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German Pages 288 [305] Year 2021
PLATON Werke
Übersetzung und Kommentar
Begründet von Ernst Heitsch und Carl Werner Müller Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz herausgegeben von Sabine Föllinger und Kurt Sier
II 1 Kratylos
PLATON Kratylos
Übersetzung und Kommentar von Peter Staudacher
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-30201-5
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Gliederung des Dialogs und der Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . 77 Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Appendix: Datierungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Vorwort
Im Gegensatz zu anderen Dialogen, wie etwa dem Theätet oder dem Sophistes, wo Themen, die wir der Sprachphilosophie zuzuordnen pflegen, neben anderen vorkommen, ist für den Dialog Kratylos seine sprachphilosophische Ausrichtung geradezu kennzeichnend. Worum es „offiziell“ geht, ist, wie es zu Beginn (383a4) heißt, die Richtigkeit der Namen – ὀνομάτων ὀρθότης. Anders als in anderen Ansätzen, geht es jedoch im Kratylos nicht um Orthoepie im Sinne einer Genauigkeit des sprachlichen Ausdrucks, wie etwa bei Prodikos, sondern um das philosophische Problem der Begründung der ὀρθότης, im Sinne einer Rechtfertigung der Namen. Die Frage ist, ob das Rechenschaftgeben (λόγον διδόναι) sich auf seine eigene sprachliche Form anwenden lässt oder nicht. Dabei bewegt sich der Dialog u. a. zwischen den Polen von teilweise tiefgehenden kompositionalen, gemeinhin etymologisch genannten Analysen, die in einem umfangreichen Mittelteil ausgebreitet werden, und dem eher resignativen Rückgriff auf das Mittel der Konvention als ultima ratio für weder kompositional analysierbare noch mimetisch deutbare Simplicia. Der vorliegende Kommentar sucht hier einen Weg durch die Probleme zu finden, auf dem aber viele Fragen unbeantwortet zurückbleiben müssen. Das gilt letztlich auch für die zentrale Frage, was unter dem εἶδος eines Namens im Unterschied zum εἶδος der benannten Sache zu verstehen ist. Offen bleiben muss auch, ob und wie der wegen seiner Wahrheitsdefinition bemerkenswerte, viel diskutierte Abschnitt 385b1-d1 in den Text zu integrieren ist. Der Übersetzung liegt der Text des Kratylos in Band I der OCT-Edition aus dem Jahre 1995 zugrunde, die die Vorgängerausgabe von J. Burnet aus dem Jahre 1900 ersetzt hat. Danken möchte ich an dieser Stelle Franz von Kutschera, von dem ich durch Gespräche und Lektüre seiner Schriften mehr als von irgend jemandem sonst nicht nur für meinen Zugang zur Sprachphilosophie gelernt habe. Besonderen Dank schulde ich Ernst Heitsch, der bis zu seinem Tod unendlich viel Geduld und Verständnis für mich aufgebracht und mir als Ratgeber beim Umgang mit Platon zu wertvollen Einsichten verholfen hat. Nicht zuletzt danken möchte ich dem Herausgeber Kurt Sier für seine kompetente Hilfe bei der Beseitigung zahlreicher inhaltlicher und formaler Mängel.
ÜBERSETZUNG
KRATYLOS Hermogenes, Kratylos, Sokrates
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Hermogenes: Sollen wir unser Gespräch auch mit Sokrates hier teilen? Kratylos: Wenn du meinst. Hermogenes: Kratylos hier behauptet, Sokrates, es gebe für jedes Ding von Natur aus eine Richtigkeit der Benennung, und nicht das sei ein Name, worauf sich irgendwelche Leute als Benennung verständigen und dann auch so benutzen, indem sie Lautbrocken ihrer Stimme anwenden, sondern es gebe eine natürliche Richtigkeit der Namen, die dieselbe sei für alle, Griechen sowohl wie Barbaren. Ich frage ihn also, ob Kratylos ihm in Wahrheit als Name zukomme, und er bejaht dies. „Welcher aber dem Sokrates?“ sagte ich zu ihm, „Sokrates“ antwortete er. „Und gilt das nicht auch für alle übrigen Menschen, der Name, mit dem wir jeweils jeden benennen, das ist sein Name?“ Und er: „Allerdings nicht in deinem Fall“, sagte er, „dein Name ist nicht Hermogenes, selbst wenn alle Menschen dich so nennen.“ Und als ich ihn frage und gerne wissen will, was er eigentlich meine, da drückt er sich nicht deutlich aus, behandelt mich mit Ironie, und gibt, als ob er darüber Bescheid wüsste, vor, etwas darüber im Sinne zu haben, das auch mich, wollte er es nur deutlich äußern, veranlassen würde, ihm zuzustimmen und dasselbe zu vertreten, was auch er sagt. Wenn also du den Orakelspruch des Kratylos irgendwie auslegen kannst, so würde ich es gerne hören. Noch lieber freilich würde ich erfahren, wie du selbst über die Richtigkeit der Namen denkst, wenn es dir nicht ungelegen ist. Sokrates: Hermogenes, Sohn des Hipponikos, ein altes Sprichwort sagt, das Schöne ist schwer zu verstehen. Und so ist denn auch das Verständnis der Namen keine geringe Angelegenheit. Hätte nun ich den Fünfzigdrachmenvortrag von Prodikos schon gehört, nach dessen Anhörung man darüber vollständig unterrichtet ist, wie jener behauptet, so würde nichts daran hindern, dass du sofort die Wahrheit über die Richtigkeit der Namen erfährst. Nun habe ich ihn nicht gehört, sondern nur den für eine Drachme, ich weiß also nicht, wie es mit der Wahrheit hierin steht. Doch bin ich bereit, mich euch anzuschließen und die Suche gemeinsam mit dir und Kratylos durchzuführen.
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Wenn er aber in Abrede stellt, dass dir der Name Hermogenes in Wahrheit zukomme, so macht er sich, wie ich vermute, über dich lustig. Denn er meint wohl, dass du beim Gelderwerb dein Ziel in der Regel verfehlst. Doch, wie ich eben schon sagte, Wissen ist auf diesem Gebiet schwer zu erlangen, vielmehr müssen wir die Kräfte vereinen und prüfen, ob es sich verhält, wie du meinst oder wie Kratylos. Hermogenes: Also ich für meinen Teil habe schon oft mit diesem hier wie auch mit vielen anderen darüber gesprochen und kann mich nicht überzeugen lassen, dass es eine andere Richtigkeit des Namens gibt als Abmachung und Übereinkunft. Mir scheint, was immer man einer Sache für einen Namen beilegt, der ist auch der richtige. Und wenn man wiederum einen anderen dafür einsetzt, und den bisherigen nicht mehr verwendet, so ist der spätere nicht weniger richtig als der vorherige, wie wir ja auch unsere Sklaven umbenennen. Denn von Natur aus kommt jeweils keinem Ding irgend ein Name zu, vielmehr aufgrund von Brauch und Gewohnheit jener, die einen Namen regelmäßig gebrauchen. Sollte es sich aber anders verhalten, so bin ich jedenfalls bereit zu lernen und zu hören, nicht nur von Kratylos, sondern auch von jedem andern. Sokrates: Vielleicht ist etwas Richtiges an dem, was du sagst, Hermogenes, doch lass uns die Sache prüfen. Was immer, sagst du, jemand ein beliebiges Ding nennt, das ist dafür jeweils der Name? Hermogenes: Das ist wenigstens meine Meinung. Sokrates: Gleichgültig, ob es ein Privatmann so nennt oder eine Stadt? Hermogenes: Ja. Sokrates: Wie nun, wenn ich irgend ein Ding benenne, wie etwa wenn ich das, was wir jetzt Mensch nennen, als Pferd anspreche, was wir aber jetzt Pferd, Mensch nenne, wird dann dasselbe für die Allgemeinheit den Namen Mensch, für mich im Besonderen aber den Namen Pferd tragen? Und wird umgekehrt für mich den Namen Mensch tragen, was für die Allgemeinheit Pferd heißt? Meinst du es so? Hermogenes: Mir wenigstens scheint es so. Sokrates: Nun, dann sag mir Folgendes. Gibt es etwas, das du wahr reden nennst, und etwas, das du falsch reden nennst? Hermogenes: Ja. Sokrates: Also gibt es wahre Aussagen, und solche, die falsch sind? Hermogenes: In jedem Fall. Sokrates: Ist nun die, die von dem, was ist, sagt, wie es ist, wahr, die jedoch sagt, wie es nicht ist, falsch? Hermogenes: Ja. Sokrates: Es ist also möglich, durch eine Aussage sowohl das zu sagen, was ist, wie das, was nicht ist?
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Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Die wahre Aussage aber, ist die als ganze zwar wahr, ihre Teile jedoch sind nicht wahr? Hermogenes: Nein, sondern auch die Teile. Sokrates: Sind aber die großen Teile zwar wahr, die kleinen jedoch nicht, oder alle? Hermogenes: Alle, denke ich wenigstens. Sokrates: Kannst du nun einen kleineren Teil einer Aussage angeben als einen Namen? Hermogenes: Nein, das ist der kleinste. Sokrates: Also wird auch der Name, der der wahren Aussage angehört, ausgesagt? Hermogenes: Ja. Sokrates: Und zwar als wahrer, wie du behauptest. Hermogenes: Ja. Sokrates: Der Teil der falschen Aussage, ist der nicht etwas Falsches? Hermogenes: Doch. Sokrates: Man kann also einen falschen Namen wie auch einen wahren sagen, wenn man es im Falle der ganzen Aussage kann? Hermogenes: Wie denn nicht? Sokrates: Was immer also jemand sagt, es sei für eine Sache der Name, das ist für sie jeweils ihr Name? Hermogenes: Ja. Sokrates: Und wie viele Namen jemand sagt, dass eine Sache habe, so viele Namen hat sie, und zwar dann, wenn er es sagt. Hermogenes: Ich jedenfalls, Sokrates, verfüge über keine andere Namensrichtigkeit als eben diese, dass es mir freisteht, jede Sache mit einem Namen zu nennen, den ich festgesetzt habe, und dir mit einem anderen, den du festgesetzt hast. Und so sehe ich auch, wie die Städte jede für sich für dieselben Dinge jeweils besondere Namen festgelegt haben, und zwar sowohl Griechen im Vergleich zu den übrigen Griechen als auch Griechen im Vergleich zu Barbaren. Sokrates: Nun, so lass uns weiter sehen, ob es dir mit den Dingen selbst ebenso zu sein scheint, dass nämlich ihr Sein für jeden gesondert und abhängig von ihm jeweils etwas Eigenes ist, wie Protagoras meinte, wenn er sagt „aller Dinge Maß“ sei der Mensch, dass also so, wie sie mir zu sein scheinen, die Dinge für mich auch sind, und so wie sie dir erscheinen, für dich. Oder meinst du, sie besitzen von sich selbst her eine eigene Beständigkeit des Seins? Hermogenes: Zuweilen bin ich, wenn ich keinen Ausweg wusste, auch schon zu der Auffassung gelangt, die Protagoras vertritt. Ganz so scheint es mir jedoch nicht zu sein.
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Sokrates: Wie, bist du dann schon soweit gelangt, dass du meintest, es gebe überhaupt keinen schlechten Menschen? Hermogenes: Nein, beim Zeus, vielmehr habe ich es schon oft erlebt, dass mir Menschen äußerst schlecht vorgekommen sind, und das in großer Zahl. Sokrates: Wie aber, ganz und gar rechtschaffene Menschen sind dir noch nicht vorgekommen? Hermogenes: Sehr wenige. Sokrates: Doch vorgekommen sind sie demnach? Hermogenes: Ja. Sokrates: Wie denkst du nun darüber? Etwa so: Die vollkommen Rechtschaffenen sind vollkommen vernünftig, und die völlig Schlechten sind völlig unvernünftig? Hermogenes: Das ist in der Tat meine Ansicht. Sokrates: Wenn nun Protagoras wahr gesprochen hat und wenn dies tatsächlich die Wahrheit ist, dass die Dinge so, wie sie jedem erscheinen, auch sind, ist es dann möglich, dass die einen von uns vernünftig, die anderen aber unvernünftig sind? Hermogenes: Offenbar nicht. Sokrates: Und das ist doch, wie ich meine, in jedem Fall auch deine Ansicht, dass es, falls es Vernunft und Unvernunft gibt, ganz und gar unmöglich ist, dass Protagoras wahr gesprochen und recht hat. Denn es könnte dann wohl in Wahrheit keiner vernünftiger sein als ein anderer, wenn wirklich, was jedem scheint, für ihn wahr wäre. Hermogenes: Das ist richtig. Sokrates: Aber du wirst auch nicht, denke ich, im Sinne des Euthydem meinen, dass allem alles in gleicher Weise zugleich und immer zukommt. Denn auch so könnten die einen nicht rechtschaffen sein, die anderen aber schlecht, wenn allen in der gleichen Weise stets sowohl Tugend wie Schlechtigkeit zukäme. Hermogenes: Das ist wahr. Sokrates: Also, wenn weder allen alles in gleicher Weise zugleich und immer zukommt noch für jeden jedes einzelne gesondert, so ist klar, dass die Dinge ihr eigenes beständiges Wesen von sich selbst her haben und nicht in Abhängigkeit von uns, und dass sie nicht von uns nach oben und unten gezogen werden kraft unserer Vorstellung, sondern dass sie an sich, ihrem eigenen Wesen entsprechend, sich so verhalten, wie sie von Natur sind. Hermogenes: Es scheint mir, Sokrates, genau so zu sein. Sokrates: Sind nun zwar die Dinge selbst so geartet, die mit ihnen verbundenen Handlungen aber nicht in derselben Weise, oder sind nicht auch diese eine bestimmte Art des Seienden, die Handlungen?
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Hermogenes: Doch, auch sie. Sokrates: Gemäß ihrer eigenen Natur werden also auch die Handlungen vollzogen, nicht nach unserem Gutdünken. Zum Beispiel, wenn wir irgend etwas zu schneiden versuchen, ist dann jedes Ding so zu schneiden, wie immer wir es gerade wollen und womit wir es wollen, oder werden wir dann, wenn wir jedes Ding nach Maßgabe der Natur des Schneidens und seiner Wirkung, des Geschnittenwerdens, und mit dem naturgemäßen Werkzeug schneiden wollen, wirklich schneiden und dabei auch Erfolg haben und es somit richtig machen, wenn aber naturwidrig, dann unser Ziel verfehlen und nichts erreichen? Hermogenes: Das meine ich in der Tat. Sokrates: Und, nicht wahr, wenn wir etwas zu brennen versuchen, dann doch wohl auch nicht nach jeder beliebigen Ansicht, sondern nach der richtigen? Das aber ist die, die sich danach richtet, wie es natürlich ist, dass jedes Ding gebrannt wird und zu brennen ist, und womit? Hermogenes: So ist es. Sokrates: Und für das Übrige, ist es da nicht auch so? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Ist nun nicht auch das Reden eine unter den Handlungen? Hermogenes: Doch. Sokrates: Wird man also, wenn man so spricht, wie es einem gerade gut dünkt, dass man sprechen sollte, richtig sprechen ? Oder wird man vielmehr dann erfolgreich sein und tatsächlich sprechen, wenn man in der Weise und mit den Mitteln spricht, wie und womit es natürlich ist, dass man von den Dingen spricht und dass von ihnen gesprochen wird? Andernfalls aber wird man sein Ziel verfehlen und nichts bewirken? Hermogenes: Ich denke, es ist so, wie du es sagst. Sokrates: Ist nun nicht ein Teil des Sprechens das Benennen? Denn indem man benennt, spricht man Sätze? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Ist demnach nicht auch das Benennen eine Handlung, wenn tatsächlich auch das Sprechen eine Handlung ist, wie sich zeigte, die sich auf die Dinge bezieht? Hermogenes: Ja. Sokrates: Die Handlungen aber, so hat sich gezeigt, sind das, was sie sind, nicht in Bezug auf uns, vielmehr haben sie eine ihnen eigene Natur? Hermogenes: So ist es. Sokrates: Muss man dann nicht die Dinge auch in der Art benennen und mit dem Mittel, wie ihr Benennen und Benannt-Werden natürlich ist, und nicht wie wir es wollen, wenn wir mit dem, was wir vorhin sagten, übereinstimmen wollen? Und werden wir so erfolgreich sein und benennen, anders aber nicht?
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Hermogenes: Es scheint so. Sokrates: Und weiter, was zu schneiden ist, muss man, sagten wir, mit etwas schneiden? Hermogenes: Ja. Sokrates: Und was zu weben ist, muss man mit etwas weben, und was zu bohren ist, muss man mit etwas bohren? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Entsprechend muss man auch, was zu benennen ist, mit etwas benennen? Hermogenes: So ist es. Sokrates: Was ist aber das, womit man bohren muss? Hermogenes: Ein Bohrer. Sokrates: Was das, womit man weben muss? Hermogenes: Ein Weberschiffchen. Sokrates: Was aber das, womit man benennen muss? Hermogenes: Ein Name. Sokrates: Richtig. Auch der Name ist also ein Werkzeug. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Wenn ich nun fragte: „Was für ein Werkzeug war doch gleich das Weberschiffchen?“ Nicht das, womit wir weben? Hermogenes: Ja. Sokrates: Wenn wir aber weben, was machen wir da? Scheiden wir da nicht den Einschlag und die miteinander vermengten Kettfäden? Hermogenes: Doch. Sokrates: Und auch im Falle des Bohrers wirst du mir entsprechend antworten können und ebenso beim Übrigen? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Kannst du mir also auch genauso im Falle des Namens antworten? Wenn wir mit dem Namen als einem Werkzeug benennen, was machen wir da? Hermogenes: Das kann ich nicht sagen. Sokrates: Unterrichten wir da nicht einander und unterscheiden die Dinge voneinander nach ihrer Beschaffenheit? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Der Name ist also ein Werkzeug zur Unterrichtung und zur Unterscheidung des Wesens, so wie das Weberschiffchen zur Scheidung des Gewebes? Hermogenes: Ja. Sokrates: Aber das Weberschiffchen gehört zur Webkunst? Hermogenes: Wozu sonst? Sokrates: Ein Fachmann der Webkunst wird also das Weberschiffchen richtig verwenden, richtig aber heißt im Sinne der Webkunst. Und ein Fachmann in
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der Kunst der Unterrichtung wird den Namen richtig verwenden, richtig aber heißt im Sinne der Kunst der Unterrichtung. Hermogenes: Ja. Sokrates: Wessen Werk wird nun der Weber richtig verwenden, wenn er das Weberschiffchen verwendet? Hermogenes: Das Werk des Schreiners. Sokrates: Ist jeder ein Schreiner, oder nur, wer die Kunst beherrscht? Hermogenes: Nur, wer die Kunst beherrscht. Sokrates: Wessen Werk wird aber der Bohrende richtig verwenden, wenn er den Bohrer verwendet? Hermogenes: Das Werk des Schmieds. Sokrates: Ist nun jeder ein Schmied, oder nur, wer die Kunst beherrscht? Hermogenes: Nur, wer die Kunst beherrscht. Sokrates: Gut. Wessen Werk aber verwendet der Unterrichtungskundige, wenn er den Namen verwendet? Hermogenes: Das weiß ich wieder nicht. Sokrates: Weißt du auch nicht zu sagen, wer uns die Namen an die Hand gegeben hat, die wir verwenden? Hermogenes: Offenbar nicht. Sokrates: Aber ist nicht deine Meinung, dass es der Brauch ist, der sie uns an die Hand gegeben hat? Hermogenes: So scheint es. Sokrates: Das Werk dessen, der Gesetz und Brauch schafft, des Gesetz gebers Werk also verwendet der Unterrichtungskundige, wenn er einen Namen verwendet? Hermogenes: So scheint es mir. Sokrates: Ein Gesetzgeber aber, ist das deiner Meinung nach jedermann oder nur wer die Kunst beherrscht? Hermogenes: Nur, wer die Kunst beherrscht. Sokrates: Nicht jedermanns Sache, Hermogenes, ist es also, einen Namen festzulegen, sondern die eines Namenverfertigers. Das aber ist, wie es scheint, der Gesetzgeber, der Künstler, der denn auch am seltensten unter den Menschen anzutreffen ist. Hermogenes: So scheint es. Sokrates: Weiter also, betrachte nun, worauf der Gesetzgeber seinen Blick richtet, wenn er die Namen festsetzt. Mach es dir wieder anhand der Beispiele von vorhin klar. Worauf blickt der Schreiner, wenn er das Weberschiffchen herstellt? Nicht auf etwas, das von Natur aus zum Weben geeignet ist?. Hermogenes: Klar. Sokrates: Wie aber, wenn ihm beim Herstellen das Weberschiffchen zer-
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bricht? Wird er, wenn er ein weiteres herstellt, seinen Blick auf das zerbrochene richten, oder auf jene Form, auf die er auch blickte, als er dasjenige herstellte, das er zerbrach? Hermogenes: Auf jene, wie mir scheint. Sokrates: Könnten wir nun jenes nicht mit dem vollsten Recht dasjenige nennen, was das Weberschiffchen selbst ist? Hermogenes: Ich jedenfalls meine das auch. Sokrates: Und, nicht wahr, wenn es darum geht, für feines oder grobes Gewebe oder für leinenes oder wollenes oder wofür sonst auch immer ein Weberschiffchen zu machen, so müssen zwar alle die Gestalt des Weberschiffchens haben, welche Beschaffenheit aber für den jeweils besonderen Zweck am besten geeignet ist, die muss man in das jeweilige Werkstück hineinlegen? Hermogenes: Ja. Sokrates: Und bei den übrigen Werkzeugen ist es genau so. Das aufgrund seiner Natur für jeden Einzelzweck am besten geeignete Werkzeug gilt es heraus zufinden und in dasjenige hineinzulegen, woraus man jeweils das Werkstück herstellt, und nicht, wie man selbst es gerade will, sondern wie es naturgemäß ist. Denn was für den jeweiligen Einzelzweck von Natur aus einen Bohrer ausmacht, das muss man, wie es scheint, in das Eisen hineinzulegen wissen. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Und was für den jeweiligen Einzelzweck von Natur aus ein Weberschiffchen ausmacht, ins Holz. Hermogenes: So ist es. Sokrates: Denn von Natur aus gehört ja, wie es scheint, zu jeder Art von Gewebe ein jeweils besonderes Weberschiffchen, und ebenso in den übrigen Dingen. Hermogenes: Ja. Sokrates: Muss also nicht, mein Bester, auch jener Gesetzgeber den Namen, der für jede Sache von Natur aus geeignet ist, in Laute und Silben hineinzulegen wissen, und im Blick auf jenes selbst, was ein Name ist, [= was es heißt, ein Name zu sein] sämtliche Namen schaffen und festsetzen, wenn er ein wirklicher Setzer von Namen sein will? Wenn es aber nicht dieselben Silben sind, in die jeder Gesetzgeber sie hineinlegt, so darf einen das nicht irre machen. Denn es ist auch nicht dasselbe Eisen, in das jeder Schmied, wenn er für denselben Zweck dasselbe Werkzeug herstellt, es hineinlegt. Und doch, solange er dieselbe Form wiedergibt, wenn auch in einem anderen Eisen, so ist das Werkzeug doch in Ordnung, ob es einer hier oder bei den Barbaren herstellt. Nicht wahr? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Wirst du nicht ebenso auch den Gesetzgeber beurteilen, sowohl den hier bei uns wie den unter den Barbaren, dass nämlich, solange er die Ge-
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stalt des Namens, die für jedes Ding angemessen ist, in welchen Silben auch immer wiedergibt, der hiesige kein schlechterer Gesetzgeber sein wird als der irgendwo anders? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Wer ist es nun, der erkennen wird, ob die angemessene Gestalt des Weberschiffchens in igendeinem Stück Holz vorliegt? Der es hergestellt hat, der Schreiner, oder der es gebrauchen wird, der Weber? Hermogenes: Wohl eher, der es gebrauchen wird, Sokrates. Sokrates: Wer ist es nun, der das Werk des Lyrenmachers gebrauchen wird? Nicht der, der bei der Herstellung am besten die Aufsicht zu führen versteht und der erkennt, ob das fertiggestellte Instrument gut gearbeitet ist oder nicht? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Wer also? Hermogenes: Der Kitharaspieler. Sokrates: Und wer das Werk des Schiffbauers? Hermogenes: Der Steuermann. Sokrates: Wer aber dürfte wohl das Werk des Gesetzgebers am besten beaufsichtigen und, wenn es fertiggestellt ist, beurteilen sowohl hier wie bei den Barbaren? Nicht der, der es gebrauchen wird? Hermogenes: Ja. Sokrates: Ist das nun nicht eben der, der zu fragen versteht? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Und ebenso auch zu antworten? Hermogenes: Ja. Sokrates: Wer aber zu fragen und zu antworten versteht, hast du für den eine andere Bezeichnung als Dialektiker? Hermogenes: Nein, sondern genau diese. Sokrates: Des Zimmermanns Arbeit ist demnach, ein Steuerruder herzustellen unter der Aufsicht des Steuermanns, soll das Ruder gut werden. Hermogenes: Offenbar. Sokrates: Die des Gesetzgebers aber, wie es scheint, einen Namen, wobei er als Aufseher einen dialektischen Mann hat, wenn er die Namen in angemessener Weise setzen soll. Hermogenes: So ist es. Sokrates: Schwerlich kann also, Hermogenes, die Setzung der Namen, wie du meinst, etwas Geringes sein, auch nicht die Sache unbedeutender Leute oder die des ersten besten. Und Kratylos hat recht, wenn er sagt, die Namen seien den Dingen von Natur aus eigen, und nicht jeder sei ein Fachmann für Namen, sondern nur jener, der den Namen im Blick hat, der zu jedem Ding von Natur aus gehört, und in der Lage ist, dessen Form in Buchstaben und Silben zu legen.
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Hermogenes: Ich weiß nicht, Sokrates, was man auf das, was du sagst, entgegnen soll. Doch ist es vielleicht nicht leicht, so plötzlich überzeugt zu werden, und ich glaube, ich würde dir eher folgen, wenn du mir zeigen könntest, was, wie du sagst, die natürliche Richtigkeit ist. Sokrates: Ich, mein lieber Hermogenes, sage das von keiner, und du hast vergessen, was ich vor Kurzem sagte, dass ich es nämlich nicht wisse, es aber mit dir betrachten wolle. Nun aber ist uns, mir und dir, bei unserer Untersuchung immerhin anders als vorhin schon soviel klar geworden, dass der Name von Natur eine gewisse Richtigkeit hat und dass nicht jedermann über das Wissen verfügt, ihn einer beliebigen Sache in gehöriger Weise zuzuweisen. Oder nicht? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Also müssen wir als nächstes, wenn du es wirklich wissen willst, danach suchen, worin nun wiederum die Richtigkeit im Bereich der Namen besteht. Hermogenes: Aber sicher will ich es wissen. Sokrates: Dann untersuche es. Hermogenes: Wie ist diese Untersuchung zu führen?. Sokrates: Die Art der Untersuchung, mein Freund, die am ehesten richtig ist, ist die, die man zusammen mit den Sachverständigen anstellt, indem man ihnen Geld bezahlt und so ihre Gunst erwirbt. Es sind dies aber die Sophisten, denen ja dein Bruder Kallias viel Geld bezahlt hat, der daher im Ruf steht, weise zu sein. Da du nun aber über das väterliche Vermögen nicht verfügen kannst, musst du in deinen Bruder dringen und ihn bitten, dich darin zu unterweisen, worin in derartigen Dingen die Richtigkeit besteht, so wie er es von Protagoras gelernt hat. Hermogenes: Abwegig wäre doch wohl, Sokrates, eine derartige Bitte von mir, wenn ich einerseits die Wahrheit des Protagoras ganz und gar nicht akzeptiere, andererseits aber das im Sinne dieser Wahrheit Gesagte schätzen würde, als ob es irgend einen Wert hätte. Sokrates: Nun, wenn dir auch dies nicht zusagt, so gilt es von Homer zu lernen und von den anderen Dichtern. Hermogenes: Und was sagt denn Homer über die Namen, Sokrates, und wo? Sokrates: An vielen Stellen. Die bedeutendsten und schönsten aber sind die, wo er unterscheidet, welche Namen die Menschen und die Götter für dieselben Dinge verwenden. Oder meinst du nicht, dass er dort Wichtiges und Bewundernswertes über die Richtigkeit der Namen sagt? Denn es ist klar, dass jedenfalls die Götter die Namen benutzen, die hinsichtlich der Richtigkeit von Natur aus Namen sind. Oder meinst du nicht? Hermogenes: Wohl weiß ich, dass sie, wenn sie benennen, richtig benennen. Aber welche meinst du damit?
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Sokrates: Weißt du nicht, dass er über den Fluss bei Troja, der mit Hephaist einen Zweikampf hatte, sagt: den Xanthos die Götter nennen, die Menschen aber Skamandros? Hermogenes: Doch. Sokrates: Nun, glaubst du nicht, dass es etwas Erhabenes ist, zu erkennen, wieso es richtig ist, jenen Fluss eher Xanthos zu nennen als Skamandros? Wenn du aber willst, im Falle des Vogels, von dem er sagt, dass ihn Chalkis nennen die Götter, die Menschen aber Kymindis, hältst du das für eine unwichtige Erkenntnis, um wieviel richtiger es ist, dass derselbe Vogel Chalkis heißt anstelle von Kymindis? Oder das Beispiel Batieia und Myrine und vieles andere bei diesem Dichter und anderen? Doch das herauszufinden ist vielleicht zu hoch für mich und für dich. Beim Beispiel der Namen Skamandrios und Astyanax jedoch, die, wie er sagt, Namen von Hektors Sohn waren, ist es menschengemäßer, wie mir scheint, und leichter zu ergründen, wie er ihre Richtigkeit meint. Du kennst doch wohl die Verse, in denen sich das findet, was ich meine. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Von welchem der beiden Namen hat denn Homer deiner Meinung nach geglaubt, dass er mit mehr Anspruch auf Richtigkeit dem Kind beigelegt wurde, Astyanax oder Skamandrios? Hermogenes: Das kann ich nicht sagen. Sokrates: Dann betrachte die Sache so: Wenn dich jemand fragte, ob deiner Meinung nach die Vernünftigeren die Namen richtiger zuweisen oder die Unvernünftigeren? Hermogenes: Klar doch die Vernünftigeren, würde ich sagen. Sokrates: Scheinen dir nun die Frauen die Vernünftigeren in den Städten zu sein oder die Männer, so ganz allgemein gesagt? Hermogenes: Die Männer. Sokrates: Nun weißt du doch, dass Homer sagt, das Kind des Hektor werde von den Troern Astyanax genannt – offenbar also Skamandrios von den Frauen, da ja die Männer ihn Astyanax nannten? Hermogenes: So scheint es jedenfalls. Sokrates: Nun hielt doch wohl auch Homer die Troer für weiser als ihre Frauen? Hermogenes: Ich meine schon. Sokrates: Also meinte er, es sei richtiger gewesen, dem Knaben den Namen Astyanax beizulegen als den Namen Skamandrios? Hermogenes: So scheint es. Sokrates: Schauen wir also, warum eigentlich. Oder verdeutlicht er uns nicht selbst am besten, warum? Sagt er doch:
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Denn er allein hat ihnen die Stadt gerettet und die mächtigen Mauern. Darum also ist es richtig, wie es scheint, den Sohn des Retters Astyanax (Stadtherrn) dessen zu nennen, was sein Vater gerettet hat, wie Homer sagt. Hermogenes: Das leuchtet mir ein. Sokrates: Doch warum eigentlich? Denn ich selbst verstehe es noch nicht, Hermogenes; du aber, verstehst du es? Hermogenes: Nein, beim Zeus. Sokrates: Aber, mein Guter, hat nicht er selbst, Homer, auch dem Hektor den Namen gegeben? Hermogenes: Warum diese Frage? Sokrates: Weil, wie mir scheint, auch dieser Name dem Astyanax sehr nahekommt, und beide Namen gleichen ja griechischen Namen. Denn Anax und Hektor haben nahezu denselben Sinn, es sind beides königliche Namen. Wessen Herr (Anax) einer ist, dessen Inhaber (Hektor) ist er doch wohl. Denn offenbar beherrscht er es, besitzt es und hat es. Oder scheine ich dir nichts Sinnvolles zu sagen, und täusche mich, wenn ich glaube, eine Art Spur von Homers Meinung über die Richtigkeit der Namen zu fassen? Hermogenes: Beim Zeus, das glaube ich bei dir nicht, und vielleicht erfasst du etwas. Sokrates: Recht ist es wenigstens, wie mir scheint, den Abkömmling eines Löwen Löwen zu nennnen und den Abkömmling eines Pferdes Pferd. Ich spreche nicht von dem Fall, wo als eine Monstrosität aus einem Pferd etwas anderes als ein Pferd entsteht, sondern was einer Gattung natürlicher Abkömmling ist, das meine ich. Wenn ein Pferd wider die Natur etwas zeugt, was seiner Natur nach Abkömmling eines Rindes ist, so darf man es nicht Füllen nennen, sondern Kalb. Ebensowenig, meine ich, darf man, sollte aus einem Menschen etwas hervorgehen, was kein menschlicher Abkömmling ist, dies einen Menschen nennen. Und ebenso im Falle der Bäume und bei allem Übrigen. Oder teilst du nicht meine Ansicht? Hermogenes: Doch. Sokrates: Das ist schön. Hab nur acht, dass ich dich nicht in die Irre führe. Denn nach demselben Grundsatz muss, wenn aus einem König ein Abkömmling hervorgeht, dieser König genannt werden. Wenn aber dasselbe in anderen oder wieder anderen Silben ausgedrückt wird, so ist das nicht von Bedeutung; auch wenn ein Buchstabe hinzugefügt oder weggenommen wird, auch das ist nicht wichtig, solange das Wesen der Sache sich im Namen offenbart und durchsetzt. Hermogenes: Wie meinst du das? Sokrates: Nichts Außergewöhnliches, sondern wie im Falle der Buchstaben, für die wir ja, wie du weißt, Namen verwenden und nicht sie selbst, ausge-
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nommen das e, das y, das (kurze) o und das (lange) o. Die restlichen Vokale und Konsonanten umgeben wir, wie du weißt, mit anderen Buchstaben, und machen so für sie Namen. Doch solange wir ihre Eigentümlichkeit hineintun und offenbar machen, ist es richtig, den Namen für sie zu gebrauchen, der sie uns offenbar macht. Wie zum Beispiel beim „beta“: Du siehst, dass die Hinzufügung von e und t und a nichts daran hindert, dass mit dem ganzen Namen die Natur jenes Buchstaben offenbar wird, von dem es der Gesetzgeber wollte. Derart verstand er es, den Buchstaben passende Namen zu geben. Hermogenes: Du scheinst mir recht zu haben. Sokrates: Und beim König, ist es da nicht ebenso? Denn es geht doch aus einem König ein König hervor, und aus einem Guten ein Guter, aus einem Schönen ein Schöner und beim Übrigen ebenso, aus jeder Art geht ein ebensolcher Abkömmling hervor, es sei denn, es entsteht ein Monstrum. Also sind auch dieselben Namen zu gebrauchen. Variieren kann man freilich mit den Silben, sodass sie den Laien voneinander verschieden vorkommen, obwohl sie dieselben sind. So wie uns die Heilmittel der Ärzte, wenn sie nach Farbe und Geruch variieren, verschieden erscheinen, obwohl sie dieselben sind; dem Arzt freilich, da er die Wirkung der Mittel vor Augen hat, zeigen sie sich als dieselben, und er lässt sich nicht durch die Zusätze beeindrucken. Ebenso wird wohl auch der, der über die Namen Bescheid weiß, auf ihre Bedeutung [oder Funktion] schauen und sich nicht beeindrucken lassen, wenn etwa ein Buchstabe hinzugesetzt, umgestellt oder weggenommen worden ist, oder wenn es sogar ganz andere Buchstaben sind, in die die Bedeutung des Namens gelegt ist. Wie unsere eben genannten Beispiele Astyanax und Hektor keinen Buchstaben außer dem t gemeinsam haben und dennoch dasselbe bedeuten. Und der Name Archepolis (Stadtbeherrschender), welchen Buchstaben teilt er mit ihnen? Und doch bedeutet er dasselbe. Und viele weitere Beispiele gibt es, die nichts anderes als „König“ bedeuten. Wieder andere bedeuten „Heerführer“ wie etwa Agis (Führer), Polemarchos (Kriegsherr) und Eupolemos (im Krieg Erprobter). Andere sind Arztnamen, Iatrokles (berühmt als Arzt) und Ake simbrotos (der die Sterblichen heilt). Und zahlreiche weitere Beispiele könnten wir finden für Namen, die in Silben und Buchstaben verschieden klingen, aufgrund ihrer Bedeutung aber dasselbe ausdrücken. Kommt dir das auch so vor oder nicht? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Dem, was naturgemäß entsteht, soll man also auch dieselben Namen geben. Hermogenes: Ganz und gar. Sokrates: Was aber dem, was naturwidrig nach Art eines Monsters entsteht? Wie wenn aus einem guten und frommen Mann ein gottloser hervorgeht, muss
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da nicht wie vorhin in dem Fall, wo ein Pferd eines Rindes Abkömmling gebiert, die Benennung nicht vom Erzeuger stammen, sondern von der Gattung, zu der der Abkömmling gehört? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Also auch dem von einem Frommen abstammenden Gottlosen muss der Name seiner Gattung gegeben werden. Hermogenes: So ist es. Sokrates: Also nicht Theophilos (Gottlieb), wie es scheint, auch nicht Mnesi theos (der an Gott denkt), noch irgend etwas dieser Art, sondern etwas, das das Gegenteil davon bedeutet, wenn wirklich die Namen richtig ausfallen sollen. Hermogenes: Nichts sonst, Sokrates. Sokrates: Wie auch, Hermogenes, Orestes richtig benannt zu sein scheint, mag Zufall oder ein Dichter ihm seinen Namen gegeben haben, denn er hat auf das Tierhafte seiner Natur und Wilde und Gebirgige (oreinon) mit seinem Namen hingewiesen. Hermogenes: So scheint es, Sokrates. Sokrates: Auch sein Vater, so scheint es wenigstens, hat einen Namen, der seiner Natur entspricht. Hermogenes: So sieht es aus. Sokrates: Denn es scheint Agamemnon doch einer zu sein, der das, was er beschlossen hat, unermüdlich betreibt und ausharrt, bis er seine Beschlüsse kraft seiner Tapferkeit zum Ziel geführt hat. Beweis dafür ist der lange Aufenthalt und das Ausharren des Heeres vor Troja. Dass dieser Mann „bewundernswert“ (agastos) im „Ausharren“ (epimonê) ist, das also ist es, was der Name Agamemnon bedeutet. Vielleicht ist auch Atreus richtig. Sein Mord an Chrysipp und seine Grausamkeit gegenüber Thyest, all das ist verderblich und ein Frevel wider die Tugend. Die Prägung des Namens weicht davon freilich etwas ab und verschleiert es, sodass dadurch nicht allen klar wird, was für ein Mann er ist. Für die Experten auf dem Gebiet der Namen ist jedoch hinlänglich klar, was Atreus sagen will. Denn sowohl im Sinne von ateires (hartnäckig) wie von atreston (furchtlos) wie auch von atêron (frevelhaft), in jeder Hinsicht ist sein Name richtig ausgefallen. Aber auch bei Pelops scheint mir der Name angemessen zu sein. Denn es bezeichnet dieser Name einen, der nur auf das Nahe sieht. Hermogenes: Wie das? Sokrates: Wie ja auch über den Mann im Zusammenhang der Ermordung des Myrtilos erzählt wird, er sei unfähig gewesen, vorauszudenken und vorauszusehen, was in weiterer Ferne auf sein gesamtes Geschlecht zukam und mit welchem Ausmaß an Unheil er es anfüllte, da er nur das Nächste und den gegenwärtigen Augenblick im Blick hatte – das heißt pelas (nahe) –, als er darauf aus war, auf alle Weise die Ehe mit Hippodameia zu erreichen. Im Falle des
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Tantalos dürfte wohl jeder die Meinung teilen, dass sein Name treffend und naturgemäß gesetzt ist, wenn wahr ist, was über ihn erzählt wird. Hermogenes: Was meinst du damit? Sokrates: Das zahlreiche und furchtbare Unglück, das ihm zu seinen Lebzeiten widerfuhr und das mit der völligen Zerstörung seines Vaterlandes endigte, und dann nach seinem Tode im Hades das Schweben (talanteia) des Steines über seinem Haupte passen erstaunlich zu seinem Namen. Und man hat geradezu den Eindruck, als habe jemand die Absicht, ihn den Allerunglücklichsten (talantaton) zu nennen, bei der Namensgebung verborgen und habe ihn stattdessen Tantalos genannt, derart scheint auch ihm der Zufall der Legende den Namen beschafft zu haben. Es scheint auch seinem angeblichen Vater, dem Zeus, der Name äußerst treffend gebildet zu sein. Doch ist das nicht leicht zu durchschauen. Denn geradezu eine (satzartige) Erklärung ist der Name des Zeus. Doch wir zerlegen ihn in zwei Teile, und die einen von uns gebrauchen den einen, die anderen den zweiten Teil. Denn die einen sagen „Zêna“, die anderen „Dia“. Zusammengesetzt in eins machen sie die Natur des Gottes sichtbar, was ja nach unserer Behauptung ein Name gerade leisten können soll. Denn weder für uns noch für alles Übrige ist jemand in höherem Maße Ursache des Lebens als der Herrscher und König von allem. Es ergibt sich also, dass dieser Gott richtig als derjenige benannt wird, durch den (di’hon) zu leben (zên) allem Lebendigen zukommt. In zwei Teile jedoch ist, wie gesagt, der Name, der eigentlich einer ist, geteilt, nämlich Dii und Zêni. Dass dieser aber der Sohn des Kronos ist, könnte frevelhaft erscheinen, wenn man es so unvermittelt hört, doch ist es sinnvoll, dass er eines großen Verstandes (dianoia) Abkömmling ist, der Zeus (im Sinne von Dia). Denn er (der Name) bedeutet rein (korós), nicht Kind, sondern das Reine und Unvermischte seines Geistes. Es ist dieser aber der Sohn des Uranos, wie es heißt. Die Sicht nach oben wird sehr schön mit diesem Namen, die himmlische (Ourania), benannt, da sie das sieht (horôsa), was oben (ta ano) ist, von wo ja auch nach Aussage der Himmelskundigen der reine Geist kommt und so der Himmel (ouranos) seinen Namen mit Recht führe. Würde ich mich an die Genealogie des Hesiod erinnern, welche Vorfahren er von diesen noch weiter zurück angibt, so würde ich nicht aufhören, aufzuweisen, wie richtig ihnen die Namen beigelegt sind, bis ich diese Weisheit erprobt hätte und festgestellt hätte, was sie ausrichtet, ob sie versagt oder nicht, die mir jetzt so plötzlich zugefallen ist, ich weiß nicht, woher. Hermogenes: In der Tat, Sokrates, machst du auf mich den Eindruck, als ob du wie die Gottbegeisterten plötzlich wie ein Orakel tönst. Sokrates: Ich, Hermogenes, führe diesen Weisheitsschub vor allem auf den Einfluss Euthyphrons des Prospaltiers zurück. Denn seit dem frühen Morgen
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war ich viel mit ihm zusammen und habe ihm zugehört. Und so hat er wohl in seiner Begeisterung nicht nur meine Ohren mit seiner gottbegnadeten Weisheit angefüllt, sondern auch meine Seele ergriffen. Wir sollten nun, wie ich meine, wie folgt verfahren. Für heute können wir sie benutzen und mit ihr die restliche Überprüfung hinsichtlich der Namen durchführen, morgen aber, wenn ihr das auch meint, werden wir sie feierlich austreiben und uns reinigen, nachdem wir jemand gefunden haben, der es versteht, eine derartige Reinigung vorzu nehmen, sei es ein Priester oder ein Sophist. Hermogenes: Ich bin damit einverstanden. Sehr gerne nämlich würde ich das Restliche über die Namen hören Sokrates: Dann soll es so geschehen. Wo aber sollen wir mit unser Betrachtung anfangen, nun da wir auf ein gewisses Muster geraten sind, damit wir erfahren, ob uns die Namen selbst bezeugen, dass sie jeweils nicht völlig aufs Geratewohl festgelegt sind, sondern eine gewisse Richtigkeit haben? Die Namen, die man den Heroen und Menschen gibt, dürften uns dabei vielleicht täuschen. Denn viele von ihnen werden nach den Benennungen der Vorfahren beigelegt, in manchen Fällen ohne zu passen, wie wir eingangs sagten, in vielen Fällen aber als Ausdruck guter Wünsche, wie Eutychides (Glückskind), Sosias (Wohlbehaltener), Theophilos (Gottlieb) und anderes mehr. Dergleichen sollten wir, scheint mir, außer Acht lassen. Am ehesten ist zu erwarten, dass wir die richtigen Zuweisungen bei dem finden, was aufgrund seiner Natur immer seiend ist. Denn dort muss wohl am meisten Sorgfalt bei der Namensgebung aufgewandt worden sein. Einige von ihnen sind vielleicht auch das Werk eines Vermögens, das göttlicher ist als das der Menschen. Hermogenes: Du scheinst mir recht zu haben, Sokrates. Sokrates: Ist es nun nicht recht und billig, bei den Göttern anzufangen und zu prüfen, inwiefern sie mit eben diesem Namen theoi (Götter) richtig benannt wurden. Hermogenes: Natürlich. Sokrates: Hier nun, was ich, für meinen Teil, darüber vermute. Es scheinen mir die ersten Bewohner von Hellas nur an die Götter geglaubt zu haben, an die auch jetzt noch viele Barbaren glauben, nämlich Sonne, Mond, Erde, Gestirne und Himmel. Da sie nun dies alles stets sich auf seiner Bahn bewegen und laufen sehen, haben sie sie von dieser natürlichen Eigenart des Laufens (thein) theoi (Götter) genannt. Später aber, als sie auch die übrigen erkannt hatten, haben sie dann alle mit diesem Namen angesprochen. Hat das, was ich sage, einen Anschein von Wahrheit oder nicht? Hermogenes: Ganz sicher. Sokrates: Was sollen wir nun danach betrachten? Hermogenes: Bestimmt doch die Dämonen, Heroen und Menschen.
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Sokrates: Wahrhaftig, Hermogenes, was könnte wohl der Name Dämonen bedeuten? Prüfe, ob aus deiner Sicht an dem, was ich sage, etwas dran ist. Hermogenes: So sag es nur. Sokrates: Weißt du, was nach Hesiod die Dämonen sind? Hermogenes: Ich verstehe nicht. Sokrates: Auch nicht, dass er sagt, dass golden das Geschlecht war, das als erstes von den Menschen entstand. Hermogenes: Doch, das weiß ich. Sokrates: Er sagt nun von diesem: Nachdem nun dieses Geschlecht das Geschick verhüllt hat, 398 a Heißen sie heil’ge Dämonen auf der Erde, Gute, Wehrer des Bösen, Wächter der sterblichen Menschen1. Hermogenes: Und weiter? Sokrates: Meiner Ansicht nach versteht er unter dem goldenen Geschlecht nicht etwas, was aus Gold war, sondern ein gutes und edles. Dafür spricht meiner Meinung, dass er von uns sagt, wir seien das eiserne Geschlecht. Hermogenes: Du hast recht. Sokrates: Und nicht, du meinst doch, auch einen unter den heutigen Menb schen würde er, ist er gut, jenem goldenen Geschlecht angehören lassen. Hermogenes: Wahrscheinlich. Sokrates: Die Guten, sind das nicht die Vernünftigen? Hermogenes: Doch. Sokrates: Und das will er meiner Ansicht nach vor allem von den Dämonen sagen: Weil sie vernünftig und verständig (daëmones) waren, nannte er sie daimones. Und in alter Zeit kommt eben dieser Name auch in unserer Sprache vor. Sowohl dieser Dichter als auch viele andere haben recht, wenn sie sagen, dass ein guter Mensch nach seinem Ende ein großes Geschick und eine große c Ehre erhalte und ein Dämon werde im Sinne der Ableitung des Namens von der Vernunft. In diesem Sinne nehme auch ich an, dass jeder Mann, der gut ist, dämonisch ist, zu Lebzeiten wie im Tode, und daher mit Recht Dämon genannt wird. Hermogenes: Auch ich glaube, Sokrates, darin völlig mit dir einig zu sein. Der Heros aber, was ist der wohl? Sokrates: Das ist gar nicht schwer zu sehen. Denn ihr Name drückt, ein wenig verschoben, ihre Enstehung aus der Liebe aus. Hermogenes: Wie meinst du das? Sokrates: Weißt du nicht, dass die Heroen Halbgötter sind?
1 Hesiod, Op.121–123.
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Hermogenes: Ja, und weiter? Sokrates: Alle sind ja wohl entstanden entweder durch die Liebe eines Gottes zu einer Sterblichen oder durch die eines Sterblichen zu einer Göttin. Betrachtest du das im Lichte der alten attischen Sprache, verstehst du es noch besser. Denn dann wird dir klar, dass vom Namen der Liebe (erôs), aus der die Heroen entstanden sind, nur ein wenig abgewichen wird. Und entweder ist das mit Heroen gemeint, oder dass sie Weise waren und gewaltige Redner und Dialektiker, zu fragen (erôtan) fähig und zu reden (eirein). Denn eirein bedeutet reden. Wie wir also eben sagten, erweisen sich die Heroen aus der Sicht der attischen Sprache als Redner und Frageexperten, sodass der heroische Stamm zu einer Untergattung der Redner und Sophisten wird. Doch das ist nicht schwer einzusehen, eher schon der Name der Menschen, weshalb sie eigentlich Menschen (anthrôpoi) genannt werden. Kannst du es sagen? Hermogenes: Woher, mein Guter. Und selbst wenn ich es herausfinden könnte, würde ich mich nicht anstrengen, da ich glaube, du wirst es besser finden als ich. Sokrates: Du verlässt dich, wie es scheint, auf die Inspiration des Euthyphron. Hermogenes: Offenbar. Sokrates: Und mit Recht. Denn eben jetzt glaube ich, gar herrliche Einfälle zu haben, und wenn ich mich nicht vorsehe, laufe ich Gefahr, heute noch weiser als erlaubt zu werden. Sieh nur, was ich meine. Zunächst muss man nämlich Folgendes bedenken hinsichtlich der Namen: Häufig fügen wir Buchstaben ein und lassen andere weg, wenn wir einem Namen die gewünschte Form geben wollen, und verändern die Akzente. Wie zum Beispiel Dii philos (dem Zeus lieb) – damit hier aus einer Aussage ein Name entsteht, entfernen wir daraus das zweite Iota und anstelle des hohen Tones der mittleren Silbe sprechen wir einen tiefen Ton. In anderen Fällen fügen wir umgekehrt Buchstaben hinzu und wechseln vom tieferen zum höheren Ton. Hermogenes: Richtig. Sokrates: Das ist nun eine Änderung, die auch der Name der Menschen durchlaufen hat, wie mir scheint. Denn aus einer Aussage ist ein Name entstanden, indem ein Buchstabe, nämlich Alpha, getilgt wurde und das Ende tieftonig geworden ist. Hermogenes: Wie meinst du das? Sokrates: So. Es bedeutet dieser Name anthrôpos (Mensch), dass die übrigen Tiere nichts von dem, was sie sehen, beschauen noch überdenken noch betrachten (anathrein), der Mensch aber, sobald er gesehen hat – das aber bedeutet opope –, da betrachtet (anathrei) er und überdenkt auch schon das, was er gesehen hat (opopen). Daher wird allein unter den Tieren der Mensch mit Recht anthrôpos genannt, da er betrachtet, was er gesehen hat (anathrôn ha opôpe).
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Hermogenes: Und weiter? Soll ich dir sagen, was ich danach gerne erfahren würde? Sokrates: Freilich. Hermogenes: Wie mir scheint, gehört in eine Reihe damit eine bestimmte Sache. Seele (psychê) und Körper (sôma) nennen wir doch etwas vom Menschen? Sokrates: Natürlich. Hermogenes: Versuchen wir also auch das zu zergliedern wie das Vorherige. Sokrates: Die Seele, meinst du, sollen wir daraufhin untersuchen, inwiefern sie mit Recht diesen Namen erhält, und danach den Körper? Hermogenes: Ja. Sokrates: Aus dem Stand gesagt: Ich meine, dass etwa an das Folgende diejenigen dachten, die die Seele benannten: Sie ist während ihrer Anwesenheit beim Körper für ihn Ursache des Lebens, insofern sie ihm das Vermögen zu atmen gewährt und ihn erfrischt (anapsychon); verlässt ihn aber dieses Erfrischende, so geht der Körper zugrunde und stirbt. Deshalb meine ich, nannten sie es psychê (Seele). Doch warte noch, wenn du willst: Ich glaube nämlich, etwas zu erblicken, das noch überzeugender ist als dieses in den Augen von Leuten wie Euthyphron. Denn was wir eben sagten, werden sie, wie ich meine, verachten und als plump einschätzen. Das Folgende aber betrachte, ob es auch dir gefällt. Hermogenes: Sag es nur. Sokrates: Die Natur des gesamten Körpers, was sie hält und trägt, sodass er lebt und umhergeht, ist das deiner Meinung nach etwas anderes als die Seele? Hermogenes: Nichts anderes. Sokrates: Und weiter, die Natur von allem anderen, glaubst du nicht dem Anaxagoras, dass es Geist und Seele ist, die sie in der Ordnung hält? Hermogenes: Doch. Sokrates: Mit Recht also wird man diesem Vermögen, das die Natur (physin) trägt (ochei) und hält (echei), diesen Namen physechê (Naturhalterin) zuerteilen. Man kann aber auch verschönernd psychê sagen. Hermogenes: Durchaus, und meiner Ansicht nach ist das auch kunstvoller als das vorige. Sokrates: Das ist es in der Tat. Dennoch, wahrhaft lächerlich erscheint der Name, nimmt man ihn so, wie er geprägt wurde. Hermogenes: Und das nächste, was sollen wir darüber sagen? Sokrates: Über den Körper (sôma), meinst du? Hermogenes: Ja. Sokrates: Vielfältig scheint mir dieser. Verändert man nur ein wenig die Form, dann erst recht. Denn ein Grabmal (sêma), sagen einige, sei er für die Seele, so als ob sie gegenwärtig begraben ist. Und weil sie durch ihn bezeichnet,
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was sie bezeichnet, auch deshalb werde er mit Recht sêma (Zeichen) genannt. Es scheinen mir aber vornehmlich die Orphiker diesen Namen festgelegt zu haben, in dem Gedanken, dass die Seele das sühnt, wofür sie bestraft wurde, und sie habe diese Umfriedung erhalten, damit sie in Gewahrsam bleibe (sôzetai), wie ein Gefängnis. Er sei nun das für die Seele, wie er benannt werde, nämlich sôma („Gewahrsam“), solange bis sie ihre Schuld bezahlt habe, und es sei nicht nötig, auch nur einen Buchstaben zu verändern. Hermogenes: Diese Erklärung scheint mir hinreichend zu sein, Sokrates. Im Falle der Namen der Götter können wir, wie du es vorhin mit deiner Bemerkung über Zeus getan hast, wohl in derselben Weise prüfen, nach welchem Maßstab der Richtigkeit ihre Namen festgelegt wurden? Sokrates: Ja, beim Zeus, und zwar, wenn wir Vernunft haben, in einer Wiese, die die beste ist, indem wir nämlich sagen, dass wir über die Götter nichts wissen, weder über sie selbst noch über die Namen, mit denen sie sich etwa benennen. Denn klar ist, dass ihre Benennungen die wahren sind. Eine zweite Art richtigen Verfahrens wäre es, sich wie bei den Gebeten zu verhalten, wo wir den Brauch haben, zu beten, dass, „wie und wonach benannt zu werden ihnen gefällt, so auch wir sie benennen“, da wir anderes ja nicht wissen.2 Dies ist meiner Meinung ein schöner Brauch. Wenn du nun willst, so sagen wir gleichsam zuvor den Göttern, dass wir über sie keine Betrachtungen anstellen – beanspruchen wir doch gar nicht, dazu in der Lage zu sein – sondern über die Menschen, nämlich darüber, mit welcher Vorstellung sie den Göttern die Namen beigelegt haben. Denn das ist sicher nicht zu verargen. Hermogenes: Was du sagst, Sokrates, ist, meine ich, angemessen, und wir verfahren so. Sokrates: Nicht wahr, es ist Hestia, bei der wir anfangen sollten gemäß der Sitte? Hermogenes: Das wäre jedenfalls richtig. Sokrates: Was soll man nun sagen, hat jener bei seiner Namensgebung gedacht, der die Hestia benannt hat? Hermogenes: Beim Zeus, auch das ist, meine ich, nicht leicht. Sokrates: Es sieht jedenfalls so aus, guter Hermogenes, als ob die ersten Namensetzer keine gewöhnlichen Leute waren, sondern spekulative Geister und Grübler. Hermogenes: Wie das? Sokrates: Für mich ist klar, dass die Setzung der Namen auf solche Leute zurückgeht; und wenn man die fremden, nicht-attischen Namen überprüft, 2 Ein Beispiel dafür ist Aischylos, Agamemnon 160–2: Ζεὺς ὅστις ποτ’ ἐστίν, εἰ τόδ’ αὐτῷ φίλον κεκλημένῳ, τοῦτό νιν προσεννέπω Zeus, wer er auch sein mag, ist ihm dies lieb als Name, so ruf ich so ihn an.
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findet man nicht weniger, was jeder sagen will. Zum Beispiel dafür, was wir ousia (Sein) nennen, finden sich welche, die es essia nennen, manche aber auch ôsia. Zunächst nun ist es im Sinne der einen Namensvariante (essia) durchaus begründet, das Sein der Dinge Hestia zu nennen, und wenn wiederum wir das, was am Sein teilhat, estin nennen, so dürfte auch in diesem Sinne Hestia richtig benannt sein. Scheinen doch auch wir in alter Zeit das Sein essia genannt zu haben. Und auch wenn man es im Lichte der Opfer betrachtet, so dürfte man ebenfalls zur Ansicht gelangen, dass so die Setzer dieser Namen gedacht haben. Denn vor allen Göttern zuerst der Hestia zu opfern, ist folgerichtig für Leute, die das Sein von allem essia genannt haben. Diejenigen aber, die ôsia geprägt haben, dürften wohl nahezu wie Heraklit geglaubt haben, dass alles Seiende im Prozess sei und nichts beharre. Ursache und Ursprungsgrund dafür sei das Stoßende (ôthoûn), weshalb es auch richtig sei, wenn es ôsia genannt worden sei. Auch diese unsere Erklärungen sollen aber nicht mehr sein als Worte unwissender Leute. Nach der Hestia ist es berechtigt, Rhea und Kronos zu betrachten. Indes, den Namen des Kronos haben wir schon durchgenommen. – Doch vielleicht ist das, was ich sage, nichts wert. Hermogenes: Wie das, Sokrates? Sokrates: Mein Guter, ein ganzer Schwarm von Weisheit ist mir eingefallen. Hermogenes: Von welcher Art? Sokrates: Es ist lächerlich zu sagen, doch hat es, meine ich, eine gewisse Plausibilität. Hermogenes: Welche? Sokrates: Ich glaube zu sehen, dass Heraklit alte Weisheiten ausspricht, nämlich schlichtweg die über Kronos und Rhea, die auch Homer gesagt hat. Hermogenes: Wie meinst du das? Sokrates: Es sagt doch Heraklit, dass alles sich fortbewege und nichts bleibt, und vergleicht das Seiende mit dem Fließen eines Flusses und sagt „zweimal in denselben Fluss kannst du nicht steigen“. Hermogenes: So ist es. Sokrates: Wie nun? Hast du den Eindruck, es habe derjenige eine andere Auffassung als Heraklit gehabt, der den Ahnen der übrigen Götter die Namen Rhea und Kronos beigelegt hat? Meinst du etwa, er habe von ungefähr beiden die Namen von Fließendem beigelegt? Wie auch Homer seinerseits „den Okeanos der Götter Ursprung“ nennt „und Têthys Mutter“. Und ich glaube auch Hesiod. Auch Orpheus sagt irgendwo:
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Okeanos in schönem Fluss hat als erster geehlicht, Vermählt er sich doch mit Têthys, der Schwester von Mutterseit her.
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Sieh nun, wie das sowohl untereinander zusammenpasst als auch auf das hinausläuft, was Heraklit vertritt. Hermogenes: Es scheint etwas zu sein an dem, was du sagst. Doch im Falle des Namens der Têthys verstehe ich noch nicht, was er sagen will. Sokrates: Aber eigentlich sagt dieser doch fast selbst, dass er in versteckter Form der Name einer Quelle ist. Denn das Durchsiebende (diattômenon) und Filternde (êthoumenon) steht bildlich für Quelle. Aus diesen beiden Namen ist der Name Têthys zusammengesetzt. Hermogenes: Sehr geistreich, Sokrates. Sokrates: Wie sollte es auch nicht? Doch weiter. Den Zeus haben wir schon behandelt. Hermogenes: Ja. Sokrates: Seine Brüder lass uns also erklären, Poseidôn und Plutôn und den anderen Namen, mit dem wir letzteren benennen. Hermogenes: Unbedingt. Sokrates: Der Name des Poseidon scheint mir von seinem ersten Namensgeber wohl deshalb geprägt worden zu sein, weil ihn das Meer beim Schreiten angehalten hat und nicht weitergehen ließ, sondern ihm gleich sam zur Fessel (desmos) wurde für seine Füße (podôn). Den Gott, der über diese Macht verfügt, nannte er daher Poseidon, da er eine Fußfessel (posidesmon) sei. Das e wurde wohl der Verschönerung wegen eingefügt. Doch vielleicht ist nicht das sein Sinn, sondern es wurden ursprünglich zwei Labdas anstelle des Sigma ausgesprochen, um auszudrücken, dass der Gott einer ist, der vieles weiß (polla eidôs). Möglicherweise aber heißt er vom Erschüttern (seiein) der Erschütterer (ho seiôn), und hinzugefügt ist das Pi und das Delta. Was nun den Namen des Pluton angeht, so wurde er nach der Gabe des Reichtums (plutou) benannt, da aus der Erde von unten der Reichtum emporkommt. Im Falle des Hades (Ἅιδης) jedoch scheinen viele anzunehmen, dass durch diesen Namen das Unsichtbare (aides) ausgedrückt werde, und aus Scheu vor diesem Namen nennen sie ihn Pluton. Hermogenes: Und du, was meinst du? Sokrates: Ich habe den Eindruck, dass die Menschen das Wesen dieses Gottes in vielfacher Hinsicht verkannt haben und dass sie ihn fürchten ohne Grund. Denn dass man, einmal gestorben, für immer dort bleibt, davor haben sie Angst, und dass die Seele vom Körper entblößt zu jenem geht, auch das hat sie mit Angst erfüllt. Doch meiner Ansicht nach läuft das alles auf dasselbe hinaus, sowohl die Herrschermacht des Gottes wie sein Name. Hermogens: Wie denn? Sokrates: Ich werde dir sagen, wie es sich mir darstellt. Sag mir, wenn es darum geht, irgend ein Lebewesen irgendwo festzuhalten, was ist da das stärkere Band, Zwang oder Verlangen?
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Hermogenes: Bei weitem stärker, Sokrates, das Verlangen. Sokrates: Glaubst du nun nicht, dass dem Hades viele entfliehen würden, würde er sie nicht mit dem stärksten Band binden, wenn sie dorthin gehen? Hermogenes: Offenbar. Sokrates: Mit einem Verlangen also, wie es scheint, bindet er sie, wenn er sie tatsächlich mit dem stärksten Band bindet, und nicht mit Zwang. Hermogenes: So sieht es aus. Sokrates: Verlangen aber gibt es viele Arten, nicht? Hermogenes: Ja. Sokrates: Mit dem stärksten aller Verlangen also bindet er sie, wenn er sie mit dem stärksten Band festhalten soll. Hermogenes: Ja Sokrates: Gibt es nun ein stärkeres Verlangen als danach, mit jemandem zusammenzusein, durch dessen Umgang man glaubt, ein besserer Mensch zu werden? Hermogenes: Nein, beim Zeus, auf keinen Fall. Sokrates: Daher also, wollen wir sagen, Hermogenes, will keiner von dort hierher zurückkehren, selbst die Sirenen nicht, sondern auch sie werden wie alle andern verzaubert. Derart schöne Reden, scheint es, weiß Hades zu halten, und es ist dieser Gott, jedenfalls gemäß dieser Auffassung, ein vollendeter Sophist und großer Wohltäter der bei ihm Weilenden, er, der auch denen, die hier wohnen, Gutes in so großem Ausmaß heraufschickt. So viel Überfluss hat er dort, und von daher (von ploûtos, Reichtum) hat er auch den Namen Plutôn. Und dass er andererseits nicht mit den Menschen zusammensein will, solange sie noch ihren Körper haben, sondern erst dann mit ihnen verkehren möchte, wenn ihre Seele rein ist von allen körperlichen Übeln und Begierden, meinst du nicht, dass das einen Philosophen bezeugt, einen, der wohl erwogen hat, dass er sie zwar, sind sie in diesem Zustand, festhalten kann mit der Bindung an das Verlangen nach Tugend, dass jedoch, solange sie mit der Leidenschaft und der Raserei des Körpers behaftet sind, nicht einmal Kronos, sein Vater, sie mit seinen legendären Fesseln bei sich festhalten könnte. Hermogenes: Wahrscheinlich hast du recht, Sokrates. Sokrates: Und der Name des Hades, Hermogenes, ist weit davon entfernt, von aides (unsichtbar) abgeleitet zu sein, viel eher ist es sein Wissen (eidenai) um alles Schöne, wonach er vom Namengeber Hades (Ἅιδης) genannt wurde. Hermogenes: Gut. Doch Demeter, Hera, Apollon, Athene, Hephaistos, Ares und die übrigen Götter, wie erklären wir die? Sokrates: Demeter scheint nach der Gabe der Nahrung, die sie gibt (didousa) wie eine Mutter (mêtêr), benannt zu sein. Hera aber ist liebenswert (erate), und so heißt es auch, dass Zeus in sie verliebt sie zur Gattin hat. Vielleicht hat der
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Namensgeber aber über die Dinge in der Höhe spekulierend die Luft (aêr) Hera genannt, in versteckter Form, indem er den Anfang ans Ende setzte. Man kann es erkennen, wenn man mehrmals den Namen Hera wiederholt. Pherre phatta aber, diesen Namen fürchten ebenfalls viele, auch den von Apollon, aus Unkenntnis, wie es scheint, der richtigen Deutung der Namen. Denn sie betrachten den Namen unter der veränderten Form Phersephonê, und er kommt ihnen dabei unheimlich vor. In Wirklichkeit kündet er von der Weisheit der Göttin. Denn da die Dinge in Bewegung sind, dürfte das Vermögen, das sie erfasst und betastet und ihnen zu folgen vermag, Weisheit sein. Pherepapha also dürfte wegen ihrer Weisheit und der Erfassung (epaphê) des Bewegten (to phe romenon) mit Recht der Name der Göttin sein, oder etwas dergleichen – daher lebt auch Hades, ebenfalls ein Weiser, mit ihr zusammen, weil sie von dieser Art ist. Nun hat man aber ihren Namen abgewandelt, da man den Wohlklang höher schätzte als die Wahrheit, und nennt sie Pherrephatta. Ebenso ist es mit Apollon, wie gesagt, viele haben Furcht im Zusammenhang mit seinem Namen, als ob er etwas Schreckliches ausdrückt. Oder hast du das nicht bemerkt? Hermogenes: Allerdings, und du hast recht. Sokrates: In Wirklichkeit passt er meiner Meinung nach ganz besonders schön zum Wesen des Gottes. Hermogenes: Inwiefern? Sokrates: Ich werde deutlich zu machen versuchen, was ich meine. Es gibt nämlich keinen Namen, der als einzelner besser zu den vier Wesenszügen des Gottes passt, derart, dass er sie alle erfasst und auf gewisse Weise die Musik, die Weissagekunst, die Heilkunst und die des Bogenschützen zum Ausdruck bringt. Hermogenes: Erkläre es. Denn wahrhaft ungewöhnlich muss, nach dem was du sagst, der Name sein. Sokrates: Wohlgefügt ist er, ist der Gott doch ein Musiker. Zunächst die Reinigung und die Entsühnungen sowohl im Sinne der Heilkunst wie der Seherkunst, die Ausräucherungen durch medizinische Mittel und solche der Weissagung, die dabei angewandten Bäder und Besprengungen, all das dürfte doch besonders eines bewirken, den Menschen rein zu machen an Körper und Seele. Nicht wahr? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Also der reinigende Gott sowie der abwaschende (apolouôn) und von derartigen Übeln lösende (apolyôn) wird dieser sein? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Nach den Lösungen und Reinigungen, die er als Heiler von Derartigem vornimmt, heißt er mit Recht Apolouôn. Nach der Weissagekunst, dem Wahren und Einfachen (haploun) – denn das ist dasselbe – dürfte er mit größ-
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tem Recht so heißen, wie ihn die Thessaler nennen. Aploun nämlich nennen alle Thessaler diesen Gott. Da er aufgrund seiner Kunst des Bogenschießens seiner Schüsse immer sicher ist, ist er der aei ballôn (der stets Treffende). Was nun die Musik angeht, so ist anzunehmen, dass das Alpha, wie bei akolouthos (Begleiter) und akoitis (Gemahl), vielfach zusammen, zugleich (homou) bedeutet, und hier gleichzeitiges Drehen (homou polêsis) sowohl am Himmel, was d man Umläufe nennt, wie bei der Gesangsharmonie, die Zusammenklang heißt, dass all das, wie die Kenner der Musik und Astronomie sagen, in einer gewissen Harmonie zusammen gehe (polei3 hama). Die Aufsicht aber über die Harmonie führt dieser Gott, indem er alles zusammen bewegt (homopolôn), sowohl bei den Göttern wie bei den Menschen. Wie wir nun den Weggenossen (homoke leuthos) und die Bettgenossin (homokoitis) akolouthos beziehungsweise akoitis nennen und dabei das a für das homo einsetzen, so nennen wir Apollon den, der Homopolôn (gleichzeitige Bewegung verursachend) war, und das zweite Labda fügen wir dabei ein, weil er mit dem schlimmen Namen gleichlautend geworden war. Letzteren argwöhnen auch jetzt noch manche dahinter, da sie die Bedeutung des Namens nicht richtig auffassen und ihn fürchten, als ob er 406 a ein Verderben bedeute. In Wirklichkeit aber ist er, wie eben gesagt, so geprägt, dass er alle Züge des Gottes zugleich erfasst, einfach (haplous), immer treffend (aei ballôn), reinigend (apolouôn), zusammen bewegend (homoupolôn). Was aber die Musen angeht und die Musik insgesamt, so leitet sich ihr Name, wie es scheint, vom Verlangen (môsthai) sowie vom Suchen und Streben nach Weisheit ab. Lêtô aber von der Sanftmütigkeit der Göttin, da sie willig (ethelêmon) gewährt, worum man sie bittet. Vielleicht aber auch nach dem, wie sie die Auswärtigen nennen. Viele nämlich nennen sie Lêthô. Wie es scheint, heißt sie mit Blick auf das Fehlen jeglicher Rauheit in ihrem Charakter (êthos), der vielmehr b mild und sanft (leion êthos) ist, Letho bei denen, die sie so nennen. Artemis aber scheint das Unversehrte (artemes) und das Sittsame (kosmion) auszudrücken, wegen ihrer Liebe zur Jungfräulichkeit. Vielleicht hat sie aber auch als der Tugend kundig (aretês histôr) derjenige bezeichnen wollen, der sie benannt hat, möglicherweise auch als die, die einen Hass hat gegen das Ackern (aroton misêsasê) des Mannes in der Frau. Entweder aus einem von diesen Gründen oder aus allen zusammen hat der Namensgeber diesen Namen der Göttin beigelegt. Hermogenes: Was aber ist mit Dionysos und Aphrodite? Sokrates: Groß, Sohn des Hipponikos, ist das, wonach du fragst. Doch ist der Sinn, mit dem diesen Göttern ihre Namen beigelegt wurden, ja zugleich 3 Da πολεῖν nach Ancheschi (2007)124 ohnehin fast stets intransitiv ist, ist die Korrektur πολεῖται von Ast statt des überlieferten für transitiv gehaltenen πολεῖ unnötig.
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ernst und scherzhaft. Den ernsten erfrage von anderen, den scherzhaften aber durchzugehen hindert uns nichts. Lieben doch auch die Götter den Scherz. Dionysos nämlich dürfte als derjenige, der den Wein gibt (didous ton oinon), im Scherz Didoinysos genannt worden sein, der Wein (oinos) aber wird deshalb, weil er bewirkt, dass die meisten, die trinken, meinen, Vernunft zu haben (oi esthai noun echein), obwohl sie keine haben, wohl mit größtem Recht oionous genannt. Was aber Aphrodite angeht, lohnt es sich nicht, dem Hesiod zu widersprechen, sondern man kann zugeben, dass sie wegen der Entstehung aus dem Schaum (aphros) Aphrodite heißt. Hermogenes: Aber die Athene (Athênâ) wirst du doch als Athener, Sokrates, nicht vergessen, und auch den Hephaist nicht und den Ares. Sokrates: Nein, das wäre nicht natürlich. Hermogenes: In der Tat nicht. Sokrates: Bei ihrem zweiten Namen ist es nicht schwer, zu sagen, woher er kommt. Hermogenes: Welchen meinst du? Sokrates: Pallas nennen wir sie doch? Hermogenes: Freilich. Sokrates: Wenn wir annehmen, dass sie diesen Namen vom Waffentanz her hat, gehen wir, wie ich glaube, nicht fehl. Denn sich selbst oder etwas anderes in die Höhe springen lassen, von der Erde aus beziehungsweise in den Händen, nennen wir „schwingen“ (pallein) und „sich schwingen“ (pallesthai), „tanzen lassen“ (orchein) und „tanzen“ (orchesthai). Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Pallas kommt also von daher. Hermogenes: Und zwar mit Recht. Aber den anderen Namen, wie erklärst du den? Sokrates: Den der Athene? Hermogenes: Ja. Sokrates: Der ist schwerer, mein Freund. Es scheinen nun auch schon die Alten die Athene so beurteilt zu haben wie heute die Homerkenner. Denn die meisten von diesen sagen bei ihrer Auslegung des Dichters, er habe mit der Athene Geist und Verstand dargestellt, und auch der Namensverfertiger, scheint es, dachte über sie etwas von dieser Art. Nur ging er noch weiter, indem er sie Gottes Vernunft (theou noêsis) nennt und gleichsam sagte, sie sei ha theo noa, wobei er nach einem fremden Dialekt das Alpha (in theonoa) für das Eta einsetzte und das Iota und das Sigma tilgte. Vielleicht meinte er es auch nicht so, sondern nannte sie, da sie vor allen andern die göttlichen Dinge begreife (ta theia noousa), Theonoê. Es hindert auch nichts, dass er die Göttin, da sie die im Charakter (êthos) angelegte Vernunft sei, Êthonoê nennen wollte. Doch
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hat man, entweder er selbst oder jemand später, den Namen zum vermeintlich Schöneren hin verändert und sie Athenaa genannt. Hermogenes: Was ist aber mit Hephaistos, wie erklärst du den? Sokrates: Etwa den echten, den phaeos histôr (des Lichts Kundigen), fragst du nach dem? Hermogenes: Offenbar. Sokrates: Ist das nicht jedem klar, dass er Phaistos (glänzend) ist, mit vorgesetztem Êta? Hermogenes: Wahrscheinlich schon, es sei denn, dir fällt, wie es aussieht, noch etwas anderes ein. Sokrates: Damit das nicht geschieht, frag mich nach dem Ares. Hermogenes: Ich frage also. Sokrates: Also, wenn du willst, heißt er nach dem Männlichen (arren) und Mannhaften (andreion) „Ares“. Hat er aber den Namen nach seiner Härte und Unbeugsamkeit, also nach dem, was man arraton (unzerbrechlich) nennt, dann passt es auch in jeder Hinsicht zu dem kriegerischen Gott, wenn er in diesem Sinne Ares genannt wird. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Von den Göttern aber wollen wir nun, bei den Göttern, ablassen, denn ich für meinen Teil habe Angst, über sie zu reden. Anderes lege mir, wenn du willst, ruhig vor, „auf dass du siehst, was Euthyphrons Pferde vermögen“4. Hermogenes: Das werde ich tun. Doch zuvor noch eine Frage nach Hermes, zumal ja Kratylos auch abstreitet, dass ich ein Hermogenes sei. Versuchen wir also im Falle des Hermes herauszufinden, was sein Name bedeutet, damit wir wissen, ob dieser recht hat. Sokrates: Der Name scheint doch etwas mit dem Reden zu tun zu haben, der „Hermes“. Denn Dolmetscher sein und Bote, Dieb und Betrüger mit Worten und geschickter Verkäufer, all diese Tätigkeit bezieht sich doch auf das Redevermögen. Wie wir nun vorhin sagten, bedeutet eirein Gebrauch der Rede, der andere Teil des Namens aber, wie Homer an vielen Stellen sagt, nämlich emêsato, heißt soviel wie „ersinnen“. Nach diesen beiden befiehlt uns gleichsam der Gesetzgeber, diesen Gott, der das Reden und die Rede ersann, zu nennen: „Ihr Menschen, er, der das Reden ersann (to eirein emêsato), dürfte mit Recht von euch Eiremês genannt werden.“ Doch in der Meinung, den Namen zu verschönern, nennen wir ihn heute „Hermes“. Hermogenes: Beim Zeus, mit gutem Grund, scheint es, sagt also Kratylos, dass ich nicht „Hermogenes“ sei. Denn in der Rede bin ich in der Tat nicht erfinderisch.
4 Eine Anspielung auf Ilias V, 221–2.
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Sokrates: Und auch die Doppelnatur vom Hermessohn Pan hat ihre Berechtigung, mein Freund. Hermogenes: Inwiefern? Sokrates: Du weißt doch, dass die Rede alles ausdrückt und dreht und stets wendet, und dass sie zweifach ist, wahr und falsch? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Dasjenige nun von ihr, was wahr ist, ist glatt und göttlich und wohnt oben bei den Göttern, das Falsche jedoch wohnt unten bei der Masse der Menschen und ist rauh und bocksartig (tragikon). Denn hier, beim tragischen Leben, finden sich die meisten Legenden und Unwahrheiten. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Zu Recht also dürfte der, der alles (pan) kundtut und stets in Drehung versetzt (aei polôn), der Pan aipolos sein, der Sohn des Hermes mit doppelter Natur, oben glatt, unten jedoch rauh und bocksgestaltig. Und er ist entweder selbst die Rede oder der Rede Bruder, der Pan, wenn er wirklich des Hermes Sohn ist. Dass aber ein Bruder dem Bruder gleicht, ist nicht verwunderlich. Doch, wie ich schon sagte, mein Bester, lassen wir ab von den Göttern. Hermogenes: Jedenfalls von dieser Art Götter, Sokrates, wenn du willst. Doch die folgenden, was hindert dich, die durchzugehen, die Sonne meine ich und Mond, Sterne, Erde, Äther, Luft, Feuer, Wasser, Jahreszeiten und das Jahr? Sokrates: Es ist viel, was du mir auferlegst, dennoch, wenn es dir Vergnügen bereitet, willige ich ein. Hermogenes: Das tut es in der Tat. Sokrates: Was willst du nun als Erstes? Oder sollen wir, wie in deiner Aufzählung, mit der Sonne anfangen? Hermogenes: Ja. Sokrates: Die Sache wird wohl klarer, wenn man den dorischen Namen verwendet – „halios“ sagen nämlich die Dorer –, halios dürfte sie nun deshalb sein, weil sie die Menschen am selben Ort versammelt (halizein), wenn sie aufgeht, oder auch, weil sie sich bei ihrem Gang stets um die Erde windet (aei eilein iôn), man könnte aber auch meinen, weil sie bei ihrem Gang das, was aus der Erde entsteht, bunt macht (poikillei), denn poikillein und aiolein laufen auf dasselbe hinaus. Hermogenes: Und der Mond? Sokrates: Dieser Name scheint den Anaxagoras unter Druck zu bringen. Hermogenes: Inwiefern? Sokrates: Er scheint zu zeigen, dass die Auffassung älter ist, die jener kürzlich vorgetragen hat, dass nämlich der Mond sein Licht von der Sonne erhält. Hermogenes: Wie das?
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Sokrates: Selas (Glanz) und phôs (Licht) sind doch dasselbe? Hermogenes: Ja. Sokrates: Neu und alt ist stets dieses Licht am Mond, wenn wahr ist, was die Schule des Anaxagoras sagt. Denn indem die Sonne ihn stets umkreist, wirft sie stets neues (neon) Licht auf ihn, das alte (henon) jedoch ist das vom vorangehenden Monat. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Selanaia ist es doch aber, was viele ihn nennen. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Weil sein Strahl (selas) neu (neon) und alt (henon) ist ohne Unterlass (aiei), dürfte er mit dem allergrößten Recht Selaenoneoaeia genannt werden, zusammengezogen aber heißt er Selanaia. Hermogenes: Dithyrambisch in der Tat ist dieser Name, Sokrates. Doch den Monat und die Sterne, wie erklärst du die? Sokrates: Der Monat (meis) dürfte, abgeleitet von meiousthai (sich verringern), richtig meiês heißen, was die Sterne (astra) angeht, so scheint ihr Name nach dem Blitz (astrapê) geprägt zu sein. Der Blitz (astrapê) aber müsste, weil er die Augen (ôpa) dazu bringt, sich abzuwenden (anastrephei), anastrôpê heißen, nun aber heißt er verschönert astrapê. Hermogenes: Und was ist mit dem Feuer und dem Wasser? Sokrates: Beim Feuer (pyr) bin ich ratlos. Und es scheint, dass mich ent weder die Muse des Euthyphron verlassen hat oder dass dieses Wort besonders schwierig ist. Sieh dir nun den Ausweg an, den ich für alle derartigen Fälle von Ratlosigkeit vorsehe. Hermogenes: Welchen? Sokrates: Ich werde es dir sagen. Antworte mir nämlich: Kannst du sagen, wonach das Feuer so heißt? Hermogenes: Beim Zeus, ich doch nicht. Sokrates: Sieh nun, was ich darüber vermute. Ich gehe davon aus, dass die Griechen, zumal diejenigen, die im Herrschaftsbereich der Barbaren leben, viele Namen von den Barbaren übernommen haben. Hermogenes: Und weiter? Sokrates: Wollte man nun für diese im Rahmen der griechischen Sprache fragen, in welchem Sinne ihre Festsetzung plausibel ist, nicht jedoch im Rahmen der Sprache, aus der sie stammen, so weißt du, dass man in Verlegenheit geriete. Hermogenes: Natürlich. Sokrates: So sieh nun zu, ob nicht auch dieser Name pyr (Feuer) barbarischer Herkunft ist. Denn dieser ist nicht leicht mit der griechischen Sprache zu verknüpfen, andererseits nennen offensichtlich die Phryger das Feuer mit einer
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leichten Abweichung auch so. Und ebenso ist es bei hydôr (Wasser), bei kynes (Hunde) und vielem anderen. Hermogenes: So ist es. Sokrates: Man darf also diesen Namen keine Gewalt antun – obwohl man wohl auch etwas über sie sagen könnte. Die Fälle pyr (Feuer) und hydôr (Wasser) werde ich also so los. Was nun die Luft (aêr) angeht, Hermogenes, heißt sie vielleicht deshalb aer, weil sie die Dinge von der Erde hochhebt (airei)? Oder weil sie stets fließt (aei rhei)? Oder weil aus ihrem Fließen der Windhauch entsteht? Nennen doch die Dichter das Hauchen (pneuma) des Windes aêtai. Vielleicht also meint ihr Name aêtorhous, so als ob man sagte pneumatorhous (Hauchfluss). Im Falle des Äthers (aithêr) nehme ich Folgendes an: Weil er stets rennt (aei thei) in seinem Fluss (rheon) um die Luft (aer), dürfte er mit Recht aeitheêr genannt werden. Die Bedeutung von „Erde“ (gê) wird deutlicher, wenn man sie gaia nennt. Denn gaia dürfte mit Recht die Erzeugerin (gennê teira) heißen, nach den Worten Homers, denn er sagt gegaasi für gegennêsthai (erzeugt worden sein). Gut. Was kommt danach? Hermogenes: Die Jahreszeiten (hôrai), Sokrates, die Jahresfrist (eniautos) und das Jahr (etos). Sokrates: Die Jahreszeiten (hôrai) muss man wie im Attischen der alten Zeit aussprechen, wenn man wirklich den wahrscheinlichen Sinn wissen will. Sie sind nämlich horai, da sie Grenzen setzen (horizein) den Wintern, den Sommern, den Winden und den Früchten aus der Erde. Insofern sie nun begrenzen, heißen sie wohl mit Recht horai. Jahresfrist (eniautos) aber und Jahr (etos) scheinen ein und dasselbe zu sein. Denn dasjenige, was das, was wächst und entsteht, der Reihe nach jeweils ans Licht führt und es in sich selbst (en hautôi) prüft (exetazei), wird ähnlich, wie vorhin der Name des Zeus in zwei Teile geteilt bei den einen als Zêna und den anderen als Dia auftrat, so auch hier bei den einen eniautos heißen, von en heautôi (in sich selbst), bei den anderen etos¸ von etazein (prüfen). Der Satz als Ganzes aber, dass es nämlich in sich selbst prüft (en heautôi etazon), wird so, obwohl eine Einheit, in zwei Teilaussagen zerlegt, sodass zwei Namen entstanden sind, eniautos und etos, und zwar aus einem Satz. Hermogenes: Wahrhaftig, Sokrates, große Fortschritte machst du. Sokrates: Es sieht so aus, meine ich, dass ich schon weit vorangekommen bin in der Weisheit. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Bald wirst du das noch mehr sagen. Hermogenes: Nach dieser Gruppe würde ich, wenn es nach mir geht, gerne die folgenden schönen Namen daraufhin betrachten, nach welchem Richtigkeitskriterium sie geprägt sind, ich meine die mit einem Bezug zur Tugend,
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wie Klugheit (phronesis), Verständnis (synesis), Gerechtigkeit (dikaiosyne) und alles andere dieser Art. Sokrates: Mein lieber Freund, du rührst da keine schlechte Gattung von Namen auf. Doch da ich nunmal die Löwenhaut angezogen habe, gibt es kein Verzagen, vielmehr ist wohl die Prüfung aufzunehmen von Klugheit (phronê sis), Verständnis (synesis), Erkenntnis (gnômê), Wissen (epistêmê) und von all den anderen schönen Namen, die du gesagt hast. Hermogenes: In der Tat, vorher dürfen wir nicht aufgeben. Sokrates: Und wirklich, beim Hund, ich glaube, es ist keine schlechte Ahnung, die mir auch eben gekommen ist, dass die Menschen in ganz alter Zeit, die die Namen festgesetzt haben, ganz und gar wie auch die Mehrzahl der heutigen Weisen vom häufigen sich Umdrehen bei der Suche nach der Natur der Dinge vom Schwindel ergriffen werden, und es scheinen ihnen dann die Dinge sich zu drehen und in vollständiger Bewegung begriffen zu sein. Und sie führen diese Erscheinung nicht auf ihren eigenen inneren Zustand als Ursache zurück, sondern meinen, es sei die Natur der Dinge selbst, dass nichts an ihnen dauerhaft und beständig sei, sondern alles stets fließe und sich bewege und immer voll sei von jeder Art von Bewegung und Werden. Ich sage das aber mit Blick auf alle eben aufgeführten Namen. Hermogenes: Wie das, Sokrates? Sokrates: Du hast vielleicht nicht bemerkt, dass die eben genannten Namen den Dingen unter der Annahme beigelegt wurden, dass diese sich ganz und gar in Bewegung, Fluss und Werden befinden. Hermogenes: Daran habe ich in keiner Weise gedacht. Sokrates: Zunächst unterliegt sicher der erste, den wir erwähnt haben, dieser Annahme. Hermogenes: Welcher? Sokrates: Die Klugheit (phronêsis). Sie ist nämlich der Bewegung (phora) und des Flusses (rhoe) Erkennen (noêsis). Man könnte sie auch als den Nutzen (onêsis) der Bewegung (phora) verstehen. Jedenfalls hat sie es mit Bewegung zu tun. Oder, wenn du ein anderes Beispiel willst, die Erkenntnis (gnômê) drückt sicherlich des Werdens (gonês) Betrachtung (skepsis) und Beobachtung (nomêsis) aus. Denn Beobachten (noman) und Betrachten (skopein) ist dasselbe. Oder, wenn du willst, das Denken (noêsis) selbst ist das Verlangen nach Neuem (neou hesis). Das Neusein des Seienden bedeutet dabei, dass es stets werdend ist. Dass die Seele danach strebt, das ist es also, was der Setzer des Namens neoesis ausdrückt. Denn noêsis ist nicht die alte Form, vielmehr sind anstelle des Eta zwei E’s zu sprechen: noeesis. Sôphrosynê (Besonnenheit) aber ist die Bewahrung ( sôteria) dessen, was wir eben betrachtet haben, nämlich der Klugheit (phronêsis). Und dann epistêmê (Wissen), damit wird ausgedrückt,
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dass die Seele – die, die der Rede wert ist – den Dingen bei ihrer Bewegung folgt (hepetai), und dabei weder zurückbleibt noch vorauseilt. Daher müsste man ein h einfügen und sie hepistêmê nennen.5 Synesis (Verstehen) wiederum scheint dem syllogismos (Zusammenrechnen) zu entsprechen. Wenn man aber synienai (verstehen, zusammengehen) sagt, ergibt sich dasselbe, wie wenn man epistasthai (verstehen, wissen) sagt. Denn ein Zusammengehen der Seele mit den Dingen ist mit synienai gemeint. Und was sophia (Weisheit) angeht, so bedeutet das: „die Bewegung zu berühren“ (phoras ephaptesthai). Es ist jedoch ziemlich dunkel und fremd. Man muss sich aber ins Gedächtnis rufen, dass die Dichter, wenn sie auf etwas zu sprechen kommen, das sich schnell vorwärts zu bewegen beginnt, vielfach den Ausdruck esythê (es stürmte voran) benutzen. Ein berühmter Spartaner hatte den Namen Soos; denn das schnelle Anstürmen nennen die Spartaner so. Die Berührung epaphê mit dieser Bewegung so nun ist es, was so-(a)phia (Weisheit) bedeutet, wobei angenommen wird, dass das Seiende in Bewegung begriffen ist. Und dann das Gute (agathon), dieser Name will eigentlich dem, was in der gesamten Natur bewundernswert ist, beigelegt werden. Denn da die Dinge, die sind, im Gange sind, gibt es bei ihnen Schnelligkeit und auch Langsamkeit. Es ist nun nicht alles, was schnell ist, bewundernswert, sondern nur ein Teil davon. Unter dem, was schnell (thoon) ist, kommt also dem, was bewundernswert (agaston) ist, diese Bezeichnung agathon (das Gute) zu. Nun zu dikaiosynê: Dass dieser Name für des Gerechten Erfassung (dikaiou synesis) steht, ist leicht zu erschließen. Doch dikaion (gerecht) selbst ist schwierig. Denn, wie es aussieht, sind zwar viele bis zu einem bestimmten Punkt einer Meinung, doch darüber hinaus beginnt der Streit. Denn die, die meinen, das All [τὸ πᾶν] sei in Bewegung, nehmen an, das meiste davon habe keine andere Eigenschaft als die, sich zu bewegen, es gebe aber etwas, das durch dies alles hindurchgehe, durch welches alles, was entsteht, entsteht. Es sei dieses aber das Schnellste und Feinste. Denn sonst könnte es nicht durch alles andere Seiende hindurchgehen, wenn es nämlich einerseits nicht das Feinste wäre, sodass nichts es aufhalten könnte, und andererseits nicht das Schnellste, sodass im Vergleich dazu das Übrige aussieht, als ob es stillstehe. Da es nun alles Übrige – es durchquerend (diaïon) – beherrscht, ist es zu Recht mit diesem Namen 5 Anstelle des unhaltbaren εἶ im ἐμβάλλοντας δεῖ τὸ εἶ ἐπιστήμην αὐτὴν ὀνομάζειν der Überlieferung ist ein Symbol für die Aspiration zu lesen. Die OCT übernimmt die Konjektur ├ (einem halbierten H) von Schmidt. Ademollo (2011) 439, Anm. 205) zeigt, dass nach der Übernahme des ionischen Alphabets gegen Ende des 5. Jhds. in Athen das nunmehr zur Wiedergabe des langen e benutzte H bei Bedarf in Ausnahmefällen weiterhin für den Hauchlaut verwendet wurde, während das in Schmidts Konjektur verwendete ├ (aus dem sich der spätere spiritus asper entwickelte) auf Süditalien beschränkt blieb.
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dikaion benannt worden, wobei es des Wohllauts wegen das Kappa hinzugefügt bekam. Bis hierher stimmen, wie gesagt, viele in der Erklärung des Gerechten überein. Ich aber, Hermogenes, hartnäckig wie ich bin in dieser Sache – habe dies alles als Geheimlehre in Erfahrung gebracht: nämlich dass das Gerechte und die Ursache dasselbe sind; wodurch (di ho) nämlich etwas entsteht, das ist die Ursache, und es Dia (Zeus) zu nennen, sagte einer, sei daher richtig. Wenn ich sie nach dem Gehörten nichtsdestoweniger ruhig weiterfrage: „Was also ist nun, mein Bester, das Gerechte, wenn dies so ist?“, da scheint es, dass ich mit meiner Frage über das zulässige Maß hinausgehe und über den markierten Graben springe. Genug nämlich, sagen sie, hätte ich erfahren, und im Bestreben, mich zufriedenzustellen, versucht jeder etwas anderes zu sagen und sie stimmen nicht mehr miteinander überein. Denn der eine sagt, das sei das Gerechte: die Sonne. Denn diese allein durchdringt und erhitzt das Seiende und lenkt es so. Sage ich nun das jemand anderem, froh, etwas Schönes erfahren zu haben, verlacht der mich und fragt, ob es denn meiner Meinung nach nichts Gerechtes unter den Menschen gebe, wenn die Sonne untergegangen sei. Dringe ich nun in jenen und frage, was wiederum er meine, sagt er, das Feuer selbst sei es. Das aber ist nicht leicht zu verstehen. Ein anderer sagt, nicht das Feuer selbst sei es, sondern das Warme selbst, das im Feuer enthalten sei. Wieder ein anderer lacht, wie er sagt, über all diese Erklärungen; es sei vielmehr das Gerechte das, was Anaxagoras sagt, nämlich der Geist. Denn der herrsche unabhängig, sei mit nichts vermischt und ordne die Dinge, indem er alles durchdringe. An dieser Stelle nun finde ich mich, mein Freund, in viel größerer Verlegenheit als damals, als ich anfing, herauszufinden, was das Gerechte denn eigentlich sei. Doch dasjenige, weswegen wir die Betrachtung anstellten, der Name, der scheint ihm aus diesen Gründen gegeben worden zu sein. Hermogenes: Du machst auf mich den Eindruck, Sokrates, als ob du das von jemand gehört hast und nicht eben selbst ausgedacht hast. Sokrates: Das Übrige auch? Hermogenes: Nein. Das freilich nicht. Sokrates: Hör also zu. Denn vielleicht kann ich dir auch bei den restlichen Erklärungen vormachen, ich habe sie nicht woanders gehört. Was bleibt uns also noch nach der Gerechtigkeit? Die Tapferkeit, meine ich, sind wir noch nicht durchgegangen. Denn die Ungerechtigkeit (adikia) ist doch offenbar tatsächlich ein Hindernis für das, was durchdringt (diaiontos). Das Wort Tapfer keit (andreia) aber hat die Bedeutung, dass im Kampf die Tapferkeit ihren Namen erhielt, der Kampf aber ist in der Wirklichkeit, wenn anders diese im Fluss ist, nichts anderes als das entgegengesetzte Fließen. Nimmt man nun das Delta aus dem Namen der andreia heraus, dann offenbart der Name anreia selbst das, was sie tut. Es ist nun offenbar nicht das jedem beliebigen Fließen
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entgegengesetzte Fließen Tapferkeit, sondern nur dasjenige, das dem Fluss entgegengesetzt ist, der gegenläufig zum Gerechten fließt. Denn andernfalls würde die Tapferkeit ja nicht gelobt werden. Und arrên (männlich) und anêr (Mann) kommen in etwa dem Folgenden nahe, dem nach oben gerichteten Fluss (anô rhoê). Gynê (Frau) aber scheint mir auf gonê (Zeugung) hinauszuwollen. Das Wort thêly (weiblich) aber scheint nach thêlê (Zitze, Mutterbrust) benannt zu sein. Und, Hermogenes, die thêlê doch wohl danach, dass sie, wie bei dem, was gleichsam benetzt wird, das Erblühtsein (tethêlenai) verursacht? Hermogenes: So sieht es aus, Sokrates. Sokrates: Und dann das thallein (blühen) selbst, das scheint mir das Wachstum abzubilden und zwar das der Jungen in seiner Schnelligkeit und Plötzlichkeit. So etwas jedenfalls hat er mit dem Namen nachgebildet, indem er ihn aus thein (rennen) und hallesthai (springen) zusammenfügte. Aber du achtest ja gar nicht darauf, dass ich mich gleichsam aus der Bahn tragen lasse, wenn ich auf glattes Gelände gerate. Es ist uns doch noch etliches zu behandeln, was ernst zu sein scheint. Hermogenes: Das ist wahr. Sokrates: Eines davon ist zu sehen, was eigentlich technê (Kunst) besagen soll. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Bedeutet das nicht Besitz des Geistes (hexis nou), wenn man das Tau wegnimmt, aber ein O zwischen dem Chi und dem Ny einfügt sowie eins zwischen dem Ny und dem Eta (echonoê)? Hermogenes: Ziemlich mühsam, Sokrates. Sokrates: Ach mein Bester, weißt du denn nicht, dass die ersten Namen nach ihrer Prägung ganz zugeschüttet wurden von denen, die sie hochtrabend aufputzen wollten, indem sie Buchstaben hinzusetzten und entfernten des Wohllauts wegen und sie in allen Richtungen umdrehten, aus Gründen der Verschönerung und als Folge der Zeit. Scheint es dir denn nicht im Falle von katoptron (Spiegel) abwegig zu sein, dass das Rho eingefügt wurde? Aber derartiges machen eben, denke ich, Leute, die sich nicht um die Wahrheit kümmern, sondern um die Formung ihres Mundes, sodass sie durch ihre zahlreichen Zusätze zu den ersten Namen schließlich bewirken, dass kein Mensch versteht, was der Name eigentlich bedeutet. So nennen sie etwa auch die Sphinx anstelle von Phix Sphinx, und entsprechend bei vielem anderen. Hermogenes: So ist es, Sokrates. Sokrates: Lässt man aber Zusätze und Tilgungen in den Namen nach Belieben zu, dann ist es sehr leicht, jeden Namen an jede Sache anzupassen. Hermogenes: Das ist wahr. Sokrates: Allerdings. Doch meine ich, du als weiser Aufseher, musst auf Einhaltung von Maß und Wahrscheinlichkeit achten.
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Hermogenes: Das möchte ich schon. Sokrates: Und ich ebenfalls, Hermogenes. Doch nimm es nicht allzu genau, göttlicher Freund, auf dass du mir nicht entkräftest den Mut6. Ich komme nämlich zum Höhepunkt meiner Erklärungen, nachdem wir im Anschluss an technê (Kunst) noch die mêchanê (Kunstgriff) betrachtet haben. Denn mêchane scheint mir das anzudeuten, was viel erreicht (anein epi poly). Denn das Wort mêkos (Größe) bedeutet in etwa viel (poly). Aus diesen beiden nun, mêkos und anein (erreichen), ist der Name mêchanê zusammengesetzt. Doch, wie gesagt, ist es nun an der Zeit, zum Höhepunkt der Ausführungen zu kommen: Denn was die Namen aretê (Tugend) und kakia (Schlechtigkeit) besagen wollen, gilt es herauszufinden. Den einen durchschaue ich noch nicht, der andere jedoch scheint mir klar zu sein. Denn er stimmt mit allem Bisherigen zusammen. Da nämlich die Dinge im Gange sind, dürfte alles, was schlecht geht (kakôs ion), Schlechtigkeit sein (kakia). Insbesondere aber, wenn das in der Seele stattfindet, dieses schlechte Gehen auf die Dinge zu, erhält es vom Ganzen die Benennung kakia (Schlechtigkeit). Was aber das schlechte Gehen eigentlich ist, das macht er auch in deilia (Feigheit) deutlich, was wir noch nicht behandelt, sondern übergangen haben, obwohl wir es nach der andreia (Tapferkeit) hätten untersuchen müssen. Doch wir haben, glaube ich, noch vieles andere übergangen. Die Feigheit (deilia) nun deutet an, dass sie eine starke Fessel der Seele ist. Denn lian (sehr) bedeutet eine Art Stärke. Eine Fessel (desmos) also und zwar eine starke (lian), ja die stärkste für die Seele dürfte die Feigheit (deilia) sein, ebenso wie auch die Verlegenheit (aporia) etwas Schlechtes ist und alles, wie es scheint, was der Bewegung und dem Gehen hinderlich ist. Darauf also scheint das schlechte Gehen zu weisen, auf die festgehaltene und behinderte Bewegung, durch welche die Seele, hat sie sie in sich, voll von Schlechtigkeit wird. Ist es nun Derartiges, wofür der Name kakia (Schlechtigkeit) steht, so dürfte aretê (Tugend) das Gegenteil davon sein, und zunächst die Leichtigkeit des Durchgangs (euporia), dann das stets gelöste Fließen der guten Seele bezeichnen, sodass das, was unaufhaltsam und ungehindert immer fließt (aei rheon), wie es scheint, diesen Namen als Benennung erhielt. Richtig ist es, es aeireitê zu nennen7, es ist aber zusammengezogen worden und heißt 6 Ilias 6,264 f. Mit diesen Worten begründet Hektor, weshalb er den von seiner Mutter in der Kampfpause gereichten Wein ablehnt. Die Analogie zur Situation an unserer Stelle ist etwas gewagt, da hier die drohende Entmutigung des Sokrates auf eine Verschärfung der Anforderung zurückgeführt wird, während in der Ilias die Gefahr beschworen wird, dass eine Erholung den Kampfesmut schwächen könnte. 7 Hinter „nennen“ καλεῖν (416d4) ist von βTδ überliefert und von Burnet (1900) getilgt: ἴσως δὲ αἱρετὴν λέγει ὡς οὔσης ταύτης τῆς ἕξεως (λέξεως Τ) αἱρετωτάτης‚ vielleicht aber meint er auch hairete (vorzuziehen), da dieser Zustand allen ‚vorzuziehen ist‘.
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aretê. Vielleicht wirst du nun wieder sagen, ich erfinde. Ich aber behaupte, wenn richtig ist, was ich vorhin sagte, nämlich zu kakia, dann ist auch dieser Name aretê richtig. Hermogenes: Der Name des Schlechten aber (kakon), durch das du eben vieles erklärt hast, was könnte der wohl bedeuten? Sokrates: Sonderbar, beim Zeus, scheint er mir zu sein und schwer zu deuten. Ich wende daher auch hier jenen Kunstgriff an. Hermogenes: Welchen? Sokrates: Den, dass ich behaupte, auch dieser sei barbarischer Herkunft. Hermogenes: Und recht hast du damit, scheint es. Doch wenn du zustimmst, wollen wir das jetzt lassen und das Schöne (kalon) und das Hässliche (aischron) betrachten; versuchen wir zu sehen, inwiefern sie wohlbegründet sind. Sokrates: Beim Hässlichen (aischron) scheint mir klar, was es bedeutet, denn auch dieses stimmt mit dem Vorigen überein. Denn das, was das Seiende am Fließen hindert und festhält, scheint der Namenssetzer durchgängig zu schmähen, und auch hier gab er dem, was stets anhält den Fluss (aei ischon ton rhoun), den Namen aeischorrhoun; nun aber zieht man es zusammen und sagt aischron. Hermogenes: Was aber ist mit dem kalon (Schönen)? Sokrates: Das ist schwerer zu erfassen. Doch es selbst sagt es; nur in Akzent und Länge des O ist es verändert. Hermogenes: Inwiefern? Sokrates: Für das Denken scheint dieser Name eine Bezeichnung zu sein. Hermogenes: Wie meinst du das? Sokrates: Nun, was meinst du, ist die Ursache dafür, dass irgendein Seiendes mit Namen benannt wird? Ist es nicht dasjenige, was die Namen setzt? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Und ist das nicht das Denken, sei es der Götter oder der Menschen oder von beiden? Hermogenes: Ja. Sokrates: Und ist nicht das, was die Dinge benannt hat (kalesan), und das, was sie benennt (kaloûn), dasselbe, nämlich das Denken (dianoia)? Hermogenes: So scheint es. Hermogenes: Und ist nicht das, was Geist (nous) und Denken (dianoia) verrichten, lobenswert, was aber nicht, zu tadeln? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Das Vermögen des Arztes verrichtet Werke des Arztes, dasjenige des Schreiners solche des Schreiners? Oder wie meinst du? Hermogenes: Genauso? Sokrates: Also verrichtet das, was benennt (kaloûn), Schönes (kala)?
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Hermogenes: Das muss es wenigstens. Sokrates: Es ist dies aber, wie wir sagen, das Denken? Hermogenes: Freilich. Sokrates: Mit Recht also hat die Vernunft (phronêsis) diese Benennung das Benennende (kaloûn), da sie Dinge von der Art bewirkt, die, wie wir behaupten, schön sind und die wir hoch schätzen? Hermogenes: Es scheint so. Sokrates: Welche Namen dieser Art haben wir noch? Hermogenes: Die im Umkreis von gut (agathon) und schön (kalon), nämlich das Zuträgliche (sympheron), Vorteilhafte (lysiteloûn), Nützliche (ôphelimon), Gewinnbringende (kerdaleon) und deren Gegenteil. Sokrates: Sympheron kannst nunmehr wohl auch du im Lichte des Vorigen erklären. Denn es scheint mit dem Wissen (epistêmê) verschwistert zu sein. Nichts anderes nämlich besagt es als die gleichzeitig mit den Dingen ablaufende Bewegung der Seele, und das, was aus einer derartigen Betätigung entsteht, scheint sympheronta und symphora vom Mit-im-Kreis-herum-getragen-werden (symperipheresthai) zu heißen. kerdaleon (gewinnbringend) aber kommt von kerdos (Gewinn). Kerdos aber lässt erkennen, was es besagen will, wenn man ein Ny anstelle des Delta wiederherstellt. Denn es benennt in anderer Weise das Gute. Da dies alles durchdringt und sich dabei damit mischt (kerannytai), benannte er es bei der Setzung des Namens nach diesem Vermögen. Doch fügte er statt des Ny ein Delta ein und sprach es kerdos aus. Hermogenes: Und wie ist lysiteloûn zu verstehen? Sokrates: Wohl nicht, Hermogenes, im Sinne der Verwendung der Händler für das, was die Kosten deckt und ablöst (apolyei); das, glaube ich, ist es nicht, was lysiteloûn besagt, vielmehr weil es als das Schnellste, was es gibt, die Dinge nicht zum Stillstand kommen lässt und nicht zulässt, dass die Bewegung zum Ende ihres Laufs gelangt und stehen bleibt und aufhört, sondern, wenn ein Ende (telos) sich einzustellen versucht, dieses von ihr ablöst (lyei) und sie so endlos und unvergänglich macht, deswegen, glaube ich, heißt das Gute lysite loûn. Denn das, was der Bewegung Ende (telos) löst (lyon), d. h. unterbindet, ist lysiteloûn zu nennen. Ôphelimon (nützlich) aber ist ein fremder Name, den auch Homer vielfach verwendet hat in der Form ophellein. Es ist dies aber eine Bezeichnung für wachsen lassen. Hermogenes: Und das jeweilige Gegenteil davon, wie erklären wir das? Sokrates: Soweit es sich um Negationen des eben Behandelten handelt, müssen wir sie nicht durchgehen. Hermogenes: Welche sind das? Sokrates: Unzuträglich (asymphoron), nutzlos (anôpheles), unvorteilhaft (alysiteles) und gewinnlos (akerdes).
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Hermogenes: Du hast recht. Sokrates: Doch schädlich (blaberon) und verlustbringend (zêmiôdes) müssen wir schon behandeln. Hermogenes: Ja. Sokrates: Und blaberon besagt doch, dass es schädigend (blapton) ist für den Fluss (rhoun); blapton seinerseits bezeichnet das, was festheften (haptein) will. Haptein aber und dein (binden) sind dasselbe, das aber tadelt er ja allenthalben. Dasjenige nun, was den Fluss festhalten will (boulomenon haptein ton rhoun), dürfte wohl am richtigsten boulapterhoun heißen, doch verschönert, wie es scheint, heißt es blaberon. Hermogenes: Verwickelt kommen bei dir, Sokrates, die Namen heraus. Und du kamst mir eben so vor, als ob du das Flötenvorspiel für den Hymnus auf Athene blasen würdest, als du den Namen boulapteroûn aussprachst. Sokrates: Daran, Hermogenes, bin nicht ich schuld, sondern die, die den Namen festgelegt haben. Hermogenes: Du hast recht. Doch zu zêmiôdes, was könnte das sein? Sokrates: Was zêmiôdes wohl sein könnte? Sieh nur, Hermogenes, wie recht ich habe, wenn ich sage, dass man durch Hinzufügung und Wegnahme von Buchstaben den Sinn der Namen erheblich verändert, derart, dass eine ganz geringfügige Abwandlung sie zuweilen das Gegenteil bezeichnen lässt. Wie zum Beispiel auch bei deon (gefordert, gebührlich). Denn ich hatte es schon bemerkt, und bei dem, was ich dir gerade sagen wollte, fiel es mir eben wieder ein, dass diese unsere schöne neue Sprache sowohl deon wie zêmiôdes so verdrehte, dass sie das Gegenteil ausdrücken, und so ihre eigentliche Bedeutung unsichtbar gemacht hat, während die alte Sprache deutlich macht, was jeder der beiden Namen besagen will. Hermogenes: Wie meinst du das? Sokrates: Ich will es dir sagen. Du weißt, dass unsere Altvorderen vom Iota und Delta einen ziemlichen Gebrauch machten, und nicht zuletzt auch die Frauen, die ja die alte Sprache am ehesten bewahren. Heute aber verdreht man das Iota entweder zum E oder zum Eta und das Delta zum Zeta, als ob das vornehmer wäre. Hermogenes: Wie das? Sokrates: Zum Beispiel nannte man in ganz alter Zeit den Tag teils himera, teils hemera, heute aber sagt man hêmera. Hermogenes: Das stimmt. Sokrates: Du weißt doch nun, dass nur dieser alte Name den Gedanken des Namensgebers erkennen lässt? Denn weil das Licht den Menschen zur Freude und als etwas, das sie ersehnen (himeirein), aus der Finsternis hervorging, deshalb nannnten sie es himera.
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Hermogenes: Offenbar Sokrates: Jetzt aber in seiner hochtrabenden Form kann man nicht mehr erkennen, was er besagen will, der Name hêmera. Indessen meinen manche, dass hêmera deshalb so heißt, weil er zahm (hêmeros) macht. Hermogenes: Es scheint so. Sokrates: Und was zygon (Joch) angeht, so weißt du, dass die Alten es dyogon nannten. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Und zygon macht nichts deutlich, wohingegen es wegen der Verbindung von zweien (dyo) zum Ziehen (agogê) zurecht dyogon genannt worden ist. Jetzt aber sagt man zygon. Und in sehr vielen anderen Fällen ist es genauso. Hermogenes: So scheint es. Sokrates: Entsprechend bedeutet deon (gefordert) zuächst, wenn man es so ausspricht, das Gegenteil dessen, was alle Namen im Umkreis des Guten bedeuten. Denn obwohl es eine Form des Guten ist, scheint es eine Fessel (desmos) und Behinderung der Bewegung zu sein, so als ob es mit dem Schädlichen (blaberon) verschwistert wäre. Hermogenes: In der Tat sieht es so aus, Sokrates. Sokrates: Nicht jedoch, wenn du den alten Namen verwendest, der mit viel größerer Wahrscheinlichkeit als der jetzige richtig geprägt ist, vielmehr stimmt er mit den Guten von vorhin zusammen, wenn du statt des E das Iota wiederherstellst, wie in alter Zeit. Denn dïion (durchgehend), nicht aber deon bezeichnet das Gute, das der Namensgeber lobt. Und so gerät der, der die Namen festgelegt hat, nicht in Gegensatz zu sich selbst, sondern deon (gefordert), ôphe limon (nützlich), lysiteloun (vorteilhaft), kerdaleon (gewinnbringend), agathon (gut), sympheron (zuträglich) und euporon (geschickt) erscheinen als dasselbe, etwas, das unter verschiedenen Namen das Ordnende und Fortschreitende bezeichnet und allenthalben gepriesen wird, wohingegen das, was festhält und bindet, getadelt wird. Und in diesem Sinne wird sich dir im Falle des zemiodes, wenn du gemäß der alten Sprache anstelle des Zeta das Delta wiederherstellst, zeigen, dass der Name in der Form dêmiodes für das, was das Gehende bindet, festgesetzt ist. Hermogenes: Was aber ist mit hêdonê (Lust), lypê (Schmerz), epithymia (Begehren) und dergleichen, Sokrates? Sokrates: Das kommt mir nicht sehr schwer vor, Hermogenes. Denn was hê donê (Lust) betrifft, so scheint die auf den Genuss (hê pros ten onêsin) bezogene Befindlichkeit diesen Namen zu haben – das Delta aber ist eingefügt, sodass sie hêdonê statt hêonê heißt – lypê (Schmerz) scheint nach der Auflösung (dialysis) des Körpers benannt zu sein, welche er in diesem Zustand erfährt. Und ania (Betrübnis) ist das, was das Fortschreiten behindert (an..ienai). Algêdôn (Qual)
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scheint mir etwas Fremdes zu sein, abgeleitet von algeinon (schmerzlich), odynê (Schmerzempfindung) scheint nach dem Eindringen (endysis) des Schmerzes benannt zu sein. Im Fall von achthêdôn (Beschwernis) ist für jeden deutlich, dass der Name die Beschwerung der Bewegung abbildet. Chara (Freude) aber scheint nach der weit sich ergießenden Ausbreitung (diachysis) und Leichtigkeit des Fließens (rhoê) der Seele benannt zu sein. Terpsis (Ergötzen) kommt von terpnon (ergötzlich). Terpnon aber heißt so nach dem Kriechen (herpsis) durch die Seele gleich einem Hauch (pnoê), zu Recht müsste es wohl herpnon genannt werden, die Zeit aber hat es zu terpnon verformt. Euphrosynê (Frohsinn) bedarf keiner Erklärung. Denn jedem ist klar, dass sie von der gut (eu) mit den Dingen mitlaufenden Bewegung (sympheresthai) der Seele diesen Namen erhielt, eupheresynê sollte sie mit Recht heißen. Doch nennen wir sie euphro synê. Auch epithymia (Begehren) ist nicht schwer. Denn offenbar wurde der Name der zum Gemüt gehenden (epi thymon iousa) Kraft gegeben. Thymos (Gemüt) aber hat seinen Namen vom Wallen (thysis) und Sieden der Seele. Hi meros (Verlangen) andererseits wurde nach dem Fluss benannt, der die Seele am meisten mitzieht. Weil er nämlich reißend (iemenos) fließt (rhei) und den Dingen nachstürzend (ephiemenos) und so infolge der reißenden Strömung des Flusses die Seele anzieht, heißt er aufgrund dieser gesamten Kraft himeros (Verlangen). Der Name pothos (Sehnsucht) wiederum bedeutet eine Beziehung nicht zu dem, was gegenwärtig ist, sondern zu dem, was anderswo (allothi pou ontos) und so abwesend (apontos) ist, weshalb dasjenige pothos heißt, was dann, wenn das, was einer begehrt, anwesend ist, himeros genannt wird. Wenn es aber abwesend geworden ist, heißt dasselbe pothos (Sehnsucht). Was aber erôs angeht, so ist er ein Fluss, der von außen hereinfließt und nicht dem zu eigen ist, in dem er sich befindet, vielmehr wird er durch die Augen hereingeführt. Daher wurde er vom Hereinfließen (esrhein) jedenfalls in alter Zeit esrhos genannt – anstelle des langen O benutzte man ja bei uns das kurze O –, jetzt aber heißt er erôs wegen des Wechsels von o zu ô. Doch was meinst du, sollten wir noch untersuchen? Hermogenes: Doxa und dergleichen – welche Ansicht hast du darüber? Sokrates: Nun, doxa ist entweder nach dem Verfolgungslauf (dioxis) der Seele benannt, wenn sie dem Wissen von der Natur der Dinge nachjagt, oder aber nach dem Schuss des Bogens (toxon). Eher wohl nach letzterem. Damit befindet sich jedenfalls oiêsis (Glauben, Meinen) in Übereinstimmung. Denn es ist die Bewegung (oisis) der Seele in Richtung auf jede Sache unter dem Aspekt, von welcher Art das jeweilige Seiende eigentlich ist, die dieser Name auszu drücken scheint, wie auch boulê (Rat, Plan) Wurf (bolê) bedeutet und boulesthai (wollen) Nachstreben (ephiesthai) ebenso wie bouleuesthai (planen, beraten). All das folgt der doxa und scheint Wurf (bolê) abzubilden, wie umgekehrt auch
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das Gegenteil, aboulia (Unberatenheit), ein Verfehlen zu sein scheint, in dem Sinne, dass man nicht getroffen oder erreicht hat, worauf man zielte oder was man wollte, worüber man sich beriet oder was man erstrebte. Hermogenes: Das lässt du mir nun doch, Sokrates, zu dicht hintereinander anrücken. Sokrates: Ich laufe ja auch schon ins Ziel. Doch will ich noch abschließend anankê (Zwang) durchgehen, da es sich an diese Dinge anschließt, sowie hekousion (freiwillig). Was nun hekousion angeht, so wird durch diesen Namen das ausgedrückt, was nachgibt und nicht widersteht, doch, wie ich sage, gibt es demjenigen nach, was geht (eîkon tôi ionti), und zwar der dem eigenen Wollen entsprechenden Bewegung. Zwang (anankaîon) und Widerstand jedoch, als dem Willen engegengesetzt, gehört wohl zu Verfehlen und Unwissenheit und wird mit dem Gehen durch enge Schluchten (ankê) verglichen, da diese unwegsam, holperig und buschig sind und so beim Gehen aufhalten. Von daher leitet sich also vielleicht anankaîon (Zwang) ab, nämlich aufgrund eines Vergleichs mit einem Gang durch eine Schlucht. Solange aber die Kraft noch da ist, sollten wir nicht lockerlassen. Lass also nicht nach, sondern frage. Hermogenes: So frage ich denn nach dem Größten und Schönsten, nämlich der Wahrheit (alêtheia), der Falschheit (pseudos), dem Seienden (on) und eben danach, worüber wir gerade reden, dem Namen (onoma). Warum hat er diesen Namen? Sokrates: Du nennst doch etwas maiesthai? Hermogenes: Ja, das Suchen (zêtein). Sokrates: Onoma sieht nun aus wie ein Name, der zusammengeschlagen ist aus einem Satz, der sagt, dass der Name dasjenige Seiende (on) ist, wonach (hoû) die Suche sich richtet. Du dürftest es aber eher erkennen, in dem, was wir onomaston (benennbar) nennen. Denn da sagt es deutlich, es sei dasjenige Seiende, wonach die Suche geht (on hoû masma estin). Alêtheia aber scheint wie die anderen zusammengesetzt zu sein. Denn die göttliche Bewegung des Seienden scheint durch diesen Ausdruck – alêtheia – bezeichnet zu sein, im Sinne einer göttlichen Wanderung (theia ale). Die Falschheit (pseudos) aber ist das Gegenteil von Bewegung. Denn erneut findet sich das, was angehalten und zur Ruhe gezwungen wird, dem Tadel ausgesetzt und wird mit Schläfern (katheudousi) verglichen. Das hinzugesetzte Psi jedoch verbirgt den Sinn des Namens. On (seiend) aber und ousia (Sein, Wesen) stimmen mit alêthes überein, nimmt man das Iota hinzu. Denn on (seiend) bedeutet ion (gehend) und ouk on (nicht seiend) wiederum ouk ion (nicht gehend), wie es ja in der Tat manche nennen. Hermogenes: Das hast du, wie ich glaube, Sokrates, mit wahrhaft energischen Schlägen zerteilt. Wenn dich nun aber jemand nach diesem ion (gehend),
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rheon (fließend) und doun (bindend) fragte und wissen wollte, welche Richtigkeit diese Namen haben – Sokrates: Was wir ihm dann antworten würden, meinst du? Oder? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Ein Mittel haben wir ja eben schon bereitgestellt, mit dem wir den Anschein erwecken können, eine brauchbare Antwort zu geben. Hermogenes: Welches? Sokrates: Zu sagen, das, was wir nicht durchschauen, sei ein barbarisches Wort. Nun, vielleicht gibt es darunter wahrhaftig auch etwas derartiges, es könnte aber auch sein, dass die ersten Namen infolge ihres Alters undurchschaubar sind. Denn angesichts der allseitigen Verdrehung der Namen dürfte es nicht verwunderlich sein, wenn die alte Sprache sich zur heutigen nicht anders verhielte als eine barbarische. Hermogenes: Was du sagst, klingt nicht abwegig. Sokrates: Es ist ja auch wahrscheinlich. Aber meiner Meinung nach duldet die Sache keine Ausflüchte, vielmehr müssen wir uns bemühen, diese Dinge bis zum Grund zu untersuchen. Doch überlegen wir: Wenn jemand die Ausdrücke, mit deren Hilfe der jeweilige Namen gebildet wird, ihrerseits infrage stellt, und dann wieder nach jenen fragt, durch die diese Ausdrücke gebildet wurden, und so endlos weitermacht, muss da der, der antworten will, nicht schließlich aufgeben? Hermogenes: Ich glaube schon. Sokrates: Wann dürfte nun der, der aufgibt, zu Recht aufgeben und ein Ende machen? Nicht dann, wenn er zu jenen Namen gelangt ist, die gleichsam die Elemente der übrigen Sätze und Namen sind? Denn unter dieser Voraussetzung darf man nicht mehr erwarten, dass diese sich als Zusammensetzungen anderer Namen erweisen. Zum Beispiel sagten wir im Falle von agathon (gut), dass es aus agastos (bewundernswürdig) und thoos (schnell) zusammengesetzt sei, und bei thoos können wir vielleicht sagen, es sei aus anderem und jenes wieder aus anderem zusammengesetzt. Doch wenn wir dabei einmal etwas zu fassen bekommen, das nicht mehr aus anderen Namen zusammengesetzt ist, dann dürften wir zu Recht sagen, dass wir nunmehr bei einem Element angelangt sind und dieses nicht mehr auf andere Namen zurückführen müssen. Hermogenes: Ich glaube, du hast recht. Sokrates: Sind nun etwa gerade die Namen, nach denen du jetzt fragst, Elemente, und muss man bei ihnen nunmehr mit einer anderen Methode untersuchen, worin ihre Richtigkeit besteht? Hermogenes: Wahrscheinlich. Sokrates: Ja, Hermogenes, wahrscheinlich. Jedenfalls scheinen alle vorheri-
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gen Namen auf diese zurückzugehen. Ist das aber so, wie ich in der Tat glaube, so komm her und hilf mir bei der Untersuchung, damit ich nicht irgendwelchen Unsinn rede, während ich zu erklären versuche, was das Prinzip der Richtigkeit der ersten Namen ist. Hermogenes: Nur zu, denn ich werde dir bei der Untersuchung mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft helfen. Sokrates: Dass es nun nur eine Art von Richtigkeit für alle Namen gibt, für erste wie für letzte, und dass sich keiner von ihnen als Name von den anderen unterscheidet, ist, glaube ich, auch deine Ansicht. Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Nun bestand aber bei den Namen, die wir eben durchgegangen sind, die Richtigkeit in dem Vermögen, die Beschaffenheit eines jeden Seienden sichtbar zu machen. Hermogenes: Zweifellos. Sokrates: Und das gilt nicht weniger für die ersten als für die letzten, wenn anders sie Namen sein sollen? Hermogenes: Allerdings Sokrates: Aber die späteren konnten diese Leistung, wie es scheint, mithilfe der früheren erbringen. Hermogenes: Offenbar. Sokrates: Gut. Aber die ersten, denen keine weiteren zugrunde liegen, auf welche Weise werden sie uns das Seiende so weit wie möglich klar machen, wenn anders sie Namen sein sollen? Beantworte mir aber dies: Wenn wir keine Stimme und keine Zunge hätten und wollten doch einander die Dinge darstellen, würden wir da nicht, wie die Tauben es ja tatsächlich tun, mit den Händen, dem Kopf und dem übrigen Körper Zeichen geben? Hermogenes: Wie sonst, Sokrates? Sokrates: Wollten wir etwa darstellen, was oben und leicht ist, so würden wir wohl die Hand zum Himmel heben und so die Natur der Sache nachbilden. Wenn aber das, was unten und schwer ist, würden wir sie zur Erde senken. Und wenn wir ein Pferd in seinem Lauf oder ein anderes Lebewesen darstellen wollten, dann würden wir, wie du weißt, unsere Körperhaltungen den ihrigen so ähnlich wie möglich machen. Hermogenes: Es ist, denke ich, zwingend so, wie du sagst. Sokrates: So nämlich, meine ich, entstünde mittels des Körpers eine Darstellung von etwas, indem der Körper das, was er darstellen will, nachahmt, wie es scheint. Hermogenes: Ja. Sokrates: Da wir nun aber mit Stimme, Zunge und Mund darstellen wollen, werden wir da nicht dann eine mit diesen Mitteln hervorgebrachte Darstellung
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von etwas erhalten, wenn mit ihrer Hilfe eine Nachahmung zustande gekommen ist? Hermogenes: Das ist, meine ich, zwingend. Sokrates: Demnach ist der Name, wie es scheint, eine mit der Stimme vorgenommene Nachahmung dessen, was nachgeahmt wird, und derjenige, der nachahmt, benennt das, was er mit der Stimme nachahmt. Hermogenes: So ist es, meine ich. Sokrates: Beim Zeus, aber ich meine keineswegs, dass diese Formulierung richtig ist, mein Freund. Hermogenes: Weshalb? Sokrates: Wir müssten ja dann zugestehen, dass auch jene Leute, die das Vieh nachahmen und die Hähne und andere Tiere, das, was sie nachahmen, auch benennen. Hermogenes: Du hast recht. Sokrates: Und würdest du das in Ordnung finden? Hermogenes: Nein. Doch was für eine Art Nachahmung könnte dann der Name sein, Sokrates? Sokrates: Zunächst jedenfalls, wie ich meine, nicht eine solche, mit der wir die Dinge wie in der Musik nachahmen, obwohl wir auch dann mit der Stimme nachahmen. Sodann glaube ich nicht, dass wir benennen, wenn wir das nachahmen, was die Musik nachahmt. Was meine ich damit? Den Dingen sind doch Laute zu eigen und Gestalt, und vielen auch Farbe? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Es scheint nun nicht die Kunst der Benennung vorzuliegen, wenn jemand diese nachahmt, und sie hat auch nichts mit Nachahmungen dieser Art zu tun. Denn es handelt sich bei ihnen einmal um Musik, zum andern um Malerei, nicht wahr? Hermogenes: Ja. Sokrates: Wie steht es mit Folgendem? Meinst du nicht, dass jedes Ding auch ein Wesen hat, ebenso wie es Farbe hat und das, was wir eben erwähnten? Angefangen bei der Farbe selbst und dem Laut, hat nicht jedes von ihnen beiden ein Wesen, und so auch alles übrige, was diese Bestimmung, dass es ist, verdient? Hermogenes: Doch, das meine ich schon. Sokrates: Und weiter, wenn man eben dies bei irgend etwas nachahmen könnte, das Sein, mit Buchstaben und Silben, würde man dann nicht aufweisen, was es jeweils ist, oder nicht? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Wie würdest du jemand, der das kann, nennen, so wie du in den vorigen Fällen den einen Musiker und den anderen Maler genannt hast? Wie also würdest du diesen nennen?
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Hermogenes: Ich meine, Sokrates, er ist das, was wir seit Langem suchen, nämlich der Benennungsfachmann. Sokrates: Wenn das der Fall ist, dann sind nunmehr, scheint es, wohl jene Namen, nach denen du gefragt hast, nämlich rhoê (Fluss), ienai (gehen) und schesis (Anhalten), daraufhin zu untersuchen, ob er (d. h. der Namensgeber) mit Buchstaben und Silben ihr Sein in dem Sinne erfasst hat, dass er ihr Wesen nachahmt? Hermogenes: Allerdings. Sokrates: Nun gut, dann lass uns sehen, ob das die einzigen ersten Namen sind oder ob es noch viele andere gibt. Hermogenes: Ich meine, es gibt auch noch andere. Sokrates: Es ist ja auch wahrscheinlich. Doch was ist die Methode für die Unterteilung dessen, wovon der, der nachahmt, bei seiner Nachahmung ausgeht? Da es Silben und Buchstaben sind, womit das Wesen nachgeahmt wird, ist es da nicht am ehesten richtig, zunächst die Elemente zu unterteilen, wie ja auch diejenigen, die die Rhythmen behandeln, zuerst die Wirkungsmöglichkeiten der Elemente unterscheiden, sodann die der Silben und dann erst zur Untersuchung der Rhythmen übergehen und nicht früher? Hermogenes: Ja. Sokrates: Müssen also nicht auch wir in dieser Weise zuerst die Vokale unterscheiden, dann vom Rest entsprechend ihren Arten diejenigen, die stimm- und geräuschlos (weder Vokale noch Geräuschlaute [d. h. muta]) sind – denn so nennen sie die Fachleute auf diesem Gebiet –, und dann wieder die, die zwar keine Vokale sind, aber doch auch nicht geräuschlos, und bei den Vokalen selbst die unterschiedlichen Arten, die sie haben? Und wenn wir diese Unterscheidungen gemacht haben, müssen wir auf der anderen Seite bei den Dingen, denen die Namen beizulegen sind, in richtiger Weise insgesamt unterscheiden, ob es unter ihnen welche gibt, auf die alle wie auf Elemente zurückgeführt werden können, auf deren Grundlage sowohl sie selbst erkannt werden können als auch, ob es unter ihnen Arten gibt wie bei den Buchstaben. Haben wir all das richtig durchschaut, so müssen wir wissen, wie man jedes (Buchstabenelement) entsprechend seiner Ähnlichkeit zuweist, nämlich ob man es eins zu eins zuweisen muss oder ob viele zusammengemischt einem zuzuweisen sind. So wie die Maler in ihrem Streben nach Ähnlichkeit bald nur Purpurrot auftragen, bald eine andere Farbe, manchmal aber auch etliche Farben zusammenmischen, zum Beispiel wenn sie eine Fleischfarbe zubereiten oder etwas anderes dergleichen, je nachdem, denke ich, wie das jeweilige Bild seine farblichen Anforderungen zu stellen scheint. In dieser Weise werden auch wir die Buchstabenelemente den Dingen zuweisen, sowohl einem eins, wo es erforderlich erscheint, wie auch viele zusammen, indem wir herstellen, was man
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Silben nennt, und dann, indem wir Silben ihrerseits zusammensetzen, woraus Namen und Aussagewörter zusammen gesetzt werden. Und aus Namen und Aussagewörtern wiederum fügen wir dann etwas Großes und Schönes und Ganzes zusammen, wie dort das Gemälde mit der Malkunst, so hier die Rede mit der Benennungskunst oder der Redekunst oder welche Kunst es auch sein mag. Nein, nicht wir tun das – ich habe mich beim Reden mitreißen lassen. Denn so, wie es zusammengesetzt ist, haben es die Alten zusammengefügt. Wir aber müssen, wenn anders wir in der Lage sein sollen, das alles kunstgerecht zu prüfen, in dieser Weise die Zerlegung vornehmen und sehen, ob die ersten Namen und die sekundären angemessen festgelegt sind oder nicht. Doch die Verknüpfung aufs Geratewohl vorzunehmen wäre sicherlich ein schlechtes und unmethodisches Vorgehen, mein lieber Hermogenes. Hermogenes: Beim Zeus, das mag wohl sein, Sokrates. Sokrates: Wie steht es? Traust du dir zu, dies so zu zerlegen? Ich mir nämlich nicht. Hermogenes: Ich schon gar nicht. Sokrates: Sollen wir es dann lassen, oder sollen wir einen Versuch machen, so gut wir es eben können, und wenn es nur wenig ist, was wir davon in den Blick bekommen können? Doch wie wir vorhin gegenüber den Göttern vorausschickten, dass wir ohne Kenntnis der Wahrheit lediglich die Ansichten der Menschen über sie in unseren Vermutungen wiedergeben, sollen wir so auch jetzt, bevor wir ans Werk gehen, zu uns selbst sagen, dass man diese Zerlegungen, gleichgültig ob sie jemand anderes vorzunehmen hat oder wir, in dieser Weise durchführen müsste, dass es aber nunmehr erforderlich ist, uns, wie man sagt, nach bestem Vermögen damit zu beschäftigen? Ist dir das recht, oder wie denkst du? Hermogenes: Das ist mir sehr recht. Sokrates: Lächerlich, denke ich, wird es erscheinen, dass die Dinge durch Nachahmung mittels Buchstaben und Silben offenbar werden sollen. Dennoch muss es so sein. Denn wir haben nichts Besseres, auf das wir uns beziehen können, wenn es um die Wahrheit der ersten Namen geht. Es sei denn, du willst, dass so, wie die Tragödiendichter, wenn sie in Verlegenheit sind, ihre Zuflucht zur Erscheinung von Göttern mithilfe von Maschinen nehmen, auch wir uns damit aus der Affäre ziehen, dass wir sagen, die Götter hätten die ersten Namen festgesetzt, und daher seien sie richtig. Sollte das auch für uns die stärkste Erklärung sein? Oder jene, dass wir sie von irgendwelchen Barbaren übernommen haben, die Barbaren aber älter sind als wir? Oder dass es infolge ihres Alters unmöglich ist, sie zu untersuchen, so wie das auch für die Namen barbarischer Herkunft gilt? Das alles sind doch Ausflüchte, und dazu ziemlich gewitzte, für jemand, der nicht willens ist, den Nachweis dafür zu führen, dass
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die ersten Namen richtig festgesetzt sind. Doch in welchem Maße jemand hinsichtlich der Richtigkeit der ersten Namen unwissend ist, es ist wohl unmöglich, über die der späteren Bescheid zu wissen, die sich notwendig erst aus jenen ersten erklären lassen, über die er nichts weiß. Sondern offensichtlich ist, dass derjenige, der beansprucht, bei ihnen [den ὔστερα] ein Fachmann zu sein, in der Lage sein muss, am vollständigsten und klarsten über die ersten Namen Erklärungen zu geben, oder sich dessen bewusst sein muss, dass das, was er über die späteren Namen sagt, leeres Geschwätz ist. Oder bist du anderer Ansicht? Hermogenes: Nein, Sokrates, nicht im entferntesten. Sokrates: Meine Eindrücke über die ersten Namen kommen mir ziemlich gewaltsam und lächerlich vor. Ich werde sie dir mitteilen, wenn du willst. Doch falls du irgendwo etwas Besseres finden kannst, versuch auch mich daran zu beteiligen. Hermogenes: Das werde ich tun. Sprich nur und habe keine Bedenken. Sokrates: Zuerst nun scheint mir das Rho gleichsam ein Organ jeglicher Bewegung (kinêsis), für letztere haben wir freilich noch nicht erklärt, warum sie diesen Namen hat. Andererseits ist ja klar, dass er hesis (Eilen) besagen soll. Denn in alter Zeit haben wir nicht das Eta, sondern das E verwendet. Der Anfang des Wortes kommt von kiein – ein fremder, nicht-attischer Name –, das aber heißt ienai (gehen). Könnte man jedoch ihren alten Namen in der zu unserer heutigen Sprache passenden Form finden, so würde er wohl richtig hesis heißen. Jetzt aber heißt sie nach dem fremden kiein und aufgrund der Veränderung zu Eta sowie der Einfügung eines Ny kinêsis, sie müsste aber eigentlich kieiesis oder kiesis heißen. Staesis aber will die Negation des Gehens (ienai) ausdrücken, aus Gründen der Verschönerung heißt sie aber stasis. Der Buchstabe Rho nun schien, wie gesagt, dem Namensgeber ein schönes Werkzeug der Bewegung zu sein zum Zwecke der Abbildung von Bewegung. Jedenfalls bedient er sich seiner häufig dafür. Zunächst ahmt er bei rhein (fließen) selbst sowie rhoê (Fluss) durch diesen Buchstaben die Bewegung nach, dann bei tromos (Zittern), sodann bei trechein (laufen), ferner in solchen Ausdrücken (Verben) wie krouein (schlagen), thrauein (zerbrechen), ereikein (zerreißen), thryptein (zerreiben), kermatizein (zerstückeln), rhymbein (wirbeln lassen). All das bildet er hauptsächlich mit dem Rho ab. Er sah nämlich, meine ich, dass die Zunge dabei am wenigsten ruhig bleibt und am meisten vibriert. Daher scheint er es dafür verwendet zu haben. Das Iota wiederum verwandte er für alles Feine, das am ehesten durch alles durchgehen kann. Deshalb ahmt er ienai (gehen) und hiesthai (eilen) durch das Iota nach, so wie er durch das Phi, Psi, Sigma und Zeta, da diese Buchstaben hauchartig sind, alles nachgeahmt hat, was diesen Charakter hat, indem er mit ihnen Namen bildete, wie psychron (kalt), zeon (siedend), seiesthai (beben), und seismos (Erschütterung) über-
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haupt. Auch wenn er das Windreiche nachahmt, sind es meistens Buchstaben dieser Art, die der Namenssetzer anzuwenden scheint. Das Zusammenpressen und Abstützen der Zunge beim Sprechen von D und T wiederum hielt er, wie es scheint, für geeignet, um Fessel (desmos) und Stillstand (stasis) nachzuahmen. Da er aber wahrnahm, dass die Zunge am meisten beim Labda im Gleiten begriffen ist, benutzte er es zur Abbildung, als er das Glatte (leion), das Gleiten selbst (olisthanein), das Salbenartige (liparon), das Leimartige (kollôdes) und alles andere dieser Art Benannte. Und da das Gleiten der Zunge durch die Wirkung des Gamma angehalten wird, bildete er damit das Zähe (glischron), Süße (glyky) und Klebrige (gloiôdes) nach. Da er beim Ny wiederum den inneren Charakter der Stimme wahrnahm, hat er in der Meinung, mit den Buchstaben die Sache abzubilden, die Namen endon (innen) und entos (innerhalb) gebildet. Das Alpha hat er dem mega (groß) zuerteilt, und dem mêkos (Länge) das Eta, weil die Buchstaben groß (megala, d. h. lang und offen) sind. In gongylos (rund) aber hat er, da er dafür das O als Zeichen benötigte, dieses als dominantes Element in den Namen gemischt. Auch die anderen (Primär-)Namen lässt der Gesetzgeber in dieser Weise, wie es scheint, auf der Grundlage von Buchstaben und Silben hervorgehen, indem er für jedes Seiende ein Zeichen und einen Namen schafft. Und von diesen ausgehend setzt er nunmehr mit ihnen die übrigen (die Sekundärnamen) nachbildend zusammen. Das, Hermogenes, scheint mir, will die Richtigkeit der Namen besagen, es sei denn, Kratylos hat eine andere Ansicht. Hermogenes: Wahrhaftig, Sokrates, wie ich schon zu Anfang sagte, bereitet Kratylos mir häufig viel Ärger. Denn auf der einen Seite behauptet er, es gebe eine Richtigkeit der Namen, auf der anderen Seite aber lässt er darüber, welche das ist, nichts Deutliches verlauten, sodass ich nicht wissen kann, ob es absichtlich oder unabsichtlich geschieht, dass er jedesmal so unklar darüber redet. Also, Kratylos, sag jetzt in Gegenwart von Sokrates, ob es in deinem Sinne ist, wie Sokrates über die Namen redet, oder ob du in irgend einer Hinsicht etwas Besseres vorzubringen hast. Und wenn, so sprich, damit du entweder von Sokrates lernst oder uns beide belehrst. Kratylos: Wie, Hermogenes? Meinst du, es ist leicht, auch nur irgend etwas so rasch zu lernen und zu lehren, geschweige denn etwas so Bedeutendes, das zu den wichtigsten Dingen überhaupt zu gehören scheint? Hermogenes: Nein, beim Zeus, ich jedenfalls nicht. Doch scheinen mir die Worte des Hesiod8 passend zu sein: Legt man Geringes auf noch so Geringes, so ist es von Vorteil. Wenn du also nur ein wenig zum Fortgang beitragen kannst,
8 Op.361–2.
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so scheu die Mühe nicht, sondern tu sowohl Sokrates den Gefallen – du bist es mir schuldig – als auch mir. Sokrates: Wirklich, Kratylos, soweit es mich betrifft, würde ich keineswegs auf dem, was ich gesagt habe, bestehen, sondern ich habe die Sache so, wie sie sich mir darstellte, zusammen mit Hermogenes untersucht. Von daher also sei unbesorgt und sag, wenn du etwas Besseres hast, denn du kannst davon ausgehen, dass ich das akzeptiere. Und ich würde mich nicht wundern, wenn du etwas Besseres als das sagen könntest. Denn du scheinst mir über diese Dinge sowohl eigene Untersuchungen angestellt als auch Unterweisung von andern erhalten zu haben. Wenn also das, was du sagst, schöner ist, dann schreib auch mich als einen deiner Schüler über die Richtigkeit der Namen ein. Kratylos: In der Tat, Sokrates, ich habe mich, wie du sagst, mit diesen Dingen beschäftigt, und vielleicht könnte ich dich auch zu meinem Schüler machen. Ich fürchte jedoch, dass ganz das Gegenteil davon der Fall ist, da es mich irgendwie überkommt, die Worte des Achilles an dich zu richten, die jener in den Litai zu Aias sagt. Er sagt aber9: Aias, göttlicher Sohn des Telamon, Völkergebieter, alles schienst nach dem Herzen du mir geredet zu haben. Auch mir, Sokrates, scheinst du recht nach meinem Sinne deine Orakel sprüche vorgetragen zu haben, ob du nun von Euthyphron inspiriert wurdest oder ob eine andere Muse, ohne dass du es bemerkt hast, schon lange in dir wohnte. Sokrates: Mein guter Kratylos, ich wundere mich auch schon lange über meine Weisheit und misstraue ihr. Ich meine also, es ist nötig, das, was ich sage, erneut zu prüfen. Denn von sich selbst getäuscht zu werden ist das Allerschlimmste. Wenn der Betrüger nicht einmal nur ein wenig Abstand nimmt, sondern stets gegenwärtig ist, wie sollte das nicht schrecklich sein? Man muss sich also, wie es aussieht, häufig zu dem zurückwenden, was man vorher gesagt hat, und versuchen, wie Homer [„der“ Dichter] sagt, zugleich nach vorwärts wie nach rückwärts zu schauen. So wollen denn auch wir in Augenschein nehmen, was wir gesagt haben. Die Richtigkeit des Namens, sagen wir, besteht darin, uns zu zeigen, wie eine Sache beschaffen ist. Und sollen wir sagen, das sei hinreichend? Kratylos: Meiner Meinung nach, Sokrates, ist es das ganz gewiss. Sokrates: Der Unterrichtung wegen werden also die Namen gemacht? Kratylos: Allerdings. Sokrates: Sollen wir sagen, dass auch dies eine Kunst sei und dass sie ihre Meister hat? 9 Ilias IX, 644–5.
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Kratylos: Allerdings. Sokrates: Und wen? Kratylos: Die, die du anfangs angeführt hast, die Gesetzgeber. Sokrates: Sollen wir nun sagen, dass auch diese Kunst so unter den Menschen vorkommt wie auch die übrigen, oder nicht? Ich will damit Folgendes sagen: Maler gibt es doch teils schlechtere, teils bessere? Kratylos: Allerdings. Sokrates: Und die Werke, also die Gemälde, die die besseren schaffen, sind schöner, die der anderen schlechter, nicht wahr? Und bei den Baumeistern ist es ebenso, die einen bauen schönere Häuser, die anderen hässlichere? Kratylos: Ja. Sokrates: Stellen dementsprechend auch die Gesetzgeber teils bessere, teils schlechtere Werke her? Kratylos: Nein. Dem stimme ich nicht mehr zu. Sokrates: Du bist also nicht der Ansicht, dass manche Gesetze besser und andere schlechter sind? Kratylos: Gewiss nicht. Sokrates: Also auch nicht, wie es scheint, dass ein Name schlechter gesetzt wurde und ein anderer besser? Kratylos: Gewiss nicht. Sokrates: Demnach sind alle Namen richtig festgesetzt? Kratylos: Soweit sie jedenfalls Namen sind. Sokrates: Um auf das zurückzukommen, was vorhin über unsern Hermogenes gesagt wurde, sollen wir sagen, er heiße gar nicht Hermogenes, wenn es auf ihn nicht zutrifft, von Hermes abzustammen (Hermou genesthai), oder er heiße zwar so, nicht jedoch zu Recht? Kratylos: Nach meiner Ansicht heißt er nicht einmal so, Sokrates, sondern er scheint nur so zu heißen, während der Name in Wirklichkeit einem anderen zugehört, nämlich dem, dessen Natur das, was der Name besagt, erkennen lässt. Sokrates: Sagt dann jemand, der behauptet, dieser sei Hermogenes, nicht einmal etwas Falsches? Denn vielleicht ist es dann nicht einmal mehr möglich, auch nur zu sagen, er sei Hermogenes, wenn er es nicht ist? Kratylos: Wie meinst du das? Sokrates: Dass es völlig unmöglich ist, Falsches zu sagen, ist es das, wo rauf deine Worte hinauslaufen? Denn Leute, die das behaupten, gibt und gab es viele. Kratylos: In der Tat, Sokrates, wie sollte auch jemand, der das sagt, was er sagt, nicht das sagen, was ist? Oder besteht Falsches zu sagen nicht gerade darin, nicht das zu sagen, was ist?
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Sokrates: Was du sagst, ist für mich und mein Alter zu geistreich, mein Freund. Dennoch, sag mir soviel: Meinst du, es sei zwar nicht möglich, Falsches zu sagen, aber es zu behaupten schon? Kratylos: Nein, auch behaupten kann man es, meine ich, nicht. Sokrates: Auch nicht aussprechen oder ansprechen? Zum Beispiel, wenn dir jemand gastfreundlich in der Fremde entgegentritt, dich bei der Hand fasst und spricht: „Willkommen, mein Freund aus Athen, Hermogenes, Sohn des Smikrion“, würde er das sagen oder behaupten oder aussprechen, oder würde er damit zwar nicht dich, aber unseren Hermogenes hier ansprechen – oder überhaupt niemanden? Kratylos: Meiner Ansicht nach, Sokrates, würde so jemand ohne Sinn und Zweck Laute hervorbringen. Sokrates: Auch damit können wir zufrieden sein. Denn dann ist zu fragen: Ist das, was er an Lauten hervorbringt, wahr oder falsch? Oder ist ein Teil davon wahr, ein anderer falsch? Denn auch das würde schon genügen. Kratylos: Ich jedenfalls würde sagen, dass so einer lediglich Geräusche hervorbringt, wobei er sich vergeblich in Bewegung versetzt, wie wenn man auf ein Gefäß aus Erz schlägt und es in Bewegung versetzt. Sokrates: Lasst uns sehen, Kratylos, ob wir nicht zu einer Verständigung kommen. Nicht wahr, du würdest doch auch sagen, der Name ist eines, das aber, dessen Name er ist, etwas anderes? Kratylos: Ja, schon. Sokrates: Und du stimmst auch dem zu, dass der Name eine Nachahmung der benannten Sache ist? Kratylos: Ohne Einschränkung. Sokrates: Und du würdest sagen, dass auch Bilder Nachahmungen von Dingen sind, wenn auch in anderer Weise? Kratylos: Ja. Sokrates: Nun denn, vielleicht verstehe ich ja nicht, was du meinst, und du hast möglicherweise recht. Ist es möglich, diese beiden Arten von Nachahmungen, nämlich einerseits die Bilder und andererseits die Namen, den Dingen, deren Nachahmungen sie jeweils sind, zuzuordnen und zuzuweisen oder nicht? Kratylos: Ja, es ist möglich. Sokrates: Nun, so überlege dir Folgendes: Kann man das Abbild des Mannes dem Mann zuweisen, das der Frau der Frau und das übrige entsprechend? Kratylos: Durchaus. Sokrates: Und kann man umgekehrt das Abbild des Mannes der Frau, und das der Frau dem Mann zuweisen? Kratylos: Auch das ist möglich. Sokrates: Und sind diese Zuordnungen beide richtig, oder nur die eine?
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Kratylos: Nur die eine. Sokrates: Diejenige nämlich, meine ich, die jeder Sache dasjenige zuweist, was ihr zukommt und ihr ähnlich ist. Kratylos: Das meine ich auch. Sokrates: Damit wir nun nicht um Worte streiten, ich und du, die wir doch befreundet sind, versuche zu verstehen, wie ich es meine. Eine derartige Zuweisung nämlich, mein Freund, nenne ich bei beiden Arten von Nachahmung, bei Bildern und bei Namen, richtig, bei den Namen nicht nur richtig, sondern zusätzlich wahr. Die andere aber, bei der das Unähnliche einander zuerteilt und beigelegt wird, nenne ich nicht richtig, und zusätzlich falsch, wenn es bei den Namen geschieht. Kratylos: Aber, Sokrates, wenn nun zwar bei den Bildern dieses unrichtige Zuweisen möglich ist, bei den Namen aber nicht, sondern die Zuweisung dort notwendig immer richtig zu sein hat. Sokrates: Wie meinst du das? Wie unterscheidet sich das eine vom anderen? Kann man nicht an einen Mann herantreten und zu ihm sagen, „das hier ist dein Bild“, und ihm dabei, je nachdem, ein Bild von ihm selbst zeigen oder das einer Frau? Mit zeigen meine ich aber vor den Gesichtssinn bringen. Kratylos: Allerdings kann man das. Sokrates: Und kann man nicht an denselben Mann erneut herantreten und sagen: „Das ist dein Name“? Ist doch auch der Name eine Nachahmung wie das Bild. Ich meine damit Folgendes: Ist es nicht möglich, zu ihm zu sagen, „dies ist dein Name“, und danach je nachdem eine Nachahmung von ihm selbst vor seinen Gehörsinn zu bringen, indem man sagt Mann, oder aber die Nachahmung des weiblichen Teils des menschlichen Geschlechts, indem man sagt Frau? Glaubst du nicht, dass das möglich ist und zuweilen auch geschieht? Kratylos: Ich will es dir zugestehen, Sokrates. Es sei so. Sokrates: Und recht tust du daran, mein Freund, wenn es tatsächlich so ist. Denn man sollte sich jetzt nicht darauf versteifen. Wenn es nun auch hier eine derartige Zuordnung gibt, wollen wir den einen Fall wahr reden, den andern falsch reden nennen. Ist das aber so und ist es möglich, die Namen nicht richtig zuzuordnen und den Dingen nicht die Namen zuzuweisen, die ihnen zukommen, sondern bisweilen auch solche, die ihnen nicht zukommen, dann ist dasselbe auch bei den Verben möglich. Kann man aber Namen und Verben in dieser Weise anwenden, dann muss das auch für Sätze gelten. Denn Sätze sind, wie ich meine, eine Verbindung dieser beiden. Oder wie denkst du darüber, Kratylos? Kratylos: Genauso. Denn ich meine, du hast recht. Sokrates: Wenn wir nun die ersten Namen mit Zeichnungen vergleichen, besteht da nicht die Möglichkeit, wie bei den Gemälden die Farben und Formen
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sowohl alle passend wiederzugeben als auch nicht alle, sondern manche wegzulassen, andere hinzuzusetzen, und in der Menge und der Größe zuviel des Guten zu tun? Oder nicht? Kratylos: Doch. Sokrates: Und nicht wahr, der, der alle wiedergibt, schafft schöne Zeichnungen und Bilder, wer aber hinzufügt und weglässt, der bringt zwar auch Zeichnungen und Bilder hervor, doch schlechte? Kratylos: Ja. Sokrates: Und was ist mit dem, der mit Silben und Buchstaben das Wesen der Dinge nachbildet? Ergibt sich da nicht nach demselben Grundsatz: wenn er alles passend wiedergibt, dann wird das Bild, also der Name, schön, lässt er aber ein paar aus oder macht zuweilen Zusätze, dann entsteht zwar ein Bild, aber kein schönes? Daher denn die Namen teils gut ausgeführt sein werden, teils schlecht? Kratylos: Vielleicht. Sokrates: Vielleicht wird also der eine ein guter Verfertiger von Namen sein, der andere ein schlechter? Kratylos: Ja. Sokrates: Und dieser hatte doch den Namen Gesetzgeber? Kratylos: Ja. Sokrates: Vielleicht wird es also, beim Zeus, auch hier so sein wie bei den anderen Künsten: Der eine Gesetzgeber ist gut, der andere schlecht, jedenfalls wenn wir über das, was vorhin gesagt wurde, tatsächlich Übereinstimmung erzielt haben. Kratylos: Das ist wahr. Aber, Sokrates, wenn wir diese Buchstaben, Alpha und Beta und jeden weiteren, aufgrund der Schreibkunst zur Wiedergabe der Namen benutzen, so siehst du doch, dass, wenn wir etwas weglassen, hinzufügen oder umstellen, es nicht so ist, dass wir dann den Namen zwar geschrieben haben, nur nicht richtig, vielmehr ist er dann überhaupt nicht geschrieben, sondern er wird sofort zu einem anderen, wenn ihm irgend etwas davon zustößt. Sokrates: Ich fürchte, diese Art der Betrachtung ist nicht richtig. Kratylos: Inwiefern? Sokrates: Vielleicht kommt das, was du sagst, bei dem vor, was notwendigerweise aus einer bestimmten Zahl oder gar nicht besteht, wie zum Beispiel die Zehn selbst oder irgend eine beliebige andere Zahl: Nimmt man hier etwas weg oder fügt etwas hinzu, so wird sie sofort zu einer anderen Zahl. Bei dem aber, was von einer bestimmten Beschaffenheit ist, und überhaupt bei jedem Abbild findet sich diese Art von Richtigkeit nicht, ja bei ihm ist es sogar im Gegenteil so, dass man keinesfalls alle Züge dessen wiedergeben darf, was man abbildet, wenn es ein Bild sein soll. Überlege dir, ob ich nicht recht habe. Wären das
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zwei Dinge von der Art, wie Kratylos und ein Bild des Kratylos es sind, wenn ein Gott nicht nur deine Farbe und Gestalt abbilden würde, wie die Maler, sondern darüber hinaus auch alles Innere so fertigen würde, wie bei dir und Weichheit und Wärme in denselben Abstufungen wiedergäbe und Bewegung, Seele und Denken in genau derselben Beschaffenheit wie bei dir hineinlegte und mit einem Wort alles, was du hast, genau so ein weiteres Mal neben dich stellte? Könnte so etwas dann noch Kratylos und ein Abbild des Kratylos sein oder nicht vielmehr zwei Kratylose? Kratylos: Ich meine, Sokrates, es wären zwei Kratylose. Sokrates: Du siehst also, mein Freund, dass wir nach einer anderen Art von Richtigkeit bei Bildern und bei dem suchen müssen, wovon wir eben sprachen, und nicht darauf beharren dürfen, sie seien überhaupt keine Abbilder mehr, wenn etwas fehlt oder hinzugefügt ist? Oder merkst du nicht, wie weit Bilder davon entfernt sind, dieselben Eigenschaften wie diejenigen Dinge zu haben, deren Abbilder sie sind. Kratylos: Doch. Sokrates: Lächerlich jedenfalls, Kratylos, wäre der Effekt der Namen auf die Dinge, deren Namen sie sind, wenn sie ihnen in jeder Hinsicht vollständig gleichen würden. Denn dann würde alles doppelt vorkommen, und man könnte bei keinem von beiden sagen, was die Sache selbst und was der Name ist. Kratylos: Du hast recht. Sokrates: Du kannst also getrost zulassen, braver Freund, dass der eine Name gut festgelegt ist, der andere nicht, und musst nicht darauf bestehen, dass er alle Buchstaben haben muss, um völlig so zu sein wie das, dessen Name er ist, sondern lass durchaus zu, dass auch ein nicht passender Buchstabe beigegeben wird. Wenn aber ein Buchstabe, so erlaube das auch beim Namen im Satz, und wenn beim Namen, so auch, dass ein Satz in der Rede einen Bezug hat, der zu den Dingen nicht passt, und dass trotzdem die Sache benannt wird und zur Rede kommt, solange die Grundzüge der Sache erfasst sind, von der die Rede ist, so wie es bei den Namen der Buchstaben der Fall ist, wenn du dich daran erinnerst, was ich und Hermogenes eben darüber gesagt haben. Kratylos: Ja, ich erinnere mich. Sokrates: Gut. Denn sind im Namen die Grundzüge erfasst, selbst wenn er nicht alle zugehörigen Buchstaben aufweist, so wird die Sache zur Rede gebracht sein, und zwar gut, wenn er alle aufweist, schlecht aber, wenn nur wenige. Dass aber die Sache zur Rede gebracht wird, guter Freund, lass uns zugeben, damit wir nicht in Schwierigkeiten kommen wie die, die auf Ägina spät in der Nacht noch ausgehen, und der Eindruck entsteht, wir seien zu den Dingen wahrhaftig in gleicher Weise zu spät gekommen. Andernfalls musst du eine andere Art von Namensrichtigkeit suchen und darfst nicht der Auffassung
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zustimmen, der Name sei etwas, das die Sache durch Silben und Buchstaben erkennen lasse. Denn wenn du beide Ansichten vertrittst, wirst du nicht mit dir selbst im Einklang sein können. Kratylos: Was du sagst, Sokrates, scheint mir vernünftig zu sein, und ich will es annehmen. Sokrates: Da wir uns darüber einig sind, lass uns Folgendes betrachten. Soll der Name gut festgelegt sein, so muss er, sagen wir, die passenden Buchstaben aufweisen? Kratylos: Ja. Sokrates: Es passen aber diejenigen, die den Dingen ähnlich sind? Kratylos: Allerdings. Sokrates: Die wohlgesetzten Namen haben also diesen Charakter. Ist ein Name aber nicht gut festgelegt, so dürfte er wohl, wenn er wirklich ein Abbild ist, zum größten Teil aus passenden und ähnlichen Buchstaben bestehen. Doch wird er auch etwas enthalten, was nicht passt, weshalb er nicht schön und nicht wohlverfertigt ist. Wollen wir es so sagen oder anders? Kratylos: Es hat, meine ich, keinen Sinn, den Streit fortzusetzen. Indessen, Gefallen finden kann ich daran jedenfalls nicht, wenn man sagt, ein Name liege zwar vor, doch sei er nicht gut festgelegt. Sokrates: Findet auch das nicht deinen Gefallen, dass der Name eine Darstellung der Sache ist? Kratylos: Doch. Sokrates: Aber dass unter den Namen die einen aus vorgängigen zusammengesetzt sind, die anderen jedoch ursprünglich und erste sind, das scheint dir nicht schön gesagt zu sein? Kratylos: Doch. Sokrates: Aber wenn die ersten Namen Darstellungen von etwas sein sollen, kennst du dann eine andere bessere Art, aus ihnen Darstellungen entstehen zu lassen, als die, sie dem, was sie darstellen sollen, möglichst ähnlich zu machen? Oder findet die Auffassung von Hermogenes und vieler anderer eher deinen Gefallen, wonach die Namen Vereinbarungen sind und die Dinge für diejenigen darstellen, die die Vereinbarungen getroffen haben und die Dinge schon vorher kennen? Und soll demnach darin die Richtigkeit der Namen bestehen, in der Vereinbarung, und soll es keinen Unterschied machen, ob man die Vereinbarung so trifft, wie sie jetzt getroffen ist, oder ob man im Gegensatz dazu vereinbart, das, was jetzt klein heißt, groß zu nennen, und das, was groß, klein? Welche der beiden Auffassungen ziehst du vor? Kratylos: Es ist natürlich ganz und gar etwas anderes, Sokrates, das, was man darstellt, aufgrund von Ähnlichkeit darzustellen, statt aufgrund des ersten besten Mittels.
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Sokrates: Richtig. Müssen nun nicht, wenn der Name der Sache ähnlich sein soll, die Buchstaben, aus denen man die ersten Namen zusammensetzt, aufgrund ihrer Natur den Dingen ähnlich sein? Ich meine das folgendermaßen. Könnte jemand je ein Gemälde, um auf das Beispiel von eben zurückzukommen, irgend einem Seienden ähnlich machen, wenn nicht die Farben, aus b denen das Gemalte zusammengesetzt ist, von Natur aus dem, was die Malerei abbildet, ähnlich wären? Oder wäre das unmöglich? Kratylos: Unmöglich. Sokrates: Und könnten nicht ebenso Namen niemals einer Sache ähnlich sein, wenn nicht von vornherein die Bestandteile, woraus die Namen zusammengesetzt sind, mit einer Ähnlichkeit zu dem ausgestattet wären, wovon die Namen Nachahmungen sind? Dasjenige, woraus sie zusammengesetzt sind, sind doch aber die Buchstaben? Kratylos: Ja. Sokrates: Nun nimm auch du teil an der Untersuchung, die ich eben mit c Hermogenes anstellte. Meinst du, wir haben recht mit der Ansicht, das Rho habe eine Ähnlichkeit mit Lauf und Bewegung und auch Härte, oder nicht? Kratylos: Ich meine schon. Sokrates: Das Labda aber mit dem Glatten, Weichen und dem, was wir eben sonst noch aufgeführt haben? Kratylos: Ja. Sokrates: Nun weißt du doch, dass wir dasselbe sklerotes (Härte) nennen, wozu die Eritreer skleroter sagen? Kratylos: Allerdings. Sokrates: Gleichen nun das Rho und das Sigma beide derselben Sache, und macht jenen das Wort mit dem Rho am Ende dasselbe deutlich wie uns mit dem Sigma am Ende, oder tut es das für einen von uns nicht? Kratylos: Doch, beiden dasselbe. d Sokrates: Insofern Rho und Sigma einander ähnlich sind, oder insofern sie es nicht sind? Kratylos: Insofern sie einander ähnlich sind. Sokrates: Sind sie nun in jeder Hinsicht einander ähnlich? Kratylos: Wenigstens, um in gleicher Weise Bewegung darzustellen. Sokrates: Gilt das auch für das Labda, das darin (in sklerotes) ist? Drückt es nicht das Gegenteil von Härte aus? Kratylos: Vielleicht ist es ja nicht zu Recht in dem Wort, Sokrates, ähnlich wie in den Fällen, die du eben gegenüber Hermogenes angeführt hast, als du, wo nötig, Buchstaben weggenommen und eingefügt hast, und ich meine, du hast recht daran getan. Vielleicht muss man auch jetzt anstelle des Labda ein Rho aussprechen.
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Sokrates: Ausgezeichnet. Doch wie? Verstehen wir einander nicht, wenn jemand in unserer jetzigen Aussprache skleron sagt, und weißt du jetzt nicht, was ich meine? Kratylos: Doch, allerdings aufgrund von Gewohnheit, bester Freund. Sokrates: Wenn du Gewohnheit sagst, meinst du damit etwas anderes als Vereinbarung? Oder verstehst du unter Gewohnheit etwas anderes, als dass ich, wenn ich dies ausspreche, jenes meine, du aber erkennst, dass ich jenes meine? Meinst du nicht das? Kratylos: Doch. Sokrates: Und wenn du dann, wenn ich spreche, erkennst, was ich meine, dann erhältst du doch von mir eine Erklärung? Kratylos: Ja. Sokrates: Und zwar eine aufgrund eines Ausdrucks, der dem, was ich meine, wenn ich spreche, unähnlich ist, wenn anders das Labda in sklerotes der Härte, von der du sprichst, unähnlich ist. Und wenn das so ist, ergibt sich dann nicht, dass du mit dir selbst eine Vereinbarung eingegangen bist und somit die Namensrichtigkeit zu einer Sache der Vereinbarung wird, da ja sowohl ähnliche wie unähnliche Buchstaben, wenn sie die Gewohnheit und Vereinbarung treffen, etwas verdeutlichen? Und selbst wenn die Gewohnheit noch so sehr verschieden ist von Vereinbarung, so wäre es nicht mehr richtig zu sagen, die Ähnlichkeit sei das Mittel der Verdeutlichung, vielmehr müsste man stattdessen die Gewohnheit anführen. Denn letztere ist es, wie es scheint, die mithilfe sowohl von Ähnlichem wie von Unähnlichem verdeutlicht. Nachdem wir aber das zugestanden haben, Kratylos – denn ich deute dein Schweigen als Zustimmung –, tragen nunmehr notwendigerweise auch Vereinbarung und Gewohnheit zur Verdeutlichung dessen bei, woran wir bei einer Aussage denken. Denn, mein Bester, wenn du dich dem Beispiel der Zahl zuwenden willst, von wo glaubst du, jeder einzelnen Zahl jeweils einen ihr ähnlichen Namen beibringen zu können, wenn du nicht deiner Übereinkunft und Vereinbarung eine Entscheidung über die Richtigkeit der Namen einräumst? Ich selbst würde es auch gerne sehen, wenn die Namen den Dingen möglichst ähnlich wären. Doch ich fürchte, dass in Wahrheit diese Anziehungskraft der Ähnlichkeit dürftig ist, um ein Wort von Hermogenes wieder aufzunehmen, und dass es unumgänglich ist, als Kriterium der Richtigkeit der Namen auch dieses plumpe Hilfsmittel, die Vereinbarung, heranzuziehen. Denn die im Rahmen des Möglichen schönste Art zu reden wäre es wohl, wenn man dabei Namen verwendete, die entweder in allen oder doch in den meisten Teilen den Dingen ähnlich sind, und das heißt solche, die passend sind. Die hässlichste Art aber liegt vor, wenn das Gegenteil der Fall ist. Doch sage mir nun noch Folgendes: Was ist die Leistung, die die Namen erbringen, und was ist es, was sie an Schönem bewirken?
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Kratylos: Ich meine, es ist die Unterrichtung, und es ist schlicht und einfach so: Wer die Namen kennt, kennt auch die Dinge. Sokrates: Vermutlich, Kratylos, meinst du Folgendes: Wenn jemand weiß, wie der Name beschaffen ist – er ist aber von derselben Beschaffenheit wie die Sache –, dann wird er auch über die Sache Bescheid wissen, da sie ja dem Namen ähnlich ist und da alles, was einander ähnlich ist, zu ein und demselben Wissensgebiet gehört. In diesem Sinne, denke ich, meinst du, dass der, der die Namen kennt, auch die Dinge kennen wird. Kratylos: Vollkommen richtig. Sokrates: Warte, lass uns sehen, welche Art von Unterrichtung über das Seiende es wohl ist, von der du eben sprachst, und ob es auch noch eine andere gibt, diese hier aber besser ist, oder ob es keine andere als diese gibt. Was meinst du? Kratylos: Ich meine, es gibt überhaupt keine andere, vielmehr ist diese die einzige und beste. Sokrates: Meinst du, dass auch die Auffindung des Seienden auf diesem selben Wege erfolgt, dass der, der die Namen gefunden hat, auch die Dinge gefunden hat, zu denen die Namen gehören? Oder erfordern Suchen und Finden eine andere Methode, während das Unterrichtet-Werden mit dieser erfolgt? Kratylos: Ich bin vollkommen sicher, dass Suchen und Finden dieselbe Methode erfordert und in derselben Weise geschieht. Sokrates: Nun, lass uns überlegen, Kratylos. Wenn man die Suche nach den Dingen am Leitfaden der Namen betreibt, indem man danach schaut, was sie bedeuten, siehst du nicht, dass dabei die Gefahr, getäuscht zu werden, nicht gering ist? Kratylos: Wieso? Sokrates: Offenbar hat doch der, der als erster die Namen festgelegt hat, sie so festgelegt, wie seiner Auffassung nach die Sachen waren? Das ist doch unsere Ansicht, nicht wahr? Kratylos: Ja. Sokrates: Wenn nun seine Auffassung von den Dingen nicht richtig war, er aber die Namen gemäß dieser Auffassung festgesetzt hat, was, meinst du, wird sich für uns, die wir ihm folgen, daraus ergeben? Werden wir nicht in die Irre geführt? Kratylos: Aber das wird wohl schwerlich so sein, Sokrates, vielmehr gründet der, der die Namen setzt, seine Festsetzungen notwendigerweise auf Wissen. Andernfalls könnten es, wie ich schon vor einer Weile sagte, gar keine Namen sein. Als bestes Indiz aber dafür, dass der Namenssetzer die Wahrheit nicht verfehlt hat, diene es dir, dass ihm ja sonst nicht alles so stimmig herausgekommen wäre. Oder hast du nicht selbst bei deinen Ausführungen bemerkt,
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wie die Namen alle nach derselben Methode und mit Blick auf dasselbe Ziel hin gebildet wurden? Sokrates: Aber, Kratylos, das ist doch kein Gegenargument. Denn wenn der Setzer der Namen sich gleich zu Beginn geirrt hat und dann die restlichen Namen diesem Anfangsirrtum mit Gewalt angepasst hat und sie so gezwungen hat, miteinander im Einklang zu stehen, dann ist das doch nicht außergewöhnlich, genauso wenig wie in geometrischen Konstruktionen und Beweisen, wo zuweilen nach einer kleinen und unscheinbaren Anfangsfalschheit die dann folgenden restlichen Schritte, mögen sie auch zahlreich sein, untereinander zusammenstimmen. Es ist daher der Anfangsgrund einer jeden Sache, über den jeder die umfangreichste Untersuchung und die längste Prüfung anstellen muss, um zu sehen, ob er richtig gelegt ist oder nicht. Indessen würde ich mich wundern, wenn die Namen tatsächlich miteinander zusammenstimmten. Lass uns nämlich das, was wir vorhin durchgenommen haben, nochmals betrachten. Die Namen, sagen wir, bezeichnen im Sinne der Auffassung, dass alles geht, sich bewegt und fließt, das Sein. Nicht wahr, das ist es, was sie deiner Meinung nach zeigen? Kratylos: Allerdings, und es ist richtig, wie sie es tun. Sokrates: Nehmen wir also als erstes von ihnen nochmals den Namen epis teme (Wissen) zur Prüfung vor, da er mehrdeutig ist und es eher so aussieht, als ob er anzeigen will, dass sie unsere Seele bei den Dingen stillstehen lässt, als dass sie mit ihnen herumgetragen wird, und es ist eher richtig, ihn am Anfang so auszusprechen wie jetzt als unter Einfügung von H hepistêmê; vielmehr muss man die Einfügung (des H) beim I anstatt beim E vornehmen (ephistêmê). Dann bebaion (beständig), offenbar die Nachahmung einer Art Grundlage (basis) und eines Stehens, und nicht einer Bewegung. Ferner historia (Erforschung), bedeutet wohl, dass es den Fluss anhält (histêsi ton rhoun). Und piston (glaubwürdig) bedeutet sicherlich histan (das, was zum Stehen bringt). Dann mnêmê (Erinnerung), das lässt wohl jeden erkennen, dass es ein Verbleiben (monê) in der Seele ist, und nicht eine Bewegung. Wenn du andererseits ha martia (Fehler) und xymphora (Missgeschick) nimmst, so scheinen sie, wenn man sich nur vom Namen leiten lässt, dasselbe wie jene synesis (Einsicht) und epistêmê (Wissen) zu sein und all die übrigen Namen für Hochgeschätztes. Darüber hinaus scheinen auch amathia (Unwissenheit) und akolasia (Zügellosigkeit) Letzeren nahe zu kommen. Denn die eine, amathia, scheint der Lauf dessen zu sein, der mit Gott geht (hama theôi iontos), die andere, akolasia, scheint sicherlich akolouthia tois pragmasi (ein den Dingen Folgen) zu sein. Und so zeigen sich Namen, die, wie wir glauben, für die schlechtesten Dinge stehen, als äußerst ähnlich solchen, die für die besten stehen. Und ich meine, man könnte, wenn man sich mühte, noch viele andere Beispiele finden, die
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einen in Umkehrung der bisherigen Meinung zu der Ansicht führen würden, dass der Namenssetzer die Dinge nicht als gehend und in Bewegung befindlich bezeichnet hat, sondern als ruhend. Kratylos: Aber du siehst, Sokrates, dass die Mehrheit eine Bedeutung im d Sinne der Bewegung aufweist. Sokrates: Was soll nun das heißen, Kratylos? Sollen wir die Namen wie Stimmsteine zählen, und ist es das, worin ihre Richtigkeit liegt? Welche der beiden Auffassungen sich in den Bedeutungen der Mehrheit der Namen zeigt, das wird die wahre sein? Kratylos: Das wäre nicht sinnvoll. Sokrates: Nein, mein Freund, auf keinen Fall. Lassen wir nun das so stehen
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(Version A) und lass uns sehen, ob du uns auch in Folgendem zustimmst oder nicht. Nun denn, sind wir nicht eben darin einig gewesen, dass die, die in den Städten, ob bei Griechen oder Barbaren, jeweils die Namen festsetzen, Gesetzgeber sind, und dass die Kunst, die das vermag, die der Gesetzgebung ist? Kratylos: Allerdings. Sokrates: Dann sag mir, haben die ersten Gesetzgeber die Dinge gekannt, für die sie die ersten Namen festgesetzt haben, oder haben sie sie nicht gekannt? Kratylos: Ich meine, sie haben sie gekannt. Sokrates: Denn ohne sie zu kennen, mein Freund Kratylos, haben sie es wohl nicht getan. Kratylos: Ich denke nicht. Sokrates: Wie sollen wir nun sagen, dass sie, bevor noch irgendein Name festgelegt und ihnen bekannt war, in Kenntnis der Dinge ihre Festsetzungen getroffen haben oder Gesetzgeber waren, wenn es tatsächlich unmöglich ist, etwas über die Dinge zu lernen außer durch ihre Namen?
(Version B) und gehen wir wieder dorthin zurück, von wo wir hierher abgeschweift sind. Eben sagtest du im Vorangehenden, wenn du dich erinnerst, dass der, der die 5 Namen gesetzt hat, das, wofür er sie setzte, notwendigerweise gekannt habe. Ist das immer noch deine Ansicht oder nicht? Kratylos: Doch. Sokrates: Gilt das auch für den, der die ersten Namen gesetzt hat? Sagst du, dass auch er dasjenige gekannt hat, wofür er Namen setzte? 10 Kratylos: Ja, auch er hatte diese Kenntnis. Sokrates: Doch aufgrund welcher Namen hat er die Dinge kennen gelernt
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oder selbst gefunden, wenn einerseits die ersten Namen noch nicht festgesetzt b2 waren und wenn es andererseits nach unserer Auffassung unmöglich ist, auf b3 andere Weise etwas über die Dinge zu lernen oder herauszufinden als dadurch, dass man erlernt oder selbst herausfindet, wie die Namen beschaffen sind? (Kratylos: Das, was du sagst, scheint mir bedenkenswert, Sokrates.) b1
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Kratylos: Ich meine, Sokrates, man kommt hier der Wahrheit am nächsten, wenn man sagt, dass eine größere als menschliche Kraft den Dingen die ersten Namen gab, weshalb diese notwendigerweise richtig sind. Sokrates: Dann hätte deiner Ansicht nach der Namensgeber, obwohl ein Dämon oder ein Gott, Festsetzungen getroffen, die ihn mit sich selbst in Widerspruch brachten? Oder meinst du, das, was wir eben gesagt haben, ist ohne Bedeutung? Kratylos: Aber die einen von ihnen sind wohl keine Namen. Sokrates: Welche, mein Bester? Die, die in Richtung Stillstand, oder die, die in Richtung Bewegung weisen? Denn nach der Menge soll es ja, wie eben abgemacht, nicht entschieden werden. Kratylos: Nein, das wäre nicht richtig, Sokrates. Sokrates: Da nun die Namen untereinander in Zwietracht stehen, wobei die einen behaupten, sie glichen der Wahrheit, die andern aber, sie, worauf sollen wir nunmehr unsere Entscheidung noch stützen, oder wohin sollen wir unsere Zuflucht nehmen? Doch wohl nicht zu weiteren Namen, die von diesen verschieden sind. Denn solche gibt es nicht. Offenbar muss nach etwas anderem als nach Namen gesucht werden, was uns ohne die Hilfe von Namen zeigt, welche der beiden Auffassungen wahr ist, offenbar indem es uns die Wahrheit über das sehen lässt, was wirklich ist. Kratylos: Das ist auch meine Ansicht. Sokrates: Wenn das wirklich so ist, Kratylos, dann ist es möglich, wie es scheint, ohne die Hilfe von Namen, über das, was ist, etwas zu lernen? Kratylos: So scheint es. Sokrates: Auf welchem anderen Weg erwartest du nun noch, diese Kenntnis zu erwerben? Nicht auf dem, auf dem es wahrscheinlich und am ehesten richtig ist, nämlich indem die Dinge aufgrund ihrer Beziehung zueinander erkannt werden, sofern sie miteinander verwandt sind, und an sich durch sich selbst? Denn das, was von ihnen verschieden und andersartig ist, steht auch für etwas, was von ihnen verschieden und andersartig ist, und nicht für sie. Kratylos: Ich denke, du hast recht. Sokrates: Doch warte, beim Zeus. Haben wir nicht mehrmals Übereinstimmung darüber erzielt, dass die schön festgelegten Namen den Dingen ähnlich sind, denen sie beigelegt wurden, und dass sie Abbilder der Dinge sind.
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Kratylos: Ja. Sokrates: Selbst wenn es nun möglich ist, durch die Namen Kenntnis über die Dinge zu erlangen, andererseits aber auch durch die Dinge selbst, welcher Weg zur Erkenntnis dürfte schöner und zuverlässiger sein? Der, der vom Bild ausgeht, um zunächst zu erkennen, ob es selbst eine gute Abbildung ist, und danach erst die Wirklichkeit kennen zu lernen, die vom Bild wiedergegeben wird, oder der, der von der Wirklichkeit ausgeht, um diese unmittelbar selbst zu erkennen und dann zu sehen, ob das Bild angemessen gearbeitet ist. Kratylos: Man muss, meine ich, von der Wirklichkeit ausgehen. Sokrates: Auf welche Weise man nun die Kenntnis von dem, was wirklich ist, durch Lernen erwirbt oder selbst findet, das zu erkennen übersteigt vielleicht meine und deine Kräfte. Doch sollte man schon damit zufrieden sein, dass wir uns einig geworden sind, dass man das Seiende nicht ausgehend von Namen, sondern viel eher aus sich selbst kennen lernen und erforschen sollte als aus den Namen. Kratylos: Offenbar, Sokrates. Sokrates: Lass uns nun noch Folgendes betrachten, damit uns nicht diese Fülle von Namen, die in dieselbe Richtung zielen, in die Irre führt, wenn einerseits die Namenssetzer sie tatsächlich in dem Glauben festgelegt haben, alles sei in Bewegung und Fluss – denn auch mir selbst scheinen sie so gedacht zu haben –, und andererseits sich herausstellt, dass es nicht so ist, sondern dass sie selbst in eine Art Strudel gefallen sind und herumgewirbelt wurden und auch uns mit hineingezogen haben. Denn betrachte, sieh, Kratylos, was ich häufig träume. Sollen wir sagen, es gebe etwas Schönes und Gutes an sich selbst und genauso für jedes einzelne Seiende, oder nicht? Kratylos: Ich, Sokrates, meine schon, dass es das gibt. Sokrates: Lass uns nun also dieses selbst betrachten, nicht ob ein Antlitz schön ist oder etwas dergleichen, und ob dies alles im Fluss zu sein scheint. Sondern mit Blick auf das Schöne selbst, sollen wir nicht sagen, dass es stets so beschaffen ist, wie es ist? Kratylos: Unausweichlich. Sokrates: Ist es nun möglich, es in richtiger Weise anzusprechen, wenn es stets entweicht, zuerst, dass es jenes ist, sodann, dass es von der und der Beschaffenheit ist, oder muss es nicht unausweichlich im selben Augenblick, wo wir sprechen, sofort zu etwas anderem werden, sich entziehen und nicht mehr dieselbe Beschaffenheit haben? Kratylos: Unausweichlich. Sokrates: Wie könnte nun das, was niemals in demselben Zustand ist, etwas sein? Ist es nämlich je in demselben Zustand, dann findet in dieser Zeit offenbar keinerlei Wechsel an ihm statt. Ist es aber stets in demselben Zustand und
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stets dasselbe, wie sollte dieses je umschlagen und sich bewegen, da es doch in keiner Weise aus seiner Form heraustritt? Kratylos: In keiner Weise. Sokrates: Es könnte aber auch von niemand erkannt werden. Denn in dem Augenblick, an dem der, der es erkennen soll, herantritt, würde es zu etwas anderem werden und andersartig, sodass nicht mehr erkannt werden könnte, von welcher Beschaffenheit es ist und in welchem Zustand es sich befindet. Aber keine Erkenntnis erkennt doch wohl das, was sie erkennt, als in keinerlei Zustand befindlich. Kratylos: Es ist so, wie du sagst. Sokrates: Aber es wäre nicht einmal richtig zu sagen, dass es überhaupt eine Erkenntnis gebe, Kratylos, wenn sich alle Dinge stets verwandelten und nichts Bestand hätte. Würde nämlich eben dies, die Erkenntnis, aus ihrem Erkenntnissein nicht umwechseln, bliebe die Erkenntnis stets bestehen und wäre Erkenntnis. Wenn aber die Form der Erkenntnis selbst wechselte, so würde sie im selben Augenblick in eine andere Form als die der Erkenntnis umschlagen und keine Erkenntnis mehr sein. Schlägt sie aber stets um, dann würde sie stets keine Erkenntnis sein, und aus dieser Überlegung ergibt sich, dass es dann weder etwas gibt, das erkennen wird, noch etwas, das erkannt werden wird. Gibt es aber stets das Erkennende und das, was erkannt wird, und gibt es das Schöne und das Gute, und gibt es jedes einzelne Seiende, dann sehe ich nicht, wie das, wovon wir gerade sprechen, dem Fluss oder der Bewegung in irgend einer Hinsicht ähnlich sein kann. Ob nun das richtig ist oder ob es so ist, wie Heraklit und seine Anhänger und viele andere behaupten, ist wohl nicht so leicht auszumachen, aber es passt sicher nicht zu einem vernünftigen Menschen, sich und seine Seele der Obhut der Namen zu überlassen und im Vertrauen auf sie und die, die sie festgesetzt haben, sich zu versteifen, als ob er etwas wüsste, und gegen sich selbst und das, was wirklich ist, das Urteil zu fällen, es gebe nichts Gesundes darin, sondern alles fließe und sei leck wie Tonwaren, kurz, wie Leute, die an einem Katarrh leiden, zu meinen, auch die Dinge seien in diesem Zustand und alles, womit wir umgehen, sei vom Fluss und Katarrh befallen.10 Nun vielleicht ist es so, Kratylos, vielleicht auch nicht. Man muss also mannhaft und sorgfältig prüfen und darf nicht so leichthin zur Übernahme bereit sein – denn du bist ja noch jung und im richtigen Alter; hast du es aber untersucht und herausgefunden, dann lass mich auch daran teilhaben.
10 Die meisten Übersetzungen konstruieren hier unrichtig im Sinne von „kurz, zu meinen, die Dinge seien im selben Zustand wie Leute, die an einem Katarrh leiden, und alles sei von Fluss und Katarrh befallen“. Die Korrektur stammt von Kurt Sier.
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Kratylos: Das werde ich tun. Doch ich versichere dir, Sokrates, dass ich auch e jetzt schon darüber nachgedacht habe, und nach mühevoller Prüfung bin ich zur Ansicht gelangt, dass es viel eher so ist, wie Heraklit sagt. Sokrates: Nun, mein Freund, du kannst mich ja ein andermal unterrichten, wenn du wieder zurück bist. Doch jetzt geh, wie du es vorbereitet hast, aufs Land. Hermogenes wird dich begleiten. Kratylos: So soll es sein, Sokrates. Aber auch du versuche weiter über diese Dinge nachzudenken.
KOMMENTAR
Gliederung des Dialogs und der Erläuterungen
A Das Gespräch mit Hermogenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Gesprächseröffnung: 383a1–385a1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
I.1 Vorläufige Positionsbestimmung – Natürliche vs. konventionelle Richtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Ι.2 Beispiele der Unterscheidung νόμος-φύσις vor und nach dem Kratylos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 ΙΙ. Probleme des Konvenionalismus des Hermogenes . . . . . . . . 93 II.1 Namenspermutation als private (ἰδίᾳ) vs. öffentliche (δημοσίᾳ) Namensverwendung (385a 1–385b1) . . . . . . . 93 II.2 Wahrheit von Sätzen und Namen 385b2–385e3 . . . . . . . 94 II.2.1 Textanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II.2.2 Die Wahrheit von Namen . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II.2.3 Die Funktion des Wahrheits-Abschnitts . . . . . . . 99 II.2.4 Der Wahrheits-Abschnitt im Kontext . . . . . . . . . 101 II.2.5 Der Kommentar des Proklus zur Stelle . . . . . . . . 104 II.2.6 Die Reaktion des Hermogenes (385d7–e3) . . . . . . 105 II.3 Der Konventionalismus des Hermogenes und der Relativismus des Protagoras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II.3.1 Der Homo-mensura-Satz (385e4–386e4) . . . . . . . 107 II.3.2 Korrektheitsrelativismus und Wahrheitsrelativismus 108 II.3.3 Folgt der Wahrheitsrelativismus aus dem Korrektheitsrelativismus? . . . . . . . . . . . . . 109 II.3.4 Widerlegung des Protagoras und des Euthydemos (386a8–e5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Handlungstheoretische Argumente für den Naturalismus . . . . 113 III.1 Die Natürlichkeit und der „Kasusrahmen“ von Handlungen (386e6–387d9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 III.1.1 Schneiden und Brennen als Handlungsbeispiele (387a2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III.1.2 Reden (λέγειν) (387b8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Exkurs: Schofields Plazierung von 385b2–d1 . . . . . . . . 116 III.1.3 Benennen (ὀνομάζειν) (387c6–d10) . . . . . . . . . . 118
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Kommentar
III.2 Die Funktion von Namen (387d10–390e5) . . . . . . . . . . 122 III.2.1 Der Name als Werkzeug (387d10–388c8) . . . . . . . 122 Exkurs: Aristoteles – Werkzeug-Charakter vs. Konventionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III.2.2 Der Gesetzgeber als Namenssetzer (388c8–389a4) . 125 III.2.3 Die Herstellung des Namens und sein εἶδος (389a5–390b1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 III.2.4 Der Gesetzgeber und der Dialektiker (390b1–e5) . . 133 Vorläufiges Fazit (390e6–391b2) . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 IV. Auf der Suche nach der konkreten Namensrichtigkeit 391b8–d9 141 IV.1 Rückgriff auf Homer (391c10–393b6) . . . . . . . . . . . . . 142 IV.2 Skamandrios vs. Astyanax – was ist richtiger (392b3–d10)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 IV.3 Warum ist „Astyanax“ richtig? (392d11–393b6) . . . . . . . 144 IV.4 Ein Löwe erzeugt einen Löwen (393b7–394e7) . . . . . . . . 144 IV.5 Probleme des Astyanax-Abschnitts . . . . . . . . . . . . . . 147 V. Die Etymologien der Sekundär-Namen . . . . . . . . . . . . . . . 157 V.1 Die Atriden- und Tantaliden-Namen (394e8–396a1) . . . . 157 V.2 Zeus, Kronos, Uranos (396a1–c3) . . . . . . . . . . . . . . . 159 V.3 Der angebliche Einfluss des Euthyphron (396c3–397a2) . . 161 V.4 Ausklammerung der (Eigen-)Namen von Menschen und Heroen (397a5–c3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 V.5 Gesamtschau auf den Kosmos: Götter, Dämonen. Heroen, Menschen (397c3–399c6) . . . . . . . . . . . . . . . 166 V.6 Abschluss der Gesamtschau auf den Kosmos: Seele – ψυχή, Körper – σῶμα (399c7–400c10) . . . . . . . . 169 V.7 Homerische Götter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 V.7.1 Problem der Götternamen: Die wahren Namen kennen wir nicht, also bescheiden wir uns mit dem, was die Menschen darüber glauben. (400d1–401b1) 170 V.7.2 Hestia – bildet zu Recht den Anfang, da über ἐσσία auf οὐσία „Sein“ bezogen. – Der spekulative Bezug zur Flussontologie (401b1–402d3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Exkurs: Die Authentizität der Flussfragmente . . . . . . . . 174 V.7.3 Die Fortsetzung der Reihe der Götternamen . . . . . 177
Gliederung des Dialogs und der Erläuterungen
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V.8 Nachträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Das Ätherproblem (410 b5–7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 V.9 Übergang zu den Tugenden 411a–b2 . . . . . . . . . . . . . 187 Erste Kritik an der Flusslehre (411b3–c5) . . . . . . . . . . . 188 Irwins Unterscheidung von self-change und aspect-change . . . 189 V.9.1 Intellektuelle Aretai (411d4–412b8) . . . . . . . . . . 190 V.9.2 Ethische Aretai (412c7–414a2) . . . . . . . . . . . . . 192 V.9.3 Positive und negative Wertbestimmungen (415a7–419b4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 V.9.4 Affekte (419b5–420b5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 V.9.5 Einstellungen (420b–d) . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 V.10 Fundamentales (421a1–c3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 V.11 Abschluss des Etymologienabschnitts als kompositionale Analyse (421 c4–e4) . . . . . . . . . . . . 204 V.12 Die etymologische Analyse als rekursive Analyse in ῥήματα (421d9–422b4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Exkurs: Die Ernsthaftigkeit der Etymologien . . . . . . . . 208 V.13 Der Abschluss der Analyse: von den sekundären (ὕστερα) ὀνόματα zu den primären (πρῶτα) ὀνόματα (422a1–e1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 VI. Μίμησις . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 VI.1 Offenbarmachung (δηλοῦν) durch Nachahmung (μίμησις) vs. Analyse in Konstituentien (422e2–423b3) . . 211 VI.2 Gegenstand und Mittel der Nachahmung (423b4– d10) . . 211 VI.3 Unterscheidung zwischen den Eigenschaften (Farbe, Laut) und der οὐσία einer Sache (423e1–5) . . . . . 213 VI.4 Beispiele für Nachahmung der οὐσία durch Primärnamen (424a6–b2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 VI.5 Abbildung der Lautstruktur auf die Seinsstruktur (424b7–425b4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 VI.6 Die μίμησις-Auffassung der πρῶτα ὀνόματα ist alternativlos (426a1–b3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 VI.7 Die mimetischen Eigenschaften und Leistungen der elementaren Laute (426c1–427d3) . . . . . . . . . . . . . 224 Abschluss des Gesprächs mit Hermogenes . . . . . . . . . . . . . 228
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B Das Gespräch mit Kratylos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Übergang zum Gespräch mit Kratylos (427d1–428e1) . . . . . . 228 II. Problem der Abstufung der Namen bis zur Falschheit . . . . . . 229
II.1 Gibt es bessere und schlechtere Namen? (428e1–429b11) . 229 II.2 „Hermogenes“ oder das Problem der Falschheit . . . . . . . 230 II.2.1 Kann man Falsches sagen? (429b12–430a7) . . . . . 230 II.2.2 Argument gegen die Möglichkeit, Falsches zu sagen (429d1–6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 II.2.3 Falschheit und Konventionalität nach Ademollo . . 232 II.3 Der Rettungsversuch von Sokrates: Das Zuweisungsmodell (διανομή) (430a7–431c3) . . . . . . 235 Exkurs: Falschheit im Sophistes . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Der Unterschied zwischen guten und schlechten Namen als Differenz zwischen mehr oder weniger vollständigen Abbildern (431c4–e8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 III.1 Einwand des Kratylos: „Mehr oder weniger vollständig“ ist bei digitaler Kodierung nicht anwendbar (431e9–432a4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 III.2 Die Entgegnung des Sokrates: Kratylos ignoriert Unterschied zwischen Qualität und Quantität und zwischen Urbild und Abbild – Die „zwei Kratyloi“ (432a8–d10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 IV. Ähnlichkeit versus Konventionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 IV.1 Ein mühsam erreichter Minimalkonsens (432d11–434a2) . 247 IV.2 Das σκληρότης-Argument (434a3–435b6) . . . . . . . . . . 249 IV.3 Konvention bei den Zahlnamen (435b3–c2) . . . . . . . . . 252 Der neue (Teil-)Konventionalismus des Sokrates (435a5–d1) und seine frühere Sympathie für eine φύσει-ὀρθότης (391a6 ff.) 255 Exkurs: Konventionalismus und Erkenntniskritik im 7. Brief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 V. Das Problem der Namen als Quellen der Erkenntnis (435d3–439b9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 V.1 Die Ansichten der Namenssetzer können falsch sein (435d3–436b11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 V.2 Die flusstheoretische Kohärenz der Etymologien ist ein Scheinargument (436c3–437a1) . . . . . . . . . . . . . . 262 V.3 Es gibt konstanzontologische Alternativanalysen (437a2–d7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
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Ein Überlieferungsproblem (437dff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 V.4 Namen sind keine verlässlichen Erkenntnisquellen (438c4–439b9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 VI. Die Ablehnung der Flussontologie (439b10–440d7) . . . . . . . . 270 VI.1 Ideentheoretische Voraussetzungen (439c7–d6) . . . . . . . 270 VI.2 Die Argumente gegen die Flusslehre (439d8–440c1) . . . . 275 Die radikale Flusstheorie im Theätet . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 VI.3 Der Abschluss der Argumente gegen die Flusslehre (440b2–d7) 281 Der Heraklitismus des Kratylos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Das Ende des Dialogs (440d4–e7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Appendix: Datierungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Textausgaben, Übersetzungen und Kommentare . . . . . . . . . . . . 289 Monographien und Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Erläuterungen A Das Gespräch mit Hermogenes
I. Gesprächseröffnung: 383a1–385a1 I.1 Vorläufige Positionsbestimmung – Natürliche vs. konventionelle Richtigkeit Der Dialog setzt ziemlich unvermittelt mit der resignierenden Beendigung eines als vorausgegangen zu denkenden Gesprächs zweier Männer ein, die im Folgenden die Gesprächspartner von Sokrates sein werden, Hermogenes und Kratylos. Es ist nicht viel, was wir aus dem Dialog selbst sowie aus anderen Quellen über diese Personen wissen. Hermogenes entstammte einer vornehmen Familie (Sohn des Hipponikos [384a8], Bruder des reichen Kallias [390c1], dessen Haus die Szenerie für den Dialog Protagoras abgibt), und gehörte zur engeren Umgebung von Sokrates. Letzteres ergibt sich aus einigen Erwähnungen bei Xenophon (Mem. II,10, Symp. III,14; IV,47,50), vor allem aber daraus, dass er am Anfang des Phaidon (59b7) als einer derjenigen namentlich erwähnt wird, die mit Sokrates in seiner Todesstunde zusammen waren. Eine genauere Kenntnis seiner Person ist für das Verständnis des Dialogs nicht erforderlich und wird wohl auch beim intendierten Leser nicht vorausgesetzt. Auch für die Person des Kratylos wird für das Verständnis eigentlich nicht mehr vorausgesetzt, als was sich aus dem Dialog selbst ergibt. Aristoteles führt ihn im Rahmen seines philosophiegeschichtlichen Abrisses in Metaphysik A 6 (987a32) als denjenigen an, der noch vor Sokrates in einer Beziehung zum jungen Platon stand. Dabei sei Platon in Kontakt mit den heraklitischen Lehren vom Fluss, d. h. der unaufhörlichen Veränderung aller Dinge gekommen. In Metaphysik Γ 5 (1010a12) heißt es, Kratylos habe die Lehre des Heraklit soweit verschärft, dass er nur noch eine Bewegung des Fingers für eine mit dem steten Fluss („man kann nicht einmal einmal in denselben Fluss steigen“,) vereinbare Form der Äußerung ansah. Diese Extremposition entspricht nicht den Ansichten des Kratylos des Dialogs (doch siehe unten S. 283 f.). Die Ansicht über das Verhältnis von ὄνομα (Name) und Benanntem, die ihm von Hermogenes zugeschrieben wird, ist freilich zunächst alles andere als ge-
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Kommentar
wöhnlich oder gar selbstverständlich. Für jedes Seiende soll es eine von Natur aus bestehende („naturwüchsige“, φύσει πεφυκυῖαν 383a5) Richtigkeit des Namens geben. Nicht das sei ein Name, was einige zu nennen übereingekommen sind, indem sie einen Brocken ihrer Stimme verlauten lassen, vielmehr sei das zugrunde liegende natürliche Kriterium der Richtigkeit universal. Denn es soll für Griechen und Barbaren dasselbe sein. Dementsprechend wird man das Kriterium so auffassen müssen, dass es mit der Existenz verschiedener Sprachen, insbesondere also mit dem Vorliegen lautlich völlig verschiedener ὀνόματα für dieselben Dinge verträglich ist. So ist es denn durchaus verständlich, dass Hermogenes die von Kratylos vertretene Position mit einem Orakelspruch vergleicht, den es angesichts der herablassenden Weigerung des Kratylos, seine These zu erläutern, zu „deuten“ gelte. Da Hermogenes in seinem Bericht über sein Gespräch mit Kratylos (383b2–7) als Beispiele für ὀνόματα zunächst nur Ausdrücke aufführt, die nach unserer Terminologie Eigennamen sind, soll vorläufig von der Wiedergabe Name ausgegangen werden: ὀνόματα dienen offenbar dazu, das Seiende, τὰ ὄντα, zu benennen (καλεῖν). Versucht man aufgrund des Kurzreferats des Hermogenes ein vorläufiges Bild der einander gegenüberstehenden Positionen zu gewinnen, so ergibt sich: Dem Kriterium der Richtigkeit sollen (so Kratylos gegenüber Hermogenes) Namen wie Kratylos und Sokrates genügen: sie kommen ihren Trägern „wahrhaftig“ (τῇ ἀληθείᾳ) zu.1 Das heißt aber nicht, dass, wie Hermogenes (seine spätere Position quasi vorwegnehmend) annimmt, generell in allen Fällen der Name, mit dem wir jemand benennen, der Name der betreffenden Person ist. Ein Gegenbeispiel des Kratylos (wenn auch ein scherzhaftes) ist Hermo genes: Selbst wenn alle ihn so nennen, ist das nicht sein Name, denn „Hermesspross“ – also Abkömmling des für wirtschaftliche Erfolge zuständigen Gottes Hermes, – passt auf einen ökonomisch wenig Erfolgreichen (χρημάτων ἐφιέμενον κτήσεως ἀποτυγχάνειν 384a5 f. [der nach Geld strebt und es regel mäßig verfehlt] ) wie Hermogenes nicht, wie Sokrates (384c3–6) den Kratylos interpretierend vermutet. Der Name scheint also wie eine Kennzeichnung verstanden zu werden und „richtig“ ist er, wenn er als Kennzeichnung auf das von ihm Benannte zutrifft. Freilich ist dann nicht mehr ohne Weiteres nachvollziehbar, warum diese Auffassung wie ein Orakel einer regelrechten Deutung bedarf. Zur Debatte stünde danach nicht die Frage, wie bestimmte Ausdrücke zu ihrer Bedeutung kommen, vielmehr würde die jeweilige Bedeutung (z. B. von Hermogenes qua 1 Nach Sedley (200) 22 deuten sowohl „Kratylos“ wie „Sokrates“ aufgrund des Bestandteils -krat- den Besitz einer Art von „Kraft“ an.
A Das Gespräch mit Hermogenes
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Hermesspross) als unproblematisch vorausgesetzt, und es ginge nun lediglich darum, ob auf den Träger eines Namens die mit der Bedeutung des Namens gegebene Prädikation zutreffen muss oder nicht. Natürliche Richtigkeit eines Namens hieße dann, dass der Träger des Namens aufgrund seiner Beschaffenheit, seiner „Natur“, das im Namen enthaltene Prädikat erfüllt. Die in 383a6 angedeutete und in 384c10–d7 charakterisierte „konventionalistische“ Gegenposition des Hermogenes liefe dann darauf hinaus, dass man für einen Namen unabhängig von seiner etwaigen inhaltlichen Bedeutung einen Träger durch Übereinkunft festlegen kann, kurz dass der Bezug oder die Referenz eines Namens von seiner etwaigen Bedeutung unabhängig ist. Da dies – wie später (397a9–b6) auch von Sokrates indirekt eingeräumt wird – der Vergabe und Verwendung von Eigennamen (von Menschen und Heroen) in der Alltagspraxis weitgehend entspricht, wäre bei der nach dieser Deutung dem Kratylos zugeschriebenen „naturalistischen“ Gegenauffassung weniger das Kriterium der Richtigkeit fraglich, da dieses ja einfach lauten würde „richtig ist ein (Eigen-)Name, der qua Kennzeichnung auf seinen Träger zutrifft“, sondern das eigentliche Problem wäre, wie man eine so offensichtlich wirklichkeitsfremde Auffassung über die Richtigkeit von Eigennamen vertreten kann. Bezieht man ὀνόματα nicht auf Eigennamen, sondern auf Nomina oder noch allgemeiner auf Inhaltswörter (Substantive, Verben, Adjektive2), so hängt die Bewertung der beiden zur Debatte stehenden Positionen davon ab, ob man für diese ὀνόματα ebenfalls neben ihrem Bezug – wie im Falle des Namens „Her mogenes“ – einen deskriptiven Gehalt als Sinn annehmen soll. Nimmt man das an, so ist die Frage, ob sich im Falle der Konventionsposition die Reichweite der Konvention nur auf den Bezug beschränken kann, denn das würde heißen, der Bezug eines Nomens wie „Weber“ (ὑφάντης), also das, worauf man damit referiert, werde – wie im Falle von ὀνόματα als Eigennamen – unabhängig von der vorhandenen deskriptiven Bedeutung oder dem Sinn des Wortes (etwa bei ὑφάντης ohne Beziehung zu ὑφαίνειν „weben“) durch Übereinkunft oder Konvention festgelegt. So verstanden wäre somit der „Naturalismus“ des Kratylos im Falle von ὀνόματα = Eigennamen wenig plausibel und der „Konventionalismus“ des Hermogenes im Falle von ὀνόματα = Nomina künstlich isoliert – es sei denn, man hält nicht die Beziehung zwischen ὄνομα und Referenz oder Bezug für konventionell, sondern die zwischen ὄνομα und deskriptiver Bedeutung.
2 Z. B. werden in 385a9 die „nomina“ ἄνθρωπος und ἵππος, in 414a8 die infinite Verbform θάλλειν, in 421c4 f. die Partizipien ἰόν, ῥέον, δοῦν, in 412c2 das Adjektiv ἀγαθόν als ὀνόματα bezeichnet.
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Problematisch beim eben angedeuteten Versuch einer vorläufigen Klärung der Positionen aufgrund der von Hermogenes gegebenen Hinweise ist natürlich die Voraussetzung, dass die Bedeutung oder der Sinn der fraglichen ὀνόματα vorgegeben ist und dass lediglich strittig ist, wie ihr Bezug festgelegt wird. Aber ohne diese Voraussetzung (einer gleichsam alltagssemantischen Vorwegnahme der Frege’schen Unterscheidung von Sinn und Bezug) lässt sich die referierte, offensichtlich ironische Kritik des Kratylos am Namen „Hermogenes“ wohl kaum verstehen. Darüber hinaus setzt die Kritisierbarkeit von Eigennamen voraus, dass die mit den jeweiligen Eigennamen intendierte Bezugname oder Referenz unabhängig von der „Richtigkeit“ der Namen herstellbar ist. Die Reaktion des Sokrates lässt erkennen, dass er das Problem der Namensrichtigkeit für nichttrivial und schwierig3 hält. Mit typisch sokratischer Ironie wird der Mangel an eigener Expertise in dieser Frage darauf zurückgeführt, dass ihm der Zugang zur angeblich einschlägigen State of the-Art-Vorlesung des Prodikos wegen zu hoher Kosten (eigentlich also wegen des Vorrangs von Gelderwerb vor Erkenntnisgewinn bzw. Erkenntnisvermittlung aufseiten des Prodikos) verschlossen geblieben sei. Leider ist über den Inhalt dieser Vorlesung nichts überliefert, sodass insbesondere offen bleiben muss, ob in ihr das Problem der Namensrichtigkeit im hier vorausgesetzten Sinn (Naturalismus vs. Konventionalismus) überhaupt thematisiert worden ist. Vermutlich wurde in ihr Namensrichtigkeit eher in der Weise behandelt, wie es u. a. im Protagoras fassbar wird, wo Prodikos von Keos, Hippias von Elis und Protagoras als sophistisches Dreigestirn verewigt sind. Dort geht es Prodikos bis zur Pedanterie darum, das jeweils Gemeinte mit dem „richtigen“ Ausdruck möglichst genau zu treffen4: etwa wo ist es angemessener „sich auseinandersetzen“ (ἀμφισβητεῖν 337a8) als „sich zanken“ (ἐρίζειν 337b1) zu verwenden, wo „geachtet werden“ (εὐδοκιμεῖν 337b5) statt „gelobt werden“ (ἐπαινεῖσθαι 337b7), wo „Freude empfinden“ (εὐφραίνεσθαι 337c2) statt „Lust empfinden“ (ἥδεσθαι 337c3)? Die Anwendung eines Ausdrucks ist demnach „richtig“, wenn das jeweils Gemeinte seiner Bedeutung entspricht. Die Frage, ob die Bedeutung selbst als der Maßstab dieser Richtigkeit eine „natürliche“ oder eine „konventionelle“ Basis hat, spielt dabei keine Rolle. Im Euthydem (277e4) wird „Namensrichtigkeit“ (ὀρθότης ὀνομάτων) als des Prodikos eigene Bezeichnung für das Ziel seines Strebens nach dem treffenden Ausdruck angeführt. Es scheint also, als ob zwischen „Namensrichtigkeit“ und Prodikos 3 Hervorgehoben durch das dem Solon (vgl. Scholia in Platonem 3 Cufalo) zugeschriebene Zitat χαλεπὰ τὰ καλά. 4 Vgl. die Erläuterungen von B. Manuwald in seinem Kommentar (Platon, Protagoras, Göttingen 1999, 291 ff.). Zur sprachtheoretischen Einordnung vgl. Heitsch (1972), 24–29.
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geradezu eine stereotype Assoziation bestanden hat, sodass er in diesem Zusammenhang nicht zu übergehen war. Nimmt man nun an, dass Prodikos Namensrichtigkeit gar nicht unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes von Natur und Konvention thematisiert hat, so kann man den Hinweis auf die kostspielige Esoterik der Fünfzigdrachmenvorlesung als Kunstgriff verstehen, Prodikos gleichzeitig zu nennen und dennoch als letzlich irrelevant auszuklammern, ohne dies ausdrücklich zu sagen. Denn die hier behauptete Unkenntnis des Sokrates über Prodikos’ ὀρθότηςLehre steht im Konflikt mit seinem an anderen Stellen, Hippias maior 282c2, Euthydem 277e4, Laches 197d3, Charmides 163d4, Theaitetos 151b5 betonten Respekt vor der sprachlichen Kompetenz des Prodikos, was wohl nicht nur ironisch gemeint ist und vor allem mehr als nur eine oberflächliche Kenntnis vom Hörensagen voraussetzt. (Ob hier gleichzeitig ein leichter Seitenhieb auf den Sophisten intendiert ist, da dieser mit seiner ὀρθότης-Lehre zwar eine objektive Basis für eine jeweils „korrekte“ Benennung voraussetzt, die resultierenden Konsequenzen jedoch wohl nicht reflektiert zu haben scheint, muss offen bleiben). Nachdem Sokrates als das nunmehr gemeinsam zu behandelnde Problem die Frage eingeführt hat, ob die Auffassung des Kratylos oder diejenige des Hermogenes richtig ist, formuliert Hermogenes seinen bisher nur angedeuteten Standpunkt klar und eindeutig: Die Basis für die Richtigkeit der Namen ist Vereinbarung (συνθήκη, 384d1) und Übereinstimmung (ὁμολογία, 384d2). Doch scheinbar ohne Rücksicht darauf, dass diese beiden Begriffe wesentlich den Rahmen einer Kommunikationsgemeinschaft voraussetzen, erläutert er seine Auffassung durch Rückgriff auf eine wenig kommunikative Modellsituation, nämlich die durch das Belieben des Herrn gekennzeichnete asymmetrische Zuteilung von Eigennamen an Angehörige des Dienstpersonals: So wie dort derjenige Name richtig ist oder als der richtige zu gelten hat, den der Herr für den Diener jeweils festlegt und benutzt, soll es generell sein: Die Nenngewohnheit (ἔθος, 384d7) desjenigen, der den Namen festlegt, ist der Maßstab der Richtigkeit. Er kann ihn nach Belieben ändern, eine intrinsische natürliche Beziehung zwischen Namensträger und Namen gibt es dabei nicht. Es sind demnach drei Aspekte, die sich in der Position des Hermogenes (freilich nicht ganz konsistent) vereinen: Die Richtigkeit der Namen beruht auf 1) Vereinbarung (συνθήκη), 2) individuellem Belieben (θέσις) und 3) auf Gewohnheit (ἔθος). Die beiden zur Debatte stehenden Standpunkte lassen sich vorläufig nach Kretzmann (1971, 127) so charakterisieren: Nach Kratylos beruht die Richtigkeit der Namen ausschließlich auf ihrer Beziehung zu den Namensträgern (bearer), unabhängig von dem, was die Namensverwender (user) darüber denken mögen. Nach Hermogenes hingegen sind es die Namensverwender, die
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über die Richtigkeit der Namen entscheiden, unabhängig von jeglicher Betrachtung der Natur der Namensträger. Die Richtigkeit eines Namens nach Kratylos ist somit völlig unabhängig davon, ob und wie die Leute den Namen verwenden, anders ausgedrückt: Nur die „richtigen“ Namen sind tatsächlich Namen – im Falle des Hermogenes heißt das, dass „Hermogenes“ nicht nur nicht der richtige Name, sondern überhaupt kein Name des Hermogenes ist (383b6 Οὔκουν σοί γε ὄνομα Ἑρμογένης, ουδὲ ἂν πάντες καλῶσιν ἄνθρωποι [Dein Name ist nicht „Hermogenes“, selbst wenn alle Menschen dich so nennen]), d. h. nach Ademollo: Die Eigenschaften, Name von X zu sein und korrekter Name von X zu sein, fallen zusammen. Ademollo (2011, 3) nennt das die Redundancy Conception of Correctness und formuliert es entsprechend so: (R) „N“ is a correct name of X = „N“ is a name of X.5 Wie Admollo bemerkt, ergibt sich aus (R) (i), dass es keine Grade von Korrektheit gibt, „as one name cannot be more of a name than another, so one name cannot be more correct than another“. (ii) Es gibt keine unkorrekten Namen: „„incorrect name of X“ is strictly speaking self-contradictory“. Dass Kratylos diese Position vertritt, ist klar. Strittig und zu klären ist, ob auch Sokrates sie vertritt oder akzeptiert, und insbesondere, ob Sokrates mit seiner späteren Unterscheidung von gut (καλῶς) und schlecht (κακῶς) gemachten Namen auch Grade der Korrektheit zulässt (siehe unten zu 431c–432c). Unklar ist auch, ob es im Falle von Namensneuprägungen nicht doch einen Bereich jenseits der Unterscheidung korrekt vs. unkorrekt gibt
Ι.2 Beispiele der Unterscheidung νόμος-φύσις vor und nach dem Kratylos Kratylos und Hermogenes benutzen zur Charakterisierung ihrer Standpunkte das Begriffspaar νόμος-φύσις, und es fragt sich, wie dieser Rückgriff auf ein herkömmliches Denkmuster einzuordnen ist.6 Νόμος ohne das Gegenstück φύσις wird von Empedokles (DK 31 B 9) verwendet, um zu rechtfertigen, weshalb er der Praxis folgt, von „werden“ (γενέσθαι) zu reden statt von „sich mischen“, obwohl das erste unrichtig ist (ἣ θέμις οὐ καλέουσι), da es voraus-
5 Nach Ademollo (2011), 3 Anm. 2, kommt Bestor (1980), 314 dem mit seiner Formulierung „correctness is the same as success“ nahe. 6 Zum Folgenden vgl. die von Felix Heinimann verfasste Monographie „Nomos und Physis, Herkunft und Bedeutung einer Antithese im griechischen Denken des 5. Jahrhunderts“, Basel 1945.
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setzt, dass es Entstehung aus dem gibt, was nicht ist (οἳ δὴ γίγνεσθαι πάρος οὐκ ἐὸν ἐλπίζουσι Β 11), was unmöglich ist, da aus dem, was überhaupt nicht ist, unmöglich etwas entstehen kann (ἔκ τε γὰρ οὐδάμ’ ἐόντος ἀμήχανόν ἐστι γενέσθαι B12). Empedokles selbst folgt, wie er sagt, dieser Praxis, weil er sich an den „Brauch“ hält (νόμῳ ἐπίφημι καὶ αὐτός B 9). Nόμος ist also hier die Rechtfertigung für die Verwendung eines (im Sinne des Eleaten Parmenides, vgl. 28 B 8, 38 ff.) falschen Begriffs und nicht für die Verwendung einer gleichermaßen brauchbaren (und insofern konventionellen) Ausdrucksalternative. Und im Unterschied zu einem deskriptiv unzutreffenden Namen wie „Hermogenes“, gibt es für den Namen eines „falschen Begriffs“ aus prinzipiellen Gründen keine Anwendung. Nicht die Beziehung von Name und Denotat ist hier das Problem, sondern die mangelnde Kohärenz des Denotats. Diese logisch-kritische Dimension des νόμος-Begriffs bleibt in der νόμῳ-φύσει Diskussion im Hintergrund. Eine einfache und klare Auffassung der Antithese findet sich in der im hippokratischen Corpus überlieferten Schrift Περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων. Dort wird nach den Ursachen der von anderen Volksstämmen abweichenden Körpergestalt bei den Makrokephalen und den Phasisanwohnern gefragt. Die Eigentümlichkeit der Makrokephalen, ihre Langschädligkeit, wird dabei in Kapitel 14 (Litré) auf einen νόμος zurückgeführt, nämlich der Sitte, den noch weichen Köpfen der Neugeborenen durch künstliche Maßnahmen (d. i. der Umwicklung) die als vornehm geltende lange Form zu geben. Dagegen sei die körperliche Besonderheit der Phasisleute, nämlich die großen, unförmig dicken und durch keine sichtbaren Gelenke gegliederten Körper angeboren, also φύσει. Sie gehe nämlich – so Kapitel 15 (Litré) – auf die Beschaffenheit des Landes (χώρη), die Wasserverhältnisse (ὔδατα) und das Klima (ὅμβροι, ἀήρ, ὧραι, πνεύματα) zurück. Während also die νόμῳ-Phänomene auf Ursachen zurückgehen, die durch menschliches Handeln induziert sind, liegen den φύσει-Phänomenen „natürliche“ Ursachen zugrunde. In Anwendung auf die Sprachbetrachung findet sich die Antithese in der ebenfalls im hippokratischen Corpus überlieferten Schrift περὶ τέχνης. Dort wird im Zusammenhang der Unterscheidung der Benennung einer spezifischen Kunst und der Kunst selbst das Begriffspaar νόμος-φύσις in Form der ionisch-poetischen Ausdrücke7 νομοθέτημα-βλάστημα in Anwendung auf Namen (ὀνόματα) und ihre Denotate (εἴδεα) in dem Sinn eingeführt, dass Namen bloß konventionell, die εἴδεα [Formen] dagegen „gewachsen“ sind (βλαστήματα von βλαστάνειν „wachsen“), d. h. eine „natürliche“ Grundlage haben8 (τὰ μὲν
7 Siehe Heinimann (1945), 157. 8 βλαστάνειν ist synonym mit φῦναι, das seinerseits zu φύσις (eigentlich „Wuchs“) gehört.
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γὰρ ὀνόματα νομοτεθήματά ἐστιν9, τὰ δὲ εἴδεα οὐ νομοτεθήματα, ἀλλὰ βλαστήματα 2,10, 11 ff. L.). Hier wird die Antithese νόμος-φύσις unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes „gesetzt“ (νομοθέτημα) vs. „selbst entstanden“ (βλάστημα) betrachtet. Die nach Heinimann einzige weitere Spur10 der Übertragung der Antithese Nomos-Physis auf die Sprachbetrachtung vor dem Kratylos findet sich in der Abhandlung Περὶ φύσιος ἀνθρώπου aus dem Hippokratischen Corpus, die Hippokrates’ Schwiegersohn Polybos zugeschrieben und an den Beginn des 4. Jahrhunderts datiert wird. In dieser Schrift wird die später so einflussreiche Lehre von den vier Säften (φλέγμα, αἷμα, χολή ξανθή, χολὴ μέλαινα) postuliert. Für unseren Zusammenhang ist dabei wichtig, dass der Autor die Unterscheidung der Namen der vier Säfte als rein konventionell (κατὰ νόμον τὰ ὀνόματα διωρίσθαι) erachtet, im Unterschied zur Charakteristik der Säfte selbst, die aufgrund von Natur geschieden sind (κατὰ φύσιν τὰς ἰδέας κεχωρίσθαι vgl. 5: 6, 40L.). Die Konventionalität der Namensunterschiede dürfte dabei wohl nicht lediglich auf die lautlichen Unterschiede der Namen bezogen sein, sondern, wie durch die Aussage οὐδενὶ αὐτῶν τὸ αὐτὸ ὄνομα εἶναι (sc. φημί) nahegelegt, soll keinem der Säfte derselbe Name (sc. wie einem anderen) zukommen, d. h. die Namen werden hier nach ihrer referentiellen Funktion unterschieden, und es ist letztere, die als konventionell angesehen wird. Im Gegensatz dazu gibt es, wie oben angedeutet, im Kratylos zwei konkurrierende Alternativen für die Fundierung der referentiellen Funktion eines Namens: Ein Name kann diese Funktion φύσει haben, nämlich wenn der Namensträger, wie von Kratylos für möglich gehalten, aufgrund seiner Natur die vom Sinn des Namens auferlegten Bedingungen erfüllt. Dagegen hat er diese Funktion νόμῳ (oder ἔθει), wenn er – und das ist nach Hermogenes die einzige Möglichkeit – dem Namensträger durch Vereinbarung (συνθήκη oder ὁμολογία) zugeordnet wurde, wofür er – abgesehen von der Vereinbarung – keinerlei Voraussetzungen erfüllen muss. Eine andere Möglichkeit als diese νόμῳ-Fundierung der Namensreferenz scheint vor dem Dialog Kratylos in der νόμῳ-φύσει-Diskussion nicht vertreten zu werden. Das würde bedeuten, dass vor dem Kratylos in diesem Zusammenhang für Namen oder andere linguistische Phänomene die φύσει-Qualifikation nicht angenommen wurde. Damit soll natürlich nicht die in Epos und Drama reichlich bezeugte Tradition der „sprechenden“ Namen bestritten werden. Etwa die Ableitung von „Odysseus“ aus ὀδύσσομαι (zürne) in Od.1,62 τί νύ οἱ τόσον ὠδύσαο –, Was 9 Überliefert ist: τὰ μὲν γὰρ ὀνόματα φύσιος νομοτεθήματά ἐστιν. Heinimann (1945), 157 Anm. 30 tilgt φύσιος als „eingedrungene Randerläuterung zu βλαστήματα“. Ademollo (2011), 121 Anm. 59 behält φύσιος als genitivus objectivus bei. 10 Heinimann (1945), 158.
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hast Du gegen ihn solchen Zorn gefasst, Zeus –, sowie Od.19.406–9 „Als einer, der vielen zürnt (ὀδυσσάμενος), bin ich hierhergekommen … Darum soll ‚Ὀδυσεύς‘ ‚Zürner‘ der Name sein, mit welchem er benannt ist“ (Übersetzung Schadewaldt), oder Aischylos Th. 829–31, wo es über den Tod von Eteokles und Polyneikes heißt, dass sie ὀρθῶς κατ’ ἐπωνυμίαν – in korrekter Übereinstimmung mit ihrem Namen – κλεινοί τ’ἐτεὸν καὶ πολυνεικεῖς – „wahrhaft berühmt“ und „streitlusterfüllt“ zugrunde gingen, oder schließlich Sophokles Aj. 430–2 αἰαῖ – „wer hätte je gedacht – ὧδ’ ἐπώνυμον τοὐμὸν ξυνοίσειν ὄνομα τοῖς ἐμοῖς κακοῖς – dass mein Name so zu meinem Leiden stimmen würde“. Es ist klar, dass diese dichterischen Namensdeutungen der φύσει gegebenen ὀρθότης im Kratylos nicht fernstehen. Außerhalb der φύσει-θέσει / νόμῳ-Antithese stehen die singulär tiefgehenden gegenseitigen Erhellungen der Art, ξύν νόῳ mit Vernunft und τῷ ξυνῷ πάντων mit dem allen Gemeinsamen bei Heraklit (22B114)11, auf die nicht näher eingegangen werden soll. Das Fehlen der φύσει-Qualifikation von ὀνόματα in der φύσις-νόμοςDiskussion (s. o. S. 89 f.) vor dem Kratylos geht wohl darauf zurück, dass das „Gesetztsein“ (vgl. oben τὰ μὲν γὰρ ὀνόματα νομοτεθήματά, τὰ δὲ εἴδεα οὐ νομοτεθήματα) als unvereinbar mit dem φύσις-Charakter angesehen wurde. Das ist, wie noch deutlicher werden wird, im Kratylos gerade nicht der Fall. Wie von Robinson (1955, 230) hervorgehoben wird: „the speakers … never oppose nature to positing, φύσις to θέσις … The word ‚θέσις‘… (390d10, 397c1, 401b10) means something compatible with φύσις, not opposed thereto.“12 Wie sich noch zeigen wird, besteht im Kratylos der eigentliche Gegensatz innerhalb von θέσις (und νόμος) zwischen rationaler (d. h. begründeter, auf λόγον διδόναι beruhender) und willkürlicher Setzung. Ein anders konzipierter Kontrast ergibt sich, wenn man den Ausdruck φύσει wie in Περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων (s. o. S. 89) kausal im Sinne einer physiologischen Verursachung auffasst. Angewandt auf sprachliche Phänomene legt sich dieser Sinn zunächst wohl weniger nahe, doch bezogen auf die Sprachursprungsfrage ergibt sich jedenfalls für Epikur und seine Anhänger durchaus eine sinnvolle kausale Beziehung. Anders als alle vorangehenden Theoretiker bestreiten sie, dass die ersten Namen durch bewusste Setzung (θέσει) entstanden sind, vielmehr13 ließen die Naturen der Menschen – αὐτὰς τὰς φύσεις τῶν ἀνθρώπων – ethnisch differenziert – καθ’ ἕκαστα ἔθνη – und veranlasst und modelliert durch die jeweiligen Affekte und Eindrücke spontan den 11 Vgl. dazu C. H. Kahn (1979), 117 f. 12 Ademollo (2011), 5 schließt sich dem an. 13 Vgl. Ep. ad Hdt. 75–6 (D. L. X 75–76) und die Interpretation von C. Bailey (1947), III, 1487.
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Luftstrom ausströmen – τὸν ἀέρα ἐκπέμπειν στελλόμενον ὑφ’ ἑκάστων τῶν παθῶν καὶ τῶν φαντασμάτων – und so, wie man ergänzen kann, erste Sprach elemente entstehen. In einem späteren Stadium wurden dann durch gemeinsamen Konsens – κοινῶς – den Dingen im Interesse größerer Eindeutigkeit und Prägnanz – πρὸς τὸ τὰς δηλώσεις ἧττον ἀμφιβόλους γενέσθαι ἀλλήλοις καὶ συντομωτέρως δηλουμένας – durch einen Akt der θέσις besondere Namen zugewiesen – τὰ ἴδια τεθῆναι. Schließlich gibt es danach für bisher unbekannte neue Dinge ein Stadium der Neuprägung durch Entlehnung oder analoge Wortbildung. Es sieht so aus, als ob in der älteren Forschung die Sprachursprungs perspektive von Epikur aus quasi nach hinten projiziert wurde und (freilich nicht unbedingt in einem kausalen Sinn) auch für den Kratylos angenommen wurde. Robinson (1955, 224 ff.) hat dem energisch widersprochen und überzeugend herausgearbeitet, dass es im Kratylos ausschließlich um die Korrektheit (ὀρθότης) und nicht um den Ursprung der Namen geht.14 Dem steht nicht entgegen, dass im Laufe des Gesprächs ein Namens- oder Gesetzgeber (νομοθέτης 388e1) für die Prägung der Namen eingeführt wird. Denn, wie noch deutlich werden wird, wird damit nicht etwa die Sprachgeschichte auf konkrete historische Prägeereignisse zurückgeführt, vielmehr wird versucht, die Namenssetzung in einen zweckrationalen Handlungszusammenhang einzubetten, der jeweils keiner besonderen historischen Periode zuzuordnen ist. Eine weitere, völlig andere Möglichkeit der „natürlichen“ (oder besser „übernatürlichen“) Fundierung von Namen ergibt sich, wenn man der Interpretation des sog. Derveni-Papyrus15 folgt, die Walter Burkert16 vorgelegt hat. Der 1962 gefundene Papyrus enthält einen allegorischen Kommentar zu einer orphischen Theogonie, der sich an naturphilosophischen Positionen von Anaxagoras und Diogenes von Apollonia orientiert. Der Kommentator koppelt seine allegorisch gewonnene Kosmogonie mit einer Art „Onomatogonie“,17 bei der eine διάκρισις (Differenzierung) der kosmogonischen Stadien mit einer διάκρισις zugehöriger Namen bzw. nach Burkert genauer von Namenssinnen parallelgeschaltet ist. „Chacun de ses noms a sa place propre et son sens original dans les phases successives de la cosmogonie“. Dies wird insbesondere in Kolumne XXI (KPT) deutlich, wo eine stufenweise Rekonstruktion der gegen 14 Zum Unterschied der beiden Problemstellungen vgl. auch Fehling (1965), 218–29. 15 R. Janko, „The Derveni Papyrus: An Interim Text“, ZPE 141 (2002), 1–62. Th. Kouremos, G. M. Parássoglou u. K. Tsantsanoglou (2006): The Derveni Papyrus, Florenz (= KPT), Poetae Epici Graeci, II 3, ed. A. Bernabé, 169 ff. (Berlin / New York 2007), Mirjam E. Kotwick (2017): Der Papyrus von Derveni, De Gruyter, Berlin). 16 W. Burkert (1970): „La genèse des choses et des mots. Le papyrus de Derveni entre Anaxagore et Cratyle“, Les études philosophiques 25, 443–455. 17 Der Ausdruck stammt von Baxter (1992), 136.
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wärtigen Realität aus ihren ursprünglichen Komponenten von einer entsprechenden Abfolge von etymologisch erläuterten Namen derselben Gottheit (Ἀφροδίτη, Πειθώ und Ἁρμονία) begleitet wird. „Ne faut-il pas alors admettre que les mots sont établis par la nature même, c’est à dire en grec: φύσει τὰ ὀνόματα?“ Menschen gab es damals noch nicht, „les noms doivent donc être d’origine surhumaine“. Das fügt sich ein in die Lehre, derzufolge der νοῦς, oder nach Diogenes von Apollonia der ἀήρ (Luft) sich in allem befindet und die Stimme eine Bewegung des ἀήρ, also des νοῦς ist. Burkert weist ferner auf eine äußerst bemerkenswerte Stelle im Agamemnon des Aischylos (681), wo nach den Versen des Chors ein unsichtbares Wesen mit dem Vorwissen über das Geschick die Zunge treffend bewegend (προνοίαισι τοῦ πεπρωμένου γλῶσσαν ἐν τύχᾳ νέμων) den Namen der Helena setzen ließ, eine über- oder außermenschliche Namensschöpfung.18 Nach Burkert passt das zu der Annahme, zu der Kratylos am Ende des Dialogs (438c) seine Zuflucht nimmt: „Meiner Ansicht nach, mein lieber Sokrates, war es ein höheres als menschliches Vermögen, das den Dingen die ersten Namen gab“. Unter den Bemerkungen, die Sokrates selbst zum göttlichen Ursprung der Namen macht (397c1 f., 416c4, 425d), ist am ehesten sein kurzer Hinweis auf die göttliche oder menschliche διάνοια von Gewicht, die als Instanz der Namenssetzung genannt wird (διάνοια ἂν εἴη τοῦτο [sc. τὸ τὰ ὀνόματα θέμενον] – ἤτοι θεῶν ἢ ἀνθρώπων ἢ ἀμφότερα 416c4). Es gilt nachzutragen, dass die Namensgebung im Derveni-Papyrus sich auch insofern in das Schema φύσει-νόμῳ einfügt, als es neben der übermenschlichen „Onomatogonie“ auch die gewöhnliche νόμῳ-Setzung gibt, vgl. Kolumne XXII,8: ἐκλήθη δὲ Γῆ μὲν νόμῳ, Mήτηρ δ’ ὅτι ἐκ ταύτης πάντα γ[ίν]εται. „Erde“ heißt sie nach dem Brauch, „Mutter“ aber, weil aus ihr alles entsteht.
ΙΙ. Probleme des Konvenionalismus des Hermogenes II.1 Namenspermutation als private (ἰδίᾳ) vs. öffentliche (δημοσίᾳ) Namensverwendung (385a 1–385b1) Durch zwei Fragen des Sokrates wird (i) klar, dass die Legitimierung der Namen im Sinne von Hermogenes tatsächlich durch einen individuellen Benennungsakt (καλεῖν) erfolgt (385a2f), und (ii), dass unter Namen (ὀνόματα) nicht lediglich Eigennamen zu verstehen sind, sondern allgemeiner auch Nomina 18 Nach Levin (2001), 13–31 wird hier angedeutet, dass Zeus selbst als der Vater von Helena der Namensgeber war.
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bzw. Substantive (385a6–b1; der kategoriale Unterschied zwischen nomen pro prium und nomen commune bleibt freilich unerörtert): Wenn jemand die Ausdrücke „Mensch“ (ἄνθρωπος) und „Pferd“ (ἵππος) vertauscht, hat ein und dieselbe Sache in seiner Sprache also privatim (ἰδίᾳ) die Bezeichnung „Mensch“, in der offiziellen (δημοσίᾳ) dagegen „Pferd“ und umgekehrt. Es scheint offensichtlich, dass es bei dieser Vertauschung nicht darum geht, lediglich die Referenz der Nomina „Mensch“ und „Pferd“ unter Ignorierung oder gar Beibehaltung ihrer Bedeutung zu vertauschen, sondern es geht natürlich um die Vertauschung ihrer Bedeutung, ihres Sinns, denn es dürfte mit der Vertauschung ja nicht gemeint sein, dass nunmehr privatim (ἰδίᾳ) die Annahme gemacht werde, dass Pferde die Eigenschaften von Menschen haben und umgekehrt. Während also die Setzung und Neufestsetzung von Sklavennamen, mit der Hermogenes seine Auffassung illustriert, die Sinndimension der Ausdrücke (in Übereinstimmung mit der Alltagspraxis bei der Verwendung von Eigennamen) nicht tangiert, sondern allenfalls ignoriert und somit die Semantik der Sprache eigentlich nicht betrifft, wird durch den Bedeutungsaustausch von „Mensch“ (ἄνθρωπος) und „Pferd“ (ἵππος) eine Entkoppelung von Ausdrucksgestalt und Ausdrucksinhalt bewirkt, die drastisch in die Semantik der Sprache eingreift. Dadurch, dass Hermogenes die Gleichberechtigung von Polis und Privatmann bei der Etablierung und Gültigmachung von Namen nicht nur zugesteht, sondern nachdrücklich vertritt (385a2–5), wird deutlich, dass der Eindruck der Willkür und Beliebigkeit, der mit der extrem unkommunikativen Situation der Sklavenbenennung erweckt wurde, durchaus beabsichtigt war. Es wird zu fragen sein, ob über die Willkür hinaus die Gleichberechtigung von Polis und Privatmann (ἰδιώτης 385a4) ihrerseits als problematisch angesehen wird.
II.2 Wahrheit von Sätzen und Namen 385b2–385e3 II.2.1 Textanalyse Dem nun folgenden Abschnitt (385b2–d1) ist nicht nur die innere Konsistenz abgesprochen worden, es wurde auch bestritten, dass er in seiner überlieferten Position überhaupt in den umgebenden Kontext passt. Zunächst zur Frage der Konsistenz. Paraphrase: Ausgehend von der Feststellung, dass man etwas „wahr und falsch reden“ nennt (καλεῑς τι ἀληθῆ λέγειν καὶ ψευδῆ; 385b2) und dass es infolgedessen (was später [429d1–6] von Kratylos bestritten wird) wahre und falsche Aussagen gibt, und dass eine Aussage wahr ist, die vom Seienden sagt, wie es ist, und falsch, wenn sie vom Seienden
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sagt, wie es nicht ist, wird unwidersprochen geschlossen, dass es möglich ist, das, was ist, wie das, was nicht ist, mit dem logos auszusagen. Eine Aussage als Ganzes, so heißt es weiter, ist aber nicht wahr, ohne dass auch alle ihre Teile wahr sind. Das gilt auch für einen Namen, den kleinsten Teil der Aussage. Wenn also eine Aussage wahr ist, dann ist auch ein in ihr enthaltener Name wahr, und ist sie falsch, dann auch ein (s. u.) in ihr als Teil enthaltener Name. Es ist somit möglich, einen Namen falsch und wahr auszusagen, wenn das für Aussagen möglich ist. Die Deutung von λόγος als Aussage, also als sprachliches Gebilde, dürfte aufgrund der als unproblematisch geltenden Annahme, dass Namen zu seinen Bestandteilen gehören, unstrittig sein. Wahrheit und Falschheit sind also Eigenschaften von Aussagen: Wahr (ἀληθής) ist ein λόγος, der τὰ ὄντα (das Seiende) λέγῃ (sagt) ὡς ἔστιν, falsch (ψευδής) einer, der (sc. τὰ ὄντα λέγῃ) ὡς οὐκ ἔστιν. Für ὡς scheint zunächst sowohl (1) die Deutung als „dass“ wie (2) als relativisches oder interrogativisches „wie“ infrage zu kommen. Für das proleptisch aus dem Satz ὡς ἔστιν sowie aus ὡς οὐκ ἔστιν herausgezogene Subjekt τὰ ὄντα scheinen ebenfalls mindestens zwei Deutungen möglich zu sein: (i) „das, was ist“ im Sinne von „das, was der Fall ist“ oder „die Fakten“ und (ii) „das Seiende“ im Sinne von „die Dinge, die existieren“. Das ἔστιν in ὡς ἔστιν und ὡς οὐκ ἔστιν kann entweder a) für der Fall-sein b) für die Kopula oder c) für existieren stehen. Die Kombinationen mit Kopula ohne Prädikativ (1ib) („dass die Fakten sindkopulativ / nicht sind kopulativ [was?])“ und (1iib) („dass die Dinge sind kopulativ / nicht sind kopulativ [was?])“ und die Verbindung von „die Dinge“ mit „der Fall sein“ (1iia) („dass die Dinge der Fall sind / nicht der Fall sind“) und (2iia) („wie die Dinge der Fall sind / nicht der Fall sind“) dürften aus begrifflichen Gründen ausscheiden. Im Falle von (2ia) ist unklar, ob der logos, der sagt, wie / in welcher Weise die Fakten nicht der Fall sind, falsch oder nicht doch logisch zweifelhaft ist; dasselbe gilt für (2ic), also den logos, der sagt, wie / in welcher Weise die Fakten nicht existieren, sowie für (2iic), also den logos, der sagt, wie / in welcher Weise die Dinge nicht existieren). Schwierigkeiten macht in diesen Fällen die Annahme von Modi des der-Fall-Seins und Existierens. Es bleiben (1ia) und (1ic) – falls man im Falle von Fakten Existenz und derFall-Sein unterscheiden will) –, sowie (1iic), (2ib) und (2iib). Mit (1ia) wäre ein wahrer λόγος einer, der von dem, was der Fall ist, sagt ὡς ἔστιν –, dass es der Fall ist, bzw. mit (1iic) (und (1ic)) einer, der von den Dingen, die existieren, bzw. den Fakten sagt, dass sie existieren. Falsch wäre entsprechend ein λόγος, der von dem, was der Fall ist, sagt, ὡς οὐκ ἔστιν – dass es nicht der Fall ist oder nicht existiert bzw. von den Dingen, die existieren, sagt, dass sie nicht existieren.
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Mit Recht wendet Ademollo (2011, 52) gegen diese ὡς = dass-Versionen ein, dass sie im Falle von (1iic) „dass, was existiert, existiert“ einseitig unter Ausklammerung wahrer negativer Aussagen nur wahre affirmative (τὰ ὄντα λέγῃ ὡς ἔστιν) und im Falle von (1ia) („dass, was der Fall ist, nicht der Fall ist“), (1iic) („dass, was existiert, nicht existiert“) und (1ic) („dass, was der Fall ist, nicht existiert“) explizit nur falsche negative (τὰ ὄντα λέγῃ ὡς οὐκ ἔστιν) Aussagen berücksichtigen, da der negative ὡς = dass Satz, der ja in diesen Fällen den Inhalt der falschen Aussage wiedergebe, der Negation einen privilegierten Status bei der Formulierung falscher Aussagen zuweise, während man eigentlich erwartet, dass die Definition der wahren bzw. falschen λόγοι universell alle Typen deklarativer Aussagen erfasst, seien sie negiert oder nicht. Diese Einseitigkeit weisen die ὡς = wie-Versionen (2ib) und (2iib) (wahr / falsch ist ein λόγος, der von den ὄντα sagt, wie sie sind / nicht sind) nicht auf. Um schließlich zwischen (2ib) und (2iib) zu entscheiden, geht es also um die Frage, ob τὰ ὄντα in b7 die „veritative“ Bedeutung „das, was der Fall ist“ hat oder die nicht-veritative Bedeutung „das Seiende“ im Sinne von „die Dinge“. Wie Ademollo (2011, 50) beobachtet, scheint der Kontext des nächsten Satzes, oberflächlich betrachtet, zunächst für die veritative Variante zu sprechen. Denn dort wird aus der Definition des wahren und falschen λόγος die Folgerung gezogen: Ἔστιν ἄρα τοῦτο, λόγῳ λέγειν τὰ ὄντα τε καὶ μή (385b10), „Es ist also möglich, mit dem logos das, was ist, und das, was nicht ist, zu sagen“. Hier kann λέγειν τὰ ὄντα τε καὶ μή (sc. ὄντα) nicht heißen, „die Dinge, die existieren, und die Dinge, die nicht existieren, sagen“, denn damit ist nicht berücksichtigt, dass τὰ ὄντα τε καὶ μή (sc. ὄντα) b10 aus der vorangehenden Frage des Sokrates τὰ ὄντα λέγῃ ὡς ἔστιν … (τὰ ὄντα λέγῃ) ὡς οὐκ ἔστιν b6 f. wieder aufgenommen wird, insbesondere also, dass die Negation in λέγειν τὰ …. μή (sc. ὄντα) in b10 sich auf das vorangehende ὃς δ’ἂν (sc. τὰ ὄντα λέγῃ) ὡς οὐκ ἔστιν, ψευδής; in b8 bezieht, wo die Negation οὐκ zum Inhalt einer falschen Prädikation gehört, also zur Charakterisierung eines nichtbestehenden Sachverhalts. Folglich ist λέγειν τὰ …. μή (sc. ὄντα) in 385b10 mit „sagen, was nicht der Fall ist“ und entsprechend λέγειν τὰ ὄντα mit „sagen, was der Fall ist“ wiederzugeben, also im Sinne der veritativen Bedeutung von ὄν. Es scheint also, dass mit Rücksicht auf die Parallelität der Aussagen b7 f. und b10 τὰ ὄντα auch in der Wahrheitsdefinition (b7 f.) veritativ zu deuten ist. Das ist freilich nicht zwingend. Denn wie eben angedeutet, nimmt τὰ ὄντα in b10 keineswegs τὰ ὄντα von b7, das ja den Status eines proleptischen Subjekts hat, wieder auf, sondern die prädikativen Phrasen ὡς ἔστιν und ὡς οὐκ ἔστιν. Ademollo (2011, 52) deutet noch ein weiteres Argument für die nicht-veritative Bedeutung von τὰ ὄντα in b7 an und damit gegen (2ib), wonach eine wahre Aussage von dem, was der Fall ist, sagt, wie es ist und eine falsche, wie es nicht
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ist. Eine falsche Aussage, wie „Theätet fliegt“ (vgl. Soph. 263a8), würde gemäß dieser Auffassung über etwas, was der Fall ist, sagen, wie es nicht ist. Der (wahre) Sachverhalt, über den „Theätet fliegt“ sagt, wie er nicht ist, bliebe dabei völlig im Dunkeln oder der Spekulation überlassen. Damit dürfte die in der Übersetzung und oben in der Paraphrase gewählte Deutung hinreichend plausibel gemacht sein, dergemäß die wahren Aussagen über die Dinge (τὰ ὄντα) sagen, wie sie sind (ὡς ἔστιν), unabhängig davon, ob in negierter oder nicht negierter Form, die falschen entsprechend, wie die Dinge nicht sind (ὡς οὐκ ἔστιν), ebenfalls unabhängig davon, ob negiert oder nicht. Es bleibt mit Ademollo hinzufügen, dass diese Deutung durch Parallelen gestützt wird, vgl. Rep. 477b10 f. (ἐπιστήμη … ἐπὶ τῷ ὄντι πέφυκε, γνῶναι ὡς ἔστι [be zieht sich das Wissen nicht von Natur aus auf das Seiende, um zu erkennen, wie das Seiende ist?]), Euthd 285e10 (εἰσὶν ἑκάστῳ τῶν ὄντων λόγοι; – … Οὐκοῦν ὡς ἔστιν ἔκαστον ἢ ὡς οὐκ ἔστιν; [Wie jedes ist oder wie es nicht ist?] – Ὡς ἔστιν. [Wie es ist.]) und speziell für τὰ ὄντα in nicht veritativer existenzieller Bedeutung ist auf den unmittelbar vorangehenden Kontext des Kratylos selbst, 383a5, zu verweisen. II.2.2 Die Wahrheit von Namen Der Kern des Arguments besagt, dass Wahrheit sich vom λόγος auf alle seine Teile, insbesondere auf den kleinsten – τὸ ὄνομα – vererbe, und daher auch der Name nicht nur überhaupt ausgesagt werde (τὸ ὄνομα τὸ τοῦ ἀληθοῦς λόγου λέγεται 385c10), sondern als etwas Wahres ausgesagt werde (ἀληθές c12). Seit Steinthal (I, 1890, 86) haben viele Interpreten – Friedländer (Bd. 2, 1964, 184 Anm. 9), Gadamer (1960,386), De Vries (1955,292), R. K. Sprague (1962, 49, Anm. 26) – an dieser Folgerung Anstoß genommen. Nach Robinson (1956, 328) haben Namen keinen Wahrheitswert, und die hier gegebene Begründung, sie hätten einen, beruht auf einem Fehlschluss (fallacy of division) vom Vorliegen einer Eigenschaft in einem Ganzen auf ihr Vorliegen in allen Teilen. Dem Gedankengang lässt sich jedoch in folgender Weise ein nachvollziehbarer Sinn zuschreiben: Die Wahrheit eines Satzes beruht (im Sinne eines Kompositionalitätsprinzips der Semantik19, wonach die semantischen Eigenschaften eines komplexen Ausdrucks eine Funktion der Semantik seiner Bestandteile ist) durchaus auf Eigenschaften und Beziehungen seiner Bestandteile. „Bukephalos ist ein Pferd“ ist wahr, wenn das durch „Bukephalos“ bezeichnete Tier das Prädikat „ist ein Pferd“ erfüllt, oder wenn das „Nomen“ (ὄνομα) „Pferd“ von ihm
19 Vgl. dazu auch Barney (2001), 34).
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wahr ist20 (ähnlich K. Lorenz und J. Mittelstrass [1967,6–9] sowie Kahn [1973, 160]). Man kann also das Wahrsein von Sätzen (zwar nicht auf das Wahrsein aller ihrer Teile, aber doch) auf das relative Wahrsein ihrer prädikativen Bestandteile von etwas zurückführen (Tarskis [1936, engl. 1956, 189 ff.] klassische Wahrheitsdefinition macht das in etwas anderer Weise durch die Zurückführung von Wahrheit [geschlossener Formeln] auf Erfüllung [satisfaction] offener Formeln ja ebenfalls) – und entsprechend das Falschsein von Sätzen auf das relative Falschsein eines seiner prädikativen Bestandteile (ist τὸ δὲ τοῦ ψευδοῦς μόριον οὐ ψεῦδος; 385c14 generisch zu lesen im Sinne von „die (d. h. alle) Teile eines falschen Satzes sind falsch“, so liegt wohl ein Versehen Platons vor;21 komplexe aus anderen Sätzen zusammengesetzte Sätze befinden sich ohnehin außerhalb der Betrachtung). Auch das Verhältnis von Wahrheit und Bedeutung ist im Falle von Sätzen und so als Prädikate verstandenen nomina völlig analog. Denn ebenso wie es im Allgemeinen nicht genügt, einen Satz zu verstehen bzw. seine Bedeutung oder seinen Sinn zu erfassen, um zu wissen, ob er wahr ist, reicht es auch im Falle von nomina nicht aus, ihre Bedeutung zu kennen, um zu wissen, von welchen Dingen sie wahr sind. Um zu erkennen, ob ein Satz wahr ist bzw. ob ein Prädikat von etwas wahr ist, muss zur Kenntnis seiner Bedeutung bzw. seines Sinns das Wissen darüber hinzukommen, was der Fall ist (τὰ ὄντα). Andererseits ist diese Sinn- bzw. Bedeutungskenntnis natürlich notwendig, um zu wissen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Aussage wahr bzw. ein Nomen (commune) von etwas wahr ist (daher die Auffassung der neueren Semantik, dass der Sinn oder die Bedeutung eines Satzes seine Wahrheitsbedingungen umfasst, wenn nicht sogar mit ihnen zusammenfällt). Auch mitteilen, was man noch nicht weiß, lässt sich selbstverständlich nur mithilfe von Sätzen und Prädikaten, deren Bedeutung man versteht, ohne damit schon zu wissen, ob sie wahr sind bzw. wovon sie wahr sind (bzw. ihre Extension zu kennen), also ohne zu wissen, ob zutrifft, was sie einem erst mitteilen sollen. Die Wahrheit von Sätzen hängt also ab vom relativen Wahrsein der in ihm vorkommenden prädikativen nomina, genauso wie die Bedeutung oder der Sinn eines Satzes vom Sinn der in ihm enthaltenen Prädikate abhängt. Es ist bezeichnend, dass die ὀνόματα, wenn sie in ihrer Wahr-Falsch-Dimen sion betrachtet werden, nicht als Ausdrücke betrachtet werden, die referieren oder benennen, sondern als solche, die „gesagt werden“ (λέγεται 385c10 20 Anders ausgedrückt würde man für Namen – ὀνόματα – eine doppelte Funktion voraussetzen, nämlich einerseits Referenz, zum andern Charakterisierung. Wahr von etwas wären ὀνόματα dann in ihrer charakterisierenden Funktion. 21 Tiefer gehende Erklärungsversuche finden sich bei Derbolav (1972), 112–115) und Ademollo (2011), 59–62).
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und c 16). Da in 385c1 f. vom Wahrsein der Sätze (dem „Ganzen“) auf des Wahrsein der Namen als Teile geschlossen wird, ohne dass die Unterscheidung von „(absolut) wahr“ vs. „(relativ) wahr von“ explizit gemacht wird, kann man dem Argument mit G. Fine (1977, 296) freilich eine Äquivokation zum Vorwurf machen. Doch der Kern des ganzen Abschnitts bleibt davon unberührt. Es lässt sich sogar umgekehrt sagen, dass die Bestimmung der Wahrheit von Sätzen in 385b7 f., dergemäß ein Satz wahr ist, wenn er von dem, was ist, d. h. den Dingen, sagt, wie sie sind (τὰ ὄντα λέγῃ ὡς ἔστιν), eigentlich dem Begriff des relativen Wahrseins verhaftet bleibt, was angesichts des komplexen Verhältnisses von relativer und absoluter Wahrheit (vgl. z. B. Quine [1970, 38 ff.]) nicht erstaunlich ist. II.2.3 Die Funktion des Wahrheits-Abschnitts Die Frage ist nun, in welcher Hinsicht die Position des Hermogenes durch die aufgezeigte Möglichkeit, dass Nomina von etwas wahr oder falsch sein können, berührt wird. Unausgesprochen scheint hier ein Gegensatz zwischen der Faktenabhängigkeit der Wahrheit von Sätzen bzw. der Faktenabhängigkeit der relativen Wahrheit der Namen als Prädikate einerseits und dem Gesetztsein, der Konventionalität der Namen, andererseits vorausgesetzt zu werden: Wahr oder falsch von etwas sind die Namen je nachdem, wie die Dinge sind, und Letzteres ist offensichtlich nicht Sache unserer Setzung. Doch dass Nomina ihre Bedeutung aufgrund einer Festsetzung oder Konvention qua Gebrauchsregel haben, heißt nicht, dass die Konvention auch festlegt, wovon die Namen als Prädikate wahr oder falsch sind, und steht somit ihrer Verwendung als Prädikate, die von etwas wahr oder falsch sind, sicher nicht im Wege. Denn nicht Bedeutung allein, sondern Bedeutung plus Faktenlage entscheidet über Wahrheit, gleichgültig, wie Bedeutung zugeordnet wird. Geschieht dies durch Konvention, so gilt: Wer die Konvention kennt, kennt die Bedeutungen und kann die Nomina in Sätzen zu Behauptungszwecken, also mit Wahrheitsansprüchen verwenden, und man kann sie ihm gegenüber so verwenden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Urheber der Konvention ein einzelnes Individuum ist, solange bekannt ist, nach welchen Regeln der Konvention gerade verfahren wird. Für den Erfolg einer solchen Konvention ist nicht wichtig, wer sie initiiert hat, sondern ob sie eingehalten wird und ob die Beteiligten das wissen. Wahrheit wird dadurch auch nicht ohne Weiteres selbst zu einer Sache der Konvention. „Bukephalos ist ein Pferd“ wäre ja allenfalls nur dann wahr aufgrund einer Konvention, wenn Bukephalos bei der Festlegung der (noch unbekannten) Bedeutung von „Pferd“ gewissermaßen per fiat selbst als Ein-
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führungsinstanz für den Umfang des Prädikats fungiert hätte und somit zur Festlegung des Sprachgebrauchs gedient hätte („Was soll ‚Pferd‘ bedeuten? – Nun, Bukephalos zum Beispiel soll darunter fallen“). In allen anderen Fällen hängt die Wahrheit eines derartigen Satzes davon ab, ob dasjenige, von dem „Pferd“ ausgesagt wird, die erforderlichen Eigenschaften hat bzw. mit den eventuellen Einführungsinstanzen (z. B. Bukephalos) in den wesentlichen Eigenschaften übereinstimmt, was aber seinerseits nicht selbst auf einer Konvention beruht. Welche Eigenschaften etwas haben muss, um ein onoma qua Prädikat darauf anwenden zu können, ergibt sich im Normalfall aus dem Sinn oder der Bedeutung des onoma, nicht aber, ob ein Gegenstand diese Eigenschaften hat. Solange man also die Bedeutung eines Prädikats nicht mit der (naturgemäß endlichen) Menge seiner Einführungsinstanzen identifiziert und damit die Sprache ihrer Mitteilungsfunktion beraubt, entsteht für den Konventionalismus eigentlich kein Problem. Will man Wahrheit zu einer Eigenschaft von Ausdrucksgebilden anstelle von Aussagen machen, so muss man natürlich eine Relativierung hinsichtlich der jeweils vorausgesetzten Bedeutungskonvention machen: Βουκέφαλος ἵππος ἐστίν wäre falsch im Idiolekt mit Bedeutung(ἵππος) = Mensch und wahr im Polisdialekt mit Bedeutung(ἵππος) = Pferd. Doch auch diese Relativierung lässt Wahrheit nicht zu einer Sache der Konvention werden, es sei denn, man identifiziert konventionelle Bedeutung mit Extension – so dass „Βουκέφαλος ἵππος ἔστιν“ die logische Form von a ∈ {a,b,c,d, …}(= Extension von ἵππος), also einer Trivialität, hätte – wogegen aber die oben angedeuteten Frege’schen Einwände sprechen. Worauf zielt also Sokrates hier ab mit seinem Nachweis, dass Nomina wahr oder falsch von etwas sein können? Ein Problem für die Position des Hermogenes entsteht eigentlich vor allem, wenn mit ihr vorausgesetzt würde, dass das Befolgen und das Inkraftsetzen einer Konvention – im Sinne der beiden Bedeutungen (Namensprägung und Namensgebrauch) von ὀνομάζειν – nicht unterscheidbar wären bzw. zusammenfallen. Und es hat den Anschein, als ob Sokrates Hermogenes in extrem einseitiger Weise so interpretiert, obwohl Hermogenes zu Beginn mit συνθέμενοι καλεῖν καλῶσι (383a6) die Vereinbarung vom Gebrauch unterscheidet. Das konventionalistische Korrektheitskriterium von Hermogenes wäre demnach nach Sokrates nicht: Der Name N dient im Idiolekt von H zur Bezeichnung von Gegenständen der Art G, sondern: Der Name N dient im Idiolekt von H zur Bezeichnung von Gegenständen, die H mit N gerade bezeichnet. (385a2: ὃ ἂν φῂς καλῇ τις ἕκαστον, τοῦτ’ ἑκάστῳ ὄνομα;-Ἔμοιγε δοκεῖ). In diesem Fall gäbe es dann keinen Unterschied zwischen wahr und korrekt, und da jedes Namensvorkommen im Idiolekt des jeweils Sprechenden korrekt wäre,
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gäbe es keine nomina, die falsch von etwas wären. Die These des Hermogenes wäre damit als eine Art Humpty-Dumpty-Position22 gedeutet.23 Es ist klar, dass unter diesen Voraussetzungen die Verwendung von ὀνόματα für Zwecke der Verständigung unmöglich wäre. Wie Eckl (2003) sagt, wäre die Richtigkeitsund Wahrheitsdifferenz gleichzeitig annulliert. Unter dieser zugegebenermaßen problematischen (s. u.) Voraussetzung – und damit komme ich zur Frage der umstrittenen Platzierung – ließe sich somit der Abschnitt (385b2–d1) durchaus als indirekte Kritik an der Position des Hermogenes an seiner überlieferten Stelle sinnvoll anschließen. II.2.4 Der Wahrheits-Abschnitt im Kontext Schofield (1972) hält die überlieferte Position des Abschnitts nicht für authentisch, und der neue Oxford-Text folgt seinem Verdikt. Er konstruiert das Hauptargument des Sokrates gegen Hermogenes wie folgt: Ausgangpunkt ist die eben erwähnte These des Hermogenes, dass jede Sache das als Name hat, was jemand (τις) dafür verwendet (385a2). Eine Ambiguität in Hermogenes Ausdrucksweise ausnützend bringt Sokrates Hermogenes dazu, zuzustimmen, dass es keinen Unterschied macht, ob dieser „Jemand“ eine Polis ist (was Hermogenes eigentlich intendiert habe) oder ein Privatmann, und hat ihn daher in der „Falle“: es ergibt sich die Konsequenz (nach Schofield die eigentliche Absurdität), dass ein und derselbe Gegenstand ohne Unterschied der Berechtigung sowohl einen privaten wie einen öffentlichen Namen haben kann. Lässt man nun den strittigen Abschnitt 385b2–d1 weg, so schließe sich die Bemerkung des Sokrates (385d2 f.): „Also (ἄρα) wovon jede Person sagt, es sei der Name für etwas, das ist der Name für jedes Ding“ nahtlos als verallgemeinernde Folgerung an. Belässt man den Abschnitt 385b2–d1 hingegen an seiner überlieferten Stelle, ist unklar, worauf sich das folgernde „also“ (385d2) bezieht, das somit von seiner natürlichen Anschlussstelle, so Schofield, getrennt sei. Unabhängig davon sei das dazwischentretende Argument zugunsten der Möglichkeit wahrer und falscher Namen weder als Einwand gegen die Konventionalitätsthese des Hermogenes noch als Stütze oder Konsequenz der Auffassung, es gebe ein natürliches Kriterium der Richtigkeit, konstruierbar. 22 Vgl. Kahn (1973), 158. 23 L. Carroll (1872), 72: „I don’t know what you mean by ‚glory‘, “ Alice said. Humpty Dumpty smiled contemptuously. „Of course you don’t – till I tell you. I meant ‚there’s a nice knock-down argument for you!‘“ „But ‚glory‘ doesn’t mean ‚a nice knock-down argument‘.“ Alice objected. „When I use a word,“ Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, „it means just what I choose it to mean – neither more nor less.“ „The question is,“ said Alice, „whether you can make words mean so many different things.“ „The question is,“ said Humpty Dumpty, „which is to be master – that’s all.“
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Abgesehen von der inhaltlichen Unhaltbarkeit einer solchen Konstruktion gebe es für sie im ganzen Dialog keinen Anhaltspunkt, und sei es auch nur im Sinne eines Scheinarguments. Außerdem werde ja am Ende des Dialogs eine Variante der Konventionalitätsthese vertreten, die daher von Platon mit der (seinerseits unbestrittenen) Möglichkeit wahrer und falscher Namen als vereinbar angesehen worden sei. Die Frage des Sokrates (385a4), ob Privatmann und Polis als Quellen der Legitimation von Namen gleichberechtigt sind, dient also nach Schofield nicht lediglich der Erläuterung der These des Hermogenes, vielmehr werde damit der entscheidende Schritt eines ersten Widerlegungsversuchs im Sinne einer reductio ad absurdum dieser These vollzogen. Und das werde durch das Wahrheitsargument verdunkelt, woraus zu folgern sei, dass es sich um einen (sekundären) Einschub handele, der auf die fehlerhafte Wiedereinfügung eines an anderer Stelle (s. u.) versehentlich ausgelassenen Textstücks zurückgehe. Schofield setzt somit als argumentationsrelevant voraus, dass es aus der Sicht des Sokrates und wohl auch des intendierten Lesers offensichtlich unhaltbar sei, dass es zwischen Privatmann und Polis als Legitimationsinstanz keinen Unterschied geben soll. So einleuchtend das von der Sache her ist, im Rest des Dialogs spielt dieser Aspekt – jedenfalls explizit – keine tragende Rolle, und damit verliert Schofields Deutung an Plausibilität. Das ist bedauerlich, denn die Verkürzung der Konventionalitätsthese zu einer Willkürthese (vgl. Heitsch [1984], 12) durch Sokrates’ Deutung des Hermogenes selbst (s. o.) könnte durch Erörterung des Unterschieds zwischen Privatmann und Polis bei der Etablierung und Befolgung einer Konvention korrigiert werden. Anders gesagt, das Potential der Frage des Sokrates (385a4) für eine Klärung des Konventionsbegriffs bleibt ungenutzt, insbesondere unter dem Aspekt, dass es illegitim ist, aus der Nichtdeterminiertheit der Zeichengestalten durch die Zeicheninhalte bei der Zeichenkreierung (l’arbitraire du signe, de Saussure [19693, 100]) zu schließen, das Verhältnis der beiden unterliege auch bei der Zeichenverwendung der Willkür der individuellen Zeichenbenutzer. Es bleibt die berechtigte Frage von Schofield, wodurch das folgernde „also“ (ἄρα) in 385d2 legitimiert wird. Greift man nicht mit Schofield zum drastischen Mittel der Versetzung von 385b2–d1 hinter 387c5, bleibt eigentlich nur die Deutung von „also“ als ironisches „trotzdem“ im Sinne von Heitsch (1984, 17): „Also (obwohl doch die Wahrheitsfähigkeit der Namen der willkürlichen Beliebigkeit ihrer Zuordnung oder Referenz offensichtlich entgegensteht) ist das, was jede Person sagt, es sei der Name für etwas, der Name für jedes Ding?“ Zum ironischen Charakter dieses ἄρα passt, dass das angeblich Gefolgerte nicht, wie Schofield annimmt, eine von Sokrates zu verantwortende
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verallgemeinernde Erweiterung des bisher Gesagten ist, sondern eine schlichte Variante von etwas schon vor dem Wahrheitsargument Akzeptierten, nämlich von 385a2 f. („Was immer jemand (τις) ein Ding jeweils nennt, sagst du, das ist für jedes der Name?“, wo das unspezifische τις ja ebenfalls bereits universell zu deuten ist), also von etwas, was schon voll von Hermogenes mitgetragen wird, wie sich aus seiner nachdrücklichen Zustimmung (ἔμοιγε δοκεῖ „mir wenigstens scheint es so“ 385 a3) ergibt. Der bei dieser Deutung implizit eingeräumte Gegensatz zwischen willkürlicher Referenz und Wahrheitsfähigkeit ergibt sich natürlich nur, wenn man entweder den Unterschied zwischen dem Bezug oder der Extension eines Ausdrucks und seinem Sinn nicht ignoriert oder aber die hier gemeinte willkürliche Referenz nicht wie oben erwogen so verschärft, dass der Unterschied zwischen Etablieren und Verwenden einer Benennung wegfällt. Insofern dieser Unterschied im Falle einer „Polis-Konvention“ selbstverständlich nicht wegfallen kann, da die Autorität, die die Konvention etabliert, also die Polis, vom Benutzer, dem individuellen Verwender, verschieden ist, ergibt sich auch bei dieser Integration des Wahrheitsarguments in den überlieferten Kontext als Nebeneffekt ein Einwand gegen die Gleichsetzung von Polis und Privatmann als Legitimationsinstanz. Ein grundsätzlicher Einwand gegen diese Gleichsetzung würde sich freilich erst dann ergeben, wenn sich zeigen ließe, dass Sokrates im Falle eines außerhalb jeglicher Polis-Konvention stehenden Individuums die unerlässliche Unterscheidung von Etablieren und Befolgen einer Benennungspraxis wegen des Fehlens einer intersubjektiven Kontrollinstanz24 (im Sinne einer – freilich umstrittenen – Deutungsvariante des Privatsprachenarguments von Wittgenstein) für prinzipiell unmöglich hält, dass er also so etwas wie eine Idiolektkonvention letztlich für eine begriffliche Unmöglichkeit erachtet. Für diese (auch von Schofield nicht erwogene) Deutung gibt es jedoch im Text keinerlei Stütze. Dass jedoch Sokrates die Position des Hermogenes tatsächlich im Sinne einer Nichtunterscheidung von Etablieren und Verwenden der Namen deutet, legt im Übrigen seine Frage (385d5f) nahe, ob jede Sache auch soviele Namen habe, wie jemand sage, und sie dann habe, wenn es jemand sage.
24 Im Falle einer Permutation lediglich der Lexemausdrücke unter Konstanthaltung der Lexeminhalte – wie beim Austausch von ἵππος und ἄνθρωπος – bleibt freilich der Kontrollrahmen der zugrundeliegenden δημοσίᾳ-Sprache erhalten. Die resultierende ἰδίᾳ-Sprache ist also nur eine parasitäre Pseudoprivatsprache.
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II.2.5 Der Kommentar des Proklus zur Stelle Schofield stützt seine Umstellung von 385b2–d1 hinter 387c5 zusätzlich mit einem, wie er es selbst nennt, argumentum ex silentio: In den Kommentarauszügen des Proklos (in Cratylum 11.15–23, 12.24–27 und 15.1–26 Pasquali) wird der Abschnitt 385a1–b1 zusammen mit den Passagen 385e3–387d9 als zusammenhängende Folge von drei Argumenten zunehmender Stringenz gegen die Konventionsposition logisch rekonstruiert. Nicht aufgenommen in diese Folge wird der mitten in den rekonstruierten Argumenten überlieferte Abschnitt über die Wahrheitsfähigkeit der Namen 385b2–d1; für Schofield ist das ein Indiz dafür, dass Proklus den problematischen Abschnitt nicht dort vorfand, wo er in unseren Handschriften steht. Schofield argumentiert weiterhin dafür, dass Proklos den Abschnitt dort las, wohin er nach Schofield gehört, nämlich nach 387c5 (s. u.). Er äußert sich allerdings nicht zu der auch von ihm nicht bestrittenen Tatsache, dass die fraglos vorhandenen Bemerkungen des Proklus zu unserem Abschnitt 385b2–d1 (11.30–12.17 Pasquali) sich an Proklus’ Rekonstruktion von 385a1–b1 (in Cra tylum 11.15–23: die ἵππος-ἄνθρωπος-Vertauschung) anschließen und seinem Kommentar zu den rekonstruierten Stücken 385eff (in Cratylum 12.24–27 Pasquali: die homo-mensura-Passage) vorangehen, also mitten in die rekonstruierte Argumentfolge plaziert sind, was wohl ein starkes Indiz dafür ist, dass auch Proklus den Text an der überlieferten Stelle las (so auch die Herausgeber der OCT2 im kritischen Apparat). Wie seine Bemerkungen zu 385b2–d1 nahelegen (11.30–12.17 Pasquali), scheint Proklos die These von der Wahrheitsfähigkeit der Namen als ähnlich erläuterungsbedürftig angesehen zu haben wie die modernen Erklärer, weshalb er sie auch nicht wie die umgebenden Passagen rekonstruiert, denn er verteidigt die Position des „großen Platon“ gegenüber der gängigen aristotelischen Auffassung, derzufolge Wahrheit und Falschheit in der Synthesis und Dihairesis von Subjekt und Prädikat im Aussagesatz liege, damit, dass Platon um den vierfachen Sinn von Wahrheit wusste, deren einer eben auch in Sätzen, Namen und deren Elementen Wahrheit und Falschheit zu sehen erlaube, entprechend ihrer Passung und Übereinstimmung mit den Dingen. Zur Funktion des Wahrheitsarguments 385b2–d1 als möglicher Einwand gegen die Position des Hermogenes sagt Proklus zwar nichts Explizites. Andererseits findet sich nicht allzu weit entfernt von der eben erwähnten Erläuterung von 385b2–d1 mithilfe des vierfachen Sinns von Wahrheit ein kurzer Abschnitt, der mangels anderer Anschlussmöglichkeiten durch das Wahrheitsargument zumindest motiviert erscheint (in Cratylum 15.27–16.4 Pasquali): Falls die Namen im Sinne von Aristoteles konventionelle (θέσει) Symbole der
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Dinge und Gedanken sind, muss das auch für die aus ihnen zusammengesetzten Aussagesätze gelten; von Letzteren darf man dann aber nicht, wie Aristoteles es tue, behaupten, sie glichen den zusammengesetzten Gedanken oder seien deren Abbild (wohl weil die Abbildbeziehung auf Ähnlichkeit und nicht auf Konvention beruht, s. u.), und auch nicht, sie seien an sich oder aufgrund ihrer selbst (καθ’ αὑτούς) für Wahrheit und Falschheit aufnahmefähig (δεκτικοὺς … ἀληθείας ἢ ψεύδους). Nun sind aber Aussagesätze wesensmäßig (οὐσιωδῶς) fähig, wahr oder falsch zu sein, ihre Wahrheit bzw. Falschheit kann also jeweils nicht auf Setzung (θέσει) beruhen. Also (per Kontraposition) können auch die Namen nicht konventionell sein. Hier wird nicht wie im Kratylos aus Eigenschaften des Ganzen (nämlich der Wahrheitsfähigkeit der Sätze) auf ebensolche Eigenschaften der Teile (Wahrheitsfähigkeit der Namen) geschlossen, sondern umgekehrt aus hypothetisch angenommenen Eigenschaften der Teile (ihrer Konventionalität) auf ebensolche des aus ihnen zusammengesetzten Ganzen (Konventionalität der Sätze). Da aber, wie vorausgesetzt wird, die Wahrheit von Sätzen aus unabhängigen Gründen nicht auf Konvention beruhen kann, können auch die Namen bzw. ihre Referenzleistung nicht auf Konvention beruhen. – Vielleicht ist das der Versuch des Proklos, einen in 385b2–d1 angenommenen Gegensatz zwischen Konventionalität und Wahrheitsfähigkeit zu rekonstruieren. II.2.6 Die Reaktion des Hermogenes (385d7–e3) Wie immer man den kritischen Unterton in den vorangehenden Fragen des Sokrates versteht, Hermogenes zeigt sich davon nicht besonders beeindruckt. Er sieht keine Alternative zu seiner Auffassung von der Setzung als Quelle der Richtigkeit der Namen. Folgende Gesichtspunkte ergeben sich aus der Wiederholung seines Standpunktes (385d7–e3): (i) Er unterscheidet klar zwischen dem Setzen (θέσθαι d9) und dem Verwenden (καλεῖν d8) eines Namens. Wenn also die Stichhaltigkeit des Wahrheitsarguments implizit, wie oben erwogen, auf der Nichtunterscheidung von Etablieren und Verwenden beruht, so sieht es hier so aus, als ob gleichsam nebenbei eine Richtigstellung erfolgt, was insbesondere heißen würde, dass nunmehr die Bewertung „richtig“ nicht mehr auf den Akt der Festsetzung in demselben Sinn wie auf den der Verwendung, angewandt werden dürfte. Die Einbettung der Wahrheitspassage 385b2–d1 in ihren Kontext stellt sich nunmehr wie folgt dar: Die Austauschbarkeit von ἵππος und ἄνθρωπος führte zu der Frage, wieweit die von Hermogenes vertretene Setzung in den Bereich der Wahrheit hineinreicht 385b2 f. Es zeigte sich, dass der Begriff der Wahrheit kompositional bzw. analytisch von Aussagen auf ὀνόματα übertragbar ist:
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Ἔστιν ἄρα ὄνομα ψεῦδος καὶ ἀληθὲς λέγειν, εἴπερ καὶ λόγον 385d16 f. [Es ist also möglich, wahre und falsche Namen zu sagen, wenn Sätze]. Im Falle von ὀνόματα lässt sich die Prägung oder Einführung von der Verwendung einfach unterscheiden. Die aus dem hermogeneischen Konventionalismus im Kontext der Wahrheitspassage gezogene subjektivistische Folgerung Ὃ ἂν ἄρα ἕκαστος φῇ τῳ ὄνομα εἶναι, τοῦτό ἐστιν ἑκάστῳ ὄνομα; (385d2 f.) ist klar auf ὄνομαEinführung (φάναι τῳ ὄνομα εἶναι) und nicht auf ὄνομα-Verwendung zu beziehen. Dasselbe gilt für die Feststellung, dass es für jedes Ding soviele Namen gibt, wie jemand sagt, dass es sie gibt (385d5 f.) Die problematische Hypothese über das Vorliegen von Humpty-DumptyPhänomenen beruhte auf der Annahme eines Zusammenfalls von ὄνομαVerwendungen und ὄνομα-Einführungen. Daher ist es wichtig, dass nunmehr klar die Einführung von der Verwendung unterschieden wird: „Es gibt keine andere Namensrichtigkeit als die: ἐμοί μὲν ἕτερον εἶναι καλεῖν ἑκάστῳ ὄνομα, ὂ ἐγὼ ἐθέμην, σοὶ δὲ ἕτερον, ὃ αὖ σύ ‚ich kann für jedes Ding einen Namen verwenden, den ich festsetzt habe, du einen, den du festgesetzt hast.‘“ (385d8 f.). Die ὄνομα-Verwendung (καλεῖν) ist also nicht frei, sondern hat sich der ὄνομαEinführung (θέσθαι) unterzuordnen. Entsprechend kann man ergänzen, dass die Wahrheitsbedingungen des ja wahrheitsfähigen ὄνομα bei seinen Verwendungen einzuhalten sind. Wie frei die Prägephase eines ὄνομα sein kann, hängt wohl von seinem deskriptiven Gehalt ab. Im Idealfall dürfte eigentlich nur ein deskriptiv leeres ὄνομα völlig frei von Einführungsbeschränkungen sein. Die Problematik des deskriptiven Gehalts wurde ja schon am Beispiel des Namens „Hermogenes“ deutlich. Im Gegensatz zur Auffassung von Schofield (1972, 246–253) und der OCT2Herausgeber lässt sich somit der Wahrheitabschnitt 385b2–d1 durchaus in seine Umgebung einfügen. Die Wiederholung 385d2 f. der subjektivistisch klingenden Deutung des Konventionalismus des Hermogenes von 385a2 durch Sokrates wird durch die Reaktion des Hermogenes 385d7–e3 in Richtung auf einen entschärften konventionalistischen Standpunkt abgemildert: Die relative Freiheit der Setzung (θέσθαι) überträgt sich keineswegs auf die Verwendung (καλεῖν) der ὀνόματα. Insbesondere ergibt sich keineswegs die fatale Konsequenz, dass der Gebrauch der Namen grundsätzlich irrtumsfrei sei. (ii) Alternativ könnte man das sicherlich auffällige Fehlen eines expliziten Eingehens des Hermogenes auf das Wahrheitsargument sowie das Fehlen einer antikonventionalistischen Conclusio des Sokrates mit Ademollo (2011, 65) auch als Indiz dafür verstehen, dass das Wahrheitsargument gar nicht als Kritik am Konventionalismus des Hermogenes gemeint ist25, sondern als Versuch 25 Ähnlich teilweise schon Mary Richardson (1976), 136 f.
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der Vergewisserung vonseiten des Sokrates, dass Hermogenes – im Gegensatz zu Kratylos, wie sich später (429d) zeigen wird – der modischen Skepsis über den Wahrheitsbegriff nicht folgt. Freilich müsste dann für das „also“ (ἄρα) in 385d2 eine neue nichtironische Motivation gefunden werden. (iii) Anstelle des für Schofields Deutung zentralen Gegensatzes zwischen Polis und Privatmann (ἰδιώτης), zwischen öffentlicher (δημοσίᾳ) und „privater“ (ἰδίᾳ) Legitimation, tritt der bloße Unterschied zwischen den Namenssetzungen und -verwendungen verschiedener Staaten, Stämme und Völker, die alle als ἰδίᾳ (385e1), d. h. „in besonderer, eigener Weise“ oder „eigentümlich“ vorgenommen, qualifiziert werden. Ja, der letztgenannte Unterschied wird sogar auf dieselbe Stufe gestellt wie der Unterschied zwischen den „privaten“ Namenssetzungen von Individuen wie Sokrates und Hermogenes. Die für den Begriff der Konvention konstitutive Sprachgemeinschaft bleibt somit außerhalb der Betrachtung. Das eigentlich problematische Ausklammern der sozialen Komponente des Konventionsbegriffs auch im Falle einer Idiolektkonvention, die den Unterschied zwischen Etablieren und Befolgen einer Praxis respektiert, bleibt freilich auch bei einer Verwischung des Unterschieds zwischen Individuum und Polis bestehen.
II.3 Der Konventionalismus des Hermogenes und der Relativismus des Protagoras II.3.1 Der Homo-mensura-Satz (385e4–386e4) Sokrates nimmt das Adverb idiai von Hermogenes auf und erzielt damit eine neue Wendung: Er fragt nämlich, ob auch die Dinge sich so zu verhalten scheinen, dass ihr „Sein“ (οὐσία), also das, was sie sind, für jeden in eigentümlicher, besonderer Weise (ἰδίᾳ) ist. Im Falle der Namen beruht ihre jeweilige „Eigentümlichkeit“ nach der Auffassung des Hermogenes auf aktiver, letztlich vom Belieben eines jeden abhängigen Setzung (wie ich es festsetze, so heißt es für mich, wie du, so für dich), während die hier infrage stehende Eigentümlichkeit des Seins der Dinge für jeden Menschen auf ein passiv erlebtes, subjektgebundenes Erscheinen zurückgehen soll. Denn so ist der Rückgriff auf den „Homomensura-Satz“ des Protagoras zu verstehen: „Aller Dinge Maß ist der Mensch“, d. h. gemäß der Erläuterung des Sokrates: wie (οἷα) die Dinge mir erscheinen, so (τοιαῦτα) sind sie für mich (ich bin das Maß für das, was für mich ist), und wie sie dir erscheinen, so sind sie für dich (du bist das Maß für das, was für dich ist). Die Gegenposition wäre (386a3 f.), dass den Dingen eine ihnen selbst
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zukommende, von ihrem jeweiligen Erscheinen unabhängige Beständigkeit (βεβαιότης τῆς οὐσίας), zu eigen ist. Sieht man einmal von der gleich zu behandelnden, eigentlich unproblematischen Funktion der Protagoras-Passage im Folgenden ab, so kann man die Frage stellen, ob der Zusammenhang der Passage mit dem vorangehenden Abschnitt auf mehr beruht als auf folgender ziemlich lockeren assoziativen Verknüpfung mithilfe des Adverbs ἰδίᾳ: So wie die Namen gemäß der θέσειPosition des Hermogenes auf einer ἰδίᾳ vorgenommenen Setzung ihre Geltung verdanken, beruht das Sein der Dinge nach Protagoras auf einer ἰδίᾳ erfahrenen Erscheinung. II.3.2 Korrektheitsrelativismus und Wahrheitsrelativismus Man könnte aber auch versucht sein, zugunsten eines engeren inhaltlichen Zusammenhangs mit dem problematischen Wahrheitsargument (385b2–d1) folgendermaßen zu argumentieren: Protagoras wie Hermogenes vertreten relativistische Positionen – Protagoras einen Wahrheitsrelativismus (wahr ist für P ein Prädikat „N“ vom Referenten r, wenn es dem P so erscheint, dass r N ist), Hermogenes einen Korrektheitsrelativismus (korrekt ist für H die Verwendung eines Namens „N“ von r, wenn diese Verwendung der Festsetzung des H bezüglich „N“ entspricht). Lässt man nun die Frege’sche Unterscheidung von Sinn und Bezug einmal beiseite und nimmt an, dass nicht (nur) der Sinn, sondern die Referenz oder der Bezug es ist, den die onomata durch Setzung bzw. Konvention zugewiesen bekommen, so könnte man schließen: wenn das onoma N seinen Referenten r durch Setzung bzw. Konvention erhält (was ja im Falle von N als Eigenname plausibel ist), so ist N von r auch aufgrund von Setzung bzw. Konvention wahr. Intuitiv würde man allerdings im Falle von N = „Pferd“, wie oben ausgeführt, sagen, „Pferd“ ist wahr von Bukephalos, weil Bukephalos ein Pferd ist und nicht, weil Bukephalos per Konvention zur Extension oder Referenz von „Pferd“ gehört, da andernfalls das Verstehen eines Satzes, das ja auf der Basis der Konventionskenntnis erfolgt, auch das Wissen, ob er wahr ist, umfassen würde (aus der Kenntnis der Extension oder des Umfangs eines Prädikats ergibt sich ja das Wissen, von welchen Dingen das Prädikat wahr ist) und so die Mitteilungsfunktion der Sprache eliminiert würde. Bei Missachtung dieser Intuition würde somit aus dem Korrektheitsrelativismus des Hermogenes zusätzlich ein Wahrheitsrelativismus – allerdings nur ein Relativismus der Wahrheit von Sätzen als linguistischen Einheiten: Auf der Ebene der ausgedrückten Sachverhalte ändert sich durch den Wechsel der Ausdrücke natürlich nichts, und nur, wenn man die Frege’sche Unterscheidung außer Acht lässt, mag es so scheinen, dass der hypothetische Wahrheitsrela-
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tivismus des Hermogenes auch den protagoreischen Relativismus impliziert. Ignoriert man sie, scheint für beide Wahrheitsrelativismen zu gelten, dass die Proposition oder der Sachverhalt, dass Bukephalos ein Pferd ist, selbst niemals den Status einer intersubjektiven, geschweige denn einer objektiven Tatsache hat, sondern entweder als subjektive (ἰδίᾳ) Setzung (bei Hermogenes), oder als subjektive (ἰδίᾳ) Erscheinung (bei Protagoras) fungieren müsste. Was Sokrates demnach hier sozusagen vermutungsweise nahezulegen scheint, ist, dass für Hermogenes die Konventionalität der onomata mit ihrer Wahrheitsfähigkeit deshalb nicht im Konflikt steht, weil es für ihn eine subjektunabhängige, objektive Wahrheit genauso wenig gibt wie eine subjektunabhängige Namensrichtigkeit. Hermogenes bestätigt (386a5–7), dass seine Probleme (ἀπορῶν) ihn schon bis zur Position des Protagoras getrieben haben, aber doch nicht ganz und gar. Sofern diese Probleme mit seinem Korrektheitsrelativismus zu tun haben, was hier offen bleibt, könnte der Weg des Hermogenes zu Protagoras wie angedeutet verlaufen sein: Sein Korrektheitsrelativismus führte ihn (aufgrund einer nicht durchschauten Verwechslung von Sinn und Referenz) zu einem Wahrheitsrelativismus, den er aber wegen einer analogen Position des einflussreichen Protagoras jedenfalls zeitweilig als nicht fatal zu akzeptieren bereit war. II.3.3 Folgt der Wahrheitsrelativismus aus dem Korrektheitsrelativismus? Nach Allan Silverman (1992, 30–35) besteht für Sokrates bzw. Platon ein sehr viel engerer Zusammenhang zwischen dem Konventionalismus des Hermogenes und dem protagoreischen Relativismus. Der ganze Abschnitt vom Wahrheitsargument bis einschließlich der Widerlegung der Position des Protagoras und der des Euthydem (385a1–386e4) habe aus der Sicht von Sokrates bzw. Platon die folgende modus tollens-Struktur und sei somit ein zusammenhängendes Argument gegen den Konventionalismus des Hermogenes: „If any name refers to whatever an individual speaker intends it to refer to, then the things to which names refer are Protagorean. But the things to which names refer are not Protagorean. Therefore it is not the case that any name refers to whatever an individual speaker intends it to refer.“ Nach Silverman (1992, 32) impliziert der Konventionalismus des Hermogenes (HK): „No expression has any connection to any object antecedent to its use by a particular speaker on a given occasion,“ (d. h. er nimmt ebenfalls an, dass bei Namen Etablieren und Verwenden im Sinne des HK zusammenfällt) „Therefore, if a name is true just in case it says of an object how it is, the speaker must somehow cause his names to satisfy this condition.“ Und das gehe nur auf
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der Basis einer protagoreischen Ontologie. „He cannot both identify an object that has its properties independently of perceivers / speakers and (meine Hervorhebung) create all the reference relations.“ Ist jedoch der Protagoreismus wahr, „then when Hermogenes calls something ‚horse‘, that thing is or becomes a horse or whatever it is that Hermogenes means at that moment by ‚horse‘.“ Die Protagorasposition ermögliche so, dass der Hermogenes-Konventionalist „can hold to his belief that his words refer to whatever he wishes and his belief that true names (and sentences) say of something how it is. For each thing is or becomes however he thinks it is, which is to say that it is or becomes whatever he calls it.“ Der Vorteil dieser Deutung wäre, dass der Gedankengang vom Wahrheitsargument bis zur Behandlung des Homo-mensura-Satzes eine klare logische Funktion im Gesamtzusammenhang bekäme: Der Willkürkonventionalismus des Hermogenes ist aus denselben Gründen unhaltbar wie der protagoreische Relativismus. Das Problem bei dieser Interpretation ist, dass die HK-Verknüpfung der Namen mit ihren Bedeutungen nach dieser Voraussetzung nicht nur völlig beliebig oder arbiträr sind, sondern insbesondere auch auf einem aktiven Vorgang der individuellen Setzung beruhen, während der ontologische Status dessen, was benannt wird, von dem jeweiligen Benennungsakt unberührt bleibt. Denn nach dem Austausch lediglich der Ausdrücke „Mensch“ (ἄνθρωπος) und „Pferd“ (ἵππος) „erscheint“ im Sinne des protagoreischen Homo-mensura-Satzes auf der Ebene des „erscheinenden“ Seienden alles immer noch so wie vor dem Austausch, oder wie Hermogenes es selbst audrückt (385e1 f.): Die Städte, ob hier oder bei den Barbaren, lassen unter Beibehaltung der Identität der Sachen die Namen variieren (ταῖς πόλεσιν ὁρῶ ἰδίᾳ ἑκάσταις ἐπί τοῖς αὐτοῖς κείμενα ὀνόματα). Jedenfalls bleibt unklar, wie durch das aktive arbiträre Benennen die (wie die einschlägigen Theätet-Passagen zeigen) zwar subjektiven, doch ohne eigenes Zutun passiv erfahrenen Erscheinungen (vgl. z. B. Tht 167a7 f.) der protagoreischen Ontologie unserem unbeschränkten Belieben unterworfen werden sollen, was bedeutet: Man wird einen Korrektheitsrelativismus im Sinne des Hermogenes vertreten können, auch ohne sich damit auf einen Wahrheitsrelativismus im Sinne des Protagoras festlegen zu müssen (ähnlich Sedley [2003], 54). Silverman selbst wendet gegen seine im Sinne von Platon-Sokrates rekonstruierte Ableitung des protagoreischen Wahrheitsrelativismus aus dem Korrektheitsrelativismus ein, dass eine wesentliche Voraussetzung für diese Ableitung nicht erfüllt ist: nämlich „that the speaker is able to identify the things to which he is about to assign one of his names. If none of a speaker’s names has any connection to its respective referent prior to its use on a given occasion, then
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a speaker cannot identify what is referred to by one of his names and a fortiori, cannot make his names refer to whatever he wishes.“ Außerdem setzt Silverman voraus, dass es außerhalb der Identifikation durch sprachliche Mittel z. B. nicht die naheliegende Möglichkeit der außersprachlichen Identifikation durch Deixis gibt. Kurz, die ohnehin bestehende innere Absurdität von HK, nämlich die Unmöglichkeit von Kommunikation auf der Basis von HK und die damit zusammenhängende Ununterscheidbarkeit von Wahr-Falsch macht es überflüssig, den Weg zur Widerlegung von HK über die Unhaltbarkeit des protagoreischen Relativismus zu wählen, deren Aufweis vielmehr eine eigenständige Funktion beim nun folgenden Nachweis der objektiven Eigenschaften von Handlungen hat (385e6 ff.). II.3.4 Widerlegung des Protagoras und des Euthydemos (386a8–e5) Die Widerlegung des protagoreischen Relativismus durch Sokrates ist sehr knapp gehalten: Es gibt Qualitätsunterschiede unter den Menschen (rechtschaffen [χρηστός] vs. schlecht [πονηρός]), die (im Sinne des unausgesprochen vorausgesetzten sokratischen Tugendwissens, vgl. Laches 192b–199e, Menon 86c–89c, Phaidon 68c–69c, Kriton 47a) auf kognitiven Kompetenzunterschieden (vernünftig [φρόνιμος] vs. unvernünftig [ἄφρων]) beruhen oder mit ihnen zusammenfallen. Diese Kompetenzunterschiede, so kann man schließen, sind jedoch nicht damit vereinbar, dass es keine Unterschiede hinsichtlich der Fähigkeit geben soll, zu erkennen, was wahr ist, wie es der Homo-mensura-Satz behauptet. Im Theätet wird im ersten Ansatz ähnlich argumentiert (161c–162a). Doch macht Sokrates dort in seiner (gleichsam aus Fairnessgründen für den abwesenden Protagoras übernommenen) Verteidigung des Homo-mensura-Satzes als wiedererstandener Protagoras geltend, dass der Wahrheitsrelativismus mit den zweifellos vorhandenen Unterschieden hinsichtlich des Sachverstands (σοφία 166d4) keineswegs im Konflikt stehe, da der Sachverständige sich nicht etwa in der Erkenntnis der Wahrheit als überlegen erweise, sondern in der Fähigkeit, bei seinen Mitmenschen anstelle übler Erscheinungen gute Erscheinungen entstehen zu lassen, die freilich qua Erscheinungen beide gleichermaßen wahr sind. Entsprechend sei es auch nicht Sache des Sachverständigen, z. B. den Unterschied zwischen gerecht und ungerecht zu erkennen, vielmehr sei gerecht für eine Polis, was immer ihr so erscheine, die intellektuelle Überlegenheit des Weisen zeige sich erst darin, anstelle von Schlechtem (πονηρά) und Unvorteilhaftem Gutes und Brauchbares (χρηστά) als gerecht erscheinen zu lassen (167c). Erst im endgültigen Angriff auf den protagoreischen Relativismus (177e–179b) wird dann klar, dass die von Protagoras-„Sokrates“ für den
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Wissenden in Anspruch genommene Kompetenz, das jeweils Nützliche und Vorteilhafte „erscheinen“ zu lassen, eben doch voraussetzt, dass es jenseits der subjektiven Erscheinungen faktische und damit nicht relativierbare objektive Unterschiede gibt, die darüber entscheiden, was zukünftig als nützlich und vorteilhaft erscheinen wird. Die Sorgfalt und Ausführlichkeit, mit der im Theätet (im Unterschied zur Knappheit im Kratylos) die protagoreische Position behandelt wird, entspricht der engen Verbindung, in der dort der Wahrheitsrelativismus mit der zu widerlegenden These vom Zusammenfall von Erkenntnis und Wahrnehmung gesehen wird. Eine vergleichbar zentrale Rolle kommt hier im Kratylos dem Homomensura-Satz eigentlich nicht zu. Eine Verbindung von Wahrheitsrelativismus und Korrektheitsrelativismus ergibt sich im Folgenden allerdings indirekt über die zentrale Rolle des Konzepts der Handlung, insofern Handlungen aufgrund ihrer Zielgerichtetheit auf eine nicht-relativierbare Zukunft bezogen sind. Worauf es hier ankommt, ist, eine plausible Begründung für die Auffassung zu gewinnen, dass die „Dinge“ in dem, was sie sind – ihrer ousia –, nicht von uns und unserer Vorstellung abhängen. Dazu wird gleichsam ein Ausschlussverfahren angewandt: Wenn die Dinge weder im Sinne des Protagoras für jeden von uns einen wechselnden, je eigenen subjektbezogenen Charakter haben noch alles im Sinne des Euthydem gleichermaßen und unterschiedslos stets alle Seinsmöglichkeiten – etwa der Tugend und Schlechtigkeit – zugleich hat26, was beides der unbestreitbaren Existenz sowohl rechtschaffener wie schlechter Menschen widerstreitet, dann haben sie ein von uns unabhängiges „beständiges“ (βέβαιον) Sein und werden nicht von uns in unserer Vorstellung nach oben und nach unten gezogen, sondern verhalten sich an sich selbst zu ihrem Sein gemäß ihrer Natur. Und das – so kann man ergänzen – ist eine Voraussetzung dafür, dass es eventuell so etwas wie eine auf der Natur der Dinge beruhende Richtigkeit der Namen gibt. In welchem Zusammenhang Euthydem (ein wohl etwas älterer Zeitgenosse des Sokrates aus Chios, vgl. Euthyd. 271c, 272b) die Position „alles ist alles stets gleichermaßen und zugleich“ vertreten hat, ist nicht mehr rekonstruierbar. Folgt man der wohl stark karikierenden Darstellung in dem nach Euthydem benannten Dialog, so ergibt sich, dass er (zusammen mit seinem Bruder Dio 26 Vgl. 386d4 πᾶσι πάντα ὁμοίως εἶναι ἅμα καὶ ἀεί, wo der Dativ πᾶσι offenbar als Possesiv zu verstehen ist. Anders Ademollo (2011), 85 f., der πᾶσι perspektivisch deutet „everything (πάντα) is for everyone (πᾶσι) in the same way at the same time and always“. Aus „Tugend und Schlechtigkeit sind für jedermann in derselben Weise“ (ὁμοίως ἅπασι καὶ ἀεὶ ἀρετὴ τε καὶ κακία εἴη) müsste dann folgen, dass unmöglich die einen rechtschaffen, die anderen schlecht sind (οὐδὲ ἂν οὕτως εἶεν οἱ μὲν χρηστοἰ, οἱ δὲ πονηροί d4). Damit aus perspektivischem Tugend-für-jemand-Sein das tugendhaft Sein von jemand simpliciter folgt, müsste als Vermittlung „Tugend ist Wissen“ fungieren.
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nysodor) mit eristischen Fehlschlüssen folgender Art operierte (294a–b): wenn man eines weiß, weiß man alles, denn andernfalls (d. h. wenn man neben dem einen, was man weiß, irgend etwas nicht wüsste), würde man zugleich wissen und nicht wissen, und das ist unmöglich. Es wird also aus „x weiß etwas“ gefolgert „x ist wissend“ oder „x weiß“ und aus „x weiß etwas nicht“ „x ist nicht wissend“ oder „x weiß nicht“. Setzt man hier statt „wissen“ „sein“, kommt man einer eristischen Ableitung des „alle sind stets und zugleich alles gleichermaßen“ ziemlich nahe. Doch lässt sich nicht ausschließen, dass Euthydem die ihm hier im Kratylos zugeschriebene These auch in etwas seriöserer Form (etwa als eine Art homoiomere Prädikationstheorie) vertrat.
III. Handlungstheoretische Argumente für den Naturalismus III.1 Die Natürlichkeit und der „Kasusrahmen“ von Handlungen (386e6–387d9) Bedeutungsvoll ist nun der Schritt, demzufolge nicht nur die „Dinge“ (πράγματα 386e1), sondern auch „ihre“ (αὐτῶν 386e7) oder „die zu ihnen gehörigen“ Handlungen (πράξεις e7) eine Art des Seienden (ἕν τι εἶδος τῶν ὄντων e7 f.) sind, also einen objektiven Status mit einer eigenen „Natur“ haben. Stellt man in Rechnung, dass Handlungen zumindest in ihren Instanziierungen etwas Prozesshaft-Dynamisches sind, so ist ihre Anerkennung als eine „Art des Seienden“ neben den dinghaft anwesenden Seienden, bei denen der Nachdruck auf einer konstanten Seinsweise (βέβαιος οὐσία) ohne Weiteres nachvollziehbar ist, bemerkenswert (vgl. den unter δύναμις subsumierten nicht-dinghaften Seinsbegriff im Sophistes 247e).27 Da Handlungen, wie im Folgenden deutlich werden wird, nicht nur prozesshaft, sondern auch zielgerichtet sind, umfasst der für Handlungen in Anspruch genommene „Natur“-Begriff auch den wichtigen Aspekt der Zweckmäßigkeit.
27 Nach Sedley (2003), 57 ist die Apostrophierung der Handlungen – αἱ δὲ πράξεις – als αὐτῶν, als „zu ihnen (d. h. den Dingen – πράγματα) gehörig“, so zu verstehen, dass der objektive Status der Handlungen aus dem objektiven Status der beim Handeln involvierten Dinge abgeleitet ist: „Actions, Socrates means, get their own nature derivatively from the things in relation to which the agent acts.“ Für Ademollo (2011), 96 f. ergibt sich der objektive Status der Handlungen hingegen daraus, dass sie zum Seienden gehören (ἕν τι εἶδος τῶν ὄντων 386e7) und mit allen Seienden diesen Status teilen, was aber dem derivativen Charakter des Status bei Handlungen nicht widersprechen muss.
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III.1.1 Schneiden und Brennen als Handlungsbeispiele (387a2) Der Gegensatz zwischen dem Vollzug einer Handlung nach ihrer eigenen Natur (κατὰ τὴν αὑτῶν … φύσιν 387a1) und gemäß unserer Vorstellung (κατὰ τὴν ἡμετέραν δόξαν 387a2) oder unserem Belieben (ὡς ἂν ἡμεῖς βουλώμεθα 387a4) wird intuitiv plausibel illustriert an den Handlungen des Schneidens und Brennens (vermutlich im medizinischen Sinne). Es werden unterschieden die Faktoren: zu affizierender Gegenstand, Instrument und zwei Aspekte der Handlungsnatur, die durch die Aktiv- und die Passivform des Handlungsverbs charakterisiert werden: Das Schneiden bzw. Brennen (aktiv) erfasst die Handlung wohl eher aus der Perspektive der Agensrolle, das Geschnittenwerden bzw. Gebranntwerden (passiv) aus der Sicht der Rolle des affizierten Objekts. Die beiden Rollen legen einander ergänzend die Erfolgskriterien der Handlung nach Ziel und etwa zu überwindendem Widerstand oder Modifikationsdimension so fest, dass Gelingen und Misslingen als Respektieren (κατὰ φύσιν 387a5) bzw. Missachten (παρὰ φύσιν 387a8) „natürlicher“ Erfordernisse unterscheidbar werden, über die man sich nicht nach Belieben hinwegsetzen kann. Der Erfolg einer Handlung (πλέον τι ἡμῖν ἔσται a7) wird so zum Indiz dafür, dass sie gemäß ihren natürlichen Richtigkeitskriterien korrekt (ὀρθῶς a7) vollzogen wurde. Und da die Erfolgskriterien einer Handlung nicht vollständig während oder nach ihrem Vollzug festgelegt werden können, ist mit einer Handlung stets auch ein nicht-relativierbarer Bezug zur Wirklichkeit, nämlich ihrer Zukunft gegeben.28 Ademollo (2011, 99) weist darauf hin, dass die Natürlichkeitsbedingungen der beiden Beispiele des Schneidens und Brennens unterschiedlich spezifiziert werden: Im Falle des Schneidens (Φ) werde allgemein die Natur des Schneidens und Geschnittenwerdens (κατὰ τὴν φύσιν … τοῦ τέμνειν τε καὶ τέμνεσθαι 387d5 f.) und deren Beziehung zum verwendeten Instrument als Einschränkung (R) angeführt, nach seiner Formalisierung: (A) ∃R∀x∀y (x performs Φ on y → x bears R to y), im Falle des Brennens (Φ’) dagegen werde die zu berücksichtigende Einschränkung (R) spezifisch von der Natur des jeweils zu brennenden Gegenstandes (y) (ἧι ἐπεφύκει ἕκαστον κάεσθαι τε καὶ κάειν b4) abhängig gemacht: (B) ∀y∃R∀x (x performs Φ’ on y → x bears R to y). Diese Unterscheidung zwischen lediglich aktionsspezifischen Einschränkungen und solchen, die auch gegenstandsspezifisch sind, wird im Folgenden eine Rolle spielen. 28 Darauf weist R. Barney (2001), 44, die eine in ähnliche Richtung gehende Überlegung von Burnyeat (1990) zu Theätet 177c–179b heranzieht, hin.
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III.1.2 Reden (λέγειν) (387b8) Als dritte Handlung wird das Reden oder Sagen (λέγειν) betrachtet. Auch hier soll gelten, dass nicht unser Belieben über Korrektheit und Erfolg entscheidet, sondern die Berücksichtigung der natürlichen Beschränkungen vonseiten der Dinge (τὰ πράγματα 387c1) oder Redeinhalte bzw. dessen, was gesagt wird, und zwar jeweils aus der Subjekt- (λέγειν)- und Objekt-Perspektive (λέγεσθαι 387c2), ferner aus der Sicht der Erfordernisse des Instruments. Ademollo (2011, 100) sieht hier zwei Deutungsmöglichkeiten der Beschränkungen: eine harmlose generische nach dem Schema (A), derzufolge das Sprechen den Erfordernissen jeder Sprachverwendung genügen muss, z. B. dem, grammatikalisch korrekte Sätze zu benutzen, und eine spezifische nach Schema (B)29, die verlange, dass die Natur dessen, wovon die Rede ist, die Art und Weise des Redens sowie das verwendete Instrumentarium festlege, während man widrigenfalls davon überhaupt nicht rede und somit scheitere. Letzteres sei aufgrund des Kontextes der Kratylosposition, die rekonstruiert werde, die richtige Deutung. Sie laufe aber letztlich darauf hinaus, dass man über etwas nur reden kann, wenn man es als das beschreibe, was es wirklich ist, indem man ihm diejenigen Merkmale zuschreibt, die es tatsächlich hat, kurz, wenn man darüber etwas sagt, was wahr von ihm ist. Dies sei aber eine fundamental verfehlte philosophische These, denn man könne natürlich über etwas reden, indem man etwas Falsches darüber sage. Im Gegensatz zum Schneiden und Brennen, wo es nur die Alternative Erfolg und Scheitern gebe, gebe es im Falle von Aussagen neben dem völligen Scheitern zwei Unterfälle des Nichtscheiterns, nämlich wahre und falsche Aussagen. Kurz, Ademollo meint, dass hier Wahrsein von Bedeutungsvollsein nicht unterschieden werde. Derselbe Fehler spiele im Übrigen auch eine entscheidende Rolle bei sophistischen Argumenten für die These, dass falsche Aussagen und Widersprüche nicht möglich seien, gegen die im späteren Gespräch mit Kratylos (429b–431c) argumentiert werde. Für Ademollo ist damit klar, dass unsere Kratylosstelle zu den Passagen gehöre, in denen Platon bewusst fehlerhafte Positionen vertreten lasse, um den Leser in den Dialog hineinzuziehen. Es scheint, dass Ademollo hier annimmt,
29 Bezüglich der Stärke der Beschränkung, die (B) im Vergleich zu (A) erfassen soll, ist allerdings Vorsicht geboten, denn es gilt: Für Φ=Φ’ folgt (mit ∃x∀yPxy → ∀y∃xPxy) aus (A) logisch (B), doch (A) nicht aus (B). Für ein und dieselbe Handlung ist somit die Beschränkung nach (B) im Allgemeinen höchstens so stark wie diejenige nach (A). Um B zu verstärken, könnte in B hinzugefügt werden, dass die zu jedem y gehörigen Beschränkungen Ry für verschiedene y voneinander verschieden sein müssten (y≠y’→Ry≠Ry’).
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dass Platon-Sokrates die Rolle von Prädikaten als Bestandteile von termbildenden Kennzeichnungen, wie „dieser Philosoph“, und von Prädikaten, mit denen über die gekennzeichneten Argumente etwas prädiziert wird, wie „ist weise“), nicht hinreichend unterscheidet, nämlich nicht in der Weise, dass Prädikate in Kennzeichnungen oder Deskriptionen in der Regel als wahr von den gekennzeichneten Objekten vorausgesetzt („präsupponiert“) werden, während die mit prädizierenden Prädikaten gebildete Aussagen natürlich falsch sein können. Eine Beurteilung der Ademollo’schen Interpretation unserer Stelle soll – nach einem kurzen Exkurs – zusammen mit der Behandlung des sich anschließenden Abschnitts erfolgen, für den er eine analoge Deutung vertritt.
Exkurs: Schofields Plazierung von 385b2–d1 In 387c6 f. wird das Benennen als Teil des Redens und Sagens eingeführt. Schofield (1972, 246–253) nimmt an, dass unmittelbar davor der ursprüngliche Platz des problematischen Arguments 385b2–d1 zugunsten der Wahrheitsfähigkeit der Namen anzusetzen ist. Dafür (250) sprächen einerseits die Imperfekt- und Aoristformen als gedächtnisstützende Hinweise darauf, dass das Reden im Vorangehenden eine Handlung „war“ (ἦν 387c10) und dass sich Handlungen als etwas erwiesen „haben“ (ἐφάνησαν 387d1), das unabhängig von uns und mit einer eigenen Natur versehen sei. Diese Gedächtnisstützen seien im überlieferten Text angesichts des geringen Abstands zu den Partien, an die „erinnert“ werde, wo nämlich Sokrates den Handlungscharakter des Redens (387b8) und den objektiven Status von Handlungen (387a1ff) erörtert, unmotiviert, nicht jedoch, wenn das Textstück 385b2–d1 dazwischen tritt. Ferner (249) erlaube die Interpolation die Auflösung einer Mehrdeutigkeit in der Frage (387c6–7) des Sokrates und ihrer Begründung. Denn mit ihr könne mindestens zweierlei gemeint sein (a): Sprechen ist eine komplexe Handlung, deren eine Ingredienz (μόριον c6) das Benennen (d. h. das Verwenden von Namen) sei, da man Sätze spricht, indem man Namen als Bildeblöcke verwendet. Oder (b): Benennen (d. h. die Tätigkeit der Zuweisung von Namen an Dinge, also der Namensprägung) ist selbst eine Art (μόριον c6) des Sprechens, da man auch, wenn man in diesem Sinne benennt, Sätze spricht. Das Wahrheitsargument 385b2–d1 erlaube nun eine klare Entscheidung zugunsten von (a), da dort Namen eindeutig als Teile von Sätzen thematisiert werden und somit das Benennen nur als Teil und nicht als Unterart des Sprechens wie in (b) infrage kommt. Darüber hinaus ergebe sich daraus, dass Namen Teile von Sätzen sind und sowohl Sätze wie Namen wahr oder falsch sein können, dass die Handlung des Benennens nicht nur als eine Teilhandlung des Sprechens von Sätzen
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aufzufassen sei, sondern wie Letztere auch korrekt oder unkorrekt ausgeführt werden kann. Schofields Hinweis darauf, dass die Präteritalformen als Gedächtnisstützen ohne die Interpolation unmotiviert seien, ist bedenkenswert. Andererseits können die fraglichen Verbformen auch die Funktion haben, die Wiederholung einer für den gesamten Gedankengang zentralen Prämisse (die Eigenstän digkeit und Ausstattung von Handlungen mit einer eigenen Natur im Allgemeinen und von sprachlichen Handlungen im Besonderen) besonders nachdrücklich zu markieren, ohne dass damit eine Gedächtnisstütze verbunden wäre – ähnlich wie 389d1 (φύσει γάρ ἦν ἑκάστῳ εἴδει … ἑκάστη κερκίς), wo ebenfalls eine Präteritalform zur beglaubigenden Wiederaufnahme eines kurz zuvor (b10 f.) geäußerten Gedankens gebraucht wird. Was nun die Wahrheitsfähigkeit der Namen als Stütze dafür angeht, dass das Benennen eine Teilhandlung des Sprechens ist, so formuliert Schofield selbst als eventuellen Einwand, dass damit ein Hauptpunkt des Wahrheitsarguments, nämlich dass auch Namen wahr oder falsch sein können, zu einem Nebenaspekt herabsinke. Dieser Einwand sei jedoch verfehlt. Denn die mit der Wahrheitsfähigkeit verbundene Angleichung der Namen an die Sätze mache die Handlungen des Benennens und Sprechens strikt vergleichbar und ermögliche damit erst die eigentlich erstrebte Folgerung, dass das Benennen eine eigene Handlung (387c9–10) und nicht nur der Teil einer Handlung sei. Zweifellos ist die Charakterisierung des Benennens als eigene Handlung von zentraler Bedeutung für den Fortgang des Gedankens, dazu ist es jedoch nicht erforderlich, die Wahrheitsfähigkeit der Namen (als gleichsam atomarer λόγοι) besonders hervorzuheben. Die charakteristische Leistung der Namen wird ja im Folgenden erst eingeführt (388b7–c1), nachdem aus der Handlung des Benennens auf die Notwendigkeit der Namen als Werkzeuge dieser Handlung geschlossen worden ist und nicht etwa umgekehrt (387e1–388a8). Insgesamt sind die Gründe Schofields für die Versetzung von 385b2–d1 nicht zwingend. Fraglich ist auch, ob die Alternativlesart von 387c6–7, die durch die Interpolation ausgeschlossen werden soll, überhaupt besteht: „Das Benennen (im Sinne des Zuweisens von Namen an Dinge) ist doch eine Art des Sprechens? Denn indem man benennt (ὀνομάζοντες), spricht man die Sätze (λέγουσι τοὺς λόγους)“. Hier bleibt die generalisierende Funktion des bestimmten Artikels in λέγουσι τοὺς λόγους (387c7) unberücksichtigt, muss doch mit ὀνομάζοντες (c6) eine Tätigkeit gemeint sein, die beim Sprechen jedes Satzes vollzogen wird, was aber für die spezielle Sprechhandlung des Zuweisens oder Etablierens von Namen nicht zutrifft. Näher liegt daher von vornherein die Deutung im Sinne von Lesart (a): „Das Benennen (im Sinne der Verwendung von Namen) ist doch
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ein Teil des Sprechens? Denn man spricht die – d. h. generisch alle – Sätze, indem man benennt“. Ein Problem ist dann freilich, dass in ὀνομάζοντες γὰρ … λέγουσι τοὺς λόγους 387c6 f. vorausgesetzt zu werden scheint, dass das Benennen nicht nur ein Teil des Sprechens ist, sondern dass das Sprechen aus lauter solchen Benennungsakten besteht. Das ist in der Tat die Interpretation von G. Prauss (1966, 46–65), der unsere Stelle als Beleg dafür nimmt, dass die logos-Konzeption Platons zur Zeit der Abfassung des Kratylos im Gegensatz etwa zu der des Sophistes dadurch charakterisiert gewesen sei, dass das λέγειν, das einen logos hervorbringt, aus einer Reihe von Nennhandlungen zusammengesetzt sei, der logos daher einen seriellen „Aggregat“-Charakter habe, weshalb der Schluss aus der Wahrheitsfähigkeit der logoi auf die Wahrheitsfähigkeit der onomata im problematischen Wahrheitsargument 385b2–d1 durchaus mit Recht gezogen worden sei. Als Stütze seiner Deutung verwendet Prauss die Überlieferung der Handschrift T, die καὶ διονομάζοντες γάρ statt ὀνομάζοντες γάρ bietet, was Burnet nach Tilgung des καί in seine Ausgabe übernommen hatte. Mit διονομάζοντες als lectio difficilior anstelle von ὀνομάζοντες ergebe sich, dass der logos aus einer Mehrzahl (darauf ziele das διά in διονομάζοντες) von Benennungsakten bestehe, weshalb Prauss διονομάζειν auch als „Durchworten der Dinge“ (1966, 51), analog dem durch διαριθμεῖν ausgedrückten „Durchzählen der Dinge“ wiedergibt. Ein logos sei demnach eine „aggregative Aufführung genau dessen, was in mehreren Sätzen mit verschiedenen Prädikaten und demselben Subjekt auf der Prädikatseite erscheint“ (1966, 60). III.1.3 Benennen (ὀνομάζειν) (387c6–d10) Genau wie für das Reden (λέγειν) wird auch für das Benennen (387d4–8) in Anspruch genommen, dass in Analogie zum Schneiden und Brennen nicht unser Belieben über Korrektheit und Erfolg entscheidet, sondern wie beim Brennen (s. o. S. 114) die Berücksichtigung der natürlichen Beschränkungen von seiten der Dinge (τὰ πράγματα) bzw. dessen, was benannt wird, und zwar jeweils aus der Subjektsicht (387d4 f.: ᾗ πέφυκε τὰ πράγματα ὀνομάζειν [λέγειν, c2)]) und der Objektsicht (… τε καὶ ὀνομάζεσθαι [λέγεσθαι, c2]), ferner der Erfordernisse des Instruments. Auch hier wie schon im Falle des Redens (λέγειν, c2) kommen nach Ademollo (2011, 104 f.) zunächst zwei Deutungsalternativen infrage: eine harmlose nach Schema A (s. o. 114), nach der allgemeine Beschränkungen linguistischer und pragmatischer Art für das Benennen zu beachten sind, und eine spezifische nach Schema B (s. o. 114), derzufolge die Berücksichtigung der Natur
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des zu benennenden Gegenstandes darüber entscheidet, ob überhaupt ein Benennungsakt stattfindet. Und ebenso wie oben beim Reden komme aufgrund des vorausgesetzten Gegensatzes zwischen Konvention und Natur als Problemhintergrund nur die Deutungsvariante nach (B) infrage. Ademollo sieht in dem so gedeuteten Argument einen Fehlschluss, da aus der wahren Prämisse, dass Handlungen eine eigene objektive Natur haben, der falsche Kratylos’sche Schluss gezogen werde, dass jedes Ding nur in Übereinstimmung mit seiner Natur benannt werden könne, wobei der Fehler im undifferenzierten Übergang von der Idee einer generischen Natürlichkeit von Handlungen überhaupt (nach A) zur Idee einer gegenstandsabhängigen Natürlichkeit (gemäß B) liege. Der Vorwurf eines Fehlschlusses geht aber wohl zu weit, wenn der Bezug auf einen Gegenstand mittels einer Kennzeichnung erfolgt, da hierbei die Erfüllung minimaler Wahrheitsansprüche des kennzeichnenden Prädikats und zumindest insofern die Berücksichtigung der Natur des benannten Dings erwartet werden kann (s. u.). Im Falle der Referenz mittels Eigennamen oder Deixis kann zwar von Naturgemäßheit nicht die Rede sein, aber wohl auch nicht von Beliebigkeit. Zumindest soviel ist klar, dass sich die Forderung nach Naturgemäßheit nicht einfach aus der Natur des Benennens (ὀνομάζειν) und Benanntwerdens (ὀνομάζεσθαι) sowie der Natur der verwendeten Mittel (καὶ ᾧ) ergibt, sondern auch gegenstandsorientiert ist. Andererseits ergebe sich, so Ademollo (2011, 105), ein akzeptabler Sinn, wenn man von der doppelten Funktion von ὀνόματα, verstanden als common nouns, ausgehe. Ein genereller Term könne bei Platon als Name der Idee oder Art fungieren, auf die er referiert („‚human being‘ names the human being“), wie auch als Name der Einzeldinge in seiner Extension („‚human being‘ names Callias“). In der letztgenannten Hinsicht sind die Einzeldinge mit den Ideen „homonym“ (Phd.78d, Ti.52a), d. h. sie haben „denselben Namen“ wie die Idee oder werden nach den Ideen benannt, haben dieselbe ἐπωνυμία (Phd. 102b, Prm. 130e6); und es ist eine Art Kriterium für das Vorliegen einer Idee, dass wir vielen Einzeldingen (περὶ ἕκαστα πολλά) ein und denselben Namen beilegen (ταὔτὸν ὄνομα ἐπιφέρομεν Rep.596c7), und wenn wir von etwas nicht nur sagen, es sei ein Mensch, sondern auch gut und unzählig anderes, so legen wir ihm viele Namen bei (πολλοῖς ὀνόμασι λέγομεν Soph. 251b4). Verwende man nun, so Ademollo, common nouns, um Einzeldinge in diesem Sinn zu „benennen“, so werde man tatsächlich nur Erfolg haben, wenn die von den com mon nouns ausgedrückten Eigenschaften den benannten Dingen zukommen oder zur „Natur“ dieser Dinge gehören. Man kann diesen Rettungsversuch von Ademollo noch dahingehend ergänzen, dass auch sein Vorwurf der Nichtunterscheidung von Bedeutungsvollsein und Wahrsein in 387b8–c13 im Falle des λέγειν (s. o. 115) entschärft wer-
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den kann, wenn man davon ausgeht, dass ein λόγος im Sinne von ὀνομάζοντες γὰρ … λέγουσι τοὺς λόγους (das Sprechen von Sätzen geschieht, indem man benennt 387c6 f.) als Integration von Benennungsakten aufgefasst werden kann. Aus der Sicht der Kontroverse Natur vs. Konvention hieße das, dass nach der φύσει-Position referentielle ὀνόματα einen deskriptiven Gehalt haben müssten, sodass ein Benennungsakt nur erfolgreich (und der zugehörige Behauptungsakt vom Benannten wahr oder falsch) sein kann, wenn der deskriptive Gehalt vom jeweiligen Referenten wahr ist, (was – nebenbei gesagt – im Fall definiter Deskriptionen einer Anti-Russell’schen Auffassung entspräche). Es ist klar, dass dann die prädikative Verwendung von ὀνόματα von der benennenden strikt zu unterscheiden wäre, da als Prädikate verwendete ὀνόματα von ihren Argumenten auch falsch sein können müssten, oder aber für Sätze wie z. B. „das Gerechte ist gut“ eine Analyse wie „das Gerechte hat Teil an dem Guten“ (τὸ δίκαιον μετέχει τοῦ ἀγαθοῦ) angesetzt werden müsste, wobei „A hat Teil an B“ auch im Falschheitsfall erfordern würde, dass der deskriptive Gehalt nicht nur von A, sondern auch von B von seinem Referenten bzw. Argument wahr ist. Die Deutung von 385b–c müsste dann entsprechend angepasst werden, insbesondere die Folgerung: Es ist also möglich, einen Namen wahr oder falsch zu sagen, wenn auch einen Satz (385c16 f. Ἔστιν ἄρα ὄνομα ψεῦδος καὶ ἀληθές λέγειν, εἴπερ καὶ λόγον). Vielleicht lässt sich zwischen dem Sagen (λέγειν) eines Namens und dem Nennen (ὀνομάζειν) eines Namens ein Unterschied ansetzen, der dem Unterschied zwischen Prädizieren und Referieren entspricht, was insbesondere die Deutung von 385c10 „Auch der Name des wahren Satzes wird also gesagt“ (Καὶ τὸ ὄνομα ἄρα τὸ τοῦ ἀληθοῦς λόγου λέγεται;) im Sinne einer Prädikation erleichtern würde. Das Benennen der Dinge soll, um den Faden von 387b8 ff. wieder aufzunehmen, analog dem Schneiden und Brennen der Dinge natürlichen Beschränkungen unterworfen sein. Durch die Analogie wird nicht klar, worin diese Beschränkungen bestehen. Die Dinge können ja nur schwer als affizierte Objekte aufgefasst werden, wie es im Falle von Schneiden und Brennen der Fall ist, wo die natürliche materielle Beschaffenheit der zu schneidenden oder brennenden Gegenstände eine natürliche Einschränkung darstellt. Und sie als effizierte Objekte zu sehen, verbietet schon ihr zuvor betontes (386e1) eigenständiges, von uns unabhängiges Sein. Eine gewisse Schwäche des ganzen Gedankengangs seit der Zurückweisung des protagoreischen Relativismus (386d) könnte man weiterhin darin sehen, dass eigentlich Argumente für eine besondere Beziehung der Namen zur Natur ihrer Träger erwartet werden, stattdessen aber Handlungen im Zentrum stehen, für deren Vollzug aufgrund ihrer Verwendung von ὀνόματα die fragliche
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Beziehung bereits als verfügbar und geklärt vorausgesetzt zu werden scheint, nämlich das Reden (λέγειν) und Benennen (ὀνομάζειν). Oder soll sich die naturgemäße Fundierung der Namen nur aus dem erfolgreichen Vollzug von Rede- und Nennhandlungen ergeben? Aber auch der Konventionalist wird ja der These zustimmen, dass das λέγειν und ὀνομάζειν nur im Rahmen festgelegter Bedeutungszuordnungen, ob konventionell oder nicht, erfolgen kann. Insofern hängt auch für ihn der Erfolg dieser Handlungen nicht einfach von seinem Belieben ab (der Humpty-Dumpty-Standpunkt kann ja durch 385b2–e3 zumindest implizit (s. o. S. 106) als widerlegt gelten). Sokrates scheint den Konventionalismus des Hermogenes offenbar so zu deuten, dass sich aus der Tatsache, dass im Rahmen des Konventionalismus ein Namenssystem durch eine beliebige Permutation der Namen wieder in ein konventionelles Namenssystem übergeht, ergibt, dass nicht nur die Wahl eines solchen konventionellen Systems als Ganzes, sondern auch die Verwendung eines bereits gewählten Systems im konkreten λέγειν und ὀνομάζειν unserem Belieben (ᾗ ἂν ἡμεῖς βουληθῶμεν 387d5) unterliegt, was natürlich beides nicht der Fall ist. Soll man die Gegenposition zum Konventionalismus so verstehen, dass es ein naturgemäßes λέγειν und ὀνομάζειν (vgl. ἧι πέφυκε τὰ πράγματα λέγειν τε καὶ λέγεσθαι 387c1 bzw. ὀνομάζειν τε καὶ ὀνομάζεσθαι d4 f.) gibt, bei dem ohne Rückgriff auf eine Konvention der Akt des λέγειν und ὀνομάζειν aufseiten von Sprecher und Hörer mit dem Erfassen der jeweiligen Natur der Dinge zusammenfällt? Im Idealfall müsste es dann möglich sein, die Erkenntnis der Natur eines Dings unmittelbar in einen naturgemäßen Namen resultieren zu lassen und umgekehrt aus einem solchen naturgemäßen Namen die Natur des benannten Dinges ohne Vermittlungsinstanz zu erschließen. Jede ὄνομαPrägung wäre dann gleichzeitig eine ὄνομα-Verwendung. Es ist klar, dass diese Utopie eines Zusammenfalls von Denken und Sprechen, wie er allenfalls in der Konzeption des διανοεῖσθαι als lautloser Dialog der Seele mit sich selbst (Theätet 189e4–7, Sophistes 263e2–5) angedacht sein mag, nicht die gesuchte Alternative zur Konvention als Vermittlung zwischen Denken und Sprechen sein kann. Vielmehr scheint für Sokrates nach wie vor das Problem zu sein, dass für den Konventionalisten hermogeneischer Ausrichtung weder für die Prägung noch für die Verwendung und das Verstehen eines ὄνομα die Natur des benannten Gegenstandes eine Rolle spielt, da, wie die Austauschbarkeit von ἵππος und ἄνθρωπος zeigt, grundsätzlich und unterschiedslos jedes ὄνομα für jedes πράγμα infrage kommt. Die Erörterung des schon mehrfach erwähnten Instrument-Aspekts (387a4, a7, b4, d5) könnte hier Klärung bringen.
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III.2 Die Funktion von Namen (387d10–390e5) III.2.1 Der Name als Werkzeug (387d10–388c8) Der Übergang zur Behandlung der mit dem Instrument-Aspekt verbundenen natürlichen Beschränkungen wird sehr sorgfältig vorgenommen. Der Fall des zuerst genannten Schneidens motiviert aufgrund seiner geradezu stereotypen Verbindung mit einem Schneidewerkzeug: „wenn man etwas schneidet, muss man es mit etwas schneiden“, die Etablierung des Musters: „wenn man etwas A-t, muss man es mit etwas A-en“. Als neue Instanzen für A werden zwei Handlungen (Weben und Bohren) eingeführt, deren Bezeichnung mit der des zugehörigen Werkzeugs in einer jeweils unterschiedlich orientierten derivationellen Beziehung steht; deverbal: τρυπᾶν (bohren 388a2) → τρύπανον (Bohrer a3); denominal: κερκίς (Weberschiffchen 388a530) → κερκίζειν (weben a4), Die Bezeichnung der Tätigkeit liefert so (auf gegensätzlichem Wege) sofort eine Bezeichnung des Werkzeugs. Die Anwendung auf das ebenfalls denominal gebildete ὀνομάζειν (benennen 388a6) erlaubt so für die nominale Basis ὄνομα von ὀνομάζειν die Deutung: ὄνομα ist das Werkzeug des ὀνομάζειν. Das Verhältnis von Werkzeug W zu Tätigkeit A wird nun im Falle von κερκίς – κερκίζειν ausgenutzt, um die Explikation der Tätigkeit (die Antwort auf die Frage: Was tun wir, wenn wir A tun?) durch Angabe der Operationen zu liefern, die man mit dem Werkzeug W vollzieht: Wir vollziehen das κερκίζειν, 30 Die Übersetzung „Weberschiffchen“ für κερκίς entspricht der herkömmlichen Auffassung. Ademollo (2011), 108 f. argumentiert stattdessen für die Interpretation „pin-beater“, einem konisch zulaufenden Stab, mit dem zwischen die Kettfäden eingebrachte Einschlagfäden im Webstuhl nach oben „festgeschlagen“ werden. Zur Veranschaulichung greift er zurück auf eine dem Amasismaler zugesprochene Vase, auf der allerdings sowohl ein pin-beater wie ein Weberschiffchen dargestellt sind. Welcher dieser beiden Operationen die κερκίς zuzuordnen ist, kann jedoch aufgrund der allgemeinen Charakterisierung der κερκιστική als trennende bzw. scheidende (διακριτική) Operation (vgl. Plt.282b10 ff.) nicht entschieden werden, da sowohl der pin-beater wie das Weberschiffchen als die Kettfäden trennend aufgefasst werden können. Gegen die Deutung der κερκίς als pin-beater spricht, wie Ademollo einräumt, die Entgegensetzung von κέρκισις („pushing apart“, d. h. öffnen eines Kettfachs für das Weberschiffchen) und σπάθησις („pushing together“, oder „battening“, „festschlagen des Einschlags mit einem Spatel“, also wohl einem pin-beater) bei Aristoteles Ph. H, 2, 243b6 f. (vgl. Ross zur Stelle). Gegen die Deutung von κερκίς als „Weberschiffchen“ und κερκίζειν als „Weben“ spricht nach Ademollo die Bestimmung des Webens (ὑφαίνειν) in Plt.283a5 als Herstellung eines Gewebes durch Verflechtung von Einschlag und Kette (εὐθυπλοκίᾳ κρόκης καὶ στήμονος ἀπεργάζεται πλέγμα). Doch diese Bestimmung ist durchaus damit vereinbar, dass zur Herstellung der Verflechtung eine κερκίς im Sinne einer Nadel verwendet wird, die den Einschlagfaden durch ein „Fach“ von Kettfäden transportiert. Zugunsten der Deutung als Weberschiffchen oder einer Vorform davon spricht auch, dass in Epos und Tragödie das Weben geradzu stereotypisch mit κερκίς assoziiert ist (vgl. LSJ s.v. κερκίς), was die Deutung „pin-beater“ wohl eher nicht nahelegt, sondern auf die zentrale Verflechtungsoperation mithilfe des Weberschiffchens verweist.
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indem wir mit der κερκίς den Einschlag und die Kettfäden entwirren und scheiden (διακρίνειν 388b2). Die Explikation von κερκίζειν ist nun aber nicht nur allgemein ein Muster für die Explikation einer Handlung durch die zugehörigen Werkzeugoperationen (wie in 388b4–5 angedeutet), sondern teilweise auch – trotz der Distanz von Weben und Nennen – für die spezielle Explikation von ὀνομάζειν durch ὄνομα-Operationen: Was tun wir mit dem Namen, wenn wir benennen? Wir unterrichten einander und unterscheiden (διακρίνειν 388b11) die Dinge danach, wie sie sich verhalten. Der Name ist also ein Werkzeug der Unterrichtung (διδασκαλικόν 388b12) und der Unterscheidung dessen, was die Dinge sind (διακριτικὸν τῆς οὐσίας 388c1).
Exkurs: Aristoteles – Werkzeug-Charakter vs. Konventionalität Aristoteles macht in De interpretatione im Rahmen seiner Erörterung des λόγος als (im Unterschied zu ὄνομα und ῥῆμα) komplexes sprachliches Gebilde nebenbei eine Bemerkung, die man auf unsere Kratylosstelle beziehen kann (vgl. H. Weidemann (1994, 190)): jeder λόγος hat „eine Bedeutung – nicht nach Art eines Werkzeugs freilich, sondern, wie schon gesagt, gemäß einer Übereinkunft“ (ἔστι δὲ λόγος ἅπας μὲν σημαντικός, οὐχ ὡς ὄργανον δέ, ἀλλ’ ὥσπερ εἴρηται κατὰ συνθήκην 17a1 f.; Übersetzung von Weidemann, 6) Damit ist klar, dass die semantischen Eigenschaften des λόγος (wie diejenigen des ὄνομα, vgl. 16a19) auf Konvention beruhen sollen. Nicht ganz klar und wohl kaum zu klären ist, ob mit „nicht nach Art eines Werkzeugs freilich“ – οὐχ ὡς ὄργανον δέ – (i) dem λόγος (und ὄνομα) Werkzeugstatus völlig abgesprochen wird oder ob (ii) lediglich in Abrede gestellt wird, dass seine semantischen Eigenschaften auf seinem durchaus gegebenen Werkzeugstatus beruhen. Im Falle von (i) wäre weiter zu fragen, ob (ia) der Werkzeugstatus mit dem Konventionscharakter unvereinbar sein soll oder ob (ib) es zwar Werkzeuge mit Konventionscharakter gibt, der λόγος aber aus unabhängigen Gründen nicht dazu gehört. Für (ia) könnte die Überlegung sprechen, dass Werkzeuge im Allgemeinen nicht durch ein fiat entstehen, sondern wie die im Kratylos erwähnten Bespiele (Weberschiffchen, Bohrer, Messer) ein Minimum an „natürlichen“ (d. h. kausal relevanten) Eigenschaften erfordern. Der Dissens zwischen Aristoteles und unserer Kratylos-Stelle bestünde dann darin, dass Aristoteles für sprachliche Gebilde solche natürlichen Erfordernisse nicht erfüllt sieht, der Sokrates unserer Stelle jedoch schon. Für beide wäre jedoch eine Konvention keine mögliche Basis für die Annahme eines Werkzeugs. Den Werkzeugstatus der ὀνόματα herauszuarbeiten, wäre daher für Sokrates eine konsequente φύσει-Strategie.
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Auf den zweiten Blick ist die Sache freilich nicht so eindeutig. Ein anschauliches Beispiel für eine als Werkzeug einsetzbare Konvention ist etwa ein Chiffrier-Code, wie er mit der spartanischen Skytale (vgl. Tht. 209d10) verbunden war. Gestalt und Dicke der Code-Keule sind per Konvention festgelegt. Die Botschaft auf einem Riemen kann nur entziffert werden, wenn Sender und Empfänger eine gleich dimensionierte Keule haben, um die der Nachrichtenriemen gewunden und senkrecht zu den Windungen beschrieben und gelesen wird. Freilich setzt die Skytale-Konvention parasitär auf der Graphemrepräsentation der zu codierenden Nachricht auf, für die sie als Zwischeninstanz eine Buchstabenpermutation liefert, der wiederum durch die Skytale als vermittelndes „Werkzeug“ der Klartext zugeordnet wird, der seinerseits erst bedeutungsvoll ist. Die „Wickeloperationen“, die mithilfe der Skytale vollzogen werden, können dann aber im Unterschied zu den an unserer Kratylosstelle genannten ὄνoμα-Verwendungen kaum als kommunikative Handlungen gelten, durch deren Zielsetzung – wie es für das „Unterscheiden“ und „Informieren“ beim ὀνομάζειν nahegelegt wird – das verwendete Werkzeug „Bedeutung“ erlangt. Was ergibt sich nun aus der Bestimmung des ὄνoμα als Werkzeug der Unterscheidung und Unterrichtung für die Frage, welche „natürlichen“ Beschränkungen das Reden und Benennen, soll es erfolgreich sein (387c1–4, d4–8), berücksichtigen muss? Die Analogie zwischen den Einschlag- und Kettfäden (die Kettfäden werden durch Einschlagfäden unter Verwendung der κερκίς geschieden) auf der einen Seite und den Dingen (πράγματα) andererseits, die durch die Namen in ihrem Sein geschieden werden, kann trivialerweise nicht sehr eng sein. Die natürliche Beschaffenheit des Webmaterials beschränkt das Scheiden (διακρίνειν) der Fäden und damit die erfolgreiche Herstellung der Textur kausal, die Eigenschaften der Dinge hingegen wirken sich jedenfalls nicht unmittelbar kausal auf ihre Unterscheidung (διακρίνειν) durch onomata aus. Die Differenz zwischen διακρίνειν als physischem (388b2) und διακρίνειν als mentalem Vorgang (388c11) hält die Frage nach den natürlichen Beschränkungen des Redens und Benennens weiterhin offen und lässt zumindest die kausalen Aspekte der „physis“ außer Betracht. Bezeichnenderweise wird der Gedankengang so fortgesetzt, dass als Gegenpol zur Willkürthese weniger die „Natur“ der Dinge als durch Zweckrationalität und Expertise begründete Kompetenzunterschiede ins Spiel gebracht werden, die sich vielmehr auf die „Natur“ der beteiligten Handlungen beziehen, worauf Heitsch (1984, 30) kritisch hingewiesen hat. Die mit der κερκίς vollziehbaren Operationen können mehr oder weniger gut vollzogen werden. Gut vollzieht sie einer, der sich aufs Weben versteht, der sie nach den Leitlinien der Webkunst (ὑφαντικῶς 388c6) durchführt. Analog
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soll für die mit dem onoma zu vollziehenden Operationen gelten, dass sie gut (nur) durch den Fachmann der Unterrichtung (διδασκαλικός 388c6) nach den einschlägigen Gesichtspunkten (διδασκαλικῶς 388c7) vollzogen werden. Die Natur der Dinge schränkt also die Handlungen des λέγειν und ὀνομάζειν nicht direkt kausal ein wie die natürliche Beschaffenheit der Einschlag- und Kettfäden das „Scheiden“ beim Weben, sondern indirekt, indem sie Adäquatheitsbedingungen festlegt für die beim Informieren und Unterrichten (διδάσκειν) zu berücksichtigenden Differenzierungen und Inhalte, wie sie sich aus den kognitiven Anforderungen der Hörer ergeben. III.2.2 Der Gesetzgeber als Namenssetzer (388c8–389a4) Für die Herstellung der Werkzeuge der einzelnen Handwerker sind wiederum eigene Fachleute zuständig, so für das Weberschiffchen der Tischler und für den Bohrer der Schmied, die jeweils ihre eigenen Kompetenzbereiche besitzen. Dasselbe soll nun auch für die Herstellung der Namen, den Werkzeugen des Unterrichtungsfachmannes, gelten. Auch für sie soll es einen zuständigen Fachmann geben. Da Hermogenes mit dieser Vorstellung nichts anfangen kann, weist Sokrates ihn darauf hin, dass des Hermogenes eigene These eine Antwort auf die Frage impliziert, wer die Namen für den didaskalikos herstellt: Da uns nach Hermogenes der νόμος die Namen zur Verfügung stellt, benutzt der Unterrichtungsfachmann, wenn er einen Namen verwendet, das Produkt eines Nomotheten, eines Nomos-Setzers. Und für diesen gilt, wie für alle anderen Produzenten auch, dass er über Expertenwissen, eine Techne, verfügen muss. Nicht jedermanns Sache ist also, so schließt Sokrates vorläufig den gegen die These des Hermogenes gerichteten Gedankengang ab, die Setzung von Namen. Es bedarf dazu eines eigenen Experten, nämlich des „Onomatourgen“. Er ist hier der Nomossetzer, eine Seltenheit, ja Singularität unter den Menschen. Hermogenes hatte bei der Erläuterung seiner Konventionalitätsthese den Unterschied zwischen „Gesetz“ (νόμος)’ auf der einen Seite und „Natur“ (φύσις) auf der anderen ganz selbstverständlich als unüberbrückbaren Gegensatz verstanden (384d6 f.). Sokrates deutet das Verhältnis dieser Begriffe dagegen (nicht kontrastiv, sondern komplementär) so, dass der νόμος – weit entfernt von einem letztlich rational nicht mehr begründbaren gewohnheitsmäßigen Brauch (ἔθος) – eine Instanz ist, welche die dem Zweck des Redens und Benennens angemessenen und in diesem Sinne naturgemäßen onomata qua Werkzeuge (ὄργανα) der Unterscheidung und Unterrichtung bereitstellt. So wird in äußerst geschickter Weise die Terminologie des Konventionalismus für die Gegenthese in Dienst genommen. Sokrates ist hier dabei, natürliche Richtigkeit aus der Gegenposition zur Richtigkeit aufgrund von Setzung selbst
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in den Bereich des Gesetztseins zu holen, indem er die Möglichkeit einer kompetenten zweckrationalen „richtigen“ Setzung vor Augen stellt, die nicht auf einem arbiträren Akt sondern auf einem Akt der Erkenntnis beruht, ebenso wie ein Akt der Gesetzgebung auf der Erkenntnis einer Instanz des Guten. Die Frage ist nun, inwiefern das organon-Modell des Sokrates tatsächlich eine plausible Gegenposition zur rechtverstandenen (d. h. nicht auf individuelle Willkür reduzierten) Konventionalitätsthese des Hermogenes darstellt. Klare Fälle von Konventionen sind – um eine moderne Rekonstruktion des Begriffs (David Lewis 1969) aufzunehmen – Lösungen von Koordinationsproblemen, die ein aufeinander abgestimmtes einheitliches Handeln eines Verbands von Personen erfordern, bei dem aber das gemeinsame Handlungsziel die Handlungsform nicht unter Ausschluss alternativer Handlungsformen festlegt. Will man z. B. Kollisionen im Straßenverkehr vermeiden, so kann man das dadurch erreichen, dass jeder Verkehrsteilnehmer bei der Begegnung mit einem anderen stets dieselbe (d. h. von der des anderen verschiedene) Straßenseite benutzt. Das gemeinsame Ziel der Kollisionsvermeidung allein legt aber nicht fest, welche Seite – die rechte oder die linke – das ist. Keine der beiden Alternativen ist aufgrund des gemeinsamen Ziels rational ausgezeichnet. Eine Konvention ist nun ein über das gemeinsame Ziel hinausreichender Grund, sich an eine der an sich gleichberechtigten Alternativen zu halten, sie beruht auf der von allen geteilten Erwartung, dass sich alle an diese Alternative halten. Wie diese gemeinsame Erwartung einmal zustande kam – etwa durch Zufall oder explizite Vereinbarung –, ist für die Aufrechterhaltung und charakteristische Selbststabilisierung der Konvention letztlich unerheblich. Eine Konvention schließt somit eine Lücke in einem ansonsten rational an einem gemeinsamen Ziel verankerten Handlungszusammenhang. Was Sokrates nun bisher gezeigt oder zusammen mit Hermogenes herausgearbeitet hat, ist, dass es für das Reden und Benennen ein gemeinsames Ziel gibt, nämlich das Unterrichten und Unterscheiden, das den Rahmen für eine Zweck-Mittel-Relation für Namen liefern könnte. Es handelt sich freilich lediglich um einen Rahmen, der immer noch eine Vielzahl alternativer Lösungen zulässt, wie die Existenz verschiedener Sprachen (vgl. 383b1) zeigt. Daher der Rückgriff auf einen nomos, der offensichtlich eine solche Lösung neben anderen repräsentieren soll. Unter den verschiedenen Begriffen, die Hermogenes bei der Erläuterung seiner Konventionalitätsthese (384d) verwendet hatte, nämlich Vereinbarung (συνθήκη), Übereinstimmung (ὁμολογία), νόμος und Gewohnheit (ἔθος), hält Sokrates offenbar das Konzept des νόμος in der Bedeutung „Gesetz“ für besonders geeignet, um den Aspekt der rationalen „Setzung“ zu betonen und gleichzeitig den rational nicht auflösbaren Rest an Arbitrarität fernzuhalten.
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Außerdem lässt sich so analog zum herstellenden Handwerker zwanglos die Vorstellung eines einzelnen Urhebers des nomos einführen, der über eine besondere Expertise verfügt, was im Falle der andern drei genannten Konventionsursprünge (Vereinbarung [συνθήκη], Übereinstimmung [ὁμολογία] und Gewohnheit [ἔθος]), weniger plausibel wäre. III.2.3 Die Herstellung des Namens und sein εἶδος (389a5–390b1) Als Produkt eines sachverständigen, nach Zweckrationalität strebenden Nomos-Setzers soll der nomos der Willkür entzogen sein. Woher stammen dann aber die Unterschiede der Sprachen? Die Antwort darauf wird mithilfe einer weiteren Analogie zum handwerklichen Produzieren gegeben (389a5–b7): Wenn ein Tischler für ein ihm bei der Herstellung zu Bruch gegangenes Weberschiffchen einen neues herstellt, ist sein Blick nicht auf das zerbrochene gerichtet, sondern auf die Form (εἶδος) oder das Modell, auf das sein Blick gerichtet war, als er das nun zerbrochene ursprünglich hergestellt hatte; es ist dasjenige, was das Weberschiffchen „selbst“ ist, oder dasjenige, was von Natur die Funktion des Weberschiffchens erfüllt, wobei sich seine Beschaffenheit, seine „Natur“ danach richtet, für welches Gewebe, sei es fein oder grob, leinen oder wollen, es gedacht ist. Und dieses von Natur aus für das jeweilige Gewebe geeignete Weberschiffchen ist dann ins Holz zu bringen. Entsprechendes gilt für die Herstellung aller Werkzeuge: Etwa im Falle eines Bohrers ist die für den jeweiligen Zweck von Natur aus geeignete Bohrerform ins Erz zu bringen. Für das Produkt des „Onomaturgen“, die Namen, soll dasselbe gelten: Der für jede Sache von Natur aus geeignete Name ist in Laute und Silben zu bringen, wobei auch hier der Blick auf das gerichtet ist, was „der Name selbst“ ist. Und genauso wenig wie das Eisen, aus dem die Schmiede ihre Bohrer machen, immer dasselbe ist, müssen die Silben, in die die Nomotheten bei uns oder bei den Barbaren die Namen setzen, dieselben sein. Wenn also ein Name in unserer Sprache von einem Namen für dieselbe Sache in einer anderen Sprache lautlich verschieden ist, so soll dieser Unterschied analog der Verschiedenheit der materiellen Zusammensetzung eines eisernen Bohrers bei uns und im Bereich der anderen Sprachverwender (der „Barbaren“ 390a2) nicht von Belang sein. Die Analogie abstrahiert davon, dass sich das sprachliche Lautmaterial, anders als der Werkstoff handwerklicher Werkzeuge, in sprachspezifische Lautsysteme untergliedert: Zwei Bohrer, gleichgültig, ob bei uns oder anderswo, bestehen im Allgemeinen aus verschiedenen Stücken desselben Materialtyps, dagegen bestehen zwei bedeutungsgleiche nomina aus verschiedenen Sprachen im Allgemeinen nicht aus verschiedenen Lautvorkommen (token) desselben
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Typs, sondern aus Vorkommen verschiedener Lauttypen. Oder wie Méridier (1931, 60,7) bemerkt: „Si les lettres et les syllabes sont les matériaux dont se forment les mots, il est clair que anthropos et homo sont faits de matériaux différents“. Dem Eisen hier und woanders entsprechen daher in der Regel nicht verschiedene Lautvorkommen desselben Typs, sondern Laute unterschiedlicher Typen. Doch diese Type-Token-Unterscheidung beeinträchtigt nicht die Unabhängigkeit der Funktion eines sprachlichen ὄργανον von seiner Materialität. Worauf es ankommt, ist, dass die durch den Zweck (τοῦ αὐτοῦ ἕνεκα ποιῶν τὸ αὐτὸ ὄργανον) bestimmte Form worin auch immer realisiert wird (vgl. ἕως ἂν τὴν αὐτὴν ἰδέαν ἀποδιδῷ 389e3). Und so betont Sokrates denn auch (vgl. 389e4 f. und 390a6 f.), dass die für ihn so wichtige Unterscheidung zwischen dem kompetenten (κύριος 389d8) und dem inkompetenten Nomos-Setzer nicht auf der einzelsprachlichen Wahl des Silbenmaterials beruht, sondern darauf, dass die passende Namensform geschaffen wird (τὸ τοῦ ὀνόματος εἶδος … τὸ προσῆκον ἑκάστῳ 390a6 f.), ob hier oder bei den Barbaren (ἐάντε ἐνθάδε ἐάντε ἐν βαρβάροις 390a2) und in welchen Silben auch immer (ἐν ὁποιαισοῦν συλλαβαῖς 390a7). Die Frage ist nun, wodurch die Position des Sokrates sich von der Willkürthese des Hermogenes eigentlich unterscheidet. Die Meinungsverschiedenheit betrifft, so scheint es, weniger die Legitimation des Lautmaterials als solchen als vielmehr die Auffassung, dass die Namenssetzung überhaupt einen kompetenten Sachverstand erfordert. Für den kompetenten Nomos-Setzer ist es nun nach Sokrates entscheidend, dass er den jeder Sache von Natur aus zukommenden Namen im Hinblick auf eben jenes setzt, „was ein Name ist“ bzw. [was es heißt „ein Name zu sein“] (βλέποντα πρός αὐτὸ ἐκεῖνο ὃ ἔστιν ὄνομα 389d6 f.31) Für die Klärung dessen, was mit dem „was es heißt, ein Name zu sein“ sowie „dem jeder Sache von Natur aus zugewachsenen Namen“ (τὸ ἐκάστῳ φύσει πεφυκὸς ὄνομα 389d4 f.) gemeint ist, ist davon auszugehen, dass es nicht einzelsprachabhängig aufzufassen ist, da die einzelsprachliche Spezifizität ja erst durch die Verkörperung in einzelsprachlichen Lauten und Silben zustande kommt, der zu verkörpernde „Name selbst“ also unabhängig davon existieren muss bzw. vom Nomotheten unabhängig von seiner Lautrealisierung „in den Blick genommen“ wird. Da die Unterscheidung von Ausdruckstyp (type) und konkretem Ausdrucksvorkommen (token) eines Namens (die, wie Philebus 18a–d zeigt, Platon im 31 Sier (1997), 288 interpretiert den Relativsatz ὂ ἔστι Χ „in αὐτὸ ἐκεῖνο ὃ ἔστιν X“ Kahn (1981), 80 f. folgend entweder als Existenzaussage („das X, das [wirklich] ist, existiert“) oder so, dass er das Relativpronomen als Prädikat („das, was das X ist [worin das X besteht]“ oder als Subjekt („das was [wirklich / nichts anderes als] X ist“ auffasst.
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Prinzip nicht fremd ist, vgl. D. Frede [1997, 148 f.]) sich ebenfalls auf die einzelsprachliche Ebene bezieht, kann der „Name selbst“ sich auch nicht auf den Ausdruckstyp beziehen, obwohl die klassische Eins über Vielen-Beziehung (aristotelisch: ἓν ἐπὶ πολλῶν), in der die Idee zu ihren Instanzen steht, unter anderem auch durch das Verhältnis von type zu token exemplifiziert wird. Bezieht sich aber der „Name selbst“ bzw. „was ein Name ist“ nicht auf die Ausdrucksebene, sondern auf die Inhaltsebene und würde man voraussetzen, dass ὀνόματα außer ihrer Lautdimension als einzige semantische Funktion im Sinne einer „Etikettensemantik“ lediglich die des Stehens für etwas, nämlich für den Referenten, haben, so müsste die Frage nach dem „was es heißt, ein Name zu sein“ in ein Dilemma führen: Wenn das sprachspezifische Lautmaterial, die „Brocken unserer Stimme“ (383a7), mit der natürlichen Richtigkeit der Namen nichts tun haben (wie Hermogenes ja schon zu Beginn den Standpunkt des Kratylos charakterisiert hat,) und wenn es als einziges semantisches Korrelat der Namen nur ihre Bezugsobjekte, ihre Referenten gibt, so bleibt allein die Identifikation von „was ein Name ist“ mit den Referenten übrig, d. h. der „Name selbst“ würde entweder überhaupt nichts oder sich selbst bezeichnen (ähnlich der absurden Konsequenz, die der eleatische Fremdling im Sophistes [244d5–9] aus der Annahme zieht, dass das parmenideische ἕν mit seinem ὄνομα identisch ist). Dass der „Name selbst“ qua Idee des Namens nichts bezeichnet, also selbst kein Name ist, wäre sicher noch kein Anzeichen einer Absurdität, sondern gegebenenfalls sogar eine willkommene Abweichung von der ohnehin als problematisch angesehenen Selbstprädikation oder Selbstinstanziierung der Idee. Der begriffliche Zusammenfall von Namen und Referenten (bzw. von Werkzeug und dem mit dem Werkzeug zu behandelnden Gegenstand) käme jedoch einer Beseitigung der Voraussetzung von Referenzialität gleich. Eine Möglichkeit, dieser absurden Konsequenz zu entgehen, besteht darin, hier wie oben (S. 86) eine Begriffsbildung heranzuziehen, die dem nahekommt, was Frege unter dem Sinn eines Namens verstand, also die Art des Gegebenseins des von dem Namen bezeichneten Gegenstandes. Denn mit dem so verstandenen Sinn als Explikation, wenn nicht von dem „was der Name selbst ist“, so doch immerhin von „dem jeder Sache von Natur aus zugewachsenen Namen“ (τὸ ἐκάστῳ φύσει πεφυκὸς ὄνομα 389d4 f.) lässt sich immerhin die von Sokrates dem Namen zugewiesene Funktion des Unterscheidens (διακρίνειν) und Unterrichtens (διδάσκειν im doppelten Sinn des Informierens und Belehrens) verbinden: Durch die Art des Gegebenseins für referentielle Zwecke lassen sich Gegenstände sowohl unterscheiden als auch ineins damit charakterisieren. (Zur Problematik dieser Rekonstruktion siehe S. 138–140) Das eigentliche Problem ist hierbei der Status dessen, „was der Name selbst ist“. Im Falle der κερκίς, nach deren Analogie, wie oben angedeutet, der „Name
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selbst“ behandelt wird, wird Folgendes hervorgehoben (wobei vorausgesetzt wird, dass ein Tischler eine κερκίς herzustellen versucht, die ihm beim ersten Herstellungsversuch zu Bruch ging): Die κερκίς, auf die der Hersteller blickte, als er das erste Exemplar einer κερκίς herstellte, ist eine solche, die von Natur aus für das κερκίζειν geeignet ist. Bei der Herstellung der Ersatz-κερκίς für die zu Bruch gegangene ist sein „Blick“ nicht auf die zerbrochene, sondern erneut auf die Vorbild-κερκίς des ersten Exemplars gerichtet, sie ist das, was man mit größtem Recht (δικαιότατ’ ἄν 389b5) dasjenige nennen kann, was die κερκίς selbst ist. Es ist offenkundig, dass der immaterielle bzw. materialunabhängige Charakter der Vorbild-κερκίς hervorgehoben werden soll und insbesondere, dass der Herstellungsprozess selbst nicht als gewohnheitsmäßiges Befolgen einer lediglich reproduktiven Routine aufzufassen ist (das entspräche dem Kopieren der zerbrochenen κερκίς), sondern am Leitfaden der Erkenntnis dessen er folgen muss, worauf als das „Wesen“ der κερκίς „geblickt“ wurde. Man wird daher wohl davon ausgehen können, dass diese Vorbild-κερκίς selbst ihrerseits nicht hergestellt worden ist. Schließlich wird von den Spezialisierungen der κερκίς für verschiedene Gewebearten (fein, grob) und Materialien (Leinen, Wolle), die alle die Gestalt der κερκίς haben sollen, gesagt, dass ihre für den jeweiligen Zweck geeignete (insofern naturgemäße) Beschaffenheit (φύσις) in das Werkstück zu bringen sei. Die Frage ist, ob für diese speziellen κερκίς-Formen ebenfalls gilt, dass sie qua Vorbilder der konkreten Herstellungsprozesse nicht selbst Produkte einer Herstellung sind. Nimmt man das an, so stellt sich die weitere Frage, ob man für die sich hier abzeichnende eidetische Ontologie mit so etwas wie einer taxonomischen bzw. dihairetischen Ideenstruktur rechnen kann, wie sie spätestens ab dem Phaidros (265d–266b) vorauszusetzen ist und eigentlich auch (schon) aus den Fragestellungen des jungen Sokrates im Parmenides (129d6–130a2) nahegelegt wird und für die kennzeichnend ist, dass die Zerlegung (διαίρεσις) der Gattungsidee (hier der κερκίς im Allgemeinen) in Art-Ideen (hier der speziellen κερκίς-Formen) mit der Einheit der Gattungsidee (ihrem μονοειδέςSein) verträglich ist.32 Um das zu entscheiden, ist der Text nicht eindeutig genug. Letztlich wohl auch nicht für die Beantwortung der vorgängig zu klärenden Frage, ob für die 32 B. Calvert (1970), 26–34 nimmt an, dass der Kratylos lediglich auf dem Wege zu einer derartigen Position ist. Nach ihm unterscheidet Platon etwa ein transzendentes εἶδος einer κερκίς (αὐτὸ ὅ ἔστιν κερκίς) von speziellen κερκίς-Formen für besondere Zwecke („proper Form“), die die φύσις der κερκίς immanent „haben“ oder verkörpern – τὸ προσῆκον εἶδος κερκίδος. Davon zu unterscheiden sind die konkreten κερκίς-Instanzen. Vgl. dazu auch die Diskussion in Luce (1965), 25–6.
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hier vorliegende Ideenkonzeption der Status von gegenüber ihren Instanzen selbständigen Entitäten anzusetzen ist, deren „Selbst-sein“ (vgl. αὐτὸ ὃ ἔστιν κερκίς 389b5; αὐτὸ ἐκεῖνο ὃ ἔστιν ὄνομα 389d7) sie als wirklich seiend über das defiziente Sein ihrer Instanzen im Sinne von Politeia und Phaidon hinaushebt. Zwar spricht die Art, wie die „Sicht“ des Handwerkers auf die κερκίς „selbst“ dem Herstellungsprozess vorausgehen soll und ihn leitet, sicherlich dafür, dass diese Form, da sie vor ihrer Verkörperung betrachtet werden kann, auch unabhängig von ihrer Verkörperung existiert und über ihren Instanzen steht, die qua zerbrechliche defizient sind. Insofern dürfte, wie Ross (1951, 19) betont, diese Stelle mehr als andere der von ihm selbst vor dem Phaidon angesetzten Dialoge die Transzendenz der Ideen nahelegen.33 Andererseits ist ihm auch zuzustimmen, wenn er eine ontologisch weniger aufgeladene Deutung nicht ausschließen will. Was allgemein zur Vorsicht gegenüber einer interpretatorischen Festlegung zugunsten eines „schon“ oder doch „noch nicht“ mahnt, ist Platons offensichtliches Bestreben, bei der Entfaltung einer philosophischen Konzeption nur so weit zu gehen, wie es der jeweilige Problemzusammenhang erfordert. Hier kommt es offenbar darauf an, die Eigenschaften eines Werkzeugs, die seine erfolgreiche Anwendung bestimmen, in einem Sach- (πράγματα 386e1) und Handlungszusammenhang (πράξεις 386e7) zu verankern, der der relativistischen Beliebigkeit entzogen ist. Das wird dadurch zu erreichen versucht, dass die Funktion des Werkzeugs, wie er sich an den charakteristischen mit ihm vollziehbaren Operationen ablesen lässt, zu einer vormateriellen Form oder εἶδος verdichtet und „objektiviert“ wird, die seine Herstellung als Modell leitet. Sokrates geht dabei verbal soweit, dass er dem Vorbild-εἶδος – hier der κερκίς – das Vermögen zuspricht, die Werkzeugoperationen aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit selbst zu vollziehen (der Tischler blickt beim Herstellen der κερκίς auf etwas, das von Natur aus geeignet ist zu weben: ποῖ βλέπων ὁ τέκτων τὴν κερκίδα ποιεῖ; ἆρ’ οὐ πρὸς τοιοῦτόν τι ὃ ἐπεφύκει κερκίζειν; 389a6 f.). Es ist sicher abwegig, Sokrates hier im Sinne einer extremen Form von Selbstinstanziierung oder Selbstprädikation die Annahme zu unterstellen, es sei möglich, mit dem εἶδος der κερκίς zu weben, oder gar, die κερκίς könne selbst weben. Gemeint ist wohl, dass das εἶδος der κερκίς (bzw. der jeweiligen
33 Das „Blicken“ ἀποβλέπειν auf ein eidetisches Muster kommt freilich in einigen dieser Dialoge (Euthph. 6e6, Men. 72c8, Hp.Ma. 299e2) ebenfalls vor. Die selbstverständliche Verfügbarkeit der Formel αὐτὸ ὃ ἔστιν κερκίς im Kratylos, ohne dass wie im Phaidon (75d, 92de) eigens darauf hingewiesen wird, spricht jedoch, wie Ademollo (2011), 127 mit Recht betont, dafür, dass die Position des Phaidon eigentlich vorausgesetzt wird.
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κερκίς-Spezies) restfrei die κερκίς-Eigenschaften seiner Instanzen determiniert, also im Sinne des Phaidon (z. B. 100d7) dasjenige ist, „wodurch“ sie κερκίς sind. Da das, wodurch sich diese konkreten Instanzen ihrerseits voneinander unterscheiden, keine κερκίς-Eigenschaften sind, kann keine der vielen Instanzen mit der κερκίς selbst, also dem, was nichts ist außer κερκίς und daher das „Siegel“ ὃ ἔστιν (Phaidon 75b) trägt, identisch sein. Als αὐτὸ ὃ ἔστιν κερκίς kann das εἶδος der κερκίς auch nicht in einer Pluralität vorliegen, da etwa zwei solche sich nur durch Nicht-κερκίς-Eigenschaften unterscheiden könnten, was ihrem αὐτὸ ὃ ἔστιν-Status widersprechen würde, d. h. eidetische Identität impliziert numerische Identität (vgl. Rep. 597c). Der Fähigkeit des κερκίς-Herstellers, auf das εἶδος der κερκίς zu schauen, soll die Fähigkeit des Onomatotheten entsprechen, das εἶδος des ὄνομα als αὐτὸ ἐκεῖνο ὃ ἔστιν ὄνομα (389d6 f.) in den Blick zu nehmen. Dies soll ihn dann befähigen, alle Namen herzustellen und zu setzen, wobei er für jedes Ding das passende (προσῆκον 389a7) Namens-εἶδος, den dem Ding von Natur aus zukommenden Namen (τὸ ἐκάστῳ φύσει πεφυκός ὄνομα 389d4) in das phonetische Material bringen soll. Für den Begriff des νόμος lässt sich aus der Gegenüberstellung von Erfassung des εἶδος und Verkörperung im Lautmaterial eine wichtige Aspektunterscheidung entnehmen: Der εἶδος-bezogene Teil des νόμος ist sprachuniversell, der lautbezogene Teil dagegen ist als sprachspezifisch der eigentlich „setzende“ Aspekt. Worin besteht nun die besondere Kompetenz des Nomotheten, über die nicht jedermann verfügt (388e4–389a3)? Offenbar bedarf es einer besonderen kognitiven Anstrengung, um die passenden Namens-εἴδη in den Blick zu bekommen. Nimmt man wie oben an, dass die Namens-εἴδη Sinn-Charakter im Sinne von Frege haben, legt sich folgende Überlegung nahe: Der Bereich des Benennbaren (das Reich der möglichen Denotate) steht nicht einfach – gleichsam wie die Sklaven bei der Namensvergabe des Hermogenes (vgl. 384d5) – unmittelbar für die Zuweisung der Namen bereit, vielmehr muss, so kann man schließen, eine passende Einteilung möglicher Sinngehalte für Zwecke der Benennung erst gefunden werden. Was die Kriterien einer solchen Einteilung betrifft, so wird man bis jetzt lediglich sagen können, dass es darum geht, die Operationen der Namenswerkzeuge, also das Unterscheiden (διακρίνειν) der Dinge nach dem, was sie sind – ihrer οὐσία –, sowie das Informieren und Belehren (διδάσκειν), zu ermöglichen, geleitet durch die Beantwortung der sokratischen τί ἐστιν-Frage. Spekulativ könnte man annehmen, dass mit den beiden Funktionen zwei Verwendungsmöglichkeiten von Namen nahegelegt werden: das Referieren und das Prädizieren. Eine Unterscheidung von zwei Klassen von nomina (etwa „propria“ und „communia“ oder Individuen- und Prädikatkonstanten) ist damit aber sicher nicht verbunden.
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Unter Verwendung moderner Unterscheidungen könnte man sagen, dass ein und dasselbe onoma aufgrund seines deskriptiven Gehalts, wenn dieser auf einen Gegenstand als zutreffend vorausgesetzt („präsupponiert“) wird, zur referierenden Bezugnahme, und wenn das Zutreffen des Gehalts erst behauptet wird, zur charakterisierenden Prädikation verwendbar ist. Vielleicht fügt sich aber auch eine andere (weniger anachronistische) von Kretzmann (1971, 128) vorgeschlagene Deutung besser in die sich gleich anschließende Einführung des Dialektikers ein: Mit διακρίνειν könnte die Verwendung der Namen zur Durchführung diahäretischer Taxonomien gemeint sein, wie sie im Phaidros (265c8–266c5) beiläufig eingeführt, im Sophistes, Politikos praktiziert und im Philebus (16cff.) prinzipiell untermauert und hymnisch gepriesen wird. III.2.4 Der Gesetzgeber und der Dialektiker (390b1–e5) Auf die Frage des Sokrates, wer erkennt, ob beim Herstellungsprozess das passende εἶδος der κερκίς in das Material gebracht wurde, der Tischler, der sie hergestellt hat, oder der Weber, der sie benutzen wird, antwortet Hermogenes: eher derjenige, der sie benutzen wird. Dasselbe gilt für die Beurteilung des Lyra-Herstellers; auch hier ist der Benutzer, der Kitharaspieler, derjenige, der am besten den Herstellungsprozess überwachen und die Qualität des Produkts, der Lyra, beurteilen kann. Auch beim Werk des Schiffsbauers ist der Benutzer, der Steuermann, der kompetente Beurteiler. In allen diesen Fällen steht also der Benutzer in der Beurteilungskompetenz über dem Hersteller. Wie Sier (2014, 333) herausgearbeitet hat, ist diese Unterscheidung der Beurteiler einer Kunst oder Disziplin von ihren Herstellern ein an verschiedenen Stellen bei Platon wiederkehrender systematischer Gesichtspunkt. So sagt Thamus im Phaidros (274e7–9) zu dem erfindungsreichen Theut: „einer hat die Fähigkeit, die Dinge der Kunst hervorzubringen, ein anderer aber kann beurteilen, in welchem Maße sie Nutzen und Schaden bringen für die, die sie gebrauchen sollen“ (Übersetzung von Sier [a.a.O]). Im Politikos (304b–c) ist es das Herrschaftswissen des dialektisch gebildeten Staatsmanns, dem die Aufsicht über die verschiedenen technai zukommt und der darüber entscheidet, ob sie in die Polis Aufnahme finden und ihre Erzeugnisse zum Gebrauch freigegeben werden sollen oder nicht. In Politeia (601c–602a) wird im Kontext der Kritik an den mimetischen Künsten des schönen Scheins das Wissen des Benutzers um den Gebrauch (χρεία 601d5) eines Gerätes der authentisch herstellenden Künste über die technische Fertigkeit des Herstellers (ποιητής d9) gestellt. Wie Sier bezogen auf den Kratylos (390b–d) feststellt, sollen jedoch im Falle der Namen nicht alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft qua Benutzer der
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Namen den Herstellungsprozess durch den Nomotheten überwachen und das Produkt, die Namen, beurteilen, vielmehr schlägt Sokrates als kompetenten Benutzer und Beurteiler denjenigen vor, der zu fragen und zu antworten versteht. Auffällig ist, dass dieser „Benutzer“ im Unterschied zu den beiden vorherigen (Kitharaspieler, Steuermann) nicht von Hermogenes erfragt wird. Zwar wurde auch der Weber nicht erfragt, doch wurde dieser (390b3) als Apposition eingeführt, als es darum ging, die Vorstellung des Benutzers als Beurteilungskonkurrenten zum Hersteller zu erläutern. Dass der Weber der Benutzer der κερκίς ist, dürfte dabei eher selbstverständlich sein. Dass jedoch derjenige, der zu fragen und zu antworten versteht, der gesuchte Benutzer der Namen ist, ist zwar einleuchtend, doch sicher nicht so naheliegend, wie es etwa der Hinweis auf jeden beliebigen Sprecher wäre (vgl. 387c7: ὀνομάζοντες γὰρ λέγουσι τοὺς λόγους „man spricht, indem man benennt“). Es ist klar, dass für die Fortsetzung der Reihe der Paare Schreiner-Weber, Lyrabauer-Kitharaspieler, Schiffsbauer-Steuermann auch im Falle des Nomotheten ein „Benutzer“ benötigt wird, für den es plausibel ist, dass seine Beurteilungskompetenz über der des Herstellers liegt. Da die schlichte Fähigkeit, Fragen und Antworten als kommunikative Elementarhandlungen vollziehen zu können, für einen gegenüber dem einzigartigen (σπανιώτατος 389a2) Nomotheten erhöhten Rang nicht ohne Weiteres ausreicht, steht wohl „Fragen und Antworten“ prägnant für relevantes Fragen und Antworten, und dem wird auch sofort (390c10 f.) dadurch Rechnung getragen, dass Sokrates dem Frage- und Antwortkundigen einen eigenen Expertenstatus zuweist, indem er ihn als Dialektiker klassifiziert. Zwar ist damit zunächst auch nur der „Unterredungskundige“ apostrophiert, aber aus dem Munde von Sokrates, des Dialektikers par excellence, wird das durch die Einbettung des Ganzen in einen sokratischen Dialog gleichsam performativ zu einer Rangerhöhung. Leider ist man für das Verhältnis des hier angesprochenen διαλεκτικός zur Dialektik der mittleren Bücher der Politeia oder zum διαλεκτικός der späteren Dialoge (etwa Phaidros vgl. 266c1, Sophistes 253e und Philebus 17a3) auf indirekte Hinweise angewiesen. Nimmt man an, dass der Euthydem zeitlich nicht allzu weit vom Kratylos entfernt ist, so ist immerhin bemerkenswert, dass dort der Dialektiker in einem angeblich von einem jungen Novizen (Kleinias) scheinbar beiläufig geäußerten Gedanken (290c1–6), der aber in Wirklichkeit dem Sokrates zuzurechnen ist (vgl. 290e), eine Spitzenstellung in einer vorausgesetzten Hierarchie von Disziplinen und ihrer Bewertung erhält: Geometer, Astronomen und Arithmetikexperten sollen die von ihnen „erjagten“ Ergebnisse und Funde den „Dialektikern“ übergeben, da ihnen selbst das Wissen über deren rechten Gebrauch abgehe. Der Anklang an die berühmte Politeia-Stelle, wo der Dialektik der Rang
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eines Schlusssteins (θρίγκος 534e2) im wissenschaftlichen Bildungskanon der künftigen Herrscher zugewiesen wird, sowie an die kritische Einordnung der mathematischen Wissenschaften unmittelbar nach dem Liniengleichnis (510cff.) ist unübersehbar. Man wird daher nicht zu weit gehen, wenn man der Dialektik auch im Kratylos den Rang einer Spitzendisziplin einräumt und die zunächst unscheinbar anmutende Fähigkeit zu fragen und zu antworten mit den hohen Ansprüchen verbindet, die in der Politeia für eben diese Fähigkeit erhoben werden (534d8–10). Unabhängig davon hat Sedley (2003, 62) sicherlich recht, wenn er zwischen dem dialektischen Fragen und dem Unterrichtungsexperten, also dem eigentlichen Namensbenutzer, der den Namen als Werkzeug der Unterrichtung (ὄργανον διδασκαλικόν) verwendet, den im Menon dargestellten Zusammenhang herstellt, wonach das wirkliche Lehren darin besteht, durch kompetentes Fragen das verborgene Wissen des Lernenden freizulegen. Für die Frage, was der Dialektiker bei seiner Überwachung der Namenssetzungen des Nomotheten eigentlich macht, um dazu beizutragen, dass die Namen „schön gesetzt werden“ (καλῶς θήσεσθαι 390d6), ist damit freilich wenig geklärt, allenfalls vielleicht, dass es sich um etwas handeln dürfte, das von prinzipiellem Charakter sein muss. Eine in diese Richtung gehende Erwartung wird, wie sich gegen Ende des Dialogs zeigen wird, im Kratylos selbst teilweise erfüllt werden, wenn die Ontologie des Reichs der Namensdenotate der nun zu durchmusternden Namen kritisch betrachtet werden wird.
Vorläufiges Fazit (390e6–391b2) Für Sokrates ist nunmehr gezeigt, dass die Namenssetzung (ἡ τοῦ ὀνόματος θέσις 390d10) eine besondere Kompetenz erfordert, sie ist nicht eine Sache der individuellen Beliebigkeit und Willkür (οὐδέ φαύλων ἀνδρῶν οὐδέ τῶν ἐπιτυχόντων 390d10 f.). Namen sind zwar gesetzt, aber Kratylos hat recht, wenn er behauptet, dass die Namen den Dingen aufgrund von Natur zukommen (φύσει τὰ ὀνόματα εἶναι τοῖς πράγμασι e1), m.a.W. für ihre Setzung gibt es natürliche Beschränkungen. Und nur der ist ein (kompetenter) Hersteller von Namen (δημιουργὸς ὀνομάτων e2), der im Blick auf die jedem von Natur zukommenden Namen (ἀποβλέποντα εἰς τὸ τῇ φύσει ὄνομα ὂν ἑκάστῳ e3) in der Lage ist, die Form desselben in Buchstaben und Silben zu setzen (δυνάμενον αὐτοῦ τὸ εἶδος τιθέναι εἴς τε τὰ γράμματα καὶ τὰς συλλαβάς e3–5). Für Hermogenes ist die Sache zu schnell gegangen, um wirklich überzeugt zu sein (οὐ ῥάδιόν ἐστιν οὕτως ἐξαίφνης πεισθῆναι 391a1 f.). Das würde er eher sein, wenn Sokrates ihm zeigte, worin seiner Meinung nach die natür-
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liche Richtigkeit eines Namens bestehe (ἥντινα φήις εἶναι τὴν φύσει ὀρθότητα ὀνόματος 391a3). Natürlich bestreitet Sokrates, das dafür erforderliche Wissen zu haben, und erinnert daran, dass sie sich in einer gleichberechtigten kooperativen Suche befinden und immerhin den eben als Fazit formulierten Stand als gemeinsame Ansicht erreicht haben, nämlich dass es eine natürliche Namensrichtigkeit gibt und nicht jeder Beliebige die Kompetenz habe, für eine Sache den korrekten Namen in angemessener Weise (καλῶς 391b1) zu setzen. Auch für Sokrates ist freilich klar, dass die Frage des Hermogenes nach einer Konkretisierung der natürlichen Namensrichtigkeit berechtigt ist und geklärt werden muss (χρὴ ζητεῖν … ἥτις ποτ’ αὖ ἐστιν αὐτοῦ ἡ ὀρθότης b4 f.). Beide Gesprächspartner stimmen also darin überein, dass das Problem der Namensrichtigkeit bisher nur auf einer abstrakten Ebene erörtert wurde und der Konkretisierung bedarf.
Rückblick Um das, was nun folgt, besser einzuordnen, ist es angebracht, rückblickend die Hauptlinien der bisherigen Argumentation zugunsten der natürlichen Richtigkeit der Namen zu skizzieren. Was den Ausgangspunkt für die antinaturalistische Position des Hermogenes angeht, nämlich die Beobachtung der willkürlichen Praxis der Namensvergabe an die Sklaven durch den jeweiligen Herrn (384d5), so wird am empirischen Gehalt dieser Beobachtung jedenfalls von Sokrates nicht gezweifelt. Es ist die Brauchbarkeit dieser Praxis als verallgemeinerbares Modell für jegliche Art von Prägung und Verwendung von ὀνόματα (verstanden als Inhaltswörter), die zur Debatte steht. Die von Sokrates eingeführte und von Hermogenes keineswegs als fatal angesehene, sondern durchaus akzeptierte idiolektale Vertauschbarkeit der Bedeutung beliebiger ὀνόματα (etwa „Mensch“ und „Pferd“) steht im Hintergrund der Frage nach der Möglichkeit wahrer und falscher Namen. Denn man mag ja einwenden: Wie können Namen wahr oder falsch von etwas sein und gleichzeitig auf willkürlicher Setzung beruhen, wo doch Wahrheit und Falschheit davon abhängt, wie die Dinge sind, und nicht von unserer Setzung. Für Hermogenes scheint dieses Argument kein Problem darzustellen, und auch vonseiten des Sokrates fehlt jeder explizite Hinweis, weshalb es ein Problem sein sollte. Und wie der letzte Teil des Dialogs zeigt, ist sachlich ein Gegensatz zwischen Konventionalität und Wahrheitsfähigkeit ja auch nicht feststellbar. Wie oben (S. 105 f.) ausgeführt, lässt sich dieser Befund erklären, wenn man entweder (i) mit Ademollo annimmt, dass sich das Wahr-Falsch-Argument überhaupt nicht gegen die Position des Hermogenes richtet, sondern nur ab-
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klären soll, dass Hermogenes der sophistischen Leugnung der Möglichkeit von falschen Aussagen nicht folgt, oder aber (ii), dass es zwar als Argument gegen Hermogenes intendiert ist, allerdings gegen eine Humpty-Dumpty-Version seiner These, also einer Art Pseudo-Konvention, bei der jede Namensverwendung gleichzeitig eine Namensprägung und somit automatisch wahr wäre, sodass Einsetzung und Befolgung einer Regel nicht unterscheidbar wären, dass aber Hermogenes selbst durch die Unterscheidung (385e4 f.) von θέσθαι und καλεῖν bei der Wiederholung seiner These dies implizit als Fehldeutung ausschließt. In jedem Fall kommt man hier nicht ohne etwas weit hergeholte Zusatzannahmen aus, was die Skepsis der Oxford-Ausgabe gegen die Platzierung von 385b2–d1 verständlich macht. Die Widerlegung des protagoreischen Relativismus bereitet den Boden für den Nachweis, dass es für das sprachliche Handeln – Reden und Benennen – wie für jede Handlung objektive Richtigkeitskriterien gibt, deren Einhaltung über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Auf der Suche nach Kriterien für natürliche Richtigkeit der Namen wird gleichsam ein allgemeiner Kasusrahmen für Handlungen aufgespannt, in dem die Rollen Agens, Patiens und Instrument unterschieden werden. Im Falle der Beispiele Schneiden und Brennen wird unmittelbar klar, dass die natürliche Beschaffenheit der betroffenen Objekte, die von den Handlungen affiziert werden, den Handlungsspielraum und damit die Bedingungen für den Erfolg der Agensrolle festlegen. Eine analoge Einschränkung für das Reden und Benennen (387d4 ᾗ πέφυκε τὰ πράγματα ὀνομάζειν [λέγειν c2] τε καὶ ὀνομάζεσθαι [λέγεσθαι c2] καὶ ᾧ) wird zwar behauptet, bedarf aber einer näheren Begründung, da die Gegenstände des Redens und Nennens offensichtlich nicht die Rollen von affizierten Objekten erfüllen. Zu diesem Zweck wird die Rolle des Instruments ins Spiel gebracht und am Beispiel der κερκίς genauer erläutert. Dieser Schritt erweist sich als außerordentlich fruchtbar. Denn die Frage, was man beim κερκίζειν, dem Hantieren mit der κερκίς, macht, führt unmittelbar zu der Vorstellung des Trennens und Scheidens, διακρίνειν, von Einschlag- und Kettfäden, und das legt in freilich entfernter Analogie als Handlungsziel bei der Namensvergabe, dem ὀνομάζειν, das Unterscheiden, διακρίνειν, der benannten Dinge nahe. Als Bestimmung des ὄνομα ergibt sich: Es ist ein Werkzeug der gegenseitigen Unterrichtung und der Unterscheidung dessen, was die Dinge sind, διδασκαλικόν τί ἐστιν ὄργανον καὶ διακριτικὸν τῆς οὐσίας (388b13 f.). Für diese Aufgabe müssen die Namen also geeignet sein, und die Kriterien für ihre Richtigkeit müssen sich aus der Erfüllung dieser Aufgabe ergeben. Aber anders als etwa im Falle des κερκίζειν, wo die natürliche Beschaffenheit der Einschlagund Kettfäden das Scheiden kausal bestimmt, ist der Einfluss der Natur der Dinge auf das mit dem ὀνομάζειν sich vollziehende Unterscheiden allenfalls
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indirekt. Die Betonung der Gegenseitigkeit bei der Unterrichtung (διδάσκομεν τι ἀλλήλους 388b10) macht klar, dass es darum geht, für die beim Informieren und Unterrichten (διδάσκειν) zu berücksichtigenden Differenzierungen und Inhalte Adäquatheitsbedingungen zu erfüllen, wie sie sich aus den kognitiven Erfordernissen der Hörer ergeben. Da die Namen keine natürlichen Werkzeuge sind wie etwa die Körperteile, liegt die Annahme nahe, dass sie Produkte einer τέχνη sind. Sollte ihnen also so etwas wie eine natürliche Richtigkeit zukommen, so nicht etwa deshalb, weil sie naturhaft gewachsen und nicht gemacht oder „gesetzt“ sind. Der Gegensatz zu Natur ist hier nicht Setzung oder Artefakt-Status, sondern Willkür und Beliebigkeit (vgl. ᾗ ἂν ἡμεῖς βουληθῶμεν 387d5), also das Fehlen von Gründen oder die Abwesenheit von Rationalität. Für den damit eingeführten Namenshersteller oder νομοθέτης gilt dann dasselbe wie für jeden Hersteller, er schafft nicht aus dem Nichts, sondern richtet sich nach einem Paradigma, das er seinerseits nicht hergestellt hat: Es gibt also so etwas wie die Idee des Namens – αὐτὸ ἐκεῖνο ὃ ἕστιν ὄνομα 389d6 f., und nicht nur das: Es gibt für jeden Einzelnamen ein Namenseidos (τὸ ἑκάστῳ φύσει πεφυκὸς ὄνομα 389d4). Dass es für die Richtigkeit der Namen eine natürliche Grundlage gibt, wird somit nicht im Sinne einer petitio principii angenommen, vielmehr ergibt sich das aus der Zweckrationalität ihrer Herstellung. Die Frage ist nun, ob die Idee des Namens und das einzelne Namenseidos irgendeinen Bezug zur lautlichen Ausdrucksebene hat. Dagegen spricht die Verschiedenheit der Sprachen und die Betonung der Unabhängigkeit des Namenseidos vom sprachspezifischen Lautmaterial durch Sokrates (390a7). Um dennoch auch für das Namenseidos die Unterscheidung von Name und Referent zu bewahren, liegt es nahe, das Namenseidos mithilfe einer Adaptation des Frege’schen Sinn-Konzeptes als Art des Gegebenseins des vom Namen Bezeichneten zu fassen oder sogar mit diesem Sinnkonzept selbst zu identifizieren. Auf diese Weise hätte man immerhin erreicht, dass das Namenseidos die wesentlichen Hinsichten repräsentiert, unter denen der Referent des Namens sich von allen anderen Seienden unterscheidet, und hätte somit ansatzweise geklärt, wie der Name aufgrund seines Namenseidos – also ganz im Sinne der Ideenkonzeption des Phaidon von der Idee als Ursache (vgl. 100d7 τῷ καλῷ πάντα τὰ καλὰ καλά) – seine Funktion als Werkzeug der Unterscheidung (ὄργανον διακριτικὸν τῆς οὐσίας) erfüllen kann. Gleichzeitig wäre verständlich gemacht, warum der Dialektiker als der kompetente Beurteiler der Wesensbestimmungen (λόγος τῆς οὐσίας), auf die die Namens-Eide letztlich zielen, der berufene Namenskritiker ist. Ein Problem ist dann freilich, in welcher Beziehung dieses so als Sinn gefasste Namenseidos zum Eidos des jeweiligen Objektes selbst steht, um dessen
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Namenseidos es sich handelt. Nach Frege ist der Sinn eines Zeichens im Unterschied zur Vorstellung etwas Objektives, etwas, das „gemeinsames Eigentum von vielen sein kann und also nicht Teil oder Modus der Einzelseele ist“ (1892, 29 [Patzig, 42]). Im Parmenides (132b3–c10) wird es analog für die Idee abgelehnt, sie als Gedachtes – νόημα – zu fassen, das nirgendwo sonst als in den Seelen seinen eigentlichen Ort habe, da ein νόημα ohne objektiven Bezug (οὐχ ἑνός τινος 132c3) unvereinbar sei mit der Idee als etwas, das als ein und dasselbe über all seinen Instanzen stehe (ἀεὶ ὂν τὸ αὐτὸ ἐπὶ πᾶσιν 132c5 f.). Insofern scheint der Status des Frege’schen Sinns mit dem Status der Idee als selbständiges Seiendes nicht von vornherein unvereinbar zu sein. Die Explikation des Namenseidos als Sinn dürfte also zunächst nicht unplausibel sein. Zugleich aber ist sie höchst problematisch, da nicht klar ist, wie sich dann Ding- bzw. Referenteneidos vom zugehörigen Namenseidos unterscheiden soll, jedenfalls dann, wenn in beiden Fällen der Wasgehalt der Namensträger, wenn auch aus verschiedener Perspektive, erfasst werden soll. Dass es aber einen Unterschied geben muss, ergibt sich allein schon daraus, dass die Instanzen des Namenseidos und diejenigen des Referenteneidos auf völlig verschiedenen Ebenen liegen. Instanzen des εἶδος des ὄνομα „κερκίς“ sind Bezeichnungen für die Weberlade in unterschiedlichen natürlichen Sprachen, Instanzen des Eidos von κερκίς dagegen sind konkrete Weberladen. Eine schlichte Identifikation von Referenteneidos und Namenseidos scheidet also aus. Die von Sokrates betonte Unabhängigkeit des Namenseidos von der lautlichen Realisierung (ἕως ἂν τὸ τοῦ ὀνόματος εἶδος ἀποδιδῷ τὸ προσῆκον ἐν ὁποιαισοῦν συλλαβαῖς 390a6–8 solange er, [d. h. der Nomothet,] die passende Namensform in die Silben, in welche auch immer, gibt) muss darüber hinaus nicht so verstanden werden, dass dem Namenseidos auch die Eigenschaft abgesprochen wird, Träger des Sinns zu sein (also Sinn „zu haben“), mit der Konsequenz der Ununterscheidbarkeit von Sinn und Namenseidos. Geht man vom Doppelcharakter der Namens-Idee als einerseits παράδειγμα wie andererseits (qua αὐτό ὃ ἔστιν ὄνομα) als τί ἦν εἶναι des Namens aus, so spricht gegen diese Ununterscheidbarkeit, dass sie zugleich Struktur hat wie Struktur ist. Als παράδειγμα ist sie das, worauf sich der Blick (πρὸς ὃ βλέπων) beim Erkennen und Prägen richtet, als αὐτό ὃ ἔστιν ὄνομα ist sie das, was es heißt, ein Name zu sein, aristotelisch τὸ τί ἦν (ὄνομα) εἶναι. Jedes einzelne Namenseidos (τὸ ἑκάστῳ φύσει πεφυκὸς ὄνομα 389d4) ist als Spezifikation des übergeordneten Eidos des Namens selbst (αὐτό ἐκεῖνο ὃ ἔστιν ὄνομα 389d6) aufzufassen, ebenso wie die Idee der κερκίς den speziellen κερκίς-Modellen übergeordnet ist (389b8 f.). Für das Wort ὄνομα liefert nun aber – um vorzugreifen – der Etymologienteil eine Bedeutungsanalyse, derzufolge ὄνομα auf das Seiende – ὄν – als das von ihm gemäß seiner Art des Gegebenseins „Gesuchte“ (οὗ τυγχάνει
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ζήτημα 421a8 bzw. οὗ μάσμα ἐστίν 421b1) bezogen ist und somit als Zweiheit von Zeichen und Bedeutung bzw. von Sinnträger und Sinn verstanden werden kann, was sich per Subsumption auf alle einzelne ὀνόματα überträgt. Wie diese „lautneutrale“ Trägerstruktur des einzelnen Namenseidos zu fassen ist, bleibt freilich zu klären. Einen Schritt zu dieser Klärung macht Kahn (1973, 72 f.), indem er in einem kühnen Abstraktionsschritt das Namenseidos selbst nicht als Sinn rekonstruiert, sondern als Zeichenrelation (sign relation), in der eine phonetische Konfiguration N irgend einer Sprache zu einer Form O, einem eidos steht, das seinerseits als Sinn zu verstehen ist – instanziiert: (N,O). Offen bleibt dabei, wie das passende sprachspezifische Relatum N beim Prozess der „Verkörperung“ spezifiziert wird. Sollen die Relata N und O nicht als nicht weiter zergliederbare und von anderen Ns und Os isolierte atomare Einheiten gepaart werden, was auf eine willkürliche und somit nicht weiter begründbare Zuordnung hinausliefe, bedürfen sowohl N als auch O einer aufeinander sowie auf andere Ns und Os beziehbaren inneren Struktur. Die im nächsten Abschnitt folgende etymologische Analyse eines Teilwortschatzes des Griechischen trägt implizit diesem Gedanken Rechnung. Zurück zur Frage des Hermogenes (391a3), worin denn die natürliche Richtigkeit eines Namens bestehe; sie wird von Sokrates im Rahmen des gemeinsam erreichten Diskussionstandes, nämlich dass es eine natürliche Namens richtigkeit gibt und nicht jeder Beliebige die Kompetenz habe, einer Sache den korrekten Namen in angemessener Weise (καλῶς b1) zu setzen, durchaus als berechtigt anerkannt. Was müsste die erfragte Konkretisierung wohl leisten, um Hermogenes zu befriedigen? Oberflächlich gesehen lassen sich zwei scheinbar gegensätzliche Sichtweisen auf dieses Problem unterscheiden. Da ist einmal die Sichtweise der Namensherstellung, also der Standpunkt des Nomotheten. Hierbei müsste es möglich sein, den Bezug zu einem potentiellen Denotat vor der Namensprägung zu etablieren, um nach vollzogener Prägung nachweisen zu können, dass das ins Laut- und Silbenmaterial inkorporierte Namenseidos der Natur des Denotats angemessen ist (vgl. ἔως ἂν τὸ τοῦ ὀνόματος εἶδος ἀποδιδῷ τὸ προσῆκον ἐκάστῳ ὲν ὀποιαισοῦν συλλαβαῖς 390a6 f.), insbesondere also die Unterscheidung des Denotats von allem anderen ermöglicht. Vor allem für den Nachweis der Unangemessenheit eines Namens für ein Denotat ist der namensunabhängige Zugang zum Denotat unverzichtbar. Die zweite Sichtweise ist die des Dialektikers, der nach der Charakterisierung in 390c2–d7 selbst keine Namen prägen, sondern vorliegende Prägungen auf ihre natürliche Richtigkeit hin überprüfen soll. Auch hier muss es grundsätzlich möglich sein, das Denotat eines Namens unabhängig von seinem Sinn zu identifizieren, um zeigen bzw. im negativen Fall widerlegen zu können, dass das passende Namenseidos ins Lautmaterial des betreffenden Namens gebracht
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wurde. Insgesamt verhalten sich also die beiden Vorgehensweisen, abgesehen von ihrer hierarchischen Abstufung, analog. Der Schwierigkeit bei der Namensherstellung, den Bezug zum potentiellen Denotat vor der Namensprägung sicherzustellen, entspricht beim dialektischen Überprüfen die Schwierigkeit, das von einem schon geprägten Namen „intendierte“ Denotat zu identifizieren. Es wird zu fragen sein, ob die nunmehr folgende ausgedehnte etymologische Analyse als Rekonstruktion der Nomothese gedeutet werden kann, die einer dialektischen Überprüfung das Material liefert. Eine solche Überprüfung müsste eigentlich „ergebnisoffen“ sein, also auch negative Resultate zulassen. Doch die Charakterisierung des gemeinsam erreichten Diskussionsstandes durch Sokrates lässt das wohl eher nicht erwarten: Denn er sagt, dass man über den vorherigen Stand hinaus zur Ansicht gelangt sei, dass der Name (generisch) von Natur aus eine Richtigkeit habe (τοσοῦτον μὲν ἤδη φαίνεται παρὰ τὰ πρότερα, φύσει τέ τινα ὀρθότητα ἔχον εἶναι τὸ ὄνομα 391b7 f.), und wenig vorher, dass die Namen den Dingen von Natur aus zukommen (φύσει τὰ ὀνόματα εἶναι τοῖς πράγμασι 390e1), was ja wohl universell für alle Namen gelten soll. Zu Beginn des Dialogs wird die Naturalismusposition weniger scharf formuliert. Dort heißt es, für jedes Seiende gebe es eine ihm von Natur zukommende Richtigkeit des Namens (ὀνόματος ὀρθότητα εἶναι ἑκάστῳ τῶν ὄντων φύσει πεφυκυῖαν 383a4 f.), was ja nicht unbedingt bedeuten muss, dass prinzipiell jeder vorhandene Name die Kriterien natürlicher Richtigkeit erfüllen müsse. Oder soll man die schärfere Formulierung so verstehen, dass nur solche Ausdrücke wirkliche Namen sind, die die natürlichen Richtigkeitskriterien erfüllen? Dass es in der Tat Fälle gibt, in denen nicht das für eine Sache angemessene Namenseidos ins Lautmaterial gesetzt wurde, wird der letzte Teil des nun zu behandelnden Etymologienabschnitts zeigen, wenn man ihn vom Standpunkt des Dialogschlusses aus beurteilt.
IV. Auf der Suche nach der konkreten Namensrichtigkeit 391b8–d9 Das korrekte Vorgehen, um die Frage des Hermogenes nach einer Konkretisierung der Namensrichtigkeit zu beantworten, sei es, so Sokrates, die dafür kompetenten Fachleute, die Sophisten, für entsprechende Honorare heranzuziehen. Kallias, der Bruder des Hermogenes, scheint sich ja auf diese Weise unter großen Aufwendungen den Ruf von Expertise erworben zu haben. Da Hermogenes zum väterlichen Vermögen keinen Zugang habe, müsse er eben seinen Bruder darum bitten, ihm über Fragen der Richtigkeit die Kenntnisse weiterzugeben, die er von Protagoras erhalten habe. Hermogenes lehnt diesen Vorschlag brüsk ab, denn er könne ja nicht etwas akzeptieren, von dessen Rich-
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tigkeit, nämlich der protagoreischen Lehre von der Wahrheit, er nichts halte. Der Hinweis auf die finanziellen Schwierigkeiten des Hermogenes am Beginn des Dialogs (384c5 f.) findet hier eine nähere Ergänzung: Hermogenes hat anders als (sein Stiefbruder) Kallias keinen Zugriff auf das väterliche Vermögen. Merkwürdig ist, dass Sokrates den Protagoras, dessen Wahrheitsrelativismus er vorhin in die Nähe des Korrektheitsrelativismus des Hermogenes gerückt hatte, hier als Autorität in Fragen der Namensrichtigkeit empfiehlt, was im Kontext ja wohl nur natürliche Namensrichtigkeit heißen kann. Ademollo weist darauf hin, dass Protagoras nach Aristoteles SE 14, 173b17–174a4 die Nomina μῆνις (Zorn) und πήληξ (Helm) entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht als feminin, sondern als maskulin auffasste und Homer dafür kritisierte, dass er im 2. Vers der Ilias die feminine Form οὐλομένην mit μῆνιν kongruieren lässt, obwohl das maskuline οὐλόμενον richtig wäre. Ademollo (2011, 148) erklärt das damit, dass Protagoras ein natürliches Korrektheitskriterium für nomina vertrat, gemäß dem das Genus eines Nomens der Natur des Referenten entsprechen müsse, was im Übrigen zu der Nachricht in der Rhetorik des Aristoteles passe, wonach Protagoras bei den Genera zwischen ἄρρενα (männlich) καὶ θήλεα (weiblich) καὶ σκεύη (sächlich) unterschied (Γ, 5, 1407b7). Abgesehen davon, dass die protagoreische „natürliche Männlichkeit“ von μῆνις ihrerseits der Klärung bedürfte, scheint Ademollos Hinweis richtig zu sein. Das heißt man muss Protagoras nicht unbedingt dem Konventionalistenlager zuschlagen.
IV.1 Rückgriff auf Homer (391c10–393b6) Nach dem ironischen Seitenblick auf die Sophisten schlägt Sokrates vor, von Homer und den anderen Dichtern zu lernen, wobei er insbesondere solche Stellen im Auge hat, an denen Homer unterscheidet, welche Namen Menschen und Götter für dieselben Dinge verwenden. Dort seien wichtige Einsichten über die Richtigkeit der Namen zu erwarten. Denn es ist klar, so Sokrates, dass die Götter dabei Namen verwenden, die von Natur aus richtig sind. Als Beispiele, die Sokrates hier im Sinn hat, führt er den menschlichen und göttlichen Namen des Flusses an, über den es heißt: den „Xanthos“ die Götter nennen, die Männer aber „Skamander“ (ὂν Ξάνθον καλέουσι θεοί, ἄνδρες δὲ Σκαμάνδρον Ilias XX, 7434), ferner den Vogel, den in den Bergen „Chalkis“ nennen die Götter, die Männer aber „Kymindis“ (ἥν τ’ ἐν ὄρεσσι / χαλκίδα 34 Dieses und alle folgenden Ilias-Zitate in der Übersetzung von Wolfgang Schadewald (Frankfurt 1975).
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κικλήσκουσι θεοί, ἄνδρες δὲ κύμινδιν Ilias XIV 291), schließlich die steile Kuppe in der Ebene vor der Stadt, diese nennen die Männer „Batieia“, die Unsterb lichen aber das Mal der sprunggeübten Myrine (τὴν ἤτοι ἄνδρες Βατίειαν κικλήσκουσιν, / ἀθάνατοι δέ τε σῆμα πολυσκάρθμοιο Μυρίνης, Ilias II 813 f.). Hier sei es eine „erhabene Erkenntnis“ (σεμνόν τι εἶναι γνῶναι 392a1), zu erfahren, inwiefern Xanthos eher richtig ist als Skamander, Chalkis richtiger als Kymindis und Myrine richtiger als Batieia. Allerdings übersteige dieses Problem die menschlichen Fähigkeiten der Gesprächspartner.
IV.2 Skamandrios vs. Astyanax – was ist richtiger (392b3–d10)? Anders verhält es sich mit der Frage, welcher der beiden Namen von Hektors Sohn, Skamandrios und Astyanax, nach Homers Ansicht einen höheren Grad von Richtigkeit hat. Die Argumentation des Sokrates für den Vorzug von „Astyanax“ sieht so aus: 1) Der Grad der Richtigkeit der Namen ist umso höher, je einsichtiger (φρονιμώτεροι) die Namensgeber sind (392c2–4). 2) Auf die ganze Gattung gesehen, sind Männer einsichtiger als Frauen, und das war auch Homers Ansicht. 3) Nun sagt aber Homer, dass die Troer (mask.) den Sohn Hektors Astyanax genannt haben (ὑπὸ τῶν Τρώων φησὶν καλεῖσθαι Ἀστυάνακτα 392d1). 4) „Offenbar“ (δῆλον ὅτι d2) also wurde er von den Frauen Skamandrios genannt, da ihn ja die Männer Astyanax nannten. Aus 1) bis 4) folge, dass Homer meinte, der Name „Astyanax“ sei richtiger für den Knaben als „Skamandrios“. Die Iliasstelle (ΧΧΙΙ 506), aus der sich 3) ergeben soll, lautet: Astyanax, wie ihn die Troer mit Beinamen nennen (Ἀστυάναξ, ὃν Τρῶες ἐπίκλησιν καλέουσιν). Es ist offenkundig, dass hier keine männerspezifische Namensgebung gemeint ist, es sei denn, man schließt dies daraus, dass hier Andromache – also eine Frau – über die Benennungspraxis der Trojer berichtet. Aber wenige Verse vorher (XXII, 500), benutzt Andromache selbst den Namen Astyanax. Noch auffälliger ist jedoch, dass der Name „Skamandrios“ in VI 402 f., der berühmten anrührenden Abschiedsszene, ausgerechnet als der Name angeführt wird, den besonders Hektor für seinen kleinen Sohn verwendet: (Hektors Sohn, den geliebten; er glich einem schönen Stern) Den nannte Hektor Skaman drios, aber die anderen Astyanax, denn allein beschirmte Ilios Hektor (τόν ῥ’ Ἕκτωρ καλεέσκε Σκαμάνδριον, αὐταρ οἱ ἄλλοι / Ἀστυάνακτ’. οἶος γὰρ ἐρύετο Ἴλιον Ἕκτωρ). Das – also die in diesem Zusammenhang wichtigste Namensautorität – verschweigt aber Sokrates. Durch diese einseitige Auswahl und Auslegung der Iliasstellen erreicht Sokrates, dass „Astyanax“ als der nach Homer, von dem es ja zu lernen gilt (391d1), natürlichere Name erscheint. Damit ist
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eine mit der „Göttersprache“ vergleichbare Situation erreicht: In beiden Fällen wird für die Einstufung als in höherem Maße „natürlich“ die höhere Autorität der Namensgeber angeführt – der Götter über die Menschen, der Männer über die Frauen.
IV.3 Warum ist „Astyanax“ richtig? (392d11–393b6) IV.4 Ein Löwe erzeugt einen Löwen (393b7–394e7) Doch damit ist nur das Faktum der jeweiligen Natürlichkeitseinstufung zur Sprache gebracht, nicht aber die Gründe dafür. Es sind aber die Letzteren, die zur Beantwortung der Frage des Hermogenes nach Konkretisierung (391a2) der Natürlichkeitsthese benötigt werden. Während nun im Falle der Götter die Begründungsfrage jenseits des menschlichen Horizontes liegt, ergibt sich im Falle von „Astyanax“ der glückliche Umstand, dass Homer selbst eine Begründung liefert: Denn er (sc. Hektor) allein hat ihnen die Stadt beschirmt und die langen Mauern (οἶος γάρ σφιν ἐρύετο πόλιν καὶ τείχεα μακρά), wie Sokrates in Abwandlung eine Zeile aus der Klage der Andromache über Hektors Tod (XXII 507) wiedergibt, die als Begründung des unter 3) zitierten Verses dient (ΧΧΙΙ 506 f.: [Jetzt muss er vieles dulden, denn es fehlt ihm der Vater,/] Astyanax, wie ihn die Troer mit Beinamen nennen; / denn Du allein hast ihnen die Tore geschirmt und die langen Mauern, [Ἀστυάναξ, ὃν Τρῶες ἐπίκλησιν καλέουσιν· / οἶος γάρ σφιν ἔρυσο πύλας καὶ τείχεα μακρά.]), nach Homer soll es also im Sinne der Namensrichtigkeit richtig sein, den Sohn „Herr der Stadt“ zu nennen, die der Vater gerettet hat. Sokrates bekennt, dass er diese Erklärung nicht versteht, woraufhin sozusagen nachträglich auch Hermogenes sein Verständnis zurückzieht. Was Sokrates nicht versteht, ist, weshalb die Tatsache, dass Hektor die Stadt beschirmt hat, ein Grund dafür sein soll, dass sein Sohn Astyanax heißt, wie Homer sagt. Wie Ademollo bemerkt (2011, 156), versteht Sokrates die Erklärung Homers so, als ob damit ein Grund dafür gegeben werde, weshalb „Astyanax“ im Sinne der natürlichen Richtigkeit der richtige Name für Hektors kleinen Sohn ist, also zu seiner Natur, seinem Wesen passt, während es Homer wohl eher darum geht, die Verleihung des Namens Astyanax als eine von den Trojanern bezeigte Ehrung der Verdienste seines Vaters um die Stadt darzustellen. Damit die Begründung Homers im Sinne der natürlichen Richtigkeit einleuchtend wird, muss etwas gefunden werden, das die Natur von Vater und Sohn verbindet. Auf der Suche nach einer solchen Verbindung fällt Sokrates ein, dass Homer auch für Hektors Namen verantwortlich ist, denn die beiden
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Namen sind einander ähnlich und sie gleichen – trotz ihrer nichtgriechischen Träger – griechischen Namen. Sie sind nämlich verständlich und „bedeuten“ annähernd dasselbe (σχεδόν τι ταὐτὸν σημαίνει 393a6), genauer gilt das vom Zweitbestandteil „ἄναξ“ des (relationalen) Kompositums ἀστυ-άναξ und dem nomen agentis ἕκ-τωρ. Denn wovon jemand ein Herr (ἄναξ) ist, davon ist er ein Halter (ἕκτωρ), bzw. einer, der es beherrscht (κρατεῖ), besitzt (κέκτηται) oder es hält (ἔχει), wie die relationale Struktur der beiden Wortbildungen völlig korrekt analysiert wird. Während nun der Ehrentitel „Retter der Stadt“ des Vaters den Namen „Stadt-Herr“ (ἀστυ-άναξ) des Sohnes nicht so plausibel erklären kann, ist der Name von Hektor selbst qua „Halter der Stadt“ (ἕκτωρ) dafür geeignet. Denn ihrer Bedeutung nach sind die beiden ὄνόματα βασιλικά, königlich, und sie sind richtig, sofern das Gemeinsame von Hektor und Astyanax etwas Königliches ist. Die annähernde Bedeutungsgleichheit der beiden Namen und die aufgrund seiner Taten erwiesene Richtigkeit von Hektors Namen liefert gleichsam die virtuelle Richtigkeit des Namens des Sohnes. Damit glaubt Sokrates, der Auffassung Homers von der Richtigkeit der Namen auf die Spur gekommen zu sein. Die Grundlage für Gemeinsamkeiten von Hektor und Astyanax ist ihre natürliche Vater-Sohn-Beziehung, das Verhältnis von Erzeuger und Abkömmling, das auch die Rechtfertigung dafür liefert, eines Löwen Abkömmling „Löwe“ und eines Pferdes Abkömmling „Pferd“ zu nennen. Das also ist es, wohin die von Homer gelegte Spur zur Namensrichtigkeit führt. Von welcher natürlichen Gattung etwas ein natürlicher Abkömmling ist, darüber entscheidet freilich letztlich nicht der Zeugungsprozess, sondern die Natur des Abkömmlings: Zeugt ein Pferd wider die Natur etwas, das aufgrund seiner Natur ein Rind ist, so muss man es Kalb und nicht Fohlen nennen. Ebensowenig darf man, wenn aus einem Menschen etwas entsteht, das nicht der natürliche Abkömmling eines Menschen ist, dieses Mensch nennen. Analog im Falle von Bäumen und allem Übrigen (392b7–c6). Wie weit hier das aristotelische Prinzip über die Konstanz und Grenzen natürlicher Arten „Ein Mensch zeugt einen Menschen“ (ἄνθρωπος…ἄνθρωπον γεννᾷ Z7, 1032a25) vorweggenommen wird, wird zu fragen sein. Sokrates selbst empfiehlt, vor dem von ihm (im Sinne Homers) angewandten Grundsatz auf der Hut zu sein, denn nach ihm müsse man auch den Abkömmling eines Königs König nennen (κατὰ γὰρ τὸν αὐτὸν λόγον κἂν ἐκ βασιλέως γίγνηταί τι ἔκγονον, βασιλεὺς κλητέος 393c9 f.). Doch bevor wir diesen Gedanken weiterverfolgen, ist noch auf das Verhältnis von sprachlichem Inhalt und Ausdruck einzugehen, das mit der Behauptung verbunden ist, ἄναξ und ἕκτωρ bedeuteten annähernd dasselbe (393a6). Bei der Behandlung des Nomotheten wurde schon ausgeführt, dass ein und dasselbe
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Namenseidos in verschiedenes Silbenmaterial eingesetzt werden kann, wobei dort vornehmlich an die lautliche Realisierung in verschiedenen Sprachen gedacht war (390a5–9). Nunmehr geht es um die lautliche Variation in einer und derselben Sprache. Die Wiedergabe derselben Bedeutung in verschiedenen Silben ist kein Problem, auch nicht der Zusatz und die Tilgung von Buchstaben, solange das Wesen der Sache in dem Namen offenbar zu werden vermag. (ἕως ἂν ἐγκρατὴς ᾖ ἡ οὐσία τοῦ πράγματος δηλουμένη ἐν τῷ ὀνόματι 393d4 f.). Als Beispiel für die relativ große Freiheit bei der Auswahl des Lautmaterials für eine Bezeichnung führt Sokrates die Namen der Buchstaben an: Nur die vier Vokallaute ε,υ,ο,ω bezeichnen sich selbst; bei den Namen der übrigen Vokale und Konsonanten ist es zulässig, den jeweils bezeichneten Buchstaben mit anderen Buchstaben zu umgeben; solange man seinen Lautwert so in den Namen einsetzt, dass dieser offenbar wird, ist ein Name, der das leistet, korrekt. Etwa im Falle des βῆτα, wo die Hinzufügung von ἦτα, ταῦ und ἄλφα kein Hindernis darstellt, mit dem Namen als Ganzem die Natur des vom Nomotheten intendierten Buchstabens deutlich zu machen. Was den Grundsatz angeht, wonach der Abkömmling eines Löwen „Löwe“ genannt werden soll, so ergab eben schon seine mit einer Warnung versehene Anwendung auf den Fall des Königs, dass auch der Abkömmling eines Königs „König“ genannt werden soll bzw., wie es jetzt materialiter heißt, ein König ist. Die Fortsetzung der Reihe mit weiteren Instanzen ergibt, dass aus einem Guten ein Guter und aus einem Schönen ein Schöner und entsprechend aus jeder Spezies (γένος), d. h. aus den jeweiligen Repräsentanten der Spezies, ein Abkömmling derselben Art hervorgeht, es sei denn, es entsteht ein Monstrum. Demgemäß müssen den Abkömmlingen dieselben Namen wie den Eltern gegeben werden. Mit dem Silbenmaterial kann dabei variiert werden, sodass für den Laien der Eindruck entsteht, es handle sich um verschiedene Namen, obwohl es dieselben sind. Ähnlich wie bei den Arzneien, die sich für den Laien aufgrund diverser Zusatzstoffe nach Farbe und Geruch unterscheiden, obwohl sie für den Fachmann aufgrund ihrer Wirksubstanz (δύναμις) dieselben sind. Entsprechend können Namen trotz Zusatz, Tilgung oder Umstellung von Lauten oder trotz gänzlich verschiedenen Lautmaterials dennoch dasselbe „Vermögen“ oder dieselbe Bedeutung haben. So haben unsere Beispiele Ἀστυάναξ und Ἕκτωρ außer dem ταῦ keinen Buchstaben gemeinsam, obwohl sie dasselbe bedeuten (ταὐτὸν σημαίνει 394c1), und Ἀρχέπολις (Stadtherrscher), was dasselbe bedeutet und ausdrückt wie die beiden (δηλοῖ … τὸ αὐτό 394c6), teilt mit ihnen überhaupt keinen Buchstaben. Es gibt noch viele andere Namen, die nichts außer „König“ bedeuten (οὐδὲν ἢ βασιλέα σημαίνει 394c7). Andere wiederum bedeuten „Feldherr“, wie Ἆγις, „Führer“, Πολέμαρχος „Kriegskommandant“, Εὐπόλεμος „Gut-im-Krieg“, und ebenso bei medizinischen Namensvarianten:
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Ἰατροκλῆς „Arztesruhm“, Ἀκεσίμβροτος „Sterblichen-Heiler“. Und zahlreiche andere, sagt Sokrates, können wir finden, die lautlich „dissonant“, d. h. verschieden, aufgrund ihrer Wirkung und Bedeutung aber „einstimmig“, d. h. gleichbedeutend sind (ταῖς μὲν συλλαβαῖς καὶ τοῖς γράμμασι διαφωνοῦντα, τῇ δὲ δυνάμει ταὐτὸν φθεγγόμενα 394c7 f.). Namensgleichheit für Abkömmlinge und Eltern gilt natürlich nur für naturgemäß entstandene. Naturwidrige Abkömmlinge in der Gestalt von Monstern, wenn etwa aus einem guten und gottesfürchtigen Mann ein gottloser entsteht, müssen wie in den Fällen, wo ein Pferd ein Rind gebiert, nicht die Zubenennung des Erzeugers erhalten, sondern der Spezies, zu der er gehört: Ein gottloser Abkömmling eines Gottesfürchtigen muss also den Namen seiner Spezies erhalten, also nicht Θεόφιλος „Gottlieb“ oder Μνησίθεος „Gott-gedenkend“, sondern einen, der das Gegenteil davon bedeutet.
IV.5 Probleme des Astyanax-Abschnitts Der Abschnitt 391c–394e legt einige Fragen nahe. 1) Warum wird über den Text der Ilias hinausgehend behauptet, der Name Astyanax werde von den Männern für Hektors Sohn verwendet, Skamandrios aber von den Frauen, obwohl es doch Hektor war, der seinen Sohn Skamandrios nannte? 2) Inwiefern lässt sich der Grundsatz der Abkömmling von X soll „X“ heißen nicht nur auf „Löwe“ sondern auch auf „König“, „gut“ oder „gottesfürchtig“ anwenden? 3) Wie ist die „semantische Terminologie“ von σημαίνειν, δηλοῦν, δύναμις zu verstehen? Zu 1) Grundsätzlich ist zwar nicht auszuschließen, dass in Platons tatsächlicher oder „Gedächtnis-Ilias“ die Worte τόν ῥ’ Ἕκτωρ καλεέσκε Σκαμάνδριον, nicht vorkamen. Doch auch in Platons Ilias wurde Hektors Sohn sicher nicht speziell von den Frauen „Skamandrios“ genannnt, sonst wäre Platon nicht auf die fragwürdige Begründung für die Annahme (δῆλον ὅτι 392d2) gekommen, „Skamandrios“ sei „offenbar“ der Name der Frauen, da die Troer (mask.) ihn Astyanax nannten (Ἀστυάναξ, ὃν Τρῶες ἐπίκλησιν καλέουσιν). Also müsste Skamandrios in Platons Ilias wohl ohne Angabe von Namensverwendern vorgekommen sein, oder Platon hatte einfach den Alternativnamen Skamandrios ohne Namensverwender im Gedächtnis. Andererseits hielt Platon seine Skamandrios-Version für etwas, das den mit Homer aufgewachsenen Lesern zugemutet werden konnte (vgl. 391b6 „Du kennst doch wohl die Verse in denen
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das steht, was ich meine“). Also eher Ironie? Aber was ist dann die dahinterstehende Intention? Ademollo meint, der Abschnitt setze die Parodie einer damals im Schwange befindlichen Homerexegese fort, eine Parodie, mit der Sokrates schon vorhin in Bezug auf die Ilias-Stellen vom unterschiedlichen Rang menschlicher und göttlicher Namen begonnen hatte. Außerdem werde der Leser hier gewarnt, dass des Sokrates Erklärung der natürlichen Richtigkeit nicht gerade sehr glücklich anfängt. Ademollo versteht den von ihm als „pompous“ angesehenen Ton der Homerpassage zur Wichtigkeit der göttlichen Namen (391d6–392b3) als ironischen Hinweis darauf, von welch geringer Bedeutung diese Fragen nach der Ansicht des Sokrates sind, und zieht die Herabsetzung von Dichterinterpre tationen als unseriösen Zeitvertreib im Protagoras (347b–348a) als Parallele heran. Doch welche relativierende Distanzierung soll eine den Ilias-Text nahezu ins Gegenteil verkehrende Veränderung über die Verwendung des Namens „Astyanax“ und „Skamandrios“ zum Ausdruck bringen, die zudem voll zulasten des „Ironikers“ geht? Was ergibt sich, wenn man annimmt, dass Platon bzw. Sokrates die IliasPassagen einfach so lasen, wie sich der Text auch heute darbietet? Dass Hektor sich nicht unter die „vernünftigeren“ (φρονιμώτεροι) Namensverwender subsumieren lässt und statt des ihn selbst ehrenden Beinamens (ἐπίκλησις) Astyanax den familiären Namen Skamandrios verwendete, bedarf eigentlich keiner Erklärung. Hektor als der Mann der Tat benötigt keine Rechtfertigung für seine Benennungspraxis. Die Hierarchie unter den Namensverwendern (Götter-Männer-Frauen) hat wohl kein entscheidendes Gewicht. Vielleicht handelt es sich auch nur um eine Antizipation des Gedankens, dass Namen von Heroen und Menschen nichts Verlässliches über die Natur ihrer Träger besagen, da sie auf Wünschen εὐχόμενοι oder Sippentradition κατὰ προγόνων ἐπωνυμίας (397b2–4) beruhen. Die Passage über die Namen der Göttersprache und die über „Skamandrios“ und „Astyanax“ stimmen darin überein, dass Autoritätsargumente als Grund für die Annahme natürlicher Richtigkeit konkreter Namen gegeben werden. Es sieht so aus, als ob Platon hier einen brauchbaren Einstieg gesucht hat, um den Etymologienabschnitt als Versuch der Beantwortung der Frage des Hermogenes nach einer Konkretisierung der natürlichen Richtigkeit anzuschließen. Sieht man davon ab, dass er für diesen Zweck den Ilias-Text etwas „missbraucht“ hat, so ist ihm das gelungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Qualität der Gründe, die für die Richtigkeit der Namen „Hektor“ und „Astyanax“ gegeben werden, unabhängig von der Erklärung der vorangehenden „homerischen Probleme“ ist. Insofern handelt es sich bei letzteren nicht um substanzielle Fragen, sondern um solche der Einkleidung.
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Zu 2) Die ersten Instanzen für den Grundsatz „Der Abkömmling von X soll ‚X‘ heißen“, – Ademollo (2011, 160) nennt ihn in Anlehnung an Burnyeat (2001, 22 f.) „Principle of Synonymical Generation“ (2011, 160) –, nämlich X = Löwe, X = Pferd, X = Baum, legen zunächst nahe, dass es darum geht, im Reich der Denotate natürliche Arten als naturgemäße Namensträger auszuzeichnen. Das würde der Erwartung entsprechen, dass die Kritik an der mit dem Konventionalismus verbundenen Beliebigkeit (οὐχ ἧι ἂν ἠμεῖς βουληθῶμεν 387d5) sich nicht auf die Arbitrarität der lautlichen Realisierung bezieht, sondern auf die Willkürlichkeit und den Mangel an Gründen bei der Abgrenzung der Denotate, also auf die Wahl der Inhaltsseite der Namen. Als Negativbeispiel kommt dabei die Dihairese der menschlichen Gattung in Griechen und Barbaren im Politikos 262d in den Sinn. Die Abstammungsbeziehung als natürliche Basis für die Zuordnung von Individuen zu einer Spezies scheint dagegen ein plausibles Positivbeispiel zu sein. Entscheidend ist nun aber, dass nicht der tatsächliche Zeugungs- und Gebärvorgang darüber entscheiden soll, zu welcher natürlichen Art etwas gehört: Wenn aus einem Pferd etwas anderes als ein Pferd hervorgeht, so soll über die Benennung eines solchen Abkömmlings entscheiden, von welcher Art dieser seiner Natur nach ein Abkömmling ist (οὗ ἂν ἧι τοῦ γένους ἔκγονον τὴν φύσιν 393c1). Wenn also ein Pferd als Monstrum ein Rind gebiert, so soll der Abkömmling nicht Fohlen, sondern Kalb heißen. Damit wird der Aspekt der Abstammung und Zeugung bei der Konstituierung der natürlichen Art vollständig relativiert. Ganz anders ist der oberflächlich ähnlich lautende Grundsatz des Aristoteles Der Mensch erzeugt einen Menschen (ἄνθρωπος ἄνθρωπον γεννᾷ z. B. Met. Z,8 1033b32) zu verstehen35: Gemäß der aristotelischen Theorie des Werdens setzt die Entstehung einer natürlichen Substanz (οὐσἰα) nicht nur die Existenz einer Substanz derselben natürlichen Art voraus (vgl. Z,9 1034b16 ff.), sondern die in diese letztere Substanz, nämlich die οὐσία des Erzeugers, als Form (εἶδος) inkorporierte natürliche Art wird – vermittelt durch diese οὐσία – beim Akt der Zeugung kausal bei der Weitergabe der Form an den Abkömmling wirksam, weshalb auch die Annahme einer gegenüber ihren Instanzen selbständigen platonischen Idee einer natürlichen Art überflüssig sei. Charakteristisch ist auch, dass Aristoteles zwar ebenfalls auf die Möglichkeit eines nicht gemäß der Natur (παρὰ φύσιν 1033b33) ablaufenden Werdevorgangs hinweist, nämlich die Zeugung eines Maultiers durch Esel und Pferd, für diesen jedoch sofort 35 Sier (1997), 127 f. weist darauf hin, dass sich der aristotelische Grundsatz auf das platonische Symposion (207dff.) zurückbezieht. Auffällig ist im Kratylos freilich das Zurücktreten der Zeugung für die Bestimmung der Art in den Tέρας-Konfliktfällen, wo es zu einer Dominanz des „Phänotyps“ zu kommen scheint: ἐὰν βοὸς ἔκγονον φύσει ἴππος παρὰ φύσιν τέκῃ [μόσχον, secl. Ast], οὐ πῶλον κλητέον ἀλλὰ μόσχον 393c2 f.
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eine natürliche Erklärung bereitstellt, derzufolge ein unbenanntes nächstes Genus (τὸ ἐγγύτατα γένος), charakterisiert durch die Gemeinsamkeiten von Pferd und Esel, bei der Erzeugung weitergegeben werde, also anders als bei der Annahme der monströsen Geburt eines Rinds aus einem Pferd, wo ja, unbekümmert um jeglichen Realitätsgehalt, mehrere Art- und Gattungsgrenzen auf einmal überschritten werden. Während also bei Aristoteles die φύσις der Art als Form-Moment im kausalen Prozess des Werdens wirksam wird, scheint die platonische φύσις der Art (vgl. οὗ ἂν ᾖ τοῦ γένους ἔκγονον τὴν φύσιν 393c1) innerhalb des Werdensprozesses kausal neutral zu sein. Die Erweiterung des Grundsatzes der „synonymen Erzeugung“ – Der Ab kömmling von X soll ‚X‘ heißen bzw. X sein – auf Funktionen (X = König, Feldherr, Arzt) sowie Eigenschaften (X = gut, schön, fromm und ihre Gegenteile) ist so offensichtlich unhaltbar36, dass trotz der sofort nachgereichten Relativierung und Aufhebung („es sei denn, ein Monstrum entsteht“ ἐὰν μὴ τέρας γίγνηται 394a4) und der Warnung des Sokrates, sich nicht in die Irre führen zu lassen (φύλαττε γάρ με μή πῃ παρακρούσωμαί σε 393c7), sich die Frage nach dem Motiv stellt. Es geht wohl darum, dass die Zuschreibung funktionaler Kompetenz und ethischer Qualitäten einer Begründung bedarf, die mehr leistet als der Verweis auf entsprechende Qualitäten des Vaters selbst dort, wo er zutrifft (denn woher hat der Vater sie?). Das zugehörige Namenseidos soll ja ermöglichen, die betreffende Eigenschaft von allen anderen zu unterscheiden (διακρίνειν) und über ihre Kennzeichen zu informieren (διδάσκειν). Und das gilt auch für die wahrhaft natürlichen Arten wie das Rind, daher die Hervorhebung des von der tatsächlichen (da eventuell monströsen) Erzeugung unabhängigen wirklichen γένος nach Maßgabe der Natur (τὴν φύσιν 393c1, Acc.Graec.). Im Falle des Astyanax soll das Prinzip der „synonymen Erzeugung“ die Rechtfertigung dafür liefern, dass dem Hektorsohn tatsächlich die Natur zukam, die sein Name aufgrund der „Bedeutungsanalyse“ ausdrückte. Wäre das Prinzip gültig, würde es den Schluss von der im Namen „Hektor“ ausgedrückten und aufgrund seiner Taten manifest gewordenen Natur des Vaters
36 Heitsch (1984), 56 weist darauf hin, dass Platon im „Gorgias“ (515dff.) und „Menon“ (93a–94e, vgl. Prot. 319e–320b) „die Tatsache problematisiert, dass die Söhne tüchtiger Politiker so garnicht nach ihren Vätern geraten, ohne doch deshalb anzunehmen, es ginge dabei nicht mit rechten Dingen zu; im Gegenteil, die Degeneration gilt ihm dort eher als Normalfall. Da wird man nicht glauben, er habe ernsthaft behauptet, Qualitäten wie Tüchtigkeit und Schönheit vererbten sich mit derselben Selbstverständlichkeit wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten biologischen Art.“ Was nach Aristoteles gemäß dem Prinzip ἄνθρωπος ἄνθρωπον γεννᾷ weitergegeben wird, sind denn auch nur substantielle und nicht akzidentielle Eigenschaften, es sei denn deren Potenz (vgl. Met. Z9, 1034 b16–19, und Ademollo [2011, S. 169]).
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auf die noch verborgene Natur des unmündigen Sohnes zulassen. Der frühe grausame Tod des Kindes nach Trojas Eroberung erlaubt jedoch nicht, festzustellen, ob dieser Schluss berechtigt war, oder schärfer, er erwies den Namen „Stadtherrn“ als unrichtig. So gesehen lässt sich die Verwendung des Prinzips der „synonymen Erzeugung“ als freilich behutsame Kritik an der von Sokrates „aufgespürten“ (oder besser: unterstellten) Auffassung Homers von der Richtigkeit der Namen deuten. 3) Das Prinzip der „synonymen Erzeugung“ scheint zu implizieren, dass die dadurch legitimierten ὀνόματα keine Eigennamen für Personen im strikten Sinne sein können, denn die verschiedenen Angehörigen derselben Spezies sollen ja dieselben Namen haben (κλητέον δὴ ταὐτὰ ὀνόματα 394a5; τοῖς μὲν δὴ κατὰ φύσιν γενομένοις τὰ αὐτὰ ἀποδοτέον ὀνόματα 394d2 f.), die daher nicht individuell sein können. An dieser Identität soll die Verschiedenheit des Laut- und Silbenmaterials nichts ändern (394a5–c9). Das heißt, eine solche Lautverschiedenheit kann nicht als individuierend gelten. Nun heißt es, „anax“ und „hektor“ bedeuteten nahezu dasselbe (σχεδόν τι ταὐτὸν σημαίνει 393a6). Da der Namensbestandteil „anax“ hier kein Eigenname ist, sondern ein appellatives Substantiv oder common noun, liegt es nahe, „hektor“ ebenfalls so aufzufassen. Andererseits wird von dem vollen Namen „Astyanax“ und „Hektor“ ebenfalls gesagt, ταὐτὸν σημαίνει (394c1), und zwar ohne die Einschränkung σχεδόν – „nahezu“. Aufgrund des Kontextes (Astyanax = Sohn des Hektor) und des Prinzips der „synonymen Erzeugung“ ist auch in letzterem Falle klar, dass ταὐτὸν σημαίνει nicht als „bezeichnen dasselbe“ im Sinne von „haben dieselbe Person als Referenten“ gedeutet werden kann. Das schließt jedoch nicht aus, dass die beiden ὀνόματα bezüglich anderer (abstrakterer) Entitäten als Personen referenzgleich sein können. Doch wie steht es mit der Deutung von ταὐτὸν σημαίνει als „bedeuten dasselbe“ im Sinne von „haben denselben Sinn“? Dagegen scheint zu sprechen, dass die beiden Ausdrücke streng genommen eben nicht sinngleich sind: Mag der Herr – „anax“ – jemand sein, der das, wovon er Herr ist, hält oder hat (ἔχει 393b1) (d. h. „x ist anax von y“ impliziert „x ist hektor von y“ – οὗ … ἄν τις „ἄναξ“ ᾖ, καὶ „ἕκτωρ“ δήπου ἐστὶν τούτου 393a7 f.), so gilt doch das Umgekehrte eher nicht, d. h. „anax“ ist spezifischer als „hektor“, und das Kompositum „astyanax“ ist seinerseits spezifischer als „anax“.37 Priamos und nicht Hektor ist der „Stadtherr“ Trojas. Aber deshalb heißt es ja auch eingeschränkt σχεδόν τι ταὐτὸν σημαίνει (b6), „sie bedeuten nahezu dasselbe“. So entscheiden sich denn auch Heitsch (1984, 68) und Sedley (2003, 84) gegen die Deutung von ταὐτὸν
37 Vgl. Ademollo (2011), 174.
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σημαίνει im Sinne einer Bedeutungs- oder Sinngleichheit. Was vielmehr mit ταὐτὸν σημαίνει als identisch gesetzt werde, sei die „Fähigkeit“ der ὀνόματα, „trotz unterschiedlicher Bedeutungen auf dasselbe hinzuweisen“. „Ob ich sage, jemand habe die Stadt in Händen (Hektor), sei ihr Fürst (Astyanax) oder herrsche über die Polis (Archepolis), macht wohl einen Unterschied in Lautgestalt und Bedeutung, aber nach Platon ist es immer dieselbe Form der Oberhoheit, auf die diese Bezeichnungen verweisen“, so Heitsch. Und Sedley: „Two words share the same power provided only that they both succeed in descriptively singling out one and the same entity, that is, by being extensionally equivalent“; „thus ‚good at war‘“ (Εὐπόλεμος) „and ‚leader‘“(Ἆγις) „differ in informational content, but both succeed in designating a general.“ Dementsprechend seien die betreffenden Namen „nicht als Eigennamen … verschiedener Personen … verstanden“ – so Heitsch (1984, 68) – und nach Sedley (2003, 84) „chosen to pick out types, not individuals“. Diese intuitiv nicht ganz selbstverständlichen Deutungen ergeben sich wohl daraus, dass ταὐτὸν σημαίνει, verstanden als Identität der Intension (oder Sinnidentität) zweier singulärer Terme, ihre extensionale Identität nach sich ziehen müsste, was aber wegen der expliziten Bezugnahme auf verschiedene Personen – Hektor und seinen Sohn – ausgeschlossen ist. Für Ademollo (2011, 174 f.) ist charakteristisch, dass er die beiden Hörner des Dilemmas gleichzeitig zu packen versucht, d. h. er deutet ταὐτὸν σημαίνει als „haben denselben Sinn“ und belässt den beiden Namen „Astyanax“ und „Hektor“ ihren Status als Eigennamen oder besser als singuläre Terme, den sie im Kontext von Sokrates’ Ilias-Exegese ja zweifellos haben. Die Bedeutung der beiden Namen sei dieselbe: „each of the names … signifies an individual object as a king – i. e. it signifies that its referent is a king.“ Als Begründung für diese etwas ungewöhnliche Bedeutungszuweisung führt er den epexegetischen Infinitiv βασιλικὰ ἀμφότερα εἶναι τὰ ὀνόματα in dem Satz ὁ γὰρ „ἄναξ“ καὶ ὁ „ἕκτωρ“ σχεδόν τι ταὐτὸν σημαίνει, βασιλικὰ ἀμφότερα εἶναι τὰ ὀνόματα (393a6 f.) an, mit der Deutung „Denn ‚anax‘ und ‚hektor‘ bedeuten nahezu dasselbe, nämlich dass die Namen beide königliche sind.“ In der von Ademollo für „Astyanax“ und „Hektor“ daraus rekonstruierten identischen sokratischen Bedeutungsspezifikation „it signifies that its referent is a king“ gibt es eine selbstreferentielle Bezugnahme auf den Namen („its“), dessen Bedeutung angegeben wird, sowie auf den Referenten dieses Namens – formaler: X bedeutet, dass der Referent von X ein König ist. Die Selbstreferenz und die Konstruktion von „signifies“ (σημαίνει) mit einem propositionalen Komplement ist nach Ademollo nicht ungewöhnlich, sie komme an zwei weiteren Stellen im Kratylos vor: Über den Namen „Pelops“ heißt es 395c3 f. σημαίνει γὰρ τοῦτο τὸ ὄνομα τὸν τὰ ἐγγὺς ὁρῶντα ἄξιον εἶναι ταύτης
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τῆς ἐπωνυμίας38 („this name signifies that the one who sees what is near is worthy of this denomination“) und mit Βezug auf ἀνδρεία heißt es 413d10: (ἀνδρεία δὲ σημαίνει ὡς ἐν μάχῃ ἐπονομαζομένης τῆς ἀνδρείας) „andreia“ signifies that courage has been ‚named in battle‘. Ademollo (2011, 159) erläutert die Konstruktion von „signifies“ (σημαίνει) mit einem propositionalen Komplement so: „it suggests that Socrates is thinking of what a name signifies not as the name’s referent, the thing named, but rather as some sort of informational content which the name conveys, through its etymology, about its referent – i. e. as something that has to do with the notion of a meaning or sense of names.“ Die Sinnangabe „Astyanax“ signifies that its referent is a king ist demnach so zu verstehen: Eine Äußerung von „Astyanax“ drückt aus, dass der Referent von „Astyanax“ ein König ist. Streng genommen muss man also über den Referenten schon verfügen, um den im Sinn enthaltenen Informationsgehalt darauf anwenden zu können. Die Funktion von „Astyanax“ wäre demnach nicht referentiell, sondern prädikativ. Was man jedoch eigentlich vom Sinn von „Astyanax“ als Namen oder singulärem Term erwarten würde, ist, dass er zusammen mit hinreichend spezifizierten Umständen einer Äußerungssituation (der „Äußerungswelt“) den Referenten überhaupt erst zu identifizieren erlaubt, entsprechend der Frege’schen Auffassung vom Sinn als Art des Gegebenseins des benannten Gegenstands, einer Auffassung, die auch aus der Sicht des Kratylos in keineswegs anachronistischer Weise die Voraussetzungen einer intuitiven Alltagssemantik explizit macht. Neben dieser Besonderheit der Sinnkonstruktion selbst ist der Anspruch von Ademollo, ταὐτὸν σημαίνει im Sinne einer Bedeutungs- oder Sinngleichheit zu deuten, eigentlich nicht eingelöst. Denn aus „Astyanax“ signifies that its referent is a king und „Hector“ signifies that its referent is a king ergibt sich ja, dass die beiden Bedeutungen that the referent of „Astyanax“ is a king und that the referent of „Hector“ is a king verschieden sind. Gemeint ist wohl, dass die Bedeutung („informational content which the name conveys, through its etymology, about its referent“) beide Male mit λx. x is a king. zusammenfällt. Dann würden die beiden Namen freilich ebenso wie bei Heitsch und Sedley nicht als Eigennamen bzw. singuläre Terme gedeutet. Die damit in Kauf genommene Abkoppelung von Sinn und Referenzleistung bei Eigennamen scheint einen Zusammenhang mit dem späteren Hinweis des Sokrates (397b1–6) nahezulegen, dass menschliche Namen häufig Zubenennungen nach den Vorfahren sind, ohne angemessen (οὐδὲν προσῆκον b3) zu 38 Die Authentizität der Worte ἄξιον εἶναι ταύτης τῆς έπωνυμίας (i) ist ebenso wie der epexegetische Infinitiv βασιλικὰ ἀμφότερα εἶναι τὰ ὀνόματα (ii) (393a7) textkritisch nicht unumstritten: Hermann schlug die Tilgung von (i), Stallbaum die von (ii) vor.
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sein, oder aber auf Wünschen (ὥσπερ εὐχόμενοι b4) statt auf Realität beruhen. Doch hat diese auf Realitätsferne beruhende Unangemessenheit kaum mit der problematischen Verwendung von Eigennamen als Typenbezeichnungen oder Allgemeinnamen zu tun, deren Annahme, wie Heitsch und Sedley zeigen, für unseren Abschnitt kaum zu vermeiden ist. Die Probleme von Ademollos Ansatz liefern dafür nachträglich erneut eine Bestätigung. Es scheint so, als ob die individuierende Funktion von Eigennamen nicht im sprachphilosophi schen Fokus des Kratylos liegt. Die etymologischen Bedeutungsanalysen lassen jedenfalls nicht erkennen, dass der Einzigkeitsaspekt bei als Kennzeichnungen deutbaren ὀνόματα eine Rolle spielt. Vielmehr handelt es sich in der Regel um Epitheta, die nicht nur auf ein einziges Individuum anwendbar sind. Im Falle der hier betrachteten Beispiele „Astyanax“, „Hektor“, „Archepolis“, „Agis“, „Polemarchos“, „Eupolemos“, „Iatrokles“, „Akesimbrotos“, „Theophilos“, „Mnesitheos“ ist das besonders deutlich, da sie als Komposita oder Derivationen keine im eigentlichen Sinne „etymologische“ Analyse erfordern, um transparent zu sein. Nimmt man an, dass „Astyanax“, „Hektor“ etc. zwar als singuläre Terme gebraucht werden, dass jedoch ihre Referenzleistung nicht darauf beruht, dass sie die Semantik bestimmter Kennzeichnungen (definiter Deskriptionen) mit individuierender Kraft haben39, entfällt der Grund, ταὐτὸν σημαίνει (393a6, 394c1) nicht mit „haben denselben Sinn“ zu deuten. Zu „haben denselben Sinn“ oder „bedeuten dasselbe“ passt auch besser die Einschränkung „nahezu“ – σχεδόν τι (393a6), –, da Grade der Sinnähnlichkeit plausibler sind als Grade des referentiellen Treffens oder Identifizierens. Der zweite hier auftauchende semantische Terminus δηλοῦν scheint 394c2 als Variante von σημαίνειν gebraucht zu werden, da der Ausdruck δηλοῖ δὲ ὅμως τὸ αὐτό, bezogen auf „Archepolis“ und „Astyanax“, parallel steht zu ὅμως ταὐτὸν σημαίνει bezogen auf „Hektor“ und „Astyanax“. Es liegt also nahe, δηλοῖ τὸ αὐτό mit „hat denselben Sinn“ wiederzugeben. Dennoch wird man δηλοῦν nicht einfach als synonym mit σημαίνειν („bedeuten“) ansehen können, da die kausative Bedeutung von δηλοῦν „verursachen, dass etwas δῆλoν (deutlich, offenbar) wird“, das Verb auch in Kontexten zulässt, die für σημαίνειν weniger angemessen sind: So heißt es im oben paraphrasierten Abschnitt über die Buchstabennamen, dass im Falle des Namens βῆτα die Hinzufügung von ἦτα, ταῦ und ἄλφα kein Hindernis darstellt, mit dem Namen als Ganzen die Natur des vom Nomotheten intendierten Lautelements (στοιχεῖον) deutlich zu machen – τὴν ἐκείνου τοῦ στοιχείου φύσιν δηλῶσαι (393e7). Und 39 Etwa groteskerweise im Sinn von Russells Deskriptionstheorie, wonach „Der Herr der Stadt (H) ist weise (W)“ als ∃x(H(x) & ∀y(H(y) →x=y) & W(x)) zu analysieren wäre.
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im gleich zu behandelnden Abschnitt über die Atridennamen wird gesagt, das der Name „Atreus“ aufgrund einer lautlichen Modifikation die Natur des Man nes nicht allen offenbar macht (μὴ πᾶσι δηλοῦν τὴν φύσιν τοῦ ὰνδρός 395b7), und (396a5) heißt es von den Namensbestandteilen Ζῆνα und Δία des Zeus, dass sie zusammen die Natur des Gottes offenbar machen – δηλοῖ τὴν φύσιν τοῦ θεοῦ. Was ein Name also „offenbar macht“ (δηλοῖ) ist nicht unmittelbar sein Sinn oder seine Bedeutung, sondern die Natur des Benannten aufgrund der Bedeutung des Namens. Aus der Bemerkung des Sokrates im Rahmen der Buchstabennamen: ἕως ἂν αὐτοῦ δηλουμένην τὴν δύναμιν ἐντιθῶμεν, ὀρθῶς ἔχει έκεῖνο τὸ ὄνομα καλεῖν ὃ αὐτὸ ἡμῖν δηλώσει 393e2–4), die er so übersetzt (Ademollo 2011, 163) „But as long as we put the letter’s power into the name so that it is indicated, it is correct to call it by the name that will indicate it“, schließt Ademollo (a. a. O., 165), dass in τὸ ὄνομα … ὃ αὐτὸ ἡμῖν δηλώσει „the verb’s object is“ (anstelle von „the nature of that letter“) „rather αὐτό, the letter itself which is the referent of a particular letter-name; and I doubt whether it makes any sense to say that a name „shows“, „manifests“ or „makes clear“ its referent.“ Die Bedeutung von δηλοῦν sei daher so allgemein anzusetzen, dass das Objekt des Verbs nicht nur auf die „connotation“ (oder den Sinn), sondern auch auf die „denotation“ (die Referenz) des Benannten bezogen werden könne, was durch die Deutung „indicate“ gewährleistet sei. Berücksichtigt man jedoch, dass αὐτὀ ebenso wie αὐτοῦ in αὐτοῦ δηλουμένην τὴν δύναμιν (393e3) sich auf das στοιχεῖον (vgl. στοιχείων 393d7), also das Lautelement bezieht, dessen Buchstabensymbol (z. B. β) Bestandteil des komplexen Buchstabennamens (z. B. βῆτα) ist, so ist es durchaus sinnvoll, vom gesamten nicht-autonymen (vgl. 393b8) Namen βῆτα zu sagen, dass er das relevante Lautelement (στοιχεῖον / b/) offenbar macht, wie Sokrates es ja explizit im nächsten Satz ausdrückt: τὴν ἐκείνου τοῦ στοιχείου φύσιν δηλῶσαι ὅλῳ τῷ ὀνόματι – „die Natur jenes Elementes mit dem ganzen Namen offenbar machen“ (393e6 f.). Hingegen hat Ademollo (a. a. O., 167) recht, wenn er δύναμις in αὐτοῦ δηλουμένην τὴν δύναμιν im Sinne von „Kraft“ eines Lautelements auf die Art, wie es artikuliert wird oder klingt, bezieht und als Stützen die Stellen 412e (der Name δίκαιος erhielt τὴν τοῦ κάππα δύναμιν des Wohllauts wegen), 424c und 427a,b anführt. Im Gegensatz dazu erhält δύναμις in 394a–c den Status eines semantischen Terminus: So wie nach Farbe und Geruch verschiedene Substanzen in den Augen eines Arztes dieselben Medikamente sind, wenn sie dieselbe Wirkkraft – δύναμις – haben, so lässt sich der Namensexperte nicht davon abhalten, Namen, die sich durch Zusatz, Fehlen, Umstellung von Buchstaben, ja völlig andere Zusammensetzung unterscheiden, als dieselben Namen zu erkennen,
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sofern sie dieselbe δύναμις haben, d. h. sofern sie, wie im Falle von „Hektor“ und „Astyanax“ ausgeführt (vgl. 393a6), dasselbe bedeuten – ταὐτὸν σημαίνει. In gewissem Sinne wird somit aus der Äquivalenzrelation ταὐτὸν σημαίνειν ein abstrakter Bedeutungsbegriff δύναμις gewonnen, auf dessen Grundlage – aristotelisch gesprochen – eidetische Identität von onomata von numerischer Identität unterschieden werden kann.40 Das, was bedeutungsgleiche Namen teilen, nämlich dieselbe δύναμις, tritt hier nach Kretzmann (1971, 131) im Sinne einer grundsätzlichen konzeptuellen Verschiebung an die Stelle des spezifischen Namenseidos, das dem Nomotheten als eidetisches Muster diente, nach dem (βλέποντα πρὸς αὐτὸ ἐκεῖνο ὃ ἔστιν ὄνομα 389d6 f.) er die Namen schuf und ihnen so eine natürliche Grundlage verschaffte. Entsprechend werde die Relation der Verkörperung („embodiment“), in der ein aktueller Name zu seinem Namenseidos stand (vgl. 389d4–6), ersetzt durch die Bedeutungsbeziehung („signification“), in der der Name nunmehr zu seiner δύναμις qua Bedeutung steht. Diese Veränderung sei motiviert durch die Schwierigkeit, die speziellen Namens-eide (Kretzmann nennt sie „model correct names“) des Nomotheten-Abschnitts als eine Art von Namen zu konstruieren, da sie keine linguistische Entitäten in irgendeinem üblichen Sinne seien. Dieser Schwierigkeit wurde oben dadurch Rechnung zu tragen versucht, dass für die Namens-eide Sinn-Status im Sinne von Frege erwogen wurde, wodurch sie als Art des Gegebenseins ihrer Nominata in eine virtuelle Namensbeziehung traten. In ähnlicher Weise zeigt Kahn (1973, 163, Anm. 16), dass Kretzmanns Schritt unnötig ist, da der Aspekt der δύναμις qua Bedeutung von Anfang an durch das, was er die „sign function“ der Sprache nennt, berücksichtigt werde. Ein Problem ergibt sich für Kretzmanns konzeptuelle Verschiebung daraus, dass δύναμις qua Bedeutung eines onoma im Unterschied zum Namens-eidos mit der potentiellen Defizienz empirisch gegebener Spracheinheiten behaftet ist, wie sie sich im Etymologienteil aufgrund einer ontologischen Fehlsicht herausstellen wird. Die Ersetzung der Ebene der Namens-eide durch die Bedeutungsebene, oder gar die Identifikation dieser beiden Ebenen trägt dem insofern nicht Rechnung, als die Namens-eide paradigmatischen Status, also Vorbildcharakter gerade für die Bedeutungen der zugehörigen aktuellen ono mata haben. Die von Kretzmann vorgeschlagene Verschiebung ist also sachlich problematisch. Es bleibt nachzutragen, dass die Deutung von δύναμις als „Bedeutung“ gegenüber der extensionalen Auffassung von Heitsch und Sedley nur haltbar ist, wenn die zugrundeliegende Äquivalenzrelation ταὐτὸν σημαίνει als Sinn-Identität richtig gedeutet ist, was natürlich nicht zwingend ist. 40 Vgl. dazu die Ausführungen von Ademollo (2011), 171 f.
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V. Die Etymologien der Sekundär-Namen V.1 Die Atriden- und Tantaliden-Namen (394e8–396a1) Das Prinzip der synonymen Erzeugung war soweit relativiert worden, dass die Eigennatur eines Abkömmlings gegenüber seiner Abstammung bei der Namengebung dominant zu sein hatte, wenn die Namen richtig ausfallen sollen. Diesem Richtigkeitskriterium scheint, so Sokrates (394e8), der Name des Orestes tatsächlich zu entsprechen, ob es nun der Zufall oder ein Dichter war, der ihm den Namen gab und das Tierhafte und Wilde seiner Natur und seinen Gebirgscharakter („oros“ Berg) mit dem Namen angedeutet hat. Das unmenschlich Tierhafte bezieht sich natürlich auf die Monstrosität des Mordes an seiner Mutter Klytaimestra, ebenso der unzivilisierte Gebirgscharakter. Dass Sokrates hier dem Zufall (τύχη) oder einem Dichter eine mögliche Rolle bei der Namensgebung einräumt, macht klar, dass der Name „Orestes“ nicht zum eigentlichen Wirkungsbereich eines Nomotheten gehört, jedenfalls nicht in dem Sinn, dass ein Nomothet den Namen aufgrund einer rationalen Wahl mit der Natur des Trägers verband. Sofern der Name dem Kind gegeben wurde, dann wohl in dem unverfänglichen Sinn „Bergjunge“ („hillbilly“ bei Sedley) ohne negative Konnotation. Wenn der Name dennoch in einem tieferen Sinn (der „Bergmensch“ außerhalb der menschlichen Gemeinschaft) als Name eines Muttermörders richtig zu sein scheint (κινδυνεύει ὀρθῶς ἔχειν 394e9), so aus Zufall, aufgrund der Koinzidenz der späteren Ereignisse. Oder der Name wurde im Nachhinein in Kenntnis des grausigen Geschehens von einem Dichter vergeben. Dann aber war „Orest“ nicht der tatsächliche Name des Agamemnonsohnes. Es deutet sich hier schon an, was später deutlicher werden wird, dass nämlich Personennamen, „Namen von Heroen und Menschen“, keine geeigneten Fälle zur Stützung oder Überprüfung der Natürlichkeitsposition sind, trotz der Suggestivität der Atridennamen als „sprechende Namen“. Wie aufgrund der Relativierung des „Prinzips der synonymen Erzeugung“ zu erwarten, gibt es zwischen dem Namen von Orest und dem seines Vaters, Agamemnon, keine Bedeutungsähnlichkeit, die etwa der zwischen „Hektor“ und „Astyanax“ vergleichbar wäre. Ausdauer, Beharrlichkeit und Tatkraft sind die Charaktereigenschaften des Heerführers vor Troja. Und so bedeutet denn auch sein Name mit den Bestandteilen ἄγα- (was auf ἄγαμαι „bewundern“ bezogen wird) und μέμνων (vgl. die reduplιzierte Form μίμνων von μένων „harrend“): „bewundernswert (ἀγαστός) aufgrund seiner Beharrlichkeit (κατὰ τὴν ἐπιμονήν 395b1)“. Mit dem Namen von Agamemnons Vater Atreus hat es wohl (ἴσως) auch seine Richtigkeit (ὀρθῶς ἔχει 395b3): Seine ungeheuren Schandtaten – der
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gemeinsam mit Thyest an ihrem Bruder Chrysipp aus Eifersucht begangene Mord, die Auftischung der zerstückelten Glieder von Thyests Söhnen vor ihrem Vater – sind voll von Verderbnis und sittenlosem Frevel. Die Bildung seines Namens weist eine leichte Abwandlung und Verhüllung auf, sodass seine Natur nicht allen offenbar wird. Doch wer sich auskennt mit den Namen, dem macht der Name „Atreus“ hinreichend klar, was er sagen will (ἱκανῶς δηλοῖ ὂ βούλεται ὁ „Ἀτρεύς“ 395b8): In jeder Hinsicht, sowohl im Sinn von ateires (unbeugsam), atrestos (furchtlos) wie ateros (frevelhaft) ist der Name richtig gesetzt. In dem neuen semantischen Terminus βούλεται wird, analog zu anderen Verben, eine charakteristische Verschiebung vom intentionalen Subjekt, das etwas „sagen will“, zum linguistischen Instrument, das „etwas besagen will“, vorgenommen. Auch Pelops hat einen angemessenen Namen: „nah(pelas)-sichtig(op-)“ 395d2. Da er nur das unmittelbar Nächste sah, nämlich die begehrte Ehe mit Hippodameia, sah er nicht voraus, welches Unheil er auf sein ganzes Geschlecht lud, als er seinen bestochenen Komplizen Myrtilos, den Wagenlenker von Hippodameias Vater Oinomaos, der ihm zum Sieg über Oinomaos verholfen hatte, ermordete. Auch den Namen des Tantalos, des Vaters von Pelops, würde man, so Sokrates, wohl als naturgemäß gesetzt ansehen, jedenfalls wenn wahr ist, was über ihn erzählt wird. Die zahlreichen und furchtbaren Missgeschicke zu seinen Lebzeiten, darunter der Untergang seines Vaterlandes – alles Strafen für seine Frevel gegen die Götter – und schließlich im Hades das Schweben (talan teia) des legendären Felsen über seinem Haupt passen gut zu seinem Namen „Tantalos“ (σύμφωνος τῷ ὀνόματι 395e1), obwohl dieser so aussieht, als ob er eher verdecken soll, dass er der allerelendeste – talantatos – der Menschen war. Anstelle des von den meisten Interpreten bevorzugten talanteia – einer Konjektur von Spalding – bieten die Handschriften tantaleia, was wohl am ehesten mit „das Schwanken des Felsen über seinem Kopf“ wiederzugeben wäre. Die Oxford-Ausgabe hält an der Überlieferung fest, wohl deshalb, weil die Form tantaleia eher, wie es im Text heißt, mit Tantalos im Einklang – σύμφωνος – steht als das konjizierte talanteia und die behauptete Verdeckung von talanta tos durch Tantalos wohl weniger nachvollziehbar ist, wenn schon talanteia mit Tantalos so gut kongruieren soll. Obwohl eine interpretierbare Überlieferung natürlich respektiert werden sollte, soll die Frage hier offen belieben. Wie bei Orest, dem letzten behandelten Sproß, wird auch beim menschlichen Begründer des unseligen Geschlechts der Zufall als Namensbeschaffer angeführt, genauer ἡ τύχη τῆς φήμης (395e6): der Zufall der Legende, womit die Zufälligkeit der Übereinstimmung der legendären Ereignisse mit dem Namen oder die Zufälligkeit der legendären Überlieferung selbst gemeint sein
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kann. Wie dem auch sei, von einem rationalen Benennungsakt könnte auch hier allenfalls dann die Rede sein, wenn man wie bei Orest an eine nachträgliche poetische Prägung zu denken hätte. Eine „nomen est omen“-Deutung ist jedenfalls fernzuhalten.
V.2 Zeus, Kronos, Uranos (396a1–c3) Der Gang durch die Genealogie setzt sich fort, indem unvermittelt von der menschlichen zur göttlichen Deszendenz fortgeschritten wird. Zeus, dem man die Vaterschaft von Tantalus zuschreibt, ist, so Sokrates, ein sehr schön gesetzter Name. Das ist nicht leicht einzusehen, denn der Name des Zeus (Gen. „Dios“) ist eigentlich wie ein logos, eine verkürzte Aussage, von der die einen den Teil „Zena“, die anderen den Teil „Dia“ verwenden. Setzt man die Teile zusammen, machen sie die Natur des Gottes offenbar, ist er doch in höchsten Maße derjenige, „durch den“ (di ’hon 396b1) „Leben“ (zen) allem, was lebt zuteil, wird – also die Ursache des Lebens oder der Herrscher und König von allem.41 Die beiden Namen des Zeus enthüllen also die Natur des Zeus nicht für sich, sondern erst im Zusammenhang des mit ihnen bildbaren logos, wobei der Bestandteil „Ursache“ durch die Präpositionalphrase „di“ hon’ ausgedrückt wird, die, nunmehr zum onoma geworden, ebenso wie der Infinitiv „zen“ „leben“ deklinierbar wird (Dios, Dii, Dia – Zenos, Zeni, Zena). Angesichts der eingestandenen Unzugänglichkeit der Etymologie ist klar, dass die „Naturgemäßheit“ dieses Götternamens keine Grundlage für seine Verständlichkeit in dem Sinn ist, dass er seinen Zweck, ein Werkzeug der Unterrichtung (διδασκαλικὸν ὄργανον) zu sein, ohne weiteres erfüllt. Es wird zu fragen sein, inwiefern die Abkoppelung der „wahren“ (etymon) Semantik von der Alltagssemantik die These von einer natürlichen, rational begründbaren Richtigkeit der Namen infrage stellt. Dass Zeus der Sohn des Kronos ist, soll anstößig, frevelhaft – ὑβριστικόν – erscheinen (396b3 f.) Man könnte wohl zunächst an den seine Kinder verschlingenden und seinen Vater Uranos entmannenden, von Zeus bekämpften Kronos der Theogonie (178 ff. und 466 f.) des Hesiod denken, auf den gleich (396c4) verwiesen wird. Frevelhaft wäre dann sowohl das Verhalten des Kronos wie der Tabubruch, es auszusprechen. Ist diese Deutung von „frevelhaft“ richtig, dann 41 Im Rahmen der historischen Sprachwissenschaft lassen sich die drei Formen Ζεύς, Διός, Ζῆν auf dasselbe indogermanische Flexionsparadigma für den Stamm *dı̌eṷ- „Himmel(sgott)“ zurückführen: Ζεύς < *dı̌-dḗṷ-s Nom., Διός < *di-ṷ-és Gen., Ζῆν Σελαναία, 415d5 ἀειρείτη > ἀρετή, 416b5 ἀεισχοροῦν > αἰσχρόν, 421a7 aus einem logos zusammengehämmert: ὂν οὗ μάσμα ἐστίν > ὀνομαστόν). Als Motiv für diese teilweise gewaltsame Umformung und Vereinfachung nennt Sokrates das Streben nach einem „tragischen“ Ton (βουλομένων τραγωδεῖν, 414c5), nach „Wohlmündigkeit“ (εὐστομία 412e2, 414c7) sowie Verschönerung (καλλωπισμός 414c8), oder es geht schlicht um die Wirkung der Zeit (ὑπὸ χρόνου 414c8), also abgesehen von Letzterem intentionale Faktoren. Der langandauernde Einfluss dieser Faktoren kann schließlich, wie schon erwähnt (421d5), dazu führen, dass der Ursprung einer Sprache von einer fremden, barbarischen nicht mehr unterscheidbar ist. Das führt zu der Frage, ob es generell zwei Ebenen der Verständlichkeit gibt, diejenige des Experten auf der Basis etymologischer Rekonstruktion der „rhematischen“ Form und diejenige des Laien, dem das Wissen um die natürliche Richtigkeit der Wörter häufig unzugänglich bleiben muss. Das würde bedeuten, dass der „normale“ Sprachbenutzer seine Kenntnis der Bedeutung der Wörter in der Regel nicht aus einem Verständnis der natürlichen Richtigkeit beziehen kann. Heißt das, dass natürliche Richtigkeit mit Rücksicht auf den jeweiligen Sprachbenutzer relativiert werden muss? Falls es zum Wissen um den Sinn eines ὄνομα gehört, dass man sagen kann, warum etwas diesen Namen „hat“, ist diese Relativierung wohl anzunehmen. Damit wäre der Standpunkt bestätigt, von dem aus die Überprüfung der φύσει-Hypothese vorgenommen wird, nämlich dass es nicht jedermanns Sache ist, für jede Sache den Namen in „schöner Weise“ festzulegen (οὐ παντὸς ἀνδρὸς ἐπίστασθαι καλῶς αὐτὸ [sc. τὸ ὄνομα] πράγματι ὅτῳοῦν θέσθαι 391a8 f.). Die νομοθέτης-Hypothese ist durchaus damit vereinbar, dass man der Autorität des νομοθέτης folgt, ohne dass man seine Prägungen bis ins Letzte rational nachvollziehen kann. Doch selbst wenn dem „normalen“ Sprachbenutzer die „rhematische“ Form der Etymologien zugänglich wäre, würde das noch nicht die Einsicht in die natürliche Richtigkeit eines Namens garantieren. Dass „das Gesehene zu betrachten / reflektieren“ (ἀναθρῶν ἃ ὄπωπε) das „Mensch(ἄνθρωπος)-sein“ ausmacht, ist ja nicht selbstverständlich, sondern bedarf der Erläuterung der einschlägigen erkenntnistheoretischen Hintergründe. Auch dass „Gerechtigkeit“ (δικαιοσύνη) eigentlich Einsicht in das Gerechte (δικαίου σύνεσις) ist und dieses als das „Durchgängige“ (δια-ιον) zu verstehen ist, dürfte ohne Einbettung in den flusstheoretischen Hintergrund unverständlich und selbst mit einer derartigen Einbettung hochgradig erläuterungsbedürftig sein. Zwischen dem „normalen“ Sprachverstehen, das ja von Sokrates zweifellos vorausgesetzt
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wird, und der etymologisch aufgeklärten Einsicht in die „natürliche“ Richtigkeit klafft also u. U. eine beträchtliche Lücke. Es ist diese Distanz, sowie vor allem der große Umfang des etymologischen Abschnitts, der die Interpreten beschäftigt.
Exkurs: Die Ernsthaftigkeit der Etymologien Etymologien wie σέλας νέον τε καὶ ἕνον (409b12) – „neues Licht und altes“ ἔχει ἀεί „hat es stets“ – für die dorische Form σελαναία von attisch σελήνη „Mond“ muten grotesk an – oder wie Ademollo es formuliert – „delirous“. Es ist daher kein Wunder, dass manche Interpreten hier offenkundige Hinweise darauf sehen, dass die Etymologien insgesamt wenn nicht ironisch, so doch parodistisch gemeint sind. Besonders nachdrücklich vertritt diese Position Timothy M. S. Baxter in seiner Monographie Baxter (1992, S. 87), die er wie folgt ausdrückt: „Plato … sees a culture-wide fallacy afoot, that of interpreting language, and above all the language of ‚authorities‘ like Homer, as if it were transparently ‚natural‘, offering easy access to the essences of things.“ Aber wie aus 439b6–8 unmissverständlich hervorgehe, „etymology is an unreliable tool in seeking knowledge about things. This is the major positive result from the etymological inquiry, and it is here that one should seek the unifying feature of the etymologies. This unifying feature is indeed the exposure of a culture-wide error, not concerning flux, but rather language and its relationship to reality, an error which is set in the context of a schematic history of the development of Greek thought. So many theories and thinkers are represented because the use of etymology to ‚prove‘ a point was an unthought assumption of poets and philosophers from Homer to the Sophists. This assumption amounts to a version of Cratylus’ error: that of taking the existing language and treating it as though it fulfilled the prescriptive ideal“ (sc. des Organon-Modells). „Plato is creatively borrowing from a wide range of sources, but adding much else, producing a parody of Greek etymological practices.“ (Baxter 1992, 96). Die Fragwürdigkeit der etymologischen Methode als Begründungsverfahren werde dabei – so ist Baxter zu verstehen – nicht argumentativ aufgewiesen, sondern durch ironische und parodistische Distanzierung, durch die Art der Präsentation nahegelegt. Sollte es dabei um den Hinweis auf die rein sprachliche Unhaltbarkeit der Etymologien gehen, so ist zu berücksichtigen, dass der Etymologienteil ausdrücklich den Zweck verfolgt, zu klären, ob die Namen selbst Zeugnis dafür ablegen, dass sie nicht aufs Geratewohl festgelegt sind, sondern eine gewisse Richtigkeit haben (εἰ ἄρα ἡμῖν ἐπιμαρτυρήσει αὐτὰ τὰ ὀνόματα μὴ ἀπὸ τοῦ αὐτομάτου οὕτως ἕκαστα κεῖσθαι, ἀλλ’ ἔχειν τινὰ
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ὀρθότητα 397a7–9). Die Verwendung abwegiger Etymologien wäre dann aber eine widersinnige Argumentationsstrategie, denn „das Zeugnis der Namen“ selbst kann natürlich nur auf der Grundlage korrekter Analysen gewonnen werden, da nicht-korrekte Etymologien ja zulasten dessen gehen, der die Analyse vornimmt, und wird daher nichts – weder positiv noch negativ – über die natürliche Richtigkeit besagen können. Der ironische Nachweis etymologischer Unhaltbarkeiten in diesem – linguistischen – Sinne wäre demnach kontraproduktiv, es sei denn, die etymologische Methode als solche ließe sich als prinzipiell unhaltbar erweisen, wozu aber keine Anstalten gemacht werden. Nimmt man jedoch statt dessen an, der Wahrheitsgehalt der Etymologien werde in dem Sinne ironisch problematisiert, dass der deskriptive Gehalt der ὀνόματα zwar als etymologisch korrekt rekonstruiert (etwa δίκαιον als δια-ιόν), aber als auf ihre Referenten oder Nominata in Wahrheit nicht zutreffend angesehen wird (etwa δια-ιόν nicht auf „das Gerechte“), so ist zu bedenken, dass das jeweilige, diesem Ansatz zufolge ironisch vermittelte Urteil über die faktische Unrichtigkeit der Deskription genauso wenig argumentativ abgesichert wäre wie der ursprünglich mit der Etymologie erhobene und angeblich ironisch bestrittene Wahrheitsanspruch. In beiden Fällen stünden sich unbegründete Meinungen darüber gegenüber, wie sich die Dinge wirklich verhalten (vgl. ὁ θέμενος πρῶτος τὰ ὀνόματα, οἷα ἡγεῖτο εἶναι τὰ πράγματα, τοιαῦτα ἐτίθετο καὶ τὰ ὀνόματα 436b5 f.). So wird denn auch die tatsächliche Kritik des Sokrates an den Etymologien im Schlussteil des Dialogs in einem expliziten nichtironischen Argument vorgetragen, indem die „Dinge“ in ihrem gegenseitigen Verhältnis als eigentliche Quelle wahrer Erkenntnis dem Abbildcharakter der Namen gegenübergestellt werden, die dem Risiko des Irrtums ausgesetzt sind (vgl. 436b–439b). Eine ironische indirekte Stigmatisierung der etymologischen Methode im umfangreichen Mittelteil wäre demzufolge, abgesehen von ihrer mangelnden Plausibilität, außerdem noch redundant. Ein wichtiges Indiz dafür, dass zumindest der flusstheoretisch inspirierte Teil der Etymologien ein sachliches Interesse hat, wird, wie Sedley (2003, 159 f.) mit Recht hervorhebt, am Ende des Dialogs deutlich. Dort wird ausdrücklich betont, dass die Namenssetzer ihre Namensprägungen tatsächlich in der Ansicht vornahmen, dass sich alles in ständiger Bewegung und ständigem Fluss befände (φαίνονται γὰρ ἔμοιγε αὐτοὶ οὕτω διανοηθῆναι 439c3 f.), wie es die Etymologien voraussetzen. Sedley führt in diesem Zusammenhang die fruchtbare Kategorie der exegetisch korrekten Etymologien ein, für die gilt: „… they really do recover for us the beliefs of the original namegivers“ (a. a. O. 41). Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob diese Ansichten der Namensgeber zutreffend sind oder nicht – ob die Etymologien also als philosophisch, d. h. tatsächlich korrekt gelten können. Im Gegensatz zu manch anderen Interpreten
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vertritt Sedley die Position, dass Sokrates seine Etymologien als „exegetically sound“ ansieht. Diese Ansicht ist mehr als plausibel.
V.13 Der Abschluss der Analyse: von den sekundären (ὕστερα) ὀνόματα zu den primären (πρῶτα) ὀνόματα (422a1–e1) Der legitime Abschluss der etymologischen Analyse soll, wie Sokrates sagt, erreicht sein, wenn man bei etwas angelangt ist, was nicht mehr auf andere ὀνόματα zurückgeführt werden kann (422b7 f.), genauer: wenn man bei den στοιχεῖα oder πρῶτα ὀνόματα angelangt ist, bei denen der Prozess der Erläuterung von ὀνόματα durch das mit ihnen „Gesagte“ – ihren ῥήματα – zu seinem natürlichen Ende gekommen ist. Dass es diesen Endpunkt gibt, wird nicht eigens begründet (etwa mit der monoton abnehmenden oder wenigstens nicht zunehmenden Länge der Analysemittel66 oder mit der Endlichkeit des Wortschatzes qua Inventar der Analysemittel) und wird wohl als unproblematisch angesehen. Eine interessante Parallele zum Nachweis der ὀρθότης durch rekursive etymologische Analyse hier im Kratylos, auf die Barney (2001, 83) hinweist, findet sich bei Sextus Empiricus (Adv. Math. I, 241–5), wo gegen den Nachweis des griechischen Charakters eines Wortes (ἑλληνισμός) mithilfe fortgesetzter etymologischer Zerlegung eingewandt wird, dass sich dabei entweder ein unendlicher Regress ergibt oder aber die Analyse bei nicht-etymologisierbaren Wörtern endigt, die dann aus Gewohnheit (διὰ τὸ σύνηθες) als griechisch akzeptiert werden, welch Letzteres den ἑλληνισμός-Nachweis aufgrund von Etymologie völlig entwerte. Eine Beschränkung der ὀρθότης-Nachweise auf das etymologische Verfahren würde nun ein analoges Scheitern nach sich ziehen, insofern für die στοιχεῖα bzw. πρῶτα ὀνόματα mangels etymologischer Reduzierbarkeit nur noch der Rückgriff auf Konvention oder Gewohnheit übrig bliebe. Es ist daher folgerichtig, dass Sokrates hier für die στοιχεῖα ein anderes Verfahren des ὀρθότης-Nachweises ins Auge fasst – δεῖ…ἄλλῳ τινὶ τρόπῳ ἤδη τὴν ὀρθότητα ἐπισκέψασθαι ἥτις ὲστίν (422b6 f.).
66 Ein Gegenbeispiel wäre die Zurückführung von ὄν auf ἰόν.
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VI. Μίμησις VI.1 Offenbarmachung (δηλοῦν) durch Nachahmung (μίμησις) vs. Analyse in Konstituentien (422e2–423b3) Sokrates macht hier eine wichtige Unterscheidung: diejenige zwischen der ὀρθότης als solcher und dem τρόπος (422b7 und d12) ihrer Sichtbarmachung. Demnach gibt es nur eine Namensrichtigkeit, gleichgültig, ob es sich um ein πρῶτoν ὄνομα (bzw. στοιχεῖον) oder ein komplexes Schlussglied einer etymologischen Ableitung (ὕστατον ὄνομα, 422c8) handelt, da diese sich nicht durch ihr Name-Sein (τῷ ὄνομα εἶναι c8) unterscheiden: Die ὀρθότης besteht in beiden Fällen darin, „offenbar zu machen, wie das jeweilige Seiende ist“ (δηλοῦν οἷον ἕκαστόν ἐστιν τῶν ὄντων d2 f.). Im Falle der ὕστερα ὀνόματα – also der etymologisierbaren „sekundären Namen“ – wird die ὀρθότης durch Zurückführung auf zugrunde liegende „vorangehende“ (πρότερα d8) Konstituenten aufgewiesen. Im Falle der πρῶτα ὀνόματα, die keine Namenskonstituenten haben, geschieht dies durch etwas, was Sokrates durch Rückgriff auf die Gebärdensprache der Taubstummen erläutert. Hätten wir weder Stimme noch Zunge, so würden wir Hände, Kopf und andere Körperteile zum Bezeichnen – σημαίνειν (e8) – verwenden: Leichtes und das, was oben ist, würden wir durch Heben der Hand, Schweres und das, was unten ist, durch Senken der Hand offenbar machen, Bewegung von Pferden und anderen Tieren durch Angleichung der Körperhaltungen, kurz indem wir die Natur dessen, was wir offenbar machen wollen, nachahmen (μιμούμενοι αὐτὴν τὴν φύσιν τοῦ πράγματος 423a2 f.). Die Möglichkeit konventioneller Gesten bleibt außerhalb der Betrachtung.
VI.2 Gegenstand und Mittel der Nachahmung (423b4– d10) Statt körperlicher Gesten verwenden wir, um offenbar zu machen, auch Stimme, Zunge und Mund. Und das gelingt uns, wenn wir das, was wir offenbar machen wollen, mit ihnen nachahmen. (Auch hier bleibt die konventionelle Lösung außer Betracht.) Ein Name wäre demnach eine Nachahmung dessen, was nachgeahmt wird, mithilfe der Stimme (ὄνομ’ ἄρ’ ἐστίν … μίμημα φωνῇ ἐκείνου ὃ μιμεῖται 423b9 f.), und es benennt der, der mit der Stimme nachahmt, was er nachahmt (ὀνομάζει ὁ μιμούμενος τῇ φωνῇ ὃ ἂν μιμῆται b10 f.). Sokrates lehnt diese Bestimmung des ὄνομα energisch ab mit der Begründung, dass wir sonst sagen müssten, dass Leute, die Tiere (d. h. ihre Laute und Schreie) mit der Stimme nachahmen, diese damit benennen (ἀναγκαζοίμθ’ ἂν
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ὁμολογεῖν ὀνομάζειν ταῦτα ἅπερ μιμοῦνται 423c5 f.). Man könnte hierbei mit Ademollo (2011, 274) an die Tierlaute in der Komödie, z. B. den Vögeln des Aristophanes (227–8, 237, 260–2 τοροτοροτοροτοροτίξ) oder in seinen Fröschen (209–68 βρεκεκεκὲξ κοάξ κοάξ) denken und würde dem Sokrates wohl zustimmen, dass damit keine Tiere benannt werden. (Freilich werden die fraglichen Laute Tierchören in den Mund gelegt und sind nur außerhalb der dramatischen Illusion und der Perspektive des Zuschauers Nachahmungen). Zu fragen ist ferner, welchen Status „onomatopoetische“ Prägungen wie Kuckuck (κόκκυξ) haben. Im Unterschied zu den „dramatischen“ Tierlauten sind die Onomatopoesien vielfach in das Formensystem der Sprache integriert (κόκκυξ, Genitiv κόκκυγος etc.), also insofern keine wirklichen Nachahmungen und somit, fasst man sie als Namen auf, keine Gegenbeispiele gegen die These, dass Tierlautnachahmungen keine Namen sind. Es ist eigentlich schon klar, dass das Problem bei der Bestimmung des Namens als einer Nachahmung durch die Stimme (μίμημα φωνῇ ἐκείνου ὃ ἂν μιμεῖται 423b9 f.) darin besteht, dass damit nahegelegt wird, das Nachgeahmte sei etwas Lautliches. Sokrates erläutert dies zusätzlich durch Abgrenzung von dem, was er μουσική nennt: Zwar ahmen wir auch in der μουσική mit der Stimme nach, doch hat weder die Art und Weise, in der wir die Dinge mit der Stimme nachahmen, noch der Gegenstand der Nachahmung in der μουσική etwas mit der Art und dem Gegenstand der Nachahmung durch die Namen zu tun. Insbesondere benennen wir nicht, wenn wir die Dinge in der μουσική nachahmen. Den Dingen allgemein, so Sokrates, kommt Laut und Gestalt und vielen auch Farbe zu. Wenn es nun heißt, die Laute und die Gestalt und Farbe der Dinge nachzuahmen sei nicht Sache der Benennungskunst, sondern der μουσική einerseits und der Malerei andererseits, so ist zunächst einigermaßen klar, was mit Nachahmung in der Malerei gemeint ist: Der durch Nachahmung entstehende Gegenstand teilt mit dem Νachzuahmenden Farbe und Gestalt. Dass die Produkte der μουσική Lauteigenschaften haben, ist ebenfalls klar, doch inwiefern haben die hierbei nachgeahmten Gegenstände ebenfalls Lauteigenschaften (vgl. ἐάν … ταῦτα [sc. φωνὴ κτλ.] μιμῆται 423d7)? Ademollo (274) meint, dass hier μουσική in einem über die Tonkunst hinausgehenden und die ganze Dichtung umfassenden Sinn gemeint sei, so wie das, wogegen sich die Dichterkritik in der Politeia wendet, nämlich die universelle Nachahmungskunst, zuweilen (z. B. 398b6) als μουσική bezeichnet wird. Das ist nicht unplausibel, doch ist zu bedenken, dass eine solche (z. B. die Dichtungen Homers umfassende) μουσική auch Dinge nachahmen würde, die keine Lauteigenschaften haben. Ein engerer Umfang der μουσική ergibt sich, wenn die μίμησις der μουσική im Sinn von Resp. 398cff. als etwas verstanden wird, das auf die Nachahmung von Laut-
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äußerungen insofern gerichtet ist, als diese ein je verschiedenes Pathos ausdrücken können, unter Verwendung der dazu passenden Tonarten, etwa der klagenden ἁρμονίαι Meixolydisch und Syntonolydisch (398e1 f.) für Klagen und Jammern, der weichlichen Tonarten Ionisch und Lydisch für den musikalischen Ausdruck der Trinklieder (e10) oder der dorischen und phrygischen (399a3) für den der Kriegsgesänge. Es ist aber klar, dass auch diese enger gefasste μουσική sich eigentlich nicht auf die Nachahmung von φωνή im Sinne von Krat. 423d beschränken lässt, sondern Seelenlagen und Seelendispositionen berücksichtigen muss, vgl. etwa Resp. 401d5ff, und auch Aristoteles Politik Θ, 5, 1340a18 ff., doch davon wird hier wohl abgesehen.
VI.3 Unterscheidung zwischen den Eigenschaften (Farbe, Laut) und der οὐσία einer Sache (423e1–5) Nachdem nun klar ist, dass Imitationen von Tierschreien und die Produkte der Musik nicht die erforderlichen referentiellen Eigenschaften haben, um Namen zu sein, wird gleichsam nebenbei eine fundamentale begriffliche Unterscheidung eingeführt, nämlich die zwischen der οὐσία eines Gegenstandes und seinen Eigenschaften wie Farbe, Laut usw.; οὐσία soll alles haben, was die Bestimmung „Sein“ (πρόσρησις τοῦ εἶναι 423e3 f.) verdient, und die οὐσία von etwas mit Buchstaben und Silben nachzuahmen heißt, offenbar zu machen, was es ist (ὃ ἔστιν, e9). Damit ist der Gegenstand (οὐσία) und der Modus (mittels Buchstaben und Silben) der Nachahmungsleistung der Namen gefunden und die ihnen zugeordneten Experten, die Namensexperten, ὀνομαστικοί, sind neben die Nachahmungskünstler der Musik und Malerei getreten. Nicht nur jeder Gegenstand (πρᾶγμα 423d4, ἑκάστον e2) hat eine οὐσία, sondern auch seine Eigenschaften wie Farbe und Laut haben eine solche (e3). Sie nachzuahmen heißt dann, offen zu legen, was Farben oder Laute sind. Während also die onomastische Nachahmung der οὐσία, die einem Ding zukommt, offenbar macht, was das Ding selbst ist, liegt es nahe, auch für die οὐσία der einem Ding zukommenden Farbe, da diese ihrerseits ein „Etwas“ ist, eine onomastische Nachahmung anzunehmen. Wenn also einem Ding Röte zukommt, so würde die onomastische Nachahmung durch das ὄνομα „Röte“ offenbar machen, was Röte ist; hieße das, dass damit gleichzeitig offenbar gemacht wird, wie beschaffen das betreffende Ding ist, nämlich rot? Das würde heißen, dass auch die von einem Namen im Sinne von Phd. 103b und Parm. 130e6 abgeleitete ἐπωνυμἰα („rot“ von „Röte“) onomastisch erfasst werden würde. Die Art der Unterscheidung zwischen der οὐσία eines Dinges und seinen Eigenschaften erinnert, wie häufig festgestellt (z. B. Sedley 2003, 84, Anm. 15),
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an die aristotelische Kategorienlehre; freilich muss, um substanzontologische Assoziationen fernzuhalten (betreffend den τόδε τι-Status der aristotelischen οὐσία), statt οὐσία im aristotelischen Sinn als Parallele das eingesetzt werden, was im Kratylos durch onomastische μίμησις der οὐσία offenbar gemacht wird, nämlich (und das gilt auch im aristotelischen Sinn) das τί ἐστιν des betreffenden Dinges: In der ersten Kategorie wird spezifiziert, was das Ding ist, τί ἐστιν, in den restlichen Kategorien, wie beschaffen etc. es ist (ποῖόν ἐστιν …). Und so wie es hier im Kratylos heißt, dass auch den Eigenschaften wie Farbe und Laut eines Dinges οὐσία (im nicht-aristotelischen sokratischen Sinn) zukommt, betont auch Aristoteles, dass wir auch im Falle der Kategorien 2–10 dann jeweils am meisten wissen, wenn wir erkennen, was die Qualität, Quantität etc. ist (ὅταν τί ἐστι τὸ ποσὸν ἢ τὸ ποιὸν γνῶμεν 1028a36 ff.). Statt der absoluten aristotelischen Abstufung nach Selbständigkeit (τόδε τι-Sein) der ersten vs. den restlichen Kategorien tritt hier die relative Abstufung zwischen der οὐσία eines Dinges und der οὐσία der Eigenschaften eines Dinges, die beide der „Bestimmung des Seins für würdig erachtet werden“ (ἠξίωται ταύτης τῆς προσρήσεως, τοῦ εἶναι 423e5).
VI.4 Beispiele für Nachahmung der οὐσία durch Primärnamen (424a6–b2) Nachdem nun klar ist, dass die (Primär-)Namen durch Nachahmung der οὐσία offenbar machen, was das Benannte ist, wendet sich Sokrates wieder den ὀνόματα zu, die Anlass zur Annahme von nicht-etymologisierbaren Primärnamen waren, nämlich ἰόν, ῥέον und δοῦν. Allerdings wiederholt er sie nicht wörtlich, sondern in Form abstrakter bedeutungsnaher Nominalisierungen ἰέναι (Gehen), ῥοή (Fluss), σχέσις (Anhalten), und fragt: εἰ τοῖς γράμμασι καὶ ταῖς συλλαβαῖς τοῦ ὄντος ἐπιλαμβάνεται αὐτῶν ὥστε ἀπομιμεῖσθαι τὴν οὐσίαν (424a9 f.), was entweder heißen kann: [es soll geprüft werden], ob er, der Namensexperte [ὀνομαστικός], mit Buchstaben und Silben ihr Sein erfasst, sodass er ihr Wesen nachahmt (so u. a. Méridier [1931, 112]), oder ob sie [die Namen] mit ihren Buchstaben und Silben ihr Sein erfassen, sodass sie ihre Wesen nachahmen (so Ademollo [2011, 281]). Nach Ademollo ist „ihr Sein“ τοῦ ὄντος … αὐτῶν eindeutig nicht auf das Sein der Namen, sondern auf das Sein ihrer Referenten (nämlich das Sein von ἰέναι [Gehen], ῥοή [Fluss], σχέσις [Anhalten]) bezogen (es gehe ja um die οὐσία des Benannten und nicht um die der Namen), was es erforderlich mache, die Anführungszeichen der meisten Herausgeber bei „ἰέναι“, „ῥοῆς“, „σχέσεως“ in 424a3 f. wegzulassen. Freilich wird man, falls „die Namen“ = das zu ergänzenden Subjekt von ἐπιλαμβάνεται
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(„erfassen“) sind, diese virtuell doch mit Anführungszeichen versehen müssen, da auf ihre Buchstaben und Silben (424a9 f.) Bezug genommen wird, sie also erwähnt werden. Die von Ademollo angemahnte Unebenheit der Version mit Anführungszeichen, dass nämlich der damit behauptete Rückbezug auf ἰόν, ῥέον und δοῦν (421c4) eigentlich ungenau oder falsch wäre, ist wohl in Kauf zu nehmen.
VI.5 Abbildung der Lautstruktur auf die Seinsstruktur (424b7–425b4) Die ins Auge gefasste Nachahmung der οὐσία mittels Buchstaben und Silben führt zur Frage nach einer Einteilung der Nachahmungsmittel, der Buchstaben und Silben. Sokrates schlägt vor, sich am Vorgehen derjenigen zu orientieren, die sich mit Rhythmen beschäftigen, also zunächst die phonetischen und prosodischen Eigenschaften, die „Potenzen“ (δυνάμεις 424c2) der Lautelemente und Silben zu untersuchen und sich erst dann in Analogie zur metrischen Behandlung der Rhythmen, als der geordneten Abfolge des „Langsamen und Schnellen“ (Symp.187b7–c2), den Wörtern und größeren Einheiten zuzuwenden. Damit begibt er sich, falls man dem in seiner Authentizität bezweifelten Dialog Hippias maior sowie dem Hippias minor folgt, ins Fachgebiet des Sophisten Hippias, dem Experten für das Unterteilen (διαιρεῖσθαι) im Bereich der δύναμις der Buchstaben, Silben, Rhythmen und Harmonien (vgl. Hp.ma. 285d1 f. und Hip. min. 368d4–5 und den Kommentar von Barney [2001, 101]). Die Unterteilung sieht so aus: Zunächst sind die Vokale (τὰ φωνήεντα 424b8) abzusondern, die übrigen (die nichtvokalischen) Laute sind entsprechend ihren Arten zu unterteilen in ἄφωνα καὶ ἄφθογγα (vielleicht muta) und nichtvokalische Geräuschlaute (τὰ φωνήοντα μὲν οὔ, οὐ μέντοι γε ἄφθογγα b9). Auch die φωνήεντα selbst sollen dann nach ihren Arten (εἴδη) unterteilt werden. Die „Dihaeresis“ wird somit entsprechend ihrer zentralen „dialektischen“ Funktion in Phaidros, Sophistes, Politikos und Philebus zur Etablierung einer taxonomischen Merkmalsstruktur verwendet. Was nun kommt, ist äußerst bemerkenswert, wenn auch nicht ganz einfach zu rekonstruieren: Das Reich der Denotate – der Dinge, d. h. der Seienden, denen die Namen zuzuweisen sind – ist zunächst nach ähnlich grundsätzlichen Gesichtspunkten wie das Gebiet der Lautelemente (στοιχεῖα) zu strukturieren, dann soll mittels einer Art rudimentären Homomorphismus eine Abbildung zwischen Lautelementen und Denotaten hergestellt werden. Bemerkenswert ist, dass die Analyse in Buchstaben / Lautelemente στοιχεῖα hier nicht wie in Tht. 202eff., Soph. 253a oder Phil. 17aff. vorwiegend illustrativen Zwecken dient, sondern selbst als Leitfaden der ontologischen Analyse fungiert.
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Der überlieferte Wortlaut 424d1 f. καὶ ἐπειδὰν ταῦτα (oder πάντα in B) διελώμεθα τὰ ὄντα εὖ πάντα αὖθις δεῖ ὀνόματα ἐπιθεῖναι, „wenn wir diese (oder alle) Seienden unterteilt haben, muss man wiederum in rechter Weise alle Namen zuweisen etc.“, ist freilich schwer in den Kontext integrierbar, denn man würde nicht erwarten, dass auf die Unterteilung der Seienden schon vor ihrer Durchführung zurückgeblickt wird und dann gleich zur Zuweisung der Namen übergegangen wird, von deren Herstellung erst etliche Zeilen später (425a1) die Rede ist. Die scharfsinnige Konjektur αὖ οἶς – (denen wiederum) statt αὖθις von Badham, die auch Méridier, Dalimier, Sedley und Ademollo gutheißen, und die Friedländer (1957, 314) in seine eigene Emendation eingebaut hat, löst zumindest teilweise das Problem: Sie erlaubt es, hinter διελώμεθα zu interpungieren, und so mit καὶ ἐπειδὰν ταῦτα διελώμεθα (wenn wir diese Unterscheidungen gemacht haben) auf die eben vorgenommene Unterteilung der Laute statt der Seienden zu verweisen. Die mit der Konjektur nahegelegte Verschiebung von τὰ ὄντα … αὖ οἷς δεῖ ὀνόματα ἐπιθεῖναι (424d2 „die Seienden, denen Namen zuzuweisen sind“) in den Nachsatz erfordert es allerdings, für das so gewonnene Objekt aus dem Kontext einen Verbkomplex zu ergänzen: entweder aus (424c7) δεῖ διελέσθαι (i.e sind zu unterteilen nämlich die Seienden), so Robinson und Heindorf in der Oxford-Ausgabe, oder (aus 424d5 διαθεασαμένους) διαθεατέον (sind zu überprüfen / analysieren), so Sier (pers. Mitteilung). Das vorher unpassend antizipierende δεῖ ὀνόματα ἐπιθεῖναι dient in οἷς δεῖ ὀνόματα ἐπιθεῖναι (424d2) nun nicht mehr der verfrühten Ankündigung der Namensbildung, sondern lediglich der Charakterisierung der Seienden als Namensträger. Es bleibt das Problem, dass den lautlichen Elementen, den στοιχεῖα der ersten Namen, auf der Seite der Seienden unpassenderweise Träger von Namen – eben οἷς δεῖ ὀνόματα ἐπιθεῖναι zu entsprechen scheinen, denen dann konsequenterweise sowohl ὀνόματα als auch deren στοιχεῖα zugeordnet werden müssten. Will man jedoch die στοιχεῖα, mit deren Hilfe die von den ersten Namen zu leistende Nachahmung des Seins ihrer Denotate (μίμησις der οὐσία) gemäß 424a9 ff. zu vollziehen ist, nicht selbst wieder zu Namen deklarieren, müsste als Entsprechung zu den lautlichen στοιχεῖα auch aufseiten der Seienden ontologische Elemente auszumachen sein, die so elementar sind, dass auf sie nicht mit Namen Bezug genommen werden kann. Ob das eine vertretbare Option ist, hängt u. a. davon ab, wie der indirekte Fragesatz εἰ ἔστιν εἰς ἃ ἀναφέρεται πάντα ὥσπερ τὰ στοιχεῖα, ἐξ ὧν ἔστιν ἰδεῖν αὐτά τε καὶ εἰ ἐν αὐτοῖς ἔνεστιν εἴδη κατὰ τὸν αὐτὸν τρόπον ὥσπερ ἐν τοῖς στοιχείοις (424d2–5) zu interpretieren ist. Versteht man ihn als mit der Unterteilung der Seienden (τὰ ὄντα …πάντα sc. δεῖ διελέσθαι 424d1, s. o.) bzw. nach Sier mit ihrer Überprüfung / Analyse (διαθεατέον, s. o.) verbundene Leitfrage, so ist zu klären, ob mit εἰ ἔστιν εἰς ἃ ἀναφέρεται πάντα gefragt wird, (i) ob es unter den sämtlichen
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Seienden (τὰ ὄντα … πάντα) solche gibt, auf die alle „zurückbezogen“ oder „zurückgeführt werden“ können, was die Deutung εἰ ἔστιν sc.ὄντα εἰς ἃ ἀναφέρεται πάντα sc. ὄντα (424d2) nach sich ziehen würde, oder (ii) ob εἰ ἔστιν im Sinne von „ob es etwas gibt, auf das alles zurückgeführt werden kann“67 zu verstehen ist, womit die Annahme von Elementen des Seienden verbunden wäre. Diese letztere Deutung würde von εἰς ἃ ἀναφέρεται πάντα ὤσπερ τὰ στοιχεῖα gestützt werden, wenn man dies mit Kahn (1973, 166, 18), Dalimier und M. A. Stewart (1975, 171) im Sinne von „to which all things are referred to as their στοιχεῖα“, (d. h. „as basic elements“) verstehen könnte, wogegen Ademollo (2011, 287, Anm.49) aber einwendet, dass dann ὥσπερ στοιχεῖα (ohne Artikel) statt ὥσπερ τὰ στοιχεῖα zu erwarten wäre. (Dennoch folgt unsere Übersetzung diesem Vorschlag.) Nach Ademollo (2011, 287), der εἰ ἔστιν gemäß (i) als „ob es Seiende gibt“ deutet, hängt ὤσπερ τὰ στοιχεῖα von εἰς ἃ ἀναφέρεται πάντα in folgendem Sinn ab: „The question is whether there are some beings which all beings are referred to as letters are, i. e. as there are some letters which all other letters are referred to.“ Das Vorbild wäre demnach die eben vorgenommene Ein teilung aller Buchstaben in Vokale (φωνήεντα) und Nichtvokale (ἄφωνα), und ebenso wie diese müssten die Seienden in grundlegende Kategorien eingeteilt werden. Dagegen wäre hier nicht von ontologischen Elementen die Rede. Unbefriedigend bei dieser Übersetzung ist, dass die στοιχεῖα im Vergleich diejenigen wären, die explizit auf etwas anderes zurückgeführt werden (τὰ στοιχεῖα als Subjekt des im ὥσπερ-Satz mitzuverstehenden ἀναφέρεται), während doch vielmehr das, worauf zurückgeführt wird, στοιχεῖον-Charakter haben müsste. Eine weitere Möglichkeit, ὤσπερ τὰ στοιχεῖα im Sinne von (ii) zu konstruieren, wäre wie folgt: εἰ ἔστιν ὤσπερ τὰ στοιχεῖα εἰς ἃ ἀναφέρεται πάντα ob es etwas gibt, wie die Buchstaben, auf das alles Seiende zurückgeführt werden kann. Ademollo scheint dieser Version deshalb ablehnend gegenüber zu stehen, weil damit das Verhältnis von Namen zu ihren Buchstabenbestandteilen als Muster für die Zerlegung des Seienden zu fungieren scheint, im Sinne der Übersetzung von Reeve: „if there are some things to which they can all be carried back, as names are to the letters.“ Doch ist das kein überzeugender Ablehnungsgrund. Die Auffassung von εἰ ἔστιν im Sinne von (ii) „ob es Elemente gibt“ statt „ob es Seiende gibt“ macht die nun folgende homomorphe Zuordnung von στοιχεῖα qua Buchstaben zu dem, was nachgeahmt werden muss, leichter nachvollziehbar, als wenn den Buchstaben voll benennbare Seiende zuzuordnen wären. 67 So Gaiser (1974), 81), der übersetzt: „Und wenn wir diese unterschieden haben, dann müssen wir auch das Seiende alles, dem man Namen beizulegen hat, unterscheiden, ob es Voraussetzungen gibt, auf die alles (Seiende) zurückgeführt werden kann …“
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Zwar wird auch die These vertreten, dass die στοιχεῖα qua Buchstaben / Laute als die eigentlichen nicht mehr zerlegbaren Primärnamen (πρῶτα ὀνόματα) aufzufassen sind, so Baxter (1992, 76 f.), da der Begriff der πρῶτα ὀνόματα zunächst im Vergleich mit στοιχεῖα eingeführt (ὡσπερεὶ στοιχεῖα 422a3) und dann auch ohne Vergleichseinschränkung (422b3, b6) verwendet wird. Es ist aber klar, dass στοιχεῖα hier nicht qua γράμματα als Namen aufgefasst werden, denn zurückblickend auf die etymologischen Analysen heißt es an derselben Stelle (422c1): πάντα γοῦν τὰ ἔμπροσθεν εἰς ταῦτα ἀνεληλυθέναι, was bedeutet, dass alle Etymologien auf diese „Namen-στοιχεῖα hinausgelaufen“ seien. Es ist aber offensichtlich, dass keine vorgelegte etymologische Analyse eine Analyse in Buchstaben war; στοιχεῖον wird hier somit nicht im Sinne von Buchstabe, sondern im Sinne von „Element“ verwendet. Ferner ergibt sich später aufgrund von 434a4–6 (ἀναγκαῖον πεφυκέναι τὰ στοιχεῖα ὄμοια τοῖς πράγμασιν, ἐξ ὧν τὰ πρῶτα ὀνόματά τις συνθήσει) eindeutig, dass πρῶτα ὀνόματα wie alle ὀνόματα aus στοιχεῖα zusammengesetzt und nicht mit ihnen identisch sind. Aus der problematischen Periode 424d1–5 bleibt noch der Teil 424d3–5 zu interpretieren: ἐξ ὧν ἔστιν ἰδεῖν αὐτά τε καὶ εἰ ἐν αὐτοῖς ἔνεστιν εἴδη κατὰ τὸν αὐτὸν τρόπον ὥσπερ ἐν τοῖς στοιχείοις – „von denen aus [sc. von den Instanzen aus, auf die die Seienden sich beziehen] sowohl sie (die ὄντα) selbst in den Blick zu nehmen sind als auch die Frage, ob es in ihnen Arten gibt ebenso wie bei den Namenselementen“. Ἐξ ὧν ist auf das zu ergänzende Subjekt des vorausgehenden εἰ ἔστιν bzw. das Bezugswort des Relativsatzes εἰς ἃ ἀναφέρεται πάντα zu beziehen. Nimmt man an, dass als dieses Subjekt ὄντα zu ergänzen ist, dann ergibt sich, dass man von diesen Seienden aus sie selbst – αὐτά – erblicken kann und (sehen kann) ob es bei ihnen Arten gibt ebenso wie bei den Lautelementen. Diese Konstruktion von ἐξ ὧν ἔστιν ἰδεῖν αὐτά ergibt nach Ademollo keinen guten Sinn. Wie dem auch sei, man müsste wohl eine αὐτὸ καθ’αὑτόErkenntnis (von etwas aufgrund seiner selbst) ansetzen, die an dieser Stelle etwas unerwartet, wenn auch nicht unmöglich wäre. Leichter nachvollziehbar wäre es, wenn man im Sinne von (ii) (s. o. S. 217) ἐξ ὧν (ἔστιν ἰδεῖν αὐτά) statt auf ὄντα ebenso wie εἰς ἃ (ἀναφέρεται d2) auf ontologische στοιχεῖα beziehen könnte, die es erlauben würden, das, was mit αὐτά anaphorisch wiederaufgenommen wird, zu erfassen – nämlich das Subjekt πάντα von ἀναφέρεται sowie dadurch vermittelt schließlich τὰ ὄντα εὖ πάντα αὖ οἷς δεῖ ὀνόματα ἐπιθεῖναι des übergeordneten Matrixsatzes (424d1), also das Seiende. Das Gesamtbild des Reichs der Denotate, denen es nach 424d1–5 passende Namen zuzuweisen gilt, sieht demnach wie folgt aus: Das Seiende ist in Arten (εἴδη) eingeteilt und außerdem möglicherweise in ontologische Stufen, die vom weniger Elementaren zum Elementaren führen, wobei das Elementare das weniger Elementare sowohl ontologisch fundiert (ἔστιν εἰς ἃ ἀναφέρεται πάντα
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ὥσπερ τὰ στοιχεῖα, 424d2 f.)68 als auch erkenntnismäßig erschließt (ἐξ ὧν ἔστιν ἰδεῖν αὐτά τε καὶ εἰ ἐν αὐτοῖς ἔνεστιν εἴδη κατὰ τὸν αὐτὸν τρόπον ὥσπερ ἐν τοῖς στοιχείοις, 424d3 f.). Wir befinden uns innerhalb des Versuchs, die Nachahmung der οὐσία der Denotate durch die πρῶτα ὀνόματα mithilfe von Lautelementen – στοιχεῖα – nachzuzeichnen. Auf einer ersten Stufe sollen die στοιχεῖα entweder eins zu eins (ἓν ἑνί 424d7) oder nach einer passenden Mischung der Komponenten vieles zu eins (πολλὰ ἑνί) ihren ontischen Entsprechungen zugeordnet werden. Dies sieht aus, als ob der Beginn einer homomorphen Abbildung69 skizziert wird, bei der zunächst die Elemente der Ausgangsstruktur auf ihre Korrelate abgebildet werden. Doch dann dominiert das Bild der Farbauftragung einfacher (wie Purpur ὄστρεον) und gemischter Farben (wie Fleischfarbe ἀνδρείκελον). Was fehlt, sind die Korrelationen der syntaktischen Verhältnisse in den beiden homomorphen Domänen, die allenfalls erahnbar sind, wonach – in moderner Darstellung – Abbildung(F(a, b, …)) = Abbildung(F)(Abbildung(a),Abbildung(b), …) oder Ähnliches gelten müsste, falls F in F(a, b, …) in funktionaler Notation die syntaktische Operation der Zusammenfügung der Konstituenten a, b etc. symbolisiert. Die Ausklammerung der Syntax charakterisierte ja schon die Behandlung der Wortstruktur im etymologischen Teil. Dass die Zusammensetzung (συντίθεσθαι 425a1) größerer Einheiten (συλλαβή, ὄνομα, ῥῆμα) auf der sprachlichen Ebene eine ebensolche Zusammensetzung auf der Ebene der πράγματα nachbildet, bleibt implizit oder wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Doch was den lautlichen στοιχεῖα auf der sachlichen denotationellen Ebene entspricht, bleibt weiterhin zu fragen. Mit der Verwendung der Malerei als Analogie bleibt gerade der begriffliche Fortschritt von der Nachahmung von Farbe und Laut zur Nachahmung der οὐσία bzw. des τί ἐστιν zunächst unausgedrückt. Die Verwendung zweier analytischer Ebenen, der etymologischen für komplexe ὀνόματα und der mimetischen für πρῶτα ὀνόματα legt nahe, dass es auch zwei Methoden der Integration der jeweiligen Analyseresultate gibt, bzw. zwei Arten zusammenfügender Operationen im Rahmen der zwei Homo morphismus-Stufen bei der Ableitung von πρῶτα und ὕστερα ὀνόματα. Im 68 Das Fundierungsverhältnis wird nicht zufällig mit dem aufgeladenen Verb ἀναφέρεσθαι ausgedrückt, das u. a. das Verhältnis der Dinge / Instanzen zu den Ideen (vgl. Phaidon 75b6 εἰ μέλλομεν τὰ ἐκ τῶν αἰσθήσεων ἴσα ἐκεῖσε ἀνοίσειν, 76d9 ἐπὶ ταύτην [sc. τὴν οὐσίαν] τὰ ἐκ τῶν αἰσθήσεων πάντα ἀναφέρομεν), des Abbilds zu seinem Urbild (Rep. 484c9), sowie des Definiendum zur Definition (Phdr. 237d1) charakterisiert. 69 Wegen der Möglichkeit der Zuordnung vieler στοιχεῖα zu einem Ding (πολλὰ ἑνί) müsste man technisch von einem Homomorphismus sprechen, der Dinge quasi onomasiologisch auf στοιχεῖα / Lautelemente abbildet und nicht umgekehrt.
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Falle der etymologischen Analyse der ὕστερα ὀνόματα wird die implizit gelassene Integration der Analysantien wohl durch die Operationen erreicht, die der Bildung komplexer λόγος-Konstituenten dienen, die als ῥήματα (wie ἀναθρῶν ἃ ὄπωπε) den Sinn von ὕστερα ὀνόματα (wie ἄνθρωπος) entfalten, m.a.W. die zur etymologischen Analyse konverse Wortbildung basiert auf der Syntax und Semantik der Satzbildung. Im Falle der Bildung der πρῶτα ὀνόματα aus στοιχεῖα bleibt das Prinzip der Integration im Dunkeln, insbesondere bleibt unklar, was die Operation der Verkettung der mimetischen στοιχεῖα auf der Sinnebene abbilden soll. Ademollo hat wohl recht, wenn er ausschließt, dass es eine Zusammensetzung materieller Objekte aus materiellen Bestandteilen sein soll. Stattdessen denkt er an eine Art von „composition whereby various kinds or properties combine to make up a thing’s nature, and of which the ontological division announced at 424d should constitute an analysis“ (2003, 292). Dabei sollen die στοιχεῖα zwar basale, aber keine ultimativen Elemente der Wirklichkeit darstellen. Die Rolle solcher ultimativen Konstituenten weist er vielmehr z. B. jenen Kategorien qua summa genera von Buchstaben zu, wie sie in der Dihaeresis in Vokale (φωνήεντα) und stimmlose Laute (ἄφωνα) angedeutet werden, die er in einen Zusammenhang mit der altakademischen kategorialen Unterscheidung von absolutem (ὂν καθ’ αὑτό) und relativem Sein (ὂν πρός τι) rückt. Wie dem auch sei, es scheint so, als ob die so natürlich erscheinende neuzeitliche Unterscheidung von Phonemen als bedeutungsunterscheidenden Einheiten ohne eigene Semantik einerseits und Morphemen als minimalen Bedeutungsträgern andererseits kaum mit der Funktion von στοιχεῖα, die die οὐσία mimetisch offenlegen sollen, in Einklang gebracht werden kann. Die Annahme einer Zusammensetzung von ὀνόματα und ῥήματα aus Silben 425a1 legt nahe, dass hier rhemata nicht im Sinne der eben erwähnten mehrgliedrigen etymologischen Analysemittel von 399b1 und 421e1–2 gemeint sind, die ja aus mehreren Wörtern bestehen können, sondern dass rhemata hier auf derselben Komplexitätsstufe wie onomata stehen. Ademollo nimmt daher mit Recht an, dass hier rhema im Sinne von „Verb“ zu verstehen ist, ebenso wie in 431b5–6 und der logos-Analyse im Sophistes (261cff.). Das „große und schöne Ganze“, das „wir aus Namen und Verben zusammenfügen werden“, nämlich der logos, ist wohl eher ein Text als nur ein „Satz“, wird es doch mit einem von der Malerei erstellten Gemälde (ζῷον 425a3) verglichen. Und als die dem logos zugehörige Kunst wird die Onomastik oder Rhetorik der Malerei zur Seite gestellt. Ob ζῷον hier auch die konkretere Bedeutung „Lebewesen“ hat wie in dem berühmten Vergleich, mit dem Sokrates im Phaidros 264c2–5 die Erfordernisse der Struktur einer Rede charakterisiert, muss offenbleiben, ebenso die Frage, ob hier dem logos auf der ontologischen Ebene im Rahmen des angedeuteten
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Homomorphismus etwas zur Dingkategorie Gehöriges (und nicht etwa etwas Propositionales) zugewiesen wird. Sokrates hatte die Unterteilung der Laute nach dem Vorbild der Metriker und ihre homomorphe Zuordnung zu den ontologischen Elementen als etwas angekündigt, was „wir“ durchführen müssen (424c6), und hatte die 1. Person Plural bis hin zur programmatischen Bildung des λόγος aus Namen und Verben beibehalten („wir werden etwas Schönes und Großes zusammenfügen“ 425a3). Doch dann hält er inne und korrigiert sich (425a5): „Nicht wir machen das – ich habe mich mitreißen lassen –, sondern die Alten haben es so zusammengefügt, wie es ist.“ Sokrates ändert also seine Perspektive – Barney (2001, 97) spricht von einem „pivotal moment“ – und wechselt von der eher konstruktiven Vorgehensweise zu einer rekonstruktiven. Es geht darum, das Produkt der Alten kunstgerecht (τεχνικῶς, 425a7) daraufhin zu überprüfen, ob die primären und sekundären Namen in angemessener Weise gebildet wurden. Das Partizip οὕτω διελομένους (425b1) – „in dieser Weise zerlegend“ – kann entweder so verstanden werden, dass die klassifizierende dihairetische Kontrolle der „konstruktiven Phase“ weiterhin aktiv bleibt. Sie dient dann allerdings weniger der nomothetischen oder onomastischen Prägung der Namen als der Überprüfung der Korrektheit der vorhandenen primären und sekundären Namen (425b1 f.), so Ademollo (2003, 299). Oder οὕτω διελομένους bezieht sich darauf, dass die Unterteilung (διαιρεῖσθαι) sich am vorgängigen Zusammensetzen (συνθεῖναι) der „Alten“ orientieren soll, so die Übersetzung von Reeve (1998). Es ist zu fragen, wieviel Gewicht diesem „pivotal moment“ zugemessen werden muss. Solange es nur um die Einteilung und Systematisierung der Lautelemente ging, lag die konstruktive Sicht nahe, insbesondere da die entsprechende schwierigere Systematisierung der homomorphen „ähnlichen“ (vgl. κατὰ τὴν ὁμοιότητα 424d6) ontischen Elemente weitgehend programmatisch blieb. Die Beibehaltung dieser konstruktiven nomothetischen Sicht wäre aber jetzt, wo es um die Generierung neuer statt der bloßen Analyse vorhandener primärer Namen gegangen wäre, wohl ungleich schwieriger, wenn nicht unmöglich gewesen. Es wäre auf die Schaffung einer naturalistischen Idealsprache κατὰ τὴν ὁμοιότητα hinausgelaufen. Der eigentlich angestrebte Nachweis der natürlichen Richtigkeit der vorhandenen primären und sekundären Namen wäre dann entweder unterblieben oder auf die zufällige Koinzidenz mit den konstruierten idealsprachlichen Namen angewiesen gewesen. Der Nachdruck, der darauf gelegt wird, dass der konstruktive Generierungsprozess von den στοιχεῖα bis zum λόγος im Rahmen einer onomastischen oder rhetorischen τέχνη seinen Gipfelpunkt findet (425a4 f.), lässt es verständlich
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erscheinen, dass einige Interpreten (Kretzmann, Baxter, Ademollo) daran denken, dass das Konzept einer Idealsprache zumindest als abstrakte Möglichkeit im Hintergrund eine Rolle spielt: Zu fragen wäre dann, ob das letztliche Scheitern der aktuellen Sprache an den Anforderungen der natürlichen Richtigkeit (s. u.) angesichts einer Idealsprache in der Hinterhand das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist. Geht man davon aus, dass Sokrates nunmehr die Wendung von der konstruktiven zur bescheideneren rekonstruktiven Vorgehensweise vollzogen hat, dann ist die abschließende Bemerkung: „Anders zu verknüpfen wäre verkehrt und unmethodisch“ – ἄλλως δὲ συνείρειν μὴ φαῦλον ᾖ καὶ οὐ καθ’ ὁδόν (425b3) nicht ganz klar – es sei denn, die eher konstruktive Operation des Verknüpfens (συνείρειν) kann als Phase in das rekonstruktive Betrachten (σκοπεῖσθαι 425b1) integriert werden. Mit der Frage, „traust du dir die erforderliche Zerlegung zu“, die wohl eher auf διαιρεῖσθαι als Namenszerlegung (im Sinne von Reeve, s. o.) als auf διαιρεῖσθαι als taxonomische „diahairesis“ (i. Sinne von Ademollo, s. o.) abzielt, wird der „onomastische“ Überschwang (424a4f) etwas abgekühlt. Natürlich trauen sich weder Hermogenes noch Sokrates zu, das eben skizzierte Programm durchzuführen. Anknüpfend an die Bescheidenheitsgeste anlässlich der Götternamen, wo man sich statt auf die unzugänglichen tatsächlichen Namen auf die Meinungen der Menschen beschränkte (401a2–6), soll auch jetzt statt nach den sachlichen, „kunstgerechten“ Anforderungen (εἰ μὲν τεχνικῶς ἔδει αὐτὰ διαιρεῖσθαι 425c5) nach den eingeschränkten Möglichkeiten (κατὰ δύναμιν) der Gesprächspartner verfahren werden. Im Sinne einer weiteren Relativierung bemerkt Sokrates (425d1), dass es eigentlich lächerlich erscheinen könnte, wenn die Dinge durch Buchstaben und Silben manifest und deutlich werden sollen. Es fragt sich, ob damit eine offene, also nicht-ironische Distanzierung von der μίμησις-Konzeption der πρῶτα ὀνόματα und darüber hinaus von der etymologischen Methode des ὀρθότηςNachweises insgesamt zum Ausdruck kommt. Sedley (2003, 76) wendet gegen diese Deutung ein, dass die Wertung als lächerlich (γελοῖον) von Platon an zentralen Stellen verwendet wird, um das Neue und Unerwartete eines Gedankens zu betonen. So wird im Staat die Forderung nach gleicher Erziehung von Männern und Frauen als etwas eingeführt, das „lächerlich erscheinen könnte“ (452a7) und der zentrale Philosophen-Königssatz als etwas angekündigt, das „(uns) wie eine berstende Welle mit Gelächter und Schmach überschwemmen wird“ (473c8, Übersetzung von R. Rufener). Zwar hat die Auffassung, dass die μίμησις der οὐσία der Dinge durch Buchstaben und Silben zustande kommen soll, einen kategorisch anderen Stellenwert als der Philosophen-Königssatz, doch verdient die radikale Folgerichtigkeit der μίμησις-These es, besonders
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hervorgehoben zu werden. Will man im Falle der πρῶτα ὀνόματα nicht klein beigeben und der Konvention das Feld überlassen, so bleibt wenig anderes übrig, als dem Lautmaterial eine Rolle zuzubilligen, die Sokrates bei der Einführung des ὄργανον-Modells vernachlässigen zu können meinte (vgl. ἕως ἂν τὸ τοῦ ὀνόματος εἶδος ἀποδιδῷ τὸ προσῆκον ἑκάστῳ ἐν ὁποιαισοῦν συλλαβαῖς 390a6 f.), und das ist in der Tat ein neuer Gesichtspunkt.
VI.6 Die μίμησις-Auffassung der πρῶτα ὀνόματα ist alternativlos (426a1–b3) Sokrates betont die Unausweichlichkeit (ἀνάγκη 425d2) der μίμησις-These, indem er die mangelnde Plausibilität der Alternativen betont. Die Götter als Ursprung der Primärnamen wäre ein Kunstgriff derselben Qualität wie ein deus ex machina der Tragödiendichter, ebenso der Verweis auf barbarische (d. h. fremde) Herkunft oder gleichwertig damit auf ihr hohes Alter (wobei der Hinweis auf den archaischen Status der Barbaren [425e6] dadurch relativiert wird, dass die Vergangenheit der eigenen Sprache sich eventuell in derselben Unzugänglichkeit verliert wie die fremden Sprachen). All diese Alternativen sind nichts als geistreiche (κομψαὶ) Ausflüchte (ἐκδύσεις), mit denen versucht wird, den Richtigkeitsnachweis für die ersten Namen zu umgehen. Doch unterbleibt dieser Nachweis, so überträgt sich die mangelnde Kenntnis der Richtigkeit der Primärnamen auf die Sekundärnamen. Denn deren Richtigkeit kann sich nur aus derjenigen der Primärnamen ergeben. Wer also den Anspruch erhebt, über die Sekundärnamen sachverständig zu sein, muss vor allem und am klarsten über die Primärnamen den Nachweis zu führen imstande sein, andernfalls, so Sokrates, ist das, was er über die Sekundärnamen sagt, leeres Geschwätz. Das klingt plausibel. Aber ist es das auch? Die Erklärung von ἄνθρωπος als ἀναθρῶν ἃ ὄπωπε (399c6) liefert ja auch dann, so scheint es, eine Erkenntnis über das Menschsein, wenn die weitere Analyse von ἀναθρῶν sowie von ἅ und ὄπωπε offenbleiben muss. Mit anderen Worten, der kognitive Wert einer Etymologie – und damit die Grundlage für die Richtigkeitsbewertung – scheint nicht unbedingt davon abzuhängen, ob man auch über den Richtigkeitsnachweis der Bestandteile der etymologischen Analyse verfügt, vorausgesetzt, man kennt die Bedeutung dieser Bestandteile. Oder ist deren Bedeutung nur über den Richtigkeitsnachweis zugänglich? Die Frage ist also, ob man über die Bedeutung eines ὄνομα auch unabhängig und vor seiner etymologischen Analyse verfügen kann. Im Etymologienteil scheint das stillschweigend vorausgesetzt zu werden. Andererseits scheint die Beherrschung eines ὄνομα als Werkzeug
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der Unterrichtung und Unterscheidung des Seins (διδασκαλικόν … ὄργανον καὶ διακριτικὸν τῆς οὐσίας 388b8 f.) nicht nur eine Meinung, sondern ein Wissen darüber vorauszusetzen, welches Namenseidos in die Laute und Silben des Namens Eingang gefunden hat, und das scheint seinerseits zu erfordern, dass Rechenschaft darüber gegeben werden kann, dass der jeweilige Name, ob primär oder sekundär, richtig gesetzt ist (λόγον διδόναι … ὡς ὀρθῶς κεῖται 426a3). Wie sich dieses Rechenschaft-Geben, λόγον διδόναι, aber auf die Zusammensetzung aus Lauten und Silben genau beziehen soll, ist wiederum nicht unmittelbar einsichtig. Daher werden die nun folgenden Andeutungen einer Erklärung der Primärnamen aus Buchstaben denn auch als gewaltsam und lächerlich angekündigt (425b6), womit sich eine alternative Deutung des γελοῖον aus 425d1 nahelegt.
VI.7 Die mimetischen Eigenschaften und Leistungen der elementaren Laute (426c1–427d3) Die zentrale Rolle der Bewegung als das, was durch die Primärnamen vor allem nachzuahmen ist, wird durch die herausragende Rolle des Rho-Lautes als Organon der Bewegung in den folgenden Beispielen besonders angekündigt. Zunächst gilt es jedoch, eine Analyse des Sekundärnamens für die Bewegung – κίνησις – selbst nachzureichen. Es handelt sich um eine Zusammensetzung aus den beiden Bestandteilen κίειν und ἕσις (einer Substantivierung von ἵημι „senden, in Bewegung setzen“). Mit dem Rückgriff auf die „fremde“ (ξενικόν) Form κίειν wird nicht der gerade eben verworfene Kunstgriff einer Entlehnung von den Barbaren angewandt, sondern es handelt sich lediglich um eine nichtattische, epische Form. Der etwas willkürliche Schritt von κιείεσις oder κίεσις durch Einführung von ν zu κίνησις entspricht der Praxis des etymologischen Abschnitts. Nicht ganz klar – auch überlieferungsmäßig – ist die Ableitung von στάσις („Stehen, Ruhe“), das die „Verschönung“ (καλλωπισμός) einer „Verneinung des Gehens“ (ἀπόφασις τοῦ ἰέναι 426d1) sein soll. Zurückkommend auf das Rho, charakterisiert es Sokrates als Werkzeug der Bewegung (ὄργανον τῆς κινήσεως 426d8) im Sinne einer Abbildung der Bewegung (πρὸς τὸ ἀφομοιοῦν τῇ φορᾷ d5), z. B. in ῥεῖν „fließen“, ῥοή, „Fluss“, τρόμος „Zittern“, τρέχειν „laufen“ (statt τραχεῖ „rau“, so die Hauptüberlieferung), κρούειν „stoßen“, θραύειν „zermalmen“, ἐρείκειν „reißen“, θρύπτειν „brechen“, κερματίζειν „bröckeln“, ῤυμβεῖν „drehen“. Bei all diesen Beispielen ist das Rho für den Nomotheten das bevorzugte Mittel der Abbildung, da beim Rho, wie er sah, die Zunge am wenigsten stillsteht (ἥκιστα μένουσαν 426e8), sondern am meisten vibriert (μάλιστα δὲ σειομένην). Wesentlich für die Ab-
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bildung scheint somit zu sein, dass Bewegung durch Bewegung abgebildet wird. Die akustischen Eigenschaften treten dabei gegenüber den artikulatorischen in den Hintergrund, es geht nicht um Lautsymbolisierung. Das passt zunächst gut zu dem Anspruch (423d–e), dass es bei der μίμησις durch „Buchstaben und Silben“ nicht darum geht, lautliche oder sonstige akzidentielle Eigenschaften nachzuahmen, sondern darum, das Wesen (οὐσία) der Denotate nachzubilden. Stellt man in Rechnung, dass Sokrates einem wesentlichen Teil der Etymologien (gleichsam im Sinne einer antiken Sapir-Whorf-Hypothese) entnehmen zu können glaubt, dass die Namenssetzer eine heraklitische Flussontologie zugrunde gelegt haben, also die Auffassung, dass das Wesen des Seins Bewegung sei, so ist die Dominanz der Abbildung von Bewegung durch Bewegung, ja einer Gültigkeit eines Prinzips der Abbildung von Bewegung durch Bewegung nicht unerwartet. Freilich wird dieser Eindruck durch die restlichen γραμματαAbbildungen nur teilweise bestätigt. Das durch Engenbildung hervorgerufene iota repräsentiert das Feine und Dünne, hat aber dennoch einen Bezug zur Bewegungsontologie, als das Gerechte als das „durch alles Durchgehende“ δι(κ) αιον produktiv wird (ἃ δὴ μάλιστα διὰ πάντων ἴοι ἄν 426e7). Bei den Aspiraten, Frikativen bzw. Affrikaten (φ, σ, ζ, ψ) soll der Hauchaspekt (πνευματώδη τὰ γράμματα) im Fokus stehen, was ebenfalls eher auf bewegungsbezogene artikulatorische als akustische μίμησις verweist. Dem Abgebildeten und dem Abbildenden gemeinsam ist hier das Strömen und „Blasen“ (φυσῶδες 427a6) des Luftstromes, wie es beim „Frostigen“ (ψυχρόν, vgl. ψύχειν „durch Hauch kühlen“), beim „Siedenden“ (ζέον) und jeder „heftigen Bewegung“ (σείεσθαι) und „Beben“ (σισμός) vorkommt. In Platons Darstellung scheint sich somit abzuzeichnen, dass die auf Bewegung bezogene Mimesis durch die Primärnamen zwar nicht auf lautliche Eigenschaften der Denotate zu beziehen wäre, ein Bezugs- oder Abbildverhältnis aber gleichwohl durch den Artikulationsmodus der Laute, der die Kinematik der Denotate ausdrückt, zustande käme. Die Artikulationsoperationen des Pressens und Abstützens der Zunge beim δ und τ haben einen bewegungsabhängigen, nämlich bewegungshemmenden Bezug (vgl. δεσμός „Fessel“, στάσις „Stehen“). Im Falle des λάβδα ist die Gleitbewegung (ὀλισθάνειν 427b2) der Zunge der wesentliche Aspekt der artikulatorischen μίμησις, der zusammen mit dem artikulatorischen „Verschlusscharakter“ etwa des γάμμα das „Klebrig-Adhäsive“ in γλισχρόν („zäh“ b7) γλυκύ („süß“) γλοιῶδες („klebrig“) wiederzugeben ermöglicht. Im Falle des νῦ drückt die innere (nasale) Artikulation das „innen“ ἔνδον aus. Hier spielt neben dem Artikulationsort ausnahmsweise der akustische (vgl. τὸ εἴσω αἰσθόμενος τῆς φωνῆς 427c1) „innere“ (εἴσω), d. h. nasale Charakter des erzeugten Lautes eine Rolle. Beim ἄλφα und ἦτα ahmt die Größe und Weite der Mund- bzw. Kiefernöffnung (im Gegensatz zur Enge des iota, s. o.) die Eigenschaft der Größe (vgl.
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μέγα und μῆκος) nach, insofern sind die Buchstaben, wie es etwas missverständlich heißt, groß μεγάλα (427c3). Im Namen γογγύλον „rund“ benutzte er zur Nachahmung der Rundheit die Lippenrundung des o und υ gleich mehrfach. Entsprechend verfährt der Namensgeber bei der Namensbildung mit den Buchstaben und Silben eines jeden (Primär-)Namens, und aus den Namen setzt er dann die übrigen Namen „nachahmend“ zusammen. Durch das nachgereichte Partizip ἀπομιμούμενος „nachahmend“ (427d1) wird, so scheint es, der fundamentale Unterschied von 422de zwischen dem Offenbarmachen durch Nachahmung vonseiten der Primärnamen und dem Offenbarmachen durch Reduktion auf Konstituentien der Sekundärnamen eingeebnet. Da die Konstituentien bzw. die ῥήματα, die die Sekundärnamen analysieren und so „sagen“, was diese sind (s. o. S. 206), dies nicht mittels der „Buchstaben und Silben“ bewerkstelligen, sondern auf der Grundlage ihrer Bedeutung, bleibt unklar, worin die „Nachahmung“ μίμησις hier bestehen soll. In jedem Falle aber ist, wie Ademollo (312, Anm. 108) richtig feststellt, die μίμησις zu unterscheiden vom metaphorischen „Vergleichen“ ἀπεικάζειν, von dem Sokrates im etymologischen Teil zuweilen (419cd, 420e, 420d, 421b) spricht, wo die beiden Vergleichsglieder einem tertium comparationis ähnlich sind. Beschränkt man im Falle der Sekundärnamen die „Offenbarmachung“ durch Reduktion auf Konstituentien in der Weise, dass kein Rückgriff auf Lautelemente stattfindet, und berücksichtigt man, dass dabei wie schon angedeutet die Wortsyntax ausgeklammert bleibt, so müsste die Differenzierung der Einzelsprachen auf der Ebene der phonologischen Zusammensetzung der Primärnamen erfolgen. Die Frage ist also, ob es möglich ist, die mimetischen Leistungen der Artikulationsbewegungen und ihrer Kombinatorik ohne konventionelle Festlegungen in einzelsprachliche Systeme zu bringen, die der Fülle der Einzelsprachen gerecht werden. Es ist auffällig, dass Fragen dieser Art im Kratylos außerhalb des Fragehorizonts bleiben, obwohl doch die Unterschiede zwischen den Einzelsprachen von Anfang an im Blick waren. Eine andere Weise, die Offenbarmachung durch Nachahmung – μίμησις – auf Sekundärnamen bzw. generell auf komplexe Ausdrücke zu erweitern, besteht darin, die sprachliche Nachahmung eines nichtsprachlichen Sachverhalts durch homomorphe Abbildung miteinzubeziehen. Der Satz „a ist weiß“ würde danach den Sachverhalt, dass a weiß ist, abbilden, wenn der syntaktische Sachverhalt, dass „a“ die syntaktische Eigenschaft hat, links neben „ist weiß“ zu stehen, den Sachverhalt abbildet, dass a die ontische Eigenschaft weiß besitzt. Ein Ansatz dieser Art liegt der Deutung der Bild-Theorie der Satzbedeutung im Wittgenstein’schen Traktat durch Eric Stenius (1969, 168 ff.) zugrunde. Es ist klar, dass das nur im Rahmen einer Analyse möglich ist, in der Bild- und Urbilddomäne im Rahmen einer gemeinsamen Kategorisierung (der Eigenschaft,
A Das Gespräch mit Hermogenes
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weiß zu sein, entspricht etwa im Beispiel die syntaktische Eigenschaft, links neben „ist weiß“ zu stehen) als strukturähnlich aufgefasst werden können. Wesentlich ist dabei, dass nur ontologisch strukturähnliche Entitätentypen in Abbildbeziehungen zueinander stehen können: Bildsachverhalte bilden ontische Sachverhalte, Bildobjekte bilden ontische Objekte, Eigenschaften von Bildobjekten bilden ontische Eigenschaften ab. Die von Sokrates angedeutete doppelte Dihairesis (424bff.) könnte – anachronistisch gesehen – als erster Schritt in dieser Richtung gesehen werden.
Abschluss des Gesprächs mit Hermogenes B Das Gespräch mit Kratylos
I. Übergang zum Gespräch mit Kratylos (427d1–428e1) Mit αὕτη μοι φαίνεται, ὦ Ἑρμόγενες, βούλεσθαι εἶναι ἡ τῶν ὀνομάτων ὀρθότης (427d1 f.) „Das, Hermogenes, scheint mir die Richtigkeit der Namen zu sein“, wird der lange Hauptteil (391a–427d) des Dialogs abgeschlossen, der die von Sokrates aufgenommene Frage des Hermogenes, worin denn die Richtigkeit der Namen bestehe (ἥτις ποτ’ αὖ ἐστιν αὐτοῦ ἡ ὀρθότης 390b5), beantworten sollte. Mit εἰ μή τι ἄλλο Κρατύλος ὅδε λέγει, „es sei denn, Kratylos sagt etwas anderes“, wird nunmehr der seit Dialogbeginn schweigende Kratylos ins Spiel gebracht. Das gibt dem Hermogenes Gelegenheit, erneut seinen schon am Anfang des Dialogs ausgedrückten Verdruss (384a1–4) über die von ihm als hochmütig empfundene Geheimnistuerei des Kratylos über seine ὀρθότης-These zu äußern, wobei er anders als zu Beginn etwas maliziös (vgl. Ademollo 2011, 316) offenlässt, ob die mangelnde Deutlichkeit des Kratylos auf Absicht beruht oder nicht. Schließlich verlangt er von ihm, endlich Farbe zu bekennen und zu sagen, ob er mit den Ausführungen des Sokrates einverstanden sei oder etwas Besseres zu bieten habe. Die ersten Worte des Kratylos seit seinem lakonischen Einverständnis, den Sokrates ins Gespräch zu ziehen (εἴ σοι δοκεῖ „wenn du willst“, ganz am Anfang 383a3), sind eher zurückhaltend und vorsichtig: „Meinst du, man könne etwas derart schnell aufnehmen und vermitteln, zumal wenn es von solchem Gewicht ist.“ Hermogenes nimmt sich zurück und klingt mit seiner Bitte etwas milder: „Sei uns behilflich, bei schwierigen Dingen ist ja nach Hesiod (Op. 359 f.) jede auch noch so geringe Hilfe von Nutzen“. Sokrates unterstützt die Worte des Hermogenes (der sich danach nicht mehr meldet) und fügt noch das Kompliment hinzu, dass es ihn nicht überraschen würde, wenn Kratylos etwas Besseres vorbringen könnte als das, was er gemeinsam mit Hermogenes herausgebracht habe. Schließlich habe er den Eindruck, dass Kratylos aufgrund eigenen Nachdenkens sowie durch Vermittlung anderer in dieser Materie zu Hause sei, und er würde gegebenenfalls gerne sein Schüler werden. Die Schmeichelei bleibt nicht ohne Wirkung: Kratylos bekennt, dass er kein völliger
B Das Gespräch mit Kratylos
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Laie ist und Sokrates unter Umständen auch zum Schüler machen würde. Doch dann erwidert er die Höflichkeit mit einem Zitat aus dem neunten Buch der Ilias (IX. 644–5), der Bittgesandtschaft an den zürnenden Achill. Es sind dies Worte des Peliden an Aias, dem er sich zwar innerlich verbunden fühlt, aber gleichwohl nicht Folge leisten kann. Die Parallele wirkt recht prätentiös und passt nicht recht zu dem unmittelbar vorangehenden Bescheidenheitsgestus (428c1). Kratylos hebt den schon von Hermogenes (396d3) festgestellten Orakelcharakter der Etymologien und die von Sokrates selbst (399a1) eingeräumte Inspiration durch Euthyphron hervor, was wohl den Grad seiner Zustimmung zu Sokrates eher verstärken als kritisch einschränken soll. Für Sokrates selbst ist dieser Anflug von „Weisheit“ eher ein Grund zur Skepsis und äußerster Vorsicht, ja zu Misstrauen (ἀπιστῶ 428d2). Während er schon zu Beginn des Etymologienabschnitts betont hatte (396e1 ff.), dass nach dem Gebrauch der „Weisheit“ eine rituelle Reinigung unter Heranziehung eines kompetenten Priesters oder Sophisten erforderlich sein könnte, warnt er nunmehr vor der Gefahr der Täuschung seitens einer Instanz, die stets unmittelbar anwesend ist, nämlich das eigene Selbst. Es geht also darum, mit äußerster Vorsicht das zu tun, wozu Agamemnon nach den Worten des Achill als Heerführer verpflichtet wäre, aber nicht fähig ist, nämlich zugleich nach vorne wie nach rückwärts zu schauen.70 Das lässt eine kritische Durchmusterung des Bisherigen erwarten.
II. Problem der Abstufung der Namen bis zur Falschheit II.1 Gibt es bessere und schlechtere Namen? (428e1–429b11) Sokrates greift zurück auf die zentrale Bestimmung der ὀρθότης, die er beim Übergang zur Behandlung der πρῶτα ὀνόματα gegeben hatte (422d2 f.): Die Richtigkeit der Namen besteht darin, zu zeigen, wie eine Sache beschaffen ist (ἥτις ἐνδείξεται οἷόν ἐστιν τὸ πρᾶγμα 428e2). Von den Funktionsbestimmungen des ὄνομα des ersten Teils (388b10), „unterrichten“, διδάσκειν, und „unterscheiden“, διακρίνειν, wählt Sokrates das Unterrichten aus, wohl weil das Unterscheiden vom Unterrichten als notwendige Bedingung mit eingeschlossen wird. Dieser διδασκαλία wird nunmehr als dafür zuständige Kunst diejenige der Gesetzgeber – νομοθέται – zugeordnet, obwohl, wie Ademollo bemerkt, die „Unterrichtung“ ja eigentlich zur Verwendung und nicht zur Namensprägung der Nomotheten gehört. Aber vermutlich ist die Trennung von 70 Vgl. Ilias I,343.
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Prägung und Verwendung aus der Sicht der natürlichen Richtigkeit höchstens relativ, insofern ein Name mit natürlicher Richtigkeit eigentlich keine Sache der Setzung ist, da er nicht einfach nur gesetzt oder geprägt, sondern gerade hinsichtlich seiner Verwendungsfähigkeit erkannt oder offengelegt bzw. sekundär oder erst nachträglich aus einem ῥῆμα zu einem ὄνομα „verschweißt“ wird (συγκροτεῖσθαι, 409c, 415d, 416b, 421a7). Bestimmend für das Folgende ist nun der Gedanke, dass es in jeder Kunst Stufen der Kompetenz und der Qualität gibt. Für Künste wie die Malerei oder den Hausbau würde das auch Kratylos nicht bestreiten. Im Falle der Gesetzgebung stößt dies jedoch auf seinen energischen Widerstand. Bei Gesetzen gibt es keine Qualitätsunterschiede, nach seiner Ansicht finden sich keine Gesetze, die besser (βελτίους 429b4) oder schlechter (φαυλότεροι, b5) sind als andere. Dasselbe gilt für Namen. Auch hier lässt sich nicht vertreten, dass die einen schlechter gesetzt sind, die anderen besser. Und das heißt für den zentralen Gesichtspunkt der Richtigkeit: Alle Namen sind richtig gesetzt (πάντα τὰ ὀνόματα ὀρθῶς κεῖται), jedenfalls sofern es Namen sind (ὅσα γε ὀνόματά ἐστιν, 429b11). Damit vertritt Kratylos explizit eine Position, die Ademollo als „Redundanzkonzeption der Namensrichtigkeit“ charakterisiert: (R) „N“ is a correct name of X = def „N“ is a name of X. Dies werde von Beginn an von allen Gesprächspartnern vertreten.
II.2 „Hermogenes“ oder das Problem der Falschheit II.2.1 Kann man Falsches sagen? (429b12–430a7) Sokrates knüpft an den Beginn des Gesprächs (383b6 f.) an, wonach Kratylos es abgelehnt hat, dem Hermogenes zuzugestehen, dass sein Name „Hermogenes“ sei. Da Hermogenes nicht von Hermes abstammt (bzw. nicht die geschäftlichen Qualitäten eines Hermessprösslings hat), ist „Hermogenes“, „von Hermes geborener“ nicht sein korrekter Name und also nach dem Redundanzprinzip (R) überhaupt nicht sein Name, oder, wie Kratylos formuliert, er scheint nur so zu heißen, tatsächlich ist es der Name dessen, auf dessen Natur es zutrifft, zum γένος des Hermes zu gehören. Für Sokrates legt das die Frage nahe, ob man nicht einmal etwas Falsches sagt, wenn man von ihm (dem nicht von Hermes stammenden Hermogenes) behauptet, er sei Hermogenes, denn: Ist nicht zu befürchten, dass es dann überhaupt unmöglich ist, von ihm zu sagen, er sei Hermogenes, wenn er es nicht ist? Für Kratylos legt sich diese Frage zunächst nicht nahe, denn er fragt nach, wie Sokrates das meine. Dessen Antwort darauf scheint die Frage nach der Möglichkeit, von ihrem Gesprächspartner mit „er ist
B Das Gespräch mit Kratylos
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Hermogenes“ (Ἑρμογένη αὐτὸν εἶναι bzw. τοῦτον … Ἑρμογένη εἶναι 429c7 f.) etwas Falsches zu sagen, von dem ὄνομα-Problem, ob „Hermogenes“ der Name ihres Gesprächspartner sein kann, völlig zu trennen. Denn Sokrates bringt die allgemeine Frage ins Spiel, ob es überhaupt möglich ist, Falsches zu sagen: ἆρα ὅτι ψευδῆ λέγειν τὸ παράπαν οὐκ ἔστιν 429d1. Gleichwohl bringt er dies mit der Position des Kratylos in Verbindung – ἆρα τοῦτό σοι δύναται ὁ λόγος d2 – und begründet seine Vermutung mit dem Hinweis, dass die Unmöglichkeitsthese von vielen vertreten werde. II.2.2 Argument gegen die Möglichkeit, Falsches zu sagen (429d1–6) Wie auf ein Stichwort liefert Kratylos sofort ein Argument für die Unmöglichkeit, Falsches zu sagen, so als ob es sich um ein allbekanntes Standardproblem handele: Indem man das sagt, was man sagt – λέγων γέ τις τοῦτο ὃ λέγει –, sagt man da nicht, was ist ([πῶς ἄν] μὴ τὸ ὂν λέγοι;)? Falsches sagen – ψευδῆ λέγειν – (obwohl auch ein Sagen) hieße aber, nicht das sagen, was ist – μὴ τὰ ὄντα λέγειν –, und das wäre ein Widerspruch. Wie Ademollo (332 f.) analysiert, wird in „wenn man das sagt, was man sagt, sagt man, was ist (λέγων γέ τις τοῦτο ὃ λέγει, … τὸ ὂν [sc. ἄν] λεγοι 429d4), τὸ ὂν im Sinne von ‚etwas, das existiert“ verstanden und auf die Existenz des Redeinhalts bezogen. In μὴ τὰ ὄντα λέγειν (d6) qua ψευδῆ λέγειν hingegen wird τὰ ὄντα eigentlich veritativ im Sinne von „das, was der Fall ist“ gedeutet71, also μὴ τὰ ὄντα als „das, was nicht der Fall ist“. Ein Widerspruch liegt also so gesehen nicht vor. Es handelt sich um dieselbe Äquivokation von εἶναι als „existieren“ und „wahr sein“, die nach Proklos (xxxvii, 12.18–23 = [F49 Decleva Caizzi = 155 Giannantoni]) von Antisthenes in seinem Argument benutzt wurde, dass es unmöglich ist, zu widersprechen (πᾶς γὰρ … λόγος ἀληθεύει. ὁ γὰρ λέγων τὶ λέγει, ὁ δέ τι λέγων τὸ ὂν λέγει, ὁ δὲ τὸ ὂν λέγων ἀληθεύει. „Jeder logos ist wahr, denn wer spricht, sagt etwas; wer etwas sagt, sagt etwas, das ist, und wer etwas sagt, das ist, spricht wahr“, und die Euthydem im gleichnamigen Dialog 283e7–284a6 verwendet, um die Unmöglichkeit von Falschaussagen zu zeigen: Wenn man redet, so sagt man die Sache, worüber die Rede ist, und wenn man sie sagt, so sagt man kein anderes Seiendes als das, was man sagt, es ist also das, was man sagt, etwas unter den Seienden und getrennt von allem Übrigen. Wenn man also jenes sagt, so sagt man das, was ist, und wenn man jenes sagt und das, was ist, so sagt man das Wahre. … ὁ ἐκεῖνο λέγων τὸ ὂν λέγει., …ὅ γε τὸ ὂν λέγων καὶ τὰ ὄντα 71 Versteht man εἶναι eindeutig, also veritativ auch in λέγων γέ τις τοῦτο ὂ λέγει … τὸ ὂν ἂν λέγοι (429d4 f.)1, – „sagt einer das, was er sagt, so sagt er das, was der Fall ist“ –, so ergibt sich absurderweise, dass man die Wahrheit sagτ, was immer man sagt.
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τἀληθῆ λέγει 284a3–6. Aus der Existenz des Inhalts dessen, was man sagt (existenzielles εἶναι), wird also gefolgert, dass es der Fall ist (veritatives εἶναι).72 Für Sokrates (und sein Alter) ist das, wie er sagt (429d7 f.), zu hoch. Die Frage ist, ob er (oder der Autor) den Fehlschluss durchschaut. Im Theätet jedenfalls scheint das (noch) nicht der Fall zu sein. Denn dort (188d3–189b5) wird der Vorschlag, Falsches meinen – ψευδῆ δοξάζειν – als meinen dessen, was nicht ist – τὰ μὴ ὄντα δοξάζειν –, also eigentlich im veritativen Sinne von meinen, was nicht der Fall ist, zu bestimmen73, – wie von Kratylos an unserer Stelle – damit zu widerlegen versucht, dass jedes Meinen ein Meinen von etwas ist (ὁ δοξάζων … ἕν γέ τι δοξάζει 189a6) und jedes Meinen von etwas ein Meinen von etwas ist, das ist (ὁ ἕν τι δοξἀζων … ὄν τι δοξάζει, 189a8, mit existentiellem εἶναι), also per Kontraposition: Wer nicht etwas meint, das ist, der meint nichts; Sokrates versteht das mit verschobenem Negationsskopus in dem Sinne, dass jemand, der etwas meint, was nicht ist, nichts meint74 (ὁ μὴ ὂν δοξάζων οὐδὲν δοξάζει, 189a10), und schließt: Wer nichts meint, meint überhaupt nicht (ὁ μηδὲν δοξάζων τὸ παράπαν οὐδὲ δοξάζει 189a12). Insgesamt ergibt sich 189b4 f. Ἅλλο τι ἆρ’ ἐστὶ τὸ ψευδῆ δοξάζειν τοῦ τὰ μὴ ὄντα δοξάζειν („Falsches meinen ist also etwas anderes als meinen, was nicht ist“) offenbar, weil Falsches meinen nicht nichts meinen ist. Das ist aber nur scheinbar ein Argument gegen ψευδῆ δοξάζειν = τὰ μὴ ὄντα δοξάζειν, denn das in dieser Gleichung in τὰ μὴ ὄντα enthaltene veritative εἶναι ist in ὁ μὴ ὂν δοξάζων οὐδὲν δοξάζει, 189a10, („wer meint, was nicht ist, meint nichts“) umgedeutet zum existentiellen εἶναι: Das heißt, aus meinen, was nicht der Fall ist, lässt sich eben nicht korrekterweise folgern: nichts meinen. Nach dieser (vermeintlichen) Widerlegung des Versuchs, das falsche Meinen als τὰ μὴ ὄντα δοξάζειν zu bestimmen, scheitert Sokrates im Theätet noch mit dem Vorschlag des „Andersmeinen“ bzw. der „Meinungsverwechslung“ ἀλλοδοξία (189b12) in Form der Wachstafel (191c9) und des Taubenschlags (197bff., 197d7), sodass am Ende des Theätet das Falschheitsproblem, abgesehen vielleicht von Spezialfällen, als ungelöst gelten muss. Zur Lösung im Sophistes siehe unten. II.2.3 Falschheit und Konventionalität nach Ademollo Wie gesagt, bringt Sokrates die These von der Unmöglichkeit, Falsches zu sagen, mit der Position (λόγος) des Kratylos zusammen (429d1 ἆρα τοῦτό σοι 72 Eine etwas andere Deutung ergibt sich, wenn man die Sache, worüber die Rede ist (τὸ πρᾶγμα περὶ οὗ ἂν ὁ λόγος ᾖ 283e9) nicht auf die Aussage als Ganzes, sondern auf den Gegenstand der Rede bezieht, vgl. M. Frede (1992), 414. 73 Anders McDowell (1973), 200. 74 Vgl. McDowell (1973), 202.
B Das Gespräch mit Kratylos
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δύναται ὁ λόγος;), also entweder mit dem, was dieser eben über den referenzlosen Namen „Hermogenes“ gesagt hat, oder, wie Ademollo annimmt, mit der gesamten Namenstheorie des Kratylos. Ein Zusammenhang mit dieser Namenstheorie bestünde nach Ademollo dann, wenn sich zeigen ließe, (3) If names are by nature, then it is not possible to speak falsely. Das wiederum ergibt sich aus (1) If it is possible to speak falsely, then names are by convention, denn aus (1) ergibt sich mit Kontraposition (2) If names are not by convention, then it is not possible to speak falsely, was zusammen mit dem problemlosen (c) if names are by nature, then they are not by convention die gewünschte interessante These (3) ergibt. Eine Begründung für (1) sieht nun nach Ademollo wie folgt aus: Angenommen, A und B sehen, wie Koriscus badet. A und B verwechseln Koriscus aufgrund der Entfernung mit Kallias. A fragt den B: Was macht Kallias? B antwortet: Kallias badet. Gemäß dem, was Kripke (1979) die Sprecherreferenz nennt, ist die Sprecherreferenz des Namens „Kallias“ für A und B Koriscus, die semantische Referenz von „Kallias“, sein Nominatum hingegen ist Kallias. Aufgrund der gemeinsamen Sprecherreferenz wurde mit dem falschen Satz „Kallias badet“ der intendierte Sachverhalt (dass Koriscus badet) übermittelt. Es ist nun vorstellbar, dass bei entsprechender Habitualisierung die Sprecherreferenz Koriscus des Namens „Kallias“ sich allmählich in die neue semantische Referenz von „Kallias“ verwandelt, dass also die Semantik an die vermutete Wahrheit angepasst wird. Das heißt aber, dass die semantische Referenz – da beliebig veränderbar – eine Sache der Konvention ist. Das gilt zunächst für Eigennamen. Aber da diese (die Namen von „Menschen und Heroen“) motiviert, wie sie sind, durch Sippentradition (κατὰ προγὀνων ἐπωνυμίας) und elterliche Wünsche (εὐχόμενοι) und nicht durch deskriptive Adäquatheit, ohnehin nicht als Beispiele natürlicher Richtigkeit infrage kommen (vgl. 397b), fragt sich, ob Ademollos Argument sich auf andere ὀνόματα verallgemeinern lässt. Ademollo scheint das für möglich zu halten. Im Falle der zusammengesetzten ὕστερα ὀνόματα ist das eher zweifelhaft, da diese aufgrund ihres etymologisierbaren deskriptiven Gehalts mit dem – modern gesprochen – Gesamtsystem der Sprache verbunden sind. Denn die im deskriptiven Gehalt dieser zusammengesetzten ὀνόματα enthaltenen Prädikate betreffen ja qua common nouns auch andere Referenten als diejenigen mit „umgepolter“ Sprecherreferenz. Es ist daher eher nicht zu erwarten, dass hier eine individuelle Fehlanwendung eine Entwicklung zu einer Änderung des jeweiligen deskriptiven Gehalts anstößt – und um eine solche und nicht lediglich eine Änderung der Referenz müsste es sich ja handeln.
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Anders ist es bei den πρῶτα ὀνόματα. Da hier unklar ist, wie stabil der Beitrag der lautlichen στοιχεῖα zur Bedeutung der Primärnamen ist, lässt sich über ihre Anfälligkeit zur Bedeutungsänderung und somit zur Konventionalität wenig sagen. Ademollo räumt ein, dass Sokrates, falls er (3) als Ansicht des Kratylos ansehen würde, die natürliche Richtigkeitshypothese von Kratylos für erledigt halten müsste, nachdem er im Folgenden (430a7–431c2, s. u.) den Nachweis der Möglichkeit der Falschheit erbracht hat. Das ist jedoch nicht so. (3) als Ansicht von Kratylos geht also zu weit, obwohl sich damit eine plausible Deutung von ἆρα τοῦτο σοι δύναται ὁ λόγος (429d2) ergeben würde. Nachdem Sokrates mit „das ist zu hoch für mich“ seine Hilflosigkeit gegenüber der Paradoxie der Bestimmung von „Falsches sagen“ (ψευδῆ λέγειν) als „nicht das, was ist, sagen“ (μὴ τὰ ὄντα λέγειν 429d5 f.) eingestanden hat, versucht er durch Variation der Verben des Sagens das Problem zu umgehen: Wenn ψευδῆ λέγειν nicht infrage kommt, wie ist es mit ψευδῆ φάναι (429e1) (Falsches behaupten)? Auch das wird von Kratylos nicht akzeptiert. Sokrates konstruiert ein Beispiel (Χαῖρε. ὦ ξένε Ἀθηναῖε, ὑὲ Σμικρίονος Ἑρμόγενες, 429e4 f.), das sich durch Gestik des Handergreifens (λαβόμενος τῆς χειρός), Grußformel und mehrere Vokative eindeutig als Sprechakt des Begrüßens oder Anredens zu erkennen gibt. Der Sinn scheint zu sein: Die Anrede „Freund aus Athen, Sohn des Smikrion“, trifft eindeutig auf den zudem durch Handergreifen deiktisch identifizierten Kratylos zu, da der Vater des scheinbar angeredeten Hermogenes nicht als Smikrion, sondern als Hipponikos (vgl. 383a) bekannt ist. Sollte nun dennoch keine Anrede von Kratylos zustande kommen, so offenbar, weil der Vokativ Ἑρμόγενες etwas besagt, was nicht korrekt ist, d. h. auf Kratylos nicht zutrifft, gleichgültig, ob der junge Hermogenes nun ein Hermesspross ist oder nicht. Das Beispiel soll wohl – aus der Sicht des Sokrates – so verstanden werden, dass der Vokativ Ἑρμόγενες gar nicht umhin kann, einen (wenn auch negativen) Bedeutungsbeitrag zu leisten und so wenigstens zum Scheitern der insofern falschen Anrede (προσειπεῖν) führt. Kratylos klassifiziert das Beispiel als vergebliche Äußerung (ἄλλως φθέγξασθαι 429e9), aber immerhin, so scheint es, wenn nicht als Anrede, so doch als Lautäußerung (φθέγξασθαι), was nach Sokrates zur Hoffnung berechtigt, dass die Unterscheidung „wahr“ oder „falsch“ oder wenigstens „teilweise wahr“ (bezogen auf „Sohn des Smikrion“) und „teilweise falsch“ (bezogen auf „Hermogenes“) anwendbar ist. Doch für Kratylos kommt auch das nicht infrage. Nach ihm handelt es sich überhaupt um keine sprachliche Handlung, sondern um ein leeres Geräusch, wie wenn man auf ein Gefäß aus Erz schlägt.
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II.3 Der Rettungsversuch von Sokrates: Das Zuweisungsmodell (διανομή) (430a7–431c3) Um in der verfahrenen Situation zu einer Verständigung zu kommen, geht Sokrates von der elementaren Unterscheidung zwischen einem Namen und dem von ihm Benannten aus und charakterisiert das Verhältnis der beiden mithilfe des für die Semantik der Primärnamen entwickelten Begriffs der Nachahmung. Ein Name ist eine Nachahmung der benannten Sache (ὄνομα ὁμολογεῖς μίμημά τι εἶναι τοῦ πράγματος 430a12 f.), und zwar in dem konkreten Sinne, in dem ein Gemälde (ζωγράφημα) eine Nachahmung der abgebildeten Sache ist. Beide Arten von Abbildern können auch unabhängig vom jeweils Abgebildeten existieren, und man kann sie durch eine eigene Handlung dem jeweils Abgebildeten zuordnen (διανεῖμαι καὶ προσενεγκεῖν 430b7). Im Falle der Gemälde ist die Möglichkeit der Zuordnung an sich wohl kein Problem – das Bild lässt sich räumlich bei dem Abgebildeten platzieren. Weniger deutlich ist, welche Art der Abbildung gemeint ist. Als Beispiele werden angeführt: Das Bild „des“ Mannes wird „dem“ Mann zugeordnet (ἡ μὲν τοῦ ἀνδρὸς εἰκὼν τῷ ἀνδρὶ 430c2 f.), und das Bild „der“ Frau „der“ Frau (ἡ δὲ τῆς γυναικός τῇ γυναικί c3) oder umgekehrt das Bild „des“ Mannes „der“ Frau und das Bild „der“ Frau „dem“ Mann. Die erste Zuordnung (διανομή c9, d3) ist, da passend und aufgrund von Ähnlichkeit erfolgend, korrekt (ὀρθή), die zweite nicht. Es geht also nicht um die Zuordnung von Portraits, da die korrekte Zuordnung lediglich dasselbe Geschlecht erfordert. Die bestimmten Artikel weisen, so scheint es, auf die Zuordnung generischer Abbilder zu konkreten Personen als Urbildern. Korrekt ist also jedes Paar eines Mannes und eines Männerbildnisses bzw. einer Frau und eines Frauenbildnisses. Im Falle der Namen und der Namensträger soll es analog sein. Zusätzlich soll jedoch gelten, dass eine διανομή von passenden und qua Abbilder ähnlichen Namen an Namensträger nicht nur als korrekt (ὀρθή d4), sondern auch noch als wahr (ἀληθής d5) gelten soll, sowie eine aufgrund von Unähnlichkeit nicht korrekte derartige διανομή als falsch (ψευδής d7). In Übereinstimmung mit seiner bisherigen Position akzeptiert Kratylos die Bildung nicht-korrekter Paare (τὸ μὴ ὀρθῶς διανέμειν 430e1) nur im Falle von Bildern, nicht jedoch bei NamenNamensträger-Paaren. Letztere müssen stets korrekt sein. Das διανομή-Modell ändert also für Kratylos nichts, insbesondere wird man annehmen können, dass es eine falsche Namens-διανομή für ihn ebenso wenig gibt wie eine nichtkorrekte, mag auch das Verhältnis von korrekt – ὀρθὀς – als normativem Konzept gegenüber (ἀληθής) wahr klärungsbedürftig sein. Sokrates leuchtet des Kratylos These vom Unterschied zwischen Gemälden und Namen im Rahmen des διανομή-Modells nicht ein: Man könne doch
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in beiden Fällen an jemanden, dem etwas im Sinne der διανομή zugeordnet wird, herantreten und ihm entweder mit den Worten „das ist dein Bild“ sein Bild (d. h. das Bild eines Mannes) oder gegebenenfalls das Bild einer Frau vor Augen stellen oder mit den Worten „das ist dein Name“ den Namen als hörbares Abbild der jeweiligen Person, was er ja ist, zu Gehör bringen, indem man „Mann“ sagt, oder, falls es sich um eine Angehörige des weiblichen Geschlechts handelt, „Frau“. Im διανομή-Modell deutet sich eine elementare dichotomische Struktur an: Die Person, das Ziel der Zuweisung, wird deiktisch bzw. indexikalisch mit „dein“ sowie durch Richtung des Hinzutretens (προσελθόντα 430e9) als quasi-logisches Subjekt gekennzeichnet, die Appellativa oder common nouns – ὀνόματα – „Mann“ ἀνήρ und „Frau“ γυνή hingegen fungieren als Prädikate, freilich ohne dass Deixis und ὀνόματα sprachlich zum Satz integriert werden. Der Unterschied zwischen der Sicht des Kratylos auf die ursprüngliche „Hermogenes“-Problematik und dem διανομή-Modell des Sokrates scheint prima facie zu sein, dass das Wort „Hermogenes“ für Kratylos ungeeignet ist, überhaupt einen Referenten zu identifizieren, da der deskriptive Gehalt jedenfalls im gegenwärtigen Kontext keinen Träger hat (vgl. μηδὲ ὄνομα τοῦτο κεῖσθαι 429c1, c8). Im διανομή-Modell dagegen werden die Funktion der Referenz und der Deskription oder Charakterisierung voneinander getrennt75: Der Referent als dasjenige, dem im Sinne der διανομή etwas zugeordnet wird, ist stets nicht-sprachlich gegeben, der deskriptive Gehalt des jeweiligen ὄνομα, „das zugeordnete Bild“, hingegen dient nicht der Identifizierung des Referenten, sondern seiner Charakterisierung und kann daher, falls es nicht „passend“ (προσῆκον 430c12) bzw. nicht „ähnlich“ (ὄμοιον c12) ist, auch unkorrekt bzw. falsch sein. Die Frage ist allerdings, wie sich mit „Hermogenes“ eine falsche διανομή bilden lässt. In einem falschen Satz / διανομἠ mit „Hermogenes“ müsste dieser Name vermutlich Prädikatbestandteil sein, so wie in der hypothetischen Formulierung des Sokrates 429c7 ff. (ὅταν τις φῇ Ἑρμογένη αὐτὸν εῖναι; μὴ γὰρ οὐδὲ αὖ ᾖ, τὸ τοῦτον φάναι Ἑρμογένη εἶναι, εἰ μὴ ἔστιν). Doch fragt sich, wie Ἑρμογένη εἶναι als Prädikat zu analysieren wäre: Falls als λx.x = hermogenes, hätte man es wiederum mit einem problematischen referenzlosen Eigennamen (hermogenes) zu tun, es wird also darum gehen, den deskriptiven Gehalt von „Hermogenes“ in ein prädikatives ὄνομα analog zu „ἄναξ“ und „γυνή“ zu bringen, was wegen der transparenten Wortbildung von „Hermogenes“ qua „Hermesabkömmling“ wohl als unproblematisch gelten kann. Zu klären ist, weshalb die διανομή von ὀνόματα als sprachlichen Bildern nicht nur korrekt, sondern auch wahr sein kann, diejenige von nicht-sprach 75 Ähnlich Kahn (1973), 161; Ademollo (2011), 345.
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lichen Bildern oder Gemälden hingegen lediglich korrekt. Mit den wahrheits fähigen Einleitungssätzen „Dies ist dein Bild“ bzw. „Dies ist dein Name“ hat das offensichtlich nichts zu tun, da sie modalitätsübergreifend beiden sinnlichen Präsentationen (der optischen wie der akustischen) vorausgeschickt werden. Williams (1982) geht davon aus, dass die διανομή als Tätigkeit im Falle von Bildern im wortlos hantierenden Präsentieren von Bildern qua Gegenständen besteht, bei dem kein wahrheitsfähiges Zwischenstadium entstehen muss. Im Falle von ὀνόματα dagegen sei das Präsentieren von Namen selbst eine sprachliche Tätigkeit („naming is part of speaking“ 387c6), bei der der betreffende Name „N“ in die sprachliche Satzmatrix „You are …“ eingesetzt werde, mit dem Ergebnis, dass ein wahrheitsfähiger Satz „You are N“ entstehe. Die willkürlich anmutende Postulierung der sprachlichen Matrix „You are …“ (es ist eine Satzmatrix und keine διανομή) von Williams lässt sich vermeiden, wenn man mit Sedley „You are N“ ersetzt durch den Vokativ von N (wie zuvor in „Χαῖρε. ὦ ξένε Ἀθηναῖε, ὑὲ Σμικρίονος Ἑρμόγενες“ 429e4). Sedley (2003, 133) geht so weit, die διανομή-Einleitungsformel (Ademollo spricht von „preamble“) „Dies ist dein Name“ (Τουτί ἐστιν σὸν ὄνομα 430e10) als Charakterisierung genau des Sprechaktes anzusetzen, den ich vollziehe, wenn ich den Hörer bei der Begrüßung im Vokativ anrede: „It is not that I address you by your name in order to inform you that that is your name“, Letzeres wäre bizarr abnorm, „but rather in order to indicate my own (actual or purported) recognition that that is your name“. Die Tendenz der Interpreten, die Wahrheitsfähigkeit der sprachlichen διανομή damit zu erklären, dass dabei indirekt wahrheitsfähige Satzgebilde entstehen (Williams 1982, 88) oder damit, dass Namen sprachliche Einheiten sind und dass Wahrheit und Falschheit sich auf das Verhältnis von Sprache und Welt und nicht primär auf das zwischen Bildern und den abgebildeten Dingen (Ademollo, 346) beziehen, geht sicher nicht fehl, bedarf aber der Ergänzung, dass sprachliche Repräsentation im Gegensatz zu der durch Bilder die Beziehung zur Wirklichkeit u. a. in Form der performativen Modi (der Behauptung, Frage, Aufforderung etc.) zusätzlich zur reinen Abbildung explizit zum Ausdruck bringt.76 Die von Sedley hervorgehobene Vokativfunktion lässt die über die Abbildung hinausgehende Beziehung zur Wirklichkeit durch Verankerung in der Sprechsituation schon auf der Wortebene deutlich werden. Sokrates fasst seinen Versuch, mithilfe des Konzepts der διανομή wahre (ἀληθεύειν) von falschen Aussagen (ψεύδεσθαι) zu unterscheiden, zusammen 76 Die über die Wahrheitsbedingungssemantik hinausgehende Semantik der grammatischen Modi (im Sinne der „illocutionary force“) hat keine nichttriviale Entsprechung im Bereich der Bilder.
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431a9–c2: Es geht darum, den Dingen Namen (ὀνόματα) zuzuordnen. Das lässt sich korrekt (ὀρθῶς) mit passenden (προσήκοντα) Namen und nicht korrekt (μή ὀρθῶς) mit nicht passenden (μὴ προσήκοντα) Namen durchführen; die Namen, so kann man ergänzen, dienen dabei nicht der Identifikation, sondern der Charakterisierung oder Beschreibung der Dinge, ein eventuelles Problem der Nichtexistenz von Seienden kann so nicht auftauchen. Sokrates erweitert nun seinen Ansatz, indem er für ῥήματα dieselbe Unterscheidung (also προσήκοντα versus μὴ προσήκοντα) vornimmt wie für ὀνόματα und, wie er fortfährt, wenn für ὀνόματα und ῥήματα 431b6, dann notwendigerweise auch für Sätze (λόγοι c1), denn Sätze sind eine Kombination (σύνθεσις c2) von ὀνόματα und ῥήματα. Mit ῥήματα sind hier wie in 425a1 die Verben gemeint. Da für sie dieselbe einfache Komplexität wie für die ὀνόματα vorausgesetzt wird, kommt hier die Deutung als mehrgliedrige Phrasen wie in 399b1 oder als Analysemittel wie in 421e1–2 nicht infrage. Nahegelegt wird die Deutung als Verben auch dadurch, dass sie mit ὀνόματα kombiniert λόγοι ergeben sollen. Dass ein λόγοs eine σύνθεσις von ὀνόματα und ῥήματα ist, findet sich auch in Soph. 263d3, wo die Deutung von ῥήματα als Verben aufgrund ihrer Exemplifizierung und ihrer Funktion als Handlungsbezeichnungen („βαδίζει τρέχει καθεύδει“ καὶ τἆλλα ὅσα πράξεις σημαίνει ῥήματα 262b5 f.) eindeutig ist. Für die Anwendung des διανομή-Modells auf Verben – ῥήματα – müsste zunächst geklärt werden, welchen Arten von Objekten (πράγματα, vgl. 430b11) sie zuzuordnen sind. Da Handlungen – πράξεις –, wie es zu Beginn 386e6–8 hieß, auch als eine Art des Seienden zu gelten haben, könnten πράξεις als διανομή-Ziele oder „Bildvorlagen“ für Verben infrage kommen. Auf der semantischen Seite müssten dann der syntaktischen Operation der Synthesis von Namen und Verben eine Integration von Handlung und Handlungsträger (vgl. Soph. 262a6 f.) zum semantischen Korrelat eines λόγος entsprechen. Das διανομἠ-Modell ist für die Repräsentation dieser Integration wohl überfordert. Eine alternative Möglichkeit für die Verb-διανομή wäre es, den Handlungsträger durch Flexion der Handlungsbezeichnung zu markieren (βαδίζειν > βαδίζει); ein ὄνομα (z. B. ἀνήρ – Mann) und ein ῥῆμα (z. B. βαδίζει – er geht) würden dann beide Gegenständen derselben Art zugeordnet werden, die dann jenseits und außerhalb der διανομή identifiziert werden müssten. Die Funktionen von ῥῆμα und ὄνομα würden so einander angeglichen (vgl. εἴη ἂν καὶ ῥήματα ταὐτόν τοῦτο ποιεῖν 431b5). Ein λόγος wäre dann eigentlich eine Verkettung elementarer Prädikate mit identischem Subjekt im Sinne von Prauss (1966, 46–65, s. o. S. 118).
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Exkurs: Falschheit im Sophistes Aufgrund inhaltlicher Berührungen (das Falschheitsproblem) und terminologischer Übereinstimmungen (der λόγος als σύνθεσις von ὀνόματα und ῥήματα) hat das Verhältnis unseres Abschnitts zum Sophistes viele Behandlungen erfahren. Zunächst ist klar, dass das Falschheitsproblem im Kratylos nur in sehr beschränkter Weise angegangen wird. Nachdem eine Variante der herkömmlichen Aporie der Bestimmung der Falschheit als sagen, was nicht ist, durch Kratylos selbst kurz angedeutet (429d4–6) und von Sokrates als jenseits seiner Kapazität liegend klassifiziert wurde (429d7, s. o.), wird mit dem διανομή-Modell immerhin der spezielle Fall der falschen Zuordnung eines Namens zu einem nichtsprachlich als Referenten gegebenen Gegenstand als möglich nachgewiesen und damit das Skandalon der angeblichen Unmöglichkeit von Falschheit abgemildert. Die Herausforderung einer allgemeinen Bestimmung der Falschheit bleibt indes bestehen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die im Theätet diskutierten Lösungsversuche (ἀλλοδοξία und Taubenschlag) immer noch nicht über Sonderfälle hinauskommen. Im Sophistes wird nun immerhin eine allgemeine Klärung der Falschheit elementarer atomarer Sätze versucht. Ausgangspunkt ist dabei das Verdikt des Parmenides gegen das Sein des Nichtseienden (DK 28 B 7, 1 f. οὐ γὰρ τοῦτο δαμῇ εἶναι μὴ ἐόντα. ἀλλὰ σὺ τῆσδ’ ἀφ’ ὁδοῦ διζήμενος εἶργε νόημα „Denn niemals kann das erzwungen werden, dass Nichtseiendes ist. Sondern von diesem Wege des Suchens halte du den Gedanken fern.“ Übers. Heitsch 1995, 24). Gegen dieses Verdikt verstoße, so der eleatische Fremdling (aber wohl nicht der historische Parmenides), die Behauptung, es gebe so etwas wie falsches Reden und Meinen, da Letzteres voraussetze, dass das, was nicht ist, ist – τὸ μὴ ὂν εἶναι. ψεῦδος γὰρ οὐκ ἂν ἄλλως ἐγίγνετο ὄν (237a3 f.). Aus 237bff. geht hervor, dass „sein“ hier im Sinne von „etwas sein“ verstanden wird, woraus dann folgerichtig geschlossen wird, dass μὴ ὄν „nicht seiend“ qua μὴ τὶ ὄν „nicht etwas seiend“ auf dasselbe wie μηδαμῶς ὄν „in keiner Weise seiend“ oder „nichts“ μηδέν hinausläuft. Die Frage, worauf man diesen „Namen“ – „nicht seiend“ – beziehen soll (ποῖ χρὴ τοὔνομ’ ἐπιφέρειν τοῦτο, τὸ „μὴ ὄν“ 237c2), endet dann in der Aporie, dass man es nicht einmal widerspruchsfrei als „unsagbar“ oder ähnlich – ἄφθεγκτον, ἄρρητον, ἄλογον – bezeichnen kann, da alle diese Ausdrücke voraussetzen, dass es ein Etwas und damit seiend ist. Es ist klar, dass diese Aporie solange nicht auflösbar ist, wie τὸ μὴ ὄν, wie an der eben zitierten Stelle 237c2, als referentieller Ausdruck aufgefasst wird. Und im Sophistes wird diese Aporie auch als unauflösbar stehen gelassen (vgl. 258e6–259a1). Verständlicherweise, da die korrekte Analyse von Ausdrücken wie „nichts“, „alles“ etc., nämlich als Operatoren höherer Ordnung, eigentlich erst seit Frege vollständig verstanden wird.
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Da andererseits daran festgehalten wird, dass eine falsche Aussage von dem, was ist, sagt, dass es nicht ist, und von dem, was nicht ist, sagt, dass es ist (240e10 f.), gilt es, das Verdikt des Parmenides ein Stück weit aufzuheben (ohne, wie es etwas dramatisch heißt, ein „Vatermörder“ zu werden [πατραλοίαν γίγνεσθαι 241d3]). Es geht mithin darum, einen widerspruchsfreien Sinn von Nicht-Sein zu finden. Zu diesem Zweck werden ausgewählte „größte Gattungen“, (μέγιστα γένη 254c4: ὄν „seiend“, κίνησις „Bewegung“, στάσις „Ruhe“, ταὐτόν „dasselbe, Identität“, θάτερον „das Verschiedene, Verschiedenheit“) daraufhin untersucht, wie sie sich miteinander verbinden und auch nicht verbinden. Jede dieser Gattungen hat aufgrund der Teilhabe an anderen Gattungen positive Seinsbestimmungen (etwa κίνησις ist ταὐτόν 256a7 – Bewegung ist [selbst-]identisch) und ist aufgrund der Teilhabe an der Gattung θάτερον von jeder anderen Gattung verschieden, sodass für je zwei dieser Gattungen gilt, dass die eine die andere „nicht ist“. Es gibt also einen Sinn von „Nichtsein“, der von dem inkriminierten Sinn μηδαμῶς ὄν oder μηδέν verschieden ist, nämlich „verschieden sein“. Insofern jedes Seiende außer der Gattung τὸ ὄν selbst von der Gattung τὸ ὄν verschieden ist, kann auch von jedem Seienden gesagt werden, dass es nicht seiend ist, insofern es nicht das ist, was das Seiende (τὸ ὄν) ist, ohne dass damit gemeint ist, dass es schlechterdings nicht ist (μηδαμῶς ὄν). Unter Verwendung der Beziehung einer Konversen (Moravcsik 1960, 127; Frede 1967, 52; Crivelli 2012, 167), nach der gilt: F ist in Bezug auf X gdw. X ist F sowie Nicht-F ist in Bezug auf X gdw. X ist nicht-F, werden die eben angeführten Seins- und Nicht-Seins-Beziehungen unter den Gattungen so zusammengefasst: „In Bezug auf jedes Eidos ist das Seiende vieles, und unbegrenzt vieles das Nicht-Seiende“ (περὶ ἕκαστον ἄρα τῶν εἰδῶν πολὺ μέν ἐστι τὸ ὄν, ἄπειρον δὲ πλήθει τὸ μὴ ὄν 256e5 f.). In πολὺ μέν ἐστι τὸ ὄν – „das Seiende ist vieles“ – bezieht sich τὸ ὄν nicht nur auf die Gattung τὸ ὄν, die ja nicht in Bezug auf jedes einzelne εἶδος vieles sein kann, sondern ist ein Platzhalter für alle Seins-Beziehungen, und in ἄπειρον δὲ πλήθει τὸ μὴ ὄν vertritt τὸ μή ὄν entsprechend alle Nicht-Seins-Beziehungen. Es wird also vorausgesetzt, dass sich aus „X ist F“ qua „X ist F-seiend“ ergibt: „X ist seiend“ bzw. konvers: „Seiend ist in Bezug auf X“ sowie entsprechend aus „X ist nicht F“: „X ist nicht seiend“ bzw. „Nicht-Seiend ist in Bezug auf X“. So wird z. B. daraus, dass τὸ ὄν verschieden von den anderen ist (τὸ ὄν αὐτὸ τῶν ἄλλων ἔτερον), geschlossen, dass τὸ ὄν in so vieler Hinsicht nicht ist, wie die anderen sind (τὸ ὄν …, ὅσαπέρ ἐστι τὰ ἄλλα, κατὰ τοσαῦτα οὐκ ἔστιν 257a3 f., d. h. aus „τὸ ὄν ist nicht y“ folgt: „τὸ ὄν ist nicht“). Wie „sein“ stets als „etwas sein“ verstanden wird, so ist also auch „nicht sein“ als „etwas nicht sein“ (d. h. als Negation mit engem Skopus) aufzufassen und nicht als Negation mit weitem Skopus: „nicht etwas (= nichts) sein“.
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Da es darum gehen wird, eine Bestimmung dessen zu erhalten, was ein falscher λόγος ist, wird zunächst eine Analyse des λόγος aus ὀνόματα und ῥήματα gegeben. Im Gegensatz zum Kratylos, wo zwar der λόγος als ein Großes und Schönes und Ganzes (μέγα τι καὶ καλὸν καὶ ὅλον 425a2 f.) ebenfalls aus Namen (ὀνόματα) und Verben (ῥήματα) zusammengesetzt wird, wo aber die semantische Funktion der ῥήματα im Sinne des διανομή-Modells (s. o. S. 238) derjenigen der ὀνόματα angeglichen wird (vgl. καὶ ῥήματα ταὐτόν τοῦτο ποιεῖν 431b5), wird im Sophistes eine klare Funktionsunterscheidung der ὀνόματα und ῥήματα vorgenommen: Ein ῥῆμα erschließt, um welche Handlung es geht (ἐπὶ ταῖς πράξεσιν ὂν δήλωμα 262a3), ein ὄνομα bezeichnet denjenigen, der die Handlung vollzieht – ein (wenn auch unzureichender) Versuch einer semantischen Bestimmung der Wortklassen Nomen und Verb. Damit aus einer Wortverkettung (συνέχεια) etwas entsteht, was als Zusammenfügung sinnvoll ist (δηλοῦντά τι συναρμόττει 261e1), müssen die verketteten Glieder aus diesen beiden Wortklassen stammen – womit ein erster Begriff der syntaktischen und semantischen Wohlgeformtheit von (minimalen) Sätzen gefunden ist. Das Resultat einer derartigen Verknüpfung benennt dann nicht nur, sondern bringt etwas zustande (οὐκ ὀνομάζει μόνον ἀλλά τι περαίνει 262d3 f.); was es über das Benennen hinaus leistet, ist das Sagen (λέγειν τε αὐτὸν ἀλλ’ οὐ μόνον ὀνομάζειν εἴπομεν d5), womit zusätzlich eine Funktionsbestimmung von Sätzen gegeben ist. Bemerkenswert ist, dass neben dem Agensbegriff auch der Subjekt- bzw. Themabegriff eine Rolle spielt: Ein λόγος hat ein „worüber“ (περὶ οὗ, 263a5) und ein damit wohl zusammenfallendes „wessen“ (ὅτου). Neben der semantischen Agensrolle wird somit die informationsstrukturelle Themarolle unterschieden. Als Beispiele dienen die Sätze „Theätet“ sitzt und „Theätet fliegt“. In dem, was sie sind, nämlich Sätze – λόγοι –, unterscheiden die beiden sich nicht, sondern darin, dass sie von verschiedener Beschaffenheit (ποιοί 262e6, a12, b2) sind, nämlich einerseits wahr und andererseits falsch. (Daher die spätere „Qualität der Urteile“.) In jedem Fall aber, d. h. ob wahr oder falsch, haben sie ein „worüber“ (nämlich Theaitetos), und für dieses ist es unmöglich, nicht zu sein, auch nicht im Sinne des neuen verschieden sein (262e6 f. und 263c5–11). Wahr soll nun ein λόγος sein, der sagt τὰ ὄντα ὡς ἔστιν περὶ σοῦ. „ὡς“ kann hier entweder „wie“ oder „dass“ bedeuten. Mit ὡς = „wie“ ergibt sich für τὰ ὄντα die Deutung „das Seiende“ im Sinne von „die Dinge“ (also 263b4 λέγει τὰ ὄντα ὡς ἔστιν περὶ σοῦ = „sagt über dich, wie die Dinge sind“) und nicht im Sinne von „das, was ist (= zutrifft)“, da es nicht darum gehen kann, Modi des „Seins (= Zutreffens)“ zu unterscheiden. Im Falle von ὡς = „dass“ dagegen ist τὰ ὅντα = „das, was ist (= zutrifft)“, also 263b4 λέγει τὰ ὄντα ὡς ἔστιν περὶ σοῦ = „sagt, dass das, was über dich zutrifft, der Fall ist“. Denn die Alternative „dass
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die Dinge über dich existieren“ würde einseitig nur Existenzsätze erfassen, noch dazu mit einem kaum sinnvollen „über dich“. Aus der Charakterisierung des falschen λόγος: Ὁ δὲ ψευδὴς ἕτερα τῶν ὄντων „der falsche sagt, was verschieden ist von dem, was ist“ 263b7 ergibt sich, dass die Deutung τὰ ὄντα = „die Dinge“ weder in 263b7 noch in 263b4 infrage kommt, da ein falscher Satz nicht etwas sagt, was verschieden von den Dingen ist, was immer Letzteres heißen mag, sondern was verschieden ist von dem, was zutrifft. Insgesamt ergibt sich also: Der wahre Satz sagt, dass das, was über dich zutrifft, der Fall ist (gemeint ist: Wenn das, was er sagt, zutrifft, da er ja nicht alles Wahre sagen muss), der falsche sagt, was verschieden ist von dem, was über dich zutrifft (d. h. wenn das, was er über dich sagt, verschieden ist von dem, was zutrifft). Letzteres, also ἔτερα τῶν ὄντων „was verschieden ist von dem, was auf dich zutrifft“ wird nun durch das ersetzt, als dessen Analyse es nach dem μέγιστα γένη-Abschnitt gelten kann, nämlich τὰ μή ὄντ’ ἄρα ὡς ὄντα λέγει 263b9, d. h. (der falsche Satz) „sagt das, was nicht ist (= nicht zutrifft) als das, was ist (= zutrifft)“. Dass dieses μὴ ὄντα „Nichtseiende“ harmlos ist und nichts mit dem inkriminierten μηδαμῶς ὄν zu tun hat, wird eigens noch einmal betont: „Von dem, was über dich ist (= zutrifft), ist (das, was der falsche Satz sagt) tatsächlich verschieden“ (und in diesem Sinn „seiend“). Ὄντων δέ γε ὄντα ἔτερα περὶ σοῦ. Denn, wie schon gesagt, πολλὰ μὲν γὰρ ἔφαμεν ὄντα περὶ ἔκαστον εἶναί που, πολλὰ δὲ οὐκ ὄντα 263b11 f. „vieles Seiende (=Zutreffende) gibt es in Bezug auf jedes und vieles Nicht-Seiende (= Nicht-Zutreffende)“. Das ist eine Wiederaufnahme des oben zitierten 257e5 f.: „In Bezug auf jedes Eidos ist das Seiende vieles, und unbegrenzt vieles das Nicht-Seiende“ (περὶ ἕκαστον ἄρα τῶν εἰδῶν πολὺ μέν ἐστι τὸ ὄν, ἄπειρον δὲ πλήθει τὸ μὴ ὄν). Dieser Satz hat, so wird nachträglich klar, eine ganz zentrale Funktion im gesamten Gedankengang: In ihm wird im Rahmen der Konversenbildung nebenbei ein Sinn von εἶναι eingeführt, nämlich das veritative „zutreffen“ (vgl. Szaif [1995, 503 ff.]), der für die Lösung der Falschheitsproblematik entscheidend ist. Zugleich lässt die Bestimmung des Falschen als ἕτερα τῶν ὄντων erkennen, dass mit μὴ ὄν qua ἕτερον τοῦ ὄντος nicht nur negative Identität (Verschiedenheit von der Idee des Seienden), sondern auch negative Prädikation (Verschiedenheit von dem, was ist [= zutrifft]) erfasst ist. Mit Letzterem würde (korrekterweise) gelten: (F ist nichtseiend bezüglich x) oder (x ist nicht F) gdw. (für alle G: falls x G ist, ist G verschieden von F); angewandt auf Θεαίτητος πέτεται: „Theätet fliegt“ ist falsch gdw. Fliegen verschieden ist (ἔτερα) von allem, was auf Theätet zutrifft (τῶν [generisch] ὄντων [περὶ σοῦ]). Damit wäre auch die gegenseitige Definierbarkeit von Falschheit und Negation ansatzweise erfasst.
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III. Der Unterschied zwischen guten und schlechten Namen als Differenz zwischen mehr oder weniger vollständigen Abbildern (431c4–e8) Ausgangspunkt des gegenwärtigen Abschnitts war die Frage, ob Namen als Produkte einer τέχνη so wie andere τέχνη-Produkte auch mehr oder weniger gut sein können. Für Kratylos ist es geradezu ein Kennzeichen der Namen und der Gesetze, dass sie das nicht sein können, und das heißt bezüglich der Korrektheit der Namen, dass sie qua Namen entweder stets korrekt oder überhaupt keine Namen sind. Nicht korrekte Namen gibt es also nicht. Das Problem von referenzlosen Ausdrücken wie „Hermogenes“ vom Beginn des Dialogs führt dann zur Frage, ob es überhaupt möglich ist, Falsches zu sagen, etwa in Form von Aussagen wie „dieser ist Hermogenes“. Das διανομή-Argument versucht zu zeigen, dass es Falschheit zumindest im Sinne unkorrekter Zuweisungen von Namen zu unabhängig gegebenen Gegenständen durchaus gibt. Die Korrektheit und Wahrheit der Zuweisung beruht dabei auf der Ähnlichkeit und Angemessenheit der zugewiesenen Namen als Abbilder der Gegenstände. Aus dem διανομή-Argument übernimmt Sokrates den Vergleich der Namen, genauer der πρῶτα ὀνόματα, mit Gemälden (ζωγραφήματα 431c5). Bei Letzteren ist es, wie er ausführt, klar, dass ihre Güte davon abhängt, ob man die Farben und Formen des Abgebildeten möglichst vollständig (πάντα) und in angemessener Weise (προσήκοντα) wiedergibt. Lässt man etwas weg oder fügt etwas hinzu, so entsteht trotzdem ein Bild, allerdings ein schlechtes. Dasselbe soll auch im Falle von Nachahmungen des Seins der Dinge mittels Buchstaben und Silben gelten. Gibt man das Abgebildete vollständig und angemessen mit Lauten bzw. Buchstaben wieder, entsteht ein schönes Abbild, lässt man etwas weg oder fügt etwas hinzu, entsteht zwar auch ein Abbild, aber kein schönes. Es gibt also im Gegensatz zur Position von Kratylos gut und schlecht gemachte Namen und folglich auch gute und schlechte Namenssetzer.
III.1 Einwand des Kratylos: „Mehr oder weniger vollständig“ ist bei digitaler Kodierung nicht anwendbar (431e9–432a4) Dagegen wendet Kratylos – implizit – ein, dass der Vergleich der Herstellung von Gemälden mit der von Namen nicht ganz richtig ist. Im Falle der Zusammensetzung von Namen ergibt die Weglassung oder Hinzufügung oder die Vertauschung von Buchstaben oder Lauten nicht ein besseres oder schlechteres Abbild derselben Sache, sondern unter Umständen einen völlig anderen
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Namen. Es ist also „nicht so, dass diese Operationen zur Folge haben, dass der Name zwar geschrieben wird, nur nicht korrekt“ ( γέγραπται μὲν τὸ ὄνομα, οὐ μὲντοι ὀρθῶς), „vielmehr wird er dann überhaupt nicht geschrieben, sondern ein anderer“ (ἀλλὰ τὸ παράπαν οὐδὲ γέγραπται. ἀλλ’ εὐθὺς ἕτερόν ἐστιν ἐάν τι τούτων πάθῃ 432a2 f.). Kratylos macht also hier davon Gebrauch, dass die Namen aus diskreten Segmenten (τό τε ἄλφα καὶ τὸ βῆτα καὶ ἕκαστον τῶν στοιχείων 431e10) bestehen, also gleichsam digital kodiert sind und insofern mit der Wiedergabe durch Farben und Formen (χρώματά τε καὶ σχήματα 431c6) nicht vergleichbar sind.
III.2 Die Entgegnung des Sokrates: Kratylos ignoriert Unterschied zwischen Qualität und Quantität und zwischen Urbild und Abbild – Die „zwei Kratyloi“ (432a8–d10) Die Erwiderung des Sokrates scheint dem Einwand des Kratylos auf den ersten Blick nicht ganz gerecht zu werden. Sokrates meint, dass der Einwand des Kratylos berechtigt wäre, wenn es sich um etwas handelte, das sich wie Zahlen verhält – und das heißt aufgrund des Kontextes, wenn es sich um die Wiedergabe von etwas handeln würde, das sich wie Zahlen verhält. Bei den Zahlen komme es in der Tat auf die Vollständigkeit der Einheiten an – eine Einheit mehr oder weniger hat sofort den Übergang zu einer anderen Zahl zur Folge. Bei Dingen von einer bestimmten Beschaffenheit – Qualität – und überhaupt bei jedem Abbild müsse aber eine andere (nicht-„digitale“) Art von Richtigkeit der Wiedergabe vorausgesetzt werden (τοῦ δὲ ποιοῦ τινος καὶ συμπάσης εἰκόνος μὴ οὐχ αὕτη ἡ ὀρθότης 432b1 f.). Nach Sokrates verkennt Kratylos also, dass es einen prinzipiellen Unterschied zwischen der Wiedergabe von Quantität und der von Qualität gibt. Bei letzterer sowie bei Bildern ist die Forderung nach penibler Vollständigkeit verfehlt (τὸ ἐναντίον οὐδὲ τὸ παράπαν δέῃ πάντα ἀποδοῦναι οἷόν ἐστιν ὃ εἰκάζει, εἰ μέλλει εἰκών εἶναι 432b2–4). Sokrates scheint zu übersehen, dass der Einwand des Kratylos zunächst einmal unabhängig davon zutrifft, ob das Abgebildete etwas Quantitatives oder Qualitatives ist. Es ist die unvermeidbare segmentale Struktur des Wiedergabemediums – die Verkettung von στοιχεῖα (e11) in den Namen – und nicht die Denotation der Namen, um die es Kratylos zu gehen scheint. Sokrates müsste, so könnte man ergänzen, sich eigentlich fragen, ob die segmentale Struktur der ὀνόματα für die Wiedergabe der von ihm hervorgehobenen qualitativen Abstufungen nicht zu grobkörnig ist. Die μᾶλλον-ἧττον-Kontinua77 im Bereich 77 Vgl. etwa Phileb. 24aff. und die Ausführungen von Barney (2001), 118, 9.
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des Qualitativen (ποιόν) werden ja nicht durch entsprechende Übergänge der ὀνόματα abgebildet (etwa im Falle des Minimalpaares καλόν-κακόν gibt es kein Übergangskontinuum zwischen λ und κ). Freilich könnte Sokrates dagegen einwenden, dass die Abbildleistung der Laute nicht darauf beruhte, dass sie als Segmente nachahmen, sondern dass sie das aufgrund der Artikulationsbewegung bei ihrer Erzeugung bewerkstelligen (vgl. oben zu 426d2 ff. τὸ δὲ οὖν ῥῶ τὸ στοιχεῖον, ὥσπερ λέγω, καλὸν ἔδοξεν ὄργανον εἶναι τῆς κινήσεως τῷ τὰ ὀνόματα τιθεμένῳ πρὸς τὸ ἀφομοιοῦν τῇ φορᾷ). In jedem Fall aber ist die Voraussetzung des Kratylos zu bezweifeln, dass die Abbildungsleistung der Namen auf Treffen des Referenten oder auf seine Verfehlung oder Treffen eines anderen Referenten eingeschränkt ist (432a3 f.), sodass Unterschiede in der Abbildungsqualität von vorneherein ausgeschlossen wären. Denn dieser Alles-oder-Nichts-Standpunkt läuft darauf hinaus, dass es keine Abstufung zwischen Abbild und Abgebildetem gibt. Und das ist nach Sokrates unhaltbar, wie das (wohl zugegebenermaßen extreme) Gedankenexperiment der „zwei Kratyloi“ zeigen soll. Angenommen, Kratylos und ein allenfalls von einem Gott verfertigbares Duplikat des Kratylos aus Fleisch und Blut, mit allen psychischen und mentalen Eigenschaften des Kratylos, seien gegeben, sodass schlechterdings keine Unterschiede feststellbar wären, dann würden, wie Kratylos (mit impliziter Ablehnung des Prinzips der identi tas indiscernibilium78) zugibt, zwei Kratyloi und nicht Kratylos und ein Abbild vorliegen.79 Eine vollständige, restfreie Wiedergabe des Originals ist also mit dem Begriff des Abbilds unvereinbar. Vielmehr bedarf es einer Abweichung vom Original, wenn von einer „Abbildung“ die Rede sein soll. Andernfalls würde Original und Abbild zusammenfallen. Vollständige Übereinstimmung würde eine Verdopplung der Welt (διττὰ γὰρ ἂν που πάντα γένοιτο 432d7) anstelle eines Abbildverhältnisses nach sich ziehen. (Und das – so unsere Interpretation – ist absurd.) Im Falle der ὀνόματα reicht der Spielraum der Abweichung von „gut gesetzt“ (εὖ κεῖσθαι 432e1) bis zum Fehlen passender Buchstaben (τὸ μὴ προσῆκον γράμμα ἐπιφέρειν e3). Eine exakte, d. h. abweichungsfreie und lückenlose Lösung jedoch gibt es, wie das Gedankenexperiment zeigt,
78 Vgl. Ademollo (2011), 366. 79 Barney (2001), 119) sieht hier eine Parallele zum Verhältnis der neu verfertigten κερκίς zur zerbrochenen Vorgänger-κερκίς im „Organon-Abschnitt“ 389b. Der gottgemachte „zweite“ Kratylos ist ebenso wenig ein nach dem Modell des „ersten“ Kratylos verfertigtes Abbild, wie die Ersatz-κερκίς nach dem Vorbild der zerbrochenen κερκίς gemacht ist. Beide κερκίδες sind Instanzen und insofern Abbilder eines κερκίς-εἶδος, und ebenso wären die beiden Kratyloi Instanzen eines Ur-Kratylos, „a blueprint of Cratyluses“, und stünden somit untereinander nicht in einem Abbildverhältnis. Freilich gibt es anders als beim Werkzeug der κερκίς keine „Idee“ des Individuums Kratylos.
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nicht. Die Möglichkeiten der Defizienz der Zusammensetzung überträgt sich vom Verhältnis der Buchstaben zu den Namen auf das Verhältnis der Namen zum ganzen λόγος. Und es gilt für Konstituenten des λόγος, die zu den Dingen nicht passen (λόγον ἐν λόγῳ μὴ προσήκοντα πράγμασιν e5), im Verhältnis zum Gesamtlogos. Damit eine Sache durch einen Namen benannt und gesagt wird, reicht es, dass der τύπος (e6), der „Abdruck“ oder grobe Umriss der Sache, von der die Rede ist, und nicht das exakte Ebenbild ausgedrückt ist. Als Beispiel für die mögliche Distanz von Name und Sache erinnert Sokrates an die Namen der Buchstaben, bei denen es ja wie etwa im Falle des βῆτα genügt, wenn die phonetische Kraft (δύναμις 393e3) des benannten Buchstabens (hier des β) offenbar wird, ohne dass der Zusatz stützender Umgebungslaute (η, τ, α) ohne eigene Abbildfunktion störend wirkt (vgl. 393e5–7 ὁρᾷς ὅτι τοῦ ἦτα καὶ τοῦ ταῦ καὶ τοῦ ἄλφα προστεθέντων οὐδὲν ἐλύπησεν, ὥστε μὴ οὐχὶ τὴν ἐκείνου τοῦ στοιχείου φύσιν δηλῶσαι ὅλῳ τῷ ὀνόματι). Es gibt also den Unterschied zwischen guter und schlechter Wiedergabe80 im Bereich der Namen, ohne dass im letzteren Fall die Funktion der Namen, das Benennen und Sagen, verloren geht. Das wird nun noch durch einen etwas dunklen Vergleich hervorgehoben: Die Funktion des Sagens muss man auch den defizienten Namen belassen, damit wir uns nicht wie die Nachtschwärmer auf Ägina strafbar machen, und später als zulässig bei den Dingen (sc. den Referenten der Namen) ankommen. Zusammenfassend warnt Sokrates vor der Inkonsistenz einer Position, die einerseits die Richtigkeit eines Namens darauf beruhen lässt, dass er eine Sache mittels Silben und Lauten abbildet, und andererseits annimmt, dass die Auslassung oder der Zusatz eines Buchstabens den Namen seiner Funktion beraube; vielmehr ist jede Abbildung, wie man aus dem Zwei-Kratyloi-Argument ergänzen kann, unausweichlich mit einem Abweichungsspielraum verbunden. Es bleibt nachzutragen, dass für manche Interpreten (u. a. McDowell [1973, 236–7]; Denyer [1991, 81]) die Ausführungen zur Unterscheidung guter und schlechter Namen (ab 431c3) noch zur Erörterung der Falschheitsproblematik gehören, die man sonst mit 431c2 enden lässt. Danach wären unter den schlechten, unschönen Namen oder Sätzen auch die falschen zu subsumieren. Auf diese Weise wird erreicht, dass der Bereich des Sinnvollen Wahres und Falsches umfassen kann, d. h. die Dinge können benannt werden (ὀνομάζεσθαι) und zur Sprache kommen (λέγεσθαι), selbst wenn nicht alles (als Abbildung) passend, sondern teilweise unpassend, also nach dieser Deutung falsch ist (κἂν 80 Etwas missverständlich im Kontext des Doppelten-Kratylos-Arguments wird die gute Wiedergabe hyperbolisch mit der vollständigen Wiedergabe identifiziert (καλῶς [sc. λέξεται] ὅταν πάντα [τὰ προσήκοντα γράμματα ἕχῃ 433a5]).
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μὴ πάντα τὰ προσήκοντα ἔχῃ 433a4 f.). Der Nachteil dieser Deutung ist natürlich, dass ein falscher Name zu einem unschönen Namen wird – etwa wenn im Rahmen des διανομή-Modells das Namensbild „Mann“ einer Frau zugewiesen wird, so fungiert „Mann“ als ein verunglückter Frauenname, womöglich mit einem kontinuierlichen Übergang von Frau zu Mann in Abhängigkeit von der ästhetischen Qualität der phonetischen Repräsentation (Falschheit wäre nicht eine Falschheit des Bezugs, sondern gleichsam eine formal entstellte Wahrheit). Das ist wenig überzeugend, zumal der διανομή-Abschnitt die Namensverwendung betrifft, während die Qualitätsunterscheidungen im anschließenden Abschnitt intrinsische, vom Nomotheten (431e1) abhängige Namenseigenschaften angehen, die unabhängig von ihrer Verwendung sind. Wobei freilich zuzugeben ist, dass die Unterscheidung zwischen Namensverwendung und auf Prägung zurückgehender Namensqualität im Rahmen des Naturalismus nicht eindeutig ist.
IV. Ähnlichkeit versus Konventionalität IV.1 Ein mühsam erreichter Minimalkonsens (432d11–434a2) Kratylos stimmt – zurückhaltend (433b6 f.) – der Auffassung des Sokrates zu, dass ein Name qua Abbild einen gewissen Abstand zum Abgebildeten bzw. Benannten haben darf. Sokrates hält als Konsens fest, dass ein Name schön gesetzt ist, wenn seine Buchstaben / Laute passend sind (προσήκοντα 433b10), deutet „passend“ im Sinne von „den benannten Dingen ähnlich“ (ὅμοια τοῖς πράγμασιν c1) und wiederholt beharrlich seinen Punkt von 431d5–8, dass auch nicht passende Buchstaben / Laute vorkommen können, auch wenn der Name dann nicht schön ist (oὐκ … καλόν 433c6) und nicht schön gearbeitet (οὐδὲ καλῶς εἰργασμένον c7). Trotz seiner gerade gegebenen Zustimmung kann Kratylos sich nicht zum Eingeständnis verstehen, dass etwas ein Name sein kann, aber nicht schön gesetzt (μὴ καλῶς κεῖσθαι). Wie in 428b7–11, wo jeder Name qua ὄνομα als korrekt galt, ist er für Kratylos qua ὄνομα auch schön gesetzt. Offenbar befürchtet er, dass das Zugeständnis, von einer vorausgesetzten Norm könne abgewichen werden, seinen Natürlichkeitsstandpunkt infrage stellen würde. Beim Versuch, das Widerstreben des Kratylos zu verstehen, rekapituliert Sokrates daraufhin wesentliche Punkte, in denen sie Übereinstimmung erzielt haben: 1. Ein Name ist ein Mittel, eine Sache offenbar zu machen oder kundzugeben (τὸ ὄνομα δήλωμα τοῦ πράγματος 433d2). 2. Namen sind teils aus anderen Namen zusammengesetzt, teils nicht, sondern primär (433d4 f.). 3. Die primären Namen erfüllen ihre Aufgabe am besten, wenn man sie mög-
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lichst so beschaffen macht, wie das ist, was sie offenbar machen sollen (μάλιστα τοιαῦτα οἷα ἐκεῖνα ἃ δεῖ δηλοῦν αὐτά e1f). Als Alternative zur Ähnlichkeitsthese (προσήκοντα = ὅμοια) stellt Sokrates den Standpunkt des Hermogenes zur Wahl: Die Namen sind Übereinkünfte, und sie machen denen, die die Übereinkunft teilen, Dinge, die sie schon vorher kennen, offenbar (συνθήματα εἶναι τὰ ὀνόματα καὶ δηλοῦν τοῖς συνθεμένοις προειδόσι δὲ τὰ πράγματα 433e7–9). Da es dann keinen Unterschied macht, mit welchem Namen man eine Sache zu benennen übereinkommt, ist es gleichgültig, ob man etwas, was jetzt „klein“ heißt, „groß“ nennt oder umgekehrt. An die Stelle der Ähnlichkeit zwischen Namen und Sache tritt somit die Übereinkunft, einen beliebig gewählten Namen für eine Sache zu verwenden, vorausgesetzt natürlich, diejenigen, die die Übereinkunft teilen, teilen auch die Kenntnis der benannten Sache. Für Kratylos ist es keine Frage, dass die Ähnlichkeit zwischen Namen und Sache einer arbiträren Beziehung ganz und gar vorzuziehen ist, da es allen Unterschied der Welt ausmacht, ob man etwas aufgrund von Ähnlichkeit oder von Beliebigkeit offenbar macht (ὅλῳ καὶ παντὶ διαφέρει, ὦ Σώκρατες, τὸ ὀμοιώματι δηλοῦν ὅτι ἄν τις δηλοῖ ἀλλὰ μὴ τῷ ἐπιτυχόντι 434a1 f.). Einer der Gründe, weshalb er eine Ähnlichkeitsbeziehung der Arbitrarität bei Weitem vorzieht ist, dürfte in der Aussage des Sokrates enthalten sein, dass die konventionellen Namen den an der Konvention Beteiligten etwas offenbar machen, was diese schon vorher kennen (δηλοῦν τοῖς συνθεμένοις προειδόσι δὲ τὰ πράγματα 433e4 f.). Da später auch Sokrates zu erkennen gibt, dass er Namen bevorzugen würde (435c2 f.), die den Dingen möglichst ähnlich sind, ist die Frage nach der Begründung für die Position des Kratylos auch für Sokrates relevant. Eine Antwort könnte sein: Die natürliche, auf Ähnlichkeit gegründete Beziehung erlaubt es, den Verwendern der „natürlichen“ Namen, etwas (i. e. die Denotate solcher Namen) aufgrund eigener kognitiver Betätigung zu erkennen, was den Verwendern konventioneller Namen nur durch Einübung in die Konvention ohne eigene kognitive Leistung offensteht. Die unterrichtende (qua belehrende) Funktion der ὀνόματα, die Sokrates am Beginn des Gesprächs mit Kratylos (428e5) noch einmal hervorgehoben hatte, kommt also bei den konventionellen Namen in Bezug auf ihren semantisch-konzeptuellen Gehalt weniger oder gar nicht aufgrund eigener Erkenntnis zur Geltung. Freilich dürfte dieser kognitive Mehrwert nur den πρῶτα ὀνόματα zukommen, da nur diese und nicht die zusammengesetzten Namen (die ὕστερα) etwas aufgrund von Ähnlichkeit offenlegen können, was sonst nur durch Festsetzung möglich ist. Dabei wird für die zusammengesetzten Namen stillschweigend vorausgesetzt, dass der semantische Beitrag der wortsyntaktischen Operationen, der ja ohnehin außerhalb des Horizonts von Sokrates (Platon) liegt, im Gegen-
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satz zu dem der atomaren Wortbestandteile keiner konventionellen Dekodierung bedarf.
IV.2 Das σκληρότης-Argument (434a3–435b6) Da nun volles Einverständnis hinsichtlich der zentralen Rolle der Ähnlichkeit besteht, kann Sokrates auf das eingehen, was eine solche Ähnlichkeit zwischen den Namen und den Sachen begründen kann, nämlich auf die Lautbestandteile (στοιχεῖα 434a–c), deren Rolle durch Vergleich mit den Farbstoffen erläutert wird, die in der Malerei Verwendung finden. Als Beispiel für die Abbildungsfähigkeit von Lauten wählt Sokrates das Rho, das schon bei der Erläuterung des Lauthomomorphimus als Musterfall für die Wiedergabe von Bewegung durch Bewegung eine herausgehobene Rolle spielte (425cff.). Etwas unvermittelt, da ohne Anschluss an die frühere Charakterisierung des Rho, wird diesem Laut hier aber nicht nur eine Ähnlichkeit zur Bewegung, sondern auch zur „Härte“, „Sprödigkeit“ (τὸ ῥῶ τῇ φορᾷ καὶ κινήσει καὶ σκληρότητι προσέοικεν 434c2) zugesprochen; allenfalls in der beim Rho gegebenen Vibrationsabbildung (τὴν γλῶτταν … σειομένην 426e5) könnte man einen Bezug zur Sprödigkeit sehen. In Übereinstimmung mit 427b2 ff. werden dem Labda die Qualitäten der Glätte und Weichheit zugesprochen (434c4). Sodann weist Sokrates darauf hin, dass es für das attische σκληρότης die Variante σκληροτήρ aus dem ionisch-sprachigen Eritrea auf Euboia gibt, wo statt des schließenden σ ein ρ erscheint. Und da Kratylos die Frage, ob diese Varianten dasselbe abbilden, bejaht, fragt Sokrates, ob sie dies aufgrund einer Ähnlichkeit von ρ und σ tun, was wiederum bejaht wird und zur Frage führt, ob ρ und σ in jeder Hinsicht ähnlich seien. Kratylos erwidert „Ja, vielleicht insofern sie Bewegung offenbaren“, was mit dem schon festgestellten „hauchenden“ „blasenden“ und insofern bewegungsaffinen Charakter des σ übereinstimmt (427a3–6). Merkwürdig ist, dass der gemeinsame bewegungsabbildende Charakter von ρ und σ mit der Qualität der Härte, σκληρότης, um die es im Folgenden geht, nichts zu tun hat (vorausgesetzt, die „Sprödigkeit“ wird nicht aus der „Vibration“ bei der Lautbildung abgeleitet, s. o.). Eigentlich könnte man jetzt sagen, die eritreische Form bildet besser ab, da das härteabbildende ρ in σκληροτήρ dominiert, andererseits weist das (angeblich) bedeutungsgleiche attische σ darauf hin, dass das zweite ρ von σκληροτήρ als bewegungsabbildend disambiguiert werden muss und somit nicht härteabbildend ist (vgl. Sedley 2003, 143 f.). Vielleicht ist es besser, die Relevanz dieser ρ-σ Variation nicht zu überschätzen, zumal Sokrates stillschweigend gleich (434e2) zu der adjektivischen Form σκληρόν übergehen wird, bei der die Frage eines zweiten ρ gar nicht auftaucht.
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Entscheidend ist jedoch, dass jetzt die der Härte entgegengesetzte Qualität ins Spiel kommt. Im Unterschied zu den übrigen von ρ verschiedenen Lauten in σκληρότης / σ κληρόν, die quasi neutral sind hinsichtlich der Abbildung der Härte, bildet das λ den konträren Gegensatz von Härte (τὸ ἐναντίον … σκληρότητος 434d7), nämlich Weichheit ab81, sodass hier ein Gegensatz zwischen Bedeutung und Abbildung zu konstatieren ist, was Kratylos zu dem Vorschlag veranlasst, der Praxis des Sokrates bei den Etymologien zu folgen, und einfach das unpassende λ durch ρ zu ersetzen, womit er im Gegensatz zu vorhin indirekt anerkennt, dass es auch „schlechte“, d. h. defiziente Namen gibt. Ohne auf dieses Zugeständnis einzugehen, stellt Sokrates die entscheidende Frage: Verstehen wir σκληρόν nicht auch ohne diese Ersetzung? „Weißt du nicht, was ich damit sage?“ „Doch (ich verstehe es,) aufgrund von Gewohnheit, mein Bester.“ Platon lässt Kratylos unbedacht genug sein, mit gönnerhaftem Unterton ein Argument zu verwenden, das seiner Naturalismus-Position widerspricht. Letzteres bringt Sokrates sofort zur Sprache: „Meinst du, wenn du Gewohnheit (ἔθος 434e5) sagst, etwas, was von Vereinbarung (συνθήκη e5) verschieden ist?“ Und Sokrates erläutert gleich, was er mit ἔθος meint: „Dass ich, wenn immer ich dies äußere, das meine (διανοῦμαι ἐκεῖνο, e7)82 und du erkennst, dass ich das meine, ist es nicht das, was du sagst?“ – Wessen Gewohnheit, könnte man fragen, ist es? Einerseits geht es um die regelmäßige (vgl. ὅταν τοῦτο φθέγγωμαι iterativ, e6) Verknüpfung von Lautäußerung und Denken aufseiten des Sprechers, andererseits die Verknüpfung von Lautwahrnehmung und Erkennen des Gedankens aufseiten des Hörers, und es ist Letztere, die dazu führt, dass dem Hörer etwas offenbar wird (δήλωμα σοι γίγνεται παρ’ ἐμοῦ 435a2). Entscheidend ist nun aber, dass im Gegensatz zur Natürlichkeits-Hypothese zwischen dem Gemeinten und der Lautäußerung keine Ähnlichkeit bestehen muss, wie die Unähnlichkeit zwischen dem La(m)da und der durch das Wort σκληρότης ausgedrückten Härte zeigt. Sokrates schließt daraus (435a7), dass „du mit dir 81 Barney (2001), 126 f. weist auf eine interessante Analogie hin zwischen dem mimetisch nicht auflösbaren Gegensatz von rho (Härte) und labda (Weichheit) an unserer Stelle und der Beobachtung in Politeia (523eff.), dass Härte und Weichheit für die Seele zu einer Herausforderung (Parakletikon) werden, da sie diese durch Tasten nicht hinreichend unterscheiden kann. In einem Fall muss über die Sinnlichkeit zum Denken (νόησις), im anderen über die Mimesis zur Konvention fortgeschritten werden 82 Ademollo (2011), 398 weist mit Recht darauf hin, dass das Objekt ἐκεῖνο von διανοοῦμαι sich auf den (extra-mentalen) Referenten von σκληρόν (434e2) bezieht und nicht etwa auf den mentalen Gehalt des Gedankens von διανοοῦμαι. Denn nur von diesem Referenten, der Härte (σκληρότης), und nicht von einer mentalen Entität ist es sinnvoll zu sagen, dass das Labda ihr unähnlich ist (435a5 f.). Andererseits, könnte man einwenden, ist es gerade die Intentionalität des mentalen Aktes, die die „extra-mentale“ Referenz ermöglicht. Mit der Übersetzung „meinen“ statt „denken“ für διανοεῖσθαι an dieser Stelle wird versucht, dem Rechnung zu tragen.
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selbst eine Übereinkunft getroffen hast und so die Korrektheit des Namens eine Sache der Übereinkunft für dich wird“. Korrektheit kommt dabei nicht der Übereinkunft selbst zu, sondern der späteren Konformität mit der Übereinkunft – eine Unterscheidung, die im Falle der Korrektheit aufgrund von Ähnlichkeit keine Entsprechung hat. Man würde erwarten, dass die Übereinkunft nicht zwischen dem Hörer und ihm selbst getroffen wird, sondern zwischen den Sprechern und Hörern in abwechselnden Rollen untereinander, denn sie soll ja der Verständigung dienen (vgl. μανθάνομεν ἀλλήλων 434e1). Andererseits ist eine Übereinkunft zwischen Hörer und Sprecher im wörtlichen Sinne eine offensichtliche Fiktion und müsste vorgängig auf einer hörerseitigen bzw. sprecherseitigen Regularität, etwa „σκληρότης“ mit Härte zu verbinden, beruhen, die aber, wenn sie nicht zufällig sein soll, einer Begründung bedarf, und es fragt sich, ob die Annahme einer intrasubjektiven Konvention durch Sokrates (αὐτὸς σαυτῷ συνέθου 435a7) in diese Richtung geht. Eine intrasubjektive Übereinkunft würde aus einem lediglich regelhaften Verhalten immerhin eine Handlung machen. Nachdem nun sowohl ähnliche wie unähnliche Buchstaben auf der Basis von Gewohnheit und Vereinbarung etwas offenbar machen können, ist die Ähnlichkeit ihres Alleinstellungsmerkmals für die Offenlegung des Sinns (δήλωμα) verlustig gegangen. Neben sie oder an ihre Stelle tritt die Gewohnheit. „Diese nämlich macht sowohl durch das, was ähnlich ist, wie das, was unähnlich ist, offenbar“ (ἐκεῖνο γὰρ, ὡς ἔοικε, καὶ ὁμοιῳ καὶ ἀνομοίῳ δηλοῖ 435b2 f.). Für das „offenbar-machen“ (δηλοῦν) scheint nunmehr lediglich das regelmäßige Zusammenvorkommen von Name und Sache und nicht das Vorliegen gemeinsamer Merkmale erforderlich zu sein. Sokrates problematisiert dabei durchaus das Verhältnis von Vereinbarung und Gewohnheit: vgl. „Mag Gewohnheit auch noch so sehr nicht Vereinbarung sein“ (εἰ ὄτι μάλιστα μή ἐστι τὸ ἔθος συνθήκη 435a10). Die Gewohnheit, so könnte man das verstehen, kann zwar die Regelmäßigkeit des Verhaltens erklären, aber es fragt sich, ob das resultierende lediglich ἔθος-basierte Verhalten rational sein kann. Die Vereinbarung (συνθήκη) würde das regelmäßige Verhalten von Hörer und Sprecher über das ἕθος hinaus koordinieren helfen und immerhin insofern Gründe dafür liefern, sich regelkonform zu verhalten, als es den durch die Vereinbarung entstandenen gegenseitigen Erwartungen entspräche. Aber das würde, so scheint es, eine intersubjektive Konvention erfordern, und nicht lediglich eine intrasubjektive. Denn das Ziel, das, was wir meinen, wenn wir sprechen, offenbar zu machen83 (πρὸς δήλωσιν ὧν διανοούμενοι 83 Dass also im Sinne von Grice (1957) unsere Intention, verstanden zu werden, erkannt wird.
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λέγομεν 435b6), lässt sich wohl nur erreichen, wenn der Hörer Grund hat, mit der Äußerung des Sprechers das von diesem Gedachte zu verbinden. Und dazu ist mehr nötig als eine Vereinbarung des Hörers oder Sprechers mit sich selbst. Wenn Sokrates trotzdem von einer eigentlich paradoxen intrasubjektiven συνθήκη redet, dann wohl, weil er, wie gesagt, eine intersubjektive συνθήκη des Hörers mit dem Sprecher (oder umgekehrt) im wörtlichen Sinne einer expliziten Vereinbarung für offensichtlich irreal hält. Vielleicht ist daher die intrasubjektive συνθήκη ein Hinweis des Sokrates, dass er eigentlich eine stillschweigende Vereinbarung meint. Dass Platon dieser Begriff wohlvertraut ist, kann man der Rede der Gesetze im Kriton entnehmen, die den Sokrates daran erinnern, dass er durch seine ganze Lebenspraxis stillschweigend, gleichsam durch konkludentes Handeln, die Übereinkunft eingegangen ist, seine Pflichten als Bürger zu erfüllen (ὡμολογηκέναι πολιτεύσεσθαι καθ’ ἡμᾶς ἕργῳ ἀλλ’ οὐ λόγῳ 52d4 f., der Hinweis stammt von Ademollo 2011, 38). David Lewis hat in seinem Buch Convention (1969) sowie in dem Aufsatz „Language and Languages“ (in: Lewis Philosophical Papers I, 1983, 163–87) eine überzeugende Analyse des Konventionsbegriffs vorgelegt und gezeigt, dass für eine Konvention ein explizites „Agreement“ nicht nur nicht erforderlich, sondern eigentlich sogar überflüssig ist. Eine Verhaltensregularität R ist demnach in einer Gemeinschaft P eine Konvention, wenn es gemeinsames Wissen in P ist, dass Folgendes gilt: 1) Jeder hält sich an R; 2) jeder in P erwartet, dass sich jeder in P an R hält; 3) die Erwartung, dass sich jeder an R hält, gibt jedem in P einen guten Grund, sich ebenfalls an R zu halten; 4) jeder zieht es vor, dass sich alle in P an R halten, falls sich nahezu alle an R halten. (Niemand hat also etwas davon, sich allein nicht an R zu halten); 5) Jeder würde sich an eine alternative, von R hinreichend verschiedene Regularität R’ halten, für die 2), 3) und 4) gelten.
IV.3 Konvention bei den Zahlnamen (435b3–c2) Die Einsicht, dass es erforderlich ist, Konvention und Gewohnheit etwas zur sprachlichen Offenlegung und Übermittlung dessen, was wir denken, beitragen zu lassen (ἀναγκαῖόν που καὶ συνθήκην τι καὶ ἔθος συμβάλλεσθαι πρὸς δήλωσιν ὧν διανοούμενοι λέγομεν 435b5 f.), ging eigentlich zurück auf das mehr oder weniger kontingente Faktum eines Abbildungskonfliktes zwischen Labda und Rho in σκληρότης. Sokrates deutet nunmehr ein etwas prinzipielleres Argument für den Fall der Zahlnamen an: Lässt man Übereinstimmung (ὁμολογία) und Konvention (συνθήκη) überhaupt nicht über die Richtigkeit von Namen mitentscheiden (ἐὰν μὴ ἐᾷς τι τὴν σὴν ὁμολογίαν καὶ συνθήκην
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κῦρος ἔχειν τῶν ὀνομάτων ὀρθότητος πέρι 435c1 f.), woher will man dann für jede einzelne Zahl „ähnliche“ Namen bekommen (πόθεν οἴει ἕξειν ὀνόματα ὅμοια ἑνὶ ἑκάστῳ τῶν ἀριθμῶν ἐπενεγκεῖν b3 f.)? Es liegt nahe, bei den Zahlnamen – entsprechend der Unterteilung der Namen überhaupt – primäre (πρῶτα), nicht zusammengesetzte, z. B. ἕν, δύο etc. bis δέκα, und zusammengesetzte sekundäre (ὕστερα), etwa ἕνδεκα, δώδεκα etc. zu unterscheiden. Die endlich vielen atomaren Zahlnamen ἕν bis δέκα, aber z. B. auch ἑκατόν, χίλιοι, μύριοι hätten dann schlicht konventionelle Denotate84, die zusammengesetzten Zahlnamen hingegen bezeichneten ihre Denotate aufgrund von Addition, z. B. ἕνδεκα („1+10“) δώδεκα („2+10“) etc. und Multiplikation, z. B. τριάκοντα („3×10“) etc. oder δισχίλιοι („2×1000“), τρισχίλιοι („3×1000“) etc.85, sie würden also Resultate rekursiver Zahloperationen konventionell wiedergeben und insofern in abgekürzter Weise auch ihre Anzahldenotate abbilden, wobei die Rekursion durch Anwendung der Operationen auf ihre eigenen Resultate ermöglicht, dass dieser Prozess beliebig fortsetzbar ist und die Länge der entstehenden Ausdrücke letztlich den abgebildeten Anzahlen proportional (und insofern „ähnlich“) ist. In diesem Sinne würden Konventionen dazu beitragen, dass für jede der unbegrenzt vielen Zahlen (ἑνὶ ἑκάστῳ τῶν ἀριθμῶν 235b8) ein sie abbildender Zahlausdruck zur Verfügung steht. Wesentlich und auch problematisch bei diesem Ansatz ist, dass nicht nur Namen, sondern auch Zusammenfügungsoperationen von Namen eine konventionelle Bedeutung erhalten würden, wofür es sonst im Kratylos keine Beispiele gibt, wie Ademollo (2011, 411) richtig feststellt. Aber auf andere Weise ist kaum zu verstehen, dass, wie es in 435b8–c2 heißt, ohne den Beitrag von Übereinstimmung (ὁμολογία) und Konvention (συνθήκη) fraglich bleibe, wie man jeder Zahl einen ähnlichen Namen zuordnen soll: Da eine unbegrenzte Anzahl von Einzelkonventionen nicht infrage kommt, muss die unbegrenzte Anzahl der Zahlen mithilfe endlich vieler Konventionen benannt werden, und das heißt unter Verwendung auch von Rekursion, wie sie im Falle von Addition und Multiplikation instanziiert ist.86 Wie auch immer man die Konstitution der Zahlnamen versteht, der Eindruck, dass Gewohnheit und Konvention gegenüber der Ähnlichkeit sich als entscheidend für die Richtigkeit der Namen herausgestellt hat, verfestigt sich. Zwar heißt es etwas unklar, dass sowohl ähnliche wie unähnliche Buchstaben 84 Es sei denn, man nimmt wie Sedley (2003), 142 für sie nicht Konvention, sondern eine noch zu rekonstruierende Mimesis an. 85 Ähnlich Sedley (2003), 142. 86 Im allgemeinen Fall erfordert das, wie angedeutet, dass arithmetische Ausdrücke (Summen und Produkte) als rekursiv definierbare Zahlnamen verwendet werden können.
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offenbar machen (δηλοῖ καὶ τὰ ὅμοια καὶ τὰ ἀνόμοια γράμματα 435a9), aber der Zusatz ἔθους τε καὶ συνθήκης τυχόντα – „im Verbund mit Gewohnheit und Vereinbarung“ – macht deutlich, dass Ähnlichkeit für das δηλοῦν – „offenbarmachen“ – keine Bedingung darstellt, und das wird dann auch durch den Satz unterstrichen: οὐκ ἂν καλῶς ἔτι ἔχοι λέγειν τὴν ὁμοιότητα δήλωμα εἶναι, ἀλλὰ τὸ ἔθος 435b1 f. („es ist auch nicht mehr richtig, dass Ähnlichkeit ein Mittel ist, offenbar zu machen, sondern die Gewohnheit“). Es sieht also so aus, als ob das Beispiel der σκληρότης verallgemeinerbar ist und der Naturalismus als erledigt gelten kann. Doch dem scheint entgegen zu stehen, dass Sokrates eine klare Präferenz dafür zum Ausdruck bringt, dass die Namen den Dingen, soweit es möglich ist, ähnlich sind (ἐμοἰ μὲν οὖν καὶ αὐτῷ ἀρέσκει μὲν κατὰ τὸ δυνατὸν ὅμοια εἶναι τὰ ὀνόματα τοῖς πράγμασιν 435c2 f.). Ademollo interpretiert hier „X ἀρέσκει τῷ Y“ jedoch nicht im Sinne von „Y zieht es vor, dass X“, sondern (analog zu lat. placita in der Bedeutung „Lehrinhalte“) im Sinne von „Y glaubt, dass X“ und stützt das u. a. damit, dass ἀρέσκειν auch sonst im Kratylos (391d, 400a, 427e, 433c–e) einen epistemischen Sinn („glauben“) habe. Mit anderen Worten, Sokrates bringt hier nach Ademollo die Ansicht zum Ausdruck, dass es faktisch so weit als möglich (freilich unklar, nach welchem Maßstab) eine mimetische Beziehung zwischen Namen und Sachen gibt. Das ist zwar nicht zwingend, aber es ist auch nicht unplausibel, dass Sokrates hier auf mehr hinauswill als eine quasi ästhetische Präferenz, obwohl er im übernächsten Satz gerade eine solche Bewertung der Ähnlichkeit (κάλλιστ’ ἃν λέγοιτο 435c7 f.) vorzunehmen scheint. Die positive Sicht auf die Ähnlichkeit wird dadurch getrübt, dass die Anziehungskraft, der „Sog“ der Ähnlichkeit (ἡ ὁλκὴ τῆς ὁμοιότητος 435c4 f.), wie Sokrates mit dem Ausdruck des Hermogenes (414c3) sagt, nur dürftig (γλίσχρα) sei, weshalb es erforderlich sei, für die Richtigkeit der Namen auch von „dieser vulgären und lästigen Sache (τὸ φορτικόν), der Konvention“, Gebrauch zu machen. Hierbei ist nicht ganz klar, ob die Konvention zusätzlich zur Ähnlichkeit, da diese allein zu schwach ist, wie im Falle der σκληρότης, oder anstelle ihrer heranzuziehen ist. Die negative Bewertung der Konvention als vulgär und lästig verweist wohl darauf, dass sie infolge des Mangels einer intrinsischen Beziehung als arbiträr und zufällig, jedenfalls aber ohne Rechtfertigung zu sein scheint.87 Hierbei wird ein wenig übersehen, dass nicht der in der Tat arbiträre materiale Gehalt der Konvention, sondern die erwartbare Konformität bei ihrer Einhaltung 87 Ademollo (2011), 420 weist mit Recht darauf hin, dass die Abwertung der Konvention auch auf ihrem „demokratischen“ Charakter beruhen kann, da sie keine spezielle Expertise erfordert.
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wesentlich ist und sie zu einer Stütze rationalen Verhaltens macht. Man könnte sogar umgekehrt sagen, dass eine Konvention qua Vereinbarung geradezu ein Mittel ist, Arbitrarität und Beliebigkeit in der Zukunft durch Konstanz zu ersetzen. Der abschließende Satz dieses Gedankengangs (435c7 ff.), der die Schönheit der Rede (κατἀ γε τὸ δυνατὸν κάλλιστ’ ἂν λέγοιτο) von der Ähnlichkeit der verwendeten sprachlichen Abbildungsmittel88 (ὄταν ἢ πᾶσιν ἢ ὠς πλείστοις ὁμοίοις λέγηται) abhängig macht, begründet und unterstreicht mit seinem einleitenden ἐπεί89 noch einmal die Stigmatisierung der die Ähnlichkeit ersetzenden Konvention im Vorgängersatz.
Der neue (Teil-)Konventionalismus des Sokrates (435a5–d1) und seine frühere Sympathie für eine φύσει-ὀρθότης (391a6 ff.) Das σκληρότης-Argument hat ergeben, dass Übereinkunft (συνθήκη) und Gewohnheit (ἔθος) etwas (τι) dazu beitragen (συμβάλλεσθαι), das, was wir beim Sprechen meinen, offenbar zu machen (435b6 f.). Entscheidend dabei war der Konflikt zwischen den mimetischen Eigenschaften von ρ (Härte) und λ (Weichheit) in dem Wort σκληρότης. Die Lösung dieses Konflikts zugunsten der Bedeutung „Härte“ von σκληρότης erfordert ein Wissen, das über die mimetischen Eigenschaften des gesamten Wortes hinausgeht. Es erfordert die Kenntnis einer Konvention. Im ersten Dialogteil waren die beiden Gesprächspartner hingegen zu dem Ergebnis gekommen, dass Namen eine natürliche Richtigkeit haben (φύσει τέ τινα ὀρθότητα ἔχον εἶναι τὸ ὄνομα) und dass es nicht jedermanns Sache oder eine Sache der Konvention sei, einem Gegenstand in schöner Weise einen Namen zuzuordnen (καὶ οὐ παντὸς ἀνδρός ἐπίστασθαι καλῶς αὐτὸ (sc. τὸ ὄνομα) πράγματι ὁτῳοῦν θέσθαι 391a8 f.). Grundlage für diese Einsicht war eigentlich nur die Annahme, dass das Benennen eine rationale Tätigkeit sei, bei der die Namen die Rolle von Werkzeugen des Informierens und Unterscheidens übernehmen. Die Konkretisierung der als Ergebnis rationalen Verhaltens erwarteten natürlichen Richtigkeit sollte die Analyse der ὀνόματα im etymologischen Abschnitt erbringen. Unabhängig davon, ob sich der Konventionalismus nunmehr endgültig durchgesetzt hat oder nicht, ist zu fragen, wie die Änderung in Richtung 88 D. h. entweder der verwendeten Namen (so die meisten Interpreten) oder der Buchstaben (so Schofield [1982], 82 und Sedley [2003], 141) oder von Beidem (so Ademollo [2011], 422). 89 Siehe Ademollo (2011), 421.
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Konventionalismus, die sich in der Position des Sokrates zu erkennen gibt, zu verstehen ist. Der entscheidende Unterschied zwischen dem σκληρότηςArgument und dem früheren Gespräch mit Hermogenes besteht darin, dass es bei der σκληρότης um mimetische Eigenschaften von Lauten geht, während in der früheren Diskussion die Lautphänomene ausdrücklich ausgeklammert werden (vgl. ἕως ἂν τὸ τοῦ ὀνόματος εἶδος ἀποδιδῷ τὸ προσῆκον ἐν ὁποιαισοῦν συλλαβαῖς, οὐδὲν χείρω νομοθέτην εἶναι [sc. ἀξιώσεις] τὸν ἐνθάδε ἢ τὸν ὁπουοῦν ἄλλοθι 390a6–8 [„solange er die Form des Namens, die für jedes Ding angemessen ist, in welchen Silben auch immer wiedergibt, der hiesige kein schlechterer Gesetzgeber sein wird als der irgendwo anders“]). Die Lautelemente kamen erst dadurch ins Spiel, dass die etymologische Analyse schließlich bei etymologisch nicht weiter analysierbaren πρῶτα ὀνόματα angelangt war, für deren weitere Betrachtung die στοιχεῖα – die Lautelemente – nicht zu umgehen waren. Während die sekundären Namen – die ὕστερα ὀνόματα – durch eine kompositionale Analyse in bedeutungstragende ῥήματα (421e1 f.) ihren (modern gesprochen: semantischen) Beitrag zur Offenlegung (δήλωσις) der Dinge, d. h. des Gemeinten (ὧν διανοούμενoι λέγομεν 435b6) leisten, tun dies die primären Namen aufgrund des nicht-semantischen mimetischen Beitrags (μίμησις) ihrer Lautelemente. Entscheidend ist nun, dass bei sekundären Namen die semantische δήλωσις auf der Basis des vom λόγος gelieferten (impliziten syntaktischen) Grundgerüsts der zugrundeliegenden ῥῆμα-Struktur erfolgt, so etwa bei [ἀναθρῶν[[ἃ] ὄπωπε]] = ἄνθρωπος. Die Analyse der sekundären Namen benötigt daher, bevor man jeweils die primären atomaren Namenskonstituenten erreicht hat, keine Unterstützung durch eine Konvention, denn die implizite Syntax der ῥῆμα-Struktur bildet nicht konventionell, sondern aufgrund ihrer Funktor-Argument-Struktur gewissermaßen „logisch“ ab.90 Das Zurücktreten der Konvention im ersten Teilgespräch (einschließlich der Etymologien) – von einer Widerlegung kann ja keine Rede sein91 – ist daher zu erwarten. Im Gegensatz dazu verfügt eine Kette mimetischer Lautelemente (wie σ-κ-λ-η-ρ-ό-τ-η-ς) eines Primärnamens über kein vergleichbares λόγος-basiertes Grundgerüst, sondern weist ein gleich berechtigtes Nebeneinander eventuell widerstreitender Elemente auf; „mimetische“ Konflikte müssen daher durch Konventionen ausgeglichen werden.
90 Die Semantik der grammatischen Beziehungen zählt hierbei zur im weiteren Sinne logischen Semantik. 91 Anders Barney (2001), 136: „conventionalism was not set aside but refuted in the first part of the dialogue; and there is no sign later that this earlier argument has been retracted, or that convention and its ism have now come to mean something different.“
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Barney (2001, 136) meint, die konventionalistische Lesart des σκληρότηςArguments habe „no option but to deny the unity of the dialogue and read the Cratylus as an incoherent parade of disconnected arguments, some good and some bad, from which we are left to choose our favourites“. Das ist nur in einem formalen Sinn richtig, nicht aber, wenn man die pragmatische Logik des Gesprächs neben der formalen Logik des Arguments berücksichtigt. Sokrates’ Festlegung zugunsten der φύσει-ὀρθότης-Position im ersten Teil (391a8 f.) erfolgte, bevor die konzeptuellen Voraussetzungen für die Unterscheidung von kompositionaler Semantik und lautlicher μίμησις zur Verfügung standen. Es sind aber erst die kaum vermeidbaren Schwächen der μίμησις, die den Rückgriff auf die Konvention erforderlich machen. Das wird auch dadurch deutlich, dass vor den konventionalistischen Folgerungen aus dem σκληρότης-Argument mehrfach (431c4–d7, 432d–433a, 433c) auf den approximativen Charakter der Abbildung mittels γράμματα durch die πρῶτα ὀνόματα hingewiesen wird. Es ist die graduelle Kontingenz der Zusammensetzung aus Lautelementen, der „zähe Sog der Ähnlichkeit“ (γλίσχρα ᾖ ἡ ὁλκή τῆς ὁμοιότητος 435c5), die das Ausweichen auf die Konvention erforderlich machen. Während es im Kontext des σκληρότης-Arguments offenbleiben muss, ob es neben der konventionalistischen ὀρθότης auch eine natürliche Richtigkeit gibt, erweist sich Sokrates’ positive Einschätzung einer ähnlichkeitsbasierten Richtigkeit (vgl. ἐμοὶ μὲν οὖν καὶ αὐτῷ ἀρέσκει μὲν κατὰ τὸ δυνατὸν ὅμοια εἶναι τὰ ὀνόματα τοῖς πράγμασιν 435c6 f.) im weiteren Fortgang des Gesprächs als wenig belastbar. Denn es wird klar (s. u.), dass es riskant ist, sich auf die überkommenen Namensprägungen zu verlassen, da sie auf Meinungen und nicht auf Wissen beruhen, und dass die flusstheoretische ontologische Basis der Etymologien unhaltbar ist.
Exkurs: Konventionalismus und Erkenntniskritik im 7. Brief Platons Verhältnis zur Verbindlichkeit sprachlicher Normen außerhalb des Kratylos ist durch eine ausgesprochene Liberalität gekennzeichnet. So betrachtet er im Theätet eine gewisse Leichtigkeit und einen Verzicht auf Akribie im Umgang mit Ausdrücken als nicht unedel (οὐκ ἀγεννές 184c2), das Gegenteil aber eher als eines freien Mannes unwürdig (ἀνελεύθερον c3), solange Klarheit dort, wo sie erforderlich ist, nicht geopfert wird.92 Im Charmides (163d5 f.)
92 Als weitere Belegstellen für diese Einstellung führt Ademollo an: Rep. 533de, Tht. 199a, Sph. 227bc, Plt. 261c.
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bejaht Sokrates in diesem Sinne eine quasi-konventionalistische Freiheit in der Wortwahl (ἐγώ σοι τίθεσθαι μὲν τῶν ὀνομάτων δίδωμι ὅπῃ ἂν βούλῃ). Im 7. Brief vertritt der Autor eine Position, die derjenigen des Hermogenes zu entsprechen scheint. Dort wird in einem philosophischen Exkurs davor gewarnt, ernsthafte philosophische Gedanken dem Wort und der Schrift anzuvertrauen (343a1–4). Begründet wird das damit, dass die Voraussetzungen bzw. die Stufen zum Wissen Name (ὄνομα), Definition (λόγος), Abbild (εἴδωλον), Wissen (ἐπιστήμη) bzw. Meinung (δόξα), die (zu erkennende) Sache selbst außer der letzten sämtlich mängelbehaftet sind. Der gemeinsame Mangel der ersten vier Stufen besteht aufgrund einer Schwäche der λόγοι (διὰ τὸ τῶν λόγων ἀσθενές 343a1) darin, dass sie der Seele, die wissen will, was (τί) eine Sache ist, eher (342e3) oder gar nur (343c1) darbieten, wie beschaffen (ποῖόν τι) sie ist. Der spezielle Mangel des Namens – als Beispiel fungiert das Wort κύκλος „Kreis“ – ist darin zu sehen, dass kein Name für irgendetwas fest (βέβαιον b1) ist. So hindere nichts daran, dass das, was jetzt „rund“ (στρογγύλον) heißt, „gerade“ (εὐθύ) genannt wird und umgekehrt, wobei aber für diejenigen, die die Umstellung vorgenommen haben und es umgekehrt benennen (μεταθεμένοις καὶ ἐναντίως καλοῦσιν b3), die Sache sich um nichts weniger fest verhält (οὐδὲν ἧττον βεβαίως ἕξειν). Im Falle des λόγος, der ja aus Namen und Verben zusammengesetzt ist, gilt ebenso, dass er in keiner Weise hinreichend fest und beständig ist (μηδὲν ἱκανῶς βεβαίως εἶναι βέβαιον 343b5), sondern – wie man wohl ergänzen darf – sich stets kompositional und Homomorphie bewahrend mit seinen Bestandteilen ändert. Aus diesen Gründen wird kein vernünftiger Mensch das von ihm Gedachte in dieses mängelbehaftete Medium bringen, und das gilt zumal für die schriftliche, in unveränderlichen Buchstaben fixierte Variante. Es sieht so aus, als ob im Unterschied zum Kratylos die mangelnde Konstanz im sprachlichen Medium und nicht der permanente Fluss im Gegenstandsbereich es ist, der hier als Problem angesehen wird.93 Es fragt sich, was die phänomenologische Grundlage für diese Ansicht, so sie denn vorliegt, sein könnte. Soll man annehmen, dass so etwas wie die Erfahrung eines permanenten Sprachwandels gemeint ist? Damit daraus ein Problem entsteht, müssten die relevanten Veränderungen zeitnah so ineinandergreifen, dass man bei keinem Wort sicher sein könnte, dass es noch die kurz zuvor geltende Bedeutung hat. Was im Konventionalismus des Hermogenes in abstrakter Weise als prinzipielle Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, würde hier zur permanenten Realität. Ähnlich wie in der ersten Kritik an der Flusstheorie (411bc) der scheinbare Fluss der Dinge auf die schwindelerregende Drehbewegung der 93 In diese Richtung scheint die Deutung von Derbolav (1972), 219) zu gehen.
B Das Gespräch mit Kratylos
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alten Namenssetzer zurückgeführt wird, die ihren eigenen subjektiven Zustand in die sie umgebende Welt projizierten, würde hier gleichsam eine Art heraklitischer Sprachwandel dazu führen, dass stets damit zu rechnen ist, dass das Band zwischen ὄνομα und Denotat sich unversehens ändert, obwohl die Welt der Denotate gleichbleibt. Intuitiv plausibler als eine solche stets mögliche Verschiebung der Beziehung von Ausdruck und Inhalt dürfte es jedoch sein, den Mangel an Festigkeit und Stabilität der Namen (ὄνομα … οὐδὲν οὐδενὶ βέβαιον εἶναι 343a8) weniger radikal lediglich als Abwesenheit einer festen unveränderlichen Bedeutungsbeziehung überhaupt zu verstehen. Die eigentliche Defizienz der Namen wäre dann, dass es keinen rationalen Grund dafür gäbe, dass ein Name das bedeutet, was er bedeutet, außer dem factum brutum, dass er diese Bedeutung hat. Anders gesagt, der einzige Grund wäre die Konvention. Für Ademollo (2011, 425) stimmt die konventionalistische Position des Briefes mit derjenigen im Kratylos überein. Allerdings ziehe der Brief aus der Veränderlichkeit der Namen einen fragwürdigen Schluss: „For it says that because names are unstable they are an unsound starting point for acquiring knowledge of anything. This makes hardly any sense as a philosophical view; and it is one of the reasons which make me (like other scholars) suspect that the Letter is inauthentic.“ Damit ist wohl gemeint, dass der Konventionalismus ja nicht die begriffliche Basis der Erkenntnis, sondern lediglich ihre lautsprachliche Kodierung betrifft und daher kein Erkenntnishindernis sein kann. Andererseits argumentiert nach Ademollo auch Sokrates im Kratylos dafür, dass Namen unzuverlässig (unreliable) seien und eine andere Quelle für das Wissen gesucht werden müsse (438de), was den Brief aus Ademollos Sicht dem Dialog eigentlich – entgegen seiner Einschätzung als unecht – wieder annähern sollte. Entscheidend ist aber, dass die Instabilität der Namen im Brief gar nicht, wie Ademollo meint, in der Reihe Erkenntnisprobleme besonders hervorgehoben wird. Vielmehr verursachen alle Erkenntnisfaktoren zusammen aufgrund ihrer Favorisierung des ποιόν gegenüber dem τὶ ein Kommunikations problem (οὐδεὶς τολμήσει ποτὲ εἰς αὐτὸ [sc. τὸ τῶν λόγων ἀσθενές] τιθέναι τὰ νενοημένα ὑπ αὐτοῦ 343a2 f. Niemand wird es wagen, das von ihm Gedachte der Schwäche des logos zu überantworten). Damit relativiert sich die Grundlage für die harsche Kritik Ademollos am philosophischen Niveau des Briefes. Nach Ademollo ist die Kritik des Briefes möglicherweise inspiriert vom Bedauern, das Sokrates 435bc darüber ausdrückt, dass Konvention für die Richtigkeit der Namen eben doch von Belang sei. Der Autor des Briefes deute Platon als Konventionalisten – nach Ademollo zu Recht –, führe jedoch Platons (bzw. Sokrates’) Bedauern über die Unvermeidlichkeit des Konventionalismus auf die – nach Ademollo – falsche Annahme zurück, dass Platon (eigentlich
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unhaltbare) epistemologische Bedenken gegen den Konventionalismus hege, denen sich der Autor unbedachterweise anschließe. Dabei gerät bei Ademollo das eigentliche Anliegen des Briefautors etwas in den Hintergrund, nämlich der Aufweis, dass es unverantwortlich sei, philosophische Gedanken schriftlich zu fixieren oder gar zu publizieren, die schon als solche vor kein Publikum gehören, sondern allenfalls dem privaten Gespräch unter Partnern mit dem gleichen Erkenntnisethos (vgl. 344b5 f. ἐν εὐμενέσιν ἐλέγχοις ἐλεγχόμενα καὶ ἄνευ φθόνων ἐρωτήσεσιν καὶ ἀποκρίσεσιν χρωμένων [in wohlwollenden Widerlegungen und missgunstfreien Fragen und Antworten]) vorbehalten sein sollten. Ademollo gibt auch dem Argument, dass die vier genannten Erkenntniszugänge der Seele das von ihr nicht gesuchte ποιόν anstelle des gesuchten τί darbieten, nicht das gebührende Gewicht. Es berührt sich nicht nur im Allgemeinen mit der platonischen Unterscheidung von Wesen und Beschaffenheit (vgl. z. B. Stemmer 1992, 42–50), sondern speziell mit der im Timaios (49b–51b) bei Einführung der χώρα oder ὑποδοχή gegebenen Analyse der phänomenalen Welt. So liefert der Kreislauf der Verwandlung der Elemente (ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον 49d4 f.) der (insofern nur scheinbaren) Elemente (πῦρ, ὕδωρ etc.) im Timaios den Hintergrund für die im 7. Brief vertretene Auffassung, dass es in unserer phänomenalen Welt der vier Erkenntniskomponenten nichts Substanzielles (keine Antwort auf die Frage τί) und kein mögliches Objekt der Deixis gibt, sondern nur die als Beschaffenheiten gleichbleibenden, sich in der gestaltlosen χώρα abwechselnden Charakteristiken der Elemente und sonstigen Erscheinungen (vgl. μὴ τοῦτο ἀλλὰ τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε προσαγορεύειν πῦρ, μηδὲ ὕδωρ τοῦτο ἀλλὰ τὸ τοιοῦτον ἀεί [sc. προσαγορεύειν ὕδωρ] 49d5 f.).94 Der Brief folgt auch darin der Auffassung Platons in den Dialogen, dass es in der phänomenalen Welt, etwa im Falle der εἴδωλα, also der gemalten oder handwerklich hergestellten (und wohl generell der sinnlich wahrnehmbaren) Dinge eine Kopräsenz der Gegensätze im Sinne von Politeia 479a–b gibt (vgl. 343a6 κύκλος ἕκαστος τῶν ἐν ταῖς πράξεσιν γραφομένων ἢ τορνευθέντων μεστὸς τοῦ ἐναντίου ἐστὶν τῷ πέμπτῳ).
94 Mit der Deutung von H. Cherniss (1954), 114: „not to say ‚this is fire‘ but ‚what on any occasion is such and such is fire‘ nor ‚this is water‘ but ‚what is always such and such is water‘“. Ähnlich die Deutung und zugehörige Begründung von E. N. Lee (1967). Wenig überzeugend die Auffassung von Gulley (1960), 53 ff., wonach hier τοῦτο metasprachlich erwähnt und nicht gebraucht wird: „not to call fire ‚this‘, but ‚what is of such and such a kind‘“ etc.
B Das Gespräch mit Kratylos
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V. Das Problem der Namen als Quellen der Erkenntnis (435d3–439b9) V.1 Die Ansichten der Namenssetzer können falsch sein (435d3–436b11) Was leisten die Namen und was bewirken sie an Schönem (435d1–3)? Mit dieser etwas unvermittelt gestellten Frage eröffnet Sokrates den zweitletzten Pro blemkomplex des Dialogs. Die Antwort des Kratylos, dass sie unterrichten und dass der, der die Namen kennt, auch die Dinge kennt, geht über die im ersten Teil (388bc) gegebene Funktionsbestimmung der Namen als Werkzeuge der Unterrichtung und Unterscheidung hinaus. Es geht nunmehr um die Namen als Quellen der Erkenntnis, wie die klärende Nachfrage des Sokrates erläutert. Die Namen kennen heißt wissen, wie sie beschaffen sind. Und da sie sind wie die Dinge, hat jemand Wissen über die Dinge, der weiß, wie die Namen sind. Trotz der eben zugestandenen Anerkennung der Konvention ist es nun doch wieder die Ähnlichkeit zwischen Namen und Dingen, auf der ihre unterrichtende Funktion beruht. Das Wissen über die Dinge kann sich eben deshalb aus dem Wissen über die Namen ergeben, weil es sich, so ist wohl vorausgesetzt, um dasselbe Wissen handelt, insofern Dinge, die einander ähnlich sind, unter dasselbe Wissen fallen. Sokrates fragt als nächstes nach der Art und Weise (τρόπος) der intendierten Unterrichtung über die Seienden (τίς ποτ’ ἂν εἴη ὁ τρόπος οὗτος τῆς διδασκαλίας τῶν ὄντων 435e6 f.). Diese Frage wird eigentlich nicht beantwortet, vermutlich weil ihre Antwort schon gegeben ist: Die Unterrichtung über die Seienden geschieht dadurch, dass man angibt, wie die Namen beschaffen sind (τὸ ὄνομα οἷόν έστιν 435d8), und das dürfte heißen: wie ihre Abbildleistung, ihr Sinn oder ihre Etymologie zu fassen ist, denn eine andere Spezifikation der Beschaffenheit der Namen gab es bisher nicht. Die anschließende Frage, ob es noch eine andere Art der Unterrichtung gebe, die genannte (οὗτος e8) jedoch besser sei, wird hingegen im Sinne der impliziten Alternative beantwortet: Der genannte τρόπος ist der einzige und beste. Daraus ergibt sich, dass man genau dann weiß, wie etwas ist, wenn man weiß, wie der Name ist. Als nächstes fragt Sokrates, ob das Auffinden der Seienden auf dieselbe Weise erfolge und ob man mit den Namen auch das gefunden habe, dessen Namen sie sind. Das wird von Kratylos bejaht und zugleich auch, dass das Selbst-Finden (εὑρίσκειν 436a5) und das Unterrichtet-Werden (μανθάνειν a6) auf dieselbe Weise stattfindet, d. h. in beiden Fällen wird über die Beschaffenheit der Namen, also letztlich die Abbildleistung oder Etymologie, die Beschaffenheit der benannten Gegenstände gefunden bzw. offengelegt. Dies wird später als Prämisse für den endgültigen Einwand gegen die Position des Kratylos verwendet.
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Da die Namen – im Unterschied zu den Dingen, wie man ergänzen kann – gesetzt sind und zwar so, wie der erste Setzer der Namen (ὁ πρῶτος θέμενος) meinte, dass die Dinge beschaffen sind (οἷα ἡγεῖτο εἶναι τὰ πράγματα 436b6), hängt die Beschaffenheit der Namen von der Meinung des Setzers ab, und diese muss nicht richtig (ὀρθῶς b9) sein. Man geht also das Risiko ein, getäuscht zu werden (ἐξαπατηθῆναι b2, b11), wenn man sich an die Festsetzungen des Setzers hält. Die Erwiderung des Kratylos geht hart an einer petitio principii vorbei: Es sei notwendig, dass der Namenssetzer seine Setzungen aufgrund von Wissen (über die Dinge) vornahm, sonst wären die Setzungen keine Namen, womit er seine alte Position wiederholt. Das scheint zu heißen: Was der Setzer über seine Setzungen meinte, ist, da Wissen, wahr, also sind es Namen, sonst wären es keine Namen. Kratylos fügt hinzu: Dass der Namenssetzer die Wahrheit nicht verfehlt hat, erweist sich vor allem dadurch, dass seine Setzungen so kohärent (σύμφωνα 436c4) sind und dass sie, wie Sokrates ja selbst bemerkt hat, in gleiche Richtung weisen (ἐπὶ ταὐτόν ἐγίγνετο τὰ ὀνόματα c6) – nämlich (wie man ergänzen kann) auf die heraklitische Flusslehre. Das heißt, ein zusätzliches (quasi holistisches) Kriterium für die Richtigkeit eines Namen ist, wie er zu den schon akzeptierten Namen passt, wobei „Passung“ mehr heißt als „Konsistenz“.
V.2 Die flusstheoretische Kohärenz der Etymologien ist ein Scheinargument (436c3–437a1) Dass Passung qua Kohärenz allerdings keine Gewähr gegen Falschheit und Irrtum ist, erläutert Sokrates so: Ein Fehler am Beginn schließt nicht aus, dass der Namenssetzer das „Übrige“ (τἆλλα 436c8) mit dem Anfang und diesen mit sich selbst so zusammenzwingt, dass ein kohärentes (aber falsches) Ganzes entsteht (so wie ja auch die Konsistenz oder Widerspruchsfreiheit einer Satzmenge nicht ihre Wahrheit impliziert). Sokrates illustriert das mit einer Analogie aus der Geometrie, wo es bei einem Theorembeweis95 vorkommen kann, dass sich eine geringfügige und unscheinbare Falschheit am Beginn einschleichen kann und die übrigen zahlreichen Zwischenschritte sich dennoch folgerichtig zusammenfügen. Sokrates zieht daraus die Lehre, dass man den größten ge 95 Ademollo (2011), 435 weist darauf hin, dass διάγραμμα in τῶν διαγραμμάτων sowohl (a) mathematisches Diagramm als auch (b) metonymisch „mathematischer Satz“ (inklusive Beweis), bedeuten kann, da (b) normalerweise mit einer Figur illustriert wird. Ademollo entscheidet sich hier für die Bedeutung (b), da die Bedeutung (a) „Diagramm“ erfordern würde, dass ψεῦδος in 436d3 anstelle der korrekten Deutung „Falschheit“ die nicht haltbare Deutung „Fehler“ erhielte.
B Das Gespräch mit Kratylos
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danklichen Aufwand und die größte Sorgfalt (τὸν πολὺν λόγον καὶ τὴν πολὺν σκέψιν 436d5 f.) auf den Anfang (περὶ τῆς ἀρχῆς d5) einer Sache legen soll, um zu sehen, ob er richtig oder nicht richtig gewählt und zugrunde gelegt wurde (ὑπόκειται d6), und danach auf die Folgerichtigkeit des Restes.
V.3 Es gibt konstanzontologische Alternativanalysen (437a2–d7) Nachdem Kohärenz der Etymologien als Argument für ihre Richtigkeit nicht infrage kommt, wird nun noch gezeigt, dass die von Kratylos behauptete Kohärenz eigentlich gar nicht vorliegt, m.a.W., es ist keineswegs so, dass die hera klitische Flusslehre die einheitliche ontologische Basis der Etymologien ist. Sokrates zeigt vielmehr, dass es neben den flussontologischen Etymologien „konstanzontologische“ Ableitungen gibt, so für ἐπιστήμη, das zuvor über hεπιστήμη auf ἕπομαι „Folgen“, d. h. auf das „den bewegten Dingen Folgen der Seele“ (τοῖς φερομένοις τοῖς πράγμασιν ἑπομένης τῆς ψυχῆς 412a1 f.) zurückgeführt wurde. Nun sieht es eher so aus, also ob es richtiger (ὀρθότερον 437a5) sei, das h nicht an den Beginn vor das ε96, sondern zwischen π und ι einzufügen, also ἐπhιστήμη anzusetzen und über das Verb ἵστημι „lasse stehen“ zu der Deutung ἵστησιν ἡμῶν ἐπὶ τοῖς πράγμασι τὴν ψυχήν zu gelangen, wonach das Wissen die Seele bei den Dingen, die eigentlich ruhen, zum Stehen bringt. Die beiden Etymologien von Wissen führen nun nicht etwa dazu, dass die Etymologien insgesamt einen formalen Widerspruch implizierten, ἐπhιστήμη wird vielmehr gegenüber hεπιστήμη als Korrektur (vgl. ὀρθότερον) eingeführt, wobei wohl stillschweigend vorausgesetzt wird, dass die konstanzontologische Sicht in gewisser Hinsicht „richtiger“ ist. Die übrigen Beispiele, die gegen die Kohärenz der Etymologien angeführt werden, sind ὀνόματα, die bisher nicht analysiert wurden: So hängt βέβαιον „beständig“ konstanzontolgisch mit Stand (βάσις) und Stehen (στάσις) zusammen, ἱστορία („Erforschung“) mit „den Fluss anhalten“ (ἵστησι τὸν ῥοῦν 437b1), πιστόν „glaubwürdig“ über ἱστάν („was zum Stehen bringt“) ebenfalls mit ἵστημι. Mνήμη (Gedächtnis) ist erkennbar ein Verharren (μονή 437b3) in der Seele und keine Bewegung. Umgekehrt sind die eigentlich negativ bewerteten Ausdrücke ἁμαρτία („Fehler“ b4) und συμφορά („Missgeschick“ b4) nicht wie erwartet mit Ruhe, dem Gegenteil der vordem positiv bewerteten Bewegung, verbunden, sondern ähnlich wie nach der alten Analyse σύνεσις (nämlich von συνιέναι „zusammengehen“) und ἐπιστήμη (von ἕπεσθαι „folgen“) mit Bewegung, d. h. die Bewertung von Bewegung und Ruhe kehrt sich um; im Falle von ἁμαρτία denkt Sokrates wohl 96 Siehe die Anmerkung zur Übersetzung von 412a3.
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an die Verbindung mit ὁμαρτεῖν „begleiten“, und bei συμφορά an συμφέρεσθαι „sich bewegen mit“. Und folgt man dem früheren Ansatz, wären die negativ zu bewertenden ἀμαθία „Unwissenheit“ und ἀκολασία „Zügellosigkeit“ qua Bewegung eigentlich positiv zu bewerten, nämlich ἀμαθία als „Gang eines mit Gott Gehenden“ (ἅμα θεῷ ἰόντος πορεία 437c1) und ἀκολασἰα als ein „den Dingen Folgen“ (ἀκολουθία τοῖς πράγμασι 437c2). Die alternativen Analysen führen also zu einer völligen Umwertung von Bewegung und Ruhe. Der verzweifelte Rettungsversuch des Kratylos, dass doch die etymologischen Analysen im Sinne der die Bewegung positiv bewertenden Flussontologie die Mehrheit bilden, findet bei Sokrates nur den sarkastischen Hinweis, dass damit Wahrheit zu einer Frage der Zahl der Stimmsteine wird (437d3 ff.)
Ein Überlieferungsproblem (437dff.) Der folgende Abschnitt ist durch ein Überlieferungsproblem belastet, das jedoch glücklicherweise keine größeren Inhaltsprobleme mit sich bringt. Es geht um die Frage einer Textdoublette, die in der Oxford-Ausgabe in zwei Versionen aufgelöst ist, „A“ und „B“. Alle Handschriften außer dem der Familie δ zugehörigen Vindobonensis W lassen einen Teil, nämlich „S“ = 437d10–438a2 des in der OCT-Edition als Version A überschriebenen Textstücks weg und bieten die letzten Zeilen von Version A – i. e. 438b4–b7 – im Anschluss an das in der OCT-Edition als Version B überschriebene Textstück 438a3–b3. Die Handschrift W dagegen bietet von A den Teil S = 437d10–438a2 ohne die Zeilen 438b4–b7 unmittelbar vor der Version B = 438a3–b3, und lässt nach B wie alle anderen Handschriften nach Einfügung der Zeile 438b4 (KP. δοκεῖς τι μοι λέγειν, ὦ Σώκρατες „Was du sagst, scheint mir bedenkenswert“) die letzten Zeilen 438b4–b7 von A folgen. Der jetzt in der OCT-Ausgabe gebotene Text entsteht also durch Versetzung der allen Hss gemeinsamen Zeilen 438b4–b7 ans Ende des „Sonderguts“ S (= 437d10–438a2) von W. Inhaltlich passt das Sondergut S von W nicht zum Umgebungskontext, denn während in S die Frage, ob die ersten Namenssetzer die ersten Namen in Kenntnis der Dinge (γιγνώσκοντες τὰ πράγματα), also ihrer Denotationen, gesetzt haben (437e6–9), als eine neue, bisher nicht gestellte Frage eingeführt, von Kratylos bejaht (γιγνώσκοντες) und von Sokrates bestätigt wird, taucht zwei Seiten zuvor (436c1) im Gegensatz dazu eben die dem Kratylos in den Mund gelegte Feststellung (und damit die gewünschte Antwort vor der Frage) auf, dass der Namenssetzer die Namen mit Wissen (d. h. in Kenntnis der Dinge) gesetzt habe (εἰδότα τίθεσθαι τὸν τιθέμενον τὰ ὀνόματα 436c1). Diese Feststellung
B Das Gespräch mit Kratylos
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wird im gemeinsamen Teil Β unmittelbar nach S erneut als etwas Bekanntes (εἰ μέμνησαι 438a4) und von Kratylos Vertretenes wiederholt und bestätigt (τὸν τιθέμενον τὰ ὀνόματα ἀναγκαῖον ἔφησθα εἶναι εἰδότα τίθεσθαι οἷς ἐτίθετο 438a4 f.). Schon Jachmann (1941, 322) hat daher S als unechte Variante von B ausgeschlossen. Für den Umfang von S und seine Platzierung ist es relevant, dass in der letzten Zeile 438a2 von S nach den Worten des Kratylos Οὔ μοι δοκεῖ in W die Wörter ἐκ ποίων δέ („aus welchen also“) überliefert sind, die in 438a11 mit ἐκ ποίων οὖν wieder aufgenommen werden; offensichtlich soll mit dem Zusatz ἐκ ποίων δέ in 438a2 angezeigt werden, dass S mit 438a11 fortzusetzen ist, was bedeutet, dass 438a3–10 auszulassen wären, um die Fortsetzung von S unmittelbar anzuschließen. In dieser Fortsetzung 438a11 ff. von S sind die Zeilen 438b4–b7 = D2 und 438a11–b3 = D1 inhaltlich Doubletten; denn in D1 wird gefragt, aus welchen Namen man die Dinge (d. h. die potentiellen Denotate) erlernt oder gefunden haben soll, wenn die ersten Namen noch nicht gesetzt sind, aber gleichzeitig gilt, dass eine Kenntnis der Dinge an die Erkenntnis der Beschaffenheit (d. h. Etymologie) der Namen gebunden ist; und in D2 wird gefragt, in welchem Sinne wir sagen sollen, dass sie (sc. die Namenssetzer) im Besitz von Wissen Setzungen vorgenommen haben oder Gesetzgeber gewesen sein sollen, bevor noch irgend ein Name gesetzt wurde und sie davon Kenntnis hatten, wenn es denn unmöglich ist, von den Dingen anders Kenntnis zu erlangen als aufgrund der Namen. Da nun in S und B ohnehin schon Doubletten vorliegen, fragt es sich, ob man die weiteren Doubletten D1 und D2 in sinnvoller Weise auf die schon vorhandenen verteilen kann. Nach einem unveröffentlichten Vorschlag von Ernst Kapp kann dies wie folgt geschehen (siehe den Oxford-Text, der sich Kapp anschließt): D1 (= 438a11–b3) folgt unmittelbar auf den Teil 438a3–a10 (= B1) von B, da sowohl in B1 wie in D1 vom Namenssetzer einheitlich im Singular die Rede ist (τιθέμενον 438a4, a8, μεμαθηκώς, ηὑρηκώς a11; der Plural in μαθόντας b3 und in ἐξευρόντας b3 ist generalisierend zu interpretieren), D2 (= 438b4–b7) ist unmittelbar an S (438a2) anzuschließen, da in S und D2 die Namenssetzer konsistent im Plural erscheinen (τιθεμένους 437e1, νομοθέτας e3, νομοθέται e6, e9, γιγνώσκοντες, ἀγνοοῦντες e10 f.). Insgesamt stammen die jüngere Variante B1+D1 und die (wegen des Fehlens des Bezugs zu 436c1) ältere S+D2 nach Kapp von Platon selbst. Es bleibt die zwischen D1 und D2 überlieferte Zeile 438b4 KP. δοκεῖς τι μοι λέγειν, ὦ Σώκρατες „Was du sagst, scheint mir bedenkenswert“ übrig, mit der Kratylos anerkennt, dass der Beginn der Namenssetzung ein Problem ist. Sie kann als Zusatz verstanden werden, der das harte Aufeinandertreffen der
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Doubletten D1 und D2 abmildern soll, und kann daher nach Trennung von D1 und D2 getilgt werden. Eine Möglichkeit, 438b4 beizubehalten, die Sedley (2003, 8 ff.) vertritt, besteht darin, S und B1+D1+438b4 als Varianten anzunehmen und auf beide als gemeinsame Fortsetzung D2 folgen zu lassen mit dem Nachteil, dass auf die zweite Variante B1+D1+438b4 dann die Doublette D2 von D1 folgt. Ein wichtiger inhaltlicher Unterschied zwischen den Versionen A und B besteht nach Sedley (2003, 9) darin, dass die frühere Version A voraussetzt, dass sowohl Kratylos (vgl. 437e9 γιγνώσκοντες) wie Sokrates (vgl. 438a1 οὐ γάρ που ἀγνοοῦντές γε) davon ausgehen, dass die Namenssetzer Wissen über die zu denotierenden Dinge hatten, während in dem von der späteren Version B vorausgesetzten Kontext klar ist, dass der Namenssetzer allenfalls eine fehlbare Meinung (vgl. 436b5 οἷα ἡγεῖτο εἶναι τὰ πράγματα, τοιαῦτα ἐτίθετο καὶ τὰ ὀνόματα) über die Dinge hatte, deren Wahrheitsgehalt der Überprüfung bedurfte. Für Sedley heißt das, dass die Trennung der Rollen des Nomotheten und seines kognitiv kompetenten Aufsehers, des Dialektikers, erst in der späteren (d. h. aktuellen) Version klar vollzogen worden war – womit auch ein Motiv für die Überarbeitung des Dialogs deutlich werde, deren Spuren aufgrund eines Zufalls der Überlieferung erhalten geblieben seien.
V.4 Namen sind keine verlässlichen Erkenntnisquellen (438c4–439b9) Inhaltlich bietet der Doubletten-Abschnitt mit seinen Versionen ein gewichtiges Argument gegen die These des Kratylos, dass die Namen die alleinige Quelle für die Erkenntnis der Dinge (436a) seien. Denn mit dieser These bleibt unerklärt, wie die ursprüngliche Setzung der Namen überhaupt möglich war, sofern nämlich, wie hier von Kratylos vorausgesetzt wird, die Setzung der Namen ihrerseits die Kenntnis der Dinge (qua Denotate) voraussetzt. Als Ausweg bleibt jetzt nur noch die von Kratylos auch sofort benutzte Annahme (438c1), dass die ersten Namen nicht menschlichen, sondern göttlichen Ursprungs sind. Kratylos nimmt hier also zu der von Sokrates zuvor stigmatisierten „deus-exmachina-Hypothese“ (425d5 ff.) Zuflucht.97 In seiner Antwort weist Sokrates auf die kurz zuvor angeführte Konkurrenz zwischen fluss- und konstanzontologischen Etymologien hin, die ein Gott eben nicht gleichzeitig vertreten kann.98 97 Nach Goldsmith (1940), 159–60 vertritt Kratylos den göttlichen Ursprung der Namen (Création divine des noms) von Beginn an. 98 Nach Ademollo (2011), 443 ist dieser Einwand von Sokrates nicht ganz fair, da die eben angeführten fluss- und konstanzontologischen Etymologienkontraste sich nicht auf zeitlich primäre Namen, von denen hier allein die Rede ist, beziehen.
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Dass Kratylos am Ende seiner Möglichkeiten angekommen ist, zeigt sich darin, dass er nun willkürlich und dogmatisch darauf besteht, dass die Namen mit den ihm nicht genehmen Etymologien (nämlich den konstanzontologischen) schlicht keine Namen seien. Bemerkenswert an diesem Austausch ist, dass Sokrates die konkurrierenden etymologischen Analysegruppen als konträre Gegensätze charakterisiert, dass also der von Kratylos bemühte göttliche Namenssetzer, trotz seiner Übermenschlichkeit (438c1) mit sich selbst im Gegensatz stehen würde (ἐναντία ἂν ἐτίθετο αὐτὀς αὑτῷ 438c4). Es stellt sich die Frage, ob damit die gesamte etymologische Argumentation zugunsten der natürlichen Richtigkeit als letztlich inkonsistent abgewertet werden soll. Sedley (2003, 159) verneint dies unter Verwendung seiner bereits angeführten Unterscheidung zwischen exegetisch und philosophisch korrekten Etymologien. Die heraklitisierenden Etymologien des Hauptteils (401 c und 411 ff.) bleiben insofern exegetisch korrekt, als sie, wie Sokrates am Ende des Dialogs (439c3 f.) betont, die flussontologischen Ansichten der Namenssetzer nach wie vor richtig wiedergeben. Was nun die in 436e–437a angeführten konkurrierenden konstanzontologischen Etymologien angeht, so betreffen sie mit der Ausnahme von ἐπιστήμη nur solche ὀνόματα, die im Hauptteil nicht analysiert wurden, sodass jedenfalls formal keine expliziten Widersprüche entstehen. Im Fall ἐπιστήμη wird, wie schon gesagt, die neue konstanzontologische Etymologie ἐπhιστήμη mit der Reduktion auf ἵστημι „stelle (fest)“ explizit als Korrektur (ὀρθότερον 437a5) eingeführt, sodass auch hier kein formaler Widerspruch zum Hauptteil vorliegt. Die philosophische Korrektheit – also etwa die Frage, was Wissen wirklich ist – bleibt von der exegetischen Korrektheit – also welche Ansicht den Etymologien zugrunde liegt – unberührt, sodass insbesondere über die flussontologischen Analysen weiterhin diskutiert werden kann, wie das am Ende ja auch geschieht. Der Gegensatz zwischen den neu hinzugekommenen und den alten Etymologien schließt nach Sedley nicht aus, dass sie in einem alltagssprachlichen Sinn simultan vertreten werden können. Er weist (120) darauf hin, dass die intuitive Plausibilität sowohl der bewegungs- wie der stillstandsorientierten Etymologien bzw. Metaphern durchaus Analogien in den modernen Sprachen haben. Positiv bewertete Bewegung: „getting up to speed“, „following the drift“ etc.; negativ bewerteter Stillstand: „having a mental block“, „getting stuck“ etc., positiv bewertetes intellektuelles Festhalten: „getting a grip“, „establishing“, „confirming“, „grasping“, negativ bewertetes Entgleiten: „losing your grip“, „making a slip“. Insgesamt meint Sedley also, dass die von Sokrates betonte Widersprüchlichkeit (ἐναντία ἂν ἐτίθετο αὐτὀς αὑτῷ 438c4) nicht „exegetisch“, sondern „philosophisch“ zu verstehen ist: „the ancients were not as single-mindedly
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and coherently convinced of the instability of cognition and goodness as at first appeared. But at no point does he [sc. Socrates] suggest that the exegetical principles of etymology are compromised by the contradiction. The ancients really did mean what the etymological decoding of names says they meant: but they were not as wholeheartedly Herclitean in their views as Cratylus hoped. What is by now at issue is the power of etymology to teach us philosophical truths“ (2003, 161). Der Standpunkt von Sedley ist nicht ganz leicht zu verstehen. Dass der Aufweis konträrer ontologischer Standpunkte (der Fluss- und Konstanzontologie) hinter den alten und den hinzugekommenen Etymologien nicht dazu dient, die „exegetischen Prinzipien“ der etymologischen Analyse zu „kompromittieren“, ist insofern plausibel, als alternative Analysen der vorhandenen Namen nicht nahegelegt werden. Und andere Namen als die vorhandenen stehen, wie Sokrates sagt (438d4 f.), nicht zur Verfügung. Inwiefern allerdings eine Art Kulanz bei den „ancients“ (also den Namenssetzern) eine Rolle spielt, um die Kontrarietät abzumildern, wie Sedley andeutet, ist nicht so ganz klar. Wenn Sokrates sagt (d6), dass etwas anderes als Namen gesucht werden muss, um uns zu zeigen, welcher der beiden ontologischen Standpunkte wahr ist, so ist klar, dass die Eigenschaften der Namen (seien es etymologische oder andere) keine brauchbaren Grundlagen für die Erkenntnis der Wahrheit über die Seienden liefern (ἡ ἀλήθεια τῶν ὄντων 438e8).99 Zumindest das sollen die konträren Resultate der etymologischen Analyse im Sinne eines indirekten Argumentes doch wohl zeigen. Die neue Position des Sokrates, dass die Wahrheit der Dinge aufgrund ihrer gegenseitigen Verwandtschaft (δi’ ἀλλήλων γε, εἴ πῃ συγγνενῆ ἐστιν 438e7) sowie aufgrund ihrer intrinsischen Eigenschaften aus den Dingen selbst (αὐτὰ δι’ αὑτῶν e8) zu erfahren sei (μαθεῖν e6), bleibt programmatisch. Die Begründung, dass das, was von den Seienden verschieden und andersartig ist, etwas anzeige, was von den Dingen verschieden und andersartig ist (τὸ γάρ που ἕτερον ἐκείνων καὶ ἀλλοῖον ἕτερον ἄν τι καὶ ἀλλοῖον σημαίνοι ἀλλ’ οὐκ ἐκεῖνα 438e8 f.), soll wohl andeuten, dass das stellvertretende „für etwas Stehen“ der Namen grundsätzlich nicht ermöglicht, die Seienden selbst zu erkennen. Damit wird die mit der Ähnlichkeit von Namen und Dingen begründete Existenz einer gemeinsamen τέχνη (435e1–3) wieder in Abrede gestellt. Der Gedanke, dass die gegenseitige Verwandtschaft der Dinge deren Erkenntnis ermöglicht, wird im Menon im Zusammenhang mit der Anamnesislehre gesehen: Die Wiedererinnerung an einen Ausschnitt der Wirklichkeit (ἓν 99 Anders als bei Silverman (2001) wird damit nach Sedley (2003), 162) nicht für einen außersprachlichen Zugang (a nonlinguistic mode of understanding) der Erkenntnis plädiert. Dass Denken ein interner Dialog ist, wird nach Sedley nie aufgegeben.
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μόνον ἀναμνησθέντα 81d2) ermöglicht es, die gesamte Wirklichkeit aufgrund der Verwandtschaft der Natur (τῆς φύσεως ἁπάσῃς συγγενοῦς οὔσης d1) selbständig aufzufinden (τἆλλα πάντα αὐτὸν ἀνευρεῖν d3). Man wird vermuten dürfen, dass die Realitätsfülle der natürlichen Verwandtschaft der Dinge die Dürftigkeit des Sogs der mimetischen Ähnlichkeit zwischen Namen und Denotaten (γλίσχρα ᾖ ἡ ὁλκὴ αὕτη τῆς ὁμοιότητος 435c4 f.) zu kompensieren vermag. Nachdem eigentlich längst klar ist, dass die Namen keine verlässliche Erkenntnisquelle sein können, wird noch einmal der Abbildcharakter der Namen hypothetisch thematisiert, um den direkten Bezug zu den Dingen ohne Umweg über die Namen als überlegen zu erweisen. Der Gedankengang scheint zu sein: Die paradoxe Auffassung des Kratylos, dass die Namen die einzige Quelle der Erkenntnis über die Dinge sind, ist erledigt. Doch selbst wenn man annimmt, dass man die Dinge überhaupt über die Namen in Erfahrung bringen kann, so stellt sich die Frage, ob der eben ( Ἔστιν ἄρα, … δυνατὸν μαθεῖν ἄνευ ὀνομάτων τὰ ὄντα 438e2) als gangbar erwiesene Weg, die Dinge direkt ohne Namen zu erkennen, nicht schöner und zuverlässiger ist – und zwar quasi-analytisch einfach aufgrund des ontologischen Vorrangs des Urbilds gegenüber dem Abbild. Andernfalls müsste man ja absurderweise annehmen, dass allein aus dem Abbild erfahrbar ist, ob es ein schönes und gutes Abbild ist und wie das Urbild – die Wahrheit (ἡ ἀλήθεια 439a9) – beschaffen ist, und nicht sinnvollerweise umgekehrt aus dem Urbild das Urbild erkennen und ob das Abbild gut gearbeitet ist.100 Sokrates schließt die Überlegung mit der skeptischen Bemerkung, dass es jenseits der Kapazität der aktuellen Gesprächspartner liege, die gesuchte (439b4 f.) und schließlich nicht gefundene Methode der Erfassung der Dinge und ihrer Aufdeckung zu erkennen. Was hingegen festzuhalten bleibt, ist die gemeinsame Einsicht, dass man das, was ist, nicht aus den Namen, sondern viel eher aus den Dingen selbst in Erfahrung bringen und suchen soll. Ademollo (2001, 448) meint, dass der Dialog als Ganzes trotz der skeptischen Schlusseinschätzung immerhin die folgenden methodischen Andeutungen enthalte: Wissen hat etwas mit der dialektischen Frage- und Antwort-Methode (390c) sowie mit der Methode der Dihairesis (424b–425b) zu tun, und die Erkenntnis eines Komplexes setzt voraus, dass seine Elemente erkannt werden (426ab).
100 Das Zurückbleiben des Abbildes hinter dem Urbild kann man zwar nach dem Phaidon anlässlich der Wahrnehmung des Abbildes erkennen, dies aber eben nur, weil dabei die Erinnerung (ἀνάμνησις 74d2) an das Urbild ausgelöst wird. Vgl. dazu Barney (2001), 146.
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VI. Die Ablehnung der Flussontologie (439b10–440d7) Im letzten Abschnitt des Dialogs (439cff.) wird ein Beispiel dafür gegeben, wie man, ohne sich auf die Abbildleistung der Namen selbst zu stützen, funda mentale ontologische Voraussetzungen der etymologischen Analyse dieser Abbildleistung behandeln kann. Sokrates erinnert daran, dass eine Vielzahl der Namen eine starke Tendenz aufgewiesen habe, die die Gefahr einer Irreführung der Namensbenutzer (also von „uns“) in sich berge: Sie setzen den Standpunkt der Flusslehre voraus, dem nach Meinung des Sokrates die Namenssetzer tatsächlich anzuhängen schienen. Nach Sedley (2003, 165) ergibt sich daraus eindeutig, dass Sokrates die Etymologien für exegetisch korrekt und ebenso, dass er zumindest diejenigen mit flussontologischer Tendenz für philosophisch zweifelhaft oder unkorrekt hält. Sokrates hatte schon am Beginn der zentralen Etymologien der intellektuellen Vermögen (411bc) auf das Bild zurückgegriffen, dass die alten Namenssetzer durch häufiges Sich-Umwenden beim Untersuchen der Dinge in einen Schwindel gerieten, den sie dann aufgrund einer Projektion mit einem ständigen Fluss und einer Bewegung der Dinge selbst verwechselt hätten. Hier greift er, um den flussontologischen Irrtum der Namenssetzer zu charakterisieren, auf das Bild eines Wirbels zurück, in den nicht nur die Namenssetzer selbst zu ihrer eigenen Verwirrung gerieten, sondern auch uns mit hineinzögen. Was also jetzt direkt und ohne Umschweife angegriffen wird, ist die Flusslehre, nach der also ausnahmslos alles in steter Veränderung und Bewegung begriffen sei. (Weiterhin kann, wenn nunmehr die Flusslehre selbst thematisiert wird, [auch] erwartet werden, dass gleichsam als Nachtrag der offen gelassene Konflikt zwischen den Voraussetzungen der Fluss- und Ruhenamen [vgl. ὀνομάτων στασιασάντων 438d] gelöst wird).
VI.1 Ideentheoretische Voraussetzungen (439c7–d6) Sokrates kündigt den Beginn seines letzten Gedankengangs als etwas an, was er häufig träume (σκέψαι, … ὃ ἔγωγε πολλάκις ὀνειρώττω 439c6 f.). Nach Sedley (165) und Ademollo (456) gehört die Traummetapher dieser Stelle zu den Verwendungen (Chrm. 173a, Men. 85c, R. 443b, 533bc, Tht. 201d), in denen der Trauminhalt als etwas Hypothetisches fungiert, das noch der weiteren Prüfung und Rechtfertigung bedarf.101 Nun hat nach dem Phaidon (92d, 100b5 f.) 101 Eine kurze und klare Erläuterung der platonischen Traummetapher findet sich bei Barney (2001), 149–151.
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insbesondere die Annahme von „Ideen“ diesen hypothetischen Charakter. Es liegt nahe, die nun folgende Einführung eines Schönen selbst und eines Guten selbst, das mit Traumstatus verbunden ist, ebenfalls hypothetisch zu verstehen (πότερον φῶμέν τι εἶναι αὐτὸ καλὸν καὶ ἀγαθὸν καὶ ἓν ἓκαστον τῶν ὄντων οὕτω, ἢ μή; 439e7 ff. „Sollen wir sagen: Es gibt so etwas wie das Schöne selbst und das Gute selbst und genauso für alle Seiende“) und auf das eidetische Sein zu beziehen. Denn die hier gewählte Form von Existenzaussagen stimmt mit der überein, die im Phaidon für die erstmalige Einführung der Ideen verwendet wird: „Sagen wir, es gebe sο etwas wie das Gerechte selbst gibt oder es gebe nichts von der Art (φαμέν τι εἶναι δίκαιον αὐτὸ ἢ οὐδέν)? … Und so etwas wie das Schöne und das Gute (Καὶ καλόν γέ τι καὶ ἀγαθόν)? (65d3–7).“ Das indefinite τι bildet hier wie an unserer Kratylos-Stelle zusammen mit αὐτὸ καλόν bzw. δίκαιον αὐτό eine Indefinitphrase zur Neueinführung eines Objekts, was zusammen mit εἶναι eine Existenzaussage ergibt102, die zunächst nur die Annahme eines entsprechenden Konzepts absichern soll und dessen „Gegenstand“ noch undeterminiert lässt – φῶμέν τι εἶναι αὐτὸ καλόν „es gibt etwas wie das Schöne selbst“, φαμέν τι εἶναι αὐτό δίκαιον „es gibt etwas wie das Gerechte selbst“. Die anaphorische Wiederaufnahme geschieht dann regulär mit dem definiten Artikel, wie gleich in Krat. 439d5 ἀλλ’ αὐτό…τὸ καλόν. Ademollo (2011, 457) weist darauf hin, dass Existenzaussagen/-fragen der für den Phaidon und Kratylos spezifischen Form ἔστι τι καλὸν αὐτό „Gibt es ein Schönes selbst?“ in den „sokratischen“ Dialogen nicht vorkommen, sondern lediglich solche der Form ἔστι τι καλόν „Gibt es so etwas wie das Schöne?“ ohne das charakteristische, die Selbständigkeit von καλόν hervorhebende αὐτό. Die Frage ist, welchen Status Formulierungen wie αὐτὸ τὸ Χ bzw. ἔστι τι αὐτὸ X im vorliegenden Kontext haben. Im Phaidon ist diese Frage relativ eindeutig zugunsten eidetischen Seins zu beantworten: Das δίκαιον τι αὐτό oder das καλόν τι αὐτό lässt sich nicht sinnlich wahrnehmen (vgl. Phd. 65d9 f.), sondern nur mithilfe des reinen Denkens erfassen (εἰλικρινεῖ τῇ διανοίᾳ 66a2). Eine solche Aussage fehlt im Kratylos, wenn man nicht die gleich zu behandelnde Bezugnahme auf die Erkenntnis (γνῶσις) und ihren durch Konstanz gekennzeichneten Gegenstandsbereich in dieser Richtung deutet. Nun könnte man sagen, dass die Ideenlehre im Kratylos ja ohnehin unübersehbar im ersten Gespräch mit Hermogenes präsent ist: Das Modell der κερκίς, 102 So Sedley (2003), 167, Ademollo (2011), 456 f. und eine Reihe von Kratylos-Übersetzungen (Méridier [1931], Reeve [1999], Martini [1989]). Andere Interpreten, wie Kahn (1981), 109 und Ebert (2004), 23, fassen εἶναί τι in φαμέν τι εἶναι αὐτό δίκαιον / καλόν (Phd. 65d4 f. und Krat 439c7), als Existenz-Prädikat „etwas sein“ zu αὐτό δίκαιον / καλόν als Subjekt auf – „Behaupten wir, dass das Gerechte selbst etwas ist“. Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Auffassungen kaum.
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das als αὐτὸ ὃ ἔστιν κερκἰς (389bff.) von seinen Instanzen klar geschieden ist, erfüllt die klassische ἓν ἐπὶ πολλῶν-Rolle der Idee, und dasselbe gilt für das Modell des ὄνομα, das dem Blick des νομοθέτης als αὐτὸ ἐκεῖνο ὃ ἔστιν ὄνομα (389d6 f.) als Leitbild dient. Für die Bedeutung ontologischer „Reflexions“Aussagen ist nun aber auch der Dialogkontext relevant, d. h. man muss sich im Sinne einer dramatischen Plausibilität fragen, welche Deutung mit der Reaktion des jeweiligen Gesprächspartners vereinbar ist. Im Falle der Ideen qua Modelle einer technischen Herstellung (wie der κερκίς) ist es wohl nicht erforderlich, wesentlich über eine Common-sense-Ontologie hinauszugehen, wie man sie bei Hermogenes im ersten Teil voraussetzen kann. Anders ist das bei Wertbestimmungen wie καλὸν αὐτό, ἀγαθὸν αὐτό und δίκαιον αὐτό, die als zentrale εἴδη im Ideenkatalog des jungen Sokrates im Par menides (130b8f) auftauchen und nicht zufällig hinter den formalen Bestimmungen ἕν, πολλά, und ὅμοιότης (130b4 f.) genannt werden, welch Letztere im Sinne von Sedley (166, Anm. 35) gegenüber den Wert-Ideen als leichter zugänglich oder „easily known“ gelten können. Da die Wert-Ideen diesen Status des „easily known“ nicht oder doch nicht ohne Weiteres haben, ist damit zu rechnen, dass sie die Kapazität nicht-philosophischer Gesprächspartner womöglich übersteigen. Die Frage ist, wie der Kratylos des Dialogs dabei einzuschätzen ist. Er wird sicher als selbständiger Kopf gezeichnet, aber nicht unbedingt als jemand, der der sokratischen Art des Fragens nahesteht. Seine Sympathie für die von Sokrates abgelehnte Flusslehre hat er schon zum Ausdruck gebracht (437a1 und 437d1) und wird es am Ende des Dialogs noch eindeutiger tun. Wie soll man seine zwar zurückhaltende, aber klare Zustimmung (ἔμοιγε δοκεῖ, ὦ Σώκρατες, εἶναι 439d2) zur Aussage des Sokrates über die Existenz von etwas wie dem Schönen selbst (αὐτό τι καλόν) und etwas wie dem Guten selbst (αὐτό τι ἀγαθόν) und ebenso für jedes Seiende (καὶ ἓν ἕκαστον τῶν ὄντων οὕτω 439c8 f.) verstehen? Ist das eine Zustimmung zur eidetischen Ontologie oder gibt es eine harmlosere Deutung? Barney (2001, 151) sieht in dieser Existenzaussage zumindest oberflächlich nichts besonders Platonisches, „but rather a vague banality – something like the claim we might put by saying that ‚there is such a thing as beauty‘“ (mit der Anmerkung: „For auto to kalon as ‚beauty‘, compare the substitution of isotes for auto to ison at Phaedo“ 74c1–5). Sie verbindet ihre Deutung jedoch mit der interessanten Position, dass für Platon die weniger aufgeladenen „commonsense views, if their presuppositions and ramifications are properly understood, do turn out to entail much of ‚the Theory of Forms‘“ (152). Die Ideenlehre lässt sich demnach also kontinuierlich aus Alltagsintuitionen entwickeln. Sedley (167) nimmt an, dass hier zwei Verständnisebenen („levels of understanding“) vorauszusetzen seien: „While to Platonically attuned readers
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the reference is unmistakably to the intelligible world postulated by Platonic ontology, to Cratylus Socrates’ question need mean no more than whether, in addition to the beautiful things in the world, there is also such a thing as what it is for them to be beautiful.“ Ademollo (459) dagegen hält die beiden Verständnisebenen von Sedley nicht für plausibel, sie würden darauf hinauslaufen, dass Kratylos die Existenz-Frage in 439c7 ff. missverstanden hat. Worauf es Platon aber hier ankomme, sei eine Konfrontation der Flusstheorie und der Theorie der Formen mit Kratylos als dem Kontrahenten von Sokrates, und die würde durch das angenommene Missverständnis ins Leere laufen. Dass Kratylos die Gegenposition eigentlich nur einnehmen kann, wenn er entgegen der dramatischen Plausibilität die Ideenlehre kennt und versteht, ist nach Ademollo in Kauf zu nehmen. Doch weiter – dass es im Folgenden um das eidetische Sein geht, wird eigens dadurch unterstrichen, dass das Schöne selbst den schönen Dingen (etwa einem schönen Gesicht) gegenübergestellt und betont wird, dass es nicht um das Schönsein schöner Dinge gehe und auch nicht darum, ob diese schönen Dinge sämtlich im Fluss sind. Der Satz καὶ δοκεῖ ταῦτα πάντα ῥεῖν (439d4) ist nicht etwa eine asyndetische assertorische Parenthese im Sinne von „und diese Dinge scheinen ja alle zu fließen“, sondern ist ein weiteres Konjunkt der von μὴ εἰ eingeleiteten indirekten Frage („und es geht nicht darum, ob das alles zu fließen scheint“). Es wird also offengelassen, ob das nichteidetische Sein sich im ständigen heraklitischen Fluss befindet, im Unterschied etwa zum doxographischen Bericht des Aristoteles in Metaphysik A6, wo die Flusstheorie, die Platon von Kratylos übernommen habe, auf das Sinnliche bezogen ist. Entscheidend ist nun der Satz: ἀλλ’ αὐτό, φῶμεν, τὸ καλὸν οὐ τοιοῦτον ἀεί ἐστιν οἷόν ἐστιν (439d5); („Sondern sollen wir sagen, dass das Schöne selbst nicht stets so ist, wie es ist?“) Kratylos akzeptiert mit einschränkungslosem Ἀνάγκη. Dies wird von den meisten Interpreten in dem Sinne verstanden, dass es im Folgenden als ausgemacht gilt, dass das Schöne selbst – und überhaupt alles Eidetische – keiner Veränderung unterliege. Aber dann ist irritierend, dass im Anschluss (433d8) gefragt wird, ob man das Schöne korrekt ansprechen kann, wenn es stets entweicht, wenn es sich also stets bewegt und verändert. Es wird also, so scheint es, sowohl stete Veränderung wie Konstanz für das eidetische Sein vorausgesetzt. Kahn (2002, 116) interpretiert das so: „Socrates … pursues some of the counterfactual implications of supposing that even such stable things might change.“ (Also etwa: Wäre es korrekt ansprechbar, wenn es sich stets entziehen würde?). Dagegen wendet Ademollo ein, dass Sokrates in den fraglichen Bedingungssätzen keinen Irrealis bzw. ἄν mit Vergangenheitstempus mit antiheraklitischer Präsupposition verwendet, sondern den Präsens Indikativ (εἰ ἀεὶ ὑπεξέρχεται 439d8, εἰ μεταπίπτει πάντα χρήματα 440a6).
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Nach Ademollo verfolgt Sokrates die Strategie, dass er zunächst seine eigene Ansicht konstatiert, dass die Ideen sich nicht verändern, um dann diese Annahme, die im Folgenden keine aktive Rolle mehr spielt, beiseite zu setzen und die Konsequenzen aus der konkurrierenden Annahme zu ziehen, dass alles einschließlich der Ideen sich im permanenten Fluss befindet. Mit anderen Worten, Ademollo lässt die Härte unvermindert stehen und nimmt in Kauf, dass das ganze nun folgende Argument gegen den Fluss eigentlich pragmatisch überflüssig ist, da sein Ziel schon erreicht ist. Eine ganz andere Lösung schlägt Sedley (2003, 169) vor: αὐτὸ τὸ καλὸν … τοιοῦτον ἀεί ἐστιν οἷόν ἐστιν 439d5 f. soll nicht ausdrücken, dass die Ideen ohne Veränderung sind, sondern dass das Schöne selbst im Sinne der Selbstprädikation und Selbstinstanziierung stets schön ist. Sedley verweist darauf, dass die zugegebenermaßen problematische Selbstprädikation bzw. Selbstinstanziierung der Idee für Platon zu den am meisten selbstevidenten aller möglichen Wahrheiten gehöre. So bemerke Sokrates mit deutlicher Entrüstung im relativ frühen Protagoras: Es dürfte kaum etwas anderes fromm sein, wenn es die Frömmigkeit selbst nicht ist (σχλοῇ μεντἄν τι ἄλλο ὅσιον εἴη, εἰ μὴ αὐτή γε ἡ ὁσιότης ὅσιον ἔσται 330d8 f.). Entscheidend ist dieses Zeugnis nach Sedley auch deshalb, weil es belegt, dass die Wahrheit selbstprädikativer Aussagen für Platon unabhängig von der im Protagoras nicht vorausgesetzten Annahme von Ideen ist. Daher kann auch ein metaphysisch nicht festgelegter Gesprächspartner wie Kratylos das akzeptieren. Ademollo wendet dagegen ein, dass Platon eine derart allgemeine Formulierung (das Schöne selbst ist stets so beschaffen, wie es ist) kaum für einen so spezifischen Zweck (Selbstprädikation) habe verwenden können. Eine solche Bezugnahme auf die Selbstprädikation wäre im Übrigen beispiellos. Doch wie auch immer, ein Problem der Sedley’schen Lösung besteht darin, dass auch die Selbstprädikation „das Schöne selbst ist stets schön“ die Unveränderbarkeit des Schönen selbst zu implizieren scheint103 – es sei denn, es soll offengelassen werden, ob das Schöne selbst neben seiner Selbstinstanziierung noch andere eventuell veränderbare Bestimmungen haben können soll. Eine Möglichkeit, das Beweisziel der Wiederlegung der Flusslehre nicht durch die Frage in 439d5 (ἀλλ’ αὐτό, φῶμεν, τὸ καλὸν οὐ τοιοῦτον ἀεί ἐστιν οἷόν ἐστιν) überflüssig werden zu lassen, könnte nach Barney (2001, 152) wie folgt aussehen: Der Ausgangssatz hat nicht den Sinn: Das Schöne selbst ist stets so, wie es (gegenwärtig) ist (Alternative i), sondern: Das Schöne ist stets so, wie
103 Nach Sedley (2003), 168 Anm. 38 muss diese „starke“ Lesart nicht für Kratylos gelten, für ihn reicht: „X is always F“ commonly means „X is F so long as X exists“.
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es jeweils ist, d. h. ἀεί hat in distributiver Bedeutung „in every case“ Skopus über οἷόν ἐστιν (Alternative ii).
VI.2 Die Argumente gegen die Flusslehre (439d8–440c1) Das gesamte Argument gegen die Anwendung der Flusstheorie auf das eidetische Sein gliedert sich in vier Teilschritte, die alle von der die Flusstheorie charakterisierenden These abhängen, dass sich alles im Fluss, d. h. in Veränderung befindet. 1) Im ersten Argument (439d8–d12) wird in Bezug auf das eben eingeführte Schöne selbst gefragt, ob man es korrekt ansprechen kann ἆρ’ οὖν οἷόν τε προσειπεῖν αὐτὸ ὀρθῶς wenn es sich stets entzieht εἰ ἀεὶ ὑπεξέρχεται, zunächst, dass es jenes ist i) πρῶτον μὲν ὅτι ἐκεῖνό ἐστιν, sodann, dass es so beschaffen ii) ἔπειτα ὅτι τοιοῦτον Die Frage wird implizit verneint mit der Begründung, dass es notwendig ist, dass es, (ἢ) ἀνάγκη während wir sprechen, ἅμα ἡμῶν λεγόντων unmittelbar ein anderes wird ἄλλο αὐτὸ εὐθὺς γίγνεσθαι und sich entzieht καὶ ὑπεξιέναι und sich nicht mehr so verhält. καὶ μηκέτι οὕτως ἔχειν. Die Veränderung, die Sokrates zunächst betrachtet, ist eine räumliche („sich entziehen“, ὑπεξέρχεσθαι 439d8 f.). Aufgrund der Veränderungsausdrücke in der Begründung ἄλλο εὐθὺς γίγνεσθαι („anders werden“ 439d10) und μηκέτι οὕτως ἔχειν („sich nicht mehr so verhalten“ 439d11) ist aber klar, dass die räumliche Veränderung stellvertretend für Veränderung überhaupt steht. Damit scheint zunächst auch die eben erwogene Möglichkeit einer Koexistenz mehrerer, unabhängig voneinander veränderbarer (qualitativer und räumlicher) Bestimmungen auszuscheiden (s. u.). Das „Ansprechen“ προσειπεῖν des mit αὐτό anaphorisch wieder aufgenommenen Schönen selbst wird unter zwei Aspekten betrachtet: i) in der Form „ἐκεῖνό ἐστιν, ‚es ist jenes‘“ sowie ii) in der Form „τοιοῦτόν (ἐστιν), ‚es ist so beschaffen‘“. Dass hier im Sinne von Sedley auf selbstprädikative Aussagen der Form „das Schöne selbst (ἐκεῖνο) ist schön (τοιοῦτον)“ Bezug genommen wird, ist plausibel: „Socrates means ‚Given then, that the Beautiful itself is always beautiful, would we even be able to state that about it if it were always changing?‘“ Insgesamt werden in diesem ersten Argument zwei Zeit konsumíerende Vorgänge – nämlich die Bewegung bzw. Veränderung auf der denotationellen
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und der Prozess der Benennung und Prädikation auf der sprachlichen Ebene – betrachtet, die offenbar aus prinzipiellen Gründen nicht koordiniert werden können: Bevor der Nenn- bzw. Prädiziervorgang vollendet ist, haben sich die Dinge und ihre Eigenschaften schon wieder verändert. Da die zeitliche Übereinstimmung zweier simultaner Vorgänge selbst kein zeitlich veränderbares Faktum mehr darstellt, ist unklar, ob damit empirische Einschränkungen des Sprechens gemeint sein können, andererseits soll aber doch darauf abgehoben werden, dass die Welt der Phänomene ihrer sprachlichen Erfassung stets voraus sein wird. Dass Letztere spätestens in der ja nicht mehr veränderbaren Vergangenheit einholbar sind, ist offenbar kein Einwand, wohl weil auch eine Vergangenheitsaussage ihre Korrektheit letztlich aus einer vorauszusetzenden, den Fluss eben doch verfehlenden Präsensaussage beziehen muss. Hinsichtlich des Ausmaßes der vorausgesetzten Veränderung ist klar, dass nicht gemeint sein kann, dass es sich zwar stets verändert, aber jeweils nur in gewisser und nicht in jeder Hinsicht. Denn dann könnte es in der jeweils sich nicht verändernden Hinsicht durchaus als jenes (ἐκεῖνο) oder als so beschaffen (τοιοῦτο) angesprochen werden. 2) Das zweite Argument (439e1–6) betrifft nicht die Ansprechbarkeit, sondern den ontologischen Status des sich stets Verändernden. „Wie kann das, was sich niemals in derselben Weise verhält, etwas sein“ (Πῶς οὖν ἂν εἴη τὶ ἐκεῖνο ὃ μηδήποτε ὡσαύτως ἔχει 439e1 f.). Der nun folgende Satz wird als Begründung (γάρ) eingeführt: Denn wenn es sich je in derselben Weise verhält, dann verändert es sich in jener Zeit überhaupt nicht (εἰ γάρ ποτε ὡσαύτως ἴσχει, ἔν γ’ ἐκείνῳ τῷ χρόνῳ δῆλον ὄτι οὐδὲν μεταβαίνει 439e2 f.) In welchem logischen Verhältnis diese „Begründung“ zum vorangehenden Satz steht, ist nicht ganz klar. Zunächst hat es den Anschein, als ob die aussagenlogische Grob-Struktur so aussieht: wenn nicht-A, dann nicht-B, denn wenn A, dann nicht-C. Das würde auf keinen gültigen Schluss hinauslaufen. Was man erwartet, ist, dass die Negation des „Etwas-Seins“ (nicht-B) aus dem „niemals-sich-auf-dieselbeWeise-Verhalten“ (nicht-A) bzw. umgekehrt ein „sich-auf-dieselbe-Weise-Verhalten“ (A) aus dem „Etwas-Sein“ (B) abgeleitet wird. Nach Sedley (2003, 168–70) könnte das so geschehen: Zunächst ist als Subjekt des Satzes „Wie kann jenes (ἐκεῖνο), was ja (nach Annahme) niemals im selben Zustand ist, etwas sein“ das anaphorisch durch ἐκεῖνο wiederaufgenommene Schöne selbst aus 439d5 und 439d8 aufzufassen und nicht der Relativsatz „was niemals in demselben Zustand ist (ὃ μηδέποτε ὡσαύτως ἔχει 439e1 f.)“, der nicht restriktiv, sondern kommentierend ist. Gefragt wird, wie das prädikative Sein, das in der Selbstprädikation „das Schöne selbst ist schön“ zum Ausdruck kommt (also das Schönsein), in einer Welt ohne Stabilität möglich sein kann. Die implizierte Antwort ist, dass das nicht möglich ist, und zwar im Sinne
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des γάρ-Satzes (εἰ γάρ ποτε ὡσαύτως ἴσχει, ἔν γ’ ἐκείνῳ τῷ χρόνῳ δῆλον ὄτι οὐδὲν μεταβαίνει 439e2 f.), weil jeder Seinsgrad des prädikativen Seins (also des Schönseins) eine entsprechende Abwesenheit von Wechsel mit sich bringt, d. h. „the hypothesis of the Beautiful’s bearing the same predicates over some period of time entails its not undergoing change during that period.“ Mit anderen Worten, ‚etwas sein‘– εἶναί τι – wird im Sinne von ὠσαύτως ποτε ἴσχειν („bearing the same predicate over some period of time“) aufgefasst, woraus sich folgerichtig für ein Intervall die Abwesenheit von Wechsel ergibt. Der oben inkriminierte Schluss erfolgt somit mittels abgekürzter Kontraposition. Der letzte Satz des zweiten Arguments (439e3) fügt hinzu: Wenn das Schöne selbst zu allen Zeiteinheiten (ἀεί im Sinne der Alternative i, s. o.) dasselbe Prädikat (also das Prädikat „schön“) trägt, dann verändert es sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht, da es „in keiner Weise aus seiner Gestalt heraustritt“, d. h. es erfüllt die Bedingungen für eidetisches Sein. Ademollo (2011, 476 f.) hält die Sedley’sche Deutung des γάρ-Satzes (εἰ γάρ ποτε ὡσαύτως ἴσχει, ἔν γ’ ἐκείνῳ τῷ χρόνῳ δῆλον ὄτι οὐδὲν μεταβαίνει 439e2 f.) im Sinne von „any degree of being brings with it a corresponding absence of change“ nicht für überzeugend. Er konstruiert stattdessen einen stillschweigenden Zwischenschritt, der mit dem Prinzip arbeitet: (p) X is Y→Some utterances of „X is Y“ are true. Aufgrund des ersten Arguments gilt, dass, falls X sich stets (in jeder Beziehung) verändert, die rechte Seite von (p) nicht wahr sein kann: Keine Äußerung von „X is Y“ kann wegen des steten Entzuges (ὑπεξέρχεσθαι) von X wahr sein, also muss, falls X sich ständig verändert, also niemals im selben Zustand ist, auch die linke Seite von (p) falsch sein: „X is not Y, for any Y. That is to say, X is not anything – and so does not exist either“. Insgesamt ergibt sich also für die Eingangsfrage des 2. Arguments: „Wie kann jenes, was sich niemals auf dieselbe Weise verhält, etwas sein“ (Πῶς οὖν ἂν εἴη τὶ ἐκεῖνο ὂ μὴ δήποτε ὡσαύτως ἔχει; 439e1 f.) die erwünschte negative Antwort: in keiner Weise. Die Formulierung εἰ γάρ ποτε ὡσαύτως ἴσχει, ἔν γ’ ἐκείνῳ τῷ χρόνῳ δῆλον ὄτι οὐδὲν μεταβαίνει e2 f. legt nahe, dass die in μηδέποτε und ποτε betrachteten Zeiteinheiten nicht dauerlose Augenblicke sind, sondern Zeitspannen. Im Falle dauerloser Augenblicke wäre die Unterscheidung von Ruhe und Bewegung kaum möglich104, es sei denn, man unterscheidet Augenblicke anachronistisch 104 Im Sinne des ἐξαίφνης-Abschnitts (155e–157b) in der Appendix zur 2. „Hypothese“ des Parmenides. Man vergleiche etwa μεταβάλλον δ’ ἐξαίφνης μεταβάλλει, καὶ ὄτε μεταβάλλει, ἐν οὐδενὶ χρόνῳ ἂν εἴη, οὐδὲ κινοῖτ’ ἂν τότε, οὐδ’ ἂν σταίη 156e5–7. Das μεταβαίνειν und μεταβάλλειν in Krat. 439e3–5 ist dabei vom μεταβάλλειν des ἐξαίφνης-Abschnitts des Parme nides strikt zu unterscheiden, da Letzteres ausschließlich den Umschlag von Bewegung zu Ruhe bzw. umgekehrt betrifft.
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nach ihrer ε-Umgebung. Wieviel Zenonproblematik man hier vermuten kann, muss jedoch wohl offenbleiben. 3) Das dritte Argument (439e7–440a5) soll zeigen, dass das, was sich ständig verändert, von niemandem erkannt werden kann (οὐδ’ ἂν γνωσθείη ὑπ’ οὐδενός 439e7). Die Begründung ist ähnlich wie im ersten Argument: Der Erkenntnisvorgang ist ein Zeit konsumierender Prozess: Während der Erkennende an das zu Erkennende „herantritt“ (ἅμα γὰρ ἂν ἐπιόντος τοῦ γνωσομένου 440a1), ändert sich die Identität des Erkenntnisgegenstandes. Bevor der Vorgang vollendet ist, ist der Erkenntnisgegenstand ein anderer (ἄλλο a1) und andersartig (ἀλλοῖον a1) geworden, mit der Folge, dass nicht mehr erkannt wird, wie beschaffen (ὁποῖόν γέ τί ἐστιν a2) und in welcher Verfassung (πῶς ἔχον a3) der Erkenntnisgegenstand ist. Etwas erkennen wird ohne Umstände mit einem „propositionalen“ Wissensbegriff verbunden: Jede Erkenntnis erkennt das, was sie erkennt, als so oder so geartet oder in einem bestimmten Zustand befindlich, oder umgekehrt: γνῶσις … οὐδεμία γιγνώσκει ὃ γιγνώσκει μηδαμῶς ἔχον („keine Erkenntnis erkennt, was sie erkennt als etwas, das in keinerlei Verfassung ist“ a3 f.). Das „time-lag“-Argument ist hier noch weniger zwingend als im ersten Argument. Was man vermisst, ist der Nachweis, dass im Rahmen der Ideenkonzeption eventuell naheliegende Antizipations- und Nachsteuerungsmöglichkeiten der kognitiven Bewegung wegen des radikalen Ideenheraklitismus prinzipiell ausgeschlossen sind. Eine völlig andere Interpretation von οὐδ’ ἂν γνωσθείη ὑπ’ οὐδενός 439e7 schlägt M. MacKenzie (1986) im Rahmen ihrer vollständig neuen Deutung des Kratylos und insbesondere des Schlussteils 439cff. vor: Anders als allgemein angenommen, fasst sie (138, Anm. 34) als das Subjekt von „es kann auch nicht erkannt werden“ (οὐδ’ ἂν γνωσθείη) nicht das virtuelle Subjekt des ganzen Abschnitts „was sich niemals identisch verhält“ (ἐκεῖνο ὃ μηδέποτε ὡσαύτως ἔχει) aus 439e1 auf, sondern ein sich aus dem hypothetischen Nebengedanken 439e3 f. εἰ δὲ ἀεὶ ὡσαύτως ἔχει καὶ τὸ αὐτό ἐστι („wenn es sich aber stets auf dieselbe Weise verhält und dasselbe ist“) sich ergebendes stabiles Subjekt: Nicht erkannt werden soll also wider Erwarten nicht etwas „Fließendes“, sondern etwas konstant Bleibendes, dem Fluss Entzogenes. Die Begründung dafür soll der Satz 440a1 ἅμα γὰρ ἂν ἐπιόντος τοῦ γνωσομένου ἄλλο καὶ ἀλλοῖον γίγνοιτο liefern, der anstelle einer temporalen („the object is always different, whenever the knower comes along“) eine kausale Beziehung ausdrücken soll („since the knower comes along, the object becomes different“), (138, Anm. 36). Anders als nach der Standardauffassung findet das Erkennen also stabile Erkenntnisgegenstände vor und entzieht sie erst durch seine Einwirkung der Stabilität und überantwortet sie dem Fluss. Als konzeptueller Hintergrund sei dabei, so
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MacKenzie (143), u. a. die Gigantomachie zwischen Materialisten und Idealisten im Sophistes (246e–249e) heranzuziehen, wo ja für das auf Identität und Konstanz angewiesene Erkennen wie für das Erkanntwerden in paradoxer Weise Bewegungscharakter in Anspruch genommen wird. Der Abschnitt 439d8–440a4 ist demnach als Dilemma zu verstehen zwischen den beiden „Hörnern“ Fluss und eidetischer Stabilität. Im „ersten Arm“ heißt es, wenn etwas im Fluss ist, ist es zu unstabil, um überhaupt als Individuum εἶναί τι (439e1) gelten zu können, es ist also kein Objekt möglicher Erkenntnis, kein Seiendes. Die (im Vergleich zu anderen Ansätzen neu hinzukommende) Alternative des zweiten „Arms“, das Postulat stabiler Entitäten wie der Ideen, führt aufgrund des Erkanntwerdens, das paradox als realer Wechsel aufgefasst wird, aus der Stabilität in den Bereich des Flusses und damit des Nicht-Erkanntwerdens zurück. Insgesamt ergibt sich zusammen mit dem umgebenden, ebenfalls dilemmatisch interpretierten Kontext die paradoxe Erkenntnis, dass es keine Erkenntnis gibt. So interessant dieser Ansatz auch ist, die behauptete dilemmatische Struktur ist im Text kaum auszumachen, und die Transformation von Konstanz in Fluss durch das Erkennen selbst ist nicht plausibel und wird auch durch die Gigantomachie des Sophistes nicht gestützt.105 4) Im letzten Argumentationsschritt (440a6–b4) wird eine Radikalisierung des Erkenntnisproblems vorgenommen. Wenn alle Dinge wechseln und nichts bleibt, dann gibt es keinen Grund anzunehmen, dass es Erkenntnis überhaupt gibt (ἀλλ’ οὐδ’ γνῶσιν εἶναι φάναι εἰκός, … εἰ μεταπίπτει πάντα χρήματα και μηδὲν μένει 440a6 f.). Denn wenn die Erkenntnis aus dem Erkenntnis-Sein nicht umschlägt, würde die Erkenntnis, im Widerspruch zur unbeschränkten Wechselannahme, bestehen bleiben und existieren. Wenn aber die Idee der Erkenntnis selbst sich verändert (also nicht nur ein Vorkommen oder eine Instanz der Erkenntnis), würde sie in eine von der Erkenntnis verschiedene Form umschlagen, und es gebe keine Erkenntnis (ἅμα τ’ ἃν μεταπίπτοι εἰς ἅλλο εἶδος γνώσεως καὶ οὐκ ἂν εἴη γνῶσις, 440b1 f.). Und – so kann man ergänzen – es gibt keinen Grund, die Flusstheorie auf Eigenschaftswechsel zu beschränken (ἀλλοῖον γίγνεσθαι), vielmehr findet, falls alles sich verändert, auch so etwas wie eine Änderung der wesentlichen oder substanziellen Identität der Erkenntnis qua Erkenntnis (ἄλλο γίγνεσθαι) statt. Und falls diese – im Sinne der Flusstheorie – stets stattfindet, dann ist es stets der Fall, dass es keine Erkenntnis gibt und kein Erkennendes und nichts, was erkannt wird. Aus dieser in der 105 Nach Sier (1997), 286 f. gibt Platon in Soph.248de nach der richtigen Deutung von Vlastos (1981), 309–17 zu verstehen, dass zwar auch das γιγνώσκεσθαι als πάσχειν gelten kann, dass aber daraus keine Veränderung des Erkenntnisgegenstandes abzuleiten ist; das Sein der Ideen bleibt von der Intention des Erkennenden unberührt.
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Flusstheorie implizierten Radikalisierung ergibt sich rückblickend, dass die Prämisse der vier Argumente im Sinne einer alle Aspekte umfassenden Veränderung gemeint war – d. h. alles verändert sich stets und in jeder Hinsicht.
Die radikale Flusstheorie im Theätet Im Theätet (182cd) wird diese Radikalisierung im Rahmen der dortigen endgültigen Auseinandersetzung mit dem Heraklitismus ausdrücklich thematisiert. Der Definitionsversuch des Theätet, dass ἐπιστήμη = αἴσθησις, erfordert die Annahme der Flusslehre als Grundlage der dazu benötigten Wahrnehmungstheorie. Wenn das Risiko der Fehlwahrnehmung ausgeschlossen und die Unkorrigierbarkeit von Wahrnehmungsurteilen garantiert werden soll, erweist es sich als notwendig, den Begriff der Veränderung so zu fassen, dass keinerlei Konstanz zugelassen wird. Für Sokrates heißt das, dass die von der Flusstheorie vertretene Veränderung nicht nur jede Art von raum-zeitlicher Bewegung (φορά 181d6) umfasst, sondern zugleich auch jede Art qualitativer Veränderung (ἀλλοίωσις d5). Daraus ergibt sich, dass etwa im Falle einer präsumptiven Farbwahrnehmung (wie bei jeder Qualitätswahrnehmung) die Farbe eines bewegten Gegenstandes stets ihre Identität wechselt und daher die jeweilige Farbe nicht korrekt angesprochen (ὀρθῶς προσαγορεύειν, προσειπεῖν 182d4 f.) werden kann, da sie sich im steten Fluss befindet und sich dem sprachlichen Zugriff entzieht (εἴπερ ἀεὶ λέγοντος ὑπεξέρχεται ἅτε δὴ ῥέον 182d7), wie es in fast wörtlichem Anklang an unsere Kratylos-Stelle (vgl. ἀεὶ ὑπεξέρχεται 439d8) heißt. Die Parallele geht weiter: Wie im Kratylos im steten Fluss Erkenntnis stets in Nicht-Erkenntnis umschlägt, so ist es im Theätet, da auch Wahrnehmung (unklar, ob type oder token) nicht Wahrnehmung bleibt, um nichts richtiger, etwas Wahrnehmung (αἴσθησις) als Nicht-Wahrnehmung (μὴ αἴσθησις) zu nennen (182e5), und mithin haben wir mit „Erkenntnis = Wahrnehmung“, auf die Frage, was Erkenntnis sei, etwas geantwortet, was um nichts eher Erkenntnis (ἐπιστήμη) als Nicht-Erkenntnis (μὴ ἐπιστήμη) ist (182e11 f.). Im Theätet hat das die fatale Konsequenz, dass jede Aussage genau so richtig (οὕτω τ’ ἔχειν 183a6) wird wie ihre Negation (μὴ oὕτω, a7)106, oder noch schlimmer, dass überhaupt keine sprachliche Fixierung möglich ist, bzw. es muss, um den Rest von Bestimmtheit in οὕτω – „so“ – und μή oὕτω – „nicht 106 Die damit implizierte Verletzung des Widerspruchsprinzips geht zu weit. Die Instanzen Oὔτε ἄρα ὁρᾶν προσρητέον τι μᾶλλον ἢ μὴ ὁρᾶν, οὐδὲ τιν’ ἄλλην αἴσθησιν μᾶλλον ἢ μή 182e4 f., sowie Oὐδεν ἄρα ἐπιστήμην μᾶλλον ἢ μὴ ἐπιστήμην ἀπεκρινάμεθα ἐρωτώμενοι ὅτι ἐστὶν ἐπιστήμη 182e11 f., aus denen gefolgert wird, implizieren direkt lediglich eine Verletzung des tertium non datur.
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so“ – zu meiden, der bestimmungslose Ausdruck (ἄπειρον λεγόμενον 183b5) οὐδ’ οὔτως „nicht einmal so“ 183b4 verwendet werden. Es ist instruktiv, die beiden Heraklitismus-Kritiken noch näher zu vergleichen: Im Kratylos wird die Universalität und Totalität der Bewegung implizit als integrativer Bestandteil der Flusslehre behandelt. Im Theätet dagegen wird die Annahme dieser Universalität und Radikalisierung der Flusslehre (und damit der Simultaneität von ἀλλοίωσις und φορά) als, wie Sokrates ironisch sagt, schönes Resultat der Bemühung gesehen, die Gleichsetzung von ἐπιστήμη und αἴσθησις als richtig zu erweisen (vgl. 183a2–4 καλὸν ἄν ἠμῖν συμβαίνοι τὸ ἐπανόρθωμα τῆς ἀποκρίσεως, προθυμηθεῖσιν ἀποδεῖξαι ὄτι πάντα κινεῖται, ἵνα δὴ ἐκείνη ἡ ἀπόκρισις ὀρθὴ φανῇ („Schön ist uns die Verbesserung der Antwort herausgekommen, da wir zeigen wollten, dass sich alles bewegt, damit jene Antwort sich als korrekt erwies“). Denn um eine Fehlwahrnehmung, also ein Auseinanderfallen von Wahrnehmung und Erkenntnis prinzipiell auszuschließen, ist nach Burnyeat (1990, 49) zu garantieren, dass nichts je zu einem „fact of the matter“ unabhängig von jemandes Urteil werden kann, und das heißt, dass auch eine momentane Identität des Flusses (als Voraussetzung der Möglichkeit der Unterscheidung „richtig“ vs. „falsch“) auszuschließen ist. Und dies werde durch die Annahme totaler Instabilität und Unbestimmtheit des Wahrgenommenen garantiert.107 Da das aber, wie eben gesagt, Widersprüche und ein Kollabieren der Sprache nach sich zieht (vgl. 183a5 ff.), ergibt sich eine reductio ad absurdum der radikalisierten Flussdoktrin selbst, die damit anders als intendiert wegen ihrer Unhaltbarkeit als Begründung für die Gleichsetzung von Wahrnehmung und Erkenntnis ausscheidet108 oder wie es Sokrates formuliert: Dass Erkenntnis Wahrnehmung ist, werden wir nicht zugestehen, jedenfalls nicht aufgrund des Arguments von der universellen Veränderung (ἐπιστήμην τε αἴσθησιν οὐ συγχωρησόμεθα κατὰ γε τὴν τοῦ πάντα κινεῖσθαι μέθοδον 183 c1–3).
VI.3 Der Abschluss der Argumente gegen die Flusslehre (440b2–d7) Das Argument gegen den Heraklitismus schließt per Kontraposition aus den Teilargumenten 2) bis 4): Wenn es stets etwas gibt, was erkennt und was erkannt wird, und wenn es das Schöne und das Gute und jeweils jedes Seiende 107 „If a thing is stable, or stable in some respect (the qualification makes no odds) that means there is an objective basis for correcting or confirming someone’s judgement as to how it is, or how it is in that respect.“ Burnyeat (1990), 49. 108 Vgl. McDowell (1973), 180.
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gibt, dann sind diese Gegebenheiten nicht dem Fluss und der Bewegung ähnlich. Vorausgesetzt wird dabei aus den Teilschritten 2 bis 4 das Konditional: Wenn stets alles umschlägt und sich verändert, dann gibt es nichts Definitives (2) (also auch nichts Eidetisches), und es gibt dann auch keine Erkenntnis (3 und 4). Auffällig ist die zurückhaltende Formulierung des Resultates als kontraponiertes Konditional, in dem die Existenz dessen, was erkennt und was erkannt wird ebenso wie das eidetische Sein nur hypothetisch vorausgesetzt wird. Damit kann Sokrates jeden dogmatischen Anschein vermeiden, ja sogar der Gegenposition Dogmatismus vorwerfen (διισχυρίζεσθαι ὥς τι εἰδότα 440c6), wenn er bemerkt, dass es unvernünftig wäre, sich und sein Seelenheil den Namen und ihren heraklitisierenden Setzern auszuliefern und im Vertrauen auf sie alles als „ungesund“ und fließend abzuwerten. Wer das meint, so fügt er sarkastisch hinzu, verhält sich wie die Leute mit Katarrh, die ihren eigenen Zustand mit dem der Welt verwechseln. Sokrates lässt die Kontroverse Fluss versus Konstanz gleichsam formal offen („vielleicht ist es so, vielleicht aber auch nicht“ 440d3 f.) und ermahnt dazu, sich gut und energisch um eine Klärung zu bemühen, statt leichthin einzulenken: Kratylos sei ja noch jung und habe das rechte Alter dafür (ἔτι γὰρ νέος εἶ καὶ ἡλικίαν ἔχεις 440d5). Was damit nicht offenbleibt, ist die Frage, ob die Etymologie der Namen dabei eine Rolle spielt. Dass man das Seiende aus sich selbst und nicht aus den Namen erfahren und erforschen (439b7) soll, wird von Sokrates jedenfalls nicht zurückgenommen. Nachdem Kratylos schon zuvor mehrfach für die Flusstheorie Partei ergriffen hatte (436c3–6; 437a1; 437d1 f.; 438c6), hebt er nun hervor, dass er darüber durchaus schon nachgedacht habe und die Position des Heraklit aufgrund gründlicher Überlegung für richtig halte (οὐδὲ νυνὶ ἀσκέπτως ἔχω, άλλά μοι σκοπουμένῳ καὶ πράγματα ἔχοντι πολὺ μᾶλλον ἐκείνως φαίνεται ἔχειν ὡς Ἡράκλειτος λέγει 440d9–e2). Auch den Sokrates werde er, wie von ihm gewünscht (440d6), an seinen Erkenntnissen teilhaben lassen.
Der Heraklitismus des Kratylos G. S. Kirk (1951, 236) hat die Überlegungen des Kratylos, die ihn nach eigenem Bekunden auf die Seite der Lehre des Heraklit brachten, als etwas aufgefasst, wozu dieser erst im Verlaufe des Gesprächs selbst gelangt ist. Kratylos kam demnach nicht schon als Herakliteer in den Dialog, sondern wurde dazu erst im Laufe des Dialogs durch Reflexion über die Etymologien mit flusstheoretischer Tendenz. Die präsentischen Partizipien in σκοπουμένῳ καὶ πράγματα ἔχοντι (440d9–e1) sind demnach ihrem imperfektiven Aspekt entsprechend
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nicht als vorzeitig, sondern als „gleichzeitig“ zu deuten. (Etwa: Ich komme eher zu dieser – des Heraklit – Einschätzung, während ich darüber nachdenke.) Sedley (2003, 18 Anm. 40) unterstützt diese Deutung durch den Hinweis auf die eindeutig mit Gleichzeitigkeit zu interpretierende Parallele 391a6 σκοπουμένοις ἡμῖν … φαίνεται. Ein Vorzug dieser Auffassung besteht nach Sedley (2003, 21) auch darin, dass sich nunmehr die zuweilen gestellte Frage erübrige, wie sich für Kratylos die These von der natürlichen Richtigkeit aus der Flusstheorie ergab, da die Abfolge eigentlich genau umgekehrt anzusetzen ist. Zieht man zusätzlich das Zeugnis des Aristoteles heran, so ergibt sich, dass sich der Heraklitismus des Kratylos nach der in unserem Dialog geschilderten Phase erheblich radikalisiert hat. Nach dem doxographischen Bericht in A6 war Platon in seinen jungen Jahren zunächst mit Kratylos und den heraklitischen Lehren (Ἡρακλειτείοις δόξαις 987a33) in der Form bekannt geworden (συνήθης γενόμενος a32), dass sich das Wahrnehmbare in stetem Fluss befinde und dass es darüber kein Wissen gebe (ὡς ἁπάντων τῶν αἰσθητῶν ἀεὶ ῥεόντων καὶ ἐπιστήμης περὶ αὐτῶν οὐκ οὔσης a32 f.). Diese Position habe Platon auch später eingenommen. (ταῦτα μὲν καὶ ὕστερον οὕτως ὑπέλαβεν 987b1). Danach endete wohl der Einfluss des Kratylos auf Platon, und es begann der des Sokrates. Für unsere Zwecke ist dabei nur festzuhalten, dass die Bemühungen des Sokrates, im Bereich der Ethik das Allgemeine mittels Definitionen zu fassen, von Platon nicht auf das Wahrnehmbare bezogen wurden, da es unmöglich sei, die allgemeine Definition auf die wahrnehmbaren Objekte zu beziehen, da letztere sich in stetem Wandel befinden (ἀδύνατον γὰρ εἶναι τὸν κοινὸν ὄρον τῶν αἰσθητῶν τινός, ἀεί γε μεταβαλλόντων 987b6 f.). Demnach vertrat Platon für den Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren eine Variante der Flusslehre. Ein weiteres Zeugnis des Aristoteles zu Kratylos findet sich in der Diskussion des Widerspruchsprinzips in Buch Γ der Metaphysik, wo Aristoteles den Kratylos als extremen Vertreter des Heraklitismus einführt, der schließlich (τὸ τελευταῖον 5, 1010a12) meinte, man sollte überhaupt nichts mehr sagen, sondern nur noch den Finger bewegte und dem Heraklit vorwarf, dass er gesagt habe, man könne nicht zweimal in denselben Fluss steigen; er selbst meinte nämlich, man könne das auch nicht einmal. Zunächst sieht es so aus, als könne man den Heraklitismus von Metaphysik A6 in etwa demjenigen unseres Dialogs, soweit er in den Etymologien fassbar ist, annähern. Dazu würde das Bild passen, das die intellektuellen Vermögen oder Tugenden ἐπιστήμη, φρόνησις, νόησις, σωφροσύνη, σύνεσις, σοφία vermitteln, bei denen es im großen Ganzen um Koordinierung von Bewegung auf der Seite des Subjekts und der Objekte geht (z. B. σύνεσις, deren „Zusammengehen“, συνιέναι). Nimmt man allerdings die eben behandelte Widerlegung des Heraklitismus am Ende unseres Dialogs (439d–440d) hinzu, so sind die
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Voraussetzungen für die von Aristoteles in Metaphysik Γ5 dem Kratylos zugeschriebene Extremposition (ἀκροτάτη δόξα 1010a10) durchaus gegeben: Das, was sich stets in jeder Hinsicht verändert, entzieht sich jeder sprachlichen Fixierung (vgl. 439d8: es ist nicht möglich, es korrekt anzusprechen προσειπεῖν αὐτὸ ὀρθῶς, wenn es sich stets entzieht εἰ ἀεὶ ὑπεξέρχεται) und hat überhaupt keine Identität (vgl. 439e1: πῶς οὖν ἃν εἴη τὶ ἐκεῖνο ὃ μηδέποτε ὡσαύτως ἔχει). Zwar sind diese anti-heraklitischen Argumente im Kratylos gegen eine Anwendung der Flusstheorie auf eidetisches Sein gerichtet. Aber in einer heraklitisierenden Universalontologie des reinen Werdens ohne eidetisches Sein ergibt sich daraus tatsächlich die Unmöglichkeit sprachlicher Fixierung, und es bleibt allenfalls die Fingerbewegung als kommunikativer Akt. Und aufgrund der unbegrenzten Teilbarkeit jeder Zeitspanne entzieht sich jede Flussphase dem identifizierenden Schritt in den Fluss. Wieweit dies im Sinne des Autors ist, muss offenbleiben.
Das Ende des Dialogs (440d4–e7) Am Ende des Dialogs verschiebt Sokrates die Inanspruchnahme der von Kratylos angebotenen Hilfe bei der Klärung der Flussproblematik auf eine andere Gelegenheit und empfiehlt ihm das Geleit des Hermogenes auf seinem Weg aufs Land. Dabei wird der schon zweimal in seiner Berechtigung angezweifelte Name des Hermogenes wieder in seine Rechte eingesetzt. „Hermesspross“ war in den Augen des Kratylos zu Beginn (384c3–6), wie Sokrates vermutete, wegen mangelnder Geschäftstüchtigkeit nicht richtig. Im Etymologienteil (408b4–6) war es, wie Hermogenes selbst die von Kratylos bestrittene Angemessenheit seines Namens deutete, sein Mangel an λόγος-Kompetenz, der schlecht zu einer Abstammung von Hermes als dem eloquenten und intellektuellen Götterboten passte. Nun heißt es „Jetzt geh wie geplant aufs Land und geleiten wird dich Hermogenes hier“ (προπέμψει δέ σε καὶ Ἑρμογένης ὅδε 440e5). Folgt man Barney (2001, 160) und Ademollo (2011, 488), bestätigt das demonstrative ὄδε, das wie am Anfang des Dialogs als dramatisches Dialogelement fungiert, das Recht des Hermogenes auf seinen Namen und stellt es gleichzeitig infrage, da der deskriptive Gehalt von Ἑρμογένης der deiktischen Stütze bedarf, während das zu Hermes πομπαῖος, dem Reise- und Seelenbegleiter, passende προπέμψει die bestrittene Beziehung zu Hermes wieder herstellt.
Appendix: Datierungsfragen
Für das absolute Datum der Abfassung des Kratylos haben wir keine Anhaltspunkte. Ademollo (2011, 19 Anm. 24) hält es für möglich, dass in der Bemerkung in 433a7 (ἵνα μὴ ὄφλωμεν ὥσπερ οἱ ἐν Αἰγίνῃ νύκτωρ περιιόντες ὀψὲ ὁδοῦ) über eine Art nächtliche Ausgangssperre in Aegina ein Datierungshinweis verborgen sein könnte. Doch gibt es bisher keine überzeugende Deutung für diese Stelle. Für das fiktionale oder dramatische Datum ist die Information in 391bc von Bedeutung, dass Hermogenes keinen Zugang zum väterlichen Vermögen habe (οὐκ ἐγκρατής εἶ τῶν πατρώιων). Nach Nails (2002, 163) ist Hipponikos, der Vater von Callias und Hermogenes, im Jahr 422/1 gestorben. Nails deutet οὐκ ἐγκρατής εἶ πατρώιων als „you haven’t yet come into any money of your own“. Sie bezieht also diese Worte auf die Zeit vor dem Tod des Hipponikos und einem möglichen Erbantritt des Hermogenes. Das würde als fiktionales Datum für das Gespräch die Zeit bis 422/1 ergeben. Ademollo (2011, 20) wendet dagegen ein, „‚yet‘ is not in the text“. Der Wortlaut lege nahe, dass Hermogenes nicht deshalb keinen Zugriff auf das väterliche Vermögen hat, weil Hipponikos noch lebt, sondern weil Hipponikos tot und Hermogenes vom Erbe ausgeschlossen ist, worauf auch der Hinweis auf die guten Vermögensverhältnisse des Bruders Callias (390c1) schließen lasse. Damit würde sich 422/1 als fiktionaler terminus post quem ergeben. Nach Allan (1954) ist 399, das Todesjahr des Sokrates, als dramatisches Datum für den Kratylos anzusetzen. Allan bezieht das inspirierende Gespräch, das Sokrates nach seinen eigenen Worten seit dem frühen Morgen vor seinem Gespräch mit Kratylos mit Euthyphron geführt hat (ἕωθεν γὰρ πολλὰ αὐτῷ συνῆ καὶ παρεῖχον τὰ ὦτα 396d6), auf den Dialog Euthyphron, an dessen Beginn (2a1–3) Euthyphron den Sokrates in der (Gerichts-)Halle des Königs (τοῦ βασιλέως στοά) trifft, der sich dort in Sachen der Anklage des Meletos, also kurz vor seinem Prozess eingefunden hat, was für das Jahr 399 als chronologischen Rahmen spreche. Das Problem mit dieser zeitlichen Einordnung besteht nun (nach Owen bei Baxter [1992, 28 Anm. 73]) darin, dass Sokrates, wie gesagt, laut Kratylos am Tage des Kratylos-Gesprächs vom Morgengrauen an (ἕωθεν Krat. 396d6) mit Euthyphron zusammen war. Das EuthyphronGespräch des gleichnamigen Dialogs kann aber nicht so früh stattgefunden ha-
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ben, da es dramatisch auf das im Theätet wiedergegebene Gespräch folgt (vgl. das Ende des Theätet 210d2 f. ΣΩ… νῦν μὲν οὖν ἀπαντητέον μοι εἰς τὴν τοῦ βασιλέως στοὰν ἐπι τὴν Μελήτου γραφὴν ἥν με γέγραπται sowie den Beginn des Euthyphron 2a2–8 EΥΘ… ἐνθάδε νῦν διατρίβεις περὶ τὴν τοῦ βασιλέως στοάν … γραφὴν σέ τις, ὡς ἔοικε, γέγραπται … Τίς οὗτος; ΣΩ. ὀνομάζουσι μέντοι αὐτόν, ὡς ἐγῷμαι, Μέλητον). Ein weiteres Problem besteht darin, dass im Euthyphron keinerlei Etymologie vorkommt, sodass die von Sokrates behauptete Inspiration durch das vorangegangene Gespräch mit Euthyphron jedenfalls nicht, wie man erwarten würde, auf Etymologien bezogen werden kann. Sedley (2003, 3 Anm.5) kommt zu folgender zeitlichen Abschätzung: Das Kratylos-Gespräch gehe der völligen Konversion des Kratylos zum Heraklitismus voraus und liege daher noch länger vor der kratyleischen Phase Platons (vgl. Metaphysik, A,6, 987a32 ἐκ νέου τε γὰρ συνήθης γενόμενος [sc. Platon] πρῶτον Κρατύλῳ), die ihrerseits (Metaphysik A6) seiner Verbindung mit Sokrates vorangehe. Insgesamt ergebe sich daraus als dramatisches Datum für den Kratylos mindestens eine Dekade vor 399, dem Todesjahr des Sokrates. Für die relative Datierung kann auf sprachstatistische Untersuchungen109 zurückgegriffen werden. Aufgrund der Pionierarbeiten von Lewis Campbell, Friedrich Blass, Wilhelm Dittenberger, Constantin Ritter, Hans von Arnim und anderer Forscher in den Jahren 1867 bis 1896 besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass man die Dialoge nach ihrer Entstehungszeit in drei Gruppen unterteilen kann: eine Gruppe von „Spätdialogen“ Sophistes, Politikos, Timaios, Kritias, Philebus und Nomoi, eine Gruppe von mittleren Dialogen, darunter Politeia, Parmenides, Theätet und Phaidros und schließlich eine größere frühere Gruppe, zu der neben Menon und Phaidon auch der Kratylos gehört. Die Reihenfolge innerhalb der Gruppen muss dabei offenbleiben. Ein wichtiges Kennzeichen der früheren Gruppe ist das von Dittenberger entdeckte Fehlen der Partikel-Kombinationen τί μήν („was sonst in der Tat“) und ἀλλὰ … μήν („aber was sonst in der Tat“) als starke Affirmativvarianten und γε μήν („aber in der Tat“) als Adversativpartikel. Die drei Kombinationen τί μήν, ἀλλὰ … μήν und γε μήν kommen außerhalb der Frühgruppe mit Ausnahme von Lysis und Symposion sowie der dialogarmen Kritias und Timaios stets zusammen vor. Da im Lysis nur τί μήν und ἀλλὰ … μήν und im Symposion nur γε μήν und ἀλλὰ … μήν auftauchen, ist in diesen beiden Dialogen möglicherweise eine Änderung der Sprachgewohnheit fassbar. Diese lässt sich aufgrund einer möglichen Datierung des Symposions auf kurz nach 385 v. Chr. in diesen Zeit-
109 Vgl. dazu Brandwood (1990; 1992), 90 ff.
Appendix: Datierungsfragen
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raum, also nach der ersten Sizilienreise Platons (387) ansetzen.110 Dittenberger111 nahm an, dass τί μήν ein umgangssprachliches Idiom der Dorer in Sizilien war, mit dem Platon auf seiner Sizilienreise in Berührung kam. Er stützte diese Ansicht mit dem Hinweis, dass τί μήν in der früheren attischen Prosa und im Attischen des Aristophanes nicht vorkommt, dass aber sehr wohl dorische Äquivalente davon in megarisch gefärbten Versen des Aristophanes (σά μάν Acharn. 757, 784) und in Form von τί μάν in Fragmenten der sizilischen Dichter Epicharm (frg.147 Kassel-Austin) und Sophron (frg.55 K. A.) nachweisbar sind. Man wird also aufgrund dieser Befunde annehmen können, dass der Kraty los nicht in die Gruppe der späten Dialoge gehört, was nicht weiter erstaunlich ist, und möglichweise auch nicht, trotz offensichtlicher inhaltlicher Beziehungen z. B. zum Theätet, zur Gruppe der mittleren Übergangsdialoge, die nach der „τί μήν-Grenze“ liegen, sondern in die Zeit davor. Im Falle des Theätet wurde schon deutlich (siehe S. 111 f.), dass die Auseinandersetzung mit dem Relativismus des Protagoras im Theätet viel gründlicher und tiefergehend ist als im Kratylos. Ähnliches gilt von der Diskussion der Flusstheorie in Theätet 181c–183b im Vergleich zu Kratylos 439dff. Was den ebenfalls vor der τί μήν-Grenze liegenden Phaidon angeht, so wurde schon ausgeführt (S. 179), dass die selbstverständliche Verfügbarkeit der Formel αὐτὸ ὃ ἔστιν κερκίς im Kratylos, ohne dass wie im Phaidon (75d, 92de) ausdrücklich (οἷς ἐπισφραγιζόμεθα τοῦτο, τὸ „ὃ ἔστι“) auf ihren technischen Status hingewiesen wird, (eher, wenn auch nicht zwingend) dafür spricht, dass die Position des Phaidon vorausgesetzt wird, wie Ademollo (2011, 127) betont. Eine weitere Hinsicht, in der der Kratylos eher den Phaidon voraussetzt als umgekehrt, ist die Diskussion der Hades-Etymologie: Im Phaidon wird der Bezug des Namens auf die Unsichtbarkeit (ἀιδές 80d5, 81a4) angedeutet, der im Kratylos ausdrücklich abgelehnt wird (τό γε ὄνομα ὁ Ἅιδης, ὦ Ἑρμόγενες, πολλοῦ δεῖ ἀπὸ τοῦ ἀιδοῦς ἐπωνομάσθαι, ἀλλὰ πολὺ μᾶλλον ἀπὸ τοῦ πάντα καλὰ εἰδέναι … „Ἅιδης“ ἐκλήθη 404b1–3). Die von Sedley geltend gemachten Überarbeitungsspuren (385b2–d1, s. o. S. 94 ff.; 437d10–438b8, s. o. S. 264 ff.; sowie das „Ätherproblem“ (410b5–7, s. o. S. 185 ff.) ändern nichts an der Einstufung des Kratylos im Wesentlichen vor der „τί μήν-Grenze“.
110 Die Pause zwischen 387 und 385 würde die Unwahrscheinlichkeit einer plötzlichen Idiomneuerung abmildern. 111 Vgl. Dittenberger: „Sprachliche Kriterien für die Chronologie der platonischen Dialoge“. In: Hermes 16 (1881) 321–45; Brandwood (1990), 11 ff.
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493b4 177 515dff. 150, A.36 Hippias Maior 282c2 87 285d1 f. 215 289a–b 189 299e2 131, A.33 Hippias Minor 368d4–5 215 Kratylos 383a1–385a1 83 383a3 228 383a4 f. 141 383a5 84 383a6 100 383a7 129 383b1 126 383b2–7 84 383b6 183 383b6 f. 230 384a1–4 228 384a5 f. 84 384a8 83 384b1 197 384b7 f., 391a5–7 161 384c3–6 84, 284 384c5 f. 142 384c10–d7 85 384d1, 384d2 87 384d 126 384d5 132 384d6 f. 125 385a2 100 385a2 f. 93 385a1–b1 93 385a1–386e4 109 385a2–5 94 385a4 102
296 385a6–b1, 385a4 94 385a9 85, A.2 385b 203 385b2 94 385b2 f. 105 385b2–d1 94, 101 385b2–d1 102, 104 385b2–d1 116, 137 385b2–e3 94, 121 385b7 f. 96 385b10 96 385c10 96, 120 385c10,16 98 385c14 98 385c16 f. 120 385d2 101 385d2 f. 106 385d5 f. 106,103 385d7–e3 105 385d8 f. 106 385d7–e3 106 385e1 f. 110 385eff. 104 385e4 f. 137 385e4–386e4 107 385e6 ff. 111 386a3 f. 107 386a5–7 109 386a8–e5 111 386d 120 386d4 112, A.26 386e1 120 386e6–8 238 386e6–387d9 113 386e7 113, 130 387a1 114 387a1 ff. 116 387a2 114 387a5 114 387a7,8 114 387b8 115 387b8–c13 119 387c1 121 387c1–4 124 387c2 115 387c2 137 387c5 102 387c6–7 116,117 387c6–d10 118 387c6 f. 116 387c6 237 387c7 134
Register 387c9–10 117 387c10 116 387d1 116 387d4–8 118, 124 387d4 f. 118 387d5 121 387d5 138, 149 387d10–390e5 122 387e1–388a8 117 388a2, a5, a6 122 388b2 123, 124 388b4–5 123 388b7–c1 117 388b8 f. 224 388b10 138, 229 388b11, b12 123 388b13 f. 137 388bc 261 388c1 123 388c6 125 388c7 114 388c8–389a4 125 388c11 124 388e4–389a3 132 389a2 134 389a5–390b1 127 389a5–b7 127 389a7 131 389b 245, A.79 389bff. 272 389b5 130, 179 389b8 f. 139 389d1 117 389d4 f. 129 389d4 132, 139 389d4 164 389d4–6 156 389d6 139 389d6 f. 132, 272 389d6 f. 128, 138 390a–d 171 390a2 127 390a5–9 146 390a6 f. 128, 140, 223 390a6–8 139 390a6–8 256, 128 390a7 128 390b1–e5 133 390b3 134 390b5 228 390b–d 133 390c 269
297
Register 390c2–d7 140 390c1 83 390c10 f. 134 390d6 135 390d10 91 390e2 135 390e3 135 390e3–5 135 391a1 f. 135 391a2 144 391a3 136, 140 391a6 ff. 255 391a8 f. 207, 255 391a8 f. 257 391a–427d 228 391b1 136 391b4 f. 136 391b5 162 391b6 147 391b7 f. 141 391b8–d9 141 391bc 285 391c10 161 391c–394e 147 391d 254 391d1 143 392a–b 171 392b–394d 143 392b7–c6 145 392d2 143, 147 393a6 145, 151 393a6 154 393a6 f. 152 393a7 f. 151 393b1 149 393b7 ff., 394d5 ff. 163 393b8 155 393c1 150 393c7 150 393c9 f. 145 393d3 165 393d4 f. 146 393d7 155 393e2–4 155 393e3 155, 246 393e5–7 246 393e6 f. 155 393e7 154 394a5 151 394a5–c9 151 394a–c 155 394c1 146, 141
394c1 139 394c2 141 394c7 f. 135 394d2 f. 138 394e–396e5 144 394e8 157 394e9 157 394c1 134, 154 394c1 151 394c2 154 394c6 146 394c7 146 394c7 f. 147 395b1 157 395b3 157 395b7 155, 165 395b8 158 395c3 f. 152 395d2, e1, e6 158 396a5 155, 165 396a1–c3 159 396b1 165. A.47 396b2–7 174 396b3 f. 159 396b4 f. 160 396b5–7 160 396c3–397a2 161 396c2 173 396c4 159 396d3 162, 229 396d6 285 396d8 165 396e1 ff. 229 397a4, a5–c3 163 397ab 171 397a7 163 397a7–9 209 397a9 f. 163 397a9–b6 85 397b 233 397b1–6 153 397b2–4 148 397b2 165 397b3 153 397b4 154 397b8 163 397c1 91 397c1 f. 93 397d10 166 398b1 205 398c6 ff. 167 398e4 168
298 399a1 229 399a9 168 399b7 205 399b1 220, 238 399b8 168 399c2 f. 169 399c4 f. 169 399c6 223 399c7–400c10 169 400a 254 400b2 169 400d1–401b1 170 401a2–6 222 401b–410e 188 401b10 91 401c 267 401c2 172 401c5, d3 172 401e9, d5, d6 173 402a8–10 173 402d11–403a2 177 403a4–404b4 177 404a2 179 404a4 178 404b1–3 287 404b5–404d8 179 404b9 179 404c8 179 404d4 179 404d 174 404e2 180 404e1–406a3 180 405a1–3 180 405c1, c3, c6 180 405c9, c10 180 405c11–d3 180 405e2 180 406a3–6 181 406a2–5 182 406b1–6 182 406c1 182 406d3–c2 182 407c3–9 182 407d1–5 183 407e1–408b6 183 408b4–6 284 408b7–d4 183 408e5–409a6 184 409a6–c2 184 409b12 208 409c 230 409c4 f. 184
Register 409c6–9 184 409d1–410a2 184 409de 204 409e4 f. 185 410a4 184 410a3 184 410b1–b5 185 410b2 174 410b5–7 185, 287 410b6 186 410b7–c4 187 410c5–9 187 410d1–e1 187 411b 174 411b3 f. 188 411 ff. 267 411bc 258, 270 411b3–c5 188 411b3–c6 195 411b4–c6 188 411c1 188 411b7, b8 190 411c4–d3 188 411c7 188 411d4, d6, d8 190 411e4 191 411d4–412b8 190 412a1 f. 263 412a2 190 412a2 201 412a4 191 412c3 192, A.59 412c5 206 412c1–6 192 412c7 f. 192 412c7–414a2 192 412c8–413d2 192 412d2, d4, 192 412d7, d8 193 412d5 193 412e 155 412e3 194 413a3, a4, 193 413b4, b5 193 413c6 193 413c7 193 413c6 f. 194 413d3 f. 195 413d7 f. 195 413e5 195 413d10 153 414b7 196
299
Register 414c5 207 414c7 189 414c3 196, 254 414c8 207 414c8 196, A.62 414d9 196 415a3–7 196 415a7–419b4 197 415b1–6 197 415b7–c5 197 415c5–7 197 415d5 207 415c10–d5 197 416a1–7 197 416b5 230 416c4 93 416c8 180 416a10–b5 197 416b7–d10 197 416c7 199, A.64 416c10 f. 198 416d1 198 416d8–10 198 417a3–8 199 417b6–c7 199 417e6 ff. 200 418a4–419b4 182 418e5–419b2 200 418c1 168 419b5–420b5 200 419c–d 226 419d5 f. 201 420a1–3 201 420a4 f. 201 420b–d 201 420b8 201 420c3 202 420d4–7 202 420d7–e3 202 420d, e 226 420e1 202 421a3–b1 202 421a1–c3 202 421a7 207, 230 421a8 f. 202 421a8 140 421a10 f. 202 421b 226 421b1 140 421b2 f. 206 421b1–3 203 421b6 203
421b7–c2 203 421c4–e4 204 421d2 f. 204 421d7ff 197 421d9 204 421e1 f. 205, 256 421e1 206 421e1–2 220 422a1, a3 205 422 a5, c3 205 422a3 218 422b3, b6 218 422a6 205 422b6 f. 210 422b7, d12 211 422b7 f. 210 422c1 218 422c8 211 422d2 f. 211, 229 422d–e 226 422e–423b 211 423a2 f. 211 423b4–423d10 211 423b9 f. 212 423b10 211 423c5 212 423d7 212 423d–e 225 423d4, e2 213 423e3 f. 213 423e5 214 423e8 168 424a3 f. 214 424a4 f. 222 424a6–b2 214 424a9 f. 214 424bff. 227 424b7–425b4 215 424b–425b 269 424b8, b9 215 424b9 168 424c 155 424c2 215 424c6 221 424c7 216 424d1 f. 216 424d1 216 424d1–5 218 424d2 217 424d2 f. 219 424d3 f. 219 424d2–5 216
300 424d3–5 218 424d5 216 424d6 221 424d7 219 425a1 220, 238 425a1 218, 220 425a2 f. 241 425a3 221 425a5 221 425a7 221 425a4 f. 221 425b1 221 425b3 222 425cff. 249 425c5 222 425d 93 425d1 222 425d2 223 425d5 ff. 266 425e2 197 425e6 223 426a1–b3 223 426a3 224 426ab 269 426c1–427d3 224 426d1 224 426d2 ff. 245 426d8, d5, e8 224 426e5 249 426e7 225 427a3–6 249 427a,b 155 427a6 225 427b2 ff. 249 427b2, b7 225 427c1 225 427c3 226 427d1 226 427d1–428e1 207 427d1 f. 228 427e 254 428b7–11 247 428c1 229 428d2 229 428e2 229 428e1–429b11 229 428e5 248 429b12–430a7 230 429b–431c 206 429b4, b5 230 429b11 230 429c7 f. 231
Register 429c7 ff. 236 429c1,c8 236 429d 107 429d1 231 429d4 232 429d1, d2 231 429d4, d6 231 429d2, d5 f. 234 429d4–6 239 429d4 f. 231, A.71 429d7 f. 232 429e1 234 429e4 237 429e4 f. 234 429e9 234 430a7–431c3 235 430a12 f. 235 430b7 235 430b11 238 430c2 f., c3 235 430c9,d3 235 430c12 236 430d4,d5,d7 235 430e1 235 430e9 236 430e10 237 431a9–c2 238 431b5 241 431b5 238 431b5–6 220 431b6,c1,c2 238 431c–432c 88 431c4–d7 257 431c4–e8 243 431c3,c2 246 431c5 243 431d5–8 247 431e1 247 431e10 244 432a2 f. 244 432a3 f. 245 432b1 f. 244 432b2–4 244 432b2ff 216 432d7 245 432d11–434a2 247 432e1, e3 245 432e5, e6 246 432e11 245 433a4 f. 247 433a5. 246, A.80 433a7 285
301
Register 433b6 f. 247 433b10, c1 247 433c6, c7 247 433c–e 254 432d–433a 257 433d2 247 433d8 273 433d4 f., e1 f. 248 433e7–9 248 434a1 f. 248 433e4 f. 248 434a3–435b6 249 434a4–6 218 434a–c 249 434c2 249 434c4 249 434d7 250 434e1 251 434e2, 249 434e2 250, A.82 434e5, e6, e7, 250 435a2 250 435a5 f. 250, A.82 435a7 250 435a5–d1 255 435a9 254 435a10 251 435b1 f. 254 435b2 f. 251 435b6 256 435b6 f. 255 435b3–c2 252 435b5 f. 252 435b6 251 435b8–c2 253 435bc 259 435c1 f., b3 f. 253 435c2 f. 248, 254 435c4 f. 254, 269 435c5 257 435c6 f. 257 435c7 f. 254 435c7 ff. 255 435d3–439b9 261 435d3–436b11 261 435e1–3 268 435e6 f., d8, 261 435e8 261 436a 266 436a5 261 436b2, b6, b9, b11 262 436b5 266
436c1 264 436c3–6 282 436c3–437a1 262 436c8 262 436d5 f. 263 436e–437a 267 437a1, d1 282 437a1 272 437a2–d7 263 437a5 263, 267 437a5 267 437b1 263 437b3 263 437b4 263 437c1,c2 264 437d1 f. 272, 282 437d10–438a2 264 437e6–9 264 437e9 265 438a1 266 438a2 265 438a3–b3 264 438a3–10 265 438a4 265 438a4 f. 265 438a11 265 438b4 264 438b4–b7 264, 265 438c 93 438c1 267 438c6 282 438c4–439b9 266 438c4 267 438de 259 438d4 f., d4 f., d6 268 438e2 269 438e7 268 438e8 268 438e8 f. 268 439a9 269 439b10–440d7 270 439b7 282 439c2 f. 189 439c3 f. 209 439c3 f. 267 439c7 ff. 273 439c7 271, A.102 439c7–d6 270 439c6 f. 270 439c8 f. 272 439cff. 270 439d2 272
302 439d3 f. 188 439d5 274 439d5 273 439d5 271 439d5 f. 274 439d8 273, 276 439d8–440c1 275 438d8–d12 275 438d8 280 438d8 f. 275 439d–440d 283 439dff. 287 439d8–440a4 279 439d10, d11, 275 439e1 278, 279 439e1–6 276 439e1 f. 276 439e2 f. 277 439e3 f. 277 439e7 ff. 271 439e7 278 440a1 278 440a6 273 440a1, a2, a3, 278 440a3 f. 278 440c6 282 440d3 f. 282 440d5, d6 282 440d9–e2 282 440d4–e7 284 440e5 284 Kritias 109c 182 Kriton 47a 111 52d4 f. 252 Laches 192b–199e 111 197d3 87 Menon 72c8 131, A.33 81d1, d2, d3 269 85c 270 86c–89c 111 93a–94e 150, A.36 Nomoi 796b 182 920d 182 Epinomis 984b 186 Parmenides 129d6–130a2 130
Register 130b4 f.,b8 f. 272 130e6 213 132b3–c10 139 132c3 139 132c5 f. 139 155e–157b 277, A.104 156e5–7 277, A.104 Phaidon 59b7 83 62b 170 65d3–7 271 65d4 f. 271, A.102 65d9 f. 271 66a2 271 68c–69c 111 75d 131, A.33 74d2 269, A.100 75b 132 75b6 219, A.68 75d 287 76d9 219, A.68 78c 119 80d5 287 80e6 f. 178 81a4 287 92d 270 92de 131, A.33 97b8–98b6 195 98b7–99d2 195 100b5 f. 270 100d7 138 100d7 132 102b3 119 103b 213 109b8 187 111a7–b2 187 Phaidros 237d1 219, A.68 245de 170 247a1 173 265d–266b 130 264c2–5 220 265c8–266c5 133 266c1 134 274e7–9 133 Philebus 16cff. 133 17a3 134 17aff. 215 18a–d 128 24aff. 244, A.77 Politeia 398b6 212
Register 398cff. 212 398dff. 181 398e1 f. 213 399a3 213 401d5 ff. 213 443b 270 452a7 222 473c8 222 476d5 190 477b10 f. 97 479a–b 190 479a–b 260 510cff. 135 523aff. 190 523eff. 250, A.81 527d–528a 160 528e–530c 160 529a2 160 529c1 160 529d4 f. 160 530b6 f. 181 533de 257, A.92 533bc 270 534d8–10 135 534e2 135 596a6 f. 164 596c7 119 597c 132 601c–602a 133 601d5 133 601d9 133 617b5, b7 181 Politikos 261c 257, A.92 262d 149 282b10 122, A.30 283a5 122, A.30 304b–c 133 Protagoras 319e–320b 150, A.36 330d8 f. 274 337a8 86 337b1 86 337b5 86 337b7 86 337c2 86 337c3 86 347b–348a 148 Sophistes 227bc 257, A.92 237a3 f. 239
237bff. 239 237c2 239 241d3 240 240e10 f. 240 244d5–9 129 246e–249e 279 247e 113 248de 279, A.105 251b4 119 253a 215 253e4 134 254c4 240 256a7 240 256e5 f. 240 257a3 f. 240 257e5 f. 242 258e6–259a1 239 261cff. 220 261e1 241 262a3 241 262a6 f. 238 262b5 f. 238 262d3 f., d5 241 262e6,a12,b2 241 263a5 241 263a8 97 263b4 241 263b7 242 263b9 242 263b11 f. 242 263c5–11 241 263d3 238 263e2–5 121 Symposion 187b7–c2 215 202d13 167 203a5 167 207b6 f. 169 208c1 178, A.52 Theaitetos 151b5 87 152c10 177193 152c5 201 161c–162a 111 166d4 111 167a7 f. 110 167c 111 177c–179b 114, A.28 177e–179b 111 181c–183b 287 181d5, d6 280
303
304 182cd 280 182d4 f., d7, d8, 280 182 e5, e11 f. 280 182e4 f., e11 f. 280, A.106 183a2–4 281 183a6, a7 280 183a5 ff. 281 183c1–3 281 183b4, b5 281 184c2 257 186a11,c3 169 186c1 169 186c–d 169 188d3–189b5 232 189a6, a8, 232 189a10 232 189a12 232 189b12 232 189b4 f. 232 189e4–7 121 197bff., d7 232 199a 257, A.92 201d 270 202eff. 215 209a–e 164, A.45 209d10 124 210d2 f. 286 Timaios 40b8 ff. 166 47b–c, 90c–d 160 49b–51b 260 49d4 f. 260 49d5 f. 260 52a 119 58d 185 90c–d 147 Fragmente frg. 53 Heinze 185 b) Andere Autoren Aischylos Agamemnon 681–91 93 Eum 62–63 180, A.54 Th.829–31 91 F 176 Radi Alkmaion DK24 B1a 169, A.48 Aristophanes Acharn.757, 784 287 Av.227–8, 237 212 Av.260–2 212 Nu. 929 172
Register Nu.333,1485 158 Ra 209–68 212 Aristoteles De anima 405a5–13 194 De Caelo 270b16–24 186 270b21 185 270b22 185 293b30 166 De interpretatione 17a1 f. 123 Metaphysik A3, 983b27–33 173, A.50 A6 188 Α6, 987α32 83 A6, 987a33 283 Α6, 987a32 283 A6 987a32 ff. 189 A6 987a32 286 A6 987b1 283 A6 987b6 f. 283 A6 987b8 189 Γ5 1010a10 284 Γ5, 1010 a12 83 Γ5, 1010a12 283 Γ5, 1010a10–15 176 Z1, 1028a36 ff. 214 Z7, 1032a25 145 Z8, 1033b32 149 Z8, 1033b33 149 Z9, 1034b16 ff. 149 Z13, 1039a14–23 164, A.46 Physik H2, 243b6 122, A.30 Θ3, 253b9 176 Θ9, 265b17–29 194 Politik Θ5, 1340a18 ff. 213 Rhetorik Γ1,1403b29–31 197, A.63 Γ5,1407b7 142 De sensu 442a29 194 SE 173b17–174a4 142 Demokrit DK 68 A62 194 DK 68 A58 194 DK 68 A 119 194 DK 68 B122a 194
Register Derveni Papyrus XX1 KTP 92, A.15 XXII KTP 93 Dionys.Hal. AntRom.7,27,7 182 Empedokles DK 31 B 9 88 B 11 89 B 12 89 Epichdarm Frg.147 Kassel–Austin 287 Epikur Ep. ad Hdt §§ 75–6 91, A.13 Eupolis PCG 386 172 Euripides Phoen. 469 Heraklit DK 22 B1 176 DK 22 B12 174 DK 22 B49a 175 DK 22 B55 176 DK 22 B91 175 DK 22 B107 176 Dk 22 B114 91 Hesiod Theogonie 178 ff. 159 Theogonie 188–197 182 Theogonie 337–70, 173, A.50 Theogonie 383–403 156, A.50 Theogonie 466 f. 159 Op.121–123 167 Op.359 f. 228 Hippokrates περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων 14, L 89 dito 15, L 89 π.τέχνης 2,3 L 90 π. φύσ.ἀνθρ 5:6 L 90 Homer Od.1,62 90 Od. 6,233 182 Od.19,406–9 91 Ilias I, 343 229, A.70 Ilias II, 813 143 Ilias V 844–5 177 Ilias VI, 402 f. 143
Ilias VIII, 18–28 181, Α.56 Ilias IX, 644 f. 229 Ilias XIV, 201 173 Ilias XIV, 291 143 Ilias XX, 74 142 Ilias XXII, 500 143 Ilias XXII, 506 143 Ilias XXII, 506 f. 144 IliasXXII, 507 144 h.Hom. 28,4–5 182 h.Hom. 20 182 Lukian Dial.deor.8 182 Orpheus DK 1 B2 175 Pindar Ol.7,35 182 Parmenides DK 28 B 8, 38 ff. 89 DK 28 B 7 239 DK 28 B14–15 184, A.58 Proclus in Cratylum xxxiii 11.15–23 104 xxxvi 11.30–12.17 104 xxxvii.12.18–23 231 xxxviii 12.24–27 104 xlvi 15.1–26 104 xlvii 15.27–16.4 104 cv.54,15–18 160 Scholia in Platonem 3, Cufalo 86 Sextus Empiricus AM I.241–5 210 Sophokles Ai.430–2 91 Ai.606–7 177 Sophron frg. 55 K. A. 287 Xenocrates fr.53 Heinze 185 Xenophon Mem.II,10 83 Symp. III.14 83 Symp. IV47,50 83
305