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German Pages 416 [410] Year 2002
Hans-Ulrich Wiemer
Krieg, Handel und Piraterie
KLIO Beiträge zur Alten Geschichte Beihefte Neue Folge Band 6
Unter Mitarbeit von
Manfred Clauss und Hans-Joachim Gehrke
herausgegeben von Hartwin Brandt und Martin Jehne
Hans-Ulrich Wiemer
Krieg, Handel und Piraterie Untersuchungen zur Geschichte des hellenistischen Rhodos
xy Akademie
Verlag
ISBN 3-05-003751-2 ISSN 1438-7689
© Akademie Das
Verlag GmbH, Berlin 2002
eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.
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Einbandgestaltung: Jochen Baltzer, Berlin Druck: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Bindung; Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Vorwort I.
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11
Einleitung.
13
1. Das hellenistische Rhodos ein „friedlicher Handelsstaat"? 2. Das Problemfeld „Ökonomie und Politik" im hellenistischen Rhodos 2.1 Die politischen Entscheidungsstrukturen 2.2 Die Formen des Handels 2.3 Das Selbstverständnis der politischen Akteure 3. „Das Gleichgewicht der Mächte" die Maxime rhodischer
13 20 21 23 31
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..
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Außenpolitik?
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II. Zur Kritik der literarischen 1.
Einleitung
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2. Zenon bei Diodor 3. Zenon bei Polybios
III. Vom
Quellen
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Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
1. Vom Synoikismos zu Alexander 2. Rhodos und Antigonos Monophthalmos 2.1 Der 1. Diadochenkrieg 2.2 Vom 3. Diadochenkrieg bis zum Zypernkrieg 2.3 Der Konflikt mit Antigonos Monophthalmos 2.4 Verlauf der Belagerung 2.5 Beendigung und Folgen der Belagerung 3. Zusammenfassung
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FV. Rhodos und die Ptolemäer im 3. Jahrhundert V. Rhodos und die Piraterie 1. Einleitung 2. Die literarischen
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Zeugnisse
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33
37 37 39 41 53 53 66 66 71 78 84 91 94 97 111 111 117
Inhaltsverzeichnis
6
3. Die 4.
epigraphischen Quellen Anspruch und Realität der rhodischen Seepolizei
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VI. Der 1. Kretische
Krieg
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1. Einleitung 2. Die Vorgeschichte 3. Die Quellen 3.1 Die literarische Überlieferung 3.2 Koische Inschriften 3.3 Kretische Inschriften 3.3.1 Exkurs: raxpaSiSóvou und âTtoôiôovai
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(árcoKaOtcrtávcu)
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3.4 Auf oder für Kreta geprägte Münzen 4. Rekonstruktion des Krieges 4.1 Die kriegführenden Staaten 4.2 Ausbruch, Verlauf und Beendigung des Krieges 5. Der 1. Kretische Krieg Versuch einer Deutung
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130 137 143 143 144 149 149 150 155 164 166 168 168 171 174
-
VII. Der
Krieg gegen Philipp V.
1. Einleitung 2. Rhodisch-makedonische Interessenkonflikte in Karien 2.1 Ptolemäer 2.2 Seleukiden 2.3 Die Rhodier 2.4 Antigoniden 3. Rhodisch-makedonische Interessenkonflikte in der südlichen Ägäis 4. Die Entstehung des rhodisch-makedonischen Krieges 5. Der Kriegsverlauf bis zum Appell an Rom 6. Der Appell an Rom 7. Der Verlauf des Krieges seit dem Kriegseintritt Roms 8. Das Ergebnis des Krieges aus rhodischer Sicht 9. Anhang: Rhodisch-makedonische Interessengegensätze auf Kos?
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VIII. Rhodos als 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Hegemonialmacht
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Der Weg in den Krieg gegen Antiochos in. Verlauf und Beendigung des Krieges gegen Antiochos III. Die rhodische Herrschaft in Karien Anspruch und Realität der rhodischen Herrschaft in Lykien Das rhodische Protektorat über die Nesioten Anhang: Die rechtlichen Grundlagen der rhodischen Herrschaft in Karien und Lykien .
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177 177 179 179 181 182 184 192 198 206 208 219 225 228 235 235 247 251 260 271 277
7
Inhaltsverzeichnis
Krieg gegen Perseus und das Ende der rhodischen Unabhängigkeit 1. Die rhodische Politik zwischen den großen Kriegen (188-173) 2. Der Auftritt des Eumenes im Senat und die Entstehung des Krieges
LX. Der
...
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gegen Perseus 3. Die rhodische Politik bis zum Vermittlungsversuch 4. Der rhodische Vermittlungsversuch im Juni 168 5. Die „Gleichschaltung" der rhodischen Außenpolitik mit Rom (168-164) 6. Inhalt und Charakter des foedus mit Rom 7. Die Folgen des Perseus-Krieges für Rhodos
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X. Der 2. Kretische
Krieg
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1. Einleitung 2. Die Quellen 2.1 Literarische Quellen 2.2 Epigraphische Quellen 3. Rekonstruktion des Krieges 4. Versuch einer Deutung
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XI.
Schlußbetrachtung
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1. Das „Gleichgewicht der Mächte" als Maxime rhodischer Politik 2. Ökonomische Faktoren in der rhodischen Außenpolitik 3. Zur Gesamtbeurteilung der rhodischen Außenpolitik
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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Siglen
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2. Literatur
Register
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1. Namen und Sachen 2. Stellen
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289 289 295 298 310 317 325 328 341
341 341 341 343 347 349 353 353 356 358 361
361 363 397 397 404
Dem Andenken Otto Lendles
Vorwort
vorliegende Arbeit beruht auf dem zweiten Teil eines Manuskriptes mit dem Titel „Krieg, Handel und Piraterie. Untersuchungen zur Geschichte und Geschichtsschrei-
Die
bung des hellenistischen Rhodos", das vom Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg im Sommersemester 2000 als Habilitationsschrift angenommen wurde. Der erste Teil der Habilitationsschrift, dessen Ergebnisse hier nur kurz resümiert, aber durchgängig vorausgesetzt werden, ist unter dem Titel „Rhodische Traditionen in der hellenistischen Historiographie" bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden („Frankfurter Althistorische Beiträge" Bd. 7, Frankfurt/Main 2001). Da in diesem Buch noch auf die inzwischen modifizierte Kapitelzählung der Habilitationsschrift verwiesen wird, erschien es sinnvoll, der Druckfassung des zweiten Teiles eine Konkordanz zwischen der alten und der neuen Kapitelzählung beizugeben, die ein rasches Auffinden der Verweise ermöglicht; diese Konkordanz ist dem Vorwort als eine Art Anhang nachgestellt. Wer über hellenistische Geschichte arbeitet, setzt sich in besonderem Maße der Gefahr aus, durch neue Quellenbefunde binnen kurzem eines Besseren belehrt zu werden: Jahr für Jahr werden neue Inschriften veröffentlicht, und Texte, die bereits publiziert waren, nehmen durch neue Lesungen und Ergänzungen eine veränderte Gestalt an. Weil Datierungen in vielen Fällen mit erheblichen Unsicherheitsfaktoren belastet sind, müssen sie im Lichte neuer Erkenntnisse nicht selten revidiert werden. Ganze Quellengattungen wie die Münzen und die Amphoren sind noch längst nicht hinreichend erschlossen; hier ist das Sammeln und Ordnen des Materials noch immer in vollem Gange. Hellenistische Geschichte ist und bleibt ein spannendes, aber eben deshalb auch riskantes Geschäft. Nicht zuletzt aus diesem Grund scheint der Hinweis angebracht, daß die vorliegende Arbeit im Sommer 2001 abgeschlossen wurde; Literatur, die später erschienen ist, konnte daher von wenigen Ausnahmefällen abgesehen nicht mehr berücksichtigt werden. Auch der Aufsatz von Michael D. Dixon „IG IV2.1.75+ and the date of the arbitration between Epidauros and Hermione" (ZPE 137, 2001, 169-173) ist mir erst bekannt geworden, als die Erstellung der Druckvorlage bereits sehr weit fortgeschritten war. Um so mehr freue ich mich feststellen zu können, daß seine Neulesung der epidaurischen Kopie des rhodisch-milesischen Schiedsgerichtes zwischen Epidauros und Hermione die von mir vorgeschlagene Einordnung in die Jahre nach dem Frieden von Apameia vollauf bestätigt hat. -
-
Vorwort
12
Der vorläufige Abschluß meiner Beschäftigung mit dem hellenistischen Rhodos gibt mir noch einmal Gelegenheit, mich bei all denen zu bedanken, die mich während der Habilitation unterstützt haben: zuerst bei Malcolm Errington, der das Thema vorgeschlagen und seinem Assistenten den nötigen Freiraum für seine Bearbeitung gewährt hat, dann bei den Gutachtern im Habilitationsverfahren, bei Hans-Joachim Drexhage, Peter Herrmann, Peter Krüger und Hans Lauter. Rainer Thiel hat mir bei der Abfassung der Arbeit immer wieder helfend zur Seite gestanden; sein Rat und sein Urteil waren und sind mir sehr wichtig. Klaus Hallof hat mir den Zugang zu den Archiven der „Inscriptiones Graecae" eröffnet und bereitwillig viele Fragen beantwortet. Nach dem Abschluß des Habilitationsverfahrens haben es Klaus Bringmann und Michael Wörrle trotz starker Belastung durch andere Verpflichtungen auf sich genommen, das Manuskript durchzulesen; für diese selbstlose Unterstützung bin ich ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Weiterhin danke ich den Herausgebern der „Klio-Beihefte", Hartwin Brandt und Martin Jehne, die mein Buch in ihre Reihe aufgenommen haben. Auch Ralf Behrwald, Wolfgang Blümel, Kai Brodersen, Kostas Buraselis, Peter Funke, Vincent Gabrielsen, Wolfgang Habermann, Gerd Hardach, Matthäus Heil, Winfried Held, Andrea Jördens, Daniel Kah, Christian Le Roy, Volker Losemann, Nino Luraghi, Christian Marek, Kai Ruffing und Martin Zimmermann haben in der einen oder anderen Weise zum glücklichen Abschluß dieser Arbeit beigetragen; auch ihnen gilt mein Dank. Beim Lesen der Korrekturen haben mich Florian Krüpe, Sebastian Schmidt-Hofner, Heike Wolf und Jacqueline Wolter nachhaltig unterstützt. Dem Können, der Sorgfalt und der Geduld von Karlheinz Hülser ist es zu verdanken, daß in relativ kurzer Zeit eine typographisch ansprechende Druckvorlage erstellt werden konnte. Stefan von der Lahr, der mir seit langem ein verläßlicher Freund und einfühlsamer Gesprächspartner ist, hat auch an dieser Arbeit großen Anteil genommen. Meine Frau Renate hat ihrem viel zu häufig abwesenden Mann manches nachgesehen; meine Kinder Moritz und Johanna ihren Vater mit gutem Recht immer wieder an seine Pflichten erinnert. Die Widmung gilt einem Mann, von dem ich et scholae et vitae vieles lernen durfte, der aber den Abschluß der vorliegenden Arbeit nicht mehr erlebt hat, Otto Lendle. Seinem Vorbild fühle ich mich verpflichtet.
Caldern, 15. August 2002
Konkordanz Habilitationsschrift Teil II Kap. I Teil II Kap. II Teil II Kap. III Teil II Kap. IV Teil II Kap. V Teil II Kap. VI Teil II Kap. VII
vorliegendes Buch III. V. VI. VII. VIII. IX. X.
Hans-Ulrich Wiemer
Einleitung
I.
1. Das hellenistische Rhodos Handelsstaat"?
-
ein
„friedlicher
Die moderne Forschung schreibt dem Staat der Rhodier für die Zeit zwischen dem Tode Alexanders und dem Abschluß des foedus mit Rom ganz überwiegend eine konsequente, von klaren Prinzipien geprägte Außenpolitik zu. Demnach verfolgten die Rhodier, solange sie sich voller völkerrechtlicher Bewegungsfreiheit erfreuten, eine außenpolitische Grundlinie, die durch die Prinzipien der Bekämpfung der Piraterie, der Minimierung militärischer Gewaltanwendung, der Vermeidung völkerrechtlicher Bindungen und der Bewahrung eines „Gleichgewichts der Mächte" gekennzeichnet gewesen sei. Diese prinzipienfeste Außenpolitik wird zumeist in einen freilich niemals näher definierten kausalen Zusammenhang mit der ökonomischen Interessenstruktur des rhodischen Staates, seinem „merkantilen Charakter", gestellt. So schreibt etwa Hatto Schmitt in seinem grundlegenden Buch über die rhodisch-römischen Beziehungen: Handelsvölker sind kriegerischen Umwälzungen feind; sie lieben den Bestand, die geruhsame Entwicklung, nicht die stürmisch neuemde Tat. Bei den Rhodiern aber ist es noch mehr als diese natürliche Abneigung des Kaufmannes gegen den scharfen Bruch: ihre Politik scheint von einer tieferen Einsicht geleitet zu sein, Mächte gewahrt bleiben müsse, ' zum Besten der Inselrepublik.
von
zum
der Überzeugung, daß das Gleichgewicht der hellenistischen Besten der ganzen griechischen Welt und natürlich auch -
Ganz ähnlich beschreibt der Verfasser der jüngsten Gesamtdarstellung der rhodischen Geschichte, Richard Berthold, die Außenpolitik des hellenistischen Rhodos:
geographical
(gemeint ist die Insellage des rhodischen afforded by the wealth generated by commercial activity. The maintenance and development of commerce was consequently vital to Rhodes' long-term security, and concern for these mercantile interests would determine the basic strategic objectives of the island in the eastern Mediterranean, the suppression of piracy, the promotion of peace, and the preservation of a balance of power among the great monarchies.2 the
means
of capitalizing
on
this
asset
Staates), the fortifications and especially the navy, ...
...
1 Schmitt, Rom und Rhodos, 55. 2 Berthold, Rhodes, 58.
were
14
I.
Einleitung
Das vorherrschende Bild der rhodischen Außenpolitik in hellenistischer Zeit ist also von dem Modell eines „friedlichen Handelsstaates" bestimmt, der zwar die „Piraten" unnachgiebig und natürlich auch mit gewaltsamen Mitteln bekämpft, militärische Gewalt aber sonst allenfalls zur Selbstverteidigung und zur Bewahrung eines „Gleichgewichts der Mächte" einsetzt, ja sogar aktiv für den Frieden eintritt. Dieses Modell, von dessen theoretischer Problematik noch zu reden sein wird, läßt sich nun freilich mit den überlieferten Tatsachen der rhodischen Geschichte nicht ohne weiteres vereinbaren. Um nur einige wenige herauszugreifen: Dieselben Rhodier, die als geschworene Feinde der „Piraterie" gelten, waren mit sog. Seeräuberstaaten verbündet und unterstützten diese im Kampf gegen ihre Feinde.3 Das angeblich aufgrund einer ökonomischen Symbiose mit Ägypten auf politische Kooperation mit den Ptolemäern angewiesene Rhodos führte gemeinsam mit Antiochos II. Krieg gegen Ptolemaios fl.4 Das, wie es heißt, stets sorgsam über das „Gleichgewicht der Mächte" wachende Rhodos führte einen Präventivkrieg gegen Philipp V. und veranlaßte Rom zum Eintritt in diesen bis dahin innergriechischen Konflikt.5 Dem Krieg der Römer gegen Antiochos III. traten die Rhodier erst bei, als der Seleukide in Griechenland bereits geschlagen war, und sicherten sich im Frieden von Apameia als Beuteanteil die Herrschaft über weite Landstriche in Karien und Lykien. Als die Lykier sich der rhodischen Herrschaft widersetzten, führten die Rhodier zwei langwierige und kostspielige Kriege, um sie zu unterwerfen.6 Für das Modell eines „friedlichen Handelsstaates" stellen diese Tatsachen ein Problem dar, das nach einer Lösung verlangt. Wenn es als solches bis jetzt nicht erkannt wurde, so dürfte dies vor allem zwei Gründe haben. Zum einen scheint das Modell in den antiken Quellen bereits vorgebildet zu sein. Denn den interpretad ven Rahmen, in welchen die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts enorm vermehrte Menge an epigraphischen, numismatischen und archäologischen Quellen für das hellenistische Rhodos eingeordnet wird, liefern nach wie vor die antiken Autoren, allen voran Diodor und Polybios. Bei diesen beiden Autoren aber finden sich in der Tat Aussagen, die das Modell zumindest auf den ersten Blick empirisch abzusichern scheinen. So hebt Polybios ausdrücklich hervor, daß das Bestreben der Rhodier, nach dem Ende des 3. Makedonischen Krieges ein Bündnis mit Rom abzuschließen, einen Bruch mit einer fast 140 Jahre lang verfolgten Neutralitätspolitik dargestellt habe; bis 167 nämlich hätten die Rhodier jede völkerrechtliche Bindung sorgsam vermieden, um aus dem Verhältnis zu Königen und Dynasten maximalen Nutzen ziehen zu können. Erst der Schock, den der Zorn des Senates über die rhodische Haltung während des Krieges gegen Perseus ausgelöst habe, sei imstande gewesen, die Rhodier zu diesem Sinneswandel zu veranlassen.7 An einer anderen Stelle legt er makedonischen Gesandten, die die Rhodier kurz vor Ausbruch dieses Krieges veranlassen wollten, im Falle eines 3 4
Vgl. dazu unten Kap. Vgl. dazu unten Kap. Vgl. dazu unten Kap. Vgl. dazu unten Kap.
5 6 7 Pol. 30.5.6-8.
V-VI. IV. VII. VIII.
1. Das hellenistische Rhodos
15
römischen Angriffes zwischen Perseus und Rom zu vermitteln, eine Rede in den Mund, die die Rhodier als selbstlose Verteidiger der griechischen Freiheit erscheinen läßt. Nach Polybios argumentierten die makedonischen Gesandten, daß diese Vermittlung im Interesse aller Griechen liege, aber vornehmlich den Rhodiern gebühre. Denn sie träten stets für Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit im zwischenstaatlichen Verkehr ein und verteidigten nicht bloß ihre eigene Freiheit, sondern auch diejenige aller anderen Griechen. Eben darum gezieme es ihnen, nun auch die entgegengesetzte Haltung im Auge zu behalten und vor ihr auf der Hut zu sein.8 Der „Kronzeuge" für die „ökonomische Interpretation" der rhodischen Außenpolitik aber ist Diodor. Keine moderne Darstellung versäumt es, die programmatische Einleitung zur Beschreibung der Belagerung durch Demetrios Poliorketes zu zitieren.9 In der Tat sind einige Elemente der communis opinio hier zumindest im Ansatz enthalten. Diodor schreibt den Rhodiern eine kalkulierte Neutralitätspolitik zu und rühmt sie, einen kompromißlosen Kampf gegen die „Piraterie" geführt und dadurch die Sicherheit des Seeverkehrs gewährleistet zu haben. Zugleich betont er, daß die Rhodier eine „special relationship" zum ersten Ptolemäer gehabt hätten, die er expressis verbis mit ihrer ökonomischen Interessenlage begründet: Die Rhodier hätten Ptolemaios deshalb besonders nahegestanden, weil sie erstens den größten Teil ihrer Staatseinnahmen von den Händlern, die von Rhodos nach Alexandreia fuhren, erhalten und weil sie zweitens aus Ägypten ihre Lebensmittel bezogen hätten. Man könnte daher meinen, daß sich das Modell des „friedlichen Handelsstaates" Rhodos einer für hellenistische Verhältnisse durchaus respektablen empirischen Fundierung erfreue. Diese Schlußfolgerung wäre jedoch aus zwei Gründen fragwürdig: Zum einen beruhen die angeführten Aussagen von Polybios und Diodor auf rhodischen Quellen, geben also die Selbstdarstellung der Rhodier wieder. Diese Feststellung ist für Diodor Gemeingut der Forschung und wird auch für Polybios nur selten in Frage gestellt. Auch die Tatsache, daß die von Diodor und Polybios benutzten rhodischen Quellen dazu neigten, die rhodische Geschichte zu glorifizieren, ist seit langem bekannt. Eine eingehende Untersuchung der für Rhodos einschlägigen Passagen hat diese bereits im 19. Jahrhundert erzielte Einsicht zugleich bestätigt und vertieft; der Großteil der literarischen Überlieferung über das hellenistische Rhodos ist von einer lokalpatriotischen Vorlage abhängig, die die Politik der Rhodier kurz nach der für die Rhodier traumatischen Erfahrung des Perseus-Krieges zugleich verklärte und rechtfertigte.10 Die zitierten programmatischen Äußerungen über die rhodische Politik sind daher als Ideologeme zu betrachten, die es an den überlieferten Tatsachen zu überprüfen gilt. Zum anderen ist die Meinung, daß das Modell des „friedlichen Handelsstaates" Rhodos durch die oben angeführten Quellenaussagen abgesichert sei, auch deshalb fragwürdig, weil die Aussagen der antiken Quellen nur einen Teil der im Modell enthaltenen Annahmen abdecken. So findet sich in ihnen keine Spur vom „Gleichgewicht -
8 Pol. 27.4.6-7. 9 Diod. 20.81.1-4. 10 Vgl. dazu unten Kap. II.
-
16
I.
Einleitung
der Mächte" als Ziel rhodischer Politik; gemeint ist vielmehr eine Politik der freien Hand, die vertragliche Bindungen meidet, um den größtmöglichen Vorteil für Rhodos zu erzielen. Aber auch die Einwirkung ökonomischer Interessen auf die rhodische Außenpolitik wird von Diodor zugleich konkreter und mit anderer Akzentuierung beschrieben als in der modernen Forschung, die zumeist ganz unbestimmt von „ökonomischen" oder „merkantilen" Interessen spricht: Bei Diodor ist von staatlichen Einnahmen aus dem Handelsverkehr und von der Lebensmittelversorgung der Insel die Rede; die vielzitierten „rhodischen Kaufleute" spielen bei ihm dagegen keine Rolle. Es kommt im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf an, ob diese Analyse der Situation der Jahre 306/305, auf die sie gemünzt ist, adäquat ist; darauf wird an anderer Stelle einzugehen sein.11 Entscheidend für die hier verfolgte Frage ist vielmehr, daß in das Modell des „friedlichen Handelsstaates" Annahmen eingegangen sind, die in den antiken Quellen nicht enthalten sind. Um zu verstehen, woher diese Annahmen stammen, empfiehlt es sich, einen Blick auf die historische Genese des Konzeptes zu werfen. Hier dürfte es bedeutsam sein, daß die kausale Verknüpfung der in den antiken Quellen geschilderten Prinzipien der rhodischen Außenpolitik mit dem „merkantilen Charakter" des rhodischen Staates in der Literatur erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts begegnet zu einer Zeit also, als sich die Vorstellung von einer quasi natürlichen Affinität zwischen Handel und Frieden zum Schlagwort verdichtete. So formuliert Theodor Mommsen in seiner 1854 erschienenen „Römischen Geschichte", der „rhodische Freistaat" sei „der vornehmste Vertreter einer neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege" gewesen. Der Münsteraner Geschichtsprofessor Johann Josef Rospatt,12 der in den Jahren 1868 bis 1870 zwei Artikel über „Die politik der republik rhodus und der anderen griechischen see- und handelsstaaten in den kriegen Roms gegen Macédonien, Syrien und Griechenland" veröffentlichte,13 rechnete das hellenistische Rhodos zu den Staaten, „welche vermöge ihrer ganzen läge und inneren entwickelung, auf Vermittlung des handeis und Verkehrs zwischen den einzelnen nationen angewiesen sind". Aus diesem Grunde habe es eine Politik verfolgt, „welche neben dem schütz der eigenen besitzungen besonders dahin gerichtet war, in allen diesen kriegerischen Verwickelungen wo möglich zu vermitteln und die ruhe zwischen den beteiligten Staaten wieder herzustellen".14 Ganz ähnlich äußerte sich 1870 Curt Wachsmuth, damals Professor für Klassische Philologie, Alte Geschichte und Eloquenz an der Universität Göttingen,15 in einer Festrede; Rhodos wird von ihm ausdrücklich als ein „friedliebender, in bewaffneter Neutralität verharrender Handelsstaat"16 bezeichnet. -
11 12 13 14
Vgl.
dazu unten
Kap.
III. 2.3.
Über Johann Josef Rospatt (1801-nach 1876) vgl. DBA 1056; Ulf, Daten, 180. Philologus 27, 1868, 673-688; Philologus 29, 1870, 488-503; 577-589.
Philologus 27, 1868, 673. 15 Über Curt Wachsmuth (1837-1905) vgl. DBA 1319; Ulf, Daten, 213-214. 16 C. Wachsmuth, Der rhodische Freistaat (Festrede im Namen der Georg-Augusts-Universität demischen Preisverleihung am XV. Iuni MDCCCLXX), Göttingen 1870, 3.
zur
aka-
17
1. Das hellenistische Rhodos
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet sich die Vorstellung einer sozusagen prästabilierten Harmonie von Handel, Neutralität und Frieden dagegen noch nicht. Die von Dethlef Christian Paulsen, der später in Kiel Professor der Jurisprudenz werden sollte,17 verfaßte und 1818 von der Göttinger Universität preisgekrönte „Commentatio Rhodi descriptionem Macedónica aetate exhibens" schildert zwar die rhodische Außenpolitik im Anschluß an die antiken Autoren in sehr rosigen Farben18 und behandelt auch den rhodischen Handel,19 stellt aber keine strukturelle Harmonie zwischen beiden Bereichen fest. „Merkantile Interessen" erklären bei ihm nur einen Teil der rhodischen Außenpolitik und auch diesen nur in Verbindung mit einem anderen, ebenso gewichtigen Faktor: Wenn die Rhodier stets für die Freiheit griechischer Städte eingetreten seien, so habe dies zwei Gründe: Erstens die Solidarität zwischen „Freistaaten", zweitens die Hoffnung auf größere Gewinne im Verkehr mit Staaten, die den Handel weniger beschränkten als Königreiche.20 Auch die 1823 erschienene, unselbständige und flüchtige Monographie von Heinrich Rost21 über das antike Rhodos22 ein wissenschaftlich verbrämter Aufruf zur Befreiung der Griechen vom türkischen Joch betont zwar, daß „die Hoffnung zur Erlangung von Vortheil und Gewinn, vorzüglich in Hinsicht auf Handlung und Schiffahrt" neben „Emsigkeit und Thätigkeit, mit Klugheit vereint" die „andere Haupttriebfeder" der Rhodier gewesen sei, folgert daraus aber gerade nicht, daß die rhodische Außenpolitik grundsätzlich „friedliebend" gewesen sei, sondern betrachtet „merkantile Interessen" als durchaus ambivalent.23 Für Barthold Georg Niebuhr, der die rhodische Geschichte in seinen zwischen 1825 und 1830 gehaltenen Vorträgen über „Alte Länder- und Völkerkunde"24 und „Alte Geschichte"25 behandelte, waren die Be-
-
17 Über Paul Dethlef Christian Paulsen (1798-1852) vgl. ADB XXV, 286; DBA 936; Ulf, Daten, 177. 18 P. D. Chr. Paulsen, Commentatio Rhodi descriptionem Macedónica aetate exhibens, Göttingen 1818, 19; 21. 19 Ebd., 63-71. 20 Ebd., 21 : „Semper enim Rhodii... singularum Graecarum civitatium Übeltätern tueri studuerunt, cujus se gerendi rationis causarum hae gravissimae fuisse videntur: Primum enim talium civitatium libertatem conservare, Rhodii jam eo, quod eadem, qua ipsa, fruebantur forma civitatis, interesse oportuit, turn autem, quum commercium cum liberis civitatibus minime plerumque circumscriptum esse soleat, majora se ex eo commoda accepturos esse sperabant, quam si illae civitates regibus subditae essent." 21 (Johann) Heinrich (Nicolaus) Rost (1795-1855) besuchte das Johanneum in Hamburg und studierte von 1816-1819 Philologie und Jurisprudenz in Göttingen und Kiel. Nach dem Studium übte er verschiedene Tätigkeiten aus, u.a. als Klostersyndikus, Privatlehrer, Leiter einer naturkundlichen Sammlung und zuletzt als Fabrikant; vgl. dazu DBA 383 + 384. 22 H. Rost, Rhodos, ein historisch-archaeologisches Fragment, Altona 1823. Rost folgt in seiner Darstellung durchgängig Livius, während er Polybios, den er gelegentlich zitiert, kaum benutzt hat. Die tagespolitische Zielsetzung wird sowohl im Vorwort (III) als auch in der angehängten „Kurzen Schilderung des jetzigen Rhodis (sie)" (128-130) recht deutlich ausgesprochen. 23 Ebd., 96: „Manche Theilnahme an fremden Kriegen war blos auf solche Speculationen berechnet und von manchen hielten sie sich eben deswegen zurück, weil sie es guter Handelsquellen wegen weder mit diesem, noch mit jenem verderben wollten." 24 B. G. Niebuhr, Vorträge über alte Länder- und Völkerkunde an der Universität zu Bonn gehalten. Herausgegeben von M. Isler, Berlin 1851, 197-205. 25 B. G. Niebuhr, Vorträge über alte Geschichte an der Universität zu Bonn gehalten. Herausgegeben von M. Niebuhr, Berlin 1851, bes. 119ff.; 345; 355-356; 452^153; 459; 486; 499; 510-512.
18
I.
Einleitung
griffe Handel, Neutralität und Frieden ebenfalls noch nicht zu einer Einheit verschmol-
Niebuhr meinte zwar, daß die Rhodier als Vermittler des Handels zwischen dem Schwarzmeerraum und Ägypten „natürliche Freunde und Bundesgenossen" der Ptolemäer gewesen seien,26 und hielt Rhodos ebenso wie das Pergamenische Königreich für einen Staat, dessen „ganze Existenz" vom „Gleichgewicht" abgehangen habe.27 Er erhob jedoch weder Neutralität noch Frieden zu Prinzipien rhodischer Politik und leitete diese auch nicht unmittelbar aus „merkantilen Interessen" ab. Desgleichen kam auch Johann Gustav Droysen in seiner 1836/43 erschienenen „Geschichte des Hellenismus" noch ohne den im Begriff einer „neutralen Handelspolitik" enthaltenen Vorstellungskomplex aus.28 Dasselbe gilt für die 1839 erschienene „Handelsgeschichte der Griechen" des Bonner Geschichtsprofessors Karl Dietrich Hüllmann.29 Die Charakterisierung des hellenistischen Rhodos als eines „friedlichen Handelsstaates" kam also um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Dies aber war die Zeit, in der die Freihandelslehre ihre Blüte erlebte.30 1860 wurde unter großer publizistischer Anteilnahme der als „Cobden-Vertrag" bekannte Zoll- und Handelsvertrag zwischen Frankreich und England geschlossen.31 Im selben Jahr nahm der Kongreß deutscher Volkswirte, das Forum des deutschen Wirtschaftsliberalismus, das Ziel der Handelsfreiheit in sein Programm auf. Die Schriften von Richard Cobden, Frédéric Bastiat und John Prince-Smith warben seit den vierziger Jahren für das Ideal einer in ungehindertem und friedlichem Warenaustausch geeinten Weltgesellschaft. Politiker und Diplomaten diesseits und jenseits des Kanals hofften auf eine Überwindung der traditionellen Machtpolitik durch ökonomische Kooperation. Gewiß muß man sich davor hüten, die Forschungsgeschichte direkt und monokausal aus dem „Zeitgeist" abzuleiten. Vor unhaltbaren Vereinfachungen kann das Beispiel des zen.
26 Ebd., 125. 27 Ebd., 452. 28 Droysen, Hellenismus1, bes. I, 474; II, 547-549. 29 K. D. Hüllmann, Handelsgeschichte der Griechen, Bonn 1839, 253-259. Über Karl Dietrich Hüllmann (1765-1846) vgl. DBA 577; DBA NF 625; ADB XIII 330; NDB IX 733-734; Ulf, Daten, 142-143 (wo er versehentlich nach Heidelberg versetzt wird). 30 Zur Geschichte der Freihandelslehre in Deutschland vgl. etwa L. Grambow, Die deutsche Freihandelspartei zur Zeit ihrer Blüte, Jena 1903; J. Becker, Das deutsche Manchestertum. Ein Beitrag zur Geschichte des wirtschaftlichen Individualismus, Karlsruhe im Breisgau 1907; H. Gehrig, Die Begründung des Prinzips der Sozialreform. Eine literar-historische Untersuchung über Manchestertum und Kathedersozialismus (Sozialwissenschaftliche Studien 2), Jena 1914, bes. 96-136; G. Mayer, Die Freihandelslehre in Deutschland. Ein Beitrag zur Gesellschaftslehre des wirtschaftlichen Liberalismus, Jena 1927. Gegenüber diesen doxographisch angelegten und z.T. nicht ohne Gewaltsamkeit systematisierenden Arbeiten zeichnet sich das Buch von V. Hentschel, Die deutschen Freihändler und der volkswirtschaftliche Kongreß 1858 bis 1885 (Industrielle Welt 16), Stuttgart 1975 durch eine differenzierte Analyse des breiten Meinungsspektrums innerhalb der liberalen Bewegung und seines zeitlichen Wandels aus. 31 Vgl. dazu etwa B.-J. Wendt, Freihandel und Friedenssicherung. Zur Bedeutung des Cobden-Vertrages von 1860 zwischen England und Frankreich, VSWG 61, 1974, 29-64; G. Metzler, Großbritannien Weltmacht in Europa. Handelspolitik im Wandel des europäischen Staatensystems 1856-1871 (Studien zur Internationalen Geschichte 4), Berlin 1997, 139-157.
-
1. Das hellenistische Rhodos
19
Heiligenstädter Gymnasiallehrers Johann Hermann Schneiderwirth32 bewahren, der in seiner 1868, also gleichzeitig mit den Artikeln von Rospatt, erschienenen „Geschichte der Insel Rhodus" die Auffassung vertrat, daß die von ihm in kaum noch zu überbietender Weise idealisierte Politik der Rhodier keineswegs aus ökonomischen Interessen
erklären sei.33 Schneiderwirth sah die Wurzel der rhodischen Politik vielmehr im Reichtum und in der freiheitlichen Verfassung des Staates und im tugendhaften Charakter seiner Bürger.34 Nichtsdestoweniger ist kaum von der Hand zu weisen, daß die Konzeption und vor allem Rezeption des Modells eines „friedlichen Handelsstaates" Rhodos unter dem Einfluß der Freihandelslehre erfolgt ist. Es ist seitdem aus der Forschung nicht mehr verschwunden. Vornehmlich deskriptiv arbeitende Historiker wie Cecil Torr35 und Hendrik van Gelder36 haben den Begriff „friedlicher Handelsstaat" nicht benutzt, dem mit ihm verbundenen Vorstellungskomplex aber durchaus Tribut gezollt. In der Forschung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat das Modell schließlich sogar ausgesprochen weite Verbreitung gefunden. Nun ist gewiß noch jedes historische Modell unter dem Einfluß zeitbedingter Vorstellungen und Impulse entstanden, ja nicht wenige verdanken ihnen geradezu ihre Entstehung. Es muß aber doch bedenklich stimmen, daß die theoretischen Prämissen und Implikationen des Modells „friedlicher Handelsstaat" jedenfalls für das hellenistische Rhodos noch nie expliziert und kritisch reflektiert worden sind. Eine solche zu
32 Johann Hermann Schneiderwirth (1828-1914) war, wie aus den Programmen „seiner" Schule hervorgeht, von 1856 bis zu seiner Pensionierung Lehrer am Katholischen Gymnasium in Heiligenstadt. Er veröffentlichte neben der Geschichte von Rhodos zwei weitere Bücher („Die persische Politik gegen die Griechen seit dem Ende der Perserkriege. Politische Beziehungen der Römer zu Ägypten bis zu seiner Unterwerfung. Zwei historisch-politische Abhandlungen", Heiligenstadt 1863; „Die Parther oder das neupersische Reich nach griechisch-römischen Quellen", Heiligenstadt 1874) und mehr als ein halbes Dutzend Schulprogramme zur Geschichte des Klassischen Griechenland und der hellenistischen Welt, die von der ,Zunft" weitgehend ignoriert wurden. 33 J.H. Schneiderwirth, Geschichte der Insel Rhodus, nach den Quellen bearbeitet, Heiligenstadt 1868, 162: „Rhodus war keine auf Eroberungen ausgehende Handelsrepublik, wie Karthago, oder später Venedig"; vgl. 53: „Als Holland in der neuern Zeit die erste Seemacht war, schonte es die Seeräuber, damit sie dem Handel anderer Völker schadeten, selbst England setzte diese Politik eine Zeitlang fort. Wie ganz anders handeln die Rhodier!" 34 Ebd., 53-55. 35 C. Torr, Rhodes in Ancient Times, Cambridge 1885, 15: „But it was not the policy of this commercial people to take any active part in the quarrel of the other states: they seldom fought unless their home or their trade was threatened; and not if the danger could be averted by diplomacy". 36 Das 1900 vom Utrechter Provincial-Verein für Künste und Wissenschaften preisgekrönte Werk Hendrik van Gelders besitzt, da es als Materialsammlung bislang nicht ersetzt ist, als einziges unter den im 19. Jahrhundert geschriebenen Werken noch heute wissenschaftlichen Wert. Freilich gehört gerade das Kapitel über die politische Geschichte der Insel nicht zu den besten Teilen des durch enormen Fleiß und handwerkliche Solidität ausgezeichneten Buches. Daß van Gelder der communis opinio durchaus verpflichtet war, zeigt die folgende Stelle: „Doch läßt sich als grosser allgemeiner Zug des ganzen damaligen Zeitalters annehmen, dass die Wahrung ihrer Neutralität den Rhodiern über alles ging. Frieden brauchten sie für ihren Handel, der Handel brachte ihnen Reichthum, der Reichthum Geltung und politischen Einfluss" (Rhodier, 107).
I.
20
Einleitung
Explikation und kritische Reflektion scheint schon deswegen dringend geboten, weil sich das Modell „friedlicher Handelsstaat" in gefährlicher Nähe zur analytischen Leerformel bewegt, solange die Frage nicht einmal gestellt wird, wie sich ökonomische Interessenlagen unter den im hellenistischen Rhodos gegebenen Bedingungen in politische Optionen transformierten. Dieses Versäumnis ist um so überraschender, als das Verhältnis
Handel und Politik für die archaische und die klassische Periode der Geschichte seit langem Gegenstand intensiver Diskussion ist.37
von
griechischen
2. Das Problemfeld „Ökonomie und Politik" im hellenistischen Rhodos Eine umfassende Analyse des ökonomischen, sozialen und institutionellen Bedingungsrahmens der rhodischen Außenpolitik kann in der vorliegenden Arbeit, die die rhodische Außenpolitik selbst zum Gegenstand hat, nicht geleistet werden. Eine Gesellschaftsgeschichte des hellenistischen Rhodos ist nach wie vor ein Desiderat der Forschung,1 und viele Fragen werden sich gerade auf diesem Gebiet mangels geeigneter Quellen wohl niemals klären lassen. Dennoch scheint es nicht nur wünschenswert, sondern auch durchaus möglich, das Problemfeld „Ökonomie und Politik" für das hellenistische Rhodos genauer zu definieren, als dies bislang versucht wurde. Dabei empfiehlt es sich, zwischen „öffentlichen" und „privaten" Interessen zunächst einmal strikt zu unterscheiden.2 Daß ein „nationales" Interesse am Import von Lebensmitteln und/oder strategischen Gutem unmittelbar auf politische Entscheidungen der rhodischen Volksversammlung durchzuschlagen vermochte, leuchtet ohne weiteres ein. Ebenso unproblematisch ist die Vorstellung, daß die Rhodier bestrebt waren, die Einnahmen, die sie als Staatsbürger durch Gebühren und Zölle aus dem Handel zogen, zu erhalten und nach Möglichkeit zu steigern. Ein Angriff auf die Staatseinnahmen wird in rhodischen Staatsverträgen wiederholt geradezu als casus belli angeführt.3 Anders steht 37 Der mit Fehlern im Detail behaftete, doch an analytischer Schärfe unübertroffene „Klassiker" ist J. Hasebroek, Staat und Handel im alten Griechenland. Untersuchungen zur antiken Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1928. Hasebroek klammerte freilich die hellenistische Periode bewußt aus. Zu Hasebroek vgl. etwa Will, Annales 9, 1954, 7-22 (= Choix d'écrits, 21-42); M.I. Finley, Classical Greece, in: Deuxième conférence internationale d'histoire économique, Aix-en-Provence 1962, Vol. II: Trade and Politics in the Ancient World, Paris 1965, 11-35; P. Cartledge, Trade and Politics revisited: Archaic Greece, in: P. Garnsey/K. Hopkins/C.R. Whittaker (Hgg.), Trade in the Ancient Economy, London 1983, 1-15; R. Descat, La cité grecque et les échanges. Un rétour à Hasebroek, in: Économie antique. Les échanges dans l'Antiquité: le rôle de l'État, Saint-Bertrand-de-Comminges 1994, 11-30. 1 Zu Gabrielsen, Naval Aristocracy vgl. meine Rezension in: Klio 82, 2000, 248-250. 2 Auf diese Unterscheidung hebt jetzt auch Bresson, Ktema 23, 1998, 243-262 (= Cité marchande, 243-261) ab. 3 StV III 551, Z. 13; 67 (Vertrag mit Hierapytna); StV III 552, A, Z. 29; B, Z. 16 (Vertrag mit Olous).
2. Das Problemfeld
„Ökonomie und Politik"
21
die Behauptung, daß die Politik des rhodischen Staates von Personen bestimmt worden sei, deren privates Einkommen aus dem Seehandel stammte oder von ihm abhängig war, mögen sie nun Reeder, Kauffahrer oder Fabrikanten gewesen sein. Wer dies behaupten wollte, wäre verpflichtet anzugeben, wie diese privaten Interessen in einer Versammlungsdemokratie wie der rhodischen mehrheitsfähig werden konnten. Das verfügbare Quellenmaterial erlaubt eine nähere Betrachtung von drei für eine vorläufige Klärung der Beziehungen zwischen ökonomischen Interessenlagen und politischen Optionen relevanten Faktoren: a) der politischen Entscheidungsstrukturen, b) der Formen des Handels und c) mit Einschränkungen des Selbstverständnisses der politischen Akteure:
es um
-
2.1 Die
-
politischen Entscheidungsstrukturen
Für das Verständnis der EntScheidungsprozesse ist die simple Tatsache grundlegend, daß die Entscheidung über Krieg und Frieden, über Gesandtschaften und Verträge bei einer Versammlung lag, die allen Bürgern des rhodischen Staates offenstand.4 Hier wurden wichtige Amtsträger gewählt und auswärtige Gesandte gehört. Abgestimmt wurde durch Handaufheben;5 von einem Zensus für „Aktivbürger" ist nichts bekannt. Die Rhodier selbst betrachteten darum ihren Staat mit Recht als eine Demokratie.6 Gewiß unterschied sich diese Demokratie nicht unerheblich von derjenigen des klassischen Athen. Anders als das Athen des Demosthenes7 verfügte das hellenistische Rhodos über eine Art Regierung: Fünf auf sechs Monate gewählte Prytanen führten den Vorsitz in Rat und Volksversammlung,8 wo sie auch ein Initiativrecht hatten.9 Sie waren dadurch befähigt, auf politische Verfahren Einfluß zu nehmen. Da die Prytanen auswärtige Gesandtschaften gemeinsam mit dem Rat empfingen, bevor diese in die Volksversammlung eingeführt wurden,10 und Berichte von den militärischen Befehlshabern
4
Umgekehrt ließen sich die Rhodier die Unversehrtheit ihrer Staatseinnahmen von Antigonos Monophthalmos garantieren: Diod. 20.99.3. Zur rhodischen Verfassung vgl. Gelder, Rhodier, 178-288, bes. 178-179; 236-264; Hiller, RE Rhodos, 765-769; Toulomakos, Einfluss Roms, 129-142; O'Neil, Athenaeum n. s. 59,1981,468^173; Berthold, Rhodes, 38-41; Gabrielsen, Naval Aristocracy, 24-31; Rhodes/Lewis, Decrees, 265-275. Zu der verbreiteten, aber irrigen Auffassung, daß die Prytanen befugt gewesen seien, nach Gutdünken Gesandte zu bestellen, vgl. unten 312. Auch die Meinung, daß der Nauarch Vollmacht hatte, den rhodischen Staat bindende Verträge abzuschließen, läßt sich m.E. nicht halten; vgl. dazu unten 321-322 Anm. 32.
Pol. 29.10.1. StV III 551, Z. 13-14; StV III 552, Z. 29; Diod. 20.93.7. Vgl. dazu etwa J. Bleicken, Die athenische Demokratie, Paderborn u.a. 21994; M.H. Hansen, Die Athenische Demokratie im Zeitalter des Demosthenes. Struktur, Prinzipien und Selbstverständnis. Deutsch von W. Schuller, Berlin 1991. 8 Pol. 15.23.4; 22.5.10; 27.7.2; 13; 29.10.4. 9 I.Magnesia 55 = Syll.3 599 = Rigsby, Asylia, Nr. 104, Z. 15-27. 10 I.Magnesia 55 = Syll.3 599 Rigsby, Asylia, Nr. 104, Z. 6-7; SDGI III 1, 3752 = Rigsby, Asylia, Nr. 166, Z. 7 (ÉTteXGóvxec èni xàv ßouMv Kai tcxv ÉKKÀr|aiav); Holleaux, Études II, 179-198 = I.lasos 612 = SEG 44, 867, Z. 43-52; Pol. 15.23.3^1; 25.5.1; 27.4.4; 29.11.1-2. 5 6 7
=
22
I.
Einleitung
des Staates erhielten,11 besaßen sie einen umfassenden Überblick über die auswärtigen Angelegenheiten des rhodischen Staates, der ihnen einen Informationsvorsprung gegenüber den gewöhnlichen Bürgern sicherte.12 Schließlich verfügten sie auch über persönliche Autorität; die Inschriften zeigen, daß die Prytanie oftmals die Krönung einer langjährigen Tätigkeit in religiösen, zivilen und militärischen Staatsämtern war.13 Es wäre jedoch irreführend, wollte man die rhodische Verfassung in die Nähe der römischen14 rücken: Die Prytanen waren keine auf Lebenszeit amtierenden Senatoren, und außenpolitische Kontroversen wurden vor der Volksversammlung offen und nicht selten kontrovers ausgetragen.15 Die Volksversammlung konnte auch ohne Beschlußvorlage des Rates Beschlüsse fassen,16 und das Antragsrecht stand nicht bloß Amtsträgern, sondern jedem Bürger zu.17 Die politische Aktivität der Bürger wurde ganz anders als in der römischen Republik durch Diäten für Amtsträger18 und Tagegelder für den Besuch der Volksversammlung19 und für die Mitwirkung in Geschworenengerichten20 bewußt und zielstrebig gefördert. Die rhodische Verfassung war darum keineswegs eine als Demokratie verkleidete Oligarchie oder Aristokratie, wie gelegentlich behauptet wurde,21 sondern eine gemäßigte Demokratie im Sinne des Aristoteles.22 Die gewählten zivilen und militärischen Vertreter des rhodischen Volkes waren zwar durchaus in der Lage, die Außenpolitik ihres Staates zu beeinflussen; sie zu lenken vermochten sie jedoch nur dann, wenn sie ihre Mitbürger überzeugen konnten. 16.15.8; vgl. I.Lindos 2D, Z. 95-115 (Prytane soll während der Belagerung durch Demetrios Poliorketes an Ptolemaios I. schreiben). Pol. 15.23.3 (Fall von Kios wird den Prytanen gemeldet); 16.9.1 (Brief des Theophiliskos an die Prytanen); vgl. Lykurg. 14—15 (Meldung an die „Polis der Rhodier"). Zu den rhodischen Prytanen vgl. Gschnitzer, RE Prytanis, 766-769. Vgl. dazu etwa C. Nicolet, Le métier du citoyen dans la Rome républicaine, Paris 1976. Pol. 15.23.1^*; 16.35; Liv. 33.20.10; Pol. 22.5.10; 27.3.3-4; 27.7; 28.2.4; 28.16.1-8; 28.17.1112; 29.10.1-3; 29.11 ; Dunant/Thomopoulos, BCH 78, 1954, 338-344 Nr. 14 = SEG 14, 544, Z. 3-16. Dies beweisen Dekrete mit der Beschlußformel éSoÇe Tt Sáuxüt: Jacopi, Clara Rhodos 2, 1932, 169-170 Nr. 1, Z. 1; I. lasos 150, Z. 4; SDGIIII 1, 3751 = Rigsby, Asylia, Nr. 166, Z. 4; Syll.3 644, Z. 20; StV III 551, Z. 1; vgl. dazu Toulomakos, Einfluss Roms, 134; Gabrielsen, Naval Aristocracy, 27. Dies beweisen Dekrete mit der Antragsformel ô ôeïva EUtev: IG XII 1, 890 = Syll.3 930, Z. 32; Syll.3 644, Z. 3; I.Thasos 172, Z. 25-27; vgl. dazu Toulomakos, Einfluss Roms, 134; Gabrielsen, Naval
11 Pol. 12
13 14 15 16
17
Aristocracy, 27. 18 Darauf deutet das in Ehreninschriften für rhodische Amtsträger begegnende Lob, auf Besoldung verzichtet zu haben (âutaBoç): Gabrielsen, Naval Aristocracy, 28; 159-160 Anm. 57. 19 [Dem.] 56.47; Cic. rep. 1.47; 3.48: omnes erant idem turn de plebe turn senatores, vicissitudinesque habebant quibus mensibus populan muñere fungerentur, quibus senatorio (utrubique autem conventicium accipiebant, et in theatro et in curia); res capitales et reliquas omnes iudicabant idem (Interpunktion nach Ferrary, Festschrift F. della Corte II, 247-252). 20 [Sail.] Ep. Caes. 2.7.12; D. Chrys. 31.6; 102. Vgl. dazu die von Fraser, ABSA 67, 1972, 119-124 besprochenen Bronzetäfelchen für Geschworene (inváiacc). Die Geschworenen wurden ausgelost: IG XII 1, 55, Z. 3; NS 18, Z. 7; Pugliese Carratelli, ASAA n.s. 1-2, 1939-40, 151-152 Nr. 7, Z. 8. 21 Etwa von Rostovtzeff, CAH VIII1, 1930, 633. Pugliese Carratelli, PP 4, 1949, 168-170 und Migeotte, REG 102, 1989, 527 halten die rhodische Verfassung für eine Mischverfassung; dagegen wendet sich mit Recht Ferrary, Festschrift F. della Corte II, 251. 22 Arist. Pol. 4.1-16, bes. 4-6.
2. Das Problemfeld
„Ökonomie und Politik"
23
2.2 Die Formen des Handels Die Forschung geht zumeist ganz selbstverständlich von der Voraussetzung aus, daß der „rhodische Handel" in hellenistischer Zeit anders als der Handel im klassischen Athen überwiegend mit Schiffen abgewickelt wurde, die rhodischen Bürgern gehörten.23 In den Quellen ist die rhodische Handelsflotte indessen nur schwer zu greifen. Wir wissen zwar, daß der rhodische Staat Regelungen für die Schiffahrt erlassen hatte, die spätestens seit der Zeit Ciceros als vorbildlich galten.24 Es gibt jedoch nur ganz wenige Zeugnisse, die eindeutige Schlüsse auf die Existenz rhodischer Handelsschiffe zulassen.25 Polyainos berichtet, daß sich während der Belagerung von 305/4 rhodische „Händler und Seefahrer" in Syrien, Phönizien, Kilikien und Pamphylien aufhielten.26 Polybios erwähnt unter den Schenkungen, die den Rhodiern nach dem Erdbeben von 227 von Königen, Dynasten und Städten gemacht wurden,27 daß sowohl die syrakusanischen Könige Hieron und Gelon als auch Seleukos II. „denjenigen, die mit dem Schiff zu ihnen bzw. in sein Königreich fahren", eine nicht näher definierte Abgabenfreiheit gewährt habe.28 Insbesondere dann, wenn sich diese Abgabenfreiheit nicht auf alle Schiffe, die von oder nach Rhodos fuhren, wie neuerdings vorgeschlagen wurde,29 sondern nur auf rhodische Bürger erstreckte was ich nach wie vor für wahrscheinlicher halte -,30 setzt diese Privilegierung voraus, daß rhodische Händler die Häfen Si-
23 So etwa Gelder, Rhodier, 426; Ziebarth, Festschrift G. Glotz II, 912; Rostovtzeff, CAH VIII1, 1930, 620-622; Casson, TAPhA 85, 1954, 172 (= Trade and Society, 73); Ancient Mariners, 151; Berthold, Rhodes, 48. 24 Cic. de leg. Man. 18.54. Aus dem rhodischen Seerecht ist nur eine einzige Bestimmung überliefert: die anteilsmäßige Entschädigung bei der großen Havarie (Dig. 14.1-10); vgl. dazu H. Kreller, Lex Rhodia. Untersuchungen zur Quellengeschichte des römischen Seerechtes, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht 85, 1921, 257-367. 25 Bei Lykurg. 14 ist eindeutig von in Rhodos ansässigen Kauffahrern die Rede; bei [Dem.] 56.21 bleibt unbestimmt, wem die Schiffe gehörten, die Parmeniskos auf Rhodos mietete. 26 Polyain. 4.6.16. 27 Vgl. dazu unten Kap. II. 3 sowie Wiemer, Rhodische Traditionen, 33-39 mit Abb. 1. 28 Pol. 5.88.7: áTÉAEtav totç îtpôç oaVrouc 7tXoïÇou.Évotç; Diod. 26.8: axÉÀEiav totç avuriYOïç TtÀoiotç; Pol. 5.89.8: áxéAEtav totç eîç tf|v aÙTOû ßacnAEiav TtXot'Çouévoiç; vgl. 21.43.17 (Vertrag von Apameia): àtzXf\ 5è ôp-oitaç (cbç) Kai ttpô toû noXEuot) ta rcpôç xoùç 'Poôiouç ùraxp-
29 Bresson, Commerce grec, 52-55 (= Cité marchande, 138-141); akzeptiert von Gabrielsen, Naval Aristocracy, 73. 30 Gegen Bressons Deutung fällt schwer ins Gewicht, daß dem ganzen Zusammenhang nach an eine direkte Begünstigung der Rhodier selbst zu denken ist; wäre die Abgabenfreiheit allen Kauffahrern zugute gekommen, die von Rhodos aus in See stachen, so wäre dies ausdrücklich gesagt worden. Dies wäre sprachlich leicht möglich gewesen, etwa in der Form: ctTÉXEiocv toïç èk 'PóSou) Ttpôç ccûtoùç bzw. Etc TT|v carrot» ßaatXEiav 7iXoïÇop.évoiç. Im Bosporanischen Königreich genossen Kauffahrer, die Getreide nach Athen ausführten, zur Zeit des Demosthenes (Dem. 24.32; 34.36) eine Atelie; dieser Fall ist offenkundig ganz anders gelagert. Vgl. auch die freilich auf milesische Agrarprodukte beschränkte Abgabenfreiheit, die Antiochos IV. um 170 den Milesiern einräumte (Herrmann, MDAI
24
I.
Einleitung
Syriens im letzten Drittel des 3. Jahrhunderts mit einer gewissen Regelaufsuchten. Ob sie auf rhodischen Schiffen dorthin fuhren, ist hingegen mäßigkeit schon weniger sicher, und erst recht bleibt unklar, welches Volumen der mit rhodischen Schiffen abgewickelte Handel hatte. Daraus aber folgt, daß sich kaum abschätzen läßt, ob die Reeder anders als im klassischen Athen in der Regel Angehörige der Bürgerschaft waren, und ebensowenig, ob die Funktionen eines Reeders und Händlers auf Rhodos in der Regel sogar in einer Person vereinigt waren. Die oben erwähnte, eindrucksvolle Liste von Spenden, die Rhodos nach dem Erdbeben von 227 von Königen, Dynasten und Städten zuteil wurden, gilt seit jeher als Beweis dafür, daß Rhodos zu dieser Zeit eine große ökonomische Bedeutung gehabt habe. Diese Annahme bedarf in mehrfacher Hinsicht der Differenzierung. Zunächst einmal ist anzunehmen, daß gerade die Könige und Dynasten die Rhodier wohl auch aus politischen Motiven umwarben. Daneben dürften auch Prestigegründe eine Rolle gespielt haben, Antigonos Doson und Hieron von Syrakus wollten eben nicht hinter Ptolemaios HI. oder Seleukos B. zurückstehen, obwohl die wirtschaftlichen Beziehungen ihrer Reiche zu Rhodos kaum sehr eng waren.31 Immerhin bleibt bestehen, daß die Spender von 227 sich von den Rhodiern auch ökonomischen Nutzen versprochen haben dürften. Auf welche Weise die Rhodier sich ihnen nützlich erweisen konnten, läßt sich freilich nur hypothetisch bestimmen. Eine Möglichkeit ist bislang kaum in Betracht gezogen worden: Die Annahme, daß die Flotte des hellenistischen Rhodos32 wie diejenige des klassischen Athen33 fremden Handelsschiffen gegen Entgelt ihren Schutz lieh, indem sie eine Art von Geleitzügen organisierte, ist naheliegend. Auf diese Weise konnte der rhodische Staat finanziellen Gewinn aus der in der hellenistischen Welt ungewöhnlichen Unterhaltung einer stehenziliens und
(I) 15, 1965, 71-90 Nr. 1 Nouveaux Choix 7 SEG 36, 1046, II, Z. 3-4): œréÀEiav ÉK Tf^ç MtÀnaiaç eíojccyouévwv YEvnuáTíüv eîç xf|v ßarjiXEiav. =
=
töi
ör|u.coi
tovtcdv Twv
31 Die These Louis Roberts (Études de numismatique, 213-214; akzeptiert von Schmitt, Rom und Rhodos, 135 Anm. 1; Berthold, Rhodes, 174 Anm. 22; Gabrielsen, Naval Aristocracy, 182-183 Anm. 73 + 77), zwischen Rhodos, Histiaia und Makedonien hätten enge wirtschaftliche Beziehungen bestanden, stützt sich auf Münzen, die in ihrer großen Mehrzahl inzwischen als während des 3. Makedonischen Krieges geprägte Imitationen rhodischer Drachmen erkannt sind: Bresson, DHA 19, 1, 1993, 140-142; Ashton, Coinage of Rhodes, 95. Die Belege für Güteraustausch zwischen Rhodos und Makedonien beschränken sich auf Ausnahmefälle: Kasandros schenkte den Rhodiern anläßlich der Belagerung von 305/4 10.000 Medimnen Gerste (Diod. 20.96.3), Chrysei's anläßlich des Erdbebens von 227 100.000 Medimnen Getreide (Pol. 5.89.7); bei dieser Gelegenheit schenkte Antigonos Doson den Rhodiern zudem Schiffbauholz, Eisen, Pech und Teer (Pol. 5.89.6). Perseus gestattete den Rhodiern die Einfuhr von Schiffbauholz (Pol.
25.4.10). Zu den Motiven Hierons II. vgl. Berve, ABAW 1959, 80-81. 32 So könnte sich erklären, daß es auf Rhodos eine Klasse von Kriegsschiffen gab, die (puÀccKÎÔEÇ genannt wurden: Diod. 20.93.2; IG XII 1, 45; Jacopi, Clara Rhodos 2, 1932, 169 Nr. 1, Z. 12-13. Im einzigen Fall, in welchem der Schiffstyp bezeichnet wird, handelt es sich um Tetreren. 33 Vgl. dazu Pritchett, Greek State at War V, 330-332; 338-339 (mit den Belegen). Das Thema verdiente eine eingehende Untersuchung.
2. Das Problemfeld
„Ökonomie und Politik"
25
den Flotte ziehen.34 Zumindest ein Teil der Spender dürfte die Rhodier unterstützt haben, weil er auf Getreideimporte angewiesen war. Die große Bedeutung von Rhodos als Umschlagplatz von Getreide steht außer Zweifel.35 Der rhodische Hafen war für Getreidefrachter hervorragend geeignet,36 und wegen der vorherrschenden Windverhältnisse37 legten die meisten Schiffe auf dem Weg aus der Levante in die Ägäis in Rhodos an.38 Daß der rhodische Staat an diesem Transithandel ein großes fiskalisches Interesse hatte, versteht sich; durch die Klage des rhodischen Gesandten Astymedes, daß die Einnahmen aus Hafenzöllen im Zeitraum von 168 bis 164 von 1.000.000 auf 150.000 Drachmen jährlich gesunken seien,39 ist es auch ausdrücklich bezeugt. Wiederum ist jedoch zu bedenken, daß sich der Anteil, den rhodische Bürger an diesem Handel hatten, einer näheren Bestimmung entzieht. In nur vier Fällen läßt sich nachweisen, daß Rhodier außerhalb von Rhodos an Getreidekäufen beteiligt waren.40
34 In diesen Zusammenhang gehört m.E. der in korrupter Form überlieferte Bericht Strabons (14.2.5, p. 652/653C) über die „Armenfürsorge" im hellenistischen Rhodos; wenn die von Leopold Migeotte (REG 102, 1989, 515-528) herangezogene, im 9. Jahrhundert angefertigte Paraphrase (GGM II, 617 Nr. 20) den Inhalt korrekt wiedergibt, besagt er, daß die durch Liturgien finanzierte Unterstützung der Armen mit einer Arbeitspflicht verbunden war, die insbesondere den „maritimen Unternehmungen" (Tac vauoroXtac) der Stadt zugute kam. Eine sprachlich überzeugende Emendation ist trotz der Bemühungen von Wilhelm, RhM 90, 1941, 161-167 jedoch noch nicht gefunden. 35 Zum Außenhandel des ptolemäischen Ägypten (nicht nur mit Getreide) vgl. etwa Wilcken, Schmollers Jbb. 45, 1921, 349^120, bes. 361 ff; Rostovtzeff, Journal of Economic and Business History 4, 1932, 728-769 (= Scripta varia, 231-263); Préaux, Économie royale, bes. 137-152; Casson, TAPhA 85, 1954, 168-187; (= Trade and Society, 70-95); Fraser, Ptolemaic Alexandria I, 148-188; Thompson, Nile Grain Transport, 64-75; 190-192 (Anmerkungen). Eine wichtige neue Quelle ediert Scholl, APF 43, 1997, 261-272 mit Taf III (im Auftrage des Dioiketen Apollonios abgewickelter Verkauf von linnenen Gewändern in Karien, Lykien und auf den Inseln). 36 Zu den Hafenanlagen von Rhodos vgl. Blackman/Knoblauch/Yiannikouri, AA 1996, 371-426. 37 Zu den Schiffahrtsrouten im Mittelmeer vgl. Casson, TAPhA 81, 1950, 43-56. 38 Zeugnisse für Rhodos' Rolle als Durchgangshafen: Thuk. 8.35; Lykurg. 14 (auf Rhodos ansässige ë|X7iopot fahren in alle Welt); 18-19 (Rhodier zwingen Händler, in Rhodos zu entladen; andere, die ursprünglich nach Athen fahren wollten, löschen ihre Fracht ebenfalls dort); [Dem.] 56 (Parmeniskos fährt zweimal zwischen Rhodos und Ägypten hin und her); Diod. 20.82.2: tovç TtXéovTceç Etç AíyimTOV KCCTOYEtv Kai TtEptaipeîaflai Ta (pop-ría; P.Ryl. IV 554 (mit Rostovtzeff, Klio 30, 1937, 72-76; Hellenistic World I, 226-228); P.London VII 1979; Pol. 31.25 (Schulstiftung des Eumenes). Ob die in P.Cairo Zenon I 59.012 verzollten Waren allesamt in Rhodos gekauft wurden, ist hingegen fraglich: Gabrielsen, Naval Aristocracy, 181-182 Anm. 57. 39 Pol. 30.31.12. Vgl. dazu unten 335-336. 40 1) Walbank, Hesperia 49, 1980, 251-255 Nr. 1 = SEG 30, 65: Fünf Rhodier werden während der Lykurgischen Ära von Athen geehrt, weil sie sich einem athenischen o"iTÚ)vr|c nützlich gemacht haben; 2) Syll.3 354 (Ephesos, ca. 300): Agathokles, Sohn des Hagemon, verkauft 2.333 Medimnen Getreide unter dem Marktpreis (ca. 300); vgl. IG XII 7, 9 (Arkesine): Verleihung des Titels Ttpô^Evoç Kai EÚEpYÉTnc; 3) Syll.3 493 = Choix Délos 50 (Délos, ca. 230/20): Athenodoros, Sohn des Peisagoras, gewährt den ortnvat von Histiaia ein Darlehen für einen Getreidekauf; 4) IG XII 5, 1010 (los, ca. 250): die Ieten ehren Antisthenes, Sohn des Aristonikos, im Zusammenhang mit einem staatlichen Getreidekauf. Vgl. dazu Bresson, Index 9, 1981, 144-149 (= Cité marchande, 95-100); Reger, Independent Délos, 114; 119; Gabrielsen, Naval Aristocracy, 77-80.
26
I.
Einleitung
Einmal vorausgesetzt, daß sie Getreidehändler von Beruf waren, bleibt doch ungewiß, wie repräsentativ sie sind. Gegen die Annahme, daß der über Rhodos abgewickelte Handel die Domäne rhodischer Bürger war, spricht insbesondere die große Zahl von Fremden vor allem aus Kleinasien und aus dem syrisch-phönizischen Raum,41 die doch wohl überwiegend aus geschäftlichen Gründen auf der Insel weilten, wenngleich keine Angaben über ihre Tätigkeit überliefert sind.42 Der für uns am besten greifbare Kauffahrer auf dem Seeweg von Rhodos zur Krim, Posideos, Sohn des Posideos, war Bürger
Olbia.43 Hinreichend
von
belegbar ist dagegen ein staatliches Interesse am Import von Lebensmitteln und von strategischen Gütern. Namentlich der Import von Schiffbauholz ist mehrfach bezeugt.44 Auch die Abhängigkeit der Insel von importiertem Getreide ist kaum zu bezweifeln, obwohl wir die Einwohnerzahl für das dritte und zweite Jahrhundert nicht einmal annäherungsweise bestimmen können.45 Eine Reihe von Zeugnissen beweist, daß der Bedarf auch durchschnittlich höher lag als die einheimische Produktion.46 Unter ihnen hat das auf Rhodos gefälschte Testament Alexanders des Großen bislang noch nicht die gebührende Beachtung gefunden: Es dürfte nämlich auf guter Kenntnis der rhodischen Verhältnisse beruhen, wenn dem König die letztwillige Verfügung unterschoben wird, daß den Rhodiern aus Kleinasien und aus Ägypten jährlich je 200.000 Medimnen Getreide geliefert werden sollten.47 Daß es daneben auch große Getreidekäufe in akuten Mangelsituationen gab, dürfte selbst dann ohne weiteres angenommen werden, wenn es nicht belegt wäre.48 41 Morelli, SCO 5,1956, 126-190, bes. 126-139; Sacco, RAL8 35, 1980, 517-528. Auch den rhodischen Vereinen gehörte eine große Zahl von Fremden an: Gelder, Rhodier, 359-367; Hiller, RE Rhodos, 832-834; Pugliese Carratelli, ASAA n.s. 1-2, 1939-40, 187-200; Gabrielsen, Naval Aristocracy, 123-129. 42 Daß der „rhodische Handel" überwiegend in der Hand von Fremden gelegen habe, meinen Préaux, Rec. Soc. J. Bodin IX, 184-189; Will, Histoire politique I2, 185 Anm. 2. 43 Vgl. J. et L. Robert, BE 1965, 272; Kontorini, ApxaiOYVüxria 2, 1981, 224-231. 44 Diod. 19.58.5; Pol. 5.89.6; 25.4.10; Syll.3 644, Z. 13-14 (Tai 5ü)p[e]a[i] Tat ÔESouévat | toi ôau-cm Etc Tàv varjTiKàv öuvauiv wohl Schiffbauholz von Antiochos IV.). 45 Einzige Zahlenangabe: 6.000 waffenfähige Bürger und 1.000 Metöken, die als Freiwillige dienten, bei der Belagerung 305/4 (Diod. 20.84.2). Beloch, Bevölkerung, 226-227 schätzt die Einwohnerzahl der Stadt Rhodos „in ihrer besten Zeit" auf ca. 100.000. 1928 betrug die Einwohnerzahl nur 45.000: Hiller, RE Rhodos, 738. 46 Lykurg. 18; [Dem]. 56; [Arist]. Oik. 2.2.33, 1352a-b; Diod. 20.81.4; P.Köln VI 247, III, Z. 23-30; Liv. 44.14.10: tertium se annum multa eius incommoda belli sentiré mari intercluso; inopem insulam esse nee, nisi maritimis iuvetur commeatibus, colendam (annalistische Drohrede einer rhodischen Gesandtschaft 169); 45.25.12: includi se insulae parvae et sterilis agri litoribus, quae nequáquam alere tantae urbis populum posset (annalistische Version der 1. Astymedes-Rede); Hesych. s.v. áYÉptoxot: Tivèç 5É (paon, toùç "PoSîouç EÍpñaOai áYEpárxovjc, on., vricnoycai ovteç, eÇooGev êk -
TfjÇ f|rt£ÍpOVJ ÔYEÎpOVTEÇ Ôxf|V ÔlEYÎYVOVTO, TOUTEOTl TpOtpfjV É7tEÍOaKTOV.
47 [Kallisth.] Hist. Alex. 3.33.8 Kroll; Epit. Mett. 108 mit Merkelbach, Alexanderroman2, 237. 48 SEG 9, 2 = Laronde, Cyrène, 30-31, Z. 11 (30.000 Medimnen aus Kyrene); Pol. 28.2 (100.000 Medimnen aus Sizilien; vgl. dazu unten Kap. IX. 3). Auch Kos importierte im 3. Jahrhundert mehrfach Getreide: 1) Segre, RFIC n.s. 12, 1934, 169-193 =
2. Das Problemfeld
„Ökonomie und Politik'
27
Eine durchaus problematische Größe stellt dagegen der Export von auf rhodischem Staatsgebiet produzierten Gütern dar. Angaben über die rhodische „Handelsbilanz" im letzten Jahrhundert osmanischer Herrschaft sind verfügbar, aber wenig hilfreich,49 weil die Bevölkerung der Insel im 19. Jahrhundert auf weniger als 30.000 Menschen geschrumpft und die Agrarlandschaft weitgehend verödet war. Auch die aus antiken Schriftstellern gewonnenen Listen rhodischer Spezialitäten, wie etwa Schwämme, Honig oder Bleiweiß,50 helfen kaum weiter, da sie hinsichtlich der produzierten Mengen und der Art ihres Vertriebes ganz unbestimmt bleiben. Für den rhodischen Honig ist immerhin belegt, daß er im Jahre 259 einmal in geringen Mengen nach Ägypten eingeführt wurde, doch ist die Nachricht so punktuell, daß sich jede wirtschaftsgeschichtliche Schlußfolgerung verbietet.51 Konkretere Aussagen lassen sich allein über den Handel mit rhodischem Wein treffen. Doch auch hier ist die Forschung bislang noch weit entfernt davon, das Volumen und die Modalitäten von Produktion und Distribution bestimmen zu können. Die ältere Forschung hat aus der großen Zahl rhodischer Amphorenstempel, die überall im östlichen Mittelmeer bis hin nach Unteritalien und Karthago, vor allem aber im nördlichen Schwarzmeerraum und in Alexandreia gefunden worden sind es sind mittlerweile allein in Alexandreia über 140. OOO52 -, voreilige Schlüsse auf den hellenistischen Weinhandel gezogen, die der in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts von JeanYves Empereur und anderen vorgetragenen methodischen Kritik nicht standgehalten haben.53 Über viele grundsätzliche Fragen, die seitdem aufgeworfen wurden, ist noch -
I.Cos ED 48 (ca. 260, Thessalien); 2) NS 443 in der Fassung von I.Cos ED 17, 130, 26, 194 (Zypern, ca. 300/250); Herondas 2.16-17 (ca. 270, Phönizien). 49 Solche Angaben finden sich in der informativen „Étude sur l'île de Rhodes" (Paris 1856, 18802, bes. 29-47) des Franzosen Victor Guérin, der 1854 für 40 Tage auf der Insel geweilt hatte, sowie in dem schwülstigen und langatmigen Werk der „Heimatforscher" Edouard Biliotti und L'Abbé Cottret „L'île de Rhodes" (Paris 1881, bes. 702-706); auf letzterem fußt Hiller, RE Rhodos, 738. Hauptexportartikel waren damals Früchte und Gemüse sowie Schwämme. 50 Gelder, Rhodier, 427^130. 51 P.Cairo Zenon I 59.012, Z. 29 (Zollerklärung aus Pelousion); vgl. P.Cairo Zenon I 59.110, Z. 22
(rhodische Feigen).
52 N. Zeitoun/C. Christophi/J.-Y. Empereur, Les anses d'amphores du musée gréco-romain d'Alexandrie. L'état d'avancement de la banque de donnés sur les amphores et le cas exemplaire du fabricant rhodien Theumnastos, in: J.-Y. Empereur (Hg.), Commerce et artisanat dans l'Alexandrie hellénistique et romaine. Actes du colloque d'Athènes 11-12 décembre 1988 (BCH Suppl. 33), Paris 1998, 367-391, hier: 367-368. Die im nördlichen Schwarzmeerraum gefundenen rhodischen Amphorenstempel beziffert Badal'jane, Rhodes, 248 auf etwa 15.000. 53 Empereur, BCH 106, 1982, 219-233; Empereur/Picon, BCH Suppl. 13, 1986, 103-126; Empereur/ Hesnard, Amphores hellénistiques, 9-23; Garlan, Commerce, 131-142; Amphores, 173-192. Die Feinchronologie der Perioden II-IV ist umstritten; vgl. die Debatte zwischen John Lund und Gerald
Finkielsztejn: Lund, ActaHyp 5, 1993, 359-375; Finkielsztejn, ActaHyp 6, 1995, 279-296; Lund, ActaHyp 6, 1995; 297-302; Finkielsztejn, Rhodes, 181-196. In die methodischen Grundlagen und Probleme der Klassifikation und Datierung der rhodischen Amphorenstempel und damit in das Lebenswerk von Virginia Grace führt ein: Diez, Rev. Arch. Louvain 13, 1980, 24-49 (mit einer Bibliographie der einschlägigen Veröffentlichungen von Grace).
I.
28
Einleitung
kein Konsens erzielt worden.54 Obendrein ist der größte Teil des Materials noch immer unpubliziert. Man wird sich daher beim gegenwärtigen Forschungsstand auf sehr wenige Schlußfolgerungen beschränken und sich ihres vorläufigen Charakters immer bewußt bleiben müssen. Mit diesen Vorbehalten läßt sich immerhin feststellen, daß die exportorientierte Produktion von Amphoren, zu denen die Stempel einst gehörten, einen bedeutenden Zweig der rhodischen Wirtschaft gebildet haben dürfte. Darauf deutet insbesondere die Tatsache, daß die rhodischen Amphorenstempel an der Mehrzahl aller hellenistischen Fundstätten diejenigen anderer Städte an Zahl übertreffen,55 auch wenn von der Zahl der Amphorenstempel nicht ohne weiteres auf die Zahl der Amphoren geschlossen werden darf, weil eine systematische Stempelung nur auf Rhodos (und Knidos) praktiziert worden zu sein scheint und die publizierten Zahlen natürlich den Zufällen der Überlieferung und Bearbeitung der Keramikfunde unterliegen. Klar scheint weiterhin, daß Alexandreia56 und der nördliche Schwarzmeerraum57 zwischen der Mitte des 3. Jahrhunderts und dem Ende des 2. Jahrhunderts wichtige Absatzgebiete für rhodische
Amphoren waren. Da Amphoren Flüssigkeitsbehälter waren,58 liegt die Annahme nahe, daß in den rhodischen Amphoren auf Rhodos produzierter Wein transportiert wurde.59 In der Tat gibt es Anzeichen dafür, daß rhodischer Wein, obwohl er in den literarischen Quellen keine prominente Rolle spielt, in erheblichen Mengen exportiert wurde.60 Darauf deuten
54
55 56 57
58 59
Gute Zusammenfassung des aktuellen Diskussionsstandes bei Etienne, Ténos II, 212-220; Gabrielsen, Naval Aristocracy, 64-71. Über die laufenden Forschungen informiert das seit 1987 in fünfjährigem Abstand von Jean-Yves Empereur und Yvon Garlan veröffentlichte „Bulletin archéologiques: Amphores et timbres amphoriques"; bisher sind erschienen: Empereur/Garlan, REG 100, 1987, 58-109 (1980-1986); REG 105, 1992, 176-220(1987-1991); REG 110, 1997, 161-209 (1992-1996). Einen Überblick vermittelt (auf der Grundlage der 1990 in Westeuropa verfügbaren Daten) bislang allein das von Roland Etienne erstellte Schaubild: Ténos II, 216 Abb. 4. Zu den alexandrinischen Befunden und ihrer Problematik ist jetzt grundlegend Lund, Rhodian Amphorae, 187-204. Zum rhodischen Schwarzmeerhandel ist jetzt grundlegend Badal'janc, Rhodes, 247-253, auch wenn die dort (247) angeführte „inscription rhodienne du Hie s. av. n. è." in Wahrheit ein Ehrendekret von Olbia ist: IosPE2 I 30. Vgl. A.J. Parker, Cargoes, containers and stowage: the Ancient Mediterranean, UNA 21, 1992, 89100, bes. 92-95; Garlan, Amphores, 83-91. Die These von Peter Fraser (Ptolemaic Alexandria I, 147), daß die rhodischen Amphoren teils als Leergut, teils gefüllt mit Wein aus dem syrischen Laodikeia nach Alexandreia gekommen seien, wird von Empereur, BCH 106, 1982, 230 Anm. 42 und Empereur/Hesnard, Amphores hellénistiques, 12 mit Recht abgelehnt, da die lokale Produktion von ungestempelten Amphoren für Alexandreia durch die Entdeckung von Müllhalden inzwischen nachgewiesen ist: Empereur, BCH 106, 1982, 218-221; Empereur/Picon, BCH Suppl. 13, 1986, 104-109; Empereur, BCH Suppl. 13, 1986, 599-608. Laodikenische Amphoren konnten wohl einfach deshalb bislang nicht identifiziert werden, weil sie nicht
gestempelt waren. Bedeutung des Weinbaus auf Rhodos spricht auch, daß Poseidonios berichtet, während seiner Prytanie sei auf Rhodos asphalthaltige Erde gefunden worden, die, vermischt mit Öl, als Mittel gegen
60 Für die
2. Das Problemfeld
„Ökonomie und Politik"
29
allem die Pachturkunden aus Amos (Hisarburnu),61 einem Ort in der rhodischen belegen eine von staatlicher Seite reglementierte,62 technologisch fortschrittliche und mit erheblichen privaten Investitionen verbundene Expansion des Weinbaus, die nur durch die Möglichkeit des Exportes zu erklären ist.63 Für denselben Ort ist auch der Einsatz von Sklaven in der Landwirtschaft bezeugt.64 Desgleichen dürften die 10.000 Amphoren Wein, die die Rhodier 220 an Sinope lieferten, doch wohl aus lokaler Produktion gestammt haben.65 Fragt man, welche Rolle die Produktion von Wein und Amphoren im politischen Kalkül der Rhodier gespielt haben mag, muß die Antwort wiederum zweigeteilt ausfallen. Daß die rhodische Bürgerschaft ein aktives, fiskalisch motiviertes Interesse an der Produktion von Amphoren nahm, wird durch die bloße Tatsache, daß die rhodischen Amphoren systematisch auf eine im Prinzip einheitliche Weise gestempelt wurden, zur Genüge erwiesen.66 Andere Zwecke, etwa eine Garantie des Volumens der Behälter, mögen damit verbunden gewesen sein, erklären diese aufwendige Praxis für sich alleine aber nicht. Eine Besteuerung des Weines wird man ebenfalls unbedenklich postulieren dürfen; für das benachbarte Kos ist sie ausdrücklich bezeugt.67 Durchaus fraglich ist hingegen, welche politischen Durchsetzungschancen private Interessen am Handel mit Wein und Amphoren hatten. Denn die Produktions- und Vertriebsformen sind weitgehend ungeklärt. Die etwa 20 Werkstätten bescheidener Größe, die Empereur gemeinsam mit Maurice Picon Anfang der 80er Jahre verstreut über die ganze Insel, aber zumeist in Küstennähe beobachtete, sind noch immer unpubliziert.68 Dazu kommt das sog. Villanova-Depositum, bestehend aus etwa 100 Amphoren, die zu Beginn des 2. Jahrhunderts für den Bau einer Terassenmauer zweckentfremdet wurden.69 Etwas besser steht es in der Peraia: Von drei bekannten Werkstätten ist immerhin eine, bei Bybassos (Hisarönü) gelegene, publiziert worden.70 Aus vor
Peraia: Sie
Schädlingsbefall an Weinstöcken verwendet worden sei: Strab. 7.5.8, p. 316C Poseidonios Fr. 46 Theiler 235 Edelstein/Kidd; vgl. dazu Malitz, Poseidonios, 16-17 mit Anm. 99. =
=
61 Fraser/Bean, Rhodian Peraea, 6-20 Nr. 8-10 = I.Peraia 352-354 = I.Pérée 49-51. Die Inschriften dürften aus der Zeit um 200 stammen; der Versuch von Christoph Börker (ZPE 28, 1978, 35-38), sie auf ca. 150 herabzudatieren, überzeugt nicht: J. et L. Robert, BE 1978, 23. 62 Vgl. dazu Fraser/Bean, Rhodian Peraea, 14-20. Das Land wurde von der Gemeinde Arnos gemeinsam mit den Hieromnamones verpachtet, doch hatte auch der rhodische Gesamtstaat ein Mitspracherecht bei der Gestaltung der Pachtverträge, was auf eine Beteiligung an den Erträgen hindeutet. 63 Dazu ist grundlegend Salviat, BCH Suppl. 26, 1993, 151-161. 64 [Aischin.] Ep. 12.11-12; I.Peraia 357 = I.Pérée 52. 65 Pol. 4.56.3. 66 Den aktuellen Diskussionsstand repräsentieren Diez, Rev. Arch. Louvain 13, 1980, 28-36; Garlan, RA 1990, 211-214; CRAI 1993, 181-190; Amphores, 153-172. 67 Syll.3 1000, Z.5 (rôvà oïvou ÊJii OaXáaaat); Z. 7 (cbvà év KaXúu.vai oïvou); vgl. dazu WAL. Vreeken, De lege quadam sacra Coorum (Ditt. Syll.3 1000), Diss. Groningen 1953, 36-39; 52-57. 68 Empereur/Picon, BCH Suppl. 13, 1986, 115; vgl. Papachristodoulou, PoSuxkoî ôfjuoi, 104; 140 (Produktionsstätten für Amphoren auf dem Gebiet von Ialysos). 69 Maiuri, ASAA 4-5, 1921-22, 249-269; vgl. Papachristodoulou, PoSiaKoi Sfju.01, 105-107. 70 Empereur/Tuna, BCH 113, 1989, 277-299.
I.
30
Einleitung
wegen späterer Überbauung nur vereinzelte, zudem wiederum unpublizierte Befunde vor.71 Bei dieser Forschungslage ist jedes Urteil riskant. Die vorliegenden Publikationen vermitteln zumindest den Eindruck, als ob die Produktion zum Teil außerhalb des Stadtgebietes von Rhodos und nicht durchweg in größeren Betrieben stattgefunden hätte; vielmehr scheint die Produktion der Amphoren derjenigen von Wein nicht selten räumlich benachbart gewesen zu sein.72 Die naheliegende Schlußfolgerung jedoch, daß die Produktion von Wein und Amphoren deswegen in den Händen rhodischer Bürger gelegen haben müsse, weil allein diese Eigentum an Grund und Boden erwerben konnten, auf dem Wein angebaut und Ton gewonnen werden konnte, wäre übereilt. Nicht nur ist jedenfalls in Lindos eine Korporation von Fremden bezeugt, die sich selbst als Landwirte und Reeder bezeichneten.73 Gegen die Annahme, daß die Produktion von Amphoren eine Domäne rhodischer Bürger gewesen sei, spricht auch eine onomastische Beobachtung, die von Martin Nilsson74 vor über 80 Jahren gemacht wurde und unverändert Gültigkeit besitzt: Die rhodischen Amphoren trugen bekanntlich seit der Mitte des 3. Jahrhunderts stets zwei Stempel. Einer diente zur Datierung, indem er den eponymen Halios-Priester und (seit ca. 250/40) auch den Monat nannte. Der andere nennt den Namen einer Person, die in einer engen sachlichen Beziehung zur Produktion der Amphoren gestanden haben muß; man spricht deshalb gewöhnlich vom „Fabrikantenstempel". Nilssons Beobachtung war nun, daß die Namen dieser „Fabrikanten" sehr viel „bunter" sind als die der Eponymen; von den 147 auf Delos nachweisbaren Fabrikantennamen75 läßt sich weniger als die Hälfte in dem reichen rhodischen Namenmaterial für Bürger nachweisen. Da die Namengebung der Bürgerschaft in Rhodos und anderswo sehr homogen ist, kann man das als ein Indiz dafür werten, daß in Rhodos ein größerer Teil der Bürgerschaft einer gewerblichen Tätigkeit nachging als im klassischen Athen.76 So argumentiert Alain Bresson.77 Man muß dann aber auch die Konsequenz ziehen, daß doch immerhin mehr
Rhodos-Stadt
liegen
71 Arch. Delt. 18, 1963, 325 (ein Brennofen in der Nekropole, 3. Jh. n. Chr.); Arch. Delt. 33, 1978, 400-401 (vier Brennöfen von 2.70 bis 7.00 Meter Durchmesser); Papachristodoulou, PoôtaKOt 5fju,ot, Taf. 68 (Amphoren aus dem Stadtgebiet). 72 Ein mögliches Gegenargument liegt darin, daß sich 90% der in Kameiros für „Fabrikanten" nachweisbaren Namen (auf den ca. 600 von Porro, ASAA 2,1916, 103-124 publizierten Stempeln) auf den ca. 3000 in Lindos gefundenen Stempeln (Nilsson, Timbres amphoriques, 37-180; 349-539) wiederfinden; Bresson, BCH Suppl. 13, 1986, 86 schließt daraus: „A moins de supposer qu'un même fabricant disposait de plusieurs centres de production, on doit considérer que le cabotage le long de côtes rhodiennes suffisait à disperser de manière plus au moins uniforme dans des grands centres comme Camiros ou Lindos les amphores venues des différents centres de production." 73 Die Reihe der Belege beginnt freilich erst 137 v. Chr.: Gabrielsen, Naval Aristocracy, 206 Anm. 88 (wo Nr. 9 zu streichen und I. Lindos 300 zu ergänzen ist). 74 Nilsson, Timbres amphoriques, 37-180; 349-539, bes. 100-101. Nilsson interpretierte den Befund allerdings als Gegensatz zwischen Aristokraten einerseits und Plebejern/Sklaven andererseits. Die dabei vorausgesetzte Entsprechung zwischen Namengebung und sozialem Status hat sich jedoch als unhaltbar erwiesen. 75 Grace, BCH 76, 1952, 524-530 (Liste der Fabrikanten und Eponymen). 76 Vgl. Masson, BCH Suppl. 13, 1986, 37^t4 (= Onomástica Graeca Selecta II, 535-542). 77 Bresson, BCH Suppl. 13, 1986, 81-86.
2. Das Problemfeld
31
„Ökonomie und Politik"
als die Hälfte der für die Amphorenproduktion verantwortlichen Personen Fremde ren, die in der rhodischen Volksversammlung keine Stimme hatten.
2.3 Das Selbstverständnis der
wa-
politischen Akteure
Hier ist zunächst noch einmal die Begrenztheit des verfügbaren Quellenmaterials zu betonen: Große Teile der rhodischen Bürgerschaft bleiben für uns stumm; nur die Oberschicht hat aussagekräftige Zeugnisse hinterlassen. Aus ihnen aber ergibt sich ein Befund, der in klarem Gegensatz zu der verbreiteten Auffassung steht, daß der soziale Habitus der rhodischen Oberschicht, aus der die Prytanen, Strategen und Nauarchen des rhodischen Staates sich rekrutierten, von privaten ökonomischen Interessen geprägt gewesen sei. Noch kürzlich hat Heinz Heinen die rhodische Oberschicht als „financial aristocracy" bezeichnet.78 Betrachtet man nämlich die privaten Ehrenmonumente für rhodische Aristokraten,79 so stellt man rasch fest, daß sie wirtschaftliche Betätigungen niemals erwähnen. Die rhodischen Aristokraten stellten sich als Priester und Amtsträger, als Sportler und als Krieger dar,80 nicht als Grundbesitzer, Geschäftsleute oder gar Bankiers.81 Zur Illustration mag ein Beispiel genügen;82 es stammt von der Basis der Statue, die einem gewissen Teisias, Sohn des Theudamos, von seinem Bruder, seiner Ehefrau und seinen Töchtern errichtet wurde. Diesem Teisias, der im ersten Viertel des 2. Jahrhunderts die Prytanie bekleidet hatte, wird von seinen engsten Anverwandten folgendes nachgerühmt: Er sei in Kriegszeiten Stratege gewesen, und er habe die Prytanie bekleidet; er habe in Kriegszeiten auf einer Tetrere als Bugoffizier gedient, und er sei Priester des Apollon gewesen; er habe in Kriegszeiten eine Tetrere kommandiert, und er sei in Kriegszeiten Kommandant auf der Insel Megiste (Kastellorizo) gewesen. Neben diesen ganz überwiegend militärischen Leistungen werden allein Siege im Ringkampf und im Wrestling bei rhodischen Festen, Bekränzungen durch Rhodos benachbarte Gemeinden und die Ausrichtung von Spielen in Rhodos-Stadt einer Erwähnung gewürdigt.83 78 Heinen, CAH VII/12, 1984, 432-433. 79 Zum Typus der Familiendenkmäler vgl. Rice, ABSA 81, 1986, 209-233. 80 Ich führe nur Ehrenmonumente für Rhodier auf, die das höchste Amt des Staates, die Prytanie, erreichten: 1) IG XII 1, 43; 2) Maiuri, ASAA 2, 1916, 146 Nr. 18; 3) NS 18; 21; 4) Jacopi, Clara Rhodos 2, 1932, 192 Nr. 20; 5) 193 Nr. 21; 6) 194 Nr. 22; 7) Kontorini, Inscriptions inédits, 43-53 Nr. 3 = SEG 33, 644; 8) Kontorini, Avékôoteç éntYpacpéç, 164-167 Nr. 73 SEG 39, 759. Eine vollständige Liste der rhodischen „Marineurkunden" findet sich unten 332-333 Anm. 26. 81 Der einzige Beleg für einen auf Rhodos ansässigen Bankier, der zugleich rhodischer Bürger war, ist NS 19; vgl. dazu Pugliese Caratelli, Festschrift V. di Arangio-Ruiz IV, 489-491. Eine staatliche Bank ist auf Rhodos nicht vor dem dritten nachchristlichen Jahrhundert nachzuweisen (P. Oxy. L 3593 mit Fraser, ABSA 67, 1972, 113-119), aber für die hellenistische Zeit wohl vorauszusetzen: Gabrielsen, Naval Aristocracy, 80-84. 82 Fraser/Bean, Rhodian Peraea, 45^t6 Nr. 42 = SEG 14, 719 = Nouveau Choix 30 I.Peraia 553 = I.Pérée 3. 83 Hier ist der Hinweis angebracht, daß die Tradition rhodischer Söldner bis ins 3. Jahrhundert hinein andauert: Launey, Armées hellénistiques I, 201-206. =
=
32
I.
Einleitung
Die Differenz gegenüber der Selbstdarstellung neuzeitlicher Kaufleute, die sich in ihrem Kontor oder im trauten Familienkreise porträtieren ließen, scheint evident. Gewiß spiegelt sich in der öffentlichen Selbstdarstellung der rhodischen Aristokraten nicht das Ganze ihres sozialen Daseins wider. Natürlich mußten sie der Sorge um die materiellen Grundlagen ihrer sozialen Vorrangstellung Zeit und Aufmerksamkeit widmen, auch wenn sich davon von einigen unpublizierten Ostraka teilweise geschäftlichen Inhalts84 einmal abgesehen kaum eine Spur erhalten hat. Nichtsdestoweniger zeigen uns diese Ehrenmonumente die rhodischen Aristokraten doch so, wie sie gesehen werden wollten, und gewähren uns dadurch Aufschluß über das Wertesystem, das für sie Gültigkeit besaß. Auf Rhodos wie überall in der griechischen Welt war Arete, Tüchtigkeit im sportlichen und im militärischen Bereich, der zentrale Bezugspunkt des aristokratischen Wertesystems, das durch Ephebie und Gymnasium85 tief in den Sozialisationsmechanismen verankert war. Eine für Rhodos typische Form hatte dieses schichtspezifische Wertesystem lediglich insofern, als hier der Dienst in der Flotte, nicht wie fast überall der Dienst in der Kavallerie86 Ruhm und Ehre brachte. Die von Vincent Gabrielsen87 vorgeschlagene Charakterisierung der rhodischen Oberschicht als einer „naval aristocracy" bringt diesen ebenso einfachen wie grundlegenden Sachverhalt auf eine glückliche Formel. Dies aber bedeutet: Zweifellos bezog die rhodische Aristokratie ihr Einkommen aus Grundbesitz und zum Teil wohl auch aus Gewerbe und Handel. Es besteht jedoch Grund zu der Annahme, daß ihr Auftreten und ihr Verhalten im politischen Raum von anderen Faktoren mindestens ebenso stark beeinflußt wurden wie von ihren privaten ökonomischen Interessen. Für die Analyse der rhodischen Außenpolitik ergeben sich aus diesen Vorüberlegungen zwei methodische Schlußfolgerungen: 1) Bei der Erklärung außenpolitischer Entscheidungen sind ökonomische Motive anderen nicht grundsätzlich vorzuziehen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Macht -
-
in the Dodecanese, 204-205 mit Abb. 5; Gabrielsen, Naval Aristocracy, 107. 85 Man weiß sehr wenig über diese beiden Institutionen im hellenistischen Rhodos, doch ist der hohe Stellenwert des Gymnasiums, das noch im ersten nachristlichen Jahrhundert den Bürgern vorbehalten war (IG XII 1,3 = Syll.3 974; IG XII 1, 46) durch die Schenkung der syrakusanischen Könige Hieron und Gelon schon für das 3. Jahrhundert gesichert: Pol. 5.88.5; Diod. 26.8; vgl. auch Vitr. 6 praef 1 ; Diog. Laert. 4.53. In dem von Filimonos, AC 58, 1989, 127-156 publizierten, vielleicht mit dem Ptolemaion Diodors (20.100.3-4) identischen Gymnasium der Stadt wurden späthellenistische Weihinschriften von ÉTtlcrtáTai tcöv 7taí8ü)V, ihres Sekretärs sowie eines durch Wahl bestellten, für die Aufbewahrung und Bereitstellung des Öles zuständigen Amtsträgers gefunden: Kontorini, AC 58, 1989, 155-177 SEG 39, 771-775; vgl. Maiuri, ASAA 2, 1916, 148-149 Nr. 22 SEG 39, 776, wo diese Aufgabe von zwei Amtsträgern wahrgenommen wird. Cordiano, Ginnasiarchia, 138-139 bietet eine Zusammenstellung der Zeugnisse für Gymnasiarchen, aber nicht mehr. Die Behandlung der rhodischen Gymnasien bei Delorme, Gymnasion, 82, 121-122 ist ungenügend. 86 Vgl. dazu I. G. Spence, The Cavalry of Classical Greece. A Social and Military History with Particular Reference to Athens, Oxford 1993, bes. 1-33; 164-230. 87 Gabrielsen, Naval Aristocracy, 15-17. 84
Papachristodoulou, Archaeology
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=
3. „Das
33
Gleichgewicht der Mächte"
und Größe ihres Staates auch für die Rhodier ein mächtiger, nicht (als Mittel oder als Folge) auf wirtschaftliche Motive reduzierbarer Handlungsimpuls war. 2) Kausale Beziehungen zwischen Ökonomie und Politik lassen sich nur dann herstellen, wenn im Bereich des Ökonomischen selbst zwischen Interessen der Bürgerschaft als ganzer und solchen partikularer Gruppen unterschieden wird. Für das Interesse des rhodischen Staates an den Seewegen, die in Rhodos zusammenliefen, dürften primär drei Gründe verantwortlich sein: die Abhängigkeit der Bevölkerung von Getreideimporten, der verhältnismäßig hohe Anteil von Zöllen und Hafengebühren an den Staatseinnahmen und die Existenz einer exportorientierten Produktion von Wein und Amphoren, die dem rhodischen Staat ebenfalls Einnahmen verschafften. Inwieweit daneben auch private Interessen von rhodischen Winzern, „Fabrikanten", Händlern und Reedern in das politische Interessenkalkül eingingen, läßt sich zur Zeit nicht abschließend klären. Wahrscheinlich ist aber, daß sie in der Regel nur dann eine Chance zur Durchsetzung hatten, wenn sie mit den Interessen der Bürgerschaft als ganzer harmonierten.
3. „Das Gleichgewicht der Mächte" rhodischer Außenpolitik?
-
die Maxime
Eine letzte Vorüberlegung muß dem Begriff des „Gleichgewichts der Mächte" gelten. Einem erheblichen Teil der neueren Forschung, die ihn meist ganz unbekümmert verwendet, gilt er geradezu als Maxime der rhodischen Außenpolitik.1 Obwohl allgemein anerkannt ist, daß die Antike eine der modernen Begrifflichkeit2 analoge, bildhafte Wortprägung nicht kannte, hat bislang allein Hatto Schmitt versucht, die Anwendung dieses Begriffes auf das hellenistische Rhodos näher zu rechtfertigen.3 Schmitt definiert Gleichgewichtspolitik unter ausdrücklicher Berufung auf Friedrich von Gentz4 als eine Politik, die „vom instinktiven, ephemeren Reagieren aufsteigt zu bewusstem, konse-
1 Aus der neueren Literatur vgl. neben den oben zitierten Arbeiten
von Schmitt und Berthold etwa Klose, Völkerrechtliche Ordnung, 118-127; Ager, Historia 40, 1991, 10-41, bes. 10 („the primary motivation behind the foreign policy of Rhodes was the maintenance of independent neutrality for herself and of a peaceful balance of power for the Hellenistic World generally"); Brizzi, RSA 20, 1990, 38. 2 Zur Begriffsgeschichte im deutschsprachigen Raum vgl. H. Fenske, Geschichtliche Grundbegriffe II, 1975, 959-996 s.v. Gleichgewicht, Balance; für den europäischen Kontext vgl. etwa H. Butterfield, The Balance Of Power, in: H. Butterfield/M. Wight (Hgg.), Diplomatie Investigations, London 1966, 133-148; M.S. Anderson, The Rise of Modern Diplomacy 1450-1919, London and New York 1993, 149-203; A. Strohmeyer, Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Mächte in der frühen Neuzeit, Wien u.a. 1994. 3 Schmitt, Entretiens 20, 1974, 67-93 (mit anschließender Diskussion: 94-102). 4 F. von Gentz, Fragmente aus der neuesten Geschichte des politischen Gleichgewichts in Europa, St. Petersburg 1806.
34
I.
Einleitung
quentem Handeln": Sie erstrebe, „mit einem verfeinerten Instrumentarium ein stabiles
Gleichgewichtssystem als Ordnungsfaktor herzustellen und über längere Zeit zu erhalGleichgewichtspolitik nicht notwendig auf den status quo verpflichtet („statische Gleichgewichtspolitik"), sondern könne durchaus dem Ziel staatlicher Machterweiterung dienen („dynamische Gleichgewichtspolitik").6 Dieser Gedanke sei ten".5 Dennoch sei
nur von Polybios ausdrücklich formuliert, sondern von den Rhodiern auch zur konsequent verfolgten Leitlinie ihrer Politik gemacht worden.7 Gegen diese Auffassung erheben sich nun doch erhebliche Bedenken. Zwar trifft es zu, daß sich bei Polybios sowie beim älteren Cato Äußerungen finden, die eine Form von Gleichgewichtsdenken implizieren. Am nächsten kommt ihm die vielzitierte Reflexion des Historikers über die Gründe, die Hieron von Syrakus 238 bewogen hätten, die Karthager gegen aufständische Söldner zu unterstützen:
nicht
Denn er war überzeugt, daß die Erhaltung Karthagos ihm selbst sowohl im Hinblick auf seine Herrschaft in Sizilien als auch im Hinblick auf seine Freundschaft mit den Römern nütze, damit die Mächtigen nicht die Möglichkeit hätten, jedes Vorhaben mühelos zu verwirklichen. Dies war verständig und klug gedacht. Niemals nämlich darf man dies übersehen, niemals jemandem eine Herrschaft von solcher Art zu erwerben helfen, daß man ihr gegenüber nicht einmal auf seine vertraglich festgelegten Rechte pochen kann.8
Diese insgesamt nicht sehr zahlreichen Äußerungen9 dürfen in ihrer Bedeutung jedoch nicht überschätzt werden. Erstens nämlich ist der Gedanke der hochentwickelten Vertragssprache des Hellenismus, ja überhaupt den öffentlichen Urkunden dieser Zeit völlig fremd. Eine Verpflichtung auf das „iustum potentiae aequilibrium", wie sie der Friedensvertrag von Utrecht enthält, sucht man in den weit über 100 Staatsverträgen, die aus der Zeit zwischen Alexander dem Großen und dem 2. Makedonischen Krieg bekannt sind, vergeblich. Zweitens beziehen sich alle einschlägigen Äußerungen aus der Antike entweder direkt auf die Zeit des 3. Makedonischen Krieges oder stammen jedenfalls von einem Historiker, dessen politisches Denken durch das Erlebnis dieses Krieges geprägt wurde. Der Gedanke wurde also, soweit wir sehen, erst in dem Moment formuliert, als Rom zur uneingeschränkten Herrin der griechischen Welt zu werden drohte.10 Drittens hat die Vorstellung bei Polybios einen erheblich beschränkteren Inhalt als das entwickelte Gleichgewichtsdenken, das im 18. Jahrhundert sogar völkerrechtliche 5 6 7 8
9
Schmitt, Entretiens 20, 1974, 69. Die zwischen diesen beiden Aussagen bestehende Spannung wird von Schmitt nicht thematisiert. Schmitt, Entretiens 20, 1974, 83-87. Pol. 1.83.3-4: nE7tEiap.Évoç cruu/pépEtv Èarjxcp Kai rcpôç ttjv èv ZiKEMa ôuvaaTEÎav Kai Ttpôç
Tf|v 'Pcou.aíü)v (ptÀiav tô acbÇEaSat Kap%rj5oviouç, iva u,f| 7távxa7tacnv éÇfj tô TtpoxEOÈv ôckovitî o-uvTEÀEto-Oai xotç iaxúouai, novo (ppovi|xtoç Kai vouvexùç XoyiÇonEvoç.4 oûSÉTtOTE yàp Xpr| ta xoiaOta itapopâv oûSè zr]XiKaxyzr\v oúSeví croYKaxaCTKEuaCEtv ôuvacixEÎav, jipôç f\v oùSè TtEpt tcov óu.oXoYOt>névcüv Ê^Écrrat StKaiwv auxpiaßnxEtv. Einschlägig sind daneben vor allem Liv. 42.30.6-7 (P); Pol. 28.6.3-5; Cato bei Gellius 6.3.16 (= ORF2 164).
10
Vgl.
dazu
Deininger, Widerstand, 161-164;
178-179.
3. „Das
35
Gleichgewicht der Mächte"
Bei Polybios geht es allein darum, die vollständige und irreversible Dominanz einer Macht zu verhindern. Dagegen fehlt bei ihm durchaus der Bezug auf ein prinzipiell anerkanntes, multipolares Staatensystem, im Rahmen dessen Veränderungen nur mit Zustimmung zumindest aller großen Mächte zulässig sind.12 Dieses Zurückbleiben beruht auf strukturellen Unterschieden zwischen der Staatenwelt des frühen Hellenismus und dem Staatensystem Europas im 18. Jahrhundert. Charakteristisches Merkmal der frühhellenistischen Staatenwelt war ihre außerordentliche Instabilität. Vor allem die Könige wurden durch mächtige ökonomische und ideologische Impulse stets erneut zur Expansion nach außen angetrieben.13 Große Gebiete wurden rasch erworben und gingen ebenso schnell wieder verloren.14 Zu einer gegenseitigen Anerkennung im Sinne einer „Solidarität der Monarchen" konnten sich die hellenistischen Könige kaum je verständigen.15 Verglichen mit dem Europa des 18. Jahrhunderts,16 blieb das Ausmaß der ökonomischen und diplomatischen „Vernetzung" zwischen den Königreichen gering. Die Wirtschaftspolitik der hellenistischen Könige orientierte sich am Ziel der Autarkie;17 die Sammlung und Auswertung von Informa-
Anerkennung fand.11
11
12
Vgl. dazu etwa W. G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, 328; 388-399. Die tatsächliche Bedeutung von Gleichgewichtstheoremen für die Formierung staatlicher Politik wird
auch für das 18. und frühe 19. Jahrhundert durchaus kontrovers diskutiert. Namentlich Paul W. Schroeder bestreitet, daß sie das Verhalten der politischen Akteure maßgeblich bestimmten; vgl. neben seiner großangelegten Darstellung „The Transformation of European Politics 1763-1848" (Oxford 1994) vor allem die thesenhaft zugespitzten Aufsätze: The nineteenth century system: balance of power or political equilibrium?, Review of International Studies 15, 1989, 135-153; Historical Reality vs. Neo-realist Theory, International Security 19, 1994, 108-148. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Metapher vom Gleichgewicht im 18. Jahrhundert ein „allgegenwärtiges Interpretament" staatlicher Politik war; in diesem Sinne auch H. Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700-1785 (Handbuch der Internationalen Beziehungen 4), Paderborn u.a. 1997, bes. 7-19. Vgl. etwa H. Duchhardt, England-Hannover und der europäische Friede 1714-1748, in: A.M. Birke/ K. Kluxen (Hgg.), England und Hannover, München u. a. 1986, 127-144, hier: 128: das machte ja den Kern des Gleichgewichtsgedankens aus, daß jede präsumptive Veränderung, jede regionale Störung das Ganze gefährdete und das als regulativ verstandene Ordnungsprinzip deswegen der ständigen Überwachung durch die Mächte oder einen Kreis von Mächten bedurfte". Vgl. dazu grundsätzlich Préaux, Monde hellénistique I, 183-201 ; 295-357; II, 366-370; Gehrke, AKG 64, 1982, 247-277; Austin, CQ 36, 1986, 45CM66. Vgl. dazu am Beispiel des Laodike-Krieges Lehmann, Festschrift J. Bleicken, 81-101. Die von Peter Klose, einem Schüler Wolfgang Preisers, vertretene Vorstellung, daß die Politik der hellenistischen Großmächte jedenfalls bis 200 an den Prinzipien des „Gleichgewichts der Kräfte", ja sogar des „Konzerts der Großmächte" orientiert gewesen sei (Völkerrechtliche Ordnung, bes. 35-93), hat sich in der althistorischen Forschung zu Recht nicht durchgesetzt, auch wenn sie vereinzelt gerade dort begegnet, wo man sie am wenigsten erwarten würde: Badián, Imperialism2, 5. Zur Entstehung und Entwicklung der neuzeitlichen Diplomatie vgl. Anderson, Modern Diplomacy „...
13 14 15
16
(wie Anm. 124), passim. 17 In diesem Punkt stimmt die ansonsten kontroverse Forschung über die Wirtschaftspolitik der hellenistischen Könige durchaus überein; vgl. etwa Wilcken, Schmollers Jbb. 45, 1921, 349-420, bes. 361 ff; Rostovtzeff, Journal of Economic and Business History 4, 1932, 728-769 (= Scripta varia, 231-263); Préaux, Économie royale, bes. 426-^135; Braunert, Historia 13, 1964, 80-104, bes. 99-104
36
I.
Einleitung
tionen über auswärtige Staaten war nicht institutionalisiert nicht einmal zur Einrichtung stehender Gesandtschaften kam es.18 Schließlich ist nicht zu vergessen, daß auch aus der unübersehbaren Vielzahl von teilweise in Bundesstaaten vereinten Poleis fortwährend neue zwischenstaatliche Konflikte erwuchsen. Für Rhodos läßt sich das Vorhandensein eines systembezogenen Gleichgewichtsdenkens nicht belegen. Die oben erwähnten Stellen meinen eine Politik der freien Hand, der wechselnden „Allianzen" zum Besten der Rhodier selbst, nicht die Sorge um ein „stabiles Gleichgewichtssystem als Ordnungsfaktor", das nicht einmal als Idee bekannt war. Daß es eine mittlere Macht wie Rhodos, die zu Lande keinerlei militärisches Gewicht in die Waagschale werfen konnte, als ihre Aufgabe betrachtet habe, einen Gleichgewichtszustand zwischen den wenigen großen und zahlreichen mittleren Mächten der hellenistischen Staatenwelt herzustellen bzw. über längere Zeit zu erhalten, ist angesichts der internationalen Rahmenbedingungen schwer vorstellbar. Es war für die Erhaltung des politischen Handlungsspielraumes einer maritimen Mittelmacht auch keineswegs nötig: Solange nicht die Errichtung einer „Universalmonarchie"19 drohte, die sich alle anderen großen Mächte unterwarf und diese Gefahr bestand im 3. Jahrhundert kaum -, waren dauernde Veränderungen im Kräfteverhältnis zwischen den großen und mittleren Mächten nicht allein unvermeidlich; sie eröffneten der rhodischen Außenpolitik auch Chancen, eigene Ziele zu verwirklichen. Denn eine maritime Mittelmacht wie Rhodos war zur Durchsetzung ihrer Ziele in der Regel auf die Kooperation mit anderen Mächten angewiesen; ein geschicktes Lavieren zwischen den „großen Mächten" war in vielen Fällen die einzig praktikable Möglichkeit, rhodische Interessen zur Geltung zu bringen. Eine gewisse Risikobereitschaft war dabei unvermeidlich. Die Furcht, daß eine Macht sich über alle anderen erheben könnte, kann daher kaum das primäre Movens der rhodischen Politik gewesen sein. Auch wo sie im Spiel war, dürfte sie nur ein Motiv neben anderen gewesen sein. Als methodische Grundregel empfiehlt es sich daher, stets zuerst danach zu fragen, welche konkreten Vor- oder Nachteile den Rhodiern aus einer politischen Entscheidung erwuchsen, bevor die Furcht vor einer universellen Hegemonie zur intentionalen Handlungserklärung herangezogen wird. -
-
(= Politik, Recht und Gesellschaft, 103-128, bes. 122-128); Préaux, Monde hellénistique I, 358-388; Will, Histoire politique I2, 168-200. 18 Die von Eckart Olshausen (Prosopographie, IX) 1974 angekündigte Darstellung der „hellenistischen Königsdiplomatie" ist bislang nicht erschienen; der kurze Beitrag „Zur Frage ständiger Gesandtschaften in hellenistischer Zeit" in dem von Olshausen selbst herausgegebenen Sammelband „Antike Diplomatie" (Wege der Forschung 172, Darmstadt 1979, 291-317) ist kein Ersatz für sie. Über die klassische Zeit informieren gut D. J. Mosley, Diplomacy in Classical Greece, AncSoc 3, 1972, 1-16; Envoys and Diplomacy in Classical Greece (Historia. Einzelschriften 22), Wiesbaden 1973; Ch. G. Starr, Political Intelligence in Classical Greece (Mnemosyne Suppl. 31), Leiden 1974. 19 Zur Geschichte des Begriffs vgl. F. Bosbach, Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit (Schriften d. Hist. Komm, bei d. Bayr. Akad. d. Wiss. 32), Göttingen 1988.
II. Zur Kritik der literarischen
Quellen1 1.
Einleitung
Obwohl unsere Kenntnis des hellenistischen Rhodos durch archäologische, numismatische und epigraphische Quellen seit dem 19. Jahrhundert beträchtlich erweitert worden ist, bilden die Geschichtswerke von Polybios und Diodor nach wie vor die Grundlage jedweden Versuches, die äußere Geschichte dieses Staates in hellenistischer Zeit zu rekonstruieren. Denn die große Mehrzahl der Informationen, die wir über diesen Gegenstand besitzen, ist durch diese beiden Autoren überliefert. Die Angaben, die sich anderen Quellengattungen entnehmen lassen, sind demgegenüber so fragmentarisch, punktuell und disparat, daß sie sich in der Regel erst im Rahmen der literarischen Überlieferung verständlich machen lassen. Wer sich nicht damit begnügen möchte, die literarischen Quellen zur rhodischen Geschichte nachzuerzählen, kommt deshalb um eine kritische Analyse dieser beiden Geschichtswerke nicht herum: Man muß nach den Kriterien fragen, die Auswahl und Bewertung der berichteten Tatsachen bestimmt haben, nach Perspektive und Tendenz. Neben dem politischen Standort, der Geschichtsauffassung und der literarischen Konzeption ist dabei vor allem die Arbeitsweise des betreffenden Autors zu berücksichtigen. Nun ist seit langem erkannt, daß Diodor ein Schriftsteller von bescheidenen Ambitionen war, der seine „Historische Bibliothek" aus älteren Vorlagen kompilierte, ohne diese substantiell zu verändern.2 Polybios hingegen war zweifellos ein selbständiger Schriftsteller und Denker mit einer ausgeprägten Neigung zu theoretischer Reflexion.3 Doch auch er war für Ereignisse, die vor seiner Zeit stattgefunden hatten oder sich außerhalb seines engeren Lebens- und Wirkungskreises abspielten, auf Gewährsmänner angewiesen, die ihre eigenen Darstellungsziele verfolgten. Auch für ihn stellt sich somit die Frage, in welcher Weise seine Darstellung der rhodischen Geschichte von den Quellen beeinflußt ist, die er für sie benutzte. 1 Dieses
Kapitel
faßt
Ergebnisse einer eingehenden Untersuchung
zusammen, die 2001 unter
dem Titel
„Rhodische Traditionen in der hellenistischen Historiographie" als Band 7 der „Frankfurter Althistorischen Beiträge" erschienen ist. Vgl. dazu etwa Hornblower, Hieronymus, 19-27; Bleckmann, Athens Weg, 31-36. Auch Sacks, Diodorus, passim nimmt geistige Originalität lediglich für die Proömien und moralisierenden Räsonnements Diodors in Anspruch. 3 Vgl. dazu etwa Ziegler, RE Polybios, 1500-1557; Pédech, Polybe, passim und Sacks, Polybius, passim.
2
38
II. Zur Kritik der literarischen
Quellen
Die ältere Forschung hat für die Beantwortung dieser Frage wertvolle Vorarbeiten geliefert. Daß nicht bloß Diodor, sondern auch Polybios rhodische Quellen benutzte, wurde bereits im 19. Jahrhundert erkannt.4 Diese Erkenntnis reicht jedoch nicht aus. Erst wenn es gelingt, die formale und inhaltliche Eigenart dieser rhodischen Quellen näher zu bestimmen, ist ein Maßstab gewonnen, der es erlaubt, die literarische Überlieferung zur rhodischen Geschichte zu beurteilen. Diese Aufgabe ist schwierig, aber nicht unlösbar. Untersucht man die für Rhodos einschlägigen Passagen bei Polybios und Diodor unter dem Gesichtspunkt, ob sich in ihnen eine spezifisch rhodische Perspektive und Tendenz bemerkbar macht, so läßt sich ein Traditionsstrang isolieren, der sich durch inhaltliche und formale Kohärenz auszeichnet. Charakteristische Merkmale dieser Passagen sind die Neigung, Rhodos als Zentrum der Welt zu betrachten, und der Hang, die Rhodier, ihren Staat und ihre Politik zu verklären, ihre Erfolge zu betonen und zu übertreiben, ihre Mißerfolge aber zu beschönigen, zu entschuldigen oder zu vertuschen. Rhodozentrik und Glorifizierung der Rhodier können daher der Quellenanalyse gewissermaßen als ,Xeitfossilien" dienen. Auch gibt es einen gemeinsamen Bestand an politischen Grundideen: Sowohl bei Diodor5 als auch bei Polybios6 begegnet die Auffassung, daß die Rhodier zu ihrem eigenen Vorteil eine kalkulierte Neutralitätspolitik betrieben. Zugleich verleihen die häufig zu konstatierende Benutzung rhodischer Urkunden, die an einigen Stellen noch erkennbare Tendenz zu einer dramatisierenden Darstellungsweise und das nicht selten eingesetzte Darstellungsmittel der direkten Rede dieser bei Polybios und Diodor faßbaren rhodischen Tradition auch ein formales Profil. Eine Quellenanalyse, die sich der genannten Kriterien bedient, vermag es, dieser rhodischen Tradition einen konkreten historischen Ort zuzuweisen: Allem Anschein nach verarbeitet sie bereits die für die Rhodier schmerzhafte Erfahrung des 3. Makedonischen Krieges. Indem sie die Verdienste betont, die sich die Rhodier um Rom erworben hätten, und die mangelnde Unterstützung für Rom im Krieg gegen Perseus einer Clique unverantwortlicher Demagogen anlastet, sucht sie das unentschlossene Lavieren der Rhodier zwischen Perseus und Rom zu rechtfertigen. Zugleich ist sie bestrebt, die kurze Episode rhodischer Herrschaft in Karien und Lykien, die dem Ansehen der Rhodier großen Schaden zugefügt hatte, vergessen zu machen. Die inhaltliche und formale Kohärenz dieser Tradition deutet darauf hin, daß sie von einem Schriftsteller geformt wurde, bevor sie zu Diodor und Polybios gelangte. Als ihr Vermittler kommt nur der Rhodier Zenon in Frage, der uns als Verfasser eines annalistisch strukturierten7 Geschichtswerkes in wohl 15 Büchern8 bekannt ist. Diodor nennt
4 Ullrich, Fontes Rhodii. 5 Diod. 20.81.1-4. 6 Pol. 30.5.6-8. 7 Die lindische Anagraphe (I. Lindos 2C, Z. 90; 117) klassifiziert es als XPOVlKf| cruvta^ic; zur Bedeutung dieser Sammelbezeichnung vgl. Diod. 13.103.5; App. Kelt. 1.8; Dion. Hal. ant. 1.8.3. 8 Diog. Laert. 7.35 = FGrHist 523 T 1, wo mit Ullrich, Fontes Rhodii, 13-14 xf\v évtótuov icrtopíav yeypacpcbc £V te zu lesen sein dürfte.
39
2. Zenon bei Diodor
ihn ausdrücklich als Gewährsmann für die rhodische Urgeschichte.9 Polybios behandelt ihn als ernsthaften Konkurrenten; er attestiert ihm Sachverstand und Wahrheitsliebe, kritisiert aber seine patriotische Voreingenommenheit und dramatisierende Darstel-
lungsweise.10
2. Zenon bei Diodor Diodors Auszug aus Zenons „Archäologie"1 zeigt diesen als Sammler und Ordner lokaler Mythologien, der wie alle Horographen das Ziel verfolgte, seiner Heimatstadt einen auch auf panhellenischer Ebene respektablen Stammbaum zu verschaffen. Er ließ insgesamt vier, jeweils durch Naturkatastrophen beendete Zeitalter (Teichinen Heliaden Archegeten Heroen) aufeinander folgen, bis mit dem rhodischen Heros Tlapolemos der Anschluß an Homer hergestellt war. In für die Horographie typischer Weise spielten dabei Aitiologien für lokale Toponyme und Kulte eine große Rolle. Indem Zenon für die Menschheit insgesamt bedeutsame Erfindungen wie etwa die Schrift oder die Seefahrt auf Rhodos ansiedelte, beanspruchte er für seine Heimatstadt eine kulturelle Führungsrolle. Zugleich entwickelte er ein Programm mythologischer Ansprüche auf Orte außerhalb von Rhodos Lykien, Lesbos, Knidos und Kos -, das zur Zeit der größten Machtstellung von Rhodos zwischen dem Antiochos-Krieg und dem Perseus-Krieg auch aktuelle politische Bedeutung gehabt haben dürfte. Aus Zenons Darstellung der frühen Diadochenzeit bewahrt Diodor zwei Episoden rhodischer Geschichte: die eingehende Schilderung der Überschwemmung, die die Stadt Rhodos im Jahre 316 heimsuchte,2 und die Darstellung der Belagerung durch Demetrios. Aus dieser Quelle stammt auch die programmatische Einleitung über die Prinzipien rhodischer Politik, die fast allen modernen Deutungen der rhodischen Au-
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ßenpolitik zugrundeliegt:
Weil die Stadt der Rhodier über eine starke Seestreitmacht verfügte und das beste Regiment von allen Griechen führte, wurde sie von Dynasten und Königen umworben; jeder bemühte sich, sie in seine Freundschaft aufzunehmen. Da sie vorausschauend erkannte, was ihr nützte, und mit allen separat Freundschaft schloß, nahm sie an den Kriegen, die die Dynasten gegeneinander führten, nicht teil. Daher wurde sie von allen mit königlichen Geschenken geehrt und nahm in einer langen Friedensperiode einen großen Aufschwung zum Wachstum. Denn sie gelangte zu so großer Macht, daß sie von sich aus im Interesse aller Griechen den Krieg gegen die Piraten führte und dadurch das Meer von den Verbrechern reinigte. Alexander aber, der mächtigste Mann unter denen, an die Erinnerung besteht, zog Rhodos allen anderen Städten vor, deponierte dort sein Testament über das ganze Königreich und bewunderte und förderte es auch sonst über alle Ma-
ßen.3 9 10 1 2 3
Diod. 5.56.7. Pol. 16.14-20, bes. 14.1^1. Diod. 5.55-59. Diod. 19.45. Diod. 20.81.2-3: r\ nóXic, r\
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II. Zur Kritik der literarischen
40
Quellen
Diese Beschreibung setzt Verhältnisse voraus, die durch eine Pluralität von Königen und Dynasten geprägt sind, wie sie nach dem „Jahr der Könige" hervortraten. Auch war die rhodische Seemacht zur Zeit der Belagerung eher bescheiden, und für einen erfolgreichen Krieg der Rhodier gegen die „Piraten" gibt es in dieser Zeit keine Anzeichen. Auf die rhodische Herkunft dieser für 305/4 anachronistischen Schilderung weist mehreres: Sie attestiert den Rhodiern, ihren Staat optimal zu verwalten, und sie reproduziert den in späterer Zeit von den Rhodiern erhobenen Anspruch, im Interesse aller Griechen gegen die Piraterie und für den freien Seeverkehr einzutreten. Vor allem aber tradiert sie die auf Rhodos entstandene und gepflegte Legende,4 daß Alexander die Insel über alle Maßen geehrt und dort auch sein Testament deponiert habe. Schließlich ist sie untrennbar mit der eigentlichen Aitiologie des Krieges verknüpft, die Antigonos zum Aggressor stempelt, der versucht habe, die unverbrüchliche Freundschaft der Rhodier mit Ptolemaios I. zu zerstören.5 Aber auch der Belagerungsbericht selbst weist Merkmale auf, die eindeutig auf eine rhodische Quelle hinweisen. Nicht nur ist die Aitiologie des Krieges gegen Antigonos aus rhodischer Perspektive gestaltet. Auch die außergewöhnlich starke Benutzung rhodischer Urkunden spricht für die Abhängigkeit Diodors von einem Autor, der Zugang zu rhodischen Archiven hatte.6 Kaum weniger aussagekräftig ist das ausgeprägte Interesse von Diodors Quelle für die Kriegstaten einzelner Rhodier, denen teilweise regelrechte Miniatur-Aristien gewidmet werden.7 Unter dem Firniß des diodoreischen Einheitsstiles leuchtet ein patriotisches Lehr- und Rührstück hervor, das die Erinnerung KÓXXiaxa tcûv 'EAAtjvcov 7iept|iaxT|Toç toïç 8i)vacnaiç Kai ßaatXeöcnv rjv, ¿Kácrtovj crctEÚSovtoç eîç Tf)v aùrovj tptXiav 7ipoaA.au,ßavecr8ai. Jtpoopcouévn 5è noppcoOev tô oDixcpépov Kai npôç arcavTaç KaT' iStav cruVTi6eui:vr| rfjv cptXiav tcûv rcpàç ÔLXXr)Xox>c, toïç Stivacrratç 7toXéu,tûv oi> piETeïxev. 3 Stônep auveßaivev mxxf\v TtnâcrOai M-èv ùcp' emcrtot) ßacnAiKatc ôtûpeaïç, âyouaav 5è ttoXvjv xpóvov EÍpfjvr|v u.eyáXr|v éniôocrtv Xaßeiv npôç arjç>|cnv" êm Toao'öTOv yàp npoeXr\Xv>QE\. ôtjvanecûç tûao' ûjrèp |xèv tcûv 'EXàîjvcûv îôîçç tôv Jtpôç toùç 7tetpaTàç jtoXeuov eroxvatpEiaOai Kai KaOapàv mapéxecrOat tcûv KaKoûpycûv Tf|v OáXarcav, tôv 5è 7iA.6ïcTTov iaxúaavTa töv u-vnuoveuouévcùv AÀé^avôpov 7ipoTtLifjaavT' aÚTfjv liáXtrjTa tcûv TioXecûv Kai Tfjv vwep 6Xr\ç Tfjç ßaoaXeiac 5ta0f|Kr|v ¿Ket OéaOai Kai xöXXa 9auu.aÇeiv Kai Jipoáyetv eîç ,Ô7iepoxrjv. 4 5
6
7
dazu Merkelbach, Alexanderroman2, 121-151. Diod. 20.81.4. Der Vergleich mit einem um 100 v. Chr. geschriebenen Kölner Papyrus (P.Köln VI 247), der Reste eines rhodischen Geschichtswerkes enthält, zeigt, daß diese Darstellung tralatizische Elemente enthält, die auch in anderen rhodischen Geschichtswerken vorkamen. Denn wie Diodor motiviert auch der Kölner Papyrus das gute Verhältnis der Rhodier zu Ptolemaios mit den engen Geschäftsbeziehungen zwischen Rhodos und Ägypten. Da er aber zugleich auch genuin politische Motive für die Abneigung der Rhodier gegen Antigonos nennt, ist seine Darstellung schwerlich mit der Diodor-Quelle identisch: vgl. Wiemer, Rhodische Traditionen, 231-238. Restriktive Benutzungsbedingungen hellenistischer Archive: SEG 33, 679 mit Lambrinudakis/Wörrle, Chiron 13, 1983, 283-368 (Paros); T.Cam. 110, Z. 9-19 (Kameiros); I.Lindos 2A, Z. 1-13 (Lindos). Polybios kannte den Brief des rhodischen Nauarchen Theophiliskos an die Prytanen (16.15.8) durch Vermittlung Zenons. Ein Berliner Papyrus zeigt, daß Diodors Quelle noch weit ausführlicher war: P.Berlin 11.632 bei
Vgl.
Hiller, SPAW 1918, 752-762.
3. Zenon bei
41
Polybios
die Abwehr des Städtebelageres als verpflichtendes Vorbild für spätere Generationen bewahren wollte. an
3. Zenon bei
Polybios
Spuren der Benutzung Zenons finden sich bei Polybios erstmals in der Darstellung des Krieges, den die Rhodier 220 gegen die Byzantier führten, um die Aufhebung eines Sundzolles zu erzwingen.1 Darauf deutet die kenntnisreiche und einfühlsame Schilderung der rhodischen Kriegführung sowie die Betonung des rhodischen Anspruches, die
Vorherrschaft zur See zum Besten aller Griechen auszuüben. Der anschließende Bericht über die materielle Unterstützung, die Rhodos Sinope im Kampf gegen den pontischen König Mithradates II. gewährte,2 gibt seine Herkunft insbesondere durch die Paraphrase eines rhodischen Volksbeschlusses zu erkennen. Zudem wird unterschlagen, daß die Rhodier eben nicht die einzigen waren, die damals Sinope unterstützten.3 Da Rhodos 40 Jahre später nicht unwesentlich dazu beitrug, daß Sinope dem pontischen Königreich schließlich doch anheimfiel,4 ist zu vermuten, daß Polybios' Quelle mit der Schilderung dieser Hilfsaktion auch apologetische Absichten verfolgte. Die berühmte Liste von Spenden, die Rhodos nach dem Erdbeben von Königen, Dynasten und Städten erhielt,5 schöpfte Polybios wahrscheinlich ebenfalls aus Zenon. Da der achäische Historiker weder Zeit noch Gelegenheit gehabt haben dürfte, auf Rhodos Urkunden zu studieren, ist auch in diesem Fall von einer historiographischen Quelle auszugehen. Polybios' Gewährsmann dürfte die „internationale" Erdbebenhilfe für die Rhodier nicht zuletzt deshalb so detailliert beschrieben haben, weil er seine Heimatstadt in der von Diodor geschilderten Rolle eines allseits geschätzten und umworbenen Staates zeigen wollte. Polybios' Bericht über die Entstehung des rhodisch-makedonischen Krieges ist von Maurice Holleaux6 mit großem Scharfsinn rekonstruiert worden. Diesem Bericht zufolge wurden die Rhodier um ein Haar die arglosen Opfer skrupelloser Anschläge Philipps V. Der makedonische König soll „die Kreter" heimlich zum Krieg gegen die Rhodier aufgestachelt7 und den Ätoler Dikaiarch mit 20 Schiffen für einen Raubzug in 1 Pol. 4.38-52. Der Exkurs verarbeitet indessen mehrere Quellen: Die Hydrographie des Pontos scheint auf Straton von Lampsakos zurückzugehen, die Beschreibung des Bosporos und der Propontis könnte auf persönlicher Erkundung oder auf einer Küstenbeschreibung beruhen, den Friedensvertrag scheint Polybios selbst eingesehen zu haben. 2 Pol. 4.56. 3 L. und K. Hallof/Habicht, Chiron 28, 1998, 137-140 Nr. 21; vgl. I.Cos ED 20. 4 Pol. 27.7.5. 5 Pol. 5.88-90. 6 Holleaux' Studien „Sur la .guerre Cretoise'" (Études IV, 163-177) und „L'expédition de Dikaiarchos dans tes Cyclades et sur l'Hellespont" (Études IV, 124-145) erschienen zuerst 1917 bzw. 1920. 7 Pol. 13.4.2; 13.5.1; Diod. 28.1; Polyain. 5.17.2.
42
II. Zur Kritik der literarischen
Quellen
der Ägäis ausgestattet haben, an dem er nur nach außen hin unbeteiligt gewesen sei.8 Schließlich habe er Herakleides von Tarent den geheimen Auftrag erteilt, die rhodische Flotte durch einen Anschlag auf ihre Schiffshäuser unschädlich zu machen.9 Trotz dieser Provokationen hätten die Rhodier die von Philipp ausgehende Bedrohung erst erkannt, als der König Kios just in dem Moment eroberte, in welchem er den Rhodiern durch einen Gesandten versichern ließ, daß er die Stadt um der Rhodier willen verschonen werde.10 Als Philipp 201 mit einer Armada in die Ägäis fuhr, hätten die Rhodier darum gar keine andere Wahl gehabt, als einem Angriff des Königs von sich aus zuvorzukommen. ' ' Daß Polybios' Darstellung hier auf einer rhodischen Quelle fußt, ist unbestritten. Auf diesen Ursprung führt u. a. die ausführliche, durch direkte Reden belebte Schilderung von Herakleides' Auftritt vor den rhodischen Behörden. Bislang unerkannt ist hingegen, daß Polybios' Gewährsmann apologetische Absichten verfolgte. Um den Präventivschlag gegen Philipp V. zu rechtfertigen,12 stilisierte Zenon den Krieg der Rhodier gegen das kretische Koinon, dessen Prostates Philipp war, zu einem Unternehmen gegen kretische Piraten13 und unterstellte dem König, deren Aktivitäten heimlich unterstützt zu haben. Aus demselben Grund stempelte er den Ätoler Dikaiarch zu einem heimlichen Handlanger des Antigoniden. Weiterhin lastete er Philipp einen Brand im rhodischen Kriegshafen an, der sich zu der Zeit ereignet hatte, als sich Herakleides auf Rhodos aufhielt. Schließlich stellte der rhodische Historiker die Eroberung von Kios als einen unerträglichen Affront gegen seine Heimatstadt dar, der diese moralisch berechtigt habe, Philipp von nun an als Feind zu betrachten. Manches deutet darauf hin, daß Polybios auch die Nachricht von einem geheimen Vertrag, den Philipp und Antiochos zur Teilung des Ptolemäerreiches geschlossen hätten,14 bei Zenon fand. Denn Livius geht an einer Stelle, die auf Polybios zurückgeht, davon aus, daß Philipp und Antiochos noch 197 im Bunde standen.15 Auch die Nachricht Appians, daß die Rhodier die Kunde von diesem Teilungsplan an den Senat von Rom übermittelt hätten,16 läßt sich am plausibelsten als Reflex einer rhodischen Darstellung verstehen, die für ihre Heimatstadt das Verdienst in Anspruch nahm, Rom vor der Gefahr aus dem Osten gewarnt zu haben. Iustinus bewahrt eine Tradition, die diese Rolle den Alexandrinern zuschreibt.17
Pol. 18.54.7-11; Diod. 28.1. Pol. 13.4.1-8; 13.5.1-6; Polyain. 5.17.2. Pol. 15.21.1-23.10; Fr. 172. Pol. 16.9.1-5. Pol. 16.34.5-7 (= Liv. 31.18.2-3); Pol. 18.6.1-2 (= Liv. 32.34.7). Diod. 27.3. Dazu ausführlich Wiemer, Rhodische Traditionen, 74-85 sowie EA neuen Inschrift aus Bargylia). 15 Liv. 33.19.10-11. 16 App. Mak. 4.2. 17 lust. 30.2.8.
8 9 10 11 12 13 14
33, 2001,
1-14
(anhand einer
3. Zenon bei
43
Polybios
Auch die Kriegsbeschreibung selbst hängt von einer rhodischen Quelle ab. In für die antike Historiographie typischer Manier setzt sich Polybios gerade dort kritisch mit seinem Gewährsmann auseinander, wo er ihm in besonders hohem Maße verpflichtet ist. Um Leser, die sich von der gefälligen Darstellungsweise Zenons angezogen fühlten, auf die sachlichen Vorzüge seiner spröden Universalgeschichte aufmerksam zu machen, unterzog der achäische Historiker dessen Darstellung der Seeschlacht bei der Insel Lade einer eingehenden Kritik.18 Indem er Zenons Bericht gegen den Strich las, wies er ihm nach, daß er die Schlacht zu Unrecht als Sieg für die Rhodier gewertet habe. Bei der anschließenden19 Seeschlacht von Chios verfuhr Polybios weniger kritisch. Seine Beschreibung20 verwendet seltene termini technici der Seemannssprache und verrät eine genaue Kenntnis des rhodischen Seewesens: Namen und Rang rhodischer Offiziere werden mehrfach angegeben. Rhodische Urkunden sind mehrfach benutzt; dem Nekrolog auf den rhodischen Nauarchen Theophiliskos liegt offenkundig ein rhodisches Ehrendekret zugrunde.21 Die rhodische Tendenz der Erzählung macht sich schon dadurch bemerkbar, daß die Schlacht ausdrücklich als Sieg der Rhodier bezeichnet wird: Philipp nämlich beanspruchte den Sieg für sich.22 Zugleich wird der Anspruch des pergamenischen Königs, er habe Philipp besiegt,23 relativiert: Die Erzählung macht Attalos I. dafür verantwortlich, daß Philipp eine vollständige Niederlage habe vermeiden können. Auch die anschließenden Operationen Philipps in Karien beschrieb Polybios mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dieser Quelle. Ihr verdankt er die eingehende und mit Pathos gestaltete Beschreibung der Belagerung des kleinen, sonst unbekannten Ortes Prinassos in der rhodischen Peraia.1* Auch der Exkurs über lasos mit seiner Betonung der Abstammung von Argos, die die Stadt mit Rhodos gemeinsam hatte, dürfte auf Zenon zurückgehen.25 Weiterhin scheint auch die einprägsame Schilderung des Dilemmas, in welchem sich der in Bargylia blockierte König befunden habe, als er von Gesandtschaften an den Senat erfuhr,26 eine rhodische Quelle vorauszusetzen. Aus einem Strategem des Polyainos ist zu erschließen, daß Zenon Attalos I. dafür verantwortlich machte, daß Philipp die Blockade schließlich doch durchbrechen konnte.27
18 Pol. 16.14-15. 19 Die Reihenfolge Lade Pergamon Chios scheint mir besser begründet als die von Holleaux favorisierte Reihenfolge Chios Lade; dazu ausführlich Wiemer, Rhodische Traditionen, 85-89. 20 Pol. 16.2-9. 21 Pol. 16.9.1-5. 22 Pol. 16.8.2-3. 23 OGIS 283 mit Holleaux, Études II, 43^9. 24 Pol. 16.11; Polyain. 4.18.1. 25 Pol. 16.12; vgl. Liv. 37.17.5; I. lasos 150 = Curty, Parentés légendaires, 154-157 Nr. 63; I. lasos 76 = Curty, Parentés légendaires 158-159 Nr. 64. 26 Pol. 16.24. 27 Polyain. 4.18.2. -
-
-
II. Zur Kritik der literarischen
44
Quellen
Für den Krieg in Europa hat Polybios die rhodische Quelle nicht benutzt. Für den Fortgang des Krieges in Asien kam er jedoch auf sie zurück. Ein Polybios-Fragment berichtet davon, daß die Rhodier im Sommer 200 ein achäisches Vermittlungsangebot ablehnten.28 Der rhodische Historiker teilte dies vermutlich deswegen mit, weil er die Bündnistreue seiner Heimatstadt gegenüber Rom betonen wollte. Ohne jeden Zweifel liegt sein Werk der in Livius' Bearbeitung erhaltenen Schilderung von Kämpfen zugrunde, die 197 um die rhodische Peraia geführt wurden.29 Die Fülle an Namen kleiner und kleinster Ortschaften sowie die minutiöse Darstellung der Kampfhandlungen läßt keine andere Erklärung zu. Bemerkenswert ist auch, daß die wenig erfolgreiche Landkriegführung der Rhodier beschönigt und durch das individuelle Versagen des rhodischen Strategen Pausistratos erklärt wird. Der Eintritt in den Krieg der Römer gegen Antiochos HI. war kaum weniger erklärungsbedürftig als der Präventivschlag gegen Philipp V. Zum einen gehörte Rhodos neben dem König von Pergamon zu den Hauptnutznießern des Krieges. Die Niederlage des Seleukiden machte die Rhodier zu Herren in Lykien und Karien. Zum anderen war Rhodos dem Krieg der Römer gegen Antiochos III. erst beigetreten, als der Seleukide in Europa bereits besiegt war und sich nach Kleinasien zurückgezogen hatte. Wo blieben da die hehren Prinzipien der rhodischen Politik? Zenon verteidigte seine Heimatstadt gegen diesen Vorwurf, indem er sie als zuverlässige Bundesgenossin der Römer und selbstlose Vorkämpferin der griechischen Freiheit darstellte. Sehr deutlich offenbart dieses Bestreben ein Kapitel des Livius,30 das mit Sicherheit auf Polybios beruht.31 Livius erzählt dort, daß Antiochos im Frühjahr 197 von Antiocheia am Orontes aus aufgebrochen sei, um die ptolemäischen Besitzungen an der kleinasiatischen Westküste in seine Gewalt zu bringen. Dabei habe er das Ziel verfolgt, Philipp, der zu dieser Zeit noch unbesiegt war, gegen Rom zu unterstützen.32 Diese den Römern von Antiochos drohende Gefahr sei jedoch von den Rhodiern abgewendet worden: Eine rhodische Gesandtschaft habe den König ultimativ aufgefordert, nicht über die Chelidonisehen Inseln hinaus nach Westen vorzudringen; andernfalls werde ihm Rhodos in den Weg treten. Livius rühmt diese Intervention der Rhodier in hohen Tönen, obwohl den Worten keine Taten folgten. Just in dem Moment nämlich, als eine Gesandtschaft von Antiochos der rhodischen Volksversammlung versichert habe, daß weder Rom noch Rhodos von ihrem König Gefahr drohe, sei die Nachricht von Philipps Niederlage bei den Kynoskephalai eingetroffen. Gleichwohl hätten die Rhodier jedoch nicht versäumt, für die den Ptolemäern verbündeten griechischen Städte einzutreten. Insbesondere hätten sie die Freiheit von Kaunos, Myndos, Halikarnassos und Samos gesichert.33 28 29 30 31 32 33
Pol. Liv. Liv. Liv. Liv. Liv.
16.34. 33.18. 33.20. 33.20.3 stimmt genau mit dem 33.19.10-11. 33.20.11-12.
Polybios-Fragment
18.41a überein.
3. Zenon bei
Polybios
45
Diese Erzählung demonstriert nicht bloß die unbedingte, keine Gefahr scheuende Bündnistreue der Rhodier gegenüber Rom, sondern zugleich das uneigennützige Eintreten der Rhodier für die Freiheit der griechischen Städte. In Wahrheit hingegen verfolgten die Rhodier in erster Linie ihre eigenen Interessen; für die erwähnten Städte bedeutete Freiheit von Antiochos Kontrolle durch Rhodos: Kaunos befand sich nach 197 nachweislich in rhodischem Besitz,34 Myndos und Halikarnassos dienten den Rhodiern im Krieg gegen Antiochos als logistische Basen35 und standen nach 188 unter ihrem Einfluß,36 Samos ehrte nach 167 im populus Romanus seinen Wohltäter und Retter.37 Da Polybios' Darstellung des Kriegseintrittes von Rhodos spurlos verlorengegangen ist, fehlt uns jede Handhabe, um die rhodische Version der Ereignisse zu rekonstruieren. Es steht jedoch außer Zweifel, daß die durch Livius und Appian repräsentierte polybianische Tradition38 den Seekrieg gegen Antiochos zumindest seit dem Eingreifen der Rhodier nach einer rhodischen Quelle beschrieb. Darauf deutet eine Vielzahl von Merkmalen: Kriegshandlungen, an denen Rhodier beteiligt waren, werden ausführlich beschrieben, rhodische Offiziere häufig beim Namen genannt und teilweise näher charakterisiert. Die Darstellung der rhodischen Niederlage bei Panhormos verrät Anteilnahme mit den Besiegten; das mehrfach geäußerte hohe Lob für die rhodischen Seeleute zeugt von patriotischer Begeisterung. Emeut wird das Seekriegsgeschehen faktenreich und sachkundig beschrieben; eine spezifisch rhodische Erfindung, die Pyrphoros, begegnet nur hier. In groben Zügen zeichnet sich die zugrundeliegende, lehrhafte und erbauliche Erzählung noch deutlich ab. Die schwere Niederlage, die die Rhodier bei Panhormos gegen den seleukidischen Admiral Polyxenidas erlitten, wurde in dramatisierender Weise als „nationale" Katastrophe geschildert, die aus dem Ungestüm des rhodischen Nauarchen Pausistratos resultierte.39 Der rhodische Historiker zog offenbar einen großen Spannungsbogen, der von der freudigen Ausfahrt der Flotte40 bis zur Trauer der Daheimgebliebenen über die Niederlage41 führte. Die Seeschlacht bei Side,42 in der die Rhodier einer von Hannibal kommandierten seleukidischen Flotte allein gegenübergestanden hatten, wurde in Anlehnung an die zeitgenössische rhodische Siegespropaganda43 zu einem vollständigen Sieg stilisiert, obwohl sie die von Hannibal ausgehende 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
Pol. 30.5.11-14; 21.3; 31.6; SEG 44, 896 (Monumentalstatue für den populus Romanus). Liv. 36.16.12; Liv. 37.10.11. I. Milet 148 = Syll.3 588, Z. 9 + 10. SEG 40, 736. Direkte Abhängigkeit Appians von Polybios: Brodersen, Appians Antiochike, bes. 69-74; 231-232; 238-240. Liv. 37.9.5-12.10; Pol. 21.7.1-7; Fr. 142; 154; App. Syr. 24.114-25.121. Polyain. 5.27. Liv. 37.12.7-10. Liv. 37.18.9-25.3; Pol. 21.10.1-5; App. Syr. 22.109. I. Lindos 160 mit Wiemer, Rhodische Traditionen, 122 Anm. 125. Christian Blinkenberg bezog die Weihung zu Unrecht auf die Schlacht bei Myonnesos.
II. Zur Kritik der literarischen
46
Quellen
Gefahr nicht beseitigen konnte. Im Vergleich mit der Weihinschrift, die der römische Admiral Aemilius Regillus nach Kriegsende am Tempel der Laren in Rom anbringen ließ sie erwähnt die Rhodier gar nicht -,44 tritt das Bestreben, den Rhodiern einen Sieg über den römischen Erzfeind Hannibal zu vindizieren, besonders deutlich hervor. Auch der den Seekrieg entscheidende Sieg der Alliierten bei Myonnesos45 wird von der polybianischen Tradition vor allem den Rhodiern zugeschrieben. Wiederum ist der Kontrast zur römischen Siegespropaganda signifikant. Auch hier ging es Zenon dämm, den rhodischen Anteil am Sieg über Antiochos zu unterstreichen und dadurch die Verdienste zu betonen, die sich seine Heimatstadt um Rom erworben hatte. Insofern er die Rhodier im Verein mit Rom und Attalos siegen ließ, hielt er gleichsam die Mitte zwischen der zeitgenössischen römischen Siegespropaganda, die die Leistungen der Verbündeten ganz ausblendete, und derjenigen seiner Heimatstadt, die Rhodos in den Vordergrund stellte.46 Denselben Gewährsmann hat Polybios auch für die Verhandlungen benutzt, die im Winter 189/8 in Rom über die Neuordnung Kleinasiens geführt wurden. Schon Matthias Geizer vermutete, daß das berühmte, im Senat ausgetragene rhetorische „Femduell" zwischen Eumenes und den Rhodiern47 aus Zenons Werk stammt.48 Handelte es sich um eine Art Protokoll der tatsächlich gehaltenen Reden, müßte man annehmen, daß die Rhodier vom Senat Gebiete erhielten, um die sie gar nicht gebeten hatten.49 Diese Annahme ist wenig plausibel: Polybios berichtet an anderer Stelle, daß die Rhodier die in Apameia tagende Senatskommission ausdrücklich um Lykien baten;50 zudem führten sie anschließend zwei Kriege, um ihre Herrschaft durchzusetzen. Polybios fand die Reden in einer historiographischen Quelle, die Eumenes als habgierigen Despoten zeichnete: Der Attalide tritt den Senatoren zunächst mit gespielter Bescheidenheit gegenüber, um dann um so maßlosere Forderungen zu stellen. Indem er die Römer bittet, ihm ganz Kleinasien jenseits des Tauros zu unterstellen, empfiehlt er ihnen, dem Freiheitsversprechen für die kleinasiatischen Griechen untreu zu werden. Seine gegen die Rhodier gerichtete Argumentation, daß es auf dasselbe hinauslaufe, ob griechische Städte seinen Anordnungen gehorchten oder sich mit den Rhodiern verbündeten, ist sophistisch und negiert den für die Zeitgenossen fundamentalen Unterschied zwischen direkter Herrschaft und Hegemonie. Demgegenüber erscheinen die Rhodier als ehrenwerte Anwälte der griechischen Städte Kleinasiens. Im Gegensatz zu Eumenes versuchen die Rhodier gerade, Rom auf -
44 Liv. 40.52.5. 45 Liv. 37.26-32; Pol. 21.12; App. Syr. 27.132-137. 46 Die berühmte Nike von Samothrake wurde m.E. aus Anlaß des Sieges über Antiochos III. geweiht; dazu ausführlich Wiemer, Rhodische Traditionen, 127 Anm. 164. 47 Pol. 21.18.1-23.13. 48 Geizer, SHAW 1956, 22-25 (= Kleine Schriften III, 186-189). 49 Der mögliche Einwand, die Rhodier hätten ihre wahren Wünsche nicht offen aussprechen wollen, verkennt, daß die Rede im Senat und unter Ausschluß der griechischen Öffentlichkeit vorgetragen wurde. Verstellung wäre daher zwecklos gewesen. 50 Pol. 22.5.
3. Zenon bei
Polybios
47
sein Freiheitsversprechen zu verpflichten, und betonen, daß dieses gemeinsame Ziel die Grundlage ihrer bisherigen Kooperation mit Rom gewesen sei. In der Situation von 189/8, als man daran ging, die Beute aus dem Antiochos-Krieg zu verteilen, war diese Betonung hehrer Prinzipien unangebracht. Nach den Lykischen Kriegen und dem Ende der rhodischen Hegemonialstellung konnte sie dagegen als durchaus geboten erscheinen. Entstand das Redenpaar nach 168, läßt sich auch besser verstehen, weshalb Eumenes als habgieriger Denunziant der Rhodier gezeichnet wird: Der pergamenische König warf den Rhodiern am Vorabend des 3. Makedonischen Krieges vor, es mit den Feinden Roms zu halten.51 Die Hypothese, daß Polybios die Verhandlungen, die damals über die Neuordnung Kleinasiens in Rom geführt wurden, nach einer rhodischen Quelle beschrieb, vermag darüber hinaus auch die auffallende Diskrepanz zu erklären, die zwischen seinem Bericht und einer durch Livius überlieferten annalistischen Version besteht. Denn während die annalistische Version des senatusconsultum von 189 genaue Angaben über die geographische Abgrenzung der zwischen Eumenes und Rhodos aufgeteilten Gebiete einschließlich von oppida, vici et castella macht,52 konzentriert sich Polybios auf die Frage, welche Städte Eumenes Tribut zahlen sollten,53 blendet also den Tatbestand aus, daß auch Rhodos damals in den Besitz griechischer Städte gelangte. Hier wie auch bei der Darstellung der Entscheidungen, die die Senatskommission 188 in Apameia traf,54 stellte Zenon die pergamenische Seite in den Vordergrund, weil er von der peinlichen Tatsache rhodischer Herrschaft über griechische Städte ablenken wollte. Diese Zuweisung wird auch dadurch gestützt, daß der unmittelbar folgende Bericht über einen erfolglosen Versuch der Rhodier, Soloi aus dem Zugriff des Seleukiden zu befreien,55 ebenfalls das Bestreben verrät, die Rhodier als Vorkämpfer der Freiheit der griechischen Städte zu zeigen. Auch die rhodische Herrschaft in Lykien war aus rhodischer Sicht ein durchaus heikles Thema. Zum einen waren die rechtlichen Grundlagen der rhodischen Herrschaft von Anfang an umstritten. Nachdem ein Versuch der Hier, bei der Senatskommission in Apameia zu vermitteln, nicht das von den Lykiern gewünschte Ergebnis erbracht hatte, brach ein Aufstand los, der sich über mehrere Jahre hinzog. Kaum daß die Rhodier ihn niedergeworfen hatten, begann er von neuem und zwang den Rhodiern noch einmal einen mehrjährigen Kleinkrieg gegen die Aufständischen auf. Als der Senat die rhodische Herrschaft in Lykien 167 beendete, feierten die Lykier ihre Befreiung vom rhodischen Joch.56 Problematisch war zum anderen die Rolle Roms: Derselbe Senat, der 51 52 53 54 55 56
Liv. 42.14.5-10; App. Mak. 11.3. Liv. 37.56.1-6. Dazu ausführlich Wiemer, Rhodische Traditionen, 137-149. Pol. 21.24.7-8 = Liv. 37.55.5-6. Pol. 21.46.2-10 Liv. 38.39.7-17. Pol. 21.10.10-15. Das Fest des Lykischen Bundes für die Göttin Roma dürfte aus diesem Anlaß eingerichtet worden sein: Errington, Chiron 17, 1987, 97-118. Auch die Weihung der Lykier auf dem Kapitol (ILLRP I 174) paßt am besten in diese Zeit. Vgl. Larsen, CPh 51, 1956, 156-159; 169 Anm. 30; Mellor, Chiron 8, 1978, 319-330, bes. 321-322. =
II. Zur Kritik der literarischen
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Quellen
die rhodische Herrschaft in Lykien nach dem Antiochos-Krieg geschaffen hatte, setzte ihr nur 20 Jahre später ein Ende. Mußte das Vertrauen der Rhodier auf Rom dadurch nicht erschüttert werden? Von der ausführlichen Beschreibung, die Polybios den langwierigen und kostspieligen Kriegen der Rhodier in Lykien widmete,57 haben sich nur geringe Reste erhalten. Das wenige reicht jedoch aus, um zu erkennen, daß er auch hier einer rhodischen Quelle folgte. Denn Polybios faßt den Konflikt aus rhodischer Perspektive ins Auge und macht sich die rhodische Rechtsposition zu eigen. Sein Bericht über die 188 in Apameia geführten Verhandlungen hält ausdrücklich fest, daß die römische Kommission den Rhodiern ihren Wunsch, Lykien en Doreai zu erhalten, erfüllten, während die Lykier selbst den Abschluß einer Symmachia mit Rhodos erstrebten.58 Nicht weniger einseitig ist Polybios' Schilderung von Veranlassung, Inhalt und Folgen des senatusconsultum de Lyciis von 178. Bei Polybios versteht es eine Gesandtschaft der Xanthier, im Senat Mitleid mit den Lykiern zu erwecken. Die Senatoren hätten daraufhin einen Beschluß gefaßt, der die 10 Jahre zuvor gefaßte Kommissionsentscheidung geradezu auf den Kopf gestellt habe: Nicht en Doreai, sondern als Symmachoi seien die Lykier den Rhodiern „gegeben" worden, wie die Akten der Kommission bezeugten.59 Polybios schildert anschließend nicht etwa die freudige Reaktion der Lykier auf diese für sie positive Entscheidung, sondern die Furcht der Rhodier vor einem erneuten Aufflammen des Aufstandes in Lykien.60 Die Wahl der Perspektive verrät den Ursprung von Polybios' Informationen: Ein Lykier würde den Freiheitskampf seines Volkes anders dargestellt haben. Für eine rhodische Quelle spricht auch, daß Polybios den Inhalt des senatusconsultum de Lyciis geradezu verfälscht. Wie aus einer annalistischen Tradition61 hervorgeht, griff der Senat 178 keineswegs zu dem ebenso dreisten wie plumpen Mittel, den Inhalt der 188 aufgesetzten Akten in ihr Gegenteil zu verkehren, um den Rhodiern die rechtliche Grundlage ihrer Herrschaft in Lykien zu entziehen; vielmehr begnügte er sich damit, die Rhodier wegen ihrer drückenden Herrschaftsmethoden zu rügen und sie an die unauflösliche Verbindung von Schutz und Herrschaft zu erinnern. Der rhodische Gewährsmann des Polybios aber suchte die Ursachen des lykischen Widerstandes deswegen in römischen Entscheidungen, weil er auf diese Weise von der Bedrückung der Lykier durch seine Landsleute ablenken konnte. Die Waffenbrüderschaft mit Rom, die Rhodos auf den Gipfel seiner Macht geführt hatte, geriet durch den 3. Makedonischen Krieg in eine schwere Krise. Der Senat verdächtigte die Rhodier, den Sieg Roms über das makedonische Königreich nicht gewollt, ja sogar aktiv hintertrieben zu haben. Zur Strafe entzog er den Rhodiern nicht bloß die Herrschaft über Karien und Lykien, die er ihnen 20 Jahre zuvor übertragen 57 58 59 60 61
Pol. Pol. Pol. Pol. Liv.
24.25.13; 27.7.5; Liv. 42.14.8. 22.5. 25.4. 25.5. 41.6.11-12.
3. Zenon bei
Polybios
49
hatte, sondern nahm ihnen mit Kaunos und Stratonikeia auch älteren Besitz, den sie ohne römisches Zutun erworben hatten. Rhodische Politiker, die während des Krieges
gegen Perseus für eine entschieden pro-makedonische Politik eingetreten waren, fielen einer erbarmungslosen „Säuberung" zum Opfer. Obwohl die Rhodier sich als reuige Sünder zeigten, dauerte es vier lange Jahre, bis sich der Senat 164 bereit fand, ihnen durch den Abschluß eines foedus Vergebung zu gewähren. Polybios' Bericht über diese dramatischen Ereignisse weist klare Spuren der Benutzung einer rhodischen Quelle auf. Aus ihr stammt die große Anzahl von Eigennamen rhodischer Gesandter und Militärs; ihr verdankt Polybios seine Kenntnis von Urkunden, die in Rhodos archiviert waren. Ohne sie wäre die detaillierte Schilderung des Verlaufes rhodischer Ratssitzungen und Volksversammlungen kaum vorstellbar. Dabei benutzt Polybios ein Deutungsschema, das von seiner Charakteristik der allgemeinen politischen Situation in Griechenland stark abweicht, während es der nach Pydna verbreiteten, offiziellen Lesart der Rhodier sehr genau entspricht. Polybios schildert nämlich die rhodische Innenpolitik der Jahre 172-168 als eine Auseinandersetzung zwischen „Rom-Freunden", denen er insgesamt hohes Lob zollt, und „Perseus-Freunden", die er als „Aufrührer und Schurken" abqualifiziert. Es sei die Schuld dieser „Demagogen", wenn sich das rhodische Volk habe verleiten lassen, den verhängnisvollen Vermittlungsversuch zu beschließen. Dieselbe Polarisierung begegnet nach Pydna auf Rhodos: Die große Mehrheit der politischen Elite, deren angeblich schon immer romtreue Vertreter in Griechenland keineswegs überall so günstig beurteilt wurden wie von Polybios,62 wälzte die Verantwortung für die mangelhafte Unterstützung Roms gegen Perseus auf die entschieden pro-makedonisehen Politiker ab, um sich selbst aus der Verstrickung in diese Vorgänge zu befreien. Die allgemeine politische Situation in Griechenland war nach Polybios hingegen zum einen dadurch gekennzeichnet, daß das „Volk" fast überall Perseus zuneigte;63 zum anderen aber dadurch, daß die tonangebenden Politiker, gleichgültig, ob sie für Rom oder für Makedonien eintraten, aus rein egoistischen Motiven handelten.64 Unter diesen Umständen kam es für Zenon darauf an, die Schaukelpolitik seiner Heimatstadt zu beschönigen und ihren Vermittlungsversuch zu entschuldigen. In der Tat betont Polybios, daß die Rhodier bei Kriegsbeginn durchaus bereit gewesen seien, Rom wirksame Hilfe gegen Perseus zu leisten; nicht weniger als 40 Kriegsschiffe seien damals in Einsatzbereitschaft versetzt worden.65 Dagegen sei die Bitte des Perseus, Rhodos möge in dem bevorstehenden Konflikt neutral bleiben, freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen worden. Die bei diesem Anlaß eingelegte Rede der makedonischen Gesandten porträtiert die Rhodier einmal mehr als Vorkämpfer griechischer Freiheit.66 In einem Fragment, das mehrere termini technici des rhodischen Seewesens 62 63 64 65 66
Hegesandros Pol. Liv. Pol. Pol.
von Delphi, FHG IV, 417 Fr. 20 (= Athen. 10.61, 444E). 27.9-10; Liv. 42.30.1 (P). 42.30.2-7 (P); 45.31.4-5 (P); vgl. Deininger, Widerstand, 159-164. 27.3; Liv. 42.45 (P).
27.4.
II. Zur Kritik der literarischen
50
Quellen
verwendet, schildert Polybios, wie die Rhodier dem römischen Flottenprätor C. Lucretius im Frühjahr 171 schließlich fünf Tetreren schickten, die dieser jedoch sogleich wieder nach Hause entlassen habe.67 Später hebt er hervor, daß die Rhodier eine makedonische Schiffsbesatzung nur gegen den Widerstand der „Rom-Freunde" ausgeliefert hätten.68 Für das Jahr 170/69 berichtet er von einer Gesandtschaft an den Senat, die die Erlaubnis zur Ausfuhr von 100.000 Medimnen Getreide aus Sizilien nach Rhodos erbeten und erhalten habe,69 und von einer weiteren Gesandtschaft an Marcius Philippus, den römischen Oberkommandierenden in Thessalien.70 Diesem Bericht liegt, wie die Verwendung von Philippus' Brief an die Rhodier zeigt, eine schriftliche Quelle zugmnde. Man hat längst erkannt, daß er eine rhodische Legende kolportiert: Die angebliche Hinterlist des Marcius Philippus, der den rhodischen Gesandten in einem vertraulichen Gespräch geraten habe, im Krieg mit Perseus zu vermitteln, um dadurch dem Senat eine Handhabe für eine spätere Bestrafung der Insulaner zu verschaffen. Dieser Rat, der so geheim gewesen sein soll, daß die rhodischen Gesandten ihn nicht einmal in ihrem Bericht vor der Volksversammlung erwähnten, wurde dem auch in Rom selbst umstrittenen Konsul offenkundig deswegen in den Mund gelegt, weil man einen Teil der Verantwortung für den Vermittlungsversuch auf ihn schieben wollte. Zur Entschuldigung der Rhodier trägt auch die Versicherung bei, daß die Rhodier zwar den verhängnisvollen Entschluß gefaßt hätten, zwischen Rom und Perseus zu vermitteln, aber nicht bereit gewesen seien, ein Bündnis mit Perseus zu schließen, obwohl eine makedonisch-illyrische Gesandtschaft nachdrücklich darum gebeten habe.71 Die lange Folge von Heimsuchungen und Demütigungen, die dieser Entschluß den Rhodiern einbrachte, bis ihnen der Senat 164 das ersehnte foedus gewährte, betrachtet Polybios mit großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Dies gilt bereits für den schmachvollen Empfang der rhodischen Vermittlungsgesandtschaft im Senat, die erst vorgelassen wurde, als der römische Sieg bei Pydna bereits bekanntgeworden war.72 Die gleichzeitigen Vorgänge auf Rhodos sind nur durch Livius' Bearbeitung des Polybios überliefert: Die römischen Gesandten Popilius Laenas und C. Decimius sind die letzten Redner, denen die polybianische Tradition das Wort zu einer Ansprache an die rhodische Volksversammlung erteilt.73 Die Einwirkung der rhodischen Quelle auf Polybios läßt sich im Falle der Gesandtschaft, die die Rhodier im Herbst 168 nach Rom schickten, um Abbitte zu leisten, durch den Vergleich mit einer annalistischen Version verdeutlichen. Während der annalistische Gewährsmann des Livius die römische Perspektive einnimmt,74 interessiert sich 67 68 69 70 71 72 73 74
Pol. Pol. Pol. Pol. Pol. Pol. Liv. Liv.
27.7. 27.14. 28.2.
28.2; 16-17. 29.10-11 ; Liv. 44.29.6-8 29.19; Liv. 45.3.3-8 (P). 45.10. 45.20.4-25.3.
(P).
3. Zenon bei
Polybios
51
vor allem für die Rhodier: Er erzählt von der Furcht, die ihnen ein Prätor der einflößte, beantragte, Rhodos den Krieg zu erklären, von der Erleichterung, die sie empfanden, als dieser Antrag scheiterte, und von der Entsendung einer Gesandtschaft, die dem Senat zum Zeichen der Dankbarkeit einen wertvollen Goldkranz überbringen sollte. Nach einer Polemik gegen die Rede des rhodischen Gesandten Astymedes, deren veröffentlichte Fassung Polybios selbst gelesen hatte, folgt die berühmte Erklärung über die Prinzipien rhodischer Politik:
Polybios75
Denn die Politik der Rhodier war so sachgerecht und erfolgreich gewesen, daß das Volk, obgleich es fast 140 Jahre lang gemeinsam mit den Römern die großartigsten und schönsten Taten vollbracht hatte, mit ihnen noch kein Bündnis abgeschlossen hatte. Zu übergehen, weshalb die Rhodier ihre Angelegenheiten in dieser Weise gestalteten, wäre unangemessen. Da sie nämlich wollten, daß keiner, der die Stellung eines Machthabers und Dynasten innehatte, die Hoffnung auf Unterstützung und Waffenhilfe von ihnen aufgebe, wollten sie sich mit keinem fest zusammenschließen und sich durch Eide und Verträge binden, sondern vielmehr ungebunden bleiben und aus den Hoffnungen alter Seiten Nutzen ziehen.76
Diese Erklärung berührt sich so eng mit der programmatischen Einleitung, die Diodor seiner Beschreibung der Belagerung durch Demetrios Poliorketes vorangestellt hat, daß die Annahme, beide Texte hätten eine gemeinsame Vorlage, nicht zu gewagt erscheint. Auf eine schriftliche Vorlage deutet schon die Tatsache, daß Polybios das Wort Politeuma nur an dieser Stelle im Sinne von „Politik" verwendet. Auf die rhodische Herkunft dieser Vorlage führt zum einen die Beobachtung, daß Polybios das Subjekt rhodischer Politik mit dem prägnanten Begriff Demos bezeichnet, wie es auf Rhodos selbst der Fall war. Zudem geht er an dieser Stelle von einer 140 Jahre währenden, effektiven politischen Kooperation der Rhodier mit Rom aus, die es in der Realität nicht gegeben hatte; es handelt sich offenbar um eine apologetische Übertreibung. Schließlich endet das Fragment mit der detaillierten Schilderung eines Krieges, den die Rhodier zu dieser Zeit in Karien führten. Polybios beschreibt ihn aus rhodischer Perspektive als Kampf gegen abtrünnige Untertanen, nicht als Befreiungskampf der Karer; als der Senat Karer und Lykier für frei erklärt, gilt sein Mitgefühl den deprimierten Rhodiern, die sich um die Flüchte all ihrer Anstrengungen gebracht sahen. Hinreichend deutlich ist die Benutzung einer rhodischen Quelle auch in Polybios' Exkurs über die drei Richtungen griechischer Politiker, die nach dem Perseus-Krieg unter Anklage gestellt wurden.77 Sie muß ihm reichliches Material über die Schicksale
75 Pol. 30.4; Liv. 45.25.4-13 (P); Diod. 31.5. 76 Pol. 30.5.6-8: oUTCûç yàp uv itpayLiaTtKÔv tô jtoXÍTEUua
tcûv 'Poôîcûv cûç axeôov ivr\ TErcapáKOVTa npôç toïç ¿KaTÔv KEKOtvcûvr|KCûç ó ôrjuoç 'Pcûu.aiotç tcûv éntcpavECTTaTCûv Kai koàXîotcûv Ëpycùv oûk É7iE7toir|To npôç aikoùç cTUu.u.axtav.7 tîvoç 6è xáptv outcoç ¿XEÎpiÇov oi 'PôSiot Ta Ka9' atYtoùç oûk âÇtov napaÀutEïv. 8 ßou>.ou.Evoi yàp unoéva tcûv èv Taïç ùnEpoxaïç Kai ôuvacrrEÎaiç a7tEX7itÇEtv tt|v ÉÇ aÙTCûv ÊTtiKoupiav Kai crumxaxíav, oûk eßouAovTO crovöuaCEiv oùôè 7ipoKaTccX.außavEiv acpâç aÛTOùç öpKotc Kai o-ov0f|Kaiç, äXX' ctKÉpaiot Siap-ÉvovTEÇ KEpSatvEiv Tàç é^ ekcxcttcuv éÀTtiôaç; Liv. 45.25.9 (P); Dio Fr. 68, 3; Zon. 9.24.6.
77 Pol. 30.6-9.
52
II. Zur Kritik der literarischen
Quellen
des rhodischen „Perseus-Freundes" Polyaratos geboten haben, dessen aussichtslose Flucht er auf allen Stationen mit höhnischen Kommentaren begleitet. Der Tiefpunkt in den römisch-rhodischen Beziehungen fiel in das Jahr 167/6. Polybios erzählt, daß der rhodische Nauarch Theaidetos im Alter von über siebzig Jahren als Gesandter seiner Heimatstadt in Rom verstarb, ohne seine Mission erfüllt zu haben, und berichtet von der Besorgnis, die der Befehl des Senates, die Rhodier sollten ihre Besatzungen aus Kaunos und Stratonikeia abziehen, bei den Mitgesandten auslöste: Zwei von ihnen seien sogleich nach Hause gereist, um ihre Mitbürger vor unbedachten Reaktionen zu bewahren.78 Als die Rhodier sich tatsächlich in das Unvermeidliche fügen, ja sogar erneut eine Gesandtschaft nach Rom schicken, um ein foedus zu erlangen, zeichnet sich erstmals eine Wendung zum Besseren ab: Zwar lehnt der Senat erneut ab, schließt aber ein foedus nicht mehr grundsätzlich aus.79 Die anläßlich des 164 abgeschlossenen foedus gehaltene Rede des rhodischen Gesandten Astymedes gibt Polybios in extenso wieder.80 Sein Referat muß auf einer wohlinformierten Quelle fußen, zumal die Nähe zur Diktion rhodischer Urkunden ins Auge fällt. Vermutlich las Polybios die Rede bei Zenon, der sie eingelegt haben mag, um die bedrängte Situation zu verdeutlichen, in der die Rhodier sich befanden, als das foedus geschlossen wurde. Auf diese Weise legitimierte er die Politik einer bedingungslosen Anpassung an Rom und warb zugleich bei denen, die die Rhodier bis 168 beneidet, gehaßt oder bekämpft hatten, um Verständnis und Mitgefühl. Nicht zuletzt war sie geeignet, den schlechten Eindruck wettzumachen, den die erste Rede des Astymedes hinterlassen hatte. Wie es scheint, blickte Zenon noch über den Abschluß des foedus hinaus. Die im folgenden Jahr getroffene Entscheidung des Senates, den Rhodiern Kalynda zu überlassen und den rhodischen Privatbesitz in Karien und Lykien zu bestätigen,81 war ein geeigneter Schlußpunkt für sein Werk, da sie den Beginn einer neuen Phase gedeihlicher Kooperation zwischen Rom und Rhodos geradezu symbolisierte. Für die Zeit danach hat Polybios Zenon hingegen mit großer Sicherheit nicht mehr benutzt.82 Insbesondere die direkten Fragmente und indirekten Testimonien von Polybios' Darstellung des 2. Kretischen Krieges sind von einer ausgesprochen feindseligen Haltung gegenüber Rhodos geprägt.83
78 79 80 81
Pol. 30.21. Pol. 30.23. Pol. 30.31.3-18. Pol. 31.4-5. Eine unpublizierte Inschrift aus Kaunos macht wahrscheinlich, daß die Entscheidung des Senates für die Rhodier nicht ganz so günstig war, wie Polybios suggeriert: Die Kaunier behielten die Insel Telandros. 82 Schulstiftung des Eumenes: Pol. 31.31; Diod. 31.36 kontaminiert eine verlorene Stelle des Polybios mit dessen Darstellung der Hilfsaktion nach dem Erdbeben von 227: Pol. 5.88-90; vgl. Diod. 26.8. 83 Pol. 33.4; 16-17; Diod. 31.37-38 (P); 43-45 (P).
III. Vom Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
1. Vom
Synoikismos zu Alexander
Dem in der Endphase des Peloponnesischen Krieges durch Zusammenschluß der bis dahin unabhängigen Poleis Ialysos, Kameiros und Lindos gegründeten Staat der Rhodier blieb es für lange Zeit verwehrt, eine selbständige Rolle in der griechischen Staatenwelt zu spielen. Dies lag zum einen an der starken Präsenz auswärtiger Mächte in der östlichen Ägäis, zum anderen aber daran, daß die durch den Synoikismos ermöglichte Bündelung der Ressourcen und Energien der Insel durch innere Auseinandersetzungen paralysiert wurde.1 Dem Synoikismos von 408/7 war 411 der von pro-spartanischen Oligarchen betriebene Abfall vom athenischen Seebund vorausgegangen. Die „mächtigsten Leute" der Insel, unter denen das Geschlecht der Diagoriden eine führende Rolle gespielt zu haben scheint,2 hatten damals ohne Wissen des Volkes Kontakt mit der in Knidos vor Anker liegenden Flotte der Spartaner aufgenommen. Diese war daraufhin in Kameiros gelandet und hatte eine Versammlung der Bürger der drei Poleis Ialysos, Kameiros und Lindos einberufen, die sich bewegen ließ, den Abfall vom athenischen Seebund zu beschließen.3 Rhodos blieb in den folgenden Jahren eine Flottenbasis der Peloponnesier;4 im Jahr des Synoikismos weilte der spartanische Nauarch Lysandros auf der Insel.5 Wenn ein von Byzanz, Kyzikos, Lampsakos, Ephesos, Samos, lasos, Knidos und
1 Diod.
13.75.1; Strab. 14.2.9-11, p. 654-655C. Alle Quellen und die bis 1976 erschienene Literatur bei
Moggi, Sinecismi, 213-226; vgl. auch Demand, Urban Relocation, 89-94, die freilich die Möglichkeit, daß „ökonomische Motive" bei der Verlagerung des Siedlungszentrums an die Nordspitze der Insel eine Rolle spielten, zu kategorisch ausschließt; immerhin verschaffte der Seeverkehr dem rhodischen Staat Einnahmen. Hinzu kommt jetzt noch Gabrielsen, Festschrift M.H. Hansen, 177-205, der indessen die föderativen Elemente im rhodischen Staatsaufbau überbetont. 2 Dazu ausführlich David, Éranos 84, 1986, 157-164. 3 Thuk. 8.44.1-4. Zur vorhergehenden Seeschlacht bei der Insel Syme vgl. Falkner, AHB 9, 3-4, 1995, 117-124; Chêne, REG 113, 2000, 101-130. 4 408: Xen. Hell. 1.5.1; Diod. 13.70.2; 406: Xen. Hell. 1.6.3; 405: Xen. Hell. 2.1.15; 17. Rhodier zogen mit dem jüngeren Kyros gegen Artaxerxes II.: Xen. Anab. 3.3.16-17; 4.15; 5.8; Arr. Anab. 2.7.8. 5 Aktive Mitwirkung des Lysandros vermutet Bleckmann, Athens Weg, 298-301. In der Tat schreibt Diodor (13.70.2), Lysandros habe 408/7 in Rhodos vccöc oaaç eïxov ai TtoXetç hinzubekommen. Demnach wäre der Zusammenschluß also zumindest auf militärischem Gebiet noch nicht vollendet
54
III. Vom
Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
Rhodos geprägter Münztyp auf chiotischem Gewichtsstandard, der auf der Vorderseite den schlangenwürgenden Herakles, auf der Rückseite das Symbol der Stadt zeigt, auf die Jahre nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges zu datieren ist, belegt er die Existenz einer Föderation von Seestädten, die in Lysandros den Befreier von athenischer Herrschaft sah.6 Nähere Aussagen über diese Föderation und die Rolle, die die Rhodier in ihr spielten, lassen sich indessen nicht treffen, zumal das auffällige Fehlen der Legende EYN auf den rhodischen Geprägen nicht befriedigend erklärt werden kann.7 Der Synoikismos von Rhodos vollzog sich also mit Duldung, wenn nicht gar unter Mitwirkung Spartas und war gegen Athen gerichtet. Die damals etablierte Verfassung war deshalb eine Oligarchie, über deren Instifutionengefüge freilich nur wenig bekannt ist.8 Aus den Umständen, unter denen diese Oligarchie 395 gestürzt wurde, geht aber klar hervor, daß die Diagoriden in dieser neuen Verfassung führende Stellungen innehatten. Diesem Umsturz war ein Wechsel der außenpolitischen Orientierung vorausgegangen, der noch von den Oligarchen vollzogen worden war.9 Denn die Diagoriden
6
7
8
9
gewesen. Wieviel man darauf geben kann, ist freilich im Lichte von Bleckmanns eigenen Ausführungen über die niedrige Glaubwürdigkeit Diodors durchaus fragwürdig. Grundlegende Materialvorlage jetzt bei Delrieux, Ententes monétaires, 185-211 mit Taf. XXXIXXXIV. Der von Stefan Karwiese (NC 140, 1980, 1-31) vor allem aufgrund historischer und ikonographischer Erwägungen vorgeschlagenen Neudatierung schließt sich aus numismatischen Gründen jetzt auch Richard Ashton an: Coinage of Rhodes, 80 mit Anm. 9. Indessen findet auch die traditionelle Datierung auf die Zeit nach der spartanischen Niederlage bei Knidos nach wie vor Anhänger, vgl. dazu unten Anm. 14. Cawkwell, NC6 16, 1956, 74 sieht im Fehlen der £YN-Legende ein Zeichen dafür, daß die Rhodier eine führende Rolle in der Föderation gespielt hätten; dagegen entnimmt ihm Berthold, Historia 29, 1980, 38 mit Anm. 26, daß die Rhodier der Föderation möglicherweise gar nicht angehörten. Karwiese, NC 140, 1980, 20 Anm. 151 meint, die Rhodier hätten die Legende vermieden, damit sie nicht als Anspielung auf den Synoikismos mißverstanden werden konnte. Da alle 22 bekannten rhodischen Gepräge von ein und demselben Stempel geschlagen wurden, kann man schließlich auch ein bloßes Versehen nicht ausschließen. Ein in Lindos gefundenes Proxeniedekret (Syll.3 110 = I. Lindos 16) für den Sohn eines Pytheas, der wohl aus Naukratis stammte (so Bresson, Festschrift E. Bemand, 37-42 gegen Figueira, Athenaeum n.s. 66, 1988, 543-551, der ihn für Aigina in Anspruch nimmt), beginnt (Z. 1-3) mit der Formel [Éôo^E Tût ß]oXäi Ê7Ù it[p|uTavicûv t]cùv áutpi Aet[v(íav] und verfügt (Z. 5-6), daß der Geehrte und seine Nachkommen npó^EVOV | [rj]M.£v xfi)v Po[5]icûV TtavTtûv. Da zwei aus dem 5. Jahrhundert stammende Dekrete der Lindier (SEG 4, 171 in der Fassung von Accame, Clara Rhodos 9, 1938, 211-212; Syll.3 110 Anm. 4 = Accame, Clara Rhodos 9, 1938, 221 = I. Lindos 16 App.) die Formel ËSo^E Tat ßoMt Kai Ttûi öau.cui verwenden und ein Proxenos aller Rhodier in rhodischen Dekreten nicht wieder begegnet, wird das Proxeniedekret für den Sohn des Pytheas mit Recht allgemein in eine 2teit gesetzt, als der Zusammenschluß bereits angebahnt, aber noch nicht vollendet war. Den oligarchischen Charakter der beschlußfassenden Körperschaft verrät neben dem Fehlen des 8âp.oç im Präskript auch die Datierung nach Prytanen, die demnach für ein ganzes Jahr im Amt gewesen sein müssen. Die lindischen Dekrete entsprechen demgegenüber dem aus Athen bekannten Formular. Diod. 14.79.6; Androtion FGrHist 324 F 46 = Pausan. 6.7.6. Vgl. dazu etwa Beloch, Geschichte III2,1, 42^*4; III2, 2, 216 (Datierung); Bruce, CQ n. s. 11, 1961, 166-170; Berthold, Historia 29, 1980, 35-37; Rhodes, 23-25; Funke, Festschrift F. Vittinghoff, 61-64; Gehrke, Stasis, 136-137; Westlake, GRBS 24,
1. Vom
Synoikismos zu Alexander
55
noch an der Macht, als die Rhodier wohl im Sommer 396 die Flotte des in persischen Diensten stehenden Atheners Konon aufnahmen.10 Offenbar empfanden die rhodischen Oligarchen die Spartaner schon bald nach dem Ende der athenischen Herrschaft nicht mehr als Befreier, sondern als drückende Herren. Der Abfall von Sparta stärkte jedoch diejenigen Kräfte, die auf die Beseitigung der oligarchischen Herrschaft drängten. Im Einverständnis mit Konon und gedeckt durch dessen Soldaten fielen die rhodischen Demokraten über ihre Feinde her; nachdem sie die führenden Diagoriden und elf weitere Oligarchen getötet hatten,11 richteten sie eine Demokratie ein. Auch diese Verfassung kann nicht näher beschrieben werden. Da sie indessen die Zahlung von Diäten vorgesehen zu haben scheint,12 dürfte sie von radikaler Ausprägung gewesen sein. Mangels Quellen ist dagegen unklar, ob ihr Institutionengefüge im wesentlichen bereits mit dem aus der hellenistischen Zeit bekannten identisch war, auch wenn die Einführung des Demensystems in diese Periode wohl am besten paßt.13 Wenn die traditionelle Datierung der ZYN-Prägungen richtig ist, wurde die bereits erwähnte Föderation von Seestädten nach der spartanischen Niederlage bei Knidos ins Leben gerufen;14 dies würde bedeuten, daß sich die rhodischen Demokraten bald nach dem Sturz der Oligarchie einer anti-spartanischen Föderation anschlössen." waren
10
1983, 333-344. Die in der älteren Forschung anzutreffende Auffassung, daß die außenpolitische Neuorientierung mit dem Verfassungswechsel zeitlich zusammenfiel (Gelder, Rhodier, 85), ist durch den Fund der „Hellenica Oxyrhynchia" obsolet und hätte von Ruschenbusch, Hermes 110, 1982, 495-498 nicht wiederholt werden sollen; vgl. dagegen Funke, Hermes 112, 1984, 115-119. Ein Diagoras, Sohn des Damagetos, bekleidete 399/8 das eponyme Priestertum des Halios: Morricone,
ASAAn.s. 11-13, 1949-51, 351-380 = SEG 12, 360, Kol. I, Z. 11. 11 Da ein Damagetos, Sohn des Nikagoras, 321/20 oder 317/6 Eponym war, müssen einige Diagoriden das Massaker unbeschadet überstanden haben: Morricone, ASAA n.s. 11, 1949-51, 351-380 = SEG 12, 360, Kol. II, Z. 13. 12 Arist. Pol. 5.5, 1304b27-28; zur Datierung vgl. unten Anm. 17. 13 Die epigraphische Überlieferung für den rhodischen Staat setzt erst in der Alexanderzeit ein. Zur Kontroverse zwischen Pugliese Carratelli, PP 4, 1949, 154-171; SCO 1, 1951, 77-88, der in der hellenistischen Verfassung von Rhodos ein Werk Alexanders sieht, und Fraser, PP 7, 1952, 192-206, der meint, daß die rhodische Verfassung, wie wir sie aus der hellenistischen Zeit kennen, vor ca. 380 eingeführt wurde, vgl. unten 63-64. 14 Vgl. etwa Cawkwell, NC6 16, 1956, 69-75; JHS 83, 1963, 152-154; Schönert-Geiss, Münzprägung von Byzantion I, 31-35; Debord, L'Asie mineure, 273-277. Fabrice Delrieux (Ententes monétaires, 197-201) möchte jetzt zwei Serien von Emissionen unterscheiden: Die ionischen und karischen Städte hätten die SYN-Münzen von 395-390, die Städte an den Meerengen hingegen erst 389-387 geprägt. 15 In diesen Kontext paßt ein athenisches Ehrendekret für einen Rhodier aus Ialysos, dessen Vater als Ttpo^evoç Kai eUEOvexris geehrt worden war, diese Ehren aber unter den Dreißig eingebüßt hatte: SEG 28, 48 = Agora XVI 37. Indessen hält Funke, ZPE 53, 1983, 169-174 ein Datum bald nach der Wiederherstellung der athenischen Demokratie für wahrscheinlicher. Das auf Karpathos aufgezeichnete athenische Ehrendekret für den Karpathier Agesarchos (IG XII l,977 = Syll.3 129 = GHIII 110 = IG I3 1454), das Koer, Knidier und Rhodier als crúu,u.axot der Athener erwähnt (Z. 29-31), wird ebenfalls mitunter in die Zeit nach Knidos gesetzt (z.B. von Beloch, Geschichte III2, 1, 79 Anm. 3), doch weisen die Buchstabenformen nach dem Urteil des letzten Herausgebers David Lewis auf das 5. Jahrhundert.
56
III. Vom
Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
Die 395 eingerichtete radikale Demokratie traf jedoch auf den entschiedenen Widerstand der entmachteten Oligarchen. Da auch der äußere Halt an Konon schnell verlorenging,16 war sie sehr instabil. Als die Demokraten Gelder, die den Trierarchen zustanden, zur Zahlung von Diäten verwandten, erhoben sich die Oligarchen.17 Xenophon berichtet, daß aus Rhodos vertriebene Oligarchen die Hilfe Spartas erbaten, indem sie für den Fall, daß das Volk siege, den Anschluß von ganz Rhodos an Athen vorhersagten. Sparta habe daraufhin Ekdikos mit acht Schiffen ausgesandt. Dieser habe jedoch in Knidos erfahren, daß die Demokraten alles in der Hand hielten und über mehr als doppelt so viele Schiffe verfügten wie er selbst. Auf diese Nachricht hin hätten die Spartaner Verstärkung unter Teleutias geschickt. Dieser habe Ekdikos abgelöst und sei mit 27 Schiffen nach Rhodos gefahren, wo er die Sparta-Freunde unterstützt habe. Nach Xenophon reagierten die Athener auf die Ausfahrt der spartanischen Flotte, indem sie ihrerseits Thrasyboulos mit vierzig Schiffen nach Rhodos ausgesandt hätten. Thrasyboulos habe jedoch die Unterstützung für die rhodischen Demokraten aufgeschoben, weil er der Meinung gewesen sei, daß einerseits die Sparta-Freunde, die über eine befestigte Stellung verfügt hätten, nicht leicht zu bestrafen sein würden, andererseits aber die Demokraten fest im Sattel säßen, da sie über die Städte verfügten, in der Überzahl seien und in einer Schlacht gesiegt hätten. Damit endet Xenophons Bericht über den rhodischen Bürgerkrieg.18 Diese ganz aus der Perspektive der Protagonisten Ekdikos, Teleutias und Thrasyboulos gestaltete Erzählung erfaßt die Ereignisse offenkundig nur ausschnitthaft, bietet aber in sich kaum ernsthafte Anstöße. Da Xenophon nicht bloß Zeitgenosse der Ereignisse war, sondern Teleutias, den Stiefbruder des Agesilaos, sogar persönlich kannte,19 gäbe es keinen Grund, die substantielle Richtigkeit seines Berichts zu bezweifeln, wenn nicht bei Diodor ein aus Ephoros geschöpfter Bericht über denselben Bürgerkrieg erhalten wäre, der ganz erheblich von Xenophon abweicht. Bei Diodor nämlich greifen die rhodischen Sparta-Freunde das Volk an und vertreiben die Athen-Freunde aus der Stadt. Als diese sich mit Waffengewalt zur Wehr setzen, siegen die Sparta-Freunde, töten viele ihrer Feinde und verbannen die Geflohenen. Da sie sich vor einigen ihrer
16 Zu Konon, der nach dem Sieg bei Knidos seinen Siegeszug quer durch die Ägäis antrat, vgl. etwa Seager, JHS 87, 1967, 95-115; Hofstetter, Prosopographie, 106-111 Nr. 183; Funke, ZPE 53, 1983, 149-189. 17 So Arist. Pol. 5.5, 1304M9-31, eine Stelle, die ich mit Momigliano, RFIC n.s. 14, 1936, 53-54 (= Quinto contributo, 514-517); Funke, Festschrift F. Vittinghoff, 65; 69-70 Anm. 27; Gehrke, Stasis, 137-138 mit Anm. 23 auf diesen Bürgerkrieg beziehe. Gegen die u.a. von Beloch, Geschichte III2, 1, 237; Sherwin-White, Cos, 65-66; 73; Berthold, Historia 29, 1980, 39 Anm. 40; Rhodes 31 Anm. 41; Hornblower, Mausolus, 127; Radicke, Rhodier, 192-195 vertretene Verbindung mit dem von Mausolos unterstützten Umsturz spricht, daß von auswärtiger Unterstützung bei Aristoteles keine Rede ist. Arist. Pol. 5.2, 1302b21-33 mag auf dieselbe Stasis gehen, doch kommt, wie Nino Luraghi (Hermes 126, 1998, 117-123) gezeigt hat, auch der Sturz der Oligarchie im Jahre 395 in Frage. 18 Xen. Hell. 4.8.20-31. Xenophon berichtet später beiläufig, daß Hierax, der Nachfolger des Teleutias, nach Rhodos gefahren sei. 19 Zu Teleutias vgl. Poralla, Prosopographie2, 116-117 Nr. 689.
1. Vom
Synoikismos zu Alexander
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sicher fühlen, schicken sie eine Gesandtschaft nach Sparta. Die Sparschicken tatsächlich Hilfe; in Samos, Knidos und Rhodos rüsten sie schließlich 27 Schiffe mitsamt Mannschaften aus.20 Diodor berichtet dann, daß Thrasyboulos von Lesbos nach Aspendos gefahren und dort den Tod gefunden habe. Danach seien die athenischen Trierarchen nach Rhodos gefahren und hätten dort die Flüchtlinge, die sich auf einen befestigten Ort zurückgezogen hätten, gegen die Leute in der Stadt unterstützt.21 Ein Teil der Forschung verwirft den Bericht Diodors vollständig und hält sich ganz an Xenophon.22 In der Tat ist es durchaus zweifelhaft, ob Diodor dort, wo er von Xenophon abweicht, Glaubwürdigkeit beanspruchen kann. Manches spricht dafür, daß er aus einer Tradition schöpft, die mit freien Erfindungen angereichert war. Andererseits ist aber auch nicht zu bestreiten, daß Diodor gute Informationen bewahrt, die auf unbekanntem Wege zu Ephoros gelangt waren.23 Darum ist es durchaus vertretbar, beide Versionen miteinander zu kombinieren, auch wenn dabei nicht allein Diodor, sondern auch Xenophon Fehler zu unterstellen sind. So verfährt denn auch der andere Teil der Forschung.24 Unter der Voraussetzung, daß beide Autoren verschiedene Phasen des Bürgerkrieges ins Auge fassen, ergibt sich ein Drei-Phasen-Schema, das einen Zeitraum von etwa drei Jahren umfaßt: Am Anfang stehen die Erhebung der Oligarchen und die Vertreibung der Demokraten aus der Stadt (Phase 1). Die Oligarchen bitten anschließend in Sparta um Hilfe, die auch zugesagt wird. Bevor sie eintrifft, gewinnen jedoch die Demokraten die Oberhand; die Oligarchen räumen die Stadt und ziehen sich auf einen befestigten Ort zurück (Phase 2). Schließlich jedoch erobern die Oligarchen
Mitbürger nicht taner
20 Diod. 14.97.1-4. 21 Diod. 14.99.4-5. 22 Beloch, Geschichte
III2, 1, 237; Seager, JHS 87, 1967, 108-110; Berthold, Historia 29, 1980, 39-40; Rhodes, 26-28; Buck, Thrasybulus, 111-112 mit Anm. 33. 23 Bruno Bleckmann (Athens Weg, 19-266, bes. 188-198) versucht in einer breit angelegten Untersu-
chung den Nachweis zu erbringen, daß die von Diodor repräsentierte Tradition auf Theopomp von Chios zurückgehe, der seinerseits Xenophon benutzt, aber aus literarischem Ehrgeiz durch willkürliche Erfindungen verfälscht habe. Xenophon sei daher Diodor prinzipiell vorzuziehen. Indessen räumt
auch Bleckmann ein, daß Diodor mitunter wertvolles Material bewahrt (197-198). So wird es wohl bei eklektischer Kritik bleiben müssen. 24 Momigliano, RFIC n.s. 14, 1936, 53-54 (= Quinto contributo, 513-517); Funke, Festschrift F. Vittinghoff, 65-66, 70 Anm. 79; Gehrke, Stasis, 137-139; David, CPh 79, 1984, 271-284; Tuplin, Empire, 172-174. Debord, L'Asie mineure, 258-263, bes. 260 Anm. 202 möchte Xenophon und Diodor durch die Annahme harmonisieren, daß Xenophon (4.28.25) mit xeîxoç die bzw. einen Teil der rhodischen Stadtmauer meine; demnach wären die Oligarchen also stets in der Stadt Rhodos geblieben. Da Xenophon jedoch vorher sagt, Ekdikos habe erfahren, daß die Demokraten alles in der Gewalt hätten (4.28.22), würde er sich anders ausgedruckt haben, wenn er gemeint hätte, daß die Stadt Rhodos von den Oligarchen kontrolliert wurde. Auch das Fehlen des Artikels vor xeîxoç spricht gegen Debords Interpretation. Denn die Vorstellung, daß die Oligarchen sich hinter einem Teil der Stadtmauer verschanzten, ergibt keinen Sinn. Xenophon benutzte das Wort xeîxoç vielmehr in dem geläufigen und gerade auch in den „Hellenika" selbst belegten Sinn von „Befestigung"; vgl. dazu Robert, Gnomon 42, 1970, 600-601 (= Opera Minora VI, 650-651).
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III. Vom
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die Stadt wieder zurück, während nun die Demokraten in einem befestigten Ort Zuflucht finden (Phase 3). Unabhängig davon, ob die Berichte Xenophons und Diodors harmonisierbar sind oder nicht, dürfte feststehen, daß die 395 eingerichtete Demokratie bald in eine tiefe Krise geriet, die den rhodischen Staat für mehrere Jahre nach außen handlungsunfähig machte. Da beide Bürgerkriegsparteien bei einer auswärtigen Macht Unterstützung gegen ihre inneren Feinde suchten, mußten sie darauf verzichten, eine selbständige Außenpolitik zu betreiben. Wann und wie der Bürgerkrieg auf Rhodos endete, ist nicht überliefert.25 Wie es scheint, trugen am Ende die Demokraten den Sieg davon;26 den Bundesgenossenkrieg jedenfalls führte Rhodos als Demokratie. Für diese Annahme spricht auch, daß Rhodos zu den Gründungsmitgliedern des zweiten Seebundes der Athener gehörte.27 Die rhodischen Demokraten dürften in diesem Bündnis vor allem Schutz vor einer erneuten spartanischen Intervention gesucht haben. Wenn Furcht vor einer Wiederaufnahme spartanischer Hegemoniebestrebungen in der Ägäis das primäre Motiv war, das die rhodischen Demokraten zum Eintritt in den von Athen geführten Seebund bewog, so versteht man auch leicht, weshalb die Rhodier spätestens in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre begannen, die Bindung an Athen als lästig zu empfinden: Nach den Niederlagen von Naxos und Leuktra stellte Sparta für Rhodos keine ernstzunehmende Bedrohung mehr dar. Die Anlage der athenischen Kleruchie auf Samos mag überdies dazu beigetragen haben, die Athener in rhodischen Augen tyrannischer Bestrebungen verdächtig zu machen; samische Exilanten fanden jedenfalls Aufnahme auf Rhodos.28 Als dämm Epameinondas die thebanische Flotte 363 in die Ägäis führte,29 fand er nicht nur in Byzanz und Chios, sondern auch in Knidos und Rhodos freundliche Aufnahme.30 In den Quellen erscheint Rhodos erst wieder, als 357 der Bundesgenossenkrieg gegen Athen ausbricht.31 Der Gang der Ereignisse ist nur dem Umriß nach erkennbar.
25 Da der Tod des Thrasyboulos in den Sommer 389 fällt (Seager, JHS 87,1967, 109; Buck, Thrasybulus, 115-118), dürfte sie zum mindesten bis ins nächste Jahr angedauert haben. Begonnen hatte sie wohl 391, denn in den Sommer oder Herbst diesen Jahres fällt die Entsendung des Ekdikos. 26 Isokrates spricht im „Panegyrikos" von Rhodos, Samos und Chios, als ob diese Städte um 380 unabhängig gewesen wären (4.163). 27 IG II2 43 = Syll.3 147 = GHI II 123 = StV II 257, Kol. A, Z. 82; Diod. 15.28.2-3. 28 Vgl. das auf Rhodos aufgezeichnete samische Proxeniedekret für den Rhodier Akamas, Sohn des Damonikos (NS 1 = IG XII 6, 149, Z. 4-7): Äkcxhcxc AajtovÍKOU 'Poôtoç cpEtryovTOiv tcûv Eauicûv [eû]|vot)ç Kai 7tpô9uLioç cûv ôietéXei tcûv ôtjlicùi Kai Tory KaT[oi|K]oiL>VTCùv év 'PôScûi itóA.[Ei Tñjv
ÊTtiu-ÉXeialv noioulnEvoç. kurzlebigen Seepolitik des
Boiotischen Bundes vgl. etwa Buckler, Theban Hegemony, 160-174; Roesch, REG 97, 1984, 45-60; Jehne, Klio 81, 1999, 328-344. 30 Daß der Angabe Diodors (15.79.1), Epameinondas sei es geglückt, Rhodos, Chios und Byzanz zum
29 Zur
Anschluß an Theben zu bewegen (iSiaç Tàç nóXexc, É7ioír|0"E), ein authentischer Kern zugrundeliegt, wird durch ein Proxeniedekret der Knidier für Epameinondas bestätigt: SEG 44, 901. 31 Zum Bundesgenossenkrieg vgl. etwa Beloch, Geschichte III2, 1, 236-245; III2, 2, 258-262 (Datie-
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Neben Rhodos nahmen auch Byzanz, Chios und Kos32 am Aufstand gegen die Athener teil; der karische Satrap Mausolos lieh den Aufständischen seine Unterstützung.33 Athen versuchte den Abfall seiner wichtigsten Bundesgenossen zu verhindern, indem es die Chier angriff. Nachdem dieser Angriff fehlgeschlagen war, gingen die Aufständischen zum Gegenangriff über. Mit einer Flotte von 100 Schiffen wandten sie sich gegen die athenischen Kleruchien auf Lemnos, Imbros und Samos.34 Die Athener reagierten, indem sie eine Flotte gegen Byzanz aussandten. Bei Embata gegenüber von Chios kam es schließlich 356 zur entscheidenden Schlacht,35 in der die Athener unterlagen. Danach scheint es nicht mehr zu direkten Kampfhandlungen gekommen zu sein. Als schließlich Artaxerxes III. den Athenern drohte, ihre Feinde mit 300 Schiffen zu unterstützen, falls sie nicht Chares veranlaßten, die Unterstützung des aufständischen Satrapen Artabazos einzustellen, schlössen sie 355 Frieden mit ihren ehemaligen Bundesgenossen und erkannten deren Autonomie an.36 Demosthenes, die einzige zeitgenössische Quelle, nennt zwei Gründe, weshalb Rhodos und die anderen Abtrünnigen den Athenischen Seebund verlassen wollten. Zum einen hätten sie den Athenern vorgeworfen, ihre politische Existenz zu bedrohen.37 Diese Aussage wird durch den Kriegsverlauf bestätigt; die Angriffe der Bundesgenossen richteten sich zunächst gegen die verhaßten Kleruchien der Athener. Zum anderen hätten die Bundesgenossen den Athenern mißgönnt, daß sie „erhielten, was ihnen gehöre".38 Diese Anspielung könnte auf die zu leistenden Matrikularbeiträge zielen39 oder (weniger wahrscheinlich) auf die athenischen Ansprüche auf Amphipolis und die thrakische Chersones;40 in jedem Fall impliziert sie Unzufriedenheit mit Athen als Hegemonialmacht des Bundes. Der Bundesgenossenkrieg befreite die Rhodier von der athenischen Hegemonie und führte sie in die Abhängigkeit vom Reich der Achämeniden. Die Unterstützung, die der Großkönig und sein karischer Satrap Mausolos den Rhodiern im Kampf gegen Athen rung); Cargill, Second Athenian League, 178-186; Berthold, Rhodes, 30-31; Hornblower, Mausolus, 123-130; 209-212; Radicke, Rhodier, 20-23; Sealey, Demosthenes, 103-108; Debord, L'Asie mineure, 375-399.
Stellung von Kos vgl. die überzeugenden Ausführungen von Radicke, Rhodier, 183-187 (Kos Mitglied des Seebundes) gegen Sherwin-White, Cos, 41-43 („Cos was an ally of the revolted states but was not an Athenian ally in revolt").
32 Zur
33 Dem. 15.3; Diod. 16.7.3. 34 Die einzige zusammenhängende Erzählung bietet Diodor: 16.7.3-4; 21.1-22.3; vgl. auch Dem. 15.3; 20.79-83; Isokr. 7.8-10; 81; 8.16; 15.63; Nep. Chab. 4.1-3; Tim. 3.1^1; Plut. Phok. 6.2. 35 Den Schlachtort überliefert Polyain. 3.29.9. Diodor (16.21.3) gibt fälschlich an, die Schlacht sei am Hellespont geschlagen worden. 36 Quellen und Literatur (bis 1975) zum Friedensschluß bei Bengtson, StV II 313. 37 Dem. 15.3: f|xtáaavxo u,èv yàp f|u.aç (se. xoùç ÀOnvaiouç) emßouXeueiv aùxoîç Xîoi Kai BuÇavxiot Kai 'PóStoi, Kai Sià xaûxa crovecrxnaav xôv xeÀevjxaïov xouxovi jtóXeu.ov. 38 Dem. 15.15: xot) KOUÁaaaOai yàp xà ùu.éxep' ùu,îv (p6ovf|aavxeç xf)v èauxcôv éÀeuOepiav
àTioÀcuXéKacrtv.
39 So Debord, L'Asie mineure, 379. 40 So Radicke, Rhodier, 18 mit Anm. 42; 109.
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geliehen hatten, erwies sich binnem kurzem als Danaergeschenk. Wenige Jahre nach dem Ende des Krieges gegen Athen41 wurde die rhodische Demokratie auf im Einzelnen unbekannte Weise, aber wohl kaum ohne aktive Mitwirkung des Mausolos gestürzt. An ihre Stelle trat die Herrschaft einer kleinen Gruppe von Oligarchen,42 die nach dem Umsturz einen Teil ihrer eigenen Anhängerschaft vertrieben hatte und darum auf die Unterstützung durch Mausolos angewiesen war. Da diese Clique von der Mehrheit der Rhodier isoliert war, übte sie eine kaum verhüllte Gewaltherrschaft aus.43 Sie war deshalb durchaus interessiert daran, daß Mausolos sowohl die Stadt Rhodos als auch die alten Gemeinden Ialysos, Kameiros und Lindos mit Garnisonen belegte.44 Die enge Anlehnung an den Satrapen sicherte die Herrschaft der rhodischen Oligarchen über die entrechtete Mehrheit. An eine selbständige Außenpolitik konnten sie unter diesen Umständen kaum denken. Das mit Mausolos' Hilfe etablierte Regime hielt sich allem Anschein nach bis zum Alexanderzug an der Macht. Zwar baten aus Rhodos verbannte Demokraten 351/50 in Athen um Unterstützung, doch ihr von Demosthenes unterstütztes Gesuch fand kein Gehör.45 Wenn die von Vitruv überlieferte Geschichte, daß Mausolos' Nachfolgerin Artemisia (353/2-351/50) Rhodos einnahm, nachdem sie von den Rhodiern in ihrer Residenz Halikarnassos angegriffen worden war,46 einen historischen Kern besitzt, dürfte dem Hilfsgesuch in Athen ein Aufstand der rhodischen Demokraten auf der Insel 41 Zur Zeit der Rhodierrede, die 351/50 gehalten wurde (vgl. Radicke, Rhodier, 33-43), lag er noch nicht lange zurück (Dem. 15.19); andererseits soll Mausolos, der 352 (vgl. Hornblower, Mausolus, 34-51) gestorben war, seine Hände dabei im Spiel gehabt haben (Dem. 15.3; 27). Vielleicht zogen sich Planung und Ausführung über einen längeren Zeitraum hin (so Radicke, Rhodier, 120-121). Der Ansatz des Umsturzes auf 353 (Hornblower, Mausolus, 127; Debord, L'Asie mineure, 382) beruht auf der Demosthenes zugeschriebenen Rede TlEpi cruvTa^ECûç ( 13.8). Da es gute Gründe gibt, sie für eine Demosthenes-Imitation zu halten (vgl. etwa Sealey, Demosthenes, 235-237), kommt ihr indessen keine Beweiskraft zu. 42 Der Hergang ist nicht zu rekonstruieren. Wenn Arist. Pol. 5.2, 1302b21-33 sich auf diese Stasis und nicht auf diejenige des Jahres 391 bezieht (so Luraghi, Hermes 126, 1998, 117-123), wurden die Oligarchen mit einer Prozeßwelle überzogen, bevor sie zum Angriff auf das Volk übergingen. Für Arist. Pol. 5.5, 1304M9-31 ist ein Bezug auf die Stasis von 391 entschieden vorzuziehen, vgl. oben Anm. 17. 43 Dem. 15.14: 'Opcû yàp a-ÔTOÙç tô hèv TipäJrov, otkûç KaTaXuacûoi tôv 8f|u.ov, TtpoaXaßovTac Ttvàç tcûv rcoXiTCûv, ÈTtEtôrj 5è tout' Ëitpa^av, näXiv EKßaXovTac toutouç; Theopomp FGrHist 115 F 121 = Athen. 10.63, 444E^t45A; Polyain. 7.23.1. 44 Dem. 15.15: ßapßapotc Kai ôouÀotç, oûç Etç Tàç aKpojiôÀEtç napEïVTat, ÔouÀEUouai (se. oi 'PóSioi). Auf die Besetzung der alten Poleis neben derjenigen von Rhodos-Stadt deutet der Plural áKpo7tóA.Elc. Das Verbum 7tap£ÏVTat betont die Mitwirkung der Rhodier, d. h. der rhodischen Oligarchen, bei der Installation der Garnisonen (vgl. Radicke, Rhodier, 110-111). 45 Zu den Umständen vgl. Radicke, Rhodier, 33-55. R. Clavaud, Démosthène. Prologues. Texte établi et traduit, Paris 1974, 16-17 macht darauf aufmerksam, daß Dem. Prol. 23 [24] voraussetzt, daß die rhodischen Oligarchen eine Gegengesandtschaft schickten. Wenn es sich um das schriftlich fixierte Proömium einer improvisierten und deshalb verlorenen Rede handelt, befanden sich 351/0 also zwei rhodische Gesandtschaften in Athen. 46 Vitr. 2.8.14-15.
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gefolgt sein,47 der dann mit karischer Hilfe niedergeschlagen wurde.48 Indessen könnte sich auch um eine reine Legende handeln.49 Auch unter den Satrapen Idrieus (351/50-344/3),50 Ada (344/3-341/40) und Pixodaros (341/40-336/5),51 blieb Rhodos ein vom Großkönig und seinem Satrapen abhängiger Staat. Diese Abhängigkeit fand Ausdruck in der rhodischen Münzprägung: Nicht nur zeigt eine rhodische Tetradrachme auf der Rückseite im Abschnitt einen Satrapenkopf mit phrygischer Mütze.52 Die seit den späten vierziger Jahren geprägten Didrachmen der Rhodier folgen demselben Gewichtsstandard wie die Didrachmenprägung des Idrieus und des Pixodaros.53 Umgekehrt ehrte Artaxerxes III. das rhodische Volk durch eine wertvolle Schenkung.54 Persönliche Bande fesselten die führende Schicht der Insel noch enger an das Perserreich. Rhodische Condottieri bekleideten hohe Chargen im Dienst der Achämeniden. Der Rhodier Mentor55 führte das persische Heer zum Sieg über das aufständische Ägypten; als er gegen 340 starb, folgte ihm sein Bruder Mem-
es
im Kommando über die kleinasiatische Küste.56 In diesen Rahmen fügt sich die Unterstützung ein, die Rhodos im Sommer 34057 gemeinsam mit Chios, Kos und anderen griechischen Städten dem von Philipp II. be-
non
47 So etwa Momigliano, RFIC n. s. 14, 1936, 54-57 (= Quinto contributo, 517-521); Gehrke, Stasis, 139. Nach Gelder, Rhodier, 94; Beloch, Geschichte III2, 1, 486-487 ging der Aufstandsversuch voraus. Dann würde man erwarten, daß Demosthenes ein Wort davon sagt. 48 Debord, L'Asie mineure, 400; 407-408 kombiniert die Vitrav-Stelle mit Prolog 23 [24] des Corpus Demosthenicum, in welchem es heißt, die Athener seien mehr damit beschäftigt, die Folgen der Dreistigkeit und des Unglücks der rhodischen Oligarchen zu beheben, wenn diese für sich selbst Kriege führten, als mit ihren eigenen Angelegenheiten (§ 3). Seiner Ansicht nach spielt Demosthenes auf einen vorhergegangenen Angriff der rhodischen Oligarchen auf Artemisia an. Wenn dies zuträfe, hätte Demosthenes in der „Rhodierrede" (15.11-12) nicht argumentieren können, daß Artemisia sich einer athenischen Intervention nicht widersetzen würde, weil sie nicht wolle, daß der Großkönig Rhodos als eine Art Bastion gegen sie benutze. Die ganz allgemein gehaltene Angabe läßt sich nicht pressen. 49 So nach Fraser/Bean, Rhodian Peraea, 100 Anm. 1; Fraser, ABSA 67, 1972, 123 Anm. 68 ausführlich Berthold, CPh 73, 1978, 129-134; akzeptiert von Hornblower, Mausolus, 129 mit Anm. 188. 50 Auf ihn bezieht sich Dem. 5.25. 51 Ada war zu dieser Zeit schon von Pixodaros gestürzt: vgl. Hornblower, Mausolus, 45-46. 52 Eine Münze der Courtauld-Sammlung zeigt einen Satrapenkopf mit phrygischer Mütze unter der rhodischen Rose: G. Pollard, Catalogue of Greek Coins in the Collection of Sir Stephen Courtauld at the University College of Rhodesia, Salisbury 1968, 68 Nr. 101; Hornblower, Mausolus, Taf. 36 (a). Pollards Beschreibung der Kopfbedeckung als phrygischer Mütze wird von Ashton, Coinage of Rhodes, 83 nach Inspektion eines Abgusses gegen die Kritik von Colin M. Kraay (Notes on the Courtauld Collection of Greek Coins at the University of Zimbabwe, PACA 15, 1980, 59-61, hier: 61) verteidigt. 53 Ashton, Coinage of Rhodes, 84. 54 I. Lindos 2C, Z. 85-93: Der rhodische Staat gab die geschenkten Wertgegenstände im Gewicht von 1375 Goldstücken an das lindische Athana-Heiligtum weiter; als Gewährsmann wird u.a. Zenon
genannt. 55 Hofstetter, Prosopographie, 129-131 Nr. 220. 56 Berve, Alexanderreich II, 250-253 Nr. 497; Hofstetter, Prosopographie, 125-127 Nr. 215. 57 Ich gebe Philochoros FGrHist 328 F 54, der die Belagerung Perinths in das athenische Archontenjahr 340/39 setzt, den Vorzug vor Diod. 16.75.1-2, wo sie unter dem Jahr 341/40 erscheint.
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lagerten Byzanz sandte.58 Da Diodor überliefert, Artaxerxes III. habe die „Satrapen am zuvor angewiesen, die Stadt Perinthos gegen den makedonischen König zu unterstützen,59 ist davon auszugehen,60 daß die Rhodier ihrerseits einer Weisung des Pixodaros Folge leisteten. Wegen der traditionell guten Beziehungen zu Byzanz traf sie bei den rhodischen Oligarchen wohl kaum auf Widerstand, auch wenn ihnen dadurch eine Koalition mit den Athenern aufgezwungen wurde. Denn die Beziehungen zu Athen waren nach dem Ende des Bundesgenossenkrieges kühl geblieben.61 Als nach der athenischen Niederlage bei Chaironeia in Rhodos die Falschmeldung eintraf, Philipp habe Athen eingenommen und belagere den Piräus, brachten rhodische Trieren Getreidefrachter auf, die Kurs auf Athen hatten, und zwangen sie, ihre Ladung in Rhodos zu Meer" kurz
löschen.62 Diese Maßnahme traf die Athener wohl härter als Philipp.63 Angesichts der engen Bindung der rhodischen Oligarchen an Persien überrascht es kaum, daß die Insel sich Alexander erst spät anschloß.64 Der Übertritt vollzog sich im Sommer 332, als 10 rhodische Trieren vor Tyros erschienen, um an der Belagerang der Stadt mitzuwirken.65 Daß Alexander perserfreundliche Oligarchien durch alexanderfreundliche Demokratien ersetzte,66 muß den rhodischen Oligarchen mißfallen haben. Doch auch der Kriegsverlauf bis zur Schlacht von Issos konnte einen Seitenwechsel aus ihrer Sicht kaum empfehlen. Zwar war Alexander nach dem Sieg über ein Heer westkleinasiatischer Satrapen am Granikos im Sommer 334 die Westküste Kleinasiens entlang gezogen, hatte dabei u.a. Ephesos, Milet und die Stadt (nicht aber die Burg) Halikarnassos eingenommen und die 336 von Orontobates vertriebene Ada wieder in die Satrapie Karien eingesetzt.67 Da er jedoch der von dem Rhodier Memnon kommandierten persischen Flotte bewußt die Seeherrschaft einräumte, indem er seine ei-
58 Diod. 16.77.2; Frontin. Strat. 1.4.13b. Die rhodische Gesandtschaft des Hypereides (Plut. Mor. 850A) gehört m.E. eher in den Kontext des „Hellenischen Krieges", vgl. unten 67. 59 Diod. 16.75.1. 60 So mit Recht Sherwin-White, Cos, 76; Hornblower, Mausolus, 46. Anders z. B. Griffith bei Hammond/Griffith, Macedonia II, 579; Sealey, Demosthenes, 187-188. 61 Nach Theopomp FGrHist 115 F 164 galten die Rhodier während der Verhandlungen über den Philokrates-Frieden als Feinde Athens und Freunde Philipps. 62 Lykurg. 1.14; 18-19. Vermutlich wurde das Getreide auf Rhodos konsumiert; genau das geschah jedenfalls mit dem Getreide, das Konon 396 erbeutet hatte, als er vor Rhodos einen für die Spartaner bestimmten Getreidekonvoi aus Ägypten abfing: Diod. 14.79.7. 63 Allerdings zeigt ein athenisches Ehrendekret (SEG 30, 65), daß mehrere Rhodier sich in der lykurgischen Ära Verdienste um die Getreideversorgung Athens erwarben. Dies kann eine rein private Initiative gewesen sein. 64 Der Rhodier Ainetos, Sohn des Daemon, der mit Alexander nach Asien zog, hatte seine Vaterstadt schon vorher verlassen, um in Athen zu leben: ISE I 3, Z. 13-18. 65 Arr. Anab. 2.20.2. Bei dieser Gelegenheit dürften die Rhodier Alexander den von Helikon gefertigten Mantel zum Geschenk gemacht haben: Plut. Alex. 32.11. Curt. 4.5.9 (vgl. Iust. 11.11) berichtet dagegen von einer formellen Übergabe nach der Eroberung von Tyros. So lange konnten die Rhodier kaum warten. 66 Badián, Festschrift V. Ehrenberg, 37-53; Bosworth, Alexander, 250-256. 67 Arr. Anab. 1.23.7-8.
1. Vom
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in seinem Rücken eine völlig offene militärische Situation, als er nach der verlustreichen Belagerung von Halikarnassos im Herbst 334 weiter nach Osten zog. Im folgenden Jahr eroberte die von Kos69 aus operierende Flotte gene Flotte
auflöste,68 hinterließ
er
Großkönigs eine Reihe von Inseln, darunter Chios und Lesbos,70 zurück. Daß der Plan, die persische Flotte durch die Eroberung ihrer Basen zu neutralisieren, gelingen würde, zeichnete sich erst ab, als es Alexander im November 332 gelang, das vom Großkönig selbst kommandierte Reichsaufgebot bei Issos aus dem Feld zu schlagen. Danach löste sich die persische Flotte rasch auf, und die Rhodier suchten wie so viele andere beim König der Makedonen um Vergebung nach.71 In den folgenden Jahren vollzogen sich auf Rhodos tiefgreifende Veränderungen, die freilich in unseren Quellen nur schattenhaft zu erkennen sind. Die Oligarchie verschwand. Wann und auf welche Weise sie beseitigt wurde, ist nicht überliefert.72 Vielleicht konnten sich die Oligarchen einfach nicht mehr halten, sobald ihnen der Rückhalt an der persischen Flotte verlorenging. Da die Rhodier Alexander später ein ehrendes des
Andenken bewahrten, ist aber zu vermuten, daß die Garnison, die Alexander auf Rhodos stationierte, am Sturz der verhaßten Oligarchen beteiligt war. Ob die neue demokratische Ordnung im wesentlichen diejenige wiederherstellte, die vor dem oligarchischen Umsturz bestanden hatte oder sich erheblich von dieser unterschied, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.73 Giovanni Pugliese Carratelli glaubte nachweisen zu können, daß die alten Oberbehörden der rhodischen Poleis1* unter Alexander durch Mastroi ersetzt wurden. Peter Fraser zeigte, daß diese Annahme unhaltbar ist.75 Die
68 Arr. Anab. 1.20.1; Diod. 17.22.5-23.3. 69 Arr. Anab. 2.5.7; 13.4; 3.2.6-7; Diod. 17.27.5. Vgl. Sherwin-White, Cos, 77. 70 Diod. 17.29.1-4; Arr. Anab. 2.1.1-5. In Mytilene setzten die Perser den (sonst unbekannten) Rhodier Lykomedes als Phrourarchen ein: Arr. Anab. 2.1.5. 71 Vor Tyros stießen 10 rhodische Trieren zur Flotte Alexanders: Arr. Anab. 2.20.1-3; Curt. 4.3.11-12. Ashton, Coinage of Rhodes, 92 schlägt vor, eine kleine Emission (ein Vorderseitenstempel) von Goldstateren auf attischem Fuß mit der Entsendung dieser 10 Trieren zu verbinden. 72 Diod. 20.93.7. 73 Gegen Pugliese Carratelli, PP 4, 1949, 154-171; SCO 1, 1951, 77-88, der in der hellenistischen Verfassung von Rhodos ein Werk Alexanders sieht, vgl. Fraser, PP 7, 1952, 192-206, der meint, daß die rhodische Verfassung, wie wir sie aus der hellenistischen Zeit kennen, vor ca. 380 eingeführt wurde. 74 In Kameiros (T.Cam. 102) und in Lindos (LSS 85 = I.Peraia 251, Z. 23-27) gab es vor dem Synoikismos Prytanen. 75 Pugliese Carratelli (T.Cam., 235) hat dies später zumindest implizit selbst anerkannt: Da naoxpoi in Kameiros schon ca. 380 erscheinen (T.Cam. 105, Z. 6-7, wo die Ergänzung ëSo^e xoïç [nacrupoïç Kai| I Kauipeöm zwingend ist), ließen sich aus ihrem Fehlen in Syll.3 339 T.Cam. 109 selbst dann keine Schlüsse ziehen, wenn der Beschluß aus Kameiros tatsächlich früher wäre als der lindische Beschluß GIBM II 357 = IG XII 1, 761 = Syll.3 340. Obendrein spricht sich Fraser, PP 7, 1952, 194-195 nach Autopsie des Steines für eine Datierung ins 3. Jahrhundert aus. Die Umwandlung des lindischen Priestertumes des Poseidon Hippios in ein Jahresamt (vgl. Blinkenberg, Lindiaka VI, 1-41) atmet demokratischen Geist, kann aber auch kurz nach Alexanders Tod erfolgt sein: Fraser, PP 7, 1952, 198-199. Auch wenn sie noch zu seinen Lebzeiten erfolgte, spricht nichts für eine Einflußnahme Alexanders. =
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III. Vom
Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
Behörde der Mastroi wurde vor dem oligarchischen Umsturz geschaffen.76 Ob dasselbe auch für das Demensystem gilt, ist hingegen schon weniger klar.77 Die Vorstellung indessen, daß Alexander persönlich auf die Ausgestaltung der rhodischen Demokratie Einfluß genommen habe, ist unzureichend begründet.78 Gewiß soll der König in der Schlacht von Gaugamela einen Mantel getragen haben, den ihm die Rhodier geschenkt hatten;79 nach der Schlacht weihte er der lindischen Athana Stierschädel und Waffen.80 Dies alles blieb jedoch im Bereich unverbindlicher Gesten. Die Aussage Diodors, daß Alexander die Rhodier allen anderen Griechen vorgezogen und dort auch sein Testament deponiert habe, ist ebenso wie das in den Alexanderroman eingelegte Testament selbst ein Produkt rhodischer Propaganda.81 Der um 200 erstmals belegte Kult des rhodischen Staates für Alexander82 setzt zwar in der Tat voraus, daß die Stadt Wohltaten von ihm empfangen hatte. Die Mitwirkung königlicher Soldaten am Sturz der Oligarchen reicht indessen als Motiv für den Kult völlig aus. Die angeführten Indizien für ein freundliches Verhältnis des Königs zu Rhodos sprechen im übrigen wohl eher gegen eine direkte Intervention des Königs in die inneren Angelegenheiten der Rhodier. Zudem beziehen sie sich alle auf die Zeit, in der die Griechen noch einen relevanten Faktor im politischen Kalkül des Königs bildeten. Als Alexander in die Weiten Irans aufbrach, um den Tod Dareios' III. zu rächen, dürfte die Inselrepublik der Rhodier für ihn bedeutungslos geworden sein. Ohne Antwort bleibt die vieldiskutierte Frage, ob Rhodos Mitglied des Korinthischen Bundes wurde.83 Zwar zeigt das Beispiel Chios, daß zumindest eine griechische Insel diesem Bündnis tatsächlich beitrat.84 Doch da der Beitritt von Chios in die Anfangsphase des Feldzuges gehört, läßt sich der Fall auf Rhodos nicht übertragen; Alexanders Verhalten in Ägypten legt vielmehr die Annahme nahe, daß der Bund nach Issos
76 T.Cam. 105 mit Segre, RFIC n.s. 15, 1937, 173-176. 77 Terminus ante quem ist der durch prosopographische Indizien auf die 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts datierte (vgl. Fraser, PP 7, 1952, 194) Beschluß der Lindier Syll.3 340, in welchem Demotika erstmals nachweisbar sind. Der Ansicht von Pugliese Carratelli, daß die Demen in der Alexanderzeit eingeführt wurden, schließt sich Papachristodoulou, "PoStaKOi ofjuoi, 64-65; Rhodian Demes, 38-39 an. 78 Soweit mit Recht Fraser, PP 7, 1952, 199-204; Hauben, Historia 26, 1977, 311-315 gegen Gelder, Rhodier, 100; Pugliese Carratelli, PP 4, 1949, 156. 79 Plut. Alex. 32.11. 80 I. Lindos 2C, Z. 103-109. 81 Zuerst erkannt von Ausfeld, RhM 50, 1895, 357-366; RhM 56, 1901, 517-542; grundlegend Merkelbach, Alexanderroman2, 121-151. 82 Segre, BSAAlex 34, 1941, 29-39 (Priesterliste aus dem Gymnasion); die späteren Zeugnisse bei Habicht, Gottmenschentum2, 26-28. Fraser, PP 7, 1952, 202-204 nimmt an, daß der Kult eine Folge der Legendenbildung um Alexander war. Der Einrichtung von Kulten für Wohltäter pflegen indessen konkrete Verdienste vorauszugehen. 83 Die Entscheidung hängt wesentlich davon ab, ob man glaubt, daß Alexander generell darauf verzichtete, die kleinasiatischen Griechen in den Bund aufzunehmen. Dagegen argumentiert Badián, Festschrift V. Ehrenberg, 46-53; dafür Bosworth, Alexander, 250-256. Res adhuc in incerto est. Doxographie bis 1972 bei Seibert, Alexander, 85-90. 84 Syll.3 283 GHI II 192. =
1. Vom
65
Synoikismos zu Alexander
politischen Planungen des Königs keine Rolle mehr spielte.85 Die tatsächlichen Machtverhältnisse sind etwas deutlicher. Die Garnison ist ein unverkennbares Zeichen politischer Abhängigkeit, zumal von einer militärischen Bedrohung nach der Auflösung der persischen Flotte kaum noch die Rede sein konnte. Auch als Schutzmacht für die junge Demokratie gegen eine oligarchische Konterrevolution war sie auf die Dauer schwerlich zu rechtfertigen. Da die Oligarchie die Herrschaft einer kleinen Clique gewesen war, werden die Demokraten es sich wohl zugetraut haben, diejenigen Oligarchen, die den Sturz des alten Regimes überlebt hatten, selbst in Schach zu halten. Die Nachricht, daß eine rhodische Gesandtschaft bereits 331 Beschwerde über die Garnison führte und von Alexander einen positiven Bescheid erhielt,86 ist deshalb durchaus glaubwürdig.87 Da beim Tode des Königs noch immer makedonische Soldaten auf der Insel waren,88 hatten die Rhodier wohl kaum um den vollständigen Abzug der Garnison gebeten; dies wäre so kurz nach dem Seitenwechsel auch zu viel verlangt gewesen. Vielmehr dürften sie sich über das Verhalten der Garnison beschwert haben, die von Alexander daraufhin diszipliniert, vielleicht auch reduziert wurde. Zwei Episoden aus den späten Jahren Alexanders gewähren zwar keine eindeutigen Aufschlüsse über das rechtliche Verhältnis der Rhodier zum König und seinen Amtsträgern, lassen aber keinen Zweifel, daß sein Wunsch und Wille dort wie ein Befehl befolgt wurde. Derselbe Philoxenos, der von den Athenern brieflich die Auslieferung des Harpalos verlangte,89 ließ dessen Kassenführer auf Rhodos durch seine Beauftragten verhaften;90 daß die rhodischen Behörden dabei mitwirkten, ist möglich,91 aber keineswegs sicher: Die Ephesier etwa verweigerten Philoxenos die Auslieferung der Mörder des „Tyrannen" Hegesias.92 Um dieselbe Zeit waren zwei Rhodier, die Brüder Sparton und Demaratos,93 vermutlich aus politischen Gründen in Sardeis inhaftiert.94 Hier lag in den
85 So mit Recht Badián, Festschrift V. Ehrenberg, 53. Nach Arr. Anab. 3.2.7 ließ Alexander die chiischen „Tyrannen" 331 in Elephantine inhaftieren; ein Jahr zuvor hatte er ihren Fall noch an das Synhedrion des Bundes verwiesen: GHIII 192. 86 Curt. 4.8.12-13. 87 So nach Gelder, Rhodier, 99 wieder Hauben, Historia 26, 1977, 309-310, dem Berthold, Rhodes, 35 Anm. 55 folgt. Vergleichbar sind die Beschwerden von Soloi gegenüber Ptolemaios IV. (?): RC 30 = C.Ord.Ptol. 84. 88 Diod. 18.8.1. Die Argumente von Tam, Alexander II, 214—216 gegen die Glaubwürdigkeit dieser Nachricht sind inakzeptabel: vgl. Fraser, PP 7, 1952, 200-201. 89 Seine Identität und sein Amtsbereich sind umstritten. Berve, Alexanderreich II, 389-391 Nr. 793 + 391 Nr. 794; Leuze, Satrapieneinteilung 269-273; Bengtson, Philologus 92, 1937, 126-155 und Badián, Festschrift V. Ehrenberg, 56-60, die einen Satrapen Philoxenos von einem „Finanzdirektor" unterscheiden, sehen letzteren am Werke. Bosworth, Commentary I, 280-282; Alexander, 256-257 nimmt an, daß es sich um ein und dieselbe Person handelte, die über ihren eigentlichen Aufgabenbereich, die Satrapie Karien, hinausgriff. 90 Pausan. 2.33.4 unterscheidet Philoxenos' Vorgehen auf Rhodos klar von dem gegenüber Athen: xôv
Sé oi (se.
ApnóXtü) xwv xprmáxtüv ôioiKT|xf|v (puyóvxa èç 'PóSov OtÀoÇevoç MaKeSùv veAaßev, ôç Kai aûxôv rcapà AOnvaiwv é¡;rj.xT)aev "ApnaXov.
91 Dafür Gelder, Rhodier, 100; Tarn, Alexander II, 175. 92 Poly ain. 6.49. 93 Ob er mit dem Nauarchen von 319 (Arr. Succ. Fr. 1, 39) identisch
cn>-
ist, wie etwa Gelder, Rhodier, 102;
III. Vom
66
Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
zweifellos ein Eingriff in die Autonomie der Stadt vor, auch wenn nicht auszuschließen ist, daß die Inhaftierten von ihren eigenen Mitbürgern angezeigt worden waren.
2. Rhodos und 2.1 Der 1.
Antigonos Monophthalmos
Diadochenkrieg
Diodor berichtet, die Rhodier hätten nach dem Tode Alexanders „die makedonische Garnison vertrieben und ihre Polis befreit".1 Diese lapidare Aussage ist alles, was uns über das Verhalten der Rhodier in jener Zeit überliefert ist, als im Mutterland eine Koalition griechischer Staaten versuchte, die makedonische Herrschaft abzuschütteln.2 Die Forschung hat aus diesem Schweigen mit Recht gefolgert, daß Rhodos dem von Athen geführten „Hellenenbund" ebenso wie Sparta fernblieb. Da die Überlieferung über den „Hellenischen Krieg" relativ dicht ist, hat das argumentum e silentio in diesem Fall großes Gewicht.3 Um die Abstinenz der Rhodier zu erklären, braucht man nicht auf eine vermeintliche Handelskonkurrenz zwischen Athen und Rhodos zu rekurrieren.4 Es wäre erstaunlich, wenn die Rhodier nach den negativen Erfahrungen mit zwei von Athen geführten Seebünden noch einmal bereit gewesen wären, sich athenischer Führung zu unterstellen. Im „Hellenenbund" von 322 war Athen zwar formal lediglich gleichberechtigtes Mitglied des Bundesrates, stellte aber den Bundesstrategen und führte den Seekrieg ganz unabhängig vom Bundesrat.5 Bezeichnenderweise fehlen die Seestädte unter den Verbündeten Athens im „Hellenischen Krieg" völlig. Berve, Alexanderreich II, 133 Nr. 254; Hauben, Historia 26, 1977, 318 annehmen, ist unsicher. Der Name ist (in der Form Damaratos) auf Rhodos häufig: LGPN I Nr. 3-16. 94 Die Historizität der von Plutarch (Phok. 18.4-5) und Ailian (var. 1.25) erzählten Anekdote ist nicht unbestritten, doch berührt dieser Streit nicht die von ihr vorausgesetzte Tatsache, daß die genannten Personen sich im Gewahrsam Alexanders befanden. Da Polyainos (6.49) berichtet, daß Philoxenos ÄXe^avopoti ßaoiXECuc UTtapxoç Icoviaç die Mörder des ephesischen „Tyrannen" Hegesias in Sardeis inhaftierte, liegt es nahe, die Verhaftung von Sparton und Demaratos derselben Person zuzu1
schreiben. Diod. 18.8.1: Katà 6è xr\v Eùpomr\v 'Poôtot p.èv EKßaXovcec xf\v MaKE8oviKf)v (ppoupàv f|Xet)0ép(ûcTav Tnv nóXw, AOnvaîot Se Jtpôç AvTÍTtaTpov noÀeuov é^f|veyKav tôv ovouttcrOévxa
2
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AaniaKÓv.
Zum sog. „Lamischen Krieg" vgl. etwa Beloch, Geschichte IV2, 1, 68-78; Engels, Hypereides2, 327-400; Schmitt, Der Lamische Krieg, passim. Der wohl von Hieronymos von Kardia geprägte Begriff (vgl. Ashton, JHS 104, 1984, 152-157; Lehmann, ZPE 73, 1988, 143-144) spiegelt eine makedonische Perspektive wider. Die Athener selbst sprachen von einem „Hellenischen Krieg". Listen der Mitglieder des anti-makedonischen Bündnisses bieten Diod. 18.10.5-11.2; Pausan. 1.25.3-5; lust. 13.5.1; 6.10; andere Zeugnisse bei Schmitt, StV III 413. So aber Gelder, Rhodier, 101; Hauben, Historia 26, 1977, 317 Anm. 54; Berthold, Rhodes, 60; Schmitt, Der Lamische Krieg, 108. Zur Verfassung des Hellenenbundes vgl. etwa Engels, Hypereides2, 361-366; Schmitt, Der Lamische Krieg, 110-115.
2. Rhodos und
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Antigonos Monophthalmos
Immerhin kann man sich fragen, ob es damals zu diplomatischen Kontakten zwischen beiden Städten gekommen ist. Die Nachricht in der Schrift „Über die zehn Redner", daß Hypereides als Gesandter auf Rhodos gewesen sei,6 wird von vielen auf diese Situation bezogen.7 Andere bringen sie mit der Vorbereitung von Demosthenes' „Hellenenbund" in Verbindung.8 Für die erstgenannte Auffassung spricht, daß im folgenden Satz von einem Wortgefecht zwischen Hypereides und Gesandten des Antipatros die Rede ist, das 323, nicht aber 341 möglich ist.9 Wir dürfen also wohl davon ausgehen, daß die Rhodier nach dem Tode Alexanders von beiden Seiten umworben wurden. Antiparras war demnach bereit, die Vertreibung der Garnison zu verzeihen, um die Unterstützung oder zumindest die Neutralität der Rhodier zu gewinnen. Ein vor kurzem entdecktes, karisch-griechisches Proxeniedekret aus Kaunos10 für zwei Athener, das aus der Zeit von etwa 360-280 stammt,11 hat den Interpretationshorizont noch ein wenig erweitert. Denn eine Möglichkeit, es historisch einzuordnen, besteht zweifellos darin, die Ehrung der beiden Athener mit dem „Hellenischen Krieg" zu verbinden. Kaunos könnte damals von einer athenischen Gesandtschaft besucht worden sein, die Basen für den zu erwartenden Seekrieg gegen die Makedonen zu gewinnen suchte.12 Freilich gibt es andere, kaum weniger attraktive Möglichkeiten die Hekatomnidenzeit kommt ebenso in Frage wie die Diadochenzeit.13 Peter Funke sieht einen Zusammenhang mit in die Zeit vor Chaironeia fallenden Bestrebungen Athens, eine Annäherung an die ägäisch-kleinasiatische Staatenwelt herbeizuführen.14 Auch an die Expedition des Antigonos, der 321 mit 10 athenischen Schiffen in Ephesos ankam und von dort nach Zypern fuhr,15 oder ein athenisches Flottenunternehmen im Jahr 315 oder 31416 kann man denken.17 Eine Entscheidung scheint derzeit nicht möglich.18 -
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[Plut.] Mor. 850A: ercpeaßeuae 5è Kai Jtpôç 'PoSiauç. f|KÓvxcov Sé Kai nap' Avxtrcaxpou npéaßetov, éTiatvoúvxcüv xôv Avxútaxpov cbç xpr|°"xóv, cmavxf|o"aç aûxoîç eïnev, „oï8au,ev öxi Xpnaxôç vmápxei, àkk' n,|xeïç Y' où SeóueOa xpnaxoO Searcoxou".
So etwa Gelder, Rhodier, 101; Hiller, RE Rhodos, 778; Frei/Marek, Kadmos 36, 1997, 69-70. So nach A. Schäfer, Demosthenes und seine Zeit, Bd. II, Leipzig 18872, 484 Anm. 1 wieder Engels, Hypereides2, 87 mit Anm. 150; Funke, Kadmos 37, 1998, 225. Unentschieden Hauben, Historia 26, 1977, 317 Anm. 54; Berthold, Rhodes, 32 Anm. 45; 59 Anm. 2. Trennt man die Gesandtschaft an die Rhodier von dem Wortwechsel mit den Gesandten des Antipatros, so bleibt der Satz ohne Kontext. Den Text der beiden 1996 gefundenen Fragmente publizieren mit ausführlichem Kommentar Frei/ Marek, Kadmos 36, 1997, 1-89. Ein drittes, im Jahr darauf gefundenes Bruchstück wird von Frei/ Marek, Kadmos 37, 1998, 1-18 nachgetragen. Das Ganze auch als SEG 47, 1568. Einer der beiden Geehrten, Nikokles, Sohn des Lysikles, ist aus athenischen Inschriften recht gut bekannt: Frei/Marek, Kadmos 36, 1997, 61-66. So Frei/Marek, Kadmos 36, 1997, 68-72. Beide Möglichkeiten ziehen auch Frei/Marek, Kadmos 36, 1997, 72-76 in Erwägung. Funke, Kadmos 37, 1998, 224-228. Arr. Succ. Fr. 25, 1; Fr. 9, 30. Bezeugt im Ehrendekret für Phaidros von Sphettos: Syll.3 409, Z. 14-18. So Descat, REA 100, 1998, 187-190. Frei/Marek, Kadmos 36, 1997, 71 legen großes Gewicht auf die fehlende Nennung des Satrapen im
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III. Vom
Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
Etwas mehr Licht läßt sich in eine Episode der rhodischen Geschichte bringen, die in die Zeit unmittelbar nach der Wiederherstellung der makedonischen Herrschaft im griechischen Mutterland fällt. Photios' Auszug aus Arrians verlorener Schrift „Über die Ereignisse nach Alexander" bewahrt den traurigen Rest eines ausführlichen Berichtes über einen gescheiterten Angriff auf die Rhodier. Es heißt dort, daß Attalos, „einer der Rädelsführer bei der Revolte gegen Antipatros", nach dem Todesurteil, das die in Triparadeisos versammelten Makedonen über ihn gesprochen hatten, gemeinsam mit anderen geflüchtet sei. Er habe ein Heer von 10.000 Fußsoldaten und 800 Reitern aufgestellt und versucht, Kaunos, Knidos und die Rhodier anzugreifen, sei jedoch von den Rhodiern unter Führung ihres Nauarchen Damaratos zurückgeschlagen worden.19 Die historische Einordnung dieser Angaben ist schwierig, aber nicht ganz hoffnungslos. Attalos, der mit Perdikkas' Schwester Atalante verheiratet war,20 hatte beim gescheiterten Angriff auf Ägypten das Kommando über die Flotte geführt; als ihn die Nachricht von der Ermordung seines Schwagers erreichte, befand er sich bei Pelousion.21 Von dort fuhr er mit der Flotte nach Tyros, wo ihn der Burgkommandant freundlich aufnahm und ihm den Schatz von 800 Talenten aushändigte. Attalos hielt sich eine Zeitlang in Tyros auf, das zum Sammelpunkt für die aus dem Heerlager bei Memphis geflohenen Anhänger des Perdikkas wurde.22 Hier dürfte der Ort gewesen sein, wo Attalos sein Heer aufstellte. In Triparadeisos soll Attalos dann einer der Rädelsführer gegen Antipatros gewesen sein.23 Wie das zuging, ist schwer zu sagen: Vielleicht hoffte er, sich den Mördern des Perdikkas andienen oder die Königin Eurydike für sich gewinnen zu können. Andernfalls bleibt nur die Möglichkeit, gegen die ausdrückliche Angabe des Photios eine Verwechslung mit einem Homonymen anzunehmen.24 Nach der Schlappe gegen die Rhodier schloß Attalos sich Alketas25 an; gemeinsam schlugen sie Asandros, den Satrapen Kariens.26 Im Jahr darauf verschwanden sie von der poli-
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Präskript. Sie könnte sich indessen dadurch erklären, daß Kaunos seit Alexander nicht mehr zur Satrapie gehörte: Descat, REA 100, 1998, 190. Arr. Succ. Fr. 1, 39: ô 8è ôÉKaxoç StaXanßavEt cbç Eu|xévr|ç xà nepi nepSÍKKav uxxOwv Kai öxt tioXéuAoç é\)/r|(pío-0r| MaKeôorjiv, ércî nóXtuov 7tapeo-K£uaÇexo. Kai ùç AÀKÉxaç ô nepôÎKKOu aôeXcpôç 5tà xaûxa lipuye. Kai "AxxaXoç ô xfjç Kaxà AvxtJtáxpou crxaaetùç oùôevôç (pépwv xà Seúxepa Kai aûxôç (pvjywv crüvÉu.t^E xotç aXXoiç, (puyácn. Kai cruvfixOri AxxaXcp crxpaxoç, neÇoi u,èv núpioi, inneïc, ôè ÓKxaKÓotoi. Kai (bç "AxxaXoç Kai oi rxùv auxQ éTtiOéoOat Kviöcn Kai Kaúvcp Kai 'PoSiotç ÊrciXEtpfiaavxeç ùnô 'Poôicov Kapxepœç áneKpoúaGrioav, Anuapáxovj vauapxoûvxoç aûxoîç. Heckel, Marshals, 180-183; 381-384: „Appendix V. The Marriage of Perdiccas and Atalante".
Diod. 18.37.3. Diod. 18.37.3-4. Arr. Succ. Fr. 1, 33; vgl. 39. So Berve, Alexanderreich II, 95 Nr. 184. Bosworth, Plutarch's Eumenes, 11 meint, Attalos habe in Triparadeisos nur brieflich interveniert. Das paßt schlecht zu den Angaben des Photios. 25 Über ihn vgl. Heckel, Marshals, 171-175. 26 Arr. Succ. Fr. 1,41.
2. Rhodos und
Antigonos Monophthalmos
69
tischen Bühne, nachdem sie von Antigonos bei Kretopolis27 in Pisidien besiegt worden waren.28 Die zeitliche Fixierung dieser Ereignisse hängt am Datum der Ermordung des Perdikkas. Nachdem man sie lange allgemein auf 321 datiert hatte,29 setzte sich für eine Zeitlang die Datierung auf 320 durch.30 Nun hat vor kurzem Brian Bosworth mit guten Argumenten dafür plädiert, zur traditionellen Datierung zurückzukehren.31 Demnach gehört die Ermordung des Perdikkas in den Sommer 32132 und die „Konferenz von Triparadeisos" in den Herbst desselben Jahres. Die Überfahrt von Attalos und seiner Flotte an die kleinasiatische Südküste fand dann wohl eher im Frühjahr 320 als im Herbst 321 statt.33 Photios nennt als Ziel seines Angriffes „Kaunos, Knidos und die Rhodier". Dies könnte darauf hindeuten, daß diese drei Städte damals miteinander verbündet waren. So würde sich jedenfalls erklären, wieso er sich gleich alle drei Städte vornahm. Eher unwahrscheinlich ist dagegen die Annahme, daß Attalos vor allem die rhodische Peraia bedrohte.34 Soweit wir sehen, beschränkte sich der rhodische Festlandsbesitz in dieser Zeit auf einige wenige Ortschaften auf der karischen Chersones;35 Poleis wie Kallipolis36, Kedreai37 und Pisye38 blockierten noch lange den Weg ins innere Karien; selbst Loryma scheint erst im 3. Jahrhundert rhodisch geworden zu sein.39 Die Tatsache, daß
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Zur Lokalisierung vgl. Mitchell, AnSt 44, 1994, 129-136. Diod. 18.44-45; 50.1. Beloch, Geschichte IV2, 2, 235-241. Errington, JHS 90, 1970, 75-77; Hermes 105, 1977, 478-504. Bosworth, Plutarch's Eumenes, 71-78; Chiron 22, 1992, 55-81. Die sog. babylonische Diadochenchronik registriert im Monat Aiara (Mai/Juni) eine Schlacht zwischen dem König und dem Satrapen von Ägypten: Grayson, Chronicles, 115 Nr. 10, Obv. Z. 4. So Bosworth, Plutarch's Eumenes, 11. Dagegen datieren Hauben, Historia 26, 1977, 317; Berthold, Rhodes, 60 auf die zweite Hälfte des Jahres 321. So Frei/Marek, Kadmos 36, 1997, 71. Nachweisbar ist die Zugehörigkeit zu Rhodos zu dieser Zeit allein für Physkos und Arnos. Für Physkos wird das Zeugnis der fingierten Aischines-Briefe (9.1; 12.11) durch die große, nach Demen gegliederte lindische Subskription bestätigt, die durch prosopographische Indizien fest auf ca. 325 datiert ist, da sie am Ende (I. Lindos 51, cil, Z. 17-64) cnv.
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III. Vom
Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
Nicht alle Probleme, die diese sechs Nachrichten aufgeben, lassen sich einer zufriedenstellenden Lösung zuführen. Dafür hat Diodor seine Vorlage Hieronymos zu stark verkürzt. Fest steht indessen zweierlei: Rhodos unterstützte Antigonos seit Beginn des 3. Diadochenkrieges, indem es ihm seine militärische Infrastruktur, insbesondere Werften und Schiffbauer, zur Verfügung stellte. Dieses „Rüstungsgeschäft" setzt eine enge Zusammenarbeit mit antigonidischen Offizieren und Soldaten zwingend voraus, weil nicht allein die Einfuhr des Bauholzes und der Bau der Schiffe selbst, sondern auch die Ausrüstung, Bemannung und Überführung der Schiffe organisiert und überwacht werden mußte. Der Bericht über die Flotte des Theodotos vermittelt einen Eindruck davon, in welchem Umfang antigonidische Truppen an diesen Vorgängen beteiligt waren. Der Bau einer Flotte, die von Antigonos gegen Ptolemaios eingesetzt werden sollte, ist deshalb als eine klare Parteinahme zu bewerten. Dies wird ganz deutlich, wenn man das Verhalten der Koer vergleicht: Sie nahmen zu der Zeit, als die Rhodier für Antigonos Schiffe bauten, die Flotte von Ptolemaios' Admiral Seleukos bei sich auf.75 Schon allein aus diesem Grund ist die Vermutung abzulehnen, daß die Rhodier 315 einen Freundschaftsvertrag mit Ptolemaios geschlossen hätten.76 Rhodos stand von Beginn des 3. Diadochenkrieges an auf Seiten des Antigonos. Vernünftigem Zweifel entzogen ist weiterhin, daß Rhodos im Sommer 312 einen Bündnisvertrag mit Antigonos abschloß und ihm 10 Schiffe zur Verfügung stellte, die an der von seinem Neffen Polemaios geleiteten Griechenlandexpedition teilnahmen. Von rhodischer Neutralität kann deshalb im 3. Diadochenkrieg keine Rede sein. Mit dem Abschluß des Bündnisvertrages hatten die Rhodier vielmehr jedweden Anspruch, als neutral zu gelten, aufgegeben. Nicht abschließend zu klären ist hingegen, ob die Rhodier auch zuvor schon mit eigenen Schiffen in die Kämpfe eingriffen. Die vagen Angaben Diodors lassen keine eindeutige Entscheidung zu, auch wenn Indizien darauf hindeuten, daß sich rhodische Schiffe an der Blockade von Tyros beteiligten. Gegen diese Möglichkeit ist geltend gemacht worden, daß die Rhodier sich erst im Sommer 312 zum Abschluß eines Bündnisvertrages mit Antigonos entschlossen hätten.77 Es ist jedoch gut möglich, daß dem Abschluß des Bündnisvertrages eine Phase rechtlich ungeregelter militärischer Kooperation vorausging, wie dies später im Verhältnis von Rhodos zu Rom der Fall war. Wie auch immer es sich damit verhalten mag, in jedem Fall bedeutet der Abschluß eines förmlichen Bündnisses, daß die Bindung der Rhodier an Antigonos von nun an vertraglich fixiert war. Man hat behauptet, die Rhodier seien dazu nur wider Willen und unter der Bedingung bereit gewesen, daß sie allein zur Befreiung der Griechen kämpfen wollten.78 Diese Einschätzung wird den Umständen jedoch kaum gerecht. Denn für die Freiheit der Griechen behauptete Ptolemaios79 ebenso zu kämpfen wie Antigonos. Aus75 76 77 78 79
Diod. 20.27.3. Vgl. dazu unten 80.
Buraselis, Makedonien, 41-42 Anm. 14a. Schmitt, StV III, 39; Berthold, Rhodes, 65. Diod. 20.19.3.
2. Rhodos und
77
Antigonos Monophthalmos
schlaggebend dürfte vielmehr gewesen sein, daß sich die militärische Lage im Laufe des Jahres 313 stark zugunsten des Antigonos verändert hatte. Schon vor der Ankunft des Dioskourides hatten sich eine Reihe von ägäischen Inseln, darunter Delos,80 Antigonos angeschlossen; die große Flottenexpedition im Herbst desselben Jahres legte den Grundstein für den von Antigonos geführten Nesiotenbund.81 Zugleich war der Versuch der Alliierten, in Karien eine Stellung gegen Antigonos aufzubauen, kläglich gescheitert.82 Nach der Niederlage des abtrünnigen Asandros im Herbst des Jahres war Antigonos wieder unbestrittener Herr über Karien und damit über das unmittelbare Hinterland der rhodischen Peraia. Als die Rhodier sich vertraglich an Antigonos banden, sah dieser wie der sichere Sieger aus von einer Politik der Balance kann hier keine Rede sein. Schwerer zu verstehen ist, weshalb sich die Rhodier schon zu Beginn des Krieges, wenn schon nicht de jure, so doch de facto auf die Seite des Antigonos schlugen, zu einer Zeit also, als der Ausgang noch völlig ungewiß war. Ökonomische Verbindungen zwischen Rhodos einerseits und Syrien und Phönizien andererseits erklären hier schon deswegen wenig, weil ihnen Bindungen an das ptolemäische Ägypten gegenüberstanden.83 Kaum abzuschätzen ist, in welcher Weise die rhodische Bürgerschaft Nutzen aus der Vereinbarung zog. Wir wissen nicht, ob der Bau der Kriegsschiffe für Antigonos in privater oder öffentlicher Trägerschaft erfolgte, und auch von materiellen Gegenleistungen für den rhodischen Staat schweigt die Überlieferung. Immerhin ist anzunehmen, daß die Rhodier auf das von Antigonos eingeführte Bauholz Zölle erhoben.84 Auch die Annahme, daß der rhodische Staat durch die Überschwemmung von 31685 so geschwächt gewesen sei, daß er sich Antigonos nicht zu widersetzen gewagt habe,86 leuchtet nicht ein:87 Die Zahl der Opfer war verhältnismäßig gering; die Stadtmauer wurde nur an einer einzigen Stelle beschädigt, die Flotte gar nicht in Mitleidenschaft gezogen. Vielleicht gab den Ausschlag, daß Antigonos sogleich handelte, während die Alliierten nach dem Ultimatum passiv blieben. Da Karien unter seinem Satrapen Asandros schon seit 321 loyal zu Antigonos stand, war seine Macht nahe, die der Alliierten hingegen fern.88 Man war bis dahin mit Asandros und Antigonos ausgekommen: Weshalb sollte man jetzt auf die Gegenseite wechseln? -
80 Buraselis, Makedonien, 41 (unter
Tréheux). 81 82 83 84 85 86 87 88
Berufung
auf eine unveröffentlichte
Buraselis, Makedonien, 63-87. Diod. 19.68.2-7; 75.1-6. Anders Berthold, Rhodes, 64. Berthold, Rhodes, 64 mißt diesem Faktor große Diod. 19.45. So Hauben, Historia 26, 1977, 335. So mit Recht Berthold, Rhodes, 64 Anm. 11. Ähnlich Hauben, Historia 26, 1977, 327-328.
Bedeutung bei.
Untersuchung
von
Jacques
78
2.3 Der Konflikt mit
III. Vom
Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
Antigonos Monophthalmos
Aus der hieronymianischen Tradition ergibt sich mit großer Deutlichkeit, daß die Rhodier sich im 3. Diadochenkrieg eng an Antigonos angeschlossen hatten. Im Frühjahr 306 hingegen verweigerten sie Antigonos die erbetene Waffenhilfe gegen Ptolemaios. Im Jahr darauf begann Demetrios, Rhodos zu belagern. Wie kam es zu diesem Um-
schwung?
Die moderne Forschung folgt mit geringfügigen Modifikationen der Version Zedie von einer schon vor der Belagerung bestehenden engen Bindung der Rhodier an Ptolemaios ausgeht.89 Demnach wurde der Konflikt der Rhodier unvermeidlich, als Antigonos sich direkt gegen Ptolemaios wandte, weil Rhodos und Ägypten in einem Verhältnis der ökonomischen Symbiose zueinander gestanden hätten. Eine rationale Kalkulation ihrer ökonomischen Interessen habe die Rhodier zu dem Entschluß geführt, den offenen Konflikt mit Antigonos zu riskieren. Dieses Bild ist aus einer Reihe von Gründen revisionsbedürftig. Daß es die apologetische Darstellung eines rhodischen Historikers reproduziert, wäre für sich genommen vielleicht noch nicht ausschlaggebend. Entscheidend sind die beiden folgenden Einwände. Zum einen ist eine politische Kooperation der Rhodier mit Ptolemaios vor der Belagerung nicht belegt und auch nicht wahrscheinlich. Denn bis zum Diadochenfrieden von 311 standen die Rhodier nachweislich auf der Gegenseite. Man kann allenfalls vermuten, daß die Rhodier mit Ptolemaios Kontakt aufnahmen, als dieser im Winter 309 auf der benachbarten Insel Kos residierte.90 Von der hypothetischen Aufnahme freundlicher Beziehungen bis zu politischer Kooperation ist es jedoch ein weiter Weg.91 Ptolemaios selbst begab sich im Frühjahr 308 auf seine glücklose Griechenlandexpedition;92 mit Ausnahme von lasos93 scheinen die meisten karischen Eroberungen des Jahres 309 rasch wieder verlorengegangen zu sein.94
nons,
89 Auch Plut. Demetr. 21.1 (énoÀÉu.r|0"E 5è "PoSiotç rixoXeu.aíoi> cru|j.uáxoic otioi) erweckt diesen Eindruck. Das dürfte auf das Konto des kaiserzeitlichen Biographen zu setzen sein. 90 Diod. 20.27.3; I.lasos 2. 91 Allerdings befanden sich 305/4 etwa 500 Rhodier als Söldner in Ägypten (Diod. 20.88.9). Wie und wann sie angeworben wurden, ist indessen unbekannt. Der Dienst als Söldner hatte in Rhodos eine lange Tradition: Launey, Armées hellénistiques I, 240-246, wo der lindische Volksbeschluß (Accame, Clara Rhodos 9, 1938, 211-212 = LSS 85) über eine Abgabe, die Bürgersoldaten und Söldner im 5. Jahrhundert von ihrem Sold an den Kriegsgott Enyalios zu entrichten hatten, zu ergänzen ist. 92 Diod. 20.37.1-2. 93 Die unterhalb des Vertrages zwischen Ptolemaios, Eupolemos und den lästern (I. lasos 2) aufgezeichneten Briefe der ptolemäischen Funktionäre Aristoboulos und Asklepiodotos deuten auf ein kontinuierliches Bestehen ptolemäischer Herrschaft über lasos hin: I. lasos 2-3. 94 Demetrios fuhr 306 von Athen nach Karien, ohne auf Widerstand zu treffen (Diod. 20.46.6); im Bericht über die Belagerung von Rhodos ist von ptolemäischen Besitzungen ebenfalls nicht die Rede. Eine unpublizierte Inschrift aus Kaunos ist auf das fünfzehnte Jahr eines Antigonos datiert. Wenn Antigonos Monophthalmos seine Regierungjahre generell vom Tod Philipps III. an rechnete, wie dies
2. Rhodos und
Antigonos Monophthalmos
79
Der zweite Einwand zielt auf den unterstellten Zusammenhang von Ökonomie und Politik. Behauptet wird, daß der rhodische Staat vom Handel mit Ägypten derart abhängig gewesen sei, daß die Rhodier einen militärischen Konflikt mit Ptolemaios unter allen Umständen zu vermeiden trachten mußten. Diese Vorstellung ist indessen sowohl empirisch als auch theoretisch fragwürdig. Zum einen trifft es nicht zu, daß die Handelsbeziehungen der Rhodier einseitig auf Ägypten ausgerichtet gewesen seien. Polyainos bewahrt die Information, daß sich zum Zeitpunkt der Belagerung rhodische Händler und Seeleute in den Häfen Syriens, Phöniziens, Kilikiens und Pamphyliens befanden.95 Ein Zenon-Papyrus zeigt ökonomische Kontakte zwischen Phönizien und Rhodos auf.96 Für den späteren Hellenismus belegen Inschriften unter den auf Rhodos ansässigen Fremden eine weitaus größere Anzahl von Syrern, Phöniziern und Kleinasiaten als von Alexandrinern.97 Ebensowenig war Ägypten der einzige wichtige Getreideexporteur des Ostmittelmeerraumes: Der erste Brief des Antigonos über den Synoikismos von Teos und Lebedos beweist, daß der Diadoche gerade in diesen Jahren ein großes Interesse zeigte, das auf königlichem Land in Kleinasien angebaute Getreide an griechische Städte zu verkaufen.98 Wir wissen auch, daß Athen 306 von Antigonos 150.000 Medimnen Getreide und Schiffbauholz für 100 Trieren erhielt;99 eine weitere Lieferung „aus Asien" folgte während der Belagerung von Rhodos (305/4).10° Daß die Rhodier keineswegs allein von ägyptischem Getreide lebten, zeigt schließlich auch der auf Rhodos gefälschte Brief Alexanders an die Rhodier: Dort kommt die Hälfte des rhodischen Getreideimportes aus Kleinasien.101 Die ökonomische Interessenlage war also keineswegs so eindeutig, wie die moderne Forschung zumeist unterstellt. Der Krieg zwischen Antigonos und Ptolemaios brachte den Rhodiern Einbußen, gleichgültig, für welche Seite sie sich entschieden. Noch wichtiger aber ist, daß der Handel zwischen Rhodos und Ägypten vom Krieg zwischen Antigonos und Ptolemaios zwar kurzfristig gestört, aber nicht dauerhaft geschädigt werden konnte. Gewiß brachte ein Krieg dieser Größenordnung eingespielte Handelsverbindungen durcheinander. Freilich eröffnete er dafür auch neue Erwerbs-
95 96 97 98
in babylonischen Urkunden der Fall ist (vgl. Grzybek, Ancient Macedonia V, 521-527), würde dies auf 303/2 führen. Damit wäre die makedonische Herrschaft über Kaunos in unmittelbarer Nähe zur Belagerung von Rhodos anzusiedeln. Christian Marek zieht indessen eine Datierung auf das fünfzehnte Jahr des Antigonos Gonatas (268/7) vor. Polyain. 4.6.16. P. Ryl. IV 554 mit Rostovtzeff, Klio 30, 1937, 72-76. Morelli, SCO 5, 1956, 126-190, bes. 135-136; Sacco, RAL8 35, 1980, 517-528. RC 3, Z. 80-85: fiu.eïç 8è rcpóxepov |ièv oú[k eßot>Xou.e8a u,n,5eu.iâi nó]\kei SíSoaOai xà otctiytícna u,r|5è aíxou viveaöai 7tapá8e[cnv, où OéXovxeç xàç] | [7t]oXeiç eiç xaOxa ávaXíaKeiv
Xpf|u,axa cruxvà oûk ávayKata [övxa, eßovjA.ou.e6a 5è] | [o]û8è vOu. noietv xofixo, rcXr|críov oûcrriç xfjç (popoXcryot)u,é[vT|ç x^paç waxe èàv xpeia] f4 [ylivnxai cKxou, euxepcôç oióu,e0a elvat u.exa7iéu.7tea6ai ék [xauxnç cmóojo]v äv xiç ßoi3A.r|xat k.x.à.
99 Diod. 20.46.4; Plut. Demetr. 10.1; IG II2 1492B, Z. 97-99; 119-121. 100 Meritt, Hesperia 5, 1936, 201-205. 101 [Kallisth.] Hist. Alex. 3.33.8 Kroll; Epit. Mett. 108 mit Merkelbach, Alexanderroman2, 237.
80
III. Vom
Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers
quellen und Absatzmärkte. Die Heere und Flotten mußten versorgt, die Beute verkauft
werden. Vor allem aber hätten die Rhodier, wenn es ihnen allein um ökonomische Interessen gegangen wäre, dem letztendlichen Ausgang des Krieges zwischen Antigonos und Ptolemaios durchaus gelassen entgegensehen können. Für den Fall, daß Antigonos siegte, war die Schaffung eines ostmediterranen Großreiches zu erwarten, das dem Überseehandel optimale Bedingungen bieten würde. Man wäre zu politischen Verhältnissen zurückgekehrt, wie sie in der späten Perserzeit und unter Alexander bestanden hatten. Für den Fall aber, daß Ptolemaios siegte, konnten die Rhodier getrost davon ausgehen, daß der Handel zwischen Rhodos und Ägypten so weitergehen würde wie bisher. Eine Wirtschaftsblockade als Strafmaßnahme hatten sie schon deswegen nicht zu befürchten, weil diese gar nicht durchführbar gewesen wäre. Denn es gab zu Rhodos als Umschlagplatz für ägyptische Exportprodukte keine praktikable Alternative. Wenn also Rhodos 306 dem Antigonos die Waffenhilfe gegen Ptolemaios verweigerte, so können dafür nicht ökonomische Motive maßgeblich gewesen sein. Es scheint angebracht, die Quellen einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Betrachten wir zunächst die rechtliche Seite des Konfliktes. Nach Hieronymos lehnten die Rhodier die Bitte um Waffenhilfe ab, weil sie es vorzogen, einen allgemeinen Frieden gegenüber allen zu wahren.102 Nach Zenon baten die Rhodier Antigonos, sie nicht „gegen die Verträge" zum Eintritt in den Krieg gegen Ptolemaios zu zwingen.103 Die moderne Forschung hat auf die Frage, auf welche Verträge sich die Rhodier hier beriefen, verschiedene Antworten gegeben.104 Zu Recht aufgegeben ist die Ansicht, daß es ein 315 geschlossener Freundschaftsvertrag der Rhodier mit Ptolemaios gewesen sei.105 Hans Hauben vermutet, daß die Rhodier nach dem Diadochenfrieden von 311 separate Freundschaftsverträge mit allen Diadochen geschlossen hätten.106 Indessen ist nicht einzusehen, weshalb die Diadochen sich darauf hätten einlassen sollen. Kombiniert man die Angabe Zenons mit derjenigen des Hieronymos, so kann man auf das Postulat sonst unbezeugter Verträge verzichten. Die Rhodier beriefen sich offenbar auf den Diadochenfrieden von 311, der eine Garantie der Autonomie der griechischen Städte enthielt. Wie aus dem Brief des Antigonos an die Skepsier hervorgeht, waren „alle Griechen" eingeladen, diesen Frieden ihrerseits zu beschwören,107 und wir dürfen annehmen, daß die Rhodier dieser Einladung auch Folge leisteten. So konnte dieser Friede durchaus als eine alle Vertragspartner umfassende Friedensordnung verstanden werden.
Ouxoç uèv oov crovxou,cûç návxa npàçaç Kaxà xàç évxoXàç xoû naxpôç Kai ko|aio-0eíc éni Kapiaç napEKàXet xoùç 'PoSiouç npôç xôv Kaxà nxoXeu,aíou noÀEUov. où npoCTExóvxcüv 8' aùxtbv, àXXà Kovvfjv EÍpfjvnv aipoup-évcnv àyEiv npôç ànavxaç xaúxnv àpxfjv croveßri yEvéaGai xw orjuq) xfjç npôç Avxtyovov áAAoxptóxnxoc. Diod. 20.82.2: oi 8è 'PôSiot... néu,\|/avx£ç npeaßEtc rjçiouv (xfj ßiaaaaOat xfjv nôÀtv nponEoeîv napà xàç ouvOfJKaç Etç xôv noA.Eu.ov npôç nxoÀ£u.aiov.
102 Diod. 20.46.6:
103
104 Unentschieden Billows, Antigonos, 166 („some sort of treaty with or concerning Ptolemy"); 202. 105 Zuletzt vertreten von Will, Histoire politique I1, 64 (anders Histoire politique I2, 74); Volkmann, RE Ptolemaios I., 1622; widerlegt von Seibert, Ptolemaios I., 225-230. 106 Hauben, Historia 26, 1977, 330-334. 107 OGIS5 = RC 1,Z. 51-66.
2. Rhodos und
81
Antigonos Monophthalmos
Welches Motiv veranlaßte die Rhodier, sich auf den Frieden von 311 zu berufen? Immerhin war es Ptolemaios gewesen, der die 311 geschaffene Friedensordnung sogleich über den Haufen geworfen hatte.108 Beide Seiten beanspruchten, für die Freiheit der Griechen einzutreten, indem sie gegen die andere vorgingen.109 Bevor man eine Erklärung versucht, sollte man sich von der Vorstellung freimachen, daß das Ergebnis von den Beteiligten von Anfang an gewollt wurde. Die Rhodier konnten weder den Ausgang des Zypernkrieges voraussehen noch die Belagerung durch Demetrios. Als die Rhodier eine Beteiligung am Zypernkrieg ablehnten, durften sie durchaus hoffen, daß dieses Abwarten ihnen selbst im Falle eines Sieges des Antigonos keinen schweren Schaden einbringen würde. Demetrios war nach Kilikien weitergefahren, nachdem er die Rhodier im Auftrage seines Vaters zur Stellung von Schiffen aufgefordert hatte.110 Nur wenige Jahre zuvor hatte Byzanz sich standhaft geweigert, auf Seiten des Antigonos in den 3. Diadochenkrieg einzutreten,111 ohne daß ihm daraus Nachteile erwachsen wären.112 Die militärisch-politische Lage war aber im Frühjahr 306 sehr unübersichtlich, der Ausgang des Zypernkrieges völlig ungewiß.113 Es gab keinen guten Grund, weshalb Rhodos zu diesem Zeitpunkt hätte Partei ergreifen sollen. Der nächste Schritt ging von Antigonos aus. Verärgert über die Rhodier, entsandte er Schiffe, die den Seeverkehr zwischen Rhodos und Ägypten unterbinden sollten, aber von den Rhodiern vertrieben wurden.114 Über den Zeitpunkt macht Diodor keine Angaben. Wahrscheinlich konnte Antigonos die Schiffe jedoch erst entbehren, nachdem Demetrios die ptolemäische Flotte bei Salamis vernichtend geschlagen hatte.115 Die 108 Diod. 20.19.3-5. 109 Die Freiheitspropaganda des Ptolemaios ist sowohl durch Diod. 20.19.3 (xœv 8è koivcüv cfuv9t|kcöv
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