir auszurichten haben, das Alles lebt und webt auf Erden; unser ganzer Beruf ist uns da angewiesen und abgesteckt. So kann also der Apostel unmöglich in diesem Sinne meinen, daß wir trachten sollen nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist; und wenn wir es so nehmen wollten: was wäre denn das, was nicht auf Erden ist, sondern droben, wonach wir aber doch trachten können? Der Apostel Johannes sagt, indem er in seinem ersten Briefe jener Zukunft gedenkt, die uns Allen bevorsteht: es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Ist es noch nicht erschienen: so können wir ja auch nicht darnach trachten und können es nicht suchen; denn wonach man trachten soll, davon muß man eine Vorstellung, einen Begriff haben, um nämlich abmessen zu können, ob man demselben näher gekommen ist oder nicht; was man suchen soll, das muß man kennen, weil man sonst gar nicht wissen würde, ob man es gefunden hat oder nicht. Was also noch gar nicht erschienen ist, darnach können wir auch nicht trachten; und gehört Alles das, was ich vorher angeführt habe, zu dem, was auf Erden ist: so gibt es nichts, von welchem der Apostel sagen kann, daß es droben ist, und wonach wir also trachten sollen. | Wie sollen wir also nun diesen Gegensatz, den der Apostel in den Worten, die wir mit einander gelesen haben, aufstellt, wie sollen wir ihn verstehen? Sehen wir auf den weitern Verfolg seiner Rede: so ermahnt er hernach die Christen, sie sollten ihre Glieder tödten, die auf Erden sind, und dann macht er eine Aufzählung von den sinnlichen Lüsten und Begierden, welche 10–11 Vgl. Joh 15,26f 23–24 1Joh 3,2 26–29 Vgl. dazu auch Platon: Menon 80d–e; Opera, ed. Societas Bipontina, Bd. 1–12, Zweibrücken 1781–1787, Bd. 4, S. 349f; Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch, hg. v. G. Eigler, Darmstadt 1970–1983, Bd. 2, S. 536 37 Vgl. Kol 3,5 37–2 Vgl. Kol 3,5–8

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das menschliche Leben verunreinigen und die menschliche Seele verderben, und dann ermahnt er sie, den neuen Menschen anzuziehen, und gibt eine schöne Beschreibung von allen den christlichen Tugenden, welche wir auszuüben haben unter einander in diesem irdischen Leben, und welche sich doch großentheils beziehen auf die Unvollkommenheit des neuen Menschen in uns. Das Alles also, ungeachtet er es so darstellt, wie es unserm irdischen Zustande angemessen ist, muß doch zu dem gehören, das droben ist, weil er sonst in dem weiteren Verfolg seiner Rede diesen Worten nicht genügen würde. Er faßt aber dies Alles zusammen in dem Ausdrucke: ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit, und der Friede Gottes regiere in euren Herzen. So sehen wir, ungeachtet er vorher das in dem geistigen Leben uns aufzählt, was zu den Unvollkommenheiten desselben gehört, er doch die eigentliche, wahre Vollkommenheit im Auge hat, und indem er dies beides, die Liebe als das Band der Vollkommenheit, und den Frieden Gottes, woraus Alles, was er vorher namhaft gemacht hat, hervorgeht, indem er dies beides hervorhebt: so ist dies eben das, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Das droben ist nichts Anders, als das Zeichen der Vollkommenheit, wonach wir trachten müssen. Was aus diesem Trachten entsteht, sind freilich die für dies irdische Leben nur unvollkommenen Gaben des Geistes; aber diese Welt, insofern in ihr das Leben des göttlichen Geistes in den menschlichen Selen ist, das Tichten und Trachten nach der Gerechtigkeit, welche vor Gott | gilt, wie sie sich hier auf Erden darstellen läßt mit menschlichen Kräften und nach menschlichen Verhältnissen, das ist doch nicht das, was auf Erden ist, und wonach man nicht trachten muß, sondern es ist das, was herkommt von dem, was droben ist, und wonach wir trachten sollen. Trachten aber sollen wir freilich nicht nach dem Unvollkommenen als solchem, sondern nach dem Vollkommenen, nicht nach den einzelnen Tugenden, sondern nach der Liebe, welche der Grund und Quell von allem Vollkommenen ist, nicht nach der Mischung von Zufriedenheit und Mißvergnügen, von Dankbarkeit und Schaam, die uns in diesem Leben nie verläßt, sondern nach dem reinen und vollen Frieden Gottes, der nur droben sein kann und von droben her ist. So werden wir also sagen müssen, daß, indem der Apostel sagt: „trachtet nach dem, das droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist,“ er uns keinesweges irre macht in aller gottgefälligen Thätigkeit, die ein Zeugniß ablegen kann von dem neuen Menschen, zu welchem wir gehören durch die Gnade und in der Gemeinschaft mit unserm Erlöser; sondern vielmehr ist dieses dasjenige, was eben aus unserm Trachten nach dem, das droben ist, in diesem unserm irdischen Leben hervorgehen soll. Aber auch das werden wir freilich nur erreichen in dem Maaße, als wir nun gar nicht mehr trachten nach dem, was auf Erden ist, nämlich nicht nach dem, was von 2 Vgl. Kol 3,9f

2–4 Vgl. Kol 3,12–14

9–11 Kol 3,14f

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der Erde ist, und worin freilich der Mensch, welchem die Erkenntniß des göttlichen Willens, wie er uns offenbart ist in Christo Jesu, noch nicht aufgegangen ist, das Ziel seiner irdischen Bestrebungen zu finden gewohnt ist. Denn wenn er auch die Lüste, welche das menschliche Leben schänden, vermeidet oder wenigstens verbirgt, wenn hinter diesem Unvollkommenen nicht ein Vollkommenes ist, sondern es dreht sich Alles um das ruhige Bestehen mit und unter den Menschen in Beziehung allein auf das irdische Leben, es dreht sich Alles um | den Frieden mit den Menschen, um das Lob der Menschen, um das Ansehn bei den Menschen eben um des irdischen Lebens und der irdischen Güter willen: so ist da das Trachten nach dem, was auf Erden ist. So wie der Apostel dieses wieder in seine Gedanken aufgenommen hat: so ist ihm auch gleich wieder gegenwärtig der Gedanke des Gestorbenseins; wie er vorher davon ausgegangen ist, daß die Christen mit Christo abgestorben wären den Satzungen der Welt: so kommt er auch hier wieder darauf zurück, und sagt, sie wären mit Christo gestorben, nämlich abgestorben dem Tichten und Trachten der Welt. Und so werden wir aus diesem Zusammenhang verstehen können den Sinn der folgenden Worte: „euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott; wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit.“ In den wenigen Worten, die wir zum Gegenstand unserer heutigen Betrachtung gemacht haben, sind zwei Punkte, welche sehr leicht auf der einen Seite zu einem Mißverständniß des eigentlichen Sinnes des Apostels verleiten können, und durch welche auf der andern Seite man auch wieder leicht versucht werden kann, in den Worten des Apostels, jedoch ohne daß man es sich deutlich zum Bewußtsein brächte, zu suchen und zu denken, was ganz geheimnißvoll wäre, ganz aus dem Gebiet unserer Erkenntniß herausgehend und hindeutend auf ganz verborgene Schätze der Weisheit. Sehr leicht konnte mißverstanden werden und ist auch häufig mißverstanden worden dieses Abmahnen von dem Trachten nach dem, was auf Erden ist, und viele Christen haben sich dadurch verleiten lassen, sich von der Welt und dem weltlichen Leben auf solche Weise zurückzuziehen, daß sie auch nicht trachten konnten nach dem, was doch dem Menschen auf der Erde obliegt, und worin sich das Leben, zu welchem er mit Christo auferstanden ist, offenbaren kann. | Viele haben sich dadurch von alten Zeiten her verleiten lassen, eine unbeschäftigte Einsamkeit, die der bloßen Betrachtung gewidmet war, und sich möglichst absonderte von aller Thätigkeit, zu suchen und dies dem wirksamen, thätigen Leben vorzuziehen, als ob, indem sie sich von diesem entfernten, sie desto mehr trachten könnten nach dem, was droben ist, da doch, wenn wir uns in diesem wirksamen Leben nicht bewegen, wir nie wissen können, welche Kräfte der neue Mensch in diesem Leben schon erworben hat.

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Eben so auf der andern Seite hat man sehr viel Unbegreifliches, Wunderbares, Geheimnißvolles gesucht in diesen Worten des Apostels: „euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott.“ Um aber recht deutlich zu sehen, was der Apostel damit meint: so lasset uns auf ein Wort sehen, welches bald nach den Worten unsers Textes folgt. Nachdem nämlich der Apostel gesagt hat: so tödtet nun eure Glieder, die auf Erden sind, und hinzugefügt: um welcher Willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens: so fährt er fort: in welchem auch ihr weiland gewandelt habet, da ihr darinnen lebetet. Hier unterscheidet er also das Wandeln in demjenigen, was er die Gegenstände des Trachtens nach dem, das da auf Erden ist, nennt, dies Wandeln unterscheidet er von dem darin Leben. Fragen wir uns zuerst, wie dies gemeint sein kann: so liegt es wol jedem nahe genug vor Augen. Das Wandeln ist das Aeußere, was Allen sichtbar wird in den Bewegungen und Handlungen des Menschen; das Leben ist aber die innere Kraft, die innern Antriebe und Bewegungen, deren wir uns oft selbst nicht auf klare Weise bewußt sind, aus denen aber alle jene Thaten als die äußerlichen Erweise hervorgehen. Der Wandel ist das, was offenbar ist, das Leben ist das Verborgene. Ob Einer wandelt in dem, was zu den Gliedern gehört, die auf Erden sind, kann jeder wahrnehmen; aber es mag mancher nicht darin wandeln, weil er sich davon abgezogen fühlt | durch seine äußern Thätigkeiten, weil er dagegen gewarnt ist durch die Erfahrung an Andern; aber er lebt doch darin, weil seine inneren Triebe darauf gerichtet sind. Der Wandel ist das Offenbare, und das Leben ist das Verborgene, worauf man nur schließen kann von dem, was offenbar ist in dem Wandel. In dem Sinne ist es, daß der Apostel sagt: nachdem ihr mit Christo gestorben seid diesem Trachten nach dem, was auf Erden ist: so ist nun euer Leben verborgen mit Christo in Gott. Je mehr nämlich der Apostel in dem Folgenden von denjenigen Untugenden des sinnlichen Menschen und hernach von Tugenden des neuen Menschen redet, welche sich in dem gesellschaftlichen Leben mit Andern und unter Andern zeigen: um desto mehr hat er auch schon hier in den Worten unseres Textes diese Verhältnisse der Kinder Gottes zu allen andern Menschen, unter welche sie Gott gestellt hat, vor Augen. Wie sie vorher denen glichen, welche der Stimme des Evangeliums noch nicht gefolgt sind, die nach dem, was auf Erden ist, trachten: so war da ihr Wandel nicht nur offenbar denen, welche mit ihnen denselben Weg wandelten, sondern auch ihr Leben; sie wußten recht gut, daß sie von denselben sinnlichen Neigungen und Trieben in Bewegung gesetzt wurden, denen sie selbst folgten. Hatten sie nun aber der Stimme des Evangeliums Gehör gegeben und waren dem Gesetz wie der Sünde, der Sünde wie dem Gesetz abgestorben, um nach der Gerechtigkeit zu trachten, welche vor Gott gilt; hatten sie das Trachten nach dem, was auf Erden ist, aufgegeben; wollten 6 Kol 3,5

7 Vgl. Kol 3,6

8–9 Kol 3,7

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sie nicht mehr in dem Fleisch leben, sondern Christus sollte in ihnen leben: so hörte allmählig immer mehr der Wandel, worin sie den Andern gleich gewesen waren, auf, und nun wurden sie natürlicher Weise, weil sie nicht mehr dasselbe thaten, sondern sich davon zurückzogen, weil sie ein anderes Gesetz, nämlich das Gesetz des Geistes anfingen, auch in ihren Gliedern zu fühlen und ihm Gewalt einzuräumen, so wurden sie denen, die mit ihnen | lebten, unverständlich; was sie in Bewegung setzte, was ihr Leben wäre, konnten jene nicht begreifen; ihr Leben war verborgen vor denselben, es war verborgen mit Christo, aber es war ein Leben vor Gott. Und so meint also der Apostel mit diesen Worten, das Leben der Christen sei etwas den Menschen Unverständliches; sie könnten nicht begreifen, was das wäre, wodurch sie in Bewegung gesetzt würden auf eine dem Vorigen so entgegengesetzte Art; ihr Leben sei denen, die nicht in Gott lebten, verborgen und etwas Unbekanntes. Und doch sollte eben dies ein Zeugniß von dem Evangelio werden; es sollte also denen allmählig etwas Bekanntes werden, welche der Stimme des Evangeliums noch nicht gefolgt waren, es sollte für sie eine Einladung sein, auch ihre Zuflucht zu nehmen zu der Kraft Gottes in dem Evangelium, und also das verborgene Leben sollte ein offenbares werden; aber es konnte nur ein offenbares werden, je vollständiger es dem vorigen entgegengesetzt war, und darum erklärt der Apostel sich weiter über diese Worte, indem er sagt: so tödtet nun eure Glieder, die auf Erden sind, damit nichts mehr zum Vorschein kommt in eurem Wandel, woraus die Andern, mit denen ihr lebt, schließen könnten, daß euch noch die alten Neigungen bewegen, und was sie hindern könnte, zu begreifen, welchen Trieben ihr folget; sondern, wenn sie von dem Vorigen nichts mehr sehen: so müssen sie es inne werden, daß das vorige Leben abgethan sei und ein neues an dessen Stelle getreten, und müssen suchen, dies aus dem Wandel, welchen sie sehen, zu schließen und sich deutlich zu machen. Wenn der Apostel nun aber sagt: „so wie ihr gestorben seid, so ist euer Leben verborgen mit Christo in Gott, wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit:“ so denken wir freilich zunächst an eben das, worauf ich vorher auch schon unsere Aufmerk|samkeit hingeleitet habe, als ich die Worte des Apostels Johannes anführte: Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wo er dann fortfährt: Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Aber doch müssen wir gestehen, wenn wir den ganzen Gang der Gedanken des Apostels zusammennehmen, und wir sollen uns also denken, er meint, so lange überhaupt das irdische Leben hier währt, bliebe auch das Leben der Christen verborgen mit Christo in Gott, und es würde erst offenbar, wenn Christus sich aufs Neue vor den Augen der Welt offenbare, und mit ihm in 34–35 1Joh 3,2

35–36 1Joh 3,2

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die Herrlichkeit eingehe: wie sollte es dann stehen um unsern Beruf, den wir alle treiben, Zeugen zu sein von der Kraft Christi, die in uns lebt? Denn wenn unser Leben verborgen ist: so kann es auch kein Zeugniß von ihm sein; vielmehr, wenn das Reich Christi sich immer mehr verbreiten soll, wenn in der That Christus immer mehr derjenige werden soll, vor welchem alle Kniee sich beugen, und der allein erkannt wird als der Name, in dem den Menschen gegeben ist, selig zu werden: so muß natürlich auch unser Leben in Christo nicht mehr verborgen bleiben, sondern offenbar werden; es muß sich der innere Trieb des neuen Menschen verkündigen in ganz unzweideutigen Handlungen und die Regel offenbar werden, welcher wir folgen; sie müssen es inne werden, daß der neue Mensch angezogen ist, der da lebt in Heiligkeit und Gerechtigkeit, und daß das, wonach wir trachten, nichts Geringeres ist, als die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit, und der Friede Gottes, zu welchem wir berufen sind in Einem Leibe. Je mehr das geschieht: um desto mehr wird auch Christus offenbar, indem unser Leben offenbar wird, und wir werden mit ihm offenbar in der Herrlichkeit, nämlich indem diese wahre Herrlichkeit, das neue Leben, den Menschen sich zeigt im Gegensatz gegen das leere und in sich todte Trachten nach dem, das auf Erden ist. | Und so hat der Apostel in diesen Worten die Christen, an welche er schreibt, nicht anweisen wollen auf jene Offenbarung Christi, die wir alle erwarten, auf jene Herrlichkeit, welche die ganze Erfüllung unserer Hoffnung sein soll; sondern der Gegensatz, daß unser Leben verborgen ist, und daß es sich offenbaren soll, der soll hier auf Erden schon uns verschwinden; wir sollen hier auf Erden schon inne werden der Herrlichkeit, indem unser Leben immer mehr aufhört, ein verborgenes zu sein, und immer mehr ein offenbares wird. Und nur so kann auch das Wort in Erfüllung gehen, daß für alle Menschen das Wort Gottes erscheinen soll als ein scharfes und schneidendes Schwert; denn das ist nichts Anders, als daß das Suchen nach dem, was droben ist, daß das Leben, welches aus Gott ist, sich gegenüberstellt dem Tichten und Trachten nach dem, was auf Erden ist; und je deutlicher den Menschen dieses entgegentritt, je weniger sie sich diesen Unterschied verheimlichen können: um desto mehr verurtheilt sie dieses Zeugniß des Geistes und strafet die Welt um der Sünde und um des Unglaubens willen durch das Leben der Kinder Gottes, welches je länger je mehr offenbar wird, und in welchem die Herrlichkeit Christi erscheint, durch die sich der Mensch zu dem neuen Leben kräftigt und stärkt und sich über alles Tichten und Trachten nach dem, was auf Erden ist, erhebt. Das also, m. g. Fr., ist der Weg der Kirche Gottes auf Erden; das ist das Ziel, das uns Allen gesteckt ist; aber nur in dem Maaße, als wir auch rein und vollkommen dem abgestorben sind, was auf Erden ist, und nicht mehr 5–6 Vgl. Phil 2,10 Hebr 4,12

6–7 Vgl. Apg 4,12

13–14 Vgl. Kol 3,14f

27–28 Vgl.

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darnach trachten, sondern Alles nur dazu benutzen, um kund zu geben, daß wir trachten nach dem, was droben ist, und ertödtet haben unsere Glieder, die auf Erden sind, – in dem Maaße, als das geschieht, soll unser Leben offenbar werden, und die Herrlichkeit Christi erscheinen, damit dadurch die Menschen sich überzeugen von der Nichtigkeit des Tichtens und Trachtens nach dem, | was auf Erden ist, und immer mehr eingeladen werden zum Tichten und Trachten nach dem, was droben ist, um Theil zu nehmen an der Herrlichkeit des neuen Menschen, dessen Wesen ist der Friede Gottes, welcher die Herzen regieret, und die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und wir können Christus nicht anders preisen für Alles, was er für uns gethan und gelitten hat, als indem wir uns dazu seinem Geiste hingeben, daß das Leben Christi immer mehr offenbar werde, und sich auch in uns seine Kraft der Welt verkläre, um ein Zeugniß zu geben davon, daß er gekommen ist, nicht um die Welt zu richten, sondern um die Welt selig zu machen, und daß die an ihn glauben, schon auf Erden aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen sind. Amen. Lied 685, 5. 6.

14–15 Vgl. Joh 3,17 15–16 Vgl. Joh 5,24 17 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 685: „Gottlob! ein Schritt zur Ewigkeit“ (Melodie von „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“); Strophen 5 und 6 lauten: „Geh, Seele, frisch im Glauben dran, und sey nur unerschrocken; laß dich nicht von der rechten Bahn die Lust der Welt ablocken. So dir der Lauf zu langsam deucht: der Geist kann, wie der Adler fleugt, voraus zum Himmel eilen. // Mein Geist und Sinn, Herr Jesu Christ, ist schon bei dir dort oben; du selbst, weil du voll Liebe bist, hast mich zu dir erhoben. Fahr hin, was heißet Stund und Zeit, ich bin schon in der Ewigkeit, weil ich in Jesu lebe!“

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Am 27. März 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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Palmarum, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Hebr 12,3 Nachschrift; SAr 70, Bl. 1r–6v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am Palmsonnt. 1831. Hbr. 12, 3. „Gedenket an den der ein solches Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet hat, daß ihr nicht in eurem Muth matt werdet und ablasset.“ Der unmittelbare Zweck des heilgen Verfassers bei diesen Worten ist der, daß er sagt: “auf daß ihr nicht ablasset.“ Es war natürlich daß die ersten Christen in ihrem Eifer für das ihnen gewordne Heil, an welchem sie so gern alle Menschen um sich her hätten theilnehmen lassen, und ihnen herausgeholfen aus der Finsterniß und dem Schatten des Todes zum Licht des Lebens, ebenfalls einen Widerspruch von den Menschen erduldeten. Das war es auch, was der Erlöser vorzüglich im Sinne gehabt hatte, wenn er seinen Jüngern vorhersagt es werde dem Diener nicht besser ergehen, als dem Herrn und dem Jünger nicht besser als dem Meister; und dieser Widerspruch, der Sünder gegen unsern Herrn und Erlöser, hat ihn begleitet von dem Anfang des öffentlichen Auftretens an bis an das Ende des Lebens. Seine ganze Laufbahn in dem ihm angewiesenen Lauf gestaltete sich so, wie es geschah vermöge dieses Widerspruchs der Sünder, und ein ganz andres würde es gewesen seyn, eine andre Gestalt würden alle menschlichen Dinge gewonnen haben, wenn er diesem nicht wäre ausgesetzt gewesen. Und eben so war es der nemliche Widerspruch der Sünder, welcher auch der Grund wurde, seine irdischen Laufbahn auf die Weise, wie es geschah, nach dem ewigen Rathschluß Gottes zu vollenden. Es war die letzte Anstrengung des Widerspruchs der Sünder, daß sie suchten seinem Leben 10–11 Vgl. Mt 4,16 (darin Bezug auf Jes 9,1) in Verbindung mit Joh 8,12 14 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf Mt 10,16–26 (bes. 24f).

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ein Ende zu machen, nachdem sie seiner Wirksamkeit unter sich keinen Eingang hatten geben wollen. Wie in dem Buch, aus welchem die Worte unsres Textes sind, unmittelbar vorhergeht eine Ermahnung, aufzusehen auf den Anfänger und Vollender des Glaubens, und dabei der Leiden und des Kreuzes unsres Herrn gedacht wurde, so können wir auch diesen Widerspruch der Sünder gegen den Herrn [nicht] in’s Auge fassen, ohne zugleich des letzten Abschnittes seines irdischen Lebens zu gedenken, mit dem wir uns in dieser Zeit, die dem Andenken an das Leiden des Erlösers gewidmet ist vorzüglich beschäftigen. Kann aber nun dieser Widerspruch der Sünder von etwas andrem hergeleitet werden, als vom Verderben des menschlichen Herzens; ist es etwas anders als die Sünde, welche diesen Widerspruch erregte gegen den, welcher sie überwinden und das wahre Heil den Menschen bringen wollte: so werden uns die Worte unsres Textes zu der Betrachtung leiten, die ich gern zur letzten unsrer allgemeinen Passionsbetrachtungen habe machen wollen: nemlich, daß das Leiden des Herrn eben seiner Ursache wegen für uns ein Demüthigendes sey, wie es für ihn ein Verherrlichendes gewesen. Das sey es denn worauf wir miteinander unsre Andacht hinleiten wollen. Lasset uns zuerst den Widerspruch der Sünder betrachten als den Grund des Leidens, welches der Erlöser während seines ganzen Lebens getragen hatte: nemlich daß er mit allen Anerbietungen des Heils mit welchen er zu den Menschen kam, so wenig Gehör bei ihnen fand. Lasset uns zweitens aber auch auf die besonde|re Gestaltung dieses Widerspruchs der Sünder, und auf die Gründe desselben hinsehen, welche das Leiden und den Tod des Erlösers hervorbrachten. [1.] Wenn wir also zuerst fragen, was war es denn, was diesen Widerspruch der Sünder während seines ganzen öffentlichen Lebens gegen ihn erregte, was war es denn, weshalb alle seine göttlichen Anerbietungen und Anleitungen, sein freundliches Einladen, seine herrlichen Darstellungen dessen, worin das wahre Heil des Menschen besteht, so wenig geöffnete Herzen und Ohren fanden, so sagt uns der Erlöser das häufig genug in seinen Reden, so daß wir nur auf seine eignen Worte zu merken haben. Zuerst nemlich klagt er über eine allgemeine Unempfänglichkeit der Menschen für alle Aufregungen ihres Innern, sie mögen ihnen unter dieser oder jener Gestalt gebracht werden. So läßt er sich darüber vernehmen, daß er sagt, „wem soll ich dies Geschlecht vergleichen?“ „Es ist den Kindern gleich die an dem Markt sitzen und rufen zu ihren Gesellen: wir haben euch gepfiffen und ihr habt uns [nicht] getanzet; wir haben euch geklagt und ihr habt uns [nicht] geweinet. So kam Johannes, aß und trank [nicht] und sie sagten, er hat den Teufel; so 3–5 Vgl. Hebr 12,2

36–2 Vgl. Mt 11,16–19

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kommt des Menschen Sohn, ißt und trinkt, und sie sagen: er ist ein Frevler und ein Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Geselle.“ Mochte es also seyn unter der strengen Gestalt des Täufers welcher den Menschen die Sünde vorhielt und ihnen sagte, wie schon die Axt dem Baum an die Wurzel gelegt sey, um ihn abzuhauen, weil er keine Frucht trage und sie ermahnte deshalb umzukehren, weil das Reich Gottes nahe gekommen sey: so strömten wohl viele Tausende hinaus in die Wüste, um den Mann in dem härenen Gewand zu sehen und zu hören, der da Heuschrecken aß und wilden Honig, ließen sich auch taufen von ihm; aber das alles war nur eine vorübergehende Regung ohne bleibenden Erfolg, und endete in etwas andrem, als wie der Erlöser es wecken ließ, in einem natürlichen Widerwillen gegen einen sich so ganz von der Gestaltung des Lebens entfernenden strengen Prediger der Wahrheit und Strafer der Sünder. Und in entgegengesetzter Gestalt kam der Erlöser, gesellte sich zu den Menschen, und am freundlichsten zu denen, die allerdings seiner Hülfe am meisten bedurften; am innigsten aufgeregt von den mannigfachsten Gestaltungen des geistigen Elends derer, welche noch am meisten fern waren von dem falschen Ruhm! Aber, wie er auch suchte, was verloren war, wie er sich auch als Arzt gesellt zu den Kranken, wie er auch nicht scheut die Gesellschaft derer sich gefallen zu lassen die am wenigsten geachtet werden von dem ganzen Volk, zu welchem sie gehörten – diese seine Milde fand eben so wenig Gehör, wie die Strenge des Andern! Das ist | die weit verbreitete Unempfänglichkeit der Menschen für die tiefe Aufregung des Innern bei welcher sie nicht dahin gelangen, daß sie erweckt werden zum Bewußtseyn ihres Verderbens, wenn auch nur zu einem lebendigen Wunsche, von demselben befreit zu werden, die keinen Sinn dafür hat, daß sie des Ruhms ermangeln, welchen der Mensch bei Gott haben soll. Eine zweite Beschreibung macht uns der Erlöser und klagt über seine Zeitgenossen als ein verkehrtes Geschlecht, welches überall Zeichen und Wunder fordert. An Zeichen und Wundern fehlte es nicht, die der Erlöser that, sie waren Erweisungen der ihm von Gott mitgegebenen hülfreichen Kraft, unter dem leiblichen Elend und Leiden der Menschen, um sie hinzuweisen zu versuchen, ob nicht derselbe sie auch von geistigem Leiden und Elend würde befreien können. Diese Hülfe nehmen sie auch gern an, und strömen zu Hunderten und Tausenden ihm nach, um sich befreien zu lassen von den Leiden und Gebrechen des Lebens, und freuten sich daran, daß Gott dem Menschen solche Macht gegeben. Ja noch mehr, wenn sie fühlten, wie gering sie geachtet wurden von denen, welche die Führer und Leiter des Volks waren, auf Mosis Stuhle saßen und die Schlüssel des Him4–5 Vgl. Mt 3,10 5–6 Vgl. Mt 3,2 6–9 Vgl. Mt 3,4–6; Mk 1,4–6 18 Vgl. Lk 19,10 18–19 Vgl. Mt 9,12; Mk 2,17; Lk 5,31 26–27 Vgl. Röm 3,23 28– 30 Vgl. Joh 4,48 sowie Mt 12,38f und Lk 11,29 38–1 Vgl. Mt 23,2.13

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melreichs in ihrer Gewalt hatten, wie sehr sie herabsahen auf die Söhne der Erde, die vom Gesetz nichts wußten, und in jedem einzelnen Falle ihres Rathes bedurften; wie wenig ihnen aber auch daran lag, diese mit der geistigen Einsicht zu erfüllen, und sie mit dem wahren Sinn und Geist des Gesetzes bekannt zu machen – wenn sie sich von diesen gedrückt fühlten: ja dann hörten sie den Reden des Erlösers zu mit Aufmerksamkeit, wie es schien und mit großem Beifall, und sprachen es laut genug aus, daß er anderes lehre und viel gewaltiger als die Schriftgelehrten und Pharisäer. Aber so wie, wenn sie die Zeichen und Wunder nur benutzten zu ihrer leiblichen Hülfe, so suchten sie auch in den Reden des Erlösers nur das auf, was sie trösten konnte in ihrem Zustand, oder was ein Vorwurf war für die, von welchen sie sich herabgesetzt und gedrückt fühlten. Wenn er sie aber auffoderte, sich geistig ihm anzuschließen, ihm nachzufolgen, und eine neue Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit unter sich begründen zu lassen: so forderten sie da noch andere Zeichen, Zeichen vom Himmel wollten sie sehen, und ihr Herz war noch nicht geöffnet den Reden dessen Eingang zu gestatten, welchen sie so hoch zu ehren schienen, und wenn er deutlich sich merken ließ, daß sie Äußeres und Irdisches von ihm nicht erwarten sollten, sondern daß | er nun gekommen sey als ein Brod des Himmels für das geistige Leben der Menschen, um sie vom geistigen Tode zu erretten. Da fanden sie das eine harte Rede und gingen hinter sich; und so vergleicht er mit Recht das ganze Volk denen die geladen waren zu einem hohen Fest, wonach sonst wohl alle Menschen verlangen, aber sie hatten, wenn sie erscheinen sollten, bald diese, bald jene Entschuldigung von ihrem irdischen Beruf und Treiben hergenommen, und nahmen keinen Theil an den dargebotenen geistigen Gütern. Das war der Widerspruch der Sünder den der Erlöser während seines ganzen irdischen Lebens zu erdulden hatte, diese Unempfänglichkeit der Menschen für ihren innern Zustand geweckt und erleuchtet zu werden, und von einem Verlangen nach einem besseren beseelt. Diese Verkehrtheit, welche alles Geistige nur auf das Sinnliche und Äußere bezieht, und in diesem allen seine Genüge und Befriedigung findet. Wohlan, seitdem nun auch die Jünger des Herrn den Widerspruch der Sünder erfahren haben, und wie sie von der Liebe Christi gedrungen, demselben immer wieder aufs Neue entgegengetreten sind, der Ruf des Evangeliums erschollen ist von einem Geschlecht zum andern und sich verbreitet von einem Ort zum andern, und um eine so große Gemeine derer gesammlet ist, die den Namen des Erlösers bekennen und in Ihm den Urheber ihres Heils preisen: wie steht es jezt um den Fortgang des Reichs Gottes nach 7–8 Vgl. Mt 7,28f; Joh 7,46 19–21 Vgl. Joh 6,50f.60.66 5,14

13–14 Vgl. Joh 4,24 15–16 Vgl. Mt 16,1; Mk 8,11 22–25 Vgl. Mt 22,1–14; Lk 14,16–24 34 Vgl. 2Kor

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Außen und nach Innen? Noch jezt giebt es Boten des Friedens die da verlassen Vater und Mutter, das Land wo sie leben, getrieben vom Verlangen das Evangelium zu bringen denen, die den Ruf des Herrn noch nicht gehört, und wo sie sich auch hinwenden, sie finden denselben Widerspruch der Sünde! Sind es Völker die entfernt noch sind von aller Ausbildung des menschlichen Lebens, welche zugleich die geistigen Kräfte wekt: so finden sie jene traurige Unempfänglichkeit die nach dem Höhern nicht verlangt und es gar nicht erkennen will, und haben beständig gegen sie zu kämpfen. Das Evangelium bringt überall zugleich hin die Erkenntniß die die gesitteten Völker gewonnen haben von den Dingen dieser Erde und dem Verhältniß der Menschen zu denselben, und von mannigfachen Hülfsmitteln um zu der Gewalt über die irdischen Kräfte zu verhelfen wozu Gott den Menschen berufen hat; und diese Wohlthaten freilich nehmen sie gern an, aber taub und verschlossen zeigen sie sich größtentheils gegen die Stimme | der Wahrheit, welche sie fragen will ob sie noch ferner sich wollen genügen lassen bei dem was sie sind, nämlich Sünder. – Sind es Völker welche schon selbst einen Theil haben an mancherlei Gütern des äußern Lebens, und unter welchen schon Kräfte des Geistes entwickelt sind: so ists doch dasselbe verkehrte Geschlecht welches der Erlöser fand; die Boten finden denselben Hochmuth derer, die da meinen im Besitz der Wahrheit zu sein und sie von ihren Vätern ererbt zu haben oder selbst gefunden, und einer neuen Stimme der Wahrheit das Ohr nicht öffnen wollen, und das ist die Ursach, warum noch immer die Verbreitung des Evangeliums einen so langsamen Gang nimmt, warum so viele die sich diesem schönen und großen Beruf weihen ihr ganzes Leben hindurch in Geduld und Beharrlichkeit hingehen und doch oft wenig oder keine Früchte sehen. – Aber freilich ist es nicht blos die Verbreitung des Evangeliums nach Außen, sondern es ist auch unter uns die Frage die wir aufzuwerfen und [zu] beantworten haben: wie steht es denn mit der Kraft desselben in unserm gemeinsamen Leben? ist das Leben der Christen dasselbe welches uns Christus vorgehalten? ist Christus wirklich allen in dem Innern der Sele so ihr Herr wie sie ihn Herrn nennen? sind sie hindurchgedrungen zum Besitze des Friedens den Er den Menschen gebracht? lebt der Geist Gottes in ihren Herzen der unter Leiden und Schmerzen wie unter den Freuden des Lebens „Abba, lieber Vater“ ruft? ist das Band der Liebe so geschlungen, wie der Erlöser es verlangt nach dem Maaß seiner Liebe zu uns? Wir wären gewiß auf falschem Wege wenn wir uns darüber wunderten daß wir diese Frage nicht in ihrem vollkommenen Umfang bejahen können; denn das würde zeigen, daß wir es für möglich hielten, schon jetzt an dem Ziele der Vollkommenheit zu stehen, oder daß es eine untergeordnete Stufe gebe, bei welcher wir uns wollten genügen lassen. Aber laßt uns die Frage im rechten Sinn auffassen, ja laßt uns 1–2 Vgl. Mt 19,29; Mk 10,29; Lk 18,29

33–34 Vgl. Röm 8,15; Gal 4,6

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fragen ob wir wirklich in einem Zunehmen sind auf die Kraft des Evangeliums, ob keiner ist der sich ihr entzieht? ob wir nicht eben so durch die mannigfachen Abwechselungen des Lebens und durch die Sorgen desselben unempfänglich gemacht werden oft genug für jede der verschiednen Gestalten unter denen die Stimme des Evangeliums in unser Herz zu dringen sucht, eben so unempfänglich für die Strenge des Gesetztes als für die Liebe des Evangeliums indem wir nur zu sehr in dem äußern Treiben der irdischen Dinge begriffen sind. Wolan, wenn wir uns die Antwort auf diese Frage denken wie wir sie geben müssen wenn wir unser gemeinsames Leben betrachten, so werden wir Alle gestehen daß wir gedemüthigt werden wenn wir bedenken, daß noch immer dieselben Hinderniße der göttlichen Kraft des Erlösers und seines Wortes entgegenstehen, gegen welche Er selbst zu kämpfen hatte, daß der Widerspruch der Sünde, wie sehr die Gewalt derselben auch schon besiegt sei, wie fest das Reich der Wahrheit und des Glaubens auch unter uns stehe, wie viel wir auch schon gekostet haben von den Gütern des neuen Bundes | daß es auch unter uns noch einen ähnlichen Widerspruch gebe, und jeder sich für solchen erkennen muß der sein Theil trägt an der gemeinsamen Schuld der Gemeinde des Herrn und daß wenn man betrachtet den ganzen Schatz der Erkenntniß der ihr offen steht, und die großen Segnungen die sich durch alle Gebiete des Lebens ergossen haben, und den ungestörten Frieden in welchem das Licht des Evangeliums uns leuchtet ohne uns von Stürmen entzogen zu werden, wir doch sagen müssen, die Fortschritte des wahren Reichs Gottes sind weit geringer als sie sein sollten, und sie sind es nur wegen des Widerspruchs der Sünde. 2. Aber nun laßt uns unsre Blicke etwas mehr auf das Besondre richten und uns die Frage vorlegen: welches die Sünden gewesen sind aus welchen das Leiden und der Tod des Erlösers sich so gestaltet hat wie es gewesen ist. – Der Widerspruch der Sünde tritt uns überall hier entgegen: es war eben dieselbe Unempfänglichkeit für das, was ihnen angeboten wurde, welche eine Menge von den Zeitgenossen des Erlösers gleichsam müde machte seines Daseins und der immer auf denselben Punkt gerichteten Rede, und sie unfähig machte zu dem Gedanken eines geistigen Reichs Gottes auf Erden sich erheben zu können durch sein Wort, und die, indem sie falsche Vorstellungen hatten von dem was der zu leisten habe, welcher der Gesandte Gottes sein sollte, an der Person des Erlösers irre wurden, und indem sie bald zu ihm hingezogen bald von ihm abgestoßen wurden ebenfalls dahin strebten diesem innern Kampf ein Ende zu machen. Aber wenn wir bedenken, wie sich das Alles unter der Gestalt verbarg, daß das Recht über ihn ergehen sollte, und wie die heilge Kraft des Gesetzes dazu gemißbraucht wurde, um Ihn, den allein Unschuldigen zum Tode zu führen so

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müssen wir doch noch besonders fragen: wie ist es möglich gewesen daß eben das, was dazu da war daß es die Unschuld schützen, und Frieden und Ruhe geben sollte den Menschen um ihre geistigen Bedürfnisse zu befriedigen, dazu gemißbraucht wurde den Urheber des geistigen Wohls aus dem Wege zu räumen? Und wenn wir uns diese Frage vorlegen zur Beantwortung, worauf werden wir dabei zu achten haben? Der Evangelist Johannes ist der Einzige der uns über den eigentlichen Zusammenhang dieser letzten Begebenheiten des Erlösers ein Licht angezündet hat in dieser Beziehung: Er erzählt uns wie zumal nach der Auferweckung des Lazarus der Hohepriester und die andern Leiter des Volks einen Rath gehalten, wie diesem Menschen doch alle Welt zulaufe, was für Zeichen er gethan und wie sie gesagt, wenn sie das so liessen so würden die Römer kommen und ihnen Land und Leute nehmen. So ganz unvernünftig waren sie nicht daß sie etwa gemeint hatten, wenn erst alles Volk dem Erlöser zuliefe, dann würde Er selbst die Fahne des Aufruhrs aufsteken und in Folge dessen würde die Macht des übermüthigen Volks unter dessen Herrschaft sie standen sich auch gegen ihre volksthümlichen religiösen Einrichtungen wenden, aber sie wußten wie das Volk in seinem leicht|sinnigen Sinn, wenn es aufgeregt würde sei es auch durch das Heiligste, dann im aufgeregten Zustand gar zu leicht den Zorn würde zum Ausbruch kommen lassen gegen die, freilich ihrem Ursprunge nach ungerechte Gewalt der sie untergeben waren (die aber doch nur legitim war) und wie der Zorn nie thut was recht ist vor Gott, sich auflehnen würde gegen die herrschende Gewalt ohne die Möglichkeit eines Erfolgs und daß so immer wieder Verwirrungen entständen die jene dann gegen sie benützten. Das war der Leichtsinn des Volks um desswillen sie fürchteten, es könnte geschehen daß Alles zerfiele. Aber sehen wir auf sie selbst, diese Leiter des Volks, welche eben aus jenem Grunde den Beschluß faßten, es sei besser, daß Ein Mensch für das Volk stürbe, als daß das ganze Volk verdürbe, was finden wir bei ihnen? Einen Grundsatz der immer wieder in dem menschlichen Geschlecht zum Vorschein kommt, der immer wieder bekämpft wird weil er nicht bestehen kann vor dem Licht auch nur der Wahrheit der Vernunft, aber der immer wieder unter verwickelten menschlichen Verhältnissen seine Freunde findet, den gefährlichen Grundsatz: der Zweck heilge die Mittel, daß man Böses in einzelnen Fällen thun dürfe damit das Gute im Ganzen befördert werde: denn so meinten sie gezieme es ihnen und sie könnten es vor ihrem Gewissen rechtfertigen, daß sie den Einen dem Tode weiheten wenn er auch unschuldig sei, damit wie sie wähnten das Volk gerettet würde. Aber wenn wir nun fragen was fürchteten sie eigentlich von den Römern noch die ja 19 Heiligste] Heilichste 9 Vgl. Joh 11,1–45

34 heilge] heilche 10–13 Vgl. Joh 11,47f

28–29 Vgl. Joh 11,49f

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doch schon längst im Lande herrschten und unter deren Gewalt das Volk gebeugt war und die nur wie sie es überall zu halten pflegten, das, was nicht zum bürgerlichen Leben gehörte seinen Gang gehen ließen und eben deswegen auf besondre Weise die Satzungen des Tempels und der Priesterherrschaft in Ehren hielten, was hatten sie von denen zu besorgen? Land und Leute hatten sie schon! Sie werden uns Land und Leute nehmen: sie fürchteten also ihren Einfluß zu verlieren auf die Gemüther, das Ansehn das sie noch immer behaupteten unter dem Volk verschwinden zu sehn wenn durch neue Unruhen die alten Einrichtungen zu Grunde gingen. Und freilich jemehr das Volk Christo zugefallen wäre, mußte das an das Licht kommen daß durch das Halten des äußern Gesetzes für den Gehorsam gegen den göttlichen Willen nichts gethan sei, wie durch die äußern Satzungen und durch die Schätze des Tempels, wie durch den Stolz auf den Besitz des göttlichen Gesetzes und sich darauf beziehender Einrichtungen, nicht das geistige Reich Gottes befördert werde und daß wenn das Volk das erkennen würde dann die Römer mit Zustimmung des Volks die demselben lästige Gesetzesmacht auflösen würden. Was war es also was sie eigentlich beseelte, und um desswillen sie diesen verderblichen Grundsatz | in Anwendung brachten? nichts anders war es als die blinde Anhänglichkeit welche das Alte festhalten will ohnerachtet die Zeit desselben abgelaufen ist; nichts anderes als diese Selbstsucht derer welche den Stand den sie einnehmen in der menschlichen Gesellschaft, für die Quelle des gemeinsamen Wohls halten und für unentbehrlich wenn es fortbestehen soll und gedeihen. Der Erlöser stand in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den Hohenpriestern und Leitern des Volks, er hatte seine Vorbereitung, menschlicher Weise zu reden, zu dem großen Beruf der ihm angewiesen war unter seinem Volke, nicht auf dem Wege gewonnen wie sie; er lehrte das Volk über sein geistiges Wohl, während sie nichts anderes thaten als den äußern Dienst des Tempels zu versehen. Aber ihre Aufmerksamkeit war auf ihn gerichtet, es war ihnen nicht unbekannt geblieben was er lehrte, und auch seine Aufforderung daß sie doch sollten die Zeichen der Zeit erkennen war ihnen gewiß oft zu Ohren gekommen, aber verblendet von der Selbstsucht erkannten sie die Zeichen der Zeit doch nicht, es blieb ihnen verborgen daß diese Einrichtungen ihrem Ende entgegen gingen, und der Tempel müße zerstört werden, weil diese Art der Anbetung Gottes nicht bestehen konnte und die Zeit zu einer geistigen gekommen war: aber sie verstanden die Zeichen der Zeit nicht weil sie nicht suchten was der Andern war, nicht in das Innre der Dinge drangen sondern bei dem stehn blieben was ihr eignes äußres Wohl beförderte. So waren sie. Aber es war noch Einer ohne welchen dies Werk der Finsterniß nicht hätte vollbracht werden können: das war Pilatus der römische Landpfleger, 31 Vgl. Mt 16,3; ferner Lk 12,56

37 Vgl. 1Kor 10,24; ferner Phil 2,21

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welcher das Urtheil des Todes bestätigen mußte. Wir wissen es aus den Erzählungen der Apostel wie abgeneigt er dagegen war, wie schwer er daran ging ihnen diese Gunst zu gewähren, nachdem er ihnen gesagt, das Recht das sie sich zuschrieben Christus zu verurtheilen könne er nicht einsehn, sondern er finde keine Schuld an ihm; aber zuletzt that er ihnen doch ihr Begehr, weil sie ihm sagten er habe sich selbst zum Könige gemacht und setzten sie hinzu: „du bist des Kaisers Freund nicht wenn du ihn frei giebst.“ Diese Worte schlugen an sein Ohr, und obgleich er fühlte und von Christus selbst darin bestätigt war daß sein Reich nicht von dieser Welt sei, so ließ er doch durch die Meinung, daß er erscheinen könne als des Kaisers Feind, sich bestechen, wusch seine Hände und sagte er wolle keine Schuld haben an diesem Blut aber doch gab er seine Beistimmung zu dem Urtheil des Todes Christi! Was erblicken wir hier? Zuerst in dem ganzen Betragen des Mannes den Hochmuth des Herrschenden gegen die welche sich derselben Rechte nicht erfreuten, es schien ihm nicht der Mühe werth zu sein unter einem untergeordneten und verachteten Volke streng auf ein dem Volk eigen Recht zu halten und ernstlich dagegen aufzutreten daß es gebeugt werde, und wenn er sich anfänglich dagegen sträubte, so war es nur um der Gabe einen größeren Werth zu geben. Aber was so oft mit dieser Denkungsart verbun|den ist das finden wir auch hier, nämlich die knechtische Furcht vor dem Nachtheil der ihm erwachsen könnte durch mancherlei persönliche Verhältniße, wenn er zurückkehrte vor die Augen seines Herrschers, und ein solcher Vorwurf, wenn auch ohne Grund der Wahrheit, gegen ihn gemacht werden könne. Fassen wir das Alles zusammen, welche Masse menschlicher Verderbniß! Solch Verderben welches vom Innersten der Gemühter aus die Gestaltung des ganzen geselligen Lebens durchdrungen hat! Und bedarf es wol aufmerksam zu machen darauf wie wir dieses Verderben auch jezt noch weit verbreitet sehen? Mag eine Gewalt welche als fremd auf einem Volke lastet ungerecht sein in ihrem Ursprung, verliere dieser Ursprung sich in die graue Zeit des Alterthums oder erst seit kürzerer Zeit gegründet: so ist doch der Zorn dagegen überall dasjenige was nicht recht thut vor Gott, und wie viel solcher Ausbrüche sehn wir um uns her! wie hat überall ein Theil der Völker den Vorwand von einer ungerechten Gewalt die über ihnen lastet benutzt zu Verwirrungen, und wie bricht der ohnmächtige Zorn in den 1–2 Vgl. Mt 27; Mk 15; Lk 23; Joh 18–19 5 Vgl. Lk 23,4; Joh 19,6 7–8 Joh 19,12 9 Vgl. Joh 18,36 11–12 Vgl. Mt 27,24 32–3 1830/31 kam es u. a. in Frankreich (Juli-Revolution), Belgien, Polen sowie mehreren deutschen Staaten (Sachsen, Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel) zu z. T. gewaltsamen politischen Umstürzen, Aufständen oder Unruhen. Davon betroffen waren im Sommer 1830 auch die preußische Rheinprovinz, im September Berlin, wo aufgebrachte Handwerker sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, und seit November die Polen benachbarten preußischen Provinzen, vor allem das Großherzogtum Posen.

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entehrenden Bewegungen hervor! wie leicht und beweglich ist die Menge gegen die Vorspieglungen solcher die ihnen außer dem Wege des Rechts irgend einen bessren Zustand verheißen. Das war die Beweglichkeit des Volks um desswillen die Hohenpriester den Erlöser zum Tode führten meinend er werde die wenn auch unschuldige Ursach einer Aufregung werden. Das ist der Leichtsinn der Menge den wir auch jezt noch hie und da finden! Aber auf der andern Seite: wodurch wird diese Gesinnung nur zu oft befördert und zum Ausbruch gebracht? Eben durch denselben Hochmuth derer, die Gewalt haben über Andre, eben durch dieselbe Schnödigkeit mit welcher die die im Besitz der höhern Güter des Lebens sind nicht bedenken daß sie es mit Brüdern zu thun haben, wenn sie die vor sich sehen die von der Last des Lebens gedrückt sind; und wie häufig finden wir, wenn auch nicht als Grundsatz ausgesprochen, doch in den Maaßregeln die genommen werden deutlich genug eben jenes Verderbliche, daß es wol erlaubt sei im entscheidenden Augenblick, um einer Sache eine beßre Wendung zu geben, ein Unrecht zu thun, damit eine dauernde Ordnung herbeigeführt werde. So wie sich damals die Hohenpriester irrten, daß Land und Leute ihnen würden behalten werden wenn nur dieser Eine weg wäre aus ihrer Mitte: so irren sich immer die, welche die Zeichen der Zeit nicht verstehen, wenn sie das festhalten wollen dessen Zeit abgelaufen ist! Und doch finden wir überall dasselbe Bestreben welches eben jenen Zorn und Leichtsinn hervorbringt! | Und wo es wirklich giebt eine nicht allein auf unrechte Weise erworbene, sondern sogar im Unrecht sich wohlgefallende menschliche Herrschaft, wo es solche menschliche Stellung giebt, daß, wer hinaufsieht zur höchsten menschlichen Gewalt, zu denen die sie ausüben, gleichsam Gotte zu sehen meint, und wo der welcher hinunter sieht auf die, welche auf der weiten Fläche sich befinden, nicht anderes zu sehen wähnt als Sclaven die seinem Willen dahingegeben sind – wo ein solcher Zustand ist: fehlt es da auch überhaupt je an solchen die gleiche Verachtung üben gegen ihre Brüder, und an solchen, die von gleicher sclavischer Furcht geleitet werden gegen die, von deren Wort und Wink auch ihr Wohl abhängt? Wenn wir uns nun fragen: sollte dergleichen wol unter Christen gefunden werden? ist nicht Alles dies schnurstraks gegen die heilgen Vorschriften des Evangeliums, kann es mit der Liebe bestehen die uns der Erlöser geboten hat? Wie können wir anders als mit ‚Nein’ antworten aus dem tiefen Grunde unsers Herzens! Wir nun in unsern Verhältnissen, wir können uns glüklich schätzen im Vergleich mit dem was wir um uns her so mannigfach sehen; alle diese bittern Samen sind unter uns nicht aufgeschossen, keine Gefahr droht der gesellschaftlichen Ordnung und dem Frieden: aber wenn wir sagen wollten daß keine, gar keine Spur der Ursachen die solche traurigen Folgen haben können unter uns wäre, daß wir alles Verderben schon überwunden hätten;

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wie sehr würden wir uns selbst täuschen! Darum werden wir es natürlich finden – wenn wir die Zeichen der Zeit erwägen in der wir leben – daß wir, die Diener des göttlichen Wortes von unsern Vorgesetzten aufgefordert sind, mit unsern christlichen Gemeinden bei diesem Zustand der menschlichen Dinge zu verweilen, jezt indem die Zeit die dem Andenken an das Leiden des Erlösers geweihet ist uns so besonders auffordert das menschliche Verderben, in allen seinen gefährlichen Folgen auch, fest ins Auge zu fassen. Was kann uns nun in Beziehung auf unsre äußre Stellung zuerst obliegen, als Gott auf das Innigste zu danken, daß wir in einer bessren Lage sind als viele Völker um uns her, daß das Verhältniß zwischen dem Fürsten und seinem Hause, und dem ganzen Volke ein so schönes und natürliches ist, wie die, welche schon durch alle Arten von Zerstörungen dieser und früherer Generationen hindurchgegangen sind, es nicht mehr mit reinem Blick schauen können. Aber, Dank und Bitte kann nie getrennt sein; wenn wir Gott für seine Gaben danken so müssen wir uns auch fragen ob wir den rechten Gebrauch davon machen: Ein herrliches Pfund ist uns gegeben: ob wir damit eins oder zwei oder zehn erwerben? Ja laßt uns fragen ob wir auch | mit ganzer Kraft auf das gemeinsame Wohl wirken, um uns immer näher zu bringen in Liebe und fester zu vereinigen in dem Bestreben daß der Geist des Evangeliums unter uns herrsche, daß alle Verhältnisse sich immermehr gestalten als wirklich christliche, daß man das christliche Volk überall und in allem sehe und fühle, in allem was unter uns geschieht und was wir nach außen hin thun. Aber damit das geschehe, bedarf es einer großen Aufmerksamkeit. Der Herr sagt: „selig ist der Knecht den sein Herr wenn er kommt, wachend findet“. In einer Zeit wie die gegenwärtige, ist es die dringenste Aufforderung für Alle, wachsam zu sein gegen jeden unbe2–5 Eine explizite und besondere Aufforderung an die Prediger durch Superintendenten, Generalsuperintendenten oder das Konsistorium konnte bislang weder in den erhaltenen Akten der für Schleiermacher zuständigen Superintendentur Friedrichswerder oder des Konsistoriums der Mark Brandenburg (Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin: Ephoralarchiv Friedrichwerder; Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz: HA X Rep. 40) noch als im Druck veröffentlichte Anweisung oder Verordnung der verschiedenen in Frage kommenden staatlichen Organe („Königliches Consistorium der Provinz Brandenburg“, „Königliche Preußische Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin“) nachgewiesen werden. Vermutlich bezieht Schleiermacher sich hier auf die allgemeine Verpflichtung der Geistlichen im Rahmen des Ordinationsformulars: Sie hätten danach zu streben, die ihnen anvertraute Gemeinde „zu ermahnen zur Uebung der Gottseligkeit, des Landesfriedens, eines frommen Lebens und Umganges und gegenseitiger Liebe und Einigkeit; ihr habt zu Gott zu beten für den König und alle Obrigkeit, und alle eure Gemeindeglieder zu erinnern an die ihnen obliegende Ehrfurcht und Treue, und zu Gehorsam und Folgsamkeit sie zu ermahnen“ (Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen 1829, Zweiter Theil S. 24). 17– 18 Vgl. das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden Lk 19,11–26 25–26 Vgl. Lk 12,37

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gründeten Verdacht und Argwohn, aber auch gegen jede unsers Zustandes unwürdige Gesinnung die sich laut machen will von Außen her, wachsam zu sein gegen die welche unsern Zustand schmähen mögten weil sie ihn nicht verstehen und zu würdigen wissen, damit sie keinen Vorwand finden mit einem Scheine des Rechts zu sagen, auch wir würden bald denselben Weg gehen, den sie zurückgelegt haben unter Schreknissen und Blutvergiessen! Ja dazu wollen wir uns verbinden, festzustehen in unserm gemeinsamen Bunde, daß er sei ein Bund wahrer christlicher Liebe, in welchem die, die da herrschen nichts anderes sein wollen als Knechte des Herrn und die welche beherrscht werden, es fühlen daß sie auch im Gehorsam Befreite des Herrn sind: So werden wir feststehen im Reiche des Rechts und der Ordnung, so dem Ziel der christlichen Vollkommenheit wirklich näher kommen. Aber daß nur niemand wähne, in dieser Betrachtung hätten wir das getrieben, wogegen uns der Gesang, den wir vorher gesungen, gewarnt hat, und das Werk gethan der von dem Licht des göttlichen Worts unerleuchteten Vernunft, die, wie es in jenem Gesange heißt: Klagt über Christi Schmerzen, aber so wie es die Herzen nicht heiligt; denn wenn man redet von der natürlichen menschlichen Vernunft an und für sich, so meint man die, die auf irgend eine, sei es auch die feinste, Weise in Selbstsucht und Selbstgefälligkeit versunken ist und deshalb nie ein reines Urtheil noch eine höhre Thatkraft begründet, sondern überall das Geistige mit dem niedern Regungen vermischt weil der Keim des Verderbens nicht getilgt ist in ihr und die dabei doch alle gemeinsamen Handlungen der Menschen für etwas ihr angehörendes hält. Das Streben dieser blos natürlichen Vernunft aber, das haben wir nicht rechtfertigen wollen indem wir über unsre Verhältnisse und deren Behandlung sprachen, sondern wir haben den Keim des Ver|derbens auch unter uns suchen und finden wollen, und so werden wir uns das Zeugniß geben: es ist eben das die christliche Betrachtung der Leiden des Erlösers welche den Widerwillen gegen die Sünde, die überall das Verderben ist, aufs Neue verstärkt hat. Und so wissen wir auch, wenn wir in der That dem gemeinsamen Ziel näher kommen wollen, wenn wir den guten Vorsätzen Erfolg geben wollen, wir nirgend anders hingehen dürfen um Beistand dazu zu erlangen als zu Ihm dessen ganzer Sinn und Willen Eins war mit dem des Vaters, und der eben als solcher in uns und unter uns 16–19 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 197 (Melodie von „Freu’ dich sehr, o meine Seele“), 1. Strophe: „Richtet auf des Heilands Leiden die Vernunft ihr Denken hin, so will sie allein sich weiden an des Dulders hohem Sinn; sie verdammt der Feinde Wuth, die vergoß des Heil’gen Blut, und klagt über Christi Schmerzen; doch es heiligt nicht die Herzen.“

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leben will, auf daß in Ihm und durch Ihn der Wille Gottes in unser Herz geschrieben sei, und wir uns freun denselben zu vollbringen, jeder da wo Gott ihn hingestellt hat. Und indem wir nach dem allein trachten was droben ist, wissen wir auch gewiß daß nur denen die nach nichts trachten als nach Gottes Reiche und seiner Gerechtigkeit auch das Uebrige, nämlich Recht und Ordnung im Äußern, zufallen kann. So wird unser Leben sich immer reiner gestalten und sich freier halten von jeder Spur der Versuchung dem nachzuahmen was wir in andern Völkern um uns her sehen in dieser Zeit, und das wird geschehen, daß wir mit vereinten Kräften von Innen heraus ein wahrhaft christliches Volk werden, zusammenstimmend über das, was zum gemeinsamen Zweck gehört und Alle nur darnach trachtend, daß unter uns sich darstelle das Wohlgefallen Gottes an denen, die dem Wege des Heils folgen, welchen Er uns durch seinen Sohn gezeigt hat. Dazu möge Er uns Alle vom Ersten bis zum Letzten kräftigen, durch den Beistand seines Geistes!

4–6 Vgl. Mt 6,33

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Gründonnerstag, 13 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Apg 2,41; 1Petr 3,21 Gedruckte Nachschrift; Konfirmationsrede bei der Einsegnung des Fürsten Bismarck gehalten, 1895 Keine Keine Konfirmationspredigt

Konfirmationsrede am 31. März 1831 in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin bei der Einsegnung des Fürsten Bismarck gehalten von D. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. 5

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Herausgegeben im Einvernehmen mit dem Gemeindekirchenrathe der Dreifaltigkeitskirche von Prof. D. Dr. Siegfr. Lommatzsch, Kirchenältester. Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer. 1895. |

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Vorwort. In dem Nachlasse Schleiermachers fanden sich drei sorgfältig nachgeschriebene Konfirmationsreden desselben aus den Jahren 1830, 1831 und 1832, welche, wie die vorhandenen Manuskripte erweisen, der frühere Verwalter dieses Nachlasses, der selige Prediger Jonas von der hiesigen Nicolaikirche zum Druck vorzubereiten begonnen hatte. Der Druck ist unterblieben; wahrscheinlich weil schon eine große Zahl von Predigten, darunter auch zwei Konfirmationsreden jenes berühmten Theologen zur Veröffentlichung gekommen waren. Da nun Fürst Bismarck im Jahre 1831 von Schleiermacher in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin eingesegnet worden ist, so schloß sich der Gemeindekirchenrath unserer Kirche dem Antrage des jetzigen Besitzers und Herausgebers an, die bei dieser Feier gehaltene Konfirmationsrede noch zu 10–11 Vgl. die Predigten am 2. April 1830 und am 19. April 1832 12–13 Ludwig Jonas (1797–1859), Schüler, Freund und literarischer Nachlaßverwalter Schleiermachers; seit 1833 Pfarrer an der St. Nikolaikirche in Berlin 15 Vgl. die Konfirmationspredigten am 19. April 1832 und am 30. März 1833, die im „Magazin von Casual-, besonders kleineren geistlichen Amtsreden“, Bd. 4, Magdeburg 1834, S. 268–272.263– 267, veröffentlicht worden waren.

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veröffentlichen. Einen Abdruck derselben übersandte er dem Fürsten Bismarck mit den nachstehend mitgeteilten Worten. Der Herausgeber. | 5

Berlin, den 25. März 1895. Durchlauchtigster Fürst! Zu Ew. Durchlaucht achtzigstem Geburtstage erlaubt sich der Gemeindekirchenrath der Berliner Gemeinde, der Sie drei Jahrzehnte hindurch angehört haben, die in diesen Tagen aufgefundene Rede, welche Schleiermacher in unserer Kirche bei Ew. Durchlaucht Konfirmation am 31. März 1831 gehalten hat, mit dem aus treuem und fürbittendem Herzen kommenden Wunsche ehrerbietigst zu überreichen, daß das Credo Ihrer Jugend auch noch Licht, Stab und Hoffnung Ihres Alters sein und bleiben möge. Gehoben durch den Gedanken, daß an einem Punkte Ew. Durchlaucht Lebensgeschichte mit der unserer Gemeinde verflochten ist, welche in dem Konfirmationsspruch Ew. Durchlaucht die nicht wieder vergessene Lebenslosung darreichen durfte, verharrt in unauslöschlicher Dankbarkeit Ew. Durchlaucht ehrerbietig ergebener

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Gemeindekirchenrath der Dreifaltigkeits-Gemeinde. |

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Kanzelrede an die Gemeinde.1 Meine andächtigen Freunde. Wir sind hier versammelt, um eine Anzahl unserer Jugend nach empfangenem Unterricht in die Gemeinschaft der Christen aufzunehmen. Das ist nun nicht nur unsere eigene Angelegenheit, nicht nur ein wichtiger Zeitpunkt für diejenigen, welche sie (die Kinder) der christlichen Kirche darbringen, um Gott zu danken, daß er ihnen die Erkenntnis des Heils gegeben und ihn zu bitten, daß er sie auf dem richtigen Weg des Lebens erhalten möge: sondern es ist zugleich eine Angelegenheit der ganzen christlichen Kirche. Auf diesem Wege erneuert sie sich: wenn ein Geschlecht nach dem anderen von dem Schauplatz dieses irdischen Lebens abgefordert wird, dann pflanzt sich von dem einen auf das andere das Wort der Wahrheit fort; und wenn wir uns denken wollten, es käme von jedem früheren Geschlecht in das folgende immer mehr verdunkelt, es 1 Nach dem Eingangsliede Berliner Gesangbuch No. 328: „Wer Ohren hat, der höre, die reine Gotteslehre.“

6 Bismarck vollendete am 1. April 1895 das achtzigste Lebensjahr. 14–15 Kol 3,23 (vgl. unten die letzte Fußnote des Drucktextes) 32–33 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 328: „Wer Ohren hat, der höre die reine Gotteslehre“ (Melodie von „Wach auf, mein Herz“)

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würde des Eifers für den Glauben, der | Wärme der christlichen Liebe, der Reinigkeit eines gottähnlichen Lebens immer weniger, – so würden wir auch am Ende die Möglichkeit anerkennen müssen, daß die Segnungen des Ewigen wieder aufhörten, und die Menschen in den früheren unvollkommenen Zustand, wodurch sie nicht nur des Ruhmes bei Gott, sondern auch alles Friedens bei Gott und aller Gemeinschaft mit ihm entbehrten, zurückkehrten. Darum ist jede besondere Gemeinde und Versammlung von Christen der ganzen Christenheit Rechenschaft darüber schuldig, wie dies Geschäft, die Jugend in die Gemeinschaft der Christen aufzunehmen, unter ihr verwaltet wird. Wenn wir nun, meine andächtigen Freunde, auch in unseren Tagen so vielerlei Klagen hören, daß es unter denen, die sich Christen nennen, eine große Menge gebe, die es nur dem Namen nach seien, aber nicht in der That, daß, wenn man alle Gelübde zusammen nimmt, die seit einem Menschenalter geleistet worden sind, und nun nach der Erfüllung der selbigen fragt, die Vergleichung gar sehr zum Nachteil der Gegenwart ausfallen würde. Wenn wir solcher Klagen so viele um uns her hören, so legen wir uns an solchem Tage billig die Frage vor, wie können wir dabei unser gutes Gewissen bewahren? wie können wir die Hoffnung hegen, daß wir, die wir an jedem solchen Tage im Namen der Christenheit handeln, auch wirklich im Sinn und Geist derselben gehandelt haben? Lasset uns deshalb zurückgehen auf den merkwürdigen Tag, welcher zuerst eine solche bedeutende Vermehrung der Anzahl der Jünger des | Erlösers hervorbrachte, wie sie itzt nun jährlich an allen Orten der Christenheit erfolgt, und lasset uns vernehmen, was für einen Maßstab damals die Jünger des Heilandes dazu angelegt haben. So wird uns erzählt Apostelgesch. 2,41: „Die nun sein Wort gerne annahmen, ließen sich taufen; und wurden hinzugethan an dem Tage bis dreitausend Seelen. Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ Wenn wir diese Worte näher betrachten meine andächtigen Freunde, so müssen wir sagen, es scheint, als ob damals gar keine große Zurüstung gemacht worden sei zu einem so großen und segensreichen Werke. Die Rede des Apostels Petrus, die er im Namen der übrigen Jünger an eine große, versammelte Menge Volks hielt, war ursprünglich nichts anderes als eine Rede der Verteidigung gegen das, was leichtsinniger Frevel äußerte über die Art, wie sich das an ihnen offenbarte, daß sie erfüllt wurden von Kraft aus der Höhe, wie der Geist, der über sie ausgegossen war, der Geist der Wahrheit und des Trostes und der Kraft aus ihnen heraustrat. Aber um das zu erklären, mußte er dann freilich zurückgehen auf das, was der Inhalt jener großen Stunde für sie alle gewesen war, so lange sie noch für sich 5–6 Vgl. Röm 3,23 21–23 Gemeint ist der Pfingsttag; vgl. Apg 2. 26–29 Apg 2,41f 32–34 Vgl. Apg 2,14–36 35 Vgl. Apg 2,13 36–37 Vgl. Apg 2,4 in Verbindung mit Lk 24,49

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allein waren; er mußte das Volk zurückführen auf die Geschichten, von denen sie Alle Zeugen gewesen waren, nämlich auf das Leben und den Tod des Erlösers; er mußte ihnen zu Gemüte führen, wie sie selber, | wiewohl nur gehorchend denen, die gewohnt waren einen großen Einfluß in allen geistigen Dingen über sie auszuüben, doch mehr oder weniger Teil genommen hatten daran: daß der Erlöser den Händen der Heiden überliefert und den Tod am Kreuz gestorben war; er teilte ihnen mit, was sie selber erfahren von der Auferstehung und dem Glauben, von dem sie erfüllt waren, und lud sie ein, so sie wollten Teil haben an der Erfüllung der Verheißung, daß der Geist Gottes sollte ausgegossen werden über alles Fleisch: so sollten sie sich trennen von denen, die die eigentliche und erste Schuld am Tode des Erlösers gewesen waren, sollten Buße thun darüber, daß sie ihn nicht aufgenommen und ihn verworfen hatten: dann würden sie Teil haben an eben der Verheißung, so sie sich in diesem Bekenntnis taufen ließen auf die Vergebung der Sünden. Das war die Rede des Apostels, und nun wird erzählt: „die dies Wort gern annahmen, die ließen sich taufen, und die mit ihrem Willen erklärten, daß sie begehrten getauft zu sein auf den Namen des Heilandes, die wurden auch getauft, und so wurden hinzugethan an 3000 Seelen.“ – Sollten wir da nicht fragen, meine geliebten Freunde, ob das wohl auch eine hinlänglich reife Ueberlegung gewesen sei, ob hier eine besondere Prüfung der Einzelnen möglich gewesen sei, ob es möglich gewesen sei, die, welche sich von einer augenblicklichen Rührung hinreißen ließen, zu unterscheiden von denen, welchen das Wort wirklich auf eine bleibende Weise durchs Herz gegangen war? und wir werden sagen: nein! Für menschliche Augen sichtbare Mittel | zu unterscheiden sind nicht angewendet worden, in eine genaue Prüfung der Einzelnen ist nicht eingegangen worden; aber an einem Tage, wie jener war, da rechnen wir auf die außerordentliche Wirksamkeit des göttlichen Geistes; das war nicht ein Tag, wie jeder andere in der Christenheit, und schwerlich mögen wir wagen, solche Tage, wie wir sie in dieser Zeit in unsern christlichen Gemeinden feiern, mit jenem zu vergleichen. Aber doch meine teuren Freunde, wo Unterricht im Worte Gottes vorangegangen ist, da ist auch Darstellung des Erlösers vorangegangen, in seinem Leben und seinem Leiden, in seinem Tod und seiner Auferstehung, in seiner Erniedrigung und in seiner Herrlichkeit; da ist das Wort vielfältig ausgebrochen, und vielfältig ans Herz gelegt worden, daß er dahingegeben sei in den Tod um unsrer Sünde willen, und daß er durch seinen Tod der Herrschaft der Sünde ein Ende gemacht habe. Und das ist das Wort, wovon in unsrem Text es heißt, daß die, die es gerne annahmen, auch ohne Bedenken von dem Apostel getauft wurden. 11–12 die die ... gewesen waren,] Kj die die eigentlichen und ersten Schuldigen ... gewesen waren, 9–15 Vgl. Apg 2,38f in Verbindung mit Joel 3,1

36 Vgl. Röm 4,25

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Fragen wir nun, was ist denn der Erfolg gewesen, der von jener großen Begebenheit uns erzählt wird; so habe ich das Wesentliche davon gleich in meine Vorlesung aufgenommen: „Sie blieben aber beständig in der Apostellehre und in der Gemeinschaft und in der Brotbrechung und im Gebet“. Dazu wurden sie geweiht, indem sie getauft wurden auf den Namen Jesu zur Vergebung der Sünden; und in diesem Bleiben bei der Apostellehre und in allem, was sonst noch genannt wird, da lag auch die | natürliche von Gott geordnete Ausgleichung aller Ungleichheiten, die natürlicher, ja unvermeidlicher Weise auch stattfanden unter diesen 3000. Gewiß war die Bewegung des Gemütes nicht bei allen dieselbe, gewiß war die Ueberzeugung von der Wahrheit dessen, was Petrus sagte, nicht bei allen dieselbe, gewiß standen nicht alle in demselben Licht des Glaubens und nicht alle in denselben Thränen der Buße: aber sie nahmen das Wort gern an und ließen sich taufen. Dadurch wurden sie zusammengefaßt in diese Gemeinschaft des christlichen Lebens und des heiligen Sakraments unsres Erlösers und des Gebets, und in dieser sollten sie dann immer mehr und mehr einander gleich werden, und je näher sie dem Ziel der christlichen Vollkommenheit kamen, desto mehr sollten die anfänglichen Unterschiede verschwinden. Sollen wir, meine geliebten Freunde, nicht dieselbe Hoffnung hegen? Wir hier unsers Orts können diese Fragen verhältnismäßig gewiß mit einer großen Ruhe aufwerfen; hier wird dafür gesorgt, soweit es möglich ist, daß der christliche Unterricht der Jugend nicht übereilt werde, nicht in einem zu kurzen Zeitraum zusammengefaßt; hier haben sie auf alle Weise eine reichliche Gelegenheit, so sie es selber wollen, zuzunehmen in der Klarheit der Erkenntnis und sich zu bereiten für das große Werk Gottes an ihren Seelen. Aber freilich nicht überall kann es so sein. Je mehr es noch unter unsern Brüdern solche giebt, die niedergedrückt sind in ihrem ganzen häuslichen Leben von den irdischen Sorgen, je zeitiger die Jugend angehalten werden muß zu dem geschäftlichen Leben | des Erwerbs wegen, desto leichter kann es freilich geschehen, daß nicht der gleiche Fleiß angewendet werden kann auf die einzelnen Seelen, daß nicht in demselben Maße ihr dargelegt werden kann und vorgehalten das göttliche Wort, und daß in unleugbarer Mangelhaftigkeit sie doch eintreten in die Gemeinde der Christen. Wenn wir aber klagen, es gebe so viele, die nur dem Namen nach Christen seien, der That nach aber nicht, so müssen wir freilich sagen: wenn sich das so verhielte, so läge der Fehler darin, daß nicht durch die rechte Art die Gemeinde der Christen vermehrt und erneuert werde. Und da freilich kommt uns noch eine andere Entschuldigung entgegen. Es ist nicht allein eine Sache der Gemeinschaft der Christen, daß die Jugend in die Gemeinde aufgenommen wird, es ist zugleich, so wie die Sachen bei uns stehen, eine Angelegenheit des bürgerlichen Lebens, sie müssen sich ausweisen können als Mitglieder der Kirche bei dieser oder jener Gelegenheit, zu diesem oder jenem Behufe, welcher bloß das äußerliche Leben angeht. Allein auf der

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anderen Seite, werden wir auch gestehen müssen: wenn das nicht wäre, würde es dann viel anders unter uns sein, als es jetzt ist? Würde nicht die Gewalt der herrschenden Sitte und Meinung groß genug sein, um dennoch alle als solche darzustellen, die das Wort gern annehmen und hinzugethan werden wollen zur Gemeinschaft der Gläubigen? Das würde gewiß unter uns nicht fehlen. Die Zeiten scheinen vorüber zu sein, wo es gleichsam als Auszeichnung des Geistes galt und als ein vorzügliches Maß geistiger Freiheit, wenn einer, so deutlich | es anging, zu erkennen gab, daß eigentlich die Gemeinschaft der Christen für ihn nur eine Sache des äußeren Scheins sei, daß er seine eigene Wahrheit habe, weit abweichend von der, welche die christliche Kirche bekennt, daß er sein Heil nicht suche in einem solchen Beistand, wie der des Erlösers und seines Geistes, sondern in seinen eigenen geistigen Kräften, – diese Zeiten, wo der Einzelne sich gern erhob in seinem Dünkel über den Weg, den alle wandelten, um zu ihrer Seligkeit zu gelangen, um sich des göttlichen Friedens zu erfreuen, diese Zeiten sind vorüber. Lasset uns (dessen) freuen auf der einen Seite; auf der anderen werden wir sagen: gesetzt es gebe keinen Zwang der bürgerlichen Gewalt, so wird doch eben die Gewalt der öffentlichen Meinung und der herrschenden Sitte unsere Jugend veranlassen, ohne Unterschied, daß sie sich darstellte als solche, die das Wort gerne annehme und die hinzugethan werden wollte zu der Gemeinde der Christen. Auf einer anderen Seite müssen wir gestehen, daß es mit dieser Klage nicht im rechten christlichen Sinn und Geist genommen werde. Wie viele giebt es nicht unter unseren Brüdern, die ängstlich hängen an dem äußeren Buchstaben, ohnerachtet der Erlöser sagt, daß nur das Wort, was wahrhaft Geist und Leben ist, sein Wort ist, daß aber der Buchstabe tötet! Wie viele giebt es nicht, die alle diejenigen, die nicht in demselben Buchstaben und ähnlichen Worten ihren Glauben aussprechen, für solche erklären, die nicht Christen in der That, sondern nur dem Namen nach sind! Und doch, meine geliebten Freunde, hatte das Christentum ange|fangen, an diesem großen Tage mit einer Verschiedenheit der Sprachen und Zungen, womit die Jünger Gott lobten und seine großen Thaten priesen, doch war diese Verschiedenheit der Sprachen schon damals dem großen Haufen zum Spott gewesen und zum Gelächter; aber die, die des Geistes voll waren, wußten es wohl zu deuten und zu verstehen. Früher, wissen wir, wird uns in den alten Geschichten des menschlichen Geschlechts erzählt, wie Gott, als die Menschen zusammenbleiben wollten auf einem engen Raum und ein großes sichtbares Zeichen errichten wollten, an welchem sie sich immer wieder zusammenfinden könnten, wie er sie hier durch die Verschiedenheit der Sprachen zerstreute auf dem Erdboden, damit sie alle Teile desselben ihrer Gewalt unterthan machen sollten. 25 Vgl. Joh 6,63 Gen 11,1–9

25–26 Vgl. 2Kor 3,6

29–32 Vgl. Apg 2,4–11

35–40 Vgl.

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Und so gehet es nun auch immer und zu allen Zeiten in der christlichen Kirche! Wenn die Christen unter sich aufrichten wollen ein solch’ äußerliches Zeichen des Glaubens, um an dem gleichen Buchstaben sich wieder zuerkennen, und wähnen daran die Einheit des Geistes und eine enge Gemeinschaft zu haben; zerstöret sie der Herr doch wieder in eine Mannigfaltigkeit der Sprachen. Der tote Buchstabe verlieret seinen Wert, bald für den Einen, bald für den Andern, und alle Mühe die Gemeinschaft festzuhalten an solchem Buchstaben zeigt sich vergeblich! Der Geist will sein freies Walten haben, der Glaube will sich aussprechen auf die mannigfaltigste Weise. Jeder soll seine eigene Art haben, an der er sich selbst wiedererkennt in dem Verhältnis zu dem Erlöser, um sich selbst festzuhalten und selbst seinen Glauben | Andern darzulegen und mitzuteilen, und in dieser Verschiedenheit des Buchstabens und Wortes soll doch sein die Einigkeit des Geistes und das Band des Friedens. So lasset uns denn in dieser Beziehung vor allem unsern Gesichtskreis erweitern, nicht nur den Kreis unserer geistigen Augen, sondern den Kreis unserer Liebe. Und so lasset uns die Gemeinschaft der Christen ansehn, in welche wir unsere Jugend aufnehmen. Was der Apostel sagte, als er vor dem hohen Rat stand zu Jerusalem: „es ist kein anderes Heil und ist kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen sie sollen selig werden, denn der Name Jesu Christi“ –; das, meine teuren Freunde, das ist das gemeinsame Bekenntnis, daran wir uns zu halten haben, das ist das Band der Einigkeit des Geistes, daß alle erkennen, Christus sei das Heil, das im Innern den Menschen aufgegangen ist, daß sie sich das, was sich im Laufe der Zeiten aus seiner Kraft und aus dem Bund der Liebe, den er gestiftet, entwickelt hat, aneignen, und daß hernach, wenn sie das Wort annehmen, sie auch bleiben in der Apostel Lehre, im Genuß des Sakraments und in der Gemeinschaft des Gebets im Namen Jesu, dem da ist verheißen die Erhörung und Gewährung von oben herab. Und in der That, meine Geliebten, wenn es auf diese Weise auch geschieht, daß hier und dort in den christlichen Gemeinden solche jungen Gemüter der christlichen Kirche als Glieder angeeignet sind, die noch nicht durchdrungen sind von der göttlichen Kraft des Wortes Christi, – das wissen wir doch, daß auch die in der Bearbeitung des | göttlichen Geistes sind und bleiben, und daß, was noch unvollendet ist, kann vollendet werden, wenn wir sie nur festhalten in dieser Gemeinschaft, wenn nur jeder seinen Beruf und sein Leben so vor ihren Augen darstellt, wenn nur jeder seinen Glauben und sein Leben so vor ihren Ohren äußert, daß ihnen das Heil, das in Christo ist, immer deutlicher werde aus den Werken, die es hervorbringt in der menschlichen Seele. Die aber, die diese Klagen erheben, möchte ich fragen: ob es besser würde, wenn die, von welchen sie glauben, sie seien nur Christen dem Namen nach, wenn diese ausgeschlossen würden von der Gemeinschaft der Chri13–14 Vgl. Eph 4,3 Joh 14,13f

18 Vgl. Apg 4,1–21

18–20 Vgl. Apg 4,12

27–28 Vgl.

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sten: ob wir, vermöchten wir und dürften wir es, ein wohlgefälliges Werk Gottes thäten, wenn wir das thäten: ob wir nicht dann dem Evangelium Grenzen setzten, welchem wir doch dienen sollen mit allen Kräften: ob sie nicht aus dem gesegneten Einfluß, den die Gemeinschaft der Gläubigen ausüben soll, ausgeschlossen würden, wenn sie erst ausgestoßen wären aus der Gemeinde selbst? Und so lasset uns dies Verhältnis auffassen, in welchem wir stehen zu dem unter uns heranwachsenden Geschlecht! Betrachten wir es im ganzen Umfang unserer evangelischen Kirche, wo solche Handlungen alljährlich an solchen Tagen, wie der heutige ist, vorgenommen werden: so werden wir die große Verschiedenheit der Beschaffenheit derer, die aufgenommen werden, nicht ableugnen können, nicht nur eine Verschiedenheit im Grade der Erkenntnis, sondern auch Verschiedenheit in der Art, wie ihr Gemüt bewegt wird. Aber je mehr es solche giebt, die für sich allein den | rechten Weg nicht zu finden wissen, die der treuen Unterstützung, Pflege und Hülfe bedürfen: desto mehr sollten wir uns freuen, daß sie doch auf diese Art wenigstens das Wort gern annehmen und das besiegeln, was wir in Hoffnung aussprachen, als wir sie in den Tagen der Kindheit aufnahmen; desto mehr wollen wir uns freuen, daß wir sie festhalten können in der apostolischen Lehre und in der Kraft des Geistes, damit jeder fortwirken kann auf das junge Geschlecht und ein Recht dazu hat, weil es ja aufgenommen ist in die Gemeinde der Christen. Und so wollen wir freudig und guten Muts diesem Werke zusehen, wo es vorgehet in der evangelischen Kirche, die sich der freieren Verkündigung des göttlichen Wortes und einer helleren Einsicht des Evangeliums rühmt, und voll guter Hoffnung sein für jedes junge Gemüt, das aufgenommen wird, daß es immer weiter geleitet werde auf den Weg der Wahrheit, und daß alle in dem großen Zeugnis übereinstimmen werden, daß das Evangelium eine Kraft Gottes ist, selig zu machen, alle, die daran glauben. Wenn, meine geliebten Freunde, diejenigen, die ihre Kinder und Pfleglinge der Gemeinde des Herrn darstellen, wohl selber wissen, wie es um die Gemüter derselben beschaffen ist, so kann die große Gemeinschaft der Christen immer und überall nur eine große Verschiedenheit voraussetzen bei einer zahlreichen Jugend. Darum wollen wir dieser Verschiedenheit uns freuen, und indem wir sie anerkennen, uns doch freuen in der Überzeugung, daß auch itzt der Geist Gottes in der Kirche waltet, weil auch an jenem ersten Tage eine große | Ungleichheit war in denen, die hinzugethan waren, daß auch alle Ungleichheiten immer mehr ausgeglichen werden in der Gemeinschaft des christlichen Lebens und des Sakraments und des Gebets. In dieser Hoffnung wollen wir uns aller solcher Tage und Stunden erfreuen und die christliche Jugend auf der einen Seite einschließen in unser Gebet, auf der anderen auf uns selbst 12 Grade] Gerade 27–28 Vgl. Röm 1,16

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sehen und uns bewußt werden der schönen Pflicht, die wir gegen sie haben, sie festzuhalten in dem treuen Bunde, in den sie aufgenommen werden, damit die Segnungen, deren sie dadurch teilhaftig werden, immer mehr in ihr Gemüt und Leben übergehen. Dazu, meine teuren Freunde, wollen wir diese Jugend mit einander Gott empfehlen und mit solchen guten Vorsätzen diesen Tag heiligen für unser künftiges Leben!1 So sei denn der Herr mit ihnen und mit uns in dieser heiligen, bedeutenden Stunde.2 Altarrede an die Konfirmanden. Unsre Hülfe sei im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Amen.

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Meine geliebten Kinder! Ich habe euch im Laufe unseres Unterrichts die heilige Handlung, um deretwillen | ihr hier versammelt seid, öfters dargestellt als die eigentliche Besiegelung dessen, was ohne euer Wissen und ohne eure Zustimmung in den ersten Jahren eures Lebens mit euch vorgegangen ist, als den eigentlichen letzten Augenblick jener Handlung, die damals auf unvollständige Weise in der Hoffnung und in der Kraft des christlichen Glaubens in euch vollzogen ist, – unvollständig, weil eure eigene Zustimmung und euer eigenes Bekenntnis dabei fehlte. Aber ihr werdet auch oft genug gehört haben, daß man diese Handlung nennt die Ergänzung und Bestätigung des Taufbundes, und dieser Ausdruck kann euch fremd klingen, wie sehr er auch unter Christen gewöhnlich ist. Was wäre es für ein Bund, den der Mensch machen könnte mit Gott? Das erinnert uns an jene unvollkommene Vorstellung älterer Zeiten, wo es aber auch mit diesem Bund Gottes und eines bestimmten göttlichen Volks etwas anderes war, als was wir jetzt in der Gemeinschaft der Christen von Gott erwarten. Es hat aber dieser Ausdruck seinen Grund und Ursprung in dem Worte der Schrift: 1. Petri 3,21, wo gesagt wird: Daß das Wasser jetzt in der Taufe uns selig mache, insofern sie sei der Bund eines guten Gewissens mit Gott. Aber derselbe Apostel in der Rede, die ich schon vorher angeführt habe, wo er zuerst das Volk ermahnte, sich taufen zu lassen auf den Namen Jesu Christi, wußte nichts von einem Bunde, der zu machen sei, wohl aber 1 2

Folgen die Namen der Konfirmanden. Gesang No. 342: „Erhör, o Vater, Du das Flehn der Kinder, die hier vor Dir stehn.“

26 anderes] andreres 10–11 Vgl. Ps 124,8 als Eingangsvotum 34 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 342: „Erhör, o Vater, du das Flehn der Kinder, die hier vor dir stehn“ (Melodie von „Komm, heiliger Geist“)

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führte er sie zurück auf die Verheißungen, welche Gott von sich gegeben durch den Mund der Propheten, daß in den Tagen, da er es beschlossen, sein Geist | solle ausgegossen werden über alles Fleisch. Aber es ist auch nicht das Wort, dessen sich der Apostel in seinem Briefe bedient, das wir in unserer deutschen Bibel lesen, sondern er sagt: es sei die Taufe eine weitere Frage eines guten Gewissens an Gott, und dies Wort, meine geliebten Kinder, möchte ich euch noch recht ans Herz legen. Das gute Gewissen, wie solltet ihr wohl dazu kommen? Die Tage der Unschuld sind längst vorüber für euch alle! Ihr wißt es, daß ihr alle mannigfach gefehlt habt, ihr habt das gemeinschaftliche Schicksal aller Menschenkinder geteilt, daß die Erkenntnis des Guten und Bösen der Reife und der Kraft des Willens vorangeht, und das ist eben die Verurteilung des Gewissens; und so oft ihr hierher kommen werdet, um mit der Gemeinde des Herrn euch zu dem heiligen Mahle des Herrn zu bereiten, so werdet ihr erwartet und stellet euch dar als solche, die sich anklagen, daß ihr nicht nachgekommen seid, dem euch wohlbekannten heiligen Willen Gottes, sondern mannigfach dagegen gesündigt habt. Und der Apostel, als er das Volk ermahnte, sich taufen zu lassen, fordert er sie auf, Buße zu thun und setzt wohl auch keineswegs ein gutes Gewissen bei ihnen voraus. So könnt ihr denn leicht denken, daß auch dies Wort in einem andern Sinn gebraucht ist, als in dem es gewöhnlich genommen wird. Es wird sich aber leicht zeigen, was es damit für Bewandnis hat, wenn wir es in seinem Zusammenhang lesen. Was fragt denn das gute Gewissen weiter bei Gott in der heiligen Handlung der Taufe, welche uns, wie der Apostel sagt, selig macht? | Das Fragen und Bitten, meine geliebten Kinder, geht so in einander über und ist so sehr eins, daß sich beides nicht unterscheiden läßt; und jede Frage ist Bitte und Antwort, und jede Bitte ist Frage, ob der, von dem wir etwas wünschen, etwas zu gewähren hat und es gewähren will. Aber der Apostel sagt nicht nur eine Frage, sondern eine weitere Frage und setzt also voraus, daß schon etwas vorhergegangen ist, und in Beziehung auf dies Vorhergegangene und auf diese weitere Frage und Bitte an Gott verlangt er ein gutes Gewissen und reines Bewußtsein bei den Menschen. Was ist also das, was die weitere Frage und Bitte bei denen, die in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen werden sollen, vorausgesetzt? Das, meine geliebten Kinder, was bei euch geschehen ist, daß euch bekannt gemacht ist das Wort Gottes zu eurer Seligkeit, daß ihr unterrichtet seid in dem ewigen Ratschluß Gottes, alles unter die Sünde zu beschließen, damit er sich aller erbarme in seinem Sohn, und damit er allen das Leben, das sie in sich selber nicht haben, gebe aus dieser gemeinsamen ursprünglichen Quelle. Diese Erkenntnis ist euch mitgeteilt worden; das Bewußtsein des Bedürfnisses einer 1–3 Vgl. Apg 2,16–21 (darin Joel 3,1–5) 17–18 Vgl. Apg 2,38 3,21 37–38 Vgl. Röm 11,32 in Verbindung mit Gal 3,22

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göttlichen Hülfe, damit euer ganzes Dasein eurer Erkenntnis womöglich gleich werde, ist in euch erregt; und ihr habet euch oft und willig zu demselben bekannt. Das also, das ist die erste Darbietung Gottes an euch gewesen. Und nun sagt der Apostel, sollt ihr mitbringen ein gutes Bewußtsein zu der weiteren Frage und Bitte an Gott, die ihr heute thut, indem ihr die heilige Taufe zu ihrer Voll|ständigkeit und Erfüllung bringt. So ist denn nicht die Rede, daß ihr ein gutes Gewissen haben sollt in Beziehung auf das, was ihr bisher in eurem Leben gethan habt und geworden seid, in Beziehung auf die Vollkommenheit und Tugend, die schon in euch sei; vielmehr sollt ihr wissen und wisset, daß das gute Gewissen wir alle nur suchen, daß wir demselben immer näher kommen sollen, aber daß wir nie, in keiner Zeit unsres Lebens, dahin kommen können, daß wir als rein uns darstellen vor Gott durch uns selbst, sondern allein in der Gemeinschaft mit dem, von welchem alle diese Gaben allein ausgehen. Aber was ist dies gute Bewußtsein, das ihr mitbringen sollt, und was ist eure weitere Frage? Es ist diese: ob euch Gott immer weiter fördern will auf diesem Wege des Heils und der Seligkeit; ob ihr Teil haben sollt an allen den geistigen Gaben, die er begründet hat, und die sich immer wieder erneuern in der Gemeinschaft der Christen; ob ihr Teil haben sollet an der festen Zuversicht zu dem Erlöser, welcher das Leben wieder ans Licht gebracht hat, und in dem Gott war, um die Welt mit sich zu versöhnen und der Feindschaft des menschlichen Geschlechts gegen ihn ein Ende zu machen und die Liebe zu ihm auszugießen in unsere Herzen! Und was könnt ihr zu dieser Frage an Gott für ein gutes Gewissen mitbringen? Kein anderes, als daß ihr das wirklich von Herzen begehret; daß ihr kein Gut höher achtet als den Frieden mit Gott durch unsern Herrn und Erlöser; daß ihr wißt, in allem diesen vergänglichen Wesen findet das menschliche Gemüt nicht seine Ruhe und seinen Frieden, sondern | nur in der Wiedervereinigung mit Gott, in der Liebe zu unserm himmlischen Vater, in der Gemeinschaft mit dem, der uns den Weg des unvergänglichen Lebens gezeigt hat, und in der Gemeinschaft mit denen, welche sich nach seinem Namen nennen, und unter denen das Wort des Friedens wohnet und sich von ihnen aus weiter verbreitet, und welche gemeinsam bauen am geistigen Tempel Gottes. Das meine geliebten Kinder, ist das gute Gewissen, das ihr mitbringen sollt zu diesem wichtigen Augenblick eures Lebens, daß es nichts wichtigeres für euch giebt, als die geistigen Güter des Glaubens und der wahren Gemeinschaft mit Gott, der Lust und Freude an seinem heiligen Willen, des Wohlgefallens daran in dem inneren Menschen, und als das Bewußtsein, daß der, von dem das Wollen 4–5 Vgl. 1Petr 3,21 20 Vgl. 2Tim 1,10 20–21 Vgl. 2Kor 5,19 21–22 Vgl. wohl Eph 2,14.16; ferner Röm 5,10 22–23 Vgl. Röm 5,5 32–33 Vgl. im Hintergrund Eph 2,21f 37–38 Vgl. Röm 7,22 38–1 Vgl. Phil 2,13; ferner Röm 7,18

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und das Vollbringen kommt, auch gern aus der Fülle der Segnungen, welche in Christo, seinem Sohne liegen, ein immer reicheres Maß von geistigen Kräften ausgießt über die, welche ihn darum bitten. Diese Frage aber, die ihr an Gott thut, die richtet ihr zugleich an die christliche Kirche, denn durch sie allein kann Gott sie euch gewähren und sie ist es, die euch in seinem Namen auf diese eure Frage antwortet. Und was thut sie anders als sie von ganzem Herzen bejahen? Wie freut sie sich, so oft heilsbegierige junge Gemüter begehren, in die Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe aufgenommen zu werden! Wie freut sie sich, wenn sie Lust und Liebe bezeugen zum göttlichen Wort, wenn die Stimme des Geistes in ihnen ruft und sie vertritt mit unaussprechlichem Seufzen, indem sie begehrt, | in das Heiligtum des geistigen Tempels Gottes einzudringen! Wie freut sie sich der beständigen weiteren Frage nach den Gütern des Heils, die da sind in der Gemeinschaft der apostolischen Lehre, des christlichen Lebens, der Zeichen der göttlichen Gnade und des Gebets. Ja sie bejaht die Frage, sie will euch gern aufnehmen in ihre Gemeinschaft; sie bejaht sie nicht für sich, sondern im Namen Gottes, von dem allein alle guten Gaben kommen; und das gute Gewissen, das ihr zu dieser Frage mitbringt, das nimmt sie an als ein teures Unterpfand dafür: daß ihr immer werdet gewarnt werden durch die Stimme eures Gewissens, wenn ihr irgend abweichen wollet vom richtigen Wege: daß ihr immer Hunger und Durst mitbringen werdet zur Austeilung aller geistigen Güter, welche in der Gemeinschaft der Christen liegen: daß ihr alle eure Sorgen und Bedürfnisse werdet niederlegen in die Hand eures treuen Vaters im Herrn: daß ihr, wenn ihr fraget nach dem, was recht ist vor Gott, nur sehen werdet auf den, der der Anfänger und Vollender unseres Glaubens geworden ist und uns ein Vorbild gelassen hat, daß wir nachfolgen sollen seinen Fußtapfen: daß ihr eben, weil ihr fragt mit diesem guten Gewissen, auch wachsen wollt in richtiger Erkenntnis der christlichen Wahrheit und reicher werden wollt an den Schätzen der Liebe zu Gott, zu Christo und zu denen, die seinen Namen bekennen: daß ihr die Gemeinde der Christen zu seiner Zeit schmücken wollet durch Werke des neuen Menschen, der da geschickt ist zu allem gutem Werk, was ihm vorhanden kommt, zu thun, und daß, wie ihr jetzt | fraget und jetzt die trostreiche Antwort von Gott und seiner Gemeinde bekommt, so zu eurer Zeit ihr werdet bereit sein zu antworten auf Fragen und Bitten, die an euch ergehen, und wenn ihr reich geworden seid an den geistigen Gaben, denen mitzuteilen, die derselbigen bedürfen, und selbst Hand anzulegen und mit zu bauen an dem geistigen Tempel Gottes und euch immer mehr zu verklären von 27 Fußtapfen] zeitgenössisch korrekte Schreibweise für Fußstapfen 10–11 Vgl. Röm 8,26 25–26 Vgl. Hebr 12,2 31–32 Zum „neuen Menschen“ vgl. Eph 2,15; 4,24; Kol 3,10 32 Vgl. 2Tim 3,17 38–1 Vgl. 2Kor 3,18

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einer Klarheit zur anderen in dem Licht, das uns allen zugeteilt ist von oben. Das, meine geliebten Konfirmanden, ist die niemals vergebliche, weitere Frage eines guten Gewissens vor Gott und seiner Gemeinde, auf welche Frage ich euch im Namen derselbigen ein freudiges, gläubiges, liebevolles Ja zurufe. Und so glaubet denn auch dem Wort des Apostels, daß es eben diese Frage an Gott ist, welche euch fertig macht. Ein großes Wort, meine geliebten Kinder! und wir wissen es wohl, Einer allein ist selig: das ist Gott! und alles, was endlich ist, alles was dem Wechsel und dem Tode unterworfen ist in seiner äußeren Erscheinung, ist auch in dem Innern des Geistes dem Wechsel unterworfen; aber das Bild des allein seligen Gottes ist erhaben über allen Wechsel, und das wissen wir, war unser Erlöser, aus welchem uns die Seligkeit des göttlichen Friedens in den Zügen seines teuren Bildes entgegenstrahlt, und von dem wir wissen, daß er das Bewußtsein der Sünde nur hatte in seinem Mitgefühl, in dem Erbarmen seines Herzens gegen die, die des Ruhmes ermangeln. Aber er ist es eben, der die mühseligen und beladenen Herzen zu sich ruft, | damit sie nicht allein Ruhe finden für ihre Seelen, sondern auch mit dieser Ruhe die Fülle der Seligkeit, soweit sie in diesem irdischen Leben dafür empfänglich sind! Diese, meine geliebten Kinder, diese haben wir in dem festen Glauben an unseren himmlischen Vater, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen. In diesem Glauben geht auch ihr gestärkt als neue Glieder der Gemeinde des Herrn in dem Bewußtsein der heiligen Weihe, die ihr empfanget, dem Leben, das vor euch liegt, entgegen. Fürchtet nichts und scheuet nichts, was euch in demselben vorkommen kann; jeder glaube an die göttliche Liebe, welche Alles zum Besten meint, und kommt nur wieder und fraget mit dem guten Bewußtsein, daß ihr nur die himmlischen und ewigen Gaben sucht, wie ihr dies, was euch Gott sendet, zu eurem Heil benutzen sollt; dann wird er euch auch antworten durch sein Wort und die Stimme seines Geistes in eurem Herzen. Diese Hoffnung, selig zu werden durch die Gemeinschaft der Christen, in welche ihr tretet, die habt ihr in der festen Zuversicht, daß von Gott kommt das Wollen und Vollbringen, und daß sein Geist in jeder Seele erweckt Gaben zu gemeinsamem Nutzen und jeden tüchtig macht, der sich ihm zum Werkzeug hingiebt, zu wahren und Gott wohlgefälligen Werken des Glaubens und der Liebe. Und mit dieser Zuversicht gehet in den Beruf des Lebens, der sich vor euch eröffnen wird auf die mannigfachste Weise. So fasset eure Pflichten ins Auge, daß ihr Werke Gottes zu verrichten habt, welche Zeugnis geben von der Kraft seines Geistes, daß ihr nicht | suchen sollet auf eine weltliche und irdische Weise das Eure, sondern das Gemeinsame, aber zunächst das geistig Gemeinsame, daß nämlich das 6–7 Vgl. 1Petr 3,21 16 Vgl. Röm 3,23 16–18 Vgl. Mt 11,28f 8,28 31–32 Vgl. Phil 2,13 32–33 Vgl. 1Kor 12,7

21 Vgl. Röm

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Wohlgefallen Gottes in euch wohne, und daß er Freude haben könne und wohnen in dem gemeinsamen Geiste der Gemeinde der Gläubigen. Diese Hoffnung, selig zu sein, habt ihr an der Kraft des heiligen Wortes, zu dessen Gebrauch ihr eingeladen werdet, das sich euch immer mehr aufschließen soll durch die Verkündigung der apostolischen Lehre in der Gemeinschaft der Gläubigen, welches sich in euch verklären wird in den stillen Betrachtungen eines gesammelten Gemüts, in den heiligen Stunden des Gebets und in den gemeinsamen Stunden der Andacht, dessen Gewalt ihr werdet inne werden, so oft ihr euch zu seinem Glauben und zu seiner Nachfolge auf’s Neue vereinigt mit der Gemeinde der Christen. Und in diesem Sinne, meine geliebten Kinder, gebe ich euch dieses Ja auf eure Frage im Namen Gottes und unserer christlichen Kirche. Dafür aber bestätigt das Bekenntnis, auf welches ihr schon in den Tagen eurer Kindheit getauft worden seid: „Glaubet ihr“1. | 29

Gebet nach dem Bekenntnis der Confirmanden. Heiliger Gott und Vater! Du, welcher allein wirket das Wollen und Vollbringen, walte Du mit Deinem Segen über die jetzt gesprochenen Worte, über diese heiligen Gelübde des Glaubens, daß diese neuen Glieder der Gemeinde Deines Sohnes würdig wandeln des Lichtes der Wahrheit, welches Du angezündet hast in der christlichen Kirche! Lasse sie immer streben nach mehr Erleuchtung von oben herab und diese immer finden in Deinem heiligen Wort! Sei Du mit Deinen Worten die Leuchte ihres Fußes auf dem oft so dunklen Wege dieses irdischen Lebens! Stehe Du ihnen 1 Hier folgt Verlesung des apostolischen Glaubensbekenntnisses nach der preußischen Agende. Sodann die Frage an die Kinder, ob sie sich zu diesem Glauben bekennen und als lebendige Glieder in die Gemeinde des Herrn eintreten wollen. Nachdem ihnen auf ihr „Ja“ alle Rechte und Pflichten der christlichen Kirche, deren Haupt Jesus Christus ist, zugesprochen, folgt das Gebet.

16–17 Vgl. Phil 2,13 22–23 Vgl. Ps 119,105 24–28 Die „Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen“, 1829, Zweiter Theil S. 9– 11, sah folgenden Ablauf vor: „‚So leget nun selbst euer Bekenntniß ab und erneuert das Gelübde, welches ihr schon in der Taufe gegeben habt.‘ ‚Glaubt ihr an Gott den Vater etc. [Das apostolische Glaubensbekenntniß.] so antwortet: Ja. ‚Wollet ihr auch die Pflichten erfüllen, zu welchen dieses Glaubens-Bekenntniß euch verbindet, eurem Erlöser lebenslang nachzufolgen, Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe, und euren Nächsten wie euch selbst, und gewissenhaft die Mittel benutzen, die euch Gott gegeben hat, um euch im wahren Christenthum zu stärken?‘ so antwortet: Ja. ‚Wollet ihr alle diese Gelübde und Versicherungen mit Jesu heiligem Abendmahl bekräftigen?‘ so antwortet: Ja.“ Danach folgten Einsegnung und Gebet. Schleiermacher scheint sich nicht streng an die vorgegebene agendarische Form gehalten zu haben; vgl. oben Einleitung I. 2.

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bei mit Deinem Geist in den Prüfungen und Versuchungen, die auch ihrer warten! Nimm Du sie immer wieder gnädig an, wenn ihr Fuß straucheln sollte, und laß es ihnen niemals fehlen an Deinem Trost! Mache sie immer anhänglich an diese heilige Gemeinschaft des Glaubens, in welche sie jetzt treten, damit sie sich der großen geistigen Güter Deines Reiches auf Erden mehr als alles dessen erfreuen, was ihnen sonst die Welt Gutes, Löbliches und Schönes darbieten mag! Laß sie in allen ihren Verhältnissen nur darauf sehen, wie sie Deiner wohlgefällig wandeln, alle ihre Kräfte anwenden zu Deinem Ruhm und zur Verherrlichung Deines Sohnes, auch niemals sich selbst suchen, auch sich selbst nie die Ehre geben, sondern ihr Heil nur suchen in dem Bewußtsein, daß das, was in ihnen | Gutes ist, nur ist Deine Gabe und Dein Pfund, von dessen Gebrauch sie Dir werden Rechenschaft abzulegen haben! Und so erhalte sie in der treuen Erfüllung Deines Willens, damit auch durch sie Dein Reich gebauet und gefördert werde, und daß sie in dem reichen Genuß der Gemeinschaft mit Christo, unserm Herrn, dem wir sie jetzt geweihet haben, ihre Erbauung finden! Amen!1

1 Hieran schloß sich das Lied No. 350: „Von des Himmels Thron sende, Gottes Sohn, deinen Geist, den Geist der Stärke“; dann erfolgte die persönliche Einsegnung der Einzelnen. Der Einsegnungsspruch, den Otto Eduard Leopold von Bismarck in der Dreifaltigkeits-Kirche erhielt, lautet: „Alles, was ihr thut, das thut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen“ (Kolosser 3, 23). Nach dem Vaterunser und dem Segen wurde zum Ausgang noch gesungen vom Liede No. 349 der 3. Vers: „Gottes Geist werd’ hocherhoben.“

12–13 Vgl. das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Mt 25,14–30; Lk 19,11–26) 18–19 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 350: „Von des Himmels Thron“ (Melodie von „Seelenbräutigam“) 23–24 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 349: „Unserm Gott laßt uns lobsingen“ (Melodie von „Wachet auf, ruft uns die Stimme“); die dritte und letzte Strophe lautet: „Gottes Geist werd’ hoch erhoben, der unsre Herzen zeucht nach oben, und reiche Gaben uns verleiht. Licht und Kraft strömt er hernieder auf Jesu Christi heilge Glieder, die er zum Tempel sich geweiht. Er pflanzt des Lebens Wort in Christi Kirche fort bis ans Ende. Und sie besteht, von Gott erhöht, ob Erd’ und Himmel untergeht.“

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Am 1. April 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Karfreitag, 6 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 27,40 Nachschrift; SAr 70, Bl. 8r–11v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am Charfreit. 1831 Matth. 27, 40.

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Wenn wir die Erzählungen der Evangelisten mit einander vergleichen so finden wir: es war dies und Aehnliches der gleichmäßige Ausdruck der verschiednen Menschen, welche sich unter dem Kreuze des Erlösers versammlet hatten; so sprach die bunte Menge des Volks, so die Hohenpriester die sich freuten des Gelingens ihres Anschlags gegen Ihn, so sagt der Eine von den Uebelthätern die mit gekreuzigt wurden: „Bist du Christus so steige herab.“ Das war die Rede des ganzen verkehrten Geschlechts von welchem der Erlöser überall umgeben war und an welche sich vergebens seine Einladung richtete. So laßt uns diese Stimme des Unglaubens aus dem Munde des verkehrten Geschlechts betrachten, damit wir die des Glaubens damit vergleichen können und daß nicht unser Glaube irgend wie ihrem Unglauben ähnlich werde. Fragen wir was denn eigentlich dieser Ausruf der Menge des Volks und der dasselbe leitenden eigentlichen Gegner des Herrn äußern wollte: so finden wir das daß sie ihren Glauben an Ihn binden wollten an Wunderbarem welches von der Art wäre daß es nicht nur gegen die Gesetze der Natur wäre, sondern auch die menschliche Ordnung zerstörte. Freilich war es wol nicht eigentlich und zunächst das, daß sie beschlossen hatten daß wenn Er herabstiege so wollten sie Ihn für den Sohn Gottes halten und ihm folgen, sondern sie waren überzeugt daß es nicht geschehen werde. Aber doch sieht man daß das der Maaßstab war an dem sie es messen wollten ob Er der sei, und daß sie nun gesehen daß Er der nicht sei auf den sie hofften. Wenn wir bedenken wie die Hoffnungen des Volks beschaffen waren, wie 7 sagt] sagen

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sie diesen gemäß die Stimmen der Propheten verstanden hatten, so mögen wir es ihnen zu gute halten, daß sie, gedrückt von fremder Gewalt, Hülfe erwarteten von einer Kraft, welche sie wieder gestalten könnte zu einem eignen Volke, sie zurückführen in ihren vorgen Zustand: aber sie fühlten es auch und wußten, daß es dazu eines solchen Wunders bedürfte, wie das war, welches sie dem Erlöser zumutheten; und dies Gefühl und Bewußtsein lag nicht in ihrer Schwäche allein die sie unfähig machte solchen Zustand zu erringen, sondern mit darin, daß sie überall nicht Einigkeit und Festigkeit genug hatten um wieder ein Volk zu werden und zu bleiben; denn sie hatten die Erfahrung gemacht wie der eine Theil ihrer Brüder an diese und jene fremde Gewalt sich anhengte, um dadurch zu Hause eine Macht auszuüben die nicht heilsam wirkte für das Ganze, sondern mehr oder weniger der Selbstsucht fröhnte. Aber, wäre freilich ein solcher gekommen, welcher an das Kreuz geheftet, einer solchen Hülfe sich erfreut hätte, dann hätten sie wol die Hoffnung fassen können, daß wenn ein solcher sich an ihre Spitze stellete ihnen die Freiheit würde zu Theil werden von der sie | meinten daß sie das Höchste wäre was sie im Leben erreichen könnten. Wunderbares genug hatten sie von dem Erlöser gesehen, und es war also nicht das was sie suchten an und für sich; hätten sie das nur gesucht es wäre ihnen leichter zu verzeihen gewesen, weil sie in der Schrift selbst und durch alle Ueberlieferungen ihres Volks darauf gewiesen waren, daß, wer einen besondern Auftrag Gottes habe, sich auch als ein besonderes Werkzeug des Höchsten kund geben solle durch wunderbare Zeichen und Thaten. Wunderbares genug hatte der Erlöser vor ihren Augen verrichtet, und grade auf die Art, wie es am meisten bedeutsam ihnen hätte sein müssen um sie auf seine geistige Wirksamkeit hinzuführen; denn daß die Lahmen gingen, die Tauben hörten, die Blinden sahen, die Todten auferstanden und daß den Armen das Evangelium gepredigt wurde: das waren die Thaten die der Erlöser unter ihnen verrichtet hatte als ein Mann von Gott gesandt, das waren die Thaten auf welche er sie hinwieß, um ihnen anzudeuten, daß Er gekommen sei, die geistig Todten zu erwecken, die tauben Ohren aufzuthun für [die] wahre Stimme des Wortes Gottes, die unvermögenden geistigen Glieder zu heilen damit sie Kraft gewönnen auf dem Wege des Heils fortzuschreiten, die geistigen Augen zu öffnen daß sie von der Finsterniß des Todes befreit sich dem himmlischen Licht zuwenden und es aufnehmen könnten: das waren die geistigen Wirkungen auf welche Er sie durch seine Thaten hinführen wollte. Aber, weil diese Thaten, immer wie häufig Er sie auch verrichtete und wie sehr sie sich freuten, daß Gott dem Menschen solche Macht gegeben, doch immer den Einzelnen betrafen, und weil die 38 dem] den 26–28 Vgl. Mt 11,5; Lk 7,22

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geistige Hülfe die dadurch angedeutet wurde solche war die den tiefsten innersten Grund der Gemüther aufräumen mußte und den Willen umwandeln; so gingen sie nicht darauf ein, sondern verschlossen sich gegen diese Andeutungen; denn das war es nicht wornach sie sich sehnten und worin sie hofften Befriedigung zu finden; darum ging der Eindruck dieser Wunder des Herrn immer wieder für sie verloren, und es waren nur Wenige die untereinander sprachen, ob dieser nicht Christus sei. Die große Menge begehrte ein solches Wunder welches ihren äußern gemeinsamen Zustand herstellete, und wenn solches geschehen wäre, dann dürften wir wol denken, daß, wie sie ihre Gesinnung hier aussprechen, ihr Unglaube sich würde gewendet haben und sie angefangen an Christum zu glauben. Aber welches würde dann ihr Glaube gewesen sein? Ein solcher gewiß welcher von der Sendung des Erlösers einen unmittelbaren äußern Erfolg hoffte, ein solcher welcher sich bezog nicht ganz allein auf das Verhältniß des Menschen zu Gott, nicht ganz allein auf das Heil der Sele, nicht auf die geistige Belebung und Stärkung des menschlichen Geschlechts, sondern auf die äußre Wohlfahrt | auf Volksruhm und äußre Macht. Wohlan, daß nicht in unsern Glauben an Christus sich etwas einmische im Verborgnen von jenem Verderblichen welches nicht dem wahren Glauben sondern im eigentlichen Sinne dem Unglauben angehört, und wir, indem wir auf den Erlöser sehen als auf den der von Gott gesandt den Menschen zum Heil, nicht stehn bleiben bei den freilich großen Folgen welche seine Sendung gehabt hat und immer mehr haben wird auch für den äußern Gesammtzustand der Menschen. Groß, unübersehlich groß sind diese Folgen, das ist unläugbar! Denn wo sonst, als da wo das Christenthum herrschend geworden, ist eine so würdige Gestaltung des ganzen menschlichen Lebens gebildet? wo eine so festgegründete Herrschaft der Menschen über die irdischen Kräfte? Seit wann ist solche wachsende Ordnung und Gemeinschaft, seit wann so viele Güter nicht nur des äußern Lebens, sondern auch der freien Bewegung des Geistes auf allen Gebieten gewonnen und sicher gestellt, als seit das Evangelium nicht nur das Eigenthum einzelner frommer Selen oder einer kleinen Gemeinschaft geworden, sondern seit es die Völker durchdrungen und sich in den Besitz eines ganzen durch Sitte und Bildung ausgezeichneten Erdtheils gesetzt hat! Aber wenn wir uns miteinander unter dem Kreuz des Herrn versammlen, dann sollen wir dabei nicht stehn bleiben, sondern auf das Innre, was Er eigentlich bewirken gewollt, sollen wir zuerst und vorzüglich sehen, und wir verdienen es nur unter seinem Kreuze zu stehen und Ihn da als unsern Herrn zu bekennen wenn wir Ihm und uns das Zeugniß geben können daß Er mit der Ihm inwohnenden – belebenden heiligenden Gotteskraft in unser Innres gedrungen ist und uns Größeres noch gezeigt und gegeben als jene freilich auch geistigen Güter des irdischen Lebens. Dann aber dürfen wir fragen: wie sind denn diese so großen und wichtigen Folgen seines Daseins auf Erden zu Stande gekom-

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men? Nicht durch so Wunderbares, welches den gewöhnlichen Lauf der Natur unterbricht und die gesetzliche Ordnung, sondern dem entgegen was der verkehrte Sinn der Menschen unter dem Kreuz des Herrn begehrte, wollte er keine außerordentliche Hülfe, wie er das schon früher zu einem seiner Jünger ausgesprochen indem Er sagte daß wenn Er den Vater bitten wollte Er Ihm Legionen Engel zur Hülfe senden würde. Aber das wollte Er eben nicht, sondern sich der äußern Ordnung fügen auch da | wo sie unrecht hatte, auch da wo der Buchstabe des Gesetzes dem Geist desselben schon getrotzt hatte und ihn untergraben. – Darum sagt Er: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt:“ woraus schon von selbst folgt und darin ausgesprochen ist, daß, was die weltlichen Dinge und das äußre Leben betrift Er unterthan sein wollte der Obrigkeit, der gesetzlichen weltlichen Macht, die möge es dann verantworten wie sie geschaltet! Darum statt alles Wunderbaren was auf gewaltsame Weise in die Ordnung der Dinge eingreift, finden wir als die Stimme des wahren Glaubens in dieser Beziehung, zwei einander entgegengesetzt scheinende Worte, die aber, in ihrer innigsten Verbindung miteinander die rechte Kraft des Glaubens ausdrücken. Das Eine ist dies: „seid Unterthan der Obrigkeit die Gewalt über euch hat.“ Das andre: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“, und das große Geheimniß des Christenthums, aus welchem auch im äußern Leben der Menschen so große Umgestaltungen hervorgegangen sind, ist nichts andres, als die Verbindung dieser beiden Worte! Damit hat der Erlöser angefangen: damit haben seine Jünger fortgefahren: das hat sich unter den Gläubigen überall und zu allen Zeiten unter den geistigen Verwirrungen offenbart: Man muß Gott mehr perge perge. Was uns die Stimme Gottes im Innern befahl, (nachdem wir geprüft und wohl erwogen im Innern des Herzens mit Seufzen, Gebet und Flehen, daß wir seine Stimme unterscheiden möchten von jeder anderen) was sie uns gebietet zu thun – was sie uns wehret, zu thun: dem dann mehr zu gehorchen als irgend einer menschlichen Kraft und Gewalt: auf daß wir im Stande sind, Rechenschaft davon zu geben, daß wir dieser Stimme Gottes gefolgt sind mit aller Aufopferung dessen, was wir sind und haben im irdischen Leben. So ließ sich der Herr nicht wehren, zu lehren die göttliche Wahrheit: welches gegen den Sinn derer war, die auf Mosis Stuhl saßen, und die in den äußeren Ordnungen ein wohlbegründetes Recht hatten, über diese Dinge zu schalten. So ließen sich die Jünger nicht wehren zu predigen von Jesu von Nazareth. So ließen sich alle die Zeugen des Glaubens, die geblutet haben unter der Gewalt derer, die das Christenthum als eine unerlaubte Gottesverehrung zerstören wollten in seinen ersten An18 über] über / über

20 welchem] welcher

5–6 Vgl. Mt 26,53 33–34 Vgl. Mt 23,2

9–10 Joh 18,36

24 geistigen] geisten

18 Vgl. Röm 13,1

18–19 Apg 5,29

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fängen: So ließen sie sich nicht wehren; aber unterthan war der Erlöser der Obrigkeit. Denn als sie mit den Zeichen ihrer Gewalt ausgerüstet kamen, da ließ er sie zwar seine geistige Kraft fühlen: aber nur so, wie es der Freiheit ihres eigenen Willens gemäß war, und ohne zu wehren, wozu sie gekommen waren. Er reichte seine Hände den Banden dar, und that seinen Mund nicht auf, als er verspottet wurde. Er gab sich der Gewalt der Feinde hin, und erbot sich vom himmlischen Vater keine irdische Hülfe, weil er den Kelch trinken wollte, wie er es ihm auferlegt hatte. Darum ist das Kreuz Christi die Vereinigung der Christen von jeher. Darin erfüllt sich das große Wort: Er war gehorsam nicht nur in treuer Erfüllung seines Berufs: sondern gehorsam auch der Ordnung in menschlichen Dingen. Darum eben konnte Er nicht anders gehorsam sein, als zum Tode am Kreuz. | Darum ist der größte Ruhm des Christenthums und seiner Herrlichkeit in der vereinten Treue seiner Zeugen gegen das göttliche und menschliche Recht: und darum ist eben das Blut der Märtyrer, welches soviel dazu beigetragen hat, das Christenthum zu verbreiten, und worauf seine Kraft und Geltung sich vorzüglich begründet hat. Aber laßt uns auch eine Seite dieser Sache in Betrachtung ziehen. Der Apostel Paulus sagt: „Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz abgestorben,“ und damit hängt zusammen das andre Wort dieses Apostels „der Buchstabe tödtet: der Geist macht lebendig.“ Darum, weil eben durch die menschliche Ordnung, durch Recht und Gesetz, weil der Geist daraus gewichen war, und nur der tödtende Buchstabe noch da[,] eben das hervorgebracht und bewirkt war, daß der Erlöser im Namen des geistlichen und weltlichen Rechts verurtheilt werden konnte zum Tode: darum sagt der Apostel: ich bin abgestorben dem Gesetz: ich kann dem nicht mehr leben, wodurch Christus gestorben ist. Nicht, als ob er dadurch die Bande des Rechts in der Ordnung hätte lösen wollen: nicht als ob auch diese Worte in geringstem Widerspruch ständen mit der Ermahnung desselben, daß wir unterthan sein sollen der Obrigkeit, die Gewalt perge perge: sondern nur das wollte er sagen, daß durch das Gesetz Niemand gerecht werde vor Gott, daß er nicht mehr suchen oder finden wolle seinen Frieden bei Gott durch das Gesetz, weil es, wenn gleich seiner Natur und seinem Ursprunge geistig, untergehn konnte im todten Buchstaben und darum, wie groß und herrlich auch die Folgen des Christenthums und die Wirkungen desselben in der Gestaltung des ganzen gemeinsamen Lebens geworden sind, und wie viel wir noch von ihm erwarten, nicht in der äußern Ordnung, nicht in dem menschlichen Recht und in dem zur Aufrechterhaltung desselben dienenden Kräften sollen wir unser Heil und unsern Frieden suchen. Wir sollen es wissen und fühlen: es ist eben das Kreuz des Erlösers, welches uns dazu bestimmt auf10–12 Vgl. Phil 2,8 33 Vgl. Röm 7,14

19 Gal 2,19

20–21 2Kor 3,6

29–30 Vgl. Röm 13,1

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fordert. Bleiben wir dabei allein stehen, so wird gar leicht der Geist verfliegen, und nichts bleiben, als der todte Buchstabe. Aber eben darum konnte der Erlöser mit Recht sagen, und konnte es auch von dem eigentlichen Sinne nehmen: Brecht diesen Tempel ab, und in dreien Tagen will ich ihn wieder aufbauen. Der Tempel jenes Volks war zugleich das Sinnbild und die PGeltungS seines göttlichen und seines bürgerlichen Gesetzes: die Stätte, wo sich beides vereinigte, die Achtung gegen den geschriebenen Buchstaben und die Anbetung dessen, der der Urheber desselben war. Er aber, der da wußte, wie Geist und Buchstabe schon in einem nie wieder zu vereinigenden Zwiespalt war: er, der da wußte, sein Vater wolle nur solche haben, die ihn anbeteten im Geist und in der Wahrheit: er durfte und konnte es wohl sagen, daß an diesem Tempel kein Stein auf dem andern bleiben würde. Ja er konnte sagen: brechet ihn nur ab, und laßt ihn zerstören durch eure eigne Thorheit: in 3 Tagen d. h. in der kürzesten Zeit, wo ein etwas Bedeutendes kann ausgerichtet werden, werde ich einen andren bauen: und das ist der tiefe Geist des Evangeliums in Beziehung auf die menschlichen Angelegenheiten. Nicht die Jünger des Herrn werden jene menschliche Ordnung und Rechte zerstören. Nicht sie werden, wenn sie sich auch der wunderbaren Kraft des Evangeliums am meisten bewußt sind, Hand anlegen an die Zerstörung der menschlichen Ordnung: aber, wo sie untergeht durch die Thorheit | der Menschen, nichts wird so sicher und so dauernd wieder eine Vereinigung zu Recht und Ordnung hervorbringen als der Sinn derer, welche Gott gehorsam sind, indem sie Christo nachfolgen. In keiner Kraft ist auch die Kraft so groß, die Menschen zu beugen unter die Nothwendigkeit gemeinsamer Ordnung und Gesetze, als in der Kraft des Evangeliums, welche zugleich die Kraft ist: selig zu machen, alle, die daran glauben. Zu der sollen zuletzt ja alle menschlichen Ordnungen führen: kein andres Ziel haben sie, als von außen nach innen zu arbeiten, und immer tiefer den menschlichen Geist zu befreien von Allem, was ihn drückt und niederbeugt. Denn was ist das Größte und das, worauf Alles sich beziehen muß, andres als die Gemeinschaft mit Gott, der Friede des Herzens. Den vermag kein Gesetz hervorzubringen, aber in dem Gottes [Sohn] zur Erde herniederstieg, und das Evangelium den Menschen auffordert, Buße zu thun, so haben sie darin auch das schönste Ziel der menschlichen Ordnung vor sich, überall die Gemeinschaft so zu erweitern, daß die Stimme der göttlichen Boten nirgend ein Hinderniß findet und sie frei durch die ganze Erde wandeln, daß der Friede Gottes auf die mannichfaltigste Weise überall sich offenbaren könne, und darum werden die Jünger des Herrn überall wirken, Recht 6 PGeltungS] oder PHaltungS 4–5 Joh 2,19; vgl. ferner Mt 26,61 10–11 Vgl. Joh 4,23f 12 Vgl. Mt 24,2; ferner Lk 19,44 25–26 Vgl. Röm 1,16 33 Vgl. Mt 4,17; Mk 1,15

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und Ordnung herzustellen, wo sie niedergerissen sind, damit von einem Zeitalter zum andern immer würdiger das Christenthum seinen göttlichen Ursprung bezeuge. Aber die Stimme derer, die da riefen: „Bist Du Gottes Sohn“ – war die Stimme derer, welche bei sich beschlossen hatten, das Göttliche und seine Wahrheit zu richten nach dem äußern Ausgang, wenn der Erlöser sich hätte befreien wollen aus der Hand seiner Feinde, wenn er auch, nachdem sie bewaffnet mit dem Ansehn der Ordnung und des Gesetzes gegen ihn auszogen, eben so zwischen ihnen hindurchgegangen wäre, wie früher: er also siegreich geworden wäre, indem seine Sache einen solchen Ausgang genommen: dann hätten sie ihn erkennen wollen für den, welchen Gott gesandt. Das ist die Stimme des Unglaubens, der zwar oft die Hand anlegt an den Pflug, aber dann zurücksieht: der zwar aufgeregt werden kann durch die Forderung der göttlichen Wahrheit, aber weil er alles Geistige als Mittel zum Irdischen ansieht, so hat er auch überall keinen andern Maßstab, als den irdischen Ausgang. Der Glaube weiß von solchem Maß geistiger und göttlicher Dinge nichts. Wer kann übrigens auch sagen, daß irgend eine irdische Begebenheit, wenn sie auch scheint, einem irdischen Streben ein Ziel zu setzen, sei es des Gelingens oder Mißlingens, wer kann sagen, daß sie am Ende sei, oder was unter dem äußern Schein verborgen vielleicht später oder früher hervorgehen werde in anderer Gestalt: so daß das, was man für das Ende hielt, nur ein Durchgang war für den Augenblick. Anfang und Ende das sind irdische Ausdrücke für Irdisches und Vergängliches. Wo es auf das Geistige und Göttliche ankommt, da liegt in ihnen kein Maß für unser Urtheil der Billigung und Verwerfung. Aber wie war es denn mit den Jüngern des Herrn? Finden wir nicht ihren Glauben diesem Unglauben | ähnlich genug, wenn sie sagten: wir hatten gehofft, er solle Israel erlösen aber nun perge perge? Richten sie nicht auch nach dem Ausgang? Wenn der Erlöser ihnen vorhergesagt: sie werden den Hirten schlagen, und die Heerde wird sich zerstreuen, hatte er ihnen da nicht die Schwäche ihres Glaubens als den Unglauben in sich tragend vorgeworfen? So ist’s. Aber eben darum sprach er auch zu ihnen: Ihr Thoren und trägen Herzens, daß ihr so richten wollt. Darum bedurften sie des sichtbaren Zeichens der Auferstehung, um im Glauben gestärkt zu werden, und die Zweifel zu überwinden, die durch den sichtbaren Ausgang entstanden. Sie sind allerdings nicht so unsere Vorbilder, wie der Erlöser: aber unser hohen Achtung würdig als die, in deren Hände er das Werk legte, das ihm von Gott anvertraut war. Aber beurtheilen wir sie, so müssen wir bedenken, von wannen sie kamen. Nämlich von dem irdischen Geschlecht. Denn sie fragten in den Tagen sei9 Vgl. Lk 4,30; ferner Joh 10,39; auch 8,59 12–13 Vgl. Lk 9,62 Lk 24,21 29–30 Vgl. Mt 26,31 (darin Sach 13,7); ferner Mk 14,27 24,25

27–28 Vgl. 32 Vgl. Lk

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ner Auferstehung, gewiß ohne Höheres vom Irdischen zu scheiden: ob er wiederaufrichten werde perge perge. So hatten sie gehofft, weil sie das Zeichen des Kreutzes, das uns von allem Haften an irdischen Ausgang befreien soll, noch nicht verstanden, und sie waren erst fähig zu wirken, als sie frei und ausgerüstet waren mit der Kraft aus der Höhe, und der Geist Gottes in ihren Herzen die geistige Natur seines Reiches ihnen offenbarte. Darum, damit wir nicht an einen irdischen Ausgang haften, bleibet das Kreuz des Herrn, als den Augenblick darstellend in welchem Er und seine Sache unterzugehen schien, darum bleibet das das Vereinigungszeichen, das Vereinigungszeichen aller Christen: dies wird immer abgebildet: so über all wird Er abgebildet, als der im Gehorsam sterbende am Kreuz, untergegangen im menschlichen Sinn, aber lebend in der Kraft Gottes. Nicht an dem Wechsel des Ausgangs sollen wir haften: sondern an dem, was ewig eins und dasselbe bleibt: die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes Gottes, in welcher die Kräfte liegen, die geistig Todten zu erwecken, und kraft welcher der Erlöser sagen konnte: er habe, wie der Vater, Macht, das Leben zu geben in ihm selber. Die war immer dieselbe, wenn er die Menschen befreite von den Widerwärtigkeiten des Lebens, und hinging als der da nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte, wenn die Menge ihn bewundernd sprach: so habe noch keiner gelehrt: wenn die Spottenden ihn einluden: vom Kreuz herabzusteigen: die Göttliche Kraft und Herrlichkeit in ihm war immer dieselbe: im Augenblick des Todes und der Auferstehung. Daran hält sich der Glaube. Wer dies innerlich erfahren, fragt nach keinem Ausgang und äußern Zustand des Reiches Christi, sondern er hat ewig und unvergänglich sie in sich selbst. Diese Herrlichkeit schauen: das ist der wahre seligmachende Glaube; denn indem wir sie schauen theilt sie sich uns mit und vereint uns Christo und wir empfangen von ihm die Macht Gottes Kinder zu werden. Als solche sollen wir über jeden irdischen Ausgang erhaben sein, und wie sich auch die Dinge gestalten, festhalten an dem ewigen Reich Gottes, welches der Erlöser gegründet hat, indem Er durch Leiden und Tod zu seiner Herrlichkeit einging, nicht in weltliche Herrlichkeit, sondern die Herrlichkeit des Lebens Gottes. Diese sollen wir schauen und uns bewußt werden | durch den Glauben: es ist die Herrlichkeit des innern geistigen Lebens, die aber freilich immer mehr auch das ganze äußre Leben beherrschen und läutern und dadurch verherrlichen soll und die Menschheit zu dem Ziel zu welchem Gott sie berufen führen. Wohlan so wollen wir indem wir uns unter dem Kreuz des Erlösers vereinigen, uns ganz und gar reinigen von allem was jenem Unglauben angehört, damit nicht auch auf uns das Wort des Herrn seine Anwendung 1–2 Vgl. Apg 1,6 5 Vgl. Lk 24,49 14 Vgl. Joh 1,14 18–19 Vgl. Mt 8,20; Lk 9,58 20 Vgl. Joh 7,46

16–17 Vgl. Joh 5,26f

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finde: „Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun.“ So lange wir nach dem Ausgang sehen, so lange wir nicht rein das Innre des Reichs Gottes in’s Auge fassen, so lange noch nicht unser Glaube eine Sache ist zwischen dem Innersten unsers Herzens und dem Vater und dem in welchem Er ist um uns mit sich zu verbinden: so lange sind wir noch nicht stark im Glauben sondern bedürfen der Prüfung. Aber wo anders gelingt diese Prüfung zur Stärkung des Glaubens als unter dem Kreuz des Herrn! So laßt hier unsern Glauben läutern und fester schließen den Bund der Herzen die nach nichts Anderm trachten wollen als nach dem geistgen Reich Gottes und nach der Gerechtigkeit des Glaubens die vor Gott gilt, es Ihm überlassend auf welche Weise ihnen und dem ganzen menschlichen Geschlecht das Andre zufallen möge. Weil Er so rein und frei war und vollkommen gerecht darum hinderte Ihn nichts gehorsam zu sein bis zum Tode am Kreuz und das hat Er für uns gethan damit wir endlich werden mögen wie Er ist; denn wegen dieser seiner innern Herrlichkeit ist Ihm ein Name gegeben, vor dem sich beugen sollen Aller Knie und Alle bekennen: dieser Gekreuzigte sei der Herr, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden! Ja Herr! Gott! himmlischer Vater! Das Kreuz deines Sohnes unsers Herrn sei und bleibe uns immerdar die Erweckung zu dem wahren dir wohlgefälligen Glauben und das Zeichen der ewigen göttlichen Liebe: diese werde dadurch, daß Er sich für uns dahingegeben in den Tod da wir noch Sünder und Feinde waren, immer mehr entzündet in unserm Herzen, daß wir ohne auf Anderes zu sehen nur darnach trachten seine Herrlichkeit immermehr unter uns zu bauen und ein Volk zu werden seines geistigen Heiligthums, würdig von Ihm als dem Haupt regiert zu werden, und immermehr heranwachsend zu der Ähnlichkeit des vollkommnen Alters Christi im Gehorsam und in der Liebe, im Trachten nach dem Geist und im Bewußtsein der Kraft Gottes, die in uns wohnt und lebet, Ihm immermehr ähnlich! Dazu laß die Betrachtung des Todes Deines Heiligen an unserm Herzen gesegnet sein!

27 heranwachsend] heranwachschend 1 Lk 23,34 9–12 Vgl. Mt 6,33 13–14 Vgl. Phil 2,8 15–18 Vgl. Phil 2,10f in Verbindung mit Mt 28,18 22–23 Vgl. Röm 5,8.10 27–28 Vgl. Eph 4,13

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Am 3. April 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Ostersonntag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 11,25 Nachschrift; SAr 106, Bl. 56r–61r; Crayen Keine Keine Keine

1. Oster Tag 1831. Evangl. Joh. 11. v. 25 „Ich bin die Auferstehung und das Leben“

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Diese Worte welche aus dem Gespräch des Erlösers mit der einen Schwester des Lazarus – kurz vor dessen Auferwekung – genommen sind, haben, an ihrem ursprünglichen Ort, keine unmittelbare Beziehung für die große Begebenheit deren Gedächtniss wir heute feiern, aber es giebt zwischen Beiden einen Zusammenhang welchen wir zum Gegenstand unsrer heutigen Betrachtung machen wollen: – Wenn der Erlöser hier sagt, er sei die „Auferstehung und das Leben für den welcher an ihn glaube“ so stellt er sich darin dar, als den eigentlichen Quell eines solchen Lebens welches der Tod nicht aufhebt; es bringen uns aber diese Worte in Erinnerung ein anderes Wort unres Erlösers (Joh. 5) wo er redet: von einer Stimme des Sohnes Gottes wodurch die Todten zum Leben hervorgehen würden „und welche Alle hören würden die in den Gräbern sind“. Wenn er aber anderwärts sagt: „die welche an ihn glaubten – hätten das Leben – und wären schon hindurchgedrungen zu demselben“ so stellt er sich in Beiden auf gleiche Weise als den ursprünglichen Quell eines Lebens dar dem der Tod nichts anhaben kann! Und eben das zeigt sich uns auch an ihm selbst in den Tagen seiner Auferstehung – und das war es denn auch was seine Jünger so innig durchdrang als sie sich überzeugten er sei kein Geist sondern derselbe der bisher mit ihnen gelebt hatte; und darum stellten sie sich denn auch immer ganz vorzüglich als die Zeugen seiner Auferstehung dar, weil sie inne geworden 12–15 Vgl. Joh 5,28f

16–17 Vgl. Joh 5,24

20–22 Vgl. Lk 24,36–39

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waren „der Heilige Gottes habe mit der Verwesung nicht zu thun – und konnte nicht gehalten werden von den Banden des Todes!“ weil das Leben das in ihm war, und von ihm ausging das unvergängliche sei und das ewige! – In diesem Sinne nun, lasst uns miteinander betrachten: Wie der Erlöser uns ist die Auferstehung und das Leben 1. in Beziehung auf das ganze menschliche Geschlecht 2. in Beziehung auf die einzelne Seele.

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1. Die Auferstehung eines Lebens setzt einen Tod voraus – und fasst in sich ein neu beginnendes Leben! Wenn wir also sagen der Erlöser sei in Beziehung auf das ganze menschliche Geschlecht: die Auferstehung, so wollen wir nichts geringeres sagen als, der frühere Zustand desselben sei nur ein geistiger Tod gewesen; aber auch nichts geringeres als das: damit dieses neue Leben bleibe müsse auch das ganze menschliche Geschlecht in ihm bleiben; daß aber, wenn es in ihm bleibe, dann auch dieses neue | Leben nie vergehen könne; das aber scheint für den ersten Blik eine harte Rede – und am meisten für die, wie wir es sind, die nicht glauben daß alle Vorzüge und alle Herrlichkeit des Menschen zusammengedrängt sei in ihrem eignen Volke. Alle die aus dem unter uns heranwachsenden Geschlechte welche sich einigermaßen durch die Gunst der Umstände in welche sie von Gott versetzt sind, über die drükensten Sorgen des Lebens erheben, und sich für ihre irdische Beschäfftigungen ein höheres Ziel steken können, wir bemühen uns sie einzuführen in die Kenntniß einer frühern und für uns fremden Welt, von welcher sich aber eine Menge von Blüthen und Früchten des menschlichen Geistes auf uns vererbt haben, von welcher wir wissen daß wir ihr manche Erregungen, manchen herrlichen Genuß verdanken, und dieses möchten wir verpflanzen auf unsre Nachkommen; und wir finden in ihrem Leben einen Geist, und eine Freiheit in ihren zurükgebliebenen Werken, eine Schönheit und Anmuth von welcher wir die Überzeugung haben, daß sie vielen spätern, ja vielen christlichen Völkern fremd sei, und unter ihnen schwerlich hervorgegangen sein würde. Und noch weiter verbreiten wir uns, gehen zurük in die früheren Zeiten unsers eignen Volkes, und suchen die Schönheit seiner Natur uns deutlich zu machen, auch in jenen Zeiten wo das Christenthum theils noch gar nicht unter ihnen bekannt theils in Dunkelheit vergraben war, ja nach allen Gegenden hin streken wir unsre Wissbegierde um aufzusuchen jede Spur von irgend einer Gabe des menschlichen Geistes; wir bewundern die Tiefsinnigkeit der Morgenländer in ihren Betrachtungen über die uns umgebende Welt, so innig zusammen23 sich] sie 1 Vgl. Apg 2,27.31; 13,35.37; darin Bezüge auf Ps 16,10 3 Vgl. Joh 5,26

2 Vgl. Ps 18,5f

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geknüpft mit der Art wie sie das geistige Leben der Menschen auffassten; Weisheit in tausenderlei Gestalten suchen wir einzusaugen aus der Ferne und aus der Vergangenheit derer die von dem Namen Jesu nichts wussten – Und weit entfernt bin ich diese Regungen der Wissbegierde verurtheilen zu wollen – weit entfernt zu meinen, | es würde die Bildung für künftige Geschlechter besser gerathen wenn wir sie zurükhielten von der Betrachtung Einer – wenn auch noch so schönen – aber doch unchristlichen Welt – damit sie nie aus den Augen verlören den Einen in dem allein das Heil sei. Aber demohngeachtet bleibt es wahr daß der Erlöser für das ganze menschliche Geschlecht ist die Auferstehung, und daß dessen früherer Zustand ein Tod war. Wenn wir tiefer eingehen in dies Leben – zum Theil schon untergegangener – zum Theil solcher Völker deren Herrlichkeit längst vorübergegangen ist, und welche nur noch aus dem todten Buchstaben ihrer früher lebendigen Zeit ein ärmliches Leben des Geistes sich fristen, und wir vergleichen es mit dem was unter uns in der christlichen Welt lebt, wie werden wir dieses anders können, als wenn wir das Unsre als ein wahres Leben – jenes aber für einen Zustand des Todes ansehen. Der Gegensatz freilich zwischen Leben und Tod, wenn wir genauer ihn verfolgen, wenn wir genauer in das Einzelne der Dinge eingehen, scheint sich uns mehr zu verlieren als festzustellen; wir steigen herab von dem Menschen – diesem edelsten Geschöpffe der Erde, in welchem das Leben seinen Gipfel erreicht hat, zu den niedrigsten Geschöpfen der Erde, wir gehen von den Thieren zu den Pflanzen, wir finden zweideutige Wesen, von denen wir nicht wissen sollen wir sagen da sei Leben oder lauter Tod! – Eben so aber auch ist es in dem Gebiete des geistigen Lebens! Ein Leben in niedrigerm Sinne wollen wir dem Menschen zu keiner Zeit – als ein ihm eigenthümliches Leben – absprechen! – aber – wie wir es kennen, so geht das wahre Leben immer nur erst hervor aus einem Kampffe zwischen dem Fleisch und dem Geiste – und wo dieser noch nicht statt gefunden hat, da auch ist das wahre innre Leben noch nicht. Wie gefallen sich nicht jene früheren Völker – von deren Schätzen wir uns nähren, deren geistige Bildung wir bewundern – wie gefallen sie sich an den freien Äußerungen solcher sinnlichen Lüste – wie unverholen tritt die Selbstsucht aus ihnen hervor – wenn nicht der Einzelnen, doch der Zusammengehörenden, wie rühmen sie sich sogar derselben! und, das Höchste wozu sie doch nur gelangen konnten, es war das daß der Einzelne von ihnen sich hingab für einen einzelnen kleinen Theil der menschlichen Gesellschaft. – An eine Liebe aber welche umfasst alles was Mensch heißt, und an ein Unterscheiden dessen was das Göttliche ist im Menschen von dem was das Thierische ist, da wird zwar wohl gedacht hie und da | in den Werken ihrer Weisen – aber in dem Leben wurde es nie lebendig. Doch es giebt noch eine andre Gattung: das Leben des Volks unter welchem der Erlöser gebohren – das Leben der ausgezeichneten Ein-

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zelnen, welche seine Väter werden sollten nach dem Fleisch – : aber auch über diese müssen wir dasselbe Urtheil fällen; von dem Gesetz nämlich, welches Gott durch Mosen gegeben sagen es die Jünger deutlich genug: daß es etwas zwischen eingetretenes gewesen sei, zwischen die früheren segensreichen Verheißungen Gottes und deren Erfüllung in Christo, zwischen eingetreten um dieses Volk darin zusammenzuhalten bis auf den Glauben und bis auf das Bewußtsein daß kein Fleisch gerecht werden könne vor Gott durch des Gesetzes Werk – weil darin kein wahres Leben und keine Befriedigung im Innern daraus hervorgehen könne! – Aber an den Vätern dieses Volks, die vor den Zeiten jener Gesetzgebung lebten, an die die göttliche Verheißung eines Erlösers zuerst ergangen war, von denen wird gesagt: daß ihr Glaube an diese Verheißung ihnen angerechnet worden war als Gerechtigkeit – und das sind die Worte die das vollkommneste Bewußtsein uns geben von dem Leben welches der Erlöser zu weken kommen sollte und gekommen ist. – Aber war dieses Leben auch unter jenen wohl schon in seiner Krafft vorhanden? – wie erscheint es uns anders als in dem Zustande des Traumes vor dem Erwachen! – und wie eine ferne Ahnung – die aber noch zu keinem Bewußtsein gekommen ist; – so, nämlich, erscheinen uns in und aus ihnen die einzelnen Blike eines höhern Lebens – so wenig zu klarem Bewußtsein gebracht des Gottes dessen Werkzeuge sie zwar wurden nach dem Rathe seiner Führungen – aber das Leben selbst es war noch nicht in ihnen – dieses hatte allein der Sohn in sich – welcher gesendet wurde vom Vater um es zu geben allen denen, die es von ihm empfangen wollten: und so ist denn Er allein die Auferstehung desselben für das ganze menschliche Geschlecht geworden! Ja, erst da wo sein Name verkündigt wird – wo sein Wort erschallt, da erst – wo sein Bild lebt – entsteht der herrliche – zu einem überwiegenden Siege durch ihn ausschlagende Streit zwischen dem Geist und dem Fleisch – woraus dann das wahre Leben in Gott sich entfaltet. Ja nur da regt sich das Bewußtsein von einem Leben – welches zwar noch nicht ist in uns selbst – was wir aber doch vor uns sehen in der Herrlichkeit jenes Eingebohrenen – und die Völker alle fangen an danach zu verlangen – und streken sich entgegen diesem Worte des Lebens – und heißen willkommen die Boten des Friedens! | – und das erste Werk was daraus in ihnen hervorgeht es ist das Werk der Buße – wodurch sie ihr ganzes gemeinsames Leben – wie es zuvor war – für einen Tod erklären, indem ihnen alle Schätze der Weisheit, alle Bildung des Geistes nun erscheint als das, das ihnen den Frieden des Herzens nicht geben konnte; und indem sie nun Alle um den einen Namen – um den Namen des Auferstandenen sich versammeln, entwikelt sich das Leben in den todten 2–7 Vgl. vor allem Gal 3,19–25 7–8 Vgl. etwa Röm 3,20.28; Gal 2,16; Eph 2,8 9–13 Vgl. Röm 4,3; Gal 3,6; in beiden Bezug auf Gen 15,6 22 Vgl. Joh 5,26 30–31 Vgl. Joh 1,14

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Gebeinen und geht auf unter dem Volke, und der Himmel thut sich ihnen auf, indem sie sehen die Gemeinschafft in der sie mit Gott stehen können überall angefacht wo die Krafft seines Wortes lebt und ersteht. – Aber wie Er die Auferstehung ist, so ist er auch nur das Leben, wenn das Band bleibt zwischen ihm und dem Geschlecht der Menschen, wollten sie sich los reissen von ihm, so würde auch der Tod wieder da sein! Aber zeigt uns nicht davon die Geschichte traurige Beispiele genug? ist nicht oft das Evangelium in PeinenS solchen Zustand der Verdunkelung zurückgetreten in den Gemüthern! und zwar unter den Völkern, unter denen es zuerst verkündigt wurde! Meine theuren Freunde! lasset dabei uns gedenken: wenn die junge grüne Welt vor unsern Augen – in dieser Zeit – neu ersteht – da sehen wir nichts anders als das almählige ruhige Vorsichgehen der Entwiklung eines neuen Lebens in der Natur; aber wie oft ergreift auch da der Tod wieder was dem Leben entsprossen war, und zerstört die ersten Blüthen des Frühlings – in dem Kampff der Elemente gegen diese Krafft des Lebens; – und eben so ist es auch in der geistigen Welt – und diesem Kampfe kann sich auch das geistige Leben nicht entreißen! Ja das ist das Fleischgewordensein des Wortes: daß das Leben in demselben sich beugen musste unter jene irdische Gesetze in allen ihren Wirkungen; aber untergehen konnte es nicht in jenem Kampffe! weil es von ihm ausgegangen ist! Und jemehr er herrscht – je inniger die Herzen festhalten an den der da ist die Auferstehung und das Leben, um so sicherer und unzerstörbarer wird sich regen und entfalten dieses von ihm ausgegangene Leben in der Gemeinschafft seiner Gläubigen und um so kräfftiger wird alsdann der geistige Tempel sich erheben wovon Er der Grund und Ekstein ist – dessen Verherrlichung wir heute miteinander feiern. | 2. Doch, als der Erlöser jene Worte redete, da hatte er es zu thun mit einer einzelnen – auf die Sorge für einen beschränkten Kreis des häußlichen Lebens nur geschäfftigen – Seele, und die Liebe zu den Wenigen (Mitgliedern desselben) mit denen sie es zu thun befriedigte; sie also konnte nicht solche Betrachtungen im Allgemeinen anstellen bei den Worten: „Ich bin die Auferstehung“ wie wir – das Wort aber welches der Erlöser hinzufügte: „Wer an mich glaubt der wird leben pp“ das galt aber den einzelnen Seelen! Ja, das ist das Wort des Erlösers an jede einzelne Seele! Keiner aber sage, es sei eine Unvollkommenheit der Rede, zuvor von dem Weitumfassenden 8 PeinenS] oder PeinemS gung

18 demselben] denselben

25 Verherrlichung] Verherrli-

24–25 Vgl. 1Kor 3,11 und Eph 2,20 (darin Anspielung auf Jes 28,16) 32–33 Vgl. Joh 11,25; die Fortsetzung V 25f lautet: „ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“

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gesprochen zu haben und nun sich zurükzuziehen in das kleine engere Gebiet des einzelnen Lebens. Nein, m. gel. Fr., wie alles Heil von dem Erlöser als einem Einzelnen ausgeht, so hängt auch die Auferstehung des ganzen Geschlechts davon ab, wie die einzelnen Seelen ihn aufnehmen – wie die Stimme des Sohnes eindringt in die einzelnen Gemüther – die zum Leben ruft – und sie von ihm sich leiten lassen! – Und so hatte er es – demüthig – wie er zu uns gekommen war – „nicht zu herrschen sondern zu dienen“ es denn auch immer nur mit den einzelnen Seelen zu thun: zwar richtete er seine Rede immer an einen großen Haufen aber was sich entwikelte aus diesen Verhältnissen war immer nur das der Liebe der einzelnen Seelen zu ihm. – Und eben so und nicht anders wirkt sein Evangelium auf Erden! Und so lasset uns denn glauben daß wir das Größeste in ihm dadurch bezeichnen wenn wir sagen: Er sei die Auferstehung und das Leben für jede einzelne Seele die seine Stimme hört und sich ihm hingiebt in Glaube und Liebe. – Wenn ich vorher sagte dieses Leben gehe hervor aus einem Kampffe des Geistes wieder das Fleisch – und daß auch jener Kampff von denen durchgekämpfft werden müsse und in denen auch sei in denen der Erlöser schon wirksam sei mit seinem göttlichen Leben – so scheint das zu viel gesagt – zumahl wenn wir auf den einzelnen Menschen sehen – als ob dieser Kampff schon sei in den Menschen ehe er zu jener Erkenntniß des Evangeliums gelangt sei. Freilich m. gel. Fr., betrachten wir wie die einzelne Seele in diesem irdischen Leben sich entwikelt so finden wir daß ein Bewußtsein in ihr entsteht. Das geistige Vermögen was wir die Vernunft nennen das, in dessen Entwiklung der Mensch findet das Gute als Großes und Herrliches – so daß ein Gebot entsteht | dem zu folgen, aber freilich in der Ausführung da vermissen wir die Gewalt des Geistes – aber nicht nur da, sondern auch in dem Bilde des Guten welches der Mensch sich vorhält. Alle menschlichen Vorschrifften was sind sie als auch selbst erst des Guten und Rechten bedürftig. Fragen wir nach dessen Offenbarung so wissen wir das hat kein menschlicher Mund gesprochen kein menschliches Ohr gehört wie uns der Sohn Gottes den Ruf der Freiheit der Kindschaft Gottes zugebracht, das ist eine Macht die wir erst durch den Glauben an ihn bekommen, und wo findet sich außerhalb seiner Gemeinschaft ausgesprochen das Verhältniss zwischen Gott und den Menschen welches sich aber nur von ihm aus ergießt! Ja, meine gel. Fr., das ist unser Glaube – und wir sprechen ihn eben dadurch aus daß wir sagen: „Er sei die Auferstehung“ eines wahren Lebens! Denn das Leben was der einzelne Mensch gefunden ohne ihn es ist das göttliche Leben nicht gewesen, welches durch ihn nur sich uns mittheilt! – Ja: Christus in uns das allein ist das wahre Leben in des Menschen Brust! Christus in uns das allein giebt den Frieden uns mit Gott und der Welt! 7 Vgl. Mt 20,28 und die Predigt am 30. Januar 1831 über diese Stelle

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Christus in uns daraus geht allein hervor die wahre Weisheit wie die volle Gerechtigkeit die vor Gott gilt – wie alle Heiligung, und die ganze Erlösung der Menschen. – Indem wir aber dieses erkannt haben – so lasset ihn nun auch unser Leben bleiben! – Es ist eine traurige Verirrung – welche aber ihren Grund hat in dem Trotz und der Verzagtheit des menschlichen Herzens – in welcher mitten unter den Segnungen des Christenthums mitten in der Gem: die seinen Namen bekennt und feiert, doch so Viele verfallen: daß der Mensch so leicht meint: daß das was er empfangen habe sein eigen sei – und in seiner eignen Vernunft – in seinem eignen Herzen liege – und er diese Seligkeit also auch in und durch sich selbst gefunden haben würde – und daß in der menschlichen Natur an und für sich, diese Quelle des Heils zu finden sei. – Wohl zwar liegt sie darin verborgen – denn sonst hätte das göttliche Wort nicht Fleisch werden können in ihr – und der göttliche Sohn hätte nicht menschliche Gestalt annehmen können! – aber reisst Ihn heraus aus dem Zusammhange der Dinge: wo ist alsdann jenes Vermögen der menschlichen Natur sich selbst helfen zu können? sich selbst durch zu kämpfen – sich selbst den Frieden zu geben mit Gott und der Welt! – Darum ist es wohl die traurigste aller Krankheiten und Irthümer: wenn der Mensch, in dem Stolz seines Herzens, den Geber verleugnet in der Gabe – ja diese Krankheit des Herzens sie ist die bedenklichste und gefährlichste. | – Aber ein freies – frohes Bekenntniss Seiner! ein immer wieder Aufregen der menschlichen Gemüther, sich an den zu halten von welchem alles ausgegangen ist, was unter uns ein wahres Eigenthum des menschlichen Geistes und Geschlechts geworden ist – wird jenen Undank nicht Raum gewinnen lassen – wird nicht zugeben daß jemahls ganz geschwiegen würde von diesem Ruhm und Preis unsres Erlösers. Und wenn gleich es mancherlei Wahn giebt der dieses und jenes herunter reißen will von der Herrlichkeit des eingebohrnen Sohnes Gottes – so scheut sich doch jeder der in christlicher Gemeinschaft lebt, zu sagen: er sei nicht unser Herr. Aber wir wollen auf jene verirrten Brüder nicht etwa das Wort anwenden, „nicht Alle die mit dem PMunde HerrS Herr Herr sagen könnten in das Himmelreich kommen!“ – wenn es doch ihr Bestreben ist, den Willen des Vaters zu thun – das aber ist der Wille des Vaters: daß Alle an den Sohn glauben sollen (von ganzem H[erzen)] – wir wollen ihnen das erlassen denn wir erkennen es das ist ihr Bestreben – sie fürchten nur daß der Ehre Gottes – desjenigen der nicht nur unser sondern auch der Vater Christi ist, etwas entgehen werde, wenn ihm zu viel gegeben wird und weil sie in diesem Sinne zwar die Herlichkeit des Erlösers nicht in demselben Maße an’s Licht 7 Gem:] Abk. für Gemeinde oder Gemeinschaft 31 PMunde HerrS] durch Verblassen der Tinte annähernd unleserlich 34 H[erzen)]] Textverlust durch Blattabriss 31–33 Vgl. Mt 7,21

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setzen aber doch nicht leugnen er sei der Herr, so wollen wir das Wort des Apostels auf sie anwenden: „Niemand kann Jesum einen Herrn nennen ohne durch den heiligen Geist.“ – Es ist doch der Geist der christlichen Kirche, der sich aus ihnen verkündigt. Daher haben sie den Willen, das was sie für den Willen Gottes erkennen zu thun mit eben so vieler Selbstverläugnung wie einer unter uns, und weil dieser Sinn in ihnen ist so sind sie auch von demselben Leben entzündet, aber der Irthum [ist,] daß sie den Urheber desselben nicht genug erkennen; wie aber wollten wir uns mehr dafür hüten als dadurch daß wir darüber den Auferstandnen den Erweker von den Todten nicht vergessen; wie wollen wir sie anders davon zurükbringen, als indem wir Christus für den Anfänger und Vollender des Glaubens erkennen, wie sie zurükbringen als daß wir sie mit den Armen der Liebe umklammern, mit dem Blik der Liebe nachgehen. Und was anders war die Auferstehung des Herrn, als daß er noch einmahl in solcher Liebe zurükkehrte – was anders hätte ihn vermocht noch einmahl zurükzukehren? nie aber hätte jemahls die innigste Sehnsucht die Bande des Todes gelöset – aber die Liebe des Erlösers hatte sie gelöset – seiner Jünger wegen um mit ihnen noch einmahl zu reden vom Reiche Gottes – und die Einen PumS sie zu schelten. – Mögen denn auch wir schelten auf sie – aber wie der Erlöser indem wir sie zu uns ziehen. So lasset [uns] denn auch, wie er, mit ihnen wandeln und ihnen mit Liebe nahen um sie ihm zu vereinigen in der lebendigen Verehrung des Auferstandnen und in treuer Anhänglichkeit an ihn. | 60r

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Gebet. Ja – heiliger Gott und Vater! – also ist es wohlgefällig gewesen vor dir: daß du den durch welchen wir Alle selig werden können, durchgeführt durch Leiden und Tod zu seiner Herrlichkeit so daß in dem Einen wir Alle dir gesammelt – und durch ihn hingeführt würden zu der Erkenntniß deiner Liebe – und zu der Gemeinschaft mit dir, die da ist in ihm, als zu einer unversiegbaren Quelle des Friedens und der Seligkeit. Er aber der da sitzt zu deiner Rechten – und dem du alles unterthan gemacht – er hat verheißen daß wo zwei oder drei versammelt sein würden in seinem Namen er überall mit ihnen sein wolle – wie er denn auch | dich uns verbürgt: du werdest mit ihm kommen – Wohnung zu nehmen in unsre Herzen! – Und so bitten wir dich denn, o Vater, um diesen ganzen – vollen Segen seiner Auferstehung! Damit das neue Leben welches Er uns gebracht sich immer kräfftiger rege in der Gemeine deines Sohnes – seiner Gläubigen! – so, daß immermehr nur Er 18 PumS] oder PwieS 2–3 Vgl. 1Kor 12,3 Joh 14,23

25 durchgeführt] durchzuführen 11 Vgl. Hebr 12,2

31–32 Vgl. Mt 18,20

33–34 Vgl.

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allein in, und unter uns lebe – so daß alles was wir leben wir in seiner Gemeinschafft leben! so daß es nur dein Wille sei der uns in’s Herz geschrieben ist – und der uns leitet in allen Bewegungen unsers Herzens. – Dann wird die ganze | Christenheit als dein Tempel da stehen, dann wird man überall sein in ihr erstandenes Leben erkennen – dann werden wir so sein Bild darstellen – wie Er war „das Ebenbild deines Wesens – und die Offenbarung deiner Herrlichkeit“; dazu führe uns dein Geist – und leite uns dem Ziele unsrer Vollendung entgegen. So lass uns denn vergessen was dahinten ist – und uns strecken nach dem was vor uns liegt – nach alle dem was uns verheissen ist in der lebendigen Gemeinschafft deines Sohnes und in der Kraft seines Geistes. Lied 222. 241. 231.

6–7 Vgl. Hebr 1,3 8–10 Vgl. Phil 3,13 12 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 222: „Fest des Lebens, sey willkommen“ (Melodie von „Lasset uns den Herren preisen“ = „Sollt’ ich meinem Gott nicht singen“); Nr. 241: „Triumph, Triumph dem Herrn! Er lebt, er lebet“ (Melodie von „Triumph, Triumph, des Herrn Gesalbter sieget“); Nr. 231: „Jesus lebt! Christen“ (Melodie von „Fahre fort, Zion“)

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Am 27. April 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Bußtag, 6 Uhr 30 Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Phil 2,4 Nachschrift; SAr 97, Bl. 15r–25v; Slg. Wwe. SM, nicht identifizierter Nachschreiber Keine Nachschrift; SAr 70, Bl. 13r–17r; Woltersdorff Keine

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Lied 392, 1.–3. Tex t . Phil. II, 4. „Ein Jeglicher suche nicht das seine sondern das, was des Andern ist.“ M. a. Fr. Es wird Vielen unter Euch nichts Ungewohntes und Unbekanntes seyn, daß wir diesen jährlich angesetzten besonderen Tag der Buße und des Gebets, wie er angeordnet ist von unsrer christlichen Obrigkeit, auch ganz besonders aus dem Gesichtspunkt angesehen und begangen haben, daß es der Gegenstand unseres gemeinsamen christlichen Nachdenkens, unserer bußfertigen Selbstprüfung seyn soll, zu urtheilen, wie sich die gemeinsamen Angelegenheiten unseres bürgerlichen Lebens unter uns und durch uns gestalten, und wie wir diesen großen Theil unsers irdischen Behufs mit rechtem christlichem Sinn und Geist verwalten. Und kann es wohl 8 haben] habe 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 392: „Gott, der du unsre Zuflucht bist“ (Melodie von „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“) 4 Phil 2,4 lautet nach SAr 70, Bl. 13r (in Übereinstimmung mit der Lutherübersetzung): „Und ein Jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was des Andern ist.“ Der Wortlaut, den der Textzeuge SAr 97 hier und überall im weiteren Verlauf der Predigt bietet, gibt genauer die syntaktische Struktur des griechischen Originals wieder; es ist nicht auszuschliessen, dass er auf eine eigene Übersetzung Schleiermachers zurückgeht. 13–9 In den Jahren 1830/31 kam es u. a. in Frankreich (Juli-Revolution), Belgien, Polen sowie mehreren deutschen Staaten (Sachsen, Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel) zu z. T. gewaltsamen politischen Umstürzen, Aufständen oder Unruhen. Davon betroffen waren im Sommer 1830 auch die preußische Rheinprovinz, im September Berlin, wo aufgebrachte Handwerker sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, und seit November die Polen benachbarten preußischen Provinzen, vor allem das Großherzogtum Posen.

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eine Zeit geben, wo uns das wichtiger seyn könnte und größer, wo wir mehr Aufforderung hätten zu einer solchen Betrachtung als die gegenwärtige. Fast alle Völker um uns her sind mehr oder weniger der Raub entweder einer offenbar ausgebrochenen innern Zwietracht oder einer höchst bedenklichen Uneinigkeit geworden zwischen denen, die da regieren sollen, und denen, die da gehorchen, | und nicht nur in der Ferne, sondern auch in den Ländern und unter den Völkern deutscher Zunge, deren ganzer Sinn, Bildung und Wesen uns so nahe verwandt ist, sehen wir eben diese Uebelstände. Wenn freylich, indem es das Ansehen gewinnt, als wälze sich ein so großes Uebel immer näher an uns selbst heran, wir aufgefordert zu seyn scheinen zur Dankbarkeit gegen Gott auf der einen Seite, der uns noch immer gehalten hat in den Banden der Ordnung und der Treue, auf der andern Seite aufgefordert zu einer Zufriedenheit mit uns selbst, in unserm Zustande und unsern nächsten Aussichten, indem nichts in unseren Verhältnissen ist, was uns unmittelbar Aehnliches besorgen ließe: so wird es doch nicht an Aufforderungen fehlen, diesen Tag auf die angeführte Weise zu benutzen, wenn wir nur darauf ernstlich sehen, in welchem Sinn und Geist wir Theil nehmen an dem, was um uns her in der Nähe und Ferne vorgeht. Wenn diese Theilnahme, meine Geliebten, statt ein tiefes und inniges Mitgefühl zu seyn mit den Leiden beider Theile, der Regirenden und Gehorchenden, statt eine innere Trauer zu seyn darüber, daß eine so große, für das Wohl des menschlichen Geschlechts unentbehrliche Einrichtung, wie die, Kraft deren Gott überall unter den Menschen, | wenn sie sich aus der ersten Rohheit heraus gearbeitet haben, ein solches Verhältniß der Unterthanen und Obrigkeit, des Gebietens und Gehorchens gestiftet, wie diese überall wandelbar zu seyn scheint, wenn die Erde überall zittert und erbebt, wenn sich neues gestalten will und das Alte vernichten – wenn, sage ich, unser Mitgefühl, anstatt ein solches zu seyn, ein leidenschaftliches und parteiisches ist, welches sich auf die eine Seite neigt mit allen Kräften des Gefühls und des Urtheils, die entgegengesetzte aber übersieht: dann m. g. Fr., wenn wir in unsern Busen greifen, werden wir auch sagen müssen: sollte der Herr es über uns verhängt haben, daß irgend Umstände eintreten, welche diesen köstlichen innern Friede, diese schöne, wohlthätige Zusammenstimmung der Ordnung stören mögten: so wären auch wir nicht unfähig dessen, daß ähnliche leidenschaftliche Bewegungen unter uns entstünden, und wenn nicht eines besonderen göttlichen Schutzes wir uns erfreuen, wenn nicht zeitig der Theil, der im Begriff ist zu fehlen, wieder umkehrt zu der rechten Bahn, so könnte alles Elend, welches wir beweinen, auch über uns kommen. 24 ein] in 3–5 Vgl. SAr 70, Bl. 13r: „der Raub entweder einer ausgebrochenen, oder doch drohenden Empörung gegen ihre Oberhäupter“

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Dagegen nun, m. a. Fr., geben uns die Worte des Apostels das rechte Mittel an, ach, das rechte nicht nur, sondern in der That und Wahrheit das einzige, wenn wir sicher seyn wollen, | daß unsere innere Suche, daß unser theurer bürgerlicher Friede, daß unser geselliges Glück nicht auf die gleiche Weise gestört werde, wie wir es leider so häufig um uns her sehen. Diese Behauptung ist es, m. Fr., welche ich in dieser Stunde vor Euch rechtfertigen will, indem ich Euch zu derselben Empfindung, zu demselben innersten Bewußtseyn bringen möchte, daß darauf allein das Heil unserer bürgerlichen Verhältnisse beruht, daß jeder nicht das Seine sucht sondern das, was des Andern ist. Ich meine nämlich hier unter dem Seinen und unter dem, was des Andern ist, nicht das einzelne Wohl des Einen oder des Andern, sondern ich sehe dabei auf diese beiden Theile, aus welchen die Ordnung des menschlichen Lebens besteht, die Obrigkeit und die Gehorchenden, und für diese wie für alle Andern hat der Apostel diese Regel gestellt als eine gemeinschaftliche des christlichen Lebens für alle mögliche Verhältnisse. Die Obrigkeit also soll suchen, was der Unterthanen ist, die Unterthanen sollen suchen was der Obrigkeit ist. Lasset uns sehen m. g. Fr., was das Beides sagen will, und dann werden wir uns leicht überzeugen, daß darin das einzige Heilmittel, ja auch das einzige Verwahrungsmittel liegt, damit uns der Zustand unsers Friedens und unserer innern Ruhe nicht getrübt werde. | I. Darüber m. a. Fr., wird schwerlich nöthig seyn, Vieles zu sagen, daß die Obrigkeit suchen soll was der Unterthanen ist und nicht ihr Eigenes. Wir sind Alle gar wohl davon überzeugt, daß die Obrigkeit nur gesetzt ist um der Andern willen, d. h. um derer willen, welche sie regieren und schützen soll. Das sagt derselbe Apostel, von welchem die Worte unseres Textes herrühren, deutlich genug, daß die Obrigkeit von Gott gesetzt sey, nicht etwa als eine besonders bevorzugte Klasse von Menschen, welche sich in einem höheren Grade aller Glückseligkeit dieses Lebens, aller Freude des vorübergehenden irdischen Daseyns, alles Glanzes einer ausgezeichneten Stellung erfreuen sollen; nein! sondern sie sey gesetzt von Gott zu führen das Schwert zum Schutze der Guten wider die Bösen. Und wir dürfen wohl auch sagen, daß unter christlichen Völkern, je mehr der Geist des Christenthums, welcher ja immer der Geist der Liebe ist, unter denselben gewaltet, je mehr das Licht des göttlichen Worts uns erleuchtet, daß wir die nichtigen Dinge dieser vergänglichen Welt weder für das Wahre achten noch für das Große, sondern allein das Ewige und Bleibende – ich sage, wir wissen es Alle, | daß unter christlichen Völkern, je mehr sie dieses dem wahren Sinn und 19 Verwahrungsmittel] Verehrungsmittel 26–32 Vgl. Röm 13,1.4

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Geist des Wortes nach gewesen sind, um desto weniger auch jener gefährliche Irrthum bleiben konnte, als seyen die Völker von Gott geschaffen, um nur einigen Wenigen im Schweiß ihres Angesichts, und indem sie sich allen Mühseligkeiten eines gedrückten Lebens unterzögen, eine Fülle von sinnlichem Genuß und von eitlem Bewußtseyn eitler Vorzüge zu ertheilen. Daran kann unter uns nicht die Rede seyn, und sonntäglich in unseren Gebeten für die Obrigkeit, welche Gott uns gesetzt hat, flehen wir um seinen Segen und Beistand für sie, damit er sie zu dem großen Beruf, den er ihnen auferlegt, erleuchten möge. Anders als so sehen wir diese göttliche Einrichtung nicht an, anders als so, als von Gott beauftragt erscheinen uns Könige und Fürsten unter christlichen Völkern nicht, und sie selbst begehren nicht anders angesehen zu werden und geachtet. Aber wenn sie nun suchen sollen, m. G., was das Unsere ist, so fragt sich dann freylich: was ist denn dieses? Und wie könnten wir diese Frage aufwerfen, ohne an einem Tage, wie der heutige, in Demuth anzuerkennen, wie reichlich uns Gott gesegnet hat durch die | Erkenntniß seines wohlgefälligen Willens, durch ein gereinigtes Bewußtseyn von dem was eigentlich die Güter des Menschen auf dieser Welt sind, was seine große Bestimmung auf derselben nach der Erkenntniß des göttlichen Wesens und Heils ist, und wir müssen sagen: je nachdem diese Erkenntniß des wahren menschlichen Wohls sich reinigt und sich vervollkommt, um desto größer und umfassender, um desto erfreulicher und gesegneter, aber in mancher Hinsicht allerdings auch um desto schwerer zu erfüllen ist der Beruf der Obrigkeit auf allen Abstufungen derselben von der höchsten bis zur niedrigsten. Wenn denn nur gleichmäßig diese Einsicht in das wahre menschliche Wohl sich erweitert und vervollkommt, wenn nur beyde Theile immer darinnen übereinstimmen, was denn das Wohl der Menschen ist, welches bei den ihr Untergebenen die Obrigkeit suchen soll und fördern. Wenn nun aber darüber eine Verschiedenheit der Einsichten statt findet, wenn die Obrigkeit hierin, die Unterthanen aber in etwas ganz Anderem ihr Wohl suchen: dann freylich m. g. Fr., scheint ein Keim der Zwietracht und des Verderbens da zu liegen, welcher durch die Regel des Apostels nicht kann gelöst werden. Denn wenn der Apostel sagt: Jeder suche, was das Seine ist, und nichts was des Andern ist: so setzt er eben die Kenntniß dessen schon voraus; aber dahinein, daß eine Verschiedenheit in dieser Beziehung statt finden könne, richtet er seine Worte nicht. Warum denn nicht, da das doch | so nahe liegt? Darum nicht, meine g. Fr., weil er zu Christen redet, wie denn unmit33–34 wenn der Apostel ... des Andern ist:] Kj wenn der Apostel nicht sagt: Jeder suche, was das Seine ist, und nichts was des Andern ist oder wenn der Apostel sagt: Jeder suche nicht, was das Seine ist, sondern das, was des Andern ist: 37–3 Vgl. Phil 2,5–7

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telbar auf die Worte unseres Textes jene bekannte Stelle folgt, worin der Apostel Christum uns Allen zum Vorbilde darstellt, daß wir gesinnt seyn sollen wie er war, welcher sich selbst entäußerte, statt zu herrschen diente, nur um das zu suchen, was des Andern war. Wenn wir also darin zusammen stimmen, daß das, was er uns gelehrt hat als das wahre Wohl der Menschen auch das wahre ist; wenn darauf gemeinsam die Bemühungen beider Theile sich hinlenken, und das ist es ja, was der Apostel in Beziehung auf alle menschliche Verhältnisse unter den Christen voraus setzen mußte, dann kann jener Keim der Zwietracht allerdings sich nicht entwickeln; aber je mannigfaltiger das menschliche Leben ist, je verwickelter alle Verhältnisse desselben, je schwieriger bei der Vermehrung der Menschen es ist, alle Kräfte immer auf eine wirksame Weise zu den gemeinsamen und den eigenen Zwecken zu gebrauchen, je mehr es oft scheint, als wollten die Mittel auch zu den nothwendigsten Zwecken des Lebens nicht hinreichen, desto leichter freylich ist es, daß sich ein großer Unterschied der Ansichten wenn auch nicht über das Wohl der Menschen im Allgemeinen, doch darüber entwickelt, was in jedem Augenblick Noth sey, und worin das gemeinsame Wohl bestehe. Wenn wir uns nun denken, daß in einem solchen Verhältniße, wie unser bürger|liches Verhältniß ist, die Obrigkeit mit Unrecht sich eine tiefe Einsicht zu traute in das, was das Wohl der Unterthanen ist, und dann taub gegen alle Stimmen, welche in dieser Beziehung auch aus der Menge des Volkes von den Bessern sich hören lassen, immer auf das bestände, was sie für das Bessere hält: was sollen wir dann urtheilen; sollen wir sagen, daß sie das Ihre sucht, oder das Unsrige? Sie wird, m. g. Fr., das Unsrige suchen, wenn sie überall nach ihrem besten Gewißen handelt, wenn sie nicht nur sich selbst fragt, sondern bereitwillig ist zu hören; wenn sie vernimmt und an ihr Ohr gehen läßt und sich nicht verschließt gegen die Einsicht und die Ansichten, welche sich von dem was noth und heilsam ist in allen Theilen der Gesellschaft entwickelt. Und dann wird sie rein seyn und frei in ihrem Gewißen, und wir Alle werden, so lange es so unter uns steht, auch nicht leugnen können, sondern es gern und freundlich bekennen, daß die Obrigkeit sucht, was das Unsrige ist. Und wenn sie geirrt, so werden wir es wissen, daß irren menschlich ist, und werden es wissen, daß, wo dieser gute Sinn ist, der Irrthum leicht verschwindet, und werden es wissen, daß auch wir jeder auf unsere Weise das Unsrige zu thun haben, um das Eine wie das Andre nicht zu übersehen, den Irrthum immer vollständiger zu verscheuchen, den guten | Sinn immer fester zu begründen. Darum m. g. Fr., gibt es hier kein anderes Maaß als das des christlichen Gewißens, und wenn nun allerdings das Wohl, welches wir von der Befolgung der Regel des Apostels erwarten, nicht dadurch allein sicher gestellt seyn kann, daß jeder das des Andern sucht, sondern daß auch nothwendig dazu gehört, daß beide Theile 10 alle] aller

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sich überzeugen, daß der Andere das Ihrige sucht: so ist das hier uns von der größten Wichtigkeit, daß wir es unter uns feststellen: wir wollen nach nichts Anderem fragen, wir wollen nach nichts Anderem sehen, als ob der andere Theil das Seinige thue nach besten Gewißen, ob wir merken, daß der Andere sich leiten lasse durch das göttliche Wort, ob er nicht verleitet wird durch Eigendünkel, durch Selbstsucht, durch hochmüthiges Wesen, sondern Rath gern annimmt und überall sich um das bekümmert, was der Andere für das Seinige hält. II. Wenn wir nun zweitens fragen: wie haben wir denn auf unserer Seite das zu suchen, was der Obrigkeit ist? so sollen wir wohl glauben, m. g. Fr., daß auch darüber wenig Streit und Zwietracht unter uns seyn könne, sondern daß das eine ganz einfache und leichte Sache sey einzusehen und zu schlichten. Sind wir doch so weit in der Erkenntniß, daß keiner unter uns sich einbildet, daß eine größere Fülle von menschlichem Wohlergehn an und für sich betrachtet da sey, | wo eben diese menschliche Hoheit ist. Je mehr wir davon ausgehen, daß wir dieses ansehn als ein von Gott geordnetes Amt, um desto mehr müssen wir auch mit fühlen alle Sorgen, alle große und schwere Verantwortlichkeiten, welches es mit sich führt, alle Aufopferungen eigener Freude, eigenen Wohlergehens, welche es nothwendig macht. Darum nun m. g. Fr,. wenn wir auch nur von einer gewöhnlichen menschlichen Ansicht ausgehn und die Sorgenfreyheit ansehn als einen wichtigen Theil des menschlichen Wohlergehens: so wissen wir es ja wohl, eine größere Fülle von Sorgen gibt es nicht als bei denen, welchen das Wohl der Andern, so vieler Anderer und unter so verwickelten und mannigfaltigen menschlichen Verhältnissen anvertraut ist; wir theilen das Gefühl von der Last, welche auf die gewälzt ist, denen Gott das Amt der Obrigkeit anvertraut hat, wir wissen, wie schwer sie es haben, sich selbst und denen, welche ihnen anvertraut sind, zu genügen, wir fühlen den Unterschied verschiedener Zeiten, verschiedener Umstände, welche diese immer große Last manchmal noch bis an das Unerträgliche hin steigern. Wie wir also da suchen sollen was der Obrigkeit ist, das ist ja offenbar. Finden wir es überall als unsere Pflicht, menschliche Sorgen zu erleichtern, die Bürde des Lebens tragen zu helfen, wo Gott | sie auferlegt hat: wo könnten wir diese Pflicht mehr finden, als wo nicht von den Mühseligkeiten des Lebens die Rede ist, sondern von der drückenden geistigen Last schwer zu erfüllender Pflichten, schwer zu tragender Verantwortlichkeiten, fast unübersehlicher Sorgen und kein Ende nehmender Ueberlegungen, um das Rechte zu finden und zu thun. Dem Geist aber m. g. Fr., kann nicht anders als geistig zu Hülfe gekommen werden; suchen wir also was der Obrigkeit ist, so ist unsere Pflicht, daß wir ihnen diese schwere Last ihres schweren Berufes zu erleichtern 37 nehmender] nehmende

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suchen, daß wir ihnen, weit entfernt, die auf sie gelegte Last zu vermehren, auf alle Weise helfen, sie zu tragen. Dazu, m. g. Fr., ist der Gehorsam gegen das, was die Obrigkeit ordnet, nur die nächste und niedrigste Stufe, nur der erste Anfang, ohne welchen freylich alles Uebrige nicht bestehen kann. Wenn wir nicht der Obrigkeit unsere Kräfte leihen, um das auszuführen, was sie ordnet, so hat sie keine, sie kann nur durch den Gebrauch unserer Kräfte ihren von Gott ihr gesetzten Beruf erfüllen. Je williger nur diese da sind, um, was sie ordnet, in Ausführung zu bringen, je mehr sie darauf rechnen kann, überall bereite Hände zu finden zu dem Werk, welches sie als das ihr von Gott vertraute | für diese Zeit erkennt: um desto fröhlicher kann sie ihren Beruf erfüllen, um desto mehr werden ihre Sorgen schwinden, um desto mehr wird ihre Zuversicht wachsen. Aber das ist nur der Anfang. Wenn wir anders wissen und es fühlen, was für geistige Kämpfe überall da seyn müssen, wo irgend ein bedeutender Theil der obrigkeitlichen Gewalt auf Mehrere oder Einen niedergelegt wird, wie viel Ueberlegungen von allen Seiten vorangehen müssen, ehe nur eine Beruhigung des Gewißens vorangehen kann in Beziehung auf einen bedeutenden Beschluß, welcher gefaßt wird: so werden wir sagen, daß wir auch in dieser Beziehung der Obrigkeit unsere Unterstützung zu leisten schuldig sind, um noch auf diese Weise das Ihrige zu suchen. Dazu gehört m. g. Fr., daß jeder ihr zu Hülfe kommt, nach Maßgabe des Ortes, wo ihn der Herr gestellt hat, mit seiner Einsicht; daß jeder ihr zur Kenntniß bringt auf dem Wege, auf welchem sie auch wirklich und auf leichte Weise und ganz hinnehmen kann alle Mängel, welche das Gemeinwesen drücken; daß wir ihr zu vernehmen geben, was die besseren und Verständigern unter uns für das Unsrige halten, damit sie es als das Unsrige suchen kann, insofern ihre Ueberzeugung mit der unsrigen übereinstimmt, und daß wir es so thun, daß der gute und reine Wille, welcher zum Grunde liegt, nothwendig müsse anerkannt werden, | daß sie es wissen, wir suchen dabei nicht das Unsrige, sondern daß wir es wünschen, daß sie auf rechte Weise das Unsrige suchen möge. Wenn das, wie wir es wünschen, m. g. Fr., überall in dem Geist der Liebe, welcher ja dieser Rede des Apostels in allen ihren Beziehungen zum Grunde liegt, geschieht: dann suchen wir das, was der Obrigkeit ist, dann unterstützen wir sie mit allen unsern Kräften, dann helfen wir ihr auf eine leichte Weise, ihren großen Beruf erfüllen, dann machen wir es ihr leicht, zu der innern Gewißheit bei sich selbst zu kommen, und der Uebereinstimmung ihrer Ansicht mit der Ansicht der besseren und verständigen unter denen, deren Leben sie zu leiten berufen ist, die rechte Beruhigung ihres eigenen Gewißens zu finden. III. Sehet da, m. g. Fr., das ist die Regel des Apostels; das ist in diesem heiligen Verhältniß der Menschen das ist die Art, wie jeder nicht das Seinige 25 halten] hatte 36–38 und der Uebereinstimmung ... zu finden.] wohl zu korrigieren in und in der Uebereinstimmung ... zu finden. 39 III.] Ergänzung aus SAr 70, Bl. 15v

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sondern das des Andern sucht. Solte nun wohl noch ein Zweifel darüber obwalten können, daß das die rechte und einzige Art sey, unser bürgerliches Wohl zu wahren und zu befestigen, daß das der einzige Weg sey, wie wir ohne traurige Kämpfe und Erschütterungen, wie wir sie an so vielen Orten sehen, dem gemeinsamen schönen Ziel, welches beiden vor | Augen steht, uns immer mehr nähern können. Wir haben gewiß m. g. Fr., eine schöne Erfahrung in dieser Beziehung voraus. Wir haben zum Theil die Zeit noch erlebt, und auch die Jüngern unter uns haben sie aus den Erzählungen des noch unter ihnen lebenden Geschlechts in frischem Andenken, wo das Band zwischen uns und der uns von Gott gesetzten Obrigkeit auf eine kurze Zeit äußerlich so gut als gelöst war, wo alle Wünsche losgebunden waren, wenn sie in den Gemüthern des Volkes gewesen wären, die Herrschaft, welcher sie Gott so lange untergeben hatte, zu vertauschen mit einer andern, wo manches äußerlich Glänzende in einer fremden Gestalt und in Verbindung mit einem uns fremden Volke lockte und Viele verlocken konnte. Wenn wir auf diese Zeit zurücksehen, m. g. Fr., wie stimmten da beyde Theile so ganz und herrlich zusammen, wie waren alle unsere Blicke voll Sehnsucht und Liebe nach der Ferne gerichtet, in welcher unser Herrscher weilte, wie fest hielten wir gegen die Lockungen der schnell errungenen Macht, wie stieß uns das, was unserer Sitte fremd war, ab, wie sehr es auf alle Weise sich auch einzuschmeicheln suchte; | wie fest standen wir zusammen, ohne daß wir uns gleichsam das Wort geben wollten, zu einer Zeit, wo es fast für eine Kühnheit gehalten wurde, wenn selbst von dieser heiligen Stätte, wo doch allein die freie Wahrheit für alle Verhältnisse verkündigt werden soll, die Liebe sich vernehmen ließ, von der wir wußten, daß alle Glieder unseres Volkes entbrannt waren gegen unsern theuren König. Diese Zeiten haben wir erlebt, und von dieser Liebe haben wir lange Zeit uns genährt. Vergleichen wir nun die schönen Früchte, welche sie getragen hat, in der Zeit, welche nachdem verflossen ist, bedenken wir, wie Gott unser Land und Volk gesegnet hat, welche Fortschritte gemacht sind 21 suchte] sucht 7–27 Schleiermacher spielt mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Situation der Jahre seit 1806/07 an, in der Preußen nach der militärischen Niederlage gegen Napoleon im sogenannten Vierten Koalitionskrieg an den Rand des völligen Zusammenbruchs geführt wurde, im Friedensvertrag von Tilsit vom 9. Juli 1807 seine staatliche Eigenexistenz nur mühsam und unter Verlust seiner gesamten westelbischen Besitzungen und großer Teile ehemals polnischer Gebiete bewahren konnte, weiterhin von französischen Truppen besetzt blieb, der König, der zwischenzeitlich nach Memel geflohen war, Residenz und Regierungssitz im Januar 1808 ins weit entfernte ostpreußische Königsberg verlegte und insgesamt die Gefahr bestand, daß es Preußen wie anderen deutschen Territorien ergehen konnte, deren rechtliche, staatliche oder dynastische Verhältnisse nach Gründung des Rheinbundes und Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unter französischem Einfluß neu geordnet oder geschaffen wurden.

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in unseren bürgerlichen Angelegenheiten, welche Opfer von Vielen haben gebracht werden müssen, die nur gebracht werden konnten, wenn jeder suchte was des Andern ist, und nicht was das Seine ist, vergleichen wir diese schönen Früchte der Liebe mit Allem, was aus den Kämpfen um uns her entstanden ist: wie werden wir unser Loos glücklich preisen. Aber lasset uns nicht verschweigen, m. g. Fr. an einem Tage, welcher ganz auch der ganzen und vollen Wahrheit geheiligt seyn soll, nicht immer ist es ganz und überall so gewesen und geblieben; dem Keime nach wenigstens haben wir es erfahren, was es arges ist, wenn sich | Mißtrauen einschleicht zwischen diese beiden Glieder, welche Gott so innig verbunden hat; wir haben es erfahren, wie die, denen wir Uebles zutrauen dürfen, wohl wußten, wie dann die Kinder der Finsterniß über all klüger sind als die Kinder des Lichts, daß sie nichts besseres thun konnten, als auf alle Weise einen Keim der Zwietracht zu hegen, und zu pflegen, wie sie Argwohn zu stiften suchten zwischen einem Theil und dem andern. Ja auch dieses noch: wir werden es nicht leugnen können, daß, wenn wir in der That das im Auge gehalten haben, daß es unsere Pflicht sey, die Obrigkeit zu unterstützen mit unserm guten Willen und mit allen unsern Einsichten, es doch nicht immer geschehen ist auf die rechte Weise, in dem rechten Geist der Liebe, daß sich auch darin Selbstsucht und Eigendünkel gemischt hat, und uns eines Theils der Früchte beraubt, welche wir hätten genießen können, und die Reife derselben weiter hinausgeschoben. Ach der Apostel unmittelbar vor den Worten unseres Textes spricht den Wunsch aus, daß unter den Christen nichts geschehen möchte im Zank und um eitler Ehre willen, sondern indem jeder das des Andern höher achtet als sich selbst. Das ist die rechte Art, wie in Demuth eben das erfüllt werden kann, daß jeder das sucht, was des Andern ist. Wo sich eitles Bestreben nach eitler Ehre, wo sich Lust an dem Kampfe | und dem Siege der eigenen Meinung mit in die Darstellung der Wahrheit mischt: da ist die Regel des Apostels schon in ihrer Erfüllung verderbt, da hat sich die Sünde schon mit eingemischt in das, was durch die Liebe hervorgehen soll. Wenn wir uns aber das ganz abgethan denken, wenn wir uns denken, daß im echten christlichen Sinn und Geiste auf diese Weise ein jeder Theil sucht, was des Andern ist: was sollte uns denn wohl stören können, was sollte hindern können, daß von einem Geschlechte zu dem andern sich unser gemeinsames Wohl immer herrlicher entwickelt, und auf welche Weise sollten wir lebendiger und kräftiger zu der Ueberzeugung kommen welch ein Segen es sey, wenn auch dieses Band zwischen Obrigkeit und Unterthanen geheiligt ist, durch das Wort und den Geist Gottes; wenn es uns gleichsam ein anderes und neues geworden ist, wie wir selbst aus dem alten Menschen neu geworden sind; wenn es durchdrungen ist nach der rechten Seite hin von dem rechten Geist der christlichen Liebe 11–12 Vgl. Lk 16,8

22–25 Vgl. Phil 2,3

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und Demuth: dann m. g. Fr., wird es nicht mehr äußerer Gefahren, nicht mehr widriger Schickungen, nicht mehr schwerer Unglücksfälle bedürfen, daß wir gegenseitige Liebe so innig und stark fühlen, wie wir sie in den Tages des Leidens gefühlt haben; aus Allem was Obrigkeit und Unterthanen thun, wird uns dieser Geist ansprechen. Wo der nicht | waltet, m. g. Fr., da suchen beide Theile ihren Schutz und ihre Sicherheit in diesem und jenem Aeußeren: bald die Obrigkeiten in ihrer Verbindung unter einander, um, wenn sie selbst nicht mehr stark genug wären, das Volk zusammenzuhalten in den Banden des Rechts und der Ordnung durch fremde Hilfe; bald suchen die Unterthanen ihre Sicherheit in Briefen, mit Tinte auf Papier oder Pergament geschrieben, und glauben, daß in denen die Quelle ihres Wohls und ihrer Sicherheit wäre. Was sind solche menschliche Beweise gegen die Buchstaben des göttlichen Worts, in denen der Geist sich verbirgt, welcher überall Geist und Leben wirkt und doch sagt der Apostel selbst, ein Brief mit Tinte auf Papier geschrieben sey nichts, der rechte Brief sey der in die Herzen geschriebene. In dem wollen wir unsere Sicherheit suchen, in diesem beständig wachsen mit dem gemeinsamen christlichen Bestreben, daß jeder das des Andern suche mit dem Bewußtseyn der innigen Liebe, darin wollen wir die feste Zuversicht finden, daß wir so von Gott geordnet sind, auf diese Weise wollen wir feststehen, daß es keine menschliche Gewalt und keine Gewalt des Unglücks geben soll, und keine Verlockung und Versuchung des äußeren Glanzes und äußeren Glücks welche je das trennen soll, was Gott seit so vielen Jahrhunderten zum Segen so vieler Millionen | zusammen gefügt hat; aber nur daß keiner das Seinige suche, sondern nur was des Andern ist, das sey unser Wahlspruch als der eines christlichen Volks. Und möge jeder an diesem Tage in seinen Busen greifen und auch das Leiseste, was ein Suchen ist seines Eigenen in diesem heiligen Gebiet unsres bürgerlichen Lebens, aus rotten aus seinem Innern und sich demüthigen vor Gott, wenn irgend wie der gemeinsamen Liebe, die uns erfüllen soll, noch die Selbstsucht in seinem Innern entgegenstrebt, auf daß wir immer reiner in Wahrheit und Liebe mit einander verbunden seyn: dann wird auch Gottseligkeit und Friede sich überall begegnen auf unserm Wandel, und wir werden seyn und bleiben ein von Gott gesegnetes Volk. Amen. Ja heiliger, gnädiger Gott und Vater. Wir wissen es und fühlen es tief in unserem Innern, nicht nur zum Wohl und Heil jeder einzelnen Seele, nicht nur in Beziehung auf die Ewigkeit, welche vor uns liegt, hast Du uns erleuchtet durch Dein Wort, hast Du uns den gegeben, in welchem 1 äußerer] äußere

7 Aeußeren] Aeußerem

14–16 Vgl. 2Kor 3,2f

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allein Heil zu finden ist; Dein Wort soll allein auch unser Licht seyn auf den Wegen dieses Lebens, das Heil, welches von Deinem Sohn ausgeht, soll auch unser ganzes irdisches Daseyn durchdringen, überall sollen wir uns | auch in unseren bürgerlichen Verhältnissen zeigen als Glieder des geistigen Leibes Jesu Christi, alles Gute, welches sich unter uns entwickelt, soll seyn eine Frucht Deines Geistes und eine Gabe Deines Geistes, welche sich in Allem und jedem bewährt zum gemeinsamen Nutzen. O, laß uns immer mehr durchdrungen werden durch die Betrachtungen Deines Worts, durch die Betrachtung Deiner großen und herrlichen Führungen und aller Segnungen, welche durch das Christenthum über das Geschlecht der Menschen gekommen sind, laß uns dadurch immer mehr durchdrungen werden von dieser Wahrheit, daß wir als ein christliches Volk suchen, was wohlgefällig ist vor Dir, und daß jeder in dem Sinn Deines Sohnes das suche, was des Andern ist. Und in diesem Sinn empfehlen wir Dir, gnädiger Gott und Vater, unsern König und das gesammte königliche Haus, wir empfehlen ihn insbesondere der Erleuchtung Deines Geistes, damit er nie etwas verfehle in dem großen Beruf, welchen Du auf ihn gelegt hast. Wir empfehlen Dir sein ganzes Volk in dem Umfange seines Reiches, daß Du es ihm verbunden halten mögest in treuer Liebe, damit wir nach der Anleitung | Deines Worts immer würdiger werden mögen ein christliches Volk zu heißen. Dazu segne Alles, was jeder thun kann, um das Band des Friedens und der Eintracht zu befestigen. Ja laß es uns Allen nicht fehlen an Erfahrungen daran, daß es auch unser Beruf ist, das heilige Band zusammenzuhalten, und daß wir Alle auch in diesem Sinn etwas thun können, um Dein Reich zu fördern. Und so laß uns dann immer mehr aus dieser heiligen Erfahrung die Ueberzeugung gewinnen, daß Alles, was Du noch von Noth und Mühseligkeit über uns führest in der Zukunft, die vor uns liegt, nicht wird seyn können eine Strafe unserer Sünde, ein Zeichen unserer Schuld, sondern wie denen, welche innigst Dir verbunden sind, es seyn soll, daß es uns dien zu unserem Besten. Dazu laß alle Gaben Deines Geistes, alle Kräfte, mit denen Du uns ausgerüstet hast, alle Bande der Liebe gereichen, damit wir immer mehr gerechtfertiget mögen dastehen vor Dir durch den, in welchem Du Dich allein offenbart hast. Amen. Bußtag d. 27/4 31. um 6 ½ Uhr.

22 segne] segene 31 Vgl. Röm 8,28

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Am 8. Mai 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Rogate, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 3,5–11 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 324–336, Nr. XI; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 483.

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Tex t . Colosser III, 5–11. „So tödtet nun eure Glieder, die auf Erden sind: Hurerei, Unreinigkeit, schändliche Brunst, böse Lust, und den Geiz, welcher ist Abgötterei; um welcher willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens; in welchen auch ihr weiland gewandelt habt, da ihr darinnen lebetet. Nun aber leget Alles ab von euch, den Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte aus eurem Munde. Lüget nicht unter einander; ziehet den alten Menschen mit seinen Werken aus; und ziehet den neuen an, der da verneuert wird zu der Erkenntniß, nach dem Ebenbilde deß, der ihn geschaffen hat; da nicht ist Grieche, Jude, Beschneidung, Vorhaut, Ungrieche, Scythe, Knecht, Freier; sondern Alles und in Allen Christus.“ M. a. Fr. Wenn wir diese Ermahnungen des Apostels lesen und noch dazu bedenken, daß sie an eine Gemeine gerichtet sind, unter welcher er nicht selbst gelebt hatte, von deren Zuständen er auch keine besondern, genauen Nachrichten haben konnte, sondern welche er nur beurtheilte nach den allgemeinen | Voraussetzungen, wie er glaubte berechtigt zu sein, sie von dem einen Ort zu machen so gut wie von dem andern: so finden wir darin Ursache genug, eine Vorstellung zu berichtigen, welche unter vielen Christen immer noch die herrschende ist, nämlich als ob es unter den ersten christlichen Gemeinen einen weit höhern Grad gegeben hätte von Vollkom1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 483: „Ich soll zum Leben dringen“ (Melodie von „Valet will ich dir geben“)

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menheit in jeglicher Art, eine höhere Stufe und eine größere Reinheit des christlichen Lebens, und als ob nur seitdem allmählig die erste Liebe und der erste Eifer erkaltet sei, so daß wir jetzt fast überall eine solche Mischung sehen in dem Leben derer, die den Namen des Erlösers bekennen, welche es kaum zuläßt, sie so genau, als wir es wünschen möchten, von denen, die wir als Kinder der Welt ansehen, zu unterscheiden. Denn wenn der Apostel nun die Christen ermahnt, „sie sollten die Glieder tödten, welche auf Erden sind:“ so waren sie ja noch nicht ertödtet; wenn er sie ermahnt, „sie sollten den alten Menschen ausziehen:“ so war er doch noch nicht ausgezogen; und doch redet er zu solchen, von welchen er vorher schon voraussetzt, sie seien mit Christo auferstanden, sie seien mit ihm gestorben, und ihr Leben sei verborgen mit Christo in Gott, worüber wir neulich geredet haben, und von denen er sagt, daß sie auch offenbar werden würden mit Christo in der Herrlichkeit, indem er eben Christus als ihr Leben darstellt. So sehen wir denn, m. g. Fr., daß wir nicht Ursache haben, einen so großen Unterschied vorauszusetzen zwischen den frühern und den gegenwärtigen Zeiten. Wenn es nun freilich ein gar schönes und liebliches Bild ist, welches wir gewohnt sind uns zu machen von den reinen und ausschließenden Wirkungen, welche die erste Predigt des Evangeliums unter den Menschen hervorgebracht hat, von der Einfalt des Herzens, von der Lauterkeit der Liebe, von dem Ernst und der Strenge der christlichen Tugenden, wie wir glauben, sie voraussetzen zu müssen überall bei denen, von welchen nachher so Viele den Tod des | Zeugnisses für den Glauben starben, zu welchem sie sich bekannten, wenn dies allerdings ein so schönes und liebliches Bild ist: so trennen wir uns nicht gern davon; aber alle Ermahnungen ähnlicher Art in den Briefen des Apostels führen uns doch immer wieder auf dasselbige. Und wenn wir es nur genau überlegen: so werden wir auch sagen müssen, so schön und lieblich auch jenes Bild ist, wenn wir dabei doch denken sollen, die erste Liebe wäre erkaltet, die Kraft des Glaubens wäre nicht mehr dieselbe, wir reichten nicht mehr an die Reinheit und die Vollkommenheit jener Zeiten: was wäre dann unser Glaube an die Kraft des Evangeliums, wenn der Verlauf der Zeit ihn so widerlegte, wenn wir das Jetzige mit dem Frühern zusammennehmend, sagen müßten, es ist auch eine Kraft, die veraltet, die nicht mehr das leistet, was sie früher zu leisten im Stande war. Und so entziehen wir denn auf der einen Seite unserm Bewußtsein von der göttlichen Gnade in Christo und der ewigen Kraft des Evangeliums eben so viel, als wir ihm auf der andern Seite geben. Wenn wir, m. g. Fr., noch auf einen Punkt kommen, worüber wir doch alle einig sind, nämlich unsere Ueberzeugung von dem natürlichen Verderben des Menschen, dem gleichen Geschick, dem Alle unterliegen, daß die 10–12 Vgl. Kol 2,12f 13–14 Vgl. Kol 3,4

12 Vgl. die Predigt am 31. Oktober 1830 über Kol 2,8–17

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Glieder, welche auf Erden sind, ein früheres Anrecht an den Menschen behaupten und ihn in das Leben hineinziehen, welches der Apostel hier als das Leben der Kinder des Unglaubens beschreibt, und daß er dann erst sterben muß und begraben werden dem alten Menschen nach, damit Christus in ihm Leben gewinne, – wenn wir, sage ich, diese unsere Ueberzeugung, die uns ja von einem Geschlecht zu dem andern durch die unmittelbare Erfahrung bestätigt wird, mit dazu nehmen: so muß es uns viel natürlicher erscheinen, daß es der gleiche Weg ist, den Alle immer wieder zurücklegen. Ja, wenn wir denken, sei es nun auch, daß hierin jene früheren Christen uns gleicher seien, als wir es sonst | wol dachten, aber dürften wir es uns wol zutrauen, daß wir auch mit eben jenem Heldenmuth in den Tagen der Verfolgung dem Glauben würden treu bleiben: so würden wir darüber, m. G., eben weil es außer unserer Erfahrung liegt, kein sicheres Zeugniß ablegen können; aber doch werden wir sagen, wenn nun eben jener Zustand der Christenheit wie in jenen Tagen wieder einträte, daß die Gewalt des Unglaubens sich gegen die Kraft Gottes wendete: so würde sich, sobald es nöthig wäre, zeigen, daß Alle zusammenhielten, wie damals, unter der Fahne des Herrn, und keiner seiner äußern Verhältnisse schonte, und die Glieder, welche auf Erden sind, gleichsam von selbst abfielen, damit der neue Mensch sich in seiner Schönheit und Stärke zeigen könnte. Denn daß diese Kraft dem Evangelium immer noch einwohne, werden wir doch nicht leugnen, und daß, wenn solche Zeiten wiederkämen, auch dieselben Erscheinungen wiederkehren würden, warum sollten wir das nicht glauben? Nun aber, m. a. Fr., wenn wir sehen, wie der Apostel hier die Christen ermahnt, auszuziehen den alten Menschen mit seinen Werken, und wir sehen, wie er sich über Alles das ausläßt, was die beiden Hauptzweige der verkehrten Richtung des Menschen sind, nämlich auf der einen Seite die Gewalt der Sinnlichkeit und alle ihre den Menschen entehrenden Erscheinungen, und auf der andern Seite den Mangel der Liebe, vermöge dessen der natürliche Mensch sich zum Streit und zu heftigen Trieben gegen Andere erbittern läßt, und fragen nun, was haben denn die Ermahnungen des Apostels für einen Ton: so sehen wir, wie er doch gar nicht auf eine leidenschaftliche Weise in dieser Beziehung gegen die Christen eifert, sondern wie seine Ermahnung ist eine Ermahnung in aller Sanftmuth und Liebe; keinesweges also, als ob er erstaunt und auf leidenschaftliche Weise aufgeregt wäre durch diese Unvollkommenheit, sondern indem er sagt, gleichsam als ob es sich von selbst verstände, daß sie weiland gewandelt seien in allen den Aeußerungen | des alten Menschen, die er hier namhaft macht, so lange sie nämlich noch in dem Unglauben lebten, so lange die Erkenntniß Gottes in Christo noch nicht an sie gekommen war: so sagt er nun auch nur, daß um solcher bösen Aeußerungen des irdischen Menschen willen der Zorn Gottes komme über die Kinder des Unglaubens. Aber zu solchen zählt er sie nicht, indem er doch voraussetzt, daß sie mit Christo

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gestorben seien und mit Christo auferstanden, und also Christus ihr Leben und er hält ihnen also auch keinen Zorn Gottes vor, welcher über sie kommen würde. Erscheint uns das nicht auch als ein Mangel an rechtem kräftigen apostolischen Eifer, als zu große Schonung in Beziehung auf das Amt, welches der Apostel hatte und Alle, durch die der Geist Gottes redete, nämlich die Welt zu strafen in Beziehung auf die Sünde? Ja es ist noch Eins, was uns auffallen könnte, nämlich, daß er auf solche Weise zu den Christen redet, als ob es ihr eigenes Werk sei, den alten Menschen auszuziehen und den neuen Menschen anzuziehen, da doch eben unsere Ueberzeugung, die er auch selbst anderwärts so stark ausspricht, von dem natürlichen Verderben und der Schwäche des Menschen uns immer darauf führt, daß es nicht das Werk des Menschen sei, sondern das Werk Gottes, von dem, wie der Apostel sagt, allein kommt das Wollen und das Vollbringen. Wir sehen also, m. g. Fr., wir sind mit ihm einig in Allem, was der Grund unsers Glaubens ist, und doch tritt er hier auf eine in mancher Hinsicht ganz andere Art auf, als viele Christen es erwarten von einem Verkündiger des Evangeliums, und als viele Christen glauben, daß es allein recht sei. So lasset uns denn sehen, wie die Art, in welcher der Apostel sich äußert, doch zusammenstimmt mit denselben Grundsätzen, von welchen er, und von welchen auch wir ausgehen. | Zuerst also, m. a. Fr., wenn der Apostel geredet hätte zu solchen, in welchen er noch keine andere Kraft als ihre eigene voraussetzen konnte: dann würde er wol auf eine andere Weise geredet haben, als wie er hier zu ihnen redet, daß dem Menschen gebühre, den alten Menschen, die Glieder, die auf Erden sind, auszuziehen und sich mit dem neuen Menschen zu bekleiden; aber eben deswegen, weil er sie nicht als solche ansieht, sondern als solche, die schon wenigstens in den ersten Anfängen des neuen Lebens begriffen sind, als solche, in welchen Christus schon angefangen hat zu leben, aber in denen nur das neue Leben noch nicht vollkommen genug sich gestaltet hat: so redet er sie an unter Voraussetzung dieser Kraft, die, wenn gleich in Einigen mehr, in Andern weniger, doch in Allen wirksam sei. Sehet da, m. g. Fr., das ist die Art, wie der Apostel eine Gemeine von Christen ansieht und behandelt, von der er keine unmittelbare Anschauung hatte und keine Kenntniß der Einzelnen, aber von welcher er wußte, daß in ihr der Name Christi anerkannt sei, daß in ihr das Evangelium gehört werde, daß sie angenommen habe die Lehre vom Reiche Gottes. Hätte er sich nun zugetraut, genau unterscheiden zu können diejenigen, in welchen in Vergleich mit Andern betrachtet, das neue Leben schon begonnen hatte und größere Fortschritte gemacht, und wieder die, zu denen es eigentlich noch nicht mit seiner lebendigen Kraft durchgedrungen wäre: dann hätte er wol Ursache gehabt, seine Ermahnung an Beide auf verschiedene Weise 12–13 Vgl. Phil 2,13

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einzurichten; das finden wir aber nirgends, wo er an christliche Gemeinen schreibt, überall setzt er die Kraft des göttlichen Wortes und des göttlichen Geistes voraus; und wenn er hier sagt, sie sollten ihre Glieder, die auf Erden sind, tödten: so setzt er voraus, daß sie andere, nur noch nicht ausgewachsene und tüchtige, aber doch andere, die nicht auf Erden sind, schon hätten. | So wie es, m. th. Fr., mit jener Vorstellung von einer besondern Vollkommenheit der ersten Christen ist, daß wir auf der einen Seite mit großer Liebe an jenem Bilde hängen, aber auf der andern Seite uns überzeugen müssen, daß nicht die rechte Wahrheit darin ist: so geht es uns auch in dieser Beziehung. Alle Christen, wenn sie in sich selbst gehörig unterscheiden den alten Menschen und den neuen Menschen, das Werk der Natur und das Werk der göttlichen Gnade in Christo, dieses neuen schöpferischen göttlichen Athems, der in das menschliche Geschlecht ausgegossen ist in seinem Geist, Alle, die dies im Großen und Ganzen unterscheiden, haben natürlich auch ein Bestreben, dies zu unterscheiden im Einzelnen; möchten sich gern in einem höhern Grade von inniger Liebe denen anschließen, von welchen sie die wahre Ueberzeugung haben, daß dies Leben in ihnen sei; möchten sich aber auch zurückziehen, nicht aus Haß oder Widerwillen, sondern aus Vorsicht, um ihr eigenes noch schwaches geistiges Leben zu schonen, von denen, von welchen sie dasselbe mit Sicherheit wissen, und wären dann freilich wol geneigt, einen solchen Unterschied zu machen, wie der Apostel ihn hier nicht macht, der Alle auf dieselbe Weise anredet und von Allen dasselbe im Ganzen voraussetzt. Wenn wir nun daraus, meine g. Fr., uns eine Regel für unser eigenes Leben bilden sollen: so werden wir doch wol sagen, wir finden nicht, daß der Apostel uns mit dem Beispiel vorangegangen sei, in einer christlichen Gemeine, in diesem Zusammenhang derer, die den Namen des Herrn bekennen, einen solchen bestimmten Unterschied der Einzelnen zu erkennen und, als ob wir dazu berufen wären, das Gericht zu halten, oder unterscheiden zu wollen den Einen, der sich im Stande der Gnade und unter der Arbeit des göttlichen Geistes befinde, von einem Andern, bei dem das nicht der Fall ist; sondern wie er voraussetzt, daß das Leben Christi überall sei unter ihnen, – aber freilich in Vielen mochte es | noch sehr verborgen sein: – so macht er einen solchen Unterschied zwischen den Einzelnen nicht. Wenn wir nun nicht leugnen können, m. g. Fr., daß wir alle noch derselben Ermahnung des Apostels bedürfen, die Glieder, welche auf Erden sind, auszuziehen, wenn sich jeder bewußt ist, daß es noch Augenblicke gibt, wo sich das Leben Christi wenigstens in ihm verbirgt, so daß, wer in diesen Augenblicken in sein Inneres schauen würde, es auch nicht erblicken könnte: so müssen wir wol sagen, daß eben deswegen wir nicht geschickt sind, ein solches Urtheil zu sprechen, wodurch wir die Einzelnen der einen Art von den Einzelnen der anderen Art unterscheiden; sondern die große

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Regel, die der Apostel ausspricht, daß überall, wo der Name Christi bekannt wird, auch die Wirksamkeit des göttlichen Geistes sei, die hat ihn überall gehindert, einen solchen Unterschied zu machen, und die soll auch uns verhindern, solche Unterscheidung zu machen zwischen denen, die den Namen Christi bekennen, und zu behaupten, der sei schon ein Kind Gottes, und der sei es nicht. Denn wenn wir auch noch so sehr im Leben der Christen finden solche Werke, die wir nicht anders können als den Gliedern auf Erden zuschreiben, von welchen wir sagen müssen, sie gehören offenbar zu dem alten Menschen, der mit seinen Werken ausgezogen werden soll: nun, so sehen wir, wie der Apostel die Christen alle noch immer ermahnt, den alten Menschen auszuziehen. Und wie er dies nicht so darstellt als eine Sache, die in einem Augenblicke gethan wäre, – denn sonst hätte er voraussetzen müssen, daß sie ihn Alle schon ausgezogen hätten, – sondern es ist seine fortgesetzte Ermahnung und eine Sache, von der er voraussetzt, daß sie niemals ganz auf dieser Erde wird erreicht werden: so werden wir auch, wenn Christen uns noch nicht von dem neuen Leben in Christo ganz durchdrungen zu sein scheinen, nicht daraus auf einen gänzlichen Mangel des Geistes schließen können, sondern nur darauf, daß sie noch nicht im Stande | gewesen sind, sich der Glieder, welche auf Erden sind, ganz zu entledigen, daß sie noch auszuziehen haben den alten Menschen und den neuen anzuziehen. Darum redet der Apostel sie auch an, daß sie das selbst thun sollen; nicht vermöge des alten Menschen selbst, ermahnt er sie, daß sie ihre alten Glieder ausziehen sollten, sondern vermöge des neuen, und weil er die Lebenskraft desselben in ihnen voraussetzt. Darum, m. g. Fr., ist das, was wir vorher mit einander gesungen haben, auch unser gemeinsames Bekenntniß. Das kann sich jeder aneignen, daß er noch ringe, das Leben aus Gott zu vollenden; aber deswegen soll er auch mitfühlen, daß es sich jeder Andere aneignen könne; denn überall in der Gemeinschaft der Christen waltet dieses Leben, und es ergreift auf verborgene Weise Einen nach dem Andern von denen, die gesammelt sind zu der Heerde des Erlösers, so daß man den Anfang nicht bestimmen kann, noch vorhersagen wie nahe oder fern jeder dem Ziele ist; aber nirgends haben wir Ursache vorauszusetzen, daß es ganz fehle. Und darum findet in der Gemeine des Herrn solche gegenseitige Ermahnung, darum findet solche gegenseitige Unterstützung statt; denn der Apostel richtet seine Ermah1–2 Schleiermacher denkt vermutlich an 1Kor 12,3. 25–27 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 483: „Ich soll zum Leben dringen“ (Melodie von „Valet will ich dir geben“), bes. Strophen 4 und 5: „O Gott, auch mich verlanget in deinem Reich zu seyn; doch meine Seele hanget noch nicht an dir allein. Den Himmel möcht’ ich erben, doch lieb’ ich noch die Welt. O Herr, welch ein Verderben, das mich gefangen hält! // Ich wandl’ auf deinem Wege, doch unstätt ist mein Sinn; bald werd’ ich matt und träge, bald schleich’ ich muthlos hin. Zum Ziele möcht ich dringen, doch schlummr’ ich oftmals ein; ich lasse nach, zu ringen, und will doch Sieger seyn.“

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nung nicht an jeden Einzelnen besonders, sondern es ist eine gemeinsame, und darum ist auch das Werk, den alten Menschen auszuziehen und den neuen anzuziehen, nur ein gemeinsames, und darum wirkt auch von denen, die schon Fortschritte gemacht haben in dem neuen Leben, die Kraft desselben immer stärker auf alle Andere, und darum sollen wir nicht glauben und uns nicht einbilden, als ob es irgendwo ganz und gar fehle. Wenn nun der Apostel seine Ermahnung damit schließt, daß er sagt, „sie sollten den neuen Menschen anziehen, der da verneuert wird zu der Erkenntniß nach dem Ebenbilde deß, der ihn geschaffen hat; da nicht ist Grieche, Jude, Beschneidung, Vorhaut, Ungrieche, Scythe, | Knecht, Freyer, sondern Alles und in Allem Christus:“ so möchte ich darüber uns nur noch dies ans Herz legen. Einmal dürfen wir freilich nicht daraus schließen, daß die Meinung des Apostels die sei, daß zuerst müßte der alte Mensch ausgezogen werden, und dann der neue Mensch angezogen, sondern umgekehrt ist es der eigentliche wahre Gang der Heiligung des Menschen; durch die Werke des Geistes werden die Werke des Fleisches ertödtet, und so sehen wir, daß die sich immer getäuscht haben, welche als auf ein besonderes Werk darauf ausgegangen sind, eben diese Glieder des Fleisches zu ertödten, welche gegen ihre Natur auf besondere Weise angekämpft haben, sondern nur mit den Werken des Geistes und durch dieselben werden diese Werke des Fleisches auf die wirksamste Weise getödtet, und nur durch die lebendige Thätigkeit des neuen Menschen wird der alte immer mehr ausgezogen. Durch jenes absichtliche und besondere Bestreben entstehen dann immer, wie wir es ja von alten Zeiten als eine große Verunreinigung kennen, auch besondere Werke, welche lediglich auf die Ertödtung des Fleisches abzwecken sollen, besondre Uebungen, welche an sich keinen Nutzen haben, aber von welchen wir eine solche erwarten. Das ist aber nicht die rechte Art, eben weil das immer nur die Werke des Gesetzes, weil es nur äußere Uebungen sind; aber je mehr wir uns zu den Werken des Geistes gewöhnen, je kräftiger wir als Christen unsern Beruf in allen Verzweigungen des Lebens zu erfüllen trachten, wo der neue Mensch findet ein Werk Gottes, dies ansieht als eins, das er zu verrichten hat, je mehr wir darauf sehn und dieses uns vorhalten: um desto mehr werden die Glieder, die auf Erden sind, ersterben, indem es ihnen an Nahrung fehlt, wenn wir gleichsam vergessen wollen, was auf Erden ist, und nach dem trachten, was droben ist. Das ist die natürliche Ordnung, die der Apostel auch nicht hat umkehren wollen; sondern wenn er seine Ermahnung so stellt: so ist seine Mei|nung die, daß wir erkennen sollen, daß der alte Mensch in der That noch nicht ganz ausgezogen ist und ertödtet, aber die Kraft, jene Glieder immer mehr ersterben zu lassen und den alten Menschen auszuziehen, ist nur in der regsten Thätigkeit, in der von dem Glauben und der Liebe ausgehenden Thätigkeit des neuen Menschen.

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Wenn der Apostel nun ferner sagt, „der neue Mensch sei die Verneuerung zu der Erkenntniß nach dem Ebenbilde deß, der ihn geschaffen hat:“ so ist der Sinn seiner Worte eigentlich der: der so erneuert wird, daß man an ihm das Ebenbild dessen, der ihn erschaffen hat, erkennen kann. Wenn wir nun wissen, m. th. Fr., daß alle die gesegneten Wirkungen des Evangeliums ursprünglich doch nur ausgegangen sind davon, daß die Menschen nicht umhin konnten, in Christo die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater zu erkennen, daß der Glaube und die Richtung der Menschen auf ein höheres geistiges Leben immer wieder darauf zurückgeht, daß er der Name ist, in dem allein den Menschen das Heil gegeben ist, und daß aus den Zügen seines Bildes immer nur die rechte Lust an der Gestaltung des neuen Menschen entstehen kann: so sehen wir, wie der Apostel hier den neuen Menschen darstellet von der Seite seiner kräftigen Wirksamkeit in dem Reiche Gottes. Werden wir so erneuert, daß an uns das Ebenbild Gottes, nach welchem der neue Mensch geschaffen ist, das Ebenbild Christi, als der Offenbarung des eingebornen Sohnes vom Vater, zu erkennen ist: so wird auch durch unser Leben das Reich Gottes befördert; und das gilt wieder nicht von den Einzelnen, sondern von der Fülle der Kraft und Tugend, welche sich gemeinschaftlich in Allen denen, die der Gemeine des Herrn angehören, offenbaret, ohne daß der Einzelne etwas wäre, sondern nur insofern als wir uns erkennen als die Glieder des Leibes Christi; denn in dieser Gemeine sind wir nicht jeder ein Leib, sondern nur zusammen | Ein Leib, und jeder ist nur ein Glied davon, welches dem Ganzen angehört. Und darum sagt der Apostel, in diesem neuen Menschen sei nun nicht Grieche noch Jude, und was für Verschiedenheiten er noch mehr hier aufführt, die ich eben wiederholt habe. Wir wissen aus andern Stellen seiner Briefe, wie der Apostel immer sich bezieht auf jenen verschiedenen Ursprung der Christen, daß Einige hinzugethan wären aus dem alten Volke Gottes, und Andere unmittelbar aus den Heiden, und er freut sich, so oft er daran denkt, daß auf diese Weise durch die verbindende Kraft, die in Christo ist, aus diesen beiden, die immer einander widerstrebt hatten, nun Eine Gemeine geworden ist; und wir wissen, wie er Heiden und Juden an sich betrachtet, als gleich bedürftig der Erlösung ansieht und als gleich ermangelnd des Ruhms, den sie bei Gott haben sollen. Hier aber zählt er uns viele Verschiedenheiten auf, so daß dieses hier wol nicht der Gesichtspunkt ist, von dem er ausgegangen ist, sondern es ist ein anderer. Nämlich wenn wir bedenken, wie die Menschen in verschiedene Kreise getheilt sind, von denen jeder wieder mehr unter sich zusammenhängt, seine eigene Sittlichkeit, seine eigenen Gebräuche hat: so finden wir da nur verschiedene Gestaltungen des alten Menschen; jede solche Abtheilung, wie der Apostel sie hier darstellt, Grieche, Jude, Ungrieche, Scythe, Knecht, Freier, jede hat ihre eigene Vor7–8 Vgl. Joh 1,14 9–10 Vgl. Apg 4,12 26–29 Vgl. etwa Eph 2,11–21; auch Gal 3,26–29 32–33 Vgl. vor allem Röm 1,18–3,31 33–34 Vgl. Röm 3,23

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stellung, ihre eigene Schaam wie ihre eigene Ehre; immer aber ist dieses die Wirksamkeit der Glieder, die auf Erden sind. Wenn er nun sagt, daß in Christo der alte Mensch immer mehr verschwinden soll: so führt dies darauf, daß, wie der Geist der Christen für Alle nur Einer ist, so sie alle auch einen gemeinsamen Maaßstab haben sollen für alle Werke, die sie verrichten, wo dann die verschiedenen Wirkungsarten der Menschen in diesem Leben nicht mehr eine Verschiedenheit darstellen, und keiner sich ansehen soll als einer anderen Regel des Handelns unterworfen als der Andere, sondern Alle unter einander verbunden sind zu | Einer Liebe, die da ist das wahre Band der Vollkommenheit, eben weil Christus Alles und in Allen ist. Und so soll aus diesen Verschiedenheiten immer mehr zusammenwachsen die Gemeine Christi zur Gleichheit des vollkommenen Mannesalters Christi, darin das Ebenbild dessen, nach dem wir geschaffen sind, immer vollkommner erkannt wird, damit der alte Mensch immer mehr ausgezogen wird, und der neue Mensch Kraft und Leben gewinnt, und immer mehr sich das Leben entwickele, das das Ebenbild Gottes darstellet, und immer mehr überhand nehmen die Werke des Geistes und die Werke des Fleisches ertödtet werden. Das, m. g. Fr., ist der Weg, den wir alle gemeinsam mit einander zu gehen haben, auf dem wir uns alle der gleichen Unvollkommenheit bewußt sind, aber auch der gleichen Quelle, aus der wir schöpfen können die Kraft, die wir durch Christus für das Leben in Gott gewonnen haben, und in welcher wir immer mehr verklärt werden von einer Klarheit zur andern, und sehen es im Geiste voraus, wie immer mehr Alles in Allen Christus wird, wie immer mehr der wahre Geist des Evangeliums überhand nehmen wird, und Alle in Einer Liebe und Einem Glauben vereinigt werden zu Einem Leibe, wodurch sein Ebenbild von einer Zeit zur andern immer deutlicher erkannt wird. Aber darum müssen wir uns auch mit einander vereinigen und niemals aufhören, den alten Menschen auszuziehen mit seinen Werken und den neuen anzuziehen, und darin allein die Bestimmung unsers Lebens suchen, daß in diesem neuen Menschen erkannt werde das Ebenbild dessen, welcher der Herzog der Seligkeit ist und der Anfänger und Vollender unsers Glaubens, und in welchem und durch welchen zum Ebenbilde Gottes die Gemeine Christi sich gestalten soll, daß seine Herrlichkeit um sie her leuchte in unvergänglicher Klarheit. Das Höchste aber wird immer dieses sein, wie der Apostel sagt, daß Alles und in Allen ist Christus. Amen. Lied 478, 5. 6.

9–10 Kol 3,14 32 Vgl. Hebr 2,10 32–33 Vgl. Hebr 12,2 37 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 478: „Herzog unsrer Seligkeiten“ (Melodie von „Eins ist Noth, o Herr, dies Eine“)

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Am 15. Mai 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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Exaudi, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 3,12–17 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 337–349, Nr. XII; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 674. Tex t . Colosser III, 12–17. „So ziehet nun an als die Auserwählten Gottes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth, Sanftmuth, Geduld; und vertrage Einer den Andern, und vergebet euch unter einander, so jemand Klage hat wider den Andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Ueber Alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Gottes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in Einem Leibe und seid dankbar. Lasset das Wort Christi reichlich unter euch wohnen in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, und singet dem Herrn in eurem Herzen. Und Alles was ihr thut mit Worten und mit Werken, das thut Alles in dem Namen des Herrn Jesu und danket Gott und dem Vater durch ihn.“

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M. a. Fr. So reich auch die verlesenen Worte sind – und allerdings viel zu reich für eine einzelne solche kurze Betrachtung! – so habe ich sie doch diesmal zusammenfassen | wollen, weil der Apostel darin das, was er vorher gesagt hatte im Allgemeinen, daß sie sollten den neuen Menschen anziehen, der da erneuert wird zu der Erkenntniß nach dem Ebenbilde deß, der ihn geschaffen hat, da nicht ist irgend ein Unterschied des Volks oder des Standes, sondern Alles und in Allem Christus, – weil er dies nun im Einzel1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 674: „Herz und Herz, vereint zusammen“ (Melodie von „O du Liebe meiner Liebe“) 18–22 Vgl. Kol 3,9–11

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nen darlegt, indem er alle diese verschiedenen Verhältnisse der Menschen unter einander in ihrem gemeinsamen Leben ins Auge faßt. Auf die jetzt vernommenen Worte folgen hernach die Ermahnungen des Apostels, die sich auch auf das Anziehen des neuen Menschen beziehen, aber die innern Verhältnisse des häuslichen Lebens zum Gegenstande haben; und diese wollen wir in unserer folgenden Betrachtung uns ans Herz legen. Hier aber in den Worten, die wir mit einander vernommen haben, hat der Apostel die ganze Gemeine als solche im Auge und die wesentlichsten Verhältnisse des Einen gegen den Andern. Wir sehen, wenn wir es genauer durchgehen, wie er dabei zuerst auf die Ungleichheit der Menschen in ihren geselligen Verhältnissen sieht und darlegt, was in dieser Beziehung die Werke und Eigenschaften des neuen Menschen seien; dann betrachtet er die Christen in ihrem eigentlich christlichen Zusammenleben, was das vermöge der Eigenschaften des neuen Menschen jedem austrage, und wie jeder zur Verbesserung des Andern beitragen soll; zuletzt aber faßt er Alles zusammen in Einer gemeinsamen Regel für einen Jeden, indem er jeden für alle diese verschiedenen Verhältnisse auf unsern Herrn und Erlöser hinweiset. Das ist es also, was wir näher mit einander zu betrachten haben. Wenn nun also der Apostel in der ersten Beziehung sagt, „sie sollten als die Auserwählten Gottes anziehen herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth, Sanftmuth und Geduld:“ so sehen wir, was ich eben gesagt habe, wie er hier auf die Ungleichheit der Menschen in ihren geselligen Verhältnissen sieht; denn wo es nicht einen Gegensatz | gibt zwischen Glücklichen und Unglücklichen, zwischen solchen, die sich wohl befinden und für sich allein zu sorgen vermögen, und wieder von solchen, welche der freundlichen Zusprache und Sorge Anderer bedürfen: da kann von herzlichem Erbarmen nicht die Rede sein; wo es nicht eine Ungleichheit gibt in Beziehung auf das, was der Mensch kann für sich und Andere, was er ist in seinem ganzen Vermögen: da kann es auch keine Demuth geben; und wo es nicht Verhältnisse gibt, durch welche die Menschen gereizt werden, aus der natürlichen Stimmung herauszutreten: da ist kein Ort für Sanftmuth und Geduld. Wenn wir nun fragen, m. g. Fr., was ist das Gemeinsame in diesen Werken des neuen Menschen, von welchen der Apostel hier redet? so ist das Hülfreiche, das Aufhebende, was jeder, der etwas voraus hat, dem Andern leisten soll, das, was er auf mannigfaltige Weise ausspricht. Dabei ist allerdings allemal das Mitgefühl für den Zustand des Andern der erste Grund, von welchem alles Andere ausgeht; wo das nicht ist: da kann natürlicher Weise auch nicht das rechte Erbarmen sein; wo jeder so ganz mit sich beschäftigt, in seinen eigenen Zustand vertieft, auf seine eigenen Entwürfe und Handlungen beschränkt ist, daß er den Andern gleichsam übersieht: da gibt es nicht Erbarmen, noch Freundlichkeit, noch Demuth, noch viel weniger kann da zu rechnen sein, wenn solche Verhältnisse eintreten, die sie erfordern, auf Sanftmuth und Geduld. Aber nicht nur diese Ungleichheit

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schwebt dem Apostel vor Augen, sondern auch, daß es nicht fehlen kann unter Menschen, die in solcher Ungleichheit und in einer Mannigfaltigkeit von Geschäften und Verhältnissen leben, an allerlei Streit und Uneinigkeit. Darauf gehet das: „vertraget Einer den Andern und vergebet euch unter einander, so jemand Klage hat wider den Andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr;“ und in dieser Beziehung scheint es nun wol, als ob in unserm Leben ein bedeutend anderes Verhältniß statt | fände als damals. Damals waren die Christen in kleine Häuflein gesammelt, und die Gemeine des Herrn fing an, sich von unten herauf zu erbauen; diejenigen, welchen oblag, die menschlichen Dinge in Ordnung zu halten, gehörten nicht zur Gemeine des Herrn, und eben darum finden wir an manchen Stellen Ermahnungen des Apostels an christliche Gemeinen, worin er sie tadelt, daß sie ihre Streitigkeiten nicht unter einander schlichteten, sondern ihre Zuflucht nähmen zu den Ungläubigen, welche zu Gericht säßen. Alles, was hieher gehört, damit hat es unter uns eine ganz verschiedene Bewandtniß. Es ist nicht möglich bei den verwickelten Lebensverhältnissen, da die menschlichen Angelegenheiten fortschreiten auf mancherlei Weise, während die Gesetze bleiben, – da kann es nicht fehlen an schwierigen Fällen, wo der Eine so, der Andere anders das Recht beurtheilt, und da muß es denn Streit geben. Aber wir können dann nicht eben solche Nothwendigkeit haben, uns unter einander einzeln zu vertragen, wie es der Apostel hier erwartet; denn häufig kann der Fall eintreten, daß beide Theile nicht das Rechte und Gesetzmäßige finden, und wir können es Christen heut zu Tage nicht zum Vorwurf machen, wenn sie ihre Zuflucht nehmen zu denen, welche eingesetzt sind, um das Rechte in streitigen Fällen zu finden. Denn es ist eine wichtige Sache, daß das Recht jedesmal den streitigen Fällen angepaßt wird, nicht nur, damit die Streitenden zu einer genügenden Entscheidung kommen, sondern daß Alle einen Gewinn davon haben, welches nicht geschehen kann dadurch, daß zweie sich mit einander vertragen, sodann dadurch, daß der Streit selbst ins Klare gesetzt, die Ordnung sicher gestellt, und ein Maaß gegeben wird für ähnliche Fälle, wonach sich auch Andere entscheiden. Darum ist bei uns, wenn zweie sich mit einander streiten, die Einrichtung, daß die Entscheidung gegeben wird durch einen Dritten, der dazu gesetzt ist, und daß dieses für besser gehalten wird, als wenn sie es thun unter sich selbst. Und wenn sie nur nicht | auf hartnäckige Weise das Ihre suchen, sondern wenn der Grund davon dieser ist, daß sie die Angelegenheit behandeln als eine Verhandlung, um die gegenseitige Ansicht von dem, was rechtmäßig ist in dem Verkehr der Menschen, aufs Neue festzustellen, und die Lücke, welche sich da findet in der Erkenntniß des Rechten, auszufüllen, und durch einen solchen Fall ein Licht anzuzünden für eine Menge von künftigen: so scheidet der Streit die Liebe nicht, und 3 Verhältnissen] Verhältnisse

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wir können nicht sagen, daß dies gegen den christlichen Geist wäre, so es nur davon ausgeht, daß man nichts will als das Wahre und Rechte. Ein Anderes ist es freilich, was der Apostel meint, indem er die Christen ermahnt, sie sollen sich vergeben unter einander, gleichwie Christus ihnen auch vergeben hat, indem Einer eine Klage hat gegen den Andern; denn wo nur ein Streit ist in Beziehung auf die richtige Anwendung des Gesetzes auf die Verhältnisse der Menschen: da ist keine Ursach zum Vergeben, denn da hat Keiner gefehlt; wo jeder handeln will nach dem, was er für Recht hält: da ist kein Fehler, welcher vergeben zu werden braucht; wo aber von einem Vergeben die Rede ist: da wird eine Beleidigung, eine Beeinträchtigung vorausgesetzt, wobei nicht immer eine wirkliche Handlung, sondern eine Aufregung des Gemüths, die nicht in der Liebe ihren Grund haben kann, ein selbstsüchtiges Erheben des Einen gegen den Andern zum Grunde liegt. Und da freilich ist es eine ganz andere Sache, und da müssen wir jetzt eben so wie damals sagen, daß Christen nichts geziemt, als daß sie sich unter einander vergeben, wenn Einer eine Klage hat wider den Andern. Denn dabei kommt zu Tage die menschliche Schwäche, welche noch nicht ganz gebeugt ist unter das Gesetz des neuen Lebens; und weil jeder dann weiß, daß auch er noch mangelhaft ist in diesem Punkt, daß auch in ihm ein Streit ist zwischen Geist und Fleisch, trete er nun so oder auf andere Weise heraus, habe er ihn mehr zu empfinden in seinem Verhältniß | zu Andern oder in seinem eigenen Leben: so geziemt sich da immer, daß wir einander gleich stellen, und weil wir wissen, wir befinden uns in demselben Fall, auch keinen Unterschied machen, ob nur der Andere gegen uns gefehlt hat, oder wir auch gegen ihn; und wir müssen, wo wir ein Aufregen des Fleisches gegen den Geist merken, diesem zu Hülfe kommen, aber nicht durch unsere eigene Aufregung die der Andern nur noch vermehren. Darum führt der Apostel hier zurück darauf, daß er sagt: „vergebet euch unter einander, so jemand Klage hat wider den Andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr.“ Wenn Christus nicht überall anfinge zu vergeben: so könnte auch unmöglich eine Lebensgemeinschaft mit Christo statt finden, so könnte er in keinen von uns einziehen und Wohnung bei ihm machen, um durch seine höhere Kraft das neue Leben in uns zu begründen, das uns mit Gott wieder vereinigt; sondern überall muß er bei jedem mit dem Vergeben anfangen, und so hört es nicht auf, daß er nicht immerfort noch Vieles zu vergeben hätte, so lange bei uns noch etwas ist, was nicht aus seinem Leben hervorgeht; denn dadurch geschieht ihm Unrecht, wenn wir wollen für solche gehalten werden, die ihm leben, aber dadurch das Urtheil der Menschen irre führen, wenn wir immer noch etwas in uns tragen, was nicht für ihn Zeugniß ablegt, sondern wider ihn. Und eben deswegen, weil es uns immer nur darauf ankommen soll, sein Leben in den Menschen zu fördern: so sollen wir auch Andern zu Hülfe kommen in allen den Fällen, wo wir selbst zu vergeben haben; und das ist die rechte

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christliche Liebe, welche der Schwachheit der Menschen zu Hülfe kommt, um die Kräfte des neuen Menschen zu stärken, und dazu die Veranlassung nimmt in jedem Verhältnisse des Lebens, von dem eben so gut, was Andere gegen uns gefehlet haben, als was wir gegen Andere gefehlet haben. Darum soll es keinen Unterschied geben, sondern wie uns das am Nächsten liegt, was der | Andere gegen uns gefehlet hat: soll es uns auch die reichste Veranlassung geben, ihn in dem neuen Leben zu stärken, indem wir mit dem Vergeben anfangen und ihm unsere hülfreiche Hand darbieten. Darum weiß nun der Apostel dies nicht anders zusammenzufassen und nicht besser, als, indem er sagt: „über Alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.“ Darin faßt er Alles, was er bisher gesagt, zusammen, und aus der Liebe allein läßt sich auch alles Einzelne, was er bisher angeführt hat, erklären, und alles Andere ist nur insofern, was es sein soll, als es eine Aeußerung der Liebe ist. Wenn wir uns ein Erbarmen denken, das nicht aus der Liebe herrührt, sondern nur daher, daß wir das Bild des Leidens und den Anblick des üblen Zustandes Anderer los zu werden wünschen: so ist das nicht das des Apostels; wenn es eine Freundlichkeit gibt, die sich nur einschmeicheln will: so ist das nicht die des Apostels; wenn es eine Demuth gibt, die nicht die rechte und wahre ist – denn die kommt allemal aus der Liebe her – sondern eine, durch die Einer sich desto mehr geltend machen will bei Andern, indem er sich scheinbar herabsetzt, was eben die heuchlerische Demuth ist, die wir oft antreffen: so ist das auch nicht die des Apostels; und eben so gibt es auch eine Sanftmuth und Geduld, die nicht in der Liebe ihren Grund hat, sondern in der Betrachtung, daß das doch der leichteste Weg ist, auf dem man am ersten das Unangenehme überwindet und das Widerstrebende entfernt. Darum sagt der Apostel: die Liebe ist das Band der Vollkommenheit, d. h. sie ist das Band, wodurch alle Unvollkommenheiten ausgeglichen werden, wodurch alle menschliche Verhältnisse veredelt werden, wodurch Alle gegen einander in das rechte Verhältniß gesetzt werden, welche in allen Fällen das Einzige ist, was in der That und Wahrheit den neuen Menschen darstellt; und dann aber weiter ist sie das, was allein | zur Vollkommenheit führt, die alles das, was sich zeigt als falsch und unächt, was nur den Schein des neuen Menschen an sich trägt, aber nicht den wahren Geist desselben, wie ich es vorher namhaft gemacht habe, die alles das überwindet; sie ist es, durch die jeder trügerische Schein verschwindet, und durch welche der alte Mensch fühlt, daß er keine Gewalt mehr hat unter den Menschen, durch sie allein werden alle Schwachheiten überwunden und sie gibt uns die beständige Aufforderung, zu wachsen in jeglicher Vollkommenheit, die zu dem Leben des neuen Menschen gehört. Und eben deswegen, weil wir nur dadurch Andern hülfreich sein können und unser Verhältniß zu unsern Brüdern nach dem heiligen Willen Gottes ausfüllen: so ist sie das für alle Fälle ausreichende, das alle Verhältnisse des Lebens umfassende Band, welches

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die Menschen einigt, und in dieser Vereinigung sie gemeinsam dem angewiesenen Ziele zuführt. In Beziehung aber auf Alles, was sich auf das Streitige und Widerwärtige unter den Menschen bezieht, fügt der Apostel noch besonders hinzu: „und der Friede Gottes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in Einem Leibe und seid dankbar.“ Wenn wir fragen, m. g. Fr., was ist denn eigentlich der Friede Gottes: so ist uns der Ausdruck gar wol bekannt; wir verbinden aber bald mehr diese bald mehr jene Vorstellung damit, je nachdem der einzelne Fall ist, in welchem wir das Wort gebrauchen. Wenn wir es aber an und für sich betrachten: so scheint es ganz ungenügend zu sein. Friede setzt die Beziehung auf den Streit voraus; aber was soll der Friede Gottes sein, da in Gott gar kein Streit möglich ist? Wie kann Gott im Stande sein, uns den Frieden zur Anschauung zu bringen, da er der Einige ist ganz und gar, und es nichts in ihm gibt, was uns auf den Gedanken oder den Wunsch eines Friedens bringen könnte? Nun aber wissen wir, m. G., daß Gott sich für den Menschen | offenbaret in seinen Werken; wenn wir aber da fragen nach dem Frieden: gibt es etwa einen Frieden Gottes, welcher sich offenbaret in seinen Werken? So scheint es, als ob das den Ausdruck uns unklar macht, als habe er gar keinen rechten Sinn; denn in den Werken Gottes ist gar kein Friede, überall vielmehr Streit und Unfriede nur zu sehen; da geht jedes gegen das Andere, das Eine kämpft, um das Andere in Schranken zu halten; so ist es in den Elementen, der Natur, die uns umgeben, in dem ganzen Weltgebäude; überall finden wir nur den Streit. Und doch ist es eben dies, worin die rechte Kraft dieses Ausdrucks beruht; denn wenn wir sagen wollten, dieser Streit wäre das Wesentliche in den Werken Gottes: so müßten sie ja längst untergegangen sein; der Streit ist also nur die äußere Erscheinung, das Innere ist die Zusammenstimmung, die Gott ihnen gegeben, und die immer dieselbe bleibt; das ist der Friede. Und das ist die Art, wie wir den Ausdruck anzuwenden haben in unserm Leben. Wir können uns nicht hüten vor allem Streit; denn einmal ist der gemeinsame Streit, den wir haben, der des Lichtes gegen die Finsterniß, der Kinder Gottes gegen die Kinder der Welt, von dem wir uns nicht losmachen können und sollen; und dieser ist nicht nur ein äußerer, sondern auch ein innerer; denn jeder hat den Feind in seinem eigenen Herzen, jeder hat nicht nur mit Andern, sondern auch mit sich selbst zu kämpfen. Und darum sagt der Apostel: „der Friede Gottes regiere in euren Herzen.“ Daß unser Inneres so bestimmt werde und Eins, wie wir nur denken, daß das höchste Wesen Eins ist, das ist das, wozu wir berufen sind, und darum soll der Friede Gottes in unsern Herzen regieren; wenn wir auch viel zu thun haben äußerlich, was dem Streit angehört, in unsern Herzen sollen wir einig sein nicht nur mit uns, sondern mit Allen, die zur Gemeinschaft mit dem Vater durch 9 welchem] welchen

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den Sohn berufen sind; darin soll Alles zusammenstimmen zu einer lieblichen und kräftigen Einheit. Das ist | der Friede Gottes, der in den Herzen der Menschen regieren soll. Wo finden wir nun diesen Frieden? In der That und Wahrheit finden wir ihn in Christo. Er stellt in der That und Wahrheit den Frieden Gottes dar, und darum ist er das Ebenbild Gottes; darum mußte er auch an dem Streit Theil nehmen, an dem Streit gegen die Sünden der Menschen, in welchem er den höchsten und vollendetsten Sieg erfochten hat, obgleich er äußerlich zwar unterlag; und wie er in diesem Streit, den er nach allen Seiten hinführte, innerlich immer derselbe blieb, nie aus dem Gleichgewicht der Seele gebracht wurde, nie aus seiner Richtung auf das Göttliche in allen seinen verschiedenen Handlungen herauskam: so ist er das wahre lebendige Bild des göttlichen Friedens, der sein Herz regierte. Und darum sagt der Apostel, daß wir zu diesem Frieden berufen sind „in Einem Leibe.“ In allen unsern mannigfaltigen Verhältnissen, wo sich so vielerlei Streit ergibt und immer aufs Neue entwickelt, sollen wir als Christen Ein Leib sein; aber das sind wir nur, insofern wir alle von Christo geleitet werden und immer auf das Ebenbild des Friedens Gottes, das sein Herz regierte, schauen; und weil wir durch ihn zu Einem Leibe gemacht sind: darum soll auch der Friede Gottes in unsern Herzen regieren. Ist das nicht der Fall: dann sind wir auch nicht Ein Leib; nur insofern der Friede Gottes ungestört in unsern Herzen waltet und allen Streit beherrscht, nur insofern sind wir wirklich der geistige Leib Christi, der wir sein sollen. Nun aber wendet sich der Apostel zu dem, was das eigentliche große Zusammensein der Christen als solcher betrifft, und sagt: „lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singet dem Herrn in eurem Herzen.“ Wenn wir in Christo eben diese Quelle des Friedens finden wollen: so gehöret dann freilich dazu, daß wir | ihn immer im Auge behalten, daß wir in Allem, was er gethan, in Allem, was er geredet, ihn uns immer mehr vergegenwärtigen, und das ist eben dieses, daß das Wort Christi reichlich unter uns wohne, aber nicht nur in jedem für sich allein, sondern daß Alle es haben als gemeinsamen Besitz, daß jeder dadurch immer mehr zurück geführt werde zu der lebendigen Erkenntniß des Friedens Gottes in dem, welcher die Quelle unsers Friedens ist. Dieses Wort soll reichlich unter uns wohnen in aller Weisheit, indem wir Alles, was Christus geredet und gethan hat, auf die richtige Weise in Beziehung auf unser Leben anschauen, indem wir uns immer mehr zu erkennen suchen, und einander in brüderlicher Liebe, in Freundlichkeit des Herzens und in lebendigem Wahrheitssinn überall auf Christus, auf sein Leben und seine Lehre, auf sein Wort und seine That, zurückweisen; und je mehr wir uns auf diese Weise seines Lebens in uns, des kräftigen Regiments des Friedens Gottes in unsern Herzen bewußt werden: desto mehr werden wir auch geneigt sein, das zu thun, was der Apostel ferner sagt, nämlich uns

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unter einander zu lehren und zu vermahnen mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, und zu singen dem Herrn in unserm Herzen, überall in der Einsamkeit und in der Gemeinschaft, jeder für sich und wo wir alle zusammenkommen, um dem allein die Ehre zu geben, von dem alle gute und alle vollkommene Gaben kommen, und indem wir für Alles dankbar sind, was er uns gegeben hat: werden wir zu gleicher Zeit Belehrung haben, damit wir immer reichlicher schöpfen aus seiner Fülle, und immer mehr die Liebe als das einigende Band der Vollkommenheit in die Herzen der Gläubigen ausgegossen wird, und unsere christlichen Versammlungen leite in Betrachtung des göttlichen Wortes, in gemeinsamem Gebet und in Gesang geistlicher lieblicher Lieder. Dazu soll dies Alles uns dienen. | Zuletzt aber fügt nun der Apostel hinzu die eigentliche Regel eines Jeden für sich selbst, wie er in allen diesen verschiedenen Beziehungen sein eigenes Leben leiten, und wie jeder das, was ihm vorkommt, prüfen könne, indem er sagt: „und Alles, was ihr thut mit Worten oder mit Werken, das thut alles in dem Namen des Herrn Jesu.“ Damit, m. G., hat es die Bewandtniß, nicht, daß wir etwa jedes, wozu wir Lust haben, und wozu ein Gedanke uns vorschwebt, in dem Namen Jesu thun können, und daß wir dann glauben, hätten wir das nicht in seinem Namen gethan: so wäre es nicht gut gewesen; sondern es gibt nur Einiges, was sich in seinem Namen thun läßt, Anderes aber nicht, und wir sollen nichts thun in Worten und Werken, als das, was sich thun läßt in seinem Namen. Was heißt aber das, etwas in seinem Namen thun? Es heißt nichts Anders als das, was wir thun, mit dem Bewußtsein thun, daß es dasjenige ist, was er uns auftragen würde unter diesen Umständen und in diesem Augenblick; denn dann thun wir es auf seinen Befehl, und wir haben nichts zu thun, als wovon wir überzeugt sind, es als seine Bevollmächtigten für die Förderung seines Reichs zu thun, und nichts Anders als dieses sollen wir thun und Alles auf die Weise, daß es in seinem Namen gethan sei. Hier sehen wir also, m. G., wie der Apostel den Unterschied gar nicht kennt, den so viele Christen zu machen pflegen, als ob es nur gewisse Gebiete des menschlichen Lebens gebe, die nach der Regel unsers Herrn und nach dem Gesetz der christlichen Gottseligkeit müßten gerichtet werden, andere aber gäbe es, die nach ganz anderm Maaße müßten gemessen werden. Davon weiß der Apostel nichts; sondern Alles, sagt er, was ihr thut mit Worten und mit Werken, sei ein solches, daß ihr es thun könnt im Namen Jesu. Und wenn wir betrachten, wie das Leben des Erlösers in aller Einfalt doch so vielfach gestaltet war, wie er sich nicht losgemacht hat von den geselli|gen Verhältnissen, wie er Theil genommen hat an der Freude wie an dem Schmerz seiner Brüder, wie er gelebt hat mit Menschen von 4–5 Vgl. Jak 1,17

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allerlei Art: so müssen wir sagen, wie bei ihm Alles aus Einem Stück war: so soll es auch bei uns sein, und wir können nicht sagen, daß es Einiges gebe, was uns obliege, das mit unserm Verhältniß zu ihm im Gegensatz wäre. Das gibt es nicht; denn dadurch würde die Einheit unsers Gemüths und der Friede unsers Herzens gestört werden; und das Erste, was bei uns feststehen muß, wenn wir wollen wahre Christen sein, ist dieses, daß Alles, was wir als Werk unsers Lebens betrachten, auch aus unserm Verhältniß zu ihm beurtheilt werden muß, daß es in der Verbindung mit ihm seinen Grund hat, und daß wir es verrichten in dem lebendigen Bewußtsein von unserm Zusammenhang mit ihm, und daß es uns zurückführt auf das, was er gewesen ist, und was er uns aufträgt. Das ist die rechte Einheit des Lebens, und wo die ist, da regiert auch der Friede Gottes in unserm Herzen; und wie das Leben Christi nichts Anders gewesen ist als Liebe: so ziehen wir, wenn wir Alles thun in seinem Namen, gewiß auch immer mehr an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und das ist unser Aller Beruf, die Schwäche der Brüder zu tragen, das Reich Gottes zu fördern, dem geistigen Leben Raum zu schaffen in uns und allen Andern, damit nirgends dem, was der Gemeine des Herrn gehört, Abbruch geschehe, damit sie immer mehr erstarke in dem neuen Leben und immer mehr zu dem Einem Leibe gedeihe, dessen Haupt Christus ist, wie wir alle die Glieder desselben sind, und er von dem Frieden Gottes regiert werde, der dann in unserm Herzen immer mehr regiert zu seinem Ruhm und Preis. Amen. Lied 652, 6.

23 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 652: „Herzen, wallt mit frohen Schlägen“ (Melodie von „Wachet auf, ruft uns die Stimme“); die sechste und letzte Strophe lautet: „Sieh! in Lieb’ und Dank ergossen sehn Christi Jünger und Genossen schon manches hohe Ziel erreicht. Leit’ auf alle ihre Pfade, o Herr, ein Bächlein deiner Gnade, das bis ins ewge Leben reicht. Sey mit uns fort und fort in allem Thun und Wort, und mit Allen, die deine Hand in jedem Land zum Bund’ auf deinen Sohn verband.“

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Am 29. Mai 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 11,32–33 (Anlehnung an die Festtagsperikope) Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. I Keine Drucktext Schleiermachers; Christliche Festpredigten, Bd. 2 (7. Sammlung) 1833, S. 489–508 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 562–573; 21843, S. 561–572. – Predigten. Siebente Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 360–374. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 2, 1873, S. 440–449 Keine

Predigten von Dr. F. Schleiermacher | Am Sonntage Trinitatis 1831. Lied 340, 1–5. 640.

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Text. Röm. XI, 32 u. 33. „Denn Gott hat Alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich Aller erbarme. O welch eine Tiefe des Reichthums beides der Weisheit und Erkenntniß Gottes!“ M. a. Fr. Diese Worte mit dem, was als unmittelbare Fortsetzung noch daran hängt, beschließen den ersten und größten Theil dieses so wichtigen Briefes. Der Apostel hatte darin, um den göttlichen Rathschluß zum Heil der Menschen recht auseinander zu sezen, von der Gewalt der Sünde gehandelt, wie sie, vom ersten Adam ausgegangen, sich verbreitet hat über das ganze Geschlecht der Menschen, so daß Alle dem Tode verfallen waren, dann von der Kraft des Glaubens und von 3 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 340: „Wer ist wohl würdig“ (Melodie von „Dir, dir, Jehovah“); Nr. 640: „Auf, auf, mein Geist! den Herrn der Welt zu loben“ (Melodie von „Jehovah ist mein Licht“) 8–9 Vgl. Röm 11,33b–36 12–14 Vgl. bes. Röm 5,12–18 14–1 Vgl. bes. Röm 6,4.8–11

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der Wiederbelebung, welche von dem andern Adam ausgeströmt ist, und von der Herrlichkeit, welche für die Menschen wieder aufging | durch die Sendung des Geistes, den Gott in die Herzen der Menschen ausgegossen hat, auf daß sie nicht mehr Knechte der Sünde seyn dürfen, sondern Knechte der Gerechtigkeit und Kinder Gottes. Zuletzt hatte er noch sein Herz ausgeschüttet über die Anordnung der Art und Weise, wie das Heil sich über das menschliche Geschlecht verbreiten sollte; er hatte gleichsam Thränen des Mitleids geweint vor den Augen seiner Leser über die Verblendung seines Volkes, welches den Herrn verwarf, aber theils hatte er auch darin die Weisheit und Liebe Gottes erkannt, indem er zeigt, wie das Evangelium, grade dadurch, daß es da nicht haftete, wo es zuerst gepredigt wurde, sich desto eher über andere Völker der Erde verbreiten konnte, theils stärkte ihn dies zu dem Vertrauen, daß auch das Volk, welchem der Herr angehörte, wenn auch zuletzt unter allen Völkern, doch auch werde versammelt werden zu ihm, und diese ganze Darstellung der göttlichen Ordnung des Heils schließt er mit den Worten: „ So hat Gott Alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich Aller erbarme. O welch eine Tiefe des Reichthums beides der Weisheit und der Erkenntniß Gottes.“ Wie nun diese Worte, m. a. Z., mit Recht gewählt worden sind zur Betrachtung der Christen für den heutigen Tag, fühlt wohl ein Jeder. Die festliche Hälfte unseres Jahres, beginnend mit der Vorbereitung auf die Erscheinung des Erlösers und mit der Feier seiner Geburt, nach nicht langer Zeit an diese anknüpfend die Betrachtung seines Leidens und Todes, dann die Freude an seiner Auferstehung und Verherrlichung hinzufügend und zulezt für die Erfüllung des großen Wortes dankend, daß | der Geist des Sohnes würde ausgegossen werden in die Herzen der Gläubigen, – diese Hälfte ist itzt vorüber; und alle jene festlichen Gegenstände fassen wir noch einmal zusammen an diesem Fest der Dreieinigkeit, wie die kirchliche Sprache den heutigen Tag benennt. Das Wesentliche nun an diesem Wort, welches unsere heiligen Bücher nicht kennen, kann nur das seyn, daß Gott in der That in Christo war, um die Welt mit sich zu versöhnen, und daß es kein anderer Geist ist, als der Geist Gottes, der, in unsere Herzen ausgegossen, ruft: Abba, lieber Vater! und daß es der weise Rathschluß Gottes ist, welcher Alles beschlossen hat unter den Unglauben, 2–3 Vgl. Röm 8,15–17 3–4 Vgl. Gal 4,6 4–5 Vgl. Röm 6,17f 5–10 Vgl. Röm 9,1–11,31 10–13 Vgl. Röm 9,22–24; 11,11f.22–25 13–16 Vgl. Röm 11,26–31 21–22 Nach der Perikopenordnung für die älteren preußischen Lande war Röm 11,33–36 als Epistellesung für das Trinitatisfest vorgesehen. 28–29 Vgl. Gal 4,6; ferner Röm 5,5; 2Kor 1,22 33–34 Vgl. 2Kor 5,19 35–36 Vgl. Gal 4,6; auch Röm 8,15

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damit er sich Aller erbarme. So laßt uns denn, indem wir auf Alles, was diesem Rathschluß Gottes angehört, noch einmal sehen, uns in die Gemüthsstimmung des Apostels versetzen und erwägen, wie die Betrachtung jener Ordnung des Heiles auch uns nothwendig zur Bewunderung der göttlichen Weisheit wird. Lasset uns zuerst näher ins Auge fassen, wie es das Wesen dieser göttlichen Ordnung des Heils und der Erlösung durch Christum ausmacht, daß Gott Alles beschlossen hat unter den Unglauben, und zweitens: wie darin am allermeisten die göttliche Weisheit anzuerkennen und zu bewundern ist. I. Was das Erste anbetrifft, m. g. Fr., so stellen uns die Worte des Apostels eine allgemeine Erniedrigung der menschlichen Natur in dem ganzen menschlichen Geschlecht vor Augen, und die erbarmende Hand Gottes, welche sich gegen die Gefallenen ausstreckt, um sie wieder aufzuheben. | In diesem Zusammengefaßtsein unter den Unglauben und in diese Erbarmung Gottes in seinem Sohne, darin ist die ganze Ordnung der Erlösung unsers Geschlechts beschlossen. Bleiben wir bei den gelesenen Worten stehen, so erinnern wir uns an das Wort des Apostels: Wie sollen sie anrufen, an den sie nicht glauben1? Und anrufen sollen wir doch den Vater, wenn wir wollen selig sein. So muß freilich alles beschlossen werden unter den Glauben. Aber warum auch eben so allgemein vorher unter den Unglauben? Allein das Wort, dessen sich der Apostel bedient, und für welches wir in unserer Sprache kein genau entsprechendes haben, bedeutet nicht den Unglauben allein, sondern beides faßt es zusammen, Unglauben und Ungehorsam so unzertrennlich, daß wir immer an beides denken müssen, aber überwiegend hält es uns fest am Ungehorsam. Und so schickt es sich besonders für den Theil des apostolischen Briefes, auf welchen unsere Worte als den Schluß desselben zurükksehen. Das hatte der Apostel immer festgestellt, daß der Mensch nirgend ohne Gesez sei, da die, welche keines von Gott empfangen, sich selbst zum Gesez geworden wären, aber sie hätten Alle des Ruhmes ermangelt, weil sie ungehorsam geworden. In dem Bewußtsein dieses Ungehorsams ist eine Stimme Gottes, welche den Menschen zum gottgefälligen Leben ruft, 1

Röm. 10,14.

4 jener] so 7. Sammlung, S. 492; Textzeuge: jene 23–24 Paulus spricht von πεθεια. 3,23

31–33 Vgl. Röm 2,14

33–34 Vgl. Röm

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dieser Ungehorsam ist es, unter den Gott Alles beschlossen hat. Nirgend, so sagt der Apostel – denn um den Sinn unseres Textes zu ergründen, brauchen wir uns nur an das Vorhergehende zu erinnern – nirgend war der Mensch ohne Gesez; | aber neben diesem Gesez, welches er als das Werk Gottes erkannte an und für sich, und woran er Wohlgefallen hatte nach dem inneren Menschen, fand er auch ein anderes Gesez in seinen Gliedern, welches nicht litt, daß er jenem gehorchte. Diesen Kampf zwischen beiden Gesezen stellt er auf die anschaulichste Weise dar; und indem er Alles in solchem Kampf begriffen weiß, konnte er sagen, Gott habe Alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich Aller erbarme. Damit wir aber nicht in Gefahr kommen, zu viel in diese kurzen Worte des Apostels zusammenzuzwängen, dürfen wir auch nur das hineinlegen, worauf sein Gedankengang ihn führte. Er hat nämlich hier nur den großen Gang des ganzen menschlichen Geschlechts im Auge, nicht den einzelnen Menschen, und so wollen auch wir den Unglauben nur wie er dem ganzen menschlichen Geschlecht im Großen anhaftet, betrachten, um zu sehen, wie Gott Alles unter den Unglauben beschlossen hat, damit er sich Aller erbarme. Was der Apostel hierüber aus seiner Kenntniß der Menschen sagt, müssen wir, die wir in so viel größerem Umfange das Leben der Menschen übersehen können, unbedingt zugestehen. Denn wie viel Unglauben liegt uns nicht vor in dem Theil des menschlichen Geschlechts, dessen Kenntniß der Apostel nicht haben konnte. Nirgend, wo wir auch hinsehen, finden wir menschliches Leben ohne Gesez; es gestaltet sich kein gemeinsames Dasein auch nicht das unvollkommenste ohne ein Gefühl von Recht, und was sich als solches in dem menschlichen Leben feststellt und forterbt, das wird zum Gesez; wo aber Gesetz ist, da ist auch Uebertretung. Denn wo sich in menschlichem Bewußt|sein Gutes und Böses scheidet, da ist auch gewiß in dem tiefsten Inneren ein Wohlgefallen an dem Guten: aber Lust an dem Bösen findet auch Jeder in seinen Gliedern, und Keiner vermag diesen Zwiespalt zu heben; solche Lust aber ist Widerstreben gegen das Gesez. So stellet jedes Geschlecht der heranwachsenden Jugend das erkannte Gute als das Ziel vor, welches sie erreichen soll; aber überall entwikkelt sich auch wieder die Neigung, nach mancherlei vergeblichen Versuchen sich für unfähig zu erklären zu dem was sie thun sollen. Das stellt der Apostel in diesem Briefe dar! das Wohlgefallen des inwendigen Menschen an dem Gesez, wie es immer vorhanden ist, aber sobald es zur That werden soll, nur zu oft Uebertretung wird; denn da tritt das Gesez der Glieder ein, und überwältigt das Wohlgefallen des inwendigen Menschen. So hat Gott 4–8 Vgl. Röm 7,22f

8–9 Vgl. bes. Röm 7,14–21

38–41 Vgl. Röm 7,22f

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Alles beschlossen unter diesen ungläubigen Ungehorsam; denn so finden wir es unter allen Völkern. Ist der Mensch noch wenig entwikkelt, sind seine Kräfte noch nicht recht herausgetreten, ist er sich des Unterschiedes von den niedrigeren Geschöpfen der Erde, der in der Erkenntniß des göttlichen Willens liegt, noch nicht recht bewußt: so weiß er auch noch nicht viel von dem Gegensaz zwischen dem Wohlgefallen des inwendigen Menschen und der Gewalt des Gesezes in den Gliedern. Da ist ihm noch wenig Sünde, weil ihm noch wenig Gesez ist. Je höher ihr ihn hinaufstellt, um desto stärker findet ihr neben der Erkenntniß das zerstörende Treiben der Leidenschaft und den Kampf zwischen dem Guten und Rechten, was erkannt ist, und zwischen dem, wohin das Gesez in den Gliedern des Menschen drängt. Und wie richtig beschreibt der Apostel es als Gesez in den Glie|dern! Nicht als ob der Leib, den uns Gott gegeben, der Siz und die Quelle desselben wäre; sondern es ist der Zusammenhang zwischen dem inneren Sein und der äußeren Erscheinung, der Weg, auf welchem der Wunsch und Gedanke des Herzens durch die Glieder hindurchgehen muß, bis er zur äußeren That wird, woraus sich der Widerstand gegen das Gesez des inwendigen Menschen entwikkelt. Und so sehr stellt der Apostel dieses als das allgemeine Loos der Menschen dar, als die Ordnung, unter welche Alle beschlossen sind, daß er ganz und gar den Vorzug aufhebt, welchen sich das Volk des Herrn anmaßte als Bewahrer des göttlichen Gesezes, indem er sagt, daß die Juden das ihnen gegebene Gesez eben so übertreten hätten, wie die Heiden das ihrige, welches sie sich selber geschaffen; und so sind denn Alle Uebertreter geworden, und ermangeln des Ruhms, den sie bei Gott haben sollen, und Alle sind sie gleich geworden vor Gott in ihrer Verwerflichkeit nach dem Gesez. Aber, sagt er, Gott hat Alles beschlossen unter den Unglauben, damit er sich Aller erbarme, und da schwebt ihm vor, was wir als einen tröstlichen Ausspruch des Herrn betrachten und als einen heiligen Schaz bewahren, nämlich daß Ein Hirt werden soll und Eine Heerde, daß Alle gesammelt werden sollen in den Lebenszusammenhang des Sohnes Gottes mit denen, die an ihn glauben, Alle gesammelt werden in das Reich Gottes, welches eben wegen der Sünde nur das Reich des Erbarmens und der Gnade sein kann. Das haben die Jünger von Anfang an so aufgefaßt, und das hat sie gedrängt, auch unter den schwierigsten Verhältnissen das Licht des Evangeliums an alle Orte 32 Ein] so 7. Sammlung, S. 497; Textzeuge: ein 19–25 Vgl. Röm 1,18–3,20; bes. 2,12–14; 3,17–20 33 Vgl. Joh 10,16

25–26 Vgl. Röm 3,23

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hinzutragen; und dieses Verlangen finden wir noch überall bis auf | den heutigen Tag. Der natürliche Trieb des Menschen, die ganze Erde kennen zu lernen als das ihnen gemeinsam von Gott verliehene Gebiet ihrer Thätigkeit, und überall seines Gleichen aufzusuchen, um sich mit Allem zu befreunden, was ein menschliches Antliz trägt, dieser Trieb hat sich nirgend stärker entfaltet als unter christlichen Völkern; und wo durch diesen Zug der Natur menschlicher Geist sich mitgetheilt, und menschliche Gemeinschaft sich verbreitet hat über die Erde, da ist auch das Evangelium von der erbarmenden Gnade Gottes mitgezogen; und wie Alle gleich waren darin, Sünder zu sein vor Gott, so haben auch Alle auf gleiche Weise Antheil bekommen an der göttlichen Gnade und dem göttlichen Erbarmen. Kein Volk ist zu gering gewesen, als daß ihm nicht hätte gebracht werden können die Verkündigung des Heils. Darum war es fast das erste Geschäft des heiligen Geistes, das Vorurtheil in den Aposteln wegzuräumen, als ob nur die Juden berufen wären zu der Gemeinschaft mit dem Erlöser, wie Petrus sagt, als er zuerst Heiden bekehrt hatte: „Nun sehe ich, daß Gott nicht die Person ansieht, sondern unter allem Volk, wer Recht thut und nicht aufgehört hat, den Ewigen zu suchen, der sich kund gegeben in seinen Werken, der ist ihm angenehm[“], so daß er dadurch, daß ihm die Botschaft des Heils gebracht wird, berufen werden soll zur Theilnahme an dem Reich Gottes. Und nicht vergeblich. Denn überall hat die Stimme des Evangeliums bald schneller bald langsamer Eingang gefunden, überall hat sich das Wort des Erlösers bewährt als für alle Zeiten des Menschengeschlechts gültig. Ueberall aber, wo das Evangelium Wurzel gefaßt hat, steigert sich dann auch das Wirken des inwendigen Menschen, nimmt der | Streit zwischen Fleisch und Geist eine andere Wendung; und bald giebt sich zu erkennen, daß nichts Verdammliches mehr ist an denen, welche in Christo Jesu sind. Und indem immer weiter in dem Reich des Ungehorsams das Reich Gottes sich erhebt, offenbaret sich auch immer mehr die göttliche Erbarmung. Das, m. Fr., ist der Rathschluß des Höchsten mit dem menschlichen Geschlecht, das ist der Geist der Geschichte, wie wir ihn erkennen, die wir von oben erleuchtet sind! Und das ist das Geheimniß alles menschlichen Tichtens und Trachtens, daß Alles dahin führen soll, daß dieses Reich des Gehorsams und die Erlösung, die durch Christum Jesum den Menschen geworden ist, sich immer weiter verbreite, und in immer würdigerem der Auferstehung Christi ähnlichem Leben sich offenbare.

17–20 Vgl. Apg 10,34f

28–29 Vgl. Röm 8,1

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II. Aber nun lasset uns, m. Fr., zweitens dem Apostel auch darin nachgehen, daß wir mit ihm ausrufen: o welch eine Tiefe des Reichthums beides der Weisheit und Erkenntniß Gottes! Nicht ohne Schmerz für den natürlichen Menschen können wir das hören, daß der Unglaube, unter welchen Alle beschlossen gewesen, auf keine andere Weise aufhören konnte als durch das göttliche Erbarmen. Wir fühlen uns gedemüthigt, daß es nichts Anderes sein soll als Erbarmen und Gnade, was der Gewalt der Sünde ein Ende macht. Wenn wir aber hören, daß Gott Erbarmen und Barmherzigkeit zugeschrieben wird: so wird das für unseren inneren Menschen noch ein anderes Räthsel, weil es scheint, als würden Gott auf diese Weise Empfindungen zugeschrieben, welche er früher nicht gehabt, und als sei er später gegen seine Geschöpfe | anders gesinnt als vorher. Aber da der Apostel das Erbarmen als eine unergründliche Tiefe der Weisheit betrachtet, so kann das seine Meinung nicht gewesen sein; er will damit sagen, daß jener frühere Beschluß unter den Unglauben nicht etwas bleibendes habe sein sollen, sondern der Unglaube und Ungehorsam habe nur vorangehen müssen in der Entwikklung der menschlichen Natur, damit das Zweite erfolgen konnte, daß Gott sich Aller annimmt in seinem Sohn, und in Allen bereit ist Wohnung zu machen, als der Geist welcher in ihre Herzen ausgegossen ist. Wenn aber der Apostel dieses als eine unergründliche Tiefe der göttlichen Weisheit ansieht, so können wir uns nur in seinen Gedanken hineinversezen, wenn wir das, was nach diesem göttlichen Rathschluß geworden ist, mit dem vergleichen, was ohne denselben hätte sein können. Wie oft hören wir nicht die Menschen sagen, Gott würde gnädiger und liebreicher das menschliche Geschlecht geführt haben, wenn er es bewahrt hätte vor der Sünde; dann wäre kein Erbarmen nöthig gewesen, da kein Fall vorangegangen wäre. Dieser Gedanke muß nicht in der Seele des Apostels gewesen sein, oder wenn er ihm auch gekommen ist, so hat er ihn gleich im Augenblikk verworfen, um sich desto vertrauensvoller in die Arme Gottes zu werfen, und desto freudiger auszurufen: o welch eine Tiefe des Reichthums beides der Weisheit und Erkenntniß Gottes. So wollen wir denn sehen, wie viel höher die Weisheit Gottes gewesen ist, indem er uns mit so umfassender Liebe durch die Sünde hindurch zu Christo geführet hat, als wenn wir ohne Sünde geblieben wären, so daß wir Christi nicht bedurft hätten. Ohne Sünde, m. th. Fr., können wir uns den Menschen gar nicht vorstellen. Sol|len wir uns in dem Leben des ersten Menschen den Zeitraum vergegenwärtigen, ehe die Sünde eingetreten war, wir könnten ihn wenigstens als ein so reiches, man21 Anspielung auf Joh 14,23

21–22 Vgl. Röm 5,5

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nigfaltiges Leben wie das unsrige nicht denken. Müssen wir es als wesentlich in der menschlichen Natur erklären, daß die Erkenntniß immer der Ausführung voraneilt: so haben wir eben damit zugleich auch schon die Sünde gedacht. Denn jenes Vorauseilen der Erkenntniß ist eben das Gesez, und wo das Gesez ist als die Anerkennung eines Guten, da ist auch, so lange die That nicht dem Vorsaz und der Vorsaz nicht dem anerkannten Guten entspricht, – nichts Anderes in dem Menschen als das Bewußtseyn der Sünde. Ohne diese Ungleichheit aber in dem Menschen, ohne dieses Voraneilen des inneren Menschen, dem der äußere Mensch nicht so schnell nachkommen kann, können wir unsere Entwikklung nicht denken. So war es mithin die Weisheit Gottes, den Menschen zu schaffen! als ein solcher Herr der Erde sollte er alle Zeiten durchleben, und in der lezten der Geist Gottes ausgegossen werden, aber auch das nicht anders als in demselben Wechsel von Fallen und Aufstehen, in der Ungleichheit seiner Kräfte, und darum der Sünde unterworfen. Aber, sagt man, soll dieses das allgemeine Gesez der menschlichen Natur sein: so könnte ja der Erlöser kein Mensch gewesen sein. Wohl! wenn er sich aber doch selbst nicht anders giebt, und wir ihn nicht anders aufnehmen; wenn es uns die theuerste Wahrheit ist, daß er uns Brüder nennt, weil er selbst und ganz die menschliche Natur angenommen hat: so kann er auch der Sünde in derselben nicht ganz fremd gewesen sein, wenn er sie auch nur durch das Mitgefühl mit derselben kannte, dessen eine andere Natur nicht wäre fähig | gewesen. In diesem Sinne war auch sein Erscheinen bedingt durch die Sünde Aller, und er erschien nicht eher, als die Zeit erfüllet war, nämlich bis das Maaß der Sünde voll war, und die Sehnsucht der Menschen nach Erlösung den Gipfel erreicht hatte, so daß der Saame, welcher nun in die Herzen der Menschen gestreut wurde, tausendfältige Frucht bringen konnte. War nun sein einzelnes Leben, unterschieden von dem aller anderen eben dadurch, daß Gott in ihm war, um die Welt mit sich zu versöhnen: so haben wir auch unsererseits davon das Mitgefühl in unserem Glauben, welches wir nicht haben könnten, wenn nicht in unserer Natur die Möglichkeit läge zu solcher Vereinigung. Darum nun giebt, indem wir diese Vereinigung in Christo anerkennen, der Geist Gottes auch unserem Geist das Zeugniß, daß wir Gottes Kinder sind. Um uns zu solchen zu bilden, konnte Ein solcher Sohn Gottes erscheinen auf Erden! So begreifen wir Ein solches Leben als die höchste Blüthe der menschlichen Natur, als den, durch welchen Alle sollten fruchtbar gemacht werden zu einem neuen ihm ähnlichen Leben durch das göttliche Erbarmen. Den13–14 Vgl. Apg 2,17 (darin Bezug auf Joel 3,1) 20 Vgl. Mt 23,8; 12,49f; Mk 3,34f; Lk 8,21 25–26 Vgl. Gal 4,4 30–31 Vgl. 2Kor 5,19 34–36 Vgl. Röm 8,16

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ken wir uns ihn hinweg, so bliebe es zwar dabei, daß Gott Alles beschlossen hat unter den Unglauben, aber das Erbarmen Gottes ginge uns verloren. Wollten wir hingegen unser ganzes Geschlecht rein denken und ohne Sünde, daß wir seiner nicht bedurften; wollen wir hiezu unsere Einbildungskraft anstrengen, oder den Erzählungen älterer Völker nachgehen, um uns von einer anderen Gestalt des geistigen Daseins ein Bild zu machen: was können wir anderes sagen, als es bleibt bei dem, was ein heiliger Schriftsteller sagt, die Natur der Engel hat der Sohn Gottes nicht angenommen, sondern die menschliche, | und darum ist die menschliche Natur um so viel höher als die der Engel. Darum lasset uns die Frage aufstellen, ob nicht ein solches, wenngleich die Sünde voraussezendes Leben, wie es in Christo geführt wird, reicher und besser sei als ein Leben ohne Sünde zwar aber auch ohne Christum. Lasset die Geschlechter der Menschen sich gestellt haben, jedes auf die Schultern dessen, welches ihm voranging, lasset den Boden für jedes gedüngt worden sein durch die Leiden der früheren, und jedes neue geistige Kräfte gesogen haben aus ihren Erfahrungen und ihrem Nachdenken: so habt ihr es freilich auf eine reiche Entwikklung der Menschen zu immer höheren Stufen angelegt. Und wie groß der Unterschied zwischen der niedrigsten und der höchsten, wenn die Einen uns fast nur die reine Ehrfurcht vor dem Gesez darstellen, die Anderen fast nur die Gewalt der Sünde. Aber wie sehr auch, um sie aus Erniedrigung emporzuheben, die Ersten sich mit den lezten abmühen: wenn es nicht die Kraft des Erlösers ist, welche sie neu belebt, so überwinden auch diese den Tod nicht! Wenn an der Spize des Ganzen nicht der Erlöser steht, würde uns immer das Höchste fehlen, was die Menschheit erreichen kann. Und gewiß würden auf solcher Stufe der Vollkommenheit auch die Menschen sich zusammenthun und ihre Kräfte vereinigen, um größeres in Gemeinschaft zu erreichen, aber immer würde die Verwirrung der Sprachen sie wieder auseinander treiben! Eines andern Weges zöge jede Gemeinschaft, ein anderes Urbild stellte jede auf; die Einheit des Menschengeschlechts wäre nicht, und höchstens nur könnten wenige Einzelne in ihrem innersten Bewußtsein darnach verlangen. In Christo allein ist diese Einheit, er allein war es, der Alle in Eins versammeln | konnte, weil derjenige in ihm war, unter dem Alle Eins sind, und das war die erste Verherrlichung des Herrn, daß er für seinen Bund jede Scheidewand des Orts, der Sprache, der Abstammung niederriß, auf daß Ein Band der Einigkeit im Geist Alle umschlänge in ihm. Wie wäre es möglich gewesen durch natürliche menschliche Kraft! wie hätte jede solche immer frü8–11 Vgl. Hebr 2,5–17, bes. 16

39–40 Vgl. Eph 4,3

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her ihre Grenze gefunden! und nur eine unvollkommne Liebe wäre uns geworden, und der beste Geist wäre immer ein Geist der Spaltung geblieben. O welch eine Tiefe des Reichthums, mögen wir also wol rufen, beides der Weisheit und der Erkenntniß Gottes, die es also unter den Ungehorsam beschloß um uns also zu erlösen. Alle diejenigen Geschlechter, welche der Apostel in seinem Briefe mit den kurzen Worten darstellt, daß sie die Wahrheit aufgehalten haben in Ungerechtigkeit, welche sich das höchste Wesen zerspalten hatten in eine Menge von mannigfaltigen Einzelheiten, führten alles, was bedeutend geworden war für die Begründung der erfolgreichen menschlichen Thaten, auf solche Urheber zurükk, denen sie eine göttliche Abstammung beilegten. Wie unrichtig dies war, es war doch ihre erfrischendste Ahndung von dem höchsten Wesen, daß es sich so mit dem menschlichen vereinigte. Und das Volk des alten Bundes selbst, seufzend unter der Last des Buchstabens, der kein inneres Leben bringen konnte, welche profetische Stimmen hatten sich unter demselben erhalten und waren der schönste Trost aller Guten von Einem, der da kommen sollte, um alles wiederzubringen, und von seiner alles menschliche übersteigenden Würde. Denken wir uns, dieser Ahndung hätte nichts entsprochen, die Zeit, auf welche alle Stimmen deuteten wäre verstrichen, aber das Wort der Verheißung | wäre nicht in Erfüllung gegangen und Wahrheit geworden in dem Einen: wie niedergedrükkt durch getäuschte Hofnung wäre das menschliche Geschlecht, wie entnervt würde es sein durch die ungestillte Sehnsucht, verurtheilt zum vergeblichen Hinanklimmen und immer wieder herabgleitend ohne die Höhe zu erreichen. Darum lasset uns mit dem Apostel ausrufen: O welch eine Tiefe des Reichthums beides der Weisheit und Erkenntniß Gottes. Weislich hat er Alles beschlossen unter den Ungehorsam; dieser ist und bleibt die Schule des menschlichen Geschlechts bis auf den heutigen Tag; durch diese muß jeder hindurchgehen, um durch Reue und Verlangen empfänglich zu werden, für den Geist, der in ihm lebendig werden soll, und rufen, lieber Vater! Ja, mit Recht können wir sagen: welch eine Tiefe des Reichthums der Weisheit und der Erkenntniß. Wohl hat der Herr es gemacht, daß er Alles beschlossen unter den Unglauben, damit er sich Aller erbarme! Seine Liebe und seine Weisheit, seine Macht und seine Herrlichkeit können sich uns nicht herrlicher offenbaren, als wenn wir aus der Nacht der Sünde an das Licht des Erlösers kommen. Denn das hatte der Apostel auch schon vorangeschikkt und gesagt, daß nicht etwa jemand sagen mögte: wenn es so ist, daß der 7–8 Vgl. Röm 1,18 3 Vgl. Röm 6,1

8–9 Vgl. Röm 1,23

31–32 Vgl. Röm 8,15; Gal 4,6

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Herr Alles unter die Sünde beschlossen hat, wenn seine Weisheit sich erst durch die Sünde enthüllt, wir in der Sünde bleiben sollen, damit die Gnade durch Christum desto größer sei. Und nur nachdem er dies sicher gestellt, konnte er in den Ausruf unseres Textes ausbrechen. Erkennen wir den, in welchem die Sehnsucht des menschlichen Geistes sich erfüllet hat, der die Scheidewand zwischen Himmel und Erde niedergerissen hat, und den Vater in | die Herzen eingeführt: dann können wir nicht in der Sünde bleiben wollen, um derentwillen Er dahin gegeben ist, nicht mehr fleischlich gesinnt sein, welches eine Feindschaft ist gegen Gott, nicht mehr unter dem Gesez stehen wollen, dem wir vielmehr absterben mit ihm. Wir suchen nichts als was uns in ihm gegeben ist; Er lebt in uns, und wir trachten nur danach unverrükt erfunden zu werden in der Gemeinschaft mit ihm. Das ist die Gnade, an der wir uns mögen genügen lassen, und wer sie erfahren hat, weiß, daß es kein höheres Gut geben kann, als die Gemeinschaft mit dem Sohne Gottes. An dieser Fülle der göttlichen Gnade uns erfreuend, können wir voll des Lobes Gottes durch das Leben wandeln; und was noch wider unsern Willen übrig ist von Spuren der Sünde, wird uns nur immer dahin führen, den Namen dessen zu verherrlichen, welcher die Freiheit von der Herrschaft der Sünde und das Leben wiedergebracht hat. Mögen wir alle ihn, wie es nur durch den Geist geschehen kann, einen Herrn nennen, ihn, der allein die Feindschaft aufheben und uns wieder einführen konnte in die selige Gemeinschaft mit Gott, die da ist ohne Ende. Amen. Lied 440, 5–7.

6–7 Vgl. wohl Eph 2,14 in Verbindung mit 1,10 11 Vgl. Röm 7,6; ferner 6,2; Gal 2,19 12 Vgl. Gal 2,20 13–14 Vgl. 2Kor 12,9 21–22 Vgl. 1Kor 12,3 25 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 440: „Schweiget, bange Zweifel, schweiget“ (Melodie von „Du, o schönes Weltgebäude“)

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Am 5. Juni 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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1. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 3,18–4,1 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 350–362, Nr. XIII; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 479. Tex t . Colosser III, 18. – IV, 1. „Ihr Weiber, seid unterthan euren Männern in dem Herrn, wie sichs gebühret. Ihr Männer, liebet eure Weiber, und seid nicht bitter gegen sie. Ihr Kinder, seid gehorsam den Eltern in allen Dingen; denn das ist dem Herrn gefällig. Ihr Väter, erbittert eure Kinder nicht, auf daß sie nicht scheu werden. Ihr Knechte, seid gehorsam in allen Dingen euren leiblichen Herrn, nicht mit Dienst vor Augen, als den Menschen zu gefallen, sondern mit Einfältigkeit des Herzens und mit Gottesfurcht. Alles, was ihr thut, das thut von Herzen, als dem Herrn, und nicht den Menschen. Und wisset, daß ihr von dem Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes; denn ihr dienet dem Herrn Christo. Wer aber Unrecht thut, der wird empfangen, was er Unrecht gethan hat; und gilt kein Ansehn der Person. Ihr Herren, was recht und gleich ist, das beweiset den Knechten, und wisset, daß ihr auch einen Herrn im Himmel habt.“ |

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M. a. Fr. Nach Art und Weise dieser zusammenhängenden Betrachtungen über eines unserer biblischen Bücher habe ich nicht gut anders gekonnt, als dies zusammennehmen, so reichhaltig auch für unsere christliche Betrachtungen jeder einzelne Satz aus dem Gelesenen würde gewesen sein. Es gehört aber zusammen, weil es Alles insgesammt sich auf das häusliche Leben bezieht, für welches der Apostel den Christen, an welche er schreibt, 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 479: „Hier legt mein Sinn sich vor dir nieder“ (Melodie von „Zeuch meinen Geist, triff meine Sinnen“)

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die wesentlichsten Lehren gibt. Zuerst hatte er früher den Christen dargelegt, wie sie sich unter einander als Glieder der Gemeine des Herrn zu betragen hätten, um sich in christlicher Weisheit und Erkenntniß durch das Wort Gottes zu fördern und im gemeinsamen Lob und Dank gegen Gott sich zu erfreuen, und hatte damit geschlossen, daß sie Alles, was sie thäten mit Worten oder mit Werken, im Namen Jesu thun sollten und also, daß sie Gott dem Vater durch ihn danksagen sollten; und nun geht er hier von dem gemeinsamen, mehr äußerlich hervortretenden Leben der Christen, wie sie in ihren Versammlungen und sonstigen Verhältnissen den geistigen Leib Christi darstellen sollten, zur Stille des häuslichen Lebens zurück, wie sie auch dort Alles im Namen Jesu thun und Gott dem Vater durch ihn danken sollten. Allerdings, m. g. Fr., können wir sagen, daß das Alles noch zu dem gehört, was der Apostel anderwärts die Milch des Evangeliums nennt, wie sie auch den Anfängern des Evangeliums dargereicht werde und von ihnen vertragen und gebraucht und zur Nahrung des geistigen Lebens verwendet werde; denn es sind nichts Anderes, als die zu allen Zeiten sich immer gleichbleibenden Anfangspunkte des christlichen Handelns in dem Gebiet des häuslichen Lebens, wovon er hier redet. Und doch werden wir sagen, daß auch wir Gebrauch machen können von diesen Anfangspunkten, daß auch unter uns nicht auf solche Weise das häusliche Leben ein Tempel des Herrn sei, und Alles auf solche Weise geschieht mit Danksagungen gegen Gott, wie es zu er|warten wäre; was daher kommt, daß die Wahrheit des Evangeliums immer noch mit denselben Lüsten des natürlichen Menschen, mit denselben leidenschaftlichen Aufregungen zu kämpfen hat, bis in denselben Verhältnissen der Sieg des Geistes sich immer mehr entscheidet. Wenn wir nun näher mit einander betrachten wollen, was das Wesentlichste ist in diesen Ermahnungen des Apostels: so redet er hier zuerst von den natürlichsten und einfachsten Verhältnissen zwischen den Ehegatten unter einander und den Eltern und Kindern; sodann von den Verhältnissen der Herren zu denen, welche zur Dienstleistung im Hauswesen bestimmt sind, – ein Verhältniß, welches nicht auf dieselbe Weise in der Natur begründet und durch sie hervorgebracht ist. Wir wissen nun, daß alle diese Verhältnisse in verschiedenen Zeiten und Gegenden des menschlichen Geschlechts, und je nachdem sonst das menschliche Leben gestaltet ist, sich auch auf mancherlei Weise gestalten, und daß es vielerlei Abwechselungen und Veränderungen darin gibt, die der Apostel damals nicht alle im Auge haben konnte, sondern sich halten mußte an die Gestaltung des Lebens, wie es sich gebildet unter den Völkern, unter welchen zuerst das Evangelium Wurzel faßte. Besonders aber müssen wir auch dies in Erwägung ziehen, daß der Apostel nicht Ursach hatte vorauszusetzen, daß dort nur christliche Familien lebten, die es ganz gewesen wären, sondern daß sie getheilt 1–7 Vgl. Kol 3,12–17

13 Vgl. 1Kor 3,2; Hebr 5,12

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waren zwischen heidnischen und christlichen Gliedern. Seine Regel war also die, die Vorschriften, die er gab, sollten gelten auf dieselbe Weise von beiden Theilen, mögen sie nun von der christlichen Wahrheit auf gleiche Weise ergriffen sein oder nicht; und das können wir uns sehr wol aneignen und als Regel des christlichen Glaubens ansehen, daß die Gleichheit oder Verschiedenheit in Beziehung auf diese Art und Weise der Frömmigkeit nicht denselben Einfluß habe auf diese natürlichen geselligen menschlichen Verhältnisse, sondern daß dieselbe Regel | in dieser Beziehung für Alle in denselben Fällen gelten soll. So ist es unter uns nicht, daß Ehen könnten geschlossen werden, wo der eine Theil Christ sei und der andere nicht, – denn unsere Gesetze wehren es; und selten kann der Fall vorkommen, daß, wenn sie geschlossen wären, der eine Theil zu einer andern Gemeinschaft träte, der andere nicht; das könnte höchstens geschehen an den Grenzen der Christenheit, wo es Völker gibt von aller Art. Aber in der Gemeine des Herrn gibt es so mancherlei Verschiedenheiten. Theils ist die christliche Kirche jetzt, daß ich mich dieses Ausdrucks bediene, zerschnitten in mehrere von einander gesonderte Gemeinschaften, und da kann der eine Theil der einen, der andere Theil einer andern kirchlichen Gemeinschaft angehören; noch mehr ist es das Andere, daß so viele verschiedene Ansichten und Behandlungsweisen des Christenthums unter uns sind, und da kommt es vor, daß die, welche an einander gewiesen sind auf das Unmittelbarste, darin auch nicht gleich seien und von einander abweichen. In dieser Regel aber, die der Apostel hier aufstellt, soll das nicht das Geringste ändern; sondern so wie er vorher vom bürgerlichen Leben es gesagt: so soll auch das häusliche Leben so geordnet sein, daß Alles, was geschieht, im Namen Jesu geschehe, und Gott auf alle Weise durch die Führung unsers häuslichen Lebens gedankt werde. Wenn der Apostel damit anfängt, die Weiber zu ermahnen, „daß sie sollten unterthan sein ihren Männern in dem Herrn, wie sichs gebühret,“ und die Männer zu ermahnen, „daß sie ihre Weiber sollten lieben und nicht bitter gegen sie sein:“ so hat er dabei allerdings vor Augen eine gewisse Ungleichheit beider auf so innige Weise mit einander verbundener Theile, die aber auf nichts Anderm ruht als auf dem Verhältniß zwischen dem Innern eines Hauswesens und den größern Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft. In der letzten ist es der Mann allein, welcher sein Hauswesen vertritt | und der für das Beste in der menschlichen Gesellschaft sorgt; und deswegen hat sich diese Ungleichheit gebildet von selbst, daß es ein Unterthansein gibt der Weiber gegen die Männer. Wie sich dieses auf verschiedene Weise gestaltet hat, wie sich allerdings die größere Durchbildung des häuslichen und menschlichen Lebens überhaupt durch den Geist des Christenthums dadurch zeigt, daß die Liebe so sehr vorwaltet, daß die Liebe, welche in ihm liegt, alle Ungleichheiten überstrahlt und verbirgt: so bleibt doch dabei der Sinn dieses Verhältnisses in Beziehung auf diese Un-

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gleichheit Einer und derselbe. Darum nun aber stellt der Apostel auch beides so unmittelbar neben einander. Die Weiber sollen unterthan sein ihren Männern in dem Herrn, wie sichs gebühret, sagt er; woraus man sieht, daß er das nicht darstellen will als ein Verhältniß, welches aus dem Evangelium selbst hervorgeht, sondern als ein sich gebührendes, wie es schon war, als das Christenthum in die Welt kam; und das Andere, daß die Männer ihre Weiber lieben sollten und nicht bitter gegen sie sein; also eben diese Ueberlegenheit nicht auf solche Weise verwalten und ausüben, daß es verletzend sei, daß sie von Augenblicken, in welchen sie hervortritt, nicht solchen Nachgeschmack zurücklasse, wie es das eigenthümliche Wesen des Bittern ist. Und wenn er sagt, daß die Weiber unterthan sein sollen ihren Männern, die Männer aber ihre Weiber lieben: so ist nicht seine Meinung, daß die Liebe die Sache des einen, und der Gehorsam die Sache des andern Theils sei, sondern er würde auch das Letzte nicht gesagt haben, wenn er nicht hätte hinzufügen wollen: „daß ihr nicht bitter gegen sie seid;“ die Liebe sollte aus dem Wege räumen, was als Uebertreibung und Auswuchs sich leicht einschleicht. Eben so, wenn er von dem Verhältniß der Eltern und Kinder gegen einander redet: so müssen wir bemerken, wie er sich hier nicht bezieht auf das, was schon im Gesetz des Alten Bundes festgesetzt war, nicht von einer Belohnung oder Be|strafung, die sich auf diese besonderen Verhältnisse bezieht; sondern wenn er sagt: „ihr Kinder, seid gehorsam den Eltern in allen Dingen; denn dies ist dem Herrn gefällig,“ und eben so: „ihr Väter, erbittert eure Kinder nicht, auf daß sie nicht scheu werden:“ so haben wir hier nicht Ursache zu glauben, daß er den Müttern gar nichts gesagt, sondern wenn wir lesen, „ihr Väter,“ mögen wir immer mit lesen: ihr Eltern, erbittert eure Kinder nicht, damit sie nicht scheu werden. Wie dies ein Brief war, den er an eine Gemeine schrieb, und der in der Gemeine sollte vorgelesen werden: hat er wol vorausgesetzt, daß die Kinder auch in den Versammlungen gegenwärtig wären und die gemeinsame Ermahnung auch vernehmen sollten; oder ist es seine Meinung gewesen, daß sie ihnen durch ihre Eltern sollte gemacht werden, damit sie einen Eindruck davon bekämen, daß der göttliche Geist durch den Mund solcher ausgezeichneten Männer auch zu ihnen rede? Wir müssen bedenken, daß der Apostel das ganze Leben der heranwachsenden Jugend, so lange sie noch im Hause der Eltern und in Verbindung mit ihnen wären, und nicht das jüngste Alter des menschlichen Lebens im Auge hatte, und daß er, so lange die häusliche Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern fortdaure, eben diese Regel hat 20–22 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf Ex 20,12 und Dtn 5,16, was den Gedanken der Belohnung, und Ex 21,17 und Dtn 27,16, was den der Bestrafung anbelangt.

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geben wollen. Die Kinder sollen gehorsam sein ihren Eltern in allen Dingen; die Eltern sollen die Kinder nicht erbittern, damit sie nicht scheu werden. Merkwürdig muß es uns auf jede Weise sein, wie dieser Ausdruck zweimal kurz hinter einander vorkommt in den Ermahnungen des Apostels: ihr Männer liebet eure Weiber und seid nicht bitter gegen sie; ihr Eltern erbittert eure Kinder nicht, auf daß sie nicht scheu werden; und nur in der letzten Stelle finden wir erst den ganzen Ausdruck für den Sinn dieser apostolischen Ermahnung. Nämlich das Scheuwerden ist eine Verringerung des Vertrauens und der Offenheit im gemeinsamen Leben, und diese Ermahnung, daß das Vertrauen und die | Offenheit ungeschwächt bleibe, sieht der Apostel an als den Grund des christlichen Lebens, und es ist seine Meinung, daß Alles soll vermieden werden, wodurch Vertrauen und Offenheit in diesem Heiligthum des häuslichen Lebens geschwächt würde. Darum soll keiner bitter werden gegen den Andern, weil sie dadurch einer Verringerung des christlichen Lebens ausgesetzt wären. Soll die Jugend geleitet werden, soll sie auf den Weg des Lebens gebracht werden, sollen wir eine klare Anschauung davon erhalten, was in ihrem Leben vorgeht: so muß ihr Inneres uns klar vor Augen liegen, so daß es leicht ist, ihr Inneres zu erblicken und wahrzunehmen, noch ehe sie selber es wahrnehmen. Das ist nur möglich bei gänzlicher Offenheit, und darum sieht der Apostel es als einen Haupttheil in dem ganzen Verhältniß an, daß alles Mißtrauen vermieden werde. Wenn der Apostel anderwärts sagt: so lange der Erbe ein Kind ist: so ist unter ihm und einem Knecht kein Unterschied, denn er stehet unter der Gewalt der Vormünder und Pfleger, bis auf die vom Vater bestimmte Zeit: so gehet er dabei aus von der Vorstellung des häuslichen Lebens, wie es war, ehe sie eine christliche Gemeine waren; denn er vergleicht sie mit der Zeit, ehe Christus erschienen war, und wo das Leben durch Belohnung und Bestrafung bestimmt wurde. Das ist ein ganz anderes Bild, als was er uns hier aufstellt, und das soll das Wesentlichste sein, wodurch sich die Führung des christlichen Hauswesens unterscheidet von jener Zeit, daß unser Hauswesen ein Tempel Gottes sei. Das Gesetz ist nothwendig und gut für die großen Verhältnisse des gemeinsamen Lebens, aber im häuslichen Leben soll es keinen Ort haben; nichts soll gelten als die Liebe, die Liebe derer, die das geistige Leben schon in ihrer Gewalt haben, und an die sich anschmiegen die, welche ihnen folgen. Aber soll dies Regiment der Liebe bestehen: so | gehört dazu das ungeschwächte Vertrauen und die ungehemmte Wahrheit aller Theile gegen einander; die Scheu aber hemmt das erste und hindert das andere; wo das Vertrauen geschwächt ist: ist auch die Wahrheit nicht; und wo die nicht ist: ist auch kein Regiment der Liebe. Dies, sagt der Apostel, sei das Eigenthümliche eines christlichen Hauswesens, wo Alles im Namen Jesu geschehe und Gott durch ihn Danksagung 22–24 Vgl. Gal 4,1f

30–31 Vgl. 1Kor 3,16f

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werde. Und wenn wir hierbei an unsern Erlöser denken: müssen wir sagen, es gibt kein Bild menschlicher Kräfte und Wirksamkeit, welches zugleich von aller Bitterkeit so frei wäre, als das Leben des Erlösers, und so müssen wir Ja und Amen sagen, es kann nichts im Namen Jesu geschehen, wo dieser selbige Geist der Liebe nicht wäre, sondern wo wir der Bitterkeit Raum gäben. Was das zweite Verhältniß betrifft, das der Apostel hier aufführt, nämlich das Verhältniß der Knechte gegen ihre Herren: so scheint das uns weniger angemessen zu sein, weil es solches Verhältniß wie damals zwischen Knechten und Herren unter den Christen unsers Welttheils nicht gibt; aber wol müssen wir es als einen Wink göttlicher Weisheit betrachten, daß uns diese apostolische Ermahnung nicht entzogen ist, denn wir können einen Schluß machen von dem Damaligen auf das Gegenwärtige, und von dem Kleinen auf das Große. Denn auf der einen Seite gibt es kein solch Verhältniß zwischen Knechten und Herren, es gibt keinen Dienst im häuslichen Leben als einen freien, welcher von beiden Seiten aus, wenn ihnen das Verhältniß nicht mehr genügt, wieder gelöst werden kann; wogegen in jener Zeit das ganze Leben der Knechte an den Willen ihrer Herren gebunden war, und nur von diesen, nicht von ihnen selbst, die Lösung dieses Verhältnisses ausgehen konnte. Auf der andern Seite gibt es viele christliche Völker, wo das Verhältniß zwischen Obrigkeit und Unterthanen eher schon gleich ist dem, wie es ehemals bestand zwischen Herren und Knechten, | wo es in der Willkühr des Einen ist und sein eigenes Gutbefinden, wenn er etwas Gemeinsames zwischen sich und seinen Unterthanen gelten läßt; da ist Einer der Herr und die Andern die Knechte. Wir können also und sollen von diesen Worten einen zweifachen Gebrauch machen; nämlich, was er damals von den Knechten verlangt, würde er noch weit mehr verlangt haben von den untergeordneten Verhältnissen in der menschlichen Gesellschaft, wie sie sich jetzt gestaltet haben, und eben so, was er sagt von den ehemaligen Verhältnissen des häuslichen Lebens, muß gelten von den größern Verhältnissen des öffentlichen Lebens, wenn sie noch eben so sind, wie damals. Da ist es zweierlei, was wir aus seinen Worten herausnehmen. Das erste, daß er solchen geringfügigen Dienst, wie er durch Anwendung der gewöhnlichsten menschlichen Kräfte geleistet wird, und nichts als die Bequemlichkeit zum Zwecke hat, daß er diesen auch ansieht als einen, welcher dem Herrn geleistet wird, indem er sagt: „was die Knechte thun, sollen sie von Herzen thun als dem Herrn und nicht den Menschen;“ es nicht ansehen als einen Dienst, den sie den Menschen leisten, sondern den sie dem Herrn leisten, und das sagt er in Beziehung auf diese kleinen, geringfügigen Dienste, die sie zu leisten bestimmt waren. Daher werden wir noch viel mehr schließen müssen, daß der Apostel jenen andern Beruf, worin Einer dem 23 Gutbefinden] Gut/befinden

41 jenen] vielleicht zu korrigieren in jeden

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Andern dient, wollte angesehen haben als einen Dienst, der dem Herrn geleistet wird und nicht den Menschen. Es ist aber ein Dienst, welcher dem Herrn geleistet wird, wenn er dazu führt, daß sich in jedem Kreise der Geist Gottes aussprechen kann, und ohne daß ein Zwiespalt dazwischen träte; wo auf die auch unscheinbarste Weise etwas geschehen kann, um das zu fördern: da kann auch Jedes geschehen von Herzen, und als nicht den Menschen, sondern Gott erwiesen; denn das ist die Verherrlichung Gottes im menschlichen Leben, wenn sich in allen Gestaltungen desselben der Geist Got|tes offenbaret, wenn man überall an dem, was geschieht, sehen kann das Werk Gottes, wodurch das Reich Gottes gefördert wird. Wo es fehlet an den äußern Hülfsleistungen: da wird jene freie, leichte Offenbarung des göttlichen Geistes gestört, und auch das Unscheinbarste kann nicht auf solche Weise geschehen, daß dadurch das Reich Gottes gefördert wird, wenn es nicht von Herzen geschieht; und darum müssen wir sagen, in dem Unscheinbarsten kann auch eben so der Geist Gottes sich offenbaren, als in dem Größten, wenn wir nur sehen, daß Alles als vom Herrn geboten geschieht, in Beziehung auf ihn, um sein Reich zu fördern. Wo solche Gesinnung herrscht und wirkt, auch in denen, die das Unscheinbarste in der menschlichen Gesellschaft verrichten: da ist der göttliche Geist, und dann ist auch der göttliche Geist in den größten Verhältnissen; denn dann wird immer das Auge offen erhalten für Alles, was Gott gefällig ist. Wenn er nun sagt, daß die Knechte Alles thun sollten von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen: so werden wir auch das anwenden können auf alle Verhältnisse des bürgerlichen Lebens, wenn sie in dieser Aehnlichkeit bestehen. Anderwärts sagt der Apostel zu den Knechten: könnt ihr frei werden, so brauchet des viel lieber, und das ist die Richtung, in welcher sich das menschliche Leben unter dem Schutz des Christenthums von selbst bewegt. Ueberall, wo dieses hingelangt, finden wir, daß die Ungleichheit aufgehoben worden, und wo die Menschen zum Reiche Gottes verbunden sind, müssen sie auch wesentlich einander als Gleiche in der Erscheinung hervortreten, und so finden wir, daß das bürgerliche Leben sich allmählig so gestaltet, daß das knechtische Wesen immer mehr verschwindet, und daß das Verhältniß des Ganzen zum Einzelnen, und des Einzelnen zum Ganzen nicht mehr so erscheint als eine persönliche Gewalt, als ein persön|licher Dienst, als eine persönliche Unterwerfung. Aber fragen wir, auf welche Weise solche Veränderungen im christlichen Leben vorgehen sollen: so finden wir die bestimmteste Anweisung bei dem Apostel: die Knechte sollen gehorsam sein in allen Dingen ihren leiblichen Herren, nicht mit Dienst vor Augen als den Menschen zu gefallen, sondern mit Einfältigkeit des Herzens und mit Gottesfurcht; und nur von solchem Gehorsam kann solche Veränderung ausgehen; sie sollen wissen, daß sie Alles, was sie zu leisten haben, 25–26 Vgl. 1Kor 7,21

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dem Herrn thun, nicht den Menschen. Von der größern Kraft der Liebe, davon sollen alle Verbesserungen in den geselligen Verhältnissen der Menschen hervorgehen; nicht von Störungen der Ordnung, nicht vom Herausreißen aus dem Gehorsam. Aber der Apostel fährt fort: „Und wisset, daß ihr von dem Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes; denn ihr dienet dem Herrn Christo. Wer aber Unrecht thut, der wird empfangen, was er Unrecht gethan hat, und gilt kein Ansehn der Person.“ Eben so fügt er hernach hinzu: „Ihr Herren, was recht und gleich ist, das beweiset den Knechten, und wisset, daß ihr auch einen Herrn im Himmel habt.“ Wenn wir beides zusammennehmen: so erkennen wir darin die rechte christliche Regel für die ganze Anordnung des Lebens in dieser Beziehung, und wie es sich immer zum Bessern und Gottgefälligen entwickeln soll. Denn der thut Unrecht und wird empfangen für das, was er gethan, der ein bestehendes Verhältniß gewaltsamer Weise löst; aber das Unrecht des Andern soll nimmer ein anderes Unrecht hervorbringen und Vorwand dazu geben, sondern jedes Unrecht ist abgeschlossen als ein Verhältniß zwischen dem Menschen und dem Herrn, den er im Himmel hat; das Unrecht des einen Theils soll nie einen Vorwand geben, daß der andre auch ein Unrecht thut. Wenn nun die, die noch auf so strenge Weise unterworfen sind, doch gehorsam sind und | zwar mit Einfältigkeit des Herzens und mit Gottesfurcht, weil sie wissen, daß sie durch Alles, was sie thun, dem Herrn dienen: so thun sie es dazu, daß Alles zu schönem Einklang kommt; denn sie thun es dem, der Alles zum Guten lenkt, und der alle Dinge zum Besten wendet, und sie bleiben um desto sicherer in der Bahn des Rechts und stellen alles Gott anheim. Aber in der christlichen Gemeinschaft liegt auch das in der Natur der Sache, daß, indem wir uns unter einander erbauen und das Wort Gottes reichlich wohnen lassen unter uns, auch die, die zu gebieten haben in menschlichen Dingen, zunehmen müssen in der rechten Erkenntniß dessen, was recht und gleich ist, und so ist es die Gewalt der göttlichen Wahrheit, wodurch sie selbst müssen getrieben werden, die Bande des Gehorsams nicht mit Gewalt zu lösen, sondern sie zu ändern, wie es die rechte Weise ist, damit Alles geschehe, nicht als den Menschen gethan, sondern dem Herrn gethan, und aus Anerkennung der Einen Herrschaft, welche vom Himmel geführet wird über Alles, was auf Erden ist. Solche Ermahnungen aus den Worten der Schrift zu schöpfen, gebühret es vorzüglich jetzt, wo wir überall Verwirrungen sehen auch unter christ26–27 Vgl. Kol 3,16 36–1 In den Jahren 1830/31 kam es u. a. in Frankreich (JuliRevolution), Belgien, Polen sowie mehreren deutschen Staaten (Sachsen, Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel) zu z. T. gewaltsamen politischen Umstürzen, Aufständen oder Unruhen. Davon betroffen waren im Sommer 1830 auch die preußische Rheinprovinz, im September Berlin, wo aufgebrachte Handwerker sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, und seit November die Polen benachbarten preußischen Provinzen, vor allem das Großherzogtum Posen.

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lichen Völkern; und wenn wir dies festhalten, überall nichts den Menschen, sondern dem Herrn zu thun und zu sehen auf das, was der Dienst ist, welchen wir Gott zu leisten haben: so werden wir ohne solche Verwirrungen auf dem Wege christlicher Liebe zu immer größerer Vollkommenheit geführt werden, und möge uns Gott seinen Segen geben, daß mitten in diesen verworrenen Zeiten wir ein Beispiel geben, daß Alle in demselben christlichen Sinn das Rechte suchen und sich unterstützen in dem Auffinden desselben, damit wir zum Ziele gelangen. Aber lasset uns nicht vergessen, daß das häusliche Leben der erste Grund zu allem Andern ist. Wenn da nicht die Liebe ohne Bitterkeit regieret: so ist nicht unmöglich, daß dasselbe auch unter uns geschehe, was wir jetzt | vieler Orten sehen in den großen Verhältnissen des bürgerlichen Lebens. Und so lasset uns in häuslicher Tugend den ersten Grund suchen zu aller Verbesserung im Großen, und Alle zusammenfassen in derselben Liebe zu einander, in demselben Gehorsam gegen den Herrscher, und auf diese Weise in dem Bestreben, den Willen Gottes zu thun, uns immer mehr der christlichen Vollkommenheit in unserer ganzen Gestaltung des christlichen Handelns nähern. Dann wird auch der Geist Gottes in uns wohnen, und wir werden uns seines Beistandes zu erfreuen haben. Amen. Lied 666, 8.

20 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 666: „Tief gebeugt vor dir im Staube“ (Melodie von „Alle Menschen müssen sterben“); die achte und letzte Strophe lautet: „Uns soll dieses Erdenleben Schule für den Himmel seyn. Preis dir, der den Sohn gegeben, uns dem Himmelreich zu weihn! Täglich wollen wir aufs Neue ihm beweisen Lieb und Treue, und hinauf an seiner Hand wallen in das Vaterland.“

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2. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 14,27 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. II SW II/3, 1835, S. 1–10; 21843, S. 1–11. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 119–127. Keine Keine

Am 2. Sonntage nach Trinitatis 1831.

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Lied 30, 1–4. 689. Text. Joh. XIV, 27. „Meinen Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ 5

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M. a. Fr. Das Wort, dessen sich der Erlöser hier gegen seine Jünger bedient, hat für uns einen zwiefachen Sinn. Es ruft uns einen Zustand der menschlichen Gesellschaft ins Gedächtniß, den wir Alle immer sehnlich zurükkwünschen, wenn er gestört worden ist, von welchem wir allein die gemeinsame Zufriedenheit und gedeihliche Entwikklung aller Verhältnisse erwarten. Aber es hat auch einen anderen Sinn; denn wir kennen Alle aus der Erfahrung unseres Lebens die innere Zwietracht des Menschen in sich selbst, und ihr gegenüber einen freilich für uns größtentheils oft unterbrochenen, selten vollkommenen Frieden des Herzens. Den ersten konnte der Erlöser seinen Jüngern nicht verheißen; in dieser Beziehung hat er gesagt: „ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, son|dern das Schwert!“1 Er hatte es ihnen 1

Matth. 10,34.

2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 30: „Hehr und heilig ist die Stätte“ (Melodie von „Werde munter, mein Gemüthe“); Nr. 689: „Herr, aus deiner Gnadenfülle“ (Melodie von „Wachet auf, ruft uns die Stimme“) 16–2 Vgl. Joh 15,20; Mt 10,17f.22; Mk 13,9.13; Lk 21,12.17

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vorher gesagt, und konnte ihnen nichts anderes sagen, als daß sie würden gehaßt werden und verfolgt wie er, als daß sie würden streiten müssen mit den Waffen des Geistes um sein Reich wie er: aber was er von Anfang an liebend verkündiget hatte, daß die bekümmerten Seelen sollten zu ihm kommen, um Ruhe zu finden, das konnte er izt seinen Jüngern, nachdem sein Werk an ihren Seelen so weit gediehen war, verheißen; diesen inneren Frieden, den konnte er ihnen nun zusichern, als er im Begriff war, sich von ihnen zu entfernen. So führt uns denn dieses, m. a. Fr., darauf zurükk, was wir in unserer lezten Betrachtung, als wir mit dem Apostel Paulus eingingen in den unendlichen Reichthum der göttlichen Weisheit, der darin liegt, daß Gott Alles beschlossen hat unter der Sünde, auf daß die Verheißung käme durch den Glauben an Jesum Christum1, zurükklassen mußten, indem wir jene Worte nur auf die großen und allgemeinen Verhältnisse der Menschen in dem Reich der Erbarmung und Gnade bezogen. Das Wort des Erlösers hingegen, das wir izt vernommen haben, führt uns in die innere Tiefe jedes einzelnen Gemüths, und spricht uns aus, was darin wird und werden soll durch den Erlöser, was er sich als sein Werk in unserer Seele zugeeignet; und so lasset uns an jene Worte zurükkdenkend zum Gegenstand unserer Betrachtung machen, wie jedes einzelne Gemüth, das an der Erlösung durch Christum Theil nimmt, in dem Frieden, den er läßt, in seinem Frieden eine solche Fülle der göttlichen Weisheit | erkennt, daß nichts darüber gedacht werden kann. Lasset uns daher zuerst sehen, was denn eigentlich der Friede des Erlösers ist; und dann uns umsehen und fragen, ob nicht darin und darin allein die ganze Fülle der göttlichen Weisheit liegt, die sich an einem menschlichen Dasein offenbaren kann. I. Zuerst also, m. g. Fr., was ist der Friede des Erlösers, den er den Seinigen läßt? Ist es der, welchen er selbst hatte, oder ist es nur ein schwaches Bild, eine leise Annäherung, ein dunkler Schattenriß von jenem? Was war der Friede des Erlösers? Daß er Eins war für immer und in allen Beziehungen mit seinem Vater, daß sich das Auge seines Geistes nicht öffnete um irgend etwas zu schauen, was ihn umgab, als nur er sah es als ein Werk Gottes, daß keine Bewegung sich in seiner Seele entwikkelte um zu einer Bestimmung seines Willens zu 1

Gal. 3,22.

4–5 Vgl. Mt 11,28f 9–10 Vgl. die Predigt am 29. Mai 1831 über Röm 11,32f 10–12 Vgl. Röm 11,32f

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werden, als nur nachdem er den Willen Gottes erblikkt hatte in dem, was ihm oblag; und daß so Eins das Andere immer aufnahm, er auf die Werke seines Vaters sah, und der ihm immer größere Werke zeigte, und daß er den Willen seines Vaters that, und immer weiter fortgerissen wurde in dieser Erfüllung des göttlichen Willens, bis er sagen konnte, daß er Alles vollbracht habe. Und diese Einigkeit des Willens mit Gott, durch welche immer der göttliche Wille und kein anderer sein Wille war, konnte ja – wie der göttliche Wille selbst doch nichts Anderes ist, als die allmächtige Liebe – auch in ihm nichts Anderes seyn, als eine ewig aus seinem Innern quellende Fülle der Liebe, eine | Liebe, welche den in das Elend der Sünde versunkenen Menschen immerdar das Größte anbot, was sie geben konnte, nämlich die Gemeinschaft mit seinem eigenen Leben, damit sie schöpfen könnten aus seiner Fülle des Friedens, der Wahrheit und der Einigkeit mit Gott, aber die auch nachsichtig und mitleidsvoll den Menschen selbst das Geringere, um was sie baten, nicht versagte, sondern auch mit lindernder Hand ihrer leiblichen Noth Hülfe gewährte – diese immer das Größte bei der Hand habende aber auch für das Geringere bereite, diese nach allen Seiten hin wirkende Liebe, das war sein Friede, den er hatte. Und der freilich war durch gar nichts gestört, eben weil kein Wille in ihm zu Stande kam und keine Regung seines Lebens, die nicht in Uebereinstimmung mit seinem und unserem Vater gewesen wäre; eben weil er gar nichts wußte von einem inneren Kampf, sondern Alles Eins war und blieb, wie es einig gewesen war von Anfang an. Aber er hätte freilich jene Fülle von immer beweglicher sich nach Andern ausstrekkender und sich ihnen darbietender Liebe nicht in sich tragen können, ja er würde auch die Werke Gottes, die ihm sein Vater zeigte, nicht gesehen haben, und es hätte kein Wille Gottes zu einer bestimmten That in seiner Seele reifen können, wenn er nicht, sündlos wie er war, doch das lebendigste das vollständigste Mitgefühl gehabt hätte von dem Elend der Sünde. Er sah die Menschen, die ihm gleich sein konnten, weil sie ihm gleich werden sollten, die er eben deswegen nicht verschmähte seine Brüder zu nennen, in diesen Zustand der Knechtschaft versunken, aus welchem das Gesez sie nicht hatte erretten können, denn das Gesez gab ihnen nur die Erkenntniß der Sünde; und in | diesem Mitgefühl der Sünde wandelte der Sündlose auf Erden, aber nicht daß es im Stande gewesen wäre seinen Frieden zu stören, sondern es war vielmehr ein lebendiger und nothwendiger Bestandtheil desselben. Dieses Mitgefühl der Sünde, wie finden wir es bei ihm so lebendig in allen seinen Reden, wo er die Menschen, welche die Sünde selbst in sich trugen, aber doch so wenig Gefühl davon hatten, zu dem 2–4 Vgl. Joh 5,19f

5–6 Vgl. Joh 19,30

35 Vgl. Röm 3,20; ferner 7,7

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rechten Bewußtsein derselben zu bringen suchte! wie tief hatte er das menschliche Herz eben in diesem Mitgefühl durchschaut auch in Beziehung auf das, was in seinem reinen Herzen nicht sein konnte! und je mehr nun sein großer Beruf auf Erden sich entwikkelte in dem Krieg des göttlichen Worts mit der Sünde der Welt, um so mehr steigerte sich dieses Mitgefühl. Konnte er sich nun als möglich denken, daß die Gewalt der Sünde, und seine Kraft die Sünde zu überwinden, neben einander bestehen könnten, ohne daß die Sünde von seiner Kraft ganz überwunden würde: so hätte er können als sein eigenes Gefühl ausrufen, was er nur ausrufen konnte eben in diesem Mitgefühl mit der Sünde der Welt: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Aber auch da war derselbe Friede in seiner Seele, mit welchem er wenige Augenblikke darauf seinen Geist in die Hände seines Vaters befahl. Dies, m. th. Fr., dies ist der Friede, welchen der Erlöser hatte. Wenn er nun sagt: „meinen Frieden gebe ich euch,“ ist dieses derselbe, oder ist es ein anderer? Es ist derselbige und wird derselbige in dem Maaß, als wir mit seinem treuen Jünger und Apostel sagen können, „Was ich lebe im Fleisch, das lebe nicht ich, sondern Christus in | mir;“1 in demselben Sinn und auf dieselbe Weise wird in der That sein Friede auch unser Friede. Der Erlöser konnte auch diese Worte nur sagen, nachdem er unmittelbar vorher seinen Jüngern die Verheißung gegeben hatte von dem tröstenden Geist, den der Vater senden würde an seine Stelle, und der sie an Alles erinnern würde, was er ihnen gesagt hatte. Diese Erinnerung nun, m. g. Fr., hat er nicht nur ihnen, sondern auch uns zurükkgelassen, und sie ist der erste Anfang, sie ist der innerste, heiligste Grund unseres Friedens. Sie ruht nicht in dem Buchstaben, der uns einzelne Züge seines Lebens erzählt, nicht in dem Buchstaben, der uns einzelne seiner Reden aufbewahrt; sie ruht in der Kraft des Geistes, ohne welchen der Buchstabe todt wäre, welcher aber immer hätte auch ohne den Buchstaben das Wort hervorgerufen, welches das Bild des Erlösers durch alle Zeiten getragen hat. In dieser Erinnerung ist uns der Friede gegeben: je mehr sein Bild unsere Seele erfüllt, desto mehr nähern wir uns seinem Frieden, je mehr sein Leben unser Leben durchdringt, desto mehr fühlen wir uns hingezogen in dieselbe Einigkeit mit Gott, und in dieselbe Ruhe des Gemüths über das, was der Herr über uns verhängt hat, und was er unter uns ausführt. Aber freilich die Sünde haben wir nicht nur als das Mitgefühl mit dem Zustand unserer Brüder, sondern sie ist und bleibt unser eigenes 1

Gal. 2,20.

11 Mt 27,46; Mk 15,34

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12–13 Vgl. Lk 23,46

21–24 Vgl. Joh 14,26

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Bewußtsein. Seine Seele war immer eben und ruhig, in unserer giebt es immer Stürme zu überwinden; je mehr Christus in der Seele schläft, desto heftiger wüthen sie, desto gewaltiger toben die Wellen der Leidenschaften, und was es sonst aufgeregtes und wider|strebendes giebt, daß wir oft verzagen mögten; wenn wir Ihn aber erwekken, dann beschwichtigt er den Sturm, dann schilt er uns Kleinmüthige, daß wir glauben konnten, wir würden untergehen, da er doch bei uns war, und in demselben Schiffe wie wir getragen wurde. Und in der Ueberwindung dieser Stürme fühlen wir dann um so stärker die Kraft des göttlichen Lebens, welches er uns mittheilt. Freilich würde das so sein, möchte wol einer sagen, wenn der Sturm nur entstände um durch den erwachten Erlöser gestillt zu werden, wenn wir nur kämpfen müßten, um immer zu siegen! – Aber wer vermag das von sich zu rühmen, wer unterliegt nicht oft in dem Kampfe des Geistes wider das Fleisch? Und doch, m. g. Fr., lasset uns fest überzeugt sein, wenn wir nur niemals dahin kommen, zu meinen, wir müßten oder dürften wenigstens sündigen, damit die Gnade desto mächtiger sich zeigen könne; sondern nie aufhören die Sünde zu verdammen: so kommt uns aus jedem Kampf, auch wenn wir unterlegen haben, eine neue Kraft der Selbsterkenntniß und der Vorsicht; und in diesem Bewußtsein können wir auch den Frieden des Erlösers gleich wieder fühlen in unserm Herzen, wenn die Seele zu Ihm zurükkehrt. Wir kämpfen auf den Wellen, aber er reicht uns die Hand, daß wir nicht untergehen; der, welcher sich aufrichtet von dem Fall, wird von ihm gehalten mit derselben Liebe, welche auch wenn Einer hundert Schaafe hat, und nur Eins davon sich verirrt, ihn treibt, die neun und neunzig in der Wüste zu lassen, und dem verlornen nachzugehen, bis daß er es findet. Und indem er so den Verlorenen nachgeht, wir aber den Zug seiner Liebe, auch nachdem wir gefallen, im Herzen fühlen: so kehrt auch sein Friede in unser Herz zurükk. Aber indem | seine ewig quellende Liebe den Thron aufschlägt in unserem Herzen; indem er, so wie er Eins war mit seinem Vater, kommt, um mit demselben Vater Wohnung zu machen in unserm Herzen; indem wir in Allem, was wir thun, sprechen können, die Liebe Christi dringet uns also: kommen wir auch dazu, daß die Sünde, gegen welche wir kämpfen mit der ganzen Rüstung des Geistes, uns auch nur wird zu dem Mitgefühl eines uns Fremdgewordenen. Denn als seine Streiter fühlen wir uns ganz gerichtet gegen die Sünde, auch gegen die, welche in uns selbst ist; und wenn es die Kraft seiner Liebe ist, die in uns wirkt, so ist es auch ganz sein Leben, 5–8 Vgl. Mt 8,23–27; Mk 4,35–41; Lk 8,22–25 15–17 Vgl. Röm 6,1 25– 27 Vgl. Lk 15,4 31–32 Vgl. Joh 10,30 32–33 Vgl. Joh 14,23 34 Vgl. 2Kor 5,14

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welches wir führen, und wir finden uns in diesem nur gegen die Sünde gerichtet, als Solche, die keinen Theil zu haben begehren an ihr. Wie sollten wir, indem wir so auf ihn sehen, und ihn immer aufs Neue in unserm Herzen erwekken, auf daß er in uns lebe, nicht auch das Bild seines Friedens schauen und diesen in unser Herz aufnehmen? wenn wir doch immer reicher werden an der Erfahrung, welche er uns verheißen hat, daß wir sie machen sollen; daß nämlich, indem wir seine Lehre thun, indem wir suchen in seiner Kraft zu handeln, wir auch inne werden, daß diese Kraft von Gott ist, und immer mehr durch dieselbe in die Gemeinschaft mit Gott hineingezogen werden. Sehet da, m. th. Fr., das ist der Friede, den der Erlöser uns giebt! Ein Friede, der ganz und ungetheilt ihm angehört, denn Er ist die einige Quelle desselben; aber auch ein Friede, der, wie Christus überhaupt dazu gekommen war, daß er die Welt überwinde, gewiß immer mehr Alles überwindet, was in uns noch der Welt angehört; ein | Friede, der uns, eben wegen dieser Förderung, und weil denen die Gott lieben, alles zum Guten mitwirkt, in dem ganzen Zusammenhang der göttlichen Führungen nichts Anders zeigt, als die allmächtige Liebe des Vaters im Himmel, wie der Erlöser selbst nichts Anderes sah als diese. II. Je mehr nun, m. g. Fr., dieser Friede, welchen der Erlöser uns mittheilt, zugleich auch der Vollkommenheit nach sich dem welchen er selbst empfand, um desto mehr nähern muß, je mehr wir in dem Leben mit ihm frei gemacht werden von Allem störenden und verwirrenden: um desto mehr werden wir schon von selbst uns dazu erhoben fühlen zu sagen: ja es giebt kein größeres Gut für die menschliche Seele, und kein befriedigenderer Zustand des Menschen läßt sich denken, als wenn er sagen kann, daß der Herr ihm seinen Frieden giebt und läßt. Aber das ist das Eigenthümliche unseres menschlichen Daseins, wie wir in Raum und Zeit hineingestellt sind, und es immer mit dem Gegensaz von groß und klein in allen Beziehungen unseres Lebens zu thun haben, daß wenn wir uns überzeugen wollen, der Friede sei in der That die volle Gabe des unerschöpflichen göttlichen Reichthums, so müssen wir den Zustand den er hervorbringt, vergleichen mit Anderem. Aber womit sollen wir ihn vergleichen? Nicht mit dem schwankenden Zustand einer Seele, die zwar schon ein Verhältniß mit Christo angeknüpft hat, aber es nicht festhält. Eben so wenig mit dem, was wir in der christlichen Welt, in welcher wir leben, erkennen als 6–10 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf Joh 14,12–17. 16,33 16–17 Anspielung auf Röm 8,28

13–14 Vgl. Joh

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Zustände, die nicht von Christo herrühren. Beides, m. g. Fr., würde der Aufgabe nicht genü|gen. Wollen wir eine Vergleichung anstellen, um uns zu überzeugen, daß der Friede, zu welchem die einzelne Seele durch Christum gelangt, das vollkommenste ist, was sich denken läßt: so müssen wir das, was durch den Erlöser geworden ist, vergleichen mit dem, was da sein könnte, wenn Er nicht wäre. Freilich ist es immer mißlich, das Auge auf das zu richten, was nicht ist; aber diese Betrachtung hängt so genau zusammen mit der rechten, vollen und innigen Erkenntniß des göttlichen Rathschlusses von der Seligkeit in Christo, daß wir uns derselben nicht entziehen können. Wollen wir nun dieses mit einander durchgehen, m. g. Fr., so müssen wir nur zuvörderst das festhalten, daß wir es immer nur mit dem Menschen zu thun haben, und daß wir diesen nicht denken können, wenn auch vielleicht ohne die Wirklichkeit der Sünde, doch nicht ohne die Möglichkeit derselben. Bei diesem Gedanken fällt unser Auge von selbst auf das uns vielfältig dargebotene, aber freilich schwer oder gar nicht zu vollendende Bild der Ersten unseres Geschlechtes, in deren Leben uns ein Zeitraum vorgehalten wird, in welchem die Sünde freilich möglich in ihnen war, aber sie war noch nicht hervorgetreten. Zugleich richtet sich unser Auge auf jene glükkselige Gestalt des menschlichen Daseins, als noch kein Mangel und keine Noth die sündliche Begier in dem Menschen hervorlokkte, und ein leichtes Leben auch eine leichte Entwikklung seiner Kräfte begünstigte; und wir fragen, ob in dem zu beharren nicht besser gewesen wäre. Allein lasset uns, m. G., die Sache im Großen betrachten. Denkt Euch das ganze Geschlecht der Menschen, in einem ähnlichen Zustand, und die Erde, | so weit sie bewohnbar ist, als einen eben solchen Schauplaz eines schuldlosen Lebens, wie wir uns jenen Garten Gottes am Anfang des menschlichen Geschlechts auszumalen pflegen; vergleicht dies mit der Gestaltung, zu welcher unser irdisches Leben sich entwikkelt hat, seitdem die Sünde entstanden ist, wie von den übrig gebliebenen Trümmern jedes vergangenen Daseins bis auf den heutigen Tag alles Zeugniß giebt von Vereinigung menschlicher Kräfte und von Kampf menschlicher Kräfte; wie überall die Spuren menschlicher Kunst und Wissenschaft zu schauen sind, wir aber auch überall sehen, das Alles könne nicht geworden sein ohne den Reiz, welchen die Lust, ohne den Kampf welchen die Sünde in dem Menschen hervorbringt. Wenn wir diese beiden Gestalten des Lebens mit einander 15–25 Schleiermacher bezieht sich auf die Vorstellung von einem vollkommenen, paradiesischen Urzustand des Menschengeschlechts, wie sie in Gen 1–2, aber auch in zahlreichen anderen Mythen, etwa im antiken griechisch-römischen Bild eines goldenen Zeitalters, begegnet.

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vergleichen: werden sie uns wohl anders bedünken, als die eine wie das klare, einfache Antliz eines schuldlosen Kindes, auf welchem freilich noch keine trüben Erinnerungen lasten, aber in welchem auch keine bestimmten Züge geschrieben sind, und die andere wie das von mancherlei Sorgen durchfurchte Gesicht eines Mannes, der die Welt erfahren und bekämpft hat in sich und außer sich? welches ist das Größere? welches ist das Reichere? wo zeigt sich die größere Fülle der Kraft? wo eben deshalb auch die größere Verherrlichung Gottes? Ihr werdet nicht zweifeln können, wie ihr entscheiden sollt! Aber, meine Meinung ist nicht auch jezt wieder auf die großen Verhältnisse der Menschen zurükkzugehen, vielmehr lasset uns nur nach dem Einzelnen fragen, welcher der einen und welcher der anderen dieser beiden Entwikklungen angehört, welchem von beiden wir wol den Vorzug geben. Und zwar wollen wir uns den Menschen, ehe die Sünde hervortritt, | nicht in einem müßigen Leben denken; nein! er mag wißbegierig sein, thatenlustig, er mag den großen Ruf, daß er die Welt beherrschen soll, vernehmen: aber reizlos wird das Leben für ihn sein und kampflos; denn überall, wo Kampf ist, ist auch schon die Sünde. Die Stärke, welche nur aus dem bestandenen Kampf hervorgeht, würde daher dem Menschen fremd sein, so wie auch das Bewußtsein seiner Kräfte, welches er nur hat, wenn er in dem Kampf, in der Versuchung bis an die Grenze gekommen ist, ihm fehlen würde. Ist einmal die Sünde in unserer Natur angelegt: so hängt sie auch mit allem anderen so genau zusammen, daß unser Bewußtsein nicht eher vollkommen sein kann, als bis auch sie wirklich zur Erscheinung gekommen ist. Aber ein Zweites! Wir wollen uns denken, ja, sie sei wirklich geworden die Sünde, der Mensch habe sich gefunden und finde sich immer in dem Kampf des Geistes gegen das Fleisch; aber er sollte diesen Kampf bestehen aus seinen eigenen Kräften, und ein Erlöser, wie der unsrige ist, wäre ihm nicht erschienen. Vergleichen wir auch diesen Zustand mit unserm gegenwärtigen, so werden wir wol gestehen müssen, soll die einzelne menschliche Seele nur betrachtet werden nach dem, als was sie äußerlich, daß ich so sage, erscheint, so wird der Unterschied nicht groß sein. Wir leben, m. a. Fr., unser ganzes gegenwärtiges Leben gleichsam mit aus dem Schaz und auf Rechnung solcher Völker vor uns, die von dem Erlöser nichts wußten, weil er noch nicht da war, die mithin diesen Kampf des Geistes gegen das Fleisch allerdings aus eigenen Kräften bestanden. Der Apostel Paulus giebt ihnen selbst das Zeugniß, so wenig hätte die ursprüngliche Offenbarung Gottes aus ihrem | Herzen vertilgt werden können, daß sie, da ihnen nicht wie den Juden ein Gesez gegeben war, sich selbst 16–17 Vgl. Gen 1,28

38–1 Vgl. Röm 2,14 in Zusammenhang mit 1,19f

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wären zum Gesez geworden. Dieses Gesez war in Jedem, und Jeder empfand den Ruf und die Macht des Gewissens in Beziehung auf das, was er als recht und gut dem bösen entgegensezte. Und wie würden wir noch immer so häufig bei den Werken jener längst untergegangenen Völker in ihren ausgestorbenen Sprachen verweilen, wenn wir nicht darin fänden hohe Vorbilder von aller menschlichen Tugend! Da giebt es keine Aufopferung, keine Manneskraft, keine Hingebung des Einzelnen für das gemeinsame Wohl, die nicht auch zum Vorschein gekommen wäre; von da sind uns die Namen der Tugenden hergekommen, mit welchen wir noch alles Gute und Edle in menschlichen Handlungen benennen. Aber wollen wir ihrem Zustande deshalb den Vorzug geben? Zweierlei ist es, was ihnen gefehlt hat, und was jedem Menschen immer würde gefehlt haben, so lange wir in diesem Kampf auf uns selbst wären gestellt geblieben. Das eine, m. g. Fr., ist eben jene ewig quellende Liebe des Erlösers, welche das ganze menschliche Geschlecht umfaßt, jene Richtung auf alle seine Brüder auf Erden, jene höchste Befriedigung die ihm aus der Ueberzeugung erwuchs, daß er obgleich seine Thätigkeit nach Gottes Willen und Rathschluß in einen engen Raum gebannt war, doch wenn auch erst nach seinem Hingang die ganze Menschheit bewegen würde. Diese Liebe zuerst hatte kein Auge gesehen, und kein Ohr gehört, sie war in keines Menschen Herz gekommen, und wäre es auch nicht, wenn nicht das Wort Fleisch geworden wäre. Es ruhte auf der Erde eine Finsterniß, welche die Völker schied, daß jedes nur sich selbst sah und liebte. | Von oben mußte ein Licht kommen, das sie für einander erleuchtete; sie mußten dieselbe Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater und in ihm denselben Einen Vater schauen, um sich auch unter einander zu erkennen und zu lieben. Die Richtung auf das Eine Reich Gottes, welches alle Menschen umfassen soll – und was wäre dann alles Andere gegen dieses? – konnte uns nur durch ihn gegeben werden. Aber noch mehr! wir wollen denken, das sich immer weiter verbreitende Verkehr der Menschen, die wachsende Gemeinschaft der Völker, die im ganzen menschlichen Geschlecht immer mehr hervorgehende Reife des Geistes würde mit der Zeit die Feindschaft unter den Menschen gedämpft, die Selbstsucht, welche jener allgemeinen Liebe hinderlich war, unterdrükkt haben, und daß eben daraus eine jener wenigstens ähnliche Liebe gegen alle Menschen hätte hervorgehen können, und mit ihr sogar das Verlangen nach einer allumfassenden geistigen Ver29 dann] vielleicht mit SW II/3, S. 9 zu korrigieren in denn 21–22 Vgl. 1Kor 2,9 (mit Bezug auf Jes 64,3) 1,14

22–23 Vgl. Joh 1,14

26 Vgl. Joh

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bindung: wie ganz anders würde dieses sich doch gestaltet haben? doch immer nur so, daß wir uns selbst ein Gesez geworden wären, wenn auch ein besseres als alle früheren. Aber zweitens das reine Bild des Menschen, der ohne die Sünde auf Erden wandelte, das Bild einer stets mit Gott einigen Seele, wo hätten wir es her? Die Spize unseres Bewußtseins fehlte uns, wenn Er nicht gewesen wäre! Was kann uns mehr erheben als dieses, daß das Wort Fleisch geworden und unter uns wohnete; daß der welcher mit Gott so eins war, uns das Recht gab, uns seine Brüder zu nennen, Kinder Gottes zu werden. Nein, ohne diese Fülle von Lebenskraft und Freude, die uns das Dasein des Erlösers giebt, möchte ich nicht leben. | Es geht schon seit geraumer Zeit eine Fabel unter den Menschen, und auch in diesen Tagen wird sie häufig gehört; der Unglaube hat sie ersonnen, und der Kleinglaube nimmt sie auf. So lautet sie, es werde eine Zeit kommen, und sie sei vielleicht schon da, wo auch über diesen Jesus von Nazareth ergehen werde, was recht ist. Jedes menschliche Gedächtniß sei nur fruchtbar für eine gewisse Zeit; viel habe das menschliche Geschlecht ihm zu verdanken, Großes habe Gott durch ihn ausgerichtet, aber er sei doch nur unser Einer gewesen, und seine Stunde vergessen zu werden müsse auch schlagen. Sei es sein Ernst gewesen, daß er die Welt wolle ganz frei machen: so müsse es auch sein Wille gewesen sein sie frei zu machen von sich, damit Gott sei Alles in Allen. Dann würden die Menschen nicht nur erkennen, daß sie Kraft genug den göttlichen Willen zu erfüllen in sich selbst haben; sondern auch in der richtigen Erkenntniß desselben würden sie über sein Maaß hinausgehen können, wenn sie nur wollen. Ja erst wenn der christliche Name werde vergessen sein, dann werde ein allgemeines Reich der Liebe und Wahrheit entstehen, in welchem kein Keim der Feindschaft mehr liege, wie er ausgesäet sei von Anfang an zwischen denen, die an diesen Jesum glauben, und den übrigen Kindern der Menschen. Aber sie wird nicht wahr werden, diese Fabel; seit den Tagen seines Fleisches ist es unauslöschlich dem Geschlecht der Menschen eingeprägt das Bild des Erlösers! könnte auch der Buchstabe untergehen, der nur heilig ist, weil er uns dieses Bild bewahrt, das Bild selbst wird ewig bleiben, zu tief ist es den Menschen eingegraben, als daß es jemals verlöschen könnte, und immer wird es Wahrheit sein, was | der Jünger sagt: „Herr! wo sollen wir hingehen? Du allein hast Worte des ewigen Lebens!“ Ja, 22 damit] da/ mit 7–8 Vgl. Joh 1,14 Joh 6,68

21 Vgl. Joh 8,32.36

22–23 Vgl. 1Kor 15,28

37–38 Vgl.

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Wenn Alle untreu werden, Erhalte mich Dir treu, Daß Dankbarkeit auf Erden Nicht ausgestorben sei. Einst schauen Alle wieder Voll Glaubens himmelwärts, Und sinken liebend nieder Und fallen Dir ans Herz. Amen. Lied 28, 7. 8.

1–8 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 557 (Melodie von „Befiehl du deine Wege“), Strophen 1 und 4: „Wenn Alle untreu werden, erhalte mich dir treu, daß Dankbarkeit auf Erden nicht ausgestorben sey. Für mich umfing dich Leiden, du starbst für mich in Schmerz; drum geb’ ich dir mit Freuden auf ewig hin mein Herz. // Ich habe dich gefunden! Laß du auch nicht von mir! Laß ewig mich verbunden, eins ewig seyn mit dir! Einst schauen Alle wieder voll Glaubens himmelwärts, und sinken liebend nieder, und fallen dir ans Herz.“ Bei dem vierstrophigen Text handelt es sich um eines der „Geistlichen Lieder“ von Novalis (Friedrich von Hardenberg), das, textlich leicht abweichend, erstmals im „Musen-Almanach für das Jahr 1802“, S. 200–202, erschienen ist. 9 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 28: „Gott ist gegenwärtig“ (Melodie von „Wunderbarer König“); Strophen 7–8 lauten: „Mach’ uns nur einfältig, innig abgeschieden, sanft und still in deinem Frieden! Mach’ uns reines Herzens, daß wir deine Klarheit völlig schau’n in Geist und Wahrheit. Laß das Herz himmelwärts wie ein Adler schweben, und in dir nur leben. // Komm, in uns zu wohnen! Schon auf dieser Erden möchten wir dein Tempel werden. Komm, du gütig Wesen, dich in uns verkläre, deine Lieb’ in uns vermehre. Wo wir gehn, wo wir stehn, laß uns dich erblicken, ganz zu dir uns schicken.“

Am 19. Juni 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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3. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 4,2–4 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 363–374, Nr. XIV; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 338. Tex t . Colosser IV, 2–4. „Haltet an am Gebet und wachet in demselbigen mit Danksagung; und betet zugleich auch für uns, auf daß Gott uns die Thür des Worts aufthue, zu reden das Geheimniß Christi; darum ich auch gebunden bin, auf daß ich dasselbige offenbare, wie ich soll reden.“

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M. a. Fr. Um den Sinn dieser Worte des Apostels recht aus seinem eigenen Gemüth heraus zu fassen, müssen wir zugleich auch den Zusammenhang, in welchem sie stehen, im Gedächtniß haben. Wir haben unmittelbar vorher die Ermahnung des Apostels gelesen in Beziehung auf die verschiedenen Glieder des Hauswesens, und vorher jene seine Ermahnungen, welche die ganze Gemeine als solche im Auge hatten, wie sie ein Theil sein solle an dem großen geistigen Leibe Christi und zugleich denselbigen doch in der Mannigfaltigkeit der Gaben auch wiederum als ein Ganzes darstellen. Wenn er nun da schon gesagt hatte: lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singet dem Herrn in eurem Herzen: so war also da schon die Rede gewesen von dem gemeinsamen Gebet der Christen in ihren der | Erweckung des Herzens bestimmten Versammlungen. Auf die Worte, die ich jetzt gelesen habe als den Gegenstand unserer heutigen Betrachtung, folgt eine Ermahnung des Apostels, wie sich die Christen verhalten sollen 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 338: „Welch Glück, so hoch geehrt zu werden“ (Melodie von „Die Tugend wird durchs Kreuz geübet“) 10–11 Vgl. Kol 3,18–4,1 11– 15 Vgl. Kol 3,5–17 15–17 Vgl. Kol 3,16 21–1 Vgl. Kol 4,5f

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gegen die, die da draußen sind. Und so sehen wir hier eine genaue Abstufung seiner Gedanken, wie er zuerst die ganze Gemeine als Eine im Auge hat und ihr mit christlicher Weisheit und Liebe zuspricht; dann begibt er sich in das häusliche Leben und schaut die verschiedenen Verhältnisse der einzelnen Theile desselben an, und dann redet er wieder, wie sich der Einzelne verhalten soll gegen andere Einzelne, die noch nicht zu der christlichen Gemeine gehören. Nun aber gibt es außer dem gemeinsamen und öffentlichen Gebet in unsern christlichen Versammlungen noch zweierlei Arten von Gebet; die Unterhaltung des Einzelnen in der Stille seines Herzens mit Gott, aber dann auch das gemeinsame häusliche Gebet; und wenn wir uns nun fragen, welches von beiden hat der Apostel hier im Auge gehabt, und wir sehen, daß unsere Worte ganz an der Gränze stehen zwischen dem, was sich auf die Gemeine des Herrn bezieht, und dem, was sich auf die Verhältnisse der Einzelnen zu andern Einzelnen bezieht: so können wir nicht anders glauben, als daß beides ihm gleich sehr am Herzen gelegen habe. Ich habe, m. g. Fr., das freilich so vorausgesetzt, daß außer unserm öffentlichen Gebet noch dies zweifache Gebet in der Gemeine der Christen zu finden sei. Es mag freilich wol wahr sein, daß der häusliche Gottesdienst und das gemeinsame häusliche Gebet nicht so allgemein ist, wie es wol sein sollte und könnte, und so möchte ich, daß die Erinnerung daran, wie das dem Apostel gewiß am Herzen gelegen hat bei den Worten seines Textes, uns aufs Neue darauf aufmerksam mache, welch ein Segen in diesem gemeinsamen Gebete liegt. Darum lasset uns, indem wir in den Sinn der Worte unsers Textes eingehen, das beides immer im Auge haben, damit wir dieses | Segens, den wir an dem Gebete haben können, aufs Neue uns erfreuen, und aufs Neue erweckt werden, uns desselben in beiderlei Beziehungen theilhaftig zu machen und ihn uns zu erhalten. Daß der Apostel sagt: „haltet an am Gebet,“ das deutet eben darauf, daß er es als einen oft und fleißig wiederkehrenden Zustand des Gemüths ansieht, daß er die Christen dazu auffordert, sie sollten sich davon nicht abhalten lassen, sich durch nichts Anders darin stören lassen, sondern darin anhalten mit der Beharrlichkeit, die jede christliche Tugend erfordert. Aber damit wir uns das, woran wir nach seinem Rath anhalten sollen, auch recht in seinem Sinn fassen: so laßt uns gleich die folgenden Worte hinzunehmen: „und wachet in demselbigen mit Danksagung.“ Es ist merkwürdig, daß der Apostel überall, wo er die Christen ermahnt zum Gebet, weit mehr und gleichsam ausschließend seinen Sinn richtet auf die Danksagung als auf die Bitte, so daß, wenn er auch der letzten gedenkt, er doch immer den größten Nachdruck auf die Danksagung legt. So sagt er anderwärts: in allen Dingen lasset Gebet und Fürbitte kund werden mit Danksagung vor Gott, und an einem andern Ort: betet ohne Unterlaß, seid dankbar in allen Dingen, denn das ist der Wille Gottes in Christo Jesu. Und gewiß, m. g. Fr, wenn wir die 39–40 Phil 4,6

41–42 1Thess 5,17f

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Sache recht erwägen, werden wir wol darin übereinstimmen müssen, daß die Bitten der Menschen, auch der wohlgesinnten und frommen Menschen, die nicht nach den eitlen Dingen dieser Welt streben, sich gar zu leicht in das Ferne, in das Unbestimmte und Ungewisse verlieren, und über dem Fernen, Ungewissen, das Nahe und unmittelbar Gegenwärtige versäumen. In der Bitte liegt allemal die Zukunft in ihrer ganzen Unbestimmtheit vor | uns; die menschliche Einbildung, die schon immer ihre Richtung auf das Unbekannte nimmt, hat dabei ihren vollen Spielraum, und selbst wenn wir denken, daß es nichts Anders sei als das Reich Gottes, das wir in unsern Bitten umfassen, auf das unser Gemüth gerichtet ist: doch ist es etwas Unbestimmtes, wenn wir uns in Bitten einlassen, was in der Zukunft damit geschehen soll. Und so hat denn der Apostel Recht, wenn er die Danksagung als die Grundlage des Gebets ansieht, was die weitere Bitte leiten und bestimmen muß. Und haben wir nicht einen großen Gegenstand der Danksagung, den wir niemals vergessen sollen, der immer unser Herz erfüllen soll, sowol wenn jeder Einzelne sich zu Gott wendet, als wenn wir seinen Segen in der häuslichen Gemeinschaft anflehen? Das ist, daß Er uns Alle berufen hat von der Finsterniß zu seinem wunderbaren Licht, daß uns Allen das göttliche Leben in Christo aufgegangen ist. Dessen müssen wir uns immer, so oft wir uns zu Gott wenden, aufs Neue mit Lebendigkeit bewußt werden, und wie wir wissen, daß wir selbst uns das nicht gegeben haben, wir, die wir in dem Schooße des Christenthums erzogen sind, eben so wenig als die, zu denen die Füße derer, die ihnen das Wort des Friedens bringen wollen, sich hinwenden müssen, um ihnen die Leuchte auf ihren Pfaden anzuzünden, – wenn wir, sage ich, das bedenken: so haben wir einen unerschöpflichen Gegenstand der Danksagung. Und was knüpft sich daran für eine Bitte? Offenbar die, daß wir den Segen des Christenthums recht gebrauchen wollen; und wenn wir recht danksagen: bitten wir zugleich, daß wir seine Gaben recht und würdig gebrauchen mögen, wie es der Mittheilung seines Geistes gemäß ist. So schließt sich an diese Danksagung, daß uns Gott von der Finsterniß berufen hat zu seinem wunderbaren Licht, so schließt sich daran auch die rechte Bitte, die Gott wohlgefällig ist. Und wenn wir an dem Morgen des häuslichen Lebens mit den Unsrigen die Geschäfte des Tages | beginnen, wenn uns die Worte gegenwärtig sind: Alles was ihr thut mit Worten oder mit Werken, das thut Alles in dem Namen des Herrn Jesu, und danket Gott und dem Vater durch ihn: dann wird sich, indem das Bild unsers Lebens, wie einfach und schlicht es auch sein möge, lebhaft vor uns steht, auch gleich Bitte und Danksagung vereinigen, um dieses Bild lebendig zu erhalten, damit es uns in der That bereite zu dem, was Gott wohlgefällig ist in Worten und in Werken. 23–24 Anspielung auf Jes 52,7 3,17

24–25 Anspielung auf Ps 119,105

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Aber das, m. g. Fr., könnte vielleicht noch Manchen Wunder nehmen, wie der Apostel gerade in Beziehung auf das Gebet sagt: „wachet in demselbigen mit Danksagung.“ Aber wir werden wol, wenn wir auf dasjenige, was auch in unsern Tagen noch so sehr gewöhnlich ist unter den Christen in dieser Beziehung, unsere Aufmerksamkeit richten, den Sinn seiner Worte nicht verfehlen. Sowol in den öffentlichen Gebeten, wie sie in dem jüdischen Volk üblich waren, dem der Apostel auch angehörte, aus welchem in allen von ihm gestifteten Gemeinen ein nicht unbedeutender Theil der Christen abstammte, als auch so, wie die mißverstandene Frömmigkeit des Götzendienstes es auch unter den Heiden in Uebung erhalten hatte, finden wir einen großen Reichthum von vorgeschriebenen und fremden Worten als die gewöhnliche Gestalt des Gebets. So waren die jüdischen Gebete Zusammenstellungen aus freilich schönen und herrlichen Worten, größtentheils aus dem Buch der Psalmen, welche einzeln und gemeinsam bei bestimmten Gelegenheiten, die das häusliche Leben darbietet, des Morgens am Ort der Versammlung zum Gebet, und dann wenn sie der leiblichen Gaben Gottes genossen, und wiederum in der Stunde des Abends dargebracht wurden. Vor diesem Reichthum an Worten im Gebet warnt der Herr schon seine | Jünger, indem er sagt: wenn ihr betet, so machet nicht viel Geschwätz wie die Heiden, die sich einbilden, sie würden erhöret, wenn sie viele Worte machen. Wenn wir an diese Art des Gebets denken: so können wir uns des Gedankens nicht erwehren, daß daraus leicht eine Art von Schlaf der Seele entstehen kann, daß sich in der Anhörung und Wiederholung fremder Worte gar zu leicht ein gedankenloses Wesen einschwärzt, und daß die Ermahnung des Apostels: wachet in demselbigen, gerade diese bestimmte Meinung hat. In unseren öffentlichen und gemeinsamen Gebeten, m. g. Fr., ist es nicht anders möglich, gleichviel ob die Worte vorgeschrieben sind und hergebracht in der Kirche oder ob sie jedesmal aufs Neue den Lippen dessen entquillen, welcher den Gottesdienst leitet: so ist doch nicht anders möglich, als daß Alle sich den Worten des Einen anschließen; es soll die Stimmung Aller dem, was gerade in dieser Stunde der Andacht vorgeht, sei es im Allgemeinen, sei es im Besondern, angemessen sein und es sollen sich Alle in demselben Grundton mit einander vereinigen. Aber da werden wir auch leicht zugeben, daß eben dieses Anhören und sich Aneignen fremder Worte bei einer wirklich frommen und andächtigen Richtung des Gemüths viel weniger nachtheilig ist und viel weniger einen solchen Schlaf der Seele hervorbringen könne, weil die Gegenwart einer größern Menge von Christen, die sich auf dieselbe Weise mit einander vereinigen, für einen Jeden schon eine beständige Ermunterung und Erhöhung des frommen Bewußtseins sein soll und Gott sei Dank auch wirklich ist; aber wenn auch in dem häuslichen Gebet, auch in der einsamen Unterhaltung mit Gott die 19–21 Vgl. Mt 6,7

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Christen sich daran gewöhnen, sich fremder Worte zu bedienen und diese Worte von Zeit zu Zeit wiederholen: dann entsteht sehr leicht das, wovor der Erlöser die Seinigen gewarnt hat. So kannte es der Apostel | aus der eigenen Erfahrung eines Jeden in dem Gebrauche seines Volkes, und darum fügt er auch hier nicht nur, sondern auch anderwärts seiner Ermahnung hinzu: seid wachsam im Gebet! und so wiederholt er auch hier: „wachet in demselbigen.“ Es soll ein lebendiger, sich durch und durch bewußter Zustand des Gemüthes sein, wenn wir uns zu Gott hinwenden. Wenn es aber jemals angesehen werden könnte als etwas, was durch eine Uebung hervorgebracht wird; wenn es nicht eine durch Wachsamkeit der Seele hervorgebrachte wirkliche Erhebung des Gemüths zu Gott ist; wenn nicht die Danksagung der Ausdruck, der lebendige, frohe Seufzer des Herzens ist, sondern kalt über die Lippen geht: dann ist es auch nicht mehr das Gebet, dann ist solche Danksagung nicht mehr das Anhalten im Gebet, dann ist es nicht das Wachen im Gebet, sondern es ist dann der Schlummer, der sich über die Seele verbreitet, indem wir uns zufrieden geben mit der äußeren Handlung, ohne daß etwas Innerliches mit uns vorgeht. Wenn wir bedenken, m. g. Fr., wie reichlich uns die Segnungen des Evangeliums zu Theil geworden; wenn wir immer aufs Neue in unseren gemeinsamen Versammlungen unterrichtet werden und erinnert an das, was unserm Leben, wie es sich nach der Natur der menschlichen Verhältnisse unter uns gestaltet hat, angemessen ist; wenn wir bedenken, es soll wol keinen Christen geben, der mit einer wahren Richtung zu Gott, mit reinem Willen, ihm durch Christus Dank zu sagen und Alles mit Worten und Werken zu seiner Ehre zu thun, doch könnte verlegen sein in Beziehung auf den Inhalt seines Gebets, und in sich einen Antrieb finden zu dem Gebet in dieser oder jener Stunde, ohne daß es doch ein bestimmter Antrieb sei, dies oder jenes zu beten: so müssen wir doch sagen, daß das gar nicht mehr unter uns sein sollte, daß keiner nöthig haben sollte, fremder Worte sich zu bedienen, daß jeder, indem er in den Grund seines Herzens hineinschaut, oder indem es ihn treibt, was er | in seinem Beruf gethan, mit Gott zu überlegen, daß jeder die Gegenstände des Gebets von selbst finden müsse. Es muß aus dem Herzen kommen und nur dann kehrt es wiederum als göttlicher Segen ins Herz zurück. Und eben in diesem Zusammenhang werden wir es auch besonders noch erkennen, wie recht der Apostel hat, eben diese Wachsamkeit des Herzens im Gebet vorzüglich an die Danksagung zu knüpfen. Wir können ja wol niemals unser Herz auf Gott richten, ohne uns der göttlichen Wohlthaten, jener großen und alles Einzelnen, was damit zusammenhängt, bewußt zu werden, und schon in dem Vorigen, was der Apostel gesagt, Alles zur Ehre Gottes zu thun und ihm in Christo zu danken, darin liegt schon für jeden der besondere Grund zur Danksagung, weil er ja einem jeden auf eigenthümliche 5–6 Vgl. Eph 6,18

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Weise eine solche Stelle im Leben angewiesen hat, wo wir einen Beruf haben, die Ehre Gottes zu verkündigen; und so geht aus der Danksagung auch die rechte, ihm wohlgefällige Bitte hervor, daß der Geist, sein göttlicher Geist uns leiten möge auf ebener Bahn in Beziehung auf den einzelnen, uns von ihm angewiesenen Beruf, in Beziehung auf den großen Beruf, daß wir als Glieder der christlichen Gemeine ihm zur Ehre leben und ihn preisen sollen mit unserm ganzen Dasein. Wenn wir noch das hinzu nehmen, was der Apostel gleichsam als Zusatz hinzufügt: „Und betet zugleich,“ indem ihr im Gebet mit Danksagung vor Gott wacht, indem ihr aufs Neue euch ihm darbringt, „betet zugleich für uns, auf daß Gott uns die Thüre des Wortes aufthue, zu reden das Geheimniß Christi, darum ich auch gebunden bin, auf daß ich dasselbige offenbare, wie ich soll reden,“ – wenn wir, sage ich, diese Worte noch dazu nehmen: so sehen wir zunächst, wie auch wieder jeder Christ im Gebet von seinem eigenen Anliegen und Bedürfniß zu den allgemeinen Angelegenheiten der christlichen Kirche zurückkehren soll. Darum bittet der Apostel gleichsam | die Christen in diesen Worten, sie sollten auch seiner, und damit meint er nicht sich allein, sondern alle die ersten Verkündiger des Christenthums, in ihrem Gebete gedenken, auf daß Gott ihnen die Thür eröffne, Gelegenheit gebe, das Wort hinzutragen, wo es noch nicht hingekommen, aber daß er ihnen auch Kraft gebe, es so zu reden, wie sie sollen, damit es Frucht bringe, damit es überall das rechte belebende Licht sei, welches in die Seelen hineinfällt. Es bietet sich, m. g. Fr., oft genug die Veranlassung dazu, in unsern öffentlichen Versammlungen die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu richten. Wir sind in die Mitte der christlichen Völker gestellt, aber wir können sagen, daß wir auch in solche Oeffentlichkeit des Lebens gestellt sind, daß nichts Menschliches uns fremd sei, daß in jeder Stunde von allen Orten uns Kunde zukommt, daß wir immer wissen können, welche Zeit es ist im Reiche Gottes, was wir für dasselbe wünschen, wofür wir Gott danksagen sollen, und was jeder für dasselbe thun könne. Aber eben deswegen, weil es so ist, ist auch das Geschäft derer, die das Evangelium dahin bringen, wohin es noch nicht erschollen ist, nicht das einzige, welchem die Thür des Wortes muß aufgethan sein, nicht die einzige Verkündigung des Evangeliums mehr; sondern es gibt eine solche gegenseitige unter uns, wenn wir uns gegen einander ergießen über die Gnade Gottes, indem wir gegen einander Zeugniß ablegen von dem, was uns das Evangelium ist. Jeder will und soll Theil nehmen an dieser Darlegung des Worts, jeder wünscht sich eine Thür geöffnet in dem Kreise, in welchem er lebt; aber jeder soll auch in seinem Gebet die Bitte haben, daß er es zu Tage legen möge, so wie er soll reden. Und wahr26–27 Anspielung auf Publius Terentius Afer: Heautontimoroumenos 77: „Homo sum: humani nihil a me alienum puto.“ Comoediae, ed. Societas Bipontina, Bd. 1, S. 202; vgl. Comoediae, edd. Klauer/Lindsay, o. S.

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lich, m. g. Fr., wenn wir die gegenwärtige Zeit vergleichen mit einer frühern unsers Lebens; wenn wir offenbar bekennen müssen, es treten jetzt die großen Gegenstände unsers Glaubens häufiger in das gesellige Gespräch, sie werden nicht mehr wie eine Angelegenheit behandelt, die durch|aus nur in die tiefste Stille des Lebens gehört, oder deren man in den Augen der Welt Ursach habe sich zu schämen; wenn wir gestehen müssen, die Zeiten sind vorüber, wo der glauben konnte, zum Spott der Welt zu werden, welcher nicht nur mit Werken, sondern auch mit Worten gern ein Zeugniß ablegte von dem Reichthum der Gnade Gottes, die uns in Christo erschienen ist: so müssen wir doch sagen, mit der Möglichkeit dieser Verkündigung ist nicht immer verbunden die rechte Weisheit und die rechte Liebe, sondern auch die Erfahrung tritt uns häufig entgegen, daß Einige auch in diesem Sinne und in diesem gemeinsamen Leben Christum verkündigen mit Streit und aus Streit. Wenn der Apostel von seiner eigenen Verkündigung des Evangeliums hier redet: nun, so wissen wir freilich auch, daß er es nicht verkündigen konnte ohne Streit, daß er seine Worte häufig kehren mußte, und es mit großem Eifer gethan hat, gegen die falschen Brüder, daß es Irrthum genug gab, vor dem er mit großem Ernst warnt; und wer möchte ihn deshalb tadeln und sagen, das wäre auch ein solches Christum aus Streit Verkündigen gewesen, wie es nicht sein sollte? Aber wenn wir zuerst dafür sorgen in unserm Gebet, wachsam zu sein mit Danksagung, wenn wir aufs Neue unser Herz stärken mit Dankbarkeit für den Segen, den wir selbst aus dem Evangelio erfahren: so werden wir selbst sagen, daß das nicht liegt in irgend einem Buchstaben, in irgend einer Auffassungsweise des christlichen Lebens, sondern in dem lebendigen Verhältniß, in das wir durch Christum zu Gott gekommen sind, in der lebendigen Gemeinschaft, in welcher wir mit ihm stehen, so daß wir sagen können, es ist ein wahres Wort gewesen, das der Erlöser gesagt hat, daß er kommen werde mit seinem Vater und Wohnung machen unter uns. Wer sich dessen erfreuen kann, ist erhaben über jeden Buchstaben; er fragt nur, ob uns der Segen zu Theil geworden ist, daß Christus gekommen sei, Wohnung zu machen mit seinem Vater unter uns. Wo er | dies erkannt hat: da kümmert er sich um keinen Buchstaben, da öffnet sich das Herz der brüderlichen Liebe im weitesten Sinn des Wortes, und erst wenn die Herzen aufs Neue zur lebendigen Gemeinschaft erweitert sind: dann findet sich von selbst auch wol, daß der Eine sich gegen den Andern ausspricht, wie er dazu gekommen, und da trifft es sich wol, daß Einer über dieses oder jenes anders denkt als der Andere; doch stört das die brüderliche Einigkeit nicht, denn es hofft ein Jeder, daß Gott es ihm weiter offenbaren werde, wo er noch im Irrthum sei. Aber wenn wir sehen, daß aus diesem Verkehr Veranlassungen entstehen, das Band der Liebe zu lösen und die große Gemeinschaft in lauter kleine 28–29 Vgl. Joh 14,23

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zu zertheilen: dann müssen wir sagen, wo solche Folgen sind, da ist es ein Reden des Geheimnisses Christi nicht, wie es sein sollte; denn er war es ja, durch den alle Scheidewand unter den Menschen sollte aufgehoben werden, damit sie Gott einmüthig priesen. O, so lasset uns denn das besonders zum Gegenstand unsers einzelnen und häuslichen Gebets nehmen, daß, indem wir gern von dem Worte Gottes reden, indem jeder die ganze Gnade offenbaren möchte, die ihm in Christo widerfahren ist, es doch so jedesmal geschehe, wie wir sollen reden, daß dabei festgehalten werde die Einigkeit des Geistes und das Band des Friedens, daß jeder Austausch der Gedanken nichts Anders sei als zugleich eine Darlegung der brüderlichen Liebe, und daß so, indem wir unsern eigenen und den Zustand der Brüder im Herzen tragen, Fürbitte und Danksagung sich vereinigen mögen zu einem reinen Ausdruck der brüderlichen Liebe. Denn darauf, m. g. Fr., kommt doch Alles zurück, wenn wir wissen wollen, ob wir das Wort Gottes reden, wie wir sollen, wie viel Segen wir haben von der Art, wie wir die christliche Lehre auffassen. So lasset uns immer darnach fragen, wie sehr dadurch die Liebe in unsern Herzen hervorgeht und verstärkt wird, und alle Schranken aus dem Wege geräumt werden; denn Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibet | in Gott und Gott in ihm. Wollen wir wissen, wie es steht um unsere wahre Gemeinschaft mit ihm, wollen wir ihm die gemeinsame Noth der Christenheit im Gebet ans Herz legen, von der Danksagung anfangend, und zum Gebet in der Fürbitte fortschreitend: so lasset uns nur dieses Maaß der Liebe anlegen, dann wird unser Gebet gesegnet sein. Wenn wir uns ihm nahen mit Danksagung: dann werden wir auch keinen Unterschied machen in unserer Fürbitte für unser eignes Wohl und für das Allgemeine, in unserer Danksagung für das, was Gott uns allein des Guten erweiset, und der für die große Gemeinschaft; beides wird dann immermehr Eins werden in den Wünschen unsers Herzens, in den Thaten unsers Lebens, in den Worten unsers Mundes. Dazu vereinige uns der Herr immer mehr in Christo Jesu! Amen. Lied 32, 2. 3.

3–4 Vgl. Eph 2,14 8–9 Vgl. Eph 4,3 18–19 1Joh 4,16 31 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 32: „Herr, vor deinem Angesicht“ (Melodie von „Liebster Jesu, wir sind hier“); Strophen 2 und 3 lauten: „Laß das Wort, das hier erschallt, tief in unsre Seelen dringen, und mit göttlicher Gewalt jeden Widerstand bezwingen; daß es unsern Sinn erneue, und das Herz mit Trost erfreue. // Dein Gebot, das wir erkannt, hilf du selbst uns treulich üben, dich und den du uns gesandt, Jesum Christum, herzlich lieben. O daß weder Leid noch Freude je von deiner Lieb’ uns scheide.“

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Am 26. Juni 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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4. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 6,34 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. III SW II/3, 1835, S. 11–20; 21843, S. 12–22. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 127–136. Keine Keine

Am 4. Sonntage nach Trinitatis 1831. Lied 644. 574. Text. Matth. VI, 34. „Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ M. a. Fr. Dieser Rath des Erlösers bildet einen sonderbaren Gegensaz zu der Stimmung der Gemüther, welche wir izt so häufig unter uns antreffen. Ein Schrekkbild von Krankheit ist schon seit langer Zeit aus weiter Ferne uns immer näher gerükkt; seit lange schon harren Viele in einer ängstlichen Spannung, ob es uns erreichen werde oder nicht, ob sich die fremde Plage aus anderen Erdstrichen bis in unsere Gegend wagen werde und auch hierher Tod und Verderben bringen, oder ob eine gütige Bewahrung Gottes mittelst menschlicher Weisheit und Treue sie werde abzulenken wissen; und je näher das Uebel gerükkt ist, desto mehr hat diese Spannung überhand genommen, desto mehr haben wir uns schon geplagt und gequält um das, was noch 2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 644: „Dankt dem Herrn, ihr Gottesknechte“ (Melodie von „Gott des Himmels und der Erden“); Nr. 574: „Beklommnes Herz! was willst du bange sorgen“ (Melodie von „Mein Salomo, dein freundliches Regieren“) 7–11 Gemeint ist die sog. Asiatische Cholera, die sich seit 1817 epidemisch von ihrem indischen Ursprungsgebiet aus auch Richtung Europa verbreitete. 1830 hatte sie Rußland, im September Moskau, erreicht und drang von dort weiter nach Westen vor. Seit Frühjahr 1831 waren dann auch Teile Deutschlands betroffen, vor allem die Städte. Die ersten Berliner Verdachtsfälle auf Cholera gab es am 28. August in Charlottenburg und am 30. August im Zentrum. Vgl. oben Einleitung I. 4.

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nicht ist. Mancherlei Zeichen von Zerrüttung der Völ|ker in sich und unter einander bewegen uns, wie wir in den allgemeinen Strom menschlicher Dinge hineingesenkt sind, schon seit langer Zeit; ob Festigkeit des Entschlusses den Frieden zu erhalten, ob die Scheu, welche innige Zusammenstimmung eines Volkes Andern zu gebieten pflegt, uns werde zu sichern im Stande sein, oder ob doch wieder eine Zeit kommen werde, wo die Völker gegen einander aufstehen, und die allgemeine Noth des Krieges und der Zwietracht die friedlichen Geschäfte und den schönen Genuß des Lebens unterbricht: seit wie lange quälen uns schon diese Gedanken, wie erwägen wir bei jedem Ereigniß aufs neue die Wahrscheinlichkeiten für und wider, wie ängstlich sind die Gemüther bewegt, und wieviele verlieren Besiz und Genuß der Gegenwart durch Besorgniß über die Zukunft! In diese Stimmung tönt nun der Ausspruch des Erlösers: „Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe,“ und erinnert uns, daß wir an dem heutigen Tage uns nicht belästigen sollen mit der Sorge für den morgenden, und noch viel weniger mit der für eine ferne Zeit. So lasset uns denn, m. g. Fr., je mehr grade izt es uns Noth thut, um so dringender den Rath des Erlösers uns an das Herz legen, daß wir uns nicht sollen mit der Plage künftiger Zeiten voreilig belästigen. Lasset uns zuerst vor Allem suchen, die Meinung des Erlösers hierin richtig zu verstehen, dann wird uns auch gewiß die ganze Vortrefflichkeit dieses Rathes ins Auge leuchten. I. Wenn der Erlöser, m. a. Fr., von Plage redet, so redet er von etwas, was ihm selbst fern war, und läßt sich | herab zu dem Zustand der Menschen, welche ihn umgaben. Er redet nicht aus seinem eigenen Gefühl, sondern aus dem innigen Mitgefühl, welches freilich, so wie es ihn bewegte, mit zu der göttlichen Kraft seines Lebens gehörte; aber er läßt sich herab zu der Schwachheit der Menschen, doch nicht zu der Sünde der Menschen. Wir nennen leider oft Manches in der Trägheit und Verkehrtheit unseres Herzens Plage, was der Erlöser nicht so nennt. Wenn uns die Arbeit, welche Gott uns auferlegt hat als unser Tagewerk in der menschlichen Gesellschaft, bisweilen schwer wird, wenn sie unsere Kräfte ungewöhnlich anstrengt, wenn 1–3 In den Jahren 1830/31 kam es u. a. in Frankreich (Juli-Revolution), Belgien, Polen sowie mehreren deutschen Staaten (Sachsen, Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel) zu z. T. gewaltsamen politischen Umstürzen, Aufständen oder Unruhen. Davon betroffen waren im Sommer 1830 auch die preußische Rheinprovinz, im September Berlin, wo aufgebrachte Handwerker sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, und seit November die Polen benachbarten preußischen Provinzen, vor allem das Großherzogtum Posen.

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sie sich nicht finden will zu dem gewünschten glükklichen Ziel: wie lästern wir dann dasjenige, was doch ein wesentlicher Theil unserer Bestimmung ist, was die eigentliche Kraft und den Genuß unseres Lebens ausmachen soll, und nennen es unsere Plage! Wenn das der Erlöser gemeint hätte, so hätte er freilich nicht sagen können, es sei genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe; denn die Thätigkeit unsers Berufs können wir nicht nach einzelnen Tagewerken sondern und messen. Viel zu bunt ist in diesem allgemeinen Zusammenhang menschlicher Dinge das Leben der Meisten zusammengesezt und verwikkelt, viel zu lang zieht sich jede einzelne Aufgabe immer wieder durch andere unterbrochen bis zu ihrer Auflösung hin, als daß wir so unsere Pflichten und unsern Beruf vereinzeln könnten. Das Werk unseres Lebens soll uns so viel als möglich stets ganz vor Augen schweben; nicht mit dem Augenblikk als solchem, nicht mit diesem oder jenem Theil des Lebens sollen wir es zu thun haben, sondern immer mit dem Ganzen, wie der Erlöser immer erfüllt war von dem ganzen Werke, | welches sein Vater ihm aufgetragen hatte. Zu dieser Thätigkeit in unserm Beruf und Geschäft gehört dann auch die richtige Vertheilung unserer eigenen Kräfte und Hilfsmittel, damit wir in jedem Augenblikk im Stande sein mögen, an dem Werk unseres Berufes auf ersprießliche Weise zu arbeiten. Aber diese Weisheit und Richtigkeit der Vertheilung, welche auf die verschiedenen Zeitabschnitte hinsieht: wer vermöchte sie eine Plage zu nennen, wenn er nicht auch wieder seinen Beruf und seine Thätigkeit in demselben als Plage ansehen will. Wenn wir uns ferner dessen erinnern, was wir eben vorher vernommen haben1 in den Worten des Apostels, von der Sehnsucht, die er beschreibt, als auf den vollen Genuß der Kindschaft Gottes gerichtet, eine Sehnsucht nach der vollkommenen Offenbarung des göttlichen Reiches, nach der immer weiteren Entwikklung seines gnädigen Rathschlusses, wie innig diese zusammenhängt mit dem großen Werk der Erlösung, zu wie vielem Guten unbewußt und verborgen ein solches Verlangen treibt; o! wer möchte diese Sehnsucht, wenn sie auch oft sich nicht äußern kann ohne schmerzliche Laute der Klage über die Unvollkommenheit der Gegenwart, wer wollte sie eine Plage nennen! vielmehr ist sie es, aus welcher die freudigste, heilsamste, gottgefälligste Thätigkeit von einem Tage zu dem andern immer mehr sich entwikkelt. Also auch dieses ist es nicht, was der Erlöser im Sinne gehabt haben kann; vielmehr konnte er nur das mit Recht Plage nennen, was unsere Thätigkeit hemmt, Zustände die | wider unsern Willen auf uns eindringen, alles was unsere Lebenskraft abzieht von unserm Ge1

In der Sonntagsepistel Röm. 8, 18–23.

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schäft, uns in einen Zustand der Unthätigkeit und des Leidens versezt, und auf welche Weise es auch immer sei unsere frohe und freudige Wirksamkeit unterbricht. Aber die Plage des einzelnen Tages, m. a. Fr., die wirklich gegenwärtige, so verstanden, was wird sie uns anders als unvermeidlich, indem wir uns nur noch um desto tiefer in das Meer der göttlichen Liebe versenken, indem wir unser Vertrauen auf diese Liebe, welche der einzig wahre Grund derselben ist, noch fester erbauen, eine Aufforderung kräftigen Widerstand zu leisten gegen die menschliche Schwachheit? und indem die Plage des einzelnen Tages, die wirklich vorhanden ist, eine solche Aufforderung für uns wird, so hört sie auf, eine Plage zu sein; denn alles drükkende verschwindet wieder in dem Bewußtsein, wie die Gnade Gottes sich mächtig erweist in der Schwachheit, wie der Glaubende und Liebende alles überwindet, und wie er in jedem Zustand Gelegenheit findet ein Werk Gottes zu thun und ein Zeugniß abzulegen von seiner Gnade. Doch könnte jemand sagen: wenn wir also der Plage widerstehen sollen um der Thätigkeit und um des Berufes willen, und wir können doch unsere Thätigkeit und unsern Beruf nicht abmessen nach einzelnen Tagewerken: sollte dann nicht eben die rechte Liebe zu unserm Beruf auch das mit sich bringen, daß wir unsere Augen so weit als möglich hinaus öffnen, um das zu erkennen, was uns später ein Hinderniß werden kann in unserer freien und frohen Thätigkeit? Das aber, m. th. Fr., das ist die schöne Frucht und der hohe und würdige Preis eines solchen Lebens, wie | es sich seit langer Zeit schon unter den Völkern unseres Welttheils gestaltet hat, daß dieser Einwurf, so wie man ihn genauer betrachtet, in ein Nichts verschwindet. Alles dasjenige, was zu irgend einer bestimmten Kunst der Berechnung menschlicher und natürlicher Dinge gehört, das ist auch unter uns überall die Sache eines besonderen Berufs. Denjenigen, welchen aufgegeben ist in größeren oder kleineren Kreisen das gemeinsame Leben der Menschen zu leiten ober zu schüzen, gebührt es allerdings hinauszusehen in die Zukunft: aber das ist bei ihnen nicht etwas, was aus der Sorge oder Furcht entspränge, nicht etwas was zu ihren Plagen gehörte; vielmehr ist es ein Theil ihrer Thätigkeit und ihres Berufs. Und so kann und soll sich in einem wie das unsrige eingerichteten Leben alles in gottgefällige Thätigkeit verwandeln; so daß außer dieser und außer dem Kampf für sie, der aber auch wieder ihr angehört, gar nichts ist, was unser Gemüth bewegen könnte. 5–6 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 177 (Melodie von „Herzliebster Jesu“), Strophe 1: „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken, mich in das Meer der Liebe zu versenken, die dich bewog, von aller Schuld des Bösen uns zu erlösen.“ 12–13 Vgl. 2Kor 12,9

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Darum, m. th. Fr., weil es so ist, und weil es keine Sorge giebt und kein sich Kümmern um das Ferne und Künftige, ausgenommen in sofern Einer einen bestimmten Beruf hat seine Thätigkeit für das Ganze hierauf zu richten, mithin auch die Plage, wenn sie nun kommt und auch uns nicht verschont, in Jedem, der das Werk Gottes thut, sich auch sogleich in eine Aufforderung zu einer gottgefälligen Thätigkeit verwandelt: deshalb sollen wir auch nicht glauben, es sei ein Gebot des Erlösers, wenn er sagt, „Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Wie das ihm selbst fremd war, und Alles, was ihm hätte zu einer Plage werden können, vorher schon in ihm Aufforderung wurde zu einer gottgefälligen Thätigkeit in sei|nem Beruf, und weil er nun eben es ist, der in uns leben soll nicht wir selbst weder in unserer Sünde noch in unserer natürlichen Schwachheit: so ist es nur eine Herablassung zu dieser Schwachheit, wenn er von einer Plage redet. Frei sollen wir sein von der Plage durch ihn, wie er es war; das ist eigentlich sein Gebot in dieser Sache. Wie ihm, so soll durch seine Kraft auch uns Alles, was uns vermöge der natürlichen Verhältnisse des Lebens trifft, eher noch Aufforderung zur Thätigkeit werden, als es uns Plage deuchten konnte. Und wie eben dieses auch von einer solchen Zukunft gilt, wie die, auf welche wir schon so lange mit Bangigkeit hinsehen, und die uns eben dadurch noch in solcher Ferne und Ungewißheit doch schon zur Plage geworden ist; wie auch von dieser dasselbe gilt: wer von uns hätte das zum Theil nicht auch schon erfahren, der die Zeiten, welche noch nicht lange hinter uns liegen, mit erlebt hat? Was für eine Erwekkung der Herzen und Germüther, was für ein treues gegenseitiges Anfassen brachten damals die gefürchtetsten Plagen hervor! wie freuten wir uns des gemeinsamen verborgenen geistigen Lebens, als das äußere fast vernichtet war, und allen seinen Reiz verloren hatte! wie glühte in uns ein herrlicher Sinn der Liebe der Hoffnung und des Glaubens, als alle menschliche Wahrscheinlichkeit für die Wiederherstellung eines besseren Daseins fast jedem auch minder kurzsichtigen Auge verschwunden war. Ja, wenn es kommen sollte, daß neue Plagen uns treffen; wenn der Herr uns heimsuchen sollte mit der Noth der Krankheit, und wir wollten auch nicht mit einstimmen in den Wunsch des David, als Gott ihm darbot in der einen | Hand den Krieg und in der andern die Pest, und er sprach, daß er lieber wolle in die Hand Gottes fallen; wenn wir auch nicht wählen wollten, denn der Mensch 12 Vgl. Gal 2,20 23–33 Gemeint sind die Zeiten der preußischen Reformen und der Befreiungskriege gegen Napoleon, nachdem Preußen zuvor mit seiner Niederlage im Vierten Koalitionskrieg 1806/1807 an den Rand des Zusammenbruchs geraten war. 35–38 Vgl. 2Sam 24,11–14, bes. 13f

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soll es nicht: aber was immer auf uns einbrechen mag, wie freudig werden wir dann auch unter uns den Muth erblikken, der in jedem wahrhaft gottvertrauenden Herzen sich erhebt! wie wird dann das innerste Gemüth frisch sein und lebendig, während wir von außen nichts anderes zu athmen wähnen als Anstekkung oder Tod! Lasset einem jeden Tag seine eigene Plage, und kümmert euch nicht um die zukünftige. Und wer hätte nicht dasselbe schon auch in dem gewöhnlichen Wechsel des einzelnen Lebens erfahren, an jenen vereinzelten kleineren Plagen, welche bald den bald jenen treffen! denn auch in diesen bewährt sich dieselbe Kraft des göttlichen Worts und des Glaubens, daß das Vertrauen auf Gott in jeder Schikkung Frieden und Freude gewährt, daß das Gemüth überall findet, woran es seine geistige Kraft in aufrichtender Liebe und treuer Beharrlichkeit offenbaren kann, daß es keinen Schmerz giebt, unter dem wir nicht vermöchten ein Werk Gottes zu thun und also sein Reich zu fördern. Darum, m. g. Fr., wollen wir auf diese Weise den Rath des Erlösers uns aneignen, daß wir wissen, sollen wir eigentlich auch in der Gegenwart frei sein von der Plage, soll die Kraft des göttlichen Lebens jeden irdischen Schmerz überwinden und noch mehr jedes schon einbrechende Uebel: wie sollten wir uns schon beengen lassen und unsere Freudigkeit dämpfen durch die Ungewißheit der Zukunft! wie sollten wir unsere Thätigkeit lähmen lassen durch die Furcht vor demjenigen, was noch nicht da ist! | II. Doch lasset uns dem Ziel unserer Betrachtung nun noch näher treten, und den Rath des Erlösers, nachdem wir ihn so seinem Inhalt nach verstanden haben, auch in seiner ganzen Anwendung zu fassen und dessen Wichtigkeit für den ganzen Zusammenhang unseres Lebens zu ergründen suchen. Das Erste, was wir hierbei in Erwägung ziehen müssen, ist dieses: Wir wissen, m. a. Fr., daß wir nur auf eine ungewisse Weise in die Zukunft sehen können. Eins giebt es, das wissen wir gemeinsam mit voller Zuversicht, nämlich die Unvergänglichkeit des göttlichen Reiches, in welches wir gestellt sind; Eins giebt es, das weiß jeder für sich allein gewiß, nämlich daß die Gnade Gottes ihn nicht verlassen wird, wenn nur er sich fest an dieselbe hält; aber alles zukünftige Irdische schwebt uns nur in einer Ungewißheit vor, durch welche wir nicht zu dringen vermögen. Was gewinnen wir denn nun, wenn wir uns dennoch mit der ungewissen Plage der künftigen Tage beschäftigen? Wenn traurige Bilder von mancherlei Art sich lange genug gefolgt sind, und das Gemüth sich daran erschöpft hat, so steigen auch wieder hoffnungsvolle und frohere auf: beide durchkreuzen sich in unserer

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Seele, und nehmen sie abwechselnd in Besiz; aber die Einen haben eben so wenig Wahrheit als die Anderen. Und einen schlechteren Gewinn können wir nicht machen, wiewol unter tausend verschiedenen Gestalten sich gar viele Menschen daran verwöhnen, als den, wenn so, was in sich selbst unwahr ist und ohne Gehalt, sich in unserm Gemüth festsezt und eine Macht gewinnt. Die Wahrheit macht den Menschen frei, je reiner | wir die Wahrheit haben, desto mehr auch Zuversicht in unserm Thun und Lassen. Das Unwahre und Gehaltlose mag allenfalls Raum finden, wenn es auf ein frohes heiteres Spiel ankommt, um uns von der Last des Tages zu erholen: wenn es sich aber an die Stelle der Wahrheit sezen will, wenn es in Zusammenhang treten will mit unsern Handlungen, das ist die Quelle mannigfaltigen Verderbens. Jedes voreilig entworfene Bild von bevorstehenden Zuständen macht uns zu einem Spiel des Zufalls. Denn bald so bald anders gestalten sich solche Bilder mit gleichem Recht, und jedes Aufund Abwogen des Gemüths zwischen Furcht und Hofnung, die eine so unwahr als die andere, ertödtet die Kraft der eigenen Thätigkeit, und macht unsern Willen, ob er hier oder da anknüpfen wird, eben so zu einem Spiele des Zufalls, wie unsere Vorstellungen es schon sind. Und ach, m. g. Fr., was daraus hervorgeht, wenn wir uns so von dem einfachen Gang unseres Berufs abwenden lassen, das bedarf wohl keiner großen und ausführlichen Schilderung. Sind wir einmal irre gemacht durch wesenlose Vorstellungen, wie sollen wir dann den Forderungen des Gewissens genügen? Schwanken wir in jedem Augenblikk zwischen dem, wovon wir wissen, daß die Gegenwart es fodert, und dem vielleicht entgegengesezten, was aber die Aussicht auf die Zukunft, wie sie uns eben vorschwebt, zu gebieten scheint: wo soll dann die Freudigkeit herkommen, die doch allem unserm Thun erst Kraft und Nachdrukk giebt? wie soll uns überhaupt nicht alles Sünde sein, wobei es an fester Ueberzeugung fehlt? Und dies ist es gewiß, vorzüglich weshalb der Erlöser sagt, Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe; | und uns vor solchen Vorstellungen so unbedingt warnt und davon abzieht, daß wir auch nicht einmal für den morgenden Tag sorgen, auch nicht einmal der Plage des morgenden Tages gedenken sollen, sondern jeder soll nur das vor Augen haben, daß die Nacht kommen kann, wo Keinem mehr zu wirken vergönnt ist, und daher in jedem Augenblikk, so lange es noch Tag für ihn ist, wirken und schaffen, was izt grade Noth thut. 9 allenfalls] allenfals 6–7 Vgl. Joh 8,32

29–30 Im Hintergrund steht Röm 14,23.

35–36 Vgl. Joh 9,4

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Und wie wir durch Ueberschreitung der Regel des Herrn den ruhigen Verlauf unseres eigenen pflichtmäßigen Handelns stören: so beeinträchtigen wir darin auch Andere. Denn es wäre noch weit schwieriger uns so aller Sorge zu entschlagen, wenn wir nicht einem geordneten Leben angehörten, wo es schüzende und wachende Gewalten giebt, und ein geregeltes Zusammenwirken der Kräfte auf das gemeine Wohl gerichtet. Aber unverkennbar haben die menschlichen Dinge auch je länger je mehr eine solche Gestalt angenommen, daß jede öffentliche schüzende Gewalt nur recht kräftig einwirken kann, wenn sie von der allgemeinen Stimmung derer unterstüzt wird, die bewacht und gesichert werden sollen. Den Bemühungen derer, welchen eben die Sorge für das Wohl der Einzelnen berufsmäßige Thätigkeit ist, welche uns nur vergebliche Plage sein würde, gebührt nicht nur unser Beifall und Dank; sondern sie bedürfen desselben. Denn es fehlt leider nirgend an solchen, welche diese in ihrer gesezmäßigen Wirksamkeit zu hemmen suchen, und bald unmittelbar aus Eigennuz, bald aus Menschenfurcht oder Menschengefälligkeit gern verschulden möchten, daß dieser oder jener, dem etwas anvertraut ist von dem gemeinen Wohl, nachläßig oder untreu wäre in dem, was ihm aufge|legt ist. Diesen nun gebührt, daß sie zurükkgehalten werden, und das geschieht durch dasselbe Gericht der Oeffentlichkeit über beide. Eine reine, unverfälschte Stimme der Billigung und Mißbilligung muß die Einen abschrekken, die Andern ermuntern. Die Einen müssen Tadel und Widerstand scheuen lernen; die Andern müssen wissen, daß Alle Rechtschaffenen bereit sind, mitzuwirken wo es Noth ist, damit das Rechte geschehe. Wie aber, m. g. Fr., sollen wir im Stande sein diesen wichtigen Theil unseres Berufs zu erfüllen, wenn wir selbst theils hin und her geworfen zwischen entgegengesezten Vorstellungen heute das verwerfen, was wir gestern anriethen, theils durch die vorherrschende Sorge unfähig gemacht sind, die Dinge in ihren wahren Verhältnissen zu sehen? Wie unsicher wird unsere Stimme sein, wie wenig geachtet das Lob und der Tadel den wir spenden, und wie wenig werden wir verlangen können, daß man glaube wir würden nur geleitet von der Liebe zu dem Guten und der Treue für das gemeinsame Wohl. Denn laßt uns fragen, woher kommt denn diese Neigung, sich im voraus quälen zu lassen von den Plagen der Zukunft? Wie menschenfreundlich sich auch die Sorge stellen möge, ich fürchte sie ist immer eine Frucht der Selbstsucht und der Rükksicht auf das eigene Wohl; immer ist es das Kleben an den zeitlichen Dingen, was uns so übermäßig spannt in Beziehung auf die ungewisse Zukunft. Und wie kann dabei ein eigenes rein sittliches Urtheil bestehen, wenn wir, sei es auch ohne es deutlich zu wissen, doch zulezt Alles, was wir selbst und An-

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dere zu thun haben, nur beziehen auf unser eigenes zeitliches Wohl. Darum | ist eine solche voreilige Beschäftigung mit der Noth der Zukunft immer eine Störung in der Erfüllung unserer Pflicht, zunächst eine Vergiftung jener wichtigen und heiligen Berufsthätigkeit, welche wir uns Alle ohne Ausnahme jeder freilich um so mehr, je mehr er sich Einfluß zutrauen kann in seinem Kreis, ungeschmälert bewahren sollen. Aber auch in vieler andern Beziehung wird die gottgefällige Lebensführung gestört. Denn sind es nicht diese Sorgenvollen, denen im Vergleich mit dem was sie quält, wogegen sie aber noch nichts thun können, alles unbedeutend erscheint und nicht der Mühe werth, was es im Augenblikk wirklich zu thun giebt? Nur das reine schlichte Auge dessen, der weder an sich selbst noch an Andere denkt, sondern sich und Alle andere immer nur als Theile des lebendigen Ganzen, dem wir angehören, nur als Werkzeuge des göttlichen Geistes behandelt, nur dieses vermag in jedem Augenblikk was Noth thut zu erkennen; nur dieser wird allem, was in den Kreis seines Berufs fällt, auch sein Recht unverkürzt wiederfahren lassen, nur eines solchen freier redlicher Mund wird eine richtig leitende kräftig anfassende, gebieterisch wehrende Rede von sich geben. Darum wenn es gleich scheinen könnte, als ob für ein so zusammengeseztes Leben wie das unsrige, der Rath unsers Erlösers nicht mehr anwendbar wäre, ohne ganz gegen seine Absicht zugleich noch eine Richtung zu bekommen gegen die Pflicht, als ob nämlich das sich nicht Kümmern um den folgenden Tag uns doch verführen könnte zu leichtsinniger Vernachläßigung: so ist dies doch ein leerer Schein; und offenbar ist der Rath des Erlösers nur gegen das gerichtet, was uns in unserm Beruf hindern kann, was uns herabdrängt von | der schönen Stufe, auf welcher wir als lebendige Glieder eines geistigen Gemeinwesens stehen, und uns denen gleichstellt, die sich mit ihrem Tichten und Trachten nur auf das einzelne zeitliche Leben beschränken. Aber endlich, m. th. Fr., wenn wir nun die Sache betrachten aus dem Gesichtspunkt, aus welchem der Erlöser sie gewiß vorzüglich angesehen hat, und der also auch uns, wenn wir auch über den Werth unseres Gemüthszustandes für das gemeine Wohl und für die Sittlichkeit unseres Thuns und Lassens hinwegsehen könnten, das größte und höchste bleibt, was sich unter uns überall aussprechen soll: so frage ich, in welchem Verhältniß kann wol der zu Gott stehen, der gegen den Rath des Erlösers nicht genug hat an der Plage eines jeden Tages, sondern noch die Plage der Zukunft in die Gegenwart hineinzieht? Die Sorge von dieser Art, was ist sie anderes als ein Kind der Furcht? die Furcht aber ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibet 41–1 Vgl. 1Joh 4,18

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die Furcht aus. Wer nicht genug hat an den Plagen der Gegenwart, wer nur bängliche und bekümmerte Blikke auf die Zukunft wirft, wem die mögliche Noth schon das Herz beklemmt: der lebt in der Furcht, der kann nicht in dem Genuß der Liebe Gottes leben, denn es gehört noch lange nicht die völlige Liebe dazu um diese Furcht auszutreiben; der kann nicht in dem Vertrauen auf Gott leben, denn sonst würde er auf die rechte Art, wie Gott es geordnet hat, seine Sorge auf den Herrn werfen, nämlich zunächst vertrauend auf die gemeinsame Kraft derer, welche zu dem Guten verbunden sind, vertrauend auf die von der Frömmigkeit unterstüzte Weisheit derer, welche das Ganze vermöge einer göttlichen Anordnung leiten, aber noch mehr | vertrauend auf den, der da weiß, was heilsam ist für sein Reich, welche menschlichen Verhältnisse, welches Fortbestehen unseres Daseins demselben förderlich ist und nothwendig oder nicht. Der aber, in welchem die Furcht schon von der Liebe völlig ausgetrieben wäre, der könnte überhaupt nichts von der Plage wissen, am Wenigsten aber von der fernen Plage; denn er besizt ein gegenwärtiges und in keinem Augenblikk sich veränderndes Gut, welches aller Plage den Zugang in sein Herz verschließt, welches ihn zu keiner Sorge, zu keinem Gefühl als ob sein Zustand sich zum schlimmeren neigen könne, kommen läßt; denn er weiß sich in einem Leben, welches seinen Werth nicht hat in der Zeit, da es ja in der Zeit zu Ende gehen muß, sondern darin, daß wir auch hier schon mit Gott durch den, welchen er dazu gesendet hat, Eins werden können. Wie kann also ein solcher um den Wechsel irdischer Dinge sorgen, da es ja auch in den schwierigsten einen Willen Gottes zu vollbringen giebt, und wer Gott liebt auch in allem die Liebe Gottes inne werden kann; denn das ist eine alte Lehre, die wir Alle bestätigen müssen, daß der Vater seine Kinder züchtigt, weil er sie lieb hat. Darum wollen wir als Kinder Gottes seinem eingebornen Sohne nachstreben, der weil er in seinem ganzen Wollen, in seinem ganzen Wesen Eins war mit seinem Vater, nicht nur überall in dieser Welt nichts anderes sah als Gottes Werk und Gottes Ordnung, sondern auch, wenn er ein Werk Gottes geschaut hatte, fragend hinaufschaute, damit ihm der Vater noch größere Werke zeige, der es ihm auch nie versagte, sondern ihm immer größere Werke zeigte bis zu diesem lezten, daß er sterben solle für das Heil der | Welt. So laßt auch uns nicht nur in allen menschlichen Dingen den Willen Gottes zu erkennen streben, sondern auch immer nach größeren Werken Gottes fragen, und es scheint nicht, daß dies Zeiten sind, wo er uns versagen wird 7–8 Vgl. 1Petr 5,7 (mit Bezug auf Ps 55,23) 32 Vgl. Joh 10,30 35 Vgl. Joh 5,20

27–29 Vgl. Spr 3,12; Hebr 12,6

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sie zu sehen. Und hiezu werden wir freilich auch das Auge in die Zukunft richten, aber nicht ein durch Sorge getrübtes, ein von Furcht umdüstertes, sondern ein durch kindliches Vertrauen erheitertes, durch gläubige Zuversicht verklärtes. Lasset uns getrost auch den Prüfungen entgegengehen, welche der Herr uns beschieden hat; denn wir wissen, daß sich zeigen muß in ihnen die Kraft des Glaubens und der Liebe, daß wir alle Tugenden, welche wir dieser Gemeinschaft der Christen verdanken, in den Tagen des Leidens werden beweisen können zu seiner Ehre. Ja in solchen Zeiten tritt diese Kraft erst recht ans Licht, und es erscheint zu Tage, was der Geist Gottes im verborgenen in uns vorbereitet hat für eine solche Zukunft. Also lasset uns dem Glauben treu bleiben, daß denen, welche nach nichts trachten als nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, alles andere zufallen wird, nicht nach dem Maaß eines irdischen Gutes und als ein irdischer Besiz, aber das fällt ihnen zu eben in diesem Streben nach seinem Reich, daß jede Wendung des Lebens, die Gott verhängt, sie in Stand sezt die Mängel ihres geistigen Lebens zu ergänzen und alle Noth desselben zu stillen zum Preise seiner Weisheit und Liebe. Amen. Lied 629, 8. 9.

12–13 Vgl. Mt 6,33 19 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 629: „Warum willst du doch für morgen“ (Melodie von „Warum soll ich mich denn“)

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Am 3. Juli 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

5. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 4,5–6 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 375–388, Nr. XV; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 300.

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Tex t . Colosser IV, 5. 6 „Wandelt weislich gegen die, die draußen sind, und schicket euch in die Zeit. Eure Rede sei allezeit lieblich und mit Salz gewürzet, daß ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollt.“ Dies, m. a. Fr., ist der Schluß der einzelnen Ermahnungen, welche der Apostel in seinem Brief dieser Gemeine gibt. Nachdem er zuerst im Allgemeinen von dem Verhältniß der Christen als der Auserwählten Gottes unter einander geredet hatte; dann in die einzelnen Verhältnisse des häuslichen Lebens eingegangen war, und dann zuletzt noch das Anhalten am Gebet als etwas alle Glieder Umschließendes und zu gleicher Zeit die Wünsche der Christen für das ganze Reich Gottes Aussprechendes empfohlen hatte: so redet er nun von der Art, wie die Christen sich betragen sollten gegen die, welche dieser Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe nicht angehörten. Nun kann es freilich scheinen, m. g. Fr., als ob gerade diese Ermahnung des Apostels für uns, unsere Zeiten und Umstände, am wenigsten geeignet wäre. Wir leben mitten unter solchen und fast nur mit solchen, welche dieser Gemeinschaft des Glaubens angehören, und wenn wir doch davon überzeugt sind, daß der Geist des Herrn seine Gemeine nicht verlassen | hat, daß er überall mit und im Worte Gottes lebt und waltet, wo es verkündigt und vernommen wird: so können wir auch von Allen, die in dieser 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 300: „Ewig weis’ und ewig milde“ (Melodie von „Jesu, der du meine Seele“) 7–9 Vgl. Kol 3,12–17 9–10 Vgl. Kol 3,18–4,1 10–12 Vgl. Kol 4,2–4

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Gemeinschaft des Wortes mit uns stehen, nicht sagen, daß sie draußen wären, daß sie nicht als Glieder desselben Bundes angesehen werden, daß wir sie nicht als Jünger desselben Meisters betrachten und behandeln dürften. Wir sind Alle umfaßt von diesen großen und unsichtbaren Mauern des geistigen Tempels Gottes, und wenn wir freilich auch verschiedene Grade und Stufen der Vollkommenheit desselben darstellen, wenn auch in dem Einen mehr und in dem Andern weniger Beständigkeit des Glaubens und der Liebe ist, in dem Einen mehr wie in dem Andern der Geist die Oberhand gewonnen hat über das Fleisch: drinnen sind wir doch alle ohne Ausnahme, weil wir alle des göttlichen Wortes und der göttlichen Gaben, der Kenntniß unsers Heils und der Ehrfurcht vor dem Namen dessen, in dem uns allein dies Heil gegeben ist, theilhaftig sind. Aber das, m. G., wie ich es hier als die volle Ueberzeugung meines Herzens ausgesprochen habe, wird freilich auch jetzt und unter uns nicht von allen Christen anerkannt. Gar Viele gibt es, welche meinen und es laut genug sagen, daß nur sie mit wenigen ihnen gleich denkenden Auserwählten drinnen wären, die große Menge der Christen aber wäre draußen. Wenn das ihre Ueberzeugung ist und die innerste Wahrheit ihres Herzens: nun wol, so finden sie doch gewiß in den Worten des Apostels die Regel, wonach sie sich betragen sollen gegen die, die draußen sind nach ihrer Meinung. Aber auch die, m. g. Fr., die ganz das theilen können, was ich eben als meine innigste Ueberzeugung über diese Sache ausgesprochen habe, dürfen nicht glauben, daß zu ihnen die Worte des Apostels nicht geredet sind oder für sie keine Anwendung im Leben finden. Denn wenn wir auch nun dem Herrn die Ehre geben und bekennen, daß es ein Werk des göttlichen Geistes geben muß an allen denen, welche, wenn auch nur auf | äußerliche Weise, den Namen Christi bekennen, wenn wir deswegen sagen, wir achten nicht von irgend Einem, daß er draußen wäre und wir drinnen, der mit uns den Namen Christi bekennt: so werden wir doch das gern zugestehen, daß es gar verschiedene Grade gibt der innern geistigen Liebe des innern Menschen in dem Einen zu dem inneren Menschen in dem Andern, verschiedene Grade der Einstimmung der Gemüther, daß, je mehr sich das Wort Gottes und das Reich Gottes verbreitet hat, je mehr diese Gemeinschaft des Glaubens angewachsen ist und so viele Völker hineingezogen hat in ihren Kreis, desto mehr es nothwendig sei und natürlich, daß es verschiedene Grade gibt dieser Verbindung des Glaubens und der Liebe, und daß es doch immer einen Sinn gibt, in welchem wir von vielen Christen sagen, die wir als solche anerkennen, daß sie nicht in einer solchen genauen Zusammenstimmung des ganzen Lebens mit uns stehen. Und was nun von dem Verhalten der Christen gilt in Beziehung auf die, die ganz und gar draußen sind, das muß denn auch wol, richtig angewendet, gelten von unserm Betragen gegen die, die in diesem engern Sinne nicht in denselben geistigen Räumen sich bewegen, wie wir. Und so lasset uns

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denn darauf merken, wie wir diese Worte des Apostels auch auf unsere Verhältnisse anwenden. Nun wissen wir alle, m. G., und auch das Lied, das unserer Betrachtung vorangegangen ist, hat uns aufs Neue daran erinnert, daß es mancherlei Streit, manche Verschiedenheit der Meinungen, des Gefühls und der Ansichten gibt unter den Christen über das, was zum christlichen Glauben gehört. Die dann inniger übereinstimmen in Beziehung auf Alles, was mit Recht der innerste Grund ihres Glaubens geworden ist: nun wol, die bilden mit Recht solchen innern Raum, die haben ein innigeres Band der Liebe und Einigkeit unter sich, und so gilt denn für dies Verhältniß ganz besonders das Wort des Apostels von dem weislichen Wandel gegen die, die draußen sind | auch in diesem Sinn. Aber weislich, m. G., das ist ja ein gar unbestimmter Ausdruck. Daß es etwas Großes und Herrliches ist, daß sich das Werk des göttlichen Geistes in der menschlichen Natur nur offenbaren kann durch die wahre, Gott gefällige Weisheit, das wissen wir wol; aber worin sie bestehe in den verschiedenen Verhältnissen des Lebens, das ist in dem Worte nicht gleich mitgesetzt und auch nicht aus demselben zu erkennen. Aber was der Apostel hier sagt, bildet auch ein wesentlich zusammengehöriges Ganze, und das Folgende ist eben die nähere Beschreibung der Weisheit, die er den Christen empfiehlt. Da muß ich aber zuerst hier wieder eine Bemerkung machen, die uns von den Worten, welche wir eben vernommen haben, abführt, indem auch hier der Fall eintritt, daß das, was wir in unserer Muttersprache lesen, den Sinn dessen, was der Apostel eigentlich geschrieben, nicht recht wiedergibt. Wenn wir uns mit einander ermahnen nach dem Buchstaben dieser Worte, uns in die Zeit zu schicken: dann denken wir besonders an schwierige Verhältnisse und drückende Lagen, denen wir noch so viel wie möglich abzugewinnen suchen. Das ist aber gar nicht das, was in den Worten des Apostels liegt, sondern was der Apostel eigentlich geschrieben hat, würde so lauten: und kaufet die günstige Gelegenheit aus. Nun ist das freilich auch ein sich Schicken in die Zeit; denn wenn wir die günstige Zeit verstreichen lassen: so ist das ein nicht sich Schicken in die Zeit; aber es bringen uns diese Worte des Apostels nicht gerade irgend einen Zustand des Unglücks, der Bedrängniß in den Sinn, sondern nur dies, daß, wo Gott uns hinstellt, einen Jeden an seinen Ort, er es dazu gethan hat, daß wir Gutes wirken 3–6 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 300: „Ewig weis’ und ewig milde“ (Melodie von „Jesu, der du meine Seele“), bes. Strophen 4 und 5: „Wie des Goldes ächte Währung sich im Feuer erst ergiebt, so tritt aus des Streites Gährung auch die Wahrheit ungetrübt. Fruchtlos strebten oft Tyrannen, durch Gewalt sie zu verbannen; fruchtlos nahm oft Menschenwahn selbst den Schein der Wahrheit an. // Gott hilft seinem Reiche siegen, er, der selbst die Wahrheit ist; mag der Irrthum es bekriegen, oder Bosheit, Trug und List. Und nichts hat es mit den Waffen irdischer Gewalt zu schaffen, weil es nur den Sieg erringt, wenn das Wort zum Herzen dringt.“

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sollen und die Gelegenheiten benutzen in dieser Beziehung. Daß es günstige und ungünstige Umstände gibt, setzt der Apostel als bekannt voraus und ermahnt die Christen nur, die günstigen nicht ungenützt verstreichen zu lassen, aber nicht nur das, | sondern sie auch auszukaufen, daß wir daraus ziehen, was sich daraus ziehen läßt. Wie wir aber da uns zu verhalten haben, sagt der Apostel uns an einer andern Stelle eines andern Briefes auf eine sehr anschauliche Weise, indem er von sich und seinen Genossen in der Verkündigung des Evangeliums, – das sind wir aber alle in gewissem Sinne – sagt, wir wären nichts Anders als Haushalter der Geheimnisse Gottes, und von einem Haushalter werde nichts Anders verlangt, als daß er treu erfunden werde. So ist es, m. G., das Evangelium mit seiner ganzen selig machenden Kraft, das ist das göttliche Geheimniß, das der Apostel immer meint, wenn er sich dieses Ausdrucks bedient; dessen Haushalter sind wir nun, und wenn es auch unter uns seinen freien Lauf hat: so hört es doch nicht auf, ein göttliches Geheimniß zu sein; denn wir lernen niemals aus, was es für eine wunderbare Bewandtniß hat mit der göttlichen Kraft zur Seligkeit, wie sie oft plötzlich eine Menge Menschen ergreift, wie sie oft bei Veranlassungen, denen man es am Wenigsten zutrauen sollte, bis in die innersten Tiefen des Herzens sich senkt und da Mark und Bein scheidet. Diese besonderen Führungen, m. th. Fr., dieses uns unerklärliche, aber in allen seinen Wirkungen bekannte Auf- und Abwogen des Wortes Gottes in den Seelen der Menschen ist das göttliche Geheimniß; und dessen Haushalter sollen wir sein, daß wir nicht einen günstigen Augenblick vorüber lassen, in dem wir zu neuer Wirksamkeit des göttlichen Werks beitragen können. Also diese Treue in dem Gebrauch des göttlichen Geheimnisses ist die Weisheit, von welcher der Apostel redet, daß sie gebraucht werden soll gegen die, die da draußen sind. Aber laßt uns nun recht aufmerken, wie er dies meint. Die Gelegenheit, m. Fr., ist etwas, das der Mensch sich nicht | selbst machen kann; sobald er es herbeigeführt hat, sobald es sein eigenes Werk ist, daß er in ein Verhältniß zu Anderen tritt, hört es auf, eine Gelegenheit zu sein, und wenn der Apostel sagt, wir sollen die günstige Gelegenheit auskaufen: so redet er nur von dem richtigen Gebrauch dessen, was sich uns von selbst darbietet. Wie, könnte man sagen, so ist es denn also seine Meinung gar nicht, daß die, welche die Kraft des Evangeliums an ihrem eigenen Innern erfahren haben, selbst suchen sollen, Verhältnisse mit Andern anzuknüpfen, welche sie in den Stand setzen, mit dieser Kraft auch auf sie zu wirken? Sehet da, m. G., wenn wir es genauer betrachten: so finden wir hier eine große Regel des Apostels hinter seinen Worten verborgen, nicht deutlich in denselben ausgesprochen, aber sie muß ihnen zum Grunde liegen. Nämlich er unterscheidet bestimmt die Oeffentlichkeit in Beziehung auf die 9–11 Vgl. 1Kor 4,1f

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Wirksamkeit des göttlichen Wortes, und das, was in dem einzelnen besondern Leben von den Einzelnen ausgehen kann. Ueberall, wo auch nur ein klein Häuflein von Christen lebte unter Anderen: da gestaltete sich unter ihnen diese Oeffentlichkeit der Verkündigung des göttlichen Wortes, wozu für Alle, die in irgend einem Verhältniß standen zu denen, die schon gläubig waren, die Thür nicht verschlossen war, sondern geöffnet, wo jeder, in dem ein Bedürfniß des Herzens sich regte oder eine dunkle Ahndung aufging, es könne erregt werden in ihm durch diese das ganze Leben durchschneidenden neuen Gedanken, seinen freien Zutritt fand. Und das war die Wirksamkeit, die die Christen sich selbst erhalten sollten, und die nie aufhören sollte, wo sie einmal eingeleitet war. In dem besondern Leben aber gibt der Apostel die Regel, daß wir nur sollen die günstige Gelegenheit auskaufen, aber auch recht darauf Acht haben, daß sie uns nicht verloren geht. Und auch jede solche gehört mit zu dem uns anvertrauten Pfund, wovon wir Gott Rechenschaft geben müssen. Denn das sind nicht nur die Kräfte, die er einem jeden gibt, nicht | nur die Einsichten, die er jedem zu Theil werden läßt, nicht nur die Gaben, die aus ihrer Entwickelung entstehen, nicht nur die Uebungen in der Gottseligkeit, sondern auch die Veranlassungen, die wir finden, mit diesem Allem thätig zu sein, von dessen Gebrauch wir müssen Rechenschaft geben. Damit hängt nun auch zusammen, was der Apostel im Folgenden sagt; denn wenn er sagt: „eure Rede sei allezeit lieblich und mit Salz gewürzet:“ so fügt er hinzu: „damit ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollt.“ Es ist also nicht das Anreden, wovon er spricht, nicht das Anknüpfen einer Beziehung und eines Verhältnisses, sondern das Antworten. Er will nicht, daß in diesen Verhältnissen des einzelnen und besondern Lebens, daß in den verschiedenen geselligen Kreisen die Christen sich die Gelegenheit machen sollen, um das Wort Gottes zu reden; sondern wo sie sich darbietet, wo die Andern anknüpfen, wo eine Frage entsteht, wo eine Veranlassung wird, sich zu äußern: da soll ihr Wandel weislich sein, und ihre Rede lieblich und mit Salz gewürzet. Es gibt, m. G., in dieser Beziehung ebenfalls eine Verschiedenheit des Verfahrens und der Ansicht unter uns, über welche uns die Worte des Apostels zurecht weisen. Es gibt Einige, welche sagen, daß jedes Zusammensein christlicher Menschen ein leeres und gehaltloses sei, und daß sie nicht vermöchten, sich selbst in ihrem eigenen Gewissen und auch Gott Rechenschaft davon zu geben, wenn sie es nicht benutzt hätten zu Reden über die Kraft des Evangeliums, zur Mittheilung christlicher Erfahrungen, wenn nicht die Rede gewesen sei davon, was im Innern des Menschen verborgen vorgehet, und zumal, meinen sie, sei es die Pflicht jedes Christen in seinem 13–15 Anspielung auf das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Mt 25,14–30; Lk 19,11–27)

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Verhältniß zu denen, die nach seiner Ueberzeugung draußen sind. Der Apostel nun verneint dieses, wenn er sagt, das Anknüpfen sei die Sache der öffentlichen Verkündigung. In den engern Kreisen des Zusammenseins, wie die Verhältnisse zu denen, die | draußen sind, damals waren, wo jeder Christ unter seinen Verwandten und unter denen, mit denen er im täglichen Verkehr des Lebens stand, viele hatte, die draußen waren: da sollte jeder immer nur die günstige Gelegenheit wahrnehmen, aber nicht auf seine eigene Hand und Rechnung anknüpfen; denn wenn nun zur unrechten Zeit angeknüpft wird: so sei die Regel, die der Erlöser selbst den Seinigen gibt, übertreten, daß sie nicht sollten die köstlichen Perlen denen hinwerfen, welche sie verschmähen. Und dieser Verwerfung des Geheimnisses Gottes, wenn auch nur für den Augenblick, machen wir uns schuldig, wenn wir, statt die Zeit auszukaufen, der ungünstigen Gelegenheit etwas auspressen wollen, wozu sie nicht geeignet ist, und das ist nicht ein weislicher Wandel. Aber im Reden und Wandel sollen wir uns so verhalten, daß niemand sich scheuet, Rechenschaft zu verlangen von dem Glauben, der in uns ist, und dann wird uns das eine solche günstige Gelegenheit, die wir immer auskaufen sollen; die Frage ist dann geschehen, und in der Antwort, sei diese in Worten oder in der That, soll die Weisheit liegen, die der Apostel fordert. Nun wol, wie beschreibt er diese? „Eure Rede, sagt er, sei allezeit lieblich und mit Salz gewürzet.“ Das beides ist offenbar nicht dasselbe. Wir wissen, daß zwar Manches lieblich ist, aber es fehlet ihm am Salz. Freilich erscheint uns dann auch die Lieblichkeit als eine sehr untergeordnete und vergängliche, und wir meinen nicht, daß etwas bedeutendes und heilsames davon zurückbleiben könne. Und oft ist die Rede und That mit Salz gewürzet, es ist eine Kraft darin, aber wenn die Lieblichkeit ganz und gar fehlet: dann ahnden wir auch, daß das so Vorgetragene doch nicht den rechten Eingang in die Gemüther finden werde. Darum nimmt der Apostel beides zusammen; an keinem von beiden soll es uns fehlen in unserm Leben, die Lieblichkeit und Kraft sollen verbunden sein. Freilich das Verhältniß kann sehr verschieden sein nach Maaß|gabe der Umstände und Gelegenheiten, nach Maaßgabe der Kräfte, die uns gegeben sind, und keiner wird sich sagen können, daß er sich immer selbst gleich sei in der Mischung von Lieblichkeit und Kraft; aber beides soll doch immer zusammensein, und wenn beides zusammen ist: wird der göttliche Segen darauf ruhen, und wird sich bewähren, daß das die weisliche Rede und der weisliche Wandel ist. Die Lieblichkeit ist das heilsame, wodurch wir das Band festknüpfen zwischen denen, die irgend eine Frage an uns haben ergehen lassen, und uns, die wir die Antwort ertheilen; sie ist das, was die Gemüther befreundet und näher bringt, so daß aus solchem Augenblick, der mit Lieblichkeit benutzt wird, sich etwas Festes und Dauerndes entwickelt. Und das Salz, die 10–11 Vgl. Mt 7,6

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Kraft unserer Worte und unsers Lebens, ist das, was in die Gemüther eindringt, und indem es die Augenblicke sich zu Nutze macht, das Verlangen nach mehreren solchen erregt, und dies beides zusammen, die Lieblichkeit und die Kraft, dies beides ist es, wodurch der Einzelne in seinem Leben beitragen kann, seine Verhältnisse mögen sein, welche sie wollen, auch die dem Heile zuzuführen, welche draußen sind. Aber wenn der Apostel gesagt hat: wandelt weislich gegen die, die draußen sind, und hernach gleich hinzufügt, wie die Rede sein soll: ist denn wol seine Meinung die gewesen, daß Alles in dieser Beziehung nur solle und könne gewirkt werden durch die Rede, daß es keinen andern Wandel gebe in Beziehung auf die, die draußen sind, als nur die Art, wie wir ihre Fragen beantworten, wie wir ihnen das Innere unsers Gemüthes durch das Wort darlegen? Das werden wir nicht sagen können; aber wir werden doch bekennen müssen, daß der Apostel recht hatte, dies beides, Wandel und Rede, so innig zusammenzubringen; denn in der Beziehung, in welcher er hier redet, ist doch der Wandel nichts Anders als eine Rede, es ist ein das Innere zu erkennen Geben, und, was wir durch Wort und Rede bezeichnen, als das geben wir uns auch zu | erkennen durch die That. Es ist etwas Anders um die Wirkungen, die wir hervorbringen wollen, und etwas Anders in Beziehung auf das, was unser Wandel dem Andern offenbaret, und da sagt der Apostel, wir sollen weislich wandeln gegen die, die draußen sind, daß solch Verhältniß der Rede und Gegenrede entstehen könne, wo wir die Lieblichkeit und Kraft gebrauchen können, um Andre, insofern sie noch draußen sind, hineinzuführen und in denselben Raum mit uns zu versammeln. Aber, m. g. Fr., wenn wir dies auf unsere Verhältnisse zu einander anwenden wollen, wie ich vorher sagte, daß es auch in der Einen unsichtbaren Gemeine Gottes, der wir Alle angehören, solche Verschiedenheit der Räume gibt, wie der Herr sagt: in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen, wo also auch solche Verschiedenheit der Räume gegeben ist, wenn wir, sage ich, die Worte des Apostels darauf richtig anwenden wollen: so müssen wir fragen, ist das, was wir sollen zu bewirken suchen, dasselbe in Beziehung auf die, die im gewissen Sinne draußen sind, aber doch mit uns von demselben Raume der christlichen Kirche umschlossen werden? Da, m. g. Fr., möchte ich in Beziehung auf das, was ich gleich im Anfange sagte, die Antwort so stellen: haben wir es zu thun mit Menschen, von denen wir glauben, daß, wenn sie auch nicht mit uns in demselben innern Raum der gleichen Erscheinung und Lebensweise sind, doch mit uns in demselben Raume der christlichen Kirche sich befinden: so werden wir sagen, daß es nicht mit ihnen eben so sei, wie mit denen, die der Apostel zunächst im Auge hat. Denn die, die draußen sind in diesem Sinne, sollen wir auf alle Weise suchen hineinzuführen, den Eingang ihnen auf alle Weise zu vermitteln und leicht zu machen, 28 Joh 14,2

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aber doch nur zu vermitteln, insofern es der rechte und wahre ist, insofern sie nicht äußerlich, sondern mit ihrer Liebe, mit ihrer Ueberzeugung | hinein wollen. Aber in Beziehung auf die, die schon zur Kirche gehören, aber eine andere Betrachtungsweise, eine andere Auffassungsweise und eine andere Aeußerungsweise haben, als wir, in Beziehung auf diese haben wir nicht dasselbe zu thun; denn das soll nicht aufhören in diesem Leben, wie es auch in jenem nicht aufhören wird, daß in diesem großen geistigen Hause, in diesem geistigen Tempel, wie er von Christo aufgestellt ist als geheiligt durch seine Gegenwart, daß es in diesem auch vielerlei Wohnungen gibt. Aber darauf kommt es an, daß wir uns darüber recht mit einander verständigen; daß wir es wahr machen, daß wir in diesen verschiedenen Räumen gebunden sind durch ein wahres Band der Einigkeit des Geistes, daß wir dieselbe Liebe haben, daß es derselbe Glaube ist, an dem wir uns erkennen, und indem wir von denselben Ringmauern umschlossen sind, wir auch auf demselben Grunde ruhen, welcher ist Christus der Herr. Wenn die Christen nun so uneinig sind, daß sie von Einigen glauben, sie seien ganz draußen, während sie nur in einem andern von diesen innern Räumen sind; wenn das das Werk der Liebe sein muß, uns darüber zu verständigen, wenn wir sagen müssen, der Glaube sei uns nicht klar und durchsichtig genug geworden: so müssen wir wol sagen, daß es eine große Weisheit erfordere, in Wandel und Rede, um aus dem gegenwärtigen Zustande einer so häufig sich zu erkennen gebenden Trennung der Gemüther eine solche Sammlung hervorzubringen. Ja, m. th. Fr., wenn wir alle in dieser Beziehung nur dem Wort des Apostels recht treu bleiben wollen, nicht zudringlich zu werden und gewaltsam die Gelegenheit zu suchen, um von dem Evangelium zu reden zu denen, von welchen wir glauben, daß sie draußen sind, aber jede günstige Gelegenheit wahrnehmen, wo wir ihnen können unser eignes Innere eröffnen, um auch das ihrige zu rühren, wenn wir alle darauf sehen, Lieblichkeit und Kraft zu verbinden, nicht eine abstoßende Bitterkeit äußern, aber beides, Lieblichkeit und Kraft, zusammen gebrauchen, – | wenn das das Bestreben aller Christen wäre, auf diesem Wege sich darüber zu verständigen, wie sie gegen einander stehen, wie sich die Kraft des Evangeliums in ihnen erwiesen habe, dadurch auch ihre Augen gegenseitig geöffnet würden, daß sie das Werk Gottes Einer an dem Andern erkennen, wenn es sich auch nicht auf dieselbe Weise gestaltet; wenn wir auf diesem Wege durch die Lieblichkeit und Kraft der Rede dahin gelangen könnten, daß wir an einander immer mehr erkenneten die Züge, wenn gleich die verschieden gestalteten, aber doch die Züge desselben hohen Bildes, das uns allen vorschwebt, wenn wir dahin kämen, das Band der Liebe festzuhalten in der Einigkeit des Geistes, uns erhebend über die verschiedenen engen Räume, in welche die große Gemeine der Christen getheilt ist: dann wäre das Wort 39–40 Anspielung auf Kol 3,14 in Verbindung mit Eph 4,3

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des Apostel an uns in Erfüllung gegangen, dann hätte die christliche Weisheit ihr Ziel gefunden, dann dürften wir nur darauf denken, daran festzuhalten, diese Weisheit fortzupflanzen von einer Zeit zu der andern, und dann würde es eben so gut sein, als ob diese Verschiedenheiten nicht da wären; die brüderliche Liebe würde sich weit verbreiten von Einem zum Andern über Alle, die mit uns den Namen Christi bekennen, und das Gebautsein auf demselben Grunde würden wir bei Manchen erkennen, von denen wir jetzt noch mancherlei Verdacht hegen, ob sie nicht draußen seien. Schon damals, m. G., als die ersten Gemeinen der Christen sich gründeten, gab es eben solche Verschiedenheiten unter ihnen, die sich auf die frühern Verhältnisse, in welchen die neuen Christen sonst gestanden hatten, bezogen; und da finden wir so oft in den Worten des Apostels, daß er das als die wahre, rechte Kraft des Evangeliums darstellt, daß diese Scheidewand eingerissen sei, daß der Herr aus zweien Eins gemacht habe, und daß, indem diese Scheidewand eingefallen sei, dadurch auch erst der geistige Tempel Gottes in seinem ganzen Umfange bestimmt worden sei. Das ist das Vorbild gewesen in Beziehung | auf das, was zu allen Zeiten in der christlichen Kirche gelten soll. Je mehr wir in diesem Sinne weislich wandeln, durch Lieblichkeit und Kraft die Herzen gewinnen; je wahrer und treuer das Zeugniß ist, das jeder ablegt von seiner Art des Glaubens: um desto mehr werden auch wir dazu beitragen, daß der Herr immer mehr aus zweien Eins mache, daß er als derselbe erkannt werde in Allen, die, wie verschieden sie sich auch äußern mögen, doch auf dem Einen Grunde gebaut sind, außer welchem kein anderer gelegt werden kann, wenn es ein wahrer geistiger Tempel Gottes sein soll, der immer höher sich aufbaut. Und so mögen wir wol sagen, m. g. Fr., daß es für uns etwas Köstliches ist, daß gerade diese Worte der Schluß der Ermahnungen sind, welche der Apostel gibt, so daß sie sich unmittelbar knüpfen an die, mit welchen er begonnen hat. Wie wird, wenn wir diese Weisheit unter einander beweisen, immer mehr das Band der Vollkommenheit uns umschlingen; wie wird der Friede Gottes in unsern Herzen regieren, wenn wir solchen Frieden des Geistes halten mit allen denen, die auf demselben Grund mit uns gebaut sind; wie werden wir es dann ganz anders inne werden, daß wir zu Einem Leibe berufen sind mit diesen Allen, auch bei mancher Verschiedenheit der Meinungen und Lebensweise; wie wird dann auch das Wort Christi auf eine ganz andere Weise reichlich unter uns wohnen; wie werden wir seine Kraft in viel größerem Umfange erfahren, als es geschehen kann, wenn Alle sich in ihren engen Räumen einschließen, und gegen die, welche auf irgend eine Weise draußen sind, keine Liebe wollen gelten lassen. Ja dann wird 13–14 Vgl. Eph 2,14 15–16 Vgl. Eph 2,19–22 23–25 Vgl. Eph 2,20f in Verbindung mit 1Kor 3,11 30 Vgl. Kol 3,14 30–31 Vgl. Kol 3,15 33– 34 Vgl. Kol 3,15 35–36 Vgl. Kol 3,16

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das Wort Christi erst in aller Weisheit unter uns wohnen; dann werden wir uns gegenseitig lehren und ermahnen können, und dann wird Alles, was aus vereinter Kraft und Weisheit und Liebe hervorgeht, im Namen Jesu geredet und gethan sein und immer mehr ein Dank sein, den wir durch ihn Gott dem Vater | darbringen. Zu dieser Weisheit vereinige der Geist Gottes uns immer mehr, auf daß unser Wandel ihm wohlgefällig werde und sein Name verherrlicht werde in allen Verhältnissen unsers christlichen Lebens, und das Band der Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit, uns immer mehr Alle umschlinge mit seiner himmlischen Gewalt, auf daß wir in Wahrheit erkennen Ihn, den Erlöser, von welchem wir glauben, daß er dem ganzen menschlichen Geschlecht gegeben ist zu dem Einigen Heil, und wir zu dem Wunsch uns verbinden, daß nur Christus verkündigt wird, wenn es auch auf verschiedene Weise geschieht. Das also sei und bleibe unser Wahlspruch: Ein Gott, der da ist über Alle, Ein Erlöser, der da ist für Alle, Ein Geist, der da wirket in Allen, und dessen Gaben sich bewähren sollen in der ganzen Christenheit zu gemeinsamem Nutzen. Amen. Lied 493, 7. 8.

2–5 Vgl. Kol 3,17 14–15 Variation zu Eph 4,4–6 und 1Kor 12,4–6 15–16 Vgl. 1Kor 12,7 17 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 493: „Mein Vater, laß mich deine Gnade merken“ (Melodie von „Der Tag ist hin, mein Jesu, bei mir bleibe“); Strophen 7 und 8 lauten: „Laß Alles wohl zu seiner Zeit geschehen, und hin aufs Ziel, das vor mir steht, mich sehen, daß gute Saat zur frohen Ewigkeit durch all mein Thun von mir werd ausgestreut. // Wie fröhlich wird mein Herz, wenn jenes Leben den Glauben krönt, mein Vater, dich erheben! Wie sanft werd ich dort nach der Arbeit ruhn, wie wohl wird mir die Freudenerndte thun!“

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6. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 12,15 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. IV SW II/3, 1835, S. 21–31; 21843, S. 23–33. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 136–144. Nachschrift; SAr 70, Bl. 19r–22r; Woltersdorff Keine

Am 6. Sonntage nach Trinitatis 1831.

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Lied 46. 487, 1–8.

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Text. Röm. XII, 15. „Freuet euch mit den Fröhlichen, und weinet mit den Weinenden.“ M. a. Fr. Diese Worte des Apostels sind von jeher unter den Christen der Gegenstand eines innigen Wohlgefallens gewesen, indem sich durch dieselbigen das Menschliche unseres göttlichen Evangeliums auf eine so besondere Weise verkündigt. Es ist als steige die ewige Wahrheit in diesen Worten herab zu allem, was auf die mannigfaltigste Weise die menschliche Seele in diesem Leben bewegt. Aber freilich wenn auf der einen Seite eben deswegen ein vorzüglicher Werth auf diese und ähnliche Aussprüche gelegt worden ist, weil man glaubte, durch Berufung auf dieselben am Besten die weitverbreiteten Vorstellungen von einer besonderen Rauhigkeit und Strenge des Christenthums in Beziehung auf dieses irdische Leben beseitigen zu können: so scheinen sie mir doch auf eine solche Weise nicht richtig genug ver|standen zu sein. Und ebenso, wenn man auf der andern Seite sagt, dieses Mitgefühl sei zwar etwas sehr Schönes und Großes in dem ge2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 46: „Gott in der Höh’ sey Ehr’ und Ruhm“ (Melodie von „Allein Gott in der Höh’ sei Ehr“); Nr. 487: „Kommt und laßt den Herrn euch lehren“ (Melodie von „Freu dich sehr, o meine Seele“)

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wöhnlichen Lauf der menschlichen Dinge; aber wenn einmal so recht im großen in der Welt Freude und Leid durch einander geht, wenn sich für beides eine Menge von Quellen, die lange Zeit verstopft gewesen waren, auf einmal eröffnen; wenn die Seele kaum innerhalb ihrer eigenen vier Pfähle zu einer ruhigen Besinnung gelangen kann, um das Leben in dem, was es grade fordert, scharf und rein ins Auge zu fassen, dann sei eine solche Forderung zu groß und zu drükkend, und das enge nach allen Seiten beschränkte menschliche Herz könne sich nicht immer zur Erfüllung derselben erheben: dann scheint mir der Sinn dieser Worte auch so nicht richtig genug gefaßt zu sein. Darum, m. g. Fr., sowohl wegen des Einen als des Andern, sowohl deshalb, weil auch izt unter uns ein mannigfaltiger Streit sich regt über das Milde wie über das Strenge in dem Worte Gottes, wie uns der Erlöser und seine Boten es verkündiget haben, als auch darum, weil auch izt eine solche Zeit ist, daß Freude und Schmerz in besonders reichem Maaße dem menschlichen Leben zuströmen: so lasset uns auf diese Vorschrift des Apostels heute unsere Aufmerksamkeit wenden, um sie in ihrem ganzen und vollen Sinn zu fassen. Lasset uns zuerst erwägen, in welchem Umfang und in welchen Grenzen 12–14 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich allgemein auf die Auseinandersetzungen zwischen theologischem Supranaturalismus und Rationalismus, wie sie exemplarisch im sog. Hallischen Theologenstreit um Wilhelm Gesenius und Julius August Ludwig Wegscheider zu Tage traten (vgl. KGA I/10, S. LXXXVIII–CXII). Über die Differenzen in den Sittenlehren der beiden theologischen Parteien heißt es in einer anonymen Nachschrift zu Schleiermachers Vorlesung über Theologische Enzyklopädie aus dem Wintersemester 1831/32: „d[ie] Supernatur[alistischen] Theol[ogen] sind oft strenger“ (Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Nachlass 481, Bd.: Theologische Enzyklopädie, Vorlesungsnachschrift, S. 180). Möglicherweise liegt konkret auch eine Anspielung vor auf Auseinandersetzungen um die christliche Legitimität der Ehescheidung und Wiederverheiratung von Geschiedenen, ausgelöst durch den mit „J. M.“ unterzeichneten Artikel „Christus und unser Zeitalter in Beziehung auf die Ehebündnisse zwischen Geschiedenen“ in der „Evangelischen Kirchen-Zeitung“ 1829, Sp. 169– 173.177–183.185–191.193–200; im selben Jahrgang griffen die anonym erschienenen Beiträge „Bedenken“ (Sp. 294) und „Einige Bemerkungen über das jetzt gültige Eherecht“ (Sp. 441–443) das Thema auf; vgl. ferner Otto von Gerlach: Kirchenrechtliche Untersuchung der Frage: Welches ist die Lehre und das Recht der evangelischen Kirche, zunächst in Preußen, in Bezug auf die Ehescheidungen und die Wiederverheirathung geschiedener Personen?, Erlangen 1830. 15–16 Anspielung zum einen wohl auf die im Frühjahr 1831 in Deutschland, Ende August auch in Berlin ausgebrochene Asiatische Cholera (vgl. oben Einleitung I. 4.), zum anderen vielleicht auf die z. T. gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen, Aufstände und Unruhen, die in den Jahren 1830/31 u. a. in Frankreich (Juli-Revolution), Belgien, Polen sowie mehreren deutschen Staaten (Sachsen, Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel) sich ereigneten. Im Sommer 1830 kam es dabei auch zu Tumulten in der preußischen Rheinprovinz, im September zu Straßenschlachten in Berlin, und ab November griff der polnische Aufstand hier und da auf die preußischen Nachbarprovinzen über.

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er sie gemeint haben kann, und dann zweitens ihren Zusammenhang mit unserem geistigen Leben in dem Reiche Gottes, welches der Erlöser begründet hat, betrachten. |

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I. Zuerst, m. g. F., wissen wir ja wohl Alle sehr gut, daß Freude und Schmerz, wie beide diesem irdischen Leben angehören, auch beide die Unvollkommenheit desselben bezeugen; denn wir kennen etwas Höheres als beides. Das höchste Wesen selbst hat weder an dem einen noch an dem anderen Theil; es ist über allen Wechsel erhaben, und Freude und Schmerz sind doch nur in dem Wechsel eines sich seiner selbst bewußten Lebens. Je größer also unsere Theilnahme an dem göttlichen Wesen, je inniger unsere Gemeinschaft ist mit dem, der ohne allen Wechsel immer und ewig derselbe ist: um desto mehr sollten auch wir über Beides hinausgerükkt sein, und uns immer mehr nähern einem solchen stillen Frieden einer solchen gänzlichen Ruhe der Seele in Gott, wobei uns weder Freude noch Schmerz in der gewohnten Stärke treffen könnte. Aber wir wissen freilich auch, daß eine solche Forderung über das irdische Maaß hinausgeht, daß sie zwar das Ziel ist, dem wir uns zu nähern haben, aber dem wir uns eben auch nur nähern können auf diesem Wege, den der Apostel uns vorhält. Damit werden wir am besten beginnen, uns über Freude und Schmerz zu erheben, wenn wir nicht an dem eigenen von beiden haften, sondern immer geöffnet sind für beides rings um uns her. Und so ist denn zuerst auch dieses in der Regel des Apostels zu bedenken, daß, so wie er beides zusammenfaßt, so auch wir nicht sollen eines von dem Andern trennen. Wenn wir allein an dem Schmerz theilnehmen wollten, indem wir uns sagten, in der Freude sei ja jeder sich selbst genug, aber der Schmerz in dem menschli|chen Leben bedürfe der brüderlichen Theilnahme; oder wenn wir auf der anderen Seite sagen wollten, es sei schön, sein Herz der Freude Anderer zu öffnen, denn in dem Mitgefühl, welches wir ihnen weihen, genössen sie die Freude dann selbst vielfältig und in höherem Maaße; aber wenn wir eben so auch wollten dem Schmerz Anderer Zugang bei uns verstatten, so vervielfältigten wir ja ohne Noth die Plagen des irdischen Lebens. Ja, könnten wir die Thränen trokknen, könnten wir dem Schmerz ein Ende machen, das sei natürlich das erste und unmittelbarste Werk der christlichen Liebe: aber wo das nicht geschehen könne, da sei es weise, auch unsere Augen dem Schmerz um uns her zu verschließen, damit wenigstens wir ungestört den Weg des Lebens wandeln könnten. Das Eine wäre eben so einseitig als das Andere: in dem Einen gäbe sich der Eigennuz des menschlichen Herzens kund,

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in dem Andern dessen Hochmuth, welcher sich gern das Ansehen giebt nur zu geben, aber jeden Schein des Empfangens von sich weist. Aber in der Allgemeinheit, wie er sie ausspricht, kann doch der Apostel seine Vorschrift nicht von allen Freuden und allen Schmerzen haben verstehen wollen, welche das menschliche Herz in diesem Leben bewegen; denn wir haben eine feste Regel, ein unverbrüchliches göttliches Wort, welches uns in beiden Beziehungen in solchen Schranken hält, aus denen wir nicht weichen dürfen, ohne uns selbst und damit zugleich unsere richtige Thätigkeit im Reiche Gottes in Gefahr zu bringen. Derselbige Apostel, welcher sagt, Weinet mit den Weinenden und freuet euch mit den Fröhlichen, hat auch gesagt, Stellet euch nicht dieser Welt gleich, denn das Wesen dieser Welt vergeht; er hat auch eine | Traurigkeit dieser Welt gekannt, von welcher er sagt, daß sie nur den Tod bringt, und an dieser dürfen wir, so wenig sie je in unserem eigenen Herzen entstehen soll, eben so wenig auch theilnehmen und sie mitempfinden, wo wir sie bei unserem Nächsten antreffen. Er ermahnt uns zu einer Freude, in der wir alle Wege leben sollen: allewege, sagt er, sollen wir uns des Herrn freuen; aber wenn es nun eine nichtige, eine Freude dieser Welt giebt, welche mit der Freude an dem Herrn gar nicht zusammenhängt, nicht sie irgendwie unterstüzt, nicht sie auf diesen oder jenen Gegenstand hinlenkt, sondern unser Herz in einen Widerspruch gegen sie bringt: so dürfen wir an einer solchen Freude der Welt eben so wenig theilnehmen als an jener Traurigkeit der Welt. Das, m. g. Fr., das sind freilich die festen Grenzen, innerhalb deren wir uns die Regel des Apostels denken müssen; und wenn wir uns wundern möchten, daß er sie hier nicht ausdrükklich miterwähnt, so dürfen wir ja nicht vergessen, daß er seinen Brief an eine Gemeine von Christen geschrieben hat, und nur zu solchen redet, daß der größte Theil eben dieses Briefes zur Absicht gehabt hat, die seligmachende Kraft Gottes in dem Evangelium zu ihrer vollen Darstellung zu bringen, und das Bewußtsein zu wekken und zu stärken, wie nun, nachdem wir gerecht geworden sind durch den Glauben, wir auch Frieden haben sollen mit Gott in allen Verhältnissen des Lebens, in allen Umständen und in allem, was uns dieses irdische Dasein bringen kann. Daß wir also diesen Frieden wieder stören, und die Gerechtigkeit durch den Glauben in der Lebensgemeinschaft mit Christo dadurch wieder in Gefahr bringen dürften, daß wir uns in solche Freude oder Traurigkeit mit | verstrikken, welche mit beiden in Widerspruch steht, und dagegen mit dem zusammenhängt, weshalb nur der Zorn 11–12 Röm 12,2 12 1Kor 7,31 12–14 Vgl. 2Kor 7,10 29–30 Vgl. Röm 1,16 32–33 Vgl. Röm 5,1

18 Vgl. Phil 4,4

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Gottes sich offenbaren kann: das, kann er wohl gewußt haben, würden seine Leser sich nicht denken bei seinen Worten. Aber, m. g. Fr., andere Grenzen als diese sollen wir nun auch seiner Regel nicht stellen. Unsere eigenen Gemüthszustände, unsere Verhältnisse gegen die, deren Schmerz oder deren Freude wir in Erfahrung bringen oder in unser Bewußtsein aufnehmen, keines von beiden soll uns in der Anwendung der apostolischen Regel behindern. Wenn der Erlöser sagt: Es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigene Plage habe; so hat er nicht auch das mit darunter verstehen wollen, es sei genug, daß jeder Mensch sein eigenes Kreuz und sein eigenes Leid trage an jedem Tage des irdischen Lebens. Vielmehr weil wir jeden Tag des irdischen Lebens nicht nur für uns selbst sein sollen, sondern im Bewußtsein unserer brüderlichen Liebe gegen Andere, und so viel möglich alles menschliche Leben in das unsrige aufnehmen sollen: so soll auch an jedem Tage neben unserem eigenen Schmerz der Schmerz Anderer uns bewegen, neben unserer Freude die Freude Anderer Raum haben; ja mit unserem eignen Schmerz doch die Freude Anderer sich vereinigen lassen und mit unserer eignen Freude die Trauer über den Schmerz Anderer. Das soll zusammengehen in jedem von der Liebe Gottes bewegten Gemüth. Können wir dem nicht wehren, daß wir selbst oft gleichzeitig auf entgegengesezte Art bewegt werden, hier uns Freude entspringt, von einem andern Gebiete her uns Schmerz entsteht, ohne daß doch eines das andere aufhebt, sondern bei|des geht mit einander: so fühlen wir leicht, wie das menschliche Herz es auch immer vermag, beiderlei zugleich in sich aufzunehmen eignes und fremdes als Eins und dasselbige. Und eben so auch das gleiche. Nicht nur soll unsere Freude immer dadurch erhöht werden, wenn sie zugleich die Freude Anderer ist; sondern auch wenn Andere dasselbe Leid wie wir zu tragen haben, so sollen wir nicht denken, jeder habe genug an dem seinigen allein, sondern schöner und lieber soll es uns sein, daß wir zugleich auch Anderer Schmerz mitfühlen und mit Bewußtsein in unser Leben aufnehmen und tragen können. Ja noch mehr, auch unsere Verhältnisse zu denjenigen, welche neben uns und um uns her weinen oder sich freuen, sollen uns in der Anwendung der Regel des Apostels nicht beschränken. Sie soll sich seiner Absicht nach nicht nur über diejenigen erstrekken, welche uns ähnlich sind und verwandt, oder mit denen wir schon in irgend einer besonderen Verbindung der Liebe stehen. Nein, nicht umsonst hat er diese Worte gestellt hinter die, Segnet, die euch verfolgen, segnet und fluchet nicht! Also wenn es noch welche giebt, die uns so fern sind, daß sie unser Leben und Wirken seinem inneren Wesen nach gar nicht zu verstehen 8–9 Mt 6,34

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vermögen: doch sollen wir mit ihnen weinen, wenn sie weinen, und uns freuen, wenn sie sich freuen. Ja wenn eben so wie der Erlöser seinen Jüngern weissagt, was die Welt ihnen anthun, wie sie sie hassen werde und verfolgen, und dabei zugleich bemerkt, sie würde meinen Gott damit einen Dienst zu thun; wenn sage ich das nämliche auf eine gewisse Weise auch izt noch uns geschehen kann: so sollen wir auf das Innigste den Irrthum derer bedauern, welche meinen, Gott einen Dienst zu thun, in|dem sie das Edelste zum Gegenstand ihres Hasses machen; aber wenn einmal Einer alle seine Kräfte daran sezt, das zu verderben, was er für schädlich hält, wenn er dabei ganz in der Treue gegen seine Ueberzeugung steht, und sich seines guten Gelingens freut, gesezt auch wir selbst wären der Gegenstand seines Hasses und seiner Verfolgung: so sollen wir uns doch dieser Treue mit ihm freuen, und Gott bitten, daß er ihm offenbaren möge, was das Rechte sei, damit er dieselbe Ausdauer und Tüchtigkeit auch könne an das Gute sezen. Das, m. th. Fr., das ist der Umfang in welchem die Regel des Apostels hier will verstanden und angewendet sein. So weit soll unser Herz geöffnet sein, um uns zu freuen mit allem, was ein menschliches Herz zur Freude bewegen kann, so diese nur nicht in Widerspruch steht mit der Freude, in die uns jede andere aufgeht, und welche wir als die einzige Quelle aller wahren Freude ansehen müssen; alles Leiden sollen wir mitempfinden, mögen wir selbst auch Leid haben oder von Freude bewegt sein, nur nicht das, was seinen einzigen Grund hat in der Anhänglichkeit an das Nichtige und Vergängliche, nur nicht das, was den Menschen von Gott, dem Urquell alles Seins und Lebens entfernt, – doch das lezte freilich auch, nur auf eine ganz andere Weise. II. Wohlan denn, m. g. Fr., ist nun dieses der Sinn des Apostels, so lasset uns zweitens fragen: in welchem Zusammenhang steht nun diese seine Regel mit unserem eigentlichen inneren Leben in dem Reich Gottes? | Zuerst haben wir wol dies allgemeine zu bedenken. Wenn der Apostel sagt, Weinet mit den Weinenden, und freuet euch mit den Fröhlichen: so sezt das voraus, daß Weinende nicht nur da seien, sondern auch sich kund geben; und eben so daß die innere Freude des Herzens, von welcher Art sie auch sein möge, auch vernehmlich heraustrete an das Licht des Tages. Das geschieht freilich von selbst; denn es gehört zu dem Wesen der menschlichen Natur. So hat Gott den Menschen geschaffen, und ihn darauf von Anfang an berechnet, daß er ein zahlreiches Geschlecht sein soll, welches die Erde erfülle mit 2–4 Vgl. Joh 15,18–16,4

4–5 Vgl. Joh 16,2

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geistigem Leben. Denn damit hängt zusammen, daß kein Mensch im Stande ist, sich selbst abzuschließen; was ihn im Innern bewegt, das malt sich auch in seinem Aeußeren, und tritt mehr oder weniger heraus mit und wider seinen Willen. Aber welch ein Unterschied, – wir werden uns alle dessen bewußt sein – auch in dieser Beziehung, ob uns das Mitgefühl unserer Brüder entgegen kommt, oder ob wir annehmen müssen, daß in unserer Nähe nur kalte Herzen schlagen! Wenn uns das Gefühl wird, daß die Aeußerungen unserer Freude und unseres Schmerzes nirgend einen Anklang finden, daß sie nichts in einem andern Gemüth hervorrufen, sondern Alles bleibt, als wenn niemand unsern Zustand wahrgenommen hätte: ja dann entsteht gar leicht die an sich widernatürliche Neigung, wenigstens so viel es in unserer Gewalt steht, uns in uns selbst zu verschließen, weil der Mensch sich scheut mit Recht vor alle dem, was eitel ist und leer, vor jeder Bestrebung ohne Erfolg, die ihm nichts austrägt, sondern leer zu ihm zurükkehrt. Wo nun aber kein solches Hinderniß vorhanden ist, | sondern wir in der natürlichen Aeußerung unseres Zustandes durch ein reges Mitgefühl aufgemuntert werden: da ist es gleich ein ganz anderer Sinn, in dem das innere Bewußtsein sich kund giebt! Da ist schon, indem wir uns selbst äußern, der Wille in uns, die Gemüther auf eine ähnliche Weise zu bewegen; da lassen wir uns nicht nur gefallen, daß sie um uns wissen, weil wir nicht anders können, sondern wir wünschen eine wirkliche Gemeinsamkeit des Daseins zu stiften durch diese natürliche und unbezwingliche Richtung des Gemüthes. Und dies, m. g. Fr., ist ja der erste Anfang alles gemeinsamen Lebens auch in Beziehung auf unsere höhere Bestimmung für das Reich Gottes. Durch diese bewegten Gemüthszustände, wenn wir sie frei gewähren lassen, lernen wir am besten die Menschen kennen, und vermögen sie in der Wahrheit ihres Daseins in unser Herz aufzunehmen; freuen wir uns und trauern wir mit ihnen, so wissen wir auch wie weit wir uns mit ihnen vereinigen können zu gemeinsamen Thaten und Werken, und überhaupt was für ein genaues Verhältniß statt finden kann zwischen ihnen und uns. – Ja auch dieses kommt noch hinzu, alle menschliche Empfindungen, welche innerhalb der heiligen Schranken liegen, über die wir auch mit unserm Mitgefühl nicht hinausschreiten dürfen, werden eben dadurch, daß sie sich mit Bewußtsein zur Anregung des Mitgefühls entwikkeln, auch gemildert und im rechten Maaß erhalten. Haben wir theilnehmende Brüder, denen wir uns gern aufschließen, so sind wir schon dadurch jedem Uebermaaß des Schmerzes und der Freude weniger ausgesezt, welches die Kraft des Willens lähmt und das Licht des Geistes trübt; und je mehr alle unsere inneren 15–16 Anspielung auf Jes 55,11

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Bewe|gungen sich in einem reinen Mitgefühl nicht nur spiegeln sondern auch läutern, um desto mehr werden wir dann uns jenem Zustande nähern können, daß der Wechsel entgegengesezter Empfindungen in unserm Gemüth immer schwächer wird, und wir immer weniger jenem Auf- und Absteigen zwischen Hoffnung und Furcht, zwischen Fröhlichkeit und Schwermuth ausgesezt sind. Denn beides Erhöhung der Kraft, und Mäßigung ihres Erregtseins wird durch das Bewußtsein des Mitgefühls in unsere Seele hineingeleitet; es bildet sich ein ausgleichender gemeinsamer Ton derselben in denen, die auf ursprüngliche Weise bewegt sind in ihrem Inneren, und in denen, die in der Kraft der Liebe diese Bewegung theilen. Ja wir dürfen sagen, erst in diesem gemeinsamen Gefühl ist die rechte Wahrheit; da stellt sich uns erst jedes in der Bedeutung dar, die es auch für die Anderen haben kann, nicht in dem Uebermaaß zu dem uns das überraschende des Augenblikks hingerissen hat. Wir wissen, daß in diesem nicht die Wahrheit ist, weil es verraucht; aber das Auge der Liebe wird immer richtig abschäzen, und das gemeinsam gewordene Gefühl wird immer auch bestehen vor dem gemeinsamen Geist. Doch laßt uns nicht nur bei unsern einzelnen vorübergehenden Zuständen stehen bleiben, sondern weiter zurükkgehend fragen, was ist denn der erste Anfang gewesen, durch welchen sich eben die seligmachende Kraft des Evangeliums offenbarte, welche den ganzen Inhalt des apostolischen Briefes ausmacht, aus welchem die Worte unseres Textes genommen sind? Was anders als Mitgefühl mit dem menschlichen Elend und Mitfreude an der menschlichen Empfänglichkeit hat den Erlöser bewegt? wovon anders ging seine | Predigt aus, als daß er an alles, wovon wie er wußte, das Innerste des menschlichen Herzens bewegt wurde, die Verkündigung des Reiches Gottes knüpfte, auf daß die Menschen sich entledigen könnten von dem Bewußtsein ihres gesunkenen Zustandes, und zu der Quelle des Lebens hinzunahend ihre Armuth nicht nur bedekken, sondern sie in eine Fülle des geistigen Lebens verwandeln könnten, indem sie von dem nähmen, der allein zu geben hatte. Und eben so, m. g. Fr., geht es auch izt im Reiche Gottes und in dem Leben der Einzelnen. Wenn wir weinen mit solchen Weinenden, welche zu stark in ihrem Gemüth bewegt werden durch allerlei natürliche Uebel, wie die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens sie mit sich bringt, oder durch die geselligen Uebel, welche sich in dem zusammengesezten und verwikkelten menschlichen Leben neben vielem guten und schönen doch auch immer mehr anhäufen; wenn wir ihnen in ihrer Freude und in ihrem Schmerz ein 6–7 beides Erhöhung der Kraft, und ... Erregtseins] SW II/3, S. 27: beides, Erhöhung der Kraft und ... Erregtseins,

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mitfühlendes Herz entgegen bringen, aber ihnen zugleich auch zu erkennen geben, daß, indem wir mit ihnen weinen oder uns mit ihnen freuen, wir noch einen eigenen Schmerz haben über sie, weil wir sie nämlich zu sehr ergriffen finden von dem Wechsel des menschlichen Lebens: so wird uns dann der natürliche Lohn werden, daß wir das innerste schlummernde Bewußtsein des höheren Berufs erwekken; und offenbart sich dieses dann und kommt zum Vorschein, dann sind wir auch die nächsten ihnen die Hand zu reichen, um sie aus diesem Zustande zu retten und zu einem solchen zu leiten, der sie über die flüchtigen Freuden und Leiden des menschlichen Lebens gleich sehr erhebt. Allein, m. g. Fr., ich kann nicht umhin ehe ich en|dige noch auf gewisse Gegenstände des Mitgefühls in Freude und Schmerz aufmerksam zu machen, die wir uns vorher nicht vorgehalten haben. Es ist leicht, daß wir theilen, indem wir selbst uns freuen, die Freude und den Schmerz, indem wir selbst weinen, das Weinen und die Lust Anderer, wenn beides nur mit einander verträglich ist in einer und derselben Empfindung des Gemüths; und so können wir in derselben Zeit uns freuen mit dem Einen und trauern mit dem Andern. Aber wie dann, wenn die Freude des Einen und die Trauer des Andern gegen einander gerichtet sind? wenn es die Zwietracht ist, aus welcher Freude und Schmerz in dem menschlichen Leben hervorgeht? Der Eine freut sich an dem Leid, das er selbst dem Andern bereitet, weil er es nämlich nur ansieht als die gerechte Züchtigung dafür, daß jener Recht und Gesez verlezt, daß er sich aufgelehnt habe gegen die Ordnung, nach der Gott die menschlichen Angelegenheiten regiert. Der andere leidet, aber er hält nicht nur sich und die zunächst mit ihm verbundenen für unterdrükkt, und wird nicht nur in dem Gefühl des Unrechts zugleich der Ohnmacht und Nichtigkeit seines Zustandes inne: sondern in sein Leid mischt sich das Gefühl davon, daß irgend eine von den heiligen Angelegenheiten des menschlichen Lebens auf lange Zeit so gut als verloren ist, daß mißbrauchte Macht oder rohe Gewalt einen Triumph feiern über die heiligsten Ansprüche der Menschen. Wie sollen wir dann uns freuen mit dem Einen und trauern mit dem Andern? und sollen wir, wenn so gewaltsame Aufregungen auf einem tiefliegenden inneren Zwiespalt beruhen, durch unser Mitgefühl an diesem Zwiespalt theilnehmen? Je größer solche Verwikklungen in dem menschlichen Leben | sind, m. G., um desto sicherer können wir sein, daß dabei etwas Anderes und Höheres im Spiel ist, worauf wir unsere Aufmerksamkeit mehr als auf Freude und Schmerz zu richten haben in solchen großen Kämpfen um die wichtigsten Güter des Lebens. Indem wir denken, es ist eine Zeit des Gerichts, geziemt uns zu warten, bis der Herr seinen Thron aufschlägt, und wir

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seinen Spruch vernehmen. Nicht als ob wir schließen sollten, der, den er wieder erhebt, sei auch der, auf dessen Seite das Recht stehe, der, den er demüthigt, sei der Verfechter des Unrechts gewesen; nein, denn auch im Großen, nicht nur für die vorübergehende Zeit eines einzelnen Lebens sondern ganze Menschenalter hindurch ist es wahr, daß der Herr kann züchtigen, wen er lieb hat. Aber seine Wege wenigstens erkennen wir dann, und wissen, was er gewähren will und was versagen; was wir nicht beurtheilen können, so lange ein solcher Kampf der Empfindungen noch besteht. Aber doch soll unser Mitgefühl sich beiden Theilen zuwenden; wir sollen uns freuen mit dem, der sich freuet, aber zugleich ein Mitgefühl hat für den, der im Streit ihm gegenübersteht; wir sollen trauern und weinen mit dem der da weint, aber in seinem Schmerz noch offen ist, wenn auch nicht für die Freude seines Gegners, doch für andere Freude, wie entfernt sie auch von seinem Leben aufsprieße, und wie wenig sie ihm selbst zugänglich sei. Und nicht anders, m. g. Fr., ist es ja auch mit der Wirkung des Mitgefühls in Beziehung auf die unmittelbaren Angelegenheiten des Reiches Gottes. Es ist noch in einem Zustande des Kampfes; menschliche Meinungen und Ansichten über das Göttliche treten immer noch einander gegenüber, wir können nicht anders als in dieselben verflochten werden: aber doch soll auch der Streit an dem wir | selbst theilnehmen unser Mitgefühl nicht hemmen; doch sollen wir die Liebe, auch zu dem der auf der entgegengesezten Seite steht, fest halten, sollen ein Mitgefühl haben auch für die Schmerzen, welche Andere über uns empfinden, weil wir auf andere Weise, als sie es für recht halten, den Menschen zu helfen kommen. Im Kampf für das Wahre und Gute, mag die Ansicht, welche jeden leitet, die richtige sein oder nicht, sollen wir uns freuen über jede Kraft, die sich entwikkelt, ist es nur eine Kraft des Glaubens und der Liebe, sehen wir nur Tüchtigkeit in Rath und That, Aufopferung und Treue; über Alles, was sich so offenbart, daß wir ein Treiben des göttlichen Geistes darin ahnden können, sollen wir uns freuen, wenn wir auch noch mancherlei Irrthum und Verderben darin nicht nur ahnden, sondern deutlich sehen und erkennen. Und sicher, je mehr wir uns in solchem Mitgefühl halten, um desto weniger werden wir selbst leidenschaftlich ergriffen werden von dem Streit der Zeit; je mehr wir so in der Kraft der Liebe feststehen, um so heller wird uns auch das Licht der Wahrheit leuchten; je weniger wir uns selbst suchen, sondern das was des Andern ist, um desto mehr werden wir im Stande sein, das Göttliche zu erkennen und es zu unterscheiden von dem Menschlichen und Irdischen. 5–6 Vgl. Hebr 12,6 (mit Bezug auf Spr 3,12); auch Offb 3,19 10,24; ferner Phil 2,4

37–38 Vgl. 1Kor

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Und so, m. th. Fr., ist uns der Weg durch dieses Leben gezeichnet, und einen andern giebt es nicht; durch Freude und Schmerz und in der Seligkeit des Mitgefühls, indem wir überall unsern Brüdern das Herz öffnen zu brüderlicher Theilnahme, so sollen wir uns allmählig durchringen. Und je mehr wir bewährt werden in diesem Kampf; je mehr das Herz, ohne an Kraft zu verlieren, in sich still wird in dem Mitgefühl für Freude und Leid um uns her: um desto | mehr sind wir bereit, einzugehen in das Heiligthum des Friedens; denn um desto mehr werden wir mit herzlichem Dank gegen Gott inne werden, daß auch unser Herz der Seligkeit fähig ist, die über der Freude und dem Schmerz steht; um desto mehr werden wir uns über alles unstete Schwanken erheben, und uns als Genossen dessen bewähren, der aus Mitgefühl mit den Menschen der ganzen Welt das Heil gebracht hat. Je mehr wir so uns mitfreuen und mitweinen, daß sich dem Nächsten der ungestörte Friede Gottes in unserm Herzen kund giebt, desto eher öffnet sich auch sein Herz dem göttlichen Wort. Wie schön wenn wir auf diese Weise das Band der Liebe enger anziehen und mehr damit umfassen! wenn wir es bewähren, daß von dem Geist, der die Liebe zu Gott und die Gewißheit der Liebe Gottes in unsere Herzen ausgießt, auch allein alles reine lobenswerthe Mitgefühl und alle brüderliche Theilnahme ausgeht! Keinen Kampf also scheuend und gegen nichts uns verschließend, von wannen uns hier ein schmerzliches Mitgefühl zuströmen könnte, immer in der ganzen menschlichen Welt lebend, so weit das Auge unsers Geistes sie zu erfassen und unser Herz sie mit den Athemzügen der Liebe aufzunehmen weiß; so uns selbst vergessend, und immer nur auf das große Reich Gottes sehend, in dem wir uns mitbewegen, laßt uns der Vorschrift des Apostels nachkommen: so werden wir gelangen zu dem rechten festen, unerschütterlichen Frieden Gottes in der Kraft dessen, der gekommen ist als das Ebenbild Gottes, um uns seinen Frieden zu bringen, nicht wie die Welt ihn giebt. Amen. Lied 491, 11–13.

16–17 Vgl. Kol 3,14 18–20 Vgl. Röm 5,5 30–31 Vgl. Joh 14,27 32 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 491: „Mein Gott, das Herz ich bringe dir“ (Melodie von „Nun sich der Tag geendet hat“); Strophen 11–13 lauten: „Hilf, daß mein Lieben lauter sey, und wachse immer mehr, dem Nächsten dien ohn Heuchelei, zu Gottes Preis und Ehr. // So nimm mein Herz zum Tempel ein, o Gott, schon in der Zeit, und laß es deine Wohnung seyn auch in der Ewigkeit. // Dir geb ich mich zu eigen hin, zu thun, was dir gefällt. Ich weiß, daß ich der Deine bin, der Deine, nicht der Welt.“

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Am 17. Juli 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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7. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 4,7–18 Gedruckte Nachschrift; SW II/6, S. 389–401, Nr. XVI (letzte); Zabel Keine Keine Abschluß der Homilienreihe zum Kolosserbrief 13. Juni 1830 bis 17. Juli 1831

Lied 476. Wir wollen heut zusammennehmen, was uns noch übrig ist von dem Brief des Apostels Paulus an die Colosser, wo wir Cap. IV., 7 bis zu Ende folgende Worte lesen:

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„Wie es um mich stehet, wird euch Alles kund thun Tychicus, der liebe Bruder und getreue Diener und Mitknecht in dem Herrn, welchen ich habe darum zu euch gesandt, daß er erfahre, wie es sich mit euch hält, und daß er eure Herzen ermahne, sammt Onesimo, dem getreuen und lieben Bruder, welcher von den Euren ist. Alles, wie es hier zustehet, werden sie euch kund thun. Es grüßet euch Aristarchus, mein Mitgefangener, und Marcus, der Neffe Barnabä, von welchem ihr etliche Befehle empfangen habt. So er zu euch kommt, nehmet ihn auf. Und Jesus, der da heißt Just, die aus der Beschneidung sind. Diese sind allein meine Gehülfen am Reich Gottes, die mir ein Trost geworden sind. Es grüßet euch Epaphras, der von den Euren ist, ein Knecht Christi, und allezeit ringet für euch mit Gebeten, auf daß ihr bestehet vollkommen und erfüllet mit allem Willen Gottes. Ich gebe ihm Zeugniß, daß er großen Fleiß hat um euch, und um die zu Laodicea und zu Hierapolis. Es grüßet euch Lucas, | der Arzt, der Geliebte, und Demas. Grüßet die Brüder zu Laodicea; und den Nymphas, und die Gemeine in seinem Hause. Und wenn die Epistel bei euch gelesen ist, so schaffet, daß sie auch in der Gemeine zu Laodicea gelesen werde, und daß ihr die von 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 476: „Herr, lehr mich thun nach deinem Wohlgefallen“ (Melodie von „Mein Salomo, dein freundliches Regieren“)

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Laodicea leset. Und saget dem Archippus: Siehe auf das Amt, das du empfangen hast in dem Herrn, daß du dasselbige ausrichtest. Mein Gruß mit meiner Paulus-Hand. Gedenket meiner Bande. Die Gnade sei mit euch. Amen.“ 5

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Wir konnten wol kaum anders, m. g. Fr., als dieses Alles zusammenfassen; denn es ist nicht sowol mehr der Inhalt des Briefes selbst, als nur der Schluß desselben. Wenn es nun scheint, als ob uns dieses doch nicht mehr von derselben Wichtigkeit sein könne, wie das Bisherige: so gibt es uns doch, näher betrachtet, noch mancherlei Stoff zu einer Ansicht der damaligen Verhältnisse, welche auch uns wichtig und heilsam sein kann. Zuerst lasset uns sehen auf die persönlichen Verhältnisse des Apostels, von denen hier die Rede ist, wenn er eine Anzahl von Christen namhaft macht, welche sich damals bei ihm befanden, bald mehr, bald weniger von den Einzelnen sagend, aber doch offenbar in der Absicht, sie in das Gedächtniß der Gemeine, an welche er schreibt, zu bringen, und das freundschaftliche Verhältniß, in welchem sie standen, durch ihre Begrüßung fortzusetzen. Da ist Einer, welcher der Ueberbringer des Briefes war, und von dem er sagt, „er habe ihn gesandt, daß er erfahre, wie es sich mit ihnen halte und daß er ihre Herzen ermahne.“ Er erwähnt dabei noch eines Andern, von welchem er sagt: „sammt Onesimo, dem getreuen und lieben Bruder, welcher von den | Euren ist.“ Diesen nun kennen wir noch aus einem andern Brief des Apostels. Es war nämlich der Knecht eines Christen, Philemon, welcher in Colossä oder in der Nähe lebte, und der Knecht war seinem Herrn betrügerischer Weise davon gelaufen und, wir wissen nicht wie, zu dem Apostel nach Rom gekommen, und da hatte ihn Paulus, wie er sich ausdrückt, gezeugt in seinen Banden, hatte ihn zu einem Bruder in Christo gemacht, und sendet ihn nun durch Tychicus seinem Herrn zurück, auf daß er seine Schuldigkeit gegen ihn thue. Den nennt er hier auch den getreuen und lieben Bruder, und empfiehlt ihn der Gemeine, indem er ihm sammt jenem aufgetragen hatte, der Gemeine kund zu thun, wie es in Rom mit ihm stände. So will der Apostel also, daß sie alles Vorige vergessen sollen, und von einem Unterschiede zwischen Herrn und Knecht solle gar nicht mehr die Rede sein, nachdem er auch ein Bruder in Christo geworden, und er erscheint hier gleich als ein besonders von dem Apostel Beauftragter. Dann erwähnt er Anderer, welche bei ihm wären, und sagt: „diese sind allein meine Gefährten am Reiche Gottes, die mir ein Trost geworden sind.“ Indem nun aber hernach noch andere Einzelne folgen, deren er ebenfalls erwähnt: so dürfen wir nicht glauben, daß die Nachfolgenden nicht wären seine Gehülfen am Reiche Gottes gewesen; denn er rühmt sie durch das, 25–26 Vgl. Phlm 10

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was er von ihnen sagt, und was wir auch anderwärts in seinen Briefen von ihnen lesen; sondern er sagt nur, die er zuerst genannt, Aristarchus und Marcus und Jesus, der da Justus heißt, das wären Stammgenossen seines Volkes, und unter diesen wären sie allein seine Gehülfen am Reiche Gottes, die ihm zum Trost geworden seien. Wir wissen, m. G., wie der Apostel war in Jerusalem gefangen genommen auf Grund von Beschuldigungen, daß er | das Gesetz aufhebe und die Mitglieder des Jüdischen Volks in der Ferne dem Gehorsam desselben zu entfremden suche, ja noch mehr, daß er in Jerusalem selbst den Tempel entweiht und Heiden in das Heiligthum eingeführt habe, welches Alles falsche Beschuldigungen waren. Nun kam der Apostel nach Rom und ließ die Vorsteher der Jüdischen Gemeine versammeln, um sie von seinen Angelegenheiten zu benachrichtigen, und es entstand dadurch zwischen ihnen ein Verhältniß, von welchem wir aber weiter nichts wissen; und nun sagt der Apostel, diese Brüder wären allein seine Gehülfen am Reiche Gottes, und dieses haben wir wol auf jene Jüdischen Genossen zu beziehen, unter denen der Apostel auch trachtete, das Reich Gottes zu gründen. Nun konnte Paulus in seiner unmittelbaren Umgebung nicht eine zu große Anzahl von Menschen um sich haben, und so mögen wir glauben, daß hier, indem er sagt: diese sind allein meine Gehülfen aus dem Jüdischen Volk, und sind mir ein Trost geworden, daß er das nicht sagt, um Andere zu tadeln, welche ihm nahe standen, aber nicht wären seine Gehülfen geworden in der Verkündigung des Reiches Gottes an die Juden, sondern jene waren eben die Einzigen, welche um ihn waren, und so gibt er ihnen das doppelte schöne Zeugniß, sie wären seine Gehülfen am Reiche Gottes und ihm ein Trost geworden. Die Anderen, die er nachher erwähnt, Epaphras und Lucas und Demas, das waren Christen aus den Heiden, die ebenfalls damals um ihn waren. So müssen wir uns den Apostel überall denken, eben so sehr und noch mehr in dem Zustande der Freiheit, umgeben von Einzelnen, welche besonders seine Aufträge annahmen, seine Geschäfte mit besorgen halfen und ihm auf alle Weise beistanden in seinem Dienst am Evangelium. Wir wissen nun von anderwärts her, wie der Apostel diese Verhältnisse mit Einzelnen zu behandeln pflegte. So wie er hier den Aristarchus seinen Mitgefangenen nennt, was wol nicht im eigentlichen | Sinn zu verstehen ist: so nennt er auch anderwärts seine Mitgefangenen, die es eigentlich nicht waren; aber er will damit ausdrücken, wie sie freiwillig seine Gefangenschaft mit ihm getheilt und ihm auf alle Weise zu Trost und Hülfe gewesen sind; und so hat er eine Menge von freundlichen Bezeichnungen für alle die, welche mit ihm in persönlichen Verhältnissen standen. Wie sollte es auch anders möglich sein, als daß dieselbe Liebe, von der der Apostel sagt, daß 1–2 Vgl. über Epaphra, Lukas den Arzt und Demas Phlm 23f und 2Tim 4,10f 11 Vgl. Apg 21,27f 11–14 Vgl. Apg 28,16f 40–1 Vgl. 2Kor 5,14

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sie ihn dränge, sich dem Dienst Christi zu weihen, daß diese nicht sollte ein ähnliches Verhältniß stiften zwischen den Gleichgesinnten, und überall ist das zu allen Zeiten ein heiliges Band gewesen in der christlichen Kirche, daß jeder nicht nur vereinigt war mit dem Herrn und mit Allen, die an den Namen Christi glaubten, sondern daß jeder noch seinen besondern Kreis hatte von besonders ihm befreundeten Gemüthern, und daß dies natürlich am Meisten hervortrat bei denen, welche, wie Paulus und Andere, damals ihr ganzes Leben, von allen andern Verhältnissen losgerissen, dem Dienst des Evangeliums weihten. Diese hatten natürlicher Weise einen größeren oder kleineren Kreis von Solchen um sich, welche sich an sie anschlossen. Aber dasselbe, m. g. Fr., gilt auch von uns und zu allen Zeiten in allen Verhältnissen. Was es auch sei, das uns aufgetragen ist, auszurichten im Reiche Gottes: jeder soll darnach trachten, und es gehört gleichsam zu dem Zeugniß des göttlichen Geistes, das jeder soll aufzuweisen haben, daß er einen solchen Kreis von ihm Befreundeten um sich gesammelt hat, zwischen denen und ihm eine Gemeinschaft der Thätigkeit besteht, welche Christo und seinem Reiche geweihet ist; und je mehr wir dergleichen erblicken: um desto mehr sollen wir uns des so sich gestaltenden christlichen Lebens erfreuen. Dann treten freilich auch wol solche Verhältnisse ein, wie wir sie auch aus anderen Briefen des Apostels kennen, daß die, welche sich an einander anschließen um einen Ausgezeichneten her, und Andere, welche | ebenso zu einem Andern stehen, nicht in derselben Weise Befriedigung unter einander finden, und daß mancherlei Reibungen daraus entstehen, und mancherlei Unterschiede zu Tage kommen; aber wie das auch damals nicht selten der Fall war zwischen Paulus und den Seinen auf der einen, und denen, die das Werk Gottes besonders in dem Jüdischen Lande trieben auf der andern Seite: so finden wir, daß es sich immer wieder auflöste in eine herzliche Verständigung, und, wie der Apostel sagt, daß man immer wieder sich vereinigte und sich die Hand darauf gab, daß jeder an seinem Ort und in seinem Geist, aber durch gemeinsame Liebe mit den Anderen verbunden, das große Werk der Beseligung der Menschen durch Christum treiben wollte. Und alle solche Vereinigungen von Christen zu einem Bunde persönlicher Freundschaft, die eine Ungleichheit zu Andern hervorbringen, sollen in solcher Verständigung enden, und diese soll das Band sein, das alle diese kleinen Gemeinschaften zu der großen Gemeine des Herrn und zu Einem Ganzen verknüpft. Das war das Bewußtsein, welches der Apostel, indem er seinen Brief schloß, hatte auf der einen Seite von seinem Verhältniß zu denen, die mit ihm aus demselben Volk waren, auf der andern Seite zu denen, welche aus den Heiden Christen geworden waren, und welche ihm halfen, unter den Griechen das Evangelium verkündigen. Beide waren um ihn her, und beide waren verbunden unter sich 19–20 Vgl. etwa Gal 2,11–14; 1Kor 3,4–9

28–32 Vgl. Gal 2,9f

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durch die gleiche Liebe zu ihm, die aber nichts Anderes war als das Bestreben, mit einander Christo zu dienen. Was uns aber hierbei nun noch besonders erfreulich sein muß, ist dieses, wie der Apostel, der in einem so großen Sinn und Geist dem Evangelio diente, von dem so viele einzelne Gemeinen ihren Ursprung erhalten hatten, wie der auch einer einzelnen verlorenen Seele sich so annimmt, wie wir es von dem Onesimo wissen, dessen er hier erwähnt, aber wie er es auch thut, ohne einen besondern Werth darauf zu legen; denn das | thut er nur in dem andern Briefe, mit dem er ihn seinem Herrn zurückschickte, um diesen zur Versöhnung und zur rechten brüderlichen Liebe gegen ihn zu ermahnen. Beides läßt sich auch nicht von einander trennen, obgleich wir es in der Geschichte des Christenthums sehr von einander zu scheiden pflegen. Die christliche Kirche fing damit an, daß an einem Tage zu der Gemeine des Herrn hinzugethan wurden bei drei tausend Seelen; und wenn wir bedenken, auf welche Weise sich das Evangelium verbreitet hat: so finden wir, daß ganze Stämme und Völker zu gleicher Zeit oder kurz nach einander das Evangelium annahmen. Das war das Zusammenfassen der Menschen im Großen, das Auswerfen des Netzes, in welchem gefangen wurden Menschen von allen Arten, Gute und Schlechte; und anders als so hätte das Evangelium seinen Weg durch das menschliche Geschlecht nicht zurücklegen können. Aber eben deswegen muß nun auch der Dienst an der einzelnen Seele dazu kommen, und das beides waren von Anfang an immer verbundene Geschäfte; und so wie der Apostel das Evangelium öffentlich verkündigte, große Gemeinen stiftete, ganze Provinzen durchzog: so war es ihm doch nicht zu gering und etwas Fremdes, sich auf das Bestimmteste der einzelnen Seele anzunehmen und in ein solches Verhältniß zu treten mit den einzelnen Christen, von denen er glaubte, daß sie fähig wären, das Evangelium in sich aufzunehmen, wie er es hier von Onesimus rühmt. Da greift nun aber auch Alles, was wir an Einzelnen thun können, eben in diesen großen Dienst des Evangeliums ein; das Einzelne und das Allgemeine lassen sich nicht von einander trennen; es ist die Art und Weise, wie Gott dem menschlichen Geschlecht sich von Anfang an mitgetheilt hat; und immer so in beiden sollen wir den Beruf unseres Lebens vollbringen, wenn wir recht wollen, wie es sich gebührt, Christo und seinem Reich dienen. Nun lasset uns zweitens sehen auf das Verhältniß, welches | der Apostel hier zu stiften sucht zwischen den Gemeinen selbst, indem er nämlich sagt: „Grüßet auch ihr, nämlich von meinetwegen, die Brüder zu Laodicea; und wenn die Epistel bei euch gelesen ist: so schaffet, daß sie auch in der Gemeine zu Laodicea gelesen werde, und daß ihr die von Laodicea leset.“ Es ist wol aus diesem Zusammenhang nicht anders zu schließen, als daß 9 Vgl. Phlm

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der Apostel früher oder gleichzeitig einen Brief an die Gemeine zu Laodicea geschrieben hatte; denn nur in Beziehung auf einen solchen konnte er die Anweisung geben, daß er auch bei den Colossern sollte gelesen werden, und so ist es eine billige Vergeltung, daß die Colosser ihren Brief sollten nach Laodicea schicken und sich dagegen den Brief von diesen geben lassen. Dieses, m. g. Fr., ist die erste Spur von der Entstehung der Sammlung der Schriften unseres Neuen Bundes, und so ist es damit zuerst zugegangen. Die Briefe des Apostels Paulus waren die ersten Bestandtheile des Neuen Bundes, und die Anweisung, die der Apostel hier gibt, können wir als die Regel ansehen, nach welcher man verfahren ist. Er wollte, daß das, was er den einzelnen Gemeinen schrieb, nicht sollte für sie allein sein; sondern es sollte ein Austausch dessen, was er schrieb, unter den verschiedenen Gemeinen Statt finden. Dieses konnte nun nicht anders geschehen, als, indem die Gemeine zu Colossä ihren Brief an die Christen zu Laodicea schickte, nahmen diese eine Abschrift davon, und so anderwärts auch, und so ist die Sammlung der Briefe des Apostels, welche den ersten Keim des Neuen Testaments ausmachten, entstanden. Da sehen wir also, wie der Geist Gottes das durch den Apostel selbst eingeleitet hat, und überzeugen uns, wie das auf eine der Natur der Sache ganz angemessene Weise geschehen ist, ohne daß wir es anders entstanden zu denken haben, als wie es in menschlichen Dingen natürlich ist; nicht als ob der Apostel, indem er an eine Gemeine schrieb, mit derselben Lebendigkeit an alle | damalige Gemeinen gedacht hätte, und noch weniger an alle späterer Zeit, an uns und unsere Nachkommen; sondern es kam aus seinem Geist und Herzen für die einzelne Gemeine, aber er mußte fühlen, daß, je mehr die anderen ihr naheständen, um so mehr es auch für sie passen würde; aber je verschiedener sie waren: desto mehr konnte dies lehrreich für sie werden durch die Anwendung, welche der göttliche Geist in ihren Herzen davon machte. Und so ist diese Sammlung der Schriften des Neuen Bundes entstanden aus dem natürlichen Austausche dessen, was die Verkündiger des Evangeliums den einzelnen Gemeinen geschrieben haben. Wunderbar aber muß es uns vorkommen, wie Manche aus guter Absicht doch haben den natürlichen Zusammenhang, den wir hier finden, bestreiten wollen und sich die Sache anders denken eben deswegen, weil wir einen Brief des Apostels an die Gemeine zu Laodicea nicht haben, und sie meinten, es sei doch nicht zu glauben, daß etwas, was ein Wort des Apostels und also des ihn beselenden göttlichen Geistes gewesen war, habe können verloren gehen. So gering müssen wir nicht denken von der Kraft des Worts der Verkündigung und auch nicht einen solchen Werth legen auf das geschriebene Wort. Ist so Vieles von dem geredeten Wort der ersten Verkündiger verloren gegangen und allmählig aus dem Gedächtniß entschwunden, und das Evangelium hat doch bestanden und sich doch verbreitet, und es ist doch derselbe Geist gewesen, der von einer Zeit zu der andern sich in der Kirche erhalten hat:

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wie soll denn so Großes daran liegen, wenn auch geschriebene Worte von dem Apostel sind verloren gegangen? Das ist der Reichthum des göttlichen Geistes, daß es immer derselbe Glaube und dieselbe Liebe ist, die da treibt zu reden von Gott und dem Erlöser, und die ebenso aufgefaßt wird in den Gemüthern und heraustritt, wie in den ersten Zeiten des Christenthums; ja, wir müssen sagen, daß, wenn es möglich gewesen wäre, daß uns gar nichts Geschriebenes von | dem Apostel wie von dem Erlöser selbst wäre übrig geblieben, doch der Glaube an Ihn, doch der Bund der Christen auf seinen Namen als derselbe fortgedauert hätte bis ans Ende der Tage; aber daß eben dieser Bund der Liebe, eben dieser Austausch alles dessen, was der Geist Gottes in den Einzelnen und in der Gesammtheit wirkt, daß das bleibe, das ist es, worauf das Fortbestehen der Gemeine des Herrn beruht. Und so sollen wir es mit Allem, was Erklärung der heiligen Schrift ist, halten, daß wir in dem lebendigen Austausch der Erkenntniß und Einsichten bleiben und darum dasselbe thun, was der Apostel hier anordnet. Nun aber sehen wir endlich auch auf das Verhältniß der Einzelnen zu der Gemeine, wie hier die Rede davon ist an zwei verschiedenen Orten; einmal, indem der Apostel der Gemeine aufträgt, sie solle dem Archippus sagen: „siehe auf das Amt, das du empfangen hast in dem Herrn, daß du dasselbe ausrichtest,“ wodurch er also gleichsam die Gemeine einsetzt zur Beaufsichtigung derer, denen doch ein Amt in ihr aufgetragen war; an dem andern Ort aber, indem er sagt: „es grüßet euch Epaphras, der von den Euren ist, ein Knecht Christi, und alle Zeit ringet für euch mit Gebeten, auf daß ihr bestehet vollkommen und erfüllet mit allem Willen Gottes.“ Sehet da, m. G., darin finden wir die rechte Ordnung, wie sie in der christlichen Kirche bestehen soll nach dem Zeugniß des Apostels. Der göttliche Geist, sagt er selbst, der setze Einige zu Aposteln, Einige zu Propheten und Einige zu Lehrern; sie sind nicht alle Eins und dasselbe, und er sagt anderwärts: wer ein solches Amt suchet, der suchet ein köstliches Ding. Nun, ein solches war dem Archippus zu Theil geworden, das Amt, welches er | empfangen hatte in dem Herrn; aber nun setzt der Apostel wieder die Gemeine selbst zur Aufsicht über die Einzelnen ein, indem er ihm durch sie sagen läßt, er solle wol Acht haben auf das Amt. Diesen Auftrag bekam die Gemeine von dem Apostel, und so ist es auch. Die Diener des göttlichen Wortes sind nicht so eingesetzt, daß sie ständen über den Gemeinen, wie denn auch gesagt ist, daß sie nicht sollen Herrn sein und die Gewissen beherrschen, sondern Diener sollen sie sein des göttlichen Wortes an den Gemeinen; aber wie in der Gesammtheit doch immer mehr ist als in dem Einzelnen: so sollen auch sie durch die Gesammtheit getragen werden, und diese soll eine treue Aufsicht über sie führen, sie leiten und warnen, daß sie ihr Amt 26–28 Vgl. 1Kor 12,28 29 Vgl. 1Tim 3,1 36 Vgl. 2Kor 1,24 und 1Petr 5,3 37 Vgl. 1Kor 3,5; 2Kor 3,6; Eph 3,6f; Kol 1,23.25

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recht versehen; und dieses wird eine Erweckung des Muthes und der Treue bei denen, welchen dieses Amt übertragen ist. So soll es in der christlichen Kirche stehen, und es wird sich auch, nachdem es freilich lange Zeit anders gewesen ist, wieder auf diese Weise gestalten, daß eine solche Gegenseitigkeit besteht zwischen den Gemeinen und den Dienern des göttlichen Worts. Das Zweite aber ist das, was er sagt von dem Epaphras, dem er das Zeugniß gibt, daß er allezeit ringe für die Gemeine mit Gebeten, auf daß sie bestehe vollkommen und erfüllet mit allem Willen Gottes, und daß er einen großen Eifer habe um sie, und noch um die andern beiden Gemeinen, welche er nennt. Es wäre freilich zu viel, m. g. Fr., wenn wir uns jetzt wollten ausführlich einlassen auf die Frage, wie es der Apostel gemeint habe, ob er dem Gebet eines so Entfernten für die Gemeine, welcher er angehörte, eine solche Wirksamkeit zuschrieb, daß sie dadurch erfüllet werden könnte mit allem Willen Gottes. Aber anstatt diese Frage jetzt aufzuwerfen: lasset uns aus dem Anfang unseres Briefes und aus dem, was wir jetzt mit einander gelesen haben, uns erinnern, wie es um die Sache stand. Durch diesen Epaphras hatte der Apostel, wie er am | Anfang des Briefes erzählt, zuerst ein lebendiges Bild erhalten von der Gemeine, an die er hier schreibt, und wo er selbst nicht gewesen war. Der Epaphras hatte auch gewiß den Onesimus zu ihm geführt, der sich an ihn als einem Bekannten aus der dortigen Gegend in Rom wird gewendet haben, und so sehen wir ja schon hier die Wirksamkeit dieses Gebets. Die Bekanntschaft des Apostels mit der Gemeine, dieser Brief, welcher daraus hervorging, das Band, welches er knüpfte zwischen dieser Gemeine und der andern, das Alles hatte seinen Grund in dem Eifer, mit welchem dieser Mann seiner Gemeine diente, und der sich kund gibt in dem Gebet, mit welchem er für diese Gemeine rang. Sehet da, m. G., das ist es, was wir festhalten müssen, daß alle gesegnete Wirksamkeit in der christlichen Kirche, daß Alles, was der Einzelne für sie thun kann, anfangen muß mit Gebet, wenn es soll zu etwas führen. Das ist ja das Große, daß es überall die Liebe Christi ist und die Liebe Gottes, welche durch Christum in unser Herz ausgegossen ist, was diese Wirkung thun soll. Was nicht anfängt als Gebet, darin ist auch gewiß etwas Unreines und Persönliches, was die Wirksamkeit für den Erlöser nicht zuläßt. Was aber ausgeht von der Ueberzeugung, von dem göttlichen Willen, welchem wir dienen; was mit der Vergegenwärtigung Gottes beginnt: von da geht eine gesegnete und kräftige Wirksamkeit aus, und hier sehen wir denn die Wirkung einer solchen Kraft, welche in die That übergeht und die Regel gibt für die That, indem Alles nur insofern Gewißheit hat, als es mit dem Bewußtsein Gottes zusammenhängt. Und daran und an dieser Gewißheit mögen wir genug haben und haben nicht nöthig, etwas ganz Wunderbares, ganz 17–20 Vgl. Kol 1,7f

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den Gesetzen der Natur Widerstreitendes von der Wirkung des Gebetes zu hoffen, so wir nur daran festhalten, daß Alles, woraus eine rechte Wirksamkeit hervorgehen soll, vom Gebet ausgehen und mit dem Gebet endigen muß. Das | muß der Anfang, das muß das Ende sein bei Allem; alle Liebe geheiligt durch die Liebe Gottes, alle Kraft nichts als Offenbarung der Liebe Gottes, auf daß der Mensch durch die Kräfte, die ihm mitgetheilt sind von oben, als ein Werkzeug Gottes erscheine zu Seiner Offenbarung und Verherrlichung. So sehen wir denn auch in diesem Brief von Anfang bis zu dem letzten Ende den Apostel; so stellt er sich selbst dar, so stellet er die dar, welche ihm die Nächsten gewesen sind. Dieser Geist ist es, der die Gemeinen zusammengehalten hat; in diesem lasset uns auch mit einander fortwirken: so wird auch unser Leben gesegnet sein, daß das Heil der Menschen dadurch gefördert werde. Amen. Lied 465, 6. 7.

14 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 465: „Folget mir, ruft uns das Leben“ (Melodie von „Herr, nicht schicke deine Rache“); Strophen 6 und 7 lauten: „Laß auch uns in solchen Schranken freudig laufen sonder Wanken, daß uns Lieb und Freundlichkeit fest verbind’ in dieser Zeit, laß uns selbst in Kreuz und Leiden nicht von deiner Liebe scheiden, daß wir, Herr, auf dein Gebot treu dir folgen in den Tod. // Laß, o Herr, es uns gelingen, unsern Lauf so zu vollbringen, daß wir froh dem Ziel uns nahn, um das Kleinod zu empfahn. Hier laß uns dir gläubig trauen, dort dein Antlitz selig schauen; jenes gieb uns in der Zeit, dieses in der Ewigkeit.“

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Am 24. Juli 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

8. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 7,1 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. V SW II/3, 1835, S. 32–43; 21843, S. 34–45. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 145–154. Keine Keine

Am 8. Sonntage nach Trinitatis 1831.

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Lied 523. 676. Text. Matth. VII, 1. „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.“ 5

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M. a. Fr. Es giebt nicht leicht ein Wort des Erlösers, was uns Alle unausbleiblich so mit dem Eindrukk überrascht, daß wir immer und auf alle Weise Alle dagegen gefehlt haben und immer noch fortfahren dagegen zu fehlen. Aber wenn wir anfangen wollen uns Vorwürfe zu machen über diese Abweichung von dem Wort des Herrn: so kommen wir auch gewöhnlich bald darauf zurükk, daß sie doch unvermeidlich sei, und daß wir nicht anders können als so. Wir geben wohl mancherlei Mißbräuche zu in Beziehung auf dieses Richten, wovon er redet, auf unser Urtheilen über die Handlungen unserer Brüder; geht das Leben einen stillen ruhigen Gang, so sind es dann gewöhnlich Mißbräuche eines kleinlichen Sinnes, der im Einzelnen hier nach Gunst und dort nach Mißgunst so und anders | sieht und entscheidet; aber ist das Leben bewegt, ereignen sich große Veränderungen mit dem menschlichen Geschlecht, vor unseren Augen; fühlen wir uns hinein2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 523: „Großer König, den ich ehre“ (Melodie von „Alles ist an Gottes Segen“); Nr. 676: „Unter allen großen Gütern“ (Melodie von „Sollt’ ich meinem Gott nicht singen“)

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gezogen in die gewaltsamen Bewegungen der Völker, dann sind es leidenschaftliche Mißbräuche, deren wir uns auch gar wohl und gar leicht bewußt werden. Wo wir das finden, was unserer eigenen Art und Weise am Meisten entspricht, wo es unsere Vorstellungen von dem Recht und von dem, was den Menschen heilsam ist, sind, auf welche wir die Handlungen und Bewegungen Anderer zurükkführen können, da entbrennen wir von eifrigem Beifall nicht ohne daß unser Urtheil einseitig würde; so wie auf der entgegengesezten Seite wir auch in leidenschaftlichem Eifer entbrennen gegen das, was uns von verkehrten Grundsäzen auszugehen scheint, weil es nicht das Unsrige ist. Und nach beiden Seiten hin ist nichts so groß, nichts so hoch, nichts seinem inneren Zusammenhang nach uns so verborgen, nichts uns so fern und fremd, daß wir es nicht zum Gegenstand unseres Urtheils machen sollten; und immer sizen wir auf diesem Stuhl zu Gericht. Wie tritt nun in dieses große Geschäft das Wort des Erlösers hemmend ein, hemmend und verbietend; „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.“ Aber wie ist es doch möglich, sagen wir, nicht zu richten? Was wäre dann das Leben des Menschen, was wäre seine Wirksamkeit in dieser Welt, was nüzte ihm selbst und Andern der Besiz aller der geistigen Güter, die er der Gnade Gottes verdankt, wenn er sein Leben und seine Wirksamkeit auf sich allein beschränken müßte, so daß er, nur seinen eigenen Weg grade vor sich gehend, weder rechts noch links zu se|hen brauchte auf das Thun anderer Menschen? Liegt nicht vielmehr unser ganzer Beruf in dieser großen Gemeinschaftlichkeit des Daseins? müssen wir nicht immer in das Werk Anderer eingreifen? und was sollte aus dem menschlichen Leben werden, wenn das irgend einmal aufhörte? Sollen wir aber eingreifen, so müssen wir auch unterscheiden können, was gut und was böse ist, was gottgefällig und was den Menschen verderblich. Ja nicht nur urtheilen müssen wir in der Stille des Herzens, sondern wie wir Alles gemeinsam haben sollen, müssen wir auch unser Urtheil gemeinsam haben und aussprechen; sei es um Andere zu belehren oder von Anderen belehrt zu werden, sei es um uns von denen, die ebenso urtheilen wie wir, hülfreiche Hände zu verschaffen, oder sei es, um uns redlich denen zu erkennen zu geben, die, weil sie anders urtheilen wie wir, auch entgegenarbeiten unserem Handeln. Das, m. Fr., ist die Nothwendigkeit, in welche wir uns hineingezogen fühlen durch das Leben, wie es der Herr um uns und für uns geschaffen und geordnet hat; und doch bleibt sein Wort stehen, und wir können es nicht abweisen, wenn wir ihn zum Führer des Lebens behalten wollen, Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. So 16 daß] das

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lasset uns denn mit einander über das Verbot des Richtens in dieser Stunde unserer gemeinsamen Andacht näher nachdenken; lasset uns zuerst sehen, was denn der Sinn dieses Verbotes eigentlich sei; dann zweitens, welches wol die Gründe desselben sein mögen, und endlich drittens, was denn nun, wenn wir demselben doch nachkommen sollen, aus unserm gemeinsamen Leben und aus unserer Wirksamkeit in demselben werden soll. Das sei es, m. g. christ|lichen Zuhörer, worauf wir izt unser Nachdenken mit einander richten wollen. I. Wenn der Erlöser sagt: „Richtet nicht!“ so müssen wir zunächst wohl unterscheiden das Richten selbst und dasjenige, wonach wir zu richten pflegen, wenn wir richten. Wo geurtheilt wird über menschliche Thaten und Werke, da muß ein Maaß derselben zum Grunde liegen; und gewiß dieses Maaß will uns der Erlöser durch seine Vorschrift nicht verdekken oder verdunkeln oder es uns gar aus den Händen winden. Das Maaß ist Er ja selbst, und eben deswegen kann er auch nicht wollen, daß wir es jemals aus den Augen verlieren sollen. Nur das ist gut, was ihm ähnlich ist und angemessen, nur das was aus der Liebe zu Gott hervorgeht, die in ihm eins war mit der Liebe zu dem gefallenen Geschlecht der Menschen, und die auch in uns eins sein soll mit unserer Liebe zu ihm und zu unseren Brüdern. Nur dies allein ist gut, das soll ewig unter uns feststehen, so wie daß Alles verkehrt ist und böse und Gott mißfällig, was darin seinen Grund hat, daß der Mensch, anstatt nur dem Reiche Gottes nachzutrachten, an den nichtigen Dingen dieser Welt hängt. Daß alles böse ist und verkehrt, was seinen Grund darin hat, daß der Mensch sein Eigenes vorzieht vor dem was der Andern ist, das steht fest und soll ewig bleiben; dieses Maaß hat der Erlöser uns gegeben, und er will es uns nicht nehmen. Aber gewiß, m. G., ist auch das nicht seine Absicht, wiewol man oft diese Worte so hat auslegen wollen, daß wir zwar richten dürfen, nur soll es nicht nach diesem stren|gen Maaß geschehen, sondern nach irgend einem gelinderen der menschlichen Schwachheit mehr angemessenen. Fern sei es von uns, willkührlich solche Beschränkungen in die Vorschriften des Herrn hineinzulegen! Sollte überall gerichtet werden, so gäbe es auch kein Richten als nach diesem einzigen und ewigen Maaß. Wie würden wir uns selbst betrügen, wenn wir uns schmeicheln wollten mit einem Urtheil über unsere Handlungen, welchem ein anderes Maaß zum Grunde liegt! Wenn wir behaupten wollten, solche Liebe sei zwar die Bestimmung des menschlichen Geistes, 24–26 Vgl. Mt 6,33

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aber er sei zu tief verstrikkt in das Gebiet dieses zeitlichen Lebens, als daß er sich je so weit erheben könnte, nach diesem Antriebe rein zu handeln; wollten wir daher etwas bestehen lassen, was ein Gegenstand des Wohlgefallens werden könnte, so müßten wir ein niedrigeres Maaß anlegen an die Handlungen des irdischen, so leicht verblendeten und so leicht verführten Menschen! Wollten wir Christi Worte so umkehren: wie würden wir dann das ganze Werk des Herrn in seinen innersten Tiefen erschüttern. Aber auch das kann er bei diesen Worten nicht beabsichtigt haben, daß etwa unter denen, welche sich zu seinem Namen bekennen und die Gemeine der Gläubigen bilden, dasjenige Gericht über die menschlichen Handlungen aufhören solle, welches die bürgerliche Gesellschaft durch die Hände derer ausübt, welche das menschliche Recht verwalten. Er selbst hat kein Gesez in diesem Sinn aufheben wollen oder auflösen, und hat das ausdrükklich gesagt; seine Jünger haben von Anbeginn an erkannt, die richtende Obrigkeit sei eine göttliche Einrichtung zum Schuz der Guten gegen die Bösen, und sie soll fortbestehen und muß um so | mehr fortbestehen, je verwikkelter das Leben der Menschen wird, und je größer der Einfluß ist, den irgend eine gesezwidrige Handlung weit um sich her verbreitet. Aber das hat er auch nicht aufheben können durch sein Wort, eben weil er sagt, Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Denn die Obrigkeiten, die Vertreter des menschlichen Rechts, der bürgerlichen Ordnung, sind als solche nicht in dem Fall, wieder gerichtet zu werden. Haben sie ihr Urtheil gesprochen nach den Gesezen, welche vor ihnen lagen: so sind sie auch Niemanden verantwortlich als Gott und ihrem Gewissen, und keine menschliche Macht soll ändern an dem Ausspruch derer, die Recht und Gesez verwalten. Aber in dem Gebiet unseres geistigen sittlichen Lebens, in diesem Gebiet unserer gemeinsamen Angehörigkeit an das Reich Gottes in dieser Welt, in diesem Gebiet unseres brüderlichen christlichen Zusammenseins gilt dieses Wort des Erlösers, Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet, in seinem ganzen Umfang; da verbietet er uns ganz und gar, von der That aus, die vor uns liegt, rükkwärts zu gehen, indem wir ihre Entstehung aufzudekken und in das geheime Spiel der menschlichen Seele einzudringen suchen, um darnach den Werth unserer Brüder zu bestimmen, und die That für eine solche oder solche, und deshalb den Menschen für einen solchen oder solchen zu erklären. Nicht als ob jenes ewige Gesez nicht auch das einzige Maaß für das menschliche Leben, nicht auch das sein sollte, wonach wir unsere Empfindungen gegen unsere Brüder ordnen! Vielmehr freilich je mehr 14–15 Vgl. Mt 5,17; ferner 22,21

15–17 Vgl. vor allem Röm 13,1–7

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uns bei dem Einen das entgegentritt, daß er aus der Liebe zu Gott und aus wahrer Liebe zu seinen Brüdern handelt, je mehr er uns den Eindrukk macht | durch sein ganzes Dasein, daß er in der That nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachtet, um desto mehr sollen wir wissen, daß wir ihn als einen Bruder in dem Herrn zu lieben haben; je mehr wir sehen in dem Andern, daß die Stimme des Geistes noch nicht die Kraft hat, sein Leben zu ordnen, desto mehr sollen wir ihn lieben als einen solchen, den wir noch auf den rechten Weg müssen zu bringen suchen. Aber wenn wir diesem Eindrukk folgen, wie ihn das ganze Wesen eines Menschen und seine Art zu sein uns giebt, so ist das kein Gericht, weil es sich nicht auf die einzelne That bezieht, nicht Lohn und Strafe verhängt, sondern nur die Art und Weise unserer Liebe bestimmt, als die Wirkung des ganzen Menschen auf uns. Die einzelne That, und die besondere Geschichte die jenseit derselben liegt, soll nie ein Gegenstand der Untersuchung für uns sein, sondern so viel an uns ist bleiben was sie ihrer Natur nach ist, ein Geheimniß zwischen dem Menschen und Gott allein. Das ist der Sinn des Wortes, daß wir nicht richten sollen, damit wir nicht gerichtet werden. Daß aus dem Herzen arge Gedanken kommen, das wissen wir, und wir erfahren es täglich; daß Alles der göttlichen Gnade angehört, was uns anspricht als angemessen dem göttlichen Willen; daß alle gute Gaben von oben herabkommen von dem Vater des Lichts, daß er es ist, der das Wollen und Vollbringen schafft, das wissen wir: aber wie es in einzelnen Fällen in dem Menschen hergegangen ist zwischen den ersten Regungen seiner Seele und irgend einer That, irgend einem Werk, das wir nur als das Ende dieses Herganges vor uns sehen; wie sich die sinnliche Lust hat geltend machen wollen oder wirklich geltend gemacht | hat gegen den inwendigen Menschen; verborgen ist es uns, und wir sollen es nicht aufdecken wollen. Verstehen wir recht, was es heißt, die Liebe bedecket der Sünden Menge?1 Eben dieses ist es und nichts anderes. Wir sollen uns kein Urtheil anmaaßen, wie viel oder wie wenig die einzelne That gilt; wir sollen in die geheimen Tiefen des menschlichen Herzens nicht eindringen wollen, das heißt wir sollen nicht richten. II. Wohlan denn, m. g. Fr., wenn uns das doch nicht anders als auf eine gewisse Weise fremd sein kann; wenn wir uns nicht gleich mit der 1

1 Petr. 4, 8.

3–4 Vgl. Mt 6,33 22–23 Vgl. Jak 1,17 23 Vgl. Phil 2,13 7,22f 30 Vgl. 1Petr 4,8 (darin Bezug auf Spr 10,12)

27–28 Vgl. Röm

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gewohnten Art unser Leben zu führen in diese Regel des Erlösers hineinzufinden wissen: so lasset uns dann zweitens fragen, welches wol die Gründe dieses seines Verbotes sind. Er giebt uns keine anderen, als indem er sagt: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Wohlan! was wird er antworten, wenn der Troz des menschlichen Herzens sagt: ich will richten, eben deswegen, weil ich auch will über mich richten lassen. Ich will kein Gericht scheuen; jeder kann Grund und Zusammenhang meiner Handlungen untersuchen, jeder, der sich nicht selbst darin zurechtfinden kann, möge fragen, und ich will ihm Rede und Antwort stehen, wie es dem Menschen ziemt, der aus der Wahrheit ist; aber darum will ich meinerseits auch richten, ich will mein Urtheil über alles menschliche in das gemeinsame Bewußtsein hineingeben, damit es da berichtige und berichtiget werde. – Ach, und | was wird er erst sagen, wenn die Demuth ihre Stimme auch vernehmen läßt und spricht, Auf das Richten will ich Verzicht leisten. Ich weiß, wie leicht das Auge des Menschen durch jeden Schein geblendet wird; ich weiß wie selten wir die Triebfedern der menschlichen Handlungen zu erkennen vermögen, weil wir leider selten der Wahrheit allein nachgehn, und uns auch dann das Bild derselben mehr oder minder verschoben wird durch unseren besonderen Standpunkt in der menschlichen Gesellschaft, durch den Zusammenhang unseres Lebens mit den Andern: darum will ich nicht richten. Aber warum soll ich mich nicht richten lassen? sieht doch und dringt das Auge des Allwissenden in die innere Tiefe meines schwachen und verdorbenen Herzens, warum soll ich den lehrreichen Anblikk meinem Nächsten entziehen wollen? warum soll ich nicht gern mich richten lassen, damit ich nicht nur aus meinem Herzen, sondern auch aus dem Munde meines Nächsten das wenn auch noch so strenge Wort der Wahrheit vernehme? Ich werde mich ja um desto stärker demüthigen, um desto kräftiger und inniger mich nach dem strekken, was allein recht und wohlgefällig ist vor dem Herrn, um mich von dem zu retten, was noch als die Darstellung des menschlichen Verderbens in meiner Seele erkannt wird. Und der Erlöser antwortet doch auch ihr dasselbige und sagt nicht nur, Richtet nicht, sondern auch, Auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Wir sehen also, das Eine ist ihm eben so viel werth als das Andere, er verbietet das Eine, weil er das Andere verbietet, Keiner soll den Anderen richten, damit er nicht gerichtet werde. Und darin, m. g. Fr., darin liegt eben das rechte | Geheimniß dieser seiner Weisheit. Denn laßt uns nur überlegen, was aus dem Richten entsteht! Auf der einen Seite, m. g. Fr., immer neuer Stoff zum Richten. Denn es ist mit dieser Gegenseitigkeit des sittlichen Urtheilens gerade so, wie auch sonst mit den Verhältnissen der Menschen in allen Beziehungen, die nicht unter gesetzlicher Ordnung ste-

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hen. Hat Einer den Andern beleidigt, so nimmt dieser seine Rache; aber dem Ersten erscheint sie viel zu groß für das was er gethan, und er glaubt sich nun wieder an jenem rächen zu müssen. Glaubt einer, der Andere habe zuviel an ihm gewonnen, so wartet er nur auf die Gelegenheit, es mit jenem eben so zu halten. Eben so ist es nun auch mit dem Richten. Keiner, über den wir richten, wird so leicht ganz unsrem Urtheil beistimmen, die gereizte Eigenliebe stellt ihm ein anderes Bild seiner Handlungen dar, als das unsrige; und was ist natürlicher, als daß er nicht etwa allein aus Empfindlichkeit, sondern ganz wohlmeinend denkt, er werde uns auch dasselbe erfahren lassen, indem er streng und ohne Nachsicht, gerecht aber ohne billige Berükksichtigung urtheile, und werde so auch wieder einseitig, die vorige Einseitigkeit ins gleiche bringen. So entsteht immer neuer Stoff zum Richten aus dem Richten, und statt einer heilsamen Frucht der Wahrheit kommt nur die innere Unwahrheit der Menschen in ihrem Richten ans Tageslicht. Das sei unsere Antwort an den richtenden Stolz. – Ach und auf der andern Seite, laßt uns nun bedenken, m. g. Fr., was wir eigentlich kennen müßten, wie genau das Innere eines Menschen vor uns aufgedeckt sein müßte, wenn wir ein richtiges Urtheil sollen fällen können über Schuld und Verdienst einer einzelnen Hand|lung über die Abstufung von Vollkommenheit und Gebrechlichkeit, die sich darin zu Tage giebt. Wenn nun wirklich jenes geheime Spiel noch herrschender oder schon gedämpfter Begierden, jene sich immer wieder anders einkleidenden Zuflüsterungen der sinnlichen Lust, jener wunderbare Wechsel zwischen Wahrheit und Lüge in den sich anklagenden und entschuldigenden Gedanken, wenn dies alles wirklich dienen könnte, um eine Handlung unseres Nächsten klar durchzuschauen: was für Gewinn würden wir davon haben? würde es mehr lehrreich sein oder mehr verderblich? Würde eher etwas besseres daraus entstehen als nur zu oft dieses, daß wir den schlafenden Löwen in unserer eigenen Brust wekken, daß wir das Unrecht Anderer wieder zur Entschuldigung unseres eigenen Unrechts mißbrauchen, daß, wie der Apostel Paulus von dem Gesez behauptet, daß nämlich die verborgene Lust an ihm Veranlassung nehme zum Vorschein zu kommen, so auch durch das Richten die verborgene Sünde zu Tage kommen und neuen Spielraum gewinnen wird durch das, was Andere gethan haben? Dies ist es, was wir jener wohlmeinenden allzubereitwilligen Demuth antworten müssen; und so zeigt sich nach beiden Seiten hin, daß auf alle Weise aus dem Richten sich nur neues Verderben entwikkeln muß. Darum, m. g. Fr., darum sagt der Erlöser, Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. 32–34 Vgl. Röm 7,7f

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Wenn es uns aber schien, als ob der jezige Zustand des gesellschaftlichen Lebens das Richten unvermeidlich und unentbehrlich mache, wenn jeder recht wolle das Seinige thun: so laßt uns auch zusehn, was sich uns dort als das natürliche Ergebniß unsers Richtens darstellt! Sind wir nicht | eben aus dem Grunde, weswegen wir das Richten für nothwendig hielten, nämlich weil Alles so sehr gemeinsam ist in dem jezigen menschlichen Leben, daß sich nichts vereinzeln läßt, und niemand gleichsam aus dem Kreise seines einzelnen Lebens in das gemeinsame hinausschauen kann als auf ein fremdes, vielmehr was in diesem begegnet, auch jeden selbst trifft: sind wir eben deswegen nicht auch um so unfähiger zum Richten? Können wir anders sagen, als daß, wenn wir richten, wir immer mehr oder weniger in eigener Sache richten? Denn es ist Alles unsere eigene Sache, was in dem Umfange unseres gemeinsamen Lebens geschieht; durch alles geschieht uns für irgend einen Gegenstand unseres Bestrebens entweder Vorschub oder Abbruch. Wie leicht müssen wir nicht dadurch verblendet werden, und unser Urtheil verfälscht! Welche Verwirrung, wenn wir uns sollen, indem wir richten, an die Stelle des Andern denken, zugleich aber uns ihm gegenüber finden, und ihm Nuzen oder Schaden vorhalten, den er uns gebracht hat! Und wie häufig entspringt auch daraus eine unverkennbare Leidenschaftlichkeit! Wo aber Leidenschaft ist, da ist auch Ungerechtigkeit. Welche reiche Quelle der Ungerechtigkeit ergießt sich auf diese Weise über das Leben, und der Strom vergrößert sich immer mehr. Darum verbietet der Erlöser das Richten ganz, und verschließt uns die Thüre hinter der That. Was aus jeder erfolgt, kann sich uns nicht verbergen: aber was dahinter liegt, – und das müßten wir hervorziehen können, wenn wir richten sollten – das verbirgt sich uns. Dabei sollen wir uns nicht aufhalten, sondern uns ungesäumt nach dem strekken, was vor uns liegt. | III. Und daraus, m. g. Fr., wird sich uns um so leichter die Antwort ergeben auf unsere dritte Frage: wie nämlich nun dieses Richten, wenn es doch nicht so nothwendig sein kann als wir es halten, soll ersetzt werden; wie unser gemeinsames Leben sich doch recht gestalten soll, wenn wir dem entsagen müssen, so daß wir ohne solches Richten einen anderen Führer haben in unserm Wirken auf die Menschen und mit den Menschen, um das Reich Gottes dadurch zu fördern. Was sagt der Erlöser selbst von sich, m. g Fr.? Des Menschen Sohn, sagt er, ist nicht gekommen, um zu richten; nicht, daß er die Welt richte ist er da, sondern daß er die Welt selig mache. Das ist zugleich seine 29 Vgl. Phil 3,13

38–40 Vgl. Mt 18,11 und Lk 19,10 in Verbindung mit Joh 3,17

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Antwort auf unsere Frage, da wir doch mit ihm gehen, mit ihm leben und wandeln wollen, und uns dessen rühmen, daß er in uns lebt und nicht wir selbst. Richten und Gesez, dies beides, m. g. Fr., hängt so genau zusammen, daß eins von dem andern nicht getrennt werden kann; aber das Evangelium hebt das Gesez auf. Die der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder, und solche sind nicht unter dem Gesez, weil die Frucht des Geistes schon Alles das mit sich bringt von selbst und ohne Gesez, was nur das Gesez gebieten könnte, wie sie in der Kraft des Geistes auch alles schon von selbst vermeiden, was das Gesez ihnen verbietet. Wo nun kein Gesez ist, da kann auch nicht gerichtet werden. Beides mit einander aufzuheben, dazu ist Christus erschienen; er ist in dieser Beziehung wie jener himmlische Bogen der Gnade, er ist das Zeichen, bei welchem der Herr uns verspricht, daß er | die Welt nicht mehr verderben will durch das Gericht, weil sie auch nicht mehr unter der Zucht stehen soll des Gesezes auf steinernen Tafeln. Denn wo ein solches Gesez ist, da wird auch richten und verdammen immer eins und dasselbe sein. Will nun Gott die Welt nicht mehr verderben durch das Gericht, so sollen wir auch nicht richten. In Christo ist das Uebersehen der vorher begangenen Sünden, während die Menschen noch gefangen waren unter jenen Sazungen, als sie noch durch nichts aufgeschrekkt werden konnten aus ihrem verkehrten Wandel, als durch die Stimme des Gerichts. Nun aber ist die neue Zeit erschienen, und eine neue Gerechtigkeit gilt. Ist nun diese Gerechtigkeit der Glaube, der Jesum aufnimmt und nur in dem leben will, der nicht die Welt richtet, sondern sie selig macht: so soll auch in dem Gebiet dieses seines Lebens, in diesem geistigen Reich, welches er gegründet hat, kein Gericht seinen Ort haben. Denn beides besteht nicht mit einander; hätte Christus damit anfangen wollen zu richten, so würde er nicht dazu gekommen sein, selig zu machen. Soll er nun das auch durch uns thun: so dürfen wir auch nicht anfangen zu richten. Sollen wir Theil nehmen an menschlichen Handlungen, so müssen wir freilich an ihnen unterscheiden können, was gut ist und was böse, das heißt, was davon in das Reich Gottes gehört und was nicht. Aber wie eine That eingreift in die Förderung des Reiches Gottes, das liegt auch vor unsern Augen ohne Gericht. Denn dazu brauchen wir nicht zu wissen und zu messen, wieviel Verdienst und wieviel Schuld des Menschen daran ist; das Seligmachen kann gleich an der Stelle des Richtens seinen Anfang nehmen, wenn wir das dem Reich Gottes gemäße | kräftig in dasselbe zu verwenden suchen, wenn wir das verkehrte bedekken und es aufzuhe2–3 Vgl. Gal 2,20 6–7 Vgl. Röm 8,14 7–9 Vgl. Gal 5,22f 13 Vgl. Gen 9,12f 14–15 Vgl. Gen 8,21 16 Vgl. 2Kor 3,3 mit Bezug auf Ex 24,12; 34,1.4.28

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ben trachten. Daß wir die unterstüzen, welche in einem Wandel begriffen sind, in welchem sich der Geist des Glaubens und der Liebe verkündet, das versteht sich von selbst: aber sie sollen davon nur Gott die Ehre geben und wir auch, und indem wir beide Gott die Ehre geben, so ist da kein Gegenstand zu irgend einem Gericht, welches Lob ausspräche oder Belohnungen verhieße für das tüchtige, noch auch Tadel und Strafe für das unvollkommene. Daß wir die mit herzlicher Liebe anfassen sollen, an denen wir irgend etwas wahrnehmen, was mit dem heiligen Gebot der Liebe, mit dem Zusammenstimmen der Menschen zu dem Ziele, das Christus uns vorgestekkt hat, sich nicht vereinbaren läßt, das wissen wir: aber die hilfreiche Hand, die wir dem Bruder reichen, unterzeichnet kein Urtheil vorher. Wie groß oder gering seine Verschuldung in einzelnen Fällen sei, zu wissen, das bedarf sie nicht bei ihrem Geschäft; das lassen wir, wie wir es ja doch nicht wissen können, in der Tiefe vergraben ruhen, die Gott allein bekannt ist. Aber in der Kraft der Liebe überall eingreifend helfend abwehrend selbst schöpfend aus der Kraft Anderer auf der einen, mittheilend aus dem Unsrigen auf der anderen Seite, jede menschliche Handlung auf ihr Verhältniß zum Reiche Gottes anzusehn, und sie dem gemäß in unser Leben zu verweben, dazu sind wir berufen, und das vermögen wir nicht nur ohne Gericht, sondern je weniger wir richten, desto besser vermögen wir auf das zu sehen, was der Augenblikk erfodert, was wir in demselben zu geben haben oder zu leisten. Und gewiß, wenn wir in diesem Geist der hülfreichen | Liebe auf alle Weise einander kräftig beistehen, immer voraussezend, jeder welcher sich zeigt als in dem Geist Christi handelnd, wolle immer auch das Werk des Andern fördern, jeder wolle, insofern sich in seinen Thaten die menschliche Schwachheit offenbart, von dieser je länger je mehr frei werden; wenn wir hiezu die geistigen Gaben, die uns Gott verliehen hat, willig verwenden, ohne mit einander zu rechnen über mehr oder weniger gegebenes oder empfangenes: dann haben wir gewiß auch die Lust zum Richten verloren; es fügt sich nicht in einen solchen Lebenskreis, weil es immer die Liebe stört, ohne sie jemals erhöhen zu können. Aber je weiter wir dieses hinter uns haben, um desto mehr werden wir in That und Wahrheit Eins sein, weil wir nicht mehr einen Ruhm daraus suchen, daß wir uns entzweit einander gegenüberstellen in der gemeinsamen Sache, sondern uns immer als zusammengehörig ansehen und in wahrer Gemeinsamkeit handeln. Geschieht es dann in diesem Bund der Liebe wol von selbst, daß ein Herz dem andern sich öffnet, daß die Liebe ein befreundetes Gemüth hineinschauen lassen will auch in die Geheimnisse der menschlichen Schwachheit und Verkehrtheit: so bringt eine 14 ja doch] so auch SW II/3, S. 41; Textzeuge: jedoch

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solche Bekenntnißthat der Liebe beiden Theilen einen Gewinn, den sie freudig hinnehmen können; aber er wird nur um so reicher sein, je weniger der Bekennende schon geübt darin ist, sich zu umstellen und zu verwahren gegen diejenigen, welche richten wollen; und je mehr in dem, welchem bekannt wird, schon alle Lust zum Richten verschwunden ist. Und je mehr wir solche Erfahrung machen von der milden erweichenden Kraft der Liebe, um desto leichter wird es uns dann auch werden, dieses große und dem | Anscheine nach so schwere Wort des Erlösers zu erfüllen. Und könnten wir nun noch fürchten, daß dadurch jemals ein Mangel entstehen werde in unserm gemeinsamen Leben, wenn wir gar nicht mehr richten, sondern überall nur helfen, unterstützen, abwehren, heilen? Sollte dadurch etwas versäumt werden in unserm thätigen Leben? Wird uns die Summe des christlichen Lebens auch nur im mindesten verkürzt, welche in den Worten ausgesprochen ist, daß ein Jeder thun soll, was ihm vor Handen kommt, und daß jeder wirken soll, so lange es Tag ist? Tag ist es überall, wo das Leben und die Werke der Menschen offen vor uns liegen. Nur das geheimnißvolle Spiel der Herzen mag uns immer verborgen bleiben; es darf kein Gegenstand unseres Forschens sein, weil es doch nur wenn es uns freiwillig dargeboten wird ein Gegenstand unserer wirksamen Liebe sein kann. Denken wir also gar nicht an das Richten, aber desto mehr – da Hülfe immer noth ist – an das Seligmachen: so leben wir denn wirklich, so wie durch den so auch für den, der nicht gekommen war um zu richten sondern um selig zu machen. Und wenn die Liebe um so sicherer die Menge der Sünden bedekkt, als sie in die geheimen Tiefen des Herzens nicht einzudringen strebt: so wird auf der anderen Seite das Band der Liebe auch eben dadurch desto sicherer das Band der Vollkommenheit. So wird dann auch immer mehr das herzliche Vertrauen in allen seinen Abstufungen sich entwikkeln und befestigen können, welches durch die Neigung zum Richten nur verscheucht und zurükkgehalten wird; und dann werden wir auch zu der Erkenntniß wenigstens theilweise gelangen, deren wir | uns beim Richten anmaaßen ohne sie wirklich inne zu haben. Denn wenn es gleich eines jeden evangelischen Christen gutes Recht ist, mit den verborgenen Tiefen seines Herzens nur vor Gott ans Licht zu treten: so wird doch oft genug die Macht der Liebe auch ohne es zu wollen bewirken, daß diese Hüllen abgeworfen werden, und so werden auch die Tiefen des Herzens wenigstens für engere Kreise ein gemeinsames Gut. Und dadurch erst kommt recht die ganze Nichtigkeit des Richtens an den Tag. Wie anders erscheinen die Handlungen der Menschen, wenn wir 16–17 Vgl. Joh 9,4 23–24 Vgl. Mt 18,11 und Lk 19,10 in Verbindung mit Joh 3,17 25 Vgl. 1Petr 4,8 (darin Bezug auf Spr 10,12) 26–28 Vgl. Kol 3,14

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einzeln das Maaß eines Buchstaben daran legen, und wie anders, wenn wir inne werden, wo und wie sie auf dem Wege der Heiligung des Menschen liegen, und wie sich Gott derselben bedient um ihn in der seligen Gemeinschaft mit dem zu stärken, der uns zu seinem Frieden und zu einer brüderlichen Thätigkeit für sein Reich berufen hat. So laßt uns denn Alles, was uns an die frühere Zeit, an die unvollkommneren Bildungsstufen erinnert, vergessen und verbannen, alles, was Gesez sein will für den mündig, alles, was Gericht sein will für den geistig gewordenen Menschen, auf daß es wahr werde, daß die Liebe es sei, welche uns über alles Gesez und über alle falsche menschliche Weisheit erhebt, um Alle zusammen zu halten in der ewigen Kraft des göttlichen Geistes und in der Lust und Freude an dem heiligen Willen Gottes. Amen. Lied Nr. 6.

14 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 6 (Melodie von „Nun lob’, mein Seel’, den Herren“) besteht aus einer einzigen Strophe: „Dein Name werd’ erhoben, Gott, Vater der Barmherzigkeit! du, der mir stets von oben auf meine Bitte Kraft verleiht! Mein Wollen und Vollbringen kommt, Höchster, nur von dir; o send’ in allen Dingen auch ferner Hülfe mir, daß ich das Meine thue im Namen Jesu Christ, bis deines Volkes Ruhe mein Theil auf ewig ist.“

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10. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 7,6 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. VI SW II/3, 1835, S. 44–55; 21843, S. 46–58. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 154–164. Keine Keine

Am 10. Sonntage nach Trinitatis 1831.

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Lied Nr. 48. 311, V. 1–7.

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Text. Matth. VII, 6. „Ihr sollt das Heiligthum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen.“ M. a. Fr. Diese Worte des Erlösers können wir nicht ohne eine gewisse Verwunderung, und näher betrachtet ohne einen tiefen Schmerz vernehmen. Was kann er damit gemeint haben? indem er, wenn auch nicht gerade nur zu seinen Jüngern, sondern vielleicht zu einem vermischten Haufen seines Volkes, redete, was kann er unter dem Heiligthum verstanden haben als eben den geistigen Tempel Gottes, welchen zu erbauen er gekommen war; als das göttliche Wort, welches er an die Seelen der Menschen brachte? was kann er verstanden haben unter der Perle, | als eben die eine köstliche Perle des Erbes in dem Reiche Gottes, von welcher er sagt, daß der Mensch, der ihren Werth zu schäzen weiß, gern Alles hingiebt, was er hat, damit er diese besize? Dieses Heiligthum nun war er ja gekommen den Menschen zu eröff2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 48: „Lob, Preis und Ehre“ (Melodie von „Komm, heiliger Geist“); Nr. 311: „O Durchbrecher aller Bande“ (Melodie von „O du Liebe meiner Liebe“); das Lied besitzt acht Strophen. 16–18 Vgl. Mt 13,45f

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nen, diese köstliche Perle zu einem gemeinen Gute zu machen für Alle, die nur irgend darnach greifen möchten aus innerm Triebe ihres sonst nirgend befriedigten Gemüths; dazu ja hatte er sich seine Jünger gewählt, daß sie diese Worte der Einladung, dies Anerbieten der größten göttlichen Gnade forttragen sollten, wohin sie nur könnten; dazu sendete er sie aus schon während seines Lebens, und das war der einzige Auftrag, den er ihnen gab für die Zeit, wo er nicht mehr würde da sein! Und was er so Allen mittheilen wollte, was er gern Allen wollte zugänglich machen, das befiehlt er in diesen Worten zurükkzuhalten, damit es nicht verloren gehe! Dasjenige, was doch, wie er es wußte, eine unzerstörbare göttliche Kraft in sich schloß, das wollte er nun auf einmal verborgen halten, damit es nicht unterdrükkt würde und zernichtet von einer rohen Gewalt! Solche Verschiedenheit von seiner uns Allen bekannten, sonst überall sich gleich bleibenden Art und Weise muß uns billig in große Verwunderung sezen. – Aber was er hier bezeichnet durch die Namen von Thieren, das waren doch Menschen; denn nur für diese ist jenes Heiligthum gemacht und nur denen diese Perle beschieden. Und der Erlöser, der gekommen war zu suchen, was verloren ist, der immer mit der herzlichsten Liebe beflissen war, das glimmende Docht nicht auszulöschen, das geknikkte Rohr nicht zu zerbrechen, der alle menschliche Gebrechen und alle Sünde der Welt zusammen|faßte vor seinem Vater in das Gebet, daß er möge vergeben den Unverständigen, welche nur nicht wüßten, was sie thäten, der so kundig war der menschlichen Schwachheit in allen ihren verschiedenen Gestalten, und so bestrebt ihr überall als der heilende Arzt entgegenzukommen, ja der selbst so starke und drohende Reden gegen die ausstieß, die im Uebermuthe zu großer Selbstschäzung, im Dünkel menschlicher Weisheit Andere um sich her verkleinern und erniedrigen, der redet hier selbst von Menschen als von unvernünftigen und verächtlichen Thieren! Was für einen Zustand muß er im Auge gehabt haben! O, daß er einen solchen voraussezt, und dagegen warnt, das kann uns nicht anders als mit dem tiefsten Schmerz erfüllen. Und so wie diese Worte doch nun jedenfalls Worte des Erlösers sind, – denn gesezt auch, sie wären früher schon sprüchwörtlich durch den Mund der Menge gegangen, so hat er sie sich nun doch angeeignet und sie zu den seinigen gemacht – so gehören sie also mit zu der köstlichen Perle des Wortes, das uns aufbewahrt ist aus seinem Munde; und wir dürfen nicht glauben, daß es uns würde aufbewahrt geblieben sein, wenn es etwa nur seine Bestimmung gehabt hätte für 18–19 Vgl. Lk 19,10; auch Mt 18,11 20–21 Vgl. Mt 12,20 (darin Jes 42,3) 22– 24 Vgl. Lk 23,34 26–29 Vgl. Mt 23,1–33, bes. 12; Lk 11,42–52, bes. 52; auch Mk 12,38–40; Lk 20,46f

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die damalige Zeit. Darum müssen wir uns fragen, Was für einen Werth hat diese Rede für uns, welches sind die Gegenden des menschlichen Lebens, wo es auch uns bevorstehen kann sie in Anwendung zu bringen? Und so lasset uns zuerst die Frage vorlegen, was denn das für ein menschlicher Zustand ist, für welchen die Warnung des Erlösers sich auch izt noch eignet? aber dann laßt uns auch zweitens fragen: was uns denn wohl in Beziehung auf denselben obliegt, damit das | Wort des Herrn nicht nur nicht vergeblich bleibe, sondern wo möglich seinen ganzen Zwekk an uns erreiche. I. Wenn wir uns nun, m. g. Christen, die erste Frage vorlegen, was ist das für ein menschlicher Zustand, den der Erlöser hier vor Augen hat: so müssen wir zuerst wohl darüber einig sein, wenn er verbietet das Heiligthum und die köstliche Perle nicht mitzutheilen, die er doch eben gekommen war der Welt zu zeigen und zu offenbaren: so müssen diejenigen, denen er beides vorenthalten will, in einem solchen Zustande sein, daß durchaus gar kein Nuzen von solcher Mittheilung zu erwarten ist; es muß eine geistige Unfähigkeit, das Wort Gottes zu vernehmen und ihm irgend Raum zu geben, in der menschlichen Seele schon vorhanden sein. Neidisch konnte der Erlöser nicht sein, um irgend einem auch dem Geringsten, auch dem der sich im verderbtesten Zustande des Gemüthes befände, das göttliche Wort verheimlichen zu wollen, so lange es auch nur den geringsten Eindrukk auf das menschliche Gemüth machen konnte, um es von dem verkehrten zurükk zu halten, oder die Augen des Geistes für das Bessere zu öffnen. Nur da, wo uns eine solche gänzliche Unfähigkeit auf das bestimmteste entgegentritt, kann möglicherweise dieses Wort des Erlösers eine Anwendung finden. Aber auch das scheint mir noch zu vielumfassend; er kann gewiß nur eine solche Unfähigkeit gemeint haben, die nicht etwa aus einer Widrigkeit gegen frühere schon empfangene Mittheilungen des göttlichen Worts entstanden war: denn sonst würde auch in dieser Rede eine Berufung | auf etwas früheres vorkommen. Christus stellt aber das Verhältniß so dar, als ob es uns plözlich und von selbst könnte entgegentreten, als ob schon die erste Aufforderung, die von uns ausgehen könnte, in manchen Fällen durch einen solchen Zustand gehemmt werde. Von jenem freilich hat er anderwärts geredet: als er seine Jünger aussandte, daß sie sollten das Reich Gottes predigen. Da sagt er ihnen, sie sollten gehen in die Städte und Märkte, und darauf achten, ob einer sie aufnehmen würde in sein Haus; wo sich ihnen aber kein Ohr öffnen wollte, wo sie mit ihrer 36–5 Vgl. Mt 10,5–14, bes. 11.14; auch Lk 10,10f

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trostvollen Botschaft ganz und gar zurükkgewiesen würden, bei solchen Unwürdigen sollten sie sich nicht lange aufhalten, sondern um die göttliche Stimme Andern zu bringen, sollten sie von dannen gehen, und auch den Staub von ihren Füßen schütteln, damit ihnen nichts zurükkbleibe von solchen hartsinnigen Menschen. Aber ganz anders ist, was er hier sagt! Hier schwebt ihm wo möglich eine Gefahr vor für das Heilige selbst; er denkt sich ein großes Unheil was plözlich entgegentreten kann, und deutlich und lebhaft will er es uns schildern in diesen Worten. Ist uns nun das Bild, dessen er sich bedient, nicht gleich klar, und wir fragen uns, Was ist denn das, was den Menschen auf solche Weise unempfänglich macht für das göttliche Wort, was ihn in solchen Zustand versezt, wo es rathsamer ist, es zurükkzuhalten, als es ihm hinzugeben: so werden wir gewiß an nichts anderes denken, als überhaupt an unselige leidenschaftliche Zerrüttungen des menschlichen Gemüths. Ja freilich, wenn wir auf die rohe Gewaltthätigkeit sehen, zu welcher diese sich oft steigern, da tritt es uns entgegen, daß es Augenblikke giebt, wo das menschliche | Gemüth auf eine wahrhaft feindselige Weise verschlossen ist gegen alles Höhere, dem es sich doch so gern zu öffnen pflegt, wenn es ihm im ruhigen Zustand mit Liebe und Freundlichkeit vor Augen gebracht wird. Dann ist es nur eine natürliche Bewegung, daß auch die, welche das göttliche Wort sonst überall mit Freuden verkündigen und darin den schönsten Beruf ihres Lebens finden, sich doch lieber zurükkziehen und die Gemeinschaft mit so bewegten Menschen für den Augenblikk aufgeben. Betrachten wir die Sache näher, so wird uns aus dem Wort des Erlösers – ohne daß wir es mit dem Bilde, dessen er sich bedient, genauer nehmen, als man es thun darf, wenn man nicht bei der Wahrheit vorbeizugehen Gefahr laufen will, indem man sie sucht – zweierlei entgegentreten, was wir deutlich unterscheiden können nach Maaßgabe der beiden Bilder, deren er sich bedient. Das eine derselben erinnert uns mehr an die leidenschaftlichen Erregungen, welche aus besonderen Verhältnissen der Einzelnen entstehen. Wenn Beleidigungen oder zugefügter Schade den Zorn in der Seele erglühen machen, wenn eine gekränkte Persönlichkeit nach Rache schnaubt, und solche leidenschaftliche Aufregung jeden Gedanken an Recht und Ordnung zum Schweigen bringt, so daß bald dieser bald jener in solcher schrecklichen Unordnung in lebensgefährliche Thaten gegen Andere ausbricht: ach, dann sehen wir das Thier in dem Menschen entfesselt! dann weiß auch Jeder, wie sehr er sonst dazu geeignet wäre und berechtigt, daß in solchen Augenblikken nichts auszurichten ist mit einer aus dem göttlichen Wort geschöpften Mahnung an die höheren Ver35 Aufregung] so auch SW II/3, S. 47; Textzeuge: Aufregung,

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hältnisse der Menschen, und Jeder zieht sich gern | zurükk. Dies nun, m. g. Fr., ist wohl das Eine, was der Erlöser im Sinne hat. Das andere Bild in den Worten des Erlösers aber erinnert uns mehr an gemeinsame Verirrungen großer Massen. Diejenigen, welche zu wenig erleuchtet sind, als daß der Zusammenhang der menschlichen Dinge ihnen deutlich genug vor Augen schweben könnte, die, wie sie auf das geringste Maaß von Befriedigung beschränkt sind, so auch auf der niedrigsten Stufe der Entwikkelung geistiger Kräfte stehen, und daher nicht leicht eines richtigen Urtheils fähig sind über das, was jenseit ihrer gewohnten Verhältnisse liegt, wenn diese auf verkehrte Weise aufgeregt werden in Zeiten, wo außerordentliche Umstände auch von ihnen außerordentliche Leistungen oder Entbehrungen verlangen: dann sind sie leicht genug aus der gewohnten Bahn der Ordnung und des Gehorsams hinaus zu verführen. Leicht sind sie durch leere Besorgnisse zu täuschen oder durch grundlose Hoffnungen; und sind Begierden der einen oder andern Art in ihnen erregt, sind sie zu dem Bewußtsein ihrer rohen Kraft gelangt, dann werden auch die heiligen Umzäunungen, worin Gesez und Ordnung sie halten wollten, niedergerissen. Und dies, m. th. Fr., ist der andere Zustand, der dem Erlöser auch bei seinem Volke oft genug vorkam, und den er bei den Worten unseres Textes im Auge hat. – Doch, m. G., ich finde es nöthig, hier noch einen Unterschied vor Augen zu stellen, um einem Mißverständniß und einer Verwechselung zweier ganz verschiedener Dinge vorzubeugen. Es giebt Zeiten, in denen das sichere Bewußtsein von der Zuträglichkeit und Angemessenheit der bestehenden Verhältnisse verloren geht, und | in denen sich bedeutende Veränderungen näher oder entfernter vorbereiten. Da regt sich auch ein gewaltiger Eifer, und die Meinungen treten hart aneinander; die Einen fürchten, daß Rechte die ihnen heilig sind gekränkt werden sollen; die Andern glauben, daß ihnen etwas gebührt, was ihnen mit immer größerem Unrecht länger vorenthalten wird, daß diejenigen, welche das Ganze zu leiten haben, demselben feindseelig gesinnt sind und nur an ihr Eigenes denken. Je mehr sich der Streit auch denen mittheilt, die nicht in der Mittheilung durch die Rede in der Entwiklung von Gründen sich und Andern genügen können: um desto leichter entstehen auch wilde leidenschaftliche Bewegungen, und arten nicht selten aus in wirkliche Zerrüttungen des bürgerlichen Zustandes. Das sind denn Zeiten, von denen, wenn wir nicht unter allen Stürmen des Lebens den Glauben an eine leitende Vorsehung festhielten, wir nicht würden wissen können, ob sie zum Besseren oder Schlimmeren führen. Aber doch, m. g. Fr., ist der Streit um etwas geistiges; wie sehr auch dabei 26 und] und | und

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auf mancherlei Weise die Leidenschaften erregt werden, so sind es doch nicht diese Zustände, die der Erlöser im Auge gehabt hat. Sie sind nicht an und für sich von der Art, daß sie die Gemeinschaft mit dem göttlichen Worte aufheben, so lange sie aus dem Gefühl für Recht, für Ordnung, für ein dem Menschen würdiges und großes Zusammenleben hervorgehen. O diese Bewegungen können schon an und für sich ein großes Unheil sein, sie können zu noch größerem Unheil den Keim in sich tragen, und es weit um sich her verbreiten; aber niemals sind sie der Art, daß wir genöthigt sein könnten, die Stimme des göttlichen | Wortes zurükk zu halten. Vielmehr ist diese es allein, welche zulezt die aufgeregten Gemüther wieder besänftigen muß, damit Alles sich friedlich schlichte, der Sturm sich lege, und ein Zustand wiederkehre, an dem die Gutgesinnten sich erfreuen können. Was ich aber vorher beschrieb, das sind die rohen Erregungen der unvernehmlichen und erkenntnißlosen Masse, die oft auch gegen das, was alle Verständigen als aus der Sorge für das gemeinsame Wohl hervorgegangen ehren und sich ihm fügen, mit thierischer Rohheit anstürmt, wenn es ihr nur irgend Besorgniß erregt für die eingewurzelten Gewöhnungen ihres Lebens. Das ist der Zustand, den der Erlöser im Auge gehabt, wenn eine wilde Menge keiner Belehrung der Vernunft, keiner Warnung des göttlichen Wortes mehr Raum giebt. Liegen uns etwa die Beispiele davon fern und sind sie uns fremd? Leider, m. g. Fr., haben wir vor kurzem dergleichen erlebt in dem eigenen Lande! In derselben Verbindung des Rechts und der Ordnung, der wir auch angehören, unter demselben Schuz des geliebten Königs, haben Störungen der öffentlichen Ruhe statt gefunden, Auflehnungen gegen die von ihm gesezte Obrigkeit, weil ungelehriges Volk sich gewaltsam erhob gegen von oben gegebene Vorschriften, die doch nur bezwekkten, in einem gefährlichen Zustand Mittel des Heils aufzusuchen und gegen das Uebel einen Damm aufzuwerfen. Aber von den thörichtsten Einbildungen aufgeregt gerieth die Masse in Wuth, und in wildem Ungehorsam, in unbändiger Gewaltthat zeigte sich das losgebundene Thier! Und das in Gegenden, wo die große Masse des Volks derselben erleuchteten evangelischen Kirche angehört, wie wir! Kommt nun das | erste, was ich bezeichnete, leider noch überall in einzelnen Fällen vor; können wir uns nicht mehr rühmen gegen das 22–34 Ausgelöst durch die Pariser Julirevolution 1830 war es auch in der preußischen Rheinprovinz zu Tumulten gekommen. Im September 1830 lieferten sich aufgebrachte Handwerker in Berlin Straßenschlachten mit der Polizei. Der November 1830 ausgebrochene Aufstand in Polen griff auf Teile der benachbarten preußischen Gebiete über; allerdings geschah dies vor allem in dem von starken polnisch-katholischen Bevölkerungsanteilen bestimmten Großherzogtum Posen und schlossen sich dem Aufstand auch etwa zweihundert preußische Adelige an.

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zweite sicher zu sein: wohlan, so müssen wir wohl daran denken, wie wir uns auch gegen solche Zustände zu verhalten haben; so müssen wir uns, nachdem wir erkannt haben, was der Erlöser gemeint hat, auch die Frage vorlegen, was geziemt uns wohl, wenn solche rohe Gewalt hereinbricht, sowohl in vereinzelter Gestalt, als wenn die Massen sich in Bewegung sezen? II. Werden wir nun sagen müssen, der Erlöser wird hier wie immer Recht haben, ist es einmal bis dahin gekommen, die Ordnung des menschlichen Gemüths so weit gestört, ist so das Oberste nach unten gekehrt, daß Menschen den unvernünftigen Geschöpfen nahe gebracht sind; finden wir sie in einem Zustande, wo keine Hoffnung mehr ist, durch die Verweisung auf die Stimme des göttlichen Gesezes, durch den Zuruf der christlichen brüderlichen Liebe die leidenschaftlich aufgeregten Gemüther zu besänftigen; ja dann müssen wir auch dem Rath des Erlösers folgen und ihnen nicht das Heiligthum vorhalten, dann müssen wir die köstliche Perle wohl verbergen, damit beides nicht beschimpft und mit in die Verwüstung gezogen werde: so können wir es doch dabei nicht bewenden lassen. Sollen wir das nicht thun, so muß es etwas Anderes geben, was uns obliegt; denn unthätig dürfen wir in solchen Fällen nicht bleiben, da wir ja aufgefordert sind, alles Böse zu überwinden durch das Gute. | Wohlan, m. th. Fr., wenn uns solche menschliche Zustände vor Augen treten, wo alle Gemeinschaft mit dem göttlichen Wort offenkundig abgebrochen ist, und die Mahnung an den heiligen Willen des Höchsten gar nicht mehr an das durch das Brausen der Leidenschaft verstopfte Ohr schlägt, weil die Selbstsucht sich auf den Thron geschwungen hat und Alles unter die Füße tritt, was sie zügeln will; hat der Blikk der brüderlichen Liebe, haben die Zeichen menschlicher das Gute schüzender Macht ihren Einfluß ganz verloren, weil dem ungöttlichen Wesen grade das Gesezwidrige wohl gefällt und es reizt: o dann können wir noch viel weniger hoffen, daß die Stimme menschlicher Weisheit und Lehre noch etwas fruchten könne! Wohlan, dann bleibt also nichts übrig, als der rohen losgelassenen Gewalt auch die Gewalt, aber die geheiligte Gewalt der Ordnung entgegenzustellen, die schüzende gemeinschaftliche Macht hervorzurufen, daß sie sich geltend mache gegen das eingetretene Unheil; und dann geziemt es Allen, sich mit dieser schüzenden Macht zu vereinigen; dann geziemt es Allen, sie aufrecht zu erhalten gegen die unheilvoll bewegten Gemüther; dann geziemt es Allen, zu zeigen, wie sie das Beste erwarten auf dem Wege 21–22 Vgl. Röm 12,21

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des treuen Gehorsams und in der treusten Anhänglichkeit an die liebenswürdigen heiligen Gewalten, die uns so lange zusammengehalten haben. Aber, m. g. Fr., ist es wahr, daß wenn einmal solche Zustände eingetreten sind, für den Augenblikk nichts übrig bleibt, als daß Alle sich mit der öffentlichen Macht vereinigen, um dem Recht und der Ordnung den Sieg zu sichern gegen die zerrüttenden Bewegungen einer losgebundenen Wildheit; wenn es strafbar ist, sich dann in eine | ruhige Mitte stellen zu wollen zwischen beiden, sondern Jeder sich bereit halten muß dem gemeinen Wesen zu helfen wo und wie er dazu aufgefordert wird: so laßt uns doch ja nicht glauben, daß wir damit erschöpft haben, was uns als Christen für solche Fälle obliegt; sondern immer müssen wir schon etwas wichtiges versäumt haben, wenn solche Zustände eintreten. Und vorzüglich zweierlei liegt mir hier auf dem Herzen. – Das erste ist eine Beobachtung, die wohl für mehrere Zeiten und in ähnlichen Verhältnissen wie die unsrigen ziemlich allgemein gelten wird. Nämlich jene anderen und besseren aber doch auch schon leidenschaftlichen Bewegungen, deren ich vorhin erwähnt, daß ihnen ein sei es nun richtiges oder, wie es sich wol öfter findet, auch schon mißleitetes Gefühl für das Rechte und Gute zum Grunde liegt, wenn wir sie auch nicht zu denen rechnen können, welche der Erlöser hier im Sinne hat, weil sie ihrem eigentlichen Grunde nach auch nicht die Kraft des göttlichen Wortes lähmen und vergeblich machen, vielmehr wenn sie nicht weiter ausarten sollen durch Verständigung aus dem Worte Gottes, wie wir es in uns haben und wie es vor uns liegt, geschlichtet werden müssen: so können wir doch die Erfahrung nicht verläugnen, die sich uns immer wieder aufdringt, daß gewöhnlich Bewegungen dieser Art schon vorangegangen sind, ehe diese niedrigen und verworfenen Gewaltthaten entstehen; und auch wo jene in leidlichen Schranken bleiben, werden doch diese in ihrem Gefolge bei der nächsten Veranlassung nicht fehlen. Ist es erst einmal dahin gekommen, daß die bestehende Gewalt des Ganzen, welches zu Recht und gesezlicher Ordnung verbunden ist, daß diese von Gott einge|sezte schüzende Macht, welche Gestalt sie auch haben möge, der Gegenstand eines aufgeregten Streites wird, wird ihr Recht bezweifelt und scheint sie wankend gemacht werden zu können: ach, dann fühlt eben das Thier im Menschen, daß sich seine Fesseln lösen, dann schöpft es sogleich Luft und rüstet sich zu wilden Bewegungen, dann regt sich mit verstärkter Kraft die Selbstsucht, und hofft für sich Raum zu gewinnen in dem verworrenen Streit der Meinungen. Darum besteht unsere wesentliche Sicherheit gegen solche Unordnungen darin, daß wir uns auch jene Vorläufer fern halten. Oder wie? sollte dies nicht möglich sein? Sollten wir als Christen zugeben müssen, daß erst böses geschehen müsse, damit Gutes herauskomme? Oder ist etwa nicht

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der leidenschaftliche Streit, der uns in Parteiungen auseinander treibt, schon etwas böses? Ja das sollten wir für unsere Ehre achten, hier nicht aus der richtigen Bahn zu weichen! Uns geziemt der ruhige stille Weg einer in gegenseitiger Liebe durch freundliche Ausgleichung der Ansichten fortschreitenden Förderung unseres gemeinsamen Wohls; auf diesem laßt uns auch ferner bleiben, so können solche Zustände unter uns nicht einheimisch werden, wie der Erlöser sie hier schildert. Der feste Gang des öffentlichen Lebens, das Band der Einigkeit des Geistes unter den Guten und Verständigen hält auch in der roheren Menge das thierische in gehöriger Scheu, daß es nie so schauderhaft erwacht, nicht bei jeder Aufregung sich losreißt um sich in wilden Gräueln zu ergehen. So nur kann verhindert werden, daß es in der christlichen Welt nie dahin komme, daß ein Theil der Menge sich löse von dem Zügel, den das Ansehn des göttlichen Wortes ihr anlegt, daß sie nicht mehr | zu fassen wäre bei ihrem Gewissen, nicht mehr beschwichtiget werden könnte durch die heiligen Töne, gegen die sie doch von Ehrfurcht durchdrungen ist von Jugend auf. Wenn nun das jezt gesagte sich vorzüglich auf diejenigen Unordnungen bezieht, denen sich die Menschen in großen Massen hingeben: so ist das zweite was mir auf dem Herzen liegt von allgemeinerer Art, und betrifft nicht minder auch die wilden und leidenschaftlichen Ausbrüche der vereinzelten Selbstsucht. Nämlich welchen von diesen beiden Zuständen wir uns auch vorhalten mögen, gleichviel ob aus unserer Nähe oder aus der Ferne her: wir können uns dabei des Gedanken nicht erwehren, daß wo dergleichen hervorbricht, wir auch eine große gemeinsame Schuld aufzusuchen haben, an welcher Jeder sein Theil trägt, weil in einem solchen Zusammenhang menschlicher Dinge wie der unsrige Keiner fremd ist dem Andern. Wie können wir anders, m. G., wir, die wir ohne Ausnahme die Segnungen einer gereinigten Erkenntniß Gottes und unsers Heils genießen, wir, die wir mehr oder weniger Antheil haben an allen geistigen Gütern einer reich entwikkelten und hoch gebildeten menschlichen Gesellschaft, wir, die wir von Jugend auf lernen unser Wohlsein in der Herrschaft des Rechts und der Ordnung zu finden, aber noch tiefer in uns vernehmen den Ruf der allgemeinen brüderlichen Liebe zu Allen, die derselbe Erlöser sich zum Eigenthum erworben hat, über die derselbe göttliche Geist bereit ist sich ausgießen zu lassen, der in uns ruft, Abba, lieber Vater! und uns sich zu eigen macht: wie können wir anders, m. g. Fr., als mit tiefem Jammer diese große geistige Ungleichheit der Men|schen beklagen, die uns doch von Natur und durch die Aufnahme in die Gemeinschaft der Christen ganz gleich sind! Bedenkt es, 8–9 Anlehnung wohl an Eph 4,3

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Einige die zu derselben geistigen Ordnung gehören wie wir, die Antheil an derselben menschlichen Ordnung der Dinge haben mit uns, können sich noch mitten unter uns in solchem Zustande befinden, daß die heiligen Triebfedern, die uns Alle leiten sollen, so gut als gar keine Macht über sie ausüben? Und da wir Alle derselben brüderlichen Liebe der Christen empfohlen sind, da Keiner von uns an sich allein zu denken hat, sondern Jeder zugleich an das, was des Andern ist: wie könnten wir behaupten, die wir höher stehen als Jene an geistiger Entwikkelung und Ausbildung, höher auch an Einfluß auf die, welche uns umgeben, wie könnten wir sagen, daß wir ohne Schuld sind, daß wir Alle das Unsrige gethan, wenn doch noch solcherlei unter uns geschieht? Haben wir uns nicht zu sehr gesondert von diesem gedrükkten Theil unserer Brüder, so daß sie nicht zu dem Bewußtsein kommen konnten, daß sie ein vorzüglicher Gegenstand unserer Liebe und Sorge sind? sind wir freigebig genug gewesen in der Mittheilung unserer Einsicht, haben wir nicht hochfahrend sie von uns zurükkgescheucht, anstatt ihnen mitzutheilen von unsern geistigen Gütern? haben wir nicht in stolzer Verwöhnung wenigstens nahe genug gestreift an die lieblose Einbildung, als wären sie wirklich dazu bestimmt nur immer gewaltsam von außen gebändigt zu werden, als wären sie auf unheilbare Weise so tief herabgesunken unter das Maaß der menschlichen Natur, wie der Erlöser es in den Worten unsers Textes darstellt, und wie wir es leider so oft in der Erfahrung sehen? O gewiß, m. G., werden wir uns von dem allen nicht frei|sprechen können! – So lasset uns denn zusammenhalten, auf daß es besser werde, ehe noch solche Uebel uns nahen. In kräftiger brüderlicher Liebe und milder Weisheit laßt uns den niedrigeren Theil der Gesellschaft jezt mehr als je zum Gegenstand unserer Sorge machen; nicht nur, daß wir immer geneigt bleiben den Ueberfluß ablenken zu lassen in das durstige Bett der Dürftigkeit, sondern noch vielmehr laßt uns geistiges mittheilen, und uns ihnen fast aufdrängen mit den edelsten Gütern, deren wir uns erfreuen. Möchten sie es inne werden, wie sehr wir auch ihnen gönnen nicht immer nur durch die Furcht gebändigt und getrieben zu werden, sondern gleich uns durch die Schaam gezügelt und durch die Freude am Guten gelenkt, wie herzlich wir uns jeder edleren Regung in ihnen erfreuen. Möchten wir es sie merken lassen, daß wir nicht nur Dienste von ihnen gern und leicht entgegennehmen, und uns nicht nur der Vorzüge erfreuen, die wir so nicht besizen könnten, wenn nicht eine so bedeutende äußere Ungleichheit unter den Menschen bestände, sondern daß wir als etwas weit höheres anerkennend ihre Gleichheit mit uns in dem Antheil an der Fürsorge und 6–8 Vgl. 1Kor 10,24; auch Phil 2,4

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Liebe unsers himmlischen Vaters, ihre Gleichheit mit uns als Erlöste unsers Herrn, uns auch schuldig finden, ihnen zu dienen mit Allem, und vornehmlich ihnen nach bestem Vermögen mitzutheilen von unsern geistigen Gütern. Wenn es uns erlaubt wäre die Aufgabe mehr in die Ferne hinauszuschieben, ja dann, m. G., wäre es allerdings das leichteste, daß wir nur darauf dächten für die Zukunft immer mehr diese zu große Ungleichheit verschwinden zu machen. Können wir das nicht bewirken in Beziehung auf | den äußern Besiz und die irdischen Güter des Lebens; so möge sie nur immer mehr verschwinden in Beziehung auf die geistigen Kräfte. Das würde geschehen, wenn wir noch ernster Bedacht nähmen und mehr Kräfte wendeten auf das Wohl der unter uns heranwachsenden Jugend dieses Theils der Gesellschaft, daß sie nicht zu sehr eingetaucht werde in die noch jezt herrschende Roheit, daß sie zu einer freudigen geistigen Entwikkelung gelangen könnte und zum Bewußtsein eigener Kraft um sich einst ein selbstständiges Dasein zu begründen. So würde sich dann allmählig eine durch Alle hindurchgehende geistige Gemeinschaft gründen, in welcher jene äußeren Unterschiede weniger beachtet würden, wenn sie auch nicht ganz verschwinden könnten. Aber wir dürfen uns damit nicht begnügen; es dringt uns freilich Näheres, und tausend Beispiele mahnen uns daran, wie nöthig es ist, auch mit dem jezigen Geschlecht ganz das Band der Liebe festzuknüpfen; und um so mehr in einem solchen Zeitpunkt, wo allen gemeinsam Gefahren drohen, auch die in die Gemeinschaft unserer Sorgen und unserer Bestrebungen inniger aufzunehmen, welche ohnedies zuerst und am stärksten leiden, so oft die menschlichen Dinge nicht mehr in gewohnter Bahn fortgehen. Möchte doch Jeder in seinem Kreise sich denen, aus diesem Theil der Gesellschaft, mit denen er zu schaffen haben kann, herzlicher, brüderlicher, christlicher hingeben, damit der Eindrukk herrschend werde, daß im Ganzen der Gemeinde eine lebhafte Theilnahme herrscht an denen, welche ohnehin so viele Güter des Lebens entbehren müssen! Möchten wir Alle so mit ihnen umgehen, ohne daß sie sich doch einbilden könnten, wir schmeichelten ihnen aus Furcht vor der rohen Gewalt, welche sie | uns könnten fühlen lassen! Aber das kann nur geschehen, wenn ihnen unabweislich klar wird, daß es wahre Liebe ist, welche sich in uns regt gegen sie, daß wir nicht das Bedürfniß fühlen uns gegen sie zu schüzen, sondern das sie mehr an uns heranzuziehen. Das wird der Herr niemals ohne Segen lassen, und niemals wird es zu spät sein, wenn wir anfangen einen solchen brüderlichen Sinn noch stärker vorwalten zu lassen in unserm Betragen gegen die, welchen wir uns zu leicht entfremden, weil wir sie nicht ganz in unsern nächsten Kreis hineinziehen können.

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Und der Erlöser, an diese betrübenden und ergreifenden Worte, die wir zum Gegenstand unserer Betrachtung gemacht haben, was für welche knüpft er an? Bittet, sagt er, so wird euch gegeben, klopfet an, so wird euch aufgethan. Wohlan denn, so lasset uns bitten, daß wir bewahrt bleiben vor allen solchen Auflehnungen gegen Ordnung und Recht, wobei sich das Herz gegen die Stimme des göttlichen Wortes verstokkt! Aber nicht nur Gott, von dem freilich alles Gute kommen muß, sondern auch unter einander laßt uns gegenseitig uns erbitten, daß wir nach allen Seiten aufs neue den Handschlag der Liebe und Treue geben und empfangen! Laßt uns anklopfen, aber nicht allein an den Pforten des Himmels, und am wenigsten damit wir ohne unser Zuthun irgendwie versezt werden in einen sichern und friedlichen Port, sondern laßt uns anklopfen an den Herzen unserer Brüder; auch diese werden uns aufgethan werden, wenn wir in Liebe und Zuversicht anpochen. Wir werden Vertrauen finden für das Vertrauen, womit wir entgegen kommen; wir werden nicht zurükkgewiesen werden mit den herzlichen Gaben, die wir darbringen. Und so | werden wir glükklich hindurch steuern das Schiff unserer bürgerlichen Gesellschaft durch diese gefahrvollen Klippen, durch diese stürmischen Brandungen, der Sturm wird uns nicht ergreifen, sondern ruhig werden wir festhalten in Liebe und Ordnung. O wie schön, wie herrlich, m. th. Fr., wenn wir uns das Kleinod erhalten, daß wir frei bleiben von allen solchen inneren zerstörenden Bewegungen! Mag denn der Herr von Außen her verhängt haben, was er wolle, wenn nur nicht ein schleichendes Verderben das Innere des Lebens verzehrt! Mag dann, wenn es so Gottes Rath ist, auch die gefahrvolle Krankheit viele einzelne Leiber zerstören, wenn wir nur auch in dieser Noth an alle dem festhalten, was auch die künftigen Geschlechter noch vereinigen und beglükken muß, wenn wir uns nur auch in solchen Leiden bewahren und verherrlichen durch alle Erweisungen christlicher Liebe und Treue. Dann werden wir uns auch solcher Zeit rühmen können, als einer göttlichen Gnadenzeit, die uns wunderbar gefördert hat, wie gefahrvoll sie auch sei! Halten wir uns so bereit, dann werden wir Ursach haben Gott für diese Zeit vor dem Nahen der Gefahr noch zu danken, wenn sie da sein wird und wenn der Herr sie einst glükklich wird vorübergeführt haben. Hat sich unsere Gemeinschaft als eine Gemeinschaft der christlichen Liebe bewährt; sind wir durch alle Prüfungen hindurch vom Obersten bis zum Untersten so fest verbunden 3–4 Vgl. Mt 7,7 25–27 Gemeint ist die sog. Asiatische Cholera, die sich seit 1817 epidemisch von ihrem indischen Ursprungsgebiet Richtung Europa ausgebreitet und 1830 Rußland erreicht hatte. Seit Frühjahr 1831 waren auch Teile Deutschlands von ihr befallen. Vgl. oben Einleitung I. 4.

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geblieben, daß diese Kette an keinem Gliede gerissen ist: dann werden wir uns reichen göttlichen Segens bewußt bleiben und uns rühmen können, daß der Herr es wohl macht und wohl machen wird mit uns Allen. Amen. 5

Lied 319, 9. 10.

3–4 Vgl. Ps 37,5; Mk 7,37 5 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 319: „Dein Recht, o Gott, und dein Gebot“ (Melodie von „Es ist das Heil uns kommen her“); Strophen 9 und 10 lauten: „Dein Wort, o Herr, sey immerdar ein Licht auf unsern Wegen; erhalt’ es bei uns rein und klar und mach’ es uns zum Segen; es sey uns Trost in aller Noth, daß wir im Leben und im Tod beständig darauf trauen. // O Vater! laß zu deiner Ehr dein Wort sich weit verbreiten: hilf, Jesu, daß uns deine Lehr’ erleuchten mög’ und leiten. O heilger Geist, dein göttlich Wort laß in uns wirken fort und fort Glaub, Lieb, Geduld und Hoffnung.“

Am 14. August 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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11. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 1,1–8 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 1–15, Nr. I; Zabel Keine Keine Beginn der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 105,1–8. Meine geliebten Freunde. In der Gewohnheit, in unseren Frühbetrachtungen irgend ein einzelnes unserer Neu-Testamentlichen Bücher durchzugehen, habe ich es überlegt, es wäre wol gut und heilsam, auch einmal wieder eins von den geschichtlichen Büchern derselben uns im Einzelnen vor Augen zu stellen, wie wir es früher gethan mit dem Evangelio des Johannes. Ich habe dazu dasjenige unserer Evangelien gewählt, welches am wenigsten eine große Menge von einzelnen Sprüchen enthält, die den meisten Christen bekannt sind; eben weswegen auch wol am wenigsten vorauszusetzen ist, daß es häufig im Zusammenhang gelesen und bekannt sei. Das ist nämlich das Evangelium des Marcus. Es hat mit diesem die Bewandtniß, daß wir keine bestimmte Kenntniß haben, von wem es herrührt, wo und zu welcher Zeit es geschrieben sei; denn wir haben darüber nur ziemlich ungewisse, mehr wie Vermuthungen als wie Nachrichten klingende, Berichte aus alter Zeit. Und wenn der Name Marcus in den Evangelien und in der Geschichte der Apostel vorkommt: so war das damals ein sehr gewöhnlicher Name unter den Juden aus Nachahmung des Römischen, so daß wir nicht wissen können, ob es der Name des Apostels oder eines anderen Marcus ist. Es beginnt aber das Evangelium also: |

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Tex t . Marcus I, 1–8. „Dies ist der Anfang des Evangelii von Jesu Christo, dem Sohne Gottes. Als geschrieben stehet in den Propheten: Siehe, ich sende meinen En1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 105: „Sey hochgelobt“ (Melodie von „Preis, Lob, Ehr, Ruhm“); das Lied hat neun Strophen. 6 Schleiermachers Homilien über das Johannesevangelium begannen am 13. April 1823 und endeten am 20. Mai 1827.

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gel vor dir her, der da bereite deinen Weg vor dir. Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: bereitet den Weg des Herrn, machet seine Steige richtig. Johannes, der war in der Wüste, taufte und predigte von der Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden. Und es ging zu ihm hinaus das ganze jüdische Land und die von Jerusalem; und ließen sich alle von ihm taufen im Jordan und bekannten ihre Sünden. Johannes aber war bekleidet mit Cameels-Haaren und mit einem ledernen Gürtel um seine Lenden und aß Heuschrecken und wilden Honig. Und predigte und sprach: Es kommt Einer nach mir, der ist stärker denn ich, dem ich nicht genugsam bin, daß ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe auflöse. Ich taufe Euch mit Wasser, aber er wird Euch mit dem heiligen Geist taufen.“ Wenn nun unser Evangelium, m. g. Fr., also beginnt: „dieses ist der Anfang des Evangelii von Jesu Christo, dem Sohne Gottes“: so wird vielleicht, wem es ganz unbekannt wäre, nun erwarten, daß eine Nachricht folgen würde von der Geburt und Kindheit unseres Herrn, wie wir sie in zwei anderen unserer Evangelien lesen. Allein das unsrige meint nicht den Anfang des Lebens Christi, sondern | den Anfang des Evangelii von Jesu Christo, und so führt es uns denn gleich in das öffentliche Leben unseres Erlösers und zu dem Anfang seiner Predigt und seines Lebens über. Was aber hier genauer genommen der Anfang des Evangelii von Christo genannt wird, ist die Predigt des Johannes, die demselben vorher geht; denn unmittelbar nach dieser Ankündigung lesen wir hier zuerst diejenigen prophetischen Worte, die, wie wir aus anderen Erzählungen wissen, Johannes der Täufer auf sich anwendete: „Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der da bereite deinen Weg vor dir; es ist eine Stimme des Predigers in der Wüste: bereitet den Weg des Herrn, machet seine Steige richtig.“ Und so giebt er uns denn die kurze Nachricht von Johannes, die wir mit einander gelesen haben, auch wieder ohne zu sagen, von wannen er gekommen und wer er gewesen sei. Dieses nun, m. g. Fr., müssen wir wol achten für einen rechten geistigen Anfang eines Evangelii von Christo, die äußere Persönlichkeit mit demjenigen, was sie äußerlich bedingt, zurückzustellen, als ob dabei wenig daran gelegen sei, von wannen Johannes sowol als Jesus gekommen, wie sie vor dem Anfang ihres öffentlichen Berufes gelebt, und in welchem Verhältniß sie gestanden; sondern ganz und gar sich gleich zu beziehen auf den großen Zweck des Ganzen, gleich zu der Verkündigung, wozu beide gekommen waren, hinzuführen. – Nun aber wenn wir vergleichen, wie der Erlöser selbst in seiner Predigt und seinen Aeußerungen sich zu Johannes dem Täufer stellt: so müssen wir uns auf der anderen Seite wieder wundern, wie 16–17 Vgl. Mt 1–2; Lk 1–2 23 Vgl. Mal 3,1 und Jes 40,3 folgt hier Joh 1,19–23; etwas anders bei Mt 3,1–3; Lk 3,3–6.

23–25 Schleiermacher

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unser Evangelium die Predigt des Johannes als den eigentlichen Anfang des Evangelii von Christo ansieht, da unser Erlöser sich in seinen Aeußerungen auf mancherlei Weise dem Johannes gegenüberstellt. Und das geschieht auch grade in Beziehung auf die Beschreibung, die unser Evangelium hier von Johannes macht, sein Zurückbleiben fern von der Gesell-| schaft in der Wüste, ganz entgegengesetzt der Art und Weise unseres Herrn, seine Auszeichnung in Kleidung und Lebensweise von den übrigen Menschen, ganz entfernt von der Art und Weise unseres Herrn, der freundlich und liebevoll sich zeigte gegen die Menschen, der mit ihnen gelebt wie Andere auch. Demungeachtet nennt unser Evangelist dieses den Anfang des Evangelii. Nun wissen wir freilich, wie es sich mit diesem Worte verhält, wie bei Allem in der Welt und besonders in geistigen Dingen es schwer ist, etwas als den eigentlichen Anfang zu bezeichnen; denn nehmen wir das Frühere weg, so würde das Spätere auch nicht das geworden sein, was es ward. Wenn wir aber die Predigt des Johannes so ansehen, wie der Evangelist sie darstellt, daß sie sich vorzüglich und eigentlich als Hinweisung auf Christus bezieht, und seine Predigt darin bestanden hat, daß sie hinführte auf den, der nachfolgen werde und stärker wäre, denn er, dessen Predigt sich verhalten werde zu seiner eigenen, wie seine Taufe sich zu der eignen verhielt, wie Geist und Wasser: dann werden wir sagen, daß der Evangelist vollkommen recht gehabt, dieses als den eigentlichen Anfang darzustellen; weil die Predigt des Täufers Vorbereitung war, welche die Predigt Christi nach der göttlichen Ordnung nicht missen sollte. Wenn wir, m. g. Fr., diese Erzählung nun vergleichen mit jenen anderen, die uns in den Anfang des Lebens unsers Erlösers zurückführen: so finden wir da auch mancherlei Verkündigungen, die wir ebenfalls und zwar mehr noch und bestimmter, weil sie unmittelbar mit der Erscheinung des Erlösers selbst zusammenhangen, als den Anfang des Evangelii von Christo ansehen könnten. Wenn uns der eine Evangelist erzählt, wie die himmlischen Heerschaaren den Hirten erschienen wären und ihnen verkündigt hätten das große Heil, das allen Men|schen widerfahren wäre: wer wollte das nicht eben so gut anerkennen als den Anfang des Evangelii unseres Herrn? Wenn uns derselbe erzählt, wie das Kindlein Jesus von seiner Mutter im Tempel dargestellt wurde als der Erstgeborne, und darin Simeon die Erfüllung des Wunsches fand, den er so oft im Gebet geäußert, und der Verheißung, die ihm gegeben war, daß er nun den Heiland gesehen, und nun in Frieden fahren könne: wer wollte das nicht den Anfang des Evangelii von Christo nennen? Aber von einer anderen Seite angesehen müssen wir sagen, daß jene Begebenheiten sich bis auf die Spur gar bald verloren haben, indem, als der Erlöser öffentlich auftrat, uns nicht gemeldet wird, von keiner Seite her, daß irgend jemand sich jener früheren Reden und des Zusammenhangs 29–31 Vgl. Lk 2,8–11

32–37 Vgl. Lk 2,22–30

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derselben mit seiner Erscheinung erinnert habe. Und so kommen wir natürlich auf die Frage: wie es in dieser Beziehung stehe mit der Taufe und Predigt des Johannes, wenn wir sie als den Anfang des Evangelii von Christo betrachten wollen? Da verhält es sich insofern anders, als die Taufe des Johannes fortdauerte bis zur Erscheinung des Erlösers selbst, wie denn die nächsten Worte des Apostels die Nachricht mittheilen, daß auch Jesus gekommen sei, um sich taufen zu lassen. Der Apostel Johannes erzählt, daß die Predigt des Johannes noch fortgedauert habe, während auch Christus mit seinen Jüngern gepredigt, und daß die Taufe des Johannes noch fortgedauert, während zwar Christus selbst nicht aber seine Jünger tauften, so daß die Vorbereitung und die Sache selbst unmittelbar in einander greifen. Aber betrachten wir es auf der andern Seite und fragen: in wiefern wurden denn die Menschen durch die Predigt des Johannes wirklich auf Christum hingewiesen; wie weit hat wohl dieser Anfang für die Erscheinung Christi, seine Lehrart, seine Verkündigung des | Reiches Gottes gefruchtet? so tritt uns das freilich wieder ziemlich ins Dunkel zurück. Wenn uns der Evangelist erzählt, wie Johannes in der Wüste lebte und dort predigte von der Buße zur Vergebung der Sünden, sei zu ihm hinausgegangen das ganze Jüdische Land und die von Jerusalem, und hätten sich alle von ihm taufen lassen im Jordan und hätten ihre Sünden bekannt: so erscheint uns das Ganze als eine große geistige Aufregung, die sich gleichzeitig über den größten Theil des Volkes verbreitet hatte, als eine ungewöhnliche Erregung der Gemüther, geeignet, sie aus ihrem gewöhnlichen Zustand herauszureißen. Solche Erregungen, m. g. Fr., wiederholen sich in der menschlichen Gesellschaft sehr häufig, und wir finden sie von mancherlei Art. Was sich auf andere Gegenstände bezieht, wie es denn auch plötzliche, weit um sich greifende Bewegungen giebt auf anderen Gebieten, wie im Gebiete des Wissens, um diesen von Gott dem Menschen bestimmten Wohnsitz immer genauer und vollständiger kennen zu lernen, weit sich verbreitende Erregungen in Beziehung auf die bürgerlichen Angelegenheiten des Lebens – das lassen wir, als dieser Betrachtung fern, bei Seite. Aber in dem Gebiete des geistigen Lebens, in der geistigen Richtung der Menschen zu ihrem Heil finden wir ebenfalls häufig solche sich weit verbreitende Erregungen, und gewöhnlich wenn eine Zeit vorhergegangen war, wo die Menschen es nachlässig genommen hatten mit der Richtung zum Heil, wo ihre Theilnahme daran abgestumpft gewesen war – auf solche Zeiten der Erschlaffung im Gebiet des geistigen Lebens folgen dann wieder solche große und weit sich verbreitende Erregungen. Von solchen sind wir dann immer geneigt, etwas Großes und Bedeutendes zu erwarten; aber diese Erwartung wird nicht selten getäuscht, und so scheint es auch mit dieser Erregung durch die Predigt des Johannes gegangen zu sein. Sie muß weit verbreitet gewesen | sein, 5–7 Vgl. Mk 1,9

7–10 Vgl. Joh 4,1f; etwas anders 3,22f

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das wissen wir von den Aposteln und aus anderen Nachrichten über diese Zeit. Ging nun aber so das ganze Volk und auch die von Jerusalem zu ihm hinaus in die Wüste, hörten sie seine Predigt von der Taufe zur Buße und zur Vergebung der Sünden und von dem Reiche Gottes, das da kommen sollte, wird nun gesagt, daß sie alle ihre Sünden bekannt haben: nun, so sollte man denken, daß das auch etwas Bedeutendes würde zurückgelassen haben, daß die Verkündigung des Erlösers einen bedeutenden Vortheil davon getragen, daß seine Gemeinschaft gleich würde sehr zahlreich geworden sein, weil jeder gleich zurückgedacht an die Predigt des Johannes, an der sie so unmittelbar Theil genommen, daß sie seine Taufe zur Buße angenommen. Aber doch, m. G., finden wir davon wenig oder gar nichts. Der Erlöser mußte selbst wieder aufs Neue solche Erregung bewirken, und wenn wir diejenige betrachten, welche er durch seine außerordentlichen Thaten, die er vermöge seiner besonderen von Gott erhaltenen Ausrüstung verrichtete, unter den Menschen hervorbrachte, wovon auch in unserem Evangelio vielfältig wird die Rede sein: so müssen wir sagen, daß auch diese Erregung nicht werde die rechte gewesen sein. Denn was war die Folge davon? Wenn der Erlöser einmal recht innig seine Lehre den Menschen vortrug, wenn er sie nöthigen wollte, sich recht ausschließlich an ihn zu halten, wenn er ihnen sagte, er sei das Brot des Lebens, das vom Himmel gekommen, sie müßten sein Fleisch essen und sein Blut trinken, sonst könnten sie das Leben nicht in sich haben: so war ihnen das eine harte Rede, und sie verließen ihn und gingen hinter sich. Und so gewinnt es das Ansehen, als ob sie die Predigt vom Reiche Gottes, die ja auch in der Verkündigung des Johannes enthalten war, nicht verstanden. Und wenn wir so, wie es hier dargestellt ist, die Predigt selbst | und ihre Wirkung betrachten: so müssen wir freilich sagen, diese Erregung zur Buße und sich taufen zu lassen zur Buße und zur Vergebung der Sünden, die war nichts Anderes als die gesetzliche Erregung; und von dem Gesetz gilt immer das und bleibt das die Wahrheit, was der Apostel Paulus in ganz kurzen Worten so ausdrückt: aus dem Gesetz kommt auf der einen Seite die Erkenntniß der Sünde, aber eben so auf der anderen Seite nimmt die Sünde von dem Gesetz ihren Anlaß; daß aber das Gesetz Kraft haben sollte, die Sünde zu überwinden, finden wir nirgend und ist auch nirgend gegeben. So finden wir, wenn wir diese Erregung, die durch den Johannes hervorgebracht wurde, betrachten, daß sie für das Reich Gottes, welches der Erlöser stiften wollte, nur eine entfernte Wirkung gehabt, und daß die Verkündigung des Täufers, ungeachtet sie als gleichzei1–2 Möglicherweise denkt Schleiermacher an die Notiz bei Flavius Josephus: Antiquitates XVIII,116–119; Opera quae extant omnia 1691, S. 626f (= XVIII, cap. VII); Opera, ed. Niese, Bd. 4, S. 161f. 20 Vgl. Joh 6,35.41 20–22 Vgl. Joh 6,53 22 Vgl. Joh 6,60 22–23 Vgl. Joh 6,66 30–31 Vgl. Röm 3,20 32 Vgl. Röm 7,8

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tig noch im frischen Andenken war, doch für seinen Zweck wenig gefruchtet hat. Sollen wir nun sagen, daß also auch solche geheimnißvolle Ereignisse, die wir doch nicht anders als auf die unsichtbare verborgene göttliche Leitung zurückführen können, daß diese auch etwas Vergebliches wären? Das, m. g. Fr., werden wir gewiß nicht behaupten wollen, aber wir wollen uns auch hüten, daß wir sie nicht überschätzen und etwas zu Großes von ihnen erwarten. Je allgemeiner sie sind, je mehr solche Erregungen ein gewaltsames, stürmisches Ansehen haben, je mehr die Menschen sich plötzlich auf einen Punkt hindrängen, plötzlich etwas ändern wollen, plötzlich meinen, zu etwas Anderem zu gelangen: um desto weniger finden wir das Werk des Friedens, um desto mehr zeigen sich solche Bewegungen, die erst müssen wieder gestillt werden, und erst wenn sie gestillt worden, wenn erst der leidenschaftliche Charakter sich wieder verloren hat, erst dann finden wir, daß das eigentliche Leben an|fängt sich zu entwickeln, von dem jenes nur eine Vorbereitung gewesen. Dies, m. g. Fr., finden wir in dem Gang der christlichen Kirche auf Erden auf die mannigfachste Weise wiederholt. Viele von uns können selbst sagen, daß sie noch erlebt haben eine Zeit allgemeiner, weit verbreiteter Erschlaffung in Beziehung auf die großen Angelegenheiten des Reiches Gottes, welches unter uns gebauet ist und bestehen soll, eine Zerstreuung der Menschen, ungeachtet sie den Namen der Christen immer behielten, aber eine Zerstreuung derselben von der göttlichen Quelle des Heils, so daß sie bald hier bald da suchten, was ihnen noth that, und nicht in dem Einen, was noth thut, ihre Zufriedenheit und ihr Heil suchten. Auf eine solche Zeit der Erschlaffung ist gefolgt eine weit sich verbreitende Aufregung der Gemüther in Beziehung auf die großen Angelegenheiten des Heils, die sich bald hier bald da zu erkennen giebt im scharfen Gegensatz gegen die, die noch im Zustande der Erschlaffung fortleben, und die etwas Großes zu sein scheint und große Erwartungen erregt. Wenn wir fragen: wie viel ist denn dadurch erbaut worden im Reiche Gottes; wie weit sind die Menschen gefördert worden; können wir sagen, daß alle, welche an dieser Erregung Theil nehmen, zum rechten Genuß des wahren Heils, zur rechten Freiheit der Kinder Gottes gekommen sind? so werden wir sagen: Nein! es ist dasselbe was damals. Als Johannes auftrat, war eine allgemeine Erschlaffung; es war die Meinung, daß der Geist Gottes verstummt sei; der Gottesdienst nach seiner äußeren Anordnung war eine äußere Schale, welcher der Kern fehlte, das Leben war nach allen Seiten hin zerstört und seinem geistigen Gehalte nach vernichtet. Da trat Johannes auf, und da entstand die große Erregung, welche die Worte unseres Textes beschreiben. Aber es war eben auch nur eine gesetzliche Erregung. Es war eine gewalt|same Erschütterung, die immer 23–24 Vgl. Lk 10,42

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nur, indem der Mensch zurückgewiesen wird auf das, was er verloren hat, indem von außen hingestellt wird, was er innerlich haben sollte, entstehen kann; und sobald etwas äußerlich hingestellt wird, ist es ein Gesetz – denn das ist das Wesentliche des Gesetzes, daß es vor die Menschen hingestellt wird, und indem man es vor sie hinstellt, voraussetzt, daß der eigentliche Geist nicht in ihnen lebe. Das war die Erregung, die Johannes hervorbrachte. So erschütterte er die Menschen, so demüthigte er den nichtigen leeren Hochmuth, den sie hatten, daß sie die Bewahrer der göttlichen Wahrheit wären, so stellte er sie in ihrer Nichtigkeit dar, indem sie entfernt waren von allem wahren Heil, daß er sich ganz von ihnen absonderte, wandelnd in der Wüste für sich allein, auf eine Weise lebend, wie es der Sitte fremd war, sich Allem entsagend, was zur Sitte gehörte, nichts sein wollte als eine Stimme, aber eine Stimme, die von außen her an die Menschen erklang und von außen her solche Erschütterungen bewirkte. Aber ein inneres Leben ging aus derselben nicht hervor. Und wenn auf Johannes nichts Anderes gefolgt wäre, wenn nicht Christus hernach erschienen wäre, wenn nicht der, von welchem Johannes in der späteren Zeit seiner Verkündigung redete, daß er so nahe gekommen sei, daß er mitten unter ihnen stehe, wenn der nicht unmittelbar nach ihm aufgetreten wäre: so wäre gar kein Zusammenhang gewesen zwischen dieser großen Erregung und dem Reich, das Christus gestiftet. Aber nun, m. g. Fr., wie war es mit der Erregung, die der Erlöser selbst hervorbrachte? Es war leider ebenso, wenn gleich seine Worte nicht die Ursache davon waren; aber er konnte sich nicht anderer als menschlicher Worte bedienen. Handelte er vom Reiche Gottes: sogleich stellte sich den Menschen dar, was sie gewohnt waren, darunter zu verstehen, gleich waren sie wieder voll von den Bildern menschlicher Hoheit; und wenn er ihnen sagte, daß er ein irdisches Reich nicht stif|ten wolle, sondern daß das Reich Gottes sich rein aus dem Gemüth aufbauen und aus ihm hervorgehen soll: so war ihnen das eine harte Rede, und sie gingen wieder hinter sich; und so müssen wir sagen, es war auch nur ein leichter einzelner Anfang, welchen der Erlöser hervorbrachte von dem Leben aus Gott, welches er in sich trug und welches er den Menschen mitzutheilen gekommen war. Und so, m. G., ist es immer mit den menschlichen Dingen in Beziehung auf ihren unmittelbaren Zusammenhang mit dem Göttlichen. Die großen Aufregungen – allerdings sind sie merkwürdige Zeichen der Zeit, allerdings stehen sie unter göttlicher Leitung, allerdings muß dann jeder nicht nur fragen, wie er stehe zu dem, was aus solcher allgemeinen Aufregung hervorgehen kann, wie viel Kraft er habe, doch seiner eigenen Ueberzeugung zu folgen, wenn auch der Zug der Menschen nach anderen Seiten hingehe; 16–18 Vgl. Joh 1,26 28–29 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf Joh 3,5f und Lk 17,20f. 30 Vgl. Joh 6,60.66

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sondern auch jeder muß wohl fragen, worauf solche Zeit deute, was die göttliche Führung damit sagen wolle. Aber wie wir auf dem einigen Grund gebauet sind, über den Keiner einen andern legen kann: werden wir doch sagen müssen, daß nur das, was uns mehr befestigen kann auf diesem Grund, nur das, was uns mehr befestigen und enger vereinigen kann, einen Werth für uns hat, auf dem wir weiter bauen können, und von Anderem müssen wir sagen, daß es solchen Werth für uns gar nicht habe. Nur das, was sich auf diesen Grund absetzt, nur was diesen geistigen Tempel Gottes wirklich erhöht, nur was zu seiner wahren Verbreitung dient, nur was den Frieden Gottes in den menschlichen Seelen befestigt, nur das ist der wahre bleibende Segen von allen noch so großen Aufregungen. Darum, m. g. Fr., ist das von Anfang an eine allgemeine Regel, die auch schon in den ruhigsten Zeiten für alle künftige | Zeit den Christen gegeben worden: Prüfet die Geister, ob sie von Gott seien. Jede solche Erregung ist allerdings ein neuer und sich anders gestaltender Geist, der den Menschen beseelt, aber wir sollen prüfen, ob er aus Gott ist. Nun ist aber der Geist Gottes auf eine uns erkennbare, angemessene, uns an sich ziehende und beseligende Weise in der christlichen Kirche ausgegossen, und er allein ist es, nach welchem wir alles Andere prüfen sollen. Wo wir wieder solche äußere Weise finden, wie die des Johannes, im Gegensatz gegen die Art und Weise Christi, wo wir eine Predigt finden, die nur auf die Buße, auf die Erkennung der Sünde geht: da können wir sicher sein, daß daraus nicht in dem Maß etwas Gutes hervorgeht, sondern daß das nur die Veranlassung sein kann, aus welcher sich, aber gar nicht im Zusammenhang mit solchen Erregungen, sondern nur ganz im Einzelnen und Stillen das rechte Verhältniß zu Gott erheben kann. Und es ist allerdings ein wichtiges Stück der christlichen Weisheit, daß wir zu unterscheiden wissen, was Vorbereitung ist auf der einen Seite, aber in Beziehung auf das Wesen vom Reiche Gottes mehr Schein als Wahrheit, was unmittelbar auf das Aeußere gerichtet ist. Darum, m. G., ist das Reich Gottes, wie es der Erlöser gestiftet und begründet hat, kein anderes, als der Zusammenhang der Menschen mit ihm und die Kraft der Liebe in uns, womit er das menschliche Geschlecht geliebt hat, der Liebe, die das Verlorene suchte, der Liebe, die sich zu den Unmündigen hielt, der Liebe, die Alle zu vereinigen suchte in dem Tempel der Liebe und des Heils, aber nicht an einem äußeren Buchstaben, an einem äußeren Zeichen hängt: so haben wir Unterscheidungen genug, um zu wissen, wie viel wir von solchen allgemeinen Erregungen zu halten haben, und in wie weit wir uns ihnen anschließen oder fern von ihnen | bleiben sollen. Von dieser Weisheit war auch Johannes nicht fern, er kannte sehr gut das Unzureichende der großen Wirkung, die er hervorbrachte. Darum hatte er keinen Gefallen an allen denen, die kamen sich taufen zu lassen auf die 2–3 Vgl. 1Kor 3,11

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Vergebung der Sünden, sondern redete sie mit harter Rede an; aber er wußte auch, daß das, was er höchstens auf sie hervorbringen konnte, auf der einen Seite die Erweckung des Bewußtseins war, daß er ihnen noch nicht genügen könnte, daß er sie hinwies auf den, der da mitten unter ihnen stände, dem er nicht werth sei, die Schuhriemen aufzulösen; auf der anderen Seite aber daß er sie bei allen Pflichten, bei allen Ausübungen des geselligen Lebens, wie es ihren Verhältnissen angemessen war, festzuhalten suchte. Und das ist es, was auch wir bei allen solchen Erregungen fest zu halten suchen müssen. Was den Menschen verborgen ist, wovon wir wissen, daß es in solchen Aufregungen unmittelbar nicht enthalten ist, um so weniger, je mehr sie die Weise des Gesetzes haben, darauf sollen wir sie hinweisen; wir sollen ihnen vorhalten, daß das Leben nicht ist, wie sie es suchen, daß sie es in diesem aufgeregten Zustande auch nicht haben, und sollten sie auch glauben, aus dem Zustand der allgemeinen Erschlaffung aufgewacht zu sein; denn wenn Einer zum gesetzlichen Leben erwacht ist, ist er aus einem Traum in den anderen versunken. Aber lasset uns festhalten an dem, was aus solchen Erregungen Heilsames hervorgeht in Beziehung auf Alles, was dem menschlichen Geschlecht angehört; und wenn sie sich dessen rühmen, was der Geist Gottes an ihren Herzen gewirkt habe: so lasset uns zunächst fragen, wie sie es beweisen; ob sie in der That das liebevolle, freundliche Wesen Christi darstellen, ob sie an allen menschlichen Dingen Theil nehmen, wie es die Liebe Christi gebietet, ob sie auch in den kleinsten Verhältnissen treu erfunden werden; denn wer nicht im Kleinen treu ist, darf nicht glauben, daß er geeignet | sei, über das Größere gesetzt zu werden. Und bei dem wir das nicht finden, der kann unmöglich glauben, oder er würde sich selbst täuschen, daß er berufen sei, auf besondere Weise das Reich Gottes zu bauen. Und so lasset uns immer darauf zurückkommen: nicht in solchen Erregungen der Gemüther, nicht in so plötzlichen Bewegungen, nicht in stürmischen Zeiten, in welchen sich Viele erheben gegen den herrschenden Zustand der Menschen, da ist nicht das rechte Leben, das wir nur finden in dem ruhigen Verkehr der Menschen mit dem Erlöser, in dem, wodurch die Menschen immer mehr belebt und gestärkt werden in der Kraft der Liebe, in der ungestörten Thätigkeit, wie sie jedem angewiesen ist in dem menschlichen Leben; darin bauet sich das Reich Gottes. Und wenn es laut hervortritt, so soll es nicht geschehen auf stürmische, auf eine gegen irgend etwas Menschliches gerichtete feindselige Weise; sondern wenn es laut wird, ist es die Stimme des Erlösers, die Stimme der freundlichen Einladung, der zusammenfassenden Liebe, die Andere auf Gott hin1 Vgl. Mt 3,7–12; Lk 3,7–9 4–5 Vgl. Joh 1,26 5 Vgl. neben dem Predigttext Mk 1,7 auch Mt 3,11; Lk 3,16; Joh 1,27 6–8 Vgl. Lk 3,15–18 24–26 Vgl. Mt 25,21.23; Lk 19,17

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weiset, und von dieser das Zeugniß giebt. Diese innere Erweckung der Gemüther lasset uns festhalten und uns durch die Erregungen nicht irre machen; sondern wie der Mensch dazu da ist, daß in dem Maße, wie er das Reich Gottes erbauet hat, er nicht durch Erregungen bewegt werde, sondern jeder in der Stille Theil nehme an seiner Förderung: so sollen wir prüfen, wohin alle große Bewegungen der Menschen hinführen werden. Aber nur wo wir im Geiste den Ruf erkennen, thätig zu sein nach Anleitung des göttlichen Willens an unserm Ort, nur da ist es Zeit, daß wir uns bewegen. Und auf diese Weise wird in allem Sturm doch in der Stille das Reich Gottes sich erbauen, und in diesem inneren Segen werden wir allein den Erregungen folgen. Je mehr wir an diesem festhalten, desto ruhiger können wir ihnen zusehen, um desto weniger werden wir uns von irgend einem falschen Schein fortreißen lassen. Und immer nur auf | den Einen hinsehend und an dem Einen festhaltend, lasset uns diesen Weg des Lebens gehen, bald in Ruhe und Stille, bald in allgemeiner Erregung, wie es der Herr macht nach seiner Weisheit, daß jeder suche seinen eigenen Frieden festzuhalten, daß ein jeder in der rechten Kraft der Liebe festhalte zu allen Menschen, die mit ihm stehen: dann wird auch in allen Stürmen des Lebens das sich zu erkennen geben, was für ein köstliches Gut es sei, wenn das Herz fest geworden ist. Amen. Lied 33, 13–15.

19–20 Vgl. Hebr 13,9 21 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 33: „Hier sind wir, Gott, und flehn um Licht“ (Melodie von „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend“), hat lediglich drei Strophen. Möglicherweise ist stattdessen gemeint Nr. 93: „Gedanke, der uns Leben giebt“ (Melodie von „Ich dank’ dir schon durch deinen Sohn“); Strophen 13–15 lauten: „Erfüll’ mein Herz mit Dankbarkeit, so oft ich dich nur nenne, und hilf, daß ich dich allezeit treu vor der Welt bekenne. // Soll ich dereinst noch würdig seyn, für dich hier Schmach zu leiden, so müsse mich nicht Schmach noch Pein von deiner Liebe scheiden. // Hat Gott uns seinen Sohn geschenkt, will ich noch sterbend denken, wie sollt’ uns der, der ihn geschenkt, mit ihm nicht Alles schenken!“ Strophen 13–15 weisen ansonsten noch die Lieder Nr. 59, 654 und 655 auf.

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Am 21. August 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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12. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 7,9–11 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. VII SW II/3, 1835, S. 56–67; 21843, S. 59–70. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 165–174. Nachschrift; SAr 119, Bl. 1r–1v; nicht identifizierter Nachschreiber Keine

Am 12. Sonntage nach Trinitatis 1831.

Lied 31. 567. Text. Matth. VII, 9–11. „Welcher ist unter euch Menschen, so ihn sein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete? Oder so er ihn bittet um einen Fisch, der ihm eine Schlange biete? So denn ihr, die ihr doch arg seid, könnet dennoch euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten?“

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M. a. Fr. Es giebt nicht leicht eine wichtige Angelegenheit des frommen Gemüths, in Beziehung auf welche sich unser Blikk so oft verdunkelt, die mit so mancherlei Schwierigkeiten umlagert ist, wo Erfahrung und Nachdenken jedes in sich selbst, jedes mit dem andern so im Streite ist, als die Angelegenheit des Gebets. Kein christliches Leben kann es geben, das nicht von dem Seegen desselben viel|fältige Erfahrungen gemacht hätte; aber auch wie viele aus frommem Herzen, mit ganzer Selbstverläugnung emporgestiegene Gebete sind nicht gewiß Jedem unerfüllt zurükkgekommen! Und wenn wir die Sache vor den Richterstuhl unsers menschlichen Verstandes ziehen, wie zeigt 2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 31: „Herr, es ist der Tag erschienen“ (Melodie von „Ach, was soll ich Sünder machen“); Nr. 567: „Auf deine Weisheit schauen“ (Melodie von „Nun ruhen alle Wälder“)

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er uns das eine Mal die Nothwendigkeit, wenn es ein Band der Liebe gäbe zwischen dem ewigen Wesen und denen seiner Geschöpfe, die es würdigt seine Kinder zu nennen: so müsse auch Alles so eingerichtet sein, daß das Vertrauen genährt würde, die Liebe erhalten durch Erfüllung an sich Gott wohlgefälliger, auf die Förderung des Guten gerichteter Wünsche. Auf der andern Seite, wie deutlich sagt er uns, daß wir nicht vermögen, den Zusammenhang der Dinge zu übersehen, und daß wir uns daher fürchten sollten, wenn unsere Wünsche uns gewährt werden, weil wir nicht wissen, was wir uns oder auch Andern herabbitten von oben. So sind wir daher im beständigen Streit mit uns selbst; aber wenn wir nun die Worte und Thaten des Erlösers fragen, wie dann, m. G.? Das eine Mal flößt er den Jüngern die unbedingteste Zuversicht ein, alles worüber wären es auch noch so Wenige unter ihnen sich vereinigen würden um es zu erbitten, das solle ihnen gewiß werden; das andere Mal aber sucht er sie zu beschwichtigen, und alle Sorgen und mithin auch alle Wünsche von ihnen zu nehmen, und weiset sie auf das Eine hin, daß sie trachten sollten zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und darin alle Wünsche für das menschliche Leben untergehen lassen. Und Er selbst während seines irdischen Lebens, das eine Mal redet er mit der größten Zuversicht zu seinem Vater, wie einer, der gewiß ist, daß | er allemal erhört wird, das anderemal redet er zweifelnd, demüthig, unterwürfig, und sagt, Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Also auch wenn wir auf seine Worte sehen, wissen wir nicht, sollen wir uns lieber an das eine, sollen wir uns lieber an das andere halten? Wie kräftig stärkt das eine unsere Zuversicht, wie sehr muß es uns den Muth erheben, wie stellt es die Würde der Christen auf einer hohen Stufe dar, wenn es nur der Wünsche von Wenigen bedarf, um sicher zu sein der göttlichen Gewährung! und auf der andern Seite, wenn wir unsere Kurzsichtigkeit und Ungewißheit betrachten, wie wohl, müssen wir sagen, würden wir uns befinden, wenn wir immer die Unterwürfigkeit des Erlösers nachahmten! Ist nun diese Frage immer eine so wichtige und schwierige für uns: wie viel mehr in Zeiten wie die gegenwärtige, in Zeiten, wo so viele Verwirrungen menschlicher Angelegenheiten alle Blikke weg von der Gegenwart auf die Zukunft richten, wo tausend 12–15 Vgl. Mt 18,19; ferner 7,7f; Lk 11,9f; Joh 14,13f 15–19 Vgl. Mt 6,25.31– 33 20–22 Vgl. Joh 11,42; auch das Hohepriesterliche Gebet Joh 17, bes. 9–11.20– 23 22 Vgl. Mt 26,38f; Mk 14,33–36; Lk 22,41–44 23 Vgl. Lk 22,42; ferner Mt 26,39; Mk 14,36 33–35 Vermutlich spielt Schleiermacher an einerseits auf die durch die Pariser Julirevolution 1830 ausgelösten politischen Entwicklungen in mehreren europäischen und deutschen Staaten, andererseits auf die seit dem Frühjahr 1831, von Russland und Polen kommend, nach Westen bis in die östlichen preußischen Provinzen sich ausbreitende Asiatische Cholera, die etwa eine Woche nach dieser Predigt auch Berlin erreichen sollte; vgl. oben Einleitung I. 4.

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Vermuthungen sich durchkreuzen, wo man auf jede Begebenheit achtet, ob sie die Erfüllung unserer Wünsche herbeiführen oder weiter entfernen werde, ob eine Stärkung der Zuversicht davon zu hoffen sei, oder ob neue Angst daraus hervorgehen werde; und dies erstrekkt sich über alles fast, was uns das Größte und Liebste auf Erden ist! Ja nicht nur das, m. g. Fr., sondern wenn wir gedrängt werden von der Aussicht auf nahe Gefahren und Trübsale, deren Umfang wir nicht übersehen können; wenn wir aufgefordert werden, ja wenn uns dringend empfohlen wird, bestimmte Wünsche zu Gott darüber empor zu schikken: ja dann müssen wir wissen, wie wir daran sind mit dieser Angelegenheit. Aber nicht, m. G., als ob es möglich wäre, einen solchen Gegenstand in Ei|ner kurzen Stunde gemeinsamer Betrachtung zu erledigen! Vielmehr wollen wir genau bei den izt vernommenen Worten des Erlösers stehen bleiben; lasset uns nur darauf achten, was er uns in denselben lehrt auf der einen Seite über unsere Bitten, auf der andern Seite über die göttliche Gewährung. I. Zuerst also, m. G., wenn wir fragen: was lehrt uns denn der Erlöser in den Worten, die wir mit einander vernommen haben, über die Bitten, die wir zu seinem und unserm Vater hinauf senden mögen: so laßt uns ja genau stehen bleiben bei dem, was er uns unmittelbar vorhält. Auf nichts anderes will er unsere Aufmerksamkeit lenken als nur, daß dies das selige Verhältniß zu Gott ist, zu welchem er uns erhoben hat, bei welchem er uns festhalten will, daß Gott der Vater ist und wir die Kinder. Darum bleibt er auch, was Bitte betrifft, bei diesem einfachen Beispiel, wie die Kinder zum Vater bitten, stehen. Und was für Kinder, m. g. Fr., und was für Bitten! Er sagt: wenn nun ein Kind seinen Vater bittet um Brod oder es bittet ihn um einen Fisch, – das waren die allereinfachsten, damals gewöhnlichsten, ja unentbehrlichsten Nahrungsmittel, die einfachste Art die natürlichen Bedürfnisse des Lebens zu stillen; von andern Wünschen, wie Kinder wol hegen, die schon verwöhnt sind, deren Einbildung schon umherschweift unter mancherlei Erinnerungen und reizenden Bildern, welche ihnen zur Hoffnung, zum Verlangen geworden sind, von solchen redet er nicht; nur die kindlichen Bitten führt er an, welche in dem unmittelbaren Drang des Bedürfnisses | um das Unentbehrliche, um das in dem täglichen Leben Nothwendige sich zur väterlichen Liebe wenden. Das also, m. G., ist die Anweisung des Erlösers. Von andern als solchen Bitten redet er nicht, wenn er hernach von der göttlichen Gewährung redet; andere als solche will er nicht anerkennen, bei denen von der Unsicherheit der menschlichen Erkenntniß, von der Kurzsichtigkeit des menschlichen Verstandes, von einer nicht übersehbaren

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Verwikkelung menschlicher und irdischer Verhältnisse gar nicht die Rede ist. Aber wie? m. G.! heißt das nicht, wenn wir es auf uns anwenden wollten, eben so viel, als ob er uns das Beten ganz untersagt hätte? Denn wenn er vergleicht Väter und Kinder in diesem irdischen Leben, und Gott unsern himmlischen Vater und uns, so redet er auch nicht von dem irdischen, sondern von dem geistigen, von dem himmlischen Leben; so ist es das Brod des Lebens, wie es auch sonst genannt wird, die Nahrung des geistigen Daseins, was er uns anweiset von seinem Vater im Himmel zu begehren, und zwar wie dort in der einfachsten, in der alltäglichsten, aber auch in der heilsamsten Gestalt. Und können wir sagen, daß wir jemals in den Fall kommen könnten, darum zu bitten? müßten wir nicht, wie jener auf die Anweisung des Erlösers, was er thun sollte um selig zu werden, sagte, Herr, das habe ich Alles gethan von Jugend auf: so wir ihm auf diese Anweisung zum Gebete antworten, Herr, das hat uns dein und unser Vater immer gegeben von Jugend auf, und an keinem Tage haben wir Mangel gespürt? das sollten wir ja wohl gestehen, wir, denen das göttliche Wort, reich an Aussprüchen der göttlichen Liebe, dieser Wegweiser, den wir immer zu Rathe ziehen können, | diese Leuchte, die uns immer begleitet auf dem irdischen Wege, denen dies göttliche Buch in die Hand gegeben ist und ans Herz gelegt seit unserer Aufnahme in die Gemeinschaft der Christen; wir, die wir in dieser schönen Verbindung des Glaubens und der Liebe mit einander stehen, wo jedes träg gewordene Gemüth wieder gewekkt, wo jeder Hunger und Durst des Geistes gestillt wird aus der Fülle der Erfahrung und Erkenntniß der Andern, die mit uns austauschen, und denen auch wir wieder geben, wenn sie Mangel haben und wir Ueberfluß! Können wir irgend eine Furcht und Sorge haben, daß dieser Schaz uns jemals könnte genommen werden? sollten diese göttlichen Einflüsse jemals anfangen zu fehlen, sollte diese Quelle jemals versiegen, von der er ja verheißen hat und von der uns unser Bewußtsein sagt, sie sei unerschöpflich? Und doch, m. g. Fr., will der Erlöser bei dieser Bitte uns festhalten, und weiter lehrt er uns nicht uns zu erstrekken mit unsern Bitten, für etwas weiteres will er uns keine Sicherheit gewähren. Eines nur bleibt uns noch übrig zu sagen, daß wir nämlich nicht umhin können, unsere Augen weiter umher zu werfen, eben weil wir eine solche Sicherheit haben für die immer sich erneuernden täglichen Bedürfnisse des Herzens zur Erhaltung des geistigen Lebens. Denn wenn irgend etwas uns alltäglich geworden ist: so steigern sich Bedürfnisse und Forderungen. Was uns so sicher verbrieft ist, daß wir keinen Zweifel darüber haben, das hört auf ein Gegenstand unserer Wünsche und Gebete zu sein: aber wir 7 Vgl. Joh 6,35 12–14 Vgl. Mk 10,17.20; ferner Mt 19,16.20; Lk 18,18.21 20 Vgl. Ps 119,105 29–31 Vgl. Joh 4,13f; ferner 7,37

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sehen dann schon immer eine noch größere Vollkommenheit, nicht in weiter Ferne, sondern in unserer Nähe; wir sehen auf diesem Grunde erbaut den gei|stigen Tempel Gottes allmählig emporsteigen, allmählig, aber so daß das Auge des Geistes das Nächste, was noch nicht da ist, mit großer Bestimmtheit erblikkt, weil es dem Plane des Ganzen gemäß nur auf Eine und keine andere Weise entstehen zu können scheint. Nun wohl, eben dieses Nächste ist es also, was der Erlöser zum Gegenstand unseres Gebetes machen will, was nicht so sicher ist, daß nicht Hindernisse dagegen eintreten könnten, daß die Erfüllung sich nicht scheinbar in weite Ferne hinausrükken dürfte, daß wir nicht, wie es bei den Kindern der Fall ist, die in einer wohlgeordneten Haushaltung leben, doch plözlich könnten einen Drang des Bedürfnisses fühlen, welcher die Bitte aus dem Herzen heraustreibt. Aber was noch weiter von jenem ursprünglichen entfernt liegt, was auf den verwikkelten Gang dieses Lebens Beziehung hat, je weiter wir uns mit unsern Wünschen und Hoffnungen oder Besorgnissen auf dies Gebiet wagen – ein Gebiet, wo nicht nur Alles ungewiß ist, ob es kommen wird oder nicht, sondern auch ungewiß, wenn es da ist, was es sein werde und wirken: um so weniger dürfen wir mit derselben Zuversicht bitten, als ob auch hiefür der Erlöser uns Gewährung sicher gestellt hätte. Vielmehr sollen wir fühlen, daß wir hier nicht einmal einen festen Wunsch haben können, weil viel zu unsicher der Blikk unsers Geistes ist; und sobald ein Wunsch in uns aufsteigt, sollen wir ihn gleich niederschlagen mit dem uns immer zur Hand seienden Wort, daß der Wille des Herrn geschehen möge und kein anderer. Können wir dem Triebe nicht widerstehen aus den Verwirrungen des Lebens die verborgenen Wege Gottes aufzusuchen um seinen Rath zu erkennen in solchem großen Wechsel menschlicher | Dinge, aus welchem uns eben so leicht eine plözliche Förderung als eine schwere Prüfung entstehen kann im Großen und im Einzelnen; so sollen wir uns zurükkhalten und nicht begehren den Herrn von Angesicht zu sehen; sondern uns niederwerfen, wie er es jenem seiner Diener befahl, der auch sein Antliz schauen wollte, zu welchem er aber sprach, wirf dich zur Erde, von vorn kannst du mich nicht sehen, aber wenn ich vorübergegangen bin, so darfst du meine Gestalt von hinten schauen. So ist es auch in allen Angelegenheiten des irdischen Lebens; wir vermögen nicht dem Herrn ins Angesicht zu sehen, nicht ist, was er bringen werde, deutlich, sondern wir sollen uns niederwerfen, indem er vorübergeht: ist er aber vorüber, haben sich die Räthsel gelöst, haben sich die Begebenheiten entwikkelt, was es auch gewesen sein möge, wir wer1 dann] so auch SW II/3, S. 59; Textzeuge: denn 32–35 Vgl. Ex 33,18–23

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den ihn dann erkennen, wiewol erst hinten nach, immer aber gewiß als die Liebe; wir werden aus allen seinen Führungen einen Reichthum von Zuversicht schöpfen können, einen Wachsthum in der Demuth sowohl als in der Erhebung, in der Unterwerfung eben so wohl als in dem Bewußtsein von der Freiheit und Freudigkeit der Kinder Gottes. Aber, m. g. Fr., es ist noch eines unsere Bitte betreffend in der Rede des Erlösers, das wir nicht übergehen dürfen. Es sind dieselbigen, denen er Anweisung giebt in Beziehung auf ihr Bitten zu Gott, und von denen er redet in ihrem Verhältniß zu ihren Kindern; und so sagt er denn, so doch ihr euren Kindern könnet gute Gaben geben, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel gute Gaben geben denen, die ihn bitten? Lasset uns also das nicht übersehen, es ist ein bedeutender, ein heilsamer Wink. Wir | sollen, wenn wir uns bittend zu Gott wenden wollen, erfunden werden in dem Stande, daß wir selbst auch gute Gaben mitgetheilt haben, denen die uns baten, als solche, in welchen sich die Gaben des Geistes beweisen zu gemeinsamen Nuz1, erfunden werden als solche, die mit dem was ihnen Gott gegeben hat arbeiten nach ihren Kräften und etwas schaffen für sein Reich. Diese Verbindung, m. G., ist ganz ähnlich der, die der Herr uns auch in dem Gebet, das er seinen Jüngern gab, niederlegt, und über die er sich sonst2 so schön und herrlich erklärt; wenn wir wollen Vergebung haben, so sollen wir auch selbst vergeben, wenn wir wollen gute Gaben haben, so sollen wir auch selbst gute Gaben mittheilen. Das Eine hängt so nothwendig zusammen wie das Andere. Wie kann man glauben, daß der in der That wünschen kann, daß das Lastende und Drükkende der Sünde von ihm genommen werde, sein Herz aufgerichtet aus diesem tiefsten Kummer, der nicht zuerst selbst es beweiset, daß er auch Andern, wer sie auch seien unter seinen Brüdern sucht diese Last zu erleichtern und von ihnen zu nehmen, auf welche Weise sie auch über sie mag gekommen sein? Aber eben so auch hier, m. G.; wie können wir glauben, wie kann es eine Wahrheit sein, daß wir gute Gaben von Gott begehren, daß wir ein fröhliches Gedeihen suchen für unser geistiges Leben im Reiche Gottes, und in Beziehung darauf alles woran wir uns überzeugt halten, daß es unmittelbar dazu gehöre von Gott erbitten, wenn wir nicht auch selbst als solche, denen der Geist Gottes die erstorbenen Glieder be|lebt und zu neuer Thätigkeit erwekkt hat, nachweisen können, daß auch wir eben solchen Bitten 1 2

1 Kor. 12, 7. Luk. 7, 47. 48.

34 gehöre] SW II/3, S. 61: gehöre, 19–20 Vgl. Mt 6,12; Lk 11,4

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Anderer gern und freudig entgegengekommen sind, und die neuen Gaben des Herrn angewendet haben zum Besten unserer Brüder, vornehmlich aber derer, die uns Gott dazu anvertraut hat, daß sie durch unsere Fürsorge erst unsere Brüder werden sollen. Wir haben eine Vorstellung, der Herr benuzt sie häufig in seinen Gleichnißreden und will also, daß sie uns wohl und tief soll eingeprägt sein, von einer Rechenschaft, die uns Allen soll abgenommen werden an dem Tage seiner glorreichen Wiederkunft. Aber, m. g. Fr., nicht nur dann, wenn die Rede sein wird davon, einzugehen in die ewige und unvergängliche Freude des Herrn, nicht nur dann wird von Jedem Rechenschaft gefordert werden über das Pfund, das der Herr ihm anvertraut: sondern was dort im Großen geschehen soll, geschieht auch izt schon überall im Einzelnen. Wir bedürfen überall neuer Gaben von oben, aber um sie zu empfangen, müssen wir Rechenschaft ablegen können von denen, die uns schon gegeben sind; auch wenn wir um die täglichen Bedürfnisse, um das Brod unsere Bitte zum Vater senden, müssen wir uns selbst bewußt sein, ob wir die uns gegebenen Kräfte gut angewendet haben, ob mithin das Bedürfniß, das uns entstanden ist, in einer Anstrengung der Kräfte für seinen Dienst begründet ist, oder nur eine Folge von der unüberwundenen Gebrechlichkeit des irdischen Lebens. Denn nur in dem Maaß, als wir Alles, was uns von Gott gegeben ist, nach bestem Gewissen für sein Reich treu benuzen, können wir den Muth haben zu ihm zu rufen um neue Mittheilungen von oben. Das, m. g. Fr., das ist die einfache Vorschrift des | Erlösers über unser Gebet zu Gott: bleibet mit euren Bitten in dem einfachen Kreise dessen, was euch unmittelbar vor Augen liegt, wozu ihr unmittelbar aufgefordert seid, was zu den täglichen Bedürfnissen eures Lebens gehört; aber nur als solche erhebet euch bittend zu eurem himmlischen Vater, die ihm zugleich dafür danken können, daß sie die Gaben, die er ihnen gegeben hat, ihrer heilbringenden Natur gemäß zum Seegen seines Reichs, zum Wohl ihrer Brüder benuzt haben. II. Und nun lasset uns sehen, was es ist, das der Herr uns verheißt als die göttliche Gewährung. Hier, m. g. Fr., laßt uns zuerst auf die ganze Art und Weise seiner Rede noch einmal zurükkommen. Es ist nicht vergeblich, daß er sein Bild auf diese Weise erwählt: wenn unter euch ein Sohn seinen Vater bittet um Brod, wer ist es, der ihm einen Stein dafür gebe? oder um einen Fisch, wer ist es, der ihm eine Schlange biete? oder um ein Ei, wer ist es, der ihm einen Skorpion dafür gebe?1 1

Luk. 11, 12.

4–11 Vgl. vor allem Mt 25,14–30; Lk 19,12–27

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So stellt er gegenüber nicht etwa nur die Bitte und das Versagen der Bitte, sondern er stellt gegenüber die Bitte und dies, daß statt des Nöthigen und Heilsamen gegeben werde etwas Unbrauchbares oder Verderbliches, den Stein statt des Brodes, die Schlange statt des Fisches. Darin, m. G., liegt wohl deutlich genug dies, daß er es dem Vater vorbehalten will, wenn das Kind bestimmt um Brod bittet oder um einen Fisch, ihm auch etwas anderes zu geben, als das | bestimmt Gebetene, nur nicht das Unbrauchbare, nur nicht das Verderbliche. So, m. G., ist es zunächst mit der göttlichen Gewährung, die uns der Erlöser verheißen hat. Haben wir schon Ursach, wenn wir auf das Größere, Umfassende, Verwikkelte sehen, bestimmte Wünsche zu scheuen und nicht auf die Gewährung derselben mit freudiger Zuversicht zu rechnen: so müssen wir uns auch gefallen lassen, selbst auf dem Gebiete unsers Berufes und der damit zusammenhängenden geistigen Bedürfnisse, daß das, was wir bedürfen und wovon wir einen heilsamen Gebrauch machen können, uns oft genug in einer ganz andern Gestalt gegeben werde, als gerade so wie wir es gebeten hatten, und wie es uns in dem Zusammenhang unserer Gedanken und Empfindungen am nächsten lag. Diese Erfahrung, m. G., haben vielleicht alle getreue und aufmerksame Diener und Jünger des Herrn gemacht; Keiner hat sie in höherem Maaße gemacht, Keiner hat den Christen so viele Mittheilungen darüber zu ihrer Stärkung und Erbauung daran hinterlassen, als Paulus der Apostel. Dem Drange der Liebe Christi in seiner Seele, das Evangelium zu predigen, und wen er könnte einzuführen in das Reich Gottes, diesem Drange stand die ganze ihn umgebende Welt offen, aber irgend wohin mußten sich doch Neigungen und Vorliebe vorzüglich richten, bald auf diesen Punkt, bald auf jenen besonders, bald von einem festeren Wohnsiz aus die näheren Umgebungen zu bearbeiten, bald plözlich wieder die Weite zu suchen. Aber nun wird uns mehr als einmal erzählt, daß der Geist ihm nicht zuließ, da oder dort zu predigen, daß eine Thür an der er anpochte ihm verschlossen ward, indem er hineingehen wollte, | und dafür eine ganz andere sich öffnete. Und in diesen Bemühungen für den Dienst seines Herrn fühlte er sich immer gedrängt von einem Uebel, das er uns nicht näher beschreibt und von dem er nur sagt, daß es ihm von Gott gegeben sei als ein Pfahl in seinem Fleisch, und daß er oft den Herrn gebeten, er möge es doch von ihm nehmen, aber es sei ihm keine andere Antwort geworden, als die, Laß dir an meiner Gnade genügen, und ertrage auch dies Uebel zu den übrigen. Und er wie er nichts anders gewollt 24 Vgl. 2Kor 5,14 2Kor 12,7–10

30–34 Vgl. vermutlich Apg 16,6f; 2Kor 2,12

34–40 Vgl.

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hat als eben sie, so hat er auch Genüge für sein Herz gefunden und erhalten, wenn gleich auf anderm Wege. Eben so äußert er offen, daß er einen tiefen Schmerz und herzliches Leidwesen empfinde um sein Volk, um seine Brüder nach dem Fleisch, und daß es sein beständiges Gebet zu Gott sei, sie zu bekehren; aber der Herr offenbarte ihm, daß zuvor die Fülle der Heiden eingehen müsse, daß während seiner Lebenszeit in dieser ersten Periode des neuen Gottesreiches nur eine kleine Auswahl von dem Volke des alten Bundes in dasselbe eingehen solle, besonders aber auch, daß grade ihm verwehrt sei, durch Vertheidigung des Evangeliums in den Schulen seines Volkes selbst etwas beizutragen zu dem, was ihm am nächsten lag, weil sie es doch nicht vernehmen würden. Freilich, m. g. Fr., haben wir uns dies vor Augen gehalten, so kann uns ein so großes Beispiel statt aller andern sein, und wir haben nicht nöthig erst auf unsere eigenen kleinen Erfahrungen zurükkzusehen, wieviel auch wohl Jeder dieser Art mag anzuführen haben, daß ihm das zwar nicht geworden, was er doch als rein kindlichen Wunsch des Herzens vor Gott gebracht hat, aber daß ihm doch ein Genüge der göttlichen Gnade geworden | sei auf anderm Wege. Und so, m. G., faßt der Erlöser dies Alles zusammen in dem Einen Wort: wenn auch anderes als was ihr bittet, aber gute Gaben wird der Vater im Himmel immer denen geben, die ihn darum bitten. Was ist aber Gutes, m. G.? wohin richtet vorzüglich dies Wort des Herrn unsere Zuversicht? Lasset uns ja nicht vergessen, daß der Herr dies nicht gesagt hat zu einem oder dem andern Einzelnen, am wenigsten zu solchen, welche noch nicht wußten wohin sie gehen sollten, und das rechte Ziel ihres Lebens noch nicht gefunden hatten; daß es auch nicht gemeint ist, als auf das einzelne Leben besonders oder gar ausschließlich sich beziehend. Vielmehr wie nur durch den Einen Geist, der in Allen wohnt und waltet, uns Alle beseelt und treibt, die Gaben des Geistes uns werden können, nur durch diesen die Kindschaft Gottes als der Inbegriff aller Güter uns gegeben wird, so daß an diese Gemeinschaft des Geistes zu einem gemeinsamen christlichen Leben auf eine geheimnißvolle und doch offenkundige Weise aller Seegen des Evangeliums gebunden ist: so müssen wir auch nicht alles leichtlich für gut halten, was nur Beziehung hat auf uns selbst, gesezt auch wir hielten dafür, daß es zu unserer geistigen Förderung von unentbehrlichem Werthe sei; sondern wir sollen immer nur das Gute 5 ihm,] so auch SW II/3, S. 63; Textzeuge: ihm; 2–4 Vgl. Röm 9,1–3 4–5 Vgl. wohl Röm 10,1 5–6 Vgl. Röm 11,25 6– 9 Vgl. Röm 11,1.4f 9–12 Vgl. vermutlich Röm 10,14.17f in Verbindung mit 11,3; auch Gal 2,7 in Verbindung mit 2,2

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im Sinn haben in Beziehung auf das Ganze. Was dies weiter bringt, was dies in einer herrlichen, gottgefälligen, das Bild des Erlösers immer reiner abspiegelnden Gestalt darstellt in unserm Kreise, was diesen geistigen Tempel Gottes fördert, daß er sich höher aufbaut bis an den Himmel hinan, das, m. g. Fr., das ist das Gute. Gaben von dieser Art giebt der Herr immer denen, die ihn bitten; und | wie unübersehlich auch alle vereinigte Wünsche und Gebete sind, die für das Wohl seiner Kirche zu ihm empor steigen, wir können wol sagen, daß sie doch die Fülle von göttlichen Segnungen nicht erreichen, die immer von oben herabströmen, um das Gute zu fördern. Das, m. g. Fr., das ist die wahre Deutung dessen, was der Erlöser einem seiner Jünger sagte, den er ganz unvorbereitet fand und ganz unerwartet aufnahm in seine Jüngerschaft, Von nun an wirst du den Himmel offen sehen, und die Engel Gottes herabfahren und hinaufsteigen zwischen dem Vater und seinen Kindern. Die hinaufsteigenden, das sind die frommen Gebete derer, die nichts anderes wünschen, als daß das Reich Gottes wachse und sich mehre; die herabsteigenden, das sind die göttlichen Gewährungen, die guten Gaben, und dieser Kreislauf geistiger Botschaft zwischen Himmel und Erde dauert fort, seitdem das Reich Gottes gestiftet ist. Jeder nun der den Erlöser erkennet in seiner göttlichen Würde, und dadurch, daß er in ihm den Vater schaut, zur lebendigen Erkenntniß Gottes gereift ist, erblikkt nun mit seinem geistigen Auge auch jenen Kreislauf, und sein Herz wird in denselben hineingezogen; auch seine Wünsche nehmen dieselbe gottgefällige Richtung nach oben, daß sie nicht an der Vergänglichkeit und Nichtigkeit des irdischen theilnehmen, sondern verklärt als Engel hinaufsteigen und nichts anders begehren als geistige Erfüllung, Förderungsmittel für das Reich des Herrn, die denn auch ihm und durch ihn reichlich von oben herabsteigen. Und das einzige Gebet, dessen wir dazu bedürfen, um uns dieses Segens zu erfreuen, ist nur, daß uns der Herr das Auge des Glaubens offen erhalte, das Auge des kindlichen Vertrauens, | daß wir Alles, was von oben kommt, gleich ansehen darauf, wie es sich wol verhalte zu unserm frommen Wunsche, wie es wol sei eine Gabe der göttlichen Liebe, zu welcher Thätigkeit es uns auffordere, und was wir dadurch thun und leisten können zur Förderung seines Reiches. Und so wir uns halten, m. G., in dem Stande solcher, die da gute Gaben mittheilen, so wir immer bleiben im Gebrauche dessen, was Gott schon gegeben für sein Reich, und wuchern mit seinen Gaben: o dann gewiß wird das Auge des Glaubens geöffnet bleiben und wird sich nicht schließen, daß die alte Finsterniß des Daseins uns wieder umgebe, so daß wir nur auf das irdische gerüstet sein mit unsern Wün13–15 Vgl. Joh 1,51 (mit Bezug auf Gen 28,12)

21 Vgl. Joh 14,9; ferner 12,45

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schen und Gedanken, als ob Himmel und Erde wieder getrennt wären und kein Zusammenhang zwischen beiden. Doch lasset mich, ehe ich meine Betrachtung schließe, noch an ein anderes Wort des Herrn erinnern, – ich sage ein anderes, aber es ist eigentlich dasselbe. In einer Stelle im Evangelium des Lukas, die ich auch oben schon angeführt, und die ganz übereinstimmt mit unserm Text, wird der Herr eingeführt sagend, Um wie viel mehr wird euer Vater im Himmel – nicht gute Gaben im Allgemeinen, sondern – seinen Geist geben denen, die ihn bitten. Was dürfen wir noch anderes, m. G., wenn wir diese Eine Gewährung vernehmen? was für Bitten bleiben uns dann noch übrig? wie sollen wir daher nicht gleich alle unsere Bitten und Wünsche in dies Eine zusammenfassen, dessen Gewährung der Herr so bestimmt verheißen hat? Ja auch die, welche nur eine anfangende Erfahrung von diesem Leben und Wohnen des göttlichen Geistes im menschlichen Herzen haben, von dieser Vergegenwärtigung des Er|lösers, von dieser Verklärung seiner Person und seines Lebens, seiner Worte und seiner Thaten, von dieser Kraft, die alles Irdische zum Himmlischen wendet, von diesem Verlangen Gutes und Böses zu scheiden, von dieser Freude an den Blizen des göttlichen Wortes, wie sie auch niederschmettern, damit auch das innerste getroffen werde; wer einmal dieses Wirken und Walten des göttlichen Geistes auch in seinem ersten Anfange kennt, was bedarf er anderes? Darum, m. G., finden wir auch hierin den vollen und lezten Aufschluß über alle unsere bestimmten Wünsche, nämlich das Ende derselben, wie groß auch der Gegenstand, wie bedeutend die Aufforderung dazu sein möge, wie dringend die Umstände, die sie uns auspressen. Der Apostel Paulus in seinem Briefe an die Römer, wo er voll ist in seinem Gemüth von Wünschen für das Volk seiner Abstammung, sagt, Wir wissen nicht, was und wie wir bitten sollen1, bescheidet sich also aller seiner bestimmten Wünsche und gesteht, es sei uns nicht gegeben auf irgend eine Weise etwas bestimmt zu bitten, so daß wir es billigen, es festhalten uns sicher darauf verlassen könnten. Aber, indem er uns so ermahnt, jeden bestimmten Wunsch als etwas in der Unwissenheit geredetes gleichsam auf halbem Wege noch zurükkzurufen, fügt er hinzu, aber der göttliche Geist, der vertritt uns. Womit? Nicht etwa damit, daß er uns andere bestimmte Bitten einflößte, als die, welche in unserm Herzen aufgestiegen sind, oder daß er eben diesen noch eine festere Gestalt gebe, und | sie in andern oder größern Zusammenhang 1

Röm. 8, 26.

9 dürfen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1481 5–7 Vgl. Lk 11,11–13

7–9 Vgl. Lk 11,13

35 Vgl. Röm 8,26

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aufstellte, nein! sondern womit? Mit unausgesprochenen Seufzern. Diese sollen das Herz erfüllen, in diese sollen sich alle bestimmte Wünsche auflösen. Die unausgesprochenen Seufzer, die der Apostel meint, sind nichts anderes, als das Sehnen und Seufzen der Kreatur, nach der offenbar werdenden Herrlichkeit der Kinder Gottes, nichts anderes als die sich immer gleichbleibende Sehnsucht des Herzens nach Förderung des göttlichen Reichs. Darum wissen sie nicht dieses und jenes, darum suchen sie nicht dies und jenes bestimmte, sondern stellen Alles einzelne dem anheim, der Alles macht und Alles leitet, der Alles kennt und Alles ordnet; darum bringen sie nichts anders vor Gott als sich selbst, als diese Sehnsucht des Herzens, nichts als den allgemeinsten Wunsch, der aber aus der innersten Tiefe des Wesens kommt und rein hinaufsteigt, dein Reich komme, dein Wille geschehe. Mit diesem allein sollen wir in allen und zwar am meisten in den verworrensten und bedenklichsten Zeiten des gemeinsamen Lebens vor Gott treten; in diese Sehnsucht sollen sich alle Bitten auflösen. Diese ist dem Frieden des Herrn eben so nahe, als die kindliche Genügsamkeit, die allein bei dem stehen bleibt, was wir im täglichen Leben haben und so fest haben, daß es nicht von uns genommen werden kann. Wie da Bitte und Dank in einander fließen, weil die Gewährung immer schon da ist, und daher ein Friede ohne Wechsel und Störung: so haben auch, wie geheimnißvoll sich immer alles durch einander wirre, wie uns das Ziel in unendlicher Ferne zu verschwinden scheint, diese gottergebenen Seuf|zer, diese unausgesprochenen Bitten, die nur das Eine, was noth thut für die ganze Welt, nur die Herrlichkeit des Herrn im Auge halten, ihre Erfüllung auch unmittelbar nahe; auch in ihnen ist eben so gewiß schon Bitte und Dank, Sehnsucht und Zuversicht vereinigt, und das Zeugniß des Friedens Gottes, der nicht von uns genommen werden kann, ruhet darauf. Amen. Lied 569, 5. 6.

1 Vgl. Röm 8,26 4–5 Vgl. Röm 8,19.21 13 Mt 6,10; Lk 11,2 25 Vgl. Lk 10,42 31 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 569: „Auf Gott und nicht auf meinen Rath“ (Melodie von „Was Gott thut, das ist wohlgethan“); Strophen 5–6 lauten: „An dem, was Seelen glücklich macht, läßt Gott es Keinem fehlen. Gesundheit, Reichthum, Ehr und Pracht sind nicht das Glück der Seelen. Wer Gottes Rath vor Augen hat, dem wird ein gut Gewissen die Trübsal auch versüßen. // Was ist des Lebens Herrlichkeit? wie bald ist sie verschwunden! Was ist das Leiden dieser Zeit? wie bald ists überwunden! Hofft auf den Herrn! er hilft uns gern; seyd fröhlich, ihr Gerechten! der Herr hilft seinen Knechten.“

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13. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 1,7–14 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 16–29, Nr. II; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 322. Tex t . Marcus I, 7–14. „Und Johannes predigte und sprach: Es kommt Einer nach mir, der ist stärker denn ich, dem ich nicht genugsam bin, daß ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe auflöse. Ich taufe euch mit Wasser; aber Er wird euch mit dem heiligen Geist taufen. Und es begab sich zu derselbigen Zeit, daß Jesus aus Galiläa von Nazareth kam und ließ sich taufen von Johanne im Jordan. Und alsobald stieg er aus dem Wasser und sah, daß sich der Himmel aufthat und den Geist gleich wie eine Taube herabkommen auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und bald trieb ihn der Geist in die Wüste. Und war allda in der Wüste vierzig Tage und ward versucht von dem Satan, und war bei den Thieren, und die Engel dieneten ihm. Nachdem aber Johannes überantwortet war, kam Jesus in Galiläam und predigte das Evangelium vom Reiche Gottes.“

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M. a. Fr. Ich habe ausdrücklich zum Anfang unserer heutigen Versammlung einen solchen Gesang ausgewählt, der | von dem Glauben und den Erfah1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 322: „Erkenne, mein Gemüthe, den reichen Segen wohl“ (Melodie von „Helft mir Gotts Güte preisen, ihr lieben Kinderlein“) 17– 2 Die fünf Strophen von Lied Nr. 322 aus dem Berliner Gesangbuch von 1829 lauten: „Erkenne, mein Gemüthe, den reichen Segen wohl, den dir aus Gottes Güte die Schrift gewähren soll. Der wahre Unterricht kommt nur durch Geistesgaben, wie Christi Jünger haben, durch die er zu uns spricht. // Wie stürzt des Wortes Stärke das Reich des Bösen um! wie baut es neue Werke durchs Evangelium! Wirft auch die Schrift das Herz erst fast zur Hölle nieder, erhebt sie es doch wieder, und lenkt es himmelwärts. // Sie trägt der Weisheit Tiefen in schlichter Einfalt vor; sie weckt die, welche schliefen, führt

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rungen der Christen – denn ohne Erfahrung wäre auch der Glaube nichts – von der Kraft und Wirkung unserer heiligen Schrift ausgeht; deswegen weil diese Worte uns eine besondere Veranlassung geben, über die Beschaffenheit der heiligen Schrift im Einzelnen nachzudenken, aber eine solche, wobei es uns nur gut und heilsam sein kann, wenn wir aufs Neue uns unseren Glauben und unsere Erfahrungen vergegenwärtigt und uns darin bestärkt haben. Nämlich es ist in dieser Erzählung unseres Evangelisten, worin allerdings gar mancherlei zusammengefasst ist, auch Manches, was uns, wenn wir es aufmerksam betrachten, bedenklich machen kann, und nicht recht zusammenzustimmen scheint mit unseren Vorstellungen von der heiligen Schrift. Zuerst erwähnt der Evangelist hier das Zeugniß Johannis des Täufers von unserm Erlöser, indem er sagt, es würde Einer nach ihm kommen, der stärker sei denn er, dem er nicht genugsam, d. h. nicht würdig sei, daß er sich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe auflöse, und der, wie Johannes selbst mit Wasser taufte, mit dem heiligen Geist taufen würde. So wie nun dieses hier gesagt ist, so hat dieses Zeugniß des Johannes die Gestalt einer Weissagung auf denjenigen, der nach ihm kommen werde, was doch kein Anderer sein konnte und sollte als Christus unser Heiland. Aber wenn wir uns fragen, wie eine Weissagung müsse beschaffen sein, wenn sie soll das Werk des göttlichen Geistes sein: so muß sie doch denjenigen Nutzen bringen, an welche sie ergeht; und wie nun der Erlöser damals schon aufgestanden war und eben im Begriff, sein öffentliches Leben und Lehren, welches eben seine Taufe aus dem heiligen Geist war, zu beginnen: so konnte dieser Nutzen doch nur darin bestehen, wenn die, unter denen der Erlöser auftrat, ihn aus dieser Weissagung des Johannes erkennen konnten. Nun stellt er ihn freilich sehr hoch über sich; denn was er sagt, er sei nicht werth, sich vor ihm zu bücken, | und die Riemen seiner Schuhe aufzulösen, das will so viel sagen, er sei nicht werth, ihm die Dienste zu leisten, welche die Schüler ihrem Lehrer und Meister zu leisten pflegten; aber wenn er doch wieder keine besondere Beschreibung von ihm gibt, sondern nur sagt, er werde, wie Johannes mit Wasser taufte, mit dem heiligen Geist taufen: so können wir nicht sagen, daß das ein Zeichen gewesen sei, woran die Zuhörer hernach hätten den erkennen können, den Johannes gemeint hat. Ja, sollte man denken, wenn er noch von seinen Wundern irgend ein Wort gesagt hätte! Aber das finden wir nicht. Und was sollten nur diejenisie zu Gott empor. Sie hilft dem Schwachen flehn, thut auf des Geistes Augen, um Himmelslicht zu saugen, und Gott ins Herz zu sehn. // So weiß sie zu bewähren, daß sie vom Himmel sey; wer auf den Geist will hören, erfährt es täglich neu. So haben hier und dort Blutzeugen sie gepriesen, und durch den Tod bewiesen, sie sey das Lebenswort. // Die Schrift kann uns nicht lügen, wie Gott uns niemals täuscht; sie kann in dem nicht trügen, was sie von uns erheischt. So nimm ihr Zeugniß an, o hülfsbedürft’ges Herze, ergreif die Himmelskerze, die stets dir leuchten kann.“

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gen, unter welchen Jesus hernach auftrat, als seine Taufe mit dem heiligen Geist ansehen? Die Wirkungen, welche seine Rede hervorbrachte auf die große Menge – und eben diese große Menge war es, zu welcher Johannes hier redet – die waren, das wissen wir ja aus allen Erzählungen der Evangelisten, gar flüchtig und vorübergehend bei den Meisten, und derer, die in der That und Wahrheit die Taufe des Geistes empfingen bei dem Leben des Herrn, war eine kleine Anzahl in Vergleich mit denen, welche Johannes mit Wasser getauft. Auch war diese Taufe des Geistes nichts, was äußerlich hervortreten konnte; sondern dieses äußerliche Hervortreten war der Zeit aufbehalten, wo die Verheißung in Erfüllung gehen würde, die der Erlöser seinen Jüngern gegeben, der Zeit, wo sie mit der Fülle der Kraft ausgerüstet, öffentlich hervortraten, um das Reich Gottes in Jesu dem Christ zu verkündigen. Darum müssen wir sagen: wie die Worte des Johannes hier erscheinen, genügen sie uns nicht. Aber wenn wir betrachten, wie sie anderwärts lauten in der Erzählung des Apostels Johannes, da klingen sie gar nicht wie eine Weissagung: da hat Johannes sie erst gesagt, nachdem er Jesum schon gesehen hatte, und erfahren auf be|sondere Weise, daß dieser sei Christus, der Sohn Gottes; und darum sagt er auch bestimmt, er sei schon unter sie getreten, und macht sie also aufmerksam auf ihn als auf etwas Gegenwärtiges – welches weit geeigneter war, sie auf Jesum aufmerksam zu machen als das, was unser Evangelist hat. Ebenso ist es mit dem, was Marcus erzählt von der Taufe des Herrn. Denn da stellt er die Sache so dar, als ob die, welche zugegen waren, gesehen hätten den Himmel sich aufthun und den Geist herabkommen, und als ob die Stimme an Jesus selbst ergangen sei, indem sie sagt: „du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ Diese Art aber, die Sache darzustellen, m. g. Fr., wie eine Stimme vom Himmel an den Erlöser selbst sich richtet, wo es seine eigene Wahrnehmung ist, daß der Geist auf ihn herabkomme, thut denen sehr viel Vorschub, welche schon in alten Zeiten geglaubt haben, daß erst durch die Taufe der Erlöser ein Anderer geworden sei als andere Menschen, daß erst da durch das Herabkommen des Geistes auf ihn die Vereinigung des ewigen göttlichen Worts mit seiner Person vor sich gegangen sei, und er erst da, als die Stimme dieses aussprach, auf andere Weise als die anderen Menschen der Sohn Gottes geworden sei. Ist das nun wohl eine Eigenschaft, wie wir sie von der heiligen Schrift erwarten, daß diese Erzählung so sehr geeignet ist, eine irrige und viel zu geringe Meinung von dem Erlöser zu begünstigen durch die Art, wie das, was erzählt wird, dargestellt ist? Die beiden anderen Evangelisten, Matthäus und Lucas, unterscheiden sich doch dadurch von dem unsrigen, daß sie die Stimme nicht als an den Erlöser gerichtet darstellen, sondern sie habe ge14–15 Vgl. Joh 1,24–34

18–19 Vgl. Joh 1,26, auch 29f

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sprochen: „dieses ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe,“ und so sei sie gewesen nicht für den | Erlöser selbst, sondern für Johannes den Täufer, und die es etwa sonst hören mochten. Darum liegt schon in jenen Erzählungen nicht eine solche Begünstigung einer falschen Vorstellung von dem Erlöser. Aber noch anders ist diese Geschichte, wie wir sie in der Geschichte des Evangelisten und Apostels Johannes finden, der sie aus dem Munde des Täufers selbst hatte. Denn da beruft er sich, als er Jesum sieht, in Beziehung auf das, was er nicht etwa dem ganzen vermischten Volk, sondern denen, die von dem hohen Rath zu ihm gesandt waren, gesagt hatte, daß nämlich Einer nach ihm kommen würde, ja schon unter sie getreten sei, da, sage ich, als er Jesum sieht, beruft er sich gegen seine Jünger in Beziehung auf diese seine Erklärung auf das, was bei seiner Taufe geschehen sei, und dann erzählt er die Sache so, daß er, als der Erlöser aus dem Wasser aufstieg, gesehen habe den Geist Gottes herabfahren vom Himmel und auf ihm bleiben, und daß der, welcher ihn gesandt habe, mit Wasser zu taufen, ihm früher gesagt, der sei es, dem er gekommen sei den Weg zu bereiten, der mit dem heiligen Geist taufen werde, über welchen er sehen werde den Geist herabfahren und auf ihm bleiben; so daß wir aus dieser Erzählung nicht einmal Ursache haben zu glauben, daß damals eine Stimme vom Himmel gekommen sei, sondern Johannes bezog das, was er sah, auf die Stimme, die er schon früher gehört hatte. Welche große Verschiedenheit ist schon darin, wenn wir auch auf nichts Anderes sehen. Wie schwierig ist es auszumitteln, was damals geschehen sei; und wenn wir bei solcher Schwierigkeit darauf zurückkommen müssen, uns am Liebsten bei dem zu halten, von welchem wir wissen, woher er seine Nachricht hat, und uns daher halten müssen an das, was Johannes uns aus dem Munde des Täufers erzählt: so können wir doch nicht leugnen, daß die Nachrichten der anderen | Evangelisten nicht mehr dieselben seien, daß sie sich verändert haben in solche, die den Zusammenhang der Sache nicht mehr recht einsehen lassen. Wenn wir nun das Folgende betrachten, wie es uns Marcus erzählt, eben der Geist, der bei der Taufe über den Herrn gekommen, habe ihn in die Wüste getrieben und daselbst sei er vierzig Tage gewesen und ward versucht von dem Satan und war unter den Thieren, und die Engel dieneten ihm: so ist nun dies die Erzählung, die wir in den beiden anderen Evangelien auch kennen von der Versuchung des Herrn. Aber wie wir sie dort lesen, so ist sie uns lehrreich und bedeutend durch ihre Ausführlichkeit. Wir erfahren da, wie dem Erlöser jene Versuchungen gekommen seien, und worin sie bestanden haben, und in den Fragen, die an ihn gerichtet werden, und in den Antworten, die er 1 Mt 3,17; hingegen lautet Lk 3,22: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ 6–7 Vgl. Joh 1,32 8–11 Vgl. Joh 1,24–26 11–18 Vgl. Joh 1,29–34 35–36 Vgl. Mt 4,1–11; Lk 4,1–13

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gibt, erkennen wir die Kraft des Sohnes Gottes. Aber wenn wir nichts Anderes davon wüßten und wir hätten dieses Evangelium des Marcus allein und lesen, daß der Geist, wir wissen nicht weshalb, den Erlöser in die Wüste getrieben, und daß er da unter den wilden Thieren gewesen, wovon die anderen nichts erzählen, und daß er auf der einen Seite von dem Satan versucht worden, auf der andern daß die Engel ihm dieneten – denn das Alles stellt sich hier bei uns als ein Gleichzeitiges dar, wogegen die anderen sagen, daß erst, nachdem der Satan ihn verlassen, die Engel ihm gedienet: so bekommen wir allerdings aus dieser Erzählung des Marcus einen wunderbaren Eindruck, das ist nicht zu leugnen, aber einen verworrenen, das müssen wir auch gestehen; denn wir können in dem Allen den rechten Zusammenhang und die rechte Bedeutung nicht finden, und es ist nur die Erzählung von etwas Außergewöhnlichem und Uebernatürlichem, wovon wir aber nicht den Zweck und die Bedeutung einsehen können. | Endlich noch zuletzt in dem Gelesenen sagt Marcus, nachdem Johannes überantwortet war, d. h. von Herodes ins Gefängniß geführt, sei Jesus nach Galiläa gekommen und habe das Evangelium von dem Reiche Gottes gepredigt. Auch dieses stimmt nicht zusammen mit dem, was uns der Evangelist Johannes erzählt, der doch seit diesem Zeugniß des Täufers immer bei Jesus geblieben; sondern er sagt vielmehr, Jesus habe schon getauft und also auch gepredigt – das Predigen that er selbst, das Taufen aber überließ er seinen Jüngern – zu derselbigen Zeit als Johannes noch taufte. Also hat nach der Erzählung des Johannes das Predigen des Herrn eher angefangen als Johannes überantwortet wurde. Dieses geschah in Judäa und nicht in Galiläa; aber Johannes erzählt uns auch, warum Jesus nach Galiläa gegangen; nicht weil Johannes überantwortet war, sondern weil es vor die Pharisäer gekommen, daß Jesus mehr Jünger mache als Johannes selbst, also wirklich als Johannes noch predigte und taufte. Da sehen wir wieder, wie die Erzählung unseres Evangeliums nicht stimmt mit der der anderen Evangelisten, und dem Johannes müssen wir mehr glauben, weil er als Augenzeuge spricht von Anfang an. Warum nun, m. g. Fr., unterhalte ich euch mit diesen Schwierigkeiten und mache euch darauf aufmerksam, da vielleicht Vielen dieses verborgen geblieben sein würde, die mit rechter Andacht dieses Evangelium gelesen, ohne an die anderen zu denken? Ist es etwa meine Absicht, daß ich die unterstützen will und ihnen recht geben, welche auf leichtsinnige Weise eben wegen solcher Schwierigkeiten die Achtung vor unserer heiligen Schrift ausgezogen haben, und sie nicht anders als jede andere menschliche Rede, die voller Fehler wäre, betrachten? Ihr | werdet nicht glauben können, daß das meine Absicht sei, da ich ja immer suche, Alles, was ich von dieser Stätte lehre, auf die Schrift zu gründen und mich auf sie zu beziehen. Was aber meine Absicht ist, 7–8 Vgl. Mt 4,11; bei Lk 4,1–13 findet sich kein Hinweis auf die Engel. Joh 3,22f 21–22 Vgl. Joh 4,2 25–27 Vgl. Joh 4,1–3

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das ist dieses. Indem wir nun sehen aus diesen Beispielen, die uns hier vor Augen liegen, wozu es gar viele andere noch gibt, nicht nur aus den ersten Anfängen der Geschichte des Erlösers, sondern vornehmlich aus dem Ende derselben, aus den Tagen seiner Auferstehung, aber auch in Beziehung auf sein Leben und Wirken während seines irdischen Lebens ließen sich gar viele ähnliche Beispiele von solcher Verschiedenheit und solchen Widersprüchen auffinden: so ist meine Absicht bei dieser Gelegenheit, darauf uns aufmerksam zu machen, wie wir überhaupt die heilige Schrift zu gebrauchen haben. Das ist gewiß, daß wenn wir nur dieses Evangelium des Marcus allein hätten, so würden wir die Wahrheit in dieser Beziehung nicht wissen, sie ist in dieser Erzählung für sich allein nicht. Was lernen wir daraus zuerst? Daß es nicht etwa eine Ziererei ist und übertriebene Bescheidenheit, sondern die volle Wahrheit, wenn der Apostel Paulus sich mit einschließend sagt: unser Wissen ist Stückwerk. Denn Stückwerk ist das Wissen dieses Evangelisten von der ersten Zeit des öffentlichen Lebens des Herrn gewesen; denn hätte er mehr davon gewußt, und es doch so mitgetheilt, wie wir es lesen, so wäre er ja zu tadeln; aber indem er es nicht anders gewußt hat, so hat er nun auch nach seiner Ueberzeugung gehandelt, indem er so erzählt, wie er es gewußt hat. Aber ebendeswegen weil jedes Einzelne für sich in der heiligen Schrift – und das gilt von jedem einzelnen Buch, von jedem einzelnen Jünger des Herrn, der Theil daran hatte – weil, sage ich, von allem Einzelnen darin es gilt, daß ihm dieses Gepräge alles Menschlichen aufgedrückt ist, daß es unvollkommen ist | und Stückwerk: so sollen wir auch Gott danken für die Gesammtheit dieser heiligen Schriften; aber deshalb auch wissen, daß wir sie zusammen gebrauchen müssen, damit in dem, was einzeln betrachtet nichts sein kann als Stückwerk, Eines durch das Andere sich ergänze. Sehet da, m. G., so beschreibt uns Paulus das gesammte Werk des göttlichen Geistes in der christlichen Kirche, daß die Gaben desselben vertheilt sind, dem Einen dieses, dem Andern jenes gegeben, Alles nach Maß, aber ebendeswegen soll Alles zusammenwirken, Alles sich in Liebe vereinigen, und erst in dieser Vereinigung alles Einzelnen soll dann zu schauen sein der wahre lebendige geistige Leib des Herrn. Was von der ganzen christlichen Kirche gilt, gilt auch von der heiligen Schrift. Sie ist so geworden, wie sie ist aus diesen einzelnen Büchern zusammengestellt, gewiß nicht ohne die göttliche Leitung, sondern als ein eigenthümliches Werk derselben, aber auf solche Weise, daß uns jede Spur verschwunden ist, und wir nicht angeben können, wie sie grade so geworden ist. Aber so wie sie nun ist, sollen wir sie eben so betrachten, eben deswegen, weil sie ein Werk des göttlichen Geistes ist, wie uns das große gesammte Werk des göttlichen Geistes in der christlichen Kirche beschrieben wird. Alles Einzelne da ist eben auch ein Werk des göttlichen Geistes, jede gute Gabe sie kommt von oben her; ist sie durchdrungen von der Liebe zu dem Erlöser, so 13–14 1Kor 13,9

26–32 Vgl. 1Kor 12,4–27

40–41 Vgl. Jak 1,17

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ist sie auch ein Werk und ein Trieb seines Geistes, und das ist das Göttliche darin. Ebenso ist es auch mit der heiligen Schrift. Alles Einzelne darin, auch diese unvollkommene Erzählung trägt doch das Gepräge des Ganzen; denn so hat der Verfasser unser Evangelium angefangen: „das ist der Anfang des Evangeliums von Jesu Christo, dem Sohn Gottes,“ und nachdem er diesen Grund gelegt, und wir wissen, das sei die Absicht dieses | Apostels, das zusammenzustellen, was er wußte, um es für künftige Zeiten aufzubewahren, von dem Leben des Erlösers: so kann uns das nicht irre machen, daß er sagt: „es begab sich zu derselbigen Zeit, daß Jesus aus Galiläa von Nazareth kam und ließ sich taufen von Johanne im Jordan;“ denn er hatte jenes schon vorangestellt. Und so ist alles Einzelne ein Werk und Zeugniß des göttlichen Geistes, und wir wissen, daß wir es nur recht gebrauchen können, wenn wir es im Zusammenhang mit dem Ganzen betrachten. Und wenn Einer, der weniger aufmerksam liest, die Schwierigkeiten nicht merkt: Einem, der genauer Achtung gibt, dem werden sie nicht leicht entgehen; aber wenn er nun das Letzte auch noch thut, und das, was an dem einen Orte steht, mit dem an dem andern vergleicht: dann ebnen sich die Schwierigkeiten, dann hat er das wahre und vollkommene Zeugniß beisammen, wie er es bedarf. Darum, m. g. Fr., folgt daraus weiter dieses, daß keiner berufen ist, die zu verdammen oder ungünstig zu beurtheilen, welche durch die aufmerksame Betrachtung einzelner Theile der Schrift, zu anderen Erklärungen, anderen Meinungen, anderen Arten sich auszudrücken gelangen wie er selbst. Und gesetzt auch, jene wären noch nicht ganz auf dem Reinen, sie hätten das Letzte noch nicht gethan, daß sie alle ähnlichen Stellen mit einander verglichen hätten: so sind sie doch auf einem Punkt, von welchem der göttliche Geist sie, wenn sie die Wahrheit suchen, weiter führen kann, und dazu sollte jeder ihnen helfen nach seinen besten Kräften und seinem geistigen Vermögen, aber nicht mit dem Verurtheilen, mit dem Verdammen ihnen entgegentreten, als ob das was sie thun herrühre aus der Sucht des Herzens, sich über das göttliche Wort zu erheben; sondern es ist nur der unvollkommene Dienst, in welchem sich die menschliche Vernunft gegen das göttliche Wort befindet, das wir jedoch ohne sie uns nicht aneignen können. Aber am Wenigsten können diejenigen zum | Tadeln berufen sein, die selbst auf dieser Stufe stehen, die sich immer an das Einzelne halten, aber nur an das, was ihnen schon von Weitem entgegenklingt als mit ihren eigenen Meinungen übereinstimmend. Die sind noch gar nicht solche Leser der Schrift, wie sie die Förderung des göttlichen Reiches haben sollte, und noch weniger solche, die Andere verdammen könnten; die müssen sich erst selbst von sich lossagen und in die rechte Schule gehen, die mit der Aufmerksamkeit auf Alles anfängt. Darum nun, m. g. Fr., kann auch das rechte Verständniß der heiligen Schrift nichts Anderes sein als ein gemeinsames Werk. So wie die Wahrheit nur eine gemeinsame ist, und wir sie nicht finden in dem Einzelnen sondern nur in dem Zusammenhange mit allem Uebrigen, wiewol jedes Einzelne dem

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inneren Triebe nach betrachtet, woraus es herrührt, nach dem Geiste, worin es gesagt ist, allerdings ein Werk des göttlichen Geistes sein muß: so ist doch die Wahrheit, worauf wir uns verlassen können, nur in dem Zusammenhang des Ganzen. So ist es nun auch mit dem Auffassen der heiligen Schrift; denn dieses ist grade wie die heilige Schrift selbst nur ein Theil von dem Gesammtwerk des göttlichen Geistes in der Gemeine. Wir sollen die Wahrheit suchen in dem göttlichen Wort, dazu sind wir angewiesen, weil es das älteste Zeugniß von dem Erlöser und dem Glauben an ihn und der lebendigen Gemeinschaft mit ihm enthält. Dieses Suchen nun ist das Werk des göttlichen Geistes, und wo wir es wahrnehmen, da sollen wir als solches es ehren und lieben und jeden werth achten, der in der Schrift forscht, mag das, was er gefunden zu haben meint, mit dem Unsrigen übereinstimmen oder nicht. Dieses Suchen nach der Wahrheit ist das erste Werk des göttlichen Geistes, und ohne dieses wird keiner darauf kommen; denn viel zu unscheinbar, Gott sei Dank! sind diese heiligen Bücher, daß, wer nicht schon im Allgemeinen das Werk Gottes darin erkannt hat, der wird sich mit | keinem Suchen darin abgeben. Das ist das Wirken des göttlichen Geistes; aber darum ist nicht, was wir finden, die ganze volle Wahrheit des göttlichen Geistes, denn jedes ist nur ein Stückwerk, und keiner soll sich auf das allein verlassen, was das Seinige davon ist, und keiner ebenso auf das, was das Werk ist irgend eines Einzelnen. Aber darum sollen wir Alles ehren, Alles in aufmerksame Betrachtung ziehen, was als Auffassung der Schrift aus derselben Liebe zur Wahrheit, zur göttlichen Wahrheit in dem Worte Gottes entstanden ist, wenn es auch nicht das Rechte und Vollkommene ist; denn es kann uns Alles nützlich sein; wenn wir es auch als unrichtig erkennen, so erkennen wir eben daraus, wie die, welche es redlich meinen, doch leicht etwas Unvollkommenes finden, und so fördert uns die Liebe, mit der wir das Werk des Anderen betrachten, selbst in der Auffassung der göttlichen Wahrheit. Wogegen wenn wir mit dem Verurtheilen, mit der Verwerfung dessen, was uns fremd ist, anfangen: dann können wir auch nicht die rechte Aufmerksamkeit mehr darauf verwenden, dann haben wir schon auf eine lieblose Weise das menschliche unvollkommene Ergebniß verwechselt mit dem Geist, woraus es entstanden ist, und die Regung des Geistes verkannt; aber haben wir das einmal gethan, dann sind wir selbst in der Verunreinigung, nicht mehr in dem Dienste der Wahrheit. Lernen wir aber das und zeigt uns die Beschaffenheit der Sache darauf hin, daß die vereinigte Aufmerksamkeit Aller, die die Wahrheit suchen, dazu gehört, wenn die Schwierigkeiten verschwinden sollen, wenn alles Einzelne zusammenstimmen soll, wenn dieses Licht des göttlichen Wortes uns immer heller leuchten soll; ja wissen wir das und zeigt uns die Beschaffenheit der Schrift selbst, daß das nur das vereinigte Werk der Christen sein kann, ein Werk, welches noch nicht fertig ist, sondern woran noch viel zu arbeiten ist, und woran noch alle folgenden Geschlechter werden zu arbeiten haben – wissen wir | das erst: dann werden wir in Liebe mit einander gehen, dann werden wir immer mehr in das

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große Wort hineingeführt werden, daß wir die Wahrheit suchen sollen in Liebe, dann werden wir uns nicht erheben jeder in dem, was das Seinige ist, über das was des Anderen ist, sondern wissen, daß jedes Werk eines Einzelnen unvollkommen ist, und in dem gegenseitigen von der Liebe ausgehenden Vergleichen mit Anderen, in dem uns Hingeben an die, von welchen wir glauben, daß sie im Irrthum sind, und darin daß wir aus dem Irrthum und aus der Art, wie er entstanden ist, lernen wollen, darin werden wir ebenso sehr in der christlichen Liebe befestiget werden, als wir in der christlichen Erkenntniß Fortschritte machen werden. Und so können wir getrost in alle diese Unvollkommenheiten einzelner Theile der heiligen Schrift hineinschauen, und wissen, wozu das so ist, nämlich um uns auf der einen Seite in dem beständigen Forschen zu erhalten, welches der Erlöser allen, die ihn und die Wahrheit erkennen wollen, zur Pflicht macht, auf der andern Seite, um uns mit einander zu verbinden, das Werk der christlichen Kirche auf die rechte Weise zu fördern. Aber dann auch werden wir nicht auf das Einzelne, sondern auf den das Ganze durchwehenden Geist, aus welchem es hervorgegangen ist, unsere Hoffnung setzen, indem wir wissen, daß durch seine Wirksamkeit immer mehr die Wahrheit siegen wird über den Irrthum, wozu wir auch nach unseren Kräften beizutragen für unsere theure Pflicht halten müssen. Und wer sich bescheiden muß, daß er dazu nicht beitragen kann, der bescheide sich auch, daß er nicht gesetzt ist zu dem Richten, sondern zum Empfangen; der gehe seinen einfachen Weg, dann wird auch er in der Schrift das Leben und den finden, welchen er in der Wahrheit sucht. Wie viel Uneinigkeit in der christlichen Kirche, wie viel Störungen der Liebe, wie viel Zertrennung der Geister würde nicht vermieden werden, wenn Alle in dieser Beziehung die Sache klar sähen, wie sie ist, wenn wir uns an | das Werk des Verständnisses der heiligen Schrift mit rechter klarer Anschauung der Sache machten, vor Allem aber mit rechter Liebe zur Wahrheit, die nicht sich selbst will, sondern das Göttliche, und mit der rechten Liebe zu den Brüdern, die nur Christum sucht in dem gemeinschaftlichen Fortschreiten zum Heil. Wenn wir so dieses große Werk treiben, dann wird die Wahrheit immer heller leuchten, dann wird auch immer mehr unser Aller segensreiche Erfahrung werden, was wir vorher von der heiligen Schrift gesungen haben. Dazu möge denn Gott seine Gemeine leiten immer mehr von einer Klarheit zur andern. Amen. Lied 27, 7–8. 1 Worauf Schleiermacher sich bezieht, ist unsicher, möglicherweise auf den Sinn von 1Kor 13,1–13, bes. 2. 32 Vgl. oben, S. 656f 34 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 27: „Froh versammelt sind wir hier“ (Melodie von „Mache dich, mein Geist, bereit“); Strophen 7 und 8 lauten: „Ja, dein Wort, das hier ertönt, ist das Wort des Lebens; er, der uns mit dir versöhnt, bracht’ es nicht vergebens. Selig ist jeder Christ, der es achtsam höret und durch Thaten ehret. // Gott, wir wollen oft und gern hier vor dir erscheinen, und mit Jesu, unserm Herrn, fester uns vereinen. Er allein soll es seyn, den sich unsre Seele stets zum Führer wähle.“

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Am 4. September 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

14. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Tim 4,8 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. VIII SW II/3, 1835, S. 68–79; 21843, S. 71–83. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 175–184. Keine Keine

Am 14. Sonntage nach Trinitatis 1831.

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Lied 661. 698.

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Text. 1 Timoth. IV, 8. „Die Gottseligkeit aber ist zu allen Dingen nüze, und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.“ M. a. Fr. Diese Rede des Apostels kann uns auf zwei ganz entgegengesezte Arten ergreifen. Es kann uns sonderbar auffallen, ja gegen die herrschende Richtung eines christlichen Gemüthes streitend, wenn uns gesagt wird, die Gottseligkeit solle zu etwas nüze sein. Das, wozu etwas nüze ist, ist immer höher als dasjenige, was dazu als ein Mittel gebraucht wird: was kann aber über der Gottseligkeit stehen, daß sie sich dazu verhalten könnte, wie ein heilsames und nüzliches Mittel? sie, die alle wesentlichen Güter des Menschen in sich schließt, und das Höchste unmittelbar ist, was er erreichen kann! Auf der andern Seite aber freilich kann eben dieses uns auch wieder natürlich erscheinen, daß die Gottseligkeit zu allem nüz ist. Denn wenn | der Mensch selig ist in Gott, wenn er sich einer innigen Gemeinschaft mit dem höchsten Wesen er17 Gemeinschaft] Gemeinschaf 2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 661: „Nun lob den Herrn, o Seele! was in dir ist, den Namen sein“ (in eigener Melodie); Nr. 698: „O selig Loos hienieden“ (Melodie von „Nun ruhen alle Wälder“)

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freut, wenn er sich der geistigen Einwirkung desselben bewußt ist: wie sollte dann nicht, da in dem höchsten Wesen Alles ungetrennt Eins und dasselbe ist, und Gottes Liebe, deren wir uns freilich am unmittelbarsten bewußt werden können, auch nicht getrennt werden kann von seiner Macht, wie sollte dann nicht durch diese Seligkeit in Gott auch die göttliche Macht sich über den Menschen ausgießen, so daß ihm durch die Kraft der Gottseligkeit möglich wird, was ihm sonst nicht möglich war, und er sich durch dieselbe erst recht und ganz verherrlicht und sein Wesen offenbar wird in der Herrschaft über die Erde, zu welcher Gott ihn gesezt hat. In diesem Sinn also, m. g. Fr., mögen wir uns denn wohl das Wort des Apostels nicht eben nur gefallen lassen, wenn es uns in jener Beziehung fremd erklang, sondern wir müssen von seiner Wahrheit durchdrungen sein. Welche unmittelbare Anwendung hiervon liegt uns aber izt so nahe, jezt, wo das Uebel, welches wir fürchteten, wirklich unter uns aufgetreten ist! Ist die Gottseligkeit zu Allem nüze: kann sie etwan auch dazu nüze sein, daß sie eingreife in diese gegen das menschliche Geschlecht geschwungene Geißel und die Schläge derselben zurükkhalte? kann sie auch dazu nüze sein, daß sie das vergängliche menschliche Leben von Innen heraus stähle, und ihm neue Kraft verleihe gegen diesen unbegreiflichen und geheimnißvollen Andrang einer feindseligen Gewalt? Die Antwort darauf, m. g. Fr., wird davon abhangen, was wohl der Apostel meint, wenn er sagt: die Gottseligkeit habe Verheißungen, nicht nur für jenes – denn das lassen wir jezt billig bei Seite – sondern auch | für dieses gegenwärtige Leben. Welches sind ihre Verheißungen? Darnach lasset uns fragen, denn dadurch werden wir von selbst inne werden, ob und wozu sie unter den gegenwärtigen Umständen nüze sei. An wie viele einzelne Stellen der Schrift mag der Apostel gedacht haben, als er sagte: die Gottseligkeit hat Verheißungen auch für dieses Leben! wie viel tröstliche Aussprüche dieser Art, wie viel huldvolle Versicherungen des Höchsten für die, welche auf seinen Wegen wandeln und sein Recht vor Augen haben würden, sind überall in den heiligen Schriften des alten Bundes, an die der Apostel bei seinen Worten nur denken konnte, zerstreut! Aber eben deswegen, weil dies zerstreute, einzelne Aussprüche sind, die uns den ganzen Zusammenhang der Sache nicht übersehen lassen: so lasset uns lieber nach diesem fragen, und aus der Natur der Sache es uns deutlich machen, was für Verheißungen die 9–10 Vgl. Gen 1,28; auch 1,26 14–15 Seit dem Frühjahr 1831 hatte sich die Asiatische Cholera, von Rußland und Polen kommend, auch in den östlichen preußischen Provinzen ausgebreitet. Am 28. und 30. August hatte es die ersten Verdachtsfälle in Berlin gegeben, am 1. September war die Stadt offiziell als infiziert erklärt worden. Vgl. oben Einleitung I. 4. 31–32 Vgl. Dtn 5,33 und Ps 18,23

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Gottseligkeit habe für das gegenwärtige Leben. Es ist aber etwas Großes, Auffallendes und zugleich auch Geheimnißvolles um das Verhältniß des menschlichen Geistes zu diesem Leben; er steht unter allen äußern Bedingungen desselben und ist ihnen unterworfen, er ist seinem gegenwärtigen Dasein nach ein Kind dieser Erde, und nur inwiefern sie ihn hegt und pflegt, inwiefern sie für seine Fortdauer ihm das Nothwendige giebt, nur insofern vermag der Geist sich zu entwikkeln, fortzuleben und seine Kräfte zu äußern. Aber auf der andern Seite steht auch der Mensch weit unterschieden von allen lebendigen Geschöpfen dieser Erde über seinem Leben; das Größte, Geheimnißvollste, uns mit einem innern Schauder Erfüllende, was wir in dieser Hinsicht sagen können, ist dies, daß er | der Herr seines Lebens ist. In einem Augenblikk auf tausend verschiedene Arten kann er selbst den Faden des Lebens abreißen, und sich ausstreichen aus der Reihe der Lebendigen; es ist sein eigenes Maaß, in wie weit er die Beschwerden des Lebens, die Widerwärtigkeiten des Lebens, die Feindseligkeiten des Lebens ertragen will, und eben dies Ertragen ist seine eigene That, weil er in einem Augenblikk ein Ende machen kann mit seinem gegenwärtigen Dasein. Aber ein Anderes ist dies. Der Mensch kann Allem, was ihn bemeistern will, eine unüberwindliche Macht des Geistes entgegenstellen; es ist eine Kraft in ihm, die über jede Gewalt der Erde hinausgeht, in der Kraft seines Willens kann er allem feindseligen so widerstehen, alles widerwärtige so überwinden, daß sein inneres Wohlsein ungefährdet bleibt, so lange das Leben selbst dauert; unter allem Unglükk kann er seine Kraft aufrecht erhalten, und das, was ihm sein Inneres gebietet, thun und lassen. Dies, m. g. Fr., dies sind also die beiden Richtungen, in welchen die Verheißungen der Gottseligkeit für dieses Leben liegen müssen. Daß sie es ist, der wir überall das Beste, das Edelste und Größeste verdanken, das ist unser gemeinsamer Glaube, den ich vorausnehme als von Allen zugestanden; aber in beiden Beziehungen wird nun eben dies das richtige sein, daß wir, so weit wir diesem irdischen leiblichen Leben unterworfen sind, es auch auf die rechte Weise ehren, daß wir aber auch auf der andern Seite uns von den Banden dieses Lebens auf die rechte Weise frei halten. Das, m. g. Fr., das sind die Verheißungen, welche die | Gottseligkeit hat für dieses Leben. Lasset sie uns näher mit einander ihrem eigentlichen Inhalte nach erwägen. I. Wenn ich dies, m. a. Fr., als die erste Verheißung der Gottseligkeit aufstelle, daß diejenigen, welche in einer nahen und lebendigen Gemeinschaft mit Gott stehen, auch das irdische Leben, in sofern sie mit ihrer geistigen Thätigkeit von ihm abhängen, auf die rechte Weise zu ehren wissen: so liegt darin wesentlich zweierlei; einmal, daß wir die ganze

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Erscheinung des Menschen auf dieser Welt suchen zu einem Gegenstand des Wohlgefallens zu machen, dann aber, daß auch alles, was wir in Beziehung auf dies irdische Leben thun, alles was wir ihm darbringen, jede Art, wie wir uns mit demselben und für dasselbe beschäftigen, das Gepräge an sich trage, daß doch Alles nur sei und geschehe um des Geistes willen und für ihn. Wenn wir fragen, wodurch wird denn die Erscheinung des Menschen in diesem leiblichen irdischen Leben ein Gegenstand des Wohlgefallens: wie breitet sich dann gleich dies irdische Leben in allen den mannigfaltigen Gestaltungen vor uns aus, wie es sich in dem Lauf der Zeiten unter denjenigen Völkern entwikkelt hat, welche das größte Maaß geistiger und irdischer Güter besizen und sich einander mittheilen. Welche unendliche Abstufung! Auf der einen Seite von allen den reizenden Gestaltungen des Lebens in den höheren Kreisen der Gesellschaft, die für gar Viele ein Gegenstand des Neides werden und der Eifersucht, weil sie das ihrige nicht auf eine eben so glänzende, schöne und anmuthige Weise auszustatten vermögen! und auf der an|dern Seite wieder, wie viel niederdrükkendes und demüthigendes, wie viel Kämpfe mit den Sorgen des Lebens, wie viel Unvermögen, auch nur das erste und wesentlichste herbeizuschaffen, wodurch es sich auf eine empfehlende Weise darstellen kann! Wenn wir das bedenken, so scheint es allerdings, als ob es nicht die Gottseligkeit sei, welche hierüber eine Verheißung habe, sondern als ob dies gänzlich abhänge theils von dem Reichthum und der Fülle äußerer Güter, der Wohlhabenheit, theils von der äußeren Hoheit, die einem Jeden eine Menge von menschlichen Kräften dienstbar macht und zinsbar. Aber nein, m. g. Fr., so ist es nicht; diese Verschiedenheiten bestanden schon zu der Zeit des Apostels, und waren ihm so bekannt, daß sie ihm wol müssen nahe vor Augen geschwebt haben, als er es doch wagte, das kühne Wort auszusprechen, daß die Gottseligkeit die Verheißung für dies irdische Leben habe. Sehen wir uns also um, was denn das wesentlichste und unentbehrlichste ist, damit die äußere Erscheinung unseres Lebens ein Gegenstand des Wohlgefallens sei? o wahrlich, wir werden dann, wenn wir unser Auge mit diesem Wohlgefallen erfüllen und uns daran weiden wollen, nicht nur dahin getrieben, wo wir die Herrlichkeit, die Pracht, die Ueppigkeit des irdischen Lebens sehen! nein, die Grundlage dieses Wohlgefallens an der äußern irdischen Erscheinung des menschlichen Geistes ist keine andere, als Sauberkeit und Reinheit, Ordnung und Ebenmaaß. Wo wir diese in den Umgebungen des Menschen von seinem Leibe an durch alles hindurch, gleichviel sei es viel oder wenig, was er zu seinen Geschäften und für seine Bedürfnisse gebraucht, herrschend finden: da fühlen wir uns angenehm befriedigt, denn | wir merken das Walten des Geistes. Alle Pracht, aller Ueberfluß machen uns diesen Eindrukk nicht, wenn Reinlichkeit

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und Ordnung fehlen. Und laßt es uns gestehen, daß um diese zu gewähren keine Fülle von irdischen Gütern nöthig ist, daß dazu nicht eine Menge von solchen Bedingungen gehört, worüber nur immer eine kleine Anzahl beglükkter Menschen Herr sein kann. Vielmehr wo der innere Sinn dafür nicht rege ist, wird er durch diese Hülfsmittel nicht erwekkt. Wie oft machen wir nicht hiervon die Erfahrung auch da, wo alle Bedingungen vorhanden sind, um das Leben anmuthig zu gestalten! wie oft sehen wir nicht, daß Pracht und Glanz nur um Anderer willen dem Reichthum und der Hoheit unentbehrlich sind aber unwillkommen, und daß sich hinter dieser Hülle Unreinheit und Unsauberkeit nur in die verborgeneren Kammern zurükkschieben. Es ist ein innerer Sinn, aus dem diese Zierden des Lebens hervorgehen, und es ist wohl allgemein als thatsächlich anerkannt, daß, wo sich eine engere abgeschlossene Gemeinschaft des Lebens unter solchen gestaltet, die sich in Wahrheit der Gottseligkeit befleißigen, auch in ihrem äußern Sein Sauberkeit, Reinheit und Ordnung überall sich zeigen, und einen Wohnplaz solcher Menschen verkündigen, obschon zugleich auch solcher die nicht zu den Hohen und Reichen dieser Welt gehören. Dieser Sinn, der eben deswegen aus der Gottseligkeit hervorgeht, weil er von dem äußeren Zubehör des Geistes, der ja das Ebenbild Gottes ist, alle Störungen entfernen will, weiter aber nichts sucht als dies, dieser Sinn bedarf wenig Vorschub von Mitteln, um sich geltend zu machen. Auch in dem arbeitvollsten Leben ein weniges von Zeit abgebrochen dem Schlaf oder | den Vergnügungen, welche sonst die Arbeit unterbrechen, ein weniges von Emsigkeit mehr gewandt auf die Geschäfte, mögen diese auch noch so sehr überhäuft sein: so wird Jeder Raum gewinnen, alles um sich her rein und wohlgeordnet zu erhalten, so daß er in seinen wenn auch dürftigen Umgebungen ein Gegenstand des Wohlgefallens ist, zu dem Jeder gern zurükkehrt. Und nun fragt nur nach, wieviel eine solche Gewöhnung beiträgt, um das menschliche Leben sicher zu stellen; wie allgemein die Erfahrung ist, gerade in unglükklichen Zeiten wie die gegenwärtigen, wo wir nur zu leicht fürchten schon eine Berührung könne todtbringend werden, schon das Verkehr mit der Luft die wir athmen sei eine gefährliche Gemeinschaft, daß da Reinlichkeit und Ordnung theils das beste Mittel sind um uns selbst zu schüzen, theils auch Andern eine erheiternde Zuversicht einflößen. Allgemein werden diese Wirkungen anerkannt, wenn auch nicht Jeder den Zusammenhang der Sache ganz begreift. 31–34 Seit dem 1. September 1831 galt Berlin offiziell als von der ansteckenden Asiatischen Cholera infiziert. Etwa dreiundsechzig Prozent der Erkrankungen verliefen tödlich. Vgl. oben Einleitung I. 4.

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Aber eben so, m. g. Fr., ist es auch mit dem Zweiten, daß nämlich die Art, wie wir das irdische Leben und Dasein pflegen und dafür sorgen, überall wo die Gottseligkeit herrscht das Zeichen an sich trage davon, daß, was wir auch in dieser Hinsicht thun, wir es nur für den Geist thun. Allerdings, m. g. Fr., je längere Zeit der Mensch schon auf dieser Erde geschaltet hat mit der ihm von Gott verliehenen Macht, je mehr er die Kräfte der Natur kennen gelernt hat und sich unterworfen, desto größer ist auch die Fülle von Gegenständen, welche ihm zu Gebote stehen, um desto mehr Mittel sind in seiner Hand, um sein zeitliches Dasein zu hegen und zum Wohlbefinden auszubilden. Aber | auch da, wo wir diese äußere Bildung des Menschen auf ihrem höchsten Gipfel erblikken, wenn es an der rechten würdigen, auf das Ewige gerichteten Gesinnung fehlt: wie sehr zeigt sich an der Anwendung aller dieser Kräfte nur, daß der Mensch vorzüglich das Thierische in sich hegen will und pflegen, vielleicht feiner und milder es gestaltend, aber doch daß er mit seinem Sinn ganz auf den vergänglichen irdischen Genuß gerichtet ist. Für diesen nach allen Seiten hin freien Raum zu gewinnen, ihn möglichst zu vervielfältigen, durch Abwechselung aufzufrischen und lebendig zu erhalten, das ist die Art wie die Menschen ohne höhere Gesinnung nur zu häufig alle oft von einer langen Reihe früherer Geschlechter mühsam errungene und ihnen überlieferte Schäze und Hülfsmittel für dieses irdische Dasein verwenden. Da zeigt sich denn freilich nicht, daß Alles um des Geistes willen geschieht, sondern der Geist hat seine Mühe zwar anwenden müssen und die Gewalt, die er über die Erde gewonnen hat, immer mehr erhöhen; aber wozu? nur, damit das Thierische im Menschen herrlicher dastehe, üppiger sich entwikkele und er hiervon immer reichere Befriedigung erhalte, solche natürlich, die ausschließend an diesem Irdischen festhält und von allem Höheren sich entfernt. Doch auch hier möchte jemand sagen, es sei mindestens nicht die Gottseligkeit allein, die solche Verheißung habe; dazu reiche schon hin, wenn nur eine gute äußerliche Zucht und Sitte in einer menschlichen Gesellschaft herrsche, diese spreche schon ihr nie erfolgloses Urtheil aus gegen alles, was sich als ein verderbliches Uebermaaß kenntlich macht, oder was auf allgemein verständliche Art die Spuren von der Herrschaft der niedern Sinnlichkeit an sich trägt. Aber der | Apostel ist nicht dieser Meinung; denn unmittelbar vor den Worten, die wir mit einander vernommen haben, sagt er, die leibliche Uebung ist wenig nüze. Und was gehört wol zur leiblichen Uebung, wenn nicht eben das, was Zucht und Sitte in den äußern Handlungen der Menschen hervorbringt? dieses 22 irdische] irdischen 37 1Tim 4,8

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streng gehaltene von außen gestellte Maaß ist ja gewiß leibliche Uebung. Und wohl müssen wir gestehen, daß Paulus recht hat zu sagen, diese sei wenig nüze! Denn auf welchem Grunde ruhet sie? wie leicht geschieht es nicht, und oft auch plözlich genug, daß sich eine Sinnesart geltend macht, welche bald über Zucht und Sitte siegt, indem sie die ererbten Regeln der Vorfahren für Vorurtheile erklärt, welche der gegenwärtigen Entwikkelung des Menschen nicht mehr angemessen seien. Wie viele Gemüther lassen sich verlokken, wenn so der Eigenliebe geschmeichelt wird! Und so wird denn, was früher verworfen wurde, als unwürdig an sich oder weil es jedes billige Maaß zu überschreiten schien, gar bald gepriesen als ein Zeichen von einer größern Freiheit des Geistes, daß man auf alle Weise das Leben frei machen müsse, um es auf alle Weise zu genießen. Und fester als so stehen äußere Zucht und Sitte nicht; so leicht können sie wankend gemacht werden, und sind darum wenig nüze, wenn es an dem rechten innern Kern der Gesinnung fehlt, aus welchem auch ohne den Zwang des Verbotes auch ohne das Gängelband der Gewöhnung eine würdigere Haltung entsteht, und sich zur höchsten Schönheit des irdischen Lebens gestaltet. Denn das ist die Verheißung der Gottseligkeit, daß sie alles veredelt, weil sie alles auf das geistige Leben bezieht. Dadurch wird der Leib und alles sich auf ihn beziehende von ihm ausge|hende Leben ein Tempel des göttlichen Geistes in dem ja nichts unreines Raum findet. Alles niedere in uns verliert allmählig seinen eignen Willen sein stürmisches Drängen, ohne daß wir ein lästiges Band anlegten oder uns unter leere Vorurtheile schmiegten; jedes findet seine volle Entwikklung aber auch sein rechtes Maaß in seiner Beziehung auf das höchste. So wie in der ganzen Welt alles eine Offenbarung ist der ewigen Kraft und Gottheit des höchsten Wesens: so wird auch alles bis zum kleinsten in uns eine Offenbarung des Geistes. Giebt es erst in allem, auch in der Art, wie wir das alltäglichste verrichten, eine Ehre Gottes: dann ist auch nichts mehr zu Unehren, sondern alles zu Ehren. Da ist dann große Freiheit von leidenschaftlichen Erregungen, große Stille von sinnlichen Begierden, völlige Ruhe in Beziehung auf irdische Genüsse! Und nun fragt nach, wenn ihr es nicht selbst schon wißt, wieviel diese ruhige Schönheit der Seele und des äußeren Lebens, diese geräuschlose Freiheit, in welcher sich allein die Verheißung der Gottseligkeit offenbart, von der wir izt reden, dazu beiträgt uns selbst auch in solchen Gefahren zu beschüzen. II. Doch nun, m. g. Fr., lasset uns auch das Zweite erwägen, was wir zum Gegenstand unserer Betrachtung machen wollten, nämlich wie zu den 20–22 Vgl. 1Kor 6,19

26–27 Vgl. Röm 1,19f

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Verheißungen der Gottseligkeit auch die gehöre, daß wir auf die rechte Weise frei seien, und immer mehr frei werden von den Banden des irdischen Lebens, und uns über dasselbe stellen können in jeder Beziehung, in welcher dies für das freie Schalten des Geistes noth thut. | Dazu gehört, m. g. Fr., zunächst und zuerst dies, daß keine Anhänglichkeit an das vergängliche irdische Leben dürfe die Kraft und Thätigkeit des Geistes, zu der wir berufen sind, hemmen. Wie viele sehen wir nicht unter Umständen, wie die gegenwärtigen, hierin zurükkbleiben! Christen, die in ruhigen Zeiten mit treuem Wohlwollen alle Verbindungen, in welche Gott sie gestellt, festhalten und hegen, die sich sonst hülfreich erweisen dienstfertig und freundlich Allen in ihrem Bereich, die sich wohlgefallen in allem was auch nur auf eine entferntere Weise zu dem Beruf gehört, den Gott ihnen in der bestehenden Ordnung des menschlichen Lebens unter uns im Zusammenhang mit allen Uebrigen angewiesen hat. Nun aber das Leben bedroht ist auf eine neue bedeutende ängstliche Weise, fällt plözlich alles dieses ab, als ob es nie gewesen wäre. Es kostet sie wenig sich dem geselligen Zusammenhang mit dem Kreise, für welchen sie doch da sind, zu verschließen; ja indem sie sogar den Ort verlassen, an den sie mit vielen Fäden geheftet sind, und in unbestimmte Ferne hinausstreifen, wo sie gar keine Verbindlichkeiten haben, wo sie gar nicht wissen, ob sie Jemanden etwas werden sein können, verschmähen sie die ihnen dargebotene Gelegenheit, in der dringenden Noth die hülfreiche Liebe zu beweisen, die sie sonst so gern zu üben pflegen: alles nur von der Furcht getrieben, auch ihr Leben könne bedroht werden; alles nur um die süße Gewohnheit dieses irdischen Daseins um desto länger und sicherer festzuhalten, von der wir ja doch nicht wissen, wie bald sie uns auf dem gewöhnlichsten Wege entschlüpfen kann. Wie erscheint uns bei solcher Handlungsweise die Kraft des Geistes gedämpft und abgeschwächt, da sich der | irdische Sinn des Willens ganz bemächtigt und den Geist von allem Antheil an der Leitung des Lebens ausgeschlossen hat. Aber die Gottseligkeit spricht nicht also, m. th. Fr., sondern so sagt sie, wie es der Apostel anderwärts ausspricht, daß so wie die Liebe Christi ihn drängt, er auch alles, was sich diesem Drang entgegenstellen will, weit überwindet. Und alle Gefahren, denen das menschliche Leben ausgesezt ist, zählt er da auf, alle Widerwärtigkeiten, denen er sich leicht hätte entziehen können, wenn er nur den Drang der Liebe Christi hätte unterdrükken wollen; und von dem allen sagt er, daß er darin weit überwinde. Das, m. G., ist die Kraft der Gottseligkeit, daß sie uns mit der Thätigkeit des Geistes, wozu wir berufen sind, über das irdische Leben hinausführt, daß wir an 33 Vgl. 2Kor 5,14 Röm 8,37

33–34 Vgl. Röm 8,37

34–36 Vgl. Röm 8,35

38 Vgl.

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dem an uns ergangenen und von uns erkannten Willen Gottes festhalten, ohne auf die Folgen für das irdische Leben zu sehen; daß wir nie aufhören das Werk Gottes, zu dem wir berufen sind, ungestört und ruhig fortzutreiben, nicht weil wir etwa glaubten, der Tag sei noch lang, sondern eben weil wir nicht wissen, wie bald die Nacht kommt, da Niemand mehr wirken kann. Lieber sich der Gefahr ausgesezt, daß das zeitliche Leben früher zu Ende geht, aber an dem aufgegebenen Werk fortgearbeitet, damit wir das Bewußtsein behalten, daß wir aus der Gemeinschaft des göttlichen Willens nicht herausgewichen sind! Lieber dies Leben fahren lassen, als die Kraft der Gottseligkeit beschränken, das ist die Weise der Kinder Gottes, durch welche sie hinausgerükkt sind über Furcht und Angst! das ist die Verheißung, welche die Gottseligkeit für dieses Leben hat, daß sich auf diese Art zugleich die höhere Liebe zu den Dingen dieses | Lebens in ihr offenbart. Denn welcher menschliche Beruf unter uns hinge nicht zusammen mit den Dingen dieses Lebens? welcher hätte keinen Einfluß auf die Verbesserung seiner Angelegenheiten? durch welchen würde nicht die Macht des Geistes über die irdischen Dinge sicher gestellt und befestigt? Und an jedem solchen Beruf sollen wir halten, aber ohne auf den Genuß zu denken, den wir selbst davon haben möchten; also nicht unsrer selbst wegen, sondern damit, so lange der Geist in dieser vergänglichen menschlichen Gestalt auf Erden walten soll, auch durch jeden das Werk Gottes geschehe; das ist die erste Verheißung dieser Art, welche die Gottseligkeit besizt. Indeß haben wir freilich an dieser noch nicht genug, m. Lieben. Wohl kann mancher soviel über sich gewinnen, daß er die Einheit und die Richtung seines Lebens im Ganzen festhält, der Furcht und Sorge nicht so viel einräumt, daß er sich aus der bisher betretenen Bahn hinaustreiben ließe: aber nun auch auf derselben mit der nämlichen Ruhe, mit unverringerter Freudigkeit fortgehen, auch wenn die Gefahr schrekken will, doch mit derselben ungestörten Beharrlichkeit das Seinige thun, jeden Augenblikk mit Besonnenheit um sich schauen können um nichts zu verabsäumen von dem, was zu den Arbeiten des Berufs, was zu den Aufgaben des Augenblikks gehört; und gerade als ob das Leben gar keine Störung erfahren hätte, immer eben wie sonst bereit sein zu jeder Dienstleistung, so daß jeder Augenblikk von dem ungetrübten Frieden des Herzens zeugt – dieser Sieg über die Sorge, der sich immer wieder erneuern muß, das ist erst die volle Verheißung der Gottseligkeit für dieses Leben. Wie nun überall die Furcht Uebel ärger | macht und die Gefahr vergrößert: so wird diese Furchtlosigkeit auch überall die Gefahr verringern, und indem die widerstrebenden Kräfte 5–6 Vgl. Joh 9,4

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zusammengehalten und zwekkmäßig verwendet werden, auch das Uebel schneller überwinden. Doch freilich, es könnte mancher sagen, auch dieser Vorzug sei nicht das Eigenthum der Gottseligkeit allein; sondern auch die sittliche Gewalt der natürlichen Vernunft gewähre denselben. Nur gehöre allerdings dazu, daß dieses höhere geistige Vermögen gehörig ist gewekkt und gebildet worden, daß sich in einem ruhigen Leben eine Herrschaft desselben befestiget hat; sei aber dies geschehen, dann würde sich diese auch eben so wie die Gottseligkeit bewähren unter allen Stürmen und Gefahren. – Wenn der Mensch auch durch kein besonderes Band mit dem höchsten Wesen verbunden ist, sondern nur das Walten des menschlichen Geistes in diesem irdischen Leben im Auge hat: so vermöge er doch auf der einen Seite in der Richtung auf das Ganze sich selbst zu vergessen, und auf der andern Seite sei es ihm nicht möglich aus Liebe zum Leben etwas seiner Vernunft unwürdiges zu thun. Es ist wahr, daß es außerhalb des Christenthums viele glänzende Beispiele giebt von jeder Selbstverläugnung: aber doch werden wir gegen solche Tugend die Kraft der Gottseligkeit nicht aufgeben wollen. Wir werden doch gestehen müssen, wenn wir es näher überlegen, daß beides sich nicht vergleichen läßt. Konnte der Mensch auch sich selbst vergessen und sich hingeben für das Ganze, dem er angehörte: was war dies Ganze? Immer nur eine bestimmte menschliche Gesellschaft, deren Glied er war, eine besondere einzelne Gestaltung des geistigen Lebens, in der grade er erwachsen und hergekommen war; | aber diese stand immer im Gegensaz gegen vieles Andere; und seine Liebe zu demselben war, wenn auch nicht die engste sondern eine sich weiter ausbreitende, doch immer Eigenliebe; und nur für dieses größere Selbst, um es sicher zu stellen und demselben Ehre, Preis und Ruhm zu bewahren oder zu mehren, gab er das kleinere hin. Und deswegen bleibt immer noch ein geheimer Zugang frei, durch den sich auch die Selbstliebe im engsten Sinn wieder einschleicht bei denen, die nur an diese Tugend gewiesen sind, welche das Werk der natürlichen Vernunft ist. Je weiter im Vergleich mit Andern einer seine geistigen Kräfte entwikkelt hat, je größer der Kreis ist, in welchem er für das Ganze wirkt, um desto leichter erwacht in Jedem die Neigung, sich selbst für etwas, oder daß ich es gerade heraus sage, für unentbehrlich zu halten. Sein Leben und Wirken ist ja ein bedeutendes gemeinsames Gut; je bedenklicher die Zeiten sind um desto stärker drängt es sich ihm als eine heilige Pflicht auf für sich selbst zu sorgen, um sich für das Ganze zu erhalten; und so können auch die Besten nicht selten in alle die Verzärtelung hinein gerathen, wie wir sie denen nicht gern zu Gute halten, die auf einer ganz niedrigen Stufe des Lebens stehen. Aber dieses, m. G., ist uns, ist Allen, die sich der christlichen Gottseligkeit befleißigen, nicht möglich; und das ist viel-

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leicht die größte Verheißung derselben. Der Herr selbst, diese Blüthe des menschlichen Geschlechts, das Fleisch gewordene Wort, wie mußte er sich bewußt sein, daß sein Dasein auf der Erde nothwendig war für das menschliche Geschlecht! aber wie wußte er auch, diese Nothwendigkeit sei nur auf eine gar kurze Spanne menschlichen Lebens beschränkt; und darum weigerte er sich nicht, | wiewohl er wußte, in welchem unvollkommenen Zustande er die Angelegenheiten seines Reiches ließ, von hinnen zu gehen und abzuscheiden, als es der Wille seines Vaters war. Wie sollte einer, der diesem Vorbilde nachgeht, und von dem Glauben aus, Christus könne mit keinem Andern verglichen werden und Keiner mit ihm, doch alles auf das Reich Christi bezieht, jemals dazu kommen, sich für unentbehrlich zu halten in diesem Leben! Wir wissen ja, daß auch das beste was wir thun können, uns nur von ihm kommt, aus der Kraft die Er ausgießt über uns, aus dem Geist Gottes, der ja ausgegossen ist über alles Fleisch! Ist sonach die gemeinsame Kraft sicher gestellt, nicht eine solche, die nur hier oder dort izt oder dann sich geltend macht, sondern die, welche immer mehr das ganze menschliche Geschlecht durchdringen soll: was kann an irgend einer einzelnen Erscheinung des menschlichen Geistes gelegen sein! Wie kann einer, wenn er selbst heute abgerufen wird, darüber murren, daß er ja noch eine Reihe von Jahren auf dieser Erde hätte wirksam sein können, und doch vorgeben er klage nur aus Liebe zu dem Werke des Herrn! das Leben des Menschen ist vergänglich, aber nicht so, daß es dem Herrn jemals könne an Dienern zur Vollendung seines Werkes fehlen! Der Geist bildet unaufhörlich, seine Werkstatt ist nicht zu verwüsten, wie sehr auch die Krankheiten, die Kriege und alle Widerwärtigkeiten des Lebens die Menschen aufreiben; denn die Pforten der Hölle sollen nicht vermögen das Reich Christi zu überwältigen. Wohlan in dieser Sicherheit, wie sollten wir uns überwinden lassen von der Furcht für dieses Leben! wie sollten wir nicht freudig jeder augenblikklichen Gefahr entgegen gehen, wie sollten | wir uns nicht frei machen von Allem, was uns hindern kann an der Erfüllung unseres Berufs in aller Besonnenheit, in aller Ruhe, die das Leben unter allen Umständen auf gleiche Weise fordert, wenn wir unser Gewissen bewahren wollen. Allein, m. g. Fr., alles was ich gesagt habe, will nicht so gemeint sein, daß etwa Jemand glauben dürfte – doch das will ich nicht erst aussprechen – er könne nun erst nach der Gottseligkeit streben und sie sich aneignen, damit er die beschriebenen Früchte davon genieße in dieser bangen Zeit, – nein, das sage ich nicht erst; aber auch so nicht, daß einer glauben könnte, die gottselig sind, die würden nicht untergehen in diesen Gefahren, und folglich auch wer in denselben untergeht, wem Gott 2 Vgl. Joh 1,14

14–15 Vgl. Apg 2,17 (darin Joel 3,1)

27–28 Vgl. Mt 16,18

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das Loos bestimmt, sein Leben auf diese Weise zu beschließen, dem habe es dann gewiß an der Gottseligkeit gefehlt, welche die Verheißung dieses Lebens hat. So wird niemand die Worte des Apostels mißverstehen, und es ist wohl unnöthig, daß ich auch mich dagegen sicher stelle. Die Gottseligkeit ist nicht das Gut eines Einzelnen, und wir haben sie nicht als Eigenthum Jeder für sich, sondern sie ist ebenfalls ein gemeinsames Gut; und nur in sofern ruhet jene Verheißung auf ihr, nur in sofern ist sie zu allem nüze. Soviel also werden wir in der That und Wahrheit sagen können, je mehr Gottseligkeit ist in einer Gemeinschaft von Menschen, je mehr der Wille Gottes die menschlichen Gemüther beherrscht, um desto mehr werden sie auch diese Verheißung der Gottseligkeit erfahren: aber als eine einzelne Frucht für das einzelne Leben können wir sie nicht verlangen; sondern da unterwerfen wir uns immer aufs Neue, und wir sollen es | mit der größten Freude thun, den Fügungen des Höchsten, der in allem über Alle waltet. Aber die Kraft der Gottseligkeit und ihre Verheißung wird sich jedenfalls auch offenbaren in den Leiden dieser Zeit, nicht nur in der Sorge für die, die uns nahe stehen und die uns Gott anvertraut; sondern auch unter den eigenen Schmerzen der Krankheit, auch im Angesicht des Todes wird doch der Mensch, in welchem der Geist der Gottseligkeit waltet, ein Gegenstand des Wohlgefallens bleiben, und die Kraft derselben wird sich an ihm zeigen und verherrlichen. An ihm erscheinen auch diese Uebel des Lebens in einer milderen Gestalt, weil das was von oben stammt, und dies ist doch die wahre Sicherheit des Daseins, nicht bezwungen wird durch die Gewalt des irdischen. Daß wir davon Zeugniß ablegen mögen in der Zeit, die uns bevorsteht, das verleihe uns der Höchste durch die wahre Gottseligkeit, zu der und in der uns zu stärken das Ziel unsers gemeinsamen Lebens sei. Amen. Lied 25, 2. 3.

29 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 25: „Dir, unserm Gott, sey Lob“ (Melodie von „Nun danket alle Gott“); Strophen 2–3 lauten: „O segne nun dein Wort, daß es uns ganz durchdringe, und durch des Geistes Kraft auch reiche Früchte bringe; daß unser Glaube dir bis in den Tod getreu, die Liebe unverfälscht, und fest die Hoffnung sey. // Gieb, daß wir immerdar dich kindlich fürchten mögen, daheim und in der Welt, auf allen unsern Wegen! Dein Segen sey mit uns, den uns dein Wort verheißt, dein Fried’ in Ewigkeit, o Vater, Sohn und Geist!“

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15. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 1,15–22 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 30–42, Nr. III; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 790.

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Tex t . Marcus I, 15–22. „Und Jesus predigte das Evangelium vom Reiche Gottes und sprach: die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Thut Buße und glaubet an das Evangelium. Da er aber an dem galiläischen Meere ging, sah er Simon und Andreas, seinen Bruder, daß sie ihre Netze ins Meer warfen, denn sie waren Fischer. Und Jesus sprach zu ihnen: Folget mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen. Alsobald verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach. Und da er von dannen ein wenig fürbaß ging, sah er Jacobum, den Sohn Zebedäi, und Johannem, seinen Bruder, daß sie die Netze im Schiff flickten; und bald rief er sie. Und sie ließen ihren Vater Zebedäum im Schiff mit den Tagelöhnern und folgten ihm nach. Und sie gingen gen Capernaum; und bald an den Sabbathen ging er in die Schule und lehrete. Und sie entsetzten sich über seine Lehre; denn er lehrete gewaltiglich und nicht wie die Schriftgelehrten.“ Dieses nun, m. a. Fr., sind die ersten Nachrichten, welche unser Evangelist uns gibt von dem öffentlichen Leben und | Lehren unsers Erlösers. Er fängt an mit einer allgemeinen, kurz zusammengefaßten Angabe des Inhalts seiner Predigt: „die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen; thut Buße und glaubet an das Evangelium." Wenn wir diese Worte, m. g. Fr., recht betrachten, so sehen wir leicht, daß sie sich auf eine unter den Zeitgenossen 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 790: „Der frohe Morgen kommt gegangen“ (Melodie von „Dir, dir, Jehovah, will ich singen“) 2–3 Da es sich bei Mk 1,15 um einen syntaktisch unvollständigen Satz handelt, greift der Beginn des zitierten Bibeltextes auf Teile von Mk 1,14 zurück.

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des Erlösers mehr oder weniger verbreitete Erwartung bezogen; denn es hätte keinen Sinn gehabt, ihnen zu sagen: „die Zeit ist erfüllet,“ wenn sie nicht etwas Aehnliches schon im Sinne gehabt hätten, und: „das Reich Gottes ist herbeigekommen,“ wenn sie nicht ein solches als ein künftiges aber ihnen noch nicht bekanntes erwartet hätten. Dadurch schlägt sich unser Erlöser gleich auf die eine von zwei verschiedenen Seiten seines Volks; denn es war nicht etwas allgemein Anerkanntes, daß noch etwas bevorstehe, daß ein Reich Gottes kommen werde, daß im Voraus schon gedeutet sei auf eine noch zu erfüllende Zeit, sondern nur diejenigen, welche die Weissagungen der alten Diener Gottes mit einem rechten, dazu geeigneten Gemüthe aufgefaßt hatten, nur die welche sich nicht begnügen konnten mit dem, was damals schon vorhanden war, waren mit einer solchen Erwartung erfüllt, die nur in der jüngstvergangenen Zeit in der Predigt des Johannes eine neue Nahrung erhalten hatte und sie empfänglich machte für die Rede des Erlösers, welcher nun verkündigte, die Zeit sei nun erfüllt, und das Reich Gottes sei herbeigekommen. Was er aber nun als Ermahnung an die Menschen richtete, das war das Folgende: „thut Buße und glaubet an das Evangelium.“ Wenn wir nun fragen: was meint denn der Erlöser damit, wenn er sagt: thut Buße! so ist das freilich ein sehr bekannter und geläufiger, aber zugleich in sehr verschiedenen Bedeutungen und auf mancherlei Weise uns vorkommender Ausdruck. Zweierlei können wir dabei vorzüglich unterscheiden. | Das Eine ist dieses: wir verlangen, der Mensch solle Buße thun, wenn er das, was er als recht und gottgefällig erkennt, nicht Kraft hat durchzusetzen und in seinem Leben zur Gestalt zu bringen, wenn er, von einer ihm und seinem inneren Willen feindseligen Macht getrieben, das nicht thun kann, was er doch als recht erkennt und was er auch will; wie der Apostel Paulus diesen Zustand beschreibt in dem Brief an die Römer, wo er sagt: ich habe wohl dem inneren Menschen nach ein Wohlgefallen an dem göttlichen Willen, aber ich kann nicht thun, was ich will, weil ich ein Gesetz in meinen Gliedern fühle, das dem Gesetz in meinem Gemüth widerstreitet und mich gefangen nimmt in der Sünde Gesetz. Das Zweite ist dieses: wenn der Mensch einsieht, daß er das Rechte noch gar nicht gewollt hat und also den ganzen Grund und die ganze Richtung seines Lebens umzuändern sich gedrungen fühlt; so ist das der andere Sinn des Ausdrucks: thuet Buße. Wenn wir nun mit dieser allgemeinen Angabe andere Berichte aus dem Leben des Erlösers vergleichen: so kann uns nicht entgehen, was seine Meinung in unserem Texte gewesen ist. Erinnert euch nur, m. G., einer Erzählung, daß Einer einst zu ihm kam und ihn fragte: was soll ich thun, daß ich selig werde? Da sagte ihm der Erlöser: du kennst ja die Gebote; worauf jener ihm antwortete: ja, die kenne ich wohl, die habe ich aber erfüllet von Jugend an, 28–32 Vgl. Röm 7,22.19f.23 Lk 18,18–21

38–1 Vgl. Mt 19,16–20; Mk 10,17–20; ferner

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was fehlt mir noch? Nun können wir nicht glauben, daß ein Solcher sich werde eingebildet haben, daß er alle die so verschiedenen, so viel Aeußerliches mit in sich begreifenden Gebote des Alten Bundes werde erfüllet haben; aber darauf macht ihn der Erlöser auch nicht aufmerksam. Denn wenn er ihm das würde entgegengetragen haben, so würde jener gesagt haben: ja, das weiß | ich wol, und so habe ich es auch nicht gemeint; aber ich weiß auch, daß dazu jenes jährliche hohepriesterliche Opfer bestimmt ist, welches für die Sünden Aller dargebracht wird, und indem ich mir dieses angeeignet habe, kann ich wol sagen, daß ich das Gesetz erfüllt habe von Jugend an. Aber wir hören auch nicht, daß der Erlöser dem sagt, er solle Buße thun. Das verlangt er von ihm nicht, sondern gradezu, daß er alles Andere solle im Stich lassen und ihm nachfolgen. Warum sagt er ihm nicht, er solle Buße thun? Eben weil in dieser Frage: was soll ich thun, daß ich selig werde, und in der Antwort, daß er Alles, was das Gesetz vorschreibt, gethan, weil darin schon lag, daß er das Rechte wolle, aber das Thun nicht finden könne. In der Frage: was soll ich thun, daß ich selig werde, lag schon die: was soll ich thun, daß ich in das Reich Gottes eingehe, und darin das Hinausgehen über das Gesetz und den äußeren Buchstaben in ein gemeinsames, inneres, geistiges, lebendiges Verhältniß. Darum bedurfte er der Buße nicht mehr, sondern nur der größeren Kraft, um auf dem richtigen Wege fortzugehen und das zu erreichen, was er suchte. Wir dürfen nur dieses Eine gegen die allgemeine Rede des Erlösers halten, um uns zu überzeugen, was er unter dem: „thuet Buße“ hier meint, nämlich daß die Menschen sich wegwenden sollten von dem äußeren Dienst und das Geistige suchen, sich dem entgegenstrecken und von der inneren Ruhe, von dem inneren Frieden, den der Erlöser verkündigte, von jener lebendigen Gemeinschaft mit Gott, wozu er die Menschen führen wollte, in ihrem Inneren erfüllt sein, als dem Gut, welchem sie nachtrachten sollten. Diese gänzliche Umwendung von einem geringeren Ziel zu einem größeren, das der Bestrebungen des Menschen wahrhaft werth sei, die meint der Erlöser, indem er sagt: „thut Buße.“ Indem er sich also nun hier in seiner ersten Rede zu denen schlägt, welche schon etwas Größeres und Besseres erwarteten, denen auch an der Wieder|herstellung eines früheren, schon dagewesenen, allerdings herrlichen und glänzenden Zustandes nicht genügte, – indem er sich nicht auf die Seite derer schlägt, welche nicht auf etwas Größeres gerichtet waren, welche mit der Erfüllung des Gesetzes sich genügen ließen: so wendet er sich eben an diese mit der Ermunterung, daß sie sollten Buße thun und an das Evangelium glauben, sich entschließen, die frohe Botschaft, welche an sie erging, für wahr zu halten, damit dieses nun der lebendige Grund für die neue Richtung ihres ganzen Lebens würde. – Wenn wir dieses betrachten, wie der Evangelist es hier hinstellt; so sehen wir, das ist ein kurzer Abriß von dem öffentlichen 7 Gemeint ist das Ritual am Versöhnungstag (Jom Kippur), vgl. Lev 16; 23,26–32; Num 29,1–11. 10–12 Vgl. Mt 19,21; Mk 10,21; Lk 18,22

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Leben des Erlösers, von seiner Art und Weise, die Menschen, wie sie im Großen versammelt waren, zu ergreifen und in ihrem Inneren anzufassen. Das Folgende führt uns auf einen anderen Theil seiner Wirksamkeit, nämlich auf die Art, wie er sich mit den Einzelnen in Verbindung setzte. Wenn wir die Erzählung unseres Evangelisten mit dem, was uns Johannes in dem ersten Capitel seines Evangeliums erzählt, vergleichen: so lernen wir aus dieser letzten Nachricht, daß damals keinesweges Petrus und Jakobus, oder Andreas und Johannes dem Erlöser unbekannt waren oder er ihnen; denn Johannes und Andreas das waren die zwei, welche Johannes der Täufer zu dem Erlöser hinwies, und Andreas fand bald seinen Bruder Petrus, und wenn gleich Johannes von seinem Bruder Jakobus uns da noch nichts erzählt, so wird er doch, wenn jener auch nicht in der Nähe war, in der Zwischenzeit ihm mitgetheilt haben, was einen so gewaltigen Eindruck auf ihn machte. Und also war das keinesweges die erste Bekanntschaft, welche der Erlöser mit diesen machte; sondern wir müssen es uns denken als eine Fortsetzung derselben. Nun sagt der Erlöser zu ihnen: „folget | mir nach, ich will euch zu Menschenfischern machen,“ offenbar indem er die Bezeichnung dessen, wozu er sie aufforderte, an ihren Beruf anknüpfte, zugleich aber auch allerdings dieses hinzufügte und ihnen zumuthete, daß dieses nun nicht mehr wenigstens die einzige Beschäftigung ihres Lebens sein sollte – denn daß sie auch nachher noch diesen Beruf getrieben, davon geben uns die Erzählungen aller Evangelisten den deutlichsten Beweis – aber die Hauptsache war, daß er den Ruf zu dem, wozu er sie auffoderte, an die Aehnlichkeit mit dem Geschäft, in welchem er sie fand, anknüpfte. Worin, m. g. Fr., besteht nun diese Aehnlichkeit? Das wissen wir freilich schon im Allgemeinen, daß man es mit einer solchen nicht sehr genau nehmen muß, und daß auch solche Aehnlichkeit, die in einer Thatsache vor Augen liegt, benutzt werden kann, wenn es auch nicht Vieles giebt, was dasselbe ist zwischen dem Einen und dem Andern. Wenn wir nun fragen, auf welche Weise erfüllten denn die Apostel als Fischer ihren Beruf: so werden gar mancherlei Täuschungsmittel angewendet, um die Fische in das Netz zu treiben; aber das ist nicht die Aehnlichkeit, die dem Erlöser vorschweben konnte, denn der Erlöser weiß von solchen Täuschungen nichts. Der Erlöser selbst, das finden wir überall in seinen öffentlichen Reden, geht immer rein und klar mit der Wahrheit heraus, ohne sich darum zu bekümmern, wie viel oder wenig davon von den Einzelnen werde aufgefaßt werden, und daher kam es, daß gar Manches, was er sagte, den Meisten eine harte Rede war; aber von Täuschungen, von Verschönerungen und Erleichterungen, um es annehmlicher zu machen, davon wollte er nichts wissen und dazu wollte er auch seine Jünger nicht anleiten. Fragen wir nun gar, wozu übten denn sie als Fischer ihre Kunst an den Fischen: so war es ja doch nur, um sie zu dem Nutzen der Men5–6 Vgl. Joh 1,35–42

36–37 Vgl. Joh 6,60

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schen zu gebrauchen. Und das ist nun wiederum nicht eine Aehnlichkeit mit dem, wozu der Erlöser seine Jünger aufforderte; | denn da gibt es keinen solchen Nutzen zu etwas Anderem. Weit entfernt war er davon, die Predigt von dem Evangelio dazu zu gebrauchen, um die Menschen sei es nun sie geschickter zu machen für etwas in dem äußeren Leben, sei es sie kräftiger zu machen oder folgsamer gegen die einzelnen Regeln desselben, oder gefügiger gegen das, was auch in diesem muß entbehrt werden – nicht zu einem anderen Nutzen, sondern unmittelbar um des Edelsten und Größten in ihnen selbst willen, dazu trieb er, und dazu sollten auch seine Jünger das Werk Gottes an ihnen treiben. Fragen wir nun, was denn für eine Aehnlichkeit übrig bleibt: so ist es wohl nur das Eine, wenn wir die Sache im Allgemeinen betrachten, daß sie es immer mit einer großen Menge zu thun hatten von denen, mit welchen sie ihr Beruf beschäftigte. Das wird jetzt und wurde auch damals von Vielen getrieben als Liebhaberei, die Fische im Einzelnen zu fangen; aber die Fischer hatten es immer mit einer großen Menge zu thun, und um diesen Beruf zu erfüllen, mußten sie sich auch bekümmern um die Gewohnheit und die Lebensweise der Fische im Großen, um zu wissen, wo und zu welchen Tageszeiten sie sie finden könnten in der Menge, wie ihr Beruf es erforderte. Dieses beides sind die Aehnlichkeiten. Der Erlöser wollte die Jünger nun auffordern, daß sie es sollten zu thun haben mit der Menge der Menschen im Großen, an diese ihre Rede richten, an diese das Wort Gottes austheilen nach ihren besten Kräften; aber freilich dazu mußten sie sich auch bekümmern um den Zustand der Menschen, um die Irrthümer und Beschränkungen des Geistes, von denen sie sie loszumachen hatten, um die rechte Art, wie sie ihnen das Ziel anschaulich machen könnten, zu welchem sie sie zu führen hatten. Aber fragen wir uns, wann ist denn das in Erfüllung gegangen, daß die Jünger des Herrn sind Menschenfischer geworden: so müssen wir gleich den ganzen Zeitraum überspringen, während dessen sie in der unmittelbaren Nähe des Erlösers | sich befanden. Das war nur ihre Lehrzeit, und ihr eigentlicher Beruf ging erst an, als der Erlöser nicht mehr unter ihnen war, als sie mit Kraft aus der Höhe erfüllt wurden und zu der großen Menge redeten. Und gewiß, m. Fr., an jenem großen Tage der Pfingsten, wo zuerst aus der ihnen einwohnenden Kraft des Geistes die Predigt vom Reiche Gottes aus ihrem Munde ging, wo sie zuerst einer großen Menge des Volkes sagen konnten, sie sollten Buße thun, daß sie auch Theil daran genommen, daß der Erlöser nicht persönlich sein Ziel an den Menschen erreichen konnte, sie sollten sich nun zu dem Reiche Gottes hinwenden, dem Evangelio glauben und zum Zeichen dessen sich taufen lassen auf den Namen Jesu: da hatten sie zuerst das frohe Bewußtsein, daß nun das Wort des Erlösers an ihnen erfüllt war, daß sie Menschenfischer geworden, daß sie nun die große Menge sammelten in 30–31 Vgl. Lk 24,49 32 Vgl. Apg 2,1–41 Apg 2,22f 36–38 Vgl. Apg 2,38

35 Vgl. Apg 2,38

35–36 Vgl.

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dem Reiche Gottes nach der Verheißung, die er ihnen gegeben, und auf die sie so lange geduldig gewartet hatten. Aber dieser Ruf des Erlösers an sie war nun doch zugleich der Anfang seiner näheren Verbindung mit ihnen, daß er sie eben in eine solche Lehrzeit, welche sie mit ihm verbringen sollten, aufnahm, worin nun sein Bestreben zugleich dahin ging, sie auf die rechte Weise zuzurichten zu dem Dienst, zu welchem er sie bestimmt hatte. Und so, m. a. Fr., so sehen wir eben daraus, wie sich diese beiden Richtungen in dem Leben des Erlösers zu einander verhalten: die eine, wie wir ihn auch finden in unserm Text, es unmittelbar mit der großen Menge der Menschen zu thun habend, um an sie die allgemeine Predigt von dem Reiche Gottes und die Ermunterung zu dem Glauben zu richten, und die andere, wo er es mit den Einzelnen zu thun hatte und sie näher an sich zog. Wie, fragen wir billig, verhält sich Beides zu einander? Offenbar so, daß das letzte Geschäft dem ersten diente; denn | zu dem letzten wurden nur die berufen, welche der Erlöser in näheren Zusammenhang mit sich brachte, um sie zu dem ersten zuzurichten. Und seitdem, m. Fr., ist auch immer die ganze Geschichte der Entwickelung des Reiches Gottes so verlaufen. Ueberall zuerst wendet sich das Christenthum an die große Menge der Menschen; so sind ganze Völker oder Völkerstämme auf einmal oder in kurzer Zeit zu dem Evangelio bekehrt worden. Wenn wir nun den Zustand von diesen betrachten, so ist es freilich leicht zu sagen: ja, da sind auch wie in einem Netz zusammengefangen Gute und Schlechte, Brauchbare und Unbrauchbare. Und doch besteht darin das göttliche Geschäft des Erlösers und seiner Boten. Wenn wir nun auf der anderen Seite sagen: dadurch wird aber den Bedürfnissen des einzelnen Gemüthes nicht genügt; es bedarf eines besonderen Verhältnisses, in welches der Erlöser zu den Einzelnen tritt: so ist das freilich wahr, und wir wissen, daß nur in einem solchen der einzelne Christ seine Ruhe und seinen Frieden findet. Aber das Verhältniß des besonderen Umganges, in welches sich der Herr mit diesen und anderen Einzelnen setzte, hatte nicht diesen Zweck, sondern einen anderen, sie zuzurichten zu jener allgemeinen Arbeit am Reiche Gottes, und das besondere Verhältniß des Erlösers zu den Einzelnen und der Einzelnen zu ihm das soll sich eben aus jener Predigt des Erlösers von selbst entwickeln, und es soll weiter dazu nichts Anderes gehören. Wie nun, m. G., stehen wir denn zu dieser Auffoderung des Erlösers und zu diesem seinem Geschäft? Wir mögen doch wol sagen, m. g. Fr., daß wir alle auch an diesem Beruf des Erlösers Theil haben und zwar ganz auf dieselbe Weise. Jeder soll in dem nämlichen Sinn ein Menschenfischer werden, wie der Erlöser seine Jünger dazu bereitete; nämlich zu demselben Geschäft sollen wir auch durch unser Verhältniß zu ihm gelangen, überall in der Oeffentlichkeit des Lebens wissen, und ohne daß wir es genau wissen, das Zeugniß von ihm abzu|legen, durch Wort und That die Auffoderung zu wiederholen, daß die Menschen sich sammeln sollen in das Reich Gottes und im Glauben an ihn verbunden bleiben, und die Wahrheit des Erlösers durch die Freudigkeit des

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Herzens, durch die Ruhe und Sicherheit des Gemüths, die sich überall kund geben, in das Unbestimmte, Allgemeine hinaus zu verkündigen. Und das ist die rechte Art, wie die Gemeine des Erlösers ergänzt wird in der Mitte seines Reichs. Was sich dann für Verhältnisse unter den Einzelnen bilden: ja, die gleichen den Verhältnissen, in welchen die Jünger unter einander standen; wie wir wissen, daß sie sich gegenseitig darüber beriethen, was sie von dem Erlöser gehört, daß sie mit einander überlegten, was ihnen auffiel, und daß sie sich einander zu befestigen suchten in dem, was sie von ihm empfangen hatten. Das ist das Verhältniß der gegenseitigen brüderlichen Liebe, wodurch wir uns einander kräftigen und stärken sollen und uns mittheilen von den Gaben nach dem Maße, wie wir einander nahe kommen. Aber das soll immer wieder gerichtet werden auf den großen allgemeinen öffentlichen Dienst, dem auch unser ganzes Leben immer soll gewidmet sein, und nur so verrichtet dann die ganze große Gemeine der Christen dasselbe große Werk des Erlösers an dem ganzen menschlichen Geschlecht, auch an dem, das noch fern ist von dem Reich Gottes, und an jedem künftigen, welches unter den Christen heranwächst, um immer wieder das Gemüth von dem Niederen zu dem Höheren hinzuwenden durch den rechten Ruf: „thut Buße“ – denn es ist doch immer das Sinnliche, was sich des Menschen, der heranwächst, zuerst bemächtigt – aber dann auch den frohen Ruf des Glaubens zu verkündigen und die Menschen zu dem Erlöser zu führen. Und nun wendet sich unsere Erzählung noch einmal zu dem allgemeinen Werk des Erlösers zurück, indem sie sagt: „und sie gingen gen Capernaum, und bald an den Sabbathen ging er in die Schule und lehrte, und sie | entsetzten sich über seine Lehre; denn er lehrte gewaltiglich und nicht wie die Schriftgelehrten.“ Da kann sich also der Evangelist nicht enthalten, einen Gegensatz uns vorzuführen zwischen der Lehre des Erlösers, die er eine gewaltige nennt, welche die Menschen zum Erstaunen brachte, und der Lehre der Schriftgelehrten, von der er freilich nichts Anderes sagt, als daß ihr dieses gefehlt hätte. Wir wissen aber freilich recht gut, was die Lehre der Schriftgelehrten war. Sie war nicht eine Lehre, welche den Menschen das Bußethun zurief; sondern die in ihrem bisherigen Leben bleiben wollten, für die war sie eine angemessene Lehre; und da wurde viel Scharfsinn angewendet, die Aussprüche des Gesetzes auf die einzelnen Begebenheiten des Lebens anzuwenden, und je geschickter Einer war, dieses zu thun, je genauer er Bescheid wußte mit dem Gesetz, um überall Rath zu ertheilen und dem Gedächtniß der Menschen Hilfsmittel an die Hand zu geben, wie sie das Gesetz auch könnten festhalten: um desto vorzüglicher war er als Schriftgelehrter. Aber freilich war das nichts als ein mühseliges äußeres Werk, wodurch dem Reich Gottes kein Dienst geleistet wurde; vielmehr je vortrefflicher diese Kunst geübt wurde, um desto weniger beunruhigten sich die Menschen bei ihrem Zustande. Aber die Lehre des Erlösers war gewaltig und nicht wie jene. Dieses Gewaltige bestand nun eben darin, daß sie das Innere ergriff, daß sie den Menschen ein ganz anderes

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Ziel vorsteckte, welches sie vorher nicht kannten. Dadurch entstand denn natürlich, daß eine Sehnsucht in den Menschen erweckt wurde; und wo diese nur erst erweckt war: da hatte der Erlöser schon einen festen Halt an der Seele gefunden; und auf diese Weise zog er die Menschen zu sich, und dieses Gezogenwerden, dieses ihm nicht Widerstehenkönnen war das Gewaltige seiner Rede. Wie machte er es aber, wenn er in den Schulen lehrte? Ebenso wie es da gewöhnlich war, daß er etwas aus den Schriften des Alten | Bundes zum Grunde legte. Aber wie that er es? Er wählte immer das aus, worein eine Beziehung auf das zukünftige, verheißene Reich Gottes konnte gelegt werden, sobald man sich über den Buchstaben erhob und die Sätze nach ihrem inneren Werthe auffaßte. Also dadurch daß er das Alt-Testamentliche in das Neu-Testamentliche hineinwandte; aber nicht mit dem Alt-Testamentlichen so wie es war, in seiner Beziehung auf das Gesetz, in seiner Beziehung auf das äußere Gebot, oder in Beziehung auf das besondere Verhältniß des Volks und seinen wenn man es genau nehmen will nur scheinbaren Vorzug vor anderen. Es so zu betrachten, das war die Sache der Schriftgelehrten. Und so sollen wir denn, m. g. Fr., auch das Beides wohl von einander unterscheiden. Wenn wir es nun grade umkehren wollen und das Neu-Testamentliche in das Alt-Testamentliche zurückziehen, oder das Alt-Testamentliche zum Gegenstande der Lehre und des Glaubens machen: dann gehen wir ganz von dem Wege des Erlösers ab, so stellen wir den Zustand wieder her, den der Erlöser vernichten wollte, so verringern wir den Glauben an den Erlöser, indem wir die Menschen zu dem Gesetz zurückführen; sondern auf das Reich Gottes, auf das Verhältniß der Menschen zu diesem Reich Gottes, auf die rechte Richtung des ganzen Lebens und Wesens, auf die Gemeinschaft mit Gott lasset uns sehen, aber nicht auf die einzelnen Worte, nicht auf die einzelnen Vorschriften, nicht auf die einzelnen Thatsachen in ihrer Erklärung und Deutung. Wenn wir darauf unser Werk und unsere Mühe richten: so ist es vergeblich und ist nicht das Werk Christi. Das Reich Gottes, die frohe Botschaft, daß der Mensch zu der Gemeinschaft mit dem gelangen kann, welcher als das Ebenbild Gottes auf dieser Erde gewandelt ist, die Gestaltung eines gottgefälligen gemeinsamen Daseins in der lebendigen Aehnlichkeit mit dem Erlöser, die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit das muß das Ziel sein aller Predigt, die Form aller Lehre und | dahinter muß Alles das, was dem Alten Bunde angehört, ebenso zurückbleiben, wie das was der heidnischen Weisheit angehört. So nur bleibt die Gewaltigkeit der Lehre des Erlösers; sonst zersplittern wir sie in das Einzelne, Kleinliche und machen sie ähnlich der todten Lehre der Schriftgelehrten. Dazu, m. g. Fr., müssen wir demnach Alles, was uns von dem Erlöser gesagt wird, im Allgemeinen und Einzelnen anwenden, daß wir uns immer mehr in sein Werk hineinversetzen, daß wir es immer weiter treiben; dazu sollen wir 32–33 Vgl. Joh 4,23f

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uns alle vereinigen, das soll jeder in der Gemeinschaft mit allen und für sich allein treiben, und so wird er uns denn auch alle, wenn wir auf ihn sehen und an ihm festhalten, zu Menschenfischern machen, die da helfen, die menschlichen Seelen in die Gemeinschaft mit ihm zu bringen und in derselben zu erhalten, in der allein Friede und Seligkeit ist. Amen. Lied 115, 8–9.

6 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 115: „Auf, schicke dich“ (Melodie von „Wir Christenleut’“) hat lediglich sieben Strophen. Gemeint ist vermutlich Nr. 105: „Sey hochgelobt“(Melodie von „Preis, Lob, Ehr, Ruhm“); Strophen 8 und 9 lauten: „Durch Jesum Christum, unsern Hort, erkennen wir den Weg der Wahrheit, und wachsen immer fort und fort im Lichte zur vollkommnen Klarheit. Du selber bist das glänzend helle Licht, das in dem Sohn die Finsterniß durchbricht. // Lebt in uns Christi Sinn und Geist, dann sind wir auch mit dir verbunden; was ist noch, das uns dir entreißt? wir haben volle Gnüge funden. In ihm sind wir voll Ruh’ und Sicherheit, und schmecken schon des Himmels Seligkeit.“

Am 18. September 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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16. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 7,12 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. IX SW II/3, 1835, S. 80–91; 21843, S. 84–95. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 185–194. Keine Keine

Am 16. Sonntage nach Trinitatis 1831.

Lied 3. 671. Text. Matth. VII, 12. „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen; das ist das Gesez und die Propheten.“

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M. a. Fr. In der Bergpredigt, wie wir die Rede des Erlösers zu nennen pflegen, aus der die verlesenen Worte genommen sind, hatte er nicht seine Jünger allein vor sich, sondern sie zwar auch aber außer ihnen einen großen vermischten Haufen des Volks; so daß wir bei den einzelnen Aussprüchen dieser Rede oft zweifelhaft werden können, ob sie nur gemeint sind für die Jünger des Herrn, oder ob es vielmehr allgemeine Vorschriften und Rathschläge sind, welche sich auf das menschliche Leben überhaupt beziehen und nicht grade und ausschließend ein solches Verhältniß wie seine Jüngerschaft voraussezen. So kann es uns nun auch mit diesen Worten gehen, welche von der Art sind, daß sie aus seiner Rede in den Mund eines Jeden übergegangen sind, | daher wir sie auf die mannigfaltigste Weise verstanden, und den verschiedensten Gebrauch davon gemacht sehen. Wenn wir nun noch dazu das beachten, daß der Erlöser der Regel, welche er hier giebt, die Worte hinzufügt, Das 2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 3: „Ach Gott, verlaß mich nicht“ (Melodie von „O Gott, du frommer Gott“); Nr. 671: „Du, aller Menschen Vater“ (Melodie von „Nun ruhen alle Wälder“) 6–7 Vgl. Mt 5–7 8–9 Vgl. Mt 4,25 und 5,1

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ist das Gesez und die Propheten: so kommt man leicht auf den Gedanken, diese Stelle gehöre ganz vorzüglich zu denen, wobei er sein Augenmerk zunächst auf diejenigen gerichtet habe, welche dem Reich Gottes, das er begründen sollte, noch nicht angehörten, sondern noch darin, daß sie dem Gesez genügten, und auf die Stimme der Propheten hörten, ihre Seligkeit und ihre Gerechtigkeit bei Gott suchten. Aber doch hatte er auch sie vorher schon eingeladen zu seinem Reich, seine Predigt, daß das Reich Gottes nahe herbeigekommen sei, war schon ergangen, ja er hatte in dieser Rede selbst schon früher jene große Vorschrift gegeben, daß wir zuerst trachten sollen nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, und zwar so, daß uns nach nichts Anderem zu trachten übrig bliebe, sondern alles Andere uns nachher nur zufallen sollte. Darum nun konnte er doch hier nicht eine Vorschrift geben wollen, welche seine Zuhörer zwar darin bestärkt hätte, nur das Gesez zu erfüllen und den Vorschriften der Propheten zu folgen, welche aber zu gleicher Zeit jener Regel, nach dem Reich Gottes zu trachten, nicht angemessen gewesen wäre; denn dann hätte er sie selbst durch das, was er ihnen gegeben, in ihrem bisherigen Zustande zurükkgehalten, und sie von dem Tichten und Trachten nach dem Reich Gottes noch weiter entfernt, wenn sie doch in jener Regel schon Alles fanden, was ihr Gewissen von ihnen forderte. Darum nun, m. g. Fr., ist das eben die eigenthümliche Beschaffenheit dieser Vorschrift | des Erlösers, und das sei dann die Beziehung, in welcher wir sie zum Gegenstand unsers heutigen Nachdenkens machen wollen, auf der einen Seite, daß wir nichts an derselben haben, sobald wir nicht von jener anderen Regel des Herrn, daß wir allein nach dem Reich Gottes trachten sollen, ausgehen; daß aber auf der andern Seite, wenn wir hievon ausgehen und diese Regel auf jene beziehen, wir dann gewiß die vollkommenste und hinreichendste Vorschrift für Alles, was das Verhältniß zu unsern Brüdern betrifft, darin finden. So zerfällt denn von selbst die Betrachtung, welche ich anstellen will, in diese beiden Theile: zuerst daß wir uns das deutlich machen, wie diese Vorschrift des Erlösers ganz nichtig sei und leer, wenn man sie nicht in Beziehung bringt mit der, daß wir nur nach dem Reich Gottes trachten sollen, sodann aber haben wir sie in Beziehung auf jene von allen Seiten mit einander zu erwägen.

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I. Wenn wir uns nun denken, m. a. Fr., den Menschen der nach dem Reich Gottes noch nicht trachtet, welches unser Erlöser zu begründen gekommen ist: so haben wir freilich nicht sogleich vorauszusezen, daß er eben nur dem sinnlichen Wohlbefinden nachgeht. Allerdings wird sich auch

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in ihm eine Stimme kund geben, die etwas anderes von ihm fordert; aber im Streit ist er gewiß zwischen diesen beiden Richtungen seines Gemüths, und muß daher suchen beide so gut es sich thun läßt mit einander zu vereinigen. Daraus entsteht dann allerdings zuerst eine Neigung, die Vorschriften die das Gewissen aufstellt, die Foderungen, welche es an uns bringt, auf eine solche Weise zu stellen, | daß sie unserem Trachten nach dem, was dem Leben in dieser irdischen Welt einen Reiz geben und unsere Anforderungen an dasselbe befriedigen kann, nicht im Wege stehen. Und so sehen wir denn auch, wie ein großer Theil der Menschen es so und nicht anders zu halten pflegt. Der Unterschied zwischen Recht und Unrecht, zwischen gut und böse ist uns Allen eingeprägt, und Keiner verläugnet ihn: aber wenn es nun darauf ankommt, daß gethan werden soll was gut und recht ist, dann finden wir leider oft genug den Preis, um welchen es allein erreicht werden kann, zu theuer; dann entsteht jenes sich gegenseitig Anklagen und Entschuldigen der entgegengesezten Gedanken des Menschen. Wenn nun hieraus ein Wechsel zwischen Verlangen und Zurükkstoßen, zwischen Befriedigung und Reue entsteht, der das Bewußtsein von der menschlichen Schwäche und Gebrechlichkeit sehr lebhaft hervorruft: so gefallen sie sich in demselben nicht grade wohl, aber sie lassen es sich doch gefallen; sie wünschen doch, daß diese Schwäche berükksichtigt werde, sie wollen die Foderungen an sich nicht zu hoch spannen und wollen, daß auch von Anderen dies nicht geschehe. Wohlan, was für eine Anwendung von jener Vorschrift des Erlösers entsteht auf diese Weise? Nun wohl, sagen sie, es gelte, Was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen auch! Wir wünschen lebhaft, daß Andere Nachsicht haben mögen mit unseren Schwächen, daß sie die Augen möglichst gegen dieselben verschließen und ruhig an uns vorübergehen mögen, als ob sie es nicht merkten, wenn wir uns leichter, als es eigentlich geschehen sollte, mit unserm Gewissen abfinden; dasselbe wollen wir ihnen nun auch gern leisten! und so bestärkt | denn Jeder den Andern in dieser sittlichen Schlaffheit, die sich überall einschleicht und überall nur zu bald herrschend wird, wo der Blikk nicht ganz allein auf das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit gerichtet ist. Daß nun eine solche Handlungsweise nicht dasjenige sein kann, was der Erlöser bei seinen Worten muß im Sinne gehabt haben, ist klar; aber ich habe mehr gesagt, ich habe gesagt, wir hätten an denselben, wenn wir von jenem Hauptgrundsaz absehen, gar nichts, überall nicht eine mit sich selbst zusammenstimmende Vorschrift, welche uns auch nur im mindesten genügen könnte um uns zu leiten in unserm Thun. Denn gesezt wir wollten uns auf jenen Vertrag mit anderen Menschen 14–16 Vgl. Röm 2,15

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einlassen, daß wir eine feigherzige Nachsicht mit ihren Schwächen haben, wenn sie nur dieselbe mit den unsrigen haben: so werden wir finden, daß er sich wieder auflöst, weil sich hierin nicht Alle gleich verhalten zu uns. Bei jeder Gelegenheit werden wir, wenn auch die Uebrigen alles gut sein lassen, doch immer in Streit kommen mit Einigen, mit denen nämlich, deren besonders ihnen angewiesenes Berufsgebiet wir stören und verlezen durch unsern Fehltritt. Nun hat aber ein Jeder seinen eignen Beruf und besondern Wirkungskreis, in welchem er nicht nur ungestört sein will, sondern auch gefördert zu werden verlangt. Wenn es also Viele giebt, die da sagen: Nun wohl, laß mir das durchgehen, es soll dir das Gleiche geschehen: so werden auf der anderen Seite welche stehen, die sich berufen auf das, was ihres Amts und ihrer Pflicht sei, und wogegen sie sich nicht dürfen einen Einspruch gefallen lassen, und werden dann sagen, Das wirst du auch verlangen in dem Kreise deines Berufs, daß er nicht ge|stört werde durch die Nachsicht und die Schwäche Anderer, daß nicht in den Kreis deiner Pflichten ein Einspruch geschehe, und Du dem nicht nachkommen kannst, was Dir obliegt. Und so indem es auf der einen Seite geht, geht es auf der anderen nicht, und das Leben bleibt getheilt und zerrissen. Aber wenn wir nun an den verschiedenen Zustand derer denken, die noch nicht allein nach dem Reich Gottes trachten, und also doch zulezt mehr oder weniger Alles, was ihre Vernunft oder ihr Gewissen von ihnen fodert, auf Ordnung und Wohlstand, auf den Reichthum an irdischem und ich will auch sagen würdigem Genuß des menschlichen Lebens beziehen: so heißt dann für Einige das Wort, was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen auch, soviel, Ich will gern, daß Alle, die mich erreichen können, die mir irgend einen Beistand zu leisten vermögen, sich auch meiner annehmen, so oft ich selbst nicht im Stande bin, mein Leben in dem rechten anmuthigen Gang zu erhalten; daß sie mir ihre Hülfe nicht versagen, wenn es darauf ankommt, irgend einen dringenden Wunsch meines Herzens zu befriedigen; vielmehr bereit sind, mit ihren Gaben mir beizustehen in dem Kreis meines Lebens; ich will eben deshalb auch dasselbe thun in dem ihrigen. Aber zugleich giebt es immer auch Andere, die den größeren Werth nicht darauf legen, was und wieviel ihnen zu Theil wird, sondern darauf daß sie alles, was sie als ein Gut und einen Genuß des Lebens mitzählen, sich selbst verschafft haben. Nur das, sagen sie, habe einen Werth für den Menschen, was sein eigenes Werk sei; und so wollen sie sich soviel möglich in sich selbst abschließen mit ihrem | Trachten und ihrem Streben. Lieber, sagen sie, möge mir dieses ober das nicht gelingen, lieber will ich dieses oder jenes entbehren, als daß ich mich immer sollte an den Beistand anderer Menschen verweisen lassen; ich begehre nichts von ihnen, als daß sie mich ruhig gehen lassen und mich nicht stören; aber deshalb, weil

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ich selbst sie auch nicht weiter in Anspruch nehme, will ich ihnen auch nichts anderes leisten, damit sie es recht deutlich sehen, was meines Herzens eigentliche Meinung sei. Und so sehen wir, m. g. Fr., wie die verschiedensten Lebensansichten und Lebenswege sich so vereinigen lassen mit diesen Worten des Herrn, daß wir eigentlich gar nichts daran haben, indem, wenn wir dem Einen thun, was wir von ihm wollen geleistet haben, wir ihm nicht das thun, was er von Andern will gethan haben. Aber das kann des Erlösers Meinung nicht gewesen sein, daß so ganz verschiedene und sich unter einander aufhebende Ordnungen des Lebens aus einer und derselben Regel hervorgehen sollen. Aber noch mehr. Wenn wir den gewöhnlichen und herrschenden Sinn der Menschen, denen das Reich Gottes nicht der erste und einzige Gegenstand ihres Tichtens und Trachtens ist, betrachten: so hat dann, wenn wir auch nicht bloß den sinnlichen sondern den geistigen Werth des Lebens mit in Anschlag bringen, doch Alles gar sehr seine Beziehung auf die in der menschlichen Gesellschaft herrschende Ungleichheit. Je mehr sich diese entwikkelt hat, um desto zusammengesezter aber auch um so reicher ist das Leben, und nur in dem aufeinander und miteinander Wirken von dieser Ungleichheit aus entsteht das ganze Gebäude eines solchen menschlichen Daseins wie das unsrige. Wenn wir aber auf | die Ungleichheit der Menschen sehen, so verliert die Regel des Erlösers ganz und gar ihre Anwendbarkeit, mögen wir sehen, auf welches von den wichtigsten und bedeutendsten Verhältnissen der Menschen wir nur wollen; und es scheint als sei sie auf eine Gleichheit berechnet, die gar nicht vorhanden ist. Denn der welcher untergeordnet ist, kann nicht von dem, welcher über ihm steht, dasselbe verlangen, was er zu leisten hat; der, welcher im Mangel ist, kann von dem, welcher im Ueberfluß ist, nicht das verlangen, was er zu leisten hat, und je mehr wir also auf diese Verwikklungen und diese Mannigfaltigkeit der menschlichen Verhältnisse sehen, um desto weniger scheint die Regel des Erlösers brauchbar zu sein. – Man hat sich freilich eine Hülfe hiegegen erfunden, um unsere Worte doch auch in diesem Sinn anwendbar zu machen, indem 31–6 Diese Interpretation der Goldenen Regel findet sich sowohl in der exegetischen Literatur zum Neuen Testament als auch innerhalb philosophischer Erörterungen. Vgl. etwa Gratz: Kritisch-historischer Kommentar über das Evangelium des Matthäus, Bd. 1, S. 401: „Nach dieser Weisung soll man bey allen Handlungen und allem Betragen gegen andere Menschen, sich in die Lage derselben setzen, und überlegen, was man sich wohl in solcher wünschen würde, und mit Billigkeit erwarten dürfte.“; Leibniz: Nouveaux essais sur l’entendement humain I, Kap. 2 § 4, Oeuvres philosophiques latines et françoises de feu Mr. de Leibnitz, ed. Raspe, S. 48: „Le veritable sens de la regle est, que la place d’autrui est le vrai point de vue pour juger équitablement lorsqu’on s’y met.“; vgl. Philosophische Schriften, ed. Holz/Herring/Engelhardt, Bd. III/1, S. 56/57.

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man gesagt hat, sie könnten nur so ausgelegt werden, daß wir Andern thun sollten, nicht sowol was wir für uns wollen, als vielmehr was wir wünschen würden geleistet zu erhalten, wenn wir uns an ihrer Stelle befänden. Dieses uns an die Stelle der Andern sezen sei das Mittel, wodurch die scheinbare Unanwendbarkeit der Regel des Erlösers ausgeglichen werde. Aber was entsteht daraus? Zunächst freilich wie es scheint, daß wir dem Obern Gehorsam leisten, und dem Niederen Schuz verleihen, wie wir beides selbst wünschen würden; genauer betrachtet aber folgt nur dasselbe, worauf ich vorher schon hingewiesen habe. Kann es wohl eine und dieselbe Art sein, wie der Eine sich an die Stelle des Andern sezt? werden nicht auch so alle die verschiedenen Sinnesarten der Menschen ihr Recht behaupten? und muß dann nicht eben das daraus entstehen, daß, indem Alle dieselbe | Regel anwenden, in demselben Fall doch der Eine dieses thut, der Andere das Entgegengesezte? So ist es dann nicht anders möglich, als daß diese Regel des Erlösers, statt das Leben in Ordnung zu bringen, statt eine ausreichende Vorschrift dafür zu sein, Allen denen, die noch nicht von jener anderen Regel durchdrungen sind, nur nach dem Reich Gottes zu trachten, unnüz ist, und das Leben nur der Willkühr preis giebt statt es zu ordnen. Statt daß daraus eine Uebereinstimmung entstände, giebt sich nur die Mannigfaltigkeit zu erkennen, wie Sinn und Geist der Menschen auseinander gehen; und es gehört wenig Kunst dazu und wenig von jener unseligen Uebung, die sich überall findet, wo die Gedanken der Menschen sich unter einander bald entschuldigen bald anklagen, um so auch das, was am Meisten von dem Gedanken des Herrn entfernt ist, doch in Uebereinstimmung zu bringen mit seiner Regel. So wenig nun dies die Meinung des Erlösers gewesen sein kann: eben so wenig hätte er dadurch auch dem genügt, was er selbst sagt, daß nämlich diese Regel gleich sein soll dem Gesez und den Propheten. Denn auch diese suchten doch eine Uebereinstimmung in das Leben zu bringen, und alle die mannigfaltigen Vorschriften, aus denen das Gesez besteht, wollten doch von Allen auf dieselbe Weise verstanden und ausgeübt werden; aber eben dieses kann der Regel des Erlösers, so lange wir so gegen jene andere stehen, nicht nachgerühmt werden. II. Lasset uns daher nun sehen, wenn wir die Worte unsers Textes auf jene Regel beziehen, daß wir nach dem | Reich Gottes und seiner Gerechtig15 dann] SW II/3, S. 85: denn 23–24 Vgl. Röm 2,15

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keit trachten sollen, ob sie dann ausreichend sind für unser ganzes Leben, welches wir unter einander und mit einander zu führen haben. Zu diesem Ende nun, m. g. Fr., müssen wir zunächst Einiges in Betrachtung ziehen, was man gar leicht zu übersehen pflegt bei dem Nachdenken über diese Vorschrift des Erlösers und über die Art und Weise sie anzuwenden. Wenn er sagt, Was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen auch: so sagt er also nicht, Was sie euch gethan haben, was ihr von ihnen eurem Wunsch und Willen gemäß erlangt habt, das thut ihr ihnen wieder. So stellt er sie nicht, sondern die, welche eine Regel des Lebens von ihm annehmen wollen, die sollen auch mit der Befolgung derselben vorangehen. Was ihr wollt, sagt er, daß euch die Leute thun sollen. Ohne euch zu bekümmern, ob sie es schon gethan haben oder nicht, ohne daran zu denken, ob sie nicht das Gegentheil davon thun werden, sollt ihr ihnen das thun, wovon ihr wollt, daß sie es euch thun, und sollt also ihnen darin vorangehen. Auf diese Weise verschwinden dann gleich eine große Menge von den Schwierigkeiten, welche sich der Ausübung dieser Regel entgegenzustellen scheinen. Wenn ein solcher Jünger des Herrn, der nur nach dem Reiche Gottes trachtet, welches der Erlöser begründet hat, seine Augen um sich her wirft auf seine Brüder, die ihn umgeben: was kann er wollen, daß sie ihm thun sollen? Offenbar doch nichts Anderes, als daß sie ihn fördern mögen eben in diesem Tichten und Trachten, wovon er allein etwas weiß! Dasselbige also soll er ihnen zuerst thun. So, m. g. Fr., ist die christliche Kirche, wie wir sie sehen, ganz und gar aus der Befol|gung dieser Regel des Herrn entstanden. Jeder fühlte es und mußte es fühlen, der durch den Erlöser zu der Erkenntniß Gottes und des göttlichen Willens gekommen war, daß, je mehr Unterstüzung er in dem Tichten und Trachten nach dem, was vor ihm liegt, in dem Streben nach diesem Ziel von Seiten seiner Brüder hat, um desto schneller werde er sich demselben nähern, mit desto weniger Hindernissen werde er zu kämpfen haben, desto mehr Erfolg werde ihn erwarten. Darum mußten nun die Jünger des Herrn zuerst suchen, das Tichten und Trachten nach dem Reiche Gottes den Menschen einzupflanzen, damit, wenn sie ihnen dieses erst mitgetheilt hätten, dann eine gegenseitige Unterstüzung in diesem Streben statt finden könne, und dann jeder auf dem gemeinsamen Wege den Anderen thue, was er von ihnen erwartet. Das ist nun auch jezt noch das erste Vorangehen derer, welche der Regel des Erlösers folgen wollen; in diesem Sinne thun wir unsern Kindern was wir von ihnen erwarten; aber so, m. g. Fr., geht es dann auch immer weiter. Ein jedes menschliche Verhältniß soll ja mit eingefügt werden in das Reich Gottes; wo wir also 8 auch:] so auch SW II/3, S. 85; Textzeuge: auch;

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eins anknüpfen oder in ein bestehendes eintreten: da nehmen wir auch gleich Bezug auf den einzigen Gegenstand unseres Trachtens, benuzen gleich unsere Stellung für das Reich Gottes, damit uns auch von da aus eine Förderung in demselben werde. Was haben wir also zu thun, als daß wir unseren Brüdern, wenn sie es noch nicht so gefaßt haben, Alles aus diesem Gesichtspunkte zeigen, daß wir ihr Auge auf diesen Gegenstand hinrichten, und ihrem Willen diese Richtung zu geben suchen? und so ergeht brüderliche Ermahnung und Zurechtweisung an Alle, | damit sie uns auch fördern können in dem Tichten und Trachten unseres Herzens. Wollen wir nun noch weiter gehen und wollen auch fragen, ob in unsern Handlungen gar keine Beziehung sein dürfe auf das, was dieser Welt angehört und aus ihr stammt, auf alles das, meine ich, wovon der Erlöser sagt, daß es denen, welche nach dem Reich Gottes trachten, freilich so oder anders, viel oder wenig und auf die mannigfaltigste Weise aber doch immer irgend wie zufalle? Wir dürfen nur jenes Verhältniß festhalten, um gar leicht gewiß darüber zu werden, was die Worte unsers Textes in dieser Hinsicht von uns verlangen. Wenn wir nur nach dem Reiche Gottes trachten: so hat auch alles Andere für uns nur in sofern einen Werth, als wir es dazu gebrauchen und dazu verwenden können. Denselben Werth haben also auch für uns alle irdischen Güter, die wir im Besiz und Bereich unseres Nächsten finden. Wir verlangen dann auch von unseren Brüdern eine gleiche Behandlung aller irdischen Güter, welche sie besizen; alles was jeder in seiner Macht hat, sofern es nur als ein Werkzeug des göttlichen Geistes gehandhabt werden kann, soll auch von jedem nur gebraucht werden für das Reich Gottes. Keiner soll darüber hinaus etwas festhalten wollen zu eignem Besiz oder Genuß; Keiner soll an irgend etwas seine eigene Ehre und seinen eigenen Ruhm suchen; sondern alles, was uns bald so bald anders zufällt, soll nur leicht und lose an jedem hängen, damit er es benuzen könne auf jede Weise, wie es zu der Förderung des Reiches Gottes beitragen kann. Und weil wir nun dieses aus Liebe zu dem Reiche Gottes von unsern Brüdern begehren, so sollen wir billig | damit beginnen dasselbe auch zu thun. Was sie von uns und dem unsrigen gebrauchen können, zu dem was ihnen obliegt an dem Reiche Gottes, dazu sollen wir ihnen bereit sein, und ihnen durch unser ganzes Leben zu erkennen geben, daß Alles was irdische Gabe, alles was das Werk menschlicher Kraft ist, von uns nur erhalten und aufbewahrt wird für das Reich Gottes. Wer zu solchem Behuf Anspruch machen kann an irgend etwas, das noch ungebraucht da liegt, dem sollen wir bereit sein es zu geben, damit, wenn wir in den gleichen Fall kommen mit Andern, wir ein Recht haben, dasselbe auch 14–16 Vgl. Mt 6,33

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von ihnen zu fordern. Das heißt den Leuten thun, wovon wir wollen daß sie es uns auch thun. Aber keinesweges soll dieses unser Vorangehen dadurch bedingt werden, daß uns die Andern auch nachfolgen, sondern die Regel bleibt für das ganze Leben ungeändert, daß wir das thun, wovon wir wollen, daß es die Leute auch thun sollen. Wir wollen aber immer eben dieses, mögen sie es schon gethan haben oder noch nicht; also soll auch das in unserem ganzen Betragen keine Aenderung hervorbringen, überall sollen wir das thun, wovon wir wollen, daß andere es auch thun. Wenn sie dann nicht nachgehen, so haben wir das Unsere gethan. Wenn sie daher den Weg, den wir ihnen vorangehen, nicht einschlagen; wenn sie alles was Gott ihnen giebt, nicht auf dieselbe Weise gebrauchen, und in einem festen Bund der gemeinsamen Wirksamkeit für das Reich Gottes nicht mit uns stehen und ausharren: so sollen wir doch immer bei demselben Verfahren bleiben, und nie aufhören zu hoffen, daß das, was wir thun, früher oder später seines Eindrukks auf sie nicht verfehlen werde. So werden wir | indem wir der großen Regel, Alles auf das Reich Gottes zu beziehen, treu bleiben, auch bei der Anwendung der in unserm Text enthaltenen nie in Gefahr kommen uns einer Verantwortlichkeit auszusezen, wie wenig Nachahmung wir vielleicht auch finden, wie wenig dieselbe Liebe, dieselbe Bereitwilligkeit uns auch entgegenkomme. So liegt in den Worten des Herrn die Unerschöpflichkeit der Liebe, welche freilich nur der predigen konnte, der so ganz der Abglanz des göttlichen Wesens war, daß sein ganzes Thun und Sein nichts war als Liebe! Aber auch nur die können ihm folgen und seine Regel in der Wahrheit beobachten, welche von derselben Liebe durchdrungen sind. Darum ist es auch Eins und dasselbe, ob wir sagen, wir sollen überall Anderen das thun, was unsere Verpflichtung auf das Reich Gottes von uns fodert, oder ob wir sagen, wir sollen ihnen das thun, wovon wir wollen, daß sie es uns auch thun, oder ob wir sagen, wir sollen ihnen überall so vorangehen, daß wir ihnen zeigen, wozu die Liebe Christi uns dringt, damit diese auch sie dringe, und wir dann auch aus ihnen die Liebe Christi herausscheinen sehen, denn daß ist ja unser innigstes Verlangen, daß wir diese überall wahrnehmen, daß sie in allen Lebensäußerungen der Menschen, die seinen Namen gehört haben, sich zeige und verkündige. Das Zweite, m. g. Fr., in den Worten unseres Textes, was man auch weniger zu beachten pflegt, ist nun dieses. Wenn der Erlöser sagt, was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen auch: so knüpft er damit unser Thun an das Bewußtsein eines Bedürfnisses, welches wir haben, wenn wir doch wollen, daß sie | uns etwas thun sollen; 31–32 Vgl. 2Kor 5,14

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und die Regel, welche er uns giebt, läßt sich also zugleich auch so fassen, Alles, was wir den Menschen thun, das sollen wir ihnen nur thun in Beziehung auf dieses Bedürfniß, welches wir haben, daß sie es uns wieder thun. Was, ich bitte euch, was ist wohl geschikkter, alle Ungleichheiten unter den Menschen auszugleichen und sie eben dadurch in das rechte Verhältniß gegen einander zu stellen, welches nur dann gebührend anerkannt wird, wenn sich ihm alle andern unterordnen, das Einige nämlich, welches allein in dem Reich Gottes unter uns Statt findet. Oder was ist da für eine Ungleichheit, m. g. Fr.? Wir sind ursprünglich Alle Genossen derselben Schwachheit, desselben Verderbens, woraus keine Rettung war als nur durch die Hülfe, die uns aus der Höhe gekommen ist; wir sind in dem Reiche Gottes Alle Genossen derselben göttlichen Kraft, die aus demselben auf uns einströmt, derselben göttlichen Liebe, die sich so unser angenommen und erbarmet hat, desselben höheren Lebens, das auf diese Weise in uns ausgegossen ist. Wir mögen auf das Eine sehen wie auf das Andere, auf das Frühere oder auf das Spätere, gegen diese doppelte Gleichheit was will alle Ungleichheit in den äußeren Verhältnissen der Menschen, ja sogar was will alle Ungleichheit in der Entwikkelung ihrer Gaben und geistigen Kräfte sagen! Aber wie verschwindet nun diese Ungleichheit ganz? Wenn wir überall was wir unsern Brüdern thun auch so thun, daß sie gleich erkennen müssen, wir thun es, weil wir das Gleiche von ihnen bedürfen! Unter keinem anderen Titel, unter keiner anderen Ueberschrift sollen wir den Menschen etwas thun, als weil und sofern es das ist, was wir von ihnen auch | bedürfen. Wo bleibt da irgend eine schmeichlerische Bestärkung übrig für den menschlichen Hochmuth, wo bleibt da ein trügerisches Bewußtsein von einer Erhabenheit über unsere Brüder, womit wir uns sonst wohl aufblähen können? Wir als Einzelne sind ihnen und sie eben so uns nichts anderes als Mittel und Werkzeuge der göttlichen Gnade. Weiter, als was hierin liegt, können wir ihnen nichts leisten, und das müssen sie uns auch leisten, weil durch nichts anderes als durch das Leben der Menschen, die von dem Geist Gottes getrieben werden, dieser sein Werk festhalten und weiter führen kann im Großen und in jedem Einzelnen. So haben wir denn auch nichts anderes als das Bewußtsein der brüderlichen Gleichheit, der gegenseitigen Abhängigkeit, und das bleibt eben so fest, wie unsere Befolgung der Vorschrift des Erlösers nicht abhängig sein soll von dem, was andere Menschen nun wirklich thun oder nicht. Sehet da, m. g. Fr., in diesem Beiden zusammengenommen müssen wir zur Genüge erkennen, wie ausreichend für das ganze Leben die Regel des Erlösers ist; so daß wir auch getrost sagen können, alles was wir noch außerdem den Brüdern thun wollten, wenn auch in der besten Meinung, das würde doch vom Uebel sein. Wenn uns auf diese Weise

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alle jene scheinbaren Widersprüche verschwinden, sobald wir nur von der Richtung auf das Reich Gottes ausgehen, und also die Beziehung auf die göttliche Liebe festhalten: so laßt uns nun auch keine andere Liebe geben und empfangen wollen als diese allein aus der Quelle der göttlichen Liebe entspringende, und mit allem unserm Thun an den Menschen keinen anderen Zwekk haben wollen und kein anderes Ziel erreichen, wie wir denn auch kein anderes | zu erreichen hoffen können, als nur dieses, daß durch sie wie durch uns und in uns das Reich Gottes gebaut, gemehrt und gefördert werde. Und, m. th. Fr., wenn wir in diesem Sinn bei dieser Regel bleiben, so schlicht und einfach sie ist, so wird auch unser ganzes Leben immer mehr einkehren in diese rechte Einfalt der Kinder Gottes. Wie wahr ist der Ausspruch der heiligen Schrift, Gott hat den Menschen einfach geschaffen, aber sie suchen viele Künste! Was sind es Alles für Künste, welche in der gewöhnlichen Anwendung oder, daß ich es grade heraussage, in dem gewöhnlichen Mißbrauch dieser Regel des Erlösers angewendet werden! was für Künste, durch welche die Menschen sich immer hier und da eine Vorschrift machen und hier und da wieder eine Ausnahme, und so zurükkehren unter die bunte Mannigfaltigkeit des Gesezes! Wir aber haben in dieser Regel das Gesez und die Propheten in einem höheren Sinn! In ihr nämlich hat jeder ein vollkommenes Bild des göttlichen Willens, welches ihm gebieten wird; in dieser hat jeder eine Stimme der göttlichen Mahnung, welche ihn leiten wird, so stark und so kräftig, wie es nur je die Stimme der Diener des alten Bundes der Propheten gewesen ist mitten unter den Verkehrtheiten des Volkes. Wir dürfen sie nur vernehmen, um uns so kräftig aufgeregt zu finden durch dieses einfache Wort des Herrn, daß keine menschliche Kunst und Beredsamkeit auch nur das Mindeste hinzufügen kann. Aber wir haben darin das Gesez und die Propheten in dieser neutestamentlichen Gestalt, daß sie nicht wieder eine Vorschrift ist, sondern das lebendige Bild des Erlösers, daß wir nicht mehr bedürfen bald dieser bald jener izt so izt an|ders gestalteten Ermahnung sondern immer derselben, die Liebe kund zu geben in unserem Leben, und dadurch zu verkünden, daß die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist als Regel und Richtschnur unseres ganzen Lebens. Einzelne Vorschriften aber brauchen wir nicht und sollen wir auch nicht wollen als nur auf vorübergehende Weise, damit jede einzelne nicht anders erscheine denn als eine einzelne Anwendung dieser allgemeinen Regel. Aber ebenso werden wir auch bekennen müssen, daß wir an dieser Regel unser ganzes Leben werden zu lernen haben, und an ihr lernen müssen. Immer werden wir noch genauere, schärfere Anwendungen derselben entdekken als die, woran 13–14 Vgl. PredSal 7,29 (alte Zählung 7,30)

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wir uns bisher haben genügen lassen. Immer werden wir uns das Ziel noch höher stekken, so oft wir sie uns bei einer besonderen Anregung, welche das Leben giebt, vor Augen halten; ja jeder Abschnitt des Lebens muß uns in der Erkenntniß derselben klarer und sicherer gemacht haben, wenn er uns soll fruchtbar gewesen sein für unser Heil. So laßt uns denn festhalten an jenem Wort des Erlösers als an der rechten wahren Weisheit, der rechten Weisheit aus der Höhe, wie sie durch die Liebe zu Gott und zu dem, den er in die Welt gesandt hat, in unsere Herzen ausgegossen ist; dann giebt es sich mit der Ausübung dieser Regel des Erlösers von selbst; dann werden wir immer vollkommner werden und doch zugleich Schüler bleiben dieser einfachen göttlichen Weisheit bis an das Ende der Tage. Amen. Lied 23.

7 Vgl. wohl Jak 3,15.17 13 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 23: „Der Herr, an dessen Güte“ (Melodie von „Ach bleib mit deiner Gnade“)

Am 25. September 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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17. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 1,23–28 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 43–53, Nr. IV; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 792. Tex t . Marcus I, 23–28. „Und es war in ihrer Schule ein Mensch besessen mit einem unsauberen Geist, der schrie, und sprach: Halt, was haben wir mit dir zu schaffen, Jesu von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu verderben. Ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes. Und Jesus bedrohte ihn und sprach: verstumme und fahre aus von ihm. Und der unsaubere Geist riß ihn und schrie laut und fuhr aus von ihm. Und sie entsetzten sich Alle also, daß sie unter einander sich befragten, und sprachen: was ist das? was ist das für eine neue Lehre? Er gebietet mit Gewalt den unsaubern Geistern und sie gehorchen ihm. Und sein Gerücht erscholl bald umher in die Grenze Galiläa.“

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M. a. Fr. Der Hauptinhalt dieses Abschnitts ist eine Geschichte von der Art, wie wir so viele lesen in unsern Evangelien, und welche schon seit geraumer Zeit ein Gegenstand der Untersuchung und mannigfachen Streites geworden sind unter den Christen, ob das so buchstäblich zu nehmen sei oder nicht, ob es wirklich solche Macht der bösen Geister über die Menschen gegeben habe, die es ihnen gestattet, sie zu besitzen; oder | ob es nur die Meinung gewesen der damaligen Zeit, es wären aber gewesen allerlei Erscheinungen und Zustände von Krankheiten, wie wir sie jetzt auch noch sehen. Nun glaube ich nicht, daß es dieses Ortes ist, solchen Streit zu entscheiden, oder auch nur in der Untersuchung der Sache weiter fortzuschreiten; sondern was für uns das Wichtigste dabei ist, ist eben dieses, daß wir 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 792: „Dich seh ich wieder, Morgenlicht“ (Melodie von „Wie schön leuchtet der Morgenstern“)

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uns in solchem Streit und in solcher Unentschiedenheit über die Erklärungen der heiligen Schrift in der rechten Ruhe und Fassung des Gemüths halten. Und da ist die Frage, die uns vorliegt, nur die: ist der Streit ein solcher, welcher das Wesen unseres Glaubens an den Erlöser betheiligt oder nicht? Ist das Erstere der Fall: so würde jeder sich verpflichtet fühlen, die Sache zu betrachten auf solche Weise, daß sie nicht zur Zerstörung sondern zur Befestigung des Glaubens gereiche; ist es das Andere: nun da können wir ja die Untersuchung der Sache ganz ruhig ihren Gang gehen lassen, ohne daß wir in unserem Glauben auf das Geringste gestört werden. Wenn wir nun, m. g. Fr., diese Frage bei uns entscheiden sollen: so scheint mir dazu der erste und nothwendigste Schritt der zu sein, daß wir uns fragen: ist es denn für unseren Glauben an den Erlöser nothwendig, daß wir uns darüber entscheiden oder nicht? Können wir nun diese Nothwendigkeit nicht einsehen: so folgt daraus schon von selbst, daß die Untersuchung uns gar nicht betheiligt, und daß, wie sie auch ausfalle, sie es nur auf solche Art könne, daß der Glaube an den Erlöser nicht darunter leide. Ich kann mir, m. G., sehr wohl denken, daß der Eine bei sich feststellt, man müsse bei dem buchstäblichen Sinn der heiligen Schrift festhalten, und wenn es so darin stehe, so müsse es auch so gewesen sein, – wenn er sich nur nicht denkt irgend ein solches Verhältniß zwischen dem Erlöser und den unsauberen Geistern, von welchen hier die Rede ist, welches irgend einen Schatten auf den Erlöser wirft. Ich kann mir auch | ebenso gut denken, daß ein Anderer bei sich feststellt, es könne solch ein Verhältniß der bösen Geister zu den Menschen nicht gegeben haben; das sei weniger die Art gewesen, sich die Sache wirklich vorzustellen, sondern nur nach den Vorstellungen früherer Zeiten davon zu reden, und davon habe sich der Erlöser auch nicht entfernt, weil es nicht seine Sache gewesen, Begriffe dieser Art zu berichtigen. Ich habe gesagt, ich könne mir sehr gut denken, daß Einer sich so entscheidet, ohne daß sein Glaube an den Erlöser im Geringsten dadurch abnimmt. Wenn aber ein Anderer von der ersten Meinung auch das feststellen wollte, daß es mit zu dem wesentlichen Beruf des Erlösers gehört habe, der Herrschaft der bösen Geister über die menschliche Natur auf solche Weise ein Ende zu machen, daß aber eben deswegen auch ein besonderes Verhältniß zwischen ihm und diesen Geistern Statt gefunden habe, welches noch etwas Anderes sei als die wunderbare Kraft desselben innerhalb der menschlichen Natur, die wir aus so vielen anderen Erzählungen der Evangelisten kennen: ja, so kommt dann leicht etwas hinein, was den Eindruck der eigenthümlichen Würde des Erlösers verdunkelt und dem Glauben an seine eigenthümliche Würde und seine seligmachende Kraft etwas Anderes unterschiebt, wodurch jenes getrübt wird. Ich kann mir auch ebenso gut denken, daß Einer das Andere bei sich festsetzt, ohne daß sein Glaube im Geringsten darunter leidet. Er denkt sich, der Erlöser sei dabei geblieben, von solchen Gegenständen zu reden auf die

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Weise, wie es damals gewöhnlich war und gemäß der Ausbildung des menschlichen Geistes und den herrschenden Vorstellungen von dem Zusammenhange der Dinge; aber eben deswegen sei er nun um so ruhiger bei der gewöhnlichen Art von der Sache zu reden geblieben und habe deswegen auch seine Wunderkraft, die ihm von seinem Vater zum Heil der Menschen verliehen war, nach solchen leidenden Zuständen der Menschen gestaltet und eingerichtet. Aber ich kann mir auch denken, daß der Andere seine | Meinung so bei sich gestellt hat, daß er nicht sicher bleibt, ob der Erlöser dadurch auch seine Mitmenschen nicht in ihrem Irrthum gestärkt oder ob er dadurch geglaubt habe, daß man seine Macht noch größer werde angesehen haben. Kurz, auf beiderlei Weise läßt sich beides denken, und daraus geht schon unwiderleglich hervor, daß die Untersuchung und Entscheidung über diese Sache nicht kann zu unserm Glauben gehören. Da gehe denn jeder ruhig seines Weges. Der Eine wird es seinem Berufe angemessen finden, etwas darüber bei sich zu entscheiden; der Andere wird sagen: ich habe das nicht nöthig; ich sehe es an als eine von den wunderbaren Handlungen des Erlösers, und so wenig ich mir da die Sache immer begreiflich machen kann, ebenso wenig kann ich es hier. Das möge jeder thun nach seinem besten Gewissen; aber darauf haben wir alle zu sehen, daß die Art, wie wir diesen Theil von der Geschichte und Handlungsweise des Erlösers bei uns selbst gestalten, uns das Bild des Erlösers auf keine Weise verunreinige, daß auf keine Weise irgend etwas dadurch hineinkomme, welches unserer Vorstellung, die wir nothwendig haben müssen von seiner selig machenden Kraft, von seiner ungestörten und unbefleckten Reinheit in allen Stücken, im Mindesten Eintrag thue. Jede Art, die Sache vorzustellen, wodurch das geschähe, würde unserem Glauben einen Eintrag thun; aber eben deswegen, wenn unser Glaube fest ist, werden wir uns dadurch nicht irre machen lassen, sondern denken, was so festgestellt wird, es sei auf der einen Seite oder auf der andern, gleichviel, aber was so gestellt wird, daß dadurch die Würde des Erlösers in irgend einem Sinne getrübt wird, das kann nicht richtig sein. Eben weil dieser unser Glaube aus der innersten Wahrheit, aus der Gemeinschaftlichkeit seiner Art zu sein mit dem göttlichen Wesen, wodurch er überall in jedem Akt seines Lebens als der Abglanz und das Ebenbild des Höchsten erscheint, hergenommen ist und darin gegründet: so muß das Einzelne sich danach | richten; und wenn es das thut: so mag dieser oder ein anderer Theil seines Handelns so gedacht werden oder anders, so ist das völlig gleich. Und so werden wir, m. G., so lange diese Dinge Gegenstände der Untersuchung und des Streites bleiben, auf keine Weise in unserer Liebe gestört werden; wir werden nicht zu lauschen haben auf den oder den, der so oder anders denkt, sondern werden nur danach sehen, ob er bei seiner Art, sich die Sache vorzustellen, auch die ungetrübte Ueberzeugung von der seligmachenden Kraft Christi und der göttlichen Quelle derselben in seiner Per-

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son habe. Hat er diese: so mag er die Sache sich so denken oder anders, das kann mir gleichgültig sein; er ist dessenungeachtet mein Bruder im rechten, wahren Glauben an den Erlöser. Aber wenn wir sehen, daß Einer von dem Gange der Untersuchung hingerissen wird, weil er sich eine Regel gemacht hat im Zusammenhange dieser Dinge der Welt, durch die er gebunden ist in seinem Verstande, und er kann sich daraus nicht heraushelfen, ohne daß ihm etwas von dem Bilde des Erlösers verloren geht: was sollen wir dann thun? Doch keinesweges, m. G., sind wir berechtigt zu glauben, daß seine Art, die Sache anzusehen, ihren Grund hat in der Geringschätzung des Erlösers, oder daß es seine Absicht sei, dadurch bei Anderen Geringschätzung an dem Erlöser zu erwecken und weiter zu verbreiten; sondern es ist die Wirkung von der Richtung, die sein Verstand, die menschlichen Dinge anzusehen, genommen hat, und da sollen wir ihm nach Vermögen zu Hülfe kommen nur dazu, daß er das vorzüglich lerne, die Untersuchung solcher Gegenstände von dem Glauben an den Erlöser zu trennen, daß er dahin gebracht werde, daß er sich Mühe gebe, – mag er dieses oder jenes nach angestellter Untersuchung vorziehen – seinen Glauben an den Erlöser festzuhalten, und daß ihm nichts als richtig erscheine, was ihn nothwendig auf die Verringerung seines Glaubens führen würde. Wenn wir dazu kommen, | den Glauben frei zu halten in allen diesen Dingen: dann haben wir erst das Wahre gewonnen, dann haben wir unseren Glauben unabhängig gemacht von solchen einzelnen Untersuchungen und Betrachtungen, und dann kommen wir immer auf's Neue zu unserem Glauben zurück, der unabhängig ist von allen solchen äußeren Dingen. Es ist aber noch ein Zweites in unserer Erzählung, m. g. Fr., welches wol werth ist, daß wir es einen Augenblick zum Gegenstand unserer Betrachtung machen. In dem, was unseren Textesworten vorhergeht, haben wir gelesen, daß als Jesus in die Schule ging und sabbathlich allda lehrte, die Zuhörer sich entsetzten über seine Lehre; „denn er lehrte gewaltiglich und nicht wie die Schriftgelehrten.“ In unserem Texte wird gesagt, daß nach dieser Geschichte sie sich alle entsetzten und unter einander sich befragten und sprachen: „was ist das für eine neue Lehre? Er gebietet mit Gewalt den unsauberen Geistern und sie gehorchen ihm.“ Da finden wir also auch ein Erstaunen über die Lehre des Herrn; aber wir können schwerlich uns enthalten, das beides mit einander zu vergleichen und zu fragen: in welchem Augenblick waren diese Menschen dem rechten Ergriffensein von der Lehre des Erlösers näher? in dem ersten, wo sie sich entsetzten, daß er gewaltiglich lehrte und nicht wie die Schriftgelehrten; oder in dem letzten, wo sie sich entsetzten, daß er bei seiner Lehre auch den unsauberen Geistern gebiete und sie ihm gehorchten? Wenn wir das Erste betrachten, so tritt uns daraus das entgegen, daß diese Zeitgenossen des Herrn, welche gewohnt 28–29 Vgl. Mk 1,21f

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waren, den Schriftgelehrten in ihren Vorträgen zur Erklärung der heiligen Bücher des Alten Bundes zu folgen, ihre Befriedigung nicht darin fanden, daß das Bedürfniß ihres Herzens ungestillt blieb; und daß dagegen, wo der Erlöser redete, sie hingerissen wurden davon, daß sie erkannten, daß eine größere und höhere Kraft, die eine ganz andere Wirkung | auf ihre Gemüther hervorbrachte, in ihm thätig wäre, indem er lehrte, und daß sie die Bedürfnisse des Herzens durch ihn mehr befriedigt fanden als durch die Lehre der Schriftgelehrten. Wenn wir das bedenken: ei, so müssen wir sagen, in diesem Augenblick waren sie auf gutem Wege, und in dieser Vergleichung, die der Erlöser ja selbst einem großen Theile nach in seiner Bergpredigt durchgeführt hat, worin er seine Lehre der der Schriftgelehrten gegenüberstellt, in dieser Vergleichung waren sie schon auf dem rechten Wege, die tiefere Kraft und den höheren Sinn in der Lehre des Erlösers aufzufassen. Wenn wir den zweiten Augenblick betrachten, wo sie diese That, die er eben verrichtet hatte, und worin sich der Gehorsam der unsauberen Geister gegen ihn bekundet, mit seiner Lehre in Vergleichung bringen, und wir fragen uns: waren sie dadurch von jenem guten Wege wieder abgekommen? so werden wir das schwerlich leugnen können; denn sie waren auf etwas Fremdes gekommen. Verglichen sie die Lehre des Erlösers mit der der Schriftgelehrten: so mußte es sich ihnen wol kund geben, daß eine Kraft Gottes in dem Erlöser sei, die sie zur wahren Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit führen mußte; aber indem sie nun zusammenstellten, was unmittelbar nicht zusammengehörte, die Lehre des Erlösers und diese That, die er vermöge seiner wunderbaren Kraft ausübte: so waren sie von der Beziehung seiner Lehre unmittelbar auf das Bedürfniß ihres Herzens abgekommen. Sie wollten freilich eine Verbindung machen zwischen dieser Gewalt des Erlösers und seiner Lehre, und also auch einen Schluß von dieser außerordentlichen Gewalt, die er ausübte, auf die Wahrheit seiner Lehre; aber wenn wir fragen, ist das der rechte Weg, von der Wahrheit seiner Lehre überzeugt zu werden: so müssen wir doch den ersten für den richtigeren halten. Je mehr wir dahin kommen, daß alle menschliche Weisheit außerhalb des Christenthums das wahre Bedürfniß des Herzens nicht | befriedigt, sondern wir nur Frieden finden innerhalb der christlichen Kirche; je mehr wir dahin kommen, die Kraft der Lehre des Erlösers anzuerkennen und sie über alle menschliche Weisheit zu setzen: desto sicherer sind wir auf dem rechten Wege, zur wahren Gemeinschaft mit ihm zu gelangen; denn darin spricht sich aus, daß uns die menschliche Weisheit nicht genügt, daß wir etwas Anderes bedürfen, als was die Kraft der Vernunft zu gewähren vermag, dann steht der Erlöser uns über aller menschlichen Weisheit, und wir schreiben ihm zu, daß wir bei ihm finden können, was jene uns nicht gewährt. 9–12 Vgl. Mt 5–7, bes. 5,21–48

21–22 Vgl. Joh 4,23f

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Was liegt also für eine Wahrheit in der Vergleichung, welche sie machten zwischen der Lehre des Erlösers und der wunderbaren That, die er verrichtete? Wir können freilich sagen: das ist ein häufiger Gedanke, daß wir uns vorstellen, die Macht Wunder zu thun kommt von Gott, die Lehre kann auch nur von Gott kommen, und Gott hatte dem Erlöser die eine gegeben zum Gebrauch der andern, damit die Menschen durch seine Thaten zum Glauben an ihn gebracht werden sollten. Aber nehmen wir die Sache genauer: so können wir dadurch nicht gefördert werden in der Angelegenheit unsers Heils; denn es ist etwas Fremdes, das wir zur Bedingung unseres Heiles machen, zu dessen Beurtheilung wir uns nicht können geeignet und ausgerüstet halten, und was noch weniger kann zum Bedingniß der Annahme der Wahrheit in Christo gemacht werden, daß wir uns nämlich überzeugen, es sei etwas in Christo, was die menschliche Natur überschreite. Ja wenn wir solche Bedingung knüpfen wollen an die Annahme der Lehre des Erlösers: dann sind wir übel berathen und haben etwas als Bedingung gestellt, dem wir nicht gewachsen sind, und der Glaube wird immer bei jeder Untersuchung aufs Neue in Zweifel gestellt. Hatten nun wohl die Zeitgenossen des Erlösers, von denen hier die Rede ist, einen Grund, solche Verbindung zwischen der That des Erlösers, die sie hier sahen, und seiner Lehre zu | machen? Wir müssen sagen: Nein, denn der Erlöser hatte ihnen keine Andeutung dazu gegeben. Es wird zwar erzählt, daß er in der Schule gewesen sei; aber nicht in Beziehung auf seine Lehre war die That geschehen, diese steht vielmehr unabhängig da von Allem, was er alle Sabbathe in der Schule lehrte. Aber dessenungeachtet müssen wir glauben, daß diese That solchen Eindruck auf die Menschen machte, und sie würden die Beziehung schwerlich gemacht haben, wenn sie nicht solche Ahndung von der wunderbaren Kraft des Erlösers gehabt hätten; aber von dem richtigen Wege hat sie dieses doch abgeführt. Sollen wir nun sagen: ei, wenn es sich so verhält, warum hat denn der Erlöser, wir wollen nicht sagen alle seine Wunderthaten, sondern nur warum hat er diese verrichtet und dadurch die Menschen selbst von dem besseren Wege, auf welchem sie schon waren, auf einen unsicheren hinübergeführt? Ja, wir können nicht sagen, daß das seine That gewesen; denn er hat ihnen die Anleitung dazu nicht gegeben; hätte er aber deswegen es unterlassen sollen, der leidenden Menschheit zu helfen, weil die Menschen zu dem weniger sicheren Wege zu ihrem Heil dadurch geführt werden konnten? Das können wir nicht glauben; denn er hatte Rechenschaft zu geben seinem Vater im Himmel von der ihm anvertrauten Kraft, und er mußte wirken, so lange es Tag für ihn war, so lange es ihm vergönnt war zu wirken, und er hatte auf die Folgen nicht zu sehen. So hat der Erlöser gehandelt, und so sollen wir auch handeln; und wo uns etwas vorhanden kommt zu thun, 38–39 Vgl. Joh 9,4

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was ebenso ein Werk Gottes ist, wie diese That es wirklich war: sollen wir auch nicht denken, wie diese und jene es auslegen können, und was für Schlüsse daraus gemacht werden könnten. Darum hat der Erlöser sich nicht bekümmert, darum sollen wir uns auch nicht bekümmern; er that jedes Werk Gottes frisch, wie es ihm vorhanden kam, und so sollen | wir auch thun und des göttlichen Vertrauens leben, daß, wenn etwas daraus entsteht, was wir nicht gewünscht hätten, wir es auch in unserer Gewalt haben werden, es wieder gut zu machen, so wie die Lehre des Erlösers doch immer zu dem lebendigen Anerkenntniß der Gemeinschaft mit seinem himmlischen Vater unmittelbar hinführte. Aber Eines kann ich doch nicht übergehen, m. g. Fr., das ist dieses, daß hier gesagt wird, als jener ausrief: „ich weiß, wer du bist, der Heilige Gottes,“ da habe Jesus ihn bedroht und gesprochen: „verstumme und fahre aus.“ Wir mögen uns die Sache denken, wie wir wollen; war es ein unsauberer Geist, welcher aus dem Menschen redete, oder war es ein zerrüttetes Gemüth, das so redete: so sehen wir, der Erlöser wollte nicht von solchem anerkannt und gepriesen sein; und das ist etwas, was zu allen Zeiten dasselbe ist. Es gibt, m. g. Fr., in Zeiten der wahren Anerkennung des Erlösers auch solch Preisen des Erlösers, das ebenso aus einem ungesunden und zerrütteten Gemüth hervorgehen kann, wie dieses war. Das will der Erlöser nicht, sondern da sagt er: „verstumme und fahre aus.“ Und so lasset uns auch diese Lehre von der Erzählung unseres Textes hinwegnehmen, daß nur solches Preisen, solches Lob des Erlösers, solche Anerkennung seiner höheren Macht und Bestimmung ihm angenehm sein kann, die aus einem reinen und gesunden Gemüth hervorgeht, die nichts Krankes und Verkehrtes ist, und daß wir uns nur in solchen Augenblicken unseres Lebens, wo es aus dem reinen und gesunden Kern unseres mit ihm im Glauben durch die Liebe verbundenen Gemüths herkommt, getrieben fühlen, etwas ihm Wohlgefälliges zu seinem Preise beizutragen, aber daß wir eben deswegen schon und damit wir würdig werden, sein Lob zu verkündigen, damit es auf eine ihm wohlgefällige Weise geschehe, suchen müssen, von aller Krankheit uns loszumachen, damit wir in solcher Fassung des Gemüths seien, in | welcher er es sich gern gefallen läßt, daß wir ihn loben und seinen Namen verkündigen, weil nur aus solchem Gefäß sein Lob hervorgehen kann. Und so wollen wir uns geschickt machen, daß wir ihn jeder für sich und alle mit einander gemeinsam so preisen in solchem reinen und ihm wohlgefälligen Gemüth; denn das ist das einzige Lob, das ihm wohlgefallen kann. Amen. Lied 29.

38 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 29: „Gott sey Dank, der mit uns war“ (Melodie von „Liebster Jesu, wir sind hier“)

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Samstag vor dem 18. Sonntag nach Trinitatis, 13 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 15,7 Nachschrift; SAr 70, Bl. 23r–24v; Woltersdorff Keine Keine Predigt zur Vorbereitung auf das Abendmahl

Aus der Vorbereitungs Predigt 1. Octbr. 31. Luc. 15, 7. Es wird Freude sein im Himmel über einen Sünder der Buße thut, vor neun und neunzig Gerechten die der Buße nicht bedürfen. 5

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Wir mögen wol in dem Leben des Christen eine zweifache Buße unterscheiden: die erste ist die, welche vorangeht einem bestimmten Zusammenhang seines Lebens mit dem Leben des Erlösers. Diese Buße ist der Zustand des Erkennens der Nichtigkeit einer jeden andern Art und Weise des Lebens als so wie es auf der Liebe Gottes, die durch den Geist Christi ausgegossen ist, beruht; und in welchem Zustande der Mensch sich nun Gott wie er in Christo sich uns offenbart hingiebt. Die andre Buße ist die immer wiederkehrende der wir wegen der Unvollkommenheit des menschlichen Wesens unterworfen sind, jeder so oft ihm sein Gewissen sagt, daß sein Wandel nicht dem Triebe des Geistes Gottes angemessen sei, oder auch nur irgend etwas in ihm dem Leben Christi, zu dem er sich doch bekennt nicht gemäß ist. Welche Buße meint nun der Erlöser wenn Er sagt „es wird Freude sein über einen Sünder der Buße thut“? Es sagt sich wol jeder selbst, ohne an die Gleichnißrede des Herrn aus welcher diese Worte sind, zu denken, daß er ganz vorzüglich die erste im Auge gehabt. Das war auch der Zeit und den Umständen unter welchen er lebte ganz angemessen. Es kam darauf an, daß durch seine Erscheinung die Menschen geweckt wurden für das Leben welches Er unmittelbar hatte, erst aufgeregt wurden die Nichtigkeit der 9 der] die 9 Vgl. Röm 5,5 17–18 Dem Predigttext Lk 15,7 geht voraus das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lk 15,4–6), es folgen die Gleichnisse vom verlorenen Groschen (Lk 15,8–10) und vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32).

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Gerechtigkeit die ihnen durch das Leben des Gesetzes werden konnte, zu erkennen. Darum sprach der Erlöser so und er konnte sich nicht richtiger ausdrücken über den Fortgang dieser Erweckung und Aufgeregtwerdung als daß er sagte, daß über jeden Einzelnen solche Freude sein werde; denn nur dadurch könne jeder und können Alle in den Zusammenhang des Lebens mit Christo kommen, und so zu dem | fortwährenden Genuß der Liebe Gottes gelangen. Betrachten wir die Sache so, so sehn wir welchen Werth der Erlöser auf die einzelnen Menschenseelen legt. Er wußte daß nur von denen aus d. h. nur so langsam und allmählig sein Reich sich mehren werde. Wohl war er oft umgeben von einer großen Menge, wol ward die Menge oft ergriffen von seiner Rede so daß einstimmig gesagt wurde: „Er redet gewaltig, so hat noch kein Mensch geredet.“ Aber die Wirkungen auf die Menge waren vorübergehend und oberflächlich und es waren jedes mal nur Einzelne bei welchen seine Rede auf die Art wie es ihm wohlgefiel zu hangen begann und die nun wirklich seinem Reich zugethan wurden nachdem sie Buße gethan. Wir nun, so oft wir das Mahl des Herrn miteinander zu genießen im Begriff sind, erkennen und bekennen, daß uns Noth ist Buße zu thun, denn wir können nicht das Verlangen haben der innigern Verbindung mit Ihm uns bewußt zu werden, ohne das natürliche Gefühl Buße thun zu müssen; ohne diese ernste Vorbereitung giebt es keinen wahren keinen wirklichen wirksamen Genuß des heilgen Mahls. Wenn wir nun auf diese unsre immer wiederkehrende Buße auch nicht in vollem Umfang diese Worte der Rede des Herrn anwenden können, so sind wir uns doch bewußt, daß auch über solch Bußethun Freude ist; denn es ist die Förderung in der Erkenntniß unsrer selbst, und das ist immer der Anfang der Weisheit die der Gegenstand der Freude ist. Ja wir können keinen Schritt thun vorwärts auf dem Wege der Gottseligkeit ohne dies Inunsgehen. Und wenn wir zugleich daran denken wie es eben | das Bild des Erlösers ist welches uns die rechte Erkenntniß giebt unsrer Unvollkommenheit weit schärfer und genauer als Vernunft und Gesetz, und es zugleich wissen und immer und immer wieder erfahren so daß es zur festen Ueberzeugung wird, daß bei ihm auch die Kraft ist in der Gottseligkeit und Aehnlichkeit mit ihm zuzunehmen, wie sollte nicht Freude sein über jede Buße da es ja eben so nöthig ist daß wir immer fester an ihn uns schließen. Aber wenn der Erlöser sagt: Es wird Freude sein über einen Sünder der Buße thut mehr als über neun und neunzig Gerechte die der Buße nicht bedürfen: Wie meint Er das? Gewöhnlich bleibt man dabei stehn daß man sagt: Es gebe keinen Gerechten unter den Menschen, Christus bleibe allein gerecht, es werde nie einer gerecht werden auch wenn wir wirklich Vergebung erlangt haben und in Gemeinschaft mit ihm wandeln, seien wir nicht 11–12 Vgl. Mt 7,28f in Verbindung mit Joh 7,46

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solche die der Buße nicht bedürfen: er habe also in dieser seiner Rede diejenigen gemeint die sich für gerecht hielten, weil sie die Bewahrer der göttlichen Gebote, und durch sie die Erkenntniß Gottes erhalten sei mitten unter den Gräueln der Abgötterei, sie meinten Gott zu dienen, ihm wohlgefällig zu sein und deshalb der Buße nicht zu bedürfen, sondern Gott sei ihnen schuldig daß er ihre Schuld immer wieder lösche. Darüber nun konnte gar keine Freude sein, und so würde die Rede des Herrn nicht genau sein wenn er sagte, daß über einen Sünder der Buße thue mehr Freude sein werde als über solche Gerechte. Wir dürfen also dabei nicht stehn bleiben. | Wenn wir nun die Sache genauer nehmen so müssen wir sagen: Was wir Freude nennen das hängt allemal zusammen mit einer Veränderung; wo Freude sein soll da muß etwas geworden sein und zu Stande gekommen. Wenn wir uns nun denken das Bußethun als Gegenstand der Freude so denken wir es uns als eine Veränderung, als ein Fortschreiten, als den Anfang eines bedeutenden Weiterkommens auf dem Wege des Heils: dächten wir es uns blos als ein Aufhören von etwas Früherem, nun so wäre keine Veranlassung zur Freude da! Aber wenn die Freude sich nur auf Veränderung und Fortschreitung bezieht, wie ists denn mit der immer gleichen Seligkeit des Erlösers? Wäre denn im Himmel keine Freude über ihn? Wie der Herr selig ist und war so war es immer das Mitgefühl seiner Seligkeit was im Himmel ihn umgab und das ist mehr als Freude; Freude kann nur sein in Beziehung auf Wechsel, dem aber sind nur unvollkommne Wesen unterworfen bis sie endlich ihr Ziel erreichen. Wohlan denn, wie sollen wir unsre Betrachtung dieser Worte in Beziehung bringen auf das heilge Mahl des Herrn? Sind wir im Bewußtsein begriffen so ist in dem Erlöser, in diesem Himmel seines Herzens Freude über uns, und in dieser Freude seines Herzens will er uns mittheilen aus der Fülle seiner Gnade, es wird in uns einströmen was auch in uns eine Quelle lebendigen Wassers wird die in das ewige Leben fließt. Aber wir sollen eben im heilgen Mahle auch das fest in uns schließen, daß unser Leben in ihm immer weniger Unterbrechung erfahren soll, wir sollen darnach trachten daß der Buße immer weniger bedurft werde, und wie aus seinem Worte hervorgeht daß dann auch weniger Freude über uns in ihm sein wird, so müssen wir die Freude in ihm erkennen, als die irdische Gestalt seines Mitgefühls. Je mehr wir gleichmäßig wandeln, in sein Bild gekleidet ihm ähnlich, um so weniger sind wir der Veränderung ausgesetzt, gleichmäßig nähern wir uns ihm und sein Bewußtsein von uns muß sein Bewußtsein von sich selbst werden. Aber nur durch die Buße ist allmählig dieser Zustand 7 konnte] vielleicht zu korrigieren in könnte 29–30 Anspielung auf Joh 7,38

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der Ähnlichkeit mit ihm zu erreichen. Was soll nun die Freude jeder Einkehr in uns selbst sein? was soll die Einkehr nach sich ziehen als Gegenstand der Freude? die Mittheilung seiner Gnade und Liebe im heilgen Mahl. Und jemehr wir so zur Buße des Gemüths gelangen, desto ähnlicher werden wir ihm und können je länger desto mehr der Freude entbehren, weil ihr Gegenstand ein beständiges Gefühl in uns nährt: Es ist der Friede, das Wohlgefallen Gottes, aber nicht Freude, weil die den Wechsel voraussezt. So laßt uns dem Ziel näher kommen, durch Bußethun, daß wir der Buße nicht mehr bedürfen.

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Am 2. Oktober 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

18. Sonntag nach Trinitatis (Erntedank), 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 12,16–21 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. X Keine Drucktext Schleiermachers; Christliche Festpredigten, Bd. 2 (7. Sammlung) 1833, S. 509–528 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 574–585; 21843, S. 573–584. – Predigten. SiebenteSammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 375–389. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 2, 1873, S. 450–459 Keine

Am Erndtefest 1831.

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Lied 48. 848.

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Text. Lucä XII, 16–21. „Und er sagte ihnen ein Gleichniß und sprach, es war ein reicher Mensch, deß Feld hatte wohl getragen. Und er gedachte bei sich selbst und sprach, Was soll ich thun? ich habe nicht, da ich meine Früchte hinsammle. Und sprach, das will ich thun; ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darein sammeln alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter. Und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Muth. Aber Gott sprach zu ihm, Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von 3 XII, 16–21.] so 7. Sammlung, S. 509; Textzeuge: XII, 16. Sammlung, S. 509; Textzeuge: sprach;

6 sprach, ] so 7.

2 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 48: „Lob, Preis und Ehre“ (Melodie von „Komm, heiliger Geist“); Nr. 848: „Wir Alle, Gott und Vater! bringen“ (Melodie von „Wie groß ist des Allmächt’gen Güte“)

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dir fordern; und weß wird es sein, das du berei|tet hast? Also gehet es, wer ihm Schäze sammelt, und ist nicht reich in Gott.“ M. a. Fr. In unserm ganzen Lande wird heute das Fest der Erndte begangen; und billig ist das ein großer und feierlicher Tag des Dankes für alle Bewohner desselben. Wenn gleich so zahlreiche Menschenmassen, wie die in dieser Stadt zusammengehäuften und eben so in den andern größern Städten des Landes, nur Wenige unter sich zählen, die unmittelbar an diesem großen Geschäft, die Erde zu bauen, mitarbeiten: so wissen wir doch Alle, daß dies der erste Grund unsres gemeinsamen Wohlstandes ist, ja auch die erste Bedingung der Entwikkelung unserer geistigen Kräfte; so sehr wissen wir dies, daß alles, was es auch immer sei, was ein Jeder von uns betreibt als seinen besondern Beruf und Geschäft, wodurch er das gemeinsame Wohl zu fördern und damit zugleich sein eigenes zu schaffen versteht, in der gemeinen Rede mit gutem Bedacht und großem Recht sein Akker und Pflug genannt wird. Und so ist es! Alle menschlichen Geschäfte, die sich auf unser Dasein und Leben auf dieser Erde beziehen, bilden ein großes unzertrennliches Ganzes; jedes ist durch die anderen gestüzt, jedes Mißlingen in dem einen breitet weit umher seine Folgen aus, und über jedes Gelingen noch mehr über jede Verbesserung ist Freude und Dankbarkeit unter allen Verständigen auch unter denen, die keinen unmittelbaren Theil daran haben. In den Worten unsers Textes, m. a. Fr., finden wir nun auch eine Erndtefreude, die Freude eines Menschen über einen reichen und gesegneten Jahresertrag seines Grund | und Bodens; aber es ist eine solche Freude, die der Herr eine Thorheit schilt. Sollen wir glauben, er habe überhaupt die Freude getadelt oder verdammt, er habe mithin auch den Dank zurükkdrängen wollen, der doch nur aus der Freude hervorgeht, für irgend eine göttliche Wohlthat und Segnung? Das können wir uns nicht denken! Aber die Art und Weise dieser Freude kann es wol sein, die er getadelt hat. Und dazu finden wir den Schlüssel in den lezten verlesenen Worten, Also gehet es denen, die sich Schäze sammeln, die sich über den irdischen Reichthum freuen, und sind nicht reich in Gott; wir finden ihn zugleich in den Worten, die unmittelbar vor den verlesenen vorhergehen, wo der Erlöser sagt, Hütet euch vor dem Geiz. Derjenige indeß, den uns die Worte unsers Textes in seiner Erndtefreude darstellen – wir können von ihm nicht sagen, daß er geizig gewesen sei in dem nächsten und unmittelbarsten Sinne des Worts; denn er wollte nicht nur sammeln, sondern er wollte das Gesammelte genießen: aber daß er Alles, was ihm Gott gegeben hatte, 35–36 Vgl. Lk 12,15

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nur auf sich selbst bezog, daß seine ganze Freude eine eigennüzige und selbstsüchtige war, das ist es, weshalb ihn der Erlöser der Thorheit schilt. Lasset uns aber auch das nicht übersehen, daß der Herr diese Thorheit in der Seele jenes Menschen – wenn gleich er uns nicht darstellt, was weiter in ihm vorgegangen – dadurch recht ans Licht bringt, daß er erzählt, er sei durch eine göttliche Stimme an das erinnert worden, was auch uns Allen izt so nahe liegt, an die Unsicherheit und Vergänglichkeit des irdischen Lebens, Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern! Und so wollen wir denn sehen, m. G., wie gerade | dieses, die Erinnerung an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens, der Erlöser gebraucht, um uns in der Freude und der Dankbarkeit über die irdischen göttlichen Segnungen zu warnen gegen die Selbstsucht und den Eigennuz, und unserer Freude und unserm Dank eine andere und höhere Richtung zu geben. I. Das Erste nun, m. g. Fr., was wir in dieser Beziehung in den Worten unsers Textes zu merken haben, ist eben dies, daß jener bei sich selbst sagte, Liebe Seele, du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Muth! Diese Worte, m. G., erinnern uns unmittelbar an einen noch sehr kindischen und mit unserer Art und Weise verglichen rohen Zustand der menschlichen Dinge. Der, der eine so reiche Erndte gemacht hatte, wird uns dargestellt, als wenn er nur darauf dächte, aber freilich in einer langen Reihe von Jahren, innerhalb seines eigenen Hausstandes das selbst zu verbrauchen und zu verzehren, was er gewonnen hatte; er betrachtete es als seinen eigenen unmittelbaren Vorrath. Weit sind wir hierüber hinausgeschritten, seitdem die menschliche Gesellschaft sich größer und kräftiger entwikkelt hat; was Einer gewinnt, was Einer hervorbringt, auf welche Weise und in welchem menschlichen Geschäft es auch sei, das bleibt nicht innerhalb seines Hauses, es geht in das allgemeine Verkehr; aber deswegen giebt es etwas und muß etwas geben, was statt aller andern Vorräthe, statt der Dinge selbst ist, die wir gebrauchen, und darauf geht nun unter uns das ganze Bestreben des Menschen, der eben so ge|sinnt ist. Was wird dir das bringen, fragt er sich, was du gewonnen hast, bringen von dem, wofür du alles Andere haben kannst? Und ist es reichlich und viel: so sagt er ebenfalls, Liebe Seele, du hast großen Vorrath an dem, wofür du alles andere haben kannst; nun gedenke, wozu du es gebrauchen willst, gebrauche es ganz nach der Lust deines Herzens, iß und trink und habe guten 7 Seit Ende August 1831 war Berlin von der Asiatischen Cholera befallen; vgl. oben Einleitung I. 4.

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Muth! Das, m. g. Fr., das sind die beiden großen Hebel des menschlichen Eigennuzes und der Selbstsucht, und das ist der Streit, in welchem sie in einem Jeden selbst verflochten sind, Erwerben und Genießen, Sammeln und Verzehren. Wie Jeder das gegen einander stellt, daran offenbart sich in dieser Beziehung sein Sinn; und lange sind die Meisten unentschlossen und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Den größten Theil des Lebens immer sammeln, immer erwerben, aber doch in der Hoffnung, daß sie zulezt werden in der Ruhe genießen können; für jezt sich ihres wachsenden Erwerbes freuen, und dann endlich, wenn sie genug haben, allen Trieben und Lüsten ihrer Seele Raum lassen und sie erfüllen: das ziehn die Einen vor. Andere wieder, – und es scheint, als seien das die, denen schon etwas mehr ahndet von dem Wort des Herrn, die schon in der Ferne wenigstens jene göttliche Stimme vernehmen, Diese Nacht noch wird man deine Seele von dir fordern! – diese Anderen stellen Erwerb und Genuß näher zusammen, nach dem Maaß der Natur in dem kurzen Raum eines Jahres sammelnd, erwerbend, so viel sie können, um auch gleich zu genießen; das nächste Jahr sagen sie bringe dann neue Thätigkeit und nach derselben neuen Genuß. Aber die eine Entscheidung ist nicht besser als die andere; denn wenn man diesen sagte, es handelt sich nicht | um den Lauf des Jahres, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, dann wäre die eine Rechnung eben so falsch als die andere. Aber dann – wie auch Jeder diesen Streit bei sich entscheiden möge – hat er eine Regel angenommen, hat er sich wie auch immer sein Maaß für beides gestekkt: dann wird er harthörig gegen alle andere Anforderungen, die gegen seine Rechnung sind. Gesammelt hat er und hat es sich sauer werden lassen, er hat gearbeitet und geschafft nach allen seinen Kräften für sich und den Kreis, den er sich bestimmt hatte; soll er noch außerdem etwas anderwärts hinlenken, werden Anforderungen an ihn gemacht von dem Seinigen hülfreich zu sein gegen solche, die zu diesem Kreis nicht gehören; soll er Abbruch leiden an seinem Genuß, den er sich vorgesezt hat als das ganze Ziel seiner Thätigkeit: alles dieser Art sucht er sich so viel als möglich abzuwehren, damit er nicht gestört werde in dem Lebenslauf, den er sich eingerichtet hat. Aber hört er dann die Stimme, Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern: wie wenig hat ihm dann die Härtigkeit seines Herzens geholfen, wie falsch ist dann alles, was er sich für dieses Leben versprochen, wie vergeblich alles was er für dasselbe gethan hat! So, m. g. Fr., züchtigt der Erlöser den Menschen, der nicht nach dem Reiche Gottes trachtet, dessen ganzer Sinn nur auf heiteren Genuß dieser kurzen Spanne irdischen Lebens gerichtet ist! er züchtiget ihn, indem er ihn an das Ende desselben mahnt. Wer nichts ande-

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res weiß und nichts anderes kennt, als jenen Wechsel zwischen Erwerben und Genießen; wie ehrenvoll auch immer sein Erwerb sei, wie ausgesucht, wie veredelt auch immer sein Ge|nuß, immer ist es er selbst, auf den sich Alles bezieht, er selbst in diesem seinem irdischen Leben, mit dieser Fähigkeit, das zeitliche zu genießen, mit diesem Festhalten an dem vergänglichen Besiz! Und da er sich doch nicht verhehlen kann, daß es auch für ihn etwas besseres gab, so schilt jeder Gedanke an das Ende dieses Lebens ihn der Thorheit. II. Doch, m. g. Fr., das war immer nicht das Einzige, was in dem Gesichtskreise dessen lag, den der Erlöser uns darstellt. Vorher schon sprach er zu sich selbst, Was willst du thun? du hast nicht, da du deine Früchte hinsammelst! wohlan, ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und in die will ich dann sammeln alles, was ich gewonnen habe und alle meine Güter; und dann erst sollte es angehen mit jenem ruhigen Genuß. – Für eine einzelne reichliche Erndte wäre schon das eine Thorheit gewesen, die Scheunen abzubrechen und größere zu bauen; er muß also auf ähnliche folgende gerechnet haben. Er war also einer von denen, die das Gewerbe, mit dem sie es zu thun haben, wohl verstehen, er hatte seinen Grund und Boden verbessert; er hatte seine Kräfte an sein Geschäft gewendet: nun fingen diese Bemühungen an, ihre Früchte zu tragen, nun konnte er mit Wahrscheinlichkeit erwarten, daß es so fortgehen werde, und wollte daher seine Anstalten treffen um sein ganzes Dasein nach dem Maaß dieses erweiterten Besizes einzurichten. Da nun aber nicht leicht jemand eher als schon in der Mitte des Lebens dahin gelangt, solche Früchte von lang angewandter Mühe zu schauen, und also, was einer dann baut nach der natürlichen Ordnung | der Dinge ihn auch überleben wird: so denkt er auch, wenn er baut, nicht mehr blos an sich selbst, sondern an die, welche nach ihm da wohnen werden, wo er gebaut hat, und nach ihm da ihre Erndten in die Scheuern sammeln werden, die er aufgerichtet hat; er denkt an die folgenden Geschlechter, die ihm entsprießen, er schließt das Leben seiner Nachkommen in das Seinige mit ein. So betrachtet, m. a. F., erinnern uns diese Worte an die große Geschichte des menschlichen Lebens, wie sie auch unter uns vorgegangen ist. Wie weit hat sich seit der Zeit der ältesten Vorfahren, von denen wir wissen, das Geschäft des Menschen an dem mütterlichen Boden, der ihn trägt, durch die sich immer erneuernde Arbeit aufeinander folgender Geschlechter erweitert! bis zu welcher Höhe hat es sich gleichsam vor unsern Augen vervollkommnet! aber 7 gab] 7. Sammlung, S. 515: giebt

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wie vieles trat auch von Zeit zu Zeit dazwischen, wodurch diejenigen, die sich mit ihres Lebens Mühe und Arbeit ganz auf einen solchen Kreis beschränken, in ihrer Thorheit erscheinen mußten! Wir können in der Geschichte der Gegend, die wir selbst bewohnen, alles unberührt lassen, was jenseit jenes grausamen Krieges liegt, der vor zweihundert Jahren diese Länder verwüstet hat; aber nach dessen Beendigung mußten alle Bemühungen des Menschen mit der mütterlichen Erde gleichsam von Neuem beginnen. Da entstanden von neuem Dörfer und Städte, und andere blieben in der Verwüstung liegen, weil nicht Menschen genug vorhanden waren um sie mit Nuzen wieder anzubauen. Und wie vieles ist nachdem jene Schrekkenszeit überwunden war, auch so guten Muthes gebaut worden für die künftigen Geschlechter! wie deutlich verkündigt sich in den Denkmalen jener Zeit die Hoffnung, | daß wo der Erbauer wohnte und einsammelte, in unvermindertem Wohlstand auch seine spätesten Nachkommen wohnen und sammeln würden. Aber späterhin kamen wieder solche Zeiten des Krieges, Jahre lang durchzogen feindliche Schaaren das Land, und in solchen Stürmen mußte Vieles wieder untergehen von den Mühen der älteren Geschlechter! Wie wenig hat uns die Geschichte aufbewahrt von denen, die zwischen jenen beiden verhängnißvollen Zeiten gelebt, gearbeitet, gesammelt und gebaut haben! Die Namen fast Aller, die in der Zwischenzeit das Land getheilt, die Früchte desselben genossen hatten, sind verschollen; und wenn man auch hier und da weiß, von wem ein edler und stattlicher Siz erbaut worden ist, die Nachkommen des Erbauers finden wir selten noch darin wohnen. Aber nach der Zerstörung der sieben Jahre begann auch wieder eine neue glänzende Zeit des Bauens; da wurden Gegenden, die vorher dem Menschen noch nicht zinsbar gemacht waren, von den Furchen des Pfluges gezähmt und begannen Früchte zu tragen; da wurden die alten Wälder umgehauen, damit der Boden seine jährige Erndte brächte, da wurden faule Gewässer abgeleitet, und Gegenden, die vorher noch ungesunde Dünste verbreitet hatten, wurden fruchtbar und blühend; Fremdlinge wurden herbeigelokkt, die zu Hause nicht Raum hatten, und wir bewillkommneten sie, damit unser gemeinsame Wohlstand durch ihre Hülfe sich vergrößere. Sehet da, m. th. Fr., so ist es mit dem Bauen, um zu sammeln! Wie hat sich immer mehr die Herrschaft des Menschen über den mütterlichen Boden auch unter uns 5–6 Gemeint ist der sog. Dreißigjährige Krieg 1618–1648. 16–17 Gemeint ist vor allem der Siebenjährige Krieg 1756–1763. 31–33 Nach dem Siebenjährigen Krieg wurden 1763–1768 das Warthe-, 1772 das Netzebruch trockengelegt und kultiviert. Solche Maßnahmen waren bereits 1747–1753 für das Oder- und 1749 für das Stettiner Bruch durchgeführt worden.

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verbreitet! wieviel kunstmäßiger und segensvoller wird dies große Geschäft izt unter | uns betrieben! und wenn nun ungleich mehr Menschen auf demselben Raum leben und wandeln als sonst, so haben sich auch immer mehr geistige Kräfte entwikkelt, und das ganze Leben hat seitdem eine vollere und edlere Gestalt gewonnen. Wohl nun denen damals und jezt, die an diesen Fortschritten irgend thätigen Theil genommen, und sich dabei mehr der Verherrlichung des Menschen erfreut als des steigenden Wohlstandes der Nachkommen, mehr daran gedacht daß in würdigeren äußeren Zuständen auch die Empfänglichkeit für das Reich Gottes sich erhöht als an den äußeren Besiz! Aber, m. th. Fr., wo es hiermit nur so steht, wie der Erlöser es in unserm Texte darstellt, wenn Jeder nur baut für sich und seine Nachkommen, Jeder alle Früchte seines Fleißes nur auf sich und sein Geschlecht beziehen will: – ich habe schon genug darüber angedeutet, wie sich die Thorheit dieses Beginnens straft. Wie mancher in jenen Zeiten, als er baute für sich und seine Nachkommen, mag sich in die Zukunft vertieft und zu seiner Seele gesprochen haben, sie möge ruhig sein und gutes Muthes, der Name seines Geschlechts werde nicht vergehen, was er gethan das werde hinreichen, um denselben bei Glanz und Ehren zu erhalten; wo er gebaut, da würden auch seine Enkel und die Enkel seiner Enkel wohnen und immer steigend würde der Ruhm eines Geschlechts von solchem Ahn entsprossen sich fortpflanzen, alle Rechte die er überkommen und selbst erworben über Andere, und die ihn so reichlich in Stand sezen, nicht nur seine eigenen sondern noch weit mehr Anderer Kräfte zu seinen Zwekken zu benuzen, werden auch ihnen dasselbe leisten, das alles sei heiliges Gebiet und werde bleiben, wie es gewesen ist! – Aber der Mensch ist | wie ein fallend Laub, er blüht wie eine Blume auf dem Felde, der Wind wehet darüber und sie ist nicht mehr da, und das gilt nicht nur von dem einzelnen Menschen, es gilt auch von den Geschlechtern der Menschen, es gilt von allen menschlichen Einrichtungen. Die berühmtesten Namen vergehen und die Stätte ihres Glanzes wird nicht mehr gefunden, die reichsten Geschlechter verarmen, und oft in weiter Ferne von den Pallästen der Vorfahren, aller Auszeichnungen und Vorrechte, mit denen jene geschmükkt waren, beraubt, müssen die dürftigen Nachkommen ihr kümmerliches Brod suchen in der Fremde! 34 Pallästen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 947 27–29 Vgl. Ps 103,15f; in dem Choral über Ps 103 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 661: „Nun lob den Herrn, o Seele“ (in eigener Melodie), heißt es in Strophe 3: „Er kennet unsre Schwäche, er weiß, wir sind nur Staub, wie Gras auf dürrer Fläche, und wie ein fallend Laub; so bald der Wind nur wehet, sind sie nicht länger da“.

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III. Das, m. g. Fr., führt uns erst recht auf den ganzen vollen Sinn der Frage, die der Erlöser von der himmlischen Stimme an jenen Menschen ergehen läßt. Weß wird es sein, das du bereitet hast? Ja, weß wird es sein! Das ist die Frage, die immer alle irdische Klugheit der Menschen in ihrer Nichtigkeit darstellt, weil Keiner ist, der sie beantworten kann. Betrachten wir sie in dem Sinn der Jedem zunächst in die Augen springt und in ihrer unmittelbaren Beziehung auf das strenge Wort, Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern: so mahnt sie uns daran, wie ohnerachtet Jeder gar wohl weiß, daß es nur eine kurze und unsichere Spanne irdischen Lebens für ihn giebt, und daß der Einzelne nicht für sich allein gearbeitet haben soll, sondern auch für die, die nach ihm kommen, dennoch so Viele, auch die Grund und Veranlassung genug dazu hätten, es unterlassen zu bestimmen, wessen das sein soll, was hinter ihnen zurükkbleibt. In der thörichtsten Furcht | des Todes verwünscht so Mancher jeden Gedanken dieser Art; und wenn er sich überwinden soll eine solche Ordnung aufzurichten, so meinte er, er höre schon die Schläge derer, die an seinem Sarge hämmern und klopfen, er höre schon den Tod die Sense wezen, die sein Leben abmähen soll. Thörichter Mensch! da es nichts giebt, keine Bewegung der Sinne und keine Befriedigung derselben, keinen Hunger und Durst, so wie keine Sättigung und Erquikkung, nichts was uns nicht schon von selbst mahnt an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens! dieses Gedankens also sollte doch Jeder mächtig sein für sich selbst! – Aber das ist es nicht allein, sondern die Frage hat einen größern und tiefern Sinn. Weß wird das sein, das du gesammelt hast? Diese Frage erinnert uns an alle jene unser Eigenthum und unsern Besiz im weitesten Umfang des Wortes schüzenden Verhältnisse menschlicher Ordnung und menschlichen Rechts. Auf diesen beruht zulezt Alles, was heute unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht; sie sind die Angeln für alle menschliche Arbeit und Geschäftsführung auf der Erde. Im Vertrauen darauf, daß Alles in dieser Beziehung so bleiben werde, wie es damals war, haben die meisten von denen gebaut, welche gebaut haben für ihre Nachkommen, haben die Meisten gearbeitet und erworben, die auf einen fröhlichen Genuß des Lebens wollten rechnen können für die, von welchen sie hofften als treue und sorgsame Vorfahren geehrt zu werden. Aber wie weit haben sie die Wahrheit verfehlt! Wie überrascht uns auch auf diesem Gebiet die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge, ja wie erscheint sie hier in ihrem größten Maaßstab! Denn wir dürfen nur zurükkgehen in einen kurzen Raum der Ge|schichte – was sind doch ein paar hundert Jahre nicht nur für das menschliche Geschlecht, son-

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dern schon für ein einzelnes Volk! und welche große Veränderungen haben seit dieser Zeit fast alle Völker unseres Welttheils in ihren Rechtsverhältnissen erfahren! Freilich ist es nicht möglich, daß Alles so bleiben kann, wie es gewesen ist. Haben sich doch jene Verhältnisse gegründet auf eine überwiegende Ungleichheit unter den Menschen, und können daher nicht mehr dasselbe sein und leisten wie sonst, sobald diese nicht mehr da ist; und was Recht war kann Unrecht werden. Wird nun eine solche Veränderung von dem Einen behauptet von dem Andern bestritten – ach, welche traurige Entzweiung zusammengehöriger Kräfte entsteht da, welch gährender Streit zwischen dem was doch nicht ohne einander bestehen kann! Aber woher? Eben deswegen nur, weil Jeder alles auf sich selbst bezieht und auf das seinige. Der Eine weiß, daß seine Vorfahren für ihn gebaut haben, und er wenigstens will auch gesammelt haben für seine Nachkommen. Will er nun das Werk seiner Vorfahren dankbar überliefern; soll seine eigene Mühe und Arbeit nicht vergeblich sein: wie verkehrt wäre doch alles angefangen, wie falsch berechnet, wenn die Nachkommen nicht dieselben Rechte behielten in Beziehung auf Andere, deren er selbst sich erfreut hat! Andere dagegen wissen, daß die ungünstigen Verhältnisse, unter denen ihre Vorfahren seufzten, nicht mehr sind wie sie waren; sie finden in den menschlichen Dingen eine Neigung sich zu ihren Gunsten zu ändern, und darin eine Aufforderung sich hinaufzuarbeiten zu einem andern Zustande. Und so treten beide gegen einander, und Streit entbrennt und Zwietracht; die Einen wollen bewahren, was | sie gehabt haben, die Andern wollen Neues erringen; aber wenn die Einen jenes nur wollen, weil sie sich berufen glauben, einen besondern Stand in der Gesellschaft zu vertreten und dessen Gut zu bewahren; wenn die Andern meinen, sie seien dazu gesezt, um jener Einseitigkeit entgegentretend auch ein anderes besonderes neu zu schaffen, was vorher nicht gewesen war: was ist das anders, als bitterer Streit, als thörichte Zwietracht? was anders als die nämliche Selbstsucht, die der Herr verdammt, indem er sagt, So gehet es denen, die sich Schäze sammeln und sind nicht reich in Gott! Denn wo Streit ist und Zwietracht, ein anderer Streit, als der durch welchen wir in der Kraft der Liebe das Wahre suchen, da ist auch Eigennuz und Selbstsucht, und da ist auch die Thorheit, von welcher der Herr sagt, Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und weß wird dann Alles sein, was du bereitet hast? Vernehmt es wohl, es ist nur wie über Nacht, so treten große Aenderungen in den menschlichen Dingen vor euch, die aus einem alten Zustand einen neuen hervorrufen, ohne euch zu fragen; und Jeder, der statt sich in das ganze menschliche Leben eingetaucht zu haben und sich als einen Theil von diesem anzusehen, sich nur an einen bestimmten Kreis angeschlossen hat, der doch

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wieder irgend einem andern solchen gegenüber tritt, jeder solche hat ja eine Seele, die mit aller ihrer Lust und Freude mit ihren Schäzen und ihrer Habe über Nacht kann von ihm gefordert werden! Und je heftiger die Zwietracht entbrannt ist, desto weniger kann menschliche Weisheit irgend festen Boden gewinnen und den Ausgang sicher stellen, desto thörichter wäre es, wenn wir unternehmen wollten, die Frage zu beant|worten, Weß wird es sein, das du bereitet hast, oder das du bereiten wolltest? Aber wo statt der Zwietracht und des Haders, statt der Selbstsucht und des Eigennuzes die Gesinnung herrscht, die die Menschen reich macht in Gott, in dem Gott, der seine Sonne scheinen läßt über Böse und Gute und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte, in dem Gott, vor dem Alle gleich sind, der seine väterliche Liebe über Alle erstrekkt, dessen Weisheit und Rathschlüsse uns freilich im Einzelnen so verborgen sind, daß wir niemals auch nur auf einen kurzen Augenblikk den Schleier lüften können, der sie uns verbirgt, dessen Gesez und Wille aber offenbar sind, und uns, die wir den Namen seines Sohnes bekennen, ins Herz geschrieben sein soll: da hat es mit jener Thorheit ein Ende, Jeder ist willig sich seine Seele abfordern zu lassen in jedem Augenblikk, und weiß wessen das sein wird, was er bereitet hat. M. th. Fr. Mit diesem allem, mit dieser Arbeit und Geschäftigkeit, die einen Tag wie den anderen, ein Jahr wie das andere vor sich geht, mit jenem weiteren Umfassen menschlicher Dinge, welches sich von einem Geschlecht auf das andere erstrekkt, mit der liebevollen Weisheit, welche die Frage, Weß wird es sein, das wir bereiten ohne Eigennuz dem göttlichen Sinn gemäß zu beantworten, und alle Verhältnisse des Rechts so – sei es zu bewahren oder aufs neue festzustellen sucht, daß gemeinsame Liebe über alles waltet, und Alle sich des gemeinsamen Zustandes erfreuen können ohne Hader und Zwietracht, mit allem dem sind wir nichts anders als Haushalter der irdischen Gaben Gottes. Was sind wir als Christen? Haushalter seiner Geheimnisse. Aber der Erlöser in den Worten unsers | Textes lehrt uns beides nicht von einander zu trennen. Als Haushalter der irdischen Gaben Gottes sammeln wir Schäze und sollen Schäze sammeln, aber Jeder nicht für sich, nicht für seine Nachkommen, nicht für den Kreis der Gesellschaft, dem er zunächst angehört, sondern Jeder für Alle, Jeder für das Ganze, Jeder sich selbst ansehend als dem großen Geschlecht der Menschen angehörig, welches Eine Heerde werden soll unter Einem Hirten; und nur so können wir treue Haushalter der irdischen Gaben Gottes sein, wie wir zugleich Haushalter seiner Geheimnisse sind, die, 10–12 Vgl. Mt 5,45

31 Vgl. 1Kor 4,1; ferner 1Petr 4,10

38–39 Vgl. Joh 10,16

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weil sie aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen sind durch den lebendigen Glauben, auch in der Mühe und Arbeit an dem zeitlichen nur das ewige suchen. Und so ist eine reine durch keine Todesfurcht zu störende Freude an den irdischen Segnungen Gottes nur das Antheil derer, welche in der Liebe wandeln, die alle Menschen mit einander befreundet, und daher bereit sind, Jeder das seinige hintanzusezen, damit das Beste geschehe. So allein werden wir im Stande sein Rechenschaft darüber zu geben, wie wir unsers Ortes die Entwikkelung der menschlichen Kräfte gefördert, und wie Jeder an dem seinigen und durch dasselbe nur das gemeinsame Wohl gesucht habe. Aber wer kann es finden als der, der über dieses irdische Leben hinaussieht, und das ewige fest im Auge hält? So, m. g. Fr., so wird es sein und bleiben. Alles ist Thorheit, außer der einfachen himmlischen Weisheit, die der uns gelehret hat, der der Weg und die Wahrheit und das Leben ist. Nicht lehrt er uns die irdischen Dinge verschmähen, nicht lehret er uns, daß wir uns zurükkziehen sollen von den Geschäften der Welt, denn Gott hat uns in die | Welt gesezt, um ihn zu offenbaren. Tausende von Welten rollen um uns her, aber wir wissen es nicht, wir vermuthen es nur, daß da auch geistiges Leben waltet; auf diese Welt aber ist der Mensch gesezt, um ihn immer herrlicher zu offenbaren, um den Gott, zu welchem und durch welchen er erschaffen ist, in seinem Leben und seiner Liebe zu verherrlichen. Dazu soll Alles dienen und führen, was wir auf dieser Erde thun; und wer es um deß willen thut, der thut es nicht für sich, der thut es nicht für diesen und jenen, der thut es aus dem ewigen Grund der Liebe auch für das Ewige. Möge denn jede Erneuerung der göttlichen Gaben, die wir aus der Hand der Natur empfangen, uns immer wieder dazu führen, daß das Irdische nur da ist um des Ewigen willen, damit das göttliche Wesen sich in den Menschen, die seines Geschlechtes sind, immer deutlicher offenbare, und die Herrlichkeit seines eingebornen Sohnes, das freudige Leben seines Geistes immer mehr aus jeder menschlichen Thätigkeit hervorleuchte. Brauchen wir dazu seine Gaben nicht, so haben wir sie gemißbraucht; haben wir ein anderes Ziel als dies im Auge, so sind wir mit aller menschlichen Weisheit nur Thoren, Thoren, die sich immer fürchten müssen, weß das sein werde, was sie bereitet haben, die immer an dem hangen, als ob es kein Ende habe, was doch so bald ein Ende hat. Zu dieser Weisheit wolle er uns leiten, und alles, was uns in der Geschichte mahnt, alles was um uns her vor unsern Augen vorgeht, alles was uns in der Nähe umgiebt, jede Gefahr 20 ihn] 7. Sammlung, S. 527: Gott 1–2 Vgl. Joh 5,24

14 Vgl. Joh 14,6

29 Vgl. Apg 17,28

30 Vgl. Joh 1,14

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des Todes, wie jede Kraft des Lebens möge uns dazu immer kräftiger hindrängen, damit wir immer mehr auch diese gött|liche Stimme verstehen, und sie nicht nöthig habe uns Thoren zu schelten, sondern der Geist Gottes Zeugniß geben könne unserm Geist, daß wir seine Kinder sind. Amen. Lied 652, 6.

3–5 Vgl. Röm 8,16 6 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 652: „Herzen, wallt mit frohen Schlägen“ (Melodie von „Wachet auf, ruft uns die Stimme“); die sechste und letzte Strophe lautet: „Sieh! in Lieb’ und Dank ergossen sehn Christi Jünger und Genossen schon manches hohe Ziel erreicht. Leit’ auf alle ihre Pfade, o Herr, ein Bächlein deiner Gnade, das bis ins ewge Leben reicht. Sey mit uns fort und fort in allem Thun und Wort, und mit Allen, die deine Hand in jedem Land zum Bund’ auf deinen Sohn verband.“

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Am 9. Oktober 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

19. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 1,29–38 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 54–67, Nr. V; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 13.

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Tex t . Marcus I, 29–38. „Und sie gingen bald aus der Schule und kamen in das Haus Simons und Andreas mit Jacobi und Johanne. Und die Schwieger Simons lag und hatte das Fieber; und alsobald sagten sie ihm von ihr. Und er trat zu ihr und richtete sie auf und hielt sie bei der Hand; und das Fieber verließ sie bald, und sie dienete ihnen. Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm allerlei Kranke und Besessene, und die ganze Stadt versammelte sich vor der Thür, und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Seuchen beladen waren; und trieb viele Teufel aus und ließ die Teufel nicht reden, denn sie kannten ihn. Und des Morgens vor Tage stand er auf und ging hinaus. Und Jesus ging in eine wüste Stätte und betete daselbst. Und Petrus mit denen, die bei ihm waren, eileten ihm nach. Und da sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann suchet dich. Und er sprach zu ihnen: lasset uns in die nächsten Städte gehen, daß ich daselbst auch predige; denn dazu bin ich gekommen.“ | Das Erste in den verlesenen Worten, m. a. Fr., ist die Erzählung von der Krankheit der Schwiegermutter des Petrus, ähnlich auf den ersten Anblick so vielen anderen Erzählungen von der Art und Weise, wie unser Erlöser auch die äußerlichen Leiden der Menschen linderte und heilte. Wenn ich aber sage auf den ersten Anblick: so meine ich es so, daß ich gern wollte, Alle glaubten, das sei keine solche im eigentlichen und engsten Sinn des 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 13: „Ich ruf’ zu dir, Herr Jesu Christ“ (in eigener Melodie)

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Worts wunderbare Geschichte, wie der größte Theil der übrigen es gewiß sind. Unser Erlöser, m. g. Fr., verliert gewiß gar nichts dabei, wenn eins mehr oder eins weniger von den Thaten, die er gethan, Wunder genannt wird; vielmehr werden wir uns wol alle sagen müssen, daß es für uns ein viel weniger großes, ein viel weniger erfreuliches Bild und eine viel weniger lebendige Ueberzeugung von dem Göttlichen in ihm geben würde, wenn das Natürliche und Wunderbare auf solche Weise streng geschieden wäre, daß wir es gleich auf den ersten Anblick wissen könnten, das Eine ist natürlich, das Andere wunderbar; oder wenn wir denken, ihm selbst wäre ganz anders zu Muthe gewesen, wenn er das Eine gethan, was ein Natürliches gewesen wäre, und wenn er das Andere gethan, was ein Wunderbares gewesen wäre. Aber wenn Er dabei nichts verlieren kann, so gewinnt die Schwiegermutter des Petrus gar sehr dabei, wenn dieses keine im eigentlichen Sinn des Worts wunderbare Geschichte ist. Denn was ist sie uns dann? Sie ist uns dann ein schönes und erweckliches Beispiel von der Kraft des Willens und besonders der Kraft der Liebe über die körperlichen Zustände des Menschen; und das ist etwas, was uns unter allen besonders aber unter unsern gegenwärtigen Umständen in hohem Grade erwecklich sein kann und sein muß. | Gewiß, m. th. Fr., das werden wir wol Alle gestehen, und unsere jetzige Erfahrung lehrt es uns auf das deutlichste: von den körperlichen Zuständen und den Veränderungen und Bewegungen des Lebens, von der Art, wie sie vor sich gehen, wie sie sich im Geheimen und Verborgenen bilden, und was die Art ist, wie das Heilende auf sie einwirkt, von dem Allen wissen wir wenig; was wir aber wissen, ist, daß es einen Uebergang gibt in den geheimen Bewegungen des Lebens von dem, was offenbar unserem Willen unterworfen ist, zu dem, was ohne unser Zuthun, ja ohne unser Wissen vorgeht. Nun ist offenbar, je mehr wir ein Gebiet in den körperlichen Zuständen erhalten, auf welches sich auch unsere Willenskraft erstreckt, je mehr Alles, was dem Leiblichen angehört, dieser Kraft unterthan wird: um desto mehr ist unser Leben werth, um desto besser befinden wir uns in dem Bewußtsein unserer geistigen Kraft. Und nun ist das eine ziemlich allgemeine Erfahrung, daß wir unterscheiden können, daß es in vielen Menschen gibt ein träges, hoffnungsloses sich Hingeben in alle Veränderungen des Körpers, die mit ihnen vorgehen, in Anderen wieder eine widerstrebende Kraft, die der Geist ausübt über die krankhaften Zustände des Körpers. Wenn der Eine alle seine Thätigkeiten aufgibt, an Nichts denkt als an 18–19 Zabel erklärt dazu in einer Fußnote: „Die Predigt ist zur Zeit der Cholera gehalten.“ Es handelte sich um die erste Epidemie der sog. Asiatischen Cholera in Deutschland, betroffen war von Ende August bis Dezember 1831 auch Berlin. Vgl. oben Einleitung I. 4.

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seinen leidenden Zustand: so ist der Andere unverdrossen, wird nicht gestört in seiner Thätigkeit, thut nicht als ob ihm etwas fehle; sondern sucht, daß er etwas findet, wodurch er den Mangel ersetzt, wodurch er die Kraft seines Geistes rein bestimmen läßt; suchet, seine leibliche Kraft durch seine geistige zu ersetzen. Nun sind grade die Veränderungen in dem Umlauf des Bluts, wie unsere Erzählung von der Schwiegermutter des Petrus ein solcher Fall war, an den Grenzen von diesen Zuständen; sie gehen vor sich ohne unser Zuthun, aber offenbar ist es, daß unsere Gemüthszustände einen großen Einfluß darauf haben. Anders bewegt sich das Blut in einem Zustande der Furcht und der | Angst, anders bei dem Toben der Leidenschaft, anders in dem ruhigen Zustande des Gemüths, das von keinem heftigen Drange und Triebe bewegt ist. Wenn wir uns nun denken, der Erlöser kommt in das Haus des Petrus, und da ist dessen Schwiegermutter gewohnt, mit der treuen, liebevollen Fürsorge und Thätigkeit, wie wir es oft bei vorgerücktem Alter finden, im Hause zu schalten; nun kommt der Erlöser und würdigt sie, in ihr Haus einzugehen, und sie will dem Erlöser dieselbe Thätigkeit beweisen, aber sie vermag es nicht, es fesselt sie das Fieber; nun er aber zu ihr tritt, nun er sie aufrichtet, nun er ihr die Hand reicht, – ja da ist es dieses Hinzutreten zu ihr, da ist es die wohlthätige Wirksamkeit seiner Nähe, die dem Willen, der in ihr aufsteigt, ihre Dienste ihm zu weihen, die Gewalt ertheilt über die krankhaften Zustände des Leibes, da verläßt sie das Fieber und sie dienete ihm. Und ich will nicht gesagt haben, daß das etwas Vorübergehendes gewesen wäre, und sie hernach in dieselbe Krankheit, vielleicht, wovon uns die Erzählung nur weiter keine Nachricht giebt, desto stärker zurückgefallen sei, wie sich das zuweilen wol ereignet nach großen Anstrengungen; sondern wir wollen denken, daß es so geblieben, daß das Fieber sie nun gänzlich verlassen habe: und es kann doch ebenso zusammenhangen, wie ich es gesagt habe. Nun hat, m. g. Fr., unstreitig das Leben einen viel größeren Werth, wenn wir es darauf wagen und von der fröhlichen Hoffnung ausgehen, daß es solche Kraft des Willens über das leibliche Leben des Menschen giebt; je mehr wir diese Hoffnung in uns tragen: desto höher steigt der Werth unseres Daseins; wie auf der anderen Seite je weiter diese Hoffnung von uns abliegt: desto geringer erscheint uns der Werth desselben. Und was, m. g. Fr., was sollte mehr haben wirken können, um körperliche Uebel zu überwinden, um Störungen in unseren Lebenswerkzeugen auszugleichen, als die Liebe zum Erlöser? Wenn er nun vor uns nicht leiblich dasteht: nun wohl, | so wissen wir, wie Er bei allem Wichtigen und Großen im Leben uns gegenwärtig sein soll, wie wir angeregt sein sollen durch seinen Willen, durch das Bewußtsein dessen, was Er von uns verlangt, wovon Er wünschte, daß wir es deutlich erkennen möchten. Und dieses Bewußtsein soll unsere Kraft erhöhen, das soll den Werth unseres Lebens steigern, daß wir dem in einem gewissen Grade nachkommen, was er durch

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seine geistige Gewalt über die leiblichen Zustände in Andern in seinen wunderbaren Heilungen wirkte. Denn darin sehen wir ja dasselbe Streben, alles Leibliche dem Geistigen zu unterwerfen; das war es ja, was er nicht aushalten konnte, wenn er die leidenden Menschen um sich her versammelte, daß das geistige Leben unterdrückt war von den leiblichen Uebeln und Mängeln, darum trat er mit seiner alles Menschliche so weit übersteigenden geistigen Kraft hinzu, und so war es das Zusammentreffen ihrer geistigen Empfänglichkeit mit seiner übermenschlichen geistigen Kraft, welches solche Wirkungen hervorbrachte. Ist nun das Wunderbare, ist nun das Uebernatürliche verschwunden, wie das nothwendiger Weise mit der Entfernung des Erlösers von der Erde, mit der Ausgießung seines Geistes über die Gesammtheit seiner Gemeine nach der Gnade Gottes in das Gebiet der Natur einkehren mußte: so soll doch die Gewalt des Geistes über das Leibliche zunehmen. Und so sollen wir dieses herrliche Bild anschauen nicht auf vergebliche Weise, sondern uns darin üben, daß uns die Liebe zu dem Erlöser, die Liebe zu seinem und unserem himmlischen Vater, die Liebe zu allen Anderen, die er geliebt, immerdar treibe; und wo uns diese treibt, da soll sich immer eine größere, die Unvollkommenheit des leiblichen Lebens überwindende geistige Kraft darstellen, da soll der Geist herrschen und uns leiten zu einem richtigen Gebrauch unserer Kräfte und sie alle gegenseitig gegen einander ausgleichen und zu einem großen Ganzen hinführen. | Das Zweite, m. g. Fr., in den verlesenen Worten, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten wollen, ist die Erzählung des Evangelisten, daß sie zu Christo, nachdem er am Morgen in der Schule den geheilt hatte, der von einem unsauberen Geiste besessen war, und er hernach denselben Tag im Hause seines Jüngers zugebracht, daß sie am Abend, nachdem die Sonne untergegangen war, zu ihm brachten allerlei Kranke und Besessene, so daß die ganze Stadt vor seiner Thür versammelt war. Wenn sie schon am Morgen jenen Beweis von der Kraft des Erlösers erhalten hatten und der ganze Tag vor ihnen lag, um seine Liebe und sein Erbarmen für die Leidenden in Anspruch zu nehmen, warum warteten sie denn damit bis auf den Abend? Ja, weil es ein Sabbath war; weil der Buchstabe des Gesetzes auf ihnen lastete, weil sie sich doch in Bewegung setzen mußten, weil sie gehen mußten von ihrer Wohnung zu der seinigen, um die Kranken und Besessenen zu ihm zu bringen, weil sie nicht unterscheiden konnten, was ein Werk der Noth und was ein Werk der täglichen Arbeit wäre, weil sie keine Kraft hatten, darüber einen Entschluß zu fassen: so warteten sie, bis der Sabbath vorüber war, und nun drängten sich Alle zusammen und durch einander, und was ein Werk der Ordnung gewesen wäre, wenn sie ruhig im Laufe des Tages Einer nach dem Andern zu ihm gegangen wären, das wurde nun, da die Zeit drängte, ein Werk der Unordnung. So müssen wir uns denn freuen, daß der Erlöser sagt: „des Menschen Sohn ist Herr auch über den Sabbath,“ 42 Mt 12,8; Mk 2,28; Lk 6,5

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und daß auch wir nicht mehr unter der Gewalt des todten Buchstabens stehen, sondern von diesem befreit sind durch den, der uns gelehrt hat, daß wir, wenn wir Gott anbeten wollen, ihn anbeten müssen im Geist und in der Wahrheit. | Und doch, m. g. Fr., ist auch unter den Christen die Gewalt des Buchstabens wieder so groß geworden; wie deutlich und ausdrücklich es auch in den Schriften des Neuen Bundes gesagt ist, daß der Buchstabe tödtet, der Geist aber lebendig macht: so hat doch jener wieder eine so große Gewalt gewonnen. Freilich finden wir in Beziehung darauf einen bedeutenden Unterschied unter den Christen. Einige sind freier in dieser Knechtschaft des Buchstabens, trauen sich selbst zu zu unterscheiden, was dem Sabbath würdig sei und was nicht; Andere aber sind noch tief zurückgesunken unter diese Gewalt, und ganze christliche Länder finden wir, wo in dieser Beziehung die äußerste Strenge herrscht, und nicht nur stehen sie selbst unter dieser Knechtschaft des Buchstabens, sondern wie der Erlöser sagt von seinen Zeitgenossen, daß sie Länder durchwanderten und Meere durchschifften, um zu sehen, ob sie nicht Einen könnten zurückführen unter das Gesetz des Buchstabens; so thun diese es auch, obgleich sie freilich von einem Geist der Liebe dabei getrieben werden, durchschiffen auch die Meere und schicken zu ihren wie sie meinen leichtsinnigen Brüdern, um zu sehen, ob sie nicht Einen könnten zurückführen zu der Knechtschaft des Buchstabens, unter der sie stehen. Und ebenso wie ich vorher gesagt, daß kein solcher bestimmter schroffer Unterschied zwischen dem Wunderbaren und dem Natürlichen in dem Wirken des Erlösers sei, sondern Alles aus Einem Geist, aus Einer Kraft der göttlichen Liebe hervorgehend: so sehen wir, wie der Erlöser auch wirklich in seinem ganzen Leben von dieser Gewalt des Buchstabens vollkommen frei war, nicht nur wenn er in der Fülle seines klaren Bewußtseins mit Anderen davon redete, sondern auch in der täglichen Uebung des Lebens. Er wußte nichts von einem Unterschied zwischen dem Sabbath und den anderen Tagen, als er jenen fand, der von einem | unsauberen Geist besessen war, und er würde ebenso gut, wäre die Sonne auch noch nicht untergegangen gewesen, mit derselben Liebe, ohne zu bedenken, was für ein Tag es wäre, jene, die sie zu ihm gebracht, aufgenommen und sie geheilt haben und auch auf sie mit seiner geistigen Kraft wirksam gewesen sein. Wie sollten wir deshalb nicht glauben können, daß wir uns ihm nähern, daß wir um so bessere Christen sind, je mehr wir eine solche Gewalt des todten Buchstabens aufheben? Allerdings hat jene Einrichtung, von der wir aber Aehnliches unter allen Völkern finden, daß es einen Tag der Ruhe gibt von der gewöhnlichen Arbeit, der Einkehr in sich selbst, des Stillstandes aller andern Verhältnisse, die uns so oft auf mannigfaltige Weise verwirren, ihr Gutes, damit wir in Ruhe und Stille das Verworrene wieder 2–4 Vgl. Joh 4,23f

7–8 Vgl. 2Kor 3,6

15–18 Vgl. Mt 23,15

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ordnen und mit frischem Muthe wieder die Arbeit beginnen können; offenbar aber steht diese Einrichtung im Zusammenhang mit den großen äußerlichen Unterschieden, die wir unter den Menschen finden, mit der Art wie Einem Menschen und seinem Willen andere Einzelne unterworfen sind, und darum war auch in dem Alten Bunde, für dessen Verhältnisse der Sabbath eingerichtet wurde, das das Wichtigste, daß Keiner sollte am Sabbath seinen Knecht und auch sein Vieh nicht einmal zwingen zur Arbeit. Je mehr aber jenes aufgehört hat, je mehr jeder selbst der Herr ist seiner Bewegungen und der Art, wie er seine Zeit ausfüllt: um desto mehr verliert jenes Gebot von seiner Kraft und seiner Bedeutung; so daß wir immer davon ausgehen müssen, wie es der Erlöser sagt, des Menschen Sohn ist Herr über den Sabbath; denn das heißt nichts Anders, als jeder soll das richten und schlichten nach seinem eigenen Gewissen, nach dem Beruf, den er zu erfüllen hat, nach den jedesmaligen Verhältnissen, in denen er lebt, ohne daß es nöthig wäre, im Buchstaben etwas darüber festzusetzen. | Fragen wir nun: warum stellt sich der Erlöser auf so ausgezeichnete Weise dar, daß er der Herr über den Sabbath sei, zugleich aber so, daß er auch seine Jünger nicht davon ausnimmt? Wenn ich vorher sagte, daß es nicht solch schroffer Gegensatz war zwischen dem Wunderbaren und Natürlichen in der Ausübung seiner übermenschlichen Kraft: so ist es noch viel mehr einleuchtend, daß es für ihn nicht geben konnte einen Unterschied zwischen der Einkehr des Gemüths und den Geschäften des Tages, denn er war immer und überall Eins mit dem Vater; mochte er öffentlich predigen, mochte er die Untugend, die Kurzsichtigkeit, die Schlechtigkeit der Menschen ihnen vorhalten und an den Tag bringen, mochte er mit seinen Jüngern die Geschäfte des Lebens theilen, mochte er in die Einsamkeit gehen, um dort in der Stille zu seinem Vater zu beten: überall war Er Eins mit seinem Vater, immer floß Alles aus der Liebe zu ihm, aus der Art, wie sein Wille klar in seiner Seele stand, so daß er nichts that, was ihm der Vater nicht zeigte. So war er der Herr über den Sabbath; wie sollten wir nicht dasselbe sein? Wenn wir von einer Woche zur andern hier zusammenkommen, um uns mit einander zu stärken und zu erbauen aus dem göttlichen Wort: sollen uns nicht seine heilbringenden Reden vor Augen stehen auch in den Geschäften des Lebens? sollen wir für seinen geistigen Umgang beschränkt sein auf den Einen Tag? Das wird niemand sagen, sondern überall wo der Erlöser und sein Vater in den Herzen der Menschen Wohnung macht, da ist Sabbath, und ich möchte wissen, was es für einen größeren und heiligeren geben könnte. Wohlan denn, m. G., jeder Tag wird in dem Maße Sabbath und heilig sein, als Alles was wir thun von der Liebe zu unserem himmlischen Vater, 6–7 Vgl. Ex 20,10; Dtn 5,14 37 Vgl. Joh 14,23

22–23 Vgl. Joh 10,30

29–30 Vgl. Joh 5,20

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den uns sein Sohn offenbaret hat, ausgeht, und Alles ist unheilig, was dem entgegensteht, geschehe es an einem oder dem anderen Tage. | Darum, m. th. Fr., lasset uns nicht wieder uns gefangen geben unter irgend eine andere äußerliche Satzung. Daß der Sabbath ein Tag der Ruhe ist, ist eine schöne Einrichtung, die auch von dem bürgerlichen Gesetz nicht nur geehrt, sondern auch gehandhabt wird; aber auf das Verhältniß zwischen uns und unserem himmlischen Vater soll diese Einrichtung je länger je weniger Einfluß haben. Wir sehen, daß, wo es ein eifriges Christenthum gibt, da gibt es auch Zusammenkünfte mehrerer Menschen, die in erbaulichen Gesprächen ihr Inneres sich gegenseitig offenbaren, und wenn es auch nur zwei oder drei sind, die sich so zusammenfinden, so ist doch nach seiner Verheißung der Erlöser mitten unter ihnen. Das sind schöne Tage des Sabbaths, und so unterscheidet sich der Sabbath mehr oder weniger von den anderen Tagen. Aber soll uns der Sabbath verschließen für die Noth unserer Brüder, sollen wir ängstlich uns jeder Beschäftigung, auch jeder hülfreichen, enthalten, gefesselt von der Gewalt des Buchstabens? Dann wären wir nicht mehr Herr über den Sabbath. Aber an diesem wie an allen anderen Tagen sollen wir bei dem, was wir thun, den Erlöser vor Augen und Gott im Herzen haben, und so müssen alle Errichtungen des Sabbaths für uns nur äußerliche sein, deren wir uns freuen, die wir genießen mögen; – denn wie sollte es uns nicht freuen, wenn wir sicher sind, eine größere Anzahl derer, die mit uns aus derselben ewigen Quelle des Heils schöpfen, beisammenzusehen, wo es dieselben Worte des Erlösers sind oder Worte seiner Jünger, welche uns erbauen, beleben und vereinigen? – dessen erfreuen wir uns und genießen es; aber daß dies eine äußere Gewalt erhält über uns, daß es uns hindern sollte in dem, was ein von der Liebe zum Erlöser und zu seinem und unserem Vater getriebenes Herz thun würde: nein, m. g. Fr., dazu wollen wir uns nicht führen lassen, und wie sehr wir auch die Liebe derer, die von Weiten zu uns kommen, anerkennen, wollen wir ihnen | doch sagen, daß wir nicht Knechte des Buchstabens sind, sondern durch den heiligen Geist uns erfreuen der Freiheit der Kinder Gottes. Endlich, m. g. Fr., lasset uns noch achten auf die letzten der verlesenen Worte, wo gesagt wird, daß Jesus, nachdem er noch am Abend Viele von den Kranken, die sie zu ihm brachten, geheilt habe, am Morgen des Tages, wo es nicht mehr Sabbath war, hinausgegangen sei in eine einsame Stätte und daselbst betete, und Petrus und die Anderen, die bei ihm waren, gingen ihm nach, und da sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: „jedermann suchet dich;“ er aber sprach zu ihnen: „lasset uns in die nächsten Städte gehen, daß ich daselbst auch predige, denn dazu bin ich gekommen.“ Der Evangelist hatte erzählt unmittelbar vorher zuerst jene Geschichte von dem Besessenen in der Schule, dann die von der Schwiegermutter des Petrus, 10–12 Vgl. Mt 18,20

40–41 Vgl. Mk 1,23–27

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dann wie allerlei Kranke und Leidende und mit allerlei Seuchen Behaftete zu ihm gebracht waren, und er ihnen geholfen hatte, und indem Petrus sagte: „jedermann suchet dich,“ so war es dieselbe Begierde nach den wunderbaren Wirkungen seiner über alles Menschliche hinausgehenden geistigen Kraft, welche sie trieb, ihn zu suchen. Was antwortet er nun? „Lasset uns in die nächsten Städte gehen,“ – sagt er, aber nicht, damit ich da auch die Teufel austreibe, die Seuchen heile, den Kranken Linderung schaffe, sondern – „daß ich daselbst auch predige, denn dazu bin ich gekommen.“ So sehen wir, m. g. Fr., wie eben jene wunderthätigen Hülfsleistungen, die er den Menschen erweist, ganz von ihm in den Hintergrund gestellt werden, wie er sie gar nicht mit zu seinem eigentlichen Beruf zählt, sondern „lasset uns in die nächsten Städte gehen,“ sagt er, „daß ich dort auch predige, denn dazu bin ich gekommen.“ Die Predigt vom Reiche Gottes, von ihm selbst als dem, der da gekommen war, um die | Menschen selig zu machen, von der rechten Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, von der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit, diese Predigt war sein Beruf, sagt er, diese sollte er bringen zu so vielen Menschen als er konnte, – in der Begrenzung freilich, die er sich selbst auferlegte, und die nothwendig in den damaligen Verhältnissen gegeben war, aber innerhalb dieser Grenzen war sein Beruf, dieses Reich Gottes zu verbreiten, so weit er konnte. Und die Menschen, nachdem sie seine Predigt gehört und seine wunderthätige Kraft erfahren, je mehr sie sich nun zu dieser letzteren hinwandten, desto mehr kamen sie von der Hauptsache ab, und um desto mehr war es an der Zeit, zu Anderen zu gehen, die noch nicht durch solche sinnliche Betrachtungen abgelenkt waren von der Empfänglichkeit für die Predigt vom Reiche Gottes. Aber dessenungeachtet finden wir nicht, daß er jemals inne gehalten hätte mit seinen wunderthätigen Hülfsleistungen; wir finden nicht, daß er es sich versagt hätte, den Leidenden beizustehen, ohngeachtet er täglich wahrnehmen mußte, daß die Menschen von dem Geistigen ab auf das Leibliche hingelenkt wurden. So sehen wir, wie er hier auf der einen Seite sich nicht stören ließ in dem, was auch zu seinem Leben gehörte, weil es ein Beweis seiner Kraft und seiner Liebe war, – darin ließ er sich nicht stören durch die Folgen, die es hatte, und die er nicht wollte; aber zu seinem Berufe rechnete er nur den geistigen Theil seines Lebens. Ob er Wunder thun konnte oder nicht, das hing allemal von Zufälligkeiten ab. Als er zu seinen Jüngern sagte: „lasset uns in die nächsten Städte gehen;“ so konnte er nicht wissen, indem er Arzt für die kranken Seelen war, ob er Leidende finden würde oder nicht, ob sie sich an ihn wenden würden oder nicht, ob es auf die rechte Weise würde verstanden werden, oder ob sie auch zu ihm sagen würden, er treibe die Teufel aus durch den Obersten der Teufel; – 14–15 Vgl. Mt 18,11; Lk 19,10 40 Vgl. Mt 9,34; auch 12,24

15 Vgl. Röm 1,17

15–16 Vgl. Joh 4,23f

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eben weil dieses auf zufälligen Umständen beruhte, konnte er darauf nicht achten, er nahm es, | wie es kam, es gesellte sich zu dem, was ihm zufiel von selbst, indem er nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachtete. Dieses war allein sein Beruf. Und so sollen wir auch unser Leben ordnen. Wir haben Alle denselben Beruf, wie der Erlöser und seine Jünger; wozu Er in die Welt gesandt war, dazu hat er seine Jünger auch gesandt und auch wir sind berufen zu derselben Predigt. Aber nicht durch das Wort allein, auch durch die That, in der Art, wie wir das Leben einrichten, in dem Geist, der daraus hervorleuchtet, können und sollen wir von dem Reiche Gottes predigen. Aber nun gibt es eine Menge anderer Kräfte, die uns einwohnen, und Erweisungen, die davon ausgehen, aber mit denen wir auch haushalten sollen. Wenn wir etwas thun können, was nützlich, was heilsam ist, was die Wirksamkeit der Menschen fördert, ihr Leben erleichtert: da sollen wir es eben so thun, wie der Erlöser es durch seine Wunder gethan; aber wir sollen uns dadurch nicht beschränken, dadurch nicht bestimmen lassen. Das Eine steht fest, daß wir unsere Predigt von dem Erlöser thun in allen Worten, in allen Handlungen; was für geistige Kräfte Gott in einen Jeden gelegt, denen sollen wir freies Spiel geben, wie der Erlöser seiner wunderthätigen Kraft; wir sollen das Werk Gottes thun, wenn es uns vorhanden kommt; aber Werth sollen wir nur darauf legen, daß wir den rechten christlichen Beruf üben, Rechenschaft sollen wir überall geben, ob wir irgend etwas, was in unser Leben hineingehört, in solchem Sinn und Geist gethan haben, daß es mit dieser Predigt nicht streitet. Dann wird jeder Tag auf gleiche Weise ein Tag der Arbeit und Thätigkeit sein, wenn wir die Liebe wirksam sein lassen, die die Frucht des Geistes ist; aber deswegen auch ein Tag der Ruhe und des Sabbaths, des Bewußtseins unseres eigenen Verhältnisses zu dem Erlöser, in dem wir wirken und schaffen; und je mehr wir zu dieser Einheit kommen, je mehr unser Leben nicht auf diese oder jene Weise getheilt ist: | um desto mehr stellt sich das Bild des Erlösers in uns dar, um desto gewisser wird Alles, was wir thun, nichts sein als eine Predigt von dem ewigen und seligen Reich Gottes, zu dem wir alle berufen sind. Amen. Lied 25, 2–3.

2–4 Vgl. Mt 6,33 33 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 25: „Dir, unserm Gott, sey Lob“ (Melodie von „Nun danket alle Gott“)

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Am 16. Oktober 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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20. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 14,18–19 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. XI SW II/3, 1835, S. 92–106; 21843, S. 96–111. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 194–206. Keine Keine

Am 20. Sonntage nach Trinitatis 1831.

Lied 44. 474. Text. Lucas XIV, 18 flgd. „Und sie fingen an Alle nacheinander sich zu entschuldigen ... und sprachen zu ihm: ich bitte dich, entschuldige mich.“

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M. a. Fr. Es bedarf wohl nur dieser wenigen Worte, die ich absichtlich nur auszugsweise vorgelesen habe, um uns Allen die ganze Gleichnißrede in Erinnerung zu bringen, woher sie genommen sind. Der Erlöser scheint dieselbe, wie wir aus den verschiedenen Darstellungen derselben in unsern Evangelienbüchern schließen müssen, selbst öfter in verschiedenen Formen wiederholt zu haben, wie nämlich eine Einladung ergangen sei zu einem großen Mahl und die Gäste auch vorläufig verheißen hätten zu erscheinen. Als aber die Stunde selbst gekommen war, und sie aufgefordert wurden sich nun einzustellen: so hatte der Eine dies, der Andere jenes in seinen Geschäften vorzuschüzen, und sprachen die Worte, die ich Euch gelesen habe. | Die nächste Anwendung, welche von diesem Gleichniß gemacht werden sollte, war von der Art, daß der Erlöser öfter Veranlassung 2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 44: „Du riefst mich, Vater, aus dem Nichts“ (Melodie von „Herzlich lieb hab’ ich dich, o Herr“); Nr. 474: „Herr, ich hab’ aus deiner Treu“ (Melodie von „Meinen Jesum laß ich nicht“) 6–8 Vgl. Lk 14,16–24; die Verse 21–24 spielen allerdings für die Predigt keine Rolle. 8–13 Vgl. außer Lk 14,16–24 die Parallele in Mt 22,1–14

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hatte es zu wiederholen. Er lebte, wie wir wissen, ganz unter seinem Volke, und hatte sich selbst darauf beschränkt, daß er nur gekommen sei zu den verlorenen Schaafen vom Hause Israel. Diese hörte er nicht auf zu sich einzuladen, und ihnen zu verkündigen, Das Reich Gottes sei nahe herbeigekommen, sie möchten sich nun auch zu demselben einfinden, und sich zu dem Ende um ihn her sammeln; er werde ihrer wahrnehmen, sie gegen Alles, was ihnen gefährlich werden könne, beschüzen, und sie sicher in dieses selige Reich Gottes hineinführen. Es waren auch immer Viele, die seiner ersten Einladung Gehör gaben; wenn sich seine Stimme vernehmen ließ, so sammelten sich die Menschen zu Hunderten und Tausenden um ihn her, und die Begierde, die Worte der Weisheit aus seinem Munde zu hören, schien immer mehr zu wachsen, anstatt daß sie sollte gesättigt werden: aber dennoch, wenn nun gefordert wurde, daß sie einen entscheidenden Schritt thun sollten um zu beweisen, daß sie auch wirklich erscheinen wollten in diesem Reiche Gottes, wie er es ihnen vorbildete, wenn er ihnen zu dem Ende nähere Winke gab über die Beschaffenheit des Mahles zu dem sie geladen waren, dann zogen sie sich zurükk und gingen wieder hinter sich. Was mir aber, m. a. Fr., diese Worte heute, um sie zum Gegenstand unserer Betrachtung zu machen, empfohlen hat, das war, daß ich veranlaßt wurde mich an unsere neuliche Erndtebetrachtung wieder zu erinnern. Schlimm, dachte ich, freilich sehr schlimm, wenn der Mensch sich einladet nur zum Genuß des irdischen Wohllebens und des irdischen Besizes, und | nicht gedenket der Stimme, Du Thor, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern! aber noch viel schlimmer, wenn der Mensch die göttliche Einladung überhört in diesem kurzen und flüchtigen irdischen Leben, und so wenig dieser bedeutungsvoll warnenden Stimme eingedenk, wenn die Worte an ihn ergehen, Kommet nun, mein Mahl ist bereit! dann dies und jenes zu seiner Entschuldigung anführt. Je höher der ist, der uns zu seiner Gemeinschaft ruft, sei es auch nur auf flüchtige aber desto ausgezeichnetere Augenblikke des Lebens: desto weniger wagen wir, selbst dann wenn wir es wohl sollten, weil uns eine Pflicht davon abhält, aber doch wagen wir desto weniger eine Entschuldigung vorzubringen. Wenn aber denen, welche die Einladung zum göttlichen Mahl an uns ergehen lassen, so oft gesagt wird, Ich bitte dich, entschuldige mich; wenn wir dies immer noch um uns her hören und die Folgen davon wahrnehmen: welche Fülle trauriger Betrachtungen muß das denen 2–3 Vgl. Mt 15,24; ferner 10,5f 4–5 Vgl. Mk 1,15; auch Mt 4,17 6–8 Vgl. als Hintergrund wohl das Bild vom guten Hirten Joh 10,11–15 18–19 Vgl. Joh 6,66 21–23 Vgl. die Predigt am 2. Oktober 1831 über Lk 12,16–21 25–26 Lk 12,20

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erregen, welche selbst dieser göttlichen Einladung Gehör gegeben haben, und jenes Mahl in seiner ganzen Herrlichkeit und Schönheit kennen. Aber wohin, m. g. Fr., gehören denn wir? Ich kann ja nur fragen, um eine Antwort zu geben, die Alle voraussezen. Wir, die wir uns hier vereinigen, um gemeinschaftlich dessen zu gedenken, der uns in das Reich Gottes berufen hat, um uns an seinen Worten zu erbauen, zu stärken, wir können ja nur als solche erscheinen, denn sonst würden wir uns gar nicht hier finden, die seine Einladung gehört nicht nur sondern auch angenommen haben. Ob wir nicht auch hie und da im einzelnen in dem Falle sind, ebenfalls zu sagen, ich bitte dich, entschuldige mich, was dieses und jenes | einzelne anlangt, das bleibe jezt dahin gestellt als eine andere Frage. Aber, m. g. Fr., wenn nun wir in der That der Einladung des Herrn Gehör gegeben haben: so sind wir doch zugleich Alle ohne Ausnahme, wie Er ja von Anfang an seine Jünger genannt hat, seine Diener, von ihm gesandt, wie Er selbst gesandt war um die Menschen einzuladen in dem Namen seines Vaters, so auch wir in dem seinigen und in des Vaters Namen. Liegt uns nun das ob, m. th. Fr., die Menschen einzuladen zum Reiche Gottes, so ist ja das auch ein Geschäft, welches gut verrichtet werden kann oder schlecht; und Mancher, der diesen schönen Beruf hat, drängt die Seelen und zwingt auch diejenigen seiner Einladung Gehör zu geben und sie anzunehmen, die vielleicht, wenn sie auf eine andere Weise wären angesprochen und aufgefordert worden, auch nichts anders gesagt haben würden als, Ich bitte dich, entschuldige mich. Ist nun die Erfahrung zu häufig, als daß wir sie unberükksichtigt übergehen könnten, daß noch immer nicht nur diejenigen sich oft entschuldigen, denen das Evangelium als etwas neues aus weiter Ferne gebracht wird, sondern nicht minder und auf mancherlei Weise auch die, welche unter uns leben, und mit dem Namen des Herrn und seinem Wort schon bekannt sind: so laßt uns darauf rechnen, daß dabei auch die Art der Einladung nicht außer Schuld sein kann. Und so wollen wir denn beides, wie es sich zusammenfindet und zusammengehört, auch mit einander erwägen, und wenn wir uns vergegenwärtigen, wie so Manche die göttliche Einladung abzulehnen pflegen, dann auch nach den Fehlern fragen, die | wir wol begehen mögen, indem wir die Einladung an sie bringen. I. Wenn wir, m. a. Fr., von der Einladung des Herrn zu diesem großen festlichen Mahle hören, welches das Reich Gottes bedeuten soll, so denken wir zuerst – und das ist auch vollkommen richtig – an die allgemeine Aufforderung, die im Namen des Erlösers gleichmäßig an alle Menschen ohne Unterschied ergeht, daß sie möchten dem

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nichtigen, welches leider die Meisten schon früh zu umgaukeln pflegt, den Rükken zuwenden und sich zum Ewigen hinkehren, um in ein höheres Leben einzugehen. Das ist die große alles umfassende Einladung zu einem höheren Dasein, welche allerdings auch früher schon gleichsam vorläufig und in öfteren Wiederholungen erging: aber daß alles bereit sei zum Genuß dieses Lebens aus Gott, das konnte dem Geschlecht der Menschen nicht eher angekündigt werden, bis die Zeit erfüllt und der Sohn Gottes erschienen war in der Welt. Auch jezt unter uns unterscheiden wir jene vorläufige Ankündigung, daß Alle geladen sind, wie wir sie von Jugend auf an diejenigen ergehen lassen, die unter uns aufwachsen, von der schließlichen und dringenden, mit der wir es so lange anstehen lassen, bis wir sie, weil wir ihnen den Erlöser bekannt gemacht haben, auch für fähig erklären, nun für sich selbst zu unterscheiden, was das niedere und höhere ist, was das nichtige und was das göttliche in dem Wesen des Menschen. Was ist es nun wol, das noch so Viele abhält, diese Einladung, wenn sie sie auch nicht gradezu und offen ausschlagen, doch | nicht, so wie sie gemeint ist, anzunehmen? Wenn wir den Ruf, den wir an sie ergehen lassen, nur auf die Theilnahme an dem geistigen Leben richten, welches Christus uns mittheilt: so wird sich wol nicht leicht jemand unter uns finden, der sich ganz und gar und einmal für immer entschuldigte, so daß er sich seines Antheils ganz entsagte an dem seligen Leben, zu welchem wir von oben her eingeladen werden; auch würden wir davon keine Kenntniß nehmen, sondern die Einladung immer erneuern. Aber für jezt entschuldigen sich immer Viele, und möchten aufschieben auf unbestimmte Zeit. Weshalb nun? weswegen meinen sie, noch wären sie nicht bereit und noch könnten sie sich nicht entschließen, der göttlichen Einladung zu folgen? Bei Manchen, m. g. Fr., ist es allerdings wohl nichts anders als die dem Menschen so natürliche Trägheit und Unbeweglichkeit. Sie mögen lieber fortwandeln auf dem Wege, den sie bisher verfolgt haben; aber soll irgendwie eine Veränderung mit ihnen oder in ihnen vorgehen, so mögen sie selbst das unbekannte ungewisse nicht auf ihre Rechnung nehmen, und möchten lieber, daß ihnen alles geschähe, ohne daß sie selbst brauchten einen Entschluß zu fassen und ihren Willen in Bewegung zu sezen. Bei Andern dagegen waltet zu dem was sie besizen und genießen, zu der Weise des menschlichen Lebens, in welche sie eingegangen sind, eine Liebe vor, nach Maaßgabe der Befriedigung die sie darin finden; und was sie zurükkhält, der Einladung in das Reich Gottes zu folgen, ist die Vorstellung, daß sie nun alles, was bisher ihr Genuß gewesen ist, fahren lassen sollen, daß sie die Art von Thätigkeit, mit der sie leicht 7–8 Vgl. Gal 4,4

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und bequem ausgereicht haben, in den Hintergrund stellen oder | sie ganz aufgeben sollen; und weshalb? zunächst nur, um einzugehen in einen harten und beschwerlichen Kampf. Aber, m. G., wenn wir uns nun fragen, was ist denn der Genuß, dem der Mensch entsagen soll, um der Einladung in das Reich Gottes zu folgen? Ist er denn etwas anderes, als was der Apostel im Sinn hat, indem er die Christen in Rom auf ihr voriges Leben hinweiset, Was hattet ihr damals für Frucht? welcher ihr euch jezt schämet, denn das Ende derselben ist der Tod!1 Es ist ja nur die mit der Sünde geschwängerte Lust, nur die der selbstsüchtigen Begierde dienende Thätigkeit, welche beide nicht anders können, als die Fähigkeit zu dem rechten wahren Leben ertödten; nur denen sollen sie entsagen, um hernach die Frucht zu haben, daß sie heilig werden, und das Ende das ewige Leben. Wenn es nun so ist, m. g. Fr., und der Unterschied so gar groß und in die Augen fallend zwischen dem, was die Menschen verlassen sollen, als dürftigen Genuß und nichtiges Streben, und der Seligkeit des göttlichen Lebens die ihnen geboten wird; wenn wir doch nicht sagen können, daß irgend eine Thätigkeit, die es nur verdient die menschliche Seele zu beschäftigen, und die Zeit ihres Hierseins mit einzunehmen, in dem Reiche Gottes verpönt wäre oder übel berüchtigt, sondern es jede würdige Wirksamkeit menschlicher Kräfte in sich aufnehmen kann: wenn dem so ist, m. th. Fr., werden wir nicht vermuthen dürfen, es müsse doch wohl an unserer Einladung liegen, wenigstens zum großen Theil an ihr liegen, wenn so Viele, | statt dieselbe anzunehmen, sich immer noch zurükkziehen und immer noch aufschieben, der Einladung des Herrn zu folgen zu seinem großen und seligen Mahl? Die Fehler nun, m. g. Fr., die wir dabei begehen, mögen freilich sehr mannigfaltig sein, derjenige aber, der hier wol am meisten verdirbt, und der gar häufig unter uns angetroffen wird, ist der, daß wir anstatt einzuladen abschrekken, daß wir, anstatt den Menschen die Seligkeit des Lebens zu zeigen, zu welchem sie berufen sind, ihnen gern zuerst einen Tod vorhalten, durch den sie hindurchgehen müssen, ihnen eine Seelenquaal ankündigen über ihren bisherigen Zustand, die ihnen nicht erspart werden könne, ein Vernichtungsgefühl von ihnen fordern, aus welchem allein das neue Leben hervorgehen könne. Das geht jedoch über unsern Auftrag hinaus, und wir müssen dadurch unsern Zwekk bei Vielen verfehlen. Denn so ist der Mensch, und das ist nicht in ihm zu ändern, zeigen wir ihm das Größte und Herrlichste, 1

Röm. 6, 21.

1 ausgereicht haben] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 560 Röm. 6, 22

39 Röm. 6, 21]

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aber erst in weiter Ferne, in der Nähe hingegen nichts als Kampf und Mühe, Schmerz und Thränen, Aufopferung und Selbstvernichtung: so hält er sich zurükk, und will nicht durch dieses alles hindurch zu jenem, wie groß und trefflich es ihm auch selbst erscheine. Eben deshalb aber, m. G., hat es auch der Erlöser nicht so gemacht. Es war gar nicht seine Weise den Menschen zunächst nur die Pein eines Bußkampfes anzukündigen, den sie zuvörderst bestehen müßten, oder ihnen Verzweiflung über ihren eignen Zustand einzuflößen. Oder könnt ihr sagen, wenn er sich für den Arzt erklärt, der zum Besten der Kranken gekommen sei, daß er sich ihnen mit dem glühenden Eisen in der Hand darstellt, um ihre Wunden auszubrennen? Oder zeigen sich die Ar|zeneien, die er innerlich anwendet, von der Art, daß ihre wenn auch nur ersten Wirkungen Angst und Schauder erregen? Und wenn er sich als der zu erkennen giebt, der gekommen sei zu suchen, was verloren ist: erzählt er von angsterregenden Schrekkmitteln, die er gegen die verlorenen Schaafe anwende, um sie in seine Arme zurükkzutreiben? oder nur wie er ihnen mit treuer Liebe nachgeht in die Wüste, sie an sich lokkt und zurükkträgt, und dann seine Freude an ihnen hat? Daraus folgt jedoch keinesweges, daß wir den Unterschied zwischen dem höhern Leben, zu welchem der Mensch durch Mittheilung des göttlichen Geistes allein gelangen kann, und dem irdischen Leben wie es sich in einer wohlgeordneten Gemeinschaft von selbst gestaltet, gering ansezen sollen! Davon könnte ja kommen, daß die Menschen zu dem großen und herrlichen Mahl, zu dem wir sie berufen sollen, gar nicht eingeladen würden. Aber die Nichtigkeit des bisherigen, o! die werden sie von selbst desto stärker fühlen, je deutlicher wir ihnen, wie es unser Beruf ist, die Herrlichkeit des andern zeigen; der Kampf, den sie zu bestehen haben gegen alle Erinnerungen, die sie unter der Gewalt des Gesezes in den Gliedern zurükkhalten wollen, der wird sich, wenn wir ihnen nur erst Liebe erwekkt haben zu der seligen Gemeinschaft in dem Geist des Herrn, schon von selbst entspinnen. Daher werden wir als seine Boten am meisten ausrichten, wenn wir mit denen, zu welchen wir gesendet sind, in eine möglichst nahe Gemeinschaft des Lebens treten, wo wir ihnen an uns selbst die Seligkeit zeigen können, zu der sie berufen sind. Dadurch werden wir sowol diejenigen reizen, welche noch von Trägheit abgehalten werden, der Einladung des Herrn zu folgen, | als auch diejenigen anlokken, die in anderm Genuß oder Geschäft befangen sind. So wird ja auch anderwärts der Mensch zu neuer Entwikkelung seiner Kräfte gelokkt durch Gemeinschaft mit höher ausgebildeten Kräften, die sich ihm darbie9–10 Vgl. Mt 9,12; Mk 2,17; Lk 5,31 28–29 Vgl. Röm 7,23

14–15 Vgl. Lk 19,10; ferner Mt 9,13; 18,11

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ten, und an die er sich anschließen kann. Darum, sollen wir mit Erfolg die Geladenen rufen um mit uns an dem Reichthum des neuen Lebens Theil zu nehmen, so muß es mit Freudigkeit geschehen, nicht unter ängstlicher Besorgniß, als ob wir selbst diesen Schaz noch leicht wieder verlieren könnten. Aber mehr noch als durch glaubensfrohes Wort geschehe es durch freudige That, indem wir durch reichliche Erweisungen des eigenen geistigen Lebens ihnen die Kräfte desselben vor Augen bringen, und das Verlangen darnach in ihnen wekken. Dann werden wir den Einen helfen ihre Trägheit, den Andern ihre Begierden zu überwinden, wenn sie einen kräftigen Eindrukk gewinnen von dem Frieden und der Seligkeit der Kinder Gottes; und haben sie das Ziel, zu dem wir ihnen den Weg zeigen und ihnen darauf vorangehen erst ins Auge gefaßt, o! dann wird ihnen von oben Kraft gegeben werden, die Kämpfe zu bestehen, denen Keiner freilich entgehen kann.

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II. Aber, m. g. Fr., laßt uns nicht bei diesem ganz Allgemeinen stehen bleiben. Es ist nicht nur der Ruf überhaupt zu dem himmlischen Leben aus Gott, der unter diesem Bilde einer Einladung zu einem großen und festlichen Mahle an die Menschen ergeht, sondern lasset uns dasselbe auch, wie es zur Natur eines solchen gehört, in seiner ganzen Fülle, in seiner großen unerschöpflichen Mannigfaltig|keit betrachten. Einst als die Jünger des Erlösers ihn allein zurükkgelassen hatten, um Speise für das vergängliche Leben während einer Reise aufzukaufen, und er unterdessen Gelegenheit gehabt hatte, einer verlorenen Seele von dem Reich Gottes zu predigen, sagte er zu ihnen, als sie zurükkamen und ihn einluden zu essen, Ich habe eine Speise, davon ihr nicht wißt, das ist die, daß ich den Willen thue meines Vaters im Himmel und das Werk vollbringe, wozu er mich gesandt hat1. Das, m. g. Fr., war seine, das ist unsere Speise, daß wir den Willen unsers Vaters im Himmel vollbringen; und an welche reiche und mannigfaltige Tafel, an welches volle Mahl sind wir nicht in dieser Beziehung gesezt! Wer übersiehet den großen Zusammenhang der menschlichen Dinge, in welchem wir Alle berufen sind den Willen Gottes zu thun, wer übersiehet das große göttliche Werk des Herrn, welches vollbracht werden soll durch den Erlöser und die, welche seine treuen Diener und Gehülfen sind? Und was wir darin thun, sei es dies oder jenes, erscheine es groß oder klein, es ist ein Theil dieses großen Ganzen, es ist eine Speise an diesem göttlichen Mahle, zu dem 1

Joh. 4, 32. 34.

22–26 Vgl. Joh 4,3f.8.9–26.27.31

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wir geladen sind. Und wie sich in solchen Festen der Reichthum und die Fülle dessen, der geladen hat, zu erkennen giebt: so erkennen auch wir in der unerschöpflichen Fülle und Mannigfaltigkeit solcher geistigen Speisen, deren jede den Geschmakk der seligen Gemeinschaft, in der wir mit Gott stehen, an sich trägt, den unaussprechlichen Reichthum der Seligkeit Gottes, der uns geladen hat zu diesem geistigen Mahle. Wenn nun also, | m. G., Alles, sei es groß oder klein, wozu irgend einer von uns sich aufgefordert und berufen fühlt, um das Werk des Erlösers zu fördern, zugleich unser Genuß ist an diesem königlichen Mahl: so laßt uns auch Andere zu jedem Werke Gottes immer einladen als zu einem seligen Genuß. Der Gegensaz zwischen Thätigkeit oder Pflichterfüllung und Genuß, der uns im Irdischen so verwirrt, ist im Reiche Gottes aufgehoben; jedes Werk, das wir vollbringen, ist der gottgeweihten Seele Nahrung und Genuß. Aber nichts ist auch für sie Genuß, was nicht zugleich Thätigkeit wäre; jeder auch still betrachtende Genuß der göttlichen Gnade wird zugleich eine Wirksamkeit nach Außen, oder wo nicht, doch eine Thätigkeit des innern Lebens, wodurch wir aufs Neue uns fester einpflanzen in den gemeinsamen Boden des göttlichen Reichs um neue Blüthen und Früchte zu treiben. Dieses Ineinander von geistiger Thätigkeit und geistigem Genuß in gottgefälliger Kraft und seliger Gemeinschaft der Liebe Gottes, in welcher reichen Fülle, in welcher unerschöpflichen Mannigfaltigkeit liegt es nicht vor uns! Und wahrlich, wenn wir sehen, wie das Reich Gottes sich erweitert hat von einer Zeit zur andern, ohne von seiner innern göttlichen Kraft zu verlieren, mitten unter allen Kämpfen mit der Welt, unter allen Kämpfen, die Jeder mit sich selbst zu bestehen hat, wiewol auch diese nichts anders sind als der Kampf eines Jeden mit der Welt, die noch ihren Theil in ihm hat; wenn wir bedenken wie gemeinschaftlich dies alles ist: so müssen wir wohl sagen, es ist alles gesegneter Erfolg wohlgelungener Einladung. Und so müssen wir freilich vertrauen, daß es auch ferner noch gelingen werde, wenn wir einladen ein Gottes|werk zu vollbringen, so wir nur die Zuversicht erregen, daß es den geistigen Geschmakk an sich trage und die geistige Nahrung gewähre, die sich sonst an diesem göttlichen Mahle findet. Und wie viel freundliche Bereitwilligkeit zur Vereinigung der Kräfte finden wir nicht auch in der großen Gemeinde des Herrn, um gemeinsam sein Werk zu vollenden, wenn der göttliche Geist in unsern Herzen bald hier bald da einen neuen Gedanken erwekkt, um gefährliches abzuleiten, heilsames zu sammeln, und hier und da neues hervorzubringen, das noch fehlt zur Schönheit des Ganzen! Und wenn schon jeder einzelne vom Geist Gottes ausgegangene Gedanke sich Freunde und Theilnehmer erwirbt: wieviel weniger werden wir vergeblich einladen, wo eine neue Gestaltung des Lebens

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Hülfe fordert gegen Hindernisse, die ihr entgegentreten, und frische Uebung für neu erwekkte Kräfte um neue Werke zu vollbringen! Aber freilich, auch das Andere fehlet nicht! wir erfahren es eben so auch, wenn wir Anforderungen dieser Art im Namen des Herrn an die Menschen ergehen lassen, und ihre Kräfte zu irgend einem einzelnen Werk Gottes in Anspruch nehmen, daß sie dann, wie die in unserm Texte, sagen, Ich bitte dich, entschuldige mich. Was, m. g. Fr., kann es denn sein, was unsere Brüder abhält, dem Rufe zu einem Werke Gottes zu folgen? Der Hauptfehler scheint mir der zu sein, daß immer noch ein Unterschied gemacht wird zwischen weltlichem und geistlichem, zwischen Beruf in der menschlichen Gesellschaft und Beruf in dem Reiche Gottes; das sollten wir aber nicht von einander scheiden. Denn hat nun einer schon sein bescheidenes Theil Verrichtung in seinem weltlichen Beruf, und glaubt sich sagen zu | können, seine Kräfte würden erschöpft durch das, was er hier leisten muß, er sei schon ganz und gar hingenommen von seinem irdischen Beruf, und werde, weil ja der weltliche Beruf seine bestimmten Rechte habe, von der Verwendung seiner Kräfte schon gute Rechenschaft zu geben wissen, wenn er gleich für das Reich Gottes in diesem und jenem, so schön und vortrefflich es auch war zur Förderung desselben, nicht habe mitwirken können: was sollen wir einer solchen Entschuldigung entgegensezen? So lange, m. G., unsere Einladung so klingt, daß man jenen Gegensaz durchhört zwischen dem, wozu Jeder verpflichtet ist als Glied der bürgerlichen Gesellschaft, und dem wozu er aufgefordert wird im Namen des göttlichen Reichs und durch die Stimme des göttlichen Geistes: so lange haben wir selbst keine Sicherheit, ob unsere Einladung richtig ist; und so lange wird es auch immer auf einem Ungefähr beruhen, ob ihr Folge geleistet wird oder nicht. Denn soll sich zweierlei in einander schikken, was nicht schon von selbst zusammengehört: so giebt es dafür nicht leicht ein gemeinsames Maaß, sondern Jeder hat seine eigene Art und Weise, wieviel er dem einen giebt, und wie weit er das andere beschränkt; und niemand kann behaupten, der Andere habe ein unrechtes Maaß angelegt, da Jeder sein eigenes hat. Darum nun, m. G., sollen unsere Einladungen zu einer lebendigen Theilnahme an Werken, die zur Förderung des göttlichen Reichs gehören, williges Gehör finden: so müssen wir jenen Gegensaz aufheben, indem wir alles, wozu Jeder in der Gesellschaft verpflichtet sein kann, auch mit aufnehmen in seine Verpflichtung für das Reich Gottes; ja wir müssen dies gleichsam ansehen als den fe|sten Plaz, der Jedem angewiesen ist bei jenem großen Mahl, und daher zunächst Jeden auffordern, daß er auch von dieser Art alles nur thue für das Reich Gottes. Gewiß, m. G., giebt es keinen menschlichen Zustand, in welchem mehr alle Kräfte in Anspruch genommen würden für das irdische Le-

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ben, als der Stand der Knechte zu der Zeit als das Christenthum in die Welt trat. Aber was sagt der Apostel zu denen, die als Knechte ganz dem einzelnen Willen ihrer Herren unterworfen waren, und mit allen ihren Kräften nur deren irdischem Wohlergehen dienten, was sagt er zu ihnen? Sie sollten in dem Berufe bleiben, in welchem der göttliche Geist sie gefunden habe; aber was sie darin thäten, das sollten sie nicht thun als den Menschen, sondern als dem Herrn. Dasselbe kann und soll nun Jeder von seinem irdischen Berufe sagen. Was wir in demselben thun, das thun wir als für das Werk des Herrn; denn Alles was geistige Kräfte entwikkelt und unterstüzt, alles was den Menschen zum Herrn der menschlichen Dinge und der natürlichen Kräfte macht, kann auch dem Reiche Gottes dienen, und hängt daher zusammen mit dem Werk des Herrn, das jeder fördern soll; und was wir sonst noch mit Fug und Recht Andern zumuthen, das muß im Zusammenhang mit jenem bleiben, und von da aus abgereicht werden können. Eben daher aber, m. th. Fr., welch großer Unterschied, ob wir irgend etwas thun als dem äußern Leben, als dem einzelnen Menschen, oder ob wir ganz dasselbe thun als dem Herrn! Nicht nur meine ich, daß es gewiß, wenn wir es auf diese lezte Weise thun, besser geschehe und vollkommner, sondern was auf jene andere Weise gethan unsern Muth niederbeugt, das richtet ihn auf und | erhöht ihn, wenn wir es auf die lezte Weise thun; das Bewußtsein, was wir thaten dem Herrn gethan zu haben, das wird uns unter allem Drukk und allen Leiden erquikken und erheben. Und wer einmal zu diesem Bewußtsein gekommen ist, o! wie sollte der nicht immer noch einen Ueberschuß an Kräften finden, um auch außer dem engeren Kreise des Berufs noch Theil zu nehmen an allerlei Werken für das Reich Gottes, und immer noch etwas hinzuzufügen zu seiner feststehenden Thätigkeit, wenn es gilt an dem Tempel des Herrn mitzuarbeiten! Ja wir werden wol behaupten können, daß an der Art, wie dieser überall wo es an tüchtiger Regsamkeit nicht fehlt, sich zeigende Ueberschuß von Kräften und Hülfsmitteln verwendet wird, der Unterschied sich deutlich hervorheben muß zwischen denen, welche, weil sie alles dem Herrn thun, auch im Aufmerken auf dieses Wort des Herrn, welches an sie ergeht, immer neue Werke Gottes sehen, und auch Kraft bei sich finden werden mitzuwirken, und denen, welche, weil sie neben ihrem Beruf nur auf den vergänglichen Genuß zielen und in den Werken der Eitelkeit leben, auch immer wieder in die Sorge um das nichtige und vergängliche zurükkfallen. Darum, m. th. Fr., laßt uns immer auf diese richtige Weise einladen, das Wort durch die That bewährend: so werden auch immer 2–6 Vgl. 1Kor 7,20–24

6–7 Vgl. Kol 3,23

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freundliche und geneigte Gemüther uns Gehör geben, und immer Mehrere sich mit uns auf wirklich fruchtbare Weise vereinigen zu allerlei Werken Gottes; und so wird auf alle Weise die Theilnahme an dem herrlichen Genuß des geistigen Mahles, zu welchem der Herr uns Alle berufen hat, sich immer erweitern. | 17

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III. Doch ich muß nun auch noch mit wenigen Worten eines dritten erwähnen. Oder ist nach jenem allgemeinen Rufe nun die Einladung zu allerlei einzelnen Werken Gottes, durch welche das ganze Leben sich des christlichen Namens würdig gestalten und schöner erblühen, die Gemeinschaft der Geister wachsen und zunehmen und das Eine, was noth thut, sich immer gleichmäßiger entwikkeln soll, auch schon die ganze Einladung des Herrn zu seinem göttlichen Mahle? Wenn ich am Anfang meiner Rede mit Recht sagte, wir, die wir uns hier versammeln, könnten uns eben deshalb nur denken als solche, die seine Einladung nicht nur vernommen, sondern ihr auch Gehör gegeben haben: so muß auch dieses wol mit zu seiner Einladung gehören, daß wir uns sammeln sollen zu den schönen Gottesdiensten des Herrn. Wohl wissen wir, daß wenn auch der Christ sagt, Ein Tag in den Vorhöfen des Herrn ist besser als sonst tausend1, er nicht nur diesen Tag und überhaupt die Zeiten der öffentlichen Erbauung meint, sondern was wir irgend dem Herrn thun, dabei sind wir auch in seinen Vorhöfen und in seinem Tempel, so daß dieses der allgemeine große Ruf ist, der die ganze göttliche Einladung ausdrükkt, Ein Tag in den Vorhöfen des Herrn ist besser als sonst tausend. Wenn ich aber dennoch sage, m. th. Fr., daß diese unsere christlichen Versammlungen ein besonderer Gegenstand der göttlichen Einladung seien, wie ja schon die Apostel den Christen ans Herz gelegt haben, daß | sie diese Versammlungen nicht verlassen sollten, sondern sich fleißig in denselben zusammenfinden: nun wohl, so wißt Ihr recht gut, m. G., daß ich das nicht gesagt haben will, als eine Einladung zu denen, welche in unsern öffentlichen Versammlungen nach unserer Ordnung das Wort des Herrn den Seelen nahe bringen. Ihr wißt es recht wohl, das ist nicht meine Meinung, daß wir hier zusammenkommen, ich, um euch zu erbauen, und ihr, um durch mich erbaut zu werden; sondern daß ich nichts anders will, als mich selbst mit euch und an euch erbauen durch das göttliche Wort des Herrn und Meisters, das wir uns gemeinsam ans Herz legen. Die Sache selbst aber wollen wir uns nicht bergen, sondern bekennen, 1

Ps. 84, 11.

11–12 Vgl. Lk 10,42

17–18 Vgl. Ps 27,4

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ja es ist ein schöner und herrlicher Theil von dem großen geistigen Mahl, zu dem wir Alle berufen sind; dieser Wechsel des thätigen Lebens mit der stillen Einkehr des Herzens zur gemeinsamen Betrachtung des göttlichen Worts an einem bestimmten Tage ist eine so schöne Einrichtung, daß wir sie nicht missen können, wenn es uns Ernst ist die Fülle geistiger Güter des Herrn, die uns hier geboten werden, ganz zu ergreifen und recht zu genießen. Und wahrlich, es ist ja auch so unter uns, daß die Christen sich auch hierzu fleißig vereinigen, so daß unsere Versammlungen nicht leer sind und dürftig: aber doch dürfen wir nicht läugnen, wenn wir auch nur bei unsern nächsten Umgebungen stehen bleiben, es giebt Viele unter den Einwohnern dieser großen Stadt, welchen der Genuß, sich mit Andern zur Erwekkung des Herzens aus dem göttlichen Wort zu vereinigen, fremder ist als er sein sollte; ja es ist eine gewöhnliche Rede unter uns, daß ganze Abtheilungen unserer Gesellschaft gleichgültig und | taub sind gegen diese Einladung und ihr nicht folgen. Was, m. G., ist davon die Ursache? Eine giebt es allerdings, der wir auf dem Wege der Einladung zum göttlichen Mahl nicht begegnen können; das ist die drükkende Sorge für das äußere Leben, welche die Seele so aufreibt, daß ihr keine Kraft übrig bleibt zum geistigen Genuß, wenn sie zu demselben geladen wird, sondern äußere Ruhe das einzige ist, wornach sie sich sehnt, wenn wieder eine Woche des mühseligen Lebens vorüber ist. Um desto mehr werde dies das Ziel unserer gemeinsamen Thätigkeit am Reiche Gottes, daß ein so großer Unterschied unter denen, die zu der Theilnahme an demselben Mahl berufen sind, nicht mehr statt finde, und keiner in solchem Grade hingenommen sei von der äußern Geschäftigkeit dieses Lebens, daß ihm keine Kraft übrig bleibe zum geistigen Genuß. Dahin zu wirken, daß diese zu große Verschiedenheit der äußeren Lage immer mehr ausgeglichen werde, und Jedem einige Fähigkeit zu geistiger Geschäftigkeit und geistigem Genuß übrig bleibe, wodurch dann auch jede würdige Thätigkeit für das irdische Leben aufs Neue belebt wird, das, m. g. Fr., ist ein großer Theil unserer gemeinsamen Aufgabe, die wir immer aus dem Gesichtspunkte, daß wir es dem Herrn thun, mit vereinten Kräften müssen zu lösen suchen. Aber ein anderes Hinderniß, welches dieser Einladung entgegen steht, liegt allerdings in der bei Vielen vorherrschenden Selbstgefälligkeit und Selbstgenügsamkeit. Was wir dort hören, sagen sie, das können wir uns selbst besser sagen; dort sind wir an eine bestimmte Zeit gebunden, zu eigener Betrachtung können wir uns diejenige wählen, die | uns am bequemsten ist; was wir in der Stille zu unserer Erhebung schaffen könnten entweder aus uns selbst oder indem wir uns in Verbindung mit dem göttlichen Worte sezen, das wird wirksamer sein

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können für uns, als was doch nicht auf uns allein, oder auch nur vorzüglich berechnet ist. – Aber darin offenbart sich ein großes Mißverständniß; und liegt es uns am Herzen auch diesem Theil der Einladung des Herrn Eingang zu verschaffen, und immer mehreren unserer Brüder zu diesem geistigen Genuß zu verhelfen, so müssen wir diese falsche Vorstellung so viel als möglich beseitigen. Wie das geschehen kann, m. G.? Ich denke so. Wenn wir uns hier getrennt haben, und Jeder wieder seines Weges geht in seinen Kreis: dann möge weniger davon die Rede sein, was der gesagt hat, der das göttliche Wort an jenem Tage zu erläutern berufen war; möge dann weniger von ihm gesprochen werden als über die Gegenstände selbst, die er berührt hat, möge der Ausleger mehr verschwinden und das göttliche Wort selbst mehr hervortreten; möge mehr die Rede davon sein, was eine solche liebliche Gemeinschaft der Christen wirkt, wie jeder sich erbaut hat an dem Bewußtsein der Gemeinschaftlichkeit des Gebetes und der gemeinsamen Ermunterung auf dem Wege zu dem Ziel, das uns Allen vorschwebt, und welche Freude wir gehabt an so vielen auf dasselbe gerichteten Gemüthern, damit so auch Andere inne werden, wieviel Werth wir auf die Gemeinschaft legen, und wie diese die Hauptsache ist bei unsern Versammlungen. Dadurch würde sich jene falsche Vorstellung verlieren. Denn das glaubt doch Keiner, daß er sich selbst das sein könne, was eine große Fülle von geistigen Kräften, daß er sich dasselbe leisten könne, was | eine ihn freundlich berührende Gemeinschaft ihm darbietet. Daß einer aber meint, selbst so viel leisten zu können, als die Stimme eines andern einzelnen Menschen, das ist sehr natürlich in dieser Zeit; aber wie groß müßte die Eitelkeit sein, wenn einer glaubte, der Gemeinschaft der Frommen entrathen zu können! Und nun – müßte ich nicht noch eines dritten Hindernisses erwähnen! und doch drängt es mich, und ich kann nicht anders! Die große Verschiedenheit in den Vorstellungen der Christen, durch welche sie sich den großen Ruf des Evangeliums näher erklären, wie sie die wesentlichen Bedingungen desselben der Eine so, der Andere so ausdrükken, ach! diese Verschiedenheit zerstört nur zu sehr die Eintracht und Zusammenstimmung der Gemüther in unsern christlichen Versammlungen. Ladet diesen oder jenen ein, so wird er sagen: da höre ich das nicht, was ich allein für das wahre Christenthum halte, da wird so nicht gesprochen von dem Geheimniß des Glaubens, wie es mich erbauen kann, da werden die Worte vermieden, die mich am meisten zurükkführen zur Gemeinschaft mit dem Erlöser, da kommen diese und jene Ausdrükke vor, die mich stören in meiner Andacht, da ist die ganze Wirkung, die hervorgebracht wird, im Verdacht des Unglaubens, wird der Eine sagen, oder des Aberglaubens, sagt der andere. Das, m. g. Fr., ist die unselige Beschränktheit, welche so sehr die Ge-

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müther trennt, und uns so vieler geistigen Segnungen beraubt. Wie sollen wir diesen entgegentreten? Schwierige Frage! Aber so viel ist gewiß, wenn unsere Einladung selbst schon die Spur solches Parteigeistes an sich trägt, werden wir es am wenigsten vermögen. Wie leuchten uns doch hier die | natürlichen Dinge vor! Die eine und selbige Kraft der Erde bringt tausend verschiedene Gewächse hervor; aber seht auf die schönste Pracht des Gartens, geht zu den unscheinbarsten Blumen des Feldes, die Biene summet und dreht sich hinein in diese wie in jene, und aus Allen trägt sie denselben köstlichen Honig zusammen. Möchten wir uns als solche Bienen vor unsern Brüdern zeigen, die gelernt haben den Honig aus Allem zu ziehen, worin sich etwas findet von der Einen geistigen Lebenskraft! Wenn wir dadurch beweisen, daß wir uns selbst nicht gefangen nehmen lassen von einer parteiischen Einseitigkeit, sondern überall wo nur Christus verkündigt wird, sei es auf diese oder auf jene Weise, auch Kraft des geistigen Lebens zu sammeln verstehen, wenn wir so handelnd unsere Brüder einladen, dann werden wir immer mehr auch jenen traurigen Parteigeist besiegen. Und so, m. th. Fr., lasset uns nicht müde werden einzuladen auf alle Weise zu dem großen geistigen Mahl des Herrn: denn dazu sind wir gesandt. Unser Erlöser, der sein ganzes öffentliches Leben dieser Sendung gewidmet hat, konnte sich nur wenig äußerlich sichtbaren Erfolges erfreuen: aber sein Herz war gewiß, daß Er das Werk seines Vaters vollbringe; und als Er von dieser Erde schied, konnte Er ihm sagen, daß Er es vollbracht habe. Darum behielt er unter allem widrigen, was Er von den Menschen erfuhr, immer denselben Muth, immer dieselbe Freudigkeit des Geistes, immer dieselbe unerschütterliche Liebe zu denen, die er einladen sollte. Sehet da, m. Th., das ist das Vorbild, dem wir folgen müssen. Dann wird auch unsere Sendung um die Geladenen herbeizurufen we|nigstens im verborgenen gesegnet sein, wenngleich auch wir wenig äußern Erfolg davon wahrnehmen. Und jezt ist uns hierzu eine besonders günstige Zeit erschienen, da Jeder wol die Stimme hören muß, daß jede Nacht seine Seele von ihm gefordert werden kann, und es daher so leicht ist, den großen Unterschied zu zeigen zwischen denen, welche sich, weil sie der göttlichen Einladung noch kein Gehör gegeben haben, vor dieser Stimme flüchten in die Wüste des Lebens, daß sie ihnen fruchtlos verhallt, ohne sie von der Nichtigkeit des irdischen Lebens zu dem höheren 2 diesen] vielleicht zu korrigieren in diesem 24–25 Vgl. Joh 19,30 32 Anspielung auf die seit Ende August in Berlin wütende Asiatische Cholera; vgl. oben Einleitung I. 4. 33–34 Vgl. Lk 12,20

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hinüberzuziehen, und zwischen denen, welche jene Stimme mit Ruhe vernehmen, weil sie der Einladung des Herrn Folge geleistet haben, und nun schon durch den Glauben hindurchgedrungen sind zum ewigen Leben, und den Tod überwunden haben. Wie ist uns, m. g. Fr., ein rechtes Vorbild zu dieser Einladung die epistolische Lektion, die wir am Anfang unserer Versammlung gehört haben1! Da redet der Apostel von einer bösen Zeit, in welche die Christen sich schikken sollten; aber was sagt er ihnen? Sie sollten Dank darbringen; mitten in der Noth solch böser Zeit sollten sie dem Herrn singen und spielen in ihrem Herzen. O wenn wir unsern Brüdern zeigen, daß wir das vermögen in dieser und jeder irdisch bösen Zeit, das wird die kräftigste Einladung sein; wenn sie zu jeder Zeit dieselbe Ruhe und Sicherheit an uns wahrnehmen, dann werden sie nicht zweifeln, es sei eine Kraft Gottes, die in uns wirkt, der Alle sich nur | hingeben dürfen, um auch in das selige Reich Gottes einzugehen, und immer reichlicher wird die Zahl derer sein, die mit uns preisen den, der uns Alle aus dem Tode hindurchgeführt hat in das Leben. Amen. Lied 790, 8.

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Eph. 5, 16. 19. 20.

1–4 Vgl. Joh 5,24 5–6 Als Epistellesung für den 20. Sonntag nach Trinitatis war Eph 5,15–21 vorgesehen. 6–7 Vgl. Eph 5,16 8 Vgl. Eph 5,20 9–10 Vgl. Eph 5,19 16–17 Vgl. Joh 5,24 18 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 790: „Der frohe Morgen kommt gegangen“ (Melodie von „Dir, dir, Jehovah, will ich singen“); die achte und letzte Strophe lautet: „Ja, segne, Vater, und behüte an Leib und Seele mich, denn ich bin dein. Das Antlitz deiner Lieb und Güte erleuchte mich mit seiner Klarheit Schein. O richt auf mich dein gnädig Angesicht, und gönne mir dein himmlisch Friedenslicht.“

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21. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 1,39–45 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 68–80, Nr. VI; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 795.

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Tex t . Marcus I, 39–45. „Und er predigte in ihren Schulen in ganz Galiläa und trieb die Teufel aus. Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete vor ihm und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich wol reinigen. Und es jammerte Jesum, und reckte die Hand aus, rührete ihn an und sprach: ich will es thun, sei gereinigt. Und als er so sprach, ging der Aussatz alsobald von ihm, und er ward rein. Und Jesus bedrohete ihn und trieb ihn alsobald von sich und sprach zu ihm: Siehe zu, daß du niemand nichts sagest; sondern gehe hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Moses geboten hat, zum Zeugniß über sie. Er aber da er hinauskam, hob er an und sagte viel davon und machte die Geschichte ruchtbar; also daß er hinfort nicht mehr konnte öffentlich in die Stadt gehen; sondern er war draußen in den wüsten Oertern, und sie kamen zu ihm von allen Enden.“ | M. a. Fr. Wenn wir diese Erzählung recht verstehen wollen: so müssen wir uns erinnern, was es in jenen Gegenden und zu den damaligen Zeiten mit dieser Krankheit des Aussatzes für eine Bewandtniß hatte. Wenn wir die Gesetze darüber im dritten Buch Mosis lesen: so können wir nicht umhin, von einem gewissen Schauder über den Zustand eines solchen Menschen befallen zu werden. Er hatte so den Gebrauch seiner eigenen Kräfte, daß er einer besonderen Pflege nicht bedurfte; aber er mußte ganz allein draußen wohnen vor den bewohnten Oertern, barhaupt mußte er gehen, und seine 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 795: „Erheb o meine Seele dich“ (Melodie von „Es ist gewißlich an der Zeit“) 18–19 Vgl. Lev 13–14 22–1 Vgl. Lev 13,45f

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Kleider mußten zerrissen sein wie Eines, der in der tiefsten Trauer ist, damit jeder ihn gleich erkennte und sein Gesicht verhüllte, und so durfte er nur verpflegt werden, wie die äußerste Nothdurft es erforderte, ohne daß ihn jemand berührte, und er durfte sich nicht unter die übrigen Menschen mischen, denn wer ihn anrührte, war unrein. Ein Solcher nun kam zu dem Erlöser voll des Vertrauens, daß wenn er wolle, er ihn wol reinigen könne, und der Erlöser, heißt es, streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach: „ich will es thun, sei gereinigt,“ und als er so sprach, ging der Aussatz alsbald von ihm, und er ward rein. Hier lasset uns zuerst fragen, wie es wol ein Jeder bei sich natürlich thut: war denn das wol nothwendig, gehörte es zu der Wirkung, die der Erlöser auf diesen Unglücklichen ausüben wollte, daß er ihn mit seiner Hand berühren mußte, sollte er nicht durch die Kraft seines Willens dieselbe Wirkung auch haben hervorbringen können ohne das? Diese Frage, m. Fr., ist wol insofern eine müßige, als wir uns leicht sagen können: es kann uns an sich betrachtet ganz gleichgültig sein, die Sache wird dadurch an und für sich nicht natürlicher oder begreiflicher, wenn der Erlöser diese Krankheit durch die bloße Be|rührung seiner Hand vertrieb, als wenn er es gethan durch sein Wort. Aber jedermann scheute sich und durfte nicht einen Solchen berühren, und wie konnte er also sein Mitleiden gegen diesen Menschen stärker ausdrücken als eben dadurch, daß er seine Hand ausstreckte und ihn berührte; wie konnte er seine eigene Gewißheit, daß er ihn heilen werde, deutlicher an den Tag legen, als dadurch; denn, indem er ihn berührte, ging der Aussatz von ihm und er wurde rein, und niemand konnte daher dem Erlöser sagen, daß er sich verunreinigt hätte. Wenn wir denken an die in jenem Gesetz aufgestellte Ordnung des Aussatzes: so können wir sie uns nur erklären aus der gewissen Ueberzeugung, daß ein hoher Grad von Ansteckung diesem gefährlichen Uebel einwohnte, und daß so der Einzelne, den Gott damit heimsuchte, mußte ausgeschlossen werden von allem Verkehr mit den Menschen, ja von aller Hülfe entblößt, so daß, ob die Krankheit sich verlor oder allmählig die Kräfte des Körpers verzehrte, mehr dem Lauf der Natur überlassen wurde, als daß eine bestimmte Hülfe dagegen angewandt worden wäre. Auf diese Weise konnte dann natürlich auch die Kenntniß der Krankheit und die Geschicklichkeit, sie zu heilen, nicht zunehmen; sondern indem jeder, sobald man sie an ihm fand, sich selbst überlassen wurde: so mußte auch die Unwissenheit darüber und also die Gewalt der Krankheit dieselbe bleiben. Nun hatte der Erlöser diesen Bann, daß ich so sage, durch seine Berührung aufgehoben, und hat eben in dieser Handlung, die ihm so ganz natürlich war, zugleich uns das sinnlich dargestellt, daß niemals eine Furcht solcher Art irgend Einen soll von dem Bestreben, den Leidenden nützlich zu sein, abhalten, daß jeder liebevoll sich soll daran wagen, und in der kräftigen Zuversicht auf die Verpflichtung, die wir haben, den Leidenden beizustehen, sich nicht auf

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solche Weise von ihnen entfernen. Wenn wir freilich sagen können, je mehr dieses zusammenhängt mit den außerordentlichen Kräften des Erlösers, desto weniger | können wir ihn uns zum Vorbilde setzen: so wird das auf der anderen Seite aufgehoben durch die Unwillkührlichkeit der Handlung, durch den Mangel bestimmter Ueberlegung, die vorhergegangen wäre, indem wir sehen, wie ein natürlicher Ausbruch dieses war seiner Menschenfreundlichkeit auf der einen und seiner festen Zuversicht auf der andern Seite. Und diese Zuversicht können und sollen wir ja alle haben, daß jede Erweisung menschenfreundlicher Liebe, wenn sie auch zur Heilung nichts beitragen könnte, doch schon, indem sie eine solche ist, den Zustand des Unglücklichen mildert; indem der Leidende erfährt, daß er nicht aufhört, ein Gegenstand menschlicher Sorge und Theilnahme zu sein, und daß nichts in der Welt so stark ist, daß es im Stande wäre, durch eine thörichte Furcht, durch eine Liebe zum Leben, wie sie der vernünftige Mensch nicht haben soll, Einen auszuschließen aus dem Kreise menschlicher Fürsorge. Ich kann, m. g. Fr., nicht noch auf einen anderen Punkt in der Erzählung übergehen, ohne Euch noch auf etwas aufmerksam zu machen, nämlich daß man häufig eine besondere Vergleichung angestellt hat zwischen dieser Krankheit des Aussatzes und der Sünde, die wir allerdings mit Recht ansehen als eine krankhafte Beschaffenheit der geistigen Natur des Menschen. Und allerdings sind der besonderen Aehnlichkeiten dabei mancherlei. Das Erste ist dieses. Es war die besondere Beschaffenheit dieser Krankheit, daß es schwer war, sie dem Aeußeren nach mit Bestimmtheit zu unterscheiden, und daß doch kein Mensch eine rechte Kenntniß von dem inneren Verlauf derselben hatte, und jeder also an das Aeußere gewiesen war. Wenn wir in dem dritten Buch Mosis lesen, wie die Priester angewiesen werden zu erkennen, ob eine solche Krankheit der Haut wirklich der Aussatz war oder nicht, wie sie auf eine Menge von Kleinigkeiten Acht geben mußten, die schwer waren zu unterscheiden: so führt uns dieses darauf, wie es | mit der Sünde eine ähnliche Bewandtniß hat; daß nämlich in den äußeren Handlungen es schwer ist, ein richtiges Urtheil zu fällen, ob etwas vorzüglich durch die Sünde so bestimmt sei und so geworden, wie es ist. Ich sage: vorzüglich; denn das ist gewiß, daß wir alle wissen, in Allem, was wir thun, ist noch immer eine Spur von unserer sündhaften Beschaffenheit, keine That, selbst die, welche wir aus der Kraft des Glaubens und der Liebe verrichten, ist ganz und gar gesund, denn es ist immer eine freilich nur dem Auge Gottes sichtbare Spur der Sünde in allen unsern Handlungen und Aeußerungen übrig. Aber deshalb ist es so schwer, im Einzelnen zu beurtheilen, was für einen Werth in dieser Beziehung in Absicht auf die innere Quelle, aus der sie hervorgegangen sind, die menschlichen Handlungen haben. Und deswegen ward auch in den Zeiten des Alten Bundes nieman26–29 Vgl. Lev 13,2–44

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dem die Kenntniß darüber zugesprochen und das Recht zu entscheiden, ob Einer aussätzig sei oder nicht, als den Priestern. Fragen wir, wie es denn in dieser Beziehung mit der Sünde ist: so war es in den Zeiten des Alten Bundes eben so. Da mußten viele Handlungen beurtheilt werden, ob sie Sünde seien oder nicht, von den Priestern, allerdings auch nur nach ihrer äußeren Beschaffenheit; aber die Gesetze und die äußeren Ordnungen, die aus diesen gefolgert waren, waren so zusammengesetzt und schwierig, so wenig konnte verlangt werden, daß jeder sollte in seinem Bewußtsein haben, was vorgeschrieben sei oder nicht, was erlaubt sei oder verboten, daß eben auch nur die Priester, und die, welche sich von Jugend auf auf ausgezeichnete Weise mit der Schrift und dem Gesetz beschäftigt hatten, im Stande waren, darüber zu urtheilen, und daß jeder seine Zuflucht zu diesen nehmen mußte. Wir, m. g. Fr., wissen hiervon und von einem solchen Unterschiede nichts mehr; es gibt unter uns und in unserer evangelischen Kirche keinen solchen Unterschied mehr unter den | Christen, daß da Einige wären, von welchen die Andern sich erst müßten die richtige Erkenntniß verschaffen, ob und wie weit sie von der Sünde befleckt sind oder nicht; sondern jeder ist gewiesen an das göttliche Wort und die aus demselben sich immer zu belehrende und zu berichtigende Stimme seines Gewissens. Und da wissen wir denn freilich, daß die Sünde nicht kann auf eine übereinstimmende Weise äußerlich erkannt werden; aber innerlich können wir sehr gut zu dem Bewußtsein derselben kommen, wenn wir den Zusammenhang unserer Handlungen überlegen, wenn wir bedenken, wie sich dieses oder jenes entwickelt hat, wenn wir den Weg unserer Gedanken verfolgen und ihren Ursprung in einzelnen Fällen uns zum Bewußtsein bringen. Aber dieses kann keiner als der Mensch selbst. So weit ging nun die Kenntniß jener Krankheit nicht, sondern auch die Priester waren nur an die äußeren Kennzeichen gewiesen, und um nun von der Unähnlichkeit wieder auf eine Aehnlichkeit zu kommen: so müssen wir freilich sagen, wenn es sich mit der Sünde eben so verhielte wie mit der Krankheit des Aussatzes in der damaligen Zeit, wenn die Handlungen des Menschen, ob und in wie weit sie Sünde sind, nur nach äußern Kennzeichen beurtheilt werden könnten: ja, dann wäre es eine gute Vorsicht, wenn es nicht jedem zustände, ein gültiges Urtheil darüber zu fällen. Aber dafür wollen wir Gott danken, daß wir so erleuchtet sind in Beziehung auf diese geistige Krankheit der Natur durch das Evangelium, nicht an die äußeren Kennzeichen gewiesen zu sein, sondern je gewisser wir das Licht selbst haben, welches der Sohn Gottes gebracht hat, um desto sicherer und freier selbst entscheiden zu können, wo und wie weit sich in uns die Spuren des menschlichen Verderbens gezeigt haben. Aber noch mehr, m. g. Fr., müssen wir damit zufrieden sein und Gott dafür danken, daß das nicht mehr angeht auf dem geistigen Gebiet um der

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Sünde willen, wie es damals | mit dem Aussatz geschah, den Einzelnen, der an der Krankheit litt, von der menschlichen Gesellschaft zu entfernen. Allerdings sind wir alle von der ansteckenden Kraft der Sünde überzeugt, aber zugleich auch davon, daß sie sich immer in dem Inneren eines Jeden entwickelt; aber was für eine Gestalt sie annimmt, auf welche Weise sie ausbricht, das hängt freilich sehr von den Umgebungen des Menschen ab, von dem was ihn reizt und verführt auf der einen, und was ihn zurückhalten kann auf der andern Seite. Aber wenn wir nun fragen nicht danach, was kann der Mensch in der menschlichen Gesellschaft für Schaden anrichten durch die Sünde, sondern danach, wie ist es möglich ihn zu heilen und ihm zu dem rechten Gebrauch seiner geistigen Kräfte wieder zu verhelfen: so werden wir wol sagen, daß das in der Einsamkeit nicht möglich ist. Darum in dem Erlöser war das Beides mit einander innig vereint, das, was er that, um uns von dem Joch der Sünde zu befreien, und daß er unter denen, die seinen Namen bekennen, eine Gemeinschaft stiftete, in welcher seine Liebe, die er zu den Menschen trug, fortwährend wirksam war. Und darum eben selbst wenn wir uns den Menschen wollten allein denken mit dem göttlichen Wort in der heiligen Schrift, aber ausgesondert und getrennt von der Gemeinschaft der Menschen: so würden wir nicht glauben, daß seine Heilung von der Sünde Fortschritte machen könne; das Eine hätte er wol, aber das Andere fehlte ihm; je weniger er unter den Menschen lebte und handelte, um so weniger würde er auch zu der Zuversicht kommen können, ob er gesund sei oder krank, weil er nichts hätte in den Uebrigen, worin sich seine Krankheit offenbarte. Darum in dem Geistigen noch mehr als in dem Leiblichen ist es nothwendig, daß wir in der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe mit einander verbunden bleiben, daß wir nicht von uns ausschließen die, von welchen wir wissen, daß sie von dem Verderben der Sünde angesteckt sind; weil wir es ja auch sind, weil wir | wissen, daß sich durch das aufmerksame Betrachten die Kenntniß und durch diese die Heilung der Uebel erweitert hat, und vertrauen auf die Kraft Christi, welche sich noch viel stärker in Beziehung auf diese geistigen Uebel offenbaret hat, als damals in Beziehung auf die leiblichen Uebel der Menschen; daß wir seiner Ordnung folgen, um uns gegenseitig zu betrachten, uns gegenseitig mit unserer Kraft zu unterstützen, und in dem gemeinsamen Leben uns zur richtigen Erkenntniß unserer Sünde zu verhelfen und in dieser Gemeinschaft auch die heilsamste Arznei dafür zu suchen. Das Zweite aber in unserer Erzählung, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten müssen, ist dieses, daß gesagt wird: „Jesus bedrohte ihn und trieb ihn alsobald von sich und sprach zu ihm: Siehe zu, daß du niemand nichts sagest, sondern gehe hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Moses geboten hat.“ Hier fragen wir uns sehr natürlich, was hatte denn der Erlöser für eine Absicht dabei, daß er diesem, den er von seinen Leiden befreit hatte, so streng verbot, er solle niemandem

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etwas sagen, sondern er solle hingehen und sich dem Priester zeigen? Wollte er denn, daß seine hülfreiche Kraft den Menschen unbekannt bliebe? wollte er den natürlichen Verlauf eines sich der Freude hingebenden dankbaren Gemüths hemmen, daß der, dem er solchen Dienst geleistet hatte, nicht sollte Zeugniß darüber geben? Wir können das Eine so wenig denken als das Andere; aber das Wahre ist dieses, daß Jesus ihn verpflichten wollte, streng dem Gesetze zu folgen. Der Aussatz war freilich von ihm gegangen, und er war rein; aber gesetzlich war er es nicht eher, als bis der Priester, dem dieses oblag, ihn dafür erklärte; und daß er in der Freude seines Herzens nicht verleitet würde, das Gesetz seines Volkes zu vernachlässigen, davor wollte ihn Jesus bewahren, darum ermahnte er ihn, nicht eher sich der Freude | über den wiedergewonnenen Gebrauch seiner Kräfte zu überlassen, als bis er auch vom Priester für rein erklärt war und die Opfer dargebracht hatte, welche im Gesetz vorgeschrieben sind. Und so sehen wir, wie der Erlöser selbst sich dem Gesetz unterworfen hat, in dessen Gebiet er lebte. Wenn gleich hier alles Wesentliche erfüllt war: so wollte er doch, daß auch das Aeußerliche nicht unterbleiben sollte, damit das Gesetz in seiner Ehre und Würde bliebe. Und darin hat er uns denn auch, m. Fr., bei dieser Gelegenheit ein großes und nicht zu übersehendes Vorbild gegeben, welches wir uns ganz aneignen können. Es ist ja oft so und kann nicht anders sein in menschlichen Dingen, daß alles Wesentliche geschehen sein kann, aber das Gesetz hat noch ein besonderes Recht; eben weil es nicht anders kann als sich an das Aeußere halten, und so kann es auch nicht andere als äußere Vorschriften geben. Wenn wir uns also über diese hinwegsetzen, so thun wir das Unsrige, um die Menschen gegen das Gesetz gleichgültig zu machen; aber ist die Achtung für das Gesetz, die innere Achtung für die menschliche Ordnung und Recht verloren gegangen, dann bleibt es auch nicht dabei, daß sie bloß verloren ist in Beziehung auf solche äußere Dinge; sondern hat erst die irdische Lust Raum gewonnen über das Gesetz hinaus, dann ist auch keine Grenze mehr für die Uebertretung desselben. Und darum war auch der Erlöser so streng, daß er, ungeachtet alles Wesentliche vollbracht war, jenen doch zu der Beobachtung des Gesetzes anhalten wollte. Aber freilich unser Evangelist sieht diese Sache noch aus einem anderen Gesichtspunkte an. Er macht es jenem zum Vorwurf, daß er die Geschichte ruchtbar gemacht. Der Vorwurf ist freilich gegründet; aber die Erzählung nimmt die Wendung, als ob der Erlöser es nicht gewollt, daß dieses ruchtbar würde, und so fährt sie fort zu erzählen, wie die Folgen dem Erlöser seien beschwerlich geworden, so daß er hinfort nicht | mehr öffentlich in die Stadt gehen konnte, sondern er mußte sich an einsamen Oertern 13–14 Vgl. Lev 14,2–32

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aufhalten, und auch da habe er keine Ruhe gehabt und von allen Enden seien sie zu ihm gekommen. Das gibt uns, m. Fr., nun abermals den Eindruck, den uns schon etwas Aehnliches früher gemacht hat, daß nämlich der Erlöser immer bereit gewesen sei den Menschen zu helfen, wenn er darum gebeten wurde, mit den außerordentlichen Kräften, mit denen Gott ihn ausgerüstet, aber daß er niemals sich dieses zum Hauptgeschäft gemacht, sondern immer den Beruf im Auge behalten, daß er gekommen sei zu predigen die Botschaft vom Reiche Gottes. In dieser seiner Berufsthätigkeit wollte er so wenig als möglich gestört werden. Hätte er nun immer denen wollen zu Hülfe kommen, welche haufenweise zu ihm strömten, um leibliche Hülfe zu erhalten: so hätte er seine größte Zeit dazu hingeben müssen, und seinem eigentlichen Beruf hätte er sie nicht widmen können. Darin sehen wir, wie er eine so strenge Unterordnung des Leiblichen unter das Geistige gemacht hat; wie er Alles, was er für das Leibliche ausübte, nicht einmal rechnete zu der Speise, welche darin bestand, daß er den Willen seines Vaters im Himmel that, sondern das that er nur gleichsam im Vorübergehen, und überall war sein Augenmerk auf die geistige Wirksamkeit gerichtet. Und er zeigt uns also hier, wie überall, wie wir alles Leibliche dem Geistigen unterzuordnen haben und überall auf das Letzte zu sehen nicht nur, sondern auch darauf unsere eigentliche Thätigkeit zu richten. Darum, m. th. Fr., ist es noch gar nicht der rechte christliche Sinn, wenn wir Alles, was leibliche Noth ist, nur in dieser Beziehung betrachten und behandeln; sondern in jedem Fall sollen wir, wo uns etwas Merkwürdiges dieser Art aufstößt, auch unsere Richtung auf das Geistige nehmen. Je mehr | wir beides mit einander verbinden können und das Leibliche dem Geistigen dienstbar machen und es ihm unterwerfen, von demselben den Gebrauch machen, das Geistige besser kennen zu lernen oder richtiger zu behandeln: desto übereinstimmender und ruhiger werden wir den Weg des Lebens gehen; wo aber ein Zwiespalt zwischen beiden ohne und wider unseren Willen aufgeht: ja, da hat uns der Erlöser selbst gezeigt, auch mit einem gewissen Anschein von Gleichgültigkeit gegen das leibliche Uebel der Menschen überall das Geistige voranzustellen. Aber wahrlich solcher Fälle giebt es nur wenige, und sie gehören zu den seltenen Ausnahmen. Ist unser Gemüth gerichtet darauf, daß wir in Allem sehen wollen das Werk Gottes, das wir zu thun haben: so werden wir gewiß auch immer Gelegenheit haben, das Geistige neben dem Leiblichen zu berücksichtigen. Keine Angelegenheit, wie schwierig und mannigfaltig sie auch sei, keinen Unfall so wie keine glückliche Begebenheit wird es geben, der wir nicht eine geistige Seite abgewinnen können; aber dazu gehört denn freilich, daß wir Alles, was das leibliche Leben anbetrifft, mit dem Gleichmuth des Erlösers ansehen, nicht 15–17 Vgl. Joh 4,34

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davon geblendet werden, sondern die Richtung behalten, mit der wir Alles auf das Geistige wenden und Alles mit dem geistigen Auge des Christen ansehen. Darum müssen wir suchen frei zu werden von jedem Einfluß der Furcht, des Schreckens und der Angst, weil dieser das Gemüth betäubt und unfähig macht, in dem Leiblichen das Geistige zu sehen. Je mehr wir aber dieses Gleichmuths und dieser Ruhe uns befleißigen, je mehr wir unser selbst mächtig werden: desto herrlicher wird sich unter allen Umständen diese Richtung auf das Geistige zeigen, desto mehr werden wir Ursache haben, Gott zu danken für Alles, was er uns sendet, weil sich in Allem neue Kräfte des Geistes zu gemeinsamem Nutzen offenbaren können, weil es ein Förderungsmittel für uns wird, das was ein Mangel ist abzulegen, weil wir Veranlassung bekommen, unser geistiges | Leben einer neuen Prüfung zu unterwerfen, unsere Mängel kennen zu lernen und mit erneuerten Kräften die Heilung zu bewirken. Darum lasset uns nun so dem Erlöser nachfolgen, daß wir ebenfalls wie er gern bereit sind, mit unseren Kräften und dem, was uns Gott gegeben hat, auch zur Abhülfe der leiblichen Mängel unseren Nebenmenschen behülflich zu sein; aber nicht so, daß wir jemals das Geistige übersehen, sondern so, daß dieses nur dazu dient, die Menschen auf das Geistige hinzuführen. Wir können wol nicht leicht, m. Fr., uns von dieser Erzählung trennen, ohne an eine andere ähnliche uns zu erinnern, wo Zehen zu dem Erlöser kamen und er sie heilte und sie ebenfalls anwies, sich zu dem Priester zu wenden und sich für rein erklären zu lassen; denn weiter vermochten diese nichts, die Heilung war nicht in ihrer Gewalt. Aber als sie auch vor der Welt die Erklärung erhalten hatten, daß sie rein wären, da war nur Einer, welcher zurückkehrte und dem Erlöser seinen Dank darbrachte, so daß er mit Bekümmerniß fragte, wo denn die anderen Neun geblieben wären. Was ihn dabei rührte und schmerzte, das war gewiß nicht die verabsäumte Rücksicht auf ihn selbst, sondern weil er erkannte, daß jene den rechten Punkt ihrer Heilung übersahen; denn sonst würden sie wieder zu ihm gekommen sein, um sich zu dem richtigen Gebrauch ihrer Kräfte leiten zu lassen und von ihm zu lernen, wie sie durch diese Gott ihre Dankbarkeit zu bezeugen hätten. Wir aber, m. th. Fr., wir wollen lernen, daß jeder Zuwachs unserer geistigen Kräfte, wie wir sie auch unter besonders günstigen Verhältnissen zu vergrößern im Stande sind, jede neue Erkenntniß, die uns zu Theil wird, von ihm herrührt, und wollen ebenfalls nicht sowol seinet- als unsertwegen, oder vielmehr der Sorge und Liebe wegen, welche uns und ihm ge|meinsam ist für das Reich Gottes, immer zu ihm zurückkehren, und indem wir ihm für alle geistigen Gaben danken, immer mehr davon zu erhalten suchen, damit wir immer mehr erwachsen in seiner Gemeinschaft und immer 21 Vgl. Lk 17,11–19

22–23 Vgl. Lk 17,14

24–27 Vgl. Lk 17,14–17

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mehr zu der Förderung und dem Wohl des Reiches Gottes beizutragen vermögen. Amen. Lied 31, 4–5.

3 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 31: „Herr, es ist der Tag erschienen“ (Melodie von „Ach, was soll ich Sünder machen“); Strophen 4 und 5 lauten: „Gieb, daß mich dein Wort durchdringe, steh’ mit deinem Geist mir bei, daß es in mir kräftig sey. Wenn ich bete, wenn ich singe, siehe du mich gnädig an, und laß mich dein Heil empfahn. // Laß mich nicht in Sünde fallen, laß mich fest im Glauben steh’n, voll Vertrauen auf dich seh’n. Lieber Vater, hilf uns Allen, daß der Ruhe heil’ger Tag uns ein Segen werden mag.“

Am 28. Oktober 1831 nachmittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Freitag, 14 Uhr Im Haus von Rudolph Ludwig Decker, Berlin, Wilhelmstraße 75 Keiner Drucktext Schleiermachers; Feier der Goldenen Hochzeit Rosenstiel, 1831, S. 59–64 Keine Keine Predigt zur Feier der Goldenen Hochzeit Rosenstiel

Feier der goldenen Hochzeit des Königlichen Geheimen Ober-Finanzrath, Direktor der Königlichen Porzellan-Manufaktur, Ritter des rothen Adler-Ordens 2ter Klasse mit Eichenlaub etc. Herrn Friedrich Philipp Rosenstiel und dessen Frau Louise Elisabeth geb. Decker am 27. und 28. Oktober 1831. Berlin, gedruckt in der Deckerschen Geheimen OberHofbuchdruckerei. | 59

Hochzeitstag im Hause von Rudolph Decker. Am 28. Oktober | 5–6 Friedrich Philipp Rosenstiel (1754–1832), Sohn eines elsässischen Pfarrers, Studium zunächst der Theologie, dann der Rechtswissenschaften, Königlicher Geheimer Oberfinanzrat; wurde 1796 einer der beiden Direktoren der Königlichen Porzellanmanufaktur (1751 in Berlin gegründet, seit 1763 königlich), seit 1801 übte er das Amt allein aus (vgl. Siebeneicker: Offizianten und Ouvriers, S. 31f); zeitweilig war er Vizepräsident der Preußischen Bibelgesellschaft mit Sitz in Berlin (vgl. Reich: Schleiermacher als Pfarrer, S. 302f). Louise (Luise) Elisabeth, geb. Decker (1764–1832), war die Tochter des Oberhofbuchdruckers und Verlegers Georg Jakob Decker (1732–1799), der u. a. für die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften publizierte und eine erste Gesamtausgabe der Werke Friedrichs des Großen veranstaltet hatte; ein Urahn der Familie, Georg Decker (1596–1661), hatte die Universitätsbuchdruckerei in Basel gegründet. Die Tochter des Jubelpaars, Caroline Henriette (1784–1832), war seit 1817 verheiratet mit dem Bildhauer und Direktor der Akademie der Künste Johann Gottfried Schadow (1764–1850). 10 Gemeint ist vermutlich der Neffe Rudolph (Rudolf) Ludwig Decker (1804–1877, 1863 erblich geadelt), der Sohn von Louise Elisabeth Rosenstiels Bruder Georg Jakob Decker (1765–1819); sein Haus befand sich in der Wilhelmstraße 75. Der eigentliche Gastgeber der Feierlichkeit ist der Sohn des Goldpaars, Karl (Carl) Anton Wilhelm Rosenstiel (1789–1871, 1845 geadelt).

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Wenn wir bei einer Veranlassung, die uns einen so seltenen Reichthum menschlichen Lebens vergegenwärtigt als die heutige, daran denken, wie verschieden der Werth eben dieses Lebens von jeher geschätzt worden ist; wie es auch unter solchen Völkern, die mit allen Gütern desselben reichlich gesegnet waren, niemals an – und zwar geistreichen – Menschen gefehlt hat, welche behaupteten, es sey dem Menschen am besten erst gar nicht in dieses Leben geboren zu werden, wenn aber doch, dann sey das nächstbeste, wenn er sich aus den Banden desselben auf’s baldigste wieder lösen könne, und wie es eben so immer Andere gegeben hat, welche, auch wenn ihnen eines nach dem andern von dem, was dem Leben seinen Werth giebt, unter den Händen verschwindet, doch immer noch das Leben, wenn auch entblößt von aller Kraft und Schönheit, festzuhalten begehren; so verstehen wir uns wohl leicht darüber, daß das eine so falsch ist als das andere, und beides, wie sehr auch dem Scheine nach entgegengesetzt, doch in demselben gegründet, nämlich in der Furcht; das eine in der Furcht vor dem, was die Unvollkommenheiten dieses Lebens Jedem bringen können, wogegen wir uns aber gemeinsam immer mehr zu verwahren suchen, das andere in der Furcht vor dem Tode, dem doch Keiner entgehen kann. Wir nun haben einen anderen Maaßstab für den Werth des Lebens, nämlich die Wirksamkeit des Geistes, das Wort in dem höheren Sinne genommen, der uns Allen geläufig ist, daß nämlich dieser Werth besteht in der Thätigkeit des Glaubens durch die Liebe. Wenn, anstatt wie jene thun, den Blick nur auf das unvermeidlich vergängliche zu heften, die Seele sich an die frohe Aussicht hält, daß das göttliche und ewige in der menschlichen Natur, das zwar nie ganz gedämpft und verschwunden gewesen, aber doch erst an dem Erlöser der Welt in seiner ganzen Kraft und Fülle erschienen ist, sich auch immer mehr der Leitung aller | menschlichen Dinge bemächtigen werde; wenn Einer kraft dieser heitern Zuversicht eben diesen Geist nicht nur überall in seinem eigenen Lebenskreise walten läßt, sondern 1 Schleiermachers Predigt wird im Drucktext von 1831 durch folgende petitgesetzte Vorbemerkung eingeleitet: „Nachdem die aus sämmtlich in Berlin anwesenden Verwandten und einigen ältern Freunden des gefeierten Brautpaares bestehende Gesellschaft sich in dem festlich geschmückten Lokal um 2 Uhr Mittags versammelt hatte, ward das nun erst aus seiner Wohnung abgeholte verehrte Paar von dem Wirthe, Wilhelm Rosenstiel, in die Versammlung geführt und von allen Anwesenden herzlichst begrüßt. Herr Professor Dr. Schleiermacher hatte die Güte, den Akt der Einsegnung des goldenen Brautpaares zu vollziehen und begann, indem dasselbe vor ihm hintrat, mit folgender Rede:“ 4–9 Vgl. den Ausspruch des König Midas, zitiert bei Cicero: Tusculanae disputationes I 48 (114), Opera omnia ed. Ernesti, Bd. 4, S. 316; ed. Pohlenz, S. 276f, und die Verse von Sophokles: Oedipus in Colono 1221–1224 ed. Reisig, S. 118; Ödipus auf Kolonos 1224–1227, Dramen edd. Willige/Bayer, S. 654f 22– 23 Vgl. Gal 5,6

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ihn auch überall durch Wort und That geltend zu machen sucht, wohin er nur mit seinem Einfluß reichen kann; ein solches Leben hat für uns einen unschätzbaren Werth, völlig unabhängig von günstigen oder ungünstigen äußeren Verhältnissen, und nicht minder zwar auch von seiner Länge oder Kürze, aber doch schämen wir uns nicht zu trauern, wenn der Rathschluß der Vorsehung einem solchen zu zeitig für unser und für das Wohl der Gesellschaft ein Ende macht. Schließen nun zwei so gesinnte in den schönsten Blüthejahren des Lebens einen solchen Bund der Liebe und Treue wie Sie, Verehrteste, vor nunmehr funfzig Jahren geschlossen haben; erbauen sie sich auf solchem Grund ein würdiges häusliches Leben, wuchern sie getreulich mit jedem anvertrauten Pfunde; und wird dann, eben wenn das ermunternde Beispiel in der Nachwelt zu wirken beginnt, wenn die Hoffnung schöner Früchte für das künftige Geschlecht sich befestiget, auch ein solcher Bund durch den Tod gewaltsam zerrissen, und einer von den Unzertrennlichen bleibt trauernd und verwaiset mit gebrochenem Herzen und gelähmter Kraft zurück; ja dann glauben wir mit Recht jammern zu dürfen, über die Unvollkommenheiten dieses irdischen Wesens! Eben deshalb aber, wenn über einem solchen Bündniß ein günstiges Geschick waltet, wenn in gedeihlicher Wirksamkeit für das öffentliche und häusliche Leben die Jahre verfließen, nicht ohne mancherlei Prüfungen, denn wie unsicher bliebe selbst das eigene Gefühl über den geistigen Werth des Lebens, wenn diese fehlten? – wenn aus einem reich gesegneten Hausstande andere eben solche hervorgehen, und von Jahr zu Jahr die Schaar derer sich mehrt, die in ehrfurchtsvoller Liebe zu den würdigen Alten emporschauen, denen allmählig das graue Haar hervorgesprossen ist unter der dunklen Decke, und sich wölbt zur Krone der Gerechtigkeit, und es findet sie dann noch in ungeschwächter Liebe treu verbunden mitten unter reichen Segnungen aller Art und von der frohen Schaar der Nachkommen umringt, dieser einen so bedeutenden Abschnitt des menschlichen Lebens bezeichnende Tag, der Ihnen, verehrte Beide, heute froh und festlich aufgegangen ist; wie selten ein solcher Fall überhaupt auch eintritt, wie noch viel seltener in so ungetrübter Freude; je mehr uns dieses Glück ergreift, je höher unser Mitgefühl seine Schwingen hebt, um desto leichter schmeichelt sich uns der Wunsch ein, wäre doch dieses – und warum könnte es nicht seyn? – die vorherrschende schöne Ordnung unseres irdischen Daseins! 10 funfzig] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 350 11–12 Vgl. das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden Mt 25,14–30; Lk 19,11–27 28 Vgl. 2Tim 4,8

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So, Verehrte, begrüßen wir Sie heute! voll inniger Dankbarkeit gegen Gott, der so gnädig Ihr Leben bis zu diesem Tage geleitet hat; | jeder in vollem Genuß seines Antheils an Ihrem Glücke, sich alles vergegenwärtigend, was er von Ihnen empfing, was Sie ihm geworden sind in einer längeren oder kürzeren Reihe von Jahren, jeder die ganze schöne Schuld, die er nicht abtragen kann, auf’s Neue in treues Gedächtniß verzeichnend, jeder reich nicht nur durch seine eigene, sondern zugleich durch aller Andern Liebe und Verehrung gegen Sie; und wie jede reine und edle Freude sich immer weiter verbreiten möchte, so wissen wir nichts lieberes als wenn wir den Glanz dieses Tages über das gesammte gebildete Leben verbreiten könnten. Möchte doch, denken wir, der Herr eben so Alle segnen, die seinen Bund halten! möchte er Allen eben solche Freude geben an Kindern und Kindeskindern, die noch im späten Alter ein eben solcher Segen für die Nachkommen seyn können durch heiteres Gottvertrauen und mittheilende Weisheit. Aber wie begrüßen Sie uns? Wie blicken in diesem rührenden Augenblick Ihre Augen umher in dem reichen Kreise, den Gott Ihnen gegeben, und den eine besondere Begünstigung so fast vollständig heut um Sie her versammelt hat! wie werden alte Zeiten wieder wach, und welche Fülle von Lebensbildern bewegt sich vor Ihrem geistigen Auge innerhalb dieses engen Raumes! wie bringt das eine freundliche Angesicht diese, ein anderes andere bedeutende Augenblicke der Vergangenheit in ihr Gedächtniß zurück! und wenn ihre Erinnerung auch auf manche dunklere Stellen stößt, diese gleichen doch nur den Schatten in einem wohlgeordneten Gemälde, die nicht schroff und schreiend abstechen, sondern auch die stärksten werden gedämpft durch das Licht, welches die heller bestrahlten Theile des Ganzen auf sie zurückwirft. Unter allen Wechselfällen, die Sie mit dem großen Ganzen dem wir angehören durchlebt haben, unter allem was Ihren engeren Kreis froh oder schmerzlich bewegt hat, für wieviel Gutes haben Sie Gott zu danken, was Sie durch vereinte Liebe und Treue bewirkt haben in dem Leben eines jeden von den Ihrigen! und mit welcher Befriedigung vergegenwärtigt sich Ihnen zugleich obschon in weiterer Ferne und in schwächerem Lichte der weitere Kreis von Freunden und Lebensgenossen, der sich um Ihren Hausstand allmählig herumgeschlungen hat, aus dem freilich so manche schon Ihnen vorangegangen sind, aber er hat sich immer wieder gefüllt, und reich ist er noch an solchen, denen Sie beistehen konnten durch Rath und That, durch tröstende ermunternde Zusprache, denen Sie auch unbewußt wohlgethan durch lehrreiches Beispiel, durch belebende Mittheilung, denen Sie im reinsten Sinn den edleren Genuß des Lebens erhöht haben.

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Aber denke ich nun daran, wie Sie, Verehrteste, mitten in diesem freudig bewegten Kreise, und indem Sie in diese Fülle des vergangenen Lebens hineinschauen, nun doch auch wieder allein sind mit sich | und dem Gott, dessen Güte und Treue Sie sich so hoch zu rühmen haben; wie Sie nun einkehren von dieser Mannigfaltigkeit der Erscheinungen des Lebens in dessen innersten Grund; wie Sie nicht nur in demselben Sinne, in dem Sie wohl oft Ihre Sorge auf den Herrn geworfen haben, nun auch die überströmende Freude auf Ihn zurückwerfen, als auf den, von welchem uns alle gute Gaben herabkommen, sondern sich auch sagen, daß alle diese großen Wohlthaten doch nichts gewesen wären, wenn nicht der Friede Gottes gewohnt hätte in Ihren Herzen; aber daß Sie alle Segnungen, für die wir Ihm danken, gefunden haben auf dem Wege des Gehorsams gegen seinen heiligen Willen, – wie Sie in dieser Stille denken, und ein solcher Gedanke erst der Gipfel Ihrer freudigen und dankbaren Stimmung ist, daß auch, wenn die Lichter des Lebens viel bleicher und die Schatten viel dunkler gewesen wären, Ihr vereintes Leben doch immer schön gewesen seyn würde, weil ja Sie selbst, weil Ihre Liebe, weil der ganze innere Grund Ihres Lebens derselbe geblieben wäre, daß es immer, wenn auch nicht ein eben so erfreulicher, doch ein eben so starker Beweis davon gewesen seyn würde, wie Gott die Seinigen segnet, und daß Sie nicht minder Ursache gehabt haben würden, Ihm zu danken – wie also doch alles in Ihnen auf das Eine zurückkommt, daß Gott Sie Beide so für einander und durch einander bewahrt und geleitet hat in seiner Gnade, daß Ihre Herzen frisch geblieben sind in dem gleichen herzlichen Gottvertrauen, und in der gleichen innigen Liebe und Treue, dafür fehlen mir die Worte! – Aber in diesem Vorgefühl, mit dieser Zuversicht standen Sie vor funfzig Jahren vor Ihm, um den Bund Ihrer Herzen segnen und heiligen zu lassen; so wie Sie es jetzt empfinden und niemand es Ihnen nachsprechen kann, hat Er ihn geheiligt und gesegnet; wohlan, so reichen Sie Sich nach so schön bis hieher vollbrachtem Lauf hier auch wieder vor Gott, aber zugleich nicht wie damals vor mitfühlenden hoffnungsvollen Freunden, sondern im Angesicht der Nachkommen, durch welche Gott Ihren Bund gesegnet hat, noch einmal die Hand zu gleicher Liebe und Treue für die noch vor Ihnen liegende Zeit des Lebens, für welche wir Sie gleicher göttlicher Huld empfehlen wollen. Gebet.

7 Vgl. 1Petr 5,7

9 Vgl. Jak 1,17

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23. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 2,1–12 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 81–95, Nr. VII; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 97.

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Tex t . Marcus II, 1–12. „Und über etliche Tage ging er wiederum gen Capernaum, und es ward ruchtbar, daß er im Hause war. Und alsobald versammelten sich viele, also daß sie nicht Raum hatten auch draußen vor der Thür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen etliche zu ihm, die brachten einen Gichtbrüchigen, von vieren getragen. Und da sie nicht konnten bei ihm kommen vor dem Volk, deckten sie das Dach auf, da er war, und gruben es auf, und ließen das Bette hernieder, da der Gichtbrüchige innen lag. Da aber Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Es waren aber etliche Schriftgelehrte, die saßen allda, und gedachten in ihren Herzen: Wie redet dieser solche Gotteslästerung? Wer kann Sünde vergeben, denn allein Gott? Und Jesus erkannte bald in seinem Geist, daß sie also gedachten bei sich selbst, und sprach zu ihnen: Was gedenket ihr solches in euren Herzen? Welches ist leichter, zu dem Gichtbrüchigen zu sagen: Dir sind deine Sünden ver|geben; oder: Stehe auf, nimm dein Bette und wandele? Auf daß ihr aber wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe, zu vergeben die Sünden auf Erden, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: ich sage dir, stehe auf, nimm dein Bette, und gehe heim. Und alsobald stand er auf, nahm sein Bette, und ging hinaus vor allen; also, daß sie sich alle entsetzten, und priesen Gott, und sprachen: Wir haben solches noch nie gesehen.“ 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 97: „Jesus nimmt die Sünder an“ (Melodie von „Jesus, meine Zuversicht“)

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M. a. Fr. Diese Erzählung unterscheidet sich auf eine sehr bedeutende Weise von anderen, wo uns ebenfalls gesagt wird, daß der Erlöser bald auf diese, bald auf jene Art die ihm mitgegebene Gotteskraft zur Aufhebung menschlicher Leiden und besonders körperlicher Uebel gebrauchte. Denn wie überall das Geistige ungleich mehr ist als das Leibliche: so müssen wir sagen, hier ist das bei Weitem nicht die Hauptsache, daß dieser Gichtbrüchige geheilt wird und nun mit dem wiederhergestellten Gebrauch seiner Glieder von dannen geht, sondern dieses, daß der Erlöser ihm sagt, daß ihm seine Sünden vergeben wären. Wir haben aber in dieser ganzen Erzählung, m. G., auf zweierlei zu sehen: einmal auf das, was vorging zwischen dem Erlöser und diesem Leidenden selbst, und dann auf das, was sich auf die Gedanken der um ihn her versammelten Schriftgelehrten bezog. Was das Erste betrifft, wenn wir uns daran erinnern, wie der Erlöser ein andermal sagt, daß man die geistigen Gaben und Güter nicht solle vor die Unwürdigen hinwerfen, d. h. vor diejenigen, welche doch weder im Stande seien noch es im Sinne hätten, sich ihrer auf die rechte Weise zu be|dienen: so müssen wir doch sagen, er hätte seiner eignen Ordnung und Regel zuwider gehandelt, wenn er die Vergebung der Sünden Einem gleichsam zugeworfen hätte, der ihrer nicht begehrte, sondern nur der leiblichen Heilung. Wir verstehen hieraus andere Fälle, wo uns erzählt wird, daß auch solche, die mit leiblichen Gebrechen behaftet gewesen, seiner harrten am Wege. Ungeachtet er dann sehr wol sehen konnte, was ihnen fehlte zu einem gesunden leiblichen Leben: so fragt er doch zuweilen, was willst Du, daß ich Dir thun soll? gleichsam erwartend und sie herausfordernd, ob sie nicht auch von ihm eine geistige Gabe lieber verlangen würden als eine leibliche. Wenn aber solche sagten: Herr, gib, daß ich sehend werde: so hielt der Erlöser auch die geistige Gabe zurück, um sie nicht einem Unwürdigen zu geben, und begnügte sich mit der leiblichen. So können wir hier, so gewiß als wir wissen, daß der Erlöser wußte, was im Menschen war, annehmen, daß dem Leidenden ganz vorzüglich um die geistige Gabe des Erlösers zu thun gewesen sei. Wie mag demselben wol zu Muthe gewesen sein bei allen den Anstalten, welche seinetwegen gemacht wurden? Ob Einer verlangt, G., nach der Vergebung der Sünden, oder ob Einer verlangt im Allgemeinen nach der Verkündigung vom seligen Reiche Gottes und nach der Einladung, in dasselbe einzugehen, das ist doch gewiß Eins und dasselbe; denn das Eine läßt sich ohne das Andere nicht denken. Nun verlangte er ja wohl nach dem Letzteren; er hatte gehört, der Erlöser würde zurückkommen nach Kapernaum, wo er schon früher ansäßig war, und es hatte sich deswegen, weil er längere Zeit abwesend gewesen, eine Menge von Menschen um ihn versammelt; man setzte schon voraus, daß er das Reich Gottes 14–15 Vgl. Mt 7,6 23–24 Vgl. Mt 20,32; Mk 10,51; Lk 18,41 20,33; Mk 10,51; Lk 18,41

26 Vgl. Mt

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predigen würde, oder daß er ihnen, wie es kurz heißt, das Wort sagen würde. Und nun machten die Angehörigen des Leidenden so große, so über das gewöhnliche Maß gehende Anstrengungen, um ihn mit seinem körperlichen Leiden vor den | Erlöser zu bringen, dem es selbst mehr um die geistigen zu thun war als um die leiblichen, der sich sehr wohl hineindachte in die Stimmung derer, denen es nur um die körperlichen Leiden zu thun war. In welcher peinlichen Verlegenheit muß da nicht dieser Kranke gewesen sein, wie muß er nicht gewünscht haben, lieber ganz im Stillen unter denen zu sein, denen der Erlöser vom Reiche Gottes redete, und gesetzt, der Herr wäre nichts gewahr worden von seinem leiblichen Uebel, gesetzt, es wäre nicht davon die Rede gewesen: er wäre zufrieden gewesen, daß ihm ein Korn des göttlichen Samens in die Seele gelegt wäre, um es dort zu verarbeiten für die Seligkeit, die der Erlöser hier mit seinem eigenen Munde verkündigte. Und so mögen wir denn allerdings auch wol voraussetzen, daß, nachdem der Erlöser ihm dieses Wort gesagt hatte, seine Seele ganz beruhigt war und von innen heraus erquickt, und in dem Glauben an dieses göttliche Wort des Erlösers nun fest geworden und aller Sorge überhoben, und in der That aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen durch diesen Glauben. Darum nimmt auch die ganze Erzählung die Wendung, daß, was der Erlöser hernach noch that, er nicht eigentlich seinetwegen gethan habe, sondern in Beziehung auf die Anderen, welche da zugegen waren. Er selbst hatte schon genug an diesem Einen Wort des Erlösers, dadurch war in ihm der Grund gelegt zur Entwickelung eines heiteren und fröhlichen Glaubens an den, welchen Gott gesandt hatte, und an das geistige Reich Gottes, welches er durch sein Leben und Dasein stiftete in der Kraft Gottes, welche immerdar aus seinem Munde ging. Aber wie nun der Erlöser dieses an ihm vollbracht hatte, und er doch einmal gestört worden war aus seiner Rede und Verkündigung des göttlichen Worts: so that er nun auch zu der geistigen Gabe die leibliche hinzu, auf die Art und Weise, als wenn die eigentlich der Gegenstand gewesen wäre und die Ursache, weshalb dieser sich hatte vor ihn bringen lassen, und sprach zu | ihm: „ich sage dir, stehe auf, nimm dein Bett und gehe heim.“ Entzog er ihn nun aber damit nicht demjenigen, was dieser wol am Meisten mußte gewünscht haben, und opferte er nicht einen Theil der geistigen Gabe, welche er mit Recht wäre im Stande gewesen zu genießen, dem auf, was Anderen Noth that, indem er ihn nun den Beweis geben ließ, daß der Gebrauch seiner Gliedmaßen wirklich hergestellt war? Und sollen wir nicht glauben, daß es diesem werde hart angekommen und schwer geworden sein, die Gesellschaft des Erlösers gleich wieder zu verlassen, daß er nicht mehr hören konnte von den Worten des Lebens, welche der Erlöser der versammelten großen Menge und einer Anzahl von Schriftgelehrten verkündigte, sondern 18–19 Vgl. Joh 5,24

26 Anspielung auf Ps 34,2

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daß er nun natürlicher Weise dem Wort des großen Gebers gehorsam sein Bett nehmen und wirklich nach Hause gehen mußte? Dennoch, m. g. Fr., wollen wir nicht glauben, daß der Erlöser ihn hier habe betrüben wollen, und daß er nicht werde ein Mittel gehabt haben, beides zu vereinigen nach seiner Alles umfassenden Weisheit, diesen erst die unmittelbare Frucht seiner Heilung und nachher die freudige Anhörung des göttlichen Worts aus seinem Munde genießen zu lassen. Gewiß können wir sagen, daß dem Herrn dieses nicht werde schwer geworden sein zu vollbringen, aber auch sicherlich von dem Geheilten, daß es ihm leicht und wohl zu Muthe gewesen, wie er nun diese große vermischte Menge von Menschen verlassen konnte, und mit dem Bewußtsein der zwiefachen göttlichen Gabe, die ihm zu Theil geworden, in die Stille seiner Einsamkeit zurückkehren. Dieß nun, m. G., ist uns gewiß ein recht deutlicher Beweis, wie wir auch in der großen und Alles in sich schließenden geistigen Gabe Gottes zweierlei zu unterscheiden haben: das Eine, was gar keine Größe und gar kein Maß hat, sondern immer Eines und dasselbe ist, und ein Anderes, welches freilich dem Gesetz der Zeit unterworfen, in der Zeit aus | einander geht, sich schöner entwickelt und entfaltet, und dann auch wieder sich zusammenzieht. Das Erste ist das Bewußtsein von dem wiederhergestellten Verhältniß, in welchem wir zu Gott stehen, von dem Frieden, mit welchem das Bewußtsein des ewigen Wesens in unserer Seele ruht, in derselben herrscht und treibt, so daß ein ganz neues Leben allmählig aus diesem Keim hervorgeht. Diese Gabe hatte jener empfangen, und seine Seele war von derselben ganz erfüllt, und er mußte nun mit einem ganz anderen Bewußtsein als das war, womit er gekommen, in seine Heimath zurückkehren, und da hatte er an dieser unermeßlichen und ungemessenen Gabe sein volles Genüge. Deswegen freilich ist für den Zweifel kein Raum, und ist er auch diesmal, gewiß nicht nur dem Worte des Erlösers sondern auch dem Drange seines eigenen Herzens gehorsam, in die Einsamkeit zurückgekehrt: so werden wir es ihm wol zutrauen dürfen, daß er in der Folge jede Gelegenheit wahrgenommen, um zu sehen, wie das Wort Gottes sich in dem Erlöser gestaltete, wie dadurch das ganze Leben des menschlichen Geschlechts verherrlicht und erleuchtet wurde, und daß nun auch die rechte Erkenntniß von dem, was zu dem Leben in Gott und aus Gott gehört, allmählig in seiner Seele zur Reife gekommen sei. Aber für diesen ersten Augenblick konnte ihm in der That nichts willkommener sein als dieser Zuruf des Erlösers, daß er sein Bett nehmen und heim gehen sollte; denn dadurch wurde er aus diesem Zwiespalt gerissen, in welchem er vorher gewesen sein mußte, weil nämlich in seiner Seele nur die Sehnsucht nach den geistigen Gaben sich regte, und doch seinetwegen alle jene Anstalten getroffen wurden, ihn von dem leiblichen Uebel zu befreien. In diesem Zustand wäre er nun noch geblieben, wenn er noch länger den Blicken Aller derer sich hätte aussetzen müssen, die das Wunder des Herrn an seinem Leibe geschaut,

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und in die zweifelnden Gedanken von denen wäre verstrickt worden, welche immer noch nicht wußten, | wie sie sich dieses Werk des Erlösers erklären sollten, sondern nur dabei blieben, daß sie dergleichen noch nicht gesehen und gehört hätten. Wie aber, m. g. Fr., steht es nun um das Verhältniß des Erlösers zu denen, welche das Wort vernahmen, das er zu dem Gichtbrüchigen sprach: „mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben?“ Diese also sprachen unter sich: wie redet doch dieser so? er lästert ja Gott; kann Einer Sünde vergeben als allein Gott selbst? Nun müssen wir freilich sagen, m. g. Fr., das konnte wol nicht anders als ihnen auf solche Weise auffallen; denn in dem ganzen Jüdischen Gottesdienst, so viel Ruhm und Ehre auch die priesterliche Würde hatte, so lag es doch gar nicht in dem Sinn und Geist derselben, daß den Priestern das Recht hätte zugeschrieben werden können, die Sünden zu vergeben; sondern wie sie zugleich die Gesetzeskundigen waren auf der einen Seite, und auf der anderen die, welchen allein das Recht zustand und die Pflicht, in dem Tempel des Herrn zu dienen: so nahmen sie freilich die Opfer und Gaben des Volkes in Empfang und brachten sie mit ihrem Gebete vor Gott; so bestimmten sie freilich, wenn die des Gesetzes Unkundigen sie fragten, was in diesem und jenem Fall zu thun sei, was für Opfer und Gaben das Gesetz vorschreibe; aber alle Opfer und Gaben waren nur das Gedächtniß der Sünde und die Vergebung der Sünden sollte nicht in ihnen sein – das war nicht gemeint und auch nirgends gesagt, und wir sehen hieraus, wie die, welche der Schrift und des Gesetzes kundig waren, das auch nicht meinten. Also daß Gott allein die Sünde vergeben könne, war etwas Ausgemachtes und Feststehendes. Nun sagt der Erlöser auch nicht: ich vergebe dir die Sünden; sondern er sagt: „deine Sünden sind dir vergeben.“ Als er aber die Gedanken wahrnahm, welche sie nicht allein in sich bewegten, sondern auch unter einander besprachen: da | sagt er ihnen: „auf daß ihr wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe, die Sünden auf Erden zu vergeben, so sprach er zu dem Gichtbrüchigen: ich sage dir, stehe auf, nimm dein Bett und gehe heim.“ Hat er nun damit also jenem, was sie als etwas ganz Gewisses aufstellten, daß nämlich Gott allein Sünden vergeben könne, widersprechen wollen, und es sich selbst zueignen, daß er die Sünden vergebe? Das können wir, m. g. Fr., aus den Worten wie sie in unserer Deutschen Bibel lauten, nicht recht deutlich sehen; aber das Wort, welches hier so ausgedrückt ist, daß des Menschen Sohn Macht habe, das heißt genau so viel, daß des Menschen Sohn Vollmacht habe, Auftrag von Gott, die Sünden zu vergeben. Und auf daß sie das wüßten, so that er das Zweite jenem ersteren hinzu; also nicht als ob er sich selbst hätte eine eigene, ihm ursprünglich zukommende, von ihm selbst ausgehende Macht zuschreiben wollen, Sünden zu vergeben. Das, m. g. F., das lag auch gar nicht in der Art und Weise, wie er jemals von sich gesprochen. Denn überall stellt er sich

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dar als den, welchen Gott gesendet; auch da, wo er zum Glauben auffordert, sagt er, das sei der Wille seines Vaters, daß er auffordern solle zum Glauben an den, welchen Gott gesendet habe. Ueberall also stellt er sich nie anders dar als in diesem Auftrage, den er von Gott bekommen, das Heil der Menschen zu bewirken, wenn gleich es nur bewirkt werden konnte durch die göttliche Macht und Fülle, die in ihm lag, aber immer stellt er es dar als den Auftrag, die Vollmacht, die er von Gott erhalten hatte. So auch hier. Denn das Beides läßt sich nicht von einander trennen, die Befreiung der Sünden von der Last der Selbstverdammung und das frohe Bewußtsein, in dem Reiche Gottes zu leben; wer das Letzte soll bewirken können, muß auch das Erste können, und beides | kann nur aus der allgemeinen Quelle alles Friedens und alles Lebens kommen, nämlich von Gott. Anders als so hat der Erlöser es auch nicht gemeint; das sei der Zweck seiner Sendung, die Vollmacht, die er bekommen; aber so daß das Wort, welches er redet kraft der ihm ertheilten Vollmacht, auch ebenso wahr ist wie das Wort Gottes, welches schafft und hervorbringt, was es gebietet. Aber, m. g. Fr., wie sollen wir uns nun das erklären? Indem nun jene das Recht bezweifelten, das er habe, und die Macht, daß er es werde wahr machen können, was er verheißen, daß nun die Sünden diesem wirklich vergeben seien, weil das nur Gott zustehe, – um ihnen nun das zu beweisen, so fragt er sie: „welches ist leichter zu sagen, dir sind deine Sünden vergeben, oder stehe auf, nimm dein Bett und wandle?“ Wenn uns nun die Frage vorgelegt wird: was werden wir denn für die richtige Antwort halten? Sollen wir sagen, die leibliche Gabe sei doch die größere, weil wir sie gar nicht begreifen können, weil wir keine Vorstellung davon haben, wie es zugehe, daß durch das Wort seines Mundes eine solche Veränderung in dem körperlichen Zustande eintrete; oder sollen wir doch sagen, weil das Geistige das Größere sei: so sei es auch gewiß das Schwerere, d. h. es gehöre ein größeres Maß von Kraft, von Antheil an dem göttlichen Wesen, an der göttlichen Macht dazu, um dieses in dem Menschen zu vollbringen, daß er der Vergebung seiner Sünden froh und des drückenden Bewußtseins derselben ledig sei. Ich glaube doch, m. g. Fr., daß wir, ohne zu schwanken, sagen müssen: die Grenzen Alles dessen, was in der leiblichen Natur möglich sei oder nicht, was wirklich natürlich sei oder übernatürlich, die vermögen wir nicht zu bestimmen; aber in die Seele das Bewußtsein von der Vergebung der Sünden hineinzugießen, was doch keine Wahrheit haben kann, wenn nicht auch zugleich mit demselben die Kraft eines neuen Lebens entsteht, in welchem die Sünde auch dem | zeitlichen Dasein nach immer mehr verschwindet – dieses in die menschliche Seele hineinzugießen das kann nur eine unmittelbare Kraft von oben im Stande sein. Und so sehen wir es ja immer als ein Werk der göttlichen Gnade, als ein Werk des 2–3 So nicht nachweisbar, vgl. aber Joh 6,29.38–40

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göttlichen Geistes an, das in der Seele geschieht, und wollen es nicht anders erklären, als daß es das Werk des göttlichen Geistes in dem Menschen ist. Sollen wir nun wol glauben, daß der Erlöser es anders gemeint hat und daß er doch wollte das Leibliche für das Größere gehalten wissen? Da hätte er ja überhaupt das Reich der Natur und der leiblichen Kräfte für etwas Größeres halten müssen als das Reich der Gnade und des göttlichen Geistes; und so scheint uns allerdings die Sache ganz klar zu sein, daß, zu sagen: gehe hin, deine Sünden sind dir vergeben, etwas viel Schwereres ist, wozu mehr Kraft gehört, als zu sagen: stehe auf und gehe heim. Aber wenn es sich nun so verhält: so gerathen wir auf der anderen Seite in eine entgegengesetzte Schwierigkeit. Nämlich der Erlöser wollte ja in der That seinen Zuhörern beweisen, daß er die Macht habe, die Sünden zu vergeben. Kann man nun das Schwerere beweisen aus dem Leichteren? Wenn wir die Sache so ansehen: so werden wir zu dem Entgegengesetzten geführt, daß wir denken, weil er das Geistige hat beweisen wollen durch das Leibliche: so muß das Letzte das Größere sein, damit jenes von selbst daraus folge als das Kleinere. Es ist offenbar, daß dieser scheinbare Widerspruch in etwas seinen Grund haben Muß, was nicht jedem auffällt. Nämlich wenn der Erlöser es hätte aufstellen wollen als einen allgemeinen Beweis, und also wenn es überhaupt seine Meinung gewesen wäre, aus diesen Erweisungen seiner wunderbaren Kraft in dem Gebiet der leiblichen Natur die Macht, die er von Gott empfangen hatte in dem Gebiet des geistigen Lebens, zu beweisen: ja, dann würden wir freilich sagen, daß er jenes für das Größere gehalten hätte. Aber das ist auch nicht seine Meinung | gewesen, und mit allen Worten, welche solchen Schein an sich tragen, hat es eine andere Bewandtniß. Das Geistige war ihm die Hauptsache, das Leibliche folgt als natürliche Zugabe, aber keinesweges hat er das Letzte als das Größere geachtet, als etwas wodurch jenes als das Geringere könne bewiesen werden. Aber in dem Bewußtsein derer, zu welchen der Erlöser redete, hatte das seinen sehr bestimmten Zusammenhang. Nämlich das wissen wir, wenn auch nicht anders woher, schon aus hinreichenden Stellen des Neuen Testaments selbst, wie es zu damaliger Zeit, – und das war sehr allgemein, – unter dem Jüdischen Volke ein feststehender Grundsatz war, der auch allerdings in den Worten des Gesetzes hinreichend begründet war, alle Uebel, welche die Menschen trafen, anzusehen als Strafe der Sünde. Wir dürfen ja nur daran denken, wie die Jünger den Erlöser fragten: wer hat denn gesündigt, dieser oder seine Eltern? eingedenk der Worte des Gesetzes, daß Gott die Sünde heimsuchen wolle an den Kindern und Kindeskindern. Das war also bei ihnen ein feststehender Gedanke, und bei allen Uebeln, welche die Menschen trafen, sannen sie sogleich auf eine Versündigung der Menschen als Grund derselben. Nun war also an sie die Rede des Erlösers gerichtet und 36–37 Vgl. Joh 9,2

37–38 Vgl. Ex 20,5; Dtn 5,9

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er sagt also: wenn ihr sehen werdet, daß das leibliche Uebel gewichen ist, von dem ihr nicht zweifelt, es sei eine Folge der Sünde: dann werdet ihr wol glauben, daß ich von Gott das Recht und den Auftrag bekommen habe, die Sünden zu vergeben, weil ich die Folgen derselben hinwegnehmen kann. Nun, m. Fr., wissen wir wol, daß das etwas Falsches ist auf der einen Seite, und der Erlöser stellt eine ganz andere Ansicht auf über die Uebel dieses Lebens, nämlich daß sie von Gott | verhängt wären über die Menschen, damit seine Macht sich an ihnen offenbare und eine Kraft des Geistes von ihnen ausgehen solle. Aber auf der anderen Seite werden wir doch sagen: im Allgemeinen ist ein Zusammenhang zwischen beiden und beides ist in demselben gegründet; es ist die Unvollkommenheit in dem Geistigen in dem endlichen Dasein, welche der Grund der Sünde und des Uebels ist; denn wo die Kraft nicht ist in dem geistigen Dasein, einen Unterschied zu machen zwischen gut und böse, da ist auch kein Bewußtsein des Uebels als solchen. Darum nun werden wir sagen, daß das doch ein Beweis ist von der geistigen Macht des Erlösers, den nicht nur er selbst führen konnte, sondern der immer noch, wenn gleich auf andere Weise, geführt werden kann und geführt werden muß, und der nichts Anderes ist als die richtige Entwickelung des Reiches Gottes in dem Gebiet des Geistes selbst. Nämlich wie beides zusammenhängt und er diesen Zusammenhang hier deutlich macht: so hängt auch in dem Reiche Gottes beides zusammen. Je mehr der Geist Gottes die Menschen belebt: desto mehr verschwinden auch die Uebel des Lebens; und wenn wir gegen diese Uebel irgend eine Hülfe kommen sehen auf anderem Wege: so bekommen wir gleich das Bewußtsein, daß das doch nicht das Rechte, Dauernde, Wahre sei; wenn aber die Hülfe ausgeht von der rechten Kraft der göttlichen Liebe, von der Klarheit der Uebersicht über die menschlichen Dinge, die der nur haben kann, welcher dem Menschlichen nicht mehr unterworfen ist, sondern sich dem göttlichen Geist unterworfen hat, wenn wir solche Hülfe sehen: da bekommen wir eine Zuversicht und einen festen Glauben, daß das Uebel wirklich überwunden ist, und so führt sich denn der Beweis noch immer fort, und die ganze Geschichte des Reiches Gottes auf Erden ist nichts Anderes als die Fortführung dieses Beweises, welcher mit den Wundern des Erlösers angefangen hat – nur daß dies Wunder sich immer mehr in den Lauf der Natur hinein | bildet und als erhöhte geistige Kraft in dem ganzen Umfange des Reiches Gottes erscheint. Wenn also, m. G., nachdem der Erlöser das gethan, diejenigen, welche solche Gedanken in sich herumgewälzt hatten, sich entsetzten und Gott priesen und sprachen: „wir haben Solches noch nie gesehen:“ so haben sie freilich wol Recht gehabt. Denn wie in den Zeiten des Alten Bundes alle Gottesdienste, die angeordnet waren, auf nichts Anderes führten, als wie es 6–9 Vgl. Joh 9,3

41–3 Vgl. Hebr 10,3

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in dem Brief an die Hebräer so deutlich aus einander gesetzt ist, um ein Gedächtniß der Sünde zu stiften und das Bewußtsein der Sünde lebendig zu erhalten, und dem Gesetze selbst, wie es in dem Brief an die Römer heißt, keine andere Kraft mitgetheilt war, als die Erkenntniß der Sünde zu geben: so hatten sie überhaupt noch nichts von dem gesehen, was damals vor ihren Augen geschah, nämlich daß das Bewußtsein von der Vergebung der Sünden in die menschliche Seele ausgegossen wurde, und daß dieses zugleich sich als die Macht bewährte, welche die Uebel der Menschen hinwegnähme. Solches hatten sie noch nicht gesehen, und außerhalb des Gebietes, in welchem sich die Kraft und Wirksamkeit des Erlösers bewegt, ist es auch nicht zu sehen. Wir aber, m. g. Fr., wir leben in einer Zeit, wo das der tägliche Anblick ist, an welchem sich unser Herz stärkt und sich das bewährt, was der Apostel Johannes in seinem ersten Briefe so ausdrückt, daß freilich wir immer bekennen müssen, daß wir noch die Sünde haben, denn sonst wäre die Wahrheit nicht in uns, und daß, insofern wir sie haben, unser Herz uns verdammt, aber daß Gott größer ist als unser Herz und wir unser Herz an ihm stillen können. Das bewährt sich | immerfort, daß die Gewißheit von der Vergebung der Sünden auch bei den Spuren der Sünde, die auch in dem christlichen Leben noch vorhanden sind und sich immer wieder vor unsern Augen erneuern, daß demungeachtet jene Gewißheit und damit die Freudigkeit der Kinder Gottes um so mehr sich erhöht, als zugleich die Kraft des geistigen Lebens über das leibliche immer mehr zunimmt; und je mehr die Kraft der Liebe mächtig ist, die ja nur ist die Thätigkeit des Glaubens: um so mehr verschwinden die Uebel durch diese Thätigkeit des Glaubens und verlieren ihren Stachel; denn dieser ist das Bewußtsein der Sünde. Aber wenn dieses aufgehoben ist: so wachsen auch immer mehr die geistigen Kräfte, um das Uebel selbst zu gewältigen; und so ist denn dieß, daß von der rechten Kraft des geistigen Lebens aus das gesammte menschliche Leben sich immer herrlicher gestaltet, und in der Gesammtheit des Geistes der Mensch Herr aller natürlichen Kräfte wird, das ist das zuvor noch nie Gesehene, was nun täglich gesehen wird, und in dessen Anschauung der Glaube sich stärken und befestigen soll. Und so, m. G., sehen wir in dieser Geschichte im Kleinen die ganze Geschichte des Reiches Gottes auf Erden, und Alles, wozu das menschliche Geschlecht noch soll verklärt werden von einer Klarheit zur anderen, Alles was noch vor uns liegt und wonach wir uns zu strecken haben, das Alles, das Gegenwärtige und das Zukünftige, offenbart sich in dem Einen, wie aus dem frohen Bewußtsein der Vergebung der Sünden ein heilsamer und freudiger Gebrauch aller Kräfte, die Gott dem Menschen gegeben hat, hervorgeht. Und so lasset uns denn nicht uns entsetzen, weil man sich nicht 3–5 Vgl. Röm 3,20; 7,7 13–15 Vgl. 1Joh 1,8 24 Vgl. Gal 5,6 35–36 Vgl. Phil 3,13

15–17 Vgl. 1Joh 3,19f

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entsetzen kann über das, was natürlich geworden ist, aber nie aufhören Gott zu preisen, wie es uns an einer anderen Stelle gesagt wird, der den Menschen solche Macht gegeben hat, und von diesem Grund | aus, daß er das Mensch gewordene, das Fleisch gewordene Wort Gottes war, erklärt sich die ganze Wirksamkeit des Erlösers; lasset uns nicht aufhören Gott zu preisen, der den Menschen in dem Menschensohn solche Macht gegeben hat, und uns immer mehr seinen Geist senden wird, auf daß seine Kraft in uns mächtig sei, und diese mit der Verbreitung des geistigen Lebens in Gott zugleich den würdigen Gebrauch aller Kräfte, die Gott in die menschliche Seele gelegt hat, verbreite. Amen. Lied 91.

2–3 Vgl. Mt 9,8; möglicherweise auch Anspielung auf Ps 8, bes. 6f 11 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 91: „Aus irdischem Getümmel“ (Melodie von „Valet will ich dir geben“)

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Am 13. November 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

24. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 15,14 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 1) 1831, Nr. XII SW II/3, 1835, S. 107–120; 21843, S. 112–125. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 207–218 Keine Keine

Am 24. Sonntage nach Trinitatis 1831.

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Lied 47. 518. Text. Joh. XV, 14. „Ihr seid meine Freunde, so ihr thut, was ich euch gebiete.“ 5

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M. a. Fr. Was unser Erlöser hier in eine so unmittelbare Verbindung bringt, das pflegt sich in allen übrigen menschlichen Verhältnissen vielmehr gar nicht mit einander zu vertragen. Wenn wir das Wort Freundschaft hören, so denken wir uns Mehrere, die als gleiche mit einander leben, und die Freundschaft, sagen wir, verträgt kein Gebot. Was sie leisten soll, muß ganz frei aus dem Innern hervordringen; und wenn zwischen solchen, die lange Zeit Freunde gewesen sind, irgend ein anderes Verhältniß sich entspinnt, vermöge dessen der Eine gebieten, der Andere gehorchen muß, so zieht sich der Lezte zurükk, und der helle Glanz der Freundschaft erbleicht in der neu entstandenen Ungleichheit. Und, wiewohl auch in vielen Fällen – und ein großer Theil des menschlichen Wohlergehens beruht ja | darauf, daß es recht im großen und recht rein und treu so sei – diejenigen wohl zusammenklingen im ganzen Leben, welche gebieten und welche gehorchen: so ist es doch eben so auf der andern Seite. Wenn auch der Gehorsam 2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 47: „Halleluja, Lob, Preis und Ehr’“ (Melodie von „Wie schön leucht’t uns der Morgenstern“); Nr. 518: „Du, der sein Blut und Leben“ (Melodie von „Valet will ich dir geben“)

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mit noch so vieler Treue, mit noch so vieler Zustimmung des Herzens verbunden ist: Freundschaft entsteht doch nicht aus demselben. Nicht so, m. g. Fr., als ob deswegen diejenigen, deren Loos auf dieser Erde es ist, daß sie über vieles und großes zu gebieten haben, nothwendiger Weise dieses Segens Freunde zu haben entbehren müßten, da sie so wenige ihres Gleichen haben, daß sie sich unter einander nur auf eine sparsame Weise etwas sein können: aber gewährt ihnen ein günstiges Geschikk einen Freund unter denen, über die sie zu gebieten haben, so scheidet sich doch Beides auf das strengste von einander. Während der Freund gehorcht als Untergebener, als Unterthan, tritt in seinem eignen Bewußtsein die Freundschaft gegen den, der jezt gebietet, zurükk, und das Ansehn, die Würde, welche das öffentliche Leben jenem über ihn gegeben hat, tritt hervor; und eben so im Gebietenden, wenn der Ernst, wenn die Strenge des leitenden Willens sich zu erkennen giebt, so verzieht sich das schöne Bewußtsein der Freundschaft während dieser Zeit. So demnach ist es überall sonst; der Erlöser aber beschreibt sein Verhältniß zu seinen Jüngern und das ihrige zu ihm auf eine ganz entgegengesezte Weise. Nicht ohnerachtet er ihnen gebietet, seien sie doch seine Freunde; nicht ohnerachtet sie seinen Geboten Gehorsam leisten, sei er doch ihr Freund: sondern gerade deswegen und nur deswegen, weil sie thun was er gebietet, wären sie seine Freunde. | So lasset uns denn, m. a. Z., eben dieses Eigenthümliche in dem Verhältniß des Erlösers zu seinen Jüngern mit einander betrachten, daß sie seine Freunde sind gerade wegen ihres Gehorsams und durch denselben. Wir werden zu diesem Ende freilich, weil Freundschaft doch überall und immer wesentlich nur dasselbige ist, zuerst den Grund der Verschiedenheit dieser Freundschaft von allen andern aufzusuchen haben in dem Inhalt dessen, was der Erlöser gebietet; und wenn wir uns so sein Gebot recht vergegenwärtigt haben, dann werden wir zweitens sehen können, wie genau eben das Verhältniß der Freundschaft zwischen ihm und uns mit diesem Gebote und seiner Erfüllung zusammenhängt. I. Fragen wir uns nun also zuerst, m. a. Fr., was ist denn das, was der Erlöser gebietet, und um dessentwillen, weil sie es thaten, seine Jünger seine Freunde waren: so dürfen wir nicht weit suchen, um die Antwort auf diese Frage zu finden: Sie steht in dem unmittelbaren Zusammenhang derselbigen Rede des Herrn, aus welcher die Worte unsers Textes genommen sind. Das ist mein Gebot, sagt er zu seinen Jüngern, daß ihr euch unter einander liebet, gleichwie ich euch liebe1. 1

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Dies ist aber auch das ganze Gebot des Erlösers, auf welches sich diese seine Rede bezieht; denn wir finden nirgend ein anderes, welches er als das seinige angiebt. Nur noch an einer an|dern Stelle sagt er ausdrükklich, Ein neues Gebot gebe ich euch, und daran wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seid1; aber auch hier ist von nichts anderem die Rede, als von eben dieser der seinigen gleichen Liebe. So lasset uns also zunächst fragen, wie es eigentlich mit der Liebe des Erlösers zu seinen Jüngern stand, was er an ihnen liebte, und weshalb er das an ihnen liebte? Und nun, m. g. Fr., wenn wir uns das ganze Verhältniß vergegenwärtigen; wenn wir erwägen, woher der Erlöser seine Jünger genommen hat, wie er sie fand, was sie waren und blieben, so lange sein Umgang mit ihnen dauerte: so werden wir wenig von dem finden, was sonst der nächste Grund einer ausgezeichnet festen und treuen oder innigen Freundschaft zu sein pflegt. Da waren keine äußerlichen Eigenschaften, die ein besonderes Wohlgefallen des Herrn auf sie ziehen konnten; sie waren vielmehr mitten aus dem großen Haufen des Volks genommen, aus demjenigen Theil der Gesellschaft, wo die Einzelnen sich überhaupt weniger von einander unterscheiden, und dem dasjenige großentheils fehlt, wodurch eben die höher hervorragenden Theile der Gesellschaft sich auszeichnen, und um deswillen es unter ihnen mehr als dort Freundschaften giebt. Also war bei den Jüngern Christi keine besonders sorgfältige Ausbildung geistiger Eigenschaften und Kräfte zu erwarten, keine solche Gewohnheit des freien, ruhigen, über die Sorgen erhabenen menschlichen Lebens, woraus großentheils die Anmuth des geselligen Umgangs entsteht; da waren noch weniger große, durch treue und sorgfältige Uebung in den seltneren | außergewöhnlichen Aufgaben des menschlichen Lebens entstandene sittliche Kräfte und Tugenden. Wenn also alles dies nicht: was liebte denn der Erlöser an ihnen? Ueber eines, m. g. Fr., werden wir wol leicht einig werden, nämlich, wenn wir uns den Gegensaz stellen zwischen einem seligen Menschen und einem unseligen, welchen von beiden wir überhaupt am liebsten mit einer besonderen Liebe uns zugethan zu wissen und ihm selbst zugethan zu sein wünschen. Den Lezteren wünschen wir gewiß Alle von uns zu entfernen, seine Nähe beengt uns und zeigt uns unser menschliches Leben und Sein gerade von der dunkelsten Schattenseite; aber den Ersten suchen wir, dessen Nähe erfreut uns. Fragen wir also weiter, wenn wir doch wissen, welche Menschen der Erlöser selig preist, was denn wohl von dieser Seligkeit seine Jünger an sich hatten, um dessentwillen er sie lieben konnte? Ach! wenn wir die kurze Liste von Eigenschaften des menschlichen Gemüthes durch1

Joh. 13, 34. 35.

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laufen, die Er selbst uns in einer seiner Reden darstellt: wo werden wir stehen bleiben können, als bei dem Einen und einfachen, Selig sind, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden1. Von allen Seligkeiten war es allein diese, welche die Jünger dem Erlöser zuführte; diese war es, weswegen sie bei ihm beharreten, weil sie inne wurden, wie sie durch ihn, in seiner Nähe, in seinem vertrauten Umgange immer mehr anfingen gesättigt zu werden in diesem Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit. Und weiter werden wir wohl nicht rühmen können, daß irgend eine Gestalt und Schöne an | ihnen gewesen wäre, die sein Wohlgefallen hätte auf sich ziehen können; alles Andere mußten sie erst von ihm empfangen, und Er konnte sie also nicht lieben um dessentwillen, was sein Eigenes war. Fragen wir nun, weshalb er diesen Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit, diese Empfänglichkeit für die geistigen Gaben, für das göttliche Heil, das von ihm ausging, an seinen Jüngern liebte: so werden wir doch wohl nicht sagen wollen, eben deswegen, weil er in diesen ersten Anfängen schon sah, daß auch alles Uebrige, was Er zur Seligkeit rechnete, sich in ihrem eigenen Gemüth entwikkeln würde, wie sie immer mehr auch die Friedfertigen und Sanftmüthigen werden würden, und allmählig sich in ihnen gestalten werde das reine Herz, welches Gott schaut. Nein, so bei der einzelnen Persönlichkeit konnte die Liebe des Erlösers nicht stehen bleiben! nicht um ihretwillen liebte er das an ihnen, was sie waren und werden konnten, sondern um des großen Werkes willen, zu dem Er gesandt war. Seine kindliche Liebe zu seinem Vater war immer sein Erstes; das Werk zu vollbringen, zu welchem der Vater ihn gesandt hatte, darin fand er seine Seligkeit und Genüge, und nur darauf auch konnte Er alles Andere beziehen. Wenig wissen wir Einzelnes von dem kleinen Kreise der Jünger, zu welchem der Erlöser diese Worte sprach: aber wenn wir die beiden Gestalten herausheben, die uns doch weit genauer als die Uebrigen bekannt sind ihrem eigenthümlichen Wesen nach; wenn Er an dem einen Jünger den kräftigen standhaften Muth im Bekenntniß erkannte, der, wenn er erst würde frei geworden sein von eitler Vermessenheit, wenn er erst würde erfahren haben, | wie diese vor dem Fall kommt, alsdann ein vor Andern kräftiger Träger seines Worts und Gebots sein, und 1

Matth. 5, 6.

17–21 Vgl. Mt 5,9.5.8 31–32 Gemeint ist Petrus (vgl. das sog. Petrusbekenntnis Mt 16,13–19; Mk 8,27–29; Lk 9,18–20; Joh 6,66–69). 32–33 Schleiermacher bezieht sich auf die Episode Mt 26,33–35; Mk 14,29–31; Lk 22,33f; Joh 13,37f. 33– 34 Vgl. die sog. Verleugnung des Petrus Mt 26,69–75; Mk 14,66–72; Lk 22,54–62; Joh 18,15–18.25–27

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ohne eine menschliche Gewalt zu scheuen die Angelegenheiten des Heils den Menschen so ans Herz legen würde, daß es ihnen auch wirklich durchs Herz ginge und er sie aufnehmen könnte in die Gemeinschaft des Heils, deren er sich selbst erfreute; wenn er in dem Andern sah, wie er nichts anders predigte als die Liebe, welche das Band der Freundschaft zwischen seinem Herrn und Meister und ihm und den Andern gewesen war, wenn er in ihm voraussah, wie diese wirken würde, nicht als eine weichliche Empfindung, sondern noch aus demselben Gemüth, welches früher von dem Feuereifer verzehret ward, das sich aber nun zur himmlischen Milde geläutert hatte: da sah er in ihnen, wie sie auch nachher genannt wurden, die Säulen seiner Gemeinde, welche in dem nächsten Menschenalter das ganze Gebäude zusammenhalten würden; und so um dessentwillen, was sie für sein Reich, für das große Werk seines Vaters würden thun können, um deßwillen liebte er sie. Wohlan, m. g. Fr., dieser Liebe soll nun unsere Liebe unter einander gleich sein! so gebot er seinen Jüngern, sie unter einander sollten sich lieben mit der Liebe, womit Er sie geliebt hatte; das war sein Gebot, und wenn sie das thaten und weil sie das thaten, waren sie seine Freunde. Wie mancherlei Gestalten der Liebe und Freundschaft, m. th. Fr., finden wir nicht in der menschlichen Gesellschaft! Manches freilich von dieser Art ist so, daß wir uns gleich davon abwenden müssen; denn wo die Liebe sich nur als eine heftige sinnliche Bewegung zeigt, da beschränkt sich das Verlangen des Geistes auf einen engen und niedern Kreis | in dem wir keine Befriedigung ahnden; aber freilich Vieles erblikken wir auch überall und zu allen Zeiten, was uns groß und edel erscheint, aber was doch nicht ganz das Gepräge an sich trägt von dieser Regel für die Liebe, die der Erlöser durch sein Beispiel gegeben hat. Wenn wir nun fragen, ist denn jede andere Liebe als diese leer und nichtig? so werden wir es nicht wagen wollen gleichsam mit einem Worte einen so großen Theil geistigen Wohlergehens aus dem menschlichen Leben auf Erden gleichsam zu vernichten. Aber wenn wir uns auf der andern Seite fragen, was ist wohl die höchste Vollkommenheit irgend einer Liebe, die es unter den Menschen geben kann: wie leicht werden wir uns zu der Antwort vereinigen, diese höchste Vollkommenheit bestehe freilich für jede Liebe darin, wenn sie sich allmählig ausgebildet und veredelt hat zu dieser Liebe, die der Erlöser gebietet, wenn Alles, was sich nicht eben so auf die Mittheilung der Seligkeit bezieht, daraus verschwunden ist. Darin besteht 2–4 Vgl. Apg 2,37.41 4–5 Gemeint ist Johannes (vgl. etwa 1Joh 2,5.9f; 3,18; 4,9– 12.16–21; 5,1f; 2Joh 5f). 9–10 Vgl. Lk 9,54 11–12 Vgl. Gal 2,9 17–18 Vgl. Joh 15,12

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diese Vollkommenheit, wenn das Leben, welches der Siz der Seligkeit ist, und welches wir als die Reben des Weinstokks von ihm empfangen, auch jede Freundschaft, jede Liebe, jede Verbindung, in der wir mit unsern Brüdern stehen, durchdringt und das eigentliche Wesen derselben ausmacht. Lasset uns nicht erst reden von solcher Liebe und Freundschaft, die auf anmuthigen, aber doch nur äußerlichen Eigenschaften eines Menschen beruhet, und deswegen ihre Befriedigung nur findet in seiner unmittelbaren leiblichen Gegenwart oder in der möglichst lebendigen Erinnerung an dieselbe; auch nicht von solcher Liebe, die nur auf dem Einfluß beruht, den ein Einzelner in dieser oder jener Beziehung auf unser eigenes | Wohlbefinden ausüben kann, und worin wir also nicht einmal ihn, sondern nur uns selbst lieben: sondern auf jene innigste Liebe und Freundschaft lasset uns sehen, welche sich in einer besonderen Verwandtschaft zwischen unseren eigenen und den geistigen Eigenschaften des Andern gründet, so daß wir sein Inneres wahrhaft zu schauen und uns in ihn hineinzuleben weit mehr im Stande sind als in irgend einen Andern, sei er auch eben so reichlich ausgestattet und nicht minder wichtig und gesegnet für die menschliche Gesellschaft, in der er lebt und wirkt, ja vielleicht auch nicht minder rein und gottgefällig als jener. Was macht also hier den Unterschied? warum ziehen uns des Einen geistige Eigenschaften so viel stärker an, weshalb vertiefen wir uns so vorzüglich gern in ihren innern Zusammenhang, warum erfreut uns so viel inniger ihr schönes Zusammenwirken zu einem uns theuren Leben? Wenn nicht deshalb weil sie uns näher stehen in Beziehung auf die uns gemeinschaftlich obliegende fortschreitende Entwikkelung des Heils, welches in Christo ist; wenn nicht deshalb weil wir in ihnen die Wirksamkeit der Kraft klarer durchschauen, durch welche auch Andere zu dieser Höhe des geistigen Lebens erhoben und auf derselben fest gehalten werden, um sich immer mehr von Allem zu entledigen, was sie von derselben herabziehen könnte, wenn nicht, daß wir dieses in ihnen finden, der Grund unserer vorzüglichen Liebe und Freundschaft ist: so ist sie, fürchte ich doch nur ein anmuthiges, oder ziemlich gehaltloses Spiel einer feineren und verstekkten Selbstsucht. Und so, m. g. Fr., haben wir an einander nichts anderes zu lieben, als die geistige Empfänglichkeit für das geistige Leben, welches sich von dem Erlöser aus durch die Seini|gen immer weiter verbreitet. Wie groß auch, m. th. Fr., die Abstufung sei zwischen Einem und dem Andern in der Gemeinschaft der Christen, wie reich das Leben des Einen, wie still, wie unscheinbar, wie verborgen das des Andern, wie leuchtend der Eine über einen großen Kreis durch die Art, wie ihm vergönnt ist nach 2–3 Vgl. Joh 15,5

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dem göttlichen Rathschluß die Eigenschaften seines Geistes wirksam sein zu lassen; wie ein Anderer nur von Wenigen erkannt wird und also auch nur von diesen bedauert werden kann, daß es für ihn keinen größern Schauplaz gegeben, auf dem er hätte wirksam sein können für das Reich Gottes; wie sehr wir selbst in dem Falle sein mögen, von dem Andern mehr empfangen zu können, als wir ihm zu geben vermögen: so kann doch unsere Liebe zu ihm, soll sie an jener Vollkommenheit Theil haben, keine andere sein als die Liebe des Erlösers zu seinen Jüngern. Als den Gebenden können wir keinen Andern lieben als nur Ihn allein; denn Alles, was uns Andere geben können, um den zur Seligkeit führenden Hunger und Durst, um dessentwillen wir selbst der Gegenstand seiner Liebe sind, zu stillen, das geben sie uns nicht als ihr Eigenes sondern als das Seinige; es wird uns nur eine gesunde, zuträgliche Nahrung des Geistes, insofern wir im Stande sind, alles Andere davon zu sondern und nur das in uns aufzunehmen und in Saft und Blut zu verwandeln, was wirklich des Erlösers ist und keines Andern. Aber weiter, m. g. Fr., denken wir uns auch diese treue Liebe unter einander immer mehr gereift; denken wir uns auf einer solchen Stufe der christlichen Vollkommenheit, daß wir nichts anderes mehr achten und lieben, als was auf irgend eine Weise die Züge seines Bildes an sich trägt; | denken wir uns, daß Er selbst uns eben so wie jene ersten Jünger lieben könne um des Theiles willen, den wir an dem großen Werke nehmen, welches der Vater ihm zu vollbringen gegeben hat: so bleibet doch auch dann diese Liebe immer sein Gebot; wir können doch nie sagen, daß wir sie nun endlich hätten als unser eigenes Gewächs, als unser eigenes, niemandem andern angehöriges Leben. Ach! wenn wir es wagen wollten von dem Weinstokk uns zu sondern, um uns als Senklinge in einen andern Boden zu pflanzen: bald würde sich nicht mehr diese höhere Kraft des geistigen Lebens in uns regen, sondern wir würden wieder ausarten, der wilde Stamm der irdische Mensch würde wieder hervorsprießen, und die Abkunft von dem edlen Stamm nicht zu erkennen sein an dem vielleicht anmuthig gestalteten, aber nicht mehr fruchtbaren Gewächs. Immer bleibt diese Liebe sein Gebot, und wir können sie nicht anders üben denn als sein Gebot, sie bleibt immer nur so lange dieselbe, als wir auf ihn hinsehen, als wir sie aus seiner Fülle empfangen; nur wenn Er es ist, der überall zwischen uns tritt und die, welche die Gegenstände seiner Liebe sind. Dies, m. g. Fr., ist sein einziges Gebot, aber welches hätte er denn wohl noch diesem hinzufügen können? in dieser Liebe ist ja zugleich die Liebe des Sohnes zu seinem Vater mit enthalten, weil 36 Vgl. Joh 1,16

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durch diese auch jede andere Liebe auf das Eine große Werk Gottes, in welchem sich seine Liebe zu uns offenbart, gerichtet ist. 12

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II. Das also wäre sein Gebot! und nun laßt uns sehen, | was Er meint, wenn Er sagt, Ihr seid meine Freunde so ihr thut, was ich euch gebiete. Wenn wir uns den großen Inhalt dieses Wortes, Freund und Freundschaft, vor Augen stellen wollen, so werden wir gewiß zuerst Alle darüber einig sein: es ist ein Verhältniß des innigen Mitgefühls. Wer könnte sich rühmen, der Freund eines Andern zu sein, wenn er nicht wüßte, was im Innersten seines Geistes und Herzens vorgeht, wenn er nicht alle bedeutenden Bewegungen desselben so theilte, daß sie zugleich die seinigen würden, wenn er sich nicht in seine Vergangenheit zu versezen suchte, von der Gegenwart eben so erregt würde, wie sie jenen bewegt, wenn er nicht dieselbe Zukunft ahndete, worauf jener sich in seinem Streben richtet. Dies mit einander leben, sich in einander hineinfühlen, ist gewiß das Erste, was zur Freundschaft gehört. Aber, m. g. Fr., wie könnten wir wohl an den kleinen Kreis denken, zu welchem der Erlöser diese Worte sprach, ohne zugleich an den Einen zu denken, dem sie nicht galten? Auch mit diesem hatte der Erlöser ein inniges Mitgefühl; Des Menschen Sohn muß dahin gehen, sagt er, aber wehe dem Menschen, durch den er hingeht! Und in diesem Wehe sprach er das innigste Bedauern aus mit dem verlorenen Schaafe, und keine Rechenschaft, die er vor Gott brachte, kein Gedanke an das was ihm bevorstand, in den sich nicht auch der Gedanke an diesen Unglükklichen mit eingemischt hätte. Aber unter seine Freunde gehörte er nicht, und konnte er nicht gehören! Dies Mitgefühl war ein anderes; das Mitgefühl der Freundschaft muß Billigung und Anerkennung des guten und gottgefälligen sein, ohne daß wir uns die menschliche | Schwachheit verbergen oder sie verkennen. Ist unser Mitgefühl anders gemischt, so gleicht auch unsere Freundschaft nicht mehr der des Erlösers; sie ist dann in engere Schranken eingeschlossen, sie trägt das Zeugniß ihrer Unvollkommenheit in sich. Nun wohl, m. g. Fr., konnte wol der Erlöser ein so inniges Mitgefühl mit den Seinigen haben, wäre es wohl möglich gewesen, daß sie es mit ihm haben konnten, außer nur dadurch, daß sie eben dies sein Gebot thaten? Nur durch diesen Anfang eigner Erfahrung konnten sie einsehen lernen, das sei seine Speise, was sie vorher so gar nicht kannten, daß Er den Willen seines Vaters vollbrachte. Nur 21–23 Vgl. Mt 26,24; Mk 14,21; Lk 22,22

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durch Aufmerken auf sein Gebot konnten sie sehen, wie Er in das große Werk Gottes, das seinem geistigen Auge vorschwebte, immer mehr hineinschaute, und ihm der Vater immer größeres zeigte; wie sein Blikk in die Zukunft immer klarer wurde, immer bestimmter und heller, er sich immer deutlicher bewußt und ihnen mittheilend, daß die Stunde, die der Vater bestimmt hatte, herankomme, aber mit ihr auch die lebendigste Zuversicht, daß das Waizenkorn müsse in die Erde fallen und ersterben, damit es viel Frucht bringe. Wenn sie aber dies nicht mit ihm fühlen konnten, so waren sie nicht seine Freunde; wenn Er nicht mit ihnen fühlen konnte, daß sie bei aller Schwäche und Unvollkommenheit, sich doch nicht zerstreuen würden Jeder in das Seinige, daß der Tröster, den Er ihnen senden werde, sie fest zusammenhalten würde in den Banden der innigen Liebe und Verehrung gegen ihn, daß sie dem Worte folgen würden, auszugehen in alle Völker und das Evangelium zu predigen; wenn Er das nicht in ihnen wahrgenommen, nicht in ihrer Seele gelesen | hätte, daß sie nicht im Stande wären von ihm zu lassen: so hätte keine Freundschaft statt finden können zwischen ihm und ihnen. Aber die Freundschaft ist auch zweitens ein Verhältniß des innigen Vertrauens. Je weniger es giebt zwischen Zweien, was sie einander verheimlichen könnten oder müßten, je mehr Jeder seine Freude darin findet, ganz klar und offen dem Andern hingegeben zu sein, daß ihm keine Falte des Herzens verborgen bleibt, deren er sich nur selbst bewußt ist: um desto inniger ist die Freundschaft. Darum sagt auch der Erlöser in dem Zusammenhange der Worte unsers Textes, Ich sage hinfort nicht mehr, daß ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr thut, ich aber habe euch Alles kund gethan, was ich von meinem Vater gehöret habe. Aber ohnerachtet Er ihnen das kund gethan hatte, so waren sie doch seine Freunde nicht durch dieses mitgetheilte Wissen, sondern nur dadurch, daß sie thaten, was Er ihnen gebot. Nämlich deswegen, weil sie sonst das auch nicht hätten verstehen können, was Er ihnen kund gethan hatte. Denn eben für jenen Einen war ja das alles auch kein Geheimniß geblieben, was der Erlöser mit seinen Jüngern geredet hatte, er war mit zugegen gewesen bei allen Aufschlüssen, die ihr Meister ihnen gab über das Reich Gottes, und er war wol nicht tiefer in Unverstand und Dunkelheit versunken als sie, ehe die Erleuchtung des Erlösers zu ihm gelangte; aber wenn er sie verstanden hätte, wenn diese Kundgebung in sein Inneres eingedrungen wäre, so hätte er nicht der geworden sein können, der seinen Herrn und Meister verrieth. Alles, was der Erlöser seinen Jüngern 1–3 Vgl. Joh 5,19f 7–8 Vgl. Joh 12,24 24,14 und 28,19 25–28 Joh 15,15

12 Vgl. Joh 16,7

14–15 Vgl. Mt

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sagte, das wurde erst Kraft und Leben | in ihnen durch den Durst, mit welchem die verlangende Seele es aufnahm, durch die Richtung auf das Reich Gottes, welche sich immer mehr in ihnen befestigte, durch die Sicherheit, mit der sie immer reiner den eingebornen Sohn vom Vater in ihm zu schauen vermochten. Und fragen wir nun, wodurch wächst denn wohl und konnte allein wachsen ihre zu der Zeit selbst, wo der Erlöser sich von ihnen trennte, noch so unvollkommne Einsicht in das eigentliche Wesen des Reichs Gottes? Wodurch anders, als daß sie nach seinem Gebot sich unter einander liebten als die von ihm erwählten Werkzeuge zur allgemeinen Beseligung. Dadurch allein konnten sie erkennen lernen, was in ihrem Unverstand, in dem Vorurtheil, in dem sie befangen waren, nothwendiger Weise ein Hinderniß dieser Liebe wurde, und mußten sich immer mehr nach dem nicht nur sehnen, sondern sich auch hineinverstehen, was sie von diesen Schranken befreite, und sie immer mehr befähigte diesem großen Werke Gottes und des ewigen Heils zu dienen. Und so kamen sie denn auch nur dadurch, daß sie thaten, was Er ihnen gebot, immer mehr in sein Vertrauen hinein und konnten immer mehr ihn verstehen und sich in ihn hineinleben. Aber Freundschaft ist drittens auch und muß sein ein treues und zuverlässiges Zusammenwirken. Es ist etwas sehr Einseitiges und Unvollkommenes um eine Freundschaft, welcher dieses fehlt; wenn der Eine in solcher Thätigkeit und solchem Wirken begriffen ist, daß der Andere nur gerade so viel davon faßt und versteht, als er vermöge seiner Liebe zu ihm und seiner Anhänglichkeit kann, aber ohne daß er selbst das Vermögen hätte, daran | Theil zu nehmen. Je mehr so die Werke des Einen und des Andern auseinandergehen, um desto enger ist der Kreis, den die Freundschaft sich stekkt; aber je mehr gemeinsame Werke es giebt zwischen denen, die zu inniger Liebe mit einander verbunden sind, um desto deutlicher giebt sich die ganze Kraft der Freundschaft zu erkennen. Und das war nun, m. g. Fr., und ist ja ganz vorzüglich die Freundschaft, welche statt finden konnte zwischen dem Erlöser und den Seinigen. Sie wären ihm nichts gewesen und hätten ihm nichts sein können, wenn Er nicht in ihnen gesehen hätte, was sie sein würden und thun für das Werk, das ihm Gott anvertraut hatte. Und sie, wie wären sie im Stande gewesen ihn zu fassen, ihn festzuhalten, wenn nicht eben die Liebe, die sein Gebot war, sie auch wirklich beseelte, und sie in ihm eben deswegen, weil Er diese Liebe ihnen zum Gebot gemacht, die Quelle alles Heils für die Menschen erkannten. Nur in diesem Zusammenwirken in der Thätigkeit für sein Reich war das Wesen der lebendigen Freundschaft zwi4–5 Vgl. Joh 1,14

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schen ihm und ihnen. Und gewiß, je mehr unser Gemüth voll wäre von Gedanken, die wir ausführen, von Werken, die wir vollbringen möchten, aber die sich ganz absonderten von dem göttlichen Werk des Erlösers: desto schwächer auch könnte nur das Band der Freundschaft zwischen ihm und uns sein. Aber, m. g. Fr., lasset uns bedenken, wie eine falsche und kleinliche Anwendung dieser großen und heiligen Wahrheit so viel dazu beigetragen hat, um die Fortschritte der Menschen in ihrem großen Beruf auf Erden aufzuhalten. Wenn übrigens fromme Christen zu kurzsichtig sind um einzusehen, wie Alles was wahrhaft gut ist, weil es aus dem Verhältniß des Menschen zu die|ser Erde auf natürliche Weise hervorgeht, weil es die Kräftigkeit seines Geistes zu seinem Beruf die Herrschaft über die Dinge dieser Erde auszuüben bekundet, – wie dies alles in das Reich Gottes auf Erden hineingehört, und seinen Ort findet in der Gestalt, die der Erlöser dem menschlichen Leben geben wollte, ja wie sich Alles, was die Menschen mit Recht werth halten, erst in seiner Reinheit und Vollkommenheit darstellt, wenn es so auf das Eine, was Noth thut bezogen wird – wenn, sage ich, viele dieses in ihrer Kurzsichtigkeit verfehlen: dann entsteht jene so oft dem Christenthum zum Vorwurf gemachte Zurükkziehung von weltlichen Geschäften einer müßigen Betrachtung zu Liebe; und so wird ein großer Theil von dem Werk, zu dem wir berufen sind, verfehlt. Aber damit wird dann auch immer eine kleinliche Vorstellung von dem Erlöser und seinem großen Werk zusammenhangen; so wie auch eine unvollkommne Ausübung seines Gebotes dabei zum Grunde liegen muß. Begleiten wir mit der Liebe die Er uns geboten unsere Brüder in ihrem irdischen Beruf wie Er seine Jünger: dann werden wir immer mehr lernen zu merken, und uns daran zu freuen, wie in ihrem großen Zusammenhang betrachtet alle menschliche Geschäftführung, auch die dem ersten Anschein nach weniger zu der großen Angelegenheit der Seligkeit des Menschen gehörende, doch dieser zu Gute kommt; nicht nur sofern sich in jeder die Reinheit der Gesinnung, das Streben nach dem Göttlichen offenbaren kann, sondern auch insofern alles, was aus solcher Thätigkeit hervorgeht, auch Nuzen stiften kann für die Gemeine des Herrn. Aber nur insofern wir diese Liebe, welche das Ge|bot des Herrn ist, unter einander üben; und folglich Jeder auch auf diesem Gebiet darauf eingerichtet ist, aufzuopfern was sein Eigenes wäre, um das zu suchen, nicht was irgend einem Einzelnen wohl thut, sondern was dem großen Ganzen förderlich ist; nur sofern Jeder liebt wie des Menschen Sohn, der gekommen war, daß Er diene, nicht herrsche; nur in diesem Gehorsam gelangen 17 Vgl. Lk 10,42

39–40 Vgl. Mt 20,28

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wir zu der wahren Freundschaft des Erlösers und zu treuer Mitwirkung für seinen großen und heiligen Zwekk. Allein, m. g. Fr., es war nur ein kleiner Kreis von Wenigen, zu welchem der Erlöser diese Worte sprach, sie waren die der Zahl nach so unbedeutende Auswahl aus dem ganzen Volk nicht nur, unter welchem und für welches Er lebte, sondern aus dem menschlichen Geschlecht, zu welchem Er gesandt war, und auf diesen Wenigen beruhte seine ganze Hofnung. Ach! darum mußte Er sich freilich wohl zu diesen eines besonders innigen Verhältnisses bewußt sein! da konnte es keinen Namen geben, der freundlich, süß und zart genug gewesen wäre, um dies ganz auszudrükken, als wenn Er sie nannte seine Brüder und seine Freunde, gegenüber dem ganzen übrigen Geschlecht der Menschen, das ihn verkannt hatte und das ihn gar nicht aufnehmen konnte. Jezt aber, wir, seine Bekenner, bilden eine große Menge von Völkern, einen bedeutenden Theil des menschlichen Geschlechts; unzählig sind jezt die, die doch im Grunde und in der innersten Wahrheit in derselben Beziehung der Liebe und des Bekenntnisses zu ihm stehen: können also wol auch wir uns das aneignen als auch zu uns gesagt, daß wir Jeder sein Freund sein können und | Er der unsrige? Laßt uns, m. G., der Bescheidenheit für einen Augenblikk Raum geben, die diesen Zweifel erregt; sie wird uns von selbst auf einen andern Standpunkt führen, von dem aus die Gleichheit uns wieder näher vor Augen treten wird. Diese große Menge christlicher Völker aus so vielen Ländern fast aller Zonen, unter welchen in so vielen Sprachen sein Name verkündigt wird, vor dem sich alle Kniee beugen, ist sie Eins? Nein! sie ist getrennt in mancherlei Gemeinschaften, deren Glieder inniger zusammenhängen unter sich, als mit andern, theils ist sie getheilt durch dieselben Verhältnisse, die auch in andern Beziehungen Menschen von einander trennen und absondern, theils auch auf eigenthümliche Weise getheilt, nicht sowol durch eine verschiedene Ansicht von seiner Person und seinem Zwekk, als vielmehr nur durch die verschiedene Art und Weise, das auszudrükken und zu erklären, was im Innersten des Gemüthes Eins ist und dasselbe. Wohl! statt der unendlich vielen Einzelnen laßt uns diese verschiedenen Häuflein von Christen denken: jeder solcher ist doch auch wieder Einer, und so kommen wir auf eine Zahl, die weniger verschieden ist von dem Häuflein der Jünger, zu welchem der Herr dieses große Wort sprach. Soll nun nicht von jedem unter diesen dasselbe gelten? ist nicht jede solche Gemeinschaft von Christen, sofern sie Eins ist in derselben Treue, auch eben so ein Freund des Erlösers wie jeder Einzelne unter jenen Jüngern, und 11–12 Vgl. vor allem Mt 12,49f; Mk 3,34f; Lk 8,21; auch Mt 23,8; 25,40 25 Vgl. Phil 2,10

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unter derselben Bedingung? Wohl! so lasset uns denn zuerst unsern Anspruch auf die Freundschaft des Erlösers so stellen, daß wir wenn nicht als Einzelne, doch als Glieder einer christlichen Gemeinschaft, der | wir angehören, seine Freunde sind, wenn diese gegen die übrigen eben die Liebe ausübt, die der Erlöser geboten hat. Jede, wenn auch von uns unterschieden und abweichend von unserer Art, verkündigt Ihn doch und weiset zu ihm hin; und mit jeder, durch wie manche Verschiedenheit sie auch von uns getrennt ist, sollen wir doch als mit einem Werkzeug seiner Verherrlichung durch dieselbe Liebe verbunden sein, die Er seinen Jüngern befohlen hat. Wenn nun diese Häuflein an einander lieben eben denselben Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit, eben die Empfänglichkeit für die Fülle geistiger Gaben, die von ihm ausgehen: dann verdient die Christenheit recht den Namen seines geistigen Leibes. Und sind wir nun als Einzelne so in dem Ganzen eingewurzelt, dem wir zunächst angehören, beseelen wir es mit dieser Liebe und verbreiten sie auf alle Weise über diese Mannigfaltigkeit von Gemeinschaften des Christenthums: o! dann haben wir wol einen Anspruch darauf, auch uns persönlich das anzueignen, daß der Erlöser solche Jünger seine Freunde nennt! Denn wahrlich so haben wir seinen Sinn recht verstanden, so haben wir das Mitgefühl von seiner Liebe, die das ganze menschliche Geschlecht umfaßt ohne sich an kleinen Verschiedenheiten zu stoßen oder die eine mehr zu achten als die andere. Dann sind auch wir eingeweiht in sein Vertrauen, und Er hat uns die volle Kunde gegeben von dem Bande der Liebe und der Einigkeit des Geistes, welches Alle zusammenfassen soll, unter denen sein Name bekannt wird; dann sind auch wir zu freier und kräftiger Mitwirkung mit ihm verbunden. Aber in solcher Gemeinschaft finden wir uns | dann auch selbst recht wieder, und verlieren uns nicht mehr als ein unendlich Kleines in dem großen Gewühl. Jeder von uns kann beitragen, daß dieser Geist in der Gemeinschaft, der er angehört, immer lebendiger gewekkt werde; Jeder kann die Andern in diesem Sinne kräftig anfassen und auch wieder von ihnen empfangen, und so sind auch wir berechtigt, das auf uns anzuwenden, daß wir Freunde des Herrn sind, wenn wir thun, was Er gebietet. Wir stehen, m. a. Fr., an dem Ende eines kirchlichen Jahres, und der Eine gottesdienstliche Tag, der uns noch übrig ist, hat seit einiger Zeit eine eigenthümliche Bestimmung. Sehen wir auf die Vergangenheit zurükk, wollen wir uns selbst erkennen: was können wir Größeres fragen, als ob wir uns in der That dies Wort aneignen können? ob 11–12 Vgl. Mt 5,6 35–37 Der letzte Sonntag vor dem mit dem 1. Adventssonntag beginnenden neuen Kirchenjahr wurde in Preußen seit 1816 als Gedächtnisfeier für die Verstorbenen (Totensonntag) begangen.

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wir feststehen in dem Gehorsam gegen sein einiges Gebot, und ob wir dadurch Ansprüche haben, seine Freunde zu sein? ob wir Fortschritte gemacht haben in der Erkenntniß des göttlichen Wortes, welches in seiner Liebe sich über das ganze Geschlecht der Menschen verbreiten soll? ob wir immer mehr uns gereinigt haben in seinem reinen Herzen, ob wir uns immer mehr befestigt haben in seiner Sanftmuth, und in seiner Friedfertigkeit Eins geworden sind mit ihm? Darauf vorzüglich lasset uns unser Augenmerk richten, wenn wir prüfend in die Vergangenheit sehen; und was wir dann auch sagen könnten und dürften: Er ist allein der, welcher gegeben hat; Er ist allein der, welcher geben muß, was noch fehlet! Nichts soll, nichts kann uns von ihm trennen, sondern, wie wir auch uns selbst erkennen, wir werden nur immer fester mit | ihm verbunden werden und es seinen Jüngern nachsagen, daß seine Freundschaft das einzige ist, nach dem wir zu trachten haben, und Er allein der von welchem wir nicht lassen können, von welchem wir uns nicht entfernen dürfen, wenn wir nicht den Zusammenhang mit dem Wort und der Kraft des Lebens verlieren wollen. Amen. Lied 517.

5–7 Vgl. Mt 5,8.5.9 19 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 517: „Dich will ich immer treuer lieben“ (Melodie von „Wie wohl ist mir, o Freund der Seele“)

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Am 27. November 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

1. Sonntag im Advent, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 8,56 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 2) 1832, S. 1–19, Nr. I Keine Drucktext Schleiermachers; Christliche Festpredigten, Bd. 2 (7. Sammlung) 1833, S. 1–22 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 271–283; 21843, S. 271–283. – Predigten. Siebente Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 7–22. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 2, 1873, S. 210–221 Keine

Predigten von Dr. F. Schleiermacher | Am 1. Sonntage des Advents 1831.

Lied 100.

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Text. Joh. VIII, 56. „Abraham, euer Vater, ward froh, daß er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn, und freuete sich.“ M. a. Fr. Wir beginnen heute mit der Zeit, welche auf eine besondere Weise der Bereitung unseres Gemüthes zur würdigen Feier der Geburt unsers Erlösers gewidmet ist, zugleich auch ein neues Jahr unserer kirchlichen Versammlungen und unseres kirchlichen Lebens überhaupt. Und gewiß eben so natürlich als zwekkmäßig ist beides mit einander verbunden. Gehen wir in einen neuen Abschnitt unseres Lebens hinein: so thut es uns Noth, daß wir theils den Zwekk unsers Daseins, sei es im Allgemeinen oder in einer bestimmten Beziehung, theils dasjenige, was uns obliegt, um uns selbst zu genügen und Re3 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 100: „König, dem kein König gleichet“ (Melodie von „Schmücke dich, o liebe Seele“)

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chenschaft geben zu können denen, die sie zu fordern haben, theils endlich die Mittel, die uns gegeben sind, um eben jenes zu thun und dieses zu erreichen, – daß wir dies alles aufs Neue fest ins Auge fassen. Was aber wäre als Christen unser ge|meinsames Ziel, als daß wir nach dem Worte des Herrn an seine Jünger, daß Er sie sende gleichwie ihn sein Vater gesandt habe1, so als seine Gesandte sein Wort verkündigen, sein Reich fördern und mehren, und das Heil, welches Er den Menschen gebracht hat, nicht nur genießen, sondern auch sicher stellen und den Genuß desselben weiter verbreiten. Wenn wir nun in die Zukunft hineinsehen in dieser Beziehung, ja dann müssen wir uns bewußt werden, wer derjenige ist, auf den und auf dessen Zwekk alle unsere Bemühungen gerichtet sind; da müssen wir ihn, sein Wirken, sein Heil aufs Neue ins Auge fassen. Und wenn wir die Mittel überschlagen wollen, die uns dazu gegeben sind: worauf haben wir zu sehen, als wieder auf ihn, auf sein Wort, das auch in uns Geist und Leben werden soll, auf das Gebot, welches Er uns Allen hinterlassen hat, auf den Geist, den Er als den Stellvertreter seiner leiblichen Gegenwart auf Erden ausgegossen hat und ihm festen Siz gegeben in der Gemeinde der Gläubigen. In den Worten unsers Textes, m. a. Fr., führt uns der Erlöser zurükk in eine weite Vergangenheit, die uns klingt als eine fremde; aber freilich denen, zu welchen Er redete, war sie auf das unmittelbarste angehörig. Er weiset zurükk auf den eigentlichen Ursprung des Volks, auf die ersten Anfänge der Bereitung desselben zu dem besondern Zwekk, zu welchem es sich Gott geheiliget hatte; und indem Er uns den ersten Urheber desselben in Erinnerung bringt, stellt er ihn zugleich dar als in die Zukunft hineinsehend, so daß schon bei diesem Blikk in die Zukunft seine | einzige Freude doch gewesen sei der Tag des Herrn. Lasset uns denn, m. a. Fr., dies Wort nicht umsonst geredet sein, und indem wir der natürlichen Richtung unsers Gemüths beim Anfang eines neuen Jahres nachgeben; so lasset uns unser Schauen in die Zukunft mit dem jenes Erzvaters vergleichen, woran uns der Erlöser in den Worten unsers Textes erinnert. I. Zuerst, m. a. Fr., lasset uns zu diesem Ende unsere Aufmerksamkeit überhaupt auf das Verlangen des Menschen richten, aus der Ge1

Joh. 20, 21.

31 nachgeben;] 7. Sammlung, S. 3: nachgehen, 15–16 Vgl. Joh 6,63

37 Joh. 20, 21.] 1 Joh. 20, 21.

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genwart in die Zukunft hinauszusehen. Wir finden es in dem ganzen Umfang des menschlichen Geschlechts; ja wir mögen wohl sagen, daß es zu seiner ursprünglichen Ausstattung gehört. Wir können auch in dieser Beziehung unsern Blikk nicht leicht höher hinauf erheben, um uns mit solchen Arten des Daseins und des geistigen Lebens zu vergleichen, die weit über unser Loos hinausgehen, denn von dergleichen haben wir nur wenige, oder gar keine Kenntniß; wenn wir aber das Leben auf seinen niederen Stufen betrachten, so finden wir es ganz in die Gegenwart, ja in den Augenblikk versenkt, wenig Erinnerung und auch wenig Blikk in die Zukunft. Und was uns hier und da auch bei den untergeordneten Geschöpfen von der ersten oder der andern Art entgegentritt, wir können es nur fassen als einen dunklen Trieb der Natur, als ein bewußtloses Regen eben desselben Lebens, welchem die augenblikkliche Gegenwart genügt, aber keinesweges scheinen irgend Aeußerungen dieser Art dazu geeignet solchen Geschöpfen wirklich die Vergangenheit oder | Zukunft vor Augen zu bringen. Und so sehen wir auch in dem menschlichen Geschlecht diese Neigung in die Zukunft zu schauen sich allmählig mit den andern geistigen Kräften entwikkeln. Je mehr noch auf die Befriedigung der nächsten Bedürfnisse beschränkt, um so mehr ist auch der Mensch als das Kind der Erde in der Gegenwart befangen. Wenig Erinnerung bleibt haften, alles vergangene verliert sich bald in dunkle und ungewisse Sage, von welcher eher ein lehrreicher Blikk in das menschliche Leben überhaupt der wahre Gewinn und Ertrag ist, als daß sie eine bestimmte Kunde von der Vergangenheit gewährte; und eben so ist es nur eine höchst beschränkte Zukunft, welche seine Theilnahme und Sorge in Anspruch nimmt, das Geschikk der unmittelbaren nächsten Nachkommen ist der einzige Gegenstand seiner Sorge. Laßt aber die geistigen Kräfte des Menschen sich freier entwikkeln: so wird er auch gleich die Vergangenheit fester halten; nun sucht er das Leben der früheren Geschlechter in das seinige zusammenzudrängen, er zieht Lehre und Genuß aus der ganzen Vergangenheit, so weit das Gebiet der Geschichte reicht. Eben so aber öffnet sich dann vor ihm eine weitere Zukunft; und wie das Auge zuerst nur die nächste Umgebung durchläuft, dann allmählig auch in die Ferne unterscheidet: so auch wird, je mehr sich die Wirksamkeit des Menschen erweitert, desto größer das Gebiet der Zukunft, welches er zu durchdringen strebt, ja bis in die weiteste Ferne hinaus möchte er noch unterscheiden, wo und wie die Bewegung, an der er theilgenommen hat, sich fortpflanzt. Nur daß freilich nicht alle Zeiten gleich gut geeignet sind dies Verlangen des Menschen zu befriedigen, nicht alle so gleichmäßig lehrreich, daß wir mit glei|cher Sicherheit erkennen könnten, was für Folgen sie in Zukunft bringen werden. Ja es giebt auch hier eine Rükkkehr in

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den ursprünglichen Zustand. Je mehr der Mensch selbst in dem edleren Sinne des Wortes von der Gegenwart umstrikkt ist; je mehr nämlich das, was er zu thun und zu schaffen hat, alle seine Kräfte in Anspruch nimmt, je weiter sich der Kreis seiner Liebe mit dem Kreise seiner Pflichten ausdehnt: um desto mehr scheint er mit der Gegenwart zufrieden nicht nur zu sein, sondern es auch sein zu sollen, weil er durch jede Beschäftigung mit der Zukunft etwas verlöre für die Gegenwart; aber unaustilgbar bleibt dennoch dies Verlangen in der menschlichen Seele, und deshalb vorzüglich sehen wir im Leben solche Abschnitte geordnet, wie der heutige Tag einer ist, wo uns die Gegenwart gleichsam verschwindet und unser Blikk sich theilt rükkwärts auf die Vergangenheit, vorwärts auf die Zukunft. Denken wir nun an jenen in die ersten Anfänge der Geschichte des alten Bundes gestellten Mann Gottes, den der Erlöser uns in den Worten des Textes in Erinnerung bringt: so müssen wir gestehen an ihm erscheint es uns noch besonders natürlich, daß er ein außerordentliches Verlangen hatte, ja daß es ihm ein tiefes, inneres Bedürfniß war, in die Zukunft zu sehen. Denn wie war sein Beruf auf Erden? Nichts wäre er gewesen, sein Gedächtniß wäre verschwunden, und hätte auch das Andenken seiner Vorfahren mit in die Vergessenheit hinabgezogen, wenn nicht das Wort des Herrn1 an ihn ergangen wäre, Gehe aus von deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus | deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen werde. Und gehorsam war er, und folgte der göttlichen Stimme, und dieser Glaube ward ihm gerechnet zur Gerechtigkeit. Wohl ihm, daß er das konnte! denn er hatte auch während seines ganzen Lebens keinen andern Gewinn von diesem Gehorsam, als eben seinen Glauben. Immer erneuerte sich ihm das Wort der Verheißung, aber in der Gegenwart ward ihm nichts verliehen. Er wandelte unter mannigfaltigen Sorgen des Lebens; umgeben von feindseligen Menschen mußte er bald streiten und Krieg führen, bald konnte er sein und seiner Freunde Leben nur schüzen auf eine nicht eben so ehrenvolle als glükkliche Weise, bald mußte er, unvermögend die ungünstigen Umstände zu besiegen, die Gegend die er eine Zeit lang bewohnt hatte wieder meiden und in ein anderes Land ziehen. Und wie lange harrete er, ohne daß sich eine Spur von der Wahrheit der göttlichen Verheißung zeigte, daß Gott ihn wolle zum Vater eines großen Volkes machen! Ja obgleich ihm gesagt worden war, daß er 1

1 Mos. 12, 1.

24–25 Vgl. Gen 15,6; auch Röm 4,3; ferner Gal 3,6 30 Vgl. Gen 14,8–16 32 Vgl. Gen 12,10–20 32–34 Vgl. vor allem Gen 20,1; auch 12,10; 13,5–12 2 Vgl. Gen 15,5

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nur gen Himmel sehen und die Sterne zählen solle, denn so zahlreich werde seine Nachkommenschaft sein: so war ihm doch immer noch kein einziger geworden, und er sprach voll Mißmuth, So soll denn der Sohn meines Knechtes mein Erbe sein, weil ich keinen Erben habe? Nicht als ob er damit die Hofnung auf eine zahlreiche Nachkommenschaft aufgegeben hätte; es war nur eine andere Art sie zu erfüllen. Denn machte er seines Knechtes Sohn zu dem seinigen, so war er dadurch auch sein Sohn. Aber die Freude des väterlichen Herzens wäre ihm doch verkümmert worden, und die wollte er ungern entbehren; darum sprach er so zum Herrn. Und was ward | ihm nun zuerst gegeben? statt des Sohnes seines Knechtes der Sohn seiner Magd; und so sah er sich noch immer entfernt von der Erfüllung, die er sich ursprünglich gedacht hatte. Doch wollte er sich dabei beruhigen und bat den Herrn, Ach, daß Ismael leben möchte vor dir! damit er doch durch diesen der Stammvater eines großen Volkes würde, noch nicht ahnend, daß sich doch das Wort der Verheißung noch in dem genauesten Sinne bestätigen werde; und so blieb natürlich sein Blikk immer auf die Zukunft gerichtet. Wie aber, m. g. Fr., steht es um uns, wenn wir uns mit diesem Vater des Glaubens vergleichen? Warum sollen wir in die Zukunft blikken, wir, die wir uns in dem vollen Genuß dessen befinden, was jener nur in der Ferne sah, in dem reichen Besiz von allem was Gott jemals verheißen? Was nur dunkel geahndet jenen Erzvater jauchzen machte, und der freudige Lohn seines treuen Ausharrens war, das ist uns schon gegeben; wir können uns dessen in jedem Augenblikk unsers Lebens bewußt werden in einer Klarheit, gegen welche seine dunkle Ahndung verschwindet. Wir haben die Fülle des Heils in dem göttlichen Frieden, den niemand von uns nehmen kann; und wenn wir die Wahrheit des Wortes inne werden, daß mit dem Sohn auch der Vater Wohnung macht in unserm Herzen, so liegt darin zugleich die vollkommenste Sicherheit eines keiner Gefahr unterworfenen Besizes. Wie kann es also zugehen, daß doch auch wir, und gerade auch in unserm Verhältnis als Christen, ebenfalls trachten in die Zukunft hinauszublikken? Und wenn wir uns auch Alle eben so wie jener Apostel des Herrn zu beklagen hätten | über eine schmerzliche Mitgabe, die er uns auferlegt für unsre Wallfahrt durch dieses Leben, und wir 29 die Wahrheit ... inne werden] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1383 serm] 7. Sammlung, S. 9: unsern 3–4 Vgl. Gen 15,3 4,16; ferner Gal 3,6f

10–11 Vgl. Gen 16 29–30 Vgl. Joh 14,23

30 un-

14 Gen 17,18 19–20 Vgl. Röm 34–36 Vgl. 2Kor 12,7f

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wüßten auch im voraus, daß wir nur dieselbe Antwort bekämen, Laß dir an meiner Gnade genügen: müßten wir nicht gestehen, daß seine Gnade uns auch immer genügen wird? Sollten also wir wenigstens nicht zurükkgekehrt sein in jenen ursprünglichen Zustand, in welchem der Mensch allein der Gegenwart lebt, und die Zukunft für sich sorgen läßt? nicht wie damals, weil er nicht auch für sie zu sorgen vermöchte, sondern wegen seines Reichthums in der Gegenwart, und weil sie ihm sicher genug ist. Diese Frage nun, m. Th., führt uns darauf, wie von einer andern Seite her der Gedanke an die Zukunft uns nothwendig ist, und die Richtung auf dieselbe zu der wesentlichen Ausstattung unserer Natur gehört. Denn wenn wir allein an Genuß und Besiz denken dürften: so könnten wir ihr Lebewohl sagen, und hätten jeden Augenblikk der Gegenwart genug an dieser selbst. Aber wir sind dazu berufen, daß wir handeln sollen, und fast immer erstrekkt sich unsere Thätigkeit über den gegenwärtigen Augenblikk hinaus. Wir müssen auf das Ende sehen, wenn wir uns nicht verwikkeln wollen; wenn uns nicht der nächste Augenblikk wieder zerstören soll, was wir gearbeitet haben, so müssen wir den Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart festhalten, und ahnden was uns daraus zunächst entstehen wird. Das können wir nicht anders, und sollen es auch nicht anders. Scheint uns nun dieses freilich nur auf die Zukunft hinzuweisen, die unmittelbar mit unserm Handeln zusammenhängt: so müssen wir auf der andern Seite auch bedenken, daß wir ja nicht für uns allein abgeschlossen und gesondert da stehen. Wie uns überhaupt Gott unser Heil nicht so geord|net hat, daß Jeder es für sich allein haben sollte in der seligen Gemeinschaft mit dem Erlöser, sondern dieser die Seinigen selbst zu Einem lebendigen Ganzen verbunden, und alle Mittheilung seiner Herrlichkeit daran geknüpft hat, daß sie vollkommen eins sein sollen1: so ist uns auch unsere Thätigkeit nicht so geordnet, daß irgend Einer etwas ausrichten könnte für sich allein in dem Reiche Gottes, sondern nur in dieser Gemeinschaft. Deshalb also muß auch unser Blikk in die Zukunft weiter reichen als nur auf das, was in den Umkreis eines einzelnen, wenn auch noch so thätigen Lebens hineinfällt. II. Und nun, m. g. Fr., lasset uns zweitens in unserer Vergleichung dazu fortschreiten, daß wir sie auch auf den Umfang und den Inhalt dieses Blikkes in die Zukunft beziehen. Wenn wir den Stammva1

Joh. 17, 22.

1–2 2Kor 12,9

5–6 Anspielung auf Mt 6,34

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ter des jüdischen Volks auf seiner eben so bunten als mühevollen Wanderung durch das Leben betrachten, wie er überall als Fremdling nur durch das feste Vertrauen auf die Verheißung Gottes, daß er ihn wolle zum großen Volke machen und daß alle Geschlechter der Erde in ihm sollten gesegnet werden, in seinen Irrsalen und Widerwärtigkeiten gestärkt und getröstet wurde: was mußte Alles an seinem geistigen Auge vorübergehen, wenn der Herr so gnädig sein wollte, bestimmte Bilder von dem Inhalt jener Verheißungen vor ihm erscheinen zu lassen! Hätte er ihm gleich den Tag des Herrn gezeigt in seiner Wahrheit: unmöglich hätte Abraham verstehen können, was er sah. Er mußte zuvor | seiner Nachkommen Knechtschaft und Verwilderung sehen, und die Strenge des Gesezes, dessen Erfüllung und Ende der Erlöser sein sollte. Er konnte die gegenwärtige Zeit eines Israels nach dem Geist zu einem geistigen Tempel Gottes bereitet nicht erkennen, ohne die vorige auch gesehen zu haben, das leibliche Israel unter den Geboten und an ein einziges herrliches aber doch vergängliches Gebäude als an den bestimmten Punkt der Anbetung des Höchsten gewiesen. Was für Zeiten, was für Veränderungen mußten also an ihm vorbeigeführt werden, auf wie Vieles mußte er erst hinsehen, was doch wieder vor seinem Auge verschwinden mußte, um dem Einen Plaz zu machen! Aber auch David in seiner Macht auch Salomon in seiner Herrlichkeit, dies alles rief nicht das Jauchzen aus seiner Brust hervor, regte nicht sein Herz zur Freude auf. Daß sein Volk wuchs, daß es gewürdigt wurde die Offenbarung des Höchsten festzuhalten mitten unter andern Völkern, die sämmtlich versunken waren in die Nacht der Abgötterei, dieses befestigte seinen Glauben; aber nichts erfreute sein Herz, bis er den Tag des Herrn sah. Wie nun sah er ihn? Wir, m. a. Fr., sind immer gewohnt, unter dem Ausdrukk, der Tag des Herrn, vornehmlich oder wenigstens zugleich zu begreifen das Ende der irdischen Dinge, den Uebergang des gesammten menschlichen Geschlechts aus diesem Schauplaz seines irdischen Daseins in einen andern. Hat das durch die göttliche Gnade geschärfte Auge jenes Erzvaters auch bis in diese Zukunft getragen? ist er gewürdigt worden, mehr und genaueres von dieser überirdischen Zukunft zu erfahren, als wir? Wir haben keine Ursache, dies zu glauben, m. g. Fr., wenn wir die | Absicht erwägen, in welcher der Herr diese Worte sprach, und welche sich so deutlich und bestimmt in dem Ausdrukk ausspricht, Abraham, euer Vater, ward froh, daß er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn, und freuete sich. Seine Zuhörer sollten das offenbar auf sich selbst anwenden; sie wollte der Erlöser durch diese Worte zur Rede darüber stellen, daß sie seinen Tag sahen, 3–5 Vgl. Gen 12,2f

12–13 Vgl. Röm 10,4

21–22 Anspielung auf Mt 6,29

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und sich doch nicht freuten, vielmehr dem größten Theile nach darnach trachteten, ihn unter die Füße zu treten und über ihn weg ihren nichtigen Weg weiter zu wandeln. Daher verstand der Herr in dieser Rede unter seinem Tage nur die damalige Zeit, sein Auftreten und seinen Wandel auf Erden, den großen Wendepunkt der Geschichte, an dem alles Alte verging und ein Neues ward, der Mensch selbst als eine neue Kreatur dastehen sollte, um schon hier aus dem niedern Zustand empor gehoben zu werden in ein höheres Dasein. Wohl, m. G.! wenn also Abrahams Blikk auf unsere Gegenwart beschränkt war: so müssen ja wol wir auch genug haben an diesem Tag des Herrn, der uns leuchtet, um eben so darüber zu jauchzen und uns zu freuen, da wir ja diese große Verbreitung des göttlichen Lichtes unmittelbar genießen, die ihm nur in weiter Ferne noch dargestellt werden konnte. So sollen uns also eigentlich diese Worte des Herrn für unser Verlangen in die Zukunft zu sehen zur Beschwichtigung dienen; wir sollen uns freuen an der Gegenwart und jauchzen über die Gegenwart, wenn doch das, was damals noch ferne Zukunft war, nun in so großer Ausdehnung vor uns liegt. Was für ein Bedürfniß können wir also haben, weiter als für die Aufgaben unseres eigenen Lebens jedesmal nöthig ist, in die Zukunft zu se|hen? Wir, die wir nicht so vernachläßigt sind für die Gegenwart, wie Abraham, nicht so von Gott aufgefordert uns ganz für die Zukunft hinzugeben, sondern uns des reichlichsten Besizes der göttlichen Gnade freuen können! Wenn wir demohnerachtet noch ein solches Verlangen in uns finden, darf es uns wol anderswo her kommen, als von unserer Liebe zum Erlöser, die ja jede andere Liebe in sich schließt? Zuerst nun, m. G., führet uns auch ein solches Verlangen nicht über diesen irdischen Schauplaz seiner Verherrlichung durch sein Werk hinaus. Manche haben freilich von den wenigen Worten des Herrn, in denen er sich hierüber äußert, Veranlassung genommen, hinauszuschauen in das überirdische Gebiet; und so sind mancherlei wohlgemeinte Bilder unter den Christen in Umlauf gekommen um uns deutlich zu machen, was uns noch bevorsteht jenseit dieses Lebens. Aber immer können doch diese Bilder nur hergenommen sein von irdischer Natur, weil sie uns sonst fremd sein würden und unverständlich. Aber wie kann nun, was mit irdischen Augen gesehen ist und in menschlicher Sprache geredet, überirdisches erklären? Was sind alle diese nach Art des prophetischen Blikkes alter Zeiten gestalteten Bilder gegen das Eine Wort der Liebe, das uns der Apostel zurükkgelassen hat, wenn er sagt, Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er 2 Anspielung auf Mi 7,19 und Röm 16,20

5–7 Vgl. 2Kor 5,17

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ist1. Das ist die wahre Auslegung des Einen Wortes unsers Herrn und Meisters selbst, Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die | du mir gegeben hast2. Was folgt aber daraus weiter für uns, m. th. Fr.? Wenn wir auch von jener Zukunft nie etwas anderes erblikken könnten, als was wir jezt schon durch seine Gnade erfahren, daß wir ihn immer deutlicher sehen, wie Er ist, daß sich uns immer mehr sondern wird, was wesentlich zu seiner Würde gehört und was sich nur zufällig unsern Vorstellungen von ihm beigemischt hat, so daß wir immer mehr eindringen in die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater: so können wir auch von einer irdischen nichts größeres erwarten. Warum sollte uns also nicht genügen, daß wir wissen, wie es jezt unter manchen Abwechselungen geht, so werde es für immer fortgehen, und alles, was noch folgen kann, sei dasselbe hier wie dort, jezt und zu jeder Zeit, immer dasselbe ewige Leben, welches wir durch ihn schon haben? Nur eben diese Abwechselungen, nur die uns verborgene Ordnung in den Fortschritten, durch welche Er selbst in dieser irdischen Welt das höchste Ziel seiner Verherrlichung immer mehr erreichen wird, das regt unser theilnehmendes Verlangen auf. Noch wollen sich nicht alle Kniee der Menschen vor ihm beugen und ihn als Herrn anerkennen; darum fragen wir, wenn wir bei einem solchen Wendepunkt angelangt sind wie der heutige Tag, wo zunächst wird das Feuer aufschlagen, welches er zu entzünden gekommen ist? Noch sehen wir das christliche Leben um uns her voll Mängel und Gebrechen. Darum fragen wir, wie und wann wird der Herr seine Tenne fegen? Darum freuen wir uns nicht genügsam der Gegenwart, sondern strekken unsern | Blikk weit hinaus und freuen uns, nicht etwa, daß noch ein neues größeres Heil bevorsteht, noch ein anderes Reich Gottes zu erwarten ist, aber doch nach vielleicht noch mancherlei Stürmen ein festeres, ungetrübteres minder durch das Widerstreben des alten Menschen, durch die noch nicht ganz erstorbene Macht der Sünde gehemmtes Fortschreiten, eine ruhigere Entwikkelung ohne Reibungen, welche die Liebe bedrängen, ein innigeres Zusammenwirken, welches durch keine Verwirrung der Sprachen zerfällt. Erinnern wir uns nun noch einmal, m. a. Z., wie Abrahams Blikk doch vorzüglich um seiner 1 2

1 Joh. 3, 2. Joh. 17, 24.

30 ungetrübteres] 7. Sammlung, S. 16: ungetrübteres, 9–10 Vgl. Joh 1,14 3,12; Lk 3,17

19–21 Vgl. Phil 2,10f

22–23 Vgl. Lk 12,49

25 Vgl. Mt

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Nachkommen willen aufgefordert war nach der Zukunft zu fragen, wie er so viel anderes wenigstens in seinen wichtigsten und größten Zügen mußte gesehen haben, um dann auch den Tag des Herrn zu sehen, und wie dieser ihn, wenn er ihn recht sah, weit über seine Nachkommenschaft hinausführte, und vergleichen wir nun unsern Blikk mit dem seinigen! Sind wir nun zuerst auch in dem Fall wie Abraham, daß wir um den fernen herrlicheren Tag des Herrn zu verstehen noch manches zu schauen haben, was erst eingetreten aber auch wieder verschwunden sein muß? Und dann, wenn doch auch unserer Nachkommen Geschikk unter dieser verborgenen Ordnung steht, und jenen Abwechselungen mit ausgesezt ist: haben wir auch ein festes Wort der Verheißung für sie, und führt uns ein prophetischer Blikk auch auf ein größeres Feld der Freude als auf unsere Nachkommen? Neues, das wieder verschwinden müßte, kann nicht wieder eintreten, wie die Knechtschaft, wie das Gesez zwischen Abraham und Christus; denn wir leben schon in der lezten Zeit. Keine Knechtschaft, denn die Freiheit der Kinder Gottes kann nicht untergehen. Und | so tief ist das Evangelium eingedrungen in das Leben, die Ehrfurcht vor der durch die Menschwerdung des eingebornen Sohnes geheiligten menschlichen Natur so festgewurzelt, daß sich alles immer mehr regeln muß unter die Ordnung des göttlichen Wortes, Bist du als Knecht berufen und kannst frei werden, so gebrauche dich deß viel lieber. Kein Gesez kann weiter gegeben werden, das da gerecht machen sollte vor Gott; denn der Geist läßt sich nicht wieder dämpfen, und welche der Geist regiert, die stellen sich nicht unter solches Gesez. So gänzlich also kann der Gang der großen Angelegenheit unsers Heils nicht mehr gehemmt werden. Verdunkeln kann sich das Licht hie und da, dürftiger kann hie und da die geistige Freiheit erscheinen: aber was für Wechsel dieser Art der Gemeine Christi auch noch bevorstehen, nicht in etwas neuem das erst kommen solle, können die trüben Zeiten ihren Grund haben, sondern nur in dem was immer schon da ist, in der Sünde; diese allein wird auch jezt noch der Leute Verderben. Aber alles böse wird immer wieder und immer kräftiger überwunden werden durch das gute. Und nichts neues bedürfen wir, damit es an dem siegreichen guten nie fehle, denn alles ist uns schon gegeben in dem Einen. Auch die Fortschritte in menschlicher Weisheit und Erkenntniß, auch die zunehmende Macht des Menschen in dem Gebiet der Natur, auch die festeren und freudigeren Gestaltungen des gemeinsamen Lebens, alles muß ausgehen von dem höheren Leben das uns 29 Gemeine Christi] so 7. Sammlung, S. 18; Textzeuge: Gemeine Christo 21–22 1Kor 7,21

32 Vgl. Spr 14,34

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mitgetheilt ist durch den Einen, welcher herrschen soll in der Schöpfung Gottes, und sich nur immer mehr verherrlichen bei allem Wechsel irdischer Dinge. Und über unsere Nachkommen als des geistigen Israels führt uns kein Blikk | auf den Tag des Herrn hinaus. Unter allen Zonen von allen Farben sind Alle unsere Nachkommen die unsere Nachfolger sind im Glauben, wie wir Alle zu den Söhnen der Verheißung Abrahams gehören. Und das ist die größte Herrlichkeit unsers Blikkes in die Zukunft, daß immer mehr alle Scheidewände verschwinden werden und aller Zwiespalt aufhören, und Alle zusammenwachsen zu Einem Volk von Brüdern, die einträchtig bei einander wohnen. III. Und nun lasset uns, m. g. Fr., noch zulezt vergleichen den Nuzen und Gewinn von diesem Blikk in die Zukunft, den Abraham hatte und den wir haben sollen. Was er bedurfte, und was er auf diesem Wege auch erhielt, das war Trost für alle Entbehrungen seines Lebens, das war ein Schimmer wenigstens von Hofnung, daß alle seine Entsagungen, alle seine Mühen, und die mannigfachen Windungen seines Lebensganges nicht würden vergebens sein; wohingegen selbst etwas thun um die Zukunft herbeizuführen, an der sein Herz sich freute, das vermochte er nicht. Wie steht es aber in dieser Beziehung mit uns, m. a. Fr.? Wir, die wir im Besiz des göttlichen Heils und seines Friedens sind, bedürfen keines Trostes für irgend etwas, was wir entbehren oder aufopfern; sondern wie verschieden wir auch, wenn wir uns in der Gegenwart umsehen, den äußeren Gehalt derselben finden bei dem einen und dem andern, der innere geistige Gehalt ist derselbe für Alle, dasselbe ewige Leben, woran wir volle Genüge haben sollen. Aber gewiß, für uns giebt es keinen Blikk in die Zukunft, der uns nicht unser eignes Werk zeigte, und da|her keinen Gedanken an dieselbe, der nicht eine bestimmte Aufforderung zum Handeln in sich schlösse. Können wir etwas erspähen in der Ferne, das ein Rükkschritt wäre oder abführte von unserm Ziel: gewiß wenn es geschieht, wird auch unsere Schuld dabei gewesen sein. Verweilt unser Auge auf einem frischen fröhlichen Gedeihen: dies wird immer das Werk der göttlichen Gnade sein; aber so gewiß wir es im voraus sehen, so ist es uns auch ein Zeichen, daß wir berufen sind dazu mitzuwirken. Und so laßt uns, so oft wir aufgefordert sind in die Zukunft zu sehen, uns auch dazu fördern, daß wir nicht laß werden und müde, 38 laß] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 58f 8–9 Vgl. Eph 2,14

10–11 Vgl. Ps 133,1

27–28 Vgl. Joh 10,10

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Am 27. November 1831 vormittags

sondern fortfahren in dem Werke des Herrn. Das ist uns auch in der heutigen Sonntagsepistel gesagt. Da redet der Apostel auch zu den Christen in Rom1 von Tagen des Heils, die ihnen nun schon näher wären, als da sie gläubig geworden; und das solle sie ermuntern, daß es Zeit sei aufzustehen vom Schlaf und würdiglich zu wandeln um dies Ziel zu erreichen. Wie unscheinbar uns daher auch das Leben des Einzelnen vorkommen mag, wenn wir auch nur an die nächste Zukunft denken, daß wir gar leicht sagen könnten, Alles wird doch gehen, wie der Herr es beschlossen hat, deine Thätigkeit mag dabei sein oder nicht, dein Wandel weiser oder nachläßiger, deine Treue größer oder geringer, das einzelne Leben verschwindet doch ganz in dem großen Ganzen der menschlichen Dinge: gewiß bethören wir uns selbst, wenn wir so urtheilen, m. g. Fr. Fest bleibt der Unterschied, wie ihn der Herr selbst gestellt hat, zwischen dem, wonach wir trachten sollen, und | dem was uns zufallen muß. Wir können es mit dem ersten nicht halten wie mit dem andern. Es ist nicht für uns da, unser eignes Gewissen läßt es uns nicht mitgenießen, wenn wir nicht auf irgend eine Weise thätig dazu gewesen sind. Und Keiner hat auch das Recht sich für so überflüssig zu halten, daß, was zum Reiche Gottes gehört, eben so gut zu Stande kommen könne ohne seine Mitwirkung. Denn Jeder kann sich selbst als den Maaßstab ansehen für viele Andere; ist Einer schlaff und gleichgültig, so wirkt gewiß auch in Andern der Geist nicht kräftig genug, und das gemeinsame Werk bleibt liegen. Darum sei es uns immer eine kräftige Ermunterung zum Widerstand, wenn wir Zeichen sehen, daß das Gesez in den Gliedern die Oberhand erlangen will, damit wir dem gemeinsamen Wesen zu Hülfe kommen; und kräftige Ermunterung zum Beistand sei uns jedes Bild einer segensreicheren Wirksamkeit des Geistes, welches wir in der Ferne erblikken, damit wir helfen es zur Wahrheit machen. So werden wir gestärkt für die Gegenwart dadurch, daß wir in die Zukunft schauen; und unsere treue Thätigkeit giebt uns immer mehr Recht das beste von der Zukunft zu erwarten. Nur lasset uns, m. th. Fr., nichts gering achten! und je natürlicher es uns ist mit schönem und vollem Vertrauen in den Tag des Herrn hinaus zu schauen, und der Hofnung zu leben daß der Geist des Herrn alle seine Werke immer Gott wohlgefälliger gestalten werde: um desto thätiger lasset uns sein in der Gegenwart. Das Ganze besteht durch das Einzelne, und wenn es wahr ist, daß der Herr alle Haare auf 1

Röm. 13, 11 flgd.

1–2 Als Epistel für den 1. Sonntag im Advent war vorgesehen Röm 13,11–14. 15 Vgl. Mt 6,33 25 Vgl. Röm 7,23 38–1 Vgl. Mt 10,30; Lk 12,7

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unserm Haupte gezählet hat, daß er alle Thränen der Frommen aufzeichnet; wie sollten | wir glauben, daß es etwas geringfügiges sei, einen einzigen Augenblikk früher Tod und Sünde überwunden zu haben. Darum lasset uns schaffen im Einzelnen mit Treue und immer froher in die Zukunft blikken, – denn anders als froh können wir nie hinein schauen in den Tag des Herrn, wenn seine Kraft uns treibt, immer mehr Gott wohlgefällig zu werden, der jeden seiner Knechte, wenn er ruft, wachend zu finden wünscht, und im Stande Rechenschaft zu geben von seinem Wirken. Und mit diesem Vorsaz wollen wir in unsern neuen Lebensabschnitt hineingehen: dann wird auch unser heutiger Blikk in die Zukunft uns wahrhaft erfreuet und erfrischt haben, und das innere Jauchzen des Herzens wird niemals aufhören, welches immer nur den frohen, schönen, seligen Tag des Herrn schaut. Amen. Lied 150.

1–2 Vgl. Ps 56,9 7–8 Vgl. Lk 12,37 15 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 150: „Nun kommt das neue Kirchenjahr“ (Melodie von „Erschienen ist der herrlich Tag“)

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Am 4. Dezember 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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2. Sonntag im Advent, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 2,13–17 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 96–108, Nr. VIII; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 110. Tex t . Marcus II, 13–17. „Und er ging wiederum hinaus an das Meer; und alles Volk kam zu ihm, und er lehrete sie. Und da Jesus vorüber ging, sah er Levi, den Sohn Alphäi, am Zoll sitzen, und sprach zu ihm: Folge mir nach. Und er stand auf, und folgte ihm nach. Und es begab sich, da er zu Tische saß in seinem Hause, setzten sich viele Zöllner und Sünder zu Tische mit Jesu und seinen Jüngern. Denn ihrer waren viele, die ihm nachfolgten. Und die Schriftgelehrten und Pharisäer, da sie sahen, daß er mit den Zöllnern und Sündern aß, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isset und trinket er mit den Zöllnern und Sündern? Da das Jesus hörete, sprach er zu ihnen: Die Starken bedürfen keines Arztes, sondern die Schwachen. Ich bin gekommen zu rufen die Sünder zur Buße und nicht die Gerechten.“

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M. a. Fr. Ich habe nicht geglaubt, um unserer Adventszeit willen, welche wir itzt feiern, von der Reihe unserer gewöhnlichen Morgenbetrachtungen abgehen zu dürfen; und was | könnte sich auch wol besser schicken für diese feierliche Zeit als eine solche Rede des Erlösers, wo er sich selbst über seinen Beruf auf Erden und über die Art, wie er denselben erfüllte und in demselben handelte, auf eine so deutliche Weise erklärt. Das thut er nun in den letzten der verlesenen Worte; allein damit wir diese recht verstehen, müssen wir auch der Ordnung, in der sie erzählt werden, folgen und diesen Abschnitt des Evangelisten in seinem ganzen Zusammenhange betrachten. 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 110: „Wie herrlich strahlt der Morgenstern“ (Melodie von „Wie schön leucht’t uns der Morgenstern“)

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Da müssen wir nun zuerst bedenken, daß ein Jeder wol leicht sieht, diese ganze Sache sei vornämlich um dieses Wortes Christi willen erzählt: wie denn das doch die Hauptsache war in den Nachrichten, welche uns die Evangelisten zurückgelassen, die Worte des Herrn in dem Zusammenhange, in welchem er sie gesagt, den Gläubigen aufzubewahren. Ist nun etwas um eines bestimmten Einzelnen willen erzählt: so ist es natürlich, daß das Uebrige nicht so ausführlich dargelegt wird, als wenn es um sein selbst willen erzählt wäre; und daraus erklärt sich dieses dem ersten Anscheine nach so Auffallende, wie es uns hier erzählt wird, daß der Erlöser im Vorübergehen den Levi, den Sohn Alphäi, habe sitzen sehen in seinem Geschäft und ihm zugerufen, er solle ihm nachfolgen. Nämlich das kann uns wol von dem Erlöser nicht Wunder nehmen, wenn er auch in gar keinem Verhältniß mit dem Manne gestanden hätte – wenn wir das Wort des Apostels Johannes im Sinne haben, daß er wol wußte, was in einem Menschen war und es ihm kein Mensch nöthig hatte zu sagen: so könnten wir es uns auch wol von seiner Seite erklären, daß er ohne Weiteres diesen Einzelnen, wie er ihn fand, berufen habe ihm nachzufolgen, und wie dann weiter erzählt wird, daß dieser gleich aufgestanden und ihm nachgefolgt sei. Aber wenn wir bedenken, wie wenig der Erlöser gemeint gewesen, jemals | die richtige Ordnung menschlicher Dinge zu unterbrechen, wie dieser Mann in einem Geschäfte sich befand, für welches er Anderen Rechenschaft schuldig war, und welches er also nicht ohne vorher getroffene Maßregeln verlassen durfte: so, werden wir sagen, können wir von dem Erlöser nicht glauben, daß er durch sein Wort ihm Veranlassung werde gegeben haben, ein ihm anvertrautes Geschäft zu seinem und der allgemeinen Sache Schaden zu vernachlässigen. Das kann der Erlöser niemals gewollt haben. Und ebenso würden wir es freilich tadeln und als einen Beweis ansehen können, daß der Erlöser in seinem Urtheile nicht untrüglich gewesen sei, wenn dieser Mann, statt ihm nachzufolgen, irgend eine leere und unnütze Bedenklichkeit erhoben hätte; aber wenn er nun, von dem Ruf des Erlösers überrascht, sein Amt und seine Pflicht im Stich gelassen hätte: so können wir wol nicht glauben, daß er auf dem Wege gewesen wäre, ein rechter Jünger Christi zu werden. Daher müssen wir uns daran halten, was hier nur beiläufig mit gesagt wird, daß von jenem Stande gar Viele dem Erlöser nachgefolgt wären; und das läßt uns voraussetzen, daß der Erlöser auch diesen Mann schon gekannt habe, und er nicht unvorbereitet von dem Rufe des Erlösers überrascht worden sei. So wird auch von anderen Evangelisten erzählt, daß er, nachdem er diesen Ruf erhalten, ein großes Mahl bereitet habe in seinem Hause, was in unserem Evangelio auch nicht so erzählt wird; und da ist es auch nicht so zufällig, daß Viele von seinen Standesgenossen sich mit dem 14–15 Vgl. Joh 2,24f

37–2 Vgl. Lk 5,29; ferner Mt 9,10

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Erlöser zu Tische setzten, sondern sie waren dazu eingeladen, und er hatte sie dazu ausgewählt. Nun also nahmen davon die Schriftgelehrten und Pharisäer Kenntniß und fragten hernach seine Jünger, wie denn das zuginge, daß ihr Herr und Meister mit den Zöllnern | und Sündern äße. Ich glaube nun wol, m. g. Fr., daß ich bei den Meisten unter Euch voraussetzen kann eine gewisse Bekanntschaft damit, was es mit dieser Frage und mit dieser Zusammenstellung von Zöllnern und Sündern, welche wir in dem Neuen Testament so häufig finden, für eine Bewandtniß hat; aber doch müssen wir hier die Sache noch von einer eigenen und besonderen Seite ansehen. Nämlich diese Leute waren solche, die in dem besonderen Dienst der Römer standen, deren Herrschaft über das Jüdische Volk und Land als eine ihrem ersten Ursprunge nach ganz unrechtmäßige angesehen werden konnte und bei dem größten Theile des Volkes verhaßt war; weil dieses Volk des Herrn, welches ein unabhängiges Dasein haben sollte, und sich nach seinen eigenen Gesetzen regieren, die ihnen Gott gegeben, und abgesondert leben von den Heiden und der Abgötterei, nun unter die Gewalt der Heiden gebracht war, und sich dem Verkehr mit ihnen nicht entziehen konnte, wodurch es verunreinigt wurde. Jene aber nahmen Theil an dem Verhaßtsein, weil sie sich zu einem besonderen Dienst der Römer bequemten; und zwar hatten sie es mit dem verhaßtesten Theil des Dienstes zu thun, nämlich mit den Abgaben, die das Volk, gewohnt nur dem Herrn zu geben, einem heidnischen Volke leisten mußte. Daß sie aber auf besondere Weise Sünder genannt werden, das hat darin seinen Grund, weil dieses ihr amtliches Verhältniß sie außer Stand setzte, mit eben derselben Genauigkeit, als Andere es noch konnten, das Gesetz zu beobachten. Sie wurden öfter durch ihr Geschäft mit Solchen in Berührung gebracht, deren Nähe und Umgang sie verunreinigte, und waren, weil sie ihrem Amte obliegen mußten, außer Stand gesetzt, die Vorschriften des Gesetzes in Beziehung auf die verschiedenen Zeiten zu befolgen. Weil man nun wußte, daß sie nicht im Stande waren, das Gesetz zu beobachten und Uebertretungen ihnen etwas Unvermeidliches waren: so hießen sie deswegen Sünder, ohne daß | wir vorauszusetzen Ursache hätten, daß sie in unserm Sinne des Wortes mehr Sünder gewesen als Andere. Freilich mag manche Versuchung zu unrechtmäßigem Erwerb, manche Uebervortheilung Anderer, um vor eigenem Schaden sich zu hüten, ebenfalls in der Ausübung ihres Berufs ihnen nahe gelegen haben; allein wir dürfen doch nicht glauben, daß das etwas so Allgemeines gewesen wäre; sondern die Ursache, warum sie mit diesem Namen besonders bezeichnet wurden, das war vorzüglich jene, weil man voraussetzen konnte, daß sie das Gesetz nicht genau zu beobachten im Stande waren. 4 hernach] folgt, in DV als zu streichen ausgewiesen natürlich

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Darum waren nun die Pharisäer das reine Gegenstück zu diesen; darum ist es auch ein Zöllner und ein Pharisäer, welche der Herr gegenüberstellt in jener bekannten Stelle, wo er sie in dem Tempel beten läßt, den Pharisäer, der sich bewußt war, daß er alle Vorschriften des Gesetzes bis auf das Kleinste erfüllt, und den Zöllner, welcher sich allerdings bewußt war, daß er das nicht im Stande gewesen war vermöge seines Berufes. Je mehr nun Andere diese Genauigkeit und diesen Eifer für die Befolgung des Gesetzes theilten, und auch diese Feindschaft und den fortwährenden Groll gegen die fremde Herrschaft und gegen Alles, was diese aufrecht hielt und befestigte: um desto allgemeiner war diese Geringschätzung gegen den Stand der Zöllner und darum wurde das in dem gemeinen Leben auch so neben einander gestellt, Zöllner und Sünder. Nun also als die Pharisäer den Jüngern des Herrn diese Frage vorlegten: so überließ er ihnen nicht die Antwort, sondern sprach: „die Starken bedürfen keines Arztes, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, zu rufen die Sünder zur Buße und nicht die Gerechten.“ Nun will uns das nicht ganz genau zu einander zu passen scheinen, wie es hier einander gegenübergestellt ist, die Starken | und die Kranken; denn es kann Einer nicht krank sein und ist doch grade nicht stark, und es kann auch Einer stark sein und ist doch nicht gesund; aber in der Sprache, in der unsere Neu-Testamentlichen Bücher geschrieben sind, wird das beständig verwechselt, die Krankheit wird als Schwäche bezeichnet und die Stärke als Gesundheit, und so finden wir auch in den anderen Evangelisten: die Gesunden bedürfen des Arztes nicht sondern die Schwachen. Aber es liegt doch eine gewisse Verwandtschaft zwischen beiden Begriffen zum Grunde, und wenn der Erlöser sich als einen Arzt bezeichnet: so müssen wir dieses Zwiefache in seinen Ausdruck hineinlegen. Nämlich er wußte, wie das menschliche Geschlecht in seinem damaligen Zustande, seitdem die Sünde in ihm herrschte, zu schwach war, um sich aus der Sünde herauszureißen, und ebenso wußte er auch, wie das Leben desselben nicht in dem natürlichen Zustande und Verhältnisse war, sondern daß, was untergeordnet war, sich über das Andere erhoben und zu dem Gebietenden gemacht hatte; und ein solches Mißverhältniß in dem geistigen Leben ist ebenso wol Krankheit wie in dem leiblichen. Er nennt sich also in zwiefacher Beziehung einen Arzt, als den, welcher die geschwächten Kräfte wieder zu beleben, und als denjenigen, welcher die verletzte Ordnung wieder herzustellen weiß. Nun aber geht er nachher aus dem Bilde wieder heraus und bezeichnet unmittelbar sein Geschäft, indem er sagt: „ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten.“ Also das zur Buße Rufen bezeichnet er als das Wesen seines Geschäfts, zu dem er gesandt war; wir müssen also auch den Ausdruck Buße hier ebenso nehmen, wie er damals 1–6 Vgl. Lk 18,9–14

24 Lk 5,31; ferner Mt 9,12

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verstanden wurde, nämlich daß er so viel heißt als Sinnesänderung, und er sagt also, er sei gekommen, um zur Sinnesänderung zu ermahnen. Und wenn wir | das vergleichen mit anderen Aussprüchen des Erlösers über seinen Beruf, wie er gekommen sei, die Menschen aufzufordern und zu erwecken zu einer Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit, und was sich sonst in seinen Aeußerungen daran anknüpft, und wenn er dann weiter sagt, er sei gekommen die Welt selig zu machen, damit die Menschen durch den Glauben an ihn aus dem Tode zu dem Leben hindurchdrängen: so sehen wir, daß er den Weg, auf dem sie gingen, als den Weg des Todes und ihren ganzen Zustand als einen solchen bezeichnet, oder um dem anderen Ausdruck zu folgen, als den Zustand der Unseligkeit, und er sei gekommen, sie aufzufordern, daß sie ihren Sinn ändern, und daß sie sich darin nicht mehr wohlgefallen, sondern ein Anderes, Besseres suchen sollten. In Beziehung nun auf diesen Ausdruck des Herrn müssen wir uns aber vor zweierlei hüten, wenn wir den rechten Sinn des Erlösers treffen wollen: auf der einen Seite daß wir nicht etwa meinen, er habe selbst einen solchen Unterschied zwischen den Menschen angenommen, daß Einige wirklich stark wären und nur Andere schwach und krank, und als ob er die Einen als solche, die Anderen als solche habe bezeichnen wollen. Daß der Erlöser die Pharisäer, mit denen er es doch hier zu thun hatte, nicht als Gesunde und als Starke angesehen hat, das gibt sich ja aus vielen seiner Reden auf das deutlichste zu erkennen. Wie oft hat er nicht das Wehe über sie ausgerufen, wie oft hat er nicht zu ihnen gesagt, daß sie das Volk verführten von dem richtigen Wege ab, wie oft ihnen vorgeworfen, daß sie auf der einen Seite die Gewissen beschwerten mit unnützen Lasten, und auf der anderen Seite, daß sie die abhielten von dem Reiche Gottes, welche sonst wol geneigt dazu wären. Und so stellt er sie als solche dar, die grade jenem | unseligen Zustande, aus welchem er die Menschen befreien wollte, nicht nur selbst dienten, sondern auch Andere darin erhielten und von der Buße, zu welcher der Herr sie führen wollte, abwendeten. Also für gesund und stark hat er sie nicht gehalten. Wie kommt es aber, daß er hier sie so nennt? Wenn wir wollen, können wir immer sagen, das sei eine Art von stachlichter Rede, von verborgenem Spott. Er bezeichnet sie so, wie sie sich selbst bezeichneten, aber so, daß sie wol dabei wußten, daß er ganz anders von ihnen dachte. Denn so bezeichnet sich ja jener in dem Gespräch mit dem Herrn als einen solchen, der sich für gerecht hielt, weil er auch die kleinsten Titelchen in dem Gesetz zu erfüllen suche. Und da sie ja wol verstehen mußten, wie er das meinte, aus dem was sie schon früher von ihm gehört hatten – denn wir sehen, daß ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war: – so mögen wir daraus lernen, daß auch eine solche Art, mit den Menschen 4–5 Vgl. Joh 4,23f 7 Vgl. Joh 3,17 Mk 10,20; Lk 18,21

7–8 Vgl. Joh 5,24

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umzugehen und einen Stachel in ihre Seele zu legen, dem Erlöser nicht fremd gewesen sei. Das Andere aber, wovor wir uns zu hüten haben, ist dieses, daß wir nicht daraus schließen wollen, er habe mit seiner Rede sich nur an Einige gewendet, Andere aber ausgeschlossen. Das ist nicht seine Meinung gewesen; und wenn wir den ganzen Zusammenhang seines Lebens überlegen: so finden wir auch, daß er nicht so gehandelt hat. Ihm waren die Zöllner nicht lieber als die Pharisäer, er glaubte nicht, daß er nur zu jenen gesandt sei, zu diesen aber gar nicht; denn sehen wir, wie er mit ihnen umging und von ihnen redete: so müssen wir sagen, er hat Alles gethan, um sie zum Bewußtsein zu bringen über ihren eigenen Zustand, um ihnen ihre falsche Gerechtigkeit in ihrer ganzen Nichtigkeit zu zeigen, und sie in den Zustand zu versetzen, in welchem er auch sie zur Buße und zur Sinnesänderung rufen könnte. Wenn er | also sagt: „ich bin gekommen die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten:“ so liegt darin keinesweges, daß er Einige für gerecht gehalten, sondern er wußte wol, wie es in dem Brief an die Römer heißt, daß nicht Einer gerecht sei, sondern daß Alle des Ruhms ermangelten, den sie vor Gott haben sollten. Aber auch das folgt nicht, daß er irgend welche ausgeschlossen hätte von der Sorge und Pflege, die er dem menschlichen Geschlecht widmete; sondern er suchte ins Allgemeine hin zu wirken, er ladete Alle ein, die mühselig und beladen wären, daß sie Ruhe und Frieden fänden für ihre Seelen. Die sich aber selbst für gerecht hielten, hatten keine Veranlassung, einem solchen Rufe zu folgen, und darum sagt er freilich, es könne ihm nur gelingen bei denen, die sich selbst als Sünder erkenneten und das einsähen. Und dieses, m. g. Fr., ist auch jetzt noch die Ordnung, in welcher das Wort des Herrn, das lebendige, das Geist und Leben ist, seine Wirkung unter den Menschen hervorbringt, nur daß jetzt bei Vielen noch eine andere und neue Täuschung Statt findet als die, zu welcher das Gesetz des Alten Bundes die Menschen der damaligen Zeit verleitete. Nämlich jetzt und unter uns ist es so, daß gar Viele mancherlei in sich finden, was sie auf den rechten Weg des Lebens führt; aber fragen wir, woher sie es haben: so rührt es allerdings von Christo her, sie aber glauben, daß es ihr Eigenes ist und geben ihm auch nicht die Ehre dafür, die ihm gebührt; denn es gibt jetzt unter denen, die in der christlichen Kirche geboren und aufgewachsen sind, in der That keinen, welcher nicht von Anfang an die Hülfe des Erlösers erführe und sich in seiner reinigenden, stärkenden Behandlung befände. Wenn nun so von Jugend an auf die Gemüther gewirkt wird: so kann diese Täuschung sich hernach Mancher bemächtigen, daß sie glauben, was | sie auf diese Weise besitzen, sei ihr Eigenes, während es doch mehr die Kraft des Geistes des Erlösers ist; und so geschieht es dann freilich, daß Viele 16 Vgl. Röm 3,10 (darin Aufnahme von Ps 14,3; 53,4) 21 Vgl. Mt 11,28f 25–26 Vgl. Joh 6,63

17 Vgl. Röm 3,23

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dem Erlöser die Ehre nicht geben, die ihm gebührt, und auch nicht die Liebe und Dankbarkeit zu ihm tragen, die sie ihm schuldig sind, ohne daß wir deswegen sagen könnten, dasjenige, wofür sie sich selbst die Ehre geben, sei nicht das Rechte und Wahre, nur daß ihnen die rechte und wahre Erkenntniß von dem Ursprunge desselben fehlt. Und freilich werden wir von ihnen sagen, wenn sie zu der rechten Erkenntniß gelangt wären, daß sie die reine Vorstellung von dem Rechten und Guten und von dem, was Gott von ihnen fordert, daß sie den Sinn für das geistige und höhere Leben nicht sich selbst verdanken, sondern daß das das Werk des Erlösers und der christlichen Gemeinschaft ist: so würden sie sich selbst besser befinden und auf dem Wege der Seligkeit weiter kommen, weil sie dann immer mehr Veranlassung haben würden, zur Quelle zurückzukehren und unmittelbar aus ihr zu schöpfen, und weil je mehr sie das Bild des Erlösers sich vorhielten, um so mehr sie auch würden getrieben werden, ihm ähnlich zu werden, und die Seligkeit empfinden, welche der Mensch hat, der nicht von ihm lassen will und kann. Und in dieser unmittelbaren Verbindung mit ihm würden sie mehr Einfluß erfahren von ihm, als wenn sie nur mittelbar aus ihm schöpfen, nur das suchend, was in dem christlichen Leben sich schon als allgemeine Regel geltend gemacht hat. Darum beruht auch jetzt noch die rechte Verbindung des Einzelnen mit dem Erlöser darauf, daß er weiß, Alles was wahrhaft gut und ein wahrer Segen des geistigen Lebens ist, das ist uns von ihm gekommen, und das müssen wir immer aufs Neue von ihm nehmen. Aber allerdings ist das nun nicht so zu verstehen, als ob alle die, welche in der christlichen Kirche geboren und erzogen sind, und von Jugend auf in den Wahrheiten des Heils unterrichtet, auf dieselbe Weise wie die Zeitgenossen des Erlösers erst müß|ten umkehren und ihren Sinn ändern, – denn dieser Sinn, welchen sich jene mit gänzlicher Aufgebung ihres Früheren erst aneignen mußten, wird uns ja von Jugend auf eingeprägt; – indessen alle werden sie doch die Erfahrung machen müssen, daß noch das Fleisch in ihnen eine Gewalt ausübt über den Geist, die ihm nicht geziemt, und werden dann, wenn sie in der That ihr Heil schaffen wollen, die Kräfte, deren sie bedürfen, sich mittheilen und die rechte Ordnung des Lebens sich müssen vorschreiben lassen von dem, der allein der rechte Arzt ist. Nun aber lasset uns, m. g. Fr., noch auf Eins unsere Aufmerksamkeit richten: nämlich war denn das wol die rechte Art, wie der Erlöser seine Gründe darstellen konnte, weswegen er mit den Zöllnern und Sündern zu Tische saß, daß er sagt, er sei nicht gekommen, die Gerechten sondern die Sünder zur Buße zu rufen? Ist das einerlei, zur Buße rufen und mit Einem zu Tische sitzen? kann nicht das Eine ganz und vollkommen bestehen ohne das Andere? Das kann es wol, aber es konnte das nicht bei dem Erlöser, er konnte das Eine nicht von dem Andern trennen: mit den Menschen, auf die er wirken wollte, mußte er auch leben, und er konnte auf diese gesellige, freundliche Weise nicht mit den Menschen leben, ohne zugleich für seinen

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großen Beruf thätig zu sein. Anders als so konnte er es gar nicht anfangen. Seine ganze Lage und Stellung in der Gesellschaft gab ihm nur diese beiden Gelegenheiten, und er mußte sie beide ergreifen, wo er sie fand: in den Schulen und in den Hallen des Tempels oder wo sonst eine große Menge Menschen sich versammelte, da das Wort zu ihnen zu reden; aber dann auch jede Gelegenheit, die ihm das Leben darbot, und in welchem er keinen anderen bestimmten Beruf hatte, zu diesem Zweck zu benutzen, das war die Aufgabe seines Lebens. Darum war das Leben selbst sein unmittelbarer Beruf außer jenen öffent|lichen Gelegenheiten, die immer an bestimmte Zeiten und besondere Verhältnisse geknüpft waren. Und so sehen wir den Erlöser auch bei den Pharisäern und Schriftgelehrten zu Tische sitzen und solche Reden anknüpfen, worin wir die Wahrnehmung seines Berufs finden, um sie auf das Verkehrte in ihrem Tichten und Trachten aufmerksam zu machen. Und so hat er immer das gesellige Leben dazu gebraucht, sein Amt zu verrichten, und ohne sich von demselben auszuschließen, überall wo sich die Gelegenheit ihm darbot, den Samen des göttlichen Wortes in die Seelen zu streuen, und dadurch unterschied er sich von seinem Vorgänger Johannes, der in der Wüste lebte und wartete, bis die Menschen zu ihm kamen, daß er fröhlich mit den Menschen lebte und jede Gelegenheit wahrnahm, wo er auf die Menschen wirken konnte, und darum war jede Einladung zu einem fröhlichen Mahl für ihn eine Aufforderung, nun eine Einladung zu dem geistigen Mahle an sie ergehen zu lassen. Und wir, m. G., sollen nun auch dieser Anweisung folgen und überall in dem freundlichen geselligen Leben das Geistige mit im Auge haben und auch da jede Gelegenheit wahrnehmen, nicht grade um immer unmittelbar von den großen Wahrheiten des Heils zu reden, noch weniger um in dem geselligen Leben unsere eigene Meinung geltend zu machen oder zu verbreiten über die Art, wie dieser oder jener Einzelne sich zu dieser großen Angelegenheit verhält, aber doch überall in dem geselligen Leben den hohen geistigen Beruf im Auge zu behalten und Alles in Beziehung auf ihn zu behandeln. Dann wird aus dem geselligen Leben keinesweges die Freundlichkeit des menschlichen Daseins auf Erden verschwinden, keinesweges werden wir uns von der Fröhlichkeit des geselligen Beisammenseins scheiden, wie der Erlöser es auch nicht that, als ob das etwas Geringes oder Verführerisches wäre; denn nichts ist gering für die Angelegenheit des Heils, was die Menschen | einander näher bringt, und nichts kann für den verführerisch sein, der immer wie der Erlöser den höheren Beruf im Auge hat. Und darum, m. g. Fr., hat ja auch der Erlöser das Höchste, was er seiner Gemeine zurückgelassen, die innigste Art der Vereinigung mit ihm ebenso an die Form eines solchen freundlichen Zusammenseins gebunden, an ein gemeinsames Mahl, in welchem er noch mehr als in der Rede, als in allen anderen Uebungen der Andacht sich der menschlichen Seele mittheilen will, und in welchem auf das Innigste und Geheimnißvollste die Verbindung

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der Seele mit ihm soll erhalten werden, um deutlich zu zeigen, wie er keine solche Scheidung will, sondern Alles, was zu dem menschlichen Leben gehört, mit soll hinübergenommen werden in das geistige Reich, um in jeder Beziehung die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit zu fördern. Und so, m. G., lasset uns denn alle diese Zeit wahrnehmen, die uns an den großen Beruf des Erlösers auf Erden auf ganz besondere Weise erinnert und ihn uns vergegenwärtigt als den, der gekommen ist, die Sünder zur Buße zu rufen, auf daß sie in der That gerecht werden vor Gott durch ihre Hingabe an ihn, wie er sich selbst hingegeben für das menschliche Geschlecht, auf daß sie ihn in sich tragen, wie er in ihnen sein will, und solche geistige Gemeinschaft mit ihm stiften und unterhalten, in der das wahr wird, was er sagt, daß er mit dem Vater kommen werde, um Wohnung zu machen in den Herzen der Menschen. Amen. Lied 130.

4 Vgl. Joh 4,23f 12–13 Vgl. Joh 14,23 14 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 130: „Erweitert Thor und Thüren“ (Melodie von „Nun ruhen alle Wälder“)

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Am 11. Dezember 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

3. Sonntag im Advent, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 16,27 Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 2) 1832, S. 21–37, Nr. II SW II/3, 1835, S. 121–131; 21843, S. 126–136. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 218–226. Keine Keine

Am 3. Sonntage des Advents 1831.

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Text. Ev. Joh. XVI, 27. „Denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, daß ihr mich liebet und glaubet, daß ich von Gott ausgegangen bin.“ M. a. Fr. Das war ein großes Wort des Erlösers über sich selbst, worüber wir neulich mit einander geredet haben, in welchem Er sich nämlich darstellt als den alten und ursprünglichen Gegenstand des Verlangens und der Sehnsucht für alle Besten unter dem menschlichen Geschlecht, für diejenigen, welche Gott am nächsten waren und von ihm am meisten hervorgezogen: aber noch ein größeres Wort ist dieses, daß Er sich darstellt als die eigentliche Ursache der Liebe Gottes zu uns, als denjenigen, um dessen willen, vermöge unsers Verhältnisses zu ihm, das heißt vermöge unserer Liebe zu ihm und unsers Glaubens an ihn, wir nun auch erst Gegenstände der Liebe Gottes, seines und unsers Vaters, würden. Er ist es aber, der von sich selbst | sagen konnte, was man sonst nicht leicht einem gelten läßt, So ich von mir selber zeuge, so ist mein Zeugniß wahr; denn in ihm selbst und in 18 denn] Denn 2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 49: „O Gott wir ehren deine Macht“ (Melodie von „Es woll’ uns Gott genädig sein“); Nr. 137: „Jauchzet all’, ihr Frommen“ (Melodie von „Gottes Sohn ist kommen“) 6–11 Vgl. die Predigt am 27. November 1831 über Joh 8,56 17–18 Vgl. Joh 8,14

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seinem eigenen Bewußtsein ruhete das in ewiger Klarheit, was Er dem menschlichen Geschlecht sein sollte, wozu Er gekommen war; in allen Andern konnte es sich erst durch die Erfahrung allmählig entwikkeln, dadurch, daß sie seinem Worte folgend den Willen Gottes, den Er verkündigte, daß sie nämlich glauben sollten an den, den er gesandt hatte, wirklich vollführten. Darum lasset uns nun, da wir ja auch solche sind, die ihn lieb gewonnen haben und zu dem Glauben gelangt sind, daß Er von Gott ausgegangen sei, sein Wort aus unserer eigenen Erfahrung beleuchten und uns klar machen, indem wir mit einander darüber reden, wie der Erlöser derjenige ist, um dessentwillen, wenn wir ihn lieben und an ihn glauben, auch wir von Gott geliebt werden.

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I. Zuerst, m. a. Fr., wird aber freilich ein jeder hiegegen bei sich selbst sagen, wenn Gott die Liebe ist, so muß seine Liebe sich auch so weit erstrekken, als seine Allmacht, so muß es eine allgemeine Liebe Gottes geben. Und allerdings werden wir es auch bekennen müssen, daß diese besondere Liebe, von welcher der Erlöser in unserm Texte redet, nur ein Ausfluß ist aus jener allgemeinen. So gewiß als das die höchste Erkenntniß ist, zu welcher wir eben durch den Sohn Gottes gekommen sind, daß Gott die Liebe ist: so gewiß müssen wir auch glauben, daß Alles, was ein Werk seiner Hände ist, auch ein Gegenstand sei|ner Liebe sein muß. Nur freilich, was todt wäre, das könnte kein Gegenstand seiner Liebe sein; was zwar lebte, aber doch ihn nicht wahrnehmen könnte, auch das könnte an und für sich nicht ein Gegenstand seiner Liebe sein: aber so wird ja auch bald denen, die ihn erkennen, das geistige Auge geöffnet über die ganze Welt, daß sie einsehen, dasjenige sei gar nichts an und für sich, was wir nur betrachten können als leblos und todt. Dasjenige hätte kein eigenes Dasein, was wir auf keine Weise im Zusammenhang mit dem Geist zu denken vermöchten, der allein unter den geschaffenen Dingen das Ebenbild Gottes ist: aber es giebt auch nichts, was nicht irgendwie mit diesem in Verbindung stände. Alles nun, was geistig ist, Alles, was, sei es auch auf noch so unvollkommne und entfernte Weise, Gott vernehmen kann, Alles, was seiner Natur nach auch getroffen werden kann vom Strahl seiner Liebe: das ist auch gewiß schon an und für sich ein Gegenstand seiner Liebe. Darum schließen auch jene alten Erzählungen in den Büchern des alten Bundes die Geschichte von der Schöpfung 36 Liebe:] so auch SW II/3, S. 122; Textzeuge: Liebe; 4–6 Vgl. Joh 17,8; ferner 5,38

15 Vgl. 1Joh 4,16

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der Welt damit, daß sie sagen1, Und Gott sah an Alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut. Das war der Hauch der Liebe, der Blikk des göttlichen Wohlgefallens über das Ganze seiner Werke, und er erstrekkte sich so weit, als seine Allmacht, was nicht war, hervorgerufen hatte in das Sein; aber alles war immer nur gut im Zusammenhang mit dem, was in diesem geschaffenen endlichen Sein der Abglanz seines Wesens sein konnte, was seiner Erkenntniß, ihn zu ahnen in seinen Werken, fähig war. | Und wenn wir bedenken, m. g. Fr., wie jene alte Erzählung doch vorzüglich nur diese Erde, den Schauplaz unsers Lebens und Wirkens zum Gegenstand hat, und alle übrigen nach unserer jezigen Kenntniß so viel größeren, so viel umfassenderen Werke Gottes nur in Beziehung auf diese Erde betrachtet, und wie auf dieser wiederum der Mensch das einzige geistige Wesen ist, auf welches sich Alles bezieht, für den und zu dem Alles geschaffen ist, was dieser Erde angehört und was sich in andern Weltkörpern auf sie bezieht: o wie können wir dann wol annehmen, daß Gott der Herr das Wort, Und es war Alles gut, gesprochen habe, da doch vor seinen Augen nicht nur der Mensch dastand als das edelste Werk seiner Hände, bestimmt zur Herrschaft über Alles was auf Erden ist, sondern ihm auch schon eben so deutlich vor Augen stand der Fall des Menschen und alle Verringerung seines geistigen Lebens und Wirkens, welche die Sünde über diesen Menschen und das ganze menschliche Geschlecht bringen würde? Darum, m. g. Fr., mögen wir wohl sagen, wenn Gott der Herr damals über den Menschen und die Erde, die sein Eigenthum sein sollte, sprach, daß es Alles gut sei: so muß auch wiederum nicht nur die Sünde und der Fall des Menschen vor seinem Auge gewesen sein, sondern auch derjenige mit in sein Wohlgefallen nicht nur eingeschlossen, sondern der eigentliche Grund desselben gewesen sein, der bestimmt war, Alles wiederzubringen. Ja nur in Beziehung auf diesen, nur weil die menschliche Natur das Wort, welches Fleisch werden sollte, in sich aufnehmen konnte, darum nur weil durch ihn der Mensch Gott näher und inniger wieder zugeführt werden sollte, als es vorher möglich gewesen | wäre, darum sprach Gott der Herr, daß Alles gut sei; darum gab er sich schon in diesem Wort zu erkennen, als den, der sich über die Sünder erbarmen werde, als den, welcher die Tage der Unwissenheit übersehen wollte, wenn dann 1

1 Mos. 1, 31.

4–5 Vgl. Röm 4,17 20–21 Vgl. Gen 3

17 Vgl. Gen 1,31 30–31 Vgl. Joh 1,14

18–19 Vgl. Ps 8,4–9; auch Gen 1,28 36 Vgl. Apg 17,30

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nur derjenige, der damals schon der Gegenstand seines Wohlgefallens war, die Anhänglichkeit, den Glauben, die Liebe fände, ohne welche Er den Menschen sich selbst nicht mittheilen, noch ihre Verbindung mit Gott zur Vollkommenheit bringen konnte. Und so, m. g. Fr., zeigt sich dann überall diese allgemeine Liebe Gottes zu dem Menschen als dem Geschöpf seines Ebenbildes in allen seinen verschiedenen Zuständen; das ist die Art, wie uns die Schrift überall jene Liebe Gottes und jenes Erbarmen Gottes erklärt und anschaulich macht, Alles habe er unter die Sünde, Alles unter den Unglauben beschlossen, damit die Verheißung käme durch den Glauben an den, in welchem erst Allen klar werden konnte, zu welcher Herrlichkeit Gott den Menschen erschaffen habe. Darum war alles, was uns von besonderer Liebe von einzelnem Wohlgefallen Gottes erzählt wird, auf diejenigen gerichtet, die seiner unerforschlichen Ordnung nach bestimmt waren in einem nähern irdischen Zusammenhang mit dem zu stehen, der da kommen sollte. Darum war das Volk, aus welchem der Erlöser entspringen sollte, das Volk seiner Wahl; darum wurde es aufbewahrt und ausgesondert, immer wieder herausgerissen aus jeder Noth, in welche es sich durch die Sünde gestürzt hatte, damit die Offenbarung Gottes bewahrt bliebe, daß aus diesem der eingeborne Sohn des Höchsten hervorgehen werde. So werden wir denn sagen müssen, m. g. Fr., ja alles menschliche war ein Gegenstand des göttlichen Wohl|gefallens und der göttlichen Liebe vom ersten Anfang an; nichts, was er zu seinem Bilde geschaffen hatte, nichts, was mit diesem Geschöpfe seiner Aehnlichkeit irgend in Verbindung steht, war ausgeschlossen von seiner väterlichen Fürsorge: aber Keiner war ein Gegenstand der Liebe und Sorgfalt Gottes an und für sich selbst und um sein selbst willen. II. Hieran, m. a. Fr., knüpft sich denn unsere zweite Betrachtung, nämlich, was ist das eigenthümliche Wesen dieser besondern Liebe Gottes zu uns um unserer Liebe und unsers Glaubens an Christum willen. So aber schließt sich diese besondere Liebe an jene allgemeine, daß selbst in dem, was der Erlöser hier zu seinen Jüngern besonders sagt, doch nur das nämliche liegt wie in jener allgemeinen. Nicht seine Jünger an und für sich, als die welche sie schon ohne ihn gewesen waren, als das was sie auch ohne ihn würden geblieben sein, waren der Gegenstand der göttlichen Liebe, von welcher Er redet: sondern nur deswegen, sagt er, hat euch der Vater lieb, weil ihr mich 1–2 Anspielung auf Mt 3,17; Mk 1,11; Lk 3,22 8–10 Vgl. Gal 3,22 in Verbindung mit Röm 11,32 20 Vgl. Joh 1,14 in Verbindung mit Lk 1,32 23–24 Vgl. Gen 1,26f

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lieb gewonnen habt, weil ihr zu dem Glauben gekommen seid, daß ich von Gott ausgegangen bin. Denn wie der Erlöser der Welt als der eingeborne Sohn Gottes schon von Anbeginn an der einzige unmittelbare Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens war im ganzen Umfang dieser irdischen und menschlichen Welt: so zog auch Gott vorher schon, wie wir neulich an Abraham gesehen haben, nur diejenigen auf besondere Weise an sich heran, welche mit seiner Zukunft in Verbindung standen, wenn sie auch von | derselben nur eine entfernte Ahndung bekamen in den größten Augenblikken ihres Lebens, die aber dann auch ihr größter Besiz war und der köstlichste Schaz ihres Daseins. Und eben so zog er nun die Jünger seines Sohnes vor, nur wegen ihrer nähern Verbindung mit diesem; wie es ja natürlich war, daß ihre Liebe zu dem Geliebten Gottes nun auch die Liebe Gottes auf sie zog. Wie menschlich, m. th. Fr., scheint das von dem höchsten Wesen gesprochen! und doch, wie muß uns die ewige, die göttliche Wahrheit davon mit der menschlichen zugleich so unmittelbar einleuchten! Das ist es, was wir Alle erfahren; der die liebet, welche wir lieben, wird dadurch auch der Gegenstand unserer Liebe. Und wenn er das vorher schon auf irgend eine Weise war: so wird er nun der Gegenstand einer anderen, neuen und innigeren Liebe. Anders als so kann es nicht sein; war der Erlöser der unmittelbare Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens, wie sollte Gott nicht Wohlgefallen an denen gewonnen haben, die in ihm die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater erkannten? war Er deshalb der Gegenstand seines Wohlgefallens, weil durch ihn das ganze menschliche Geschlecht sollte zu Gott geführt und verherrlicht werden: wie sollten nicht die auch Gegenstand seines Wohlgefallens geworden sein, und gleichsam ein Abglanz seiner Herrlichkeit auf sie hinübergeflossen sein, die nicht nur in ihm in der That die Erfüllung aller göttlichen Verheißungen erkannten, und von ihm wußten, Er sei die Quelle, welcher die Worte des Lebens allein entströmten, sondern die auch nun nicht anders konnten als ihm in der Erfüllung aller göttlichen Rathschlüsse zum Heil der Welt mit ihrem ganzen Dasein dienen! | Und, m. g. Fr., wie stellt nun der Erlöser uns diese Liebe Gottes dar, deren Gegenstand wir um seinetwillen werden? Er sagte in den vorhergehenden Worten zu seinen Jüngern, Ich will nicht sagen, wenn ihr etwas bedürfet, wenn ihr den Vater etwas bitten wollt, daß ich für euch den Vater bitten werde; nein, denn er selbst, der Vater, hat euch 34 Und] Uud 6 Vgl. die Predigt am 27. November 1831 über Joh 8,56 38 Vgl. Joh 16,26

23 Vgl. Joh 1,14

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lieb, weil ihr mich liebet und glaubet, daß ich von Gott ausgegangen bin. Ist nun nicht dieses, m. th. Fr., das höchste Verhältniß, in welchem der Mensch zu Gott stehen kann, daß er bitte, und daß Gott gewähre, daß er frage und daß Gott antworte? denn jede Frage ist doch selbst eine Bitte und jede Antwort ist eine Gabe. Auch ist dies Verhältniß niemals irgendwo unter dem menschlichen Geschlecht anders gedacht und anders ausgedrükkt worden als eben so. Gab es irgendwo ein besonderes Heiligthum für höhere Wesen oder für das höchste: so war es, damit dort Gebet dargebracht werden könne vor Gott, und damit seine Erhörung von da ausströme; damit die zweifelnden Gemüther da ihre Fragen niederlegen könnten und eine Antwort empfahen aus irgend einer geheimnißvollen Tiefe des göttlichen Wesens. Und nur das ist das eigenthümliche Verhältniß, in welchem wir zu ihm, dem Vater, stehen, daß er uns nur zu geben braucht, wonach das durch das Wort seines Sohnes gereinigte Herz begehrt, daß er uns nur zu antworten hat auf solche Fragen, weil eben keine andere in uns entstehen vermöge unserer Liebe zu dem Erlöser und unseres Glaubens, daß Er von Gott ausgegangen ist, als Fragen die sich auf diese Liebe und diesen Glauben beziehen. O was können wir uns Größeres von unserm Verhältniß zu Gott denken! | Ist das höchste Wesen der Quell alles Heils und alles Guten: wohlan! so muß auch alles gut sein was von demselben kommt. Sind aber seine Gaben Gewährung unserer Bitten: so ist ja das ein Zeichen, daß wir das bitten, was er zu gewähren gesonnen ist, daß unsere Seele in Uebereinstimmung mit dem ist, wonach er die Welt der geistigen Wesen, welche zu seinem Bilde geschaffen sind, regiert und ordnet; ein Zeichen, daß wir nur das begehren, was er selbst als das Gute für uns gesezt hat. Denn sonst würde er nicht gewähren, was wir bitten, wenn wir etwas anderes bäten als dieses. Und dies, m. g. Fr., sieht der Erlöser also an als die Frucht unserer Liebe zu ihm; die ihn lieb gewonnen haben und zum Glauben gelangt sind, daß Er von Gott ausgegangen sei, was können sie anders bitten als nur, was zu dem gehört, um dessentwillen Er von Gott ausgegangen ist und in die Welt gekommen, wie er, nachdem es erfüllt war, auch wieder die Welt verließ und zu seinem Vater zurükkehrte? was können sie anders bitten, als was dazu gehört, daß die Welt selig werde durch ihn? Und wenn unsere Bitten keinen andern Gegenstand haben, als der aus unserer Liebe und unserm Glauben zum Erlöser hervorgeht: wohlan! sagt er, so darf ich nicht erst sagen, daß ich den Vater für euch bitten will, denn er selbst, der Vater, hat euch schon lieb; das heißt, von ihm wird euch von selbst die Gewährung kommen. Aber freilich, m. G., dies beides, das gehört 25–26 Vgl. Gen 1,26f

38–40 Vgl. Joh 16,26f

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wesentlich zusammen und ist der eigentliche Grund dieses Verhältnisses zwischen Gott und uns, wie der Erlöser es stiften will: daß wir ihn in der That lieb gewonnen haben, so wie Er war, wozu Er gekommen ist, wozu Er gelebt, wozu Er sein Le|ben gelassen hat, und daß wir zur Ueberzeugung gekommen sind, Er sei von Gott ausgegangen, von Gott den Menschen gegeben zu ihrem Heil, um seine beseligenden Rathschlüsse an ihnen zu erfüllen. Darum sagt auch der Erlöser zu seinen Jüngern nicht lange vor dieser Rede, Vorher habt ihr noch nichts gebeten in meinem Namen. Denn nur, was aus diesem Glauben an ihn und aus dieser Liebe zu ihm herrührt, das ist ein Gebet in seinem Namen; und nur für das, was in seinem Namen gebeten wird, sagt Er seinen Jüngern die Gewährung zu. Nun also, sagt er, wenn ich nicht mehr unter euch sein werde, werdet ihr bitten in meinem Namen: dann wird eure Seele erst ganz gereinigt sein von den falschen Vorstellungen, die früher noch eurer Liebe und eurem Glauben beigemischt waren, und dann werdet ihr nur das erbitten wollen, was von Anfang an der eigentliche Gegenstand eures Tichtens und Trachtens gewesen ist, nur das nämlich was zu dem großen Werk gehört, welches der Vater mir gezeigt hat, daß ich es vollbringen soll. So demnach, sofern wir nichts anders mehr bitten, als was in seinem Namen gebeten werden kann, hat der Vater uns lieb, so daß er uns gewähret, was wir bitten; und solche Liebe zum Erlöser ist unzertrennlich verbunden mit dem Glauben, daß Er von Gott ausgegangen ist. Wie könnten wir uns sonst so ganz an das Werk und Wollen eines einzelnen Menschen binden! Doch, m. g. Fr., laßt uns einen Augenblikk bei diesen Worten besonders verweilen! Seit wie langer Zeit schon sind sie unter den Christen immer wieder Veranlassung geworden zu heftigem Streit und schmerzlichem Zwiespalt! wie sehnlich haben die Gläubigen gestrebt immer tiefer ein|zudringen in das geheimnißvolle dieses Ausgegangenseins des Erlösers von Gott! und wie oft hat eine besondere Art sich dasselbe so oder so zu denken die Christen ganz und gar entzweit, und ihre sonst so innige Gemeinschaft zerrissen! Wenn solche geheimnißvolle Lehre, wenn irgend solche nähere Bestimmungen der Art, wie der Erlöser von Gott ausgegangen ist, mit zu dem Glauben gehörten, auf welchem die besondere Liebe Gottes zu uns beruht: o wie würde dann Er, der ja der Abglanz dieser Liebe war, die Seinigen so im Stich gelassen haben, daß Er ihnen nicht die deutlichsten und bestimmtesten 33 zerrissen] zereissen 8–9 Vgl. Joh 16,24 11–12 Vgl. Joh 14,13f; ferner 15,7; 16,24 4,34 in Verbindung mit 5,20

18–19 Vgl. Joh

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Aufschlüsse hierüber auf das eindringlichste mitgetheilt hätte! wie hätte Er es so gleichsam auf das Ungefähr hinlegen können, ob sie zu dieser Erkenntniß gelangten oder nicht, wenn doch ihr Antheil an dieser besonderen Liebe des Vaters zu uns davon abhing! Wie leicht ist nicht immer bald dieser bald jener auf eine neue Vorstellung hierüber gerathen! wie schwer haben sich von jeher die Christen über Eine und dieselbe vertragen können, und jeder doch hat die seinige gestüzt auf die Schrift! Wie unheilbringend ist diese dem Anschein nach so unvermeidliche Verschiedenheit, wenn es nicht genügt zu glauben, daß Er von Gott ausgegangen sei; sondern wer nicht auch fest darauf hält, daß dies so nicht sondern nur so zu verstehen sei, auf dem ruhe auch nicht die Liebe des Vaters. Aber, m. th. Fr., eben deswegen, weil der Erlöser beides unsere Liebe zu ihm und unsern Glauben so unmittelbar in Verbindung bringt, können wir auch sicher sein, was unsern Glauben, daß Er von Gott ausgegangen ist, nur auf solche Weise berührt, daß es nicht auch zugleich auf unsere Liebe zu ihm Einfluß hat, das kann | auch von keinem Einfluß sein auf die Liebe seines Vaters zu uns; und alle Verschiedenheiten dieser Art können wir ruhig gewähren lassen, so daß dies immer aufs Neue zum Gegenstand der christlichen Forschung mag gemacht werden! Aber was unsere Liebe zum Erlöser nicht fördern kann, mithin auch nicht die Liebe des Vaters zu uns bestimmt, o das soll noch viel weniger unsere Liebe unter einander stören; das soll noch viel weniger das Band der Einigkeit des Geistes trennen, in welcher wir dadurch, daß wir sein Werk fördern, unsere Liebe zum Erlöser beweisen. Darum möge jenes alles auf sich beruhen! wenn wir nur gewiß sind, die Frage, die in unserm heutigen Evangelio Johannes an ihn thun läßt1, Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten? könne nicht anders beantwortet werden, als ja, in ihm seien alle Gottesverheißungen Ja und Amen, kein Anderer sei zu erwarten nach ihm; in ihm sei uns die ganze Fülle der göttlichen Liebe und Gnade eröffnet, und das wahre Leben uns durch ihn mitgetheilt; ja alle heilsame Wahrheit sei uns durch ihn vor Augen gelegt – wenn wir das wissen, das heißt glauben, daß Er von Gott ausgegangen ist. Denn die Erfüllung der göttlichen Rathschlüsse kann nur von Gott ausgehen, und der muß von Gott ausgegangen sein, in welchem sich das so bunt verschlungene oft so dunkle Schikksal der Menschheit auflösen sollte, so daß aus allem immer wieder derselbe Frieden, der von oben kommt, hervorgehen muß, und 1

Matth. 11, 3.

23–24 Vgl. Eph 4,3 26–27 Als Evangeliumslesung für den 3. Sonntag im Advent sah die Perikopenordnung Mt 11,2–10 vor. 29 Vgl. 2Kor 1,20

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dasselbige ewige Leben, zu welchem Alle durch den Tod hindurchgedrungen sind, welche an ihn glauben. |

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III. Doch lasset uns, m. g. Fr., noch eine dritte Frage vorlegen und sie beantworten. Nun also deswegen, weil wir den Erlöser lieben und glauben, daß Er von Gott ausgegangen ist, der Vater uns liebt, und wir also zu Gott in einem solchen unmittelbaren Verhältniß der Liebe stehen: wird nicht von dem Augenblikk an, wo wir uns desselben bemächtigt haben, wo das wirklich unser Eigenthum geworden ist, unser besonderes Verhältniß zum Erlöser etwas Ueberflüssiges und wieder aufgehoben? so daß wir am richtigsten sagen würden, das erste und ursprüngliche sei immer die allgemeine Liebe Gottes zu Allem, was lebt und ihn in seinen Werken wahrzunehmen fähig ist; weil aber die Menschen die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufgehalten haben, weil sie Gott nicht erkennen wollten in seinen Werken und ihn preisen, weshalb sie denn in immer tieferes Verderben hinabsinken mußten, darum habe er von Ewigkeit beschlossen, seinen Sohn zu senden, an welchem nun ihre Liebe, und ihr Glauben zunächst haften soll. Durch diesen sollen sie fähig gemacht werden, die Ordnung Gottes wahrzunehmen und seinen Willen zu erkennen, sie sollen nicht nur seiner Allmacht inne werden, sondern auch auf seine Vaterliebe schließen. Ist aber nun so das leitende Bewußtsein dieses Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen wieder hergestellt, und sie so zur Kindschaft Gottes wieder gelangt: dann entstehe auch aus der Erkenntniß seiner Liebe die Gegenliebe, und eines so besondern Punktes, durch welchen das Verhältniß vermittelt würde, bedarf es nicht mehr. Liebt uns | der Vater: so bedürfen wir auch keiner Fürbitte mehr, auch nicht dessen, den er uns zum Heil gesandt hat; wie ja auch Christus das selbst sage. Woher sollten wir also nicht in diesem unmittelbaren Verhältniß zu Gott bleiben können, und die Dazwischenkunft Christi eben so gut mit der Zeit vergessen werden, als früher nicht die Rede davon war? Sehet da, m. g. Fr., das ist der Unterschied zwischen den Christen, welche von dem Erlöser nur lernen wollen, welche glauben, daß Er dazu gesandt sei, um das Auge des menschlichen Geistes für die nothwendige, für die seligmachende Wahrheit wieder zu eröffnen; sei aber der Mensch wieder zur Wahrheit hindurchgedrungen und werde von ihrem Licht erleuchtet, so entzünde es sich auch an ihm selbst und brenne in ihm fort, und sein Geist wäre ja nicht Eins, wenn nicht auch die Kraft in ihm wüchse, der erkannten Wahrheit zu fol1–2 Vgl. Joh 5,24 14–15 Vgl. Röm 1,18 15–17 Vgl. Röm 1,20f Joh 16,26f; ferner wohl Mk 11,24; Mt 7,7–11

27–29 Vgl.

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gen. Und so müsse nun auf das Bestreben eines Jeden gerechnet werden, sich selbst weiter fortzuhelfen, nachdem uns die Wahrheit gegeben ist in Christo; dankbar müsse sein Andenken gesegnet bleiben unter den Menschen, und seine Lehre sei immer die erste Stufe auf der sie feststehen: aber unmittelbar bestehe nun das Verhältniß des kindlichen Gehorsams der Menschen gegen Gott so wie das Vertrauen auf die Segnungen seiner väterlichen Liebe in der eignen Einsicht gegründet. Aber anders ist die Rede derjenigen, welche nicht nur vom Erlöser lernen wollen, und nicht blos glauben, daß Er dazu habe nothwendig in die Welt kommen müssen, um als das Licht die Finsterniß zu durchdringen: sondern daß Er auch das Leben der Welt sei, und daß wir nur in ihm das Leben haben. Diese glauben, niemals des Erlösers entbeh|ren zu können; sind sie auch durch ihn zum Vater gekommen, fühlen sie auch die Wahrheit davon, daß der Vater sie liebt um ihrer Liebe und ihres Glaubens willen, ach! sie trauen es sich nicht zu, in diesem Verhältniß bleiben zu können, wenn sie den Erlöser wieder fahren ließen. Auf welche von beiden Seiten, m. G., lenken sich nun wol die eignen Worte des Herrn überhaupt und besonders auch die, welche wir zum Gegenstand unserer Betrachtung gemacht haben? Wenn der Vater uns deswegen liebt, weil wir den Sohn lieb gewonnen haben: müßte nicht die Liebe des Vaters aufhören, wenn wir je aufhören könnten den Sohn zu lieben, um dessentwillen ja er uns liebt, so wie immer die Wirkung aufhört mit der Ursache? Wenn der Vater uns liebt, weil wir glauben und vertrauen, daß Christus von ihm ausgegangen ist: müßte nicht die Liebe des Vaters aufhören, wenn dieser Glaube und dieses Vertrauen für uns selbst an seinem Werth verlöre? Aber die Worte des Erlösers sagen auch zu deutlich, daß das nicht möglich ist! so wie Er auch die Schwachheit seiner Jünger kannte und vorher wußte, daß wenn sie auch in Versuchung kommen würden, sich zu zerstreuen und Jeder in das Seinige zu gehen, nachdem der Hirte geschlagen worden, so würde doch sein Gebet in Erfüllung gehen müssen, daß sie bei seiner Wahrheit blieben: so sprach er ja eben dadurch aus, daß ihre Liebe zu ihm nicht aufhören könne. Was wäre eine Liebe, m. th. Fr., die jemals den geliebten Gegenstand los lassen könnte! ein flüchtiger Rausch nur könnte eine solche gewesen sein, aber nicht aus der ruhigen Tiefe des eignen Daseins hervorgegangen! Haben wir den Erlöser wirklich lieb gewonnen, so können wir auch nicht von ihm lassen; und | wir können uns die Frage gar nicht vorlegen, ob, wenn wir von ihm ließen, wir in der Liebe des 10–11 Worauf sich Schleiermacher mit dieser Formulierung bezieht, ist unklar; entfernt klingen an Joh 1,5; 8,12; 12,46; 2Kor 4,6. 28–31 Vgl. Mt 26,31 (mit Bezug auf Sach 13,7) 31–32 Vgl. wohl Joh 17,17.19

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Vaters bleiben würden. Wir fühlen die Wahrheit von dem, was Er sagt: weil ihr mich liebt, könnt ihr auch nichts ohne mich thun; unser Dasein ist mitgefährdet, ob wir in der Liebe zu ihm beharren oder ob wir von ihm loslassen. Haben wir einmal das Vertrauen gewonnen, daß Er von Gott ausgegangen ist: müssen wir dann nicht unsicher werden über jeden Schritt, den wir thun auf unserm Wege zum Heil, wenn wir wissentlich ihm weniger folgen wollten, sondern uns einen Weg für uns allein suchen? Nein, das ist nicht möglich; wir können, weil wir ihn lieben, auch nicht aufhören, ihn zu lieben; wir können, weil wir glauben, daß Er von Gott ausgegangen ist, auch nicht in der Absonderung von ihm leben wollen. Darum bleiben wir der Liebe Gottes zu uns sicher, weil in uns die Liebe zum Sohn nicht erlischt. Und immer wird es wahr bleiben, daß es keine andere ursprüngliche Art für uns giebt den Vater zu schauen als in dem Sohn; immer wird Er uns die nächste und vollste Offenbarung des höchsten Wesens bleiben; immer werden wir in unserer Verbindung mit ihm auch der väterlichen Liebe Gottes inne werden und in ihr bleiben. Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm; aber das ist die Liebe, die von Gott gekommen ist, daß wir den Sohn lieben, den Er gesandt hat, daß wir im festen Vertrauen an dem halten, außer welchem für das menschliche Geschlecht kein Heil zu finden ist. Und so, m. g. Fr., lasset uns aufs neue den Erlöser bewillkommnen als den, durch welchen wir in die Gemeinschaft der väterlichen Liebe Gottes aufgenommen werden; | lasset uns das erkennen als die höchste Wohlthat, die Gott über uns ergießen konnte, daß er uns ihn gesendet, um uns in eine solche Verbindung der Liebe mit sich zu bringen; aber lasset uns nicht übermüthig auf uns selbst vertrauen, als ob wir nun ohne ihn auf dem Wege des Lebens fortgehen könnten, sondern laßt uns dem Wort der Jünger treu bleiben, welches von jeher der Wahlspruch Aller gewesen ist, die ihn liebten und an ihn glaubten. Wo sollen wir hingehen, wenn wir von dir gingen? Herr, du hast Worte des Lebens! Amen. Lied 131, 6.

2 Vgl. Joh 15,5 17–18 1Joh 4,16 31–32 Vgl. Joh 6,68 33 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 131: „Ewig sey dir Lob gesungen“ (Melodie von „Lasset uns den Herren preisen“); Strophe 6 lautet: „Du, o Gottes höchste Gabe, du, des Vaters ein’ger Sohn, du, der Seelen reichste Habe, und des Glaubens größter Lohn! Laß mich neu geboren werden, bilde mich nach deinem Sinn, nimm mich ganz zu eigen hin, daß ich dein schon sey auf Erden; dann lobsingt mein Leben dir, treuer Heiland, für und für.“

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Am 18. Dezember 1831 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

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4. Sonntag im Advent Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 2,18–22 Gedruckte Nachschrift; SW II/5, S. 109–118, Nr. IX; Zabel Keine Keine Teil der Homilienreihe zum Markusevangelium 14. August 1831 bis 2. Februar 1834

Lied 126. Tex t . Marcus II, 18–22. „Und die Jünger Johannis und der Pharisäer fasteten viel; und es kamen etliche, die sprachen zu ihm: Warum fasten die Jünger Johannis und der Pharisäer, und deine Jünger fasten nicht? Und Jesus sprach zu ihnen: Wie können die Hochzeitleute fasten, dieweil der Bräutigam bei ihnen ist? Alsolang der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten. Es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten. Niemand flickt einen Lappen von neuem Tuch an ein altes Kleid; denn der neue Lappe reißt doch vom alten, und der Riß wird ärger. Und niemand fasset Most in alte Schläuche; anders zerreißt der Most die Schläuche, und der Wein wird verschüttet, und die Schläuche kommen um. Sondern man soll Most in neue Schläuche fassen.“

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M. a. Fr. Auch dieser Text schickt sich ganz ungemein gut zu einer Betrachtung in der Adventszeit, weil der Erlöser so deutlich darin zu erkennen gibt, wie er die ganze neue Zeit des menschlichen Geschlechts, welche er zu bringen gekommen war, wolle angesehn und behandelt wissen. Oefter auch in | andern Reden bedient er sich derselben Vergleichung, wie in dem ersten Theil unsers verlesenen Textes; aber hier ist es von einer ganz vorzüglichen Klarheit, weshalb er diese Vergleichung anstellt: im Gegensatz 1 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 126: „Erhebt den Herrn, ihr Frommen“ (Melodie von „Von Gott will ich nicht lassen“) 18–20 Vgl. etwa Mt 22,1–14; 25,1–13; Lk 12,35–37; 14,16–24

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nämlich gegen alle die äußeren Bezeugungen, nach welchen er hier von den Jüngern des Johannes und der Pharisäer gefragt wird. Das Fasten so wie es eine bestimmte Einrichtung war für gewisse Tage, so war es ein Zeichen, daß man sich dessen entsagen wolle, wenn auch nur vorübergehend, was dem Menschen wohl thut, und es wurde also angesehen als ein Zeichen der Trauer und Betrübniß; denn das sind die Zustände, in welchen der Mensch den Geschmack und die Freude an dem verliert, was ihn sonst ergötzt. Nun waren die Pharisäer besonders reich an Zusätzen zu dem an und für sich schon beschwerlichen Gesetz Mosis, welche alle insgesammt ein ähnliches Gepräge trugen, und Johannes der Täufer führte seine Jünger in diesem Stück auf denselben Weg. Indem er sie hinwies auf den, der da kommen sollte, wollte er in seinem ganzen Sein und Wesen auch noch das Gepräge des Bisherigen ausdrücken, bis jener kommen werde und sich und sein Reich deutlich vor der Welt hinstellen. So vergleicht der Erlöser sich selbst mit dem Johannes und bezeichnet ihn auf diese Weise und sich selbst auf die entgegengesetzte Weise, wenn er sagt: Johannes aß nicht und trank nicht und lebte in der Wüste: so sagen sie, er hat einen ängstlichen und beschwerlichen Geist, daß er die Menschen abführt von der gewöhnlichen Weise des Lebens; nun kommt des Menschen Sohn, der ißt und trinkt: so sagen sie, siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Geselle? wie wir seiner Vertheidigung darüber erst neulich erwähnt haben. Nun sagt er, er sei gleichsam der Bräutigam und alle seine Jünger seien die Gäste eines großen Festes, wie es bei solchen Gele|genheiten gegeben werde und da sei an alle solche Zeichen der Traurigkeit nicht zu denken; so lange der Bräutigam bei ihnen ist, können die Hochzeitleute nicht fasten. Nun freilich weist er hin auf eine andere Zeit und sagt: „es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie von selbst fasten,“ und daraus könnte man freilich wol den Schluß machen wollen, daß jenes nur gegolten habe für die Zeit seines Lebens auf Erden; jetzt aber sei die Zeit, von der er rede, daß der Bräutigam von ihnen genommen sei, und da gezieme es sich zurückzukehren zu den Geboten des Fastens und jenen Zeichen der Traurigkeit. Aber das ist nicht des Erlösers Meinung gewesen. Um uns darüber sicher und fest zu machen, war es eins seiner letzten Worte, daß er bei uns sein wolle die ganze Zeit bis an der Welt Ende. Er will also die Zeit, wo er hinweggenommen ist, nicht angesehen wissen als eine Zeit der Entfernung, über die wir Ursache hätten uns zu betrüben und zu trauern, 9 Mosis] Moses 11–12 Vgl. Mt 3,11; 11,3; Lk 3,16; 7,19 16–19 Vgl. Mt 11,18 21–22 Vgl. die Predigt am 4. Dezember 1831 über Mk 2,13–17 28,20

19–21 Mt 11,19 34–35 Vgl. Mt

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sondern er will die ganze Zeit geistig gegenwärtig sein. Das ist unsere Zeit; der Bräutigam ist nicht hinweggenommen, sondern er ist unter uns, und weil er unter uns ist und uns mit seiner geistigen Gegenwart erfreut, können und sollen wir nicht fasten. Welche Zeiten aber kann er gemeint haben, wenn er sagt: „es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird?“ Offenbar, m. G., denkt er dabei an die kleine Schaar seiner damaligen Jünger, von der er sagt, als die Zeit seines Leidens und Todes herankam, wenn der Hirt wird geschlagen sein, wird die Heerde sich zerstreuen; aber er deutet zugleich darauf hin, daß sie sich doch wieder würde sammeln und bei ihm bleiben. Es war also jene Zwischenzeit der Ungewißheit über den weiteren Ver|lauf der göttlichen Veranstaltung zum Heil der Menschen; die Zeit, von der er sagt, daß er über ein Kleines wiederkommen werde, daß ihre Traurigkeit solle in Freude verkehrt werden, von der er verheißt, daß der Geist kommen werde, der ihnen Alles klar machen werde, – diese Verheißung hatten sie oft vernommen, aber sie war ihnen nicht deutlich geworden, und darum trat bei dem Tode des Herrn eine solche Zeit ein, und darum wird gesagt, daß sie in der Zwischenzeit bis zur Ausgießung des Geistes beisammen gewesen wären und sich des Umgangs mit anderen Menschen enthalten hätten; aber sobald sie durch die Kraft aus der Höhe, mit welcher sie ausgerüstet wurden, das feste Vertrauen gewonnen, daß der Tod des Erlösers keine Unterbrechung in jenem göttlichen Werke sei, daß sie den Muth und die Kraft haben würden, sein Wort zu verkündigen und die Menschen unter seinem Namen zu sammeln: da war jene Zeit vorüber, und nun ging die Zeit der beständigen geistigen Gegenwart des Erlösers an, welche nie aufhört. Allerdings, m. G., mögen wir sagen, es gibt auch für uns solche Zeiten, die denen ähnlich sind, von welchen der Erlöser sagt, wenn der Bräutigam von ihnen genommen wird, dann werden sie fasten. Das gehört mit zu der eigenthümlichen Art und Weise unseres irdischen Lebens, daß es darin keine ununterbrochene Gleichheit des Wohlbefindens gibt, weder des leiblichen noch des geistigen, weder des himmlischen noch des irdischen; sondern Ungleichheit finden wir überall; einen Wechsel zwischen Aufsteigendem und Hinabsteigendem in unserm Wohlergehen, diesen erfahren wir alle, und so haben wir denn von Anfang an häufig gehört in der christlichen Kirche solche Stimmen der Trauer, wie wir sie nur gewohnt sein sollten aus den Zeiten des Alten Bundes, in welchen diese ununterbrochene, feste Freudigkeit der Seele fehlt, solche Klagen, daß | der Herr sich verbirgt vor den Menschen, daß sie ihn suchten, aber nicht finden könnten, daß sie seine Gegenwart aus ihrem Inneren verloren hätten, daß sie des Trostes 8–9 Vgl. Mt 26,31 mit Bezug auf Sach 13,7 12–13 Vgl. Joh 16,16–19 13 Vgl. Joh 16,20 14–15 Vgl. Joh 16,13; auch 14,26 17–19 Vermutlich bezieht Schleiermacher sich auf Apg 1,4.13. 19–20 Vgl. Lk 24,49

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ermangelten, den sie immer haben könnten und sollten. Und wenn dann die Zeiten kommen der Erschlaffung des Lebens, wo wir den Zusammenhang mit dem höheren Leben verloren haben: so sind das Zeiten der Trauer, und dann tritt solche Trauer ein wie die, von welcher der Erlöser hier redet. Aber das dürfen und können nur vorübergehende Augenblicke sein, und die, welche die rechte Erfahrung gemacht haben von dem freudigen geistigen Leben in der lebendigen Gemeinschaft mit dem Erlöser, die wissen, wie das eine Trauer ist, die niemanden gereut, weil sie das Bewußtsein enthält von einem Zustande der Hülfsbedürftigkeit, in welchem wir uns befinden, und aus welchem wir nicht herauskommen können, wenn wir nicht das Bewußtsein desselben lebhaft empfinden; aber wir wissen auch, daß mit solchen äußeren Handlungen wie Fasten, Kasteiungen, Entbehrungen nichts gethan sei, sondern daß das geistige Uebel geistig will angefaßt sein. Und wozu hätten wir diese schöne Gemeinschaft, wozu hätte der Erlöser die Seinigen als Glieder Eines Leibes verbunden, als nur dazu, daß diese Ungleichheit sich ausgleichen soll, daß jeder dem Anderen zu Hülfe komme, wie jeder es vermag, und daß nachher der Strom der Freude niemals still stehe, sondern sich von dem Einen auf den Andern ergieße, und wenn er still steht bei dem Einen, daß er wieder aus der unmittelbaren Quelle schöpfe, und wenn er darin das lebendige Wasser wieder sprudeln sieht, wie es sonst von dem Erlöser sprudelte, daß er dann sich seiner Gabe freue und sie gebrauche. Darum sollen wir alle solche äußerliche Dinge hintansetzen und wissen, daß sie sich nicht geziemen für die, welche in die Freude des geistigen Lebens aufgenommen sind, | und wahrlich anders, als der Erlöser es hier beschreibt, können und sollen wir uns desselben nicht bewußt werden. Es ist ja der Trost der Gnade Gottes in seinem Sohn, welche über das menschliche Geschlecht verbreitet ist und nie ein Ende nehmen soll; es ist ja die Freiheit von den Bedrängnissen des irdischen Lebens, die Freiheit von allem Unmuth, welchen wir fühlen, nun wir so von dem Erlöser aufgenommen sind. Wer den Frieden empfunden hat, von welchem Er sagt, daß er gekommen sei, ihn zu geben, wer das Bewußtsein hat, aus dem Tode hindurchgedrungen zu sein zum Leben, wer die Erfahrung gemacht hat, daß der Sohn mit dem Vater kommt, um Wohnung zu machen in der menschlichen Seele; wer die Zuversicht gewonnen, die der Apostel Paulus in den Worten ausspricht, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge müssen zum Besten dienen: wie sollte der jemals das Gefühl der Freudigkeit eines über alle Sorgen hinausgerückten Daseins verlieren, wie sollte der auf längere Zeit das Bewußtsein der Trauer haben, da er weiß, daß ihm der Weg gebahnt ist zur Quelle, aus der er das Wasser des Lebens schöpfen kann, da ihm die Fülle gegeben ist eines frohen, in der Gemeinschaft mit Gott 31 Vgl. Joh 14,27 31–32 Vgl. Joh 5,24 33–34 Vgl. Joh 14,23 Röm 8,28 39 Vgl. als Hintergrund Joh 7,37f; 4,14

35–36 Vgl.

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angehenden Lebens. Darum, m. G., müssen wir es immer bedauern und es beklagen, wenn sich in der christlichen Kirche dieses Bewußtsein des freudigen, sicheren Lebens in der Gemeinschaft mit dem Erlöser verringert, wenn nun deswegen wieder von Zeit zu Zeit welche aufstehen, die da glauben, daß es zu viel für den Menschen sei, in dem freudigen Bewußtsein auf dieser vergänglichen Welt zu leben, und glauben, es sei nothwendig, sich zu peinigen und zu quälen, sich durch solche ausdrückliche Versagungen dessen, was mit zu den Gaben des Lebens gehört, auszuzeichnen und das Bewußtsein der menschlichen Gebrechlichkeit dadurch zu erkennen | zu geben. Wie wenig das der Wille des Erlösers gewesen ist, sehen wir aus seinen Worten, wie er das als die Unterscheidung angesehen hat zwischen dem Alten und Neuen Bunde und deswegen gesagt, daß die Hochzeitleute nicht fasten können, so lange der Bräutigam bei ihnen ist, eben weil das das Zeichen sein soll dieses unerschütterlichen Vertrauens des Gemüthes auf den, der uns gesegnet hat in seinem Sohne. Darum fügt der Erlöser auch die beiden allgemeinen Betrachtungen hinzu, die wir noch mit einander vernommen haben. Er sagt zuerst: „niemand setzt ein Stück von neuem Zeuge auf ein altes Kleid, denn es hält doch nicht zusammen, das neue reißt herunter, und der Riß des alten wird ärger.“ Was will er uns dadurch zu erkennen geben? Er will damit sagen, daß er keinesweges gesonnen sei, die geistige Kraft, mit welcher Gott ihn ausgerüstet, um sie den Menschen mitzutheilen, zu zerstückeln und zu zerschneiden, um das Alte, Abgenutzte wieder in Stand zu setzen. Das sagt er nun gegen alle diejenigen, welche, wie das nur der Sinn der Frage sein konnte, warum seine Jünger sich nicht den Pharisäern gleich stellten, in der Voraussetzung fragten, daß seine Absicht nur sei, eine Verbesserung des Jüdischen Volkes hervorzubringen, daß er nur das, was da gewesen war, von Unvollkommenheiten reinigen und es in seiner ursprünglichen Gestalt darstellen wolle. Davon entsagt er sich durch diese kurze Gleichnißrede vollkommen, daß er dazu nicht gekommen sei, diese alte Frömmigkeit wieder in Stand zu setzen, sondern das möge seinem Geschick überlassen bleiben und werde ihm überlassen bleiben müssen, er wolle das Ganze zusammenhalten aus dem Bewußtsein der unmittelbarsten Gemeinschaft mit Gott, aus der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit, um mit diesem neuen Gewande das Geschlecht der Menschen zu bekleiden, welches in ganz anderem Glanze strahlen solle als alles Andere vorher. Und so, m. G., sollen wir | es festhalten, und das soll mit zu unserer festlichen Freude gehören, daß es in der That ein ganz neues Leben ist, zu welchem der Erlöser uns geweckt hat, daß die frühere Zeit der Traurigkeit und Unvollkommenheit im Bewußtsein der Gebrechlichkeit und Sünde vorüber ist, daß Gott die Menschen mit sich versöhnt hat und wieder so Eins mit uns sei, 34 Vgl. Joh 4,23f

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wie er es war mit dem Erlöser, daß uns der göttliche Friede niemals verlassen wolle, daß wir nimmer aufhören sollen, die Werke Gottes nicht nur zu schauen, sondern auch die in gemeinschaftlicher Freude zu vollbringen, die er uns zeigt, daß auch sein Wort in Erfüllung gehe, daß er uns immer größere zeige, und daß alles Alte vergangen und Alles ein Neues geworden sei. Ebenso fügt er zweitens hinzu, es sei eine gefährliche Sache, Most zu fassen in alte Schläuche, denn es sei zu fürchten, daß das junge feurige Getränk die alten Schläuche zerreiße, und es ganz verschüttet werde, sondern der Most solle in neue Schläuche gefaßt werden. Was er hier sagt, hat denselben Sinn, nur daß er dasselbe von einer anderen Seite darstellt. Ueberall ist das Wort, das der Erlöser gebracht hat, das durch ihn Fleisch geworden ist, Geist und Leben, und darum vergleicht er es mit dem Most; denn es gibt davon keine Mittheilung, keine Gemeinschaft als durch etwas Aeußeres, und das sind alle die äußeren Bedingungen, ohne welche eine Gemeinschaft Mehrerer und am Wenigsten eine so große Gemeinschaft nicht bestehen kann. Diese Ordnung des Gottesdienstes, diese Gebräuche der Mittheilung und Gemeinschaft, dieser Buchstabe, in welchem der Geist sich ausspricht, jener Buchstabe der Lehre, welcher aber nur den Geist und das innere Leben zu offenbaren bestimmt ist, das sind die Schläuche, und nun sagt er, der Most läßt sich nicht fassen in alte Schläuche. Alle Ordnungen des Alten Bundes, auch die Art, wie das Verhältniß Gottes zu den Menschen dargestellt war, die so sehr das Gepräge der Entfernung des Menschen von | Gott und der Furcht an sich trugen, diese seien nicht geeignet, den frischen Most des Lebens zu fassen, und wenn es geschehen solle, sei Gefahr, daß der Widerspruch desselben das Neue verdränge, daß die Früchte des neuen Lebens dann wieder verloren gehen. Und darum, sagt er, müsse der Most in neue Schläuche gefaßt werden, und darum hat er neue Gebräuche gestiftet. Der alte Gottesdienst durch Opfer, Fasten, durch eine Menge von Handlungen, die etwas bedeuten sollten allerdings, aber deren Bedeutung verloren gegangen war, die sollten abgetrennt werden von dem Neuen Bunde, und wie er die Menschen versammelte zur Anbetung im Geist und in der Wahrheit: so sollten nicht äußere Gebote, nicht bestimmte Formen der Rede, sondern nur der Geist sollte die Menschen verbinden, so daß, wie der Apostel sagt, die Einigkeit des Geistes in der Liebe das Band sei, welches die Gläubigen vereint. Das, m. th. Fr., ist die Verkündigung des Erlösers von sich selbst in unserm heutigen Text, und indem wir in ein neues Jahr eingetreten sind, 5 Vgl. 2Kor 5,17 11–12 Vgl. Joh 1,14 in Verbindung mit 6,63 33–35 Vgl. vermutlich Eph 4,3 in Verbindung mit Kol 3,14 37–1 Aufgrund der notwendigen Datierung der Predigt auf den vierten Adventssonntag können nur der Eintritt in ein neues Kirchenjahr und das Weihnachtsfest insgesamt als Fest der Erscheinung des Erlösers gemeint sein.

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indem uns das Fest seiner Erscheinung bevorsteht, so lasset uns aufs Neue unser Gemüth bereiten, daß das neue Jahr ein Jahr der festlichen Freude sei, daß es solcher Uebungen, die in der That doch nur Störungen des Lebens sind, nicht mehr bedürfe, sondern wir in der frohen Gemeinschaft mit ihm die Freude bewahren, die er als das Eigenthum der Seinigen hier ausspricht, und daß uns, denen der Bräutigam beständig gegenwärtig ist, am Wenigsten solche Zeichen geziemen, die auf etwas Trauriges hindeuten und den Menschen eine Entbehrung der Gaben Gottes vorschreiben; sondern jeder bediene sich alles dessen, was eine Gabe Gottes in diesem Leben ist, keiner halte sich gebunden durch ein äußeres Gesetz, daß hier und dort eine Regel, hier und dort ein Verbot sei; sondern was Gott gegeben, das genieße jeder, wie es der vernünftige Mensch auch mit Speise und Nahrung macht, daß es ihm gedeihe zur Förderung des | Lebens; aber Alles, was wir thun, geschehe zur Ehre Gottes, daß wir nichts thun als nur im Namen des Erlösers, und daß Alles ein wahrer, lebendiger Ausdruck der seligen Gemeinschaft mit ihm und seinem Sohne, des Bewußtseins der Freiheit der Kinder Gottes sei – dazu wolle er auch dieses neue Jahr des Lebens gesegnet sein lassen. Amen. Lied 124, 5.

19 Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 124: „Dir, Jesu, tönt vom Staube“ (Melodie von „Helft mir Gottes Güte preisen“); Strophe 5 lautet: „Dein ist das Reich der Wahrheit, wo sich die Deinen freun in immer höh’rer Klarheit, von Sünd’ und Mängeln rein. O seliger Gewinn! dich, Heiland, innig lieben, treu deinen Willen üben, das führt zum Himmel hin.“

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Am 25. Dezember 1831 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

1. Weihnachtstag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 2,10–11 (Anlehnung an die Festtagsperikope) Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 2) 1832, S. 38–54, Nr. III SW II/3, 1835, S. 132–142; 21843, S. 137–147. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 3, 1874, S. 227–235. – Predigten, ed. Urner, 1969, S. 37–48. Keine Keine

Am ersten Weihnachtstage 1831.

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Lied 148. 118. Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. 5

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Text. Luc. II, 10.11. „Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids.“ So, m. a. Fr., wurde die Ankunft des Erlösers auf dieser Welt verkündigt als eine Freude, die dem ganzen Volk widerfahren werde. Sogleich also wurden die Gedanken derer, welchen diese Verkündigung geschah, ganz auf die Zukunft gelenkt. Freilich war es nicht eine auf nichts weiter beruhende, sich selbst begründen wollende Verkündigung | eines künftigen; sondern auf etwas, das schon geschehen war, nahm sie Bezug. Denn, heißt es, heut ist euch geboren der Heiland, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids; aber doch nicht als etwas Gegenwärtiges wurde ihnen das Heil dargestellt, welches von 2 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 148: „Nacht umhüllte rings die Erde“ (Melodie von „Wachet auf, ruft uns die Stimme“); Nr. 118: „Dem Erdkreis strahlt ein Licht vom Herrn“ (Melodie von „Sey Lob und Ehr dem höchsten Gut“) 3–4 Vgl. Lk 2,14

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dem Neugebornen ausgehen sollte, sondern als eine Freude, welche erst in der Zukunft den Menschen widerfahren werde. Und freilich sollte es ein Retter sein, der ihnen geboren war, sollte ihnen ein Heil durch ihn werden: so konnten sie es nicht als ein Gegenwärtiges schon haben und sich desselben erfreuen, wenn eben erst seine Geburt angekündigt wurde. Und grade so ist es nun auch mit uns, m. a. Fr. Wenn wir uns in diesen heiligen Tagen jene Augenblikke der Geburt des Herrn an das Licht dieser Welt, jenen demüthigen Schauplaz seiner ersten Erscheinung vergegenwärtigen: so bestreben wir uns vergeblich in demselben schon das Heil der Welt, das Licht welches die Finsterniß dereinst durchdringen sollte, zu erblikken, in dem Kinde die göttliche Gestalt dessen wahrzunehmen, der es nicht für einen Raub hielt Gott gleich sein, in dem unvermögenden hilfsbedürftigen Säugling denjenigen, dessen Kraft das menschliche Geschlecht wieder erheben sollte aus der Tiefe, in welche es durch seine vielen Verschuldungen herabgesunken war. Darum weil die Geburt des Herrn so wenig Gegenwärtiges darbietet, ist auch erst später in der christlichen Kirche diese Feier derselben eingesezt worden, und giebt es noch viele Gemeinschaften von Christen, welche dieselbe nicht begehen, weil ja ihr Glaube, ihre Zuversicht auf dem sich und uns Vollendenden ruhe, aber nicht auf dem der erst an das Licht dieser Welt geboren wird. Der Glaube, m. | th. Fr., welchen ich immer vorausseze bei denen, zu welchen ich an dieser Stätte unserer gemeinsamen Erbauung rede, schließt freilich das in sich, daß nicht erst in irgend einem späteren Zeitpunkt mit dem Menschen Jesus die göttliche Kraft sich vereinigt habe, durch welche allein er der Retter der Welt werden konnte, damit wir ihn nicht theilen dürfen auf eine bedenkliche Weise, weil, wenn er je allein ein Menschenkind gewesen wäre wie wir ohne das göttliche Wort in sich zu tragen, er auch unvermeidlich ebenso hatte der Sünde theilhaftig werden müssen wie wir. Das nimmt unser Glaube an von ihm, wenn wir uns in seine erste Erscheinung auf Erden zurükkversezen; aber wir vermögen es nicht in dem Kinde Jesus zu schauen, und vergeblich würden wir uns nach irgend etwas in seiner ersten Erscheinung umsehen, was diesen großen und unermeßlichen Unterschied von allen anderen Menschen verkündigt hätte. Aber wenn demohnerachtet schon damals, als er auf der Erde erschienen war, auf eine so außerordentliche Weise, wie unsere Erzählung es besagt, die Andacht an die Wiege des Erlösers geführt wurde: warum soll die unsrige sich nicht auch in jene Zeit und unter jene Umstände 10–11 Worauf sich Schleiermacher mit dieser Formulierung, die ähnlich noch an zwei weiteren Stellen dieser Predigt vorkommt, bezieht, ist unklar; entfernt klingen vielleicht an Joh 1,5; 8,12; 12,46; 2Kor 4,6; 1Joh 2,8; 2Petr 1,19. 11–13 Vgl. Phil 2,6; die Formulierung ,Gott gleich sein‘ entspricht den zeitgenössischen Lutherübersetzungen.

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seiner ersten Erscheinung zurükkversezen? Darum ist denn auch diese Feier seiner Geburt allmählig in der Kirche des Herrn fast allgemein geworden; freilich erst zu einer Zeit, als alle sichere Ueberlieferung davon, zu welcher Zeit des Jahres der Erlöser das Licht der Welt erblikkt, schon verloren gegangen war, und uns nur so viel übrig ist, daß wir wissen können, man sei bei der Bestimmung der Zeit unseres Festes einem anderen Gesez gefolgt als der Wahrscheinlichkeit, welche aus den uns angegebenen äußeren Umständen hervorgeht. Um | so mehr sei dies auch uns ein Zeichen davon, daß wir, wenn wir dieses Fest begehen, nicht bei dem, was damals schon erschienen war, stehen bleiben müssen, sondern auf das hinsehen, was damals noch zukünftig war. Aber eben dieses damals noch zukünftige, welch eine lange Vergangenheit ist es nun schon für uns; und welch eine Gegenwart steht vor uns! wie viele Herzen der Menschen hat sich der Erlöser der Welt schon gewonnen, in wie vielen Zungen wird seine Herrlichkeit anerkannt, für wie Viele ist er schon das Gesez und der Ordner ihres ganzen Lebens geworden! Aber ist etwa die Gegenwart schon das, wobei wir stehen bleiben dürfen? Ist das göttliche Wesen des Erlösers schon, wie er ja dazu gekommen ist, daß er sich uns mittheile und sich uns dazu vornehmlich hingeben will, in das ganze Geschlecht der Menschen ja nur in irgend eine einzelne menschliche Seele ganz und vollkommen übergegangen? Hat das Licht schon ganz und gar die Finsterniß durchdrungen und sie also vertrieben? oder müssen wir nicht gestehen, daß auch izt noch, wenn wir ihn in seiner Herrlichkeit erblikken wollen, wir nicht bei der Gegenwart stehen bleiben dürfen, sondern unsern Blikk in die Zukunft richten müssen? Und so lasset uns denn nach Anleitung der Worte unseres Textes eben die erste Erscheinung des Erlösers betrachten als die Verkündigung einer Freude, welche den Menschen bevorsteht. Es ist zweierlei, was wir uns in dieser Beziehung ans Herz legen wollen: einmal daß diese Freude an der Erscheinung des Erlösers das wahre Urbild sei für eine jede Freude, die wir an der Zukunft haben; dann aber auch zweitens, daß der Glaube, welcher diese zukünftige Freude | ergreift, die einzige Sicherheit sei und gewähre in Beziehung auf alle Besorgnisse, die wir von der Zukunft hegen können. I. Zuerst also, m. a. Fr., diese Freude an der Zukunft, welche mit der Erscheinung des Erlösers beginnen sollte, welche aber bei seiner 1–8 Spätestens seit dem 3. Jahrhundert feierte man in den östlichen Kirchen den 6. Januar als Tag der Erscheinung des Herrn; im Westen bürgerte sich seit dem 4. Jahrhundert der 25. Dezember als Tag der Geburt Christi ein, vermutlich in Anlehnung an einen Feiertag für den römischen Sonnengott.

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Geburt noch gar nicht sichtbar war, ist das Urbild aller Freude, welche wir an der Zukunft haben können. So gewohnt wir es auch Alle sind, oft und vielfältig von der Gegenwart hinweg über das Nächste hinaus unseren Blikk in die Zukunft zu richten: so werden wir doch, je reicher wir an solcher Erfahrung sind, auch um desto gewisser, daß jede solche Freude ihrer Natur nach etwas sehr unbestimmtes ist. So war es denn auch die Freude, welche durch den Zuruf des Engels bei denjenigen erregt werden konnte, welche seine Worte vernahmen. Eine Freude, sagt er, ist es, welche dem ganzen Volk widerfahren wird. Mußten nun nicht also auch ihre Vorstellungen von dem, was sich aus der Geburt dieses Kindes entwikkeln sollte, sich auf ihr Volk beschränken, alles außerhalb desselben aber unerleuchtet von dem Glanz dieser Freude in eine dunkle Ferne zurükktreten? Wenn sie erinnert wurden, daß er ihnen geboren sei in der Stadt David, daß er ein Herr sei in der Stadt David: mußten nicht ihre Blikke rükkwärts gelenkt werden in die Vergangenheit, um jene glänzende Gestalt aus der Zeit ihrer Vorfahren näher ins Auge zu fassen? mußten sie sich nicht eine Aehnlichkeit denken zwischen jenem alten Könige ihres Volkes und dem, welcher ihnen jezt als ihr künftiger Herr ge|boren war? Je mehr sie sich also an diese Worte gehalten hätten: wie leicht hätten sie in vielen Stükken irren müssen, wie wenig hätten sie die Wahrheit ergriffen, wie leicht hätten alle Bilder, welche sie sich von diesen Worten aus gestalten konnten, etwas Anderes dargestellt als das, was hernach wirklich geworden ist! Eine Freude wurde ihnen verkündigt, welche dem ganzen Volk widerfahren wird. Ach! sie ist noch bis auf diese Stunde nicht dem ganzen Volk widerfahren, von welchem dort der Engel des Herrn redet; ein großer Theil desselben ist noch immer abgewendet von dem Heil, welches auch ihnen in diesem Kinde erschienen war: aber dafür wie viele andere Völker haben dieses Licht erkannt, sich an demselben erwärmt und sind durch dasselbe zu dem höheren Leben erwekkt worden, wovon jene aus den Worten des Engels auch nicht die entfernteste Ahndung schöpfen konnten! Wenn also auch, wie die Schrift es uns versichert, eine Zeit kommen wird, wo das ganze Israel zu der Seligkeit gelangen wird – aber eine andere Seligkeit giebt es nicht als die, welche den Menschen in dem Einen Namen dargeboten ist – so ist diese auch izt noch eine Zukunft. So wenig also konnten die Hirten, wenn sie sich an die Worte der Verkündigung hielten, in Beziehung auf diesen Punkt der göttlichen Rathschlüsse die Ordnung der Zeit recht und sicher ins Auge fassen. So finden wir, daß das der Charakter ist aller Weissagungen, von denen die Bücher des alten Bundes voll sind; dasselbe ist 33–34 Vgl. Röm 11,26

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auch der Fall mit den wenigen, die wir in den Büchern des neuen Bundes finden, und immer vergeblich hat sich der Scharfsinn derer, welche dieselben auszulegen versuchten, bemüht, ein bestimmtes Bild dessen, was in die|sen Weissagungen gemeint war, für sich und Andere zu entwikkeln. Und so, m. G., ist es auch der Fall mit uns! wir ebenfalls müssen uns, wenn wir bei der Erscheinung des Erlösers an die Freude denken, welche uns noch widerfahren wird, auch dessen bescheiden, daß unsere Bilder von der Zukunft, wie glorreich sie für ihn sein, wie deutlich und hell sich an ihr seine göttliche Kraft offenbaren werde, doch auch nichts Anderes sind als aus solchen unbestimmten Vorstellungen zusammengesezt. Eher vermögen wir noch das Lezte uns mit einer gewissen Klarheit darzustellen. Fragen wir uns: was ist die Vollendung seines Heils? Wann Eine Heerde sein wird, wie es nur Einen Hirten giebt; wann die Gemeine des Herrn in der ganzen Mannigfaltigkeit ihrer Zusammensezung und in der vollen Größe ihres Umfanges sich darstellen wird, wie sie uns beschrieben ist, als ein lebendiges Ganze, als sein geistiger Leib auf Erden, Alles regiert von dem Geiste, welchen er ausgegossen hat, aller Widerstand des Fleisches überwunden, Alle herangereift zu der Aehnlichkeit mit dem vollkommenen Alter Christi. Davon, sage ich, können wir uns noch eher ein bestimmtes Bild machen, wenigstens im allgemeinen. Denn freilich sollten wir alles das als glükklich beseitiget und überwunden noch mit hinzudenken, was uns noch von dieser Vollkommenheit entfernt hält, was uns noch beengt und drükkt, kurz sollten wir uns zugleich unseren Unterschied von jener Vollendung bestimmt vergegenwärtigen: dann müßten wir allerdings auch die ganze Gegenwart durchdringen, um das Bild der Zukunft auf diese Weise zu vollenden. Und daraus folgt schon, daß wenn wir die Zwischenpunkte | ins Auge fassen, wenn wir in die weitere Entwikkelung der göttlichen Rathschlüsse bis zu diesem Ziel eindringen, wenn wir wissen wollen, was für Kämpfe noch werden zu bestehen sein, wie Vieles von dem, was uns izt wenn auch nicht in seiner Vollendung zu stehen, doch wenigstens seiner ganzen Richtung nach jenem Bilde zu entsprechen scheint, noch wieder wird zurükkgedrängt werden durch die oft wiederkehrende Gewalt des Fleisches und der Sünde, aus welchen Punkten zuerst noch sich ein Licht entwikkeln wird für die, welche noch sizen in dem Schatten des Todes, auf welche Weise die vielen widerstreitenden Stimmen, welche wir izt so oft hören unter denen, welche doch Einen Herrn bekennen, zum Frieden und zur Eintracht und zu einem seiner würdigen Wohlklang bei aller Ver14–15 Vgl. Joh 10,16 17–18 Vgl. etwa Röm 12,4f; 1Kor 12,12–27; Eph 1,22f; 3,6; 4,4; 5,30; u. ö. 37 Vgl. Mt 4,16; Lk 1,79 (mit Bezug auf Jes 9,1)

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schiedenheit werden gesammelt werden: – das vermögen wir uns eben so wenig zu denken, wie jene Hirten sich vorstellen konnten, auf welche Weise das neugeborene Kind das erfüllen werde, was von ihm verheißen ward. Aber, könnte man fragen, ist die Unbestimmtheit so groß, welche unserer Freude an der Zukunft nothwendig anhaftet: verliert diese Freude dann nicht für uns ganz ihren Werth? Allerdings, m. th. Fr., gehört etwas dazu, damit sie einen Werth für uns habe; und wir dürfen es uns nicht bergen, Alles, was wir vermögen in der Zukunft zu sehen, Alles, was uns über dieselbe mitgetheilt und verkündigt werden kann, gewinnt nur eine Wahrheit für uns, gehört nur zu den Gütern unseres Lebens, wenn es übereinstimmt mit unserem inneren Verlangen, wenn es die Richtung unseres eigenen Gemüthes befriedigt, und uns so zur Ruhe bringt. Die Hirten, welche die Verkündigung | des Engels hörten – wir wissen nicht, in wiefern sie selbst solche waren, welche auf das in den Weissagungen des alten Bundes verkündigte Heil warteten, und sich gern von der drükkenden Gegenwart ab jener schöneren und freien Zukunft zuwendeten. Die Erzählung, aus welcher die Worte unseres Textes genommen sind, giebt uns darüber keine Rechenschaft. Sie verschmähten zwar die Verkündigung nicht, sondern sie sagten, als die himmlischen Heerschaaren verschwunden waren, So wollen wir denn gehen nach Bethlehem und wollen die Geschichte schauen, welche sie uns verkündigten; und als sie es so fanden, so redeten sie das Wort weiter. Aber ob es nun für sie selbst eine ihr Leben leitende Wahrheit geblieben sei, ob es sie bewogen habe, dem damals so unscheinbaren Kinde weiter zu folgen in der Entwikkelung seines Lebens, ob sie je zu den Jüngern des Herrn gehört haben, davon wissen wir nichts. Wie leicht ist es möglich, daß ihnen diese Verkündigung nur geworden war ohne Beziehung auf ihren eigenen Zustand, nur damit sie Träger würden eines Gerüchtes, welches sich nun nicht mehr verlieren sollte, daß endlich jezt der Messias erschienen sei. Dagegen finden wir in anderen Erzählungen aus der ersten Lebenszeit unseres Erlösers ein bestimmteres und schöneres Bild. Jener Greis, welcher den Erlöser sah, da seine Mutter und Joseph ihn darstellten in dem Tempel, um zugleich das vorgeschriebene Opfer dem Höchsten darzubringen, der war gewiß Einer von denen, die auf das Heil Israels warteten, dem war auf die Frage auf den sehnsuchtsvollen Wunsch seines Herzens eine Verkündigung von oben geworden, daß er noch den Heiland der Welt schauen sollte, und dessen Seele wurde nun so erfüllt, daß | er für den Rest seines Lebens genug hatte, ohnerachtet er ihn auch nur noch in seiner kindlichen Unvoll22–23 Vgl. Lk 2,15

23–24 Vgl. Lk 2,17

34–2 Vgl. Lk 2,22–35

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kommenheit geschaut hatte, ohne ein Zeichen zu haben von der göttlichen Würde, welche er trug. Aber dem war diese Verkündigung eben deswegen, weil sie dem inneren Verlangen seines Herzens entsprach, ein Grund und eine Ursache des Friedens, und er wußte, nun werde der Herr und könne nicht anders als in diesem Frieden ihn seinen Diener fahren lassen. Und dasselbe galt von jener Prophetin, welche eben damals zufällig anwesend war, welche übereinstimmend mit ihren Hoffnungen und aus der Fülle des Bedürfnisses und eignen Glaubens nun eine ganz andere Trägerin dieser Verkündigung wurde als wahrscheinlich jene Hirten. So, m. th. Fr., ist es nun auch mit uns. Können wir Alle nicht anders als eingestehen, die Gegenwart sei in Vergleich mit dem was werden soll noch eben so unvollkommen, wie die menschliche Erscheinung des Erlösers damals war, als zuerst sein Auge sich dem irdischen Licht öffnete; werden wir Alle auf tausenderlei verschiedene Weise getrieben, in die Zukunft hinauszusehen: die rechte Freude an derselben, wie sie sich von diesem Heil in Christo aus und durch dasselbe entwikkeln wird, haben nur die, welche selbst ein herzliches Verlangen tragen nach dem Frieden, den sie aus eigener Kraft nicht zu erreichen wissen, nach der geistigen Vollkommenheit und Fülle, welche sie sich zwar als das Ziel ihres Strebens vorstellen müssen; aber doch wissen, daß sie es nie vollständig erlangen können. Darum sagte der Erlöser immer mit Recht, er sei nur gekommen ein Arzt der Kranken. Jedes Wort des Trostes, jede Einladung, welche er aussprach, beides war doch im|mer, wenn es auch wirklich faßte und Wahrheit wurde in der menschlichen Seele, nur eine Ahndung von der weiteren Entwikkelung, welche der Zukunft vorbehalten blieb, und konnte als solche nur zu einer lebendigen Wahrheit werden in empfänglichen aber das heißt auch in bedürftigen Gemüthern. Darum klagte der Erlöser so oft, daß die unter welchen er lebte, wie gewizigt sie auch wären in Beziehung auf irdische Dinge, wie sehr sie sich auch geübt hätten auf diesem Gebiet aus der Gegenwart die Zukunft zu erforschen, doch die wahren Zeichen der Zeit in Beziehung auf das himmlische Leben nicht verständen. Darum ist es eine so gewöhnliche Klage in der Welt, welche sich überall bei jedem großen Wendepunkt der menschlichen Dinge, in jedem Augenblikk, welcher mit großen Dingen schwanger geht, immer wieder aufs neue erhebt, daß alle Zeichen der Zukunft, welche die Gegenwart darbietet, alle Erkenntniß wie das Jezige aus dem Vergangenen entstanden ist, kurz alle Erfahrung die Menschen nicht klug mache in Beziehung auf das, was sich aus der 4–6 Vgl. Lk 2,29 6–10 Vgl. Lk 2,36–38 22–24 Vgl. Mt 9,12; Mk 2,17; Lk 5,31 29–34 Vgl. Mt 16,1–4; Mk 8,11f; Lk 12,54–56; auch Mt 12,38f; Joh 4,48

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Gegenwart entwikkeln werde, sondern sie dennoch nur zu oft so handeln, daß dasjenige erfolgen muß, was sie am wenigsten wünschen. Wenn unser Gemüth eine andere Richtung nimmt als die der göttlichen Weisheit; wenn wir etwas Anderes begehren, als was Gott in seinem ewigen Rathschlusse geordnet hat: so ist es auch nicht möglich, daß wir die Spuren der Zukunft in der Gegenwart verfolgen können, wir werden durch den Trieb unseres eigenen Herzens irre geleitet. Und nur die können also die rechte, wahre sowol als heilsame Freude an der Zukunft haben, welche nichts Anderes begehren, als daß der göttliche Rathschluß der Liebe in Erfüllung gehe, | welche nichts Anderes suchen als das einfache Heil, welches Christus allen Menschen gebracht hat, welche nach nichts Anderem streben als nach dem Frieden der Menschen mit Gott, welcher allein in der Vollendung seines göttlichen Werkes sicher gestellt ist. II. Zweitens, m. a. Fr., lasset uns nun überlegen, wie auf der anderen Seite aber auch diese Freude unseres heutigen Festes, welche sich in die Zukunft hinauswendet, eben deswegen weil sie auf dem beruht, was schon geschehen ist, auch uns allein Sicherheit gewährt und Zuversicht in Beziehung auf alle Besorgnisse, welche wir eben in Hinsicht der Zukunft haben können. Hierbei nun müssen wir freilich zuerst erwägen, daß dieser ganze Zusammenhang immer nur eine Sache des Glaubens ist, indem auch was damals schon geschehen war, nur mit dem Glauben ergriffen werden konnte, so daß nur auf dem Glauben auch der Trost, welchen wir für die Zukunft haben können, beruht. Was sagte der Engel den Hirten nach den Worten seiner Verkündigung, welche wir gelesen haben? Das ist das Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewikkelt und in einer Krippe liegend. Welch ein Zeichen! Wie hätten sie daraus auch nur eine Ahndung fassen können von einer Freude, welche dem ganzen Volke widerfahren werde! welch ein Zeichen dafür, daß heute geboren sei der Heiland, welcher ist Christus der Herr? Ja wenn nicht vorher schon die außerordentliche Erscheinung doch die Gemüther dieser Hirten zu einer gläubigen Zuversicht gestimmt hätte, daß Einer geboren sei, der nicht | ohne eine höhere Schikkung komme: so würde dieses Zeichen sie eher abgeneigt gemacht haben, dem Wort der Verkündigung zu glauben, als daß es sie darin bestärkt hätte. So war es von Anfang an und immer; nur der Glaube konnte in der Gestalt des 35 komme:] so auch SW II/3, S. 139; Textzeuge: komme; 28–29 Vgl. Lk 2,12

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Erlösers festhalten die Freude, welche nicht nur dem ganzen Volk, sondern dem ganzen Geschlecht der Menschen widerfahren ist. Was sprach der Unglaube auch damals noch als der Herr schon aufgestanden war und lehrte, als er schon umher ging und Wunder that, als schon das Volk in großer Menge ihm anhing und sich um ihn her drängte? Glaubt wohl irgend ein Oberster an ihn? hieß es, Kann aus Galiläa etwas Gutes kommen? Ist je von daher ein Prophet aufgestanden? Und so wurde dann der Wunsch des Herzens falsch geleitet, so wurden die Zeichen, welche der Höchste gab, mißverstanden, so vermochte eben der Unglaube nicht von dem aus, was er sah, die Zukunft zu ergreifen. Darum mußten hernach auch die Apostel des Herrn immer wieder darauf zurükkommen, die Lehre von Christo, die Verkündigung seines Heils sei den Einen eine Thorheit und den Andern ein Aergerniß, weil es ihnen eben fehlte an dem Glauben, mit welchem sie in der Gegenwart die Zukunft ergreifen könnten. Haben aber die Hirten den Glauben, der so in ihnen gewekkt worden war, festgehalten: o, dann werden sie auch bei dem, was bald nachher in Bethlehem geschah, doch gesagt haben, das Knäblein der großen Bestimmung wird dennoch gewiß glükklich entronnen und nicht mit getroffen worden sein von dem mörderischen Schlage. Und bei jeder Noth der Zeit werden sie gedacht haben, Ist doch der geboren in | der Stadt David, der unser königlicher Herr sein soll und uns gegen das alles schüzen wird. Und wenn sie sich gedrükkt fühlten von der Last des Gesezes werden sie sich damit getröstet haben, Ist doch der Heiland geboren, der auf eine oder die andere Weise auch diese Last von seinem Volk nehmen wird. In solchem Glauben sind Simeon und Hanna froh gewesen während der freilich wahrscheinlich nur noch kurzen Zeit ihrer Wallfahrt ohnerachtet sie nichts weiter sahen und hörten von dem Kinde der Verheißung; und diese Freudigkeit allewege festzuhalten gebühret noch weit mehr uns Allen. Wenn wir hingegen immer wieder besorgt gemacht werden, weil wir sehen, daß noch nicht alles Böse überwunden ist durch das Gute, daß vieles, wovon wir großes hofften, immer wieder in seiner Wirksamkeit gehemmt wird, daß die Kräfte der Menschen, welchen doch allen dieselbe Ausstattung geworden ist von oben her, und welche äußerlich zu derselben Gemeinschaft der Gläubigen gehören, sich so wenig vereinigen, um das gemeinsam zu fördern, wozu sie sich als zu ihrem höchsten Wunsche bekennen, wenn so unsere Freude an der Zukunft immer 8 dann] SW II/3, S. 139: denn

20 sein] so auch SW II/3, S. 140; Textzeuge: sein,

6 Vgl. Joh 7,48 6–7 Vgl. Joh 1,46 in Verbindung mit 7,41 7–8 Vgl. Joh 7,52 12–14 Vgl. 1Kor 1,23 17–20 Vgl. den sog. Kindermord des Herodes (Mt 2,13–16) 26–29 Vgl. Lk 2,25–38 31–32 Vgl. Röm 12,21

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wieder sich trübt: es giebt keinen anderen Grund davon als immer denselben, nämlich den Unglauben. Sind wir einmal fest geworden in der rechten Weihnachtsfreude, daß uns der Heiland geboren ist, und wir keines Anderen zu warten haben: nun wohl, so dürfen wir uns auch durch nichts, was geschieht, irre machen lassen an der Zukunft wie er sie selbst verkündiget hat, und für welche, wenn wir uns selbst fragen, die innere Stimme unseres Herzens zeugt. Ja kehren wir auf eine gläubige Art in unser Inneres ein, und betrachten uns selbst in dem verwikkelten Gewebe der | Gedanken und Empfindungen; vergegenwärtigen wir uns und vergleichen die besseren Augenblikke unseres Lebens, für welche wir Gott danken, und die, welche wir gern in Vergessenheit begrüben, wenn wir nicht wüßten, daß ihre Erinnerung zu unserer Besserung dient, aber deren wir uns doch zu schämen haben: werden wir je ein anderes Zeugniß ablegen können als dieses, das wofür wir Gott danken und loben, ist immer nur das, was wir gethan haben in dem Namen des Herrn, wobei er uns gegenwärtig war, so daß wir getrieben von der Liebe zu ihm, mit Verläugnung alles andern unser ganzes Wohlsein nur in ihm und in dem Bestreben fanden, ihm zu dienen und ihm nachzugehen? Diese Erfahrung, die sich in jedem bedeutenden Verhältniß immer wiederholt, die Jeder dem Andern bestätigt, wie Jeder sie an sich selbst macht, bewährt sich uns zugleich als der Schlüssel für Alles, was geschehen ist von der Zeit an, wo der Erlöser der Welt auf Erden erschien, bis auf den heutigen Tag, und giebt uns eine sichere Bürgschaft – nicht nur in Bezug auf das was uns selbst noch bevorstehen mag, sondern auch auf das was weit über unser irdisches Dasein hinaus liegt – dafür, daß dieses Maaß immer gelten werde; so daß Alles vergehen muß, wie sehr es auch glänze, was sich von ihm sondern will und ohne ihn bestehen, und daß auf der Verkündigung seines Namens, auf dem Bunde der Gläubigen, welchen er gestiftet hat, auf der Lehre von dem Kreuz, welche nie aufhören wird verkündigt zu werden, wo sein Name genannt wird, daß darauf allein die Zuversicht beruht, welche jede Furcht vor der Zukunft vertreibt. Und so, m. th. Fr., wollen wir denn mit freudigem Auge in die Zukunft hinausschauen, indem wir uns bei | dem ersten Anfange des Lebens unseres Erlösers versammeln. Wir werden freilich alle gern gestehen, nachdem wir uns das Bild der Vollendung vorgehalten haben, daß das Reich Gottes, wie es izt vor uns liegt, noch nicht viel weiter emporgewachsen ist, als daß es in den Tagen seiner Kindheit steht. Weit entfernt davon, ein vollkommener Mann zu sein ähnlich dem Mannesalter Christi, ist es noch kaum so weit entwikkelt wie ein 4 Vgl. Mt 11,3; Lk 7,19

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Kind, das seiner selbst nur eben so weit mächtig geworden ist, daß es nun Ich sagt und sich gefunden hat – Ja kaum so weit; denn wie wollten sonst die Stimmen der Christen sich so sehr zerstreuen, wie glaubte fast jedes Häuflein das Reich Gottes zu sein für sich allein! Wie müßten, wenn es weiter gediehen wäre, schon immer Alle sich untereinander in dem ganzen Umfang der Bekenner des Erlösers als Eins denken, und jedes Häuflein sich selbst nur als einen einzelnen Theil, der nur in dem großen Ganzen besteht, nur vermöge desselben, nur für dasselbe! Wie vieles also auch noch anders werden muß als es ist, wie vieles erst fest werden muß, was noch zu wanken scheint, wie vieles noch einig werden muß, was sich nach ganz verschiedenen Seiten hin zerstreut: das kann uns nicht stören; denn wie oft bietet uns nicht die Geschichte der christlichen Kirche schon in diesen ihren Anfängen ähnliche Wechsel dar! Wenn also auch noch wir wissen nicht wie viele Geschlechter der Menschen vergehen werden und Völker auf Völker folgen, ehe das Licht von oben, welches uns gegeben ist, die ganze Welt erleuchtet; wie viele Menschenkinder noch den Schauplaz dieses Lebens verlassen werden, ehe solche aufwachsen, von denen man sagen kann, daß das himmlische Licht ihre Finsterniß ganz durchdrungen habe, | ja auch nur eines wovon man sagen kann, daß es nun ganz Licht ist, weil sein Auge ganz Licht geworden: demohnerachtet wollen wir frohen Blikks in die Zukunft sehen, denn das Werk des Erlösers kann weder untergehen noch auch stokken, sondern bleibt in ununterbrochener Entwikkelung. Von diesen Augen, welche damals zuerst sich dem irdischen Licht öffneten, muß die ganze Fülle des himmlischen Lichtes sich immer weiter ergießen über die Geschlechter der Menschen; von diesen Händen, welche damals nur noch in unwillkührlichen Bewegungen ein sich selbst nicht verstehendes Leben verkündigten, müssen alle göttlichen Segnungen über die Menschen kommen; und von diesen Lippen, welche damals noch nicht einmal lächelten, muß Alles ausgehen, was wahre Weisheit ist für die, welche seines Geschlechts sind, und Alles, was uns als ein wahres Gut des Lebens feststehen soll, dessen wir in Sicherheit und Frieden genießen können, muß eine Frucht sein dieser Lippen. Ja Jesus Christus er allein, damals wie hernach in der Fülle seines Lebens, gestern und heut, jezt und in Ewigkeit derselbe. Amen. Lied 127.

20–21 Vgl. Mt 6,22; Lk 11,34 32 Anspielung auf Apg 17,28 35–36 Vgl. Hebr 13,8 37 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 127: „Er kommt, er kommt, der starke Held“ (Melodie von „Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich“)

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Besonderheiten:

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2. Weihnachtstag, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 2,15–20 (Festtagsperikope) Drucktext Schleiermachers; Predigten von Dr. F. Schleiermacher (Reihe 2) 1832, S. 55–74, Nr. IV Keine Drucktext Schleiermachers; Christliche Festpredigten, Bd. 2 (7. Sammlung) 1833, S. 100–122 (s. KGA III/2); Wiederabdrucke: SW II/2, 1834, S. 329–342; 21843, S. 329–342. – Predigten. Siebente Sammlung, Ausgabe Reutlingen, 1835, S. 79–95. – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 2, 1873, S. 257–268 Keine

Am zweiten Weihnachtstage 1831. (Frühpredigt.)

Lied 131. Text. Ev. Lucä II, 15–20. „Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten unter einander, Laßt uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kund gethan hat. Und sie kamen eilend, und fanden beide Mariam und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegend. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte, und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehreten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, das sie gehöret und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ | 56

M. a. Fr. Wenn wir diesen weiteren Verfolg der Geschichte von der Geburt des Erlösers, die wir in diesen Tagen feiern, mit einander lesen: 3 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 131: „Ewig sey dir Lob gesungen“ (Melodie von „Lasset uns den Herren preisen“)

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so machen freilich die verschiedenen Gemüthsstimmungen, die in der Erzählung vorkommen, auch einen verschiedenen Eindrukk auf uns; und nur gar zu leicht und gern gleiten wir über diejenigen, die sich nur nach dem Thatbestand der Sache erkundigen wollten, über diejenigen welche sich nur der Rede, die sie vernahmen, wunderten, zu der Einen, von welcher nun freilich das Ausgezeichnete gesagt wird, daß sie alle diese Worte in ihrem Herzen bewegte. Dies ist uns, m. g. Fr., gleichsam ein kurzer Inbegriff überhaupt von der verschiedenen Art, wie die Menschen die Nachricht vom Erlöser aufgenommen haben, von dem verschiedenen Eindrukk, den dieselbe auf sie zu machen pflegt, und dem Antheil, den sie daran nehmen; und auf gewisse Weise können wir sagen, daß sich dasselbe Verhältniß, wie wir es hier finden, fast überall und zu allen Zeiten in der Welt, wohin nur die Verkündigung von Christo gekommen ist, auch eben so fortgesezt hat. Allein, wenn wir wollen gerecht und billig sein gegen die Menschen auf der einen Seite, auf der andern aber auch den göttlichen Rathschluß doch in seinem ganzen Zusammenhange und seiner Ausführungsweise verstehen: so müssen wir doch überall nicht nur bei dem stehen bleiben, was unmittelbar in die Augen fällt, oder nur dem Eindrukke folgen, den die Art, wie der Erlöser aufgenommen wurde, unmittelbar auf uns macht; sondern wir müssen alles in seinem rechten Zusammenhange und seinem Verhältniß, so wie Jedes sich, wenn | wir es recht betrachten, zum Ganzen stellt, in unser Gemüth aufnehmen. I. Freilich ist das eine ganz gewöhnliche Rede, daß man sagt, es gebe unter allen denen, welche sich Christen nennen, immer nur eine kleine Anzahl solcher, von denen gesagt werden könne wie von der Maria, daß sie diese Worte in ihrem Herzen bewegen, Mehrere allerdings, denen man das Zeugniß nicht versagen könne, daß sie Antheil nehmen an der Sache, wie eben diese Hirten, und daß sie es sich nicht verdrießen lassen, sich nach den Geschichten zu erkundigen und den eigentlichen Thatbestand davon ins Auge zu fassen, aber die Meisten waren immer solche, die sich der Rede nur verwunderten, die zu ihnen gesagt wird. Lasset uns aber deshalb zuerst einmal, m. G., bei dieser Abstufung überhaupt stehen bleiben, und uns fragen, ob sich das allein so verhält 18 Wie zu Schleiermachers Zeiten durchaus üblich, erscheint hier ein verneintes ‚müssen‘ in der Bedeutung von ‚nicht dürfen‘.

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in Beziehung auf diese freilich größte, wichtigste Angelegenheit des menschlichen Heils, oder ob wir nicht etwas Aehnliches wahrnehmen auch bei allen andern menschlichen Dingen? Gewiß, m. g. Fr., wir mögen sehen worauf wir wollen, auf das, was uns Allen das geringste und unbedeutendste ist, und das ist doch die Art, wie sich dem Einen so dem Andern anders die äußere Seite des irdischen Lebens in seinen verschiedenen Verhältnissen gestaltet, oder wir mögen auf das sehen, was ja uns Allen schon weit wichtiger ist, weil es ja auch genauer mit dieser größten Angelegenheit unseres Heils zusammenhängt, nämlich auf die Entwikkelung der geistigen Kräfte des Menschen in unserm | Kreise, woran freilich Alle theilnehmen aber doch in sehr verschiedenem Grade der Eine und der Andere, oder endlich auf dies lezte und größte, wie sich das Leben eines jeden als sein Verhältniß zu Gott ausbildet, freudig oder gedrükkt, einig oder widerstrebend: in allen diesen Gebieten werden wir überall denselben Unterschied finden, daß nämlich immer nur Wenige dahin gelangen, uns in allen diesen verschiedenen Beziehungen ein richtiges Bild davon zu geben, wie der Mensch sich in diesem irdischen Leben nach allen Seiten hin stellen soll, so daß uns die Bestimmung desselben der Wahrheit der Sache nach in ihrem Dasein vor Augen gestellt würde; die größte Menge erscheint uns immer nur denen in unserm Texte ähnlich, von welchen gesagt wird, daß sie die Rede vernahmen und sich darüber wunderten. So geht der größte Theil hin in ganz unbestimmten, unsichern Bewegungen des Gemüths, wie die Verwunderung ist, durch das Leben hindurch sich mehr träumend, als mit klarem Bewußtsein und festem Willen hindurchschreitend. Geringer schon der Zahl nach, aber größer der Bedeutung nach, sind jedoch die, welche durch Alles, was im menschlichen Leben vorkommt, zur Betrachtung und zur Forschung aufgeregt werden, so wie hier von den Hirten gesagt wird, daß sie hingehen und sehen wollten, wie es stände mit der Geschichte, die sie von den Engeln vernommen hatten. Und Viele von diesen bekommen dann auch von allen menschlichen Dingen einen solchen Eindrukk, wie hier von den Hirten gesagt wird, nachdem sie es so gefunden hatten, daß sie, wenn ihnen etwas von der Wahrheit der menschlichen Dinge einleuchtet, dann umkehren und loben und preisen Gott, erwartend, daß noch größerer Zusammenhang | vorhanden sei, als den sie erkannt haben, und daß sich aus dem, was sie in seinem Zusammenhang verstehen, immer größeres und besseres entwikkeln werde. Nur deren sind immer die Wenigsten, die in ihrem Gemüth von dem, was ihnen kund geworden, auf das innigste durchdrungen sind, und alles Wesentliche in menschlichem Geist und Leben so in ihrem Herzen bewegen, daß es allmählig in ihnen fest wird. Wenn wir also sehen, m. g. Fr., daß sich durch alle

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menschlichen Verhältnisse eine solche Ungleichheit hindurchzieht, ja daß in den äußerlichen Beziehungen des Menschen zu den Gütern und Kräften dieser Erde bei weitem die meisten Menschen nicht zu dem vollen Besiz dessen was doch dem Menschen zu gebühren scheint und noch weniger zu dem rechten Bewußtsein dessen, was er sein soll, gelangen: wie dürfen wir uns wundern, daß auch auf diesem geistigsten Gebiet mancherlei Abstufungen statt finden? Wir müssen uns vielmehr wol überzeugen, daß das so der Rathschluß Gottes sei, und daß es zu der Stufe, auf welcher der menschliche Geist in diesem Leben steht, wesentlich gehöre, daß gar Viele vorhanden sein müssen, damit nur einige Wenige sich bis auf einen gewissen Gipfel über die andern erheben, um von da aus nun den Reichthum der Güter, welche ihnen zu Theil geworden sind wieder über die Anderen zu ergießen. Nun aber lasset uns, nachdem wir dies im Allgemeinen als den göttlichen Rathschluß und als unser menschliches Loos auf Erden ins Auge gefaßt haben, eben diese Verschiedenheit noch besonders in Beziehung auf die Angelegenheit des Heils, so wie sie in unserer Erzählung dargestellt wird, näher betrachten. Diejenigen, welche scheinen | am wenigsten Gewinn von der Verkündigung des Erlösers gehabt zu haben, sind unstreitig die, von welchen gesagt wird, daß sie, als die Hirten die Uebereinstimmung der Begebenheit mit der Botschaft der Engel ausbreiteten, solches vernahmen und sich verwunderten. Aber, m. G., wenn wir es näher betrachten, so werden wir doch sagen müssen, nicht nur, daß wir sehr unrecht thäten, wenn wir diese verurtheilen wollten und verdammen, weil sie nun nicht auch dasselbe gethan hätten wie Jene, nämlich hingegangen wären um sich umzusehen nach dem Kinde und die Nachricht von ihm noch weiter zu verbreiten. Laßt uns vielmehr zuerst eingestehen, daß diese bei weitem nicht die Schlimmsten sind. Wäre es nicht natürlich genug gewesen, daß sie alle bei sich gedacht hätten, das sei nur wieder eine von den Thorheiten, wie sie sich schon von Zeit zu Zeit aufgethan hatten, leere Hoffnungen, wie die Menschen sie sich damals häufig machten, wie es ja vor und nach den Zeiten Christi gar Viele unter dem Volk gegeben hat, die die Weissagungen des alten Bundes nicht mit rechtem Verstand auslegten! hätten nicht gar Viele denken können, was geht uns doch das an, was für ein Kind izt geboren ist! und wäre es auch der, von welchem die Weissagungen des alten Bundes reden: ehe das Kind groß wird und ein Mann, ehe es auftreten kann und zeigen, auf welche Weise es zum König im Namen des Höchsten bestimmt ist, in welchem Sinn es ein Retter des Volkes ist, sind wir schon lange nicht mehr auf Erden; was geht uns also das an, was nur unsern Nachkommen kann zu Gute kommen? Die nun so dachten, hätten sich auch nicht einmal verwundert. Das sich verwundern ist also schon | immer

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eine Hinneigung des Gemüths, es bezeugt wenigstens einen offenen Sinn und zwar ohne alle eigennüzige Beziehung auf sich selbst offen für alles das, was dem Menschen überhaupt bedeutend ist, und der Mensch an sich ist es doch, der uns interessiren soll. Darum ehe wir sie verdammen, lasset uns fragen, was würde wohl der Erlöser von ihnen gesagt haben? Das wird uns nicht schwer zu finden sein, wenn wir ein Wort bedenken, welches Er einst sagte, als sein Jünger einen strafen wollte, der in seinem Namen zwar Geister ausgetrieben hatte, aber ihm doch nicht nachfolgte. Da sprach er, Es kann nicht leicht einer eine That thun in meinem Namen und hernach Uebles von mir reden; wer nicht wider uns ist, der ist für uns1. Diese Worte können wir gar füglich auch auf solche Menschen anwenden, wenn wir sagen, es kann nicht leicht einer, der doch so bewegt worden ist von einer solchen Erzählung, daß er ihr seine Aufmerksamkeit schenkt, daß er sich darüber wundert, der kann nicht, wenn seine Verwunderung einmal laut geworden ist, bald darauf den Gegenstand seiner Theilnahme lästern; denn er würde damit seine eigene Aufregung lästern, verhältnißmäßig nicht minder als wenn einer den lästern wollte, dessen Namen er gebraucht hat, um etwas Großes und Bedeutendes damit auszurichten. Ja Alle, die es auch nicht weiter bringen mit dem Evangelio und der Verkündigung von Christo, als nur daß eben diese ganze göttliche Veranstaltung, die Art, wie es damit zugegangen ist, der weitere Verfolg der Begebenheit, die Gestaltung der menschlichen Dinge durch dieselbe ein | Gegenstand der Verwunderung für sie ist, die sind doch immer Träger des Worts, und also wenn auch nur auf mittelbare Weise Werkzeuge des göttlichen Geistes. Das Wort kommt durch sie in Bewegung; denn das, worüber man sich wundert, verschweigt man nicht, es kommt einem oftmals wieder in den Sinn, und wenn es gilt, etwas bedeutendes daran zu knüpfen, so steht es auch gleich wieder vor der Seele. Und so ist dies Verwundern für jeden Einzelnen eine Stufe der Vorbereitung sowohl auf die Anknüpfung eines nähern Verhältnisses mit dem Erlöser, als auch um eine nach Maaßgabe der Art, wie Jeder in seiner Gesammtheit steht, mehr oder minder bedeutsame Wirksamkeit auf sie auszuüben. Gehen wir nun weiter und sehen auf die Hirten, von welchen gesagt wird zuerst, daß sie mit einander sprachen, Lasset uns gehen nach Bethlehem und sehen die Geschichte, von der zu uns geredet ist, ob sie sich auch so verhält, und dann wie sie sie hernach ausbreiteten, und Gott lobten und priesen über alles das, was sie gehört und gesehen hatten: so müssen wir wohl sagen, wenn wir es näher betrachten, wir können nicht mehr von ihnen erwarten, und es war nicht mehr 1

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von ihnen zu verlangen, als das was sie geleistet haben. Freilich, m. g. Fr., wenn wir uns und unser Verhältniß zum Erlöser betrachten, so erscheint uns dieses insgesammt allerdings noch als ein gar Geringes. Das war wohl etwas Löbliches, daß jene Hirten nun das Wort der Engel nicht gleich wieder vernachläßigten und es dadurch gleichsam ungeschehen machten, sondern daß sie nun forschen wollten, nachdem sie selbst ein Zeichen empfangen hatten, dem sie nachgehen konnten um zu sehen, ob sich | dem also verhielte, und daß sie nun auch gleich, nachdem sie es so fanden, die Aufmerksamkeit Anderer auf diese Geschichte lenkten, und der Botschaft der Engel zu Hülfe kamen, indem sie davon erzählten zunächst denen, die sich in der unmittelbaren Umgebung des Kindes befanden, und dann auch Anderen das Wort brachten. Und daß sie die Sache nicht etwa für etwas Gleichgültiges angesehen haben, sondern im Innern ihres Gemüthes davon ergriffen wurden, daß sie wirklich Großes für ihr ganzes Volk davon erwarteten, das sieht man daraus, daß von ihnen gesagt wird, sie hätten Gott gelobt und gepriesen. Nur freilich thut ihrer keine weitere Erzählung unserer Evangelienbücher irgend wieder Meldung, ob sich Einer oder der Andere von ihnen unter den Jüngern des Herrn befunden hat, ob zu der Zeit, wo der Erlöser öffentlich auftrat, überhaupt noch Jemand vorhanden gewesen ist, der darauf aufmerksam machte, daß Jesus derselbe wäre, von dessen Ankunft in der Welt auf solche Weise geredet worden. Das wirft dem Anschein nach ein nachtheiliges Licht auf sie; aber wie bald wurde nicht der Erlöser ihnen aus den Augen gerükkt, wie wenig waren sie im Stande, von da an seinen weitern Führungen in der Welt zu folgen! Und wenn nun auch der Eine oder der Andere noch lebte zur Zeit, als der Erlöser öffentlich auftrat: wie wenig Veranlassung war doch, da er aus einer ganz anderen Gegend herkam, da er nur auftrat als ein Lehrer, wie es mehrere gab im Volke, nun die Vermuthung zu hegen, daß es derselbe sei, von welchem damals geredet wurde! Da müssen wir also gestehen, es wäre eine unbillige Zumuthung, von ihnen mehr zu verlangen als sie thaten, und wir würden kein | Recht haben sie deshalb zu tadeln, oder ihr Gott loben und preisen deshalb geringer anzuschlagen, weil sie nachher in keinen näheren Zusammenhang mit dem Erlöser gekommen sind. Ach! m. g. Fr., wenn wir uns das Loos solcher Menschen in der damaligen Zeit recht vor Augen stellen: wir müssen wol gestehen, daß der Engel des Herrn mit seiner Verkündigung grade an diese gewiesen wurde, das zeige sich als eine gar weise Auswahl. Wie viele Andere in derselben Lage würden ganz gleichgültig geblieben sein, und bei sich gesagt haben, mag auch ein König geboren sein für künftige Geschlechter, uns wird doch davon nichts Gutes zu Theil werden, wir werden doch nach wie vor unser Leben zubringen bei

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unsern Heerden, unser Loos wird kein anderes werden, als das bisherige; und in dieser Kälte gegen Alles, was sie nicht selbst betraf, sich der frohen Verkündigung entziehend würde dies Wort derselben leer an ihnen vorübergegangen sein! Wie müssen wir es nicht schon hochachten, wenn der Mensch in eine solche Lage gestellt, wie diese Hirten, sich erhebt über das unmittelbar nächste, Antheil nimmt an den allgemeinen Angelegenheiten, und sich auch an dem freut, was Menschen überhaupt, wenn auch schon ihm selbst auf gar keine Weise, zu Gute kommen soll. Dies sich erheben über die Gegenwart und über das unmittelbar persönliche ist schon eine schöne und edle Stufe, auf welcher eine menschliche Seele steht; in einer solchen hat schon das göttliche Wort einen Zugang, der ihm bei gar vielen andern fehlt; denn da ist auch schon eine Richtung auf das Göttliche vorauszusezen, wo eine solche Erhebung über das unmittelbar Gegenwärtige und Sinnliche wahrgenommen wird. Und daß es ihnen den|noch nicht möglich war, diese Geschichte, nach der sie mit solcher Theilnahme forschten, von welcher sie so ergriffen redeten, die sie zu solchem Lobe Gottes begeisterte, auch in ihrer weiteren Entwikkelung zu verfolgen; können wir ihnen das zur Schuld anrechnen? müssen wir nicht sagen, das hing ab von der göttlichen Ordnung in der Art, wie ihr Leben und wie das Leben des Erlösers geführt wurde, daß ihnen ein näherer und unmittelbarer Zusammenhang mit ihm in Folge dieser Verkündigung nicht vergönnt war? II. Und nun laßt uns von hier aus einen Blikk werfen auf den ganzen Zusammenhang der christlichen Gemeinschaft, wie sie sich jezt unter uns gestaltet. Allerdings giebt es da sehr Viele, die den Namen der Christen mit uns theilen, und doch eigentlich nur zu denen zu gehören scheinen, die sich der ganzen Sache nur wundern. Ein Gegenstand der Verwunderung ist es für sie, wie solche Umgestaltung der menschlichen Dinge hat ausgehen können von einem so unscheinbaren Punkt, aus einem Volke, welches schon seit lange her ein Gegenstand der Geringschäzung für die Andern war, welches sich selbst durch sein Gesez von dem unmittelbaren Einfluß auf andere Völker auszuschließen schien, und deswegen auch von ihnen gering geachtet oder gehaßt wurde. Wie nun ein einzelner Mensch aus diesem Volk ein solcher Gegenstand der Verehrung für die Menschen habe werden können, wie der Glaube an ein ganz besonderes nahes Verhältniß zwischen 3–4 Anspielung auf Jes 55,11 32–36 Wohl Anspielung auf die bekannte Wendung vom ‚odium humani generis‘ gegen die Juden bei Publius Cornelius Tacitus: Annales XV 44, 4, Quae exstant ed. Gronovius, Bd. 1, S. 1060; Annalium ab excessu divi Augusti libri ed. Fisher, o. S.

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Gott und ihm entstehen, wie sich diese Lehre so weit unter den verschiedensten Völkern verbreiten konnte, am meisten aber wie die|ser Glaube auch jezt noch bestehe, ungeachtet es deutlich genug zu Tage liege, daß theils unter denen, welche den Namen dieses Erlösers bekennen, doch dieselben Schwächen und Unvollkommenheiten im Schwange gehen, und die Gläubigen daher auch von denselben Bedrängnissen und Beschränkungen des Lebens getroffen werden, theils auch bei den Meisten von ihnen gar keine wirkliche Spuren eines höhern Lebens zu finden sind: dieses wie gesagt, ist für Viele, die sich doch auch Christen nennen, auch izt noch nur ein Gegenstand der Verwunderung. Das ist freilich wenig, wenn sie Christen sein wollen; aber doch möchte ich Euch gern überzeugen, daß auch diese Verwunderung doch schon etwas sehr Wahres an der Sache ergriffen hat. Offenbar liegt ja dabei die Vermuthung zum Grunde, wenn es sich mit Christo so verhielte, wie wir glauben, wenn ein solcher Unterschied zwischen ihm und allen andern Menschen wirklich bestände: so müßte auch schon viel Größeres im menschlichen Geschlecht bewirkt worden sein durch diese Gemeinschaft, wenn nur das Verhältniß der Christen zu Christo die rechte Kraft und Innigkeit hätte – dieses richtige Gefühl liegt offenbar jener Verwunderung zum Grunde. Und müssen wir nicht gestehen, daß dies schon eine höchst wirksame Vorbereitung ist, und daß solchen nur grade noch die höchste Erleuchtung des göttlichen Geistes fehlt, um nicht mehr nur zu sagen, wenn es sich so verhielte um die Sache wie geglaubt wird, so müßte es anders in der Welt stehen, sondern zu sagen, Ja, es verhält sich dennoch so, daß es aber doch nicht besser steht, das ist nur ein Zeichen davon, wie wenig Menschen und wie langsam dazu gelangen, daß sie ihre wahre Bestimmung auf Erden finden und erfüllen, | also auch eben davon, wie unermeßlich der Abstand in der That ist zwischen dem, welcher uns diese Fahne des Heils aufgestekkt hat, und denen, welche dieser zwar gleichsam unwillkührlich folgen, aber doch an dem Ruhm und Preis des Erlösers[,] an der Herrlichkeit des innern Lebens, welches in ihm war und von ihm ausgehen soll, nicht selbst bestimmten Theil nehmen. Müssen wir also nicht sagen daß eine solche Verwunderung schon die Erregung in sich trägt, die den Menschen zum wahren Heil führen kann, ja daß es nur ein Weniges ist, um welches diese entfernt sind von dem wahren vollen Genuß des Reiches Gottes? Sehen wir weiter auf diejenigen Glieder der christlichen Gemeinschaft, die sich uns eben wie die Hirten als solche darstellen, die fleißig forschen nach den Geschichten, auf welche sich der Glauben der Christen bezieht, und Alles, was darüber zu uns geredet ist als von oben herab, auch zum Gegenstand ihres Nachdenkens machen. Dazu gehört doch nothwendig, daß sie dieses Ereigniß auf eine sehr bestimmte Weise unterscheiden von allen andern auch wichtigen Begebenheiten,

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wenn sie doch vor allen nach dieser so fleißig forschen, wie glaubwürdig alles überlieferte sei, und ob nicht dem wahren doch falsches beigemischt worden. Die nun, wenn sie den Thatbestand doch so finden, daß der geschichtliche Grund unerschüttert bleibt, die Rede ausbreiten helfen, Jeder nach seiner Weise die Geschichten von Jesu als hochwichtig und bedeutend ohne Vergleich mit anderen darstellen und Gott dafür loben und preisen, indem sie Alles, was sie in der Welt unter christlichen Völkern Gutes entwikkelt sehen, auf den Einen, von dem es seinen Ursprung hat, zurükkführen, solche haben wir in der evangelischen Kirche | von Anfang an gar viele gehabt. Aber wie wird gewöhnlich über sie geurtheilt? Wie wir auch vorher über die Hirten geurtheilt haben. Daß man doch, heißt es, diese innere Bewegung des Herzens, wie von der Maria gesagt wird, daß sie alle diese Worte im Herzen bewegte, an ihnen vermisse. Freilich nicht unwirksam sei zu ihnen Allen das Wort geredet, sie hätten es aufgenommen, sie sezten sich auch in Bewegung für dasselbe, erforschen die Geschichte und theilen mit; sie loben auch Gott dafür, aber daß in ihnen selbst ein anderes Leben daraus entstanden sei, daß sie in das innigste persönlichste Verhältniß mit dem Erlöser getreten wären, das bemerke man doch nicht genug bei ihnen. Wohl mag das auf gewisse Weise von sehr Vielen wahr sein, die eine bedeutende Stelle einnehmen unter den forschenden nachdenkenden Gemüthern. Aber wenn sie doch diese Sache vorzüglich zum Gegenstand ihrer Forschung machen, als eine vorzüglich wichtige; wenn sie sich doch alles wichtige nicht anders denken können, als im Zusammenhang mit dem Rathschluß Gottes: müssen sie dann nicht doch inne geworden und auf ihre Weise gewiß darüber sein, daß diese Sache auch ganz vorzüglich aus Gott ist? Und auf wie vielerlei Weise sind sie nicht Werkzeuge des göttlichen Geistes! Wie wichtig ist nicht der Dienst von Solchen gewesen für das Werk der Verbesserung der christlichen Kirche! Wieviel haben sie beigetragen zu unserer Rükkehr von den Menschensazungen, durch die es entstellt war, zur Reinheit des Evangeliums! Wie sehr sich dieses mitgründe auf eine treue Nachforschung über den eigentlichen Thatbestand der Geschichte des Christenthums, so daß der einfache evangelische Glaube ohne diese nie eine rechte Sicherheit hätte | erreichen können: wer kann das übersehen? Ist nun solche Thätigkeit so wichtig dafür, daß der rechte Genuß des göttlichen Heils den Menschen wieder hat werden können; sind die, welche solche Forschungen anstellen, so wichtige Werkzeuge, daß sich Gott ihrer bedient zur Aufrechthaltung der göttlichen Wahrheit: dürfen wir dann glauben, daß ihnen in ihrem eigenen inneren Leben nichts davon zu Gute komme? So wie der einzelne Mensch kann mehr oder weniger unmittelbar ein Werkzeug des göttlichen Geistes sein, so kann es auch ein weniger oder mehr unmittelbares Bewußtsein und mithin einen verschiedenen

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Genuß der göttlichen Gnade geben. Alles, was Lob und Preis Gottes ist, muß es nicht von Gott kommen? Alles, was Lob und Preis Gottes ist für Christum, muß es nicht auf Christum zurükkführen? Und wenn also auch Manche den Erlöser der Welt vorzüglich in der Geschichte, wie sie sich durch ihn entwikkelt hat, wenn sie ihn auch vorzüglich in dem reinen Gedanken von der höheren Bestimmung des Menschen in dieser Welt, in der reinen geistigen Liebe, die er gegen uns gehegt und uns eingeflößt hat, in dem Streben nach höherem Frieden, nach seligem Genuß der Gegenwart Gottes, wenn sie ihn auch nur darin vornehmlich anerkennen und verehren: sollen wir nicht doch gern gestehen, daß sie ihm anhängen, wenn auch nicht in einem eben so unmittelbaren persönlichen Verhältniß der Liebe und Zuneigung wie wir und manche Andere? Und so erscheint uns doch, und wir müssen uns darüber freuen, die Ungleichheit unter den Bekennern Christi geringer als wir sie uns anfänglich vorstellten. | Und nun lasset uns noch mit wenigen Worten auf die Maria sehen, von der gesagt wird, daß sie alle diese Worte bei sich behielt und in ihrem Herzen bewegte, und auf diejenigen, die ihr am meisten entsprechen in der christlichen Gemeinschaft. Ja Maria war freilich eine vorzugsweise Begnadigte unter den Weibern! Es gab mehr Jungfrauen in Israel, und auch mehr Jungfrauen aus dem Stamm Davids – wenn es ja nöthig war, daß aus diesem mußte der Heiland geboren werden – als sie; aber sie war die von Gott erwählte. Daß sie die Worte in ihrem Herzen bewegte, ach! das war sehr natürlich und leicht zu erklären, weil es sie persönlich ja so nahe anging, weil zu dem, was sie schon selbst auf ähnliche Weise erfahren hatte, nun noch eine andere solche englische Botschaft hinzukam. Und doch, m. g. Fr., wenn wir uns nun fragen, war denn dieses, daß sie die Worte im Herzen bewegte, schon der rechte seligmachende Glaube? war es schon ganz der fruchtbare Keim eines solchen persönlichen Verhältnisses zum Erlöser, wie wir es uns, wenn es uns geworden, als das höchste denken? war denn Maria schon in dem Glauben, sie sei gewürdigt worden, daß der Heiland der Welt durch sie das Licht dieser Erde erblikken solle, fest und unerschütterlich? Unsere Evangelienbücher lassen uns nur zu deutlich das Gegentheil merken. Es gab lange hernach, als der Erlöser schon lehrte, eine Zeit, wo sie schwankte zwischen ihm und seinen Brüdern, die nicht an ihn als Erlöser glaubten, wo sie mit diesen ging, in der Absicht ihn aus seiner Laufbahn herauszureißen, um ihn in ihren engeren häuslichen Kreis zurükkzu39 ihn] h n 19–20 Vgl. Lk 1,42 26 Vgl. die Ankündigung der Geburt Jesu an Maria durch den Engel Gabriel (Lk 1,26–38) 37–38 Vgl. Joh 7,5

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ziehen, als | einen der außer sich selbst sei1. So war denn ohnerachtet dieser bei ihr soviel tieferen und innigern Bewegung der Seele über die Worte, die geredet wurden in Bezug auf das Kind, das durch sie das Licht der Welt erblikkt hatte, ihre persönliche Seligkeit noch keinesweges fest gegründet. – Und so, m. g. Fr., steht es, wir werden wol immer sagen müssen, um alle die, die eines solchen nähern innigen persönlichen Umganges mit dem Erlöser gewürdigt werden. Die Festigkeit des Herzens ist auch bei ihnen nur ein Werk der Zeit, sie geht auch bei ihnen durch mancherlei Anfechtungen und Schwankungen hindurch; und was wir vorher schon sagten, gilt von allen diesen, wie von der Maria, es ist eine besondere Begnadigung, daß sie in ein näheres Verhältniß zu dem Erlöser im Leben gestellt sind, daß sie durch alles, was sie betrifft, immer wieder aufs neue erwekkt und dazu angetrieben werden, auch die Worte immer aufs neue im Herzen zu bewegen. Aber doch ist der Keim des Unglaubens auch bei ihnen, und wird auch bei ihnen nur nach und nach überwunden, und allmählig erst der Glaube in ihnen fest und das ganze Leben ein Werk dieses festgewordenen Glaubens. Und welches, m. g. Fr., ist nun wol der Schluß, zu dem wir mit unsern Betrachtungen kommen? Dieser, der Erlöser ist der Welt, das heißt dem menschlichen Geschlecht, gegeben, und das Heil dieses Geschlechts wird ganz gewiß immer nur von ihm ausgehen und durch ihn gefördert werden; aber es ist eine mißliche Sache, wenn wir den Antheil, den der Einzelne daran hat, messen, und so den | Einen mit dem Andern vergleichend ein festes Urtheil aussprechen wollen, welches nur zu leicht auf der einen Seite ein hartes, auf der andern ein partheiisches sein wird. Der einzelne Mensch steht nie und nirgend allein, es ist göttliche Gnade, wenn er früher und näher zum Erlöser berufen wird; aber wir müssen alles für göttliche Gnade, alles für wahren Nuzen und Segen achten, der dem Menschen wiederfährt, was nur seine Aufmerksamkeit hinlenkt auf dies unvergängliche Erbe, was ihn nur über das irdische erhebt, und ihn auf irgend eine Weise in dem Kreise festhält, in welchem das Wort des Erlösers wirksam und lebendig ist. Aber nun soll auch Keiner seinen Theil an den Segnungen des Erlösers für ein Eigenthum halten, das er für sich allein haben könnte. So wie alles dieser Art ein Werk der göttlichen Gnade ist: so haben wir es auch alles nicht für uns, sondern für Alle. Wenn wir nun seine Ankunft auf Erden feiern, wenn wir diese Worte im Herzen bewegen: so lasset uns damit niemals bei uns allein stehen bleiben, sondern bedenken, daß es das Heil der Welt ist, und daß wir Alles was dieses in unserm Gemüth wirkt, auch wirksam zu machen 1

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haben auf Andere. Und so möge denn niemals aufhören in der christlichen Kirche die rechte Verwunderung über diese unerforschliche Führung des menschlichen Geschlechts, denn dadurch wird auch die Aufmerksamkeit Anderer gewekkt; nie möge aufhören das Forschen nach diesen Geschichten, die doch die größten sind, die sich im menschlichen Geschlecht ereignet haben, denn dadurch wird immer die Wahrheit in helleres Licht gestellt! Nie lasset uns aufhören, davon zu reden und das Wort zu verbreiten, auf daß es, wo wir sind und | wirken, überall lebendig bleibe! Nie lasset uns aufhören, Gott zu loben und zu preisen auch um das, was zu Jedem von uns besonders geredet ist, ich meine um unsere eigene Erfahrung und Kenntniß, die wir von der Sache haben, aber dann auch freilich die Worte Gottes immer bewegen in unserm Herzen. Damit wir nämlich für uns selbst das rechte Ziel treffen, laßt uns fleißig fragen, wie diese Worte wirksam sind, und welchen Gebrauch wir davon machen; wie wir das zu schäzen wissen, daß wir in der Gemeinde des Herrn geboren und erzogen sind, und daß daher sein Name so oft vor unsern Ohren ist und so oft natürlicher Weise in unserm Munde sein muß, daß sein Bild nicht vergehen kann vor unsern Augen, ob wir auch durch alles dieses immer mehr geläutert und geheiligt werden. Alles Heil aber, das uns selbst zu Theil wird, lasset uns achten als gemeinsames Gut, wie der Apostel Paulus sagt, daß alle Gaben sich sollen wirksam erweisen zu gemeinsamem Nuzen. Damit wir aber auf der andern Seite auch den gemeinsamen Zustand der menschlichen Dinge richtig ins Auge fassen, so laßt uns nicht sowol jeden einzelnen Menschen darauf ansehen, ob er das Höchste schon errungen habe, sondern auf der einen Seite uns an den unverkennbaren Wirkungen des Evangeliums im großen erfreuen, auf der andern von unserem eigenen Antheil an den göttlichen Segnungen einen freudigen Gebrauch machen, so weit Jeder reichen kann in seinem Kreise. Denn das ist der einzige richtige Weg des fröhlichen Glaubens, durch welchen wir das unsrige thun können, um das Wort zu verbreiten und Lob und Preis dessen zu vermehren, von welchem wir wis|sen und bekennen, daß in der That in seinem Namen allein das Heil ist und vor ihm sich alle Kniee beugen müssen derer, die auf Erden sind, um an ihm zu erkennen die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater. Amen. Lied 134, 5–7.

21–23 Vgl. 1Kor 12,7 33–34 Vgl. Apg 4,12 34–35 Vgl. Phil 2,10 35– 36 Vgl. Joh 1,14 37 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 134: „Gelobet seyst du, Jesu Christ“ (in eigener Melodie)

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Titelblatt zur Predigt vom 28. Oktober 1831 nachmittags – Faksimile

Verzeichnisse

Editionszeichen und Abkürzungen Das Verzeichnis bietet die Auflösung der Editionszeichen und der Abkürzungen, die von Schleiermacher und dem Bandherausgeber sowie in der zitierten Literatur benutzt worden sind, soweit die Auflösung nicht in den Apparaten, im Kopftext zu den einzelnen Predigten oder im Literaturverzeichnis erfolgt. Nicht verzeichnet werden die Abkürzungen, die für Vornamen stehen. Ferner sind nicht berücksichtigt Abkürzungen, die sich von den aufgeführten nur durch das Fehlen von Abkürzungspunkten oder Spatien, durch Klein- bzw. Großschreibung oder die Flexionsform unterscheiden. | / // [] ] PS

Seitenwechsel Zeilenwechsel; Markierung zwischen Abteilungs- und Bandangabe, zwischen mehreren Editoren, zwischen Erscheinungsorten Absatzwechsel Ergänzung des Bandherausgebers Lemmazeichen unsichere Lesart

1 Mos. 1Joh 1Kön 1Kor / 1 Cor. / I Cor. 1Petr / I Petri 1Thess 1Tim / 1 Timoth 2Joh 2Kor 2Petr 2Sam 2Tim

Das erste Buch Mose (Genesis) Der erste Brief des Johannes Das erste Buch der Könige Der erste Brief des Paulus an die Korinther

a. a. O. ABBAW

am angegebenen Ort Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin Abkürzung andächtige Freunde andächtige Freunde

Abk. a. Fr. andächt. Fr.

Der erste Brief des Petrus Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher Der erste Brief des Paulus an Timotheus Der zweite Brief des Johannes Der zweite Brief des Paulus an die Korinther Der zweite Brief des Petrus Das zweite Buch Samuel Der zweite Brief des Paulus an Timotheus

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Verzeichnisse

andächtig. Fr. Apg / Apostelg. / Apostelgesch. Aug.

andächtige Freunde Die Apostelgeschichte

BBAW

bzw.

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften in Berlin Band besonders Blatt Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche beziehungsweise

CA cap. cm

Confessio Augustana (Augsburger Bekenntnis) capitulum (Kapitel) Zentimeter

d. d. i. d. h. D. Dr. Dtn DV

den (bei Datums- bzw. Tagesangaben) das ist (das heißt) das heißt Doctor theologiae (Doktor der Theologie) Doktor Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) Druckfehlerverzeichnis

ed. / edd. Eph etc. Ev. Lucä Ev. Joh. / Evangl. Joh. evtl. Ew. Ex Ez

edidit / ediderunt (hg.) Der Brief des Paulus an die Epheser et cetera (und so weiter) Das Evangelium nach Lukas Das Evangelium nach Johannes

f Feb. flgd. Fr.

und der folgende Vers, und die folgende Seite Februar folgender, folgende Freunde

g. F. g. Fr. G. Gal

geliebte Freunde geliebte Freunde Geliebte Der Brief des Paulus an die Galater

Bd. bes. Bl. BSLK

August

eventuell Euer, Eure Das zweite Buch Mose (Exodus) Der Prophet Hesekiel (Ezechiel)

Editionszeichen und Abkürzungen geb. gel. Fr. Gen

geborene geliebte Freunde Das erste Buch Mose (Genesis)

HA Hebr / Hbr. hg.

Hauptabteilung Der Brief an die Hebräer herausgegeben

Invoc.

Invocavit

Jak / Jakob. Jer Jes Jg. Joel Joh

Der Brief des Jakobus Der Prophet Jeremia Der Prophet Jesaja Jahrgang Der Prophet Joel Das Evangelium nach Johannes

Kap. KGA Kj Kol / Koloss. korr.

Kapitel Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe Konjektur Der Brief des Paulus an die Kolosser korrigiert

Lev Lk / Luk. / Luc.

Das dritte Buch Mose (Leviticus) Das Evangelium nach Lukas

m. m. A. m. a. F. m. a. Fr. Mal m. and. Fr. m. a. Z. m. B. m. F. m. Fr. m. G. m. Gel. m. gel. F. m. gel. Fr. m. g. Fr. m. g. F. Mi mitt. Mk / Mark. Mr.

meine (in der Anrede an die Predigthörer) meine Andächtigen meine andächtigen Freunde meine andächtigen Freunde Der Prophet Maleachi meine andächtigen Freunde meine andächtigen Zuhörer meine Brüder meine Freunde meine Freunde meine Geliebten meine Geliebten meine geliebten Freunde meine geliebten Freunde meine geliebten Freunde meine geliebten Freunde Der Prophet Micha mittags Das Evangelium nach Markus Monsieur

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Verzeichnisse

Mt / Matth. m. T. m. t. Fr. m. Th. m. th. Fr. m. Z.

Das Evangelium nach Matthäus meine Theuren meine teuren Freunde meine Theuren meine theuren Freunde meine Zuhörer

nachm. No. Nr. Num

nachmittags Numero (Nummer, Nr.) Nummer Das vierte Buch Mose (Numeri)

Offb o. S.

Die Offenbarung des Johannes ohne Seite

Phil Phlm pp. PredSal Prof. Ps

Der Brief des Paulus an die Philipper Der Brief des Paulus an Philemon perge perge Der Prediger Salomo (Kohelet) Professor Der Psalter

r Rep. Röm

recto (Vorderseite bei Blattangaben) Repositum Der Brief des Paulus an die Römer

S. Sach SAr

Seite Der Prophet Sacharja Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Schleiermacher-Archiv, Depositum 42a (mit folgender Angabe der Mappennummer) Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz Schleiermacher-Archiv (hg. v. Hermann Fischer u. a.) Sonntag im Advent Sammlung Witwe Schleiermacher Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, Schleiermacher-Nachlass Sonntag nach Epiphanias Sonntag nach Trinitatis sogenannt Die Sprüche Salomos (Sprichwörter) sequens (folgend) sequentes (fortfolgend) Sankt / Saint Schleiermacher: Sämmtliche Werke

SB SBB SchlA SiA Slg. Wwe. SM SN SnE SnT sog. Spr sq. sqq. St. SW

Editionszeichen und Abkürzungen theur. Fr. Tit

theure Freunde Der Brief des Paulus an Titus

u. u. a. u. ö. u. s. w.

und und andere / unter anderem und öfter und so weiter

v v. Verf. vgl. vorm. vv.

verso (Rückseite bei Blattangaben) versus (Vers) / von Verfasser vergleiche vormittags versus / Verse

WA

Luther: Werke (Weimarer Ausgabe)

z. B. z. T.

zum Beispiel zum Teil

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Literatur Das Literaturverzeichnis führt die Druckschriften und Archivalien auf, die in den edierten Texten, den editorischen Beigaben (Apparaten und Predigtkopftexten) und in der Einleitung des Bandherausgebers genannt sind. Dabei sind folgende Regeln zu beachten: 1. Verfasser- und Ortsnamen werden in einer heute üblichen Schreibweise angegeben. 2. Die Titelangabe erfolgt nicht in diplomatisch getreuer Wiedergabe der Titelblätter; ausführliche Titel werden in einer sinnvollen Kurzfassung angeführt, die nicht als solche gekennzeichnet wird. 3. Werden zu einem Verfasser mehrere Titel genannt, so bestimmt sich deren Reihenfolge nach Gesamtausgaben, Teilsammlungen und Einzelwerken. Gesamtausgaben und Teilsammlungen werden chronologisch, Einzelwerke alphabetisch (unter Übergehung des Artikels) angeordnet. 4. Bei denjenigen Werken, die in Schleiermachers Bibliothek nachgewiesen sind, wird nach den bibliographischen Angaben in eckigen Klammern das Sigle „SB“ (vgl. Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek) mit anschließender Listennummer hinzugefügt. 5. Die im Band benutzten Archivalien werden im Anschluss an die Druckschriften als Anhang aufgeführt, geordnet nach Archiven und deren innerer Systematik.

* * * Adelung, Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, Bd. 1–5, Leipzig 1774–1786 [SB 8] Agende für die evangelische Kirche in den Königlich Preußischen Landen. Mit besonderen Bestimmungen und Zusätzen für die Provinz Brandenburg, Berlin 1829 [SB 11] Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1836, Bd. 4. Die Ergänzungsblätter dieses Jahrgangs enthaltend, Halle/Leipzig 1836 Ammon, Friedrich Wilhelm Philipp von: Denkmal der dritten Säcularfeier der Uebergabe der Augsburger Confession in den Bundesstaaten, Erlangen 1831

Literatur

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Arndt, Andreas/Virmond, Wolfgang: Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen, SchlA 11, Berlin/New York, 1992 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hg. im Gedenkjahr der Ausgsburgischen Konfession 1930, 10. Auflage, Göttingen 1986 Berliner Gesangbuch] Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen. Mit Genehmigung Eines hohen Ministerii der geistlichen Angelegenheiten, Berlin [1829] [SB 2349] Cicero, Marcus Tullius: Opera omnia, ex recensione J. Gronovii, ed. J.A. Ernesti, Bd. 1–4, Leipzig 1737–1738 [SB 430] : Tusculanae disputationes, recognovit M. Pohlenz, Scripta quae manserunt omnia Fasc. 44, editio stereotypa editionis prioris (1918), Bibliotheca Scriptorum Graecorum Et Romanorum Teubneriana, Stuttgart 1982 Die drey ökumenischen Symbola, die Augsburgische Confession, und die repetitio confessionis Augustanae, ed. A. Twesten, Kiel 1816 [SB 562] Dettke, Barbara: Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Bd. 89, Berlin/ New York 1995 Feier der goldenen Hochzeit des Königlichen Geheimen Ober-Finanzrath, Direktor der Königlichen Porzellan-Manufaktur, Ritter des rothen AdlerOrdens 2ter Klasse mit Eichenlaub etc. Herrn Friedrich Philipp Rosenstiel und dessen Frau Louise Elisabeth geb. Decker am 27. und 28. Oktober 1831, Berlin 1831 Flavius Joephus: s. Josephus, Flavius Foerster, Erich: Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten. Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenbildung im deutschen Protestantismus, Bd. 1–2, Tübingen 1905–1907 Gratz, Peter Aloys: Kritisch-historischer Kommentar über das Evangelium des Matthäus, Bd. 1–2, Tübingen 1821–1823 [SB 796] Hirsch, Emanuel: Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. 1–5, fotomechanischer Abdruck der 1964 in 3. Auflage in Gütersloh erschienenen Ausgabe, Münster 1984 Josephus, Flavius: Opera quae extant omnia [gr./lat.], ed. T. Ittig [u. a.], Köln 1691 [SB 1002] : Opera, ed. B. Niese, Bd. 1–6, Berlin 1955

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Verzeichnisse

Kritische Prediger-Bibliothek, hg. v. Johann Friedrich Röhr, Bd. 16, Neustadt an der Orla 1835 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Oeuvres philosophiques latines et françoises de feu Mr. de Leibnitz, tirèes de ses manuscrits qui se conservent dans la bibliotheque royale a Hanovre, ed. Rudolf Erich Raspe, Amsterdam/ Leipzig 1765 : Philosophische Schriften, hg. und übersetzt von Hans Heinz Holz/ Hans Herring/Wolf von Engelhardt, Bd. 1–5 [in 7], Darmstadt 1985– 1992 Luther, Martin: Sämtliche Schriften, hg. v. J. G. Walch, Bd. 1-24, Halle 1740– 1753 [SB 1190] : [WA] Werke, Kritische Gesamtausgabe, Bd. 1–68, Weimar 1883–1999 Magazin von Casual-, besonders kleineren geistlichen Amtsreden, Bd. 4, Magdeburg 1834 Meckenstock, Günter: Schleiermachers Bibliothek nach den Angaben des Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer, in: KGA I/15, S. 637–912 Musen-Almanach für das Jahr 1802, hg. v. Friedrich Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck, Tübingen 1802 Novum Testamentum Graece, ed. J. J. Griesbach, Bd. 3, Leipzig 1806 Novum Testamentum Graece, ed. G. C. Knapp, 2. Aufl., Bd. 1–2, Halle/Berlin 1813 [SB 261] Novum Testamentum Graece, ed. C. Lachmann, Berlin 1831 [SB 266] Nowak, Kurt: Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2002 Origenes: Opera omnia, ed. C. Delarue, Bd. 1–4, Paris 1733–1759 [SB 1413] : Commentaire sur l’évangile selon Matthieu, tome I, ed. Robert Girod, SC 162, Paris 1970 Platon: Opera, ed. Societas Bipontina, Bd. 1–12, Zweibrücken 1781–1787 [SB 1490] : Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch, hg. v. G. Eigler, Darmstadt 1970-1983 Reich, Andreas: Friedrich Schleiermacher als Pfarrer an der Berliner Dreifaltigkeitskirche 1809–1834, SchlA 12, Berlin/New York 1992 Rienäcker, Johann August : Ueber das Verhältniß zwischen Schleiermacher’s Predigten und seiner Dogmatik, in: Theologische Studien und Kritiken, Jahrgang 1831 zweites Heft, Hamburg 1831, S. 240–254 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Sämmtliche Werke, 3 Abteilungen, 30 Bde in 31, Berlin 1834–1864; Abt. II: Predigten, Bd. 1–4, Berlin 1834– 1835; 2. Aufl., Berlin 1843–1844

Literatur

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(SW II/Bd. 5–6: Predigten über das Evangelium Marci und den Brief Pauli an die Kolosser, hg. v. Friedrich Zabel, Erster – Zweiter Theil, Berlin 1835) : Kritische Gesamtausgabe, hg. v. H.-J. Birkner, H. Fischer u. a.; Abt. I: 15 Bde in 18, 1980–2005; Abt. II: bisher 4 Bde. in 5, 1998ff; Abt. V: bisher 9 Bde., 1985ff, Berlin/New York : Predigten, Sammlung 1–7, Reutlingen 1835 [nach der Ausgabe ‚Sämmtliche Werke‘] : [Predigten ed. Grosser] Sämmtliche Werke, Reihe I. Predigten [einzige], Bd. 1–5, hg. v. E. Grosser, Berlin 1873–1877; 2. Aufl., Bd. 1, 1876 : Predigten, ausgewählt von Hans Urner, Berlin 1969 : Kleine Schriften und Predigten, hg. v. H. Gerdes/E. Hirsch, Bd. 1–3, Berlin 1969–1970 : An die Herren D.D.D. von Cölln und D. Schulz, in: Theologische Studien und Kritiken, Jg. 1831 erstes Heft, Hamburg 1831, S. 3–39 (KGA I/10, S. 395–426) : Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bd. 1–4, Berlin 1863 : Briefwechsel mit J. Chr. Gaß, hg. v. W. Gaß, Berlin 1852 : Christliche Festpredigten, Bd. 2 [Nebentitel: Predigten, 7. Sammlung], Berlin 1833 [SB 1712] : Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Zweite umgearbeitete Ausgabe, Bd. 1– 2, Berlin 1830–1831 (KGA I/13,1–2) : Konfirmationsrede am 31. März 1831 in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin bei der Einsegnung des Fürsten Bismarck gehalten, hg. v. Siegfried Lommatzsch, Berlin 1895 : Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen entworfen, Berlin 1811 (KGA I/6, S. 243–315) : Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen entworfen, zweite umgearbeitete Ausgabe, Berlin 1830 (KGA I/6, S. 317–446) : Die praktische Theologie nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen hg. v. Jacob Frerichs, SW I/13, Berlin 1850 : Predigt am zweiten Sonntage des Advents 1830 in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen, Berlin 1831 : Predigten in Bezug auf die Feier der Uebergabe der Augsburgischen Confession [Nebentitel: Predigten, 6. Sammlung], Berlin 1831 [SB 2539] : Predigten von Dr. F. Schleiermacher, [Reihe 1, Berlin 1831] : Predigten von Dr. F. Schleiermacher, [Reihe 2, Berlin 1832] : Ueber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, vierte Auflage, Berlin 1831 (KGA I/12, S. 1–321) : Ueber Koloss. 1, 15–20, Theologische Studien und Kritiken, Jg. 1832 drittes Heft, Hamburg 1832, S. 497–537 (KGA I/8, S. 195226) [SB 1982]

858

Verzeichnisse

Schmidt, Bernhard: Lied – Kirchenmusik – Predigt im Festgottesdienst Friedrich Schleiermachers. Zur Rekonstruktion seiner liturgischen Praxis, SchlA 20, Berlin/New York 2002 Seibt, Ilsabe: Friedrich Schleiermacher und das Berliner Gesangbuch von 1829, Veröffentlichungen zur Liturgik, Hymnologie und theologischen Kirchenmusikforschung Bd. 34, Göttingen 1998 Siebeneicker, Arnulf: Offizianten und Ouvriers. Sozialgeschichte der Königlichen Porzellan-Manufaktur und der Königlichen GesundheitsgeschirrManufaktur in Berlin 1763–1880, Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Bd. 100, Berlin/New York 2001 Sophokles: Dramen, Griechisch und deutsch hg. und übersetzt von Wilhelm Willige, überarbeitet von Karl Bayer. Mit Anmerkungen und einem Nachwort von Bernhard Zimmermann, 2. Auflage, Darmstadt 1985 : Oedipus in Colono, cum scholiis vetustis et suis commentariis, ed. Karl Reisig, Jena 1820 Tacitus, Publius Cornelius: Quae exstant, ed. J. F. Gronovius, Bd. 1–2, Amsterdam 1685 [SB 1954] : Annalium ab excessu divi Augusti libri, ed. C. D. Fisher, Scriptorum classicorum bibliotheca oxoniensis, Oxford 1956 Terentius Afer, Publius: Comoediae sex, ed. Societas Bipontina, Bd. 1–2, Zweibrücken 1779–1780 [SB 1969] : Comoediae, edd. R. Kauer/W. M. Lindsay, Scriptorum classicorum bibliotheca oxoniensis, Oxford 1958 Theologisches Literaturblatt, Jahrgang 1836, hg. v. Georg Zimmermann, Darmstadt 1836 Virmond, Wolfgang: s. Arndt, Andreas Wißmann, Erwin: Religionspädagogik bei Schleiermacher, Gießen 1934

* * * Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin (ABBAW): Nachlass F. D. E. Schleiermacher: Nr. 450 Nr. 451 Nr. 619

Tageskalender 1830 Tageskalender 1831 Predigtnachschriften Crayen

Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz: Schleiermacher-Archiv Depositum 42a (Angaben nach Archivverzeichnis): Mp. 1

Predigten – Liederblätter – Einsegnung zur Goldenen Hochzeit

Literatur Mp. 54 Mp. 69 Mp. 70 Mp. 94 Mp. 97 Mp. 98 Mp. 99 Mp. 106 Mp. 108 Mp. 118 Mp. 119

859

Schirmer A – 18 Predigten (1818–1831) und Anhang (Dublette mit Besitzvermerk „Jonas“) sowie Beilage Woltersdorff L – 13 Predigten (1830) sowie Beilage Woltersdorff M – 5 Predigten (1831) Slg. Witwe Schleiermacher U: Pommer A – 39 Predigten (1827 und 1829–1830) sowie Beilage Slg. Witwe Schleiermacher X: Nicht identifizierte Nachschreiber – 3 Predigten (1829–1831) Slg. Witwe Schleiermacher Y: Oberheim – 2 Predigten (1830) Slg. Witwe Schleiermacher Z: Pommer B (KolosserHomilien) – 8 Predigten Crayen A – 21 Predigten (1821–1831) sowie Beilage 1822–1831 v. Oppen – 5 Predigten sowie Beilage 1830 Simon – 7 Predigten 1831 Nicht identifizierte Nachschreiber – 1 Predigt

Nachlass 481 (Schleiermacher-Sammlung), Bd.: Vorlesungsnachschrift „Theologische Enzyklopädie“

Namen Das Namensregister verzeichnet die in diesem Band genannten historischen Personen in einer heute gebräuchlichen Schreibweise. Nicht aufgeführt werden die Namen biblischer, literarischer und mythischer Personen, die Namen von Herausgebern, Übersetzern und Predigttradenten, soweit sie nur in bibliographischen oder archivalischen Angaben vorkommen, die Namen der an der vorliegenden Ausgabe beteiligten Personen, soweit ausschließlich die Arbeit an dieser Ausgabe betroffen ist, sowie der Name Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers. Bei Namen, die im Schleiermacherschen Text oder die sowohl im Text als auch im zugehörigen Apparat vorkommen, sind die Seitenzahlen recte gesetzt. Bei Namen, die in der Bandeinleitung oder den Apparatmitteilungen des Bandherausgebers genannt werden, sind die Seitenzahlen kursiv gesetzt. Adelung 6.12.14.16.22.28.62.66. 79.145.160.172.242.250.265.304. 339.348.358.375.654.715.734. 756.787.793 Altenstein XVIII Ammon XVIII–XIX.229.241.243. 346 Arndt X Bismarck XLI.467–468.481 Blanc XV Brescius XII Cicero 755 Cölln XIX–XX Crayen XXXII Decker, Georg 754 Decker, Georg Jakob (1732–1799) 754 Decker, Georg Jakob (1765–1819) 754 Decker, Rudolph (Rudolf) Ludwig 754 Dettke XXI de Wette XII

Flavius Josephus s. Josephus Foerster XIV.XVIII.XX Friedrich II. der Große 429 Friedrich Wilhelm III. XIV.XVIII– XIX.378 Gaß XIV–XV.XX Gerlach 590 Gesenius XIX.590 Gratz 690 Griesbach 209 Hardenberg (Novalis) 559 Hegel XXI Hengstenberg XIX Hirsch XIX Jonas XII–XIII.XXXVIII–XXXIX. XLII.467 Josephus 638 Knapp 209 Kober XI–XII.XVIII Lachmann 209 Leibniz 690 Lommatzsch, Carl Bernhard XLI

Namen Lommatzsch, Siegfried XLI–XLII. 467 Luther 38.116.219.222.233.238. 290.350.351.364.425 Marheineke XI.XVIII Melanchthon 155 Napoleon 507.572 Novalis s. Hardenberg Nowak X–XI.XVIII Oberheim XXXIII Oppen XXXIII Origenes 303 Pelkmann XV Platon 447 Pommer XXXIII–XXXIV. XXXIX.51.157.169 Reich XI.XIV–XVIII.XXI–XXII. 76.754 Reimer IX.XVII Rienäcker XXIII Röhr XXIII Rosenstiel, Friedrich Philipp XXII.754 Rosenstiel, Karl (Carl) Anton Wilhelm 754.755

861

Rosenstiel (geb. Decker), Louise Elisabeth XXII.754 Schadow, Johann Gottfried 754 Schadow (geb. Rosenstiel), Caroline Henriette 754 Schiller 173 Schirmer XXXV Schleiermacher, Gertrud XLI Schleiermacher, Nathanael XII Schmidt XIV–XVII Schulz XIX–XX Seibt XVII Siebeneicker 754 Simon XXXV–XXXVI.XXXIX Sophokles 755 Tacitus 840 Terentius Afer 379.565 Virmond X Walch 222 Wegscheider XIX.590 Wette s. de Wette Wißmann 76 Woltersdorff XXXVI–XXXVII. XXXIX–XL Zabel XXII–XXIII.XXXVII–XL. 722

Bibelstellen Halbfett gesetzte arabische Seitenzahlen weisen Bibelstellen nach, über die Schleiermacher gepredigt hat. Die in Schleiermachers Texten vorkommenden Bibelstellenangaben werden durch recte gesetzte arabische Seitenzahlen verzeichnet. Kursiv gesetzte arabische und römische Seitenzahlen geben solche Bibelstellen an, die im Sachapparat und in der Bandeinleitung genannt sind. Die Abfolge der biblischen Bücher ist an der Lutherbibel orientiert. Das erste Buch Mose (Genesis) Gen 1–2 1,26–27 1,26 1,27 1,28 1,31 2,15 3 8,21 9,12–13 11,1–9 12,1 12,2–3 12,3 12,10 12,10–20 13,5–12 14,8–16 15,3 15,5 15,6 16 17,1–14 17,18 20,1

555 184.808.810 666 442 145.147.381. 556.666.807 807.184.294 145 807 54.116.310.425. 617 617 472 786 789 177 786 786 786 786 787 786–787 494.786 787 371 787 786

22,18 28,12

177 653

Das zweite Buch Mose (Exodus) Ex 20,5 20,10 20,12 21,17 24,12 25,1–31,11 25,16 25,17–22 25,21 25,40 27,9–19 28,1 33,18–23 34,1 34,4 34,28

406.765 726 18.406.543 543 617 178 179 322–323 179 178 179 179 648 617 617 617

Das dritte Buch Mose (Leviticus) Lev 13–14 13,2–44 13,45–46 14,2–32 16 19,18

745 747 745–746 750 177.179.184.679 81

Bibelstellen 23,26–32 24,16

177.679 278.308

Das vierte Buch Mose (Numeri) Num 21,4–9 29,1–11 29,7–11

408 679 177

Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) Dtn 4,24 5,9 5,14 5,16 5,33 6,5 8,11–12 10,6 10,8 11,26–28 18,1–5 27,16 27,26 28 28,15–45

406 406.765 726 18.406.543 666 81 406 179 179 406 179 543 373 178 406

Das zweite Buch Samuel 2Sam 24,11–14

572

Das erste Buch der Könige 1Kön 6 8 19,9–13

178 178 348

Der Psalter Ps 8 8,4–9 14,3 16,10 18,5–6 18,23 19,3 19,13 23,4

768 807 801 492 492 666 173–174 321 284

27,4 32,3–5 34,2 37,5 40,7 40,9 53,4 55,23 56,9 69,10 84,11 90,4 103,15–16 110,1 116,10 119,46–50 119,105 119,114 124,8 133,1

863 740 124 761 633 298 201 801 577 795 349 740 282 715 201 406 XVIII 223.334.480.562. 647 232 XV.475 423.793

Die Sprüche Salomos (Sprichwörter) Spr 3,12 10,12 14,34

577.598 613.619 149.792

Der Prediger Salomo (Kohelet) PredSal 3,1–8 46 3,7 47 7,29 696 (alte Zählung 7,30) Der Prophet Jesaja Jes 1,25 9,1 9,2–7 9,5 28,16 28,29 29,16 40,3 42,2 42,3 52,7

207 454.827 423 423 495 35.385 173–174 635 28 28.622 562

864 53,6 54,13 55,11 64,3

Verzeichnisse 341 334.336 595.840 557

Der Prophet Jeremia Jer 24,7 31,31–33 31,31–34 31,33

373 272 178.206 21–22.373

Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) Ez 11,19 36,26–27

373 373

Der Prophet Joel Joel 3,1 3,1–5

470.536.675 201.476

Der Prophet Micha Mi 5,1 7,19

242 790

Der Prophet Sacharja Sach 13,7

132–133.488. 814.818

Der Prophet Maleachi Mal 3,1 3,20

635 315

Das Evangelium nach Matthäus Mt 1–2 2,13–16 2,6 3,1–3 3,2 3,4–6 3,7–12 3,10 3,11 3,12

635 831 242 635 456 456 642 456 642.817 791

3,17 4,1–11 4,11 4,16 4,17 4,25 5–7 5,1 5,5 5,6 5,8 5,9 5,14 5,17 5,21–48 5,45 6,7 6,10 6,12 6,22 6,25 6,29 6,31–33 6,33 6,34 7,1 7,6 7,7–11 7,7 7,7–8 7,9–11 7,12 7,21 7,24–25 7,28–29 8,20 8,23–27 9,8 9,10 9,12 9,13 9,34 9,38 10,5–6 10,5–14

278.659.808 659 660 454.827 487.687.731 686 686.702 686 772.782 772.781 772.782 772.782 242 37.272.612 702 718 142.563 655 649 90.270.423.833 159.645 789 645 466.490.578.611. 613.687.691–693. 729.794 568–578.593.788 609–620 621–633.584.760 813 632 645 644–655 686–697 280.497 388 457.706 489 553 768 797–798 456.735.799.829 95.735 728 13 325.731 623–624

Bibelstellen 10,16–26 10,17–18 10,18–20 10,22–25 10,22 10,24 10,30 10,32–33 10,34 10,40 11,2–10 11,3 11,5 11,11 11,16–19 11,18 11,19 11,25 11,28–29 11,28 12,8 12,19 12,20 12,24 12,30 12,34 12,38–39 12,46–48 12,46–50 12,49–50 13,3–8 13,24–30 13,45–46 13,58 15,19 15,21 15,24 16,1–4 16,1 16,3 16,13–19 16,16 16,18

454 549–550 XVIII 406 129.549–550 32.190 794–795 XVIII 549.31.349.419 55 812 812.98.311.442. 817.832 442.483 121 455–456 817 817 7.47.99.363.403. 432.442 56.72.88.126.137. 479.550.801 442 724 28 28.622 728 39.356 204.230 456.829 194 107 386.536.780 252 303 621 433 364 31 325.731 829 457 461 772 377 33.43.166.169.172. 335.675

18,1 18,2–6 18,11 18,19 18,20 19,16–20 19,16 19,20 19,21 19,29 20,20–21 20,22 20,23 20,25–28 20,26–27 20,26 20,28 20,31 20,32 20,33 21,1–10 21,9 21,12–17 22,1–14 22,21 22,37–39 23,1–33 23,2 23,4–12 23,4 23,8 23,13 23,15 24,2 24,13 24,14 24,30 24,36 25,1–13 25,14–30 25,18

865 121.192 193 95.420.436.616. 619.622.728.735 645 100.201.498.727 678–679 647 647.800 679 458 192–193.427 193 193 222 433 121 426–434.28.422. 436.496.779 433 96.760 760 84 84 349 353.457.730.816 612 81 622 37.403.456–457. 485 222 37 107.121.156.211. 220.223.242–243. 266.303.536.780 456–457 725 487 129 777 33 421–422 816 126.353.355.382. 481.583.650.756 355

866 25,21 25,23 25,24–25 25,40 26,24 26,31 26,33–35 26,36–39 26,37 26,38–39 26,38 26,39 26,40 26,41 26,45 26,46 26,52–53 26,52 26,53 26,59–63 26,61 26,63–64 26,64 26,69–75 27 27,11 27,24 27,40 27,46 27,51 27,54 27,57–60 28,1–8 28,1–10 28,6 28,18 28,19 28,20

Verzeichnisse 9.28.275.382.424. 642 9.28.382.424.642 355 780 776 132–133.488.814. 818 772 30 85 645 32 645 85 85–86.88 30–35 30 417 31 31.485 62 180.487 47 33 34.419.772 462 427 462 482–490 552 180 89 190 111 120 136–137 50.89.100.172.201. 246.294.427.434. 436.490 777 34.817

Das Evangelium nach Markus Mk 1,1–8 1,4–6

634–643 456

1,7–14 1,7 1,9 1,11 1,14 1,15–22 1,15 1,21–22 1,22 1,23–27 1,23–28 1,29–38 1,39–45 2,1–12 2,13–17 2,17 2,18–22 2,28 3,7 3,21 3,31–35 3,32 3,34–35 4,3–8 4,35–41 6,5 7,21 7,37 8,11 8,11–12 8,27–29 9,33–34 9,36–37 9,38–40 9,40 10,17–20 10,17 10,20 10,21 10,29 10,35–37 10,38 10,40 10,45 10,47–48 10,51 11,1–10

656–664 642 637 278.808 677 677–685 487.677.687.731 701 701 727 698–704 721–729 745–753 759–768 796–804.817 456.735.829 816–822 724 31 844 107 844 386.536.780 252 553 433 364 633 457 829 772 192 193 838 39 678–679 647 647.800 679 458 192–193 193 193 422 433 760 84

Bibelstellen 11,9 11,15–19 11,24 12,34 12,38–40 13,9 13,13 13,32 14,21 14,27 14,29–31 14,33–36 14,34 14,36 14,58 14,61–62 14,66–72 15 15,2 15,34 15,38 15,42–46 16,1–8 16,9–10

84 349 813 114 622 549–550 129.549–550 421–422 776 488 772 645 32 645 180 47 419.772 462 427 552 180 190 111 111

Das Evangelium nach Lukas Lk 1–2 1,26–38 1,32 1,42 1,79 2,8–11 2,10–11 2,12 2,14 2,15–20 2,15 2,17 2,19 2,22–30 2,22–35 2,25–38 2,25 2,26 2,29 2,30

635 843 808 843 145.827 636 823–833 830 823 834–845 828 828 386 636 828–829 831 383 384.386 378–389.829 384

2,34–35 2,34 2,35 2,36–38 3,3–6 3,7–9 3,15–18 3,16 3,17 3,22 4,1–13 4,30 5,16 5,29 5,31 5,32 6,5 6,37 6,40 6,45 7,18 7,19 7,22 7,47–48 8,1–3 8,5–8 8,19–21 8,21 8,22–25 9,18–20 9,22 9,44 9,46 9,47–48 9,48 9,50 9,54 9,55 9,58 9,62 10,10–11 10,16 10,21 10,42 11,2 11,4

867 387 385–386 387 829 635 642 642 642.817 791 278.659.808 659–660 488 31 797–798 456.735.799.829 95 724 346–357 190 204.230 311 98.442.817.832 442.483 649 120 252 107 386.536.780 553 772 48 48 192 193 121 356 773 271 489 488 623–624 55 99.363 294.639.655.740. 779 655 649

868 11,9–10 11,11–13 11,12 11,13 11,23 11,29 11,34 11,42–52 11,46 12,7 12,15 12,16–21 12,20 12,35–37 12,37 12,47–48 12,49 12,51 12,54–56 12,56 14,16–24 14,18–19 15,4–6 15,4 15,7 15,8–10 15,11–32 16,8 16,19–31 16,22 16,29 16,31 17,1 17,11–19 17,14–17 17,14 17,20–21 18,9–14 18,18–21 18,18 18,21 18,22 18,29 18,31–33 18,38–39 18,41

Verzeichnisse 645 654 650 654 39.356 456 90.270.423.833 622 37 794–795 710 709–720.731 731.743 816 464.795 85 419.791 419 829 461 353.457.730.816 730–744 705 221.553 705–708.XVII 705 705 363.508 113 372 113 113 41 752 752 752 115.640 799 678–679 647 647.800 679 458 48 433 760

19,10 19,11–26 19,11–27 19,12–27 19,17 19,20–21 19,29–38 19,38 19,44 19,45–48 20,46–47 21,12 21,17 22,22 22,33–34 22,41–44 22,42 22,49 22,51 22,52–54 22,54–62 22,67–70 22,70 23 23,3 23,4 23,33 23,34 23,39–42 23,43 23,46 23,50–53 24,1–10 24,9–10 24,13–35 24,18 24,20–21 24,20 24,21 24,25–26 24,25 24,36–39 24,36–43

95.420.436.442. 456.616.619.622. 728.735 464.481 583.756 126.353.355.382. 650 642 355 84 84 487 349 622 549–550 549–550 776 772 645 645 31 31.34 36–43 419.772 44–50.51 47 462 48.427 462 83 83–94.96.127. 278.490.622 95–100 95.98 101.103.108.552 190 111 120 111–113.120 96 115 133 133.136.488 133 115.488 491 111–118.130

Bibelstellen 24,36 24,39 24,49 24,50–51

209 103 38.141.194.199. 469.489.681.818 188

Das Evangelium nach Johannes Joh 1,3 1,5 1,10 1,11 1,12–17 1,12 1,14

1,16 1,17 1,19–23 1,24–26 1,24–34 1,26 1,27 1,29–30 1,29–34 1,29 1,32 1,35–37 1,35–42 1,36 1,43 1,45 1,46 1,51 2,13–17 2,13 2,17 2,19 2,24–25

400 400.814.824 400 400 399–411 300 8.32.34.49.117. 134–135.171.173. 182.186.205.211. 219.233.273.290. 311–312.315.382. 394.431.433.442. 489.494.518.557– 558.675.719.778. 791.807–809.821. 845 775 311–312 635 659 658 640.642.658 642 658 659 439 659 431.438–439 680 439 439 439 402.831 653 349 84 349 487 797

3,1–2 3,1–21 3,5–6 3,6–8 3,8 3,14 3,16 3,17 3,19 3,22–23 3,34 3,36 4,1–2 4,1–3 4,2 4,3–4 4,8–27 4,13–14 4,14 4,23–24 4,24 4,31 4,32 4,34 4,39–42 4,48 5,1 5,19–20 5,19 5,20 5,22 5,23–24 5,24–29 5,24

5,26–27 5,26 5,28–29

869 190 99 373.640 355 104.355.403 408 309 72.89.125.131. 405.442.453.616. 619.800 36.89 637.660 33 134 637 660 660 736 736 647 280.819 93.179.185.411. 487.684.702.725. 728.800.804.820 457 736 736 736.9.201.272. 751.776.811 136 456.829 84 9.88.107.397.421. 441.551.777 9.15.30.53.409 87.577.726.811 386 55 431 134.138.174.186. 245.309.372.385. 453.491.719.744. 761.800.813.819 489 5.410.430.437. 492.494 491

870 5,38 6,1–13 6,15 6,29 6,35 6,38–39 6,38–40 6,38 6,41 6,45 6,50–51 6,51 6,53–56 6,53 6,60–61 6,60 6,63

6,66–68 6,66–69 6,66 6,67–68 6,68 6,70 7,1–14 7,5 7,15 7,16–17 7,16 7,17 7,37–38 7,37 7,38 7,41 7,45–52 7,46 7,48 7,52 8,12 8,14 8,20 8,28 8,29 8,31–32 8,31–36

Verzeichnisse 806 439 31 764 88.280.638.647 55 764 201 638 334.336.373 457 88.160 88 160.638 220 457.638.640.680 56.93.170.195. 205.233.266.285. 373.443.472.784. 801.821 220.376–377 772 457.638.640.731 77 558.815 248 84 120.194.843 433 134 53 423 819 647 420.707 831 190 457.489.706 831 402.831 454.814.824 805 31 409 420 221.224 55.432

8,32 8,36 8,56 8,59 9,2 9,3 9,4 10 10,1–16 10,10 10,11–15 10,12–13 10,12–16 10,12 10,13 10,16 10,29 10,30 10,33 10,39 11,1–45 11,25 11,41–42 11,42 11,46–57 11,47–48 11,49–50 12,12–19 12,13 12,20–23 12,20–25 12,24 12,32 12,45 12,46 12,47 13,13 13,16 13,18 13,23 13,33 13,34–35 13,34 13,37–38

45.53.88.220.558. 574 88.107.220.558 783–795.805.809 488 765 766 574.619.673.703 XIII 159 793 731 165 XVIII.241 159 159 326.533.718.827 201 30.87.107.246.376. 424.553.577.726 278 488 460 491–499.495 87 103.645 84 460 460 84 84 99 439 33.777 99–100.106 272.311.315.410. 653 814.824 420 121.220 406 248 92.400 439 771.422 56.165.248 772

Bibelstellen 14,2–4 14,2 14,6 14,7 14,8 14,9 14,10 14,12–17 14,13–14 14,16 14,17 14,23 14,26 14,27 14,28 15,5 15,7 15,10–11 15,12 15,14 15,15 15,16 15,18–20 15,18–16,4 15,20 15,26–27 15,27 16,2 16,7 16,12–13 16,12 16,13–15 16,13 16,14 16,15 16,16–19 16,20 16,24

439 382.585 45.54.57.86.88.91. 93.220.410.719 410 435.438 435–444.8.272. 311.315.376.410. 420–421.653 420.436 554 473.645.811 353 15 126.375.376.410. 498.535.553.566. 726.787.804.819 195.334.552.818 549–559.6.72. 209.419.599.819 201 88.160.221.774. 815 811 89 770.248.773 769–782 88–89.107.201. 220.220–221.409. 777 248 406 594 32.190.549–550 134.447 38 594 183.777 123 57.134.195.200 72.185 183.353.818 164.195.201.322 164 818 818 811

16,26–27 16,26 16,27 16,32 16,33 17 17,1 17,3 17,4 17,6–8 17,6 17,8 17,9–11 17,14 17,17 17,18 17,19 17,20–22 17,20–23 17,20 17,21–22 17,21 17,22 17,24 17,26 18–19 18,10–11 18,15–18 18,19–21 18,19–24 18,25–27 18,33–37 18,33 18,36 18,37 18,38 19,6–9 19,6 19,7 19,10–12 19,12 19,26 19,30 19,38 19,39

871 184.810.813 809 805–815 132–133 117.135.421.554 56 99 309 224 56 224 53.201.224.806 645 56 56.60.224.814 109 814 56 645 121.224 312 108.246 788 791 56.108 462 31.34.418 772 36 62 772 51–60.427 64 34.225.417.462. 485 64 34 61–62 462 64.278.308 61–68 462 92 89.101.108.551. 743 190 190

872 20,1–10 20,3–7 20,11–18 20,14–16 20,17 20,18 20,19 20,21 20,22 20,23 20,24–29 20,24 20,25 20,26 20,29 21,1–4 21,5 21,6 21,10 21,12–13 21,15 21,16 21,18 21,20 21,24 21,25

Verzeichnisse 111 113 111.131 103 101–110 120 120.209 784.128 788.128 119–129.163 130–138.115 120 132 209 135–136 139–148 146 146 147 147 163 158–166 419 400 400 168.169.440

Die Apostelgeschichte Apg 1,1–11 1,4–5 1,4–11 1,4 1,6 1,8 1,9 1,10–11 1,12–14 1,13 1,14 1,15–26 2 2,1–4 2,1–13 2,1–41 2,4–11 2,4

175 188–189 188 818 489 38.189–190.202 102 176 188–197 818 120 189 469 188.199 198 188.681 472 203–205.469

2,11–13 2,13 2,14–36 2,16–21 2,17 2,22–23 2,22 2,23 2,24 2,27 2,31–32 2,31 2,33 2,34 2,36 2,37 2,38–39 2,38 2,39 2,41–42 2,41 3,13–15 3,17 3,19 4,1–21 4,1–22 4,9 4,12 4,19 4,21 4,24–28 4,24–30 4,27 4,32 5,14 5,29 5,38–39 9,1–9 9,1–22 9,4 9,15 9,22 9,31

198–207 469 73–74.122.168. 198–199.469 476 536.675 681 325 74 168 492 168 492 201 201 74.168.171.201 74.122.773 470 74.122.476.681 201–203 469 467–481.74.604. 773 126–127 126–127 126–127 473 191 406 16.33.74.393.452. 473.518.826.845 191 191 416 191 191 123 379 33.191.235.350– 351.418.485 38 112 172 172 241 335 379

Bibelstellen 10,34–35 10,36 10,40–41 10,41 12,24 13,35 13,37 14,17 16,1–3 16,6–7 17,22–31 17,28 17,30 17,30–31 17,31 18,28 19,22 20,4 20,28 21,27–28 22,3–21 22,6–11 22,7 26,12–18 26,12–23 26,14 26,22–23 26,24 28,16–17

534 415–425.435–436 168–169 171 379 492 492 388 211 651 127 719.833 89.290.807 127 382 335 211 211 186 602 172 112 172 112 172 172 XVIII 416 602

1,21 1,23 1,24 1,26 2,12–13 2,12–14 2,14–15 2,14 2,15 2,17–18 3,10 3,17–20 3,19–20 3,20 3,23 3,28 4,3 4,4–5 4,16 4,17 4,25 5,1 5,5

Der Brief des Paulus an die Römer

5,8

Röm 1,5 1,16 1,17 1,18–3,20 1,18–3,31 1,18

5,10 5,12–18 6,1 6,2 6,3–11 6,4–5 6,4 6,5 6,6 6,8–11 6,10 6,11 6,16 6,17–18

1,19–20 1,19 1,20–21 1,20 1,21–23

5 474.487.592 728 306.533 518 272.308.310.315. 538.813 199.271.556–557. 671 310 813 310.314.381.392. 440 272

873 199–200.308.310. 315 310.315.538 308 308 272 373.533 291 257.271.306.531. 536–537 90.315.364–365. 688.691 272 801 533 127 283.494.551.638. 767 54.199.281.283. 307.456.469.479. 518.531.533.801 494 494.786 405 787 807 470 592 124.261.264.362. 405.409.477.530. 535.599.696.705 124.210.290.405. 490 477.490 529 538–539.553 539 116.446 102 309.371.529–530 106 185.370 529–530 36 102 430 530

874 6,18 6,19–22 6,20–23 6,21 7,6 7,7 7,7–8 7,8 7,14–21 7,14–23 7,14–25 7,14 7,18 7,19–20 7,22–23 7,22 7,23 7,24 7,25 8,1 8,2 8,9–10 8,14–17 8,14 8,15–17 8,15–21 8,15 8,16 8,17 8,18–23 8,19 8,21 8,26 8,28 8,35 8,37 8,38–39 8,39 9,1–3 9,1–11,31 9,22–24 10,1

Verzeichnisse 430 288 430 734 539 127.283.551.767 615 638 532 316.370.373 282 22.258.405.486 477–478 678 418.532.613 477.678 104.678.735.794 282.316.370.431 316 282.317.321.418. 534 104.258 286 289 617 530 266 5.207.210.283. 295.442.458.530. 538.629 210.536.720 50 570 655 24.78.80.240.288. 655 654.478.655 425.479.510.554. 819 672 672 185 290 652 530 530 652

10,4 10,9–10 10,9 10,14 10,17–18 10,17 11,1 11,3 11,4–5 11,11–12 11,22–25 11,25 11,26–31 11,26 11,32–33 11,32 11,33–36 12,1–13,10 12,2 12,4–5 12,6 12,7–16 12,11 12,14 12,15 12,21 13,1–2 13,1–7 13,1 13,3–4 13,4 13,7 13,8 13,10 13,11–14 13,12 14,17 14,23 15,15–16 15,20 16,20

222.789 XVIII 230 531.652 652 338 652 652 652 530 530 330.652 530 826 529–539.550 442.476.808 529–530 11 592 11.375.827 183 424 11–16 593 589–599.140 90.627.831 279 612 340.374.406.485– 486.502 406 502 279 222 17–22 794 201 285 25.162.574 5 213.359 790

Der erste Brief des Paulus an die Korinther 1Kor 1,10–13 1,10

218–219 XVIII

Bibelstellen 1,11–13 1,12 1,23 1,30 2,9 2,12–15 3,2 3,3–10 3,4–9 3,4 3,5 3,7–8 3,7 3,11–14 3,11–15 3,11 3,12–13 3,12–15 3,15 3,16–17 3,16 3,18–19 3,18 3,19 3,21–22 3,21 3,22–23 3,22 3,23 4,1–2 4,1 4,17 5,1–5 5,1 5,3–5 5,4–5 6,19 7,1–7 7,20–22 7,20–24 7,20 7,21 7,22

221–222 151 831 316.411 557 79 541 150 603 151.403 606 152 150.155 39 58 XVIII.29.152– 153.173.240.384. 495.587.641 153 385.388 153 149–157.26.544 7 151 157 151 29.344 150.153–154.157. 403 156.222.226 222.225.403 157 69–82.582 222.241.249.263. 715 211 40 40.122 122–123 40 7.671 343 218 739 381 381.546.792 219

7,23 7,31 8 8,1 8,4 8,7–13 8,8 9,16 10,12 10,23–31 10,24 10,29 11,28 12 12,3 12,4–5 12,4–6 12,4–11 12,4–27 12,4 12,7 12,8 12,12–27 12,14 12,28–31 12,28 13,1–3 13,1–13 13,1 13,4–5 13,4 13,5 13,8–9 13,9 13,12 13,13 14,33 14,34 15,3–9 15,5–7 15,5 15,6 15,8

875 217–227 592 285 285 25 25 285 328 212 285 47.156.196.461. 598.630 42 79 150.152.327 28.39–41.80.339. 356.498.516.539 375 588 42 661 183 649.5–6.16.150. 196–197.375.407. 411.479.588.845 42 827 196 42 375.606 42–43.161 664 42.72.165.205 23–29 42 422 55 29.42.661 29 29.55 339 193 113 167 113 167–174 172

876 15,10 15,12 15,13–19 15,28 15,57

Verzeichnisse 5 40 40 558 418

Der zweite Brief des Paulus an die Korinther 2Kor 1,20 1,22 1,24 2,5–10 2,10 2,12 3,2–3 3,3 3,4–11 3,6–7 3,6 3,7 3,8 3,18 4,6 4,13 5,1 5,7 5,14 5,16 5,17 5,18 5,19–20 5,19 7,10 10,12–16 11,15 12,7–8 12,7–10 12,7 12,9

369.812 530 606 123 123 651 509 206.354.617 338 339.354 195.205.285.366. 472.486.606.725 206 338 408.424.478–479 814.824 406 180 29 41.43.363.406. 457.553.602–603. 651.672.694 214.402 105.790.821 126.361 72 312.360.369.408. 477.530.536 592 213.359 83 787 651 418 6.110.282–283. 418.425.539.571. 788

Der Brief des Paulus an die Galater Gal 1,11–16 2,2 2,4–14 2,4 2,7–9 2,7 2,9–10 2,9 2,11–14 2,16–18 2,16 2,17 2,19–21 2,19 2,20 2,21 3,1 3,2 3,3–4 3,6–7 3,6 3,10 3,15 3,17–18 3,19–25 3,19 3,21 3,22–23 3,22 3,23–24 3,23–25 3,23 3,26–29 3,28 4,1–2 4,1–7 4,1 4,4–5 4,4–7 4,4

112 652 221–222 360 5 213.359.652 603 251.773 603 254–267.277 277.279.282.284– 285.494 282 277–286 308.373.375.486. 539 552.106.109. 295.300.539.572.617 257.272 137.284–285 5 284 787 371.494.786 373 371 371 494 291 257–258.272.406 258.374 550.442.476.808 291 266.408 136.289.306 518 402 544 266 289 289 289 37.62.72.210.291. 299.382.405.536. 733

Bibelstellen 4,6

5.207.210.283. 295.442.458.530. 538.629 24.222.288 264 5.15.17.28.162. 179.196.214.223. 266.329.362.755. 767 222 24.80.222.288 349 418 617 185 129

4,15 4,24 5,15–21 5,16 5,19–20 5,27

Der Brief des Paulus an die Epheser

Phil 2,3 2,4

5,1 5,4 5,6

5,13–14 5,13 5,15 5,16–18 5,22–23 5,24 6,9

Eph 1,4 1,10 1,22–23 1,22 2,1 2,8 2,11–21 2,14–16 2,14 2,15 2,16 2,19–22 2,19 2,20–21 2,20 2,21–22 2,21 3,6–7 3,6 3,15 4,3 4,4–6 4,4 4,11–12 4,13

181.184 539 827 81 430 494 518 185 93.214.331.477. 539.567.587.793 478 477 202.587 177 587 495 26.179.477 181 606 827 203 196–197.235.383. 473.537.567.586. 629.812.821 588 827 333–345 490

5,30 6,5 6,11 6,13 6,14 6,16–17 6,18

877 81 478 744 744 744 65.71.242.318.323. 339 827 230.279 57 57 57 57 564

Der Brief des Paulus an die Philipper

2,5–7 2,6–7 2,6 2,7 2,8 2,9 2,10–11 2,10 2,13 2,21 2,22 3,12 3,13 3,15 4,4 4,6

508 500–510.196.422. 434.437.598.630 503–504 422 443.824 28.92 124.299.486.490 50.133.148.183 35.184.490.791 58.100.452.780. 845 276.477–480.514. 613 47.156.461 211 266.320 321.499.616.767 123.237 592 561

Der Brief des Paulus an die Kolosser Kol 1,1–5 1,3–8 1,7–8 1,9–12 1,12

208–216.244 244–253 607 268–276 212

878 1,13–18 1,13 1,15–20 1,15 1,16 1,18–23 1,18 1,19 1,22 1,23–29 1,23 1,24 1,25 2,1–7 2,4 2,8–17 2,9 2,12–13 2,16–23 2,16 2,18–23 2,20–21 3,1–2 3,1–4 3,1 3,4 3,5–8 3,5–11 3,5–17 3,5 3,6 3,7 3,9–10 3,9–11 3,10 3,12–14 3,12–17 3,14–15 3,14 3,15 3,16 3,17 3,18–4,1 3,23

Verzeichnisse 287–295 212 292 305 312 305–312.287 81.306 391 65.71.242.287– 288.318.323 324–332 606 224.225 606 358–366 368 367–377.512 181.391 512 445 360 390–398 446 245 445–453 246 512 447–448 511–519 560 447.450 450 450 448 520 478 448 520–528.541.579 448.452 20.22.43.82.222. 235.317.519.586– 587.599.619.821 587 547.560.587 562.564.588 540–548.560.579 481.468.564.739

4,2–4 4,3 4,5–6 4,7–18 4,12–13 4,18

560–567.579 247 579–588.560–561 600–608 251 247

Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher 1Thess 4,13 5,6 5,15 5,17–18 5,21–22 5,23–24

384 31 320 561 42 XV

Der erste Brief des Paulus an Timotheus 1Tim 3,1 4,8

606 665–676.670

Der zweite Brief des Paulus an Timotheus 2Tim 1,10 2,12 3,17 4,8 4,10–11

477 50 478 756 602

Der Brief des Paulus an Titus Tit 2,14 3,1

3.242.434 279

Der Brief des Paulus an Philemon Phlm 10 23–24

604 601 620

Der erste Brief des Petrus 1Petr 1,18–19 1,25 2,5 2,9

186 XVIII 179.181.202 177.180.186

Bibelstellen 2,24 2,25 3,15 3,17 3,21 4,8 4,10 5,1–3 5,3 5,7 5,8

299 341 228–243.XVIII. 255 406 467–481.476– 477.479 613.619 222.241.266.718 340 342.606 411.577.758 31

Der zweite Brief des Petrus 2Petr 1,2 1,16 1,19 3,8

3–10 8 824 282

Der erste Brief des Johannes 1Joh 1,8–9 1,8 1,9 2,5 2,8 2,9–10 2,12–13 2,15–16 3,2 3,18 3,19–20 3,20 4,1 4,2 4,4–5 4,7 4,9–12 4,16–21 4,16 4,18 5,1–2 5,4 5,12

282 283.320.767 128.320.322 773 824 773 92 264 791.187.215.331. 447.451 356.773 767 321 641 168 264 92 773 773 20.22.92.290.567. 806.815 576–577 773 117.135.174.387 92

879

Der zweite Brief des Johannes 2Joh 5–6

773

Der Brief an die Hebräer Hebr 1,3 2,5–17 2,10 3,4–6 3,5–6 4,12 4,15 4,16 5,2 5,7 5,8–9 5,12–13 5,12 6,1 6,6 8,1–2 8,5 8,7–10 8,7 8,10 9,7 9,11 9,12 10,1 10,3 10,5 10,7–9 10,9 10,10 10,12–14 10,14 10,16 10,19 10,24 12,2 12,3 12,6 13,7–8 13,8 13,9

166.499 537 242.519 294 8 452 184.298 299–300.322–323 184 184 299 176 541 176 86 175–187 21.178.405.439 178 21 21.22.206 184 176 176.185 21.177.297.299. 405.439 766–767 298 298 201 298–299.327 296–304.340 327 21 299–300 300 173.393.455.478. 498.519 454–466 577.598 XVIII.241 195.286.833 74.76.115.643

880

Verzeichnisse

Der Brief des Jakobus Jak 1,1 1,17 2,17 3,15

222 318 182.527.613.661. 758 362 697

3,17 5,16

697 313–323

Die Offenbarung des Johannes Offb 3,19 22,5

222 598 201