Krieg und Revolution in der Karibik: Die Kleinen Antillen, 1789–1815 9783110608830, 9783110605853

The study investigates the shifting loyalties on the part of colonial elites in the Lesser Antilles to the centers of em

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German Pages 553 [554] Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
Dank
Einleitung
I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution, 1789–1794
1. Die Kleinen Antillen am Ende des Ancien Régime
2. Revolution und Konterrevolution in den Kleinen Antillen, 1789–1793
3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen, 1793–1794
II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen, 1794–1802
4. Das französische Abolitionsdekret 1794: Ursachen und Hintergründe
5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit: Guadeloupe, 1794–1798
6. Krieg in den Kleinen Antillen, 1794–1798
7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie, 1796–1800
8. Guadeloupe und die Wiedereinführung der Sklaverei, 1799–1802
III. Zurück ins Ancien Régime? Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen, 1801–1815
9. Der Zusammenhalt des französischen Imperiums nach der haitianischen Revolution
10. Brüche und Kontinuitäten: Guadeloupe, 1802–1809
11. Martinique zwischen Trikolore und Lilienbanner, 1801–1809
12. Zwischen globalem Krieg und Kleinkrieg: Kriegsführung in der Karibik, 1802–1809
13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs, 1808–1810
14. Die letzte Schlacht: die Herrschaft der Hundert Tage in den Kleinen Antillen, 1815
Schlussbemerkungen
Karten
Abkürzungen
Archivalien
Bibliografie
Personenregister
Ortsregister
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Krieg und Revolution in der Karibik: Die Kleinen Antillen, 1789–1815
 9783110608830, 9783110605853

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Flavio Eichmann Krieg und Revolution in der Karibik

Pariser Historische Studien Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris

Band 112

Flavio Eichmann

Krieg und Revolution in der Karibik Die Kleinen Antillen, 1789–1815

Pariser Historische Studien Herausgeber: Prof. Dr. Thomas Maissen Redaktionsleitung: Dr. Stefan Martens Redaktion: Veronika Vollmer Anschrift: Deutsches Historisches Institut (Institut historique allemand) Hôtel Duret-de-Chevry, 8, rue du Parc-Royal, F-75003 Paris

Zugl. überarb. Fassung von Bern, Univ. Diss. 2016

Library of Congress Control Number: 2019932021 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Lektorat: Maximilian Groß, Paris Umschlagabbildung: Reprise de la Guadeloupe, Gravur, aus: Auguste Lacour, Histoire de la Guadeloupe, 4 Bde., hg. von Jacques Adelaïde-Merlande, Basse-Terre 1976, Bd. 2, S. 394f. www.degruyter.com ISBN 978-3-11-060585-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-060883-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-060610-2 ISSN 0479-5997

Inhalt Dank

9

Einleitung Forschungsstand und Forschungsdesiderate . . . . . . Analytischer Rahmen und erkenntnisleitende Fragen . Quellengrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über Begrifflichkeiten, Schreibweisen und Währungen

13 . . . .

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19 29 35 36

1. Die Kleinen Antillen am Ende des Ancien Régime . . . . . . .

41

Geografie, Verkehr und Information . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaft, Gesellschaft und Sklaverei . . . . . . . . . . . . . . Kolonialstaat und bewaffnete Streitkräfte . . . . . . . . . . . .

41 46 57

2. Revolution und Konterrevolution in den Kleinen Antillen, 1789–1793 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution, 1789–1794

Die Erosion des alten Kolonialstaates, 1789–1790 . . Der Bürgerkrieg auf Martinique, 1790 . . . . . . . . . Der Weg in die Konterrevolution, 1792 . . . . . . . . Unter dem Banner der Konterrevolution, 1792–1793 . Lacrosse und der Kampf der »patriotes« . . . . . . . .

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70 74 81 87 97

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen, 1793–1794 105 Das Scheitern der anglo-royalistischen Offensive, 1793 . . . . Verschwörungen und Intrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Hunger des britischen Löwen: die Grey-Jervis-Expedition, 1794 . . . . . . . . . . . .

108 115 124

II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen, 1794–1802 4. Das französische Abolitionsdekret 1794: Ursachen und Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

Das Abolitionsdekret vom 16. Pluviose Jahr II . . . . . . . . . Die Abolition und die Kleinen Antillen . . . . . . . . . . . . .

141 150

6

Inhalt

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit: Guadeloupe, 1794–1798 . Der Kampf um Grande-Terre und die Abschaffung der Sklaverei Die Rückeroberung Guadeloupes . . . . . . . . . . . . . . . . Die Terreur und die Neuordnung der Plantagenwirtschaft Guadeloupes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der fließende Übergang von Sklaverei zu Zwangsarbeit . . . .

155 156 169 174 182

6. Krieg in den Kleinen Antillen, 1794–1798 . . . . . . . . . . .

195

Die Rückeroberung Saint Lucias, 1795 . . . . . . . . . . . . . Alte Rechnungen: der Aufstand Julien Fédons auf Grenada, 1795–1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Saint Vincent: die Rebellion der Kariben gegen die britischen Zuckerbarone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martinique und die Grenzen der republikanischen Expansion . Ziele und Hintergründe der republikanischen Offensive, 1795–1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »The Empire Strikes Back«: die Abercromby-ChristianExpedition, 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Niederschlagung der Rebellionen in den Kleinen Antillen, 1796–1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Kleinen Antillen in den Revolutionskriegen

198

252 263

7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie, 1796–1800 . . . . . . . . . . . . . . . .

271

Krieg als Selbstzweck: die Kaperfahrer Guadeloupes und ihre Nutznießer . . . . . . . . . . . . . . Der Verfassungskonflikt, 1795–1798 . . . . . . . . . . Neues Personal, neues Glück? . . . . . . . . . . . . . Falsche Freunde: der Überfall auf Curaçao, 1800 . . . Die Desintegration des französischen Kolonialreiches

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204 219 230 236 244

271 278 292 302 310

8. Guadeloupe und die Wiedereinführung der Sklaverei, 1799–1802 315 Die Rückkehr von Lacrosse und die Wiedereinführung der Sklaverei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warten auf Richepance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richepance, Pélage, Delgrès und der Kampf um Guadeloupe Die Rückkehr der Pflanzer, der Guerillakrieg und die französische Armee . . . . . . . . . . . . . .

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319 332 336

.

345

Inhalt

7

III. Zurück ins Ancien Régime? Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen, 1801–1815 9. Der Zusammenhalt des französischen Imperiums nach der haitianischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . .

351

10. Brüche und Kontinuitäten: Guadeloupe, 1802–1809 . . . . . .

359

Guadeloupe: eine Kolonie in Ruinen? Eine Momentaufnahme Segregationspolitik nach der Wiedereinführung der Sklaverei . Mangelwirtschaft: Pflanzer, Kaufleute und der Kolonialstaat Guadeloupes, 1803–1810 . . . . Der letzte Rettungsanker? Kaperei und Beuteökonomie, 1803–1810 . . . . . . . .

360 363

375

11. Martinique zwischen Trikolore und Lilienbanner, 1801–1809 .

381

Kolonialstaat und Kolonialwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . Subversive Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Militär und Gesellschaft auf Martinique, 1802–1808 . . . . . .

383 392 404

12. Zwischen globalem Krieg und Kleinkrieg: Kriegsführung in der Karibik, 1802–1809 . . . . . . . . . . . .

411

Der Krieg um die Vorherrschaft in der Karibik, 1803–1804 . . Die Karibik und die Vorentscheidung zur Schlacht von Trafalgar, 1804–1805 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewalt und Profit: Kriegsalltag in der Karibik . . . . . . . . . Der Kampf um die Neutralen und Lateinamerika, 1805–1808 .

368

411 419 428 433

13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs, 1808–1810 .

443

Vorgeplänkel: La Désirade und Marie-Galante . . . . . . . . . Der Fall Martiniques, 1808–1809 . . . . . . . . . . . . . . . . Widerstand bis zum letzten Mann? Guadeloupe, 1808–1810 . .

444 449 457

14. Die letzte Schlacht: die Herrschaft der Hundert Tage in den Kleinen Antillen, 1815

473

Die Bourbonen und die Wiederherstellung des französischen Kolonialreiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Abolition napoléonienne«: Globalpolitik der Hundert Tage . . Die letzte Schlacht der Koalitionskriege . . . . . . . . . . . . .

473 482 486

Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

503

8

Inhalt

Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

511

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

519

Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

521

Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

525

Biografische Hilfsmittel . . . . . . . . . Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . Unveröffentlichte Qualifikationsschriften

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525 525 527 542

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

543

Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

549

Dank Die vorliegende Studie ist eine gekürzte und inhaltlich leicht überarbeitete Fassung meiner im Jahr 2016 an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Bern eingereichten Dissertation. Am Anfang meiner Beschäftigung mit dem Thema – so viel Ehrlichkeit muss sein – stand blanke Unkenntnis der karibischen Geschichte im Zeitalter der Revolutionen. Weder waren mir die zahlreichen Inseln und historischen Akteure vertraut, noch hatte ich eine Ahnung von der welthistorischen Bedeutung dieses scheinbar peripheren Kriegsschauplatzes. Doch je mehr ich über die karibische Geschichte las, desto größer wurde meine Faszination für die Materie. Dennoch war es in gewisser Hinsicht ein Wagnis, mich in ein Thema hineinzustürzen, das mir völlig fremd war und zu dem die meisten Expertinnen und Experten auf der anderen Seite des Atlantiks lehren und forschen. Es war deshalb mein großes Glück, dass sich Prof. em. Dr. Stig Förster bereit erklärte, eine Dissertation zur Karibik während der Koalitionskriege zu betreuen. Seine grenzenlose Begeisterungsfähigkeit und intellektuelle Offenheit waren dabei immer eine große Motivation. Gleichzeitig brachte er mir stets Vertrauen sowie Geduld entgegen und ermöglichte mir, die Dissertation im Rahmen einer Assistentenstelle zu schreiben. So hatte ich ausreichend Zeit, mein eigenes Forschungsprojekt zu entwerfen. Diese akademische Freiheit war eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass etwas genuin Neues entstehen konnte. Für den intellektuellen Freiraum und seine Freundschaft sei Stig Förster von ganzem Herzen gedankt. Bekanntlich finden sich an einem Lehrstuhl oft genug Gleichgesinnte. Es war deshalb immer eine große Freude, mich mit den anderen Forschenden der »Förster-Schule« auszutauschen. Dies gilt namentlich für Dr. Tanja Bührer und Dr. Andreas Stucki. Von Tanja Bührers analytischem Zugang und ihren kritischen Einwürfen hat die vorliegende Arbeit maßgeblich profitiert. Schließlich hat ihre Direktheit und Solidarität geholfen, die Absurditäten des akademischen Alltags zu meistern. Andreas Stucki hat dank seinem Wissen über die Karibik nicht nur meinen Horizont erweitert, sondern nahm es auch auf sich, das ganze Manuskript kritisch zu kommentieren. Zudem boten die gemeinsamen Mittagessen im Blauen Engel, im Waldheim und im Zebra immer wieder Gelegenheit, aus dem Elfenbeinturm auszubrechen und weltlichen Genüssen zu frönen. Eine große Bereicherung für das Projekt war auch Dr. Jasper Heinzen. Dank seiner Expertise über die Koalitionskriege erhielt ich zum einen wichtige inhaltliche Hinweise, und zum anderen boten die gemeinsamen Gespräche über die damalige Zeit immer wieder Anlass zu viel Gelächter. Zum erfolgreichen Abschluss der vorliegenden Studie trugen auch zahlreiche weitere Postdocs, Doktorierende und ehemalige Studierende des Lehrstuhls bei, so Tamara Braun, Christoph Hertner, Dr. Philipp Marti, https://doi.org/10.1515/9783110608830-201

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Dank

PD Dr. Dierk Walter und Tobias Wiederkehr. Schließlich bin ich auch einigen weiteren Forschenden des Historischen Instituts der Universität Bern zu Dank verpflichtet, namentlich Prof. Dr. Christian Büschges, der das Zweitgutachten übernommen hat. Seine Anmerkungen waren insbesondere für die Überarbeitung des Manuskripts sehr hilfreich. Für ihre wertvollen Hinweise, Kommentare und Kritik sei auch Prof. em. Dr. Marina Cattaruzza und Prof. Dr. Christian Gerlach gedankt. Ein wichtiger Meilenstein des Projekts war ein einjähriger Archivaufenthalt in Frankreich und Großbritannien, der freundlicherweise vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen eines Doc.Mobility-Stipendiums finanziert wurde. Weitere Archivreisen führten mich dank der Unterstützung der Feldspesenkommission der Universität Bern in die Karibik und in die USA. In den Archives nationales d’outre-mer in Aix-en-Provence war insbesondere Jacques Dion eine große Hilfe dabei, mir einen Überblick über das umfangreiche Quellenmaterial zu verschaffen. Die tristen Wintermonate im abgedunkelten Raum für Mikrofilme wurden nicht nur durch das reichhaltige kulinarische Angebot der Stadt erträglich, sondern auch durch die Freundschaft mit Mélanie Lamotte, Emily Lord Fransee und Emily Marker, die zu jener Zeit ebenfalls in Aix-en-Provence und teilweise später auch in Paris forschten. Ein großes Dankeschön gilt insbesondere Tessa Murphy, die damals ebenfalls zu den Kleinen Antillen im Zeitalter der Revolutionen promovierte. Unsere Forschungsvorhaben waren glücklicherweise nie durch Konkurrenz geprägt, sondern vielmehr durch Kooperation – was in solchen Fällen bekanntlich keineswegs selbstverständlich ist. Auf zahlreichen Tagungen, Kolloquien und Workshops erhielt ich immer wieder wertvolle Hinweise, die in die Studie einflossen, so namentlich von Andy Cabot, Dr. Kenneth Johnson, Dr. Friedemann Pestel, Prof. Dr. Jeremy Popkin, Dr. Victor Wilson und Dr. Roberto Zaugg. Es war mir eine große Freude und Ehre, dass das fertige Dissertationsmanuskript 2016 mit dem Preis für die beste Dissertation des Historischen Instituts der Universität Bern und 2017 mit dem ersten Förderpreis für Militärgeschichte und Militärtechnikgeschichte ausgezeichnet wurde. In diesem Zusammenhang gilt mein großer Dank insbesondere Prof. Dr. Sönke Neitzel, der den wissenschaftlichen Beirat des Förderpreises präsidiert. Besonders gefreut hat es mich, dass das überarbeitete Manuskript in der renommierten Reihe Pariser Historische Studien des Deutschen Historischen Instituts Paris erscheint. Für die Aufnahme der Studie in die Reihe und die großzügige Übernahme der Druckkosten sei deshalb dem Direktor des Instituts und Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Thomas Maissen, sowie Dr. Stefan Martens herzlich gedankt. Maximilian Groß und Veronika Vollmer haben sich mit einer unvergleichlichen Akribie dem Lektorat des Manuskripts gewidmet. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam hat trotz des für die Bundeswehr doch eher exotischen Themas freundlicherweise das Kartenmaterial für die vorliegende Studie erstellt und die Kosten

Dank

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dafür getragen. Hierfür bin ich Bernd Nogli, Sabrina Gherscfeld und dem Kommandeur des Zentrums, Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann, verbunden. Ein besonderes Dankeschön gilt meinen Freunden und meiner Familie. Dominic, Jana, Nathalie und Manuel mussten sich wohl mehr Abenteuergeschichten aus der Karibik anhören, als ihnen lieb war. Meine Familie, Beatrice, Michael, Sabina und Juan, verfolgten das Projekt immer mit großem Interesse und halfen mir, wo sie nur konnten. Mein größter Dank geht an meine Partnerin Eva Keller. Auf ihre Unterstützung war immer Verlass. Sie korrigierte das Dissertationsmanuskript während ihres Aufenthaltes in Paris mit beeindruckender Gründlichkeit, obwohl vor der Haustür die wunderbarste Stadt der Welt auf Entdeckung wartete und sie gleichzeitig an ihrem eigenen Forschungsprojekt arbeitete. Sie zog gar die gemeinsame Erkundung alter Befestigungsanlagen und verfallener Plantagen den Stränden Martiniques und Guadeloupes vor – und all dies trotz ihrer Abneigung gegen Themen, in denen (zu viel) Pulverdampf in der Luft liegt. In den letzten Stadien des Publikationsprozesses war schließlich auch meine Tochter Franca immer eine wichtige Aufmunterung und Motivation, die mir half, das Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Bern, im August 2018

Flavio Eichmann

Einleitung Und indes der Lärm rollender Lafetten anschwoll, indes Kabel und Flaschenzüge quietschten, laute Rufe ertönten, Vorbereitungen getroffen und eilig Formationen gebildet wurden unter dem Wiehern der Pferde, die das nahe Land und die frische Weide witterten, ließ sich Victor Hugues von den Druckern einige hundert während der Überfahrt hergestellte klecksige Plakate übergeben, auf denen in großen Lettern der Text des Erlasses vom 16. Pluviose gedruckt stand, der die Abschaffung der Sklaverei verfügte und Gleichberechtigung vor dem Gesetz für alle Bewohner der Insel ohne Ansehen von Rasse und Stand proklamierte. Dann durchmaß er mit festem Schritt das Oberdeck, trat auf die Guillotine zu und nahm die geteerte Umhüllung ab, dass das Blutgerüst zum ersten Mal im Licht der Sonne erstrahlte, mit nackter, scharf geschliffener Beilschneide. Im Glanz aller Insignien seiner Autorität, unbeweglich, zur Statue erstarrt, die rechte Hand an die Pfosten der Maschine gestützt, hatte sich Victor Hugues in eine Allegorie verwandelt. Zusammen mit der Freiheit hielt die erste Guillotine ihren Einzug in der Neuen Welt1 .

Mit diesen Worten beschrieb der kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier in seinem Roman »El siglo de las luces« die Vorbereitungen eines französischen Expeditionskorps im Sommer 1794 zur Landung auf der Karibikinsel Guadeloupe, die seit wenigen Monaten von britischen Streitkräften besetzt war. Die im Archipel der Kleinen Antillen gelegene Kolonie (siehe Karte 1, S. 512) hatte sich bis zum Ausbruch der Französischen Revolution zum viertgrößten Zuckerproduzenten der Karibik aufgeschwungen. Den Preis für den daraus entstandenen Reichtum zahlten die rund 90 000 afrikanischen Sklaven, die auf den Zucker und Kaffeeplantagen Guadeloupes unter erbärmlichsten Bedingungen schufteten2 . Nach der Landung der Nationalgardisten erklärte der Kommissar des Nationalkonvents Victor Hugues die Sklaven der Kolonie für frei und zu citoyens der französischen Republik. In der Folge vertrieben die republikanischen Truppen mithilfe ihrer neuen Mitbürger nicht nur die britischen Besatzer, sondern sie zwangen auch eine überwältigende Mehrheit der Plantagenbesitzer der Kolonie zur Flucht. Wer Hugues und seinen Anhängern in die Hände fiel, musste damit rechnen, der eigens aus Frankreich mitgebrachten Guillotine zum Opfer zu fallen. Indem sie einen Großteil der lokalen Kolonialeliten, die gemäß der berühmten Kollaborationstheorie Ronald Robinsons das Rückgrat jeder Kolonialherrschaft in Plantagenkolonien bildeten3 , vertrieben 1 2

3

Alejo Carpentier, Explosion in der Kathedrale, Frankfurt a. M. 1977, S. 142 (span. Originalausgabe 1962). Anne Pérotin-Dumon, Commerce et travail dans les villes coloniales des Lumières, in: Revue française d’histoire d’outre-mer 75 (1988), S. 31–78, hier S. 39; Laurent Dubois, A Colony of Citizens. Revolution & Slave Emancipation in the French Caribbean 1787– 1804, Chapel Hill 2004, S. 50f. Ronald Robinson, Non-European Foundations of European Imperialism. Sketch for a Theory of Collaboration, in: Roger Owen, Bob Sutcliffe (Hg.), Studies in the Theory of Imperialism, New York 1976, S. 117–142.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-001

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Einleitung

beziehungsweise ermordeten und den Sklaven der Kolonie das französische Bürgerrecht zuteil werden ließen, stellten die Abgesandten der Metropole die kolonialen Herrschaftsverhältnisse mit einem Schlag auf den Kopf. In der Geschichte des europäischen Imperialismus ist dies ein einmaliger Vorgang. Diesem einschneidenden Ereignis waren Jahre gesellschaftlicher Konflikte in der Zuckerkolonie vorangegangen, die teils bürgerkriegsähnliche Ausmaße erreichten, und schließlich in der Machtübernahme aristokratischer Pflanzereliten gipfelten, nachdem deren Anhänger im September 1792 auf den Forts der Kolonien Martinique und Guadeloupe die weiße Fahne der Konterrevolution gehisst hatten4 . Dem nicht genug: In London hatten die Spitzen der französischen Pflanzeraristokratie mit der britischen Regierung über eine Übergabe der beiden Kolonien an britische Streitkräfte verhandelt5 . Damit war das Tuch zwischen der Pariser Regierung und ihren Kolonien in den Kleinen Antillen endgültig zerschnitten. In Frankreich hatte sich die Revolution durch den Ersten Koalitionskrieg und die allgemeine Paranoia über tatsächliche und angebliche Intrigen der Konterrevolutionäre derart radikalisiert, dass die Nachrichten aus der Karibik zwangsläufig als Verrat an der Republik interpretiert werden würden. Eine scharfe Reaktion des von den radikalen Montagnards rund um Robespierre dominierten Nationalkonvents war die logische Folge, denn seit Anfang 1793 erzwang die Pariser Metropole die Loyalität zur Republik in den französischen Provinzen zunehmend mit einer Politik des Terrors, nachdem überall in Frankreich Aufstände gegen die Einberufung von Wehrpflichtigen und die Erhebung neuer Steuern ausgebrochen waren. Die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols fand ihren Höhepunkt zweifellos in der Vendée, wo die Todesschwadronen der Republik ganze Landstriche verheerten und tausende Menschen ermordeten6 . Es ist die Hauptthese der vorliegenden Studie, dass diese gewaltsame Erzwingung von Loyalität zur Metropole in den Kleinen Antillen ihre Fortführung fand, indem die Abgesandten aus Paris Guadeloupe mit Terror überzogen und die Sklaverei abschafften. Terreur und Abolition waren in diesem Prozess zwei Seiten derselben Medaille. Der damit vollzogene Bruch zwischen der Metropole und kolonialen Eliten sollte allerdings bis zum Kriegsende 1815 nicht mehr zu überbrücken sein7 . Die Loyalitäten der kolonialen Eliten lagen nicht bei der französischen Metropole, sondern mehrheitlich bei deren geostrategischem Erzfeind: dem Britischen Empire. 4 5 6 7

Frédéric Régent, Esclavage, métissage, liberté. La Révolution française en Guadeloupe, 1789–1802, Paris 2004, S. 224–233. Michael Wagner, England und die französische Gegenrevolution 1789–1802, München 1994 (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution, 27), S. 236–245. David A. Bell, The First Total War. Napoleon’s Europe and the Birth of Modern Warfare, London 2007, S. 154–185. Zu Loyalität als analytischer Kategorie vgl. Jana Osterkamp, Martin Schulze Wessel, Texturen von Loyalität, in: Geschichte und Gesellschaft 42 (2016), S. 553–573, hier S. 563– 570.

Einleitung

15

Die daraus resultierenden Konflikte zwischen kolonialen Eliten und den Repräsentanten der Metropole sollten die Kleinen Antillen bis zum Kriegsende 1815 in Atem halten. Die Ursachen, Dynamiken und Folgen dieser Loyalitätskonflikte stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung. Es wird im Folgenden darum gehen, die Verzahnung politischer, gesellschaftlicher sowie militärischer Strukturen und Prozessen zu beleuchten, die es den kriegführenden Mächten ermöglichten, die Kontrolle über die Kolonien der Kleinen Antillen aufrechtzuerhalten beziehungsweise zu erlangen. In diesem Konfliktgemenge kam den kolonialen Eliten eine entscheidende Rolle zu, warben doch die europäischen Kolonialmächte in erster Linie um deren Gunst. Im Gegensatz zu einem Großteil der bisherigen Forschung zur Karibik im Zeitalter der Revolutionen fokussiert die vorliegende Studie deshalb nicht primär auf den Kampf der Sklaven gegen ihre Knechtschaft, sondern auf die komplexe Beziehung des Kolonialstaates zu den kolonialen Eliten und auf die Konflikte innerhalb dieser gesellschaftlichen Führungskaste. Diese Fokussierung drängt sich nicht nur durch die eklatanten Forschungslücken in besagtem Bereich auf, sondern auch durch die entscheidende Funktion dieses Verhältnisses für die Aufrechterhaltung kolonialer Herrschaft und der Sklaverei. Die Konzentration auf die kolonialen Eliten soll freilich nicht bedeuten, dass die Handlungsmacht subalterner Gruppen ignoriert oder unterschlagen werden muss. Es ist vielmehr das Ziel, die gesellschaftliche Verankerung kolonialer Herrschaftsansprüche in ihrer Gesamtheit zu beleuchten und die wechselnden sozialen Frontstellungen innerhalb der Kolonie differenziert zu analysieren. Der Archipel soll dabei, soweit dies sinnvoll ist, als Ganzes in den Blick genommen werden. Das Meer, das die Inseln der Kleinen Antillen voneinander trennte, bildete für ihre Bewohner »a highway rather than a boundary«, wie die kanadische Historikerin Tessa Murphy in Anlehnung an Fernand Braudels berühmte Studie »La Méditerranée« bemerkt hat8 . Und Ernesto Bassi hat kürzlich in einer wegweisenden Studie einen ähnlichen Ansatz anhand der regionalen Vernetzung der spanischen Festlandkolonie Neugranada Ende des 18. Jahrhunderts verfolgt. Dabei zeigt Bassi, dass regionale ökonomische Verflechtungen und Migrationsströme die mental maps von Matrosen, Kaufleuten, Militärs und Kolonialbeamten ganz wesentlich prägten und so imperiale Grenzziehungen überlagerten9 . Das war in den Kleinen Antillen nicht anders: Grenzübergreifender Handel, insbesondere Schmuggel, und 8

9

Tessa Murphy, The Creole Archipelago: Colonization, Experimentation, and Community in the Southern Caribbean, c. 1700–1796, Diss., Univ. of Chicago (2016), S. 8. Siehe auch Fernand Braudel, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II, Paris 1949, S. 73–104. Ernesto Bassi, An Aqueous Territory. Sailor Geographies and New Grenada’s Transimperial Greater Caribbean World, Durham, NC 2016.

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Einleitung

Migration zwischen den Inseln prägten den Alltag im Archipel. Den daraus erwachsenden politischen, sozioökonomischen und militärischen Verflechtungen will die vorliegende Studie Rechnung tragen. Die Kleinen Antillen werden so als Raum teils konkurrierender, teils kooperativer Machtansprüche der europäischen Kolonialmächte gedeutet und so die alte, nationalstaatliche Geschichtsschreibung überwunden. Der Fokus liegt dabei auf den beiden französischen Kolonien Guadeloupe und Martinique. Diese Schwerpunktsetzung gründet in der Tatsache, dass die beiden Kolonien das Unruheelement im Archipel bildeten, das während mehr als 20 Jahren den Takt in den Kleinen Antillen bestimmte. Die Region der Kleinen Antillen sollte zudem nicht als hermetisch abgeriegelter Raum verstanden werden. Die Inselkette war vielmehr Teil einer sich vernetzenden Welt. Diese Globalisierungsprozesse waren vielfältig und zeigen sich neben politischen und militärischen Interdependenzen am deutlichsten in der wachsenden ökonomischen Vernetzung der Kleinen Antillen mit dem Rest des Globus. Die Kolonien der Kleinen Antillen waren in ein komplexes Geflecht von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten eingebettet, in dem die europäischen Metropolen nur ein Zentrum unter vielen waren. Diese vielfältigen globalen und regionalen Vernetzungen will die vorliegende Studie so weit wie möglich berücksichtigen10 . Richtig einordnen lässt sich die angestrebte Analyse nur, wenn man sie im Kontext des Sklavenaufstandes in der französischen Kolonie Saint-Domingue verortet, der in der Nacht vom 22. auf den 23. August 1791 ausgebrochen war und der 1804 in der Unabhängigkeit Haitis gipfelte. Es handelt sich dabei um die einzige erfolgreiche Sklavenrevolte der Weltgeschichte, die dem Niedergang der damals reichsten Zuckerkolonie der Welt den Weg bereitete und für die Zeitgenossen ein in vielerlei Hinsicht undenkbares Ereignis war11 . Innerhalb weniger Wochen töteten aufständische Sklaven hunderte Pflanzer und brannten ihre Plantagen nieder, womit das ökonomische Herz der Kolonie der Zerstörung anheim fiel12 . Die Reaktion der kolonialen Eliten und Militärs Saint-Domingues war unerbittlich. Trotz ihrer ausgesprochenen Brutalität gegen die aufständischen Sklaven gelang es den Pflanzermilizen 10

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Christopher A. Bayly, The Birth of the Modern World, 1780–1914. Global Connections and Comparisons, Malden, MA 2004, S. 2f. Zum globalen Charakter der Koalitionskriege siehe auch Stig Förster, The First World War. Global Dimensions of Warfare in the Age of Revolutions, 1775–1815, in: Roger Chickering, Stig Förster (Hg.), War in an Age of Revolution, 1775–1815, Cambridge 2010, S. 101–115. Michel-Rolph Trouillot, Silencing the Past. Power and the Production of History, Boston 1995, S. 70–107. Oliver Gliech, Der Sklavenaufstand von Saint-Domingue und die Französische Revolution. Eine Studie über Ursachen und Folgen des Untergangs der weißen Herrschaft in einer karibischen Plantagenwirtschaft, Köln 2011 (Lateinamerikanische Forschungen, 38), S. 317–346; Laurent Dubois, Avengers of the New World. The Story of the Haitian Revolution, London 2004, S. 91–114.

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und Streitkräften in den folgenden zwei Jahren nicht, des Sklavenaufstands Herr zu werden. Gewalt und Zerstörung waren freilich nichts Neues in der einstigen Perle der Antillen. Der Aufstand der Sklaven schrieb sich in die komplexe Geschichte von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen ein, die Saint-Domingue spätestens seit dem Ausbruch der Französischen Revolution heimgesucht hatten13 . Eine Vielzahl von Gruppen kolonialer Eliten und verschiedene Parteien kleinerer Plantagenbesitzer sowie kolonialer Unterschichten bekämpften sich seit 1789 in häufig wechselnden Allianzen. Neben zahlreichen Regionalismen bildeten die Kategorien Klasse und Rasse zweifellos die entscheidenden Konfliktlinien. In diesen komplexen, teils bewaffneten Auseinandersetzungen mischten nach dem Ausbruch des Sklavenaufstandes die aufständischen Sklaven mit, die wegen vielschichtiger interner Machtkämpfe ebenfalls keine geeinte Front bildeten. Die Abschaffung der Sklaverei auf Saint-Domingue im Juni 1793 durch die Abgesandten der Metropole, Léger-Félicité Sonthonax und Étienne Polverel, und die Bestätigung durch den französischen Nationalkonvent im Februar 1794 sowie die Ausweitung dieser Maßnahme auf das gesamte französische Kolonialreich bedeuteten eine radikale Abkehr von der bisherigen Politik. Bis dahin hatten die politischen Entscheidungsträger dies- und jenseits des Atlantiks im Sklavenaufstand primär eine Intrige der Anhänger der Konterrevolution gesehen14 . Mit der Abschaffung der Sklaverei verbündeten sich die Kolonialbehörden mit der militärischen Führung der aufständischen Sklaven und stellten sich endgültig gegen die weißen Kolonialeliten. Als sich in den Jahren nach der Abschaffung der Sklaverei mit Toussaint Louverture ein ehemaliger Sklave gar zum faktischen Alleinherrscher der krisengeschüttelten Kolonie aufschwang, war die Umkehrung der kolonialen Machtverhältnisse augenscheinlich komplett15 . Die Sklavenrevolution auf Saint-Domingue bildete deshalb für Plantagenbesitzer, Militärs und Kolonialbeamte gleichermaßen ein Fanal. Die »große Furcht«16 , wonach sich die Ereignisse in den umliegenden Kolonien der Karibik wiederholen könnten, blieb in der gesamten Region allgegenwärtig. Umso dringender erscheint die historische Aufarbeitung der Geschichte der Kleinen Antillen zu jener Zeit, die unmittelbar von diesen Ereignissen betroffen waren, in der Forschung aber immer noch im Schatten der haitianischen Revolution stehen. Der Grund für dieses Desinteresse dürfte in der Tatsache liegen, dass die Überseedepartements Martinique und Guadeloupe heute eher als ein staatspolitisches Kuriosum Frankreichs und der Euro13 14 15 16

Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 209–374. John Thornton, »I am Subject of the King of Congo«: African Political Ideology and the Haitian Revolution, in: Journal of World History 4 (1993), S. 181–214. David P. Geggus, The »Volte-Face« of Toussaint Louverture, in: David P. Geggus (Hg.), Haitian Revolutionary Studies, Bloomington, IN 2002, S. 119–136. Michael Zeuske, Clarence J. Munford, Die »große Furcht« in der Karibik. SaintDomingue und Kuba 1789–1795, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 39 (1991), S. 41–60.

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päischen Union gelten, das man mehr mit Badeferien und Kreuzfahrten in Verbindung bringt, denn als Schauplatz blutiger Sklavenaufstände und kriegerischer Auseinandersetzungen wahrnimmt. Ende des 18. Jahrhunderts waren die Kleinen Antillen aber ein Epizentrum der Weltwirtschaft. Martinique und Guadeloupe fanden sich auf der Liste der fünf größten Zuckerproduzenten der Welt, und die benachbarten britischen Kolonien gehörten zu den am schnellsten wachsenden Anbaugebieten für Zucker und Kaffee17 . Diese beiden Güter fanden in Europa einen reißenden Absatz. Sie hatten im Laufe des 18. Jahrhunderts nicht nur das Konsumverhalten und den Tagesrhythmus vieler Europäer grundlegend verändert, sondern wurden auch für immer breitere Gesellschaftskreise erschwinglich18 . Ganze Wirtschaftsregionen wie Bristol, Liverpool, Bordeaux und Nantes sowie deren Hinterland hingen vom Dreieckshandel ab19 . Die europäischen Staaten hatten somit ein elementares Interesse am Fortbestand der karibischen Plantagenökonomie, zumal der Reexport importierter Kolonialwaren bedeutende Zolleinnahmen generierte. Im Jahr 1790 wurden 15,5 Prozent des britischen Außenhandels mit den westindischen Besitzungen abgewickelt, womit die West Indies in der Rangliste der wichtigsten Handelspartner noch vor Nordamerika und Indien rangierten. Für Frankreich war der Handel mit den Antillen noch bedeutender, hier machte er über ein Drittel des gesamten Außenhandelsvolumens aus20 . Vor diesem Hintergrund vermag es nicht zu erstaunen, dass die französische Krone nach dem Siebenjährigen Krieg 1763 dem Britischen Empire lieber ihre nordamerikanischen Territorien abtrat als die beiden von Rotjacken besetzten Karibikinseln Guadeloupe und Martinique. Selbst die kleine, südlich von Martinique gelegene Insel Saint Lucia erachtete der französische Kriegsminister Étienne-François de Choiseul während der Friedensverhandlungen 1763 für wichtiger als das gesamte Gebiet östlich des Mississippis21 . Der aus den karibischen Kolonien gewonnene Reichtum hatte einen hohen Preis: Allein auf Guadeloupe und Martinique arbeiteten zusammengerechnet rund 170 000 afrikanische Sklaven unter fürchterlichen Bedingungen auf den Zucker- und Kaffeeplantagen, um die begehrten Güter zu produzieren22 . Hinzu kamen weit mehr als 43 000 Sklaven auf den sogenannten ceded islands, 17

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Murphy, The Creole Archipelago; Pérotin-Dumon, Commerce, S. 38; Pierre Pluchon, Révolutions à l’Amérique, in: Pierre Pluchon (Hg.), Histoire des Antilles et de la Guyane, Toulouse 1982, S. 265–328, hier S. 267. Sidney W. Mintz, Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers, Frankfurt a. M. 1987. Jean Tarrade, Le commerce colonial de la France à la fin de l’Ancien Régime. L’évolution du régime de l’»Exclusif« de 1763 à 1789, 2 Bde., Paris 1972. Thomas M. Doerflinger, The Antilles Trade of the Old Regime: A Statistical Overview, in: Journal of Interdisciplinary History 6 (1976), S. 397–415. Dubois, A Colony, S. 35f.; Richard Harding, The War in the West Indies, in: Mark H. Danley, Patrick J. Speelman (Hg.), The Seven Years’ War. Global Views, Leiden 2012 (History of Warfare, 80), S. 293–323, hier S. 320f. Léo Élisabeth, La société martiniquaise aux XVIIe et XVIIIe siècles: 1664–1789, Paris 2003, S. 86.

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Grenada, Saint Vincent und Dominica, welche die französische Regierung im Frieden von Paris 1763 an das Britische Empire abgetreten hatte23 . Daneben – und dies wird in der Forschung meist übersehen – kam den Inseln des Archipels eine entscheidende geostrategische Rolle zu: Aufgrund der atlantischen Windsysteme bildeten sie im Zeitalter der Segelschiffe für die europäischen Imperien das Tor zur Neuen Welt. Sie waren deshalb eine stetige Konfliktzone in den globalen Kriegen des 18. Jahrhunderts. Hinzu kam, dass die geografische Nähe zwischen britischen und französischen Kolonien in der Region es den kriegsführenden Mächten erlaubte, dem gegnerischen Kolonialreich ohne Vorwarnzeit empfindliche Schläge zuzufügen24 . Trotz ihrer immensen ökonomischen und strategischen Bedeutung blieb die Karibik im Zeitalter der Revolutionen bis vor kurzem ein Stiefkind der historischen Zunft.

Forschungsstand und Forschungsdesiderate Erst seit einigen Jahren ist die Karibik während des Zeitalters der Revolutionen in den Fokus der Forschung gerückt25 . Im Zentrum des Interesses stehen dabei allerdings weniger die eingangs geschilderten Ereignisse in den Kleinen Antillen als die Sklavenrevolution in der französischen Kolonie Saint-Domingue in den Jahren 1791–1804. Dies mag insofern nicht überraschen, als Saint-Domingue, das heutige Haiti, 1804 in einem blutigen Krieg die Unabhängigkeit von Frankreich erlangte. Bis es zu Beginn der 2000er Jahre in der Forschung zum Haitian turn kam26 , fristeten Spezialisten 23

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Die Zahl stammt aus dem Jahr 1783. Genaue Zahlen für 1789 fehlen, doch dürfte die Zahl der Sklaven auf den ceded islands zu diesem Zeitpunkt wesentlich höher gewesen sein, wurden doch in den 1780er Jahren noch einmal zehntausende afrikanische Sklaven in die britischen Kolonien des Archipels verschleppt. Vgl. Murphy, The Creole Archipelago, S. 247. John Darwin, Das unvollendete Weltreich. Aufstieg und Niedergang des Britischen Empire 1600–1997, Frankfurt a. M. 2013, S. 52–57. Philippe R. Girard, The Haitian Revolution, History’s New Frontier. State of the Scholarship and Archival Sources, in: Slavery & Abolition 34 (2013), S. 485–507; David P. Geggus, New Approaches and Old, in: David P. Geggus (Hg.), Haitian Revolutionary Studies, Bloomington, IN 2002, S. 33–42; Alyssa Sepinwall Goldstein, Introduction, in: Alyssa Sepinwall Goldstein (Hg.), Haitian History. New Perspectives, New York 2013, S. 1–12. Für eine literaturwissenschaftliche Perspektive auf die haitianische Revolution und Toussaint Louverture vgl. Isabell Lammel, Der Toussaint-Louverture-Mythos, Bielefeld 2015 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften, 26). Zur Frühphase der französischen Kolonisation Saint-Domingues siehe auch Karsten Voss, Sklaven als Ware und Kapital. Die Plantagenökonomie von Saint-Domingue als Entwicklungsprojekt 1697– 1715, München 2016 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 27). Friedemann Pestel, »Die Mulatten der Restauration«. Frankreich und die europäische Friedensordnung in der Kritik des postkolonialen Haiti, in: Zeitschrift für Weltgeschichte 16 (2015), S. 69–92, hier S. 73.

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zu diesem Thema allerdings ein Schattendasein in der akademischen Welt. Die ältere französische Geschichtsschreibung pflegte zudem einen äußerst national-apologetischen Ton. So finden sich noch Ende des 20. Jahrhunderts in wissenschaftlichen Aufsätzen Formulierungen wie »nos colonies«27 oder es wurde in Bezug auf die französische Metropole der Begriff »patrie«28 verwendet. Die Arbeiten von Historikern wie Gabriel Debien oder Pierre Pluchon wurden indes von der breiteren Geschichtswissenschaft in der Regel kaum wahrgenommen29 . Selbst Ende der 1990er Jahre konnte man die Anzahl von Historikern, die sich mit der haitianischen Revolution beschäftigten, an zwei Händen abzählen30 . Eine Folge dieses wissenschaftlichen Desinteresses war schließlich eine scharfe Trennung in der Historiografie zwischen dem frühneuzeitlichen und dem modernen französischen Kolonialreich31 . Erst die jüngere Forschung hat den Blick auf längerfristige Kontinuitäten des französischen Imperialismus zwischen Ancien Régime und Moderne geöffnet, die über die vermeintlichen Epochenbrüche von 1763, 1789, 1794, 1802, 1815, 1830 und 1848 hinweg wirkmächtig blieben32 . Der haitianische Anthropologe Michel-Rolph Trouillot hat in Anbetracht des wissenschaftlichen Desinteresses und der offensichtlichen Geringschätzung der haitianischen Revolution die provokante These aufgestellt, dass die US-amerikanische und europäische Forschung die historische Bedeutung der Sklavenrevolution Haitis aus rassistischen Motiven absichtlich kleinrede33 . Trouillots Weckruf fügte sich in eine aufkommende politische Debatte um das koloniale Erbe Frankreichs ein, die mit der Einweihung zweier Plaketten zu Ehren Toussaint Louvertures und Louis Delgrès’, des Befehlshabers der schwarzen Truppen Guadeloupes gegen das französische Expeditionskorps 1802, im Pariser Pantheon 1998 ihren ersten Höhepunkt fand34 . Der Nährboden für diese Debatte wurde in Frankreich allerdings bereits Ende der 1980er Jahre geschaffen. Pünktlich zu Beginn der Feierlichkeiten für den bicentenaire der Französischen Revolution veröffentlichten der Publizist André Nègre und der kommunistische Abgeordnete Guadeloupes im französischen Senat, Henri Bangou, zwei Darstellungen zu den revolutionären Umstürzen 27

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Jean Tarrade, Les colonies et les principes de 1789. Les assemblées révolutionnaires face au problème de l’esclavage, in: Revue française d’histoire d’outre-mer 76 (1989), S. 9–34, hier S. 10f. (Hervorh. F. E.). François J. L. Souty, La Révolution française, la République batave et le premier repli colonial néerlandais (1784–1814), in: Revue française d’histoire d’outre-mer 76 (1989), S. 159–202, hier S. 159. Girard, The Haitian Revolution, S. 492. Laurent Dubois, An Atlantic Revolution, in: French Historical Studies 32 (2009), S. 655–661, hier S. 657. Tarrade, Les colonies, S. 10f. David Todd, A French Imperial Meridian, 1814–1870, in: Past & Present 210 (2011), S. 155–186. Trouillot, Silencing, S. 70–107. Dubois, A Colony, S. 423–426.

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auf Guadeloupe, in denen die gewaltsame Wiedereinführung der Sklaverei 1802 publikumswirksam als Genozid und als »holocauste racial« bezeichnet wurde. Umso heller strahlten in diesen beiden Darstellungen die Helden des bewaffneten Widerstandes rund um Delgrès, die zu Märtyrern des Kampfes gegen Sklaverei und Kolonialismus emporgehoben wurden35 . Die damit in Frankreich entfachte Debatte um die Stellung von Sklaverei und Sklavenhandel in der französischen Geschichte und insbesondere ihre Rolle in der Französischen Revolution schlug sich schon bald im Gesetzgebungsprozess nieder. Bereits 2001 hatte die französische Nationalversammlung ein Gesetz, die sogenannte loi Taubira36 , verabschiedet, in dem die Sklaverei und der Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden. Damit brachte die französische Regierung Reparationsforderungen der Nachkommen ehemaliger Sklaven in den französischen Überseedepartements aufs politische Parkett. Bis heute zeigt sich die französische Regierung allerdings unwillig, solchen Forderungen nachzukommen. Im Mai 2015 bezeichnete der damalige sozialistische Präsident Frankreichs, François Hollande, die Sklaverei anlässlich der Eröffnung eines Museums über den transatlantischen Sklavenhandel auf Guadeloupe zwar als ein »crime irréparable« und gestand eine »dette morale« Frankreichs gegenüber den Nachkommen afrikanischer Sklaven ein. Damit machte Hollande aber auch deutlich, dass der französische Staat eine finanzielle Entschädigung ausschließt37 . Auf publizistischer Ebene hatte sich die Debatte in Frankreich mittlerweile weiter radikalisiert. Der aus Guadeloupe stammende Publizist Claude Ribbe stellte 2005 in seiner polemischen Streitschrift »Le crime de Napoléon« die Gräuel der Truppen Napoleon Bonapartes auf Saint-Domingue und Guadeloupe im Zuge der Wiedereinführung der Sklaverei 1802 in eine direkte Entwicklungslinie mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg38 . Damit fokussierte sich die Debatte zusehends auf die zweifelhafte Rolle Napoleon Bonapartes, der wegen seiner Wiedereinführung der Sklaverei 1802 in den Augen vieler Historiker zum Verräter der freiheitlichen Prinzipien der Französischen Revolution wurde39 . Vor 35

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Henri Bangou, La Révolution et l’esclavage à la Guadeloupe, 1789–1802. Épopée noire et génocide, Paris 1989 (Zitat S. 147); André Nègre, La rébellion de la Guadeloupe. Guadeloupe contre Consulat: 1801–1802, Paris 1987. Das Gesetz wurde von der aus Französisch-Guyana stammenden Sozialistin Christiane Taubira eingebracht. Siehe Antoine Flandrin, Esclavage. Les errements de François Hollande sur la question des réparations, in: Le Monde Afrique, 18.05.2015, www.lemonde.fr/afrique/ article/2015/05/18/esclavage-les-errements-de-francois-hollande-sur-la-question-desreparations_4635655_3212.html?xtmc=guadeloupe&xtcr=3 (Zugriff am 26.7.2018). Claude Ribbe, Le crime de Napoléon, Paris 2005. Yves Benot, Marcel Dorigny, 1802: la rupture avec les principes de la Révolution, in: Dies. (Hg.), Rétablissement de l’esclavage dans les colonies françaises 1802. Ruptures et continuités de la politique coloniale française (1800–1830). Aux origines d’Haïti, Paris 2003, S. 7–10.

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dem Hintergrund dieser Stigmatisierung Napoleons sah sich der damalige französische Präsident Jacques Chirac 2005 gar genötigt, die offiziellen Feierlichkeiten zum zweihundertjährigen Jubiläum der Schlacht von Austerlitz abzusagen. Chirac ging im selben Jahr allerdings mit dem Erlass eines Gesetzes, wonach in der Schule auch die ›positiven‹ Aspekte des französischen Kolonialismus unterrichtet werden müssen, in die Gegenoffensive und gab damit konservativen Vertretern der französischen Historikerzunft einen Steilpass, um sich gegen die Demontage Napoleons zur Wehr zu setzen40 . So publizierten mit Thierry Lentz und Pierre Branda zwei renommierte Historiker der Fondation Napoléon, der Gralshüterin des napoleonischen Vermächtnisses in Frankreich, 2006 eine Antwort auf die Streitschrift Ribbes, in der sie Napoleon zwar nicht vollständig exkulpierten, seine Entscheidung, die Sklaverei wiedereinzuführen, jedoch als Ergebnis intensiver Lobbyarbeit der Plantagenbesitzer Saint-Domingues darstellten, welcher der Erste Konsul erlegen sei. Inhaltlich bot die Studie indes wenig Neues, sondern demonstrierte vielmehr, wie groß die Forschungslücken zur napoleonischen Kolonialpolitik immer noch sind41 . Vor dem Hintergrund dieser politischen Debatten sowie den nach wie vor bestehenden Forschungslücken hat sich dies- und jenseits des Atlantiks ein reges Interesse an der historischen Aufarbeitung der haitianischen Revolution entwickelt42 . Dabei stehen die beiden Fixsterne der haitianischen Geschichte, die Abschaffung der Sklaverei 1793–1794 und ihre Wiedereinführung 1802 beziehungsweise die darauf folgende haitianische Unabhängigkeit 1804, im Mittelpunkt des Interesses. Mittlerweile haben sich mehrere Denkschulen etabliert, die sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven annähern. Auf der einen Seite steht die klassische haitianische Nationalgeschichtsschreibung, in der die Sklavenrevolution Saint-Domingues als heldenhafter Kampf afrikanischer Sklaven und ihrer Anführer gegen Kolonialismus und Sklaverei dargestellt wird43 . Dem gegenüber steht eine insbesondere von französischen Historikern dominierte Perspektive, in der die Abolition von 1794 als notwendiges Ergebnis der Menschenrechtserklärung von 1789 interpretiert

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Catherine Coquery-Vidrovitch, Histoire, mémoire et politique. Débats actuels sur la traite des esclaves et le colonialisme, in: Journal of Modern European History 7 (2009), S. 109–138; Bernard Gainot, »Sur fond de cruelle inhumanité«. Les politiques du massacre dans la Révolution de Haïti, in: La Révolution française. Cahiers de l’Institut d’histoire de la Révolution française 3 (2011), S. 1–14, hier S. 3; Girard, The Haitian Revolution, S. 493. Pierre Branda, Thierry Lentz, Napoléon, l’esclavage et les colonies, Paris 2006. Dubois, An Atlantic Revolution, S. 657f. Zentral für diese Lesart ist Thomas Madiou, Histoire d’Haïti, 8 Bde., Port-au-Prince 1888–1891, sowie die berühmte Studie von Cyril L. R. James, The Black Jacobins. Toussaint L’Ouverture and the San Domingo Revolution, London 2 1963. Siehe auch Charles Forsdick, Christian Høgsbjerg, Toussaint Louverture. A Black Jacobin in the Age of Revolutions, London 2017.

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wird. Die haitianische Unabhängigkeit wird in dieser Lesart implizit als Ergebnis der europäischen Aufklärung verstanden44 . Zwischen diesen beiden Interpretationen hat sich mittlerweile eine neue Position herausgebildet, die in vielerlei Hinsicht radikaler ist, als die beiden zuvor genannten Zugänge. Federführend in dieser Schule ist der amerikanische Historiker Laurent Dubois, der in seinen bahnbrechenden Studien Mitte der 2000er Jahre die rebellierenden Sklaven Saint-Domingues und Guadeloupes als Phalanx der universalistischen Prinzipien der Menschenrechte dargestellt hat. Nicht nur hätten die Sklaven und freien Farbigen in der französischen Karibik die aufklärerischen Diskurse der Metropole über Menschenrechte und Republikanismus rezipiert, sondern sie auch aktiv mitgestaltet und in der Karibik verbreitet. Die Abolition von 1794 wird in dieser Lesart als Ergebnis transatlantischer Diskurse zwischen europäischen Philosophen, freien Farbigen und afrikanischen Sklaven gedeutet. Die kolonialen Untertanen hätten auf dieser intellektuellen Grundlage die Ketten ihrer Sklaverei selbst gesprengt. Die Wiedereinführung der Sklaverei durch Bonaparte versteht Dubois demgegenüber als fundamentalen Bruch mit diesen diskursiven Grundlagen, wohingegen die ehemaligen Sklaven Saint-Domingues und Guadeloupes die wahren Verfechter der Menschenrechtserklärung von 1789 gewesen seien45 . Damit liegt der Ansatz Dubois’ zum einen im Einklang mit den aktuellen Bestrebungen der historischen Forschung, die Handlungsmacht subalterner Gesellschaftsklassen in den Fokus der Analyse zu rücken46 . Zum anderen kommt Dubois auch der Forderung der neueren Imperienforschung nach, die analytische Dichotomie zwischen Metropole und Peripherie zu überwinden47 . In einem programmatischen Aufsatz ging Dubois gar soweit, die Französische Revolution als eine im Grunde atlantische Revolution zu deuten, deren Zentrum nicht in Paris gelegen habe, sondern im transatlantischen Diskurs über den universalistischen Charakter von Menschenrechten und Republikanismus48 . Damit bediente er sich nicht zuletzt den Ansätzen der Global History sowie der Atlantic History, die sich im Gegensatz zur klas-

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Florence Gauthier, Triomphe et mort du droit naturel en révolution 1789 – 1795 – 1802, Paris 1992; Jean-Daniel Piquet, L’émancipation des Noirs dans la Révolution française (1789–1795), Paris 2002. Dubois, A Colony; Ders., Avengers. Siehe auch Nick Nesbitt, Universal Emancipation. The Haitian Revolution and the Radical Enlightenment, Charlottesville, VA 2008. Walter Johnson, On Agency, in: Journal of Social History 37 (2003), S. 113–124. Ann L. Stoler, Frederick Cooper, Zwischen Metropole und Kolonie. Ein Forschungsprogramm neu denken, in: Claudia Kraft, Alf Lüdtke, Jürgen Martschukat (Hg.), Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen, Frankfurt a. M. 2010, S. 26–55. Dubois, An Atlantic Revolution. Dubois’ Ansatz geht zurück auf Robert R. Palmer, The Age of Democratic Revolution. A Political History of Europe and America 1760– 1800, 2 Bde., Princeton 1959–1964.

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sischen Kolonialgeschichtsschreibung dem (erzwungenen) Austausch von Menschen, Waren und Ideen zwischen Europa, Afrika und den Amerikas aus einer transnationalen Perspektive annähern49 . Dubois’ Aufruf sind zahlreiche namhafte Historiker und Historikerinnen in den letzten Jahren gefolgt, wie die Beiträge eines Sammelbandes illustrieren, der 2013 unter dem Titel »The French Revolution in Global Perspective« erschienen ist50 . Gegen diese radikale Umdeutung der Französischen Revolution im Zuge des global turn wurde in den letzten Jahren berechtigte Kritik laut. Der amerikanische Historiker David A. Bell warnte davor, den kolonialen Aspekten und der Frage der Sklaverei in der Geschichte der Französischen Revolution zu viel Gewicht einzuräumen, nur um auf der Welle der neuesten historiografischen Trends und Turns zu reiten. Für die hungrigen Unterschichten von Paris, so Bell, seien die täglichen Brotpreise weit wichtiger gewesen als das Schicksal afrikanischer Sklaven, die auf weit entfernten Zuckerinseln zu Tode geschunden wurden51 . Auch mit Blick auf die karibischen Kolonien sind Zweifel angebracht, ob sich die vielschichtigen Gesellschaftskonflikte auf die diskursive Auseinandersetzung über die Erklärung der Menschenrechte und deren universalen Anspruch reduzieren lassen. Lokale Konflikte, die nichts mit den revolutionären Umstürzen in Europa zu tun haben, drohen unter diesem Blickwinkel zugunsten einer diskursiven transatlantischen Auseinandersetzung eingeebnet oder gar völlig ignoriert zu werden. Diese Verengung wird der ideologischen Anpassungsfähigkeit der Zeitgenossen kaum gerecht. Indem die Diskurse über die Menschenrechtserklärung lokalen Konflikten übergestülpt werden, läuft dieser Interpretationsansatz schließlich auch Gefahr, nicht nach den spezifischen Motiven subalterner Gesellschaftsgruppen zu fragen, obwohl gerade dies ein wichtiger Anspruch Dubois’ und seiner Mitstreiter ist52 . Abgesehen von dieser prinzipiellen Kritik haben neuere Studien durch die Auswertung bislang unbeachteter Quellenbestände gezeigt, dass die Diskurse über die Menschenrechtserklärung auch in der Entscheidungsfindung lokaler Machthaber eine vernachlässigbare Rolle gespielt haben und oft nur als Vorwand dienten. Jeremy D. Popkin zeigte etwa in seiner Studie zur Abschaffung der Sklaverei auf Saint-Domingue, dass die Entscheidung der kolonialen Machthaber, die Sklaverei abzuschaffen in erster Linie ihrem Bestreben ge49

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Zum global turn siehe u. a. Christopher A. Bayly, The Age of Revolutions in Global Context. An Afterword, in: David Armitage, Sanjay Subrahmanyam (Hg.), The Age of Revolutions in Global Context, c. 1760–1840, Basingstoke 2010, S. 209–217. Zur Atlantic History siehe Bernard Bailyn, Atlantic History. Concepts and Contours, Cambridge 2005. Suzanne Desan, Lynn Hunt, William Max Nelson (Hg.), The French Revolution in Global Perspective, Ithaca, NY 2013. David A. Bell, Questioning the Global Turn. The Case of the French Revolution, in: French Historical Studies 37 (2014), S. 1–24. Murphy, The Creole Archipelago.

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schuldet war, die Autorität der Metropole in der krisengeschüttelten Kolonie aufrecht zu erhalten. Das Abolitionsdekret des französischen Nationalkonvents vom Februar 1794 kam gemäß Popkin lediglich einer notgedrungenen Bestätigung des Fait accompli der Entscheidungsträger in Saint-Domingue durch die Metropole gleich53 . In seiner gesellschaftsgeschichtlichen Studie zu den Ursachen der Sklavenrevolution Saint-Domingues verwies der Berliner Historiker Oliver Gliech zudem auf die entscheidende Rolle der kolonialen Eliten, deren Verlust an sozialer Kohäsion infolge innerer Fraktionskämpfe erst die strukturellen Voraussetzungen für ihren eigenen Untergang geschaffen habe54 . Mit diesen Studien ging eine zunehmende Entmythologisierung der Helden der haitianischen Geschichte einher, die ihren vorläufigen Höhepunkt in den Arbeiten Philippe R. Girards gefunden hat. Girard vertritt in seinen Arbeiten den Standpunkt, dass die analytische Kategorie race in den gesellschaftlichen Konflikten Saint-Domingues eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Die innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen rivalisierender Fraktionen interpretiert er vielmehr als Kampf um die ökonomischen Ressourcen der Kolonie. Im Helden der schwarzen Befreiungsbewegung, Toussaint Louverture, sieht Girard denn auch nicht mehr als einen eitlen Despoten, der durch seine Autonomiebestrebungen Bonaparte zur Wiedereinführung der Sklaverei genötigt habe55 . Viele von Girards Thesen sind zweifellos übertrieben und mögen den Vertretern der (neo-)nationalen Denkschule sauer aufstoßen56 , sie verweisen aber auf mehrere Trends in der aktuellen Historiografie, die für die vorliegende Studie von Bedeutung sind. Die Forschung rückt erstens durch die systematische Auswertung der rund um den Globus verstreuten Quellenbestände zusehends von der romantischen Vorstellung des um Freiheit kämpfenden haitianischen Volkes ab. Vielmehr zeichnet die neuere Geschichtsschreibung ein differenziertes Bild des vielschichtigen Konfliktgemenges, in dem die Frage der Sklaverei einer von vielen Streitpunkten war. Zweitens stellt sich in Anbetracht des fließenden Übergangs von Sklaverei zu Zwangsarbeit die Frage, ob an einer dichotomischen Gegenüberstellung von Sklaverei und Freiheit festgehalten werden kann. Vergleichende Forschungen zu den Erscheinungsformen von Zwangsarbeit in den Amerikas, Afrika und Asien weisen seit längerem auf die Problematik eines derart schablonenhaften 53 54 55

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Jeremy D. Popkin, You Are All Free. The Haitian Revolution and the Abolition of Slavery, Cambridge 2010. Gliech, Der Sklavenaufstand. Philippe R. Girard, The Slaves who Defeated Napoléon. Toussaint Louverture and the Haitian War of Independence, 1801–1804, Tuscaloosa 2011. Siehe auch Girards Louverture-Biografie: Ders., Toussaint Louverture. A Revolutionary Life, New York 2016. Siehe etwa Alyssa Sepinwall Goldstein, The Slaves Who Vanquished Napoleon, or The Officers Who Defeated Themselves?, in: H-France Review 13 (2013), S. 1–8, http: //www.h-france.net/vol13reviews/vol13no18sepinwall.pdf (Zugriff am 26.7.2018).

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Verständnisses des Übergangs von Sklaverei zu freier Lohnarbeit hin57 . Damit ist drittens die Frage verbunden, ob jeder Widerstand seitens der Sklaven zwangsläufig gegen die Sklaverei per se gerichtet war. Oftmals verlangten aufständische Sklaven lediglich eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, wie der portugiesische Historiker João P. Marques betont und deshalb davor warnt, nicht jeden Sklavenaufstand als edlen Kampf gegen Unterdrückung zu interpretieren58 . Viertens haben die Arbeiten Girards zu einem kritischeren Umgang mit den Heroen der haitianischen Geschichte angeregt. Louverture und seine Mitstreiter waren keine selbstlosen Freiheitskämpfer, sondern Politiker und Militärs, die im Rahmen des politisch Möglichen agierten und deren Maxime in erster Linie der eigene Machterhalt war. Gerade die These Popkins, wonach die Abgesandten der Republik im Juni 1793 nur deshalb die Sklaverei auf Saint-Domingue abschafften, damit ihnen die Macht nicht völlig aus den Händen gleiten würde, illustriert, dass den Ereignissen, die in der haitianischen Unabhängigkeit 1804 mündeten, auch eine herrschaftspolitische Dimension innewohnte. Zur Diskussion stand nämlich nicht nur das Verhältnis zwischen Metropole und Kolonie, sondern auch die Frage, in welcher Weise und mit welchen Mitteln die Kolonien regiert werden sollten. Jeremy Adelman hat deshalb in einem programmatischen Aufsatz die These aufgestellt, dass das Zeitalter der atlantischen Revolutionen weniger als Zusammenbruch frühneuzeitlicher Imperien zu interpretieren sei, sondern vielmehr als Ausdruck ihrer bemerkenswerten Adaptionsfähigkeit59 . Im Schatten dieser Forschungstrends stehen bislang die Ereignisse in den Kleinen Antillen. Zwar haben Dubois und Frédéric Régent 2004 zwei wichtige Monografien zur Abschaffung und gewaltsamen Wiedereinführung der Sklaverei auf Guadeloupe publiziert, doch beschäftigen sich diese Studien nur mit der Periode von 1789–180260 . Zudem verfolgen die beiden Autoren einen unterschiedlichen Zugang. Der aus Guadeloupe stammende Régent rückt in seiner Monografie die freien Farbigen der Kolonie ins Zentrum der Analyse und bietet dem Leser durch die Auswertung der umfangreichen Notariatsakten eine große Menge an statistischem Material zur demografischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dieser Gesellschaftsgruppe. Diese Ergebnisse fügt Régent in eine detailreiche Beschreibung der politi57

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Siehe u. a. Robert J. Steinfeld, Coercion, Contract, and Free Labor in the Nineteenth Century, Cambridge 2001; Michael Mann, Die Mär von der freien Lohnarbeit. Menschenhandel und erzwungene Arbeit in der Neuzeit, in: Comparativ 13 (2003), S. 7–22. João P. Marques, Slave Revolts and the Abolition of Slavery. An Overinterpretation, in: Seymour Drescher, Pieter C. Emmer (Hg.), Who Abolished Slavery? Slave Revolts and Abolitionism. A Debate with João Pedro Marques, New York 2010 (European Expansion and Global Interaction, 8), S. 3–92. Jeremy Adelman, An Age of Imperial Revolutions, in: American Historical Review 113 (2008), S. 319–340. Régent, Esclavage; Dubois, A Colony.

Forschungsstand und Forschungsdesiderate

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schen Ereignisse ein, die sich aber im Wesentlichen auf Guadeloupe selbst beschränkt. Laurent Dubois vertritt demgegenüber in seiner Monografie »A Colony of Citizens« die zu Beginn dieses Abschnitts vorgestellte These eines transatlantischen Diskurses über die Menschenrechtserklärung durch die Revolutionäre auf Guadeloupe und Saint-Domingue, die in der Forschung größten Anklang fand. In Dubois’ Streben, die Handlungsmacht der Sklaven und freien Farbigen Guadeloupes hervorzuheben, bleiben die weißen Eliten der Kolonie weitgehend im Hintergrund, so dass der Leser seiner Analyse den Eindruck gewinnt, Guadeloupe habe nur aus Sklaven und freien Farbigen bestanden, die sich ausnahmslos für die Abolition eingesetzt hätten. Um seine Interpretation der Ereignisse argumentativ zu stärken, ignoriert Dubois zudem weitestgehend die realpolitische Dimension und den gewaltsamen Charakter der Abolition. Schließlich existiert eine Reihe von Spezialstudien zu Guadeloupe und Martinique, deren Veröffentlichung teilweise schon länger zurückliegt. Zu nennen sind etwa die Arbeiten Anne Pérotin-Dumons, die sich sowohl dem Kampf zwischen Republikanern und Royalisten um die Vorherrschaft auf Guadeloupe61 als auch den Lebenswelten der Hafenstädte der Kolonie angenommen hat62 , die bis dahin durch die Konzentration der Forschung auf die Plantagensklaverei oftmals vernachlässigt worden waren. Die revolutionären Umstürze auf Martinique haben derweil wenig Interesse auf sich gezogen, weil die Sklaverei wegen der britischen Besatzung 1794–1802 nicht abgeschafft worden war63 . Nur wenige Studien beschäftigen sich schließlich mit der napoleonischen Herrschaft auf Martinique und Guadeloupe64 . Kaum besser ist es um den Forschungsstand zu den restlichen Inseln des Archipels während der Kriege der Französischen Revolution und Napoleons gestellt. Die wenigen Forschungsarbeiten beruhen in der Regel nur auf Quellen britischer Provenienz und versäumen es, diese Konflikte als Teil einer 61 62 63

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Anne Pérotin-Dumon, Être patriote sous les tropiques. La Guadeloupe, la colonisation et la Révolution française (1789–1794), Basse-Terre 1985. Dies., La ville aux îles, la ville dans l’île. Basse-Terre et Pointe-à-Pitre. Guadeloupe 1650– 1820, Paris 2000. Léo Élisabeth, La République dans les îles du Vent. Décembre 1792–avril 1794, in: Annales historiques de la Révolution française 293/294 (1993), S. 373–408; Ders., La société, S. 444–458; David P. Geggus, Esclaves et gens de couleur libres de la Martinique pendant l’époque révolutionnaire et napoléonienne: trois instants de résistance, in: Revue historique 295 (1996), S. 105–132. Lionel Trani, La Martinique napoléonienne 1802–1809. Entre ségrégation, esclavage et intégration, Paris 2014; Rebecca Hartkopf Schloss, »The Distance Between the Color White and all Others«. The Struggle Over White Identity in the French Colony of Martinique, 1802–1848, Diss., Duke Univ. (2003), S. 41–61, 95–108, 150–158; Kenneth G. Johnson, Louis-Thomas Villaret de Joyeuse. Admiral and Colonial Administrator, Diss., Florida State Univ. (2006), S. 184–265; Gérard Lafleur, La Guadeloupe de 1803 à 1816. De l’Empire à la Restauration, in: Bulletin de la Société d’histoire de la Guadeloupe 172 (2015), S. 1–116.

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Einleitung

größeren Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Großbritannien zu verstehen. Dies zeigt sich exemplarisch an der Forschung zu den Ereignissen auf Grenada, wo 1795 frankophone Plantagenbesitzer unter der Führung des freien Farbigen Julien Fédon die britische Herrschaft gewaltsam auf die Probe stellten. Ein Großteil der Studien zu dieser Rebellion versteht sich als Teil der grenadischen Nationalgeschichte, wird doch Fédon bis heute auf Grenada als Nationalheld gefeiert65 . Schließlich sind für die vorliegende Studie mehrere militärhistorische Untersuchungen von Bedeutung, die sich vornehmlich auf die Periode vom Ausbruch des Kriegs 1793 bis zum Frieden von Amiens 1802 konzentrieren und meist eine rein britische Perspektive auf die Ereignisse in den Kleinen Antillen bieten66 . Der größte Teil der Forschung zu den Kleinen Antillen ist immer noch einer Geschichtsschreibung verhaftet, die an den geografischen Grenzen Halt macht und bestenfalls nach dem Verhältnis zwischen Peripherie und Metropole fragt. Nur einige wenige neuere Studien versuchen, den Archipel als Ganzes in den Blick zu nehmen67 . Zudem muss festgestellt werden, dass durch die Versuche, die Handlungsmacht subalterner Gesellschaftsschichten während der revolutionären Umbrüche in den Kleinen Antillen hervorzuheben, die kolonialen Eliten größtenteils außer Acht gelassen wurden. Durch die Fokussierung auf die Abschaffung und Wiedereinführung der Sklaverei geriet zudem die Periode der Napoleonischen Kriege in Vergessenheit. Der angebliche ideologische Bruch Bonapartes mit den Prinzipien der Französischen Revolution im Zuge seines fehlgeschlagenen Versuches, die Sklaverei in Saint-Domingue wiedereinzuführen, und die fehlenden Machtmittel auf hoher See schienen jede Beschäftigung mit dem übriggebliebenen französischen Kolonialreich überflüssig zu machen. Es ist deshalb kein Zufall, trägt die einzige seriöse Studie zur napoleonischen Kolonialpolitik den Titel »La démence coloniale sous Napoléon«. Ihr Autor, Yves Benot, hielt es denn auch nicht für nötig, sich mit den inneren Verhältnissen der verbliebenen Kolonien in der Karibik und im Indischen Ozean näher zu beschäftigen. Vielmehr zeichnet er ein Bild des unvermeidlichen Niedergangs des französischen Kolonialreichs 65

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Edward L. Cox, Fédon’s Rebellion 1795–96. Causes and Consequences, in: The Journal of Negro History 67 (1982), S. 7–19; Curtis M. Jacobs, The Jacobins of Mt. QuaQua. Fedon’s Rebellion in Grenada, 1762–1796, Diss., Univ. of the West Indies (2000). Eine Ausnahme zur nationalistisch verbrämten Historiografie zum Aufstand Fédons ist Caitlin Anderson, Old Subjects, New Subjects and Non-Subjects. Silences and Subjecthood in Fédon’s Rebellion, Grenada 1795–96, in: Richard Bessel, Nicholas Guyatt, Jane Rendall (Hg.), War, Empire and Slavery 1770–1830, Basingstoke 2010, S. 201–218. Michael Duffy, Soldiers, Sugar, and Seapower. The British Expeditions to the West Indies and the War against Revolutionary France, Oxford 1987; Roger N. Buckley, The British Army in the West Indies. Society and the Military in the Revolutionary Age, Gainesville, FL 1998; Ders., Slaves in Red Coats. The British West India Regiments 1795–1815, New Haven, CT 1979. Murphy, The Creole Archipelago; Kit Candlin, The Last Caribbean Frontier, 1795– 1815, Cambridge 2012.

Analytischer Rahmen und erkenntnisleitende Fragen

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unter Napoleon68 . Diese Interpretation hält sich in der internationalen Historiografie bis heute, obwohl die dazu nötige Grundlagenforschung bislang ausgeblieben ist. Es mutet geradezu grotesk an, dass sich in einem 2010 veröffentlichten Sammelband mit dem Titel »Napoleon’s Atlantic« kein einziger Beitrag zu Martinique, Guadeloupe oder Französisch-Guyana unter napoleonischer Herrschaft findet69 . Selbst im neuesten Überblickswerk Bernard Gainots, eines profunden Kenners der Materie, wird die Phase nach 1802 auf nur zwei Seiten abgehandelt70 . Einige der hier skizzierten Forschungslücken will die vorliegende Studie schließen. Die neueren Beiträge zur haitianischen Revolution spielen dabei nicht nur inhaltlich eine wichtige Rolle, sondern auch interpretativ. Sie haben gezeigt, wie fruchtbar eine eingehende, quellennahe Untersuchung politischer und militärischer Entscheidungsprozesse sein kann, die sich keinem teleologischen Narrativ verschrieben hat.

Analytischer Rahmen und erkenntnisleitende Fragen Das Hauptanliegen der vorliegenden Untersuchung ist es, das konfliktträchtige Verhältnis zwischen kolonialen Eliten, Kolonialadministratoren und der Metropole zu analysieren. Von Interesse sind nicht nur die Ursachen und Hintergründe dieser Konflikte, sondern auch deren Folgen für die Kolonialpolitik und die Kriegsführung in den Kleinen Antillen. Das Ineinandergreifen von Krieg und kolonialen Herrschaftsverhältnissen sowie die daraus entstehenden Loyalitätskonflikte bilden den Schlüssel zur Frage, weshalb es den rivalisierenden französischen und britischen Imperien gelang, die Kontrolle über die Inseln des Archipels aufrechtzuerhalten beziehungsweise weshalb sie diese verloren. Kooperation und Kollaboration lokaler Eliten mit Repräsentanten der Metropole bilden nämlich eine elementare Voraussetzung zur Etablierung und Aufrechterhaltung kolonialer Herrschaft71 . Selbst in Europa waren die staatlichen Machthaber auf die Kooperation lokaler 68 69 70

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Yves Benot, La démence coloniale sous Napoléon, Paris 1991. Christophe Belaubre, Jordana Dym, John Savage (Hg.), Napoleon’s Atlantic. The Impact of Napoleonic Empire in the Atlantic World, Leiden 2010. Bernard Gainot, L’Empire colonial français de Richelieu à Napoléon (1630–1810), Paris 2015, S. 190f. Etwas ausführlicher hingegen Ders., The Empire Overseas. The Illusion of Restoration, in: Ute Planert (Hg.), Napoleon’s Empire. European Politics in Global Perspective, Basingstoke 2016, S. 142–156. Robinson, Non-European Foundations. Zum Spannungsverhältnis von Kooperation und Kollaboration siehe Tanja Bührer u. a., Introduction. Cooperation and Empire. Local Realities of Global Processes, in: Tanja Bührer u. a. (Hg.), Cooperation and Empre. Local Realities of Global Processes, New York 2017, S. 1–29, hier S. 5–8.

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Einleitung

Eliten angewiesen, gerade weil sich moderne Staatlichkeit in Europa wie auch in Übersee erst im Zuge der Französischen Revolution zu entwickeln begann72 . In Übersee gewannen diese Aushandlungsprozesse zwischen kolonialen Eliten, Kolonialbeamten sowie Militärs spätestens mit dem Ausbruch der globalen Konfliktserie von 1792 bis 1815 neues Gewicht und wurden aus mehreren Gründen noch komplexer. Dies lag zum einen am krisenhaften Zustand der europäischen Imperien am Ende des 18. Jahrhunderts infolge von wirtschaftlichen und politischen Transformationsprozessen, Krieg und lokalen Rebellionen. Dieses Krisengemenge nötigte lokale Machthaber, das koloniale Herrschaftsgefüge neu auszutarieren, die politische Macht innerhalb der kolonialen Gesellschaft neu zu verteilen und den Zugang zu ökonomischen Ressourcen und Privilegien neu zu regeln. Aufgrund der oftmals schwierigen Kommunikation mit den imperialen Zentren mussten lokale Machthaber dabei oft auf eigene Faust agieren und die Entscheidungsträger in den Metropolen vor vollendete Tatsachen stellen. Der Charakter europäischer Kolonialherrschaft wurde deshalb meist in den Kolonien selbst bestimmt73 . Die Bedeutung der Kooperation zwischen Abgesandten der Metropole und lokalen Eliten machte sich zum anderen im Bereich der Kriegsführung bemerkbar. Bereits im Ancien Régime waren lokale Militärs in der Regel gezwungen, den Krieg mithilfe der Ressourcen vor Ort auszufechten. Doch um diese für den Kriegseinsatz zu mobilisieren, waren die Militärs auf die Unterstützung lokaler Eliten angewiesen, weil den karibischen Kolonialstaaten selbst im ausgehenden 18. Jahrhundert nur ein eng begrenztes Repertorium an Machtmitteln zur Verfügung stand. Spätestens mit dem Ausbruch der Revolutionskriege wurden die lokalen Militärs mit einer globalen Auseinandersetzung konfrontiert, die sich von den Kriegen des Ancien Régime in vielerlei Hinsicht unterschied. Waren die Kriege des 18. Jahrhunderts – wenn auch nur idealtypisch – ausschließlich eine Sache von gekrönten Häuptern und ihren Kabinetten, die mithilfe relativ kleiner stehender Heere die Klingen kreuzten, war in den Revolutionskriegen – zumindest im Prinzip – ein ganzes Volk am Krieg beteiligt74 . Ein maßgeblicher Meilenstein in dieser Entwicklung war die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich 1793, im Zuge derer sich die citoyens fortan aktiv am Krieg beteiligten und die öffentliche Meinung in

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Michael Rowe, Introduction, in: Ders. (Hg.), Collaboration and Resistance in Napoleonic Europe. State-Formation in an Age of Upheaval, c. 1800–1815, Basingstoke 2003, S. 1–18. Adelman, An Age of Imperial Revolutions, S. 328f. Frank Göse, Der Kabinettskrieg, in: Dietrich Beyrau, Michael Hochgeschwender, Dieter Langewiesche (Hg.), Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn 2007 (Krieg in der Geschichte, 37), S. 121–147.

Analytischer Rahmen und erkenntnisleitende Fragen

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den Entscheidungsprozessen der politischen und militärischen Eliten eine nicht mehr wegzudenkende Variable war. Die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Sphäre verwischten daher immer mehr75 . In der Folge hätten sich, so die ältere Forschung, die Kriegsziele totalisiert, die Kriegsführung ideologisiert, das destruktive Potential habe keine Grenzen und rechtliche sowie moralische Konventionen keine Gültigkeit mehr gehabt. Schließlich wurde fortan die gesamte Wirtschaftskraft eines Landes für den Krieg mobilisiert76 . David A. Bell hat deshalb die provokante These aufgestellt, dass es sich bei den Koalitionskriegen um den »ersten totalen Krieg« der Geschichte gehandelt habe77 . Diese These geht zweifellos zu weit, wie die Welle der Kritik unterstreicht, die dem Autor entgegenbrandete78 . Neuere Forschungen zum Wandel des Kriegs streichen vielmehr den evolutionären Charakter des Übergangs der Kriegsführung vom Ancien Régime zur Moderne hervor und sehen in der Französischen Revolution keinen fundamentalen Bruch, sondern vielmehr einen Katalysator dieses Prozesses79 . Auch die Kriegsführung in der Karibik während des Ancien Régime scheint auf den ersten Blick keinen radikalen Bruch im Charakter des Kriegs zu suggerieren. Bereits in den globalen Kriegen des 18. Jahrhunderts war in der Karibik keine trennscharfe Unterscheidung zwischen militärischer und ziviler Sphäre auszumachen, weil ein Teil der männlichen Bevölkerung zum Dienst in den Kolonialmilizen verpflichtet war80 . Gerade mit Blick auf die außereuropäische Welt spricht ein weiteres Faktum gegen die These Bells: Die neuere Imperienforschung löst sich zusehends von der Vorstellung, wonach die europäische Expansion allein die Angelegenheit konkurrierender Großmächte gewesen sei. Vielmehr verweisen jüngste Studien in Anlehnung an den transnational turn auf ein erstaunliches Maß an Kooperation zwischen staatlichen als auch nicht-staatlichen Akteuren verschiedener Imperien im Rahmen des 75

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Stig Förster, Der totale Krieg. Konzeptionelle Überlegungen für einen historischen Strukturvergleich der Epoche von 1861 bis 1945, in: Rüdiger Voigt (Hg.), Krieg – Instrument der Politik? Bewaffnete Konflikte im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2002, S. 59–82, hier S. 63. So die Forschung zusammenfassend Ute Planert, Die Kriege der Französischen Revolution und Napoleons. Beginn einer neuen Ära der europäischen Kriegsgeschichte oder Weiterwirken der Vergangenheit, in: Dietrich Beyrau, Michael Hochgeschwender, Dieter Langewiesche (Hg.), Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn 2007 (Krieg in der Geschichte, 37), S. 149–162, hier S. 149. Bell, The First Total War. Siehe u. a. Michael Broers, The Concept of »Total War« in the Revolutionary-Napoleonic Period, in: War in History 15 (2008), S. 247–268; Philip G. Dwyer, Total War or Traditional War, in: International History Review 31 (2009), S. 72–84. Für eine idealtypische Annäherung an den totalen Krieg vgl. Förster, Der totale Krieg. Insb. Planert, Die Kriege. Richard Pares, War and Trade in the West Indies: 1739–1763, London 1963; Andrew O’Shaughnessy, An Empire Divided. The American Revolution and the British Caribbean, Philadelphia 2000; Harding, The War.

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Einleitung

europäischen Ausgreifens nach Übersee hin81 . Aufgrund der mannigfaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen innerhalb des Archipels lassen sich im ausgehenden 18. Jahrhunderts derartige transimperiale Kooperationen im Raum der Kleinen Antillen wiederholt beobachten. Allein schon deshalb muss der These Bells mit Vorsicht begegnet werden, liefen doch diese grenzüberschreitenden Verflechtungen einer Totalisierung des Kriegs zwangsläufig zuwider. Gleichwohl lassen sich zwei entscheidende Unterschiede zu den Kriegen des Ancien Régime erkennen, die für die vorliegende Studie von Bedeutung sind. Zum einen ist dies die Nationalisierung des Kriegs im Zuge der Französischen Revolution. Infolgedessen wurden immer mehr ökonomische und menschliche Ressourcen für den Krieg mobilisiert und die staatlichen Ansprüche, über ebendiese Mittel zu verfügen, mit immer drastischeren Methoden durchgesetzt. Zum anderen eröffnete diese Ressourcenmobilisierung sowie die Ideologisierung des Kriegs der Masse der afrikanischen Sklaven und den rechtlich diskriminierten freien Farbigen einen geeigneten Handlungsspielraum, sich von ihren Ketten zu befreien und damit die kolonialen Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen in Frage zu stellen. Kurz: Es stand für die europäischen Mächte und die kolonialen Eliten wesentlich mehr auf dem Spiel, als dies noch während der Kriege des Ancien Régime der Fall gewesen war. Die Folge war nicht zuletzt deshalb eine oftmals kaum kontrollierbare Gewalteskalation, deren Nährboden die »permanente Gewaltstruktur« der Sklaverei bildete82 . Infolge der Entgrenzung des Konflikts weichten sich die Schranken zwischen ziviler und militärischer Sphäre weiter auf, und damit verschärfte sich das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen kolonialen Eliten, Kolonialadministratoren und Metropole weiter83 . Von diesem Entgrenzungsprozess waren insbesondere die französischen Militärs und Kolonialbeamten betroffen, die spätestens nach dem Sturz Ludwigs XVI. den Institutionen der Republik Rechenschaft schuldig waren. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks der französischen Öffentlichkeit erwarteten die neuen Machthaber in Paris von ihren Repräsentanten vor Ort, dass sie die ihnen anvertrauten Kolonien bis aufs Äußerste verteidigten. Damit standen lokale Kolonialbeamte und Militärs unter Zugzwang: Fortan war es nicht mehr ratsam, wie im Ancien Régime bei der erstbesten Gelegenheit vor 81

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David Todd, Transnational Projects of Empire in France, c. 1815–c. 1870, in: Modern Intellectual Studies 12 (2015), S. 265–293; Courtney Johnson, »Alliance Imperialism« and Anglo-American Power after 1898. The Origins of Open-Door Internationalism, in: Alfred W. McCoy, Josep M. Fradera, Stephen Jacobson (Hg.), Endless Empire. Spain’s Retreat, Europe’s Eclipse, America’s Decline, Madison, WS 2012, S. 122–135; Volker Barth, Roland Cvetkovski (Hg.), Imperial Co-Operation and Transfer, 1870–1930. Empires and Encounters, London 2015. Dierk Walter, Organisierte Gewalt in der europäischen Expansion. Gestalt und Logik des Imperialkrieges, Hamburg 2014, S. 81. Duffy, Soldiers, S. 33.

Analytischer Rahmen und erkenntnisleitende Fragen

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einer überlegenen Streitmacht zu kapitulieren, nur um die Plantagenökonomie (und das eigene Vermögen) vor den Folgen des Kriegs zu schützen. Auch Napoleon erwartete von seinen Militärs in Übersee, dass sie die ihnen unterstellten Kolonien mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigten. Im Zuge dieser gesteigerten Verantwortung gegenüber der Metropole war es deshalb für lokale Kolonialbeamte eine stetige Versuchung, die ökonomischen Ressourcen der Kolonien für den Krieg zu mobilisieren und das gewaltige militärische Potential afrikanischer Sklaven für sich zu nutzen. Dies war geradezu eine notwendige Konsequenz der anhaltenden Ressourcenknappheit, mit der die französischen Militärs und Kolonialbeamten infolge der britischen Überlegenheit zur See zu kämpfen hatten. Der Krieg musste deshalb notgedrungen mit den Ressourcen vor Ort geführt werden. Doch damit gingen die Kolonialadministratoren auf Konfrontationskurs mit den kolonialen Eliten, insbesondere den Plantagenbesitzern. In den staatlichen Versuchen, die Ressourcen der Kolonie für einen Krieg zu mobilisieren, sahen sie nicht nur eine ungerechtfertigte Einmischung des Staates in die koloniale Wirtschaft, sondern auch die Gefahr, dass sich damit die kriegerischen Auseinandersetzungen unnötig in die Länge ziehen würden. Langanhaltende, globale Kriege waren aber Gift für die fragilen Plantagenökonomien der Karibik, für deren Fortbestand die reibungslose Waren- und Kreditzirkulation eine notwendige Voraussetzung war84 . Die Mobilisierung der Sklaven für den Kriegsdienst stand für die Plantagenbesitzer erst recht nicht zur Debatte, wurde doch damit zum einen die auf Segregation beruhende Gesellschaftsordnung unterminiert und zum anderen das Herrschaftsverhältnis der Plantagenbesitzer über ihre Sklaven in Frage gestellt. Zudem kam die Bewaffnung afrikanischer Sklaven durch die Kolonialbehörden einer für die Pflanzer untragbaren Einmischung in ihre Eigentumsverhältnisse gleich85 . Ohnehin musste das Erstarken der staatlichen Institutionen infolge ihrer Versuche, die kolonialen Ressourcen zu kontrollieren und zu mobilisieren, von den örtlichen Eliten mit Argusaugen beobachtet werden, waren doch die Aufrechterhaltung weitreichender politischer wie ökonomischer Autonomie und damit die Missachtung staatlicher Autoritäten ihre obersten Maximen86 . Hinzu kam die wachsende Ablehnung der Revolution durch einen Großteil der aristokratisch geprägten Kolonialelite, weshalb sie auch keinen Grund sahen, die Fortführung des Kriegs gegen die europäischen Verbündeten, insbesondere das Britische Empire, zu unterstützen. Eine Mobilisierung der ökonomischen und menschlichen Ressourcen der Kolonien ließ sich dem84

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Jean Tarrade, Les intendants des colonies à la fin de l’Ancien Régime, in: La France d’Ancien Régime. Études réunies en l’honneur de Pierre Goubert, 2 Bde., Toulouse 1984, Bd. 2, S. 673–681, hier S. 674f.; Paul B. Cheney, Cul de Sac. Patrimony, Capitalism, and Slavery in French Saint-Domingue, Chicago 2017, S. 107, 119–122. Buckley, Slaves, S. 43–62. Régent, Esclavage, S. 28; Dubois, A Colony, S. 68.

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nach oft nur gegen den Willen der kolonialen Eliten durchsetzen, womit das fragile Räderwerk kolonialer Herrschaft aus den Fugen zu geraten drohte. Die Allianz zwischen Kolonialstaat und Plantagenbesitzern musste unter diesen Voraussetzungen fast zwangsläufig erodieren. Die Autonomiebestrebungen kolonialer Eliten und ihr standhafte Weigerung, den Forderungen des Staates nachzukommen, nahmen die Kolonialbeamten und -militärs zusehends als Zeichen von Illoyalität gegenüber den staatlichen Institutionen und als Unterminierung ihrer Autorität wahr. Ronald Robinsons Diktum, wonach es sich bei Siedlern und Pflanzern um die »prefabricated collaborators« des Kolonialstaates zur Durchsetzung kolonialer Herrschaft handelt, muss in Anbetracht der skizzierten Konflikte kritisch hinterfragt werden87 . Die Pflanzer waren zwar unerlässlich bei der Aufrechterhaltung einer auf Segregation beruhenden Plantagenökonomie, doch ihre politischen und ökonomischen Autonomiebestrebungen kollidierten zwangsläufig mit den Bestrebungen der Metropole, die Einheit des Imperiums aufrechtzuerhalten. Dieser sich rasch zuspitzende Konflikt eröffnete jenen Gesellschaftsgruppen die Möglichkeit, sich an der Ausgestaltung der Herrschaftsstrukturen vor Ort zu beteiligen, die bislang von einer Teilhabe an der Macht ausgeschlossen waren. Gerade die Abschaffung der Sklaverei durch den französischen Nationalkonvent 1794 bildete dabei eine bedeutende Zäsur. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass für die Masse der ehemaligen Sklaven die Abolition zwar das Ende eines diskriminierenden Rechtszustandes bedeutete, nicht aber das Verschwinden der Zwangsarbeit. Der Übergang zwischen Sklaverei und anderen Formen von Zwangsarbeit war fließend und keineswegs ein geradliniger Prozess. Vielmehr war er geprägt von Rückfällen in versteckte Formen von Sklaverei. Vor diesem Hintergrund ist Vorsicht vor einer zu euphorischen Bewertung der Handlungsmacht ehemaliger Sklaven geboten. Die meisten unter ihnen blieben in einem mörderischen System gefangen, das nur begrenzten Raum für aktive und passive, individuelle sowie kollektive Akte des Widerstandes bot. Gleichwohl konnten ihre Interessen aus Sicht der Kolonialadministratoren nicht völlig außer Acht gelassen werden. Sie mussten sich fortan die Unterstützung der Anführer der ehemaligen Sklaven sichern, nachdem sich die Plantagenbesitzer als unzuverlässige Partner der Kolonialverwaltung erwiesen hatten. Die Ausgestaltung kolonialer Herrschaft vor Ort kam also einem Drahtseilakt gleich, der zudem durch die Tatsache erschwert wurde, dass die kolonialen Machthaber durch ihre persönlichen Bereicherungsabsichten selbst an den Grundpfeilern ihrer eigenen Herrschaft sägten. Im Zentrum der vorliegenden Studie steht deshalb die Frage nach den Ursachen und Folgen des Bruchs zwischen Kolonialstaat und kolonialen Eliten. Daraus ergeben sich eine Reihe von Anschlussfragen, bei der die wichtigste zweifellos jene nach einer Verortung der Abschaffung und der Wiedereinfüh-

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Robinson, Non-European Foundations, S. 124–126.

Quellengrundlage

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rung der Sklaverei (1794/1802) in dem vielschichtigen Konfliktgemenge ist, welches das Verhältnis zwischen Plantagenbesitzern und Kolonialstaat prägte. Welche Gründe und Konsequenzen hatten diese Zäsuren? Wie wurden diese von der Metropole dekretierten Umbrüche vor Ort umgesetzt? Mit welchen Zielen und Methoden trugen die französischen Militärs Abolition und Revolution in die benachbarten Inseln des Britischen Empires? Welche Interessen verfolgten die lokalen Bündnispartner der Republikaner und weshalb scheiterte die republikanische Offensive? Warum entzog sich Guadeloupe auch nach der Abschaffung der Sklaverei immer weiter dem Zugriff der Metropole? Weshalb ließ sich der Bruch zwischen den Kolonialeliten und der Metropole, der mit der Abschaffung der Sklaverei vollzogen wurde, auch mit der Wiedereinführung der Sklaverei nicht mehr kitten? Wie versuchten die Agenten der Metropole dennoch die Loyalität der Plantagenbesitzer wiederzugewinnen, obwohl sie immer noch darauf angewiesen waren, die lokalen Ressourcen für den Krieg gegen das Britische Empire zu mobilisieren? Und welche Folgen hatte dieses schwierige Verhältnis für die französischen Kriegsanstrengungen und den weiteren Bestand des französischen Kolonialreichs in der Karibik? Auf diese Fragen versucht die vorliegende Studie Antworten zu liefern.

Quellengrundlage Die Untersuchung beruht primär auf der Auswertung von Archivakten behördlicher und militärischer Provenienz. Die Grundlage bildeten die Akten der Kolonialadministratoren Martiniques und Guadeloupes, die in den Archives nationales d’outre-mer in Aix-en-Provence einsehbar sind. Diese Aktenbestände wurden ergänzt durch die Akten des Comité des colonies sowie des Kolonial- und Marineministeriums, welche sich in Paris beziehungsweise Vincennes befinden. Von entscheidender Bedeutung waren ferner die Akten aus dem britischen Colonial Office, dem War Office und der Admiralität der Royal Navy aus den National Archives in Kew bei London, die nicht nur ein wichtiges Korrektiv für die einseitige Berichterstattung der französischen Kolonialadministratoren bilden, sondern auch zahlreiche abgefangene Berichte französischer Kolonialbeamter und Militärs enthalten, die in der Forschung bislang keine Beachtung gefunden haben. Von großem Wert waren zudem die zahlreichen privaten Nachlässe französischer und britischer Militärs und Kolonialbeamter, die sich unter anderem in Paris, Chicago, London, Edinburgh, Durham und La-Roche-sur-Yon auffinden ließen. Ebenfalls eine große Bereicherung waren die Akten, welche im Fonds Marcel Châtillon in den Archives départementales de la Gironde in Bordeaux lagern. In diesem Bestand finden sich nicht nur zahlreiche Briefe französischer Militärs und Kolonialbeamter, die der auf Guadeloupe arbeitende Arzt Marcel Châtillon nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengetragen hat, sondern auch umfangreiche Korrespon-

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denzen zwischen den Pflanzern Guadeloupes und Martiniques, die einmalige Einsichten in die Wahrnehmung staatlicher Politik seitens der kolonialen Eliten eröffnen88 . Eine bedeutende Ergänzung bildeten die Akten, welche in den Departementsarchiven von Martinique und Guadeloupe lagern. Ein Großteil dieser Bestände ging zwar im Laufe der Zeit durch die ungünstigen klimatischen Bedingungen, Feuer oder unsachgemäße Lagerung verloren, doch in den letzten Jahren ersteigerten diese Archive auf Auktionen zahlreiche Dokumente, die von der Forschung bislang unbeachtet geblieben sind. Lücken im Quellenmaterial konnten teilweise durch den Rückgriff auf ältere beziehungsweise zeitnah publizierte Werke gefüllt werden, deren Autoren oft Einblick in heute verlorene Akten hatten. Jedoch tendieren die Verfasser dieser Darstellungen oft dazu, Konflikte innerhalb der kolonialen Eliten einzuebnen – sei es, weil dies während der Restaurationsmonarchie, im zweiten Empire Napoleons III. und während der Dritten Republik politisch opportun war89 oder weil sie selbst an den Ereignissen beteiligt waren und deshalb ein Interesse daran hatten, diese innerelitären Antagonismen totzuschweigen90 .

Über Begrifflichkeiten, Schreibweisen und Währungen In dieser Studie ist immer wieder von »schwarzen«, »farbigen« und »weißen« Menschen die Rede. Diese im heutigen Sprachgebrauch rassistisch anmutenden Begrifflichkeiten bleiben bislang ohne Alternative. Es handelt sich um wichtige Quellenbegriffe, an denen in Ermangelung besserer analytischer Bezeichnungen notgedrungen festgehalten werden muss. Die mit diesen Begriffen verbundene Kategorie Rasse spielte nicht nur für die Zeitgenossen eine wichtige Rolle, sondern hat sich auch in der modernen historischen Forschung als nützliches heuristisches Instrument etabliert. Diese Kategorisierung neigt allerdings dazu, die soziale Ausdifferenzierung innerhalb besagter Gruppen einzuebnen. Mit »freien Farbigen« sind beispielsweise Menschen gemeint, die zwar rechtlich frei waren, aufgrund ihrer afrikanischen Wurzeln jedoch rechtlich diskriminiert wurden. Damit wird 88 89

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Marcel Châtillon u. a., Papiers privés sur l’histoire des Antilles, in: Revue française d’histoire d’outre-mer 59 (1972), S. 432–490. Dies ist etwa bei Auguste Lacour, Histoire de la Guadeloupe, 4 Bde., Basse-Terre 1855– 1860; Henry Lémery, La Révolution française à la Martinique, Paris 1936, der Fall. Zum Vergessen und Verdrängen der revolutionären Umstürze nach 1815 siehe Mattijs M. Lok, »Un oubli total du passé?« The Political and Social Construction of Silence in Restoration Europe (1813–1830), in: History & Memory 26 (2014), S. 40–75; Lammel, Der ToussaintLouverture-Mythos, S. 134–163. So etwa Eugène Boyer de Peyreleau, Les Antilles françaises, particulièrement la Guadeloupe, depuis leur découverte jusqu’au 1er novembre 1825, 3 Bde., Paris 2 1825.

Über Begrifflichkeiten, Schreibweisen und Währungen

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allerdings unterschlagen, dass der Begriff »freie Farbige« ein breites Spektrum an Menschen bezeichnet, das vom Tagelöhner bis zum Großgrundbesitzer reichte. Ähnlich ausdifferenziert waren die weißen Kolonisten und in kleinerem Ausmaß auch die schwarzen Sklaven. Im Folgenden wird zwar an den Quellenbegriffen festgehalten, doch wenn immer möglich auf die sozialen Unterschiede innerhalb der Großgruppen aufmerksam gemacht91 . Ebenso wird im Fließtext für Personengruppen zwar meistens die grammatikalisch männliche Form verwendet, doch sind, sofern nicht anders vermerkt, mit Bezeichnungen wie »die Sklaven« und »die freien Farbigen« die Frauen dieser Gesellschaftsgruppen im Sinne eines generischen Maskulinums mitgemeint. Für die Datierung des verwendeten Quellenmaterials französischer Provenienz wurde durchgehend der Gregorianische Kalender anstatt des von 1792 bis 1805 üblichen Revolutionskalenders verwendet. Die zahlreichen Namensänderungen von Personen infolge von Adelstitelverleihungen und Ähnlichem bereiten eine weitere Schwierigkeit. Verfasser und Adressaten von Briefen, Memoranden und ähnlichen Quellen werden deshalb mit ihrem zum Zeitpunkt der Niederschrift des Schriftstücks gültigen Namen bezeichnet. Napoleon Bonaparte wird demnach bis zu seiner Krönung zum Kaiser der Franzosen 1804 »Bonaparte«, danach »Napoleon« genannt. Die in der vorliegenden Arbeit direkt zitierten Quellenbelege wurden größtenteils in der Originalsprache belassen. Allerdings wurden Orthografie und Interpunktion französischer und englischer Zitate behutsam modernen Standards angepasst. Ebenso werden die behandelten Inseln der Kleinen Antillen im Fließtext gemäß den heutigen deutschen Schreibweisen bezeichnet. Folglich wird beispielsweise durchgehend von »Saint Lucia« die Rede sein, obwohl die Insel bis 1794 unter französischer Herrschaft stand und deshalb bis dahin »Sainte-Lucie« hieß. Hingegen wurde den häufigen Umbenennungen von Ortschaften und Forts im Betrachtungszeitraum und der damit einhergehenden Herrschaftssymbolik Rechnung getragen, indem sie im Fließtext mit ihrem zeitgenössischen Namen bezeichnet werden. So hieß der heutige Hauptort Martiniques, Fort-de-France, bis 1792 Fort-Royal, von 1792 bis 1794 Fort-de-la-République, während der britischen Besatzung 1794 bis 1802 wiederum Fort-Royal und schließlich unter napoleonischer Herrschaft 1802 bis 1809 Fort-de-France. Die Namen zahlreicher Befestigungsanlagen in den Kleinen Antillen haben eine ähnlich abwechslungsreiche Geschichte. So hieß die große Vauban-Festung bei Fort-de-France bis 1792 Fort Bourbon, 1792 bis 1794 Fort de la Convention nationale, 1794 bis 1802 wieder Fort Bourbon und schließlich von 1802 bis 1809 Fort Desaix. Diese zahlreichen – und oftmals verwirrenden – Namensänderungen werden jeweils im Fließtext erwähnt92 . Entsprechend moderner Rechtschreibregeln werden Fortnamen, 91 92

Siehe Régent, Esclavage, S. 15–17. Siehe auch Alan Burns, History of the British West Indies, London 2 1965, S. 731–753.

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Einleitung

die einen Ort oder eine Stadt bezeichnen, mit Bindestrichen geschrieben, was auch der Abgrenzung zu Forts im Sinne reiner Festungen dienlich ist. In der vorliegenden Untersuchung spielen zudem die Marinestreitkräfte Großbritanniens und Frankreichs eine bedeutende Rolle. Um sich die nominelle Kampfstärke der involvierten Schiffe einfacher zu vergegenwärtigen, wird jeweils nach den Schiffsnamen in Klammern die Anzahl der sich an Bord befindlichen Kanonen angegeben. Eine weitere Schwierigkeit besteht in den zahlreichen unterschiedlichen Währungen, die in der Karibik im Betrachtungszeitraum im Umlauf waren. Sofern nichts anderes angegeben wird, verstehen sich die Geldangaben in Livre als livres coloniales. Eine livre coloniale entspricht zwei Dritteln einer livre tournois, der damals üblichen Währung im metropolitanen Frankreich. Gleichzeitig existierten die francs. Ein franc war 20 sols wert und zwölf deniers ergaben einen sol. Eine livre tournois wiederum entsprach ungefähr 21 bis 24 sols. Von Bedeutung sind ferner die gourde, die neun livres coloniales wert war, sowie die in der Karibik häufig verwendete Silberwährung Johannes (auch moëdes oder portugais genannt), die 66 livres coloniales pro Einheit entsprach93 . Die Wechselkurse zum britischen Pfund Sterling waren infolge starker Inflation im Zuge der Revolutionskriege höchst variabel. Zu Beginn der Französischen Revolution kann aber davon ausgegangen werden, dass 21,8–23,8 livres tournois etwa einem Pfund Sterling entsprachen. Ein britisches Pfund Sterling war gleichzeitig rund elf holländische Gulden wert. Ein spanischer Piaster hatte demgegenüber den Wert eines halben britischen Pfundes Sterling94 .

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Régent, Esclavage, S. 7; Louis-François Tigrane, Histoire méconnue, histoire oubliée que celle de la Guadeloupe et son armée pendant la période révolutionnaire, in: Revue historique 282 (1989), S. 167–186, hier S. 169. Vgl. auch John J. McCusker, Weights and Measures in the Colonial Sugar Trade. The Gallon and the Pound and their International Equivalents, in: William & Mary Quarterly 30 (1973), S. 599–624. Nicholas A. M. Rodger, The Command of the Ocean. A Naval History of Britain, 1649– 1815, New York 2005, S. xxiii.

I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution, 1789–1794

1. Die Kleinen Antillen am Ende des Ancien Régime Am Ende des 18. Jahrhunderts waren die Kleinen Antillen von zahlreichen gesellschaftlichen Antagonismen geprägt. Die Region bildete einen regelrechten Mikrokosmos, der nach eigenen Regeln funktionierte. Diese Eigenheiten sind für das Verständnis der revolutionären Umbrüche zwischen dem Ausbruch der Französischen Revolution und dem Ende der Napoleonischen Kriege von zentraler Bedeutung. Es ist deshalb das Anliegen des folgenden Kapitels, diese Strukturen und Prozesse zu skizzieren und dabei auf grundlegende soziale Konflikte, Funktionsweisen sowie Trends der kolonialen Wirtschaft und Probleme der kolonialen Herrschaftsausübung aufmerksam zu machen.

Geografie, Verkehr und Information Am östlichsten Rand des karibischen Beckens gelegen, bildete der Archipel der Kleinen Antillen im Zeitalter der Segelschiffe aufgrund der atlantischen Windsysteme das Einfallstor in die Amerikas. Der Passatwind, der in diesen Breitengraden herrscht, trieb die aus Europa und Afrika in die Neue Welt segelnden Schiffe durch die Kleinen Antillen. Damit wurde die Inselkette während der globalen Kriege des 18. Jahrhunderts zu einem wichtigen Konfliktherd der rivalisierenden Mächte, was sich schon allein daran zeigt, wie oft diese Kolonien ihre Besitzer wechselten1 . Für die Bewohner dieser Inseln hat der Passatwind jedoch auch zur Folge, dass sie im Herbst regelmäßig von Hurrikanen heimgesucht werden, die insbesondere in den westlichen, dem Wind zugewandten Seiten verheerende Zerstörungen nach sich ziehen können2 . Begleitet werden die Tropenstürme zudem von einer mehrmonatigen Regenperiode, die meist von Mai bis November dauert und welche im 18. Jahrhundert das Leben (sowie jegliche militärischen Operationen) in der Karibik weitgehend zum Stillstand brachte3 . Für die Navigation im Archipel war neben dem Passatwind auch eine von Süden herkommende Strömung maßgebend, die das Erreichen der südlichen Inseln von Norden her erschwerte. Das gab den Besitzern der südlich gelegenen Inseln einen wichtigen strategischen Vorteil4 . 1 2 3 4

Darwin, Das unvollendete Weltreich, S. 52–57. Stuart B. Schwartz, Sea of Storms. A History of Hurricanes in the Greater Caribbean from Columbus to Katrina, Princeton 2015. John R. McNeill, Mosquito Empires. Ecology and War in the Greater Caribbean, 1620– 1914, New York 2010, S. 59. Murphy, The Creole Archipelago, S. 32.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-002

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

Die geografische Lage zwischen karibischer und atlantischer Erdplatte ist entscheidend dafür verantwortlich, dass es sich bei den meisten Inseln des Archipels um Vulkaninseln handelt. Erdbeben und gelegentliche Vulkanausbrüche prägen deshalb den Alltag5 . Die oft über 1000 Meter den Meeresspiegel überragenden Vulkane bestimmen die Topografie dieser Inseln. Bewohnt und bewirtschaftet wurden meist nur ein schmaler Küstenstreifen, langsam ansteigende Hänge sowie fruchtbare Ebenen. In der Regel fanden sich in den tieferliegenden Ebenen die Zuckerplantagen, während auf den höhergelegenen Plantagen Kaffee angepflanzt wurde. Die zerklüftete Topografie hat zudem zur Folge, dass die Inseln von zahlreichen Mikroklimata geprägt sind. Im gebirgigen Landesinneren der Inseln findet sich bis heute undurchdringbarer Urwald, der überdies zahlreiche giftige Schlangen und Skorpione beheimatet, die im ausgehenden 18. Jahrhundert eine ernstzunehmende Gefahr für jeden Eindringling darstellten6 . Eine Ausnahme im topografischen Muster der Inseln der Kleinen Antillen ist Guadeloupe. Die Insel besteht aus zwei Halbinseln: Grande-Terre und Basse-Terre (siehe Karte 2, S. 513). Die beiden Teile sind durch ein Sumpfgebiet miteinander verbunden, durch das sich der Fluss Rivière-Salée schlängelt. Während es sich bei Basse-Terre um eine gebirgige Vulkaninsel handelt, die nur entlang der Küsten bewirtschaftet wurde, ist die Halbinsel Grande-Terre geprägt von nur langsam ansteigenden Anhöhen, so dass der Anbau von Rohrzucker und Kaffee auf einem Großteil der Halbinsel möglich war7 . Mochte die ökonomische Erschließung der Zuckerinseln am Ende des 18. Jahrhunderts noch so rasch voranschreiten, die Errichtung einer Verkehrsinfrastruktur zu Lande verlief äußerst schleppend. Die wenigen bestehenden Straßen waren oft in einem miserablen Zustand, weil die alljährliche Regenperiode die meisten Wege unpassierbar werden ließ8 . Die mangelhaften Verkehrswege und die topografischen Gegebenheiten führten dazu, dass allein die Reise zwischen den beiden wichtigsten Städten Martiniques, Fort-Royal und Saint-Pierre, zu Pferde rund neun Stunden dauerte, obwohl die beiden Städte nur circa 35 Kilometer Luftlinie trennen (siehe Karte 3, S. 514). Daher bevorzugten die Zeitgenossen den Seeweg, über den sich die gleiche Reise bei günstigen Windverhältnissen in rund drei Stunden bewältigen ließ9 . So wurden Sklaven und Waren in Friedenszeiten meist auf dem 5 6

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Josette Fallope, Esclaves et citoyens. Les Noirs à la Guadeloupe au XIXe siècle dans le processus de résistance et d’intégration (1802–1910), Basse-Terre 1992, S. 31, 35. Wilhelm Lasalle de Louisenthal, Aventures de guerre aux Antilles (Sainte-Lucie, la Martinique, Trinidad), 1796–1805, hg. von Gabriel Debien, La Roche-sur-Yon 1980, S. 15f.; Murphy, The Creole Archipelago, S. 62, 86. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 80; Régent, Esclavage, S. 74f. Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 66. Alexandre Moreau de Jonnès, Aventures de guerre au temps de la République et du Consulat, 2 Bde., Paris 1858, Bd. 2, S. 173.

1. Die Kleinen Antillen am Ende des Ancien Régime

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Seeweg zwischen den Plantagen und den Hafenstädten transportiert. Gleiches galt für Soldaten, Waffen und Versorgungsgüter während kriegerischer Auseinandersetzungen. Eine entscheidende Voraussetzung hierfür war der sogenannte cabotage, die Küstenschifffahrt. Die kaum überschaubare Flotte kleinerer Segel- und Ruderschiffe verband nicht nur Plantagen mit größeren Hafenstädten, sondern auch die Kolonien des Archipels untereinander10 . Die Boote des cabotage wurden in der Regel von freien Farbigen kommandiert. Im Kriegsfall wurden sie oft zu Korsarenschiffen umfunktioniert11 . Der cabotage sorgte auch dafür, dass sich Neuigkeiten in Windeseile im Archipel verbreiteten. Der Entstehung und Streuung von Gerüchten konnte kaum Einhalt geboten werden12 . Die ungestörte Kommunikation zwischen Karibik, Nordamerika, den spanischen Festlandkolonien und Europa war für die Entscheidungsträger deshalb von entscheidender Bedeutung, um der stets brodelnden Gerüchteküche entgegentreten zu können. Allerdings dauerte es mindestens acht Wochen, bis ein Schiff den Atlantik überquert hatte und meist noch einmal die gleiche Zeitspanne, bis der Antwortbrief in der Karibik eintraf – oft verlief die Kommunikation zwischen Metropole und Peripherie wesentlich langsamer13 . Unter diesen Umständen vermag es nicht zu erstaunen, dass die lokalen Entscheidungsträger ein gehöriges Maß an Eigeninitiative an den Tag legen mussten, um im Krisenfall rasch reagieren zu können – ein Faktum, dass sie allzu oft auch zu ihren eigenen Gunsten ausnutzten14 . Gerade die französischen Kolonialbeamten und Militärs vor Ort waren in Kriegszeiten hinsichtlich der Informationsgewinnung auf sich alleine gestellt, war doch aufgrund der britischen Seeüberlegenheit kaum Verlass auf eine ungestörte Kommunikation zwischen Paris und dem Kolonialreich in Übersee – geschweige denn zwischen den Kolonien des französischen Imperiums15 . Oftmals erfuhren die französischen Machthaber in den Kolonien nur durch britische Zeitungen von den Ereignissen auf Europas Schlachtfeldern und von den neuesten Umwälzungen in den Hauptstädten des alten Kontinents. Dies konnte nicht nur zur Folge haben, dass die Kolonialpolitik lokaler Machthaber auf einen Schlag durch die Ereignisse in Europa sabotiert wurde, sondern bedeutete oftmals auch, dass sie im Falle eines Umsturzes plötzlich jegliche 10

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Sidney Daney, Histoire de la Martinique jusqu’en 1815, 6 Bde., Fort-de-France 1846, Bd. 6, S. 274; Dale Tomich, Slavery in the Circuit of Sugar. Martinique and the World Economy, 1830–1848, Baltimore, MD 1990, S. 93; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 70f. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 47f. Julius S. Scott, The Common Wind. Currents of Afro-American Communication in the Era of the Haitian Revolution, Diss., Duke Univ. (1986). Kenneth J. Banks, Chasing Empire Across the Sea. Communications and the State in the French Atlantic, 1713–1763, Montreal 2002. Zum Phänomen siehe David K. Fieldhouse, Economics and Empire 1830–1914, London 1973, S. 80f. William S. Cormack, Communications, the State, and Revolution in the French Caribbean, in: French Colonial History 6 (2005), S. 45–53, hier S. 45–47.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

Patronage in der Heimat verloren16 . Manchmal blieben die französischen Militärs in Kriegszeiten Monate, wenn nicht Jahre ohne Nachrichten ihrer Vorgesetzten in Europa, weil die französischen Marineoffiziere Anweisung hatten, bei der Gefahr, durch Schiffe der Royal Navy geentert zu werden, die gesamte Korrespondenz über Bord zu werfen17 . Neuigkeiten und Informationen mussten deshalb oft im persönlichen Gespräch weitergereicht werden18 . Umgekehrt kam es auch oft vor, dass die Pariser Metropole nur dank britischen Zeitungen von den Ereignissen in der Karibik erfuhr19 . Ohnehin erwies sich das Marine- und Kolonialministerium in Paris gegen Ende des 18. Jahrhunderts als zusehends unfähig, die Informationsflut aus den Kolonien zu verarbeiten und infolgedessen eine adäquate Entscheidungsgrundlage für die politische Führungsriege zu generieren. In den Wirren der Französischen Revolution und der daraus resultierenden Unklarheiten hinsichtlich der administrativen Zuständigkeiten sollte sich dieses Problem noch weiter verschärfen20 . Selbst unter napoleonischer Herrschaft war die Kolonialabteilung des Ministeriums personell deutlich unterbesetzt21 . Infolge der schwierigen Informationsgewinnung und -verarbeitung dies- und jenseits des Atlantiks handelten die Entscheidungsträger oft in einem beinahe undurchdringbaren Nebel von Gerüchten, Halbwahrheiten, Wunschdenken, Nichtwissen und Informationsfragmenten, zu deren Überprüfung sie kaum in der Lage waren. Dies führte nicht nur immer wieder zu Entscheidungsfindungen, die in der Nachbetrachtung jeder sachlichen Grundlage entbehrten, sondern auch zur Bereitschaft der Entscheidungsträger, den zur Diskussion stehenden Problemen mit Radikallösungen zu begegnen. Dies traf insbesondere auf die metropolitanen Machthaber zu, welche die gesellschaftlichen Konflikte in den fernen Kolonien nur äußerst schablonenhaft wahrnahmen. Für ein Klima stetiger Unsicherheit sorgte aber auch die geografische Nähe zwischen britischen und französischen Kolonien des Archipels: Ein Überraschungsangriff war jederzeit möglich22 . Es war nicht zuletzt diese Gefahr, welche die Entscheidungsträger dazu trieb, Küstenbatterien und mächtige 16

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So beschwerte sich der französische Gouverneur von Guadeloupe, Jean-Augustin Ernouf, dass er aus der Times vom Krieg zwischen Preußen und Frankreich erfahren habe. Vgl. Ernouf an Ambert, 20.1.1807 (Kopie), in: ANPS, 185AP/1. Siehe etwa die Beschwerden in Lebas an Truguet (geheim), 10.3.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 95; Kerversau an Decrès, 28.11.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 92. Vgl. etwa Bertin an Decrès, 23.4.1804, in: TNA, ADM 1/325. Bruix an Direktorium, 13.2.1799, in: ANPS, AF/III/206, fol. 96. Loïc Charles, Paul B. Cheney, The Colonial Machine Dismantled. Knowledge and Empire in the French Atlantic, in: Past & Present 219 (2013), S. 127–162; Jeremy D. Popkin, The French Revolution’s Royal Governor. General Blanchelande and SaintDomingue, 1790–92, in: William & Mary Quarterly 71 (2014), S. 203–228, hier S. 204f. Thierry Lentz, Les ministres de Napoléon. Refonder l’État, servir l’empereur, Paris 2016, S. 204. Dies wird etwa deutlich bei Ernouf an Ambert, 20.1.1807 (Kopie), in: ANPS, 185AP/1. Vgl. auch Darwin, Das unvollendete Weltreich, S. 52–57.

1. Die Kleinen Antillen am Ende des Ancien Régime

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Verteidigungsanlagen zu errichten, um sich gegen handstreichartige Überfälle zu wappnen. Martinique, der »boulevard des Antilles«23 , mit seiner VaubanFestung Fort Bourbon oberhalb der Stadt Fort-Royal (heute Fort-de-France) war das militärstrategische Gravitationszentrum der Kleinen Antillen. In der Bucht von Fort-Royal konnte eine ganze Flotte Zuflucht finden und war nicht nur vor Hurrikanen, sondern dank der starken Befestigungsanlagen auch vor dem Zugriff der Royal Navy sicher. Die Stadt bildete aufgrund dieser Vorteile den wichtigsten Stützpunkt der französischen Kriegsmarine in der östlichen Karibik24 .AufderimSüden Martiniques gelegenen InselSaintLucia errichteten französische Festungsbauer auf dem Morne Fortuné – dem rund 260 Meter aus dem Meer ragenden »Gibraltar des Antilles«25 (siehe Karte 4, S. 515) – eine nur schwer erreichbare Festung, welche die Kolonie vor einer feindlichen Invasion schützte26 . Von strategisch sekundärer Bedeutung waren die Festungen Fort Fleur d’Épée (bei Pointe-à-Pitre) und Fort Saint-Charles (bei Basse-Terre) auf Guadeloupe sowie die Befestigungen auf der kleinen Inselgruppe Les Saintes im Süden Guadeloupes. Letztere diente der französischen Kriegsmarine als Basis, umden Schiffsverkehrzwischen GuadeloupeundDominica zukontrollieren27 . Dominica bildete die Achillessehne französischer Militärstrategie, denn im Kriegsfall war es für britische Militärs aufgrund der geografischen Lage der Insel einfach, die Kommunikation zwischen Martinique und Guadeloupe zu stören28 . Die britischen Militärs standen hinsichtlich der Befestigung ihrer Kolonien ihrem französischen Gegenüber in nichts nach und errichteten mehrere Forts auf Grenada, Saint Vincent und Dominica. Freilich sollte der strategische Wert vieler Festungen – sowohl auf französischer wie auch auf britischer Seite – nicht überschätzt werden. Die meisten Festungen waren am Fuße von Hügelketten gelegen. Sobald ein Invasor diese Anhöhen kontrollierte und es schaffte, Artillerie dorthin zu verschieben, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Festungsgarnisonen aufgrund des Bombardements aus erhöhter Position kapitulieren mussten29 . Hinzu kam, dass die meisten Befestigungsanlagen oft nur unzureichend instand gehalten wurden30 . 23 24 25 26 27

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So die Formulierung bei [Decrès] an Bonaparte, [?].10.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 36. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 74. Goyrand an de Beaupréau, 8.10.1795, in: ANOM, C10C 7, fol. 803. Lacoste, Mémoire & Notes sur l’Île de Ste-Lucie, o. D., in: ANOM, 33PA. R. John Singh, L’importance stratégique des colonies antillaises dans la politique française de l’après-guerre (1763–1770), in: Revue d’histoire de l’Amérique française 28 (1974), S. 27–43, hier S. 37; Tigrane, Histoire, S. 170. [Atwood], Remarks on the present state of Dominica, with Methods humbly recommended for the further Settlement of that important Island, o. D. [1791], in: TNA, PRO/30/8/109/151; Knox an Hobart, 16.5.1803, in: TNA, CO 71/36; Lescallier, Île Dominique, 30.10.1804, in: ANP, MAR/3JJ/288; Mémoire sur la Dominique, 9.11.1801, in: ANOM, C10D 3, fol. 138. Buckley, The British Army, S. 72–84. Harding, The War, S. 298.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

Wirtschaft, Gesellschaft und Sklaverei Im Vergleich zu den britischen Kolonien, insbesondere Barbados, Antigua und Jamaika, boten die gebirgigen Kolonien Guadeloupe, Martinique und Saint Lucia den französischen Plantagenbesitzern einen entscheidenden Vorteil: Die hohen Gebirgszüge sorgen dafür, dass es auf diesen Inseln regelmäßig regnet, so dass die Plantagen ausreichend bewässert werden konnten. Gerade für den wasserintensiven Anbau von Zuckerrohr war dies von größter Bedeutung und führte dazu, dass die französischen Zuckerkolonien während des 18. Jahrhunderts wesentlich schneller wuchsen als ihre britische Konkurrenz31 . Erst durch die Inbesitznahme und Kolonisierung topografisch vergleichbarer Inseln in den Kleinen Antillen vermochte die britische Seite in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an die französischen Wachstumsraten anzuknüpfen32 . Der hohe Bedarf an Wasser hatte allerdings zur Folge, dass um die Kontrolle dieser wertvollen Ressource immer wieder heftige Konflikte zwischen den Plantagenbesitzern entbrannten, die sich gegenseitig beschuldigten, Kanäle zur Bewässerung ihrer Plantagen illegal abzuzweigen oder die Wasserzufuhr für die nachfolgenden Plantagen zu verschmutzen. Hinzu kamen Auseinandersetzungen um die Bewirtschaftung der an die Plantagen angrenzenden Waldgebiete, die zum einen die Bodenerosion verhinderten, zum anderen aber eine wichtige Energiequelle für den Unterhalt der Plantagen bildeten. Denn gerade das Sieden von Zuckerrohr bedurfte großer Mengen an Brennholz. Um dessen Nutzung stritten die Plantagenbesitzer nicht nur untereinander, sondern auch mit den Unterschichten der kolonialen Gesellschaft33 . Klima und Böden der Karibik waren wenig geeignet für den Anbau europäischer Nahrungsmittel wie Roggen, Gerste und Weizen. Lokale Alternativen wie Maniok, Yamswurzeln und Süßkartoffeln konnten zwar leicht und in ausreichenden Mengen produziert werden, doch erfreuten sich diese Produkte gerade unter der weißen Bevölkerung keiner großen Beliebtheit. Infolgedessen blieben die Kolonien weitestgehend vom Import von Lebensmitteln abhängig, so dass unter den Zeitgenossen die Überzeugung weit verbreitet war, dass die karibischen Inseln niemals dem Vorbild der nordamerikanischen Kolonien folgen und sich von ihren europäischen Mutterländern loslösen könnten. Nicht zuletzt die Ernährung der Sklaven hing weitgehend von getrocknetem Kabeljau ab, der in der Regel aus den Fischereien der kleinen französischen Kolonie Saint-Pierre-et-Miquelon vor der Küste Neu31 32 33

Robin Blackburn, The Making of New World Slavery. From the Baroque to the Modern, 1492–1800, London 1997, S. 431–444. Murphy, The Creole Archipelago, S. 81. Dubois, A Colony, S. 41–45; McNeill, Mosquito, S. 26–32; Cheney, Cul de Sac, S. 57– 60.

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fundlands importiert wurde34 . Die unzureichende Subsistenzwirtschaft war aber auch der Konzentration der Pflanzer auf die Herstellung von cash crops, also Exportprodukten, geschuldet. Die meisten Kolonisten setzten alles daran, so schnell wie möglich zu Zuckerproduzenten aufzusteigen, wovon sie sich das größte soziale Prestige und die höchsten Profite versprachen. Ohnehin herrschte unter den Plantagenbesitzern kaum ein Gemeinschaftssinn; jeder war sein eigener Freund. Schon gar nicht erkannten die Plantagenbesitzer die Notwendigkeit, die Stadtbewohner zu ernähren, so dass an eine Autarkie der karibischen Kolonien kaum zu denken war35 . Die ökonomische Abhängigkeit vom Mutterland war schließlich auch im merkantilistischen Wirtschaftsregime, dem sogenannten exclusif, verankert, in dessen Rahmen der koloniale Handel nur zwischen Frankreich und seinen Kolonien erlaubt war36 . Diese merkantilistische Wirtschaftsordnung wurde nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1784 durch den exclusif mitigé aufgeweicht. Durch diesen wurde amerikanischen und spanischen Handelsschiffen der Zugang zu den französischen Kolonien gewährt und mehreren Häfen, Saint-Pierre (Martinique), Pointe-à-Pitre (Guadeloupe) und Castries (Saint Lucia), das Privileg eines Freihafens zuteil37 . Trotz dieses Entgegenkommens der Metropole gab der exclusif mitigé aber weiterhin Anstoß zu scharfer Kritik seitens der Plantagenbesitzer, weil der Handel mit den strategischen Gütern Mehl, Zucker, Kaffee, Indigo und Baumwolle französischen Handelshäusern vorbehalten blieb38 . Die Pflanzer glaubten nicht nur, dass der französische Überseehandel, der sogenannte commerce national, die Kolonien unzureichend mit Lebensmitteln, Verbrauchsgütern und insbesondere Sklaven versorgte, sondern auch, dass sie ihre Waren den französischen Kaufleuten zu unangemessen niedrigen Preisen verkaufen und gleichzeitig die Produkte aus Frankreich sowie die afrikanischen Sklaven zu übertrieben hohen Preisen erwerben mussten. Infolgedessen forderten die Plantagenbesitzer ein Freihandelsregime, das ihnen eine größere wirt34

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Charles, Cheney, The Colonial Machine, S. 143; Régent, Esclavage, S. 82f. Freilich importierten die französischen Kolonien ihre Nahrungsmittel im Krisenfall meist aus den spanischen Festlandkolonien. Vgl. Blackburn, The Making, S. 438. Pierre-Clément Laussat, Mémoires sur ma vie, à mon fils, pendant les années 1803 et suivantes que j’ai rempli des fonctions publiques, savoir à la Louisianne, en qualité de commissaire du gouvernement français pour la reprise de possession de cette colonie et pour sa remise aux États-Unis; à la Martinique, comme préfet colonial; à la Guyane française, en qualité de commandant et administrateur pour le roi, 3 Bde., Pau 1831, Bd. 2, S. 281–289. Tarrade, Le commerce. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 86f. Siehe für die britischen Kolonien Frances Armytage, The Free-Port System in the British West Indies. A Study in Commercial History, 1766–1822, London 1953. Manuel Covo, L’Assemblée constituante face à l’Exclusif colonial, in: Frédéric Régent, Jean-François Niort, Pierre Serna (Hg.), Les colonies, la Révolution française, la loi, Rennes 2014, S. 69–89, hier S. 70f.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

schaftliche Autonomie verschafft hätte. Dieser Forderung war die Regierung in Versailles jedoch nicht bereit nachzukommen, denn ein Großteil des aus der Karibik importierten Zuckers und Kaffees wurde von Frankreich nach Mitteleuropa weiterexportiert und generierte so wichtige Zolleinnahmen. Mit Blick auf die leeren Kassen des Königreiches im Nachgang der globalen Kriege des 18. Jahrhunderts waren diese Einnahmen unverzichtbar39 . Die nicht ungerechtfertigten Vorwürfe der Koloniallobby hatten ein äußerst konfliktträchtiges Verhältnis zwischen den Kaufleuten metropolitaner Handelshäuser in den kolonialen Städten und den Plantagenbesitzern zur Folge. Die massive Verschuldung vieler Pflanzer verschärfte diesen Antagonismus weiter. Der wirtschaftliche Boom in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war nicht zuletzt infolge der merkantilistischen Ketten durch Schulden finanziert worden. Allein die Plantagenbesitzer Guadeloupes standen bei Ausbruch der Französischen Revolution mit 40 Millionen Livre bei metropolitanen Handelshäusern in der Schuld, jene Saint-Domingues gar mit 150 Millionen Livre40 . Auf Martinique und Saint Lucia lagen die Dinge ähnlich41 . Gegen Ende des Ancien Régime machten sich deshalb erste Überhitzungserscheinungen des wirtschaftlichen Booms bemerkbar. So waren die Konzentrationsprozesse innerhalb der Schicht der Plantagenbesitzer ein deutliches Zeichen dafür, dass sich zahlreiche Pflanzer verkalkuliert hatten und infolgedessen vor dem finanziellen Ruin standen42 . Viele unter ihnen waren in einer Schuldenspirale gefangen, aus der sie sich niemals wieder hätten befreien können, hatten sie doch Kredite in der Höhe des drei- bis vierfachen Wertes ihrer Güter aufgenommen. Faktisch waren sie damit auf Gedeih und Verderb ihren Gläubigern ausgeliefert und mussten die gesamte Produktion ihren Kreditoren verkaufen. Für Letztere war es oft günstiger, die Plantagen unter der Kontrolle ihrer säumigen Debitoren zu belassen, anstatt mühselig einen neuen Pächter oder Käufer zu finden beziehungsweise einen Aufseher anzustellen, den man auch noch bezahlen musste43 . Gleichwohl sollte die Überschuldung der Pflanzer zu Beginn der Französischen Revolution zu einem entscheidenden Problem der karibischen Plantagenökonomie werden. Vielen Pflanzern

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Dubois, A Colony, S. 33f.; Joseph Horan, The Colonial Famine Plot. Slavery, Free Trade and Empire in the French Atlantic, 1763–1791, in: International Review of Social History 55 (2010), S. 103–121; Doerflinger, The Antilles Trade. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 62, 73. Siehe auch Blackburn, The Making, S. 436f., der von einer wesentlich tieferen Verschuldung ausgeht. Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 259, 283f.; Prevost an Portland, 24.11.1798, in: TNA, CO 253/2/3. Dubois, A Colony, S. 53. Für Martinique scheinen die Statistiken diese Befunde nicht zu bestätigen. Vielmehr scheint die Kolonie am Ende des Ancien Régime ihre natürliche Wachstumsgrenze erreicht zu haben. Vgl. Élisabeth, La société, S. 39. Ibid., S. 49; Louis Dermigny, Gabriel Debien, La Révolution aux Antilles. Marins et colons – marchands et petits Blancs, in: Revue d’histoire de l’Amérique française 8 (1955), S. 496–517, hier S. 496f.

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bereitete denn auch die drückende Schuldenlast größere Sorgen als die Angriffe der Aufklärer in Paris auf die Sklaverei44 . Auch wenn sich die Plantagenbesitzer in der Metropole immer wieder über das enge wirtschaftliche Korsett des exclusif mitigé beschwerten, darf nicht vergessen werden, dass der Schmuggel in den Kleinen Antillen gegen Ende des Ancien Régime gigantische Ausmaße angenommen und erheblich zum Wachstum der dortigen Zuckerinseln beigetragen hatte. Allein für Guadeloupe gehen Schätzungen davon aus, dass bis zum Ausbruch der Französischen Revolution rund die Hälfte des gesamten Handelsvolumens durch Schmuggel generiert wurde45 . Eine wichtige Rolle in dieser Schattenwirtschaft nahm die zwischen Martinique und Guadeloupe gelegene britische Insel Dominica ein, die nicht nur als Umschlagplatz für Schmuggelware diente, sondern auch als Zwischenstation für Tausende von Sklaven, die in die umliegenden französischen Kolonien geschleust wurden. Der verdeckte Sklavenhandel in der Region war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die französischen Sklavenhändler in der Regel direkt Saint-Domingue ansteuerten. Dort konnten sie für ihre menschliche Ware weit höhere Preise als in den Kleinen Antillen erzielen, so dass sich die Pflanzer Martiniques und Guadeloupes beklagten, dass die beiden Kolonien nur unzureichend mit neuen Sklaven versorgt würden46 . Im Norden Guadeloupes waren vor allem die niederländischen, schwedischen und dänischen Kolonien wichtige Umschlagplätze für die französischen Schmuggler47 . Dem cabotage kam in diesem grenzübergreifenden Schwarzhandel eine entscheidende Bedeutung zu, ließ er sich doch kaum durch die staatlichen Behörden kontrollieren48 . Auf Guadeloupe entwickelten sich insbesondere die Stadt Basse-Terre und die umliegenden, abgeschiedenen Buchten der Insel zu einem Mekka für Schmuggler49 . In den Städten führte die wirtschaftliche Hausse zu steigenden Immobilienund Mietpreisen, in deren Folge die sozialen Spannungen deutlich zunahmen, zumal die karibischen Besitzungen Frankreichs nach dem Verlust Kanadas neben den ostindischen Kolonien das einzige Auswanderungsziel für emigrationswillige Franzosen bildeten50 . Vor dem Hintergrund der schleichenden Überhitzung der kolonialen Wirtschaft verschärften sich derweil die Konflikte 44 45 46

47 48 49 50

Cheney, Cul de Sac, S. 46. Pérotin-Dumon, Commerce, S. 38. [Atwood], Remarks on the present state of Dominica, with methods humbly recommended for the further settlement of that important island, o. D. [1791], in: TNA, PRO/30/8/109/151; Knox an Hobart, 16.5.1803, in: TNA, CO 71/36; Lescallier, Île Dominique, 30.10.1804, in: ANP, MAR/3JJ/288; Mémoire sur la Dominique, 9.11.1801, in: ANOM, C10D 3, fol. 138; Privy Council Meeting, 6.1.1794, in: BL, Add. MSS. 38377/1; Régent, Esclavage, S. 26; Murphy, The Creole Archipelago, S. 57–59. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 70–74. Dies., Commerce, S. 41. Dubois, A Colony, S. 48f.; Pérotin-Dumon, Commerce, S. 46f. Ibid., S. 43; Dubois, A Colony, S. 35f.

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zwischen den einzelnen Städten um die Gewährung von Handelsprivilegien – insbesondere der Öffnung des Handels für die fremde Schifffahrt. Im Fokus stand dabei vor allem das ökonomische Zentrum der Kleinen Antillen – die Hafenstadt Saint-Pierre auf Martinique, die am Ende des 18. Jahrhunderts als reichste Stadt des Archipels galt. Die Kaufleute der Stadt hatten im kolonialen Handel eine derart dominante Position erlangt, dass sie von ihren Geschäftspartnern Kommissionen von bis zu 30 Prozent fordern konnten51 . So war es kein Wunder, dass im Vorfeld der Französischen Revolution die Großgrundbesitzer der Kleinen Antillen mit äußerster Vehemenz die Öffnung weiterer Häfen für den fremden Handel verlangten, um das Monopol der Kaufmannschaft Saint-Pierres zu brechen. An einem Verlust ihrer Privilegien hatten letzere allerdings keinerlei Interesse und setzten alles daran, diese zu verteidigen. Der exclusif mitigé war nämlich für die Kaufleute ein Garant dafür, dass ihre Gläubiger ihre Schulden bedienten, indem sie die Kolonialprodukte ausschließlich ihren Kreditoren verkaufen und im Gegenzug deren Waren und Sklaven kauften. Die Aufhebung des exclusif mitigé hätte deshalb für viele Handelshäuser Saint-Pierres und Frankreichs den Ruin bedeutet52 . Im Mutterland genoss deshalb das protektionistische Wirtschaftsregime im Vorfeld der Französischen Revolution breite Unterstützung, zumal befürchtet wurde, dass bei seiner Aufhebung britische und amerikanische Handelshäuser den Kolonialhandel übernehmen würden. Eine solche Entwicklung konnte aber nicht im Sinne der französischen Regierung sein, wären doch dem Staat dadurch wichtige Zolleinnahmen entgangen und der Kriegsmarine mit dem Zusammenbrechen des Überseehandels ein wichtiges Rekrutierungsbecken für Matrosen entzogen worden53 . Die Konflikte innerhalb der kolonialen Eliten gewannen durch die Tatsache zusätzliche Brisanz, dass auf Guadeloupe und Martinique der Anteil der Absentisten im Gegensatz zu Saint-Domingue gering war54 . Infolgedessen wurden diese Auseinandersetzungen vor Ort ausgetragen, womit der Zusammenhalt der weißen Eliten einer andauernden Belastungsprobe ausgesetzt war. Doch wie lässt sich die Bevölkerung Martiniques und Guadeloupes sozial verorten? An der Spitze der kolonialen Gesellschaft standen die sogenannten grands Blancs, welche die größten und fruchtbarsten Zuckerplantagen auf Martinique und Guadeloupe besaßen. Diese kolonialen Eliten machten rund einen Drittel der weißen Bevölkerung aus. Sie waren Nachfahren der ersten Siedler und beanspruchten eine uneingeschränkte Führungsrolle in der ko51 52 53 54

Pérotin-Dumon, Commerce, S. 32–36. Lacoste, Mémoire & Notes sur l’Île de Ste-Lucie, o. D., in: ANOM, 33PA; PérotinDumon, Être patriote, S. 117f.; Dermigny, Debien, La Révolution, S. 497. Covo, L’assemblée. Unter dem Begriff »Absentisten« werden jene Plantagenbesitzer verstanden, die in der Metropole wohnhaft waren und ihre Plantagen durch einen Verwalter bewirtschaften ließen. Zu Guadeloupe und Martinique siehe Dubois, A Colony, S. 54; Hartkopf Schloss, The Distance, S. 39f.

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lonialen Politik. Die grands Blancs waren nicht nur durch gemeinsame ökonomische Interessen miteinander verbunden, sondern auch durch zahlreiche Heiratsbande. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden mehrere Familienoberhäupter nobilitiert und es kristallisierten sich mehrere Clans heraus, die ihren Einfluss in Versailles geltend zu machen suchten. Auf Martinique galt dies beispielsweise für die Familie Dubuc. So beklagte sich 1790 ein Kaufmann aus Saint Lucia über die Macht dieser Familie: Vous verriez en approfondissant [. . . ] qu’il existe dans ces îles une famille Dubuc, famille fort étendue, puissante et qui de tout temps a été redoutée. Le député de la colonie est, je crois, héréditairement un Dubuc. Un autre a été longtemps employé dans les bureaux de la Marine sous le titre d’Intendant général des Colonies. Ces messieurs, comme les créoles en général, étaient fort ambitieux d’une grande fortune55 .

Die grands Blancs waren eine ausgesprochen homogene Gesellschaftsgruppe. Der Historiker Léo Élisabeth spricht gar von einer »aristocratie égalitaire«, genoss doch der Adel in den französischen Kolonien kaum Privilegien. Das wichtigste Distinktionsmerkmal der grands Blancs war deshalb nicht zwangsläufig Stand oder materieller Reichtum, sondern neben Grundbesitz und europäischer Abstammung die Tatsache, dass sie nicht mit ihren Händen arbeiteten56 . Tabelle 1: Bevölkerung des französischen Kolonialreichs in der Karibik 178957 .

Saint-Domingue Guadeloupe Martinique Saint Lucia Tobago Französisch-Guyana

Weiße

Freie Farbige

Sklaven

30 826 13 712 10 634 2 159 425 1 735

27 548 3 058 5 236 1 588 231 460

465 429 89 823 83 414 17 221 12 639 10 478

Die weiße Hautfarbe allein bedeutete deshalb nicht automatisch Zugehörigkeit zur kolonialen Elite. Ein Großteil der weißen Bevölkerung lebte in ärmlichen Verhältnissen. Viele arbeiteten als Aufseher oder Handwerker auf einer Plantage. Andere betrieben ein kleines Gewerbe in den Städten der Kolonien. Einen Großteil dieser sogenannten petits Blancs stellten aber Tagelöhner und Matrosen, deren Klassenkonflikte mit den kolonialen Eliten für erhebliche Spannungen sorgten. Oftmals waren diese Menschen während der Boomjahre 55 56 57

Zit. nach: Dermigny, Debien, La Révolution, S. 508. Noch heute zeugen die Ruinen der Plantagen Dubucs bei Le Robert auf Martinique vom Reichtum dieser Familie. Laussat an Decrès, 9.6.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 111; Hartkopf Schloss, The Distance, S. 39; Élisabeth, La société, S. 49–74 (Zitat S. 50). Zahlen für Saint-Domingue, Martinique, Guadeloupe und Französisch-Guyana aus Pluchon, Révolutions, S. 267. Im Falle Guadeloupes beinhalten diese Zahlen auch die Dependenzen Marie-Galante, Les Saintes und La Désirade. Für Saint-Lucia und Tobago wurde auf den Zensus von 1788 zurückgegriffen. Vgl. Frédéric Régent, La France et ses esclaves. De la colonisation aux abolitions (1620–1848), Paris 2007, S. 337.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

vor Ausbruch der Französischen Revolution mit der Hoffnung auf das schnelle Geld in die Kolonien emigriert, hatten sich aber finanziell übernommen und standen bald mittellos auf der Straße. Das Erreichen der Gewinnzone war für angehende Besitzer von Zuckerplantagen nämlich ein äußerst langwieriger und deshalb besonders kapitalintensiver Prozess58 . Es handelte sich überwiegend um junge, alleinstehnde Männer, die nichts zu verlieren hatten und sich durch eine ausgesprochen große Mobilität auszeichneten59 . Ihre materiellen Nöte stießen nirgends auf Interesse. Im Falle von politischen und wirtschaftlichen Krisen waren diese Menschen meist als erste betroffen. Gleichzeitig erblickten sie in Ausnahmezuständen oft eine Gelegenheit, im allgemeinen Chaos Lagerhallen und Depots zu plündern und sich so das zu nehmen, was ihnen von der Gesellschaft verweigert worden war60 . Gerade in den Reihen der petits Blancs waren rassistische Ressentiments weit verbreitet, denn die freien Farbigen nahmen sie als größte Konkurrenz um ein Auskommen und das tägliche Brot wahr61 . Letztere genossen in diesem Konkurrenzkampf einen Startvorteil, waren sie doch meist mit den lokalen Verhältnissen besser vertraut als Neuankömmlinge aus Europa. Es handelte sich bei den freien Farbigen entweder um freigelassene Sklaven oder bereits frei Geborene62 . Obwohl den freien Farbigen aufgrund ihrer Hautfarbe rechtlich der Zugang zu zahlreichen Ämtern und Berufen verwehrt blieb, fanden viele unter ihnen Arbeit in den Städten, wo sie als Kaufleute, Handwerker, Schneider, Perückenmacher, Bäcker und Fischer arbeiteten. Einige erwarben im Laufe des 18. Jahrhunderts Liegenschaften in den Städten Guadeloupes und Martiniques. Andere stiegen zu Plantagenbesitzern auf. Auf der Halbinsel Basse-Terre der Kolonie Guadeloupe war zu Beginn der Französischen Revolution gar ein Drittel aller Plantagen im Besitz freier Farbiger. Allerdings handelte es sich dabei ausschließlich um die weniger prestigeträchtigen und vor allem weniger kapitalintensiven Kaffee-, Kakao- und Baumwollplantagen. Zudem waren all jene Höfe im Besitz freier Farbiger, die ausschließlich Lebensmittel wie Maniok und Süßkartoffeln produzierten63 . Auf Martinique sah die Lage 58

59 60 61

62 63

Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 47–49; Régent, Esclavage, S. 15; Blackburn, The Making, S. 441; Robert Stein, The French Slave Trade in the Eighteenth Century. An Old Regime Business, Madison, WS 1979, S. 7f.; Dermigny, Debien, La Révolution, S. 498. Anne Pérotin-Dumon, Les jacobins des Antilles ou l’esprit de liberté dans les îles du Vent, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 35 (1988), S. 275–304, hier S. 277f. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 48f. Tarrade, Les colonies, S. 14; Anne Pérotin-Dumon, Révolutionnaires français et royalistes espagnols dans les Antilles, in: Revue française d’histoire d’outre-mer 76 (1989), S. 125–158, hier S. 133f. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 170. Régent, Esclavage, S. 158–173; Léo Élisabeth, The French Antilles, in: David W. Cohen, Jack P. Greene (Hg.), Neither Slave nor Free. The Freedman of African Descent in the Slave Societies of the New World, Baltimore, MD 1972, S. 135–171, hier S. 159–165; Emile Hayot, Les gens de couleur libres du Fort-Royal, 1679–1823, Paris 1971, S. 22–59, 92–94.

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ähnlich aus: Zwar hatten zahlreiche freie Farbige größere Plantagen erworben, doch niemand unter ihnen verfügte über genügend Kapital, um eine Zuckerplantage zu betreiben64 . Schließlich muss auch auf die Tatsache hingewiesen werden, dass es sich bei den freien Farbigen um eine höchst mobile Bevölkerungsgruppe handelte. Dies zeigt sich etwa an der Tatsache, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts viele unter ihnen aus den französischen Kolonien in die benachbarten britischen Kolonien ausgewandert waren, wo sie maßgeblich zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Inseln beitrugen65 . Obwohl einige freie Farbige gegen Ende des Ancien Régime ein teilweise beachtliches Maß an materiellem Wohlstand erreicht hatten, steht außer Frage, dass die im Laufe des 18. Jahrhunderts wachsenden rechtlichen und sozialen Diskriminierungen in allen Kolonien des Archipels für erhebliche Spannungen mit der weißen Bevölkerung sorgten. Diese Konflikte erhielten zusätzliche Brisanz durch die Tatsache, dass viele freie Farbige des Lesens und Schreibens mächtig waren und deshalb über die Ereignisse und Debatten in der Metropole im Vorfeld und während der Französischen Revolution informiert waren66 . Die freien Farbigen standen allerdings nicht nur in Konkurrenz mit den weißen Eliten und den petits Blancs, sie versuchten auch stets, sich gesellschaftlich nach unten abzugrenzen. Die Abstammung von einem weißen Mann war für viele freie Farbige ein wichtiges Distinktionsmerkmal, das ihre angebliche zivilisatorische Überlegenheit bewies. Viele unter ihnen hatten deshalb wenig für die schwarzen Sklaven übrig, die sie aufgrund ihrer rein afrikanischen Herkunft verachteten67 . Der Reichtum der Kolonien wurde bekanntlich mit dem Blut schwarzer Feldsklaven erkauft. Zu hunderttausenden wurden die aus Afrika stammenden Sklaven auf den Plantagen der Karibik zu Tode geschunden68 . Bereits die sogenannte middle passage, die gewaltsame Verschleppung afrikanischer Sklaven über den Atlantik auf die Plantagen der Amerikas, war ein Albtraum für die Betroffenen: Aktuelle Schätzungen gehen von durchschnittlichen Todesraten zwischen acht und 22 Prozent aus – Fälle von Mortalitätsraten von über 55 Prozent waren häufig. Selbst unter den Besatzungen der Sklavenschiffe konnte die Sterblichkeitsrate bis zu 20 Prozent betragen69 . In den Rümpfen der Sklavenschiffe wurde die menschliche Ware unter fürchterli64 65 66

67 68

69

Abel A. Louis, Les libres de couleur en Martinique, 3 Bde., Paris 2012, Bd. 1, S. 214–221. Candlin, The Last Caribbean Frontier; Murphy, The Creole Archipelago. Léo Élisabeth, Gens de couleur et révolution dans les îles du Vent (1789–janvier 1793), in: Revue française d’histoire d’outre-mer 76 (1989), S. 75–95, hier S. 78f.; Régent, Esclavage, S. 208–213. Élisabeth, Gens de couleur, S. 77f. Einen guten Einstieg ins Thema bietet Michael Zeuske, Atlantic Slavery und Wirtschaftskultur in welt- und globalhistorischer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 66 (2015), S. 280–301. Philip D. Curtin, The Atlantic Slave Trade. A Census, Madison, WS 3 1975, S. 275–286.

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chen Bedingungen gefangen gehalten, wie der Bericht eines Überlebenden zeigt: The stench of the hold [. . .] was so intolerably loathsome, that it was dangerous to remain there for any time, and some of us had been permitted to stay on the deck for the fresh air; but now that the whole ship’s cargo were confined together, it became absolutely pestilential. The closeness of the place, and the heat of the climate, added to the number in the ship, which was so crowded that each had scarcely room to turn himself, almost suffocated us. This produced copious perspirations, so that the air soon became unfit for respiration, from a variety of loathsome smells, and brought on a sickness amongst the slaves, of which many died. [. . .] This wretched situation was again aggravated by the galling of the chains, now become insupportable; and the filth of the necessary tubs, into which the children often fell, and were almost suffocated. The shrieks of the women, and the groans of the dying, rendered the whole scene of horror almost inconceivable70 .

Sklavinnen wurden auf der middle passage regelmäßig vergewaltigt, nicht nur zur Befriedigung ihrer Wächter, sondern auch als Ritual, um ihren Willen zu brechen. In den Amerikas angekommen, wurden die halbtoten Sklaven aufgepäppelt, damit sie zu einem möglichst hohen Preis verkauft werden konnten71 . Auf dem Sklavenmarkt wurden die neueintreffenden Sklaven neben körperlichen Merkmalen auch nach ethnischen Gesichtspunkten ausgewählt und mit Brandmalen versehen, die sie unverkennbar als Eigentum ihres neuen Herren kennzeichneten72 . Fortan konnten sie nach Belieben verkauft werden und sie wurden in den Buchhaltungen der Plantagenbesitzer als mobiles Inventar geführt – Menschen wurden damit zu Kapital73 . In der Regel machten Sklaven 30 Prozent des Wertes einer Plantage aus74 . Nachdem sie auf die Plantage ihrer neuen Besitzer gebracht wurden, machten ältere, privilegierte Sklaven die Neuankömmlinge mit ihren Aufgaben und den auf der Pflanzung herrschenden Regeln vertraut. Meist handelte es sich dabei um Sklaven derselben Ethnie, um etwaige Sprachbarrieren zu überwinden. Gleichzeitig wurden die Neuankömmlinge damit einer komplexen Hierarchie innerhalb der Plantage unterworfen, in der sie dem Willen privilegierter Sklaven wie auch jenem des Pflanzers zu gehorchen hatten. In beiden Fällen konnte diese Autorität patriarchalische wie auch despotische Formen annehmen, wie Oliver Gliech angemerkt hat75 . Die Anwendung von Gewalt und die soziale Einbindung der Neuankömmlinge in die Gemeinschaft der

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71 72 73 74 75

Olaudah Equiano, The Interesting Narrative of the Life of Olaudah Equiano or Gustavus Vassa, The African, Written by Himself, Norwich 8 1794, S. 51f. Siehe auch Robert W. Harms, The Diligent. A Voyage Through the Worlds of Slave Trade, New York 2002. Stein, The French Slave Trade, S. 107. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 106–109. Régent, Esclavage, S. 13; Michael Zeuske, Die Geschichte der Amistad. Sklavenhandel und Menschenschmuggel auf dem Atlantik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012, S. 20. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 92. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 109.

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Sklaven lag weitgehend in der Hand afrikanischer Funktionssklaven76 . Terror war das bevorzugte Mittel, um renitente Sklaven dem Willen ihrer Herren zu unterwerfen. Auspeitschungen und viele andere bestialische Foltermethoden waren an der Tagesordnung77 . Selbst in den Augen des französischen Marineund Kolonialministeriums galten die Plantagenbesitzer als Tyrannen78 . Die Plantagensklaverei war ein heimtückisches System, in dem die Eigentümer mittels Funktionssklaven die weitgehende Kontrolle über ihre restlichen Sklaven ausübten, denen in Anbetracht der komplexen Hierarchien nur begrenzte Handlungsspielräume blieben. Meist war es sicherer, sich gegenüber den Funktionssklaven und Plantagenbesitzern loyal zu verhalten. Die Treue zum eigenen Herrn konnte sich in Krisensituation oftmals auszahlen, winkte doch dann die Chance, belohnt zu werden – sei es in Form von Arbeitserleichterungen, dem Aufstieg zum Funktionssklaven oder gar der eigenen Freilassung. Rechte und Pflichten der Besitzer gegenüber ihren Sklaven waren im sogenannten code noir festgeschrieben. Allerdings ignorierten die Pflanzer systematisch diese Gesetzessammlung, die auf ein königliches Edikt von 1685 zurückging. Dies war nicht zuletzt der tiefen Missachtung staatlicher Autoritäten durch die Plantagenbesitzer geschuldet, die sich jegliche Einmischung seitens der Kolonialbehörden verbaten. Gerade das Verhältnis zu ihren Sklaven betrachteten die Pflanzer als ihre ureigene Prärogative79 . Feldsklaven schufteten auf den Zuckerplantagen der karibischen Inseln zwischen Dezember und Juli von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, sechs Tage die Woche ohne Unterbrechung. Auf den Kaffeeplantagen fiel die Erntezeit zwischen September und Dezember. Außerhalb der Erntezeit waren sie mit kaum weniger harter Arbeit wie dem Sieden von Zucker beschäftigt80 . An Sonntagen kümmerten sich die Feldsklaven um ihre Subsistenzwirtschaft. Haus- und Funktionssklaven waren gegenüber den Feldsklaven in vielerlei Hinsicht privilegiert und übernahmen weniger schwere Arbeiten81 . Die hohe Arbeitsbelastung, der psychische Schock der gewaltsamen Verschleppung, das feindliche Klima, der Verlust aller kulturellen und familiären Wurzeln, die brutale Behandlung durch die Aufseher und die chronische Mangelernährung führten unter den Neuankömmlingen während der Phase des euphemistisch benannten seasoning zu erschreckend hohen Mortalitätsraten 76

77 78 79 80 81

Ibid.; Yvan Debbasch, Le marronnage. Essai sur la désertion de l’esclave antillais, in: Année sociologique 12 (1962), S. 1–112, hier S. 12f.; Gabriel Debien, Les esclaves des Antilles françaises, Basse-Terre 1974, S. 73–78. Ein Beispiel für die soziale Stratifikation auf einer Plantage bietet Cheney, Cul de Sac, S. 77f. Claudius Fergus, Revolutionary Emancipation. Slavery and Abolitionism in the British West Indies, Baton Rouge 2014, S. 8, 12–22. Régent, Esclavage, S. 29. Dubois, A Colony, S. 68; Régent, Esclavage, S. 28; Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 288f. Dubois, A Colony, S. 53; Tomich, Slavery, S. 139–188. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 109f., 113–115.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

von bis zu 50 Prozent innerhalb der ersten drei Jahre82 . Selbst nach der Eingewöhnungszeit rechnet man für Saint-Domingue mit einer Sterblichkeit der Sklaven von bis zu sechs Prozent pro Jahr83 . Auf Guadeloupe und Martinique war die jährliche Mortalität mit drei bis fünf Prozent etwas geringer – freilich war das Ausmaß der Kindersterblichkeit unter den Sklaven mit bis zu 49 Prozent erschreckend84 . Wegen der geringen Zufuhr an neuen Sklaven war der Anteil der in den Kolonien geborenen Sklaven (der sogenannten Kreolen) auf Martinique und Guadeloupe relativ hoch. Deshalb sprach dort im Gegensatz zu Saint-Domingue ein Großteil der Sklaven Kreolisch, womit die Integration neuer Sklaven schwerer fiel, zumal das Sprechen afrikanischer Sprachen in den französischen Kolonien strengstens verboten war85 . Angesichts des allgegenwärtigen Terrors vermag es kaum zu erstaunen, dass offener Widerstand der Sklaven selten war. Die meisten unter ihnen versuchten sich dem mörderischen System anzupassen und zu überlebeben. Dies lag unter anderem daran, dass die verschachtelten Hierarchien innerhalb des Plantagenkomplexes nicht nur einen gemeinsamen, organisierten Widerstand erschwerten, sondern den Sklaven auch die Aussicht auf eine Verbesserung der eigenen Situation boten86 . Individuelle Akte des Widerstandes seitens der Sklaven mithilfe der »weapons of the weak«87 waren dennoch alltäglich. Die als Marronnage88 bezeichnete Flucht, das Vergiften von Plantagenbesitzern, Vieh und loyalen Sklaven89 , Brandstiftung, Diebstahl und das Verschleppen von Arbeit waren allgegenwärtige Widerstandsformen, mit der die Sklaven ihre Unzufriedenheit mit ihrer Lage zum Ausdruck brachten90 . Wer erwischt wurde, musste allerdings mit dem Schlimmsten rechnen. Dies zeigt sich insbesondere bei der Marronnage, die ein Leitthema für Kolonialadministratoren sowohl in den französischen wie auch den britischen Kolonien war. Zwar wurden oft Verträge mit den im unzugänglichen, 82 83 84

85 86 87 88 89

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Régent, Esclavage, S. 115–123; Debien, Les esclaves, S. 84. Ders., Les colons de Saint-Domingue et la Révolution. Essai sur le club Massiac (août 1789–août 1792), Paris 1953, S. 59. Régent, Esclavage, S. 111–113; Myriam Cottias, Mortalité et créolisation sur les habitations martiniquaises du XVIIIe au XIXe siècle, in: Population 44 (1989), S. 55–84; Geneviève Leti, Santé et société esclavagiste à la Martinique (1802–1848), Paris 1998, S. 84–97. Régent, Esclavage, S. 25, 125. Ibid., S. 68–89. James C. Scott, Weapons of the Weak. Everyday Forms of Peasant Resistance, New Haven, CT 1985. Debbasch, Le Marronnage. Vgl. auch Richard Price, Maroon Societies. Rebel Slave Communities in the Americas, Baltimore, MD 2 1979. John Savage, »Black Magic« and White Terror. Slave Poisoning and Colonial Society in Early 19th Century Martinique, in: Journal of Social History 40 (2007), S. 635–662, hier S. 637–640; Carolyn Fick, The Making of Haiti. The Saint Domingue Revolution from Below, Knoxville, TN 6 2004, S. 63–73. Blackburn, The Making, S. 441f.

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gebirgigen Landesinneren lebenden Maroon-Gemeinschaften abgeschlossen, in denen die Kolonialbehörden den Maroons zusicherten, dass sie in Frieden gelassen würden, wenn die Maroons ihrerseits gelobten, keine Raubzüge mehr auf die Plantagen zu unternehmen und flüchtende Sklaven ihren Besitzern auszuliefern91 . Doch in der Regel machten die kolonialen Milizen im Landesinneren unerbittlich Jagd auf geflüchtete Sklaven92 . Widerstand – egal in welcher Form – war für die Sklaven unter diesen Voraussetzungen ein äußerst riskantes Unterfangen, zumal kaum mit der Unterstützung anderer Gesellschaftskreise gerechnet werden konnte. Betrachtet man die Kolonialgesellschaften der Kleinen Antillen aus der Vogelperspektive, so lässt sich zusammenfassend feststellen, dass es sich um äußerst fragmentierte Gesellschaften handelte, die durch zahlreiche Antagonismen geprägt waren, und in denen Klasse und Rasse zweifelsohne die entscheidenden, wenn auch nicht besonders trennscharfen Distinktionsmerkmale waren. Der Kolonialregierung fiel die Aufgabe zu, diese fragilen und widersprüchlichen Gesellschaftsstrukturen zusammenzuhalten.

Kolonialstaat und bewaffnete Streitkräfte Gemessen an ihrem Aufgabenbereich waren die Kolonialverwaltungen Frankreichs am Ende des Ancien Régime relativ schwach. Dies lag nicht nur an der kleinen Zahl von Beamten, die ihnen unterstanden, sondern auch an ihrer geringen Herrschaftsreichweite. Oft reichte die staatliche Macht nicht über die Mauern urbaner Zentren hinaus. Die französischen Kolonialverwaltungen waren hierarchisch in ein duales System unterteilt, dem ein Gouverneur und ein Intendant vorstanden, die allein dem König verantwortlich waren. Mit den alltäglichen Geschäften war allerdings das Marine- und Kolonialministerium betraut. Während dem Gouverneur die Kolonialarmee und die Milizen unterstanden, fielen das Finanz- und das Justizwesen in den Aufgabenbereich des Intendanten. Kompetenzstreitigkeiten und Machtkämpfe zwischen den beiden Regierungsvertretern waren an der Tagesordnung. Allein schon die geografische Distanz zwischen dem Gouverneurspalast und der Intendantur führte zu andauernden Spannungen zwischen den beiden Ämtern. Die Intendantur war auf Martinique und Guadeloupe in den ökonomischen Zentren Saint-Pierre (Martinique) und Pointe-à-Pitre (Guadeloupe) situiert, weshalb sich die Intendanten häufig zum Sprachrohr der Kaufleute aufschwangen, während die Gouverneure, deren Regierungssitze in den militärischen Zentren Fort-Royal (Martinique) und Basse-Terre (Guadeloupe) 91 92

Régent, Esclavage, S. 66. Siehe etwa die Berichte bei Johnstone an Portland, 10.2.1798, in: TNA, CO 71/30; Johnstone an Portland, 16.12.1798, in: TNA, CO 71/30.

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lagen, eher die Interessen der Militärs und Pflanzer vertraten. Hatte in Friedenszeiten der Intendant innerhalb der Verwaltung ein Übergewicht inne, so verschob sich das politische Gravitationszentrum in Kriegszeiten zum Gouverneur. Am Ende des Ancien Régime stammten die meisten Kolonialbeamten in den Kleinen Antillen aus dem Patronagenetzwerk des Marquis François-Claude de Bouillé, der nach dem Siebenjährigen Krieg das Amt des Gouverneurs von Guadeloupe bekleidet hatte und unter dessen Führung die französischen Streitkräfte während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs mehrere britische Kolonien des Archipels erobert hatten93 . Die führenden Kolonialbeamten konnten mit einer fürstlichen Entlohnung rechnen. So erhielten Gouverneure in der Regel 150 000 Livre pro Jahr, während die Intendanten 120 000 Livre jährlich bezogen. Hinzu kamen kaum bezifferbare Spesen und Einkommen aus Bestechungszahlungen sowie aus anderen illegalen Geschäften94 . Um eine zu große politische Annäherung an die kolonialen Eliten zu verhindern, galt für die Beamten nicht nur ein Verbot, Güter in den Kolonien zu erwerben, sondern auch, sich am kolonialen Handel zu beteiligen. Zudem war es Gouverneuren und Intendanten untersagt, sich in die Familien der Kolonisten einzuheiraten. Allerdings hielt sich kaum ein Funktionsträger an diese Weisungen, weshalb Versailles in regelmäßigen Abständen das Personal an der Spitze der Kolonialverwaltung auswechselte, um einer »politische[n] Akklimatisierung« ihrer Agenten vor Ort einen Riegel vorzuschieben95 . Freilich war die hohe Fluktuation an der Spitze des Kolonialstaates auch tropischen Krankheiten geschuldet. Die Folge der vielen Wechsel an der Spitze der Kolonie war, dass es neuen Regierungsvertretern oft schwer fiel, eine Hausmacht aufzubauen und sich mit den Gepflogenheiten vor Ort vertraut zu machen96 . Für die Kolonialregierung war es deshalb unerlässlich, möglichst schnell ein Bündnis mit den kolonialen Eliten zu suchen, denn ohne deren Unterstützung war es ihnen beinahe unmöglich, dem staatlichen Willen Geltung zu verschaffen97 . Im Tross neuer Gouverneure und Intendanten kam auch immer eine Reihe von Klienten aus dem Patronagenetzwerk und dem Familienclan des neuen Machthabers mit in die Kolonie, die Posten auf der mittleren Verwaltungsebene und in den Streitkräften besetzten. Viele dieser Klienten stammten aus adligen Familien aus dem Hinterland der atlantischen Handelsmetropolen Frankreichs, womit sie ein wichtiges Bindeglied zwischen der kolonialen Welt und der Metropole bildeten98 . Diese Neuankömmlinge hatten meist nur ein 93 94 95 96

97 98

Tarrade, Les colonies, S. 28f. Ders., Les intendants, S. 675. Siehe auch Girard, The Slaves, S. 61. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 91. Ibid., S. 91f.; Tarrade, Les intendants, S. 674f.; David P. Geggus, Slavery, War and Revolution. The British Occupation of Saint Domingue 1793–1798, Oxford 1982, S. 13f.; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 74f. Ibid., S. 76. Cheney, Cul de Sac, S. 26f.

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Ziel: Sich so rasch wie möglich zu bereichern. Sie zeigten deshalb keinerlei Hemmungen, Gelder aus der Kolonialkasse zu veruntreuen und, wenn immer sich die Möglichkeit bot, sich in Pflanzerfamilien einzuheiraten. So schrieb der scharfsinnige zeitgenössische Beobachter Alexandre Moreau de Jonnès, der selbst nach dem Frieden von Amiens 1802 als Stabschef auf Martinique dienen sollte: »On admettait comme des faits incontestables que toutes les femmes à marier y avaient de riches dots ou de prodigieux héritages [. . . ] et que d’ailleurs il s’y trouvait attaché une multitude de moyens plus ou moins honnêtes d’y devenir millionnaire«99 . Spätestens durch das Einheiraten ihrer Protegés aus der zweiten administrativen Garde in die Pflanzerfamilien wurden die Funktionsträger trotz aller metropolitanen Sicherungssysteme Teil eines informellen Netzwerkes, das es ihnen und ihrer Klientel sowie ihren Familienangehörigen ermöglichte, sich zu bereichern. Allerdings drohten diese Klüngeleien langfristig, die staatliche Autorität zu unterminieren. Die Unzulänglichkeiten dieser Verwaltungsstrukturen waren in der Metropole nur allzu gut bekannt, doch sollte erst die Französische Revolution eine grundlegende Reform der Kolonialadministration bringen100 . Korruption und Nepotismus seitens der Kolonialbehörden sorgten für eine weitverbreitete Unzufriedenheit unter den Kolonisten. Ihre Klagen über »le despotisme ministériel« rissen nie ab, was vor allem an der Weigerung der Regierung lag, vom merkantilistischen Wirtschaftsregime abzurücken101 . Doch die Pflanzer und Kaufleute in den französischen Kolonien mochten sich am Ende des Ancien Régime noch so über »le régime le plus dur, le plus tyrannique«102 der Kolonialbehörden aufgeregt haben, der Macht des Kolonialstaates waren vor der Französischen Revolution klare Grenzen gesetzt. Dies zeigt sich schon allein in der Unfähigkeit und dem Unwillen der Kolonialbehörden, ausstehende Steuern einzutreiben. Zahlungsaufschübe wurden ohnehin bei fast jeder Gelegenheit gewährt103 . Die Frustration französischer Kolonialeliten über die Behörden rührte vor allem daher, dass sie kaum Möglichkeiten zur direkten politischen Partizipation hatten. Zwar tagten auf Martinique und Guadeloupe je ein sogenannter conseil souverain, dem Pflanzer und Kaufleute aus dem politischen Dunstkreis des Gouverneurs und des Intendanten angehören, deren Vertretung in diesem Gremium musste jedoch von Versailles bestätigt werden. Die Mitglieder dieses Rates konnten über neue Gesetze beraten, sie hatten aber 99 100 101 102 103

Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 143. Vgl. auch Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 92. Jean Tarrade, L’administration coloniale en France à la fin de l’Ancien régime: Projets de réforme, in: Revue historique 229 (1963), S. 103–122. Yves Benot, La Révolution française et la fin des colonies, Paris 1989, S. 43–56. Pierre-François-Régis Dessalles, Historique des troubles survenus à la Martinique pendant la Révolution, Courbevoie 1982, S. 12. Ibid., S. 13.

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keine legislativen Kompetenzen. Daneben kam dem conseil souverain die Funktion eines Berufungsgerichts zu. Doch diese Privilegien konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme arg beschränkt blieben und ausschließlich in den Händen einiger weniger Auserwählter lagen104 . Mit großem Neid blickten die französischen Kolonialeliten deshalb in Richtung der britischen Kolonien, wo die durch ein Zensuswahlrecht einberufenen Kolonialversammlungen weitreichende legislative Kompetenzen innehatten und so der Macht der Gouverneure Einhalt gebieten konnten. Hinzu kam, dass die Regierung in London im Ruf stand, sich nur äußerst selten in die inneren Angelegenheiten ihrer westindischen Kolonien einzumischen105 . Als 1787 im Rahmen einer zaghaften Reform auf Martinique und Guadeloupe Kolonialversammlungen einberufen wurden, in denen die reichsten Plantagenbesitzer und Kaufleute vertreten waren und über die jährlich zu bezahlenden Steuern zu befinden hatten, wurde rasch klar, dass diese Gremien nur der Unterminierung der staatlichen Autorität Vorschub leisten würden. Entsetzt schrieb der Gouverneur Guadeloupes, Charles-François de Clugny, im April 1789 dem Marine- und Kolonialminister César-Henri de La Luzerne: Mais le grand mal, le mal très dangereux et auquel il est bien important de remédier, c’est la fermentation qui s’introduit dans ces assemblées, l’esprit de parti qui y règne, le peu de décence qu’on observe et le manque d’égard, même de respect, qu’on ose s’y permettre pour les commissaires du roi. Ce que j’ai vu, ce que j’ai éprouvé me donne les plus justes craintes sur les suites des réunions annuelles qui ont fait naître dans les colonies les principes diamétralement opposés à leur Constitution. . . Il n’est aujourd’hui presque aucun député qui n’arrive à l’Assemblée avec autant de morgue que de prétentions, qui ne se croye un personnage essentiel, autorisé à prescrire des lois à ses chefs et à en exiger des comptes106 .

Auf Martinique bildete die einberufene Kolonialversammlung ein noch größeres Pulverfass, weil es den Pflanzern gelungen war, die mächtigen Kaufleute Saint-Pierres aus diesem Gremium auszuschließen und die Steuerlast zu großen Teilen ihnen aufzubürden, so dass sich das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Pflanzern und Kaufleuten weiter verschärfte107 . Auch der obligatorische Dienst in den Milizen gab immer wieder Anlass zu Beschwerden seitens der kolonialen Eliten. Dabei sahen sie geflissentlich über die Tatsache hinweg, dass der Dienst in den Kolonialmilizen im Laufe 104

105 106 107

Dubois, A Colony, S. 33; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 75; Geggus, Slavery, S. 13. Neben den conseils souverains konnten die kolonialen Eliten ihren Einfluss auch noch in den chambres d’agriculture und den chambres de commerce geltend machen, die in wirtschaftlichen Fragen konsultiert wurden und die in der Regel einen Deputierten in die Metropole entsenden konnten. Allerdings hatten auch diese Gremien nur eine beratende Funktion. Siehe Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 94. David J. Murray, The West Indies and the Development of Colonial Government: 1801– 1834, Oxford 1965, S. 1–31; Geggus, Slavery, S. 14f.; Buckley, The British Army, S. 68f. Clugny an La Luzerne, 8.4.1789, zit. nach: Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 116. Vgl. auch Élisabeth, La société, S. 463. Pluchon, Révolutions, S. 296; Dermigny, Debien, La Révolution, S. 498.

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des 18. Jahrhunderts immer mehr eine Angelegenheit kleinerer Plantagenbesitzer geworden war, weil die wohlhabenden Kolonisten einen Ersatzmann stellen konnten. Zudem war eine ganze Reihe von Berufen wie Beamte, Richter, Ärzte und Marineoffiziere von der Dienstpflicht ausgenommen108 . Für die freien Farbigen wurde der obligatorische Dienst in den Milizen hingegen zunehmend ein Instrument zum sozialen Aufstieg109 . So stellten auf Guadeloupe die freien Farbigen am Ende des Ancien Régime das Gros der Mannschaften. Allerdings wurden die Milizen ausschließlich von weißen Offizieren kommandiert110 . Diese Offiziere genossen in ihren Gemeinden eine Reihe von Privilegien, die sie in der Regel nutzten, um Patronagenetzwerke aufzubauen und unliebsame Nachbarn zu drangsalieren. Die gemeinsamen Übungen stärkten gerade innerhalb der Mannschaften das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Organisationsgrad einzelner Gemeinden. Der freie Zugang der Milizionäre zu Waffen zog zudem ein erhöhtes Konfliktpotential nach sich111 . In den britischen Kolonien waren die Kolonialmilizen ähnlich konstituiert und übernahmen die gleichen Aufgaben112 . Mochten Milizeinheiten auf französischer wie auch britischer Seite für die Jagd auf Maroons und Deserteure geeignet sein, für langanhaltende Kämpfe in abgelegenen Regionen gegen besser organisierte und trainierte Einheiten regulärer Armeen waren die Milizionäre gänzlich unbrauchbar. Das wichtigste Anliegen der Milizionäre war nämlich die Verteidigung ihres Besitzes und ihrer Familien113 . Es oblag deshalb den Linientruppen, die Kolonien gegen äußere Feinde zu verteidigen. Die in den Kleinen Antillen stationierten Truppen aus Europa rekrutierten sich aus den untersten Gesellschaftsschichten des Kontinents. Armut war der entscheidende Faktor, der junge Männer dazu trieb, sich für den Armeedienst zu melden. Die Zahl der Freiwilligen war allerdings beileibe nicht genug, um den stetigen Bedarf an Truppen zu decken, weshalb im Laufe des 18. Jahrhunderts auch immer wieder Straftäter aus den Gefängnissen der Metropole entlassen wurden, die sich im Gegenzug für den Militärdienst verpflichteten. Daneben fanden sich in den europäischen Regimentern auch zahlreiche Schuldknechte. Im Kriegsfall wurde zudem immer wieder auf Zwangsrekrutierungen gesetzt, um die gelichteten Regimenter mit frischen Rekruten aufzufüllen. In den französischen Kolonien meldeten sich vereinzelt auch verarmte Männer aus den Reihen der petits Blancs zum Militärdienst – farbige Freiwillige waren hingegen sehr selten. 108 109 110 111 112 113

Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 90. Zu den Beschwerden der Pflanzer über den Milizdienst siehe Geggus, Slavery, S. 14. Stewart R. King, Blue Coat or Powdered Wig? Free People of Color in Pre-Revolutionary Saint-Domingue, Athens, GA 2001, S. 60–65. Dubois, A Colony, S. 55. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 89–91. Buckley, The British Army, S. 51–53. Ibid., S. 51–54, 195.

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In Europa gestaltete sich die Suche nach frischen Rekruten am Ende des 18. Jahrhunderts immer schwieriger. Das lag auch daran, dass zunehmend bekannt wurde, unter welch fürchterlichen Bedingungen die Garnisonssoldaten in den westindischen Kolonien lebten – der Militärdienst in der Karibik kam nämlich einem Todesurteil gleich114 . Ursache hierfür waren die zahlreichen tödlichen Krankheiten, die auf dem westindischen Kriegsschauplatz grassierten. Bereits in den europäischen Sammlungszentren zur Einschiffung kursierten unter den Soldaten zahlreiche Infektionen115 . Auf der Überfahrt in die Karibik verloren durchschnittlich elf Prozent der Soldaten ihr Leben116 . Den größten Tribut an Menschenleben forderte aber das Gelbfieber in der Karibik, wie der kanadische Historiker Roger N. Buckley schrieb: »A mere handful of men arrived in the islands, where they rotted and died as fast as they were shipped out«117 . Die zeitgenössische Medizin kannte keine wirksamen Behandlungsmethoden gegen das Gelbfieber – ja, sie war nicht einmal über die Art seiner Übertragung im Bilde. Die Krankheit war während des 16. Jahrhunderts durch ihre Überträger, die ædes aegypti, auf Sklavenhandelsschiffen aus Afrika in die Karibik eingeschleppt worden. Kreolen und afrikanische Sklaven waren gegen die Krankheit größtenteils immun, da sie oft im Kindesalter mit dem Gelbfieber infiziert worden waren, als dessen Ausgang meist noch nicht tödlich war. Dies sollte ihnen gegenüber den Europäern einen entscheidenden Vorteil verleihen118 . Zu Beginn der Koalitionskriege sollte sich das Gelbfieber zu einer regelrechten Pandemie im atlantischen Raum ausweiten. Hintergrund war das Eintreffen des britischen Schiffes Hankey in den Kleinen Antillen, das sich im Februar 1793 nach einem fehlgeschlagenen Kolonisationsversuch britischer Abolitionisten an der westafrikanischen Küste auf dem Rückweg nach England befand. Das Schiff, das die am Gelbfieber erkrankten Kolonisten transportiere, war eine ideale Brutstätte für die Moskitos, welche die todbringende Krankheit übertragen. So brach in jedem Hafen, in dem die Hankey anlegte, innerhalb kürzester Zeit eine Gelbfieberepidemie aus. Die Moskitos gelangten in den Häfen der Karibik auch leicht auf andere Schiffe, so dass diese ebenfalls zu unfreiwilligen Überträgern der Krankheit wurden und sie im atlantischen Raum weiterverbreiteten119 . Gerade in urbanen Umgebungen fanden die krankheitsübertragenden Moskitos während der feuchten Sommermonate zwischen April und Sep114

115 116 117 118 119

Tigrane, Histoire, S. 169; Buckley, The British Army, S. 56–60; Sylvia R. Frey, The British Soldier in America. A Social History of Military Life in the Revolutionary Period, Austin, TX 1981, S. 3–7. Duffy, Soldiers, S. 335. Buckley, Slaves, S. 4. Ders., The British Army, S. 58f. Siehe ausführlich McNeill, Mosquito. Zu den Hintergründen siehe Billy G. Smith, Ship of Death. A Voyage That Changed the Atlantic World, New Haven, CT 2013.

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tember in Pfützen, Wasserfässern und den Sümpfen am Rande der Städte ausreichend Raum zur Vermehrung. Die Gelbfieberepidemien waren immer dann am stärksten, wenn größere Militärexpeditionen aus Europa in den Häfen einer karibischen Kolonie landeten. Die Moskitos fanden unter diesen Bedingungen auf kleinstem Raum eine hohe Zahl von Menschen vor, die gegen die Krankheit nicht immun waren. Mit Vorliebe stürzten sich die Moskitos auf schweißgebadete Körper, weshalb arbeitende Menschen besonders häufig angesteckt wurden. Offiziere hingegen infizierten sich verhältnismäßig weniger oft, da sie keine schwere körperliche Arbeit zu verrichten hatten und meist auf höhergelegenen Plantagen außerhalb der Stadt logierten, wo die Lebensbedingungen für die Moskitos weniger günstig waren120 . Auch wenn die Zeitgenossen kein wirksames Mittel gegen Gelbfieber kannten, ist die Ignoranz und Gleichgültigkeit der Entscheidungsträger gegenüber der Krankheit bemerkenswert. So waren die Militärspitäler in der Karibik chronisch unterfinanziert. Der französische General VictoireEmmanuel Leclerc hielt es beispielsweise während seiner Statthalterschaft auf Saint-Domingue für nötig, 175 000 Franc aus den öffentlichen Kassen für die Innendekoration des Gouverneurspalasts auszugeben. Für den Ausbau des Hospitals von Le Cap, der Hauptstadt der Kolonie, war er jedoch nicht bereit, mehr als 58 000 Franc aufzuwenden. In den Lazaretten der Kolonie mangelte es derweil am Nötigsten: Lebensmittel, Bettlaken und sogar Besen waren kaum auffindbar. Einige Spitalgebäude hatten nicht einmal ein Dach, so dass die auf verfaulten Matratzen liegenden Kranken dem ständigen Regen ausgesetzt waren. Oft fehlte es zudem an Ärzten und Pflegepersonal, die sich um die Kranken hätten kümmern können – viele fielen selbst dem Gelbfieber zum Opfer. Hinzu kam die Veruntreuung des ohnehin kleinen Spitalfonds durch Offiziere und Beamte. Als wäre all dem nicht genug, stahl das Pflegepersonal auch noch regelmäßig die Effekten der Soldaten, die zu Tausenden auf Saint-Domingue dem Gelbfieber und anderen Tropenkrankheiten erlagen121 . Wer das Glück hatte, das Gelbfieber zu überleben, der unterlag immer noch der harschen Militärdisziplin europäischer Armeen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Disziplinarstrafen wie Auspeitschungen waren häufig. Hinzu kam ein niedriger Sold: Britische Soldaten erhielten von 1660 bis 1793 nur acht Pence pro Tag; erst kurz vor der französischen Kriegserklärung 1793 wurde der Sold auf einen Schilling pro Tag erhöht. In England verdienten Maurer mehr als das Dreifache pro Tag. Durch die zahlreichen Abzüge blieben den einfachen Soldaten jährlich 18 Schilling – und das in Zeiten starker Inflation122 . Auf französischer Seite standen die Dinge kaum besser: Einfache Grenadiere verdienten vor Ausbruch der Französischen Revolution sieben sols und vier deniers pro Tag, mit denen sie ihre Nahrung selbst kaufen muss120 121 122

McNeill, Mosquito, S. 33–44; Girard, The Slaves, S. 159–162. Für den ganzen vorangehenden Absatz siehe ibid., S. 166f. Buckley, The British Army, S. 57–61.

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ten123 . Die meisten Soldaten, die in die Karibik verlegt wurden, sahen ihre Heimat nie wieder, denn die Regimenter wurden kaum zurück nach Europa verlegt. In Anbetracht solcher Umstände vermag es nicht zu überraschen, dass die Desertionsraten hoch waren. Jedes Schiff, das in Richtung Europa oder Nordamerika in See stach, bot die Chance, dem Elend zu entkommen. Wer allerdings erwischt wurde, der konnte sich glücklich schätzen, wenn er nur gebrandmarkt wurde. Oft wurden Deserteure durch öffentliche Exekutionen bestraft, um potentielle Nachahmer abzuschrecken124 . Das Offizierskorps kannte die Nöte der einfachen Soldaten kaum. Britische Offiziere hatten ihre Offizierspatente in der Regel gekauft und waren deshalb in ihrem Metier oft völlig ungeübt und unerfahren. Trotzdem verdienten sie je nach Rang ein Vielfaches einfacher Soldaten und mussten nicht an der ermüdenden Garnisonsroutine teilnehmen, weshalb sie mit den Männern unter ihrem Kommando nur selten in Kontakt kamen. Stattdessen verbrachten sie ihre Zeit mit der Jagd, dem Glücksspiel und frönten an den zahlreichen Festen dem Alkoholismus. Abenteuern mit der Damenwelt waren die wenigsten Offiziere abgeneigt – ganz zu schweigen von der sexuellen Ausbeutung afrikanischer Sklavinnen125 . Auf französischer Seite lagen die Dinge nicht anders. Auch wenn der Kauf von Offizierskommissionen in den 1770er Jahren abgeschafft worden war, sahen französische Offiziere im Krieg vor allem die Gelegenheit, ihren Mut und ihre Ehre unter Beweis zu stellen. Der amerikanische Historiker David A. Bell brachte die Einstellung der Offiziere des Ancien Régime vielleicht am besten auf den Punkt: »They certainly had little, if any, sense that they were fighting for a transcendent moral cause. For their king and country, perhaps. For money, quite possibly. But also, above all, for honor«126 . Die Bedeutung des aristokratischen Ehrenkodex zeigte sich in den französischen Kolonien schon allein an der Tatsache, dass Duelle zwischen Offizieren der Armee und der Marine an der Tagesordnung waren. Zwar versuchte Versailles gegen Ende des Ancien Régime zaghaft, die Offiziersausbildung zu professionalisieren, doch blieben Herkunft, Patronage und Beziehungen weiterhin der entscheidende Schlüssel zu einer erfolgreichen Offizierskarriere127 . Um die Lebensumstände der Matrosen auf den französischen und britischen Kriegsschiffen, die in der Karibik stationiert waren, stand es kaum besser als um diejenigen der Soldaten an Land. Insbesondere französische Seeleute wurden nur unregelmäßig bezahlt. An Bord der Schiffe herrschte 123 124 125

126 127

Tigrane, Histoire, S. 169f. Buckley, The British Army, S. 57–61. Ibid., S. 338–349. In der Royal Navy war der Klassendünkel unter den Offizieren hingegen nicht derart ausgeprägt, wie neuere Forschungen belegen. Siehe Ewan Wilson, Social Background and Promotion Prospects in the Royal Navy, 1775–1815, in: English Historical Review 131 (2016), S. 570–595. Bell, The First Total War, S. 36. Tigrane, Histoire, S. 170; Bell, The First Total War, S. 21–51.

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eine harsche Disziplin, zu deren Aufrechterhaltung die Marineoffiziere nicht vor brutalsten Bestrafungsmethoden zurückschreckten. In den Schiffsrümpfen war zudem die Luft wegen mangelnder Ventilation schlecht. Nahrung und Trinkwasser verdarben deshalb rasch und Krankheiten wie Fleckfieber, Skorbut und Typhus waren allgegenwärtig. Lagen die Schiffe in den Häfen der Karibik, kamen Tropenkrankheiten dazu, welche die Mortalitätsraten weiter in die Höhe schnellen ließen. Immerhin waren britische Marineoffiziere im Gegensatz zu ihren französischen Kollegen in der Regel um Hygiene auf ihren Schiffen bemüht. Die Desertionsraten blieben gleichwohl in beiden Kriegsmarinen hoch, weshalb Zwangsrekrutierer (sogenannte Pressgangs) regelmäßig die Kneipen und Bordelle der Hafenstädte nach neuen Matrosen durchstöberten. Wurden Deserteure aufgegriffen, drohte ihnen die summarische Exekution oder der Gang auf die Galeeren, was einem sicheren Todesurteil gleichkam. Der allgegenwärtige Mangel an Seeleuten hatte allerdings auch zur Folge, dass Strafen keineswegs systematisch angewendet wurden. Gerade in der französischen Kriegsmarine war dem Offizierskorps durchaus bewusst, dass in Anbetracht des oftmals ausbleibenden Soldes fehlbare Matrosen nicht mit der vollen Härte des zur Verfügung stehenden Strafenkataloges geahndet werden konnten. An Bord britischer wie auch französischer Kriegsschiffe herrschte eine paternalistische Hierarchie, in der insbesondere dem Kapitän die Rolle eines Beschützers der Matrosen gegen äußere Gefahren zukam. Trotz der großen Klassenunterschiede zwischen den Offizieren und den Matrosen bildete sich so oft eine Zweckgemeinschaft an Bord der Kriegsschiffe heraus. Zu Meutereien kam es meist erst dann, wenn die Offiziere ihre Beschützerfunktion nicht mehr wahrnahmen oder durch Inkompetenz auffielen. Soziale Konflikte waren deshalb auch innerhalb der Marine nicht selten, doch sie waren anders konstituiert als die vielen anderen gesellschaftlichen Antagonismen, welche die Karibik am Ende des Ancien Régime prägten128 . Mit dem Ausbruch der Französischen Revolution zerbrach diese paternalistische Hierarchie allerdings, denn ein Großteil der Marineoffiziere trat auf französischer Seite den Gang ins Exil an und überließ die Schiffsbesatzungen ihrem Schicksal. Nicht nur innerhalb der Marine rüttelten die Nachrichten von den Geschehnissen in Frankreich im Sommer 1789 an den fragilen Herrschaftsstrukturen. Der Umsturz in der Metropole mischte die Karten in dem gesamten Gemenge sozialer und ökonomischer Konflikte neu, das die Karibik bis dahin geprägt hatte. Auf einen Schlag schien die Autorität der kolonialen Machthaber in Frage gestellt, das merkantilistische Wirtschaftsregime hinfällig zu sein und die auf Segregation beruhende Gesellschaftsordnung den Prinzipien der in der Metropole propagierten Werte diametral entgegenzustehen. 128

Rodger, The Command, S. 395–404; William S. Cormack, Revolution and Political Conflict in the French Navy, 1789–1794, Cambridge 1995, S. 26–29; Alain Cabantous, La vergue et les fers. Mutins et déserteurs dans la marine de l’ancienne France (XVIIe – XVIIIe s.), Paris 1984.

2. Revolution und Konterrevolution in den Kleinen Antillen, 1789–1793 Am Abend des 31. August 1789 versammelten sich mehrere hundert Sklaven außerhalb Saint-Pierres, der Handelsmetropole Martiniques1 . Obwohl gar nicht klar war, welche Ziele die Sklaven verfolgten, lösten herbeigeilte Kolonialmilizen die Menge umgehend auf. Das Ereignis sollte die kolonialen Eliten Martiniques aufschrecken und ihnen die drohende Gefahr eines Sklavenaufstandes vor Augen führen. Die von den Kolonialbehörden angestrengten Verhöre sollten die komplexen Hintergründe der Verschwörung schon bald ans Tageslicht bringen. Ein Mönch des Kapuzinerordens habe angeblich die Sklaven zur Insubordination angestachelt und ihnen versprochen, dass »le Roi d’Angola ne tarderait pas à paraître avec une armée formidable pour les délivrer de leur joug«2 . Das messianische Motiv eines paternalistischen Monarchen, der die Sklaven befreien würde, war in der politischen Ideologie vieler afrikanischer Sklaven weit verbreitet, wie John K. Thornton in einem bahnbrechenden Aufsatz gezeigt hat. So hatten ähnliche Gerüchte bereits in den 1770er Jahren auf Martinique kursiert3 . Viele Sklaven glaubten gar, dass der Gouverneur Martiniques, Antoine-Charles de Vioménil, von Ludwig XVI. den Befehl erhalten habe, sie in die Freiheit zu entlassen. Allerdings sei diese Anordnung aufgrund von Intrigen der Pflanzerelite Martiniques nicht umgesetzt worden. Tatsächlich hatte Vioménil in den Tagen zuvor mehrere anonyme Briefe von Sklaven erhalten, in denen sie ihm mit einem blutigen Aufstand drohten, wenn er die angeblichen Befehle aus Versailles nicht umsetzen würde4 . Damit geriet die Kolonialregierung nolens volens bei den Pflanzern in Verdacht, insgeheim die Abolition vorzubereiten. Hintergrund dieser Befürchtungen war nicht zuletzt die Anordnung Vioménils vom Frühjahr 1789, wonach brutale Übergriffe der Plantagenbesitzer auf ihre Sklaven ihm gemeldet werden sollten. Noch weit beunruhigender war aber, dass die verhörten Sklaven auch berichteten, dass sie von den Schriften der Société des amis des Noirs, dem im Jahr zuvor gegründeten Club französischer Abolitionisten, erfahren hätten.

1

2 3 4

Die folgenden Ausführungen zur Revolte der Sklaven Saint-Pierres beruhen, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf: Geggus, Esclaves, S. 106–117; Élisabeth, La société, S. 444– 458. Dessalles, Historique des troubles, S. 21. Thornton, I am Subject. Vgl. Copie d’une lettre anonyme adressée à M. Mollerat signée »par nous nègres« exprimant le désir de liberté des esclaves, 28.8.1789, in: ANOM, C8A 89, fol. 68; Copie d’une lettre adressée par les esclaves de la Martinique à M. de Vioménil, 29.8.1789, in: ANOM, C8A 89, fol. 69.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-003

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Damit waren die Hauptschuldigen des Sklavenaufstandes gefunden, wie der einflussreiche Plantagenbesitzer Pierre-François Dessalles nur ein Jahr später rückblickend schrieb: Mais ce qui ne pouvait nous être indifférent est cette immensité d’écrits qui vomissait chaque jour dans la métropole, et propageait dans tous les coins de l’univers une prétendue société qui, sous le nom de »philanthropes«, aiguisait en secret les poignards avec lesquels nos esclaves devaient nous égorger, et préparait de loin dans des imprimés incendiaires les maux dont nous allions être environnés. Ces écrits répandus à la Martinique avec profusion étaient dans les mains de presque tous les nègres de nos villes principales. Ils s’assemblaient pour en faire une lecture à haute voix. Le peu de lumières de connaissance dont le ciel les a doués, ne leur permettait pas de discerner combien allaient être pour eux terribles ces réflexions auxquelles ils se livraient, sans apercevoir le poison caché sous la douceur de cette liberté [. . . ]; et ils couraient sans s’en apercevoir au-devant des supplices, des tourments qui se préparaient pour eux dans le cas où ils seraient tentés de consommer le projet de leurs prétendus bienfaiteurs, qu’on pourrait à plus juste titre appeler leur plus cruels ennemis, et même leurs bourreaux5 .

Gemäß Dessalles waren vor allem Neuankömmlinge aus Europa, die nicht mit den kolonialen Verhältnissen vertraut waren, »les précurseur et l’apôtre des dogmes erronnés de la secte philanthropique«6 . Zwar ist in der Forschung unbestritten, dass die aufklärerischen Schriften der Abolitionisten im Vorfeld der Französischen Revolution auch unter den Sklaven der Karibik Verbreitung fanden7 . Es bleibt aber schwer abzuschätzen, wie diese Schriften rezipiert wurden. Im vorliegenden Fall scheint ihr Einfluss eher gering zu sein. Auch wenn sich einige der aufständischen Sklaven vage auf die Abolitionisten in Paris berufen haben mögen, erinnert doch ein Großteil der Argumente in ihren Briefen an Vioménil an das afrikanische Motiv eines paternalistischen Monarchen, der als Heilsbringer die Sklaven von ihrem Elend befreit. Damit waren sie im Grunde viel radikaler als die Schriften der meisten europäischen Abolitionisten, die lediglich ein sofortiges Verbot des Sklavenhandels und die graduelle Abschaffung der Sklaverei forderten8 . Für viele Zeitgenossen war die Menschenrechtserklärung ohnehin problemlos vereinbar mit dem Fortbestehen der Sklaverei. Bereits ihr erster Artikel sah vor, dass gesellschaftliche Unterschiede durch das Allgemeinwohl begründet werden durften. Zudem war das Eigentum – und das waren die Sklaven in den Augen ihrer Besitzer – ebenfalls durch die Menschenrechtserklärung geschützt. So ließ sich die Sklaverei mithilfe derselben Prinzipien verteidigen, wie ihre Abschaffung gefordert werden konnte9 . Der (schein5 6 7 8

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Dessalles, Historique des troubles, S. 18f. Ibid., S. 21. Dubois, A Colony, S. 90–93; Scott, The Common Wind. Geggus, Esclaves, S. 115. Zu den Zielen der Société des amis des Noirs, vgl. Marcel Dorigny, Bernard Gainot, La Société des amis des Noirs 1788–1799. Contribution à l’histoire de l’abolition de l’esclavage, Paris 1998, S. 32–35. Déclaration des droits de l’homme et du citoyen du 26 août 1789, in: Jacques Godechot (Hg.), Les Constitutions de la France depuis 1789, Paris 1984, S. 33–35.

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bare) Widerspruch zwischen der Menschenrechtserklärung und der Sklaverei war deshalb für viele Zeitgenossen nicht so groß, wie er in der Nachbetrachtung erscheint. So wurden französische Sklavenhandelsschiffe zu Beginn der Revolution auf klangvolle Namen wie Amour, Bienfaisant, Heureux-Captif, Liberté, Égalité, Fraternité oder gar Contrat social getauft10 . Dessalles und seine Standesgenossen überschätzten zudem die Macht der Abolitionisten auf dem politischen Parkett im Vorfeld der Französischen Revolution11 . Die Abolitionisten hatten mit der Pflanzerlobby einen mächtigen Feind. Zwar hatten 1789 schätzungsweise nur rund vier Prozent der Abgeordneten der Generalstände direkte Wirtschaftsinteressen in der karibischen Plantagenwirtschaft. Doch hatten die kolonialen Interessenvertreter – allen voran die Absentisten Saint-Domingues – bereits im Vorfeld der Revolution das Feld für die Durchsetzung ihrer Interessen geebnet12 . Die Furcht der Pflanzer vor der »secte philanthropique« ist deshalb mehr als Zeichen der Ungewissheit zu deuten, was die sich abzeichnenden Umwälzungen in der Metropole mit sich bringen würden. Diese Unsicherheit verband sich aber auch mit der Hoffnung, dass die Zusammenkunft der Generalstände die zahlreichen politischen und ökonomischen Konflikte in den französischen Kolonien zu den eigenen Gunsten lösen würde13 . Die politischen Konflikte in der Metropole wurden in den karibischen Kolonien ohnehin nur schemenhaft wahrgenommen und oft waren die Entscheidungsträger unzureichend über die Ereignisse in Frankreich informiert, was sich etwa am Schreiben des Gouverneurs Saint Lucias, Jean-Joseph de Gimats, an Marine- und Kolonialminister La Luzerne Anfang August 1790 zeigt: »Il n’est que trop vrai que nous sommes toujours mal instruits par les lettres venant d’Europe de tous les événements qui sont la suite de la révolution, ils excitent même parfois une chaleur dans les opinions qui tient vraiment du délire«14 . Die Französische Revolution fand deshalb in den Kolonien nicht einfach ihre Fortsetzung. Jede Kolonie erlebte ihre eigene Revolution. Manchmal waren diese Umwälzungen mit jener der Metropole und der benachbarten Inseln des Archipels verknüpft, oft waren sie Ergebnis von lokalen und regionalen Konflikten, die wenig mit den Ereignissen im fernen Frankreich zu tun hatten15 .

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Pierre H. Boulle, La construction du concept de race dans la France d’Ancien Régime in: Outre-mers. Revue d’histoire 2 (2002), S. 155–175, hier S. 169. Dorigny, Gainot, La Société, S. 46–52. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 209–233. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 121f. Gimat an La Luzerne, 1.8.1790, in: ANOM, C10C 5. Louis, Les libres, Bd. 2, S. 17; Aimé Césaire, Toussaint Louverture. La Révolution française et le problème colonial, Paris 1961, S. 62.

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Die Erosion des alten Kolonialstaates, 1789–1790 Am 14. September 1789 trafen die Nachrichten vom Sturm auf die Bastille in Martinique ein. Aufgrund der erst zwei Wochen zurückliegenden Unruhen unter den Sklaven verbot Gouverneur Vioménil kurzerhand das Tragen trikolorer Kokarden, welche die Matrosen der aus Frankreich eintreffenden Handelsschiffe mitbrachten. Erst zwei Wochen später lag Vioménil eine Bestätigung des Marine- und Kolonialministers über die Ereignisse in der Metropole vor, weshalb der Gouverneur keinen Grund mehr sah, die Kokarden weiterhin zu verbieten. Welche Bedeutung den Ereignissen in Frankreich zukam, blieb aber nur schwer abzuschätzen. Vioménil war dem sich abzeichnenden Umbruch in der Metropole nicht grundsätzlich abgeneigt. Am 29. September 1789 lud er deshalb die Offiziere und Stadtnotabeln Fort-Royals zu einem Bankett ein, um die Zusammenkunft der Generalstände in Versailles gebührend zu feiern. Der Festakt sollte allerdings in einem politischen Debakel für den nach den Unruhen im August ohnehin unter Druck stehenden Gouverneur enden. Als zahlreiche wohlhabende freie Farbige, die ebenfalls trikolore Kokarden trugen, an den Feierlichkeiten teilnehmen wollten, versuchten die weißen Gäste, ihnen den Zugang zu verwehren. Es kam zu Handgreiflichkeiten, in denen ein freier Farbiger gar einen weißen Soldaten ohrfeigte. Sei es seiner Absicht geschuldet, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen, oder aus Trunkenheit gewesen: Entgegen allen Erwartungen und Bräuchen und zum Entsetzen der weißen Anwesenden lud Vioménil die ungebetenen Gäste zum Bankett ein. Einen der farbigen KaufleutehießderGouverneurgarmiteiner brüderlichen Umarmungwillkommen. Mit dieser Geste Vioménils, »le fatal baiser«16 , geriet die Situation allerdings vollends außer Kontrolle und das Bankett endete in einer wüsten Schlägerei. Vioménil hatte mit einer einzigen Handlung seinen gesamten Kredit bei den weißen Eliten der Kolonie verspielt. Bald erreichte die Nachricht von diesem Ereignis die Stadt Saint-Pierre. Die petits Blancs der kolonialen Handelsmetropole konnten es nicht fassen, dass die freien Farbigen ihnen offenkundig vorgezogen wurden und die Kaufmannseliten sahen im Vorfall die Gelegenheit, Vioménil bei Marine- und Kolonialminister La Luzerne zu desavouieren.17 Doch die Panikmache der Kaufleute Saint-Pierres in Paris diente nur dazu, ihre wahren Absichten zu kaschieren: In der Einberufung einer Kolonialversammlung sahen sie die Gelegenheit, die Macht der bereits bestehenden, von den Pflanzern dominierten Gremien zu brechen, nachdem 16 17

Élisabeth, Gens de couleur, S. 82. Ibid., S. 83; Lucien-René Abénon, Jacques de Cauna, Liliane Chauleau, Antilles 1789. La Révolution aux Caraïbes, Paris 1989, S. 149f.; Régent, La France, S. 219; Lémery, La Révolution, S. 31; Ruste de Rézeville an La Luzerne, 3.11.1789, in: ANOM, C8A 90, fol. 387.

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es die Plantagenbesitzer in den vergangenen beiden Jahren geschafft hatten, einen Großteil der Steuerlast den Kaufleuten Martiniques aufzubürden. Vioménil seinerseits sah sich in dieser heiklen Lage genötigt, den Forderungen der Kolonialeliten nach der Einberufung einer Kolonialversammlung nachzugeben. Dieses Gremium sollte über den Vorfall beraten und die Deputierten für die Nationalversammlung in Paris bestimmen. Glaubte Vioménil damit die Situation beruhigen zu können, musste er schon bald feststellen, dass ihm seine Macht dadurch nur noch weiter entglitt: Die Mitglieder der Kolonialversammlung setzten nicht nur die Wahl eines Parlaments durch, in dem alle steuerzahlenden weißen Männer der Kolonie vertreten waren, sondern auch die Gründung von Munizipalversammlungen in den einzelnen Gemeinden. Die neuen Gremien rissen in der Folge immer mehr legislative Kompetenzen an sich. Vioménil leistete aus Angst vor einer generellen Revolte der Pflanzer keinen Widerstand gegen die Aushöhlung seiner Autorität. Die von den Plantagenbesitzern dominierte Kolonialversammlung forderte in ihrem cahier des doléances von der Nationalversammlung in Paris die Aufhebung des merkantilistischen Wirtschaftsregimes sowie die Beibehaltung der Sklaverei und der auf Segregation beruhenden Gesellschaftsordnung. Die Politik der Kolonialversammlung richtete sich unter der Führung des einflussreichen, aber hochverschuldeten Plantagenbesitzers Louis-François Dubuc allerdings nicht nur gegen den Gouverneur und damit gegen die Metropole, sondern auch zusehends gegen die Stadt Saint-Pierre und ihre Kaufmannseliten, die sich entgegen früheren Hoffnungen völlig in der Defensive wiederfanden. So beschloss die Kolonialversammlung zum einen die Öffnung mehrerer Häfen der Kolonie für fremde Handelsschiffe. Zum anderen versuchte sie, die Macht der Munizipalversammlung Saint-Pierres einzuschränken, indem sie in der Stadt das Kriegsrecht ausrief. Das brachte das Fass für die Abgeordneten Saint-Pierres in der Kolonialversammlung zum Überlaufen, die den überschuldeten Plantagenbesitzern vorwarfen, mit der Aushöhlung des exclusif mitigé ihren Schulden entkommen zu wollen. Die Deputierten Saint-Pierres zogen sich deshalb unter Protest aus dem Gremium zurück. Die Kaufmannseliten der Stadt rekrutierten unter den petits Blancs der Stadt gar Milizen, um sich gegen etwaige Übergriffe der grands Blancs und der mit ihnen verbündeten farbigen Plantagenbesitzer zur Wehr setzen zu können. Letztere standen mehrheitlich auf Seiten der grands Blancs, weil viele unter ihnen aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen zu den Patronagenetzwerken weißer Pflanzer gehörten. Die freien Farbigen Saint-Pierres hielten sich im abzeichnenden Konflikt hingegen zunächst zurück. Wegen des rassistischen Dünkels der petits Blancs der Stadt blieb eine Allianz zwischen diesen beiden Gruppen ausgeschlossen 18 . 18

Zur politischen Positionierung der freien Farbigen Martiniques 1790 siehe Hayot, Les gens de couleur, S. 131; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 50f. Zum Klientelverhältnis vieler freier Farbiger zu weißen Plantagenbesitzern siehe Régent, Esclavage, S. 191–207. Zu Dubuc

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In dieser angespannten Lage traf Ende März 1790 Claude-Charles de Damas auf Martinique ein, der aus seinem krankheitsbedingten Heimaturlaub in die Kolonie zurückkehrte und den unglücklich agierenden Vioménil ablöste. Doch der gesundheitlich nach wie vor angeschlagene Damas konnte dem Treiben der Kolonialversammlung keinen Einhalt gebieten. Dubuc und seine Gefährten nutzten ihre Macht, um Saint-Pierre politisch zu isolieren und entrissen dem Gouverneur gar das Recht, die Gesetze der Kolonialversammlung abzulehnen. Als Damas aufgrund dieser Demütigung sein Amt niederlegte, ernannte die Kolonialversammlung kurzerhand einen ihr wohlgesinnten Offizier der Garnison zum Gouverneur Martiniques, obwohl dieses Amt eigentlich dem Gouverneur Guadeloupes, Charles-François de Clugny, zugestanden hätte19 . Damit hatte die von Pflanzern dominierte Kolonialversammlung Martiniques innerhalb weniger Monate die Autorität des Gouverneurs ausgehöhlt und die Vertreter der Krone zu ihren Marionetten degradiert. Ihre neugewonnene Macht nutzten die grands Blancs umgehend, um ihr ökonomisches Ziel – die Errichtung eines Freihandelsregimes – zu verfolgen. Die entscheidenden Voraussetzungen für die rasche Verschiebung der Macht in die Hände der Plantagenbesitzer waren neben dem ungeschickten Verhalten der Kolonialregierung das Ausbleiben konkreter Anweisungen aus Paris, wie auf die Forderungen der Pflanzer zu reagieren sei und wie die Ereignisse in Frankreich zu deuten seien. Für die Entscheidungsträger in Frankreich wie auch in Übersee war die rasche Radikalisierung des Konflikts besorgniserregend. Nur allzu offensichtlich war die Tatsache, dass die Konfliktparteien auch vor der Anwendung von Gewalt nicht zurückschrecken würden. Auf Guadeloupe verlief die Revolution zunächst friedlicher. Im Zentrum der politischen Diskussion stand die Frage, ob beiden Häfen der Kolonie, Basse-Terre und Pointe-à-Pitre, das Privileg eines Freihafens zukommen sollte. Die Pflanzer Guadeloupes blieben dieser Diskussion weitgehend fern. Die Tatsache, dass viele unter ihnen sich weigerten, die trikolore Kokarde zu tragen, zeigt aber, dass sie von dem Umsturz in der Metropole keineswegs begeistert waren. Nur wenige verfolgten das Geschehen derart enthusiastisch wie der einflussreiche Plantagenbesitzer Jacques-François Coquille Dugommier aus Trois-Rivières. Zusammen mit Clugny handelte der »Lafayette des îles du Vent« einen Kompromiss zwischen den rivalisierenden Kaufleuten aus Basse-Terre und Pointe-à-Pitre aus, indem beide Häfen für die fremde Handelsschifffahrt geöffnet wurden. Gleichwohl hielt es auch Clugny für angezeigt, in Basse-Terre eine Munizipalversammlung ins Leben zu rufen, in der die weißen Eliten der Stadt vertreten waren. Allerdings waren die Kom-

19

siehe Louis P. May, Précisions sur l’histoire des Antilles et notamment les Dubuc, in: Revue d’histoire des colonies 114 (1938), S. 71–84, hier S. 80. Pluchon, Révolutions, S. 297–299; Lémery, La Révolution, S. 37f.; Abénon, Cauna, Chauleau, Antilles, S. 150f.; Robin Blackburn, The Overthrow of Colonial Slavery 1776–1848, New York 1988, S. 181.

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petenzen und die Zusammensetzung dieses Rates derart unklar formuliert, dass es seinen Mitgliedern leicht fiel, immer mehr Prärogativen der Exekutive für sich zu beanspruchen. Diese Versammlung diente als Vorbild für die anderen Gemeinden Guadeloupes, die in der Folge ihrerseits Munizipalversammlungen nach dem Vorbild jener von Basse-Terre einberiefen. Die fragliche Legalität dieser Versammlungen gab unter den Pflanzern Anlass zu heftigen Diskussionen. Anfang 1790 wurde schließlich auch auf Guadeloupe eine allgemeine Kolonialversammlung einberufen, in der die weißen Eliten der Kolonie repräsentiert waren und die ähnlich wie auf Martinique der Kolonialregierung immer mehr Kompetenzen im Bereich der Verwaltung, der Steuereintreibung und der Judikative entriss. Clugny hielt es ähnlich wie seine Amtskollegen auf Martinique für politisch klug, dem Treiben tatenlos zuzusehen20 . Derweil begann die koloniale Frage auch die Politik in Paris zu beschäftigen. Im Oktober 1789 setzte sich Louis de Curt, ein einflussreicher Deputierter aus Guadeloupe, erfolgreich für die Schaffung eines der Nationalversammlung verantwortlichen Comité des colonies ein, das in den folgenden Jahren die Leitlinien der französischen Kolonialpolitik bestimmen und von Absentisten aus Saint-Domingue unter der Führung des Anwalts Antoine Barnave dominiert werden sollte21 . Damit gelang es den kolonialen Interessensvertretern rund um den sogenannten Club Massiac frühzeitig, die koloniale Frage weitgehend dem Blick der Nationalversammlung zu entziehen und dem angestrebten außerverfassungsmäßigen Status der Kolonien den Weg zu ebnen22 . Das Comité des colonies nahm am 4. März 1790 seine Arbeit auf und unterbreitete bereits vier Tage später der Nationalversammlung ein Gesetz, das vorsah, in allen Kolonien des französischen Imperiums Kolonialversammlungen mit weitreichenden Kompetenzen in inneren Angelegenheiten einzuberufen. Die von den Kolonialversammlungen erlassenen Gesetze mussten allerdings von der Nationalversammlung bestätigt werden. Grundsätzlich waren alle Kolonisten wahlberechtigt, die seit zwei Jahren in der Kolonie wohnhaft waren, dort über Grundbesitz verfügten und Steuern zahlten. Somit lag die Macht in den Kolonien in den Händen wohlhabender Grundbesitzer, während die petits Blancs keinerlei Möglichkeiten zur politischen Partizipation hatten. Unklar war aber, ob damit nicht auch freien Farbigen, welche die genannten Zensusbedingungen erfüllten, das aktive Bürgerrecht zugesprochen wurde. Der Gesetzestext schwieg sich darüber aus, doch in der Praxis blieben sie zum Entsetzen ihrer Lobby in Paris rund um ihren Wortführer, Julien Raimond, vom Wahlprozedere ausgeschlossen23 . 20 21 22

23

Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 121–136. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 290–293. Manuel Covo, Le Comité des colonies. Une institution au service de la »famille coloniale« (1789–1793), in: La Révolution française. Cahiers de l’Institut d’histoire de la Révolution française 3 (2012), S. 2–20, hier S. 3f. Dubois, A Colony, S. 102f.

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Die Gesetzgeber untersagten zudem ausdrücklich die Modifikation des merkantilistischen Wirtschaftsregimes durch die Kolonialversammlungen. Etwaige Änderungen sollten nur der Nationalversammlung in Paris obliegen, die allerdings ihre Bereitschaft signalisierte, sich des Themas anzunehmen24 . Trotz dieser Klausel durften die Pflanzereliten Martiniques und Guadeloupes mit dem Gesetz zufrieden sein. Damit wurden die von ihnen dominierten Kolonialversammlungen legalisiert und ihnen zumindest eine Anhörung ihrer Klagen über die merkantilistischen Fesseln in Aussicht gestellt. Bis sich die Nationalversammlung in Paris mit dem Thema beschäftigen würde, ließen sich die merkantilistischen Schranken ohnehin mit Übergangsbestimmungen umgehen25 .

Der Bürgerkrieg auf Martinique, 1790 Als im April 1790 das von der Nationalversammlung verabschiedete Gesetz auf Martinique bekannt wurde, verschärfte sich die politisch angespannte Lage in der Kolonie allerdings weiter. Zum einen glaubten sich die wohlhabenden freien Farbigen der Kolonie damit wahlberechtigt. Zum anderen sahen die Kaufleute Saint-Pierres in dem Gesetz die Chance, die Macht der Kolonialversammlung mittels der angeordneten Neuwahlen zu brechen, alle erlassenen Gesetze zur Öffnung der Häfen Martiniques zu widerrufen und Clugny oder den Gouverneur Saint Lucias, Jean-Joseph de Gimat, zum Nachfolger Damas’ zu erheben. Die Gouverneure der beiden Schwesterkolonien waren in den Augen der Kaufleute Saint-Pierres allein deshalb geeignete Kandidaten für das Amt, weil sie zusammen mit Freiwilligen aus Guadeloupe und Saint Lucia im Frühjahr wiederholt zwischen den verfeindeten Fraktionen Martiniques vermittelt hatten. In ihrer Rolle als Mediatoren hatten die beiden Machthaber wiederholt ihr Verständnis für die Position der Kaufleute SaintPierres durchblicken lassen und deshalb versucht, die Kolonialversammlung Martiniques zur Rückkehr in die Legalität und zum Abtreten der usurpierten Machtbefugnisse zu bewegen. Obwohl ihre Bemühungen scheiterten, waren diese Vermittlungsversuche ein deutlicher Fingerzeig, dass die in die Defensive getriebenen Kaufleute Saint-Pierres auf die Hilfe der umliegenden französischen Kolonien zählen konnten. Den Plantagenbesitzern unter der Führung Dubucs kam die Tatsache entgegen, dass aufgrund der Feindschaft zwischen den petits Blancs Saint-Pierres und den freien Farbigen ein Bündnis dieser beiden Fraktionen gegen die Kolonialversammlung ausgeschlossen schien. Für die petits Blancs der Kolonie 24 25

Antoine Barnave, Rapport fait à l’Assemblée nationale, le 8 mars 1790, au nom du Comité des colonies, Paris 1790, S. 22. Covo, L’assemblée, S. 84.

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war es aus rassistischen Motiven undenkbar, dass einigen reichen freien Farbigen das Wahlrecht zugestanden werden sollte und ihnen nicht26 . Dies wurde auch anlässlich einer Parade der Milizen Saint-Pierres am 3. Juni 1790 deutlich, als 14 farbige Milizionäre sowie ihre weißen Offiziere von einem Mob von Matrosen und anderen petits Blancs der Stadt gelyncht wurden, nachdem die farbigen Milizionäre vor der Trikolore defiliert hatten. Unter dem Vorwand der Komplizenschaft mit den ermordeten Milizionären wurden in der Folge 70 unschuldige freie Farbige der Stadt verhaftet und vor ein ad hoc einberufenes Kriegsgericht gestellt, das jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrte. Wer von den freien Farbigen aus der Stadt fliehen konnte, der setzte sich nach Fort-Royal ab. In diesem Pogrom spielten auch materielle Motive eine wichtige Rolle, erblickte doch der wütende Mob der petits Blancs darin eine günstige Gelegenheit, die Häuser wohlhabender freier Farbiger zu plündern. Dieser Vorfall spielte Dubuc und den anderen grands Blancs in die Hände, weshalb sie den Vertretern der freien Farbigen anboten, sich an den anstehenden Wahlen für die Kolonialversammlung beteiligen zu dürfen. Der inzwischen wieder ins Amt zurückgekehrte Gouverneur Damas willigte zudem auf Betreiben der von den grands Blancs dominierten Kolonialversammlung ein, Saint-Pierre mit militärischen Mitteln zu besetzen. Am 9. Juni 1790 machte sich der greise Gouverneur zusammen mit 500 Soldaten, 2000 Milizionären (darunter 1500 freie Farbige) sowie den ihm zur Verfügung stehenden Marineeinheiten auf, um die Stadt zu belagern. Tags darauf kapitulierte die Handelsmetropole kampflos. Der Sieg der Pflanzer schien komplett, ließ doch Damas die Munizipalversammlung der widerspenstigen Handelsmetropole auflösen und veröffentlichte auf Geheiß der Kolonialversammlung eine lange Proskriptionsliste, auf der die Namen der wichtigsten Geldgeber der Kolonie nicht fehlen durften. Die Kolonialversammlung veranlasste überdies die Absetzung des verhassten Intendanten, der in der Vergangenheit eher auf der Seite der Kaufleute gestanden hatte, und usurpierte seinen Zuständigkeitsbereich. Dubuc und seine Mitstreiter nahmen sich gar das Recht heraus, die in Paris erlassenen Gesetze zu modifizieren, womit sie faktisch alle Versuche der Metropole, das merkantilistische Wirtschaftsregime aufrechtzuerhalten, aushebeln konnten. Zudem wussten die Pflanzer die freien Farbigen auf ihrer Seite, nachdem sie die Schuldigen des Massakers vom 3. Juni 1790 in den Kerkern von Fort Bourbon hatten einsperren lassen27 . Doch der Triumph der Pflanzer war nur von kurzer Dauer. Bereits Mitte Juli rebellierten die Matrosen der Kriegsmarine und forderten die Heimkehr der auf den Kleinen Antillen stationierten Kriegsschiffe. Ihre Offiziere hatten sich zuvor eher widerwillig auf die Seite der Kolonialversammlung gestellt 26 27

Régent, La France, S. 242. Louis, Les libres, Bd. 2, S. 57–67; Pluchon, Révolutions, S. 299f.; Dermigny, Debien, La Révolution, S. 500f.

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und waren deshalb schnell bereit, den Forderungen ihrer Schiffsbesatzungen nachzugeben und die Heimreise nach Frankreich anzutreten. Damit verlor die Kolonialversammlung ein wichtiges Machtmittel, um Saint-Pierre gegebenenfalls unter Blockade zu stellen28 . Auch unter den Linientruppen gärte es. Anfang September 1790 kam es in der Garnison des Forts Bourbon zu einer Meuterei, nachdem es den Gefangenen aus Saint-Pierre gelungen war, die Soldaten gegen ihre adligen Offiziere aufzuhetzen, indem sie diese als Feinde der Revolution denunzierten29 . Innerhalb dreier Tage errangen die rebellierenden Soldaten die Kontrolle über Fort-Royal und zwangen Damas, die adligen Offiziere, die Mitglieder der Kolonialversammlung sowie rund 1400 Plantagenbesitzer zur Flucht ins Landesinnere, wo sie bei Gros-Morne eine befestigte Stellung errichteten. Eine große Zahl freier Farbiger begleitete sie auf ihrer Flucht. Auch Saint-Pierre konnte sich wenige Tage danach von der Kontrolle der Kolonialversammlung lösen. Die Kaufmannseliten Saint-Pierres riefen in der Folge Freiwilligenmilizen aus Guadeloupe, Saint Lucia und Marie-Galante zu Hilfe. Bereits am 15. September 1790 trafen die Freiwilligen aus den Städten Guadeloupes sowie die Liniensoldaten der Garnison unter der Führung Dugommiers ein. Die Soldaten aus Saint Lucia hatten gar gegen den Willen ihrer Offiziere und des Gouverneurs den Weg nach Saint-Pierre auf sich genommen30 . Die Freiwilligen von den benachbarten Inseln waren vor allem durch ihre Feindschaft gegenüber den freien Farbigen motiviert, die sich auf Seiten der Kolonialversammlung geschlagen hatten31 . Am 25. September 1790 machte sich schließlich eine bunt zusammengewürfelte Truppe von rund 1500 Mann auf, um das Lager der Pflanzer bei Gros-Morne anzugreifen. Doch der Angriff endete in einem Debakel, nachdem der Trupp Dugommiers von farbigen Milizen überrascht worden war und rund 450 seiner Kämpfer im Gefecht gefallen waren. Dugommier und seine patriotes, wie sich die Anhänger der Kaufleute Saint-Pierres nannten, konnten sich glücklich schätzen, dass es ihnen zumindest gelungen war, die Stellungen rund um Fort-Royal zu halten. Darauffolgende Vermittlungsversuche von einflussreichen Pflanzern aus Saint Lucia und Guadeloupe scheiterten am Unwillen beider Seiten zu einem Kompromiss. Die Situation verschärfte sich weiter, als Ende Oktober 1790 zwei Fregatten, die Ferme (74) und die Embuscade (34), eintrafen und auf Befehl von Damas, der in den Augen der befehlshabenden Marineoffiziere die Autorität

28

29 30 31

William S. Cormack, Legitimate Authority in Revolution and War. The French Navy in the West Indies, 1789–1793, in: International History Review 18 (1996), S. 1–27, hier S. 5f. Daney, Histoire, Bd. 5, S. 97f. Chabrol an Gimat, 13.7.1790, in: ANOM, C10C 5; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 67f.; Dessalles, Historique des troubles, S. 283. Ibid., S. 281.

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der Metropole vertrat, die Häfen von Saint-Pierre und Fort-Royal blockierten. Nur wenige der neu eingetroffenen Offiziere erkannten, dass sie damit den Autonomiebestrebungen der Kolonialversammlung Martiniques Vorschub leisteten. Bei der Blockade wurde die französische Kriegsmarine auch von Einheiten der Royal Navy unterstützt, die damit zum Entsetzen der Kaufmannseliten und der petits Blancs Saint-Pierres die Autonomiebestrebungen der Kolonialversammlung ebenfalls unterstützten. Der Streit zwischen den verfeindeten Lagern drehte sich immer mehr um die Frage, welche Partei die Autorität der Metropole vertrat und sich zu den vermeintlich wahren Prinzipien der Französischen Revolution bekannte, wie William S. Cormack angemerkt hat32 . Die Sklaverei stand hingegen zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Als sich die Anzeichen eines bevorstehenden Sklavenaufstandes mehrten, erstickten sowohl die farbigen Milizionäre Damas’ wie auch die Vertreter der patriotes alle Versuche der Sklaven, die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen, im Keim33 . Die Konstituante in Paris erkannte rasch, dass Dubuc und seine Mitstreiter eigenmächtig das merkantilistische Wirtschaftsregime ausgehebelt und sich damit über das Gesetz vom 8. März 1790 hinweggesetzt hatten. Den Zusammenbruch der Ordnung schrieben die Abgeordneten in Paris weitgehend dem Versagen Damas’ zu, dessen Unterstützung der Intrigen der Kolonialversammlung erst zum offenen Bürgerkrieg in der Kolonie geführt habe. Ende November 1790 entschloss sich deshalb die Konstituante, die Kolonialversammlung Martiniques aufzulösen und alle von ihr erlassenen Gesetze aufzuheben, die dem Gesetz vom 8. März 1790 widersprachen. Zu diesem Zweck entsandte sie einen neuen Gouverneur, eine Untersuchungskommission und eine beachtliche Streitmacht von 6000 Soldaten sowie mehrere Kriegsschiffe nach Martinique. Damit setzte die Metropole ein klares Zeichen, dass sie die selbstherrliche Politik Dubucs und seiner Mitstreiter nicht hinzunehmen gedachte. Der Expedition wurde deshalb das Recht eingeräumt, notfalls auch in den benachbarten Kolonien einzugreifen, um die Autorität der Metropole gegen potentielle Epigonen Dubucs durchzusetzen34 . Derweil rückten in den Kleinen Antillen immer mehr die bewaffneten Streitkräfte ins Zentrum der Auseinandersetzungen. So weigerten sich die unter der Führung Dugommiers nach Saint-Pierre geeilten Freiwilligen, der Forderung der Kolonialversammlung Guadeloupes nachzukommen und in ihre Kolonie zurückzukehren. Hintergrund dieser Weigerung war die Befürchtung, dass das Schicksal der patriotes in den Kleinen Antillen vom Erfolg der Kaufleute und der petits Blancs Saint-Pierres abhängen würde. Als die Ko32 33 34

Cormack, Legitimate Authority, S. 9. Ibid.; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 69–71; Dermigny, Debien, La Révolution, S. 504. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 295; Jean Philippe Garran de Coulon, Rapport sur les troubles de Saint-Domingue, 4 Bde., Paris 1797–1799, Bd. 2, S. 74f.; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 71f.; Cormack, Legitimate Authority, S. 10.

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lonialversammlung Guadeloupes Dugommier für die Befehlsverweigerung der Freiwilligen verantwortlich machte, kam dies einem Ende des Burgfriedens auf Guadeloupe gleich. Bereits in den vergangenen Monaten war es in der Kolonie zu mehreren Meutereien unter den Linientruppen gekommen, die sich offen auf die Seite der Munizipalversammlung Basse-Terres und gegen die adligen Offiziere der Garnison stellten. Indem sie sich mit den petits Blancs der Städte fraternisierten, bezogen sie auch klar Position gegen die Plantagenbesitzer Guadeloupes, Clugny und die Kolonialverwaltung sowie die mit ihnen verbündeten freien Farbigen der Kolonie. In Letzteren glaubten die Soldaten den Teil einer konterrevolutionären Bewegung zu erkennen. Konziliante Stimmen wie diejenige Dugommiers fanden in diesem sich zusehends radikalisierenden Konflikt bald keine Resonanz mehr. Clugny blieb derweil nichts anderes übrig, als die Rädelsführer nach Frankreich zurückzuschicken und die restlichen Truppen in den Gemeinden Guadeloupes zu verteilen, um ihrer politischen Mobilisierung einen Riegel vorzuschieben. Die Meutereien der Soldaten zeigten, dass sich in den französischen Kolonien der Kleinen Antillen zusehends ein bipolares Konfliktmuster zwischen den patriotes aus den Städten und den aristocrates herauskristallisierte, zu denen im Wesentlichen die Großgrundbesitzer und die mit ihnen verbündeten freien Farbigen auf dem Lande zählten35 . Die Ende März 1791 in Martinique eingetroffenen Truppen unter dem Kommando des neuen Generalgouverneurs Jean-Pierre-Antoine de Béhague heizten diese Konflikte weiter an. Zunächst schienen Béhague und die vier Kommissare die Autorität der Metropole wiederherstellen zu können, indem sie die Kolonialversammlung und die Munizipalversammlungen Martiniques auflösten. Die Freiwilligen aus den benachbarten Inseln wurden nach Hause geschickt, die Bevölkerung entwaffnet, das Lager der aristocrates bei Gros-Morne aufgelöst, die Presse einer Zensur unterzogen und eine Einreisekontrolle verhängt. Auch die Bestimmungen des exclusif mitigé wurden wieder in Kraft gesetzt. Einzig Fort-Royal blieb weiterhin für die fremde Handelsschifffahrt geöffnet – diese Konzession vermochten die Plantagenbesitzer rund um Dubuc der neuen Kolonialregierung abzuringen36 . Unter der Oberfläche brodelte es aber weiter. Die Heimsendung der Garnison Fort-Royals und ihre Ersetzung durch frische Truppen aus Frankreich nährte unter den patriotes die Befürchtung, dass die neue Kolonialregierung wiederum mit den grands Blancs gemeinsame Sache machen könnte. In Saint-Pierre kam es zudem wiederholt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen petits Blancs und freien Farbigen, nachdem Letztere öffentlich die trikolore Kokarde getragen hatten. Die Aufrufe Béhagues zur Mäßigung 35 36

Tigrane, Histoire, S. 173f.; Régent, Esclavage, S. 224f.; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 140–142. Louis, Les libres, Bd. 2, S. 72f.; Cormack, Legitimate Authority, S. 10–13; PérotinDumon, Être patriote, S. 143–145; Blackburn, The Overthrow, S. 185.

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verhallten ohne Resonanz. Zahlreiche Kompetenzstreitigkeiten mit den vier Kommissaren unterhöhlten ohnehin zusehends seine Autorität. Unter den Matrosen der neu eingetroffenen Kriegsschiffe gärte es ebenfalls. Sie glaubten, dass sie unfreiwillig im Dienste der aristokratischen Partei stünden. Hintergrund dieser Befürchtung war die Tatsache, dass viele ihrer Offiziere wie etwa der Kapitän der Fregatte Calypso (32), Louis-Charles Mallevaut, Plantagen auf Guadeloupe und Martinique besaßen. So kam es Ende September 1791 auf der Embuscade zu einer Meuterei. Die Matrosen rissen die Kontrolle des Schiffs an sich und nahmen Kurs nach Frankreich, nachdem ihre Offiziere sich geweigert hatten, den Forderungen der Mannschaft nachzukommen37 . Selbst auf Saint Lucia, dessen Bewohner die Ereignisse in den benachbarten Kolonien bislang besorgt mitverfolgt hatten, kam es im Juli 1791 zu einer Meuterei von rund 80 Soldaten, weil diese ein konterrevolutionäres Komplott ihrer Offiziere vermutet hatten. Nur mit Mühe gelang es den loyal gebliebenen Truppen, Pflanzern und freien Farbigen, die Rebellen in Schach zu halten und nach Frankreich zurückzuschicken38 . Auf Guadeloupe eskalierte die Lage im Spätsommer 1791. Immer wieder kam es in den Städten der Kolonie während der Sommermonate zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen patriotes und freien Farbigen. Am 1. August 1791 riefen die aristokratischen Plantagenbesitzer in Sainte-Anne kurzerhand eine fédération des bons citoyens (kurz fédérés genannt) aus, die als parlamentarisches Gremium der Pflanzer und der freien Farbigen den von den patriotes dominierten Munizipalversammlungen der Städte Konkurrenz machen sollte. Denjenigen freien Farbigen, welche die Zensusbestimmungen erfüllten, standen die Pflanzer in diesen Parallelgremien das Recht zu, Kommissare und andere Funktionsträger zu wählen. Damit wurde die direkte politische Partizipation eines kleinen, privilegierten Teils der freien Farbigen ironischerweise erstmals von den grands Blancs ermöglicht, die gleichzeitig immer mehr auf Distanz zu den Institutionen der Metropole gingen. Die Beteiligung der freien Farbigen am politischen Prozess war nicht einer aufklärerischen Eingebung der Pflanzer geschuldet, sondern nur Mittel zum Zweck: die Schwächung der patriotes. Die von den Pflanzern dominierte Kolonialversammlung versuchte deshalb in den folgenden Wochen, der Entstehung weiterer Versammlungen von fédérés Vorschub zu leisten, um den politischen Institutionen der patriotes 37

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Mémoire pour le citoyen Louis-Charles-François Malleveault, détenu dans les prisons de la Force, accusé d’avoir vendu à l’Espagne, étant en guerre avec la France, la frégate la Calipso qu’il commandait, et d’avoir livré la Martinique aux Anglais, o. D. [1802], in: SHD, FM/BB4/26, fol. 3. Proklamation von Montdenoix/Linger (Kopie), 18.10.1791, in: ANOM, C10C 6; Précis historique de l’insurrection d’une partie du 2e bataillon du 31e régiment, en garnison au Morne Fortuné de Ste-Lucie, présenté par les commissaires de l’Assemblée coloniale de Ste-Lucie à Mes . les commissaires du Roi envoyés pour l’exécution de la loi du 8. Xbre (Kopie), 24.10.1791, in: ANOM, C10C 6; Montdenoix/Linger an Thévenard, 23.10.1791, in: ANOM, C10C 6.

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das Wasser abzugraben. Die grands Blancs schreckten auch nicht mehr davor zurück, die Munizipalversammlung Basse-Terres kurzerhand für illegitim zu erklären. In Anbetracht des daraus entstehenden politischen Drucks sahen sich die Kaufmannseliten Basse-Terres Anfang September genötigt, den Spieß umzudrehen und ihrerseits eine Versammlung der Stadt einzuberufen, zu der auch die freien Farbigen eingeladen wurden. Damit gelang es den patriotes zusehends, die freien Farbigen in eine ländliche Fraktion, die aufgrund ihrer Klientelbeziehung zu den Großgrundbesitzern der Partei der aristocrates treu blieb, und eine städtische Fraktion zu spalten, die vor allem aus dem Handwerkerund Kaufmannsmilieu stammte. Den patriotes spielte dabei das Gesetz der Nationalversammlung in Paris vom 15. Mai 1791 in die Hände, das freien Farbigen, die von zwei freien Elternteilen abstammten, das Bürgerrecht zuteil werden ließ. Während die Großgrundbesitzer zum Entsetzen vieler freier Farbiger die Umsetzung dieses Gesetzes ablehnten, konnten sich die patriotes durch dessen Befolgung als loyale Kämpfer der Metropole profilieren. Dieses politische Zugeständnis war für die ansonsten von rassistischem Dünkel getriebenen patriotes auch deswegen hinnehmbar, weil es nur einer kleinen Zahl freier Farbiger das Wahlrecht gab. Beide Fraktionen nahmen zudem erleichtert zur Kenntnis, dass dasselbe Gesetz faktisch die Sklaverei legalisierte, sah es doch vor, dass die Kolonien selbst über den rechtlichen Status aller Unfreien zu befinden hätten. Damit hatte sich die Metropole faktisch selbst das Recht entzogen, in dieser Frage ein Machtwort zu sprechen39 . Die Versuche der aus Martinique herbeigeeilten Kommissare, die Situation zu schlichten, indem sie die Versammlungen der fédérés und die Aufhebung der Munizipalversammlung Basse-Terres für ungültig erklärten, brachten kein Ende des politischen Chaos. Rasch überwarfen sich die Kommissare mit Clugny und der Pflanzerfraktion, weshalb sie die Kolonien Ende Oktober unverrichteter Dinge verließen40 . So hingen Martinique und Guadeloupe in einem politischen Schwebezustand, ehe Ende November die Nachrichten aus Saint-Domingue und Frankreich die Karten neu mischten: Der im August 1791 ausgebrochenen Sklavenaufstand und die kaum überschaubaren gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Plantagenbesitzern verschiedener Couleur, petits Blancs und freien Farbigen in Saint-Domingue führten den Entscheidungsträgern und den kolonialen Eliten der Kleinen Antillen vor Augen, auf welch tönernen Füßen ihre Herrschaft stand. Clugny und Béhague verschärften deshalb die Kontrolle der Sklavenateliers. Die Kolonialversammlungen Martiniques und Guadeloupes erkannten ihrerseits die Notwendigkeit, den freien Farbigen einige wenige Konzessionen zuzugestehen, um sie auf ihrer Seite zu halten. Die petits Blancs Saint-Pierres glaubten 39 40

Régent, Esclavage, S. 225–229. Zu den Hintergründen der Gesetze vom 13. und 15. Mai 1791 und ihren Folgen vgl. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 296–302. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 146.

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im Sklavenaufstand Saint-Domingues hingegen den besten Beweis erkennen zu können, dass die freien Farbigen des französischen Bürgerrechts unwürdig seien. Auf wirtschaftlicher Ebene kam den französischen Kolonien in den Kleinen Antillen der Sklavenaufstand auf Saint-Domingue jedoch durchaus entgegen: Ihre Produkte fanden auf einen Schlag einen reißenden Absatz und die Sklavenhandelsschiffe verkauften ihre Ware fortan vornehmlich in den Kleinen Antillen. Getrübt wurde die Freude der Zuckerbarone über die wirtschaftliche Hausse jedoch von den Nachrichten des Fluchtversuches Ludwigs XVI. und seiner Ergreifung bei Varennes im Juni 1791. Die Koloniallobby in Paris, der Club Massiac, hatte sich bekanntlich der konstitutionellen Monarchie verschrieben, doch diese rückte mit der faktischen Entmachtung des Bourbonenkönigs im Winter 1791/92 in immer weitere Ferne. Die politischen Aussichten der Koloniallobby begannen sich deshalb zu verdüstern. Das Schicksal des Königs ließ auch viele Pflanzer in Martinique und Guadeloupe nicht unberührt: Im Februar 1792 sah sich Martiniques Generalgouverneur Béhague genötigt, das Hissen der weißen Fahne der Bourbonen zu verbieten41 .

Der Weg in die Konterrevolution, 1792 Abgeordnete aus den Reihen der Plantagenbesitzer Martiniques, Guadeloupes, Saint Lucias und Tobagos verhandelten derweil in den Wintermonaten über eine gemeinsame Regelung der Frage, welche Rechte sie den freien Farbigen der vier Kolonien einzuräumen gedachten. Zwar gewährte diese Versammlung am 14. März 1792 den freien Farbigen die freie Berufswahl (außer in staatlichen Diensten), Gleichheit vor dem Recht und im Steuerwesen. Doch die Bedingungen für das Wahlrecht setzte die von den aristokratischen Pflanzern dominierte Versammlung derart hoch an, dass kein einziger freier Farbiger der vier Inseln diese erfüllte: Um wahlberechtigt zu sein, mussten farbige Bürger nachweisen können, dass sie bereits in der vierten Generation von ausschließlich freien Menschen abstammten und gleichzeitig über ein erhebliches Vermögen verfügten. Augenscheinlich dachte die aristokratische Pflanzerpartei trotz der Ereignisse in Saint-Domingue nicht daran, den freien Farbigen weitreichende Zugeständnisse zu machen. Sie favorisierte die Beibehaltung des Status quo in der Segregationspolitik. Das bisher gezeigte Entgegenkommen in dieser Frage diente im Kalkül Dubucs und seiner Mitstreiter nur der politischen Isolierung der patriotes der Städte42 . 41

42

Régent, Esclavage, S. 230f.; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 149–152; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 72–74; Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 302; Blackburn, The Overthrow, S. 189f; Élisabeth, Gens de couleur, S. 91. Ibid., S. 90f.; Régent, Esclavage, S. 231.

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Die Kolonialversammlung Guadeloupes sah sich durch den Beschluss der Deputierten der vier Kolonien gestärkt und verfügte eigenmächtig die endgültige Auflösung der Munizipalversammlung Basse-Terres. Am 1. Mai 1792 marschierte eine Handvoll Pflanzer mitsamt ihren Sklaven, die sie bewaffnet hatten, in Basse-Terre ein, um der Entscheidung der Kolonialversammlung Nachdruck zu verleihen. In der darauffolgenden Straßenschlacht gelang es den aristocrates, sich gegen die patriotes durchzusetzen, obwohl Letztere ebenfalls zahlreiche Sklaven bewaffnet hatten. Die Kolonialversammlung installierte in Basse-Terre eine ihr ergebene Versammlung der fédérés und verbot das Tragen der trikoloren Kokarde. Mit diesem Schlag gegen die patriotes versuchten die Plantagenbesitzer nicht nur ihre politischen Gegner loszuwerden, sondern auch ihre Schulden: Sie publizierten eine lange Proskriptionsliste mit den Namen zahlreicher Kaufleute Basse-Terres, bei denen die Plantagenbesitzer verschuldet waren. In der Folge emigrierten mehrere hundert patriotes in die benachbarten Kolonien Dominica und Sint Eustatius. Damit schien die Fraktion der Großgrundbesitzer Guadeloupes ihr Ziel einer uneingeschränkten politischen Kontrolle der Kolonie erreicht zu haben, denn der Nachfolger des im Juli 1792 verstorbenen Clugny, René-Marie d’Arrot, machte keine Anstalten, dem Treiben der Pflanzer Einhalt zu gebieten. Auch auf Martinique waren die patriotes Saint-Pierres weitgehend isoliert, zumal die Kriegsmarine sie mit der Blockade des Hafens von der Außenwelt abschnitt43 . Doch die Pflanzer der beiden Kolonien hatten ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht. In Frankreich hatte sich die politische Lage durch den gescheiterten Fluchtversuch des Königs, den Sklavenaufstand auf Saint-Domingue sowie den drohenden Krieg gegen Österreich und Preußen dramatisch verändert: In den Straßen von Paris, dem Epizentrum der Revolution, protestierte die Bevölkerung, nachdem die Preise für Zucker und Kaffee im Zuge des Sklavenaufstandes von Saint-Domingue und durch Spekulationsgeschäfte in die Höhe geschnellt waren. Das kolonialpolitische Augenmerk der neugewählten Legislative galt daher in erster Linie Saint-Domingue. Von dort trafen immer besorgniserregendere Nachrichten über den Fortgang des Sklavenaufstands ein. Die Streitkräfte und Milizen erwiesen sich als unfähig, die Rebellion niederzuschlagen. Schlimmer noch: unter den zerstrittenen farbigen und weißen Eliten kam es auch angesichts des alles bedrohenden Sklavenaufstandes nicht zu einer Verständigung. In Paris machten sich zudem erste Zweifel an der politischen Loyalität führender Beamter in Saint-Domingue breit, nachdem diese zuerst die britischen Behörden in Jamaika um militärische Hilfe bei der Niederschlagung des Sklavenaufstandes gebeten hatten anstatt ihrer Vorgesetzten in Frankreich44 . Die Unruhen auf Martinique und Guadeloupe sowie die Autonomiebestrebungen ihrer Kolonialversammlungen waren ebenfalls

43 44

Ibid., S. 231f.; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 148–154. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 340f.

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alarmierende Anzeichen für den sich anbahnenden Zerfall des französischen Kolonialreiches. Die kritische Lage in Übersee erforderte deshalb ein entschlossenes Durchgreifen der Metropole45 . Die politischen Voraussetzungen dafür waren günstig, nachdem die Anhänger der Kolonialpartei in den Wahlen zur Nationalversammlung 1791 viele Mandate verloren hatten und politisch durch ihre Anhängerschaft zur konstitutionellen Monarchie ohnehin desavouiert dastanden. Demgegenüber gehörten zahlreiche Neugewählte der Société des amis des Noirs an. Unter ihnen war auch Jacques-Pierre Brissot de Warville, der in den folgenden Monaten zum Spiritus Rector der französischen Kolonialpolitik aufsteigen sollte. In den Augen Brissots mussten in den Kolonien die politischen Voraussetzungen einer erfolgreichen militärischen Verteidigung gegen äußere Gefahren geschaffen werden. Für Brissot, der seit Monaten die alliierte Erklärung von Pillnitz von August 1791 zum Anlass nahm, auf einen Präventivkrieg gegen Österreich und Preußen zu drängen, war es absehbar, dass sich auch Großbritannien und Spanien nicht lange aus einem Krieg gegen Frankreich heraushalten würden. Während die weißen Pflanzereliten zunehmend in Verdacht standen, Anhänger der Konterrevolution zu sein, gelang es den Vertretern der Société des amis des Noirs, die freien Farbigen als letztes Bollwerk gegen die aufständischen Sklaven darzustellen. Gemäß der Argumentation der Abolitionisten hätten die freien Farbigen ihre Fähigkeiten zur Bekämpfung von Sklavenrebellionen bereits durch ihren langjährigen Dienst in den kolonialen Milizen unter Beweis gestellt. Wenn die Regierung in Paris allen freien Farbigen das Bürgerrecht erteile, so die Abolitionisten, so könne man mit ihrer Hilfe den Sklavenaufstand niederschlagen. Wegen der Dringlichkeit der Lage war ein Großteil der Abgeordneten für diese Argumentation empfänglich, weshalb die Nationalversammlung am 28. März 1792 ein weitreichendes Gesetz erließ, das eine Vielzahl bisheriger Gesetze in kolonialen Fragen für nichtig erklärte und einen wichtigen Schritt hin zum Ende einer auf Segregation beruhenden Gesellschaft bedeutete: Alle Kolonial- und Munizipalversammlungen sollten aufgelöst und durch ein erweitertes Elektorat neu gewählt werden, dem fortan auch all jene freien Farbigen angehören sollten, welche die Zensusbestimmungen erfüllten. In alle amerikanischen Kolonien wurden Kommissare mitsamt Nationalgardisten entsandt, um die Umsetzung des Gesetzes zu überwachen. Sie verfügten über weitreichende Kompetenzen, um die anhaltenden Unruhen zu beenden. Zudem wurde den Kommissaren

45

Die folgende Darstellung der Ereignisse in Frankreich beruht auf: ibid., S. 375–386; Dubois, A Colony, S. 112f.; Blackburn, The Overthrow, S. 195–197; Popkin, You Are All Free, S. 44–46; Dorigny, Gainot, La Société, S. 48–50. Zu Brissots Werben für einen Präventivkrieg siehe Timothy C. W. Blanning, The Origins of the French Revolutionary Wars, London 3 1986, S. 80–119.

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aufgetragen, Beweise gegen die Hintermänner der Revolten zu sammeln und dem Comité des colonies vorzulegen. Die Metropole wollte mit diesen Maßnahmen ihre Autorität durchsetzen, nachdem sich ihre Repräsentanten zu willfährigen Komplizen der auf Autonomie sinnenden Kolonialversammlungen hatten degradieren lassen. Die Macht dieser widerspenstigen Gremien sollte gebrochen und die kolonialen Eliten zu einem Schulterschluss gezwungen werden, um die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verteidigung der Kolonien im bevorstehenden Krieg zu schaffen. Das Gesetz wurde schließlich am 4. April 1792 vom machtlosen Ludwig XVI. unterzeichnet. Nur etwas mehr als zwei Wochen später, am 20. April, folgte die französische Kriegserklärung an Österreich und Preußen. Bereits Ende Mai wurde das neue Gesetz in den Kolonien der Kleinen Antillen bekannt – freilich noch ohne die angekündigten 2000 Nationalgardisten und Kommissare aus Frankreich. Damit verschaffte die Metropole den aristocrates unfreiwillig Zeit, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Auf Guadeloupe hielt die Kolonialversammlung es für angezeigt, sich publikumswirksam dem Gesetz zu unterwerfen. Deshalb berief sie bereits Mitte Juli eine neue Kolonialversammlung ein, zu deren Wahl auch diejenigen freien Farbigen zugelassen waren, welche die Zensusbestimmungen erfüllten. Freilich wurde kein einziger von ihnen gewählt. Die Annahme des Gesetzes vom 4. April 1792 geschah keineswegs aus Überzeugung, sondern aus politischer Notwendigkeit. Die aristokratischen Plantagenbesitzer wollten um jeden Preis verhindern, dass Kommissare in die Kolonie entsandt wurden, die der Macht der Kolonialversammlung Einhalt gebieten konnten. Größte Sorgen bereitete den Plantagenbesitzern die Entsendung von Nationalgardisten aus der Metropole, die sich als Anhänger der Revolution mit den aufmüpfigen petits Blancs der Kolonie zu fraternisieren drohten. Zudem fürchteten sie – die Sklavenrevolution auf Saint-Domingue vor Augen – im Falle einer Ablehnung den endgültigen Abfall der freien Farbigen, der leicht in einen Sklavenaufstand münden konnte46 . Die Plantagenbesitzer Martiniques beurteilten die Situation ähnlich: Auf keinen Fall wollten sie metropolitane Truppen in der Kolonie sehen, die sich, wie während des Bürgerkriegs von 1790, mit den patriotes Saint-Pierres zu verbrüdern drohten. Zwar machten sie den freien Farbigen geringfügige Konzessionen, schlossen sie aber weiterhin von der Wahl der Kolonialversammlung aus. Selbst zahlreiche freie Farbige Martiniques waren gegen die Entsendung neuer Truppen aus Frankreich. Viele unter ihnen glaubten, dass ihr politisches Gewicht von ihrem Dienst in den Milizen herrührte, deren politische Bedeutung mit der Landung neuer Truppen abnehmen würde. Die Plantagenbesitzer Martiniques weigerten sich in der Folge, die Kolonialversammlung aufzulösen. In einem Schreiben an den Marine- und Kolonialminister wollten ihre Vertreter 46

Régent, Esclavage, S. 232; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 154.

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glaubhaft machen, dass die freien Farbigen bereits alle Rechte genössen, die ihnen das Gesetz vom 4. April 1792 eingeräumt hatte. Doch dieses Schreiben vermochte den Marine- und Kolonialminister Jean de Lacoste nicht mehr umzustimmen. Längst hatte die Führung in der Metropole jeden Glauben in die Beteuerungen der kolonialen Eliten verloren. Dies war unter anderem den Denunziationen der gescheiterten Kommissare geschuldet, welche die Nationalversammlung 1790 in die Kleinen Antillen entsandt hatte. Die Abgeordneten der Nationalversammlung ordneten deshalb ein Gerichtsverfahren gegen die Kolonialbeamten der Kleinen Antillen an47 . Die Nationalversammlung musste sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen, wen sie künftig mit der Kontrolle des Kolonialreichs in der östlichen Karibik betrauen sollte. Zum Generalgouverneur der französischen Kolonien in den Kleinen Antillen ernannte die Nationalversammlung Jean-MarieDonatien Vimeur de Rochambeau. Der 37-jährige Sohn des Marschalls Rochambeau, der sich während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs an der Seite La Fayettes einen Namen gemacht hatte, galt trotz seiner adligen Herkunft als loyaler Diener des neuen Regimes48 . Ihm untergeben war zum einen der neue Gouverneur Guadeloupes, Georges-Henri-Victor Collot, der unter Rochambeaus Vater im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gedient hatte49 . Zum anderen unterstand dem neuen Generalgouverneur Brigadegeneral Nicolas-Xavier de Ricard, der zum Gouverneur Saint Lucias ernannt wurde50 . Als die neue Kolonialadministration und die 2000 Soldaten schließlich am 10. August 1792 in Lorient in See stachen, wussten sie noch nichts vom Sturm auf die Tuilerien und dem Sturz Ludwigs XVI. gleichentags, welche das endgültige Ende der konstitutionellen Monarchie einläuteten und die Vertreter der Kolonialpartei unwiderruflich ins politische Abseits trieben51 . Die Expedition ging am 15. September 1792 bei Fort-Royal vor Anker. Doch die Kolonialversammlung verweigerte den neuen Repräsentanten der Metropole sowie ihren Truppen die Landung. Dubuc und seine Gehilfen hatten Generalgouverneur Béhague inzwischen faktisch entmachtet. Als Mallevaut, der Kapitän der Calypso, und die anderen Kommandanten der in der Bucht Fort-Royals vor Anker liegenden Kriegsschiffe ihre Kanonen gefechtsklar machten, entschied sich Kapitän Eustache Bruix, der Marinekommandant des Konvois aus Frankreich, aufgrund der Überlegenheit des ihm gegenüberstehenden Geschwaders, unverrichteter Dinge nach Saint47 48 49 50 51

Louis, Les libres, Bd. 2, S. 78–81; Cormack, Legitimate Authority, S. 14; Lémery, La Révolution, S. 107–109; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 2, S. 405. Popkin, You Are All Free, S. 109f.; Girard, The Slaves, S. 224f.; Elphège Boursin, Augustin Challamel, Dictionnaire de la Révolution française, Paris 1893, S. 725. Dictionnaire de biographie française, 21 Bde., Paris 1933–2013, Bd. 9, S. 307f. Georges Six, Dictionnaire biographique des généraux & amiraux français de la Révolution et de l’Empire (1792–1814), 2 Bde., Paris 1934, Bd. 2, S. 366f. Élisabeth, Gens de couleur, S. 92.

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Domingue zu segeln. Mallevaut und sein Geschwader verfolgten Bruix’ Flotte bis in die Gewässer um Guadeloupe, um zu verhindern, dass Rochambeaus Truppen in der Schwesterkolonie landeten52 . Auf Guadeloupe hatte sich die Situation mittlerweile entscheidend verändert. Am 24. September 1792 verbreitete die Besatzung eines britischen Handelsschiffs das Gerücht, dass 300 000 preußische und österreichische Soldaten in Paris einmarschiert seien und Ludwig XVI. mit allen seinen alten Machtbefugnissen wieder inthronisiert hätten. Nun gab es für die Pflanzer, die adligen Kolonialbeamten und die Offiziere der Kolonie kein Halten mehr. Freudig verbrannten sie die Trikolore und hissten die weiße Fahne der Bourbonen. Niemand fragte nach dem Wahrheitsgehalt der Nachrichten; die kolonialen Eliten waren nur zu gerne bereit, alles zu glauben, das darauf hindeutete, dass die Revolutionsregierung in Paris gestürzt worden sei. Als Mallevaut – auf der Suche nach dem Konvoi Rochambeaus – davon erfuhr, schloss er sich augenblicklich den Royalisten an und ließ auf den Schiffen seines Geschwaders ebenfalls die Lilienflagge hissen. Sein Geschwader nahm Kurs in Richtung Martinique, wo die Nachricht von der angeblichen Restituierung Ludwigs XVI. seitens der Kolonialversammlung ebenfalls mit Begeisterung aufgenommen wurde. Am 5. Oktober 1792 ließ Béhague auf Geheiß Dubucs auf den Forts der Kolonie die weiße Fahne des Königs hissen. Die Kolonialversammlung Martiniques erklärte daraufhin ihre Treue zum Monarchen53 . Damit waren die beiden Kolonien in der Hand aristokratischer Konterrevolutionäre, welche die Macht der Repräsentanten der Metropole – und damit auch jene der Krone – seit dem Beginn der Revolution systematisch unterminiert hatten. Einzig die Pflanzer Saint Lucias und Marie-Galantes blieben der Metropole treu54 . Der Anschluss Martiniques und Guadeloupes an die Kräfte der Konterrevolution musste eine Reaktion der Metropole nach sich ziehen, die es sich in Anbetracht eines immer näher rückenden Kriegsausbruches mit den Kolonialmächten Großbritannien und Spanien nicht leisten konnte, diese strategisch wichtigen Inseln kampflos preiszugeben. Dies erkannte auch Rochambeau in seinem Bericht über die Ereignisse in den Kleinen Antillen: Deux partis se présentent pour conquérir la Martinique ; celui de la douceur [et] celui de la force. On doit toujours beaucoup espérer des anciennes habitudes et des anciennes affections, on doit croire que les colons revenus de leur premier moment d’égarement reconnaîtraient facilement le caractère constitutionnel des commissaires civils et des Gouverneurs qui se présenteraient une seconde fois au Fort-Royal [. . . ] environnés de la seule confiance 52 53 54

Cormack, Legitimate Authority, S. 15; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 81f.; Lémery, La Révolution, S. 117f. Régent, Esclavage, S. 232f.; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 154–156; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 83; Lémery, La Révolution, S. 120f. Dano, Bref détail de ce qui s’est passé à Marie-Galante, depuis le commencement de la Révolution, jusqu’au moment de la déportation des citoyens de cette Île, 5.6.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 231; Cormack, Legitimate Authority, S. 19.

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qu’ils auraient dû inspirer, et du respect que les habitants de la Martinique auraient dû avoir pour les porteurs des Décrets du Corps législatif. Ils leur parleraient le langage de la raison, de la vérité, de l’amitié qui tient nécessairement les hommes soumis depuis longtemps au même Gouvernement, et je ne doute pas, un instant, que cette démarche simple et généreuse ne produise les plus heureux effets. Celui de la force ne doit être tenté selon moi qu’après avoir épuisé tous les moyens de conciliation. Si on veut adopter le parti de la rigueur, il faut préparer en France une force maritime considérable, y joindre un grand nombre de troupes de ligne ou de débarquement, envoyer cette expédition formidable au Fort-Royal [. . . ] afin d’en imposer par la pesanteur de sa masse, et ôter aux malveillants jusqu’à l’idée de la moindre résistance55 .

Noch bestand die Chance einer Versöhnung zwischen den Kolonien der Kleinen Antillen und ihrem Mutterland. Doch eines war klar: Wenn sich die Kolonialversammlungen nicht freiwillig der Republik unterwerfen sollten, dann würden die Entscheidungsträger in Paris nicht davor zurückschrecken, die Loyalität der Kolonien gewaltsam zu erzwingen.

Unter dem Banner der Konterrevolution, 1792–1793 Bereits am 8. Oktober 1792 erreichte die Nachricht von der Absetzung des Königs die Karibik, womit sich die Meldungen vom angeblichen Sieg Österreichs und Preußens als falsch herausstellten. Aber es gab kein Zurück mehr: Die Führungsriege der aristocrates hatte längst alle Brücken hinter sich abgebrannt. Die Kolonialversammlungen beider Inseln erließen Proskriptionslisten mit den Namen unliebsamer Personen aus dem Dunstkreis der verbliebenen patriotes, nachdem bereits hunderte in die benachbarten Inseln geflüchtet waren. Tausende Garnisonssoldaten, die 1790 mit Béhague in die Kolonien entsandt worden waren, ließ die Kolonialversammlung nach Frankreich zurückschicken, weil sie aufgrund ihrer Nähe zu den petits Blancs als politisch nicht mehr zuverlässig galten. Die Sicherheit der Kolonien lag damit ausschließlich in den Händen farbiger Milizen56 . Der stellvertretende Gouverneur Saint Lucias, Pierre Jacques Fulcrand de Laroque-Montel, zeigte sich in einem Brief an Rochambeau entsetzt über den Verrat der aristocrates Martiniques und Guadeloupes, nachdem sich der Gouverneur Saint Lucias, Gimat, auf eigene Faust der Konterrevolution angeschlossen hatte. Zudem befürchtete Laroque-Montel trotz der geringen Kräfte der Royalisten einen Angriff Béhagues auf Saint Lucia. Zwar hege er keine Zweifel an der Loyalität der Garnisonstruppen, doch verfüge er nur über eine Handvoll Soldaten, um die Kolonie zu verteidigen. Im Gegensatz zu Guadeloupe und Martinique stünden die freien Farbigen der Kolonie 55 56

Rochambeau an Monge, 24.10.1792, in: ANOM, C8A 99, fol. 134 (Hervorh. i. Orig.). Louis, Les libres, Bd. 2, S. 89f.; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 156f.

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überwiegend auf Seiten der patriotes, doch könnten die Royalisten unter den Pflanzern der Kolonie mit Unterstützung rechnen, wie Laroque-Montel warnend nachschob57 . In den kommenden Wochen sollte sich Castries, die Hauptstadt Saint Lucias, zu einem wichtigen Rückzugsort für die flüchtenden patriotes aus Martinique und Guadeloupe und damit zur letzten Bastion der Republik in der östlichen Karibik entwickeln58 . Um ihre Loyalität zur Republik zu demonstrieren, beschloss die Kolonialversammlung der Insel, sämtliche Ortsnamen dem revolutionären Sprachgebrauch anzupassen: So hieß beispielsweise Gros-Îlet fortan »La Révolution« und Choiseul wurde auf »La Tricolore« umgetauft. Die Kolonie wurde fortan Sainte-Lucie-la-Fidèle genannt59 . Hinter diesen Loyalitätsbekundungen verbargen sich handfeste wirtschaftliche Interessen der Kolonialversammlung, ermöglichte doch die royalistische Rebellion die ökonomische Loslösung Saint Lucias von der Stadt Saint-Pierre, unter deren ökonomischer Vorherrschaft die Kaufleute und Pflanzer der Kolonie stets gelitten hatten. Eintreffende Handelsschiffe aus Frankreich machten fortan nicht mehr in Martinique halt, sondern in Saint Lucia, was der darbenden Wirtschaft der Insel zugute kam. Damit wurde die Kolonie aber auch zur Zielscheibe jener Einheiten der Kriegsmarine, welche dem König treu geblieben waren. Immer wieder kreuzten die Kriegsschiffe vor der Küste Saint Lucias, kaperten die kleinen Schiffe des cabotage und störten so den Handel der Kolonie. Insbesondere für Mallevaut, den Kapitän der Calypso, hatte sich die Konterrevolution längst zu einem geeigneten Vorwand entwickelt, um sein Abgleiten in die Piraterie zu rechtfertigen, nachdem die Calypso in den Gewässern rund um Saint Lucia und Martinique wiederholt französische Handelsschiffe überfallen hatte60 . Solange die Anhänger der Republik und ihre Abgesandten auf Saint Lucia einen sicheren Hafen vorfanden, war der Erfolg der Konterrevolution in den Kleinen Antillen allerdings gefährdet. Bereits im Oktober 1792 zeigten sich erste Risse im Lager der Konterrevolutionäre, deren Herrschaft in den Städten der beiden Kolonien äußerst fragil blieb. Insbesondere die farbigen Milizen Saint-Pierres taten ihren Unmut über die geringfügigen Konzes57

58 59

60

Laroque-Montel an Rochambeau, 7.10.1792, in: ANOM, C10C 6. Zu Gimats Überlaufen vgl. Extrait des procès-verbaux de l’Assemblée coloniale de l’Île Ste-Lucie, 5.12.1792, in: ANOM, C10C 6. Dekret des Nationalkonvents, 21.6.1793, in: ADGB, 61J/10/181. Vgl. Extrait des procès-verbaux de l’Assemblée coloniale de l’Île Ste-Lucie, 7.12.1792, in: ANOM, C10C 6; Extrait des procès-verbaux de l’Assemblée coloniale de l’Île Ste-Luciela-Fidèle, 11.12.1792, in: ANOM, C10C 6. Extrait des procès-verbaux de l’Assemblée coloniale de l’Île Ste-Lucie, 5.12.1792, in: ANOM, C10C 6; Extraits du procès-verbal des Représentants de l’Île de Ste-Lucie, 13.12.1793, in: ANOM, C10C 6; Lacrosse an Monge, 12.1.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 166; Lacrosse an Monge, 16.1.1793, in: ANOM, C10C 6; Le Maire et les officiers municipaux de la Ville de Castries Île Ste-Lucie au Citoyen Lacrosse Capitaine de la frégate de la République, La Félicité, actuellement en relâche à Roseau Dominique, 10.12.1792, in: ANOM, C10C 6.

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sionen Béhagues und der aristokratischen Kolonialversammlung in einer Proklamation kund. Einer der Mitverfasser dieses Schreibens wurde von farbigen Milizionären aus Fort-Royal ermordet, einen weiteren ließen die Behörden foltern. Janvier Littée und Louis Delgrès, beides wohlhabende farbige Kaufmänner und Plantagenbesitzer aus Saint-Pierre, welche die Proklamation ebenfalls unterzeichnet hatten, konnten ihren Häschern durch die Flucht nach Dominica nur knapp entkommen. Dort sorgten sie gemäß Gouverneur Thomas Bruce mit ihren aufrührerischen Schriften für viel Unruhe61 . Daneben hielten die Flüchtlinge der beiden Kolonien eine Wahl ab, in der sie ihre Repräsentanten für die Nationalversammlung in Paris bestimmten. Die lediglich 209 wahlberechtigten Männer (darunter 36 freie Farbige) wählten neben dem bereits in Frankreich weilenden Dugommier den wohlhabenden Notar Élie-Louis Dupuch aus Basse-Terre, bei dem viele Pflanzer ausstehende Schulden hatten, und Jean-Pierre Lion, einen reichen Kaufmann aus Pointe-à-Pitre. Der Delegation gehörte auch Thyrus Pautrizel an, der Bürgermeister und Anführer der patriotes von Basse-Terre. Schließlich wählten die Flüchtlinge in Dominica auch Janvier Littée zu einem ihrer Repräsentanten, womit das erste Mal ein farbiger Mann in die französische Nationalversammlung gewählt wurde. Die Vertreter der beiden Inseln rekrutierten sich demnach vor allem aus der Kaufmannschaft und den freien Berufen der Städte, womit sich klar zeigt, dass die Auseinandersetzung zwischen patriotes und aristocrates vor allem ein Stadt-Land-Konflikt war. Dugommier war der einzige der Gewählten, der aus dem Pflanzermilieu stammte. Allerdings sollte er wegen seines Dienstes in den Revolutionsarmeen seine Funktion als Abgeordneter nie wahrnehmen62 . Auch wenn die Wahl unter obskuren Umständen erfolgt war, ihre langfristigen Konsequenzen waren für die kolonialen Eliten Martiniques und Guadeloupes gravierend, denn damit verloren sie auf Jahre hinaus die letzten Fürsprecher in Paris, die auf die Kolonialpolitik hätten Einfluss nehmen können. Stattdessen wurden die Kolonien in der Nationalversammlung von Abgeordneten vertreten, die wenig Gehör für die Probleme der Plantagenbesitzer hatten. Die Zeit drängte deshalb für die grands Blancs der beiden Kolonien, ihre Position zu festigen. Sobald in Frankreich bekannt würde, dass sich Martinique und Guadeloupe der Konterrevolution angeschlossen hatten, war über kurz oder lang mit einer Bestrafungsaktion zu rechnen. Es galt also, schnellstens Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, weshalb die aristocrates Schutz 61 62

Proklamation von Bruce, 18.1.1793, in: ANOM, C10D 3, fol. 137. Louis, Les libres, Bd. 2, S. 84–89 (Zitat S. 88); Dubois, A Colony, S. 119; Régent, Esclavage, S. 235f. Zu Dupuch vgl. Dictionnaire de biographie française, Bd. 12, S. 551. Zu Lion siehe Lacour, Histoire, Bd, 2, S. 110. Zu Dugommier vgl. Albert Soboul, JeanRené Suratteau, François Gendron (Hg.), Dictionnaire historique de la Révolution française, Paris 1989, S. 375.

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beim geostrategischen Erzfeind Frankreichs suchten: dem Britischen Empire. Die beiden Kolonialversammlungen entsandten Mitte Oktober Dubuc, den hochverschuldeten Drahtzieher der aristokratischen Autonomiebewegung Martiniques, sowie Baron Étienne Levelu de Clairefontaine, einen wohlhabenden Plantagenbesitzer aus Guadeloupe, nach London, um mit der britischen Regierung über eine Übergabe der beiden Inseln an britische Streitkräfte zu verhandeln. Im Januar 1793 trafen die beiden in London ein, wo sie auf Louis de Curt und Israël de Perpigna stießen, welche die beiden Kolonien bislang in der Konstituante vertreten hatten und nach dem Sturm auf die Tuilerien nach London emigriert waren63 . Bis Ende 1792 hatte sich die Regierung in London gegenüber Bitten von Pflanzern aus Saint-Domingue, in der krisengeschüttelten Insel zu intervenieren, zurückhaltend bis ablehnend gezeigt. Aus britischer Sicht bestand kein Grund, den Niedergang des größten Rivalen in Übersee aufzuhalten. Vielmehr sah das Kabinett William Pitts (des Jüngeren) die Krise in SaintDomingue als Chance für die britische Zuckerwirtschaft, die ihre Produkte wegen des Ausfalls der französischen Konkurrenz zu höheren Preisen verkaufen konnte. Zudem spielte die Sklavenrebellion den Vertretern des West India Interest die besten Argumente in die Hände, um gegen die Politkampagne der Abolitionisten rund um William Wilberforce vorzugehen64 . Nachdem französische Truppen die österreichischen Niederlande besetzt und die Schelde geöffnet hatten, wurde im Winter 1792/93 ein Kriegsausbruch zwischen Frankreich und Großbritannien immer wahrscheinlicher. Für die britische Regierung gewannen deshalb die Hilfegesuche der französischen Pflanzer auf einen Schlag an Interesse, plante sie doch unter der Führung von Innenminister Henry Dundas65 , den bevorstehenden Krieg für eine massive Offensive gegen das französische Kolonialreich zu nutzen. Schließlich hatte sich die Finanzindustrie der Londoner City binnen weniger Jahre nach Ausbruch der Französischen Revolution zu einem wichtigen Geldgeber für französische Pflanzer in Übersee aufgeschwungen. Wollte die Londoner Regierung diese Investitionen schützen, musste sie fast zwangsläufig im französischen Kolonialreich militärisch intervenieren66 . Noch bevor Dubuc und Clairefontaine in London eintrafen, nahm Louis de Curt mit dem britischen Handelsminister Charles Jenkinson, Baron Hawkesbury (ab 1796 Earl of Liverpool), Verhandlungen auf. Curt besaß mehrere Plantagen auf Guadeloupe und Saint-Domingue. Er pflegte gute

63 64 65 66

Régent, Esclavage, S. 247; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 90. Wagner, England, S. 238f. Während der Koalitionskriege war die Verwaltung der meisten Kolonien Großbritanniens dem Innenministerium unterstellt. Cheney, Cul de Sac, S. 204–206. Zur Bedeutung der Londoner City für den britischen Imperialismus siehe Peter J. Cain, Anthony G. Hopkins, British Imperialism 1688–2000, London 2 2002.

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Beziehungen zur Londoner City und betrachtete sich »in all respects«67 als Engländer. Curt ersuchte Hawkesbury, Martinique und Guadeloupe unter britische Protektion zu stellen, und bat um seine Naturalisation zu einem Untertanen Georgs III. Die Pflanzer der beiden Kolonien seien unter keinen Umständen mehr bereit, der Republik zu dienen, wie Dubuc und Clairefontaine anmerkten, die mittlerweile zu den Verhandlungen gestoßen waren. Doch solange der Krieg nicht ausgebrochen war, konnte Hawkesbury den Vertretern Martiniques und Guadeloupes keine Zusagen geben. Dies lag auch an der Forderung Dubucs und Clairefontaines, die beiden Kolonien seien unter französische Herrschaft zu stellen, sobald die Bourbonenmonarchie in Frankreich wiederhergestellt worden sei. Diese Bedingung war für die britische Regierung nicht hinnehmbar. Freilich diente sie den drei Deputierten nur der Gesichtswahrung, nachdem Ludwig XVI. nur wenige Wochen zuvor, am 21. Januar 1793, in Paris guillotiniert worden war. Sie rechneten nicht mit einer Rückkehr der Bourbonen, sondern glaubten, dass Frankreich auf viele Jahre der Anarchie verfallen würde68 . Anfang Februar 1793 kam erneut Bewegung in die stockenden Verhandlungen, nachdem die französische Regierung Großbritannien den Krieg erklärt hatte. Dundas sicherte am 19. Februar 1793 den Verhandlungsführern von den Kleinen Antillen zu, britische Truppen in die Karibik zu entsenden, welche Martinique und Guadeloupe im Namen König Georgs III. bis zur Rückkehr der Bourbonen und der Rückgabe aller von französischen Truppen okkupierten Kolonien Großbritanniens besetzen würden. Die britische Regierung gewährte den beiden Kolonien überdies weitgehende Selbstverwaltung, die Achtung des katholischen Glaubens, die Beibehaltung französischen Rechts sowie ein zeitlich befristetes Freihandelsregime. Im Gegenzug hatten die Emissäre dafür zu sorgen, dass die Kolonien sich den britischen Streitkräften kampflos unterstellten69 . Damit standen Dubuc und Clairefontaine ihrerseits in der Pflicht, die politischen und militärischen Voraussetzungen für eine reibungslose Machtübernahme zu schaffen. Die beiden Deputierten konnten zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass dies nicht einfach werden würde. Wenig später traf die britische Regierung mit Pierre-Victor Malouet, dem einflussreichen Vertreter der Pflanzer Saint-Domingues, ein ähnliches Übereinkommen, das aber keine Rückgabe der Kolonie im Falle einer Rückkehr der Bourbonen an die Macht vorsah70 .

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Zit. nach: Wagner, England, S. 240. Ibid., S. 240f. Ibid.; Geggus, Slavery, S. 59; Minutes of Conference, 11.1.1793, in: BL, Add. MSS. 38352/126; Dundas an Dubuc/Curt/Clairefontaine (Kopie), 19.2.1793, in: ANOM, EE 749/25, fol. 181. Geggus, Slavery, S. 56–64; Friedemann Pestel, Kosmopoliten wider Willen. Die »monarchiens« als Revolutionsemigranten, Berlin 2015 (Pariser Historische Studien, 104), S. 261–265.

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Was trieb die kolonialen Eliten Martiniques und Guadeloupes in die Arme des Britischen Empires? Weshalb gaben sie sich urplötzlich als loyale Anhänger der Monarchie, obwohl ihnen die Regierung Ludwigs XVI. am Ende des Ancien Régime weder Mitspracherechte noch eine Lockerung des merkantilistischen Wirtschaftsregimes in Aussicht gestellt hatte? Zweifellos war die Gleichstellung der freien Farbigen im Gesetz vom 4. April 1792 ein entscheidender politischer Wendepunkt, illustrierte sie doch, dass die Koloniallobby unter der Führung Barnaves nicht mehr ihre Interessen durchzusetzen vermochte, nachdem sie sich auf Gedeih und Verderb mit der zum Scheitern verurteilten konstitutionellen Monarchie verbandelt hatte. Stattdessen lag die Kolonialpolitik seit März 1792 in den Händen Brissots und seiner Anhänger, die Mitglieder der Société des amis des Noirs waren. Die Forschung ist im Hinblick auf die Kleinen Antillen deshalb ausnahmslos der These Anne PérotinDumons gefolgt, wonach das Hilfegesuch an die britische Regierung von der Furcht einer Revolution »faite par les philanthropes«71 geleitet gewesen sei72 . An dieser Argumentation ist einiges problematisch. Zwar waren der Machtzerfall der Koloniallobby und das gleichzeitige Erstarken der Abolitionisten in Paris für die Pflanzer Martiniques und Guadeloupes besorgniserregend. Doch die Hintergründe des Hilfegesuchs an die britische Regierung waren weit vielschichtiger: Eine wichtige Ursache war sicherlich der Sturz des Königs. So soll Dubuc bei der Ankunft von Rochambeaus Geschwader im September 1792 auf die Frage Béhagues, ob der Kolonialversammlung bewusst sei, dass sie gegen Frankreich rebelliere, dem Gouverneur wutentbrannt entgegnet haben: »Nous ne rebellons point contre la France, Monsieur, [. . . ] nous refusons d’obéir à des scélérats qui ont usurpé le pouvoir et porté une main criminelle sur notre souverain légitime«73 . Gerade für die adligen Plantagenbesitzer war das Ende der Monarchie eine einschneidende Zäsur und ein wichtiger Grund, sich von Frankreich loszusagen: Sie schuldeten ihrem Lehensherrn Gefolgschaft, nicht der französischen Nation. Nach dem Sturz Ludwigs XVI. und seiner späteren Guillotinierung sahen sie sich frei jeglicher Verpflichtung gegenüber der französischen Metropole und dazu ermächtigt, mit den Feinden der Republik zu konspirieren, welche die Macht des Königs usurpiert habe74 . Doch die angebliche Treue der Pflanzer zu Ludwig XVI. kaschierte im Grunde die tieferliegenden politischen und ökonomischen Ursachen für die Loslösung der Kolonien von Frankreich. Die »prétendue République«75 entbehrte in den Augen der Pflanzer jeder Legitimität, wie bereits in Dubucs Begründung der Rebellion deutlich wurde. Die neue 71 72 73 74 75

Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 156. Régent, Esclavage, S. 233; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 82f. Zit. nach: Lémery, La Révolution, S. 117. Geggus, Slavery, S. 57. Dundas an Dubuc/Curt/Clairefontaine (Kopie), 19.2.1793, in: ANOM, EE 749/25, fol. 181.

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Regierung in Frankreich war faktisch ein Spielball der Pariser Unterschichten, die in den gefürchteten petits Blancs der beiden Kolonien ihr Pendant fanden76 . Es war deshalb anzunehmen, dass sich die neue Regierung in Paris auf die Seite der patriotes der Städte Martiniques und Guadeloupes schlagen würde, die nach der vergangenen Proskriptionswelle auf Rache sannen. Nationalgardisten aus Frankreich würden sich zudem mit Sicherheit mit den petits Blancs der Hafenstädte fraternisieren und – wie während des Bürgerkriegs 1790 – einen Aufstand gegen die aristocrates vom Zaun brechen. Dies gab auch Perpigna zu bedenken, der mit Curt, Dubuc und Clairefontaine in London weilte: Les Îles [. . . ] n’ont qu’un parti à prendre, celui de résister à une Assemblée qui bafoue les pouvoirs du Roi. L’Assemblée coloniale doit repousser de terre quiconque s’en réclamant, avec l’aide des grenadiers des régiments et des équipages des vaisseaux du Roi fidèles. Les gardes nationales ont été choisies parmi ce qu’il y a de plus révolutionnaire en France. . . Si elles débarquent à la Martinique, c’en est fait des propriétés et des familles77 .

Neben der Furcht vor aufrührerischen Nationalgardisten trieben die Verhandlungsführer in London mögliche weitere Einmischungen der Metropole in die inneren Angelegenheiten der Kolonien um. Klar sahen sie die Gefahr vor Augen, dass die Regierung in Paris ihre Autorität notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen gedachte. Hier bot das Britische Empire eine willkommene Alternative, eilte doch der Regierung in London der Ruf voraus, sich kaum in die inneren Angelegenheiten ihrer westindischen Kolonien einzumischen78 . Es ist bezeichnend, dass die Frage nach den Rechten der freien Farbigen in den Verhandlungen mit der britischen Regierung kaum zur Debatte stand. Nur vage wurde die Möglichkeit weiterer Einmischungen der Pariser Metropole in die inneren Angelegenheiten der Kolonien diskutiert79 . Auch wenn das Wahlrecht für freie Farbige die auf Segregation beruhende Gesellschaftsordnung zu unterminieren drohte, deutet einiges darauf hin, dass ein Zensuswahlrecht der freien Farbigen beider Kolonien für viele Pflanzer der aristokratischen Führungsriege wie Dubuc hinnehmbar gewesen wäre. Die meisten der freien Farbigen waren durch Klientelbeziehungen ohnehin mit der aristokratischen Fraktion verbunden und das Zensuswahlrecht hätte nur einer verschwindend kleinen Zahl aus ihren Reihen Zugang zur Kolonialversammlung ermöglicht. Bereits während den revolutionären Unruhen der vergangenen Jahre hatte sich die Pflanzerfraktion in dieser Frage immer dann kompromissbereit gezeigt, wenn ihr das Wasser bis zum Hals stand und andernfalls ein politischer Sieg der patriotes gedroht hätte80 . 76 77 78 79 80

Zu den politischen Umwälzungen in Frankreich siehe William Doyle, The Oxford History of the French Revolution, Oxford 2 2002, S. 189f. Zit. nach: Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 155. Murray, The West Indies, S. 1–31. Dundas an Dubuc/Curt/Clairefontaine (Kopie), 19.2.1793, in: ANOM, EE 749/25, fol. 181; Privy Council Meeting, 6.1.1794, in: BL, Add. MSS. 38377/1. Vgl. Lémery, La Révolution, S. 121.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

Das Gesetz vom 4. April 1792 war deshalb weniger wegen der Emanzipation der freien Farbigen eine Bedrohung für die kolonialen Eliten, sondern vielmehr aus prinzipiellen Gründen. Die mit umfangreichen Vollmachten ausgestatteten Abgesandten der Metropole drohten, der Macht der Kolonialversammlungen klare Grenzen zu setzen, zumal sie auch ermächtigt waren, den Willen der Metropole notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Damit gefährdete die neue Regierung in Paris auf einen Schlag die gesamte Machtbasis, die sich die Pflanzer seit 1789 erarbeitet hatten, als sie die Kolonialregierung erfolgreich zum ausführenden Organ ihres politischen Willens degradiert hatten. Ein weiterer Faktor dürfte die Drahtzieher der Abspaltung von Frankreich bewogen haben, auf die britische Karte zu setzen: Weil sich die Spitze der Kolonialverwaltung rund um Béhague und Arrot mit dem Gesetz vom 2. Juli 1792 vor der Nationalversammlung zu verantworten hatte, war absehbar, dass auch die Führungsriege der beiden Kolonialversammlungen rund um Dubuc bald den Verantwortlichen in Paris Rede und Antwort stehen musste81 . Welchen Ausgang ein solches Verfahren nehmen würde, war in Anbetracht der volatilen Lage in Paris völlig ungewiss. Erschwerend kam hinzu, dass in Frankreich die Kaufmannseliten der Hafenstädte auf Gedeih und Verderb an das Schicksal der Revolution gebunden waren, weil die Brüder Ludwigs XVI. angekündigt hatten, im Falle eines Sieges der Konterrevolution den Verkauf der Nationalgüter rückgängig zu machen. Letztere hatten sich zu einem gewinnträchtigen Spekulationsobjekt der großen Handelshäuser aus den Küstenstädten entwickelt, nachdem die Gewinne aus dem Überseehandel im Zuge der Sklavenrevolution in Saint-Domingue eingebrochen waren. Die Regierung in Paris war ihrerseits auf die Unterstützung der Kaufmannseliten angewiesen, um nicht die Kontrolle über die Küstenstädte zu verlieren, die im bevorstehenden Krieg gegen Großbritannien leicht als Einfallstor genutzt werden konnten82 . Unter diesen Umständen war absehbar, dass sich die Hoffnungen der Pflanzer Martiniques und Guadeloupes auf eine Lockerung oder gar Aufhebung des merkantilistischen Systems unter der Revolutionsregierung nicht erfüllen würden. Doch genau dies war seit langem das Hauptanliegen der Plantagenbesitzer. Der britische Überseehandel bot demgegenüber der französischen Konkurrenz entscheidende ökonomische Vorteile, welche die französischen Kolonisten auszunutzen gedachten. Insbesondere hofften sie, durch ihren qualitativ besseren Zucker die britische Konkurrenz vom Markt zu verdrängen. Zudem konnten die Pflanzer Martiniques und Guadeloupes in Anbetracht des nahenden Kriegs auf eine Aufhebung der britischen navigation laws – des merkantilistischen Handelsregimes innerhalb des Britischen

81 82

Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 163. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 376.

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Empires – hoffen, so dass sie in Genuss des Freihandelsregimes kämen, das sie schon so lange angestrebt hatten. Die vereinbarte Öffnung der Häfen für die US-amerikanische Handelsschifffahrt in den ersten acht Monaten nach Inbesitznahme der Kolonien durch britische Truppen war ein erster Schritt in diese Richtung. Es war absehbar, dass lokale Kolonialbeamte diese Maßnahme wegen des Kriegs verlängern würden83 . Die Bedeutung dieser ökonomischen Motive unterstreichen auch die Gesprächsprotokolle zwischen Curt und dem britischen Kabinett zu Beginn des Jahres 1794, in dem sich der Verhandlungsführer der Kolonisten ausführlich über die Weigerung der französischen Nationalversammlung beschwerte, den exclusif mitigé aufzuweichen oder gar gänzlich aufzuheben84 . Auch die Schuldbefreiung, die mit der britischen Besatzung einherging, war für viele Plantagenbesitzer eine verlockende Aussicht, denn die Verschuldung drohte viele in den Ruin zu treiben. Zahlreiche Zeitgenossen machten deshalb in der Schuldbefreiung das entscheidende Motiv aus. Insbesondere Dubuc, der Drahtzieher der Abspaltung Martiniques vom Mutterland, war über beide Ohren verschuldet und gab sich nur deshalb als treuer Anhänger der Bourbonen, um sich seiner Schulden entledigen zu können, wie Rochambeau in einem Memorandum schrieb85 . Doch Dubucs Situation war kniffliger, als der Gouverneur glaubte. Einen Großteil seiner Schulden, rund 1,7 Millionen Livre, hatte Dubucs Familie bei der französischen Krone gemacht. Dubuc konnte also gar kein Interesse an der Rückkehr der Bourbonen haben, hätte dies doch seinen Ruin bedeutet. Ihm blieb deshalb nichts anderes übrig, als alles auf die britische Karte zu setzen86 . David P. Geggus hat eingewendet, dass das damalige Recht den Schuldnern weitreichenden Schutz vor dem Zugriff ihrer Kreditoren gewährte und das Schuldenmachen Teil eines nonchalanten adeligen Lebensstils gewesen sei. Es sei deshalb irreführend, die Abspaltungsbewegungen im französischen Kolonialreich als versteckte Schuldnerrevolution zu deuten87 . Das ist zweifellos richtig, dennoch war die Schuldbefreiung für viele Plantagenbesitzer zumindest ein höchst willkommener Nebeneffekt, den eine britische Okkupation der Inseln mit sich bringen würde88 .

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Dundas an Dubuc/Curt/Clairefontaine (Kopie), 19.2.1793, in: ANOM, EE 749/25, fol. 181. Privy Council Meeting, 6.1.1794, in: BL, Add. MSS. 38377/1. Vgl. auch Pestel, Kosmopoliten, S. 265. Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2. Siehe auch Grandmaison an Commission des Colonies, 22.10.1794, in: ANPS, XXV/119/931, fol. 1; Rapport du Citoyen Leborgne, présenté à la société des Amis de la Convention nationale & de la République, réunis au Fort-de-la-République & à St-Pierre, 6.4.1793, in: ANPS, DXXV/123/973; Lacrosse, Aux Citoyens composant le tribunal de commerce, [?].8.1793, in: SHD/FM/BB4/23, fol. 75. May, Précisions, S. 81–84. Geggus, Slavery, S. 50. Boyer l’Étang, Mémoire relatif à la Guadeloupe, 19.11.1796, in: ADGB, 61J/35.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

Was bleibt also von der These Pérotin-Dumons, die Pflanzer hätten sich aus Furcht vor den Philanthropen in Paris auf die Seite der Briten geschlagen? Die unterschwellige Angst, dass sich die radikalsten Vertreter unter den Abolitionisten durchsetzen würden, spielte zweifellos eine Rolle, zumal die Nachrichten aus Saint-Domingue immer besorgniserregender wurden. Im rapiden Zerfall der kolonialen Ordnung in der einstigen Perle der Antillen sahen die Pflanzer Martiniques und Guadeloupes nicht zuletzt ein Versagen der Metropole, die unfähig schien, die Lage in den Griff zu bekommen. Viele vermuteten gar, dass die Regierung in Paris selbst hinter dem Sklavenaufstand stünde. Im Meinungsbildungsprozess der Pflanzer spielten nicht zuletzt kaum überprüfbare Gerüchte über die Ausmaße der Sklavenrevolte eine entscheidende Rolle89 . Die Furcht der Pflanzer vor »den Philanthropen« spielte also durchaus mit – sie war aber äußerst diffus und sie erklärt nicht, weshalb sich die Pflanzer ausgerechnet an die britische Regierung in London wandten, wo die Abolitionisten unter William Wilberforce ein bedeutender innenpolitischer Faktor waren90 , und nicht etwa an den spanischen König Karl IV. – seines Zeichens ebenfalls ein Bourbone. Problematisch wird die Argumentation insbesondere dann, wenn suggeriert wird, dass die Eliten der beiden Kolonien in weiser Vorausahnung bereits Ende 1792 der im Februar 1794 dekretierten Abschaffung der Sklaverei hätten zuvorkommen wollen91 . Das Abolitionsdekret lag Ende 1792 noch in weiter Ferne und es war keineswegs absehbar, wohin der Weg führen würde, zumal sich ja die meisten Abolitionisten lediglich für eine graduelle Abschaffung der Sklaverei einsetzten. Die plötzliche Bereitschaft der britischen Regierung im Februar 1793, sich auf die Bedingungen der Deputierten Martiniques und Guadeloupes einzulassen, rührte auch daher, dass sich die Lage in den Kleinen Antillen in der Zwischenzeit erneut entscheidend verändert hatte. Anfang Februar erreichte London die Nachricht, dass es den republikanischen Kräften wider Erwarten gelungen war, die Kontrolle über die beiden Kolonien wiederherzustellen und die royalistischen Offiziere sowie führende Mitglieder der aristokratischen Kolonialversammlungen zur Flucht zu zwingen. Umso dringender schien die rasche Besetzung der beiden Kolonien92 .

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Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 153f. Vgl. dazu Seymour Drescher, Econocide. British Slavery in the Era of Abolition, Pittsburgh 2 2010. So etwa Armand Nicolas, Histoire de la Martinique, 3 Bde., Paris 1998–1999, Bd. 1, S. 268; Daney, Histoire, Bd. 5, S. 293. Wagner, England, S. 241.

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Lacrosse und der Kampf der »patriotes« Als die neue Regierung in Paris im Oktober 1792 eine Expedition vorbereitete, welche die karibischen Kolonien über das Ende der konstitutionellen Monarchie informieren sollte, wusste sie noch nichts vom konterrevolutionären Umsturz in den Kleinen Antillen. Das Prinzip der Einheit und Unteilbarkeit der neuen Republik musste daher zwangsläufig mit der politischen Realität in Übersee kollidieren93 . Die neuen Machthaber in Paris waren nicht bereit, die Autonomiebestrebungen der Kolonien weiter hinzunehmen, weshalb 2400 Nationalgardisten sowie sechs Fregatten und das schwere Linienschiff Républicain (110) unter dem Kommando von Konteradmiral Justin Bonaventure Morard de Galles in die Kleinen Antillen entsandt werden sollten, um der Autorität der Metropole Nachdruck zu verleihen. Am 24. Oktober 1792 verließ die Fregatte Félicité (34) unter dem Befehl von Kapitän JeanBaptiste Raymond Lacrosse als Vorauskommando Brest94 . Der 32-jährige Lacrosse war einer der wenigen adligen Marineoffiziere, die nach Ausbruch der Revolution auf den Gang ins Exil verzichtet und deshalb rasch Karriere gemacht hatten95 . Der neue Marine- und Kolonialminister Gaspard Monge, ein begeisterter Jakobiner und berühmter Physiker aus Beaune, wies Lacrosse an, »[de] répandre [. . . ] des écrits patriotiques et y employer tous les moyens d’instructions et de persuasion propres à attacher les colons à la République«, und zu verhindern, dass »les citoyens de différentes couleurs ne soient égarés sur les événements qui ont consolidé la liberté française«96 . Am 1. Dezember 1792 ging die Félicité bei Saint-Pierre vor Anker. Die Offiziere des Kriegsschiffes trauten ihren Augen nicht, als sie die weiße Fahne der Bourbonen über dem Fort der Stadt flattern sahen. Lacrosse versuchte vergeblich, mit Béhague in Kontakt zu treten. Der Kapitän der Félicité hielt es daher für besser, nach Dominica weiter zu segeln, wo er tags darauf auf zahlreiche aus Martinique und Guadeloupe geflüchtete patriotes traf. Der Gouverneur Dominicas, Thomas Bruce, befürchtete, dass die Ankunft von Lacrosse zu noch mehr Unruhe in der Stadt führen könnte, wie er Innenminister Dundas schrieb: »All the streets and bays were crowded with the French [. . . ] with republican cockades, and numbers with national regimentals, making use of the most shameful language against any monarchical government, in the taverns and in the streets in a most daring manner«. Bruce entschloss sich deshalb,

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Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 163. Jules Saintoyant, La colonisation française pendant la Révolution (1789–1799), 2 Bde., Paris 1930, Bd. 2, S. 214f.; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 163; Lémery, La Révolution, S. 127. Zu Lacrosse siehe Jean Tulard (Hg.), Dictionnaire Napoléon, 2 Bde., Paris 1999, Bd. 2, S. 127; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 168f. Alle Zitate aus Louis, Les libres, Bd. 2, S. 92.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

Lacrosse und die Unruhestifter aus der Kolonie zu verweisen97 . Rund 50 Freiwillige aus Dominica, darunter der farbige Kaufmann und Plantagenbesitzer Louis Delgrès, schlossen sich daraufhin Lacrosse an. Die Félicité setzte sich danach nach Saint Lucia ab, wo Lacrosse wenige Tage später euphorisch empfangen wurde. In der Folge wurden die Kolonialversammlung, die Munizipalversammlungen und die Gerichte der Insel gemäß den Bestimmungen des Gesetzes vom 4. April 1792 neu bestellt. Die Güter der émigrés ließ Lacrosse beschlagnahmen und Nationalgarden einberufen, die vor allem der Kontrolle jener Gemeinden dienten, die verdächtigt wurden, mit den Konterrevolutionären Martiniques unter einer Decke zu stecken98 . Saint Lucia wurde so zur logistischen Basis für Lacrosse und zum Sammelpunkt für über 2000 aus Martinique und Guadeloupe vertriebene patriotes99 . Lacrosse begann in der Folge einen Propagandakrieg gegen die Konterrevolutionäre. Bereits am 4. Dezember 1792 veröffentlichte er unter dem Titel »Le dernier moyen de conciliation entre la mère patrie et les colonies révoltées« folgende Proklamation, die sich in Windeseile im Archipel verbreitete: Frères & amis, que je vous porte peut-être pour la dernière fois les paroles de paix d’une PATRIE qui pardonnera votre erreur, si vous vous jetez promptement dans ses bras, mais qui forte & puissante, punira votre rébellion par les exemples les plus sévères. [. . . ] Revenez, il en est temps encore; qu’avant l’arrivée des forces de France qui me suivent, le vaisseau Le Républicain de 110 canons & six frégates, votre retour à la mère-patrie annonce que vous avez été constamment trompés par les vils agents du pouvoir exécutif, n’attendez pas que la force nationale vous subjugue. Il n’est plus possible de pardonner à des rebelles vaincus. [. . . ] Mettez bas l’étendard honteux du despotisme, saisissez les coupables instigateurs, les chefs de la révolte, assurez-vous-en, la loi vous le commande. [. . . ] Revenus de vos préventions funestes, sur les intentions de la France entière, vos propriétés sont comme les nôtres sous la sauvegarde de la nation. Jamais il n’entra dans le plan du gouvernement de les détruire, en attaquant vos propriétés pensantes; ceux qui vous l’ont dit vous trompent & nous calomnient. [. . . ] Au premier coup de canon que la France va tirer contre vous: ne craignez-vous pas que vos ateliers se dispersent? Attaqués au dehors & menacés au dedans, quels seront vos moyens de résistance100 ?

Damit versuchte Lacrosse nicht nur den Gerüchten Einhalt zu gebieten, wonach die Abschaffung der Sklaverei kurz bevorstehe, sondern machte auch unmissverständlich klar, dass die Abgesandten der Metropole bereit waren, die Loyalität der Kolonien zur Republik notfalls gewaltsam zu erzwingen. Diese geschickte Mischung von durchaus ernst gemeinten Versprechungen und Drohungen verfehlte ihre Wirkung nicht. Verzweifelt versuchte die Kolonial97 98

99 100

Bruce an Dundas, 21.12.1792, zit. nach: Michael Craton, Testing the Chains. Resistance to Slavery in the British West Indies, Ithaca, NY 1982, S. 226. Vgl. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 164f.; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 94; Cormack, Legitimate Authority, S. 20f.; Laroque-Montel an Monge, 22.12.1792, in: ANOM, C10C 6. Extrait d’une lettre du Capitaine Lacrosse écrite à Bord de la Félicité au Rade de Félicité ci-devant Castries Île Ste-Lucie-la-Fidèle, 20.12.1792, in: ANOM, C10C 6. Proklamation von Lacrosse, 4.12.1792, in: ANOM, C10C 6 (Hervorh. i. Orig.).

2. Revolution und Konterrevolution in den Kleinen Antillen

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versammlung Guadeloupes, der Verbreitung der Flugschriften aus Saint Lucia und Dominica Einhalt zu gebieten, »[qui] travaillent les âmes faibles, et séduisent surtout la classe superstitieuse de ces mêmes gens de couleur«101 . Am 7. Dezember 1792 erklärte sich die Munizipalversammlung Pointe-àPitres im Konflikt zwischen Lacrosse und den Anhängern der Konterrevolution für neutral. Nur elf Tage später kam es in der Hafenstadt zu einem Aufstand freier Farbiger aus dem Handwerkermilieu, Garnisonssoldaten und Matrosen der vor Anker liegenden Handelsschiffe, die sich zur Republik bekannten. Es vermag kaum zu erstaunen, dass die Rebellion gegen die Konterrevolutionäre ausgerechnet die bis dahin verfeindeten weißen und farbigen Unterschichten der Stadt zusammenschweißte. Die Aristokraten hatten wenig getan, um die freien Farbigen, insbesondere jene der beiden Städte, für sich zu gewinnen102 . Den Aufstand aber nur der Unzufriedenheit städtischer freier Farbiger anzulasten, wie dies Frédéric Régent nahelegt, würde der Komplexität dieser republikanischen Bewegung nicht gerecht. Zum einen spielten die rund 500 Matrosen der vor Anker liegenden Handelsschiffe eine entscheidende Rolle in der Revolte. Deren Unzufriedenheit rührte vor allem vom politischen Opportunismus ihrer Vorgesetzten her, die trotz der politischen Spaltung nach wie vor mit den Plantagenbesitzern der Kolonie Handel trieben103 . Die Matrosen der vor Anker liegenden Handelsschiffe waren daher schnell bereit, die Trikolore zu hissen und sich den aufständischen freien Farbigen anzuschließen. Zum anderen ist auch die Rolle der Garnisonssoldaten Pointe-à-Pitres zu beachten, die nicht mehr bereit waren, ihren royalistischen Offizieren zu gehorchen.104 . Den verschiedenen Gruppen von Rebellen war schließlich die Furcht gemeinsam, auf der falschen Seite zu stehen, wenn das von Lacrosse angekündigte Geschwader die Kleinen Antillen erreichen sollte105 . Der royalistische Gouverneur Guadeloupes, Arrot, forderte derweil die republikanischen Kräfte Pointe-à-Pitres auf, unverzüglich die Waffen niederzulegen und drohte, die Revolte andernfalls gewaltsam niederzuschlagen. Einen Vermittlungsversuch beantwortete Arrot kurzerhand mit der Gefangennahme der republikanischen Emissäre. Doch der Gouverneur bluffte: Er hatte nur eine Handvoll weißer und farbiger Milizionäre sowie einige wenige bewaffnete Sklaven unter seinem Kommando. Zudem verfügte er über keine Artillerie, weshalb die Artilleristen der Aufständischen den ungeschützten Sammlungsort der Royalisten nahe Petit-Bourg ohne Gegenwehr unter Beschuss nehmen konnten. Die royalistischen Milizen ergriffen daraufhin

101 102 103 104 105

Zit. nach: Régent, Esclavage, S. 237. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 166f.; Régent, Esclavage, S. 237; Élisabeth, La République, S. 384. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 166, Anm. 15. Extrait d’une lettre de la Basse-Terre Guadeloupe écrite à Mr de Ville, 29.12.1792, in: ANOM, C7A 46, fol. 6; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 414. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 128.

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die Flucht und versuchten, die Insel so rasch wie möglich zu verlassen. Als endlich die royalistischen Kriegsschiffe Calypso und Maréchal de Castries vor Pointe-à-Pitre aufkreuzten, war es schon zu spät. Die Artilleristen der Rebellen beschossen die beiden Schiffe von mehreren Seiten und verwehrten ihnen so den Zugang zum Hafen106 . Das klägliche Scheitern Arrots löste unter den Royalisten Guadeloupes Panik aus. Der Gouverneur und viele seiner Offiziere setzten sich in Richtung Trinidad ab. Auch zahlreiche Pflanzer flüchteten mitsamt ihrem Hab und Gut sowie ihren Sklaven von der Insel, nachdem sich auch Basse-Terre am 4. Januar 1793 der Republik unterworfen hatte107 . Die Ereignisse auf Guadeloupe blieben auf Martinique nicht folgenlos. Zwar gewährte die Kolonialversammlung in der Folge den freien Farbigen hastig einige minimale Konzessionen, doch die Drohung von Lacrosse und die Verhandlungen in London führten vielen freien Farbigen vor Augen, dass sie aus einer Allianz mit den grands Blancs nichts zu gewinnen hatten. Am 9. Januar 1793 riefen wohlhabende freie Farbige die Kolonialversammlung Martiniques dazu auf, ihren Kurs zu überdenken: Mais nous ne voulons pas nous sacrifier pour une cause qui nous est également étrangère; qui est même contraire à nos communs intérêts; car qu’aurions-nous à gagner à une contrerévolution, si elle pouvait avoir lieu, et devons-nous la désirer? Vous verriez renaître les ordres privilégiés; et nous, la démarcation humiliante qui nous séparait des citoyens blancs. [. . . ] Le roi redevenu absolu, ne voudrait ni municipalités, ni Assemblées coloniales; dès lors nous perdrions le droit d’élection108 .

Damit war der Bruch zwischen den freien Farbigen aus Martiniques Städten und der Pflanzerelite faktisch vollzogen. Für die grands Blancs sollte dieser Abfall fatal sein, sahen sie sich doch der republikanischen Gefahr schutzlos ausgesetzt, nachdem sie die Unterstützung der farbigen Milizen verloren hatten. Innerhalb des Lagers der aristocrates kam es infolgedessen zur Spaltung zwischen royalistischen Hardlinern und gemäßigteren Kräften. Um sich dem Zugriff royalistischer Marineoffiziere zu entziehen, tagte die Kolonialversammlung nicht mehr in Fort-Royal, sondern bei Lamentin. Eine Mehrheit der Kolonialversammlung beschloss noch am 9. Januar 1793, sich der Republik zu unterwerfen. Béhague wurde im gleichen Atemzug als Sündenbock abgestempelt und als Verräter angeklagt. Der Gouverneur verließ deshalb am nächsten Tag zusammen mit einem Großteil seines Offizierskorps, einigen royalistischen Pflanzern und einer großen Anzahl ihrer Sklaven fluchtartig die Kolonie – nicht ohne vorher die Kolonialkasse um 800 000 Livre zu erleichtern. 106

107 108

Extrait d’une lettre de la Basse-Terre Guadeloupe écrite à Mr de Ville, 29.12.1792, in: ANOM, C7A 46, fol. 6; Lacrosse an Monge, 16.1.1793, in: ANOM, C10C 6; Lacrosse an Monge, 12.1.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 166; Lacrosse, Aux Citoyens composant le tribunal de commerce, [?].8.1793, in: SHD/FM/BB4/23, fol. 75; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 414; Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 127f. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 167; Régent, Esclavage, S. 238. Adresse des citoyens de couleur de la Martinique à l’Assemblée coloniale séante au Lamentin, 9.1.1793, in: ANOM, C8A 102, fol. 173.

2. Revolution und Konterrevolution in den Kleinen Antillen

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Abel A. Louis hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kolonialversammlung Martiniques ein Doppelspiel betrieb. Nicht willens, den Gang in die Emigration anzutreten und ihre Plantagen der Plünderung und Sequestrierung preiszugeben, sahen viele es als das kleinere Übel an, sich der Republik zu unterwerfen und Béhague sowie seine Offiziere für den Anschluss an die Konterrevolution verantwortlich zu machen. Die Herrschaft der Republikaner würde aller Voraussicht nach nur vor kurzer Dauer sein, denn gegen die erwartete britische Militärexpedition hatten sie kaum eine Chance. Deshalb war es für einen Großteil der Plantagenbesitzer vorteilhafter, einstweilen gute Miene zum bösen Spiel zu machen und Lacrosse am 28. Januar 1793 zur Übernahme der Regierungsgewalt aufzufordern. Gleichwohl fürchtete eine bedeutende Zahl von Plantagenbesitzern und freien Farbigen, aus den Städten wie auch vom Lande, um ihr Leben und zog es deshalb vor, in den umliegenden britischen Kolonien Schutz zu suchen109 . Lacrosse war sich durchaus im Klaren darüber, dass sich die Pflanzer Martiniques ihm nur aus Not unterworfen hatten und seine Drohkulisse nur solange Bestand hatte, wie Truppen aus der Metropole diese aufrechterhalten konnten. Daher forderte er Marine- und Kolonialminister Monge noch vor seiner Ankunft auf Martinique auf, endlich namhafte Verstärkung in die Kleinen Antillen zu entsenden: »Il est cependant nécessaire que les forces nationales se présentent pour ôter, aux malveillants, tout espoir de bouleverser les colonies«110 . Doch an die Entsendung von Verstärkung war für Monge nicht zu denken. Morard de Galles’ Geschwader, das Lacrosse hätte nachfolgen sollen, verließ den Hafen Brests wegen anhaltender Meutereien der Matrosen nie111 . Trotz der Siege bei Valmy und Jemappes befand sich die französische Regierung zu Beginn des Jahres 1793 in einer schwierigen Lage: Anfang Februar erklärte die Nationalversammlung Großbritannien und den Niederlanden den Krieg, fünf Wochen später folgte die Kriegserklärung an Spanien. Ende März schloss sich auch Russland der antifranzösischen Koalition an. Zudem war mit weiteren Offensiven der preußischen und österreichischen Armeen zu rechnen. Unter diesen Umständen war die Entsendung von Verstärkung nicht möglich, wie Monge in seinem Schreiben den Befehlshabern auf den Kleinen Antillen mitteilte112 . In Ermangelung von Truppen zur Aufrechter109

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Élisabeth, La République, S. 385f.; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 101–103; Cormack, Legitimate Authority, S. 22; L’Assemblée coloniale de Ste-Lucie-la-Fidèle au Citoyen le ministre de la Marine et des Colonies, 17.3.1793, in: ANOM, C10C 6; Adresse de la commission générale et extraordinaire de la Guadeloupe à la Convention nationale, 23.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 233; Les membres composant le conseil exécutif de la colonie, 18.1.1793, in: ANOM, C8A 102, fol. 104. Lacrosse an Monge, 16.1.1793, in: ANOM, C10C 6. Cormack, Revolution, S. 217. Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2. Siehe auch Dugommier, Mémoire concernant les colonies de la République française aux îles du Vent de l’Amérique, 6.7.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 161.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

haltung der staatlichen Autorität müssten die Kolonisten mit sanften Mitteln an die Republik gebunden werden, wie der Marine- und Kolonialminister Ende März 1793 an Lacrosse schrieb: N’employez vis-à-vis d’eux [les citoyens de la Guadeloupe et de la Martinique, F. E.] que la persuasion, ne vous servez que forcément des moyens de rigueur; dites aux Citoyens que l’union seule peut assurer leurs propriétés, que la paix leur est nécessaire, que la prospérité des colonies dépend d’elle; que les rapports commerciaux qui les lient à la métropole ont besoin d’être cimentés par un attachement vrai et réciproque; dites-leur qu’ils n’auront rien à craindre des ennemis du dehors, tant qu’ils seront unis entre eux: assurez-les enfin que la République saisira toutes les occasions de prouver aux colonies combien elle met de prix à leur conservation113 .

Die gutgemeinten Ratschläge Monges dürften ein schwacher Trost für die republikanischen Befehlshaber auf Martinique und Guadeloupe gewesen sein, deren Herrschaft im Wesentlichen auf der Androhung von Gewalt beruhte. Sollten die angekündigten Nationalgardisten nicht bald in den Kleinen Antillen eintreffen, verlor die Drohkulisse zusehends ihre Wirkung. Tatsächlich verschlechterte sich die militärische Situation Frankreichs bis in den Sommer 1793 weiter, womit eine Entsendung von Truppen in die Karibik immer unwahrscheinlicher wurde: Im Norden Frankreichs war ein britisches Expeditionskorps gelandet und belagerte Dünkirchen. Das Rheinland ging an preußische und österreichische Truppen verloren, nachdem die 20 000 Mann starke Garnison von Mainz kapituliert hatte. An der Pyrenäenfront gelang spanischen Truppen die Eroberung des Roussillon. Bei Neerwinden errang die österreichische Armee am 18. März 1793 einen entscheidenden Sieg über Dumouriez’ Armee, der daraufhin den österreichischen Befehlshabern anbot, mit den Resten seiner Armee in Richtung Paris zu marschieren, Marie-Antoinette sowie den Dauphin zu befreien und Letzteren zum König Frankreichs auszurufen. Zwar verweigerten Dumouriez’ Truppen ihrem General die Gefolgschaft, doch zeigte dieser Vorfall, auf welch tönernen Füssen die Regierung in Paris stand. Der Verrat Dumouriez’ verlieh all jenen radikalen Kräften in Paris Auftrieb, die hinter allen Niederlagen finstere Intrigen der Konterrevolutionäre witterten. Diese Befürchtungen wurden nicht zuletzt durch die Übergabe des wichtigen Marinestützpunktes Toulon mitsamt der gesamten Mittelmeerflotte an britische Streitkräfte im August 1793 bestärkt. Zudem brachen überall im Land Aufstände gegen die Wehrpflicht und neue Steuererhebungen aus, vor allem in der Vendée, die sich zum Zentrum des Widerstandes gegen die Pariser Zentrale herauskristallisieren sollte. Auch auf das Bindeglied zwischen Frankreich und seinen Kolonien, die Kriegsmarine, war nach der Emigration eines Großteils des Marineoffizierskorps immer weniger Verlass. In Brest und anderen Stützpunkten der Atlantikflotte kam es 1793 zu anhaltenden Meutereien der Matrosen, die nur mit großer Mühe niedergeschlagen werden konnten. In dieser Notlage radi113

Monge an Lacrosse, 31.3.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 18.

2. Revolution und Konterrevolution in den Kleinen Antillen

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kalisierte sich das politische Klima in Frankreich zusehends. Die Regierung griff im Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Feinde der Revolution immer mehr zu Terrormaßnahmen, um den staatlichen Forderungen in den Provinzen Nachdruck zu verleihen. Die Terreur – die Schreckensherrschaft des revolutionären Wohlfahrtsausschusses – hatte Frankreich bis weit ins Jahr 1794 fest im Griff. Jeder drohte ihr zum Opfer fallen, auf den auch nur der Verdacht fiel, die Revolution verraten zu wollen114 . Wegen der kritischen Lage in Frankreich blieben die Abgesandten der Metropole in den Kolonien auf sich alleine gestellt. Notgedrungen mussten sie deshalb die Loyalität der Kolonien mit den Ressourcen vor Ort sicherstellen. Im Falle eines Versagens drohte in der Metropole ein Prozess vor einem Revolutionstribunal, dessen Ausgang aufgrund der volatilen politischen Lage in Frankreich kaum absehbar war. Vor diesem Hintergrund vermag es nicht zu erstaunen, dass lokale Kolonialbeamte dazu tendierten, immer drastischere Maßnahmen zu ergreifen, um die Kolonien im Imperium zu halten.

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Doyle, The Oxford History, S. 201–204, 247–271. Zu den Revolten in der Marine vgl. Cormack, Revolution, S. 173–241.

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen, 1793–1794 Die von Paris angekündigten Zivilkommissare, welche die Schaffung legitimer politischer Strukturen in den Kolonien der Kleinen Antillen hätten überwachen sollen, ließen auf sich warten. Eine im November 1792 entsandte Expedition aus Brest musste aufgrund eines Sturmes umkehren1 . Die Zuständigkeiten und Kompetenzen der sich bereits vor Ort befindlichen Repräsentanten der Metropole blieben infolgedessen unklar. Die Errichtung der republikanischen Herrschaft verlief in den beiden Kolonien deshalb in unterschiedlichen Bahnen und wurde im Wesentlichen durch die bereits vorhandenen politischen Strukturen bestimmt. Rochambeau, der im Juli 1792 von der Nationalversammlung zum Generalgouverneur der französischen Besitzungen in den Kleinen Antillen ernannt worden war, sowie Collot und Ricard, die Rochambeau untergeben waren und das Kommando auf Guadeloupe beziehungsweise Saint Lucia innehatten, trafen erst Anfang Februar 1793 aus ihrem Exil auf Saint-Domingue in den Kleinen Antillen ein. Das daraus entstandene Machtvakuum hatten Lacrosse und die patriotes Guadeloupes genutzt, um noch vor dem Eintreffen Rochambeaus und seiner Gefolgschaft Fakten zu schaffen. Eine Commission générale et extraordinaire, in der Deputierte aller Gemeinden der Kolonie vertreten waren, ernannte am 23. Januar 1793 ihren Vorkämpfer, Lacrosse, kurzerhand zum »commandant légitime des forces de la République aux îles du Vent«2 , obwohl ihr dieses Recht gar nicht zustand. In seinem neuen Amt hatte Lacrosse lediglich ein Vetorecht inne, um Entschlüsse der Versammlung zu blockieren. Seine Befugnisse konzentrierten sich ansonsten allein auf den militärischen Bereich, während die Commission générale et extraordinaire eine Vielzahl an Kompetenzen in innenpolitischen und administrativen Fragen an sich riss. Dieses Gremium repräsentierte nach der Abschaffung des Zensuswahlrechts immerhin 6000 der knapp 100 000 Bewohner Guadeloupes. Wahlberechtigt waren freie Männer egal welcher Hautfarbe im Alter von über 21 Jahren, die seit mehr als einem Jahr in der Kolonie wohnhaft waren. Infolgedessen lag die wahre Macht nicht bei Lacrosse, sondern in den Händen eines breiten Spektrums vornehmlich städtischer Kolonisten, in der weiße und farbige Kaufleute sowie Handwerker ein deutliches Übergewicht innehatten. In den ersten Wochen nach der Machtübernahme erließ die Kommission mit der Unterstützung von Lacrosse einen Wust an Maßnahmen: Der exclusif mitigé wurde wiedereingeführt – einzig Basse-Terre 1 2

Michel Rodigneaux, Victor Hugues. L’ambition d’entrer dans l’Histoire 1762–1826, Paris 2017, S. 188f. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 132.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-004

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

und Point-à-Pitre blieben für die fremde Handelsschifffahrt geöffnet. Zudem wurden die Güter der émigrés und der Kirchenorden sequestriert, der Laizismus eingeführt und das Justizwesen reformiert. Die farbigen Milizen Arrots wurden aufgelöst und ihre Truppen in die neu einberufenen Nationalgarden integriert. Das politische Klima und die politische Sprache änderten sich in der Folge deutlich. Gemeinsames Feindbild der Mitglieder der Commission générale et extraordinaire waren die weißen Großgrundbesitzer. Das Wort »planteurs« wurde in der Folge deckungsgleich mit »la horde aristocratique« oder »les satellites de l’aristocratie expirante« verwendet. Die Paranoia vor konterrevolutionären Verschwörungen fand nicht zuletzt in der Einrichtung von sogenannten comités de surveillance Ausdruck, die in jeder Gemeinde einberufen wurden und deren Aufgabe es war, »des complots liberticides«3 aufzudecken. Faktisch wurden diese Gremien aber eine geeignete Bühne, um alte Rechnungen zu begleichen und persönliche Widersacher als Konterrevolutionäre zu denunzieren. Daneben schossen in allen Gemeinden der Kolonie Jakobinerclubs wie Pilze aus dem Boden, die das politische Rückgrat der patriotes bildeten und immer wieder staatliche Prärogativen usurpierten4 . Als am 6. Februar 1793 Collot und Rochambeau in Guadeloupe eintrafen, wurden sie mit vollendeten Tatsachen konfrontiert. Die Commission générale et extraordinaire hätte es lieber gesehen, wenn sie selbst über die Besetzung des Gouverneurspostens hätte bestimmen und Lacrosse im Amt halten können. Daher begegnete sie Collot mit größtem Misstrauen. Vordergründig wurde die Tatsache ins Feld geführt, dass seine Befehle noch von Ludwig XVI. unterzeichnet worden waren und er keine Instruktionen der Übergangsregierung in Paris vorweisen konnte. Dahinter standen aber ernsthafte politische Divergenzen zwischen dem designierten Gouverneur und den Mitgliedern der Commission générale et extraordinaire: Collot stand den Girondisten nahe und war damit politisch eher den modérés zuzuordnen, die auf einen konzilianten Kurs gegenüber den Plantagenbesitzern drängten und sich damit klar gegen die radikale Politik der sans-culottes Guadeloupes stellten. Hinzu kam Collots autokratischer Regierungsstil, der so gar nicht zu den errungenen Freiheiten vieler Kolonisten passen wollte und eher 3 4

Erlass von Collot, 24.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 141. Adresse de la commission générale et extraordinaire de la Guadeloupe à la Convention nationale, 23.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 233; Proklamation von Lacrosse, 7.2.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 188; Mémoire sur la situation politique de la Guadeloupe, et sur les événements qui ont eu lieu depuis le rétablissement du pavillon national, 17.6.1793, in: ANPS, DXXV/123/973; Lacrosse an Monge, 1.2.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 175; [?], Les capitaines des navires mouillés dans la rade de Pointe-à-Pitre. . . (Kopie), 12.1.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 186; Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2; Lacrosse an Monge, 16.1.1793, in: ANOM, C10C 6; Georges Henri Victor Collot, Précis d’événements qui se sont passés à la Guadeloupe pendant l’administration de Georges Henri Victor Collot, depuis le 20 mars, 1793, jusqu’au 22 avril, 1794, Philadelphia 1795, S. 4; Régent, Esclavage, S. 238–247; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 170–176 (Zitate S. 173).

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen

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an die Machtfülle der Gouverneure des Ancien Régime erinnerte. Für die Bedürfnisse und Nöte städtischer patriotes hatte Collot kein Gehör5 . Als am 14. März 1793 die Nachricht von der französischen Kriegserklärung an Großbritannien und die Niederlande die Kleinen Antillen erreichte, glaubte Collot, dies käme einem innenpolitischen Befreiungsschlag gleich. Mit markigen Worten kündete er der Commission générale et extraordinaire an: »le moment du babillage est passé & [. . . ] celui de combattre est arrivé«6 . Um die vielen Gerüchte zu zerstreuen, wonach die Nationalversammlung in Paris die Abschaffung der Sklaverei vorbereite, verkündete Collot, dass Eigentum jeder Art nicht angetastet werden würde7 . Im gleichen Atemzug forderte er alle Bürger der Kolonie auf, sich an der Verteidigung der Insel zu beteiligen. Wer sich diesen Befehlen widersetzte, dem drohte die Todesstrafe wegen Hochverrats. Damit stellte Collot klar, dass er die Missachtung seiner Autorität nicht tolerieren würde8 . Seine Versuche, alle citoyens Guadeloupes für die Verteidigung der Kolonie zu gewinnen, konnten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rückhalt des Gouverneurs äußerst gering blieb. Zwar gelang es ihm, vier Bataillone von je 200 Mann aus den Reihen der freien Farbigen zu rekrutieren, um die kleine Garnison zu verstärken. Doch es mangelte an Offizieren, nachdem viele unter ihnen aufgrund ihrer zweifelhaften Loyalität nach Frankreich hatten zurückgeschickt werden müssen. Besorgniserregend war vor allem die offene Opposition der verbliebenen Plantagenbesitzer gegen Collots Regime. Er konnte weder auf die Unterstützung der patriotes aus den Städten noch auf jene der Pflanzer zählen9 . Somit waren die innenpolitischen und militärischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verteidigung der Kolonie denkbar ungünstig: Es drohte nicht nur Gefahr von außen, sondern auch von innen. Im Februar und März häuften sich zudem Berichte, dass es in den Gemeinden Baillif und Trois-Rivières zu Unruhen in den Sklavenateliers gekommen sei und dass die Pflanzer angeblich die Sklaven für eine Rebellion bewaffnen wollten10 . Die heikle Lage Collots rührte auch von den Ereignissen auf Martinique her, wo Rochambeau mit ähnlichen Problemen konfrontiert wurde. Nur zu gut wusste der Generalgouverneur, dass sich die Plantagenbesitzer 5 6 7 8

9

10

Rochambeau an Monge, 10.2.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 43; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 178–182; Régent, Esclavage, S. 246f. Collot, Lettre écrite par le citoyen gouverneur à la Commission générale & extraordinaire de la Guadeloupe, 5.4.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 76. Proklamation von Collot, 23.3.1793, in: ANOM, C7A 45, fol. 52. Collot, Instructions provisoires du citoyen gouverneur à toutes les municipalités & commandants de la force armée, pour le moment de guerre seulement, 11.4.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 83. Collot an Dalbarde, 10.4.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 61; Lettre écrite par le citoyen gouverneur à la Commission générale & extraordinaire de la Guadeloupe, 5.4.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 76; Terrasson an Dalbarde, 26.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 201; Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 147f. Régent, Esclavage, S. 247f.; Élisabeth, La République, S. 390.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

Martiniques bloß aus Opportunismus der Republik unterworfen hatten. Die Kolonial- und Munizipalversammlungen ließ Rochambeau deshalb unter dem Vorwand, dass erst Zivilkommissare aus Paris über die politischen Strukturen entscheiden müssten, ersatzlos auflösen. Eine sofortige Neuwahl der Versammlungen kam für Rochambeau ohnehin nicht in Frage, weil sich immer noch hunderte von bekennenden patriotes Martiniques im Exil auf den benachbarten Inseln befanden und deshalb an einer Wahl nicht hätten teilnehmen können. Rochambeau hatte somit zumindest auf dem Papier freie Hand und musste, im Gegensatz zu Collot, die Macht nicht mit einer widerspenstigen Kolonialversammlung teilen11 . Alle von der alten Kolonialversammlung verabschiedeten Gesetze ließ Rochambeau in der Folge widerrufen und führte die Bestimmungen des exclusif mitigé wieder ein. Die freien Farbigen wurden gemäß den Bestimmungen des Gesetzes vom 4. April 1792 zu gleichberechtigten Bürgern erklärt. Um ein wachsames Auge auf die Plantagenbesitzer zu haben, installierte Rochambeau in allen Gemeinden – ähnlich wie Collot auf Guadeloupe – sogenannte comités de surveillance. Freilich war die Zusammensetzung dieser Gremien gerade auf dem Lande kaum geeignet, dem Treiben der Royalisten Einhalt zu gebieten, sah sich der Generalgouverneur doch in Ermangelung geeigneter Kandidaten gezwungen, »de choisir parmi ceux qui parut [sic] les moins mauvais«12 . Nicht einmal zu den verbliebenen Linientruppen, »qui ont si favorablement secondé les projets du traître Béhague«, hatte der neue Gouverneur Vertrauen, weshalb er 50 loyale Soldaten aus Saint Lucia nach Martinique verlegte und 200 Freiwillige aus der Stadt Saint-Pierre zu den Waffen rief, um den Einfluss vermeintlich royalistischer Soldaten zurückzudrängen. Neben zuverlässigen Truppen mangelte es auch an Waffen und Schwarzpulver13 . Kurzum: Rochambeaus Republikaner waren denkbar schlecht gerüstet, um sich gegen die Gefahren von innen und außen zu verteidigen.

Das Scheitern der anglo-royalistischen Offensive, 1793 Bereits einen Monat nach der Ankunft Rochambeaus revoltierten die Plantagenbesitzer Martiniques. Eine Handvoll Plantagenbesitzer aus Case-Navire (heute Schœlcher), zahlreiche freie Farbige und Sklaven der Gemeinde griffen Anfang März zu den Waffen und überfielen die Artilleriestellungen am Strand. Die Aufständischen massakrierten die Wachen, nahmen alle Kanonen und Schwarzpulvervorräte mit und verschanzten sich in den nur schwer zu11 12 13

Rochambeau an Monge, 10.2.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 43. Louis, Les libres, Bd. 2, S. 107–110 (Zitat S. 109). Rochambeau an Monge, 10.2.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 43.

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen

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gänglichen Anhöhen oberhalb von Case-Navire. Rochambeaus Versuch Mitte April, das Lager der Rebellen mit zwei Korps von je 500 Mann anzugreifen, scheiterte kläglich14 . Rochambeaus Misserfolg führte der royalistischen Fraktion vor Augen, dass die Republikaner nicht einmal imstande waren, einer kleinen, lokal begrenzten Rebellion Herr zu werden. Seine Drohgebärden entbehrten offenkundig jeder Grundlage. Die fragile Herrschaft der Republikaner brach in der Folge weitgehend zusammen. Außer in Saint-Pierre und Fort-de-laRépublique, wie Fort-Royal seit der Machtübernahme Rochambeaus Anfang Februar genannt wurde, ergriff »la presque totalité des habitants«15 mithilfe bewaffneter freier Farbiger und Sklaven überall auf der Insel die Macht. Rochambeau sah sich daher gezwungen, die verbleibenden republikanischen Truppen im Fort de la Convention nationale (bisher Fort Bourbon) zu verschanzen. Die Lage Rochambeaus und der patriotes Saint-Pierres verschärfte sich zusehends, hatten doch die in die britischen und spanischen Kolonien geflüchteten royalistischen Pflanzer vom Vertrag von Whitehall zwischen der britischen Regierung und den Deputierten Martiniques und Guadeloupes erfahren. Die Pflanzer mussten die Gelegenheit nutzen und möglichst schnell Fakten schaffen, um ihre Seite des Übereinkommens – die kampflose Übergabe der Inseln – zu erfüllen. Der ehemalige Gouverneur Saint Lucias, Gimat, sowie zahlreiche Offiziere, die bis zur Machtübernahme der Republikaner in den Garnisonen der Kleinen Antillen gedient hatten, landeten Ende April 1793 zusammen mit einer Schar aus Martinique emigrierter Pflanzer bei Case-Navire, um die Aufständischen zu unterstützen und ihnen das baldige Eintreffen einer britischen Expedition anzukündigen. Die Calypso und die Ferme kreuzten in der Folge zwischen Saint-Pierre und Fort-de-la-République und störten die Kommunikation zwischen den beiden verbliebenen republikanischen Enklaven. Immer mehr britische Kriegsschiffe unter dem Befehl von Konteradmiral Alan Gardner schlossen sich daraufhin der Blockade an16 . Rochambeau lastete seine aussichtslose Position dem Versagen der Metropole an, wie er dem neuen Marine- und Kolonialminister Jean Dalbarde Anfang Mai mitteilte: Je n’avais d’ailleurs à ma disposition aucun moyen répressif. Depuis longtemps le Conseil Exécutif de la République Française m’a laissé sans autre force que celle que je pouvais emprunter de la morale, et certes à la fin cette arme s’use; ces Rebelles ne sont pas longtemps retournés dans le devoir par la raison si la puissance des Baïonnettes ne lui donne quelque appui. [. . . ] Sans officiers, sans soldats, sans gardes nationales car à l’exception du 14 15 16

Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 125. Rochambeau, Journal du blocus et du siège de la Martinique, 1793, in: ANOM, 13DFC/51/469. Rochambeau an Dalbarde, 8.5.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 51; Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2; Rochambeau, Journal du blocus et du siège de la Martinique, 1793, in: ANOM, 13DFC/51/469; Aubinau an Aubinau, 4.10.1793, in: ANOM, F6/2, fol. 59.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

petit nombre qui m’a soumis St-Pierre et le Fort-de-la-République, les autres se trouvent arrêtés par les planteurs, [. . . ] sans artilleurs, sans marine, sans argent et presque sans vivres. Voilà, citoyen ministre, le tableau fidèle de ma position. Jugez combien elle est périlleuse17 .

Den royalistischen Milizen gelang es zwar nicht, die Kontrolle über die beiden Städte zu erlangen, doch war bekannt, dass ein britisches Geschwader in Barbados eingetroffen war, das die Royalisten unterstützen würde. Die Furcht Rochambeaus vor einem britischen Eingreifen sollte sich schon bald als begründet herausstellen: Am 14. April 1793 musste der Gouverneur Tobagos, Laroque-Montel, nach einem kurzen Gefecht seiner 70 Soldaten gegen den 450 Mann starken Landungstrupp der Briten kapitulieren18 . Es war nur eine Frage der Zeit, bis die britischen Streitkräfte in Martinique eintreffen würden. Rochambeau musste handeln, wollte er von den Ereignissen nicht überrollt werden. Am 2. Mai 1793 rief er notgedrungen eine Kompanie von 400 Mann, die chasseurs de la Martinique, ins Leben. In dieser Einheit sollten unter anderem »hommes qui ont commencé à servir et qui servent encore pour leur liberté« dienen19 . Damit öffnete der Generalgouverneur Tür und Tor zur Bewaffnung von Sklaven, denen nach vollendetem Dienst die Freiheit versprochen wurde. Allerdings hatte der im Fort de la Convention nationale eingeschlossene Rochambeau kaum Einfluss auf diesen Prozess. Stattdessen rekrutierten die versprengten republikanischen Milizionäre im Hinterland von Saint-Pierre ad hoc jene Sklaven, die sich ihnen anschließen wollten. So gelang es ihnen, mehrere hundert Sklaven für sich zu gewinnen, die bislang auf Seiten der royalistischen Pflanzer gekämpft hatten. Allerdings wechselten viele weiße und farbige Milizionäre je nach militärischer Lage immer wieder die Seiten – ideologische Gründe spielten offenbar keine überragende Rolle, sich der einen oder anderen Seite anzuschließen20 . Gleichwohl gewannen die republikanischen Milizionäre unter der Führung eines ehemaligen Sklaven namens Louis Bellegarde zusehends die Oberhand. Damit verschob sich auch das Gravitationszentrum der politischen und militärischen Entscheidungsfindung im republikanischen Lager weg von Rochambeau und hin zu den republikanischen Milizionären. Deren Anführer, Bellegarde, profitierte vom politischen Vakuum, das Rochambeaus Rückzug in das Fort de la Convention nationale hinterlassen hatte. Der farbige Heerführer profilierte sich auf Kosten des Generalgouverneurs immer mehr als wahrer Verfechter der patriotes, während Rochambeau die Kontrolle zunehmend entglitt21 . 17 18 19 20 21

Rochambeau an Dalbarde, 8.5.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 51. Duffy, Soldiers, S. 34f. Proklamation von Rochambeau, 2.5.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 153. Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2. Élisabeth, La République, S. 393f.; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 128f. Der aus dem Handwerkermilieu stammende Louis Bellegarde hatte während des Bürgerkriegs von 1790 noch auf Seiten der Pflanzer gekämpft. Vgl. ibid., S. 87, Anm. 1.

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen

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Bis Anfang Juni gelang es den republikanischen Milizionären, zahlreiche Stellungen der Konterrevolutionäre zu erobern. Auch die regulären Truppen Rochambeaus nahmen gegen Ende Mai wieder an den Kampfhandlungen teil. Zusammen mit den Milizionären Bellegardes, die inzwischen in die Nationalgarde inkorporiert worden waren, gelang es Rochambeaus Truppen am 10. Juni 1793, den Rebellen empfindliche Verluste zuzufügen und die wichtige Stellung bei Gros-Morne zu erobern, die bis dahin den republikanischen Truppen den Zugang zum logistischen Zentrum der aristocrates im Osten der Insel versperrt hatte22 . Die Royalisten standen nun mit dem Rücken zur Wand. Die britischen Militärs sahen sich gezwungen, ihnen zu Hilfe zu eilen, um die strategisch wichtige Kolonie noch vor dem Beginn der Regenperiode zu erobern. Sollte es Rochambeau und seinen Milizionären gelingen, die Konterrevolutionäre gänzlich von der Insel zu vertreiben, so würde sich eine Eroberung der Insel für die britischen Streitkräfte künftig als weit schwieriger erweisen. Auf das Versprechen Dubucs hin, der inzwischen aus London eingetroffen war, dass eine große Anzahl von Royalisten im Falle einer Landung den britischen Truppen zu Hilfe kommen würde, landete der britische Kommandant Bruce am 16. Juni 1793 mit rund 1100 Rotjacken bei Case-Navire. Der Anführer der Royalisten, Gimat, und einige hundert seiner Milizionäre schlossen sich den Briten umgehend an. Doch als ein Wachposten der britischen Streitkräfte in der Nacht auf den 18. Juni 1793 Alarm schlug, kam es zum Desaster: Statt auf die heranrückenden Truppen Rochambeaus eröffneten die britischen Soldaten und die royalistischen Milizen aus Versehen das Feuer aufeinander. Nun ergriff das anglo-royalistische Lager die Panik. Bruce und Gardner beschlossen Hals über Kopf, die britischen Streitkräfte wieder einzuschiffen23 . Der überstürzte Rückzug der Rotjacken sorgte im Lager der Royalisten für dramatische Szenen, wie der Bericht Gardners zeigt: The distress & dreadful situation of the royalists assembled at Case Navire is much easier to be conceived than described, and humanity dictated the necessity of relieving them as much as circumstances would admit of, and as many of them as the Ulysses could contain were received on board, particularly women & children, and for want of other vessels, five or six hundred more including Negroes and people of colour have at the request of the Major General been received on board of the ships of the squadron in order to be put on shore at the different Islands under British government. Had this step not been taken, there is every reason to believe that these unfortunate people would have fallen a sacrifice to the fury & barbarity of the Republican Party, whose determination, it was generally understood, was not to give any quarter24 .

In den folgenden Tagen nahmen die Schiffe der Royal Navy sowie die Ferme und die Calypso Tausende von Flüchtlingen mitsamt Hab und Gut sowie Skla22 23 24

Rochambeau, Journal du blocus et du siège de la Martinique, 1793, in: ANOM, 13DFC/51/469. Ibid.; Gardner an Stephens, 25.6.1793, in: TNA, ADM 1/316; Duffy, Soldiers, S. 36f. Gardner an Stephens, 25.6.1793, in: TNA, ADM 1/316.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

ven an Bord und brachten sie in die benachbarten britischen und spanischen Kolonien25 . Die Zahl der Flüchtlinge ist aufgrund der ungenauen Angaben nur schwer abzuschätzen: Louis schätzt ihre Zahl auf 2000–3000, während Duffy von 5000–6000 Flüchtlingen ausgeht26 . Egal welchen Schätzungen man Glauben schenken mag, es ist eindeutig, dass diese Emigrationswelle einen substanziellen Bedeutungsverlust der aristokratischen Plantagenbesitzer zur Folge hatte. Die Royalisten hatten allen Grund zu fliehen, denn Rochambeaus Milizionäre nahmen nun Rache an den verbliebenen Plantagenbesitzern. Nach dem britischen Abzug griffen sie die letzten Widerstandnester der Rebellen im gebirgigen Landesinneren an. In »actions très meurtrières« fielen rund 1200 royalistische Kämpfer27 . Die Entscheidungsträger in Paris ließ Rochambeau in seinem Bericht über die Rebellion wissen, dass »nous avons défendu les forts et tenu la campagne en même temps avec peu de monde. Mais bien déterminés à ne pas nous laisser prendre et mettant le feu partout où nous trouvions les Rebelles quand en combattant on pouvait pas les déporter«28 . In der Folge brannten die republikanischen Milizionäre und Soldaten unter dem Kommando Rochambeaus zahlreiche Plantagen nieder. Besonders betroffen war der Küstenstreifen im Osten Martiniques sowie bei Lamentin und Trois-Îlets, galten doch die beiden Regionen als Hochburgen des royalistischen Widerstandes29 . Die Zerstörungen versuchte Rochambeau später den Einheiten freier Farbiger und den bewaffneten Sklaven in die Schuhe zu schieben: Un désastre qu’on n’a pu empêcher ni prévoir, c’est l’incendie des habitations & des maisons des révoltés, dans lesquelles on n’a épargné que les moulins et les manufactures. Le pillage a été aussi très considérable par les troupes légères, malgré les précautions qu’on a prises pour l’arrêter. Comme il y avait beaucoup d’esclaves parmi les compagnies de couleur, il a été impossible d’en retenir les premiers mouvements30 .

Diejenigen Royalisten, die den Häschern Bellegardes und Rochambeaus in die Hände fielen, wurden vor ein Militärgericht gestellt. Rochambeau und die patriotes glaubten, nur mithilfe summarischer Exekutionen tatsächliche und vermeintliche Konterrevolutionäre einschüchtern zu können, wie der Generalgouverneur im Dezember den Marine- und Kolonialminister wissen ließ: »Nous les fusillons ici par le moyen de la commission militaire, ou nous les punissons par celui du tribunal révolutionnaire qui doit les soumettre à la peine de décollation«31 .

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Ibid. Duffy, Soldiers, S. 37; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 130. Rochambeau/Daigremont an Dalbarde, 5.8.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 29. Rochambeau an Dalbarde, 29.6.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 82. Rochambeau/Daigremont an Dalbarde, 5.8.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 29; Lacrosse, Rapport, 1793, in: SHD/FM/BB4/23, fol. 48; Rochambeau an Dalbarde, 29.6.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 84; Lacrosse an Dalbarde, 1.7.1793, in: ANOM, C8A 102, fol. 22. Rochambeau/Daigremont an Dalbarde, 5.8.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 29. Rochambeau an Dalbarde, 3.12.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 102.

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Nach der Niederschlagung des Aufstandes und der Vertreibung des britischen Expeditionskorps stellte sich bald die Frage, was mit den hunderten von Sklaven geschehen sollte, die unter Waffen standen und für die Republik gekämpft hatten. Viele unter ihnen integrierte Rochambeau in die beiden Bataillone der chasseurs de la Martinique, die zusammen mittlerweile 1334 Mann zählten. Diese Männer hätten sich, so Rochambeau, im Kampf gegen die Rebellen und die Briten ihre Freiheit verdient. Allerdings müssten die Besitzer der Sklaven für ihren Verlust entschädigt werden; »cette dette est sacrée« mahnte der Generalgouverneur den Marine- und Kolonialminister eindringlich und forderte die Regierung in Paris auf, diese Schulden zu übernehmen. Schließlich hätte die Metropole ihn im Stich gelassen, weshalb er zur Bewaffnung der Sklaven gezwungen worden sei32 . Für das Gros der Sklaven bedeutete das Ende der Kämpfe allerdings nicht die erhoffte Freiheit, sondern die Rückkehr zur harten Arbeit auf den Zuckerund Kaffeeplantagen. Den Zusammenbruch der Plantagenökonomie im Zuge der Kampfhandlungen hatten viele Sklaven zur Flucht ins gebirgige Landesinnere genutzt oder um sich an den Kämpfen und Plünderungen zu beteiligen. Unter Mithilfe zahlreicher patriotes und der comités de surveillance trieben Rochambeaus Truppen in den Wochen nach der Niederschlagung des royalistischen Aufstandes deshalb alle Sklaven, deren sie habhaft werden konnten, gewaltsam auf die Plantagen zurück. Wer sich den republikanischen Truppen widersetzte, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Gemäß Rochambeau statuierten seine Soldaten zahlreiche Exempel, um die Sklaven zurück zur »obéissance« zu zwingen33 . Inmitten der Kämpfe hatte sich das Gerücht unter den Sklaven verbreitet, dass die Abschaffung der Sklaverei unmittelbar bevorstehe, weshalb viele lauthals ihre Freilassung forderten. Zum Entsetzen Rochambeaus wurden die Sklaven dabei von einigen Weißen unterstützt »et même les hommes libres de couleur ne les en détournent pas«. Zwar erließ Rochambeau eine Proklamation des Inhalts, dass die Abschaffung der Sklaverei überhaupt nicht zur Diskussion stehe. In seinen Briefen an die Entscheidungsträger in Paris äußerte er allerdings Zweifel an seinen eigenen Bekundungen. Marineund Kolonialminister Dalbarde ließ er wissen, dass man ihn besser seines Kommandos entheben würde, wenn der Nationalkonvent tatsächlich die Abolition beschließen sollte34 . Allein eine graduelle Abolition sei denkbar,

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Rochambeau an Dalbarde, 25.10.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 98. Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2 (Zitat); Rochambeau an Dalbarde, 29.6.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 84, Rochambeau an Dalbarde, 7.7.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 89; Rochambeau an Dalbarde, 20.7.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 93; Séance extraordinaire du 19 pluviôse, 2e année de la République française, une et indivisible, 7.2.1794, in: ANPS, XXV/118/921, fol. 13; Daney, Histoire, Bd. 5, 356f. Rochambeau an Dalbarde, 29.6.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 84 (Zitat); Rochambeau an Dalbarde, 20.7.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 93.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

schrieb er nur eine Woche später, alles andere müsse unweigerlich in eine Katastrophe münden35 . Dabei wurde er auch von den Jakobinerclubs der Kolonie unterstützt, in denen mehrheitlich die Meinung vertreten wurde, die Freiheitsideale der Revolution seien mit der Sklaverei vereinbar. Es seien vielmehr die Anhänger der Konterrevolution, welche die Sklaverei abschaffen wollten – dies zeige sich allein schon daran, dass viele Sklavenanführer in Saint-Domingue in spanischen Diensten stünden36 . Für Rochambeau waren allerdings die Gerüchte über eine angeblich bevorstehende Abschaffung der Sklaverei nicht einmal die größte Bedrohung. Anlass zur Sorge gab ihm vor allem die mangelnde Unterstützung der Metropole. Auf der militärischen Seite war dies am augenfälligsten, wurden doch Martinique, Guadeloupe und Saint Lucia von insgesamt nur 400 Liniensoldaten verteidigt37 . Weit schlimmer war allerdings das politische Signal, das die fehlende Pariser Unterstützung aussandte. Sobald die britische Regierung die Schulden der emigrierten Plantagenbesitzer anerkennen würde, so Rochambeau in einem verzweifelten Schreiben an Dalbarde, mussten ihre Avancen zwangsläufig auch bei den Kaufleuten Saint-Pierres fruchten, womit die Republik ihre letzten Unterstützer in Übersee verlieren würde: Croyez-vous, citoyen ministre, qu’un semblable langage ne fera pas effet sur plusieurs? Croyez-vous, que l’affaire des dettes entre les négociants & les habitants, (véritable sujet de discorde entre eux) ainsi concilié, ne déterminera pas un assez grand nombre des Martiniquais à ouvrir l’oreille à des semblables propositions, lorsque désespérant d’être secourus, il ne se lassent des inquiétudes & des fatigues d’une seconde guerre étrangère, et même qu’ils ne soient effrayés des horreurs d’un second siège38 .

Immerhin spülten die Verpachtung der Plantagen der émigrés sowie der Verkauf von Zucker und Kaffee aus ihren Lagern an US-amerikanische Kaufleute dringend benötigtes Geld in die Kassen der Kolonialbehörden39 . Allerdings reichten die neuen Finanzquellen nicht aus, um die wachsenden Ausgaben für Waffen, Uniformen und Schwarzpulver zu decken. Nicht einmal die Wechsel, die Rochambeau zulasten der Staatskasse in Paris ausstellte, brachten die erhoffte Linderung der finanziellen Krise. Innerhalb weniger Monate verloren die Papiere die Hälfte ihres Wertes, weil die Financiers der Kolonie kein Vertrauen in sie hatten40 . Rochambeau erachtete seine Position deshalb als äu35 36

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Rochambeau an Dalbarde, 7.7.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 89. Rapport du Citoyen Leborgne, présenté à la société des Amis de la Convention nationale & de la République, réunis au Fort-de-la-République & à St-Pierre, 6.4.1793, in: ANPS, DXXV/123/973. Tatsächlich standen mit Toussaint Louverture, Biassou und Jean-François die wichtigsten Anführer der Sklavenrebellion in spanischen Diensten. Vgl. Popkin, You Are All Free, S. 253–256. Rochambeau an Dalbarde, 29.6.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 84. Rochambeau an Dalbarde (Kopie), 20.7.1793, in: ANPS, XXV/117/912, fol. 1. Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2; Rochambeau/Daigremont an Dalbarde, 5.8.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 29. Rochambeau/Daigremont an Dalbarde, 1.12.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 35.

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ßerst kritisch: Er befinde sich auf einem Vulkan, der explodieren werde, wenn er nicht bald Soldaten und Geld erhalte, zumal er außerhalb des Rechts agiere und zahlreiche Feinde der Republik bekämpfen müsse – »de quelque couleur qu’ils soient«41 . Die britische Führung plante derweil eine größere Offensive gegen das französische Kolonialreich in der Karibik. Die Gelegenheit war günstig: Die Zahl der republikanischen Verteidiger war klein, und aufgrund des Kriegsverlaufs in Europa war auch nicht mit Verstärkung aus Frankreich zu rechnen. Somit bot sich aus Sicht der Entscheidungsträger in London die Chance, den ärgsten Konkurrenten in Übersee mit einem Schlag entscheidend zu schwächen. Im Kalkül von Pitts Kabinett würde die Eroberung der westindischen Kolonien nicht nur die Wirtschaftskraft Frankreichs dramatisch schwächen, sondern seiner Kriegsmarine auch das wichtigste Rekrutierungsbecken für geübte Matrosen entziehen, denn der Kolonialhandel generierte das Gros der Seeleute der französischen Kriegsmarine42 . Das Misslingen des britischen Handstreiches zugunsten der Royalisten Martiniques im Juni 1793 dürfte für die Regierung in London verkraftbar gewesen sein. In gewisser Weise war das Scheitern der Expedition sogar ein Vorteil, befreite es sie doch von ihren Verpflichtungen gegenüber den émigrés aus den Kleinen Antillen, die ihre Seite des Übereinkommens nicht erfüllen konnten. Nun hatte Pitts Kabinett freie Hand, die französischen Kolonien zu seinen Bedingungen dem Empire einzuverleiben43 . Die französische Seite hatte kein Auge für derartige Feinheiten. Für ihre Entscheidungsträger in den Kleinen Antillen und in Paris war die britische Hilfe für die Konterrevolutionäre auf Martinique ein weiteres Indiz dafür, dass sich die alten Kolonialeliten vom Mutterland losgesagt und sich mit dem geostrategischen Erzfeind verbündet hatten.

Verschwörungen und Intrigen »Chaque jour voyait paraître une usurpation, un arrêté inique qui n’avait pour but que l’intérêt particulier«44 . Mit diesen Worten beschrieb Collot in seiner 1795 in den USA erschienen Rechtfertigungsschrift treffend das politische Klima, das auf Guadeloupe nach dem Kriegsausbruch herrschte. Die Ereignisse auf Martinique sowie die Gerüchte über die Verhandlungen in London ließen keinen Zweifel mehr an einer konterrevolutionären Verschwörung, der die Kolonien bald zum Opfer fallen würden. Pérotin-Dumon hat deshalb eine »psychose des complots« unter den republikanischen Kräften Guadeloupes 41 42 43 44

Rochambeau an Dalbarde, 29.6.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 84 (Hervorh. i. Orig.). Duffy, Soldiers, S. 16–25. Wagner, England, S. 241f. Collot, Précis, S. 13.

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diagnostiziert. Die comités de surveillance nahmen während des Jahres 1793 mehrere hundert Denunziationen entgegen, zu deren Überprüfung sie aufgrund fehlender Ressourcen kaum in der Lage waren. Die Furcht vor royalistischen Verschwörungen in den zahlreichen Anschwärzungen dürfte oftmals nur vorgeschoben worden sein. Die comités de surveillance boten nämlich all jenen eine geeignete Plattform, die alte Rechnungen zu begleichen hatten. Davon gab es nach Jahren bürgerkriegsähnlicher Zustände wahrlich genug45 . Collots ungelenke Versuche, die eigenen Reihen zu schließen und das Denunziantentum einzuhegen, verschärften die Situation weiter. Als er Ende März 1793 versuchte, die Pflanzer zu besänftigen und als Zeichen seines guten Willens der Familie des verstorbenen Gouverneurs Clugny Amnestie gewährte, sahen sich all jene radikalen Kräfte bestätigt, die Collot als Agent der Konterrevolution zu diffamieren suchten46 . Im Frühling 1793 kam es deshalb zusehends zu einer Spaltung des Lagers der patriotes Guadeloupes. Auf der einen Seite standen die modérés, deren politischer Rückhalt unter den Kaufleuten und freien Berufen sowie zahlreichen freien Farbigen der Stadt Basse-Terre am größten war. Auf ihre Unterstützung konnte Collot noch am ehesten zählen. Auf der anderen Seite standen die sans-culottes Pointeà-Pitres, die sich vor allem aus den weißen und farbigen Unterschichten der Stadt rekrutierten. Sie lehnten jegliche Versöhnung mit den Plantagenbesitzern strikt ab. All jenen, die sich an der Hatz auf tatsächliche und vermeintliche Royalisten nicht beteiligten, unterstellten sie, im Geheimen mit den Kräften der Konterrevolution zu konspirieren47 . Die verbliebenen Plantagenbesitzer nahmen kaum an der Auseinandersetzung zwischen modérés und sans-culottes in den Städten teil. Den Pflanzern konnte die damit einhergehende Schwächung der patriotes nur recht sein. Die Führer des verbliebenen royalistischen Lagers bereiteten sich darauf vor, im Vorfeld der bevorstehenden britischen Invasion eine Revolte gegen die kaum handlungsfähige Kolonialregierung vom Zaun zu brechen. Hintergrund dieser Bestrebungen war ihre Absicht, die Insel den britischen Streitkräften kampflos zu übergeben, um ihre im Vertrag von Whitehall stipulierten Verpflichtungen einzuhalten, von denen sie Anfang März 1793 erfahren hatten. Über Wochen besorgte ihre Führungsriege rund um Claude-Pierre Brindeau und Eloy de Vermont Waffen, Schwarzpulver und Lebensmittel für die bevorstehende Revolte. Als sich Mitte April die Anzeichen eines britischen Angriffs verdichteten – zu diesem Zeitpunkt war Tobago bereits von britischen Truppen erobert worden und Martinique befand sich größtenteils in den Händen 45 46

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Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 182–198 (Zitat S. 183). Collot an Dalbarde, 30.3.1793 (Kopie), in: ANOM, C7A 46, fol. 59; Collot, Lettre écrite par le citoyen gouverneur à la Commission générale & extraordinaire de la Guadeloupe, 7.4.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 80; Collot an Dalbarde, 25.3.1793, in: ANOM, C7A 45, fol. 57. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 194–198.

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen

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der konterrevolutionären Milizen – brachten die Verschwörer ihre Vorbereitungen zum Abschluss. Ihr Plan war denkbar einfach: Zusammen mit mehreren hundert bewaffneten Sklaven wollten Brindeau und Vermont die kleine Garnison von Basse-Terre überrumpeln und Collot stürzen48 . Doch sie hatten die Rechnung ohne ihre Sklaven gemacht, die nicht daran dachten, sich ein weiteres Mal für die Verschwörungen der Royalisten Guadeloupes einspannen zu lassen, ohne dafür belohnt zu werden. Stattdessen ermordeten mehr als 200 Sklaven in der Nacht vom 20. auf den 21. April 1793 die Führungsriege der aristokratischen Partei sowie ihre Familien bei Trois-Rivières im Süden der Halbinsel Basse-Terre. Unter den Opfern fanden sich unter anderem Brindeau und Vermont. Sodann zogen die aufständischen Sklaven in Richtung der Stadt Basse-Terre, vor deren Toren sie von eiligst herbeigerufenen Nationalgardisten gestellt wurden49 . Die aufständischen Sklaven ließen sich widerstandslos entwaffnen und nach Basse-Terre führen, wo sie eingesperrt wurden. In den anschließenden Verhören gaben sie zu Protokoll, dass sie mit der Ermordung der Pflanzer einer aristokratischen Verschwörung hätten zuvorkommen wollen und deshalb ihre Freiheit einforderten50 . Die Sklavenrevolte von Trois-Rivières ist also im Kontext des sich anbahnenden konterrevolutionären Umsturzes zu verstehen, an dessen Anfang das Übereinkommen zwischen den Pflanzereliten und der britischen Regierung stand. Die Kolonialbehörden, die Commission générale et extraordinaire und die Jakobinerclubs zeigten sich ratlos, wie sie mit den inhaftierten Sklaven verfahren sollten51 . Konnte es wirklich sein, dass die Sklaven auf eigene Initiative gehandelt hatten? Allein der Gedanke schien vielen derart abwegig, dass sie bereit waren zu glauben, die Ermordung der aristokratischen Pflanzer sei ebenfalls eine Intrige der Konterrevolution, um einen generellen Sklavenaufstand wie auf Saint-Domingue vom Zaun zu brechen52 . Die Nachforschungen der Commission générale et extraordinaire zeigten allerdings, dass die Sklaven bei Trois-Rivières tatsächlich eine royalistische Revolte verhindert hatten, die einer britischen Invasion den Weg geebnet hätte. Nur so war zu erklären, weshalb die Plantage von Thyrus Pautrizel, dem starken Mann der Commission générale et extraordinaire, verschont geblieben war, während die benachbarten Plantagen bekannter Royalisten geplündert und ihre Besitzer ermordet worden waren. Viele Mitglieder der Commission générale et extraordinaire zeigten deshalb offen ihre Sympathien 48 49 50 51 52

Rapport du Comité de sûreté générale à la Commission générale et extraordinaire de la Guadeloupe, 8.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 218. Journal républicain de la Guadeloupe, 24.4.1793, in: ANOM, C7A 47, fol. 124. Collot an Dalbarde, 10.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 116. Journal républicain de la Guadeloupe, 24.4.1793, in: ANOM, C7A 47, fol. 124. Adresse de la commission générale et extraordinaire de la Guadeloupe à la Convention nationale, 23.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 233; Collot an Dalbarde, 5.6.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 118.

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für die Sklaven. Ihr Anführer, Jean-Baptiste Gommier, ein Funktionssklave Brindeaus, der vermutlich ein uneheliches Kind Dugommiers war, durfte sich gar frei in Basse-Terre bewegen. In den folgenden Wochen wurden mehrere Royalisten verhaftet und ohne Gerichtsverfahren in die Kerker der Kolonie geworfen. Viele Pflanzer versuchten deshalb, nachts auf Kanus in die benachbarten britischen Inseln zu flüchten, wobei zahlreiche unter ihnen das Leben verloren. Die Commission générale et extraordinaire fand sich derweil in einer Zwickmühle wieder. Das Klima ständiger Denunziationen und die unklare Beweislage ließen ihre Mitglieder ratlos zurück. Hinzu kam die Erkenntnis, dass die Sklaven von Trois-Rivières geschickt die sozialen und politischen Konflikte sowie die daraus resultierende Schwäche des kolonialen Repressionsapparates auf der Insel zu ihren Gunsten genutzt hatten. Nicht zuletzt die Bewaffnung von Sklaven auf Martinique durch Rochambeau und Bellegarde hatte den Aufständischen gezeigt, dass sich Loyalität zu den Institutionen und Machthabern der Republik auszahlen konnte53 . Widersetzten sich die Sklaven von Trois-Rivières mit der Ermordung der aristokratischen Führungsriege Guadeloupes der Sklaverei, wie dies Laurent Dubois behauptet, der in diesem Ereignis einen entscheidenden Wendepunkt im Abolitionsprozess während der Französischen Revolution sieht54? Anhand der widersprüchlichen Quellenlage lässt sich meines Erachtens nicht belegen, dass der Aufstand von Trois-Rivières sich gegen die Sklaverei per se richtete. Ein deutliches Indiz dafür ist, dass die aufständischen Sklaven die Infrastruktur der Plantagen intakt ließen – lediglich die Häuser der Pflanzer wurden geplündert55 . Die Aufständischen forderten für die Rettung der Republik ihre persönliche Freiheit, nicht die aller Sklaven der Kolonie und schon gar nicht des gesamten französischen Kolonialreichs56 . Entscheidend war vielmehr, dass das Massaker von Trois-Rivières den anderen Sklaven der Kolonie gezeigt hatte, dass sich Loyalität zur Republik lohnen konnte. Dieses Prinzip kollidierte allerdings in den Augen Collots mit der Unantastbarkeit persönlichen Eigentums, das er einige Tage nach dem Massaker erneut zum Eckpfeiler der Republik erhob57 . Dennoch diktiere die Not, in der sich die republikanischen Kräfte befänden, dass »l’esclave qui aura[it] dénoncé un complot [. . . ] contre la sûreté de la colonie ou contre la patrie« zum Lohn dafür das »affranchissement civique« erlangen werde, wie Collot in einer Proklamation verlauten ließ58 . Damit öffnete der Gouverneur Tür und Tor für all jene Sklaven, die der Republik ih53 54 55 56 57 58

Régent, Esclavage, S. 247–253; Dubois, A Colony, S. 124–136; Larriveau an Curt, 14.1.1794, in: ADGB, 61J/34. Dubois, A Colony, S. 135. Ibid., S. 137. Collot an Dalbarde, 10.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 116. Proklamation von Collot, 25.4.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 94. Ibid.

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re Dienste anerbieten wollten und dafür auf ihre Freilassung hofften. Nicht zuletzt das Ausbleiben eines Urteilsspruchs über die Sklaven rund um JeanBaptiste Gommier zeigte jedermann, dass die Institutionen der Republik in ihrem Kampf gegen die Kräfte der Konterrevolution bereit waren, jedem Sklaven die Freiheit zu verleihen, der das Risiko auf sich nahm, sich auf ihre Seite zu schlagen59 . Collots unentschlossenes Handeln trug kaum dazu bei, seine Position zu konsolidieren – im Gegenteil. Wenige Monate nach dem Massaker bei TroisRivières kam es Ende August bei Sainte-Anne zu einer Erhebung einiger freier Farbiger, die rund 1200 Sklaven der Umgebung die Freiheit versprochen hatten, wenn sie ihnen folgen würden60 . Auch wenn die Rebellion niedergeschlagen werden konnte, waren die Ereignisse bei Trois-Rivières und Sainte-Anne deutliche Anzeichen dafür, dass die alte koloniale Ordnung langsam zu erodieren begann. Dass alle Bewohner der Kolonie diesen Prozess registrierten, zeigt sich auch in der steigenden Anzahl von Freilassungen, welche die Notariatsstuben Guadeloupes während des Jahres 1793 verzeichneten61 . Der schleichende Zusammenbruch der kolonialen Ordnung lag auch im anhaltenden Streit zwischen den modérés in Basse-Terre und den sans-culottes Pointe-à-Pitres begründet. Im Mai 1793 kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen bewaffneten Banden der beiden Städte, denen Collot kaum Einhalt gebieten konnte62 . Die Kolonie drohte in einem offenen Bürgerkrieg zu versinken63 . Der Konflikt in den Reihen der patriotes erfuhr eine weitere Eskalation im Oktober 1793, als der Text der französischen Verfassung vom 24. Juni 1793 eintraf, in deren Präambel die Erklärung der Menschenrechte abgedruckt war. Die patriotes aus Pointe-à-Pitre lehnten den Text deshalb rundweg ab. Zudem besagte Artikel 18 der Verfassung, dass keine Person »ne peut se vendre ni être vendu, sa personne n’est pas une propriété aliénable«64 . Die Versammlung der modérés in Basse-Terre stimmte dem Text deshalb nur unter der Bedingung zu, dass die Sklaverei beibehalten würde. Die Versammlung Pointe-à-Pitres verkündete ihrerseits, dass sie die Autorität Collots nicht mehr akzeptiere und erklärte sich damit faktisch für unabhängig. Zwar erhielten die sans-culottes der Stadt wenig Sukkurs aus den umliegenden Gemein59 60

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Dubois, A Colony, S. 136. Anne Pérotin-Dumon, Free Coloreds and Slaves in Revolutionary Guadeloupe. Politics and Political Consciousness, in: Gabriel Paquette, Stanley L. Engerman (Hg.), The Lesser Antilles in the Age of European Expansion, Gainesville, FL 1996, S. 259–279, hier S. 272–275; Dubois, A Colony, S. 137–140. Régent, Esclavage, S. 260f.; Pérotin-Dumon, Free Coloreds, S. 275. Collot, À toutes les municipalités et à tous les citoyens de la colonie, 22.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 139. Babus an seinen Onkel (Kopie), 30.1.1794, in: ADGB, 61J/30; Extrait du registre des délibérations du conseil général de la commune des Abîmes, 16.1.1794, in: ADGB, 61J/30; Collot an Dalbarde, 5.7.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 128. Zit. nach: Godechot (Hg.), Les Constitutions, S. 81.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

den, dennoch war dies ein weiterer herber Rückschlag für Collots Versuche, die patriotes Guadeloupes zu einen, um die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verteidigung der Kolonie zu schaffen65 . Der faktische Abfall Pointe-à-Pitres war insbesondere deshalb schwerwiegend, weil die verbliebenen Liniensoldaten den sans-culottes der Stadt politisch nahe standen66 . An eine erfolgreiche Verteidigung der Halbinsel Grande-Terre war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken, weshalb Collot sich entschloss, das Gebiet im Falle einer britischen Invasion zu räumen67 . Symptomatisch für die Machtlosigkeit der Kolonialbehörden war auch ihre Unfähigkeit, ausstehende Steuern einzutreiben. Collot versuchte dies dem »égoïsme fatal«68 der Kolonisten zuzuschreiben und damit die eigene Hilflosigkeit zu kaschieren. Die Hoffnungen des Gouverneurs, von den Gemeinden Guadeloupes freiwillige Zuwendungen zu erhalten, erwiesen sich als illusorisch. Von den Financiers Guadeloupes konnte die Kolonialregierung ohnehin auf keine Kredite mehr hoffen. Das hatte eine katastrophale Finanzlage zur Folge, zumal sich die Einnahmen aus den sequestrierten Plantagen der émigrés als ungenügend erwiesen, um die Ausgaben zu decken69 . Wegen des Zusammenbrechens der Handelsbeziehungen und der sich rapide verschlechternden Lage in Frankreich war mit Verstärkung und Nachschub nicht zu rechnen. Dalbarde kündigte zwar Collot Ende Oktober 1793 großspurig an: [L]a France a triomphé de tous ses ennemis de l’intérieur, le génie de la liberté a partout terrassé les esclaves des despotes & du fanatisme ; Lyon n’est plus, la Vendée est détruite & les armes de la République ont porté la terreur parmi les phalanges ennemies. [. . . ] Vous allez recevoir, citoyens, par des bâtiments qui seront expédiés incessamment des envois aussi considérables en numéraire & en troupes, que les circonstances peuvent le permettre70 .

Doch die Umstände ließen eben keine Verstärkung für die Kolonien in Übersee zu. Längst hatte Collot daher seine Hoffnungen in die USA gesetzt, wo der französische Generalkonsul Edmond-Charles Genet erfolglos versuchte, die amerikanische Regierung zu einem profranzösischen Kurs zu bewegen71 . Collot hoffte, amerikanische Handelsschiffe in die Kolonie zu locken, um die Plantagenökonomie in Gang zu halten. Hierfür schrieb er eigens an den amerikanischen Präsidenten George Washington und bat ihn, einen Handelskonsul in die Kolonie zu entsenden72 . Der Brief blieb allerdings unbeantwortet. 65 66 67 68 69 70 71 72

Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 198–204. Collot, Précis, S. 14. Collot, Mémoire sur la défense générale de la Guadeloupe, 25.6.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 147. Collot an Dalbarde, 26.6.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 120. Collot an Rochambeau (Kopie), 4.10.1793, in: ANPS, DXXV/123/976; Proklamation Collots, 11.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 134. Dalbarde an Collot (Kopie), 26.10.1793, in: ANPS, DXXV/123/978. Collot an [Genet], 22.3.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 44. Collot an Washington (Kopie), 8.7.1793, in: ANPS, DXXV/120/943.

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen

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Die Versuche Collots, Guadeloupe in die Handelsnetzwerke der Kaufleute Neuenglands zu integrieren, um so Absatzmärkte für die Kolonialwirtschaft zu eröffnen, fruchteten aus mehreren Gründen nicht. Erstens wurden seine Bemühungen von der Versammlung der modérés Basse-Terres sabotiert, die sich eigenmächtig mit Genet in Verbindung setzte und den Gouverneur als Teil der »aristocratie déguisée« anschwärzte. Diese Denunziation war für Collot umso schlimmer, als sie von just jener Fraktion kam, die in der Vergangenheit noch am ehesten gewillt gewesen war, den Gouverneur zu unterstützen73 . Zweitens hatten britische Diplomaten es zu verhindern gewusst, dass die Regierung Washingtons dem französischen Konsul erlauben würde, den rechtlichen Schutz der neutralen US-Flagge und die Häfen der USA als logistische Basis für Hilfslieferungen in die französischen Kolonien in der Karibik zu benutzen74 . Drittens machte die Royal Navy zu Kriegsbeginn keinerlei Anstalten, ihrerseits die neutrale US-Flagge zu respektieren: Binnen fünf Monaten sollten so über 300 US-amerikanische Handelsschiffe der Royal Navy in die Hände fallen, nicht zuletzt weil deren Kapitäne auf gewinnträchtige Prisen hofften75 . Erst nach dem Abschluss des sogenannten Jay’s Treaty im November 1794 zwischen der britischen und der US-amerikanischen Regierung genossen die US-Kaufleute den Schutz der neutralen Handelsflagge76 . Einzig zwischen Charleston, fernab der schwachen Bundesregierung in Philadelphia, und den französischen Kolonien entwickelte sich ein versteckter Handel, der dem französischen Kolonialreich Zugang zum Weltmarkt eröffnete77 . Diese bescheidenen Erfolge waren aber nicht mehr als Tropfen auf den heißen Stein. Es fehlte neben geeigneten politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vor allem eine genügende Anzahl an Soldaten, um die Kolonien gegen die inneren und äußeren Bedrohungen zu verteidigen. Auch wenn es Collot nur widerwillig akzeptieren wollte, die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen erlaubten nur eine Maßnahme, um die Zahl der Verteidiger zu erhöhen: Er musste dem Beispiel Rochambeaus und Bellegardes folgen und bewaffnete Einheiten von Sklaven einberufen, denen nach Erfüllung der Dienstpflicht die Freiheit verliehen werden sollte. Der Druck der Commission générale et extraordinaire zu diesem Schritt war nach den Ereignissen von Trois-Rivières derart groß und die militärische Lage derart prekär, dass Collot schließlich Anfang Februar 1794 einwilligte, 300 chasseurs 73 74 75 76 77

Comité de la sûreté générale séant à la Basse-Terre Guadeloupe à [Genet], 8.11.1793, in: ANPS, DXXV/120/943. Genet an Collot (Kopie), 23.1.1794, in: ANPS, DXXV/120/943; Genet an Rochambeau/ Collot/Ricard/Jeannet (Kopie), 22.12.1793, in: ANPS, DXXV/120/943. Duffy, Soldiers, S. 106–108. Samuel F. Bemis, Jay’s Treaty. A Study in Commerce and Diplomacy, New Haven, CT 1962. Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 210–213; Melvin H. Jackson, Privateers in Charleston, 1793–1796, Washington, DC 1969 (Smithsonian Studies in History and Technology, 1), S. 21–46.

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noirs zu den Waffen zu rufen. Laurent Dubois sieht in dieser Maßnahme einen weiteren wegweisenden Schritt des Abolitionsprozesses auf Guadeloupe78 . Der militärische Wert dieser Einheiten war allerdings gering: Die bewaffneten Sklaven reichten kaum, um zusammen mit den wenigen Liniensoldaten und den Nationalgardisten die Verteidigung der Kolonie gegen eine britische Invasion sicherzustellen, zumal sie auch schlecht ausgebildet waren. Mochte die kurzfristige Bewaffnung von Sklaven wie auf Martinique genügen, um Aufstände im Inneren niederzuschlagen, gegen eine professionelle Armee wie jene Großbritanniens konnten diese Einheiten kaum bestehen. Auch die restlichen Truppen unter seinem Kommando bereiteten Collot größte Sorgen. Nicht nur die Linientruppen galten als politisch unzuverlässig, es war auch fraglich, ob die Nationalgarde im Falle einer britischen Invasion kämpfen würde. Collot fürchtete, dass viele der Nationalgardisten aus Angst um die Sicherheit ihrer Familien und ihres Hab und Gutes dem Ruf zu den Waffen nicht folgen würden79 . Auf Martinique und Saint Lucia standen die Dinge kaum besser. Rochambeau vermochte auch nach der erfolgreichen Niederschlagung des royalistischen Aufstandes und der Abwehr der britischen Landung seine Herrschaft nicht zu konsolidieren. Er konnte nur auf die Unterstützung einiger weniger Kaufleute Saint-Pierres zählen80 . Auch wenn sich Bellegarde und die Offiziere der Nationalgarde offiziell Rochambeaus Kommandogewalt unterordneten, stellten sie weiterhin einen eigenständigen Machtfaktor dar. Dies zeigte sich an der Tatsache, dass Bellegarde und seine Offiziere entgegen der Befehle Rochambeaus nach wie vor Sklaven bewaffneten und damit ihre Machtbasis sukzessive vergrößerten81 . Der Generalgouverneur sah darin nichts weniger als einen Versuch Bellegardes, die Autorität der Metropole zu unterminieren82 . Tatsächlich hatte Rochambeau allen Grund vor der Fraktion Bellegardes auf der Hut zu sein, nachdem dessen Vertraute Anfang Januar 1794 auf Saint Lucia einen Aufstand inszeniert hatten: Seine Offiziere versuchten die Kolonialversammlung der Kolonie auf ihre Seite zu ziehen, indem sie eine Schmutzkampagne gegen den greisen Gouverneur der Kolonie, Ricard, lancierten. Sie ordneten in der Folge eigenmächtig die Auflösung der Kolonialversammlung an und ersetzten sie mit einem Gremium, in dem nur ihnen wohlgesinnte Männer vertreten waren. Zudem hätten sie auf den Plantagen »des pamphlets incendiaires« verbreitet. Ricard ließ die in seinen Augen illegalen Versamm78

79 80 81 82

Laurent Dubois, Citizen Soldiers. Emancipation and Military Service in the Revolutionary French Caribbean, in: Christopher L. Brown, Philip D. Morgan (Hg.), Arming Slaves. From Classical Times to the Modern Age, New Haven, CT 2006, S. 233–254, hier S. 236f.; Ders., A Colony, S. 147–153. Proklamation von Collot, 10.5.1793, in: ANOM, C7A 46, fol. 129. Rochambeau an Brissot, 29.6.1793, in: ANPS, XXV/118/921, fol. 9. Louis, Les libres, Bd. 2, S. 135–136. Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2.

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lungen mithilfe loyaler Linientruppen auflösen und stellte einen Haftbefehl gegen die Anführer der Aufstandsbewegung aus. Die vier farbigen Offiziere scharten rund 80 Mann um sich und wollten in der Folge gemäß Ricard eine Sklavenrevolte herbeiführen. Ricards Truppen gelang es allerdings rasch, die Aufständischen in die Enge zu treiben und den Ausbruch einer Sklavenrebellion zu verhindern. Die Anführer der Insurrektion wurden tagelang durch das gebirgige Landesinnere gejagt. Nach einigen Tagen konnten die meisten von ihnen gefasst werden83 . Nur einem ihrer Anführer, einem Mann namens Louis Genty, gelang es, nach Martinique zu entkommen, wo ihn Rochambeau sogleich einsperren ließ. Auch wenn die Hintergründe des Aufstandes auf Saint Lucia weitgehend im Dunkeln liegen, illustrierte der Vorfall, dass die Fraktion rund um Bellegarde eine eigene Agenda verfolgte und nicht daran dachte, sich Rochambeau unterzuordnen84 . Wollten Bellegarde und seine Getreuen die Sklaverei abschaffen, wie dies Abel A. Louis aufgrund seiner Auswertung der Korrespondenz Rochambeaus suggeriert85 ? Zweifelsfrei belegen lässt sich diese These aufgrund fehlender Zeugnisse seitens Bellegardes und seines Umfeldes nicht. Die rege Beteiligung seiner Truppen an der gewaltsamen Wiederherstellung der Plantagenökonomie nach der Niederschlagung des royalistischen Aufstandes legt derartige Absichten jedenfalls nicht nahe. Die Versuche Ricards und Rochambeaus, Bellegarde und seine Offiziere ins abolitionistische Lager zu stellen, waren vielmehr ungelenke Versuche der beiden Gouverneure, den farbigen Heerführer in Paris zu verleumden. Abolitionismus kam im politischen Sprachgebrauch der kolonialen Welt immer noch einer mehr oder weniger offenen Feindschaft zur Republik gleich. Die fortgesetzte Bewaffnung von Sklaven durch Bellegarde ist deshalb nicht zwangsläufig als verstecktes abolitionistisches Programm zu werten, sondern diente dem Aufbau einer politischen und militärischen Machtbasis gegen Rochambeau. Das Machtvakuum, das aus Rochambeaus unentschlossenem Handeln während der royalistischen Insurrektion resultiert hatte, war hierfür die entscheidende Voraussetzung. So gesehen reihten sich Bellegarde und seine Getreuen eher in die Linie der zahlreichen farbigen Heerführer Saint-Domingues ein, die sich den Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols zur Schaffung einer eigenen Machtbasis zu Nutze machten86 . Rochambeau war sich seiner kritischen Lage durchaus bewusst. Verantwortlich dafür machte er in erster Linie die Entscheidungsträger der Metropole, die ihm keine Hilfe hatten zukommen lassen. Metropolitane 83

84 85 86

Ricard, Journal des différents mouvements dans la campagne, 1794, in: ANOM, C10C 6; Ricard an Dalbarde, 15.3.[1794] (Zitat), in: ANPS, AF/II/302/2510, fol. 29; Louis, Les libres, Bd. 2, S. 140. Rochambeau, Journal du siège de la Martinique, 4.2.1794, in: ANPS, AF/II/302/2510, fol. 10. Louis, Les libres, Bd. 2, S. 134–136. Popkin, You Are All Free, S. 253–256.

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Truppen wären nicht nur dringend notwendig gewesen, um eine adäquate Drohkulisse gegen die verbliebenen Plantagenbesitzer aufzubauen. Sie hätten den Generalgouverneur auch von seiner Abhängigkeit von Bellegardes Milizen befreit, der keine Anstalten machte, sich ihm zu unterstellen. Die Briefe des Generalgouverneurs an die Entscheidungsträger in Paris zeugen in Anbetracht dieser Schwierigkeiten von zunehmendem Fatalismus. So endet einer seiner letzten Briefe an Dalbarde mit folgenden Worten: »Eh bien, s’ils [les Anglais, F. E.] arrivent dans cette colonie nous nous défendrons une seconde fois de manière à vous faire rougir de votre imprévoyance et de votre faiblesse«87 .

Der Hunger des britischen Löwen: die Grey-Jervis-Expedition, 1794 Rochambeau konnte zu dem Zeitpunkt, als er diese großspurigen Zeilen verfasste, vermutlich nicht ahnen, dass er und seine kleine Schar von Soldaten sich einer der bis dahin größten Überseeexpeditionen des Britischen Empires würden stellen müssen. Seit August 1793 liefen die Vorbereitungen für die britische Offensive gegen die französischen Besitzungen in der Karibik auf Hochtouren. Der Plan der britischen Führung sah vor, die französischen Kolonien im Winter 1793/94 zu erobern und danach die Truppen zurück auf den europäischen Kriegsschauplatz zu verlegen. Die Aufmerksamkeit des britischen Generals Charles Grey und seines Kollegen von der Royal Navy, Vizeadmiral John Jervis, galt aufgrund ihrer strategischen Bedeutung den Kleinen Antillen. Erst nach der Eroberung dieser Inselkette sahen sie sich in der Lage, das nur 600 Mann zählende britische Expeditionsheer auf Saint-Domingue zu verstärken, das im Laufe des Jahres trotz seiner geringen Größe beträchtliche Geländegewinne hatte verzeichnen können88 . Doch die Vorbereitungen verzögerten sich, so dass die Expedition erst im November 1793 in See stechen konnte. Nach einer mehr als zwei Monate dauernden Atlantiküberquerung traf die Expedition schließlich Mitte Januar 1794 in Barbados ein. Jervis standen zum einen zahlreiche Kriegsschiffe zur Verfügung, welche die absolute Überlegenheit zur See gewährleisteten. Zum anderen hatte Grey mehr als 7000 Soldaten aller Waffengattungen sowie mehrere tausend Matrosen für amphibische Operationen unter seinem Kommando. Rochambeau verfügte demgegenüber nur über etwas mehr als 100 Liniensoldaten und auf dem Papier über rund 2000 Nationalgardisten, deren Verlässlichkeit aber alles andere als sicher war89 . 87 88 89

Rochambeau an Dalbarde, 27.12.1793, in: ANOM, C8A 101, fol. 107. Geggus, Slavery, S. 105–114. Duffy, Soldiers, S. 41–58, 70f.; Rodger, The Command, S. 428.

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In der Entourage Greys und Jervis’ befanden sich auch zahlreiche emigrierte Offiziere der französischen Armee, die Güter auf Martinique und Guadeloupe besaßen. Darunter war unter anderem der Marquis de Bouillé, dem mehrere Plantagen auf Guadeloupe gehörten und der als Patron der royalistischen Kolonialbeamten fungierte, die zu Beginn der revolutionären Umstürze aus den Kolonien emigriert waren90 . Sekundiert wurde er durch Offiziere und Plantagenbesitzer wie Jean-Louis Ridouet de Sancé und François Henri Charles Bexon, die maßgeblich am Ausbau des Fort de la Convention nationale, der wichtigsten Befestigung auf Martinique, beteiligt gewesen waren und nun die britische Führung in ihrem Bestreben unterstützten, ebendiese Festung zu erobern91 . Nicht zuletzt dank dieser Männer war die britische Generalität bestens über die republikanischen Streitkräfte und ihre Verteidigungsanlagen im Bilde92 . Die Eroberung der französischen Kolonien diente zum einen dazu, diese strategisch wichtigen Inseln dem Britischen Empire einzuverleiben – von ihrer Rückgabe im Falle der Rückkehr eines Bourbonenkönigs war keine Rede mehr. Zum anderen sollte der innenpolitische Status quo ante wiederhergestellt werden, wie Grey und Jervis in einer gemeinsamen Proklamation vor Beginn der Kampfhandlungen deklarierten. Die Rückkehr der émigrés erklärten Grey und Jervis zu einem entscheidenden Ziel ihrer Politik. Sie kündigten ferner an, dass nur diejenigen des Schutzes des englischen Königs würdig seien, »qui demeurent paisiblement sur leurs habitations«. Wer allerdings mit der Waffe in der Hand erwischt werde, dem drohte die britische Generalität mit der Deportation nach Frankreich und im Falle einer Rückkehr in eine der Kolonien der Kleinen Antillen mit der Todesstrafe. Das war ein vielversprechendes Mittel, um die Nationalgardisten Martiniques und Guadeloupes zur Desertion anzustiften. Auf Empfehlung Bexons drohten Grey und Jervis den unter Waffen stehenden freien Farbigen und Sklaven der Kolonien, sie an die Küste Afrikas zu deportieren, wo sie ihrem Schicksal überlassen würden93 . In Anbetracht der Spannungen zwischen Rochambeau und Bellegarde versprach diese Ankündigung, die Bereitschaft der unter Waffen stehenden freien Farbigen und Sklaven, die Kolonien zu verteidigen, erheblich zu schwächen94 . Als die britischen Truppen am 5. Februar 1794 an drei Punkten der Insel landeten, hatten sich Rochambeau und Bellegarde endgültig überworfen. Letzterer hatte sich kurz nach der britischen Landung den Befehlen des Gene90 91

92 93 94

Zur Rolle Bouillés siehe Tarrade, Les colonies, S. 28f. Cooper Willyams, An Account of the Campaign in the West Indies in the Year 1794, London 1796, S. 3; Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Bexon an Hobart, 6.12.1801, in: TNA, WO 1/90/627; Rochambeau, Journal du siège de la Martinique, 4.2.1794, in: ANPS, AF/II/302/2510, fol. 10. Duffy, Soldiers, S. 67f. Proklamation von Grey/Jervis (Kopie), 1.1.1794, in: ANPS, AF/II/302/2510, fol. 2. Willyams, An Account, S. 10.

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ralgouverneurs widersetzt, der ihm – in der Absicht, den farbigen Heerführer besser zu kontrollieren – mehrere Offiziere unterstellen wollte, deren Loyalität Rochambeau galt95 . Bellegarde operierte in der Folge unabhängig von Rochambeau und ignorierte dessen Befehle96 . Der von der britischen Generalität befürchtete Widerstand von ziviler Seite blieb indes aus97 . Den numerisch weit überlegenen britischen Truppen gelang es wegen der Zerstrittenheit des republikanischen Lagers rasch, erhebliche Geländegewinne zu verzeichnen. So zogen sich Bellegardes Nationalgardisten von Trinité im Osten der Insel – das Zentrum der aristokratischen Pflanzerfraktion ließ Bellegarde angeblich niederbrennen98 – in Richtung Saint-Pierre zurück, anstatt in die stark befestigte Stellung bei Gros-Morne zurückzufallen, welche den Osten der Insel mit der Bucht der Stadt Fort-Républicain verband. So fiel den britischen Truppen diese wichtige Verbindungslinie widerstandslos in die Hände. Das ökonomische Zentrum der Kolonie, Saint-Pierre, kapitulierte am 16. Februar 1794, nachdem Schiffe der Royal Navy die Stadt bombardiert hatten und die Verteidiger von den britischen Truppen in das umliegende Gebirge zurückgedrängt wurden99 . Damit kontrollierten die französischen Verteidiger nur noch das Gebiet rund um Fort-Républicain. Auf ihrem Rückzug in diese stark befestigte Stadt nahmen gemäß britischen Berichten die französischen Nationalgardisten das Recht in die eigenen Hände, brannten die Plantagen einiger bekannter Royalisten nieder und töteten deren Sklaven100 . Bellegardes Nationalgardisten zogen sich derweil auf die Hügelkette nördlich des Fort de la Convention nationale zurück. Die Kontrolle dieser Stellung war für die Verteidigung des Forts von zentraler Bedeutung, hätten doch die britischen Artilleristen von dort die Befestigungen aus erhöhter Position unter Beschuss nehmen können. Als die britischen Truppen entlang der Bucht Landungsstege bauten, um die Belagerung des Forts voranzutreiben, entschloss sich Bellegarde, die Gelegenheit zu nutzen: Er griff die kaum befestigten Stellungen der Briten an der Küste mit allen ihm zur Verfügung stehenden Truppen an und ließ hierfür die wichtigen Befestigungen auf den Hügeln nördlich des Fort de la Convention nationale ungeschützt. Der britischen Infanterie gelang es jedoch, die französischen Angreifer zurückzuschlagen. Schlimmer noch: Grey nutzte Bellegardes Angriff seinerseits für die Erstürmung der Hügelkette nördlich des Forts, die den britischen Truppen widerstandslos in die Hände fiel. Damit kontrollierten Greys Rotjacken die wichtige Stellung im Rücken des Fort de la Convention nationale. 95 96 97 98 99 100

Séance extraordinaire du 19 pluviôse, 2e année de la République française, une et indivisible, 7.2.1794, in: ANPS, XXV/118/921, fol. 13. Rochambeau, Journal du siège de la Martinique, 4.2.1794, in: ANPS, AF/II/302/2510, fol. 10. Hawkesbury an Curt, 16.4.1794, in: BL, RP 510/73. Willyams, An Account, S. 34. Duffy, Soldiers, S. 72–77. Willyams, An Account, S. 23.

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Rochambeau war außer sich über das ungeschickte Verhalten Bellegardes und verweigerte infolgedessen seinen Truppen den Einlass in die Festung101 . Zweifellos war die Rivalität zwischen Rochambeau und Bellegarde ein entscheidender Faktor für diesen Entscheid, sah doch der Generalgouverneur darin die Chance, den farbigen Heerführer für die sich abzeichnende Niederlage verantwortlich zu machen. In seinem Belagerungstagebuch unterließ er es denn auch zu erwähnen, dass er den Truppen Bellegardes den Einlass ins belagerte Fort verwehrt hatte102 . Daneben spielten aber auch der rassistische Dünkel der verbliebenen weißen Linientruppen und der Freiwilligen unter dem Kommando Rochambeaus eine wichtige Rolle, die den farbigen Nationalgardisten Bellegardes misstrauten. Eine Revolte der im Fort de la Convention nationale eingeschlossenen Soldaten konnte sich Rochambeau aber unter keinen Umständen erlauben, hätte sie doch den britischen Sieg bedeutet103 . Die Situation Bellegardes und seiner Nationalgardisten war hoffnungslos: Zwischen den Fronten stehend, blieb dem Heerführer und seinen Offizieren Ende Februar nichts anderes übrig, als mit der britischen Generalität über eine Kapitulation der Nationalgardisten unter ihrem Kommando zu möglichst vorteilhaften Bedingungen zu verhandeln. Grey, dem an einem raschen Ende der Kampfhandlungen gelegen war, willigte ein, Bellegarde und seinen Offizieren freies Geleit in die USA zu gewähren und bezahlte gemäß Rochambeau dem Milizenführer sogar 200 000 Livre, um ihm die Kapitulation zu versüßen. Ob Grey aber tatsächlich einen derart hohen Betrag zahlte, bleibt unklar104 . Unbestritten ist allerdings, dass Bellegarde sein ganzes Hab und Gut mitnehmen durfte, das er gemäß dem britischen General William Stewart nur durch »extortion« während der letzten Monate erworben hatte105 . Freilich hielten sich nicht alle farbigen Nationalgardisten Bellegardes an die Kapitulationsvereinbarungen. Im Rücken des Belagerungsringes plünderten und brandschatzten zahlreiche von ihnen auf eigene Faust die Plantagen der Kolonie106 . Rochambeau blieb derweil nichts anderes übrig, als auf Zeit zu spielen und zu hoffen, dass entweder Klima und Gelbfieber die Briten zum Abbruch 101 102 103

104

105 106

Duffy, Soldiers, S. 78–80. Rochambeau, Journal du siège de la Martinique, 4.2.1794, in: ANPS, AF/II/302/2510, fol. 10. Ibid.; Compte rendu par Naverres capitaine au 51e Régiment d’Infanterie sur la Reddition de l’Île Martinique aux Généraux de l’armée anglaise le 25 Mars dernier (vieux style), 2e année Républicaine une & indivisible, o. D. [1794], in: ANPS, XXV/119/931, fol. 24. Rochambeau, Journal du siège de la Martinique, 4.2.1794, in: ANPS, AF/II/302/2510, fol. 10; Rochambeau an Dalbarde, 1.3.1794, in: ANOM, C8A 104, fol. 6. Duffy, Soldiers, S. 81, konnte allerdings in der Buchhaltung Greys keinen Beleg für die angeblich bezahlten Bestechungsgelder finden. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3. Siehe auch Willyams, An Account, S. 60f. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

der Belagerung zwingen würden oder Verstärkung aus Frankreich eintreffen würde. Auf Letzteres hatte der Generalgouverneur allerdings kaum mehr Hoffnung, beschuldigte er doch den Marine- und Kolonialminister noch während der Belagerung der »crimes énormes«, weil dieser den Kolonien der Kleinen Antillen keine Hilfe habe zukommen lassen107 . Rochambeaus spätere Behauptung, er habe mit dem Gedanken gespielt, die Sklaverei abzuschaffen, um den britischen Streitkräften numerisch Paroli bieten zu können, dürften nur der nachträglichen Gesichtswahrung gedient haben108 . Längst ging es für Rochambeau nur noch darum, eine ehrenvolle Kapitulation zu erreichen, die in Paris keinen Zweifel an seinen aufrichtigen Bemühungen aufkommen lassen würde, die Kolonie bis zum letzten Mann verteidigt zu haben. So lehnte er publikumswirksam das erste Kapitulationsangebot Greys ab, ließ aber im engsten Kreis durchblicken, dass er die Situation für aussichtslos halte. Derweil schlossen die britischen Truppen und die Royal Navy den Belagerungsring und bombardierten das Fort de la Convention nationale während mehrerer Wochen. Am 20. März 1794 eroberten die britischen Truppen das vorgelagerte Fort Louis im Sturmangriff und massakrierten laut dem royalistischen Kaufmann Jean-Baptiste Larriveau sämtliche »brigands«109 , welche die Befestigung verteidigt hatten. Einen Tag später, nach einer rund dreiwöchigen Belagerung, signalisierte Rochambeau schließlich seine Bereitschaft zur Kapitulation110 . Damit reagierte er nicht zuletzt auf den Druck vieler seiner Offiziere, die keinen Sinn mehr in der weiteren Verteidigung des Forts sahen und glaubten, sie hätten ihre Pflicht ehrenhaft erfüllt111 . Rochambeaus Forderungen, wonach die freien Farbigen ihre neugewonnenen Rechte behalten und diejenigen Sklaven, denen er die Freiheit versprochen hatte, auch in deren Genuss kommen sollten, lehnte die britische Generalität ab. Vermutlich waren diese Forderungen reine Verhandlungstaktik. Die meisten bewaffneten Sklaven mussten in der Folge auf die Plantagen ihrer Besitzer zurückkehren. Für Rochambeau war ohnehin viel wichtiger, dass er freies Geleit erhielt und sich in die USA absetzen konnte, um sich nicht gegenüber dem Wohlfahrtsausschuss verantworten zu müssen. Die rund 700 Verteidiger des Forts – gemäß einem britischen Offizier »a most despicable enemy, half naked and half starved«112 – wurden unter dem Versprechen, nie mehr gegen Großbritannien zu kämpfen, nach Frankreich zurückgeschickt. Darunter befanden sich auch zahlreiche farbige Offiziere, 107 108 109 110 111

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Rochambeau an Dalbarde, 1.3.1794, in: ANOM, C8A 104, fol. 6. Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2. Larriveau an Curt, 26.3.1794, in: ADGB, 61J/34. Duffy, Soldiers, S. 82–87. Compte rendu par Naverres capitaine au 51e Régiment d’Infanterie sur la Reddition de l’Île Martinique aux Généraux de l’armée anglaise le 25 Mars dernier (vieux style), 2e année Républicaine une & indivisible, o. D. [1794], in: ANPS, XXV/119/931, fol. 24. Zit. nach: Duffy, Soldiers, S. 87.

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die nur ein Jahr später wieder unter der Trikolore in den Kleinen Antillen dienen sollten113 . Die Verluste der republikanischen Truppen wurden auf 250–300 Mann geschätzt, während die britischen Streitkräfte rund 100 Soldaten verloren und über 200 Verletzte zu beklagen hatten114 . Den britischen Sieg nahmen die meisten Pflanzer der Kolonie jubilierend zur Kenntnis. So schrieb ein Plantagenbesitzer, nachdem er von der Kapitulation Rochambeaus erfahren hatte, an Curt in London: »Vive le roi, mon bon ami, nous sommes enfin royalistes et nous osons le dire !«115 Trotz dieses entscheidenden Erfolgs hatte Grey keine Zeit zu verlieren. Die Eroberung der Insel, obwohl sie durch die Zerstrittenheit der französischen Seite leicht war, hatte wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen, als ursprünglich geplant, und es war deshalb entscheidend, die restlichen französischen Besitzungen zu erobern, bevor die Regenperiode begann116 . Nur eine Woche später landeten rund 6000 britische Soldaten in Saint Lucia, dessen Gouverneur Ricard auf nur 280 Verteidiger zählen konnte, nachdem die Nationalgardisten in Scharen desertiert waren. Ohnehin fehlte es Ricard an Waffen, um eine ausreichend große Anzahl an Verteidigern auszurüsten. Nach einem Sturmangriff auf die Festung Morne Fortuné, bei dem alle Verteidiger den Bajonetten der Rotjacken zum Opfer fielen, sah sich der Gouverneur schließlich zur Kapitulation gezwungen. Die Eroberung der Insel hatte nur fünf Tage in Anspruch genommen und keinen einzigen britischen Soldaten das Leben gekostet117 . In Anbetracht der in Frankreich wütenden Terreur erachtete es Ricard als opportun, dem Beispiel Rochambeaus zu folgen und sich ebenfalls in die USA abzusetzen118 . Nur eine Woche später kreuzte die britische Flotte vor Guadeloupe auf. Collot war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal über den Fall Martiniques und Saint Lucias unterrichtet119 . Zwar verfügte der Gouverneur Guadeloupes über große Vorräte an Nahrungsmitteln, doch es fehlte an Waffen und Schwarzpulver, um eine längere Belagerung zu überstehen. Hinzu kam, dass die geografische Lage und der Zustand der beiden Festungen bei Basse-Terre 113

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Ibid.; Capitulation du Fort de la Convention à la Martinique, 21.3.1794, in: ANOM, C7A 46, fol. 78; Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2. Zahlen aus Henry de Poyen, Les guerres des Antilles de 1793 à 1815, Paris 1896, S. 55; Duffy, Soldiers, S. 88. St.-Cergues an Curt, 25.3.1794, in: ADGB, 61J/34. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Duffy, Soldiers, S. 88. Ibid., S. 90f.; Ricard, Précis du compte rendu à la Convention nationale par le général N. X. Ricard de sa conduite publique depuis son départ de France, 12.7.1795, in: ANOM, C10C 7. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3. Collot, Journal des opérations durant le siège, 1794, in: ANOM, 8DC/29/449.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

und Pointe-à-Pitre ein längeres Ausharren kaum erlaubten120 . Auf dem Papier konnte Collot zwar auf 8000 Mann zurückgreifen, doch das Gros davon waren unbezahlte Nationalgardisten, bei denen höchst fraglich war, ob sie dem Ruf zu den Waffen folgen würden. Den Kern von Collots Verteidigern bildeten die rund 150 Liniensoldaten, die 1100 besoldeten Nationalgardisten sowie die rund 300 chasseurs noirs, welche er in den vergangenen Wochen rekrutiert hatte121 . Obwohl die Landung der britischen Streitkräfte bei Gosier, einem Vorort Pointe-à-Pitres, äußerst chaotisch verlief, gelang es den wenigen französischen Verteidigern nicht, den Vormarsch der Rotjacken zu verhindern. Stattdessen desertierten ganze Kompanien von bezahlten Nationalgardisten, und selbst die wenigen Liniensoldaten galten als wenig verlässlich, nachdem es in der Garnison des Forts Saint-Charles beinahe zu einer Meuterei gekommen war. Die unbezahlten Nationalgardisten waren, wie erwartet, dem Ruf zu den Waffen gar nicht erst gefolgt122 . Die britischen Truppen wurden auf der Halbinsel Grande-Terre, dem Zentrum der aristokratischen Pflanzerfraktion, euphorisch empfangen; selbst die farbigen Plantagenbesitzer hatten gemäß dem britischen Brigadegeneral William Stewart vom »democratic rage« der Republikaner genug123 . Das Fort Fleur d’Épée fiel den britischen Truppen unter geringen Verlusten nach einem Sturmangriff in die Hände, womit sich die Halbinsel unter britischer Kontrolle befand124 . In der Stadt Pointe-à-Pitre kam es in der Folge zu Plünderungen durch britische Soldaten, die in die leerstehenden Häuser geflüchteter Kaufleute eindrangen und alles mitnahmen, was nicht niet- und nagelfest war. Ähnliches ereignete sich auch auf dem Vormarsch der britischen Truppen in Richtung Basse-Terre, wo Collot sein letztes Aufgebot versammelt hatte125 . Die rund 300 chasseurs noirs, welche die Stellungen im Gebirge rund um das Fort Saint-Charles, der wichtigsten Befestigung Basse-Terres, hätten bewachen sollen, ergriffen beim Anblick der vorrückenden britischen Truppen rasch die Flucht126 . Den Rotjacken gelang es in der Folge, auch die anderen Verteidigungsstellungen rund um die Stadt zu überrumpeln, weshalb Collot am 20. April 1794 nach Rücksprache mit den Mitgliedern der Commission générale et extraordinaire die Kapitulation der 120 121 122

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Rapport analytique sur la capitulation de la Guadeloupe, et sur la confiscation qui était arrivée dans cette île sous pavillon américain, o. D. [1794], in: ANOM, C7A 47, fol. 63. Régent, Esclavage, S. 267. Collot, Journal des opérations durant le siège, 1794, in: ANOM, 8DC/29/449; Copie de la délibération des corps administratifs réunis au quartier général du Palmiste sur la sommation des généraux anglais de capituler, 18.4.1794, in: ANPS, DXXV/124/980, fol. 14; Extrait des pièces relatives au siège et la capitulation de la Guadeloupe, o. D., in: ANOM, C7A 47, fol. 59. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3. Duffy, Soldiers, S. 94. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3. Dubois, A Colony, S. 152.

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen

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Truppen unter seinem Kommando anbot, welche Grey umgehend akzeptierte127 . 55 Liniensoldaten und rund 820 Nationalgardisten gingen in britische Kriegsgefangenschaft. Collot und seine Offiziere folgten Rochambeau ins Exil nach Philadelphia128 . Damit hatte die französische Republik das letzte Standbein in den Kleinen Antillen verloren. Nun machten sich die britischen Offiziere daran, die Beute unter sich aufzuteilen. Grey und Jervis erhoben auf allen drei eroberten Inseln Kontributionen in der Höhe von mehreren hunderttausend Pfund129 . Sie vergaben einträgliche Ämter an ihre Getreuen und Familienangehörigen, die wiederum keine Gelegenheit ausließen, sich zu bereichern130 . So verlangte der zum Gouverneur Saint Lucias ernannte Generalleutnant Charles Gordon eine Kontribution von über 300 000 Pfund, was fast der Hälfte der jährlichen Gesamtproduktion der Kolonie entsprach131 . Die vollgefüllten Lagerhallen in den Hafenstädten Martiniques und Guadeloupes sowie alle vor Anker liegenden Handelsschiffe ließen die britischen Offiziere requirieren132 . Den Pflanzern wurde sogar untersagt, ihre Ware zu verkaufen, bis sie die Kontributionszahlungen vollständig geleistet hatten133 . Wie die Last der Kontributionen verteilt wurde, lässt sich nicht ermitteln. Während sich einige der zurückgekehrten Pflanzer über die Höhe der Kontributionszahlungen beschwerten134 , schienen andere mit den Forderungen der britischen Generalität gerechnet zu haben. Viele zeigten sich nur dankbar, endlich ihre Plantagen wieder in Besitz nehmen zu können135 . Freilich sollten sich nicht wenige Pflanzer bald schon enttäuscht über die Weigerung der britischen Generalität zeigen, die Häfen für die neutrale Handelsschifffahrt zu öffnen136 . Aus Sicht von Grey bestand gar kein Grund, den Forderungen der Planta127

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Copie de la délibération des corps administratifs réunis au quartier général du Palmiste sur la sommation des généraux anglais de capituler, 18.4.1794, in: ANPS, DXXV/124/980, fol. 14; Extrait des pièces relatives au siège et la capitulation de la Guadeloupe, o. D., in: ANOM, C7A 47, fol. 59. Duffy, Soldiers, S. 95; Pérotin-Dumon, Être patriote, S. 218. Dundas an Grey (geheim), 9.6.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A339a. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Extrait d’une lettre de la Martinique, 15.7.1794, in: BL, Add. MSS. 38353/105; Grey an Dundas (Kopie), 4.4.1794, in: BL, Add. MSS. 38353/7. Notes on the capture of St. Lucia, 28.4.1794, in: BL, Add. MSS. 38353/38; Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Gordon an Dundas, 19.11.1794, in: NRS, GD51/6/143. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3. Dundas an Grey (geheim), 9.6.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A339a. Trepsac an Curt, 14.1.1795, in: ADGB, 61J/35; [?] an Curt, 2.6.1794, in: ADGB, 61J/34; Segretier an Curt, 1.6.1794, in: ADGB, 61J/34; Clugny an Curt, [8].7.1794, in: ADGB, 61J/34. Exposé des événements arrivés à la Guadeloupe, depuis la prise de cette colonie par les Anglais, 31.10.1794, in: ADGB, 61J/35. Boyer d’Étang an Curt, 3.11.1794, in: ADGB, 61J/35.

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I. Die Kleinen Antillen zwischen Revolution und Konterrevolution

genbesitzer Guadeloupes nachzukommen, erachteten sie doch den Vertrag von Whitehall, in dem ein zeitlich befristetes Freihandelsregime stipuliert worden war, für ungültig, nachdem die französischen Karibikinseln den Rotjacken nicht kampflos übergeben worden waren. Dazu schrieb ein britischer Marinearzt: »The French say, they expected to find, under an English government, an end to confiscation and oppression, and a peaceable enjoyment of their properties. But to their great regret, they find their situations very little bettered; and a change only from one set of oppressors to another«137 . Grey hatte allerdings seine Karten überreizt. Die US-Regierung übte heftige Kritik am Vorgehen der britischen Generalität, nachdem in den eroberten Inseln auch zahlreiche amerikanische Kaufleute Kontributionszahlungen leisten mussten. Der britische West India Interest kritisierte seinerseits die hohen Kontributionsforderungen aus Furcht vor französischen Repressalien im Falle der Eroberung britischer Zuckerinseln. Die Forderungen der betroffenen Kaufleute sollten jahrelange politische und juristische Streitereien nach sich ziehen und den Ruf Greys nachhaltig schädigen138 . Der Aufbau einer Zivilverwaltung lag derweil in den Händen der Speerspitze der aristokratischen Pflanzerfraktion. Dubuc und Clairefontaine, die zusammen mit Curt den Vertrag von Whitehall ausgehandelt hatten, wurden zu den Intendanten Martiniques und Guadeloupes ernannt139 . Alle anderen freigewordenen Stellen wurden mit britischen Offizieren besetzt, die oft nicht einmal Französisch sprachen140 . Die beiden Intendanten nutzten die neugewonnene Macht, um mit aller Kraft gegen die politischen Hochburgen der Republikaner in den Städten Martiniques und Guadeloupes – und damit auch gegen ihre Kreditoren – vorzugehen. In den Monaten nach der britischen Eroberung der französischen Inseln erließen die beiden Machthaber in ihren Kolonien lange Proskriptionslisten, welche die Namen hunderter bekannter patriotes enthielten. Damit nahmen sie nicht zuletzt Rache für die vergangenen Proskriptionswellen der Republikaner gegen die Royalisten141 . Selbst Grey zeigte sich besorgt über den Rachefeldzug Dubucs. Nicht zu Unrecht befürchtete er, dass die Verfolgungswelle nur dazu diene, die persönlichen Feinde des Intendanten auszuschalten und daher leicht in eine generelle Re137 138 139 140 141

Zit. nach: Rodger, The Command, S. 429. Joseph M. Fewster, Prize-Money and the British Expedition to the West Indies of 1793–4, in: Journal of Imperial & Commonwealth History 12 (1983–1984), S. 1–28. Grey an Dundas (Kopie), 4.4.1794, in: BL, Add. MSS. 38353/7; [?] an Curt, 2.6.1794, in: ADGB, 61J/34. [?] an Curt, 8.3.1794, in: ADGB, 61J/34. Micoulin, Observations sur la Martinique, 30.7.1794, in: ANPS, XXV/119/930, fol. 10; Rochambeau an Dalbarde, 17.5.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 54; Journal of LieutenantGeneral The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Admiralty Prize Court, Martinique, 7.5.1795, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A598a/3; Hugues an Abercromby/Harvey, 8.2.1797, in: ANOM, C7A 48, fol. 200; Hugues an Leigh, 22.10.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 165; Boyer l’Étang, Mémoire relatif à la Guadeloupe, 19.11.1796, in: ADGB, 61J/35.

3. Die britischen Offensiven gegen die Kleinen Antillen

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volte münden könne142 . Dubuc versicherte dem britischen General zwar, dass es sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme handle, denn die gesuchten Männer hätten sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht143 . Doch das war nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich hatte die Proskriptionswelle längst einen gesellschaftspolitischen Charakter angenommen, fielen ihr doch nicht nur viele freie Farbige zum Opfer, sondern auch zahlreiche petits Blancs, die in den Augen der kolonialen Eliten das wahre Unruheelement der vergangenen Jahre gewesen waren144 . Derweil begann das Gelbfieber unter den britischen Truppen seinen Tribut zu fordern. Allein die 1000 Mann starke Garnison Guadeloupes verlor pro Tag 30 Mann. Zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit hatten die Pflanzer und die britische Generalität zwar eine große Anzahl freiwilliger Milizen rekrutiert, doch gegen einen entschlossenen französischen Rückeroberungsversuch würde diese Streitmacht kaum bestehen, wie Brigadegeneral Stewart in seinem Tagebuch festhielt145 . Ein solcher Angriff war aber bis zum Ende der bevorstehenden Regenperiode nicht mehr zu erwarten. Die hohen Verluste der britischen Streitkräfte durch das Gelbfieber und die weitverbreitete Unzufriedenheit wegen der hohen Kontributionszahlungen und der Proskriptionswelle entgingen auch der französischen Seite nicht. Rochambeau forderte in mehreren Schreiben an den französischen Marine- und Kolonialminister die Entsendung einer größeren Expedition in die Kleinen Antillen, um die günstigen politischen und militärischen Bedingungen auszunutzen146 . Noch konnte er nicht wissen, dass sich diese bereits auf dem Weg befand und die Karten im Poker um den Archipel neu gemischt würden.

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Grey an Dubuc, 29.8.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A450. Dubuc an Grey (Kopie), 1.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A455. Note sur la Guadeloupe, o. D. [1794], in: DUL, GB-0033-GRE-A, A249; Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 34. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Jervis an Nepean, 4.4.1794, in: TNA, CO 253/1/455. Rochambeau an Dalbarde (Kopie), 17.5.1794, in: ANPS, DXXV/117/912, fol. 35; Rochambeau an Dalbarde (Kopie), 18.4.1794, in: ANPS, DXXV/117/912, fol. 33.

II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen, 1794–1802

4. Das französische Abolitionsdekret 1794: Ursachen und Hintergründe Cap-Français (kurz Le Cap, heute Cap-Haïtien), Saint-Domingue, am Morgen des 20. Juni 1793: Im ökonomischen Zentrum der krisengeschüttelten Kolonie bahnte sich eine Revolte an, die gravierende Folgen für die westliche Hemisphäre haben sollte. Mehrere hundert Matrosen der vor Anker liegenden Kriegsschiffe, befreite politische Gefangene und eine Handvoll Marinesoldaten ruderten die Marseillaise singend und unter »Vive-la-République !«-Rufen zu den Piers der Stadt. Ihre Absicht war es, unter der Führung des kürzlich abgesetzten Generalgouverneurs der Kolonie, François-Thomas Galbaud, die beiden Zivilkommissare Léger-Félicité Sonthonax und Étienne Polverel zu entmachten, die sie für die anhaltende Krise der Kolonie verantwortlich glaubten1 . Die Hintergründe des beabsichtigten Putsches lagen in der sich seit Kriegsausbruch politisch wie auch ökonomisch verschärfenden Lage der Kolonie. Sonthonax und Polverel waren seit September 1792 damit beschäftigt, das Gesetz vom 4. April desselben Jahres durchzusetzen, mit dem den freien Farbigen das Bürgerrecht erteilt worden war. Zudem wurde ihnen aufgetragen, den Sklavenaufstand niederzuschlagen und die Autorität der Metropole wiederherzustellen, die seit 1789 immer mehr erodiert war. Die beiden Zivilkommissare entstammten dem ländlichen Bürgertum Frankreichs, das die Revolution an die Schalthebel der Macht gespült hatte. Sie galten als stramme Jakobiner und unter Eingeweihten als Gegner der Sklaverei. Sonthonax und Polverel waren aber nie der Société des amis des Noirs beigetreten. Wie die meisten Gegner der Sklaverei ihrer Zeit vertraten sie einen graduellen Abolitionismus. Nur so, glaubten sie, ließe sich die Abschaffung der Sklaverei mit den kolonialen Interessen Frankreichs vereinbaren. Die Sklaverei stand allerdings in den Monaten nach ihrer Ankunft in Saint-Domingue kaum zur Diskussion. Vielmehr eilten sie von einem Brandherd zum nächsten, um ihre Autorität gegen subversive Klubs und Munizipalversammlungen durchzusetzen. Dabei schreckten sie auch nicht davor zurück, ihrem Willen gewaltsam Nachdruck zu verschaffen. Im Frühsommer 1793 hatten Sonthonax und Polverel ihre Herrschaft weitgehend konsolidiert. Allerdings scheiterten ihre Militäroffensiven gegen die aufständischen Sklaven wegen des grassierenden Gelbfiebers und des fehlenden Nachschubs. Den verschiedenen Rebellengruppen gelang es deshalb, sich ins gebirgige Landesinnere zurückzuziehen. Das Scheitern der Militäroffensive ließ vor allem bei Sonthonax die Überzeugung aufkommen, dass dem Sklavenaufstand nur mit politischen Mitteln beizukommen sei. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Übersetzung 1

Die folgende Darstellung der Abschaffung der Sklaverei in Saint-Domingue beruht, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf Popkin, You Are All Free, S. 121–245.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-005

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

des code noir ins Kreolische im Frühjahr 1793, womit Rechte und Pflichten der Sklavenbesitzer erstmals auch der Mehrheit der Sklaven Saint-Domingues bekannt gegeben wurden. Die beiden Zivilkommissare signalisierten mit dieser Maßnahme den Sklaven der Kolonie, dass sie bereit waren, die Einhaltung der Schutzklauseln des code noir gegenüber den Pflanzern durchzusetzen, wenn die Sklaven im Gegenzug auf die Plantagen zurückkehren würden. Derweil verschärfte sich die Lage infolge des Kriegsausbruchs zwischen Frankreich und Großbritannien sowie Spanien weiter. Dies lag vor allem an der Blockade der Hafenstädte durch Einheiten der Royal Navy. Infolgedessen war Le Cap vollgepfercht mit flüchtenden Plantagenbesitzern, die darauf warteten, mit dem ersten Konvoi nach Frankreich zurückzukehren. Auf den vor Anker liegenden Kriegsschiffen waren auch zahlreiche politische Gefangene inhaftiert, die Sonthonax und Polverel lieber früher denn später loswerden wollten. Die beiden Zivilkommissare glaubten sich aber an die Befehle des Marine- und Kolonialministers gebunden, erst dann Konvois nach Frankreich in See stechen zu lassen, wenn neue Kriegsschiffe aus dem Mutterland eingetroffen waren. Allerdings konnten sie nicht ahnen, dass die Führung in Paris aufgrund der anhaltenden Meutereien in den Atlantikstützpunkten der französischen Marine beschlossen hatte, vorerst keine weiteren Kriegsschiffe in die Karibik zu entsenden, welche die dort stationierten Einheiten hätten ablösen können2 . Die Schiffe lagen deshalb über Wochen im Hafen von Le Cap vor Anker, so dass nicht nur das Wirtschaftsleben der Stadt zum Erliegen kam, sondern auch immer mehr Matrosen am Gelbfieber erkrankten. Wegen der britischen Blockade und der Sklavenrebellion im Hinterland von Le Cap breitete sich Hunger unter den Unterschichten der Stadt aus. Hinzu kam die Stimmungsmache der politischen Gefangenen gegen die beiden Zivilkommissare, die gerade bei den Matrosen auf fruchtbaren Boden fiel. Grund hierfür waren ihre rassistischen Ressentiments gegen die farbigen Milizen der Stadt, die eine wichtige Herrschaftsstütze für Sonthonax und Polverel bildeten. Je länger die wirtschaftliche Misere anhielt, desto größer wurde die Unzufriedenheit unter den Matrosen, denen nur noch eine politische Führung fehlte. Dieses politische Vakuum füllte der neue Generalgouverneur FrançoisThomas Galbaud, der Anfang Mai 1793 in Le Cap eintraf3 . Der Brigadegeneral, der sich im ersten Kriegsjahr in den Kämpfen gegen die preußische Armee ausgezeichnet hatte und dessen Familie in Saint-Domingue Plantagen besaß, war trotz seiner adligen Herkunft ein überzeugter Anhänger der Republik. Galbaud überwarf sich aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten allerdings rasch mit den beiden Zivilkommissaren. Obwohl die Versorgungsschwierigkeiten ein rasches Handeln erforderten, hatten sie ihn angewiesen, bis zu ihrer Ankunft in der Stadt nichts zu unternehmen. Sonthonax und Polverel fürchteten 2 3

Zu den Meutereien in den französischen Atlantikstützpunkten siehe Cormack, Revolution, S. 215–241. Zu Galbaud siehe Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 416f.

4. Das französische Abolitionsdekret 1794

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vor allem um die fragilen Machtverhältnisse in der Stadt, die sich wegen der anhaltenden Krise leicht zu ihren Ungunsten verändern konnten. Als die beiden Zivilkommissare schließlich Le Cap erreichten, kam es innerhalb weniger Tage zum Eklat. Nicht nur warfen sie Galbaud vor, ihre Befehle missachtet zu haben, die zivilen Machthaber waren mit dem Generalgouverneur auch uneins über die zu verfolgende Strategie gegenüber den aufständischen Sklaven. Während Galbaud trotz der offensichtlichen Schwierigkeiten nach wie vor die militärische Niederschlagung des Aufstandes favorisierte, bevorzugten Sonthonax und Polverel eine politische Lösung, ohne allerdings eine Abschaffung der Sklaverei ins Auge zu fassen. Diese Differenzen suchten die Beiden mit der Absetzung des Generalgouverneurs zu überwinden, der dieses Diktum zunächst widerstandslos zu akzeptieren schien und lediglich beabsichtigte, nach seiner Heimkehr die beiden Zivilkommissare in Paris anzuklagen. In den Straßen, Kneipen und Bordellen von Le Cap kam es in der Folge immer häufiger zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Matrosen und freien Farbigen. Sonthonax und Polverel erließen eine Ausgangssperre für Seeleute, um die Situation zu beruhigen. Doch die Anordnungen bewirkten das genaue Gegenteil. In ihrer Wut auf die Zivilkommissare wandten sich die Matrosen an Galbaud, der in ihren Augen der einzige Repräsentant der Republik war, welcher über die nötige Autorität verfügte, die Absetzung von Sonthonax und Polverel in der Metropole durchzusetzen, nachdem sich die Marineoffiziere geweigert hatten, einen Putsch zu unterstützen. Der abgesetzte Generalgouverneur willigte allerdings erst in dem Moment ein, die Umsturzbewegung anzuführen, als die weißen Eliten der Stadt ihre Unterstützung zusicherten. Welche Ziele Galbaud verfolgte, bleibt im Dunkeln. Es scheint, dass er mehr Getriebener als Treibender des gewaltsamen Putschversuchs war. Dies zeigt sich schon an der Tatsache, dass er über kein politisches Programm dahingehend verfügte, wie es nach Absetzung der beiden Zivilkommissare hätte weitergehen sollen. Jeremy D. Popkin hat die Bedeutung dieses vielschichtigen Konflikts in Le Cap im Sommer 1793 vielleicht am besten auf den Punkt gebracht: »A dispute between a republican general and the two republican commissioners, joined to the quarrel between the sailors, who had no stake in slavery, and the free men of color, who were at best ambivalent about its abolition, was about to determine the fate of slavery in the French colonies«4 . Am Morgen des 20. Juni 1793 nahmen Galbaud, die Matrosen der vor Anker liegenden Kriegsschiffe, die befreiten politischen Gefangenen sowie ein Dutzend Marinesoldaten in Ruderbooten Kurs in Richtung der Piers von Le Cap. Als die Matrosen an Land gegangen waren, wurden sie von den farbigen Milizen in Straßenkämpfe verwickelt, die während zweier Tage hinund herwogten. Doch nachdem es Galbauds Getreuen gelungen war, das Waffenarsenal der Stadt zu erobern, kippte das Kräftegleichgewicht auf ihre Seite. Erst jetzt, als Sonthonax und Polverel und die unter ihrem Kommando 4

Popkin, You Are All Free, S. 187.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

stehenden Milizen mit dem Rücken zur Wand standen, erließen die beiden Zivilkommissare am Abend des 21. Juni 1793 folgende Proklamation: La volonté de la République française et celle de ses délégués était de donner la liberté à tous les nègres guerriers qui combattraient pour la République, sous les ordres des commissaires civils, tant contre les Espagnols que contre les autres ennemis, soit de l’intérieur soit de l’extérieur. [. . . ] Tous esclaves qui seront déclarés libres par les délégués de la République, seront les égaux de tous les hommes blancs ou de toute autre couleur. Ils jouiront de tous les droits appartenant aux citoyens français5 .

Zu diesem Zeitpunkt hatten freilich viele Sklaven der Stadt inmitten des Chaos die Ketten ihrer Knechtschaft bereits selbst gesprengt. Einige unter ihnen folgten dem Aufruf der beiden Zivilkommissare, andere nutzten die Gelegenheit zu plündern, wieder andere, insbesondere Frauen, flüchteten aus der Stadt. Unterdessen hielten die Kämpfe zwischen Galbauds Matrosen und den freien Farbigen unter dem Kommando von Sonthonax und Polverel unvermindert an. Galbaud sah sich schon als sicheren Sieger. Doch nachdem sich das Gerücht verbreitet hatte, dass eine große Anzahl aufständischer Sklaven im Anmarsch sei, um die umkämpfte Stadt zu erstürmen, brach Panik unter Galbauds Matrosen aus. In der Folge flüchteten Galbaud, seine Matrosen und ein Großteil der weißen Bevölkerung von Le Cap zu den vor Anker liegenden Schiffen. Im allgemeinen Chaos brach zudem Feuer aus, das die Hafenstadt innerhalb weniger Tage in Schutt und Asche legte. Die Zerstörung von Le Cap konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zivilkommissare einen entscheidenden politischen Sieg errungen hatten. Der Preis für die Durchsetzung der staatlichen Autorität war eine radikale Verschiebung der kolonialen Herrschaftsstrukturen: Fortan waren die Repräsentanten der Metropole weitestgehend von der Unterstützung ehemaliger Sklaven abhängig. Allerdings folgten die Sklaven Saint-Domingues dem Ruf zu den Waffen nur sehr zögerlich. Ohnehin galt das Angebot der beiden Zivilkommissare nur für wehrfähige Männer, die willens waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Frauen, Kinder, Kranke und Greise konnten hingegen nicht davon profitieren. Die Verleihung des Bürgerrechts war vorderhand exklusiv an den Militärdienst gebunden. Klar war auch, dass von der republikanischen Armee rekrutierten ehemaligen Sklaven in erster Linie dazu eingesetzt wurden, andere Sklaven zu bekämpfen; beispielsweise jene, welche unter den Bannern von Sklavenführern wie Georges Biassou, Jean-François Papillon oder Toussaint Louverture in spanischen Diensten standen. Es sollten noch Monate vergehen, bis die wichtigsten Sklavenanführer – unter anderem Louverture – mitsamt ihren Truppen die Seiten wechselten6 . Bis Ende Oktober 1793 wurde die Sklaverei sukzessive in allen Gebieten unter 5 6

Proklamation von Sonthonax/Polverel, 21.6.1793, zit. nach: Garran de Coulon, Rapport, Bd. 4, S. 39. Geggus, The Volte-Face; Graham T. Nessler, An Islandwide Struggle for Freedom. Revolution, Emancipation, and Reenslavement in Hispaniola, 1789–1809, Chapel Hill, NC 2016, S. 42f., 49f.

4. Das französische Abolitionsdekret 1794

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republikanischer Kontrolle abgeschafft. Die Abolition war allerdings nicht gleichbedeutend mit einem Ende der auf Zwangsarbeit beruhenden Plantagenökonomie. Wer nicht Militärdienst leistete, wurde unter Androhung drakonischer Strafen gezwungen, auf den Zucker- und Kaffeeplantagen der Kolonie weiterzuarbeiten7 . Dennoch war die Abschaffung der Sklaverei durch Sonthonax und Polverel ein revolutionärer Schritt. Sie bedeutete nicht nur eine dramatische Verschiebung der kolonialen Machtverhältnisse, sondern auch die Enteignung der Plantagenbesitzer Saint-Domingues. Weder waren die beiden Zivilkommissare zu solch drastischen Schritten ermächtigt, noch lag die Abolition in Saint-Domingue auf der bisherigen Linie der französischen Kolonialpolitik. Der Nationalkonvent sah sich deshalb im Winter 1793/94 vor vollendete Tatsachen gestellt und musste sich entscheiden, wie er damit umzugehen gedachte. Es stand außer Frage, dass die eigenmächtige Abschaffung der Sklaverei durch die Zivilkommissare Saint-Domingues auch im übrigen französischen Kolonialreich Folgen haben würde.

Das Abolitionsdekret vom 16. Pluviose Jahr II Insbesondere in der französischen Geschichtsschreibung zu den Ursachen des Abolitionsdekrets vom 16. Pluviose Jahr II (4. Februar 1794) ist die Vorstellung weit verbreitet, dass die Abschaffung der Sklaverei durch den Nationalkonvent in Paris ihre Wurzeln im freiheitlichen Gedankengut der Aufklärung und der Französischen Revolution habe. Das berühmte Zitat des Enzyklopädisten Louis de Jaucourt »Périssent les colonies plutôt qu’un principe !«, dient den Verfechtern dieser Position als Leitmotiv ihres Forschungsansatzes8 . Die französische Historikerin Florence Gauthier etwa beruft sich in ihrer Studie auf das Postulat europäischer Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts, wonach jeder Mensch von Natur aus frei sei. Diesem Prinzip sei nicht nur die Menschenrechtserklärung von 1789 verpflichtet gewesen, es habe auch die ideologische Grundlage für die Abschaffung der Sklaverei 1794 gebildet9 . Yves Benot ist ebenfalls der Ansicht, dass »il a fallu une volonté idéologique pour que la décision soit enfin prise«10 . 7 8

9 10

Popkin, You Are All Free, S. 246–288. Florence Gauthier, Périssent les colonies plutôt qu’un principe! De Jaucourt à Marx en passant par Robespierre et Desmoulins, in: Dies. (Hg.), Périssent les colonies plutôt qu’un principe. Contributions à l’histoire de l’abolition de l’esclavage 1789–1804, Paris 2002 (Études révolutionnaires, 2), S. 91–103. Dies., Triomphe. Yves Benot, Comment la Convention a-t-elle voté l’abolition de l’esclavage en l’an II, in: Roland Desné, Marcel Dorigny (Hg.), Les Lumières, l’esclavage, la colonisation, Paris 2005, S. 252–263, hier S. 263.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Damit setzen sich Gauthier und Benot gegen all jene Historiker zur Wehr, die das Abolitionsdekret von 1794 den politischen und militärischen Umständen geschuldet sehen und somit den Einfluss der Aufklärung auf das Gesetz relativieren11 . Der französische Historiker Jean-Daniel Piquet unterstellt der Fraktion der Zweifler gar, dass sie die Bedeutung »du plus bel événement de l’histoire« nur deshalb kleinreden würden, weil es »fut imputable à des criminels, des fanatiques ou des tyrans«12 . Freilich entlarvt sich Piquet damit selbst, geht es ihm und Gauthier doch vor allem darum, ihre Säulenheiligen – die Montagnards – reinzuwaschen und das Abolitionsdekret zu einem ihrer wichtigsten politischen Projekte hochzustilisieren. Problematisch daran ist nicht nur der kaum kaschierte normative Zugang zum Thema, sondern vor allem, dass weder Piquet noch Gauthier zu erklären vermögen, weshalb mehr als vier Jahre zwischen der Publikation der Menschenrechtserklärung und dem Abolitionsdekret liegen. Diese doch beträchtliche Zeitspanne als »dérapages«13 eines im Grunde unaufhaltsamen Prozesses abzutun, vermag kaum zu überzeugen – vor allem, wenn man bedenkt, mit welcher Geschwindigkeit die Revolutionäre andere Eckpfeiler des Ancien Régime abgeschafft hatten. Bereits im ersten Teil der vorliegenden Studie haben wir gesehen, dass für viele Zeitgenossen die Erklärung der Menschenrechte und die Sklaverei durchaus vereinbar waren. Vergessen wir zudem nicht, dass die meisten Abolitionisten in Frankreich eine graduelle Abolition befürworteten und nicht die sofortige Abschaffung der Sklaverei, wie sie das Gesetz vom 16. Pluviose Jahr II vorsah. Entsprechend war die politische Entscheidungsfindung in kolonialen Fragen kaum von einer freiheitlichen Ideologie bestimmt. Neuere Studien, insbesondere jene Jeremy D. Popkins, haben deshalb die Interpretation Gauthiers und Piquets hinterfragt, mit einer Fülle empirischen Materials überprüft und den Beschluss, die Sklaverei im ganzen französischen Kolonialreich abzuschaffen, als Ergebnis politischer Sachzwänge interpretiert, in welche die französische Regierung im Frühjahr 1794 verstrickt war14 . Selbst einer der profiliertesten Vertreter der neueren Ideengeschichte, Jonathan Israel, hat sich in seiner neuesten Studie zur Französischen Revolution dezidiert gegen die These Gauthiers und Piquets ausgesprochen, wonach die Abolition von 1794 in einer direkten Entwicklungslinie mit der Erklärung der Menschenrechte 1789 steht15 . Tatsächlich waren die politischen Bedingungen für den Erlass des Abolitionsdekretes lange Zeit ungünstig. 11

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Claude Wanquet, La France et la première abolition de l’esclavage, 1794–1802. Le cas des colonies Île de France (Maurice) et La Réunion, Paris 1998, S. 37; Louis Sala-Molins, Le code noir ou le calvaire de Canaan, Paris 1987, S. 261; Ders., Dark Side of the Light. Slavery and the French Enlightement, Minneapolis 2002, S. 127–131. Beide Zitate aus Piquet, L’Eémancipation, S. 7. Ibid., S. 273. Popkin, You Are All Free, S. 325–375. Ähnlich auch Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 436–449. Jonathan Israel, Revolutionary Ideas. An Intellectual History of the French Revolution from the Rights of Men to Robespierre, Princeton 2014, S. 396–419.

4. Das französische Abolitionsdekret 1794

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Just als sich die alte Koloniallobby rund um den Club Massiac nach dem Sturz der Monarchie im August 1792 aufzulösen begann, trat eine neue Gruppe von Vertretern kolonialer Interessen auf das Parkett der Pariser Politik16 . Die neue Lobbygruppe vertrat die Anliegen der kleineren und mittleren Plantagenbesitzer Saint-Domingues, die in der Kolonie zusehends auf Distanz zu den Großgrundbesitzern gegangen waren, denen sie vorwarfen, die Insel einer fremden Macht übergeben zu wollen. Ihre Wortführer, Pierre-François Page und Augustin-Jean Brulley, waren von der Kolonialversammlung von Le Cap damit beauftragt worden, in Paris dafür zu sorgen, dass die Sklaverei in Saint-Domingue für immer Bestand haben sollte und die weitgehende Autonomie der Kolonie gesichert würde. Kurz nachdem die beiden Deputierten die Kolonie verlassen hatten, übernahmen Sonthonax und Polverel die Amtsgeschäfte in der krisengeschüttelten Kolonie und lösten die Kolonialversammlung von Le Cap auf. Als Page und Brulley im Juli 1792 in Frankreich eintrafen, wurden sie mit einer Lage konfrontiert, in der die Verteidigung ihrer Anliegen alles andere als opportun erschien. Im politischen Klima des Sommers 1792 wurden die kolonialen Interessensvertreter in der Öffentlichkeit derart mit der Aristokratie assoziiert, dass es Page und Brulley für angebracht hielten, ihre Forderungen unter dem Deckmantel jakobinischer Politik zu vertreten. So distanzierten sie sich öffentlich vom Club Massiac, übernahmen rasch die politische Sprache der Jakobiner und nutzten ausgiebig die vom Wohlfahrtsausschuss installierten Überwachungskomitees, um bekannte Abolitionisten und andere politische Gegner zu verfolgen. Auf Empfehlung des berüchtigten Jakobiners Jean-Marie Collot d’Herbois wurden Page und Brulley im Februar 1793 in den Jakobinerclub aufgenommen. Wohlhabende Kaufleute und Reeder aus den französischen Hafenstädten versorgten die neue Koloniallobby mit Geld, das ihr Zugang zur Politprominenz Frankreichs verschaffte. Die Lobbyisten aus Saint-Domingue und die Finanzoligarchie der Hafenstädte Frankreichs hofften, nach der Niederschlagung des Sklavenaufstandes die sequestrierten Güter der emigrierten Zuckerbarone unter sich aufteilen zu können. Die intensive Lobbyarbeit Pages und Brulleys verschaffte ihnen schließlich die offizielle Anerkennung als Commission de Saint-Domingue durch Marine- und Kolonialminister Jean Dalbarde. Page und Brulley nutzten ihren wachsenden Einfluss, um die Hafenbehörden der Atlantikhäfen zur Freilassung der aus den Kolonien eintreffenden politischen Gefangenen zu bewegen. Im allgemeinen Chaos des Winters 1793/94 waren die politischen Entscheidungsträger der Hafenstädte heillos überfordert und primär mit der Niederschlagung der Aufstände in ihrem Hinterland beschäftigt. Kaum jemand interessierte sich für die Hintergründe der Inhaftierten aus Saint16

Die folgende Darstellung zum Lobbying der Sklavereibefürworter in Frankreich beruht, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf Popkin, You Are All Free, S. 329–351; Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 436–446.

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Domingue, die sich als Opfer der angeblichen Despotie Sonthonax’ und Polverels ausgaben. Page und Brulley hatten so leichtes Spiel, die Entlassung der politischen Gefangenen zu erwirken. Mit deren Freilassung Gefangenen gewann die neue Koloniallobby rund um Page und Brulley zusehends an Schlagkraft und eroberte dank ihres wachsenden Einflusses die Deutungshoheit über die Nachrichten aus den Kolonien. So gelang es ihnen, die Zerstörung von Le Cap und die damit einhergehende Abschaffung der Sklaverei im Juni 1793 als Ergebnis der willkürlichen Politik Sonthonax und Polverels darzustellen, die einzig darauf abgezielt habe, die Kolonie den Briten auszuliefern. Im Nachgang der Übergabe Toulons und der dort stationierten Mittelmeerflotte an die Royal Navy ließ sich mit dieser Panikmache in Paris leicht Gehör finden. Die politische Nähe der beiden Zivilkommissare zu den Girondisten spielte den Montagnards zudem die besten Argumente in die Hand, um die Kolonialpolitik Brissots als Verrat am französischen Kolonialreich zu diffamieren. Page und Brulley schienen im November 1793 ihre Ziele erreicht zu haben, als Robespierre höchstpersönlich in einer Rede zur außenpolitischen Lage Frankreichs vor dem Nationalkonvent ihre Lesart der Geschehnisse in Saint-Domingue übernahm17 . Selbst einer der Wortführer der Abolitionisten in Frankreich, Abbé Grégoire, knickte vor dem Hintergrund dieser massierten Politkampagne ein und zeigte sich in einem Brief an Brulley schockiert über die Ereignisse in Saint-Domingue. Damit hatte es die neue Koloniallobby rund um die beiden Deputierten bis Dezember 1793 geschafft, führende Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses wie Collot d’Herbois und Camille Desmoulins, die der Sklaverei ohnehin eher gleichgültig gegenüberstanden, sowie einen Großteil der Abgeordneten im Nationalkonvent auf ihre Seite zu ziehen18 . Doch innerhalb nur weniger Wochen brach das politische Kartenhaus von Page und Brulley zusammen. Bereits Ende Dezember verbreiteten sich das Gerücht in Paris, französische Kolonisten hätten die beiden Städte Jérémie und Môle-Saint-Nicolas, zwei wichtige Provinzhäfen in Saint-Domingue, den britischen Streitkräften übergeben. Der endgültige Beweis, dass sich die Pflanzereliten der französischen Kolonien den Kräften der Konterrevolution angeschlossen hatten, lag schließlich im Januar 1794 vor, als die »Gazette française« den Vertrag von Whitehall zwischen der britischen Regierung und den französischen Deputierten aus den Kleinen Antillen abdrucken ließ19 . Damit kippte die Stimmung und wandte sich gegen die neue Koloniallobby, denn dieser Verrat war für die Montagnards nicht hinnehmbar20 . 17

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Discours de Robespierre, 17.11.1793, in: Maximilien de Robespierre, Œuvres de Maximilien Robespierre, 11 Bde., hg. von Marc Bouloiseau, Albert Soboul, Paris 1967, S. 173f. Israel, Revolutionary Ideas, S. 410f. Benot, Comment la Convention, S. 253. Israel, Revolutionary Ideas, S. 411.

4. Das französische Abolitionsdekret 1794

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Am Morgen des 4. Februar 1794 eröffnete Louis Dufaÿ, einer der drei Deputierten Saint-Domingues, mit den pathetischen Worten »Le sang des Français a coulé«21 eine eineinhalbstündige Rede, in der er die Zerstörung von Le Cap den Intrigen General Galbauds anlastete. Allein Galbauds Freundschaft zu General Dumouriez, der nach der Niederlage bei Neerwinden im März 1793 die Seiten gewechselt hatte, beweise, dass der Generalgouverneur ein Agent Großbritanniens und Spaniens sei: Il eut aussi pour ses principaux partisans et agents tous les contre-révolutionnaires arrivés en grand-nombre de France et de Coblentz, et qui, à Saint-Domingue, se trouvèrent au centre des ennemis les plus acharnés de la France. Il a ajouté à ces cohortes d’ennemis presque tous les officiers de la marine [. . . ] qui, instruits du complot général contre la République et contre la Convention, voulaient, d’accord avec lui, livrer Saint-Domingue aux Anglais, comme leurs camarades en France voulaient livrer Brest et ont livré Toulon.

Dufaÿs Darstellung war zwar eine abenteuerliche Verdrehung der Tatsachen. Doch in der allgemeinen Paranoia vor konterrevolutionären Verschwörungen interessierte das niemanden, traf doch der Deputierte Saint-Domingues mit seiner Panikmache den Nerv der Abgeordneten des Konvents. Um sicher zu gehen, dass die Drohung ihre Wirkung nicht verfehlen würde, erinnerte er die Deputierten aus den Hafenstädten Frankreichs daran, dass den Pflanzern Saint-Domingues vom britischen Innenminister Henry Dundas ein zehnjähriges Schuldenmoratorium in Aussicht gestellt worden war, wenn sie die Kolonie den britischen Streitkräften übergeben würden. Die Vertreter der großen Handelshäuser wurden damit vor die Wahl gestellt, ihren Besitz und die ausstehenden Kredite abzuschreiben oder der Abolition zuzustimmen. So war es Dufaÿ ein Leichtes, seine Zuhörerschaft davon zu überzeugen, dass die aufständischen Sklaven die letzte Bastion in der Kolonie gegen die Feinde der Republik seien. Die Dienste der aufständischen Sklaven kamen zum Preis ihrer Freiheit, wie er weiter ausführte. Die Abschaffung der Sklaverei sei der einzige Weg gewesen, die Kolonie im französischen Imperium zu halten. Schließlich hätten Sonthonax und Polverel damit den seit zweieinhalb Jahren wütenden Sklavenaufstand mit einem Federstreich beenden können. Dass sich in Tat und Wahrheit bis dahin nur ein kleiner Teil der aufständischen Sklaven der Republik angeschlossen hatte, ignorierte Dufaÿ wohlweislich. Etwaige Sorgen der Abgeordneten des Nationalkonvents, wonach die Kolonien durch die Abschaffung der Sklaverei im Chaos versinken könnten und

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Der folgende Abschnitt zur Rede Dufaÿs und alle Zitate stammen aus: Discours du Citoyen Dufaÿ, 4.2.1794, in: Marcel Reinhard, Georges Lefebvre, Marc Bouloiseau (Hg.), Archives parlementaires de 1787 à 1860. Receuil complet des débats législatifs et politiques des Chambres françaises. Première série, 102 Bde., Paris 1962, Bd. 84, S. 276– 283. Zu Dufaÿ siehe auch Jean-Charles Benzaken, Louis Pierre Dufaÿ. Conventionel abolitionniste et colon de Saint-Domingue 1752–1804, Paris 2015.

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ihre wirtschaftliche Ausbeutung damit verunmöglicht würde, wusste Dufaÿ rasch auszuräumen, indem er deutlich machte, dass die Verleihung des französischen Bürgerrechts an die ehemaligen Sklaven eine rein rechtliche Angelegenheit und eine tatsächliche Verbesserung ihrer Lage eher nebensächlich sei. Vielmehr wurde mit der Abschaffung der Sklaverei die Zwangsarbeit eingeführt: Cependant la proclamation, en les déclarant libres, les assujettit à résidence sur leurs habitations respectives, et les soumet à une discipline sévère en même temps qu’à un travail journalier, moyennant un salaire déterminé; ils sont en quelque sorte comme attachés à la glèbe. Sans cette mesure prudente et salutaire, dans la crise où nous nous trouvions, c’en était fait de la colonie entière, de la souveraineté nationale sur cette précieuse possession: c’en était fait de la population blanche, c’en était fait des citoyens du 4 avril, ces Français nouveaux créés par l’Assemblée nationale, c’en était fait d’une multitude innombrable d’hommes qui, dans le désarroi général, se seraient entr’égorgés les uns les autres, divisés en cent partis différents, toujours en guerre, opprimants ou opprimés; et une partie d’entre eux servirait peut-être, les uns les indépendants, les autres les royalistes, d’autres les Espagnols ou les Anglais.

Die Deputierten interessierte weder die Frage, ob die neuen citoyens die versprochenen Lohnzahlungen für ihre Arbeit auf den Plantagen tatsächlich erhielten, noch wie hoch ihr festgesetztes Auskommen war. Auf viel größeres Interesse stießen Dufaÿs Ausführungen zu den militärischen Vorteilen einer Abolition: Nach Abschaffung der Sklaverei müsse die französische Regierung keine Truppen mehr in die Karibik entsenden, »qui ne sont point faits aux climats brûlants, et qui sont nécessaires pour opposer en Europe aux armées combinées de tous les despotes«. In Saint-Domingue stehe den französischen Militärs hingegen ein beinahe unerschöpfliches Rekrutierungsbecken zur Verfügung, das gegen die Feinde der Republik mobilisiert werden könne. Mit der Abolition entlaste der Gesetzgeber schließlich auch die Staatskasse, würden doch damit die hohen Kosten für den Transport von Soldaten und Kriegsmaterial entfallen, wie Dufaÿ den Abgeordneten des Nationalkonvents unterbreitete. Der Deputierte Saint-Domingues forderte einzig die Einrichtung eines Revolutionsgerichtes sowie die Entsendung neuer Kolonialbeamten, »mais des patriotes à la façon de France, et voués invariablement à la République française«. Schließlich verlangte Dufaÿ die Entsendung von Schwarzpulver: »Elle [la poudre, F. E.] ne servira pas celle-là pour tirer sur les citoyens de couleur ni sur les Noirs, mais bien sur les Anglais et les Espagnols« (Hervorh. i. Orig.). Dem Redner brandete daraufhin tosender Applaus entgegen. Nachdem Dufaÿ seine Rede beendet hatte, verlangte ein Mitglied des Konvents die umgehende Abschaffung der Sklaverei. Während der kurzen Diskussion soll ein Abgeordneter aus Nantes, dem Zentrum des französischen Sklavenhandels, vorgeschlagen haben, die Sklaverei auch in jenen Kolonien abzuschaffen, die den Truppen der Republik in die Hände fielen – frei nach der Logik: Wenn schon ihrem Geschäft der Garaus gemacht werden soll,

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dann musste die britische Konkurrenz gleich mit ins Verderben gezogen werden22 . Schließlich konnten sich die Abgeordneten auf folgenden Wortlaut einigen: La Convention nationale déclare aboli l’esclavage des nègres dans toutes les colonies; en conséquence, elle décrète que tous les hommes sans distinction de couleur, domiciliés dans les colonies, sont citoyens français, et jouiront de tous les droits assurés par la Constitution. Renvoie au comité de salut public pour lui faire incessamment un rapport sur les mesures à prendre pour l’exécution du présent décret23 .

Noch konnten die Abgeordneten nicht wissen, dass der Wohlfahrtsausschuss dem Nationalkonvent nie Rechenschaft über die Maßnahmen zur Umsetzung des Gesetzes ablegen sollte24 . Nachdem das Gesetz verabschiedet worden war, ergriff Danton, der zuvor noch versucht hatte, die Umsetzung der Abolition hinauszuzögern, das Wort und rief seinem euphorisierten Publikum entgegen: »C’est aujourd’hui que l’Anglais est mort«25 . In Anbetracht dieser Faktenlage bleibt es rätselhaft, wie die französischen Historiker Yves Benot, Florence Gauthier und Jean-Daniel Piquet die These vertreten können, die parlamentarische Debatte zur Abschaffung der Sklaverei fuße einzig auf der universalistischen Idee der Menschenrechte, während militärische, ökonomische und geostrategische Gründe keine Rolle gespielt hätten26 . Zwar bezog sich Dufaÿ in seiner Rede wiederholt auf die Menschenrechtserklärung, doch dienten diese Bezüge meist nur dazu, seinen Forderun-

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Fergus, Revolutionary Emancipation, S. 78. Der Autor stützt sich dabei auf einen Bericht der britischen Zeitung Morning Post über die Debatte im Nationalkonvent. Die Intervention des Deputierten aus Nantes ist in den »Archives parlementaires« nicht abgedruckt, was aber nicht bedeuten muss, dass sie frei erfunden ist. Tatsächlich gibt diese Quellensammlung oftmals nicht die gesamte parlamentarische Diskussion wieder, was im Protokoll der Sitzung vom 4. Februar 1794 auch angedeutet wird. Die intendierte Abschaffung der Sklaverei in den britischen und spanischen Kolonien wird auch von Florence Gauthier, Qu’est-ce que c’est la Terreur? Terreur et abolition de l’esclavage en 1793–1794, in: Germain Sicard (Hg.), Justice et politique. La Terreur sous la Révolution française, Toulouse 1997, S. 47–58, hier S. 54f., bestätigt. Loi du 16 pluviôse an II, in: Reinhard, Lefebvre, Bouloiseau (Hg.), Archives, Bd. 84, S. 284. Es ist bemerkenswert, dass der Sklavenhandel im Gesetzestext mit keinem Wort erwähnt wird. Sala-Molins, Le code, S. 261; Lucien-René Abénon, L’ordre révolutionnaire en Guadeloupe. Travail et liberté, 1794–1802, in: Michel L. Martin, Alain Yacou (Hg.), De la Révolution française aux révolutions créoles et nègres, Paris 1989, S. 97–104, hier S. 98. Discours du Citoyen Danton, 4.2.1794, in: Reinhard, Lefebvre, Bouloiseau (Hg.), Archives, Bd. 84, S. 284. Zu Dantons Versuchen, die Umsetzung des Abolitionsdekretes hinauszuzögern, siehe Miranda F. Spieler, The Legal Structure of Colonial Rule during the French Revolution, in: William & Mary Quarterly 66 (2009), S. 365–408, hier S. 394. Der Versuch Jean-Daniel Piquets, die Anglophobie Dantons herunterzuspielen, vermag kaum zu überzeugen: Jean-Daniel Piquet, Le discours abolitionniste de Danton (16 pluviôse, an II), in: Revue d’histoire et de philosophie religieuses 90 (2010), S. 353–377. Benot, Comment la Convention, S. 263; Piquet, L’émancipation, S. 317; Gauthier, Triomphe, S. 231–236.

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gen einen aufklärerischen Anstrich zu verleihen27 . Das Schicksal der befreiten Sklaven war für die Gesetzgeber zweitrangig. Die Menschenrechte spielten auch keine Rolle mit Blick auf die Sklavenbesitzer, wurde doch die Unantastbarkeit des Eigentums mit keinem Wort erwähnt. Wie dieses Prinzip mit der Enteignung der Sklavenbesitzer in Einklang gebracht werden konnte, blieb offen. Es führt somit nichts daran vorbei, sich mit den realpolitischen Hintergründen der Abolition von 1794 auseinanderzusetzen. Vergegenwärtigt man sich die Situation der Republik im Frühjahr 1794, werden die militärischen und geostrategischen Beweggründe des Nationalkonvents augenfällig: Seit der französischen Kriegserklärung an Großbritannien hatte sich das Kräfteverhältnis auf hoher See zwischen den beiden Mächten rapide zu Ungunsten Frankreichs entwickelt28 . Die Mittelmeerflotte war im Zuge der britischen Besetzung Toulons der Royal Navy in die Hände gefallen. Auf den Flottenstützpunkten der Atlantikküste meuterten die Matrosen, so dass die französische Kriegsmarine faktisch handlungsunfähig war29 . An ein entschiedenes Eingreifen auf den kolonialen Kriegsschauplätzen mit metropolitanen Truppen war unter diesen Umständen nicht zu denken, zumal der ungünstig verlaufende Krieg in Europa gegen die äußeren und inneren Feinde der Republik eine Entsendung größerer Kontingente französischer Soldaten kaum zuließ30 . Die Abolition – und das legte bereits Dufaÿ in seinen Ausführungen vor dem Nationalkonvent dar – erlaubte es dem Wohlfahrtsausschuss, sich auf den europäischen Kriegsschauplatz zu konzentrieren. Durch die Rekrutierung ehemaliger Sklaven in die Reihen der Revolutionsarmeen konnte der karibische Kriegsschauplatz sich selbst überlassen werden und bedurfte nicht mehr der materiellen Unterstützung der Metropole. Solange die beiden Rivalen Frankreichs in Übersee, Großbritannien und Spanien, nicht bereit waren, zu ähnlichen Mitteln zu greifen, waren sie gezwungen, ständig neue Truppen nach Übersee zu entsenden, um gegen die numerisch überlegenen Armeen der Republik in der Karibik bestehen zu können. Infolgedessen würden diese beiden Mächte kaum mehr in der Lage sein, auf dem europäischen Kriegsschauplatz mit noch größeren Kontingenten einzugreifen, wollten sie ihre Kolonien in Übersee verteidigen. 27

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Bezeichnend ist etwa folgende Formulierung in Dufaÿs Rede: »Les esclaves, qui étaient en insurrection depuis deux ans, instruits par les flammes et les coups de canon que le Cap était attaqué, crurent sans doute cette occasion favorable pour rentrer en grâce, et vinrent en foule offrir leur services; ils se présentèrent en armes devant vos délégués. ›Nous sommes nègres, Français, leur dirent-ils; nous allons combattre pour la France: mais pour récompense nous demandons la liberté‹. Ils ajoutèrent même: les droits de l’homme«. Aus: Discours du Citoyen Dufaÿ, 4.2.1794, in: Reinhard, Lefebvre, Bouloiseau (Hg.), Archives, Bd. 84, S. 278 (Hervorh. i. Orig.). Asa Briggs, The Age of Improvement 1783–1867, London 11 1994, S. 143. Cormack, Revolution, S. 173–241. Doyle, The Oxford History, S. 204–207.

4. Das französische Abolitionsdekret 1794

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Gerade für das Britische Empire kam der Verteidigung seiner westindischen Kolonien existentielle Bedeutung zu. Das fragile Kreditsystem der Londoner City beruhte zu einem wesentlichen Teil auf dem Handel mit diesen Inseln31 . Bereits während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs hatte der englische König Georg III. verkündet: »If we lose our Sugar Islands it will be impossible to raise money to continue the war«32 . Diese Warnung hatte mit dem Ausbruch des Koalitionskriegs gegen das revolutionäre Frankreich nicht an Dringlichkeit verloren – ganz im Gegenteil. Mit dem französischen Abolitionsdekret und der Ankündigung, die Abolition in die Kolonien der Gegner der Republik zu tragen, drohte aus Sicht der Regierung in London nicht nur der Handel mit den britischen Zuckerinseln zusammenzubrechen, sondern auch die Londoner Finanzbranche. Dies wäre für die britische Regierung einer Katastrophe gleichgekommen, hätte sie doch so keine weiteren Kredite zur Finanzierung des Kriegs und für die Subsidienzahlungen zugunsten der europäischen Verbündeten aufnehmen können. So gesehen traf das Abolitionsdekret die antifranzösische Koalition, deren Zahlmeister die Londoner City war, an ihrer Achillessehne. Demgegenüber waren die erwarteten Einbußen für den französischen Außenhandel verkraftbar, nachdem der direkte Handel zwischen den Kolonien und ihrem Mutterland infolge der britischen Seeblockade ohnehin bereits zusammengebrochen war. Die Abschaffung der Sklaverei hatte aber auch eine bedeutende kolonialherrschaftliche Stoßrichtung. Sie war ein geeignetes Mittel, die kolonialen Eliten für ihren Verrat durch den Vertrag von Whitehall aus dem Jahr zuvor zu bestrafen. Die Enteignung der Plantagenbesitzer – und das war die Abolition aus Sicht der Pflanzer – würde ihre politische Bedeutung in den Kolonien erheblich beschneiden33 . In diesem Kontext ist auch Dufaÿs Forderung nach der Einrichtung von Revolutionsgerichten zu verstehen, welche die Kolonisten zu unbedingtem Gehorsam gegenüber der Kolonialregierung zwingen würden. Auf die Interessen und Wünsche der alten Kolonialeliten sollte fortan keine Rücksicht mehr genommen werden. Die Bedürfnisse des Staates und seiner Funktionsträger standen künftig im Vordergrund. Die Abschaffung der Sklaverei war also nicht das Ergebnis ideologischer Debatten um Abolitionismus und Menschrechte, sondern ein geeignetes Herrschaftsinstrument, um die Kontrolle über das Kolonialreich in Übersee wiederzuerlangen. Der radikale Kurswechsel in der französischen Kolonialpolitik wurde nicht erst durch die flammende Rede Dufaÿs vor dem Nationalkonvent vollzogen. Bereits Ende 1793 zirkulierte im Wohlfahrtsausschuss ein Memorandum, in 31 32 33

James Davey, In Nelson’s Wake. The Navy and the Napoleonic Wars, New Haven, CT 2015, S. 114. Zit. nach: Duffy, Soldiers, S. 385. Bereits im Amerikanischen Unabhänigkeitskrieg verfolgten britische Streitkräfte mit der Befreiung der Sklaven amerikanischer Großgrundbesitzer das Ziel, den Plantagenbesitzern die sozioökonomische Grundlage zu entziehen. Vgl. Michael Hochgeschwender, Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763–1815, München 2016, S. 418.

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dem ähnliche Überlegungen angestellt wurden. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb seine Mitglieder entgegen der Gepflogenheiten gar nicht erst an der Sitzung des Nationalkonvents vom 4. Februar 1794 teilnahmen, um der Versammlung ihre Sicht der Dinge zu unterbreiten. Ein Widerruf der eigenmächtigen Abolition von Sonthonax und Polverel kam ohnehin nicht in Frage, hätte diese Maßnahme doch jeglichen Einfluss der Metropole in der krisengeschüttelten Kolonie untergraben. An der Tatsache, dass die schwarzen Aufständischen Saint-Domingues die Ketten der Sklaverei selbst gesprengt hatten, war ebenso wenig zu rütteln. Was blieb aus Sicht der Metropole also anderes übrig, als das Beste aus der Situation zu machen34? Doch ungeschoren sollten Sonthonax und Polverel für ihr eigenmächtiges Handeln nicht davonkommen. Der Wohlfahrtsausschuss hielt an einem früheren Befehl fest, die beiden Zivilkommissare wegen Amtsmissbrauch verhaften zu lassen. Der Verhaftungsbefehl erreichte Saint-Domingue gleichzeitig mit den Nachrichten, dass der Nationalkonvent die Abschaffung der Sklaverei bestätigt und auf das gesamte französische Kolonialreich ausgeweitet hatte35 .

Die Abolition und die Kleinen Antillen Auch im Hinblick auf die Kleinen Antillen fügte sich die Abolition in die bereits beschlossene Strategie des Wohlfahrtsausschusses ein. Seit längerem bereitete die französische Führung eine kleinere Militärexpedition in die Kleinen Antillen vor, welche die schwachen Garnisonen Martiniques und Guadeloupes verstärken sollte, um der befürchteten britischen Offensive zuvorzukommen. Dabei ging es aber nicht nur um eine Verteidigung der Kolonien gegen die äußere Gefahr; die mit der Expedition betrauten Zivilkommissare waren auch angewiesen, die zahlreichen Royalisten für ihren Verrat zu bestrafen, die widerspenstigen Kolonialversammlungen und Gerichte ersatzlos aufzulösen, die gesamte Kolonialverwaltung abzusetzen sowie eine Militärherrschaft zu errichten36 . Aus der Ferne und wegen der zahlreichen Machtwechsel in Paris wurde es für die Entscheidungsträger in der Metropole ohnehin immer schwieriger, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Die zahlreichen Berichte über angebliche und tatsächliche Intrigen sowie Verschwörungen der Pflanzer der Kleinen Antillen, welche die Metropole in den letzten Jahren erreicht hatten, ließen im Wohlfahrtsausschuss die Überzeugung aufkommen, dass alle Kolonisten Anhänger der 34 35 36

Popkin, You Are All Free, S. 351, 356f. Spieler, The Legal Structure, S. 394. Vgl. Instructions données par le Comité de salut public aux commissaires nationaux envoyés aux îles du Vent, 22.1.1794, in: ANPS, AF/II/302/2509, fol. 44; Choix des sujets propres à occuper les places de l’administration, 22.1.1794, in: ANPS, AF/II/302/2509, fol. 42.

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Konterrevolution seien und deshalb bestraft werden müssten. Der beabsichtigte Rachefeldzug des Wohlfahrtsausschusses gegen die Pflanzer der Kleinen Antillen erinnert in vielerlei Hinsicht an die Vendée, wo die Todesschwadronen der Republik einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führten, ohne zwischen Republikanern und Royalisten zu unterscheiden37 . In seinen Befehlen an die Kommandeure der Expedition stellte der Wohlfahrtsausschuss denn auch klar, dass die Abolition in erster Linie als Bestrafung für den Verrat der Pflanzer zu verstehen sei. Die Abschaffung der Sklaverei sollte das sozioökonomische Rückgrat der Pflanzereliten brechen und die Terreur sie zu unbedingter Loyalität gegenüber der Republik zwingen. Nur so konnten Martinique und Guadeloupe nach Ansicht des Wohlfahrtsausschusses im Imperium gehalten werden. Die Agenten wurden zwar vage angehalten, die Sklavenbesitzer gerecht zu behandeln, vor dem Hintergrund des intendierten Rachefeldzugs gegen die kolonialen Konterrevolutionäre verkam diese Anordnung jedoch zu Makulatur. Zudem würde die Abolition ein gewaltiges Rekrutierungsbecken für Soldaten öffnen, dem die Briten nichts entgegenzustellen hätten, wie die Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses in ihren Befehlen weiter ausführten. Von der Erklärung der Menschenrechte war in ihren Anweisungen keine Rede38 . Das Abolitionsdekret zielte also nicht auf eine Verbesserung der Situation der ehemaligen Sklaven ab, sondern auf die Bestrafung der kolonialen Eliten. Die Abolition war demnach ein Mittel, den Verrat der kolonialen Eliten zu rächen und die Herrschaft der Metropole zu sichern. Terreur und Abolition waren in der Kolonialpolitik des Wohlfahrtsausschusses zwei Seiten derselben Medaille. Es stellte sich nur noch die Frage, wer zu den »missionnaires de la République«39 in den Kleinen Antillen ernannt werden sollte, welche die Autorität der Metropole in Übersee gewaltsam durchsetzen würden? Zahlreiche Namen wurden im Wohlfahrtsauschuss herumgereicht, doch schließlich entschieden sich die Entscheidungsträger für Pierre Chrétien und Victor Hugues, die sie am 26. März 1794 über ihre Mission informierten40 . Während über Chrétiens Hintergrund nichts bekannt ist, hatte sich sein Amtskollege in der Pariser Politik bereits einen Namen gemacht. Der 32-jährige Hugues stammte aus dem Kleinbürgertum Marseilles. Bereits im Kindesalter heuerte er als Matrose auf französischen Handelsschiffen an, wo er rasch Karriere machte und die Karibik kennenlernte. In den Jahren unmittelbar vor dem Ausbruch der Französischen Revolution ließ er sich als Bäcker in der Hauptstadt Saint37 38

39 40

Siehe dazu Bell, The First Total War, S. 154–185. Supplément aux instructions données par le Comité du salut public aux commissaires nationaux envoyés dans les îles du Vent, colonies françaises, 13.2.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 126. Michel Biard, Missionnaires de la République. Les représentants du peuple en mission (1793–1795), Paris 2002. Gauthier, Triomphe, S. 240; Piquet, L’émancipation, S. 388f.; Rodigneaux, Victor Hugues, S. 188–190.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Domingues, Port-au-Prince, nieder41 . Bei Ausbruch der Revolution stand er der berüchtigten Assemblée de Saint-Marc nahe, die auf eine größere Autonomie von Frankreich drängte42 . Als die Assemblée im Juni 1790 auf Geheiß des damaligen Gouverneurs Saint-Domingues aufgelöst wurde, gehörte Hugues zu den sogenannten léopardins, jener Gruppe von Abgeordneten, die fluchtartig die Kolonie in Richtung Frankreich verlassen musste. Doch bereits im Winter 1790/91 kehrte er nach Saint-Domingue zurück. Im September 1791 fiel ein Großteil seines Besitzes in Port-au-Prince den Flammen zum Opfer, nachdem die Stadt Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen freien Farbigen und petits Blancs wurde. In den folgenden Monaten betrieb er eine kleine Druckerei und veröffentlichte mehrere Pamphlete gegen die Politik der Kolonialregierung Gouverneur Philibert-François Rouxel de Blanchelandes, die er für den krisenhaften Zustand der Kolonie verantwortlich machte43 . Insbesondere denunzierte Hugues den Gouverneur in seinen Schriften als vermeintlichen Anhänger der Konterrevolution, weil er zu zaghaft gegen den Aufstand der freien Farbigen im Frühjahr 1791 unter der Führung Vincent Ogés und Jean-Baptiste Chavannes’ vorgegangen sei44 . Hugues war also in kolonialpolitischer Hinsicht eindeutig dem Milieu der petits Blancs zuzuordnen, die gegen die kolonialen Eliten Stimmung machten und sich gleichzeitig mit aller Kraft gegen ein Ende der auf Segregation beruhenden Gesellschaftsordnung stemmten. Nur ein Jahr später, im Oktober 1792, kehrte er nach Frankreich zurück, wo er unter anderem als Zeuge im Prozess gegen Blanchelande auftrat. In der Denunzierung missliebiger Kolonialbeamter und anderer vermeintlicher Konterrevolutionäre entdeckte Hugues bald seine Berufung. Dank seiner Verbindungen zu den Jakobinerclubs und der Patronage des berüchtigten Montagnards André Jeanbon Saint-André wurde Hugues zum Chefankläger des Revolutionstribunals Rocheforts und später desjenigen von Brest ernannt – seine fehlende juristische Ausbildung interessierte selbstredend niemanden, allein die richtige Gesinnung war entscheidend. In zahlreichen Schauprozessen gegen Marineoffiziere und meuternde Matrosen der Kriegsmarine ließ Hugues keine Zweifel an seiner Loyalität zum neuen Regime, die er nicht zuletzt im Prozess gegen die Verräter von Toulon dem Wohlfahrtsausschuss unter Beweis stellte. Gleichzeitig pflegte er enge Kontakte zur neuen Koloniallobby rund um Page und Brulley – Hugues’ Stellung als Chefankläger eines Revolutionsgerichtes kam den beiden Lobbyisten sehr gelegen. Von der Abschaffung der Sklaverei hielt Hugues ohnehin nichts, wie er in einem Brief an Page und Brulley über die Situation in Saint-Domingue zum Ausdruck brachte: »Ils [les nègres] se battent déjà entre eux, voilà les 41 42 43 44

Die biografischen Angaben zu Hugues des folgenden Abschnitts stammen, sofern nicht anders gekennzeichnet, aus Rodigneaux, Victor Hugues, S. 45–185. Zur Assemblée de Saint-Marc siehe Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 261–278. Zu Blanchelande siehe Popkin, The French Revolution’s Royal Governor. Zum Aufstand Ogés und Chavannes’ siehe Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 278–285.

4. Das französische Abolitionsdekret 1794

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bienfaits d’une liberté mal entendue«45 . So war Hugues auch in die Intrigen Pages und Brulleys involviert, die darauf abzielten, den Auftritt Dufaÿs und der beiden anderen Deputierten Saint-Domingues vor dem Nationalkonvent zu verhindern. Hugues verpasste es nur knapp, die drei Abgesandten bei ihrer Ankunft in Lorient verhaften zu lassen46 . Was trieb den Wohlfahrtsausschuss dazu, einen bekennenden Gegner der Abolition wie Hugues mit der Abschaffung der Sklaverei im geostrategisch wichtigen Archipel der Kleinen Antillen zu beauftragen? Diese Frage hat insbesondere jene Historiker umgetrieben, die glauben, das Abolitionsdekret sei das zielstrebige Werk der radikalen Montagnards gewesen und fuße allein auf der Menschenrechtserklärung. Überzeugende Erklärungen konnten sie mangels schriftlicher Zeugnisse der Entscheidungsträger bislang nicht vorbringen47 . Dabei liegt die Antwort auf der Hand, wenn man sich von der Idee löst, die Montagnards rund um Robespierre hätten die Abolition zielstrebig herbeigeführt: Es war kein Zufall, dass Hugues’ Patron, Jeanbon Saint-André, ein dezidierter Befürworter der Sklaverei und im Wohlfahrtsausschuss verantwortlich für Marineangelegenheiten, den Koloniallobbyisten und Ankläger der Revolutionstribunale Rocheforts und Brests als Kandidaten für den Posten eines Zivilkommissars in den Kleinen Antillen vorschlug. Hugues war schon allein deshalb der ideale Kandidat für das Amt, weil er zum einen die Terreur der vergangenen Monate als Herrschaftsinstrument verinnerlicht hatte. Zudem war er mit den Verhältnissen in den karibischen Kolonien vertraut. Darüber hinaus galt Hugues als ausgesprochen anglophob. Und nach der Verabschiedung des Gesetzes vom 16. Pluviose hatte er rasch das Mäntelchen des überzeugten Abolitionisten übergezogen, indem er die militärischen Vorteile im Kampf gegen die Briten pries, nachdem die kolonialen Eliten die Republik verraten hätten48 . Um sicherzustellen, dass deren Verrat bestraft würde, ließen die Behörden eigens eine mobile Guillotine auf das Admiralsschiff der Expedition verladen. Die Abschaffung der Sklaverei war in diesem Rachefeldzug nur Mittel zum Zweck, weshalb es der Wohlfahrtsausschuss auch nicht für nötig hielt, die Zivilkommissare darüber zu instruieren, wie sie die Abolition zu vollziehen hatten. Hugues stand es frei, nur jene Gesetze in den Kolonien der Kleinen Antillen zur Anwendung zu bringen, die in seinen Augen den herrschenden Umständen gerecht würden49 . »Robespierre lui donna ›carte blanche‹ pour continuer son ›épuration‹«50 , so ein früher Biograph Hugues’. 45 46 47 48 49 50

Zit. nach: Piquet, L’émancipation, S. 323. Popkin, You Are All Free, S. 353. Piquet, L’émancipation, S. 388–391; Gauthier, Triomphe, S. 241, Anm. 143; PérotinDumon, Être patriote, S. 113f. Rodigneaux, Victor Hugues, S. 92f., 185–187. Spieler, The Legal Structure, S. 398. Georges Sainte-Croix de la Roncière, Victor Hughes, le conventionnel, Paris 1932, S. 109.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Hugues’ Ernennung zum Zivilkommissar in Übersee kam ihm auch persönlich entgegen, denn er befand sich nach der Abolition vom 4. Februar 1794 in einer politisch heiklen Lage. Sein bisheriges Wirken zugunsten der Koloniallobby rund um Page und Brulley drohte in der aufgeheizten Stimmung des Frühjahrs 1794 rasch, zu einem Stolperstein zu werden: Gleich nach der Verabschiedung des Abolitionsdekrets denunzierte Dufaÿ nämlich Page, Brulley und Hugues als konterrevolutionäre Verschwörer. Zwar ließ sich der Wohlfahrtsausschuss davon nicht beeindrucken, doch es blieb fraglich, wie lange er seine schützende Hand über Hugues halten konnte51 . Eine Mission in Übersee war deshalb eine gute Gelegenheit, sich dem Zugriff seiner politischen Feinde zu entziehen. Gleichzeitig erlaubte sie es ihm, ein Vermögen anzuhäufen, da infolge der intendierten Terrorwelle eine große Anzahl einträglicher Plantagen sequestriert werden würde. So gesehen ermöglichten Abolition und Terreur eine Neuverteilung des knappen Bodens in den Kleinen Antillen und boten damit all jenen die Gelegenheit zum sozialen Aufstieg, die in der karibischen Plantagenökonomie bislang eine marginale Rolle eingenommen hatten. Nachdem Hugues in Rochefort eingetroffen war, äußerte er gegenüber dem Wohlfahrtsausschuss große Zweifel an der Umsetzbarkeit des Abolitionsdekretes. Mit nur rund 1000 sans-culottes sollten er und Chrétien die Sklaverei in den drei französischen Kolonien der Kleinen Antillen abschaffen, die Kolonialbeamten absetzen, die Royalisten für ihren Verrat von Whitehall bestrafen, die Kolonialversammlungen auflösen und eine Militärherrschaft errichten. Zudem war längst bekannt, dass in den englischen Häfen eine große Militärexpedition vorbereitet wurde, die sich mit größter Wahrscheinlichkeit zuerst gegen die strategisch wichtigen Inseln der östlichen Karibik richten würde. Hugues und Chrétien verlangten deshalb erfolglos einen dritten Kommissar, um für Martinique, Guadeloupe und Saint Lucia je einen Verantwortlichen einsetzen zu können52 . Kurz bevor die kleine Flotte in See stach, erreichte Rochefort die Meldung, dass Rochambeau auf Martinique vor einer mehrfach überlegenen Streitmacht britischer Rotjacken habe kapitulieren müssen, nachdem er von Bellegardes farbigen Nationalgardisten verraten worden sei53 . Diese Nachricht führte Hugues und Chrétien vor Augen, dass sie in den Kolonien keiner Fraktion Vertrauen schenken durften. Die Meldung von Rochambeaus Kapitulation bedeutete aber auch, dass ihre Mission nach dem Verlust Martiniques einem Himmelfahrtskommando gleichkam: So kurz vor dem Ausbruch der Regenperiode eine Militärexpedition in die Karibik zu entsenden, war ohne sicheren Hafen äußerst riskant. Aber es gab kein Zurück, die Expedition musste gelingen. 51 52 53

Rodigneaux, Victor Hugues, S. 190–192. Hugues/Chrétien an Wohlfahrtsausschuss, 22.4.1794, in: ANOM, C8A 104, fol. 159; Hugues/Chrétien an Wohlfahrtsausschuss, 28.4.1794, in: ANOM, C8A 104, fol. 157. Leissègues, Conquête de la Guadeloupe sur les Anglais, o. D. [1794], in: ANOM, C7A 47, fol. 107.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit: Guadeloupe, 1794–1798 »Eine Revolution wird nicht argumentiert – sie wird gemacht!«1 Diese Worte legte der kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier dem Kommissar des Nationalkonvents der Kleinen Antillen, Victor Hugues, in den Mund. Das Zitat bringt Hugues’ Politik während seiner Zeit als Kommissar des Nationalkonvents auf Guadeloupe womöglich am besten auf den Punkt. Er hatte nichts übrig für philosophische Diskussionen, Kompromisse und schon gar nicht für Versagen. Dies erfuhren seine Offiziere, als der Ausguck der Fregatte Pique (32) am Mittag des 2. Juni 1794 Guadeloupe am Horizont ausmachte. Nachdem ein Vorauskommando festgestellt hatte, dass auch diese Kolonie unter britischer Herrschaft stand, entbrannte ein heftiger Streit zwischen den Offizieren und Hugues über das weitere Vorgehen. Aus Sicht der Militärs kam ein Landungsversuch so kurz vor dem Beginn der Regenperiode einem Selbstmordkommando gleich, fehlte es doch dem kleinen Expeditionskorps nicht nur an einer genügenden Anzahl Soldaten, sondern auch an Belagerungswaffen, Geld, Nahrungsmitteln und Schwarzpulver2 . Zudem verfügte die französische Flotte in Guadeloupe über keinen sicheren Ankerplatz, der sie vor dem Zugriff der Royal Navy und vor Hurrikanen schützen würde. Doch Hugues ließ sich nicht beirren. Aus seiner Erfahrung als Ankläger zweier Revolutionstribunale wusste er nur allzu gut, dass gescheiterten Kolonialbeamten nach ihrer Rückkehr nach Frankreich ein Prozess drohte, dessen Ausgang kaum absehbar war3 . Hugues’ zahlreiche Feinde in den Reihen der Abolitionisten würden zweifellos die Gelegenheit nutzen, um den ehemaligen Handlanger der Koloniallobby vor einem Revolutionstribunal zu denunzieren. Gegen sämtlichen Widerstand seiner Offiziere befahl Hugues deshalb die Landung. Für Hugues galt in diesem Moment vielleicht wie für niemand anderen das Motto der Französischen Revolution: »Vaincre ou mourir!«4

1 2 3 4

Carpentier, Explosion, S. 159 (Hervorh. i. Orig.). Pélardy, Précis des événements qui se sont passés à la Guadeloupe depuis le 14 Prairial an 2 jusqu’au 21 frimaire an 3, 21.4.1795, in: ANOM, 8DC/29/451. Siehe Popkin, The French Revolution’s Royal Governor. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 306; Villegégu an Dalbarde, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 96; Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12; Leissègues, Conquête de la Guadeloupe sur les Anglais, o. D. [1794], in: ANOM, C7A 47, fol. 107.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-006

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Der Kampf um Grande-Terre und die Abschaffung der Sklaverei Während des gesamten Nachmittags des 2. Juni 1794 konnten die Kolonisten Guadeloupes beobachten, wie das französische Geschwader entlang der Südküste der Halbinsel Grande-Terre segelte. Hugues nutzte die Gelegenheit, um den Bewohnern der Kolonie schon einmal anzukündigen, was sie erwartete, indem er die Guillotine gut sichtbar auf dem Bug der Pique aufstellen ließ5 . Am Abend landeten schließlich rund 1000 Nationalgardisten bei Pointe-des-Salines, einem Vorort Pointe-à-Pitres. Während zweier Tage waren Hugues’ Truppen mit nichts anderem beschäftigt, als die Plantagen zwischen Gosier und Sainte-Anne, der Hochburg der aristokratischen Pflanzerfraktion, zu plündern und zu brandschatzen. Gemäß dem Kaufmann Jean-Baptiste Larriveau fielen während dieser Tage bereits 15 bis 20 »braves colons, qui sont tombés dans la main de ces monstres que l’enfer a vomis sur nos côtes«6 , der mobilen Guillotine zum Opfer. Die britische Generalität wurde durch die Landung der Republikaner auf dem falschen Fuß erwischt. Sie hatte nicht mehr mit einer französischen Gegenoffensive vor Beginn der Regenperiode gerechnet. Ein Teil des Geschwaders von Vizeadmiral Jervis hatte sich in Erwartung der Niederschläge bereits in die Bucht von Fort-Royal, Martinique, zurückgezogen, während die restlichen Schiffe der Royal Navy über die gesamte karibische See verteilt waren. Die auf Guadeloupe stationierten britischen Offiziere waren gemäß dem Bericht Larriveaus mehr mit dem Zählen von Zuckerfässern und dem Schätzen sequestrierter Plantagen beschäftigt denn mit der Instandsetzung der baufälligen Verteidigungsanlagen der Kolonie oder der Errichtung einer funktionsfähigen Verwaltung. Überall auf der Insel lagen noch Waffen von den Kämpfen im vergangenen April herum7 . Die britische Garnison war zum Zeitpunkt der französischen Landung durch das Gelbfieber erheblich geschwächt und zählte 2188 Mann. Damit war sie aber immer noch mehr als doppelt so groß wie das französische Expeditionskorps und konnte im Gegensatz zu Letzterem auf Verstärkung aus den umliegenden Kolonien des Archipels zählen. Am Tag der französischen Landung starb allerdings der Gouverneur der Kolonie, Thomas Dundas, am Gelbfieber. Sein Stellvertreter, Oberstleutnant Bryan Blundell, erkannte die Tragweite der republikanischen Gefahr im allgemeinen Chaos nicht. Anstatt die numerische Überlegenheit der britischen Garnison zu nutzen und das Gros seiner Soldaten zwecks Verteidigung des Forts Fleur d’Épée umgehend nach Pointe-à-Pitre zu verlegen, ließ er wertvolle Zeit mit der 5

6 7

Edith Géraud-Llorca, Victor Hugues. La Terreur en Guadeloupe, in: Germain Sicard (Hg.), Justice et politique. La Terreur sous la Révolution française, Toulouse 1997, S. 317– 326, hier S. 319. Larriveau an Curt, 4.7.1794, in: ADGB, 61J/34. Ibid. Siehe auch Larriveau an Curt, 1.11.1794, in: ADGB, 61J/35.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

157

Befestigung des Forts Mathilda (ehemals Fort Saint-Charles) bei Basse-Terre verstreichen. Auf Grande-Terre konnte der befehlshabende Kommandant, Oberstleutnant Gordon Drummond, derweil auf nur 190 dienstfähige Rotjacken zurückgreifen, die er im Fort Fleur d’Épée versammeln ließ. Dabei wurden die britischen Truppen von rund 400 royalistischen Milizionären unterstützt, welche sich mitsamt ihren Familien in der Festungsanlage verschanzt hatten. Einen ersten Sturmangriff der Truppen Hugues’ in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1794 vermochten die anglo-royalistischen Verteidiger zurückzuschlagen. Pierre Chrétien, der zweite Kommissar des republikanischen Expeditionskorps, verlor bei den Kämpfen sein Leben, so dass Hugues von nun an das alleinige Sagen hatte. Bei ihrem zweiten Versuch gelang es den republikanischen Truppen schließlich, in die Festung einzudringen, woraufhin sie fast alle royalistischen Verteidiger sowie ihre Familien niedermetzelten. Die wenigen verbliebenen Rotjacken vermochten derweil nach Pointe-à-Pitre zu flüchten. Doch die Stadt war nicht mehr zu halten, weshalb sich die britischen Überlebenden mit Booten auf die Halbinsel Basse-Terre absetzten. Damit fiel die wichtige Hafenstadt in die Hände der Truppen Hugues’, die sie sogleich plünderten. Die zurückgelassenen kranken britischen Soldaten und deren Frauen im Militärspital der Stadt massakrierten die sans-culottes kurzerhand8 . Nun rächte sich auch die Gier der britischen Offiziere der vergangenen Wochen, fielen doch den Republikanern mehrere Dutzend vor Anker liegende Handelsschiffe in die Hände, die mit über 6000 beschlagnahmten Zuckerund Kaffeefässern beladen waren. Der Verkauf dieser Waren an schwedische und dänische Kaufleute aus den umliegenden Kolonien spülte dringend benötigtes Geld zum Kauf von Waffen, Schwarzpulver und Lebensmitteln in die Kassen Hugues’. Auch die Proskriptionswelle Greys und Dubucs stellte sich bald als Eigentor heraus, befreiten und bewaffneten doch die sans-culottes an die 600 Inhaftierte aus den Kerkern Pointe-à-Pitres, die darauf brannten, an ihren Widersachern Rache zu nehmen9 . Allerdings waren diese an den Waf8

9

Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12; Villegégu an Dalbarde, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 96; Exposé des événements arrivés à la Guadeloupe, depuis la prise de cette colonie par les Anglais, 31.10.1794, in: ADGB, 61J/35; Clugny an Curt, [8].7.1794, in: ADGB, 61J/34; Boyer d’Etang an Curt, 3.11.1794, in: ADGB, 61J/35; Fort-Royal Martinique, 14.10.1794, in: BL, Add. MSS. 38353/115; Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Duffy, Soldiers, S. 115–117. Villegégu an Dalbarde, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 96; Kerversau, De l’administration civile de la Guadeloupe depuis l’arrivée du général Richepanse jusqu’à la prise de cette colonie par les Anglais, en février 1810, o. D., in: ANOM, C7A 70, fol. 38; Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12; Larriveau an Curt, 4.7.1794, in: ADGB, 61J/34; Larriveau an Curt, 6.7.1794, in: ADGB, 61J/34; Larriveau an Curt, 7.7.1794, in: ADGB, 61J/34; Exposé des événements arrivés à la Guadeloupe, depuis la prise de cette colonie par les Anglais, 31.10.1794, in: ADGB, 61J/35; Vaughan an Portland, 24.11.1794, in: TNA, WO 1/31/1; Vaughan an Dundas, 24.11.1794, in: TNA, WO 1/83/20; Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 27.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 34.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

fen ungeübten Milizionäre nur von begrenztem militärischem Wert. Ohnehin war Hugues’ Lage trotz der Eroberung Pointe-à-Pitres aussichtslos. Rund die Hälfte seines Expeditionskorps und zahlreiche Offiziere waren in den selbstmörderischen Sturmangriffen auf das Fort Fleur d’Épée gefallen. Viele seiner Soldaten erkrankten derweil am rasch um sich greifenden Gelbfieber10 . Zudem gingen die Lebensmittel- und Schwarzpulvervorräte rapide zur Neige11 . Gleichzeitig rüsteten die anglo-royalistischen Kräfte auf der Halbinsel Basse-Terre zum Gegenangriff, um die Republikaner noch vor dem Beginn der Regenperiode zur Kapitulation zu zwingen. Grey zog aus den britischen Garnisonen des Archipels sämtliche verfügbaren Soldaten zusammen. Vizeadmiral Jervis sammelte derweil seine Flotte rund um Guadeloupe, um die Insel unter Blockade zu stellen. Der Befehlshaber der französischen Marinestreitkräfte, Corentin de Leissègues, ordnete deshalb an, die beiden Fregatten und die vier Transportschiffe unter seinem Kommando in die Bucht von Pointe-à-Pitre zu verlegen und sie durch die Versenkung mehrerer vor Anker liegender Handelsschiffe vor dem Zugriff der Royal Navy zu schützen12 . Weder die Befreiung der politischen Gefangenen aus den Kerkern Pointeà-Pitres noch der Einsatz der Matrosen konnten darüber hinwegtäuschen, dass es Hugues schlicht an einer genügenden Anzahl bewaffneter Kämpfer fehlte, um den republikanischen Brückenkopf gegen die numerisch weit überlegenen anglo-royalistischen Kräfte zu behaupten. Aus den Reihen der Kolonisten erfuhr die Handvoll republikanischer Truppen kaum Unterstützung. Wer konnte, hatte längst mitsamt seinen Sklaven die Flucht in Richtung der britischen Linien ergriffen13 . Erst jetzt, als ihm keine andere Wahl mehr blieb, veröffentlichte der Kommissar des Nationalkonvents das Abolitionsdekret – am 7. Juni, fünf Tage nach der Landung14 . Hugues’ Ruf zu den Waffen folgten allerdings nur wenige der neuen citoyens, weshalb er bereits am nächsten Tag verkünden ließ, dass jeder, der wehrfähige Männer nach Pointe-à-Pitre bringe, je nach Anzahl der mitgebrachten Rekruten auf der Stelle einen entsprechenden Offiziersrang erhalten werde. Es ist offensichtlich, dass damit kräftige Anreize geschaffen wurden, Männer egal welcher Hautfarbe gewaltsam ins republikanische Lager zu verschleppen. So wurde ein ehemaliger Sklave namens Vulcain auf der Stelle zum Oberst ernannt, nachdem er mehr als 100 der neuen citoyens nach Pointe-à-Pitre gebracht hat10

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Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12; Larriveau an Curt, 14.7.1794, in: ADGB, 61J/34; Thouluyre-Mahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6; Géraud-Llorca, Victor Hugues, S. 323. Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12. Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 23.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 30; Leissègues an [Wohlfahrtsausschuss], 22.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 111; Duffy, Soldiers, S. 116f. Pélardy, Précis des événements qui se sont passés à la Guadeloupe depuis le 14 prairial an II jusqu’au 21 frimaire an III, 21.4.1795, in: ANOM, 8DC/29/451; Fort-Royal Martinique, 14.10.1794, in: BL, Add. MSS. 38353/115; Thouluyre-Mahé an Direktorium, 17.1.1798, in: ANOM, EE 1726/20. Proklamation von Chrétien/Hugues, 7.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 8.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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te15 . Es ist deshalb anzunehmen, dass die komplexen Hierarchien unter den Sklaven der Zucker- und Kaffeeplantagen als Modell für die spätere soziale Ausdifferenzierung innerhalb der republikanischen Armeen dienten16 . Der Konflikt zwischen den republikanischen Kräften und der angloroyalistischen Allianz radikalisierte sich nicht nur in Folge des Abolitionsdekrets zusehends. Hugues machte rasch allen Bewohnern der Kolonie klar, dass niemand mit Vergebung rechnen durfte. Wer nicht auf Seiten der Republikaner war, der war gegen sie17 . Geschickt erzeugte er ein Klima gegenseitiger Denunziation, dem jeder zum Opfer fallen konnte18 . Hastig eingerichtete Revolutionstribunale richteten tatsächliche und angebliche Royalisten der Kolonie, derer Hugues’ Schergen habhaft werden konnten19 . Begründet wurde die Terreur Hugues’ mit der Bestrafung derjenigen, die die Kolonien an die britische Regierung verraten hätten, in den Worten des Kommissars »les infâmes satellites des tyrans«, sowie der Verfolgung der patriotes im Zuge der britischen Besatzung20 . Selbst innerhalb des britischen Lagers vertraten einzelne Offiziere dieAnsicht,dass dieRoyalisten unddiebritischen Streitkräftenach demVertrag von Whitehall, den Proskriptionswellen und den britischen Kontributionen kein Pardon zuerwarten hatten. So schriebein britischerOffizierin Martinique: »We have set a very bad example and have no favour to expect if these people [the republicans, F. E.] get the upper hand«21 . Die wenigen verbliebenen patriotes der Halbinsel Grande-Terre standen ebenfalls unter Generalverdacht. Wegen ihrer unentschlossenen Haltung, die vor allem von der militärischen Schwäche des französischen Expeditionskorps herrührte, verglich Hugues die republikanischen Kolonisten mit den modérés in Frankreich – und dies war im Lichte der politischen Spannungen in Paris keineswegs positiv gemeint22 . Freilich dürfte die Vorsicht der wenigen republikanischen Plantagenbesitzer gegenüber Hugues auch durch die Strafexpeditionen der sans-culottes bei Gosier und entlang der Rivière-Salée bedingt gewesen sein, im Zuge derer die republikanischen Truppen systematisch sämtliche Plantagen geplündert hatten23 . 15

16 17 18 19 20 21 22 23

Für zehn Mann wurde man zum Korporal ernannt, für zwischen zehn und 25 Mann zum Sergeanten, für mehr als 25 zum Unterleutnant, für mehr als 50 zum Leutnant und für mehr als 100 zum Obersten. Siehe Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 313f.; Géraud-Llorca, Victor Hugues, S. 322f. Dies war jedenfalls auf Saint-Domingue der Fall. Vgl. Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 326. Proklamation von Chrétien/Hugues, 7.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 7. Thouluyre-Mahé an Truguet, 12.12.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 137. Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12; Hubert/Maudit/ Terrier/Vatable an Wohlfahrtsausschuss (Kopie), 9.8.1794, in: ANOM, C7A 48, fol. 72. Proklamation von Hugues, 17.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 16. [?] an Thornton (Kopie), 13.6.1794, in: TNA, PRO 30/8/183/107. Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12; Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 22.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 20. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Willyams, An Account, S. 115f.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

In den folgenden Wochen radikalisierte sich der Konflikt weiter. Hugues’ Männer durchstöberten fieberhaft die verlassenen Plantagen nach Rekruten und Arbeitskräften. So berichtete Larriveau dem Deputierten der Pflanzer Guadeloupes in London, Louis de Curt: Ces coquins-là ne s’intimident de rien. Déterminés à vaincre ou à périr; ils ont eu la hardiesse de guillotiner plusieurs habitants que le sort des armes avait rendu leurs prisonniers; ils ont envoyé dans les campagnes des émissaires pour débaucher ou prendre de force les nègres des différents ateliers; ils ont fait fusiller ceux qui refusaient d’obéir24 .

Die Freiheit, die Hugues den ehemaligen Sklaven brachte, war schal. Zwang und Terror waren die bevorzugten Mittel der republikanischen Kräfte, um eine Armee aus ehemaligen Sklaven aufzubauen25 . Zeitgenössischen britischen Regierungsmemoranden zufolge wurden rund 3000 nouveaux citoyens in die Armee Hugues’ zwangsrekrutiert26 . Wer nicht wehrfähig war, der wurde unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, auf den Plantagen Lebensmittel anzubauen. Hugues begründete diese Zwangsmaßnahme damit, dass »celui qui ne travaille pas, ne mérite que du mépris et ne doit pas jouir des bienfaits de notre régénération«27 . Die republikanische Führungsriege glaubte die Zwangsarbeit durch die Tatsache legitimiert, dass die Repräsentanten Frankreichs den ehemaligen Sklaven »le plus grand des biens, la liberté« bringen würden. Doch diese Freiheit galt es gemäß Hugues erst durch harte Arbeit zu verdienen28 . Der Terror der ehemaligen Plantagenbesitzer wurde durch jenen von Hugues’ Häschern abgelöst, die sich in der Ausformung des postemanzipatorischen Zwangsarbeitsregimes vor allem durch die militärischen Bedürfnisse der sans-culottes leiten ließen. Auch wenn dieses Zwangsarbeitsregime insbesondere in den ersten Wochen nach der Abolition nur äußerst fragmentarisch funktionierte, war es Vorbote dessen, was noch kommen sollte29 . Zweifellos schlossen sich viele Männer in der Hoffnung auf ein besseres Leben der Armee Hugues’ an. Gerade weil die Kolonialarmee das ausführende Instrument des republikanischen Terrors war, musste der Militärdienst für viele erstrebenswert sein: Als Soldat konnte man zumindest sicher sein, sich nicht am unteren Ende der gesellschaftlichen Hackordnung wiederzufinden, denn Frauen, Greisen und Kindern blieb der Militärdienst selbstredend verschlossen. Zahlreiche Sklaven suchten aus Angst vor dem Terrorregime des Kommissars das Weite und versteckten sich zwischen den Fronten oder im unzugänglichen Landesinneren. An-

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Larriveau an Curt, 7.7.1794, in: ADGB, 61J/34. Butel an Curt, 31.7.1794, in: ADGB, 61J/34. Fort-Royal Martinique, 14.10.1794, in: BL, Add. MSS. 38353/115. Proklamation von Hugues, 18.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 14. Pélardy, Précis des événements qui se sont passés à la Guadeloupe depuis le 14 prairial an II jusqu’au 21 frimaire an III, 21.4.1795, in: ANOM, 8DC/29/451. Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 22.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 20.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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dere versuchten, vom Zusammenbruch der alten kolonialen Ordnung zu profitieren, indem sie die leerstehenden Plantagen ihrer ehemaligen Besitzer plünderten30 . Hugues kommentierte die Folgen der Abolition deshalb äußerst kritisch: Nous avons proclamé le décret sur la liberté des nègres; ce décret loin de nous procurer des ressources, les ôte entièrement, par le peu d’instruction qu’ont nos frères des colonies; néanmoins il faut espérer que des mesures prudentes et sévères leur feront sentir le prix de la liberté31 .

Zahlreiche Sklaven wurden von ihren Besitzern gezwungen, mit ihnen hinter die britischen Linien zu flüchten32 . Innerhalb dieser Gruppe gab es auch viele, welche diese Flucht freiwillig antraten. Vermutlich handelte es sich hierbei vor allem um privilegierte Haus- und Funktionssklaven33 . Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 8000 Sklaven, immerhin fast zehn Prozent aller Sklaven Guadeloupes, ihren Besitzern ins Exil gefolgt sind34 . Noch ein Jahr später, als Guadeloupe bereits unter vollständiger Kontrolle der republikanischen Kräfte stand, wünschten zahlreiche ehemalige Haussklaven Guadeloupes, zu ihren nach Martinique geflohenen ehemaligen Besitzern reisen zu dürfen. Diesem Ansinnen wurde gar im Rahmen des üblichen Gefangenenaustauschs zwischen der französischen und der britischen Armee stattgegeben35 . Es kann also keine Rede davon sein, dass sich die befreiten Sklaven ausnahmslos dem republikanischen Lager angeschlossen hätten, wie dies in der Forschung immer wieder suggeriert wird36 . Stattdessen nahmen die ehemaligen Sklaven, sofern es die Umstände erlaubten, ihr Schicksal in die eigenen Hände und schlossen sich derjenigen Fraktion an, von der sie sich im Moment die größten Vorteile versprachen. Es war aber klar, dass der weitere Kriegsverlauf entscheidenden Einfluss auf ihre Wahl haben würde, wie auch in den paternalistischen Warnungen Larriveaus vor den Folgen eines britischen Rückzugs aus Guadeloupe deutlich wird: »Les nègres restés fidèles jusqu’alors, se verront par cet abandon forcés de se joindre aux brigands qui veulent leur donner la liberté ou la mort«37 . 30

31 32

33 34 35 36 37

Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12; Proklamation von Hugues, 13.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 1; Thouluyre-Mahé an Direktorium, 17.1.1798, in: ANOM, EE 1726/20; Proklamation von Hugues, 21.12.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 75. Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12. Fort-Royal Martinique, 14.10.1794, in: BL, Add. MSS. 38353/115; Larriveau an Curt, 7.7.1794, in: ADGB, 61J/34; Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 17.6.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 12. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 336; Boyer d’Etang an Curt, 3.11.1794, in: ADGB, 61J/35. Régent, Esclavage, S. 334. Hugues an Leigh, 26.7.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 161; Hugues an Laforey/Milnes, o. D. [1795], in: ANOM, C7A 48, fol. 160. Dubois, A Colony, S. 192–194. Differenzierter ist Régent, Esclavage, S. 273, 334. Larriveau an Curt, 7.7.1794, in: ADGB, 61J/34.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Aus Sicht britischer Militärs galt es, die republikanische Gefahr noch vor dem Beginn der Regenperiode zu eliminieren. Sollte es Hugues und seinen Truppen gelingen, während der sickly season auf Grande-Terre auszuharren, würden sie nicht nur ihre Stellung weiter befestigen, sondern auch die rekrutierten nouveaux citoyens zu einer schlagkräftigen Truppe formen können, die – im Gegensatz zur britischen Armee – unabhängig von Verstärkung aus Europa operieren könnte. Dieser Aussicht kam umso größere Bedeutung zu, als das Gelbfieber während der Regenperiode unter den ohnehin ausgedünnten Reihen der Rotjacken mehr denn je seinen Tribut fordern würde. Gleichzeitig drohte der Krieg, sich wegen des Abolitionsdekrets weiter zu radikalisieren38 . Mit der Abschaffung der Sklaverei hatte die französische Seite den Einsatz für alle am Konflikt beteiligten Parteien auf einen Schlag verdoppelt: Fortan stand ein ganzes Gesellschaftssystem auf dem Spiel. Hugues kündigte zudem öffentlich an, den Krieg auch in die britischen Kolonien des Archipels zu tragen: Le bienfaisant décret du 16 pluviôse, en nous assurant nos colonies, nous assure aussi la destruction de celles de nos ennemis; et ces hommes, jadis avilis, dégradés par l’esclavage, ont senti le prix de la liberté en combattant pour elle, et ils ont vaincu. Ils feront plus: ils porteront cette liberté dans les colonies anglaises; déjà la terreur les devance et leur assure des succès39 .

Grey und Jervis hatten ihre Kräfte am 19. Juni 1794, nur knapp zwei Wochen nach der Landung des französischen Expeditionskorps, versammelt und schickten sich an, zur Gegenoffensive überzugehen. Um seine Truppen anzuspornen, rief Grey seinen Soldaten das Massaker der sans-culottes im Militärspital von Pointe-à-Pitre in Erinnerung, so dass die Rotjacken darauf brannten, es den Republikanern mit gleicher Münze heimzuzahlen. Am 20. Juni 1794 gingen rund 3000 britischen Soldaten und 900 Matrosen bei Gosier an Land. Unterstützt wurde der britische Gegenangriff zudem von hunderten royalistischen Milizionären. Innerhalb weniger Tage gelang es den britischen Streitkräften und ihren Verbündeten, die republikanischen Außenposten rund um Pointe-à-Pitre einzunehmen und die Stadt sowie das Fort Fleur d’Épée zu belagern. Auch wenn sich die britische Generalität über die Disziplin der neu ausgehobenen gegnerischen Verbände ehemaliger Sklaven überrascht zeigte, zahlten diese Einheiten in den republikanischen Gegenangriffen einen fürchterlichen Blutzoll – Schätzungen zufolge verloren dabei mehr als 500 nouveaux citoyens ihr Leben. Hugues hatte offensichtlich keine Hemmungen, die neu ausgehobenen Einheiten zu verheizen, während er die übriggebliebenen sans-culottes aus Europa als taktische Reserve zurückhielt40 . 38 39 40

Duffy, Soldiers, S. 116–120. Proklamation von Hugues, 17.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 16. Duffy, Soldiers, S. 121f.; Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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Im Hinterland des Belagerungsrings versuchten die britischen Truppen derweil, jeden Widerstand im Keim zu ersticken. Am 22. Juni 1794 marschierte eine gemischte Einheit aus Grenadieren, Matrosen und royalistischen Milizionären, in den Worten ihres Kommandanten »an undisciplined rabble of armed royalists«, nach Sainte-Anne, einem Dorf östlich von Gosier, um die Stellungen der Republikaner außerhalb der Ortschaft auszuschalten. Die französischen Verteidiger wurden vom nächtlichen britischen Sturmangriff überrumpelt. Gemäß dem Bericht eines britischen Feldpredigers töteten die britischen Truppen bei diesem Angriff rund 400 Franzosen. Das Massaker dauerte die ganze Nacht, wie Brigadegeneral Stewart in seinem Tagebuch festhielt. Nur ein einziger Mann wurde gefangen genommen41 . Währenddessen spielten sich auch im Dorf Sainte-Anne fürchterliche Szenen ab. Laut Stewart verleitete die »savage nature« der Royalisten diese dazu, »[to pursue] every man, like wild beasts, who chanced to have a national cockade in his hat, or arms in his hand«. Selbst Frauen und Kinder seien vor dem Blutdurst der royalistischen Freiwilligen nicht sicher gewesen. Diese hätten die Leichenteile »of slaughtered men & boys and the skulls of women & children« zur Schau gestellt. Stewart glaubte, dass mindestens 40 Menschen diesem Gemetzel zum Opfer gefallen seien42 . Erst als die britischen Truppen, die zuvor die französischen Verteidiger fast ausnahmslos massakriert hatten, das Dorf erreichten, konnten sie den »most brutal excesses« der Royalisten Einhalt gebieten43 . Das Massaker in Sainte-Anne hatte Signalwirkung in der ganzen Kolonie, zeigte es doch jedermann, dass auch im Falle eines britischen Sieges niemand, der auf der falschen Seite gestanden hatte, mit Nachsicht rechnen durfte. Insbesondere unter den ehemaligen Sklaven, so war Stewart überzeugt, hatte sich die anglo-royalistische Seite wegen des Massakers jeden Kredit verspielt44 . Die Ereignisse in Sainte-Anne waren kein Einzelfall. Bereits einige Tage zuvor, am 19. Juni 1794, hatten britische Marineinfanteristen auf der Insel La Désirade, einer Guadeloupe östlich vorgelagerten Leprakolonie, zwölf Menschen erschossen und sechs weitere gehängt, darunter auch Frauen und Kinder, nachdem einige Bewohner der kleinen Insel das Feuer auf die britischen Soldaten eröffnet hatten45 . Hugues kündigte daraufhin der britischen Generalität an, seinerseits Rache an den 411 Gefangenen beiderlei Geschlechts in seinem Gewahrsam zu nehmen46 . 41 42 43 44 45

46

Willyams, An Account, S. 118; Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3 (Zitat). Alle Zitate aus Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3. Willyams, An Account, S. 118. Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3. Willyams, An Account, S. 117; Journal of Lieutenant-General The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Grey/Jervis an Hugues (Kopie), 23.6.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A350. Hugues an Grey/Jervis, 22.6.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A349.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Nachdem Ende Juni die Regenperiode begonnen hatte, welche die Straßen Guadeloupes in knietiefen Morast zu verwandeln drohte, lief Grey die Zeit davon. Die Spionageberichte aus dem republikanischen Lager waren hingegen äußerst ermutigend. So berichtete der aus französischer Kriegsgefangenschaft geflohene Benedict Arnold, der während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs zweifelhafte Berühmtheit durch sein Überlaufen auf die Seite der Loyalisten errungen hatte, dass die Moral im französischen Lager wegen der hohen Verluste am Nullpunkt angelangt sei. Arnold unterrichtete Grey des Weiteren, dass die republikanischen Truppen nichts mehr zu essen hätten und verschmutztes Wasser trinken müssten, weil Grey die Frischwasserzufuhr der Stadt unterbrochen hatte47 . Nachdem Hugues ein Kapitulationsangebot gegen den Rat seiner Offiziere abgelehnt hatte, glaubte Grey, dass nun der Moment gekommen sei, um Pointe-à-Pitre einzunehmen und die republikanischen Kräfte zur Kapitulation zu zwingen. Am 1. Juli gab Grey schließlich Brigadegeneral Richard Symes den Befehl, die Stadt mit einer Streitmacht von 800 Grenadieren – darunter Greys kampfererfahrenste Einheiten – sowie 300 Seeleuten zu erstürmen. Sobald Symes Streitmacht die Stadt kontrolliere, so Greys Idee, würden die Truppen unter seinem Kommando auch das Fort Fleur d’Épée im Sturmangriff erobern. Doch Greys Plan sollte nicht aufgehen. Die völlig erschöpften britischen Truppen, gemäß einem späteren Kritiker »fitter to go to their graves than meet the enemy«, verloren sich in der Dunkelheit der frühen Morgenstunden rasch im unübersichtlichen Terrain des Grand-Fonds, einer Hügelkette im Nordosten Pointe-à-Pitres. Hugues hatte seine Hauptstreitmacht am Morne Gouvernement, einer schwer zugänglichen Stellung oberhalb der Stadt versammelt. Die Voraussetzungen waren auch auf französischer Seite alles andere als ideal für eine erfolgreiche Verteidigung der Stadt. Hugues, der das Heranrücken der Rotjacken im Nachthemd beobachtet hatte, überwarf sich nach Bekanntwerden des drohenden britischen Angriffs mit dem Kommandanten der republikanischen Landstreitkräfte, General Claude Aubert, und setzte diesen kurzerhand ab. Doch die schlecht organisierten britischen Truppen konnten aus der Zerstrittenheit des republikanischen Lagers keinen Vorteil ziehen. Ihnen gelang es in den folgenden Stunden nicht, die wichtige Stellung am Morne Gouvernement einzunehmen, weshalb sich Symes entschloss, stattdessen die Vorratslager in Pointe-à-Pitre zu vernichten, um die republikanischen Truppen zum Verlassen ihrer Stellungen zu zwingen. Auf diesen Schachzug hatten sich Hugues und seine Offiziere im Vorfeld des Angriffs eingestellt. Als die Rotjacken in die Straßen der Stadt strömten, eröffneten die vor Anker liegende Fregatte Pique sowie zahlreiche in den Ruinen versteckte Kanonen das Feuer auf die ahnungslosen britischen Truppen. In den engen Gassen

47

Randall Willard Sterne, Benedict Arnold. Patriot and Traitor, New York 1990, S. 608f.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

165

der Stadt entfalteten die Kartätschen eine fürchterliche Wirkung. Bereits die erste Salve der Pique zerfetzte mehrere dutzend britische Soldaten. Symes wurde unter seinem Pferd begraben und schwer verwundet. Die französischen Verteidiger gaben nun ihre Deckung in den Häusern auf und nahmen die völlig orientierungslosen britischen Angreifer in den Straßen der Stadt unter Beschuss. Letztere reagierten auf diesen Hinterhalt kurzerhand damit, dass sie in jedes noch stehende Haus eindrangen und sämtliche Männer, Frauen und Kinder töteten, die sie darin vorfanden. Gefangene wurden keine gemacht. Nachdem ein Schwarzpulverdepot wegen des Artilleriebeschusses explodierte, brach in der Stadt zudem ein Feuer aus, dem zahlreiche Häuser zum Opfer fielen. Im allgemeinen Chaos begannen die Rotjacken, sich gegenseitig unter Beschuss zu nehmen. Hugues und seine Offiziere schöpften daraufhin neuen Mut und befahlen ihren auf dem Morne Gouvernement versammelten Truppen den Gegenangriff. Die führungslosen, entmutigten und völlig erschöpften Rotjacken ergriffen schließlich beim Auftauchen der sans-culottes die Flucht. Grey stand vor einem Scherbenhaufen. Rund 550 seiner besten Soldaten waren gefallen, verwundet oder vermisst gemeldet. Große Mengen an Kriegsmaterial, das seine flüchtenden Truppen hatten zurücklassen müssen, waren den Republikanern in die Hände gefallen. Besonders schwerwiegend waren die Verluste im Offizierskorps. Die Moral der Truppe war gebrochen; zahlreiche Einheiten verweigerten die Befehle. Grey sah sich deshalb gezwungen, den Rest seiner Soldaten auf Grande-Terre wieder einzuschiffen und auf die Halbinsel Basse-Terre zu verlegen. Die Royal Navy nahm dabei auch zahlreiche Pflanzer, Familien und deren Sklaven an Bord, welche vor Hugues’ Truppen flohen. Es bestand kein Zweifel daran, dass die Niederlage der britischen Truppen bei Pointeà-Pitre ein herber strategischer Rückschlag war. Nun hatten Hugues und seine Militärs Zeit, ihre Stellungen auszubauen, während die britischen Militärs vor Ort nur darauf hoffen konnten, bald Verstärkung aus Europa zu erhalten. Ob allerdings Truppen für den westindischen Kriegsschauplatz verfügbar waren, war aufgrund des aus der Sicht der britischen Regierung ungünstig verlaufenden Kriegs in Europa mehr als fraglich48 . Der republikanische Sieg bei Pointe-à-Pitre war mit einem hohen Blutzoll bezahlt worden. Hugues vermochte nicht einmal die Anzahl der gefallenen Soldaten zu beziffern; gemäß seinen Angaben waren die Überlenden zwei 48

Duffy, Soldiers, S. 122–129 (Zitat S. 123); Willyams, An Account, S. 122–127; Poyen, Les guerres, S. 77–80; Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 315–321; Larriveau an Curt, 4.7.1794, in: ADGB, 61J/34; Larriveau an Curt, 7.7.1794, in: ADGB, 61J/34; Journal of LieutenantGeneral The Hon. Sir William Stewart K. C. B. of West Indies Campaign 1794, in: NLS, Acc. 9074/3; Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 22.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 20; St. Jean an Curt, 30.8.1794, in: ADGB, 61J/34.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Tage lang damit beschäftigt, die Toten zu verscharren49 . Hugues verstand es zwar in der Folge, den Sieg propagandistisch auszuschlachten, indem er etwa Pointe-à-Pitre in Port-de-la-Liberté umbenannte und gegenüber dem Wohlfahrtsausschuss den Mut der sans-culottes mit jenem der Spartaner bei den Thermopylen verglich50 . Doch es war klar, dass er und seine Offiziere erst einmal die Regenperiode zur weiteren Ausbildung der in die Armee rekrutierten nouveaux citoyens nutzen mussten, ehe sie an die Vertreibung der Briten aus der Halbinsel Basse-Terre denken konnten51 . Hierfür mussten aber zunächst die Lücken im Offizierskorps geschlossen werden, denn das Gelbfieber und das Kampfgeschehen hatten unter den Generälen Hugues’ hohe Verluste gefordert, wie der Kommissar nicht ohne Schadenfreude dem Wohlfahrtsausschuss mitteilte: Le général Cartier homme incertain et frappé des dangers, mais honnête et patriote, vient à mourir [. . . ]. Je nommai le général Aubert qui me devint nécessaire pour conduire l’ensemble de toutes nos opérations. Il ne justifia pas la confiance des Républicains avec ses talents militaires. Il était d’une lâcheté sans égale ainsi que le général Rowyer qui n’a jamais pu avoir la confiance des Républicains par une poltronnerie des plus avérés. Je suis désespéré que la vérité ne me permet pas de rendre de ces deux généraux un compte aussi avantageux que j’aurais voulu pouvoir le faire. Ils sont morts tous les deux de la même maladie qui nous a enlevé beaucoup de monde52 .

Der Tod eines Großteils der französischen Generäle ermöglichte es Hugues, die entstandenen Lücken mit ihm ergebenen Offizieren zu füllen53 . So ernannte er Matthieu Pélardy, einen skrupellosen Draufgänger, kurzerhand zum Divisionsgeneral und damit zum Kommandanten der republikanischen Truppen Guadeloupes54 . Die Neubesetzung der Offiziersränge mit loyalen Männern konnte allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der Zustand der französischen Truppen nach dem Abzug der britischen Streitkräfte aus Grande-Terre besorgniserregend war, wie Pélardy schrieb: »Presque tous les sans-culottes avaient été moissonnés, il nous ne restait, pour ainsi dire, que des troupes de nouvelles levées, et il n’existait parmi elles aucune organisation«55 . Unter diesen Umständen war es aus Sicht Hugues’ fraglich, ob die Rückeroberung Guadeloupes gelingen würde. Wie der Kommissar dem Wohlfahrtsausschuss schrieb, rechnete er damit, dass Grey alles daran setzen

49 50 51 52 53 54 55

Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 22.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 20. Ibid.; Proklamation von Hugues, 16.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 15. Leissègues, Conquête de la Guadeloupe sur les Anglais, o. D. [1794], in: ANOM, C7A 47, fol. 107. Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 22.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 20. Régent, Esclavage, S. 289. Zu Pélardy siehe Six, Dictionnaire, Bd. 2, S. 292; Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 327. Pélardy, Précis des événements qui se sont passés à la Guadeloupe depuis le 14 prairial an II jusqu’au 21 frimaire an III, 21.4.1795, in: ANOM, 8DC/29/451.

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würde, die Scharte auszuwetzen56 . Hugues’ Besorgnis rührte aber auch von seinen Zweifeln am militärischen Wert der neu ausgehobenen Verbände ehemaliger Sklaven her. Zwar attestierte er einigen der »nouveaux frères«, dass sie ihre Freiheit durch ihr heldenhaftes Verteidigen Pointe-à-Pitres redlich verdient hätten, weshalb sie zum gleichen Sold wie die europäischen Truppen in die bereits bestehenden Bataillone der sans-culottes inkorporiert wurden. Doch schob er im selben Bericht nach, »que les Noirs seuls, sans Européens ne se battraient jamais bien«57 . Man mag diesen Kommentar als rassistisches Vorurteil abtun, doch illustriert er, dass das Vertrauen der französischen Führung in die neu ausgehobenen Verbände gering war. Mochten Hugues’ sans-culottes bei der Schlacht um Pointe-à-Pitre knapp einer Katastrophe entkommen sein, für die britische Armee unter dem Kommando Greys war die Niederlage ein Nackenschlag. Die verbleibenden Truppen standen führungslos da, nachdem das Gelbfieber und die Kriegshandlungen einen Großteil der erfahrenen Offiziere das Leben gekostet hatten. Die Desertionsraten schnellten in die Höhe und wegen des feuchten Klimas nahm die Zahl der Gelbfiebertoten rasant zu. Auf Seiten der militärischen Führung existierte derweil keine Strategie, wie man der republikanischen Gefahr Herr werden wollte58 . Die Royal Navy hatte keine Handhabe gegen die vielen kleineren Schiffe’, die während der Regenperiode ausschwärmten, um auf den schwedischen und dänischen Inseln Waffen, Schwarzpulver und Lebensmittel zu erwerben. Zudem hatte die Führung der britischen Marine größte Mühe, ihre Schiffe zu bemannen, fielen doch auch viele Seeleute dem Gelbfieber zum Opfer59 . Grey war dermaßen verzweifelt, dass er einer Erhöhung des aus bewaffneten Sklaven bestehenden Korps der Black Rangers unter dem Kommando des Plantagenbesitzers Charles Soter auf 450 Mann zustimmte60 . Die nach Basse-Terre geflohenen Pflanzereliten Guadeloupes drängten die britische Führung sogar, weitere Einheiten bewaffneter Sklaven unter der Führung royalistischer Offiziere auszuheben, um den Republikanern Paroli bieten zu können. Doch ihr Ansinnen wurde nicht erhört, weil Grey glaubte, dass Whitehall aus Furcht vor der britischen Pflanzerlobby einer solchen Maßnahme niemals zustimmen würde61 . In Anbetracht der Krise stellten viele geflüchtete Pflanzer Guadeloupes der britischen Armee alles zur Verfügung, was sie entbehren konnten: Trägersklaven, Nahrungsmittel und Zugvieh wurden den Rotjacken angeboten, und viele 56 57 58

59 60 61

Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 27.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 34. Beide Zitate aus Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 22.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 20. Bexon an Curt, 19.7.1794, in: ADGB, 61J/34. Siehe auch [?] an Thornton (Kopie), 13.6.1794, in: TNA, PRO 30/8/183/107; Bouillé an Pitt, 12.12.1794, in: TNA, PRO/30/8/114/226. Jervis an Stephens, 30.7.1794, in: TNA, ADM 1/316; Jervis an Stephens, 8.7.1794, in: TNA, ADM 1/316; Jervis an Stephens, 6.7.1794, in: TNA, ADM 1/316. Duffy, Soldiers, S. 130. Boyer d’Etang an Curt, 3.11.1794, in: ADGB, 61J/35.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Kolonisten dienten als Wegführer in den britischen Einheiten62 . Viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein waren diese individuellen Hilfestellungen allerdings nicht. Der britischen Armee auf der Halbinsel Basse-Terre fehlten funktionierende kolonialstaatliche Strukturen, um systematisch die lokalen Ressourcen mobilisieren zu können. So war es den Verantwortlichen nicht möglich, Steuern einzutreiben, die Gerichte zu bestellen und die sich anhäufenden Rechnungen zu bezahlen. Gerade für die zahlreichen in Basse-Terre gestrandeten Flüchtlinge ließ sich so keine effiziente Hilfe organisieren63 . Viele wohlhabende Plantagenbesitzer, die nach Basse-Terre geflüchtet waren, nahmen in Anbetracht der republikanischen Bedrohung das Schicksal in die eigenen Hände und begannen mithilfe der Royal Navy, in den umliegenden britischen, dänischen, schwedischen und niederländischen Kolonien über 1000 Freiwillige, darunter auch eine bedeutende Zahl freier Farbiger, zu rekrutieren. Royalistische Plantagenbesitzer wie Eloy Lemercier de Vermont (Sohn des beim Massaker von Trois-Rivières verstorbenen Eloy de Vermont) und Louis de Druault, die während des Ancien Régime als Offiziere in den Linientruppen und in den Kolonialmilizen gedient hatten, hoben so zwei Kompanien freier Farbiger aus, die in britischem Sold standen64 . Freilich war der militärische Wert dieser unerfahrenen Verbände oft bescheiden, und die mehreren hundert Freiwilligen vermochten die hohen Ausfälle in der britischen Armee nicht annährend zu kompensieren. Innerhalb des britischen Offizierskorps bestanden zudem größte Zweifel an der Verlässlichkeit der farbigen Freiwilligen, da viele freie Farbige im Zuge der britischen Inbesitznahme Guadeloupes im April deportiert worden waren65 . Doch Grey hatte in der Notlage kein Gehör für die Bedenken seiner Offiziere, wie er Generalmajor Robert Prescott mitteilte, dem die Verteidigung Basse-Terres oblag: In regard to the militia, the sooner they are raised & come into use at this critical time, certainly the better. That circumspection & caution should be used in whose hands the arms are put, is certainly proper, but I see no danger from the relatives of those bad people taken up, but the reverse, so many bad subjects being removed who might have insinuated themselves into the militia66 .

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Poyen an Curt, 19.11.1794, in: ADGB, 61J/30/14; Larriveau an Curt, 7.7.1794, in: ADGB, 61J/34. Clairefontaine an Grey, 18.8.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A391/1; Larriveau an Curt, 7.7.1794, in: ADGB, 61J/34. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 325; Jervis an Stephens, 14.6.1794, in: TNA, ADM 1/316; Clairefontaine an Grey, 24.7.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A373; Lebas an Wohlfahrtsausschuss, 6.9.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 31; Lebas an Wohlfahrtsausschuss, o. D. [1794], in: ANOM, C7A 47, fol. 5; Villegégu an Wohlfahrtsausschuss, o. D. [1794], in: ANOM, C7A 47, fol. 99. Prescott an Grey, 23.9.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A440a. Grey an Prescott, 29.9.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A2242a.

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Die Rückeroberung Guadeloupes Als sich die Regenperiode langsam ihrem Ende näherte, kamen die frisch ausgehobenen farbigen Milizen Greys zum Einsatz. Hugues sah sich gezwungen, die Initiative zu ergreifen, da früher oder später namhafte Verstärkung aus England eintreffen würde, die eine vollständige Rückeroberung Guadeloupes verunmöglichen würde. Zudem forderte das andauernde Feuer der britischen Artillerie auf Pointe-à-Pitre einen hohen Tribut unter Hugues’ Soldaten und zermürbte ihre Moral67 . In der Nacht vom 26. auf den 27. September 1794 nutzten die republikanischen Streitkräfte einen Sturm, der die britischen Blockadeschiffe aus ihren Positionen trieb, um die Bucht zwischen Grande-Terre und Basse-Terre mit Ruderbooten zu überqueren. Die britische Garnison unter dem Kommando von Oberstleutnant Drummond bei Petit-Bourg wurde von Pélardys Truppen in der Dunkelheit überrumpelt und ergab sich. Bei dieser Gelegenheit fielen den Republikanern große Mengen dringend benötigtes Schwarzpulver und Lebensmittel sowie zahlreiche Kanonen in die Hände. Währenddessen mussten sich die royalistischen Freiwilligenverbände bei Baie-Mahault, die den Landweg durch das nur schwer überwindbare Sumpfgebiet der Rivière-Salée blockierten, zur Plantage Berville zurückziehen, weil es den Einheiten der Royal Navy im allgemeinen Chaos nicht gelungen war, die Ruderboote der republikanischen Kräfte aufzuhalten. Die Einnahme dieser Stellung würde es den Republikanern erlauben, eine Pontonbrücke über das Sumpfgeiet zu bauen, womit sie Verstärkung und Nachschub über den Landweg auf die Halbinsel Basse-Terre bringen konnten. Hugues drängte nun darauf, die britischen Truppen und die royalistischen Verbände rasch aus ihren Stellungen zu vertreiben und den Rest Guadeloupes zu besetzen, ehe die Rotjacken Verstärkung aus Europa erhielten. Anstatt die abgeschnittenen Verteidiger der britischen Stellung bei Berville auszuhungern, befahl Hugues seinen Offizieren deshalb einen Sturmangriff. Brigadegeneral Colin Graham, dem die Verteidigung Bervilles oblag, konnte auf rund 250 Soldaten sowie 300 royalistische Milizionäre unter dem Kommando Louis-Benjamin Fillassier de Richebois’, Vermonts, Soters und Druaults zurückgreifen. Über mehrere Tage hinweg verheizte Hugues seine aus ehemaligen Sklaven bestehenden Truppen bei den sinnlosen Angriffen auf die stark befestigte anglo-royalistische Stellung68 . Nach mehreren gescheiterten Versuchen, bei denen die Republikaner über 400 Mann verloren hatten, signalisierte Graham schließlich am 6. Oktober 1794 seine Bereitschaft zur Kapitulation, nachdem seine Soldaten über sechs Tage ununterbrochen unter Waffen gestanden hatten69 . 67 68 69

Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 2, S. 26f. Régent, Esclavage, S. 277. Zum Verlauf der Kämpfe siehe Duffy, Soldiers, S. 131f.; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 2, S. 28–30; Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 329–333; Clairefontaine an Grey,

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Die Kapitulationsverhandlungen gestalteten sich schwierig. Hugues bestand darauf, dass Graham ihm die Royalisten unter seinem Kommando auslieferte. Den britischen Soldaten und Offizieren stellte er hingegen die baldige Heimkehr nach Europa als Kriegsgefangene in Aussicht. Hugues’ einzige Konzession war die Zusage, dass 25 auserwählten Royalisten freies Geleit zu den vor Anker liegenden Schiffen der Royal Navy gewährt würde. Für Grahams Unterhändler waren diese Bedingungen nicht hinnehmbar, hatte doch der britische General den royalistischen Milizen in den Tagen zuvor noch vollmundig zugesichert, lieber im Kampf zu sterben, als sie den Republikanern auszuliefern und ihnen die baldige Ankunft britischer Verstärkung aus Europa versprochen. Doch Hugues hatte in den Verhandlungen alle Argumente auf seiner Seite und drohte laut Lacour dem britischen Unterhändler: »Va dire à ton chef que [. . . ] je le ferai guillotiner. . . et toi aussi !« In Anbetracht dieser Bedrohung entschied sich Graham schweren Herzens, auf das Ultimatum Hugues’ einzugehen. 125 britische Soldaten, die meisten völlig erschöpft und am Gelbfieber erkrankt, gingen in Kriegsgefangenschaft. Die 25 auserwählten Royalisten, darunter Richebois, Vermont, Soter und Druault, wurden zuvor über die geheime Vereinbarung informiert und im Schutz der Dunkelheit auf ein Schiff der Royal Navy gebracht. Die royalistischen Milizen, die glaubten, sie kämen wie die britischen Soldaten in Kriegsgefangenschaft, ließen sich widerstandslos entwaffnen. Erst nachdem Hugues’ Schergen die mobile Guillotine nach Berville gebracht hatten, realisierten sie, was ihnen bevorstand. In den folgenden Stunden wurden 150 von ihnen guillotiniert. Doch dem ungeduldigen Hugues dauerte das Verfahren zu lange. Nachdem die 363 übriggebliebenen Royalisten mitansehen mussten, wie ihre Kameraden einer nach dem anderen enthauptet worden war, wurden sie zusammengebunden vor die Schützengräben gestellt, die sie in den vergangenen Tagen zäh verteidigt hatten, und von einem Erschießungskommando hingerichtet. 362 Sklaven, die sich mit den Royalisten im Lager bei Berville befunden hatten, darunter auch zahlreiche Frauen, wurden zu Kettenstrafen verurteilt und hatten in der Folge unter Androhung der Todesstrafe schwere Schanzarbeiten zu erfüllen70 . Für die in Basse-Terre verbliebenen royalistischen Plantagenbesitzer stellte die Kapitulation Grahams bei Berville einen fundamentalen Vertrauensbruch

70

4.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A464a; Richebois, Précis historique de ce qui s’est passé au camp de Berville depuis le 28 7bre jusqu’au 7 8bre jour de la capitulation, [1794], in: DUL, GB-0033-GRE-A, A470a; Graham an Grey, 21.10.1794, in: DUL, GB-0033GRE-A, A2243ee. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 333–337 (Zitat S. 333); Willyams, An Account, S. 131–138; État des vivres, munitions de guerre et autres effets pris sur l’Ennemi au Petit-Bourg, aux Camps St-Jean, Bellecour, Bervil et Savon, o. D. [1794], in: ANOM, C7A 47, fol. 94; Graham an Grey, 22.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A2243ff; Hugues/Lebas an Wohlfahrtsausschuss (Kopie), 16.12.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 39.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

171

dar71 : »Pourquoi un Graham achète-t-il la liberté de quelques prisonniers anglais, au prix du sang de l’élite des habitants de cette colonie, devenus les plus fidèles sujets de son roi ?«72 , entrüstete sich etwa ein Plantagenbesitzer gegenüber Curt in London. Ein anderer Pflanzer schrieb dem Deputierten entsetzt: »Telle a été la protection que l’on nous a accordée !«73 Bereits in den Wochen zuvor hatte sich ein wachsendes Misstrauen zwischen der britischen Führung und den royalistischen Pflanzern Guadeloupes manifestiert. So teilte der Intendant Guadeloupes, Clairefontaine, Brigadegeneral Prescott schon Ende September in Anbetracht der Erfolge Hugues’ mit, dass aus Angst vor der republikanischen Rache kein einziger Royalist bereit sei, sich mit den Rotjacken im Fort Mathilda bei Basse-Terre einschließen zu lassen. Längst suchte jeder nur noch eine Möglichkeit, mitsamt Hab und Gut vor den Truppen Hugues’ zu flüchten74 . Selbst Clairefontaine hatte sich am 8. Oktober 1794, nur einen Tag nach der Kapitulation Grahams bei Berville, aus dem Staub gemacht. Die farbigen Milizverbände desertierten in Scharen. Immer öfter äußerten die britischen Offiziere die Befürchtung, dass sich nun die Proskriptionswelle der vergangenen Monate rächen könne. Es mehrten sich Berichte, wonach die Bevölkerung Basse-Terres kurz vor einer Revolte stand75 . Je rascher sich das Kräftegleichgewicht zu Ungunsten der Briten verschob, desto schneller verlor die britische Armee ihren gesellschaftlichen Rückhalt in jenen Gebieten, die noch unter ihrer Kontrolle standen. So fiel es der britischen Führung immer schwerer, Spione zu finden, die bereit waren, gegen Bezahlung die Lage und Absichten der Truppen Hugues’ auszukundschaften76 . Selbst das Versprechen ihrer Freilassung war den Sklaven nicht mehr Anreiz genug, für die britische Generalität zu spionieren, wie Prescott besorgt schrieb77 . Immer häufiger verweigerten die Sklaven auf den Plantagen unter britischer Kontrolle die Arbeit, war doch das Ende der anglo-royalistischen Herrschaft absehbar78 . Hugues’ Truppen erreichten die Vororte Basse-Terres Mitte Oktober 1794, nachdem sie auf ihrem Vormarsch eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatten. Prescott verfügte noch über rund 400 Soldaten, von denen 71

72 73 74 75 76 77 78

[?] an Curt, 3.11.1794, in: ADGB, 61J/35; Richebois, Précis historique de ce qui s’est passé au camp de Berville depuis le 28 7bre jusqu’au 7 8bre jour de la capitulation, [1794], in: DUL, GB-0033-GRE-A, A470a; Dubuc an Grey, 27.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A493; Boyer d’Etang an Curt, 3.11.1794, in: ADGB, 61J/35. Faudoan an Curt, 9.2.1795, in: ADGB, 61J/35. Reputigny an Curt, 16.10.1794, in: ADGB, 61J/34. Prescott an Grey, 30.9.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A454a; Larriveau an Curt, 1.11.1794, in: ADGB, 61J/35. Prescott an Grey, 8.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A473; Prescott an Grey, 9.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A474. Prescott an Grey, 12.9.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A430; Grey an Prescott, 29.9.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A2242a. Prescott an Grey, 15.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A481. [?] an Curt, 24.11.1794, in: ADGB 61J/35.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

viele am Gelbfieber litten. Seine einzige Hoffnung bestand darin, das Fort Mathilda so lange zu halten, bis die versprochene Verstärkung aus Europa eintreffen würde79 . Doch der britische General schien selbst nicht mehr an deren baldiges Eintreffen geglaubt zu haben. Seine Briefe aus der belagerten Festung zeugen vielmehr von einem zunehmenden Realitätsverlust. So bat er Grey wiederholt, die britische Armee möge ihn für den Verlust seiner drei Pferde entschädigen, die er eigens aus England in die Karibik mitgebracht hatte80 . Derweil verschlechterte sich die militärische Situation der belagerten Garnison rapide, denn Hugues’ Truppen vermochten immer mehr schwere Belagerungsgeschütze heranzuschaffen, während die Zahl der Verteidiger aufgrund des Gelbfiebers immer kleiner wurde. Die Leichen der verstorbenen Rotjacken wurden kurzerhand in den nahegelegenen Fluss Galion geworfen, wo ihre Verwesung für einen abscheulichen Gestank sorgte81 . Mitte November 1794 traf schließlich Vizeadmiral Benjamin Caldwell in Martinique ein und löste Jervis ab. Die versprochene Verstärkung aus Europa ließ allerdings auf sich warten. Mit Generalleutnant John Vaughan brachte Caldwells Geschwader einzig einen neuen Oberbefehlshaber für die noch rund 2195 einsatzbereiten britischen Soldaten in den Kleinen Antillen. Seit der Ankunft der Grey-Jervis-Expedition im Februar bis November 1794 hatte die britische Armee an die 10 000 Soldaten verloren. Das strategische Ziel der Expedition, der französischen Seite sämtliche Kolonien in der Karibik zu entreißen und ihr den Zugang zur karibischen See zu verschließen, hatte sie verfehlt. Schlimmer noch: Vaughan sah sich nun der Gefahr gegenüber, selbst die Kontrolle über den Archipel zu verlieren82 . Der neue britische Oberbefehlshaber sah deshalb keinen Sinn mehr darin, weitere Truppen nach Guadeloupe zu verlegen, die ohnehin gleich dem Gelbfieber zum Opfer fallen würden. Die britischen Offiziere fürchteten, sich einen weiteren Fehlschlag nicht mehr leisten zu können, denn dies würden die frankophonen Kolonisten unter britischer Herrschaft als Zeichen der Schwäche werten83 . Vaughan und Caldwell entschlossen sich deshalb, Guadeloupe aufzugeben und die verbleibenden Rotjacken in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Fort Mathilda zu evakuieren. Am frühen Morgen des 11. Dezembers 1794 schlichen sich die Briten zu den vor Anker liegenden Booten und ruderten 79 80 81 82 83

Duffy, Soldiers, S. 133; Willyams, An Account, S. 139; Prescott an Grey, 8.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A473. Prescott an Grey, 29.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A496a; Prescott an Grey, 15.11.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A521. Pélardy, Précis des événements qui se sont passés à la Guadeloupe depuis le 14 prairial an II jusqu’au 21 frimaire an III, 21.4.1795, in: ANOM, 8DC/29/451. Duffy, Soldiers, S. 133–135; Kieran R. Kleczewski, Martinique and the British Occupation, 1794–1802, Diss., Georgetown Univ. (1988), S. 169f. Vaughan an Portland, 19.11.1794, in: TNA, WO 1/31/29; Vaughan an Dundas, 24.11.1794, in: TNA, WO 1/83/20.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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anschließend zu den in sicherer Distanz befindlichen Kriegsschiffen der Royal Navy84 . Zahlreiche Bewohner Basse-Terres hatten die stille Evakuierung der britischen Truppen bemerkt und ergriffen daraufhin ebenfalls die Flucht85 . Nachdem sie vom Abzug der britischen Streitkräfte erfahren hatten, zogen die republikanischen Truppen singend in die über zwei Monate lang belagerte Festung ein: »Ça ira, les aristocrates à la lanterne !86 « Nach einem rund sechsmonatigen Kampf, bei dem die Verluste auf beiden Seite in die Tausende gingen, war Guadeloupe wieder unter vollständiger Kontrolle der Republikaner. Um das Ende der britischen Herrschaft jedermann drastisch vor Augen zu führen, ließ Hugues die halb verweste Leiche des Anfang Juni verstorbenen britischen Gouverneurs Thomas Dundas ausgraben und in Basse-Terre aufhängen. Zu diesem Anlass veröffentlichte er eine Proklamation, die sich in Windeseile im ganzen Archipel verbreitete: Considérant que les vols, assassinats et autres crimes commis par eux [les généraux anglais, F. E.] doivent être transmis à la postérité: Arrête que le corps de THOMAS DUNDAS, décédé à la Guadeloupe, le 3 juin (style esclave) sera exhumé et jeté à la voirie; que sur la même place il sera élevé, aux frais de la République, un monument apportant d’un côté cet arrêté et de l’autre l’inscription suivante: Cette terre rendue à la liberté par la valeur républicaine, était souillée par le corps de THOMAS DUNDAS, major-général et gouverneur de la Guadeloupe, pour le tyran GEORGES III. Au souvenir de ses crimes, l’indignation publique l’a fait exhumer et a élevé ce monument pour les attester à la postérité!87

Damit illustrierte der »Robespierre des Antilles«88 , wie Hugues fortan genannt wurde, dass er nicht daran dachte, nach der Vertreibung der Rotjacken und der royalistischen Pflanzerelite sein Terrorregime zu mäßigen. Vielmehr scheinen ihn seine Erfolge im blutrünstigen Vorgehen bestärkt zu haben. Rückendeckung erhielt er nicht zuletzt vom Wohlfahrtsausschuss, der Hugues in seinem Schreiben an den Kommissar in den höchsten Tönen lobte. Die Pariser Regierung ermutigte Hugues gar zu einer noch schärferen Politik gegen die Feinde der Republik, »ces hommes atroces par leurs principes barbares et leur cruauté & ces hommes qui au nom de la liberté, avaient déshonoré le nom français par leur brigandage sanguinaire«89 . Mit diesem Schreiben verfügte Hugues über einen Freibrief, die Plantagenökonomie und die republikanische Herrschaft auf Guadeloupe nach seinem Gutdünken zu formen.

84 85 86 87 88 89

Poyen, Les guerres, S. 85f. Marquette an Cochrane, o. D. [1808], in: TNA, ADM 1/329. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 340f. Proklamation von Hugues, 10.12.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 38 (Hervorh. i. Orig.). [?], Notes particulières sur la conduite et l’administration des organes particuliers du directoire exécutif aux îles du Vent, o. D. [1795], in: ANOM, C7A 48, fol. 248. Wohlfahrtsausschuss an Hugues (Kopie), 24.12.1794, in: ANOM, C7A 48, fol. 60.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Die Terreur und die Neuordnung der Plantagenwirtschaft Guadeloupes Nach der Vertreibung der britischen Streitkräfte konnte sich Hugues der Errichtung eines Herrschaftssystems widmen, das seine unbegrenzten Vollmachten nicht nur institutionell festigte, sondern sich auch in die Köpfe der Bewohner Guadeloupes einschrieb. Miranda F. Spieler hat darauf hingewiesen, dass der außerverfassungsmäßige Status der Kolonien eine Grundvoraussetzung für die despotische Herrschaft Hugues’ gewesen sei. Deren Genese sei ferner dadurch begünstigt worden, dass der Wohlfahrtsausschuss es unterlassen hatte, seine Abgesandten über die Einrichtung eines Justizwesens zu instruieren90 . Das ist zweifellos richtig, wobei angefügt werden muss, dass letzteres mit voller Absicht geschah. Die Schaffung eines einheitlichen Rechtsraumes wäre der Absicht des Wohlfahrtsausschusses, in den Kolonien der Kleinen Antillen Tabula rasa zu machen, nur hinderlich gewesen. Vielmehr war das Bestehen eines rechtsfreien Raumes geradezu die Voraussetzung dafür. Zudem scheint Spielers These, wonach lokale Ursachen in der Etablierung der despotischen Herrschaft Hugues’ keine Rolle gespielt haben, zu weit gegriffen. Vielmehr nutzte Hugues geschickt sowohl seine von Paris erhaltenen Vollmachten als auch bereits bestehende Antagonismen vor Ort, um seine Willkürherrschaft durchzusetzen. Der wichtigste Pfeiler von Hugues’ Macht war die Etablierung eines Gerichtwesens auf Gemeindeebene, das mit kleineren Delikten betraut wurde, und zweier Revolutionstribunale in Basse-Terre und Port-de-la-Liberté, vor denen schwere Vergehen verhandelt wurden. Diese Gerichtshöfe unterstanden der Obhut von Vertrauten des Kommissars, die ihm allein verantwortlich und damit von seiner Gunst abhängig waren91 . Ankläger und Richter waren meist dieselbe Person. Die Rechtsprechung folgte keiner gesetzlichen Grundlage. Hugues gab vor, die Gesetzestexte seien bei der britischen Bombardierung von Port-de-la-Liberté im Jahr 1794 vernichtet worden92 . Der Kommissar des Nationalkonvents schuf in der Folge absichtlich ein Klima gegenseitiger Denunziationen, das vor dem Hintergrund der zahllosen Konflikte zwischen den Kolonisten, die sich durch die Ereignisse der vergangenen 90 91 92

Spieler, The Legal Structure, S. 374–378, 396. Régent, Esclavage, S. 290–293; Dubois, A Colony, S. 202f.; Géraud-Llorca, Victor Hugues, S. 320f. Leissègues an Truguet, 15.11.1795, in: SHD, FM/BB4/85, fol. 48; Hubert/Maudit/Terrier/ Vatable an Wohlfahrtsausschuss (Kopie), 9.8.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 72; ThouluyreMahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6; Lion/Dupuch, Mémoire sur la situation actuelle de l’Île Guadeloupe, et sur la nécessité d’y organiser promptement la Constitution de l’an III, 15.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 247 Dupuch/Lion an Le Pelley, 2.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 164; Lebas/Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 18.11.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 35.

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Jahre weiter verschärft hatten, auf fruchtbaren Boden fiel93 . Die Revolutionstribunale boten Denunzianten eine geeignete Bühne, um ihre Widersacher als Konterrevolutionäre anzuschwärzen und so auszuschalten. Hugues und seine Schergen verfolgten jeden, auf den auch nur der Schatten eines Verdachts fiel, in den vergangenen Jahren mit den Kräften der Konterrevolution in Verbindung gestanden zu haben. So ließ der Kommissar all jene von den Revolutionstribunalen zum Tode verurteilen, die während der kurzen britischen Besatzung einen Treueschwur auf den englischen König geleistet hatten, um der von der britischen Generalität angedrohten Deportation zu entgehen. Selbst bekennende Republikaner waren vor der Terreur Hugues’ nicht sicher. Dutzende patriotes beider Hautfarben, die Hugues’ sans-culottes noch bei der Vertreibung der Rotjacken und der mit ihnen verbündeten royalistischen Milizen unterstützt hatten, fanden sich bald ohne erkennbaren Grund auf der Anklagebank wieder. An die auf benachbarte Inseln geflohenen Plantagenbesitzer und Kaufleute aus dem republikanischen wie auch dem royalistischen Lager richtete Hugues wahlweise die Aufforderung, binnen kürzester Frist nach Guadeloupe zurückzukehren, oder sicherte ihnen eine Amnestie im Falle ihrer Rückkehr zu. Wer diesen Aufforderungen nachkam beziehungsweise den Zusicherungen Hugues’ traute, der fand sich meist kurz nach seiner Heimkehr als Angeklagter vor einem Revolutionstribunal wieder94 . Zahllose Fälle von Hochverrat wurden in den folgenden Jahren vor den Revolutionstribunalen Guadeloupes verhandelt, deren Ausgang meist von vornherein feststand: Die Angeklagten fielen der eigens aus Frankreich mitgebrachten Guillotine zum Opfer95 . Die Terreur hielt Guadeloupe bis weit ins Jahr 1795 im Griff, obwohl sie in Frankreich mit dem Sturz Robespierres Ende Juli 1794 längst beendet war. Als im Januar 1795 Verstärkung aus Frankreich eintraf, zeigten sich die Offiziere und Soldaten schockiert, dass die Guillotine auf Guadeloupe weiterhin rege benutzt wurde. Unter diesen Truppen waren auch zahlreiche Männer wie Magloire Pélage, die in den farbigen Freiwilligenmilizen Martiniques und Guadeloupes gedient hatten und im Zuge der britischen Offensive im Frühjahr 1794 in britische Kriegsgefangenschaft geraten waren. Man kann sich leicht ausmalen, dass diese Männer darauf brannten, alte Rechnungen mit ihren Widersachern zu begleichen. Das Terrorregime Hugues’ bot ihnen hierfür einen 93

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95

Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 350–353; [?], Notes particulières sur la conduite et l’administration des organes particuliers du directoire exécutif aux îles du Vent, o. D. [1795], in: ANOM, C7A 48, fol. 248. Proklamation von Hugues, 18.7.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 17; Proklamation von Hugues/Lebas, 11.9.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 34; Erlass von Hugues, 25.8.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 34; Hapel de la Chenaie an Fourcroy, 21.6.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 69; Thouluyre-Mahé an Truguet, 12.12.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 137. Thouluyre-Mahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6; Hubert/Maudit/Terrier/Vatable an Wohlfahrtsausschuss (Kopie), 9.8.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 72; Thouluyre-Mahé an Le Pelley, 3.4.1798, in: ANOM, EE 1726/20.

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geeigneten Rahmen. Selbst die beiden Zivilkommissare Alexandre Lebas und Gaspar Goyrand, welche die Regierung in Paris ernannt hatte, um den verstorbenen Chrétien zu ersetzen, hatten kein Problem, sich in den Dienst der Terreur zu stellen. Ohnehin waren die beiden Neuankömmlinge keine ernsthafte Konkurrenz für Hugues. Lebas und Goyrand hatten gar kein Interesse daran, seine Autorität in Frage zu stellen. Hugues degradierte Lebas zu seinem Befehlsempfänger, und Goyrand wurde nach Saint Lucia abgeschoben, das den republikanischen Truppen 1795 in die Hände fiel96 . Mochte sich Hugues im Jahr 1796 »a little humanized«97 haben und von der Guillotine nicht mehr so freizügig Gebrauch machen, wie der britische Gouverneur Dominicas, Henry Hamilton, der Regierung in London schrieb, so hieß das nicht, dass die despotische Herrschaft des Kommissars zu Ende war. Ganz im Gegenteil: Willkürliche Verhaftungen, Enteignungen, Deportationen und Einschüchterungen gehörten auch weiterhin zum Herrschaftsrepertoire Hugues’98 . Die Terreur diente nicht nur der gewaltsamen Durchsetzung der republikanischen Herrschaft, sondern spülte auch gewaltige Summen in die Taschen Hugues’ und seiner Getreuen. Die staatliche Verfolgungswelle zielte vor allem auf die wohlhabenden kolonialen Eliten, deren Vermögen und Güter der Kommissar konfiszierte. Auch sonst nutzten Hugues und seine Offiziere jede sich ihnen bietende Gelegenheit zur Bereicherung. So soll Hugues gemäß den Deputierten Guadeloupes in Paris, Lion und Dupuch, innerhalb dreier Jahre mehr als 3,6 Millionen Livre aus der Kolonialkasse veruntreut haben99 . Hinzu kamen gigantische Ausgaben für repräsentative Anlässe und die Ausschmückung des Regierungspalasts, bei denen Hugues nicht einmal den Versuch unternahm, sie zu vertuschen100 . Viele der zeitgenössischen Berichte über Hugues’ Geldgier mögen zwar übertrieben sein, um den Kommissar zu desavouieren. Das bedeutet freilich nicht, dass diese Anschuldigungen frei erfunden waren. Vielmehr werfen sie ein bezeichnendes Licht auf die Herrschaftsverhältnisse unter der Administration Hugues’. Die Korruption von 96

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100

Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 401–403, 433f.; Poyen, Les guerres, S. 88f.; Grandmaison an Commission des Colonies, 22.10.1794, in: ANPS, XXV/119/931, fol. 1; Thouluyre-Mahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6. Hamilton an Portland, 15.3.1796, in: TNA, CO 71/28. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 355, 411–416; [?] an Curt, 23.3.1795, in: ADGB, 61J/35; Thouluyre-Mahé an Le Pelley, 3.4.1798, in: ANOM, EE 1726/20. Siehe Lion/Dupuch, Mémoire sur la situation actuelle de l’Île Guadeloupe, et sur la nécessité d’y organiser promptement la Constitution de l’an III, 15.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 247. Vgl. auch Dupuch an Bordas, 18.12.1798, in: ANOM, C7A 51, fol. 142; Leissègues an Truguet, 15.11.1795, in: SHD, FM/BB4/85, fol. 48; Hapel de la Chenaie an Fourcroy, 21.6.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 69; Grénier, Forfaits de Sonthonax, Victor Hugues et Lebas, ex-Agents particuliers de l’ex-Directoire exécutif à Saint-Domingue et à la Guadeloupe, [1799], in: ANOM, C14 86, fol. 261; Thouluyre-Mahé an Le Pelley, 3.4.1798, in: ANOM, EE 1726/20; Thouluyre-Mahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6. Zu Lion und Dupuch siehe Kap. 1. Rapport sur la comptabilité, 24.3.1802, in: ANOM, C7A 54, fol. 310.

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Kolonialadministratoren gehörte, wie wir gesehen haben, bereits im Ancien Régime zum Alltag. Daran änderte auch die Französische Revolution wenig. Gerade für Hugues, der aus den untersten Gesellschaftsschichten Frankreichs stammte und in den Wirren der Sklavenrevolution Saint-Domingues sein gesamtes Vermögen verloren hatte, bot der Posten als Kommissar des Nationalkonvents auf Guadeloupe mit unbegrenzten Vollmachten reichlich Gelegenheit zur Bereicherung und damit zum gesellschaftlichen Aufstieg. Hugues machte kaum einen Hehl daraus. So berichtete er etwa den Behörden in Paris ausführlich über den Verkauf der bei der Landung der Republikaner bei Port-de-la-Liberté 1794 erbeuteten Handelsschiffe, die mit von der britischen Generalität erhobenen Kontributionen vollbeladen waren. Diese Fracht im Wert von mehreren Millionen Franc ließ Hugues über ein schwedisches Handelshaus in Göteborg nach Marseille transportieren, wo sein Bruder schließlich die wertvolle Ware verkaufte. Ein erklecklicher Teil der Beute wanderte damit in die Taschen der Familie Hugues101 . Das Ausnutzen der materiellen Not vieler Kolonisten infolge von Abolition und Krieg war in Hugues’ Vorgehensweise geradezu systemimmanent. Frauen spielten in den Bereicherungsstrategien vieler Männer, die nach Guadeloupe strömten – seien es Offiziere, Kolonialbeamte oder schlicht Abenteurer –, eine wichtige Rolle102 . Die meisten unter ihnen waren jung, alleinstehend, kamen aus den unteren Gesellschaftsschichten Frankreichs und hatten deshalb nichts zu verlieren103 . Es war also nur naheliegend, dass viele dieser Männer versuchten, sich in die Familien der verbliebenen Pflanzer einzuheiraten, um durch die Mitgift in Besitz einer Plantage zu gelangen. Die Terreur bildete ein Klima, in dem es den Familienoberhäuptern besser schien, auf die Avancen dieser jungen Männer einzugehen und ihre Töchter mit ihnen zu verheiraten104 . Auch die materielle Not vieler Frauen wurde regelmäßig ausgenutzt, wie ein Kolonist einem Kaufmann in Bordeaux berichtete: »Toutes nos femmes sont en réquisition ; [. . . ] si elles veulent se procurer un morceau de pain, elles l’achètent au soldat au poids de l’or«105 . Einschüchterungen und Nötigungen der verbliebenen Pflanzer blieben in den folgenden Jahren alltäglich und waren für die Herrschaftsverhältnisse auf Guadeloupe geradezu strukturbildend, lieferte Hugues doch gewissermaßen das Vorbild für viele seiner Nachfolger in der Frage, wie mit den verbliebenen Plantagenbesitzern zu verfahren sei: Auf ihre Interessen mussten die Vertreter des Kolonialstaates keine Rücksicht mehr nehmen. Es galt vielmehr, Profit aus ihrer misslichen Lage zu ziehen. 101

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Hugues/Lebas an Wohlfahrtsausschuss, 19.11.1795, in: ANPS, AF/II/303/2515, fol. 18; Lebas/Hugues an Direktorium, 26.12.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 42; Lion an Direktorium, 25.1.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 122. Thouluyre-Mahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6. Pérotin-Dumon, Les jacobins, S. 277f. Série des questions sur Pélage et Frasans, o. D. [1801], in: ANOM, C7A 55, fol. 253. Hapel de la Chenaie an Fourcroy, 21.6.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 69.

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Dies zeigt sich auch in der Kolonialverwaltung, die überwiegend mit Männern aus den Reihen der petits Blancs besetzt wurde, die Hugues gegenüber absolut loyal waren. Die Beamten gaben nur rudimentär Rechenschaft über ihre Verwaltungsbereiche ab, womit sie sich einen gewaltigen Freiraum für Willkür und vor allem ihre eigene Bereicherung schufen, den sie in den folgenden Jahren voll ausnutzten. Besonders eklatant war die Korruption in der Verwaltung der sogenannten domaines nationaux, der von den émigrés sequestrierten Güter. Ende 1794 wurden 288 Zucker-, 285 Kaffee- und 70 Baumwollplantagen unter staatliche Verwaltung gestellt. Hinzu kamen 200 Privathäuser in den Städten und kleineren Ortschaften der Kolonie. Hierbei handelte es sich vor allem um die Immobilien geflüchteter Kaufleute. Insgesamt standen 843 Güter unter staatlicher Verwaltung, wobei der Anteil der sequestrierten Güter bei den wertvollen Zuckerplantagen mit 78 Prozent aller Zuckerplantagen Guadeloupes am höchsten lag. Bei den Kaffeeplantagen lag dieser Wert mit 48 Prozent schon deutlich niedriger; bei den Baumwollplantagen waren es zehn Prozent, die unter staatlicher Verwaltung standen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Hugues’ Terrorwelle in erster Linie gegen die obersten Gesellschaftsschichten der Kolonie gerichtet war. Die Sequestrierung der Güter der émigrés war sinnbildlich für den Bedeutungsverlust der alten Eliten, der sich im Übrigen auch in den Zensuszahlen von 1795/96 niederschlug: Zählte die Kolonie im Jahr 1790 noch 11 362 Weiße, waren es fünf Jahre später nur mehr 7006106 . Wer profitierte von der Verpachtung der domaines nationaux Guadeloupes, unter denen sich die größten, prestigeträchtigsten und ertragreichsten Plantagen der Kolonie befanden? Frédéric Régent glaubt, dass die französische Finanzbourgeoisie die größte Nutznießerin der Verpachtung von Gütern der émigrés gewesen sei. Allerdings kann er diese These empirisch nicht stützen. Das spärliche Quellenmaterial legt eher den Schluss nahe, dass die domaines nationaux an eine erkleckliche Anzahl weitgehend mittelloser Neuankömmlinge aus Europa verpachtet wurden. Diesen Pächtern fehlte jedoch gemäß übereinstimmenden Berichten oft das notwendige Kapital für den langfristigen Unterhalt der gepachteten Plantagen, weshalb sie alles daransetzten, möglichst rasch hohe Gewinne zu erzielen. Damit riskierten sie das langfristige Überleben des Betriebes, weil die erzielten Profite nicht reinvestiert wurden. Folglich wurde die Plantagenökonomie Guadeloupes zusehends zu einem 106

Dupuch/Lion an Le Pelley, 2.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 164; Lion/Dupuch, Mémoire sur la situation actuelle de l’Île Guadeloupe, et sur la nécessité d’y organiser promptement la Constitution de l’an III, 15.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 247; Thouluyre-Mahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6; Régent, Esclavage, S. 290–298. Bis Ende 1800 hatte sich die Zahl aller sequestrierten Güter gar noch auf 983 Plantagen erhöht. Eine Liste der émigrés findet sich bei Lebas, Liste des émigrés de la Guadeloupe, [10].11.1795, in: ANOM, G/1/497, fol. 61 sowie in ANOM, G/1/513, fol. 96. Die genannten Zensuszahlen sind mit Vorsicht zu genießen, lassen sie doch keine Schlüsse darüber zu, wie viele Menschen in die Kolonie immigriert waren.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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Spekulationsobjekt für mittellose Abenteurer und Glücksritter aus Frankreich, die wenig zu ihrem langfristigen Fortbestand beitragen konnten und wollten. Hinzu kam, dass durch die Emigration zahlreicher Financiers der Zugang zu Krediten erschwert war. Infolgedessen zerfielen viele Plantagen zusehends; Gebäude wurden nicht mehr instandgesetzt, teure Investitionen wie der Ersatz von Zuckermühlen nicht mehr getätigt, Zug- und Nutztiere fehlten107 . Wenige Jahre später beschrieb ein Abgesandter aus Paris, César-Dominique Duny, die Situation auf Guadeloupe im Vergleich zu Martinique wie folgt: La Guadeloupe est dans les mains des fermiers qui ne calculent que sur le temps de leur bail, [. . . ] à la Martinique, les propriétaires les entretiennent [les bâtiments, F. E.] et font chaque année les réparations nécessaires; à la Guadeloupe, les locataires ne font, tout juste, que ce qu’il faut pour les empêcher de crouler pendant leur ferme [fermage, F. E.]108 .

Die Zurückhaltung der Pächter und Geldgeber Guadeloupes, in die Plantagen zu investieren, dürfte aber auch durch die unsicheren Zukunftsaussichten bedingt gewesen sein. Zum einen schwebte eine mögliche Rückkehr der émigrés wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Pächter, zum anderen hielt der ungewisse Ausgang des Kriegs die Pächter davon ab, in die Plantagen zu investieren109 . Hinzu kam, dass in Hugues’ Willkürregime das Eigentum von Privatpersonen nicht geschützt war, was die Pächter und Financiers zusätzlich von Investitionen in die Plantagen Guadeloupes abhielt110 . Dies zeigt sich etwa an Hugues’ Anordnungen, mit denen er den gesamten Handel der Kolonie unter staatliche Kontrolle stellte. Hierfür mussten die Pächter die gesamte Produktion einer Plantage unter Androhung drakonischer Strafen an die staatlichen Behörden abtreten. Hugues begründete diese weitreichende Maßnahme mit dem grassierenden Schmuggel sowie dem Versuch der Plantagenbesitzer, die schwarzen Plantagenarbeiter auf den neutralen Inseln als Sklaven zu verkaufen. Die Schattenwirtschaft hatte gemäß Hugues auf Guadeloupe derartige Ausmaße erreicht, dass die Versorgung der Armee mit Lebensmitteln nicht mehr sichergestellt werden konnte111 . In den Augen der 107

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Dupuch/Lion an Le Pelley, 2.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 164; Série des questions sur Pélage et Frasans, o. D. [1801], in: ANOM, C7A 55, fol. 253; Thouluyre-Mahé, Coup d’œil sur la Guadeloupe et dépendances, 1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 138; Kerversau, De l’administration civile de la Guadeloupe depuis l’arrivée du général Richepanse jusqu’à la prise de cette colonie par les Anglais, en février 1810, o. D., in: ANOM, C7A 70, fol. 38; Lion an Direktorium, 25.1.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 122; Hugues/Lebas an Truguet, 10.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 200. Duny an Decrès, 22.2.1802, in: ANOM, EE 777/28. Hugues/Lebas an Wohlfahrtsausschuss, 28.12.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 47; Hugues/ Lebas an Truguet, 10.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 200; Hugues/Lebas an Le Pelley, 28.10.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 100; Hubert/Maudit/Terrier/Vatable an Wohlfahrtsausschuss (Kopie), 9.8.1794, in: ANOM, C7A 48, fol. 72. Vaughan an Dundas, 1.12.1794, in: TNA, WO 1/83/30. Lebas/Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 18.11.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 35; Hugues/ Lebas an Le Pelley, 20.10.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 100; Hugues/Lebas an Truguet, 10.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 200. Siehe auch Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 407–410.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Pflanzer und Pächter kam die Verstaatlichung des Handels allerdings einer Enteignung gleich112 . Es vermag vor diesem Hintergrund nicht zu erstaunen, dass insbesondere die kapitalintensive Zuckerproduktion binnen weniger Monate weitgehend zusammenbrach und sich von diesem Schock nicht mehr erholte. Derweil versuchten viele – vom Plantagenbesitzer bis zum Plantagenarbeiter – durch Diebstahl und Betrug Hugues’ restriktives Handelsregime zu unterwandern113 . Auch wenn Hugues den Handel zu Beginn des Jahres 1797 wieder freigeben musste, zu loyalen Unterstützern des Kolonialregimes Hugues’ konnten die Pächter der domaines nationaux und die verbliebenen Plantagenbesitzer nicht werden. Dafür war die Zukunft der Plantagenökonomie zu unsicher und Hugues’ Willkür zu groß. Der Kommissar lastete das illoyale Verhalten der Pächter allein ihrer Geldgier an, wie er in einem Schreiben an den Marine- und Kolonialminister Eustache Bruix Anfang 1798 festhielt: [L]es Européens qui viennent dans ces contrées n’ont pour but que d’y amasser de l’argent pour s’en retourner promptement en Europe. Nous croyons inutile de chercher à vous persuader que ces mêmes hommes qui risquent leur vie pour courir après la fortune, ne la risqueraient certainement pas pour la patrie. Le commerce rend l’homme cosmopolite et en termes plus vrais le commerce est sans patrie114 .

Den Kolonisten wurde deshalb keine Möglichkeit zur politischen Mitsprache gewährt. Hugues begründete dies damit, dass sich der Graben zwischen den verbliebenen Plantagenbesitzern und dem Kolonialstaat nach der Abschaffung der Sklaverei nicht mehr überbrücken lasse115 : »Le ci-devant propriétaire d’esclaves n’est point l’ami de la métropole«116 . Schließlich habe der Wert ihrer Besitztümer wegen der Abolition massiv abgenommen, wie Hugues festhielt: »Nous devons [. . . ] observer [. . . ] que les biens n’étaient pas à la valeur du sixième de leur prix en 1789, vu le décret du 16 pluviôse«117 . Man dürfe sich deshalb nicht der Illusion hingeben, dass die Kreolen irgendwelche Sympathien für seine Regierung hegten: »Ce n’est que le très petit nombre qui s’était attaché au sort de la République«118 .

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Les Négociants de France, intéressés au commerce de la Guadeloupe au Corps législatif, 22.4.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 146; Thouluyre-Mahé an [Truguet] (Kopie), 25.11.1796, ANOM, C7A 49, fol. 135; Thouluyre-Mahé an Truguet, 21.2.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 133; [?], Notes particulières sur la conduite et l’administration des organes particuliers du directoire exécutif aux îles du Vent, o. D. [1795], in: ANOM, C7A 48, fol. 248; Thouluyre-Mahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6. Dubois, A Colony, S. 214–216. Hugues/Lebas an Bruix, [?].1.1798, in: ANOM, C7A 49, fol. 240. Lebas/Hugues an Wohlfahrtsausschuss, 18.11.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 35. Hugues/Lebas an Truguet, 8.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 29. Hugues/Lebas an Truguet, 10.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 200. Hugues/Lebas an Bruix, [?].1.1798, in: ANOM, C7A 49, fol. 240.

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Hugues machte seine Kritiker in den Reihen der Plantagenbesitzer mundtot, indem er sie ins Gefängnis warf, deportierte oder gar umbringen ließ119 . Ihre Protestbriefe über den Kommissar an die Regierung in Paris blieben jahrelang folgenlos und verrieten nur die schreibenden Kritiker, denn durch die Kontrolle des Briefverkehrs fielen Hugues zahlreiche dieser Schreiben in die Hände120 . Die Regierung in Paris sah lange keinen Grund, Hugues zur Mäßigung aufzurufen oder ihn gar abzusetzen. Zweifellos hing dies auch mit der spärlichen Kommunikation zwischen Hugues und der Metropole zusammen. Infolgedessen waren die Entscheidungsträger in Paris oft nur unzureichend über die Verhältnisse auf Guadeloupe informiert121 . Das Informationsdefizit war allerdings auch auf Seiten der Machthaber Guadeloupes eklatant: So beklagte sich Lebas etwa, dass sie seit acht Monaten ohne Nachrichten aus Frankreich seien und nur über »la voie perfide des gazettes anglaises« von den Ereignissen in Europa erführen122 . Doch die Kommunikationsprobleme waren nicht allein ausschlaggebend und kaschieren das Wesentliche: Hugues hatte in den Augen der Metropole das scheinbar Unmögliche geschafft: Er hatte Guadeloupe den Krallen des britischen Löwen entrissen und damit den französischen Streitkräften die Tür zur östlichen Karibik geöffnet, wo sie eine große Zahl britischer Truppen und Schiffe banden. Die gewaltsame Entmachtung der Kolonialeliten nach deren offenkundigem Verrat an der Republik war gewollt, hatten doch die vergangenen Jahre gezeigt, dass auf die Pflanzereliten kein Verlass war. Deshalb bestätigte das Direktorium Hugues zu Beginn des Jahres 1796 in seinem Amt. Zwar empfahl Marine- und Kolonialminister Laurent Truguet dem Kommissar Guadeloupes »à faire aimer notre nouveau gouvernement [. . . ] par la modération et la clémence«123 . Im gleichen Atemzug ermahnte Truguet Hugues aber: [T]raite[z] avec la dernière sévérité les lâches qui, après avoir conspiré contre leur pays, n’y sont rentrés que pour y jeter le trouble [et] la discorde. Des pareils êtres ne méritent point de pitié; mais les hommes qui n’ont été que faibles, ne doivent pas être confondus avec les malveillants. Il faut ramener les [uns] par l’indulgence, il faut [. . . ] comprimer les autres par la force de la loi124 .

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Thouluyre-Mahé an Lyon, 1.7.1795, in: ANOM, C10C 6; Bory an [Talleyrand], 31.5.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 151; [?], Notes particulières sur la conduite et l’administration des organes particuliers du directoire exécutif aux îles du Vent, o. D. [1795], in: ANOM, C7A 48, fol. 248; Thouluyre Mahé an Truguet, 12.12.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 137; Thouluyre Mahé an Truguet, 23.5.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 134. Rapport au ministre de la Marine et des Colonies, 8.8.1798, in: ANOM, EE 1726/20. Lion an Hugues/Lebas/Goyrand, 15.12.1794, in: TNA, WO 1/83/143; Hugues/Lebas an Direktorium, 19.11.1795, in: ANPS, AF/II/303/2515, fol. 18. Lebas an Nationalkonvent, 8.7.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 21. Truguet an Hugues/Goyrand/Lebas (Entwurf), 6.3.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 158. Siehe auch Truguet an Hugues/Goyrand/Lebas, 2.1.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 155. Truguet an Hugues/Goyrand/Lebas (Entwurf), 6.3.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 158.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Weitere Ausführungen, in denen Hugues zur Mäßigung aufgerufen wurde, strich der Marine- und Kolonialminister bezeichnenderweise im überlieferten Briefentwurf125 . Die beschwichtigenden Formulierungen Truguets konnten den Kern der Botschaft nicht verhehlen: Hugues hatte weiterhin freie Hand in der Wahl der Mittel, um die Kolonie gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen, zumal ihm der Kriegszustand hierfür weitreichende Vollmachten gewährte126 . Hugues war das Gesetz – niemand sonst. Aus der Ferne konnte ohnehin niemand beurteilen, wer die wahren Feinde der Republik in den Antillen waren. Dies konnte allein ihr Repräsentant vor Ort einschätzen und dieser kompensierte seinen geringen gesellschaftlichen Rückhalt mit einer Politik des Terrors, um seine Herrschaft abzusichern. Es interessierte sich deshalb auch lange kaum jemand in Paris für das Schicksal der ehemaligen Sklaven Guadeloupes.

Der fließende Übergang von Sklaverei zu Zwangsarbeit Was änderte sich für die ehemaligen Sklaven Guadeloupes, nachdem die Sklaverei abgeschafft und die Zwangsarbeit eingeführt worden war? Was bedeutete das Ende der Sklaverei für die Lebensumstände dieser Menschen, die zwar auf dem Papier das französische Bürgerrecht genossen, die damit verbundenen Rechte aber nicht einklagen konnten? Wo lag der Unterschied zwischen der Sklaverei vor 1794 und der Zwangsarbeit in einer Plantagenökonomie, die im Wesentlichen in der Hand von Pächtern lag, die nur an kurzfristigen Gewinnen interessiert waren? Welche Rolle spielten die Kolonialbehörden bei der Aufrechterhaltung des Zwangsarbeitsregimes? Wie reagierten die nouveaux citoyens auf ihre fortgesetzte Ausbeutung? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden, um nachzuvollziehen, wie das Abolitionsdekret mit Blick auf die Masse der ehemaligen Sklaven Guadeloupes historisch einzuordnen ist. Entscheidend für die Ausgestaltung der Lebensbedingungen der ehemaligen Sklaven waren primär die militärischen Bedürfnisse von Hugues und seinen Offizieren. In diesen ersten Monaten der republikanischen Herrschaft galt der Ernährung der republikanischen Armee die größte Sorge, weshalb der Fokus zunächst auf die Nahrungsmittelproduktion gelegt wurde. Die Konzentration auf die Versorgung der Streitkräfte zeigt sich auch in Hugues’ Bemühungen im Oktober 1794, die auf den seit Wochen verlassenen Kaffeeplantagen Grande-Terres gereiften Kaffeebohnen pflücken zu lassen. Deren Verkauf sollte dringend benötigtes Geld zum Kauf von Waffen, 125 126

Ibid. Truguet an Hugues/Goyrand/Lebas, 2.1.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 155.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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Schwarzpulver und anderen Gütern in die Kassen der Kolonialverwaltung spülen. Deshalb befahl er allen »citoyens et citoyennes qui [étaient] dans l’usage de s’employer aux travaux de la récolte«, sich umgehend zurück auf die Plantagen ihrer ehemaligen Besitzer zu begeben und die Kaffeebohnen zu pflücken. Weiter führte Hugues aus: Considérant que la majeure partie des citoyens et citoyennes des campagnes ont déserté leurs ateliers pour se réfugier dans la cité, où n’étant point occupés pour la chose publique, ils croupissent dans la paresse, se cachent à la surveillance des autorités constituées, et se livrent clandestinement à toutes sortes de brigandages pour subsister; Considérant que déjà plusieurs proclamations de la municipalité, tendant à faire rentrer les citoyens et citoyennes dans leurs habitations respectives, ont été faites sans succès, et qu’il importe à la chose publique, sous tous les rapports possibles, d’arrêter ces désordres, même en employant tous les moyens de sévérité que la loi indique.

Jede Zuwiderhandlung gegen seine Anordnung, ließ Hugues wissen, »sera poursuivie et punie comme crime de contre-révolution«127 . Ob diesen Zwangsmaßnahmen Erfolg vergönnt war, lässt sich nicht mehr eruieren. Die Ausführungen illustrieren aber die zahlreichen Probleme, mit denen sich Hugues’ Administration konfrontiert sah: Die Flucht tausender ehemaligen Sklaven von den Plantagen ihrer einstigen Besitzer in die Städte der Kolonie sowie ins gebirgige Landesinnere, ihr unklarer Rechtsstatus sowie die Aufrechterhaltung einer Plantagenökonomie, die aufgrund des Unwillens, die Arbeiter für ihre Dienste zu entschädigen, nur mit Gewalt durchgesetzt werden konnte. Hinzu kam der Mangel an Arbeitskräften infolge von Flucht und Krieg. Die Mehrzahl der ehemaligen Sklaven besaß zum Zeitpunkt der Verkündung des Abolitionsdekretes nichts, konnte weder lesen noch schreiben und sah sich deshalb gegenüber der restlichen Bevölkerung Guadeloupes ökonomisch wie auch kulturell erheblich im Nachteil128 . In den Augen der Kolonialverwaltung stand außer Frage, dass ein Großteil der ehemaligen Sklaven auch weiterhin auf den Plantagen der Kolonie schuften würde, weshalb sie die Plantagen nicht verlassen durften129 . Das neue Zwangsarbeitsregime gründete nicht nur in den ökonomischen Erfordernissen, mit denen sich Hugues und die französischen Kolonialbeamten konfrontiert sahen, sondern auch im blanken Rassismus der Entscheidungsträger. Farbenblind wurde die postabolitionistische Kolonialverwaltung unter Hugues nämlich nicht. So unterschieden die Kolonialbeamten in den Bevölkerungsstatistiken sowie in der offiziellen Korrespondenz weiterhin zwischen »Blancs«, »Rouges«, damit waren jene farbigen Personen gemeint, die bereits vor der Abolition frei waren, sowie »Noirs«, also den 1794 befreiten Menschen130 . Selbst in den Soldlisten der Kolonialarmee blieben die rassistischen Unterscheidungs127 128 129 130

Alle Zitate aus Proklamation von Hugues, 17.10.1794, in: ANOM, C7A 47, fol. 117. Régent, Esclavage, S. 284. Hubert/Maudit/Terrier/Vatable an Wohlfahrtsausschuss (Kopie), 9.8.1794, in: ANOM, C7A 48, fol. 72. Régent, Esclavage, S. 286f.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

merkmale des Ancien Régime bestehen131 . Innerhalb kürzester Zeit wurden die ehemaligen Sklaven auch nicht mehr mit »citoyen« beziehungsweise »citoyenne« angesprochen, sondern nur noch mit »cultivateur« beziehungsweise »cultivatrice«132 . Der grassierende Rassismus der Kolonialbeamten zeigt sich beispielhaft in einem Memorandum Hugues’ über die zukünftige Organisation der Kolonie: Jamais les Noirs n’établirent un ordre social quelconque entr’eux étant de plus de cinquante nationaux [sic] différentes habituées à se guerroyer entr’elles en Afrique, il est même des nationales dont l’antipathie est si forte, qu’il fallait toute la sévérité de l’Ancien Régime pour les empêcher de s’entrégorger, telles étaient les Mandingues, Aruda, Congo, Ibo etc. etc.133

Im Prinzip übernahm Hugues damit nur die Argumentation damaliger Sklavereibefürworter, die der Öffentlichkeit glauben machen wollten, die Sklaverei sei im Grunde nichts anderes als die Rettung der versklavten Afrikaner vor der angeblichen Barbarei Afrikas134 . Neu war allerdings, dass die Kolonialbeamten die Ausbeutung der ehemaligen Sklaven damit begründeten, dass sich Letztere ihre Freiheit erst durch Arbeit verdienen müssten. Dies brachte auch Marine- und Kolonialminister Truguet zum Ausdruck, als er Hugues anwies, »tous les moyens possibles« für die »culture des terres« einzusetzen. Insbesondere müsse er den ehemaligen Sklaven klarmachen, »qu’ils doivent de reconnaissance à la République«135 . Unter dieser ideologischen Prämisse war die drakonische Bestrafung all jener, die sich dem Zwangsarbeitsregime widersetzen, nicht mehr erklärungsbedürftig: Wer nicht für die Republik war, der war gegen sie. Leisteten die eben erst von den Ketten der Sklaverei befreiten nouveaux citoyens Widerstand, mussten sie mit Prügel- und Todesstrafe rechnen136 . Bei kleineren Vergehen wurden auch regelmäßig Gefängnisstrafen ausgesprochen137 . Selbst das Symbol schlechthin der Sklaverei, das 131

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Roland Anduze, L’histoire singulière du 1er bataillon de l’armée de la Guadeloupe. Loyalisme révolutionnaire et révoltes militaires, in: Michel L. Martin, Alain Yacou (Hg.), Mourir pour les Antilles. Indépendance nègre ou esclavage 1802–1804, Paris 1991, S. 57–62, hier S. 60. Seymour Drescher, Abolition. A History of Slavery and Antislavery, Cambridge 2009, S. 164. Hugues, Projet d’organisation des colonies de la Guadeloupe, Marie-Galante, la Désirade, Les Saintes et la partie française de l’Île St-Martin, 13.11.1795, in: ANPS, AF/II/303/2515, fol. 11. Siehe dazu Blackburn, The Making, S. 152f. Alle Zitate aus Truguet an Hugues/Goyrand/Lebas, 2.1.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 155. Zeugenaussage Jeannet, 20.11.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 263; Zeugenaussage Laveaux, 7.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 267; Hugues/Lebas an Truguet, 10.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 200; Thouluyre Mahé, Coup d’œil sur la Guadeloupe et dépendances, 1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 138; Dupuch/Lion an Le Pelley, 2.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 164; Proklamation von Hugues/Lebas, 23.11.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 41. Régent, Esclavage, S. 339f.

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Auspeitschen, war auf den Plantagen Guadeloupes kein Tabu138 . Ein aus Guadeloupe geflohener Plantagenbesitzer beschrieb Louis de Curt in London das Zwangsarbeitsregime auf Guadeloupe treffend: »[Q]uoiqu’il [Hugues, F. E.] leur dise qu’ils sont libres, il les fait travailler sans relâche sur les habitations [. . . ]. La Terreur fait tout trembler, tout marcher, tout aller«139 . Hugues seinerseits kommentierte die Anwendung von Gewalt, um die ehemaligen Sklaven zur Arbeit zu zwingen, mit seinem üblichen Rassismus: »Il ne faut point se dissimuler que ce n’est nullement le sentiment de leur intérêt particulier ni la reconnaissance qu’ils doivent à la République, qui a stimulé les cultivateurs; ils répugnent naturellement à se livrer au travail et ce n’est qu’en leur inspirant quelques craintes qu’on peut vaincre cette apathie«140 . Einen Lohn für ihre Mühen sahen die ehemaligen Sklaven nicht. Dafür fehle das Geld, wie die Kolonialbeamten nicht müde wurden zu beteuern141 . Das war eine Lüge: Die Kolonialkasse war durch die Sequestrierung eines Großteils der Plantagen Guadeloupes und deren Verpachtung prall gefüllt. Die Profite wanderten aber nicht in die Hände der arbeitenden Massen, sondern in die Taschen korrupter Kolonialbeamter, nachdem Letztere die Bezahlung der Plantagenarbeiter den Pächtern der domaines nationaux aufgetragen hatten. Den Pächtern fehlte aber das Geld, um die Arbeiter zu bezahlen, weshalb Gewalt das einzige Mittel war, um die ehemaligen Sklaven zur Arbeit zu bewegen142 . Der Tagesablauf der Plantagenarbeiter unterschied sich nur geringfügig von jenem vor Abschaffung der Sklaverei: Um halb sechs in der Früh hatten sich die cultivateurs an ihrem Arbeitsort einzufinden. Damit jedermann in Erinnerung gerufen wurde, wem sie das Ende der Sklaverei zu verdanken hatten, mussten die Plantagenarbeiter die »Marseillaise« singen und diese mit »Vive-la-République !«-Rufen beenden, bevor sie die Arbeit aufnahmen. Nachdem auf Guadeloupe bekannt wurde, dass der Nationalkonvent im Sommer 1794 den »Kult des höchsten Wesens« dekretiert hatte, entschloss sich Hugues, dass die Plantagenarbeiter fortan zur Melodie der Marseillaise ein Lied zu Ehren des »höchsten Wesens« singen müssten. Darin baten die ehemaligen Sklaven dieses etwa, »[de] brise[r] partout les fers de la captivité«. Nach diesem Ritual machten sie sich – immer noch singend – auf zur harten Arbeit auf den Zucker- und Kaffeeplantagen. Nach einem Frühstück schufteten die Plantagenarbeiter, unterbrochen durch eine zweistündige Mittagspause, bis zum Einbruch der Nacht. Gerade während der Erntezeit waren allerdings längere Arbeitseinsätze an der Tagesordnung, musste doch das Zuckerrohr rasch verarbeitet werden, damit es nicht verdarb. Hugues hatte keine Zweifel, dass die erschöpften Arbeiter nach einem langen Tag 138 139 140 141 142

Ibid., S. 346f. [?] an Curt, 23.3.1795, in: ADGB, 61J/35. Hugues/Lebas an Truguet, 8.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 29. Siehe etwa Villegégu an Direktorium, 30.5.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 54. Siehe dazu oben, S. 178–180.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

auf den Plantagen zu dieser nächtlichen Arbeit bereit seien: »Nous sommes persuadés que tous s’y prêteront en vrais Républicains«143 . Als wäre des republikanischen Pathos nicht genug gewesen, sahen sich die Plantagenarbeiter auch noch mit der Einführung des Revolutionskalenders – eines weiteren Segens der Französischen Revolution – konfrontiert, der die siebentägige Woche des Gregorianischen Kalenders durch eine zehntägige Woche, die sogenannte Dekade, ersetzte. Hatten die Sklaven des Ancien Régime einen Tag der siebentägigen Woche Zeit gehabt, sich um die Bewirtschaftung ihrer Gärten zwecks ihrer Subsistenz zu kümmern, gewährte ihnen Hugues dafür nur noch einen Tag der Dekade144 . Nicht zuletzt deshalb blieb Hunger unter den ehemaligen Sklaven weit verbreitet145 . Dies lag auch daran, dass ein Gutteil der Plantagen Guadeloupes in den Händen von Pächtern war, deren Hauptinteresse darin lag, während ihrer Pacht die größtmöglichen Profite zu erzielen. Deshalb war ihnen wenig am Schicksal der Plantagenarbeiter gelegen, wie der bereits zitierte Duny in seinen Beobachtungen zu den domaines nationaux ausführte: »[Les Noirs] de la Guadeloupe [. . . ] sont chétifs, maigres [. . . ], nus, abandonnés dans leur maladie«146 . Gegenüber einem katholischen Priester beschwerten sich einige cultivateurs 1802, »qu’ils ne voulaient pas rentrer sur les habitations, tant qu’elles seraient exploitées par des locataires, parce qu’ils en sont maltraités, mal-nourris et excédés par le travail«147 . Ähnliches wusste auch der britische Gouverneur Dominicas, Henry Hamilton, über schwarze französische Soldaten aus Guadeloupe, die 1795 von britischen Truppen gefangen genommen worden waren, in seinem Tagebuch zu berichten: [R]eceived information from prisoners, [. . . ] men of veracity, that the Negroes are much dissatisfied, neither fed or treated in sickness with the care and attention they experienced under their former masters, that Victor Hugues’ views in fermenting insurrections in our islands are not more from a desire of making conquests than [from a desire] to remove persons whom he dreads and keeping the minds of the slaves in constant agitation, so as not to give them time to reflect on their present situation or compare it with the past148 .

Man mag die zitierten Aussagen als Propaganda von Sklavereibefürwortern abtun, die der Republik ohnehin feindlich gesinnt waren. Doch zumindest 143 144 145

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Alle Zitate aus Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 384f. Proklamation von Hugues/Lebas/Goyrand, 13.3.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 8. René Bélénus, Le pouvoir et l’agitation politique à la Guadeloupe de 1794 à 1802, in: Marcel Dorigny (Hg.), Esclavage, résistances et abolitions, Paris 1999, S. 217–222, hier S. 220. Duny an Decrès, 22.2.1802, in: ANOM, EE 777/28. Freilich widerspricht dieser Befund den Erhebungen von Régent, Esclavage, S. 334f., wonach die Arbeitsflucht auf den domaines nationaux weniger häufig war, als auf jenen, die noch unter Kontrolle ihrer Eigentümer standen. Bertin an Bonaparte, 30.10.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 41. Hamilton, Journal of Events from the time sending detachments to meet the Enemy, 16–28.6.1795, in: TNA, CO 71/27/137.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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der Bericht Hamiltons über die Verhöre der Kriegsgefangenen unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom üblichen Paternalismus der émigrés Guadeloupes und katholischen Geistlichen, die glaubten, dass sich »nos nègres« wegen der schlechten Behandlung durch die republikanischen Behörden nach ihrer Rückkehr sehnen würden149 . In den Bemerkungen Hamiltons wird deutlich, dass der Gouverneur im Gegensatz zu den émigrés durchaus anerkannte, dass die ehemaligen Sklaven Guadeloupes ihre eigene Situation reflektierten und die Politik sowie den republikanischen Pathos Hugues’ hinterfragten. Ohnehin war Hamilton als Gouverneur Dominicas – einer Kolonie in unmittelbarer Nachbarschaft Guadeloupes – bestens über die Verhältnisse auf der Insel unter der Herrschaft Hugues’ informiert. So berichtete ihm beispielsweise ein Kaufmann, der Basse-Terre am Vortag verlassen hatte, dass auf Guadeloupe »the slaves, except those formed into corps, are rigorously treated and in great disgust«150 . Damit legte er nicht nur nahe, dass sich die Situation der ehemaligen Sklaven seit der Verkündung der Abolition im Grunde nicht geändert habe, sondern er verwies auch auf die gewichtige Ungleichbehandlung zwischen jenen, die in der Armee dienten und jenen, die auf den Plantagen der Kolonie weiterhin die harte Feldarbeit verrichteten. Mit der Aufrechterhaltung des Zwangsarbeitsregimes im postabolitionistischen Guadeloupe war die vornehmlich aus ehemaligen Sklaven bestehende Armee betraut. Sie war letztlich die Garantin der französischen Kolonialherrschaft auf der Insel151 . Weil jungen Männern der Dienst in den Kolonialtruppen sowie auf den Korsaren Guadeloupes offenstand, hatten zwangsläufig Frauen, Kinder und Greise die Hauptlast der Plantagenarbeit zu tragen152 . Die damit einhergehende Spaltung der ehemaligen Sklaven entlang der Bruchlinien Geschlecht und Alter erschwerte folglich nicht nur jeden organisierten Widerstand, sondern manifestierte sich auch im Alltag: Die privilegierten Soldaten missbrauchten ihre Machtstellung immer wieder, um die Feldarbeiter zu drangsalieren und zu bestehlen153 . Die cultivateurs reagierten auf ihre Ausbeutung so, wie sie es schon zu Zeiten der Sklaverei getan hatten: Sie versuchten sich dem Zugriff ihrer Peiniger zu entziehen, indem sie ins gebirgige Landesinnere oder in die Städte flüchteten, wo sie in der Anonymität der Massen unterzutauchen hofften. Noch im Jahr 1798 befanden sich mindestens 15 000 ehemalige Sklaven auf der 149

150

151 152 153

Zitat aus Picard an Curt, 22.7.1796, in: ADGB, 61J/36. Siehe auch [?] an Curt, 20.2.1797, in: ADGB, 61J/36; [?] an Curt, 19.10.1796, in: ADGB, 61J/36; [?] an Curt, 13.9.1797, in: ADGB, 61J/36. Hamilton an Portland, 15.3.1796, in: TNA, CO 71/28. Ähnlich auch [?] an Curt, 23.3.1795, in: ADGB, 61J/35; Abercromby an Dundas, 22.6.1796, in: TNA, WO 1/85/483. Hapel de la Chenaie an Fourcroy, 21.6.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 69. Bélénus, Le pouvoir, S. 220. [?] an Curt, 19.10.1796, in: ADGB, 61J/36.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Flucht154 . Die cultivateurs stimmten nicht nur mit ihren Füßen ab, sondern wandten auch die ihnen bestens vertrauten Techniken des Widerstandes an. Arbeitsverschleppung und -verweigerung sowie Diebstahl blieben alltäglich. Régent hat zudem auf mehrere aktenkundige Fälle hingewiesen, bei denen die cultivateurs mit den Pächtern der domaines nationaux erfolgreich eine Reduktion der Arbeitszeiten aushandelten155 . Die staatlichen Institutionen, die Plantagenbesitzer und die Pächter konnten demnach keine totale Kontrolle über die nouveaux citoyens ausüben. Stattdessen mussten sie weiterhin auf die komplexen Hierarchien innerhalb der Sozialstruktur der ehemaligen Sklaven setzen, um ein Mindestmaß an Kontrolle aufrechtzuerhalten156 . Damit nähern wir uns der entscheidenden Frage, ob sich für die ehemaligen Sklaven, die weiterhin die Plantagen Guadeloupes bewirtschafteten, im Zuge der Abolition überhaupt irgendwas änderte. Hugues verneinte dies, als er der Regierung in Paris schrieb: »Ils [les Noirs, F. E.] travaillent comme ils le faisaient dans l’Ancien Régime«157 . Bezeichnend für die kaum veränderten Zustände auf den Plantagen war auch das Verbot für schwarze Bürger aus FranzösischGuyana, wo die Sklaverei 1794 ebenfalls abgeschafft worden war, Guadeloupe zu betreten. Dadurch sollten die cultivateurs Französisch-Guyanas ihre Leidesgenossen auf Guadeloupe nicht über das angeblich lockerere Arbeitsregime der französischen Festlandkolonie informieren können158 . Freilich kann auch im Falle Französisch-Guyanas kaum von einem Ende der Zwangsarbeit nach der Abolition die Rede sein. Die Verantwortlichen dieser Kolonie hatten in Abwandlung des Mottos der Französischen Revolution die Devise »travail ou mort« für die ehemaligen Sklaven der Kolonie ausgegeben159 . Régent hat darauf hingewiesen, dass die Geburtenrate unter den ehemaligen Sklaven nach 1794 gestiegen sei und wertet dies als Zeichen ihrer besseren Behandlung im Vergleich zu früher. Diese Zahlen beruhen allerdings auf den Bevölkerungsstatistiken, die alle ehemaligen Sklaven erfassten; also auch jene, die in den Städten Beschäftigung fanden oder in der Kolonialarmee und auf den KorsarenDiensttaten.SiesagendeshalbwenigüberdietatsächlicheBehandlung der auf den Plantagen verbliebenen cultivateurs aus160 . Hugues selbst eröffnete einen Einblick in die Lebensumstände auf den Plantagen Guadeloupes, als er einen sorgsam ausgewählten Teil der internen Korrespondenz der Kolonialverwaltung als Abschrift nach Paris schickte, um das Direktorium glauben zu machen, dass er alles in seiner Macht stehende tue, um der brutalen Behandlung 154 155 156 157 158 159 160

Régent, Esclavage, S. 334–337. Ibid., S. 347–350. Dubois, A Colony, S. 208f.; Régent, Esclavage, S. 350. Hugues/Lebas an Wohlfahrtsausschuss, 20.11.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 37. Miranda F. Spieler, The Destruction of Liberty in French Guiana. Law, Identity and the Meaning of Legal Space, 1794–1830, in: Social History 36 (2011), S. 260–279, hier S. 267. Yves Benot, La Guyane sous la Révolution française, ou l’impasse de la révolution pacifique, Kourou 1997, S. 164. Régent, Esclavage, S. 349f.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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der cultivateurs ein Ende zu setzen. In seiner gewohnt zynischen Manier schrieb er etwa an den Kommissar in der Gemeinde Le Moule, der sich zuvor über die Flucht vieler cultivateurs von den Plantagen in seinem Bezirk beschwert hatte: Il est bien possible, Citoyen, de vous entendre parler sans cesse de la désertion des cultivateurs, et surtout de vous proposer de prendre des mesures sévères pour prévenir ce mal. De quel droit voulez-vous que l’on [se prévale] pour obliger les cultivateurs à travailler dans un endroit plutôt que dans un autre? Les considérez-vous encore comme des esclaves? Je ne puis le croire sivousvoulez doncquel’agencesoit injuste? Elleneleserapas,citoyen,soyez en bien persuadé; elle veut le bien [. . . ]. Ce n’est pas d’ailleurs que par la rigueur qu’on obtient des hommes ce qu’on en désire; c’est au contraire par la douceur et les bons procédés161 .

Die Beteuerungen Hugues’ gehören, wie wir gesehen haben, ins Reich der Fabeln. Sie dienten nur dazu, die Regierung in Paris über die wahren Verhältnisse auf den Plantagen zu täuschen und ihren Repräsentanten vor Ort als Kämpfer gegen die Ausbeutung der cultivateurs erscheinen zu lassen. Im gleichen Licht muss Hugues’ Schreiben interpretiert werden, das er an den zuständigen Kommissar auf der kleinen Insel La Désirade anlässlich der Teilung einer Plantage infolge ihrer Vererbung richtete: »Les cultivateurs ont bien fait de ne pas souffrir qu’on les partage et il est bien étonnant que vous ayez donné les mains à un acte aussi attentatoire à la liberté et aussi dégradant pour l’espèce humaine. Le temps où on partageait les hommes comme un troupeau de bestiaux, n’est plus, Citoyen«162 . Zwar konnte Régent anhand von Notariatsakten nachweisen, dass die cultivateurs bei der Vererbung von Plantagen in der Regel tatsächlich mitbestimmen konnten, auf welcher Plantage der Erben sie fortan arbeiten wollten163 . Doch hatten sie keine rechtliche Handhabe, um gegen Zuwiderhandlungen gegen dieses Prinzip Einspruch zu erheben, denn es fehlten die dafür nötigen rechtlichen Institution auf Guadeloupe. Der außerverfassungsmäßige Status der Kolonien erlaubte es Hugues, auf die Errichtung entsprechender Gerichte zu verzichten. Ihre Bürgerrechte konnten die ehemaligen Sklaven deshalb nicht einfordern164 . Das zitierte Schreiben Hugues’ ist deshalb weniger als Versuch der Kolonialbehörde zu werten, gegen die Behandlung der cultivateurs als Eigentum einzuschreiten, sondern verrät vielmehr die Tatsache, dass die ehemaligen Sklaven in der Praxis immer noch als das Eigentum der Plantagenbesitzer und der Pächter angesehen wurden165 . Das Bestehen von Eigentumsansprüchen ist ein entscheidendes Merkmal der karibischen Plantagensklaverei, die in der Regel nicht über den ohnehin schwer messbaren Grad der Ausbeutung definiert wird, sondern meist im Hinblick auf bestehende Rechtsansprüche auf die betroffenen Menschen166 . 161 162 163 164 165 166

Hugues an Terrible (Kopie), 26.8.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 107. Hugues an Martiny (Kopie), 26.6.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 108. Régent, Esclavage, S. 348. Spieler, The Legal Structure, S. 398. Siehe dazu auch Hugues an [?] (Kopie), 12.11.1797, in: ANOM, C7A 50, fol. 46. Einen Einstieg zur definitorischen Abgrenzung von Sklaverei bietet Zeuske, Atlantic Slavery, S. 280–285.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Diese Eigentumsansprüche hatten zwar nach der Abolition keine institutionelle und rechtlich verbindliche Verankerung mehr, doch im Alltag blieben sie dennoch von Bedeutung. Wir haben es folglich mit einem Zwangsarbeitsregime zu tun, das sehr nahe an der Sklaverei des Ancien Régime zu situieren ist und sich vielleicht am besten als versteckte Sklaverei fassen lässt. So gesehen brachte das Abolitionsdekret der Masse der schwarzen Sklaven Guadeloupes nicht die mit dem französischen Bürgerrecht verbundene Freiheit, sondern versetzte sie in einen Zustand, in dem die betroffenen Menschen keinerlei Rechte genossen. Im Gegensatz zu früher konnten sie sich nicht einmal mehr auf den code noir berufen. Ein weiteres integrales Element der Sklaverei des Ancien Régime wurde im postabolitionistischen Guadeloupe fortgesetzt: die gewaltsame Verschleppung von Menschen aus Afrika auf die Zucker- und Kaffeeplantagen der Kolonie. Bemerkenswerterweise fand diese Tatsache in der Forschung bislang wenig Beachtung, obwohl ähnliche Praktiken für Saint-Domingue und Französisch-Guyana bekannt sind167 . Insgesamt gelangten gemäß Régent auf diesem Wege 1323 Zwangsarbeiter nach Guadeloupe168 . Jubilierend schrieb Hugues etwa im November 1795 an Truguet, dass ein französischer Korsar ein Sklavenhandelsschiff mit über 300 Sklaven an Bord gekapert habe, »qui jouissent maintenant de la liberté«169 . Doch diese »liberté« war die gleiche, unter der auch die ehemaligen Sklaven Guadeloupes lebten. Verkauften die Kaperschiffe ihre menschlichen Prisen in spanischen und neutralen Häfen, dann zogen ihre Kapitäne auch Profit daraus, wie Hugues an den französischen Konsul in der spanischen Kolonie Puerto Rico schrieb, wo Korsaren wiederholt Sklaven veräußert hatten: »Plusieurs corsaires de la Guadeloupe [. . . ] ayant capturé des bâtiments chargés d’Africains. J’ai appris avec douleur qu’ils avaient été réduits à l’esclavage et même vendus«170 . Auf Guadeloupe wurden die Neuankömmlinge aus Afrika demselben rechtlosen Zustand unterworfen wie die bereits ansässigen cultivateurs. Gemäß den Zeugenaussagen eines Nachfolgers Hugues’, Nicolas-Georges Jeannet-Oudin, trafen während seiner Amtszeit (Ende 1799 bis Anfang 1801) gar »un ou deux négriers« ohne das Zutun französischer Korsaren in den Häfen Guadeloupes ein. Die Sklaven dieser Schiffe seien, so Jeannet-Oudin, »selon les besoins« auf den Plantagen der Kolonie verteilt worden. Seinen anschließenden Beteuerungen, wonach die Sklavenhändler auf einen Erlös für ihre menschliche Ware verzichtet hätten, darf kein Glaube geschenkt werden171 . 167

168 169 170 171

Philippe R. Girard, Black Talleyrand. Toussaint Louverture’s Diplomacy, 1798–1802, in: William & Mary Quarterly 66 (2009), S. 87–124, hier S. 113f.; Miranda F. Spieler, Empire and Underworld. Captivity in French Guiana, Cambridge 2012, S. 73–75. Régent, Esclavage, S. 430. Hugues/Lebas an Wohlfahrtsausschuss, 21.11.1795, in: ANPS, AF/II/303/2515, fol. 25. Vgl. auch Papin an Truguet, 23.3.1797, in: SHD, FM/BB4/116, fol. 213. Hugues an Vergnes (Kopie), 17.5.1798, in: ANOM, C7A 49, fol. 190. Zeugenaussage Jeannet, 20.11.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 263.

5. Terror, Abolition und Zwangsarbeit

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Transformierten Abolition und Terreur die Plantagenökonomie Guadeloupes also in den ersten Jahren unter Hugues’ Regime nur hinsichtlich rechtlicher Eigentumsverhältnisse und der daraus resultierenden Folgen? Nicht ganz. Die Plantagenökonomie der Kolonie litt nach der Abolition unter einem erheblichen Mangel an Arbeitskräften infolge von Krieg und Flucht. Hugues appellierte deshalb wiederholt an die Regierung in Paris, einen transatlantischen Menschenhandel unter staatlicher Obhut zu etablieren. Der Zivilkommissar glaubte jährlich 10 000–15 000 Afrikaner nötig, um den Bedarf der Kolonie an Plantagenarbeitern zu decken. Die nach Guadeloupe verschleppten Afrikaner sollten dann für frei erklärt, aber im gleichen Atemzug zur Arbeit auf den Plantagen der Kolonie gezwungen werden172 . Hugues’ Forderungen werfen nicht nur ein bedenkliches Licht auf die Lebensumstände der ehemaligen Sklaven, wenn man sich die Tatsache vor Augen hält, dass in den zehn Jahren vor der Abolition im Durchschnitt nicht mehr als rund 1000 Sklaven pro Jahr nach Guadeloupe verschleppt worden waren. Sie zeigen auch, dass Hugues trotz des Abolitionsdekrets am transatlantischen Menschenhandel festhalten wollte. Mit derartigen Ideen war er keineswegs alleine. Bereits Rochambeau hatte sich kurz nach der Verkündung des Abolitionsdekretes in einem Memorandum für die Fortführung des Sklavenhandels ausgesprochen173 . Die Regierung in Paris erachtete die Forderungen Hugues’ zwar keiner Antwort würdig – in Anbetracht der britischen Seeüberlegenheit stand ein staatlicher Menschenhandel ohnehin außer Frage. Bemerkenswert ist allerdings die Weisung des Direktoriums vom 13. August 1798 an François Blanchot, den französischen Gouverneur des an der Mündung des Senegals gelegenen französischen Sklavenhandelsstützpunktes Saint-Louis, wo die Sklaverei nie abgeschafft worden war: Darin wurde der Gouverneur aufgefordert, mit den afrikanischen Mächten im Landesinneren über den Kauf von Sklaven zugunsten der französischen Karibikkolonien zu verhandeln. Leider wissen wir nicht, ob die Bemühungen Blanchots gefruchtet haben, doch zeigt der Brief, dass selbst das Direktorium bereit war, einen versteckten Sklavenhandel zu fördern. Ökonomische Erfordernisse wurden offenkundig den oft beschworenen humanitären Prinzipien vorangestellt174 . Hugues behalf sich in Anbetracht des Arbeitskräftemangels mit einem Mittel, das für eine damalige karibische Plantagenökonomie eigentlich undenkbar war. Nachdem bekannt geworden war, dass die britischen Truppen gefangene 172

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Hugues, Projet d’organisation des colonies de la Guadeloupe, Marie-Galante, la Désirade, Les Saintes et la partie française de l’Île St-Martin, 13.11.1795, in: ANPS, AF/II/303/2515, fol. 11; Lebas/Hugues an Truguet, 22.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 46. Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2. Léonce Jore, Les établissements français sur la côte occidentale d’Afrique de 1758 à 1809, in: Revue française d’histoire d’outre-mer 51 (1964), S. 253–478, hier S. 353f.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

farbige französische Soldaten in die Sklaverei verkauften, drohte Hugues im Sommer 1795 dem britischen General James Leigh: Une autre violation du droit de nature commise à St-Christophe, est la vente des citoyens français, que l’on s’est permise. Si vous ne les libérez dans le même délai et les renvoyez ici avec échange, je promets d’enchaîner deux à deux tous les gentlemans [sic] anglais et de les attacher à la culture en les traitant comme dans la plus dure captivité175 .

Hugues war mit derartigen Drohungen nicht allein. Sein Amtskollege Goyrand, der sich auf Saint Lucia mit einem ähnlichen Arbeitskräftemangel wie Hugues konfrontiert sah, drohte der britischen Generalität ebenfalls, dass, sofern der Verkauf französischer Kriegsgefangener als Sklaven nicht umgehend rückgängig gemacht werde, »chaque prisonnier anglais tel que soit son grade doit être traité dans nos colonies comme l’esclave anglais est à Antigua ou à la Barbade«176 . Bei der Drohung Hugues’ und Goyrands’, weiße Kriegsgefangene zur Plantagenarbeit zu zwingen, sollte es nicht bleiben, zumal ihnen das Direktorium dafür sogar grünes Licht gegeben hatte177 . Hugues berichtete Marine- und Kolonialminister Truguet im August 1796: Quelques Allemands du corps de Löwenstein servant dans l’île St-Vincent à la solde du gouvernement britannique ont été faits prisonniers de guerre. Ils sont laborieux, nous leur avons offert la liberté et de l’emploi dans la culture de l’habitation Moyencourt. Ils ont accepté avec reconnaissance et nous avons tout lieu d’espérer que ces hommes laborieux nous donneront une récompense bien précieuse178 .

Ob sich die genannten deutschen Kriegsgefangenen tatsächlich freiwillig zur harten Arbeit auf den Plantagen bereit erklärt hatten, bleibt indes unklar. Das Einverständnis der Kriegsgefangenen dürfte allerdings illustrieren, unter welch erbärmlichen Bedingungen sie inhaftiert waren. Hugues gab gegenüber der britischen Generalität im Sommer 1796 unumwunden zu, dass innerhalb von zwei Jahren mehr als 4200 britische Kriegsgefangene, darunter auch 60 Offiziere, in französischer Gefangenschaft auf Guadeloupe gestorben waren – auf britischer Seite waren die Verhältnisse im Übrigen wenig besser179 . Zum weiteren Schicksal dieser weißen Plantagenarbeiter sind leider keine Quellen überliefert. Entscheidend ist aber die Tatsache, dass der Arbeitskräftemangel auf Guadeloupe solche Ausmaße angenommen hatte, dass Hugues es für angezeigt hielt, die in den karibischen Plantagenökonomien über

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Hugues an Leigh (Kopie), 26.7.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 161. Goyrand/Cotten an Abercromby/Christian, 24.5.1796, in: TNA, ADM 1/319. Die Vorwürfe Goyrands und Hugues’ waren nicht unbegründet. 1795 verbot ein Prisengericht auf Barbados den Verkauf schwarzer Kriegsgefangener als Sklaven. Vgl. H. J. K. Jenkins, Controversial Legislation at Guadeloupe Regarding Trade and Piracy, 1797, in: Revue française d’histoire d’outre-mer 76 (1989), S. 97–106, hier S. 99f. [Lion], Questions à soumettre au Directoire, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 125. Lebas/Hugues an Truguet, 22.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 46. Hugues/Lebas an Abercromby/Harvey (Kopie), 14.7.1796, in: TNA, ADM 1/319. Zur britischen Seite vgl. die Schilderungen bei Girard, The Slaves, S. 329f.

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Jahrzehnte gewachsene Vorstellung, wonach nur afrikanische Sklaven für die harte Arbeit auf den Plantagen geeignet seien, über Bord zu werfen. Die mit der Abolition verbundene Entgrenzung des Kriegs machte offensichtlich auch vor den gesellschaftlichen Hierarchien nicht halt, war doch Hugues jedes Mittel recht, um im Krieg gegen die Feinde Frankreichs zu bestehen. Doch was sollte geschehen, wenn der Krieg enden würde? Würden Abolition und Hugues’ Neuordnung der Plantagenökonomie Bestand haben? Der Kommissar warnte Marine- und Kolonialminister Truguet wiederholt, dass eine Rückführung der émigrés zu verhindern sei. Nachdem sich etwa im Winter 1795 das Gerücht verbreitet hatte, den geflohenen Plantagenbesitzern würde eine Rückkehr in die französischen Kolonien erlaubt, habe dies »bien ralenti l’ardeur des défenseurs de la République, les Noirs même incertains sur leur sort, inquiétés, tourmentés par les ennemis de la chose publique«180 . Die Abolition und die Vertreibung eines Großteils der Plantagenbesitzer waren augenscheinlich in den Köpfen der ehemaligen Sklaven eng miteinander verknüpft. Hugues erließ deshalb eine Proklamation, in welcher er jedem mit der Todesstrafe drohte, der das Gerücht verbreitete, dass eine Wiedereinführung der Sklaverei sowie eine Rückkehr der émigrés unmittelbar bevorstehe181 . Freilich scheint auch Hugues bewusst gewesen zu sein, dass die Abolition nicht irreversibel und durch einen Friedensschluss mit Großbritannien ernsthaft gefährdet war. Schließlich war das Abolitionsdekret eine Reaktion auf die kriegsbedingte Bedrohung der Kolonien und den Verrat der kolonialen Eliten gewesen. Weshalb sollte das Abolitionsdekret bei einem Friedensschluss nicht rückgängig gemacht werden182 ? Hugues’ Sorge galt weniger der Masse der cultivateurs, sondern vor allem den privilegierten schwarzen Soldaten der Kolonialarmee und den farbigen Kolonialbeamten, welche eine wichtige Säule der republikanischen Herrschaft und der Aufrechterhaltung der auf Zwangsarbeit beruhenden Plantagenökonomie bildeten: Les Noirs les plus éclairés ont été appelés aux places civiles et militaires, quoi qu’à peine dix d’entre eux sachent lire et écrire et dans le dernier état surtout, ils se sont distingués; les 7/8 de la force armée en soldats, caporaux et sergents, et le tiers des officiers au moins sont de cette classe; nous n’avons que des éloges à faire de leur sagesse et de la discipline sévère qui règne dans l’armée, ce qui fait le désespoir de nos ennemis et des malveillants; nous croyons donc, citoyen ministre, que tant, que la République n’aura pas dans ces contrées des forces assez considérables pour balancer celles des Anglais, il serait dangereux de hasarder le moindre changement, il ne pourrait se faire sans commotion et les résultats ne nous paraissent pas devoir en être avantageux ni aux individus ni au gouvernement183 .

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Hugues/Lebas an Wohlfahrtsausschuss, 28.12.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 47. Proklamation von Hugues/Lebas, 23.11.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 41. Siehe auch Hugues/Lebas an Wohlfahrtsausschuss, 20.11.1795, in: ANOM, C 48, fol. 37; Hugues/Lebas an Wohlfahrtsausschuss, 19.11.1795, in: ANPS, AF/II/303/2515, fol. 20. [?], Essaie sur les moyens de faire exécuter le décret du 16 pluviôse, 3ème année de la République concernant les colonies, o. D. [1796], in: ANOM, F6/1, fol. 55. Hugues/Lebas an Truguet, 9.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 43.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Nur zwei Wochen später erneuerte Hugues seine Warnung, indem er Truguet vor Augen führte, dass es für die Republik im Hinblick auf einen möglichen Friedensschluss mit Großbritannien vorteilhafter sei, neue Siedler in die Karibik zu entsenden, anstatt den émigrés die Rückkehr zu erlauben. Letzteres würde nur die »glorieux travaux des braves défenseurs de la République, dont, peut-être, le salut et la prospérité des colonies dépendent« in Frage stellen184 . In einem anderen Schreiben erinnerte Hugues den Marine- und Kolonialminister daran, dass die émigrés der Kleinen Antillen nicht mit jenen Saint-Domingues zu verwechseln seien, denn erstere hätten sich 1792 den Kräften der Konterrevolution angeschlossen und die französischen Kolonien der Kleinen Antillen den britischen Streitkräften übergeben. Ihre Bestrafung sei daher nur gerecht gewesen185 . Im Gegenzug hätten sich die ehemaligen Sklaven durch ihren Kampf gegen die Briten die Freiheit verdient, wie Hugues weiter schrieb: »En les associant au peuple français, vous leur assurerez la jouissance de la liberté et d’une portion médiocre de propriété, qu’ils sauront bien défendre à l’avenir, contre l’ennemi le plus acharné de la République, le féroce Anglais«186 . Hugues’ Furcht wurde freilich nicht von allen Offizieren der Kolonialarmee geteilt. So schrieb Divisionsgeneral Jean Boudet im Herbst 1797 der Regierung, dass, solange Krieg herrsche, an der Zusammensetzung der Truppe nichts verändert werden dürfe. Im Falle eines Friedens würde es allerdings schwierig werden, die Kontrolle über die Kolonialarmee aufrechtzuerhalten187 . Das war noch keine Aufforderung, nach einem Friedensschluss mit der britischen Regierung die Sklaverei wiedereinzuführen. Doch Boudets und Hugues’ Ausführungen illustrieren, dass selbst die Freiheit der ehemaligen Sklaven, die in der Kolonialarmee Dienst taten, gefährdet war, konnte doch die Sklaverei offenbar jederzeit wiedereingeführt werden. Somit schwebte über allen Nutznießern des Abolitionsdekretes – den farbigen Soldaten und Offizieren der Kolonialarmee, den Kolonialbeamten sowie den Pächtern der domaines nationaux – das Damoklesschwert des Friedens.

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Lebas/Hugues an Truguet, 22.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 46. Hugues/Lebas an Le Pelley, 28.10.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 100. Lebas/Hugues an Truguet, 22.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 46. Boudet an Le Pelley, 26.10.1797, in: ANOM, EE 262/28, fol. 4.

6. Krieg in den Kleinen Antillen, 1794–1798 Nach dem Abzug der letzten verbliebenen Rotjacken aus Guadeloupe im Dezember 1794 hatte die britische Generalität in den Kleinen Antillen die Gefahr klar vor Augen, dass die republikanischen Truppen die Situation nutzen und einen Angriff auf die britischen Kolonien des Archipels versuchen könnten1 . Bereits im September 1794 hatte Grey vor den Folgen gewarnt, sollte es der französischen Marine gelingen, Verstärkung nach Guadeloupe zu schaffen: The mortality amongst the troops has been and continues to be very great, especially amongst the officers, many of the best of whom are dead. [. . . ] I beg it may be recollected that [. . . ] I have not received any reinforcements since, [. . . ] excepting a few raw recruits who have only served to fill the hospitals & to increase the number of the dead2 .

In den Kolonien unter britischer Kontrolle existierten gemäß Grey »numerous brigands, [. . . ] ready to seize the first opportunity favourable to their wishes, and eagerly waiting for reinforcements [. . . ] from France«3 . Seinem Nachfolger, General John Vaughan, blieben Anfang Dezember nur noch rund 2100 einsatzbereite Soldaten, die über ein halbes Dutzend Inseln verteilt waren4 . Auf den Schiffen der Royal Navy standen die Dinge kaum besser. Das Gelbfieber machte auch vor ihren Matrosen nicht halt. Gemäß Caldwell waren allein sechs Schiffe notwendig, um Guadeloupe unter Blockade zu stellen, mit welcher der Verbreitung der »wild and pernicious doctrine of liberty & equality« Einhalt geboten werden könne5 . In Anbetracht dieser Verhältnisse waren die Befehle der britischen Regierung an Vaughan, Guadeloupe zurückzuerobern, fernab jeder Realität6 . Vaughan verfügte nicht einmal über genügend Truppen, um die innere Sicherheit der Kolonien unter seinem Befehl sicherzustellen. Manche Garnisonen litten derart unter dem Gelbfieber, dass kein einziger Soldat einsatzfähig war. Vaughan schätzte, dass mindestens 6000 Mann nötig seien, um die britischen Besitzungen im Archipel zu schützen7 . Wohl wissend, dass es der Regierung in London unmöglich sein würde, in kürzester Zeit ein derart großes Truppenkontingent in die Karibik zu verlegen, bat der britische General wiederholt um Erlaubnis, Sklaven zu 1 2 3 4 5 6 7

Vaughan an Dundas, 21.12.1794, in: TNA, WO 1/83/47. Grey an Dundas (geheim), 9.9.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A2243x. Ibid. Duffy, Soldiers, S. 135. Caldwell an Stephens, 3.1.1795, in: TNA, ADM 1/317. Secret Instructions to our Trusty and well Beloved Sir John Vaughan, o. D. [1794], in: NMM, CAL/127/2. Vaughan an Portland, 29.12.1794, in: TNA, WO 1/31/33; State of the Garrisons in the Caribbee Islands, 1.11.1794, in: TNA, WO 1/83/23; Vaughan an Dundas, 19.11.1794, in: TNA, WO 1/83/17.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-007

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kaufen und in die britische Armee zu rekrutieren, die nach vollendeter Dienstzeit in die Freiheit entlassen würden. In einem geheimen Schreiben versuchte er Dundas und Portland darzulegen, dass von dieser Maßnahme keinerlei Gefahr ausgehe. Im Gegenteil: Nur indem die britische Armee Sklaven bewaffne, könne der republikanischen Gefahr begegnet werden. Gleichzeitig werde so die Rekrutierung von Schwarzen in die Armeen der französischen Republik verhindert – frei nach dem Prinzip: Wer auf Seiten der Briten kämpfte, konnte sich nicht den Franzosen anschließen. Schließlich habe das britische Militär mit den farbigen émigré-Verbänden und den Black Carolina Rangers beste Erfahrungen gemacht. Und in Indien setze die East India Company auch bedenkenlos Sepoy-Soldaten ein, so Vaughan weiter8 . Das Drängen des britischen Generals nach einer umfassenden Rekrutierung afrikanischer Sklaven rührte auch von der französischen Verstärkung her, die Guadeloupe Mitte Januar 1795 erreicht hatte9 . Derweil galt die Sorge vieler geflohener Pflanzer möglichen Friedensverhandlungen der britischen Regierung mit dem Revolutionsregime in Paris, in deren Folge die Kleinen Antillen an Frankreich abgetreten werden könnten. Um die damit verbundene Ausweitung des Abolitionsdekretes auf die anderen Inseln des Archipels zu verhindern, mussten schnellstmöglich Fakten geschaffen werden, indem die republikanische Gefahr in den Kleinen Antillen ausgeschaltet wurde10 . Aus Sicht der Pflanzer kam dem Ausgang des Kriegs deshalb existentielle Bedeutung zu. Tatsächlich hatte Hugues aus Paris Befehle erhalten, »de continuer à faire trembler les ennemis de la France« und die benachbarten britischen Kolonien anzugreifen, sobald es die Situation zulasse11 . Spätestens als der Royal Navy ein entsprechendes Schreiben aus Paris an Hugues in die Hände gefallen war, herrschte auch in der britischen Generalität Gewissheit, dass ein französischer Angriff kurz bevorstand12 . Zudem verbreiteten sich republikanische Flugblätter in Windeseile in den Kleinen Antillen, in denen zum Widerstand gegen die britische Herrschaft aufgerufen wurde. In den benachbarten Inseln fielen diese Aufrufe auf fruchtbaren Boden, gab es doch in den meisten Kolonien größere Bevölkerungsgruppen, die darauf brannten, sich vom britischen Joch zu befreien13 . Doch bevor wir uns diesen innergesellschaftlichen Konflikten zuwenden und analysieren, wie Hugues und die republikanischen Truppen daraus Profit zogen, muss gefragt werden, wie die bewaffneten Konflikte in den Kleinen 8

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Vaughan an Dundas, 25.12.1794 (geheim), in: TNA, WO 1/83/57; Vaughan an Portland, 29.12.1794, in: TNA, WO 1/31/33. Siehe auch Vaughan an Dundas (geheim), 18.4.1795, in: TNA, WO 1/83/190. Duffy, Soldiers, S. 138–142. Larriveau an Curt, 14.2.1795, in: ADGB, 61J/35. Zit. nach: Pérotin-Dumon, Révolutionnaires, S. 131. Lion an Hugues/Lebas/Goyrand, 15.12.1794, in: TNA, WO 1/83/143. H. J. K. Jenkins, Guadeloupe, Savagery and Emancipation: British Comment of 1794– 1796, in: Revue française d’histoire d’outre-mer 65 (1978), S. 325–331, hier S. 329.

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Antillen historisch einzuordnen sind. Die Forschung hat zu dieser Frage bislang eher diffuse Argumente ins Feld geführt, die oft jeglicher empirischen Grundlage entbehren. So glaubt etwa Robin Blackburn, dass der Krieg in den Kleinen Antillen ein Kampf gegen die Sklaverei gewesen sei, ohne aber näher auf die einzelnen Konfliktursachen einzugehen14 . Auch Claudius Fergus sieht in den Aufständischen Saint Vincents und Grenadas »black liberators«15, obwohl der Fortbestand der Sklaverei, wie wir noch sehen werden, in den beiden genannten Inseln eine untergeordnete Rolle spielte. Als antikoloniale Freiheitshelden feiert Curtis Jacobs die Aufständischen Grenadas, hätten sie doch in ihrem »heroic attempt«16 nicht nur die Sklaverei, sondern auch die britische Kolonialherrschaft beenden wollen. Warum sich ihre Anführer im Zuge dieses vermeintlich antikolonialen Kampfes aber ausgerechnet der Kolonialmacht Frankreich unterstellen wollten, bleibt indes unklar. Auch der grenadische Historiker Edward Cox glaubt, dass die Aufständischen Grenadas für die Prinzipien der Menschenrechtserklärung von 1789 gekämpft hätten17 . Laurent Dubois vertritt wiederum die These, dass das Emanzipationsdekret von 1794 den Aufständischen die ideologische Grundlage für ihren Kampf geliefert habe, zumal in den Augen französischer Offiziere der Kriegsdienst ehemaliger Sklaven unter Beweis gestellt habe, dass Letztere des französischen Bürgerrechts würdig seien. Im Abolitionsdekret glaubt Dubois den Schlüssel erkennen zu können, der es den republikanischen Kräften der Karibik erlaubt habe, das Kriegsglück zu wenden18 . Philippe R. Girard erweiterte dieses Argument dahingehend, dass der Krieg nicht nur der Verbreitung revolutionärer Ideale gedient, sondern auch einer französischen Einigungsbewegung Vorschub geleistet habe, weil frankophone Gesellschaftsschichten in den Aufständen Saint Lucias, Grenadas und Saint Vincents eine bedeutende Rolle gespielt hätten19 . Die genannten Autoren sehen aber geflissentlich über die schwierige Quellenlage hinweg, die kaum generalisierende Aussagen über die Motive aller involvierten Akteure erlaubt20 . Erschwerend kommt hinzu, dass eine be14 15

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Blackburn, The Overthrow, S. 227–233. Claudius Fergus, »Dread of Insurrection«. Abolitionism, Security, and Labor in Britain’s West Indian Colonies, 1760–1823, in: William & Mary Quarterly 66 (2009), S. 757–780, hier S. 765. Curtis M. Jacobs, The Fédons of Grenada, 1753–1814, Paper presented at the Grenada Country Conferences, University of the West Indies, Barbados, 2002, http://www.open. uwi.edu/sites/default/files/bnccde/grenada/conference/papers/Jacobsc.html (Zugriff am 26.7.2018). Cox, Fédon’s Rebellion, S. 7. Dubois, A Colony, S. 193, 222–241. Philippe R. Girard, Rêves d’empire. French Revolutionary Doctrine and Military Interventions in the Southern United States and the Caribbean, 1789–1809, in: Louisiana History 48 (2007), S. 389–412, hier S. 397f. David P. Geggus, Slavery, War, and Revolution in the Greater Caribbean, 1789–1815, in: David B. Gaspar, David P. Geggus (Hg.), A Turbulent Time. The French Revolution and the Greater Caribbean, Bloomington, IN 1997, S. 1–50, hier S. 12.

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deutende Zahl der Sklaven auf britischer Seite kämpfte und damit maßgeblich zum Erhalt der Sklaverei beitrug21 . Unklar ist auch Hugues’ Rolle in diesen bewaffneten Auseinandersetzungen. Sowohl Michael Duffy als auch Tessa Murphy glauben wegen der relativ geringen materiellen Hilfestellungen aus Guadeloupe, dass seine Rolle eher ideologischer Natur gewesen sei22 . Doch allein die Tatsache, dass Hugues die verschiedenen Rebellionen koordinierte, lässt Zweifel an dieser Interpretation aufkommen. Es bleibt allerdings in Anbetracht der Hugues zur Verfügung stehenden Truppenkontingente erklärungsbedürftig, weshalb die republikanischen Anstrengungen, die britischen Streitkräfte aus dem Archipel zu vertreiben, eher moderat ausfielen. Dieser Frage, den Konfliktursachen, dem Konfliktverlauf und den Folgen der gewaltsamen Auseinandersetzungen soll in diesem Kapitel nachgegangen werden.

Die Rückeroberung Saint Lucias, 1795 Seit der Eroberung Saint Lucias durch britische Streitkräfte im Frühjahr 1794 war der gebirgige Dschungel im Landesinneren der Kolonie Schauplatz einer blutigen Hetzjagd britischer Truppen und Pflanzermilizen auf rund 60 Rebellen, darunter einige wenige Weiße, circa 30 freie Farbige und 30 Sklaven. Angeführt wurde diese kleine Schar von zwei freien Farbigen namens Marinier und Sabathier, letzterer war ein Weggefährte Bellegardes23 . Weshalb waren diese Männer auf der Flucht? Einer ihrer Mitstreiter, Jean-Joseph Lambert, bemerkte hierzu, dass nach der Kapitulation Ricards »les mauvais Français sollicitèrent, auprès du gouvernement anglais, des listes de proscription ; c’est ce qui leur réussit parfaitement«. Es folgte eine Deportationswelle, der unterschiedslos sämtliche patriotes der Insel zum Opfer fielen. Lambert ergriff daraufhin aus Furcht vor einer möglichen Deportation die Flucht: »Je fus obligé d’abandonner ma femme, mes enfants, et de chercher mon salut dans les montagnes [. . . ], au milieu des serpents et d’autres bêtes venimeuses qui l’infestent«. Von den Kolonialbehörden gesucht, schloss er sich im Landesinneren den anderen Opfern der anglo-royalistischen Proskriptionen an. Zwar entkam das kleine Grüppchen von Rebellen ihren Häschern, doch war 21 22 23

Buckley, Slaves. Duffy, Soldiers, S. 136; Murphy, The Creole Archipelago, S. 253f. Bexon an Grey, 14.9.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A432; Précis de la Conduite qui a été tenue à Sainte-Lucie depuis l’arrivée du général Stuart, jusqu’à l’évacuation, o. D. [1795], in: DUL, GB-0033-GRE-A, A633a; Henry H. Breen, St. Lucia. Historical, Statistical, and Descriptive, London 1844, S. 81; David B. Gaspar, La Guerre des Bois. Revolution, War and Slavery in Saint Lucia 1793–1838, in: David B. Gaspar, David P. Geggus (Hg.), A Turbulent Time. The French Revolution in the Greater Caribbean, Bloomington, IN 1997, S. 102–130, hier S. 104–107.

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die Lage dieser Männer lange Zeit verzweifelt, wie Lambert schrieb: »J’ai vécu, pendant trois mois, errant dans les montagnes, réduit à la plus affreuse misère, après avoir, pendant tout ce temps, lutté contre la poursuite de nos ennemis«24 . Die Rebellen Saint Lucias waren zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als eine wild zusammengewürfelte Zweckgemeinschaft, deren einziges Ziel das eigene Überleben war. Nur ihre Feindschaft gegen die britischen Kolonialherren schweißte sie zusammen. Die Militärs glaubten noch im Herbst 1794, dass es ausreichen würde, Kopfgelder auf die Rebellen auszusetzen, um die Kolonie endgültig zu befrieden25 . Doch selbst unter jenen Kolonisten Saint Lucias, die aktiv an der britischen Machtübernahme im Frühjahr des Jahres mitgearbeitet hatten, regte sich zusehends Widerstand gegen die Besatzungsmacht. Grund hierfür waren nicht nur die hohen Kontributionen, die Grey den Bewohnern der Kolonie auferlegt hatte, sondern auch das Gebaren Charles Gordons, der zum Gouverneur der Kolonie ernannt worden war. Gordon verlangte von den Bewohnern der Kolonie Schutzgeld und drohte ihnen mit der Deportation aus der Kolonie, sollten sie die verlangten Summen nicht bezahlen26 . Selbst die Speerspitze der aristokratischen Pflanzerfraktion Saint Lucias war vor der Gier Gordons nicht sicher. So beklagte sich der Großgrundbesitzer und royalistische Offizier Bexon, der maßgeblich an der Belagerung Fort-Royals auf Martinique im Frühling desselben Jahres beteiligt gewesen war, bitterlich über das Verhalten des britischen Gouverneurs: Trotz seiner zahlreicheren Verdienste um die britische Sache weigere sich Gordon, den überschuldeten Plantagenbesitzer mittels eines Schuldenmoratoriums vor seinen Kreditoren zu schützen27 . Die Klagen Bexons bei Grey zeitigten Erfolg, ließ doch der britische Oberkommandierende Gordon im Herbst 1794 vor ein Kriegsgericht stellen28 . Doch der angerichtete Schaden war nicht mehr zu reparieren – Gordon hatte bei einem Großteil der Kolonisten Saint Lucias jeglichen Kredit verspielt. Zudem sorgten die Flugblätter aus Guadeloupe dafür, dass immer mehr Sklaven die Plantagen verließen und sich den Rebellen im Landesinneren anschlossen. Derweil fehlte es den britischen Streitkräften an kleinen, wendigen Schiffen, um die Kommunikation zwischen Guadeloupe und Saint Lucia zu blockieren, sowie an leichter Infanterie, um die Rebellen im dicht bewaldeten und gebirgigen Landesinneren aufzuspüren29 . 24

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Mémoire de Jean-Joseph Lambert. Délégué à Sainte-Lucie par les Commissaires de la Convention nationale aux îles du Vent, et présentement Capitaine à la 4e demi-Brigade d’Infanterie de Ligne, au Directoire Exécutif, 11.6.1798, in: ANOM, C10C 7. Myers an Grey, 28.9.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A445. Autre représentation faite au Gouvernement de la Grande-Bretagne par les Mrs Vigér & Dubernard habitants français de Ste-Lucie prisonniers à Waltham, o. D., in: TNA, CO 260/13/208; Gaspar, La Guerre, S. 106; Kleczewski, Martinique, S. 205–207. Bexon an Grey, 15.11.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A523a. Gordon an Dundas, 19.11.1794, in: NRS, GD51/6/143. Vaughan an Dundas, 21.12.1794, in: TNA, WO 1/83/47.

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Ende des Jahres 1794 trafen mit den Black Carolina Rangers endlich die gewünschten leichten Truppen ein, um der Rebellion Herr zu werden. Doch ein erster Angriff gegen die gut verschanzten Rebellen scheiterte kläglich. Ein zweiter Versuch zeitigte zwar mehr Erfolg, doch konnte sich Marinier mit seinem Trupp absetzen und im Hinterland große Landstriche verwüsten. Erst die farbigen Truppen unter Kommando des aus Guadeloupe stammenden émigré Malcombe, die im Wesentlichen aus Sklaven geflüchteter Plantagenbesitzer bestanden, vermochten dem Treiben Mariniers Einhalt zu gebieten30 . Doch die Rebellen erhielten im entscheidenden Moment Hilfe von Hugues: Ein kleiner Trupp aus Guadeloupe erreichte Saint Lucia zu Beginn des Jahres 1795 und konnte die völlige Zerschlagung der Widerstandskämpfer verhindern31 . Trotz der Verstärkung aus Guadeloupe erachtete der befehlshabende britische General William Stewart die republikanischen Kräfte als zu schwach, um den Kampf fortzuführen. Er unterbreitete den Aufständischen deshalb ein Amnestieangebot, von dem allerdings nur acht Männer Gebrauch machten32 . Bald erreichte der Konflikt eine neue Eskalationsstufe: Hugues rief mittels einer Proklamation die Sklaven Saint Lucias dazu auf, sich den Rebellen anzuschließen. Im Gegenzug versprach er ihnen die Freiheit: »Suivez notre exemple, vous serez libres, vous serez affranchis pour toujours de la tyrannie ; les lâches Anglais ne pourront résister à la bravoure des amis de la République«. Zudem erhielten die Rebellen weitere Verstärkung und Nachschub aus Guadeloupe33 . Es war absehbar, dass Abolition und Terreur auch bei der Rückeroberung Saint Lucias Hand in Hand gehen würden, hatte doch Hugues nur einen Tag zuvor eine Proklamation mit folgender Drohung veröffentlicht: Nous déclarons [. . . ] que tout Français qui ne se réunira pas contre l’ennemi commun au moment du débarquement d’une armée de la République aux ordres de l’un de nous ou de ceux investis de nos pouvoirs, est mis hors de la loi, et ses biens seront confisqués au profit de la République. Ont été déclarés traîtres tous les indignes Français qui ont accepté des places du gouvernement anglais, et la loi a déjà prononcé sur les habitants émigrés avant la prise des colonies sur les lâches qui les ont livrées; ils sont dans le même cas que les scélérats qui ont vendu Toulon et la Corse, où la foi punique des Anglais a paru dans tout son éclat; la loi qui prononce contre eux la peine de mort conservera toute sa vigueur34 .

Nach den Erfahrungen der Terreur auf Guadeloupe verfehlten die beiden Proklamationen die intendierte Wirkung nicht: Die Großgrundbesitzer flohen nach Castries, der Hauptstadt der Kolonie, während sich die Mehrheit ihrer 30

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Précis de la Conduite qui a été tenue à Sainte-Lucie depuis l’arrivée du général Stuart, jusqu’à l’évacuation, o. D. [1795], in: DUL, GB-0033-GRE-A, A633a; Lamelouse an Curt, 27.12.1794, in: ADGB, 61J/35; Viliers an Curt, 22.3.1795, in: ADGB, 61J/35. Poyen, Les guerres, S. 90f. Vaughan an Dundas, 31.1.1795, in: TNA, WO 1/83/108. Proklamation von Hugues (Kopie), 22.2.1795, in: ANOM, C10C 7 (Zitat); Hugues an Maussade/Lambert (Kopie), [?].3.1795, in: ANOM, C10C 7. Proklamation von Hugues/Goyrand/Lebas, 21.2.1795, in: TNA, WO 1/83/145.

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Sklaven den Republikanern anschloss35 . Freilich hatten die republikanischen Kräfte größte Schwierigkeiten, die ehemaligen Sklaven zu bewaffnen, zu bezahlen und zu ernähren36 . Als Anfang April 1795 weitere 250 Mann unter der Führung des Kommissars Gaspard Goyrand auf Saint Lucia eintrafen, gelang es den Republikanern schließlich, weite Teile der Kolonie unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei nutzte Goyrand mittels eines Amnestieangebots an die Adresse der frankophonen Bevölkerung geschickt die Furcht vieler Pflanzer vor Abolition und Terreur einerseits sowie deren Verbitterung wegen der britischen Kontributionen andererseits, um die unentschlossenen Kolonisten auf die Seite der Republikaner zu ziehen37 . Allmählich verbesserte sich auch die Versorgungssituation der republikanischen Kräfte, machten doch immer wieder amerikanische Schmuggler in den Buchten Saint Lucias Halt38 . Als Mitte April zwei britische Regimenter in Saint Lucia eintrafen, versuchte der befehlshabende General Stewart die Initiative wieder an sich zu reißen und griff die republikanischen Stellungen an. Die Offensive endete jedoch in einem Fiasko, weshalb sich Stewarts verbliebene Truppen in die Festung Morne Fortuné oberhalb Castries’ zurückziehen mussten. Stewarts Situation verschlimmerte sich zusehends, nicht zuletzt wegen der in die Höhe schnellenden Desertionsrate. Doch Vaughan verfügte über keine Truppen, um die eingeschlossenen Rotjacken zu entsetzen, weshalb Stewart nach einer zweimonatigen Belagerung am 18. Juni 1795 seine Truppen in einer Nacht- und Nebelaktion auf die vor Anker liegenden Schiffe der Royal Navy evakuieren ließ39 . Die Eroberung Saint Lucias war in vielerlei Hinsicht ein weiterer Triumph für Hugues. Sie führte jedermann vor Augen, dass der Kampf gegen die britische Herrschaft nicht aussichtslos war. Die Kontrolle der Insel erleichterte den republikanischen Kräften zudem die logistische Unterstützung von Aufstandsbewegungen im gesamten Archipel40 . Die Eroberung Saint Lucias bot den republikanischen Kräften aber nicht nur unmittelbare militärische Vorteile, sondern vergrößerte auch ihr sozioökonomisches Potential. Zum einen stand ihren Streitkräften damit ein zusätzliches Rekrutierungsbecken von rund 19 000 ehemaligen Sklaven zur Verfügung, und zum anderen verspra35

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Gaspar, La Guerre, S. 107f.; [?] an Curt, 14.3.1795, in: ADGB, 61J/35; Précis de la Conduite qui a été tenue à Sainte-Lucie depuis l’arrivée du Général Stuart, jusqu’à l’évacuation, o. D. [1795], in: DUL, GB-0033-GRE-A, A633a. Delgrès an [Truguet], [1797], in: ANOM, EE 624/13; Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68. Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68; Précis de la Conduite qui a été tenue à Sainte-Lucie depuis l’arrivée du général Stuart, jusqu’à l’évacuation, o. D. [1795], in: DUL, GB-0033-GRE-A, A633a. Sawyer an Caldwell, 18.4.1795, in: TNA, WO 1/83/199. Poyen, Les guerres, S. 91–93; Gaspar, La Guerre, S. 108f.; Vaughan an Dundas, 28.4.1795, in: TNA, WO 1/83/201; Vaughan an Dundas, 16.4.1795, in: TNA, WO 1/83/170; [Dubuc] an Curt, 18.6.1795, in: ADGB, 61J/35; Smith an Tarleton (Kopie), 20.6.1795, in: NRS, GD51/1/652/2. Duffy, Soldiers, S. 145.

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chen die Plantagen der Kolonie bedeutende Einnahmen für die französische Kriegskasse zu generieren41 . Doch hierfür mussten erst die geeigneten Voraussetzungen geschaffen werden. Die vielen Plantagen, die in teils nur schwer zugänglichen Regionen der Insel lagen, ließen sich kaum kontrollieren. Anders als auf Guadeloupe wenige Monate zuvor, gewährte Goyrand den Plantagenbesitzern die Flucht. Damit verlor der französische Kolonialstaat ein entscheidendes Bindeglied, um die Kontrolle über die Plantagen aufrechtzuerhalten. Gemäß britischen Kaufleuten wurde nur eine Handvoll bekannter Royalisten gehängt, die den Republikanern in die Hände gefallen war. Rund zwei Drittel der weißen Bevölkerung, 1200 Zivilisten, konnten die Kolonie ungehindert verlassen. Wenige Tage nach dem Abzug Stewarts schickte Goyrand gar vor Ort gebliebene Frauen und Kinder auf einem Schiff nach Martinique42 . Wie ist die relative Milde Goyrands im Vergleich zum harschen Regime Hugues’ zu erklären? Zweifellos war dies eine Reaktion auf das Ende der Terreur in Frankreich, das Goyrand noch persönlich miterlebt hatte, bevor er das Mutterland in Richtung Guadeloupe verlassen hatte. Dem Kommissar dürfte auch nicht entgangen sein, dass sich Sainte-Lucie-la-Fidèle 1792 als einzige französische Kolonie des Archipels nicht den Kräften der Konterrevolution angeschlossen hatte. Für einen Rachefeldzug gegen die kolonialen Eliten bestand deshalb kein Anlass. Freilich hatte Goyrands Milde auch ganz handfeste Beweggründe, entledigte er sich damit doch der »bouches inutiles« der Kolonie: Ein Großteil der Zivilbevölkerung vermochte wenig zum Krieg beizutragen und musste trotz des Zusammenbruchs der Plantagenökonomie weiterhin ernährt werden. Bedingung für das freie Geleit der Pflanzer war schließlich, dass sie im Gegenzug gegen französische Kriegsgefangene ausgetauscht wurden43 . Auf den wenigen Plantagen Saint Lucias, die noch in Betrieb waren, etablierte Goyrand ein Zwangsarbeitsregime analog jenem, das Hugues auf Guadeloupe installiert hatte. Gemäß einem späteren Bericht Goyrands kehrten die ehemaligen Sklaven mit Freude auf die Plantagen zurück: J’y assemblais les décadis les Cnes africains; je leur définissais dans un discours à leur portée la liberté civile, légalité politique, le respect des personnes, des propriétés voulues par la loi; je leur affirmais qu’ils seraient bien traités, s’ils redoublaient d’amour pour le travail qui pouvait seul consolider leur existence actuelle. [. . . ] J’avais tellement capté leur confiance, qu’ils s’adressaient à moi comme à un père44 .

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Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68; Goyrand an Wohlfahrtsausschuss, 8.10.1795, in: ANOM, C7A 49, fol. 110. Laforey an Nepean, 23.6.1795, in: TNA, ADM 1/317; Tarleton an Dundas, 7.10.1795, in: NRS, GD51/502/1. Zitat aus Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68; Goyrand an Wohlfahrtsausschuss, 8.10.1795, in: ANOM, C7A 49, fol. 110. Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68.

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Freilich dürfte die Realität etwas anders ausgesehen haben. Ansonsten hätte Goyrand den Offizieren, die mit der Überwachung der Plantagen betraut worden waren, nicht geraten, »de les [les Noirs, F. E.] mener comme des grands enfants à la lisière«45 . Die Briefe Hugues’ und Lebas’ an Goyrand illustrieren ferner, dass seitens der ehemaligen Sklaven ein beachtliches Widerstandspotential gegen die staatlich verordnete Zwangsarbeit vorhanden war und viele in das gebirgige Landesinnere geflüchtet waren. So riet Hugues seinem Kollegen: »Si quelques mauvais citoyens témoignaient des mécontentements, demande-leur quels sont les sacrifices qu’ils peuvent avoir fait pour la République. Demande-leur, si sous le joug des Anglais leur sort était plus heureux«46 . Lebas wurde in seiner Korrespondenz mit Goyrand wenige Monate später noch deutlicher: Il paraît [. . . ] que les cultivateurs ne veulent pas absolument travailler & qu’ils sont toujours rebelles aux invitations & aux ordres que tu leurs transmets. Il est fâcheux d’être obligé d’employer la sévérité, mais il ne faut pas avoir à se faire le reproche, lorsque ceux envers qui on veut user de douceur ne le méritent pas, de ne les avoir pas punis47 .

Die wenigen Quellen zur Plantagenökonomie Saint Lucias nach Abschaffung der Sklaverei legen den Schluss nahe, dass Goyrand schlicht die Mittel fehlten, um alle ehemaligen Sklaven zur Arbeit auf den Plantagen zu zwingen. Nur wenige Wochen nach dem oben zitierten Schreiben fragte Lebas sichtlich enerviert, ob die cultivateurs nun endlich arbeiteten48 . An eine Bezahlung der Plantagenarbeiter war wegen der fehlenden Mittel ohnehin nicht zu denken49 . Der Abschaffung der Sklaverei folgte also auch auf Saint Lucia ein Zwangsarbeitsregime, das sich kaum von der vorherigen Sklaverei unterschied. Allerdings konnte dieses Regime nur punktuell umgesetzt werden, war doch die französische Kolonialherrschaft auf Saint Lucia auf einige wenige Ortschaften beschränkt. Ein Großteil der Insel blieb hingegen außerhalb der behördlichen Kontrolle. Für die britische Seite war der Verlust Saint Lucias ein herber Rückschlag. Die Evakuation der Festung Morne Fortuné gab nicht nur allen anderen Aufstandsbewegungen im Archipel Aufwind, sondern brachte auch die britische Regierung in eine schwierige Position. So beschwerte sich Thomas Tarleton, einer der Wortführer der britischen Sklavenhändlerlobby und Vorsteher eines großen Handelshauses aus Liverpool, bei Kriegsminister Dundas lauthals über das Versagen der britischen Armee und der Royal Navy. Die britischen Militärs seien schuld daran, dass die Geschäfte britischer Kaufleute vor Ort großen Schaden genommen hätten und es ihnen verunmöglicht worden

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Ibid. Hugues an Goyrand (Kopie), 11.7.1795, in: ANOM, C10C 7. Lebas an Goyrand (Kopie), 23.9.1795, in: ANOM, C10C 7. Lebas an Goyrand (Kopie), 19.10.1795, in: ANOM, C10C 7. Lebas an Goyrand (Kopie), 11.7.1795, in: ANOM, C10C 7.

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sei, ausstehende Schulden bei den Pflanzern Saint Lucias einzutreiben50 . Die Kritik Tarletons war nur ein Vorgeschmack auf den Sturm britischer Handelsund Finanzunternehmen, der über die britische Regierung hereinbrechen würde, sollte es den französischen Truppen in den Kleinen Antillen gelingen, weitere Inseln unter ihre Kontrolle zu bringen. Denn gerade auf Grenada und Saint Vincent zeigten sich die frankophonen Bewohner gemäß Tarleton alles andere als dankbar für die »blessings« des Pariser Friedens von 1763, der den Siebenjährigen Krieg beendet hatte und in dessen Folge die beiden Inseln unter britische Herrschaft gekommen waren51 .

Alte Rechnungen: der Aufstand Julien Fédons auf Grenada, 1795–1796 Tarleton hatte mit seiner Analyse ins Schwarze getroffen, zog daraus aber die falschen Schlüsse. Tatsächlich lag in der britischen Inbesitznahme Grenadas im Zuge des Friedens von Paris 1763 die Wurzel des Aufstandes, der die Kolonie 32 Jahre später heimsuchen sollte. Bis zum Ende des Siebenjährigen Kriegs herrschte unter den europäischen Mächten ein Konsens, dass die Inseln Dominica, Saint Lucia und Saint Vincent ein neutrales Refugium für die indigenen Kariben des Archipels bleiben sollten. Doch zeigten sich lokale Kolonialbeamte weder willig noch fähig, der illegalen Inbesitznahme dieser Inseln durch europäische und kreolische Siedler Einhalt zu gebieten. Ähnliches galt für Grenada, das zwar nominell der französischen Krone gehörte, faktisch aber bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts sich selbst überlassen wurde. Die seit Beginn des 18. Jahrhunderts rasant steigenden Bodenpreise auf Martinique, Guadeloupe und Barbados sowie der immer schwieriger werdende Erwerb von Konzessionen für fruchtbare Landparzellen hatten zur Folge, dass weniger zahlungskräftige Siedler zusehends die bislang unbesiedelten Inseln der Kleinen Antillen ins Blickfeld nahmen. Insbesondere freigelassene Sklaven und mittellose Neuankömmlinge aus Europa sowie ehemalige Vertragsknechte, die ihre vertraglich festgelegte Arbeitszeit auf den Plantagen der alten Kolonien erfüllt hatten, siedelten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts in immer größerer Zahl auf den neutralen Inseln des Archipels an. Gerade für die freien Farbigen Martiniques und Guadeloupes war es in Anbetracht der immer restriktiver werdenden Gesetzgebung naheliegend, ihr Glück auf den benachbarten Inseln zu suchen, wo sie mehr politische Rechte genossen. 50

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Coupland an Tarleton (Kopie), 22.6.1795, in: NRS, GD51/1/652/3; Tarleton an Dundas, 7.10.1795, in: NRS, GD51/502/1; Smith an Tarleton (Kopie), 20.6.1795, in: NRS, GD51/1/652/2; Tarleton an Dundas, 1.8.1795, in: NRS, GD51/1/652/1. Im Juli 1794 hatte Dundas das Kriegsministerium übernommen. Tarleton an Dundas, 7.10.1795, in: NRS, GD51/502/1.

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Die unkontrollierte Landnahme verlief keineswegs friedlich und führte zur Ermordung und Vertreibung der indigenen Kariben durch die Kolonisten aus den meisten ihnen bis dahin vertraglich zugesicherten Inseln des Archipels. Auf ihren kleinen Plantagen produzierten die Siedler vornehmlich Kaffee, Baumwolle, Indigo und Nahrungsmittel. Bis zum Ende des Siebenjährigen Kriegs lagen diese Siedlungen weitgehend außerhalb staatlicher Kontrolle52 . Mit dem Frieden von Paris 1763 teilten die Signatarmächte die bis dahin nominell neutralen Inseln sowie Grenada untereinander auf. Grenada, Saint Vincent und Dominica wurden dem Britischen Empire einverleibt, während Saint Lucia der französischen Krone zufiel. Infolgedessen wurde die britische Regierung insbesondere auf Grenada mit einer bereits ansässigen, mehrheitlich frankophonen Bevölkerung konfrontiert, die bis dahin ein Höchstmaß an politischer Selbstverwaltung genossen hatte. Anstatt mittels einer auf Konsens ausgerichteten Politik die Plantagenbesitzer für sich zu gewinnen, wurden sie von den britischen Behörden systematisch ausgegrenzt. So wurde ihnen wegen ihres katholischen Glaubens nicht nur eine Vertretung in der Kolonialversammlung Grenadas verwehrt, sondern auch die Bekleidung öffentlicher Ämter. Überdies konfiszierten die britischen Behörden katholischen Kirchenbesitz und legten den frankophonen Kolonisten zahlreiche Hürden beim Kauf von Kronland in den Weg. Insbesondere die freien Farbigen, welche das Gros der bereits ansässigen Bevölkerung stellten, sahen sich aufgrund ihrer afrikanischen Wurzeln einer immer restriktiver werdenden Gesetzgebung gegenüber53 . Begründet wurde die Diskriminierung der frankophonen Kolonisten mit der Befürchtung, sie könnten im Kriegsfall eine fünfte Kolonne bilden54 . Die politische Ausgrenzung der frankophonen Kolonisten wurde von einer rasch wachsenden Gruppe vorwiegend schottischer Großgrundbesitzer vorangetrieben, die sich in den Jahren nach dem Siebenjährigen Krieg in der Kolonie niedergelassen hatte. Diese zahlungskräftigen Neusiedler bemächtigen sich der fruchtbarsten Parzellen Grenadas und bauten eine profitable Zuckerindustrie auf, was steigende Bodenpreise nach sich zog. Zu Beginn der 1780er Jahre war Grenada bereits der zweitgrößte Zuckerproduzent des Britischen Empires, auf dessen Plantagen rund 18 000 Sklaven schufteten55 . Neben den Sklaven waren auch weniger zahlungskräftige Pflanzer französischer Abstammung Opfer des Wachstums. Viele unter ihnen konnten mit den steigenden Boden- und Sklavenpreisen 52

53 54

55

Murphy, The Creole Archipelago, S. 19–66; Philip Boucher, Cannibal Encounters. Europeans and Island Caribs 1492–1763, Baltimore, MD 1992, S. 94–107; Élisabeth, La société, S. 304–307. Cox, Fédon’s Rebellion, S. 10f.; Murphy, The Creole Archipelago, S. 163–249; Anderson, Old Subjects, S. 205–208. Raymund P. Devas, A History of the Island of Grenada, 1498–1796 with Some Notes and Comments on Carriacou and Events of Later Years, Saint George’s 2 1974, S. 116f.; O’Shaughnessy, An Empire, S. 170; Candlin, The Last Caribbean Frontier, S. 10–12. Murphy, The Creole Archipelago, S. 247.

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nicht mehr mithalten und sahen sich deshalb gezwungen, die Insel in Richtung der zu diesem Zeitpunkt noch kaum entwickelten spanischen Kolonie Trinidad zu verlassen, um dort ihr Glück zu versuchen56 . Die für ihre ökonomische und politische Marginalisierung verantwortlichen schottischen Großgrundbesitzer verfügten über beste Verbindungen zu Innenminister Dundas in London. Der Führungsclique dieser Großgrundbesitzer, vor allem Alexander Campbell und Ninian Home, spielte zusätzlich in die Hände, dass der Gouverneursposten Grenadas über Jahre verwaist blieb. Als die beiden Drahtzieher 1792 dank ihrer Beziehungen zu Dundas gar die Ernennung Homes zum Gouverneur erreichten, hatten sie ihre Vorherrschaft auch in politischer Hinsicht untermauert57 . Home hatte im engsten Kreis schon die Ausweisung aller »foreigners« aus der Kolonie ins Auge gefasst58 . Der wirtschaftliche und politische Druck auf die frankophonen Pflanzer stieg im Zuge des Sklavenaufstandes auf Saint-Domingue weiter an. Durch den damit verbundenen Anstieg des Zuckerpreises sahen sich die Besitzer der Zuckerplantagen veranlasst, die Produktion weiter auszudehnen, um die gesteigerte Nachfrage befriedigen zu können. In der Folge stiegen nicht nur die Preise für Boden weiter an, sondern auch jener für afrikanische Sklaven59 . Trotz der steigenden Preise wurden von 1784 bis 1794 noch einmal 56 540 Sklaven in die Kolonie verschleppt, davon fast die Hälfte in den Jahren 1793–1794, womit sich die Zahl der auf den Plantagen Grenadas schuftenden Sklaven innerhalb kürzester Zeit vervielfachte60 . Freilich bedeutete die Marginalisierung der frankophonen Bevölkerung nicht, dass alle ihr Angehörigen in gleichem Maße unter der Expansion der schottischen Zuckerbarone litten. Einige vermochten trotz der Diskriminierung einen markanten sozialen Aufstieg zu erreichen, wie das Beispiel des farbigen Plantagenbesitzers Julien Fédon zeigt. 1791 erwarb Fédon die im gebirgigen Landesinneren gelegene, 450 Morgen Land umfassende Kaffee56 57

58 59

60

Mark Quintanilla, The World of Alexander Campbell. An Eighteenth-Century Grenadian Planter, in: Albion 35 (2003), S. 229–256, hier S. 252f. Devas, A History of the Island of Grenada, S. 120–123; Douglas J. Hamilton, Scotland, the Caribbean and the Atlantic World, 1750–1820, Manchester 2005, S. 163; Quintanilla, The World, S. 250. Byles an Home, 26.3.1795, in: NRS, GD267/5/19/1. John R. Ward, British West Indian Slavery, 1750–1834. The Process of Amelioration, Oxford 1988, S. 43; Quintanilla, The World, S. 247f.; Stanley L. Engerman, France, Britain and the Economic Growth of Colonial North America, in: John J. McCusker, Kenneth Morgan (Hg.), The Early Modern Atlantic Economy, Cambridge 2000, S. 227–249, hier S. 227; David Eltis, David Richardson, Prices of African Slavey Newly Arrived in the Americas, 1673–1865. New Evidence on Long-Run Trends and Regional Differentials, in: David Eltis, Frank D. Lewis, Kenneth L. Sokoloff (Hg.), Slavery in the Development of the Americas, Cambridge 2004, S. 181–235, hier S. 201. Zahlen aus The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 26.7.2018). Unklar bleibt allerdings, wie viele der importierten Sklaven von Grenada in die umliegenden Inseln geschleust wurden.

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und Kakaoplantage Belvedere (siehe Karte 5, S. 516) sowie 80 Sklaven. Damit reihte sich Fédon unter die größten Plantagenbesitzer der Kolonie ein. Der Kauf der Belvedere-Plantage hatte allerdings einen Haken. Die Verkäufer, Ninian Home und sein Geschäftspartner James Campbell, ein Bruder von Alexander Campbell, hatten Fédon betrogen. Erstens legen die Notariatsakten nahe, dass Campbell und Home gar nicht die Eigentümer der Plantage waren und sie deshalb gar nicht hätten verkaufen dürfen. Zweitens hatten die beiden Verkäufer einen völlig überhöhten Preis verlangt. Fédon wurde damit von der weißen Elite der Kolonie vorgeführt und gedemütigt – der ambitionierte Plantagenbesitzer sollte ihnen diesen Betrug nicht verzeihen. Zudem war allgemein bekannt, dass es ausgerechnet Home und Campbell gewesen waren, die in den ersten Jahren der Französischen Revolution die Rechte der freien Farbigen Grenadas weiter beschnitten hatten61 . Unter diesen Umständen schuf die französische Rückeroberung Guadeloupes für die unzufriedene frankophone Bevölkerung die geeigneten Voraussetzungen, um sich von der britischen Herrschaft zu befreien und sich an den schottischen Zuckerbaronen zu rächen62 . Um die Jahreswende 1794/95 herrschte reger Kontakt zwischen Hugues und den grenadischen Verschwörern. Zwei nahe Freunde und Geschäftspartner Fédons, Charles Nogues und Joachim Philipp, beides hoch verschuldete Plantagenbesitzer aus Grenada, ernannte Hugues nach einem Treffen auf Guadeloupe zu Offizieren der republikanischen Armee und Fédon zu ihrem Kommandanten. Zudem versprach er Fédon und seinen Getreuen materielle Unterstützung in Form von Waffen, Lebensmitteln und Soldaten63 . Fédon, Nogues und Philipp bildeten die Führung einer Gruppe vorwiegend farbiger Kaffee-, Baumwoll-, Kakao- und Indigopflanzer französischer Muttersprache mit nur kleinen Plantagen. Sekundiert wurde diese vornehmlich ländliche Aufstandsbewegung von zahlreichen weißen und farbigen Handwerkern, Aufsehern und Handlangern aus den kleineren Ortschaften Grenadas. Darunter befand sich auch eine Reihe anglophoner Männer, deren Motive allerdings im Dunkeln liegen64 . Die Zusammensetzung der Rebellengruppe lässt darauf schließen, dass es sich im Wesentlichen um einen Klassenkonflikt zwischen den Großgrundbesitzern einerseits und den Eigentümern kleinerer Plantagen sowie Handwerkern andererseits handelte. Die analytischen Kategorien race und nation, die unter anderem von Dubois und Girard als Konfliktursachen 61 62 63

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Murphy, The Creole Archipelago, S. 267–269; Jacobs, Fédons. Cox, Fédon’s Rebellion, S. 12. Candlin, The Last Caribbean Frontier, S. 2–5, 13f.; Gordon Turnbull, A Narrative of the Revolt and Insurrection in the Island of Grenada, London 1796, S. 15f.; Thouluyre Mahé, Coup d’œil sur la Guadeloupe et dépendances, 1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 138; List of several white inhabitants of landed propriety who have joined the insurrection, 28.3.1795, in: TNA, CO 101/34/39. Cox, Fédon’s Rebellion, S. 14; Murphy, The Creole Archipelago, S. 266; [?] an Curt, 23.3.1795, in: ADGB, 61J/35.

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hervorgehoben werden65 , waren hingegen von eher sekundärer Bedeutung. Die Rolle, welche die Sklaven im sich entfaltenden Konflikt einnahmen, blieb uneinheitlich und widersprüchlich, wie sich im Folgenden zeigen wird. Ende Februar 1795 verdichteten sich die Anzeichen, dass Hugues seinen Blick auf Grenada gerichtet hatte. Ninian Home waren Berichte zugespielt worden, wonach in Pointe-à-Pitre mehr als ein Dutzend kleinere Schiffe zum Auslaufen bereitlagen. Gemäß seinem Sekretär, Marter Byles, wurde Home am 2. März 1795 unter Todesandrohung gewarnt, bei der bevorstehenden französischen Invasion nicht einzugreifen66 . In den frühen Morgenstunden des folgenden Tages schlugen die Rebellen los. In der Ortschaft Grenville massakrierten sie rund 20 Bewohner, darunter mehrere Frauen67 . Ein zweiter Trupp der Rebellen überfiel zur gleichen Zeit die Ortschaft Charlotte Town und nahm bei dieser Gelegenheit einen Großteil der kolonialen Elite, unter anderem Alexander Campbell, als Geiseln68 . Ninian Home fiel den Rebellen auf einem kleinen Schiff kurz vor Charlotte Town in die Hände69 . Damit hatte Fédon die politische Elite der Kolonie in seiner Gewalt – darunter ausgerechnet jene Männer, die ihn beim Kauf der Belvedere-Plantage betrogen hatten. Die verbleibenden Mitglieder des Kolonialrats Grenadas erließen zwei Tage nach Ausbruch der Rebellion zwar ein Amnestieangebot, setzten aber im gleichen Atemzug ein beachtliches Kopfgeld auf ihre Anführer aus70 . Bald mussten die britischen Behörden feststellen, dass sich die Situation dramatisch zu ihren Ungunsten verändert hatte: Noch am gleichen Tag sahen sie sich mit einer Kapitulationsaufforderung der Rebellen konfrontiert. Fédons Emissäre forderten den Präsidenten der Kolonialversammlung Grenadas, Kenneth McKenzie, dem nach der Gefangennahme Homes die Befugnisse des Gouverneurs zugefallen waren, dazu auf, »de vous soumettre dans le délai de deux heures aux forces de la République sous nos ordres«. Nur dann könnten das Leben und das Eigentum der Kolonisten garantiert werden, wobei Fédon sogleich einschränkte: »[À] ce dernier égard seulement, nous en référant à ce qu’il en sera plus amplement ordonné par les commissaires immédiatement délégués par la Convention nationale aux îles du Vent«71 . Damit verlor Fédons Kapitulationsaufforderung für die in die Hauptstadt Saint George’s geflohenen Plantagenbesitzer Grenadas jegliche Attraktivität. Es war aus britischer Sicht zu befürchten, dass Hugues nicht nur die Sklaverei abschaffen und damit die Pflanzer enteignen, sondern die Insel auch mit einer Terrorwelle ähnlich jener auf Guadeloupe überziehen würde, sollte es seinen Truppen gelingen, die 65 66 67 68 69 70 71

Dubois, A Colony, S. 193, 222–241; Girard, Rêves, S. 397f. Byles an Home, 26.3.1795, in: NRS, GD267/5/19/1. Candlin, The Last Caribbean Frontier, S. 15f. Siehe die Liste der Gefangenen bei Home an McKenzie (Kopie), 6.3.1795, in: NRS, GD267/5/18/1. McKenzie an Portland, 28.3.1795, in: TNA, CO 101/34/22. Proklamation von McKenzie, 4.3.1795, in: ANOM, C10A 4, fol. 249. Alle Zitate aus Proklamation von Fédon (Kopie), 4.3.1795, in: TNA, CO 101/34/29.

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Kolonie unter ihre Kontrolle zu bringen. Die über Jahrzehnte diskriminierte frankophone Bevölkerung würde hierfür vermutlich gerne ihre Unterstützung anbieten, zumal ihnen die Sequestrierung der Plantagen der britischen Pflanzer erlauben würde, die größten und profitabelsten Güter der Kolonie unter sich aufzuteilen. Für den Fall, dass McKenzie nicht auf das Angebot eingehen würde, ließ Fédon der britischen Seite ankündigen: Nous vous notifions que, faute par vous de vous soumettre ainsi qu’il vous est enjoint, vous éprouverez tous les fléaux d’une guerre désastreuse, que tout individu quelconque qui sera pris les armes à la main ou qui n’aura point rejoint les drapeaux nationaux dans un temps raisonnable et dont nous jugerons (mais dans le plus court délai) sera puni de mort, et tous ses biens [seront] incendiés et confisqués au profit de la République72 .

Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, informierte Fédon die britischen Entscheidungsträger zudem, dass sich »le tyran« Ninian Home, Alexander Campbell und zahlreiche weitere Briten in ihrer Gewalt befänden73 . Trotz dieser Drohkulisse blieb McKenzie und dem Kolonialrat Grenadas nichts anderes übrig, als das Kapitulationsangebot Fédons abzulehnen. Gemäß Marter Byles waren die Diskussionen im Rat über das weitere Vorgehen derart »violent«, dass mehrere Ratsmitglieder kurz davor standen, die beiden Emissäre Fédons eigenhändig zu ermorden74 . Selbst das verzweifelte Schreiben Homes aus der Geiselhaft, in welchem er McKenzie warnte, dass Fédon über eine »considerable force«verfügeundentschlossensei,»thattheinstantanattackismadeonthepost where the prisoners now are confined, that instant every one of the prisoners shall be put to death«, vermochte den Kolonialrat nicht mehr umzustimmen75 . McKenzie verkündete am 6. März 1795 öffentlich, dass »we are equally willing to spill the last drop of our blood rather than disgrace eternally ourselves and our country by a concession to men capable of such a proposition«76 . Damit war klar, dass es zu einem gewaltsamen Konflikt kommen würde. Allerdings verhinderten strömender Regen und fehlende militärische Mittel ein sofortiges Losschlagen gegen Fédons Lager nahe der Belvedere-Plantage im gebirgigen Landesinneren Grenadas. Dies gab Fédon und seinen Anhängern Zeit, um sich für den bevorstehenden Angriff vorzubereiten77 . Die ersten Gefechte gegen Fédons Truppen hätten die britischen Militärs hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines Angriffs auf das schwer erreichbare Lager Fédons im Inneren der Kolonie nachdenklich stimmen sollen. Neben der geringen Zahl von Soldaten und Milizen erwies sich die Disziplin der Truppe als ernstzunehmendes Problem. Dies illustriert die Verteidigung der Hafenstadt Gouyave gegen die Rebellen Fédons im März 1795: Als die in aller Eile herbeigerufe72 73 74 75 76 77

Ibid. Ibid. Byles an Home, 26.3.1795, in: NRS, GD267/5/19/1. Beide Zitate aus Home an McKenzie (Kopie), 6.3.1795, in: NRS, GD267/5/18/1. Proklamation von Beele (Kopie), 6.3.1795, in: NRS, GD267/5/18/4. Cox, Fédon’s Rebellion, S. 8.

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nen Rotjacken per Schiff in der Stadt eintrafen – »they got extremely wet in landing« –, taten sich die Soldaten in einem Rumlager gütlich: »The soldiers could not resist the temptation of indulging themselves a little too freely with it«, wie ein beteiligter Offizier in seinen Memoiren schrieb. Infolgedessen waren nur sechs von 20 regulären Soldaten einsatzbereit, als Fédons Rebellen die Stadt stürmten. Nur dank der besseren Bewaffnung und den Kolonialmilizen konnte der Angriff zurückgeschlagen werden78 . Unter den Rotjacken blieb Alkohol ein schwerwiegendes Problem, das von den Sklaven geschickt ausgenutzt wurde. So schrieb ein Offizier kurz nach Ausbruch der Feindseligkeiten: »Contrary to my expectation, I found the Negroes brought rum to the men from every house or hut that I passed«79 . Mitte März 1795 traf schließlich Brigadier Colin Lindsay mit rund 150 zusätzlichen Soldaten in Grenada ein und übernahm das Kommando über den bevorstehenden Angriff auf Fédons Lager. Zwar gelang es den britischen Truppen auf ihrem Vormarsch, die vorgeschobenen Stellungen der Rebellen einzunehmen80 . Doch das schwierige, weitgehend unbekannte Gelände und der nicht enden wollende Regen machten Lindsay und seinen Soldaten nicht nur körperlich, sondern auch psychisch schwer zu schaffen. Ende März berichtete Lindsay seinem Vorgesetzten in dramatischen Worten über seine Schwierigkeiten und die schwindenden Aussichten eines Angriffes auf Fédons Lager im Landesinneren, nachdem sich die Trägersklaven seiner Einheit während eines Gefechts klammheimlich aus dem Staub gemacht hatten: I have found the business beyond my strength either of mind or body. It is dreadful to be in a situation where it becomes necessary to attack such an enemy against one’s own judgement & almost without hope of success. For even if we take their camp, they fly into the woods. Nor can we possibly get around them and strike them any blow. The uncommonly bad weather rendered it impossible for me to attack them [. . . ]. The ground was so slippery it was difficult for a man to stand. Until this morning, I have not perceived the horrid situation in its full extent, into which I alone have reduced the army. Our Negroes, I believe, are all debauched, not one of them came back us yesterday81 .

Die Sklaven nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war: ein Großteil des Proviants sowie Zelte und trockene Kleider, so dass die britischen Soldaten dem strömenden Regen schutzlos ausgesetzt waren82 . Große Sorgen bereitete Lindsay der Transport der Geschütze, »which hang like a mill-stone around my neck«. Nach der Flucht der Trägersklaven mussten die Soldaten die schweren Kanonen selbst die steilen Berge hinaufziehen. Schließlich sah Lindsay sich gezwungen, sich von der Artillerie zu trennen, um den Vormarsch nicht unnötig zu verlangsamen. Damit verschlechterten sich die Aussichten 78 79 80 81 82

Beide Zitate aus Thomas T. Wise, A Review of the Insurrection, Saint George’s 1795, S. 14. Gordon an [McKenzie] (Kopie), 11.3.1795, in: TNA, CO 101/34/95. Turnbull, A Narrative, S. 71–78. Lindsay an Vaughan (Kopie), 22.3.1795, in: TNA, WO 1/31/133. Turnbull, A Narrative, S. 78.

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für einen erfolgreichen Angriff auf Fédons Lager drastisch83 . Lindsey gab sich selbst die Schuld für die Schwierigkeiten der Soldaten unter seinem Kommando und glaubte mit dem Entscheid, die Geschütze zurückzulassen, seine Autorität untergraben zu haben. In sichtlich aufgewühltem Zustand schrieb er: O god, o god, [. . . ] the whole matter is apparent to the army, which has enjoyed a security and peace of mind to which I have been a stranger since these five days past. I had the fairest, noblest game and have thrown it away. Disgrace and [. . . ] disaster to this whole colony. [. . . ] What is my insignificant life? Eternal rain! To shoot myself is the best thing I can do for the army, who can have no confidence in any orders I can give, and it will strongly impress upon their minds the necessity of the most vigorous exertions84 .

Danach notierte er noch einige Anweisungen an seinen Stellvertreter, trat aus seiner »miserable hut« und jagte sich eine Kugel durch den Kopf85 . Sein Nachfolger, Oberstleutnant Shaw, setzte den Vormarsch in Richtung der Belvedere-Plantage trotz geringer Erfolgsaussichten fort. Eine Belagerung von Fédons Lager kam wegen der geringen Anzahl Soldaten auf Seiten der Briten nicht in Frage, weshalb Shaw am 7. April 1795 den Versuch unternahm, die Stellung in einem Sturmangriff zu erobern86 . Damit entschied sich auch das Schicksal der Geiseln Fédons, die seit Wochen unter der Bewachung ihrer ehemaligen Sklaven von Posten zu Posten geschleppt worden waren. Diese nutzten dabei jede Gelegenheit, um ihre einstigen Besitzer aufs Übelste zu beschimpfen und mit Tritten zu traktieren87 . Insbesondere die ehemaligen Sklaven Alexander Campbells taten sich dabei hervor, stand doch der schottische Zuckerbaron im Verruf, seine Sklaven besonders brutal behandelt zu haben88 . Als Fédon die Meldung erreichte, dass die Rotjacken die Vorposten seines Lagers angreifen würden, machte er seine Drohung wahr und bereitete die Erschießung der Geiseln vor. Kurz bevor seine Männer zur Tat schritten, befahl er dem Arzt John Hay, der sich ebenfalls unter den Geiseln befand, einen Verwundeten zu pflegen. Hay konnte damit dem ihm drohenden Schicksal gerade noch entkommen. Mehrere Jahre danach veröffentlichte er seine Erinnerungen an Fédons Aufstand, in denen er die Erschießung der Geiseln durch Fédon und seine Gehilfen schilderte: He began the bloody massacre in presence of his wife and daughters, who remained there, unfeeling spectators of his barbarity. He gave the word feu himself to every man as soon as he came out [. . . ]. They all bore their fate like men and Christians, and except a young boy of twelve years of age, I did not hear a word from one of them. Doctor Carruthers attempted to run and was shot at about fifty yards distance from the prison89 .

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Lindsay an Vaughan (Kopie), 22.3.1795, in: TNA, WO 1/31/133. Ibid. Turnbull, A Narrative, S. 76–78. McKenzie an Vaughan, 24.3.1795, in: TNA, WO 1/83/159. Turnbull, A Narrative, S. 75. Quintanilla, The World, S. 255. John Hay, Narrative of the Insurrection in the Island of Grenada, London 1823, S. 76f. (Hervorh. i. Orig.).

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Jene, die durch den Kugelhagel nur verletzt wurden, ließ Fédon anschließend mit Säbeln und Bajonetten niedermachen, »while the prisoners lay in a pile before the prison door, writhing over one another in the agonies of death«90 . Auch wenn der britische Angriff in dem erwarteten Desaster endete, hatte Fédon mit der Erschießung der Geiseln sein einziges Druckmittel aus der Hand gegeben. In den folgenden Monaten war Grenada Schauplatz eines unerbittlichen Bürgerkriegs, bei dem beide Kriegsparteien mit größter Brutalität vorgingen. Diejenigen Pflanzer, die sich bis dahin nicht den Rebellen angeschlossen hatten, flüchteten nach Bekanntwerden der Niederlage Shaws in die Hauptstadt der Kolonie, wo sie sich vor Fédon und seinen Anhängern in Sicherheit glaubten91 . Ihre Furcht war keineswegs unbegründet: Die Rebellen zwangen unter Todesdrohung diejenigen frankophonen Kolonisten, die sich bislang neutral verhalten hatten, sich ihnen anzuschließen. Es vermag deshalb nicht zu erstaunen, dass sich viele unter ihnen bei der erstbesten Gelegenheit den britischen Streitkräften ergaben, weil sie glaubten, damit ihre eigene Haut retten zu können92 . Ihre Hoffnungen sollten sich allerdings rasch zerschlagen: Die Rotjacken erhängten die meisten Rebellen, die sich ihnen ergaben, auf der Stelle93 . Mit der Flucht der meisten Pflanzer nach Saint George’s brach die Plantagenökonomie der Kolonie weitgehend zusammen. Während sich die meisten Funktionssklaven den Rebellen anschlossen, suchte die Mehrheit der in Afrika geborenen Feldsklaven das Weite und wanderte während der kommenden Monate scheinbar ziellos zwischen den verschiedenen Posten umher94 . In den Städten waren die geflohenen Sklaven nicht gerne gesehen. Gemäß Byles verwehrten die britischen Behörden ihnen die Zuflucht in der Stadt, weil sie glaubten, dass es besser sei, wenn diese im Landesinneren »a nuisance to the enemy« bildeten, indem sie mit den Rebellen um Nahrung konkurrierten95 . Die Rebellentrupps, welche die verlassenen Plantagen der Kolonie nach Nahrungsmitteln und Waffen durchstöberten, um die desolate Versorgungssituation von Fédons Kämpfern zu verbessern, kannten gegenüber den Sklaven, die sie aufgegriffen hatten, kein Pardon: Wer sich ihnen nicht anschloss, den

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Ibid., S. 77. Craton, Testing the Chains, S. 187. Thouluyre Mahé, Coup d’œil sur la Guadeloupe et dépendances, 1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 138; Nicholls an Vaughan, 22.6.1795, in: TNA, WO 1/83/329; Green an Portland, 21.10.1797, in: TNA, CO 101/35/120. Duffy, Soldiers, S. 164. Turnbull, A Narrative, S. 11f.; Bernard Marshall, Slave Resistance and White Reaction in the British Windward Islands, 1763–1833, in: Caribbean Quarterly 28 (1982), S. 33–46, hier S. 41; Byles an Home, 7.7.1795, in: NRS, GD267/5/19/9. Byles an Home, 7.7.1795, in: NRS, GD267/5/19/9.

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brachten die Rebellen kurzerhand um96 . Als die Rebellen durch die Gemeinde Saint Mark im Nordwesten Grenadas zogen, töteten sie gemäß Byles an die 100 Sklaven. Die Waltham-Plantage, deren Eigentümer der verstorbene Gouverneur Home sowie dessen Bruder im fernen Edinburgh waren, sei in »the greatest conflagration« zerstört worden, nachdem die Rebellen die Gebäude geplündert hatten97 . Allein auf der Waltham-Plantage massakrierten Fédons Milizen 24 männliche Sklaven. Allerdings wurden nicht alle von den Insurgenten ermordet, eine beträchtliche Zahl fiel gemäß Byles den britischen Kolonialmilizen zum Opfer. Von 16 weiteren Sklaven der Plantage fehlte jede Spur. Auch wenn die Hintergründe dieser Tötungen aufgrund fehlender Quellen im Dunkeln bleiben, illustrieren die Zahlen, dass die Konfliktlinien auf Grenada entgegen der weitverbreiteten Ansicht in der Forschung alles andere als eindeutig waren. Insgesamt erwuchs dem Betrieb dadurch ein Verlust von 4200 Pfund, wie Byles feinsäuberlich in seiner Buchhaltung nachwies. Die restlichen 133 Sklaven der Plantage, vornehmlich Frauen und Kinder, konnte Byles nach Saint George’s bringen, wo er elf männliche Sklaven den schwarzen Ranger-Einheiten der britischen Armee zur Verfügung stellte. Für diese Männer konnte er nicht nur eine ansehnliche Miete einstreichen, sondern auch eine Lebensversicherung abschließen, die im Falle ihres Todes je nach Wert des verstorbenen Sklaven eine ansehnliche Versicherungssumme in der Höhe von 100 bis 200 Pfund einbringen würde. Darüber hinaus musste er nicht mehr für ihre Subsistenz aufkommen, wie er Homes Bruder im Stile eines vorbildhaften Sachverwalters mitteilte. Die Rekrutierung schwarzer Sklaven durch die britische Armee war für die Plantagenbesitzer ein lohnendes Geschäft, denn in der vollgepferchten und von Hunger sowie Gelbfieber heimgesuchten Stadt waren die Sklaven für ihre Eigentümer mehr Last als Nutzen98 . Währenddessen gingen die Kämpfe im Landesinneren unvermindert weiter. Auch der neue Kommandant der Rotjacken, Brigadegeneral Oliver Nicholls, musste feststellen, dass dieser Krieg nicht rasch entschieden sein würde: »There is no hunting down these fellows in their mountain fortresses«, ließ er seinen Vorgesetzten, General Vaughan, im Mai 1795 wissen99 . Das anhaltend schlechte Wetter und die infolgedessen unpassierbaren Straßen

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Candlin, The Last Caribbean Frontier, S. 6; [?] an Curt, 14.3.1795, in: ADGB, 61J/35. Siehe auch die Berichte bei Webster an McKenzie (Kopie), 31.10.1795, in: TNA, CO 101/34/177; Mitchell an Portland, 26.3.1796, in: TNA, CO 101/34/197. Zur schlechten Versorgungslage der Rebellen siehe Hay, Narrative, S. 42. Byles an Home, 26.3.1795, in: NRS, GD267/5/19/1. Ibid.; Byles an Home, 7.7.1795, in: NRS, GD267/5/19/9; Byles an Home, 10.8.1795, in: NRS, GD267/5/19/19; Estimate of the losses sustained on Waltham Estate, in the Parish of Saint Mark, Grenada in consequence of the late Insurrection, 28.10.1795, in: NRS, GD267/5/28/9. Zur Situation in Georgetown siehe Cox, Fédon’s Rebellion, S. 9. Nicholls an Vaughan, 3.5.1795, in: TNA, WO 1/83/223.

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und Wege schränkten die militärischen Optionen Nicholls weiter ein100 . Das gebirgige Landesinnere bot Fédons Rebellen zudem ein geeignetes Gelände für einen Guerillakrieg101 . Die Schwierigkeiten der Rotjacken, dieses Gebiet unter Kontrolle zu halten, beschrieb ein britischer Offizier in einem privaten Brief: We seem entirely left to poke out our own way in the dark wilds and fastnesses,not yet having found a guide who knows a yard beyond the beaten tracks, which here are improperly called roads; neither can you get, for love of money, a person who will venture a hundred yards to gain intelligence. Consequently, we either fall into ambuscade or are led to error through false information102 .

Die verbliebenen britischen Truppen unter Nicholls Kommando beschränkten sich deshalb in den kommenden Monaten darauf, die Küstenorte unter ihrer Kontrolle zu halten, um die Kommunikations- und Nachschubverbindungen mit Guadeloupe sowie Saint Lucia so gut als möglich zu blockieren103 . Damit gaben sie allerdings die Plantagen im Landesinneren den Rebellen Preis, weshalb sich Nicholls mit einer Welle der Kritik seitens der nach Saint George’s geflüchteten Pflanzer konfrontiert sah, die sich bitterlich über die defensive Strategie der Rotjacken beklagten104 . Nicholls blieb jedoch in Anbetracht der Stärkeverhältnisse gar nichts anderes übrig, als in der Defensive zu verharren. Ihm standen nur 600 Soldaten zur Verfügung, von denen gemäß McKenzie ein Großteil »unaccustomed to service and unseasoned for the climate« war105 . Im Laufe des Sommers verschlimmerte sich die Situation weiter: Das Gelbfieber löschte ganze Regimenter aus106 . Wer von den Rotjacken nicht krankgeschrieben war, der tat sich in der Regel an der Flasche gütlich, wie ein britischer Offizier an seinen Vorgesetzten schrieb: »I am sorry to add that our men have been in such a state of intoxication ever since they have been out that it is impossible to place much confidence in them«107 . Blieben Nicholls noch die Milizionäre, die allerdings nur für den Garnisonsdienst geeignet waren, wie die britischen Offiziere bald feststellen mussten. Diese Truppen zeigten sich meist unwillig, Stellungen zu verteidigen, die nicht den Schutz ihres Eigentums und ihrer Familien gewähr100 101 102 103 104 105 106

107

McKenzie an Portland, 24.4.1795, in: TNA, CO 101/34/45; Byles an Home, 10.8.1795, in: NRS, GD267/5/19/19. Wright an Campbell (Kopie), 24.4.1795, in: TNA, CO 101/34/64; McKenzie an Portland, 24.4.1795, in: TNA, CO 101/34/45. Campbell an Cathcart, 19.4.1796, zit. nach: Buckley, Slaves, S. 91. Duffy, Soldiers, S. 145. McKenzie an Portland, 31.10.1795, in: TNA, CO 101/34/173; McKenzie an Portland, 16.5.1795, in: TNA, CO 101/34/72; Byles an Home, 10.8.1795, in: NRS, GD267/5/19/19. McKenzie an Portland, 24.4.1795, in: TNA, CO 101/34/45. McKenzie an Portland, 11.8.1795, in: TNA, CO 101/34/119; McKenzie an Portland, 15.9.1795, in: TNA, CO 101/34/146; McKenzie an Portland, 31.10.1795, in: TNA, CO 101/34/173. Wright an Campbell (Kopie), 24.4.1795, in: TNA, CO 101/34/64.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

215

leisteten, weshalb sie nicht für Offensivaktionen eingesetzt werden konnten. Hinzu kam die weitverbreitete Furcht unter den Milizionären, im Falle eines Sieges Fédons Opfer von Repressalien zu werden108 . Die Desertionsraten unter diesen Einheiten blieben infolgedessen hoch. Die eiligst rekrutierten Sklaven vermochten vorderhand nur die Ausfälle unter den Linientruppen zu kompensieren. Ein Detachement spanischer Soldaten aus Trinidad wurde bereits im Frühsommer 1795 abgezogen, weil der spanische Gouverneur einen Umsturzversuch in der Kolonie befürchtete109 . Auf der anderen Seite konnte Fédon auf einen Kern von 600 Weißen und freien Farbigen zählen sowie auf, je nach Schätzung, 4000 bis 6000 ehemalige Sklaven110 . Fédons Reihen waren aber alles andere als geschlossen111 . So berichtete ein Pflanzer aus Grenada 1796, dass »at one point or another« jeder Sklave mindestens einmal auf Seiten Fédons und einmal auf Seiten der Briten gekämpft habe112 . Die wiederholten Aufforderungen Hugues’ an die Adresse Fédons, für Einigkeit im Lager der Rebellen zu sorgen, sind hierfür ein weiteres Indiz. Der Rebellenführer selbst schien sich nur mit Müh’ und Not den Befehlen Hugues’ unterzuordnen. Auf die Ratschläge französischer Militärs, die der Kommissar nach Grenada entsandt hatte, hörte Fédon kaum113 . Gemäß einem anonymen Memorandum, das vermutlich aus der Feder eines französischen Offiziers stammt, bestand die größte Schwierigkeit darin, die divergierenden Ziele der Rebellen rund um Fédon und der ehemaligen Sklaven, die sich ihnen angeschlossen hatten, unter einen Hut zu bringen. Anlass für den Zwist gab die prekäre Versorgungssituation. Zudem war ein Großteil der Rebellen – das heißt vor allem die ehemaligen Sklaven – lediglich mit Holzspeeren bewaffnet, nur der harte Kern der Aufständischen konnte Musketen, Pistolen und Säbel sein Eigen nennen. Aus Guadeloupe und Saint Lucia trafen nur in unregelmäßigen Abständen Nachschublieferungen ein. Der Schmuggel von Waffen und Lebensmitteln aus Trinidad, den die Frauen und Verwandten von Fédons Getreuen in der spanischen Kolonie organisierten, reichte bei Weitem nicht aus, um die Rebellenarmee zu versorgen. Für Fédon und seine Führungsclique war deshalb nichts naheliegender, als die drängende Ernährungsfrage mittels der Bewirtschaftung der Plantagen unter seiner Kontrolle durch Sklaven zu lösen. Doch Letztere zeigten wenig Interesse, auf die Plantagen zurückzukehren. Inwiefern Fédon versuchte, die Sklaven mittels Gewalt 108 109 110 111 112 113

Gordon an [McKenzie] (Kopie), 11.3.1795, in: TNA, CO 101/34/95. Turnbull, A Narrative, S. 79–84. Cox, Fédon’s Rebellion, S. 8; Craton, Testing the Chains, S. 188. Nicholls an Vaughan, 22.6.1795, in: TNA, WO 1/83/329; Nicholls an Irving (Kopie), 23.7.1795, in: TNA, WO 1/84/103; Leigh an Dundas, 28.11.1795, in: TNA, WO 1/85/99. [?] an Barrells (Kopie) 3.7.1796, in: NRS, GD51/1/519/2. Nogues an Fédon (Kopie), 24.4.1795, in: TNA, CO 101/34/66; Hugues an Fédon (Kopie), 24.11.1795, in: ANOM, C10A 4; Hugues an Fédon (Kopie), 11.6.1796, in: ANOM, C10A 4; Hugues an Fédon (Kopie), 5.2.1796, in: ANOM, C10A 4; Hugues an Fédon (Kopie), 13.3.1796, in: ANOM, C10A 4; Turnbull, A Narrative, S. 101.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

zur Arbeit zu zwingen, bleibt aufgrund fehlender Quellen unklar. Das brutale Vorgehen der Rebellen, die hohen Fluktuationsraten im Lager Fédons und die Berichte, wonach die Sklaven immer wieder die Seiten wechselten, suggerieren jedenfalls nicht, dass Fédons Männer die Sklaven besonders zuvorkommend behandelten114 . Im Grunde ging es dabei um einen viel tiefer liegenden Konflikt innerhalb des Rebellenlagers. Die farbigen Plantagenbesitzer rund um Fédon waren darum bemüht, der Zerstörung der Plantagenökonomie Einhalt zu gebieten, um bei einem Sieg nicht mit leeren Händen dazustehen115 . Allerdings etablierten Fédon und seine Getreuen keinerlei staatliche Strukturen, um die Ressourcen der Kolonie für den Krieg zu mobilisieren. Deshalb vermochte der Rebellenführer seine Truppen, die größtenteils aus Sklaven bestanden, auch kaum zu kontrollieren. Letzteren war im Gegensatz zu ihren grundbesitzenden Anführern wenig am Erhalt der Plantagenökonomie gelegen, weshalb sie die meisten Plantagen plünderten und niederbrannten, sobald sie diese durchquerten. Die Sklaven sorgten sich in erster Linie um ihre eigene Subsistenz und kümmerten sich wenig um die längerfristigen Ziele Fédons und seiner Clique116 . Das Plündern und Niederbrennen der Plantagen stellte freilich auch die britischen Truppen vor Versorgungsprobleme, die sich ebenfalls aus den verlassenen Plantagen versorgten117 . Dennoch hemmten der Zielkonflikt zwischen der Führungsriege und dem aus Sklaven bestehenden Fußvolk sowie die fehlende Staatlichkeit die Bemühungen der Rebellen, die britischen Streitkräfte gänzlich aus Grenada zu vertreiben. Hugues und Goyrand entsandten deshalb im Oktober 1795 Charles-Joseph Sugue mit 250 Mann in die umkämpfte Kolonie, um die Insel endgültig unter republikanische Kontrolle zu bringen. Die Voraussetzungen hierfür schienen günstig, fielen doch zwei Drittel der ohnehin ausgebluteten britischen Garnison in den feuchten Sommermonaten dem Gelbfieber zum Opfer. Die Entsendung von Soldaten und Offizieren nach Grenada diente aus Sicht der französischen Führung nicht nur zur Herbeiführung einer militärischen Entscheidung, sondern auch dazu, Fédon für sein Verhalten zur Verantwortung zu ziehen und den Rebellenführer an der kurzen Leine zu 114

115 116

117

[?], Sommaire de la Révolution opérée en l’Île de Grenade, 3.1.1798, in: ANOM, C10A 4, fol. 247; Green an Portland, 27.5.1797, in: TNA, CO 101/35/43; Farlane/ Gahagan/Campbell an Irving (Kopie), 4.10.1795, in: TNA, WO 1/84/501; Hugues/Lebas an Truguet, 18.8.1796, in: ANOM, C10A 4, fol. 250; Hugues an Fédon (Kopie), 11.6.1796, in: ANOM, C10A 4; Gandelas an Hugues, 19.7.1796, in: ANOM, C10A 4, fol. 248; Hay, Narrative, S. 42. Craton, Testing the Chains, S. 189; Hay, Narrative, S. 53. Turnbull, A Narrative, S. 96; Nicholls an Vaughan, 3.5.1795, in: TNA, WO 1/83/223; McKenzie an Portland, 24.4.1795, in: TNA, CO 101/34/45; Caldwell an Nepean, 14.5.1795, in: TNA, ADM 1/317. Wright an Campbell (Kopie), 24.4.1795, in: TNA, CO 101/34/64.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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halten, indem ihm loyale Offiziere zur Seite gestellt wurden118 . Die Hintergründe des Machtkampfes zwischen Fédon und der französischen Führung bleiben zwar weitgehend im Dunkeln, doch dürfte es sich in erster Linie um eine Auseinandersetzung über die einzuschlagende Strategie gehandelt haben. Innerhalb der britischen Generalität glaubte man wohl nicht zu Unrecht, dass »Monsieur Sugue having been charged to send Fédon to Guadeloupe to answer for his barbarities, Fédon set the French at defiance, declaring the conquest of the island to be for himself: this may possibly blow into a flame and prevent their acting cordially together, although Fédon retains the supreme command«119 . Die wenigen Dokumente, die von Sugues Mission überliefert sind, deuten darauf hin, dass es Hugues vor allem darum ging, die Reihen der Rebellen zu schließen sowie auf Grenada funktionierende kolonialstaatliche Strukturen aufzubauen, um die Plantagenökonomie der Kolonie wieder in Gang zu bringen – eine Aufgabe, an der Fédon gescheitert war. Damit sollten die sozioökonomischen Voraussetzungen geschaffen werden, die es den französischen Streitkräften erlauben würden, sich weitgehend mit vor Ort vorhandenen Ressourcen zu versorgen. Um die Sklaven der Kolonie auf die französische Seite zu ziehen, ließ Sugue das Abolitionsdekret veröffentlichen – der Sklavenbesitzer Fédon hatte dies bis dahin unterlassen120 . Auch auf Grenada ging das Ende der Sklaverei mit der Errichtung eines Zwangsarbeitsregimes einher. Hierzu ließ Sugue eine Proklamation in allen Lagern der Rebellen und in sämtlichen Ortschaften unter ihrer Kontrolle verlesen: L’œil des chefs a pénétré jusques dans les forêts, et au lieu des bêtes féroces, il y a vu des citoyens vivants séparés de la société des hommes; la loi ne connaît point l’homme que la société ne connaît point; tous ceux qui vivent éloignés des autres sont suspects a ses yeux; elle ne peut les regarder comme ses enfants légitimes; un vagabond est un monstre dangereux; tout homme inutile à la République, doit être traité comme tel; les actions de l’honnête homme sont des actions publiques, utiles à la République, comme à lui-même. Or, celui qui vit retiré, caché, ne fait point des actions publiques, donc [. . . ] il doit être considéré comme un homme suspect et dangereux, c’est un homme que le gouvernement doit poursuivre avec toute la rigueur des lois, pour le rendre utile au bonheur commun; il doit le forcer à devenir meilleur, ou le chasser à jamais en le châtiant sévèrement, car tout arbre qui ne porte pas de bon fruit, doit être coupé & jeté au feu121 .

Sugue befahl deshalb jedermann, sich innerhalb von vier Tagen bei den Behörden in Port-Libre, wie die Ortschaft Gouyave nun genannt wurde, zu melden, »pour être employé, chacun suivant sa capacité, à l’utilité publique«. Die Pro118

119 120 121

Proklamation von Goyrand (Kopie), 2.10.1795, in: A Collection of State Papers relative to the War against France, 11 Bde., London 1794–1802, Bd. 3, S. 171f.; Craton, Testing the Chains, S. 189f. Leigh an Dundas, 28.11.1795, in: TNA, WO 1/85/99. Sugue an Nicholls (Kopie), 4.11.1795, in: TNA, WO 1/85/111. Proklamation von Sugue/Fédon (Kopie), 26.10.1795, in: TNA, WO 1/85/107.

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klamation endete mit der Warnung: »On n’est vraiment libre qu’autant qu’on est soumet aux lois«122 . Mit dem Ende der Sklaverei sollten schließlich die Reihen der Rebellen geschlossenund damit ein Mindestmaß an Staatlichkeit durchgesetzt werden. Ziel dieser Maßnahme war die Einhegung der Gewaltspirale, welche die Kolonie seit Ausbruch des Bürgerkriegs im März 1795 heimsuchte. Offenbar überschritt die Brutalität selbst für ein Raubein wie Hugues das akzeptable Maß, verhinderte doch die scheinbar grenzenlose Gewalt jegliche Kontrolle des Geschehens durch die Machthaber. Deshalb richtete Sugue nach seiner Ankunft in der Kolonie folgende Zeilen an Nicholls: Un peu de maladie, et beaucoup d’affaires m’ont empêché jusqu’à présent de vous faire savoir mon arrivée au camp général de cette colonie. Je le fais aujourd’hui, Monsieur, et je désirais communiquer avec vous sur la manière dont nous devrons faire la guerre ici. Pour moi, respectant toujours les lois de l’honneur et de l’humanité, je ne m’en écarterai jamais, et je ferai avec vous, Monsieur, une guerre d’état, étayée sur des bases qui sont communes des [sic] peuples civilisés123 .

Noch am gleichen Tag richtete Nicholls seinem Gegenüber aus, er sei glücklich, dass »the savage barbarity heretofore exercised by those who rebelled against their Sovereign« ein Ende nehme und stattdessen ein Krieg geführt werde, der »agreeable to the customs of civilised nations« sei124 . Der gemeinsame Pakt zur Einhegung der Gewalt war allerdings von kurzer Dauer: Sugue verstarb nur wenige Wochen später, ohne einen Nachfolger eingesetzt zu haben. Fédon war damit wieder alleiniger Anführer der Rebellion. Dies bedeutete allerdings, dass die französischen Versuche, ein Mindestmaß an Staatlichkeit auf Grenada zu etablieren, zum Scheitern verurteilt waren. Inwiefern das von Sugue erlassene Abolitionsdekret unter diesen Umständen Bestand hatte, bleibt aufgrund der dürftigen Quellenlage im Dunkeln. Wegen des Fehlens staatlicher Strukturen scheint es jedenfalls zweifelhaft, ob Sugues Abschaffung der Sklaverei längerfristige Konsequenzen nach sich zog. Die Plantagenökonomie der Kolonie war im Zuge der Kämpfe ohnehin zum Erliegen gekommen. Zwar vermochten Fédons Truppen bis zum Jahresende alle Küstenorte einzunehmen und die Rotjacken nach Saint George’s zurückzudrängen. Mithilfe von rund 300 rekrutierten Sklaven gelang es Nicholls jedoch, den Brückenkopf in den kommenden Monaten unter seiner Kontrolle zu halten und damit die Türe für die erwartete Verstärkung aus Europa offen zu halten125 . Im Grunde war mit dem Unvermögen Fédons und seiner Rebellen, die Hauptstadt Grenadas zu erobern, der Aufstand bereits zum Scheitern verurteilt – und dies trotz ihrer mehrfachen Überlegenheit hinsichtlich der 122 123 124 125

Ibid. Sugue an Nicholls (Kopie), 4.11.1795, in: TNA, WO 1/85/111. Beide Zitate aus ibid. Craton, Testing the Chains, S. 188f.

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Truppenstärke. Die Ursachen dafür liegen zum einen in der Unfähigkeit Fédons und seiner Führungsclique, die eigenen Reihen zu schließen und eine gemeinsame Strategie zu verfolgen. Zum anderen versäumten es die Rebellenführer, ein Mindestmaß an staatlichen Strukturen aufzubauen. Staatliche Kontrolle wäre aber eine notwendige Grundvoraussetzung für den Fortbestand der kolonialen Plantagenökonomie gewesen, die es erlaubt hätte, Fédons Armee zu ernähren. Neben diesen strukturellen Ursachen scheint aber auch der Rebellenführer selbst wegen seiner Unentschlossenheit einem Sieg der Aufständischen selbst im Weg gestanden zu haben. Marter Byles hatte vermutlich nicht Unrecht, als er schrieb, dass Fédon ein Mann »without spirit« sei, der es trotz drückender Überlegenheit verpasst habe, den Konflikt für sich zu entscheiden. Hin- und hergerissen zwischen persönlicher Rache und den divergierenden Zielen seiner Mitstreiter, verfiel Fédon zusehends in einen Zustand fataler Passivität126 .

Saint Vincent: die Rebellion der Kariben gegen die britischen Zuckerbarone Im Gegensatz zu Grenada fanden die französischen Militärs auf Saint Vincent einen Bündnispartner vor, dessen Reihen scheinbar geeint waren und der zumindest in den Augen Hugues’ durch klare politische Hierarchien geprägt war. Die Kolonie war die letzte Hochburg der Kariben (siehe Karte 6, S. 517), die im Laufe des 17. und 18. Jahrhundert auf den anderen Inseln des Archipels ermordet oder vertrieben worden waren127 . Die Kariben Saint Vincents wurden von den Zeitgenossen in zwei Gruppen unterteilt: Die westliche, weniger fruchtbare Seite der Insel wurde von mehreren hundert »gelben« Kariben bewohnt. Sie galten unter den Zeitgenossen als friedfertig und unterschieden sich in den Augen der Europäer damit grundlegend von den rund 6000 »schwarzen« Kariben, die auf der östlichen und weit fruchtbareren Seite der Kolonie lebten. Diese wurden in zeitgenössischen Berichten als äußerst kriegerisch beschrieben und stammten angeblich von den Überlebenden eines im Jahr 1635 gestrandeten Sklavenschiffes ab, die sich mit den bereits ansässigen Kariben vermischt hatten. Sie unternahmen regelmäßig Raubzüge, um Jagd auf Sklaven zu machen, die sie anschließend im Zuge ritueller Opferungen aßen. Im besten Fall wurden die erbeuteten Menschen von den Kariben als Sklaven gehalten. Dank ihrer hervorragenden Kanus konnten sie auch leicht die benachbarten Inseln erreichen, weshalb ihre Raubzüge nicht allein auf Saint Vincent beschränkt 126 127

Byles an Home, 9.10.1795, in: NRS, GD267/5/19/26. Boucher, Cannibal Encounters, S. 94–107; Gérard Lafleur, Les Caraïbes des Petites Antilles, Paris 1992, S. 139–170.

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blieben128 . Ihre hochseetüchtigen Kanus ermöglichten es ihnen aber auch, ein weitmaschiges Handelsnetzwerk im Archipel zu etablieren. Damit einher gingen diplomatische Kontakte zu den europäischen Kolonialmächten. Insbesondere mit den rund 1300 frankophonen Kolonisten, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts auf Saint Vincent angesiedelt hatten, pflegten die Kariben enge politische und ökonomische Beziehungen. Infolgedessen waren viele unter ihnen der französischen Sprache mächtig – selbst Familienbande zwischen frankophonen Siedlern und Kariben waren nicht selten129 . Archäologische und anthropologische Befunde zeugen zudem davon, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts mehrere Clanoberhäupter zu Besitzern von Plantagen aufgestiegen waren, die sie von afrikanischen Sklaven bewirtschaften ließen. In politisch-gesellschaftlicher Hinsicht waren die Kariben segmentär strukturiert. Mehrere Familienoberhäupter fungierten zwar als »chiefs«, doch deren Autorität im inneren Machtgefüge der in Familienclans zersplitterten Kariben war beschränkt130 . Freilich verstanden weder Briten noch Franzosen die politisch-gesellschaftlichen Strukturen der Kariben und glaubten, diplomatische Vereinbarungen und Verträge mit den »chiefs« seien für alle Kariben Saint Vincents verbindlich. Die daraus entstehenden Missverständnisse sollten weitreichende Folgen haben. Die frankophonen Kolonisten und die Kariben wurden durch einen gemeinsamen Gegner zusammengeschweißt: die britischen Großgrundbesitzer, die sich seit dem Siebenjährigen Krieg in immer größer werdender 128

129 130

Bernard Marshall, The Black Caribs. Native Resistance to British Penetration into the Windward Side of St. Vincent, 1763–1773, in: Caribbean Quarterly 19 (1973), S. 4– 19, hier S. 6–8; Nancie L. Gonzalez, Sojourners of the Caribbean. Ethnogenesis and Ethnohistory of the Garifuna, Chicago 1988, S. 26; Dies., From Cannibals to Mercenaries. Carib Militarism, 1600–1840, in: Journal of Anthropological Research 46 (1990), S. 25–39, hier S. 26f. Die Charakterisierung der »schwarzen« Kariben als kriegerische Ethnie ist problematisch, basiert sie doch größtenteils auf zeitgenössischen Berichten über die Kariben, in denen Autoren wie William Young alles daransetzten, die Kariben in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. In Anlehnung an die postcolonial studies hat Murphy, The Creole Archipelago, S. 165–182, deshalb die These vertreten, dass es sich hierbei um diskursive Versatzstücke britischer Kolonialherren ohne realen Hintergrund gehandelt habe, die nur dazu dienten, die Legitimität der Territorialansprüche der Kariben zu negieren. So naheliegend diese Interpretation auch sein mag: Dieser ausgeprägte Skeptizismus läuft Gefahr, bestehende anthropologische Kenntnisse über die Kariben als Imagination europäischer Kolonialherren abzutun. Tatsächlich liegen uns mit den Studien von Nancie Gonzalez Befunde aus der historischen Sozialanthropologie und der Archäologie vor, in denen der kriegerische Charakter der Kariben immer wieder betont wird. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass auch in den zeitgenössischen Berichten französischer Provenienz dieselben Versatzstücke wie in ihren britischen Pendants zu finden sind. Siehe Rochambeau, Sur les Antilles, 1794, in: NL, Ruggles 410/2. Gonzalez, From Cannibals, S. 28–30; Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 1, S. 284– 291. Gonzalez, Sojourners, S. 19.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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Zahl auf der Insel niederließen, nachdem die Kolonie im Frieden von Paris 1763 der britischen Krone zugeschlagen worden war. Unter der Führung des Plantagenbesitzers und Gouverneurs Sir William Young breiteten sich die Zuckerplantagen rasant auf Saint Vincent aus. Bis zum Ausbruch des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs wurden rund 14 500 afrikanische Sklaven in die Kolonie verschleppt. Allerdings erreichte die britische Zuckerindustrie auf Saint Vincent rasch ihre Wachstumsgrenze, weil kein fruchtbares Land mehr frei war, das hätte in Besitz genommen werden können131 . Daher rückten die ertragreichen Ländereien auf der östlichen Flanke der Insel, wo die »schwarzen« Kariben lebten, in den Fokus britischer Pflanzer. Über Jahre hinweg versuchten Spekulanten und Plantagenbesitzer die Kariben mittels Einschüchterung, Erpressung und ähnlicher Methoden aus ihren Ländereien zu vertreiben. Die Kariben ihrerseits attackierten Pflanzer, Landvermesser und Straßenbauer, die in ihr Gebiet eindrangen. Flüchtende Sklaven, die sich in ihr Territorium verirrt hatten, wurden in der Regel ebenfalls ermordet, sahen doch die Kariben in ihnen Trittbrettfahrer der britischen Expansion. Unter den Sklaven Saint Vincents bestand deshalb keinerlei Sympathie für die Kariben132 . Eine erste gewaltsame Konfrontation zwischen den Kariben und britischen Truppen 1772 bis 1773 endete in einem Patt. Der anschließende Friedensvertrag zwischen der britischen Kolonialregierung und dem Anführer der Kariben, Joseph Chatoyer, sicherte den Kariben zwar den Erhalt des größten Teils ihres Territoriums zu, machte sie aber im gleichen Atemzug auch zu Untertanen des britischen Königs133 . Doch der Vertrag brachte kaum Ruhe, denn er löste weder die anhaltenden Territorialkonflikte, noch linderte er die über Jahre gewachsene Feindschaft zwischen den beiden Konfliktparteien. Die Jahrzehnte bis zum Ausbruch der Französischen Revolution waren deshalb von regelmäßigen Grenzscharmützeln zwischen britischen Milizen und »schwarzen« Kariben geprägt134 . Derweil verbreitete der bestens mit der Londoner Regierung vernetzte Wortführer der britischen Pflanzer Saint Vincents, Sir William Young, weiterhin seine Propaganda, wonach die Kariben barbarische Bestien seien, die ihr Land nicht bewirtschafteten und deshalb auch kein Anrecht auf dieses hätten135 . Die frankophonen Kleingrundbesitzer im westlichen Teil der Insel gerieten ebenfalls zusehends unter den 131 132 133 134

135

Dies., From Cannibals, S. 32. Dies., Sojourners, S. 20. Craton, Testing the Chains, S. 145–153. Marshall, The Black Caribs, S. 13–15; Peter Hulme, Colonial Encounters. Europe and the Native Caribbean 1492–1797, London 1986, S. 244–249; Michael Craton, The Black Caribs of St. Vincent, in: Robert L. Paquette, Stanley L. Engerman (Hg.), The Lesser Antilles in the Age of European Expansion, Gainesville, FL 1996, S. 71–85, hier S. 71–81; Murphy, The Creole Archipelago, S. 180–183. Hulme, Colonial Encounters, S. 242; Hamilton, Scotland, S. 148.

222

II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Druck der britischen Zuckerbarone, die immer größere Landparzellen in dieser Region erwarben und damit die Boden- und Sklavenpreise in die Höhe trieben136 . Um die Jahreswende 1794/95 verstärkten sich die Kontakte zwischen Guadeloupe und Saint Vincent, musste doch der Aufstand der Kariben mit jenen auf Grenada und Saint Lucia zeitlich koordiniert werden, um die britischen Streitkräfte mit mehreren, gleichzeitig orchestrierten Rebellionen zu überraschen. Am 13. März 1795, nachdem sich die Nachrichten vom geglückten Auftakt Fédons im Archipel verbreitet hatten, rief schließlich Hugues den angeblichen Anführer der Kariben, Joseph Chatoyer, »chef d’une nation libre«, zur Rebellion gegen die britischen Kolonialherren auf: La nation française en combattant les despotismes, s’est alliée à tous les peuples libres: elle n’exige rien que la liberté; elle a toujours soutenu ses frères les Caraïbes contre les scélérats des Anglais. L’instant est arrivé, où la reconnaissance et l’ancienne amitié des Français et des Caraïbes doivent se renouveler; ils doivent exterminer l’Anglais leur ennemi commun. Nous te jurons amitié et assistance au nom de la nation française à toi et à tes camarades. [. . . ] Attaquez, exterminez à St-Vincent tout ce qui est anglais, mais donnez moyen aux Français de vous seconder137 .

Hierfür sandte Hugues den Kariben nicht nur französische Offiziere, Soldaten und Matrosen, sondern auch Waffen, Schwarzpulver, Geld und Lebensmittel. Chatoyer bedachte er mit besonderen Geschenken: einem Säbel, einem Hut, einem Fass Wein, zwei Fässern Zucker und der erklecklichen Summe von 400 Johannes138 . Mit dieser Geste verriet Hugues freilich, dass er Chatoyers Autorität unter den verschiedenen Clans massiv überschätzte139 . Ohnehin verfolgten die verschiedenen Clans sowie die ansässigen frankophonen Kolonisten ihre eigene Agenda und brauchten keinen Zuspruch von außen, um zur Tat zu schreiten, nachdem sie vom Erfolg Fédons auf Grenada erfahren hatten. Bereits am 8. März 1795, vier Tage vor Hugues’ Aufforderung an Chatoyer, hatte ein Trupp von Kariben und frankophonen Rebellen eine Plantage bei Evesham Vale niedergebrannt. Die britische Kolonialregierung war auf den Aufstand vorbereitet, hatten sich doch die Signale verdichtet, dass die Kariben etwas im Schilde führten. Ihre Anführer verweigerten seit Tagen diplomatische Kontakte. Allerdings fehlten Gouverneur James Seton die militärischen Mittel, um die Plantagen im Hinterland der Kolonie zu schützen, zumal absehbar war, dass die französischen Siedler, welche das Gros der Kolonialmilizen stellten, dem Ruf zu den Waffen nicht folgen würden. Es war für die Kariben, die französischen Kleingrundbesitzer sowie die aus Guadeloupe entsandten Soldaten und Matrosen deshalb ein Leichtes, in Richtung der 136 137 138 139

Charles Shephard, An Historical Account of the Island of St. Vincent, London 1831, S. 57. Hugues/Lebas an Chatoyer (Kopie), 13.3.1795, in: ANOM, C10D 2, fol. 44. Ibid. Murphy, The Creole Archipelago, S. 276f.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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Hauptstadt Kingstown vorzurücken, nachdem sie eine Handvoll Verteidiger beim Grenzfluss Massarica in die Flucht geschlagen hatten. Auf ihrem Vormarsch brannten die Kariben die großen Zuckerplantagen südlich des Flusses nieder. Allein in diesen ersten Tagen der Rebellion zerstörten sie Plantagen im Wert von einer Million Pfund140 . Die Güter frankophoner Plantagenbesitzer blieben hingegen verschont141 . Der Preis, den diese zahlen mussten, war allerdings unbedingte Loyalität, wie Chatoyer in seiner Aufforderung an die auf der Insel lebenden Franzosen, sich ihm innerhalb eines Tages den Rebellen anzuschließen, unterstrich. Jedem, der seiner Aufforderung nicht folgte, drohte Chatoyer: But if any timorous men do still exist, if there be any French men that are held back through fear, we do declare to them, in the name of the law, that those who do not assemble with us in the course of the day shall be deemed traitors to the country and treated as enemies. We do swear that fire and sword shall be employed against them, that we are going to burn their estates, and that we will murder their wives and children in order to annihilate their race142 .

Chatoyers Drohung zeitigte Wirkung: Seton vermerkte in seiner Korrespondenz, dass sich »more or less« alle frankophonen Kolonisten den Kariben angeschlossen hätten143 . Allerdings scheinen nicht alle unter ihnen mit gleicher Zuversicht dem bevorstehenden Aufstand entgegengesehen zu haben, befürchteten doch viele, dass auch sie der scheinbar blinden Zerstörungswut der Kariben zum Opfer fallen könnten. So richtete ein wohlhabender Plantagenbesitzer kurz vor Ausbruch der Rebellion folgende Bitte an Chatoyer: Je vous serais infiniment obligé de parler à toutes vos troupes d’avoir la bonté de ne pas faire aucun [sic] mal à mon père et toute la famille qui est chez le citoyen Masset à Kingstown. C’est la peur qui la fait descendre. Je regarderai cette bonté de vous comme la plus grande que vous puissiez me faire. Je suis tranquille chez moi prêt à vous rendre les services qui dépendront de moi144 .

Ein anderer frankophoner Bewohner Kingstowns ließ derweil sämtliche Wertsachen aus Furcht vor den Kariben aus der Stadt schaffen145 . Tessa Murphy vermutet deshalb wohl zu Recht, dass sich zahlreiche frankophone Kolonisten mehr aus Furcht um ihr eigenes Leben denn aus Überzeugung den Kariben anschlossen146 . 140 141 142 143 144 145 146

The humble Petition and Address of the Freeholders, Merchants and Principal Inhabitants of the Island of St. Vincent, [?].3.1795, in: TNA, CO 260/13/23. Craton, Testing the Chains, S. 191; Shephard, An Historical Account, S. 58–60. Proklamation von Chatoyer (Kopie), 12.3.1795, in: TNA, ADM 1/317. Seton an Portland, 16.3.1795, in: TNA, CO 260/13/13. Siehe auch Vaughan an Dundas, 16.4.1795, in: TNA, WO 1/83/188. Dubois an Chatoyer (Kopie), o. D. [1795], in: TNA, CO 260/13/66. Vgl. auch Seton an Portland, 14.5.1795, in: TNA, CO 260/13/64. Matière de Représentation de Jean Comby habitant de l’Île de St-Vincent, o. D. [1795], in: TNA, CO 260/13/208. Murphy, The Creole Archipelago, S. 275f.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Die Proklamation Chatoyers fand nicht nur unter den frankophonen Kolonisten Saint Vincents rasche Verbreitung, sondern auch unter den britischen Kolonialeliten, wovon nicht zuletzt die hier zitierte Übersetzung der Proklamation ins Englische sowie ihr Abdruck in den einschlägigen Gazetten zeugen147 . Chatoyer machte mit seiner Ankündigung klar, dass im sich abzeichnenden Konflikt jeder Position beziehen musste: Wer nicht auf Seiten der Kariben war, der war gegen sie. Deshalb war seine Drohung an die Adresse der französischen Kleingrundbesitzer zugleich auch eine Warnung an die britischen Pflanzer und ihre Sklaven, dass sie ein noch weit schlimmeres Schicksal ereilen würde, sollte es den Kariben gelingen, die Rotjacken zu besiegen. Ein zweifellos dramatisierter Augenzeugenbericht eines britischen Offiziers, der in den Gazetten des Archipels abgedruckt wurde, ließ seinen Lesern das Schauern in Mark und Bein fahren: The Charibs and some ringleaders from among the French inhabitants are committing the most dreadful depredations, burning every settlement they come near and murdering every soldier or white inhabitant who comes within their reach, men women or children without respect to age or sex, it being their intention to extirpate the English inhabitants from the island. It is their way, when they wound and make anyone prisoners, to cut them immediately up into small pieces and burn their flesh; in particular, Mr. Forbes and his wife were most dreadfully massacred. These savages even extend their barbarity to sucking infants and have been seen to hold them by the leg with one hand while they hacked their flesh from the bones with the other148 .

Zwar dürfte es sich hierbei um eine massive Übertreibung des Augenzeugen gehandelt haben, in der die bereits bestehenden Vorstellungen von der angeblichen Barbarei der Kariben bedient wurden. Doch entsprangen die Gewaltexzesse der Kariben nicht nur der Imagination und Propaganda britischer Zeitgenossen, denn selbst der französische Offizier Alexandre Moreau de Jonnès, der von Hugues nach Saint Vincent abkommandiert worden war, zeigte sich trotz seiner offen zur Schau getragenen Bewunderung für die Kariben immer wieder schockiert über ihre scheinbar hemmungslose Brutalität gegenüber britischen Zivilisten und Soldaten149 . So rasch es der äußerst heterogenen Armee von Rebellen gelang, nach Kingstown vorzurücken, so schnell traten allerdings auch die Schwierigkeiten der antibritischen Koalition zu Tage. Die Verstärkung aus Guadeloupe bestand im Wesentlichen aus den Matrosen mehrerer Kaperschiffe, die zuvor in den Buchten Saint Vincents vor Anker gegangen waren. Die Disziplin der Truppe stellte sich rasch als ernstzunehmendes Problem heraus. Als die Rebellen auf ihrem Vormarsch eine Rumbrennerei kreuzten, konnten gemäß Moreau de Jonnès »les ivrognes, c’est-à-dire la plus grande partie de l’armée« der sich ihnen bietenden Versuchung nicht widerstehen. Dadurch kam der 147 148 149

Enclosure to Sir John Vaughan’s Letter, 18.3.[1795], in: TNA, WO 1/83/148. Ibid. Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 1, S. 279f.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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Vormarsch in Richtung Kingstown zum Stillstand, weshalb ein Clanführer der Kariben namens Pakiri notgedrungen den Befehl gab, die Brennerei niederzubrennen. Das Gebäude »brûla comme un bol de punch, au grand désespoir de ceux dont la soif était inextinguible«, wie Moreau de Jonnès später schrieb150 . Ohnehin war der französische Offizier alles andere als angetan von der bunt zusammengewürfelten Truppe, die Mitte März kurz davorstand, den letzten von den Rotjacken gehaltenen Brückenkopf in der Kolonie, die Hauptstadt Kingstown, zu erstürmen: Mais la vérité historique exige que je peigne sous des traits différents cet assemblage de réfractaires des dépôts coloniaux, de marins déserteurs, recueillis par des pirates, de nègres marron enrégimentés, et d’une levée en masse de sauvages, dont les rangs étaient grossis [. . . ] par leurs femmes et leur filles transformées en guerriers belliqueux. Ces sauvages, il faut bien l’avouer, étaient les hommes les plus civilisés de l’armée, et ceux qui avaient le moindre penchant pour le pillage, l’incendie et la dévastation. Ils étaient plus disciplinés que les soldats, moins féroces que les nègres, et même ils n’étaient pas aussi ivrognes que les matelots151 .

Abgesehen von Moreau de Jonnès’ idealisierender Überhöhung der Kariben als »edle Wilde«, illustriert die Beschreibung, dass die von Hugues vollmundig angekündigte Verstärkung von geringem militärischem Wert war. Die genannten Disziplinarprobleme verweisen auf wesentliche Interessendifferenzen innerhalb der Rebellenarmee, die sich spätestens beim Angriff auf Kingstown manifestierten. Als die Kapitäne der Kaperschiffe am Horizont mehrere britische Kriegsschiffe mit Kurs auf die Küste Saint Vincents ausmachten, befahlen sie noch während des Angriffs ihren Matrosen, sich zu ihren vor Anker liegenden Schiffen zurückzuziehen. Den Abzug der Matrosen interpretierten viele Kariben, frankophone Siedler sowie die wenigen französischen Soldaten in der Hitze des Gefechts als generellen Rückzug, so dass der Angriff im entscheidenden Moment ins Stocken geriet. Als Pakiris Kariben auch noch Feuer legten und gemäß Hugues begannen, die Stadtbewohner zu massakrieren, war das Chaos unter den Angreifern komplett152 . Die Kriegsschiffe der Royal Navy verstärkten im letzten Moment die in die Enge getriebenen Verteidiger Kingstowns mit einer Handvoll Linientruppen, einigen Dutzend Marinesoldaten und mehreren hundert Matrosen. Diese frischen Truppen verliehen den Verteidigern neuen Elan. Die Rotjacken gingen zum Gegenangriff über und vermochten die Kariben und ihre Verbündeten in die Flucht zu schlagen. Dem britischen Kommandanten Major Alexander Leith gelang es gar, Chatoyer im Zweikampf zu töten. Die restlichen Kariben und die frankophonen Rebellen traten in der Folge die Flucht ins Landesinnere an, womit sie den britischen Verteidigern eine dringend benötigte Atempause verschafften153 . 150 151 152 153

Ibid., S. 319f. Ibid., S. 318. Ibid., S. 320f.; Hugues an Decrès, 25.12.1804, in: ANOM, C14 83, fol. 141. Craton, Testing the Chains, S. 191f.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Der gescheiterte Angriff auf Kingstown und der Tod Chatoyers bildeten den Auftakt zu einem »horrid butchering war with the Caribs, who neither give nor receive quarter«, wie ein britischer Offizier in einem Brief festhielt. »Posterity will hardly believe the number of lives lost in these islands«154 . Gouverneur Seton kündigte bereits am 20. März an, dass die Kariben außerhalb des Kriegsrechts stünden, nachdem sie die östliche Flanke der Insel mit »every species of cruelty, [. . . ] fire, murder, and unnecessary destruction« überzogen hätten155 . In seinem Schreiben an die Londoner Regierung wenige Tage später gab er zudem seiner Hoffnung Ausdruck, dass die angeforderte Verstärkung »will enable me not only to repel but totally to exterminate this savage & merciless race of Charaibs«156 . Damit war klar, dass an einen Status quo ante nicht mehr zu denken war: Entweder würde es den Kariben gelingen, die Briten vollständig von der Insel zu vertreiben, oder ihr Untergang war gewiss. Die Kariben spielten damit den britischen Zuckerbaronen rund um William Young in die Hände, die seit Jahren lauthals die Deportation der Kariben aus den fruchtbaren Ländereien auf der östlichen Inselhälfte gefordert hatten. Die jüngste Rebellion nahmen die Pflanzer deshalb zum Anlass, ihre Propaganda bei den Entscheidungsträgern in London zu intensivieren, um sich nach Kriegsende des Landes der Kariben zu bemächtigen157 . Zwar wies Kriegsminister Dundas die Wünsche zur umgehenden Deportation der Kariben im Juni 1795 noch mit der Begründung zurück, dass hierfür die notwendigen Ressourcen fehlten. Doch stellte er den Petitionären in Aussicht, die Frage im Rahmen der geplanten Gegenoffensive erneut zu prüfen158 . Bis es dazu kommen konnte, musste es den Rotjacken erst gelingen, die Kariben entscheidend zu schlagen. Den britischen Truppen fiel es nicht nur wegen des anhaltend schlechten Wetters schwer, ihre Feinde zur Schlacht zu stellen, sondern auch wegen des zerklüfteten Geländes, das es den Rebellen immer wieder ermöglichte, die Rotjacken in Hinterhalte zu locken159 . Die Briten bewegten sich meistens völlig orientierungslos im dichten Dschungel des Landesinneren Saint Vincents. Lieferten sie sich Gefechte mit den Kariben, so war es den Rotjacken oft nicht einmal möglich zu eruieren, wie hoch die Verluste ihres Gegners waren, denn die Kariben trugen die Leichen ihrer Gefallenen in der Regel in den undurchdringbaren Dschungel weg. Selbst 154 155 156 157

158 159

Bassett an Bassett, 27.7.1796 (Kopie), in: TNA, CO 260/13/252. Proklamation von Seton, 20.3.1795, in: TNA, ADM 1/317. Seton an Portland, 30.3.1795, in: TNA, CO 260/13/29. Young an Portland, 9.5.1795, in: TNA, CO 260/13/179; Keane an Dundas, 23.7.1794, in: TNA, PRO/30/8/149/3; Cuyler an Pitt, 7.11.1795, in: TNA, PRO/30/8/127/280; The Memorial of the Planters, and Merchants, concerned in the Island of St. Vincent, 9.5.1795, in: TNA, WO 1/84/327; Otley an Portland, 24.9.[1795], in: TNA, CO 260/13/200. [Dundas] an Vaughan, 4.6.1795, in: TNA, WO 1/83/167. Seton an Portland, 11.4.1795, in: TNA, CO 260/13/40; Seton an Portland, 29.4.1795, in: TNA, CO 260/13/53; Seton an Portland, 7.8.1795, in: TNA, CO 260/13/82.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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als es Einheiten der schwarzen Ranger-Truppen Ende April 1795 mittels eines amphibischen Angriffs gelang, die nur schwer zugängliche Hauptsiedlung der Kariben im Norden der Insel niederzubrennen und alle dortigen Vorräte zu zerstören, führte dies nicht zur Wende160 . Die Unwegsamkeit und Unübersichtlichkeit des Geländes erschwerten es den britischen Truppen, einmal eroberte Gebiete zu halten. Die britischen Militärs glaubten deshalb, sämtliche Siedlungen, Vorratslager und Kanus der Kariben, deren sie habhaft werden konnten, systematisch niederbrennen zu müssen161 . Faktisch kontrollierten die Briten in den kommenden Monaten nicht viel mehr als Kingstown, seine nähere Umgebung und einige wenige Brückenköpfe entlang der Küste. Diese befestigten Stellungen waren vollgepfercht mit hungrigen Zivilisten, die gemäß einem britischen Offizier völlig traumatisiert waren und keine Möglichkeit hatten, die Insel zu verlassen162 . Kurz: Die Situation der britischen Streitkräfte auf Saint Vincent blieb kritisch, wie General John Vaughan im April 1795 Dundas schrieb: »Saint Vincent has only saved the small part of the Island which remains undevastated by the arming of Negroes«163 . Tatsächlich blieb ein Großteil der Sklaven auf Seiten der Briten, wie auch ein französischer émigré dem Deputierten Louis de Curt in London bestätigte: »Heureusement les nègres sont restés fidèles, on les a armés«164 . Der Hauptgrund für die Loyalität der Sklaven gegenüber den britischen Kolonialherren lag in der Feindschaft gegenüber den Kariben. Die Berichte, wonach die Kariben auf ihrem Vormarsch in Richtung Kingstown unterschiedslos alle Sklaven ermordet hätten, waren zweifellos auch den restlichen Sklaven der Kolonie nicht entgangen165 . Vaughan glaubte gar, weiße Truppen aus Saint Vincent abziehen zu können, denn »the Negroes of St. Vincent bear a mortal antipathy to the Charaib race and have not only hitherto shown little inclination to revolt but have acted with spirit and zeal against the enemy«166 . Ideologische Gründe scheinen einmal mehr eine vernachlässigbare Rolle bei der Entscheidung der Sklaven gespielt zu haben, welcher Seite sie sich anschlossen – von den sklavenbesitzenden Kariben durften sie sich ohnehin kaum eine Verbesserung ihrer Situation erwarten. Es sind deshalb 160 161

162 163 164 165

166

Seton an Portland, 11.4.1795, in: TNA, CO 260/13/40; Seton an Portland, 29.4.1795, in: TNA, CO 260/13/53; Seton an Vaughan, 29.4.1795, in: TNA, WO 1/83/221. Seton an Vaughan, 16.4.1795, in: TNA, WO 1/83/195; Seton an Portland, 10.7.1795, in: TNA, CO 260/13/80; Seton an Portland, 29.4.1795, in: TNA, CO 260/13/53; Seton an Portland, 22.4.1795, in: TNA, CO 260/13/44. Myers an Irving (Kopie), 18.9.1795, in: TNA, WO 1/85/471; Irving an Myers (Kopie), 22.9.1795, in: TNA, WO 1/85/467. Vaughan an Dundas, 16.4.1795, in: TNA, WO 1/83/170. [?] an Curt, 14.3.1795, in: ADGB, 61J/35. Vaughan an Dundas, 18.3.1815, in: TNA, WO 1/83/146; Enclosure to Sir John Vaughan’s Letter, 18.3.[1795], in: TNA, WO 1/83/148; The humble Petition and Address of the Freeholders, Merchants and Principal Inhabitants of the Island of St. Vincent, [?].3.1795, in: TNA, CO 260/13/23; Shephard, An Historical Account, S. 113f. Vaughan an Dundas, 6.6.1795, in: TNA, WO 1/83/247.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

nur sehr wenige Fälle bekannt, in denen sich Sklaven den Kariben und ihren französischen Verbündeten anschlossen167 . Es ist denn auch bezeichnend, dass in den überlieferten Briefen Hugues’ an die Kariben sowie an die französischen Offiziere auf Saint Vincent kein Wort zur Sklaverei beziehungsweise zum Schicksal der Sklaven Saint Vincents verloren wird. Im Nachgang zur Niederlage bei Kingstown und dem Tod Chatoyers war der Kommissar aus Guadeloupe in erster Linie bemüht, die Reihen der Kariben und ihrer Verbündeten zu schließen und den demoralisierten Rebellen neuen Mut zu verleihen. In einer Proklamation »Aux citoyens de St-Vincent« wandte er sich in gewohnt pathetischem Ton an die frankophonen Siedler der Kolonie und ignorierte dabei geflissentlich, dass die Niederlage bei Kingstown im Wesentlichen dem Rückzugsbefehl seiner Korsarenkapitäne aus Guadeloupe geschuldet war: Vous avez été défaits par inconduite: quand on a peur on n’est pas digne d’être Français. Vengez-vous, vengez la République: une défaite est une leçon pour des Républicains. Modeste vous aura remis des armes; servez-vous en pour exterminer les Anglais: point de grâce pour ces ennemis [. . . ]: Vous êtes invincibles si vous êtes Républicains168 .

Zudem ermahnte er die frankophonen Kolonisten Saint Vincents, mit ihren »frères les Caraïbes« freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten169 . Freilich waren auch die frankophonen Kolonisten nach der Niederlage in der Schlacht um Kingstown existentiell bedroht: Wer den britischen Behörden in die Hände fiel, wurde als Kriegsgefangener in alten Schiffsrümpfen eingepfercht und später nach Nordamerika oder England deportiert – unabhängig davon, ob man sich der Rebellion angeschlossen hatte oder nicht170 . In Anbetracht dieser Gefahr scheint vielen frankophonen Kolonisten gar nichts anderes übrig geblieben zu sein, als weiterhin auf Gedeih und Verderb auf Seiten der Rebellen zu kämpfen. Derweil sorgte sich Hugues aber auch um den Kampfeswillen der Kariben, weshalb er an Duvallé, den Bruder des verstorbenen Chatoyer, die Aufforderung richtete, die Ermordung seines Bruders durch die Vernichtung der Briten zu rächen: »Déterrez StVincent de cette horde de scélérats et faites que le nom en soit effacé dans les Antilles«171 . Im April 1795 entsandte er Oberst Soulhat sowie rund 50 Soldaten nach Saint Vincent, um den Kriegsanstrengungen der Kariben neuen Schwung zu verleihen. Hugues hatte allerdings Bedenken, ob seine Verbündeten auf Saint Vincent seine Hilfe annehmen würden, vermutete 167

Skynner an Caldwell (Kopie), 16.3.1795, in: TNA, ADM 1/317; Myers an Irving (Kopie), 14.9.1795, in: TNA, WO 1/85/422. 168 Hugues/Lebas, Aux citoyens de St-Vincent, 18.3.1795, in: ANOM, C10D 2, fol. 44. 169 Ibid. 170 Seton an Portland, 14.5.1795, in: TNA, CO 260/13/64; Portland an Seton [?].7.1795, in: TNA, CO 260/13/61; Matière de Représentation de Jean Comby habitant de l’Île de StVincent, o. D. [1795], in: TNA, CO 260/13/208; Duffy, Soldiers, S. 146. 171 Hugues/Lebas an Duvallé (Kopie), 18.3.1795, in: ANOM, C10D 2, fol. 44.

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er doch »quelques querelles« zwischen den Kariben und der frankophonen Bevölkerung in der Kolonie. Er rief sie deshalb dazu auf, die Streitereien zu beenden, mit den französischen Offizieren zusammenzuarbeiten und sich daran zu erinnern, dass »l’île de St-Vincent appartenait à vos pères et que vous devez la partager avec les Français en chassant ou exterminant les Anglais«172 . Der Grund für den Zwist war das offensichtliche Misstrauen der Kariben gegenüber Hugues und seinen Offizieren vor Ort, deren materielle Hilfe in erster Linie für die frankophonen Siedler bestimmt war. Hinzu kam ihre allzu verständliche Befürchtung, dass mit der Vertreibung der Briten die einen Kolonialherren durch die nächsten abgelöst würden. Hugues suchte erfolglos dieses Misstrauen zu zerstreuen173 . Die französische Führung misstraute ihrerseits den Beteuerungen der Kariben, den Kampf fortführen und die Briten besiegen zu wollen, nachdem ein weiterer Angriff auf Kingstown im Mai 1795 gescheitert war. Hugues richtete deshalb deutliche Worte an den »commandant des Caraïbes«: Votre conduite insouciante et votre amour pour l’argent vous a [sic] mis dans tous les cas de perdre votre liberté, celle de vos femmes, de vos enfants, toutes vos terres, vos richesses. Et peut-être allez-vous devenir les esclaves des Anglais, vos plus cruels ennemis. Ils vous parlent de vous rendre pour vous enchaîner et vous disséminer pour ne plus entendre parler des Caraïbes. Nous voulons oublier vos torts envers les Français et nous vous promettons du Directoire exécutif votre indépendance à la paix et de vous fournir les vivres, munitions et armes dont vous avez besoin pour faire la guerre174 .

Für den Fall, dass sich die Kariben dennoch den Briten ergeben sollten, schob Hugues die folgende Warnung hinterher: »Nous attendons au premier jour une forte escouade. Si vous capitulez avec les Anglais, nous vous traiterons en ennemis«175 . Immer mehr kristallisierte sich heraus, dass die segmentären Gesellschaftsstrukturen der Kariben einen mit den französischen Streitkräften koordinierten Angriff auf Kingstown erschwerten. Hugues und die französischen Offiziere vor Ort verfügten schlicht über keinen politischen und militärischen Ansprechpartner, der Autorität über alle Kariben innehatte. Lebas schrieb deshalb mit einer Prise Verbitterung an Goyrand, dass in Saint Vincent ein »homme de tête« fehle, der die militärischen Aktionen koordiniere176 . Doch das Scheitern der Rebellion alleine den gesellschaftlichen Strukturen der Kariben anzulasten, greift zu kurz. Eine wichtige Rolle spielte auch die

172 173 174 175 176

Beide Zitate aus Hugues an Duvallé/Durant/Samboula/Raboucca (Kopie), 22.4.1795, in: ANOM, C10D 2, fol. 44. Lebas/Hugues an Soulhat (Kopie), in: TNA, WO 1/82/415; Hugues/Lebas an Audibert (Kopie), in: 22.4.1795, in: ANOM, C10D 2, fol. 44. Hugues/Lebas, Au commandant des Caraïbes, 11.6.1795, in: ANOM, C10D 2, fol. 44. Ibid. Lebas an Goyrand, 9.9.1795, in: ANOM, C10C 7.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

schlechte Führung der französischen Offiziere vor Ort, die es nicht schafften, die bunt zusammengewürfelte Truppe aus Siedlern, Soldaten und Matrosen unter Kontrolle zu halten177 . Unter diesen Umständen war es den britischen Militärs Mitte Juni ein Leichtes, die französischen Posten in der Hügelkette nördlich Kingstowns zu stürmen und dabei einen Großteil der Truppen aus Guadeloupe zu töten oder gefangen zu nehmen178 . Freilich gelang es auch den Rotjacken in der Folge nicht, eine Entscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen. Nach dem Fall Saint Lucias vermochte Goyrand im letzten Moment 500 Mann unter dem Kommando Mariniers nach Saint Vincent zu verlegen, welche die kritische Situation der Rebellen noch vor Ausbruch der Regenperiode stabilisieren konnten179 . Damit war auf Saint Vincent im Sommer 1795 ein Patt eingetreten. Beiden Seiten fehlten die Mittel beziehungsweise die Voraussetzungen, um ihren Gegner entscheidend zu schlagen. Hugues’ vollmundige Versprechungen an Duvallé, wonach sie sich bald als »vainqueurs et exterminateurs des anglais« in Martinique umarmen würden, drohten sich allerdings nicht nur wegen des Scheiterns der Kariben auf Saint Vincent in Luft aufzulösen, sondern auch, weil es den republikanischen Kräften ungemein schwer fiel, in der Hochburg der Royalisten Fuß zu fassen180 .

Martinique und die Grenzen der republikanischen Expansion Wollten die republikanischen Kräfte den gesamten Archipel kontrollieren, musste der Rückereroberung Martiniques aufgrund seiner strategischen Bedeutung die höchste Priorität eingeräumt werden. Im Gegensatz zu Saint Vincent und Grenada fiel es Hugues in Martinique schwer, bestehende gesellschaftliche Antagonismen für seine Zwecke zu instrumentalisieren, nachdem die Briten in Verbund mit ihren royalistischen Zuarbeitern einen Großteil der republikanischen Rädelsführer aus Saint-Pierre deportiert hatten. Hugues blieben nur zwei Anknüpfungspunkte: Erstens die Hoffnung, durch eine Invasion einen Sklavenaufstand zu provozieren, und zweitens die weit verbreitete Unzufriedenheit kleinerer und mittlerer Plantagenbesitzer mit der korrupten Kolonialverwaltung, deren Agenten unter dem Vorwand, versteckte Sympathisanten für die republikanische Sache zu verfolgen, alles daran setzten, sich zu bereichern181 . 177 178 179 180 181

Lebas an Goyrand, 4.9.1795, in: ANOM, C10C 7. Seton an Portland, 23.6.1795, in: TNA, CO 260/13/70; Seton an Vaughan, 15.6.1795, in: TNA, WO 1/31/219. Seton an Vaughan, 7.8.1795, in: TNA, WO 1/83/195; Duffy, Soldiers, S. 145f. Hugues/Lebas an Duvallé (Kopie), 18.3.1795, in: ANOM, C10D 2, fol. 44. Kleczewski, Martinique, S. 207–209.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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Vaughan verfolgte das Treiben der Zivilverwaltung Martiniques mit größtem Misstrauen und befürchtete, dass der »inquisitorial rigour« der mit Royalisten aus dem Dunstkreise Dubucs durchsetzten Kolonialverwaltung der britischen Herrschaft in Martinique schädlich war und ein Einfallstor für Hugues’ Republikaner werden könnte182 . Selbst innerhalb der Führungsriege der Royalisten Martiniques machten sich Sorgen breit, dass die Willkür der Kolonialverwaltung nicht im Sinne des »bon roi George« sein könne – freilich waren sich die Royalisten keiner Schuld bewusst und machten die Gier der britischen Beamten für die Missstände verantwortlich183 . Hinzu kam der akute Mangel an Soldaten auf britischer Seite. Gemäß den Berichten von ausgetauschten französischen Kriegsgefangenen hatten die Rotjacken nicht einmal genügend Wachpersonal, um die in Schiffsrümpfen eingepferchten Inhaftierten zu bewachen184 . Hugues setzte deshalb alles daran, das politische Terrain so gut als möglich für einen handstreichartigen Überfall auf Martinique vorzubereiten. Eine langanhaltende Belagerung der ausgedehnten Befestigungsanlagen rund um Fort-Royal konnten sich die republikanischen Kräfte aufgrund der britischen Überlegenheit zur See kaum leisten. Hugues war voller Zuversicht, was das Gelingen eines Überraschungsangriffs betraf, weshalb er einem britischen Parlamentär Ende Februar 1795 selbstbewusst mitteilte: »Tell your general, I’ll visit him soon – with a bottle in one hand and a pistol in the other!«185 Ende April glaubte Hugues, dass die Zeit reif war, um die angespannte Situation in Martinique zu seinen Gunsten auszunutzen, hatte er doch in der ganzen Kolonie Kontakte zu weißen und farbigen Pflanzern, Kaufleuten, Aufsehern und vielen anderen hergestellt, die ihm ihre Unterstützung zugesagt hatten. Er ernannte daher den Offizier François Tarbouriech zu seinem Delegierten und gab ihm den Auftrag, im Norden der Insel eine Stellung zu errichten und die Kolonisten zur Rebellion aufzurufen. Wer sich beim Auftauchen der republikanischen Truppen nicht umgehend ihnen anschloss, dem drohte Hugues mit einem Prozess wegen Hochverrats. An die schwarzen Soldaten im Dienste des englischen Königs richtete Hugues zudem das Angebot, sich den französischen Truppen mitsamt »armes et bagages« anzuschließen, und stellte ihnen in Aussicht, dass sie ihren Rang behalten dürften und jeder eine Gratifikation von 30 Livre erhalten würde. Hugues’ Plan sah vor, dass Tarbouriech eine Streitmacht von 400 Sklaven und Freiwilligen versammeln und Saint-Pierre in einem Handstreich besetzen sollte. Dabei zählte Hugues auf die Unterstützung der Matrosen der vor Anker liegenden Handelsschiffe, die seit Ausbruch der Revolution auf der Seite der patriotes gestanden hatten. Nach geglückter

182 183 184 185

Vaughan an Dundas, 1.12.1794, in: TNA, WO 1/83/30. Faudoan an Curt, 21.4.1795, in: ADGB, 61J/35. [?] an Hugues/Lebas/Goyrand (Kopie), 25.2.1795, in: NMM, CAL/128/5. Ibid.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Einnahme Saint-Pierres würden mehrere hundert Soldaten aus Guadeloupe nach Martinique verlegt, um die verbliebenen Rotjacken zu vertreiben186 . Doch so weit sollte es nicht kommen. Als Tarbouriech in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1795 ein Vorauskommando im Norden Martiniques an Land schickte, um die Situation auszukundschaften, entdeckten britische Wachen den kleinen Trupp. Nachdem Leuchtraketen den Nachthimmel erhellt und Hornsignale und Schüsse die nächtliche Stille gestört hatten, bekam Tarbouriech kalte Füße. Eiligst gab er den Befehl, die Segel zu setzen und nach Guadeloupe zurückzukehren. Allerdings gelang es einem Schiff der Royal Navy nach einer vierstündigen Jagd, bei Les Saintes den Schoner Tarbouriechs aufzubringen, den Delegierten Hugues’ gefangen zu nehmen und ihn sowie seine Besatzung zu verhören. Den Briten fiel dabei eine lange Liste von Kolonisten in die Hände, die Hugues ihre Unterstützung im Falle einer französischen Invasion zugesagt hatten, weshalb es für die britischen Behörden ein Leichtes war, potentielle Kollaborateure unschädlich zu machen187 . Vaughan war trotz der Gefangennahme Tarbouriechs äußerst besorgt über die politische und militärische Situation, in der sich Martinique befand, zumal bei der britischen Admiralität Hinweise eingegangen waren, dass der »Robespierre der Antillen« im Geheimen mit Dubuc, dem Intendanten Martiniques und Drahtzieher des Vertrags von Whitehall korrespondierte188 . Langsam begann es der britischen Generalität zu dämmern, dass sie mit einer Fraktion paktierte, deren Loyalität zur britischen Krone enge Grenzen kannte und nur den Umständen geschuldet war. Wie bereits im ersten Teil der vorliegenden Studie deutlich geworden ist, legten die grands Blancs unter der Führung Dubucs immer dann eine kompromissbereite Haltung an den Tag, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals stand und sie drohten, die Kontrolle über die Ereignisse zu verlieren. An einem solchen Punkt glaubten sich offenbar zahlreiche Plantagenbesitzer Martiniques zu befinden. Die Rückeroberung Saint Lucias durch Goyrands Truppen, die Erfolge der Kariben auf Saint Vincent und jene Fédons auf Grenada ließen eine Situation entstehen, in der sich die kolonialen Eliten in Anbetracht der militärischen Schwäche der Rotjacken fragen mussten, ob es nicht besser sei, mit Hugues einen Pakt einzugehen, um die eigene Haut zu retten. Dabei war die Frage entscheidend, ob ihnen die republikanischen Entscheidungsträger eine Amnestie für den Vertrag von Whitehall gewähren würden, den Hugues zum Anlass für seine Terrorwelle auf Guadeloupe im vergangenen Jahr genommen hatte. Goyrands Milde gegenüber Pflanzern Saint Lucias Ende Juni 1795 ließ deshalb die Plan186

187 188

Examination of prisoners taken on board the republican schooner Cornelia, 29.4.1795, in: TNA, WO 1/31/169; Proklamation von Lebas/Hugues (Kopie), 22.4.1795, in: TNA, WO 1/31/14. Caldwell an Nepean, 14.5.1795, in: TNA, ADM 1/317; Examination of prisoners taken on board the republican schooner Cornelia, 29.4.1795, in: TNA, WO 1/31/169. Vaughan an Dundas (geheim), 12.5.1795, in: TNA, WO 1/83/238.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

233

tagenbesitzer Martiniques aufhorchen, wie der neue Oberkommandierende der britischen Landstreitkräfte in den Kleinen Antillen, Paulus A. Irving, besorgt schrieb, nachdem er den Posten des im Juni am Gelbfieber verstorbenen Vaughan angetreten hatte. Insbesondere unter den zahlreichen émigrés aus Guadeloupe, die seit Monaten mitsamt ihren Familien und Sklaven in Martinique ohne Auskommen weilten, von ihren Schulden erdrückt wurden und immer mehr Sklaven der britischen Armee abtreten mussten, sorgte die Aussicht, womöglich auf ihre Güter nach Guadeloupe zurückkehren zu können, für Diskussionsstoff189 . Der Gouverneur Martiniques, Robert Milnes, glaubte, mit dem Öffnen aller Häfen für die fremde Handelsschifffahrt die Bedenken der grands Blancs zu zerstreuen und sie wieder für die britische Sache gewinnen zu können190 . Ohnehin sah sich der Gouverneur Martiniques in Anbetracht der Verdächtigungen Vaughans und seines Nachfolgers Irving als Verantwortlicher für die Korruption der Beamten in seinem Stab und wegen seiner Nähe zu den royalistischen Wortführern rund um Dubuc schon länger unter Druck. Vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Zivilregierung und Militärs entschied sich Milnes, in die Gegenoffensive zu gehen, indem er die Bedenken der Militärs hinsichtlich der Loyalität der grands Blancs wegzuwischen versuchte: »The zeal for His Majesty’s service which the proprietors of estates universally expressed confirms the opinion I had formed of their loyalty and attachment to the British government«. Dubuc, Soter, Marraud des Grottes und James Eyma, also einige der Drahtzieher der royalistischen Fraktion und gemäß Milnes alles »gentlemen of the first ability, character, and property«, ernannte er zu Mitgliedern des Privy Council, der dem Gouverneur in allen Fragen beratend zur Seite stand. Immerhin beugte sich Milnes der Anordnung aus London, Dubuc als Intendanten der Kolonie abzusetzen191 . Es bleibt aufgrund fehlender Quellen unklar, wie weit die Anbandelungsversuche der republikanischen Entscheidungsträger mit Dubuc und anderen führenden grands Blancs bis dahin gediehen waren. Gegenüber John Hay, der auf Grenada die Erschießung von Fédons Geiseln überlebt hatte und später als Kriegsgefangener nach Guadeloupe gebracht worden war, äußerte sich Hugues jedenfalls mit bemerkenswerter Offenheit über seine Pläne: Nor did he [Hugues, F. E.] conceal his intentions of making a descent on Martinique, where he was using every effort in his power to increase the number of the malcontents, already very considerable, who waited only a favourable moment to join his standard as soon as a landing could be affected. Above a hundred principal planters, he said, had offered their services, on condition of pardon for having taken up arms for the English. He even did not hesitate to mention several of their names192 .

189 190 191 192

Irving an Dundas, 23.7.1795, in: TNA, WO 1/84/189. Milnes an Portland, 20.7.1795, in: TNA, WO 1/31/261. Milnes an Portland, 7.8.1795, in: TNA, WO 1/31/273. Hay, Narrative, S. 113.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Ende Juli 1795 glaubte sich die republikanische Seite schließlich stark genug, um mit Dubuc und seinen Getreuen persönlich zu verhandeln. Goyrand entsandte zu diesem Zweck eine kleine Delegation von Plantagenbesitzern nach Martinique, die der Führungsclique der grands Blancs ein Amnestieangebot unterbreitete und ihnen die baldige Entsendung von 1500 Mann ankündigte, um Martinique zu erobern193 . An Dubuc richtete Goyrand das folgende Schreiben, in dem der Kommissar seine Schadenfreude kaum kaschierte: Je suis informé que vous brûlez d’impatience de voir les républicains à la Martinique et vous avez abjuré pour toujours tous les préjugés qui vous ont précipité dans un abyme de malheurs. Eh bien: je vous déclare solennellement que vous n’aurez rien à craindre si vous me persuadez par votre réponse de votre disposition à suivre le plan qui vous sera prescrit pour ensevelir dans l’aube votre égarement & pour opérer sans effusion de sang le bonheur général dans la colonie. Je m’arrête: vous m’entendez: mon cœur m’inspire cet avertissement; ne le méprisez pas194 .

Doch bevor Dubuc und seine Getreuen die Briefe Goyrands überhaupt zu Gesicht bekamen, wurden die Emissäre aus Saint Lucia verhaftet und als Spione hingerichtet, nachdem sie von ihrem Gastgeber verraten worden waren195 . Wir werden vermutlich nie erfahren, inwiefern die royalistische Fraktion bereit gewesen wäre, auf das Angebot Goyrands einzugehen. Die britischen Militärs hielten es auf jeden Fall für nötig, eine Proklamation an die »wavering and the weak« Martiniques zu richten, in der die Bewohner der Kolonie daran erinnert wurden, dass das einzige Ziel der Republikaner sei, die Sklaverei abzuschaffen uns die Insel mit Terror zu überziehen196 . Vermutlich hatten die republikanischen Kräfte ohnehin den idealen Zeitpunkt verpasst, um mit den grands Blancs Martiniques ins Geschäft zu kommen. Zum einen wurde es im Laufe des Sommers 1795 absehbar, dass es Hugues’ Truppen nicht gelingen würde, die Rotjacken vollständig aus Grenada und Saint Vincent zu vertreiben. Damit war offensichtlich, dass die republikanischen Kriegsanstrengungen in den Kleinen Antillen trotz des Abolitionsdekrets kein Selbstläufer waren. Zum anderen hatte die Regierung in London den britischen Militärs in der Karibik die Erlaubnis erteilt, Sklaven zu bewaffnen und sie in regulären Einheiten der britischen Armee zu organisieren, um die Inseln unter ihrer Kontrolle gegen die republikanische Gefahr zu schützen197 . Zwar bestätigte die britische Regierung damit nur das Fait accompli ihrer Offiziere vor Ort. Doch mit der Erlaubnis, im großen 193

194 195

196 197

Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68; Laforey an Nepean, 17.8.1795, in: TNA, ADM 1/317; Irving an Dundas, [?].8.1795, in: TNA, WO 1/84/189; Milnes an Portland (Précis), 20.8.1795, in: TNA, CO/166/3/22. Goyrand an Dubuc, 2.8.1795, in: TNA, WO 1/31/273. Ibid.; Lebas/Goyrand an Fourns (Kopie), 27.7.1795, in: TNA, WO 1/84/195; Lebas/ Goyrand an Chazel (Kopie), 3.7.1795, in: TNA, WO 1/84/193; Kleczewski, Martinique, S. 193–195. Proklamation von Irving, 17.8.1795, in: TNA, WO 1/84/225. Buckley, Slaves, S. 20–31.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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Stil auf diese Maßnahme zurückzugreifen, gab sie den französischen Kolonisten in Martinique zu verstehen, dass sie bereit war, für die Verteidigung ihrer Kolonien bis zum Äußersten zu gehen. Dundas hatte augenscheinlich begriffen, dass nur ein vollständiger Sieg über die republikanischen Kräfte in der Karibik akzeptabel war, nachdem das französische Abolitionsdekret den Einsatz für beide Seiten massiv erhöht hatte. Deshalb bereitete die britische Regierung seit dem Frühjahr eine zweite Expedition in die Karibik vor, die zum Ziel hatte, die französischen Kräfte endgültig aus der Region zu vertreiben198 . Die Nachrichten über die entsprechenden Vorbereitungen in den Häfen Englands und die massenhafte Rekrutierung deutscher Söldner erreichten im Herbst 1795 die Karibik und gaben den Pflanzern neue Hoffnung, dass sie womöglich trotz allem auf das richtige Pferd gesetzt hatten. Für die republikanischen Entscheidungsträger kam der Besetzung Martiniques hingegen umso größeres Gewicht zu, denn der Hafen der Kolonie würde für die britischen Streitkräfte eine hervorragende logistische Ausgangsbasis sein, um die Rückereroberung des Archipels in Angriff zu nehmen. Doch welche Optionen standen Hugues und Goyrand noch offen, nachdem sich ihre Hoffnungen auf eine Verständigung mit den grands Blancs zerschlagen hatten? Ihnen blieb nur die Möglichkeit, durch eine Landung von Truppen einen Sklavenaufstand zu provozieren. Spionageberichte über angebliche Unruhen unter den Sklaven in den Gemeinden Saint-François und Le Vauclin nährten insbesondere bei Goyrand die Zuversicht, dass ein Landungsversuch Erfolg zeitigen könnte199 . Hugues und Lebas teilten Goyrands Optimismus allerdings kaum: Nous ne pouvons la [l’attaque de la Martinique, F. E.] faire réussir qu’à l’aide d’un fort noyau, & nous désirons qu’il puisse se former avec la facilité que tu parais en concevoir; mais ne perds pas de vue que les forts exigent des forces considérables pour être pris, que les Anglais en attendent de nouvelles & que nous ne devons pas en espérer de France200 .

Als Goyrand Anfang Dezember 1795 Meldung erhielt, dass Irving 600 frisch eingetroffene Soldaten von Martinique nach Saint Vincent verlegt hatte, glaubte der Kommissar, eine ideale Gelegenheit für einen Handstreich erkennen zu können. Doch viel mehr als ein Versuchsballon war die Landung der rund 60 Republikaner am 7. Dezember 1795 bei Vauclin nicht. Entgegen der Hoffnung Goyrands, dass sich die Sklaven und Unzufriedenen Martiniques ihnen anschließen würden, blieb die kleine Streitmacht weitgehend auf sich alleine gestellt. Innerhalb weniger Tage gelang es schwarzen Truppen unter dem Kommando französischer émigrés, den republikanischen Invasionstrupp in die Enge zu treiben und nach einer wilden Jagd durch das Landesinnere 198 199 200

Duffy, Soldiers, S. 159–163. Goyrand an de Beaupréau, 8.10.1795, in: ANOM, C10C 7, fol. 803; Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68. Lebas an Goyrand (Kopie), 11.9.1795, in: ANOM, C10C 7.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

aufzureiben201 : »The whole of the party, with the disaffected that had joined them, had fallen a sacrifice to their rashness and folly, and every individual had been cut off«202 . Milnes frohlockte über den militärischen Sieg, der die Loyalität der Pflanzer und bewaffneten Sklaven unter Beweis stelle und damit die Militärs rund um Irving Lügen strafe: I am happy in being able to say that the French militia & black corps & indeed everyone concerned in repelling this attack have behaved so as to give me the highest opinion of them, and it gives me infinite satisfaction to add that the enemy were [sic] not joined by one white inhabitant. On the contrary, everyone has manifested the same spirit and attachment to His Majesty’s Government203 .

Insgesamt hatten sich nur 14 »disaffected« den republikanischen Invasoren angeschlossen, der erhoffte massenhafte Zulauf der Sklaven Martiniques blieb aus204 . Auch wenn wir die situativen Gründe hierfür nicht kennen, spricht dieses Verhalten kaum für ihre angebliche Ideologisierung, welche die neuere Forschung den Sklaven der Karibik unterstellt. Ohnehin waren sie damit in bester Gesellschaft eines Großteils der Sklaven des Archipels, den Hugues und seine Gefährten mit Krieg überzogen: In Anbetracht des brutalen Vorgehens auf beiden Seiten und der unklaren Frontverläufe musste das Ziel der meisten Sklaven im Archipel notgedrungen das nackte Überleben sein.

Ziele und Hintergründe der republikanischen Offensive, 1795–1796 Es dürfte deutlich geworden sein, dass es sich entgegen der landläufigen Meinung der Forschung bei den kriegerischen Konflikten in den Kleinen Antillen nicht primär um Auseinandersetzungen um die Sklaverei gehandelt hat. Eine solche Interpretation wird den vielschichtigen und je nach Insel variierenden Konfliktgemengen nicht gerecht. Auf Grenada machte sich Hugues die Unzufriedenheit frankophoner Kolonisten über ihre politische wie ökonomische Diskriminierung durch die britischen Zuckerbarone zu Nutze. Die Expansion der Zuckerplantagen in das Territorium der Kariben war der Anlass für den Konflikt auf Saint Vincent. Es handelte sich also um Auseinandersetzungen, die sich in den Jahrzehnten vor Ausbruch der Französischen Revolution stetig verschärft hatten – die Erklärung der Menschenrechte und das Abolitionsdekret bildeten bestenfalls die Hintergrundmusik in diesen Konflikten. Auf Saint Vincent standen die Sklaven wegen ihrer Furcht vor den Kariben mehrheit201 202 203 204

Poyen, Les guerres, S. 101–103; Leigh an Dundas, 10.12.1795, in: TNA, WO 1/85/131; Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68. Leigh an Dundas, 3.1.1796, in: TNA, WO 1/85/193. Milnes an Portland, 11.12.1795, in: TNA, WO 1/32/17. Leigh an Dundas, 3.1.1796, in: TNA, WO 1/85/193.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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lich auf Seiten der Briten. Auf Grenada war die Lage komplizierter: Für viele dortige Aufständische war die Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe ein wesentlicher Grund zur Rebellion, der sich aber mit wirtschaftlichen, politischen und konfessionellen Faktoren sowie den anhaltenden Klassenkonflikten vermischte. Die analytische Kategorie race kann deshalb nicht alleine zur Ursachenforschung herangezogen werden, zumal sich auch zahlreiche weiße Kleingrundbesitzer dem Aufstand Fédons angeschlossen hatten. Auch in Bezug auf die Sklaven Grenadas lassen sich kaum generalisierende Aussagen formulieren: Ein Großteil der Sklaven wich ins gebirgige Landesinnere aus, um sich dem Zugriff der beiden Konfliktparteien zu entziehen. Andere blieben ihren Besitzern treu und flüchteten mit ihnen in die befestigte Stadt Saint George’s, wo zahlreiche männliche Sklaven in die britische Armee rekrutiert wurden. Eindeutige Trennlinien gab es in diesem Konflikt nicht, viele Kombattanten wechselten immer wieder die Seiten. Selbst das Lager Fédons war durch Interessensdivergenzen zwischen seiner militärischen Führung und der kämpfenden Truppe geteilt: Während Fédon versuchte, der Zerstörung der Plantagenökonomie Einhalt zu gebieten, taten die auf seiner Seite kämpfenden Sklaven das genaue Gegenteil, indem sie einen Großteil der Plantagen plünderten und niederbrannten. Die angedachte Etablierung eines Mindestmaßes an Staatlichkeit durch die Abgesandten aus Guadeloupe sollte diesen Konflikt lösen, indem die politischen wie sozioökonomischen Voraussetzungen geschaffen würden, um die Sklaven der Kolonie für sich zu gewinnen und damit die Rotjacken endgültig aus der Kolonie zu vertreiben. In diesem Kontext ist auf Grenada das Abolitionsdekret zu verorten. Bei der Rückereroberung Saint Lucias war die Verkündung des Abolitionsdekrets durch Hugues’ Abgesandte allerdings wegweisend. Hier hatten die britischen Deportationen nach der Okkupation der Insel 1794 den gesellschaftlichen Konflikten zwischen Royalisten und Republikanern weitgehend den Boden entzogen. Nur mit der Verkündung des Abolitionsdekrets konnten die republikanischen Kräfte die notwendige numerische Überlegenheit erlangen. Doch auch hier bildete die kleine Gruppe von Verzweifelten, deren Widerstand gegen das britische Kolonialregime noch aus der Konfrontation zwischen Rochambeau und Bellegarde herrührte, den politischen Katalysator, welcher der französischen Rückeroberung Saint Lucias den Weg ebnete. Es reichte nicht, mit einer Handvoll Soldaten zu landen, die Abolition zu verkünden und zu warten, bis sich die Sklaven den Invasoren anschlossen; es mussten erst geeignete politische Voraussetzungen und Anknüpfungspunkte geschaffen werden, die es den numerisch meist unterlegenen Invasoren überhaupt ermöglichten, in einer Kolonie politisch wie militärisch Fuß zu fassen. Dies illustriert auch die fehlgeschlagene Landung der Republikaner auf Martinique im Dezember 1795. Das Abolitionsdekret wurde deshalb nicht zu einem Selbstläufer für die französischen Militärs. Das war schon allein wegen der komplexen Hierarchien innerhalb der Sklavenbevölkerung nicht möglich, die koordinierten

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Widerstand massiv erschwerten. Ohnehin muss die Frage gestellt werden, inwiefern die Abolition, die Hugues und seine Getreuen den Sklaven anboten, für letztere überhaupt attraktiv war? Das Zwangsarbeitsregime auf Guadeloupe unterschied sich für das Gros der befreiten Sklaven kaum von der Sklaverei. Dies mussten auch die neuen citoyens Saint Lucias erfahren, weshalb die meisten, sofern sich ihnen die Gelegenheit bot, es vorzogen, sich dem Zugriff der Kolonialbehörden zu entziehen. Die Sklaven Grenadas brannten die Plantagen nieder, statt sie zu bewirtschaften. Auch wenn es dazu keine Quellen gibt, ist es höchst unwahrscheinlich, dass es Hugues gelungen ist, das Schicksal der ehemaligen Sklaven Guadeloupes im Archipel zu verheimlichen. Inwiefern das Wissen um die Zustände auf Guadeloupe die Entscheidungsfindung der Sklaven der Kleinen Antillen beeinflusst hat, lässt sich im Nachhinein allerdings nicht mehr rekonstruieren. Welche Rolle situative Ursachen gespielt haben, ist aufgrund kaum vorhandener Quellen ebenfalls schwer zu ermitteln. Die vorliegenden Indizien legen nahe, dass Zwang und lokale numerische Überlegenheit der Republikaner zweifellos die bestimmenden Faktoren waren, die Sklaven dazu bewegt haben, sich ihnen anzuschließen. Die Eroberung Guadeloupes durch die Truppen Hugues’ im zweiten Halbjahr 1794 kann bis zu einem gewissen Grad als Vorbild für die weiteren Expansionsversuche der Republikaner im Archipel gesehen werden. Nun sollte allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass die republikanische Offensive 1795–1796 abgesehen von der Rückeroberung Saint Lucias keine Erfolge zeitigte. Zu oft wird nämlich übersehen, wie einfach es Hugues gelang, die niederländischen Kolonien Sint-Maarten, Sint Eustatius und Saba auf seine Seite zu ziehen. Dem Aufruf des zu Beginn des Jahres 1795 nach Kew bei London geflohenen stadhouder Wilhelm V. von Oranien an die Gouverneure der niederländischen Kolonien, sich den britischen Streitkräften widerstandslos zu ergeben, waren die Entscheidungsträger der drei genannten Kolonien nicht gefolgt205 . Es reichte den französischen Streitkräften, im Frühjahr 1795 einige Korsaren vor den drei Inseln aufkreuzen zu lassen, damit deren Machthaber sich ihnen unterwarfen. Abgesehen vom französischen Teil Saint-Martins, unterstanden die drei Kolonien zwar auf dem Papier den Behörden der Batavischen Republik, wie die französische Schwesterrepublik seit der Besetzung der Niederlande hieß, faktisch hatte aber Hugues das Sagen. Die drei Kolonien mussten nicht nur französische Garnisonen finanzieren, sondern auch jeden Monat eine beachtliche Subsidienzahlung an ihre republikanischen Brüder aus Guadeloupe leisten. Doch was trieb die niederländischen Kolonialbehörden dazu, auf diese harschen Forderungen ihrer französischen Verbündeten einzugehen, wenn es einfacher gewesen wäre, sich den britischen Streitkräften zu ergeben? Letzteren fehlten aufgrund der zahlreichen Aufstände im Archipel schlicht die Mittel, um auch noch 205

Jonathan Israel, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477–1806, Oxford 1995, S. 1122–1127.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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die drei Kolonien nördlich Guadeloupes vor den Republikanern zu schützen, weshalb Caldwell auf entsprechende Hilfeforderungen nicht eingehen konnte. Militärischen Beistand glaubten die niederländischen Kolonialbehörden aber auf jeden Fall nötig zu haben, nachdem sich Anzeichen eines bevorstehenden Sklavenaufstandes auf Sint Maarten verdichtet hatten. Das Angebot Hugues’, wonach Leben und Eigentum der niederländischen Pflanzer nicht angetastet würden, war unter diesen Umständen zu verlockend, bedeutete es doch faktisch, dass die Sklaverei nicht abgeschafft würde – und dieses Angebot kam ausgerechnet von jener Fraktion, die sich als erste Verfechterin der Abolition und der Menschenrechte aufspielte206 . Auch die batavische Kolonie Curaçao, eine vor der spanischen Festlandkolonie Neugranada gelegene Insel, zog im Sommer 1796 das Interesse Hugues’ auf sich. Aufgrund ihrer strategischen Bedeutung als Umschlagplatz im Handel mit Neugranada – einem wichtigen Lieferanten von Schlacht- und Zugvieh sowie Silber für die französischen Kolonien – musste Hugues die Auseinandersetzung zwischen den Anhängern des Hauses Oranien, den sogenannten Orangisten, und den Unterstützern der Batavischen Republik, den sogennanten Patrioten, auf Curaçao mit Argwohn beobachten. Seit einem gescheiterten Sklavenaufstand im Jahr 1795 befand sich die Kolonie in einer politischen Krise: Die Kaufmannschaft der Hauptstadt Willemstad und die Militärs stritten um die Macht in der Kolonie. Während die Patrioten unter der Führung des Schweizers Johann Rudolf Lauffer die Interessen der Kaufleute vertraten und eine Liberalisierung des Handels forderten, standen die Militärs und Kolonialbeamten, die Orangisten, auf der Seite Wilhelms V. und wollten sich lieber früher als später britischer Protektion unterstellen. Letzteres lehnten die Kaufmannseliten der Kolonie ab, denn ihr Reichtum beruhte auf dem Handel mit den spanischen Festlandkolonien, der im Falle einer britischen Eroberung Curaçaos zum Erliegen gekommen wäre207 . Hugues entsandte deshalb im Spätsommer 1796 eine Delegation nach Curaçao, die dem Kolonialrat die Stationierung einer französischen Garnison schmackhaft machen und die Position der Patrioten stärken sollte. Dabei legte Hugues größten Wert auf das Versprechen, dass die zu entsendende Garnison nur aus weißen Truppen bestehen würde und dass es keinesfalls seine Absicht sei, die Sklaverei in der Kolonie abzuschaffen208 . Der Kolonialrat Curaçaos 206

207

208

Larriveau an Curt, 12.5.1795, in: ADGB, 61J/35; Larriveau an Curt, 29.4.1795, in: ADGB, 61J/35; Caldwell an Darby (geheim), 11.4.1795, in: NMM, CAL/128/5; Poyen, Les guerres, S. 98f.; Cornelis Ch. Goslinga, The Dutch in the Caribbean and in Surinam 1791/5–1942, Assen 1990 (The Dutch in the Caribbean, 3), S. 146f. Zu den Hintergründen siehe Karwan Fatah-Black, The Patriot Coup d’État in Curaçao, 1796, in: Wim Klooster, Gert Oostindie (Hg.), Curaçao in the Age of Revolutions, 1795–1800, Leiden 2011 (Carribean Series, 30), S. 123–140. Hugues/Lebas an Beaudouin (Kopie), 31.8.1796, in: SHD, FM/BB4/108, fol. 87; Beaudouin, Rapport de la mission qui m’a été confiée par les agents particuliers du Directoire exécutif aux îles du Vent, 27.11.1796, in: SHD, FM/BB4/108, fol. 92.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

hatte allerdings wenig Vertrauen in die Beteuerungen Hugues’ und lehnte sein Angebot ab. Um den negativen Entscheid ein wenig zu versüßen, erklärten sich seine Abgeordneten allerdings bereit, der französischen Delegation ein als Vorschuss getarntes Bestechungsgeld von 100 000 Gulden zu zahlen209 . Auch wenn es Lauffer und seinen Mitstreitern in der zweiten Jahreshälfte gelang, die Orangisten aus den entscheidenden Positionen des Staatsapparates zu verdrängen, blieb die Situation der Patrioten heikel: Auf der einen Seite drängten radikale Gruppen in den politischen Clubs auf eine engere Kooperation mit Frankreich. Auf der anderen Seite konnten die entmachteten Orangisten auf die Unterstützung der wenigen Pflanzer zählen und warteten nur auf eine Gelegenheit, die Macht wieder an sich zu reißen210 . Hugues verfolgte deshalb die Entwicklungen in der batavischen Kolonie mit größtem Misstrauen211 . Die stümperhaften Versuche Hugues’ und seiner Offiziere, sich in die inneren Angelegenheiten Curaçaos einzumischen, und ihre Politik gegenüber den batavischen Kolonien in den Kleinen Antillen offenbaren, dass die angebliche Universalität der Erklärung der Menschenrechte und das französische Abolitionsdekret bereits beim eigenen Verbündeten auf Grenzen stießen. Dies war keineswegs der Eigenmächtigkeit Hugues’ geschuldet, sondern lag auf der politischen Linie seiner Vorgesetzten in Paris, die bei der Ausarbeitung der Verfassung der batavischen Schwesterrepublik keinerlei Druck ausübten, die Abschaffung der Sklaverei in den batavischen Kolonien durchzusetzen212 . Man darf dies als weiteres Indiz für die in der vorliegenden Studie vertretene These werten, dass das Abolitionsdekret den situativen Umständen geschuldet war, in denen sich die Republik im Februar 1794 befand, und nicht einem ideologischen, von langer Hand geplanten Programm entsprang. Diente die Abolition auf Guadeloupe dazu, die kolonialen Eliten für ihren Verrat im Vertrag von Whitehall zu bestrafen, hatte sie im Hinblick auf die britischen Kolonien einen anderen Zweck. Mit der Strategie, die britischen Streitkräfte in möglichst vielen Konfliktherden zu binden und gleichzeitig die Befestigung Guadeloupes voranzutreiben213 , wurden die Zerstörung der Plantagenökonomie und der Tod zahlreicher Zivilisten in den britischen Kolonien nicht nur in Kauf genommen: Sie waren vielmehr ein wesentliches Kriegsziel. Dies geht aus einem von der Forschung bislang unbeachteten in-

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Goslinga, The Dutch, S. 24. Fatah-Black, The Patriot Coup d’État, S. 135. Beaudouin, Rapport de la mission qui m’a été confiée par les agents particuliers du Directoire exécutif aux îles du Vent, 27.11.1796, in: SHD, FM/BB4/108, fol. 92; Hugues/ Lebas an Truguet, 25.1.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 181; Lebas an Truguet (geheim), 10.3.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 95. Benot, La Guyane, S. 151–153. Siehe etwa Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68.

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ternen Memorandum Hugues’ hervor, das der Royal Navy 1795 in die Hände fiel: By an intercepted letter, it is the acknowledged plan of the Republicans to endeavour to get the French islands without injuring the property, or they expect that they will be returned when peace is made. The English islands they do not mean to keep if they can take them, but to lay waste, and ruin (»bouleverser« is the expression) every kind of property they contain214 .

Mit anderen Worten, es ging Hugues darum, der französischen Zuckerindustrie nach einem Friedensschluss einen Startvorteil gegenüber ihrer britischen Konkurrenz zu verschaffen. Die Formulierung »every kind of property« macht zudem deutlich, dass die Zerstörung auch auf die Sklaven in den britischen Kolonien abzielte215 . Die französischen Kriegsanstrengungen dienten so gesehen nicht der messianischen Verbreitung der Abolition und der Menschenrechte in den britischen Kolonien, sondern brachten Tod und Zerstörung. Hugues’ stolzer Bericht an Marine- und Kolonialminister Truguet Ende Dezember 1796, wonach »la Grenade & St-Vincent ont été attaquées et détruites en entier«, ist zwar übertrieben, aber die Intention ist durchaus wörtlich zu nehmen216 . Ein führender britischer Militär auf Saint Lucia war ebenfalls der Auffassung, dass die Republikaner aus Guadeloupe die Kolonien des Archipels durch ihre »sudden and indiscriminate liberty to the Negroes« ruiniert hätten217 . Ähnliches wusste auch der abgesetzte General Matthieu Pélardy nach seiner Rückkehr nach Frankreich zu berichten: »Au reste cette île [de la Grenade, F. E.] ainsi que celle de St-Vincent ont été entièrement dévastées par les nègres«218 . Pélardy verschwieg dabei, dass nicht zuletzt die französischen Entscheidungsträger zum Niederbrennen der Plantagen aufgerufen hatten219 . Der vergleichsweise geringe Einsatz an Soldaten und Kriegsmaterial auf Seiten der Republikaner in Grenada und Saint Vincent erklärt sich deshalb auch dadurch, dass nicht die Eroberung dieser Inseln das vorrangige Ziel Hugues’ war, sondern ihre Zerstörung und das Binden britischer Truppen. Selbst die Versuche Sugues, auf Grenada ein Mindestmaß an Staatlichkeit einzuführen, dienten letztlich nur dazu, die Rotjacken militärisch zu besiegen und Fédon zu kontrollieren. Ohnehin darf nicht vergessen werden, dass die republikanischen Machthaber einen substantiellen Teil ihrer Armee zur Ver214 215

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Victor Hugues Actions and Intentions in the Leeward Islands, [?].5.1795, in: NMM, CAL/128/13. Der Begriff »Eigentum« bezeichnete im karibischen Kontext des ausgehenden 18. Jahrhunderts immer auch Sklaven. Siehe Ada Ferrer, Haiti, Free Soil, and Antislavery in the Revolutionary Atlantic, in: American Historical Review 117 (2012), S. 40–66, hier S. 52; Cheney, Cul de Sac, S. 91. Hugues/Lebas an Truguet, 10.12.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 61. John Moore an Graham Moore, 11.10.1796, in: BL, Add. MSS. 57320/94. [Pélardy], Notes sur la situation où j’ai laissé les îles du Vent à l’époque du 21 messidor an III, jour où j’ai quitté la Guadeloupe, 9.7.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 236. Proklamation von Hugues/Goyrand/Lebas, 31.3.1795, in: TNA, WO 1/31/145.

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teidigung Guadeloupes abstellen mussten, um etwaigen Widerstand gegen das dortige Zwangsarbeitsregime im Keime zu ersticken. Hinzu kam das Fehlen größerer Schiffe, um namhafte Truppenkontingente sicher in die benachbarten Inseln zu verlegen. Besonders deutlich zeigt sich Hugues’ Kriegsstrategie bei der Landung von 330 französischen Soldaten auf der kleinen britischen Insel Anguilla nördlich Saint-Martins am 25. November 1796. Bereits im Oktober 1796 hatte Hugues den Kommandanten der Korvette Décius (20) ohne erkennbaren Grund angewiesen, »fer et feu« in die Kolonie zu bringen220 . Der Kommandant der Landungstruppe, Claire, eröffnete einen Bericht an Hugues mit folgenden Worten: »Vos ordres ont été exécutés, l’Anguille [. . . ] n’existe plus«221 . Mit einer roten Fahne in der einen und einer Fackel in der anderen Hand setzte sich Claire am frühen Morgen des 26. Novembers an die Spitze seines Trupps, durchquerte die ganze Insel und verschonte keinen derer, die er finden konnte. Gemäß dem Bericht des Kommandanten wurden alle Gebäude der Kolonie niedergebrannt und geplündert. In der Nacht ließ Claire die Truppen wieder einschiffen und Kurs auf Saint-Martin nehmen222 . Der Überfall auf Anguilla diente also ausschließlich der Zerstörung der Kolonie und nicht ihrer Eroberung, wie dies bislang in der einzigen Erwähnung des Vorfalls in der Forschung kolportiert wird223 . Gegen solche handstreichartigen Überfälle erwiesen sich die britischen Streitkräfte oft als hilflos. Die schweren Fregatten und Linienschiffe der Royal Navy waren zu langsam und hatten einen zu großen Tiefgang, um die kleineren französischen Schiffe zu verfolgen, die ihre Vorteile hinsichtlich Schnelligkeit und Wendigkeit dahingehend ausnutzten, dass sie in den Buchten der vielen Inseln immer wieder Zuflucht suchten224 . Tatsächlich setzten die Republikaner alles ein, was schwimmen konnte, um Menschen und Waren auf die benachbarten Inseln zu transportieren. So bauten etwa die Aufständischen Grenadas Einbäume, um Nachschub herbeizuschaffen. Größere Ruderboote wurden gar wiederholt zur Kaperung britischer Handelsschiffe benutzt, die aus Versehen an den von den Rebellen kontrollierten Küsten Grenadas vor Anker gegangen waren225 . Die britische Überlegenheit 220 221 222

223 224

225

Hugues/Lebas an [Senès] (Kopie), 18.10.1796, in: SHD, FM/BB4/109, fol. 251. Claire an Lebas/Hugues (Kopie), 30.11.1796, in: ANOM, C7A 84, fol. 90. Ibid. (Zitat); Senès, Débarquement fait par les Français sur l’Île de l’Anguille, 17.1.1798, in: SHD, FM/BB4/109, fol. 249; Hugues an Harvey/Graham (Kopie), 9.12.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 191. Poyen, Les guerres, S. 105f. Duffy, Soldiers, S. 145; Laforey an Nepean, 17.8.1795, in: TNA, ADM 1/317; Caldwell an Stephens, 16.4.1795, in: TNA, ADM 1/317; Vaughan an Portland, 29.4.1795, in: TNA, WO 1/31/137. McKenzie an Portland, 11.8.1795, in: TNA, CO 101/34/119; Mitchell an Portland, 26.3.1796, in: TNA, CO 101/34/197; McKenzie an Portland, 31.10.1795, in: TNA, CO 101/34/173.

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hinsichtlich schwerer Kriegsschiffe bedeutete freilich auch, dass die französische Kriegsmarine kaum größere Schiffe in die Kleinen Antillen entsandte, zumal der Hafen von Pointe-à-Pitre trotz der Beteuerungen Hugues’ einem größeren Geschwader kaum Schutz bot226 . Das Unvermögen der republikanischen Kräfte, im Zuge ihrer Offensive 1795 Martinique mit seinem hervorragenden Hafen und seinen Befestigungsanlagen zurückzuerobern, war so gesehen ein herber Rückschlag. Es blieb aufgrund dieser strategischen Konstellation weitgehend den britischen Landstreitkräften überlassen, die gefährdeten Kolonien zu verteidigen. Wie wir wiederholt gesehen haben, reichten die militärischen Ressourcen der britischen Armee aufgrund des Gelbfiebers nicht aus. Stellvertretend für die Klagen der britischen Generalität darf dazu eine Aussage Vaughans vom April 1795 ins Feld geführt werden: It is an unpleasant part of my duty to state to you the condition of the 45th regiment. I hesitate not to say that it is totally unfit for service in any climate and more particularly here. It is chiefly composed of boys who have not the strength to carry arms, and the regiment has no article of clothing suitable to this country227 .

Die britischen Militärs vor Ort verstanden rasch, dass sie der existentiellen Gefahr, die aus Guadeloupe ausging, nur mithilfe außergewöhnlicher Maßnahmen entgegentreten konnten. Die Rekrutierung von Sklaven unter dem Versprechen ihrer Freilassung nach vollendeter Dienstzeit war in Anbetracht der Tatsache, dass mit dem baldigen Eintreffen umfangreicher Verstärkung aus Europa nicht zu rechnen war, die pragmatischste Lösung. Die britischen Offiziere warteten deshalb auch gar nicht erst die Erlaubnis aus London ab, sondern rekrutierten ad hoc Einheiten schwarzer Sklaven. Insbesondere Männer aus den Reihen der émigrés wie Charles Soter, Louis de Druault und Laurent-François Lenoir de Rouvray boten sich hierfür an, standen sie doch nach dem Verlust ihrer Plantagen ohne Einkommen da und mussten trotzdem für die Ernährung ihrer Sklaven aufkommen. Für diese royalistischen Offiziere ergab sich so ein lukratives Geschäftsmodell228 . Gleichwohl war Widerstand der Pflanzer gegen die Bewaffnung von Sklaven in den britischen Kolonien weit verbreitet. Viele fürchteten, die schwarzen Soldaten könnten sich gegen die Kolonialherren wenden und in den britischen Kolonien eine ähnliche Sklavenrevolution auslösen wie in Saint-Domingue229 . Die Argumente der Vertreter des West India Interest in London gegen diese Rekrutierungen empfanden die britischen Militärs

226 227 228 229

Hugues/Lebas an Truguet, 10.12.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 61. Vaughan an Dundas, 16.4.1795, in: TNA, WO 1/83/170. Irving an Dundas, 23.7.1795, in: TNA, WO 1/84/53; Leigh an Dundas, 5.12.1795, in: TNA, WO 1/85/115; Jones an Cuyler (Kopie), 3.4.1798, in: TNA, WO 1/86/655. Buckley, Slaves, S. 20–62.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

vor Ort in Anbetracht der gesellschaftlichen Verhältnisse im Mutterland als lächerlich, wie einem internen Schreiben zu entnehmen ist: It is the climate for which the constitution of the English soldier is not suited. This points out the necessity of black corps. I know the English planters are averse to it, because they say these corps may turn against them, but I see no more reason for that than for the soldiers in England turning in favour of the mob230 .

Nachdem Vaughan im Sommer 1795 endlich die Erlaubnis aus London vorlag, reguläre Einheiten schwarzer Sklaven auszuheben, mussten die britischen Militärs rasch feststellen, dass es aufgrund des Widerstandes der Pflanzer einfacher war, die zu rekrutierenden Sklaven gleich bei Sklavenhändlern zu kaufen. Von 1795–1808 kaufte die britische Armee insgesamt 8924 Sklaven, die in den sogenannten West India Regiments eingesetzt wurden. Die britische Krone wurde damit zum größten Sklavenbesitzer der Karibik231 . Durch den Kauf von Sklaven ließen sich zwar die größten Lücken in den gelichteten Reihen der britischen Armee schließen, die Rekrutierung und Ausbildung dieser Truppen nahm aber mehr Zeit in Anspruch, als den Entscheidungsträgern zur Verfügung stand. Der Regierung in London blieb in Anbetracht der anhaltenden Bedrohung deshalb gar nichts anderes übrig, als eine erneute Großoffensive in der Karibik ins Auge zu fassen, um die republikanische Gefahr für die britische Zuckerindustrie zu bannen.

»The Empire Strikes Back«: die Abercromby-Christian-Expedition, 1796 Die katastrophalen Nachrichten über die republikanische Offensive im Frühling 1795 schlugen in London wie eine Bombe ein. Die Meldungen aus Saint-Domingue waren nicht weniger beunruhigend. Die britischen Truppen kontrollierten in der einstigen Perle der Antillen nur noch einige wenige Brückenköpfe und hatten durch das Gelbfieber dramatische Ausfälle zu verzeichnen. Geostrategisch hatte sich die Situation ebenfalls zu Ungunsten des Empire entwickelt: Mit dem Frieden von Basel 1795 zwischen Spanien und Frankreich sowie der Gründung der Batavischen Republik hatten zwei bedeutsame Kolonialmächte die Seiten gewechselt, deren Kriegsflotten die globale Schlagkraft Frankreichs erheblich vergrößerten. Insbesondere die Tatsache, dass Spanien Santo Domingo, die heutige Dominikanische Republik, an Frankreich abgetreten hatte, sorgte für Unruhe in der Londoner Regierung: Damit war die gesamte Insel Hispaniola unter französischer Kontrolle. Die Vieh- und Landwirtschaft Santo Domingos würde nach dem Krieg einen 230 231

Rutherford an Brownrigg (Kopie), 8.10.1796, in: TNA, WO 1/82/439. Buckley, Slaves, S. 53–59 (Zahlen S. 55).

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245

raschen Wiederaufbau der Zuckerindustrie Saint-Domingues begünstigen. Mit Blick auf die Kleinen Antillen war Dundas klar, dass nur ein vollständiger Sieg über die Republikaner akzeptabel war. Solange Guadeloupe unter ihrer Kontrolle stand, würde Hugues mutmaßlich immer wieder versuchen, neue Aufstände anzuzetteln. Entsprechend warnte Dundas Premierminister Pitt im Juli 1795: »That single quarter will exhaust all our forces, for we must establish ourselves in the Leeward Islands, cost what it may«. Im Hinblick auf einen möglichen Friedensschluss mit Frankreich galt es aus Sicht der Regierung in London, so viele Kolonien wie möglich zu kontrollieren, um sich für die Verhandlungen einen möglichst großen Spielraum zu verschaffen. Die geplante Operation wurde General Ralph Abercromby anvertraut, einem 60-jährigen Schotten. Das Kommando über die Marinestreitkräfte wurde Konteradmiral Hugh Christian übergeben, einem begabten Organisator, der eine lange Karriere auf dem westindischen Kriegsschauplatz hinter sich hatte. Ende Juli gab Dundas den Befehl, eine Militärexpedition in die Karibik im Umfang von 25 000–30 000 Mann vorzubereiten. Doch die Rekrutierung von Truppen stellte sich als schwieriger heraus denn erwartet. An den Sammlungsorten, dem irischen Cork und bei Cowes auf der Isle of Wight, desertierten zahlreiche der frisch eingezogenen Soldaten, nachdem sie erfahren hatten, dass die Expedition die westindischen Kolonien zum Ziel hatte. In Cork und Dublin kam es gar zu Revolten der Soldaten. Die geplante Indienstnahme einer großen Zahl deutscher und Schweizer Söldner zeitigte ebenso wenig die erhofften Resultate. Selbst die Suche nach geeigneten Offizieren gestaltete sich schwierig, versuchten doch viele in Frage kommende Kandidaten, sich dem Dienst in der Karibik zu entziehen, nachdem sie von der hohen Mortalitätsrate der Grey-Jervis-Expedition im Jahr zuvor erfahren hatten. Viele Regimenter waren deshalb unter Sollstärke, schlecht ausgerüstet, kaum diszipliniert und ohne Kampferfahrung. Auch auf Seiten der Royal Navy traten zusehends Probleme zutage, den erforderlichen Schiffsraum bereit zu stellen und gleichzeitig die Blockade Frankreichs aufrechtzuerhalten. Insbesondere die Rekrutierung einer genügenden Zahl von Seeleuten stellte sich als schwierig heraus. In Anbetracht dieser vielfältigen Schwierigkeiten äußerten die Kabinettsmitglieder hinter vorgehaltener Hand Zweifel an den Erfolgsaussichten der Expedition. Auch Abercromby scheint in Anbetracht der Probleme nicht an einen Erfolg geglaubt zu haben, zumal bald klar wurde, dass die Expedition bestenfalls aus 18 000 Mann bestehen würde und nicht wie ursprünglich geplant aus 30 000. Erschwerend kam hinzu, dass das Zeitfenster für die militärischen Operationen in Übersee immer kleiner wurde. War das Eintreffen der Expedition auf dem westindischen Kriegsschauplatz ursprünglich für Dezember 1795 geplant gewesen, zeigte sich rasch, dass sich dieser ehrgeizige Zeitplan nicht würde einhalten lassen. Als die Flotte Mitte November 1795 endlich in See stach, geriet sie im Ärmelkanal zu allem Übel in einen schweren Sturm, dem einige Transportschiffe zum Opfer fielen und der einen Großteil der Flotte zum Umkehren zwang. Nur ein kleiner Teil des Geschwaders setzte seinen Kurs unbescha-

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

det fort und traf nach einer zweimonatigen Überfahrt in Martinique ein. Die Reparaturen an den Schiffen und anhaltend schlechte Windverhältnisse zwangen derweil den Großteil der Flotte, bis am 23. Februar 1796 in den Häfen Englands zu verweilen, ehe die Expedition Segel in Richtung Karibik setzen konnte. Damit mussten die hochgesteckten Ziele der Expedition zwangsläufig dem knappen Zeitfenster angepasst werden, standen doch Abercromby bis zum Ausbruch der Regenperiode im Juli maximal drei Monate für militärische Operationen zur Verfügung. Hauptziele waren die Sicherung Grenadas, Saint Lucias und Saint Vincents sowie die Eroberung der batavischen Kolonie Demerara, die auf dem südamerikanischen Festland lag und heute Teil Guyanas ist232 . Trotz dieser notgedrungenen Abschwächung der Kriegsziele kam der Operation eine herausragende strategische Bedeutung zu, wurde doch fast die Hälfte der britischen Armee auf dem westindischen Kriegsschauplatz abgestellt, davon fast zwei Drittel auf den Kleinen Antillen, wie die folgende Tabelle über die Verteilung aller britischen Regimenter über den Globus illustriert: Tabelle 2: Globale Verteilung der britischen Regimenter im Oktober 1795. Aus Duffy, Soldiers, S. 195. Westindische Kolonien Kleine Antillen Saint-Domingue Jamaika Bahamas Auf dem Weg in die Kleinen Antillen Auf dem Weg nach Saint-Domingue

Gesamt

Großbritannien und der Rest der Welt 11 7 1 1 23 9

52

Indien Kap der Guten Hoffnung Nordamerika Gibraltar Korsika Frankreich In Ausbildung beziehungsweise auf dem Heimweg Regimenter ohne Truppen An die Royal Navy abgestellt

9 4 7 4 5 4 10 7 3 53

Mitte April 1796 traf ein Großteil von Christians Flotte in Martinique ein. Jene Truppen, die in den Stürmen des vergangenen Novembers vom Rest der Flotte getrennt worden waren und deshalb die karibischen Kolonien vor der Hauptstreitmacht erreicht hatten, waren bereits auf Saint Vincent und Grenada im Einsatz, wo sie die Situation zugunsten der Rotjacken zu stabilisieren vermochten. Nachdem die britischen Brückenköpfe auf Saint Vincent und Grenada gesichert worden waren, warf Abercromby seine Hauptstreitmacht Ende April nach Saint Lucia233 . Goyrand war über den bevorstehenden Angriff noch vor dem Eintreffen der Rotjacken informiert, nachdem ein britisches Versorgungsschiff aus Versehen vor der Küste Saint Lucias vor Anker 232 233

Duffy, Soldiers, S. 152–216 (Zitat S. 160); Geggus, Slavery, S. 150–186; Jenkins, Guadeloupe, S. 327; Abercromby an Pitt, 1.7.1795, in: TNA, PRO/30/8/107/30. Duffy, Soldiers, S. 217–223.

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247

gegangen und umgehend von den französischen Verteidigern geplündert worden war234 . Zwischen dem 26. und dem 27. April 1796 landeten rund 13 000 Briten an verschiedenen Punkten der Kolonie, denen circa 2000 Republikaner gegenüberstanden. Die Verluste waren auf beiden Seiten von Beginn an hoch, nicht zuletzt weil die Verteidiger ihre Geländekenntnisse nutzten und die Rotjacken immer wieder in Hinterhalte lockten, wie sich Wilhelm Lasalle de Louisenthal, ein émigré in britischen Diensten, erinnerte: Le nègre [. . . ] est nu. Il ne porte rien d’autre que son arme et une pioche, et résiste au climat sans difficulté. Il trouve des racines pour se nourrir, connaît chaque plante, chaque poisson, chaque fruit, et cela lui suffit pour vivre. Il est toujours en mouvement, infatigable dans la forêt et les broussailles. Il connaît chaque recoin, s’approche à pas de loup sans qu’on le remarque, et attaque par surprise. Bestial et ignoble tant qu’il se sent supérieur, il disparaît tout de suite lorsqu’il se trouve en face d’une résistance. Les Noirs ont certes livré occasionnellement un combat plus long, mais uniquement lorsqu’ils étaient bien armés et qu’ils avaient la possibilité de disparaître. [. . . ] Au début ils menaient une guerre très cruelle, ils n’accordaient aucun quartier235 .

Trotz dieser Guerrillataktik gelang es den britischen Truppen innerhalb weniger Tage, die republikanische Hauptstreitmacht in die Festung Morne Fortuné zurückzudrängen. Je länger die republikanischen Truppen in der Festung ausharrten, desto kürzer wurde Abercrombys Zeitfenster für weitere Operationen gegen die republikanischen Kräfte im Archipel, wie Goyrand nur zu gut wusste. Ein erstes Kapitulationsangebot des britischen Generals lehnte der Kommissar deshalb noch großspurig ab: »Nous méprisons vos menaces. Nous vous attendrons de pied ferme. Les républicains français ne capitulent jamais avec les tyrans«. Diese Prahlereien vermochten nicht über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass die Trinkwasserzisternen der Festung schon zum Zeitpunkt der britischen Landung leer waren. Die Requisitionen Goyrands bei den wenigen verbliebenen Pflanzern im Vorfeld der britischen Invasion waren nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein236 . Ein erster Versuch der Rotjacken, den Morne Fortuné im Sturmangriff zu erobern, scheiterte allerdings, weshalb Abercromby nichts anderes übrig blieb, als eine langwierige Belagerung auf sich zu nehmen. Während sich der Belagerungsring immer enger um die Festung zog, versetzten Guerillaeinheiten im dicht bewaldeten und gebirgigen Hinterland den Rotjacken empfindliche Nadelstiche, wie Abercromby schrieb: The Negroes are completely masters of the island, and those who are not in M[orne] Fortuné are collected in the different quarters in arms, exercising every act of cruelty and oppression and possessing a country naturally so strong that several thousand European troops would find it difficult, if not impossible, to reduce them237 .

234 235 236

237

Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68. Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 17. Cotten/Goyrand an Abercromby/Christian (Kopie), 29.4.1796, in: TNA, ADM 1/319; Les propriétaires dans l’Île de Ste-Lucie actuellement à Paris aux consuls de la République, 6.3.1800, in: ANOM, C10C 5. Abercromby an Dundas, 22.5.1796, in: TNA, WO 1/85/389.

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Der Guerillakrieg im Rücken des Belagerungsrings änderte allerdings wenig an der zusehends verzweifelten Situation der republikanischen Streitkräfte innerhalb der belagerten Festung. Die Kommunikation mit Guadeloupe war nur noch nachts mittels Einmannkanus möglich, weshalb Goyrand nicht auf die baldige Hilfe Hugues’ hoffen konnte. Letzterem blieb nur, die eingeschlossenen Republikaner zu einer »guerre à outrance« aufzurufen; materielle Hilfe konnte er ihnen aber keine zukommen lassen238 . Die Versuche der republikanischen Truppen, die Schanzarbeiten der Rotjacken mit Ausfällen zu stören, scheiterten allesamt unter hohen Verlusten. Neben den Wasser- und Lebensmittelvorräten gingen bald auch die Schwarzpulvervorräte der Verteidiger zu neige, weshalb Goyrand am 25. Mai 1796, nach einer fast vierwöchigen Belagerung, Abercromby die Kapitulation anbot. Seine Forderung, dass die Abolition bestehen bleibe, lehnte der britische General ab, womit die britische Besatzung Saint Lucias eine Wiedereinführung der Sklaverei und eine Entrechtung der freien Farbigen der Kolonie bedeutete239 . Goyrand scheint sich darüber nicht aufgehalten zu haben; für ihn war einzig wichtig, den britischen Angriff auf Guadeloupe verzögert und damit die Chancen eines Scheiterns der britischen Gegenoffensive vergrößert zu haben240 . Nicht alle Soldaten Goyrands hielten sich allerdings an die Kapitulationsvereinbarung, die für sie mit größter Wahrscheinlichkeit eine Rückkehr in die Sklaverei beziehungsweise eine Entrechtung bedeutet hätte. Einige hundert gefangene farbige Soldaten flohen nach der Unterzeichnung der Kapitulation in einer Nacht- und Nebelaktion in die Wälder, wo sie sich den bereits bestehenden Guerillatrupps anschlossen241 . Ohnehin befanden sich die Sklaven der Kolonie in einem Zustand der Revolte und weigerten sich, auf die Plantagen zurückzukehren, wie Abercromby nach der Unterzeichnung der Kapitulation an Dundas schrieb242 . Der britische General hatte allerdings keine Zeit zu verlieren, weshalb er Brigadegeneral John Moore mit 3000 Mann auf der Insel zurückließ, um die Kolonie zu befrieden. Moore war wenig begeistert über die ihm aufgetragene Aufgabe, wie er seinem Tagebuch anvertraute: »The General and Admiral think they have cleared themselves from all the trouble by running away from it«243 . Doch Abercromby hatte keine Zeit für die Wehklagen Moores. Sein strategischer Imperativ galt der schnellstmöglichen Vertreibung der republikanischen Kräfte aus dem Archipel, bevor die Regenperiode jegliche militärischen Operationen verunmöglichen und das Gros seiner Expediti238 239 240 241 242 243

Hugues/Lebas an Lereque, 24.5.1796, in: ANOM, C10C 7. Capitulation de Ste-Lucie, 25.5.1796, in: ANOM, C10C 7. Goyrand an Le Pelley, o. D. [1798], in: ANOM, EE 1061/9; Goyrand an Direktorium, o. D. [1796], in: ANOM, C7A 49, fol. 68. Abercromby an Dundas, 30.5.1796, in: TNA, WO 1/85/415. Abercromby an Dundas, 1.6.1796, in: TNA, WO 1/85/373. Eintrag, 4.6.1796, in: John Moore, The Diary of Sir John Moore, 2 Bde., hg. von John F. Maurice, London 1904, Bd. 1, S. 221.

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249

onsarmee der erwarteten Gelbfieberepidemie zum Opfer fallen würde. Am 7. Juni 1796 traf Abercrombys Streitkraft in Kingstown, Saint Vincent, ein, wo die britische Garnison nicht viel mehr als die Hauptstadt kontrollierte. Nach intensivem Artilleriebeschuss der wichtigsten Stellung der frankokaribischen Allianz, einem Hügel nordöstlich Kingstowns, stürmten die Rotjacken die Stellung. Die Kariben hatten schon während des Artilleriebombardements die Flucht ergriffen, weshalb sich die wenigen verbliebenen französischen Verteidiger unter dem Kommando Mariniers am Abend des 10. Juni 1796 gezwungen sahen zu kapitulieren. Vergebens versuchte Marinier, eine Amnestie für die frankophonen Siedler und die Sklaven zu erwirken, die sich den republikanischen Truppen angeschlossen hatten – die Kariben waren bezeichnenderweise nicht Gegenstand dieser Forderung. Während rund 450 Soldaten in britische Kriegsgefangenschaft gingen, schlugen sich 200 schwarze Soldaten unbemerkt in die Wälder, um ihrer Wiederversklavung zu entgehen244 . Hugues’ Befehle, Widerstand bis zum letzten Mann zu leisten und britische Parlamentäre auf der Stelle zu erschießen, erreichten Saint Vincent zu spät245 . Die Kariben warteten zunächst ab, bis sie sich am 15. Juni 1796 nach den Bedingungen erkundigten, unter denen sie ihre Ländereien behalten dürften. Gouverneur Seton antwortete ihnen, dass nur ihre bedingungslose Kapitulation akzeptabel sei und dafür ihr Leben verschont würde. Die karibischen Parlamentäre zogen sich daraufhin zur Beratung zurück. Abercromby bereitete derweil die Deportation der Kariben nach Roatán vor, einer kleinen, unfruchtbaren Insel vor dem heutigen Honduras. Dabei stützte er sich auf detaillierte Instruktionen, die ihm Dundas in London übergeben hatte und in denen die Deportation als gerechte Strafe für die Verbrechen der Kariben legitimiert wurde246 . Nur zu gut sah der General, dass sich die britische Armee damit zum ausführenden Organ der Pflanzer degradieren ließ, welche die Verantwortlichen über die Zahl der Kariben und die logistischen Schwierigkeiten einer derartigen Deportation hinters Licht geführt hatten. Insbesondere die Frage nach einer adäquaten Unterbringung der Kariben blieb trotz der herannahenden Regenperiode ungelöst247 . Obwohl die Vorbereitungen alles andere als hinreichend waren, erachtete Abercromby die Angelegenheit mit der diplomatischen Kontaktaufnahme zu den Kariben vorschnell als erledigt und verschiffte einen Großteil seiner Truppen nach Grenada248 . Die dortigen französischen Truppen standen bereits vor Abercrombys Ankunft mit dem Rücken zur Wand, nachdem sie im April unter hohen Verlusten 244 245 246 247 248

Duffy, Soldiers, S. 237f.; Abercromby an Dundas, 21.6.1796, in: TNA, WO 1/85/459. Hugues/Lebas an Audiberet, 12.6.1796, in: ANOM, C10D 2, fol. 44. Dundas an Abercromby, 10.10.1795, in: TNA, WO 1/84/289. Abercromby an Dundas, 24.6.1796, in: NLS, MS. 3835/145; Abercromby an Dundas, 22.6.1796, in: TNA, WO 1/85/479. Craton, Testing the Chains, S. 204f.

250

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aus Port Royal und Grenville vertrieben worden waren und damit die Kontrolle über die beiden Häfen verloren hatten249 . Die Gefechte wurden auf beiden Seiten mit größter Brutalität geführt; Gefangene wurden keine gemacht250 . Gemäß dem Bericht Lebas’ an Marine- und Kolonialminister Truguet verteidigten die Franzosen die Stellungen »républicainement«, fügten den Rotjacken schwere Verluste zu und brannten vor dem Rückzug ins gebirgige Landesinnere alles nieder251 . Doch Hugues’ pathetische Aufrufe an Fédon, »[de] vaincre ou mourir«, vermochten die Moral der Republikaner nicht mehr zu heben252 . Als Abercromby mit weiteren 5000 Mann an mehreren Orten der Kolonie landete, reichte diese Machtdemonstration, um die verbliebenen 180 Soldaten aus Guadeloupe am 11. Juni 1796 zur Aufgabe zu bewegen. Die Kapitulationsbedingungen galten selbstredend nicht für Fédon und seine rund 1000 verbliebenen Mitstreiter, die sich nahe dessen Belvedere-Plantage im Landesinneren verschanzt hatten253 . Allerdings schwand der politische Rückhalt Fédons in Anbetracht der britischen Überlegenheit rasch. Immer mehr frankophone Plantagenbesitzer ergaben sich in den folgenden Tagen den Kolonialbehörden, nicht zuletzt, weil in Fédons Lager die Nahrungsmittel ausgingen. Fédon selbst durfte mit keiner Nachsicht rechnen, wie Abercromby festhielt: »The atrocity of his character, and the crime of which he has been guilty render it impossible to treat with him upon any other terms«254 . 400 deutsche Söldner in britischen Diensten vermochten bereits am 19. Juni 1796 unbemerkt die Felswände im Rücken der Belvedere-Plantage hochzuklettern. Den Angreifern gelang es, die Verteidiger zu überraschen und über 100 Rebellen zu töten. Im Lager Fédons fanden sie nicht nur große Mengen an Beutegut vor, sondern auch die Leichen von über 30 weißen Kolonisten, die als Geiseln gehalten und gemäß einem britischen Offizier »in the most barbarous manner« ermordet worden waren. Fédon und viele seiner Mitstreiter konnten in den dichten Dschungel entkommen; einigen unter ihnen gelang die Flucht nach Guadeloupe beziehungsweise Trinidad255 . Organisierter Widerstand war unter diesen Umständen kaum mehr möglich, denn die sich auf der Flucht befindlichen Rebellen waren nicht mehr als eine »desparate band«, wie Grenadas neuer Gouverneur Alexander Houstoun schrieb. Gleichwohl glaubte er, dass diese Männer eine Gefahr darstellten, »not so much from their numbers as from the diabolical principles of murder and devastation«256 . 249 250 251 252 253 254 255 256

Mitchell an Portland, 2.4.1796, in: TNA, CO 101/34/201; Houstoun an Portland, 3.5.1796, in: TNA, CO 101/34/205. Mitchell an Portland, 2.4.1796, in: TNA, CO 101/34/201. Lebas an Truguet, 1.5.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 12. Hugues an Fédon (Kopie), 11.6.1796, in: ANOM, C10A 4, fol. 246. Duffy, Soldiers, S. 238f. Abercromby an Dundas, 22.6.1796, in: TNA, WO 1/85/475. Nicholls an Abercromby (Kopie), 21.6.1796, in: TNA, WO 1/85/491 (Zitat); Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 35. Houstoun an Portland, 4.7.1796, in: TNA, CO 101/34/230.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

251

Abercromby blieben nur noch wenige Wochen, ehe die Regenperiode einsetzen würde. Ein Großteil seiner Truppen war über ein halbes Dutzend Inseln verteilt und das Gelbfieber forderte bereits seine ersten Opfer. Demgegenüber standen Hugues gemäß den Schätzungen Abercrombys mindestens 8000 disziplinierte Soldaten zur Verfügung, die Guadeloupe verbissen verteidigen würden257 . Auch der Zustand und die Moral der verbliebenen Kontingente unter seinem Kommando stimmten den britischen General wenig zuversichtlich, was das Gelingen eines Angriffs auf Guadeloupe betraf. Auf die émigré-Einheiten aus Europa sei kein Verlass, würden sie doch beim kleinsten Widerstand die Seiten wechseln – »they should be allowed to die away«, schrieb er Dundas trocken258 . Die Entscheidung Abercrombys, auf einen Angriff auf Guadeloupe zu verzichten, nahmen die émigrés aus Guadeloupe mit Fassungslosigkeit auf. »La consternation est générale«, schrieb etwa ein sichtlich aufgewühlter Pflanzer, der sich wie so viele seiner Standesgenossen große Hoffnungen gemacht hatte, in Bälde seine Ländereien auf Guadeloupe wieder in Besitz nehmen zu können259 . Viele nagten am Hungertuch und mussten ihre Sklaven »au plus vil prix« der britischen Armee verkaufen, die, je größer die Ausfälle unter den europäischen Truppen durch Gelbfieber waren, desto mehr Sklaven für die West India Regiments kauften260 . Belohnt fühlten sich die Pflanzer für ihre Loyalität gegenüber der britischen Krone allerdings nicht: »Quand serons-nous traités comme Anglais? Quand le gouvernement réfléchira-t-il sur notre position?«261 , fragte etwa ein Pflanzer. Ein weiterer Pflanzer aus Guadeloupe glaubte, dass die verbliebenen 10 000 europäischen Soldaten Abercrombys bald alle tot seien und die britische Armee bis dahin nur noch aus »corps noirs apprenant aux Guadeloupéens« bestehen würde. Man könne deshalb nur darauf hoffen, dass die britische Regierung nach der Regenperiode erneut Truppen in die Karibik verlegen oder dass bei einem Friedensschluss Guadeloupe der britischen Krone übergeben werde262 . Einer Rückkehr nach Guadeloupe im Falle eines Friedenschlusses sahen viele Pflanzer mit Schrecken entgegen: »Le retour à la République française serait affreux et cette idée seule empoisonne le bonheur de notre existence«263 .

257 258 259 260 261 262 263

Duffy, Soldiers, S. 240. Abercromby an Dundas, 22.6.1796, in: TNA, WO 1/85/483. [?] an Curt, 20.6.1796, in: ADGB, 61J/36. [Faudoan], Mémoire sur l’augmentation des corps noirs, 1796, in: ADGB, 61J/36. Lamelouse an Curt, 22.7.1796, in: ADGB, 61J/36. Larriveau an Curt, 27.6.1796, in: ADGB, 61J/36. Puilhery an Curt, 7.9.1796, in: ADGB, 61J/36.

252

II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Die Niederschlagung der Rebellionen in den Kleinen Antillen, 1796–1797 Nicht zuletzt, um die Gefahr eines erneuten Aufflammens der gesellschaftlichen Konflikte im Archipel zu verhindern, gingen die britischen Truppen mit äußerster Brutalität gegen die verbliebenen Rebellengruppen vor. Auf Grenada war deren Widerstandskraft allerdings enge Grenzen gesetzt, fehlte ihnen doch ein Mindestmaß an politisch-militärischem Zusammenhalt264 . Viele unter ihnen versuchten, sich in kleinen Grüppchen oder alleine dem Zugriff der britischen Truppen zu entziehen, die das Dickicht im Landesinneren Grenadas durchstöberten. Jeder versuchte nur noch, eine Gelegenheit zu finden, von der Insel zu flüchten265 . So berichtete Nicholls im August 1796: »The very few insurgents who have not been taken or surrendered are reduced to the greatest state of wretchedness. In no instance can I hear of six of them together, and wherever our posts get intelligence, even for a single vagabond, there are people sent after him«266 . An einen organisierten Widerstand seitens der Rebellen war unter diesen Voraussetzungen nicht mehr zu denken, zumal sie weder über Schwarzpulver noch über genügend Lebensmittel verfügten267 . Wer den Rotjacken in die Hände fiel, musste mit dem Schlimmsten rechnen: Sklaven wurden in der Regel auf der Stelle erhängt. Freie Farbige und Weiße sahen sich mit einem eiligst einberufenen Gerichtsverfahren konfrontiert, in dem Richter und Ankläger dieselbe Person waren, die von den britischen Plantagenbesitzern gestellt wurde. Den Angeklagten wurde weder das Recht auf eine Verteidigung eingeräumt, noch konnten sie das Urteil anfechten268 . Der Ausgang dieser Schauprozesse war wenig überraschend: Ein Großteil der Angeklagten wurde zum Tode verurteilt. Ihr gesamter Besitz ging an die britische Krone, die selbigen sogleich wieder versteigerte, womit den britischen Zuckerbaronen die Möglichkeit gegeben wurde, die begehrten Plantagen der frankophonen Kolonisten zu übernehmen. Der Bericht des französischen Konsuls in Trinidad, wonach die reichsten Angeklagten zuerst gehängt wurden, vermag daher kaum zu erstaunen269 . Die Rachsucht und die Unrechtmäßigkeit der Gerichtsverfahren bereiteten auch Gouverneur Houstoun Kopfzerbrechen, zumal die Verurteilten nicht einmal ein Gnadengesuch an den englischen König richten durften. Houstouns Versuche, »to keep this popular spirit within the boundaries of 264 265 266 267 268 269

Gandelas an Hugues, 19.7.1796, in: ANOM, C10A 4, fol. 248. Houstoun an Portland, 16.9.1796, in: TNA, CO 101/34/264. Nicolls an Graham (Kopie), 11.8.1796, in: TNA, WO 1/85/613. Houstoun an Portland, 30.7.1796, in: TNA, CO 101/34/245. Houstoun an Portland, 16.9.1796, in: TNA, CO 101/34/264; [?] an Barrells (Kopie) 3.7.1796, in: NRS, GD51/1/519/2. Gandelas an Hugues, 19.7.1796, in: ANOM, C10A 4, fol. 248. Siehe auch Thouluyre Mahé, Coup d’œil sur la Guadeloupe et dépendances, 1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 138.

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justice and of propriety«, indem er die Vollstreckung mehrerer Todesurteile hinauszögerte, wurden von den aufgebrachten Pflanzern mit größtem Argwohn beobachtet. Doch Houstoun wusste die Unterstützung der Metropole auf seiner Seite, die das eigenmächtige und widerrechtliche Vorgehen der grenadischen Zuckerbarone scharf verurteilte270 . Infolgedessen entgingen mehrere Dutzend zum Tode Verurteilte der Hinrichtung und wurden mitsamt ihren Familien von der Insel deportiert271 . Diese Maßnahme heizte die Rachsucht der britischen Kolonisten allerdings nur noch weiter an. Gemäß Houstoun erreichte die xenophobe Stimmung unter den Pflanzern Grenadas beunruhigende Ausmaße272 . Noch bis weit in das Jahr 1797 wurden die britischen Kolonialbehörden mit Denunziationen überschwemmt, in denen selbst jene frankophonen Plantagenbesitzer angeschwärzt wurden, die sich bekanntermaßen nicht an der Rebellion beteiligt hatten273 . Viele Pflanzer misstrauten zudem jenen Sklaven, die im Verdacht standen, an Fédons Rebellion teilgenommen zu haben. Houstoun versuchte diese – vermutlich handelte es sich um nicht mehr als einige hundert – der Royal Navy als Matrosen feilzubieten. Doch nachdem die Admiralität das Angebot abgelehnt hatte, entschloss sich Houstoun, die aus der Sicht des Gouverneurs fehlbaren Sklaven an die Küste Zentralamerikas zu deportieren und sie dort ihrem Schicksal zu überlassen274 . Kaum besser stand es um Fédon und seine Mitstreiter. Fédon entkam zwar mehrmals knapp seinen Verfolgern, dürfte danach aber auf der Flucht ertrunken sein. Joachim Philipp versteckte sich über Jahre bei Maroons auf der kleinen Insel Carraicou, ehe er 1802 von den britischen Kolonialbehörden gefasst und gehängt wurde. Das Gros der restlichen Rebellen flüchtete – sofern sie von den Briten nicht erwischt wurden – nach Trinidad, wo sich ihre Spur verliert275 . Ohne Eigentum und Einkommen scheinen viele unter ihnen völlig verarmt zu sein. Ihre Hilfegesuche würdigte Hugues keiner Antwort, denn die frankophonen Kolonisten Grenadas waren für ihn nie mehr als ein Spielball im Krieg gegen das Britischen Empire gewesen276 . Insgesamt starben während der Rebellion Fédons rund 7000 Sklaven, und Plantagen im Wert von mehr als 2,5 Millionen Pfund wurden zerstört277 . Dennoch erholte sich die Kolonie 270 271 272 273 274

275 276 277

Portland an Houstoun, [?].8.1796, in: TNA, CO 101/34/238. Green an Portland, 27.5.1797, in: TNA, CO 101/35/43; Green an Portland, 12.7.1797, in: TNA, CO 101/35/72. Houstoun an Portland, 15.10.1796, in: TNA, CO 101/35/5. Green an Portland, 21.10.1797, in: TNA, CO 101/35/120. Anderson, Old Subjects, S. 212; Houstoun an Portland, 16.9.1796, in: TNA, CO 101/34/264; Houstoun an Portland, 30.7.1796, in: TNA, CO 101/34/245; Houstoun an Harvey (Kopie), 16.7.1796, in: TNA, CO 101/34/249; Houstoun an Portland, 30.7.1796, in: TNA, CO 101/34/245. Candlin, The Last Caribbean Frontier, S. 18–20. Gandelas an Hugues, 19.7.1796, in: ANOM, C10A 4, fol. 248. Cox, Fédon’s Rebellion, S. 15.

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rasch: Allein von 1797 bis zum Inkrafttreten des britischen Sklavenhandelsverbots im Jahr 1808 wurden 7840 Sklaven nach Grenada verschleppt278 . Auch für das Schicksal der »schwarzen« Kariben Saint Vincents zeigte Hugues kein Interesse mehr279 . Nachdem ihre Anführer die von Abercromby gesetzte Frist für die Unterzeichnung einer bedingungslosen Kapitulation am 19. Juli 1796 hatten verstreichen lassen, verschleppten die Rotjacken 300 Kariben gewaltsam und inhaftieren sie notdürftig auf der kleinen Insel Baliceaux im Süden Saint Vincents. Dieser Vorfall überzeugte viele Kariben, dass es besser war, weiterhin Widerstand zu leisten, als zu kapitulieren. Das britische Angebot lehtnen die Anführer der Kariben gemäß Moreau de Jonnès mit folgenden Worten ab: »Si le pays qu’on voulait leur donner, était si bon, les Anglais feraient bien mieux d’aller l’habiter eux-mêmes, et de laisser aux Caraïbes la terre de leurs aïeux«280 . Der Preis, den die verbliebenen Kariben für den anhaltenden Widerstand zahlten, war hoch: Während des ganzen Sommers machten die Rotjacken unerbittlich Jagd auf die Kariben, die sich im Landesinneren versteckt hielten. Um ihnen die Lebensgrundlage zu entziehen, vernichteten die britischen Truppen systematisch ihre Siedlungen und Nahrungsmittelvorräte. Einheiten der Royal Navy verhinderten derweil die Flucht auf dem Seeweg. Insbesondere die schwarzen Ranger-Einheiten gingen mit größter Brutalität vor, hofften doch diese Soldaten, nach dem Krieg das Land der Kariben als Belohnung zugesprochen zu bekommen281 . Die Folgen der systematischen Vernichtungspolitik der Rotjacken beschrieb Moreau de Jonnès in seinen Memoiren, wo er von seiner Rückkehr nach Saint Vincent im Sommer 1796 berichtet, als er durch eine ihm wohlbekannte Siedlung der Kariben schritt: Je vis avec un sentiment d’horreur que c’était un cadavre, celui d’un Indien massacré. En pénétrant plus loin, la même rencontre se renouvela trente fois; tantôt c’était un guerrier, puis une femme avec son enfant, et plus souvent un vieillard. Le village avait été surpris par une troupe d’ennemis impitoyables qui en avaient mis en pièces les malheureux habitants, et qui avaient incendié leurs maisons282 .

Auch der Kommandant der britischen Truppen, Generalmajor Martin Hunter, beschrieb den Zustand der Kariben als »extremely wretched«. Längst hätten sie aufgehört, als geschlossene politisch-militärische Einheit 278

279

280 281 282

Zahlen aus The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 26.7.2018). Siehe auch Houstoun an Portland, 16.9.1796, in: TNA, CO 101/34/264; Trigge an Dundas, 4.6.1799, in: TNA, WO 1/87/243. In Anbetracht der Gleichgültigkeit Hugues’ sind seine Bitten als späterer Kommissar Französisch-Guyanas an Marine- und Kolonialminister Denis Decrès im Jahr 1804, den Kariben in jener Kolonie Asyl zu gewähren und sie als Maroon-Jäger einzusetzen, als blanker Zynismus zu werten. Vgl. Hugues an Decrès, 25.12.1804, in: ANOM, C14 83, fol. 141. Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 1, S. 365. Craton, Testing the Chains, S. 205f. Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 1, S. 361f.

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zu existieren, träfen die Rotjacken sie doch meist in Gruppen von maximal 20 Personen an283 . Ähnliches berichtete auch sein Vorgesetzter, Generalmajor Charles Graham, der Abercromby während dessen Heimaturlaub vertrat, im September 1796: They are so continually harassed that their sufferings must be great, both from fatigue and hunger, all their provisions being nearly destroyed. Wretches like these, reduced to the brink of destruction, deprived of every resource, and experiencing the most complicated misery and distress, can only be induced to preserve in their obstinacy from the grossest infatuation, which gives them but faint hopes of meeting with the mercy which they have rendered themselves so undeserving of and have in every instance violated by the cruelties they have been guilty of and the perfidy with which they have always acted284 .

So trieben der Hunger und die aussichtslose militärische Lage einen Großteil der Kariben zur Aufgabe. In immer größerer Zahl ergaben sie sich in den Monaten August und September den britischen Streitkräften. Mitte Oktober 1796 streckte schließlich auch der letzte französische Offizier Marin Pedre mit den Kämpfern unter seinem Kommando die Waffen, obwohl ihn Hugues noch wenige Tage zuvor angewiesen hatte, bis zum bitteren Ende weiterzukämpfen285 . Mit der Kapitulation der letzten Rebellen war ihr Leidensweg keineswegs zu Ende. Über Monate hinweg wurden die rund 4300 Kariben unter jämmerlichsten Bedingungen auf der unfruchtbaren Insel Baliceaux ohne adäquate Behausung inhaftiert. Bis sie im März 1797 endlich in Richtung Roatán verschifft wurden, war fast die Hälfe von ihnen an Typhus oder Gelbfieber gestorben. Für die hohe Mortalitätsrate war nicht nur die chronische Unterernährung verantwortlich, sondern auch die Tatsache, dass die Kariben ihre Toten nicht begraben wollten. Nur mit Gewalt konnten die britischen Wachmänner sie zum Verscharren der Leichen bringen. Als die Kariben im März 1797 endlich verschifft wurden, lebten noch 2248; 200 davon starben auf der Schiffsfahrt nach Roatán. Nach weiteren fünf Monaten des Elends in ihrer unwirtlichen neuen Heimat, wo es aufgrund des Wassermangels unmöglich war, Landwirtschaft zu betreiben, ergaben sich die Kariben schließlich den spanischen Behörden in Trujilo im heutigen Honduras, wo sie als Söldner anheuerten. Ihre Nachfahren, die Garifuna, leben heute entlang der Atlantikküste Zentralamerikas286 . Auf Saint Vincent nahmen die Zuckerbarone derweil den Wiederaufbau der Plantagen in Angriff, von denen über ein Drittel der Zerstörung anheim gefallen war287 . Allein bis 1801 wurden 9227 afrikanische Sklaven in die Ko283 284 285 286 287

Hunter an Graham (Kopie), 22.8.1796, in: TNA, WO 1/85/617. Graham an Dundas, 19.9.1796, in: TNA, WO 1/85/629. Graham an Dundas, 16.10.1796, in: TNA, WO 1/86/1; Hugues/Lebas an Pédre, 12.10.1796, in: ANOM, C10D 2, fol. 44. Duffy, Soldiers, S. 261f.; Gonzalez, Sojourners, S. 20–22, 39–49. Ibid., S. 34; Report of the Commission of the Legislators appointed by both Houses in November last to investigate and ascertain losses suffered in consequence of the Rebellion and Invasion of the Charaibs and French, 21.2.1797, in: TNA, CO 260/14.

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lonie verschleppt, um die Plantagenökonomie wieder in Gang zu bringen288 . Die schwarzen Sklaven, die in den Ranger-Einheiten gegen die Kariben gekämpft hatten, belohnten die britischen Militärs nicht für ihren Einsatz. Stattdessen wurden die meisten von ihnen klammheimlich wieder versklavt289 . Entgegen den Hoffnungen der kolonialen Eliten, nach der Deportation der Kariben die fruchtbaren Ländereien im Osten der Insel in Besitz nehmen zu können, weigerte sich die britische Krone, das Land der Kariben zu verkaufen. Die britische Regierung begründete dies vor dem Hintergrund des innenpolitischen Drucks der Abolitionisten damit, dass die Bewirtschaftung der freigewordenen Ländereien den Import einer noch größeren Zahl afrikanischer Sklaven nach sich ziehen würde290 . Das Machtwort aus London nahmen die Pflanzer Saint Vincents freilich nicht widerstandslos hin. In den folgenden Jahren überhäuften sie die britische Regierung mit Memoranden, in denen sie die Dringlichkeit einer sofortigen Inbesitznahme der ehemaligen Gebiete der Kariben unterstrichen. Dabei dominierten sicherheitspolitische Bedenken: Wenn das Land der Kariben nicht umgehend besiedelt werde, so die Memorandenschreiber rund um William Young, würde es zu einem idealen Rückzugsgebiet für Maroons und Rebellen aus dem nördlich gelegenen Saint Lucia. Sukkurs erhielten die Pflanzer dabei auch von britischen Offizieren vor Ort, die glaubten, die Ländereien der Kariben stünden ihnen als Kompensation für ihre langjährigen Dienste zu291 . Tatsächlich griffen die Garnisonssoldaten im Dschungel Saint Vincents in den folgenden Jahren immer wieder einzelne Gruppen von Kariben auf, die sich bis dahin dem Zugriff der Kolonialbehörden entzogen hatten292 . Offen drohten die Plantagenbesitzer, das zur Diskussion stehende Land so oder so zu besiedeln. Mit dem Verkauf der Landparzellen könne die britische Krone zumindest einen Profit daraus ziehen293 . Im Sommer 1802 beugte sich 288 289 290 291

292

293

Zahlen aus: The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 26.7.2018). Craton, Testing the Chains, S. 206. Portland an [Seton], [?].5.1797, in: TNA, CO 260/14. Seton an Portland, 16.11.1796, in: TNA, CO 260/14; Salisbury an Pitt, 6.7.1798, in: TNA, PRO 30/8/175/80; Cuyler an Dundas, 20.10.1797, in: TNA, WO 1/86/451; Cuyler an Huskinsson, 22.6.1797, in: TNA, WO 1/86/281; Rose an Cuyler (Kopie), 8.5.1797, in: TNA, WO 1/86/295; Collow, Observations respecting the Island of St. Vincent, o. D. [1798], in: TNA, PRO/30/8/124/187; [?], The importance of selling the lands. . . , o. D. [1797], in: TNA, CO 260/14; Young/Manning an [Portland], 2.5.1797, in: TNA, CO 260/14; Young/Manning an Portland, 17.5.1797; in: TNA, WO 1/82/579; Seton an Portland, 16.11.1796, in: TNA, WO 1/82/491. Collow an Dundas, 18.7.1798, in: TNA, WO 1/88/213; Bowyer an Dundas, 2.11.1798, in: TNA, WO 1/86/773; Bowyer an Dundas, 5.8.1798, in: TNA, WO 1/86/727; Bentinck an Portland, 4.8.1798, in: TNA, CO 260/15/132; Bentinck an Portland (Kopie), 9.4.1798, in: TNA, CO 260/15/22. [?], The importance of selling the lands. . . , o. D. [1797], in: TNA, CO 260/14; Young/Manning an Portland, 17.5.1797; in: TNA, WO 1/82/579.

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schließlich die britische Regierung dem Druck der Pflanzer, und der neue Gouverneur der Kolonie, Henry W. Bentinck, gab die ehemaligen Ländereien der Kariben zum Verkauf frei294 . Bis zum Inkrafttreten des Sklavenhandelsverbots 1808 wurden infolgedessen noch einmal 5846 afrikanische Sklaven in die Kolonie verschleppt295 . Damit war der jahrzehntelange Konflikt um das fruchtbare Land der Kariben auf der östlichen Hälfte Saint Vincents definitiv entschieden. Die »schwarzen« Kariben hatten in dieser Auseinandersetzung alles verloren und waren nur knapp ihrer völligen Auslöschung entgangen. Doch waren sie wirklich nur Bauern auf dem Schachbrett Hugues’, der ihren Landkonflikt mit den britischen Zuckerbaronen in zynischer Weise ausnutzte, um britische Streitkräfte zu binden, ohne dass die Kariben verstanden hätten, dass sie Teil eines globalen Konflikts waren, wie dies die Anthropologin Nancie Gonzalez behauptet hat296 ? Aus der Sicht Hugues’ trifft diese Beurteilung sicher zu. Allerdings hat die nähere Analyse des Konflikts gezeigt, dass die Kariben nicht nur gegenüber dem Kommissar Guadeloupes eine eigenständige Politik verfolgten, sondern auch gegenüber den frankophonen Plantagenbesitzern Saint Vincents. Ebenso hatten sie eine klare Vorstellung davon, dass der weltumspannende Konflikt für ihr weiteres Schicksal von Bedeutung war: Als sich im April 1798 Augustine, einer der letzten Karibenführer, den Rotjacken ergab, war seine erste Frage an die britischen Offiziere, »whether the French had yet landed in England«297 . Ähnliches dürfte auch für diejenigen republikanischen Soldaten auf Saint Lucia gegolten haben, die sich nach der Kapitulation Goyrands in das gebirgige Landesinnere der Kolonie geschlagen hatten und gegen ihre Wiederversklavung zur Wehr setzten. Der britische General Moore sah sich deshalb im Sommer 1796 einer wenig erfreulichen Situation gegenüber, wie er seinem Tagebuch anvertraute: »I am involved in a most disagreeable scene; a considerable number of the Negroes are in the woods in arms. [. . . ] Everything military or civil is in the greatest confusion, and the rainy season has commenced; whilst it lasts, it is almost impracticable to do anything«298 . Die Beschreibung Moores war keineswegs übertrieben. Faktisch kontrollierten die britischen Streitkräfte nicht viel mehr als die Ortschaften entlang der Küste sowie die Festung Morne Fortuné. Die rund 600 Mann starken Rebellen im Landesinneren nutzten geschickt das gebirgige Gelände, um aus ihren Verstecken heraus immer wieder die Plantagen und Ortschaften der Kolonie zu überfallen299 . Lasalle de Louisenthal, der als Offizier in einem deutschen

294 295 296 297 298 299

Shephard, An Historical Account, S. 178. Zahlen aus: The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 26.7.2018). Gonzalez, Sojourners, S. 20. Bentinck an Portland (Kopie), 9.4.1798, in: TNA, CO 260/15/22. Eintrag, 1.6.1796, in: Maurice (Hg.), The Diary, Bd. 1, S. 220. Gaspar, La Guerre, S. 111–114.

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Regiment in britischen Diensten fungierte, beschrieb die Kriegsführung wie folgt: »[I]l [. . . ] résulta plutôt une sorte de piraterie qu’une guerre. Meurtres, attaques surprises, incendies, étaient notre pain quotidien, le plus faible fuyant toujours le plus fort«300 . Dabei setzten die Rebellen auf altbewährte Mittel: Jeden, der ihre Pfade kreuzte, zwangen sie unter Androhung des Todes, sich ihnen anzuschließen. Infolgedessen flüchtete ein Großteil der Pflanzer in die befestigten Ortschaften der Kolonie. Ein Teil der Sklaven versteckte sich im Dickicht, andere schlossen sich freiwillig oder zwangsweise den Rebellen an301 . Die Guerillataktik verbot den Rebellen allerdings, Gebiete über längere Zeit zu kontrollieren. Ihr Vorgehen mochte für die britische Generalität frustrierend sein, deren Linieninfanterie für den Guerillakrieg im Dschungel wenig geeignet war302 . Doch es hatte auch zur Folge, dass es Hugues ungemein schwer fiel, Verstärkung und Nachschub nach Saint Lucia zu schaffen303 . Die britische Armee ihrerseits hatte erneut mit hohen Ausfällen wegen Gelbfieber zu kämpfen. Im Herbst 1796 hatte die Epidemie dermaßen unter den britischen Truppen gewütet, dass manche Regimenter keinen einzigen einsatzbereiten Soldaten mehr in ihren Reihen hatten304 . Innerhalb eines Monats starben mehr als 600 der einst 3000 Mann starken Garnison. »The army you have left in this country«, so Moore in einem Schreiben an Abercromby Anfang September 1796, »is almost entirely melted away. The officers and men are dispirited; the former thinking only of getting home and framing excuses, in most cases the most shameful, to bring it about«305 . In seinem Tagebuch wurde Moore noch deutlicher: »I really believe many of them wish their men to die so that they may go home«306 . Die Vorwürfe an die Offiziere unter seinem Kommando – allesamt »blockheads« in den Worten Moores – rührten aber auch daher, dass die Disziplin der Truppe zusehends verloren ging, wie er schrieb: »The army is degenerated to such a degree that we shall lose very soon even our character for spirit, & the event of the war consequently may be very different from what might otherwise be expected«307 .

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304 305 306 307

Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 24f. Eintrag, 2.7.1796, in: Maurice (Hg.), The Diary, Bd. 1, S. 228f.; [?] an Curt, 15.3.1797, in: ADGB, 61J/36; Moore an seinen Vater, 20.8.1796, in: BL, Add. MSS. 57320/89. Craton, Testing the Chains, S. 199. Hierbei handelt es sich um ein typisches Problem von Imperialmächten in Kolonialkriegen. Siehe Dierk Walter, »The Enemy Must Be Brought to Battle«. Westliche Schlachtenniederlagen in Imperialkriegen, in: Mittelweg 36 20 (2011), S. 55–80. Hugues/Lebas an Lacroix, 28.12.1796, in: ANOM, C10C 7; Moore an Brownrigg (Kopie), 21.9.1796, in: BL, Add. MSS. 57321/58; Hugues/Lebas an Truguet, 23.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 203; Lebas/Hugues an Truguet, 8.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 35. Graham an Dundas, 15.11.1796, in: TNA, WO 1/86/28; Graham an Dundas, 16.10.1796, in: TNA, WO 1/86/1. Moore an Abercromby, 2.9.1796, zit. nach: Craton, Testing the Chains, S. 200. Eintrag, 11.8.1796, in: Maurice (Hg.), The Diary, Bd. 1, S. 235. Moore an Brownrigg (Kopie), 21.9.1796, in: BL, Add. MSS. 57321/58.

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Unter diesen Umständen vermag es nicht zu erstaunen, dass Moore versuchte, die Rebellion mit politischen Mitteln zu beenden. Dabei sah er sich allerdings rasch mit der harten Realität der Kolonialgesellschaft Saint Lucias konfrontiert. Seine Aufrufe an die Plantagenbesitzer der Kolonie, das Kriegsbeil mit den patriotes zu begraben und ihre Sklaven gerecht zu behandeln, damit sich diese nicht den Rebellen anschlössen, verhallten wirkungslos. Sie brachten Moore unter den Pflanzern lediglich den Ruf ein, insgeheim ein »philanthrope« zu sein308 . Gegenseitiges Misstrauen prägte das Verhältnis zwischen den Pflanzern und den britischen Streitkräften, denn Moore verabscheute die Tyrannei der Sklavenhalter309 . In einem Brief an seinen Vater bezeichnete er die Kolonisten Saint Lucias etwa als »a miserable race«310 . Auch gegenüber den Rebellen konnte er keinen politischen Erfolg verbuchen. Seinem Amnestieangebot war niemand gefolgt311 . Frustriert schrieb er seinem Vater, dass er mittels »justice, moderation & good treatment« versucht habe, den Rebellen zu zeigen, »that it was their interest to be quiet«. Doch habe seine Milde keine Erfolge gezeitigt, weil »the disturbances were fermented & those in the woods supported by a set of fellows devoid of principle, who had risen to situation & employment under the Republic – from a mistaken levity they had been allowed to remain«312 . Moore war sich über die tieferen Gründe für den anhaltenden Widerstand der Rebellen durchaus im Klaren: »Men, after having been told that they were free and after carrying arms, did not easily return to slavery and labour«313 . Ohnehin zeichnete es sich aus Sicht des britischen Generals immer klarer ab, dass die Rebellion nicht mit konservativen Mitteln niedergeschlagen werden konnte. Denn die Rotjacken sahen sich mit einem Gegner konfrontiert, der bereit war, bis zum Äußersten zu gehen, wie Moore festhielt: Their attachment to their cause is great; they go to death with indifference. One man the other day denied, and persevered in doing so, that he had ever been with them or knew anything of them. The instant before he was shot, he called out: »Vive la république !« The actions they commit are shocking; they murder in the most cruel manner women and children. [. . . ] The cause in which they fight is praiseworthy, did they not disgrace it by acts which are a shame to human nature. The acts make us feel less remorse in ordering them to be put to death. [. . . ] The blacks who have taken the royalist side and have remained faithful to their masters are equally attached to their cause and inveterate against the others and against the republican party314 .

308 309 310 311 312 313 314

Faudoan an Curt, 8.10.1796, in: ADGB, 61J/36. Vgl. auch Moore an seinen Vater, 10.1.1797, in: BL, Add. MSS. 57320/104. Eintrag, 2.7.1796, in: Maurice (Hg.), The Diary, Bd. 1, S. 223. John Moore an seinen Vater, 11.10.1796, in: BL, Add. MSS. 57320/94. Gaspar, La Guerre, S. 113f. Beide Zitate aus Moore an seinen Vater, 11.10.1796, in: BL, Add. MSS. 57320/94. Eintrag, 2.7.1796, in: Maurice (Hg.), The Diary, Bd. 1, S. 224. Eintrag, 21.7.1796, in: ibid., S. 234f.

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Das Scheitern politischer Mittel, das militärische Unvermögen der Garnisonstruppen, das grassierende Gelbfieber und der Fanatismus vieler Rebellen ließen in Moore im Verlaufe des Sommers 1796 mehr und mehr die Überzeugung aufkommen, dass sich die Rebellion nur durch äußerste Brutalität niederschlagen lasse. In seiner Gedankenwelt verwischten in der Folge zusehends die Grenzen zwischen Freund und Feind. Damit radikalisierten sich nicht zuletzt Moores Ansichten über die einzuschlagende Strategie, die immer mehr durch Fatalismus und Verzweiflung gekennzeichnet waren, wie der folgende Tagebucheintrag illustriert: The Negroes in the island are to a man attached to the French cause; neither hanging, threats or money would obtain for me any intelligence from them. Those upon the estates are in league with and connected with those in the woods. [. . . ] If the island is a desirable acquisition, an immediate stop must be put to the present troubles by sending a body of 800 or 1000 blacks to scour the woods, whilst the British, whom I find from experience incapable of acting in the interior, occupy positions on the coast. [. . . ] But our commanders now seem to think of nothing but a flourishing Gazette then to get off. [. . . ] I am convinced the sooner we make peace, the better. Against the spirit and enterprise of the Republic, we have no chance. The troops are [. . . ] infamous. [. . . ] The composition of the officers is horrid. However flattering commanding may be to a military man, I would give the world to get quit of mine, or even to get home. I may lose my life and reputation without a possibility of doing good. With such instruments, it is impossible to work315 .

Moore beließ es nicht bei diesen Gedankenspielen. Die britischen Truppen vernichteten ab Juli 1796 systematisch alle Lebensmittelvorräte, deren sie habhaft werden konnten, und brannten alle Hütten und Unterschlüpfe nieder, um die Rebellen zum Verlassen des Landesinneren zu zwingen316 . Gefangene wurden keine mehr gemacht: Wer den Rotjacken in die Hände fiel, wurde auf der Stelle erschossen oder gehängt. Wer im Verdacht stand, mit den Rebellen unter einer Decke zu stecken, wurde kurzerhand aus der Kolonie deportiert317 . Diese »most violent measures« begründete Moore gegenüber seinem Vater mit der »perverseness« seines Gegners318 . Mitte Juli nahm die britische Armee zudem das 660 Mann starke schwarze Ranger-Regiment des aus Guadeloupe stammenden émigré Druault in ihren Dienst und verlegte es sogleich nach Saint Lucia, wo es in mobilen Kolonnen das Landesinnere durchkämmte319 . Die Soldaten von Druaults Regiment rekrutierten sich größtenteils aus Sklaven der aus Guadeloupe geflohenen Kolonisten, die auch Teile des Offizierskorps der Einheit stellten. Infolgedessen waren die émigrés aus Guadeloupe durch Druault und seine Offiziere, darunter der royalistische Hardliner Vermont, aus erster Hand über das Geschehen auf Saint Lucia 315 316 317 318 319

Eintrag, 8.7.1796, in: ibid., S. 231f. Eintrag, 21.7.1796, in: ibid., S. 234. Eintrag, 2.7.1796, in: ibid., S. 226f. John Moore an Graham Moore, 20.8.1796, in: BL, Add. MSS. 57320/89. John Moore an Graham Moore, 10.1.1797, in: BL, Add. MSS. 57320/104.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

261

informiert320 . Ihre Berichte über Moores Aufstandsbekämpfung an Louis de Curt, den Deputierten der émigrés Guadeloupes in London, sind erschreckend offen: So berichtete Larriveau von einem »carnage épouvantable«, den Druaults Soldaten unter den Rebellen anrichten würden. Wenn das so weitergehe, so Larriveau, »il n’y restera pas un nègre mal dans Ste-Lucie, et les habitants de cette Île presque aussi brigands que leurs nègres, seront réduits à 74 et encore dans ce petit nombre il y en aurait de suspects«321 . Ein anderer émigré wusste zu frohlocken: »Le général Moore se conduit parfaitement, la philanthropie qu’on lui reprochait, s’est changée en la plus extrême rigueur. Il ne veut pas que l’on fasse un seul prisonnier, ni homme, ni femme«322 . Die Erfolge Druaults gegen die Aufständischen bestärkten die émigrés in der unter ihnen weit verbreiteten Auffassung, dass der republikanischen Gefahr nur mit der Bewaffnung loyaler Sklaven entgegengetreten werden könne323 : Ce sont les nègres qui feraient les meilleurs soldats pour ce pays-ci, s’il n’y avait peut-être quelque inconvenance et de danger d’en armer un trop grand nombre. M. de Vermont qui s’est souvent distingué à leur tête et qui est revenu de Ste-Lucie malade, a raconté des choses surprenantes de leur courage et de leur animosité contre les brigands, elle est même passées jusqu’à la férocité324 .

Die ausufernde Brutalität von Moores Truppen stieß freilich zusehends auf Kritik. Lasalle de Louisenthal schrieb etwa, dass Druaults »bourreaux [. . . ] firent beaucoup de mal et se livrèrent à des actes aussi cruels qu’inutiles«325 . Selbst Moores Vater reagierte nach der Lektüre der Berichte seines Sohnes entsetzt326 . Die Kritiker vermochten Moore jedoch nicht vom Kurs abzubringen, zumal seine Terrorpolitik erste Früchte zu tragen begann, wie er Anfang September seinem Tagebuch anvertraute: »I suppose between 300 and 400 of them killed, wounded and hanged, and they are, from every report, much disheartened. Many have returned to work upon the estates, driven by fear and hunger, but these are still equally disaffected«327 . Ein britischer Sieg war aber noch nicht in Sicht, weshalb sich Moore die Möglichkeit einer politischen Lösung des Konflikts weiterhin offenhielt. Mitte Dezember 1796 bot der farbige Plantagenbesitzer Marin Pedre dem britischen General an, mit den Rebellen im Landesinneren über eine Kapitulation zu verhandeln. Pedre gehörte zu Beginn der Revolution zum Kreise Bellegardes, Mariniers und Sabathiers, also jener farbigen patriotes, die mit Rochambeau 320 321 322 323 324 325 326 327

Lamelouse an Curt, 22.7.1796, in: ADGB, 61J/36; Picard an Curt, 22.7.1796, in: ADGB, 61J/36. Larriveau an Curt, 24.7.1796, in: ADGB, 61J/36. Warum ausgerechnet 74 Kolonisten übrig bleiben sollten, lässt sich nicht mehr eruieren. Faudoan an Curt, 8.10.1796, in: ADGB, 61J/36. Ibid.; Faudoan, Mémoire sur l’augmentation des corps noirs, 1796, in: ADGB, 61J/36. [?] an Curt, 20.2.1797, in: ADGB, 61J/36. Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 26. Moore an seine Mutter, 16.12.1796, in: BL, Add. MSS. 57320/102. Moore an Abercromby, 2.9.1796, in: Maurice (Hg.), The Diary, Bd. 1, S. 238.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

um die Macht konkurriert hatten. 1795 hatte ihn Goyrand mit einem Offiziersposten auf Saint Vincent betraut, wo er sich schließlich im Herbst 1796 den britischen Truppen ergab328 . Moore glaubte an die Aufrichtigkeit der Bemühungen Pedres, den Konflikt für beide Seiten gütlich beenden zu wollen, wie er in seinem Tagebuch schrieb: »He wished of all things to see tranquillity restored to this island, where all his relations were«329 . Das Vertrauen Moores in seinen Unterhändler sollte sich allerdings nicht auszahlen. Über Wochen blieb Pedre in den Wäldern Saint Lucias, konnte aber nicht viel mehr erreichen als vage Waffenstillstandsverhandlungen. Das Schweigen der Waffen nutzten die Rebellen nur, um Mitte Januar 1797 einen Überraschungsangriff auf die Ortschaft Praslin im Osten Saint Lucias durchzuführen330 . Damit war die Aussicht auf eine politische Lösung des Konflikts so schnell verflogen, wie sie sich angedeutet hatte. Beim britischen Gegenangriff auf Praslin fiel auch Pedre. Dessen Tod kommentierte Moore trocken: »He fortunately was killed, for it is better for an officer not to survive such disgrace«331 . Im Januar 1797 gingen die Kämpfe deshalb in eine weitere Runde. Moore trat jedoch im Mai die Heimreise an, nachdem er zum zweiten Mal an Gelbfieber erkrankt war und beinahe gestorben wäre. Sein Nachfolger, James Drummond, setzte seine Taktik der mobilen Kolonnen fort. Der Widerstand der Aufständischen flachte im Verlauf des Jahres immer weiter ab. Die Beteuerungen Hugues’ an die Anführer der Rebellen, wonach ihr Ringen nicht vergebens sei und der Bindung britischer Truppen diene, zeugen von einer immer größer werdenden Hoffnungslosigkeit im Lager der Aufständischen Saint Lucias332 . Als im Oktober 1797 einer der letzten Anführer der Rebellen erschossen wurde, kapitulierten schließlich seine übriggebliebenen Mitkämpfer unter der Bedingung, dass sie nicht wieder versklavt würden. Drummond akzeptierte diese Bedingungen und gewährte allen freien Kolonisten Saint Lucias, die sich den Rebellen angeschlossen hatten, eine Amnestie und das Recht, weiterhin in der Kolonie leben zu dürfen. Alle anderen gerieten in Kriegsgefangenschaft333 . Damit war aus britischer Sicht der letzte große Brandherd in den Kleinen Antillen gelöscht. Die Folgen des Kriegs waren dramatisch: Ein Großteil der Plantagen und Ortschaften war im Zuge der Kampfhandlungen zerstört worden. Die meisten männlichen Sklaven waren verstorben oder wurden vermisst; Zug- und Schlachtvieh gab es in der Kolonie kaum mehr334 . 328 329 330 331 332 333 334

Gaspar, La Guerre, S. 119f. Eintrag, 17.11.1796, in: Maurice (Hg.), The Diary, Bd. 1, S. 242. Gaspar, La Guerre, S. 121; Craton, Testing the Chains, S. 201f. Eintrag, 15.1.1797, in: Maurice (Hg.), The Diary, Bd. 1, S. 246. Hugues/Lebas an Lacroix, 11.3.1797, in: ANOM, C10C 7. Cuyler an Dundas, 4.10.1797, in: TNA, WO 1/86/444; Craton, Testing the Chains, S. 202f. Les propriétaires dans l’Île de Ste-Lucie actuellement à Paris aux consuls de la République, 6.3.1800, in: ANOM, C10C 5; State of the population of the Island of St. Lucia, 1799, in: TNA, CO 253/2/55.

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Schlimmer war allerdings, dass wegen der systematischen Zerstörung der Lebensmittelvorräte durch die britischen Streitkräfte die Kolonie über mehrere Jahre hinweg von einer Hungerkrise betroffen war, die insbesondere unter den Sklaven einen großen Tribut an Menschenleben forderte335 . Der Wiederaufbau der Kolonie bis zum Frieden von Amiens 1802 verlief denn auch äußerst schleppend. Auf den Schultern der zurückkehrenden Pflanzer lasteten gigantische Schuldenberge, die es ihnen faktisch verunmöglichten, neue Sklaven zu kaufen und so die Plantagenökonomie der Kolonie wieder in Schwung zu bringen336 . Zwischen 1797 und 1802 machte kein einziger Sklavenhändler in der Kolonie halt337 . So war es kein Wunder, dass die verbliebenen Pflanzer Saint Lucias nach anderen Wegen suchten, um an die dringend benötigten Arbeitskräfte zu gelangen, die den Wiederaufbau der Plantagenökonomie begünstigen sollten. So reichten sie 1799 bei der britischen Kolonialverwaltung eine Petition ein, in der sie um die Verwendung schwarzer Kriegsgefangener für die Arbeit auf den Plantagen baten338 . Doch die britische Regierung lehnte dieses Ansinnen aus Furcht ab, die schwarzen Kriegsgefangenen könnten dies als Wiederversklavung und damit als Bruch der Kapitulationsbedingungen interpretieren. Ein erneutes Aufflammen des Kriegs in den Kleinen Antillen konnte sich die britische Regierung nach den horrenden Verlusten, welche ihre Streitkräfte in der Karibik erlitten hatten, nicht mehr leisten339 .

Die Bedeutung der Kleinen Antillen in den Revolutionskriegen Nach dem Ende der Kriege auf Grenada, Saint Lucia und Saint Vincent kehrten die letzten überlebenden Soldaten von Abercrombys Expedition nach Martinique zurück. Die von Krieg und Krankheit gezeichneten Soldaten boten einen entsetzlichen Anblick, wie Lasalle de Louisenthal schrieb: »Nos hommes n’avaient pour ainsi dire plus de chaussures, étaient presque nus, comme les habitants des Caraïbes«340 . Abercromby, der im Sommer 1796 nach England zurückgekehrt war, um der Regierung in London über die Situation in der Karibik Bericht zu erstatten und für die Entsendung weiterer Truppen zu werben, fand die britische 335 336 337 338

339 340

Prevost an Portland, 12.11.1799, in: TNA, CO 253/2/53. Prevost an Portland, 24.11.1798, in: TNA, CO 253/2/3. The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 26.7.2018). Pétition par les principaux habitants de Ste-Lucie à son Excellence le brigadier général Prevost (Kopie), o. D. [1799], in: TNA, CO 253/2/51; Prevost an Portland, 12.11.1799, in: TNA, CO 253/2/49; Trigge an Dundas, 1.12.1799, in: TNA, WO 1/87/617. Portland an Prevost (Entwurf), 18.4.1800, in: TNA, CO 253/2/63. Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 35.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Regierung in einer strategischen Zwickmühle wieder: Auf der einen Seite waren die personellen Ressourcen erschöpft. Für eine weitere Offensive in der Karibik standen der britischen Armee nur 5000 neu ausgehobene deutsche Söldner zur Verfügung. Diese kleine Streitmacht reichte für die Eroberung Saint-Domingues und Guadeloupes nicht aus. Allein für einen Angriff gegen Guadeloupe glaubte Abercromby 12 000–15 000 zusätzliche Soldaten zu benötigen, und für die vollständige Besetzung Saint-Domingues rechnete der General mit weiteren 8000–10 000 Mann. Auf der anderen Seite drohten die Erfolge der republikanischen Armeen im Sommer 1796 auf dem europäischen Kontinent, Österreich zu einem Friedensschluss zu zwingen. Die britische Regierung hätte sich in diesem Fall genötigt gesehen, ihrerseits den Gang zum Verhandlungstisch anzutreten. Für diese Eventualität benötigte Pitts Kabinett genügend Verhandlungsmasse, um etwaige Friedensbedingungen so vorteilhaft wie nur möglich zu gestalten. Faktisch konnte dies nur bedeuten, weitere Kolonien Frankreichs, Spaniens und der Batavischen Republik zu erobern. Doch hierfür fehlte es bekanntlich an Soldaten. Erst die spanische Kriegserklärung an Großbritannien am 8. Oktober 1796 erlaubte es der britischen Führung, aus dem strategischen Dilemma auszubrechen. Zwar bedeutete der Kriegseintritt Spaniens auf Seiten Frankreichs eine Schwächung der britischen Position im Mittelmeer, er eröffnete aber gleichzeitig die Möglichkeit, sich der spanischen Kolonien in Übersee zu bemächtigen, die weitgehend schutzlos waren. Abercromby erhielt deshalb erneut ein Kommando in der Karibik, um Trinidad und Puerto Rico zu erobern. Die Einnahme Trinidads sollte nicht nur dazu dienen, republikanischen Kräften einen Rückzugsort zu verwehren, sondern aufgrund der geografischen Nähe zum lateinamerikanischen Festland auch einen Umschlagplatz für den Schmuggel britischer Waren in die spanischen Festlandkolonien zu eröffnen. Puerto Rico wiederum wurde einerseits wegen des Hafens bei San Juan ins Auge gefasst, welcher der Royal Navy eine strategisch günstig gelegene Basis im Osten der Großen Antillen verschaffen sollte. Andererseits glaubte Dundas, die émigrés aus Saint-Domingue in Puerto Rico ansiedeln zu können. Aus Sicht der britischen Regierung war es absehbar, dass die einstige Perle der Antillen über kurz oder lang nicht mehr zu halten war, weshalb sie sich entschied, sich lediglich auf die Sicherung einiger strategischer Punkte in Saint-Domingue zu konzentrieren341 . Als Abercromby Anfang Januar 1797 in Martinique eintraf, sahen sich viele émigrés aus Guadeloupe erneut vor den Kopf gestoßen, war doch die Armee, die der britische General mit sich brachte, mit rund 4500 Mann eindeutig zu schwach, um einen Angriff auf Guadeloupe zu unternehmen342 . Je deutlicher 341 342

Duffy, Soldiers, S. 267–270. Goudrecons an Curt, 15.1.1797, in: ADGB, 61J/36; [?] an Curt, 8.2.1797, in: ADGB, 61J/36.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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es sich abzeichnete, dass sich die geostrategische Großwetterlage zu Ungunsten der émigrés verändert hatte, desto geringer wurde deren Einfluss auf die britischen Militärs. Gegenseitige Vorwürfe waren alltäglich und schürten ein Klima des allgemeinen Misstrauens343 . Wer von den ehemaligen Plantagenbesitzern es sich leisten konnte, versuchte, in Trinidad und anderen Kolonien des Archipels eine neue Existenz aufzubauen344 . Andere verarmten und klammerten sich an die immer illusorischer werdende Hoffnung, irgendwann doch noch nach Guadeloupe zurückkehren zu können345 . Abercromby glaubte ohnehin, in Guadeloupe keine militärische Gefahr mehr ausmachen zu können, wie er Dundas mitteilte: »[Hugues] is not bold, he is grown rich and avaricious, he is sending his fortune to Europe«346 . Nachdem alle Pläne der Briten, die letzte republikanische Hochburg im Archipel zurückzuerobern, verworfen worden waren, verlor die britische Führung auch jegliches Interesse am weiteren Schicksal der émigrés, die für die Generäle nutzlos geworden waren. Mit der Eroberung der spanischen Kolonie Trinidad hoffte Abercromby nicht zuletzt den émigrés aus Guadeloupe neues Land verschaffen und ihrem ständigen Wehklagen ein Ende bereiten zu können. Die Voraussetzungen für das Gelingen der britischen Expedition waren äußerst günstig. Der Gouverneur Trinidads, José M. Chacón, war ein Gegner der Französischen Revolution und misstraute den zahlreichen Republikanern aus Guadeloupe und anderen Inseln des Archipels – Korsaren, Schmugglern und Soldaten – welche die Kolonie als Rückzugsgebiet nutzten. Auf Hugues’ Hilfsangebote und Warnungen, wonach Abercromby einen Angriff auf Trinidad vorbereite, reagierte Chacón nicht347 . Militärisch war die Situation der Spanier ohnehin hoffnungslos: Das Gelbfieber hatte einen Großteil der Garnisonstruppen dahingerafft und auch unter den Matrosen der vor Anker liegenden Kriegsschiffe einen hohen Tribut gefordert. Als Mitte Februar die britische Flotte vor Trinidad aufkreuzte, ließen die spanischen Marineoffiziere die Kriegsschiffe niederbrennen, damit sie nicht der Royal Navy in die Hände fallen würden. Chacón legte wenig Willen an den Tag, die Kolonie zu verteidigen. Nach einigen kurzen Scharmützeln ging der spanische Gouverneur am 17. Februar 1797 auf das Kapitulationsangebot Abercrombys ein348 . Hugues wertete Chacóns Kapitulation als Ausdruck der mangelnden Bündnistreue der Alliierten Frankreichs in Übersee, weshalb er Marine- und Kolonial343

344 345 346 347 348

[Portland] an Hamilton, 31.5.1796, in: TNA, CO 71/28; Proklamation von Johnstone, 24.5.1798, in: TNA, CO 71/30; Proklamation von Matson, 6.6.1797, in: TNA, CO 71/29; Matson an Portland, 22.6.1797, in: TNA, CO 71/29. Larriveau an Curt, 24.7.1796, in: ADGB, 61J/36; Faudoan an Curt, 8.10.1796, in: ADGB, 61J/36; Bonnaire an Curt, 9.5.1798, in: ADGB, 61J/37. [?] an Curt, 25.2.1797, in: ADGB, 61J/36; [?] an Curt, 13.9.1797, in: ADGB, 61J/36. Zit. nach: Duffy, Soldiers, S. 275. Hugues/Lebas an Chacón (Kopie), 29.12.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 217; Hugues/ Lebas an Truguet, 25.1.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 181. Duffy, Soldiers, S. 276–283; Pérotin-Dumon, Révolutionnaires, S. 145–148.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

minister Truguet aufforderte, dafür zu sorgen, dass die Verbündeten die Gouverneursposten in der Karibik mit loyalen Männern besetzten: Nous vous le répétons, citoyen ministre, les possessions espagnoles sont anglomanisées, les chefs sont tous de la partie contraire à la France et les paisibles habitants de ces pays qui jadis idolâtraient les Français sont devenus les ennemis par notre système évidemment destructeurs de leurs propriétés coloniales. Les malheurs de St-Domingue se font partout sentir, et les erreurs commises par le gouvernement jusqu’à ce jour pour les mesures à prendre dans ces contrées ne peuvent rassurer nos alliés349 .

Die Abolition war allerdings nicht der einzige Hemmschuh für die französische Seite auf dem diplomatischen Parkett. So beschwerte sich der Gouverneur Puerto Ricos, Don Ramón de Castro, 1796 bei seiner Regierung in Madrid über die Korsaren aus Guadeloupe, welche die Kolonie als Basis für ihre Kaperfahrten nutzen würden. Zwar brächten die Korsaren mit ihren Prisen dringend benötigte Waren nach San Juan, der Hauptstadt Puerto Ricos. Doch der Anblick von schwarzen Matrosen, die zu allem Überfluss noch »citoyens« genannt würden, sei so gefährlich für die koloniale Ordnung wie die aufrührerischen Lieder, die sie sängen, und die Schriften, die sie verteilten. Besorgniserregend sei aber auch die Tatsache, dass die Besatzungen der Korsaren glaubten, sie stünden über dem Gesetz und sich infolgedessen den Anordnungen der Ordnungskräfte widersetzten. Ohnehin sei das Gebaren der französischen Matrosen in San Juan beispiellos: Sie würden sich nicht nur öffentlich über die katholische Kirche lustig machen, sondern auch die jungen Frauen der Kolonie verführen, so der Gouverneur Puerto Ricos weiter350 . Doch bei allem Misstrauen gegenüber dem französischen Bündnispartner: Als die britische Flotte am 17. April 1797 vor San Juan aufkreuzte, war Castro nur allzu gerne bereit, die rund 200 Matrosen der im Hafen San Juans vor Anker liegenden französischen Korsaren in Dienst zu nehmen351 . Abercromby seinerseits unterschätzte die Bereitschaft Castros, die Kolonie zu verteidigen, und glaubte in Puerto Rico einen ähnlichen Coup zu landen wie zwei Monate zuvor in Trinidad. Doch seine Aufforderung zur Kapitulation beantworteten die spanischen Verteidiger mit einer verbissenen Verteidigung der Festung San Juans. Konfrontiert mit der Unfähigkeit, die Stadt im Sturmangriff zu nehmen, und den in die Höhe schnellenden Desertionsraten unter den deutschen Söldnern in seiner Armee, entschloss sich Abercromby am 30. April 1797, die Belagerung abzubrechen und seine Truppen wieder einzuschiffen352 . Damit war die Zeit britischer Offensiven in der Karibik vorerst zu Ende. Dundas wies Abercrombys Nachfolger, General Cornelius Cuyler, an, keine weiteren Offensivaktionen zu ergreifen353 . Die beiden Großoffensiven Greys 349 350 351 352 353

Lebas/Hugues an Truguet, 7.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 195. Siehe auch Lebas an Truguet (geheim), 10.3.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 95. Pérotin-Dumon, Révolutionnaires, S. 128f. Ibid., S. 151f. Duffy, Soldiers, S. 283–291. [Dundas] an Cuyler, 27.9.1797, in: TNA, WO 1/86/359.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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und Abercrombys hatten zwar die britische Position in der Karibik erheblich verbessert. Doch das eigentliche Ziel, die französische Konkurrenz völlig auszuschalten, hatten sie verfehlt. Guadeloupe blieb nach wie vor unter republikanischer Kontrolle, so dass der französischen Marine das Tor zur Karibik weiterhin offen stand. Auf Saint-Domingue sah die Situation der Briten wenig besser aus. Den Truppen des schwarzen Generals Toussaint Louverture, der sich mittlerweile zum starken Mann der Kolonie aufgeschwungen hatte, war es bis Ende des Jahres 1797 gelungen, die Rotjacken in einige wenige befestigte Hafenstädte zurückzudrängen. Dundas und Pitt sahen keine Möglichkeit mehr, die Kolonie zu halten, und beauftragten General Thomas Maitland, den Abzug der britischen Armee aus Saint-Domingue vorzubereiten. Im Frühjahr 1798 verschlechterte sich die Situation der britischen Streitkräfte derart, dass Maitland Louverture kurzerhand anbot, die verbliebenen britischen Stellungen auf Saint-Domingue umgehend zu räumen354 . Was für die Briten aussah wie eine militärische Niederlage, erwies sich allerdings schon bald als politischer Triumph. In einem geheim gehaltenen Vertragszusatz sicherte Louverture seinem britischen Verhandlungspartner zu, die britische Kolonie Jamaika nicht anzugreifen. Louverture ging gar soweit, die britischen Behörden auf Jamaika über die Vorbereitungen eines französischen Angriffs auf die britische Kolonie zu unterrichten. Die Abolition erachtete Louverture also keineswegs als seine messianische Pflicht. Vielmehr verfolgte er eine Politik, die auf den eigenen Machterhalt bedacht war355 . Auch wenn damit die militärische Gefahr, die von Saint-Domingue ausging, aus britischer Sicht weitgehend gebannt war, waren die Verluste, welche die britische Armee zwischen 1793 und 1801 erlitten hatte, mit schätzungsweise 33 000 Mann enorm. Gemäß David P. Geggus waren 95 Prozent der Todesfälle dem Gelbfieber und anderen Tropenkrankheiten geschuldet. Die Ausfälle waren nicht nur in numerischer Hinsicht katastrophal, sondern auch, weil es sich bei den ausgelöschten Regimentern um einige der kampferprobtesten Einheiten der britischen Armee gehandelt hatte. Hinzu kamen Kosten von rund 30 Millionen Pfund für die britische Staatskasse. Genaue Zahlen zu den Verlusten auf Seiten der französischen und der spanischen Streitkräfte fehlen, sie dürften sich aber in ähnlichen Bereichen bewegt haben356 . In Anbetracht eines solchen Blutzolls war an weitere Offensiven in der Karibik zumindest aus britischer Sicht mittelfristig nicht mehr zu denken. Die kostspielige britische Expansionspolitik bot nicht nur der Regierungsopposition Anlass zu heftiger Kritik357 . Selbst konservative Kräfte im britischen Parlament missbilligten die Kriegsstrategie der letzten Jahre. So hielt der einflussreiche Tory-Abgeordnete 354 355 356 357

Geggus, Slavery, S. 373–381. Girard, Black Talleyrand. Geggus, Slavery, War, and Revolution in the Greater Caribbean, S. 24; Duffy, Soldiers, S. 372. David P. Geggus, The Cost of Pitt’s Caribbean Campaigns, 1793–1798, in: The Historical Journal 26 (1983), S. 699–706, hier S. 699.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

George Canning Premierminister Pitt vor, dass die britische Expansion in der Karibik bislang vor allem dazu gedient habe, den britischen Sklavenhändlern neue Absatzmärkte und der Londoner City frische Investitionsmöglichkeiten zu verschaffen, nur damit ein Großteil der Eroberungen bei einem Friedensschluss wieder an ihre ursprünglichen Besitzer restituiert würde358 . Allerdings wusste vermutlich auch Canning nur zu gut, dass die beiden Offensiven in der Karibik auch der Sicherung des bestehenden britischen Kolonialreiches in der Karibik gedient hatten, welches die französischen Gegner mit der Abschaffung der Sklaverei zu zerstören trachteten. Solange das westindische Kolonialreich Großbritanniens sicher war, konnte die britische Regierung den Kampf gegen Frankreich weiterführen und ihre Verbündeten dank der Londoner City mit Subsidienzahlungen im Krieg halten. Militärische Rückschläge auf dem Kontinent mochten für Whitehall zwar schmerzhaft sein, sie waren aber, verglichen mit einem Zusammenbruch des fragilen Kreditsystems der Londoner City im Zuge eines möglichen Ausfalls der West Indies, besser verkraftbar. Selbst als die britische Regierung 1797 nahe am finanziellen Kollaps stand und zwischenzeitlich die Goldkonvertibilität des Pfundes aufgeben musste, konnten dank der Aufrechterhaltung des Londoner Kreditsystems neue Anleihen aufgenommen und so der Krieg weitergeführt werden359 . Ob dies auch im Falle eines Verlusts der westindischen Kolonien der Fall gewesen wäre, darf mit guten Gründen in Frage gestellt werden. Der Ausgang der blutigen Kämpfe auf Grenada, Saint Vincent und Saint Lucia war deshalb mitentscheidend in der globalen Auseinandersetzung zwischen den beiden Imperien und ihren Verbündeten. Die Kolonien waren in den Revolutionskriegen also mehr als nur Bauern auf dem Schachbrett, wie dies Wolfgang Reinhard behauptet hat360 . Inwiefern sich Hugues über diese Zusammenhänge im Klaren war, bleibt offen. Seine Kommentare gegenüber Marine- und Kolonialminister Georges René Le Pelley de Pléville zur drohenden Zahlungsunfähigkeit der britischen Regierung im Jahr 1797 zeugen jedenfalls von einem großen Interesse an den Entwicklungen auf dem Londoner Finanzplatz361 . Unabhängig davon, ob er daraus die richtigen Schlüsse zog oder nicht, Hugues hatte allen Anlass dazu, ein wachsames Auge auf die Geschehnisse in der City zu haben. Denn es lag in seiner Verantwortung abzuschätzen, ob es der britischen Regierung möglich sein würde, erneut eine Militärexpedition in die Karibik zu finanzieren. Auf Unterstützung aus Frankreich konnte Hugues’ ohnehin nicht zählen. Dies war, wie wir gesehen haben, eine weitgehend gewollte Folge des Abolitionsdekrets, das die Royalisten in den Kolonien für ihren Verrat im Vertrag von White358 359 360 361

Canning an Pitt, 16.12.1799, in: TNA, PRO/30/8/120/177. Duffy, Soldiers, S. 378–387. Wolfgang Reinhard, Die Unterwerfung der Welt. Eine Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415–2015, München 3 2016, S. 1277. Hugues/Lebas an Le Pelley, 17.10.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 98.

6. Krieg in den Kleinen Antillen

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hall bestrafen, das britische Kolonialreich in der Karibik in den Ruin stürzen und die französischen Besitzungen in Übersee unabhängig von personeller und materieller Unterstützung aus Frankreich machen sollte. Hugues’ Krieg in den Kleinen Antillen musste sich deshalb weitgehend selbst finanzieren, so dass das Beutemachen neben der Zerstörung der ökonomischen Ressourcen zum handlungsleitenden Motiv für die französischen Militärs werden musste362 . Der Krieg wurde damit immer mehr zum Selbstzweck – nicht zuletzt für Hugues und seine Offiziere, welche einen erheblichen Teil der Beute in den eigenen Taschen verschwinden ließen363 .

362 363

Lebas/Hugues an Nationalkonvent, 9.6.1795, in: ANOM, C7A 48, fol. 15. [?], Notes particulières sur la conduite et l’administration des organes particuliers du Directoire exécutif aux îles du Vent, o. D. [1795], in: ANOM, C7A 48, fol. 248.

7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie, 1796–1800 Im September 1794 stoppte das Korsarenschiff Ça ira (14) die unter USamerikanischer Flagge segelnde Brigg Brothers aus Philadelphia. An Bord des amerikanischen Schiffes befanden sich unter anderem »plusieurs dames de la meilleure société de Maryland«. Vergebens wehrte sich der Kapitän des amerikanischen Schiffes »in a furious manner and making use of a very scurrilous language« gegen die Beschlagnahmung der geladenen Ware durch die Matrosen des französischen Kaperschiffes. Gemäß dem amerikanischen Kapitän waren »several of the privateer’s men busy plundering his passengers in the most scandalous manner, searching the ladies’ pockets and untying their petticoats«. Das gekaperte Schiff wurde nach Basse-Terre gebracht, wo ein Prisengericht entschied, dass die Kaperung der Brothers rechtmäßig gewesen sei. Der neutrale Status der US-Handelsflagge, der es Korsaren untersagte, das fragliche Schiff zu kapern, interessierte in Basse-Terre augenscheinlich niemanden. Das Schiff und seine Ladung wurden anschließend in der schwedischen Kolonie Saint-Barthélemy für rund 550 000 Livre verkauft1 .

Krieg als Selbstzweck: die Kaperfahrer Guadeloupes und ihre Nutznießer Die Kaperung der Brothers war kein Ausnahmefall, sondern ist geradezu typisch für das Schicksal hunderter Schiffe, die während der Revolutionskriege den Kaperfahrern Guadeloupes in die Hände fielen. Seit der französischen Rückereroberung Guadeloupes im Juni 1794 stach eine immer größer werdende Zahl französischer Korsaren aus der Kolonie in See, um die karibischen Gewässer unsicher zu machen. Unter falscher Flagge segelnd, fielen die Korsaren über alle Handelsschiffe her, die ihren Weg kreuzten. Die meisten dieser Kaperschiffe wiesen eine Besatzung von 80 bis 100 Mann auf und waren eher leicht bewaffnet. Sie hatten dafür Vorteile hinsichtlich Geschwindigkeit und Wendigkeit. In den ersten Monaten nach der Rückeroberung Guadeloupes wurden insbesondere die kleineren Schiffe des kolonialen cabotage sowie geeignete, in den Häfen der Kolonie beschlagnahmte Handelsschiffe zu Kaperschiffen umfunktioniert. Mit dem wachsenden Erfolg der Korsaren Guadeloupes rüsteten ihre Financiers auch immer mehr gekaperte Schiffe zu 1

Alle Zitate aus Pérotin-Dumon, La ville, S. 246.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-008

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diesem Zweck aus, so dass Verluste kaum ins Gewicht fielen und die Korsarenflotte Guadeloupes immer größer wurde2 . Die Korsaren nutzten dabei nicht nur ihre Heimatbasis Guadeloupe als Ausgangsort für ihre Kaperfahrten, sondern auch die neutralen Kolonien Schwedens und Dänemarks sowie nach 1795 die Häfen der Verbündeten in der Karibik, Spaniens und der Batavischen Republik3 . Zudem bildeten die meist nur spärlich bis gänzlich unbewohnten Inseln der Grenadinen zwischen Saint Vincent und Grenada ein ideales Rückzugsgebiet, um sich vor den schweren Einheiten der Royal Navy zu verstecken, und gleichzeitig eine ausgezeichnete Ausgangsbasis für Angriffe auf die britische Handelsschifffahrt4. Der Schutz abgelegener Buchten ermöglichte es den Korsaren aber auch, Raubzüge an Land zu unternehmen, bei denen sie regelmäßig nahegelegene Plantagen plünderten5 . Kommandiert wurden die Korsaren zu einem bemerkenswert großen Teil von Männern, die vor dem Krieg Sklavenhandelsschiffe befehligt hatten – Kaperfahrten boten ihnen nach Abschaffung der Sklaverei einen neuen Broterwerb. Die Besatzungen rekrutierten sich zum einen aus den Matrosen des cabotage und der Handelsschiffe, die sich zum Zeitpunkt der Rückeroberung in den Häfen Guadeloupes befanden. Diese Männer waren meist jung, mittellos und ledig, weshalb sie nichts zu verlieren hatten. Die Kaperei bot ihnen die Chance, ein kleines Vermögen anzuhäufen oder ihre Schulden abzubezahlen6 . Sogar Kinder heuerten auf den Kaperschiffen an7 . Viele Matrosen gaben ihren Anteil an den Prisen nach der Rückkehr gleich wieder für Alkohol, Glückspiel und Prostituierte aus8 . Zum anderen diente auch eine wachsende Zahl ehemaliger Sklaven auf den Korsarenschiffen. Régent geht von rund 2000 schwarzen Matrosen aus, die sich auf diesem Wege der harten Arbeit auf den Plantagen entziehen konnten. Das Risiko für diese Männer war allerdings weit größer für ihre weißen Kameraden: Gerieten sie in Kriegsgefangenschaft, drohte ihnen der Verkauf in die Sklaverei9 . Viele nouveaux citoyens bewaffneten auch auf eigene Faust kleinere Schiffe, die in Küstennähe operierten und im Gegensatz zu den Korsaren über keine Kaperbriefe verfügten, die ihre Überfälle auf die feindliche Handelsschifffahrt legitimiert hätten. Hugues sah freilich keinen Grund, gegen diese Piraterie einzuschreiten10 . 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Dubois, A Colony, S. 247; Régent, Esclavage, S. 306–308. Dubois, A Colony, S. 244. Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 51; Pérotin-Dumon, Commerce, S. 62f. Dubuc an Grey, 27.10.1794, in: DUL, GB-0033-GRE-A, A493. Pérotin-Dumon, La ville, S. 232–234. An Account of Prisoners of War, sent to and received from Guadeloupe between the 21st July and the 31st December 1796, in: TNA, ADM 1/320. Pérotin-Dumon, Commerce, S. 70f. Régent, Esclavage, S. 309f. Michel Rodigneaux, La guerre de course en Guadeloupe, XVIIIe –XIXe siècles, ou Alger sous les tropiques, Paris 2006, S. 84f.

7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie

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Dies war in vielerlei Hinsicht typisch für die chaotische Verwaltung der Kaperflotte durch der staatlichen Institutionen Guadeloupes11 . Die Kolonialbeamten und Prisenrichter drückten beim Verkauf von Kaperbriefen und der Rechtsprechung zu den gemachten Prisen regelmäßig beide Augen zu. Über ihre Aktivitäten legten sie kaum Rechenschaft ab. Das daraus entstehende Chaos war gewollt, denn viele Prisenrichter und Kolonialbeamte hatten selbst als Aktionäre in die Finanzierung von Kaperschiffen investiert oder waren Geschäftspartner jener Kaufleute Guadeloupes, welche die Ausrüstung von Korsaren finanzierten. Es war deshalb naheliegend, Prisen zu vertuschen, Zahlen zu frisieren und Gelder verschwinden zu lassen12 . Ihr Vorgesetzter, Hugues, diente dabei als leuchtendes Vorbild. Der Kommissar verlangte nicht nur hohe Bestechungsgelder für das Ausstellen von Kaperbriefen, sondern investierte auch einen beträchtlichen Teil seines Vermögens in die Finanzierung von Kaperschiffen. Zusammen mit wohlhabenden Kaufleuten aus Basse-Terre stand Hugues an der Spitze eines weit verzweigten Netzwerkes von Männern, die nicht nur durch gemeinsames ökonomisches Interesse an der Kaperei zusammengehalten wurden, sondern auch durch Familienbande. Insbesondere Offiziere der Kolonialarmee investierten ihr Vermögen in die Ausrüstung von Kaperschiffen und zögerten nicht, Waffen und Schwarzpulver aus Armeebeständen den Korsaren ohne Entgelt zur Verfügung zu stellen, um die Kosten zu drücken13 . Hugues hatte auch keine Hemmungen, die Matrosen der aus Frankreich eintreffenden Kriegsschiffe auf die Korsaren der Kolonie zu versetzen, um die Schiffe zu bemannen14 . Solche personellen Abhängigkeiten und Verstrickungen blieben nicht nur auf Guadeloupe beschränkt. Zusehends gerieten auch die Prisengerichte der schwedischen Kolonie Saint-Barthélemy und der batavischen Kolonie Curaçao in den Dunstkreis dieser Beuteökonomie15 . Die Verquickung von staatlichen und privaten Interessen in der Finanzierung von Kaperschiffen muss vor dem Hintergrund der darbenden Plantagenökonomie Guadeloupes verstanden werden, die aufgrund der unsi11 12 13

14 15

Leissègues an de Beaupréau, 8.7.1795, in: SHD, FM/BB4/85, fol. 46. Pérotin-Dumon, La ville, S. 239–243; Rodigneaux, La guerre, S. 81. Pérotin-Dumon, La ville, S. 244, 250–253; Dies., Commerce, S. 71f.; Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 425–427; Régent, Esclavage, S. 310; [?], Notes particulières sur la conduite et l’administration des organes particuliers du Directoire exécutif aux îles du Vent, o. D. [1795], in: ANOM, C7A 48, fol. 248; Rapport au ministre de la Marine et des Colonies, 30.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 255; Desfourneaux an Vatry (Kopie), 5.9.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 68; Pélardy, Observations du général de division Pélardy, sur les événements de la Guadeloupe, 10.10.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 207. Harvey an Nepean, 14.7.1798, in: TNA, ADM 1/321; Papin an Truguet, 23.3.1797, in: SHD, FM/BB4/116, fol. 213. Siehe Victor Wilson, Commerce in Disguise. War and Trade in the Caribbean Free Port of Gustavia, 1793–1815, Diss., Åbo Akademi (2015), S. 116–123; Han Jordaan, Patriots, Privateers and International Politics. The Myth of the Conspiracy of Jean Baptiste Tierce Cadet, in: Wim Klooster, Gert Oostindie (Hg.), Curaçao in the Age of Revolutions, 1795–1800, Leiden 2011 (Carribean Series, 30), S. 141–169.

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cheren Zukunftsaussichten als Investitionsobjekt ausfiel. Im Gegensatz dazu versprach die Finanzierung von Kaperschiffen schnelle und hohe Gewinne. Die Gefahr eines finanziellen Verlustes war derweil insbesondere für zahlungskräftige Investoren gering: An der Ausrüstung von Korsaren beteiligten sich meist mehrere Investoren, so dass das Risiko auf eine Vielzahl von Schultern verteilt war16 . Wirft man einen Blick auf die überlieferten Zahlen zu den Prisen und Gewinnen, welche die Kaperfahrer Guadeloupes erzielten, wird auch klar, weshalb so viele Kolonialbeamte und Militärs ihr Vermögen in die Finanzierung von Kaperschiffen investierten. Allein im Jahr 1796/97 (das Jahr V des republikanischen Kalenders) verzeichneten die Korsaren Guadeloupes durch den Verkauf der Prisen gemäß offiziellen Statistiken Gewinne in der Höhe von 40 Millionen Livre. Vermutlich waren die Erträge aber noch höher, wurden doch die Zahlen in der Regel von den Kolonialbeamten nach unten korrigiert, um die wahren Ausmaße des Kaperkriegs zu vertuschen. Welche ökonomische Bedeutung die Kaperei einnahm, wird beim Vergleich mit anderen ökonomischen Kennzahlen Guadeloupes deutlich: Am Ende des Ancien Régime wurden die jährlichen Exporte von Kolonialwaren aus Guadeloupe, immerhin der damals viertgrößte Zuckerproduzent der Welt, lediglich auf 18 Millionen Livre geschätzt. Die Prisen der Korsaren brachten also einen bis dahin nicht gesehenen Reichtum nach Guadeloupe17 . Kein Wunder, dass jedermann ein Stück vom Kuchen wollte: Rasch entwickelte sich in den beiden Städten der Kolonie ein von der Kaperei abhängiger Wirtschaftszweig, in dem eine große Zahl von Menschen involviert war. Großinvestoren, Kaufleute, Waffenschmiede, Militärs, Kolonialbeamte, Handwerker, Gewerbetreibende und Matrosen – sie alle profitierten von den Prisen der Korsaren und hatten deshalb ein großes Interesse an der Fortführung des Kaperkriegs18 . Insbesondere farbige Kaufleute aus Basse-Terre und Port-de-la-Liberté beteiligten sich massiv an der Finanzierung von Kaperschiffen, wie Régent nachgewiesen hat19 . Die Royal Navy drohte dem Boom allerdings schon rasch ein Ende zu bereiten. Indem sie die zwischen Großbritannien und seinen westindischen Kolonien verkehrenden Handelsschiffe 1795 in Geleitzügen zusammenfasste, schuf sie einen wirksamen Schutz gegen die Angriffe der französischen Kaperschiffe20 . Hugues ließ sich davon nicht abschrecken. Sukzessive weitete er den Kaperkrieg aus, indem er den Korsaren Guadeloupes erlaubte, neutrale Handelsschiffe aufzubringen, sofern sie mit britischen Kolonien Handel trieben.

16 17 18 19 20

Pérotin-Dumon, La ville, S. 254f. Lacour, Histoire, Bd. 2, S. 449. Régent, Esclavage, S. 312–315; Pérotin-Dumon, La ville, S. 239–241. Régent, Esclavage, S. 303–308. H. J. K. Jenkins, Franco-British Disagreement Regarding American Commerce in the Eastern Caribbean, 1793–1798, in: Revue française d’histoire d’outre-mer 73 (1986), S. 257–265; Pérotin-Dumon, La ville, S. 247f.

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Die Einhaltung dieser Beschränkung war in der Praxis naturgemäß kaum zu überprüfen. Die Ausweitung des Kaperkriegs auf die Neutralen traf in erster Linie die amerikanische Handelsschifffahrt. Hugues legitimierte dies mit der Unterstützung der britischen Kriegsanstrengungen durch amerikanische Kaufleute. Zudem leistete eine große Zahl von Amerikanern auf den Schiffen der Royal Navy Dienst. Dieses Verhalten erachtete Hugues ohne Absprache mit der Metropole als Bruch des franko-amerikanischen Bündnisvertrags von 1778, womit er sich ermächtigt fühlte, den Kaperkrieg gegen die USA auszuweiten21 . Das war eine abenteuerliche Begründung, die völlig außer Acht ließ, dass die amerikanische Regierung mit ihrer Neutralitätserklärung zu Beginn des Ersten Koalitionskriegs 1792 sowie dem Handelsvertrag vom 19. November 1794 mit Großbritannien (Jay’s Treaty) den Bündnisvertrag mit Frankreich von 1778 faktisch gekündigt hatte und dass die amerikanischen Seeleute größtenteils von den britischen Pressgangs zum Dienst in der Royal Navy gezwungen worden waren22 . In Wahrheit legitimierte Hugues damit im Nachhinein nur die bereits bestehende Praxis französischer Korsaren aus Guadeloupe, die, wie wir eingangs gesehen haben, schon kurz nach der Rückereroberung der Insel im Juni 1794 damit begonnen hatten, Jagd auf neutrale Schiffe zu machen. Der Kaperkrieg gegen die Neutralen diente vor allem dazu, die materiellen Interessen Hugues’ und seines Offizierskorps zu befriedigen. Doch die Ausweitung des Kaperkriegs gegen die neutrale Schifffahrt hatte für die kolonialstaatlichen Institutionen auch eine wichtige herrschaftsstabilisierende Funktion. Hugues machte mit der Kaperei sowohl den Kaufmannseliten wie auch einer breiten Schicht von Nutznießern aller Klassen und Hautfarben in den Städten Guadeloupes ein attraktives Kooperationsangebot: Solange der Korsarenkrieg fortgesetzt wurde, wussten die Repräsentanten der Metropole die Städte Guadeloupes auf ihrer Seite. Gemeinsam bildeten sie in der Folge eine regelrechte Beutegemeinschaft. Nach dem weitgehenden Zusammenbruch der Plantagenökonomie auf dem Lande infolge der Flucht der Plantagenbesitzer bot einzig die Kaperei Aussicht auf schnelle Gewinne. Der Niedergang der Plantagenökonomie und der Aufstieg der Korsaren Guadeloupes gingen also Hand in Hand. Die Beteiligung städtischer Bevölkerungsschichten an der Beuteökonomie wurde damit für die Repräsentanten der Metropole zur Herrschaftsstrategie. Deshalb war es für Hugues auch nebensächlich, dass die 21

22

Proklamation von Hugues (Kopie), o. D. [3.12.1795], in: ANOM, C7A 48, fol. 44; Hugues/ Lebas an Papin (Kopie), 27.7.1796, in: SHD, FM/BB4/109, fol. 157; Hugues/Lebas an Valteau (Kopie), 23.10.1796, in: SHD, FM/BB4/108, fol. 75; Erlass von Hugues/Lebas, 24.12.1796, in: ANOM, C7A 84, fol. 91; Hugues/Lebas an Landolphe (Kopie), 1.3.1797, in: SHD, FM/BB4/109, fol. 255; Hugues an Talleyrand, 28.4.1799, in: ANOM, EE 1211/1, fol. 52. Troy Bickham, The Weight of Vengeance. The United States, the British Empire, and the War of 1812, Oxford 2012, S. 32f.; Bemis, Jay’s Treaty; Girard, Rêves, S. 395; Ulane Bonnel, La France, les États-Unis et la guerre de course (1797–1815), Paris 1961, S. 48f.

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Plantagenökonomie Guadeloupes durch die Intensivierung des Kaperkriegs noch mehr Schaden nahm23 : Die Kaperei band nicht nur große Kapitalmengen, sondern führte durch den Verkauf der Prisen auch zu einem Preisverfall bei den Kolonialwaren24 . Zudem mieden neutrale Handelsschiffe wegen der Kaperfahrer aus Guadeloupe zunehmend die Kolonie. Infolgedessen fiel es den Pächtern und verbliebenen Plantagenbesitzern Guadeloupes immer schwerer, ihre Kolonialwaren abzusetzen und Nahrungsmittel sowie die zum Betrieb nötigen Güter zu beschaffen. Die fragile Warenzirkulation der ohnehin angeschlagenen Plantagenökonomie Guadeloupes wurde damit erheblich gestört. Schließlich lag die Versorgung der Kolonie mit Lebensmitteln, Zugund Schlachtvieh sowie Gebrauchsgütern aller Art hauptsächlich in den Händen der Korsaren, welche diese Funktion naturgemäß nicht systematisch auszuüben vermochten25 . Bis September 1798 operierten 121 Korsarenschiffe aus Guadeloupe in karibischen Gewässern, die allein zwischen Juni 1794 und Dezember 1798 rund 1800 Handelsschiffe als Prisen nahmen oder versenkten. Die Dimensionen von Hugues’ Kaperkrieg illustrieren folgende Zahlen: Tabelle 3: Anteil britischer Prisen an den Prisen, die vor dem Prisengericht in Basse-Terre verhandelt wurden. Zahlen aus: Pérotin-Dumon, La ville, S. 248. Die Angaben zu den Jahren 1798–1799 fehlen größtenteils.

1794/95 (Jahr III) 1795/96 (Jahr IV) 1796/97 (Jahr V) Sep. 1797–Okt. 1798 Dez. 1799–März 1801

Vom Prisengericht in Basse-Terre verhandelte Prisen

Davon britische Prisen

Verhältnismäßiger Anteil

61 70 228 343 393

43 68 133 101 105

70,4 % 97,1 % 58,3 % 29,4 % 26,7 %

Zwar liegen von den anderen Prisengerichten keine Zahlen vor, doch genügen diese Statistiken, um zu zeigen, dass die Kaperei insbesondere ab 1796 eine gewaltige Eigendynamik entwickelte, die eng mit der Ausweitung des Kaperkriegs gegen die Neutralen verzahnt war. Infolge der Überfälle auf die amerikanische Handelsschifffahrt stiegen die Versicherungsprämien für ihre Reeder bis 1798 um über 30 Prozent26 . Die amerikanische Handelsflotte hatte derart hohe Verluste zu beklagen, dass die Royal Navy dazu überging, den amerikanischen Schiffen auf dem Rückweg in die USA Geleitschutz zu gewähren, damit die Versorgung der britischen Kolonien nicht zusammenbrach27 . 23 24 25 26 27

Dupuch an Bordas, 18.12.1798, in: ANOM, C7A 51, fol. 142. Pérotin-Dumon, La ville, S. 239–241. Jastram an Bonaparte, 26.11.1799, in: ANOM, C7A 50, fol. 193. Girard, Black Talleyrand, S. 98. Jenkins, Franco-British Disagreement, S. 261.

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Die amerikanischen Handelsschiffe waren freilich nicht die einzigen Opfer der Korsaren Guadeloupes. Von den 393 Prisen zwischen Dezember 1799 und März 1801 waren zwar 58 Prozent amerikanischer Herkunft und 27 Prozent segelten unter dem Union Jack. Doch 15 Prozent der Prisen waren schwedische, dänische, deutsche und spanische Handelsschiffe, womit sich selbst mit Frankreich verbündete Mächte zu den Opfern zählen mussten28 . Der Kaperkrieg wurde also immer mehr zum Selbstzweck. Die Intensivierung des Kaperkriegs drohte allerdings die neutralen Mächte – allen voran die USA – ins Lager der Feinde Frankreichs zu drängen. Dies mochte aus französischer Sicht weniger vom militärischen Standpunkt her ein Problem darstellen – die amerikanische Regierung besaß zu diesem Zeitpunkt weder eine ernstzunehmende Armee noch eine Kriegsflotte29 –, sondern vor allem vom wirtschaftlichen her: Ein Großteil des französischen Überseehandels wurde durch die amerikanische Handelsflotte abgewickelt, um die Blockade der Royal Navy zu umgehen. Die amerikanischen Schiffe waren deshalb die Hauptlieferanten Frankreichs für Zucker, Kaffee und andere Kolonialwaren. In Philadelphia und Boston hatten zahlreiche aus Saint-Domingue geflohene Kaufleute ihre Handelsnetzwerke in die Heimat wiederbelebt, indem sie unter amerikanischer Flagge die in den französischen Kolonien produzierten Waren kauften und nach Frankreich transportierten30 . Aus wirtschaftlicher Sicht konnte das Direktorium an einer weiteren Eskalation des Konflikts eigentlich kein Interesse haben. Doch außenpolitische Motive überlagerten nach dem Abschluss des anglo-amerikanischen Handelsvertrags, dem Jay’s Treaty, derartige Bedenken. Außenminister Charles Delacroix glaubte, mit einem harten Kurs die amerikanische Regierung einschüchtern und die befürchtete Annäherung zwischen Großbritannien und den USA verhindern zu können. Delacroix wusste in dieser Frage eine Mehrheit der Direktoren hinter sich. Marine- und Kolonialminister Truguet, der die wirtschaftlichen Folgen eines Konflikts mit den USA für Frankreich und seine Kolonien fürchtete, fand sich hingegen zusehends auf verlorenem Posten wieder. Am 2. März 1797 erklärte das Direktorium schließlich alle neutralen Schiffe als »bonnes prises«, die britische Waren an Bord hatten und keine gültigen Papiere über Herkunft, Ziel, Ladung und Nationalität der Besatzung vorweisen konnten. Damit folgte das Direktorium im Wesentlichen dem Vorgehen Hugues’, dessen Korsaren bereits seit Jahren eine ähnliche Politik gegenüber der neutralen Handelsschifffahrt verfolgten. Nur

28 29 30

Régent, Esclavage, S. 308. Alexander DeConde, The Quasi-War. The Politics and Diplomacy of the Undeclared War with France, 1797–1801, New York 1966, S. 90. Silvia Marzagalli, Guerre et création d’un réseau commercial entre Bordeaux et les États-Unis, 1776–1815. L’impossible économie du politique, in: Dies., Bruno Marnot (Hg.), Guerre et économie dans l’espace atlantique du XVIe au XXe siècle, Pessac 2006, S. 375–389, hier S. 381.

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zu gut wussten die Entscheidungsträger in Paris, dass kein amerikanisches Schiff über derartige Papiere verfügte, womit faktisch alle amerikanischen Handelsschiffe Freiwild wurden31 . Die vom Direktorium bewusst provozierte Eskalation des Konflikts war vermutlich auch der Absicht geschuldet, Hugues nicht bloßzustellen, der mit seiner eigenmächtigen Entgrenzung des Kaperkriegs die Regierung in Paris unter Zugzwang gesetzt hatte. Auch wenn die Metropole von den Erfolgen der Kaperschiffe Guadeloupes angetan war, sah sie deutlich, dass der Korsarenkrieg Hugues’ vor allem Selbstzweck war und der Bereicherung einiger weniger Männer diente. Zudem hatte der Kommissar mit seiner eigenmächtigen Entgrenzung des Kaperkriegs faktisch die Prärogativen der Metropole usurpiert. Wiederholt forderten die Entscheidungsträger in Paris deshalb Hugues auf, die Kaperei wieder in einen rechtmäßigen Rahmen zu bringen. Insbesondere mahnten sie Hugues, auf die Unabhängigkeit und Verfassungsmäßigkeit der Prisengerichte zu achten, um die Kontrolle über die Korsaren nicht zu verlieren. Doch die Briefe aus Paris blieben ohne Wirkung. Die entgrenzte Kaperei war für Hugues nicht nur eine wichtige Quelle der eigenen Bereicherung, sondern auch eine bedeutende Herrschaftsstütze, weshalb er nicht daran dachte, die Vorgaben aus Paris umzusetzen32 . Selbst wenn er es gewollt hätte, wäre Hugues vermutlich nicht mehr in der Lage gewesen, die Kaperei wieder einzudämmen, hatte diese doch Ende 1798 eine Dynamik erreicht, bei der es innenpolitisch gefährlich gewesen wäre, dem Treiben ein Ende zu bereiten. In den Herrschaftsstrukturen Guadeloupes lagen also die Wurzeln jenes Konflikts, der als Quasi-Krieg zwischen den USA und Frankreich von 1797– 1800 in die Geschichte einging. Letztlich hatte die Pariser Regierung die politische Verantwortung für die illegalen Überfälle der Kaperfahrer Guadeloupes zu tragen33 . Die aus ihnen resultierenden Spannungen zwischen der Metropole und ihren eigenmächtigen Repräsentanten vor Ort fügten sich in eine größere Auseinandersetzung um den Platz der karibischen Kolonien im französischen Imperium ein, die sich an der Frage entzündete, ob die Verfassung des Jahres III (1795) auch in den Kolonien umgesetzt werden sollte.

Der Verfassungskonflikt, 1795–1798 Der Sturz Robespierres und die darauffolgende Machtübernahme der Thermidorianer Ende Juli 1794 änderten an Hugues’ Rückhalt in der Metropole wenig. Die neue Regierung in Paris sah in den ersten Monaten nach ihrer Machtübernahme keinen Grund, an der despotischen Politik ihrer Repräsen31 32 33

Bonnel, La France, S. 48–56; DeConde, The Quasi-War, S. 13–41. Jenkins, Controversial Legislation, S. 101f. Pérotin-Dumon, La ville, S. 256–258.

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tanten in den Kolonien etwas zu ändern, zumal der Reigen an Erfolgsmeldungen aus Guadeloupe nicht zu enden schien. Am außerverfassungsmäßigen Status der Kolonien, der die rechtliche Grundlage für Hugues’ Willkürherrschaft bildete, wurde deshalb fürs erste nicht gerüttelt. Lange wurde in der Forschung die Ansicht vertreten, dass die französische Verfassung des Jahres 1795 ein entscheidender Schritt gewesen sei, das Abolitionsdekret verfassungsrechtlich zu verankern und seine Rücknahme zu verunmöglichen34 . Die Bestimmung in Artikel 6 der Verfassung, »Les colonies françaises sont parties intégrantes de la République, et sont soumises à la même loi constitutionnelle«, schien eine rechtliche Ungleichbehandlung der Kolonien auszuschließen, wurde den Kolonien doch damit der Rechtsstatus von Departements zugesprochen35 . Miranda F. Spieler hat die Bedeutung des genannten Verfassungsartikels vor einigen Jahren überzeugend relativiert: In einem ersten Entwurf der Verfassung fehlte gemäß Spieler der genannte Artikel noch. Die Gesetzgeber hatten ursprünglich gar kein Interesse, die neue Verfassung auch in den Kolonien zur Anwendung zu bringen. Erst nachdem im Juli 1795 die Nachrichten von den militärischen Siegen in der Karibik die Metropole erreicht hatten, hielten die Gesetzgeber es für politisch angezeigt, die rechtliche Gleichstellung der Kolonien mit der Metropole in einem revidierten Verfassungstext festzuhalten. Der Elan der schwarzen Truppen in der Karibik sollte offensichtlich nicht durch Ungewissheit über den Fortbestand des Abolitionsdekretes gebremst werden. Die rechtliche Gleichstellung der Kolonien mit den Departements im Mutterland war allerdings ein rein symbolischer Artikel, dem faktisch wenig Gewicht zukommen sollte. Die Gesetzgeber hatten aus Furcht vor einer Aushöhlung der metropolitanen Autorität kein Interesse, durch die in der Verfassung vorgesehene Einberufung von lokalen Bürgerversammlungen den Pflanzern, Kaufleuten oder gar ehemaligen Sklaven Rechte zur politischen Mitbestimmung zuzugestehen. Die Erfahrung der schleichenden Desintegration des französischen Kolonialreiches während der ersten Jahre der Französischen Revolution war dabei zweifellos entscheidend. Die Gesetzgeber fügten deshalb einen Passus in die Verfassung ein, der die Einberufung von Gerichten, Gemeinde- und Kolonialversammlungen sowie die Definition deren räumlicher Zuständigkeit auf einen späteren Zeitpunkt verschob. Bis zum Inkrafttreten des in Aussicht gestellten Gesetzes blieben die Kolonien deshalb weiterhin rechtlose Räume, die allein von Kommissaren mit umfangreichen Vollmachten regiert wurden, welche das Direktorium ernannte. Der außerverfassungsmäßige Status der Kolonien blieb über Jahre bestehen, 34

35

Siehe etwa Bernard Gainot, La constitutionnalisation de la liberté générale sous le Directoire, 1795–1800, in: Marcel Dorigny (Hg.), Les abolitions de l’esclavage: de L. F. Sonthonax à V. Schœlcher, 1793, 1794, 1848, Paris 1995, S. 213–229; Dubois, A Colony, S. 279f. Godechot (Hg.), Les Constitutions, S. 104.

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denn das angekündigte Gesetz, in dem die räumlichen Zuständigkeitsbereiche der Gerichte, lokaler Verwaltungseinheiten und der einzuberufenden Kolonialversammlungen definiert werden sollten, wurde bald zum Spielball der Pariser Politik36 . Die daraus entstehende Ungewissheit und das rechtliche Vakuum, in dem sich die Überseegebiete Frankreichs fortan befanden, versuchte Hugues für seine Zwecke zu nutzen, indem er der Metropole seine Vorstellungen über die künftige Ordnung der Kolonien unterbreitete. Bereits im November 1795, kurz nachdem das Inkrafttreten der Verfassung Ende August 1795 in Guadeloupe bekannt geworden war, richtete der Kommissar ein langes Memorandum an die Pariser Regierung. Darin hielt er einleitend fest: »Le décret du seize pluviôse ne peut ni ne doit être rapporté, sans perdre totalement les seules colonies conservées à la République«37 . Dieser Feststellung folgte allerdings ein Satz, der aufhorchen lässt: »Les droits de l’homme et la Constitution française ne peuvent être appliqués à la colonie«. Hugues hätte wohl kaum klarer zum Ausdruck bringen können, dass die Abschaffung der Sklaverei in seinen Augen nichts mit der Menschenrechtserklärung von 1789 zu tun hatte. Infolgedessen durfte auch die Verfassung in den Kolonien keine Anwendung finden. Hugues befürchtete, dass die Verfassung nicht mit dem auf Guadeloupe herrschenden Zwangsarbeitsregime vereinbar war, das darauf beruhte, dass den ehemaligen Sklaven ihre Bürgerrechte verwehrt wurden. Zudem wäre die Ausweitung der Verfassung auf die Kolonien seinem Plädoyer für einen staatlich organisierten Menschenhandel in die Quere gekommen, der die Versorgung der Überseegebiete mit frischen Arbeitskräften aus Afrika sicherstellen sollte. In den westindischen Kolonien, so Hugues, bedürfe es nur einer Woche Arbeit, um den Lebensunterhalt für ein ganzes Jahr zu sichern. Auf Grundlage dieser Feststellung fuhr Hugues sodann fort: Je demande si cet homme jouissant de la plénitude de ses droits, suivant la Constitution, ne préférera pas cette vie oisive que d’être assujetti à des travaux aussi pénibles que la culture du sucre et du café, son abrutissement, sa férocité naturelle, si on le laisse livré à lui-même, le porteront à la destruction de la très petite portion d’hommes qui doit les protéger et les conduire. Alors nous perdrons la seule richesse de notre commerce et nos colonies; et eux ne se procureront par une plus grande somme de bonheur. Il faut que le gouvernement soustraie l’édifice existant si nous ne voulons devenir tributaire de nos ennemis naturels (les Anglais) il faut qu’il concilie les intérêts avec la politique et l’humanité.

Hugues plädierte deshalb für den Fortbestand des Zwangsarbeitsregimes. Dies erfordere jedoch die Konzentration der Macht in den Händen eines »agent général«, der weitreichende Machtbefugnisse der Exekutive, Legislative und

36 37

Spieler, The Legal Structure, S. 403–408. Alle folgenden Zitate zu den Reformvorschlägen Hugues’ vom November 1795 aus: Hugues, Projet d’organisation des colonies de la Guadeloupe, Marie-Galante, la Désirade, Les Saintes et la partie française de l’Île St. Martin, 13.11.1795, in: ANPS, AF/II/303/2515, fol. 11.

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Judikative auf sich vereine. Mit anderen Worten: Die Metropole sollte Hugues’ despotischer Herrschaft eine solide rechtliche Grundlage verschaffen. In seiner politischen Idealwelt durften die Kolonisten nicht am politischen Entscheidungsprozess partizipieren: »On ne peut se dissimuler les dangers des assemblées dans les colonies«. Einzig die Wahl von Deputierten für die Abgeordnetenkammern in Paris sowie die Ernennung lokaler Beamter sollte ihnen alle zwei Jahre erlaubt werden – »Ils ne pourront délibérer sur aucun autre objet«. Truguet suchte die unklare Situation hinsichtlich des verfassungsmäßigen Status der Kolonien zu Beginn des Jahres 1796 zu lösen. Ohne die Verabschiedung des Kolonialgesetzes abzuwarten, unternahm er einen gut gemeinten, wenn auch naiven Versuch, die Rechtseinheit des französischen Imperiums herzustellen. Dabei hatte er vor allem die ostindischen Kolonien La Réunion und die Île de France (das heutige Mauritius) im Blick, wo die Sklaverei auf Betreiben der Koloniallobby bis dahin nicht abgeschafft worden war. Truguet glaubte, mit der Verfassung das geeignete Instrument in der Hand zu haben, um die beiden widerspenstigen Kolonien zur Aufgabe ihrer Opposition zu bewegen38 . In diesem Kontext ist Truguets Anweisung vom Januar 1796 an Hugues zu verstehen, fortan die Verfassung zur Leitschnur seines Handelns zu nehmen sowie ein geregeltes Gerichts- und Schulwesen aufzubauen39 . Doch ohne gesetzliche Grundlage hatten diese Anordnungen aus Paris wenig Gewicht, weshalb Hugues keinen Grund sah, den Anweisungen des Ministers Folge zu leisten. Welchen Ausgang die Debatte unter den Gesetzgebern in Paris nehmen würde, war für Hugues aus der Ferne allerdings nur schwer absehbar. Er wurde deshalb nicht müde, die Unvereinbarkeit der Verfassung mit den Herrschaftsstrukturen Guadeloupes zu unterstreichen. Um seinen guten Willen zu demonstrieren, rief er trotz der »frais [. . . ] immenses« im Mai 1796 ein Strafgericht ins Leben40 . Doch die vom Minister verlangte Errichtung von Friedensgerichten (justice de paix) in den Gemeinden der Kolonie lehnte er »faute des lois« rundweg ab. Hugues’ Bitte an Truguet, die Entsendung von Gesetzestexten zu veranlassen, war reine Verzögerungstaktik. Von der Etablierung von Berufungsgerichten war ohnehin nie die Rede. In Wahrheit hatte Hugues keinerlei Interesse, der Entstehung von Institutionen Vorschub zu leisten, die seiner despotischen Herrschaft Grenzen auferlegt hätten. Ebenso wenig folgte Hugues den Befehlen Truguets, ein staatliches Schulwesen in Guadeloupe aufzubauen. Dafür fehle es an Lehrern und Geld, so

38

39 40

Spieler, The Legal Structure, S. 403. Freilich war Truguets Versuch, die Sklaverei auch in den ostindischen Kolonien abzuschaffen, kein Erfolg beschieden. Vgl. Wanquet, La France, S. 283–362. Truguet an Hugues/Goyrand/Lebas, 2.1.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 155. Proklamation von Hugues/Lebas, 12.5.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 10.

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Hugues’ knappe Begründung41 . Die cultivateurs erachtete er ohnehin nicht als der Bildung würdig, wie er Truguet schrieb: Il [le cultivateur, F. E.] n’a pas de besoins, les vêtements lui sont inutiles, l’indolence et la paresse sont le suprême bonheur pour lui, il n’est mû par aucunes des passions qui peuvent porter l’homme au travail; l’ambition lui est inconnue, [. . . ] il ne peut s’adonner aux travaux de la culture du sucre et du café que par la contrainte42 .

Wie sonst, so Hugues weiter, könne man »quatre-vingt-dix mille individus forts et robustes, aiguisé par les longs malheurs, par des tourments horribles et par les supplices affreuses« kontrollieren, die in ihrer »férocité naturelle aux Africains« nach Rache sännen? Hugues fuhr sodann fort: Qui empêchera les funestes effets de l’ignorance et de l’abrutissement où l’esclavage les a plongés, sera-ce trois mille personnes dont deux mille détestent autant l’ordre des choses actuel que le gouvernement républicain, [. . . ] à l’exception de deux ou trois cents hommes à principes, venant d’Europe le reste des Blancs est ennemi aussi juré des Noirs que les Noirs le sont des Blancs.

Die von Hugues erlassenen und von Truguet genehmigten Arbeitsreglements seien die einzigen Instrumente, die verhinderten, dass Guadeloupe nicht in ein ähnliches Chaos wie Saint-Domingue abgleite. Das Zwangsarbeitsregime diene nicht nur der Kontrolle der nouveaux citoyens, sondern sei in Ermangelung von Unterstützung aus der Metropole auch die einzige ökonomische Ressource, um den Krieg zu finanzieren43 . Nur durch hartes Durchgreifen sei es ihm gelungen, die koloniale Gesellschaft zu einen und jene Fraktion in Schach zu halten, welche die Kolonie den Briten übergeben wolle. Die in der Verfassung vorgesehene Einberufung von Kolonialversammlungen sei aber nicht nur politisch unklug, sondern auch faktisch unmöglich: Die Grundvoraussetzung für das aktive und passive Wahlrecht, das Zahlen von Steuern erfülle niemand. Wie sollten die Bürger Guadeloupes auch? Die Abschaffung der Sklaverei habe die verbliebenen Pflanzer durch die damit verbundene Enteignung in den Ruin getrieben. Für die Besteuerung der Kolonisten fehle es ohnehin an einer gesetzlichen Grundlage, was Hugues der Passivität der Regierung in Paris anlastete. Der Kommissar, der noch ein Jahr zuvor die Sklaverei abgeschafft und die Macht der Plantagenbesitzer mit brutalsten Mitteln gebrochen hatte, ließ es sich denn auch nicht nehmen, Truguet nahezulegen, über die neu entdeckte Liebe der Legislative zur Verfassung die ehemaligen Sklavenbesitzer nicht zu vergessen, deren Recht auf Unantastbarkeit des Eigentums durch die Abolition massiv verletzt worden sei: »Alors, citoyen ministre, ne penserez-vous pas qu’il serait juste, d’exempter d’imposition pendant un certain temps, les habitants de cette colonie, pour les indemniser de la perte qu’ils ont éprouvé par le décret du 16 pluviôse ?«44 41 42 43 44

Beide Zitate aus Hugues/Lebas an Truguet, 8.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 29. Alle folgenden Zitate aus Hugues/Lebas an Truguet, 9.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 43. Hugues/Lebas an Truguet, 8.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 27. Hugues/Lebas an Truguet, 8.8.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 29. Die Sklavenhalter

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Indem er den Entscheidungsträgern in der Metropole geschickt den Spiegel für ihre Kolonialpolitik der letzten Jahre vorhielt, die jeder verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrt hatte, konnte Hugues den politischen Druck aus Paris fürs erste mindern. Entscheidend für die künftige Kolonialpolitik war die Meinungsbildung unter den Abgeordneten im Rat der 500, die über das zu verabschiedende Gesetz zu beraten hatten. Hier konnte Hugues nicht auf die Unterstützung der Deputierten Guadeloupes, Lion und Dupuch, zählen, die sich in ihren Schreiben an das Direktorium offen gegen ihn gewandt hatten, indem sie seine hemmungslose Bereicherung und Willkürherrschaft anprangerten. Zwar waren auch sie der Ansicht, dass die cultivateurs an die Scholle gebunden und durch harsche Maßnahmen zur Arbeit gezwungen werden müssten: Le but de la Convention ne fut jamais d’autoriser par ce décret [l’abolition de l’esclavage, F. E.] l’abandon de la culture, le vagabondage et le vol. Le gouvernement a ordonné à ses agents de faire des règlements sévères pour entretenir l’agriculture et réprimer tous les abus résultant des fausses interprétations du décret sur la liberté des Noirs45 .

Die beiden Deputierten glaubten aber im Gegensatz zu Hugues, dass die cultivateurs wenigstens einen gesetzlich fixierten Lohn für ihre Mühen erhalten sollten46 . Hugues wandte sich deshalb an den Deputierten Martiniques, Michel Fourniols, um ihm seine Sicht der Dinge darzulegen und ihn aufzufordern, im Rat der 500 endlich dafür zu sorgen, dass Klarheit über den Rechtsstatus der Kolonien herrsche: »Il est temps que le corps législatif déclare si, les colonies doivent appartenir aux Français ou aux mulâtres, si, elles doivent être une source de richesse pour la métropole ; ou si, elles doivent lui être tout à fait étrangères comme le Kamtchatka«47 . Niemals werde er zulassen, dass Schwarze in einer Kolonialversammlung Deputierte für die Legislative in Paris wählen würden: »L’honneur et ma conscience me le défendent«. Hugues hätte wohl kaum klarer zum Ausdruck bringen können, dass er entgegen seinen öffentlichen Verlautbarungen alles andere als ein Verfechter der Bürgerrechte für Menschen afrikanischer Herkunft war. Für ihn war die Abolition nur Mittel zum Zweck: »Sous le vain mot de liberté« habe Hugues nicht das Blut von Europäern vergossen, sondern jenes der Briten, so Hugues in seinem Schreiben an Fourniols weiter. Der offen vorgetragene Rassismus verband sich mit der Furcht, dass durch die Einberufung von Kolonialversammlungen die Macht der Kommissare eingeschränkt

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Santo-Domingos, das mit dem Vertrag von Basel 1795 an Frankreich fiel, gedachte das Direktorium tatsächlich für ihren Verlust im Zuge der Abolition zu entschädigen. Vgl. Nessler, An Islandwide Struggle, S. 73. Lion/Dupuch, Mémoire sur la situation actuelle de l’Île Guadeloupe, et sur la nécessité d’y organiser promptement la Constitution de l’an III, 15.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 247. Ibid.; Lion an Direktorium, 25.1.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 122. Hugues an Fourniols (Kopie), 16.11.1796, in: ANOM, C7A 49, fol. 65.

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würde, womit die Metropole die Kontrolle über ihre Kolonien verlieren und damit das restliche französische Kolonialreich das gleiche Schicksal wie Saint-Domingue erleiden würde. Eher würde er seinen Posten aufgeben, als dies zuzulassen48 . Nicht ahnend, dass sich die Machtkonstellation in Paris im Laufe des Jahres 1797 mehrfach entscheidend verändern sollte, setzte Hugues seinen Konfrontationskurs mit der Metropole unvermindert fort. Mit immer denselben Argumenten versuchte er den Marine- und Kolonialminister zu überzeugen, dass eine »grande liberté« für die ehemaligen Sklaven keine Lösung sei und dass im Falle eines Inkrafttretens der Verfassung die Kolonie in einer Barbarei versinken würde, wie sie angeblich nur an »des côtes d’Afrique« herrsche49 . Der Wahlsieg der clichyens, einer losen Gruppe konservativer Politiker mit Verbindungen zu geflohenen Royalisten, im Frühjahr 1797 war für Hugues ein zweischneidiges Schwert. Zwar wusste er damit eine bedeutende Mehrheit der Abgeordneten als Befürworter des außerverfassungsmäßigen Zustandes der Kolonien auf seiner Seite. So erhielt sein Zwangsarbeitsregime etwa aus den Reihen der Kaufmannschaft Bordeaux’ große Unterstützung50 . Doch die kaum kaschierten Forderungen der clichyens, etwa in der Rede von Vizeadmiral Louis-Thomas Villaret-Joyeuse vor dem Rat der 500, die Sklaverei wiedereinzuführen und die emigrierten Pflanzer zurückzurufen, richteten sich letztlich auch gegen den »Robespierre des Antilles«. Der vom Wohlfahrtsausschuss beauftragte Kommissar hatte sich bekanntlich durch die Abschaffung der Sklaverei und die brutale Vertreibung und Ermordung eines Großteils der Plantagenbesitzer im Sommer 1794 zum Feindbild schlechthin der grands Blancs gemacht51 . Die Kolonialdebatte vom Sommer 1797 kreiste folglich nicht nur um die Verfassung, sondern auch um Personalfragen, denn neben Hugues war den clichyens vor allem Sonthonax ein Dorn im Auge, der zu diesem Zeitpunkt zum zweiten Mal als Zivilkommissar auf Saint-Domingue amtierte52 . Die Angriffe der clichyens gegen die Kolonialpolitik zwangen das Direktorium zunehmend in die Defensive. Einen ersten Sieg errangen die clichyens mit der Absetzung von Marine- und Kolonialminister Truguet, der durch Georges-René Le Pelley de Pléville ersetzt wurde. Le Pelley ging der Ruf voraus, einer Wiedereinführung der Sklaverei offen gegenüberzustehen. Der neue Minister wollte an Hugues sogleich ein Exempel statuieren, weshalb er 48 49 50 51

52

Ibid. (Hervorh. i. Orig.). Lebas/Hugues an Le Pelley, 25.10.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 226 (Zitate); Hugues/ Lebas an Truguet (geheim), 7.3.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 93. Mémoire des négociants de Bordeaux sur les colonies, o. D. [19.6.1797], in: ANPS, AF/III/208, fol. 26. Spieler, The Legal Structure, S. 404; Discours de Villaret-Joyeuse sur l’importance des colonies & les moyens de les pacifier dans le Conseil des 500, 1.6.1797, in: ANOM, F6/1, fol. 56. Wanquet, La France, S. 424.

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im Sommer 1797 das Direktorium über sämtliche Verfehlungen Hugues’ unterrichtete: Toute l’autorité se trouve entre les mains des commissaires seuls ou plutôt d’un seul entre eux. Victor Hugues par le despotisme et son caractère a aliéné tous les esprits. [. . . ] Les agents de la Guadeloupe ont violé la Constitution. Ils en ont méconnu tous les principes de la déclaration des droits; ils n’ont obéi à aucun des articles de leurs instructions pour tout dire53 .

Der Druck der clichyens und des neuen Marine- und Kolonialministers zeitigte Wirkung. Das Direktorium ordnete die Absetzung Hugues’ an, ohne aber einen Nachfolger zu ernennen54 . Bei der Hugues’ Amtsenthebung spielte auch dessen eigenmächtige Ausweitung des Kaperkriegs gegen die Neutralen eine wichtige Rolle. Le Pelley teilte die Auffassung Hugues’ nicht, wonach die USA mit ihrem Handel mit den britischen Kolonien das Bündnisabkommen von 1778 gebrochen hätten. Vielmehr wertete er das eigenmächtige Vorgehen des Kommissars von Guadeloupe als Usurpation metropolitaner Prärogativen. In Hugues’ Proklamationen, in denen er den Korsaren Guadeloupes das Kapern neutraler Handelsschiffe erlaubt hatte, die mit britischen Kolonien Handel betrieben, sahen die Direktoriumsmitglieder nicht weniger als eine De-facto-Kriegserklärung ihres Untergebenen an die Adresse neutraler Mächte. Allerdings wäre eine Abberufung Hugues’ aufgrund seines eigenmächtigen Korsarenkriegs gegen die Neutralen einem Schuldeingeständnis auf dem diplomatischen Parkett gleichgekommen, weshalb das Direktorium lange gezögert hatte, Hugues abzusetzen. Unter dem Deckmantel des Verfassungskonflikts ließ sich der Disput zwischen Metropole und Peripherie ohne Gesichtsverlust lösen, konnte doch das eigenmächtige Vorgehen Hugues’ stillschweigend als einer von vielen Verstößen gegen die Verfassung subsumiert werden55 . Der Staatsstreich der Neojakobiner, der gemäßigten Kräfte und ihrer Unterstützer in der Armee im September 1797 (18. Fruktidor) entzog allerdings all jenen die politische Basis, die eine Ausweitung der Verfassung auf die Kolonien ablehnten. Ein Großteil der royalistischen Abgeordneten und zwei ihnen nahestehende Direktoriumsmitglieder wurden im Zuge des Staatsstreiches abgesetzt56 .ZahlreicheeinflussreichePolitiker,PriesterundMilitärs wurden nach Französisch-Guyana deportiert und verschwanden so von der Bildfläche57. Damit war politisch der Weg frei, die Umsetzung der Verfassung in den Kolonien gesetzlich zu regeln. Mit dem Gesetz vom 26. Oktober 1797 wurden die Zuständigkeitsbereiche der Gerichte und Verwaltungseinheiten in den Kolonien festgelegt und mit dem Gesetz vom 1. Januar 1798 die Bedingungen für das Bürgerrecht in den Kolonien definiert. In Letzterem kam die Ambivalenz der Gesetzgeber hinsichtlich der vollständigen Emanzipation von Menschen afri53 54 55 56 57

Le Pelley, Rapport au Directoire exécutif, o. D. [1797], in: ANOM, C7A 49, fol. 290. Dubois, A Colony, S. 296. Jenkins, Controversial Legislation, S. 100–104; Rodigneaux, La guerre, S. 108. Doyle, The Oxford History, S. 329–332. Spieler, Empire, S. 17–19.

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kanischer Herkunft im französischen Kolonialreich allerdings weiterhin zum Tragen: »Les individus noirs ou de couleur enlevés à leur patrie et transportés dans les colonies, ne sont point réputés étrangers; ils jouissent des mêmes droits qu’un individu né sur le territoire français, s’ils sont attachés à la culture, s’ils servent dans les armées, s’ils exercent une profession ou métier«58 . Indem das Bürgerrecht für Menschen afrikanischer Herkunft an Bedingungen geknüpft wurde, gab der Gesetzgeber zu verstehen, dass sie Bürger zweiter Klasse waren. Der darauffolgende Artikel war in dieser Hinsicht unmissverständlich, wurde doch jedem Menschen, welcher sich der »vagabondage« schuldig gemacht hatte, das Bürgerrecht entzogen. Das Wahlrecht erhielten zudem nur all jene über 25-jährigen Männer, die im Militär Dienst getan oder eine »contribution personnelle égale à trois journées de travail agricole« geleistet hatten.59 Die wahlberechtigten Männer hatten in den sogenannten assemblées primaires nur das Recht, Wahlmänner zu bestimmen, die dann ihrerseits Deputierte für den Rat der 500 in Paris wählten. Um als Deputierter gewählt zu werden, war allerdings ein beträchtliches Vermögen Voraussetzung, das selbst in der Metropole schätzungsweise nur rund 30 000 Menschen vorweisen konnten. Auf politische Entscheidungsprozesse in den Kolonien konnten die Bürger vor Ort nach wie vor keinen Einfluss nehmen, denn das Direktorium behielt sich die Wahl von Kommissaren mit weitreichenden Vollmachten vor. Den Kommissaren war es unter anderem freigestellt, die Verfassung »successivement« in den Kolonien einzuführen, womit es allein in ihrem Ermessen lag, welche Teile Anwendung finden sollten. Von einer tatsächlichen Rechtsgleichheit der Kolonien mit den Departements Frankreichs konnte also keine Rede sein60 . Der erneute Kurswechsel in der Kolonialpolitik im Zuge des FruktidorStaatsstreiches ließ die im Sommer dekretierte Abberufung Hugues’ als politisch unklug erscheinen, hätten doch damit die entmachteten clichyens einen späten Erfolg für sich verbuchen können. Hugues wurde deshalb im März 1798 für weitere 18 Monate im Amt bestätigt. Aus Sicht des Direktoriums mussten die außenpolitischen Bedenken fürs Erste den innenpolitischen Überlegungen weichen61 . Doch der Kommissar war angezählt: Sollte er seine 58 59 60 61

Loi concernant l’organisation constitutionnelle des colonies, 1.1.1798, in: ANP, AD/VII/17, fol. 97, S. 4. Ibid. Ibid. (Zitat); Spieler, The Legal Structure, S. 406; Saintoyant, La colonisation, Bd. 1, S. 245. Dubois, A Colony, S. 298; Hugues an Bruix, 11.6.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 16. Hinzu kam, dass Hugues’ militärische Leistungen in der Metropole nicht vergessen worden waren. Eine unehrenhafte Abberufung kam deshalb vorerst nicht in Frage. Vgl. Dubois, »The Price of Liberty«. Victor Hugues and the Administration of Freedom in Guadeloupe 1794–1798, in: William & Mary Quarterly 56 (1999), S. 363–392, hier S. 389. Vgl. auch die zahlreichen Lobeshymnen Truguets auf Hugues: Truguet an Lebas/Hugues (geheim, Kopie), 4.8.1796, in: ANOM, EE 1229/13, fol. 10; Truguet an Lebas/Hugues (Kopie), 15.1.1796, in: ANOM, EE 1229/13, fol. 9.

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widerspenstige Haltung hinsichtlich der Übernahme der Verfassung nicht aufgeben, drohte er rasch der neuen politischen Konstellation in Paris zum Opfer zu fallen. Nach dem 18. Fruktidor war die Kolonialpolitik in Paris fest in den Händen von Mitgliedern der Société des amis des Noirs et des colonies (der Nachfolgeorganisation der Société des amis des Noirs), die eine baldige Umsetzung der beiden Gesetze vom 26. Oktober 1797 und 1. Januar 1798 für das gesamte französische Kolonialreich forderten62 . Ihr Wortführer, Étienne Laveaux, hatte maßgeblich zu Louvertures Aufstieg beigetragen. Er sparte anlässlich der Verabschiedung des letztgenannten Gesetzes nicht mit Kritik an Hugues: Ce gouvernement mixte, exercé à la Guadeloupe, doit disparaître sur-le-champ, dans la crainte qu’il ne devienne funeste à ce pays; prévenons les malheurs en y faisant mettre en activité l’acte constitutionnel; ce gouvernement mixte est inconstitutionnel. Je suis bien loin de croire que c’est à lui [Hugues, F. E.] qu’on doit la conservation de la Guadeloupe: je me tairai sur cet article; votre républicanisme vous dit tout ce que la prudence m’ordonne de taire63 .

Jenseits des Atlantiks hatten die Ereignisse derweil längst eine neue Wendung genommen, die Hugues’ Lage weiter verkomplizierte. Im Juli 1797 setzte Louverture den Kommissar des Direktoriums für Saint-Domingue, Sonthonax, kurzerhand ab. Damit lag die Macht in der einstigen Perle der Antillen in den Händen des schwarzen Generals und seiner Offiziere64 . Die Nachricht von der eigenmächtigen Absetzung des Repräsentanten der Metropole verbreite sich in Windeseile auf den anderen karibischen Inseln. Die Berichte aus Paris waren derweil für Hugues nicht minder besorgniserregend. Der Wahlsieg der clichyens in Frankreich und ihre kaum kaschierten Bestrebungen, die Sklaverei wiedereinzuführen, sorgten gemäß seinem Schreiben an Le Pelley unter den cultivateurs für große Unruhe. Zudem hätten »les malveillants«65 Gerüchte über eine zwischenzeitliche Absetzung Hugues’ verbreitet, was seine Autorität untergraben und unter den ehemaligen Sklaven die Befürchtung weiter befeuert habe, eine Wiedereinführung der Sklaverei stehe kurz bevor. Hugues warnte deshalb eindringlich vor den Pflanzern: »Le patriotisme de tous les colons en général«, so Hugues in seinem Schreiben an Le Pelley, »ne va jusqu’au décret du 16 pluviôse qui les assimile à leurs ci-devant esclaves«. Man dürfe sich keinen Illusionen hingeben, so Hugues weiter: »Ils regardent toujours la propriété de leurs ci-devant esclaves comme une proie qui leur est échappée. Ils saisissent toujours avec avidité et avec empressement l’occasion qui pourrait la remettre entre leurs mains«. 62 63 64 65

Dorigny, Gainot, La Société, S. 307–326; Dubois, A Colony, S. 297–300; Gainot, La constitutionnalisation, S. 222–227. Conseil des Anciens, Opinion de Laveaux, 1.1.1798, in: ANP, AD/VII/17, fol. 99, S. 5 (Hervorh. i. Orig.). Siehe Dubois, Avengers, S. 206f. Alle folgenden Zitate aus Hugues/Lebas an Le Pelley (Kopie), 12.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 4.

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Er befinde sich vor diesem Hintergrund und aufgrund der Ereignisse in Frankreich sowie Saint-Domingue in einer »situation pénible«, denn gleichzeitig müsse er »les passions [. . . ] et la férocité des malheureux Noirs africains contre leurs ci-devant tyrans« im Zaum halten. Es seien deshalb »efficaces moyens« nötig, um die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu kontrollieren. Die Schwächung seiner Autorität im Zuge des Schweigens der Metropole seit 18 Monaten und dem Bekanntwerden seiner Absetzung habe bereits erste Folgen gezeitigt: Angeführt von den »ci-devant libres« hätten sich die ehemaligen Sklaven bereits grausamer Verbrechen schuldig gemacht: Als es am 11. Dezember 1797 auf Marie-Galante zu einem Aufstand der cultivateurs unter der Führung eines freien Farbigen kam, hätten die nouveaux citoyens gerufen, »qu’il fallait égorger tous les Blancs & et faire comme à Saint-Domingue où tous les chefs étaient noirs ou de couleur«. Die Aufständischen hätten zwar nur geplündert und einige Plantagenbesitzer, »qui n’avaient pas eu le temps de s’échapper« verletzt, ehe sie von den schwarzen Truppen vertrieben worden seien. Doch der Aufstand auf Marie-Galante war nur ein Vorläufer einer größeren Rebellion, die sich zwei Wochen später zwischen Lamentin und Petit-Bourg im Westen Guadeloupes ereignen sollte. Gemäß Hugues’ durchkreuzten erneut einige »ci-devant libres« die Plantagen und richteten folgenden Aufruf an die cultivateurs: N’êtes-vous pas las d’être pauvres, si vous êtes libres pourquoi travaillez-vous sur la terre des Blancs? Pourquoi tout le produit de votre travail ne vous appartient-il pas? Vous êtes trois cents contre un. À St-Domingue chacun fait ce qu’il veut; tous ceux qui commandent sont noirs. Les Blancs y ont été chassés et le peu qui y reste sert les Noirs comme vous servez ici les Blancs. À St-Domingue les femmes des Blancs sont pour les Noirs. Ici, s’il y a une belle négresse, elle va avec les Blancs parce qu’ils ont plus d’argent que vous. D’où vient l’argent de la colonie? Du sucre et du café que les Noirs font; puisque les Blancs n’ont jamais travaillé la terre. Dans une heure tout est fini. La force armée est toute pour nous encore; il faut tuer tous les Blancs & les Noirs et les hommes de couleur qui occupent des places et qui ont reçu des bienfaits d’eux, alors vous aurez tout l’argent de la colonie, tous les sucres, les cafés, les cotons et les marchandises pour vous habiller.

Ob die Anführer der Rebellion tatsächlich die cultivateurs mit diesen Worten zum Aufstand anstachelten oder ob dieser Wortlaut eher der Fantasie Hugues’ entsprang, sei dahingestellt. Doch das Zitat zeigt, dass Hugues vor dem Hintergrund der Ereignisse in Saint-Domingue und Frankreich einen Aufstand der Masse der cultivateurs fürchtete, dem sich die aus ehemaligen Sklaven bestehende Kolonialarmee anschließen könnte. Die Rebellen hatten offenkundig verstanden, dass Hugues’ Herrschaft neben der nackten Gewalt der Kolonialarmee auch auf der Kooperation zahlreicher Farbiger mit dem Kolonialregime fußte. Deshalb scheuten sich die Aufständischen nicht, zu deren Ermordung aufzurufen, um der französischen Kolonialherrschaft ein blutiges Ende zu bereiten. Trotz der Versprechungen der Aufrührer an die Adresse der cultivateurs schlossen sich nur wenige der Rebellion an; einige wurden gar von den

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Aufständischen gewaltsam gezwungen mitzumarschieren. Auf den Plantagen massakrierten die Rebellen zahlreiche Pflanzer und ihre Familien, ehe sie versuchten, die Ortschaft Petit-Bourg einzunehmen. Die wenigen Garnisonssoldaten der Stadt vermochten die Ortschaft über Stunden gegen die Rebellen zu verteidigen, bis Kavalleristen und Grenadiere eintrafen, welche die Belagerer in die Flucht schlugen. Zwar bewahrheiteten sich damit die Befürchtungen Hugues’ nicht, wonach die aus ehemaligen Sklaven bestehende Kolonialarmee Guadeloupes im Falle einer Rebellion gemeinsame Sache mit den cultivateurs machen könnte66 . Doch die beiden in kürzester Frist aufeinanderfolgenden Revolten zeigten Hugues, dass die Ereignisse in Saint-Domingue und in Paris seine Herrschaft zu unterminieren drohten. Auf die wenigen verbliebenen Weißen in der Kolonie konnte er ohnehin nicht zählen: »Les colons blancs [. . . ] méprisent les Noirs et cependant dans toutes les insurrections des Africains, ils sont les premiers à se cacher«67 . Die Umsetzung der Verfassung und der beiden Gesetze, zu der er von Le Pelley angehalten worden war, konnte er unter diesen Umständen auf gar keinen Fall vollziehen. Hugues zog aus dieser politischen Sackgasse schließlich die Konsequenzen und bat den Marine- und Kolonialminister im Januar 1798 um seine Abberufung. Vordergründig machte er seinen »état de mauvaise santé et de dépérissement«68 für seine Bitte geltend, tatsächlich aber konnte Hugues die Politik der Metropole nicht mehr mittragen: Je suis amant passionné de la liberté et j’ai formé des vœux toute ma vie pour l’affranchissement des Africains mais je n’ai jamais pensé qu’on peut passer de l’état naturel le plus barbare à l’état de civilisation et à cette liberté dont beaucoup d’hommes prononcent le mot sans connaître le prix ni les devoirs auxquels elle nous oblige dans l’état de société69 .

Seine Bitte um Abberufung erlaubte ihm aber gleichzeitig auch, die Umsetzung der Verfassung bis zum Eintreffen eines Nachfolgers weiter zu blockieren. In immer schrilleren Tönen warnte er im ersten Halbjahr des Jahres 1798 vor den Gefahren für die französische Herrschaft auf Guadeloupe, die von einer Schwächung der Exekutive ausgingen, wie sie in der Verfassung vorgesehen war. Gleichzeitig wurde er nicht müde, seine Bitte, einen Nachfolger zu ernennen, zu wiederholen70 . Seine Briefe blieben aber bis Juni 1798 unbeantwortet, als ein kleines Geschwader aus Frankreich eintraf, das die Nachricht seiner erneuten Bestätigung im Amte brachte. Die Neuigkeiten aus 66

67 68 69 70

Zur Revolte bei Petit-Bourg vgl. auch die Zeugenaussagen Le Rides, 1.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 225; die Zeugenaussage Augustins, 3.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 227 sowie die Analyse bei Régent, Esclavage, S. 373f. und bei Dubois, A Colony, S. 308–314. Hugues/Lebas an Le Pelley (Kopie), 12.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 4. Hugues/Lebas an Le Pelley, [?].1.1798, in: ANOM, C7A 49, fol. 236. Hugues an Le Pelley (Kopie), 12.1.1798, in: ANOM, EE 1121/1, fol. 49. Hugues/Lebas an Le Pelley, [?].1.1798, in: ANOM, C7A 49, fol. 236; Hugues an Bruix (Kopie), 2.5.1798, in: ANPS, AF/III/206, fol. 66.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Paris kamen für Hugues äußerst überraschend, wie er dem neuen Marineund Kolonialminister Eustache Bruix schrieb: Enfin, après vingt-un mois, je reçois des nouvelles du gouvernement. [. . . ] J’ai été fort étonné de l’arrêté du Directoire exécutif, [. . . ] qui me continue dans les mêmes fonctions pendant dix-huit mois. [. . . ] Il n’y a plus qu’à se déshonorer dans les colonies d’après la loi du 12 nivôse [1er janvier 1798, F. E.]. Les excès des vertus, les excès de la philosophie, ont enfanté cet ouvrage, à l’instigation des ennemis de la chose publique, qui se sont identifiés avec les patriotes71 .

Hugues’ Bitte um Abberufung hatte Paris offensichtlich erst erreicht, nachdem die Schiffe mit der Nachricht über das Gesetz vom 1. Januar 1798 und seiner erneuten Bestätigung im Amt bereits in See gestochen waren. Damit hatten die Entscheidungsträger in Paris Hugues unfreiwillig mehr Zeit gegeben, seine Blockadepolitik gegenüber ihren Anweisungen fortzuführen. Hugues’ Kernargumente blieben die alten, doch an Einfallsreichtum fehlte es dem Kommissar keineswegs, um die Missachtung der Befehle aus Paris zu rechtfertigen. So fehle es an Papier, ohne das die zu errichtenden Verwaltungseinheiten nicht funktionieren könnten. Es sei ohnehin äußerst schwierig, die Gerichte zu bestellen, zumal die Juristen Guadeloupes immer noch vom »préjugé de couleur« und dem »coquinisme« des Ancien Régime beseelt seien72 . Hugues ließ mit seiner anhaltenden Weigerung, die Gesetze und die Verfassung umzusetzen, der Metropole keine andere Wahl, als den »Robespierre des Antilles« nach über vierjähriger Amtszeit abzuberufen. Zu seinem Nachfolger wurde im August 1798 Divisionsgeneral Edme Étienne Borne Desfourneaux bestimmt. Der 31-jährige Desfourneaux hatte in der Kolonialarmee Saint-Domingues rasch Karriere gemacht und glaubte wie sein politischer Ziehvater, Laveaux, daran, dass sich die Kolonien nur durch eine vollständige rechtliche Assimilation an die Metropole unter Kontrolle halten lassen würden73 . Die Verankerung der Abolition in der Verfassung hatte primär dem politischen Zweck gedient, die schwarzen Soldaten, die in der Karibik unter den Bannern der Republik kämpften, nicht vor den Kopf zu stoßen. Das bedeutete freilich nicht das Ende einer auf Zwangsarbeit beruhenden Plantagenökonomie, denn, wie wir gesehen haben, die Kommissare verfügten mit dem Gesetz vom 1. Januar 1798 auch weiterhin über weitreichende Vollmachten, um die ehemaligen Sklaven zur Arbeit auf den Plantagen zu zwingen. Die Zukunft des Zwangsarbeitsregimes spielte deshalb im Verfassungskonflikt nur vordergründig eine Rolle. Hinter der Fassade verbarg sich im Grunde weniger die Frage, welche Rechte den ehemaligen Sklaven zukommen sollten, sondern das prinzipielle Problem, wie viel Macht und politische Autonomie 71 72 73

Hugues an Bruix, 11.6.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 16. Hugues an Bruix, 11.6.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 20. Dorigny, Gainot, La Société, S. 320.

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die Exekutivorgane in den Kolonien des französischen Imperiums innehaben sollten. Nicht umsonst drängten die Deputierten Guadeloupes zu einer regelmäßigeren Kommunikation mit der Kolonie, um die dortigen Kommissare an der kurzen Leine zu halten74 . Spätestens Hugues’ eigenmächtige De-facto-Kriegserklärung an die USA hatte den Entscheidungsträgern vor Augen geführt, dass ihnen jeglicher Einfluss auf Guadeloupe entglitten war und ihr Repräsentant vor Ort Katz und Maus mit dem Direktorium spielte. Seine Bitte um Abberufung gab der Metropole deshalb die Gelegenheit, den Kaperkrieg wieder in geregelte, verfassungsmäßige Bahnen zu lenken und Guadeloupe enger an das Mutterland zu binden75 . Ein erster Schritt in diese Richtung war die Anweisung an Desfourneaux, wonach nur jene Kaperbriefe für gültig erklärt werden sollten, die von ihm persönlich ausgestellt worden waren. Zudem wies ihn das Direktorium an, [de veiller] soigneusement à ce que les intérêts et les propriétés des bâtiments neutres ou alliés soient scrupuleusement respectés; et, dans aucun cas, ils ne pourront traiter de leurs cargaisons que de gré à gré et à la pleine et entière satisfaction des deux parties contractantes. Lesdits agents particuliers du Directoire exécutif [. . . ] feront arrêter et punir, conformément aux lois, tous ceux qui contreviendront aux dispositions du présent arrêté76 .

Die Entscheidungsträger in Paris hatten zudem erkannt, dass Hugues nicht allein das Problem war, sondern dass die von ihm geschaffenen Herrschaftsstrukturen eine ganze Reihe von Nutznießern des Kaperkriegs innerhalb der Kolonialverwaltung hervorgebracht hatten, die versuchen würden, dessen Einhegung zu hintertreiben. Deshalb ersetzte das Direktorium mit der Ernennung Desfourneaux’ auch ein Großteil der Kolonialverwaltung Guadeloupes77 . Ob diese Maßnahmen ausreichen würden, um dem schleichenden Loslösungsprozess Guadeloupes aus dem französischen Kolonialreich ein Ende zu bereiten, sollte sich erst zeigen, als Desfourneaux und seine Mitstreiter Ende November 1798 auf Guadeloupe eintrafen. Auf den Schiffen des kleinen Geschwaders befanden sich eine Reihe von Pflanzern, die Hugues 1794 als angebliche Konterrevolutionäre denunziert und deren Güter er sequestriert und später verpachtet hatte78 . Es war absehbar, dass die Rückkehr dieser émigrés und die Auswechslung eines Großteils des Verwaltungspersonals wenig Anklang finden würde.

74 75 76 77

78

Dupuch/Lion an Le Pelley, 2.1.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 164. Bonnel, La France, S. 65–67. Extrait des registres des délibérations du Directoire exécutif de la République française, 31.7.1798, in: ANPS, AF/III/208, fol. 68. Liste des employés civils destinés par arrêté du 14 thermidor an VI à servir à la Guadeloupe et qui doivent s’embarquer au port de Lorient, [?].8.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 222. Rapport au ministre de la Marine et des Colonies, 8.8.1798, in: ANOM, EE 1726/20.

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Neues Personal, neues Glück? Desfourneaux’ hochfliegende Pläne, Guadeloupe wieder in den Schoß der Metropole zurückzuholen, kollidierten nur wenige Tage nach seiner Ankunft mit den politischen Realitäten der Kolonie. In den Städten und Plantagen brach schon kurz nach seiner Ankunft eine Reihe kleinerer Rebellionen aus, die sich gegen den neuen Machthaber richteten. Die Aufrührer verkündeten gemäß Desfourneaux lauthals: »Que la contre-révolution était faite en France; que les emplois étaient le partage des royalistes; que je [Desfourneaux, F. E.] n’étais envoyé que pour rétablir l’esclavage et déplacer les fonctionnaires patriotes tant civils que militaires«79 . Als Parteigänger Laveaux’ konnte der neue Kommissar nicht damit gerechnet haben, von Soldaten, Matrosen und weißen wie auch farbigen Kolonisten als Royalist sowie Befürworter der Sklaverei an seiner neuen Wirkungsstätte angeschwärzt zu werden. In einer Proklamation riefen die Aufrührer zu den Waffen, weil sie glaubten, dass die Regierung in Paris von Konterrevolutionären unterwandert sei: »Tout est contre-révolution, le nom seul manque«. Das Direktorium in Paris sei in der Hand von Männern wie Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord und Emmanuel-Joseph Sièyes, die durch das Pachten von Nationalgütern reich geworden seien und deren »amour de la patrie est remplacé par la soif d’or«. Desfourneaux und seine Offiziere – »les chouans et les vendéens, ces hommes vomis sur nos rivages« – wollten mit der Verfassung die Kolonie in den Ruin treiben: »Bientôt la patrie aura perdu cette riche possession«. Nur Hugues, »cet immortel patriote de 1793«, so die Proklamation weiter, garantiere Schutz vor den »tyrans« in Paris, welche die Verfassung in den Kolonien einführen wollten80 . Der abgesetzte Kommissar, der um Erlaubnis gebeten hatte, als gewöhnlicher Bürger auf Guadeloupe bleiben zu dürfen, geriet deshalb rasch in Verdacht, hinter der Rebellion zu stecken, weshalb Desfourneaux ihn umgehend aus der Kolonie verwies81 . Entscheidende Schützenhilfe beim Beenden der Unruhen erhielt Desfourneaux zum einen von General Pélardy, der unter den schwarzen Truppen immer noch einen ausgezeichneten Ruf genoss und sich bei Hugues für seine Absetzung drei Jahre zuvor rächen wollte. Zum anderen genoss Desfourneaux die Unterstützung einiger farbiger Stadtnotabeln wie Canut Robinson, welche die Wogen fürs Erste zu glätten wussten82 . 79 80 81

82

Desfourneaux an Le Pelley, 13.12.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 138. Alle Zitate aus Aux républicains des îles du Vent (Kopie), o. D. [1798], in: ANPS, AF/III/208, fol. 62. Desfourneaux an Le Pelley, 15.12.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 143 (Zitat); Dupuch an Bordas, 18.12.1798, in: ANOM, C7A 51, fol. 142; Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 5–7. Zu den Hintergründen siehe die Zeugenaussagen gegen Morin, Trinchard und Menet, in: ANPS, AF/III/208, fol. 54–61. Régent, Esclavage, S. 375.

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Ob Hugues tatsächlich seine Finger im Spiel hatte, wie dies Desfourneaux behauptete, bleibt indes unklar. Die Bitte Hugues’, auf Guadeloupe verweilen zu dürfen, muss nicht unbedingt auf seine Komplizenschaft hindeuten. Am Tag vor Desfourneaux’ Ankunft war Hugues’ Tochter geboren worden, weshalb es nur verständlich war, dass der abgesetzte Kommissar nicht gleich die Heimreise antreten wollte83 . Die überlieferten Akten legen vielmehr den Schluss nahe, dass die Rebellion von mehreren Kaufleuten aus Basse-Terre ausgeheckt worden war, die unter anderem an der Finanzierung von Korsaren beteiligt waren und ihr Geschäft durch das von Desfourneaux angekündigte Inkrafttreten der Verfassung gefährdet sahen84 . Das Gerücht, der neue Kommissar und seine Mitstreiter seien Anhänger der Konterrevolution und wollten die Sklaverei wiedereinführen, war nur ein Mittel zu dem Zweck, genügend Fußvolk zu mobilisieren. Hugues hatte in den vergangenen Jahren tatsächliche und angebliche Konterrevolutionäre derart zum gemeinsamen Feindbild emporgehoben, dass es für die Aufrührer nur naheliegend war, diesen Antagonismus für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und Hugues zum leuchtenden Vorbild für die Sache der wahren patriotes Guadeloupes zu stilisieren. Die Heimkehr zahlreicher émigrés, die von Hugues unter dem Vorwand deportiert worden waren, sie seien Konterrevolutionäre, lieferte den Aufrührern zudem die besten Beweise für die Richtigkeit ihrer Vorwürfe. Die Rückkehr ihrer ehemaligen Besitzer musste unter den nouveaux citoyens beinahe zwangsläufig die Befürchtung wecken, eine Wiedereinführung der Sklaverei stehe kurz bevor. Dieser Furcht hatte nicht zuletzt Hugues mit seiner Politik, für die Terreur und Abolition zwei Seiten derselben Medaille waren, geschickt Auftrieb verliehen. Die Nachrichten aus Saint-Domingue, die Guadeloupe wenige Tage vor der Ankunft Desfourneaux’ erreicht hatten, spielten den Aufständischen ebenfalls in die Hände: Im Oktober 1798 hatte Toussaint Louverture einen weiteren Repräsentanten der Metropole, General Gabriel de Hédouville, unter dem Vorwand, ein Anhänger der Konterrevolution zu sein, publikumswirksam verhaften lassen85 . Unter diesen Umständen ist es nur allzu verständlich, dass die frei erfundenen Anschuldigungen der Aufrührer bei Soldaten, Matrosen und cultivateurs auf fruchtbaren Boden fielen86 . Die Gerüchte, wonach Desfourneaux die Sklaverei wiedereinführen wollte, ebbten insbesondere im Militär und in den Städten keineswegs ab. Seine Vorgesetzten in Paris ließ Desfourneaux wissen, dass »les fonctionnaires publics des colonies marchent sur des volcans, dont les explosions menacent continuellement l’autorité nationale et leur santé«. Bereits im März 1799 folgte in Port-de-la-Liberté die nächste Rebellion von Soldaten und städtischen Unter83 84 85 86

Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 4. Pérotin-Dumon, La ville, S. 746; Dubois, A Colony, S. 328f. Ders., Avengers, S. 217–223. Ders., A Colony, S. 328–331.

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schichten, die brutal niedergeschlagen wurde87 . Desfourneaux wurde damit vor Augen geführt, dass die Deportation Hugues’ nicht ausreichte, um seine Autorität dauerhaft zu festigen. In Paris bedankten sich zwar viele zurückgekehrte Plantagenbesitzer beim Direktorium für die Abberufung Hugues’88 , doch vor Ort blieb Desfourneaux’ Machtbasis dünn89 . Dies zeigte sich schon allein an seinen Schwierigkeiten, bei den Geldgebern der Kolonie Kredite zugunsten der Kolonialkasse einzuwerben90 . Die Financiers hatten, wie wir gesehen haben, im Korsarenkrieg ohnehin ein viel profitableres Investitionsobjekt gefunden und schenkten den Beteuerungen Desfourneaux’, seiner Amtsgewalt einen verfassungsrechtlichen Rahmen geben zu wollen, wenig Glauben. Diese Befürchtung war nicht unbegründet, denn durch Ausrufung des Belagerungszustandes genoss Desfourneaux weiterhin umfangreiche Vollmachten91 . Neben den Nutznießern des unbegrenzten Kaperkriegs stieß der neue Kommissar insbesondere bei den Kolonialbeamten auf Ablehnung, weil er ihre Gehälter kürzte92 . Die beabsichtigte Einhegung der Kaperei drohte den Widerstand gegen ihn weiter zu verschärfen. Sie war aber aus Desfourneaux’ Sicht nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch notwendig, wie der Kommissar dem Marineund Kolonialminister wenige Wochen nach seiner Ankunft schrieb: La culture seule peut faire fleurir les colonies et les rendre utiles à la France; la culture seule peut soutenir le commerce. Seule elle peut fournir au gouvernement et à l’Administration les moyens de subvenir aux dépenses. Cette source de la prospérité publique est presque tarie; les habitations désertes ou mal cultivées rappellent en vain le souvenir affligeant de leur ancienne fécondité. Partout les dépositaires de l’autorité se plaignent de la désertion, de l’apathie et du découragement des cultivateurs. Un système de piraterie presque générale, soutenu par un tribunal de commerce qui condamne sans prudence et sans exception sur les prétextes les plus frivoles les bâtiments neutres et alliés, attire les cultivateurs dans les villes [. . . ]. Des caisses vides; [. . . ] des domaines nationaux la plus part incultes sans instruments aratoires, sans matériaux pour réparer les établissements; une dette publique immense à laquelle se joignent des réclamations de toutes parts; quelques denrées que le défaut de communication avec les neutres & de commerce avec eux force de donner à vil prix, des négociants avec peu de moyens; des hôpitaux et autres établissements publics à soutenir; des troupes et des fonctionnaires publics à payer; des dépenses de marine; voilà ma situation93 . 87

88 89

90 91 92 93

Desfourneaux an Talleyrand, 10.4.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 42 (Zitat); Jugement rendu par le conseil de guerre, 24.3.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 46; Jugement rendu par le conseil de guerre, 4.4.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 49. Siehe etwa Caffoulet an [Bruix], o. D. [1799], in: ANOM, C7A 51, fol. 153; Bory an [Reinhard], 31.5.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 151. Desfourneaux an Talleyrand, 22.3.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 27; Desfourneaux an Vatry, 20.8.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 66; Desfourneaux an Vatry, 31.7.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 62; Desfourneaux, Compte rendu, ou rapport fait au ministre de la Marine et des Colonies par le Citoyen Desfourneaux général de division, sur sa mission d’agent du gouvernement à la Guadeloupe, 11.2.1800, in: ANOM, C7A 53, fol. 223. Ibid. Proklamation von Desfourneaux, 25.2.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 37. Desfourneaux an Le Pelley, 15.12.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 143. Desfourneaux an Le Pelley, 13.12.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 138.

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Die auf dem unbegrenzten Korsarenkrieg beruhende Beuteökonomie Guadeloupes sollte in den Plänen Desfourneaux’ durch ein Wiederaufblühen der Plantagen eingehegt werden, die darauf arbeitenden Menschen fortan ein Viertel der Produktion als Lohn erhalten, der unter den cultivateurs weiter aufgeteilt wurde94 . Tatsächlich wurde das neue Arbeitsreglement großflächig eingehalten, wie Régent nachgewiesen hat. Damit sahen viele ehemalige Sklaven zum ersten Mal einen Lohn für ihre Mühen, womit sich ihre materielle Lage zweifellos verbesserte. Doch im Vergleich zu den Verdienstmöglichkeiten in den Städten und insbesondere auf den Korsarenschiffen war die Bezahlung für landwirtschaftliche Arbeit minim und vermochte kaum ökonomische Anreize für eine Rückkehr auf die Plantagen zu setzen, zumal an der harschen Bestrafung bei kleinsten Vergehen festgehalten wurde95 . Desfourneaux schränkte zum einen die Bewegungsfreiheit der cultivateurs ein, indem er das Tragen eines von den Kolonialbehörden ausgehändigten Reisepasses für all jene zur Pflicht erklärte, welche die Plantagen verließen96 . Den Kapitänen von Korsarenschiffen untersagte er zudem, cultivateurs als Matrosen anzuheuern, womit er ihnen ein wichtiges Rekrutierungsbecken entzog97 . Zum anderen schreckte Desfourneaux nicht vor Gewalt zurück, um die ehemaligen Sklaven auf die Plantagen zurückzutreiben. Über den ganzen Sommer 1799 hinweg durchkämmten die Soldaten unter seinem Kommando die Kolonie nach ehemaligen Sklaven, die in den letzten Jahren von den Plantagen geflohen waren. Wer nicht beweisen konnte, dass er arbeitsunfähig war oder einen wichtigen Dienst in den Städten verrichtete, der wurde gewaltsam auf seine alte Wirkungsstätte verschleppt. Insgesamt wurden so 15 000–20 000 ehemalige Sklaven zur Arbeit auf den Plantagen gezwungen98 . Dem Protest der schwarzen Soldaten ob des gewaltsamen Vorgehens gegen ihre Mitbürger wusste Desfourneaux mit monetären Argumenten zu begegnen: Nur wenn die cultivateurs wieder arbeiten würden, so Desfourneaux gegenüber den schwarzen Soldaten, könne die Kolonialverwaltung ihren Sold bezahlen99 . Für jeden aufgebrachten »vagabond« bekamen die Soldaten zudem 1500 Livre als Belohnung – die ehemaligen Sklaven erhielten so wieder ein Preisschild100 . Diese Anreize zeitigten Wirkung, so dass sich eine 94 95 96 97 98

99 100

Proklamation von Desfourneaux, 9.2.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 29. Régent, Esclavage, S. 340–344; Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 20f. Proklamation von Desfourneaux, 11.2.1799, in: ANPS, AF/III/208/fol. 113. Proklamation von Desfourneaux, 27.11.1798, in: ANPS, AF/III/208, fol. 39. [?], Notes sur les derniers événements de la Guadeloupe, o. D., in: ANOM, C7A 82, fol. 57; Desfourneaux, Compte rendu, ou rapport fait au ministre de la Marine et des Colonies par le Cityoen Desfourneaux général de division, sur sa mission d’agent du gouvernement à la Guadeloupe, 11.2.1800, in: ANOM, C7A 53, fol. 223; Desfourneaux an Vatry (Kopie), 5.9.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 68. Zeugenaussage Desfourneaux, 24.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 247. Proklamation von Desfourneaux, 11.2.1799, in: ANPS, AF/III/208/fol. 113 (Zitat); Desfourneaux, Compte rendu, ou rapport fait au ministre de la Marine et des Colonies par

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regelrechte Menschenjagd entwickelte: Die Kolonialarmee ging gar soweit, Maroon-Gemeinden zur Arbeit auf den Plantagen zu zwingen, nachdem sie ihre Siedlungen niedergebrannt hatte101 . Trotz der brutalen Methoden Desfourneaux’ verlief der Wiederaufbau der Plantagenökonomie äußerst schleppend. Der politische Richtungswechsel der neuen Kolonialadministration war von Anfang an zum Scheitern verurteilt102 . Das Hauptproblem, das fehlende Kapital für die Instandsetzung von Gebäuden und die Anschaffung neuer Gerätschaften, vermochte Desfourneaux nicht zu lösen. Die Geldgeber der Kolonie hatten keinerlei Vertrauen in die Verheißungen des Kommissars und gewährten den verarmten Rückkehrern aus Frankreich nur zu harschen Konditionen neue Kredite. Gleichzeitig forderten sie von den zurückgekehrten Pflanzern die Rückzahlung der aufgelaufenen Zinsen ihrer alten Schulden. Die Blockade der Insel durch die Royal Navy trug das Ihrige dazu bei, dass Desfourneaux’ neuer Strategie kein Erfolg beschieden war103 . Entscheidend war auch, dass auf dem Parkett der internationalen Politik eine Wende eingetreten war, die Desfourneaux’ Pläne, die Kaperei zugunsten der Plantagenökonomie Guadeloupes einzuhegen, zum Scheitern verurteilte. Sein gut gemeintes, wenn auch reichlich naives Schreiben an den amerikanischen Präsidenten John Adams, in dem er versicherte, dass die neutrale Flagge der amerikanischen Handelsflotte fortan respektiert würde, kam viel zu spät104 . Desfourneaux konnte kaum ahnen, dass sich Adams inzwischen entschlossen hatte, dem Treiben der französischen Korsaren nicht mehr tatenlos zuzusehen. Am 9. Februar 1799 kaperte das amerikanische Kriegsschiff USS Constellation (38) nahe Guadeloupe ohne vorhergehende Warnung die französische Fregatte Insurgente (40)105 . Desfourneaux reagierte schockiert und ratlos auf die Nachrichten vom Verlust der Insurgente, warfen sie doch all seine Pläne über den Haufen, Guadeloupe vom faktisch autonomen Korsarenstaat wieder in eine Pflanzkolonie zu transformieren106 . Der Kommissar wurde damit nicht zuletzt Opfer der intransigenten Haltung seiner Regierung in Paris, die in den letzten Jahren sämtliche Versuche amerikanischer Diplomaten, die Krise zwischen den beiden Nationen gütlich beizulegen, abgelehnt

101 102 103

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le Citoyen Desfourneaux général de division, sur sa mission d’agent du gouvernement à la Guadeloupe, 11.2.1800, in: ANOM, C7A 53, fol. 223. Ibid. Zur republikanischen Politik gegenüber Maroon-Gemeinden nach 1794 vgl. auch Nessler, An Islandwide Struggle, S. 84–87. Zeugenaussage Desfourneaux, 24.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 247; Devillers, Situation de l’Île de la Guadeloupe lors de sa prise en 1815, o. D., in: ANOM, C7A 73, fol. 241. Pélardy an Vatry, 11.9.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 129; Desfourneaux an Vatry (Kopie), 5.9.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 68; Devillers, Situation de l’Île de la Guadeloupe lors de sa prise en 1815, o. D., in: ANOM, C7A 73, fol. 241. Desfourneaux an Adams (Kopie), 15.12.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 149. Barreaut an Desfourneaux (Kopie), 17.2.1799, in: SHD, FM/BB4/139, fol. 33. Desfourneaux an Talleyrand, 22.3.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 24.

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hatte. Die Direktoriumsmitglieder Talleyrand und Paul de Barras hatten von einer amerikanischen Gesandtschaft 1797 gar ein Bestechungsgeld – in ihren Worten »une douceur« – in der Höhe von 1,2 Millionen livres tournois verlangt, um sie überhaupt erst anzuhören (XYZ-Affäre). Präsident Adams sah sich durch die französische Regierung vor den Kopf gestoßen, zumal die Forderungen Talleyrands und Barras’ bald publik wurden und in den USA für große Empörung sorgten. Im Sommer 1797 rief die amerikanische Regierung deshalb eine Kriegsmarine ins Leben, die das Ziel hatte, sämtliche französischen Schiffe aufzubringen, deren sie habhaft werden konnte. Zudem verhängte der US-Kongress ein Embargo auf den Handel mit Frankreich und seinen Kolonien107 . Desfourneaux sah nach dem Verlust der Insurgente keine andere Möglichkeit, als seinerseits den Kaperschiffen Guadeloupes die Erlaubnis zu erteilen, amerikanische Schiffe aufzubringen108 . Infolgedessen nahmen die Korsaren Guadeloupes in den folgenden Monaten Prisen in rekordverdächtiger Höhe109 . Doch Desfourneaux’ kritische Haltung hinsichtlich des Korsarenkriegs blieb bestehen, denn das US-Embargo schnürte Guadeloupe weitgehend vom Weltmarkt ab und unterminierte seinen Plan, der brachliegenden Plantagenökonomie neues Leben einzuhauchen110 . Im Rahmen seiner eingeschränkten Möglichkeiten suchte Desfourneaux zumindest die Missbräuche zu unterbinden, die sich in den vergangenen Jahren bei der Finanzierung und Ausrüstung von Kaperschiffen eingeschlichen hatten. So untersagte er etwa die kostenlose Verwendung von Waffen und Schwarzpulver aus Armeebeständen auf den Kaperschiffen, womit sich die Finanzierung von Korsaren erheblich verteuerte. Damit zog er nicht nur den Groll zahlreicher Armeeoffiziere auf sich, die an der Finanzierung von Korsaren beteiligt waren, sondern auch denjenigen vieler Seeleute, wurde der Kommissar doch hinter vorgehaltener Hand verdächtigt, den für breite Bevölkerungsschichten einträglichen Kaperkrieg insgeheim beenden zu wollen111 . Desfourneaux’ Lage wurde infolgedessen im Spätsommer 1799 immer kritischer. Er sei umgeben von »assassins«, die aufgrund des Fehlens offizieller Neuigkeiten aus Paris seit zehn Monaten immer mehr Zulauf erhielten, so Desfourneaux in einem Brief an den Marine- und Kolonialminister Ende Juli 1799112 . Freilich war sich der Kommissar auch der Unterstützung der Macht107 108 109 110 111

112

Bonnel, La France, S. 56–64; DeConde, The Quasi-War, S. 46–73. Proklamation von Desfourneaux (Kopie), 25.2.1799, in: ANPS, AF/III/208, fol. 18; Proklamation von Desfourneaux, 14.3.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 39. Siehe die Zahlen bei: Pérotin-Dumon, La ville, S. 229f. Desfourneaux an Talleyrand, 9.4.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 40. [?], Notes sur les derniers événements de la Guadeloupe, o. D., in: ANOM, C7A 82, fol. 57; Rapport au ministre de la Marine et des Colonies, 30.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 255; Pélardy, Observations du général de division Pélardy, sur les événements de la Guadeloupe, 10.10.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 207. Desfourneaux an Vatry, 31.7.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 62.

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haber in der Metropole nicht mehr sicher, glaubte er doch, dass in Paris eine Verschwörung gegen ihn im Gange sei113 . Hugues, so war Desfourneaux felsenfest überzeugt, würde in Paris alles in seiner Macht stehende tun, um ihm zu schaden114 . Abgesehen von der persönlichen Fehde zwischen den beiden trugen die Ereignisse in Europa kaum zu Desfourneaux’ Machterhalt bei: Seit Monaten herrschte in Frankreich eine Wirtschaftskrise. Der Krieg in Europa verlief seit Jahresbeginn zu Ungunsten der Republik: Eine russisch-österreichische Großoffensive hatte die meisten territorialen Gewinne, die in den vergangenen beiden Jahren entlang des Rheins, in Belgien, in der Schweiz und in Italien erzielt worden waren, zunichte gemacht. Das Direktorium erwies sich im Sommer 1799 als nicht mehr handlungsfähig. Der nächste Staatsstreich – sei es von Seiten der Neojakobiner oder aus dem Lager der Royalisten – schien nur noch eine Frage der Zeit115 . Auf Guadeloupe war kaum absehbar, welches Ende die politische und militärische Krise in Frankreich nehmen würde. Deshalb war es kein Wunder, dass die politische Lage im Mutterland jedes Gespräch auf der Insel dominierte und die ohnehin brodelnde Gerüchteküche weiter anheizte. Desfourneaux zeigte in Anbetracht der ungewissen Lage in Europa und seines geringen Rückhalts auf Guadeloupe wenig Fingerspitzengefühl: Als er bei einem Abendessen mit den Offizieren der Kolonialarmee verkündete, dass er bei einem Staatsstreich in Paris die Kolonie gegen die Repräsentanten des neuen Regimes verteidigen würde, hatten die weißen und farbigen Offiziere einen geeigneten Vorwand gefunden, ihren unbeliebten Vorgesetzten am 6. Oktober 1799 als Verräter anzuschwärzen und ohne großes Aufsehen abzusetzen116 . Die Putschisten konnten auf eine breite politische Unterstützung für ihr Unterfangen zählen117 . Die Rückkehr einiger émigrés hatte nicht nur unter den ehemaligen Sklaven für Unruhe gesorgt, sondern auch unter all jenen, die von der Sequestrierung der Plantagen profitiert hatten, darunter viele Offiziere118 . Indem die Putschisten Desfourneaux vorwarfen, den Bruch mit der Metropole geplant zu haben, fiel es den Offizieren leicht, die Soldaten der Kolonialarmee auf ihre Seite zu ziehen119 . Die beiden führenden Köpfe des 113 114

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Desfourneaux an Vatry, 20.8.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 66. Desfourneaux an Forfait, 10.12.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 71. Tatsächlich versuchte Hugues, seinen Nachfolger bei Talleyrand in ein schlechtes Licht zu stellen. Vgl. Rodigneaux, Victor Hugues, S. 298–300. Siehe Doyle, The Oxford History, S. 369–374; Jean Tulard, Napoleon oder der Mythos des Retters. Eine Biographie, Tübingen 2 1979, S. 121–126. Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 37–48. Pâris an Vatry, 18.10.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 112. Baco/Jeannet an Forfait, 24.1.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 12; Chauveau an Forfait, 26.3.1800, in: ANOM, C7A 53, fol. 253; Zeugenaussage Desfourneaux, 24.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 247. Pélardy an Forfait, 23.6.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 203.

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Putsches, die Generäle Matthieu Pélardy und Marie-Auguste Pâris, wollten der Metropole glaubhaft machen, sie hätten mit der Absetzung Desfourneaux’ die Kolonie vor einem Bürgerkrieg gerettet120 . Doch damit lenkten die beiden Militärs nur von ihren wahren Motiven ab. Pâris und Pélardy sowie zahlreiche ihrer Untergebenen hatten bedeutende finanzielle Interessen im Kaperkrieg, den Desfourneaux lieber früher als später beenden wollte121 . So war es denn nur naheliegend, die Gelegenheit zu nutzen, den ungeliebten Kommissar loszuwerden. Die neuen Machthaber besetzten sogleich zahlreiche Posten mit ihren Günstlingen, die sie damit für ihre Loyalität im Putsch belohnten, und stellten die neuen Kommissare aus Paris, die zwei Monate nach der unfreiwilligen Heimreise Desfourneaux’ eintrafen, vor vollendete Tatsachen122 . Im August 1799, drei Monate vor der Absetzung ihres Repräsentanten in Guadeloupe, hatte das Direktorium auf Desfourneaux’ Machtlosigkeit zu reagieren versucht und drei neue Kommissare für Guadeloupe ernannt: Deren erster war René-Gaston Baco de la Chapelle, ein Anhänger der Montagnards, der 1796 an der Aufgabe gescheitert war, die Sklaverei in den ostindischen Kolonien Frankreichs abzuschaffen123 . Der zweite Mann im Trio war NicolasGeorges Jeannet-Oudin, ein Neffe Dantons, der 1794 das Abolitionsdekret in Französisch-Guyana umgesetzt hatte124 . Der Dritte im Bunde war Étienne Laveaux, der seit dem Fruktidor-Staatsstreich das Sprachrohr der Société des amis des Noirs et des colonies war125 . Die Mission der drei Kommissare für Guadeloupe stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Noch bevor sie die Kolonie erreicht hatten, lagen sie bereits im Streit, wie Desfourneaux’ Sekretär in einem Schreiben an den Marine- und Kolonialminister festhielt: »La mésintelligence qui régnait entr’eux à Rochefort, la différence dans leurs principes et dans leurs vues sur les moyens d’administrer la colonie; le désir d’innover; une philanthropie mal entendue; enfin des projets de fortune . . . en faut-il plus pour causer de vives inquiétudes?«126 120 121

122

123 124 125 126

Zeugenaussage Pélardy, 10.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 236; Pâris an Vatry, 18.10.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 112. Desfourneaux, Notes concernant l’ex-général Pâris, remises à la commission, o. D. [1801], in: ANOM, C7A 53, fol. 239; Rapport au ministre de la Marine et des Colonies, 30.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 255. Pâris stritt seine Involvierung in den Kaperkrieg natürlich später ab. Vgl. Zeugenaussage Pâris, 21.10.1801, ANOM, C7A 54, fol. 240. Zeugenaussage Laveaux, 7.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 267; Zeugenaussage Beauvais, 10.11.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 260; Zeugenaussage Desfourneaux, 24.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 247; Rapport au ministre de la Marine et des Colonies, 30.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 255. Wanquet, La France, S. 516; Dictionnaire de biographie française, Bd. 4, S. 1104–1107. Spieler, Empire, S. 60f.; Rafe Blaufarb, Bonapartists in the Borderlands. French Exiles and Refugees on the Gulf Coast, 1815–1835, Tuscaloosa 2005, S. 207. Gainot, La constitutionnalisation, S. 228; Girard, The Slaves, S. 25; Wanquet, La France, S. 516. Roydot an Forfait, 27.11.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 138.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Nach ihrer Ankunft auf Guadeloupe am 12. Dezember 1799 übergaben die Putschisten den drei neuen Kommissaren ohne Umschweife die Amtsgeschäfte, um nicht den Anschein zu erwecken, den Willen der Metropole zu missachten. Doch die neuen Kommissare fanden sich in einer schwierigen Lage wieder. Der Putsch gegen Desfourneaux hatte ihnen vor Augen geführt, dass sie einer Hausmacht bedurften, um nicht demselben Schicksal zu erliegen wie ihr Vorgänger. Nur Tage nach ihrer Ankunft mussten die Amtsträger jedoch feststellen, dass sie über nur unzureichende Herrschaftsinstrumente verfügten, um ihrem Willen Geltung zu verschaffen. Die Kolonialverwaltung existierte faktisch nicht, wie sie ihren Vorgesetzten in Paris kurz nach Amtsantritt schrieben127 . Die Armee sei schlecht ausgerüstet und ihre Verwaltung von beispiellosen Missbräuchen geplagt128 . Die Pächter der sequestrierten Plantagen nutzten derweil das Unwissen der neuen Machthaber, indem sie diese mit zahlreichen Petitionen und Anfragen überhäuften, deren Bearbeitung die drei Neulinge schlicht überforderte. Die Nachricht von Bonapartes Staatsstreich am 18. Brumaire half auch nicht, die Autorität der Kommissare zu festigen, die damit in den ersten Wochen ihrer Statthalterschaft die Last trugen, Repräsentanten einer gestürzten Regierung zu sein. Erst ihre Bestätigung im Amt durch den neuen Marine- und Kolonialminister Pierre-Alexandre Forfait zu Beginn des Jahres 1800 räumte alle Gerüchte aus der Welt, sie genössen nicht die Unterstützung der neuen Machthaber in Paris129 . Die drei Kommissare blieben wegen fortdauernder Streitigkeiten untereinander kaum handlungsfähig. Stein des Anstoßes war die brutale Behandlung der nouveaux citoyens auf den Plantagen der Kolonie. Laveaux forderte wiederholt, das wahllose Verprügeln von Plantagenarbeitern zu beenden, womit er den Zorn der Pächter sequestrierter Plantagen auf sich zog130 . Letztere wussten dabei die weißen und farbigen Offiziere der Kolonialarmee auf ihrer Seite, die selbst in die domaines nationaux investiert hatten und denen wenig am Schicksal der schwarzen Plantagenarbeiter gelegen war. Laveaux war den Offizieren aber auch aufgrund seiner Bemühungen ein Dorn im Auge, ihre exorbitanten Bezüge und jene der Kolonialbeamten zu reduzieren sowie die Vetternwirtschaft in der Armee zu bekämpfen131 . Jeannet und Baco setzten ihren Amtskollegen schließlich am 1. März 1800 ab, obwohl dieses Recht allein der Regierung in Paris zugestanden hätte132 . General Pâris hatte keine Bedenken, den unbeliebten Kommissar unter An127 128 129 130 131

132

Jeannet/Baco an Forfait, 24.1.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 16. Baco/Jeannet an Forfait, 24.1.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 14. Baco/Jeannet/Bresseau an Forfait, 21.12.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 109; Baco/Jeannet an Forfait, 25.1.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 20. Zeugenaussage Laveaux, 7.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 267. Ibid.; Zeugenaussage Ormancin, 14.11.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 261. Rapport concernant l’embarquement forcé du général Laveaux ex-agent de la Guadeloupe, 20.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 276. Régent, Esclavage, S. 380f.

7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie

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drohung von Gewalt auf das nächste Schiff zu setzen, das Guadeloupe in Richtung Frankreich verließ. Zum Nachfolger Laveaux’ ernannten Jeannet und Baco den Kaufmann Maurice-Henri Bresseau, der tief in die Finanzierung von Kaperschiffen verstrickt war und seit Jahren wichtige Ämter in der Kolonie innehatte133 . Die beiden Kommissare hielten es nicht für nötig, diesen weitreichenden Entscheid mit der Metropole abzusprechen. Die Ernennung des Kolonisten Bresseau zum Kommissar kam faktisch der Kapitulation Jeannets und Bacos vor den lokalen Herrschaftsstrukturen gleich. Die Repräsentanten der Metropole mochten in den folgenden Monaten noch so viele Missstände in der Armee, bei den Gerichten und der Verwaltung der sequestrierten Plantagen anprangern, faktisch unternahmen sie nichts dagegen134 . Die Pächter der Plantagen, größtenteils Offiziere und Kolonialbeamte, zahlten ihre Pacht nur dann, wenn es ihnen gerade passte135 . Die cultivateurs flohen wieder in Scharen von den Plantagen in die Städte, wo sie auf den zahlreichen Kaperschiffen Beschäftigung fanden136 . Die Korsaren ihrerseits machten weiterhin ungehindert Jagd auf die neutrale Schifffahrt und entzogen damit der Plantagenökonomie nicht nur Arbeitskräfte und Kapital, sondern erschwerten auch den Absatz der Kolonialwaren auf dem Weltmarkt137 . Jeannet und Baco hatten augenscheinlich erkannt, dass es zu gefährlich war, gegen das mächtige Bündnis zwischen den Pächtern, Armeeoffizieren und Ausrüstern von Kaperschiffen vorzugehen. Das Ausbleiben von Anweisungen aus der Metropole half kaum, ihre fehlende Autorität wettzumachen. So entschlossen sich Jeannet und Baco, das Beste aus der Situation zu machen, und beteiligten sich selbst an der hemmungslosen Bereicherung ihrer Offiziere im entgrenzten Kaperkrieg gegen die Neutralen138 . Die Versuche des Direktoriums, mit der Ausweitung der Verfassung auf die Kolonien der schleichenden Desintegration des Kolonialreichs entgegenzutreten, waren gescheitert. Anstatt die Kontrolle über Guadeloupe wiedererlangt zu haben, drohte die Metropole jeglichen Einfluss auf den faktisch autonomen Korsarenstaat zu verlieren, dessen Krieg nur noch Selbstzweck war und Frankreich einen unnötigen Konflikt mit den USA aufgezwungen hatte. 133 134

135 136 137 138

Jeannet/Baco an Forfait, 19.3.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 86; Pérotin-Dumon, La ville, S. 758. Jeannet/Baco an Forfait, 25.1.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 20; Jeannet/Baco an Forfait, 24.1.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 12; Jeannet/Baco an Forfait, 22.2.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 27. Jeannet/Baco an Forfait, 24.1.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 4; Jeannet/Baco an Forfait, 19.3.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 82. Proklamation von Jeannet/Laveaux/Baco, 10.1.1800, in: ANOM, C7A 51, fol. 95. Proklamation von Baco/Jeannet/Laveaux, 16.12.1799, in: ANOM, C7A 51, fol. 74; Jeannet/Baco an Forfait, 25.8.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 132. Jeannet/Baco an Forfait, 31.7.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 121; Jeannet/Bresseau/Baco an Forfait, 26.6.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 101.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Falsche Freunde: der Überfall auf Curaçao, 1800 Der Morgen des 2. Oktobers 1800 schien für Marine- und Kolonialminister Forfait ein Tag wie jeder andere zu sein. Routinemäßig nahm er die neuesten britischen Zeitungen zur Hand, um sich ein Bild von der Lage in der Karibik zu verschaffen. Der Minister konnte kaum glauben, was er lesen musste: Französische Truppen aus Guadeloupe hätten vor drei Monaten Curaçao, eine Kolonie der batavischen Schwesterrepublik, geplündert. Infolgedessen hätten die batavischen Behörden bei der Royal Navy um Schutz gebeten, weshalb britische Marinesoldaten Anfang September die Kolonie widerstandslos besetzt hätten. Forfait schenkte den Nachrichten erst keinen Glauben und vermutete eine »perfidie des gazettes anglaises« dahinter, wie er dem Ersten Konsul, Napoleon Bonaparte, mitteilte139 . Bald verdichteten sich allerdings die Indizien, dass die Nachrichten aus Großbritannien den Tatsachen entsprachen, und wenige Wochen später lag die offizielle Bestätigung der Kolonialbehörden Guadeloupes vor140 . Wie konnte es soweit kommen, dass französische Truppen eine Kolonie ihrer Verbündeten überfielen? Was hatte dieser Vorfall mit den Herrschaftsstrukturen Guadeloupes und der ihnen inhärenten Beuteökonomie zu tun? War der Angriff auf Curaçao tatsächlich präventiver Natur, um eine britische Übernahme der Kolonie zu verhindern, wie dies Anne Pérotin-Dumon auf Basis der Dokumente aus der Feder der Kolonialbeamten Guadeloupes glaubt141 ? Welche Schlüsse zog die neue Regierung in Paris aus dem Angriff? Tatsächlich waren die Ursachen weit komplexer, wie Akten aus den Archiven der französischen Kriegsmarine und jene britischer Provenienz nahelegen, die von der Forschung bislang keine Beachtung gefunden haben. Auf Curaçao war der innenpolitische Dauerkonflikt zwischen Orangisten und Patrioten seit dem letzten französischen Interventionsversuch 1796 keineswegs ausgestanden. Die Herrschaft der Patrioten unter der Führung von Gouverneur Lauffer blieb fragil. Die Entgrenzung des von den französischen Kolonien ausgehenden Kaperkriegs hatte Lauffer in den folgenden Jahren in immer größere werdende Schwierigkeiten gebracht. Zahlreiche französische Korsaren von Guadeloupe nutzten Curaçao als Basis für ihre Kaperfahrten. Damit geriet Curaçao zwangsläufig in den Fokus der amerikanischen Regierung, die nicht mehr bereit war, die Angriffe auf ihre Handelsschifffahrt tatenlos hinzunehmen. Mehr noch als die französischen Zuckerinseln war Curaçao auf die amerikanischen Schiffe angewiesen, galt doch die Insel aufgrund ihrer geografischen Lage als wichtiger Umschlagplatz für den Handel mit den spanischen Festlandkolonien. Die Kaufleute Curaçaos mussten deshalb die 139 140 141

Forfait an Bonaparte (Kopie), 2.10.1800, in: ADGB, 61J/55. Jeannet an Forfait, 14.10.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 149. Pérotin-Dumon, Les jacobins, S. 300f.

7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie

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Abschnürung der Kolonie vom Weltmarkt infolge des Quasi-Kriegs mit Argwohn beobachten. Derweil drängten insbesondere die farbigen und weißen Matrosen, die sich in den jakobinischen Clubs organisiert hatten, auf eine Ausweitung des Kaperkriegs, generierten doch die Prisengelder für die mittellosen Seeleute ein willkommenes Einkommen. Einige Kaufleute und Offiziere der Kriegsmarine, darunter etliche Orangisten, begannen deshalb, selbst Kaperschiffe auszurüsten beziehungsweise sich an ihrer Finanzierung zu beteiligen. So fand sich Lauffer innenpolitisch zwischen drei Fronten wieder: Die Orangisten hofften auf eine britische Übernahme der Kolonie, die Kaufleute wünschten ungestörten Handel zwischen den USA und den spanischen Festlandkolonien, während die frankophilen Clubs der Unterschichten eine Beteiligung am Kaperkrieg Guadeloupes forderten. Lauffer ging in der Folge immer mehr auf Distanz zu den Clubs und versuchte, den Einfluss des französischen Konsuls Jean-Baptiste Tierce Cadet einzuschränken. Als schließlich Beweise für dessen ungetreue Geschäftsführung beim Verkauf von neutralen Prisen und für seine Beteiligung an der Finanzierung von Kaperschiffen vorlagen, hatte Lauffer 1799 einen geeigneten Vorwand gefunden, den französischen Konsul aus der Kolonie zu verweisen. Die Korsaren Guadeloupes mieden fortan die Kolonie, weil die batavischen Prisengerichte die neutralen Prisen der Kaperschiffe nicht mehr akzeptierten. Im Gegenzug nahmen die amerikanischen Handelshäuser ihre Geschäftsbeziehungen mit Curaçao wieder auf, womit Lauffer sein Ziel erreicht zu haben schien142 . Die Abwendung Lauffers von der frankophilen Fraktion Curaçaos sorgte zweifellos für Sorgenfalten bei den Machthabern Guadeloupes. Gelähmt durch interne Machtkämpfe sahen sie sich aber monatelang außerstande einzugreifen. Erst nach der Ankunft Jeannets, Bacos und Laveaux’ glaubte sich die Kolonialregierung Guadeloupes wieder handlungsfähig. Doch ihre Interessen galten im Grunde weniger der politischen Loyalität Curaçaos zum französischen Verbündeten, sondern ihren eigenen Geschäften und den mit ihnen verbündeten Financiers von Kaperschiffen. Auslöser für die Krise war die französische Fregatte Vengeance (40), auf der Jeannet, Baco und Laveaux Mitte Dezember 1799 die Kolonie erreicht hatten. Während des mehrwöchigen Aufenthalts des Kriegsschiffes in BasseTerre hatten Jeannet und Baco große Mengen an Zucker und Kaffee auf die Fregatte laden lassen, die sie in Frankreich gewinnbringend zu verkaufen hofften. Zudem verstecken sie eine hohe Summe Bargelds an Bord, die sie in Sicherheit bringen wollten143 . Nur einen Tag nachdem das Kriegsschiff Guadeloupe verlassen hatte, wurde die Vengeance am Abend des 1. Februars 142 143

Jordaan, Patriots. Zeugenaussage Laveaux, 7.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 267; Philipps an Stoddert, 9.2.1800, in: Claude A. Swanson (Hg.), Naval Documents Related to the Quasi-War Between the United States and France, 7 Bde., Washington D. C. 1935–1938, Bd. 5, S. 204.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

1800 in ein Gefecht mit der amerikanischen Fregatte Constellation unter dem Kommando von Thomas Truxtun verwickelt. Die Vengeance wurde zwar schwer beschädigt und hatte hohe Verluste zu verzeichnen, doch gelang es ihren Kanonieren, die Takelage und sämtliche Mäste der Constellation wegzuschießen. Kapitän François-Marie Pitot vermochte daraufhin, das schlimm zugerichtete Schiff in der Dunkelheit der Nacht aus der Sicht der manövrierunfähigen Constellation zu bringen144 . Wenige Tage später traf die kaum mehr seetüchtige Vengeance schließlich im Hafen Willemstads, der Hauptstadt Curaçaos, ein. Pitot wusste, dass die Reparatur einige Monate in Anspruch nehmen würde und dass die Mittel der batavischen Behörden kaum ausreichten, um die Arbeiten zu bezahlen. Zwar zeigte sich Lauffer gemäß den Aussagen Pitots äußerst hilfsbereit, doch die Kosten für die Wiederinstandsetzung der Fregatte in der Höhe von über 700 000 Franc überstiegen die finanziellen Möglichkeiten der batavischen Kolonialadministration. Pitot bat daher bei den Kommissaren Guadeloupes um materielle Unterstützung145 . Deren Maßnahmen gingen aber weit über das hinaus, was Pitot im Februar von ihnen verlangt hatte. Die Reparatur der Vengeance nahmen die Kommissare kurzerhand zum Anlass, die batavischen Behörden zur Auszahlung amerikanischer Prisen zu nötigen, welche französische Korsaren aus Guadeloupe in den letzten Monaten gemacht hatten, die vom batavischen Prisengericht jedoch für ungültig erklärt worden waren. Bresseau, der tief in die Finanzierung von Kaperschiffen verstrickt war, sollte gemäß den Anweisungen der Kommissare zusammen mit Jeannets Bruder, der für diese Operation kurzerhand in den einträglichen Rang eines Brigadegenerals befördert worden war, sowie 260 Mann nach Curaçao segeln und die Behörden des batavischen Verbündeten unter Androhung von Waffengewalt zu diesem Schritt zwingen. Der Verkauf der amerikanischen Prisen sollte unter anderem die Kosten für die Reparatur der Vengeance decken. Angeblich lagen den Kommissaren zudem Hinweise vor, wonach Lauffer die Kolonie den Briten übergeben wollte. Hintergrund dieser Befürchtungen war zweifellos der Verkauf Surinames an britische Streitkräfte durch den batavischen Gouverneur der Kolonie im Jahr zuvor146 . Die französische Expedition hatte deshalb vordergründig zum Ziel, eine Besetzung Curaçaos durch Rotjacken mittels Stationierung einer eigenen Garnison zu verhindern147 . Die im Hafen Willemstads vor Anker liegende Vengeance sollte den französischen Forderungen zusätzlich Nachdruck verleihen148 . 144 145

146 147 148

Michael A. Palmer, Stoddert’s War. Naval Operations during the Quasi-War with France 1798–1801, Columbia, SC 1987, S. 185–187. Pitot, Précis des événements à Curaçao pendant la relâche dans ce port de la frégate de la République La Vengeance, 1800, in: SHD, FM/BB4/149, fol. 34; Rapport concernant l’affaire de Curaçao, 20.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 278. Siehe dazu Duffy, Soldiers, S. 314f.; Souty, La Révolution, S. 183. Jeannet/Baco an Bresseau (Kopie), 15.7.1800, in: ANOM, C7A 54, fol. 153; Zeugenaussage Jeannet, 10.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 272. Jeannet/Baco an Bresseau (Kopie), 15.7.1800, in: ANOM, C7A 54, fol. 153.

7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie

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Die Instruktionen an die Adresse Bresseaus verdienen eine genauere Betrachtung. Die Kommissare Guadeloupes nahmen eine gewaltsame Konfrontation mit den batavischen Behörden von Anfang an in Kauf – der Aufruf an Bresseau, wonach Gewalt nur als letztes Mittel anzuwenden sei, diente lediglich der Gesichtswahrung. Bresseaus persönliche Teilnahme an der Expedition lässt ebenfalls aufhorchen. Militärische Gründe können dafür kaum ausschlaggebend gewesen sein: Der Kommissar verfügte über keinerlei militärische Erfahrung. Vielmehr lassen die Umstände darauf schließen, dass es ihm erster Linie um die Sicherung seiner persönlichen Investitionen ging. Dasselbe gilt für seine Amtskollegen, die, wie wir gesehen haben, eine hohe Summe Bargelds sowie große Mengen an Zucker und Kaffee in den Frachträumen der Vengeance wussten. Erst in zweiter Linie diente die Expedition der Sicherung des politischen und gesellschaftlichen Status quo Curaçaos, das als Basis für die Korsaren Guadeloupes fortbestehen sollte. Eine Abschaffung der Sklaverei stand hingegen nicht zur Diskussion149 . Von einer geplanten Übergabe der Kolonie an die Briten durch Lauffer konnte ebenfalls keine Rede sein. Nachdem die britische Generalität vom Auslaufen der französischen Schiffe aus Basse-Terre erfahren hatte, konnte sie kaum glauben, dass die französische Expedition Curaçao zum Ziel hatte. Lange vermutete der befehlshabende britische General für die Kleinen Antillen, Thomas Trigge, einen Überraschungsangriff auf Trinidad oder Suriname150 . Der Befehlshaber der Royal Navy in den Kleinen Antillen, Konteradmiral John T. Duckworth, glaubte an eine konzentrierte Aktion, welche die Rückeroberung Martiniques oder Surinames zum Ziele habe. Als Drahtzieher dieser Operation vermutete er den »enterprising fellow« Victor Hugues, der seit Jahresbeginn in Französisch-Guyana als Kommissar waltete151 . Als Trigge schließlich die Bestätigung einer französischen Landung in Curaçao vorlag, rechtfertigte der General seinen bisherigen Unglauben an einen französischen Angriff auf die batavische Kolonie damit, dass »it appeared, on every account, so highly improbable that no credit could be given to the report«152 . Ähnlich überrascht zeigten sich die Behörden Curaçaos, als sie am 23. Juli 1800 mehrere Segel am Horizont ausmachten, die sie zuerst für ein britisches Expeditionskorps hielten, das zur Tarnung unter französischer Flagge segelte153 . Selbst nachdem sich herausgestellt hatte, dass es sich tatsächlich um Schiffe des französischen Verbündeten handelte, kehrte unter den batavischen Entscheidungsträgern keine Ruhe ein. Vorsichtshalber beließ Lauffer die 149 150 151 152 153

Ibid. Trigge an Dundas, 7.8.1800, in: TNA, WO 1/89/489; Trigge an Dundas, 4.8.1800, in: TNA, WO 1/89/485. Duckworth an Nepean, 15.8.1800, in: TNA, ADM 1/323. Trigge an Dundas, 21.10.1800, in: TNA, WO 1/90/17. Lauffer an Duny (Kopie), 10.5.1804, in: ANOM, 2400COL/128/1.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

rund 250 Nationalgardisten in Alarmbereitschaft und verbot den Schiffen aus Guadeloupe die Einfahrt ins Hafenbecken, so dass Bresseaus Flottille entlang der Küste Curaçaos vor Anker gehen musste154 . Nachdem Matrosen und Lebensmittel auf die vor Anker liegende Vengeance gebracht worden waren, verlangte Bresseau ein Treffen mit dem Kolonialrat Curaçaos, das sämtliche Befürchtungen Lauffers bestätigen sollte. Der Kommissar aus Guadeloupe hatte nicht 250 Soldaten nach Curaçao gebracht, nur um das beschädigte französische Kriegsschiff wieder flott zu kriegen. Unter dem Vorwand, Curaçao vor einer britischen Eroberung zu schützen, unterbreitete Bresseau dem Kolonialrat eine lange Liste mit Forderungen, die faktisch einer französischen Machtübernahme in der Kolonie gleichkamen155 . Zwar versicherte Bresseau getreu seinen Anweisungen aus Guadeloupe, dass »il ne sera fait sous quelque prétexte que ce soit, aucune innovation à l’état actuel des non-affranchis«, doch verlangte er im Gegenzug die Übertragung der militärischen und administrativen Entscheidungsgewalt an einen französischen Offizier seiner Wahl. Französische Bürger sollten zudem einer eigenen Rechtsprechung unterstehen. Amerikanischen Handelsschiffen wurde zwar der Handel mit Curaçao weiterhin gestattet, »mais seulement dans le cas où il serait justifié légalement de la nécessité urgente de relâche dans le port et le temps seul jugé par le délégué français«. Damit wurde der für die Wirtschaft der Kolonie so wichtige Handel mit den amerikanischen Handelshäusern faktisch dem Gutdünken des französischen Agenten unterstellt. Zudem sollten die französischen Korsaren auf Curaçao ihre Prisen vor einem eigenen Prisengericht beurteilen dürfen, womit absehbar war, dass Kaperschiffe aus Guadeloupe Curaçao wiederum als Basis für ihre Jagd auf die amerikanische Handelsschifffahrt nutzen würden156 . Der daraus resultierende Schaden für die Kaufleute Curaçaos war unter keinen Umständen hinnehmbar, weshalb der Kolonialrat Bresseaus Angebot ablehnte. Die Zeichen standen auf Konfrontation, zumal Bresseau nicht bereit war, auf die Gegenangebote Lauffers einzugehen157 . Bresseau glaubte dabei den Kapitän der Vengeance, Pitot, auf seiner Seite zu wissen. Die Kanonen und Matrosen der im Hafenbecken liegenden Fregatte waren in seinem Kalkül der entscheidende Trumpf, um den Kolonialrat zum Nachgeben zu zwingen. Pitot durchschaute allerdings zusehends Bresseaus Spiel und war nicht willens, sich daran zu beteiligen. Im Geheimen lotete der Kapitän der Vengeance beim amerikanischen Konsul den aktuellen Stand der diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und den USA 154 155 156

157

Jeannet/Bresseau an Forfait, 7.2.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 132. Zeugenaussage Bresseau, 13.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 274. Alle Zitate aus Bresseau, Convention proposée de l’un des agents des consuls français aux îles du Vent, en mission à Curaçao aux gouverneur provisionnel, membres du Conseil, & habitants de la dite île de Curaçao (Kopie), 7.8.1800, in: ANOM, C7A 54, fol. 156. Zeugenaussage Pélardy, 9.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 271; Rapport concernant l’affaire de Curaçao, 20.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 278.

7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie

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aus, um abzuschätzen, ob Bresseaus Forderungen gerechtfertigt waren158 . Die intransigente Haltung des Kommissars aus Guadeloupe gegenüber den batavischen Behörden ließ bei Pitot zunehmend die Überzeugung aufkommen, dass es Bresseau nur darum ging, die Kolonie zu plündern und seinen eigenen Besitz im Laderaum der Vengeance zu sichern. Pitot entschied sich deshalb, Lauffer vor den Absichten Bresseaus zu warnen und gleichzeitig die nötigen Vorkehrungen für ein Auslaufen der Fregatte zu treffen. Dem batavischen Gouverneur rang er das Versprechen ab, Bresseaus Truppen nicht anzugreifen und dem Kommissar aus Guadeloupe die Möglichkeit eines friedlichen Abzugs zu geben159 . Die Befehle Bresseaus, eine vor Anker liegende batavische Fregatte zu kapern, missachtete der Kapitän unter Hinweis auf den Allianzvertrag zwischen Frankreich und der Batavischen Republik. Vergebens versuchten die Kommissare Guadeloupes die Matrosen und Offiziere der Vengeance auf ihre Seite zu ziehen, indem sie behaupteten, Pitot sei von Lauffer und jüdischen Kaufleuten der Kolonie bestochen worden. Die Versuche Bresseaus, die Mannschaft der Vengeance gegen ihren Kapitän aufzuwiegeln, und die hohen Desertionsraten unter seiner Besatzung bestärkten Pitot in seinem Entschluss, möglichst schnell nach Frankreich zurückzukehren. Am Abend des 11. Augusts 1800 ließ Pitot schließlich die Segel setzen und überließ die Militärexpedition aus Guadeloupe ihrem Schicksal160 . Damit brach die Drohkulisse Bresseaus weitestgehend in sich zusammen. Doch der Kommissar dachte nicht daran, unverrichteter Dinge die Kolonie zu verlassen, und erfand deshalb immer neue Gründe, um seine Rückkehr nach Guadeloupe hinauszuzögern. Nachdem die Reparatur der Vengeance die batavische Kolonialkasse bereits 82 000 Johannes gekostet hatte, willigten Lauffer und der Kolonialrat schließlich ein, dem Kommissar aus Guadeloupe zusätzlich 10 000 Johannes zu zahlen, damit die französische Expedition endlich die Heimreise antreten würde161 . Wenn Lauffer und der batavische Kolonialrat glaubten, die ungebetenen Gäste losgeworden zu sein, als die französischen Schiffe am 2. September 1800 endlich in See stachen, so sahen sie sich schon bald getäuscht. Unter Berufung auf angeblich schlechte Windverhältnisse und das vermeintliche Auftauchen einer britischen Flotte gingen die französischen Truppen schon am nächsten Tag westlich Willemstads wieder an Land und 158 159

160

161

Philipps an Marshall, 2.8.1800, in: Swanson (Hg.), Naval Documents, Bd. 6, S. 218f. Extract of a Memorial of the Governor & Council of the Island of Curaçao & its departments, o. D. [1801], in: TNA, WO 1/97/92; Lauffer an Duny (Kopie), 10.5.1804, in: ANOM, 2400COL/128/1. Pitot, Précis des événements à Curaçao pendant la relâche dans ce port de la frégate de la République La Vengeance, 1800, in: SHD, FM/BB4/149, fol. 34; Jeannet/Bresseau an Forfait, 7.2.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 132; Baco/Jeannet an Forfait, 14.10.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 149; Rapport concernant l’affaire de Curaçao, 20.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 278. Extract of a Memorial of the Governor & Council of the Island of Curaçao & its departments, o. D. [1801], in: TNA, WO 1/97/92.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

überrumpelten kurzerhand das dort gelegene Fort Saint-Michel162 . Damit bestanden keinerlei Zweifel mehr an den feindlichen Absichten Bresseaus. Doch Lauffers Gegenangriff endete in einem Fiasko und hatte eine wilde Flucht der batavischen Soldaten zur Folge, so dass die Truppen aus Guadeloupe mit Ausnahme des Forts Amsterdam in Willemstad schon bald die ganze Insel kontrollierten. Bresseau ließ die Plantagen der Kolonie plündern und sämtliches Vieh zusammentreiben163 . Zwar vermochten die batavischen Verteidiger im Fort Amsterdam den französischen Truppen den Zugang zum Stadtkern Willemstads zu versperren, doch ihre Situation wurde immer dramatischer, kontrollierten Bresseaus Soldaten doch alle Wasserstellen der Kolonie164 . Am 9. September 1800 tauchte schließlich die britische Fregatte Nereide (36) am Horizont auf, woraufhin die deutlich schwächer bewaffneten französischen Schiffe ihre Blockade des Hafens von Willemstad abbrechen mussten. Lauffer und der Kolonialrat Curaçaos sahen keine andere Möglichkeit, als dem Kapitän der britischen Fregatte, Frederick Watkins, ein Kapitulationsangebot zu unterbreiten, um der Gefahr zu begegnen, die vom eigenen Verbündeten ausging. Die Mitglieder des Kolonialrates hielten es für klüger, »to place the island with a favourable capitulation under the protection of His British Majesty than to fall into the hands of a furious pack of thieves«165 . Am 13. September 1800 unterzeichnete Lauffer eine Kapitulationsvereinbarung mit Watkins, die vorsah, dass der für die Kolonie lebenswichtige Handel mit den spanischen Festlandkolonien weiterhin erlaubt sein würde166 . Damit hatte der britische Überseehandel einen geeigneten Umschlagplatz gefunden, um die spanischen Kolonien Lateinamerikas in Kriegszeiten auf legalem Wege mit britischen Waren zu überfluten167 . Watkins hatte allerdings auf eigene Faust gehandelt und keine Rücksprache mit seinen Vorgesetzten genommen. Zudem war die Kapitulationsurkunde wenig wert, solange sich französische Truppen auf Curaçao befanden. Watkins’ wenige Marinesoldaten reichten nicht aus, um die rund 300 Franzosen zur Kapitulation zu zwingen168 . Der Gouverneur Jamaikas weigerte sich derweil, Truppen nach Curaçao zu ver162 163

164

165 166 167 168

Ibid.; Lauffer an Duny (Kopie), 10.5.1804, in: ANOM, 2400COL/128/1; Jeannet/ Bresseau an Forfait, 7.2.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 132. Lauffer an Duny (Kopie), 10.5.1804, in: ANOM, 2400COL/128/1; Rapport concernant l’affaire de Curaçao, 6.1.1802, in: ANOM, C7A 54, fol. 283; Extract of a Memorial of the Governor & Council of the Island of Curaçao & its departments, o. D. [1801], in: TNA, WO 1/97/92. Extract of a Memorial of the Governor & Council of the Island of Curaçao & its departments, o. D. [1801], in: TNA, WO 1/97/92; Zeugenaussage Pélardy, 9.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 271. Zit. nach: Goslinga, The Dutch, S. 31. Capitulation de Curaçao (Kopie), 13.9.1800, in: ANOM, C7A 54, fol. 149. Dundas an Trigge, 14.1.1801, in: TNA, WO 1/90/153. Lauffer an [Watkins] (Kopie), 10.9.1800; in: TNA, ADM 1/250; Watkins an Lauffer (Kopie), 11.9.1800, in: TNA, ADM 1/250; Seymour an Nepean, 4.11.1800, in: TNA, ADM 1/250; Rapport concernant l’affaire de Curaçao, 20.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 278.

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legen. Trotz der geheimen Vereinbarungen mit Louverture fürchtete er eine mögliche Invasion aus Saint-Domingue169 . Die Situation änderte sich erst am 22. September 1800, kurz bevor Jeannets Bruder das Fort Amsterdam erstürmen wollte, als zwei amerikanische Kriegsschiffe, die Merrimack (28) und die Patapsco (20), am Horizont auftauchten und mit dem britischen Schiff gemeinsame Sache machten170 . Bresseau gab in Anbetracht seiner bedrohlichen Lage den Befehl, die Belagerung des Forts Amsterdam sofort abzubrechen und die Truppen sowie das gesamte Beutegut wieder einzuschiffen. Gemäß Lauffer waren die Laderäume und Decks der französischen Schiffe derart voll mit Beute, dass sich Bresseau gezwungen sah, zahlreiche Soldaten auf Curaçao zurückzulassen171 . Inwiefern dies den Tatsachen entspricht, bleibt offen. Sicher ist nur, dass Bresseau und seine Offiziere in der Kolonie eines Verbündeten große Mengen an Kolonialwaren, Vieh und anderen Wertgegenständen gestohlen hatten, wie selbst französische Quellen bestätigten172 . Zwar fielen zwei kleinere Schiffe der französischen Expedition auf ihrem Rückweg der Royal Navy in die Hände, doch vermochte dieser Verlust die gute Laune Bresseaus kaum zu trüben173 . Als die kleine Flottille in der spanischen Hafenstadt Cumaná im heutigen Venezuela einen Zwischenhalt einlegte, trafen Bresseau und seine Offiziere auf Alexander von Humboldt und seinen Kompagnon, Aimé Bonpland, »amis des sciences & des arts, et des gouvernements éclairés«. Stolz berichteten Baco und Bresseau dem Marine- und Kolonialminister, dass sie Humboldt einen Kredit gewährt hätten, damit dieser seine Weiterreise nach Kuba finanzieren könne174 . So trug ein kleiner Teil der Beute aus Curaçao dazu bei, die Forschungsreisen Humboldts zu finanzieren – in seinen Werken verlor der Naturforscher darüber kein Wort175 . Abgesehen von dieser philanthropischen Wohltat Bresseaus waren die Folgen seines Handelns dramatisch. Nur um den wichtigen Umschlagplatz Curaçao auch weiterhin als Basis für den entgrenzten Kaperkrieg Guadeloupes offenzuhalten und sein Vermögen und seine Kolonialwaren im Laderaum der Vengeance zu sichern, hatte Bresseau die Kolonie eines verbündeten Staates in die Arme Großbritanniens getrieben und dem britischen Überseehandel die Möglichkeit eröffnet, die merkantilistischen 169 170 171 172 173 174 175

Balcarres an Seymour (Kopie), 19.9.1800, in: TNA, CO 137/104/224; Balcarres an Seymour (Kopie), 17.9.1800, in: TNA, CO 137/104/220. Palmer, Stoddert’s War, S. 199–201. Extract of a Memorial of the Governor & Council of the Island of Curaçao & its departments, o. D. [1801], in: TNA, WO 1/97/92. Rapport sur la comptabilité, 24.3.1802, in: ANOM, C7A 54, fol. 310. Trigge an Dundas, 21.10.1800, in: TNA, WO 1/90/17; Baco/Bresseau an Forfait, 2.11.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 158. Jeannet/Bresseau an Forfait, 9.2.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 177. Alexander von Humboldt, Die Reise nach Südamerika. Vom Orinoko zum Amazonas. Nach einer Übersetzung von Hermann Hauff, von Jürgen Starbatty, Göttingen 8 2002, S. 137f.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Schranken des spanischen Handelsmonopols in den lateinamerikanischen Kolonien zu unterminieren. Freilich sollte es den Kommissaren Guadeloupes nicht möglich sein, den Zucker und Kaffee im Frachtraum der Vengeance in Frankreich zu verkaufen, denn die französische Fregatte wurde noch in karibischen Gewässern von der Royal Navy aufgebracht176 .

Die Desintegration des französischen Kolonialreiches Das Fiasko auf Curaçao war vermutlich der deutlichste Fingerzeig dahingehend, dass die Entscheidungsträger auf Guadeloupe Teil einer Beuteökonomie waren, aus deren Sachzwängen sie sich nicht mehr befreien konnten und wollten. Gleichzeitig war der Überfall auf Curaçao der Kulminationspunkt eines schleichenden Loslösungsprozesses Guadeloupes von der Metropole. Die Entgrenzung des Korsarenkriegs auf Kosten der neutralen Handelsschifffahrt, die standhafte Weigerung Hugues’, die Verfassung in den Kolonien zur Anwendung zu bringen sowie die illegalen Absetzungen Desfourneaux’ und Laveaux’ durch lokale Kolonialbeamte und Militärs waren deutliche Indizien für den immer gravierender werdenden Kontrollverlust der Metropole über ihre Kolonien. Die neue Regierung in Paris, die sich unter anderem mit dem Versprechen der Wiederherstellung der nationalen Einheit an die Macht geputscht hatte, konnte diesen Autoritätsverlust nicht hinnehmen177 . Bonaparte befahl nicht nur die Abberufung Jeannets und Bresseaus, sondern setzte auch zwei Untersuchungskommissionen gegen die beiden Kommissare und den Kapitän der Vengeance, Pitot, ein178 . Die Sorgen Bonapartes hatte Forfait bereits nach der Absetzung Desfourneaux’ gegenüber den Kommissaren Guadeloupes zum Ausdruck gebracht: Les consuls [. . . ] ont vu avec mécontentement que des municipalités isolées & des officiers subalternes se soient permis, au nom de la colonie, un acte de violence que les bons citoyens ont désavoué; qu’en supposant même que la conduite de l’agent Desfourneaux eut donné lieu à des plaintes fondées de la part des administrés, les voies légales pour obtenir justice de la part des premiers magistrats de la République, n’aient pas été suivis; et que l’autorité du gouvernement ait été méconnue dans la personne de son mandataire & de son représentant légitime. Tous les liens de la subordination & ceux qui doivent unir les colonies à la métropole seraient rompus si de pareils excès n’étaient réprimés & si quelques fonctionnaires ou habitants pouvaient impunément dépouiller les agents du gouvernement de leurs pouvoirs & usurper leurs fonctions179 . 176 177 178 179

Milnes an Seymour (Kopie), 22.8.1800, in: TNA, ADM 1/250. Tulard, Napoleon, S. 149–151. Jeannet/Bresseau an Forfait, 9.2.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 179; Decrès an Bonaparte (Entwurf), 12.4.1801, in: ANOM, EE 310/24, fol. 7. [Forfait] an Baco/Jeannet/Bresseau, 30.3.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 227.

7. Guadeloupe zwischen Korsarenstaat und Plantagenkolonie

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Die Generäle Pâris und Pélardy sowie den Vorsitzenden der Munizipalversammlung von Port-de-la-Liberté ließ Bonaparte absetzen und alle ihre Beschlüsse für nichtig erklären180 . Die Untersuchungskommissionen, die sich mit den Affären um Laveaux und dem Überfall auf Curaçao beschäftigten, kamen zu vernichtenden Urteilen über die Zustände auf Guadeloupe. Mit Blick auf Bresseaus Angriff auf Curaçao urteilte die Kommission etwa: La commission est d’avis que l’agence de la Guadeloupe a dépassé ses pouvoirs [. . . ]; qu’elle a manqué au traité d’union entre la France et la Hollande; qu’elle a dû inspirer une grande défiance aux neutres ainsi qu’aux alliés et priver nos colonies des grandes ressources [. . . ] qu’elle a semblé vouloir faire des pirates des Français; et qu’enfin elle est vraisemblablement la cause de la reddition plus prochaine de l’Île de Curaçao à l’ennemie181 .

Nicht minder kritisch beurteilte die Kommission die Absetzung Laveaux’, dem sie in ihrem Bericht ein vorbildhaftes Verhalten attestierte. Hingegen hätten Baco und Jeannet mit ihren Handlungen »usurpé un droit qu’ils n’avaient point en renvoyant leur collègue Laveaux«. Die beiden Kommissare hätten Laveaux nur deshalb loswerden wollen, weil er ihren Machtmissbrauch, ihre Missachtung der Gesetze und ihren ausschweifenden Lebensstil auf Kosten der Kolonialkasse kritisiert habe, so der wenig schmeichelhafte Abschlussbericht der Untersuchungskommission weiter182 . Die Untersuchungsberichte bestätigten im Grunde nur, was in Paris schon länger über die Zustände auf Guadeloupe bekannt war: Die Kommissare der Metropole verfügten in der Kolonie über keinerlei Autorität und waren faktisch handlungsunfähig. Öffentliche Gelder wurden bedenkenlos veruntreut und Steuern konnten kaum eingetrieben werden. Kolonialbeamte und Offiziere waren tief in die Finanzierung von Kaperschiffen verstrickt, weshalb ihnen mehr an ihrer persönlichen Bereicherung gelegen war als daran, dem Willen der Regierung in Paris Geltung zu verschaffen183 . Selbst in der französischen Presse waren die korrupten Herrschaftsstrukturen auf Guadeloupe ein Thema. So urteilte etwa das »Journal des défenseurs de la patrie« im Mai 1800, die Luft in Guadeloupe sei »pestilentiel et corromp[t] tout ce qui arriv[e]«184 .

180 181 182 183

184

Ibid. Rapport concernant l’affaire de Curaçao, 20.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 278. Rapport concernant l’embarquement forcé du général Laveaux ex-agent de la Guadeloupe, 20.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 276. [Forfait] an Bonaparte, 6.12.1800, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 33; Forfait an Bonaparte, 11.5.1800, in: ADGB, 61J/55; Baco an Bonaparte (Kopie), 23.7.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 115; Pélardy an Forfait (Kopie), 7.6.1801, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 35; Rapport au ministre de la Marine et des Colonies, 30.10.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 255; Zeugenaussage Laveaux, 7.12.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 267; Rapport sur la comptabilité, 24.3.1802, in: ANOM, C7A 54, fol. 310; Zeugenaussage Ormancin, 14.11.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 261; Jeannet an Forfait, 14.10.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 154. Zit. nach: Baco an Bonaparte (Kopie), 23.7.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 115 (Hervorh. i. Orig.).

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Der Kontrollverlust infolge der Korrumpierung der Kolonialbeamten lasse sich nicht einfach durch die Entsendung neuer Kommissare und neuer Offiziere lösen, wie selbst Jeannet und Baco in einem ihrer zahlreichen Rechtfertigungsschreiben für die Absetzung Laveaux’ im März 1800 zu bedenken gaben: Qu’a-t-on vu ici, depuis moins de six mois? Un agent particulier du Directoire exécutif embarqué par la force, un agent provisoire de trois jours remplacé par un autre agent provisoire, celui-ci chargé de se donner deux adjoints, une agence provisoire de moins de cinquante jours, puis trois agents particuliers d’un Directoire exécutif qui n’existait plus, puis des agents des consuls. [. . . ] Par une série de circonstances qui nous sont étrangères, l’autorité est depuis longtemps ébranlée, le militaire est devenu bourgeois ou colon, le domaine national a été regardé comme une proie de partage de laquelle la République seule devait être exclue, des idées d’indépendance ont exalté les têtes, tous les liens sociaux semblent relâchés185 .

Die Notwendigkeit, auf den Kontrollverlust der Repräsentanten der Metropole zu reagieren, gewann Ende September 1800 durch den Abschluss der Konvention von Mortefontaine zwischen Frankreich und den USA neue Dringlichkeit. Mit diesem Vertrag wurde der Quasi-Krieg zwischen den beiden Nationen beendet. Den Verhandlungen waren seit der Eskalation des Konflikts 1798 Bemühungen vorausgegangen, die für beide Seiten schädliche Auseinandersetzung gütlich zu beenden. Die französische Regierung erkannte das Recht amerikanischer Handelsschiffe an, mit allen Nationen Handel zu treiben. Im Gegenzug verzichtete die amerikanische Delegation auf Indemnitätsforderungen für die erlittenen Verluste186 . Um das Abkommen nicht zu gefährden, war die Wiederherstellung der metropolitanen Autorität auf Guadeloupe unerlässlich. Nur wenn die Korsaren der Kolonie ihre Angriffe auf die neutrale Handelsschifffahrt einstellten, bestand die Chance, dass der Vertrag Bestand haben würde. Forfait und Bonaparte hatten allerdings wenig Vertrauen in die Beteuerungen Jeannets und Bresseaus zu Beginn des Jahres 1801, den Kaperkrieg gegen die amerikanischen Handelsschiffe getreu ihren Anweisungen einstellen zu wollen, weil beide Kommissare in der Finanzierung von Korsaren involviert waren187 . Um sicherzugehen, dass sich die Kolonie wieder dem Willen der Metropole beugte, waren tiefergreifendere Maßnahmen erforderlich. Der Kontrollverlust der Metropole über Guadeloupe fügte sich in einen generellen Desintegrationsprozess des französischen Kolonialreiches ein. Die ostindischen Kolonien befanden sich faktisch in einem Zustand der Rebellion gegenüber der Metropole, weigerten sich doch die dortigen Kolo-

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Baco/Jeannet an Forfait, 19.3.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 82. DeConde, The Quasi-War, S. 253–258; Bonnel, La France, S. 119–135. Jeannet/Bresseau an Forfait, 4.2.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 31; Proklamation von Jeannet/Bresseau, 1.1.1801, in: ANOM, C7A 52, fol. 213; Jeannet/Bresseau an Forfait, 7.4.1801, in: ANOM, C7A 54, fol. 197.

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nialbeamten, Militärs und Kolonisten standhaft, die Sklaverei abzuschaffen. Weit beunruhigender war allerdings die Politik Toussaint Louvertures auf Saint-Domingue, unter dessen Führung die einstige Perle der Antillen immer mehr aus dem französischen Imperium abdriftete. Die eigenmächtigen Verhandlungen Louvertures mit den britischen Militärs 1798, seine geheime Korrespondenz mit dem Gouverneur Jamaikas und seine Annäherung an die US-Regierung waren Bonaparte nicht verborgen geblieben. Schon gar nicht vergaß die Metropole Louverture die eigenmächtige Absetzung Sonthonax’ und Hédouvilles sowie einiger weiterer Offiziere, welche die Macht des schwarzen Generals einzuhegen versucht hatten. Vor dem Hintergrund des eskalierenden Machtkampfes zwischen Louverture im Norden und Rigaud im Süden der Kolonie, der sogenannten guerre des couteaux, wurden auch die Warnungen aus Guadeloupe über das eigenmächtige Vorgehen Louvertures immer lauter. So schrieb Desfourneaux Anfang 1799 an das Direktorium: Par quels moyens ramener à se soumettre à l’autorité nationale le général Toussaint que tout paraît designer comme dévoré d’ambition insatiable, comme déterminé à suivre un système d’indépendance personnelle et de suprématie sur toutes les autorités civiles & militaires. Qui sans vouloir une rupture générale avec la Métropole paraît devoir être très bon républicain tant qu’il pourra commander seul au nom de la République. Par quels moyens éteindre la fermentation des esprits, les défiances réciproques et les mécontentements qui paraissaient devoir dégénérer en une rupture entre les chefs disposés à en venir aux mains. Je ne me suis point trompé lorsque je vous ai peint Rigaud et Toussaint Louverture188 .

Desfourneaux’ Befürchtungen hinsichtlich Louvertures Absichten erhielten weiter Auftrieb durch das Angebot des amerikanischen Marineministers Benjamin Stoddert, im Falle einer weiteren Eskalation des Konflikts mit Frankreich die Kolonie als neutral zu betrachten. Toussaint, so Stoddert, habe sich bereit erklärt, einem gleichlautenden Vorschlag zuzustimmen, wie Desfourneaux in seinem Rechenschaftsbericht darlegte189 . Diese Warnungen reflektierten nicht zuletzt die Besorgnis der Verantwortlichen auf Guadeloupe, dass Saint-Domingues Abdriften in die Unabhängigkeit im restlichen KolonialreichNachahmer finden könnte, wie dies bereits die Rebellionen auf Guadeloupe 1797–1798 unter Beweis gestellt hatten. Umso dringlicher war in den Augen der Kolonialbeamten und der Metropole eine Neujustierung der Kolonialpolitik, um der schleichenden Desintegration des französischen Kolonialreiches Einhalt zu gebieten. Doch welcher Weg sollte eingeschlagen werden? Den Status quo beizubehalten war ebenso gefährlich, wie das Rad

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Desfourneaux an Merlin, 11.2.1799, in: ANPS, AF/III/208, fol. 103. Siehe auch Desfourneaux an Merlin, o. D. [1799], in: ANPS, AF/III/208, fol. 19. Desfourneaux, Compte rendu, ou rapport fait au ministre de la Marine et des Colonies par le Citoyen Desfourneaux général de division, sur sa mission d’agent du gouvernement à la Guadeloupe, 11.2.1800, in: ANOM, C7A 53, fol. 223. Zu den Hintergründen siehe auch Nessler, An Islandwide Struggle, S. 99.

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der Zeit zurückdrehen zu wollen, wie Baco in einem Memorandum zu Händen Bonapartes im Sommer 1800 festhielt, das es wert ist, ausführlich zitiert zu werden: La République française ici comme dans toutes les colonies n’y conserve réellement aucun pouvoir. Le fameux décret du 14 pluviôse [sic] a aliéné irrévocablement tous les Blancs et particulièrement les planteurs. Vous savez ce qu’on fait les anciens propriétaires; vous vous rappelez leur résistance et les horreurs qui ont été la suite de leur maladresse; on ne corrigera pas leur vanité d’antiques préjugés qui forment leur logique; et eussent-ils été tous égorgés, ils ne voudront jamais composer volontairement avec les principes philosophiques. [. . . ] Vous voyez nos anxiétés, nos embarras. Voulons nous rappeler près des Noirs ces Blancs [. . . ] qui dans leur position sentie devraient être continuellement sous l’œil du pouvoir; ils murmurent leur mécontentement, des blasphèmes contre la métropole; ils épient vos gestes, saisissent vos paroles [. . . ]. Des nouveaux colons arrivés sont la livrée de la misère, actuellement fermiers de la République, adoptent les mêmes frénésies, ils sont tous aussi fous que leurs prédécesseurs expulsés. La République leur donne l’existence du jour, et l’espoir d’une grande fortune; la République anéantie ils disparaitraîent à la voix des anciens propriétaires [. . . ]. Les mulâtres toujours inquiets, toujours actifs, veillent, épient, ils connaissent leur nombre, ils ont essayé leur courage, ils veulent le gouvernement qui les protège. [. . . ] Cependant nous devons le dire dans ce moment l’appui du gouvernement repose sur les mêmes hommes, sans eux ou la crainte qu’ils inspirent, nous n’auriez point de colonies dans les Antilles, vos agents eussent été embarqués, et des flots de sang engraisseraient les savanes désertées de la Guadeloupe; cependant eux-mêmes avaient tramé contre nous. [. . . ] Votre choix doit être sage; un envoyé trop effervescent allumera malgré lui les passions et s’en environnera. Un envoyé trop morose, trop confiant sera surpris et périra; celui qui songerait à rétablir l’esclavage allumerait les torches et aiguiserait les poignards. Le négrophile sera entraîné dans des démarches dont la fin est imprévoyable190 .

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Baco an Bonaparte (Kopie), 23.7.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 115. Gemeint ist das Dekret vom 16. Pluviose Jahr II.

8. Guadeloupe und die Wiedereinführung der Sklaverei, 1799–1802 Bonapartes Kolonialpolitik war in vielerlei Hinsicht widersprüchlich und ihre Beurteilung, insbesondere die Wiedereinführung der Sklaverei, gab Historikern Anlass zu heftigen Kontroversen. Bereits in der nur wenige Wochen nach dem 18. Brumaire erlassenen Verfassung des Jahres VIII (1799) war ein erster Hinweis auf die zukünftige Kolonialpolitik Frankreichs enthalten. Artikel 91 stipulierte: »Le régime des colonies françaises est déterminé par des lois spéciales«1 . Diese Verfassungsbestimmung war noch nicht gleichbedeutend mit der Wiedereinführung der Sklaverei, sondern bedeutete erst einmal die Abkehr vom Prinzip der Rechtseinheit des französischen Imperiums. Wie wir gesehen haben, hatte dieses Prinzip allerdings schon zu Zeiten des Direktoriums kaum konkrete Folgen nach sich gezogen. Indem der neue Verfassungsartikel das Gesetz vom 1. Januar 1798 hinfällig werden ließ, eröffnete Bonaparte die Diskussion über eine Neuausrichtung der französischen Kolonialpolitik. Seine Taten und Worte in den ersten Monaten seines Konsulats waren von Doppelzüngigkeit geprägt. So ließ er zu Beginn des Jahres 1800 in den französischen Zeitungen einen Aufruf an die »Noirs de Saint-Domingue« abdrucken, worin er versicherte, dass die Abolition beibehalten würde. Gleichzeitig wurde unter anderem im »Moniteur Universel«, dem Sprachrohr der Regierung, das Gerücht verbreitet, dass die Wiedereinführung der Sklaverei vorbereitet werde, um die Reaktion der französischen Öffentlichkeit zu testen2 . Tatsächlich hatte der Erste Konsul nach dem 18. Brumaire eine Reihe von Kolonialbeamten und Marineoffizieren, die enge Verbindungen zur Koloniallobby pflegten, in einflussreiche Ämter berufen. Konservativen Kolonialpolitikern aus den Reihen der clichyens erlaubte er eine Rückkehr auf die politische Bühne von Paris. Die Forschung sieht gemeinhin im Wiederaufstieg dieser Koloniallobbyisten den entscheidenden Motor, der die französische Kolonialpolitik zurück in Richtung Sklaverei getrieben habe. Zahlreichen Memoranden aus den ersten Monaten des Konsulats, in denen eine Wiedereinführung der Sklaverei als einzige Lösung des schleichenden Autoritätsverlustes der Metropole angepriesen wird, scheinen diese Lesart zu

1 2

Godechot (Hg.), Les Constitutions, S. 161. Thomas Pronier, L’implicite et l’explicite dans la politique de Napoléon, in: Yves Benot, Marcel Dorigny (Hg.), Rétablissement de l’esclavage dans les colonies françaises 1802. Ruptures et continuités de la politique coloniale française (1800–1830). Aux origines de Haïti, Paris 2003, S. 51–68, hier S. 55–58.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-009

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bestätigen3 . Allerdings sollte der Einfluss der Koloniallobby auf die Entscheidungsfindung des Ersten Konsuls nach dem 18. Brumaire nicht überbewertet werden. Philippe R. Girard hat darauf hingewiesen, dass zahlreiche Staatsräte und Kolonialbeamte in Bonapartes Regierung die Abschaffung der Sklaverei als irreversibles Faktum angesehen hätten. Einer Wiedereinführung der Sklaverei hätten viele Memorandenschreiber kritisch gegenübergestanden, befürchteten sie doch eine Katastrophe genozidalen Ausmaßes beim Versuch, dieser Maßnahme in den Kolonien Geltung zu verschaffen. Ob die vielen Memoranden überhaupt einen Einfluss auf die Meinungsbildung hatten, bleibt offen, denn gemäß Girard wurde ein Großteil von ihnen nie gelesen4 . Freilich haben wir in den vorangegangenen Kapiteln feststellen können, dass mehrere Kolonialbeamte bereits vor dem 18. Brumaire für eine wie auch immer geartete Rücknahme des Abolitionsdekretes nach einem Friedensschluss mit Großbritannien plädiert haben. So gesehen scheint Girards These, wonach die Abolition innerhalb des französischen Staatsapparates als irreversibles Faktum angesehen worden sei, übertrieben. Bonaparte selbst machte im Exil auf Sankt Helena die »criailleries«5 der Pflanzer und Vertreter des Kolonialhandels für seine Entscheidung, die Sklaverei wiedereinzuführen, verantwortlich. Doch damit lenkte er primär von seiner eigenen Verantwortung ab, denn die Entscheidung, die Sklaverei wiedereinzuführen, bereute er später bitterlich6 . Zweifellos hat Girard Recht, wenn er darauf hinweist, dass sich Bonaparte in den ersten Monaten seines Konsulats mehrere Optionen offen hielt und eine pragmatische Lösung der kolonialpolitischen Probleme Frankreichs bevorzugte. Ergebnisoffen war die sich anbahnende Diskussion allerdings nicht: Eine Abschaffung der Sklaverei im gesamten französischen Kolonialreich kam für Bonaparte nie in Frage. Dies zeigt sich bereits in seinen Beschlüssen in den ersten Wochen nach dem 18. Brumaire, wie mit den ostindischen Kolonien zu verfahren sei, »pour [les] amener [. . . ] à l’obéissance qu’elles doivent à la patrie«7 . Marine- und Kolonialminister Forfait beabsichtigte noch im Januar 1800, die Sklaverei auf La 3

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Siehe zum Beispiel: Jacques Adélaïde-Merlande, Delgrès ou la Guadeloupe en 1802, Paris 2 2002, S. 15; Branda, Lentz, Napoléon, S. 52–62; Pierre Pluchon, Toussaint Louverture. Un révolutionnaire d’Ancien Régime, Paris 1989, S. 470–473; Régent, La France, S. 264; Wanquet, La France, S. 629–635; Dubois, A Colony, S. 351f.; Bernard Gainot, Métropole/Colonies. Projets constitutionnels et rapports de forces 1798–1802, in: Yves Benot, Marcel Dorigny (Hg.), Rétablissement de l’esclavage dans les colonies françaises 1802. Ruptures et continuités de la politique coloniale française (1800–1830).Aux origines de Haïti, Paris 2003, S. 13–28, hier S. 25–27; Pronier, L’implicite, S. 63–65. Philippe R. Girard, Napoléon Bonaparte and the Emancipation Issue in Saint-Domingue, 1799–1803, in: French Historical Studies 32 (2009), S. 587–618, hier S. 592–597. Emmanuel de Las Cases, Mémorial de Sainte-Hélène, 2 Bde., Paris 1842, Bd. 1, S, 687. Barry E. O’Meara, Napoléon en exil à Sainte-Hélène, 2 Bde., Paris 2 1822, Bd. 2, S. 178f. Bonaparte an Ganteaume, 27.12.1799, in: Napoléon Ier , Correspondance générale de Napoléon Bonaparte, 12 Bde., hg. von Jacques-Olivier Boudon, Paris 2004–2015, Bd. 3, S. 1117.

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Réunion und der Île-de-France graduell abzuschaffen. Doch Bonaparte lehnte dieses Ansinnen diskussionslos ab8 . Nur wenige Tage später schlug Forfait die Ernennung des bekannten Sklavereibefürworters und clichyen Louis-Thomas Villaret-Joyeuse zum Gouverneur der beiden Kolonien vor, dessen Familie in den ostindischen Kolonien Plantagen besaß9 . Bonaparte glaubte offensichtlich, nur mit einer vertrauensbildenden Politik gegenüber den Pflanzern die abtrünnigen ostindischen Kolonien wieder unter Kontrolle zu bringen. In den ersten Monaten des Konsulats kristallisierte sich infolgedessen eine duale Kolonialpolitik der neuen Machthaber in Paris heraus. In jenen Kolonien, in denen die Sklaverei nie abgeschafft worden war, sollte sie weiterbestehen, um die Plantagenbesitzer in den betroffenen Inseln nicht vor den Kopf zu stoßen. In Saint-Domingue, Guadeloupe und Französisch-Guyana sollte die Abolition hingegen Bestand haben, um die lokalen Herrschaftsstrukturen nicht zu unterminieren. Das gilt insbesondere für Saint-Domingue, wo Bonaparte zunächst hoffte, Louverture von seinem auf Autonomie zielenden Kurs abzubringen. Der Erste Konsul verband diese Umgarnungspolitik allerdings mit der kaum kaschierten Geiselnahme der beiden Söhne Louvertures, die zu Ausbildungszwecken in Paris weilten und denen Bonaparte fortan die Rückkehr nach Saint-Domingue verweigerte. Louverture hatte deshalb allen Grund, Bonapartes Annäherungsversuchen mit Misstrauen zu begegnen, zumal mit der Rückkehr der clichyens nach Paris und wegen der vage gehaltenen Bestimmungen in der Verfassung von 1799 der Fortbestand der Abolition trotz gegenteiliger Versprechen Bonapartes alles andere als gesichert schien10 . Die widersprüchlichen Signale aus Paris hinterließen auch auf Guadeloupe ihre Spuren. Zum einen unterminierte die neue Verfassung die Autorität der Kommissare vor Ort, die ihr Amt ursprünglich mit dem Auftrag angetreten hatten, der obsoleten Verfassung des Jahres 1795 Geltung zu verschaffen11 . Zum anderen ließen die Anordnungen Forfaits im März 1800 aufhorchen, in denen er die Kommissare aufforderte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit die domaines nationaux der Kolonie in einem Jahr Waren im Wert von fünf Millionen Franc produzierten. Im gleichen Schreiben wies er die Kommissare an, »de protéger par tous les moyens qui seront en votre pouvoir les navigateurs nationaux & neutres«. Dem entgrenzten Kaperkrieg sollte also der Garaus gemacht und Guadeloupe wieder in eine Pflanzkolonie transformiert werden, wie Forfait zu verstehen gab: »Vous ne devez d’ailleurs jamais perdre de vue les principes sur lesquels toutes les colonies ont été fondées, & que

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Forfait an Bonaparte (Kopie), 17.1.1800, in: ADGB, 61J/55. Forfait an Bonaparte, 23.1.1800, in: ADBG, 61J/55; Forfait an Bonaparte, 28.1.1800, in: ADGB, 61J/55. Girard, Napoléon Bonaparte, S. 597–606; Adélaïde-Merlande, Delgrès, S. 18; Wanquet, La France, S. 626–629. Baco an Bonaparte (Kopie), 23.7.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 115; Forfait an Bonaparte, 11.5.1800, in: ADGB, 61J/55.

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vous agissez pour le gouvernement qui veille également aux intérêts des Français européens & ceux des Français colons«12 . Die bereits unter Desfourneaux und dem Direktorium angedachte Rückkehr zur Plantagenwirtschaft wollte Bonaparte offenkundig fortführen, zumal der Vertrag von Mortefontaine eine Einhegung des Kaperkriegs dringend machte. Damit nahmen die Entscheidungsträger in Paris auch die Kolonialbeamten und das Offizierskorps auf Guadeloupe ins Visier, die nicht nur in die Finanzierung von Korsaren involviert waren, sondern auf Kosten der Pariser Staatskasse viel zu hohe Spesen und Gehälter bezogen und sich gegenseitig zu Beförderungen verhalfen: En général vous devez, Citoyens, supprimer tout emploi inutile, réduire les salaires dont la qualité ne serait pas justifiée par leur objet, prévenir toutes les consommations abusives, & surveiller avec une extrême sévérité tous les comptables [. . . ]. Par cette sage économie vous augmenterez rapidement les ressources de la Guadeloupe, vous attirez la confiance de vos administrés, & vous recueillerez la récompense de vos soins. Il sera flatteur pour vous de savoir qu’au milieu des désastres qui affligent encore quelques-unes des possessions de la République au-delà des mers, la Guadeloupe est une des contrées sur lesquelles le gouvernement & le commerce fait [sic] poser les espérances13 .

Diese neuen politischen Leitlinien drohten zwangsläufig mit den Herrschaftsstrukturen auf Guadeloupe zu kollidieren, die auf einem Bündnis von Kolonialbeamten, Armeeoffizieren und Kaufleuten basierten, deren gemeinsames Interesse die Fortführung des Kaperkriegs sowie der Spekulationsgeschäfte mit den sequestrierten Gütern war. Die Nachrichten von der illegalen Absetzung Laveaux’ und dem Überfall auf die batavischen Verbündeten in Curaçao, die im Laufe des zweiten Halbjahres 1800 eintrafen, bestätigten in den Augen Bonapartes nur die Dringlichkeit des Kurswechsels. Im November 1800 ernannte Bonaparte deshalb einen alten Bekannten zum Generalgouverneur Guadeloupes: Lacrosse14 . Der neuen Kolonialadministration wurden 200 Soldaten zur Seite gestellt, die zweifellos nur dazu dienten, in der Kolonialarmee Guadeloupes einen verlässlichen Kern weißer Truppen zu platzieren15 . Aus militärischer Sicht gab es nämlich keinerlei Anlass, frische Truppen nach Guadeloupe zu entsenden, hielten doch die Verantwortlichen in Paris Guadeloupe für absolut sicher vor einem britischen Angriff16 . Die Maßnahme diente einzig und allein der Herrschaftssicherung der Metropole. In einem ersten Entwurf der Instruktionen für Lacrosse hatte Bonaparte den neuen Generalgouverneur gar noch angewiesen, sämtliche auf Guadeloupe stationierte Soldaten und Offiziere einzuschiffen und durch eine 12

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Alle Zitate aus [Forfait] an Jeannet/Baco/Laveaux (Kopie), 30.3.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 221. Siehe auch [Forfait] an Gairouard/Durand, 30.3.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 224; [Forfait] an Courtois, 30.3.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 223. [Forfait] an Jeannet/Baco/Laveaux (Kopie), 30.3.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 221. Erlass Bonapartes, 22.11.1800, in: ANOM, C7A 52, fol. 217. Bonaparte an Berthier, 9.4.1801, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S. 645. Forfait an Bonaparte, 21.8.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 262.

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frische Garnison aus Frankreich zu ersetzen17 . Von dieser weitreichenden und in Anbetracht der diffizilen Lage auf Guadeloupe gefährlichen Maßnahme nahm der Erste Konsul schon bald Abstand und beließ es bei der Entsendung der 200 Soldaten und der Entlassung der Kommissare Bresseau und Jeannet sowie von rund 60 Offizieren und Kolonialbeamten18 . Lacrosse musste auf Guadeloupe zwangsläufig auf heftigen Widerstand stoßen, denn Bonaparte wies ihn auch an, die Umsetzung der Konvention von Mortefontaine sicherzustellen und deshalb die Kaperei strikt zu kontrollieren, »car la culture est le seul objet d’industrie qui conduise à une prospérité réelle et durable«19 . Darüber hinaus wurde Lacrosse aufgefordert, denjenigen émigrés die Rückkehr nach Guadeloupe zu erlauben, die nie die Waffen gegen die Republik erhoben hatten20 . Damit sägte die Regierung in Paris an den zwei entscheidenden Herrschaftsstützen ihrer bisherigen Agenten auf Guadeloupe: dem unbeschränkten Korsarenkrieg, der in den Städten der Kolonie ein Kooperationsangebot für breite Bevölkerungsschichten geschaffen hatte, und der Vertreibung eines Großteils der alten Pflanzereliten, die nicht nur eine Quelle der Bereicherung für Offiziere und Kolonialbeamte, sondern auch für die ehemaligen Sklaven mental gleichbedeutend mit dem Fortbestand der Abolition war.

Die Rückkehr von Lacrosse und die Wiedereinführung der Sklaverei Nur wenige Tage nachdem Lacrosse die Amtsgeschäfte von Jeannet und Bresseau übernommen hatte, machte eine Delegation farbiger Offiziere beim neuen Generalgouverneur ihre Aufwartung. Die Hoffnungen der Offiziere, ihr alter Freund würde sich über ein Wiedersehen freuen, zerschlugen sich rasch. Als die Zeremonienmeisterin des Jakobinerclubs Pointe-à-Pitres ihren alten Weggefährten in die Arme schließen wollte, wies Lacrosse die Dame rüde zurück: »Allez, citoyenne: sachez que le Lacrosse de l’An IX n’est pas le Lacrosse de 1793!«21 17 18

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Bases pour les instructions du général Lacrosse et du général Bedout, o. D. [1801], in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 28. Duny an Bruley, 30.1.1802, in: Georges Bruley (Hg.), Les Antilles pendant la Révolution française. D’après la correspondance inédite de César-Dominique Duny, consul de France à Curaçao, Paris 1989, S. 93. Bases pour les instructions du général Lacrosse et du général Bedout, o. D. [1801], in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 28. Lacrosse an Forfait, 21.4.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 20; Proklamation von Lacrosse (Kopie), 26.6.1801, in: TNA, WO 1/36/207. Magloire Pélage u. a., Mémoire pour le chef de brigade Magloire Pélage et pour les habitants de la Guadeloupe, 2 Bde., Paris 1803, Bd. 1, S. 60.

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Diese Warnung sollte sich in den nächsten Tagen bewahrheiten. In einem ersten Schritt berief Lacrosse die Delegierten Guadeloupes aus den neutralen und spanischen Kolonien zurück nach Guadeloupe, deren Nähe zu den Ausrüstern von Kaperschiffen zu einer Vielzahl von Missbräuchen und Vertuschungen in den Prisengerichten geführt und so maßgeblich zur Entgrenzung des Kaperkriegs beigetragen hatte. Die Kaperei wurde fortan gemäß den metropolitanen Richtlinien strikt reglementiert. Sämtliche amerikanische Prisen ließ Lacrosse für ungültig erklären und erstattete die gekaperten US-Handelsschiffe mitsamt Ladung ihren Eigentümern zurück. Damit versetzte Lacrosse den zahlreichen Nutznießern des Kaperkriegs einen entscheidenden Schlag. Lacrosse gelang es mit diesen Maßnahmen zwar, das Vertrauen amerikanischer Kaufleute wiederherzustellen, deren Handelsschiffe fortan die französische Kolonie wieder ansteuerten. Doch unter den Kaufleuten und insbesondere bei den schwarzen Matrosen war seine Politik äußerst unpopulär, bedeutete sie doch für Letztere die Rückkehr zur harten Arbeit auf den Plantagen22 . Mithilfe der frischen Truppen aus Europa ließ der neue Generalgouverneur in einem nächsten Schritt eine Reihe von Kaufleuten sowie zahlreiche Offiziere beider Hautfarben verhaften und nach Frankreich deportieren, die verdächtigt wurden, mitschuldig an den Absetzungen Desfourneaux’ und Laveaux’ zu sein sowie sich auf Kosten der Kolonialkasse bereichert zu haben. Die freigewordenen Posten ließ Lacrosse mit ihm ergebenen weißen Offizieren besetzen. Auch mit Blick auf die einfachen Soldaten ließ Lacrosse erkennen, dass er die Zusammensetzung der Armee zu verändern gedachte. Indem er die Sollstärke der Garnison auf 4150 Mann reduzierte, entließ er rund ein Fünftel der schwarzen Soldaten aus dem Dienst. Die entlassenen Soldaten wurden sodann gezwungen, ihre alte Arbeit auf den Plantagen wiederaufzunehmen. Schließlich gründete er eine persönliche Leibgarde von rund 300 Mann, die vornehmlich aus weißen Soldaten bestand und einen höheren Sold erhielt. Diese Maßnahmen sorgten in der Kolonialarmee für große Unruhe, zumal es sich bei den verhafteten Offizieren um Männer handelte, die 1794 unter Hugues’ Kommando an vorderster Front gegen die anglo-royalistische Fraktion gekämpft und maßgeblich zur Vertreibung der Plantagenbesitzer beigetragen hatten. Unter den schwarzen Soldaten Guadeloupes genossen diese Offiziere deshalb ein hohes Ansehen23 . Vermutlich um

22 23

Lacrosse an Forfait (Kopie), 4.7.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 83; Régent, Esclavage, S. 386. Desfourneaux, Notes concernant l’ex-général Pâris, remis à la commission, o. D. [1801], in: ANOM, C7A 53, fol. 239; Pélage, Précis des événements qui ont donné lieu au renvoi, en France, du contre-amiral Lacrosse, 28.10.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 123; Abrégé historique des événements arrivés à la Guadeloupe; pendant le mois de prairial an IX, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 55, fol. 270; Lacrosse an Forfait, 7.7.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 91; Adélaïde-Merlande, Delgrès, S. 59–62; Régent, Esclavage, S. 385f.

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die Loyalität des restlichen Offizierskorps sicherzustellen, erhöhte Lacrosse entgegen der Anordnungen aus Paris dessen Bezüge, während er gleichzeitig den Sold der einfachen Soldaten reduzierte24 . Schließlich ernannte Lacrosse zahlreiche Männer, deren Loyalität zur Republik in der Vergangenheit zweifelhaft gewesen war, zu Mitgliedern seines conseil d’État, der dem Generalgouverneur beratend zur Seite stehen sollte25 . Es war unverkennbar, dass sich Lacrosse anschickte, die Herrschaftsstrukturen Guadeloupes auf Kosten der farbigen Einwohner grundlegend umzugestalten. Ein entscheidender Schritt hin zur Entmachtung der Nutznießer von Abolition und Terreur – der Offiziere, der Kaufleute und der Pächter der domaines nationaux – war schließlich der Rückruf der émigrés, in den Worten von Lacrosse »trop longtemps absents de cette colonie, que la presque certitude d’être victimes des événements révolutionnaires en avaient éloignés«. Zwar wurden jene émigrés vom Aufruf des Generalgouverneurs ausgenommen, »qui se sont montrés constamment les ennemis du gouvernement républicain«26 , doch war die dahinterstehende Nachricht eindeutig: Den Pflanzern sollte fortan wieder eine entscheidende sozioökonomische und politische Rolle zukommen. Dieser Kurswechsel musste bei den nouveaux citoyens in der Kolonialarmee und auf den Plantagen zwangsläufig die Alarmglocken läuten lassen. Gerüchte, wonach eine Wiedereinführung der Sklaverei unmittelbar bevorstehe, waren infolgedessen immer häufiger zu hören. Die zahlreichen Fälle von vergifteten Pflanzern, Zug- und Schlachtvieh, die im Sommer 1801 auf den Plantagen verzeichnet wurden, waren ein deutlicher Hinweis auf die wachsende Unruhe unter den cultivateurs Guadeloupes27 . Die Avancen von Lacrosse und der Regierung in Paris in Richtung der vertriebenen Kolonialeliten gingen aber weiter, als dies bislang bekannt war. Bereits im Frühjahr 1801 hatte sich in London ein Abgesandter Forfaits mit Vertretern der Pflanzer getroffen, um Letzteren »les bonnes intentions du gouvernement sur le régime colonial« mitzuteilen28 . Lacrosse, das einstige Schreckgespenst der aristokratischen Pflanzerfraktion, ließ derweil durch einen Parlamentär Dubuc, dem führenden Drahtzieher der Übergabe Guadeloupes und Martiniques in den Jahren 1793/94, Geschenke überbringen, um ihn über die wohlwollenden Absichten der französischen Regierung zu unterrichten. Freilich stieß der Versöhnungskurs Lacrosse’ unter den émigrés auf großes Misstrauen29 . Louis de Curt war wahrscheinlich mit seiner An-

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Ibid., S. 386; Rapport sur la comptabilité, 24.3.1802, in: ANOM, C7A 54, fol. 310. Abrégé historique des événements arrivés à la Guadeloupe; pendant le mois de prairial an IX, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 55, fol. 270. Beide Zitate aus der Proklamation von Lacrosse (Kopie), 26.6.1801, in: TNA, WO 1/36/207. Dubois, A Colony, S. 356–358; Régent, Esclavage, S. 386–389. Forfait an Bonaparte (Kopie), 2.4.1801, in: ADGB, 61J/55. Bonnaire an Curt, 24.6.1801, in: ADGB, 61J/37.

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sicht nicht allein, als er dem britischen Kabinett schrieb, dass er eine Falle vermute. Lacrosse’ Anbiedern diene nur dazu, »d’affaiblir [. . . ] la vigilance & la haine qu’ils [les colons, F. E.] portent à la République française«. Doch die britische Regierung müsse sich keine Sorgen machen, so Curt weiter: »Heureusement la masse des colons est saine, elle connaît ses devoirs & chérit notre gouvernement«30 . Curts Misstrauen wurde auch von der britischen Generalität geteilt, die glaubte, dass Lacrosse die Pflanzer Martiniques auf seine Seite ziehen und gleichzeitig einen Aufstand freier Farbiger provozieren wolle, nur um dann zusammen mit Hugues’ Truppen aus Französisch-Guyana Martinique in einem Handstreich erobern zu können31 . Einzig William Keppel, der Gouverneur Martiniques, glaubte in seinem Bericht, dem Kurswechsel von Lacrosse etwas Positives abgewinnen zu können: Lacrosse, »who now professes to be serving under a milder authority and to be come out [sic] for the purpose of re-establishing order and good government«, habe nämlich zahlreiche farbige Offiziere und Kolonialbeamte nach Frankreich zurückgeschickt, die »inimical to his new system« gewesen seien. Gleichwohl hätten die Versprechungen von Lacrosse kaum das Vertrauen der émigrés geweckt: »Only [. . . ] the most distressed have accepted his invitation«32 . Freilich war das Misstrauen gegenseitig, denn Lacrosse wusste aus eigener Erfahrung nur zu gut, wem die Loyalität der émigrés wirklich galt. So berichtete er Forfait über deren Rückkehr: »J’ai fait accorder à chacun d’eux les surveillances nécessaires, en attendant que je puisse statuer sur leur sort individuel«33 . Es blieb also fraglich, ob die Repräsentanten der Pariser Regierung nach den blutigen Umwälzungen der letzten Jahre das Vertrauen der zurückkehrenden Pflanzereliten würden wiedergewinnen können. Die Rückkehr der verarmten émigrés beunruhigte auch das Offizierskorps Guadeloupes. Neben der zweifelhaften Loyalität der Pflanzer waren vor allem materielle Gründe ausschlaggebend, fungierten doch viele Offiziere als Pächter der domaines nationaux und fürchteten, eine einträgliche Bereicherungsquelle zu verlieren. Auch wenn Lacrosse angekündigt hatte, die Rechte der Pächter zu wahren, kam es in der Folge zu zahlreichen Streitigkeiten mit den Rückkehrern, die ihre alten Plantagen wieder in Besitz nehmen wollten34 . In ihrer weit verbreiteten Unzufriedenheit über Lacrosse fanden 30 31

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Curt an [Sullivan], 24.9.1801, in: TNA, WO 1/36/591. Duckworth an [Nepean], 27.8.1801, in: TNA, ADM 1/323; Keppel an Trigge (Kopie), 22.8.1801, in: TNA, WO 1/90/579; Duckworth an Nepean, 7.6.1801, in: TNA, ADM 1/323. Keppel an Hobart (Précis), 17.7.1801, in: TNA, CO/166/4/6. Lacrosse an Forfait, 7.7.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 91. Abrégé historique des événements arrivés à la Guadeloupe; pendant le mois de prairial an IX, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 55, fol. 270; Pélage, Précis des événements qui ont donné lieu au renvoi en France du contre-amiral Lacrosse, 28.10.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 123; Proklamation von Lacrosse (Kopie), 26.6.1801, in: TNA, WO 1/36/207.

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die Pächter unter den Kaufleuten der Kolonie einflussreiche Verbündete. Bei Letzteren häuften sich während des Sommers die Klagen über Lacrosse’ Wirtschaftspolitik. Neben den auferlegten Restriktionen im Kaperkrieg zog der Generalgouverneur mit der Verpachtung der Zolleinnahmen an einen einzigen Kaufmann, dem Abschluss von Exklusivverträgen zur Ausrüstung der Armee, seiner Weigerung, die aufgenommenen Kredite zurückzubezahlen, und der Einschränkung des Glücksspiels den Zorn und den Neid zahlreicher Kaufleute sowie vieler Stadtbewohner und Soldaten auf sich35 . Der sich anbahnende Konflikt zwischen Lacrosse, dem Offizierskorps und den Kaufleuten aus den Städten Guadeloupes eskalierte schließlich, als Garnisonskommandant Antoine-Charles de Béthencourt Anfang August 1801 dem Gelbfieber erlag. Anstatt dem Anciennitätsprinzip zu folgen und den farbigen Oberst Magloire Pélage zum neuen Oberbefehlshaber der Truppen zu befördern, ernannte sich Lacrosse kurzerhand selbst zum Kommandanten der Kolonialarmee Guadeloupes, obwohl er als Marineoffizier hierfür gänzlich ungeeignet war. Die farbigen Soldaten und Offiziere der Garnison nahmen diesen Bruch des Anciennitätsprinzips mit größtem Missfallen auf. Als Lacrosse seine Entscheidung unter großem Fanfarengetöse in Basse-Terre bekannt gab, protestierten die schwarzen Soldaten der Garnison lauthals. Lacrosse ließ die Rädelsführer einsperren und verkündete angeblich öffentlich, dass »les hommes de couleur étaient ennemis du gouvernement«36 . Ende Oktober 1801 kam es schließlich in Pointe-à-Pitre zur Revolte weißer und farbiger Offiziere, welche die Missachtung ihrer Interessen nicht mehr hinnehmen wollten und die Kaufmannschaft der Stadt auf ihrer Seite wussten. Der Generalgouverneur wurde innerhalb weniger Tage politisch isoliert, hatte er doch durch seine Maßnahmen der vergangenen Monate jegliche politische Unterstützung in der Kolonie verspielt. Schließlich wurde Lacrosse auf Geheiß Pélages verhaftet und in der Nacht vom 5. auf den 6. November 1801 auf ein dänisches Handelsschiff gebracht, das Guadeloupe in Richtung Kopenhagen verließ. Unter dem Titel conseil provisoire bildeten Pélage und seine Mitstreiter eine Übergangsregierung, welche die Amtsgeschäfte von Lacrosse übernehmen sollte, bis neue Funktionäre aus Paris eintreffen würden37 . Die Drahtzieher hinter Lacrosse’ Absetzung wussten in den Städten der Kolonie breite Bevölkerungsschichten hinter sich. Neben dem Offizierskorps, der Kolonialarmee, den Kaufleuten und Teilen der Kolonialverwaltung unterstützten auch die petits Blancs sowie die Matrosen der Kaperschiffe den Umsturz, denn 35

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Pélage u. a., Mémoire, Bd. 1, S. 67–69; Pierre an Decrès, 22.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 216; Pélage, Précis des événements qui ont donné lieu au renvoi en France du contreamiral Lacrosse, 28.10.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 123; Lacrosse an Decrès, 11.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 89. Dubois, A Colony, S. 358f. Zitat aus Pélage u. a., Mémoire, Bd. 1, S. 86. Régent, Esclavage, S. 389–395.

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Letztere fanden sich wegen des von Lacrosse angeordneten Endes des entgrenzten Kaperkriegs ohne Auskommen wieder38 . Die Beteuerungen Pélages, wonach die Absetzungen von Lacrosse, Desfourneaux und Laveaux nur dem Erhalt der Kolonie und der Sicherung des inneren Friedens gedient hatten, fanden in der Metropole allerdings kein Gehör mehr39 . Mittlerweile hatte sich die politische Situation in Europa und in Saint-Domingue entscheidend gegen die Putschisten Guadeloupes gewendet. Bonaparte hatte zwar zum Jahreswechsel 1800/01 noch gehofft, mit der Hilfe von Louverture und seinen Truppen einen Angriff gegen Jamaika unternehmen zu können. Die Invasion der britischen Zuckerkolonie sollte zeitgleich mit einer russischen Invasion Britisch-Indiens stattfinden und so das Britische Empire an zwei neuralgischen Punkten gleichzeitig treffen. Doch mit der Ermordung des russischen Zaren Paul I. im März 1801 wurden diese Pläne hinfällig. Sein Nachfolger, Alexander I., brach die Operation gleich nach seiner Thronbesteigung ab. Der Rücktritt Pitts und die Ernennung Henry Addingtons zum Premierminister Großbritanniens ließen zudem in Paris die Hoffnung eines Friedens mit dem geostrategischen Erzfeind aufkeimen, womit die französische Kriegsmarine freie Hand für Operationen in Übersee erhalten würde. Louverture seinerseits hatte wenig Vertrauen in die Beteuerungen Bonapartes, den Status quo auf Saint-Domingue beibehalten zu wollen. Um einer möglichen Militärexpedition aus Frankreich einen sicheren Landungsplatz zu entziehen, ließ Louverture im Februar 1801 entgegen den ausdrücklichen Befehlen Bonapartes die Nachbarkolonie Santo Domingo besetzen, die Spanien im Vertrag von Basel 1795 an Frankreich abgetreten hatte, welche bis dahin aber von französischen Truppen nicht in Besitz genommen war. Damit kontrollierte Louverture die gesamte Insel Hispaniola. Ob er die Sklaverei in den eroberten Gebieten abschaffen ließ, bleibt in der Forschung umstritten40 . Die Gunst Bonapartes hatte der schwarze General mit der unerlaubten Besetzung Santo Domingos jedenfalls endgültig verspielt. Bonaparte glaubte, die fortgesetzte Insubordination und mangelnde Loyalität Louvertures nicht länger tolerieren zu können. Im März 1801 begannen deshalb die Vorbereitungen für eine großangelegte Expedition nach Saint-Domingue, um Louverture und seine Mitstreiter gewaltsam abzusetzen und die Autorität der Metropole wie38

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Pierre an Decrès, 22.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 216; Lacrosse an Decrès, 15.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 102; Liste des hommes, tant blancs, que de couleur, qui ont le plus figuré dans l’insurrection de la Guadeloupe, o. D. [1801], in: ANOM, C7A 55, fol. 270; Série des questions sur Pélage et Frasans, o. D. [1801], in: ANOM, C7A 55, fol. 253; Lacrosse an Cambacérès, 21.12.1801, in: ADGB, 61J/31/2; Notes tirées du mémoire de Magloire Pélage, 1802, in: ADG, 1J96. Pélage, Précis des événements qui ont donné lieu au renvoi en France du contre-amiral Lacrosse, 28.10.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 123. Siehe Girard, Black Talleyrand, S. 112 gegen Nessler, An Islandwide Struggle, S. 113– 135.

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derherzustellen. Louverture setzte derweil seinen Kurs in Richtung Autonomie weiter fort und erließ im Juli 1801 eine Verfassung für Saint-Domingue, in der er sich selbst zum Generalgouverneur auf Lebenszeit ernannte und sich selbst das Recht auf die Ernennung eines Nachfolgers einräumte. Das war eine faktische Unabhängigkeitserklärung. Die Verfassung Louvertures erreichte Paris Anfang Oktober 1801 und brachte das Fass endgültig zum Überlaufen41 . Der Abschluss des Präliminarfriedens mit Großbritannien am 1. Oktober 1801 gab Bonaparte freie Hand, die Absetzung Louvertures in die Wege zu leiten42 . Gleichentags unterzeichneten Spanien und Frankreich den Dritten Vertrag von San Ildefonso, mit dem die iberische Bourbonenmonarchie der französischen Republik die Kolonie Louisiana abtrat – ein riesiger Landstrich inmitten des nordamerikanischen Kontinents, der von New Orleans im Süden bis zur Grenze mit Britisch-Nordamerika im Norden reichte. Zusammen mit den französischen Kolonien in der Karibik sowie Französisch-Guyana sollten der Golf von Mexiko und die Karibische See in den Plänen Bonapartes in ein französisches Binnenmeer verwandelt werden. Der französische Überseehandel, so war Bonaparte überzeugt, würde unter diesen Voraussetzungen wieder aufblühen, womit nicht nur dringend benötigte Zolleinnahmen zugunsten der Staatskasse generiert würden, sondern auch der französischen Kriegsmarineein Rekrutierungsbecken geübter Seeleute eröffnet würde. Damit sollten die Voraussetzungen geschaffen werden, um in einem nächsten Krieg die Seeherrschaft der Royal Navy herauszufordern43 . Die gesellschaftliche Grundlage dieses amerikanischen Überseeimperiums sollte die Sklaverei bilden – und zwar auch in Guadeloupe, Saint-Domingue und Französisch-Guyana. Dazu hatte sich Bonaparte spätestens im Oktober 1801 entschieden – weit früher als die Forschung gemeinhin glaubt, die diesen Entscheid in der Regel auf Mitte Juli 1802 datiert44 . Ein erstes Indiz für den Entscheid bildet der Rücktritt Forfaits nur zwei Tage nach der Unterzeichnung des Präliminarfriedens mit Großbritannien45 . Bonaparte ernannte an 41

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Girard, The Slaves, S. 37–49; Dubois, Avengers, S. 253–256. Zur geplanten russischen Invasion Britisch-Indiens siehe Stig Förster, Die mächtigen Diener der East India Company. Ursachen und Hintergründe der britischen Expansionspolitik in Südasien 1793–1819, Stuttgart 1992 (Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte, 54), S. 196. Branda, Lentz, Napoléon, S. 63f. Girard, The Slaves, S. 44f.; Branda, Lentz, Napoléon, S. 66–74. Jean-François Niort, Jérémy Richard, À propos de la découverte de l’arrêté consulaire du 16 juillet 1802 et du rétablissement de l’ancien ordre colonial (spécialement l’esclavage) à la Guadeloupe, in: Bulletin de la Société d’histoire de la Guadeloupe 152 (2009), S. 31–59. Margaret B. Crosby-Arnold, A Case of Hidden Genocide? Disintegration and Destruction of People of Color in Napoleonic Europe, 1799–1815, in: Atlantic Studies 14 (2017), S. 354–381, hier S. 363, datiert den Entscheid, die Sklaverei in Guadeloupe wiedereinzuführen, auf Mai 1800. Doch der von ihr vorgebrachte Quellenbeleg stützt diese These nicht. Bonaparte an Forfait, 3.10.1801, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S. 800f.

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seiner Stelle Konteradmiral Denis Decrès zum Marine- und Kolonialminister. Decrès pflegte enge Beziehungen zur Pflanzerlobby der ostindischen Kolonien und unterstützte im Gegensatz zu seinem Vorgänger die Wiedereinführung der Sklaverei46 . Am 7. Oktober 1801 befahl Bonaparte die Entsendung einer Militärexpedition nach Saint-Domingue, um die Autorität der Metropole wiederherzustellen und Louverture abzusetzen. Im gleichen Schreiben wies er Decrès an, Lacrosse über den Frieden mit Großbritannien in Kenntnis zu setzen und den Gouverneur Guadeloupes damit zu beauftragen, »de faire connaître aux habitants de la Martinique et de Sainte-Lucie, au nom du gouvernement, qu’ils n’auront rien à craindre pour la liberté des nègres, qui seront maintenus dans leur état actuel«47 . Nach außen wurde mit diesem Schreiben der Schein gewahrt, wonach die Sklaverei in denjenigen Kolonien bestehen bleiben würde, in denen sie nie abgeschafft worden war, während in jenen Kolonien, in denen das Abolitionsdekret umgesetzt worden war, das Gesetz vom 16. Pluviose Jahr II in Kraft bleiben würde. Diese duale Kolonialpolitik schlug sich auch in den Anweisungen an den designierten Kommandanten der Expedition nach Saint-Domingue, Bonapartes Schwager Victoire-Emmanuel Leclerc, nieder, dem der Erste Konsul als politische Richtschnur folgende Anweisung mit auf den Weg gab: »Jamais la nation française ne donnera des fers à des hommes qu’elle a reconnus libres. Ainsi donc tous les Noirs vivront à Saint-Domingue comme ils sont aujourd’hui à la Guadeloupe«48 . Girard hat auf Basis dieser Bekundungen Bonapartes und weiterer, ähnlich lautenden Aussagen die These aufgestellt, dass der Erste Konsul im Hinblick auf Saint-Domingue und Guadeloupe bis weit ins Jahr 1802 am Emanzipationsdekret festgehalten habe49 . Es scheint allerdings, als wäre Girard der Doppelzüngigkeit Bonapartes aufgesessen, die vor allem dazu diente, Louverture und die nouveaux citoyens in den französischen Kolonien über seine wahren Absichten zu täuschen und sie in falscher Sicherheit zu wiegen. Aufhorchen lässt unter anderem ein Brief Decrès’ an Lacrosse von Mitte Oktober 1801, in dem er die Sklaverei als »un système solide, raisonné« bezeichnete, das geeignet sei, das Vertrauen der Pflanzer Martiniques, Saint Lucias und Tobagos wieder zu gewinnen und die Kolonien in die Zeiten »de leur plus grande splendeur« zurückzuführen. Über die Zukunft Guadeloupes, Saint-Domingues und Französisch-Guyanas schwieg sich Decrès hingegen aus50 .

46 47 48

49 50

Wanquet, La France, S. 625f. Bonaparte an Decrès, 7.10.1802, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S. 801. Bonaparte, Notes pour servir aux instructions à donner au capitaine général Leclerc, 31.10.1801, in: Charles V. E. Leclerc, Lettres du général Leclerc, commandant en chef de l’armée de Saint-Domingue en 1802, hg. von Paul Roussier, Paris 1937, S. 269. Girard, Napoléon Bonaparte, S. 604–606. Decrès an Lacrosse (Entwurf), 17.10.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 267.

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Doch die Essenz der Signale aus Paris sollte Lacrosse durchaus verstehen. Die Hoffnungen der Putschisten Guadeloupes, den ungeliebten Gouverneur endlich losgeworden zu sein, hatten sich derweil nicht erfüllt. Nur wenige Stunden nachdem das dänische Handelsschiff mit Lacrosse an Bord Guadeloupe verlassen hatte, wurde es von einer britischen Fregatte aufgebracht. Lacrosse und sein Stab gerieten in Kriegsgefangenschaft. Noch bevor der entmachtete Generalgouverneur als Kriegsgefangener nach England geschickt werden konnte, traf die Meldung vom Präliminarfrieden zwischen Großbritannien und Frankreich ein. Die britische Generalität hielt es in Anbetracht der Umstände für besser, Lacrosse in den britischen Kolonien Zuflucht zu gewähren und ihm bei der Wiederherstellung der metropolitanen Autorität auf Guadeloupe zur Seite zu stehen. Einige britische Kolonialbeamte sahen in der Revolte Pélages und seiner Mitstreiter eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der anderen Kolonien im Archipel, weshalb sie Lacrosse in seinen Bemühungen, die Insel wieder unter seine Kontrolle zu bringen, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützten51 . Lacrosse fand auf Dominica Zuflucht, wo ihn Gouverneur Andrew Cochrane Johnstone mit offenen Armen willkommen hieß. Der Grund für Johnstones warmherzige Aufnahme von Lacrosse dürfte nicht zuletzt in der chronischen Geldnot des britischen Gouverneurs gelegen haben, der sich mit der Beherbergung von Lacrosse berechtigte Hoffnungen machen konnte, für seine Mühe belohnt zu werden und sich von seinem bedeutungslosen Posten auf Dominica in den Mittelpunkt britischer Kolonialpolitik zu drängen. Die Royal Navy setzte fortan Guadeloupe unter Blockade und leitete alle abgefangenen Schiffe nach Dominica weiter. Freilich war die Sperre alles andere als dicht, so dass es dem Provisorischen Rat Guadeloupes immer noch möglich war, mit der Außenwelt zu kommunizieren52 . Lacrosse wusste derweil nur zu gut, auf welcher Klaviatur er spielen musste, um eine Reaktion der Metropole zu provozieren. Er richtete in der Folge mehrere Schreiben an die Regierung in Paris, in der er die Entsendung von Truppen forderte, um die Autorität der Metropole wiederherzustellen und die Macht der Putschisten zu brechen: »L’anarchie est leur élément, il faut un grand exemple«, ließ er etwa den Zweiten Konsul, Jean-Jacques Régis de Cambacérès, wissen53 . Die 51 52

53

Duckworth an [Nepean], 12.11.1801, in: TNA, ADM 1/323; Trigge an Hobart, 12.11.1801, in: TNA, WO 1/90/597; Johnstone an Hobart, 6.11.1801, in: TNA, CO 71/33. Duckworth an Nepean, 16.12.1801, in: TNA, ADM 1/323; Johnstone an Hobart, 5.1.1802, in: TNA, CO 71/34; Lacrosse/Lescallier an Decrès, 14.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 98; Proklamation von Lacrosse/Lescallier/Coster, 5.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 100; Circulaire du conseil formant le gouvernement provisoire de la Guadeloupe et dépendances à tous les négociants des différentes places de France, 2.4.1802, in: ANOM, C7A 55, fol. 120. Lacrosse an Cambacérès, 21.12.1801, in: ADGB, 61J/31/2 (Zitat); Lacrosse an Decrès, 15.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 102; Lacrosse an Decrès, 3.2.1802, in: ADG, 1L10; Lacrosse an Decrès, 5.1.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 45; Lacrosse/Lescallier/Coster an Bonaparte, 5.1.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 1.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Panikmache von Lacrosse verfehlte ihre Wirkung in Paris nicht, wie einem internen Memorandum des Marine- und Kolonialministeriums über die Revolte auf Guadeloupe zu entnehmen ist: Je suis trop Français pour être cosmopolite, et de même que Sparte eut ses Ilots, je veux les esclaves de nos colonies. La liberté est un aliment pour lequel l’estomac des nègres n’est pas préparé, je crois qu’il faut saisir toutes les occasions pour leur rendre leur nourriture naturelle, sauf les assaisonnements que commandent la justice et l’humanité. J’aborde donc dans le sens du contre-amiral Lacrosse, je crois qu’il faut envoyer une force considérable à la Guadeloupe non pour la réduire à ce qu’elle était, mais à ce qu’elle doit être54 .

Freilich rannte der Memorandenschreiber damit bei seinen Vorgesetzten offene Türen ein, war doch der Entscheid, die Sklaverei wiedereinzuführen, zu diesem Zeitpunkt bereits gefällt. Den entscheidenden Hinweis dafür finden wir in der Korrespondenz Johnstones mit seiner Regierung in London. Der britische Gouverneur hatte mit Lacrosse binnen kürzester Zeit eine enge Freundschaft geschlossen und war deshalb bestens über die zukünftige Kolonialpolitik Bonapartes informiert. Als Ende November die Fregatte Pensée (38) mit der Bestätigung des Präliminarfriedens mit Großbritannien und der neuesten Korrespondenz von Decrès in Dominica eintraf, zögerte Johnstone keine Sekunde, die neuesten Informationen London zukommen zu lassen, die der neue Kolonialpräfekt Daniel Lescallier und der neue Justizkommissar Coster ihrem aus Guadeloupe verjagten Vorgesetzten überbracht hatten: The three chief magistrates new here who form the legal government of Guadeloupe are resolved to disarm all the mulattoes in that island and inflict an exemplary punishment on those who have been the instigators of this Revolution. It is their intention, not only from their own wishes, but likewise in obedience to instructions from France, to restore the ancient treatment of slaves in that colony55 .

Das Schreiben Johnstones, das von der Forschung bislang unbeachtet geblieben ist, lässt kaum Zweifel daran, dass die Wiedereinführung der Sklaverei im gesamten französischen Kolonialreich von langer Hand geplant worden und spätestens im Oktober 1801 beschlossene Sache war. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Entscheidungsträger in Paris ein letztes Mal an Lacrosse geschrieben. Führt man sich die Politik von Lacrosse in den wenigen Monaten seiner Statthalterschaft auf Guadeloupe vor Augen, die vor allem auf eine Entmachtung des farbigen Offizierskorps und eine Verkleinerung der schwarzen Kolonialarmee zielte, liegt es nahe, dass der Entscheid Bonapartes, die Sklaverei wiedereinzuführen, sogar schon früher gefallen war56 . 54

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Rapport au ministre sur les activités du sieur Pélage en Guadeloupe, sa conduite dans l’arrestation du général Lacrosse et le point de vue de ce dernier sur la colonie, o. D. [1801], in: ANOM, C7A 55, fol. 248. Johnstone an Hobart, 28.11.1801, in: TNA, CO 71/33 (Hervorh. i. Orig.). So auch Crosby-Arnold, A Case of Hidden Genocide, S. 361–365.

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Freilich dürften die Nachrichten Johnstones, wonach die französische Führung die Wiedereinführung der Sklaverei vorbereitete, bei der britischen Regierung in London keine Sensation ausgelöst haben, denn diese war bereits über die Pläne Bonapartes informiert. Schon Mitte November 1801 hatte die Admiralität der Royal Navy den Kommandanten der beiden westindischen Geschwader die geheime Weisung erteilt, sich bei der bevorstehenden Militärexpedition der französischen Armee nach Saint-Domingue neutral zu verhalten. Die Admiralität wies ihre Offiziere insbesondere an, die Absichten der französischen Führung auf keinen Fall den freien Farbigen und Schwarzen der Kolonie mitzuteilen57 . Die britische Führung unter dem neuen Premierminister Addington war ohnehin Feuer und Flamme für die Pläne Bonapartes, die Sklaverei im französischen Kolonialreich wiedereinzuführen: Bereits am 23. Oktober 1801 hatte Addington dem französischen Botschafter in einer privaten Unterredung mitgeteilt, dass »l’intérêt des deux gouvernements [. . . ] est absolument le même: c’est de détruire le jacobinisme; et celui des Noirs surtout«58 . Die Pläne Bonapartes spielten schließlich der britischen Seite in die Hände, büßten doch die französischen Kolonien mit der Wiedereinführung der Sklaverei erheblich an militärischer Gefahr ein. Bevor wir uns dem Fortgang der Ereignisse in der Karibik widmen, ist es angezeigt, die Hintergründe der Entscheidung, die Sklaverei im ganzen französischen Kolonialreich wiedereinzuführen, vertieft zu analysieren. Im Rahmen von Bonapartes großangelegtem geostrategischen Entwurf eines Überseereichs in den Amerikas diente diese Maßnahme zweifellos dem Ziel, die Loyalität der kolonialen Eliten zu gewinnen. Neben dieser kolonialpolitischen Dimension hatte der Entscheid auch eine innenpolitische Stoßrichtung: Die in Paris weilenden Kolonisten waren der royalistischen Opposition zuzurechnen59 . Nichts war deshalb naheliegender, als diese auf seine Seite zu ziehen, indem er ihnen die Wiedereinführung der Sklaverei versprach und ihnen damit in Aussicht stellte, ihre Güter sowie große Mengen menschlichen Kapitals wieder in Besitz nehmen zu können. Davon zeugen die seit dem Frühjahr 1801 laufenden Bemühungen französischer Kolonialbeamter dies- und jenseits des Atlantiks, den französischen Pflanzern die »bonnes intentions« des Konsulats zu vermitteln. Die Wiedereinführung der Sklaverei war so gesehen primär ein herrschaftspolitisches Instrument. In den Augen Bonapartes waren Saint-Domingue und Guadeloupe wegen der Abolition der Kontrolle der Metropole entglitten. Hatten die Gesetzgeber 1794 mit Terreur und Abolition die Kolonien zur Loyalität zwingen wollen, 57 58 59

Siehe die beiden Schreiben Nepeans an Duckworth (geheim), 17.11.1801, in: NMM, DUC/7. Zit. nach: Benot, La démence, S. 59f. Siehe dazu auch Crosby-Arnold, A Case of Hidden Genocide, S. 361–365. Michael Broers, Napoleon. Soldier of Destiny, New York 2014, S. 256.

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glaubte Bonaparte 1801 das gleiche Ziel nur mit der Rücknahme des Abolitionsdekrets erreichen zu können60 . Die Rückkehr zur Sklaverei und die damit verbundene Aussöhnung mit den kolonialen Eliten versprachen die Lösung aller Probleme zu sein. Freilich hatte Bonaparte ein reichlich naives und romantisches Bild der kolonialen Welt vor Abschaffung der Sklaverei61 . Die Konflikte um politische Autonomie und wirtschaftliche Privilegien, die zu den Verwerfungen bei Beginn der Revolution geführt hatten, schien der Erste Konsul zu ignorieren. Dies illustriert das vielzitierte Gespräch im Staatsrat, in dem Bonaparte Vizeadmiral Truguet anfuhr, nachdem dieser seine Zweifel über die Loyalität der Pflanzer Martiniques in der Vergangenheit geäußert hatte: Si j’eusse été à la Martinique, j’aurais été pour les Anglais, parce qu’avant tout il faut sauver la vie. Je suis pour les Blancs, parce que je suis blanc; je n’en ai pas d’autre raison, et celle-là est la bonne. [. . . ] Comment a-t-on pu accorder la liberté à des Africains, à des hommes qui n’avaient aucune civilisation, qui ne savaient seulement pas ce que c’était que [la] colonie, ce que c’était que la France? Il est tout simple que ceux qui ont voulu la liberté des Noirs veuillent l’esclavage des Blancs62 .

Bonaparte offenbarte damit nicht nur seine Ahnungslosigkeit über die Frühphase der Französischen Revolution in den Kolonien, sondern auch seinen blanken Rassismus, der die Rückkehr zur Sklaverei zweifellos begünstigte63 . Der Wiedereinführung der Sklaverei wohnte auch eine außenpolitische Dimension inne: Seit dem Erlass des Abolitionsdekrets war Frankreich der Paria unter den europäischen Kolonialmächten in der Karibik64 . Bereits als Kommissar Guadeloupes hatte Hugues das Marine- und Kolonialministerium wiederholt davor gewarnt, dass es wegen der Abolition unmöglich sei, Verbündete in der Karibik zu finden. Tatsächlich waren die spanischen und batavischen Kolonien alles andere als loyale Bündnispartner65 . Die außenpolitische Stoßrichtung der Wiedereinführung der Sklaverei zeigt sich am deutlichsten in den Voten der Abgeordneten im Vorfeld des Erlasses des Gesetzes vom 20. Mai 1802, mit welchem der Sklavenhandel legalisiert und die Sklaverei in jenen Kolonien, in denen sie nie abgeschafft worden

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Abrégé historique des événements arrivés à la Guadeloupe; pendant le mois de prairial an IX, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 55, fol. 270. Gainot, L’Empire, S. 175f. Antoine Thibaudeau, Mémoires sur le Consulat. 1799 à 1804. Par un ancien conseiller d’État, Paris 1827, S. 120. Girard, The Slaves, S. 46. Ibid., S. 51f. Lebas an Truguet (geheim), 10.3.1797, in: ANOM, C7A 84, fol. 95; Lebas/Hugues an Truguet (geheim), 10.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 197; Lebas/Hugues an Truguet, 7.3.1797, in: ANOM, C7A 49, fol. 195.

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war, sanktioniert wurde66 . So meinte etwa der regierungsnahe Abgeordnete Pierre-Auguste Adet: Mais alors [en 1794, F. E.] la République pensait seulement à se défendre; et quand on conspirait sa ruine, pouvait-elle veiller à la conservation de ses ennemis? Aujourd’hui que la fureur de la guerre a fait place aux idées sociales; aujourd’hui que la France s’est placée avec gloire au rang qu’elle occupe dans la famille européenne, elle doit reprendre l’esprit de famille, et coordonner, autant qu’il sera en son pouvoir, ses intentions avec celles des autres peuples, pour conserver cette harmonie de principes qui tend à maintenir les sociétés et à perpétuer la paix si nécessaire au bonheur de toutes les nations67 .

Den Weg zurück in die Reihen der Sklavenhalter wollten sich die Abgeordneten auch nicht durch die Initiativen der Abolitionisten in England verleiden lassen. Wilberforce und seine Mitstreiter, so glaubten die Redner, würden sich nie durchsetzen68 . In der Wiedereinführung der Sklaverei sahen viele Abgeordnete schließlich einen zivilisatorischen Kreuzzug gegen die Herrschaft der Schwarzen69 . Dieser Kreuzzug ließ sich nur unter einem hohen Blutzoll vollziehen, doch die Ereignisse auf Guadeloupe und Saint-Domingue hatten Bonaparte die geeigneten Argumente in die Hand gespielt, um die Versklavung und Entrechtung tausender Menschen innenpolitisch zu rechtfertigen. Als Bonaparte Ende Dezember 1801 die Meldungen vom erneuten Putsch auf Guadeloupe und die Abschlussberichte über die Absetzung Laveaux’ sowie den Überfall auf Curaçao vorlagen, zögerte er keinen Moment und veranlasste, eine Militärexpedition gegen die Rebellen vorzubereiten, »pour rétablir pour toujours la tranquillité !«70 Nach außen wurde das Ziel der Expedition zwar geheim gehalten, doch war allen Beteiligten klar, dass die rund 3500 in Brest eingeschifften Soldaten nur dem Zweck dienten, das Offizierskorps und die schwarze Kolonialarmee Guadeloupes gewaltsam aufzulösen sowie die Sklaverei wiedereinzuführen71 . Nachdem Jean-Baptiste Bernadotte, der spätere König von Schweden, das Kommando über die Expedition abgelehnt hatte, fiel die Wahl auf den 31-jährigen Antoine Richepance, der während der 66

67 68 69 70 71

Die Bedeutung dieses Gesetzes scheint in Anbetracht unserer Erkenntnisse geringer zu sein, als dies bislang von der Forschung angenommen wurde, denn die Wiedereinführung der Sklaverei in allen französischen Kolonien war zu diesem Zeitpunkt längst beschlossene Sache. Tribunat, Rapport fait par P. A. Adet, 19.5.1802, in: ANP, AD/VII/17, fol. 135. Ibid.; Corps législatif, Discours prononcé par Regnault, 20.5.1802, in: ANP, AD/VII/17, fol. 137. Dubois, Avengers, S. 256. Bonaparte an Joseph Bonaparte, 7.1.1802, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S. 882. Bonaparte an Berthier, 7.1.1802, in: ibid., S. 882; Gobert, Particularités non publiques de la guerre de la Guadeloupe, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 57, fol. 70; Rapport au ministre sur les activités du sieur Pélage en Guadeloupe, sa conduite dans l’arrestation du général Lacrosse et le point de vue de ce dernier sur la colonie, o. D. [1801], in: ANOM, C7A 55, fol. 248.

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Revolutionskriege unter Moreau an der Rheinfront innerhalb weniger Jahre vom Leutnant zum Divisionsgeneral aufgestiegen war72 . Im Tross des neuen Generalgouverneurs befand sich zudem eine ganze Reihe von Offizieren wie Jacques-Nicolas Gobert und Jean-François Xavier de Ménard, die hofften, auf Guadeloupe schnelles Geld zu machen, oder ihre Plantagen wiedereinfordern wollten73 .

Warten auf Richepance Bis zum Eintreffen der Militärexpedition aus Frankreich sollten noch Wochen vergehen, in denen Lacrosse alles in seiner Macht stehende unternahm, um das politische Terrain für die Landung der metropolitanen Truppen vorzubereiten. Hierfür galt es, die Putschisten nach Möglichkeit zu spalten, sie diplomatisch zu isolieren und ihnen jede Hoffnung auf eine friedliche Lösung zu nehmen. Ein erster Schritt dazu war, den Provisorischen Rat über die Unterzeichnung des Präliminarfriedens zu informieren. Denn der Krieg, das wussten Lacrosse wie auch die Putschisten nur zu gut, hatte die Metropole bis dahin daran gehindert, die wiederholten Machtusurpationen des Offizierskorps zu bestrafen. Mehr noch, der Friede entzog den farbigen Offizieren und der schwarzen Kolonialarmee ihre raison d’être. Als ein britischer Parlamentär am 14. November 1801 die Nachricht vom Ende des Kriegs überbrachte, konnten es die neuen Machthaber Guadeloupes kaum fassen. In ihrer Wut hätten sie den britischen Offizier »maltraité« und viele hätten sich geweigert, seiner Botschaft Glauben zu schenken74 . Der Anführer der Putschisten Guadeloupes, Pélage, und seine Mitstreiter befürchteten zu Recht, dass die Nachricht vom Frieden ihre Position zu unterminieren drohte und leicht in einen Aufstand münden konnte, weshalb sie erst versuchten, die Neuigkeiten aus Europa geheim zu halten. Doch die Gerüchteküche in der Kolonialarmee machte diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung. Die Offiziere teilten Pélage mit, »[que] cette paix [. . . ] est pour eux [les soldats, F. E.] la peste, qu’elle est le terme de leur liberté, qu’ils ne consentiront jamais à reprendre la houe sous le fouet d’un commandeur, après avoir porté pendant huit ans les armes pour la République«75 .

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Charles Mullié, Biographie des célébrités militaires des armées de terre et de mer de 1789 à 1850, 2 Bde., Paris 1852, Bd. 2, S. 499; Bonaparte an Joseph Bonaparte, 7.1.1802, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S. 883. Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 143f.; Berthier an Decrès, 3.12.1801, in: ANOM, E 208; Gobert an Berthier (Kopie), 11.2.1802, in: SHD, FAT B9/2. Proklamation von Lacrosse/Lescallier/Coster, 5.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 100. Pélage u. a., Mémoire, Bd. 1, S. 151f.

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Erst zwei Wochen später, am 1. Dezember 1801, veröffentlichte der Provisorische Rat eine Proklamation, in der die Unterzeichnung des Präliminarfriedens bestätigt wurde. Um die Befürchtungen der Truppen zu zerstreuen, ließ Pélage die versammelten Soldaten wissen, dass der Erste Konsul ihre Verdienste um die Republik nicht vergessen würde76 . Inwiefern diese Ankündigung half, die Gemüter zu beruhigen, bleibt offen. Gemäß Lacrosse verweigerten die schwarzen Soldaten wiederholt Befehle des Provisorischen Rates, weshalb Pélage es für angezeigt hielt, das Abolitionsdekret erneut zu publizieren77 . Auch innerhalb des farbigen Offizierskorps gab es Meinungsverschiedenheiten darüber, wie in Anbetracht der verfahrenen Situation vorzugehen sei. Während Pélage an seiner Politik festhalten wollte, die darauf abzielte, die Entsendung neuer Amtsträger und die friedliche Beilegung des Konflikts mit der Metropole zu erreichen, forderten radikalere Kräfte einen offenen Bruch mit Paris, den sie notfalls auch mit Gewalt herbeiführen wollten78 . Wie tief die Spaltung innerhalb des Lagers der Putschisten war, lässt sich aufgrund der schwierigen Quellenlage nur schwer abschätzen. Doch vermutlich hatte Johnstone recht, als er im März 1802 seinen Vorgesetzten in London schrieb, dass die Rebellen Guadeloupes nur durch die Furcht vor der bevorstehenden Militärexpedition aus Frankreich zusammengehalten würden79 . Selbst Pélage war sich seiner Sache keineswegs sicher, weshalb er in einem Schreiben an Bonaparte die vermeintlichen Heldentaten und die Loyalität der patriotes Guadeloupes seit Kriegsbeginn in Erinnerung rief80 . Die fortgesetzte Kommunikation mit der Metropole sollte nicht zuletzt den Anschein erwecken, dass auf Guadeloupe alles seinen geregelten Gang ginge und die Kolonie loyal zu Frankreich stünde81 . Über die Gehaltserhöhungen, die sich Pélage und andere Mitglieder des Provisorischen Rates nach Lacrosse’ Entmachtung selbst zugesprochen hatten, schwiegen sie sich selbstredend aus82 . Nicht nur innerhalb des Offizierskorps gab es Spannungen, insgeheim sagten sich auch Teile der Kolonialverwaltung vom Provisorischen Rat los. Es handelte sich dabei vorwiegend um weiße Kolonialbeamte, die heimlich

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Proklamation von Pélage, 1.12.1801, in: ibid., Bd. 2, S. 126. Siehe auch Pélage an Decrès, 27.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 185. Lacrosse an Decrès, 15.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 102. Pélage u. a., Mémoire, Bd. 1, S. 147f. Johnstone an Hobart, 24.3.1802, in: TNA, CO 71/34. Siehe auch Lacrosse an Decrès, 5.1.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 45; Extrait d’une lettre de la Guadeloupe, [17.3.1802], in: TNA, CO 71/34. Pélage an Bonaparte, 26.11.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 139. Pélage an Decrès, 27.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 185. Vermond, État des dépenses faites par l’administration de la Marine, à la Réquisition, soit des individus établis au Conseil, soit du chef de brigade Pélage, à compter du 29 vendémiaire au 17 floréal an X, 20.6.1802, in: ANOM, EE 929/5.

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mit Lacrosse in Kontakt standen83 . Sekundiert wurden sie von zahlreichen Pflanzern, überwiegend von der Halbinsel Grande-Terre, die Lacrosse ihre Loyalitätsbekundungen zukommen ließen. Viele Gemeinden, so ist diesen Schreiben zu entnehmen, hatten sich nur unter Androhung von Gewalt dem Provisorischen Rat unterworfen. Briefe wie jene der Pflanzer aus PetitCanal, die berichteten, sie befänden sich in einem Zustand »d’anxiété et de malheur«, leitete Lacrosse genüsslich nach Paris weiter, bestätigten sie doch das von ihm gezeichnete Bild, wonach sich die Rebellion gegen die weißen Kolonialherren und insbesondere gegen deren wiederentdeckte alte Liebe, die Pflanzer, richtete und dem Vorbild Louvertures folgte84 . Inwiefern die Pflanzer tatsächlich vom Provisorischen Rat eingeschüchtert wurden, lässt sich nur schwer eruieren. Die Tatsache, dass sich zahlreiche Pflanzer zu Jahresbeginn 1802 genötigt fühlten, die Insel fluchtartig in Richtung Dominica zu verlassen, scheint jedenfalls den autoritären Charakter der neuen Regierung zu unterstreichen85 . Der Provisorische Rat ließ nicht nur gegenüber verdächtigen Pflanzern seine Muskeln spielen, sondern auch gegenüber der Masse der cultivateurs. So ließ Pélage, einst selbst ein Sklave, Fälle von Arbeitsverweigerung drakonisch bestrafen und erließ ein neues Zwangsarbeitsreglement, das in vielerlei Hinsicht härter war als das alte. Am Schicksal der ehemaligen Sklaven war den neuen Machthabern offenkundig wenig gelegen86 . Insgesamt lässt sich feststellen, dass die politischen Voraussetzungen für den Provisorischen Rat im Hinblick auf die bevorstehende Konfrontation mit der Metropole – egal ob diese friedlich oder gewaltsam verlaufen würde –

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Lescallier, Rapport du préfet colonial de la Guadeloupe adressé au ministre de la Marine et des Colonies sur les officiers d’administration civiles et autres salariés employés dans la colonie à l’époque du 29 vendémiaire an X & et encore sur ceux qui ont continué d’y servir jusqu’au moment de l’arrivée du général Richepance, du préfet & du commissaire de justice, le 16 floréal suivant, 12.10.1804, in: ANOM, C7A 60, fol. 26; Roustagnenq an Lescallier, 12.1.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 87. Proklamation Lescallier/Coster, 29.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 117; Sérâne an Lacrosse (Kopie), 28.1.1802, in: ADGB, 61J/31/2; Les habitants de Petit-Canal au Citoyen Lacrosse, o. D. [5.1.1802], in: ANOM, C7A 57; Délibérations des habitants de Petit-Canal, 5.1.1802, in: ANOM, C7A 57 (Zitat); Vesoux an Lacrosse, 12.1.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 68; Thiery an Lacrosse/Lescallier/Coster, 18.1.1802, in: ANOM, C7A 57; Bussondumot an Lacrosse/Lescallier/Coster, 12.1.1802, in: ANOM, C7A 57; Copie d’une lettre de l’agence municipale et du commissaire du gouvernement de l’Île Marie-Galante aux trois magistrats formant le gouvernement de la Guadeloupe & dépendances résidant provisoirement à la Dominique, 3.1.1802, in: ADGB, 61J/31/2; Proklamation von Lacrosse/ Lescallier/Coster (Entwurf), 4.12.1801, in: TNA, ADM 1/323. Délibérations des habitants de Petit-Canal, 5.1.1802, in: ANOM, C7A 57; Johnstone an Hobart, 5.1.1802, in: TNA, CO 71/34; Johnstone an Hobart, 4.2.1802, in: TNA, CO 71/34; Allègre an Lacrosse (Kopie), 3.1.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 50. Siehe auch Régent, Esclavage, S. 396f. Adélaïde-Merlande, Delgrès, S. 100; Régent, Esclavage, S. 405–408.

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denkbar ungünstig waren. Hinzu kam die außenpolitische Isolierung der Putschisten, die Lacrosse geschickt vorantrieb. Der vertriebene Gouverneur und Johnstone verdächtigten den Provisorischen Rat, nicht nur mit Louverture unter einer Decke zu stecken, sondern auch mit den freien Farbigen Martiniques zu konspirieren87 . Schließlich machten Lacrosse und Johnstone Pélage und seine Mitstreiter gar für die Meuterei von Teilen des 8. West India Regiment auf Dominica sowie für eine kleinere Sklavenrebellion auf Tobago verantwortlich88 . Umso dringender erwarteten Lacrosse und Johnstone die baldige Ankunft von Truppen aus Frankreich, um die Rebellion auf Guadeloupe niederzuschlagen. Immerhin konnte Mitte Februar 1802 mithilfe von 200 Soldaten unter dem Kommando von General Charles Sérizat, die als Vorauskommando Dominica erreicht hatten, sowie Freiwilligen aus Martinique unter dem Befehl des Pflanzers Vermont, Marie-Galante zurückerobert werden, ohne dass ein Schuss fiel89 . Doch weitere Truppen standen Lacrosse vorerst nicht zur Verfügung. Seine Bitten an Leclerc und den Befehlshaber der französischen Flotte in Saint-Domingue, Villaret-Joyeuse, Truppen von Saint-Domingue nach Guadeloupe zu entsenden, wurden mit der Begründung abgelehnt, dass die französische Armee in der einstigen Perle der Antillen eine »guerre d’extermination« führe und deshalb keine Soldaten abgeben könne90 . Erst drei Wochen später schickte Leclerc ein Detachement von 200 Soldaten zu Hilfe, das Guadeloupe für die Republik sichern sollte, falls die Friedensverhandlungen mit Großbritannien doch noch scheitern würden. Der Kommandant der Truppe, Jean Boudet, der unter Hugues als Garnisonskommandant Guadeloupes gedient hatte, wurde zu diesem Zweck angewiesen, im Falle eines erneuten Kriegsausbruchs mit

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Zur außenpolitischen Isolierung siehe Pélage an Jefferson, 10.11.1801, in: ANOM, C7A 58, fol. 175; Pichon an Talleyrand, 19.2.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 178; Nard an [Pichon], 21.2.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 177; Talleyrand an Decrès, 5.5.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 172. Zu den angeblichen Verbindungen zu Louverture siehe Pélage/Frasans/ Piaud/Danois an Louverture (Kopie), 23.2.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 248; Johnstone an Hobart, 14.12.1801, in: TNA, CO 71/33; Lacrosse an Villaret-Joyeuse, 28.3.1802, in: ADGB, 61J/31/2. Für die angebliche Verschwörung mit den freien Farbigen Martiniques, vgl.: Trigge an Hobart, 11.11.1801, in: TNA, WO 1/90/593; [?] an Modeste (Kopie), 1.12.1802, in: TNA, CO 71/34; Keppel an Lescallier (Kopie), 1.2.1802, in: TNA, CO 71/34. Johnstone an Hobart, 5.1.1802, in: TNA, CO 71/34; Lacrosse an Decrès, 5.1.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 45; Lescallier an Decrès, 14.4.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 112. Zu den beiden Revolten siehe Roger N. Buckley, »Black Man«. The Mutiny of the 8th (British) West India Regiment – A Microcosm of War and Slavery in the Caribbean, in: Jamaican Historical Review 12 (1980), S. 52–76; Keith O. Laurence, The Tobago Slave Conspiracy of 1801, in: Caribbean Quarterly 28 (1982), S. 1–9. Lacrosse an Leclerc, 2.2.1802, in: ADGB, 61J/31/2; Lacrosse an Decrès (Entwurf), 16.2.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 52; Sérizat an Lacrosse (Kopie), 14.2.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 54; Johnstone an Hobart, 15.2.1802, in: TNA, CO 71/34. Villaret-Joyeuse an Lacrosse (Kopie), 28.3.1802, in: TNA, CO 71/34.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Großbritannien die Macht auf Guadeloupe auf friedlichem Wege zu erringen91 . Doch dazu sollte es nicht mehr kommen, der Frieden hielt. Am 5. Mai 1802 wurde schließlich im Süden Guadeloupes eine Flotte ausgemacht, die unter französischer Flagge segelte. Es bestand kein Zweifel mehr: Die gefürchtete Militärexpedition aus Frankreich war eingetroffen92 .

Richepance, Pélage, Delgrès und der Kampf um Guadeloupe Richepance ließ seine Truppen am Mittag des 6. Mai 1802 bei Pointe-à-Pitre an Land gehen. Pélage hieß die Neuankömmlinge aus Europa mit militärischen Ehren willkommen: »Vive la République, vive Bonaparte, vive nos frères d’Europe !«, sollen die schwarzen Truppen bei der Ankunft gerufen haben93 . Doch die traute Zusammenkunft währte nicht lange. Die Offiziere und Soldaten aus Frankreich offenbarten schnell ihre wahren Absichten: Die Militärkapelle, die »Air de la grande famille« spielte, ließ Richepance gewaltsam auflösen. Schwarze Soldaten, die in der Stadt Dienst taten, ließ er festnehmen. Sie wurden ihrer Waffen und Uniformen entledigt und schließlich in die Rümpfe der vor Anker liegenden Kriegsschiffe gepfercht94 . Diese erste Verhaftungswelle entging auch den farbigen Offizieren der Kolonialarmee nicht, weshalb sich ein Teil des Offizierskorps Pointe-à-Pitres unter der Führung von Joseph Ignace von Pélage lossagte95 . Nachdem die rund 1500 Soldaten der Garnison am Abend vor dem Fort de la Victoire versammelt worden waren, richtete Richepance folgende Worte an die Truppe: »Les guerriers que je vous amène ont vaincu l’univers par leur obéissance, obéissez!«96 Der neue Generalgouverneur befahl den schwarzen Soldaten ferner, ihre Waffen abzugeben. Daraufhin nahmen die weißen Truppen aus Frankreich die entwaffneten Männer der Kolonialarmee Guadeloupes gefangen und führten die wehrlosen Männer in die Rümpfe der vor Anker liegenden Kriegsschiffe. Zwischen 100 und 350 Soldaten der Garnison, darunter die Grenadiere, hatten hingegen begriffen, was ihnen 91

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Leclerc an Boudet (Kopie), 19.4.1802, in: Roussier (Hg.), Lettres, S. 127f.; Leclerc an Pelage, Hypolite, Frasans, Enoix und Cornelet, 19.4.1802, in: ibid., S. 129f.; Leclerc an Decrès, 8.5.1802, in: ibid., S. 149f. Adélaïde-Merlande, Delgrès, S. 110. Pélage an Bonaparte, 8.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 258. Dubois, A Colony, S. 389; Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 239–242; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 122f. Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 243. Vgl. auch Pélage an Bonaparte, 8.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 258. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 124.

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blühte und flüchteten im Schutz der Dunkelheit unter der Führung von Ignace nach Basse-Terre, um ihre dortigen Kameraden zu warnen97 . Auf ihrem Marsch nach Basse-Terre versuchten Ignace und seine Mitstreiter fast vergebens, die cultivateurs auf den Plantagen für ihre Sache zu gewinnen. Nur rund 100 Plantagenarbeiter schlossen sich ihnen an. Mehr Erfolg war dem Garnisonskommandanten Louis Delgrès in Basse-Terre vergönnt, nachdem er von Ignace über die Ereignisse in Pointe-à-Pitre informiert worden war. In der Umgebung der Stadt konnten die Soldaten Delgrès’ tatsächlich mehrere hundert Plantagenarbeiter rekrutieren; allerdings zwangen seine Soldaten einige cultivateurs auch gewaltsam, sich ihnen anzuschließen. Doch diese an den Waffen ungeübten Männer waren mehr Last als Nutzen für die Streitmacht der Aufständischen, die insgesamt nur rund 1000 Kämpfer umfasste, darunter auch eine Handvoll weißer Soldaten98 . Bei einer Gesamtpopulation von circa 108 600 Menschen, davon etwa 84 850 ehemalige Sklaven und 13 300 sogenannten anciens libres (Farbige, die bereits vor 1789 frei waren), vermochten die Rebellen unter der Führung Delgrès’ also weniger als ein Prozent der Bevölkerung zu rekrutieren99 . Laurent Dubois beziffert die Zahl der Rebellen mit 12 000, davon 3000 Soldaten, wesentlich höher. In seiner Darstellung bleibt aber unklar, auf welcher Quellengrundlage diese Zahlen beruhen. In jedem Fall scheint seine Behauptung massiv übertrieben, es hätte sich »a large segment of the population« dem Aufstand Delgrès’ angeschlossen, um gegen die Wiederversklavung zu kämpfen100 . Hinzu kommt, dass die Rebellion auf den Süden der Halbinsel Basse-Terre beschränkt blieb. Die gesamte Halbinsel Grande-Terre, wo sich die großen Zuckerplantagen der Kolonie befanden und infolgedessen der Leidensdruck der ehemaligen Sklaven am größten war, blieb ruhig101 . Weshalb gelang es den Aufständischen nicht, eine größere Mobilisierung der cultivateurs zu erreichen, denen die Wiederversklavung durch die Truppen Richepance’ drohte? Die Antwort hierzu liegt im Antagonismus zwischen den cultivateurs und der Kolonialarmee begründet, war doch Letztere maß97 98

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Gobert, Particularités non publiques de la guerre de la Guadeloupe, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 57, fol. 70; Régent, Esclavage, S. 416; Dubois, A Colony, S. 390. Régent, Esclavage, S. 417; Pélage u. a., Mémoire, Bd. 1, S. 276; Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 276; Gobert, Rapport des événements qui ont eu lieu à la Guadeloupe depuis l’arrivée de l’armée le 16 floréal jusqu’au 18 fructidor an X, 5.9.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 23. Zu Delgrès siehe Kap. 2. Zahlen aus dem Jahr 1801 gemäß Régent, Esclavage, S. 288. Dubois, A Colony, S. 388, 393 (Zitat S. 388). Die von Dubois angegebene Zahl scheint allein schon deswegen unrealistisch zu sein, weil es Delgrès niemals möglich gewesen wäre, eine derart große Streitmacht zu bewaffnen. Gemäß Lacrosse war es den verantwortlichen Offizieren vor der Ankunft Richepance’ schwergefallen, die 4150 Mann starke Garnison zu bewaffnen. Vgl. Lacrosse an Richepance (Kopie), 1.5.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 57; Ménard an Decrès, 11.9.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 24. Lescallier an Decrès, 22.5.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 127; Lescallier an Decrès, 30.5.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 130.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

geblich für die Aufrechterhaltung des brutalen Zwangsarbeitsregimes verantwortlich, das sich bestenfalls graduell von der Sklaverei unterschied. Warum sollten die cultivateurs die Epauletten ausgerechnet jener farbigen Offiziere und Soldaten retten, die sie jahrelang brutal unterdrückt und ausgebeutet hatten? Es wäre falsch, die schwarze Bevölkerung Guadeloupes als geeinte Kraft zu verstehen. Wenn die Soldaten Delgrès’ am 10. Mai 1802 bei Basse-Terre den Truppen von Richepance unter Kanonendonner Sprüche wie »point d’esclavage, vivre libre ou mourir«102 entgegenriefen, so meinten sie dies primär in Bezug auf sich selbst. Dass es den Widerstandskämpfern vor allem um ihre eigene Freiheit ging, zeigt sich auch an den Worten, die Delgrès, vor dem Krieg ein wohlhabender Kaufmann und Plantagenbesitzer auf Saint-Pierre, tags zuvor an seine Offiziere und Soldaten gerichtet hatte: »Mes amis, on en veut à notre liberté ; sachons la défendre en gens de cœur, et préférons la mort à l’esclavage«103 . Dass den Offizieren und Soldaten der Kolonialarmee Guadeloupes das Schicksal der Masse der cultivateurs weitgehend egal war, belegt die vielzitierte Proklamation Delgrès’ »À l’univers entier. Le dernier cri de l’innocence et du désespoir«, in welcher der ehemalige Sklavenbesitzer die Ungerechtigkeit beklagte, die ihm und seinen Mitstreitern, also den Angehörigen der Kolonialarmee, mit der Wiedereinführung der Sklaverei widerfahre104 . Im Übrigen gedachten nicht alle Offiziere der Kolonialarmee Guadeloupes, ihre Freiheit bis zum Tod zu verteidigen. Zahlreiche unter ihnen hatten sich, als Richepance’ Truppen in der Stadt Basse-Terre eintrafen, längst auf die schwedischen und dänischen Inseln des Archipels abgesetzt, wo sie unterzutauchen versuchten105 . Der Rest von Delgrès’ Armee lieferte den Truppen Richepance’ in den folgenden Tagen heftige Kämpfe in Basse-Terre und Umgebung. Die Rebellen zerstören zahlreiche Plantagen in dieser Region und nahmen Pflanzer und Pächter als Geiseln oder ermordeten diese kurzerhand106 . Nur unter hohen Verlusten gelang es den französischen Truppen, sich in der Stadt festzusetzen107 . »The slaughter upon both sides has been great«, kommentierte Johnstone die Gefechte gegenüber seinen Vorgesetzten in London108 . Innerhalb weniger Tage gelang es schließlich den französischen Truppen, Delgrès und

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Ménard an Decrès, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 57, fol. 47. Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 252. Abgedruckt in ibid., S. 253–255. Régent, Esclavage, S. 418. Richepance an Decrès, 8.7.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 6; Johnstone an Hobart, 22.5.1802, in: TNA, CO 71/34; Lescallier an Decrès, 30.5.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 130; Johnstone an Hobart, 26.5.1802, in: TNA, CO 71/34; Gobert, Rapport des événements qui ont eu lieu à la Guadeloupe depuis l’arrivée de l’armée le 16 floréal jusqu’au 18 fructidor an X, 5.9.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 23. Zum Verlauf der Kämpfe siehe Lacour, Histoire, Bd. 3, S. 270–276. Johnstone an Hobart, 22.5.1802, in: TNA, CO 71/34.

8. Guadeloupe und die Wiedereinführung der Sklaverei

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seine verbliebenen Soldaten im Fort Saint-Charles südlich von Basse-Terre einzuschließen109 . Johnstone, der die Kämpfe hautnah mitverfolgte, beurteilte die Erfolgsaussichten des französischen Expeditionskorps äußerst kritisch und half den Truppen aus Frankreich, wo er nur konnte: The rebels [. . . ] fight with a courage and skill which the French Army had but little expectation of. [. . . ] So little conception had the French of the resistance [sic] they would meet with that they arrived totally unprovided with the necessary artillery and ammunition. This defect I have endeavoured in as far as possible to remedy, and I flatter myself that the good consequences of the supply which I have afforded them will be speedy and efficacious. But the greatest drawback under which they have laboured has been the want of provisions. A scarcity of most of the necessaries of life has prevailed with them; and to their earnest entreaties for what relief was in my power, I conceived my power justifiable in listening to110 .

Zu den Problemen der französischen Armee gesellte sich schon bald das Gelbfieber, das sich rasend schnell unter den europäischen Truppen ausbreitete. Um die durch die Epidemie und die Kampfhandlungen erlittenen Verluste zu kompensieren, ließ Richepance deshalb in zynischer Weise 600 der bei Pointe-à-Pitre gefangen genommenen farbigen Soldaten der Kolonialarmee Guadeloupes für sein Expeditionskorps rekrutieren. Gemäß Gobert hatten sich diese Truppen im Kampf gegen die Rebellen Delgrès’ vorbildlich verhalten111 . Derweil scheiterten die Ausbruchsversuche Delgrès’ allesamt unter hohen Verlusten. Eine reguläre Verteidigung der Festung wurde zusehends aussichtslos, zumal die französischen Truppen auch die Anhöhen im Rücken des Forts kontrollierten. Nach zwei Tagen heftigen Artilleriebombardements entschloss sich Delgrès, im Schutze der Dunkelheit die Festung durch eine kleine Passage im Süden des Forts hinunter zum Fluss Galion zu verlassen und die Geiseln freizulassen. Dort trennten sich die rund 600 verbliebenen Kämpfer, um Richepance zur Aufteilung seiner Streitmacht zu zwingen. Während einer seiner Offiziere, Joseph Ignace, in Richtung Pointe-à-Pitre marschierte, um die kaum verteidigte Handelsmetropole der Kolonie anzugreifen, zogen sich Delgrès’ Soldaten auf die schwer zugänglichen Anhöhen bei Matouba im Süden der Halbinsel Basse-Terre zurück. Die Truppen von Ignace brannten gemäß französischen Offizieren auf ihrem Weg sämtliche Plantagen und Ortschaften nieder und massakrierten jeden, der ihnen in die Hände fiel, so dass innerhalb weniger Tage der gesamte östliche Küstenstreifen der Halbinsel Basse-Terre in Schutt und Asche lag.

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Siehe Dubois, A Colony, S. 394–397. Johnstone an Hobart, 22.5.1802, in: TNA, CO 71/34. Siehe auch Trigge an Brownrigg, 24.5.1802, in: TNA, WO 1/95/81; Lescallier an Decrès, 26.6.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 135; Laye an Johnstone, 15.5.1802, in: TNA, CO 71/34; Bouvet an Decrès, 20.5.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 58. Gobert, Rapport des événements qui ont eu lieu à la Guadeloupe depuis l’arrivée de l’armée le 16 floréal jusqu’au 18 fructidor an X, 5.9.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 23.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Doch die Eroberung der Hafenstadt Pointe-à-Pitre wollte Ignace und seinen 400 Soldaten sowie rund 400 cultivateurs, die sich ihm angeschlossen hatten, nicht gelingen. Pélage, der Richepance treu geblieben war, hatte es geschickt verstanden, den Rebellen Ignace’ mithilfe einiger weniger Rekruten und Milizen aus Pointe-à-Pitre den Zugang zur Stadt und zu den Plantagen auf der Halbinsel Grande-Terre zu versperren. So war es den rund 800 Soldaten Goberts, die Ignace auf den Fersen geblieben waren, möglich, die rund 500 Rebellen am 25. Mai 1802 in einem »carnage horrible« bei Baimbridge nördlich Pointe-à-Pitres zu zerschlagen. Nur eine Handvoll Überlebende konnte sich in die Wälder retten und sich so dem Zugriff der Kolonialbehörden entziehen112 . Delgrès und der Rest seiner Rebellen, die sich auf einer Plantage bei Matouba verschanzt hatten, dachten gar nicht erst daran, sich mit den heranrückenden Truppen von Richepance einen letzten Kampf zu liefern. Als sich die französischen Soldaten der Plantage näherten, riefen die Verteidiger: »Point d’esclavage, vive la mort !« Nur wenige Augenblicke später sprengten sich Delgrès und seine Männer mithilfe großer Mengen Schwarzpulver, das sie im Hauptgebäude der Plantage versteckt hatten, in die Luft113 . Damit war der organisierte Widerstand der ehemaligen Kolonialarmee Guadeloupes gebrochen. Die rund 2300 gefangenen Soldaten wurden auf der Inselgruppe Les Saintes südlich Guadeloupes inhaftiert und zu Schanzarbeiten gezwungen. 400 der inhaftierten Kämpfer, die vor ihrer Befreiung 1794 Funktions- und Handwerkssklaven gewesen waren und gegen die keine Vorwürfe bestanden, wurden sogleich als Sklaven verkauft, versprachen sie doch auf dem Sklavenmarkt einen hohen Preis zu erzielen. Die Erlöse aus den Verkäufen wanderten in die Taschen französischer Offiziere114 . Die 1900 restlichen Gefangenen deportierte die französische Kriegsmarine nach Caracas, wo sie als Sklaven verkauft werden sollten. Allerdings reagierten die spanischen Kolonialbehörden alles andere als erfreut über die Absichten der französischen Seite und verboten ihren Schiffen, vor Anker 112

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Pélage u. a., Mémoire, Bd. 1, S. 291–294 (Zitat S. 293); Lescallier an Decrès, 24.5.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 128; Lescallier an Decrès, 30.5.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 130; Déportés de la Guadeloupe, 8.4.1803, in: SHD, FAT B9/2. Die Zahlenangaben bleiben in den Quellen wie auch in der Literatur äußerst widersprüchlich. Ménard an Decrès, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 57, fol. 47. Lacrosse an Maucomble (Kopie), 25.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 159; Ernouf an Decrès, 21.10.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 140; Lescallier an Decrès, 17.5.1804, in: ANOM, C7A 62, fol. 57; Villeneuve an Decrès, 21.11.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 37; Lacrosse an Decrès, 12.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 125; Lescallier an Decrès, 26.1.1803, in: ANOM, C7A 60, fol. 13; Lescallier, Compte rendu par le conseiller d’État Lescallier, de sa mission qu’il a eu du Premier consul en l’an XI comme préfet de la Guadeloupe, et des motifs de son retour auprès de Sa Majesté Impériale & Royale, 22.4.1804, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 19.

8. Guadeloupe und die Wiedereinführung der Sklaverei

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zu gehen und die menschliche Ware zu verkaufen115 . Die hygienischen Bedingungen auf den Kriegsschiffen waren katastrophal und die Hungerrationen für die ehemaligen Soldaten der Kolonialarmee Guadeloupes trugen das Ihrige dazu bei, dass die Mortalitätsrate unter den in die Schiffsrümpfe gepferchten Gefangenen in die Höhe schnellte116 . Es folgte für die ehemaligen Soldaten Guadeloupes ein mehrmonatiger Leidensweg, der sie über New York nach Korsika und Elba führte, wo sie zusammen mit hunderten Deportierten aus Saint-Domingue einem harschen Zwangsarbeitsregime unterworfen wurden117 . Rund 180 der ehemaligen Soldaten wurden wieder nach Guadeloupe zurückgeschickt, wo sie schließlich im Arbeitslager von Les Saintes inhaftiert wurden und auf ihren Verkauf als Sklaven warteten118 . Wenig besser erging es den 43 Offizieren der ehemaligen Kolonialarmee und abgesetzten Kolonialbeamten, die im August 1802 zusammen mit ihren Familien und Dienern in Brest eintrafen119 . Während die weißen Offiziere nach Saint-Domingue strafversetzt wurden, ließ Bonaparte ihre farbigen Kollegen ebenfalls in Arbeitslagern auf Korsika inhaftieren. Nur eine Handvoll farbiger und weißer Offiziere, in den Worten des Ersten Konsuls »des hommes faibles ou trompés«, wurde straffrei aus dem Militärdienst entlassen120 . Unter ihnen befand sich auch Pélage, der aufgrund seiner Dienste bei der Niederschlagung des Aufstandes auf Guadeloupe freigesprochen wurde und fortan in Paris lebte, ehe er 1808 wieder als Stabsoffizier Aufnahme in die französische Armee fand121 . Mit dem Sieg Richepance’ über die Rebellen glaubte Bonaparte, dass der Moment gekommen sei, um die Sklaverei in Guadeloupe wiedereinzuführen. 115

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Lescallier an Decrès, 1.7.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 137; Lacrosse an Decrès, 12.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 125; Lacrosse an Decrès, 3.3.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 104. Lacaille an Arcambel (Kopie), 12.8.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 77; Villeneuve an Decrès, 24.10.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 28; État de situation des bâtiments de la République, 28.10.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 33; Decrès an Ernouf, 2.9.1803, in: ANOM, C7A 60, fol. 232. Francis Arzalier, Déportés haïtiens et guadeloupéens en Corse (1802–1814), in: Annales historiques de la Révolution française 293–294 (1993), S. 469–490. Decrès an Lescallier (Entwurf), 10.1.1803, in: ANOM, C7A 60, fol. 193. Caffarelli an Decrès, 18.8.1802, in: ANOM, C7A 60, fol. 260; Caffarelli an Decrès, 25.8.1802, in: ANOM, C7A 60, fol. 263; Inventaire des biens des citoyens Pélage, Frasans, Corneille et Piaud, 22.8.1802, in: ANOM, C7A 60, fol. 264; Note de Caffarelli, 19.8.1802, in: ANOM, C7A 60, fol. 262. Bonaparte an Berthier, 27.5.1802, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S, 985f. (Zitat); État nominatif de 43 individus actuellement en détention à Brest, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 56, fol. 285; Pélage an Bonaparte, 16.7.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 256; Decrès an Abrial, 31.8.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 282; Rapport sur la révolte de la Guadeloupe (Entwurf), [?].8.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 275; Decrès an Bonaparte (Entwurf), 13.8.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 272. Régent, Esclavage, S. 424. Zum traurigen Schicksal Farbiger in Frankreich siehe auch Crosby-Arnold, A Case of Hidden Genocide, S. 365–371.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

Widerstand gegen diese Maßnahme war nicht mehr zu erwarten122 . In einem Begleitschreiben an Richepance hielt Decrès fest: La conduite qu’ont tenue les Noirs dans toutes les colonies où l’on a eu pour eux la moindre condescendance a fixé à jamais les principes de la plus juste sévérité par laquelle ils doivent être régis. La caste des hommes de couleur doit essentiellement fixer votre attention. Faites peser sur eux le joug du préjugé salutaire qui seul a pu les dompter jusqu’à ce jour, et qui a dans tous les temps contribué à maintenir la subordination parmi les Noirs. Que les hommes [. . . ] connus sous le nom des petits Blancs, qui ont infesté plusieurs de nos colonies, qui ont été les fauteurs et provocateurs de tous les désordres, soient comprimés avec une ample sévérité toutes les fois qu’ils se conduisent mal123 .

Im Oktober 1802 folgte sodann die Anweisung, dass die Machthaber Guadeloupes unter keinen Umständen die Ausreise »d’un seul homme du sang africain« nach Frankreich erlauben durften, damit »le sang français se maintienne dans toute sa pureté«. Deshalb waren gemäß Decrès auch Mischehen zu untersagen: »Le mélange a produit des résultats trop affreux«, so der Marine- und Kolonialminister weiter124 . Die Rückkehr zu einer segregierten Gesellschaftsordnung und die intendierte Unterdrückung der petits Blancs gestalteten sich freilich in der Praxis nicht so einfach, wie sich dies die Entscheidungsträger in Paris erhofften125 . Die Wiederherstellung der alten Ordnung erwies sich aufgrund der labilen Sicherheitslage als schwierig. Dies zeigt sich schon allein an der Tatsache, dass die Entscheidungsträger Guadeloupes aus Furcht vor einer generellen Rebellion die von Paris angeordnete Wiedereinführung der Sklaverei nicht öffentlich verkündeten126 . Die allmähliche Rückkehr zur Sklaverei und zu einer segregierten Gesellschaftsordnung geschah klammheimlich: Im Juli 1802 befreiten die Kolonialbehörden die Pflanzer und die Pächter der sequestrierten Plantagen von der Pflicht, ihre cultivateurs für deren Arbeit zu entschädigen. In den Notariatsstuben der Kolonie finden sich ab dem Spätsommer 1802 wieder Akten, die den Kauf und den Verkauf von Sklaven dokumentieren127 . Zur selben Zeit machten auch britische Sklavenhandelsschiffe in der Kolonie Halt, um ihre Waren zu verkaufen – allerdings flüchtete ein Großteil der verkauften Sklaven bei erstbester Gelegenheit in die Wälder128 . Es bestehen dennoch kaum Zweifel daran, dass die bereits bestehenden Unterdrückungsmechanismen des 122 123 124 125 126 127

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Bonaparte an Decrès, 13.7.1802, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S. 1029f. Decrès an Richepance (Entwurf), 16.7.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 238. Alle Zitate aus Decrès an Lacrosse, 28.10.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 241. Lacrosse an Decrès, 12.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 127. Lacrosse an Decrès, 23.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 151. Frédéric Régent, Le rétablissement de l’esclavage et du préjugé de couleur en Guadeloupe (1802–1803), in: Yves Benot, Marcel Dorigny (Hg.), Rétablissement de l’esclavage dans les colonies françaises 1802. Ruptures et continuités de la politique coloniale française (1800–1830). Aux origines d’Haïti, Paris 2003, S. 283–296. Gobert an Decrès, 13.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 63.

8. Guadeloupe und die Wiedereinführung der Sklaverei

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alten Zwangsarbeitsregimes der versteckten Wiederversklavung der Masse der cultivateurs den Weg ebneten. In ähnlicher Weise vollzogen die Kolonialbehörden die Entrechtung der freien Farbigen, die aufgefordert wurden, ihre Freiheit vor 1789 vor den Kolonialbehörden notariell zu beweisen129 . Politisch befand sich diese Bevölkerungsgruppe nach der Entmachtung Pélages und seiner Mitstreiter in einer »nullité totale«, wie die neuen Machthaber ihren Vorgesetzten in Paris schrieben130 . Als weit schwieriger erwies sich der Kampf gegen die verbliebenen Rebellen im gebirgigen Landesinneren der Halbinsel Basse-Terre. Die rund 600 Widerstandskämpfer unter der Führung Palermes schienen zwar nach den Siegen bei Matouba und Baimbridge keine ernstzunehmende Gefahr mehr für die siegreiche Armee von Richepance darzustellen, fehlte es ihnen doch an Waffen und Nahrungsmitteln131 . Doch schon allein ihre Kontrolle der Wälder im gebirgigen Landesinneren Guadeloupes war ein Hemmschuh für den Wiederaufbau der Plantagenökonomie, für den der ungehinderte Zugang zu Brennholz unverzichtbar war132 . Daher galt es für Richepance, die verbliebenen Rebellen möglichst schnell zu besiegen. Seine Prahlereien gegenüber dem britischen Gouverneur Johnstone, wonach die französischen Truppen die verbliebenen Rebellen »comme des bêtes fauves« durch die Wälder Guadeloupes jagen würden, hatten indes wenig mit der Realität zu tun133 . Ein erstes Amnestieangebot der französischen Militärs, die ihnen freies Geleit aus der Kolonie angeboten hatten, lehnten die Widerstandskämpfer ab. Palerme und seine Männer, in den Worten General Ménards »fanatisés par la liberté«, nutzten geschickt das gebirgige Gelände auf der Halbinsel Basse-Terre, um sich dem Zugriff der Truppen Richepance’ zu entziehen. Ihre langjährige Erfahrung aus vergleichbaren Guerillakriegen in den britischen Kolonien, so waren die französischen Offiziere überzeugt, spielte ihnen in die Karten134 . Entscheidend war zudem einmal mehr das Gelbfieber, das innerhalb von vier Monaten mehr als zwei Drittel des 3500 Mann starken Expeditionskorps dahinraffte135 . Auf dem Höhepunkt der Gelbfieberepidemie verlor die französische Armee auf Guadeloupe 20 Soldaten pro Tag136 . Anfang September 1802 fiel schließlich auch Richepance der Krankheit zum Opfer. Mit Lacrosse, der eigentlich als Gouverneur Tobagos vorgesehen gewesen war, konnte zwar schnell ein Nachfolger für den verstorbenen Ge129 130 131 132 133 134 135 136

Erlass von Lescallier, 9.9.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 11. Lacrosse an Decrès, 23.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 151. Ménard an Decrès, 11.9.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 24; Gobert an Decrès, 14.9.1802, in: ANOM, E 208. Siehe dazu Cheney, Cul de Sac, S. 176. Richepance an Johnstone, 23.5.1803, in: TNA, CO 71/34. Ménard an Decrès, 11.9.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 24 (Zitat); Ménard an Decrès, o. D. [1802], in: ANOM, C7A 57, fol. 47. Leti, Santé, S. 132. Lacrosse an Decrès, 23.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 133.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

neralgouverneur gefunden werden, doch der Tod von Richepance gab den Rebellen neue Hoffnung137 . Ende September 1802 überquerte eine Gruppe von rund 50 Rebellen das Sumpfgebiet der Rivière-Salée zwischen den beiden Halbinseln Grande-Terre und Basse-Terre und versuchte am 28. September 1802 das Fort Fleur d’Épée in einem Handstreich zu erobern. Doch die Aktion scheiterte kläglich138 . Dies lag nicht zuletzt in der Tatsache begründet, dass die französische Armee seit Beginn des Monats eine wachsende Zahl von farbigen Milizionären in Dienst nahm, so dass die Festungen der Kolonie mit regulären Truppen bemannt werden konnten. Bei den neu rekrutierten Milizionären handelte es sich vorwiegend um Einheiten unter dem Kommando zurückkehrender Pflanzer wie Vermont, die zuvor in britischen Diensten gestanden hatten und nun in die Nationalgarde Guadeloupes inkorporiert wurden. Die rund 600 Soldaten und Offiziere dieser Milizverbände hatten sich in den vergangenen Jahren bereits bei den Kämpfen gegen die Armeen Hugues’ in den britischen Kolonien des Archipels ausgezeichnet und waren deshalb mit der Guerillakriegsführung der Rebellen Palermes bestens vertraut. Systematisch durchkämmten diese Einheiten fortan das gebirgige Landesinnere Guadeloupes »et débusquent tout ce qui se rencontre«139 . Um die Verluste in diesen Einheiten zu kompensieren, sollte jeder Plantagenbesitzer der Nationalgarde einen Sklaven seines Vertrauens zur Verfügung stellen. Offiziell wurde diesen Sklaven zwar nach vollendeter Dienstzeit die Freiheit in Aussicht gestellt, doch die interne Korrespondenz zeigt, dass dies ein leeres Versprechen war. So schrieb General Ménard: »La politique peut et doit trahir ses promesses, ou profite de leurs effets, et au bout d’un ou deux mois chaque habitant eut été bien aisé qu’on lui livre l’excellent sujet qu’il avait fourni«. Auf Drängen von Kolonialpräfekt Daniel Lescallier wurde schließlich von der Rekrutierung zusätzlicher Sklaven in die Einheit der chasseurs des bois Vermonts abgesehen, weil die Plantagenbesitzer trotz anfänglicher Zusage ihre Unterstützung für das Projekt zurückgezogen hatten, nachdem Verstärkung aus Frankreich eingetroffen war140 . So blieb es bei den bereits bestehenden Einheiten Vermonts, deren Einsatz durch ein erneutes Amnestieangebot der französischen Militärs politisch 137

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Lacrosse an Decrès, 11.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 100; Ménard an Decrès, 11.9.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 24; Lacrosse an Decrès, 5.8.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 58. Dubuc-Beaudouin an Bonaparte, 27.9.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 38; Ménard an Decrès, 6.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 58. Lacrosse an Decrès, 7.10.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 173 (Zitat); Ménard an Lescallier (Kopie), 19.11.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 27/15; Ambert, Observations sur la Guadeloupe, 1808, in: ANOM, EE 26/1; Lacrosse, Circulaire du capitaine-général, aux commandants militaires et commissaires du gouvernement, 28.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 172; Lescallier an Decrès, 13.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 200; Erlass von Ménard, 15.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 202. Alle Zitate aus Ménard an Lescallier, 28.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 206.

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flankiert wurde. Den Offizieren der Rebellenarmee wurde freies Geleit aus der Kolonie versprochen. Zwar lehnte die Führungsriege rund um Palerme das Angebot nach einigem Zögern ab. Doch zahlreiche farbige Offiziere widersetzten sich dem Willen Palermes und gingen auf das Angebot der Kolonialbehörden ein, woraufhin sie die Kolonie unbehelligt in Richtung USA verließen. Dies bedeutete eine erhebliche Schwächung der Rebellen, denn so mussten rund 100 ihrer Kämpfer den Gang in die Gefangenschaft antreten. An ihrem weiteren Schicksal im Arbeitslager auf Les Saintes war ihren Vorgesetzten augenscheinlich wenig gelegen141 . Immer mehr Rebellen ergaben sich in den folgenden Wochen, schien doch ihr Kampf zusehends aussichtslos zu sein142 . Dies lag auch daran, dass die Kolonialbehörden mittels Freiheits- und Geldzahlungsversprechungen unter den Sklaven Guadeloupes Anreize setzten, um letztere dazu zu animieren, die Positionen der Rebellen preiszugeben143 .

Die Rückkehr der Pflanzer, der Guerillakrieg und die französische Armee Umso überraschter zeigten sich die Kolonialbehörden, als in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober 1802 eine Gruppe von rund 80 Rebellen bei Sainte-Anne 21 weiße Plantagenbesitzer ermordete. Zwar konnten die Aufständischen von farbigen Einheiten der Nationalgarde rasch aufgerieben beziehungsweise gefangen genommen werden144 . Doch die Tatsache, dass die Revolte auf der Halbinsel Grande-Terre stattfand, suggeriert, dass es den Widerstandskämpfern Palermes trotz der Rückschläge der vergangenen Wochen gelungen war, ihren Kampf ins Zentrum der großen Zuckerplantagen Guadeloupes zu tragen, wo sie sich anschickten, die Masse der Sklaven für ihre Sache zu gewinnen. Die erste Reaktion der Kolonialbehörden war deshalb eine massive Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen auf den Plantagen. Lacrosse gab Ménard den Befehl, »de prendre tous les moyens qui peuvent frapper de crainte et de terreur les ateliers qui ont été complices, ou simples spectateurs des assassinats de leurs maîtres«. Alle verdächtigen Personen hatten sich vor einem Militärgericht zu verantworten145 . Des Weiteren waren alle Pflanzer angehalten, nachts vier Sklaven zur Bewachung der Pflanzungen aufzubieten. Sollten sich die Rebellen »par la négligence ou la trahison de cette garde« den141 142 143 144 145

Ménard an Decrès, 6.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 58; Gobert an Decrès, 13.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 63. Lacrosse an Decrès, 12.11.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 192. Lacrosse an Ménard, 21.9.1802, in: ANOM, C7A 60, fol. 140bis ; Lacrosse an Decrès, 21.1.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 74. Lescallier an Decrès, 13.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 200. Proklamation von Lacrosse, 20.10.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 30.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

noch der Plantage bemächtigen können, so befahl Ménard seinen Offizieren: »[D]eux de ces quatre nègres seront le lendemain, sans autre forme de procès, rompus; et les deux autres brûlés, en présence de l’atelier assemblé«146 . Der Terror der Kolonialbehörden – rund 80 Personen wurden vom MilitärgerichtzumTodeverurteilt–wich schon baldderErkenntnis,dass dieUrsachen der Rebellion bei Sainte-Anne wenig mit dem anhaltenden Kampf Palermes und seiner Mitstreiter auf der Halbinsel Basse-Terre zu tun hatten. Entgegen den Befürchtungen von Lacrosse blieben die Sklaven Grande-Terres dem Aufstand zum allergrößten Teil fern. Nur eine Handvoll Sklaven und freie Farbige hatten sich der Rebellion angeschlossen147 . Der Aufstand wurzelte vielmehr in derRückkehrderaltenKolonialeliten:Nachdemdieémigréseinen Treueschwur auf das neue Regime in Paris geleistet hatten, kehrten allein von Mai bis September 1802 mehr als 330 Plantagenbesitzer nach Guadeloupe zurück148 . Obwohl die Kolonialbehörden den derzeitigen Pächtern die Einhaltung der laufenden Pachtverträge zusicherten, kam es in der Folge immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten zwischen zurückkehrenden Plantagenbesitzern und Pächtern. Dies lag nicht zuletzt in der Tatsache begründet, dass die Verwaltung der sequestrierten Plantagen in den Händen von Armeeoffizieren lag, die jede Gelegenheit nutzten, um sich zu bereichern. Erpressungen, Bestechungen und Unregelmäßigkeiten aller Art waren laut übereinstimmenden Berichten bei der Verwaltung der Rückgabe der sequestrierten Güter an der Tagesordnung149 . Die Revolte bei Sainte-Anne ist also im spannungsgeladenen Verhältnis zwischen kleptomanischen Offizieren, mittellosen Pächtern und zurück146 147

148

149

Ménard, Ordres donnés aux commandants militaires des communes de la colonie pour faire régner l’ordre et la sécurité, 21.10.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 31. Siehe Ordres divers du commandant militaire et déclarations concernant l’insurrection, vendémaire an XI, in: ANOM, C7A 58, fol. 298; Noé an Lescallier, 10.10.1802, in: ANOM, C7A 157, fol. 199; Lacrosse an Decrès, 12.11.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 192. Siehe Lescallier, Liste nominative des personnes propriétaires de la Guadeloupe, qui étaient réfugiées à la Martinique et autres lieux et qui ont prêté le serment devant le préfet colonial, pour profiter de l’amnistie accordée pour fait d’émigration, par le senatus consulte, en date du 6 floréal an X, depuis le 21 prairial jusqu’au 19 thermidor an X inclus, 7.8.1802, in: ANOM, G/1/497, fol. 53; Lescallier, Personnes rentrées dans la colonie et ayant prêté serment entre les mains de l’autorité coloniale, 7.8.1802, in: ANOM, G/1/513; Lescallier, Émigrés de la Guadeloupe, 23.9.1802, in: ANOM, G/1/513. Erlass von Richepance, 29.7.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 8; Ernouf an Decrès, 18.1.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 6; Lescallier an Decrès, 29.4.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 32; Lescallier, Compte rendu par le conseiller d’État Lescallier, de sa mission qu’il a eu du Premier consul en l’an XI comme préfet de la Guadeloupe, et des motifs de son retour auprès de Sa Majesté Impériale & Royale, 22.4.1804, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 19; Lescallier an Decrès (Kopie), 17.8.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 101; Bertin an Bonaparte, 25.11.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 42; Lescallier an Decrès, 17.8.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 160; Lescallier an Richepance, 3.8.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 156: Lescallier an Decrès, 4.8.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 153; Ménard an Lescallier, 2.8.1802, in: ANOM, C7A , fol. 156; Ménard an Lacrosse, 19.2.1803, in: ANOM, C7A 60, fol. 138; Richepance an Lescallier, 27.7.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 156.

8. Guadeloupe und die Wiedereinführung der Sklaverei

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kehrenden Plantagenbesitzern anzusiedeln. Die drei weißen Anführer der Rebellion, Pierre Barsse, Millet de la Girardière und Jean Barbet, waren allesamt Pächter auf der Halbinsel Grande-Terre, denen das Ende der Pacht drohte. Dies hätte den finanziellen Ruin dieser Männer bedeutet. Die drei Aufrührer hofften deshalb, die labile Sicherheitslage für ihre Zwecke ausnutzen und die Kolonialregierung stürzen zu können, um die Rückgabe der sequestrierten Güter zu stoppen. Deshalb plünderten die Aufständischen die Plantagen, brannten sie jedoch nicht nieder, sondern beabsichtigten, diese nach dem Putsch für sich zu beanspruchen150 . Das Scheitern des Aufstandes vermochte zwar aus Sicht der Kolonialregierung diese Gefahr zu bannen. Doch die brutale Bestrafung der Rädelsführer – Barsse wurde öffentlich gerädert und verbrannt – zeigt, dass Lacrosse und sein Stab die Bedrohung von Seiten der weißen Kolonisten durchaus ernst nahmen151 . Nur zu gut wussten die Kolonialbehörden, dass die französischen Truppen unter Richepance nicht wie Befreier in Guadeloupe eingedrungen waren, sondern wie Eroberer152 . Die Offiziere des Expeditionskorps nutzten jede Gelegenheit, sich auf Kosten der Kaufleute und zurückkehrenden Plantagenbesitzer der Kolonie zu bereichern. So erhoben sie unter den Kaufleuten Pointe-à-Pitres und den Pflanzern Grande-Terres Kontributionszahlungen in Höhe von über einer Million Livre und drohten den betroffenen Kolonisten bei Nichtbezahlung mit der Deportation. Damit verspielten sich die neuen Machthaber schnell sämtliche Sympathien seitens der weißen Eliten Guadeloupes, zumal die erbeuteten Gelder nicht in die Kolonialkasse wanderten, sondern in die Taschen der Offiziere153 . Reguläre Steuern konnten aufgrund der Zahlungsunfähigkeit vieler Kolonisten kaum eingetrieben werden, und 150

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153

Villeneuve an Decrès, 21.11.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 37; Mémoire du général de brigade Ménard, 29.5.1802, in: ANOM, C7A 60, fol. 92; Ménard an Lacrosse, 11.10.1802, in: ANOM, C7A 60, fol. 137; Ménard an Decrès, 16.11.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 60; Proklamation von Ménard, 15.10.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 27; Lacrosse an Decrès, 24.10.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 186; Lacrosse an Decrès, 12.10.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 180; Lacrosse an Decrès, 12.10.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 180; Lescallier an Decrès, 13.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 200; Lescallier an Decrès, 18.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 195. Vgl. Lescallier an Decrès, 13.10.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 200; Ménard an Decrès, 16.11.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 60. Lescallier, Compte rendu par le conseiller d’État Lescallier, de sa mission qu’il a eu du Premier consul en l’an XI comme préfet de la Guadeloupe, et des motifs de son retour auprès de Sa Majesté Impériale & Royale, 22.4.1804, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 19. Extracts of Intelligence, [?].5.1803 in: TNA, ADM 1/324; Lescallier an Decrès, 29.4.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 32; Lescallier an Decrès (geheim), 4.7.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 140; Lescallier an Decrès, 17.8.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 160; Lescallier an Richepance, 3.8.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 156; Lescallier an Decrès (geheim), 15.7.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 149; Ménard an Decoudrai, 24.7.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 166; Ménard an Lafaye, 21.7.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 162; Pillet an Lombard, 21.7.1802, in: ANOM, C7A 57, fol. 166; Mémoire du général de brigade Ménard, 29.5.1802, in: ANOM, C7A 60, fol. 92.

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II. Sklaverei, Terror und Krieg in den Kleinen Antillen

weil die Verwaltung der sequestrierten Plantagen ebenfalls unter der Kontrolle kleptomanischer Offiziere stand, versiegte auch diese Einkommensquelle rasch. Den Kolonialbehörden war es infolgedessen unmöglich, den Sold für die Garnisonssoldaten zu bezahlen und deren Ernährung sicherzustellen154 . Die Konflikte zwischen Kolonialbeamten und Offizieren auf der einen und den Pflanzern und Kaufleuten der Kolonie auf der anderen Seite waren ein schlechtes Omen für das Gelingen der Pläne Bonapartes, mit der Rückführung der émigrés und der Wiedereinführung der Sklaverei die Loyalität der Kolonien zu sichern und die metropolitane Kontrolle des Überseeimperiums wiederherzustellen. Immerhin zeichnete sich im Spätherbst 1802 ab, dass zumindest die Rückkehr zur Sklaverei aufgrund der sich verbessernden militärischen Lage des neuen Regimes gelingen würde. Trotz der anhaltend hohen Gelbfieberausfälle in der französischen Armee stellten die Rebellen Palermes keine existentielle Bedrohung mehr für das neue Kolonialregime dar. Stolz berichtete Lacrosse im November seinem Vorgesetzten in Paris: »Les assassins sont rompus vifs, les incendiaires sont condamnés au feu«155 . Die Lage der Rebellen Palermes verschlechterte sich im Gegenzug zusehends, wie Lacrosse im Oktober zu berichten wusste: »Quant aux brigands des bois, [. . . ] ils sont [. . . ] privés de toute communication, et par là réduits à l’impossibilité de se pourvoir de vivres et de munitions. L’état de ceux que l’on prend journellement, atteste leur absolu dénuement«156 . Anfang Dezember 1802 gelang es den Garnisonstruppen schließlich, bei Petit-Bourg mehrere hundert Widerstandskämpfer zu töten oder gefangen zu nehmen157 . Die verbesserte Sicherheitslage ermöglichte es Lacrosse im Frühjahr 1803, ein Arbeitsreglement zu veröffentlichen, das eng an den code noir des Ancien Régime angelehnt war158 . Einzig die gefährliche Nachtarbeit blieb zumindest offiziell verboten159 .

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Lacrosse an Decrès, 9.3.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 98. Lacrosse an Decrès, 15.11.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 194. Lacrosse an Decrès, 24.10.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 186. Lacrosse an Decrès, 2.12.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 220; Lacrosse an Decrès, 21.12.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 229; Lacrosse an Decrès, 21.1.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 74. Erlass von Lacrosse/Lescallier, 22.4.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 248. Régent, Esclavage, S. 346.

III. Zurück ins Ancien Régime? Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen, 1801–1815

9. Der Zusammenhalt des französischen Imperiums nach der haitianischen Revolution Die Wiedereinführung der Sklaverei im Jahr 1802 markierte zweifellos einen entscheidenden Wendepunkt in der französischen Kolonialpolitik. Während Bonapartes kolonialer Kurswechsel in Guadeloupe unter einem hohen Blutzoll durchgesetzt werden konnte, endete die Expedition seines Schwagers Victor-Emmanuel Leclerc in Saint-Domingue in einer Katastrophe. Der fehlgeschlagene Versuch, die Sklaverei wiedereinzuführen, mündete in der Unabhängigkeit Saint-Domingues von Frankreich. Der junge Staat gab sich den Namen »Haiti« – angeblich sollen die ausgerotteten Taíno-Ureinwohner der Insel Hispaniola das Land so genannt haben. Die Hintergründe des haitianischen Unabhänigkeitskriegs sollen im Folgenden kurz skizziert werden, denn er sollte die strategische Landkarte der Karibik entscheidend verändern1 . Die Landung Leclercs auf Saint-Domingue im Winter 1801 verlief zunächst einigermaßen erfolgreich. Trotz Rückschlägen wie der erneuten Niederbrennung des ökonomischen Zentrums der Kolonie, Le Cap, durch die Soldaten Jean-Jacques Dessalines’, gelang es den Truppen Leclercs rasch, in den Hafenstädten der Kolonie Fuß zu fassen. Toussaint Louvertures Politik der verbrannten Erde war wenig Erfolg beschieden, weil Leclerc es verstand, die weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem schwarzen General unter den militärischen Eliten und der breiten Masse der Bevölkerung Saint-Domingues für seine Zwecke zu nutzen. Sei es im Glauben, dass die Wiedereinführung der Sklaverei nicht das Ziel Leclercs sei, sei es, weil sie Leclercs fürstlichen Bestechungszahlungen erlagen, oder sei es aus purem Opportunismus: Im Frühjahr 1802 wechselte ein Großteil von Louvertures Offizieren mit ihren Truppen, darunter die einflussreichen Generäle Dessalines und Henri Christophe, auf die Seite Leclercs. Mithilfe der Überläufer gelang es den Soldaten Leclercs, sukzessive auch das Landesinnere unter ihre Kontrolle zu bringen. Verlassen von seinen einstigen Mitstreitern, sah sich Louverture schließlich zur Aufgabe gezwungen. Die hohen Verluste durch Gelbfieber unter den weißen Truppen führten jedoch dazu, dass Leclerc immer stärker von den übergelaufenen Truppen unter dem Kommando Dessalines und Christophes abhängig wurde. Der geplanten Entwaffnung just dieser Truppen und ihrer späteren Verbannung in die Sklaverei waren damit große Steine in den Weg 1

Sofern nicht weiter gekennzeichnet, beruht die folgende Darstellung der LeclercExpedition auf Girard, The Slaves. Zur Namensgebung des jungen Staates siehe Dubois, Avengers, S. 299.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-010

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

gelegt. Toussaint Louverture, der seit Monaten zurückgezogen auf seiner Plantage lebte, glaubte, die hohen Ausfälle der europäischen Truppen im Juli 1802 für eine Rückkehr an die Schalthebel der Macht nutzen zu können. Allerdings fielen Leclerc Briefe Louvertures in die Hände, die seine Absichten verrieten, weshalb der Generalgouverneur Louverture festnehmen und nach Europa deportieren ließ. Der einstige Anführer der schwarzen Armeen Saint-Domingues fiel schließlich am 7. April 1803 im Fort de Joux dem harten Winter des französischen Juras zum Opfer. Leclerc zog aus der Ausschaltung Louvertures freilich keinen Vorteil. Anfang August 1802 erreichten Saint-Domingue Nachrichten über die Wiedereinführung der Sklaverei auf Guadeloupe durch die Truppen Richepance’ sowie über die Gesetze vom 20. Mai 1802. Erzürnt schrieb Leclerc seinem Vorgesetzten in Paris: Tous les Noirs sont persuadés par les lettres venues de France, par la loi qui rétablit la traite, par les arrêtés du général Richepance qui rétablit l’esclavage à la Guadeloupe, qu’on veut les rendre esclaves, et je ne puis obtenir le désarmement que par des combats longs et opiniâtres. Ces hommes ne veulent pas se rendre. Il faut avouer qu’à la veille d’avoir tout terminé ici, les circonstances politiques [. . . ] ont presque détruit mon ouvrage. Il ne faut plus compter sur la force morale que j’ai eue ici, elle est détruite. Les mauvaises mesures prises à l’extérieur ont tout détruit, ont soulevé les esprits. Alors il faut une armée et des fonds; sans cela, la propriété de Saint-Domingue est bien exposée2 .

Verstärkung und Geld aus Europa blieben aber Mangelware. Die Neuigkeiten aus Guadeloupe und Frankreich veranlassten stattdessen viele farbige Soldaten und Offiziere, aus den Reihen Leclercs zu desertieren. Derweil gingen seine Männer und die noch mit ihnen verbündeten farbigen Kolonialtruppen zu einer immer brutaleren Kriegsführung über, um den Widerstand der cultivateurs und Maroons Saint-Domingues zu brechen. Massenerschießungen, das summarische Erhängen von Verdächtigen, das massenweise Ertränken und selbst das Vergasen von Gefangenen in Schiffsrümpfen mithilfe von Schwefel waren an der Tagesordnung3 . Dieses Vorgehen hatte System, wie Leclerc kurz vor seinem Tod schrieb: Voici mon opinion sur ce pays. Il faut détruire tous les nègres des montagnes, hommes et femmes, ne garder que les enfants de 12 ans, détruire moitié de ceux de la plaine et ne pas laisser dans la colonie un seul homme de couleur qui ait porté l’épaulette. Sans cela jamais la colonie ne sera tranquille et au commencement de chaque année, surtout dans les saisons meurtrières comme celle-ci, vous aurez une guerre civile qui compromettra la possession du pays4 .

Wenige Wochen später starb der Schwager des Ersten Konsuls am Gelbfieber. Zu seinem Nachfolger wurde Rochambeau ernannt, der ehemalige Gouver2 3

4

Leclerc an Decrès, 6.8.1802, in: Roussier (Hg.), Lettres, S. 200. Zur entgrenzten Gewalt siehe Philippe R. Girard, French Atrocities during the Haitian War of Independence, in: Journal of Genocide Resarch 15 (2013), S. 133–149; Gainot, Sur fond de cruelle inhumanité. Leclerc an Bonaparte, 7.10.1802, in: Roussier (Hg.), Lettres, S. 256.

9. Das französische Imperium nach der haitianischen Revolution

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neur Martiniques, der die rücksichtslose Politik seines Vorgängers fortsetzte. Doch die Gewalt der französischen Truppen und der immer noch auf ihrer Seite kämpfenden farbigen Kolonialeinheiten verfehlte ihre intendierte Wirkung völlig: Immer größere Einheiten farbiger Kolonialtruppen – darunter auch die Truppen Dessalines’ und Christophes – wechselten die Seiten. Zwar entsandte Bonaparte im Winter 1802/03 noch einmal 10 200 Soldaten nach Saint-Domingue, um die Initiative in der Kolonie zurückzugewinnen. Doch die Gegenoffensive Rochambeaus im Frühjahr 1803 versandete wegen des Widerstands der Truppen Dessalines, der sich inzwischen zum Anführer des antifranzösischen Widerstandes aufgeschwungen hatte. Das Gelbfieber tat das seinige, um die Verstärkung aus Europa wie Schnee in der karibischen Sonne zusammenschmelzen zu lassen. Im Sommer 1803 kontrollierten die verbliebenen Truppen Rochambeaus nur noch einzelne Hafenstädte. Auf Hilfe aus Europa war nicht mehr zu hoffen. Die Träume von einem gewaltigen französischen Überseeimperium, das sich von Nordamerika über die Karibik bis Französisch-Guyana erstreckte, erwiesen sich als Chimäre. Bonapartes Verkauf Louisianas an die USA war denn auch ein deutlicher Fingerzeig, dass der Erste Konsul die einstige Perle der Antillen verloren glaubte5 . Der Wiederausbruch des Kriegs zwischen Großbritannien und Frankreich im Sommer 1803 verunmöglichte zudem die Entsendung weiterer Verstärkung, da die Royal Navy in der Folge die Häfen Saint-Domingues blockierte. Im November 1803, nachdem den Rebellen bei Vertières, einem Vorort von Le Cap, trotz fürchterlicher Verluste ein entscheidender Sieg gelungen war, kapitulierten die letzten Überreste des einst mächtigen französischen Expeditionskorps gegenüber der Royal Navy. Eine Kapitulation gegenüber Dessalines kam für Rochambeau selbstredend nicht in Frage, so dass Saint-Domingue in den Augen der französischen Regierung rein rechtlich weiterhin eine französische Kolonie blieb6 . Dies waren allerdings vor allem staatsrechtliche Ränkespiele, welche die Tragweite der Niederlage nicht verhehlen konnten. Der französische Versuch, die Sklaverei in Saint-Domingue wiedereinzuführen, hatte einen hohen Blutzoll gefordert: Allein die Leclerc-Expedition hatte 100 000 Haitianer und 50 000 französische Soldaten das Leben gekostet. Nur in der spanischen Hälfte der Insel Hispaniola harrte General Marie-Louis Ferrand mit einer Handvoll französischer Soldaten, die sich nach Santo Domingo durchgeschlagen hatten, weiter aus7 . 5 6 7

Girard, Rêves, S. 409. Zum Louisiana-Purchase siehe auch Robert D. Bush, The Louisiana Purchase. A Global History, New York 2014. Julia Gaffield, Haitian Connections in the Atlantic World. Recognition after Revolution, Chapel Hill 2015, S. 17f. Ibid., S. 18f. Zu Ferrands Herrschaft in Santo-Domingo siehe Nessler, An Islandwide Struggle, S. 136–184; Alain Yacou, L’ère de la France en Saint-Domingue espagnol. Le gouvernement du général Ferrand, in: Ders. (Hg.), Saint-Domingue espagnol et la révolution nègre d’Haïti (1790–1822). Commémoration du bicentenaire de la naissance de l’État d’Haïti (1804–2004), Paris 2007, S. 455–512.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

Trotz dieser letzten Bastion konnte nichts mehr darüber hinwegtäuschen, dass das französische Imperium die einst reichste Kolonie des Globus verloren hatte. Am 1. Januar 1804 erklärte Dessalines die Unabhängigkeit Saint-Domingues von Frankreich. Freilich sollte dies nicht gleichbedeutend mit einem Ende der gewaltsamen Konflikte in der ehemaligen Kolonie sein. Dessalines ließ nicht nur widerständische Maroon-Gruppen verfolgen, sondern auch all jene Gruppierungen ehemaliger Sklaven, die den Truppen Rochambeaus bis zuletzt treu geblieben waren. Insbesondere von den Plantagen flüchtende cultivateurs mussten mit dem Schlimmsten rechnen. Von einem Ende der auf Zwangsarbeit beruhenden Plantagenökonomie konnte keine Rede sein – Zwangsarbeit wurde in Haiti erst 1826 verboten, Formen von Schuldknechtschaft und Kindersklaverei (restavek) existieren bis heute. Statt im Besitz weißer Pflanzer waren die Zucker- und Kaffeeplantagen Haitis nach der Unabhängigkeit in den Händen der Offiziere Dessalines’. Letztere bereicherten sich so auf den Schultern ehemaliger Sklaven, die überdies die hohen Ausgaben für den Unterhalt eines gigantischen Militärapparates tragen mussten, denn die Anführer des diplomatisch isolierten Landes fürchteten über Jahre eine erneute französische Invasion. Jene weißen Franzosen, welche noch in der Kolonie weilten, ließ Dessalines im Frühjahr 1804 mit wenigen Ausnahmen ermorden. Diese Massaker sollten in den folgenden Jahrzehnten für alle Gegner der Abolition weltweit den Beweis liefern, dass die Abschaffung der Sklaverei den Tod zahlloser Weißer und völliges Chaos nach sich ziehen würde. In den Plänen Dessalines’ sollte die Ermordung mehrerer Tausend weißer Männer und Frauen allerdings nicht nur der Bereicherung ihrer Henker dienen, sondern auch der Stiftung einer gemeinsamen nationalen Identität, die auf der scharfen Abgrenzung der farbigen Haitianer von den Weißen beruhte. Geeint wurde Haiti dadurch mitnichten. Der latenten politischen Instabilität Haitis fiel bald auch Dessalines zum Opfer: Der selbsternannte Kaiser Haitis wurde bereits 1806 im Auftrag seines Nachfolgers, Christophe, ermordet. Letzterer konnte allerdings die vorläufige Spaltung des Landes in einen Nordteil unter seiner Kontrolle und einen Südteil unter der Herrschaft des Generals Alexandre Pétion nicht verhindern8 . Erst 1820 sollte Haiti unter der Führung des Generals Jean-Pierre Boyer wieder vereint werden und 1825 die Anerkennung seiner Unabhängigkeit durch Frankreich erreichen, indem es den ehemaligen Pflanzern eine Entschädigung astronomischer Höhe von 150 Millionen Franc bezahlte. Zwar wurde die Summe später auf 90 Millionen Franc reduziert, dennoch sollten diese finanziellen Verpflichtungen den karibischen Staat auf Jahrzehnte hinaus ruinieren. Grund dafür war unter anderem die Tatsache, dass die Reparationen durch Kredite bei französischen Banken

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Girard, The Slaves, S. 313–328, 343–347.

9. Das französische Imperium nach der haitianischen Revolution

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finanziert wurden. So fielen neben den eigentlichen Schuldrückzahlungen auch noch hohe Zinsen an. Noch 1947 machten die Reparations- und Zinszahlungen 80 Prozent des haitianischen Staatshaushaltes aus9 . In den Kleinen Antillen blieb die Furcht vor einem Übergreifen der Revolution auf das restliche französische Kolonialreich trotz der politischen Schwäche des jungen haitianischen Staates ein Leitthema10 . Es wird in diesem Teil der Studie zu diskutieren sein, wie real diese Gefahr tatsächlich war und inwiefern die Angst vor erneuten Sklavenaufständen von den Kolonialbehörden dazu instrumentalisiert wurde, repressive Maßnahmen gegen unliebsame Gesellschaftsgruppen zu verhängen und gleichzeitig zusätzliche militärische und finanzielle Mittel von der Regierung in Paris einzufordern. So stellt sich in diesem Teil der Analyse auch die Frage, wie die Wiedereinführung einer auf Sklaverei und Segregation beruhenden Gesellschaftsordnung auf Guadeloupe überhaupt vonstatten ging. War sie wirklich gleichbedeutend mit einer Rückkehr zum Ancien Régime, wenn doch die staatlichen Institutionen und ein Großteil der machthabenden Personen der Republik und später dem napoleonischen Kaiserreich verpflichtet blieben? Zudem hegten die kolonialen Eliten Martiniques und Guadeloupes kaum Vertrauen in das Pariser Regime und seine Abgesandten in den Kolonien. Hinter vorgehaltener Hand wurde sogar immer wieder eine erneute Abschaffung der Sklaverei diskutiert11 . Auch führende britische Regierungsmitglieder glaubten, dass diese jederzeit möglich sei12 . In Anbetracht des mangelnden Vertrauens in die staatlichen Behörden stand die Metropole vor dem Problem, wie Martinique und Guadeloupe wieder in das französische Imperium eingegliedert werden konnten. Wie sollten die beiden Kolonien künftig regiert werden? Die ersten Schritte illustrieren, dass Bonaparte wenig an den Partikularinteressen der Pflanzer gelegen war, während volkswirtschaftliche und militärische Überlegungen Priorität genossen. So zeigte die Wiedereinführung des exclusif mitigé, dass der Erste Konsul die Genesung des französischen Überseehandels und damit der Kriegsmarine höher wertete als die Wünsche der Pflanzer nach Freihandel13 . Ebenso wurden die kolonialen Eliten weitgehend von den politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Kolonialversammlungen, wie sie in den britischen Kolonien und zu Beginn der Französischen Revolution existierten, wurden nicht einberufen. In Bonapartes Augen sollte die Exekutive der einzige Repräsentant der Regierung sein. So beschränkten

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10 11 12 13

Laurent Dubois, Haiti. The Aftershocks of History, New York 2012, S. 93–134. Zu den haitianischen Entschädigungszahlungen siehe Gliech, Der Sklavenaufstand, S. 12f.; Dubois, Haiti, S. 7f. Fallope, Esclaves, S. 56. Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 315. Jenkins, Guadeloupe, S. 330. Erlass von Bonaparte, 23.6.1802, in: ANP, AD/VII/17, fol. 140.

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sich die Möglichkeiten der Kolonialeliten, die lokale Politik auf institutionellem Weg zu beeinflussen, auf die sogenannte cour d’appel, die nicht nur als Berufungsgericht diente, sondern auch die Machthaber der Kolonie in politischen Fragen beraten sollte. Freilich oblag es dem Gouverneur, die Kandidaten für die cour d’appel zu ernennen. Ihre Nominierung musste überdies von Paris genehmigt werden, was in Anbetracht der langen Kommunikationswege Monate dauern konnte14 . Der weitgehende Ausschluss kolonialer Eliten vom politischen Entscheidungsprozess ging unter napoleonischer Herrschaft schließlich Hand in Hand mit der fortgesetzten Stärkung staatlicher Institutionen. Beamte und Militärs dienten fortan dem Staat und nicht einem Lehensherrn wie im Ancien Régime15 . Aus den Auflösungserscheinungen des französischen Kolonialreiches gegen Ende des Direktoriums hatte Bonaparte nämlich den Schluss gezogen, dass sich das Imperium nur durch eine verstärkte Zentralisierung der Staatsgewalt unter Kontrolle lassen bringe16 . Die Stärkung der Zentralgewalt musste zwangsläufig mit den Interessen kolonialer Eliten kollidieren, deren Hauptziele weitgehende politische Autonomie und Selbstbestimmung blieben. Hinzu kam mangelndes Vertrauen – und zwar auf beiden Seiten. Bonaparte ernannte den in Paris weilenden Louis-François Dubuc – den Drahtzieher des Vertrags von Whitehall 1793 – zwar kurzerhand zum Deputierten Martiniques, setzte ihn und seine Mitstreiter aber gleichzeitig in Paris unter Hausarrest17 . Diese Maßnahme zeigt, dass entgegen dem bereits zitierten Gespräch zwischen Bonaparte und Vizeadmiral Truguet, in dem der Erste Konsul offen Position für das Verhalten der Pflanzer Martiniques während der Revolution bezogen hatte, Bonaparte durchaus seine Zweifel an der Loyalität der politischen Speerspitze der Plantagenbesitzer Martiniques hegte18 . Es war aber nicht nur das mangelnde Vertrauen in die Anführer der Pflanzer Martiniques und Guadeloupes, welches Paris dazu trieb, die politische Führungsriege der beiden Kolonien kalt zu stellen. Weitere innen- wie außenpolitische Überlegungen waren ebenso entscheidend. Dies verdeutlichen die Warnungen Decrès’, Dubucs Sohn keinesfalls einen Posten in der Kolonialverwaltung Guadeloupes zu verschaffen, den dieser in einer Bittschrift erbeten hatte. Zwar zweifelte Decrès nicht an dessen Fähigkei14

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Daney, Histoire, Bd. 6, S. 13; Nicolas, Histoire, Bd. 1, S. 290; Liliane Chauleau, Dans les Îles du Vent. La Martinique (XVIIe –XIXe siècle), Paris 1993, S. 203–208; Gainot, L’Empire, S. 191f. Alan Forrest, Napoleon, London 2011, S. 159–180. Broers, Napoleon, S. 383f. Bonaparte an Decrès, 3.7.1802, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S. 1015f. Daney, Histoire, Bd. 6, S. 89, schrieb zu Dubucs Position in Paris: »[Bonaparte] lui témoigna la plus grande froideur et le tint dans une espèce de disgrâce pendant assez longtemps«. Thibaudeau, Mémoires, S. 116–121.

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ten, doch fürchtete er, dass seine Ernennung innen- wie außenpolitisch unklug sei. Dubucs Name sei derart mit dem Verrat Martiniques an die Briten 1793/94 verbunden, dass die »malveillants ne manqueraient pas de proclamer le même danger pour la Guadeloupe«19 . Nur zu gut kannte Decrès die Haltung der Pflanzer Martiniques zur Metropole: Il ne faut pas se dissimuler que le plus grand de tous les intérêts pour les planteurs de la Martinique, c’est le maintien de l’esclavage des Noirs. Ils en sont assurés sous le régime britannique; ils ne le seraient pas sous le régime français, quelque garantie qu’on leur en donnât; ils auraient, du moins, des insurrections toujours à craindre, et l’exemple de la Guadeloupe, le voisinage des terres de la liberté les tiendraient dans une appréhension perpétuelle20 .

Die Entscheidungsträger in der Metropole waren sich also durchaus bewusst, dass sich der Graben, den Abolition und Terreur 1794 zwischen Paris und den lokalen Kolonialeliten aufgerissen hatten, nie mehr vollständig überbrücken ließ. Das bonapartistische Regime stand in den Augen der Pflanzer in einer direkten Entwicklungslinie mit der Republik, die für die Kolonisten wiederum untrennbar mit Abolition und Terreur verbunden blieb. Ihre Abneigung gegenüber der neuen Regierung in Paris war deshalb keineswegs nur den ökonomischen Schwierigkeiten infolge der Blockade der Kolonien geschuldet, wie dies Bernard Gainot behauptet hat21 , sondern wurzelte spätestens seit der Unterzeichnung des Vertrags von Whitehall 1793 auch im konfliktträchtigen Verhältnis zwischen den kolonialen Eliten, der Metropole und deren Repräsentanten vor Ort. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Agenten der Metropole das Vertrauen der lokalen Eliten in die Institutionen der Republik und des späteren Kaiserreichs zurückgewinnen konnten. Immerhin ging es nach der haitianischen Unabhängigkeit für die Metropole darum, die letzten Außenposten des französischen Überseeimperiums gegen den geostrategischen Erzfeind Großbritannien zu verteidigen. Der strategische Wert der französischen Kolonien in der Karibik als Einfallstor in die Amerikas blieb unvermindert, zumal nun auch der wichtige Marinestützpunkt Martinique mit seinen gewaltigen Befestigungsanlagen wieder unter französischer Kontrolle stand. Doch um diese Kolonien zu verteidigen und ihren strategischen Wert auszuschöpfen, waren ihre Machthaber auf die Loyalität der kolonialen Eliten angewiesen, denen mit dem Britischen Empire nach wie vor eine Alternative zur französischen Herrschaft offen stand. Die Kolonialbehörden waren nach Wiedereinführung der Sklaverei ebenfalls auf Gedeih und Verderb von der Unterstützung der weißen Eliten abhängig – eine politische Alternative hatten sie nicht mehr. Der Krieg zwischen den beiden Imperien tat das Seinige, die Aufgabe der Ko19 20 21

[Decrès] an Bonaparte, [?].10.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 36. Ibid. Gainot, L’Empire, S. 191.

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lonialbehörden zu erschweren, gefährdete doch der entgrenzte Kleinkrieg den Erhalt einer auf Sklaverei beruhenden Plantagenökonomie. Wie ließen sich die Geister, welche die Revolutionskriege in den Kleinen Antillen geweckt hatten, wieder bannen, wenn gerade die französischen Militärs weitgehend von der Mobilisierung lokaler Ressourcen abhängig waren, um gegen die überlegenen britischen Kräfte zu bestehen? Die Untersuchung dieser Probleme soll im Zentrum des dritten und letzten Teils der Studie stehen.

10. Brüche und Kontinuitäten: Guadeloupe, 1802–1809 Im Frühjahr 1803, als sich die Anzeichen verdichteten, dass der globale Krieg zwischen dem Britischen Empire und Frankreich in eine zweite Runde gehen würde, entschied sich Bonaparte, Divisionsgeneral Jean-Augustin Ernouf zum Gouverneur Guadeloupes zu ernennen. Über die Hintergründe dieser Neubesetzung ist wenig bekannt. Die spärlichen Zeugnisse legen den Schluss nahe, dass Lacrosse selbst um seine Abberufung gebeten hatte1 . Lacrosse – ohnehin nur eine Notlösung nach dem Tod von Richepance – schien in den Augen Decrès’ unfähig, die schwierige innenpolitische Lage der Kolonie in den Griff zu bekommen2 . In Anbetracht eines drohenden Wiederausbruchs des Kriegs war es ratsam, den Gouverneursposten Guadeloupes einem erfahrenen Militär anzuvertrauen, zumal die kümmerlichen Reste der ehemaligen Kolonialarmee der Kolonie im Landesinnern weiterhin erbitterten Widerstand gegen die neuen Machthaber leisteten. Ernouf galt vor allem als hervorragender Organisator und Logistiker. Derartige Fähigkeiten waren in Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen Lage Guadeloupes besonders gefragt. Politisch war er dem moderaten republikanischen Flügel zuzuordnen und hatte nach dem 18. Brumaire keine Schwierigkeiten, sich der neuen Ordnung zu unterwerfen. Entscheidend für die Wahl Ernoufs zum Gouverneur dürfte schließlich die Tatsache gewesen sein, dass er in kolonialpolitischen Fragen ein Außenseiter war3 . Deshalb stand aus Pariser Sicht zu hoffen, dass er sich nicht auf die anhaltenden Fraktionskämpfe in Guadeloupe einlassen und die Kolonie politisch wie auch ökonomisch auf den Krieg vorbereiten würde. Dementsprechend instruierte Decrès Ernouf vor dessen Abreise nur dahingehend, dass er bei Ankunft in der Kolonie mit dem Wiederausbruch des Kriegs rechnen müsse4 .

1 2

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Lacrosse an Decrès, 16.10.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 119. Decrès an Bonaparte, 3.6.1803, in: ANOM, C7A 82, fol. 81; [Decrès] an Bonaparte, [?].10.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 36. Vgl. auch Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 164. Six, Dictionnaire, Bd. 1, S. 425f.; Dictionnaire de biographie française, Bd. 12, S. 1397f.; Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 3. Decrès an Ernouf (Entwurf), o. D. [1803], in: ADG, 1L 51.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-011

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Guadeloupe: eine Kolonie in Ruinen? Eine Momentaufnahme Am 8. Mai 1803 traf Ernouf auf der Fregatte Surveillante (36) in Basse-Terre ein und übernahm die Amtsgeschäfte von Lacrosse5 . Zur gleichen Zeit verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Großbritannien und Frankreich in Europa rapide, so dass Decrès am 9. Mai 1803 – bereits acht Tage vor der britischen Kriegserklärung – Ernouf anwies, sich mit dem Gouverneur Martiniques über eine gemeinsame Verteidigungsstrategie zu verständigen. Ferner kündigte der Marine- und Kolonialminister an, dass bald Verstärkung in die Karibik entsandt würde und schloss das Schreiben mit der großspurigen Ankündigung: »Une nouvelle carrière de gloire, citoyen général, vous est ouverte«6 . Was Ernouf in Guadeloupe vorfand, ließ jedoch nicht darauf schließen, dass dem Gouverneur eine ruhmvolle Karriere bevorstand: Die Kolonialregierung war bankrott. Seit vier Monaten warteten die Soldaten der ausgebluteten Garnison auf ihren Sold, weshalb sich disziplinarische Probleme häuften. Mehrere Offiziere wurden gleich nach Ernoufs Amtsantritt nach Saint-Domingue strafversetzt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie sich mehr um ihre privaten Geschäfte gekümmert hatten als um die Disziplin der Truppe. Der neue Gouverneur ersetzte sie mit jungen, ihm verpflichteten Offizieren. Die 300 Soldaten, die mit Ernouf auf der Surveillante nach Guadeloupe entsandt worden waren, brachten kaum Besserung. Gemäß dem Bericht Ernoufs handelte es sich bei der Hälfte von ihnen um verurteilte Verbrecher, »qui ont commis nombreux vols à bord de la frégate«. Innenpolitisch lagen die Dinge kaum besser. Die Kontributionen seines Vorgängers zulasten der Kaufleute und Pflanzer der Kolonie hatten für erhebliche Unruhe gesorgt. Und weil die versprochenen Finanzspritzen aus Paris ausblieben, war nicht abzusehen, auf welche anderen finanziellen Ressourcen Ernouf fortan hätte zurückgreifen können7 . Immer wieder beschwerte sich der Gouverneur in den kommenden Monaten, dass die versprochenen Zuschüsse ausblieben8 . Um die Ausgaben für Sold und Ausrüstung der Garnison zu decken, ging er deshalb dazu über, Wechsel zulasten der Staatskasse in Paris auszustellen, obwohl dies strengstens un5 6 7

8

Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 1–3. Decrès an Ernouf, 9.5.1803, in: ANOM, C7A 60, fol. 225. Ernouf, Observations sur la conduite du capitaine général à la Guadeloupe et celle du général Ambert son lieutenant général et commandant des troupes, 22.8.1811, in: ANPS, 185AP/3; Ernouf an Decrès, 11.5.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 143 (Zitat); Ernouf an Decrès, 20.1.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 17; Ernouf an Decrès, o. D [1803], in: ANOM, C7A 61, fol. 77; de Colgliano/Chasseloup/Éblé, Rapport sur la capitulation de la Guadeloupe, des Saintes et de Marie-Galante, 15.2.1812, in: ANOM, C7A 70, fol. 167. Ernouf an Decrès, o. D. [1803], in: ANOM, C7A 59, fol. 145; Ernouf an Decrès, 20.1.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 17.

10. Brüche und Kontinuitäten: Guadeloupe

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tersagt war. Zudem sistierte er die Rückzahlung aufgelaufener Schulden der Kolonialregierung, was deren zahlreiche Kreditoren verärgerte. Diese Maßnahmen wurden laut Ernouf umso dringender, als sich die Anzeichen für eine Meuterei in der Garnison Guadeloupes verdichteten9 . Freilich waren die ausgestellten Wechsel kein Allheilmittel, weil den Kaufleuten das Vertrauen in die Papiere fehlte, so dass viele dazu übergingen, die Armee nur noch gegen Barzahlung zu beliefern10 . Doch Bargeld fehlte an allen Ecken und Enden, weil die britische Blockade der Kolonie den Handel und damit die Geldzirkulation lähmte11 . Als Paris endlich die Geldschleusen öffnete und der Kolonialregierung Guadeloupes einen Betrag von 900 000 Livre überschrieb, konnte Ernouf seinen Ärger kaum verheimlichen. Statt den Betrag in bar auszubezahlen, wurden lediglich Wechsel in der genannten Höhe ausgestellt, so dass die vermeintliche Hilfe aus Europa weitgehend wertlos war, wie der Gouverneur an Decrès schrieb: »La confiance est nulle ici pour ces traites, la classe des négociants ne veut que de l’argent«12 . Damit hing die Finanzierung der Garnison Guadeloupes weiterhin in der Schwebe, weshalb es fraglich blieb, ob im Krisenfall auf die Truppen Verlass sein würde13 . Eine gewisse Entlastung für die angespannte finanzielle Situation der Kolonie brachte der Verkauf der während der Revolutionskriege durch die Korsaren Guadeloupes erbeuteten Sklaven. So waren 1323 afrikanische Sklaven anlässlich der Wiedereinführung der Sklaverei in Staatsbesitz übergegangen und wurden nun zu Marktpreisen den Pflanzern Guadeloupes verkauft14 . Die Einnahmen aus dem Verkauf waren jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Um die klaffenden Finanzlöcher zu stopfen, ging Ernouf schließlich dazu über, die Steuern zu erhöhen. Diese Maßnahme zeitigte aber kaum Erfolg; die daraus resultierenden Einnahmen blieben weit hinter den erforderlichen Summen zurück. Der Grund hierfür lag in der schlichten Unfähigkeit der Kolonisten, die eingeforderten Beträge aufzubringen. Die ohnehin überschuldeten Pflanzer – insbesondere jene, welche in den Jahren der Emigration verarmt waren – hatten ihr letztes Hemd für die Wiederinstandsetzung ihrer Plantagen und den Kauf neuer Sklaven gegeben und hierfür Kredite bei den Kaufleuten aufgenommen, deren Zinsen sie kaum zahlen konnten. Infolgedessen wiederum waren die Kaufleute äußerst vorsichtig mit der Kreditvergabe, was die wirtschaftliche Genesung der Kolonie 9 10 11 12 13 14

Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 11f.; Ernouf an Decrès, 1.7.1803, in: ANOM, 2400COL/73; Prevost an Hobart, 20.10.1803, in: TNA, CO 71/36. Ernouf an Decrès, 30.4.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 88. Ernouf an Decrès, 20.1.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 17; Ernouf an Decrès, 1.7.1804, in: ANOM, C7A 59, fol. 142. Ernouf an Decrès, 28.2.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 77; Ernouf an Decrès, 30.4.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 88. Ernouf an Decrès, o. D. [1803], in: ANOM, C7A 59, fol. 145. Régent, Esclavage, S. 430; Lescallier, Procès-verbaux d’estimation des Noirs appartenant à l’État, in: ANOM, C7A 81.

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weiter lähmte. Von der Kreditklemme waren insbesondere die Besitzer der Plantagen auf der Halbinsel Basse-Terre betroffen, deren Güter im Zuge der Kampfhandlungen der Richepance-Expedition zerstört worden waren und die deshalb besonders hohe Ausgaben tätigen mussten. Schließlich waren die Steuererhebungen ein politisches Eigentor, brachten sie doch die örtlichen Eliten nur unnötig gegen die Kolonialregierung auf, nachdem den säumigen Steuerzahlern gar Gefängnisstrafen angedroht wurden, falls sie die ausstehenden Schulden nicht zurückzahlen würden. Diese Politik wog umso schwerer, als sie der anglophilen Partei unter den Pflanzern, insbesondere den zurückgekehrten émigrés auf der Halbinsel Grande-Terre, wieder Auftrieb verlieh. In den Augen der Kolonisten illustrierte der staatliche Versuch, die ausstehenden Steuern rücksichtslos einzutreiben, dass die Abgesandten aus Paris die Interessen des Staates höher gewichteten als diejenigen der Kolonisten15 . Ernouf war sich der politischen Sprengkraft seiner Steuerpolitik durchaus bewusst, weshalb er die politische Verantwortung auf den ohnehin unbeliebten Kolonialpräfekten Daniel Lescallier abschob. Anfang Oktober 1803 drängte der Gouverneur deshalb – vordergründig aus gesundheitlichen Gründen – Lescallier zur Aufgabe seines Amtes, um sich öffentlich von dessen rücksichtslosen Steuerpolitik zu distanzieren, ohne sie aber aufzugeben16 . Erst im Februar 1805 ernannte Napoleon François-Marie Périchou de Kerversau zum Nachfolger Lescalliers. Kerversau war dank seiner langen Karriere in Saint-Domingue ein profunder Kenner des französischen Kolonialreichs und galt in Regierungskreisen als loyaler Pragmatiker17 . Abgesehen vom innenpolitischen Totalschaden infolge von Ernoufs Steuerpolitik und den daraus resultierenden finanziellen Schwierigkeiten, tat das Gelbfieber einmal mehr sein Übriges, um den Gouverneur in eine brenzlige Lage zu bringen. Von den 300 Soldaten, welche die Pariser Behörden kurz vor Kriegsausbruch als Verstärkung nach Guadeloupe entsandt hatten, lebten acht Monate später gerade noch vier18 . Nicht nur unter den Neuankömmlingen aus Europa grassierte die Krankheit, auch unter den vermeintlich akklimatisierten Truppen wütete sie unerbittlich: Im Sommer 1804 verfügte Ernouf noch über 15

16

17 18

Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 12f.; Roustagnenq an Decrès, 30.5.1804, in: ANOM, C7A 62, fol. 78; Ernouf an Decrès, o. D. [1803], in: ANOM, C7A 59, fol. 145; Ernouf an Decrès, 1.7.1804, in: ANOM, C7A 59, fol. 142; Ernouf an Decrès, 28.2.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 77. Ernouf an Decrès, 18.1.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 16; Lescallier, Compte rendu par le conseiller d’État Lescallier, de sa mission qu’il a eu du Premier consul en l’an XI comme préfet de la Guadeloupe, et des motifs de son retour auprès de Sa Majesté Impériale & Royale, 22.4.1804, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 19; Lescallier an Decrès, 24.4.1806, in: ANOM, EE 1279/3, fol. 201; Jugement contre Ernouf, Mallespine, Madier, Faujas, 8.5.1813, in: ANPS, 185AP/3. Vgl. Girard, The Slaves, S. 37–39; Six, Dictionnaire, Bd. 2, S. 6; Dictionnaire de biographie française, Bd. 18, S. 1165f. Ernouf an Decrès, 20.1.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 17.

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2644 Mann, wovon 400 auf der kleinen Inselgruppe Les Saintes stationiert und 442 krankgeschrieben waren. Ein halbes Jahr später zählte die Garnison gerade noch 1800 Mann – und dies ohne nennenswerte Verluste durch Kampfhandlungen. Das Gelbfieber forderte laut Ernouf einen derart hohen Tribut an Menschenleben, dass er es für unmöglich hielt, die Halbinsel Grande-Terre im Falle eines britischen Angriffs zu verteidigen. Es war aber nicht nur das Fieber, das die Garnison dezimierte, sondern auch die hohen Desertionsraten. Um sich dem Zugriff der Kolonialbehörden zu entziehen, nutzten die Soldaten Guadeloupes jede sich ihnen bietende Gelegenheit, sich auf die neutralen Inseln abzusetzen19 . Erschwerend kam hinzu, dass Schiffe aus Frankreich, die Verstärkung und Nachschub brachten, meist erst in Martinique Halt machten, weil die Bucht von Fort-de-France der französischen Kriegsmarine größeren Schutz bot als die Häfen Guadeloupes. Die Behörden Martiniques ließen sich solche Gelegenheiten selbstredend nicht entgehen und hielten die für Guadeloupe bestimmten Soldaten und Nachschubgüter für sich zurück. Infolgedessen erhielt Guadeloupe nur einen kleinen Teil der ohnehin spärlichen Verstärkung aus Europa20 . Der skizzierte Mangel an finanziellen, materiellen und militärischen Ressourcen blieb das innenpolitische Leitthema der Administration Ernoufs bis zur Eroberung Guadeloupes durch britische Streitkräfte im Jahr 1810. Der Kampf um knappe Güter führte nicht nur zu einer zeitweiligen Wiederauferstehung der Kaperei und der ihr inhärenten Beuteökonomie, sondern bestimmte auch entscheidend das Verhältnis zwischen Ernoufs Kolonialstaat und den kolonialen Eliten.

Segregationspolitik nach der Wiedereinführung der Sklaverei Immerhin gelang es Ernouf mittels eines Amnestieangebots, den Anführer der Rebellen, Palerme, zur Aufgabe zu bewegen. Der Rebellenführer durfte die Kolonie mit einigen seiner Offiziere unbehelligt in Richtung USA verlassen; der Rest seiner Gefolgsleute wurde ihren einstigen Besitzern zurückgegeben und versklavt21 . Ein Großteil der ehemaligen Kolonialarmee Guadeloupes antwortete jedoch nicht auf das Amnestieangebot des Gouverneurs, weshalb die Terrorpolitik von Lacrosse auch unter Ernouf ihre Fortsetzung fand. Die französischen Linientruppen, Vermonts chasseurs des bois und die Na19 20

21

Ernouf an [?], o. D. [1804], in: ANOM, C7A 63, fol. 230. Ibid.; Ernouf an Decrès, 1.7.1803, in: ANOM, 2400COL/73; Villaret-Joyeuse an Lacrosse (Kopie), 26.9.1802, in: ANOM, C8A 116, fol. 32; Ernouf an [?], o. D. [1804], in: ANOM, C7A 63, fol. 230. Pélage u. a., Mémoire, Bd. 1, S. 315.

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tionalgarde ließen systematisch gefangene Rebellen und Maroons auf den Plantagen der Kolonie im Beisein der dortigen Sklaven bei lebendigem Leibe verbrennen22 . Vor dem Hintergrund der Kapitulation Rochambeaus auf Saint-Domingue glaubte Ernouf, sein Terrorregime gegenüber Paris nicht weiter begründen zu müssen: Il n’y existe maintenant aucun nègre créole qui n’ait appris les succès que Dessalines a remportés sur les Blancs. J’ai arrêté dès le principe plusieurs insurrections. J’ai fait punir de mort les propagandistes de St-Domingue, mais le peu des forces qui me restent sont insuffisantes pour la surveillance active qu’il faut exercer afin d’empêcher l’abord de côtes aux envoyés des brigands et s’oppose en même temps à la désertion des nègres des ateliers qui trouvent les moyens de s’embarquer sur les Îles neutres et de là pour St-Domingue. Je reçois journellement des avis sur la fermentation sourde qui règne dans les ateliers et je suis persuadé que si j’étais attaqué à l’extérieur, j’aurais en même temps à me défendre de l’intérieur. [. . . ] Les nègres ne peuvent être contenus que par la terreur et lorsqu’ils nous verront hors d’état de leur en inspirer, ils lèveront le masque23 .

Die Sklaven Guadeloupes planten angeblich, die Plantagen der Kolonie niederzubrennen und hätten bereits zahlreiche Pflanzer, Nutztiere und »nègres qui leur étaient suspects par leur attachement aux Blancs« vergiftet24 . Am 5. Mai 1804, anlässlich der Ankunft der beiden Fregatten Didon (40) und Cybèle (36) in Pointe-à-Pitre, scharte tatsächlich ein ehemaliger Soldat der alten Kolonialarmee Guadeloupes namens Scipion außerhalb der Stadt rund 300 Sklaven um sich und verkündete, dass sich in Frankreich ein politischer Umsturz ereignet habe. Die Kommissare Hugues und Pélage seien mit frischen Truppen aus Frankreich eingetroffen und von einer neuen französischen Regierung beauftragt worden, »de donner, comme en 93, la liberté aux nègres«. Zudem hatte gemäß Ernouf ein schwedisches Handelsschiff bei Gosier sechs Schwarze aus Haiti an Land gebracht, die sich den aufrührerischen Sklaven angeschlossen hatten25 . Hintergrund der Behauptung Scipions waren die Berichte im »Moniteur« und der amerikanischen Presse über die Verschwörung Cadoudals, des Anführers der Rebellen aus der Vendée, und der Generälen Pichegru und Moreau, die angeblich darauf abzielte, die Bourbonen wieder an die Macht zu bringen26 . Ernouf griff mit aller Härte durch: Er ließ die Sklaven festnehmen, ihre Anführer töten und deren aufgespießte Köpfe öffentlich zur Schau stellen. Nur Scipion und einige wenige andere Anführer konnten auf französischen Kaperschiffen in die neutralen Kolonien entkommen27 . 22 23 24 25

26 27

Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 53–57. Ernouf an Decrès, 14.1.1804, in: ANOM, C7A 64, fol. 6. Ibid. Léo Élisabeth, Les relations entre les Petites Antilles françaises et Haïti. De la politique du refoulement à la résignation (1804–1825), in: Outre-mers. Revue d’histoire 183 (2003), S. 177–206, hier S. 182. Ibid. Ernouf an [?], o. D. [1804], in: ANOM, C7A 63, fol. 230.

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Ob die Kolonie aber tatsächlich kurz vor einem Sklavenaufstand stand, wie dies Ernouf den Marine- und Kolonialminister glauben machen wollte, muss mangels zuverlässiger Berichte aus der Feder anderer Zeitgenossen offen bleiben. Justizkommissar Antoine-René Bertolio räumte in einem Schreiben an Decrès jedenfalls ein, dass es sich bei der angeblichen Einschleusung von Aufrührern aus Haiti nach Guadeloupe nur um Gerüchte gehandelt habe28 . Die ausufernde Bedienung rassistischer Stereotype und wiederholten Mahnungen des Gouverneurs, wonach die eigenen Kräfte nicht ausreichten, lassen darauf schließen, dass er die Furcht der Pariser Behörden vor einem weiteren Sklavenaufstand nur als Vorwand nutzte, um die Entsendung von Verstärkung einzufordern. Dies gilt auch für den Bericht Ernoufs über den Sklavenaufstand Scipions. Weshalb eine wieder an die Macht gelangte Bourbonenmonarchie die Sklaverei im französischen Kolonialreich erneut hätte abschaffen sollen, bleibt völlig rätselhaft. Zudem dürfte den Sklaven Guadeloupes bekannt gewesen sein, dass sich Pélage 1802 den Truppen Richepance’ angeschlossen und Hugues im selben Jahr die Sklaverei in Französisch-Guyana wiedereingeführt hatte. Es ist deshalb naheliegend, Ernoufs aufgebauschte Berichte über tatsächliche und angebliche Sklavenkomplotte als dilettantischen Versuch zu interpretieren, die Aufmerksamkeit der Pariser Behörden zu erlangen. Die angebliche Verbindung von Scipions Aufstand zum Putschversuch in Paris diente so gesehen nur dazu, Ernoufs Loyalität zum napoleonischen Regime unter Beweis zu stellen29 . Der Gouverneur mag die Pariser Behörden über das wahre Ausmaß der Agitation unter den Sklaven getäuscht haben, die unerbittliche Verfolgung der letzten Rebellen der alten Kolonialarmee Guadeloupes hielt derweil unvermindert an. Bald erwuchs aber Widerstand gegen das wahllose Morden von Ernoufs Menschenjägern. Die Besitzer entlaufener Sklaven hofften auf die Rückkehr ihrer einstigen Sklaven auf die Plantagen und nicht, deren verkohlte Überreste auf den zahlreichen Scheiterhaufen der Kolonie wiederzufinden. Mit Erfolg setzten sie sich deshalb gegen die Terrorpolitik des Gouverneurs zur Wehr, so dass aufgegriffene Maroons nicht mehr getötet, sondern ihren Besitzern zurückgegeben wurden. Gegen dieverbliebenen Rebellen imLandesinneren gingErnoufs Terrorwellehingegen unvermindertweiter.Allerdings gelanges seinen Truppen erstEnde 1805, den letzten Rebellenchef, Fourne, ausfindig zu machen, nachdem einer seiner Vertrauten den Kolonialbehörden die Position seines Verstecks verraten hatte.Nach einerdreiwöchigen FluchtfielFourneseinen Häschern in dieHände undwurdezumToddurch Erhängen verurteilt.ZurÜberraschungderKolonisten begnadigte Ernouf ihn jedoch und nahm den ehemaligen Rebellen in seine Dienste. Aufgrund seiner profunden Kenntnisse des gebirgigen Landesinne-

28 29

Élisabeth, Les relations, S. 183. Ernouf an [?], o. D. [1804], in: ANOM, C7A 63, fol. 230.

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ren Guadeloupes wurde Fourne fortan bei den chasseurs des bois eingesetzt30 . So wurde aus einem Gejagten ein Jäger. In seiner neuen Rolle zeichnete er sich wiederholt aus und rettete laut Ernouf in Gefechten vielen Weißen, unter anderem dem Chef der chasseurs des bois, Vermont, das Leben31 . Fournes Rollenwechsel war in vielerlei Hinsicht typisch für das Schicksal zahlreicher freier Farbiger Guadeloupes. Wer den Massakern und Deportationen der Richepance-Expedition entkommen konnte, ordnete sich meist notgedrungen den neuen Machtverhältnissen unter. Dabei versuchten sie, die sich ihnen bietenden Handlungsspielräume so gut wie möglich auszunutzen32 . So taten viele unter ihnen erneut Dienst in der Nationalgarde, wie die Kolonialmilizen nun genannt wurden. In diesen Einheiten waren sie hauptsächlich an der Jagd auf die Rebellen beteiligt33 . Ihre rechtliche Situation hing jedoch auch nach der Wiedereinführung der Sklaverei oft in der Schwebe. Obwohl Ernouf die Rückkehr zum code noir gleich nach seinem Amtsantritt im Mai 1803 durch ein Rundschreiben rechtlich besiegelt hatte, blieb deren Umsetzung lückenhaft34 . Die Überprüfung der Freiheitspatente zur Eruierung des rechtlichen Status farbiger Personen vor 1789 stellte sich als schwieriger heraus, als zunächst angenommen. Die vielen Freilassungen in der Dekade vor der Abschaffung der Sklaverei 1794 ließen sich aufgrund des bürokratischen Chaos jener Zeit kaum mehr notariell nachprüfen. Zudem lebten in der Kolonie zahlreiche ehemalige Sklaven, deren Besitzer nie aus der Emigration zurückgekehrt waren. Aufgrund des unklaren Rechtsstatus dieser Menschen wurden sie »ni libres ni esclaves« genannt35 . Im Oktober 1803 unterrichtete Bertolio schließlich die Pariser Behörden über die vielfältigen Schwierigkeiten bei der Überprüfung der Freiheitspatente: Des esclaves profitant du désordre absolu qui avait régné dans cette colonie se prétendaient libres ou de naissance ou par affranchissement, des étrangers de cette classe s’introduisaient dans l’Île avec des semblables prétentions et tous ensemble s’efforçaient d’usurper les droits civils et de détruire le régime colonial36 .

Erst durch die Nachsicht der Behörden und Notare seien viele freie Farbige und Sklaven in den Genuss von Freiheitspatenten gekommen, die ihnen gar nicht zugestanden hätten. Dies war nur die halbe Wahrheit. Viele der zur Diskussion stehenden Farbigen waren mit den lokalen Verhältnissen bestens vertraut und konnten deshalb ihre persönlichen Netzwerke nutzen, um an 30

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Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 57–60; Ernouf, Observations sur la conduite du capitaine général à la Guadeloupe et celle du général Ambert son lieutenant général et commandant des troupes, 22.8.1811, in: ANPS, 185AP/3. Mémoire de défense d’Ernouf sur divers chefs d’accusation, o. D. [1813], in: ADG, 1J6/7. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 65–68. Nessler, An Islandwide Struggle, S. 168–184, kommt mit Blick auf Santo-Domingo auf ähnliche Resultate. Situation de la garde nationale de la Guadeloupe, 1.6.1804, in: ANOM, C7A 64, fol. 255. Régent, Esclavage, S. 432f. Kerversau an Decrès, 25.1.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 77. Bertolio an Decrès, 29.10.1803, in: ANOM, C7A 60, fol. 175.

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die erforderlichen Freiheitspatente zu gelangen. Zudem ist davon auszugehen, dass viele Notare und Beamte gegen ein entsprechendes Entgelt Freiheitspatente fälschten, was erklären würde, warum zahlreiche Farbige aus fremden Kolonien eigens nach Guadeloupe reisten, um an die ersehnten Papiere zu gelangen. Zwar kündigte Bertolio ein scharfes Vorgehen gegen diese Missbräuche an, doch dauerten die Schwierigkeiten der Kolonialbehörden bei der Überprüfung der Freiheitspatente an37 . Vor dem Hintergrund der finanziellen Misere der Kolonialregierung versuchten Kerversau und Ernouf den größtmöglichen Profit aus der Situation zu ziehen, indem sie den ni libres ni esclaves Freiheitspatente verkauften. Freilich konnten längst nicht alle unter ihnen den hohen Preis für diese Papiere bezahlen. Jene freien Farbigen, welchen die dazu nötigen finanziellen Mittel fehlten, konnten die ersehnten Urkunden durch einen zweijährigen Arbeitsdienst unter der Ägide des Kolonialstaates erwerben, wo sie vor allem Befestigungsund Schanzarbeiten zu verrichten hatten38 . Politisch war diese Maßnahme keineswegs unumstritten, da damit die finanziell angeschlagene Kolonialregierung mittels öffentlicher Gelder für die Verpflegung dieser Menschen aufkommen musste. Freilich wäre es politisch unklug gewesen, diese Personen einfach wieder in die Sklaverei zu verbannen, wie Kerversau im Januar 1806 dem Marine- und Kolonialminister mitteilte. Unter ihnen seien nämlich viele, »[qui] ont servi contre les rebelles et ont obtenu du général Lacrosse des promesses d’affranchissement auxquelles la justice & la foi publique nous obligent d’avoir beaucoup d’égards«39 . Die Frage, wie mit diesen ehemaligen Soldaten umgegangen werden sollte, tangierte in den Augen der Kolonialregierung also auch die Glaubwürdigkeit des Regimes. Loyalität zu den kolonialstaatlichen Institutionen musste in Kriegszeiten belohnt werden. Farbigen Soldaten und Offizieren der ehemaligen Kolonialarmee Guadeloupes wurden deshalb insbesondere dann die Freiheitspatente nachträglich ausgestellt, wenn sie beweisen konnten, dass sie in den 1790er Jahren gegen die britischen Streitkräfte gekämpft und sich bei der Ankunft der Richepance-Expedition den metropolitanen Truppen angeschlossen hatten40 . Freilich galt die Sorge des Kolonialpräfekten Kerversau nicht nur der Glaubwürdigkeit des Regimes, sondern auch dessen schwieriger Finanzlage. Es waren nicht nur ehemalige Soldaten, deren rechtlicher Status in der Schwebe hing, sondern auch viele Betagte, Frauen und Kinder, »que la colonie tirait beaucoup moins d’avantages de leur travail«. Ihre Ernährung 37

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Bertolio, Circulaire aux tribunaux, notaires, avoués, commissaires des quartiers; et à tous les fonctionnaires publics attachés à l’ordre judiciaire, 2.8.1803, in: ANOM, C7A 59, fol. 270. Kerversau, De l’administration civile de la Guadeloupe depuis l’arrivée du général Richepanse jusqu’à la prise de cette colonie par les Anglais, en février 1810, o. D., in: ANOM, C7A 70, fol. 38. Kerversau an Decrès, 25.1.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 77. Pérotin-Dumon, La ville, S. 687.

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stellte gemäß Kerversau nur eine Belastung für die ohnehin strapazierte Kolonialkasse dar, weshalb sie vom Arbeitsdienst befreit und kurzerhand für frei erklärt wurden41 . Dies änderte jedoch kaum etwas an der Unfähigkeit der Kolonialbehörden, den rechtlichen Status der ni esclaves ni libres zu bestimmen – der Macht des Kolonialstaates waren enge Grenzen gesetzt. Bezeichnend dafür ist auch, dass wir keinerlei Anhaltspunkte haben, um wie viele Personen es sich eigentlich gehandelt hat. Wenn Josette Fallope von einer »énorme population«42 dieser ni libres ni esclaves spricht, so entspringt diese Aussage reiner Spekulation. Selbst zwei Jahre nach der Niederschlagung des Aufstandes von Delgrès sahen sich die Kolonialbehörden nicht in der Lage, einen verlässlichen Zensus in der Kolonie durchzuführen43 . Ihre zahlreichen Verbote, um den grassierenden Handel mit Freiheitspatenten einzuhegen, belegen ihre Ohnmacht in dieser Frage. Sie illustrieren aber auch, dass es größere Handlungsspielräume für die betroffenen Menschen gab, als die zahlreichen repressiven Maßnahmen auf den ersten Blick vermuten lassen44 . Als Kerversau schließlich anordnete, dass die behördliche Überprüfung der Freiheitspatente im Oktober 1807 eingestellt würde, kam dies dem Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit bei der Durchsetzung der Segregationspolitik gleich45 .

Mangelwirtschaft: Pflanzer, Kaufleute und der Kolonialstaat Guadeloupes, 1803–1810 Am 10. Dezember 1803 erließ Ernouf eine Proklamation, in der alle Plantagenbesitzer der Kolonie aufgefordert wurden, sich im Falle einer feindlichen Invasion zusammen mit vier loyalen Sklaven ihrer Plantagen zu vorbestimmten Punkten zu begeben, an denen den Pflanzern und mitgebrachten Sklaven Waffen ausgehändigt würden. Wer sich diesen Anordnungen widersetze oder gar die militärischen Operationen sabotiere, dem drohe ein Prozess wegen Hochverrats vor einem Kriegsgericht und die standesrechtliche Hinrichtung innerhalb von 24 Stunden46 . Die Pflanzer Guadeloupes glaubten sich bei der Lektüre dieser Anordnungen in die Zeiten jakobinischer Terrorherrschaft zurückversetzt. Nicht nur wurden sie gezwungen, ihre treuesten Sklaven den Gefahren des Kriegs auszusetzen, sondern auch noch, selbst Leib und Leben für 41 42 43 44 45 46

Kerversau an Decrès, 25.1.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 77. Fallope, Esclaves, S. 59. Roustagnenq an Decrès, 30.5.1804, in: ANOM, C7A 62, fol. 78. Erlass von Ernouf/Kerversau/Bertolio, 20.4.1807, in: ANOM, C7A 66, fol. 154; Ernouf/ Kerversau/Bertolio an Decrès, 10.9.1807, in: ANOM, C7A 66, fol. 37. Ibid. Proklamation von Ernouf (Kopie), 10.12.1803, in: TNA, CO 71/37.

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die Verteidigung der Kolonie zu riskieren. In den Augen der Pflanzer waren die Pläne zur Bewaffnung von Sklaven ohnehin eine Ungeheuerlichkeit, nachdem doch die Erfahrungen der letzten zehn Jahre gezeigt hatten, in welches Chaos eine solche Politik die Kolonie zu stürzen vermochte. Ernouf schien aus Sicht der Pflanzer Guadeloupes auf bestem Wege, in Hugues’ Fußstapfen zu treten47 . Die Bewaffnung eines Teils der Sklaven wurzelte nicht in einem geheimen neo-abolitionistischen Programm Ernoufs. Vielmehr illustrierte sie den Anspruch der Kolonialregierung, über sämtliche Ressourcen der Kolonie zu verfügen und diese für ihre Kriegsanstrengungen zu mobilisieren. Wer glaubte, dass Ernoufs Wille, die Ressourcen der Kolonie für den Krieg zu mobilisieren, nur der unmittelbaren Gefahr einer britischen Invasion geschuldet war, sah sich bald getäuscht: Ende 1805 ordnete Ernouf an, dass die Plantagenbesitzer ihre Sklaven an drei Tagen pro Woche dem Kolonialstaat für Schanz- und Befestigungsarbeiten zur Verfügung stellen mussten. Zwar konnten sich die Pflanzer durch die Bezahlung einer hohen Steuer von dieser Pflicht freikaufen, doch in Anbetracht des allgemeinen Mangels an Bargeld stand diese Möglichkeit den Wenigsten offen. Noch einschneidender war die praktische Umsetzung dieser Maßnahmen, nahmen doch die Kolonialbehörden keinerlei Rücksicht auf die langen Marschwege der Sklaven aus weiter entfernten Gemeinden. Erst rund drei Monate später, nachdem sich die Pflanzer vehement gegen diese in ihren Augen ungerechtfertigten Maßnahmen zur Wehr gesetzt hatten, ließ Ernouf die Schanz- und Befestigungsarbeiten einstellen. Stattdessen erhöhte er die Kopfsteuer auf Sklaven sowie die Exportzölle. Damit ließ der Gouverneur durchblicken, dass es ihm nur vordergründig um die Fertigstellung von Befestigungsanlagen in Pointe-à-Pitre und Basse-Terre ging. Im Zentrum stand für Ernouf vielmehr die Erschließung neuer Einkommensquellen zu Lasten der kolonialen Eliten, um die katastrophale Finanzlage wieder ins Lot zu bringen48 . Die vorübergehende Einstellung der Schanzarbeiten war nicht gleichbedeutend mit einem Ende des staatlichen Anspruchs, nach Belieben über die Sklaven der Plantagenbesitzer zu verfügen. Zu Beginn des Jahres 1807 – mitten in der Erntezeit – ließ Ernouf unter dem Vorwand einer angeblich bevorstehenden britischen Invasion auf der Halbinsel Grande-Terre rund 1000 Sklaven im ›Wert‹ von insgesamt 1,5 Millionen Franc zum Bau von Truppenunterkünften beschlagnahmen. Die Behörden gingen dabei keineswegs willkürlich vor, sondern konfiszierten vor allem diejenigen Sklaven, deren Marktwert am höchsten war. Eine Rückgabe dieser Sklaven an ihre Besitzer stand nie zur Diskussion. Dem nicht genug: Zum Verdruss der Pflanzer nutzten viele der beschlagnahmten Sklaven jede sich bietende Gelegenheit zur Flucht. Es überrascht deshalb nicht, dass die Pflanzer auf die staatlichen Zwangsmaßnahmen inmitten der Erntezeit äußerst erzürnt reagierten. Freilich blieb ihnen aber 47 48

Extract from a secret communication from Guadeloupe, o. D. [1804], in: TNA, CO 71/37. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 69f.

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nicht viel anderes übrig, als diese zähneknirschend zu akzeptieren49 . Zu allem Überfluss mussten sie bald feststellen, dass die betroffenen Sklaven vor allem für den Ausbau der persönlichen Residenz Ernoufs, Monrepos nahe BasseTerre, eingesetzt wurden, in welcher der Gouverneur einen Lebensstil »un peu oriental« führte und wo ein Fest auf das andere folgte50 . In Anbetracht der wirtschaftlichen Misere waren diese staatlichen Zwangsmaßnahmen umso schwerwiegender, zumal sie offensichtlich weniger der Verteidigung der Kolonie als den persönlichen Interessen Ernoufs dienten. Spätestens der Bruch des Friedens von Amiens im Mai 1803 unterband jede Möglichkeit für die zurückgekehrten Plantagenbesitzer, ihre Betriebe in naher Zukunft wieder in die Gewinnzone zurückzuführen. Die mit teuren Krediten finanzierten Investitionen zum Wiederaufbau der Zucker- und Kaffeeplantagen ließen sich kaum amortisieren51 . Hinzu kamen die aufgelaufenen Zinsen auf die Hypotheken seit der Sequestrierung ihrer Güter durch Hugues im Jahr 1794, welche die Financiers der Kolonie nun von den zurückkehrenden émigrés einforderten. Die neu formierte chambre d’agriculture, die sich aus führenden Pflanzern der Kolonie zusammensetzte und die der Kolonialadministration Ernoufs beratend zur Seite stehen sollte, bat Ende 1803 die Regierung in Paris um finanziellen Beistand. »[L]’agriculture sera totalement anéantie et la Guadeloupe ne pourra plus atteindre ce point de culture et de richesse où elle était anciennement parvenue«, wenn die Schulden zurückbezahlt werden müssten, so die Petitionäre52 . Die Klagen der zurückgekehrten émigrés fanden in der Metropole keinen Anklang. Bonaparte beantwortete die Anfrage kurzerhand mit der Auflösung der chambre d’agriculture Guadeloupes wegen zu hoher Spesenbezüge53 . Ernouf versuchte zwar, mit Rückzahlungsaufschüben den verschuldeten Plantagenbesitzern entgegenzukommen, doch brachten diese Maßnahmen kaum Besserung, weil die Absatzkanäle für Kolonialwaren aufgrund des Kriegs unsicher blieben. In Wahrheit verschlimmerten die staatlich angeordneten Schuldrückzahlungsaufschübe die Situation sogar: Die überschuldeten Pflanzer interpretierten die staatlichen Eingriffe in den kolonialen Finanzverkehr als Schuldbefreiung und nahmen sogleich neue Kredite auf. Kein Wunder also, dass ihre Geldgeber um die getätigten Investitionen fürchteten und das Verhalten ihrer Debitoren mit Argusaugen verfolgten. In Anbetracht der faktischen Zahlungsunfähigkeit vieler Pflanzer gewährten die 49 50 51 52 53

Ibid., S. 96–98; Information from Guadeloupe (Kopie), [?].1.1807, in: TNA, ADM 1/328. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 207–209. Zitat aus Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 15. Ernouf/Kerversau an Decrès, 12.1.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 16; Pérotin-Dumon, La ville, S. 269. Desmarais an Decrès, 30.12.1803, in ANOM, C7A 63, fol. 16. Sommaire du décret portant annulation d’une chambre d’agriculture à la Guadeloupe et de la nomination du sieur Dampierre, en qualité de son député, o. D. [1804], in: ANOM, C7A 63, fol. 32.

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Financiers Guadeloupes kaum mehr Kredite. Die sich dadurch verschärfende Kreditklemme betraf insbesondere die weniger finanzkräftigen Pflanzer der Halbinsel Basse-Terre, die am meisten unter den Verwüstungen infolge von Delgrès’ Rebellion gelitten hatten54 . Ernoufs Schuldrückzahlungsaufschübe zugunsten der Plantagenbesitzer verfehlten die intendierte Wirkung völlig. Nicht nur misslang es dem Gouverneur, die Plantagenökonomie in Kriegszeiten wieder in Gang zu bringen, sondern er brachte auch die Kaufleute und Financiers der Kolonie gegen sich auf. Dies schien Ernouf und Kerversau jedoch wenig zu kümmern. Um die klaffenden Löcher in der Kolonialkasse zu stopfen, war den beiden Machthabern beinahe jedes Mittel recht. Säumige Steuerzahler mussten nicht nur mit Gefängnisstrafen rechnen, ihnen wurde auch die Ausreise verweigert und sie durften keine notariellen Urkunden unterzeichnen. Zur Versorgung der Truppen ließ Ernouf sämtliche eintreffenden Waren und Nahrungsmittel beschlagnahmen und darauf prüfen, ob die Kolonialarmee diese benötigte. Erst wenn die Hafenbehörden entschieden hatten, dass für die zur Diskussion stehenden Waren und Nahrungsmittel kein Bedarf bestand, durften ihre Eigentümer darüber verfügen55 . Dass damit für Kolonialbeamte Tür und Tor geöffnet wurden, sich auf Kosten der Kaufleute Guadeloupes zu bereichern, versteht sich von selbst. Gleichwohl wäre es falsch, Ernoufs Politik gegenüber der städtischen Kaufmannschaft nur auf derartige Zwangsmaßnahmen zu reduzieren. Tatsächlich war das Verhältnis zwischen den Händlern Guadeloupes und dem Kolonialstaat komplexer, fuhren doch Ernouf und Kerversau eine zweigleisige Strategie, die darauf abzielte, auf Kosten der kleineren Kaufleute Guadeloupes ein Bündnis mit einigen wenigen großen Handelshäusern Pointe-à-Pitres und Basse-Terres zu schmieden. Insbesondere Jean-Michel Mallespine und Marc Solier, zwei reiche Kaufmänner aus Basse-Terre56 , zählten zur Entourage des Gouverneurs. Diese Financiers berieten Ernouf in wichtigen Fragen der kolonialen Wirtschaft und zogen deshalb den Neid ihrer Standesgenossen auf sich57 . Die beiden Kaufmänner standen der Kolonialadministration auch deshalb besonders nahe, weil ihnen in den Jahren 1803–1806 gegen eine Summe von jährlich bis zu 2,7 Millionen Livre die 54

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Kerversau, De l’administration civile de la Guadeloupe depuis l’arrivée du général Richepanse jusqu’à la prise de cette colonie par les Anglais, en février 1810, o. D., in: ANOM, C7A 70, fol. 38; Devillers, Situation de l’Île de la Guadeloupe lors de sa prise en 1815, o. D., in: ANOM, C7A 73, fol. 241; Notes sur la Situation de la Guadeloupe, avec quelques détails relatifs à l’administration du capitaine général et aux moyens de conserver cette colonie, o. D., ANOM, C7A 63, fol. 227. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 28f. Pérotin-Dumon, La ville, S. 756. Ambert, Observations sur la Guadeloupe, 1808, in: ANOM, EE 26/1; Colgliano/ Chasseloup/Éblé, Rapport sur la capitulation de la Guadeloupe, des Saintes et de MarieGalante, 15.2.1812, in: ANOM, C7A 70, fol. 167.

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Zolleinnahmen der Kolonie und die Bewirtschaftung der sequestrierten Plantagen verpachtet wurden. Damit nahmen die beiden Kaufleute entscheidenden Einfluss auf die koloniale Wirtschaft58 . Die Pacht der Zolleinnahmen und der sequestrierten Plantagen rechnete sich für Mallespine und Solier aber nur so lange, wie die Einnahmen höher blieben als die vereinbarte Pacht. Aufgrund der darbenden Plantagenökonomie und der sich zunehmend verschärfenden britischen Blockade waren die beiden Kaufleute jedoch 1806 nicht mehr bereit, die Pacht zu verlängern. Zudem zog die Verpachtung der Zolleinnahmen heftige Kritik aus Paris auf sich. In den Augen Decrès’ leistete diese Praxis Missbräuchen, Klüngeleien und schließlich der Unterminierung staatlicher Autorität Vorschub. Deshalb wurde Anfang 1807 das Erheben der Zölle wieder unter staatliche Regie gestellt59 . Die Financiers der Kolonie nutzten ihren Einfluss bei Ernouf auch zur Ausschaltung unliebsamer Konkurrenz. Ihnen waren insbesondere die kleineren Kaufleute Pointe-à-Pitres ein Dorn im Auge, die sich auf die Versteigerung von Prisen sowie den Schmuggel zwischen den Inseln der Kleinen Antillen spezialisiert hatten. Hierbei ging es nicht nur um wirtschaftliche Konkurrenz zwischen Marktteilnehmern, sondern auch um die schlichte Verachtung dieser gesellschaftlichen Aufsteiger seitens alteingesessener Kaufleute60 . Am 1. März 1806 erließen Ernouf und Kerversau auf Drängen der Financiers Guadeloupes ein Gesetz gegen diese »petits spéculateurs«61 und »petits trafiquants«62 , das die Versteigerung kleiner Mengen an Waren massiv besteuerte und somit dem Geschäft dieser Kaufleute unüberwindbare Hindernisse in den Weg legte. In der Folge gingen die Händler und Ladenbesitzer Pointe-àPitres auf die Barrikaden, weshalb sich Ernouf gezwungen sah, die Stadt mit Truppen zu belagern. Nachdem es seinen Soldaten Ende März gelungen war, die Kontrolle über die Handelsmetropole ohne Blutvergießen wiederzuerlangen, richtete er umgehend eine Militärkommission ein, welche die Anstifter der Unruhen verurteilte63 . Der Widerstand der Kleinschmuggler gab der Kolonialregierung einen günstigen Vorwand für weitere Maßnahmen. So erließen Ernouf und Kerversau am 23. März 1806 ein Gesetz, wonach nur noch jene Kaufleute ein Geschäft betreiben durften, die von einer eigens einberufenen Handelskommission dazu ermächtigt wurden. Diese Kommission hatte fortan eine erhebliche Macht in der Wirtschaftsmetropole Pointe-à58 59

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Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 179; Rodigneaux, La guerre, S. 160. Ernouf/Kerversau an Decrès, 1.6.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 43; Mallespine an Ernouf/Kerversau, 23.3.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 260; Mauron/Mallespine an Ernouf/Kerversau, 10.5.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 262. Entgegen der Darstellung bei Lafleur, La Guadeloupe, S. 23, bat Mallespine um die Auflösung des Pachtverhältnisses. Pérotin-Dumon, La ville, S. 267, 759. Ibid., S. 267. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 73. Ibid., S. 71.

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Pitre inne: Sie konnte nach Belieben unliebsamen Kaufleuten die Erlaubnis entziehen, in der Kolonie ein Handelshaus zu betreiben64 . Mit dieser Repressionspolitik im Dienste einiger weniger Kaufleute verspielte sich Ernouf zusehends die Unterstützung der patriotes Pointe-à-Pitres, die bis dahin im Krisenfall das Rückgrat republikanischer Politik gebildet hatten. Ernouf als Restaurator des kolonialen Ancien Régime darzustellen65 , wäre dennoch eine verzerrte Sichtweise auf die Politik des Gouverneurs. Für die royalistischen Pflanzereliten, die 1802 aus der Emigration zurückgekehrt waren, hatte er ebenso wenig übrig wie für die jakobinischen Kräfte der Kolonie. Dem alten Antagonismus zwischen Royalisten und Republikanern kam in der alltäglichen Politik Guadeloupes mittlerweile ohnehin nicht mehr die gleiche Bedeutung zu wie noch während der Revolutionskriege. Augenfällig wurde dies etwa an prominenten Fällen von Personen wie Vermont, die sich aus Not, Pragmatismus oder purem Opportunismus den neuen Machtverhältnissen in Paris untergeordnet hatten66 . Die Abberufung von Ernoufs Stellvertreter, General Jean-Jacques Ambert, im Frühjahr 1808 ist in dieser Hinsicht instruktiv. Ambert, ein begeisterter Anhänger der Revolution, war in den Revolutionskriegen in der Rheinarmee unter Moreau rasch zum Divisionsgeneral aufgestiegen67 . Seine Nähe zu Moreau sollte seiner Karriere allerdings nicht förderlich sein. Nach dessen angeblicher Beteiligung an der Verschwörung Cadoudals im Jahr 1803 galten seine Vertrauten in Regierungskreisen als suspekt. Die Ernennung Amberts zum Stellvertreter Ernoufs im Dezember 1803 kam für den Divisionsgeneral deshalb einem Gang ins Exil gleich. Nach seiner Ankunft auf Guadeloupe im April 1804 nahm er seine militärische Funktion nicht wahr – natürlich ohne auf sein fürstliches Gehalt zu verzichten. Stattdessen heiratete sich Ambert in die einflussreiche Familie Godet ein, die in enger Verbindung mit der royalistischen Speerspitze Guadeloupes stand. Kurze Zeit später wurde ihm eine große Plantage im Wert von 880 000 Livre vererbt, deren Führung sich der Divisionsgeneral in der Folge voll und ganz widmete68 . In Anbetracht der wachsenden Unzufriedenheit unter den Pflanzereliten mit Ernoufs Ad-

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Ibid., S. 73f.; Ernouf/Kerversau an Decrès, 1.6.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 38. Pérotin-Dumon, La ville, S. 267. Bertolio an Decrès, 28.11.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 139; Ernouf/Kerversau/Bertolio an Decrès, 6.7.1806, in: ANOM, E 142/78; Ernouf an [Decrès] (Entwurf) [?].5.1811, in: ADG, 1J6/3; Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 76; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 200, 225. Dictionnaire de biographie française, Bd. 2, S. 462; Tulard (Hg.), Dictionnaire, Bd. 1, S. 86. L’habitation de Fromage, o. D., in: ANPS, 168AP/3; Ernouf, Observations sur la conduite du capitaine général à la Guadeloupe et celle du général Ambert son lieutenant général et commandant des troupes, 22.8.1811, in: ANPS, 185AP/3; Decrès an Napoleon, 10.5.1809, in: ANOM, EE 26/1; Decrès an Napoleon, 10.5.1809, in: ANPS, AF/IV/1216, fol. 3; Ernouf an Decrès, 25.8.1808, in: ANOM, EE 26/1.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

ministration und den mit ihm verbündeten Financiers mauserte sich Ambert nach und nach zum starken Mann der Pflanzeraristokratie, der im Krisenfall bereitgestanden hätte, Ernouf zu ersetzen69 . Amberts Vernachlässigung seiner militärischen Aufgaben verschaffte Ernouf jedoch einen geeigneten Vorwand, den potentiellen Widersacher loszuwerden. Nachdem sich der Gouverneur wiederholt in Paris über Ambert beschwert hatte, wurde dieser schließlich im Frühjahr 1808 von seinem Posten in Guadeloupe abberufen70 . Auch offene Sympathisanten der royalistischen Sache wie Jean-Baptiste Dubuc de Saint-Olympe, der bei den Pflanzern Stimmung gegen Ernouf und das napoleonische Regime gemacht hatte, ließ die Kolonialregierung ohne Umschweife aus der Kolonie verweisen71 . Ideologische Überzeugungen spielten in diesen innerelitären Konflikten eine eher untergeordnete Rolle. Für Ernouf ging es in erster Linie darum, seine Machtposition zu konsolidieren und etwaige Konkurrenten – egal aus welcher politischen Ecke diese kamen – auszuschalten. Dabei schreckte er auch nicht davor zurück, unliebsame Funktionäre wie Bertolio oder die Mitglieder der cour d’appel, des Berufungsgerichts Guadeloupes, einzuschüchtern, nachdem sie sich gegen Ernoufs autokratisches Regime zur Wehr gesetzt hatten72 . Ernouf konnte sich mit seiner Politik der harten Hand vorerst das politische Überleben sichern. Zudem war ihm die Unterstützung der Metropole sicher, weil unter seiner Herrschaft den ständigen Umstürzen und Revolten augenscheinlich ein Ende gesetzt worden war73 . Selbst Dubuc musste zähneknirschend zugeben, dass es Ernouf gelungen war, endlich Ruhe und Ordnung in die Kolonie zu bringen74 . Um die Unterstützung der Metropole nicht zu verlieren, ließ Ernouf den Machthabern in Paris exotische Geschenke zukommen. So berichtete der Kapitän der französischen Fregatte Thétis (40) nach seiner Rückkehr aus Guadeloupe im Januar 1807 dem Marine- und Kolonialminister, dass er an Bord »un animal produit d’une panthère et une d’espèce de lion d’Amérique nommé puma« habe. Das seltsame Tier sei ein Geschenk Ernoufs für die Menagerie des Schlosses Malmaison, der privaten Residenz Napoleons, so der Kapitän weiter75 . Ernoufs Lavieren trieb ihn allerdings zusehends in die politische Isolation. Zum einen verärgerte seine willkürliche und rücksichtslose Steuerpolitik 69

70 71 72 73 74 75

Note concernant la Guadeloupe, 17.8.1815, in: ANOM, EE 26/1; Ambert an Malouet, 13.6.1814, in: ANOM, EE 26/1; Colgliano/Chasseloup/Éblé, Rapport sur la capitulation de la Guadeloupe, des Saintes et de Marie-Galante, 15.2.1812, in: ANOM, C7A 70, fol. 167. Mullié, Biographie, Bd. 1, S. 16. Lafleur, La Guadeloupe, S. 11f. Dubuc de Saint-Olympe war ein Cousin von LouisFrançois Dubuc, dem Drahtzieher des Vertrags von Whitehall. Saurgon an Massa, 9.5.1812, in: ADGB, 61J/32/2; Bertolio an Massa, 28.1.1811, in: ANOM, EE 182/1. Decrès an Ernouf, 23.7.1804, in: ANOM, C7A 63, fol. 177. Dubuc an Ernouf, 20.2.1804, in: ADGB, 61J/32/1. Beide Zitate aus Pinsun an Decrès, 17.1.1807, in: SHD, FM/BB4/261, fol. 102.

10. Brüche und Kontinuitäten: Guadeloupe

375

die zurückgekehrten Plantagenbesitzer, die kaum über genügend finanzielle Mittel verfügten, ihre Güter wieder instand zu setzen und ihre Kredite zu bedienen. Zum anderen brachte Ernouf mit seinen Schuldrückzahlungsaufschüben, Zollerhöhungen und seiner Repressionspolitik gegen die Kaufleute Guadeloupes auch die Städte gegen sein Regime auf – insbesondere das traditionelle Epizentrum der patriotes in Pointe-à-Pitre. Selbst durch die Klasse der weißen Pflanzereliten Guadeloupes verlief ein tiefer Graben, wie Kerversau in einem Memorandum festhielt: Ceux qui n’étaient jamais sortis de la colonie ne voyaient pas sans jalousie la faveur marquée [le sursis des dettes, F. E.] avec laquelle étaient traités ceux qui l’avaient quitté après l’avoir livrée aux Anglais, et avoir exercé à l’ombre de ce pouvoir ennemi des cruelles vexations sur ses défenseurs et quoique rien ne troublât la paix publique et que des communications amicales fussent rétablies entre tous les habitants, cependant une ligne de démarcation fortement tracée existait encore entre les rentrants et les restants76 .

Eines war für Ernouf klar: Solange Aussicht auf eine Besserung der wirtschaftlichen Lage bestand, ließen sich derartige Konflikte kontrollieren. Sobald sich aber die Perspektiven für die Kolonialwirtschaft Guadeloupes zu verdüstern drohten, würde Ernoufs Administration zweifellos in Frage gestellt. Dieser Mechanismus griff auch für die mit der Kolonialregierung verbündeten Financiers: Sie blieben Ernoufs Regierung nur solange treu, wie sie wirtschaftliche Vorteile aus diesem Bündnis zogen. Mallespines Kündigung seiner Pachtung der Zolleinnahmen und sequestrierten Gütern zu Beginn des Jahres 1807 war ein deutlicher Fingerzeig, dass sich die Lage Guadeloupes zu verschärfen drohte und Ernoufs Kolonialadministration innenpolitisch weitgehend isoliert war. Dies hing auch entscheidend mit dem Wiederaufstieg und Fall der Korsaren Guadeloupes zusammen.

Der letzte Rettungsanker? Kaperei und Beuteökonomie, 1803–1810 Ein entscheidender Hemmschuh für die Wiedergenesung der Plantagenökonomie Guadeloupes war der Mangel an Kapital. Die Kreditklemme war auch der Tatsache geschuldet, dass der Wiederausbruch des Kriegs die Finanzierung von Kaperschiffen als Investitionsfeld für die Financiers Guadeloupes eröffnete. Die Kaperei band deshalb in den kommenden Jahren große Kapitalmengen77 . Zwar war das finanzielle Risiko keineswegs gering, aber die möglichen Profite waren zu verlockend. Bei der Finanzierung von Kaperschif76

77

Kerversau, De l’administration civile de la Guadeloupe depuis l’arrivée du général Richepanse jusqu’à la prise de cette colonie par les Anglais, en février 1810, o. D., in: ANOM, C7A 70, fol. 38 (Hervorh. i. Orig.). Ambert, Observations sur la Guadeloupe, 1808, in: ANOM, EE 26/1.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

fen war zudem nicht zu befürchten, dass sich Ernoufs Kolonialregierung mit Rückzahlungsaufschüben und dergleichen in die Geschäfte einschalten würde, wie sie es zwischen der Kaufmannschaft und den Plantagenbesitzern getan hatte. Hier war im Gegenteil mit der wohlwollenden Unterstützung des Kolonialstaates zu rechnen. Aus Sicht der Pflanzer war das Wiederaufblühen der Korsaren Guadeloupes ein zweischneidiges Schwert: Der Verkauf der Prisen führte erneut zu einem Preisverfall von Zucker und Kaffee in der Kolonie. Zudem entzogen die Korsaren der Plantagenökonomie dringend benötigtes Kapital und Arbeitskraft. Das Anheuern auf Kaperschiffen blieb für flüchtige Sklaven ein beliebter Weg, um dem harten Arbeitsalltag auf den Plantagen zu entkommen78 . Die Prisen versorgten Guadeloupe gleichzeitig aber mit günstigen Nahrungsmitteln und Baumaterialien, was insbesondere für die Ernährung der Sklaven und damit für die Aufrechterhaltung der Plantagenökonomie von zentraler Bedeutung war79 . Einmal mehr machten die Kaperfahrer Guadeloupes auch vor der neutralen Schifffahrt nicht halt, waren die ungeschützten Handelsschiffe der neutralen Mächte doch eine vergleichsweise einfache Beute. Infolgedessen hing die Versorgung der Kolonie mit Nahrungsmitteln und Sklaven auf Gedeih und Verderb vom anhaltenden Erfolg der Korsaren Guadeloupes ab80 . Auf Seiten der Pflanzer wurde der Wiederaufstieg der Kaperfahrer Guadeloupes jedoch auch aus politischen Gründen kritisch beäugt, wie der ehemalige Offizier Eugène Édouard Boyer de Peyreleau in seiner Chronik Guadeloupes schrieb: [O]n y vit affluer un grand nombre d’aventuriers de mœurs déréglées, dont l’esprit ardent et insubordonné compromit quelquefois la sûreté publique. Ainsi le résultat de tous les armements, malgré leurs riches et nombreuses prises, et leur éclat momentané, fut de nuire [. . . ] à la population, en y mêlant un ramassis de gens sans aveu81 .

DieKapereilockteeinegroßeAnzahlmittelloserAbenteureraus allen Ecken des französischen Imperiums, den USA, den skandinavischen Staaten und dem Osmanischen Reich nach Guadeloupe82 . Die Furcht der kolonialen Eliten vor der wachsenden Zahl dieser »gens sans aveu« speiste sich aus der historischen Erfahrung der Frühphase der Französischen Revolution in den Kleinen Antillen, als die petits Blancs einen stetigen Unruheherd gebildet hatten und maßgeblich an den revolutionären Umwälzungen beteiligt gewesen waren. Die unsicheren Zukunftsaussichten der durch die Kaperfahrer Guadeloupes getragenen Beu78 79 80 81 82

Erlass von Ernouf/Kerversau/Bertolio, 20.4.1807, in: ANOM, C7A 66, fol. 154. Pérotin-Dumon, La ville, S. 261; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 173. Rodigneaux, La guerre, S. 159. Wenig ist über die diplomatischen Folgen dieser Überfälle der Kaperschiffe Guadeloupes bekannt. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 173. Armement en course le corsaire de la goélette la Diligente, 2.1.1809, in: ANOM, F6/1, fol. 234.

10. Brüche und Kontinuitäten: Guadeloupe

377

teökonomie barg schließlich das Potential, die sozialen Spannungen zwischen Ober- und Unterschicht im Krisenfall erneut zutage treten zu lassen. Tatsächlich verbuchte Guadeloupes Kaperflotte nach Kriegsbeginn einige spektakuläre Erfolge83 . Allein in den ersten sechzehn Monaten des Kriegs erbeuteten die Kaperschiffe Prisen im Wert von mehr als sieben Millionen Livre84 . Angespornt durch die vielen Prisen wurde bald jedes noch so kleine Schiff zum Korsaren umfunktioniert85 . Selbst kleinere Schiffe der Royal Navy waren vor den Kaperschiffen Guadeloupes nicht sicher86 . Trotz dieser Anfangserfolge vermochten letztere nicht mehr an die Profite der Revolutionskriege anzuknüpfen. Im Vergleich zu den 1790er Jahren machten die Korsaren Guadeloupes während der Napoleonischen Kriege im Durchschnitt nur noch rund die Hälfte der Prisen pro Jahr87 . Gleichwohl sah sich die Royal Navy zu Kriegsbeginn mit der großen Zahl französischer Kaperschiffe überfordert. Es mangelte auf Seiten der Briten nicht nur an kleinen, wendigen Schiffen, sondern auch an Matrosen, um die Kriegsschiffe zu bemannen. Die britischen Kolonialversammlungen zeigten wenig Verständnis für die numerischen und materiellen Engpässe der Royal Navy und weigerten sich, auf eigene Kosten Patrouillenschiffe auszurüsten88 . Der Schutz der britischen Handelsschifffahrt wurde aber auch durch die Habgier einzelner Handelshäuser erschwert, die ihre Schiffe zu früh aus den aus Europa eintreffenden Konvois ausbrechen ließen, nur um die Zuckerinseln vor ihrer Konkurrenz zu erreichen und so ihre Ware zu höheren Preisen verkaufen zu können. So wurden sie leichte Beute für die auf der Lauer liegenden Korsaren Guadeloupes89 . Deren Prisen wurden bald zur wichtigsten Säule der kolonialen Wirtschaft, denn sie versorgten Guadeloupe mit einer großen Anzahl afrikanischer Sklaven. Alleine zwischen 1803 und 1806 erbeuteten die Kaperschiffe Guadeloupes rund 4000 afrikanische Sklaven, die sie in der Kolonie verkauften. Damit übernahmen faktisch die Kaperschiffe die Versorgung der Insel mit Sklaven, da neutrale Sklavenhändler Guadeloupe zunehmend mieden. Bis zur britischen Eroberung der Insel im Jahr 1810 sollten weitere 2300 den Korsaren in die Hände gefallene Sklaven nach Guadeloupe gelangen90 . Die 83 84 85 86 87 88 89 90

Pérotin-Dumon, La ville, S. 258f. Roustagnenq an Decrès, 22.10.1804, in: ANOM, C7A 62, fol. 98. Hood an Nepean, 6.8.1803, in: TNA, ADM 1/324. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 182f. Pérotin-Dumon, La ville, S. 261; Hood an Nepean, 19.10.1803, in: TNA, ADM 1/324. Ibid.; Hay an Hood (Kopie), o. D. [12.12.1803], in: TNA, ADM 1/325; Cochrane an Marsden, 2.6.1805, in: TNA, ADM 1/326. Hood an Nepean, 13.9.1803, in: TNA, ADM 1/324. Ernouf/Kerversau an Decrès, 1.6.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 43; Ernouf/Kerversau an Decrès, 12.1.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 4; Roustagnenq an Decrès, 30.5.1804, in: ANOM, C7A 62, fol. 78; The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 26.7.2018).

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

Kapitäne der Kaperschiffe verkauften weitere 1000 erbeutete Sklaven in den neutralen und angeblich sogar in den britischen Kolonien91 . Angespornt durch die anfänglichen Erfolge und die daraus resultierenden Einnahmen für die Kolonialkasse, engagierten sich zunehmend auch die Kolonialbehörden Guadeloupes in der Kaperei. Ernouf zögerte nicht, den Korsaren Kanonen, Musketen, Pistolen, Säbel und Schwarzpulver aus Armeebeständen zur Verfügung zu stellen, obwohl diese ohnehin schon Mangelware waren. Um die Kaperschiffe zu bemannen, wurden gar Garnisonssoldaten als Matrosen eingesetzt – mit der Folge, dass im Laufe des Kriegs über 500 Soldaten Guadeloupes in britische Kriegsgefangenschaft gerieten. Der Gouverneur beließ es nicht bei der großzügigen Unterstützung der Kaperflotte durch öffentliche Mittel, sondern engagierte sich mit seinem eigenen Vermögen massiv in der Ausrüstung und Finanzierung von Kaperschiffen. Als Gegenleistung für seine Bemühungen verlangte er fünf Prozent der Gewinne aus dem Verkauf der Prisen – selbstredend flossen diese Abgaben in Ernoufs persönliche Schatulle und waren zusätzlich zu den offiziellen Steuern zu zahlen92 . Die Allianz zwischen den Funktionsträgern des Kolonialstaates und den Ausrüstern der Kaperschiffe scheint auf den ersten Blick nahtlos an ihr symbiotisches Verhältnis während der Revolutionskriege anzuknüpfen: Die Kolonialbeamten verfolgten unter dem Deckmantel staatlicher Interessen private Bereicherungsabsichten, die letztlich die Sicherheit der Kolonie gefährdeten. So war nicht von der Hand zu weisen, dass der Einsatz von Soldaten, Waffen und Schwarzpulver zugunsten der Korsaren der Armee wichtige Mittel zur Verteidigung Guadeloupes entzog93 . Viele dieser Vorwürfe mögen übertrieben sein und den zahlreichen Kritikern Ernoufs aus den Reihen der Pflanzer nur dazu gedient haben, den Gouverneur in die Tradition Hugues’ zu stellen. Fakt bleibt jedoch, dass bei Ernoufs Militäroperationen oft kaum zwischen staatlichen und privaten Interessen unterschieden werden kann. Wichtig für den vorliegenden Zusammenhang sind aber die Hintergründe des Bündnisses zwischen dem Kolonialstaat und den Ausrüstern von Kaperschiffen: So war die Schwäche der darbenden Plantagenökonomie Guadeloupes dafür verantwortlich, dass nur die Kaperei den Offizieren Guadeloupes Aussicht auf schnelle Gewinne bot. 91 92

93

Rodigneaux, La guerre, S. 172. Lescallier, Compte rendu par le conseiller d’État Lescallier, de sa mission qu’il a eu du Premier consul en l’an XI comme préfet de la Guadeloupe, et des motifs de son retour auprès de Sa Majesté Impériale & Royale, 22.4.1804, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 19; de Colgliano/Chasseloup/Éblé, Rapport sur la capitulation de la Guadeloupe, des Saintes et de Marie-Galante, 15.2.1812, in: ANOM, C7A 70, fol. 167; Saurgon an Massa, 9.5.1812, in: ADGB, 61J/32/2; Résumés du conseil d’enquête sur les faits imputés au Gal Ernouf, au Cel Madier et au Sr Mallespine, o. D., in: ADG, 1J6/5; Jugement contre Ernouf, Mallespine, Madier, Faujas, 8.5.1813, in: ANPS, 185AP/3; Cochrane an Pole, 23.11.1807, in: TNA, ADM 1/328. Jugement contre Ernouf, Mallespine, Madier, Faujas, 8.5.1813, in: ANPS, 185AP/3.

10. Brüche und Kontinuitäten: Guadeloupe

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Trotz vieler Parallelen zur Beuteökonomie Guadeloupes der Revolutionskriege sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die Zusammensetzung der Kaufmannschaft der Kolonie inzwischen entscheidend verändert hatte. Unter den Ausrüstern von Kaperschiffen fanden sich nach 1803 nur noch eine Handvoll derjenigen Kaufmänner, die sich während der Revolutionskriege in diesem Geschäft ausgezeichnet hatten. Ernoufs Kampf gegen die Kleinspekulanten Pointe-à-Pitres hatte zudem zur Folge, dass die finanzielle Last auf nur wenigen Schultern verteilt lag. Nur eine kleine Zahl von Financiers verfügte über ausreichende Mittel, um Korsarenschiffe gewinnbringend zu betreiben. Die zahlreichen Besitzer von kleinen cabotage-Schiffen, die zu Kriegsbeginn Kaperbriefe erwarben, besaßen nicht genügend finanzielle Ressourcen zur Kompensation etwaiger Verluste. Der Ausfall eines Großinvestors konnte deshalb die gesamte Kaperei in Gefahr bringen94 . Daneben fehlte den Korsaren Guadeloupes nach 1803 etwas, worüber sie während der 1790er Jahre fast uneingeschränkt verfügen konnten: Menschen. Die Wiedereinführung der Sklaverei entzog den Ausrüstern von Kaperschiffen ein fast unerschöpfliches Rekrutierungsbecken an Matrosen, das ihnen in den Revolutionskriegen noch zur Verfügung gestanden hatte. Die hohen Verluste, welche die Royal Navy der Korsarenflotte Guadeloupes in den Jahren 1804–1806 zufügte, ließen sich deshalb kaum mehr wettmachen. Erschwerend kam hinzu, dass Konteradmiral Alexander Cochrane im Sommer 1805 dazu überging, die Seeleute aufgebrachter Kaperschiffe nicht mehr im Rahmen des regelmäßigen Gefangenenaustauschs an die Kolonialbehörden Guadeloupes zurückzugeben. Damit entzog er der französischen Korsarenflotte innerhalb kurzer Zeit hunderte erfahrene Seemänner95 . Nicht nur Matrosen zu finden, sondern auch die erforderlichen Ausrüstungsgegenstände zu beschaffen, fiel den Financiers von Kaperschiffen zunehmend schwer, nachdem das Handelsembargo der USA deren Preise in die Höhe getrieben hatte. Fortan fanden nur noch amerikanische Schmuggler ihren Weg nach Guadeloupe, welche die Kolonie mit Nahrungsmitteln und Ausrüstungsgegenständen versorgten. Der stetige Abfluss an Silber- und Goldzahlungsmitteln aus Guadeloupe trug das Seinige zu den zunehmenden Versorgungsschwierigkeiten der Kaperflotte bei. Mit den wenigen Prisen, die noch gemacht wurden, ließen sich überdies kaum mehr Profite erzielen, da für die erbeuteten Waren auf Guadeloupe die Nachfrage sank. Dies galt ins-

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95

Kerversau an Ernouf/Bertolio, 26.7.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 166; Ernouf/Kerversau, 1.6.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 43; Pérotin-Dumon, La ville, S. 258–269; Rodigneaux, La guerre, S. 171. Cochrane an Marsden, 2.6.1805, in: TNA, ADM 1/326; État nominatif des corsaires particuliers armés en cette colonie, [?].11.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 311; Mauron/ Mallespine an Ernouf/Kerversau, 10.5.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 262; Kerversau an Decrès, 28.11.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 92.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

besondere für Sklaven, die den Korsaren in die Hände fielen: Deren Verkauf erzielte nur noch die Hälfte des einstigen Preises96 . Der Niedergang der Korsaren Guadeloupes hatte denn auch schwerwiegende Konsequenzen für die Beziehung Ernoufs zu den Pflanzern der Kolonie. Das ohnehin unterkühlte Verhältnis wurde fortan durch den Mangel an Versorgungsgütern und Nahrungsmitteln belastet, deren Verfügbarkeit die Korsaren bislang zu einem gewissen Grad sichergestellt hatten. Der Zusammenbruch der Beuteökonomie Guadeloupes heizte die Stimmung unter den überschuldeten Pflanzern der Kolonie, insbesondere den zurückgekehrten émigrés, gegen Ernoufs Regime weiter an und bedeutete faktisch das Ende des Burgfriedens in Guadeloupe. So warnte Kerversau Decrès in einem geheimen Schreiben im Sommer 1809: Cependant les citoyens de ces deux classes [les restés et les émigrés, F. E.] quoique peu unis ont marché ensemble dans la droite route, tant que le commerce et la course ont ouvert à la Colonie des sources de prospérité. Mais dès que les événements de la guerre les ont entièrement fermées, dès que le malheur a frappé cette terre, que la misère s’est fait vivement sentir et que le salut de la Colonie a exigé des sacrifices; la divergence des opinions a été plus marquée, les nouvelles favorables aux ennemis de la France ont été plus favorablement accueillies, et plusieurs même ont laissé échapper de [sic] vœux coupables. Les amis de leur pays et du gouvernement furent indignés. Une étincelle aurait été et serait encore suffisante pour allumer un incendie97 .

Ernouf stand vor einem Scherbenhaufen: Nicht nur drohten sich die kolonialen Eliten aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten erneut zu entzweien, der Gouverneur konnte sich auch ihrer Unterstützung für seine Kriegsanstrengungen nicht sicher sein. Seine willkürlichen Steuererhebungen, die Beschlagnahmung von Sklaven und die Androhung von Vergeltungsmaßnahmen gegen jene, welche die Verteidigungsmaßnahmen nicht unterstützten, führten jedermann vor Augen, dass die staatlichen Instanzen ihren Anspruch, die Ressourcen der Kolonie zu kontrollieren und notfalls auch zu mobilisieren, keineswegs aufgegeben hatten. Die Kampagne gegen die Kleinschmuggler Pointe-à-Pitres, das traditionelle Zentrum antiroyalistischer Agitation, sowie die Repressionspolitik gegen die freien Farbigen der Kolonie trugen ebenfalls zur Isolierung der Kolonialadministration Ernoufs bei, was ein ungutes Omen für die bevorstehende Entscheidung um die Kleinen Antillen war. Doch welche Alternativen hätten Ernouf offen gestanden? Eine zuvorkommende Politik gegenüber den kolonialen Eliten, wie sie die Kolonialbehörden in der Schwesterkolonie Martinique verfolgten, war ebenfalls mit Tücken verbunden.

96 97

Kerversau an Ernouf/Bertolio, 26.7.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 166. Kerversau an Decrès, 12.6.1809 (geheim), in: ANOM, C7A 69, fol. 174.

11. Martinique zwischen Trikolore und Lilienbanner, 1801–1809 »Il ne nous reste plus, hélas!, que quelque minutes pour nous honorer du titre de sujet de George III! Qu’il est affligeant d’y penser!«1 Diese Zeilen richtete der offenkundig aufgewühlte Plantagenbesitzer Alexis Pothuau im November 1801 aus Martinique an seinen Freund Louis de Curt in London, nachdem sich die Nachrichten vom Präliminarfrieden zwischen Großbritannien und Frankreich in der Karibik verbreitetet hatten. Unter den Pflanzern Martiniques herrschte in der Folge größte Konsternation: Die britische Regierung hatte sich bereit erklärt, alle während des Kriegs besetzten Kolonien außer Trinidad und Ceylon an Frankreich und seine Verbündeten zurückzugeben, um einen Friedensschluss zu erreichen2 . Pothuau und seine Standesgenossen waren überzeugt, dass die Übergabe Martiniques an die französische Republik die Abschaffung der Sklaverei auf Martinique zur Folge haben würde. Bonapartes öffentliche Proklamation vom 25. Dezember 1799 an die »braves Noirs de Saint-Domingue«, wonach das Abolitionsdekret niemals zurückgezogen werde, ließ in ihren Augen keine andere Interpretation offen3 . In den Wochen nach Bekanntwerden der bevorstehenden Restituierung Martiniques an Frankreich überschwemmten die dort ansässigen Pflanzer die britischen Behörden mit Gesuchen um Landkonzessionen in den benachbarten britischen Kolonien Trinidad, Dominica und insbesondere Saint Vincent, wo es nach der Vertreibung der Kariben freies Land in Hülle und Fülle gab4 . Dabei stießen sie bei den Kolonialbehörden auf Verständnis. So sah der britische Gouverneur Martiniques, William Keppel, der bevorstehenden Rückgabe der Kolonie ebenfalls mit Schrecken entgegen, pflegten doch die Bewohner Martiniques engste Verbindungen mit der britischen Metropole5 . Es war nicht allein die Furcht vor der Abschaffung der Sklaverei, die zu diesen Fluchtbewegungen aus Martinique führte. So bat die Plantagenbesitzerin Marie de Girardin de Montgirald den ehemaligen britischen Premierminister William Pitt um Land in Saint Vincent, um der befürchteten »rapacity of usurpers« zu entfliehen, denn ihr Mann, Arthur Dillon, war 1794 wegen Hoch-

1 2 3 4

5

Pothuau an Curt, 25.11.1801 (Kopie), in: TNA, WO 1/37/295. Siehe auch Cely an Curt, o. D. [1801], in: TNA, WO 1/38/1. John S. Watson, The Reign of George III. 1760–1815, Oxford 1964, S. 409f. Benot, La démence, S. 21. Johnstone an Hobart, 20.12.1801, in: TNA, CO 71/33; Beaumont an Keppel, 12.2.1802, in: TNA, WO 1/37/49; Digne an Keppel, 10.2.1802, in: TNA, WO 1/37/53; Trigge an Hobart, 22.11.1801, in: TNA, WO 1/90/613; Keppel an Hobart (Précis), 11.12.1801, in: TNA, CO 166/4/14; Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 279. Keppel an Hobart (Précis), 16.11.1801, in: TNA, CO 166/4/11.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-012

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

verrats in Paris guillotiniert worden6 . Ähnliche Befürchtungen hegte auch der Offizier und Plantagenbesitzer François Henri Charles de Bexon, der die britischen Kriegsanstrengungen in den Kleinen Antillen an vorderster Front unterstützt und dabei sein ganzes Vermögen verloren hatte, wie er in einem Brief an den britischen Kriegsminister Robert Hobart schrieb: »Il est possible que les Français par politique, pour la conservation de leurs colonies, ménagent les habitants, mais un militaire, un chef de génie qui a servi contre eux au siège du fort Bourbon etc., ne serait-il pas toujours coupable à leurs yeux ?«7 Die Auswanderungspläne führender Pflanzer Martiniques entgingen auch Lacrosse nicht, der sich Ende 1801 auf Dominica im Exil befand8 . Seinen Beteuerungen, wonach die Sklaverei in Martinique nicht abgeschafft würde, schenkten die Pflanzer wenig Glauben. Dies lag nicht nur an seiner Vergangenheit als republikanischer Hitzkopf, sondern auch an den tumultartigen Szenen in Saint-Pierre, wo sich Dutzende freier Farbiger und Sklaven versammelt hatten und »Vive la République, vive la liberté !« skandierten, als der Abgesandte von Lacrosse, César-Dominique Duny, in Saint-Pierre eintraf9 . Duny berichtete über den Vorfall einem Freund in Frankreich: Un mulâtre eut même l’audace de lever insolemment le masque en disant aux Blancs: »Voilà notre tour qui vient aujourd’hui, voilà la liberté et l’égalité qui nous arrivent !« Il poussa l’insolence si loin qu’il fut arrêté, mis en jugement et condamné à la déportation. Ce mouvement spontané des mulâtres et des Noirs prouva qu’ils n’attendaient pour éclater qu’un moment favorable, et fit craindre de voir survenir l’insurrection qu’on évite soigneusement depuis dix ans à la Martinique10 .

Der Tumult ging so weit, dass 63 freie Farbige zwei vor Anker liegende Schiffe plünderten. Vor dem Hintergrund dieser Szenen ist es nicht erstaunlich, dass die Zusicherungen Dunys, wonach die Sklaverei in Martinique auch unter französischer Herrschaft beibehalten werde, auf wenig Glauben stießen11 . Der Grund für das anhaltende Misstrauen der Pflanzer war die nach außen propagierte Politik Bonapartes, die Sklaverei in jenen Kolonien beibehalten zu wollen, in denen sie nie abgeschafft worden war, und sein gleichzeitiges Bekenntnis zur Abolition in Saint-Domingue sowie Guadeloupe. Diese zweigleisige Politik blieb für die Eliten Martiniques völlig unverständlich12 . 6

7 8 9 10 11

12

Montgirald an Pitt, o. D., in: TNA, PRO/30/8/129/294 (Hervorh. i. Orig.). Die Familie Dillon blieb schließlich auf Martinique. Heute gehört ihr eine der größten und bekanntesten Rumbrennereien der Insel. Zu Arthur Dillon vgl. Dictionnaire de biographie française, Bd. 11, S. 354f. Bexon an Hobart, 6.12.1801, in: TNA, WO 1/90/627. Lacrosse an Decrès, 15.12.1801, in: ANOM, C7A 55, fol. 102. Duny an Decrès, 22.2.1802, in: ANOM, EE 777/28. Duny an Bruley, 30.1.1802, in: Bruley (Hg.), Les Antilles, S. 95. Duny an Decrès, 22.2.1802, in: ANOM, EE 777/28; Ménant an Lescallier (Kopie), 3.12.1801, in: ANOM, C7A 57, fol. 212; Lacrosse an Cambacérès, 21.12.1801, in: ADGB, 61J/31/2. Johnstone an Hobart, 4.2.1802, in: TNA, CO 71/34.

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Die Personalpolitik Bonapartes trug das Ihrige zum Argwohn der Pflanzer Martiniques bei, fanden sich doch sowohl auf Guadeloupe als auch in Französisch-Guyana mit Lacrosse und Hugues Männer in entscheidenden Positionen, die beide untrennbar mit Abolition und Terreur in Verbindung standen. Um sich Klarheit über die Absichten der Metropole zu verschaffen, schickten die Pflanzer Martiniques Louis-François Dubuc, einen der Hauptdrahtzieher des Vertrags von Whitehall, nach Paris13 . Doch bis die Kolonisten Gewissheit über die weitere Zukunft erhielten, sollten noch Monate vergehen. Ein aufgedecktes Sklavenkomplott im Sommer 1802 trug wenig zum Sicherheitsgefühl der Pflanzer bei, zumal weiße Kriegsgefangene angeblich die Sklaven Martiniques zum Aufstand angestachelt hatten14 . Damit wurde die alte Furcht der kolonialen Eliten Martiniques weiter genährt, dass sich die republikanischen Soldaten aus Frankreich mit den freien Farbigen und Sklaven der Kolonie fraternisieren könnten. Zudem sorgte die stets auf Hochtouren laufende Gerüchteküche dafür, dass die Beibehaltung der Sklaverei trotz der Ereignisse auf Guadeloupe keinesfalls so sicher schien, wie es die Abgesandten aus Frankreich Glauben machen wollten15 .

Kolonialstaat und Kolonialwirtschaft Dem Misstrauen der Pflanzer Martiniques gegenüber der französischen Republik versuchte Bonaparte mit der Ernennung von Vizeadmiral Louis-Thomas Villaret-Joyeuse zum Gouverneur der Kolonie zu begegnen16 . Der 55-jährige Villaret galt spätestens seit seiner vielbeachteten Rede vor dem Rat der 500 im Juni 1797 als dezidierter Befürworter der Sklaverei und als einer der Wortführer der Koloniallobby17 . Ihm ging zudem der Ruf voraus, ein Anhänger der Bourbonen zu sein, was ihm als Folge des Staatsstreichs des 18. Fruktidor zwischenzeitlich die Verbannung auf die Île de Ré eingebracht hatte. Villaret war aber vor allem ein Opportunist. So verleugnete er seine adlige Herkunft bis zu seinem Tode 1812 – eigentlich hieß er Villaret de Joyeuse. Im Gegensatz zu den meisten Offizieren der königlichen Marine war er zu Beginn der Französischen Revolution nicht ins Exil gegangen und konnte so rasch Karriere machen. Bereits 1793 war er zum Vizeadmiral aufgestiegen und hatte 13 14 15 16

17

Keppel an Hobart, 10.2.1802, in: TNA, WO 1/37/35. [?] an Lescallier (Kopie), 7.6.1802, in: ANOM, EE 149/32, fol. 29. Ibid. Joséphine an Tascher de la Pagerie, 18.10.1801, in: Joséphine de Beauharnais, Impératrice Joséphine. Correspondance, 1782–1814, hg. von Bernard Chevallier, Maurice Catinat, Christophe Pincemaille, Paris 1996, S. 114f. Branda, Lentz, Napoléon, S. 52; Trani, La Martinique, S. 11; Gainot, La constitutionnalisation, S. 218. Zur Wahl Villarets vgl. auch Daney, Histoire, Bd. 6, S. 16. Zu seiner adligen Herkunft: Johnson, Louis-Thomas Villaret de Joyeuse, S. 8f.

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das prestigeträchtige Kommando über das Geschwader Brests übernommen, wo er mit drakonischen Maßnahmen die Disziplin unter den Matrosen wiederhergestellt hatte. Villarets Ruf in der Marine war jedoch schlecht und seine Erfolgsbilanz äußerst bescheiden. Sein Name war unauslöschlich mit der Niederlage in der Seeschlacht am 13. Prairial (dem »Glorious First of June«) 1794 verbunden18 . Mit der Ernennung Villarets zum Gouverneur von Martinique entledigte sich Bonaparte nicht nur eines mediokren und unbeliebten Admirals, sondern glaubte wegen Villarets klarer Befürwortung der Sklaverei auch, das Vertrauen der Pflanzer Martiniques in das Konsulat wiederzugewinnen. Noch bevor die Kolonie wieder in französischen Händen war, traf Villaret eine Reihe von Vorkehrungen, um die Rückkehr der Republik für die Pflanzer Martiniques so behutsam wie nur möglich zu gestalten. So ließ er auf den Bannern der Garnison die Inschrift »liberté, égalité, fraternité« übermalen und stellte sicher, dass sich unter den nach Martinique zu entsendenden Truppen keine farbigen Soldaten befanden19 . Gleich nach seiner Ankunft in Martinique im September 1802 erließ er eine Proklamation, die den Kolonisten nicht nur die Weiterführung der Sklaverei und die Beibehaltung der »lois antiques qui firent le bonheur de la colonie« ankündigte, sondern auch, dass die Drahtzieher des royalistischen Verrats von 1793 nichts zu befürchten hätten20 . Sancé, Nicolas Bence, Bexon und andere Pflanzer, die in der Vergangenheit die britischen Kriegsanstrengungen aktiv unterstützt hatten, belohnte Villaret gar noch, indem er ihnen einträgliche Ämter in der Kolonialverwaltung verschaffte21 . Bekennende Royalisten ließ er ohne Auflagen in die Kolonie zurückkehren – selbst nachdem der Krieg 1803 erneut ausgebrochen war22 . Den auf Guadeloupe tobenden Kolonialkrieg gegen die schwarzen Soldaten der ehemaligen Kolonialarmee sowie die Unruhen unter der farbigen Bevölkerung im Vorfeld der Restituierung Martiniques an Frankreich nahm Villaret zum Vorwand für eine Repressionswelle gegen die freien Farbigen der Kolonie. Hastig eingerichtete Militärtribunale richteten über freie Farbige, die sich noch so kleiner Straftaten schuldig gemacht hatten oder die ihre Freiheit vor 1789 nicht notariell beweisen konnten. Letzteren wurde gar angedroht, dass die Kolonialbehörden sie als Sklaven verkaufen würden. Allerdings war diese Repressionswelle vor allem gegen freie Farbige in den Städten gerichtet. Farbige Plantagenbesitzer blieben von der Verfolgungswelle ausgenommen23 . Warnend schrieb Villaret nach Paris, dass die freien Farbigen die petits Blancs 18 19 20 21 22 23

Cormack, Revolution, S. 242–290; Girard, The Slaves, S. 67. Bertin an Bonaparte, 3.6.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 13; Villaret-Joyeuse an Bonaparte, 28.7.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 1. Proklamation von Villaret-Joyeuse, 14.9.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 77. Bexon an Grey/Jervis, 3.4.1794, in: TNA, CO 253/1/457; Bexon an Hobart, 6.12.1801, in: TNA, WO 1/90/627. Seaforth an Desgatiers (Kopie), 29.4.1805, in: NRS, GD46/7/12; Seaforth an Laforey (Kopie), 20.4.1805, in: NRS, GD46/7/12. Erlass von Villaret-Joyeuse/Bertin, 15.3.1803, in: ANOM, C8A 107, fol. 167.

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vollständig aus ihrer Stellung innerhalb der kolonialen Wirtschaft verdrängt hätten. In der Folge hätten sie ein beachtliches Vermögen angehäuft, »qui fait fermenter leur ambitions«. Und weiter schrieb er: »Il serait avantageux de passer dans la colonie, un assez grand nombre d’ouvriers, en tous genres, pour partager les profits et diminuer l’importance des gens de couleur«24 . Auch wenn diese Wünsche in Paris kein Gehör fanden, wird deutlich, dass es Villaret darum ging, möglichen Unruheherden innerhalb der Kolonialgesellschaft die ökonomische Basis zu entziehen. Auch den Briten entging nicht, dass etwa in Fort-de-France viele farbige Ladenbesitzer in Folge von Villarets Repressionswelle ihre Geschäfte aufgeben mussten. Die Stadt gleiche mittlerweile einer Wüste, schrieb Commodore Samuel Hood im Januar 1803 nach einem Besuch in der Hauptstadt Martiniques an seine Vorgesetzten in London. Selbst die freien Farbigen würden sich eine Rückkehr der Briten wünschen, so Hood weiter25 . Villarets Versuch, den Kindern freier Farbiger den Schulbesuch zu untersagen, weil die »abus des Lumières« in der Vergangenheit zu »expériences déplorables« geführt hätten, scheiterten hingegen am Widerstand der Kolonialverwaltung26 . Trotzdem besteht kein Zweifel daran, dass sich die Situation der freien Farbigen, insbesondere in den Städten, unter Villaret massiv verschlechterte27 . Aus Frankreich zurückkehrenden freien Farbigen wurde die Einreise verboten – ihnen wurde lediglich erlaubt, unter Polizeieskorte ihre privaten Angelegenheiten zu erledigen und dann die Kolonie schnellstmöglich wieder zu verlassen28 . Verdächtige freie Farbige wurden gewaltsam aus der Kolonie vertrieben. Stolz berichtete Kolonialpräfekt Louis-Charles-Henri Bertin im Oktober 1802 nach Paris, die französische Marine habe 243 freie Farbige aus der Kolonie deportiert. Nachdem ihr Verkauf als Sklaven in den spanischen Festlandkolonien gescheitert war, wurden die Deportierten an der Küste gegenüber Aruba kurzerhand abgesetzt29 . Mehrere hundert weitere freie Farbige und Sklaven, »convaincus ou accusés par la voix publique d’assassinats, d’incendie, d’empoisonnements et même ceux [. . . ] qui ont donné des vives inquiétudes à leur maîtres par leur propos et leur conduite«, ließ Villaret einen Monat später an den Golf von Venezuela deportieren – ein Gebiet, gemäß dem Gouverneur »peuplée par des sauvages«. Alle Deportierten hätten sich an den »horreurs« beteiligt, welche die Antillen in den letzten Jahren heimgesucht hatten. »Il n’en est pas un de ces brigands qui n’ait pas trempé ses mains dans le sang des Blancs«. Mahnend schrieb 24 25 26 27 28 29

Alle Zitate aus Villaret-Joyeuse an Decrès, 23.9.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 3. Hood an [Nepean] (Kopie), 12.1.1803, in: TNA, ADM 1/324. Zitate aus Villaret-Joyeuse an [Pothuau] (Kopie), 10.11.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 24. Zur fehlgeschlagenen Umsetzung siehe Hayot, Les gens de couleur, S. 96f. Vgl. Louis, Les libres, Bd. 3, S. 23–34. Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 64. Bertin an Decrès, 23.10.1802, in: ANOM C8A 106, fol. 75.

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Villaret an Decrès weiter: »Vous sentez, citoyen ministre, le danger [de] lâcher dans la société ces bêtes féroces«30 . Ihr Verkauf als Sklaven in Porto Cabello scheiterte allerdings, weil die spanischen Behörden glaubten, »que nous [les Français, F. E.] voulons infecter leurs colonies«31 , wie Leclerc vor Wut schäumend die Aktion kommentierte, die seine Bestrebungen unterminierte, die Öffentlichkeit Saint-Domingues glauben zu machen, die Wiedereinführung der Sklaverei sei nicht sein Ziel. Leclerc endete seinen Bericht über Villarets Deportationen mit der Warnung: »Une pareille conduite nous fera détestés de nos voisins que nous avons le plus grand intérêt à ménager, dans la situation où nous sommes«32 . Villaret kümmerte der diplomatische Totalschaden, den seine Deportationswelle ausgelöst hatte, wenig. Ihm war mehr daran gelegen, den grands Blancs die Möglichkeit zu eröffnen, mittels Denunziationen und Militärtribunalen alte Rechnungen aus der Anfangszeit der Französischen Revolution zu begleichen, als die Plantagenbesitzer mit der städtischen Kaufmannschaft die Klingen kreuzten. Der Kolonialstaat ließ sich so von den grands Blancs vor den Wagen spannen und sich zum ausführenden Organ ihrer Rache degradieren. Um die Überwachung und Verfolgung suspekter freier Farbiger sicherzustellen, verstärkte Villaret die Gendarmerie ausgerechnet mit loyalen Männern ebendieser Gesellschaftsgruppe33 . Offenkundig fand sich unter den freien Farbigen der Kolonie immer noch eine genügende Anzahl von Männern, die bereit waren, für die Interessen der grands Blancs und des Kolonialstaates einzustehen – vermutlich handelte es sich dabei vorwiegend um farbige Plantagenbesitzer. Es kann also keinesfalls die Rede davon sein, dass alle freien Farbigen gleichermaßen zu Opfern von Villarets Repressionswelle wurden. Zudem sollte die Reichweite der Repression nicht überschätzt werden, mussten die Kolonialbehörden doch im Jahr 1807 zugeben, dass sie gar nicht wüssten, wie viele freie Farbige sich in der Kolonie aufhielten34 . Ohnehin entbehrte Villarets Befürchtung einer Rebellion der freien Farbigen zu diesem Zeitpunkt jeder Grundlage. Der Gouverneur schürte in Paris bewusst Ängste vor einem möglichen Übergreifen der Aufstände auf Guadeloupe, Saint-Domingue und Martinique, um seine weitreichende Politik zu rechtfertigen. Faktisch gab es aber, abgesehen von vermeintlichen »débarquements clandestins« von Rebellen aus Guadeloupe und einem Priester, der angeblich freie Farbige und Sklaven seiner Gemeinde aufwiegelte, keinerlei Anzeichen für eine sich anbahnende Revolte35 . 30 31 32 33 34 35

Alle Zitate aus Villaret-Joyeuse an Decrès, 22.11.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 64. Leclerc an Decrès, 7.10.1802, in: Roussier (Hg.), Lettres, S. 252. Ibid. Villaret-Joyeuse an Bertin (Kopie), 30.10.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 22. Laussat an Decrès, 16.4.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 107. Villaret-Joyeuse/Bertin, Ordonnance pour prévenir les débarquements clandestins dans la Martinique, 2.10.1802, in: ANOM, C8A 104, fol. 24; Bertin an Decrès, 22.9.1802, in: ANOM, C8A 106, fol. 56.

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Gleichwohl hielt Villaret es für nötig, die Kolonie in den Belagerungszustand zu versetzen, um so weitreichende Vollmachten zu erlangen, die jegliche Opposition gegen sein autokratisches Regime im Keime ersticken sollten36 . Villarets Machtusurpation war in Anbetracht der von ihm bloß aufgebauschten Gefahrensituation völlig übertrieben, denn der Belagerungszustand war eigentlich nur für den Fall der Invasion einer feindlichen Armee gedacht, um militärische Entscheidungsprozesse nicht unnötigerweise durch die Bürokratie der Zivilverwaltung zu verlangsamen. Selbst Lacrosse hob den Belagerungszustand auf Guadeloupe im September 1802 auf – sieben Wochen bevor Villaret diesen auf Martinique ausrief37 . Kolonialpräfekt Bertin und Justizkommissar Jacques Lefessier-Grandprey erhoben gegen diese Maßnahme keinen Widerspruch, obwohl sie damit zu Villarets Befehlsempfängern degradiert wurden. Die Ausschaltung sämtlicher Kontrollmechanismen innerhalb der Kolonialverwaltung nahmen sie gerne in Kauf, nachdem Villaret nicht nur sein eigenes Salär markant erhöht hatte, sondern auch das ihrige38 . Der anhaltenden Kritik aus Paris an dieser Maßnahme begegnete Villaret mit der Beschwörung etwaiger Sklavenaufstände, denn nur eine autoritäre Regierungsform könne den Zusammenhalt der weißen »Herrenschicht« garantieren39 . Villaret nutzte indes seine neugewonnene Macht für weitere Gefälligkeiten zugunsten der kolonialen Eliten. So erklärte er im Oktober 1802 auf Bitten der Pflanzer aus der Umgebung von Fort-de-France die Hauptstadt der Kolonie zum Freihafen – ein Privileg, das bis dahin nur Saint-Pierre genoss. Zudem wurden die Handelsrestriktionen für den Import von Getreide gelockert40 . Damit verstieß er gegen das Dekret Bonapartes vom Sommer 1802, mit welchem der exclusif mitigé von 1784 im französischen Kolonialreich wiedereingeführt wurde, der spätestens seit dem Ausbruch der Französischen Revolution ein wichtiger Streitpunkt zwischen Kaufleuten und Pflanzern gewesen war. Bezeichnenderweise ließ Villaret das Dekret zur Wiedereinführung des exclusif mitigé nicht einmal publizieren, so dass es der Öffentlichkeit kaum bekannt war41 . Es passt ins Bild, dass die Kolonialverwaltung nichts 36 37 38

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41

Villaret-Joyeuse an Decrès, 14.11.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 31. Proklamation von Lescallier, 3.9.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 10; Decrès an Lacrosse (Entwurf), 28.10.1802, in: ANOM, C7A 58, fol. 241. Notice des principaux actes de l’administration de M. le conseiller d’État Bertin, expréfet colonial de la Martinique, qui ont été blâmés par le gouvernement, o. D. [1804], in: ANOM, C8A 109, fol. 79. Villaret-Joyeuse an Decrès, 17.4.1803, in: ANOM, C8A 107, fol. 78; Villaret-Joyeuse an Decrès, 13.5.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 187. Auch im napoleonischen Frankreich standen die zivilen Instanzen meist über den militärischen Entscheidungsträgern. Vgl. Forrest, Napoleon, S. 159f. Proklamation von Villaret-Joyeuse/Bertin, 14.10.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 90; Pétition adressée à Villaret-Joyeuse par les négociants et habitants du Fort-de-France demandant l’ouverture du port aux bâtiments étrangers, principalement américains, 4.10.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 12. Proklamation von Villaret-Joyeuse/Bertin, 22.9.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 86.

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gegen den florierenden Schmuggel rund um Martinique unternahm und so die gesetzlichen Handelsrestriktionen unterminierte. Damit war der exclusif mitigé faktisch aufgehoben42 . Gegenüber Decrès rechtfertigte Villaret das Öffnen von Fort-de-France für die fremde Schifffahrt mit der unzureichenden Versorgung durch den französischen commerce national43 . Bertin behauptete später sogar, es hätte im Herbst 1802 ein Sklavenaufstand gedroht, weil die französischen Getreideund Kabeljaulieferungen die Ernährung der Sklaven nicht hätten sicherstellen können44 . Damit übernahm Bertin nur die alten Scheinargumente der Pflanzer, die mit ihrer üblichen Panikmache versuchten, den verhassten exclusif zu unterminieren45 . Der commerce national war in Martinique zudem nicht so schwach vertreten, wie es Villaret und Bertin den Marine- und Kolonialminister glauben machen wollten. Die beiden Administratoren berichteten selbst immer wieder über die zahlreichen französischen Handelsschiffe, die in der Kolonie ihre Ware verkauften46 . Gleiches gilt für den Sklavenhandel: So sind immerhin vier Sklavenschiffe bekannt, die – unter französischer Flagge segelnd – während der Friedensperiode 1802–1803 über 1100 Sklaven in Martinique verkauften, wohingegen in derselben Periode nur ein einziger nicht-französischer Sklavenhändler in den Häfen Martiniques anlegte und 218 Sklaven verkaufte47 . Gleichwohl bestehen kaum Zweifel, dass der commerce national nach beinahe zehn Kriegsjahren nicht in der Lage war, die Bedürfnisse des französischen Überseereiches vollumfänglich zu befriedigen48 . Die Motive für Villarets Freihandelspolitik lagen jedoch nicht in den vermeintlichen Versorgungsschwierigkeiten Martiniques begründet, sondern in seinem Bestreben, die Interessen der grands Blancs soweit als möglich zu bedienen. Letztere wollten unter keinen Umständen unter die merkantilistischen Restriktionen des commerce national zurückkehren. Zwar konnten viele Pflanzer ihre Schulden bei französischen Kaufleuten 1795 im Zuge der sich verschärfenden Währungskrise in Frankreich mit wertlosen Assignaten begleichen, weshalb ihnen mit der Wiedereinführung des exclusif mitigé und der damit verbundenen Rückkehr in den französischen Wirtschaftsraum kaum der finanzielle 42 43 44 45 46

47 48

Villeneuve an Decrès, 22.10.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 117. Villaret-Joyeuse an Decrès, 17.4.1803, in: ANOM, C8A 107, fol. 78. Bertin an Decrès, 1.4.1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 155. Vgl. Horan, The Colonial Famine Plot. Bertin an Decrès, 23.7.1802, in: ANOM, C8A 106, fol. 19; Bertin an Decrès, 5.8.1802, in: ANOM, C8A 106, fol. 37; État des bâtiments français avisés en l’Île de la Martinique et admis à y faire leur vente depuis le 30 messidor dernier, o. D. [1802], in: ANOM, C8A 106, fol. 41; Bertin an Bonaparte, 25.11.1802, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 42; VillaretJoyeuse an Decrès, 23.9.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 1; Bertin an Decrès, 30.10.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 94. Vgl. The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 26.7.2018). Girard, The Slaves, S. 50.

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Ruin gedroht hätte49 . Doch während acht Jahren britischer Besatzung und einem faktischen Freihandelsregime hatten die Pflanzer derart profitable Handelsnetzwerke in die USA und nach Großbritannien aufgebaut, dass sie keinerlei Interesse hatten, diese zugunsten des verhassten commerce national aufzugeben. Welche ökonomische Bedeutung diese transnationalen Handelsnetzwerke für die grands Blancs Martiniques hatten, zeigt der Bericht des einflussreichen Kaufmanns Mallespine aus Guadeloupe: Selbst nach dem erneuten Ausbruch des Kriegs im Frühjahr 1803 wurden allein in der britischen Kolonie Dominica jährlich 15 000 Fässer Zucker aus Martinique verkauft50 . Heftige Kritik an Villarets Freihandelspolitik erwuchs vor allem aus Kreisen der Kriegsmarine. So beklagte sich der Kommandant der Flotte in den Kleinen Antillen, Vizeadmiral Pierre-Charles de Villeneuve, bei Decrès über diese Politik des Gouverneurs. Villeneuve betrachtete die Kriegsmarine als Garant der Einhaltung des exclusif 51 . Schließlich hatte die Kriegsmarine ein elementares Interesse an der Genesung des commerce national, um an die dringend benötigten Seeleute zu gelangen. Villeneuve ärgerte sich insbesondere über die Passivität der Kolonialverwaltung bei der Bekämpfung des florierenden Schmuggels und über die Günstlingswirtschaft Villarets bei der Errichtung seines Freihandelsregimes. Damit ignoriere der Gouverneur die Interessen des französischen Überseehandels zugunsten der Wünsche der Pflanzer und füge überdies dem cabotage Martiniques großen Schaden zu, womit das Ausrüsten von Kaperschiffen in einem zukünftigen Krieg gefährdet sei52 . In Villeneuves Tiraden auf Villarets Freihandelspolitik spielten aber auch noch andere Gründe eine gewichtige Rolle: Das Gelbfieber verbreitete sich rasend schnell unter den Besatzungen seines Geschwaders, weshalb der Vizeadmiral sich außer Stande sah, seine Schiffe zu bemannen und den Schmuggel rund um Martinique zu bekämpfen53 . Ohnehin fehlten Villeneuve die notwendigen Schiffe, um gegen den Schwarzhandel vorzugehen, wurde doch die Flotte bei den Deportationen freier Farbiger aus Martinique und Guadeloupe eingesetzt, die der Vizeadmiral als unter der Würde der Kriegsmarine erachtete. Diese unbefriedigende Situation sei überdies der Moral seiner Offiziere abträglich, die mit hohen Erwartungen bezüglich Beförderungen und Beute in die Karibik gekommen seien und nun tatenlos dem grassierenden Schmuggel zusehen müssten und gleichzeitig vom Gelbfieber dahingerafft würden54 . 49 50 51 52 53 54

Laussat an Decrès, 9.6.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 111; Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 284. Mauron/Mallespine an Ernouf/Kerversau, 10.5.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 262. Villeneuve, Instructions générale pour tous les bâtiments composant la station des îles du Vent de l’Amérique, 13.9.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 19. Villeneuve an Decrès, 22.10.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 117. Leti, Santé, S. 125. Villeneuve an Decrès, 24.10.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 28; Villeneuve an Decrès, 28.12.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 43; Villeneuve an Decrès, 21.11.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 37.

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Viele Marineoffiziere reagierten auf diese Situation kurzerhand damit, dass sie sich selbst an den Schmuggelgeschäften beteiligten, um zumindest einen finanziellen Profit aus ihrem Aufenthalt in der Karibik zu ziehen55 . Als die Meldungen von Villarets eigenmächtiger Aufhebung des exclusif mitigé Paris erreichten, reagierten Decrès und Bonaparte alles andere als erfreut. Bonaparte erteilte ohne Umschweife die Weisung, den exclusif mitigé in Martinique sofort wiedereinzuführen56 . Villaret nutzte in den nächsten Monaten die langen Kommunikationswege zwischen Martinique und Paris, um die Umsetzung der Befehle Bonapartes hinauszuzögern. Mit immer neuen Vorwänden verteidigte er in der Folge sein Freihandelsregime57 . Die Kritik aus Paris ebbte keineswegs ab, insbesondere nachdem Berichte über die Auswirkungen dieser Freihandelspolitik in der Metropole eintrafen. So würden zahlreiche fremde Kaufleute in der Kolonie operieren. Infolgedessen würden französische Kaufleute die Kolonie verlassen und Handelsschiffe aus Frankreich die Kolonie meiden58 . Auf die immer schärfer werdende Kritik aus Paris reagierte Villaret zu Beginn des Jahres 1803 mit der Ausweisung aller fremden Kaufleute aus der Kolonie binnen der nächsten fünf Monate59 . Diese Ankündigung blieb allerdings ohne Folgen. Kurz darauf unterbreitete Villaret allen fremden Kaufleuten der Kolonie ein Naturalisationsangebot, das ihnen erlaubte, ihre Handelsnetzwerke mit fremden Mächten als Franzosen weiter zu pflegen60 . Zu loyalen citoyens wurden sie damit aber mitnichten, bildeten sie doch eine wichtige Informationsquelle für britische Militärs61 . Einschneidender dürfte jedoch die Tatsache gewesen sein, dass die Kolonie damit zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für britische Fertigwaren wurde, die für den Verkauf in den spanischen Festlandkolonien bestimmt waren. Auch der Sklavenhandel Martiniques war fortan fest in den Händen britischer Schmuggler, die Sklaven aus Dominica in die französische Kolonie einschleusten62 . Währenddessen kauften amerikanische Kaufleute Zucker und Kaffee in Martinique und versorgten die Kolonie im Gegenzug mit Kabeljau, Getreide 55 56

57 58

59 60 61 62

Information from Dominica by Captn. Bland, 12.12.1802, in: TNA, ADM 1/324. Bonaparte an Decrès, 23.11.1802, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 3, S. 1163; [Decrès], Analyse des lettres écrites au ministre depuis le 1er vendémiaire, o. D. [1802], in: ANOM, C8A 105, fol. 72. Villaret-Joyeuse an Bonaparte, 17.4.1803, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 8. Vgl. [?] an Decrès, 27.5.1803, in: ANOM, C8A 106, fol. 89; Notice des principaux actes de l’administration de M. le conseiller d’État Bertin, ex-préfet colonial de la Martinique, qui ont été blâmés par le gouvernement, o. D. [1804], in: ANOM, C8A 109, fol. 79. Bertin an Decrès, 28.1.1803, in: ANOM, C8A 108, fol. 5. Proklamation von Villaret-Joyeuse/Bertin, 19.2.1803, in: ANOM, C8A 108, fol. 163. Extracts of Intelligence, [?].5.1803, in: TNA, ADM 1/324. Mauron/Mallespine an Ernouf/Kerversau, 10.5.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 262; Cochrane an Barnes (Kopie), 6.11.1808, in: NLS, MS. 2324/139; Histoire de la Martinique, o. D. [1806], in: BL, Add. 38356/207; Lafond an Decrès, 27.4.1803, in: SHD, FM/BB4/184, fol. 73; Lafond an Decrès, 17.4.1803, in: SHD, FM/BB4/184, fol. 68; Hubordier an Jérôme Bonaparte, 6.11.1805, in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 29.

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und Wein aus Nordamerika, wobei jedoch Letzterer nicht den Ansprüchen des französischen Offizierskorps genügte, wie sich Villaret beklagte63 . Martinique mochte politisch gesehen eine französische Kolonie darstellen, aus ökonomischer Perspektive konnte davon aber keine Rede sein. Vielmehr lag sie in den wirtschaftlichen Zwischenräumen konkurrierender Imperien – insbesondere des Britischen Empire und des jungen US-amerikanischen Imperiums – und deren transnationaler Handelsnetzwerke. Bezeichnend hierfür war auch die Tatsache, dass die Vermögen der grands Blancs größtenteils in den Banken der City Londons lagerten. Gleichzeitig hatten die Pflanzer allein im Jahr 1805 ausstehende Schulden bei britischen Kaufleuten von insgesamt fünf bis sechs Millionen Livre64 . Ursache der ökonomischen Abkapselung Martiniques vom französischen Imperium war zweifellos Villarets eigenmächtige Wirtschaftspolitik, die den Vorstellungen Bonapartes diametral gegenüberstand. Nach der Auffassung des Ersten Konsuls sollte das französische Imperium ökonomisch durch exklusive Handelsbeziehungen zugunsten der französischen Wirtschaft zusammengehalten werden. Die Freihandelspolitik des Gouverneurs fügte nicht nur dem commerce national erheblichen Schaden zu. Villaret unterminierte darüber hinaus auch Bonapartes langfristiges Ziel, der französischen Kriegsmarine durch die Genesung des commerce national ein Rekrutierungsbecken geübter Seeleute zu eröffnen – dies pikanterweise als ein ranghohes Mitglied ebendieser Kriegsmarine65 . Mit dem erneuten Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Frankreich und Großbritannien im Sommer 1803 hatte Villaret jedoch auf einen Schlag alle Argumente auf seiner Seite, denn der Kriegsausbruch war gleichbedeutend mit dem Abbruch der direkten Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und seinen Kolonien in Übersee. Die Öffnung der Häfen Martiniques für die neutrale Schifffahrt war die logische Folge. Gleichwohl waren Villarets Eigenmächtigkeiten keineswegs vergessen. Decrès und Bonaparte missfiel das Gebaren des Gouverneurs, der trotz der Mahnungen aus Paris auf die Beibehaltung des Belagerungszustandes pochte, obwohl es dazu kaum stichhaltige Gründe gab. Für diese Missstände musste Kolonialpräfekt Bertin geradestehen, weshalb er 1804 von seinem Posten abberufen wurde. Villaret konnte in Paris auf ein einflussreiches Patronagenetzwerk zählen und behielt deshalb sein Amt – gleichwohl war Bertins Abberufung ein deutlicher Fingerzeig für Villaret, dass er sich auf dünnem Eis bewegte66 . Zu Bertins Nachfolger ernannte Bonaparte Pierre-Clément de Laussat, einen peniblen Bürokraten aus Pau, dem der Ruf vorauseilte, jede Flasche Essig abzurechnen. Laussat, der zuvor die Übergabe Louisianas an die USA 63 64 65 66

Villaret-Joyeuse an Decrès, 9.5.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 181. Laussat an Decrès, 9.6.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 111; Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 275, 283f. Annie Jourdan, L’empire de Napoléon, Paris 2 2006, S. 195–197. Chanaleilles an Villaret-Joyeuse, 23.11.1807, in: TNA, CO 166/1/363.

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überwacht hatte, sollte Ordnung in die Kolonialverwaltung bringen, Bonapartes Reformen im Recht- und Finanzwesen umsetzen sowie der Korruption in Martinique den Kampf ansagen67 . Doch damit stellte Bonaparte den beflissenen Verwalter Laussat vor eine unlösbare Aufgabe.

Subversive Kooperation Die Wurzeln von Villarets großzügiger Politik gegenüber den grands Blancs reichten noch viel tiefer. Er schützte die Pflanzer systematisch vor napoleonischen Reformen im Steuer- und Rechtswesen, die ihre ökonomischen und politischen Interessen tangiert hätten. So sabotierte er sämtliche Bemühungen Laussats, die metropolitanen Vorgaben umzusetzen, beispielsweise die Einführung des neuen Hypothekarrechts, welche den Ruin vieler Plantagenbesitzer nach sich gezogen hätte68 . Pflanzern und wohlgesinnten Kaufleuten, die in finanziellen Schwierigkeiten steckten, half Villaret zudem in großzügiger Manier mit öffentlichen Geldern aus. Als sich Laussat gegen diese Günstlingswirtschaft zur Wehr setzte, entgegnete der Gouverneur, dass nur so die Unterstützung der Pflanzer gewonnen werden könne69 . Damit nutzte Villaret die Befürchtungen der Regierung in Paris hinsichtlich der ungewissen Loyalität der Pflanzer Martiniques geschickt zur Verteidigung seines eigenen Standpunktes. Gleichzeitig konnte er so seine persönlichen Motive für die subversive Politik kaschieren, die er seit dem Beginn seiner Statthalterschaft verfolgte. Indem er bekannten Royalisten wie Sancé, Bence und Bexon wichtige Posten innerhalb der Kolonialverwaltung zuschanzte, schwang er sich zum Patron der führenden Drahtzieher des royalistischen Verrats von 1793 auf. Als Gegenleistung für Villarets Nepotismus sammelten die Pflanzer Martiniques Geld, um dem Gouverneur ein vornehmes Stadthaus in Paris im Wert von 300 000 Franc zu finanzieren70 . Gleichzeitig tolerierten sie es, dass Villaret und sein jüngerer Bruder JeanMarie, der Direktor der Artillerie- und Festungswerke, öffentliche Gelder veruntreuten und große Geldsummen nach Frankreich schafften71 . Der 67

68 69 70 71

Notice des principaux actes de l’administration de M. le conseiller d’État Bertin, expréfet colonial de la Martinique, qui ont été blâmés par le gouvernement, o. D. [1804], in: ANOM, C8A 109, fol. 79; Villaret-Joyeuse an Decrès, 4.9.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 233. Laussat an Decrès, 12.11.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 244; Lefessier-Grandprey an Decrès, 25.5.1804, in: ANOM, C8A 109, fol. 284; Daney, Histoire, Bd. 6, S. 185f. Villaret-Joyeuse an Laussat (Kopie), 5.12.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 92; VillaretJoyeuse an Laussat (Kopie), 18.12.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 94. Laussat an Decrès, 2.2.1806, in: ANOM, C8A 113, fol. 102; Laussat an Decrès, 3.2.1806, in: ANOM, C8A 113, fol. 120. Hood an [Nepean] (Kopie), 12.1.1803, in: TNA, ADM 1/324.

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Gouverneur, seine kreolischen Protegés aus dem Offizierskorps und die grands Blancs waren aber nicht nur durch gemeinsame Interessen – nämlich die Ausplünderung und Unterminierung des Kolonialstaates – verbunden. Dieses engmaschige Kooperationsnetzwerk wurde auch durch Heiratsbande zwischen Villarets Protegés aus dem Offizierskorps und Töchtern aus einflussreichen Pflanzerfamilien zusammengehalten. Als Patron übernahm der Gouverneur auch die Rolle des Treuzeugen bei diesen Hochzeiten72 . Es kann also keine Rede davon sein, dass Villaret in den innenpolitischen Konflikten auf Martinique lediglich als neutraler »field observer« fungiert habe, wie dies Rebecca Hartkopf Schloss behauptet hat73 . Vielmehr verbündete sich Villaret mit einer Partei, deren Loyalität nicht beim französischen Staat lag, sondern bei dessen geostrategischem Erzfeind: dem Britischen Empire. Die anglomanes, wie die Unterstützer der Briten genannt wurden, verfolgten ihr Ziel, eine baldige Übernahme der Kolonie durch die britischen Streitkräfte, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Neben den skizzierten Motiven hatten die anglomanes noch ganz andere Gründe, sich nach einer Rückkehr der Briten zu sehnen. Zum einen bot ihnen die Royal Navy den notwendigen Schutz beim Transport der Kolonialwaren nach Europa – eine Fähigkeit, zu der die französische Marine kaum im Stande war74 . Zum anderen hatten sich viele Pflanzer Martiniques kulturell von ihrem Mutterland abgewandt. So berichtete Laussat entsetzt, dass in den Jahren 1790–1803 eine ganze Generation von Kindern Martiniques ihre Ausbildung und Erziehung in den USA und Großbritannien genossen habe: »[Une génération] a pris des préjugés et des principes, même des mœurs, qui pour nous ne sont pas nationaux, mais qui du moins ne sont pas non plus précisément antifrançais«75 . Auch nach der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten hätten die grands Blancs ihre Kinder immer noch in Schulen in Großbritannien geschickt76 . Laussats Bedenken hinsichtlich der Loyalität der grands Blancs Martiniques versuchte Villaret zu zerstreuen, indem er behauptete, die Pflanzer seien in Wahrheit die treuesten Diener Napoleons. Die Vorwürfe der anglomanie würden von Personen vorgebracht, die mit den Verhältnissen in den Kolonien nicht vertraut seien77 . Das war reine Augenwischerei, denn gerade Napoleon-treue Offiziere, die sich in den Revolutionskriegen hochgedient hatten und nun in der Kolonialarmee Martiniques stationiert waren, blieben gesellschaftlich isoliert. Die grands Blancs setzten gemäß Laussat alles daran, 72 73 74 75 76 77

Dessalles an Bence, 4.3.1808, in: Léo Élisabeth (Hg.), Pierre Dessalles. La vie d’un colon à la Martinique au XIXe siècle, 4 Bde., Courbevoie 2 1980–1986, Bd. 1, Nr. 2. Hartkopf Schloss, The Distance, S. 43. Laussat an Decrès, 9.6.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 111. Laussat an Decrès, 31.8.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 116. Ibid. Villaret-Joyeuse an Decrès, 10.3.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 110.

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den sozialen Aufstieg der Neuankömmlinge aus Europa zu verhindern78 . Freilich schadeten sich viele dieser Bonapartisten auch selbst, indem sie mit allen Mitteln versuchten, rasch ein Vermögen anzuhäufen. Die alteingesessenen Pflanzer begegneten ihnen deshalb mit größter Verachtung. Andere Offiziere, wie Bonapartes jüngerer Bruder Jérôme, der während der kurzen Friedensperiode in der Marinestation Martiniques Dienst tat, fielen durch ihre sexuellen Eskapaden negativ auf. Commodore Hood rapportierte diesbezüglich nach London: »Young Bonaparte commands a brig and is more likely to be a terror to French husbands than to the British Navy«79 . Vor diesem Hintergrund vermag es nicht zu erstaunen, dass die Neuankömmlinge aus Europa gesellschaftlich kaum integriert waren. Dies lag nicht nur am fehlenden gemeinsamen politischen Nenner mit den grands Blancs, sondern auch daran, dass es sich hierbei um eine Gruppe handelte, die ihren sozialen Aufstieg aus den niedersten Rängen der europäischen Gesellschaft allein dem Militärdienst in den Revolutionsarmeen verdankte. Diese Neusiedler hatten mit den aristokratischen Plantagenbesitzern Martiniques wenig gemein. Letztere zementierten ihre Macht in der cour d’appel, in welcher die führenden Pflanzer der Kolonie vertreten waren. Ihr Zweck war ein doppelter: Sie war nicht nur ein geeignetes Instrument, um die sozioökonomischen Interessen der alteingesessenen Pflanzer mit rechtlichen Mitteln durchzusetzen, sondern auch ein informelles Beratergremium für Villaret. Auf diesem Weg gelang es den Pflanzern, ihren politischen Einfluss auch institutionell zu wahren, obwohl sie im Gegensatz zur Phase unmittelbar vor und nach Ausbruch der Französischen Revolution vom politischen Entscheidungsprozess nominell ausgeschlossen blieben80 . Villaret schlug fast nur Pflanzer als Mitglieder der cour d’appel vor, die bereits in der Vorgängerinstitution, dem conseil souverain, vertreten gewesen waren. So behielten auch unter dem Konsulat und anschließend im Kaiserreich diejenigen Kräfte in Martinique ihren Einfluss, die 1793 maßgeblich die Übergabe der Kolonie an das Britische Empire vorangetrieben hatten. Über die Regel, wonach die Mitglieder der cour d’appel einen Abschluss in Rechtswissenschaften haben mussten, sah Villaret bei seinen Nominierungen großzügig hinweg. Tatsächlich konnte nämlich kein einziges Mitglied der cour d’appel Martiniques einen derartigen Abschluss vorweisen81 . Deren Wahl wurde von Bonaparte trotzdem bestätigt, weil die grands Blancs auf einen mächtigen neuen Verbündeten in Paris zählen konnten: Joséphine de Beauharnais, die Ehefrau des Ersten Konsuls. Sie stammte aus der wohlhabenden, auf Martinique beheimateten Familie Tascher de la Pagerie und stellte den verloren gegangenen Einfluss der Pflanzerlobby in Paris – zumindest in Hinblick auf deren unmittelbare Interessen – wieder 78 79 80 81

Laussat an Decrès, 23.10.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 220. Hood an [Nepean] (Kopie), 12.1.1803, in: TNA, ADM 1/324. Daney, Histoire, Bd. 6, S. 13. Laussat an Decrès, 28.10.1804, in: ANOM, C8A 109, fol. 155.

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her. Als die Wahl der neuen Mitglieder der cour d’appel von Bonaparte bestätigt werden sollte, schrieb Joséphines Mutter, Rose-Claire Tascher de la Pagerie, mehrere Empfehlungsschreiben zugunsten der Kandidaten Villarets. »C’est le vœu de la colonie« behauptete sie, dass die cour d’appel aus den »habitants, tous colons et riches propriétaires« zusammengesetzt sei, »qui rendent la justice gratuitement«. Auf keinen Fall dürfe man Richter aus Europa anstellen, die der Steuerzahler auch noch entlohnen müsste. Diese finanziellen Argumente waren jedoch nur Vorwände. Im Kern ging es ihr darum, dass keine Außenstehenden das sorgsam gehütete Machtgefüge der grands Blancs stören sollten. Juristen aus Europa seien mit Gebräuchen und Eigenheiten Martiniques nicht vertraut, so Joséphines Mutter weiter82 . Der erforderliche Abschluss in Rechtswissenschaften sei deshalb auch gar nicht notwendig, denn die vorgeschlagenen Kandidaten verfügten angeblich über die »connaissances que donne une excellente éducation«. Tascher de la Pageries Ängste rührten auch von den »horreurs de la Guadeloupe« her, wo die Armeeoffiziere aus Europa jede Gelegenheit nutzten, um sich auf Kosten der zurückkehrenden émigrés zu bereichern und ihnen keinerlei Möglichkeiten zur politischen Partizipation gaben. Es sei deshalb dringend notwendig, den kreolischen Kandidaten Villarets Einlass in die cour d’appel zu gewähren, obwohl sie den formalen Anforderungen der Metropole nicht genügten83 . Joséphines Mutter sollte bis zu ihrem Tode 1808 die Position ihrer Tochter in Paris zum Vorteil der grands Blancs nutzen. Immer wieder bat sie Marineund Kolonialminister Decrès um Gefälligkeiten zugunsten einflussreicher Pflanzer Martiniques und ausgewählter Offiziere der Kolonialarmee84 . Auch Dubuc, der in Paris kaum Freunde hatte, konnte dank seiner Nähe zur Familie Joséphines wieder an Einfluss bei Bonaparte gewinnen85 . Sobald aber handfeste geostrategische Interessen Frankreichs tangiert wurden, war der Einfluss von Joséphines Mutter begrenzt. So versuchte sie beispielsweise 1803 ihren Schwiegersohn erfolglos dazu zu bewegen, Villarets eigenmächtiger Öffnung von Fort-de-France als Freihafen zuzustimmen. Dabei handelte sie nicht nur im Interesse ihrer Standesgenossen, sondern hätte auch ganz persönlich davon profitiert, lag doch ihre Plantage bei Trois-Îlets nahe der Bucht von Fort-de-France86 . 82 83 84 85 86

Zitate aus Tascher de la Pagerie an Lefessier-Grandprey (Kopie), 2.10.1804, in: ANOM, C8A 109, fol. 315. Zitate aus Tascher de la Pagerie an [Decrès], 3.10.1804, in: ANOM, C8A 109, fol. 316. Tascher de la Pagerie an Joséphine, 20.6.1803, in: ADGB, 61J/47; Tascher de la Pagerie an Decrès, 17.3.1805, in: ANOM, EE 299/8. Villaret-Joyeuse an [Dubuc] (Kopie), 21.4.1807, in: NLS, MS. 2319/281; Daney, Histoire, Bd. 6, S. 92. Tascher de la Pagerie an Bonaparte, 15.5.1803, in: ANPS, AF/IV/1214, fol. 49. Die Ruinen der Plantage von Joséphines Familie bei Trois-Îlets sind heute Teil eines kleinen Museums.

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Dennoch half die politische Protektion in Paris der cour d’appel, die sozioökonomischen Interessen ihrer Mitglieder ungestört durchzusetzen. So berichtete Laussat entsetzt, dass die cour d’appel mithilfe Villarets alle seine Bemühungen untergrabe, die Reformen Bonapartes im Rechts- und Wirtschaftswesen auf Martinique umzusetzen. Der Durchsetzung moderner Staatlichkeit waren damit enge Grenzen gesetzt. Insbesondere die Weigerung der cour d’appel, Napoleons code civil einzuführen, war in Laussats Augen symptomatisch für den Konflikt zwischen Kolonisten und Metropole. Die grands Blancs brüsteten sich damit, dass das Zivilgesetzbuch in Martinique nicht code Napoléon genannt wurde, sondern code de la Martinique. Ihre weitreichenden juristischen Kompetenzen als Berufungsgericht nutzte die cour d’appel schamlos aus, um die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Kaufleuten und Pflanzern zugunsten letzterer zu entscheiden – egal ob das metropolitane Recht auf Seiten der Kaufleute gestanden hätte. Grund für die vielen Auseinandersetzungen war einmal mehr die Verschuldung der Pflanzer bei der Kaufmannschaft Martiniques. Die daraus resultierende Unzufriedenheit unter den Kaufleuten blieb folgenlos, da es ihnen unmöglich war, sich gegen die mächtigen Bande zwischen Pflanzern und Kolonialstaat zu einer schlagkräftigen Widerstandsgruppe zu formieren. Zudem kann keine Rede davon sein, dass die cour d’appel ihre Funktion als Berufungsgericht ernst nahm, denn erstinstanzliche Urteile kassierte sie nie. Dies lag in der Tatsache begründet, dass auch die Gerichte der ersten Instanz von Pflanzern präsidiert wurden, die eng mit den Mitgliedern der cour d’appel befreundet waren. Gemäß Laussat verschlimmerte sich die Situation gar noch, als Justizkommissar Lefessier-Grandprey 1807 aus gesundheitlichen Gründen nach Frankreich zurückkehrte. Sein Nachfolger ad interim wurde Bence: ein glühender Anhänger des Ancien Régime und enger Protegé Villarets. Konnte Lefessier-Grandprey gemäß Laussat bis dahin die schlimmsten Missachtungen metropolitanen Rechts noch unterbinden, waren den grands Blancs mit dem gesundheitsbedingten Abgang des Justizkommissars kaum mehr Schranken bei der rücksichtslosen Verfolgung ihrer Interessen gesetzt87 . Freilich sollte die Macht der cour d’appel nicht überbewertet werden. Ihre von der Kolonialregierung unterstützten Bestrebungen, die Segregation innerhalb der Gesellschaft Martiniques zu verschärfen, indem Heiraten zwischen freien Farbigen und Weißen verboten wurden, unterwanderten die Betroffenen oftmals selbst. Als beispielsweise ein genuesischer Seiltänzer namens Arisy die Tochter eines farbigen Kaffeeplantagenbesitzers heiraten wollte, wurde sein Ansinnen von Villaret abgelehnt, nachdem der Gouverneur die cour d’appel in dieser Angelegenheit konsultiert hatte. Villaret erachtete 87

Laussat an Decrès, 28.10.1804, in: ANOM, C8A 109, fol. 155; Laussat an Decrès, 5.9.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 117; Laussat an Decrès, 2.2.1806, in: ANOM, C8A 113, fol. 102; Laussat an Decrès, 20.12.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 212. Zum code de la Martinique siehe auch Niort, Richard, À propos, S. 35, Anm. 29.

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derartige Beziehungen als zu gefährlich. Arisys Status als petit Blanc spielte bei diesem Entscheidungsprozess ebenso eine Rolle wie die Befürchtung Villarets, die Segregation innerhalb der Kolonialgesellschaft Martiniques zu gefährden. Das Bündnis zwischen Kolonialstaat und den grands Blancs nutzte seine Macht also auch, um die Klassengegensätze innerhalb der Gesellschaft Martiniques zu zementieren, indem im Zweifelsfall den petits Blancs ihre Bürgerrechte verweigert wurden. Arisy aber akzeptierte den Entscheid Villarets nicht und erklärte kurzerhand, dass er nicht weiß sei, sondern teilweise afrikanischer Abstammung. Infolgedessen hatten die Behörden keine rechtliche Handhabe mehr, die Heirat zu unterbinden88 . Der passive Widerstand subalterner Gesellschaftsgruppen mochte die sozialen Normen der grands Blancs in Frage stellen, doch existentiell bedrohlich waren diese individuellen Formen des Widerstandes nicht. Für die Pflanzer stellten die zahlreichen Vergiftungsversuche ihrer Sklaven eine weit größere Gefahr dar89 . So war es wohl kein Zufall, dass ausgerechnet Joséphines Mutter 1806 beinahe durch ihre Haussklavin Émilie getötet worden wäre, nachdem Letztere das Essen ihrer Herrin mit Glasscherben versetzt hatte. Der Mordversuch scheiterte jedoch, weil Joséphines Mutter die Scherben entdeckt hatte. Man darf annehmen, dass unter den Sklaven Martiniques die entscheidende Rolle von Joséphines Mutter für das Herrschaftsgefüge in der Kolonie bekannt war und sie wussten, dass ihr Tod ein herber Schlag für die grands Blancs gewesen wäre. Die Rache des Kolonialstaates war unerbittlich: Émilie wurde bei lebendigem Leib verbrannt90 . Letztlich vermochten diese Formen des Widerstandes die Macht der herrschenden Schicht nicht zu gefährden. Sie waren vielmehr kaum organisierte, individuelle Akte der Auflehnung subalterner Gesellschaftsgruppen gegen ein dominierendes Bündnis zwischen den grands Blancs und dem Kolonialstaat. Der Widerstand der Sklaven hatte auch nichts mit den erfolglosen Bemühungen von Kolonialpräfekt Laussat gemein, die politische Macht der grands Blancs zu brechen und die Autorität der Metropole wiederherzustellen. Als er beispielsweise 1805 die Anweisung gab, dass nur noch in denjenigen Häfen mit fremden Schiffen gehandelt werden dürfe, in denen auch Zollbeamte den Handel kontrollierten, ließ Villaret diese Anordnung sogleich zurücknehmen. Der Gouverneur betrachtete Laussats Vorgehen als Einmischung eines Zivilisten in militärische Angelegenheiten und in Anbetracht der innenpolitischen Situation äußerst gefährlich für die Aufrechterhaltung der kolonialen Ord88 89 90

Laussat an Decrès, 24.8.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 200; Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 348–351. Lefessier-Grandprey an Decrès, 30.4.1804, in: ANOM, C8A 110, fol. 76; Villaret-Joyeuse an Decrès, 2.4.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 17. Copie d’un jugement rendu par le tribunal spécial de la Martinique condamnant à être brûlée vive la négresse Émilie, accusée de tentative d’empoisonnement sur la personne de Mme de La Pagerie, mère de l’impératrice, 9.6.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 210; Villaret-Joyeuse an Decrès, 15.6.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 219.

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nung, »qui fait le bonheur de tous«91 . Unverhohlen warnte Villaret Marineund Kolonialminister Decrès, dass die Pflanzer ihre Optionen überdenken und die Kolonie den Briten übergeben würden, wenn man Laussats Versuchen, den Schmuggel zu bekämpfen, nicht Einhalt gebiete92 . Die in der Folge einbrechenden Zolleinnahmen rissen ein klaffendes Loch in die Kasse des Kolonialstaates: Allein in den Jahren 1806–1807 fehlten 4,1 Millionen Franc. In einem internen Memorandum rechnete Laussat vor, dass sich dieses Defizit nur mit einer Verdoppelung des Steuerfußes decken ließ. Doch daran war nicht zu denken, da bereits eine leichte Erhöhung der Kopfsteuer auf die Sklaven der Pflanzer am Widerstand der cour d’appel scheiterte. Die Erhebung zusätzlicher Kriegssteuern wurde ebenfalls abgelehnt. Zudem fiel es den Behörden immer schwerer, ausstehende Steuern bei den Pflanzern einzutreiben, da diese mit allen Mitteln versuchten, ihren fiskalischen Verpflichtungen zu entgehen93 . Freilich fehlte es letzteren auch zunehmend an Bargeld, um ihre Steuerschulden überhaupt bezahlen zu können. Ursache hierfür war der massive Abfluss von Gold- und Silbermünzen aus der Kolonie, weil insbesondere US-amerikanische Kaufleute nicht mehr bereit waren, ihre Produkte gegen Kolonialwaren einzutauschen. Die britische Blockade tat das Ihrige, um Martinique vom Zufluss an Gold- und Silbermünzen aus den spanischen Kolonien in Mittel- und Südamerika abzuschneiden. Die finanzielle Situation der Kolonie wurde durch die Tatsache zusätzlich verschärft, dass seit 1804 die von der Kolonialverwaltung Martiniques ausgestellten Wechsel zulasten der französischen Schatzkammer vom Pariser Finanzministerium nicht mehr akzeptiert wurden. Zudem ordnete Napoleon an, dass das Budget Martiniques bis ins letzte Detail publik gemacht werden sollte94 . So hoffte die Metropole, die Lohnexzesse und die endemische Korruption innerhalb der Kolonialverwaltung einzuhegen95 . Gleichzeitig gewährte die Pariser Regierung der Kolonie in den Jahren 1804–1805 Zuschüsse von über drei Millionen Franc96 . Als sich die finanzielle Situation Martiniques Ende 1807 drastisch zuspitzte, stellte Paris noch einmal Wechsel im Wert von 900 000 Franc aus, um die wichtigsten Ausgabenposten zur Verteidigung der Kolonie zu decken. Allerdings erreichten die dringend benötigen Wechsel 91

92 93 94

95 96

Zitat aus Villaret-Joyeuse an Decrès, 16.1.1805, in: ANOM, C8A 112, fol. 11; VillaretJoyeuse an Laussat (Kopie), 19.10.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 270; Villaret-Joyeuse an Decrès, 16.1.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 1. Villaret-Joyeuse an Decrès, 7.3.1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 1. Siehe auch VillaretJoyeuse an Laussat (Kopie), 19.10.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 270. Daney, Histoire, Bd. 6, S. 73f., 140, 293. Laussat, Exposé sur les finances de la colonie, 12.4.1807, in: ADM, 24J12; Bertin an Decrès, 23.4.1804, in: TNA, ADM 1/325; Laussat an Decrès, 21.12.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 107; Laussat an Decrès, 13.11.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 140; Villaret-Joyeuse an Decrès, 10.10.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 181. Laussat an Villaret-Joyeuse (Kopie), 21.7.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 178. Daney, Histoire, Bd. 6, S. 77.

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Martinique nie. Villarets Adjutant, Boyer de Peyreleau, der diese bei sich trug, wurde auf der Überfahrt von der Royal Navy gefangen genommen und sämtlicher Papiere beraubt97 . Infolge der schwierigen Finanzlage fehlte auch das Geld, um die eintreffenden Kriegsschiffe aus Frankreich zu reparieren und neu auszurüsten. So beorderte Villaret beispielsweise 1805 die französische Fregatte Topaze (32) zurück nach Frankreich, weil die Reparatur des Schiffs zu teuer war98 . Das Unvermögen der Kolonialverwaltung, französische Kriegsschiffe ausreichend zu verproviantieren und zu reparieren, schmälerte den strategischen Wert Martiniques als wichtigsten Marinestützpunkt des französischen Imperiums außerhalb Europas merklich99 . Es ist bezeichnend, dass Villaret an seinen hohen Bezügen festhielt, obwohl er von Decrès angewiesen worden war, diese zu senken, um das Budget zu entlasten100 . Die naheliegenden Schlüsse aus dieser finanziellen Notlage, nämlich den Schmuggel zwecks Generierung von Zolleinnahmen zu bekämpfen und die Steuern resolut einzutreiben, zog Villaret nicht. Der Erhalt des Bündnisses zwischen dem Kolonialstaat und den grands Blancs war sein Imperativ, selbst wenn diese Politik die ökonomischen Grundlagen des Kolonialstaates und die Autorität der Metropole vollständig untergraben sollte. Laussat schrieb dies Villarets Wunsch nach Popularität zu, um seine Karriere zu fördern; Decrès sah darin die altersbedingte Naivität und das schlichte Unvermögen seitens Villarets101 . In Wahrheit handelte es sich aber um eine gewollte Politik Villarets, denn die Ausplünderung des Kolonialstaates und die Herrschaftssicherung der grands Blancs waren die gemeinsamen Ziele der Allianz zwischen führenden Beamten und Pflanzern. Für erstere galt es, ihren Reichtum zulasten des napoleonischen Staates zu mehren, für den viele unter ihnen ohnehin wenig übrig hatten. Hierzu bot einzig ein Bündnis mit den grands Blancs die nötigen Anknüpfungspunkte, da nur sie über die nötigen materiellen Ressourcen verfügten, um die Bereicherungsabsichten kooperationswilliger französischer Offiziere zu bedienen. Der Preis hierfür war die vollständige Aushöhlung staatlicher Autorität. So gesehen regierte auf Martinique nicht der Staat die Pflanzer, sondern die Pflanzer den Staat. Freilich sollte die Unterminierung der metropolitanen Autorität nicht allein der subversiven Allianz zwischen Kolonialstaat und grands Blancs angelastet werden. Einmal mehr spielten die langen – und durch die Royal Navy gefährdeten – Kommunikationswege zwischen Frankreich und seinen Über-

97 98 99 100 101

Decrès an Laussat (Entwurf), 18.11.1807, in: ANOM, EE 299/8; Boyer an Decrès, 21.9.1808, in: ANOM, EE 299/8. Villaret-Joyeuse an Decrès, 6.7.1805, in: SHD, FM/BB4/238, fol. 23. Laussat an Decrès, 21.12.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 218. Villaret-Joyeuse an Decrès, 10.3.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 110. Laussat an Decrès, 3.2.1806, in: ANOM, C8A 113, fol. 120; Laussat an Decrès, 12.11.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 244; Decrès an Napoleon, 24.6.1805, in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 27.

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seekolonien eine wichtige Rolle. Zwar bot die mangelnde Überwachung durch Paris lokalen Kolonialbeamten weitgehend freie Hand für ihre die metropolitane Autorität unterminierende Politik. Doch die schwierige Kommunikation zwischen Kolonie und Metropole hatte auch zur Folge, dass Kolonialbehörden wie auch Kolonisten nur eine sehr ungenaue Vorstellung davon hatten, was auf dem europäischen Kriegsschauplatz vor sich ging102 . Das notwendige Ergebnis dieser mangelhaften Kommunikation war, dass sich die Pflanzer von ihrem Mutterland verlassen fühlten, wie Villaret und Laussat unabhängig voneinander Marine- und Kolonialminister Decrès schrieben. Die einzige Quelle für Neuigkeiten aus Europa waren deshalb britische Zeitungen, die frei in der Kolonie zirkulierten. Laussats Versuche, diejenigen Zeitungen zu vernichten, die über französische Niederlagen auf den Schlachtfeldern Europas berichteten, blieben indes weitgehend erfolglos103 . Es war Villaret selbst, der beim Austausch von Kriegsgefangenen jeweils dafür sorgte, dass britische Zeitungen in die Kolonie gelangten. Die britischen Offiziere hatten natürlich kein Problem damit, die britische Sicht auf die europäischen Ereignisse in Martinique zu verbreiten104 . Die erfolglosen Versuche Laussats, mittels der Umsetzung von Reformen im Rechts- und Wirtschaftswesen die Autorität der Metropole wiederherzustellen, die Finanzen in Ordnung zu bringen und die Unterminierung des Kolonialstaates zu verhindern, mündeten schon bald in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Villaret, der Laussats Vorgehen als Fortsetzung jakobinischer Kolonialpolitik verdammte105 . Unter dem Vorwand, den sich zuspitzenden Konflikt zwischen den beiden Machthabern einvernehmlich lösen zu wollen, lud Villaret den Kolonialpräfekten zu Beginn des Jahres 1806 zu einem klärenden Gespräch nach Fort-de-France ein. Als Laussat abends nach einer beschwerlichen Reise von Saint-Pierre im Gouverneurspalast von Fort-de-France eintraf, musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass auch die gesamte cour d’appel anwesend war. Vor versammelter Runde wies Villaret in der Folge den Kolonialpräfekten wegen dessen Versuchen, napoleonische Reformen im Justizwesen, Wirtschaft und Verwaltung umzusetzen sowie den Schmuggel zu bekämpfen, scharf zurecht. Mit dieser Geste gab er der cour d’appel einen Freibrief, die Autorität Laussats weiter zu unterminieren. Fortan war jedermann klar, dass das napoleonische Frankreich in Martinique machtlos war106 . Laussat brachte die Situation 1808 in einem Brief 102 103 104 105

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Bertin an Decrès, 23.4.1804, in: TNA, ADM 1/325. Villaret-Joyeuse an Decrès, 10.3.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 110; Laussat an Decrès, 10.4.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 76. Villaret-Joyeuse an Cochrane, 18.7.1807, in: NLS, MS. 2314/26; Villaret-Joyeuse an Cochrane, 17.10.1808, in: NLS, MS. 2314/205. Villaret-Joyeuse an [Bergevin] (Kopie), 15.5.1807, in: NLS, MS. 2319/286; Lebertre an Villaret-Joyeuse (Kopie), 16.1.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 77; Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 332. Laussat an Decrès, 16.1.1806, in: ANOM, C8A 113, fol. 18.

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an Decrès auf den Punkt: »C’est aujourd’hui sans remède: la toute-puissance de l’empereur y échouerait«107 . Bereits vor der öffentlichen Diskreditierung Laussats durch Villaret hatte eine Schlammschlacht gegen den ungeliebten Kolonialpräfekten begonnen. In Pamphleten, Flugschriften und Karikaturen, die in Saint-Pierre und Fort-de-France kursierten, wurde er als Monster aus Louisiana, als Mörder Ludwigs XVI. oder als diebischer Jakobiner verunglimpft. Die anglomanes gingen gar soweit, Laussat als gallischen Gockel zu karikieren, der vom britischen Löwen gefressen wurde108 . Bei offiziellen Anlässen und Banketten ließen es sich die Pflanzer nicht nehmen, im Beisein Villarets gegen den Kolonialpräfekten gerichtete Lieder zu singen. Sie enthielten Strophen wie: »Respecter nos propriétés, leur offrir toutes suretés, c’était l’anglomanie, pomper nos biens, taxer notre or pour l’embonpoint de son [Laussat, F. E.] trésor, c’est la francomanie«109 . Im gleichen Atemzug wurde Villaret von den Pflanzern bei solchen Anlässen als Retter der Kolonie und Verteidiger ihrer Ideale geehrt110 . In dieser Kampagne ging es aber nicht nur um die Abneigung der grands Blancs gegenüber Laussat und seiner Politik. Die Pflanzer brachten darin auch ihre Ablehnung Napoleons zum Ausdruck, den sie als »charlatan« beschimpften111 . Der Ende 1804 zum Kaiser Gekrönte wurde in satirischen Gedichten etwa als korsischer Dieb auf dem französischen Thron diffamiert112 . Es überrascht deshalb auch wenig, dass die grands Blancs den republikanischen Kalender konsequent ignorierten und Fort-de-France immer noch FortRoyal nannten113 . Die Ablehnung des napoleonischen Regimes ging gar soweit, dass gemäß Laussat viele neugeborene Knaben der Kolonie auf den Namen Nelson getauft wurden114 . In ihrer Verabscheuung des Kaisers waren die royalistischen Pflanzer im Übrigen keineswegs allein. Bereits im Zuge der fingierten Wahl Bonapartes zum Konsul auf Lebenszeit 1802 hatte dessen Regierung auch die Unterstützung der letzten verbliebenen Republikaner innerhalb der Kolonie verloren115 . Die Offiziere aus Europa mochten Laussats

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Laussat an Decrès, 13.11.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 140. Laussat an Decrès, 14.12.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 313; Laussat an Decrès, 26.11.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 275; Copie d’une lettre anonyme hostile à Laussat, 23.11.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 278. Copie d’une chanson satirique contre le préfet colonial Laussat, 1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 275. Chanson à l’honneur de Villaret-Joyeuse, 1.12.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 279. Vgl. Woodyear an [?] (Kopie), 10.8.1804, in: TNA, ADM 1/325. Extrait de poèmes satiriques trouvés dans les papiers du Sr Pichelin fils, o. D. [1805], in: ANOM, C8A 111, fol. 317. Vgl. die Briefe in Élisabeth (Hg.), Pierre Dessalles, Bd. 1, N°1–8. Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 268. Hislop an Myers (Kopie), 7.8.1804, in: TNA, ADM 1/325; Copie d’un article de la Gazette de la Dominique, 15.9.1804, in: ANOM, C8A 109, fol. 160.

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Bemühungen eben so wenig unterstützen, denn seine Sparpolitik zielte in erster Linie auf deren überhöhte Gehälter und Spesenbezüge116 . Decrès und Napoleon versuchten zwischen April und September 1806 zu intervenieren, als sie von der Eskalation des Konflikts zwischen den beiden Spitzenbeamten und der Kampagne gegen den Kaiser erfuhren. Zum einen wiesen sie Villaret an, mit allen verfügbaren Mitteln gegen die Urheber der Schmutzkampagne gegen Laussat vorzugehen, die den Kaiser der Lächerlichkeit preisgaben und die »autorité nationale« in Frage stellten117 . Zum anderen forderten sie Laussat und Villaret auf, sich zu versöhnen und ihren Konflikt beizulegen, der Napoleon große Sorgen bereite118 . Inhaltlich äußerte sich Decrès jedoch weder zugunsten Laussats noch Villarets. Decrès begründete dies damit, dass auch in Paris bekannt sei, wie wichtig die Unterstützung der Pflanzer sei. Nach eigenen Angaben erlitt Laussat nach dem Erhalt des Briefes aus Paris einen zweistündigen Tobsuchtsanfall, denn das ausbleibende Machtwort aus Paris bedeutete, dass er bei seinen Bemühungen, die Korruption zu bekämpfen und die metropolitanen Reformen umzusetzen, auf keine Hilfe aus Frankreich hoffen konnte. Trotz dieser Enttäuschung kam er dem Wunsch der Metropole nach und reiste nach Fort-de-France, um sich mit Villaret zu versöhnen. Letzterer habe bei diesem Anlass viele Tränen vergossen, wie Laussat in seinen Memoiren genüsslich festhielt119 . Freilich empfand auch Villaret die Order aus Paris als Misstrauensvotum gegen seine Person. Alle seine Beförderungsvorschläge wurden von der Metropole abgelehnt; so auch die Beförderung seines jüngeren Bruders zum Brigadegeneral – einem finanziell sehr einträglichen Rang120 . Allen Beteiligten war jedoch klar, dass die Versöhnung der beiden Machthaber nur von kurzer Dauer sein würde121 . Die öffentlichen Anfeindungen gegen Laussat und die Verhöhnung Napoleons nahmen derweil kein Ende und mündeten in eine persönliche Tragödie für Laussat: »J’y suis la bête noire, le bouc d’Israël. On m’y présente aux uns comme un novateur dangereux, aux autres comme un révolutionnaire emporté, à tous comme un financier dur. Si je m’en allais, on ferait des feux de joie, si je mourais, on lapiderait mon cadavre«122 . An öffentlichen Anlässen wie den Feiern zum Sieg bei Austerlitz oder den jährlichen Feierlichkeiten zum Geburtstag Napoleons machten sich die

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Daney, Histoire, Bd. 6, S. 201–206. Decrès an Villaret-Joyeuse (Entwurf), 14.5.1806, in: ANOM, C8A 114, fol. 227. Decrès an Villaret-Joyeuse (geheimer Entwurf), 10.9.1806, in: ANOM, C8A 114, fol. 236. Laussat, Mémoires, Bd. 2, S. 334f.; Laussat an Decrès, 6.12.1806, in: ANOM, C8A 114, fol. 145; Laussat an Decrès, 4.11.1806, in: ANOM, C8A 114, fol. 140. Villaret-Joyeuse an Decrès, 16.12.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 274. Pinsure an Decrès, 17.1.1807, in: SHD, FM/BB4/261, fol. 102; Decrès an Napoleon, 18.7.1807, in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 23. Laussat an Decrès, 13.11.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 140.

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grands Blancs mit Villarets impliziter Zustimmung weiterhin öffentlich über den Kolonialpräfekten lustig und okkupierten den für ihn bestimmten Platz bei Truppenparaden. In der sonntäglichen Messe saßen die Protegés Villarets aus der cour d’appel demonstrativ auf den für Laussat vorgesehenen Sitzplatz in der vordersten Reihe der Kirche123 . Er beschloss deshalb, öffentlichen Anlässen fortan fernzubleiben – ein symbolisches Eingeständnis, dass seine Bemühungen, die Autorität der Metropole durchzusetzen, vollständig gescheitert waren124 . Dennoch war es für Laussat keine Option, die Kolonie kampflos den anglomanes zu überlassen, wie er Decrès in gewohnt dramatischer Manier mitteilte: »[J]’y resterai, mais j’y resterai uniquement comme le soldat qui tient ferme devant la mort, parce qu’il y est en présence de Napoléon et en présence de l’honneur de la patrie«125 . Der Kolonialpräfekt war mit seiner Einschätzung der Loyalität der grands Blancs keineswegs allein. Villarets Stabschef, Moreau de Jonnès, schrieb etwa in seinen Memoiren: C’est un fait ignoré et qu’il aurait bien fallu que l’Empereur connût, qu’aux Indes occidentales, des transfuges qui, pour mieux nous tromper portaient notre cocarde, étaient au service de l’Angleterre, et nous trahissaient en toute occasion bien avant l’explosion de la rue Saint-Nicaise, la bataille de Leipzig et la veille de Waterloo126 .

Die immer deutlicher werdenden subversiven Strukturen auf Martinique, die Machenschaften von Villarets Clique rund um die cour d’appel, die finanziellen Schwierigkeiten der Kolonie und die öffentliche Verhöhnung des Kaisers alarmierten die Metropole zunehmend. Anlass dazu gab auch die Audienz eines Marineoffiziers nach seiner Rückkehr aus der Karibik bei Decrès. Auf die Frage Decrès’, wie es um die Kolonien stehe, antwortete dieser: »À la Martinique on est Anglais, on aime les Anglais, [. . . ] on les ménage, on voudrait les voir dans la colonie«127 . Doch die Metropole war weitgehend machtlos gegen diese Unterminierung ihrer Herrschaftsansprüche, deren Folgen sich zwangsläufig auch auf die Sicherheit der Kolonie vor äußeren Gefahren niederschlagen musste.

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Villaret-Joyeuse an Decrès, 16.1.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 1; Villaret-Joyeuse an Decrès, 1.10.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 247; Laussat an Decrès, 16.1.1806, in: ANOM, C8A 113, fol. 18. Laussat an Decrès, 6.12.1806, in: ANOM, C8A 114, fol. 145; Villaret-Joyeuse an Decrès, 1.10.1806, ANOM, C8A 112, fol. 247. Laussat an Decrès, 3.2.1806, in: ANOM, C8A 113, fol. 120. Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 243. Decrès an Napoleon, 24.6.1805, in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 27.

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Militär und Gesellschaft auf Martinique, 1802–1808 Ständiger Begleiter der Garnisonssoldaten Martiniques war einmal mehr das Gelbfieber. Allein in der Zeitspanne von der Restituierung der Kolonie an die französische Republik im September 1802 bis zum Eintreffen der Nachricht des Wiederausbruchs des Kriegs mit Großbritannien im Juni 1803 starben 613 Soldaten der rund 3000-köpfigen Garnison an der Krankheit. Bis zur britischen Eroberung der Insel im Jahr 1809 sollten insgesamt 2891 Soldaten auf Martinique am Gelbfieber erliegen128 . Die hohen Verlustzahlen waren nicht nur dem Unwissen der Ärzte darum geschuldet, wie die Krankheit zu bekämpfen ist, sondern auch den miserablen hygienischen Umständen, die in den Spitälern der Kolonie herrschten. Ein neapolitanischer Arzt der Garnison, Antonio Savaresi, schilderte in seiner 1809 erschienen Abhandlung über die Gelbfieberepidemie auf Martinique die katastrophalen hygienischen Verhältnisse in den kolonialen Städten mit dramatischen Worten: So sei ganz Fort-de-France »environné de cloaques«; das Spital, zwischen einem Fluss, dem Abwasserkanal und dem Friedhof gelegen, sei von »eaux dormantes« umgeben, welche für die das Gelbfieber übertragenden Moskitos ein ideales Brutgebiet bildeten. Savaresi beschwerte sich wiederholt bei der Kolonialverwaltung über die inakzeptablen Zustände, doch diesen »abus révoltant« habe niemand korrigieren wollen. Die hohen Ausfälle an Gelbfieber waren deshalb auch auf die Gleichgültigkeit Villarets und seiner Offiziere zurückzuführen, die in erster Linie damit beschäftigt waren, sich selbst zu bereichern, und denen das Schicksal der einfachen Soldaten egal war129 : On peut dire avec raison, que l’on a cherché à faire de ce lieu le foyer de l’infection, tandis qu’il devrait être la source de la santé. L’hôpital est tout à-la-fois mal distribué et mal construit: quand on examine cet édifice avec l’œil de l’architecte et du médecin, on juge qu’il aurait dû être plutôt destiné à faire un magasin ou une écurie, qu’à être l’asile des malades130 .

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Leti, Santé, S. 124. Roberto Zaugg, Andrea Graf, Guerres napoléoniennes, savoir médicaux, anthropologie raciale. Le médecin militaire Antonio Savaresi entre Égypte, Caraïbes et Italie, in: Histoire, médicine et santé 10 (2016), S. 17–43. An dieser Stelle sei Roberto Zaugg herzlich gedankt, der mich auf Savaresi aufmerksam gemacht und mir den oben zitierten Text bereits vor seiner Veröffentlichung zugänglich gemacht hat. Zitate nach Antoine M. T. Savarésy, De la fièvre jaune en général; et particulièrement de celle qui a régné à la Martinique en l’an XI et XII (1803 et 1804); avec des observations sur les autres maladies de cette île ou des Antilles, et un essai sur son histoire naturelle, Neapel 1809, S. 219–221 (Zitat S. 221). Ibid., S. 221.

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Auch außerhalb der chronisch unterfinanzierten und schmutzigen Hospitäler von Saint-Pierre und Fort-de-France war das Leben der Soldaten von Mühsal und Verzicht geprägt, mussten sie doch häufig auf den ohnehin mageren Sold verzichten. Hierfür fehlten dem Kolonialstaat infolge der Günstlingswirtschaft zugunsten der grands Blancs und der schamlosen Bereicherung seiner Beamten die finanziellen Mittel131 . Moral und Disziplin der Truppe waren infolgedessen auf dem Tiefpunkt. Laut britischen Spionageberichten heuerten viele Soldaten bei Kaufleuten als Handlanger an, um sich ein Auskommen verdienen und dem gefürchteten Gelbfiebertod im Alkoholrausch entgehen zu können132 . Mit den auf Martinique vorherrschenden gesellschaftlichen Realitäten wurden insbesondere die rund 700 Soldaten konfrontiert, die aus den deutschsprachigen Gebieten des französischen Imperiums stammten. Sie wurden – im Gegensatz zu den frankophonen Soldaten – von ihren Offizieren gezwungen, auf den Zuckerplantagen als Vorarbeiter und Handwerker zu arbeiten. Den Lohn für ihre Mühen kassierten selbstverständlich ihre Vorgesetzten133 . Welch niedrigen Platz die Soldaten in der kolonialen Gesellschaft innehatten, illustriert auch die Tatsache, dass die Ränge der vom Gelbfieber dezimierten Truppen mit »gens sans aveu et sans moyens d’existence qui se débarqueraient dans les colonies« aufgefüllt wurden. Diese Maßnahme diente auch dazu, potentielle Unruhestifter aus den Straßen von Saint-Pierre und Fort-de-France zu entfernen134 . Kaum besser erging es den Neuankömmlingen aus Europa, die im Laufe des Kriegs als Verstärkung nach Martinique geschickt wurden. Meist handelte es sich um Refraktäre oder junge Rekruten ohne jegliche Kampferfahrung. In Frankreich wurden sie ohne Schuhwerk und Uniformen eingeschifft. Die Bezahlung des ausstehenden Soldes überließen die Hafenadministratoren in Frankreich den Kolonialbehörden, die diesen jedoch nach der Ankunft in Fortde-France auch nicht bezahlten, sofern denn die jungen Rekruten die Überfahrt überhaupt überlebt hatten. Häufig wussten die Kolonialbehörden nicht einmal, mit wem sie es zu tun hatten, wenn die halbnackten Soldaten nach der mehrmonatigen Überfahrt aus den schmutzigen Schiffsrümpfen krochen. Vielfach kannten die Kolonialbehörden weder Namen noch Rang der Soldaten aus Europa, die vor ihnen standen und zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem unwirtlichen Klima der Karibik konfrontiert waren. Oft ließ sich nicht einmal ermitteln, ob es sich bei den Neuankömmlingen überhaupt um Soldaten der französischen Armee handelte135 . Ein Großteil der entkräfteten Rekruten aus

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Prevost an Hobart, 20.10.1803, in: TNA, CO 71/36. Information from Dominica by Captn. Bland, 12.12.1802, in: TNA, ADM 1/324; Proklamation von Villaret-Joyeuse/Bertin, 16.9.1802, in: ANOM, C8A 105, fol. 79. Cochrane an Pole, 20.12.1808, in: TNA, ADM 1/329. Lefessier-Grandprey an Decrès, 2.4.1803, in: ANOM, C8A 108, fol. 143. Decrès an [?] (Kopie), 13.12.1808, in: ANOM, D/1/27; Villaret-Joyeuse an Decrès, 6.6.1803, in: ANOM, C8A 107, fol. 96.

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Europa starb innerhalb weniger Tage nach Ankunft in der Kolonie am Gelbfieber oder versuchte, bei der erstbesten Gelegenheit zu desertieren136 . In Anbetracht solcher Zustände vermag es nicht zu erstaunen, dass Fälle von Disziplinlosigkeit der einfachen Soldaten häufig waren. Gemäß einem britischen Spionagebericht revoltierten die Truppen bereits bei geringfügigen Reduktionen der Essensrationen137 . Villarets Hauptsorge galt einer möglichen Fraternisierung der einfachen Soldaten seiner Garnison mit den weißen und farbigen Unterschichten der Städte Saint-Pierre und Fort-de-France. Der Gouverneur wusste nur zu gut, dass die Rekruten mit Letzteren mehr gemeinsam hatten als mit den aristokratischen Plantagenbesitzern Martiniques, deren Leben und Besitz sie verteidigen sollten. Daher verbot er, dass die Soldaten in den Kneipen, Spielhöllen und Bordellen der Kolonie mit freien Farbigen verkehrten138 . Gegenüber Marine- und Kolonialminister Decrès beschwerte sich Villaret, dass die Soldaten der Garnison nicht mit den Gepflogenheiten und Bräuchen der Pflanzer vertraut seien und nicht wüssten, wie mit den freien Farbigen umzugehen sei139 . Hinter diesen verklausulierten Formulierungen ist unschwer Villarets Furcht um die von ihm mitgetragenen Herrschaftsstrukturen zu erkennen, die nicht nur die koloniale Segregation zementierten, sondern auch die Klassengegensätze innerhalb der Kolonialgesellschaft verschärften. In einem Memorandum für Decrès heißt es denn auch, dass die Behörden in Paris alles daran setzten müssten zu verhindern, dass Unruhestifter aus den Truppendepots Frankreichs in die Kolonien gelangten140 . Schließlich waren auch viele Offiziere unzufrieden, die mit hohen Erwartungen auf Beförderungen, Auszeichnungen und Beute in die Karibik gekommen waren, nun aber kaum Möglichkeiten fanden, ihr Können unter Beweis zu stellen141 . Auf die vom Gelbfieber geplagten Linientruppen war also wenig Verlass. Deshalb setzte Villaret seine Hoffnungen in die Nationalgarde, die sich zwar vornehmlich aus freien Farbigen zusammensetzte, aber von weißen Kolonisten kommandiert wurde. Viele freie Farbige taten bereits während der Revolution und der britischen Besatzung Dienst in diesen Einheiten, weshalb sie durchaus kampferprobt waren142 . Die Nationalgarde hatte überdies den Vorteil, dass ihre Mannschaften gegen das grassierende Gelbfieber resistent waren. Allerdings war die Loyalität der farbigen Truppen wegen Villarets Re136 137 138 139 140 141 142

Pinsun an Decrès, 16.10.1808, in: SHD, FM/BB4/267, fol. 224; Villaret-Joyeuse an Decrès, 13.7.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 32. Information from Dominica by Captn. Bland, 12.12.1802, in: TNA, ADM 1/324. Louis, Les libres, Bd. 3, S. 21; Hartkopf Schloss, The Distance, S. 101f. Villaret-Joyeuse an Decrès, 20.6.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 41. Mémoire sur la situation militaire de la Martinique et sur l’état des esprits dans la colonie, 22.12.1804, in: ANOM, C8A 110, fol. 158. Villaret-Joyeuse an [Ernouf], 7.10.1806, in: ANOM, F6/2, fol. 113; Villaret-Joyeuse an Decrès, 20.6.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 41. Laussat an Decrès, 23.10.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 220.

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pressionswelle gegen die farbigen Unterschichten aus den Städten alles andere als sicher, weshalb sich der Gouverneur bei Kriegsbeginn genötigt sah, in seiner gewohnt zynischen Art die folgende Proklamation an die Adresse der freien Farbigen der Nationalgarde zu erlassen: Hommes de couleur! Ce titre glorieux ne vous est point étranger: vous aussi vous avez porté les armes pour la Patrie, dans une guerre mémorable; et la Patrie n’a point oublié vos services. Des traîtres, ennemis de tout ordre et de tout bien, cherchent à vous persuader qu’elle est injuste. Ils vous inspirent des doutes sur les intentions du gouvernement. Hommes de couleur! À qui d’entre vous a-t-on refusé justice? Qui d’entre vous a des plaintes légitimes à porter? Je suis prêt à les accueillir. Comptez invariablement sur mon caractère et sur ma loyauté. Vos chefs m’ont rendu compte des sentiments qui vous animent. Conservez une subordination qui fait votre sûreté, un dévouement qui fera votre gloire. Soyez braves, fidèles, affectionnés; et ne craignez pas que la Patrie vous refuse la récompense que vous aurez méritée143 .

Dies war aber keinesfalls gleichbedeutend mit einem Ende der Repressionswelle gegen freie Farbige. Illustrieren lässt sich Villarets unveränderte Haltung in dieser Frage etwa an seiner Bitte an Konteradmiral Alexander Cochrane im Jahr 1808, im Rahmen des regelmäßigen Gefangenenaustauschs keine farbigen Soldaten aus Guadeloupe mehr nach Martinique zu schicken144 . Villarets leere Versprechungen fanden daher auch unter den farbigen Mannschaften der Nationalgarde kaum Gehör. Gerade diejenigen unter ihnen, die am meisten unter Villarets Repressionswelle litten, hofften auf eine baldige Rückkehr der Briten. Viele erklärten sich sogar bereit, eine britische Invasion aktiv zu unterstützen, wie Commodore Hood 1803 nach London schrieb145 . Auf gar keinen Fall würden sie sich bei einer britischen Invasion im Fort Desaix, wie das Fort Bourbon seit 1802 genannt wurde, einschließen und belagern lassen146 . Mit ihrer Skepsis gegenüber der Metropole waren die einfachen Nationalgardisten nicht alleine. Ihre Offiziere verhielten sich ebenso illoyal, stammten sie doch allesamt aus den Reihen der grands Blancs. Freilich waren die Motive unterschiedlich: Während ein Großteil der farbigen Nationalgardisten kein Interesse am Erhalt der französischen Herrschaft hatte, weil sie unter Villaret kaum auf eine Verbesserung ihrer politischen Situation hoffen konnten, fühlten sich ihre Offiziere nicht der französischen Republik beziehungsweise dem späteren Kaiserreich verpflichtet. Vielmehr handelte es sich hierbei um royalistische Hardliner, die ihre Sympathien für die britische Sache wie der Rest der grands Blancs offen zur Schau stellten. Villaret störte sich etwa kaum an der Tatsache, dass der Kommandant der Nationalgardisten von Saint-Pierre, ein bekennender Royalist und einflussreicher Kaufmann, ehemalige Soldaten der schwarzen Kolonialarmee Guadeloupes aus dem Lager 143 144 145 146

Proklamation von Villaret-Joyeuse, 22.6.1803, in: ANOM, C8A 107, fol. 176. Cochrane an Villaret-Joyeuse (Kopie), 1.9.1808, in: NLS, MS. 2324/114. Hood an [Nepean] (Kopie), 12.1.1803, in: TNA, ADM 1/324. [?], The number of European troops. . . , o. D. [1808], in: NLS, MS. 2316/180.

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auf Les Saintes britischen Militärs auf Dominica als Sklaven verkaufte. Viele der ehemaligen Soldaten der Kolonialarmee Guadeloupes fanden sich so in den Reihen der Rotjacken wieder, die sie während der Revolutionskriege noch bekämpft hatten147 . Die Sympathien der grands Blancs für deren Kriegsanstrengungen entgingen auch den britischen Militärs nicht, die durch fürstlich bezahlte Spione und viele abgefangene Briefe bestens über die politischen Verhältnisse auf Martinique informiert waren148 . Gemäß britischen Spionageberichten waren 19 der 20 Kommandanten der Nationalgarde »warmly attached to the British«149 . Nur ein einziger Offizier habe sich bereit erklärt, bei einer Belagerung des Fort Desaix seine Nationalgardisten mit den Linientruppen in der Festung einschließen zu lassen150 . Die britischen Generäle rechneten gar damit, dass die Pflanzer Martiniques im Falle einer Invasion 1000 Mann rekrutieren und sich auf die Seite der britischen Streitkräfte schlagen würden151 . Gleichwohl mahnten die grands Blancs deren Offiziere zur Vorsicht. Die Briten müssten mit einer respektablen Streitmacht von mindestens 6000 Mann landen, ansonsten könne Villaret eine Kapitulation in Paris nicht rechtfertigen152 . Zudem dürfe eine Kooperation zwischen den britischen Streitkräften und den Pflanzern nicht zu offensichtlich vonstatten gehen, da die grands Blancs eine mögliche Rache Napoleon-treuer Offiziere fürchteten, die sich in ihrer Ehre verletzt fühlen könnten und nur darauf warteten, sich für die Jahre der gesellschaftlichen Isolation zu revanchieren153 . Es ist auch kein Zufall, dass in Martinique – im Gegensatz zu Guadeloupe – kaum Kaperschiffe ausgerüstet wurden154 . Die Kaufleute Martiniques, welche dieses einträgliche Geschäft nicht allein ihren Kollegen auf Guadeloupe überlassen wollten, wurden von den Kolonialbehörden aktiv daran gehindert und gezwungen, die Kolonie in Richtung Guadeloupe zu verlassen155 . Die französischen Kriegsanstrengungen wurden aber auch durch die vielen Berater in Villarets Entourage unterminiert. Auslaufende Kriegsschiffe wurden in einer dermaßen hohen Regelmäßigkeit gleich nach dem Verlassen des Hafens von Fort-de-France von der Royal Navy angegriffen, dass Laussat wohl nicht 147 148

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Laussat an Decrès, 23.10.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 220. [?], The number of European troops. . . , o. D. [1808], in: NLS, MS. 2316/180; Cochrane an Pole, 20.12.1808, in: TNA, ADM 1/329; [?], Situation de la Martinique, 15.5.1808, in: TNA, ADM 1/329; Bereton an Cochrane (Kopie), 30.11.1805, in: TNA, ADM 1/326. Cochrane an Pole, 20.12.1808, in: TNA, ADM 1/329. [?] an [Hood] (Kopie), 13.12.1803, in: TNA, ADM 1/325. Hood an [Nepean] (Kopie), 12.1.1803, in: TNA, ADM 1/324. Copie d’un plan d’attaque contre la Martinique trouvé dans les papiers du général Prevost, commandant anglais à la Dominique, lors de la prise de la ville de Roseau, o. D. [1805], in: ANOM, C8A 110, fol. 149. [?] an Hood, 24.6.1803, in: TNA, ADM 1/324; Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 233. Mauron/Mallespine an Ernouf/Kerversau, 10.5.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 262. Vgl. auch Daney, Histoire, Bd. 6, S. 64; Lafleur, La Guadeloupe, S. 25. Decrès an Napoleon, 24.6.1805, in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 27.

11. Martinique zwischen Trikolore und Lilienbanner

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zu Unrecht Verrat seitens der anglomanes in Villarets Umgebung witterte156 . Bezeichnend hierfür ist auch, dass die kleinsten französischen Kriegserfolge sogleich den Unmut der grands Blancs hervorriefen. So berichtete etwa der Gouverneur Dominicas, George Prevost, der »well-thinking part of the habitants« sei »extremely mortified«, als es 1804 der französischen Fregatte Ville-de-Milan (48) gelungen war, die britische Blockade zu durchbrechen und die dringend benötigte Verstärkung nach Martinique zu bringen157 . Auch die Kommandanten der Küstenbatterien Martiniques erweckten nicht gerade den Eindruck, dass ihnen viel an den Kriegsanstrengungen Napoleons gelegen wäre. So berichtete Hood 1803 der Admiralität in London, dass sich die Batterien Martiniques »very civil« gegenüber der Royal Navy verhalten würden. Die wenigen Batterien, die das Feuer auf britische Schiffe eröffneten, könnten jeweils unter geringen Verlusten von den Landungskommandos zum Schweigen gebracht werden158 . Sinnbildlich für diese Verhältnisse war auch ein Vorfall, der sich am Morgen des 8. Juli 1807 ereignete: Die britische Korvette Rosario (18) segelte ungestört in die Bucht Saint-Pierres und kaperte bei dieser Gelegenheit einen vor Anker liegenden französischen Schoner. Die Kanonen der Batteriestellungen Saint-Pierres – die pikanterweise »Villaret« genannt wurden – blieben stumm. Anschließend ruderte ein Kadett der Rosario zum Pier und kaufte auf dem Markt ungestört Wein und frisches Gemüse für die Besatzung der Rosario. Währenddessen verhandelten der Besitzer des gekaperten Schiffes und der Kapitän der Rosario, Manncey, über ein Lösegeld für den Schoner. Die vom Kaufmann gebotenen 5000 Piaster waren Manncey aber zu wenig, weshalb er den Befehl gab, mitsamt dem gekaperten Schiff die Bucht Saint-Pierres wieder zu verlassen, nachdem er die Besatzung des Schiffs, zehn Sklaven und den farbigen Kapitän, freigelassen hatte. Laussat, der die ganze Szene mit eigenen Augen verfolgt hatte, war außer sich, als er Decrès über den Vorfall unterrichtete: Les papiers anglais feront peut-être bien sonner ces exploits. Il est vraisemblable que vous l’apprendrez par cette voie, et c’est aussi le motif qui ne me permet pas d’hésiter à vous en rendre compte. [. . . ] Je ne vous dirai pas, Monseigneur, si j’ai senti de l’indignation à cette insulte faite aussi impunément et avec autant de tranquillité dans une ville de cet ordre et à la bouche muette de ses canons. . . Je suis Français et je suis en outre ici l’un des représentants de l’empereur159 .

Villaret überlebte die ganze Affäre mit einem blauen Auge. Er konnte sich auch dank seinem großen Netz an Lobbyisten auf dem Posten halten160 . Gleich-

156 157 158 159 160

Laussat an Decrès, 23.10.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 220; Hubordier an Jérôme Bonaparte, 6.11.1805, in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 29. Prevost, Intelligence from Martinique, o. D. [1804], in: TNA, ADM 1/325. Hood an Nepean, 26.11.1803, in: TNA, ADM 1/324; Pinsun an Decrès, 17.1.1807, in: SHD, FM/BB4/261, fol. 102. Laussat an Decrès, 9.7.1807, in: ANOM, C8A 115, fol. 157. Chanaleilles an Villaret-Joyeuse, 23.11.1807, in: TNA, CO 166/1/363.

410

III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

wohl mahnten seine Freunde in Paris ihn zur Vorsicht im Umgang mit den Pflanzern. Sein Ziel müsse es sein, die Kolonie unter französischer Herrschaft zu halten. Ein anderes Motiv dürfte aus Sicht der Pariser Regierung zudem für den Vizeadmiral gesprochen haben: Nach dem Selbstmord Villeneuves im Jahr 1806 war Villaret einer der letzten französischen Admirale mit Kampferfahrung auf hoher See. Eine unehrenhafte Abberufung hätte bedeutet, dass er für künftige Marineoperationen auf hoher See nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte161 . Schließlich blieben der Regierung in Paris auch kaum andere Möglichkeiten, als die Unterminierung ihrer Kriegsanstrengungen und ihrer Autorität hinzunehmen. Denn an der Macht der grands Blancs war kein Vorbeikommen, solange die Metropole sie nicht mit Waffengewalt unterwerfen wollte. Es ist an dieser Stelle deshalb angezeigt, die Folgen dieser Herrschaftsstrukturen für die Kriegsführung der beiden Mächte im karibischen Becken einer genaueren Analyse zu unterziehen.

161

Barthélemy an Villaret-Joyeuse, 11.10.1807, in: TNA, CO 166/1/347.

12. Zwischen globalem Krieg und Kleinkrieg: Kriegsführung in der Karibik, 1802–1809 Die Karibik blieb auch nach der Unabhängigkeit Haitis 1804 ein wichtiger Kriegsschauplatz und Projektionsfläche geostrategischer Überlegungen der rivalisierenden Großmächte Frankreich und Großbritannien sowie deren Verbündeter. Aufgrund ihrer geografischen Lage war sie der entscheidende Schlüssel, um den schleichenden Zusammenbruch des spanischen Kolonialreichs in Lateinamerika für die eigenen Expansionspläne zu nutzen. Die Implementierung der von der Metropole dirigierten geostrategischen Entwürfe und militärischen Operationen wurde aber stets durch die jeweiligen Machtverhältnisse vor Ort konterkariert. Die daraus resultierenden Dynamiken waren überdies eng verquickt mit dem maritimen Kleinkrieg zwischen französischen Korsaren aus Guadeloupe und der Royal Navy, der im Schatten der großen Militäroperationen den Kriegsalltag in den Kleinen Antillen prägte. Entscheidend für die Kriegsführung war auch die Erinnerung an die Verheerungen der Revolutionskriege. So schrieb der Stabschef der Garnison Martiniques, Moreau de Jonnès, rückblickend: »Néanmoins la guerre conserva son caractère sauvage aux Indes occidentales, comme si ce n’était pas assez de s’entre-tuer sans encore manquer de politesse«1 . Auf beiden Seiten waren die lokalen Militärbefehlshaber in unterschiedlichem Ausmaß bemüht, den Krieg gemeinsam einzuhegen. Die Furcht, wonach ein entgrenzter Krieg die Grundfesten einer auf Sklaverei beruhenden Gesellschaft ins Wanken zu bringen drohte, war auf beiden Seiten allgegenwärtig. Die Involvierung der kolonialen Gesellschaft in den Krieg musste nach Ansicht der Entscheidungsträger zwangsläufig die fragile soziale Hierarchie gefährden. Es wird also im Folgenden darum gehen, das Ineinandergreifen von geostrategischen Machtprojektionen und lokaler Kriegsführung zu analysieren.

Der Krieg um die Vorherrschaft in der Karibik, 1803–1804 Bereits kurz nachdem die Nachricht vom Wiederausbruch des Kriegs im Sommer 1803 die Kleinen Antillen erreicht hatte, machten sich die britischen Streitkräfte in der Region daran, die nach dem Frieden von Amiens im Vorjahr an Frankreich zurückgegebenen Kolonien Saint Lucia und Tobago 1

Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 225.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-013

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

zurückzuerobern. Mit relativ geringem Aufwand ließen sich so zwei Kolonien unter Kontrolle bringen, die nicht nur ein mögliches Rückzugsgebiet für französische Korsaren bildeten, sondern auch ein großes ökonomisches Entwicklungspotential aufwiesen2 . Die kriegsbedingten Zerstörungen und der Verlust an Menschenleben hatten in Saint Lucia tiefe Spuren hinterlassen. Dies mussten auch die französischen Behörden feststellen, nachdem sie die Kolonie im Herbst 1802 wieder in Besitz genommen hatten. Nicht nur die Verwüstungen lähmten die ökonomische Genesung der Kolonie. So schrieb Villaret entsetzt an Lacrosse, dass fast die Hälfte der Sklaven, die den Krieg überlebt hatten, »a perdu totalement l’habitude du travail et l’esprit de la subordination«. Viele seien in das Innere der Kolonie geflüchtet, wo sie bei den zahlreichen Maroon-Gruppen Zuflucht gefunden hätten3 . Urbares Land war zwar in Hülle und Fülle vorhanden, doch es fehlte an Sklaven, um dieses zu bewirtschaften, sowie am notwendigen Kapital zum Wiederaufbau der Plantagenökonomie. Um die Kolonialwirtschaft Saint Lucias wieder in Gang zu bringen, ließ Villaret deshalb nicht nur die der Kolonie für fremde Handelsschiffe und Sklavenhändler öffnen, sondern befreite die verbliebenen Pflanzer auch von der Haus- und Sklavensteuer4 . Inwiefern diese Maßnahmen Abhilfe schufen, bleibt fraglich. Während der kurzen Friedensperiode 1802–1803 steuerte jedenfalls kein einziges Sklavenschiff die Kolonie an5 . Auch in militärischer Hinsicht war die Lage kritisch. Der Kommandant Saint Lucias, Jean-François Xavier Noguès, verfügte nur über einige Dutzend Soldaten, nachdem ein Großteil seines Detachements am Gelbfieber gestorben war. Die Epidemie hatte in der Kolonie ein solches Ausmaß erreicht, dass ihr ganze Schiffsbesatzungen zum Opfer fielen6 . Der Dienst in der Nationalgarde erfreute sich zwar großer Beliebtheit, denn der Kolonialstaat bot hier für viele freie Farbige ein dringend benötigtes Auskommen, doch der militärische Wert dieser Einheiten war gering7 . Britische Spione berichteten gar, dass die französischen Truppen im Falle eines britischen Angriffs die Insel aufgrund der geringen Erfolgsaussichten gar nicht erst zu verteidigen beabsichtigten8 .

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Hood an Nepean, 19.10.1803, in: TNA, ADM 1/324. Villaret-Joyeuse an Lacrosse (Kopie), 26.9.1802, in: ANOM, C7A 56, fol. 170. Erlass von Villaret-Joyeuse/Bertin, 12.2.1803, in: ANOM, C10C 7, fol. 2; Erlass von VillaretJoyeuse/Bertin, 19.1.1803, in: ANOM, C10C 7, fol. 11; Erlass von Villaret-Joyeuse/Bertin, 1.1.1803, in: ANOM, C10C 7, fol. 4; Bertin an Decrès, 18.1.1803, in: ANOM, C10C 7, fol. 43. Siehe The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 26.7.2018). Breen, St. Lucia, S. 112; Poyen, Les guerres, S. 268; Antoine Noguès, Mémoires du général Noguès (1777–1853) sur les guerres de l’Empire, hg. von André de Maricourt, o. O. 1922, S. 157; Villeneuve an Decrès, 24.10.1802, in: SHD, FM/BB4/165, fol. 28. Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 74. Extracts of Intelligence, [?].5.1803, in: TNA, ADM 1/324; Seaforth an Hobart (Kopie), 4.12.1802, in: NRS, GD46/7/7.

12. Kriegsführung in der Karibik

413

Die britische Generalität in der Karibik, die von London schon früh über einen möglichen Bruch des Friedens von Amiens in Kenntnis gesetzt wurde, verfügte durch den Abzug der Garnisonen aus den ehemals besetzten batavischen und französischen Kolonien über eine ansehnliche Streitmacht im Archipel. Der britische Kriegsminister Hobart wies schon zwei Tage vor der Kriegserklärung, am 16. Mai 1803, den Kommandanten der britischen Streitkräfte, Generalleutnant William Grinfield, an, die französischen Kolonien Tobago, Saint Lucia und Martinique zu erobern9 . Am 21. Juni 1803 landeten 3000 britische Soldaten bei der Anse de Choc in Saint Lucia. Nur eine Handvoll Nationalgardisten folgte dem Ruf Noguès’ zu den Waffen; die Unterstützung für die französischen Kriegsanstrengungen seitens der freien Farbigen und der weißen Pflanzer hielt sich in engen Grenzen, zumal viele von ihnen britische Neusiedler waren, die sich während der britischen Okkupation in der Kolonie niedergelassen hatten. Nach einigen Scharmützeln zogen sich die französischen Streitkräfte in die Festung Morne Fortuné zurück. Deren Befestigungswerke wiesen aber von der letzten britischen Belagerung 1796 immer noch erhebliche Schäden auf, weshalb eine längere Verteidigung außer Frage stand10 . Bereits am nächsten Tag eroberten die britischen Streitkräfte die Festung unter geringen Verlusten im Sturmangriff und zwangen so Noguès zur Kapitulation11 . Eine Woche später gelang es britischen Truppen, die kleine französische Kolonie Tobago ohne Blutvergießen zu erobern. Der Kommandant der Insel, César Berthier, Bruder des französischen Kriegsministers und späteren Marschalls, wusste zum Zeitpunkt des Angriffs noch nicht einmal vom Wiederausbruch des Kriegs. Er verfügte weder über Soldaten noch Geld, um die Insel zu verteidigen, nachdem es Einheiten der Royal Navy geschafft hatten, einen französischen Truppentransporter mit 700 Mann an Bord kurz vor Erreichen der Kolonie zu kapern12 . Entgegen den Befürchtungen Villarets, wonach ein britischer Angriff auch auf Martinique und Guadeloupe bevorstünde, blieb dieser aus – hierfür reichte die Zahl der britischen Truppen nicht aus13 . An großangelegte Offensiven wie während der Revolutionskriege war für das Kabinett in London angesichts der drohenden Invasionsgefahr der britischen Inseln ohnehin nicht zu 9 10

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Charles J. Fedorak, Henry Addington, Prime Minister 1801–1804. Peace, War, and Parliamentary Politics, Akron, OH 2002, S. 172. Lasalle de Louisenthal, Aventures, S. 74f.; Buckley, The British Army, S. 262; John W. Fortescue, A History of the British Army, 13 Bde., London 1899–1930, Bd. 5, S. 183; Noguès, Mémoires, S. 159–163. Ibid., S. 170–173; Noguès an Villaret-Joyeuse, 25.6.1803, in: ANOM, C10C 7. Proklamation von Tatum, 1.7.1803, in: TNA, WO 1/118/99; Berthier an Villaret-Joyeuse (Kopie), 28.6.1803, in: ANOM, 2400COL/115; Villaret-Joyeuse an Decrès, 3.7.1803, in: ANOM, 2400COL/115. Villaret-Joyeuse an Decrès, 3.7.1803, in: ANOM, 2400COL/115. Siehe auch Fedorak, Henry Addington, S. 173.

414

III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

denken14 . Stattdessen setzten die britischen Streitkräfte vor Ort ihre Strategie fort und eroberten jene karibischen Kolonien, die großes ökonomisches Entwicklungspotential besaßen und mit geringem Aufwand dem Empire einverleibt werden konnten. So nahmen sie noch im selben Jahr die batavischen Festlandkolonien Demerara, Essequibo, Berbice und im Jahr darauf schließlich Suriname ein, nachdem die Pflanzer dieser Kolonien aus Furcht vor einer französischen Besatzung britische Protektion gefordert hatten15 . Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der Kampagne gegen den Sklavenhandel im Mutterland sollten die von den Briten eroberten Kolonien in den kommenden Jahren einen regelrechten Boom erleben. Rund 15 000 afrikanische Sklaven wurden bis zum Inkrafttreten des Sklavenhandelsverbots 1808 dorthin verschleppt16 . Auch in Saint Lucia kam die Plantagenökonomie trotz der Überschuldung der verbliebenen Pflanzer nach der britischen Machtübernahme langsam wieder in Gang. Mehrere tausend Sklaven wurden in den folgenden Jahren in die Kolonie gebracht. Ein deutlicher Gradmesser für die wachsende wirtschaftliche Bedeutung der Kolonie ist auch die Tatsache, dass sich nach der Besetzung innerhalb kürzester Zeit rund zwei Dutzend britische Handelshäuser in Saint Lucia ansiedelten17 . Auch die batavische Kolonie Curaçao geriet wegen ihrer strategisch günstigen Lage einmal mehr ins Visier britischer und französischer Ambitionen. Ende Januar 1804 griff ein kleines britisches Geschwader ohne das Wissen Londons die kleine Insel an. Rund 240 Soldaten und 300 Matrosen belagerten fast einen Monat lang Willemstad, die Hauptstadt der Kolonie18 . Ihnen gegenüber standen eine Bürgermiliz unter dem Kommando des späteren Generals des venezolanischen Unabhängigkeitskriegs Manuel C. Piar sowie rund 50 französische Milizionäre unter dem Befehl des stets umtriebigen französischen Abgesandten César-Dominique Duny. Letzterer war im Sommer 1803 von Ernouf nach Curaçao entsandt worden, um die niederländischen Kolonialbehörden nach dem französischen Angriff aus Guadeloupe im Jahr 1800 gütlich zu stimmen und ein wachendes Auge auf den Kolonialrat der batavischen Kolonie zu haben. Bei den rekrutierten Franzosen handelte es sich um weiße und farbige Flüchtlinge aus Saint-Domingue, die nach der Kapitulation Rochambeaus Ende 1803 in die batavische Kolonie geflüchtet waren. Diese Männer griffen jedoch nicht freiwillig zu den Waffen: Duny hatten allen männlichen Franzosen beider Hautfarben zwischen 15 und 50 Jahren, die

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Davey, In Nelson’s Wake, S. 115. Duffy, Soldiers, S. 389; Fedorak, Henry Addington, S. 172; Fortescue, A History, Bd. 5, S. 185. Roger Anstey, The Atlantic Slave Trade and the British Abolition 1760–1810, London 1975, S. 346f.; Drescher, Econocide, S. 172f. Siehe auch: The Transatlantic Slave Trade Database, www.slavevoyages.org (Zugriff am 28.7.2018). Davey, In Nelson’s Wake, S. 116; Gaspar, La Guerre, S. 122. Fortescue, A History, Bd. 5, S. 191f.

12. Kriegsführung in der Karibik

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seinem Aufruf zu den Waffen nicht folgten, mit der Rücksendung nach SaintDomingue gedroht19 . Zahlreiche Zivilisten fielen dem britischen Bombardement zum Opfer und viele Gebäude der Stadt wurden im Zuge der Belagerung zerstört, nachdem britische Artilleristen Brandgeschosse eingesetzt hatten20 . Zudem plünderten und brandschatzten die britischen Truppen das Hinterland. Einige batavische Offiziere gingen deshalb so weit, Sklaven zu den Waffen zu rufen, und versprachen ihnen Geld und ihre Freilassung, wenn sie helfen würden, die Briten von der Insel zu vertreiben. Als sich tatsächlich rund 30 Sklaven unter der Führung eines freien Farbigen namens Hendrik Kroon meldeten, bekam die batavische Militärführung jedoch kalte Füße und zog das Angebot zurück. Vor dem Hintergrund der haitianischen Unabhängigkeitserklärung einige Wochen zuvor fürchteten sie, durch die Bewaffnung von Sklaven eine generelle Sklavenrebellion zu provozieren21 . Nachdem sich Gerüchte über die angebliche Ankunft von 400 französischen Soldaten aus dem benachbarten Santo Domingo in der Kolonie verbreitet hatten, brachen die Briten ihre Belagerung überhastet ab und schifften ihre verbliebenen Soldaten wieder ein22 . Zwar konnte damit die britische Offensive gegen die kaum verteidigten französischen und batavischen Kolonien vorerst gestoppt werden; ein treuer Verbündeter der französischen Kriegsanstrengungen wurde Curaçao aber mitnichten. Glaubte Duny zunächst, die Kolonie sei ein geeignetes Sprungbrett zur Wiedereroberung Haitis nach einem Friedensschluss mit Großbritannien, musste er zu seinem Entsetzen rasch feststellen, dass sich die kleine Kolonie nach und nach zu einem wichtigen Umschlagplatz für den britischen und US-amerikanischen Handel mit der ehemaligen französischen Kolonie entwickelte. Duny beklagte sich bei Decrès lauthals über die zahlreichen antifranzösischen Intrigen und vielen ansässigen »mulâtres, chefs des massacres et des incendies de St-Domingue«, die mit dem Kolonialrat Curaçaos unter einer Decke stecken würden. Dunys Versuche, diese Männer in Schach zu halten, blieben erfolglos, weshalb er die Kolonie nach wenigen Monaten unverrichteter Dinge wieder verließ23 . Die britische Blockade Curaçaos hatte ohnehin zur Folge, dass die batavische Kolonie für die französische Generalität zunehmend an strategischem Wert verlor. Als die Insel Anfang 1807 schließlich von britischen Streitkräften erobert wurde, hielten es Ernouf und Villaret nicht einmal mehr für nötig, die Metropole darüber zu unterrichten24 . 19 20 21 22 23 24

Proklamation von Duny (Kopie), 2.2.1804, in: ANOM, 2400COL/128/1. Duny an Ernouf (Kopie), 9.3.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 109; Goslinga, The Dutch, S. 35; Bruley (Hg.), Les Antilles, S. 117f. Duny an Decrès, 15.5.1804, in: ANOM, 2400COL/128/1. Ibid.; Duny an Ernouf (Kopie), 9.3.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 109. Duny an Decrès, 19.11.1805, in: ANOM, EE 777/28; Bruley (Hg.), Les Antilles, S. 118. Goslinga, The Dutch, S. 36–44.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

Die ehemalige Kolonie Saint-Domingue blieb nicht nur mit Blick auf Curaçao ein Leitthema französischer Sicherheitspolitik in der Region. Ernouf und Villaret stürzten sich begierig auf alle Berichte über die politischen Verhältnisse in Haiti. Sie waren vor allem in stetiger Sorge, dass Verschwörer aus der abtrünnigen Kolonie über die neutralen Kolonien Dänemarks und Schwedens nach Guadeloupe und Martinique gelangen und eine Sklavenrevolte vom Zaun brechen könnten25 . Diese Befürchtungen wurden durch Proklamationen Dessalines zusätzlich befeuert, in denen der Herrscher Haitis die verbliebenen französischen Kolonien explizit von seiner Politik ausnahm, die Sklavenrevolution nicht in die umliegenden britischen und spanischen Kolonien zu tragen26 . Die Befürchtungen französischer Kolonialbehörden, wonach die haitianische Führung eine Erhebung der Sklaven auf den verbleibenden französischen Karibikinseln anzetteln könnte, bewahrheiteten sich allerdings nicht. Die haitianische Regierung verfügte weder über eine Flotte, um die französischen Besitzungen anzugreifen, noch wollte sie das Risiko einer weiteren diplomatischen Isolierung auf sich nehmen, das eine haitianische Intervention in den französischen Kolonien nach sich gezogen hätte. Angebliche Agenten der Regierung Haitis in den neutralen Kolonien Dänemarks und Schwedens waren denn auch mehr mit ihren privaten Geschäften beschäftigt als mit dem Planen von Sklavenaufständen in den Nachbarkolonien27 . Mit wachsender Sorge nahmen Villaret und Ernouf hingegen die Tatsache zur Kenntnis, dass die einstige Perle des französischen Kolonialreichs wirtschaftlich keineswegs isoliert war. Stattdessen mussten sie feststellen, dass Briten und Amerikaner immer mehr den Handel mit der ehemaligen französischen Kolonie für sich monopolisierten28 . Für Aufregung sorgte beispielsweise das abgefangene Schreiben eines Londoner Bankers namens Louis Teissier, der die haitianische Führung mit günstigen Krediten versorgen wollte29 . Freilich diente die vermeintliche Aufregung französischer Kolonialbeamter auch dazu, auf die eigenen Bedürfnisse aufmerksam zu machen. So wollte Ernouf die Pariser Behörden beispielsweise glauben machen, dass 25

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Vgl. etwa Ernouf an Decrès, 1.12.1805, in: ANOM, C7A 64, fol. 47; Ernouf an [?], o. D. [1804], in: ANOM, C7A 63, fol. 230; Ernouf an Decrès, 2.3.1804, in: ANOM C7A 61, fol. 79; Notes sur la situation de la Guadeloupe, avec quelques détails relatifs à l’administration du capitaine général et aux moyens de conserver cette colonie, o. D., in: ANOM, C7A 63, fol. 177. Élisabeth, Les relations, S. 178. Philippe R. Girard, Did Dessalines Plan to Export the Haitian Revolution?, in: Julia Gaffield (Hg.), The Haitian Declaration of Independence. Creation, Context, and Legacy, Charlotesville, VA 2016, S. 136–157. Siehe etwa Ernouf an Decrès, 20.1.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 17. Teissier an Dessalines (Kopie), 22.3.1804, in: ANOM, C8A 112, fol. 215; Rapport à Sa Majesté l’Empereur, 14.2.1808, in: ANOM, C7A 68, fol. 28. Bei Louis Teissier handelte es sich pikanterweise um einen emigrierten französischen Financier, der auch die Pflanzer Martiniques mit Krediten versorgte. Siehe Dessalles an Bence, 12.1.1812, in: Élisabeth (Hg.), Pierre Dessalles, Bd. 1, S. 34.

12. Kriegsführung in der Karibik

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die Sklavenrevolution in Saint-Domingue das Ergebnis britischer Intrigen sei, weshalb Guadeloupe das gleiche Schicksal treffen könne und man ihm deshalb unbedingt Verstärkung zukommen lassen müsse30 . Das war reine Panikmache. Die britischen Militärs vor Ort hatten überhaupt kein Interesse an einer erneuten Sklavenrebellion in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Ganz von der Hand zu weisen war der anglo-amerikanische Einfluss in Haiti jedoch nicht. Tatsächlich war der junge Staat zu diesem Zeitpunkt einer der größten Handelspartner der USA. Die Bemühungen der Regierung Thomas Jeffersons, den Handel mit Haiti zu verbieten, hielten sich in engen Grenzen31 . Doch bei vielen amerikanischen Kaufleuten, die mit Haiti Handel trieben, handelte es sich um ehemalige französische Kolonisten, die im Zuge der Sklavenrevolution Saint-Domingues in die USA geflohen waren. Die neutrale US-amerikanische Flagge nutzend, landete der in Haiti (sowie in Martinique und Guadeloupe) erworbene Zucker und Kaffee dank der Handelsbeziehungen dieser franko-amerikanischen Kaufleute über einen Umweg im von französischen Truppen besetzten Europa32 . Dieser Umstand ist umso bedeutender, als die Korsaren Guadeloupes auf Anweisung Ernoufs versuchten, neutrale und britische Handelsschiffe, welche die Häfen Haitis anliefen, zu kapern33 . Die Überraschung der Kolonialbehörden Guadeloupes war groß, als sie im Oktober 1804 feststellen mussten, dass zwei vor der Küste Haitis gekaperte US-Handelsschiffe einem französischen Kaufmann in New York gehörten34 . Rechtfertigte Ernouf seinen uneingeschränkten Kaperkrieg damit, dass der Handel Großbritanniens und der USA mit Haiti »la dignité et les droits de la France«35 verletze, richtete er sich eigentlich gegen die Versorgung des von französischen Truppen besetzten Europa mit Zucker und Kaffee. Daneben sorgte sich Ernouf auch um die ökonomische Konkurrenz Haitis: Die haitianischen Machthaber verkauften den Kaffee zu einem Drittel des üblichen Marktwertes, so dass Guadeloupes Kaffee, der für die Genesung der Plantagenökonomie von zentraler Bedeutung gewesen wäre, kaum Abnehmer fand36 . Nicht nur auf der Nachfrageseite schien die haitianische Politik die französischen Kolonien zu bedrohen. Haiti verzeichnete aufgrund von Sklavenrebellion, Krieg und Emigration einen drastischen Bevölkerungsrückgang: 1804 betrug die Bevölkerungszahl nur noch rund die Hälfte der 520 000 Menschen, welche noch 1789 gezählt worden waren37 . Kein Wunder, 30 31 32 33 34 35 36 37

Ernouf an Decrès, 2.3.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 79. Erst am 28. Februar 1806 verbot der US-Kongress den Handel mit Haiti. Vgl. Bonnel, La France, S. 193f. Siehe Girard, The Slaves, S. 327; Marzagalli, Guerre. Proklamation von Ernouf, 5.6.1804, in: ANOM, C7A 63, fol. 102. Roustagnenq an Decrès, 25.10.1804, in: ANOM, C7A 62, fol. 110. Élisabeth, Les relations, S. 178f. Ibid. Pluchon, Révolutions, S. 267.

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dass die neuen Machthaber Haitis mit allen Mitteln versuchten, die freiwillige wie auch erzwungene Immigration neuer Arbeitskräfte zu fördern. Dessalines’ Bitte an britische Sklavenhändler, die ehemalige Kolonie mit afrikanischen Sklaven zu versorgen, wurde nur aufgrund des Vetos der Londoner Regierung abgelehnt, nachdem Letztere von Seiten der Abolitionisten unter starken innenpolitischen Druck geraten war38 . So bot Dessalines Ende Januar 1804 amerikanischen Schiffskapitänen 40 Gourden für jeden Sklaven, der im Zuge der Revolution die einstige Perle der Antillen verlassen hatte39 . Zwar gab es tatsächlich viele Schwarze, die freiwillig nach Haiti reisten; gerade aus Frankreich kehrten viele farbige ehemalige Offiziere der schwarzen Revolutionsarmee in die einstige Kolonie zurück. Man benötigt aber nicht allzu viel Fantasie um sich vorzustellen, dass Dessalines’ Angebot dem versteckten Menschenhandel Tür und Tor öffnete. Dies beunruhigte auch Ernouf, der befürchtete, dass die Kapitäne neutraler Handelsschiffe Sklaven in den französischen Kolonien zur Flucht animieren oder gar entführen würden, um sie dann in Haiti zu verkaufen40 . Neben diesem vielschichtigen Konflikt mit Haiti setzte sich auch nach der Besetzung Saint Lucias und Tobagos der Krieg in den Kleinen Antillen fort. Die französischen Truppen waren dabei keineswegs nur in der Defensive. So plante Ernouf im Herbst 1803 einen Angriff auf die britische Kolonie Antigua, neben Barbados der wichtigste Marinestützpunkt der Royal Navy in den Kleinen Antillen. Die schwierige Finanzlage, in der sich Ernouf befand, lässt jedoch den Schluss zu, dass es ihm weniger um die Eroberung einer strategisch wichtigen Insel ging, sondern vor allem um deren Plünderung. Bevor die französische Expedition Guadeloupe auf eigens angeworbenen schwedischen Schiffen verlassen konnte, gelang es jedoch 200 britischen Soldaten unter schwersten Verlusten, die kleine Invasionsflotte in Brand zu setzen, so dass das Unternehmen abgebrochen werden musste41 . Anfang Januar 1804 gingen die Briten ihrerseits zur Offensive über. Einer Handvoll britischer Marinesoldaten gelang es, den Rocher du Diamant, einen 175 Meter hohen, unbewohnten Felsen vor der Südküste Martiniques, zu besetzen und mehrere schwere Artilleriegeschütze auf seiner Spitze zu positionieren. Mit der Kontrolle dieser nur äußerst schwer zugänglichen Stellung konnte die Royal Navy nicht nur den cabotage um Martinique stören, sondern auch aus Europa eintreffende Schiffe beschießen – der Kanal zwischen dem Rocher du Diamant und Martinique war nämlich die sicherste Route für Segelschiffe, um die Bucht von Fort-de-France vom Atlantik her zu erreichen. 38 39 40 41

Girard, The Slaves, S. 326. Proklamation von Dessalines (Kopie), 24.1.1804, in: ANOM, C7A 61, fol. 334. Élisabeth, Les relations, S. 179. O’Brien an Hood (Kopie), 5.9.1803, in: TNA, ADM 1/324; Houdetot an Decrès, o. D. [1803], in: ANOM, C7A 60, fol. 86; Faujas an Ernouf, o. D. [1803], in: ANOM, C7A 60, fol. 148; Prevost an Hobart, 20.10.1803, in: TNA, CO 71/36.

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Zwei französische Versuche im Frühjahr 1804, die Briten vom Rocher du Diamant zu vertreiben, schlugen fehl42 . Unter den französischen Offizieren kam schon bald der Verdacht des Verrats auf: Wohl nicht zu Unrecht beschuldigte der Stabschef der Garnison Martiniques, Moreau de Jonnès, den bekennenden Royalisten Bexon, Pläne zur Wiedereroberung des Rocher du Diamant den Briten verkauft zu haben43 . Dies sollte kein Einzelfall bleiben.

Die Karibik und die Vorentscheidung zur Schlacht von Trafalgar, 1804–1805 Mit der spanischen Kriegserklärung an Großbritannien im Dezember 1804 veränderte sich die geostrategische Lage entscheidend. Anlass hierzu war der Überfall eines britischen Geschwaders auf einen mit Gold und Silber beladenen Konvoi aus Südamerika. Infolge der franko-spanischen Allianz verdoppelte sich auf einen Schlag die Zahl der Kriegsschiffe, welche die franko-spanische Koalition der Royal Navy entgegenstellen konnte. Diese Verschiebung der Kräfte befeuerte Napoleons Pläne einer französischen Invasion Englands. Hierfür sollten sich die Geschwader Rocheforts (Missiessy) und Toulons (Villeneuve) in Martinique mit einer spanischen Flotte aus Cádiz vereinen und so eine numerische Überlegenheit erlangen, die später dem Durchbrechen der britischen Blockade Brests dienen würde. Durch die Vereinigung mit dem Geschwader in Brest sollte die französische Marine die absolute Seeherrschaft im Ärmelkanal erringen, womit gemäß der Überzeugung Napoleons die entscheidende Voraussetzung für ein erfolgreiches Übersetzen der französischen Invasionsarmee gegeben gewesen wäre. Wie bereits oft festgestellt, beruhten diese Pläne auf völlig illusorischen Annahmen und wurden durch widersprüchliche Befehle, Napoleons geringes Verständnis für die Probleme der Seekriegsführung sowie ein unfähiges Marineoffizierskorps weiter erschwert. Das Resultat ist hinlänglich bekannt: Die franko-spanische Flotte wurde am 21. Oktober 1805 durch Nelsons Geschwader bei Trafalgar fast vollständig zerstört, was die über ein Jahrhundert währende britische Seeherrschaft eröffnen und den endgültigen Niedergang des spanischen Imperiums in Amerika einleiten sollte44 . Die koloniale Dimension dieser Marinekampagne wird in der Forschung allerdings völlig 42

43 44

W. B. Rowbotham, The British Occupation of the Diamond Rock 1804–1805, in: Journal of the Royal United Services Institute for Defence Studies 101 (1956), S. 396–411; VillaretJoyeuse an Decrès, 1.6.1804, in: ANOM, C8A 109, fol. 25. Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 232–234; 244f. Siehe Rodger, The Command, S. 529–544; Alan Schom, Trafalgar. Countdown to Battle 1803–1805, London 1990; Martin Robson, A History of the Royal Navy. The Napoleonic Wars, London 2014, S. 104–143.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

außer Acht gelassen: Der Aufenthalt zweier großer französischer Geschwader in Martinique wird meist beiläufig erwähnt, ohne dass auf die politischen Verhältnisse in dieser Kolonie näher eingegangen wird. Die subversiven Herrschaftsstrukturen in Martinique hatten allerdings wesentlichen Einfluss auf die französische Marinekampagne, die in der Niederlage bei Trafalgar endete, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Bereits in der Planungsphase hatte die französische Operation eine globale Dimension: Die Sammlung der franko-spanischen Kräfte in Martinique war nicht nur Teil der Vorbereitungen für eine Landung in England, sondern sollte auch die Eroberung mehrerer britischer Kolonien in den Kleinen Antillen ermöglichen. Und dies war nur ein Puzzlestück eines großangelegten Planes Napoleons, die britischen Besitzungen in der Karibik und die Sklavenhandelsstützpunkte entlang der afrikanischen Küste anzugreifen sowie die unter französischer Kontrolle stehenden Kolonien in der Karibik wie auch im Indischen Ozean zu verstärken45 . Vor ihrem Auslaufen aus Rochefort wies Napoleon deshalb Konteradmiral Édouard de Missiessy und den Kommandanten des 3500 Mann zählenden Expeditionskorps, Divisionsgeneral Joseph Lagrange an, Saint Lucia und Dominica zu erobern. Dominica wurde dabei aufgrund seiner strategisch günstigen Position zwischen Martinique und Guadeloupe Priorität eingeräumt. Napoleon rechnete ferner damit, dass Missiessys Geschwader während 30 Tagen die Seeherrschaft in der Karibik innehaben würde. Deshalb befahl er Lagrange nicht nur, die beiden Inseln zu erobern, sondern auch, so viele britische Kolonien in der Region wie möglich zu plündern sowie alle Sklaven, deren er habhaft werden konnte, zu entführen und sie schließlich in Martinique und Guadeloupe zu verkaufen – kurz »de faire enfin à l’ennemi tout le mal possible«. Dem aus Toulon kommenden Geschwader Vizeadmiral Villeneuves befahl Napoleon derweil, die von Briten besetzten batavischen Kolonien auf dem südamerikanischen Festland zurückzuerobern46 . Nur wenige Tage nach dem Auslaufen aus Toulon kam Villeneuves Geschwader Mitte Februar 1805 in einen heftigen Sturm, der mehrere Schiffe beschädigte und den Vizeadmiral zur Umkehr zwang. Die geplante Rückeroberung Surinames, Berbices und Essequibos war unter diesen Umständen unmöglich, wollten die Entscheidungsträger das Zusammentreffen der Geschwader nicht gefährden. Dieser neuen Situation trug Napoleon im März 1805 Rechnung, als er Villeneuve lediglich anwies, bei Martinique auf Vizeadmiral Honoré Ganteaumes Geschwader aus Brest zu warten. Sobald sich die beiden Geschwader vereint hätten, so Napoleons Anweisungen weiter, solle Villeneuve ein Großteil der an Bord befindlichen Truppen auf 45 46

Bonaparte an Decrès, 29.9.1804, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 4, S. 896–898. Ibid.; Napoleon an Missiessy, 23.12.1804, in: ibid., S. 984–986; Napoleon an Lagrange, 23.12.1804, in: ibid., S. 983f. (Zitat).

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die Garnisonen Martiniques, Guadeloupes und Santo Domingos verteilen. Sodann sollte die Flotte auf ihrem Rückweg nach Europa dem britischen Überseehandel so viel Schaden wie möglich zufügen47 . Mit diesen Instruktionen verließ Villeneuves Geschwader am 30. März 1805 Toulon in Richtung Karibik48 . Nicht ahnend, dass es dem französischen Geschwader gelungen war, die britische Blockade Toulons zu durchbrechen und sich vor Cádiz mit der spanischen Flotte Admiral Federico Gravinas zu vereinen, erteilte der Kaiser Villeneuve am 23. April 1805 neue Befehle. In diesen Instruktionen nahm Napoleon die Idee einer großangelegten Offensive gegen das britische Kolonialreich in der östlichen Karibik wieder auf. So sollte das franko-spanische Geschwader Saint Vincent, Antigua, Grenada »et pourquoi [. . . ] pas la Barbade ?« erobern. Die spanischen Kontingente glaubte Napoleon für eine Eroberung der von Rotjacken besetzten Kolonie Trinidad besonders geeignet. Die französischen Streitkräfte wurden ferner angewiesen, Tobago nicht zu plündern, denn die Insel sei »française«. Sollte sich eine längere Besetzung der britischen Kolonien als unmöglich erweisen, so wies Napoleon Villeneuve an, »[de] tirer la moitié des Noirs, lever une contribution sur les habitants, en ôter l’artillerie, et vendre les Noirs à la Martinique et à la Guadeloupe«. So hätten es die Briten in der Vergangenheit auch gemacht, gab sich Napoleon überzeugt49 . Die Anweisungen Napoleons zeugen zwar von einer erschreckenden Unkenntnis der Verhältnisse vor Ort. Dennoch sind sie in dreierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens zeigen sie, dass die Karibik auch nach dem Verlust Saint-Domingues eine wichtige Konfliktzone in der globalen Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Großbritannien blieb. Es kann also keine Rede davon sein, dass der französische Kaiser das Interesse an der Karibik nach der haitianischen Unabhängigkeit verloren hätte, wie dies gerne behauptet wird50 . Vielmehr wurden seine Ambitionen meist durch die beschränkten Machtmittel zur See eingeschränkt. Waghalsige Pläne für Abenteuer in Übersee gab es in den Schubladen der Pariser Amtsstuben in Hülle und Fülle51 . Zweitens veranschaulichen Napoleons Anweisungen, dass seine Konzeptionen von Loyalität und Nation wenig mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Karibik zu tun hatten. So war entgegen der Behauptung Napoleons die kleine Insel Tobago alles andere als »française«, wurden doch die wenigen französischen Pflanzer nach Eroberung der Insel 1793 durch die britischen 47 48 49 50 51

Napoleon an Villeneuve, 2.3.1805, in: ibid., Bd. 5, S. 96f. Rodger, The Command, S. 533f. Napoleon an Decrès, 23.4.1805, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 5, S. 227. Siehe beispielsweise Forrest, Napoleon, S. 144; Broers, Napoleon, S. 391f.; Andrew Roberts, Napoleon the Great, London 2014, S. 303. Vgl. etwa Meifredy an Bonaparte (geheim), o. D., in: ANPS, AF/IV/1211, fol. 49; Leborgne an Fouché [?].2.1805, in: ANOM, 2400COL/2; Observations sur le mémoire du citoyen Liniers, o. D., in: ANPS, AF/IV/1211, fol. 45.

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Streitkräfte vertrieben52 . Bezüglich des Verhältnisses von Kolonialmacht zu Bewohnern gilt gleiches für Trinidad, das fest in der Hand einer kleinen Gruppe britischer Neusiedler und einiger weniger Pflanzern aus Saint-Domingue, Martinique und Guadeloupe war, die im Zuge der revolutionären Umstürze in die spanische Kolonie geflüchtet waren. Die Insel war deshalb alles andere als spanisch53 . Drittens belegen Napoleons Pläne einmal mehr, wie eng der globale Konflikt zwischen den beiden Imperien mit der Sklaverei und dem Sklavenhandel verknüpft war. Napoleons Pläne für eine großangelegte Gegenoffensive in den Kleinen Antillen blieben allerdings Papiertiger, was neben der unklaren Befehlslage auch den Herrschaftsverhältnissen in den Kleinen Antillen geschuldet war. Zunächst verlief noch alles nach Plan: Das Geschwader Missiessys erreichte am 20. Februar 1805 Martinique. Bereits am Abend des nächsten Tages machte es sich auf, um die benachbarte Kolonie Dominica anzugreifen54 . Mit Ferngläsern verfolgten Schaulustige von den Hügeln Macoubas im Norden Martiniques den Angriff des französischen Geschwaders, welches zu Täuschungszwecken unter britischer Flagge segelte. Die britische Garnison konnte die Landung der feindlichen Truppen nahe Roseau, der Hauptstadt Dominicas (siehe Karte 7, S. 518), nicht verhindern. In heftigen Kämpfen – die Stadt ging nach dem Beschuss durch die französische Marine in Flammen auf – gelang es den Invasoren, die Rotjacken in die Flucht zu schlagen. Gouverneur Prevost konnte sich allerdings mit dem Hauptteil seiner Streitmacht in einem viertägigen Gewaltmarsch durch das Landesinnere zum Fort Shirley im Norden der Insel durchschlagen. Dabei wiesen die im gebirgigen Dschungel lebenden Maroons und Kariben den flüchtenden britischen Truppen den Weg. Einem französischen Landungskommando, das Prevosts Truppen den Rückzugsweg hätte abschneiden sollen, gelang es aufgrund widriger Winde nicht, das Fort Shirley vor Prevost zu erreichen. Dort konnten die britischen Truppen sich mit einer Einheit ehemaliger holländischer Kriegsgefangener vereinen, die nach der Eroberung Surinames im Jahr zuvor ihre batavischen Uniformen gegen britische eingetauscht hatten und nun diese wichtige Festung hielten. Lagranges Kapitulationsaufforderung kam Prevost nicht nach. Aufgrund vorheriger 52

53

54

Duffy, Soldiers, S. 30; Murphy, The Creole Archipelago, S. 202; Hamilton, Scotland, S. 62f., 145, 175; Keith O. Laurence, Tobago in Wartime, 1793–1815, Kingston 1995, S. 11f.; Cuyler an Dundas, 20.2.1798, in: TNA, WO 1/86/583; Cuyler an Huskisson, 23.10.1797, in: TNA, WO 1/86/463, Hugues an Truguet (geheim), 10.6.1798, in: ANOM, C7A 50, fol. 12. Candlin, The Last Caribbean Frontier, S. 51f.; Nikolaus Böttcher, Neptune’s Trident. Trinidad, 1766–1840. From Colonial Backyard to Crown Colony, in: Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas 44 (2007), S. 157–186, hier S. 169, 179; James Millette, Society and Politics in Colonial Trinidad, London 2 1985, S. 19–22; James Epstein, Scandal of Colonial Rule. Power and Subversion in the British Atlantic during the Age of Revolution, Cambridge 2012, S. 97, 105–107, 121; Faudoan an Curt, 8.10.1796, in: ADGB, 61J/36; Bonnaire an Curt, 9.5.1798, in: ADGB, 61J/37. Schom, Trafalgar, S. 184f.

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Warnungen aus Martinique wusste er, dass Missiessy nur ein kurzes Zeitfenster hatte, um Napoleons Befehle auszuführen. Eine langwierige Belagerung des nur schwer zugänglichen Forts Shirley kam für die französischen Entscheidungsträger deshalb gar nicht erst in Frage. Auch der eigens aus Guadeloupe herbeigeeilte Ernouf, der mehrere hundert Grenadiere für einen Sturmangriff anbot, vermochte Lagrange nicht umzustimmen. Stattdessen erhob er von den Pflanzern Dominicas eine Kontribution von 5500 Pfund, ließ 19 vor Anker liegende Handelsschiffe versenken und zahlreiche Sklaven entführen55 . Bevor die französischen Truppen wieder abzogen, machten sie in der Gouverneursresidenz Roseaus allerdings eine Entdeckung, die Aufschluss darüber gab, weshalb Prevost nicht auf die französischen Kapitulationsaufforderungen eingegangen war: Zahlreiche Akten in Prevosts Unterlagen zeugten davon, dass Kolonisten aus Martinique Missiessys Angriff verraten hatten und eng mit den britischen Streitkräften kooperierten56 . Moreau de Jonnès berichtet in seinen Memoiren gar, dass er geheimes Kartenmaterial in Prevosts Unterlagen gefunden habe, das aus den Unterlagen von Villarets Generalstab entwendet worden sei57 . Der Aktenfund von Roseau war ein denkbar schlechtes Omen für die weiteren militärischen Operationen. Über Prevost fanden die Instruktionen Napoleons an Missiessy bald ihren Weg in die britische Presse. Als sich das Geschwader Villeneuves bereits auf dem Weg nach Martinique befand, erfuhr so auch Napoleon vom kompromittierenden Fund in Roseau. Erzürnt schrieb der Kaiser an Decrès: Je vois, dans un extrait de journaux anglais, toute l’instruction donnée à Missiessy; je serais porté à croire que c’est le général Prevost qui en a instruit son gouvernement. Il paraîtrait donc convenable, probable que cette instruction a été livrée par quelques individus qui environnent le général Villaret. J’espère que Villeneuve ne communiquera pas les siennes à ce capitaine général. Ce serait un très grand malheur; car il paraît qu’il est fort mal entouré et qu’il a autour de lui un tas de petits gueux qui vendent ses secrets aux ennemis58 .

Villaret versuchte die Bedeutung von Lagranges Fund herunterzuspielen und die Schuld Laussat in die Schuhe zu schieben59 . Gleichwohl sah Villaret sich zum Bedauern Prevosts gezwungen, einige der bekannten Spione Martiniques verhaften zu lassen60 . Nachdem die beschlagnahmten Unterlagen aus Roseau in Paris eingetroffen waren, gab sich Napoleon dem naiven Glauben 55

56 57 58 59 60

Lagrange an Decrès, 20.5.1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 142; Ernouf an Soult, 23.3.[1805], in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 2, Decrès an Napoleon, 29.5.1805, in: SHD, FM/BB4/227, fol. 29; Prevost an Myers (Kopie), 1.3.1805, in: TNA, CO 71/38; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, 184–186; Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 257– 265; Daney, Histoire, Bd. 6, S. 127–136; Craton, Testing the Chains, S. 229f. Decrès an Napoleon, 26.4.1805, in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 28; Napoleon an Decrès, 1.6.1805, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 5, S. 366. Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 248–270. Napoleon an Decrès, 14.6.1805, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 5, S. 416 Villaret-Joyeuse an Decrès, 10.3.1806, in: ANOM, C8A 112, fol. 110. Prevost an Hood (Kopie), 3.4.1805, in: TNA, ADM 1/326.

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hin, dass Prevosts Angriffspläne gegen Martinique die Loyalität der Pflanzer Martiniques unterstreichen würden, schrieb doch Prevost, dass mindestens 6000 Mann nötig seien, um die Kolonie zu erobern. Dies genügte, um Napoleon von der Loyalität der Kolonisten Martiniques zu überzeugen: »J’avais mauvaise idée des habitants de la Martinique ; cette pièce les réhabilite dans mon esprit«61 . Tatsächlich setzten die Briten 1794 und 1809 aber jeweils rund 10 000 Mann gegen numerisch deutlich unterlegene Verteidiger ein62 . Die Hintergründe von Prevosts Berechnungen interessierten Napoleon nicht, obwohl Prevosts Erklärung ihn eigentlich hätten aufhorchen lassen müssen: Gemäß dem britischen General seien nur deshalb 6000 Mann nötig für einen Angriff, damit in Paris nicht der Verdacht aufkomme, die Pflanzer hätten die Kolonie den Briten kampflos übergeben: [I]ls auraient à craindre d’être un jour recherchés pour avoir cédé devant des forces inférieures. Cette crainte est en grande partie ce qui dirige toute la colonie, elle est forcée de montrer beaucoup de zèle, tandis qu’elle est très fatiguée et dégoûtée de ce qu’on lui fait faire; mais quelles en eussent été les suites, si elle eut agi différemment jusqu’à ce moment63 ?

Napoleon mochte die Märchen über die vermeintliche Loyalität der Pflanzer und royalistischen Offiziere Martiniques geglaubt haben, Missiessy und Lagrange ließen sich von den Beteuerungen Villarets nicht täuschen. Nachdem das Expeditionskorps in Dominica wieder eingeschifft wurde, nutzten Missiessy und Lagrange ihre Überlegenheit zur See lediglich, um die kleineren britischen Kolonien Saint Christopher, Nevis und Montserrat zu plündern. Insgesamt erhoben sie Kontributionen im Wert von 284 000 Franc und ließen 18 Handelsschiffe versenken, die in den Häfen der drei Kolonien vor Anker lagen64 . Weitreichendere Operationen waren aber zu riskant, da nach dem Aktenfund in Roseau klar war, dass das Überraschungsmoment verflogen war und jedermann wusste, dass Missiessy in Bälde wieder nach Frankreich zurückkehren würde. Der Vertrauensbruch zwischen Missiessy und Villaret war derart groß, dass der Gouverneur den Kommandanten der Flotte nicht einmal für einen Angriff auf den Rocher du Diamant überzeugen konnte. Missiessy nutzte dabei die Befehle aus Paris als Vorwand, würden sie ihm doch angeblich nicht erlauben, auf eigene Faust einen Angriff gegen den von Rotjacken besetzten Felsen auszuführen65 . Missiessy beschränkte sich darauf, die 61 62 63

64 65

Napoleon an Decrès, 15.7.1805, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 5, S. 486. Duffy, Soldiers, S. 71; Buckley, The British Army, S. 265. Copie d’un plan d’attaque contre la Martinique trouvé dans les papiers du général Prévost, commandant anglais à la Dominique, lors de la prise de la ville de Roseau, 1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 149. Decrès an Napoleon, 29.5.1805, in: SHD, FM/BB4/227, fol. 29, Hood an Marsden, 25.3.1805, in: TNA, ADM 1/326. Villaret-Joyeuse an Missiessy (Kopie), 18.3.1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 20; Missiessy an Villaret-Joyeuse (Kopie), 19.3.1805, in: SHD, FM/BB4/227, fol. 126, Villaret-Joyeuse an Decrès, 20.3.1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 20.

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Garnisonen Martiniques und Guadeloupes mit einem Teil der Truppen Lagranges zu verstärken, und wartete den Rest der Zeit auf das Eintreffen von Villeneuves Geschwader. Selbst Napoleons Befehle für einen Angriff auf Saint Lucia ignorierte Missiessy wohlweislich. So verstrichen Wochen bis Missiessy Mitte März den Befehl erhielt, nach Europa zurückzukehren66 . Vor seiner Rückkehr nach Europa segelte das französische Geschwader nach Santo Domingo, um die dortige Garnison zu verstärken. Trotz detaillierter Informationen aus Martinique über Missiessys Pläne glaubte Hood fälschlicherweise, dass Missiessy einen Angriff auf Jamaika plane und nahm mit seinem Geschwader die Verfolgung auf, nachdem Konteradmiral Alexander Cochrane mit seinem Geschwader in Barbados eingetroffen war, um Hoods Flotte abzulösen67 . Die französischen Marineoperationen in der Karibik beunruhigten nicht nur die britischen Militärs vor Ort, sondern auch die Regierung in London, weshalb sie eiligst die Verlegung von rund 5000 Rotjacken nach Barbados anordnete, um der Gefahr einer französischen Eroberung der westindischen Kolonien entgegenzutreten68 . Doch bis diese Truppen eintrafen, würde es noch Wochen dauern, in denen die französische Marine die Seehoheit innehatte. Missiessys Weiterfahrt nach Santo Domingo verunmöglichte zwar die geplante Vereinigung mit Villeneuves Geschwader, für den dortigen französischen Gouverneur, Ferrand, war sie jedoch ein Geschenk des Himmels: Die kümmerlichen Reste seiner Garnison wurden im Frühjahr 1805 in der Stadt Santo Domingo von den numerisch weit überlegenen Truppen Dessalines’ belagert. Die haitianische Armee stand kurz davor, die französische Präsenz auf der Insel Hispaniola ein für alle Mal zu beenden. Als aber Missiessys Geschwader vor Santo Domingo aufkreuzte, interpretierte Dessalines dies fälschlicherweise als französischen Versuch, die ehemalige Kolonie zurückzuerobern, weshalb er die Belagerung voreilig abbrach und in die haitianischen Stammlande zurückkehrte – nicht ohne auf seinem Rückweg mehrere Dörfer niederbrennen und ihre Bewohner massakrieren zu lassen oder nach Haiti zu verschleppen69 . Hatte Missiessy trotz des Verrats all seiner Pläne an die britischen Streitkräfte einige Erfolge in der Karibik vorzuweisen, so lässt sich Gleiches nicht über das franko-spanische Geschwader Villeneuves sagen, das am 12. Mai 1805 in der Bucht von Fort-de-France von Anker ging und dort mehrere 66 67 68 69

Schom, Trafalgar, S. 185, 193. Prevost an Hood (Kopie), 3.4.1805, in: TNA, ADM 1/326, Roger Knight, The Pursuit of Victory. The Life and Achievement of Horatio Nelson, New York 2005, S. 492. Davey, In Nelson’s Wake, S. 81. Lagrange an Decrès, 20.5.1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 142; Frank Moya Pons, The Dominican Republic. A National History, Princeton 3 2010, S. 112f.; Emilio Cordero Michel, Dessalines en Saint-Domingue espagnol, in: Alain Yacou (Hg.), SaintDomingue espagnol et la révolution nègre d’Haïti (1790–1822). Commémoration du bicentenaire de la naissance de l’État d’Haïti (1804–2004), Paris 2007, S. 413–434, hier S. 426–428.

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Wochen regungslos auf Ganteaumes Flotte aus Brest wartete70 . Zwar sorgte das Auftauchen der Flotte nach der französischen Plünderung Dominicas, Saint Christophers, Nevis’ und Montserrats für Panik unter den Bewohnern Saint Lucias71 . Im Gegensatz dazu blieb aber die britische Generalität, trotz Befürchtungen, wonach ein französischer Angriff auf Jamaika bevorstehe, gelassen. Die Briefe der anglomanes aus Martinique legten nahe, dass Villeneuve und Divisionsgeneral Jacques Law de Lauriston, der Kommandant des 5200 Mann starken Expeditionskorps, keine Anstalten machten, ihre drückende Überlegenheit für Offensivoperationen zu nutzen. Grund hierfür war einmal mehr auch das grassierende Gelbfieber, das Lauristons Soldaten wie die Fliegen sterben ließ. Zudem zeigte sich rasch, dass die Matrosen des franko-spanischen Geschwaders in ihrem Handwerk ungeübt waren72 . Hinzu kamen die Schwierigkeiten der Kolonialverwaltung Martiniques, diese gewaltige Flotte mit den beschränkten Ressourcen vor Ort zu versorgen und den Sold für Matrosen sowie Soldaten zu bezahlen – in Toulon war Villeneuves Flotte zum Ärger Laussats nur unzureichend verproviantiert worden73 . Einziger Erfolg während des mehrwöchigen Aufenthalts war die Rückereroberung des Rocher du Diamant74 . Anfang Juni 1805 erreichten Villeneuve Napoleons Befehle, die britischen Kolonien im Archipel zu besetzen. Die franko-spanische Flotte lief am 4. Juni 1805 mitsamt Truppenkontingenten aus Martinique und Guadeloupe zum Angriff auf Barbados aus75 . Zwar konnte bei Antigua ein britischer Konvoi mit 14 Handelsschiffen aufgebracht werden. Doch dann erreichte Villeneuve die Nachricht, dass Nelsons Flotte in Barbados eingetroffen war. Obwohl das franko-spanische Geschwader Nelsons Flotte numerisch überlegen war, vergaß Villeneuve auf einen Schlag Napoleons neue Befehle und ließ die Truppen in aller Eile wieder nach Guadeloupe bringen, um dann fluchtartig nach Europa zurückzukehren76 . Nicht nur die Zeitgenossen ärgerten sich über Villeneuves verpasste Gelegenheit, Nelson zur Schlacht zu stellen und den britischen Kolonien einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Villaret soll sich im engsten Kreis bit-

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Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 190. Bereton an Myers (Kopie), 24.5.1805, in: TNA, WO 1/118/345. Myers an Gordon, 30.6.1805, in: TNA, WO 1/118/279; Lettre de la Martinique, o. D. [1805], in: TNA, WO 1/118/337; Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 89; Knight, The Pursuit, S. 492f.; Schom, Trafalgar, S. 207f. Zu den Befürchtungen eines Angriffs auf Jamaika siehe Camden an Marsden (Kopie, geheim), 5.5.1805, in: NLS, MS. 2313/9, Cochrane an Marsden, 25.6.1805, in: TNA, ADM 1/326; Cochrane an Marsden, 2.6.1805, in: TNA, ADM 1/326. Laussat an Decrès, 20.5.1805, in: ANOM, C8A 111, fol. 93, Villaret-Joyeuse an Decrès, 21.5.1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 27. Moreau de Jonnès, Aventures, Bd. 2, S. 245f.; Poyen, Les guerres, S. 287–290. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 89–91. Rodger, The Command, S. 535.

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terlich beklagt haben: »Je donnerais [. . . ] dix ans de ma vie pour commander l’escadre de Villeneuve, pendant les deux jours qu’il me faudrait pour aller attaquer Nelson. Quels que fussent mes ordres, je serais bien sûr d’être applaudi, en arrivant en France, après avoir écrasé l’amiral le plus redoutable de l’Angleterre«77 . Auch den Historikern blieb seine passive Haltung ein Rätsel78 . Dabei fiel die Tatsache bislang unter den Tisch, dass seine Inaktivität auch in der schwierigen Versorgungslage auf Martinique begründet lag, die wiederum Ergebnis des Nepotismus der dortigen Funktionseliten war, der hohen Ausfälle an Gelbfieber sowie der Unfähigkeit seiner Mannschaften. Zudem – auch wenn es hierfür keinen direkten Beleg gibt – ist es höchst unwahrscheinlich, dass Villeneuve während seines Aufenthalts in Martinique nicht vom kompromittierenden Fund Missiessys in Roseau erfahren hatte. Villeneuve, der ja aus seiner Zeit als Kommandant der Marinestation Martiniques 1802–1803 nur allzu gut mit den subversiven Herrschaftsstrukturen der Kolonie vertraut war, konnte unter diesen Umständen kaum an ein Ergreifen der Offensive denken, zumal ihm die Befehle aus Paris ein enges Korsett aufzwangen, das seinen Handlungsspielraum einengte. Die von ihm an den Tag gelegte Vorsicht ist deshalb nur zu verständlich – und sie war auch berechtigt, denkt man die zahlreichen Briefe aus Martinique, welche die britische Admiralität über Stärke und Bewegungen seines Geschwaders informierten. Dabei war es zweitrangig, dass einige britische Kommandeure – unter anderem Nelson – den zahlreichen Spionageberichten wenig Glauben schenkten79 . Entscheidend war vielmehr, dass sich die französischen Militärs verraten fühlten. Dies zeigt sich an der Tatsache, dass Villeneuve ausgerechnet Barbados zu seinem Angriffsziel auserkor, Villaret aber über seine Absichten im Dunkeln ließ80 . Um nämlich von Martinique aus Barbados zu erreichen, waren Segelschiffe in der Regel gezwungen, die Kleinen Antillen in Richtung Norden durch den Kanal Antiguas zu verlassen, sich dann vom Golfstrom ins offene Meer treiben zu lassen und schließlich, wenn sie weit genug östlich waren, wieder gegen Süden zu halten – beinahe die gleiche Route also, die Segelschiffe auch für eine Rückfahrt nach Europa nehmen mussten. So konnte Villeneuve seine Absichten nicht nur vor der Royal Navy verheimlichen, sondern auch vor Villarets Entourage81 . Die französischen Pläne zur Erringung der Seeherrschaft scheiterten demnach nicht nur an der unrealistischen Planung, widersprüchlichen Befehlen, Wind und Wetter sowie an der mangelhaften Kommunikation, sondern auch an den subversiven Herrschaftsstrukturen in Martinique. Natürlich ist es müßig, darüber zu spekulieren, was geschehen wäre, wenn Napoleons Befehle 77 78 79 80 81

Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 194f. Vgl. etwa Rodger, The Command, S. 533–535; Knight, The Pursuit, S. 492f.; Rodigneaux, La guerre, S. 169. Schom, Trafalgar, S. 220–222. Villaret-Joyeuse an Decrès, 8.7.1805, in: ANOM, C8A 110, fol. 33. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 90.

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an Missiessy nicht in die Hände der anglomanes Martiniques gefallen wären, wenn Villeneuve seine Seeüberlegenheit frühzeitig für einen Angriff auf Barbados genutzt hätte oder es ihm gar gelungen wäre, Nelsons Flotte zu versenken – solche Überlegungen, so reizvoll sie auch sein mögen, gehören in die Welt der kontrafaktischen Geschichte. Zweifellos war die subversive Kooperation zwischen den anglomanes Martiniques und britischen Militärs auch nicht die ausschlaggebende Ursache für Villeneuves Niederlage bei Trafalgar im Oktober 1805. Sie war aber ein wichtiges Puzzlestück auf dem Weg dorthin. Aus ökonomischer Sicht hatte die mehrmonatige Seeüberlegenheit der französischen Marine immerhin zur Folge, dass die Royal Navy ihre Blockade Martiniques und Guadeloupes abbrechen musste. Dies, obwohl sich die beiden Kolonien laut Commodore Hood infolge der zweijährigen Blockade in einem Zustand »nearly reduced to famine« befunden hätten82 . Gleichwohl bedeutete die französische Niederlage bei Trafalgar auch einen Wendepunkt für den weiteren Kriegsverlauf in der Karibik, weil es der französischen Führung wegen der britischen Seeüberlegenheit fortan unmöglich war, große Flottenverbände in diese Region zu verlegen. Trotzdem sollte diese Feststellung nicht verabsolutiert werden, denn im Zeitalter der Segelschiffe war es prinzipiell immer möglich, dass ein größeres Geschwader aus den Häfen Frankreichs ausbrechen konnte. In den britischen Kolonien kursierte deshalb auch nach Trafalgar immer wieder die Furcht vor einem möglichen französischen Angriff83 . Schließlich erreichten einzelne Schiffe und kleinere Geschwader aus Frankreich auch nach der Niederlage bei Trafalgar immer wieder die Karibik.

Gewalt und Profit: Kriegsalltag in der Karibik Anfang September 1803 kaperte der französische Korsar Bucaneer (12) vor Pointe-à-Pitre die britische Schaluppe Desborough. Die Berichte der Offiziere der Desborough aus französischer Kriegsgefangenschaft zum Gefecht und ihrer anschließenden Gefangennahme sind in vielerlei Hinsicht bezeichnend für den Kriegsalltag in der Karibik. So berichtete der Arzt des britischen Schiffs: The engagement continued furious for the space of one hour and a quarter; the Desborough was taken by being boarded and overpowered by numbers. Mr Moore received a wound in the shoulder by a musket ball and came down to get it dressed. I was just about examining his wound when the French struck him with a cutlass on the head, which severed a large part of his skull and brains. [. . . ] It was shocking, they sent me to prison all besprinkled with the blood and brains of my countrymen84 . 82 83

84

Hood an Marsden, 7.6.1804, in: TNA, ADM 1/325. [?], Intelligence, 5.4.1807, in: TNA, ADM 1/328; Metcalfe an Cochrane (Kopie), 22.1.1807, in: TNA, ADM 1/328; Streicher an Gledstanes (Kopie), 9.6.1806, in: TNA, ADM 1/327. Nugent an O’Ferris (Kopie), 10.9.1803, in: TNA, ADM 1/324.

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Ein anderer Offizier der Desborough berichtete gleichentags über die Gefangenschaft in Pointe-à-Pitre, dass die Besatzung des französischen Korsaren den britischen Offizieren und Matrosen alles abgenommen hätte, »not even leaving a hat, coat or shoes«. Zur allgemeinen Erleichterung habe am nächsten Tag ein französischer Kommissar den britischen Kriegsgefangenen »some trifling things [. . . ] to cover our nakedness« gebracht. Sichtlich überrascht stellte der britische Offizier schließlich fest: »The French people behave well to the prisoners in general. [. . . ] We have met more friendship than I should have expected in any of our islands«85 . Diese bemerkenswerte Gleichzeitigkeit ausufernder Brutalität französischer Korsaren auf der einen Seite – das Töten verwundeter Kombattanten in einem Lazarett war unter den europäischen Mächten normalerweise ein Tabu – und des Zuvorkommens einiger Offiziere dem geschlagenen Gegner gegenüber auf der anderen Seite prägte den Kriegsalltag in den Kleinen Antillen. Unter den kriegsführenden Parteien herrschte keine gemeinsame oder gar gleichbleibende Auffassung, wie der Konflikt auszutragen sei. Dies hing im Wesentlichen mit dem maritimen Kleinkrieg zwischen französischen Korsaren und Einheiten der Royal Navy zusammen, den die Entscheidungsträger kaum kontrollieren konnten. Die französischen Korsaren machten nach dem Wiederausbruch des Kriegs im Sommer 1803 nicht nur die hohe See unsicher, sondern landeten auch immer wieder in abgelegenen Buchten britischer Kolonien, um die dortigen Plantagen zu plündern und so vieler Sklaven wie möglich habhaft zu werden. Entführte Sklaven wurden sodann je nach Bedarf in den französischen, spanischen und neutralen Kolonien verkauft oder zur Bemannung der Kaperschiffe eingesetzt. Für Deserteure aus der britischen Armee boten die französischen Plünderungszüge überdies oft eine günstige Gelegenheit, die britischen Kolonien unbemerkt zu verlassen und auf den französischen Kaperschiffen anzuheuern, wo stets ein hoher Bedarf an Matrosen herrschte86 . Einheiten der Royal Navy standen den französischen Korsaren hinsichtlich ihrer Gier nach Beute und Sklaven in nichts nach. So war etwa der Kommandant der Brigg Morne-Fortuné (12), John Brown, dafür berüchtigt, regelmäßig über den zivilen cabotage zwischen Saint-Pierre und Fort-de-France herzufallen87 . Brown war beileibe keine Ausnahme: Ähnlich den französischen Korsaren entsandten Einheiten der Royal Navy und britische Korsaren immer wieder Landungskommandos in abgelegene Buchten Martiniques und Guadeloupes, wo sie nahegelegene Plantagen plünderten und Sklaven entführten. 85 86

87

Zitate aus Maddock an O’Ferris (Kopie), 10.9.1803, in: TNA, ADM 1/324. Hay an Hood (Kopie), o. D. [12.12.1803], in: TNA, ADM 1/325; Hood an Ernouf (Kopie), 11.1.1804, in: TNA, ADM 1/325; Villaret-Joyeuse an Hood (Kopie), 23.7.1803, in: TNA, ADM 1/325; Hood an Ernouf (Kopie), 27.11.1803, in: TNA, ADM 1/325; Ernouf an Decrès, 4.5.1805, in: ANOM, C7A 64, fol. 40; Ernouf an Hood (Kopie), 12.2.1804, in: TNA, ADM 1/325. Daney, Histoire, Bd. 6, S. 271.

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Insbesondere im Vorfeld des britischen Angriffs auf die beiden Kolonien 1809–1810 verschärfte die Royal Navy ihre Raubzüge zu Lande88 . Nach Wiederausbruch des Kriegs waren die beiden Parteien bemüht, diese »petits vexations«89 einzudämmen. So schrieb etwa Prevost in einem Memorandum, dass das Plündern der Küsten Martiniques nur die Bewohner der Kolonie gegen die Briten aufbringe: »Les attaques partielles, les enlèvements sur la côte ne servent qu’à aigrir beaucoup d’esprits qui, avant cela, étaient bien disposés; mais quel est celui qui ne se battra pas pour défendre sa propriété? [. . . ] Il est donc essentiel de ne point aliéner les esprits, et de ne pas compromettre l’amour propre des gens«90 . Ähnliche Motive leiteten Villaret: Nachdem ein Schiff der Royal Navy kurz nach Wiederausbruch des Kriegs neun Sklaven, die auf einem Kanu aus Martinique geflüchtet waren, aufgegriffen hatte, forderte der Gouverneur Martiniques nicht nur deren Rückgabe, sondern schlug Commodore Hood auch ein Übereinkommen vor, fortan flüchtende Sklaven der gegnerischen Kriegspartei zurückzugeben, den zivilen cabotage in Frieden zu lassen und die Plünderung und Entführung von Sklaven in den gegnerischen Kolonien einzustellen. So könnten die beiden Kolonialmächte zu einer Kriegsführung zurückkehren, wie sie im Ancien Régime geherrscht habe. Die Vorteile einer solchen Abmachung würden die Nachteile überwiegen, wie Villaret gegenüber Hood ausführte: Vous le savez, Monsieur, les îles de l’archipel américain changent quelquefois de maîtres, mais leurs intérêts sont toujours les mêmes. Dans tous les temps et dans les guerres les plus sanglantes, les puissances ennemies ont constamment repoussé ou rendu les esclaves fugitifs. Une conduite opposée amènerait bientôt la ruine du système colonial établi dans toutes les Antilles et j’observe que ce n’est pas la France qui y perdrait le plus91 .

Hood reagierte zurückhaltend auf das Angebot Villarets, weil er wohl nicht zu Unrecht befürchtete, dass dies nur ein Vorwand sei, um die britische Blockade der Kolonie zu unterwandern. Wenige Wochen nach Wiederausbruch des Kriegs hatte die britische Flotte einen Blockadering um die Insel gelegt, mit dem die Einheiten der Royal Navy versuchten, der neutralen Handelsschifffahrt so weit wie möglich den Zugang zu den französischen Kolonien zu verwehren und deshalb auch den cabotage der beiden Kolonien angriffen. Als Villaret von der in seinen Augen illegalen Blockade erfuhr, reagierte er äu88

89 90

91

Villaret-Joyeuse an Hood (Kopie), 23.7.1803, in: TNA, ADM 1/325; Ernouf an Hood (Kopie), 12.2.1804, in: TNA, ADM 1/325; Bertin an Decrès, 30.11.1803, in: ANOM, C8A 108, fol. 82; Villaret-Joyeuse an Decrès, 13.7.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 32; Ernouf an Decrès, 8.7.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 148; Ernouf an Decrès, 8.6.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 135; Lemeste an Vatable (Kopie), 30.5.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 133; Kerversau an Decrès, 12.6.1809 (geheim), in: ANOM, C7A 69, fol. 174. Ernouf an Decrès, 4.5.1805, in: ANOM, C7A 64, fol. 40. Copie d’un plan d’attaque contre la Martinique trouvé dans les papiers du général Prevost, commandant anglais à la Dominique, lors de la prise de la ville de Roseau, o. D. [1805], in: ANOM, C8A 110, fol. 149. Villaret-Joyeuse an Hood (Kopie), 23.7.1803, in: TNA, ADM 1/325.

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ßerst ungehalten, wusste er doch, dass die Aufrechterhaltung seines Regimes entscheidend davon abhing, ob die grands Blancs ihre Produkte weiterhin auf dem Weltmarkt absetzen konnten. Entrüstet schrieb er deshalb an Hood: Les intérêts des colonies en général [. . . ] sont uniformes; dans les vôtres, comme dans celle qui appartient à la France, tout chef éclairé ne peut voir que des colons. . . c’est-à-dire des hommes dont les propriétés n’ont qu’une existence douteuse dans les temps même de la plus profonde paix; des hommes isolés de toutes les jouissances de leur patrie sous un climat destructeur où la mortalité des nègres et l’inclémence des saisons ont trop souvent suffit pour décourager l’industrie; des hommes enfin à qui des malheurs ou des périls communs ont sans distinction de nation donné le droit de se considérer comme une immense famille dont les individus, agités les uns comme les autres par l’effroi, aux époques désastreuses où les tourmentes révolutionnaires les menaçaient, voyaient avec joie & reconnaissance le système colonial se replacer de toutes parts sur ses anciennes bases; & ne pourraient que frémir de l’idée qu’une guerre [. . . ] fût encore conduite de manière à faire chanceler ce système. [. . . ] Eh! Quel moyen plus infaillible pour ébranler ce système qu’une insurrection d’esclaves. . . Et pour la provoquer, quel fléau plus direct que celui de la famine! La haute idée que j’ai de Votre Excellence ne me permit pas de présumer que tels ont pu être ses projets; mais tels en peuvent être les résultats. . . [. . . ] Tous les fléaux que vous auriez appelé sur nos îles retomberaient sur les vôtres, & je ne me le dissimule point, la ruine des colonies des deux nations peut en être le résultat92 .

Der Brief Villarets verdient es deshalb, so ausführlich zitiert zu werden, weil er illustriert, dass der Kriegsführung in der Karibik ein grundlegender Widerspruch zwischen der Wahrung gemeinsamer Interessen – der Aufrechterhaltung einer auf Sklaverei beruhenden Plantagenökonomie – und dem Wunsch, dem Gegner so viel Schaden wie möglich zuzufügen, innewohnte. Die Folgen einer weitgehend entgrenzten Kriegsführung mussten gemäß Villaret beide karibischen Kolonialreiche in den Ruin treiben – die verheerenden Folgen der Revolutionskriege im Archipel dienten als abschreckendes Beispiel. Hood weigerte sich zunächst, auf Villarets Vorschlag, den cabotage von der Blockade auszunehmen, einzugehen. Neutrale Blockadebrecher würden für ihr Risiko fürstlich entlohnt, bemerkte Hood lakonisch93 . Völlig grundlos waren Villarets Befürchtungen jedoch nicht, weshalb Hood dem Vorschlag Villarets zustimmte, dass die Kaperschiffe beider Seiten nur noch auf hoher See operieren sollten und auf der Flucht aufgegriffene Sklaven an ihre Besitzer zurückzugegeben seien94 . Erst nach einigem Hin und Her erklärte Hood auch seine Bereitschaft, den cabotage rund um Martinique in Frieden zu lassen und die Plünderungen der Royal Navy entlang der Küsten französischer Kolonien einzustellen – freilich ohne die Blockade der beiden Inseln abzubrechen95 . Vermutlich war dies der Erkenntnis Hoods geschuldet, dass so der Schmuggel zwischen Martinique und den britischen Kolonien weiter gefördert werden 92 93 94 95

Villaret-Joyeuse an Hood (Kopie), 29.7.1803, in: TNA, ADM 1/325 (Hervorh. i. Orig.). Hood an Villaret-Joyeuse (Kopie), 17.8.1803, in: TNA, ADM 1/325. Hood an Villaret-Joyeuse (Kopie), 25.7.1803, in: TNA, ADM 1/325: Hood an VillaretJoyeuse (Kopie), 28.7.1803, in: TNA, ADM 1/325. Daney, Histoire, Bd. 6, S. 86.

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konnte und dies letztlich einzig der britischen Seite zugute kommen würde. Das Abkommen zwischen den beiden kriegsführenden Mächten wurde von individuellen Übereinkommen zwischen Villaret und den Gouverneuren britischer Kolonien begleitet, in denen die Einschränkung und Reglementierung des Kaperkriegs stipuliert wurden. Allerdings waren diese Übereinkommen wenig wert, wurde doch sowohl in Martinique als auch in den britischen Kolonien nur eine verschwindend kleine Zahl von Kaperbriefen ausgestellt96 . Alles hing von der Kooperation Ernoufs ab, weil vor allem die Korsaren Guadeloupes die karibische See unsicher machten. Vor dem Hintergrund, dass die Kaperei nach wie vor ein wichtiger sozioökonomischer Pfeiler der französischen Herrschaft in dieser Kolonie und ihr Gouverneur selbst massiv darin verwickelt war, blieb es fraglich, ob Ernouf mit Villaret und der britischen Admiralität kooperieren würde. Erst einige Monate später, im März 1804, willigte Ernouf ein, sich dem Übereinkommen anzuschließen. Im gleichen Atemzug wies er aber darauf hin, dass die praktische Umsetzung schwierig sei. Den Kapitänen von Kaperschiffen falle es leicht, die gemeinsame Übereinkunft zu umgehen, indem illegale Prisen und aufgebrachte Sklaven in neutralen Häfen verkauft würden. So ließ sich Ernouf geschickt eine Hintertür offen, um im Zweifelsfall jegliche Verantwortung für die Aktivitäten französischer Korsaren von sich zu weisen97 . Trotz Ernoufs zögerlicher Kooperation erwies sich dieses Übereinkommen als erstaunlich stabil. Geflüchtete Sklaven wurden meist im Rahmen des regelmäßigen Gefangenenaustauschs zurückgegeben98 . Selbst die Plünderungen Missiessys im Frühjahr 1805 vermochten die Abmachung trotz eines gehässigen Briefwechsels zwischen Ernouf und Hood nicht in Frage zu stellen99 . Aktenkundige Verstöße gegen das Übereinkommen sind höchst selten100 . Überhaupt muss das Übereinkommen zwischen Villaret und Hood im Rahmen der generellen Kriegsführung während der Koalitionskriege 1793–1815 verortet werden. Der in der Einleitung besprochenen These David Bells vom »ersten totalen Krieg« zu jener Zeit kann hier entgegengehalten werden, dass die Entscheidungsträger vor Ort durchaus bemüht waren, die Büchse der Pandora wieder zu schließen101 . Nach den Zerstörungen der Re96

97 98 99

100 101

Vgl. ibid.; Villaret-Joyeuse an Prevost (Kopie), 3.8.1803, in: TNA, CO 71/36; Houdetot an Prevost (Kopie), 19.9.1803, in: TNA, CO 71/36; Prevost an Hobart, 20.10.1803, in: TNA, CO 71/36; Seaforth an Villaret-Joyeuse (Kopie), 13.10.1803, in: NRS, GD46/7/7. Ernouf an Hood, 23.3.1804, in: TNA, ADM 1/325; Hood an Dent, 16.3.1804, in: TNA, ADM 1/325. Siehe etwa Herbert an Ernouf, 10.3.1807, in: ANPS, 185AP/3; Herbert an Ernouf, 9.11.1807, in: ANPS, 185AP/3. Vgl. Ernouf an Decrès, 4.5.1805, in: ANOM, C7A 64, fol. 40; Hood an Ernouf, 8.4.[1805], in: ANOM, C7A 64, fol. 42; Ernouf an Laforey (Kopie), 3.5.1805, in: ANOM, C7A 64, fol. 44; Laforey an Ernouf, 28.4.1805, in: ANOM, C7A 64, fol. 43. Villaret-Joyeuse an Hood (Kopie), 17.9.1803, in: TNA, ADM 1/325. Bell, The First Total War.

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volutionskriege erkannten sie, dass sie andernfalls die auf Sklaverei beruhende Plantagenökonomie und die damit verbundenen Herrschaftsstrukturen ins Wanken bringen würden. Trotz der erbitterten Feindschaft zwischen dem napoleonischen Frankreich und dem Britischen Empire gewichteten lokale Entscheidungsträger die Aufrechterhaltung der bestehenden Gesellschaftsstrukturen höher als die Zerstörung der sozioökonomischen Grundlagen des Gegners. Ironischerweise sollte es unter anderem das 1808 in Kraft getretene Sklavenhandelsverbot im Britischen Empire sein, das die Kriegsführung radikalisierte und zu einem Ende des Übereinkommens zwischen französischen und britischen Kolonialbeamten und Militärs führte. Es ist deshalb an dieser Stelle angebracht, auf die Bühne der Ereignisgeschichte zurückzukehren und zu analysieren, wie sich die rasch verändernde geostrategische Lage Frankreichs und Großbritanniens auf die Karibik auswirkte.

Der Kampf um die Neutralen und Lateinamerika, 1805–1808 Der Dritte Koalitionskrieg veränderte die strategische Situation auf den Kleinen Antillen mit einem Schlag. Grund dafür war die Beteiligung Schwedens an der antifranzösischen Koalition im Sommer 1805. Der schwedische König Gustav IV. hatte sich gegenüber der britischen Regierung bereit erklärt, für eine astronomisch hohe Subsidienzahlung 12 000 Mann gegen Napoleons Armee ins Feld zu führen102 . In den Kleinen Antillen hatte dies zur Folge, dass mit der schwedischen Kolonie Saint-Barthélemy einer der wichtigsten Umschlagplätze für die französischen Kolonien nicht mehr zur Verfügung stand. Im Freihafen Gustavia, dem Hauptort Saint-Barthélemys, war es französischen Kaufleuten bis dahin relativ leicht gefallen, die britische Blockade zu umgehen und Kolonialwaren aus Martinique und Guadeloupe abzusetzen103 . Insbesondere für Guadeloupe hatte die schwedische Kriegserklärung gravierende Folgen, denn die Kaufleute der Insel unterhielten enge Handelsbeziehungen zu der schwedischen Kolonie, deren Bewohner vorwiegend französischer Abstammung waren. Zudem gefährdete die schwedische Kriegserklärung auch den französischen Handel mit den spanischen Kolonien, segelte doch ein Großteil des cabotage Guadeloupes unter schwedischer Flagge104 . 102 103

104

Charles J. Esdaile, Napoleon’s Wars. An International History, 1803–1815, New York 2008, S. 199. Armytage, The Free-Port System, S. 77f.; Yolande Lavoie, Histoire sociale et démographique d’une communauté isolée. Saint-Barthélemy (Antilles françaises), in: Revue d’histoire de l’Amérique française 42 (1989), S. 411–427, hier S. 413. Ernouf/Kerversau an Decrès, 12.1.1806, in: ANOM, C7A 64, fol. 4; Ernouf/Kerversau an Decrès, 1.10.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 57.

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Ernouf, der stets mit einem Mangel an finanziellen Ressourcen zu kämpfen hatte, entschied sich, das Beste aus der Situation zu machen, indem er Anfang November 1807 die Plünderung der kaum verteidigten schwedischen Kolonie anordnete. 200 französischen Soldaten gelang es, die Insel nach einem kurzen Gefecht zu besetzen. In der Folge nahmen sie alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Insgesamt sollen sie Waren im Wert von mehreren hunderttausend Piaster entwendet haben. Dass die Plünderungsaktion vornehmlich französische Kaufleute traf, störte Ernouf kaum, begründete er die Aktion doch damit, dass die französischen und amerikanischen Kaufleute Saint-Barthélemys der haitianischen Armee Waffen und Schwarzpulver verkauft hätten105 . Die Plünderung der schwedischen Kolonie mochte zwar dringend benötigtes Geld nach Guadeloupe bringen, doch der zunehmenden ökonomischen Abschnürung der französischen Insel tat sie keinen Abbruch. Hierzu trugen auch die Ereignisse in Europa nach dem Vierten Koalitionskrieg 1806/07 bei. Die in den Dekreten von Berlin (1806) und Mailand (1807) verhängte Kontinentalsperre und die Gegenmaßnahmen der britischen Regierung mit den Orders in Council (1807) bildeten den Auftakt zu einem Wirtschaftskrieg zwischen den beiden Imperien, der nicht nur auf Europa beschränkt blieb. Indem Frankreich und Großbritannien neutralen Mächten den Handel mit dem jeweiligen Gegner faktisch untersagten, brach der bis dahin florierende Warenaustausch unter neutraler Flagge ein106 . Dies betraf insbesondere die USA, deren Handelsflotte einen Großteil des transatlantischen Warenverkehrs abwickelte107 . Aus der Sicht der Regierung Thomas Jeffersons brachte die Politik Paris’ und Londons das Fass endgültig zum Überlaufen. Wegen der Rekrutierungspraxis der Royal Navy lag die US-Regierung ohnehin seit langem mit Whitehall im Streit, weil die britischen Pressgangs vor amerikanischen Bürgern nicht Halt machten. Ende des Jahres 1807 verhängte der amerikanische Senat deshalb eine Blockade gegen Großbritannien und Frankreich. Jefferson hoffte, damit die beiden Mächte zu einem Einlenken zu bewegen,

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Cochrane an Pole, 23.11.1807, in: TNA, ADM 1/328; Rapport à Sa Majesté l’empereur, 23.11.1807, in: ANOM, C7A 68, fol. 143; Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 98f.; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 210f.; Wilson, Commerce, S. 127–132; Ale Pålsson, Common Ground. Swedish Neutrality and Transit Trade in St. Barthélemy (1800–1820), in: Éric Schnakenbourg (Hg.), Neutres et neutralité dans l’espace atlantique durant le long XVIIIe siècle (1700–1820). Une approche globale, Bécherel 2015, S. 349–375, hier S. 355–362. François Crouzet, Wars, Blockade, and Economic Change in Europe, 1792–1815, in: Journal of Economic History 24 (1964), S. 567–590; Lance E. Davis, Stanley L. Engerman, Naval Blockades in Peace and War. An Economic History since 1750, Cambridge 2006, S. 25–52. Marzagalli, Guerre, S. 384; John H. Coatsworth, American Trade with European Colonies in the Caribbean and South America, 1790–1812, in: William & Mary Quarterly 24 (1967), S. 243–266, hier S. 256.

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waren doch gerade die karibischen Kolonien Frankreichs und Großbritanniens entscheidend vom Handel mit den USA abhängig108 . Die Folgen dieses Embargos waren für die französischen Kolonien dramatisch, wie Kerversau in einem internen Memorandum vom Sommer 1808 schrieb: Pendant près d’un mois nos rades furent désertées, du neuf au 15 janvier 1808, arrivaient plusieurs navires américains chargés de comestibles, et avec eux la nouvelle impérieuse de l’embargo ordonné par les États-Unis. Elle ne fut comme que pour des spéculations clandestines qui firent doubler en deux jours tous les prix. [. . . ] L’arrivée du fatal décret du gouvernement fédéral jeta l’alarme et la consternation dans la Colonie. Elle était d’autant plus excusable qu’elle se trouvait absolument sans ressource pour les subsistances109 .

Die Erhöhung der Preise für Nahrungsmittel und Verbrauchsgüter sowie die schwindenden Absatzmöglichkeiten für die Plantagenökonomien der französischen Zuckerinseln infolge des Embargos der USA und der britischen Seeblockade hatten weitreichende innenpolitische und wirtschaftliche Folgen in den betroffenen Kolonien. Diese sollen im nächsten Kapitel genauer beleuchtet werden. Für den vorliegenden Zusammenhang ist entscheidend, dass das französische Kolonialreich zunehmend vom Weltmarkt abgeschnitten wurde. Dieser Prozess wurde durch den anglo-dänischen Krieg 1807–1808 weiter verschärft. Ursache dieses Konflikts war der Zerfall der Nordischen Koalition 1807 infolge des Vierten Koalitionskriegs. Mit den vernichtenden Niederlagen Preußens in den Schlachten von Jena und Auerstedt 1806, der anglo-schwedischen Allianz und der russischen Niederlage bei Friedland 1807 drohte Dänemark immer mehr in den Dunstkreis Frankreichs zu geraten, zumal sich Zar Alexander I. in den Friedensverhandlungen bei Tilsit bereit erklärt hatte, Dänemark zu einem Beitritt zur Kontinentalsperre zu bewegen. Eine französische Einmischung oder gar eine Besetzung Dänemarks durch die Truppen Napoleons konnte nicht nur zur Folge haben, dass die dänische Flotte dem französischen Kaiser in die Hände fiel, sondern drohte auch Großbritannien von den wichtigen Märkten im Baltikum abzuschneiden, die gerade für die Versorgung der Royal Navy mit Baumaterial von entscheidender Bedeutung waren. Vor diesem Hintergrund entschied sich die britische Regierung im Sommer 1807, den dänischen König Frederik IV. ultimativ zur Übergabe seiner Flotte an die Royal Navy aufzufordern. Diesen Forderungen war die dänische Regierung jedoch nicht bereit nachzukommen, weshalb britische Streitkräfte Anfang September 1807 die dänische Hauptstadt drei Tage lang mit Brandgeschossen bombardierten. Dem Beschuss fielen mindestens 2000 Zivilisten zum Opfer, weshalb sich der Stadtkommandant Kopenha108 109

George C. Daughan, 1812. The Navy’s War, New York 2011, S. 1–30; Bonnel, La France, S. 212–231; Bickham, The Weight, S. 20–75. Kerversau an Ernouf/Bertolio, 26.7.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 166.

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gens zur Kapitulation entschied und die dänische Flotte der Royal Navy übergab110 . Der anglo-dänische Krieg fand drei Monate später in der Karibik seine Fortsetzung, nachdem der britische Kommandant Henry Bowyer angewiesen worden war, die dänischen Kolonien Saint Thomas, Saint John und Saint Croix zu besetzen. Diese kapitulierten am 24. Dezember 1807, ohne dass ein einziger Schuss gefallen wäre111 . Die drei Inseln waren zwar ökonomisch bedeutungslos, ihr Wert – ähnlich der schwedischen Kolonie Saint-Barthélemy – lag vielmehr in ihrer Funktion als Umschlagplätze, die es den französischen Kolonien ermöglichten, Zucker und Kaffee auf dem Weltmarkt abzusetzen und Nahrungsmittel sowie Verbrauchsgüter zu importieren. Dies galt insbesondere für Saint Thomas, dessen Freihafen für den Warenumschlag in der östlichen Karibik von entscheidender Bedeutung war112 . Die britische Regierung fürchtete zudem, dass die französischen Streitkräfte ihr zuvorkommen und die dänischen Kolonien plündern könnten, zumal die dortigen Handelshäuser größtenteils mit britischen Krediten finanziert wurden113 . Die Inbesitznahme dieser Inseln durch die Briten bewertete Ernouf später als entscheidenden Schlag gegen die französischen Kolonien in den Kleinen Antillen, verschloss sie doch letzteren eine wichtige Luftröhre114 . Drohte der Konflikt mit den neutralen Mächten die Sicherheit des französischen Kolonialreichs in der Karibik zu gefährden, stand in Bezug auf das allmählich kollabierende spanische Kolonialreich noch viel mehr auf dem Spiel. Die kreolischen Eliten der spanischen Kolonien forderten seit Jahren umfassende Reformen – insbesondere eine Lockerung beziehungsweise Aufhebung des merkantilistischen Wirtschaftsregimes sowie den Zugang zu höheren Ämtern in der Kolonialverwaltung. Solchen Forderungen kam die spanische Metropole jedoch nur äußerst widerwillig und zögerlich nach115 . Vor diesem Hintergrund war für die französische Regierung die zunehmende Durchdringung der lateinamerikanischen Märkte mit britischen Waren umso besorgniserregender. Nicht ganz zu Unrecht vermutete sie, dass den britischen Fertigwaren bald auch Rotjacken folgen würden, die kreolische

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Arnold D. Harvey, Collision of Empires. Britain in Three World Wars 1793–1945, London 1992, S. 97–102; Ole Feldbæk, Denmark in the Napoleonic Wars. A Foreign Policy Survey, in: Scandinavian Journal of History 26 (2001), S. 89–101, hier S. 91–93; Esdaile, Napoleon’s Wars, S. 311–313. Buckley, The British Army, S. 264f.; Burns, History, S. 586f. Armytage, The Free-Port System, S. 103; Stanley L. Engerman, Europe, the Lesser Antilles, and Economic Expansion, 1600–1800, in: Robert L. Paquette, Stanley L. Engerman (Hg.), The Lesser Antilles in the Age of European Expansion, Gainesville, FL 1996, S. 147–164, hier S. 160. Castlereagh an Pole (geheim), 4.9.1807, in: NLS, MS. 2313/40. Ernouf an [Decrès] (Entwurf), [?].5.1811, in: ADG, 1J6/3. Stefan Rinke, Revolutionen in Lateinamerika. Wege in die Unabhängigkeit 1760–1830, München 2010, S. 30–52.

12. Kriegsführung in der Karibik

437

Unabhängigkeitsbewegungen unterstützen oder die spanischen Kolonien gar gewaltsam dem Britischen Empire einverleiben würden. Freilich waren die Gedankenspiele in Paris zur Eindämmung des britischen Einflusses ziemlich einfallslos und beschränkten sich darauf, den spanischen Verbündeten zur Abtretung wichtiger Kolonien zu bewegen116 . Auf britischer Seite waren neben neuen Absatzmärkten für die heimische Wirtschaft insbesondere die Silberminen in Mexiko und Peru von besonderem Interesse. Deren Kontrolle hätte eine willkommene Entlastung der durch den Krieg arg strapazierten Staatsfinanzen Großbritanniens bedeutet117 . Allerdings war eine Vorwärtsstrategie gegen das spanische Kolonialreich mit unwägbaren Gefahren verbunden, drohte sie doch die spanischen Kolonien in die Arme Frankreichs zu treiben oder gar einen blutigen Bürgerkrieg auszulösen. Hinzu kam, dass die Informationen über die politischen Loyalitäten der kreolischen Eliten Lateinamerikas in höchstem Maße widersprüchlich waren. In Anbetracht dieses Zwiespalts blieb der britischen Führung nicht viel anderes übrig, als den weiteren Verlauf der Ereignisse abzuwarten. Selbsternannte Revolutionäre Lateinamerikas wie Francisco de Miranda, die seit Jahren versuchten, bei der britischen Regierung Unterstützung für ihre Umsturzpläne zu finden, hielten sich die Verantwortlichen Whitehalls zwar in der Hinterhand, konkrete Zusagen für militärischen Beistand gaben sie ihnen jedoch keine118 . Dabei hatte die Regierung William Grenvilles, die nach dem Tode Pitts im Januar 1806 an die Macht gekommen war, ihre Rechnung ohne die britischen Militärs vor Ort gemacht. Miranda, der weltgewandte Sohn eines Kaufmanns aus Caracas, hatte sich im Frühjahr 1806 entschlossen, seine Pläne für die Befreiung seiner Heimat von der spanischen Herrschaft ohne die Hilfe Londons in die Tat umzusetzen. Nach einem ersten fehlgeschlagenen Landungsversuch seiner in den USA und Haiti ausgerüsteten Freibeuterexpedition nahe Porto Cabello im Mai 1806 fand Miranda bei der Royal Navy, namentlich bei Konteradmiral Cochrane, rege Unterstützung für seine Umsturzpläne im Generalkapitanat Venezuela. Im Sommer 1806 erzielten die beiden Parteien auf Barbados ein Übereinkommen. Die Royal Navy stellte Miranda Schiffe, Offiziere und Soldaten für dessen Expedition zur Verfügung. Im Gegenzug sicherte Miranda britischen Kaufleuten exklusive Handelsprivilegien sowie 116

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Siehe etwa Coup d’œil politique et secret sur les Antilles d’Amérique, o. D., in: ANPS, AF/IV/1211, fol. 32; Depons, Mémoire sur la cession de la capitainerie générale de Caracas à la France, o. D., in: ANPS, AF/IV/1211, fol. 43; Depons, Mémoire sur l’expédition partie des États-Unis pour la côte de Caracas commandée par le général Miranda, créole de la ville même de Caracas, o. D. [22.5.1806], in: ANOM, 2400COL/2; Aversailles an Napoleon, o. D. [1808], in: ANOM, 2400COL/2. Vincent T. Harlow, The Founding of the Second British Empire 1763–1793, 2 Bde., London 1964, Bd. 2, S. 615–661. Jeremy Adelman, Sovereignty and Revolution in the Iberian Atlantic, Princeton 2006, S. 175–180; John Lynch, British Policy and Spanish America 1783–1808, in: Journal of Latin American Studies 1 (1969), S. 1–30.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

eine extraterritoriale Gerichtsbarkeit in Venezuela zu119 . Mit anderen Worten: Im Falle eines Erfolges Mirandas sollte Venezuela Teil des informellen Britischen Empires werden120 . Jubelnd schrieb Cochrane seinen Vorgesetzten in London, dass durch das Übereinkommen mit Miranda der ganze Orinoko dem britischen Überseehandel geöffnet werde. Zudem sei das Holz des dortigen Dschungels bestens für den Schiffsbau geeignet; die indigene Bevölkerung entlang des Flussufers lasse sich leicht für dessen Abholzung heranziehen121 . Die britische Regierung war vom eigenmächtigen Vorpreschen Cochranes wenig begeistert und befahl ihm am 15. Juli 1806, jegliche Unterstützung für Miranda einzustellen. Innerhalb der britischen Führungsriege herrschten große Zweifel, ob ein von Großbritannien protegierter Umsturzversuch in Venezuela die erhofften Folgen haben würde. Zudem galt es, die informellen Friedensgespräche von Außenminister Charles Fox mit Talleyrand nicht unnötig durch einen Angriff auf die spanischen Kolonien zu gefährden122 . Die Gegenbefehle der Admiralität erreichten Cochrane allerdings zu spät. Miranda hatte sich Ende Juli bereits auf den Weg gemacht, um bei Coro einen erneuten Landungsversuch zu wagen, nachdem ihm Cochrane Schiffsraum, Offiziere und Schwarzpulver zur Verfügung gestellt hatte. Zur Expedition Mirandas gesellten sich auch einige émigrés aus den französischen Kolonien wie Rouvray, die sich in Trinidad niedergelassen hatten und seitdem als regelrechte Kriegsunternehmer in britischen Diensten standen123 . Die Pläne Mirandas eröffneten der französischen Seite die Möglichkeit, sich geschickt als Verteidiger gegen britische Expansionsabsichten in Szene zu setzen. Seit längerem war der berüchtigte Polizeiminister Napoleons, Joseph Fouché, über die Pläne Mirandas im Bilde; allerdings vermuteten seine Agenten fälschlicherweise einen Angriff auf Kuba124 . Auch der französischen Führung in der Karibik war klar, dass von Miranda auch nach dessen Fehlschlag bei Puerto Cabello eine ernstzunehmende Gefahr ausging. Im Sommer 1806 informierte Ernouf den stellvertretenden spanischen Gouverneur in Caracas, Juan de Casas, dass Miranda seine Pläne für einen gewaltsamen Umsturz keineswegs aufgegeben habe und für einen erneuten

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Cochrane an Marsden, 12.6.1806, in: TNA, ADM 1/327; Cochrane an Miranda (Kopie), 9.6.1806, in: TNA, ADM 1/327. Die stipulierten Bedingungen gehören gewissermaßen zum Standardbausatz des informellen Imperialismus. Siehe Jürgen Osterhammel, Semi-Colonialism and Informal Empire in Twentieth-Century China. Towards a Framework of Analysis, in: Wolfgang J. Mommsen, Jürgen Osterhammel (Hg.), Imperialism and After. Continuities and Discontinuities, London 1986, S. 290–314. Cochrane an Spencer, 12.6.1806, in: TNA, ADM 1/327. William W. Kaufmann, British Policy and the Independence of Latin America, 1804– 1828, New Haven, CT 1951, S. 20f. Michael Zeuske, Francisco de Miranda und die Entdeckung Europas. Eine Biographie, Münster 1995 (Hamburger Ibero-Amerika Studien, 5), S. 228. Leborgne an Fouché, [?].2.1805, in: ANOM, 2400COL/2.

12. Kriegsführung in der Karibik

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Versuch auf konkrete Rückendeckung seitens der Royal Navy zählen könne. Ernouf hatte von Mirandas Unternehmen erfahren, nachdem es einem seiner Korsaren gelungen war, ein Schiff von Mirandas Expedition zu kapern und die Gefangenen zu verhören. Auf eigene Faust entsandte Ernouf daraufhin ein Detachement von rund 100 Grenadieren nach Caracas, um die spanischen Truppen gegen den bevorstehenden Angriff zu unterstützen – und wohl auch, um ein wachsames Auge auf die spanische Kolonialregierung in Venezuela zu halten125 . Als das französische Detachement Ende August 1806 in der Hafenstadt Coro eintraf, war es schon zu spät. Miranda war zu diesem Zeitpunkt schon längst auf der Flucht, nachdem es seinem Expeditionskorps nicht gelungen war, die Unterstützung der Bewohner der Hafenstadt für seine Sache zu gewinnen126 . Aus Angst vor weiteren Versuchen Mirandas und seiner britischen Verbündeten beließ Ernouf die Grenadiere in Coro. Damit konnte der Abfall des wichtigsten Verbündeten Frankreichs in der karibischen See, des spanischen Kolonialreichs, und die weitere Expansion des Britischen Empires fürs Erste verhindert werden. Nur allzu deutlich sah Ernouf, dass ein Seitenwechsel der spanischen Kolonien auf dem amerikanischen Festland für die französischen Kolonien eine Katastrophe darstellen würde, bezogen letztere doch einen Großteil ihres Bedarfs an Nahrungsmitteln, Nutztieren und Bargeld aus dieser Region127 . Als Napoleon im Februar 1807 von Mirandas Landungsversuchen erfuhr, glaubte er, dass diese nur den Auftakt zu noch weiterreichenden Operationen der Briten auf dem südamerikanischen Kontinent bildeten, weshalb er die Entsendung von mehreren hundert Mann in die Kleinen Antillen anordnete128 . Auf britischer Seite bestätigte Mirandas Fehlschlag die schon lange gehegte Vermutung, dass die kreolischen Eliten Lateinamerikas Umsturzversuche und Angriffe der Briten nicht ohne weiteres akzeptieren würden129 . Dies illustrieren auch die eigenmächtigen Angriffe des britischen Konteradmirals Home R. Popham gegen Buenos Aires und Montevideo 1806–1807, die ebenfalls am Widerstand der lokalen Bevölkerung gescheitert waren130 . Nach den Fehlschlägen in Venezuela und am Rio de la Plata steckte die britische Führung aber keineswegs zurück. Wegen Napoleons Siegen auf den europäischen Schlachtfeldern, der Kontinentalsperre, die britische Waren von den europäischen Märkten verdrängte, sowie der gescheiterten Friedensverhandlungen zwischen den beiden Nationen blieb die westliche Hemisphäre

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Ernouf an Decrès, 1.9.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 55. Zeuske, Francisco de Miranda, S. 229–236. Ernouf an Decrès, 1.9.1806, in: ANOM, C7A 65, fol. 55. Napoleon an Decrès, 23.2.1807, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 7, S. 214f. Lynch, British Policy, S. 19. Vgl. Watson, The Reign, S. 453f.; Kaufmann, British Policy, S. 23–27.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

zwangsläufig im Fokus von Whitehall. Im Auftrag der neuen Regierung Lord Portlands lotete deshalb der aus Indien zurückgekehrte Arthur Wellesley in der zweiten Jahreshälfte 1807 mögliche Ziele für ein britisches Eingreifen in Südamerika aus. Freilich stand selbst Wellesley, der mit seinem älteren Bruder in den vorangegangenen Jahren eine rücksichtslose Expansionspolitik in Indien verfolgt hatte, möglichen Operationen in Südamerika skeptisch gegenüber. Zu unsicher schienen ihm die Erfolgsaussichten, weil der politische Rückhalt der kreolischen Eliten für ein britisches Eingreifen weiterhin fraglich blieb – den Fabeln Mirandas schenkte Wellesley jedenfalls kaum Glauben. Auch wirtschaftlich schien wenig für ein britisches Eingreifen zu sprechen, überschwemmten britische Waren doch bereits ohne das Zutun Londons die lateinamerikanischen Märkte. Die Vorbereitungen für eine Expedition nach Südamerika blieben deshalb diffus – es blieb nur die Überzeugung Whitehalls, dass irgendetwas unternommen werden müsse131 . Die britischen Planspiele blieben den französischen und spanischen Militärs der Karibik nicht verborgen, weshalb sich Ernouf entschied, das Detachement französischer Grenadiere aus Coro zurückzurufen. Denn eines war klar: Bei einem britischen Angriff auf die spanischen Festlandkolonien mussten auch Martinique und Guadeloupe ins Blickfeld der britischen Führung geraten132 . Doch bekanntlich kam alles anders. Napoleon mischte mit der Absetzung König Ferdinands VII. und der Inthronisierung seines Bruders Joseph auf dem spanischen Thron im Frühjahr 1808 die Karten im Wettrennen um die Amerikas neu. Wellesleys Expeditionsheer, das in Cork zum Auslaufen in Richtung Südamerika bereitlag, wurde in aller Eile nach Portugal entsandt133 . Am 25. April 1808 wies der Kaiser Decrès an, Ernoufs gute Beziehungen zu den spanischen Kolonien zu nutzen, um diese über die Inthronisierung seines Bruders Joseph in Spanien zu informieren134 . Vier Wochen später stachen mehrere Kriegsschiffe in See, um die französische Version der Ereignisse in Spanien in den Kolonien Mittel- und Südamerikas zu verbreiten. In diesem Wettlauf um die Deutungshoheit des Machtwechsels in Spanien kam den französischen Kolonien in der Karibik eine Relaisfunktion zu, sollten doch deren Gouverneure sich um die Verbreitung der Nachrichten auf dem südamerikanischen Kontinent kümmern135 . Der Royal Navy gelang es zwar nicht, alle französischen Schiffe abzufangen, doch nach ihrem Eintreffen in den spanischen Kolonien wurden sie beschlag-

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Ibid., S. 34–40. Zur Expansionspolitik der Wellesley-Brüder in Indien vgl. Förster, Die mächtigen Diener, S. 119–256. Casas an Ernouf, 28.3.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 153; Casas an Godoy, 28.12.1807, in: ANOM, C7A 67, fol. 150. Harlow, The Founding, Bd. 2, S. 661. Napoleon an Decrès, 25.4.1808, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 8, S. 419. Charmigny an Ernouf, 28.5.1808, in: ANOM, F6/1, fol. 230.

12. Kriegsführung in der Karibik

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nahmt und ihre Besatzungen ins Gefängnis geworfen136 . Damit erwiesen sich Napoleons Hoffnungen, auf dem südamerikanischen Kontinent Fuß zu fassen, als Chimäre, denn die französische Invasion Spaniens schweißte die zerstrittenen Eliten Lateinamerikas zusammen und verunmöglichte so eine Einflussnahme in Mittel- und Südamerika137 . Im Gegensatz zur französischen Konkurrenz hatten die Verantwortlichen der Royal Navy zudem erkannt, dass es nicht entscheidend war, wer zuerst die Nachrichten über den Umsturz in der spanischen Metropole überbringen, sondern wessen Nachrichten auf größere Akzeptanz stoßen würden. In der britischen Version der Ereignisse konnte bereits auf die ersten Erfolge des antifranzösischen Widerstandes in Spanien hingewiesen werden138 . Selbst der Gouverneur Venezuelas, bis dahin der treueste Verbündete Frankreichs in der Karibik, musste sich auf Druck spanischer Offiziere in Caracas zu Ferdinand VII. bekennen139 . Die Verantwortlichen in den Kolonien Lateinamerikas schlossen in der Folge mit ihren neuen Verbündeten Handelsabkommen ab, welche die lateinamerikanischen Märkte vollständig britischen Waren öffneten. Dies geschah allerdings gegen den Willen der verschiedenen Juntas in Spanien, die unabhängig voneinander von sich glaubten, die legitimen Nachfolgeregierungen des spanischen Königs zu sein, und damit auch die Autorität über das spanische Kolonialreich für sich beanspruchten140 . Der Seitenwechsel der spanischen Kolonien besiegelte das Schicksal Martiniques und Guadeloupes, denn damit verloren sie die letzten Quellen für Nahrungsmittel, Zugvieh und Bargeld. Ernouf forderte zwar in Paris lauthals Vergeltung für den angeblichen Verrat der spanischen Kolonien, doch wusste er nur zu gut, dass er kaum mit Hilfe rechnen konnte141 . Zur Gesichtswahrung drohte er mit einer französischen Racheaktion gegen die spanischen Kolonien. Die Einschüchterungsversuche Ernoufs stießen aber nirgends mehr auf Resonanz142 .

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Villaret-Joyeuse an Decrès, 20.8.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 48; Carteau an Ernouf, 27.7.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 163; Lehericy an Ernouf, [?].8.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 210; Laussat an Decrès, 18.8.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 104. Rafe Blaufarb, The Western Question. The Geopolitics of Latin American Independence, in: American Historical Review 112 (2007), S. 742–763, hier S. 745. Cochrane an Pole, 19.7.1808, in: TNA, ADM 1/329. Ibid. Decrès an Napoleon, 6.12.1808, in: ANPS, AF/IV/1215, fol. 30. Siehe auch Timothy E. Anna, Spain & the Loss of America, Lincoln, NE 1983, S. 29–34; Esdaile, Napoleon’s Wars, S. 371f. Ernouf an Decrès, 26.8.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 207; Ernouf an Decrès, 10.8.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 158; Ernouf an Boyer, 30.11.1808, in: TNA, ADM 1/330. Cochrane an Casas (Kopie), 30.11.1808, in: NLS, MS. 2324/170.

13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs, 1808–1810 Innerhalb der britischen Regierung setzte sich zu Beginn des Jahres 1808 mehr und mehr die Überzeugung durch, dass die Zeit reif sei, die letzten französischen Außenposten in der Karibik auszuschalten. Nicht zuletzt der anhaltend hohe Ressourcenbedarf für die Blockade der beiden Kolonien gab den Ausschlag für diese Entscheidung. Um den Blockadering aufrechtzuerhalten, musste eine große Anzahl von Kriegsschiffen der Royal Navy auf dem westindischen Kriegsschauplatz abgestellt werden. Deren stetiger Bedarf an neuen Matrosen war aufgrund des grassierenden Gelbfiebers und der hohen Desertionsraten enorm. So schrieb Konteradmiral Cochrane Anfang 1807, dass er kaum noch genügend Marinesoldaten habe, um die Desertion von Matrosen zu verhindern. Er brauche deshalb »grown lads«, die mit dem mörderischen Klima der Karibik zurechtkämen1 . Die Schwierigkeiten der Pressgangs der Royal Navy, genügend Seeleute für den Kriegsdienst zu finden, verschärften sich im Laufe des Jahres 1807, als bekannt wurde, dass im kommenden Jahr das Sklavenhandelsverbot in Kraft treten würde. Warnend schrieb Cochrane Mitte Juni 1807 seinen Vorgesetzten in London, dass sich die Pflanzer in den britischen Kolonien vorsorglich mit neuen Arbeitskräften eindeckten, um die befürchteten Folgen des Sklavenhandelsverbots abzumildern: I request that you will be pleased to represent to the Lords Commissioners of the Admiralty the very great inconvenience arising to officers in the navy serving in the West Indies from the enforcing of the old Act of Parliament respecting impressing seamen in the plantations [. . . ], which is invariably done at Antigua and the other islands to Leeward belonging to that government whenever an opportunity offers2 .

In der daraus entstehenden Konkurrenz zwischen den Plantagenbesitzern und der Royal Navy um Arbeitskräfte – seien sie nun schwarz oder weiß – saßen erstere am längeren Hebel, weil es ihnen aufgrund der Macht der Kolonialversammlungen leicht fiel, die Desertion von Seeleuten in ihren Kolonien zu vertuschen, wie Cochrane weiter ausführte3 . Cochrane bat deshalb im Februar 1808 seine Vorgesetzten, Sklaven von aufgebrachten Sklavenhandelsschiffen als Matrosen und Hafenarbeiter einsetzen zu dürfen, um dem Mangel an Seeleuten entgegentreten zu können4 . Auch wenn sich dazu kein direkter Beleg finden lässt, dürften Cochranes Klageschriften in London nicht ohne Wirkung geblieben sein. Der infolge des Sklavenhandelsverbots kaum noch zu deckende Bedarf an Matrosen, 1 2 3 4

Cochrane an Marsden, 22.1.1807, in: TNA, ADM 1/328. Cochrane an Marsden, 13.6.1807, in: TNA, ADM 1/328. Ibid. Cochrane an Pole, 28.2.1808, in: TNA, ADM 1/328.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-014

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

Soldaten und Hafenarbeitern, die zur Aufrechterhaltung der Blockade der französischen Kolonien benötigt wurden, gab der britischen Führung genügend Anlass, die Eroberung Martiniques und Guadeloupes ins Auge zu fassen, um das Problem mit einem Schlag zu lösen. Anstatt noch über weitere Jahre hinweg wertvolle Regimenter und Schiffsbesatzungen dem tödlichen Klima der Karibik zu opfern, sollten diese Kräfte nach der Eroberung der beiden Inseln anderswo eingesetzt werden. Daneben spielten auch geostrategische Überlegungen eine entscheidende Rolle: Die beiden Kolonien waren nicht nur Rückzugsorte für Korsaren, sondern auch ideale Ausgangsbasen für überraschende Angriffe französischer Streitkräfte auf die britischen und spanischen Kolonien in der Region5 . Auf der französischen Seite schränkte der Niedergang der Korsarenflotte Guadeloupes und der Mangel an sämtlichen Versorgungsgütern infolge der britischen Blockade die militärischen Optionen Ernoufs und Villarets zusehends ein. Zu Beginn des Jahres 1808 fühlte sich Cochrane schließlich stark genug, um eine Kampagne gegen die kaum verteidigten kleineren Kolonien Frankreichs und Hollands rund um Guadeloupe zu beginnen. Zum einen sollten dadurch die letzten Rückzugsgebiete französischer Korsaren unter Kontrolle gebracht werden. Zum anderen ging es auch darum, die französischen Streitkräfte in der Region durch Nadelstiche zu zermürben und ihre Führung zu einer Verzettelung ihrer ohnehin ausgebluteten Garnisonen zu verleiten6 .

Vorgeplänkel: La Désirade und Marie-Galante Zur Vorbereitung eines Angriffs auf Martinique und Guadeloupe galt es, die Blockade noch enger zu ziehen, wozu geeignete Ankerplätze für die Schiffe der Royal Navy in der Nähe der beiden französischen Kolonien nötig waren. Im Februar 1808 ließ Cochrane die beiden im Südosten Guadeloupes gelegenen Inseln Petite-Terres besetzen. Anfang März 1808 landete Kapitän Hugh Pigot mit einem Detachement von Marinesoldaten und Matrosen auf der Insel Marie-Galante südlich von Guadeloupe, um Holz und Früchte für die Schiffe unter seinem Kommando zu sammeln. Nachdem dem kleinen Landungskommando keinerlei Widerstand geleistet wurde, marschierten die Rotjacken kurzerhand in Richtung von Grand-Bourg, dem Hauptort Marie-Galantes. Die wenigen französischen Soldaten, die zur Verteidigung Grand-Bourgs abgestellt waren, ergaben sich, ohne einen Schuss abzufeuern. Die Nationalgarde der Insel, die das Gros der Streitkräfte stellte, wurde gar nicht erst einberufen, weil die Soldaten und Offiziere dieser Einheiten in den frühen Morgenstunden 5 6

Fortescue, A History, Bd. 7, S. 1–3. Buckley, The British Army, S. 264f.

13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs

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im Ballsaal der Stadt mardi gras feierten. So unterzeichnete der französische Garnisonskommandant die Kapitulationsurkunde in Kleidern, »portant encore les traces d’une nuit de mardi gras«7 . Mit der Eroberung Marie-Galantes verfügte die Royal Navy fortan nicht nur über einen geeigneten Ankerplatz, der die Blockade Guadeloupes vereinfachte, sondern auch über ständigen Nachschub an Frischwasser und Fleisch für die Blockadeschiffe8 . Für Cochrane war die Eroberung der Insel ebenfalls sehr einträglich, hatte er doch eine Kontribution von 50 000 Livre erhoben und die Hälfte aller Lagerbestände konfisziert, wie Villaret zu berichten wusste9 . Ermutigt von diesem unerwarteten Erfolg besetzten britische Truppen Ende März 1808 nach einem kurzen Gefecht La Désirade, eine Guadeloupe im Südosten vorgelagerte Insel, die vor allem als Leprakolonie bekannt war10 . Cochrane ließ die Leprakranken Désirades kurzerhand an der Küste Guadeloupes absetzen, nachdem Ernouf seine Anfrage ignoriert hatte, ob die französischen Behörden für die Ernährung der Leprakranken aufkommen würden. Als die an der Küste Guadeloupes gestrandeten Leprakranken anfingen, auf den Plantagen um Almosen zu bitten, ließ Ernouf sie auf einem Schiffsrumpf vor der Küste Pointe-à-Pitres einsperren. Die Wut der Plantagenbesitzer Guadeloupes gegenüber den britischen Streitkräften nach diesem Vorfall gab Ernouf einen geeigneten Vorwand, mit einer militärischen Gegenoffensive von seiner heiklen innenpolitischen Lage abzulenken. Der Gouverneur stand seit Wochen in der Kritik: Er und Kerversau hatten erfolglos versucht, ein staatliches Monopol auf den Handel mit Mehl und Kabeljau durchzusetzen, um Spekulationsgeschäfte sowie Hamsterkäufe zu unterbinden. Infolge des staatlichen Eingriffs brach jedoch die Versorgung der Kolonie mit Lebensmitteln beinahe vollständig zusammen, ehe sich die Kolonialbehörden im Sommer 1808 entschieden, den Handel wieder freizugeben11 . Es waren aber nicht nur innenpolitische Gründe, die Ernouf bewegten, Marie-Galante zurückerobern zu wollen. Die britische Besetzung der Insel erschwerte die Kommunikation mit Martinique und gefährdete eintreffende Schiffe aus Europa sowie den cabotage zwischen den beiden Halbinseln Basse-Terre und Grande-Terre12 . Zudem schien die Gelegenheit für einen Handstreich günstig, nachdem französische Pflanzer aus Marie-Galante 7 8 9 10 11

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Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 116f. Shipley an Cochrane (Kopie), 12.3.1808, in: TNA, ADM 1/329; Shipley an Cochrane (Kopie), 29.3.1808, in: TNA, ADM 1/329. Villaret-Joyeuse an Decrès, 6.5.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 27. Ernouf an Decrès, 5.4.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 36, Cochrane an Pole, 7.4.1808, in: TNA, ADM 1/329. Kreisschreiben von Kerversau, 22.1.1808, in: ANOM, C7A 68, fol. 184; Erlass von Ernouf/ Kerversau/Bertolio, 20.1.1808, in: ANOM, C7A 68, fol. 84; Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 100–113, 119. Ibid., S. 119; Ernouf/Kerversau an Decrès, 6.5.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 127.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

Ernouf über die hohen Mortalitätsraten der britischen Soldaten infolge des Gelbfiebers unterrichtet hatten. Des Weiteren sicherten einige Bewohner Marie-Galantes ihre Unterstützung im Falle eines französischen Angriffs zu13 . Tatsächlich hatte die kleine britische Garnison, die größtenteils aus Marinesoldaten bestand, in den Monaten nach der Eroberung Marie-Galantes erhebliche Verluste durch Gelbfieber erlitten14 . Bereits im Mai 1808 begann Ernouf mit den Vorbereitungen für einen Handstreich gegen Marie-Galante, zumal ein fehlgeschlagener britischer Angriff gegen Saint-Martin Anfang Juli zu suggerieren schien, dass die Initiative nun wieder auf französischer Seite lag15 . Die nähere Analyse des französischen Angriffs auf Marie-Galante ist in ein lohnendes Unterfangen: Die Operation zeigte deutlich, welchen Rückhalt die kriegsführenden Parteien unter den verschiedenen Gesellschaftsgruppen genossen, und war deshalb ein geeigneter Pulsmesser für die bevorstehenden Kampagnen. Die Leitung des Rückeroberungsversuches wurde Oberst Pierre-Dominique Cambriels anvertraut, der zusammen mit 160 Grenadieren den Angriff wagen sollte. Dabei rechneten die französischen Entscheidungsträger mit der breiten Unterstützung der Plantagenbesitzer Marie-Galantes, weshalb sie 200 Musketen zu deren Bewaffnung im Gepäck hatten16 . Am Abend des 22. August 1808 stach die kleine Flottille Cambriels’ in See. Aufgrund starken Nebels verloren die Schiffe rasch Sichtkontakt untereinander, weshalb mehrere Schiffe nach Guadeloupe zurückkehrten, so dass nur 120 Soldaten auf Marie-Galante landeten. Anstatt die britische Garnison im Hauptort Grand-Bourg im Morgengrauen zu überrumpeln, sammelte Cambriels seine Truppen erst auf einer nahegelegenen Plantage, wo sich ihm 24 Kolonisten anschlossen17 . Als ihn ein Leutnant auf die Befehle Ernoufs aufmerksam machte, Grand-Bourg sofort anzugreifen, brüllte Cambriels seinen Untergebenen an: »Êtes-vous fou ?«18 Damit war das Überraschungsmoment verloren, zumal Cambriels feststellen musste, dass die Briten über deutlich mehr Truppen verfügten, als die Berichte der Pflanzer suggeriert hatten. Cambriels Kapitulationsaufforderung an den britischen Kommandanten Hugh Pigot blieb deshalb unbeantwortet. Ein halbherziger Angriff von Cambriels Truppen gegen Grand-Bourg scheiterte, nachdem es den Briten gelungen war, sich in der Stadt zu verschanzen. Den Franzosen fehlte es an Artillerie für ein Bombardement, und schon bald wurden die französischen 13 14 15 16 17 18

Bouré/Blanchard/Nithy/Vernier/Baquié an Madier (Kopie), 17.8.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 52. Fortescue, A History, Bd. 7, S. 9f.; Cochrane an Mulgrave (Kopie), o. D. [1808], in: TNA, ADM 1/329. Ernouf an Decrès, 17.7.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 155. Ernouf an Cambriels (Kopie), 17.5.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 61; Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 121f. Ibid., S. 122. Bericht von Allègre, [?].5.1809, in: ANOM, C7A 67, fol. 122.

13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs

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Stellungen entlang der flachen Küste ihrerseits von Schiffen der Royal Navy unter Feuer genommen19 . Cambriels sah sich deshalb gezwungen, seine Truppen ins Landesinnere zurückzuziehen und darauf zu hoffen, dass er mithilfe der Pflanzermilizen die britischen Streitkräfte von der Insel würde vertreiben können. Die Rekrutierung dieser Milizen verlief höchst chaotisch und nicht ohne Zwang und Einschüchterung durch Cambriels, wie ein Brief Dunys, der inzwischen von Curaçao nach Guadeloupe zurückgekehrt war, unterstreicht: »Cambriels s’était fait précéder d’une proclamation annonçant des forces majeures et prononçant peine de mort, pillage et incendie contre tous ceux qui ne se réuniraient pas sous son drapeau. La crainte a conduit ces malheureux aux points indiqués. Ils n’y ont trouvé ni armes, ni soldats, ni chef«20 . Unter diesen Umständen erwiesen sich Cambriels’ Pläne, die Insel mithilfe lokaler Milizen zurückzuerobern, als illusorisch, zumal es den britischen Streitkräften gelang, innerhalb kürzester Zeit 300 Mann nach Marie-Galante zu verlegen21 . Zwar rekrutierte Cambriels eine ungefährt 300 Mann starke Einheit von Pflanzermilizen, doch warn diese militärisch von geringem Wert, wie er Ernouf schrieb: »Chacun cherche à se soustraire à tout service ; les uns ont la fièvre, les autres des douleurs, quelques-uns des maux de pieds ou de jambes, mais le plus grand nombre a l’air de ne pas aimer l’odeur de la poudre«22 . Die Ausflüchte der Pflanzer illustrieren, dass die Mobilisierung von Plantagenbesitzern für längere Kampfeinsätze schwierig blieb und mit den Strukturen einer Sklavenhaltergesellschaft zu kollidieren drohte, weil für die Pflanzer allein die Sicherheit der eigenen Plantage von Bedeutung war. Cambriels ließ deshalb diejenigen Pflanzer nach Hause zurückkehren, die seine Offiziere als dienstuntauglich erachteten. Hintergrund dieser Maßnahme war auch die Furcht der Plantagenbesitzer um die Aufrechterhaltung der kolonialen Ordnung auf den Plantagen, nachdem Pigot angekündigt hatte, jeden Sklaven in die Freiheit zu entlassen, der gefangene französische Soldaten oder bewaffnete Plantagenbesitzer ins britische Lager brachte23 . Pigots Proklamation bildete denn auch einen starken Anreiz für die Plantagenbesitzer Marie-Galantes, neutral zu bleiben, zumal Cambriels allen Unterstützern der britischen Sache mit ihrer Hinrichtung drohte24 . Cambriels konnte ohnehin nicht auf die Hilfe jener Kolonisten zählen, die nicht in seinen Reihen 19 20 21 22 23 24

Cambriels an Ernouf (Kopie), 23.8.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 72; Ernouf an Decrès, 1.9.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 219. Duny an [Bruley], [?].10.1809, in: Bruley (Hg.), Les Antilles, S. 120. Fortescue, A History, Bd. 7, S. 10; Cambriels an Ernouf (Kopie), 27.8.1808, ANOM, C7A 67, fol. 80. Ibid. Ibid.; Proklamation von Pigot, 24.8.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 77; Proklamation von Pigot (Kopie), 24.8.1808, in: ANPS, 185AP/3. Proklamation von Cambriels (Kopie), 25.8.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 79.

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kämpften, wie er Ernouf gestand: Zwei Drittel der Bewohner seien den französischen Truppen gegenüber ablehnend eingestellt und würden lieber unter »la férule du terrible M. Pigot« zurückkehren25 . Je schwächer die Position Cambriels wurde, desto öfter desertierten die übriggebliebenen Milizeinheiten unter seinem Kommando. Cambriels spielte gar mit dem Gedanken, Rache an den verräterischen Milizionären zu nehmen und ihre Plantagen niederzubrennen26 . Es kann also keine Rede davon sein, dass die Pflanzer Marie-Galantes sich ausnahmslos unter der Trikolore gesammelt hätten, »pour rentrer dans le giron de la France«, wie der Chronist Guadeloupes, Lacour, schrieb27 . Zum Ärger Cambriels’ war vielmehr das Gegenteil der Fall. So schrieb er einem Freund im Offizierskorps Guadeloupes: »Félicitez-vous de n’être pas venu ici ! Ma position n’est pas absolument mauvaise [. . . ]. Mais à quelles gens vous aviez eu affaire ; [. . . ] qu’ils prennent bien garde à ce qu’ils feront car je suis déterminé à les punir sans aucune pitié«28 . Soweit sollte es allerdings nicht mehr kommen. Anfang September gingen die britischen Truppen zur Gegenoffensive über und drängten die Franzosen rasch zurück. Entmutigt schrieb Cambriels seinem Vorgesetzten am 1. September 1808, dass Ernouf keine Verstärkung nach Marie-Galante schicken und die Truppen für eine bessere Gelegenheit nutzen solle29 . Zwei Tage später kapitulierten die französischen Soldaten, nachdem Cambriels auf abenteuerliche Weise in einem Kanu nach Guadeloupe geflüchtet war. Ernouf erfuhr erst Tage später von der Kapitulation, hatte er doch Decrès noch am 5. September 1808 großspurig angekündigt, dass die verbliebenen Soldaten im Landesinneren nach dem Verrat der Pflanzer Marie-Galantes eine »guerre des postes« führen würden30 . Mit dem Verlust der Insel war die Kommunikation zwischen Martinique und Guadeloupe weitgehend unterbrochen. Einzig mittels britischer Kartellschiffe, die zum Austausch von Kriegsgefangenen zwischen den beiden Kolonien verkehrten, war die Kommunikation noch möglich – aber nur, bis die Briten die geheime Korrespondenz entdeckten31 . An die Formulierung einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie war unter diesen Umständen nicht zu denken32 . Der fehlgeschlagene Rückeroberungsversuch Marie-Galantes führte den französischen Militärs deutlich vor Augen, dass sie bei der Verteidigung der Kolonien nicht auf die Unterstützung der Plantagenbesitzer zählen konnten. Dies lag zum einen daran, dass ihre Mobilisierung mit ihrer Funktion als Sklavenhalter unvereinbar war, und zum anderen an ihrer 25 26 27 28 29 30 31 32

Cambriels an Ernouf (Kopie), 27.8.1808, ANOM, C7A 67, fol. 80. Cambriels an Ernouf (Kopie), 4.9.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 103. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 123. Cambriels an Madier (Kopie), 28.8.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 84. Cambriels an Ernouf (Kopie), 1.9.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 92. Ernouf an Decrès, 5.9.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 222. Ernouf an [Villaret-Joyeuse], 30.11.1808, in: TNA, ADM 1/330. Villaret-Joyeuse an Decrès, 10.9.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 64.

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Ablehnung der französischen Herrschaft, die ihnen keine ökonomischen Vorteile mehr bot. Der mangelnde Beistand der Pflanzer rührte auch daher, dass die britischen Streitkräfte gegenüber etwaigen Unterstützern der französischen Truppen keine Milde walten ließen. Unter dem Vorwand, dass Letztere ihren Treueschwur gegenüber Georg III. gebrochen hätten, ließ Cochrane, der die Insel ohnehin als seinen Privatbesitz betrachtete, nicht nur hohe Kontributionen erheben, sondern auch die Sklaven der Kolonie konfiszieren. Nachdem das Gelbfieber einen Großteil der Marinesoldaten dahingerafft hatte33 , ließ Cochrane die gelichteten Reihen der Garnison mit 200 schwarzen Soldaten füllen, die unter den »deserters of the enemy and runaways« rekrutiert wurden34 .

Der Fall Martiniques, 1808–1809 Das Scheitern der Expedition Cambriels’ beendete jede Hoffnung auf französischer Seite, die britische Offensive noch in ihrer Anfangsphase aufhalten zu können. Ein Angriff auf Martinique und Guadeloupe stand kurz bevor. Aufgrund seiner strategischen Bedeutung und starken Befestigungsanlagen war jedermann klar, dass Martinique als erstes angegriffen würde. Laussat kündigte zwar in einem Schreiben an Decrès im April 1808 noch großspurig an, dass die Briten in Martinique »n’y trouveraient pas Copenhague«, musste aber gleichzeitig den Marine- und Kolonialminister über die schwerwiegenden Probleme der Kolonialverwaltung infolge des US-Embargos unterrichten. Die Vorräte der Kolonie reichten nur noch für rund drei Monate. Die Versorgung der Kolonie war derart prekär, dass bereits die Verproviantierung von vier aus Frankreich eingetroffenen Briggs und die Ernährung der 180 Soldaten, die als Verstärkung eingetroffen waren, Schwierigkeiten bereiteten. Das Geschäftsleben war wegen des US-Embargos völlig zum Erliegen gekommen. Es mangelte wegen der einbrechenden Zoll- und Steuereinnahmen nicht nur an Geld, sondern auch an allen möglichen Ausrüstungsgegenständen, insbesondere an Tuch für die Uniformen der Soldaten. Laussat bat deshalb Decrès inständig, Lebensmittel aus Frankreich zu entsenden, was die Bevölkerung nicht zuletzt in dem Glauben bestärken würde, dass die Metropole sie nicht vergessen habe35 . 33 34

35

Fortescue, A History, Bd. 7, S. 10f.; Cochrane an Pole, 18.10.1808, in: TNA, ADM 1/329; Cochrane an Maurice (Kopie), 26.11.1808, in: NLS, MS. 2324/158. Cochrane an Pole, 2.11.1808, in: TNA, ADM 1/329. Bei den »runaway slaves« handelte es sich vorwiegend um Sklaven, die aus Guadeloupe und Französisch-Guyana geflüchtet waren und sich freiwillig für den britischen Dienst gemeldet hatten. Wie die Sklaven aus Guyana nach Marie-Galante gelangt waren, bleibt leider im Dunkeln. Vgl. Cochrane an Pole, 18.10.1808, in: TNA, ADM 1/329. Laussat an Decrès, 10.4.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 76.

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Als Napoleon Ende Mai 1808 von der schwierigen Lage und dem absehbaren britischen Angriff auf die karibischen Kolonien erfuhr, wies er Decrès an, mehr als 20 Briggs und Korvetten mit Lebensmittel zu beladen und Verstärkung in der Größenordnung von mehr als 1000 Mann in die Karibik und zur Île-de-France im Indischen Ozean zu entsenden. Diese Schiffe sollten sodann mit Kolonialwaren beladen nach Frankreich zurückkehren, wovon sich der Kaiser einen Gewinn von 1,2 Millionen Franc erhoffte – »jugez quelle somme immense !« Die Gefährdung dieser Schiffe und ihrer Besatzungen durch die Seeüberlegenheit der Royal Navy nahm Napoleon in Kauf: Den Verlust eines Drittels der Schiffe hielt er für vollkommen akzeptabel36 . Es verstrichen Monate, bis diese Versorgungsschiffe in den Kolonien eintrafen. Währenddessen spitzte sich die Lage weiter zu. Nachdem die Kolonialbehörden schon Anfang des Jahres die Pflanzer dazu aufgerufen hatten, statt Zucker und Kaffee nur noch Maniok anzupflanzen, schwenkten im Sommer 1808 immer mehr Plantagenbesitzer auf die Produktion von Lebensmitteln um. Freilich war dies nicht einem neuen Solidaritätsgefühl der Pflanzer geschuldet, sondern vielmehr dem Zusammenbruch der Zuckerund Kaffeepreise sowie der Furcht vor Sklavenaufständen infolge von Hunger. Die Plantagenbesitzer ließen deshalb nur so viel Nahrung produzieren, wie für die Ernährung ihrer Sklaven erforderlich war37 . Die dramatische Versorgungslage wirkte sich auch zunehmend auf den Zustand der Streitkräfte aus. Die Soldaten mussten zum einen eine Reduktion ihrer täglichen Brotrationen hinnehmen. Zum anderen wurde ihr Brot mit Maniokmehl gestreckt, was gemäß Laussat den Ausbruch der Ruhr zur Folge gehabt haben soll38 . Die Royal Navy versuchte derweil, die Garnisonen Martiniques und Guadeloupes in kleinere Gefechte zu verwickeln und zu zermürben. So landeten im Sommer 1808 wiederholt Marinesoldaten der Royal Navy in abgelegenen Buchten Martiniques und Guadeloupes, um die dortigen Küstenbatterien zu zerstören39 . Den französischen Truppen gelang es zwar in allen Fällen, die Invasoren wieder zu vertreiben, doch hatten die anhaltenden Nadelstiche der Royal Navy einen übermäßigen Kräfteverschleiß der ohnehin ausgebluteten Garnisonen zur Folge. Zudem geriet damit erneut die Zivilbevölkerung zwischen die Fronten, weil die britischen Soldaten im Zuge solcher Landungskommandos die umliegenden Plantagen plünderten. Bei diesen Gelegenheiten verschleppten die Rotjacken auch all jene Sklaven, derer sie 36 37

38 39

Napoleon an Decrès, 30.5.1808, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 8, S. 675f. Erlass von Villaret-Joyeuse/Laussat, 18.1.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 12; VillaretJoyeuse an Decrès, 18.5.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 29; Laussat an Decrès, 18.8.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 104; Cochrane an Pole, 20.12.1808, in: TNA, ADM 1/329. Laussat an Decrès, 13.11.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 140. Daney, Histoire, Bd. 6, S. 266–293.

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habhaft werden konnten40 . Sklaven waren infolge des Sklavenhandelsverbots ein wertvolles Gut geworden – gerade im Geschwader Cochranes, in dem es an allen Ecken und Enden an Personal fehlte. Villaret forderte Cochrane auf, solche Plünderungsaktionen zu unterlassen und das gemeinsame Übereinkommen einzuhalten, Zivilisten nicht in den Krieg hineinzuziehen, »en faisant honorablement & loyalement la guerre«41 . Cochrane bekräftigte daraufhin zwar seinen Wunsch, zu einer Kriegsführung wie zu Zeiten des Ancien Régime zurückzukehren, schob aber die Schuld an den Plünderungsaktionen britischen Korsaren in die Schuhe, über die er keine Kontrolle habe. Dabei fiel allerdings unter den Tisch, dass zu diesem Zeitpunkt nur noch in Antigua einige wenige Kaperschiffe ausgerüstet wurden. Schließlich, so Cochrane weiter, würden die Korsaren Guadeloupes selbst immer wieder gegen das gemeinsame Übereinkommen verstoßen. Ferner habe sich der Charakter des Kriegs mittlerweile derart geändert, dass nur eine totale Blockade verhindern könne, dass die Kolonialwaren Martiniques schließlich nicht doch in Europa landen würden. Er könne aus all diesen Gründen den Wünschen Villarets, den Krieg einzuhegen, nicht nachkommen42 . Cochranes Weigerung gründete auf seiner Absicht, durch eine enge Blockade Martiniques die französischen Streitkräfte zu schwächen und ihnen die Unterstützung der kolonialen Eliten endgültig zu entziehen. Selbst die Republikaner Martiniques hofften wegen der Blockade auf eine baldige britische Besetzung der Kolonie, wie Cochrane der Admiralität in London mitteilte43 . Freilich war die Blockade der französischen Kolonie nicht derart wasserdicht, wie sich dies der britische Konteradmiral wünschte. Zum einen schafften es amerikanische Blockadebrecher wiederholt, die Linien der Royal Navy zu durchdringen44 . Zum anderen hatte Cochrane mit zahlreichen Schmugglern aus den eigenen Reihen zu kämpfen: Aus den britischen Kolonien des Archipels operierte ein Netzwerk von britischen, spanischen und italienischen Kaufleuten, welche im Schutz der Dunkelheit Lebensmittel und britische Manufakturgüter nach Martinique und Guadeloupe brachten. Die Beamten der britischen Kolonien hatten wenig Interesse und Mittel, gegen diesen Schleichhandel vorzugehen, weshalb sich Cochrane bis zum britischen Angriff gegen Martinique wiederholt darüber beschwerte45 . Selbst 40 41 42 43 44 45

Poyen, Les guerres, S. 387. Villaret-Joyeuse an Cochrane, [?].7.1808, in: NLS, MS. 2314/185. Cochrane an Villaret-Joyeuse, 18.7.1808, in: NLS, MS. 2324/78. Cochrane an Pole, 20.12.1808, in: TNA, ADM 1/329; Hope/Buller/Donald an Cochrane, 24.8.1808, in: NLS, MS. 2313/89. Villaret-Joyeuse an Decrès, 10.9.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 64. Cochrane an Wood (Kopie), 24.11.1808, in: NLS, MS. 2324/154; Cochrane an Metcalfe (Kopie), 19.5.1808, in: NLS, MS. 2324/9; Cochrane an Wood (Kopie), 16.11.1808, in: NLS, MS. 2324/148; Cochrane an Barnes (Kopie), 6.11.1808, in: NLS, MS. 2324/139; Cochrane an Wood (Kopie), 30.10.1808, in: NLS, MS. 2324/138; Cochrane an Paul (Kopie), 7.10.1808, in: NLS, MS. 2324/118; Cochrane an Pole, 23.5.1808, in: TNA, ADM 1/329.

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Laussat konnte sich in einem seiner vielen Klagebriefe die spitze Bemerkung nicht verkneifen, dass sich die britischen Kolonien zum größten Lieferanten von Kabeljau aufgeschwungen hätten46 . Gleichwohl zeitigten die verschärfte britische Blockade und das US-Embargo bald dramatische Auswirkungen: Der Abfluss von Bargeld infolge der Blockade und die sich verschärfende Kreditklemme nahmen besorgniserregende Ausmaße an47 . Der Versuch der Kolonialbehörden, eine einmalige Kriegssteuer von den Pflanzern Martiniques zu erheben, scheiterte an ihrer Zahlungsunfähigkeit48 . Viele Plantagenbesitzer hatten damit aber auch einen willkommenen Vorwand gefunden, die französischen Kriegsanstrengungen zu hintertreiben. Deren Loyalität lag ohnehin vornehmlich bei der britischen Krone. Laussat warnte deshalb Decrès in einem geheimen Schreiben eindringlich, dass Villaret sich größten Illusionen über die Ergebenheit der Pflanzer hingebe. Zwar glaubte Laussat nach wie vor, dass auf die Garnison Verlass sei, stellte aber gleichzeitig die Loyalität eines Teils des Offizierskorps in Frage. Anlass hierzu gaben ihm mehrere Vorfälle, bei denen die Küstenbatterien es unterließen, das Feuer auf herannahende Schiffe der Royal Navy zu eröffnen49 . Der britische General George Beckwith hatte Ende Dezember 1808 rund 12 000 Mann in Barbados versammelt50 . Die Aussichten für einen britischen Angriff waren günstig: Die Berichte der anglomanes Martiniques legten nahe, dass die französische Garnison nur solange Widerstand leisten würde, bis eine ehrenvolle Kapitulation erreicht werden könnte und dass die britischen Streitkräfte mit der weitgehenden Unterstützung der kolonialen Eliten würden rechnen können51 . Zudem wuchs die Krankenliste der in Barbados versammelten Truppen rasant an, weshalb ein Aufschieben des Angriffs nicht hinnehmbar war. Am 28. Januar 1809 verließ das britische Geschwader schließlich Barbados mit Ziel Martinique52 . Die britischen Streitkräfte landeten am frühen Abend des 30. Januars 1809 an zwei Orten der Insel: bei Le Robert im Osten und bei Sainte-Luce im Süden Martiniques. Villaret, der über rund 2300 Linientruppen und gut 3500 Nationalgardisten verfügte, hoffte, eine längere Belagerung dank der starken Befestigungsanlagen rund um das Fort Desaix überstehen zu können. Entweder würde namhafte Verstärkung aus Frankreich eintreffen 46 47 48 49 50 51 52

Laussat an Decrès, 10.4.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 76. Villaret-Joyeuse an Decrès, 10.9.1808, in: ANOM, C8A 116, fol. 64; Laussat an Decrès, 13.11.1808, in: ANOM, C8A 117, fol. 140. Ibid. Laussat an Decrès, 30.12.1808 (geheim), ANOM, C8A 118, fol. 225. Beckwith an Cochrane (Kopie), 5.1.1809, in: TNA, ADM 1/330. [?], Situation de la Martinique, 15.5.1808, in: TNA, ADM 1/329; Cochrane an Pole, 20.12.1808, in: TNA, ADM 1/329. Thomas H. Browne, The Napoleonic War Journal of Captain Thomas Henry Browne 1807–1816, hg. von Roger N. Buckley, London 1987, S. 91–99.

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oder das Gelbfieber einen derart hohen Tribut unter den britischen Truppen fordern, dass ihre Führung zum Abbrechen der Belagerung gezwungen sein würde. Dieser Plan wurde jedoch durch den Umstand erschwert, dass Villaret kaum über genügend Artilleristen verfügte, um eine längere Belagerung durchzustehen. Zudem beging Villaret nach der britischen Landung einen entscheidenden taktischen Fehler: Statt den verteidigenden Truppen im Osten und Süden der Insel die benötigte Verstärkung zukommen zu lassen, hielt er seine Reserven zurück, weil er eine dritte Landung im Norden der Insel erwartete. Unter diesen Umständen war es den britischen Invasoren ein Leichtes, die vorgelagerten Stellungen zu überrennen und die verbliebenen Linientruppen in das Fort Desaix bei Fort-de-France zurückzudrängen. Gleichzeitig ging die Flotte Cochranes in der Bucht von Fort-de-France vor Anker, nachdem es der Royal Navy gelungen war, die Garnison der Befestigungen auf dem Îlet à Ramiers, die den Eingang zur Bucht bewachte, zur Kapitulation zu zwingen53 . Villarets illusorische Hoffnungen auf die Kampfkraft der farbigen Nationalgardisten verflogen rasch: Ein Großteil der Nationalgardisten war dem Aufruf zu den Waffen gar nicht erst gefolgt – nur allzu gut war ihnen die Repressionspolitik des Gouverneurs in Erinnerung geblieben. Jene, die sich bei ihren Einheiten eingefunden hatten, desertierten oder ergaben sich den Briten, nachdem sie von der Proklamation Beckwiths erfahren hatten, wonach freie Farbige, die mit einer Waffe in der Hand aufgegriffen würden, aus der Kolonie deportiert würden. Villaret versuchte die Desertion der Nationalgarde den subversiven Tätigkeiten des aus Martinique stammenden Offiziers Soter anzulasten, der auf britischer Seite eine Einheit bewaffneter Sklaven kommandierte und die farbigen Nationalgardisten angeblich zum Desertieren angestiftet hatte. Dies war natürlich nur ein verzweifelter Versuch Villarets, von seiner eigenen Verantwortung abzulenken, denn es war seine Repressionspolitik gegen die freien Farbigen Martiniques gewesen, die im Wesentlichen zu ihrer massenhaften Desertion geführt hatte. Bald zeigte sich auch, dass sein Vertrauen in die kolonialen Eliten grundlos war: Verklausuliert musste Villaret in seinem Belagerungstagebuch zugeben, dass die britischen Streitkräfte von den Pflanzern der Kolonie aktiv unterstützt würden54 . Selbst die Stadt Saint-Pierre, wo das napoleonische Regime noch am meisten Unterstützung auf sich vereinen konnte, kapitulierte eine Woche nach der britischen Invasion kampflos55 . Unter den britischen Soldaten 53 54

55

Johnson, Louis-Thomas Villaret de Joyeuse, S. 251–258. Villaret-Joyeuse an Dejean, 16.10.1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 59; Villaret-Joyeuse, Journal du capitaine général de la Martinique pendant le siège de cette île, 1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 25; Proklamation von Beckwith/Cochrane, 30.1.1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 103; Henderson an Cochrane, 2.2.1809, in: NLS, MS. 2316/89; Browne, The Napoleonic War Journal, S. 102; Poyen, Les guerres, S. 345. W. Y. Carman, The Capture of Martinique 1809, in: Journal of the Society for Army Historical Research 20 (1941), S. 1–5, hier S. 4.

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befanden sich gemäß Ernouf auch »mauvais sujets de la Guadeloupe, déportés par le général Richepance, presque tous incendiaires et assassins«56 – so erhielten einige wenige Soldaten, die 1794–1802 treu für die Republik gekämpft hatten, doch noch die Gelegenheit, für das ihnen widerfahrene Unrecht Rache zu nehmen. Ab dem 4. Februar 1808 war die verbliebene Garnison Martiniques im Fort Desaix eingeschlossen, wo sie heftigem Artilleriefeuer der belagernden britischen Truppen ausgesetzt war. Sämtliche Versuche der Verteidiger, den Belagerungsring zu durchbrechen, scheiterten. Derweil plünderten die im Spital von Fort-de-France zurückgelassenen verletzten und kranken Soldaten der Garnison Martiniques die Magazine und Regierungsgebäude der Stadt – darunter auch das Anwesen Villarets. Heftiger Regen verwandelte das Fort in eine Kloake. Zudem stiegen die Desertionsraten rasant an – insbesondere unter den piemontesischen Soldaten und den als Sträflingen nach Martinique zwangsversetzten Truppen der Garnison57 . Ohnehin scheint es mit dem Kampfgeist der Linientruppen nicht allzu weit her gewesen zu sein. Beckwith beurteilte ihr Verhalten im Kampfe als »embarrassing«58 . Außerhalb des umkämpften Forts setzten die Kolonisten Martiniques alles daran, einen britischen Sieg zu unterstützen, wie ein sich in britischer Kriegsgefangenschaft befindlicher französischer Offizier aus Guadeloupe schrieb: J’ai entendu à bord du bâtiment sur lequel j’étais, des habitants de la Martinique se réjouir du succès de l’expédition anglaise & j’ai appris à n’en pas douter qu’ils avaient donnés plusieurs fois un signe de réjouissance, plus, qu’ils ont envoyé avec le plus grand empressement les nègres, bœufs, mulets, cabrouets & généralement tout ce qui paraît concourir à la réussite du siège & de la reddition du fort Desaix59 .

Derweil wurde die Situation in dem Tag und Nacht beschossenen Fort immer dramatischer. Villaret soll sich in heldenhafter Weise immer wieder dem feindlichen Beschuss ausgesetzt haben, um seine Truppen anzuspornen, wie Kenneth G. Johnson in seiner Biografie Villarets schreibt60 . Freilich war dies vermutlich nicht nur dem Mut des Gouverneurs geschuldet, sondern auch der aussichtslosen militärischen Lage, die im Wesentlichen das Ergebnis seiner fehlgeleiteten Politik seit dem Beginn seiner Statthalterschaft war. Villaret glaubte die Insel ohnehin verloren, was sich in einem zusehends fatalistischen Verhalten niederschlug: Er und seine Offiziere feierten während der Belagerung mardi gras, während die einfachen Soldaten der Garnison dem mörderischen Feuer der britischen Artillerie ausgesetzt waren. Bei 56 57 58 59 60

Ernouf an Decrès, 13.2.1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 94. Villaret-Joyeuse, Journal du capitaine général de la Martinique pendant le siège de cette île, 1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 25. Beckwith an Cochrane, 4.2.1809, in: NLS, MS. 2319/13A. Kerenskoff, Relation concernant la prise de la Martinique, 13.2.1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 96. Johnson, Louis-Thomas Villaret de Joyeuse, S. 260f.

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einer Rückkehr nach Frankreich drohte Villaret ein Kriegsgerichtsverfahren wegen Hochverrats. Der Ausgang dieses Verfahrens war höchst ungewiss, zumal Laussat die Gelegenheit bestimmt zur Rache für die Jahre der gesellschaftlichen und politischen Isolation in Martinique nutzen würde. Was war vor diesem Hintergrund näherliegend, als den ehrenhaften Tod auf dem Schlachtfeld zu suchen61 ? Doch das Schicksal war Villaret nicht hold – er überlebte. Bald drohten aber die britischen Granaten die Armierungen und Kasematten des Forts zu durchbrechen. Am 21. Februar 1808 traf eine Granate ein kleineres Schwarzpulverdepot des Forts; die anschließende Explosion von 3000 Pfund wertvollen Schwarzpulvers verwundete mehr als 20 Soldaten und zerstörte zahlreiche Geschütze. In Anbetracht der wachsenden Gefahr, dass die Garnison unter den Mauern des unter Dauerbeschuss stehenden Forts begraben würde, erklärte sich Villaret bereit, Kapitulationsverhandlungen zu eröffnen. Villaret verlangte für seine Offiziere und seine Soldaten freies Geleit nach Frankreich, was Beckwith ablehnte, woraufhin die Kampfhandlungen fortgesetzt wurden. Ein erneuter Volltreffer in ein Schwarzpulverdepot, der 20 weitere Soldaten das Leben kostete und eine schwere Artilleriestellung zerstörte, gab Villaret einen geeigneten Vorwand, Beckwith ein weiteres Kapitulationsangebot zu unterbreiten. Die beiden Parteien konnten sich schließlich am 24. Februar 1809 darauf einigen, dass Villaret und seine Stabsoffiziere freies Geleit nach Frankreich erhalten würden, während die Garnison den Gang in die gefürchtete Kriegsgefangenschaft antreten musste. Die Belagerung des Forts Desaix hatte gerade einmal 20 Tage gedauert. Die Eroberung Martiniques hatte 886 französische und 560 britische Soldaten das Leben gekostet62 . Trotz der bevorstehenden Kriegsgefangenschaft in den Rümpfen der vor der englischen Küste vor Anker liegenden Schiffe scheinen die Soldaten der Garnison Martiniques froh gewesen zu sein, endlich die Insel verlassen zu können, mit deren Bewohnern sie nichts gemein hatten. So schrieb der britische Offizier Thomas H. Browne in seinem Tagebuch: »The French troops, immediately on being embarked, although having so shortly before parted with their eagles, were seen laughing and singing & dancing on the decks, just as they would have done in any little cabaret near Paris, and in observing this, we could hardly refrain from envying their happy frivolity«63 . Auch Laussat, obwohl er ein rein ziviles Amt innehatte, musste den Gang in die Kriegsgefangenschaft antreten, nachdem er den Aufforderungen Beckwiths und Cochranes nicht nachgekommen war, die sich angeblich noch in seinem Besitz befindlichen Wechsel zulasten der französischen Staatskasse auszuhändigen – die britische Generalität wollte 61 62 63

Villaret-Joyeuse, Journal du capitaine général de la Martinique pendant le siège de cette île, 1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 25. Johnson, Louis-Thomas Villaret de Joyeuse, S. 261–263. Browne, The Napoleonic War Journal, S. 107f.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

schließlich für ihre Mühen entschädigt werden. Laussat verfügte aber über gar keine Wertpapiere mehr, die er den Briten hätte aushändigen können. Kurz vor dem britischen Angriff hatte er mit den verbliebenen Wechseln den Sold der Garnison bezahlt. Villaret stellte sich zwar vordergründig auf die Seite Laussats, tat aber nur das Nötigste, um seine wahre Absicht zu kaschieren, seinen Intimfeind den Briten auszuliefern. Denn eines war klar: Im drohenden Prozess vor dem Kriegsgericht würde Laussat nicht auf der Seite Villarets stehen, weshalb seine Gefangennahme durch die Briten für Villaret nur von Vorteil sein konnte64 . Als Villaret und seine Entourage im Frühjahr nach Frankreich zurückkehrten, verweigerte ihnen Napoleon eine Audienz. Der ehemalige Gouverneur war beim Kaiser in Ungnade gefallen, weshalb eine Untersuchung gegen ihn angeordnet wurde, um die Gründe für die schnelle Kapitulation zu eruieren65 . Den Verdacht der Entscheidungsträger in der Metropole, wonach Martinique an die Briten verraten worden sei, erhärteten auch die Berichte des französischen Konsuls in den USA, General Louis-Marie Turreau de Garambouville, der in seinem Bericht schrieb: »La prise de la Martinique a été une affaire de convention«66 . Villaret war freilich nicht der einzige Kolonialbeamte, der am Pranger stand. Auch Hugues musste sich vor Gericht verantworten, nachdem der Kommissar Französisch-Guyanas am 14. Januar 1809 nach nur wenigen Tagen vor einer überlegenen portugiesisch-britischen Streitmacht kapituliert hatte67 . Die Metropole setzte damit ein deutliches Zeichen, dass ihre Repräsentanten in Übersee die ihnen anvertrauten Kolonien bis auf das Äußerste zu verteidigen hatten und nicht wie im Ancien Régime bei der erstbesten Gelegenheit kapitulieren sollten. Einzig gegen die französischen Verteidiger Santo Domingos, die nach einer sechsmonatigen Belagerung im Juli 1809 vor einer weit überlegenen spanisch-britische Armee kapitulierten, wurde kein Kriegsgerichtsverfahren angestrengt68 .

64 65 66 67

68

Daney, Histoire, Bd. 6, S. 337; Laussat an Decrès, 1.5.1809, in: ANPS, AF/IV/1216, fol. 14; Decrès an Napoleon, 18.4.1809, in: ANPS, AF/IV/1216, fol. 9. Napoleon an Decrès, 18.5.1809, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 9, S. 602. Zit. nach: Benot, La démence, S. 165. Napoleon an Decrès, 19.5.1809, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 9, S. 605f. Zur Kapitulation Französisch-Guyanas siehe Jean Soublin, Cayenne 1809. La conquête de la Guyane par les Portugais du Brésil, Paris 2003, S. 93–120. Zum Fall Santo-Domingos siehe Alain Yacou, Le soulèvement hispano-dominicain contre l’armée française d’occupation, in: Ders. (Hg.), Saint-Domingue espagnol et la révolution nègre d’Haïti (1790–1822). Commémoration du bicentenaire de la naissance de l’État d’Haïti (1804–2004), Paris 2007, S. 521–540.

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Widerstand bis zum letzten Mann? Guadeloupe, 1808–1810 Ernouf verstand die Zeichen aus Paris nur allzu deutlich und sah sich aufgrund der Ereignisse in Martinique in seinem Kurs bestätigt. Villaret war in den Augen Ernoufs viel zu nachsichtig mit den Pflanzern der Kolonie umgegangen, die ihn bis zum letzten Moment über ihre wahren Absichten getäuscht hätten. All dies zeige, so Ernouf in einem Schreiben an Decrès, dass man den Versprechungen der kolonialen Eliten keinen Glauben schenken dürfe69 . Freilich befand sich der innenpolitisch isolierte Ernouf selbst in einer brenzligen Lage. Die finanzielle Situation der Kolonie hatte sich im Laufe des Jahres 1808 derart verschlechtert, dass zur Bezahlung der Garnison die caisse des invalides, der Rentenfonds für Kriegsversehrte, angezapft werden musste70 . Außerordentliche Ausgaben wie die Reparaturkosten der eintreffenden französischen Versorgungskonvois konnten kaum mehr bezahlt werden. Die britische Eroberung der umliegenden neutralen Inseln und die dichte Blockade der Royal Navy hatten die Plantagenökonomie der Kolonie vollständig zusammenbrechen lassen, weshalb die Steuer- und Zolleinnahmen versiegt waren. Rasch griff Hunger um sich – insbesondere unter den Sklaven, deren Mortalität rasch anstieg, wie Ernouf im Mai 1808 berichtete. In Anbetracht der verzweifelten Lage war das Risiko für die Kolonialregierung hinnehmbar, Blockadebrecher auszurüsten, die Zucker und Kaffee nach Frankreich brachten und mit den dringend benötigten Lebensmitteln und Verbrauchsgütern zurückkehrten71 . Einmal mehr geschah dies nicht ohne staatliche Zwangsmaßnahmen: Ernouf nötigte die Pflanzer, ihm ihre Kolonialwaren abzutreten und die daraus resultierenden Gewinne zur Tilgung ihrer Schulden einzusetzen. Tatsächlich schafften es einige dieser Schiffe, der Royal Navy zu entkommen und nach Frankreich zu segeln; nur wenige kehrten allerdings wieder nach Guadeloupe zurück – nicht zuletzt, weil die britische Admiralität über die bevorstehende Rückkehr dieser Schiffe unterrichtet war72 . Schließlich wurden die aus Frankreich hergeschafften Subsistenzgüter zu weit überhöhten Preisen an die kaum zahlungsfähigen Plantagenbesitzer Guadeloupes verkauft73 . Die rechtliche Grundlage für diese weitreichenden Maßnahmen verschaffte sich Ernouf im März 1808 durch die Verkündung des Belagerungszustandes, nachdem La Désirade und Marie-Galante den britischen Streitkräften in 69 70 71

72 73

Ernouf an Decrès, 13.2.1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 94. Kerversau an Ernouf/Bertolio, 6.8.1808, in: ANOM, C7A 68, fol. 39. Ernouf/Kerversau an Decrès, 6.5.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 127; Ernouf an Decrès, 6.5.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 134; Ernouf an Decrès, 10.2.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 23; Ernouf an Decrès, 1.3.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 22. Cochrane an Pole, 19.7.1808, in: TNA, ADM 1/329. Ambert an Decrès, 2.1.1809, in: ANOM, EE 26/1; Ernouf an Lefebvre, 19.1.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 15.

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die Hände gefallen waren74 . Ernouf befürchtete, dass sich die Ereignisse von 1793–1794 wiederholen könnten und er einem Verrat der verarmten Pflanzer Guadeloupes zum Opfer fallen könnte75 . Für Ernoufs schwindendes Vertrauen in die kolonialen Eliten war auch das historische Gedächtnis der Kolonisten maßgebend, wie der Gouverneur in einem Schreiben von Ende April 1808 deutlich machte: La course [. . . ] a enlevé à la colonie la majeure partie de sa jeunesse, que les milices qui font la principale force de la colonie ne sont presque composées que de pères de famille & l’on sait jusqu’à quel point on peut compter sur des hommes dont la pensée est toujours portée sur leurs épouses, leurs enfants et leur propriété, cultivée par des nègres qui se souviennent toujours de la liberté, qu’on leur avait si imprudemment accordée, qui ne subissent le joug que par crainte76 .

Hinzu kam, dass die Hälfte der Zuckerernte durch die Einberufung der Pflanzermilizen und die Hinzuziehung von Sklaven zu Schanzarbeiten verloren gegangen war77 . Vor diesem Hintergrund kam eine Mobilisierung der Pflanzermilizen für längere Kampfeinsätze kaum mehr in Frage, weshalb Ernouf zunehmend auf die Mobilisierung freier Farbiger setzte. Bereits Mitte September 1808 bildete Ernouf ein Korps freier Farbiger, dem die Bewachung der Küsten Guadeloupes sowie einige Stellungen im Landesinneren anvertraut wurden. Diese chasseurs de couleur wurden vornehmlich unter den ni esclaves ni libres rekrutiert und sollten nach Erfüllen einer achtjährigen Dienstzeit die Freiheitspatente erhalten. Damit könne man diese »caste intermédiaire toujours dangereuse à la tranquillité publique« für die Sache des Kolonialstaates gewinnen, denn nur farbige Männer seien den klimatischen Herausforderungen der Karibik gewachsen, so Ernouf in einem Brief an Decrès. Die weißen Pflanzermilizen seien für den »service forcé« hingegen körperlich nicht geeignet. Schließlich hätten die kriegserfahrenen farbigen Soldaten der »chasseurs de couleur« 1802 treu auf Seiten von General Richepance gekämpft und würden von Offizieren kommandiert, denen sie vertrauen würden. An ihrer Loyalität bestehe damit keinerlei Zweifel, führten Ernouf und Kerversau weiter aus78 . Dies war freilich nur der Auftakt zu viel weitergehenden Maßnahmen, die Ernouf in Anbetracht der drohenden britischen Invasion im Frühjahr 1809 ergriff: Der Gouverneur glaubte, dass die britischen Streitkräfte nach der Eroberung Martiniques gleich zu einem Angriff gegen Guadeloupe übergehen würden. Noch bevor die Schwesterkolonie gefallen war, ordnete Ernouf deshalb die Bewaffnung von 1500 Sklaven an, die in die regulären Linientruppen 74 75 76 77 78

Erlass von Ernouf, 21.3.1808, in: ANOM, C7A 68, fol. 168. Ernouf an Decrès, 2.4.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 29; Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 119– 121. Ernouf an Decrès, 29.4.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 38. Kerversau an Decrès, 18.1.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 162. Alle Zitate aus Ernouf/Kerversau an Decrès, 23.9.1808, in: ANOM, C7A 67, fol. 229.

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integriert wurden. Gemäß Boyer de Peyreleau handelte es sich dabei vor allem um ehemalige Soldaten der Kolonialarmee Guadeloupes, die 1802 wieder versklavt und auf Les Saintes interniert worden waren. Schwedische Sklavenhändler hatten in den folgenden Jahren viele dieser ehemaligen Soldaten erworben und anschließend unter neuem Namen den Pflanzern Guadeloupes verkauft79 . Zwar erhielten die Sklaven die gleichen Uniformen wie die europäischen Soldaten, sie wurden aber nicht für frei erklärt. Ernouf begründete diese Maßnahme wie folgt: Considérant que les Anglais ont armé des bataillons de nègres, non seulement pour la garde de leurs colonies, mais pour venir porter la dévastation dans les nôtres; qu’une grande partie de l’armée qui ravage la Martinique est composée de bandes africaines; qu’il est juste, qu’il est nécessaire, qu’il est même indispensable dans notre position actuelle de combattre l’ennemi avec ses propres armes et de faire retomber sur sa tête les fléaux qu’il a lui-même préparés pour écraser la nôtre. Que la Guadeloupe renferme dans la classe même de ses esclaves un grand nombre de braves qui ont fait dans nos armées l’apprentissage de la guerre, qui ont donné en mille rencontres des preuves de leur courage, et qui brûlent de mériter les bienfaisants du gouvernement, en se vengeant par leurs exploits des systèmes d’astuce et de perfidie du cabinet britannique, dont les esclaves de nos colonies ont été longtemps les jouets et les victimes80 .

Diese Begründung war eine abenteuerliche Verdrehung der Ereignisse der letzten 15 Jahre und muss daher von den rekrutierten Sklaven mit größtem Misstrauen aufgenommen worden sein. Zwar versprachen die Kolonialbehörden, die Pflanzer für die rekrutierten Sklaven mit einer Summe von je 2000 Livre zu entschädigen, doch konnte dieses Versprechen aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Kolonialstaates nie eingelöst werden. Die Bewaffnung der Sklaven kam deshalb einer Requisition gleich. Kerversau beschwor in einem Schreiben an Decrès zwar die Absichten der Kolonialbehörden, die Pflanzer so bald als möglich für die Sklaven zu entschädigen: »Une propriété particulière ne peut devenir une propriété publique, sans une juste indemnité«. Allerdings sei es den Kolonialbehörden wegen fehlender finanzieller Mittel nicht möglich, diesem Prinzip gerecht zu werden, weshalb die Metropole das Geld für den Kauf der Sklaven zur Verfügung stellen müsse. Kerversau betonte gegenüber Decrès deshalb den großen militärischen Nutzen der Bewaffnung mehrerer hundert Sklaven, um die politische Tragweite der Maßnahme herunterzuspielen. Gleichwohl unterließ er es nicht, die Metropole zu warnen, dass sich die Bewaffnung der Sklaven nicht einfach rückgängig machen lasse, denn es sei gefährlich »de soumettre au fouet [. . . ] des hommes qui ont porté les armes«. Der mangelnde politische Rückhalt der Kolonialadministration unter den kolonialen Eliten und die Lehren aus der Vergangenheit verböten es außerdem, die requirierten Sklaven einfach zu stehlen, so Kerversau weiter81 . Zwar stimmten die die Entscheidungsträger in 79 80 81

Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 229. Erlass von Ernouf/Kerversau/Bertolio, 15.2.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 218. Alle Zitate aus Kerversau an Decrès, 27.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 32.

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Paris der Rekrutierung von Sklaven implizit zu, doch sie würdigten die Bitten nach finanziellen Zuschüssen keiner Antwort. Stattdessen glaubte Napoleon, die kritische Situation Guadeloupes durch die Entsendung mehrerer hundert Soldaten aus Europa zu lösen82 . Für die Pflanzer Grande-Terres kam die Bewaffnung ihrer Sklaven letztlich einer Tyrannei wie zu Zeiten der Französischen Revolution gleich, was sie dem britischen Kommandanten der Garnison Marie-Galantes in einem Schreiben mitteilten83 . Viele Plantagenbesitzer glaubten überdies, dass die Kolonialbehörden die bewaffneten Sklaven dazu verwenden würden, die ausstehenden Steuern gewaltsam einzutreiben84 . Die Bewaffnung und Requirierung von 1500 Sklaven war nicht die einzige Maßnahme Ernoufs, die den Unmut und das Misstrauen der kolonialen Eliten weckte. Auf Geheiß des Gouverneurs stellte die cour d’appel Anfang Februar ihre Arbeit ein. Stattdessen wurden in allen Gemeinden Militärgerichte installiert, die mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet waren und aufrührerische Aktivitäten unter der freien und der unfreien Bevölkerung Guadeloupes in Windeseile verfolgen konnten85 . Resultat dieser Maßnahme war, dass das letzte Quäntchen Vertrauen der Financiers Guadeloupes in die Kolonialbehörden verflog: Die Kaufleute interpretierten die Aufhebung der Gerichte als politisches Geschenk Ernoufs an die überschuldeten Plantagenbesitzer, die nun rechtlich nicht mehr zur Rückzahlung ihrer Schulden gezwungen werden konnten86 . Zudem requirierten die staatlichen Behörden alle als kriegswichtig erachteten Lebensmittel und Nutztiere von den Plantagenbesitzern der Kolonie – all dies mit dem leeren Versprechen, die beschlagnahmten Güter spätestens bis zum 1. Oktober 1809 zu bezahlen87 . Um die Ernährung der Kolonie sicherzustellen, beauftragte der Gouverneur Frauen, Kinder und Greise mit dem Anbau von Maniok, Bananen, Kartoffeln und Süßkartoffeln. »Il faut ne pas laisser en ce moment un seul bras inutile«, schrieb Kerversau warnend den Kommissaren in den einzelnen Gemeinden der Kolonie88 . Freilich war den Maßnahmen Kerversaus kein Erfolg beschieden. Aufgrund der anhaltenden Trockenheit blieb die Ernte weit hinter den Erwartungen zurück, so dass die Bewohner der Kolonie dazu übergingen, Nutztiere zu schlachten, um nicht dem Hunger zu erliegen89 . 82 83 84 85 86 87 88 89

Napoleon an Decrès, 27.4.1808, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 8, S. 432f.; Napoleon an Decrès, 19.8.1808, in: ibid., S. 966f. Maurice an Cochrane (Kopie), 14.3.1809, in: TNA, ADM 1/330; [?] an Maurice (Kopie), 13.3.1809, in: TNA, ADM 1/330. Mémoire de défense d’Ernouf sur divers chefs d’accusation, o. D. [1813], in: ADG, 1J6/3. Erlass von Ernouf/Kerversau/Bertolio, 6.2.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 214. Bertolio an Decrès, 23.1.1810, in: ANOM, C7A 70, fol. 102. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 140–143. Instructions additionnelles à Messieurs les commissaires commandants, 8.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 235. Kerversau an Decrès, 25.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 30.

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Die Plantagenbesitzer und Kaufleute Guadeloupes sollten nicht nur ihre Sklaven, ihre Lebensmittel und ihr Zugvieh den staatlichen Kriegsanstrengungen zur Verfügung stellen, sondern auch ihr Leben für das ungeliebte Regime aufs Spiel setzen. Mitte Februar 1809 erließ Ernouf eine Weisung, wonach zwei bataillons d’élite von insgesamt 1200 Mann einberufen werden sollten, die unter den 15–35-jährigen weißen Kolonisten der Insel zu rekrutieren waren. Ernouf schloss diese Ankündigung mit den warnenden Worten: »Souvenez-vous que NAPOLÉON LE GRAND sait récompenser et punir. Il attend des braves sujets de la Guadeloupe la conservation de cette précieuse colonie«90 . Der militärische Wert dieser Formationen war trotz ihres hochfliegenden Namens gering: Tatsächlich wurden nicht 15–35-jährige Männer für diese Einheiten rekrutiert, sondern größtenteils Greise und Kranke91 . Gleichwohl demonstrierten Ernouf und Kerversau mit diesem Wust an Maßnahmen, dass sie bereit waren, alle personellen und materiellen Ressourcen der Kolonie für den Krieg zu mobilisieren und sich über alle politischen Bedenken hinwegzusetzen, wie sie Decrès schrieben: La Guadeloupe n’est plus une colonie, il fallait en faire un camp ou la laisser tomber entre les mains des Anglais. Nous avons transformé ses habitants en soldats et armé jusqu’aux mains d’esclaves qui pouvait la défendre. [. . . ] Si nous succombons ce sera avec gloire et [l’ennemi] ne conquerra qu’une terre arrosée de son sang, des campagnes sans culture et des villes sans commerce et sans hôpitaux92 .

Die totale Mobilisierung der Ressourcen für den Krieg konnte jedoch nur wenige Wochen lang sichergestellt werden. Als sich abzeichnete, dass die britischen Streitkräfte den Angriff auf Guadeloupe nicht vor der Regenperiode durchführen würden – ein großer Teil der britischen Armee musste wegen des drohenden Kriegs mit den USA zurück nach Halifax verlegt werden93 – zeigte sich rasch, dass eine anhaltende Mobilisierung aller Ressourcen der Kolonie innerhalb der Strukturen einer auf Sklaverei beruhenden Plantagenökonomie nicht möglich war94 . Dies lag schon allein am allgemeinen Mangel an Waffen, Ausrüstung und Uniformen. Zahlreiche farbige Milizionäre und Soldaten hatten nach den traumatischen Erfahrungen der Ereignisse von 1802 ohnehin keine Sympathien für das napoleonische Regime übrig, weshalb viele bei der erstbesten Gelegenheit desertierten. In der Hoffnung, dass ihre ehemaligen Sklaven auf die Plantagen zurückkehren würden, stifteten zudem zahlreiche Pflanzer die

90 91 92 93 94

Proklamation von Ernouf, 19.2.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 221 (Hervorh. i. Orig.). Kerversau an Decrès, 27.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 32. Ernouf/Kerversau/Bertolio an Decrès, 7.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 20. Fortescue, A History, Bd. 7, S. 17. Ernouf/Kerversau/Bertolio, 25.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 26.

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unfreien Soldaten zur Desertion an95 . Um die Loyalität der weißen Milizen, deren militärischer Wert gering war, stand es kaum besser. Die Kolonialbehörden konnten diese Einheiten weder bezahlen oder ernähren noch kleiden und ausreichend bewaffnen. Nach nur wenigen Wochen Dienst unter der Trikolore desertierten diese Truppen in Scharen, zumal ihnen wie schon in der Vergangenheit mehr an der Sicherheit ihres Eigentums gelegen war als an jener der Kolonie96 . Politische Gründe waren ebenso ausschlaggebend für die Desertion der Milizen – insbesondere jener Einheiten aus der Halbinsel Grande-Terre, der Hochburg der Royalisten. Ernouf versuchte zwar die desertierten Plantagenbesitzer einzuschüchtern, indem er ihnen einen Prozess vor dem Kriegsgericht sowie die Konfiskation ihrer Güter androhte. Doch seine Drohungen, die aristokratischen Plantagenbesitzer Grande-Terres öffentlich als Verräter zu brandmarken, verhallten weitgehend wirkungslos97 . Längst hatte sich der Riss zwischen den restants und den rentrants Guadeloupes im Zuge der politischen und ökonomischen Krise der Kolonie in eine unüberwindbare Schlucht verwandelt. Spätestens als bekannt wurde, dass eine Delegation der Plantagenbesitzer Grande-Terres sich im April 1809 mit Cochrane, Dubuc de Saint-Olympe und Soter sowie weiteren Royalisten getroffen und dabei den britischen Streitkräften ihre Unterstützung im Falle eines britischen Angriffs zugesagt hatte, war das Tuch zwischen Ernouf und den kolonialen Eliten Guadeloupes endgültig zerschnitten98 . Der Gouverneur sah deutlich die Gefahr am Horizont, dass das Vorbild Martiniques das Handeln der Plantagenbesitzer Grande-Terres anleiten könnte und sie mit den grands Blancs Martiniques in Kontakt stehen könnten: Les frégates & bricks anglais rôdent continuellement sur les côtes en faisant des signaux. C’est par leur entremise que la Grande-Terre entretient des communications avec la Martinique et cette île dépravée est maintenant la plus cruelle ennemie de la Guadeloupe, elle voudrait lui faire partager la honte & l’infamie dont elle s’est couverte. Que pouvait-on attendre d’habitants qui faisant passer leur fonds à la Banque de Londres et élever leurs enfants dans des pensions en Angleterre99 .

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Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 238f.; Ernouf an Decrès (Kopie), 12.5.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 219; Ernouf/Kerversau/Bertolio, 31.7.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 138; Kerversau an Decrès, 12.6.1809 (geheim), in: ANOM, C7A 69, fol. 174; Kerversau an Decrès, 18.1.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 162; Ernouf an [Decrès] (Entwurf), [?].5.1811, in: ADG, 16J/3; Dubuc de Saint-Olympe an [Castlereagh] (geheim), 3.8.1809, in: TNA, WO 1/39/41; Cochrane an Mulgrave, o. D. [1808], in: TNA, ADM 1/329. Ernouf/Kerversau/Bertolio, 31.7.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 138; Ernouf an Decrès, 8.6.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 135; Kerversau an Decrès, 10.5.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 219; Ernouf an [Decrès] (Entwurf), [?].5.1811, in: ADG, 16J/3. Proklamation von Ernouf, 7.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 241; Erlass von Ernouf/ Kerversau/Bertolio, 8.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 243. Niquet/Pascquier an Ernouf, 11.5.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 128; Ernouf an Decrès, 11.5.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 125; Vatable an Ernouf, 4.4.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 40; Kerversau an Decrès, 1.8.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 182. Ernouf an Decrès, 5.4.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 38 (Hervorh. i. Orig.).

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Ähnlich wie die Pflanzer Martiniques hofften die anglomanes Guadeloupes, dass sie unter britischer Okkupation von der drückenden Schuldenlast befreit würden und dass das Ende der französischen Herrschaft ein Wiederaufblühen der Plantagenökonomie zur Folge haben würde100 . Immer öfters fanden im Laufe des Jahres 1809 nächtliche Treffen zwischen britischen Militärs und Pflanzern von Guadeloupe statt, während derer Pläne für eine britische Übernahme der Kolonie geschmiedet wurden101 . In Anbetracht der Gefahr, von den kolonialen Eliten Guadeloupes verraten zu werden, richtete Kerversau Anfang März 1809 ein ausführliches Rundschreiben an die Kommissare in den einzelnen Gemeinden Guadeloupes, in dem er sie darüber aufklärte, dass der Verrat der anglomanes Martiniques den Bewohnern dieser Insel nichts eingebracht habe – auch die Schwesterkolonie sei von den britischen Streitkräften geplündert worden, so Kerversaus Warnung102 . Die offene Kooperation zwischen britischen Militärs und den Pflanzern Guadeloupes hatte zur Folge, dass sich Letztere in den Augen der französischen Offiziere immer mehr zum eigentlichen Feindbild entwickelten. So schrieb Ernoufs Stabsoffizier Pierre Saint-Juéry in einem Brief an einen Freund aus dem Pariser Kolonialministerium, welcher der Royal Navy in die Hände gefallen war: If His Majesty wishes to preserve Guadeloupe, he must send out a large body of troops with the greatest expedition, as there is no dependence to be put on the inhabitants. All those who formerly resided amongst the English are now their most faithful friends. These Anglomanes now skew their heads, and it requires all the circumspection of General Ernouf to preserve us from great misfortunes103 .

In Anbetracht der innenpolitischen Isolation der Kolonialregierung um Ernouf erschien die Entsendung zahlreicher Verstärkung aus Frankreich zusehends als letzte Hoffnung für die ausgebluteten Truppen Guadeloupes. Deren Situation hatte sich aufgrund von Desertion und Gelbfieber im Laufe des Jahres 1809 weiter verschlechtert. Die wiederholten Überfälle britischer Marinesoldaten und deren Plünderungen entlang der Küsten Guadeloupes trugen ebenfalls zur Zermürbung der Garnison bei, zumal sich bei diesen Gefechten zeigte, dass auf die weißen und farbigen Milizen kein Verlass war. In den wenigen Fällen, bei denen sich die Milizionäre dem Kampf stellten, mussten sie mit Repressalien der britischen Angreifer rechnen. So beispielsweise bei einer Landung britischer Marinesoldaten bei Deshaies im Westen der Halbinsel Basse-Terre Anfang Januar 1809: Nachdem die Milizionäre das 100 101

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Ernouf/Kerversau/Bertolio an Decrès, 31.7.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 138. Saintrac an Cochrane, o. D. [1810], in: TNA, WO 1/20/333; Ernouf, Observations sur la conduite du capitaine général à la Guadeloupe et celle du général Ambert son lieutenant général et commandant des troupes, 22.8.1811, in: ANPS, 185AP/3; Mathé an Ernouf, 19.1.1810, in: ADGB, 61J/32/1. Kreisschreiben Kerversaus, 5.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 233. Saint-Juery an Manduit (übersetzte Kopie), 18.4.1809, in: TNA, ADM 1/330.

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Feuer auf die herannahenden britischen Soldaten eröffnet hatten, reagierten diese kurzerhand mit der Niederbrennung und Plünderung des gesamten Dorfes. In Anbetracht der Bereitschaft der britischen Streitkräfte, zu solchen Vergeltungsmaßnahmen zu greifen, blieb es höchst fraglich, ob die Milizionäre auch fortan bereit sein würden, ihr Leben sowie ihr gesamtes Hab und Gut für die französischen Kriegsanstrengungen zu riskieren104 . Kerversau verglich die ausgeblutete Garnison Guadeloupes abwechselnd mit lebenden Skeletten oder einer Phantomarmee. Die Moral der Truppe liege nach sieben Jahren Krieg völlig darnieder. Ohne die Rekrutierung von Sklaven würde die Kolonialarmee Guadeloupes gar nicht mehr existieren, so Kerversau weiter. Ernouf verfügte im Sommer noch über 500 Liniensoldaten sowie über 1400 weiße und farbige Milizionäre. Artilleristen befanden sich keine mehr in der Kolonie, nachdem alle dem Gelbfieber erlegen waren105 . Ernouf und Kerversau verlangten deshalb in den kommenden Monaten immer wieder namhafte Verstärkung in der Größenordnung von mehreren tausend Mann sowie die Entsendung von Geld, Waffen und Lebensmitteln, um die Verteidigung der Kolonie zu garantieren. Dabei spielten nicht nur militärische Überlegungen eine Rolle. Das Eintreffen frischer Truppen würde es Ernouf auch ermöglichen, die anglomanes in Schach zu halten und den »vrais Français« vor Augen führen, dass der Kaiser sie nicht vergessen hatte106 . Ernouf selbst hatte freilich jede Zuversicht verloren, weshalb er im Sommer 1809 um seine Abberufung bat107 . Kerversau sah in einer möglichen Neubesetzung des Gouverneurspostens auch eine Chance: Ernouf habe nach über sechs Jahren Amtszeit jegliche persönliche Autorität verloren. Dies sei freilich nicht sein eigenes Verschulden, denn in den Kolonien verliere jeder rasch an Ansehen: Fût-il [Ernouf, F. E.] un dieu on lui trouvera des torts, des faiblesses, des ridicules, des imperfections, des vices; s’il n’en a pas on lui en créera et je vous réponds qu’il sera bien heureux si la septième année on le regarde seul comme un homme ordinaire. Le défaut d’instruction [. . . ] rend le créole habituellement frondeur; si la misère vient l’y joindre, elle le rend souverainement injuste. [. . . ] Il faudrait gouverner ici comme Jupiter au fond d’un sanctuaire inaccessible pour y contenir le serpent108 .

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107 108

Ernouf an Decrès, 8.6.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 135; Ballard an Cochrane (Kopie), 6.1.1809, in: TNA, ADM 1/330; Ballard an Cochrane (Kopie), 14.1.1809, in: TNA, ADM 1/330; Ernouf/Kerversau/Bertolio an Decrès, 30.7.1809 (Kopie), in: ANPS, 185AP/3; Ernouf/Kerversau/Bertolio, 31.7.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 138; Ernouf an [Decrès] (Entwurf), [?].5.1811, in: ADG, 1J6/3; Kerversau an Decrès, 12.6.1809 (geheim), in: ANOM, C7A 69, fol. 174. Kerversau an Decrès (geheim), 12.6.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 174. Ernouf an Decrès, 20.4.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 45; Kerversau an Decrès, 10.5.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 123 (Zitat); Kerversau an Decrès, 27.3.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 32; Ernouf/Kerversau/Bertolio an Decrès, 31.7.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 138. Ernouf an Decrès, o. D. [1809], in: ANOM, EE 821/22. Kerversau an Decrès, 12.6.1809 (geheim), in: ANOM, C7A 69, fol. 174.

13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs

465

Eine Neubesetzung des Gouverneurspostens könne deshalb helfen, die Autorität der Metropole auf Guadeloupe wiederherzustellen, so der Kolonialpräfekt. Allerdings mahnte Kerversau den Marine- und Kolonialminister, dass man Ernoufs Nachfolger mit einer ansehnlichen Streitmacht auf die Insel schicken müsse, denn der Vertrauensverlust zwischen den Regierenden und den Regierten habe mittlerweile gefährliche Ausmaße angenommen: »Si on ne lui [le successeur d’Ernouf, F. E.] donne pas une force militaire suffisante pour défendre la colonie contre les ennemis du dedans et du dehors et des accessoires nécessaires pour l’entretien de ses troupes, il n’arrivera dans la colonie que pour assister à ses funérailles«109 . Dem Wunsch Ernoufs nach einer Abberufung wurde nicht stattgegeben. Hingegen waren die Entscheidungsträger in Paris endlich bereit, zusätzliche Truppen in die Karibik zu entsenden. Ende März 1809 ging ein französisches Geschwader von drei Linienschiffen und zwei Fregatten unter dem Kommando von Kapitän Aimable-Gilles Troude bei der Inselgruppe Les Saintes im Süden Guadeloupes vor Anker110 . Zwar befand sich die Inselgruppe noch immer unter französischer Kontrolle, doch war die Entladung dieser Schiffe aufgrund der Entfernung von Guadeloupe äußerst langwierig. Die dafür notwendige Zeit stand Troude nicht zur Verfügung, denn Cochranes überlegenes Geschwader war bereits in See gestochen, um sich der kaum geschützten französischen Flotte zu bemächtigen. Noch während die Matrosen mit dem Entladen der Versorgungsgüter beschäftigt waren, ließ der britische Kommandant eine Einheit von 280 Mann auf der Inselgruppe landen, die zum Entsetzen Ernoufs größtenteils aus Deserteuren der Garnisonen Martiniques und Guadeloupes bestand. Nach einem erfolglosen Gegenangriff der demoralisierten schwarzen und schweizerischen Truppen unter dem Kommando Oberst Baptiste Madiers, des Kommandanten von Les Saintes, kapitulierte die Garnison der Inselgruppe einen Tag nach der britischen Landung. Troudes Schiffe konnten zwar im Schutze der Dunkelheit die britischen Linien durchbrechen, doch ein Großteil der Waffen, Lebensmittel und Soldaten, die das französische Geschwader gebracht hatte, fiel den Briten in die Hände111 . Die Kapitulation der Garnison von Les Saintes bedeutete nicht nur, dass der cabotage zwischen Pointe-à-Pitre und Basse-Terre fortan faktisch unmöglich war112 , sondern hatte auch eine verheerende innenpolitische Signalwirkung, weil die 594 Soldaten, die es in Les Saintes an Land schafften, größtenteils an der Waffe völlig ungeübte, kranke Sträflinge waren. Wie wollte Ernouf unter diesen Umständen die Bewohner und Soldaten Guadeloupes für das 109 110 111

112

Ibid. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 151. Ernouf an Decrès, 20.4.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 45; Saint-Juery an Manduit (übersetzte Kopie), 19.8.1808, in: TNA, ADM 1/330. Zum Verlauf der Kämpfe siehe auch Lafleur, La Guadeloupe, S. 40f. Ernouf an Decrès, 19.4.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 43.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

napoleonische Regime gewinnen113 ? Nicht einmal Uniformen und passendes Schuhwerk hätten die Hafenbehörden in Lorient den Soldaten mit auf den Weg gegeben, so dass sie nach der Landung den Schlangen und Moskitos zum Opfer gefallen seien, wie Ernouf schrieb: J’ai su par le rapport de plusieurs officiers que ces malheureux répondaient aux reproches qu’on leur ferait de leur lâcheté: regardez nos jambes (elles étaient couvertes de piquants), voyez nos mains (elles étaient si relevées qu’à peine ils pouvaient tenir leur fusil). Tuez-nous plutôt, s’écriaient-ils, la mort sera pour nous une grâce114 .

Die Hoffnungen, aus der Metropole die notwendige Hilfe zu erhalten, verflüchtigten sich in der Folge rasch. Als drei Monate später ein kleines Versorgungsschiff in Basse-Terre eintraf, wurde die Freude über dessen Ankunft bald durch tiefe Enttäuschung abgelöst: L’arrivée d’un bâtiment venant de France répandit une joie universelle. Une consternation profonde y succéda bientôt, quand on apprit qu’il n’était porteur d’aucune dépêche ministérielle, pas même de journaux et de »Moniteur« pour les magistrats de la colonie. L’idée d’un abandon total saisit tous les esprits et l’abattement de tous les courages vint encore ajouter à nos vives inquiétudes, à nos dangers et à nos maux115 .

Tatsächlich spielten die Entscheidungsträger in der Metropole mit dem Gedanken, die Hilfe für Guadeloupe gänzlich einzustellen. Die Kolonie sei ohnehin verloren und es fehle an Schiffen und Matrosen für eine Expedition in die Karibik. Allein für den Transport der verlangten Güter sei eine ganze Flotte notwendig, so Decrès in einem Schreiben an Napoleon. Zudem habe die Schlacht bei Les Saintes gezeigt, dass allein das Entladen der Nachschubgüter mehrere Tage beanspruche – ganz zu schweigen von notwendigen Reparaturen an den entsandten Kriegsschiffen und dem Aufnehmen von Frischwasser. Für all dies brauche die Kriegsmarine sichere Ankerplätze, die es in Guadeloupe aber nach der Eroberung von Les Saintes durch die Royal Navy nicht mehr gebe116 . Napoleon wollte von all dem nichts hören und ordnete im September 1809 die Entsendung von 4000–5000 Soldaten nach Guadeloupe an, um die weitere Verteidigung der Kolonie zu gewährleisten. Das Kriegsministerium wurde explizit angewiesen, nur gestandene Soldaten für die Expedition bereitzustellen und nicht wie in der Vergangenheit unerfahrene Rekruten, die den klimatischen Herausforderungen der Karibik nicht gewachsen seien117 . Decrès kündigte Ernouf daraufhin die Entsendung einer »expédition considérable« an. Napoleon erteilte dem Gouverneur Guadeloupes überdies die Erlaubnis, Schuldscheine auf die Pariser Staatskasse im Wert von 1,8 Millionen Franc auszustellen, um die dringendsten Ausgaben der Kolonie zu tätigen. Aller113 114 115 116 117

Ernouf an [Decrès], [?].5.1811, in: ADG, 1J6/3. Ernouf an Decrès (Kopie), 12.5.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 219. Ernouf/Kerversau/Bertolio an Decrès, 31.7.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 138. Decrès an Napoleon, 6.9.1809, in: ANPS, AF/IV/1216, fol. 16. Decrès an Clarke, 22.9.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 277.

13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs

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dings merkte Decrès im gleichen Atemzug an, dass die Vorbereitungen für eine derart große Expedition eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen würden, weshalb es noch Monate dauern könne, bis die Schiffe in See stechen könnten118 . Doch die Zeit war nicht auf Seiten Ernoufs. Zu allem Überfluss wurde Guadeloupe Anfang August 1809 von einem heftigen Sturm heimgesucht, der fast alle cabotage-Schiffe, viele Befestigungsanlagen und Plantagen sowie einen Großteil der Ernte zerstörte. Laut Ernouf war die Lage der Kolonie derart verzweifelt, so die Beamten in ihrem Bericht an Decrès, dass an einen Wiederaufbau gar nicht zu denken sei, fehle es doch an Arbeitskräften und an Baumaterial: Le ciel, la terre, la mer, le feu, tous les éléments semblent conjurer contre nous [. . . ] avec les Anglais. Nous n’avons à leur opposer qu’un courage inutile. [. . . ] Un dieu seul peut nous tirer de cet abyme. Vous êtes son ministre, nous mettons sous vos yeux le tableau de notre situation déplorable. C’est notre seule ressource et notre unique espérance119 .

Die Verwalter der Kolonie erwiesen sich in Anbetracht der wirtschaftlichen und politischen Krise zusehends als machtlos. Ihre wiederholten Ankündigungen, dass Verrat, Desertion und Widerstand gegen die staatlichen Requisitionen mit dem Tode bestraft würden, vermochte die Pflanzer kaum mehr zu beunruhigen120 . Zu offensichtlich war für viele Plantagenbesitzer, dass Ernouf nur deshalb versuchte, die Kolonie bis zum letzten Mann zu verteidigen, weil er den ihm drohenden Prozess vor dem Kriegsgericht fürchtete. Längst hatte sich in Guadeloupe herumgesprochen, dass sich Villaret und Hugues in Paris für die leichtfertige Aufgabe der ihnen anvertrauten Kolonien verantworten mussten. Innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen einer auf Sklaverei beruhenden Plantagenökonomie war die anhaltende Mobilisierung aller Ressourcen für den Krieg letztlich ein Ding der Unmöglichkeit, wie Ernouf einsehen musste. Statt die Bewohner der Insel für den französischen Kolonialstaat zu gewinnen, hatten seine Mobilisierungsmaßnahmen die kolonialen Eliten weiter in die Arme des Britischen Empires getrieben. Entgegen den Behauptungen Dubuc de Saint-Olympes gegenüber dem britischen Kriegs- und Kolonialminister Robert Stewart121 war Ernouf aber nicht bereit, an den gesellschaftlichen Parametern der karibischen Plantagenökonomie zu rütteln und die Sklaverei erneut abzuschaffen. Als sich zum Jahresende 1809 abzeichnete, dass die angekündigte Verstärkung trotz der Versprechen Decrès’ ausblieb, entschied sich Ernouf, im Falle einer britischen Invasion all jene Gebiete auf der Halbinsel Grande-Terre zu 118 119 120

121

Decrès an Ernouf, 24.9.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 278. Ernouf/Kerversau/Bertolio an Decrès, 4.8.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 141. Bulletin de la Guadeloupe, 20.7.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 252; Proklamation von Ernouf, 29.11.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 258; Proklamation von Ernouf/Kerversau/Bertolio, 1.10.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 254. Dubuc de Saint-Olympe an [Castlereagh] (geheim), 3.8.1809, in: TNA, WO 1/39/41.

468

III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

räumen, in denen seine Truppen nicht auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen konnten122 . Tatsächlich war an eine erfolgreiche Verteidigung der Insel gar nicht mehr zu denken, konnte Ernouf bei Jahresende doch lediglich auf 2500 Soldaten zurückgreifen, bei denen es sich größtenteils um schwarze Sklaven handelte123 . Die 300 Mann, die Ende Dezember 1809 aus Frankreich eingetroffen waren, mussten gleich nach ihrer Landung ins Spital eingeliefert werden, weil sie alle an Krätze litten124 . Ernouf begegnete der verzweifelten Lage Guadeloupes zusehends mit einer Mischung aus Resignation und Fatalismus. So soll er die Nächte durchgezecht und gemäß späteren Kritikern insgeheim seine Offiziere angewiesen haben, die Kolonie nicht zu verteidigen125 . Am 28. Januar 1810 gingen schließlich rund 7000 britische Soldaten bei Gosier nahe Pointe-à-Pitre an Land. Die Halbinsel Grande-Terre fiel den Invasoren widerstandslos in die Hände126 . Die Pflanzer begrüßten die britischen Truppen mit offenen Armen, wiesen ihnen den Weg und stellten ihnen ihre Sklaven als Träger zur Verfügung. Ernoufs Strategie bestand darin, den britischen Truppen den Weg zur Hauptstadt Basse-Terre im unwegsamen Gelände oberhalb von Trois-Rivières im Süden Guadeloupes zu versperren, weshalb der Gouverneur seine gesamte Streitmacht in dieser Region versammelte. Im Gegensatz zu den Operationen von 1794 und 1802 waren die Forts Fleur d’Épée und Richepance keine geeigneten Rückzugsorte für die verteidigende Armee, weil diese Festungen seit dem Aufstand Delgrès’ nie wieder instand gesetzt worden waren127 . Die numerische Unterlegenheit der Truppen Ernoufs sollte sich in den Tagen nach der britischen Landung noch weiter zu Ungunsten der französischen Garnison entwickeln. Wie bereits während des britischen Angriffs gegen Martinique praktiziert, kündigte der britische General Beckwith an, dass farbige Soldaten, die mit einer Waffe in der Hand aufgegriffen würden, wieder versklavt würden. Die schwarzen Sklaven der Garnison und die chasseurs de couleur libres flüchteten deshalb in die Wälder, um den angedrohten Repressalien zu entkommen128 . Den verbliebenen Truppen gelang es in der Folge nicht, die Stellungen im gebirgigen Gelände gegen die numerisch weit überlegenen britischen Einheiten zu verteidigen. Am Morgen des 4. Februars 1810 kapitulierte Ernouf. »Nous étions Anglais avant de le savoir«, kommentierte Duny die schnelle Kapitulation Ernoufs lakonisch129 . Wenige Tage später ergaben sich zudem die niederländischen und 122 123 124 125

126 127 128 129

Ernouf an Decrès, 30.12.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 156. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 177. Ernouf an Decrès, 26.12.1809, in: ANOM, C7A 69, fol. 152. Anthouand an Anthouand, 1.4.1810, in: ANPS, AF/IV/1216, fol. 12; Anthuoand an Decrès, 21.2.1815, in: ANOM, C7A 70, fol. 198; Saurgon an Massa, 9.5.1812, in: ADGB, 61J/32/2. Fortescue, A History, Bd. 7, S. 20. Ernouf an [Decrès] (Entwurf), [?].5.1811, in: ADG, 1J6/3. Kerversau an Decrès, 4.3.1810, in: ANOM, C7A 70, fol. 30. Duny an Bruley, 14.4.1814, in: Bruley (Hg.), Les Antilles, S. 122.

13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs

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französischen Garnisonen der kleinen Inseln Saint-Martin und Sint Eustatius, womit das Britische Empire Herr über fast die gesamte Karibik war130 . Die neue britische Kolonialverwaltung zeigte entgegen den Hoffnungen der Pflanzer Guadeloupes wenig Interesse an deren ökonomischen Problemen. Stattdessen ließ sich die neue Administration zum Racheinstrument zurückkehrender émigrés wie Dubuc de Saint-Olympe degradieren, indem sie unliebsame Pflanzer und Kaufleute – vielfach ehemalige Financiers von Korsarenschiffen – auf Anraten der royalistischen Kamarilla aus der Kolonie deportieren ließen131 . Duny, der aufgrund seiner Vergangenheit ebenfalls ins Visier Dubuc de Saint-Olympes geriet, kommentierte die Situation wie folgt: Ce Saint-Olympe s’est entouré de nos créoles bornés, ignares, orgueilleux, bourbomanes, anglomanes, cosaques; leur a ordonné les calomnies, les dénonciations contre ceux qui se montraient ouvertement attachés à la France. Il a mis, ou maintenu, dans les places tous ceux qui lui ont juré soumission et obéissance aveugle132 .

Der ersehnte wirtschaftliche Aufschwung blieb hingegen unter britischer Herrschaft weitgehend aus. Dies lag auch am Sklavenhandelsverbot, das den Kauf der dringend benötigten Sklaven erschwerte133 . Die britischen Offiziere erblickten in der Eroberung des letzten französischen Außenpostens in der Karibik primär die Chance, an einträgliche Ämter zu gelangen134 . Ein Leitthema der Korrespondenz Cochranes mit dem Londoner Kolonialministerium blieb die Furcht vor einem überraschenden französischen Angriff gegen Guadeloupe, bei dem die Angreifer Unterstützung in der republikanischen Hochburg Pointe-à-Pitre finden würden. Freilich waren diese Ängste höchst diffus und beruhten nur auf Gerüchten. Die historische Erfahrung aus den Revolutionskriegen spielte dabei eine entscheidende Rolle. So wurde immer wieder das Gerücht herumgereicht, dass Hugues mit einer kleinen Flotte in See gestochen sei und Guadeloupe mithilfe der Sklaven der Kolonie zurückerobern wolle135 . Tatsächlich hatte der einstige »Robespierre der Antillen«, der inzwischen von allen Anschuldigungen freigesprochen worden war, Decrès im November 1811 vorgeschlagen, Guadeloupe zurückzuerobern, um britische Kräfte zu binden und wieder Einfluss in Lateinamerika zu gewinnen. Von einer er130 131 132 133 134 135

Fortescue, A History, Bd. 7, S. 23–25. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 255f. Duny an Bruley, 14.4.1814, in: Bruley (Hg.), Les Antilles, S. 122. Ibid., S. 126. Cochrane an Pole, 6.3.1809, in: TNA, ADM 1/330; Cochrane an Liverpool, 20.12.1810, in: TNA, WO 1/20/315. [Thionville], Défense de la Guadeloupe, o. D. [1810], in: TNA, WO 1/20/513; Cochrane an Liverpool, 20.10.1810, in: TNA, WO 1/20/167; Cochrane an Liverpool, 26.9.1810, in: TNA, WO 1/20/133; Cochrane an Liverpool, 20.9.1810, in: TNA, WO 1/20/95; Carmichael an Liverpool, 4.7.1810, in: TNA, WO 1/20/2; Bertolio an de Massa, 28.1.1811, in: ANOM, EE 182/1; Milnes an Jenkinson (geheim), o. D. [1809], in: TNA, WO 1/39/129; Cochrane an Liverpool, 18.11.1810, in: TNA, WO 1/20/207.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

neuten Abschaffung der Sklaverei war in Hugues’ Plänen freilich keine Rede. Decrès zeigte sich allerdings wenig beeindruckt von diesen Gedankenspielen, weshalb er Hugues nicht einmal zu einer Audienz einlud136 . Hugues war beileibe nicht der einzige ehemalige Kolonialbeamte, welcher der Pariser Regierung hochfliegende Pläne für eine Wiedereroberung Martiniques und Guadeloupes unterbreitete, wie mehrere Memoranden belegen, die in französischen Archiven lagern137 . Selbst Napoleon spielte mit dem Gedanken, eine große Expedition in die Karibik zu entsenden, um Martinique zurückzuerobern138 . Doch alle Pläne des napoleonischen Regimes, in der Karibik wieder Fuß zu fassen, blieben Papiertiger und fielen letztlich dem Russlandfeldzug von 1812 zum Opfer. Sie illustrieren aber, dass der französische Kaiser die außereuropäischen Kriegsschauplätze keinesfalls aus den Augen verloren hatte139 . Die Akten und Untersuchungsberichte zu den Kapitulationen Martiniques und Guadeloupes, die den Entscheidungsträgern in Paris vorgelegt wurden, hätten ihnen eigentlich vor Augen führen müssen, auf welch tönernen Füssen die französische Herrschaft in den Kleinen Antillen gestanden hatte140 . Es bleibt allerdings ein Rätsel, weshalb Napoleon Villaret den Gang vor ein Kriegsgericht ersparte und ihn stattdessen im Sommer 1811 zum Marinepräfekten Venedigs ernannte, wo er ein Jahr später verstarb. Gemäß der Villaret-Biografie Johnsons konnte Decrès den Kaiser davon überzeugen, dass Villaret Opfer seiner eigenen Naivität geworden sei und zu fest seiner Entourage vertraut habe. Diese hätte ihn zu früh davon überzeugt, dass er seine Pflicht erfüllt habe und eine Kapitulation ehrenvoll sei141 . Dies mag eine Rolle gespielt haben, viel wahrscheinlicher ist aber die Vermutung, dass es der französischen Führung für den Wiederaufbau der Kriegsmarine schlicht an erfahrenen Marineoffizieren fehlte und Villaret deshalb unverzichtbar war. Auch wenn die Hintergründe von Villarets überraschender Begnadigung weitgehend im Dunkeln liegen, spricht auch einiges dafür, dass der ehemalige Gouverneur Martiniques von der strukturellen Unfähigkeit der Pariser Kolonialbehörden profitierte, die eintreffenden Nachrichten aus Übersee adäquat zu verarbeiten und sie an die politischen Entscheidungsträger weiterzuleiten142 . Zudem scheinen die Plantagenbesitzer Martiniques und Guadeloupes in Paris immer noch über genügend Einfluss verfügt zu haben, derartige Kriegs136 137 138 139 140 141 142

Hugues, Projet pour reprendre la Guadeloupe, 12.11.1811, in: ANOM, C7A 70, fol. 128. Ambert an Clarke, 20.6.1812, in: ANOM, EE 26/1. Napoleon an Decrès, 30.9.1809, in: Napoléon Ier , Correspondance générale, Bd. 9, S. 1285. Roberts, Napoleon, S. 484f. Vgl. Rapport à Sa Majesté l’Empereur & Roi, 29.11.1809, in: ANOM, C8A 118, fol. 143; Saurgon an Massa, 9.5.1812, in: ADGB, 61J/32/2. Johnson, Louis-Thomas Villaret de Joyeuse, S. 267f. Charles, Cheney, The Colonial Machine.

13. Der Untergang des französischen Kolonialreichs

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gerichtsprozesse für ihre persönlichen Rachefeldzüge zu missbrauchen. Dies musste insbesondere Ernouf erfahren, gegen den zahlreiche Pflanzer und Kaufleute Guadeloupes aussagten. Infolgedessen wurden der ehemalige Gouverneur Guadeloupes, der einflussreiche Kaufmann und Intimus Ernoufs Jean-Michel Mallespine, und Oberst Baptiste Madier 1813 des Verrats und der Unterschlagung für schuldig befunden – vom Vorwurf des Machtmissbrauchs wurden sie hingegen freigesprochen. Allerdings sah sich die Cour impériale aufgrund von Verfahrensfehlern nicht in der Lage, das Urteil zu vollziehen und gab den Fall zurück an das Kassationsgericht. Das sich über Monate hinziehende Verfahren wurde im Sommer 1814 von den Ereignissen eingeholt, als Napoleon abdanken und nach Elba ins Exil gehen musste. Der zurückgekehrte Bourbonenkönig Ludwig XVIII. ließ das Verfahren gegen Ernouf einstellen, nachdem viele Zeugen nach Guadeloupe zurückgekehrt oder verstorben waren. Ferner sei es für die metropolitanen Justizbehörden ohnehin unmöglich zu beurteilen, was sich in einem »pays si éloigné« zugetragen habe, weshalb das Verfahren jeder Grundlage entbehre. Mit dieser Begründung signalisierte die restaurierte Bourbonenmonarchie, dass sie auf eine strenge Kontrolle der Kolonien, wie sie die Republik und das napoleonische Kaiserreich beansprucht hatten, fortan verzichten würde. Ernouf wurde allerdings erst im Januar 1816 von allen Vorwürfen freigesprochen, nachdem sich mehrere Kolonisten Guadeloupes zu seinen Gunsten geäußert hatten. Entscheidend dürfte aber sein Seitenwechsel während Napoleons Herrschaft der Hundert Tage gewesen sein, als er sich ins Lager des Bourbonenkönigs geschlagen hatte. Der einst überzeugte Republikaner Ernouf hatte unter der Führung des Herzogs von Angoulême vergebens versucht, den antinapoleonischen Widerstand rund um Cannes zu organisieren. Für diese Treue zu Ludwig XVIII. wurde Ernouf gar mit dem Titel eines Barons belohnt143 . Im Gegensatz zu ihren einstigen Vorgesetzten konnten die einfachen Soldaten der ehemaligen Garnisonen Martiniques und Guadeloupes ihre Haut nicht mit juristischen Ränkespielen und Loyalitätsbekundungen zu neuen Machthabern retten. Weil auch sie unter dem Verdacht des Verrats standen, wurden sie 1811 nicht im Rahmen des regulären Gefangenenkartells ausgetauscht. Stattdessen vegetierten sie bis Kriegsende in den gefürchteten Kriegsgefangenenschiffen vor der Küste Plymouths vor sich hin144 . Als die Überlebenden im Sommer 1814 endlich nach Frankreich zurückkehrten, wurden sie sogleich wieder in die Kleinen Antillen verschifft, wo ihnen er143

144

Erlass Ludwigs XVIII., 9.8.1814, in: ANOM, EE 821/22 (Zitat); Massa an Saurgon (Kopie), 31.7.1812, in: ADGB, 61J/32/2; Saurgon an Massa (Kopie), 2.8.[1812], in: ADGB, 61J/32/2; Jugement contre Ernouf, Mallespine, Madier, Faujas, 8.5.1813, in: ANPS, 185AP/3; Kerversau an Ernouf, 12.7.1814, in: ADGB, 61J/32/2; Ernouf an Ludwig XVIII., 23.9.1815, in; ANOM, EE 821/22; Les habitants de la Guadeloupe, présentement à Paris, 15.2.1816, in: ANOM, EE 821/22; Dubouchage an Ernouf, 29.1.1816, in: ANOM, EE 821/22; Mullié, Biographie, Bd. 1, S. 495f. Poyen, Les guerres, S. 367.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

neut der Garnisonsdienst in Martinique und Guadeloupe aufgetragen wurde, die im Frieden von Paris 1814 der Bourbonenmonarchie zurückerstattet wurden145 . Dem Untergang des napoleonischen Kaiserreiches sahen die tonangebenden royalistischen Eliten Guadeloupes und Martiniques derweil mit Freude entgegen, wie Duny im April 1814 einem Freund in Frankreich entsetzt schrieb: Le commissaire Gallard, trompette de Saint-Olympe, dans notre quartier, a publié comme officielles des nouvelles fabriquées à plaisir et aussi accablantes pour les Français, qu’avantageuses pour nos ennemis: l’empereur Napoléon aurait été déposé, puis massacré. Ces mirmidons sanguinaires, fâchés de n’avoir pu tremper leurs mains dans son sang, s’en font dédommagés ici. Le sieur Castelz a fait flotter sur le sommet de son moulin-à-vent un grand drapeau blanc, pour singer Wellington qui, dit-on, l’aurait arboré à Bayonne, à Bordeaux; puis, ils ont attaché à l’une des ailes un mannequin qu’ils ont baptisé Corse, usurpateur; et chaque convive a tiré dessus plusieurs coups de fusil en criant: Le tyran n’est plus, vive Louis XVIII, notre monarque légitime! Cette odieuse farce a été terminée par la réunion de tous les nègres de l’habitation auxquels on a fait jurer fidélité à Louis XVIII et à Georges III, et, crier trois fois hourra. Toutes ces orgies se terminent par des chansons injurieuses ordurières, de la fabrique de quelques-uns d’entre eux qui font les pouacres. On m’a assuré qu’un nommé Vaudier, à la suite d’un dîner chez le commissaire Gallard, est monté au haut du moulin, a abaissé ses culottes et dit en tournant à la France: Aspice nudatas, barbara terre, nates! [. . . ] Mon quartier du Petit-Canal est aujourd’hui pour les Bourbons ce qu’était Coblentz à l’aurore de la Révolution: mais avec cette différence, que Coblentz recélait des nobles qui perdaient titres, état, fortune; et, qu’ici, c’est de la canaille dont partie, naguère, valetaille, pourrait sortir de quelques fleurdelisés. . . sur l’épaule gauche. Ces chiens blasphèment journellement contre la France, contre le souverain. Nous fermons les yeux en attendant le jour de la justice. Les mensonges colportés sur Napoléon et Louis XVIII ont tellement fait fortune dans la horde, que chacun fait précéder son nom de la particule de et s’appelle comte ou baron: voilà l’état de la colonie. Le brigandage est ici au point d’assassiner en société ceux qui refusent de boire à la destruction de Bonaparte [. . . ] et au rétablissement des Bourbons146 .

Dunys Gebete, dass Napoleon den drohenden Sturz doch noch möge abwenden können, sollten nicht erhört werden. Seine ausführliche Beschreibung des politischen Klimas Guadeloupes im Angesicht der Niederlage Napoleons zeigt aber in aller Deutlichkeit, wie groß die Risse innerhalb der kolonialen Eliten im Laufe von über 20 Jahren andauernder Kriege, Bürgerkriege und Revolten geworden waren.

145 146

Malouet an Ludwig XVIII., [?].6.1814, in: SHD, FAT Xi 6. Mehr zur Restitution der beiden Kolonien im nächsten Kapitel. Duny an Bruley, 14.4.1814, in: Bruley (Hg.), Les Antilles, S. 125–127 (Hervorh. i. Orig.).

14. Die letzte Schlacht: die Herrschaft der Hundert Tage in den Kleinen Antillen, 1815 Napoleons Rückkehr aus seinem Exil auf Elba wird in der Regel als rein europäisches Ereignis beschrieben. Erst seit einigen Jahren finden die globalen Dimensionen des Friedensprozesses, der mit dem Vertrag von Paris 1814 begann und spätestens mit dem Kongress von Laibach 1821 endete, an Beachtung1 . Fixer Endpunkt des Narratives zur Herrschaft der Hundert Tage ist die Entscheidungsschlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815. Dabei wird jedoch die Tatsache ausgeblendet, dass Napoleon während der Hundert Tage auch die Karibik ins Blickfeld nahm, weil er den Kampf gegen die europäischen Alliierten als globale Auseinandersetzung verstand. Die Versuche seines Regimes, in den französischen Kolonien wieder Fuß zu fassen, hatten dramatische Folgen für die Region. Erneut entbrannte ein heftiger Konflikt zwischen der kolonialen Pflanzeraristokratie Martiniques und Guadeloupes und dem napoleonischen Staat sowie seinen Agenten vor Ort, in dem auch die kolonialen Unterschichten mitwirkten und ihre eigenen Ziele verfolgten. Die letzte Schlacht der Napoleonischen Kriege fand infolgedessen nicht bei Waterloo statt, sondern vom 8.–10. August 1815 auf den Zuckerplantagen Guadeloupes.

Die Bourbonen und die Wiederherstellung des französischen Kolonialreiches Der Friedensvertrag von Paris vom 30. Mai 1814 beendete die globale Auseinandersetzung zwischen dem Britischen Empire, seinen europäischen Verbündeten und Frankreich. Abgesehen von der Île-de-France, Tobago und Saint Lucia wurden alle von britischen Streitkräften eroberten französischen Kolonien in der Karibik, an der afrikanischen Küste, im Indischen Ozean und auf dem indischen Subkontinent an das bourbonische Frankreich resti-

1

Siehe unter anderem Christian Cwik, Die amerikanische Dimension des Wiener Kongresses, in: Thomas Just, Wolfgang Maderthaner, Helene Maimann (Hg.), Der Wiener Kongress. Die Erfindung Europas, Wien 2014, S. 120–141. Mir scheint, dass der Friedensvertrag von Paris 1814 größere globalhistorische Rückwirkungen hatte als der Wiener Kongress, dessen Teilnehmer, abgesehen vom Sklavenhandelsverbot, in kolonialpolitischer Hinsicht vor vollendente Tatsachen gestellt wurden. Vgl. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 4 2009, S. 679f.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-015

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

tuiert. Französisch-Guyana blieb zunächst unter portugiesischer Verwaltung, ehe die Kolonie 1817 ebenfalls an Frankreich zurückgegeben wurde2 . Mit der Rückkehr Ludwigs XVIII. auf den französischen Thron gewann auch die Pflanzerlobby Saint-Domingues in Paris wieder massiv an Einfluss. Pierre-Victor Malouet, ein führender Vertreter dieser Interessengruppe, wurde sogar zum Marine- und Kolonialminister ernannt3 . Die erste Restaurationsmonarchie richtete ihre Augen zunächst auf Guadeloupe und Martinique, die sie Ende 1814 wieder in Besitz nahm. Zwar hielt die Bourbonenmonarchie am exclusif mitigé des Ancien Régime fest, gleichzeitig belegte sie aber fremde Kolonialwaren in Frankreich mit einer zusätzlichen Steuer. Damit genossen französische Kolonialgüter in Frankreich einen signifikanten Wettbewerbsvorteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Diese steuerliche Bevorzugung und die wohlwollende Tolerierung des florierenden Sklavenhandels durch die Restaurationsmonarchie sollten langfristig die Grundsteine für das wirtschaftliche Wiederaufblühen des französischen Kolonialreichs legen4 . Die Wahl der Beamten für die beiden Kolonien zeigte ebenfalls, dass die Pflanzer fortan auf die Unterstützung der Pariser Behörden zählen konnten5 . Zum Gouverneur Martiniques ernannte Ludwig XVIII. Vizeadmiral Pierre de Vaugiraud, einen royalistischen Ultra aus der Vendée, der kurz nach Ausbruch der Französischen Revolution emigriert war6 . Der starke Mann innerhalb der Kolonialverwaltung Martiniques war aber der einflussreiche Pflanzer Louis-François Dubuc, Hauptdrahtzieher des Bürgerkriegs auf Martinique zu Beginn der Französischen Revolution und des Vertrags von Whitehall, den der Bourbonenkönig zum Intendanten ernannte. Damit wurde die sozioökonomische Vorherrschaft der grands Blancs innerhalb der Kolonialgesellschaft Martiniques weiter zementiert, was sich sogleich in den ersten Maßnahmen der neuen Kolonialverwaltung manifestierte. So wurde 2

3

4 5 6

Siehe insb. die Artikel 8 und 9 des Pariser Vertrags: Recueil des traités et conventions entre la France et les puissances alliées en 1814 et 1815, Paris 1815, S. 6–26. Zur Rückgabe Französisch-Guyanas siehe Soublin, Cayenne, S. 149–155. Paul M. Kielstra, The Politics of Slave Trade Suppression in Britain and France, 1814– 1848, London 2000, S. 36; Jean-François Brière, Haïti et la France 1804–1848. Le rêve brisé, Paris 2008, S. 59; Todd, A French Imperial Meridian, S. 165. Zu Malouet siehe auch Pestel, Kosmopoliten, insb. S. 55–57. David Todd, Free Trade and its Enemies in France, 1814–1851, Cambridge 2015 (Ideas in Context, 112), S. 40f. Hayot, Les gens de couleur, S. 137. Yves D. Foucaud, Pierre-René-Marie, comte de Vaugiraud de Rosnay (1741–1819). Un marin gouverneur général des îles d’Amérique, in: W. J. Baron u. a. (Hg.), Amiraux du Bas-Poitou dans la guerre d’Indépendance américaine, La Roche-sur-Yon 1977, S. 105–110; Gabriel Debien, Jean Joguet, Les papiers d’un gouverneur général des îles d’Amérique. Le comte de Vaugiraud (1814–1818), in: Bulletin de la Société d’histoire de la Guadeloupe 9 (1968), S. 7–50, hier S. 7f; Vaugiraud, Exposé de la conduite de M. le comte de Vaugiraud dans le gouvernement de la Martinique, 1818, in: ADV, 40J58.

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das britische Zoll- und Steuersystem beibehalten, das den Pflanzern gegenüber der Kaufmannschaft Martiniques weitreichende Vorteile verschaffte und das faktische Freihandelsregime aus Zeiten der britischen Herrschaft fortführte. Die Proteste der Kaufleute Saint-Pierres ignorierte die Kolonialverwaltung geflissentlich, womit sie einen erneuten Konflikt innerhalb der kolonialen Elite Martiniques heraufbeschwor7 . Da sich die Kolonialverwaltung nicht gesprächsbereit zeigte, wandten sich die Kaufleute an Zeitungen in Frankreich, um von den Zuständen auf den Îles du Vent zu berichten. In einer regelrechten Philippika an die Redaktion des »Moniteur Universel« rechnete beispielsweise ein anonymer Kaufmann aus Guadeloupe mit der Wirtschaftspolitik Dubucs ab. Der Intendant verfolge aufgrund seiner Verschuldung bei den Kaufleuten Saint-Pierres nur seine persönlichen Interessen. Seine Zollpolitik sei ausschließlich darauf ausgerichtet, den Kaufleuten Saint-Pierres zu schaden, weshalb er auch drei Häfen der Kolonie für den fremden Handel geöffnet habe. Dabei gehe es ihm nur darum, den Schmuggel von Kolonialprodukten seiner eigenen Plantagen in fremde Kolonien zu erleichtern. Das politische Klima auf Martinique sei mittlerweile derart vergiftet, dass man auf diese Tatsachen nur noch anonym aufmerksam machen könne, um sich nicht möglichen Repressalien auszusetzen8 . Wenn auch Einiges in diesem Schreiben übertrieben sein mag, einfach von der Hand zu weisen waren diese Vorwürfe nicht. Allerdings fanden sie wenig Resonanz und beunruhigten die Kolonialbehörden, insbesondere Dubuc, kaum. Zu leicht konnte die Kolonialverwaltung die Kaufleute als jakobinische Aufrührer diskreditieren. Die Sprengkraft des Konflikts innerhalb der kolonialen Eliten war damit keineswegs aus der Welt geschafft, zumal neben diesen innerelitären Spannungen auch die krassen Klassengegensätze zwischen Ober- und Unterschicht erneut zu Tage traten. Sorgen bereiteten Vaugiraud vor allem mögliche Unruhen in den untersten Gesellschaftsschichten Martiniques, wie er dem Marine- und Kolonialminister im Februar 1815 mitteilte: Le nombre de passagers sans moyens, sans asile, et souvent sans profession déterminée qui abordent cette colonie par chaque bâtiment arrivant d’Europe s’accumule dans une progression si grande que je ne puis me dispenser plus longtemps de faire à cet égard les représentations qui m’indiquent un état des choses aussi dangereux pour l’ordre de la tranquillité que je suis chargé de maintenir, & et aussi contraire aux lois de police de la colonie9 .

Die meisten dieser mittellosen Neuankömmlinge könnten sich keinen Lebensunterhalt in der Kolonie verdienen. Trotz aller getroffener Vorsichtsmaßnahmen »contre l’introduction des aventuriers & gens sans aveu«10 würden sie

Erlass von Vaugiraud/Dubuc, 12.12.1814, in: ANOM, C8A 119, fol. 35; Dubuc an Beugnot, 21.12.1814, in: ANOM, C8A 119, fol. 65. Siehe auch Louis, Les libres, Bd. 3, S. 74f. 8 Pour le rédacteur du »Moniteur«, 14.3.1815, in: ANPS, AF/IV/1941, fol. 3. 9 Vaugiraud an Beugnot, 28.2.1815. in: ANOM, C8A 120, fol. 89. 10 Ibid. 7

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weiterhin unkontrolliert in die Kolonie strömen. Dabei lehre die Geschichte der Antillen, welche Folgen dies zeitigen könne, so Vaugiraud weiter: Les premiers excès de la Révolution y ont été fermentés par cette classe dont les calculs d’existence ou de fortune sont souvent basés sur la possibilité des troubles publics. [. . . ] Plusieurs le font [le voyage à la Martinique, F. E.] sans réflexion & sont au désespoir d’avoir fait le voyage lorsqu’ils reconnaissent que c’est sur un petit point tel que la Martinique à peine dégagée des vicissitudes révolutionnaires que viennent échouer les illusions de leur imagination, calquées sur ce qu’ils ont entendu dire autrefois des colonies lorsqu’elles étaient florissantes et que les richesses de St-Domingue et son vaste territoire agrandissaient tôt la perspective des chimères11 .

Diesen verarmten Weißen dürften die Hafenbehörden in Frankreich deshalb keinesfalls die Ausreise nach Martinique gestatten. Gleiches gelte für diejenigen freien Farbigen, die maßgeblich an den revolutionären Unruhen Martiniques zu Beginn der 1790er Jahre beteiligt gewesen seien und nun nach Martinique zurückkehrten. Allein der Zwischenhalt von Magloire Pélages Witwe in SaintPierre auf ihrem Weg zurück nach Guadeloupe habe für großes Unbehagen unter der weißen Bevölkerung der Stadt gesorgt12 . Zwar seien die Pflanzer alle ergebene Anhänger Ludwigs XVIII., doch deren gesellschaftliche Position sei gefährdet, »si nous continuons à être foulés par une surcharge de population inutile, et même nuisible en ce que les gens qui ont faim sont toujours mécontent et toujours prêts à s’unir au premier factieux qui se présente«13 . Auch in der Garnison Martinques und unter den Schiffsbesatzungen der Kriegsmarine herrschte große Unruhe. Vaugiraud sah sich gezwungen, mehrere Offiziere nach Frankreich zurückzuschicken, nachdem diese öffentlich ihre Treue zu Napoleon bekundet hatten14 . Auch die kolonialen Milizen genossen nicht sein bedingungsloses Vertrauen: »Les milices étaient bonnes, mais presque sans armes. Leur principale force consistait en gens de couleur libres, qui s’étaient toujours bien montrés jusqu’alors, mais qui pouvaient céder à la longue aux séductions des factions déguisée sous le langage de la philanthropie«15 . Vaugirauds alarmierende Berichte verdienen es, derart ausführlich zitiert zu werden, weil sie klar vor Augen führen, dass die sozialen Spannungen innerhalb der Kolonialgesellschaft Martiniques unter der ersten Restaurationsmonarchie keineswegs abflauten. Gerade weil die aristokratische Führungsriege der Pflanzer Martiniques ihre sozioökonomischen Interessen nun rücksichtslos durchsetzen konnte, verschärften sich die Konflikte zwischen ländlicher Pflanzeraristokratie und städtischer Kauf11 12 13 14

15

Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.; Vaugiraud an Beugnot (geheim), 24.12.1814, in: ANOM, C8A 119, fol. 43; Extraits de la correspondance du comte de Vaugiraud, in: ANOM, C8A 120, fol. 1; Vaugiraud, Exposé de la conduite de M. le comte de Vaugiraud dans le gouvernement de la Martinique, 1818, in: ADV, 40J58. Ibid. Vgl. auch Vaugiraud an Jaucourt, 14.9.1815, in: ANOM, C8A 120, fol. 164.

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mannschaft. Vor diesem Hintergrund gewannen auch die Klassengegensätze innerhalb der freien Kolonialgesellschaft mehr Gewicht: Die Ankunft vieler mittelloser Menschen in Martinique, die kein Auskommen hatten und auf kein soziales Sicherungsnetz zurückgreifen konnten, die Rückkehr freier Farbiger nach Martinique, die sich aktiv an den revolutionären Unruhen in den 1790er Jahren beteiligt hatten, sowie die Unzufriedenheit unter den Streitkräften Martiniques über die Rückkehr der Bourbonen schufen ein äußerst angespanntes Klima. Verschärft wurde diese Situation durch die weit verbreitete Angst vor Sklavenaufständen. Vaugiraud befürchtete insbesondere, dass Aufrührer aus Haiti, die über die dänische Kolonie Saint Thomas nach Martinique gelangten, die Sklaven der Insel zu Aufständen aufwiegeln könnten16 . Es fehlte nur noch ein Funke, um dieses Pulverfass zur Explosion zu bringen, wie Vaugiraud rückblickend schrieb: »La seule vue du pavillon tricolore détaché de France dans nos parages produisait infailliblement l’explosion«17 . In ähnlichem Ausmaß traten diese gesellschaftlichen Konflikte auch auf Guadeloupe zu Tage. Die royalistischen Pflanzereliten dieser Kolonie hatten unter Mithilfe der britischen Verwaltung einen Rachefeldzug gegen Republikaner und Bonapartisten vom Zaun gebrochen, in dessen Folge das politische Klima äußerst vergiftet war: Der einflussreiche Pflanzer Jean-Baptiste Dubuc de Saint-Olympe, der unter britischer Herrschaft das Amt des Intendanten innegehabt und als der starke Mann innerhalb der Kolonialverwaltung gegolten hatte, wurde am Morgen des 6. Dezembers 1814 vor seinem Anwesen in Basse-Terre von einem wütenden Kaufmann namens Paul Arnoux verprügelt. Dabei wurde Arnoux von einer tobenden Meute angefeuert, ehe ein Detachement von Soldaten unter Führung des Garnisonskommandanten Boyer de Peyreleau die Streithälse voneinander trennte18 . Hierbei handelte es sich keineswegs um einen Einzelfall: In den Städten Guadeloupes kam es kurz vor der Übergabe der Kolonie an die französische Verwaltung immer wieder zu tumultartigen Erhebungen gegen die britische Kolonialregierung und die französischen Agenten in ihren Diensten, nachdem die britischen Streitkräfte entgegen den Friedensbestimmungen die Forts, Spitäler und anderen öffentlichen Einrichtungen Guadeloupes leergeräumt hatten19 . Zum Gouverneur Guadeloupes ernannte Ludwig XVIII. Konteradmiral Charles-Alexandre Léon Durand de Linois. Seine Karriere in der Kriegsmarine begann der 53-jährige Linois im Ancien Régime, stieg aber erst in den Revolutionskriegen rasch die Karriereleiter empor und machte sich während der Napoleonischen Kriege durch seine vielen Prisen im Indischen Ozean und im Südchinesischen Meer einen Namen. Als Außenseiter war er ein 16 17 18 19

Vaugiraud an Beugnot, 13.1.1815, in: ANOM, C8A 120, fol. 71. Vaugiraud, Exposé de la conduite de M. le comte de Vaugiraud dans le gouvernement de la Martinique, 1818, in: ADV, 40J58. Poyen, Les guerres, S. 426f.; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 306, 316f. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 227–229; Poyen, Les guerres, S. 427f.

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idealer Kandidat, um die verfeindeten Parteien unter den kolonialen Eliten Guadeloupes gütlich zu stimmen. Um aber auf Nummer sicher zu gehen, stellte Ludwig XVIII. Linois einen loyalen Vertrauten als Intendanten zur Seite: Jean-François-César de Guilhermy. Als Anwalt aus dem Languedoc war er dem zukünftigen Bourbonenkönig 1791 treu ins Exil gefolgt und blieb bis zu seiner Rückkehr nach Frankreich 1814 in seinem engsten Kreis20 . Sekundiert wurde Guilhermy von dem ihm untergebenen Ordonnateur Louis de Vaucresson, der sein Amt vor allem zum Missbrauch öffentlicher Gelder für private Zwecke nutzte21 . Im Gegensatz zu Vaucresson waren weder Linois noch Guilhermy mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen Guadeloupes vertraut22 . Die beiden Machthaber setzten bei der politischen Entscheidungsfindung weitgehend auf das Urteil ihrer adligen Standesgenossen, der hochverschuldeten Pflanzer Grande-Terres. Gouverneur und Intendant glaubten überdies, Letzteren jeden Gefallen erfüllen zu müssen. So gewährte die Kolonialregierung den Pflanzern einen unbegrenzten Aufschub für die Rückzahlung ihrer Schulden bei den Kaufleuten Guadeloupes. Kein Wunder, dass Linois und insbesondere Guilhermy die Wut der Kaufmannschaft der Kolonie auf sich zogen. Zudem gestalteten sie ihre Zollpolitik ebenfalls entgegen den Interessen der städtischen Kaufmannschaft, indem der Handel mit fremden Schiffen begünstigt wurde23 . Linois’ Administration war auch durch die interne Feindschaft ihrer Funktionäre gelähmt. Viele hohe Kolonialbeamte versuchten mit aller Kraft, ihre Klientel zu bedienen und möglichst schnell reich zu werden24 . Der übliche Nepotismus der Behörden stieß aber unter den Kolonisten insbesondere deshalb auf Unverständnis, weil die finanzielle Situation der Kolonie katastrophal war. Auf Zuschüsse aus Paris war nicht zu hoffen und Steuern konnten wegen der Zahlungsunfähigkeit der Pflanzer kaum eingetrieben werden, so dass der Sold für die Garnison nicht bezahlt werden konnte25 . In Letztere hatte der Gouverneur ohnehin kein Vertrauen: Die Truppe, die größtenteils aus Refraktären bestehe, falle durch Ungehorsam auf. So schrieb Linois dem Marine- und

20 21 22 23 24 25

Zu Linois: Six, Dictionnaire, Bd. 2, S. 126f. Zu Guilhermy: Dictionnaire de biographie française, Bd. 17, S. 123. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 329. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 230; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 328. Linois/Guilhermy an Beugnot, 13.3.1815, in: ANOM, C7A 72, fol. 18; Pour le rédacteur du »Moniteur«, 14.3.1815, in: ANPS, AF/IV/1941, fol. 3. Linois an Beugnot (Kopie), 28.4.1815, in: ANOM, C7A 72, fol. 110; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 336. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 239–243; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 332; Pour le rédacteur du »Moniteur«, 14.3.1815, in: ANPS, AF/IV/1941, fol. 3; Linois an Beugnot (Kopie), 28.4.1815, in: ANOM, C7A , fol. 110; Linois/Guilhermy an Beugnot, 13.3.1815, in: ANOM, C7A 72, fol. 18; Linois an Beugnot (Kopie), 28.4.1815, in: ANOM, C7A 72, fol. 110.

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Kolonialminister in Paris: »Ils crient, ils chantent des chansons séditieuses, et il faudra venir à en faire fusiller«26 . Linois forderte deshalb die Pariser Regierung auf, die Garnison umgehend mit loyalen Truppen zu ersetzen27 . Die Situation wurde durch die Tatsache verschärft, dass ihr Kommandant und Linois’ Stellvertreter, Boyer de Peyreleau, als glühender Bonapartist galt und ein gutes Verhältnis zur städtischen Kaufmannschaft pflegte28 . Hier manifestierten sich die ersten Umrisse eines potentiellen Bündnisses zwischen Kolonialarmee und urbanen Händlern, das der herrschenden Allianz zwischen der zivilen Kolonialverwaltung und den Pflanzern Grande-Terres gefährlich werden konnte. Den Kaufleuten spielte auch die Tatsache in die Hände, dass Boyer in Pointe-à-Pitre stationiert war, während die heillos zerstrittene Zivilverwaltung in Basse-Terre ihren Geschäften nachging. Folglich konnten die Militärs unter Boyer nur ungenügend kontrolliert werden. Boyer verfügte zudem aus seiner Zeit als Adjutant Villarets über hervorragende Ortskenntnisse und pflegte ein weitläufiges Netzwerk mit einflussreichen Persönlichkeiten in der Karibik. Linois und sein Berater Julien-Désiré Schmaltz konnten hingegen nicht auf solche Netzwerke zurückgreifen, weil sie einen Großteil der letzten 20 Jahre auf den Kriegsschauplätzen des Indischen Ozeans und der Südchinesischen See verbracht hatten29 . Die Pariser Behörden hatten wenig Gehör für die Warnsignale von den Îles du Vent. In kolonialpolitischer Hinsicht waren ihre Augen vor allem auf die ehemalige Perle der Antillen gerichtet: Haiti. Die mächtige Pflanzerlobby und die Vertreter des commerce national drängten die Restaurationsregierung, die frühere Kolonie wieder dem französischen Imperium einzuverleiben. Die Gelegenheit hierzu schien aus zwei Gründen günstig: Zum einen gab der Frieden mit Großbritannien der französischen Kriegsmarine militärisch wieder freie Hand. Zum anderen kämpften in Haiti nach der Ermordung Dessalines die Generäle Christophe und Pétion um die Vorherrschaft in der ehemaligen Kolonie. Die politische Spaltung Haitis begünstigte eine mögliche Rückeroberung, zumal die Pflanzer glaubten, dass Pétion ihrer Rückkehr nicht feindlich gegenüber stehe. Unter Führung des ehemaligen Plantagenbesitzers Jean-Joseph Dauxion-Lavaysse entsandte die Bourbonenregierung im Herbst 1814 eine Gesandtschaft nach Haiti, um mit den politischen Führern der ehemaligen Kolonie über deren Rückkehr in das französische Kolonialreich zu verhandeln. In Malouets Kalkül würde die politisch-militärische Führung der beiden Regimes die Rückkehr der Pflanzer sowie die Wiederein-

26 27 28 29

Linois an Beugnot, 28.2.1815, zit. nach: Poyen, Les guerres, S. 432. Ibid. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 226, 245. Zu Schmaltz siehe Léonce Jore, La vie diverse et volontaire du colonel Julien Désiré Schmaltz, officier des forces indo-néerlandaises, puis de l’armée française, commandant pour le roi et administrateur du Sénégal et dépendances, consul général de France à Smyrne (Turquie), (1771–1827), in: Revue d’histoire des colonies 40 (1953), S. 265–312.

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führung der Sklaverei akzeptieren, solange ihnen die französische Regierung ihre Besitztümer zusichern würde. Zwar empfing Pétion die Gesandtschaft, lehnte jedoch eine politische Wiedereingliederung Haitis in das französische Kolonialreich entschieden ab. Immerhin zeigte er sich gesprächsbereit, was eine mögliche finanzielle Entschädigung der aus Haiti vertriebenen Pflanzer betraf. Im Nordteil Haitis wurde die Gesandtschaft gar nicht erst empfangen. Den französischen Unterhändler Agostino Franco de Medina ließ Christophe wegen Spionage verhaften und hinrichten. In den Papieren Medinas wurden Pläne gefunden, welche die Intentionen der Bourbonenregierung belegten, die ehemalige Kolonie wiederzuerobern und die Sklaverei wiedereinzuführen. Christophe ließ diese Dokumente veröffentlichen und kündigte in einer Proklamation an, dass das haitianische Volk seine Freiheit im Falle einer französischen Invasion in einer »guerre d’extermination« verteidigen würde. Auch Pétion ließ daraufhin verlauten, dass die Unabhängigkeit Haitis notfalls mit Waffengewalt verteidigt würde, nachdem er in Folge von Christophes Veröffentlichung der Papiere Medinas in die profranzösische Ecke gedrängt worden war30 . Eine Wiederinbesitznahme der ehemaligen Kolonie war damit in weite Ferne gerückt. Diese machtpolitische Realität mussten auch der Bourbonenkönig und seine Minister anerkennen, nachdem sie vom Scheitern ihres Abgesandten Dauxion-Lavaysse in Haiti erfuhren. Jacques-Claude de Beugnot, der nach dem Tode Malouets im September 1814 zum Marine- und Kolonialminister ernannt worden war, vertrat in einer Ministerialsitzung mit Ludwig XVIII. Ende Januar 1815 dezidiert die Ansicht, dass der französische Staat niemals wieder die Kontrolle über die ehemalige Kolonie erreichen könne, wenn der König an einer Wiedereinführung der Sklaverei in der abtrünnigen Kolonie festhalte. Erfolgversprechender sei es, dem Vorbild der aktuellen Machthaber Haitis zu folgen, indem die schwarzen Arbeiter zwar an der Produktion beteiligt, aber gleichzeitig an die Scholle gebunden würden – ähnlich der »servitude de la glèbe dont la Pologne et la Russie nous offrent encore des exemples«31 . Das daraufhin verabschiedete Strategiepaper des Ministerialrats ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Zentral ist darin die Feststellung, dass der französische Staat mehr als 20 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei die Bewohner der Insel, die Ludwig XVIII. formell als seine Untertanen 30

31

François Blancpain, L’ordonnance de 1825 et la question de l’indemnité, in: Yves Benot, Marcel Dorigny (Hg.), Rétablissement de l’esclavage dans les colonies françaises 1802. Ruptures et continuités de la politique coloniale française (1800–1830). Aux origines d’Haïti, Paris 2003, S. 221–229, hier S. 222, 225–227; Brière, Haïti, S. 59–72; Dubois, Haiti, S. 76–81; Kielstra, The Politics, S. 38f.; David Nicholls, From Dessalines to Duvalier. Race, Colour and National Independence in Haiti, London 1979, S. 47–50 (Zitat S. 48). Beugnot, Rapport du ministre de la Marine sur St-Domingue & sur les moyens d’y rétablir l’autorité française, 30.1.1815, in: ANPS, AF/V/4.

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betrachtete, nicht mehr versklaven könne. Die dafür notwendigen militärischen Mittel stünden in keinem Verhältnis zum Ertrag. Die Feldarbeiter der ehemaligen Kolonie sollten gemäß den Vorstellungen der Bourbonenregierung weder Sklaven noch frei sein, weshalb der zivilrechtliche Status der schwarzen Bevölkerung nicht definiert werden sollte – eine bemerkenswerte Parallele zu ihrem rechtlosen Zustand 1794–1798. Die politische Abkehr vom Anspruch der Wiedereinführung der Sklaverei sollte durch die öffentliche Desavouierung Dauxion-Lavaysses unterstrichen werden. Die Loyalität der politischen Führung Haitis glaubte die Restaurationsmonarchie indes durch Ämtervergabe und die Zusicherung ihres Landbesitzes erkaufen zu können. Allerdings genossen die Ansprüche vertriebener Pflanzer ausdrücklich Vorrang vor denjenigen der Eliten Haitis, womit die politische Attraktivität des Angebotes merklich abnahm. Der herausragenden Stellung des Militärs in der haitianischen Gesellschaft war sich auch die Bourbonenregierung bewusst, weshalb sie die haitianische Armee in eine zukünftige französische Kolonialarmee zu inkorporieren gedachte32 . Dies war kein revolutionärer Kurswechsel, sondern bedeutete vielmehr die graduelle Aufgabe alter französischer Herrschaftsansprüche. Die genannten Konzessionen illustrieren, dass sich selbst die pflanzerfreundliche Bourbonenregierung mit den politischen Machtverhältnissen in der ehemaligen Kolonie weitgehend abgefunden hatte. Eine formelle, auf Sklaverei basierende Kolonialherrschaft wie zu Zeiten des Ancien Régime lag nicht mehr im Bereich des Möglichen. Vielmehr passte die Pariser Regierung ihre Ansprüche den machtpolitischen Verhältnissen vor Ort an, indem sie die politischen Eliten größtenteils in ihren angestammten Positionen belassen und auf eine Wiedereinführung der Sklaverei zugunsten des vor allem im nördlichen Teil Haitis bestehenden Zwangsarbeitsregimes verzichten wollte33 . Gleichwohl blieben die Konzessionen an die Machthaber Haitis zu klein, um Letztere zu einer Zusammenarbeit mit der Bourbonenmonarchie zu bewegen. Haiti blieb trotz deren diplomatischer Avancen außerhalb des französischen Einflussbereichs34 . Gewichtige Konsequenzen hatte der Strategiewechsel auf dem diplomatischen Parkett in Europa. Die französische Position auf dem Wiener Kongress, 32 33

34

Au conseil tenu à Paris, 30.1.1815, in: ANPS, AF/V/4. Marcel Dorigny, Quelle liberté du travail après l’abolition de l’esclavage. Les règlements de culture à Saint-Domingue et Haïti de 1793 aux années 1840, ou l’impossible transfert des schémas agraires coloniaux dans le contexte de la »liberté générale«, in: Ottmar Ette, Gesine Müller (Hg.), Kaléidoscopes coloniaux. Transferts culturels dans les Caraïbes au XIXe siècle, Madrid 2010, S. 141–153, hier S. 147–152; Philippe R. Girard, Haiti. The Tumultous History – From Pearl of the Caribbean to Broken Nation, New York 2 2010, S. 64–68. Siehe auch Friedemann Pestel, The Impossible »Ancien Régime colonial«: Postcolonial Haiti and the Perils of the French Restoration, in: Journal of Modern European History 15 (2017), S. 261–279, hier S. 268–270.

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sich dem generellen Sklavenhandelsverbot erst anzuschließen, sobald Haiti wieder in französischer Hand wäre, begann langsam zu bröckeln, nachdem sich die Illusionen der Pflanzerlobby hinsichtlich einer Wiedereroberung Haitis in Luft aufgelöst hatten35 .

»Abolition napoléonienne«: Globalpolitik der Hundert Tage Während der Herrschaft der Hundert Tage brach das diplomatische Kartenhaus Talleyrands auf dem Wiener Kongress endgültig zusammen. Am 29. März 1815 verbot der auf den französischen Thron zurückgekehrte Napoleon den Sklavenhandel36 . Welche Motive führten Napoleon zu diesem überraschenden Entscheid, nachdem er noch 1802 mit der Wiedereinführung der Sklaverei und des Sklavenhandels als Restaurator des alten Kolonialregimes in Erscheinung getreten war? Die Forschung, sofern sie sich überhaupt mit dem Thema auseinandersetzt, nennt innen- wie auch außenpolitische Gründe: Innenpolitisch habe Napoleon liberale Kräfte für sich gewinnen wollen, nachdem die erste Euphorie über seine Rückkehr und die Dekrete von Lyon verflogen war37 . Außenpolitisch habe er mit der Maßnahme die britische Öffentlichkeit umgarnen wollen, damit die Regierung Londons unter Druck gesetzt würde, sich von ihren europäischen Alliierten loszusagen38 . Für letztere Interpretation spricht die Tatsache, dass das Sklavenhandelsverbot nicht umgesetzt wurde. Nur eine Woche nach Inkrafttreten des Gesetzes verließ ein Sklavenhandelsschiff Nantes in Richtung westafrikanischer Küste39 . Gleichwohl greifen diese Erklärungsmuster zu kurz, zumal sie aufgrund fehlender schriftlicher Zeugnisse meist der reinen Spekulation entspringen. Die genannten Ansätze übersehen überdies die kolonialpolitische Dimension des Sklavenhandelsverbots, die Napoleon in seinen Memoiren hervorhebt: Après une vive discussion dans le Conseil, l’Empereur abolit la traite des nègres. [. . . ] D’ailleurs, désormais, il n’y avait plus à songer à reconquérir Saint-Domingue par la force, et le seul profit qu’on en pouvait tirer en temps de paix était de reconnaître la puissance des nègres et de se réserver le privilège exclusif du commerce, ce qui était facile en établissant une ou deux croisières et peut-être un ou deux comptoirs40 . 35 36 37

38 39 40

Kielstra, The Politics, S. 53f. Ibid., S. 56–59. Das Dekret ist abgedruckt bei: Branda, Lentz, Napoléon, S. 345. Gaston Martin, Histoire de l’esclavage dans les colonies françaises, Paris 1948 (Études coloniales, 4), S. 252; Ellen G. Wilson, Thomas Clarkson. A Biography, Basingstoke 1989, S. 143. Benot, La démence, S. 176; Blackburn, The Overthrow, S. 320. Kielstra, The Politics, S. 57. Napoléon Ier , Mémoires de Napoléon. L’île d’Elbe et les Cent-Jours 1814–1815, hg. von Thierry Lentz, Paris 2011, S. 155.

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Für Napoleon stand das Sklavenhandelsverbot in einem direkten Zusammenhang mit den kolonialpolitischen Realitäten in Haiti – ohne formelle französische Kolonialherrschaft in Haiti brauchte es auch keinen Sklavenhandel. So gesehen knüpfte Napoleon an die Strategie an, die bereits die erste Restaurationsmonarchie im Frühjahr 1815 angedacht hatte. Der zurückgekehrte Kaiser hatte aber noch einen Trumpf in der Hinterhand. Das Sklavenhandelsverbot war auch als Waffe in dem sich anbahnenden Konflikt mit dem Britischen Empire gedacht. Kurz nach der Rückkehr Napoleons nach Paris erbat der ehemalige Agent Ludwigs XVIII. Dauxion-Lavaysse eine Audienz bei Decrès, der während der Hundert Tage erneut zum Marineund Kolonialminister ernannt worden war. Dauxion-Lavaysse schlug eine zweistufige Taktik hinsichtlich der zukünftigen Kolonialpolitik Napoleons vor: Zunächst sollte der Kaiser den Sklavenhandel verbieten und einige Tage später die rechtliche Gleichstellung der freien Farbigen mit den weißen Kolonisten verkünden sowie den Sklaven eine vage formulierte Verbesserung ihrer Situation in Aussicht stellen. Gemäß Dauxion-Lavaysse würden profranzösische Aufstände in den britischen und spanischen Kolonien Mittel- und Südamerikas die logische Folge sein. Dies würde die britische Regierung zur Entsendung starker Flotten- und Armeeverbänden in die Karibik zwingen41 . Wenn auch Dauxion-Lavaysses Schlussfolgerungen aus heutiger Sicht unrealistisch erscheinen mögen, bei Decrès und Napoleon stieß er damit auf offene Ohren. Die Schwächung der britischen Militärpräsenz in Europa konnte nur im Sinne des Kaisers sein, waren doch dessen Friedensavancen gegenüber den Alliierten in Wien von vornherein zum Scheitern verurteilt, nachdem diese ihn am 13. März 1815 in einer gemeinsamen Erklärung geächtet hatten42 . Dauxion-Lavaysses Plan wurde indes nur zur Hälfte durchgeführt. Die vorgesehene rechtliche Gleichstellung der freien Farbigen und die damit verknüpfte Ankündigung, die Bedingungen für die Sklaven in den französischen Kolonien zu verbessern, wurden nicht dekretiert. Über die Gründe kann aufgrund fehlender schriftlicher Zeugnisse nur spekuliert werden. Eine gewichtige Rolle dürfte Napoleons innenpolitisches Lavieren gespielt haben. Obwohl er auf den Armen der Unterschichten in die Tuilerien getragen wurde, wollte sich Napoleon keinesfalls als populistischer Diktator verstanden wissen, sondern suchte die Unterstützung der Notabeln für sein Regime43 . Eine Wiederbelebung jakobinischer Kolonialpolitik stand deshalb nicht zur Diskussion. Entscheidend dürfte auch seine Sorge um die Folgen eines solchen Kurswechsels für Martinique und Guadeloupe gewesen sein, denn die politischen Verhältnisse in den französischen Îles du Vent ließen nicht darauf schließen, dass die weiße Pflanzeraristokratie eine erneute Emanzipation der 41 42 43

Dauxion-Lavaysse an Napoleon, 1.4.1815, in: ANPS, AF/IV/1941, fol. 16. Thierry Lentz, 1815. Der Wiener Kongress und die Neugründung Europas, München 2 2014, S. 274–303. Tulard, Napoleon, S. 486–488.

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III. Die Kleinen Antillen in den Napoleonischen Kriegen

freien Farbigen widerstandslos akzeptieren würde. Der Marine- und Kolonialminister warnte Napoleon, dass die royalistischen Pflanzer Martiniques unter der Führung Dubucs – laut Decrès ein Mann »sans caractère« – die Kolonie ohne zu zögern dem Britischen Empire übergeben würden, sobald die Nachricht von der Rückkehr Napoleons eintreffen würde. Die Pflanzer würden hierfür das Sklavenhandelsverbot als Vorwand nutzen, um dem französischen Staat vorzuwerfen, er versuche, die kolonialen Eliten zu spalten, was die Gefahr eines Sklavenaufstandes erhöhe. Auch von der Kolonialregierung Martiniques sowie den Offizieren der Kolonialarmee und den in den Kleinen Antillen stationierten Kriegsschiffen sei keine Unterstützung für das napoleonische Regime zu erwarten, seien diese doch allesamt mit royalistischen Ultras durchsetzt. Einzig die einfachen Soldaten der Garnison Martiniques würden die Rückkehr Napoleons auf den französischen Thron begrüßen. Auf Guadeloupe bestehe dagegen die Chance, dass die Nachricht über Napoleons Rückkehr positiv aufgenommen werde, weil die royalistische Fraktion im Offizierskorps der Kolonie weniger einflussreich sei als auf Martinique44 . In Anbetracht dieser Umstände vermag es nicht zu erstaunen, dass Napoleon es beim Sklavenhandelsverbot beließ, womit er zumindest die Möglichkeit schuf, dass sein Regime in der Karibik überhaupt wieder Fuß fassen konnte. Von seiner anfänglichen Idee, die royalistischen Gouverneure Martiniques und Guadeloupes abzusetzen und durch verlässliche Offiziere zu ersetzen, nahm er bereits Anfang Mai Abstand, nachdem Decrès Napoleon vor den Gefahren einer Neubesetzung dieser Ämter gewarnt hatte45 . Vorerst sollten das Hissen der Trikolore auf den Forts von Guadeloupe und Martinique sowie die Verkündung des Sklavenhandelsverbots an Symbolkraft genügen, um der Weltöffentlichkeit anzukündigen, dass das napoleonische Regime seine globalen Ambitionen keineswegs aufgegeben hatte. Noch bevor Napoleon nach Paris zurückgekehrt war, erkannte auch die Regierung Ludwigs XVIII. die Gefahren der Rückkehr des »Usurpators« für die Karibik. Am 10. März 1815, als Napoleon noch auf den Händen von Bauern nach Lyon getragen wurde und der weitere Verlauf der Geschehnisse keineswegs absehbar war, informierte der französische Botschafter in London, Claude-Louis de La Châtre, die Gouverneure Martiniques und Guadeloupes über die Rückkehr Napoleons. Darin wies er die Gouverneure an, »de ne pas laisser pénétrer [. . . ] aucunes forces nouvelles et de n’en remettre l’administration à qui que ce fût«46 . Dubuc de Saint-Olympe, der sich nach seiner Flucht aus Guadeloupe in der Entourage des fliehenden 44 45

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Decrès an Napoleon, 27.3.1815, in: ANPS, AF/IV/1941, fol. 11; Decrès an Napoleon, 17.5.1815, in: ANPS, AF/IV/1941, fol. 21 (Zitat). Napoleon an Decrès, 5.4.1815, in: Napoléon Ier , Correspondance de Napoléon Ier . Publiée par ordre de l’empereur Napoléon III, 32 Bde., Paris 1858–1870, Bd. 28, S. 87; Decrès an Napoleon, 17.5.1815, in: ANPS, AF/IV/1941, fol. 21. La Châtre an Vaugiraud/Linois, 10.3.1815, zit. nach: Marc-André Fabre, La Guadeloupe pendant les Cent-Jours, in: Revue historique de l’armée 13 (1957), S. 77–81, hier S. 77.

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Bourbonenkönigs auf dem Weg nach Gent befand, warnte den britischen Kriegs- und Kolonialminister, Henry Bathurst, eindringlich vor den Folgen von Napoleons Rückkehr für die Îles du Vent: Auf Martinique erachtete der ehemalige Intendant Guadeloupes einzig die einfachen Soldaten der Garnison als unzuverlässig; die Kolonialverwaltung, das Offizierskorps sowie die kolonialen Milizen stünden auf Seiten der Bourbonen. Anders sehe die Lage auf Guadeloupe aus, wo das Offizierskorps mit Bonapartisten durchsetzt sei. Dessen Kommandant, Boyer de Peyreleau, würde die Gelegenheit bestimmt zu einem Putsch gegen den royalistischen Gouverneur Linois nutzen. Dabei könne er auf die Unterstützung der Städte Basse-Terre und Pointe-à-Pitre zählen, deren Feindschaft gegenüber den royalistischen Plantagenbesitzern auf dem Lande anhalte47 . Dubuc de Saint-Olympes geradezu prophetische Analyse verfehlte ihre Wirkung bei der britischen Regierung und den mächtigen Vertretern der Londoner City, die um ihre Investitionen in den beiden Kolonien fürchteten, nicht. Bathurst wies am 10. April 1815 den britischen Gouverneur in Antigua, James Leith, an, den royalistischen Gouverneuren Guadeloupes und Martiniques im Falle eines Umsturzversuches bonapartistischer Kräfte militärisch zu Hilfe zu kommen. Je mehr sich die Gerüchte über Napoleons Absichten in der Karibik verbreiteten, desto eindringlicher wurden die Warnungen Dubuc de Saint-Olympes. In seinen Briefen an einflussreiche Ratgeber des Bourbonenkönigs beschwor er immer wieder die Gefahr eines bonapartistischen Putsches auf Guadeloupe. Um die Kolonien unter die Kontrolle des napoleonischen Regimes zu bringen, habe Decrès den Abgesandten Napoleons angeblich sogar die Erlaubnis erteilt, die Sklaven zu bewaffnen48 . Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt reflektieren Dubuc de SaintOlympes beinahe hysterische Warnungen einmal mehr die Perzeption des napoleonischen Staates durch die Pflanzeraristokratie. Dieses Regime stellte die Machtstellung der Pflanzer in Frage, indem es die Bedürfnisse des Staates – und seiner Vertreter – höher gewichtete als jene der grands Blancs, deren bedingungslose Loyalität es gleichzeitig einforderte. Es mag deshalb nicht erstaunen, dass Dubuc de Saint-Olympe der Rückkehr napoleonischer Abgesandter in die Karibik mit Schrecken entgegensah. Am 9. Mai 1815 verließ der Schoner Agile unter dem Kommando von KapitänForsantRochefortinRichtungKaribik.UmdiebritischenPatrouillenzuvermeiden, segelte das kleine Schiff unter der weißen Flagge der Bourbonen49 . In Forsants Obhut befand sich ein Schreiben Decrès’ an die Gouverneure Guadeloupes und Martiniques, in dem der Marine- und Kolonialminister »la nouvelle de l’heureux retour en France de l’empereur Napoléon« ankündigte und Vaugi47 48

49

Dubuc de Saint-Olympe an [Bathurst], 17.3.1815, in: TNA, WO 1/20/319. Bathurst an Leith (Kopie), 10.4.1815, in: TNA, ADM 1/336; Dubuc de Saint-Olympe an Lally-Tollendal, 27.4.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 67; Dubuc de Saint-Olympe an Blacas d’Aulps, 13.4.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 65. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 248.

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raudundLinoisüberNapoleonsangebliche»intentionspacifiquesetmodérées« informierte50 . Imgleichen Schreiben informierteDecrès dieGouverneureauch über das Sklavenhandelsverbot und seine politischen Konsequenzen: Je ne me dissimule point l’impression que cette dernière mesure [l’abolition de la traite des Noirs, F. E.] pourrait faire dans une colonie dont les habitants seraient servilement sous le joug de l’empois des habitudes: mais les colons que vous administrez ne sont point en arrière des lumières des temps où nous vivons. La très grande majorité d’entre eux est composée d’esprits sages et réfléchis, qui reconnaîtront que l’Empereur n’a fait que proclamer ce que le génie du siècle inspirait, et ce que la voix de l’humanité réclamait avec tant d’énergie51 .

Er habe im Weiteren keine Zweifel daran, dass sich die beiden Gouverneure der Regierung Napoleons unterwerfen würden52 . Das war reines Wunschdenken, denn Decrès war durchaus bewusst, wie schlecht die Chancen für eine freiwillige Unterwerfung der Kolonien unter das napoleonische Regime standen. Keinesfalls würden die grands Blancs die Rückkehr napoleonischer Funktionseliten tatenlos hinnehmen, zumal das Sklavenhandelsverbot ihnen einmal mehr vor Augen führte, dass sich der napoleonische Staat wenig um die Interessen der Plantagenbesitzer scherte53 . Das Verbot an sich war deshalb nicht der Stein des Anstoßes für die grands Blancs, sich gegen die Rückkehr Napoleons zur Wehr zu setzen – unter britischer Herrschaft waren sie ja bereits mit einem solchen konfrontiert worden. Vielmehr ging es der Koloniallobby um die Frage, was das Sklavenhandelsverbot politisch bedeutete: In den Augen der Pflanzeraristokratie handelte es sich um eine Einmischung der Metropole in politische Angelegenheiten, die sie als ihre Prärogative betrachtete. Nur allzu klar erkannte die Koloniallobby, dass Napoleon nicht humanitäre Motive leiteten, wie er es die Weltöffentlichkeit glauben machen wollte, sondern dass er das Sklavenhandelsverbot in zynischer Weise als Instrument verstand, handfeste innen- und außenpolitische sowie geostrategische Ziele zu verfolgen. Der Konflikt zwischen den Pflanzern Martiniques und Guadeloupes und dem napoleonischen Regime war in Anbetracht dieser Umstände vorprogrammiert.

Die letzte Schlacht der Koalitionskriege Noch bevor die Agile auf den Kleinen Antillen eintraf, war dort die Rückkehr Napoleons auf den französischen Thron bereits bekannt. Anfang Mai 1815 war eine britische Brigg mit Befehlen der bourbonischen Exilregierung aus Gent eingetroffen, in welchen diese Vaugiraud und Linois über die Ächtung 50 51 52 53

Decrès an Vaugiraud/Linois, 16.4.1815, in: ANOM, C8A 120, fol. 179. Ibid. Ibid. Decrès an Napoleon, 17.5.1815, in: ANPS, AF/IV/1941, fol. 21.

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Napoleons durch den Wiener Kongress informierte und die beiden Gouverneure anwies, die beiden Kolonien für Ludwig XVIII. zu erhalten. Vaugiraud wurde des Weiteren zum Oberbefehlshaber der royalistischen Streitkräfte in den Kleinen Antillen ernannt, vermutlich weil die bourbonische Exilregierung in Gent Zweifel an der Loyalität von Linois’ Stab hatte. Postwendend verkündeten Linois und Vaugiraud öffentlich die Treue ihrer Kolonien zu Ludwig XVIII. und ließen die Ächtung Napoleons durch den Wiener Kongress in den Gazetten Martiniques und Guadeloupes publizieren54 . Glaubten Vaugiraud und Linois die Gemüter damit beruhigen zu können, so irrten sie sich. Viel entscheidender als die Nachricht über Napoleons Rückkehr war, was in den Kolonien nicht bekannt war. Auf wie breite Unterstützung traf Napoleons Herrschaft in Frankreich? Was hielt die antinapoleonische Allianz von den Friedensofferten des zurückgekehrten Kaisers? Solche Fragen beschäftigten nicht nur die Entscheidungsträger Martiniques und Guadeloupes, sondern auch die Pflanzer, Kaufleute, städtischen Unterschichten, freien Farbigen, Sklaven und nicht zuletzt die Garnisonen der beiden Kolonien. Die Diskussionen darüber wurden mit jedem Schiff weiter angeheizt, das mit den neuesten Nachrichten aus Europa eintraf55 . Gerüchte über die Ereignisse in Europa verbreiteten sich so in Windeseile. Die individuelle Perzeption und das eigene Wunschdenken spielten bei der Deutung der Neuigkeiten aus Europa eine entscheidende Rolle. Dieser Prozess wird innerhalb des Offizierskorps Guadeloupes besonders deutlich: Während mancher Offizier nicht einmal der offiziellen Nachricht über Napoleons Rückkehr Glauben schenken mochte, glaubten andere jedes neue Gerücht, das darauf hindeutete, dass es zu keinem Krieg kommen würde. So seien Napoleons Gemahlin Marie-Louise und ihr gemeinsamer Sohn angeblich von Wien nach Paris gereist, was von den Bonapartisten innerhalb des Offizierskorps Guadeloupes sogleich als Zeichen einer friedlichen Lösung des sich in Europa anbahnenden Konflikts gedeutet wurde. In gleicher Weise wurden bis Anfang Juni 1815 die Nachrichten über das Ausbleiben von Feindseligkeiten in Europa interpretiert. Die Berichte, wonach die Trikolore in allen Städten Frankreichs gehisst worden sei, interpretierten bonapartistische Offiziere als Hinweis darauf, dass Napoleons Regime in der Metropole einen großen Rückhalt genoss56 . Auf fruchtbaren Boden stießen diese Nachrichten vor allem in den Garnisonen Martiniques und Guadeloupes. Vaugiraud erachtete deshalb die rebellischen Soldaten und Unteroffiziere seiner Garnison zunehmend als Gefahr für die koloniale Ordnung. Ende Mai 1815 sah sich Vaugiraud schließlich 54 55 56

Erste Gerüchte über Napoleons Rückkehr wurden durch britische Handelsschiffe bereits Ende April in den Kleinen Antillen verbreitet. Vgl. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 243f. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 341. Boyer an Gratet, 14.10.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 135; Zeugenaussage Cazy, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 301; Zeugenaussage Pigeron, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 187.

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gezwungen, Teile der Kolonialarmee Martiniques nach Frankreich zurückzuschicken, weil die Unruhe innerhalb der Garnison von Tag zu Tag größer wurde. Zur Sicherung der Plantagenökonomie sollte die Garnison durch britische Truppen ersetzt werden. Vaugiraud legte in seinem Schreiben an den lokalen britischen Marinekommandanten, Konteradmiral Philipp C. Durham, größten Wert darauf, dass nur weiße Truppen aus den britischen Kolonien nach Martinique entsendet würden. Allerdings stieß die Heimsendung der französischen Truppen auf massiven Widerstand unter den betroffenen Soldaten. Viele unter ihnen befürchteten, nicht nach Frankreich zurückgeschickt, sondern in britische Kriegsgefangenschaft ausgeliefert zu werden57 . Der Widerstand der einfachen Soldaten gegen ihre Heimsendung ging so weit, dass sich der Kapitän der Korvette Vésuve (18) weigerte, die Truppen nach Frankreich zu transportieren, was die Garnison in ihrem Widerstand nur noch bestärkte. Schließlich konnten die Soldaten in kleinen Gruppen auf Handelsschiffen nach Frankreich zurückgebracht werden58 . Die Schwierigkeiten bei der Heimsendung illoyaler Truppen zeigen, dass auch auf den Schiffen der französischen Kriegsmarine die Unruhe zunahm. So wurde der Kapitän der Fregatte Hermione (44) nach einer Meuterei von seiner Besatzung gezwungen, nach Frankreich zu segeln. Auf der Brigg Actéon (24) brach ebenfalls eine probonapartistische Meuterei der Besatzung gegen die Offiziere aus, doch wurde das Schiff zwei Tage später von Einheiten der Royal Navy angehalten und nach Fort-Royal zurückgebracht, wie die Stadt mittlerweile wieder genannt wurde. In Anbetracht dieser Umstände sah sich Vaugiraud gezwungen, einen Großteil der Matrosen und der Hafenarbeiter Fort-Royals nach Frankreich zurückzuschicken59 . Der Widerstand der einfachen Soldaten, Unteroffiziere und Matrosen führte Vaugiraud vor Augen, dass die Herrschaft des royalistischen Regimes und der ihm verbundenen Pflanzeraristokratie auf tönernen Füßen stand. Dies war auch den Pflanzern aus der Umgebung Saint-Pierres bewusst, weshalb sie Vaugiraud baten, die Garnison der Stadt ebenfalls nach Frankreich zurückzuschicken. In der Tat standen die Soldaten der Stadt kurz vor einer Revolte, zumal auch ihre Offiziere die Stationierung britischer Truppen auf Martinique als Ehrverletzung interpretierten. Erst nachdem es Vaugiraud gelungen war, die Offiziere der Garnison Saint-Pierres von der Notwendigkeit der Stationierung 57

58 59

Vaugiraud an Durham, 29.5.1815, in: TNA, ADM 1/336; Leith, Le contrecoup des événements. . . , o. D. [1815], in: NRS, GD225/984/3; Vaugiraud an Durham, 1.6.1815, in: TNA, ADM 1/336; Proklamation von Vaugiraud/Dubuc, 4.7.1815, in: ADM, 1 Mi 1481; Vaugiraud an Ludwig XVIII., 25.7.1815, in: ANOM, C8A 120, fol. 136. Vaugiraud, Exposé de la conduite de M. le comte de Vaugiraud dans le gouvernement de la Martinique, 1818, in: ADV, 40J58. Vaugiraud an Ludwig XVIII., 25.7.1815, in: ANOM, C8A 120, fol. 136; Vaugiraud, Exposé de la conduite de M. le comte de Vaugiraud dans le gouvernement de la Martinique, 1818, in: ADV, 40J58; Venancourt an Vaugiraud (Kopie), o. D. [1815], in: ANOM, C8A 120, fol. 172.

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von Rotjacken zu überzeugen, konnten auch die letzten französischen Soldaten Martiniques nach Frankreich zurückgeschickt werden60 . Damit stand die herrschende Pflanzeraristokratie der Kolonie unter dem Schutz britischer Waffen, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass ausgerechnet der bewaffnete Arm des royalistischen französischen Kolonialstaates Keime der Revolte in sich trug. Kaum anders standen die Dinge auf Guadeloupe. Bereits Mitte Mai 1815 entsandten General James Leith und Konteradmiral Durham einen Parlamentär nach Basse-Terre, um Linois die Hilfe der britischen Armee anzubieten. Zwar gestand Linois dem Parlamentär, dass er weder auf die Loyalität seiner Garnison noch auf jene der Bewohner Pointe-à-Pitres und Basse-Terres zählen könne. Die Stationierung britischer Truppen hielt er aber für zu gefährlich. Als Vorwand nutzte Linois die Anweisung La Châtres, wonach er keinen neuen Truppen Einlass in die Kolonie gewähren dürfe. Vaugiraud und Guilhermy versuchten in der Folge vergeblich, den Gouverneur Guadeloupes von der Vereinbarkeit der Befehle La Châtres mit dem britischen Hilfsangebot zu überzeugen. Linois blieb stur, ahnte er doch, dass die Stationierung britischer Truppen auf Guadeloupe zum Eklat führen konnte61 . Auch auf Seiten der britischen Streitkräfte gab es einflussreiche Stimmen, die vor einer Stationierung britischer Truppen auf Guadeloupe warnten. So schrieb Durham seinen Vorgesetzten in London: »It would not be in his [Linois’, F. E.] power to permit an English soldier to land, as almost every man in that island is attached to Buonaparte, to privateering and plunder and are [sic] the most disorderly set in the West Indies«62 . Immerhin gestattete Linois der Royal Navy, die Inselgruppe Les Saintes als Ankerplatz zu verwenden, um aus Frankreich eintreffende Kriegsschiffe leichter abfangen zu können. Bereits diese Konzession wurde von den städtischen Eliten als Auftakt zu einer britischen Besetzung verstanden63 . Die Kaufleute Guadeloupes lehnten eine britische Okkupation der Kolonie ab, weil sie glaubten, dass den verschuldeten Pflanzern weitere Rückzahlungsaufschübe zugesprochen würden64 . Auch der Garnison Guadeloupes graute es vor der Stationierung britischer Truppen, weil die französischen Soldaten glaubten, in Kriegsgefangenschaft zu geraten. Ein Großteil unter ihnen hatte in den letzten 60

61

62 63 64

Vaugiraud, Exposé de la conduite de M. le comte de Vaugiraud dans le gouvernement de la Martinique, 1818, in: ADV, 40J58; Vaugiraud an Jaucourt, 14.9.1815, in: ANOM, C8A 120, fol. 164. Vaucresson an La Châtre, 29.6.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 21; Linois an La Châtre (Kopie), 2.6.1815, in: ANOM, C7A 72, fol. 112; Linois an La Châtre, 2.6.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 103; Linois an La Châtre (Kopie), 22.5.1815, in: ANOM, C7A 72, fol. 112. Durham an Croker, 31.5.1815, in: TNA, ADM 1/336. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 343. Zeugenaussage Porthié, 14.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 266; Zeugenaussage Cazy, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 301; Boyer an Gratet, 15.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 38; Schmaltz, Note sur la Guadeloupe, 31.8.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 236.

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Jahren die Schrecken der Kriegsgefangenschaft durchleben müssen. Die Aussicht, dieses Schicksal erneut über sich ergehen lassen zu müssen, trieb viele Unentschlossene in die Arme der Bonapartisten65 . Infolgedessen herrschte im Juni 1815 eine explosive Stimmung auf Guadeloupe, zumal Linois den Vertrag zwischen Vaugiraud und Leith, in dem die Stationierung britischer Truppen auf Martinique stipuliert wurde, in der »Gazette de la Guadeloupe« hatte abdrucken lassen. Damit gab Linois zu erkennen, dass er der Maßnahme Vaugirauds zustimmte66 . Die Ernennung Vaugirauds zum Oberbefehlshaber der royalistischen Kräfte auf den Îles du Vent ließ zudem die weit verbreitete Befürchtung erstarken, die Landung britischer Truppen stehe kurz bevor67 . Erste Anzeichen einer Revolte manifestierten sich Anfang Juni 1815: In der Nacht vom 6. zum 7. Juni versuchten rund 50 Bonapartisten, in Pointe-à-Pitre die Trikolore zu hissen, wurden aber von den Truppen Boyers daran gehindert68 . Noch schien Linois Herr der Lage zu sein, doch dies sollte sich schlagartig ändern, als am 12. Juni 1815 der Schoner Agile in der Bucht von Saint-François im Osten Guadeloupes vor Anker ging. Die Besatzung der Agile konnte zwei von der Küste herbeigeeilte Ruderschiffe über ihre Mission informieren und auch eine Kopie der Befehle Decrès’ an Linois absetzen. Doch kurz darauf wurde das kleine Schiff von der britischen Fregatte Barrossa (36) gekapert und nach Les Saintes gebracht69 . Konteradmiral Durham informierte umgehend Linois, dass sich an Bord der Agile Befehle von Decrès für die Gouverneure Martiniques und Guadeloupes befänden. Linois war sich sofort darüber im Klaren, welche Folgen die Ankunft der Agile haben könnte und bat deshalb den britischen Konteradmiral, die Korrespondenz zu beschlagnahmen und das Schiff in Gewahrsam zu halten. Linois’ Bitten lehnte Durham jedoch ab, weil er glaubte, hierzu nicht ermächtigt zu sein, denn die Agile war unter der Flagge der Bourbonen gesegelt und auch der britische Konteradmiral wusste nicht, ob die Feindseligkeiten in Europa bereits ausgebrochen waren. Nachdem er bereits den Befehl gegeben hatte, das gekaperte Schiff und seine Besatzung nach Martinique in Gewahrsam zu bringen, änderte Durham seine Meinung und ließ die Agile am 14. Juni 1815 nach Guadeloupe segeln70 . 65

66 67 68 69 70

Zeugenaussage Pigeron, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 288; Moreau de Jonnès an Blacas d’Aulps, 6.9.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 187; [?], Rapport sur la Guadeloupe, [?].9.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 248. Lacour, Histoire, Bd. 4. S. 247. Zeugenaussage Laborde, 8.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 341. Boyer an Gratet, 14.10.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 135; Boyer an [Schmaltz], 6.6.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 330 (Zitat). Forsant an Decrès (Kopie), 23.7.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 85; Durham an Croker, 19.6.1815, in: TNA, ADM 1/336; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 348. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 248; Linois an Durham, 12.6.1815, in: TNA, ADM 1/336; Durham an Croker, 13.6.1815, in: TNA, ADM 1/336; Leith an Durham (geheim), 6.7.1815, in: TNA, ADM 1/336.

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Am Morgen des nächsten Tages lief die Agile Basse-Terre an. Als Forsant von Bord ging, trug er demonstrativ eine große trikolore Kokarde an seinem Hut. Dieser symbolische Akt verfehlte seine intendierte Wirkung nicht. Auf dem Weg zum Gouverneurssitz wurde Forsant von einer jubelnden Menge städtischer Unterschichten begleitet. An seine schnell wachsende Entourage verteilte der Kapitän die neuesten Zeitungen aus Frankreich, was die Aufregung nur noch vergrößerte. Anstatt die sich in Ektase befindliche Ansammlung, wie von Linois befohlen, aufzulösen, schlossen sich die herbeigeeilten farbigen Milizen ihr an. Sie rissen ihre weißen Kokarden ab, ersetzten diese durch trikolore und legten ihre Waffen nieder. Erst als Linois loyale Linientruppen herbeirief, konnte der Tumult um Forsant aufgelöst werden. Der anschließende Empfang Forsants bei Linois war frostig und dauerte nur wenige Minuten. Forsant übergab dem Gouverneur die Befehle Decrès’, ehe Linois ihn anwies, unverzüglich nach Martinique zu segeln, um Vaugiraud den Rest der ministeriellen Korrespondenz zu übergeben. Linois war in solcher Eile, Forsant und seine Besatzung loszuwerden, dass er dem Kapitän nicht einmal erlaubte, die dringendsten Reparaturen an der Agile vornehmen zu lassen71 . Am Mittag desselben Tages berief Linois die Mitglieder der Kolonialverwaltung in Basse-Terre ein, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Der Gouverneur Guadeloupes befand sich in einer Zwickmühle: Allein schon das Öffnen der versiegelten Korrespondenz bedeutete in der innenpolitisch aufgeladenen Situation Guadeloupes einen riskanten Positionsbezug und konnte unabsehbare Folgen haben, sollte der Inhalt von Decrès’ Brief bekannt werden. Die Briefe ungeöffnet zu lassen, konnte ebenfalls unkalkulierbare Konsequenzen nach sich ziehen, wusste doch nach Forsants theatralischer Landung in Basse-Terre alle Welt, dass dieser Befehle von Decrès an Linois bei sich trug, und folglich wollte jedermann deren Inhalt kennen. Würde das Paket aus Paris geöffnet, stellte sich die Frage, wie die Kolonialverwaltung darauf reagieren würde. Sollte die Kolonialverwaltung ihre Loyalität zur bourbonischen Exilregierung bekräftigen oder sich der Regierung Napoleons anschließen, indem sie die Trikolore hisste? Beide Varianten waren risikoreich. Würde die Kolonialregierung weiterhin ihre Loyalität zu Ludwig XVIII. bekunden, war es absehbar, dass ihre Funktionäre im Falle eines Sieges Napoleons oder einer friedlichen Lösung in Europa vor ein Kriegsgericht gestellt würden. Dasselbe Schicksal würde sie ereilen, sollten sich die europäischen Alliierten durchsetzen, nachdem die Kolonialregierung Guadeloupes dem Bourbonenkönig die Gefolgschaft aufgekündigt hatte. Beide Varianten waren überdies mit der Ge71

Zeugenaussage Cazy, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 301; Boyer an Gratet, 14.10.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 135; Vaucresson an La Châtre, 29.6.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 21; Forsant an Decrès (Kopie), 23.7.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 85; Zeugenaussage Pigeron, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 288; Moreau de Jonnès an Blacas d’Aulps, 6.9.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 187.

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fahr eines Bürgerkriegs behaftet, denn die Entscheidung zwischen Lilienflagge und Trikolore überdeckte die vielschichtigen, sich rasch intensivierenden Konflikte innerhalb der Kolonialgesellschaft Guadeloupes. Zudem waren die Erfolgsaussichten im Falle eines Kriegs gegen das Britische Empire und seine Verbündeten gering: Die Garnison Guadeloupes war nur einige hundert Mann stark, und auf Verstärkung aus dem Mutterland war nicht zu hoffen. Wie auch immer die Beamten der Kolonialadministration es drehen und wenden wollten, einen schmerzlosen Weg aus der Krise gab es nicht. Schließlich entschied sich der von Linois einberufene Rat, die Briefe Decrès’ ungeöffnet mit dem nächsten Schiff in Richtung Europa an den französischen Botschafter in London zu senden72 . Um potentielle Umstürzler abzuschrecken, ließ Linois zudem in der »Gazette de la Guadeloupe« die Ächtung Napoleons durch den Wiener Kongress erneut abdrucken73 . In der Tat war die Lage bedrohlich: In Pointe-à-Pitre hatten Bonapartisten sämtliche Lilien mit einem großen N übermalt und in den Kneipen der Stadt diskutierten die aufgebrachten städtischen Unterschichten nur noch über die Frage, welchem Royalisten zuerst der Kopf abgeschlagen werden sollte. Der Moment, um alte Rechnungen zu begleichen, schien gekommen zu sein – und davon gab es nach beinahe 25 Jahren ununterbrochenen Kriegs genug74 . Linois’ Publikation der Ächtung Napoleons durch den Wiener Kongress erwies sich als stumpfe Waffe. Als am nächsten Tag die Nachrichten über die Ereignisse von Basse-Terre die Wirtschaftsmetropole Pointe-à-Pitre erreichten, lief das Fass endgültig über. Den von der Kolonialregierung eingeschlagenen Weg werteten die Bewohner der Stadt als Indiz einer baldigen britischen Besetzung der Insel. Eine aufgebrachte Menschenmenge, darunter viele freie Farbige, stürmte zu Boyer, dem Kommandanten der Stadtgarnison, und verlangte, die Trikolore zu hissen. Um Boyer, einen Bonapartisten mit guten Verbindungen zur städtischen Kaufmannschaft, auf die Seite der Umstürzler zu ziehen, brauchte es nicht viel. Bevor Boyer seine Maske jedoch fallen ließ, schrieb er Linois einen Brief, in dem er die Situation in Pointe-àPitres in den dunkelsten Farben beschrieb und andeutete, die Kontrolle über die bonapartistische Bewegung der Stadt zu verlieren. Diesen Brief vertraute Boyer dem Kavallerieoffizier Fromentin an – einem begeisterten Anhänger Napoleons. Das Überbringen der Nachricht war für Fromentin nur ein Vorwand, um unter den städtischen Unterschichten Basse-Terres Stimmung für die napoleonische Sache zu machen und so das Terrain für Boyer vorzubereiten. Linois befahl Boyer daraufhin, sich nach Basse-Terre zurückziehen, sollte dieser die Kontrolle über Pointe-à-Pitre verlieren. Schließlich kündigte Linois ihm das baldige Eintreffen britischer Truppen an. Doch diese Wendung 72 73 74

Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 249; Vaucresson an La Châtre, 29.6.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 21; Zeugenaussage Siennes, 22.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 325. Gazette de la Guadeloupe, 15.6.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 149. Extrait d’une lettre de la Guadeloupe, 8.6.1815, in: TNA, WO 1/29/375.

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war unter den aufgebrachten Bewohnern Pointe-à-Pitres bereits bekannt, nachdem den Insurgenten geheime Briefe Vaucressons in die Hände gefallen waren, in denen die Stationierung britischer Truppen angekündigt wurde75 . In der abgefangenen Korrespondenz wurden auch Proskriptionslisten mit den Namen mehrerer Hundert angeblicher Bonapartisten gefunden, welche die britischen Truppen nach ihrer Landung deportieren sollten76 . Dies bedeutete den endgültigen Bruch zwischen Pointe-à-Pitre und der royalistischen Kolonialregierung in Basse-Terre77 . Boyer war in dieser Situation Treibender und Getriebener zugleich. Zweifellos ging es ihm nicht nur darum, die Macht über Guadeloupe auf eigene Faust an sich zu reißen. Hierfür waren nämlich die möglichen Konsequenzen für Boyer zu bedrohlich – ein Prozess vor dem Kriegsgericht war ihm im Falle eines Sieges der Alliierten in Europa sicher. Vielmehr scheint er auf der Welle des populären Unmuts gegen das royalistische Kolonialregime geritten zu sein und versucht zu haben, die Insurrektion der städtischen Unterschichten Pointe-à-Pitres in geordnete Bahnen zu leiten, um so einen Bürgerkrieg zu verhindern. Für diese Interpretation spricht auch die Tatsache, dass viele der Rädelsführer in Pointe-à-Pitre Boyers Vorgehen als zu zaghaft verurteilten78 . Gleichzeitig setzte Boyer alles daran, die letzten Zweifler innerhalb der Garnison Pointe-à-Pitres auf die Seite der Bonapartisten zu ziehen, indem er die royalistische Kolonialregierung wegen der Stationierung britischer Truppen des Verrats bezichtigte. Bei den Garnisonssoldaten hatte Boyer in dieser Hinsicht einfaches Spiel, lag deren Loyalität doch ohnehin vornehmlich auf Seiten Napoleons, weshalb sie darauf brannten, die Befehle aus Paris öffnen zu lassen79 . In Anbetracht der aufgeheizten Stimmung in Basse-Terre war die Chance groß, dass sich die Bewohner der Stadt und die dortige Garnison ebenfalls den Insurgenten anschließen würden. Boyer machte sich deshalb am Morgen des 17. Juni 1815 mitsamt seiner Garnison zum Regierungssitz in Basse-Terre auf, um Linois zu zwingen, sich der Regierung Napoleons anzuschließen. Als Boyers Trupp am Morgen des 18. Juni 1815 – am Tag der Schlacht bei Waterloo – in Basse-Terre eintraf, schlossen sich ihm umgehend die farbigen Milizen der Stadt an. Nachdem Boyer Linois’ Gouverneurspalast hatte um75 76 77 78

79

Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 249f. Rapport sur la Guadeloupe, [?].9.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 248. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 351–353. Zeugenaussage Cazy, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 301; Zeugenaussage Brunot, 8.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 343; Gourrand an Gratet (Kopie), 28.12.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 274. Zeugenaussage Menonville, 13.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 295; Schmaltz, Extraits du précis des événements arrivés à la Guadeloupe depuis le 1er mai 1815, 24.8.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 293; Vatable an Jaucourt, 6.9.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 174; Zeugenaussage Pigeron, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 288; Moreau de Jonnès an Blacas d’Aulps, 6.9.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 187.

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stellen lassen, nötigte er den Gouverneur, die Briefe Decrès’ zu öffnen, sich der Regierung Napoleons zu unterstellen und Vaucresson und Schmaltz aus der Kolonie auszuweisen. Boyer beteuerte, nicht durch persönliche Ambitionen geleitet zu sein, sondern nur dem »vœu de la colonie« Nachdruck zu verleihen. Die Soldaten vor den Türen des Gouverneurspalastes bildeten dabei eine adäquate Drohkulisse. Linois’ Widerstand gegen die kaum kaschierte Erpressung hielt sich in engen Grenzen. Er forderte lediglich, mit seinen Beratern Rücksprache nehmen zu dürfen, erklärte sich aber grundsätzlich bereit, die Trikolore hissen zu lassen80 . Innenpolitisch stand Linois ohnehin isoliert da: Zwar entkamen Guilhermy und Vaucresson auf abenteuerliche Weise den Soldaten Boyers, doch ihre Flucht bedeutete auch, dass sie keinen Einfluss mehr auf die weiteren Ereignisse nehmen konnten81 . Noch bevor Linois mit dem zurückgebliebenen Schmaltz die Lage besprechen konnte, gab Boyer dem Kommandanten des Forts Saint-Charles den Befehl, die Trikolore hissen zu lassen und stellte den Gouverneur damit vor vollendete Tatsachen82 . Linois wollte in der Folge keine Verantwortung mehr für den weiteren Verlauf der Dinge übernehmen und zog sich von seinen Amtsgeschäften zurück. Boyer seinerseits vermied es tunlichst, in die Fußstapfen des Gouverneurs zu treten, um nicht einer späteren Interpretation Vorschub zu leisten, es habe sich um einen Militärputsch gehandelt. Das daraus entstehende Machtvakuum drohte allerdings, die koloniale Ordnung ins Wanken zu bringen83 . Im Laufe des Tages geriet die Situation gänzlich außer Kontrolle, wurden doch die offiziellen Feierlichkeiten durch teils gewaltsame Zusammenstöße zwischen Bonapartisten und Royalisten überschattet. Betrunkene Soldaten pöbelten adlige Offiziere an und skandierten revolutionäre Parolen84 . Bedrohlicher für die koloniale Ordnung war aber, dass sich in der Umgebung von Basse-Terre Gruppen von bewaffneten Sklaven formierten. Wenig ist über die Hintergründe dieser »mouvements séditieux«85 bekannt. Boyer behauptete in seinen Memoiren, dass die royalistischen Plantagenbesitzer ihre Sklaven bewaffnet hätten. Die Royalisten hätten damit eine britische Intervention erzwingen wollen. Dies scheint aber höchst unwahrscheinlich, war doch die britische Generalität zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht über Boyers Militärputsch informiert86 . Überlieferte Archivquellen legen vielmehr 80 81

82 83 84 85 86

Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 253–255; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 358 (Zitat). Leith, Le contrecoup des événements. . . , o. D. [1815], in: NRS, GD225/984/3; Vaucresson an Jaucourt, 22.8.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 24; Vaucresson an La Châtre, 29.6.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 21. Zeugenaussage Cazy, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 301. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 258. Zeugenaussage Siennes, 22.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 325; Vaucresson an La Châtre, 29.6.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 21. Zitat aus Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 259. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 361.

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den Schluss nahe, dass die royalistischen Pflanzer in der Umgebung von Basse-Terre ihre Sklaven und loyale freie Farbige bewaffneten, um sich gegen mögliche Übergriffe bonapartistischer Insurgenten aus der Stadt zu schützen87 . Das war aber nur eine Seite der Medaille. Viele Berichte zeugen davon, dass Sklaven und freie Farbige Guadeloupes mit dem Hissen der Trikolore auch den Moment gekommen sahen, ihre Freiheit beziehungsweise rechtliche Gleichstellung einzufordern, und deuteten das Ende des royalistischen Kolonialregimes als Vorspann für eine zweite Abolition88 . Die Ansammlungen bewaffneter Sklaven und freier Farbiger in der Umgebung wurden schnell von herbeigeeilten Patrouillen aufgelöst89 . Doch die sich anbahnende Krise beunruhigte die städtischen Eliten Basse-Terres, weshalb sie Linois am Abend des 18. Juni 1815 beknieten, sein Amt wiederaufzunehmen. Offiziere der Nationalgarde, Anwälte und Kaufleute der Stadt sprachen zweimal bei Linois vor und warnten ihn vor den Gefahren, sollte er sein Amt nicht wiederaufnehmen. Guadeloupe drohe ein Bürgerkrieg zwischen der ländlichen Pflanzeraristokratie und den Anhängern Napoleons in den Städten, sollte das Machtvakuum anhalten. Schweren Herzens entschied sich Linois schließlich in der Nacht zum 19. Juni 1815, sein Amt wiederaufzunehmen und sich zur Regierung Napoleons zu bekennen. Wie ist das Nachgeben Linois’ zu erklären? Die Angst vor einem möglichen Bürgerkrieg und einem Zusammenbruch der kolonialen Ordnung – ob begründet oder nicht – waren zweifellos die bestimmenden Faktoren90 . Damit verbunden war auch die Befürchtung Linois’, die Kontrolle über die weiteren Ereignisse zu verlieren. In seiner Funktion als Gouverneur konnte er zumindest einen gewissen Einfluss auf die bonapartistische Bewegung in den Städten ausüben und gleichzeitig versuchen, die ländliche Pflanzeraristokratie gütlich zu stimmen. Davon zeugen auch seine Versuche, insgeheim mit der bourbonischen Exilregierung in Gent zu korrespondieren91 . Schließlich darf man nicht die Tatsache aus den Augen verlieren, dass zu diesem Zeitpunkt niemand auf Guadeloupe über die Ereignisse in Europa informiert war. Egal wie sich die Dinge in Europa entwickeln sollten, konnte sich Linois durch seine Politik später entweder als begeisterter Anhänger Napoleons oder als loyaler Diener Ludwigs XVIII. 87 88 89 90

91

Zeugenaussage Siennes, 22.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 325. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 259f.; Élisabeth, Les relations, S. 188; Zeugenaussage Brunot, 8.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 343. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 361. Zeugenaussage Cazy, 19.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 301; Zeugenaussage Gavigne, 15.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 243; Zeugenaussage Arnaud, 16.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 232; Schmaltz, Extraits du précis des événements arrivés à la Guadeloupe depuis le 1er mai 1815, 24.8.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 293; Linois an Malouet, 4.10.1815, in: ANOM, C7A 72, fol. 114bis . Zeugenaussage Schmaltz, 22.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 320; Zeugenaussage Viquesuel, 22.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 323; Zeugenaussage Reiset, 22.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 328; Boyer an Bathurst (Kopie), 10.10.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 11.

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profilieren, der sich nur dem ›Usurpator‹ angeschlossen hatte, um die Kolonie vor dem Untergang zu retten. Freilich waren Linois’ Handlungsoptionen zu diesem Zeitpunkt arg begrenzt: Er war in erster Linie der Strohmann der Militärs und Kaufleute um Boyer, der die Pflanzer ruhig stellen sollte. Sollte der Gouverneur nicht in ihrem Sinne handeln, würden sie sich bald gezwungen sehen, ihn abzusetzen, wie dies insbesondere die städtischen Unterschichten Pointe-à-Pitres forderten92 . Am 19. Juni 1815 ließ Linois nach Absprache mit Boyer eine Proklamation publizieren, in der er nicht nur Teile des Briefes von Decrès abdrucken ließ, sondern auch verkündete, dass sich die Kolonie der Regierung Napoleons anschließe. Größten Wert legte der Gouverneur dabei auf ein Ende der gewaltsamen Zusammenstöße zwischen Bonapartisten und Royalisten sowie die Aufrechterhaltung der kolonialen Ordnung: Proclamons ce vœu, colons et militaires, en arborant tous la cocarde tricolore que vingt-cinq années de gloire ont illustrée. Ne nous séparons jamais de la grande famille, et méritons le titre glorieux de vrais Français. GUADELOUPÉENS et SOLDATS, je compte sur votre loyauté, votre générosité pour concourir avec moi au maintien de l’ordre et de la tranquillité de la colonie, et pour faire respecter religieusement les personnes et les propriétés publiques et privées. Bannissons de nos cœurs et de nos pensées tout sentiment de haine ou de récrimination. Tout individu qui troublerait l’ordre public sera puni avec sévérité. VIVE L’EMPEREUR!!!93

Kein Wort verlor der Gouverneur hingegen über das Sklavenhandelsverbot. Über die Gründe hierfür kann aufgrund fehlender Quellen nur spekuliert werden. Die Umstände lassen den Schluss zu, dass Linois aufgrund der innenpolitischen Situation darauf verzichtete, das Sklavenhandelsverbot zu publizieren. Die Bekanntmachung des Dekrets hätte die ländliche Pflanzeraristokratie gegen den napoleonischen Kolonialstaat aufgebracht. Auch auf Seiten der städtischen Bonapartisten ist kein großes Interesse am Sklavenhandelsverbot auszumachen. Gerade die Kaufleute Pointe-à-Pitres, neben dem Offizierskorps die eigentlichen Drahtzieher der bonapartistischen Insurrektion, verdienten bekanntlich am Sklavenhandel kräftig mit und sahen sich deshalb nicht genötigt, das Verbot durchzusetzen. Schon gar nicht waren sie an einem Bürgerkrieg gegen die ländliche Pflanzeraristokratie interessiert, der im Falle einer Publikation des Sklavenhandelsverbots drohte und der zu einem Zusammenbruch der kolonialen Ordnung führen konnte. Das Sklavenhandelsverbot blieb deshalb in allen öffentlichen Verlautbarungen unerwähnt. Ferner sollten die Hoffnungen der Sklaven und freien Farbigen nicht weiter genährt werden, um einen erneuten Sklavenaufstand mit unabsehbaren Folgen zu verhindern. 92

93

Zeugenaussage Moreau de Jonnès, 21.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 332; Zeugenaussage Brunot, 8.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 343; Gourrand an Gratet (Kopie), 28.12.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 274 Proklamation von Linois, 19.6.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 122 (Hervorh. i. Orig.).

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Dies bedeutete jedoch nicht, dass das Thema Sklaverei beziehungsweise eine rechtliche Gleichstellung der freien Farbigen nicht im Raum stand. Wie wir bereits gesehen haben, verbanden viele freie Farbige und Sklaven das Ende des royalistischen Kolonialregimes mit einer unmittelbar bevorstehenden Verbesserung ihrer Situation. Zwei Wochen nach dem Militärputsch trugen beispielsweise mehrere Sklaven auf Marie-Galante die trikolore Kokarde an ihren Hüten, weil sie glaubten, mit dem Fall der Restaurationsmonarchie stünde die erneute Abschaffung der Sklaverei unmittelbar vor der Tür. Der Garnisonskommandant der Insel war sogleich bemüht, ihre Hoffnungen im Keim zu ersticken, indem er in der »Gazette de la Guadeloupe« folgende Proklamation abdrucken ließ: Que tous ceux qui habitent cette colonie, se persuadent bien que ce pavillon que nous avons arboré le 23, n’est pas celui de la Révolution, mais celui de L’EMPEREUR, de la France régénérée; que ce pavillon est la sauvegarde des personnes et des propriétés, et non l’avantcoureur de ces scènes révolutionnaires qui ont, pendant tant d’années, désolé notre malheureuse Patrie94 .

Die Wünsche der freien Farbigen waren allerdings nicht ganz so leicht unter den Tisch zu kehren, bildeten doch die farbigen Milizen in den Städten Guadeloupes einen wesentlichen Pfeiler des neuen Kolonialstaates95 . So schrieb Linois Ende Juli Marine- und Kolonialminister Decrès, den er immer noch im Amt glaubte: »Les habitants, à la très grande majorité, sont animés du meilleur esprit, particulièrement les gens de couleur, tous promettent de se rallier sous le pavillon tricolore à l’apparition de l’ennemi et de le défendre en véritables Français«96 . Linois’ Bericht über die uneingeschränkte Loyalität der freien Farbigen Guadeloupes zum napoleonischen Regime diente unter anderem dazu, die Regierung in Paris darauf aufmerksam zu machen, auf welcher gesellschaftlichen Grundlage die Herrschaft ihrer Agenten vor Ort basierte. Nur allzu deutlich wurde die Unvereinbarkeit der sozialen und rechtlichen Diskriminierung der freien Farbigen mit ihrer Unterstützung für den napoleonischen Kolonialstaat. An dieser Stelle ist es angezeigt, zur Ereignisgeschichte zurückzukehren, um die weitere Politik des Kolonialregimes Guadeloupes, die Reaktion der kolonialen Gesellschaft und die Gegenmaßnahmen britischer Militärs und der royalistischen Kräfte zu verstehen. Die Feinde des napoleonischen Frankreichs auf den Îles du Vent mussten bereits einen Tag nach dem Putsch Boyers alle ihre Hoffnungen aufgeben, die bonapartistische Bewegung im Keim ersti94 95

96

Proklamation von Arnaud, 30.6.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 157 (Hervorh. i. Orig.). Auf Marie-Galante wurde die Trikolore erst am 23. Juni 1815 gehisst. Vernancourt an Leith, 19.8.1815, in: NRS, GD225/984/72; Zeugenaussage Linois, 12.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 350; Zeugenaussage Laborde, 8.2.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 341; Zeugenaussage Moreau de Jonnès, 21.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 332. Linois an Decrès, 25.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 105.

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cken zu können. Als am 19. Juni 1815 ein britisches Schiff mit rund 1000 Soldaten an Bord in Basse-Terre vor Anker gehen wollte, um, wie mit Linois ursprünglich vereinbart, die französische Garnison zu ersetzen, mussten die britischen Offiziere überrascht feststellen, dass mittlerweile die Trikolore über der der Stadt wehte97 . Damit schienen die Zeichen endgültig auf Sturm zu stehen. Doch sowohl auf Seiten der Bonapartisten Guadeloupes als auch innerhalb der britischen Führungsriege wurde die Frage nach Krieg oder Frieden kontrovers diskutiert. Boyer und Linois glaubten, dass ein britischer Angriff auf Guadeloupe frühestens nach der Regenperiode durchgeführt werden könne, die jeden Moment beginnen konnte. Bis dahin hofften sie, genügend Verstärkung, Schwarzpulver und Verpflegungsgüter aus Frankreich erhalten zu haben, um der befürchteten britischen Offensive standhalten zu können98 . Gleichzeitig wurde jedes noch so kleine Anzeichen einer friedlichen Lösung in Europa als Indiz gedeutet, es komme zu keiner britischen Invasion in der Kolonie. So wurden etwa die Berichte von der Besatzung eines Schiffs aus Frankreich sogleich in der »Gazette de la Guadeloupe« abgedruckt, wonach es Anfang Juni in Europa noch zu keinen Feindseligkeiten gekommen sei und dass der antibonapartistische Widerstand in der Vendée gebrochen sei99 . Die illusorischen Hoffnungen der Bonapartisten Guadeloupes wurden auch durch die nachgiebige Haltung des britischen Konteradmirals Durham befeuert, der mehrere französische Handelsschiffe die Blockade passieren ließ100 . Durhams widersprüchliche Haltung, die er schon Mitte Juni im Falle der Agile an den Tag gelegt hatte, lag in den unklaren Befehlen aus London begründet. Während die britische Admiralität die Eröffnung der Feindseligkeiten erst im Falle einer Kriegserklärung erlaubte, hatte das Kriegsministerium in London den Kommandanten der britischen Landstreitkräfte, General Leith, angewiesen, Martinique und Guadeloupe umgehend für den Bourbonenkönig zu sichern. Da weder Leith noch Durham über die Ereignisse bei Waterloo informiert waren, kam es zu einem heftigen Streit zwischen Durham und Leith, so dass sich der britische Angriff um Wochen verzögerte101 . Die damit gewonnene Zeit nutzten Boyer und Linois – trotz ihrer illusorischen Hoffnungen auf eine friedliche Lösung – für die Kriegsvorbereitungen. Einmal mehr fehlte das Geld, klaffte doch in der Kolonialkasse ein Loch von

97 98 99 100 101

Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 264f. Linois an Decrès, 25.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 105. Gazette de la Guadeloupe, 25.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 165; Gazette de la Guadeloupe, 15.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 161. Leith an Durham (Kopie), 30.6.1815, in: TNA, ADM 1/336; Durham an Crocker, 21.6.1815, in: TNA, ADM 1/336. Durham an Leith (geheim), 7.7.1815, in: TNA, ADM 1/336; Leith an Durham (Kopie), 2.7.1815, in: TNA, ADM 1/336; Durham an Leith (Kopie), 1.7.1815, in: TNA, ADM 1/336; Leith an Durham (Kopie), 30.6.1815, in: TNA, ADM 1/336.

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einer halben Million Franc102 . Um die dringendsten Ausgaben zu tätigen, stellte die Kolonialregierung Wechsel zu Lasten des französischen Konsulats in Washington aus103 . Um Zug- und Schlachtvieh sowie Waffen zu kaufen, entsandten Boyer und Linois den stets umtriebigen Kaufmann César-Dominique Duny nach Puerto Rico104 . Schmaltz wurde derweil nach Frankreich geschickt, um die Pariser Regierung über die Ereignisse auf den Îles du Vent zu informieren. Als er schließlich Ende Juli in Bordeaux eintraf, saß Ludwig XVIII. bereits wieder auf dem Thron, weshalb Schmaltz die Korrespondenz aus Guadeloupe über Bord warf, um sich nicht zu kompromittieren105 . Zur erfolgreichen Verteidigung der Kolonie gegen eine britische Invasion fehlte es vor allem an Soldaten. Die Linientruppen zählten nur rund 1100 Mann, während circa 1400 freie Farbige in der Nationalgarde Dienst taten106 . Um die Zahl der Verteidiger zu erhöhen, bewaffneten Linois und Boyer wie schon Ernouf 1809 die ni libres ni esclaves, die während der Revolutionskriege in der Armee Guadeloupes gekämpft hatten. Linois begründete diese Maßnahme – ebenfalls Ernoufs Beispiel von 1809 folgend – damit, dass diese Männer ja eigentlich frei seien, aber die dafür notwendigen Urkunden nicht besäßen. Doch ihre Kenntnisse über das Kriegshandwerk würden sie zu idealen Soldaten machen, die nach einer vierjährigen Dienstzeit mit der Freiheit belohnt würden107 . Damit war das Tuch zwischen Linois und der ländlichen Pflanzeraristokratie endgültig zerschnitten, interpretierte Letztere doch die Bewaffnung eines Teils der Sklaven als Auftakt einer generellen Abolition108 . Um sich gegen den Zugriff des Kolonialstaates zu schützen, gingen viele Pflanzer dazu über, ihre Sklaven selbst zu bewaffnen109 . Die Kolonialbehörden ordneten daraufhin an, die Pflanzer und ihre Sklaven wieder zu entwaffnen110 . Wie erfolgreich diese Maßnahme war, bleibt offen. Zahlreiche Pflanzer flüchteten auch nach Martinique und machten dort Stimmung für eine baldige Besetzung der Kolonie111 . Vaugiraud forderte seinerseits die Kolonisten Guadeloupes auf, den Anweisungen Linois’ keine Folge zu leisten und versuchte so, die Spaltung zwischen Pflanzern und Ko-

102 103 104 105 106 107

108 109 110 111

Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 366. Coupvent an Decrès, 4.7.1815, in: ANOM, C7A 73, fol. 59. Bruley (Hg.), Les Antilles, S. 130. Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 367–371. Poyen, Les guerres, S. 442. Zeugenaussage Reiset, 22.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 328; Gazette de la Guadeloupe, 15.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 161; Linois an Decrès, 25.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 105. Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 267. Zirkularschreiben von Linois, 30.6.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 157; Linois an [Builly] (geheim), 5.8.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 214. Gazette de la Guadeloupe, 20.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 163. Vaugiraud, Exposé de la conduite de M. le comte de Vaugiraud dans le gouvernement de la Martinique, 1818, in: ADV, 40J58.

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lonialstaat weiter voranzutreiben112 . Der Flucht vieler Plantagenbesitzer in die britischen Kolonien und Martinique glaubte Linois mit der Androhung der Sequestrierung ihre Plantagen entgegentreten zu können113 . Ob diese Drohung in Anbetracht des nahenden britischen Angriffs Früchte trug, bleibt fraglich, verstärkte sich doch dadurch unter den Pflanzern nur noch mehr der Eindruck, dass das Hissen der Trikolore die Rückkehr in die Zeiten jakobinischer Terrorherrschaft bedeutete. Tatsächlich griffen Linois und Boyer zu immer radikaleren Mitteln, um die in ihren Augen illoyale Pflanzeraristokratie zu kontrollieren, der sie vorwarfen, im Geheimen mit den britischen Streitkräften zu korrespondieren. So ließ Linois keinen Zweifel darüber aufkommen, was mit denjenigen Kolonisten passieren würde, die sich der Kollaboration mit dem Feind im Falle einer britischen Invasion schuldig machten: Ihre Plantagen würden umgehend sequestriert und die Schuldigen vor ein Militärtribunal gestellt und mit dem Tode bestraft. Allein schon das Tragen der Lilie sollte die Todesstrafe nach sich ziehen114 . Der offene Widerstand der Pflanzer hielt sich in Anbetracht dieser Drohkulisse in Grenzen und konnte in der Regel rasch gebrochen werden115 . Am Abend des 3. Augusts 1815 traf ein britischer Parlamentär in BasseTerre ein, der Linois die Nachricht über Napoleons Niederlage bei Waterloo überbrachte. Leith forderte in seiner Botschaft Linois und Boyer zur Kapitulation auf und kündigte an, dass die Garnison in britische Kriegsgefangenschaft geraten werde. Die Nachricht wurde im Offizierskorps mit Unglauben aufgenommen. Die Anhänger Napoleons wollten nicht wahrhaben, dass der Kaiser in einer Schlacht geschlagen worden sei. Viele Offiziere vermuteten deshalb eine Finte der Briten, um die Kolonie ohne Blutvergießen erobern zu können. Ein Großteil der Garnison, insbesondere die einfachen Soldaten, sah zudem der Ankündigung, in britische Kriegsgefangenschaft gehen zu müssen, mit Schrecken entgegen. Viele Offiziere hätten sich auch in ihrer Ehre verletzt geglaubt, wenn sie kampflos in Kriegsgefangenschaft hätten gehen müssen. Die Garnison Guadeloupes zog es deshalb vor, zu kämpfen116 . Am Morgen des 8. Augusts 1815 landeten rund 7000 britische Soldaten an drei Orten der Kolonie und zwangen die schlecht ausgerüsteten französischen Verteidiger innerhalb zweier Tage zur Kapitulation117 . Der Widerstand gegen 112 113 114

115 116 117

Gazette de la Guadeloupe, 5.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 157. Gazette de la Guadeloupe, 10.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 150; Gazette de la Guadeloupe, 31.7.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 167. Zirkularschreiben von Linois, 30.6.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 157; Erlass von Linois, 5.8.1815, in: ANOM, C8A 120, fol. 159; Gazette de la Guadeloupe, 3.8.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 174. Proklamation von Linois, 29.6.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 157; Lacour, Histoire, Bd. 4, S. 267. Ibid., S. 272–275; Gazette de la Guadeloupe, 4.8.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 174; Boyer an Gratet, 14.10.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 135. Poyen, Les guerres, S. 442–448; Boyer de Peyreleau, Les Antilles, Bd. 3, S. 384–394.

14. Die Herrschaft der Hundert Tage in den Kleinen Antillen

501

den britischen Vormarsch war gering. Auf den Plantagen Guadeloupes wehte überall die weiße Flagge der Bourbonen und einige Pflanzer unterstützen die britischen Kriegsanstrengungen gar mit der Bewaffnung loyaler Sklaven118 . Die Rache der royalistischen Pflanzer an den Bonapartisten und Republikanern der Kolonie war unerbittlich. Gleich nach Linois’ Kapitulation übergab eine Delegation der Pflanzer dem britischen Kommandanten Leith eine lange Liste mit den aus Guadeloupe zu deportierenden Personen. Als Grundlage dieser Proskriptionsliste diente das offizielle Glückwunschreiben der Kolonie zur Kaiserkrönung Napoleons 1804. All diejenigen, die dieses Schreiben unterschrieben hatten, entfernten die britischen Besatzer aus der Kolonie. Damit war die Auseinandersetzung innerhalb der kolonialen Elite ein für alle Mal beendet, gab es doch fortan kaum mehr organisierten Widerstand gegen die Macht der Pflanzeraristokratie innerhalb der Kolonie119 . Weiße und farbige Rädelsführer aus den untersten Gesellschaftsschichten wurden aus der Kolonie deportiert – viele, auch Weiße, flüchteten nach Haiti120 . Die Vormachtstellung der grands Blancs wurde schließlich im Zuge der französischen Kolonialreformen der 1820er Jahre rechtlich zementiert, in denen den Plantagenbesitzern endlich die lange erhoffte politische Selbstverwaltung zuteil wurde121 .

118 119 120 121

Zeugenaussage Boguin, 21.1.1816, in: ANOM, C7A 74, fol. 334; Guilhermy an Blacas d’Aulps (Kopie), 16.8.1815, in: ANOM, C7A 74, fol. 310. Vernancourt an Leith, 19.8.1815, in: NRS, GD225/984/72. Élisabeth, Les relations, S. 188. Todd, A French Imperial Meridian, S. 166.

Schlussbemerkungen Der Militärputsch auf Guadeloupe 1815 ließ noch einmal zahlreiche Konflikte zutage treten, die das französische Kolonialreich in den Kleinen Antillen spätestens seit 1789 geprägt hatten: Der nach wie vor ungelöste Wirtschaftskonflikt zwischen der städtischen Kaufmannschaft und den ländlichen Pflanzern war eng verknüpft mit den Klassenkonflikten zwischen den Ober- und Unterschichten der Kolonie. Die vielen petits Blancs, die mittellos und hungrig die Straßen der Städte bevölkerten und ihren verflogenen Hoffnungen vom schnellen Geld nachtrauerten, bildeten eine bedeutende Protestgruppe, welche die Gegner des royalistischen Kolonialregimes geschickt für ihre Zwecke einzusetzen wussten. Über alldem schwebte die Frage, ob die rechtliche und soziale Diskriminierung der freien Farbigen länger tragbar war. Spezifisch für das Jahr 1815 war jedoch die Situation in den beiden Garnisonen, bei der sich insbesondere die strukturellen Probleme der Restaurationsmonarchie manifestierten. Das Ausbleiben des Soldes aufgrund der Zahlungsunfähigkeit der royalistischen Kolonialregimes half nicht gerade, Offiziere und einfache Soldaten zum Bourbonenkönig zu bekehren. Mehr als 20 Jahre nach der Enthauptung Ludwigs XVI. war für viele junge Offiziere und Soldaten die Bourbonenmonarchie bestenfalls eine ferne Erinnerung. Sie konnten sich deshalb kaum mit den royalistischen Offizieren identifizieren, die den gesamten Konflikt im Exil verbracht hatten. Es vermag deshalb kaum zu erstaunen, dass Vaugiraud nach der britischen Besetzung Guadeloupes forderte, fortan nur noch ausländische Söldnerregimente in die Kolonien zu schicken, weil er französische Soldaten für nicht vertrauenswürdig hielt – die Schweizer Diessbach- und Hallwyl-Regimenter hielt er demgegenüber für den Dienst in den Kolonien für besonders geeignet. Ohnehin, so fuhr Vaugiraud fort, dürften diese Garnisonen fortan nicht von Offizieren kommandiert werden, die einmal in den Revolutionsarmeen gedient hatten. Stattdessen dürften nur Kreolen, émigrés und Ausländer als Offiziere in den Kolonien dienen1 . Mehr als 20 Jahre, die durch Revolutionen, Krieg im Inneren wie auch rund um den Globus geprägt waren, hatten Frankreich derart tief gespalten, dass Vaugiraud in einem Brief an den Marine- und Kolonialminister eindringlich vor der Entsendung französischer Soldaten warnte: Mais je ne cesserai de vous répéter, Monseigneur, que de longtemps vous ne devez songer à envoyer ici des nationaux. [. . . ] Il n’est pas un colon qui ne frémisse de l’idée de retomber encore dans le péril dont il vient de sortir, de l’idée puisqu’il faut le dire d’avoir à défendre son habitation, sa femme, ses enfants, tout ce qu’il a de plus cher, contre la force même instituée pour les protéger2 .

1 2

Vaugiraud an Jaucourt, 14.9.1815, in: ANOM, C8A 120, fol. 164. Ibid.

https://doi.org/10.1515/9783110608830-016

504

Schlussbemerkungen

Diese Warnungen waren die geradezu logische Folge der revolutionären Stürme, welche während mehr als 20 Jahren über die Îles du Vent hinweggefegt waren: Sie ließen nicht nur zahlreiche Bruchlinien innerhalb der kolonialen Gesellschaft zutage treten, sondern hatten auch über weite Strecken die Kolonien von ihrem Mutterland entfremdet. So ließen die Nachrichten über die Ereignisse in Frankreich und auf Saint-Domingue zu Beginn der Französischen Revolution nach und nach alle Dämme brechen, welche die vielschichtigen innergesellschaftlichen Konflikte in den Kleinen Antillen bis dahin eingehegt hatten. Die Umbrüche auf Martinique, Guadeloupe und Saint Lucia hatten ihrerseits Rückkoppelungseffekte auf die Politik in der Metropole wie auch auf die benachbarten Inseln. Die politischen und gesellschaftlichen Umstürze zwischen 1789 und 1815 allein als Konflikt um Sklaverei, Abolition und den universalen Charakter der Menschenrechte sowie des Republikanismus zu deuten, wird der Komplexität dieser Umbruchszeit kaum gerecht. Vielmehr waren diese Auseinandersetzungen Teil eines größeren Konfliktgemenges zwischen der französischen Metropole und ihren Kolonien. Im Zentrum des spannungsgeladenen Verhältnisses lagen die anhaltenden Loyalitätskonflikte der kolonialen Eliten Martiniques und Guadeloupes mit der politischen Machtzentrale in Paris. Zu Beginn der Französischen Revolution sahen die überschuldeten Pflanzer die Zeit gekommen, um sich von den merkantilistischen Fesseln des Mutterlandes zu lösen und die lang ersehnte Partizipation am politischen Entscheidungsprozess zu erlangen. Die Schwächung der Kolonialadministration infolge des politischen Chaos in Frankreich sowie des gescheiterten Sklavenaufstandes bei Saint-Pierre im August 1789 schuf die notwendigen Voraussetzungen, um diese Bestrebungen in die Tat umzusetzen. Die Konfliktlinien verliefen in diesen ersten Jahren vor allem zwischen den Städten Martiniques und Guadeloupes sowie den weißen und farbigen Plantagenbesitzern auf dem Land. Die Auseinandersetzungen zwischen patriotes auf der einen und aristocrates auf der anderen Seite hatten wenig mit der Sklaverei an sich zu tun. Im Zentrum standen vielmehr handfeste politische und wirtschaftliche Interessen lokaler Pflanzer und Kaufleute sowie die materiellen Nöte städtischer Unterschichten. Die freien Farbigen bildeten in diesen Konflikten keine geeinte Front, sondern standen mehrheitlich auf Seiten der Pflanzer, die auf eine größere politische wie ökonomische Autonomie von der Republik drängten. Die Metropole legte derweil immer weniger Bereitschaft an den Tag, die Autonomiebestrebungen der kolonialen Eliten in den Kleinen Antillen tatenlos hinzunehmen. Vielmehr suchten die neuen Machthaber in Paris und ihre Repräsentanten vor Ort die kolonialen Eliten unter Androhung von Gewalt zu einem Schulterschluss sowie zur Aufgabe ihrer widerspenstigen Haltung zu bringen und so die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verteidigung des französischen Kolonialreiches gegen die europäischen Konkurrenten zu schaffen. Dem Gesetz vom 4. April 1792, mit dem den freien Farbigen das französische Bürgerrecht erteilt wurde,

Schlussbemerkungen

505

wohnte also auch eine herrschaftspolitische Dimension inne. Die französische Kriegserklärung an Großbritannien eröffnete den Pflanzern Martiniques und Guadeloupes schließlich die Möglichkeit, sich dem Zugriff der Metropole zu entziehen und sich nebenbei ihrer Schulden zu entledigen. Die politischen und wirtschaftlichen Motive dieser Abspaltungsbewegung kaschierten die Pflanzer mit ideologischen Versatzstücken sowie ihrer angeblichen Furcht, eine Abschaffung der Sklaverei stünde unmittelbar bevor. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Pflanzer Martiniques und Guadeloupes mit ihrem Seitenwechsel dem Nationalkonvent in Paris die besten Argumente in die Hand spielten, die Abolition im Februar 1794 zu dekretieren. Diese weitreichende Maßnahme war nicht nur die notgedrungene Bestätigung des Fait accompli der Zivilkommissare auf Saint-Domingue, sondern erlaubte es der Metropole auch, die kolonialen Eliten Martiniques und Guadeloupes für ihren Verrat zu bestrafen, indem sie ihr sozioökonomisches Rückgrat brach und sie so zur politischen Bedeutungslosigkeit verdammte. Schließlich war das Abolitionsdekret auch eine Antwort auf die militärischen Rückschläge der französischen Streitkräfte in Europa und in Übersee. Die Abolition von 1794 war demnach keinem ideologischen Programm der Montagnards rund um Robespierre geschuldet, sondern ist als zynisches Herrschaftsinstrument zu verstehen, das dazu diente, unter dem Deckmantel der Menschenrechte die metropolitane Kontrolle über das Überseeimperium wiederzuerlangen. Gleichzeitig ist sie im Kontext einer zunehmenden Entgrenzung des Kriegs zu verorten. Im Zuge dieses Prozesses schreckten die Revolutionäre in Frankreich nicht mehr davor zurück, an der gesellschaftlichen Grundordnung in Übersee zu rütteln, um sich militärische Vorteile zu verschaffen, die ihren eigenen Machterhalt sicherten. Vor Ort hatte dieser Kurswechsel dramatische Folgen. Victor Hugues, selbst ein entschiedener Gegner der Abolition, und seine rund 1000 sansculottes waren auf Guadeloupe Überbringer von Verderben und Freiheit gleichermaßen – Abolition und Terreur waren zwei Seiten derselben Medaille: Die Sklaverei wurde abgeschafft und ein Großteil der kolonialen Eliten ermordet beziehungsweise zur Flucht gezwungen. Ihren geringen gesellschaftlichen Rückhalt suchten Hugues und seine Offiziere mit einer Terrorpolitik zu kompensieren, womit sie nicht nur ein Abbild der Terreur in Frankreich schufen, sondern auch in der Tradition vieler revolutionärer Regime der Weltgeschichte standen, die glaubten, ihre Autorität nur mit Gewalt durchsetzen zu können. Für die Masse der ehemaligen Sklaven brachte das Abolitionsdekret kaum eine Verbesserung ihrer Lage. Ein Großteil der nouveaux citoyens blieb einem brutalen Zwangsarbeitsregime unterworfen, das sich wohl am besten als versteckte Sklaverei charakterisieren lässt. Der Niedergang der Plantagenökonomie Guadeloupes war deshalb weniger dem Ende der Sklaverei zuzuschreiben als vielmehr der Verpachtung der sequestrierten Güter an mittellose Glücksritter, denen das nötige Kapital zum langfristigen Unterhalt der Plantagen fehlte. Die unsicheren Zukunftsaussichten infolge

506

Schlussbemerkungen

des Kriegs hielten die Geldgeber der Kolonie zudem davon ab, den Pächtern Kredite zu gewähren. Infolgedessen waren letztere nur daran interessiert, in kürzester Zeit einen möglichst hohen Gewinn aus den gepachteten Plantagen herauszupressen. Dies alles geschah auf dem Rücken ehemaliger Sklaven, die für ihre Mühen weder bezahlt noch ausreichend ernährt wurden. Unter dem Deckmantel der Menschenrechte trugen Hugues und seine Offiziere Revolution und Krieg in die britischen Kolonien des Archipels – nicht um die Sklaven auf diesen Inseln von ihrem Joch zu befreien, sondern um die dortigen Plantagenökonomien zu zerstören. Die Abolition war einmal mehr Mittel zum Zweck. Hierfür nutzten die Republikaner Guadeloupes bereits bestehende sozioökonomische Antagonismen zwischen frankophonen und britischen Kolonisten sowie den Kariben aus und stürzten die britischen Kolonien in eine Spirale von Gewalt und Zerstörung. Eindeutige Konfliktlinien gab es in diesen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen kaum, zumal die lokalen Bündnispartner Hugues’ eine eigene Agenda verfolgten. Nicht zuletzt deshalb waren die Konflikte durch ein hohes Maß an Brutalität gekennzeichnet3 . Mit einem bis dahin nicht gesehenen Aufwand und unter Anwendung brutalster Methoden wurden die britischen Streitkräfte der bewaffneten Konflikte in den Kleinen Antillen schließlich Herr. Die großen Nutznießer der Beendigung der Kämpfe waren die britischen Zuckerbarone, die sich durch Enteignung und Vertreibung der begehrten Ländereien der frankophonen Siedler sowie der Kariben Saint Vincents bemächtigen konnten. Verlässliche Statistiken über die menschlichen und materiellen Verluste dieser Konflikte existieren nicht. Es dürften aber mehrere zehntausend Menschen als Soldaten, als Milizionäre und als Zivilisten auf Saint Vincent, Grenada, Saint Lucia sowie Anguilla den Tod gefunden haben4 . Die französischen Kriegsanstrengungen in den britischen Kolonien halfen dabei kaum, der Sklaverei ein Ende zu bereiten. Einen weit größeren Anteil daran hatten ironischerweise die Tausende von schwarzen Soldaten, die in den britischen West India Regiments gegen die Republikaner und ihre Verbündeten kämpften. Zwar leisteten sie damit dem unmittelbaren Erhalt einer auf Sklaverei basierenden Plantagenökonomie Vorschub. Langfristig sollten ihre Erfolge gegen die republikanischen Truppen allerdings zum Ende des Sklavenhandels im Britischen Empire beitragen. Gemäß Claudius Fergus halfen die Zeitungsberichte über die West India Regiments in Großbritannien maßgeblich mit, den Weg für einen Meinungsumschwung zugunsten des Sklavenhandelsverbotes von 1807/08 zu ebnen5 . Dass nach dem britischen Sklavenhandelsverbot bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mehr Menschen 3 4 5

Siehe zu diesem Phänomen auch Stathis N. Kalyvas, The Logic of Violence in Civil War, Cambridge 2006. Siehe die Schätzungen bei Geggus, Slavery, War, and Revolution in the Greater Caribbean, S. 24f. Fergus, Revolutionary Emancipation, S. 67–94.

Schlussbemerkungen

507

von Afrika auf die Zuckerplantagen der Karibik (vor allem Kubas) und Brasiliens verschleppt wurden als zuvor seit Beginn des transatlantischen Sklavenhandels, steht allerdings auf einem anderen Blatt6 . In den bewaffneten Konflikten im Archipel der Kleinen Antillen spielte aber auch der Krieg zur See eine wichtige Rolle. Maßgeblichen Anteil daran hatten die Kaperfahrer aus Guadeloupe, die, je länger der Krieg sich hinzog, immer öfter Jagd auf die neutrale Handelsschifffahrt machten. Die zunehmende Entgrenzung dieses Kriegs sowie der sich über Jahre hinziehende Verfassungskonflikt entfremdeten die Metropole erneut von Guadeloupe. Hugues und seine Offiziere hatten auf der Insel Herrschaftsstrukturen gedeihen lassen, deren Fundament die breite Beteiligung von Kaufleuten, Offizieren sowie städtischen Unterschichten am entgrenzten Kaperkrieg war. Die Fortsetzung des Kriegs war für diese Beutegemeinschaft die entscheidende Voraussetzung. Gleichzeitig bildete der Krieg die raison d’être der schwarzen Kolonialarmee der Kolonie, denn solange Krieg herrschte, blieb eine Wiedereinführung der Sklaverei und eine Rückkehr der émigrés ausgeschlossen. Aus der Sicht Hugues’ kam dem Erhalt seines Willkürregimes größte Bedeutung zu, um die verbliebenen Pflanzer und die Pächter vom politischen Entscheidungsprozess auszuschließen. Deshalb versuchte er, die Anwendung der Verfassung des Jahres III (1795) auf Guadeloupe um jeden Preis zu verhindern. Die Blockadehaltung Hugues’ stieß in Paris zusehends auf Unverständnis. Der von ihm eigenmächtig losgetretene Kaperkrieg gegen die USA, für den letztlich die Metropole die Verantwortung zu tragen hatte, war den Entscheidungsträgern in Paris ebenfalls ein Dorn im Auge. Die Kaperfahrer und ihre Nutznießer stellten ihre Profitgier über die geostrategischen Interessen Frankreichs. Aus Sicht der Metropole sollte Guadeloupe aber eine Pflanzkolonie sein und kein quasi-autonomer Korsarenstaat, dessen Nutznießer eine Handvoll lokaler Kolonialbeamter, Kaufleute und Militärs waren. Doch die Missionen Desfourneaux’, Jeannets, Bacos und Laveaux’, die den Korsarenkrieg hätten einhegen, die Verfassung umsetzen sowie der Autorität der Metropole Nachdruck verleihen sollen, scheiterten an den von Hugues auf Guadeloupe geschaffenen Herrschaftsstrukturen. Jeden Versuch dieser Repräsentanten der Metropole, die Kaperei einzudämmen, beantworteten die Nutznießer des entgrenzten Kaperkriegs kurzerhand mit der Absetzung der Agenten aus Frankreich. Guadeloupe entglitt damit zusehends der Kontrolle der Metropole. Dies zeigt sich am deutlichsten am völlig unbegründeten Angriff der Machthaber Guadeloupes gegen die batavischen Verbündeten auf Curaçao, der zur Folge hatte, dass dieser wichtige Umschlagplatz für den Handel mit den spanischen Festlandkolonien in britische Hände fiel. Der Kontrollverlust der Metropole über Guadeloupe fügte sich in einen generellen Desintegrationsprozess

6

Zur sogenannten second slavery siehe einführend Zeuske, Die Geschichte.

508

Schlussbemerkungen

des französischen Kolonialreiches ein. Nicht zuletzt Toussaint Louverture verfolgte als starker Mann auf Saint-Domingue eine eigenständige Politik, die mit den geostrategischen Interessen der Metropole kollidierte. Diesen Auflösungserscheinungen glaubte Bonaparte mit der Wiedereinführung der Sklaverei entgegentreten zu können. Die Entrechtung und Versklavung von mehreren hunderttausend Menschen afrikanischer Abstammung, von denen viele in den letzten Jahren für die Republik gekämpft hatten, war Bonaparte egal. Mit dieser weitreichenden Maßnahme hoffte er, die Loyalität der Plantagenbesitzer und damit die Kontrolle über das französische Kolonialreich wiedergewinnen zu können, denn die Pflanzer sollten in Bonapartes Plänen wieder zum wichtigsten Pfeiler französischer Kolonialherrschaft werden. Ihr illoyales Verhalten zu Beginn der revolutionären Umbrüche hatte der Erste Konsul ihnen notgedrungen verziehen, da er innenpolitisch auf ihre Unterstützung angewiesen war. Mit der Unterzeichnung des Präliminarfriedens im Oktober 1801 hatte er schließlich freie Hand, die Herrschaftsstrukturen im französischen Kolonialreich nach seinem Gutdünken neu zu gestalten. Tatkräftige Unterstützung erhielt er dabei von britischen Militärs. Ihnen konnte die Wiedereinführung der Sklaverei nur recht sein, verlor doch die französische Präsenz in der Karibik damit erheblich an militärischer Gefahr. Der Widerstand der Kolonialarmee Guadeloupes gegen ihre Entmachtung und Entrechtung beziehungsweise Wiederversklavung fand unter der Masse der cultivateurs der Kolonie schließlich nur punktuelle Unterstützung. Nur zu gut war letzteren in Erinnerung geblieben, dass es die schwarzen Truppen und ihre Offiziere gewesen waren, die maßgeblich zu ihrer fortgesetzten Ausbeutung nach der Abolition 1794 beigetragen hatten. Die These von Laurent Dubois, wonach es sich beim Kampf Delgrès’ und seiner Mitstreiter um einen antikolonialen Kampf aller Bewohner Guadeloupes gegen die Sklaverei gehandelt habe, scheint deshalb massiv übertrieben. Spätestens während der Napoleonischen Kriege sollte sich zeigen, dass Bonapartes Ziel, mit der Wiedereinführung der Sklaverei die Loyalität der Pflanzer wieder zu gewinnen, gescheitert war. Auf Guadeloupe waren die zurückgekehrten Plantagenbesitzer nicht für die Kriegsanstrengungen und die damit einhergehenden Forderungen der neuen Kolonialadministration nach unbedingter Loyalität zu gewinnen. Ihnen fehlte nicht zuletzt das Kapital, um den finanziellen Bedürfnissen des Kolonialstaates nachzukommen. Ernoufs Politik der harten Hand war indes kaum Erfolg vergönnt. Im Gegenteil: Infolge des Kriegs öffneten sich die alten Gräben innerhalb der kolonialen Eliten wieder, gleichzeitig verlor die Kolonialregierung jegliche Unterstützung in den Städten und auf dem Land. Auf Martinique versuchten derweil Teile der Kolonialverwaltung, die lokalen Eliten mit einer zuvorkommenden Politik für sich zu gewinnen. Diese Bestrebungen gingen so weit, dass die Autorität des Kolonialstaates und der Metropole völlig unterminiert wurde. Auf Martinique war der Kolonialstaat infolgedessen bald nur noch das ausführende Organ der Pflanzer. Diese Subversion metropolitaner Herrschaftsansprüche

Schlussbemerkungen

509

auf Martinique hatte weitreichende Folgen. Zum einen versuchten vor Ort befindliche französische und britische Militärs den Krieg gemeinsam einzuhegen, um die Plantagenbesitzer vor dessen Folgen zu bewahren. Ziel dieser Maßnahme war es, die politische Unterstützung der Pflanzer nicht aufs Spiel zu setzen. Der These von David Bell, wonach es sich bei den Kriegen der Französischen Revolution und Napoleons um den ersten totalen Krieg der Weltgeschichte gehandelt habe, kann deshalb entgegengestellt werden, dass es sich hierbei nicht um einen kontinuierlichen Prozess gehandelt hat. Vielmehr waren die Zeitgenossen immer wieder bemüht, den Krieg, sofern es in ihrem Interesse war, einzuhegen. Das anglo-französische Verhältnis war also nicht nur von Krieg geprägt, sondern auch immer wieder von Kooperation. Zum anderen hatten die subversiven Herrschaftsstrukturen auf Martinique Folgen für den Ausgang des globalen Kriegs zwischen Frankreich und Großbritannien sowie deren Verbündeten. So nutzten die französischen Marinestreitkräfte im Vorfeld der Schlacht von Trafalgar ihre numerische Überlegenheit in der Karibik unter anderem deshalb nicht aus, weil sie sich von den grands Blancs Martiniques verraten fühlten. Damit trug die Illoyalität der kolonialen Eliten Martiniques zum Scheitern von Napoleons Plänen bei, der Royal Navy einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Auch in der Karibik hatte das illoyale Verhalten der kolonialen Führungsschicht entscheidenden Anteil am Verlust der Îles du Vent, setzten doch die dortigen Pflanzer alles daran, die britischen Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Während sich Villaret auf Martinique seinem Schicksal fügte, versuchte Ernouf, einen Großteil der menschlichen und materiellen Ressourcen der Kolonie für die Verteidigung zu mobilisieren. Damit trieb er die Eliten Guadeloupes nur noch schneller in die Arme des Britischen Empires, denn die von Ernouf angestrebte Nutzbarmachung aller Mittel war mit den Strukturen einer auf Sklaverei beruhenden Plantagenökonomie unvereinbar. Gleichzeitig illustrieren Ernoufs Bestrebungen, dass die staatlichen Ansprüche, über die Ressourcen der Kolonien uneingeschränkt zu verfügen, mit der Wiedereinführung der Sklaverei 1802 keineswegs endeten. Deshalb ist das Jahr 1802 nicht gleichbedeutend mit einer Rückkehr ins kolonialpolitische Ancien Régime, wie dies in der Forschung immer wieder behauptet wird. Es kann schon allein deshalb nicht die Rede von einer Rückkehr zum Satus quo ante die Rede sein, weil die innergesellschaftlichen Konflikte unter der Oberfläche weiterbrodelten und auch mit der britischen Besetzung der französischen Kolonien 1810 nicht endeten. Am deutlichsten zeigt sich dies schließlich an den Ereignissen auf Martinique und Guadeloupe während Napoleons Herrschaft der Hundert Tage. Das Sklavenhandelsverbot des französischen Kaisers, der nur eine Dekade zuvor noch als Restaurator des alten Kolonialregimes in Erscheinung getreten war, war abermals nicht das Ergebnis einer aufklärerischen Eingebung Napoleons, sondern erneut die Antwort auf konkrete politische Herausforderungen in Europa wie auch in Übersee. Insofern stand auch Napoleon in der Traditi-

510

Schlussbemerkungen

on sämtlicher französischer Revolutionsregierungen zuvor, die zum eigenen Herrschaftserhalt koloniale Strukturen zu modifizieren gedachten. Diese auf dem Rücken der Kolonisierten ausgetragene politische Anpassungsfähigkeit des französischen Imperiums war gerade in der globalen Konfliktserie von 1793–1815, der sich durch eine zunehmende Entgrenzung auszeichnete, ein Gebot der Stunde. Auch im Britischen Empire ist im Hinblick auf koloniale Herrschaftstechniken ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit feststellbar. Stig Förster hat diese Wandelbarkeit als die »Kontinuität der Flexibilität des britischen Imperialismus um 1800« bezeichnet7 . Ob und wie die in Paris und London dekretierten kolonialen Richtungswechsel vor Ort umgesetzt wurden, hing aber entscheidend von der Kooperationsbereitschaft lokaler Eliten ab. Für die Anpassungsfähigkeit des französischen Kolonialreiches stellten die Pflanzer meist einen Hemmschuh dar, divergierten doch die Vorstellungen von Metropole und Peripherie über den einzuschlagenden Weg oftmals markant. Die örtlichen Eliten des französischen Überseeimperiums verfolgten eine eigene Agenda, die den Interessen der Metropole oft genug diametral entgegenstand. Ronald Robinsons These, wonach es sich bei Siedlern um die »prefabricated collaborators« eines jeden Imperiums handelte, muss deshalb revidiert werden8 . Selbst die französischen Kolonialbeamten und Militärs rund um Victor Hugues, die 1794 die Pflanzer Guadeloupes mit dem Ziel, die metropolitane Autorität wiederherzustellen, entmachtet und mit der Abolition die kolonialen Herrschaftsverhältnisse zumindest auf dem Papier auf den Kopf gestellt hatten, verfolgten schon bald ihre eigenen Ziele, die mit den größeren geostrategischen Interessen der Metropole kollidierten. Doch während sich die Pflanzer mit ihrer eigenständigen Politik unter anderem den Folgen des Kriegs zu entziehen suchten, nährte sich das Regime Hugues’ vom Krieg. Ohne den Krieg wären die revolutionären Umstürze in der Karibik nicht denkbar gewesen.

7

8

Stig Förster, Die Kontinuität der Flexibilität. Strategie und Praxis des britischen Imperialismus um 1800, in: Wolfgang Reinhard (Hg.), Imperialistische Kontinuität und nationale Ungeduld. Methoden und Ergebnisse moderner Imperialismusforschung, Frankfurt a. M. 1992, S. 31–49. Robinson, Non-European Foundations, S. 124–126.

Karten

https://doi.org/10.1515/9783110608830-017

Karte 1

Roatán (e)

100 200 300 400 500 km

Havanna

Saint-Domingue (f)

Port-auPrince

Le Cap

Vizekönigreich Neugranada (e)

KARIBISCHES MEER

Jamaika (b)

Kuba (e)

Bahamas (b)

Aruba (n)

San Juan

Coro

Martinique (f)

Cumaná

Saint Vincent (b)

Caracas

Essequibo und Demerara (n)

Trinidad (e)

Tobago (f)

Grenada (b)

Georgetown

Barbados (b)

Saint Lucia (f)

Guadeloupe (f) Dominica (b)

Sint Eustatius (n) Antigua (b)

Saint-Barthélemy (s)

© ZMSBw 08017-08

Berbice (n)

britische Kolonie dänische Kolonie französische Kolonie niederländische Kolonie schwedische Kolonie spanische Kolonie

Saint-Martin (f und n)

Generalkapitanat Venezuela (e)

Porto-Cabello

Curaçao (n)

Bonaire (n)

(b) (d) (f) (n) (s) (e)

Anguilla (b)

Montserrat (b)

Nevis (b)

Saint Thomas (d) Puerto Rico (e)

Saint Croix (d)

Santo Domingo

Santo Domingo (e)

AT L A N T I S C H E R OZEAN

Quellen: RÉGENT, Esclavage, S. 8; Cabinet Gm796 LaW, John Carter Brown Library; Cabinet Gm798 BoF, John Carter Brown Library.

Vizekönigreich Neuspanien (e)

0

Florida (e)

Die Karibik, 1789

512 Karten

513

Karten

Guadeloupe Hauptorte Ortschaften Festungen

AT L A N T I S C H E R OZEAN

Anse-Bertrand

KARIBISCHES MEER

Petit-Canal

Anschlusskarte Le Moule Sainte-Rose

GRANDE-TERRE BaieMahault

Deshaies Lamentin

Abymes Pointe-à-Pitre (Port de la Liberté)

Berville

Pointe Noire

Gosier

Fort Fleur d’Épée

Petit-Bourg

BASSE-TERRE

Saint-François Sainte-Anne

Goyave

Bouillante Mont Soufrière 1467 m

0

5

10

15

20 km

Habitants Matouba Baillif

Capesterre Fort SaintCharles

BASSETERRE

Trois-Rivières Vieux-Fort MARIE-GALANTE

Les Saintes

Grand-Bourg

Anschlusskarte Le Moule La Désirade

GRANDE-TERRE Saint-François

AT L A N T I S C H E R OZEAN

Sainte-Anne Petite-Terre 0

5

10

15

20 km

Quellen: DUBOIS, A Colony, S. 19; ANOM, 8DFC278A; Westermann Globus-Online.

Karte 2

© ZMSBw

08019-05

514

Karten

Martinique

AT L A N T I S C H E R OZEAN Mont Pelée 1367 m

Trinité Saint-Pierre Pitons du Carbet

Gros-Morne

1197 m

Fort Bourbon

Case-Navire

Lamentin

FORT-ROYAL Fort Saint-Louis

Îlet à Ramiers

Rivière Salée Trois-Îlets

Anses d’Arlets

Saint-Luce

Marin

Rocher du Diamant 175 m

KARIBISCHES MEER Hauptorte Ortschaften Festungen 0

2

4

6

8

10 km

Quellen: DUFFY, Soldiers, S. 66; Westermann Globus-Online.

Karte 3

© ZMSBw

08021-04

515

Karten

Saint Lucia Pigeon Island

KARIBISCHES MEER

Gros Islet

Dauphine

Morne Chabot

Vigie

Marquis

352 m

CASTRIES

Grande Anse Gros Morne

Morne Fortuné 260 m

Hauptorte Ortschaften Festungen

Morne Sorcière

314 m Piton Flore 572 m

667 m Au Leon

Louvet

345 m

Anse la Raye

Mount Parasol

Mount La Combe

462 m

440 m

Canaries

Dennery

Praslin

Soufrière

Mount Tabac Mount Gimie Piton 678 m Saint Esprit 950 m 585 m

Petit Piton 747 m

Mount Grand Magazin

Micoud

616 m

Gros Piton 792 m

Mount Victorin

Choiseul

Mount Gomier

351 m

313 m

Laborie Vieux Fort 0

1

2

3

4

5 km

Moule à Chique

Quellen: CRATON, Testing the Chains, S. 196; Westermann Globus-Online.

Karte 4

AT L A N T I S C H E R OZEAN

© ZMSBw

08022-05

516

Karten

Grenada

KARIBISCHES MEER

Sauteurs

Grand Pauvre

Gouyave

840 m

Mount Grandby

Belvedere Grenville

683 m

Fédon’s Camp

Mount Qua Qua 765 m

Marquis

715 m 703 m

ST. GEORGE’S Fort George

Fort Frederick

Mégrin

AT L A N T I S C H E R OZEAN

Hauptorte Ortschaften Festungen 0

1

2

3

4

5 km

Quellen: CRATON, Testing the Chains, S. 184; Westermann Globus-Online.

Karte 5

© ZMSBw

08024-06

Karten

517

Saint Vincent

Kariben-Gebiete 0

1

2

3

4

5 km

903 m 1178 m

1219 m

Soufrière 923 m

KARIBISCHES MEER

1074 m

932 m

Grand Sable

904 m

768 m

1021 m

Barrouallie

821 m 970 m

Layou Massarica

721 m 935 m

Dorsetshire Hill

Fort Charlotte

379 m

290 m

KINGSTOWN

Hauptorte Ortschaften Festungen

Calliaqua

Quellen: CRATON, Testing the Chains, S. 148; Westermann Globus-Online.

Karte 6

AT L A N T I S C H E R OZEAN

© ZMSBw

08023-04

518

Karten

Dominica GuadaloupeKanal

Morne aux Diables

AT L A N T I S C H E R OZEAN

861 m

Hampstead

Fort Shirley

Woodford Hill

Portsmouth Morne Turner 714 m

Dublanc Morne Diablotins

Salybia

618 m

1295 m

Mang Peak

Collhaut

701 m

693 m

Castle Bruce Morne Couronne 705 m

St. Joseph

685 m

Layou Hauptorte Ortschaften Festungen

Mahaut

Morne Cola Anglais

Morne Trois Pitons

Rosalie

1341 m Morne Macaque

710 m

KARIBISCHES MEER 1224 m Morne Anglais

ROSEAU

1214 m

Maroon-Gebiete 1790 bis 1814 Kariben-Gebiete 0

1

2

3

4

803 m

5 km

Soufrière

MartiniqueKanal Quellen: CRATON, Testing the Chains, S. 142; Westermann Globus-Online.

Karte 7

© ZMSBw

08020-03

Abkürzungen ADGB

Archives départementales de la Gironde, Bordeaux

ADG

Archives départementales de la Guadeloupe, Bisdary

ADM

Archives départementales de la Martinique, Fort-de-France

ADV

Archives départementales de la Vendée, La Roche-sur-Yon

ANOM

Archives nationales d’outre-mer, Aix-en-Provence

ANP

Archives nationales, Paris

ANPS

Archives nationales, Pierrefitte-sur-Seine

BL

British Library, London

DUL

Durham University Library

NL

Newberry Library, Chicago

NMM

National Maritime Museum – Caird Library, Greenwich, London

NRS

National Records of Scotland, Edinburgh

NLS

National Library of Scotland, Edinburgh

o. D.

ohne Datum

o. O.

ohne Ort

SHD

Service historique de la Défense, Vincennes

TNA

The National Archives, Kew, London

https://doi.org/10.1515/9783110608830-018

Archivalien Archives départementales de la Gironde, Bordeaux (ADGB) Fonds de Marcel Châtillon, 61J

Archives départementales de la Guadeloupe, Bisdary (ADG) Série ancienne et révolutionnaire, L Papiers Ernouf, 1J6 Pièces isolées, 1J96

Archives départementales de la Martinique, Fort-de-France (ADM) Fonds du gouvernement – Série géographique, 1 Mi 1481 Fonds du gouvernement – Correspondance ministérielle à l’arrivée, 1 M 18125 Fonds de Pierre-Clément de Laussat, 24J12

Archives départementales de la Vendée, La Roche-sur-Yon (ADV) Fonds du Fériet, 41J

Archives nationales, Paris (ANP) Archives imprimées, AD/VII/17 Service hydrographique, MAR/3JJ/288

https://doi.org/10.1515/9783110608830-019

522

Archivalien

Archives nationales, Pierrefitte-sur-Seine (ANPS) Archives du pouvoir exécutif (1789–1815), AF/II-V Fonds général Ernouf, 185AP Missions des représentants du peuple et comités des assemblées: Comité des colonies, DXXV/116–129

Archives nationales d’outre-mer, Aix-en-Provence (ANOM) Correspondance à l’arrivée, Guadeloupe, C7A Correspondance à l’arrivée, Martinique, C8A Correspondance à l’arrivée, Grenade, C10A Correspondance à l’arrivée, Sainte-Lucie, C10C Correspondance à l’arrivée, Saint-Vincent, C10D Correspondance à l’arrivée, Guyane, C14 Dépôt des fortifications des colonies, DFC Dépôt des papiers publics des colonies. Recensements, rôles et états de réfugiés, G Fonds Jean de Lacoste, 33PA Papiers Dauvergne, F6 1–2 Personnel colonial ancien, E Personnel colonial moderne, EE Série géographique – Amérique, 2400COL Troupes et personnel colonial, D

British Library, London (BL) Correspondence of Curt with Liverpool, RP 510 Liverpool Papers, Add. 38351–38356 Moore Papers, Add. 57320–57321

The National Archives, Kew, London (TNA) Admiralty Records In-Letters, Jamaica Station (1800), ADM 1/250 In-Letters, Leeward Commander-in-Chief (1793–1815), ADM 1/316–336

Archivalien

Colonial Office Dominica, CO 71 Grenada, CO 101 Jamaica, CO 137/104 Leeward Islands, CO 152/78 Martinique, CO 166 St. Lucia, CO 253 St. Vincent, CO 260

Special Collections Chatham Papers, PRO/30/8

War Office In-Letters and Papers – West Indies (1793 –1815), WO 1/20–118

National Library of Scotland, Edinburgh (NLS) Cochrane Papers, MS. 2313–2324 Dundas Papers, MS. 3835–3841 Stevenson Papers, Add.9074/3

National Maritime Museum – Caird Library, Greenwich, London (NMM) Caldwell Papers, CAL/127–128 Duckworth Papers, DU/7

National Records Scotland, Edinburgh (NRS) Leith Papers, GD225/984 Home Papers, GD267/5 Melville Papers, GD51/1; 2; 6 Seaforth Papers, GD46/7

523

524

Archivalien

Newberry Library, Chicago (NL) Rochambeau Papers, VAULT Ruggles 410

Service historique de la Défense, Vincennes (SHD) Fonds de la marine (FM) Campagnes navales, BB4 23–391

Fonds de l’armée de terre (FAT) Documents généraux relatifs aux Indes occidentales (B9 2) Troupes maritimes et coloniales (Xi 6)

University Library, Durham (DUL) Grey Papers, GB-0033-GRE-A

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Personenregister Abercromby, Ralph 244–251, 254f., 258, 261, 263–267 Adams, John 296f. Addington, Henry, Viscount Sidmouth 324, 329 Adelman, Jeremy 26 Adet, Pierre-Auguste 331 Alexander I., Kaiser von Russland 324, 435 Ambert, Jean-Jacques 373f. Arisy 396f. Arnold, Benedict 164 Arnoux, Paul 477 Arrot, René-Marie d’ 82, 94, 99f., 106 Aubert, Claude 164, 166 Augustine 257 Baco de la Chapelle, René-Gaston 299–301, 303, 309, 311f., 314, 507 Bangou, Henri 20 Barbet, Jean 347 Barnave, Antoine 73, 92 Barras, Paul de 297 Barsse, Pierre 347 Bassi, Ernesto 15 Bathurst, Henry, Earl of Bathurst 485 Beauharnais, Joséphine de 394 Beckwith, George 452–455, 468 Béhague, Jean-Pierre-Antoine de 78, 80f., 85–87, 89, 92, 94, 97, 100f., 108 Bell, David A. 24, 31f., 64, 432, 509 Bellegarde, Louis 110–112, 118, 121–127, 154, 198, 237, 261 Bence, Nicolas 384, 392 Benot, Yves 28, 141f., 147 Bentinck, Henry W. 257 Bernadotte, Jean-Baptiste 331 Berthier, César 413 Bertin, Louis-Charles-Henri 385, 387f., 391 Bertolio, Antoine-René 365–367, 374 Béthencourt, Antoine-Charles de 323 Beugnot, Jacques-Claude de 480 Bexon, François Henri Charles de 125, 199, 382, 384, 392, 419 Biassou, Georges 114 Anm. 36, 140 Blackburn, Robin 197 https://doi.org/10.1515/9783110608830-021

Blanchelande, Philibert-François Rouxel de 152 Blanchot, François 191 Blundell, Bryan 156 Bonaparte siehe Napoleon I. Bonaparte, Jérôme 394 Bonaparte, Joseph 440 Boudet, Jean 194, 335 Bouillé, François-Claude de 58, 125 Bowyer, Henry 436 Boyer, Jean-Pierre 354 Boyer de Peyreleau, Eugène Édouard 376, 399, 459, 477, 479, 485, 490, 492–494, 496–500 Branda, Pierre 22 Braudel, Fernand 15 Bresseau, Maurice-Henri 300f., 304–312, 319 Brindeau, Claude-Pierre 116–118 Brissot de Warville, Jacques-Pierre 83, 92, 122, 144 Brown, John 429 Browne, Thomas H. 455 Bruce, Thomas 89, 97, 111 Bruix, Eustache 85, 180, 290 Brulley, Augustin-Jean 143f., 152–154 Buckinghamshire, Earl of siehe Hobart, Robert Buckley, Roger N. 62 Byles, Marter 208f., 212f., 219 Cadoudal, Georges 364, 373 Caldwell, Benjamin 172, 195, 239 Cambacérès, Jean-Jacques Régis de 327 Cambriels, Pierre-Dominique 446–449 Campbell, Alexander 206–209, 211 Campbell, James 207 Canning, Geoge 268 Carpentier, Alejo 13, 155 Casas, Juan de 438 Castlereagh, Viscount siehe Stewart, Robert Castro, Don Ramón de 266 Chacón, José M. 265 Châtillon, Marcel 35 Chatoyer, Joseph 221–226, 228 Chavannes, Jean-Baptiste 152 Chirac, Jacques 22

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Personenregister

Choiseul, Étienne-François de 18 Chrétien, Pierre 151, 154, 157, 176 Christian, Hugh 245f. Christophe, Henri 351, 353f., 479f. Claire 242 Clairefontaine, Étienne Levelu de 91–93, 132, 171 Clugny, Charles-François de 60, 72–74, 78, 80, 82, 116 Cochrane, Alexander 379, 407, 425, 437f., 443–445, 449, 451, 453, 455, 462, 465, 469 Collot, Georges-Henri-Victor 85, 105–108, 115–122, 129–131 Collot d’Herbois, Jean-Marie 143f. Cormack, William S. 77 Coster 328 Cox, Edward 197 Curt, Louis de 73, 90f., 93, 95, 129, 132, 160, 171, 185, 197, 261, 322, 381 Dalbarde, Jean 109, 113f., 120, 124, 143 Damas, Claude-Charles de 72, 74–77 Danton, Georges 147, 299 Dauxion-Lavaysse, Jean-Joseph 479–481, 483 Debien, Gabriel 20 Decrès, Denis 326, 328, 342, 356f., 359–361, 365, 372, 380, 386, 388–391, 395, 398–403, 406, 409, 415, 423, 440, 448–450, 452, 457–459, 461, 466f., 469f., 483–486, 490–492, 494, 496f. Delacroix, Charles 277 Delgrès, Louis 20f., 89, 98, 336–340, 368, 371, 468, 508 Desfourneaux, Edme Étienne Borne 290–300, 310, 313, 318, 320, 324, 507 Desmoulins, Camille 141, 144 Dessalines, Jean-Jacques 351, 353f., 364, 416, 418, 425, 479 Dessalles, Pierre-François 68f. Dillon, Arthur 381f. Druault, Louis de 168–170, 243, 260f. Drummond, Gordon 157, 169 Drummond, James 262 Dubois, Laurent 23f., 26f., 118, 122, 197, 207, 337, 508 Dubuc, Louis-François 71f., 74f., 77f., 81, 85f., 90–95, 111, 132f., 157, 231–234, 321, 356f., 374, 383, 395, 474f., 484 Dubuc de Saint-Olympe, Jean-Baptiste 374, 462, 467, 469, 477, 484f.

Duckworth, John T. 305 Dufaÿ, Louis 145–149, 153f. Duffy, Michael 112, 198 Dugommier, Jacques-François Coquille 72, 76–78, 89, 118 Dumouriez, Charles-François 102, 145 Dundas, Henry, Viscount Melville 90f., 97, 145, 196, 203, 206, 226f., 235, 245, 248f., 251, 264–267 Dundas, Thomas 156, 173 Duny, César-Dominique 179, 186, 382, 414f., 447, 468f., 472, 499 Dupuch, Élie-Louis 89, 176, 283 Durham, Philipp C. 488–490, 498 Duvallé 228, 230 Élisabeth, Léo 51 Émilie 397 Ernouf, Jean-Augustin 359–376, 378–380, 414–418, 423, 432, 434, 436, 438–441, 444–448, 454, 457–468, 471, 499, 508f. Eyma, James 233 Fédon, Julien 28, 204–219, 222, 232f., 237, 241, 250, 253 Ferdinand VII., König von Spanien 441 Fergus, Claudius 197, 506 Ferrand, Marie-Louis 353, 425 Forfait, Pierre-Alexandre 300, 302, 310, 312, 316f., 321f., 325 Forsant 485, 491 Förster, Stig 510 Fouché, Joseph 438 Fourne 365f. Fourniols, Michel 283 Fox, Charles 438 Frederik IV., König von Dänemark 435 Fromentin 492 Gainot, Bernard 29, 357 Galbaud, François-Thomas 137–140, 145 Ganteaume, Honoré 316, 420, 426 Gardner, Alan 109, 111 Gauthier, Florence 141f., 147 Geggus, David P. 95, 267 Genet, Edmond-Charles 120f. Genty, Louis 123 Georg III., König von Großbritannien und Irland 91, 149, 173, 381, 449, 472 Gimat, Jean-Joseph de 69, 74, 87, 109, 111

Personenregister Girard, Philippe R. 25f., 197, 207, 316, 326 Girardin de Montgirald, Marie de 381 Gliech, Oliver 25, 54 Gobert, Jacques-Nicolas 332, 339f. Gommier, Jean-Baptiste 118f. Gonzalez, Nancie 220 Anm. 128, 257 Gordon, Charles 131, 199 Goyrand, Gaspar 176, 192, 201–203, 216, 229f., 232, 234f., 246–248, 257, 262 Graham, Charles 255 Graham, Colin 169–171 Gravina, Federico 421 Grégoire, Henri, auch genannt Abbé Grégoire 144 Grenville, William, Baron of Grenville 437 Grey, Charles, Earl of Grey 124–129, 131f., 157f., 162, 164–169, 172, 195, 199, 245, 266 Grinfield, William 413 Guilhermy, Jean-François-César de 478, 489, 494 Gustav IV., König von Schweden 433 Hamilton, Henry 176, 186f. Hartkopf Schloss, Rebecca 393 Hawkesbury, Baron siehe Jenkinson, Charles Hay, John 211, 233 Hédouville, Gabriel de 293, 313 Hobart, Robert, Earl of Buckinghamshire 382, 413 Hollande, François 21 Home, Ninian 206–209, 213 Hood, Samuel, Viscount Hood 385, 394, 407, 409, 425, 428, 430–432 Houstoun, Alexander 250, 252f. Hugues, Victor 13, 151–167, 169–194, 196, 198, 200–203, 207f., 215–219, 222, 224f., 228–243, 245, 248–251, 253–258, 262, 265, 268f., 272–294, 298, 305, 310, 320, 322, 330, 335, 344, 364f., 369f., 378, 383, 456, 467, 469f., 505–507, 510 Humboldt, Alexander von 309 Hunter, Martin 254f. Ignace, Joseph 336f., 339f. Irving, Paulus A. 233, 235f. Israel, Jonathan 142 Jacobs, Curtis 197 Jaucourt, Louis de 141

545

Jeanbon Saint-André, André 152f. Jeannet-Oudin, Nicolas-Georges 190, 299–301, 303f., 309–312, 319, 507 Jefferson, Thomas 417, 434 Jenkinson, Charles, Earl of Liverpool, Baron Hawkesbury 90f. Jervis, John, Earl of Saint Vincent 124f., 131, 156, 158, 162, 172, 245 Johnson, Kenneth G. 454, 470 Johnstone, Andrew Cochrane 327–329, 333, 335, 339, 343 Joséphine, Kaiserin der Franzosen siehe Beauharnais, Joséphine de Karl IV., König von Spanien 96 Keppel, William 322, 381 Kerversau, François-Marie Périchou de 362, 367f., 371f., 375, 380, 435, 445, 458–461, 463–465 Kroon, Hendrik 415 La Châtre, Claude-Louis de 484, 489 Lacoste, Jean de 85 Lacour, Auguste 170, 448 Lacrosse, Jean-Baptiste Raymond 97–102, 105f., 318–324, 326–328, 332–335, 343, 345–348, 359f., 363, 367, 382f., 387, 412 La Fayette, Marie-Joseph Mortier de 85 Lagrange, Joseph 420, 423f. La Luzerne, César-Henri de 60, 69f. Lambert, Jean-Joseph 199f. Laroque-Montel, Pierre Jacques Fulcrand de 87f., 110 Larriveau, Jean-Baptiste 128, 156, 160f., 261 Lasalle de Louisenthal, Wilhelm 247, 257, 261, 263 Lauffer, Johann Rudolf 239f., 302–309 Lauriston, Jacques Law de 426 Laussat, Pierre-Clément de 391–393, 396–403, 408f., 423, 426, 449f., 452, 455f. Laveaux, Étienne 287, 290, 292, 300f., 303, 310–312, 318, 320, 324, 331, 507 Lebas, Alexandre 176, 181, 203, 229, 235, 250 Leclerc, Victoire-Emmanuel 63, 326, 335, 351–353, 386 Lefessier-Grandprey, Jacques 387, 396 Leigh, James 192 Leissègues, Corentin de 158

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Personenregister

Leith, Alexander 225 Leith, James 485, 489f., 498, 500f. Lentz, Thierry 22 Le Pelley de Pléville, Georges René 268, 284f., 287, 289 Lescallier, Daniel 328, 344, 362 Lindsay, Colin 210 Linois, Charles-Alexandre Léon Durand de 477f., 485–487, 489–501 Lion, Jean-Pierre 89, 176, 283 Littée, Janvier 89 Liverpool, Earl of siehe Jenkinson, Charles Louis, Abel A. 101, 123 Louverture, Toussaint 17, 20, 25f., 114 Anm. 36, 140, 267, 287, 293, 309, 313, 317, 324–326, 334f., 351f., 508 Ludwig XVI., König von Frankreich und Navarra 32, 67, 81, 84, 86, 91f., 106, 401, 503 Ludwig XVIII., König von Frankreich und Navarra 471f., 474, 476–478, 480, 483f., 487, 491, 495, 499

Morard de Galles, Justin Bonaventure 97, 101 Moreau, Jean-Victor 332, 364, 373 Moreau de Jonnès, Alexandre 59, 224f., 254, 403, 411, 419, 423 Murphy, Tessa 15, 198, 223

Madier, Baptiste 465, 471 Maitland, Thomas 267 Malcombe 200 Mallespine, Jean-Michel 371f., 375, 389, 471 Mallevaut, Louis-Charles 79, 85f., 88 Malouet, Pierre-Victor 91, 474, 479f. Manncey 409 Marie-Antoinette, Königin von Frankreich und Navarra 102 Marie-Louise, Kaiserin der Franzosen 487 Marinier 198, 200, 230, 249, 261 Marques, João P. 26 Marraud des Grottes, Isaïe Jean-Baptiste 233 McKenzie, Kenneth 208f., 214 Medina, Agostino Franco de 480 Melville, Viscount siehe Dundas, Henry Ménard, Jean-François Xavier de 332, 343–346 Millet de la Girardière 347 Milnes, Robert 233, 236 Miranda, Francisco de 437–440 Missiessy, Édouard de 419f., 422–425, 427f., 432 Monge, Gaspard 97, 101f. Moore, John 248, 257–262

Page, Pierre-François 143f., 152–154 Pakiri 225 Palerme 343–346, 348, 363 Papillon, Jean-François 114 Anm. 36, 140 Pâris, Marie-Auguste 299f., 311 Paul I., Kaiser von Russland 324 Pautrizel, Thyrus 89, 117 Pedre, Marin 255, 261f. Pélage, Magloire 175, 323f., 327, 332–336, 340f., 343, 364f., 476 Pélardy, Matthieu 166, 169, 241, 292, 299, 311 Pérotin-Dumon, Anne 27, 92, 96, 115, 276, 302 Perpigna, Israël de 90, 93 Pétion, Alexandre Sabès 354, 479f. Philipp, Joachim 207, 253 Piar, Manuel C. 414 Pichegru, Jean-Charles 364 Pigot, Hugh 444, 446–448 Piquet, Jean-Daniel 142, 147 Pitot, François-Marie 304, 306f., 310 Pitt, William, der Jüngere 90, 115, 245, 264, 267f., 324, 381, 437 Pluchon, Pierre 20 Polverel, Étienne 17, 137–141, 143–145, 150 Popham, Home R. 439

Napoleon I., Kaiser der Franzosen 21–23, 27–29, 37, 300, 302, 310–319, 324–326, 328–331, 333, 336, 341, 348, 351–353, 355f., 359, 362, 374, 382–384, 387, 390–396, 398, 401–403, 409, 419–427, 433, 435, 438–441, 450, 456, 460, 464, 466, 470–473, 476, 482–487, 491–495, 500f., 508f. Nègre, André 20 Nelson, Horatio, Viscount Nelson 419, 426–428 Nicholls, Oliver 213f., 218, 252 Nogues, Charles 207 Noguès, François Xavier 412f. Ogé, Vincent 152

Personenregister Popkin, Jeremy D. 24–26, 139, 142 Portland, Earl of siehe CavendishBentinck, William Pothuau, Alexis 381 Prescott, Robert 168, 171 Prevost, George 409, 422–424, 430 Raimond, Julien 73 Régent, Frédéric 26, 99, 178, 188–190, 272, 274, 295 Reinhard, Wolfgang 268, 510 Ribbe, Claude 21 Ricard, Nicolas-Xavier de 85, 105, 122f., 129, 198 Richebois, Louis-Benjamin Fillassier de 169f. Richepance, Antoine 331, 336–344, 347, 359, 362, 365–367, 454, 458, 468 Robespierre, Maximilien de 14, 144, 153, 175, 232, 278, 469, 505 Robinson, Carnut 292 Robinson, Ronald 13, 34, 510 Rochambeau, Jean-Marie-Donatien Vimeur de 85–87, 92, 95, 105–114, 118, 121–129, 131, 133, 154, 191, 237, 261, 352–354, 364, 414 Rouvray, Laurent-François Lenoir de 243, 438 Sabathier 198, 261 Saint-Juéry, Pierre 463 Saint Vincent, Earl of siehe Jervis, John Sancé, Jean-Louis Ridouet de 125, 384, 392 Savaresi, Antonio 404 Schmaltz, Julien-Désiré 479, 494, 499 Scipion 364f. Sérizat, Charles 335 Seton, James 222f., 226f., 249 Shaw 211f. Sidmouth, Viscount siehe Addington, Henry Sièyes, Emmanuel-Joseph 292 Solier, Marc 371f. Sonthonax, Léger-Félicité 17, 137–141, 143–145, 150, 284, 287, 313 Soter, Charles 167, 169f., 233, 243, 453, 462 Soulhat 228 Spieler, Miranda F. 174, 279 Stewart, Robert, Viscount Castlereagh 467

547

Stewart, William 127, 130, 133, 163, 200–202 Stoddert, Benjamin 313 Sugue, Charles-Joseph 216–218, 241 Symes, Richard 164f. Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice 292, 297f., 438, 482 Tarbouriech, François 231f. Tarleton, Thomas 203f. Tascher de la Pagerie, Rose-Claire 394f., 397 Taubira, Christiane 21 Anm. 36 Teissier, Louis 416 Thornton, John K. 67 Tierce Cadet, Jean-Baptiste 303 Trigge, Thomas 305 Troude, Aimable-Gilles 465 Trouillot, Michel-Rolph 20 Truguet, Laurent 181f., 184, 190, 192–194, 241, 250, 266, 277, 281–284, 330, 356 Truxtun, Thomas 304 Turreau de Garambouville, Louis-Marie 456 Vaucresson, Louis de 478, 493f. Vaughan, John 172, 195, 201, 213, 231–233, 243f. Vaugiraud, Pierre de 474–477, 486–491, 499, 503 Vermont, Eloy de 116f., 168 Vermont, Eloy Lemercier de 168–170, 260f., 335, 344, 363, 366, 373 Villaret-Joyeuse, Jean-Marie 392 Villaret-Joyeuse, Louis-Thomas 284, 317, 335, 383–410, 412, 415f., 423f., 426f., 430, 432, 444f., 451–456, 467, 470, 479, 509 Villeneuve, Pierre-Charles de 389, 410, 419–421, 423, 425–428 Vioménil, Antoine-Charles de 67f., 70–72 Washington, George 120f. Watkins, Frederick 308 Wellesley, Arthur, Duke of Wellington 440 Wellesley, Richard 440 Wellington, Duke of siehe Wellesley, Arthur

548

Personenregister

Wilberforce, William 90, 96, 331 Wilhelm V., Fürst von Oranien und Nassau 238

Young, William

221, 226, 256

Zaugg, Roberto 404

Ortsregister Aix-en-Provence 35 Anguilla, britische Kolonie 242, 506 Anse de Choc, Bucht Saint-Lucias 413 Antigua, britische Kolonie 46, 192, 418, 421, 426f., 443, 451, 485 Bahamas, britische Kolonie 246 Baie-Mahault, Gemeinde Guadeloupes 169 Baimbridge, Vorort Pointe-à-Pitres 340, 343 Baliceaux, Insel vor Saint Vincent 254f. Barbados 46, 110, 124, 192, 204, 418, 425–428, 437, 452 Basse-Terre, Halbinsel Guadeloupes 42, 52, 117, 157f., 165f., 168f., 337, 339, 343f., 346, 362, 371, 445, 463 Basse-Terre, Hauptstadt Guadeloupes 45, 49, 57, 72f., 78, 80, 82, 89, 100, 105, 116–119, 121, 129f., 157, 168, 170f., 173f., 187, 271, 273f., 276, 293, 305, 323, 337–339, 360, 369, 371, 465f., 468, 477, 485, 489, 491–495, 498, 500 Batavische Republik 238f., 244, 264, 272, 302, 307, siehe auch Niederlande Beaune 97 Belgien 298 Belvedere, Plantage Fédons auf Grenada 207–209, 211, 250 Berbice, niederländische Kolonie 414, 420 Berlin 434 Berville, Plantage Guadeloupes 169–171 Bordeaux 18, 35, 177, 284, 472, 499 Brest 97, 101f., 105, 145, 152f., 331, 341, 384, 419f., 426 Bristol 18 Buenos Aires 439 Caracas, Hauptstadt des Generalkapitanats Venezuela 340, 437–439, 441 Case-Navire, Gemeinde Martiniques, heute Schœlcher 108f., 111 Castries, Hauptstadt Saint Lucias 47, 88, 98, 200f. Ceylon 381 Charleston 121 Charlotte Town, Gemeinde Grenadas 208 https://doi.org/10.1515/9783110608830-022

Chicago 35 Choiseul, Gemeinde Saint Lucias 88 Coblentz 145, 472 Cork 245, 440 Coro, Hafenstadt des Generalkapitanats Venezuela 438–440 Cowes 245 Curaçao, niederländische Kolonie 239f., 273, 302–311, 318f., 331, 414–416, 447, 507 Dänemark 272, 416, 435 Demerara, niederländische Kolonie 246, 414 Deshaies, Gemeinde Guadeloupes 463 Dominica, britische Kolonie 19, 45, 49, 82, 89, 97–99, 176, 186f., 204f., 327f., 334f., 381f., 389f., 408f., 420, 422–424, 426 Dominikanische Republik siehe Santo Domingo Dublin 245 Dünkirchen 102 Durham 35 Edinburgh 35, 213 Elba 341, 471, 473 Essequibo, niederländische Kolonie 414, 420 Evesham Vale, Gemeinde Saint Vincents 222 Fort Amsterdam, Festung auf Curaçao 308f. Fort Bourbon, Vauban-Festung bei Fortde-France 37, 45, 75f., 109, 382, 407 Fort-de-France, Hauptstadt Martiniques 37, 363, 385, 387f., 395, 400–402, 404–406, 408, 418, 425, 429, 453f. Fort de Joux, Festung im französichen Jura 352 Fort de la Convention nationale 37, 109f., 125–128, siehe auch Fort Bourbon Fort-de-la-République 37, 109f., siehe auch Fort-de-France Fort de la Victoire 336, siehe auch Fort Fleur d’Épée

550

Ortsregister

Fort Desaix 37, 407f., 452–455, siehe auch Fort-Bourbon Fort Fleur d’Épée, Festung bei Pointe-àPitre 45, 130, 156–158, 162, 164, 344, 468 Fort Louis, Befestigung am Hafeneingang von Fort-de-France 128 Fort Mathilda 157, 171f., siehe auch Fort Saint-Charles Fort-Royal 37, 42, 45, 57, 70, 75–78, 85–87, 89, 100, 109, 156, 199, 231, 401, 488, siehe auch Fort-de-France Fort Saint-Charles, Festung bei Basse-Terre 45, 130, 157, 339, 494 Fort Saint-Michel, Festung auf Curaçao 308 Fort Shirley, Festung auf Dominica 422f. Frankreich 13f., 17–22, 28, 30, 38, 44, 47–50, 57f., 65, 69f., 72, 76, 78–80, 82–85, 87–94, 102f., 107, 115, 120, 125, 128f., 137f., 142–145, 148f., 152, 155, 159f., 175, 177, 179, 181, 193, 196f., 202, 240f., 244–246, 264f., 268f., 273, 275, 277f., 280, 283 Anm. 44, 286–289, 296–299, 301, 303, 306f., 310, 312f., 315f., 319f., 322, 324f., 327, 330, 332f., 335f., 339, 341f., 344, 351–354, 359f., 363f., 381–385, 387f., 390–392, 395f., 399f., 402, 405f., 411, 418, 421, 424, 428, 433–435, 437, 439, 441, 444, 449f., 452, 455–457, 463, 468, 471–476, 478, 487–489, 491, 497–499, 503–505, 507, 509 Französisch-Guyana, französische Kolonie 21 Anm. 36, 29, 51, 188, 190, 254, 285, 299, 305, 317, 322, 325f., 353, 365, 383, 449, 456, 474 Gent 485–487, 495 Gibraltar 45, 246 Gosier, Gemeinde Guadeloupes 130, 156, 159, 162f., 364, 468 Göteborg 177 Gouyave, Gemeinde Grenadas 209, 217 Grand-Bourg, Hauptstadt Marie-Galantes 444, 446 Grande-Terre, Halbinsel Guadeloupes 42, 120, 130, 156f., 159, 162, 165f., 169, 182, 334, 337, 340, 344–347, 362f., 369, 445, 460, 462, 467f., 478f. Grenada, britische Kolonie 19, 28, 45, 197, 204–213, 215–219, 222, 230,

232–234, 236–238, 241f., 246, 249f., 252–254, 263, 268, 272, 421, 506 Grenville, Gemeinde Grenadas 208, 250 Gros-Îlet, Gemeinde Saint Lucias 88 Gros-Morne, Gemeinde Martiniques 76, 78, 111, 126 Großbritannien 28, 38, 83, 86, 90f., 94, 101, 107, 122, 128, 138, 145, 148, 193f., 246, 264, 268, 274f., 277, 302, 309, 316, 324–328, 335f., 353, 357, 360, 381, 389, 391, 393, 404, 411, 415, 417, 419, 421, 433–435, 437f., 479, 505f., 509 Guadeloupe, französische Kolonie 13f., 16–18, 20f., 23, 26f., 29, 35f., 42, 45–52, 56–61, 72–74, 76–82, 84–102, 105–109, 114–122, 125, 129–133, 147, 150f., 154–158, 160f., 163f., 166–169, 171–192, 195f., 198–200, 202, 204, 207f., 212, 214f., 217, 222, 224, 228, 230, 232f., 237–243, 245f., 248, 250–252, 257, 260f., 264–267, 271–283, 285–347, 351f., 355–357, 359–380, 382–384, 386f., 389, 395, 407f., 411, 413f., 416–418, 420–423, 425f., 428f., 432–434, 440f., 444–451, 454, 457–478, 483–487, 489–493, 495, 497–501, 503–510 Gustavia, Hauptstadt Saint-Barthélemys 273, 433 Haiti 16f., 19–23, 25, 43, 351–355, 364f., 411, 415–418, 425, 437, 477, 479–483, 501, siehe auch Saint-Domingue Halifax 461 Holland, Königreich 311, 444, siehe auch Niederlande Honduras 249, 255 Île de France, französische Kolonie im Indischen Ozean, heute Mauritius 142, 281, 473 Îlet à Ramiers, Insel vor Martinique 453 Indien 18, 196, 246, 254, 324f., 440 Isle of Wight 245 Italien 298 Jamaika, britische Kolonie 46, 82, 246, 267, 308, 313, 324, 425f. Jérémie, Provinzhafen Saint-Domingues 144 Jura 352

Ortsregister Kanada 49 Kap der Guten Hoffnungen 246 Kew 35, 238 Kingstown, Hauptstadt Saint Vincents 223–230, 249 Koblenz siehe Coblentz Kopenhagen 323, 436, 449 Korsika 246, 341 Kuba, spanische Kolonie 309, 438, 507 La Désirade, Leprakolonie vor Guadeloupe 51, 163, 184, 189, 191, 280, 444f., 457 Lamentin, Gemeinde Guadeloupes 288 Lamentin, Gemeinde Martiniques 100, 112 Languedoc 478 La Réunion, französische Kolonie im Indischen Ozean 142, 281, 317 La-Roche-sur-Yon 35 Le Cap-Français 63, 137–140, 143–145, 351, 353 Le Moule, Gemeine Guadeloupes 189 Le Robert, Gemeinde Martiniques 51, 452 Les Saintes, Inselgruppe südlich von Guadeloupe 45, 51, 184, 191, 232, 280, 340f., 345, 363, 408, 459, 465f., 489f. Le Vauclin, Gemeinde Guadeloupes 235 Liverpool 18, 203 London 14, 35, 60, 90f., 93, 96, 100, 111, 115, 129, 149, 160, 171, 176, 185, 195, 206, 221, 226f., 233f., 238, 243–245, 249, 256, 261, 263, 268, 321, 328f., 333, 338, 381, 385, 391, 394, 407, 409, 413f., 416, 418, 425, 434, 437f., 440, 443, 451, 469, 482, 484f., 489, 492, 498, 510 Lorient 85, 153, 291, 466 Louisiana, spanische Kolonie 325, 353, 391, 401 Lyon 120, 482, 484 Macouba, Gemeinde Martiniques 422 Madrid 266 Mailand 434 Mainz 102 Marie-Galante, französische Kolonie 51, 76, 86, 184, 191, 280, 288, 334f., 360, 371, 374, 378, 444–449, 457, 460, 497 Marseille 151, 177 Martinique, französische Kolonie 14, 16–18, 27, 29, 35–37, 45–53, 56f., 59f., 67f., 70–102, 107–116, 118, 122f.,

551

125–129, 131f., 150f., 154, 159, 161, 172, 175, 179, 199, 202, 204, 230–237, 243, 246, 263f., 283, 305, 321f., 326, 330, 335, 346, 353, 355–357, 360, 363, 380–400, 403–409, 411, 413, 416–433, 440f., 444f., 448–459, 462f., 465, 468, 470–477, 483–491, 498–500, 504f., 508f. Matouba, Gemeinde Guadeloupes 339f., 343 Mexiko 325, 437 Môle-Saint-Nicolas, Provinzhafen SaintDomingues 144 Monrepos, Plantage Guadeloupes 370 Montevideo 439 Montserrat, britische Kolonie 424, 426 Morne Fortuné, Festung auf Saint Lucia 45, 129, 201, 203, 247, 257, 413 Morne Gouvernement, Hügel bei Pointe-àPitre, Guadeloupe 164f. Nantes 18, 146f., 482 Neugranada, spanische Kolonie 15, 239 Nevis, britische Kolonie 424, 426 New Orleans 325 New York 341, 417 Niederlande 90, 101, 107, 238 Osmanisches Reich 376 Österreich 82–84, 87, 264 Paris 14, 19f., 23f., 32, 35, 43f., 49, 68, 70–75, 77, 80–83, 86f., 89, 91–94, 96f., 102, 105–108, 112–115, 123f., 128, 138f., 141, 143f., 150f., 159, 173f., 176f., 179, 181f., 188f., 191, 196, 204f., 221, 240, 247, 262, 278, 280–284, 286f., 289–294, 296–300, 302, 310f., 315, 317–319, 321–325, 327–329, 333f., 341–343, 346, 348, 352, 355–357, 359–362, 364–366, 370, 372–374, 382–387, 390–392, 394–396, 398, 400, 402, 406, 408, 410, 416, 421, 423f., 427, 434, 437, 441, 455, 457, 460, 463, 465–467, 470–474, 478f., 481, 483f., 487, 491, 493, 497, 499, 504f., 507, 510 Peru 437 Petit-Bourg, Gemeinde Guadeloupes 99, 169f., 288f., 348 Petit-Canal, Gemeinde Guadeloupes 334, 472 Petite-Terre, Inselgruppe vor Guadeloupe 444

552

Ortsregister

Philadelphia 121, 131, 271, 277 Plymouth 471 Pointe-à-Pitre, ökonomisches Zentrum Guadeloupes 45, 47, 57, 72, 89, 99f., 116, 119f., 130, 156–158, 162, 164–167, 169, 208, 243, 319, 323, 336f., 339f., 347, 364, 369, 371–373, 375, 379f., 428f., 445, 465, 468f., 479, 485, 489f., 492f., 496 Pointe-des-Salines, Vorort Pointe-à-Pitres 156 Port-au-Prince, Hauptstadt SaintDomingues 152 Port-de-la-Liberté 166, 174, 177, 274, 293, 311, siehe auch Pointe-à-Pitre Port-Libre 217, siehe auch Gouyave Porto Cabello, Hafenstadt des Generalkapitanats Venezuela 386, 437 Port Royal, Gemeinde Grenadas 250 Portugal 440 Praslin, Gemeinde Saint Lucias 262 Preußen 44, 82–84, 87, 435 Puerto Rico, spanische Kolonie 190, 264, 266, 499 Roatán, Insel vor Honduras 249, 255 Rochefort 152–154, 299, 419f., 485 Rocher du Diamant, Felsen vor Martinique 418f., 424, 426 Roseau, Hauptstadt Dominicas 422–424, 427 Roussillon 102 Russland 101, 470 Saba, niederländische Kolonie 238 Saint-Barthélemy, schwedische Kolonie 271, 273, 433f., 436 Saint Christopher, britische Kolonie 424, 426 Saint Croix, dänische Kolonie 436 Saint-Domingue, französische Kolonie 16f., 19, 21–28, 44, 48–51, 56, 63, 69, 73, 80–82, 84, 86, 90f., 94, 96, 105, 114, 117, 123f., 137f., 140f., 143–146, 150, 152f., 159 Anm. 16, 177, 190, 194, 206, 243–246, 264, 267, 277, 282, 284, 287–290, 293, 309, 313, 315–317, 324–326, 329, 331, 335, 341, 351–354, 360, 362, 364, 381f., 386, 414–417, 421f., 474, 476, 482, 504f., 508 Sainte-Anne, Gemeinde Guadeloupes 79, 119, 156, 163, 345f.

Sainte-Luce, Gemeinde Martiniques 452 Saint-François, Gemeinde Martiniques 235, 490 Saint George’s, Hauptstadt Grenadas 208, 212–214, 218, 237 Saint John, dänische Kolonie 436 Saint-Louis, französischer Sklavenhandelsstützpunkt im heutigen Senegal 191 Saint Lucia, französische Kolonie 18, 37, 45–48, 51, 69, 74, 76, 79, 81, 85–88, 98f., 105, 108f., 114, 122f., 129, 131, 154, 176, 192, 197–205, 214f., 222, 230, 232, 234, 237f., 241, 246, 248, 256–260, 262f., 268, 326, 411–414, 418, 420, 425f., 473, 504, 506 Saint Mark, Gemeinde Grenadas 213 Saint-Martin, französische Kolonie 238, 242, 446, 469 Saint-Pierre, ökonomisches Zentrum Martiniques 42, 47, 50, 57, 60, 67, 70–72, 74–78, 80, 82, 84, 88f., 97, 108–110, 114, 122, 126, 230–232, 338, 382, 387, 400f., 405–407, 409, 429, 453, 475f., 488, 504 Saint-Pierre-et-Miquelon, französische Fischereikolonie vor der Küste Neufundlands 46 Saint Thomas, dänische Kolonie 436, 477 Saint Vincent, britische Kolonie 19, 45, 197, 204f., 219–222, 224–230, 232, 234–236, 241, 246, 249, 254–257, 262f., 268, 272, 381, 421, 506 San Juan, Hauptstadt Puerto Ricos 264, 266 Santo Domingo, Hauptstadt der gleichnamigen Kolonie 425, 456 Santo Domingo, spanische Kolonie 244, 283 Anm. 44, 324, 353, 366 Anm. 32, 415, 421, 425 Schweden 272, 331, 416, 433 Schweiz 298 Sint Eustatius, niederländische Kolonie 82, 238, 469 Sint-Maarten, niederländische Kolonie 238 Spanien 83, 86, 101, 138, 145, 148, 244, 264, 272, 324f., 440f. Suriname, niederländische Kolonie 304f., 414, 420, 422 Tobago, französische Kolonie

51, 81, 110,

Ortsregister

553

116, 326, 335, 343, 411, 413, 418, 421f., 473 Toulon 102, 144f., 148, 152, 200, 419–421, 426 Trinidad, spanische Kolonie 42, 100, 206, 215, 250, 252f., 264–266, 305, 381, 421f., 438 Trois-Îlets, Gemeinde Martiniques 112, 395 Trois-Rivières, Gemeinde Guadeloupes 72, 107, 117–119, 121, 168, 468 Trujilo, Stadt im heutigen Honduras 255

Varennes 81 Vendée 14, 102, 120, 151, 364, 474, 498 Venedig 470 Venezuela, spanische Kolonie 309, 385, 437–439, 441 Vereinigte Staaten von Amerika siehe USA Versailles 48, 51, 58f., 64, 67, 70 Vertières, Vorort von Cap-Français, SaintDomingue 353

USA 115, 120f., 127–129, 275–278, 285, 291, 297, 301, 303, 306, 312, 345, 353, 363, 376, 379, 389, 391, 393, 417, 434f., 437, 456, 461

Waltham, Plantage Grenadas 199, 213 Wien 473, 481–483, 487, 492 Willemstad, Hauptstadt Curaçaos 239, 304, 307f., 414